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German Pages [344] Year 2011
Hartmut Krones Theophil Antonicek Elisabeth Theresia Fritz-Hilscher (Hg.)
Die Wiener Hofmusikkapelle III Gibt es einen Stil der Hofmusikkapelle ?
BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR
Gedruckt mit Unterstützung durch: Bundesministerium für Unterricht und Kunst Wien
Umschlagbild: Anton Birkhardt, Kupferstich zur Prachtausgabe des Libretto von Costanza e Fortezza von Johann Joseph Fux und Pietro Pariati (Prag 1723): Ausschnitt mit Sängern und Orchester (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, BE.12.Q.16, Tafel 1). Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar ISBN 978-3-205-78330-5 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2011 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H. und Co. KG, Wien · Köln · Weimar http://www.boehlau-verlag.com Gedruckt auf umweltfreudlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck: Prime Rate kft., Budapest
Krones_Hofmusikkapelle_III_S_4.qxp
12.07.2011
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Seite 1
INHALT Vorwort der Herausgeber ............................................................................
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Hartmut Krones (Wien) Zum Stilbegriff in der Musik ....................................................................... 11 Rudolf Flotzinger (Graz) Repertoire, Umfeld und Stil der habsburgischen Hofkapellen im 15. Jahrhundert ......................................................................................... 21 Elisabeth Theresia Fritz-Hilscher (Wien) Die kaiserliche Hofmusikkapelle als Vorbild und Nachahmerin auf dem Gebiet des musikalischen Stils ..................................................... 45 Siegfried Schmalzriedt † (Karlsruhe) Philippe de Montes geistliche Madrigale Vorrei l’orecchia haver und Amor alza le voci ............................................................................................... 57 Hartmut Krones (Wien) Bernhard Klingensteins Rosetum Marianum von 1604. Cantus-firmus-Bearbeitungen des Maria zart durch „kaiserliche“ und „nichtkaiserliche“ Komponisten ......................................................... 73 Dieter Gutknecht (Köln) Orlando di Lasso in Wien und Graz .......................................................... 97 Markus Grassl (Wien) Instrumentalisten und Instrumentalmusik am kaiserlichen Hof von 1527 bis 1612 ......................................................................................... 109
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Inhalt
Werner Braun (Saarbrücken) „Wohlfugierte Tafelsonaten“: Johann Theile und die Wiener Hofmusik .................................................. 149 Herbert Seifert (Wien) Das Sepolcro – ein Spezifikum der kaiserlichen Hofkapelle ................... 163 Jiří Sehnal (Brünn) Der Einfluß der Hofmusikkapelle auf das Musikleben in Böhmen und Mähren ............................................................................... 175 Dagmar Glüxam (Wien) Gibt es einen Stil der Hofkapelle? .............................................................. 195 Friedrich Wilhelm Riedel (Mainz) Kaiserliche Musik .......................................................................................... 211 Herbert Karner (Wien) Reichsstil, Kaiserstil oder die Kunst des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation ........................................................ 233 Martin Eybl (Wien) Zum Stilwandel der Kirchenmusik am Wiener Hof um 1740 ................ 253 Franz-Karl Praßl (Graz) Choralpflege und deren liturgische Voraussetzungen im Gottesdienst der Hofburgkapelle ................................................................ 271 Michael Jahn – Leopold M. Kantner † (Wien) Klassische Traditionen im 19. Jahrhundert ............................................... 287 Erich W. Partsch (Wien) Stilistische Ausprägungen in der Wiener Hofmusikkapelle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ............................................... 297
Inhalt
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Uwe-Christian Harrer (Wien) Auftragswerke für die Wiener Hofmusikkapelle seit 1945 ...................... 313 Tagungsprogramm ........................................................................................ 321 Auswahlbibliographie ................................................................................... 327
An Abkürzungen werden jene der Neuen MGG und des RISM verwendet. Da die Beiträge in ihrem Kern durchwegs aus dem Jahr 1998 stammen, wurde die alte deutsche Rechtschreibung beibehalten.
Vorwort der Herausgeber Die Drucklegung des vorliegenden Bandes Gibt es einen Stil der Hofmusikkapelle?, des dritten und letzten der Reihe Die Wiener Hofmusikkapelle, ist nun, nachdem zwischen der bereits Dezember 1998 (und somit noch rechtzeitig im Rahmen des 500-Jahr-Jubiläums der Institution) erfolgten Auslieferung des ersten Bandes Georg von Slatkonia und die Wiener Hofmusikkapelle1 und dem Erscheinen des zweiten Bandes Krisenzeiten der Hofmusikkapellen2 bereits acht Jahre verstreichen mußten3, erst nach weiteren fünf Jahren gelungen. Erneut waren Finanzierungsprobleme dafür maßgebend, wozu noch der Umstand trat, daß etliche Autoren nicht mehr mit der Veröffentlichung gerechnet haben und sich dann, nachdem diese doch gesichert war, erst wieder in die Materie einarbeiten mußten. Somit sei an dieser Stelle sowohl den Autorinnen und Autoren gedankt, die ihre „alten“ Beiträge noch einmal durchgesehen und, wenn notwendig, aktualisiert haben, als auch allen Persönlichkeiten in staatlichen und städtischen Stellen, die sich um die schließlich doch ermöglichte Finanzierung des Bandes verdient gemacht haben. Der Band Gibt es einen Stil der Hofmusikkapelle? schließt nun, dreizehn Jahre nach dem 500-Jahr-Jubiläum der Wiener Hofkapelle, die Reihe der aus diesem Anlaß gestarteten wissenschaftlichen und künstlerischen Aktivitäten ab, die aus mehreren speziellen Forschungsprojekten der Kommission für Musikforschung an der Akademie der Wissenschaften, aus der vom 11. Mai bis 10. November 1998 im Prunksaal der Nationalbibliothek gezeigten Ausstellung Musica Imperialis. 500 Jahre Hofmusikkapelle in Wien. 1498–1998 4, aus etlichen Festkonzerten der unter der Leitung von Uwe Christian Harrer 1
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Theophil Antonicek – Elisabeth Theresia Hilscher – Hartmut Krones (Hg.), Die Wiener Hofmusikkapelle I: Georg von Slatkonia und die Wiener Hofmusikkapelle. Wien–Köln–Weimar 1999 [Auslieferung der ersten Exemplare: Dezember 1998]. Elisabeth Theresia Fritz-Hilscher – Hartmut Krones – Theophil Antonicek (Hg.), Die Wiener Hofmusikkapelle II: Krisen der Hofmusikkapellen. Wien–Köln–Weimar 2006. Die Gründe, die zu dieser Verzögerung geführt haben, sind im Vorwort jenes 2. Bandes ausführlich dargelegt worden. Günter Brosche et al. (Hg.), Musica Imperialis. 500 Jahre Hofmusikkapelle in Wien. 1498– 1998. Katalog der Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, 11. Mai – 10. Novemebr 1998. Tutzing 1998.
Vorwort
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stehenden Wiener Hofmusikkapelle sowie schließlich aus jenen drei Symposien bestanden, die von der Kommission für Musikforschung gemeinsam mit der Lehrkanzel Musikalische Stilkunde und Aufführungspraxis der Wiener Hochschule (ab 1998 Universität) für Musik und darstellende Kunst5 gemeinsam veranstaltet wurden, und zwar über Auftrag und mit Mitteln des damaligen Bundesministeriums für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten. Die jahrelange Verzögerung der Herausgabe hatte es bereits beim zweiten Band mit sich gebracht, daß drei Kollegen (Leopold Kantner, Karlheinz Schenk und Manfred Schuler) vor dessen Erscheinen verstorben sind. Und auch der vorliegende Symposionsbericht enthält zwei Beiträge von mittlerweile verstorbenen Kollegen, nämlich von Leopold Kantner und Siegfried Schmalzriedt. Den Beitrag von Leopold Kantner hat, wie auch schon im 2. Band, sein Schüler und Mitarbeiter Michael Jahn aus den VortragsAufzeichnungen sowie aus früheren Arbeiten des Referenten erstellt, während Siegfried Schmalzriedt uns seinen Beitrag bereits vor einigen Jahren druckreif übermittelt hat, sodaß hier keine redaktionellen Eingriffe notwendig wurden. Der nunmehr vorliegende dritte Band unserer Reihe besitzt das Thema Gibt es einen Stil der Wiener Hofmusikkapelle? und greift viele der sich aus den ersten beiden Symposien ergebenden und in diesen nur zum Teil behandelten musikalischen Fragestellungen auf und rundet unser Projekt, das mit viel Elan und großzügiger Dotierung begonnen wurde und aus verschiedenen Gründen nun eher stockend zu Ende geführt wird, doch noch in – wie wir hoffen – befriedigender Weise ab. Möge er, gemeinsam mit den beiden anderen Symposionsberichten, in gebührender Weise zur Präsentation dieses ehrgeizig geplanten Gesamtkonzeptes beitragen. Wien, im Mai 2011 Die Herausgeber
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Die Lehrkanzel ist mittlerweile als Abteilung Stilkunde und Aufführungspraxis Teil des Institutes für Musikalische Stilforschung, dem auch die Abteilung Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg angehört.
Hartmut Krones (Wien)
Zum Stilbegriff in der Musik „stilus, i, m. 1. Schreibstift, Griffel, eisern, später beinern, mit dessen spitzem Ende man auf Wachstafeln schrieb [...]. meton. 2. das Schreiben, Abfassen, Abfassung, Komposition [...]. 3. Schreibart, Stil [...].“ So wird in dem von mir in den Jahren 1958–62 am meisten benützten Buch, dem lateinisch-deutschen Wörterbuch Der kleine Stowasser1, das Wort „stilus“ in der dort notwendigen Kürze übersetzt. In einem älteren „ausführlichen Handwörterbuch“ sind die Erklärungen schon genauer: „stilus, i, m. (vgl. in-stigo, eig. Stichel), jeder aufrechtstehende spitze Körper; dah. I) als milit. t. t. [terminus technicus], stili caeci, verdeckte spitze Pfähle, vorn mit eisernen Haken versehen, eine Art Fußangeln [...] – II) ein spitzes, länglich rundes Werkzeug in der Land= u. Gartenwirtschaft, um die Gewächse auseinander zu machen, [...] und sie von Würmern zu reinigen [...]. – III) der Stiel, Stengel, Stamm, des Spargels, [...] des Nußbaumes [...]. – IV) der (gew. eiserne) Griffel zum Schreiben, der oben breit wie ein Falzbein, unten spitz war, womit man in die wächsernen Tafeln schrieb, 1) [...] Man bediente sich seiner besonders zur Übung im Schreiben [...]; hatte man einen Schreibfehler gemacht, so kehrte man den Griffel um und verstrich das Geschriebene mit Wachs [...] – 2) meton.: a) das Schreiben, das schriftliche Abfassen, die Abfassung, Darstellung, stilus optimus et praestantissimus dicendi effector ac magister, das Schreiben, die Übung im Schreiben, =in der Komposition, Cic. [...], unus sonus est totius orationis et idem stilus, derselbe Klang, dieselbe Komposition, Cic. [...] orationes paene Attico stilo scriptae, mit attischer Feder, Cic. [...]. – b) die Ausdrucksweise, Schreibart, der Stil, pressus demissusque [knapp und schlicht] [...]. – c) das schriftlich Abgefaßte, α) das Schriftentum, die Literatur [...]. – β) die schrift-
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Der kleine Stowasser. Lateinisch=deutsches Schulwörterbuch, bearbeitet von Dr. Michael Petschenig. Wien 1958, S. 465.
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liche Stimmenabgabe, die Stimme [...]. – d) die Sprache, Graecus, Romanus stilus [...].“2 Soweit die lateinisch-deutschen Wörterbücher. Entsprechend diesen Bedeutungsebenen hatte der Begriff „stilus“ im Sinne einer rhetorischen Metonymie offensichtlich eine (doppelte) Bedeutungsverschiebung durchgemacht und war von der Bezeichnung für spitze, längliche Gegenstände3 und als solche auch für ein Schreibinstrument zu einer Bezeichnung für die Art des Geschriebenen geworden. Dementsprechend wurde er ein wichtiger Terminus der Rhetorik und bezeichnete einen angemessenen sprachlichen Ausdruck, angemessen insbesondere bestimmten Situationen, Themen und Stoffen, wobei es von hohem Interesse erscheint, daß die griechischen Vokabeln γλῶσσα und λόγος sowie die lateinischen Begriffe sermo, oratio, dictio, forma, dicendi modus und sogar ars inhaltliche Entsprechungen darstellen und (zumindest partiell) etwas Ähnliches bedeuten4. Interessant deshalb, weil in der älteren Musikgeschichte, wo wir dem Begriff „Stil“ bekanntlich eher spät begegnen, die ars nova von Beginn an durch ihre kompositionstechnischen Implikationen ebenfalls einen Stil bezeichnete. Und so erscheint es nur allzu logisch, daß unser aller wissenschaftlicher Vater Guido Adler in seinem Handbuch der Musikgeschichte bekanntlich die gesamte Musik-Entwicklung in „Stilperioden“5 teilte und daß dessen Mit-
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Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch [...] ausgearbeitet von Karl Ernst Georges. Unveränderter Nachdruck der achten verbesserten und vermehrten Auflage von Heinrich Georges [Gotha 1913]. 2. Band, Darmstadt 1995, Sp. 2800f. In einem anderen Wörterbuch wird hier auf die Verwandtschaft von „stilus“ zu „stimulus“ (von der erschlossenen Form „stimos“, „spitzig“) und auf dessen Bedeutung hingewiesen: „1. Stachel [...] kleine oben m. eisernen Haken versehene Pfähle, Fußangeln [...]. 2. a) Qual, Pein [...]; b) Sporn, Antrieb, Reiz [...]. Langenscheidts Handwörterbuch Lateinisch-Deutsch, bearbeitet von Dr. Erich Pertsch auf der Grundlage des Menge-Güthling, Berlin–München–Zürich 1971, S. 1110. Das griechische Synonym für „stimulus“ ist κέντρον, welches Wort auch „Mittelpunkt, in den man mit dem einen Zirkelfuß hineinsticht, wenn man einen Kreis beschreiben will, das Centrum“ bedeutet. W. Pape, Griechisch-Deutsches Handwörterbuch [Berlin 1842], Nachdruck der 3. Auflage [Berlin 1880], bearbeitet von M. Sengebusch. Erster Band, A-K, Graz 1954, S. 1418. Vgl. Wolfgang G. Müller, Topik des Stilbegriffs. Zur Geschichte des Stilverständnisses von der Antike bis zur Gegenwart. Darmstadt 1981, S. 7. Handbuch der Musikgeschichte[,] unter Mitwirkung von Fachgenossen herausgegeben von Guido Adler [Berlin 1924]. Zweite, vollständig durchgesehene und stark ergänzte Auflage. Erster Teil. Berlin 1930, S. IX und passim.
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telalter-Experte Friedrich Ludwig6 hier sowohl von „franconischem Stil“ oder „Petrus de Cruce-Stil“ (S. 254) als auch von Gattungsstilen wie „Organum-Stil“ (S. 225), „discantus“-Stil (S. 216), „Conductusstil“ (S. 272) sowie von „Motettenstil“, „Balladenstil“, „Madrigalstil“ oder „Cacciastil“ (S. 293) sprach. Auch „ars antiqua“ und „ars nova“ werden hier zunächst als „alter Stil“ (S. 250) und „neuer Stil“ (S. 255) bezeichnet, ehe von einer „,neuen‘ Kunst“ (S. 266) die Rede ist. Schon in der lateinischen Antike bezog sich der Begriff „stilus“ allerdings gerade auf dem Gebiet der „elocutio“ auch auf Einzelautoren, das heißt, daß das Prinzip des heute sogenannten „Personalstils“ durchaus bekannt war. Und um diesen zu schulen, legte beispielsweise Marcus Fabius Quintilianus jungen Männern ans Herz, wie die alten Redner Übersetzungen vom Griechischen ins Lateinische durchzuführen: „Vertere Graeca in Latinum veteres nostri oratores optimum iudicabant.“7 Doch auch das Nacharbeiten bzw. Nachahmen guter Gerichtsreden wird jungen Männern für jenen Zeitpunkt anempfohlen, an welchem man „die Lehre von der Auffindung und Darstellung des Redestoffes von seinen Lehrern sorgfältig empfangen hat“; zudem solle man „einen Redner aussuchen, um sich ihm anzuschließen und ihn nachzuahmen“.8 Ich erinnere hier nur kurz daran, daß auch der Kompositionsunterricht im 17. und 18. Jahrhundert in hohem Maße aus einem „Nachahmen“ von Mustersätzen bestand, wie etwa für Georg Friedrich Händels Unterricht bei Friedrich Wilhelm Zachow bekannt ist.9
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Friedrich Ludwig verfaßte das Kapitel „Die geistliche nichtliturgische, weltliche einstimmige und die mehrstimmige Musik des Mittelalters bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts“. X 5, 2 („Die Übung, Griechisches in Latein zu verwandeln, haben unsere alten Redner für das beste hierbei erachtet.“) M. Fabii Quintiliani Institutionis oratoriae Libri XII, hrsg. und übersetzt von Helmut Rahn. Darmstadt 1975. Zweiter Teil, Buch VII-XII, S. 514f. X 5, 19. „quare iuvenis, qui rationem inveniendi eloquendique a praeceptoribus diligenter acceperit [...], exercitationem quoque modicam fuerit consecutus, oratorem sibi aliquem, quod apud maiores fieri solebat, deligat, quem sequatur, quem imitetur [...].“ Ibidem, S. 522f. „Und damit er [Händel] auch eben sowol in der Ausübung, als in der Beschaulichkeit, zunehmen mögte, schrieb er [Zachow] ihm öfters gewisse Aufgaben vor, solche auszuarbeiten; ließ ihn oft rare Sachen abschreiben, damit er ihres gleichen nicht nur spielen, sondern auch setzen lernete.“ John Mainwaring, G. F. Händel. Nach Johann Matthesons deutscher Ausgabe von 1761 mit andern Dokumenten hg. von Bernhard Paumgartner. Zürich 1947, S. 31.
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Der Begriff des Personalstils war im übrigen an die Überzeugung gekettet, daß sich im Stil der Rede auch die geistig-seelische Disposition des Menschen niederschlägt, womit bereits in der Antike eine zweite Topik des Stilbegriffs vorgegeben war. Wenn nämlich Platon die Meinung vertrat, „Wohlberedtheit und Wohlklang und Wohlanständigkeit und Wohlgemessenheit, alles folgt der Wohlgesinntheit und Güte der Seele“10, so war hier bereits der Grundstein für das spätere lateinische „vir bonus“-Ideal gelegt. Aus dem schönen alten Sinnspruch „Οἷος ὁ τρόπος, τοιoῦτος ὁ λόγος“11 („Wie die Art, so die Rede“) wurde dann bei Cicero das Verdikt „qualis autem homo ipse esset, talem eius esse orationem; orationi autem facta similia, factis vitam“12, und nun war es nicht mehr weit zu den uns allen bekannten, von Quintilianus13 „genus subtile“ (in der mittelalterlichen Dreistil-Lehre hieß es dann „stilus humilis“14), „genus medium“ („stilus mediocris“) und „genus grande“ („stilus gravis“) genannten Stilebenen, die bekanntlich nicht nur eine autonome Stilhöhe repräsentierten, sondern von Anfang an untrennbar mit dem Inhalt des Auszusagenden bzw. speziell mit dem Charakter und Stand der handelnden Personen verbunden waren – auch und gerade in der Musik. In der Literaturgeschichte schlug sich diese Überzeugung später in Sprichwörtern wie „Wie der Mann, so die Rede“ nieder oder war bei vielen Autoren von Renaissance und Barock Gegenstand mannigfaltigster Ausführungen; als ein Beispiel sei ein Schlüsselsatz aus Georg Philipp Harsdörffers Poetischem Trichter von 1653 zitiert: „Die Rede ist der Dolmetscher der Gedanken, der Spiegel des Herzens, die Abbildung menschlichen Sinnes, der Herold deß Willens, das Band der Freundschafft, die Erklärerin deß Gemütes, der Schlüssel der Gedächtniß, das Pfand menschlicher Gemeinschafft, die Trösterin der betrübten, die Bottschaffterin deß Leides und der Freuden, die Regiererin der Völker, die
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Platon, Politeia III, 400 d-e. Platon, Werke in acht Bänden griechisch und deutsch. 4. Band. ΠΟΛΙΤΕΙΑ. Der Staat, bearbeitet von Dietrich Kurz [...] deutsche Übersetzung von Friedrich Schleiermacher. Darmstadt 1990, S. 224f. Apostolius et Arsenius. Proverbia XII, 42 c; zitiert nach Wolfgang G. Müller, siehe Anm. 4, S. 11. Cicero, Tusculanae Disputationis V, XVI, 47; zitiert nach ibidem, S. 12. Quintilianus XII, 10, 58. M. Fabius Quintilianus, siehe Anm. 7, S. 778. Vor allem bei Galfredus de Vino salvo (um 1210). Siehe Gert Ueding – Bernd Steinbrink, Grundriß der Rhetorik. Geschichte. Technik. Methode. 3. Auflage Stuttgart–Weimar 1994, S. 67f.
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Rhatgeberin bey den bedrangten, die Gnade über alle Gnade, welche Gott den Menschen verliehen hat.“15 Auch in der Musik schlugen sich die beiden grundsätzlich verschiedenen Stilbegriffe nieder, was zu einer enormen Spannweite von einer rein handwerklich-mechanistischen Sicht bis zu einer weit in affektiv-seelische Belange reichenden Haltung führte. Auf der einen Seite steht Zofia Lissas Definition, Stil ist „die Art, in der man sich eines Komplexes technischer Mittel, Konstruktionsmittel bedient, die für eine bestimmte Zeit und für ein bestimmtes Milieu typisch sind“16; die andere Seite repräsentiert vor allem Johann Nicolaus Forkel, dessen Anschauungen hier ins Gedächtnis zurückgerufen werden sollen. Forkel kennt selbstverständlich die alte, erstmals von Marco Scacchi17 formulierte Dreiteilung der Stile (gemäß ihrer Verwendung) in „den Kirchenstyl, oder die Kirchenschreibart“, die „Kammerschreibart“ sowie die „Theaterschreibart“, befindet die „Classification der Schreibarten, nach dem innern Wesen derselben, in die hohe, mittlere und niedrige“ aber als „sehr mangelhaft, weil jeder Styl, in jeder Bestimmung, diese verschiedenen Eigenschaften annehmen kann. So kann z. B. selbst in der Kirche die hohe, mittlere und niedrige Schreibart statt finden, je nachdem sie mit einer Classe von mehr oder weniger gebildeten Zuhörern angefüllt ist.“ Forkel vertritt vielmehr die Meinung, „weit besser würde daher die Classification nach den Affecten seyn, deren sich aber meines Wissens noch niemand bedient hat“. Und er schlägt „etwa folgende Eintheilung“ vor: „Styl der traurigen Affecten“, „Styl der frölichen Affecten, die in Lustigkeit ausbrechen“, den „Styl der hohen, stillen Selbstzufriedenheit“ sowie den „Styl der mürrischen, heftigen Affecten“. Schließlich stellt er noch eine Systematik auf, die von den „Gemüthszuständen“ ausgeht, die von der Musik jeweils mit unterschiedlichen stilistischen Mitteln dargestellt werden; hier unterscheidet er „den lustigen, komischen Styl“, „den gesezten, feyerlich majestätischen Styl“ sowie den „starken, heftigen
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Georg Philipp Harsdörffer, Poetischer Trichter [Nürnberg 1648–1653] III, 2. Teil, Nr. 368, S. 387f., Nachdruck Hildesheim 1971. Zofia Lissa, Fragen der Musikästhetik. Berlin 1954, S. 269. Marco Scacchi nannte die Stile in seinem Breve discorso sopra la musica moderna (Warschau 1649) in Weiterführung einer bereits von Claudio Monteverdi angedachten Kategorisierung „stylus ecclesiasticus“, „stylus cubicularis“ und „stylus scenicus seu theatralis“.
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Styl“, welche Schreibarten dann auch noch „niedrige“ und „höhere“ Ausprägungen besitzen könnten.18 In noch speziellerer Art dem Affekt verpflichtet sind die Ansichten von Marin Mersenne, die dieser in seiner Harmonie universelle von 1636/37 vertrat; hier heißt es unter anderem: „Was die Italiener anlangt, so beobachten sie mancherlei in ihrem Vortrag, dessen die Unsrigen ermangeln; weil sie, soviel sie können, die Leidenschaften und Erregungen der Seele und des Gemüts darstellen, z. B. den Zorn, die Wut, den Trotz, die Raserei, die Ermattung des Herzens und verschiedene andere Leidenschaften mit einer so besonderen Heftigkeit, daß man meinen könnte, sie seien selbst von den Gemüts-Erregungen, die sie singend darstellen, ergriffen. Statt dessen begnügen sich unsere Franzosen, dem Ohre zu schmeicheln und befleißigen sich einer unausgesetzten Süßlichkeit in ihren Gesängen, was die Energie ausschließt.“19 Hier erscheint neben dem affektiven Moment aber auch schon ganz deutlich jene Auffassung von national begründeten Stilen, die den musikalischen Stilbegriff des 18. Jahrhunderts so stark prägen wird. Doch war diese Sicht schon im 16. Jahrhundert in hohem Maße vorhanden, wie nicht zuletzt Kaiser Maximilians berühmte Anordnung vom 20. Juli 1498 verrät; in ihr heißt es, der Kaiser habe „zu Wien ain Cappellen aufzurichten furgenomen und derselbig Capellen Herrn Georgen geben zu Singmaister, Bernharten Meder und Oswalten zu zwayen Bassisten, auch sechs Mutanten Knaben [...] zu Discanten auf Brabantisch zu discantieren verordent“20. „Brabantisch“ sollte die Oberstimme „discantieren“ und dabei sicher auch in diesem Stil verzieren. 57 Jahre später klingt es in der Kantorei-Ordnung des Dresdener Kurfürsten August durchaus anders: „So wir auch dem Capellnmaister werdenn ansagen lassen, mit ettlichenn Singern oder der ganntzen Cantorey für vnser Tafel oder wann wir sonnst Gastereyen haben, aufzuwarttenn, Sol Er ohne affect [Gunst] die bestenn bestimbten Knaben vnnd gesellen sonder18
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Johann Nicolaus Forkel, Allgemeine Geschichte der Musik. Erster Band. Leipzig 1788, S. 43f. Marin Mersenne, Harmonie universelle. Paris 1636. Livre 6. De l’art de bien chanter, S. 356, zitiert nach: Max Kuhn, Die Verzierungs-Kunst in der Gesangs-Musik des 16.–17. Jahrhunderts (1535–1650). Leipzig 1902, S. 51. Zitiert nach Hertha Schweiger, Archivalische Notizen zur Hofkantorei Maximilians I., in: ZfMw 14 (1931/32) S. 365.
Zum Stilbegriff in der Musik
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lich In gesenngen duum trium vocum darzw [dazu] brauchen. Vnnd nicht allein die Niderlennder (die bisweilen mit Irenn Coloraturen so gar wol nicht concordiren [übereinstimmen], noch den zuhörern genug thun) herfurziehenn, damit solches nicht vneinigkeit vnnder den gesellenn verursache, sich auch ein Jeder vleiße, dem andern furzuziehenn. In Ire Instrument sinngenn oder vnns zu Ehrenn nach Irer arth welsche Stück für sich sinngenn, das sol Inen der Capellnmeyster nicht wehren.“21 Offensichtlich verzierten die Niederländer bisweilen durchaus zu viel „auf Brabantisch“, andererseits galten „welsche Stück“, insbesondere solche mit Instrumenten, doch noch nicht als gleichwertig, wenngleich man sie bereits „duldete“. Die zitierte Dresdener Kantorei-Ordnung weist im übrigen ebensolche stilistische Implikationen auf, wie wir ihnen in den nächsten drei Tagen für die Wiener Hofmusikkapelle nachgehen wollen, ja, mehr noch: Anordnungen, die uns verraten, daß gewisse stilistische Ausprägungen der Dresdener Hofkomponisten bzw. ihrer Musik zumindestens auch durch einen speziell (vom Brotherren) gewünschten Kapell-Stil begründet bzw. gar verursacht wurden: „[...] wollenn wir, das die Cantores täglich aufs wenigste eine stund, auch sonst zw [zu] jeder Zeit wann sie der Capellnmeyster fordern lassen wirdet, In seine herberge Zusammen kommen, daselbst vbersinngen vnnd tentiren [proben] sollenn. Diß dienet nicht allein darzw das man die gesännge zuuorn [zuvor] Probir welchs die besten, Item ob sie auch recht componirt vnnd vmbgeschrieben sein, das man hernach Inn der Capell oder für der Taffell kein Confusion mache. Sonndernn ist auch guet das sich die Niderlennder gewehnen, denn Text zu singen vnnd Ire Stimmen Zurectificiren [hier ist wohl primär die Aussprache gemeint] vnnd die altenn Cantores [die schon vor der Neugestaltung der Kantorei angestellten deutschen Sänger] ein fein lieblich arth mit Coleriren an sich Zunehmen vnnd Ire Stimmen Zumessigen.“22 Schließlich darf natürlich nicht vergessen werden, daß insbesondere die Stilhöhe von Gattung und Sujet abhing, daß aber auch innerhalb eines einzelnen Werkes ein Wechsel des Stiles – z. B. aus inhaltlichen Gründen – möglich, ja bisweilen erwünscht war. Daß später z. B. Wolfgang Amadeus Mozart in seinen Werken bald diesem, bald jenem Stil huldigte – und zwar sowohl Gattungs- als auch Nationalstilen –, war bekanntlich (u. a.) eine 21
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M.[oritz] Fürstenau, Churfürstlich Sechsische Cantoreiordnung von 1555, in: MfM IX (1877) No. 11, S. 235-246, hier S. 240 f. Ibidem, S. 239.
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gezielte Strategie seines Vaters und wurde auch von seinen Zeitgenossen erkannt (und oft durchaus geschätzt). Welch hohe Bedeutung man auch nach seinem Tod noch der Frage seiner Schreibart beimaß, dokumentiert zum Beispiel der 1801 in Breslau erschienene 3. Teil der Publikation Museum deutscher Gelehrten und Kuenstler, der seine Betrachtungen unseres Meisters „und seiner Manier“, wie es so schön heißt, in einem hohen Maße stilistischen Untersuchungen widmete. Hier lesen wir, daß Mozart „die freyere canonische Schreibart“ wählte, „besonders wenn er fürs Theater komponirt“, daß seine vielen dem Thema der Liebe gewidmeten Werke nicht zu dem Schluß verleiten mögen, er habe „mehr Talent für das Theater und für die Kammer, als für die Kirche gehabt“, oder daß er „die überladenden italienischen Verzierungen nicht überall schön fand“23. Und die 1810 in Erfurt gedruckte Gallerie der berühmtesten Tonkünstler des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts stellte sogar fest, daß Mozart „Schöpfer jenes neuen Stils [ward], der italienische Anmuth mit deutscher Kraft verbindet“24. Daß auch Vater und Sohn Mozart in ihren Briefen immer wieder von den drei Stilsphären Kirchenmusik, Theatermusik und Kammermusik sprachen, sei nur abschließend am Rande bemerkt. Stil in der Musik – ein unerschöpfliches Thema, und dies bereits „nur“ in Bezug auf die in den nächsten drei Tagen behandelten 500 Jahre Geschichte der Hofmusikkapelle25. Zunächst obliegt es mir, Frau Dr. Elisabeth Hilscher sowie Herrn Univ.-Prof. Dr. Theophil Antonicek für ihre Mitarbeit an unserem großen Projekt zu danken, ebenso auch unserem institutionellen Mitveranstalter, der Kommission für Musikforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Danken möchte ich aber insgesamt allen, die zum Gelingen dieses Kongresses beigetragen haben, darüber hinaus aber auch allen, die die nunmehr zu Ende gehende Serie von drei Kongressen zur Geschichte der Hofmusikkapelle ermöglichten: Der Abteilung Kultur- und Kunstangelegenheiten des Bundesministeriums für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten, hier insbesondere Herrn Sektions23
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[C. A. Siebigke], Museum deutscher Gelehrten und Kuenstler. III. Wolfgang Gottlieb Mozart. Nebst einer kurzen Darstellung seines Lebens und seiner Manier. Breslau 1801, S. 53, 59f. und 65. Gallerie der berühmtesten Tonkünstler des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, Erster Theil. Erfurt 1810, S. 114. Das hier abgedruckte Eröffnungsreferat ist in seinem originalen Wortlaut wiedergegeben.
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chef Dr. Rudolf Wran und Frau Ministerialrätin Dr. Brigitte Böck, weiters der Wiener Hofmusikkapelle selbst, hier insbesondere Herrn Ministerialrat Dr. Eugen Jesser26. Nicht vergessen sei aber auch der Mitinitiator der gesamten Serie, der inzwischen seine Pension genießende Sektionschef Dr. Hans Temnitschka27, der als langjähriger Sänger des Wiener Kammerchores unter anderem gemeinsam mit mir so manche Musik aus dem Bereich der Wiener Hofmusikkapelle zur Aufführung gebracht hat – und dies unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Hans Gillesberger, unserem unvergessenen Dirigierlehrer an der Abteilung Musikpädagogik sowie Leiter der Wiener Hofmusikkapelle in den Jahren 1971–1986. Und so gesehen war es eigentlich gar nicht anders möglich, als daß die Kongreßserie zum Gedenken an die 500 Jahre florierende Geschichte der Wiener Hofmusikkapelle im Rahmen der Abteilung Musikpädagogik abgehalten wurde. Dies umso mehr, da einerseits auch der derzeitige künstlerische Leiter der Hofmusikkapelle, Uwe Christian Harrer28, Professor an unserer Abteilung ist, andererseits aber – und dies vor allem –, da der Kongreß in jenen Räumlichkeiten stattfindet, in denen einst die Kaiserinwitwe (nach Joseph I.) Christine Amalie lebte, in deren circa 27 Mann umfassender Kapelle29 unter anderem Gottlieb Muffat und Georg Christoph Wagenseil als Organisten und Cembalisten wirkten und deren Kapellmeister zunächst niemand Geringerer als Johann Joseph Fux war, der wohl bedeutendste Hofmusikkapellmeister dieser von uns nun noch einmal drei Tage betrachteten 500 Jahre.
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Eugen Jesser, 1946 geboren, ist 2008 verstorben. Hans Temnitschka, 1930 geboren, ist 2006 verstorben. Seit Jänner 2010 ist o. Univ.-Prof. (für Chorleitung) Erwin G. Ortner Leiter der Wiener Hofkapelle. Siehe Otto Biba, Kaiserin Wilhelmina Amalia und die Musik, in: ÖMZ 45 (1990) H. 2, S. 66-73, hier S. 71f.
Rudolf Flotzinger (Graz)
Repertoire, Umfeld und Stil der habsburgischen Hofkapellen im 15. Jahrhundert Deutlich wie kaum ein andermal offenbart das musikgeschichtliche Datum 1498 den Unterschied zwischen trivialen und wissenschaftlichen Anschauungen: Während es die österreichische Öffentlichkeit längst als gegeben aufgenommen hat und derart wichtig ansieht, daß es in Sonntagsreden vorkommt, Subventionen und Festkonzerte rechtfertigt, feilen Musikhistoriker noch immer an seiner Interpretation. Unter solchen Bedingungen die Frage nach dem Stil zu stellen, mag demnach reichlich ambitioniert erscheinen. Jedenfalls muß, wie allemal, wenn eine Frage nicht mit gutem Gewissen zu beantworten ist, sie andersherum gestellt werden: was kann man überhaupt in dem Zusammenhang seriöserweise aussagen. Vor noch nicht allzu langer Zeit wurde der kompositorische Anschluß an die berühmten Trienter Codices aus der Mitte des 15. Jahrhunderts noch als ziemlich offen angesehen1. Erst seit uns – wie zu bekennen ist – ausländische Kollegen kräftig unter die Arme greifen, hat sich das Bild entscheidend geklärt. Sodann liegt auf der Hand, daß nach dem Stil einer Institution nur anhand entsprechender Materialien (die es in unserem Fall eben nur spärlich gibt) gefragt werden kann. Schließlich steht die Vorfrage, seit wann man mit musikalisch einigermaßen entwickelten Hofkapellen rechnen kann: Vom Hof des Herzogs Albrecht III. (1348–1395) sind Herolde und Instrumentalisten bekannt, die also eher die ritterlich-repräsentative Seite widerspiegeln, als die gottesdienstliche (ohne daß man natürlich zweifeln kann, ob es eine solche gab). Erst unter seinem Sohn Albrecht IV. (1395–1404) ist 1397 durch den „D[omi]n[u]s Jacobus de Holandia, cantor illustr[issimi] domini nostri
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Allerdings folgendermaßen formuliert: „Österreichische Zwischenglieder zwischen diesen [Codices Avrea und Apt] und den ebenso berühmten Trienter Codices fehlen.“ Rudolf Flotzinger, Geistliche Kultur im Mittelalter, in: Rudolf Flotzinger – Gernot Gruber (Hg.), Musikgeschichte Österreichs, Bd. 1. Graz–Wien–Köln 1977, S. 112.
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ducis“2 eindeutig eine Kantorei belegt, d. h. noch vor der Zeit, da sie einer Epoche den Namen gaben, durch einen Niederländer. Das könnte noch auf eine gewisse Unselbständigkeit hinweisen, doch ist die Blickrichtung bereits die „richtige“. Darüber hinaus ist nicht anzunehmen, daß nur wenige Jahre später (1403) der bis dahin als Hofkantor des Salzburger Erzbischofs tätige Wolfgang Dürrenperger in niedrigerer Position in herzogliche Dienste übergetreten sein sollte, d. h. daß die Einheimischen rasch gelernt haben. Und für Albrecht V. (als König Albrecht II.) sind bereits Besuche mit seiner Kapelle in Konstanz, das während des Konzils (1414–1418) ein Treffpunkt von Musikern aus aller Herren Länder und wichtiger Vermittlungsplatz der damaligen Musikszene war3, wenigstens zu erschließen4. Die griffige Behauptung, im 15. Jahrhundert seien die führenden Positionen mit Ausländern besetzt und die ausführenden Musiker eher Einheimische gewesen, ist selbst für die Hofkapellen statistisch kaum zutreffend und wäre hier mit Prestigedenken wohl hinreichend erklärt. Sie kann zumindest nicht verallgemeinert, z. B. nicht auf die Klöster übertragen werden. Vor allem aber ist der oft gezogene Schluß auf ein fehlendes eigenes Schöpfertum unzulässig, weil er u. a. eine bereits sehr weit fortgeschrittene Trennung von Komponist und ausführendem Musiker voraussetzt, für die es erst recht keinen Beleg gibt5. Dem diesbezüglich seit langem als typisch angesehenen Beispiel Hofhaymer hat nicht chauvinistische, sondern die ausländische Forschung in jüngerer Zeit Gegenbeispiele wie Johannes Martini (alias Giovanni d’Alemagna) oder Nikolaus Krombsdorfer (alias Nicolò Tedesco) an die Seite gestellt6. Von dieser Seite stammt z. B. die Formulierung: „Die Hofkapellen der habsburgischen Herrscher Albrecht II. und Friedrich III., über die so wenig Konkretes bekannt ist, hat man sich immer so vorge2
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Gerhard Pietzsch, Fürsten und fürstliche Musiker im mittelalterlichen Köln. Köln 1966 (Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte 66) S. 126-129. Reinhard Strohm, Native and foreign polyphony in late medieval Austria, in: Musica disciplina 38 (1984) S. 205-230, insbesondere S. 209; ders., The Rise of European Music, 1380-1500. Cambridge 1993, S. 106 ff. Reinhard Strohm, The Rise of European Music, siehe Anm. 3, S. 252. Vgl. dazu inzwischen Rudolf Flotzinger, Musikalische Interkulturalität? Zur Rezeption westlichen Komponierens in den Ländern der Habsburger bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts, in: Publication du Centre Europeen d’Etudes Bourguignonnes (XIVe–XVIe s.) 46 (2006) = Rencontres d’Innsbruck 2005, S. 221-234. Reinhard Strohm, Die vierstimmige Bearbeitung (um 1465) eines unbekannten Liedes von Oswald von Wolkenstein, in: Jb. der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 4 (1986/87) S. 163-174; ders., The Rise of European Music, siehe Anm. 3, S. 519 f. und 602 ff.
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stellt, als ob darin allein Franko-Flamen wie Roullet, Brassart und Touront den Ton angegeben hätten und die aufgeführte Messenmusik ganz aus dem Westen Europas stammte. [...] Nein, die große Zahl der unidentifizierten Stücke [in den Trienter Codices ] zwingt doch fast zu der Vermutung, daß man in Österreich schon vor 1450 von der Rezeption auch zur Eigenproduktion von c. f.-Messen übergegangen ist.“7 Und zu deren Grundstil heißt es, er sei von den Werken des Westens weitgehend ununterscheidbar und vielleicht nur in der Qualität etwas niedriger8. Jedenfalls ist von der Person des Jacobus de Holandia her, aus den höchst wahrscheinlichen Kontakten der Hofkapelle Albrechts V. nach Konstanz und einer Reihe erhaltener Handschriften-Fragmente zu ersehen, daß der Anschluß an die internationale Entwicklung spätestens mit Beginn des 15. Jahrhunderts vollzogen war. Wie immer dann Maximilians Absichten zu dessen Ende einzuschätzen sein mögen, sind also, bevor nach dem Stil gefragt werden kann, die Art der Repertoires zu rekonstruieren, die zur Verfügung gestanden sein konnten. Für das 14. Jahrhundert genüge der Hinweis, daß man überall spätestens seit etwa 1300 die Liniennotation sowie die westliche Motetten- und Liedproduktion zumindest ansatzweise kannte. Und in der anderen Richtung sind die hinreichend belegten Beispiele im Auge zu behalten, nach denen bis in das 16. Jahrhundert neben dem einstimmigen Choral auf der einen und allfälligen fortschrittlicheren Gattungen auf der anderen Seite die improvisierte, sogenannte primitive Mehrstimmigkeit weiterhin gepflegt wurde9. Das heißt, daß mit einer großen Vielfalt zu rechnen ist, die es zu differenzieren gilt. Zu beginnen ist mit zwei Handschriften aus der Zeit um 1400, die aus dem böhmisch-schlesischen Grenzgebiet stammen und die der vormalige Kremser Stadtpfarrer Johannes Seld im Jahre 1440 dem Stift Kremsmünster
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Reinhard Strohm, Zur Rezeption der frühen Cantus-firmus-Messe im deutschsprachigen Bereich, in: Wolf Konold (Hg.), Deutsch-englische Musikbeziehungen. Referate des wissenschaftlichen Symposions „Musica Britannica“ Nürnberg 1980. München–Salzburg 1985, S. 25. Konkret der Meßzyklen über Dixerunt discupuli, O praeclara stella maris und Patris sapientia; Reinhard Strohm, Native and foreign polyphony, siehe Anm. 3, S. 224. Vgl. Überblick bei Rudolf Flotzinger, Non-Mensural Sacred Polyphony (Discantus) in Medieval Austria, in: C. Corsi – P. Petrobelli (Hg.), Le Polifonie Primitive in Friuli e in Europa. Rom 1989 (Miscellanea Musicologica 4) S. 43-61.
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schenkte (CC 71 und 312)10. Die in ihnen enthaltenen sechs zweistimmigen, mit Instrumentaleinleitungen versehenen eintextigen Motetten belegen einmal mehr, daß in Zentraleuropa die relativ bescheidenen „Motetten des Engelberger Typus“ 11 vorherrschten12, sie jedoch nicht unbedingt ausschließlich vokal waren. Über die praktische Auswirkung dieser Bücherschenkung an die Benediktiner von Kremsmünster ist nichts auszumachen. Vergleichbare Beispiele werden jedoch nahelegen, daß man darin nicht nur den Aspekt der Überlieferung sehen sollte13. Aus einer anderen Himmelsrichtung stammt die Notierung einer Ballade am Rand der Sammelhandschrift Melk 391 (um 1400), die wegen des fehlenden Textes wohl für eine Kontrafaktur gedacht war. Auch wenn die frühere Annahme, sie beziehe sich auf das deutsche sogenannten Melker Marienlied 14, längst widerlegt ist, bestätigt sie die Motetten-Rezeption auch in österreichischen Klöstern15. Die dafür vorauszusetzenden Kontakte hatte es infolge der Teilnahme bei Kirchenversammlungen, Zentralkapiteln, usw. stets und erstaunlich weiträumig seit dem Hochmittelalter gegeben. So könnte die Melker Ballade von einem Besuch des Konzils von Pisa (1409) oder Konstanz mitgebracht worden sein: Abt Johann III. von Melk könnte Albrecht V., zu dessen Beratern er gehörte, einmal dorthin begleitet haben oder auch, wie z. B. Abt Angelus von Rein, aus eigenem Antrieb dort gewesen sein; und die mit ihm in Kontakt stehenden Professoren Petrus von
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Altman Kellner, Musikgeschichte des Stiftes Kremsmünster. Kassel 1956, S. 72 und 106-109; ders., Ein Mensuraltraktat aus der Zeit um 1400. Wien 1957 (Mitteilungen der Kommission für Musikforschung 9). Friedrich Ludwig, Die mehrstimmigen Werke der Handschrift Engelberg 314, in: KmJb 21 (1908) S. 56 ff. Jaromír Černý, Die mehrtextige Motette des 14. und 15. Jahrhunderts in Böhmen, in: Rudolf Pečman (Hg.), Colloquium musica bohemica et europaea 5. Brno 1972, S. 71-97, inbesondere S. 86. Inzwischen Rudolf Flotzinger, Zu Herkunft und Beurteilung des Codex Cremifanensis 312, in: Helmut Loos – Klaus-Peter Koch (Hg.), Kirchenmusik – geistliche Musik – religiöse Musik. Bericht der Konferenz Chemnitz 1999. Sinzig 2002 (Musikgeschichte zwischen Ost- und Westeuropa 7) S. 143-158. Leopold Nowak, Das Melker Marienlied, in: Unsere Heimat N.F. 7 (Wien 1934) S. 184-195. Vgl. inzwischen Rudolf Flotzinger, Zur Beurteilung der Balladen in den Handschriften Vorau 380 und Melk 391, in: Giacomo Fornari (Hg.), Album amicorum Albert Dunning. Turnhout 2002, S. 147-153.
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Pulkau und Kaspar von Meiselstein hielten sich als Vertreter der Wiener Universität längere Zeit in Konstanz auf16. Daß man sich in den österreichischen Stiften nicht nur für Kirchenmusik im engeren Sinne interessierte, zeigen auch die Fragmente im Zisterzienserstift Heiligenkreuz aus der Zeit um 1415: zwei Pergamentblätter mit fünf dreistimmigen Stücken, darunter eine Ballade, ein Rondeau und ein Kanon von Thomas Fabri, einem Schüler des Egardus von Brügge. Die bisherige Annahme, deren Quelle, ein noch nicht allzu großes (325 x 228 mm) Chorbuch, sei entweder über das von Heiligenkreuz verwaltete Sankt Nikolauskolleg der Wiener Universität17 oder direkt aus einem flämischen Zisterzienserkloster hieher gekommen18, versucht Strohm auf eine Entstehung in Konstanz, wo sich Fabri wahrscheinlich persönlich aufhielt19, zu präzisieren, d. h. wir hätten, unabhängig davon, wie die Vermittlung erfolgte, jedenfalls Beispiele dessen vor uns, was alle, Kirchenfürsten ebenso wie der Herzog, damals in Konstanz kennenlernen konnten: keine SpitzenKompo-sitionen, geschweige denn besonders raffinierte in ars subtiliorTradition, sondern Stücke ohne besondere Schwierigkeiten der Entzifferung oder Ausführung. Das könnte für das erste das Interesse ebenso befördert haben wie es die Wahrscheinlichkeit steigert, daß die Stücke dann auch zuhause tatsächlich verwendet wurden. In Hinblick auf die gestellte Frage der Vermittlung wären wenigstens zwei Möglichkeiten gut denkbar: zum einen ließen die seit der Gründung durch die Babenberger sehr engen Beziehungen von Heiligenkreuz auch zu den Habsburgern daran denken, 16
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Alphons Lhotsky, Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs. Graz–Köln 1963 (MIÖG, Ergänzungsband 19) S. 329 ff. In der Wiener Singerstraße, von Herzog Albrecht III. den Zisterzienserinnen für die Universität abgekauft und für die Theologiestudenten der süddeutschen Zisterzen gewidmet; vgl. Alois Niemetz, 800 Jahre Musikpflege in Heiligenkreuz. Heiligenkreuz 1977, S. 15. Kurt v. Fischer – Max Lütolf (Hg.), Handschriften mit mehrstimmiger Musik des 14., 15. und 16. Jahrhunderts, 2 Halbbde. München–Duisburg 1972 (RISM BIV/3) S. 77-79; Walter Kreyszig, Anonymous compositions from the late-fourteenth and early-fifteenth centuries. Wien 1984 (Forschungen zur älteren Musikgeschichte 5) S. 226-231 und 279-281; ders., Das Fragment Heiligenkreuz, Archiv des Zisterzienserstiftes, Fragment ohne Signatur: Eine wenig beachtete Konkordanz zur Überlieferung des anonymen „Par un regart“ in der Handschrift Oxford, Bodleian Library, Canonici misc. 213, in: Bryan Gillingham – Paul Merkley (Hg.), Beyond the moon: Festschrift Luther Dittmer. Ottawa 1990 (Wissenschaftliche Abhandlungen 52) S. 273-294. Reinhard Strohm, Native and foreign polyphony, siehe Anm. 3, S. 211 f; ders., Magister Egardus and other Italo-Flemish Contacts, in: L’Ars Nova Italiana del Trecento 6 (Certaldo 1992) S. 46 f. und 61.
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daß auch Abt Peter Eisen (1415–1417) oder sein Nachfolger Johann II. von Span(gen)berg (1417–1435) einmal im Gefolge Herzog Albrechts V. in Konstanz war. Zum andern wäre an ein Geschenk an Abt Peter – übrigens ein gebürtiger Hesse20 – zu denken. Er hatte sich in Wien als Hofprediger (weniger als Lehrer der Theologie) einen gewissen Namen gemacht21 (d. h. es kämen abermals sowohl der Herzog selbst als auch Universitätskreise in Frage). Als Abt regierte er jedoch zu kurze Zeit, um in dem damals sich in schwieriger Lage befindlichen Stift nachhaltigere Spuren zu hinterlassen. Dies sollte erst Abt Johann gelingen, weshalb auch er – wenn nicht sogar wahrscheinlicher, weil sich inzwischen die Lage des Stifts konsolidiert hatte – in Frage käme, d. h. das Geschenk wäre bei der Weitergabe bereits das eine oder andere Jahrzehnt alt gewesen. Von ihm ist übrigens bekannt, daß er ein Jahr, bevor er resignierte und Kartäuser wurde (1435), gemeinsam mit dem Stiftsgeistlichen Heinrich Basler das Konzil von Basel besucht hatte22. Inhaltlich knüpft sich daran ein wohl wesentlicherer Fragenkomplex: Daß der junge Herzog Albrecht V. zahlreiche Reformideen seiner weltlichen und geistlichen Berater verwirklicht hat, machte ihn zu einem „der tüchtigsten österreichischen Fürsten“. Dazu gehört nicht zuletzt die sogenannte Melker Reform, die ab 1418 zunächst den österreichischen Benediktinerabteien galt, aber auch Zisterzienser, Augustiner-Chorherren und Kartäuser erfaßte, sowie bis nach Bayern auf der einen und die Untersteiermark auf der anderen Seite ausstrahlte und „Wien, an dessen Universität sich die wissenschaftlichen Folgen dieser Reform am fruchtbarsten zeigten, zu unbedingt führender Stellung in ganz Süddeutschland erhob“23. Über ihre liturgisch-musikalischen Auswirkungen bei den Benediktinern hat Joachim
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Was auch eine dritte Möglichkeit eröffnet. Florian Watzl, Die Cistercienser von Heiligenkreuz in chronologischer Reihenfolge nach den Quellen dargestellt. Graz 1898, S. 35. Da er in den Matrikeln der Universität Wien nicht aufscheint, dürfte er sein theologisches Baccalaureat nicht hier erworben haben, was auch die beiden anderen Vermittlungswege nach wie vor offenhält. Er trat zunächst in Gaming ein und starb 1443 oder 1447 als Prior von Thal Josaphat bei Olmütz. Vgl. Malachias Koll, Das Stift Heiligenkreuz in Oesterreich mit den dazu gehörigen Pfarreyen. Wien 1834, S. 102f.; Florian Watzl, siehe Anm. 21, S. 36; Sebastian Brunner, Ein Cisterzienserbuch. Würzburg 1884, S. 77 f. Ich danke Stiftsbibliothekar P. Dominicus Trojahn sehr herzlich für seine Mithilfe bei der Beschaffung der zitierten Literatur. Alphons Lhotzky, siehe Anm. 16, S. 332 und 331.
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Angerer mehrfach gehandelt24, doch dürften sowohl dieser Blickwinkel allein zu kurz greifen, als auch Veränderungen innerhalb einiger Jahrzehnte nicht übersehen werden sollten. Es geht vielmehr, was Angerer grundsätzlich ja sieht, keineswegs nur um eine gewisse Restauration oder eine ausschließlich innerkirchliche Angelegenheit, somit nicht nur um kirchenmusikalische Fragen. Es ging erstmals – und hier sieht man das humanistische Zeitalter heraufziehen – um eine stärkere Differenzierung von „weltlich“ und „geistlich“: wenn z. B. der Choral äqualistisch und eben nicht quantitierend nach Art der Humanisten („more secularium“) ausgeführt werden sollte, wenn später die inneren und äußeren Schulen zu trennen waren (z. B. in Melk 1451 die Verbindungstür buchstäblich verschlossen und um die gleiche Zeit bei den Schotten eine eigene Singstube für die Scholaren gebaut wurde25), wenn man Schüler und Laiensänger vom Chor der Mönche vertrieb („exclusis [...] personis secularibus“), wenn Tänze und Theater verboten wurden, usw. Das bedeutet zum einen konkret, daß man in den Klöstern die Knaben fortan nur mehr für den mehrstimmigen, jedoch nicht mehr zum Choralgesang benötigte (ein m. E. bisher unterschätzter Differenzierungsprozeß), und zum andern (allgemeiner und durchaus mit Auswirkungen sowohl auf Repertoire- als auch Stilfragen), daß zwar den Mönchen eine Menge verboten, den Äbten aber ihr höfisches Repräsentationsbedürfnis keineswegs genommen wurde. Man kann vielmehr von einer weitgehenden Vergleichbarkeit zwischen Herzogs-, Bischofs- und ÄbteHöfen ausgehen. Auf dieses Konto, erst später oder in zweiter Linie auf das der Schulen und ganz zuletzt der Rekreation im Kloster26, gehen m. E. nicht nur die erwähnten Motetten, Balladen, etc., sondern auch das trotz besagter Reformen fallweise beobachtbare „klösterliche“ Interesse für die
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Joachim F. Angerer, Die Begriffe „discantus“, „organa“ und „scolares“ in reformgeschichtlichenUrkunden des 15. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Pflege der Mehrstimmigkeit in den Benediktinerklöstern des österreichisch-süddeutschen Raumes, in: Anzeiger der phil.-hist. Kl. der Österrr. Akademie der Wissenschaften 109/1972. Wien 1973 (Mitteilungen der Kommission für Musikforschung 22) S. 146-170; ders., Die liturgisch-musikalische Erneuerung der Melker Reform. Studien zur Erforschung der Musikpraxis in den Benediktinerklöstern des 15. Jahrhunderts. Wien 1974 (Veröffentlichungen der Kommission für Musikforschung 15); ders., Lateinische und deutsche Gesänge aus der Zeit der Melker Reform. Wien 1979 (Forschungen zur älteren Musikgeschichte 2). Joachim Angerer, Die liturgisch-musikalische Erneuerung der Melker Reform, siehe Anm. 24, S. 117 und 121. Vgl. Reinhard Strohm, Native and foreign polyphony, siehe Anm. 3, S. 209.
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neueste Kirchenmusik, die in England, den Niederlanden, in Burgund, Frankreich und Italien geschaffen wurde. Die ältesten derartigen Beispiele sind Fragmente eines Chorbuches (circa 355 x 275mm) aus der Zeit bald nach 1400, die der zwischen 1452/69 nachgewiesene Buchbinder „Mathias von Wien“ 1466 als Vorsatzblätter für die Melker Handschrift 749 (Expositio hymnorum des Jakob von Fladnitz, † 146627) und zwei in Nürnberg erhaltene Bände aus dem Besitz von Regiomontanus († 1476) verwendete – im einen Fall enthaltend ein Gloria von Antonius dictus Zacharias de Teramo28, und im anderen ein Credo von Zacara, ein Gloria von Johannes Ciconia, eine Ballade von Machaut sowie einigen Motetten29. Machaut ist ein alter Meister, Ciconia und Zacara aber sind um 1400 führende Komponisten, der eine Niederländer mit Italien-Erfahrung, der andere zunächst in der päpstlichen Kapelle zu Rom als „cantor“ und „scriptor“ nachweisbar, dann aber in Diensten des Gegenpapstes Johannes’ XXIII. stehend und möglicherweise während des Konzils in Konstanz verstorben30. Damit könnte abermals ein Hinweis gegeben sein. Wenn aber die Handschrift, die zum Zeitpunkt ihres Entstehens neuestes Material enthielt, bereits 1466 der Makulierung preisgegeben wurde, bedeutet dies, daß ihr Inhalt entweder als nicht mehr opportun oder nicht mehr zeitgemäß und daher als überflüssig angesehen wurde, oder – am ehesten zutreffend – daß man bereits damals mit der schwarzen Mensuralnotation nicht mehr so recht umgehen konnte (wollte). Eine endgültige Entscheidung zwischen diesen Möglichkeiten würde die Kenntnis der Letztbesitzer voraussetzen. Während Angerer ganz selbstverständlich von Melk ausgeht und den Grund für die Eliminierung noch in der gleichnamigen Reform sieht, denkt Strohm, offenbar ausgehend von Fladnitz als Rek-
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Fladnitz hatte 1431 in Wien immatrikuliert, noch als Lizentiat einer der Prinzenerzieher Maximilians I., und war ab circa 1441 Rektor der Bürgerschule von St. Stephan; Anton Mayer, Die Bürgerschule zu St. Stephan in Wien. Wien 1880, S. 40; Alphons Lhotsky, siehe Anm. 16, Quellenkunde, S. 440. Martin Staehelin, Beschreibung und Beispiele musikalischer Formen in einem unbeachteten Traktat des frühen 15. Jahrhunderts, in: AfMw 31 (1974) S. 238, Anm. 4; Reinhard Strohm, Native and foreign polyphony, siehe Anm. 3, S. 215 f. Gilbert Reaney, Manuscripts of Polyphonic Music (ca. 1320–1400). München–Duisburg 1970 (RISM B IV/2) S. 82-85; Walter Kreyszig, Anonymous compositions, siehe Anm. 18, S. 276 ff., und 248-252. Reinhard Strohm, Rise of European Music, siehe Anm. 3, S. 100.
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tor der Wiener Bürgerschule31 sowie dem Gelehrten Regiomontanus, an St. Stephan in Wien32. Die Ablösung der schwarzen Mensuralnotation durch die weiße kann für beide Orte angenommen werden. Daß eine inzwischen eingetretene Veralterung der Kompositionen den Ausschlag gegeben habe, wäre jedoch nach den bisherigen Erfahrungen selbst an St. Stephan eher verwunderlich. Nicht mehr opportun oder gar erlaubt hätten sie selbst in einem Kloster und zu wesentlich früherer Zeit nicht unbedingt sein müssen. Daher muß man vielleicht an besondere Eiferer im Zuge der ab 1451 an die Melker anknüpfenden sogenannten CusanusReform33 denken, die es in Melk durchaus gegeben hat34. Somit erschienen vorerst zwei Szenarien plausibel: entweder stammen alle Handschriften, die durch Meister Mathias gebunden wurden, ursprünglich aus der Wiener Universität und wurde das Bindematerial von dort oder durch St. Stephan (eine Gleichsetzung wäre unangebracht) zur Verfügung gestellt oder an den bürgerlichen Buchbinder verkauft; oder die Melker haben größere Bestände binden lassen, wobei sie nicht nur das Bindematerial zur Verfügung stellten, sondern auch dessen verbleibenden Rest anschließend dem Buchbinder überließen. Da dieser in dem Melker Codex 319 festhielt, er habe seine Arbeiten „In Monasterio Mellicensi Anno domini 1466 In Adventu domini“ vorgenommen35, scheint die zweite Variante die wahrscheinlichere zu sein und wäre die Möglichkeit, Meister Mathias habe alle seine Materialien aus Wien mitgebracht, wohl erst in dritter Linie in Erwägung zu ziehen. Kenner mag überraschen, daß die drei zwei- und dreistimmigen französischen Balladen in einer Miszellenhandschrift kanonischen Inhalts des 14. und 15. Jahrhunderts, die sich spätestens seit 1462 in Vorau befindet (Cod. 380), erst an dieser Stelle erwähnt werden, da sie doch gemeinhin als
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Übrigens war der Lehrer von dessen Vorgänger, Mag. Simon von Asparn, wiederum der oben erwähnte Johannes Hymel (Anton Mayer, siehe Anm. 27, S. 39). „The collegiate school of St. Stephen’s must be the place where the choirbook was originally in use.“ Reinhard Strohm, Native and foreign polyphony, siehe Anm. 3, S. 216 f.; ders., Rise of European Music, siehe Anm. 3, S. 115. Sie wurde aber nunmehr durch päpstliche Beauftragte durchgeführt und blieb auf die Salzburger Kirchenprovinz beschränkt. Joachim Angerer, Die liturgisch-musikalische Erneuerung der Melker Reform, siehe Anm. 24, S. 55. Joachim Angerer, Die Begriffe „Discantus“, „organa“ und „scolares“, siehe Anm. 24, S. 169.
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„um 1400 in Melk“ geschrieben gelten36. Da die wenigen musikalischen Eintragungen in derselben nur ehemals freien Platz benutzten, könnten sie für das erste hier wie dort geschrieben, d. h. auch: von Benediktinern wie Augustiner-Chorherrn benutzt (wenn auch nicht aus der mit dem Format 223 x 155 mm relativ kleinen Handschrift selbst gesungen) worden sein. Laut Vermerk fol. 73v war der Erstbesitzer der Handschrift Johannes Himel, dem, gemäß einer weiteren Eintragung fol. 130v, am 27. I. 1409 von Abt, Prior und Konvent von Melk ebenso wie Petrus Reicher de Pirchenbarth ein Tischtitel verliehen wurde. Allerdings war dieses Stipendium wohl im Melker Hof zu Wien zu konsumieren; daraus auf eine Entstehung der Handschrift in Melk zu schließen, ist unmöglich. Johannes Hymel de Weycz hatte 1406 an der Wiener Universität immatrikuliert, war später mehrmals Rektor37, 1431 Mitglied des ständiges Ausschusses und zwischen 1433/41 mindestens dreimal Legat der Universität in Basel38, schließlich Mitglied der von Basel eingesetzten Reformkommission39. Petrus Reicher de Pirchenwart wurde 1401 inskribiert und 1431 Rektor40. Das alles nimmt die Vorauer Handschrift 380, die übrigens dort nicht die einzige aus Himels Besitz ist41, aus dem klösterlichen Zusammenhang heraus und stellt sie in
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Kurt v. Fischer – Max Lütolf (Hg.), siehe Anm. 15, S. 96 f.; nach Hellmut Federhofer, Denkmäler der ars nova in Vorau Cod. 380, in: AMl 22 (1950) S. 1-7, insbesondere S. 3; dazu auch Rudolf Flotzinger, siehe Anm. 18. Die Matrikel der Universität Wien I: 1377–1450. Graz–Köln 1956 (Publikationen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 6/1). Rudolf Kink, Geschichte der kaiserlichen Universität zu Wien I,2. Wien 1854, S. 58, 62, 66 und 70. Ignaz Franz Keiblinger, Geschichte des Benediktinerstiftes Melk 1. Wien 1851, S. 525. Ersteres als Petrus de Pirichenbart / Pirchenwart (Die Matrikel der Universität Wien I, siehe Anm. 37). Bereits Pius Fank (Catalogus Voraviensis. Graz 1936, S. 221) verwies auf Cod. 349 (Thomas von Aquin super sententias ), den er 1439 Mag. Conrad von Hallstadt überlassen hatte. Dieser war damals Lehrer der freien Künste in Wien, 1426, 1430, 1432, 1436, 1436, 1440, 1442 und 1450 Rektor (Matrikel der Universität Wien I, siehe Anm. 37) sowie 1433 Mitglied jener Kommission, der das Melker Kapitel die Abtwahl übertrug (Ignaz Franz Keiblinger, siehe Anm. 39, S. 521). Bei der Vermittlung beider Handschriften nach Vorau könnte neben dem Geburtsort Weiz, wie schon seinerzeit von Federhofer ventiliert, dem Wiener Dorotheerkloster eine Rolle zukommen: von dort und aus Dürnstein hatte Propst Andreas Prampeckh (1433–53) mehrere „Brüder“ erbeten (Ottokar Kernstock, Chronikalisches aus dem Stifte Vorau, in: Beiträge zur Kunde steirischer Geschichtsquellen 14 [1877] S. 11 f.).
Habsburgische Hofmusikkapellen und ihr Umfeld im 15. Jh.
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Verbindung zur bekanntlich erst ab 1384 in Schwung gekommenen42, damit noch relativ jungen, nun aber sehr aktiven Wiener Universität43, und läßt es wahrscheinlich erscheinen, die musikalischen Nachträge trotz der verwendeten schwarzen Mensuralnotation erst in spätere Jahre zu verlegen. Es wäre wohl abermals an eine Vermittlung über Konstanz oder gar an Basel zu denken, das während des Konzils (1431–1442) ebenfalls ein wichtiger kultureller Umschlagsplatz war44. Pendants dazu stellten dann auch die Zwettler Fragmente eines Chorbuches aus den späten 1430er Jahren (390 x 290 mm, mit acht 23 mm hohen, also weithin sichtbaren Systemen weißer Mensuralnotation)45 dar. Sie enthalten sechs drei- bis fünfstimmige Gloria von Loqueville, Grossin, Roullet, Verben und Anonymi, eines davon ergänzt um eine moderne Trombetta-Stimme nach Art von Dufays Gloria ad modum tubae. Ihr Schreiber ist46 Johannes Lupi de Bolzano (circa 1410–1467), der 1428 in Wien studiert hatte, ab 1431 Kaplan bei Herzog Friedrich IV. von Tirol (genannt „mit der leeren Tasche“, 1382–1439), nach dessen Tod bei König Friedrich (als Kaiser III., 1415–1493) tätig war, ab 1447 als Geistlicher in der Diözese Trient nachweisbar ist und dort 1452 Dom-Organist wurde, zwischen 1435/45 die beiden älteren Trienter Codices 87 und 92 teils selbst schrieb und teils zusammenstellte. Er ist schließlich auch als Vorbild oder Mentor von Johannes Wiser anzusehen, der 1454 in Wien immatrikulierte, seit 1455 in 42
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Dabei lag das entscheidende Moment bekanntlich darin, daß man eine Spaltung der Professorenschaft in Paris für sich zu nutzen verstand (Alphons Lhotsky, Die Wiener Artistenfakultät 1365–1497. Wien 1965, S. 37). Dieses Datum muß auch als musikhistorisch bedeutsam genommen werden, da nunmehr für längere Zeit eine verstärkte Orientierung nach dem Westen und Süden, verbunden mit einer entsprechenden Vermittlungsfunktion nach Osten und Norden, begann. 1457 nennt der Theologie Mgr. Konrad Sälder in einer Polemik gegen den von ihm bloß als modisch angesehenen Humanismus Hymel seinen Lehrer und zählt ihn zu den Heroen scholastischer Gelehrsamkeit wie eines entsprechenden Stils an der Wiener Universität, und zwar gemeinsam mit Heinrich von Langenstein († 1397), Heinrich von Oyta, Nikolaus von Dinkelsbühl († 1433), Petrus von Pulkau, Johannes Nider († 1438) u. a. Siehe Alphons Lhotsky, siehe Anm. 16, S. 438; ders., siehe Anm. 39, S. 124. Zweifellos ist dem Basler Konzil eine ähnliche musikgeschichtliche Bedeutung beizumessen wie zwei Jahrzehnte vorher dem Konstanzer. Kurt von Fischer, Neue Quellen zur Musik des 13., 14. und 15. Jahrhunderts, in: AMl 36 (1964) S. 94-97; Reinhard Strohm, Rise of European Music, siehe Anm. 3, S. 253; ders., Native and foreign polyphony, siehe Anm. 3, S. 220 f. Peter Wright, The Compilation of Trent 87-I and 92-II, in: Early music history 2 (1982) S. 237271.
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Trient aktiv war und bekanntlich für die weiteren fünf Trienter Codices (Tr. 93, 88-91) verantwortlich zeichnet47. Aufgrund von Konkordanzen werden auch die Zwettler Fragmente mit dem Konzil von Basel in Zusammenhang gebracht. Während Loqueville, Dufays Lehrer in Cambrai, noch der vorhergehenden Generation angehört († 1418), blühte Grossin in den 1420ern und waren Roullet wie Verben zur Zeit der Niederschrift gar erst im Kommen. Das spiegelt wohl die schrittweise Akkumulierung in der Vorlage wider; daß sie Komponisten mehrheitlich französischer Abstammung waren, könnte Zufall sein. Anlage und Schrift der Handschrift jedoch sind hochmodern. Während Strohm hinsichtlich ihrer Herkunft an die Basler Konzilskapelle denkt48, nimmt Wright an, daß Lupi sie für den kaiserlichen Hof geschrieben habe49. Er konnte sich offenbar den Gebrauch in einem Zisterzienserstift nicht vorstellen, doch wäre dann ebenso zu klären, wie und wozu die Handschrift später in das Waldviertel gelangt sein soll. Hingegen dürfte kein Zufall und keineswegs nur auf die fragmentarische Überlieferung zurückzuführen sein, daß sich in den – auch nur möglicherweise – klösterlichen Quellen noch keine Meßzyklen finden, sondern nur Einzelsätze oder Satzpaare, und da wiederum solche von Gloria und allenfalls Credo. Dies könnte nicht nur mit dem Aufwand und wohl auch der Seltenheit solcher Mehrstimmigkeit in Klosterkirchen zusammenzuhängen, sondern mit deren bereits erwähnter Voraussetzung: nur zu besonderen Anlässen und über ausdrücklichen Wunsch des Abtes. Und ein solcher ließ sich eben für Gloria (und Credo) am ehesten rechtfertigen. Ja, im Fall Zwettl wäre sogar an einen Zusammenhang mit der Tatsache zu denken, daß sich das Kloster, nachdem es im Hussitensturm 1427/28 stark beschädigt worden war, im Wiederaufbau befand50 und Abt Johann II. Rastenfelder (1434–1447) erst 1438 die Pontifikalien erhielt51. Dieses Datum deckt sich auffällig mit der Datierung dieser Fragmente. Wenn der Abt nicht 47
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Reinhard Strohm, Rise of European Music, siehe Anm. 3, S. 252 f. Wiser war ab 1459 Schulmeister in Trient und gleichzeitig ab 1471 nicht residierender Kaplan Sigismunds von Tirol (ibidem S. 493, 509, 520). Reinhard Strohm, Native and foreign polyphony, siehe Anm. 3, S. 220. Peter Wright, On the Origins of Trent 87-I and 92-II, in: Early music history 6 (1986) S. 245270, insbesondere S. 260. In diesem Zusammenhang sind wohl auch zwei Fratres zu sehen, die zum Studium nach Wien geschickt wurden: Erhardus 1438 und Johannes 1441 (Die Matrikel der Universität Wien I, siehe Anm. 37). Was die Wahrscheinlichkeit, der Abt hätte sich selbst nach Basel begeben, erhöhen dürfte; Karl Lechner, Handbuch der historischen Stätten Österreich 1. Stuttgart 1970, S. 641.
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selbst in Basel gewesen sein sollte52, wäre zumindest der Bezug neuer Musikalien von dort denkbar. Die vorhandenen Verweise von den Gloria- auf die zugehörigen Credosätze53 setzen nicht unbedingt eine gebundene sogenannte Faszikel-Handschrift voraus. Vielmehr wäre nicht nur an die Anschaffung eines Einzelfaszikels, sondern vor allem an die Entlehnung eines solchen zu denken, der dann eine von Lupis Übersiedlungen oder andere Umstände in die Quere kamen. In Hinblick auf den habsburgisch-höfischen Gesichtspunkt von besonderem Interesse ist natürlich der zwischen 1428/4254 entstandene Codex Aosta (Biblioteca del Seminario Maggiore 15). Er enthält keine ausgesprochen weltlichen Kompositionen und besteht aus vier Teilen: der erste ist unbekannter Herkunft und den vermutlich für den Tiroler Friedrich geschriebenen Faszikeln II und III erst nachträglich vorangebunden, während der letzte am Hof des gleichnamigen Königs angehängt wurde55. Jedenfalls kann nun erstmals eine Handschrift unmittelbar mit – noch dazu zwei verschiedenen – habsburgischen Kapellen in Beziehung gebracht werden. Trotzdem wäre es voreilig, unvermittelt auf deren tatsächliche Repertoires zu schließen. Fest stehen vorerst nur das Interesse daran und die Möglichkeit, danach (nicht daraus) zu musizieren. An der Spitze steht die Motette Argi vices Polyphemus zu Ehren des Papstes Johannes XXIII., dessen Absetzung durch König Sigismund (1410–1437) am Konstanzer Konzil bekanntlich erst den Weg zur Beendigung des abendländischen Schismas 1417 eröffnet hatte. Friedrich von Tirol aber, von Johannes zum bezahlten „Generalhauptmann der römischen Kirche“ ernannt, hatte sich zu dessen Schutz verpflichtet und spielte sich geradezu als Gegenspieler des Kaisers auf56. 52
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Dafür gibt es nach freundlicher Auskunft von Dr. Charlotte Ziegler (Stiftsbibliothek Zwettl, vom 21. 10. 1998), für die ich herzlichst danke, in der Stiftsgeschichte keinen Hinweis. Mit relativ hohen fol.-Zahlen; vgl. Kurt von Fischer, siehe Anm. 45, S. 94, der sich übrigens ebenfalls den Gebrauch in Zwettl selbst nicht vorstellen konnte, sondern an eine Skartierung bereits in Italien gedacht hatte (ibidem, S. 97). Tsutomu Sasaki, The Dating of the Aosta manuscripts from watermarks, in: AMl 64 (1992) S. 1-16. Zitiert nach Reinhard Strohm, Rise of European Music, siehe Anm. 3, S. 254; Marian Cobin, The Aosta manuscript: a central source of early fifteenth-century sacred polyphony, New York: Diss. 1978; Peter Wright, The Aosta-Trent Relationship Reconsidered, in: I Codici Musicali Trentini a centro anni dalla loro riscoperta [I]. Trento 1986, S. 138-157. Josef Gelmi, Die Päpste in Lebensbildern. Graz–Wien–Köln 1983, S. 119.
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Die Komposition ist streng isorhythmisch, scheint in italienischer Tradition zu stehen, ist eher ein wenig altmodisch und wiederum nicht unbedingt ein Meisterwerk57. Könnte es sich dabei allenfalls um eine Art nostalgische Bezugnahme handeln, ist die Wahrscheinlichkeit der praktischen Aufführung für die beiden vierstimmigen Staatsmotetten Romanorum Rex inclite zum Tod König Albrechts II. (1437–1439) von Johannes Brassart58 und O rex Fridrice / In tuo adventu entweder zur Wahl (1440) oder Krönung (1442) seines Nachfolgers Friedrich III. wohl am größten. Beide Texte sind in Gebetsform gehalten und stammen wohl von demselben Verfasser59. Beide werden mit „Amen“ beschlossen, beide Male wird Albrecht als „inclitus rex“ bezeichnet, wird in einem zweiten Teil Maria als Fürsprecherin angerufen („ut te iuvante“ bzw. „supplicando sue matri“), werden Klerus und Volk gleichermaßen erwähnt („cleri protector ac utilis populi rhetor / clerus ac populus, tum proprius tum alienus bzw. fuisti [...] humilis ecclesie filius, te diligebat populus almanicus, bohemincus ac tota religio“) sowie auf den jüngsten Tag („extrema dies“ bzw. „vita glorie [...] eternalis“) und die Musik(er) Bezug genommen („nunc vocibus oret, te cantu virgo decoret“ bzw. „cantores celeriter psallentes“). Der erstere Text arbeitet wenigstens anfangs mit End-, der letztere durchgehend mit Binnenreimen der ungefähr gleich langen Zeilen. Die Form des „Sängergebets“60 wird nur wenig später von Compère und Busnois, ebenso wird das Epiphanie-Motiv mit dem damit verbundenen Byzantinismus in Trient durch mehrere Begrüßungsmotetten für die Bischöfe Georg Hack von Themeswald (reg. 1444–1465)61, für einen ungenannten und für Hacks Nachfolger Johann Hinderbach (1418–1486)62 aufgegriffen werden63. Auch musikalisch schei57
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Welchem Komponisten namens Nicolaus – Simonis, Zacharie oder Grenon – sie zuzuordnen ist, bleibe offen; Reinhard Strohm, Rise of European Music, siehe Anm. 3, S. 117 f. Vgl. Hartmut Krones, Todessymbolik in Kompositionen auf den Tod römisch-deutscher Könige und Kaiser, in: Michaelsteiner Konferenzberichte 59 (Michaelstein 2001) S. 95-120. Da er erst nach 1442 in Friedrichs Dienste trat, kommt Piccolomini wohl noch nicht in Frage. Vgl. Franz X. Haberl, Wilhelm du Fay. Monographische Studie über dessen Leben und Werke, in: VfMw 1 (1885) S. 490. Advenisti. Venisti nostras / Advenisti (bzw. Lauda Sion) desiderabilis (Nr. 452) und Imperitante Octaviano (Nr. 1141). Advenit nobis (bzw. Advenisti) desiderabilis (Nr. 394), Text Clerus istius (Nr. 642). Der viermal wiederholte Tenor der Huldigungsmotette In tuo adventu erue nos Domine erinnert von vornherein an eine Litanei. Es handelt sich um eine Anspielung an die Allerheiligenlitanei (Per adventum tuum / libera nos domine), auf die dann die letzte Zeile des
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nen mir die Übereinstimmungen zwischen beiden Kompositionen groß zu sein: beide sind vierstimmig und isorhythmisch angelegt, in beiden Fällen verweisen auch die gelegentlichen Stimm-Teilungen auf akzessorische Instrumentenverwendung; allerdings hat nur die erste eine zweistimmige Einleitung und ist die Isorhythmik der zweiten etwas aufwendiger. Wie in textlicher Hinsicht könnte man jedoch auch in kompositorischer sowohl an zunehmende Beherrschung der Techniken als auch an die jeweils für die Schöpfung zur Verfügung stehende Zeit denken. Immerhin gehört der Komponist Johannes Brassart aus Lüttich (circa 1405–circa 1450) zu den führenden Komponisten der Zeit, der übrigens ebenfalls über Basel (wo er 1433 an der Konzilskapelle64, ab 1434 als Kaplan und ab 1437 als „rector capelle“ König Sigismunds, des weltlichen Schutzpatrons auch dieses Konzils, tätig war) 1440 in die Dienste Friedrichs III. gelangte65. Die Streitfrage, ob beide Kompositionen von Brassart stammen oder die zweite von de Sarto66, würde ich persönlich zugunsten von Brassart beantworten (auch weil es von de Sarto überhaupt kein vergleichbares größeres Stück gibt). Sie ist jedoch weniger wichtig als der folgende Gesichtspunkt: Wenn die Tatsache der Verwendung von Isorhythmik, deren Komplexität und Durchführung, zumal um diese Zeit, kein zuverlässiger Gradmesser von Stilhöhe oder gar Qualität sein kann, bestätigen diese Stücke doch die oftmals unterschätzte Tatsache, daß musikalischer Aufwand bereits mit der Komposition beginnt und mit dem Anlaß korrespondiert, d. h. daß nicht nur grundsätzlich (Choral, improvisierte versus artifizielle Mehrstimmigkeit, Anzahl der Stimmen, etc.), sondern auch innerhalb der Repertoires mit großen Unterschieden zu rechnen ist. Der besondere Anlaß bedingt die größere geistige wie materielle Investition, sei es Tod oder Krönung eines Herrschers für die Hofkapelle, seien es analoge Anlässe oder das besondere Lob Gottes bei kirchlichen Hochfesten. Das gilt für alle Institutionen (inklusive Klöster).
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Oberstimmentextes noch direkter Bezug nimmt („cum sanctis omnibus prestet trinus ac unus“). Vgl. inzwischen Rudolf Flotzinger, Die Trienter Codices: Rezeptions- und Bedarfsfragen, in: Birgit Lodes (Hg.), Wiener Quellen zur älteren Musikgeschichte zum Sprechen gebracht. Tutzing 2007 (Wiener Forum für ältere Musikgeschichte 1) S. 205-228. Vgl. dazu Reinhard Strohm, Rise of European Music, siehe Anm. 3, S. 252. Keith E. Mixter, Johannes Brassart: A biographical and bibliographical study, in: Musica disciplina 18 (1964) S. 37-62 und 19 (1965) S. 99-108. Peter Wrigth, A new attribution to Brassart?, in: Plainsong and Medieval Music 3,1 (1994) S. 23-43.
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Mit dem Wiener Dorotheerkloster treten den Benediktinern und Zisterziensern Augustiner-Chorherrn an die Seite. Dieses Kloster geht auf eine erst 1360 von Herzog Albrecht II. gestiftete Kapelle zurück, wurde 1421 durch den Kanzler Albrechts V., Andreas Planck, ausgebaut und mit Augustinern besetzt, die neue Kirche überhaupt erst 1459 geweiht67. Möglicherweise hat man in dieser Neugründung sogar eine den bekannten Vorschlägen des Nikolaus von Dinkelsbühl68 im Vorfeld der Melker Reform betont gegenübergestellte Alternative zur Reformierung bestehender Klöster69 zu sehen70. Hier ist mit höchster Wahrscheinlichkeit71 die 1425 begonnene und bereits bei seinem Tod 1445 in Händen des Herzogs Albrecht VI. befindliche, ja vermutlich sogar für ihn angelegte Handschrift Wolkenstein A (Wien Cvp 2777) entstanden, die zwar in diesem Zusammenhang weniger interessiert, bei der außerdem die Beziehungen des Wolkensteiners zu den Chorherrn von Neustift bei Brixen zu bedenken wären, die aber immerhin die enge Verbindung zum Herzogshof bestätigt. Sodann ist hier, neben dem um 1460 entstandenen Fragment München, Bayerische Staatsbibliothek 3225 mit fünf Hymnensätzen72, aufgrund ihres Inhalts die Miszellenhandschrift Wien Cvp 5094 anzusiedeln73, deren musikalischer Anhang (fol. 148v-164v) uns besonders interessieren muß. Zeitlich dürfte er die genannte Zeitspanne zwischen circa 1421/59 füllen. Der sonst meist eher negativ besetzte Befund, daß es sich um offensichtlich erst viel später, d. h. 67
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Zu Ehren von Dorothea, Katharina und Agnes; Richard Groner, Wien wie es war, hg. von Felix Czeike. Wien–München 51965, S. 125. Planck war bereits unter Albrecht IV. „einer der einflußreichsten clercs am Wiener Hofe“ gewesen (Alphons Lhotsky, siehe Anm. 42, S. 158). Beziehungen zu Dinkelsbühl werden auch durch die Handschrift belegt, aus der die Fragmente München 3225 stammen (Reinhard Strohm, Native and foreign polyphony, siehe Anm. 3, S. 223). Vgl. Joachim Angerer, Die liturgisch-musikalische Erneuerung der Melker Reform, siehe Anm. 24, S. 45 f. Nur so ist auch verständlich, daß bereits zehn Jahre später der Propst als Visitator auftreten konnte; ibidem, S. 67. Reinhard Strohm, Native and foreign polyphony, siehe Anm. 3, S. 213. Gewonnen aus dem Bindematerial von Briefen des Nikolaus von Dinkelsbühl, was neuerlich eine gewisse Beziehung zur Universität anzudeuten scheint; Reinhard Strohm, Native and foreign polyphony, siehe Anm. 3, S. 223. Kurt v. Fischer – Max Lütolf (Hg.), siehe Anm. 18, S. 108-112; Reinhard Strohm, Native and foreign polyphony, siehe Anm. 3, S. 212 und 227 f. Die besonderen Bezüge zu den Heiligen Dorothea, Katharina und Maria sowie Michael spiegeln sogar die skizzierte Vorgeschichte des Klosters (siehe Anm. 67) wider.
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nur mehr zur Sicherung und teilweise sogar irrig zusammengebundene Einzelblätter verschiedener Hände handelt, macht sie eigentlich umso interessanter: Ein Blatt (fol. 156) enthält nur Text, stammt von derselben Hand wie der aus Akten und Dekreten des Konzils von Konstanz bestehende Hauptteil der Handschrift, hätte also dorthin gehört, ist jedoch als Beleg für den Zusammenhang wiederum wertvoll. Einige der Notenblätter erlauben einen der seltenen unmittelbaren Einblicke in die Aufführungspraxis: nämlich solche mit einer Art Partituranordnung (z. B. der untere Teil von fol. 148v, fol. 184bis) ebenso wie Einzelblätter, die nur Einzelstimmen sein könnten (z. B. fol. 157r), oder Intabulierungen (z. B. fol. 158v, r Motetus und Contra der Ars nova-Motette Apollinis eclipsatur, zu welcher der zu singende Tenor fehlt, in der ich ein Pendant zur Angabe „sine celsitonanti“ / ohne Oberstimme / der Nr. 1 sehe). Nicht nur aufgrund allgemeiner Überlegungen, sondern sogar kodikologisch gestützt, könnten also wiederum Analogien zur herzoglichen Kapelle hergestellt werden. Allerdings handelt es sich durchwegs um relativ alte, konservative und wiederum leicht ausführbare Stücke. Natürlich müssen die einzelnen Bestandteile nicht alle in Wien geschrieben sein. Jedoch ist unmittelbar einsichtig und plausibel, daß solche Singunterlagen durch Musiker untereinander weitergegeben wurden, zufällig erhalten blieben und erst spät aus antiquarischem Interesse zusammengebunden wurden; vielleicht ist auch vermehrt an einzelne Stimmen aus mehrstimmigen Zusammenhängen zu denken, die noch nicht entdeckt sind. Nach Tom Ward ist die untextierte Partitur von Dufays Ce jour le doibt (fol. 148bis) von einem Kopisten der jüngsten Anteile des ebenfalls zum Teil in Wien entstandenen sogenannten Codex Sankt Emmeram geschrieben74. Dieses Blatt wird also Wiener Provenienz sein. Die Hand des letzten Blatts (fol. 164) hat Strohm als der von Tr 92/I (dat. 1435/37) sehr ähnlich erkannt. Es ist dies jener Teil, der neben Werken von Dufay, Binchois, Dunstable, Power u. a. mehrere des aus Arras stammenden und 1433–1436 in Basel tätigen Geistlichen Nicholas Merques enthält, vielleicht sogar aus dessen Besitz stammt75. Während der Textteil
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Tom R. Ward, A Central-European Repertory in Munich, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 14274, in: Early music history 1 (1981) S. 340 ff. Während aber Tom R. Ward (The structure of the manuscript Trent 92-I, in: Musica disciplina 29 [1975] S. 127-147, insbesondere S. 142 ff. bzw. 144) noch an Bischof Alexander von Masowien (1423–1444) als Initiator der Trienter Codices insgesamt dachte, geht man nach Reinhard Strohm (Rise of European Music, siehe Anm. 3, S. 253) heute davon aus, daß
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der Handschrift 5094 also vor allem Konstanzer Bezüge enthält, scheint dieses Blatt abermals nach Basel zu verweisen. Die hier notierte (zweistimmige?) Motette Vivat nobilis prosapie war ursprünglich einem „inclitus judex“ namens Franciscus gewidmet, ihr Text ist, wie im zuvor genannten Fall, getilgt und sollte wohl abermals die Musik für eine Kontrafaktur nutzbar machen. Vielleicht ist es nicht allzu spekulativ, bei dem ursprünglichen Widmungsträger an den Rechtsgelehrten Francesco Zabarella (1360–1417) zu denken, einen der vier Richter im Verfahren gegen Jeronimus von Prag und Johannes Hus76, d. h. daß trotz der vielleicht Basler Hand auch hier ein ursprünglich Konstanzer Bezug vorläge. Insgesamt könnte der erste Eindruck also trügen und dürften diese Beispiele, so neben der Zufälligkeit des Ausschnitts auch die besagte chronologische Streuung zutreffend ist, von einem in der Anfangsphase des Klosters besonderen Interesse der Augustiner von Sankt Dorothea für aktuelle mitteleuropäische Repertoires zeugen. Denselben Zusammenhang läßt der bereits erwähnte Codex Sankt Emmeram (München, Bayerische Staatsbibliothek 14274) noch stärker hervortreten. Der erste Teil wurde von Hermann Poetzlinger aus Bayreuth während seiner Studienzeit 1436–1439 in Wien teils selbst geschrieben, teils arrangiert. Vor allem bestätigt er trotz seiner starken Durchmischung von Weltlichem und Liturgischem die bereits gestreifte Verselbständigung der Schulen. Poetzlinger wurde später Schulmeister in Regensburg, und seine Sammlung dürfte nicht nur das Repertoire der Kirche und Schule von St. Stephan gegen 1440 widerspiegeln, sondern war von vornherein zu entsprechender Verwendung angelegt77. Schon aus diesem Grund sind keine Spitzenleistungen zu erwarten, sondern wiederum eher das Brauchbare, relativ leicht Ausführbare, darunter die neue, zur sogenannten primitiven Mehrstimmigkeit vermittelnde Fauxbourdon-Technik. Auch die Herkunft des Repertoires ist stark durchmischt: neben einigen böhmischen Stücken abermals
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Lupi diesen Handschriftenteil einem eigenen voranstellte und ihm dieses Verdienst zufällt. Von österreichischer, speziell Wiener Seite bestand „den böhmischen ,Ketzern‘ gegenüber schärfste Ablehnung“ (Alphons Lhotsky, siehe Anm. 16, S. 331). Dagmar Braunschweig-Pauli, Studien zum sogenannten Codex St. Emmeram. Entstehung, Datierung und Besitzer der Handschrift München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 14274 (olim Mus. ms. 3232a), in: KmJb 66 (1982) S. 1-48; Jan Rumbold, The compilation and ownership of the ‘St Emmeram’ codex (Munich, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 14274), in: Early music history 2 (1982) S. 161-236; Lorenz Walker (Hg.), Der Mensuralcodex St. Emmeram. Faksimile der Handschrift Clm 14274 der Bayerischen Staatsbibliothek München. Wiesbaden 2006 (Elementa Musicae 2).
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solche von Loqueville und Dufay, Binchois und Grossin, schließlich von Brassart sowie englische Stücke, nicht zuletzt aber deutsche Komponisten, darunter der später vorübergehend als Stephans-Kantor, dann aber offenbar laisierte und mehr als Diplomat tätige Hermann Edlerauer78. Auch spielen wiederum Kontrafakta eine große Rolle. Vergleichbares gilt für die berühmten zwei plus fünf Trienter Codices, die – unterschiedlich stark und ungleich verteilt – alle damals aktuellen Gattungen enthalten. Von der Vorstellung, sie könnten wenigstens zum Teil in Wien entstanden sein79, hat sich die Forschung zum allergrößten Teil verabschiedet. Wiederum durch ausländische Kollegen und relativ geringe österreichische Beiträge (darunter die Eliminierung des angeblichen Schreibers Bundschucher80) sind die Zusammenhänge aber heute weitgehend geklärt und auf eine neue Basis gestellt81. Ihr schon aus den relativ kleinen Formaten abzulesender Sammelcharakter hat sich bestätigt, er geht im wesentlichen auf zwei sowohl planende wie ausführende Persönlichkeiten der Zeit zwischen 1435/77 zurück: die bereits genannten Johannes Lupi und Johannes Wiser. Die Rolle des Bischofs Johannes Hinderbach gilt zwar als noch immer offen, doch ist eine direkte Einflußnahme ganz unwahrscheinlich82. Auch kann abermals von der Überlieferung, die im wesentlichen mit der Generation Dunstable-Dufay beginnt und bis zum jungen Heinrich Isaac reicht, nicht auf tatsächliche Musizierleistungen am Trientiner Dom geschlossen werden. Vielmehr handelt es sich wieder um Depot-Handschriften von Schulmännern, die, hätten sie Trient verlassen, mit ihnen abgewandert wären (vielleicht mit Ausnahme von Tr. 93). Daher wäre bei jedem der nach Konkordanzen etwa 1600 Stücke die Frage der Benutzung erst zu klären83. Dem sind natürlich Grenzen gesetzt. Immerhin ist nicht 78 79 80
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Zur Biographie vgl. Jan Rumbold, siehe Anm. 77, S. 169-176. Rudolf Wolkan, Die Heimat der Trienter Musikhandschriften, in: StMw 8 (1921) S. 5-8. Rudolf Flotzinger, Buntschucherh-explicit, in: Festschrift Walter Senn zum 70. Geburtstag. München–Salzburg 1975, S. 89-92. Besonders hervorzuheben sind die Arbeiten von Reinhard Strohm und Martin Staehelin. Von einem Auftrag (zuletzt: Gernot Gruber, Beginn der Neuzeit, in: Rudolf Flotzinger – Gernot Gruber [Hg.], Musikgeschichte Österreichs 1, Wien–Köln–Weimar 1995, S. 177, sowie Hartmut Krones, Die Geschichte der Wiener Hofmusikkapelle bis zum Tod Kaiser Maximilians I., in: Günter Brosche et al. [Hg.], Musica imperialis. 500 Jahre Hofmusikapelle in Wien 1498–1998. Katalog der Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, 11. Mai – 10. November 1998. Tutzing 1998, S. 17) kann keine Rede sein. Vgl. auch Rudolf Flotzinger, siehe Anm. 63.
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nur die Ausführung direkt aus den Handschriften (d. h. ohne StimmenExzerpte oder Auswendiglernen) weitgehend auszuschließen, sondern auch in zahlreichen Einzelfällen, in denen Schreibfehler unverbessert stehen blieben, zumindest deutlich eingeschränkt. Wie schwierig diese Fragen sind, zeigt, daß es auch solche in die entgegengesetzte Richtung gibt: z. B. ist ein offensichtlich für den Einritt des Bischofs Hinderbach in Trient im Juli 1466 gedachter Text (Clerus istius) auf einer rastrierten Seite von Tr. 89 (fol. 199r) eingetragen. Daraus hat man geschlossen, es hätte eben in Trient selbst keinen Komponisten zu seiner Vertonung gegeben. Ich glaube das nicht: der Text stammt wahrscheinlich von Wiser, greift mehrere Momente der beiden Staatsmotetten aus der Aosta-Handschrift auf und nimmt nicht nur auf andere Widmungsstücke für Trienter Bischöfe Bezug, sondern verweist sehr beziehungsreich auf den Johannes-Hymnus. Er kann daher mehreren Vertonungen des Ut queant laxis (die zunächst liegende nur wenige Blätter vorher) unterlegt werden. Es ist nicht nur der besagte Schluß ex silentio hinfällig, sondern abermals erweist sich die Kontrafizierung als ein alltäglicher Vorgang. (Das sollte man z. B. auch bei der Beurteilung der Trauermotette bei Maximilians Tod bedenken.) Im übrigen würde ich nicht nur Christoph Anthony mit dem Trientiner Musikmäzen, sondern z. B. Ludwig Krafft mit dem aus Bruneck stammenden und 1474 in Innsbruck tätigen Schreiber Hans Krafft dem jungern84 in Beziehung setzen. In unmittelbarer Weise sind aber gerade die Trienter Codices wegen ihres Umfangs und der Weite ihres Einzugsgebietes für die Konkretisierung von Stilfragen nur wenig geeignet. Das heißt nicht, daß nicht gelegentlich sogar gesteigerte Möglichkeit besteht, auf Repertoires rückzuschließen. Es ist dies nur abermals jeweils zu begründen. So setzt Strohm insbesondere für Tr. 87/I und 92/II einen Zugang zu habsburgischen Kapellhandschriften aus, konkreter hat er auf eine Reihe anonymer Introitus- und Meßkompositionenen sowie einige Sequenzvertonungen in Tr. 93 hingewiesen, die gegen 1450 am Hof Friedrichs III. in Gebrauch gewesen sein dürften85. Daß in den Trienter Codices die Meßzyklen zahlenmäßig zunehmen, muß wohl auf den DepotCharakter und die jüngere Entstehungszeit bezogen werden. Auf der anderen Seite sind zwei weitere, erst in jüngerer Zeit gewonnene Fragmente aus dem Wiener Schottenstift (Cod. 355) zwar schon aus zeitli84 85
Walter Senn, Musik und Theater am Hof zu Innsbruck. Innsbruck 1954, S. 17. Reinhard Strohm, Native and foreign polyphony, siehe Anm. 3, S. 221 f., bzw. ders., Die vierstimmige Bearbeitung , siehe Anm. 6, S. 169.
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chen Gründen (um 1490) nicht zu einer „Erklärung der Trienter Codices“ 86 geeignet, jedoch in anderer Weise interessant: Zum einen lassen sie ziemlich eindeutig auf Figuralmusik bei Benediktinern schließen, zum andern stellen sie – korrespondierend sowohl mit zwei verschiedenen Schreibern als auch verschiedenen Messen – „das einzige bisher bekannte Beispiel jener frühen Zeit für gleichzeitige Chorbuch- und Stimmbuchnotation in derselben Quelle“ dar87. Daß auch dies neben dem Kloster verstärkt an die Schule denken läßt, zumal diese wenig später unter Abt Benedikt Chelidonius (circa 1460–1521) so berühmt werden sollte, liegt auf der Hand. Ja, vielleicht böte die Herkunft von Chelidonius aus Nürnberg sogar einen Anknüpfungspunkt für weiterführende Überlegungen. Den Trienter näher stehen dürften Fragmente, die heute in der Studienbibliothek Linz (sign. 529, u. a. mit Kronstorffers88 vierstimmigem Satz von Oswalds Heyaho nu wie sie grollen, einigen textlosen Stücken sowie der Motette Argentum et aurum von Isaac) liegen. Strohm bringt sie mit dem letzten Stadium der Tiroler Hofmusik zu dem Zeitpunkt in Zusammenhang, als sie von Maximilian I. übernommen wurde (1490)89. Über sie hat Martin Staehelin seit längerem eine Publikation angekündigt, der ich mit großer Spannung entgegensehe: Zwar hat Maximilian zeitweilig in Linz residiert (und ist 1519 im nahen Wels gestorben), doch scheinen mir die Fragmente im Zuge der Säkularisierung des oberösterreichischen Benediktinerstifts Mondsee 1792/93 hieher gelangt zu sein90. Vielleicht eher kann man, obwohl von Senn seinerzeit verneint, das zwischen etwa 1475 und 1505 von mehreren Händen, aber wieder nach einem 86
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Walter Pass, Eine Handschrift aus dem Schottenstift zu Wien zur Erklärung der Trienter Codices?, in: ÖMZ 35 (1980) S. 143-153. Martin Staehelin, Bemerkungen zu den Musikfragmenten im Wiener Schotten-Codex 355, in: AMl 58 (1986) S. 117-129, insbesondere S. 127. Wenn auch von zwei vollständigen Messen auszugehen ist, die in einem verlorenen mittleren Bifolio aneinanderstießen, blieben doch wiederum nur Gloria- und Credo-Teile erhalten. Reinhard Strohm, Die vierstimmige Bearbeitung, siehe Anm. 6, S. 170 f. Reinhard Strohm, Rise of European Music, siehe Anm. 3, S. 523; Inhaltsübersicht in ders., Native and foreign polyphony, siehe Anm. 3, S. 229. William Lidell Smith, An Inventory of pre-1600 Manuscripts, pertaining to Music, in the Bundesstaatliche Studienbibliothek (Linz, Austria), in: FAM 29 (1980) S. 166. Diese Fragmente könnten unter den von Konrad Schiffmann (Die Handschriften der öffentlichen Studienbibliothek in Linz, als Ms. vervielfältigt. Linz 1935, S. 17) erwähnten „Adligate[n] aus Mondsee“ zu suchen sein, die neben wenigen Ausnahmen nicht nach Wien gebracht wurden, weil sie gewissermaßen den Transport nicht lohnten.
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gewissen Plan hergestellte Chorbuch (32 x 22 cm) des Innsbrucker Magisters Nikolaus Leopold (München, Clm 3154) mit der Innsbrucker Hofmusik in Zusammenhang sehen. Leopold war Lateinschulmeister in Innsbruck91, und die Ausgangspunkte für diese Handschrift scheinen wiederum Unterlagen seiner Vorgänger zu sein, die er zusammenfaßte und ergänzte. Auch ihr Inhalt ist primär mit der Pfarrkirche St. Jakob verknüpft, ja sie spiegelt die spezielle Innsbrucker Situation wider: die festlichen Hofgottesdienste fanden stets an St. Jakob und unter Zusammenwirken der dortigen Kantorei (insbesondere der Knaben) mit der Hofkapelle statt. Annähernd 85 % der aus etwa 40 Jahren stammenden 184 Kompositionen (neben Liedern vornehmlich geistlicher Natur, mit einem Schwerpunkt auf der Meßkomposition) ist anonym, etwa die Hälfte der Stücke stammt von Martini, Isaac und Obrecht, doch wird gerade hier angenommen, daß unter den weiteren, entweder nur dem Namen nach bekannten Komponisten oder der Anonymi die Einheimischen zahlreicher vertreten sind. Obwohl Hofhaymer überraschenderweise in dieser Handschrift nicht vertreten ist, bleibt wenigstens in allgemeiner Weise die besonders starke Orgel-Tradition in Innsbruck hervorzuheben. Für sie steht nicht nur der Name Hofhaymer, vielmehr wäre ihm einerseits der Krombstorfers voran und andererseits die Tatsache an die Seite zu stellen, daß Heinrich Isaac an die 20 Missae ad organum, also alternatim-Messen schuf92, die zu den frühesten in ihrer Art gehören. Immerhin handelt es sich auch dabei endgültig um vollständige Meßzyklen, was wohl wiederum nicht nur mit der fortgeschrittenen Zeit, sondern auch dem Verwendungsort (Hof) in Zusammenhang zu sehen ist. Ob einige Sätze in Trient mit dem Wechsel zwischen mehrund einstimmigen vokalen Abschnitten zu deren Vorgeschichte zu rechnen wären93, bleibe dahingestellt. Zum Abschluß gilt es, diese Aufzählung in ein gewisses System zu bringen: Die genannten Handschriften und Fragmente stammen wenigstens zur Hälfte aus Klöstern und dürften zumindest zum Teil dort auch verwendet worden sein; der umfangmäßig größte Anteil aber ist mit Schulen in Zusammenhang zu bringen und nur relativ weniges direkt mit den habsburgischen Hofkapellen. Da deren Vergleichbarkeit also sehr groß zu veran91 92 93
Walter Senn , siehe Anm. 84, S. 17, 13 und 46. Reinhard Strohm, Rise of European Music, siehe Anm. 3, S. 519. Andreas Mielke, Untersuchungen zur Alternatim-Orgelmesse. Kassel etc. 1996 (Bochumer Arbeiten zur Musikwissenschaft 2) Bd. 1, S. 79 ff. und 21.
Habsburgische Hofmusikkapellen und ihr Umfeld im 15. Jh.
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schlagen ist, kommt diesem Faktum nur geringe Bedeutung zu. Auch lassen sich die Inhalte der Handschriften und Fragmente nicht wirklich gemäß diesen drei Trägergruppen differenzieren. Immerhin kann, auch weil man die ars subtilior in Österreich gleichsam „übersprungen“ hat, gesagt werden, daß der pragmatische Aspekt wohl stets und überall eine Rolle gespielt hat. Auch die Komponistennamen sind nicht immer die, welche heute den besten Klang haben. Doch könnte von größeren Zeitverzögerungen oder genereller Rückständigkeit nicht gesprochen werden. Wohl aber dürfte die Häufigkeit der artifiziellen Mehrstimmigkeit im 15. Jahrhundert überall relativ gering gewesen und vor allem als Ausdruck höchsten Festranges eingesetzt worden sein. Demgegenüber scheinen die Handschriftentypen mit den Trägergruppen zu korrespondieren: Der relativ kleine Chansonnier ist nur in Heiligenkreuz vertreten und bestätigt gerade als Import die behauptete höfische Komponente: die Äbte der alten und großen Stifte sind zu den Kirchenfürsten zu rechnen. Zwar fehlt bislang ein habsburgisches Handschriften-Pendant, doch gibt es hier wenigstens auch großformatige Chorbücher nur kirchenmusikalischen Inhalts. Die am eindeutigsten höfische Handschrift (Codex Aosta) kann den kirchlichen Ursprung nicht leugnen. Sowohl die klösterlich als auch schulisch geprägten Handschriften weisen, selbst wenn es sich nicht um bloße Nachträge handelt, stets gemischte Inhalte auf. Vor allem dürfte der musikalische Aufwand, auch was die Anzahl der verwendeten Stimmen anlangt, in den Hofkapellen mit der Zeit stärker als in den beiden anderen Bereichen zugenommen haben. Wie weit der Eindruck zutreffend ist, es könnte in Österreich auch in der Kirchenmusik eine besondere Tendenz zum Instrumentalen gegeben haben, bliebe näher zu untersuchen. Gemeinsam war allen drei Trägerschichten die Notwendigkeit, für geeignete Sängerknaben zu sorgen, und zwar nicht nur als Reservoir für künftige Musiker, sondern als eigener, später als „auf brabantisch discantieren“ bezeichneter, professioneller Bestandteil der artifiziellen mehrstimmigen Musik. Für Klöster mit inneren und äußeren Schulen, auf die der Abt jederzeit zugreifen konnte, hatte dies seit Jahrhunderten kein Problem dargestellt, ebenso wenig an der Wiener Stephanskirche, deren Langhaus erst 1460 vollendet und die 1469 zur Bischofskirche erhoben worden war94, der
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Viktor Flieder, Stephansdom und Wiener Bistumsgründung. Wien 1968 (Veröffentlichungen des kirchenhistorischen Instituts 6).
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Rudolf Flotzinger
ebenfalls eine Schule angeschlossen war95. Umso mehr wäre für allenfalls verselbständigte Schulen (unter welcher Trägerschaft auch immer) die Frage nach Schülern (wie sie ja in vielen musikalisch relevanten Dokumenten auch heißen) vollends tautologisch. Anders verhält es sich diesbezüglich bei den Hofkapellen. Sie mußten den Bedarf an Sängerknaben einerseits in einer gewissen Analogie zu Knappen und Pagen (z. B. indem sie einen bestimmten Musiker mit deren Betreuung betrauten), andererseits durch Anleihen bei (z. B. in Innsbruck bei der Pfarrkirche St. Jakob) oder gar Abwerbung von anderen Institutionen (z. B. Friedrich III. 1442 in England) decken. Diese Methoden mußten problematischer werden, als – was nicht nur ausländische Kollegen fallweise nicht hinreichend bedenken, aber bei genauerem Hinsehen sogar die aufgezählten Handschriften erkennen lassen – die Höfe ihre relative Stabilität verloren (abgesehen von den geradezu sprichwörtlichen habsburgischen Bruderzwisten): in Wien gab es seit dem Tod Albrechts II. (1439) keinen Hof mehr, der friderizianische war hauptsächlich in Graz und Wiener Neustadt (die Wiener sperrten ihren Herrn bekanntlich aus, 1485–1490 regierte hier Matthias Corvinus), der maximilianische war praktisch ständig auf Reisen. Dieses Vakuum wird durch die nach wie vor starke Präsenz der Klöster zugedeckt. Wenn Maximilian I. also (aus welchen Gründen immer) auf dem Gebiet der Musik, insbesondere der Musiker-Rekrutierung, eine Besserung herbeiführen wollte, mußte er an eine eigene Institution denken. Für eine solche war Wien zweifellos der geeignetste Ort, weil die notwendigen Bildungseinrichtungen vorhanden waren, und unabhängig davon, ob er hier auch die Zentralverwaltung und eine feste Residenz aufzubauen gedachte. Dies scheint mir die maximilianische Anordnung von 1498 hinlänglich zu erklären. Die Frage aber, ob es einen eigenen Stil der Hofkapellen gegeben habe, ist, da sie noch so undifferenziert neben Klöstern und Schulen standen, für das 15. Jahrhundert mit einem klaren „Nein“ zu beantworten. (1998)
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Anton Mayer, siehe Anm. 27; Hans Brunner, Die Kantorei bei St. Stephan in Wien. Beiträge zur Geschichte der Wiener Dommusik. Wien 1948; Karl Uhlirz, Die Rechnungen des Kirchenmeisteramts von St. Stephan zu Wien. Wien 1902.
Elisabeth Fritz-Hilscher (Wien)
Die kaiserliche Hofmusikkapelle als Vorbild und Nachahmerin auf dem Gebiet des musikalischen Stils Faktoren unterschiedlichster Art sind es, die für Aufstieg, Blütezeit oder Niedergang einer Institution ebenso verantwortlich sind wie für deren Rolle als Nachahmerin oder Vorbild – äußere, wie jene grundlegenden Veränderungen innerhalb der Gesellschaft zu Beginn der Neuzeit oder Änderungen in politischen Machtverhältnissen1, aber auch innere wie Herrscherwechsel, Erstarrung und Asynchronität zu äußeren Entwicklungen aufgrund einer langen Herrschaftszeit bzw. auch Grenzbereiche wie z. B. Divergenzen zwischen dem Selbstverständnis einer Institution und ihrem Bild in der Gesellschaft. Diese – außermusikalischen – Parameter sind es auch, die die Geschichte der kaiserlichen Hofmusikkapelle2 – ebenso wie von 1
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Der Herrscher der Frühneuzeit bildet zunehmend ein eigenständiges säkulares Selbstbewußtsein aus; er sieht sich nicht mehr nur als Stellvertreter und Exekutor des göttlichen Willens, dem er seine Macht und sein Amt (einzig) zu verdanken hat, sondern selbstbewußt über seinen Untertanen stehend, unter zunehmender Betonung der weltlichen Macht gegenüber der göttlichen Sendung. Vgl. dazu Erasmus von Rotterdam, Fürstenerziehung, zitiert bei Elisabeth Th. Hilscher, „...dedicata alla sacra cesarea maestá...“. Joseph I. (1678–1711) und Karl VI. (1685–1740) als Widmngsträger musikalischer Werke – zum historischen und geistesgeschichtlichen Umfeld der Widmungskompositionen, in: StMw 41 (1992) S. 95-177, hier S. 96. Streng genommen handelt es sich für den Gesamtzeitraum von Albrecht II. bzw. Maximilian I. bis zur Auflösung der Hofmusikkapelle 1920 nicht um eine kaiserliche Hofkapelle, sondern um eine Vielzahl an Hofkapellen, da jeweils der gesamte Hof mit dem Ableben des Herrschers geschlossen wurde. Der alte Hof blieb bis zur Übernahme des neuen Herrschers interimistisch im Amt; die jeweiligen Amtsinhaber wurden nach dessen Amtsantritt entweder bestätigt oder entlassen. Zwar konnte der neue Herrscher den Hofstab seines Vorgängers übernehmen (was sich für den allgemeinen Bereich aus logischen Gründen als praktisch erwies), strategische Stellen wurden jedoch in der Regel mit neuen Personen, meist engen Vertrauten des neuen Herrschers, besetzt. Auch für das Personal der Hofmusikkapelle gab es de jure keinen Übernahme-Automatismus, wie dies bei Linienbrüchen und Linienteilungen (z. B. von Karl V. auf Ferdinand I., Rudolph II. auf Matthias bzw. Ferdinand II.) nur allzu deutlich zu Tage trat. Abgesehen von den kaiserlichen Hofhaltungen verfügten auch einige Nebenhofstaate über bedeu-
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Elisabeth Fritz-Hilscher
adeligen Hofhaltungen seit dem zweiten Mittelalter allgemein – prägten: deren Rolle innerhalb des Hofes, innerhalb einer feudal-höfisch strukturierten Gesellschaft wie auch deren Wirkung nach außen (geographisch wie gesellschaftlich). Eine wesentliche legistisch-organisatorische Grundlage für die Ausprägung eines charakteristischen Stiles ist schließlich neben einer entsprechend gehobenen Position die Möglichkeit, sich in sich selbst abzuschließen, da eine gewisse Abgeschlossenheit, ein – salopp ausgedrückt – „Schmoren im eigenen Saft“, für die Ausbildung eines „Typischen“, „Charakteristischen“ unabdingbar ist; so kommt es nicht von ungefähr, daß die Hofmusikkapelle in einer Zeit, in der Hof ein in sich geschlossenes Ganzes, gruppiert um die Person des Herrschers, darstellte, ihre Blütezeit erlebte; jedoch war auch von Zeit zu Zeit eine gewisser Erneuerung von außen notwendig, sollte es zu keiner Erstarrung kommen (wie etwa in den langen Regierungszeiten Leopold I. und vor allem Karls VI.), doch sind diese Kräfte gegenüber den Impulsen, die aus dem geschlossenen System „Hofmusikkapelle“ kamen, deutlich geringer, haben doch – am Beispiel Antonio Caldaras wurde dies von Ursula Kirkendale und Brian W. Pritchard3 nachgewiesen – Komponisten, die in die Hofmusikkapelle engagiert wurden, ihren Personalstil zugunsten des in der Hofmusikkapelle bevorzugten verändert. Wichtigste Voraussetzung für die Geschlossenheit der Systems ist sicherlich, daß, um den Herrscher als Impulsgeber und Fokus des Systems, Komponisten und Ausführende in einer Gruppe zusammenarbeiten, im Idealfall sogar ident sind. Kritisch und relativierend sei jedoch angemerkt, daß der Wiener Hof nie jene Geschlossenheit und Abgegrenztheit aufgewiesen hat, wie der französische Hof in Versailles4. Dies ergab sich einerseits aus der engen räumli-
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tende Musikkapellen, wie z. B. die Höfe der Kaiserinwitwen Eleonora Gonzaga II. (nach Ferdinand III.) oder die Elisabeth Christines (nach Karl VI.). Ursula Kirkendale, Antonio Caldara. Sein Leben und seine venezianisch-römischen Oratorien. Graz–Köln 1966 (Wiener Musikwissenschaftliche Beiträge 6). Eleanor Selfridge-Field gibt jedoch auch zu bedenken, daß nicht nur Caldara seinen persönlichen Stil dem der Hofkapelle anpaßte, sondern der Stil der Hofkapelle auch maßgeblich durch ihn (und seine musikalischen Erfahrungen in Venedig und Rom) geprägt wurde: Eleanor Selfridge-Field, The Viennese court orchestra n the time of Caldara, in: Brian W. Prichard (Hg.), Antonio Caldara. Essays on his Life and Times. Aldershot 1987, S. 116-151. Vgl. dazu Jeroen Duindam, Vienna and Versailles. The Courts of Europe’s Dynastic Rivals, 1550–1780. Cambridge u. a. 2003, v. a. S. 131-180 und 287-297, der im Gegensatz zu
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chen Situation in der Hofburg bzw. deren Lage innerhalb der Mauern der Stadt: Die Musiker wohnten in Hofquartieren in der Stadt und wirkten neben ihrer Tätigkeit am Hof auch in Institutionen innerhalb der Stadt (wie z. B. den zahlreichen Kirchen und Klöstern)5. Andererseits war der Wiener Hof selbst ein Konglomerat aus mehreren, unterschiedlich gewichteten Hofhaltungen, zwischen denen künstlerisch wie personell ein reger Austausch stattfand6. Wenn Walther von der Vogelweide meint, er hätte in Wien „singen unde sagen“ gelernt, kann das dahingehend interpretiert werden, daß die Bemühungen der Babenberger, es den mit ihnen eng verwandten Staufern betreffend Hofhaltung gleichzumachen, von Erfolg gekrönt waren. Wie der direkte Vergleich mit der Hofhaltung Friedrich Barbarossas anläßlich von dessen Aufenthalt in Wien während des 5. Kreuzzeuges ins Heilige Land gezeigt hat, hatten die Herzöge von Österreich auf künstlerischem und kulturellem Gebiet trotz der Randlage ihres Herzogtums deutlich aufgeholt7. Interessant ist, daß schon zu dieser Zeit, die als Glanzzeit des deutschen Mittelalters gilt, innerhalb der Adelsgesellschaft das Kräftemessen vom Turnierplatz auch auf die kulturelle Ebene verlagert wurde. Norbert Elias hat in seinem Buch Die höfische Gesellschaft die Mechanismen der Transformation offengelegt, die aus der alten Kriegerschichte der Ritter den domestizierten Adel des Barock formten8. Mit der Domestizierung des Adels einher ging auch eine Veränderung der „Kampftechnik“: weg von Lanze
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Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Frankfurt/M. 1983 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 423), nur indirekt zu Musik und Hofmusikkapelle Stellung nimmt. Ein Forum des Austausches zwischen Hof und Stadt waren z. B. die Bruderschaften, die zwar auch bis zu einem gewissen Grad eine Geschlossenheit aufwiesen, aber dennoch durch ihr Wirken in die Stadt diffundierten. Vgl. dazu die Darstellung der Bruderschaften an St. Michael bei Karl Schütz, Musikpflege an St. Michael in Wien. Wien 1980 (Veröffentlichungen der Kommission für Musikforschung 20 = Sitzungsberichte der phil.-hist. Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 369) S. 50-82, insbesondere zur den Corpus Christi-Bruderschaften (S. 54-66), Divina Gratia-Bruderschaft (S. 6676) und der Caecilienkongregation der Hofmusiker (S. 76-81). Beispielweise sei hier der Hof der Kaiserinwitwe Eleonora Gonzaga II. genannt, der den Leopoldinischen Hof der Frühzeit künstlerisch beeinflußte, wenn nicht sogar manchmal überflügelte. Friedrich I. Barbarossa machte 1189 auf dem Weg nach Jerusalem mit dem Kreuzfahrerheer in Wien Station. Norbert Elias, siehe Anm. 4.
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und Schwert hin zu Federkiel und Lyra (d. h. zu Musik) – eine Entwicklung, die für die europäische Musikgeschichte im allgemeinen und für die Wiener Hofmusikkapelle im besonderen von großer Bedeutung ist. Zu den Waffenkünsten des Ritters traten nun (und überflügelten bald die althergebrachten) neue Hofkünste: Musik, Dichtung, Malerei, die ein gebildeter Corteggiano, ein Höfling, nicht nur kennen und fördern, sondern auch dilettierend selbst können sollte9. Eine Aufwertung der Hofkünste und geradezu ein „Wettrüsten“ auf künstlerischem Gebiet, denn die Hofkünste waren auch probate Mittel in der Staats- und Dynastiepropaganda, ließen an den österreichischen Höfen des Barock die Ausgaben für Musik und Musiktheater geradezu explodieren. Kosten spielten jedoch nahezu keine Rolle, wenn es um die Darstellung des kaiserlichen Glanzes ging, handelte es sich doch um für das Staatswesen wohl investiertes Geld, nicht um die Finanzierung privater Vergnügungen10. Haben die Babenberger gleichsam aus der zweiten Reihe heraus agiert, war dies den Habsburgern nicht genug, hatten sie doch durch Rudolphs Wahl zum deutschen Kaiser erstmals eine Position errungen, die sie in der Folge nur ungern an andere Häuser abgaben. Eine kluge Heiratspolitik und eine Annäherung der Hofhaltung an die des Kaisers sollten die Ebenbürtigkeit der Habsburger mit dem Kaiserhaus und deren Erhabenheit über den kleinen deutschen Fürstentümern unterstreichen. So ist es nur zu verständlich, dass Albrecht II. (V. als Herzog von Österreich) nach dem Tod des letzten Luxemburgers dessen Hofhaltung (und somit auch dessen Hofmusikkapelle) übernahm, um so eine Kontinuität zu signalisieren, die ihn bei der anschließenden Kaiserwahl als idealen Kandidaten im Sinne der auf Kontinuität ausgerichteten Besetzungspolitik für das höchste weltliche Amt des christlichen Abendlandes prädestinieren sollte. Wie auch schon Albrechts 9
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„Der Hofmann mache Musik nur zum Zeitvertreibe und über vieles Zureden, nie in Gegenwart geringer Leute, auch nicht vor einer großen Menge, und lasse, auch wenn er alles noch so gut weiss und versteht, doch nie die aufgewandte Mühe und Arbeit erraten, die überall zu einem günstigen Ende notwendig ist; er gebe sich so, als ob er auf seine Fertigkeit wenig hielte, während er sie bei andern desto höher bewerte.“ Der Hofmann des Grafen Baldesar Castiglione, übersetzt, eingeleitet und erläutert von Albert Wesselski. München–Leipzig 1907, S. 133. Vgl. dazu Elisabeth Th. Fritz-Hilscher, Von Karl VI. zu Maria Theresia. Zur höfischen Idee von Feiern und Festen zwischen Hochbarock und beginnender Aufklärung, in: Martin Eybl – Stefan Jena – Andreas Vejvar (Hg.), Feste. Bericht des Symposion für Theophil Antonicek zum 70. Geburtstag, 23./24. 11. 2007 Wien = StMw 55 [in Vorbereitung für 2009].
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Vorgänger (vor allem Rudolph IV., der Stifter) ist er ein Nachahmer der Luxemburgischen Hofhaltung. Auch Albrechts Nachfolger Friedrich III. und Maximilian I. wirken als Kultur-Importeure, gab es doch noch unzählige Hofhaltungen, die dem Kaiserhof den ihm zustehenden Rang als ersten Hof Europas streitig machten. Mit zwei geschickten taktischen Manövern katapultierte sich Maximilian vom Prinzen aus der Provinz an die Spitze der europäischen Fürsten: durch die Vermählung mit Maria von Burgund heiratete er in eine der exklusivsten Hofhaltungen ein und schuf durch geschickte legistische Maßnahmen (u. a. die Reorganisation der Hofmusikkapelle 1498) die Grundlage für die Entwicklung einer höfischen Kultur in seinem unmittelbaren Bereich. Die Bedeutung des Hofmusikkapell-Reform kann in diesem Zusammenhang nicht genug hervorgehoben werden, wurde durch die Ausgliederung der Musik aus dem eigentlichen Kapellbereich doch die Basis für jenes geschlossene System geschaffen, das Grundlage für die Entwicklung eines „Personalstils“ der Hofmusikkapelle war. Maximilian war der erste Habsburger-Kaiser, der Kunst als Propaganda-Mittel einsetzt und somit die Entwicklung und Förderung einer eigenen „Staatskunst“ gleichberechtigt neben die Haltung eines Söldnerheeres setzt. Obwohl Maximilians Hofkapellen (eine Fusion der drei Kapellen, der kaiserlichen, der burgundischen und der Tiroler Kapelle, die Maximilian von Sigismund dem Münzreichen erbte, fand jedoch auch mit der Reorganisation nicht statt) noch weit davon entfernt waren, einen eigenen typisch habsburgischen Stil zu entwickeln, nahm Maximilian lieber – ganz im Sinne eines RenaissanceHerrschers – eine enorme Überschuldung in Kauf, als daß er die prominentesten Musiker seiner Zeit an andere Höfe ziehen ließe. In diesem Sinne stellte er Heinrich Isaac in den Dienst der Hofmusikkapelle, ermöglichte ihm aber – gleichsam als Kulturbotschafter des Kaisers – außerhalb des Hofes in Mantua zu wirken; Isaac gerade an diesen Hof ziehen zu lassen, ist politisches Kalkül im neuen Sinne, zeigte Maximilian doch der Familie Gonzaga mit dieser Geste, daß er – der Kaiser – nicht nur politisch, sondern im universellen Sinne die Vorherrschaft über alle Fürsten Europas habe. Die rasche Aufeinanderfolge der Herrscher und einige Linienwechsel zeigen jedoch bereits ab dem Tod Maximilians I., wie brüchig das einzig auf die Person des Herrschers bezogene System des Hofes war: die noch anläßlich der Doppelhochzeit in Wien 1515 hochgerühmte kaiserliche Musikkapelle Maximilians wurde mit seinem Tod 1519 aufgelöst. Konfessionell
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bedingte Konflikte machten zudem dem Kaiser die Stellung als erstem der Fürsten Europas streitig. Dennoch, da die Kunst eben für den Fürsten der Neuzeit wesentliches Mittel zur Selbstdarstellung war, konnte die kaiserliche Hofmusikkapelle ihren Rang, zu den führenden höfischen Ensembles der Zeit zu gehören, behaupten und weiter ausbauen, doch war die Konkurrenz z. B. der Bayerischen Hofkapelle oder jener der großen italienischen Höfe – allen voran jener der Gonzaga in Mantua wie jener der „Hofkapelle“ des Dogen an San Marco in Venedig – sehr groß; von einer musikalischen Vorherrschaft der kaiserlichen Hofmusikkapelle kann selbst unter Rudolph II. noch nicht gesprochen werden, obwohl in der zunehmend manieristischen (in mehrfacher Bedeutung des Wortes zu verstehen) Hofhaltung jenes abgeschlossene System entstanden war, das Grundvoraussetzung für die Entwicklung einer eigenen Stilcharakteristik ist. Der Bruch mit dieser beginnenden Entwicklung nach dem Tod Rudolphs machte diesem Versuch eines „Kaiserstils“ jedoch ein Ende. Erst mit dem Wechsel zur steirischen Linie unter Ferdinand II. und deren Herrschaftskontinuität bis zum Ende des Barock (d. h. bis zu deren Aussterben im Mannesstamm 1740) konnte sich die Hofmusikkapelle als geschlossenes System stabilisieren; dazu kam, daß Ferdinand schon in seiner Grazer Zeit jenen grundlegenden Wandel von den Niederländern zum italienisch dominierten neuen Stil des Barock vollzogen hatte, sodaß die Hofmusikkapelle personell wie stilistisch ohne Brüche in den nächsten Jahrzehnten an ihrer eigenen Stilentwicklung arbeiten konnte11. Wenn zudem Musik nicht nur ein Mittel höfischer Propaganda ist, sondern auch mit den persönlichen Vorlieben des Herrschers, von dem als Impulsgeber und Fokus des höfischen Lebens die Gesamtentwicklung desselben abhing, korreliert, so sind geradezu idealtypische Voraussetzungen für die Entwicklung einer entsprechend hochstehenden Musikpflege gegeben. Daher ist es kein Zufall, daß unter einer Konstellation, in der neben den eingangs angedeuteten Grundvoraussetzungen für die Entstehung charakteristischer Stileigentümlichkeiten von Hofmusikkapellen – gesellschaftlich-politischen wie strukturellen Voraussetzungen – noch die persönliche Vorliebe des Herrschers für diese Kunstform zusammentrafen, wie dies unter den Kaiser-Komponisten Ferdinand III., Leopold I., Joseph I. und Karl VI. der 11
Vgl. Hellmut Federhofer, Musik und Musikpflege am Grazer Habsburgerhof der Erzherzöge Karl und Ferdinand von Innerösterreich (1564–1619). Mainz 1967.
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Fall war, die Wiener Hofmusikkapelle zu einem Vorbild für andere Kapellen an den Höfen in ganz Europa wurde. Ob jedoch berechtigt von einem „Reichsstil“ in der Musik gesprochen werden kann12, scheint problematisch (es sollte auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß Sedlmayr den Begriff „Reichsstil“ in einer Zeit – 1938 – publizierte, als man ein anderes Reich zu legitimieren suchte13). Friedrich Wilhelm Riedel plädiert für den Begriff „Imperialstil“ bzw. „imperialer Stil“ – also weg vom geographischen Begriff zu Amt und Repräsentation14. Für den habsburgischen Hausmachtbereich ist die direkte Vorbildwirkung der kaiserlichen Hofmusikkapelle nachweisbar: nicht nur in Fragen des Stiles, auch in jenen der Gattungen (z. B. Sepolcro) oder in der Wahl des Repertoires – ähnliches gilt für mit dem Kaiserhof assoziierte Fürstenhöfe, jedoch bereits in etwas eingeschränktem Maße, da in diesem Fall die Konkurrenzsituation und der Wille zur Entwicklung eines eigenen Stilprofiles nicht zu unterschätzen sind (z. B. für den sächsischen Hof). Wie weit jedoch im protestantischen Norden des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation der Wiener Stil vorbildlich im Sinne eines allumfassenden Reichsstilbegriffes war, wurde bislang nicht kritisch genug hinterfragt – meines Erachtens hatte hier der Reichsstilbegriff keine umfassende Gültigkeit. Im Gegensatz zum Stil der Wiener Hofmusikkapelle hatte aber die höfische Oper des Kaiserhofes für ganz Europa Vorbildcharakter. Schlägt man zeitgenössische Schriften zu Fürstenhof und Zeremoniell auf, werden immer zwei Veranstaltungen als vorbildhaft hervorgehoben: Il pomo d’oro und Il trionfo dell’amicizia e dell’amore 15; gleiches gilt für Reiseberichte und Briefe ausländischer Diplomaten16. 12
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Vgl. dazu Friedrich Wilhelm Riedel, Der „Reichsstil“ in der deutschen Musikgeschichte des 18. Jahrhunderts, in: Georg Reichert – Martin Just (Hg.), Bericht über den internationalen musikwissenschaftlichen Kongress Kassel 1962. Kassel etc. 1963, S. 34-36, bzw. die Beiträge von Herbert Karner und Friedrich Wilhelm Riedel im vorliegenden Band. Hans Sedlmayr, Die politische Bedeutung des deutschen Barocks (Der „Reichsstil“), in: Gesamtdeutsche Vergangenheit. Festgabe für Heinrich Ritter von Srbik zum 60. Geburtstag. München 1938, S. 126-140. Vgl. dazu Franz Matsche, Gestalt und Aufgabe der Kunstunternehmungen Kaiser Karls VI., in: Arnfried Edler – Friedrich Wilhelm Riedel (Hg.), Johann Joseph Fux und seine Zeit. Kultur, Kunst und Musik im Spätbarock. Laaber 1996 (Publikationen der Hochschule für Musik und Theater Hannover 7) S. 35-55, hier S. 35. Eucharius Gottlob Rinck, Josephs des Sieghafften Röm. Kaysers Leben und Thaten. 2 Bde. Köln 1712, S. 41: „[...] So vollkommen also die music in ihren gliedern, so vollkommen waren die musicalischen opern, so wohl wegen der poëtischen und musicalischen composition, als auch wegen der tantze, der decoration des theatri, und der pracht der kleider, derge-
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Waren die komponierenden Kaiser als Feldherren nur mäßig erfolgreich, so hatten sie den Kultur(wett)kampf durch einen geschickten Propagandafeldzug mittels der großen höfischen Oper gewonnen: der Kaiserhof und seine Musik (in ihrer allerhöchsten Kunstform der großen Oper) waren Vorbild für ganz Europa. Karl VI. versuchte, diese Position durch eine konservative, in manchen Dingen geradezu manierierte Kunsthaltung, zu bewahren. Dies gelang ihm und den führenden Musikern in der Hofmusikkapelle, Johann Joseph Fux und Antonio Caldara, weitgehend, doch führte der Abschluß des Systems „Kaiserhof“ gegenüber den neuen Strömungen der Zeit (nicht nur in musikalischer Hinsicht) gegen Ende der Regierungszeit dieses Kaisers zu einer Erstarrung und in weiterer Folge zu einer beginnenden Neuorientierung des Adels in kultureller Hinsicht – nicht nur der Kaiser, auch seine beiden Kapellmeister waren alt geworden, sodaß um 1740 mit dem Regierungswechsel auch an der Spitze der Hofmusikkapelle ein Generationenwechsel erfolgen mußte. Kaiser und Kaiserhof verloren zunehmend ihre fokusierende Wirkung, es entstanden – nach Vorbild des Kaiserhofes – eine Unzahl keiner und größerer adeliger Hofhaltungen, die sich zunehmend ihre Musikalien direkt in Italien besorgen ließen und in künstlerischer Hinsicht mit dem Kaiserhof in Konkurrenz traten. Der berühmte Ausspruch Maria Theresias, „wenn ich eine gute Oper hören will, fahr’ ich nach Esterhaz’“, macht diese neue Rolle des Adels deutlich. Ein neues Selbstverständnis des Herrschers auf der einen, und leere Staatskassen sowie ein marodes Heer auf der anderen Seite hatten Maria Theresia gezwungen, die barocke Hofhaltung ihres Vaters auf das zeremoniell notwendige Maß zu reduzieren. Kunst verlor in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunehmend ihren Sinn als Propagandainstrument der Fürsten, wurde ein Vergnügen (ein diletto), das den harten politischen Alltag erleichtern, diplomatische Missionen verschönern und Vertragsabschlüsse
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stalt, daß Wien, welches noch voller verwunderung wegen der opera, so Käyser Leopold unter dem titul Pomo doro aufführen ließ, gestehen muste, daß sie kaum die helffte so vollkommen gewesen, als die, so unser Käyser kurtz vor seinem tode praesentiren ließ, und Francesco Conti verfertiget, welches die letzte vergnügung war, so der Käyser in der music einnahm.“ Vgl. die Schilderung der Aufführung von Fuxens Alcina durch Lady Mary Montagu in einem Brief an Alexander Pope vom 14. September 1716 aus Wien. Hans Heinrich Blumenthal (Hg.), Der Lady Mary Pierrepont Wortley Montagu Reisebriefe 1716–1718 (Mr. Wortley’s Gesandtschaft bei der Hohen Pforte) Wien 1931, S. 37 f.
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feierlicher gestalten konnte – aber nicht mehr17. In diesem Sinne tastete Maria Theresia in den ersten Jahren ihrer Regierung bis zur Kaiserkrönung von Franz Stephan am 4. Oktober 1745 das kaiserliche Hofleben ihres Vaters kaum an und schob auch die notwendigen Nachbesetzungen in der Hofmusikkapelle auf. Aber auch später läßt sich zum Beispiel anhand der Akten zur Planung der Hochzeitsfeiern ihrer Kinder ablesen, daß Maria Theresia tief in ihrem Inneren ein „Kind des Barock“ geblieben war, wenngleich die Realpolitikerin auf Sparsamkeit bei den Feiern drängen mußte18. Ein weiteres Element, das Voraussetzung für die Entwicklung eines charakteristischen Stiles ist, wird von Maria Theresia ebenfalls zerschlagen bzw. in Frage gestellt: Mit der Privatisierung der Hofmusikkapelle 1751 (bis 1772)19 wurde jenes bislang geschlossene System innerhalb des Hofes aufgebrochen und die direkte Bindung an den Kapellerhalter, den Herrscher, gelöst – beides wichtige Grundvoraussetzungen für die Entwicklung eines eigenen Stilcharakters. Zuvor schon hatte Maria Theresia das Kernstück der barocken Hofmusik, die Oper, verpachtet und die Hofmusikkapelle auf die Bereiche Kammer und Kirche reduziert. Selbst nach der ReÜbernahme der Kapelle in die Obliegenheiten des Hofes 1772 konnte sich das System nicht wieder konsolidieren: Der Kaiser, nun auf andere Elemente zur Demonstration seiner Macht konzentriert (Militär und zunehmend Wirtschaft), hatte seine Wirkung als alleiniger Fokus und Impulsge17
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In diesem Sinne argumentiert bereits 1733 Julius Bernhard von Rohr, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschaft Der großen Herren [...] Neue Auflage. Berlin 1733, im 4. Teil seines Buches (Von dem Ceremoniel bey unterschiedenen Arten der Hochfürstlichen Divertissemens [sic]). Er toleriert Divertissements und große Feste nur, wenn sie mit einem staatspolitischen Hintergrund (d. h. indirekt zum Wohle der Untertanen) veranstaltet würden – rein adeliges Vergnügen lehnt Rohr strickt ab (ibidem, S. 733). Diese Tendenz steht auch bei Johann Basilius Küchelbecker, Allerneueste Nachricht vom Römisch Käyserl. Hofe. [...] Hannover 1730, im Hintergrund, der (S. 250-252) jedoch betont, daß der Wiener Hof sich nicht reinen Vergnügungen hingeben, sondern „[...] an selbigen eine ungemein gute und accurate Ordnung observiret, dergestalt, daß man den RömischKayserlichen Hof zum Muster eines vollkommenen und ordentlichen Hofs vorstellen kann. [...]“. Vgl. dazu Andrea Sommer-Mathis, Tu felix Austria nube. Hochzeitsfeste der Habsburger im 18. Jahrhundert. Wien 1994 (dramma per musica 4). Dazu Elisabeth Theresia Fritz-Hilscher, Die Privatisierung der kaiserlichen Hofmusikkapelle unter Maria Theresia 1751–1772, in: dies. – Hartmut Krones – Theophil Antonicek (Hg.), Die Wiener Hofmusikkapelle II. Krisenzeiten der Hofmusikkapellen. Wien–Köln–Weimar 2006, S. 161-170.
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ber des Hofes vom System „Hof-Künste“ auf jene von „Militär“ und „Diplomatie“ verlagert; aus der Hofmusikkapelle selbst kamen kompositorisch nicht mehr jene entscheidenden stilistischen Impulse wie in den Zeiten zuvor, da die führenden Musiker der Zeit außerhalb des Hofes angestellt bzw. tätig waren – die Wiener Klassik ist keine Stilrichtung der Hofmusikkapelle, sie wird hingegen von dieser importiert –; die Kapelle war also innerhalb kürzester Zeit vom Vorbild zur Nachahmerin geworden. Diese Entwicklung, durch Maria Theresia eingeleitet, verstärkte sich im 19. Jahrhundert zusehends, bedingt durch mangelnde politische Notwendigkeit, die künstlerische Verselbständigung der Hoftheater sowie die Zurückdrängung der Hofmusik auf den geistlichen Bereich, wo sie Beiwerk zur Liturgie war, fernab von jeglicher kulturpolitischer Aufgabe und Mission. Die Hofmusikkapelle war im 19. Jahrhundert zwar insofern ein geschlossenes System, als sie sich, einem konservativistischen klassischen Ideal huldigend, von der Musikentwicklung der Zeit abschloß, sich freiwillig selbst zunehmend in ein künstlerischen Vakuum trieb, da keine musikalischstilbildenden Impulse von der Hofmusikkapelle mehr nach außen gesandt wurden20. Selbst der letzte Rettungsversuch, die Hofmusikkapelle wieder zu einer musikalischen Vorzeige-Institution für Europa zu machen und namhafte Künstler zu verpflichten, den Hofkapellmeister Johann Herbeck und Obersthofmeister Constantin Hohenlohe-Schillingsfürst gegen Ende des Jahrhunderts versuchten, scheiterte am Desinteresse des Hofes, an der ungenügenden Vorbereitung wie an der Auswahl der falschen „Vorzeige“Künstler; denn Hohenlohe und Herbeck versuchten nicht eine Keimzelle von Komponisten und Interpreten zu schaffen, die aus sich heraus Impulse an die Musikwelt senden sollte, sondern wollten durch die Aufpfropfung von erfolgreichen Komponisten der Zeit, also durch Impulse von außen,
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Diese Wende von der stilbildenden Institution zur Nachahmerin bzw. die deutlichen Tendenzen einer Insularisierung vor allem ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wird auf kompakte Weise in den Beiträgen von Leopold M. Kantner (Die Zeit der Wiener Klassik), Susanne Antonicek (1824–1862: Die Hofkapelle unter Eybler und Assmayr ) und Richard Steurer (Höfischer Einfluss auf das Repertoire im 19. Jahrhundert), in: Günter Brosche et al. (Hg.), Musica Imperialis. 500 Jahre Hofmusikkapelle in Wien 1498–1998. Katalog der Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, 11. Mai – 10. November 1998. Tutzing 1998, S. 108-116 und S. 126-150, dargestellt.
Die Hofmusikkapelle als Vorbild und Nachahmerin
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die Erstarrung innerhalb der Hofmusikkapelle lösen – mit Anton Bruckner hatten sie jedoch einen denkbar ungeeigneten Kandidaten gefunden21. Diesen kursorischen Überblick über die Geschichte der Hofmusikkapelle unter dem Blickwinkel außermusikalischer Parameter, welche zum Aufbau eines Systems, das stilbildenden und -prägende Impulse an seine Umwelt sendet, führen können, möchte ich mit folgenden Thesen schließen: 1. Grundvoraussetzung ist ein feudales Gesellschaftssystem, in dem der Adel, im Sinne des Fürstenbildes der Frühneuzeit, seine Aufgabe als Krieger-Klasse zugunsten der des Höflings abgegeben hat: Musik (und Kunst allgemein) als Bildungsinhalt und Mittel politischer Propaganda haben darin eine maßgebliche Rolle einzunehmen. 2. Die Hofmusikkapelle muß als geschlossenes System funktionieren, in dem Komponist und Ausführende eng zusammenarbeiten bzw. im Idealfall ident sind. Impulse von außen kommen in erster Linie durch den Kapellerhalter, den Herrscher, bzw. durch vom Herrscher (bzw. durch seine Untergebenen in seinem Auftrag) ausgewähltes neues Personal für die Kapelle – in jedem Fall sendet diese geschlossene Gruppe mehr Impulse nach außen (z. B. durch große Festaufführungen, öffentliche Gottesdienste), als sie von außen empfängt. 3. Grundlegend für Punkt 1 und Punkt 2 ist eine feudalabsolutistisches Herrscherbild: Der Herrscher, und im besonderen der Kaiser, steht unangefochten an der Spitze der gesellschaftlichen Pyramide; auf ihn konzentriert sich die Gesellschaft, der Hof, ihm haben die Künste nach einem seit der Frühneuzeit fixierten Kodex zu huldigen und vom ihm geht alle Macht aus, wobei die Hof-Künste wichtige Macht- bzw. Propagandainstrumente darstellen.
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Dazu Erich Wolfgang Partsch, Die Hofmusikkapelle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Günter Brosche et al. (Hg.), siehe Anm. 20, S. 152-170, zu Hohenlohes Reformversuchen insbesondere S. 156 f.; Theophil Antonicek, Anton Bruckner und die Wiener Hofmusikkapelle. Graz 1979 (Anton Bruckner Dokumente und Studien 1).
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Elisabeth Fritz-Hilscher
Wenn dieser Überblick auch noch durch Detailuntersuchungen zu ergänzen ist, so kann doch abschließend allgemein festgestellt werden, daß, befinden sich die drei genannten Parameter in einem Gleichgewicht, jene Voraussetzungen gegeben sind, um aus dem Kaiserhof stilbildend (nicht nur in musikalischer Hinsicht) auf die Umgebung zu wirken. Fällt jedoch nur einer der drei Faktoren aus oder wird maßgeblich abgeschwächt, bricht das System (wie z. B. unter Maria Theresia) zusammen – aus einer stilbildenden und -prägenden Institution wird in kürzester Zeit im besten Fall eine Nachahmerin.
Siegfried Schmalzriedt † (Karlsruhe)
Philippe de Montes geistliche Madrigale Vorrei l’orecchia haver und Amor alza le voci Gattungsnormen treten besonders deutlich zu Tage, wenn deren Grenzen scheinbar überschritten werden. Dies zu verdeutlichen, war das Ziel meines (letztjährigen) Beitrags über Philippe de Montes „Madrigalmesse“ über „Ancor che col partire“1. Dort habe ich zu zeigen versucht, daß die erweiternde Umformung einer weltlichen Gattung in eine geistliche, die sämtliche Gattungsspezifika einer vollgültigen Meßkomposition aufweist, im Gewande ihrer gravitas und sobrietas die emotionale Substanz ihrer Vorlage mehr oder weniger verhüllt in sich trägt. Eine andere Variante der Vergeistlichung einer weltlichen Gattung stellen Montes Madrigali spirituali dar, in denen ein geistlicher Text in italienischer Sprache in der Art eines Madrigals komponiert wird, ausgestattet mit all dessen gattungsspezifischen Konnotationen des „imitar la parola“. Daß in beiden musikalischen Formen, in der „Madrigalmesse“ wie im Madrigale spirituale keine eigentliche Grenzüberschreitung zwischen den musikalischen Gestaltungsnormen von Madrigal und Messe einerseits und von Madrigal und Motette andererseits stattfindet, will der vorliegende Beitrag ergänzend zu zeigen versuchen. I. Philippe de Monte, seit 1577 Hofkapellmeister von Kaiser Rudolph II. in Wien und Prag, hat zwischen 1581 und 1593 144 geistliche Madrigale in fünf Büchern publiziert, die sämtliche in Venedig bei Angelo Gardano gedruckt worden sind. Es handelt sich um ein Erstes Buch fünfstimmiger geistlicher Madrigale, das 1581 erschienen ist, und um ein zweites derselben 1
Siegfried Schmalzriedt, Philippe de Montes „Madrigalmesse“ über „Ancor che col partire“, in: Elisabeth Theresia Fritz-Hilscher – Hartmut Krones – Theophil Antonicek (Hg.), Die Wiener Hofmusikkapelle II: Krisenzeiten der Hofmusikkapellen. Wien–Köln–Weimar 2006, S. 61-78.
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Siegfried Schmalzriedt †
Stimmenzahl aus dem Jahre 1593, das aber nicht so heißt, sondern den poetischen Titel Eccellenze di Maria Vergine trägt. Zeitlich dazwischen liegen drei Bücher sechsstimmiger geistlicher Madrigale, 1583, 1589 und 1590 publiziert, wobei deren zweites auch siebenstimmige Stücke enthält, wovon wiederum insgesamt zehn Textgrundlagen in lateinischer Sprache verfaßt sind. Kein anderer Meister hat so viele geistliche Madrigale komponiert wie Monte. Sämtliche Widmungsträger sind Persönlichkeiten allerhöchsten Rangs, mit denen der Kaiserliche Hofkapellmeister, wie aus den Dedikationsschreiben hervorgeht, offenbar persönlich bekannt war. Es sind dies in der chronologischen Reihenfolge des Erscheinens der Madrigalbücher: (1.) der General des Jesuitenordens Claudio Acquaviva, (2.) der Augsburger Großkaufmann und Bankier Johann Fugger, (3.) Erzherzog Karl von Österreich, (4.) Herzog Wilhelm von Bayern, Brotherr des alten Orlando di Lasso, und (5.) Benedetta Pisana, Gemahlin eines Prokurators der Republik Venedig – diese Widmung jedoch aus der Feder Oratio Guarguantes, des Textdichters der Eccellenze di Maria Vergine. Das geistliche Madrigal war, wie Hans Engel es dargelegt hat, „niemals für den liturgischen Gebrauch gedacht gewesen, sondern verdankt seinen Ursprung der Einführung des religiösen Elements in weite Gebiete des gesellschaftlichen Lebens zur Zeit der Gegenreformation“2. Für diese gesellschaftlichen Bereiche stehen die genannten Widmungsträger in repräsentativer Weise: die Fürstenhöfe, die Paläste der Geldaristokratie, die Ordenskongregationen sowie die außerkirchlichen Zusammenkünfte der hohen Geistlichkeit waren deren gesellschaftlicher Ort. Frommes Gottverlangen, Sehnsucht nach tugendhaftem Leben, Überzeugung von der eigenen Schwachheit sowie eine inbrünstige Marienverehrung bildeten die zentralen Themen der geistlichen Madrigalistik, durch deren fromme Topoi die Grundthemen petrarkistischen Dichtens freilich hindurchscheinen: das Schmachten nach der Geliebten, der Wunsch, von ihr erhört zu werden, die Selbsterniedrigung und Selbstanklage etc. Daß es die spezifische Geistigkeit der Gegenreformation war, die das Entstehen geistlicher Madrigale am meisten gefördert hat, ist oft beobachtet worden, und daß es innerhalb dieser Bewegung wiederum der Jesuitenorden war, von dem die kräftigsten 2
Hans Engel, Luca Marenzio. Florenz 1956, S. 165: „Il madrigale sacro non è stato pensato per uso liturgico, ma deve la sua origine all’introdursi dell’elemento religioso in ampi campi della vita profana all’epoca della Contro-riforma.“
Philipp de Montes Madrigale
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Impulse ausgegangen sind, läßt sich auch anhand zweier Bücher geistlicher Madrigale Montes zeigen. Deren erstes, das 1581 gedruckte Il primo libro de madrigali spirituali a cinque voci, stellt gleichsam Montes Antrittsgeschenk für den kurz zuvor zum General des Jesuitenordens gewählten Claudio Acquaviva dar. In seiner mit „Wien, 10. Juni 1581“ datierten Widmung schreibt der 60jährige Monte: „Als die Neuigkeit kam, daß Ihr, hochwürdiger Vater, mit so viel Einmütigkeit zum Preposito Generale Eurer allerheiligsten Religion gewählt worden ward, erschien es mir in der allgemeinen Freude aller guten Menschen als eine günstige Gelegenheit, meiner Genugtuung Ausdruck zu verleihen und Ihnen einige in Musik gesetzte Madrigale zu schicken, deren Komposition ich gerade erst zum Abschluß gebracht hatte.“3 Neun Jahre später nimmt Monte ein anderes großes Ereignis innerhalb des Jesuitenordens zum Anlaß, sein Drittes Buch geistlicher Madrigale zu sechs Stimmen Herzog Wilhelm von Bayern zu widmen. Der Anlaß ist die Weihe der neuen Jesuitenkirche Sankt Michael (an der Kaufinger Straße) zu München. Die Widmung ist mit „Venedig, 10. November 1590“ datiert. Sie beginnt mit den Worten: „Bei der Herausgabe dieses von mir in Musik gesetzten Madrigalbuches wäre es mir als eine Sünde erschienen, wenn ich dieses unter einem anderen Namen hätte erscheinen lassen als demjenigen Ihrer Durchlauchten Hoheit, der es mit gutem Grund zugeeignet ist, weil mir nämlich die Verse nicht nur von dorther [München] von dem neapolitanischen Padre Hieronimo Ferricelli geschickt worden sind, teils von ihm selbst verfaßt, teils von anderen Padres der Gesellschaft Jesu, die von Ihnen so sehr verehrt und bevorzugt werden; sondern sie sind auch, man kann und muß es sagen, geboren aus der großmütigsten Güte und Frömmigkeit Ihrer Hoheit, die zum Bau des herrlichsten Tempels Substantielles beigetragen hat, der von Ihnen zu Ehren des Erzengels Michael errichtet worden ist.“4 3
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„Quando venne la nuova che V. P. Reverenda con tanto consenso era stata eletta Preposito Generale della vostra Santissima religione, nella comune allegrezza de buoni mi parve di haver occasione di mostrar il mio contento con mandarle alcuni Madrigali composti in Musica, che appunto mi trovava haver finiti.“ „Dovendo uscire in luce questo volume di Madrigali messi da me in Musica, mi sarebbe paruto di peccar gravemente, se l’havessi mandato fuori sotto nome d’altri, che di V. A. Serenissima, alla quale di ragion è devuto, come suo, per ciò che i versi non solo mi so-
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Aus beiden Quellentexten geht nicht nur hervor, wie eng, ja vertraut Philippe de Montes Beziehungen zu den führenden Gestalten des Jesuitenordens waren, sondern auch wie sehr der Orden am Kaiserhof in Wien und in Prag sowie an der Münchener Residenz präsent war. Die Jesuiten sahen die Pflege von Kunst und Wissenschaft als ihre besondere Aufgabe an, wobei für sie die Poesie einen besonderen Stellenwert einnahm. Hinzu kommt, wie Heinrich Hüschen es dargelegt hat, daß die Jesuiten damals „als Lehrer an Gymnasien und Universitäten sowie als Erzieher und Beichtväter an Fürstenhöfen [...] namentlich im Zeitalter des Absolutismus nicht allein auf das Kulturelle, sondern auch auf das politische Zeitgeschehen nachhaltigsten Einfluß ausgeübt“5 haben. Die spezielle Affinität der Jesuiten zum Madrigale spirituale, als dessen geistige Väter sie wohl gelten dürfen6, rührt von ihrer anfänglich strikten Ablehnung des Chorgesangs in Messe und Offizium her. Dieser war durch die Ordenssatzungen von 1558 streng untersagt; auch war es in der deutschen Ordensprovinz den Ordensangehörigen nicht erlaubt, Musikunterricht zu erteilen. So ist es bezeichnend, daß noch Claudio Acquaviva, dem Monte 1581 sein Erstes Buch geistlicher Madrigale gewidmet hatte, noch 1590 die Benutzung der Orgel im Gottesdienst untersagte. Allerdings sah sich der Orden schon früh zu Kompromissen genötigt, die sich eingeschränkt auf den liturgischen, in größerer Freizügigkeit aber auf den außerliturgischen Bereich bezogen. Mehrstimmiger Gesang wurde auch bereits von Hieronymus Nadal, einem der eifrigsten Musikgegner aus der Frühzeit des Ordens, „während der täglichen Rekreationsstunden neben erholsamen Spaziergängen, erbaulichen Gesprächen und unterhaltsamen Spielen, soweit sie in zuchtvollem Rahmen blieben“7, gestattet. Bedenkt man noch die intensive Beschäftigung der Jesuiten mit dem Kirchenlied in der Volkssprache
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no stati mandati di costì dal P. Hieronimo Ferricelli parte composti da lui, parte da altri Padri della Compagnia del Iesù tanto honorati & favoriti da lei; ma sono anco, si puo & dee dire, nati dalla magnificentissima pietà & religione di V.A. la quale n’ha data loro materia nell’edificatione dello splendissimo Tempio, eretto da lei in honore di S. Michele Archangelo.“ Heinrich Hüschen, Jesuiten, in: MGG 7 (1958) Sp. 19. Feststellungen wie die folgende bestätigen dies, bemühen sich jedoch nur wenig um eine begründende Erklärung: „There ist some evidence that the relatively sophisticated madrigale spirituale was fostered by the Jesuits, to whose officers many collections were dedicated during the 1570s and 1580s.“ (Suzanne G. Cusick, Madrigale spirituale, in: NGroveD 11 [1980] S. 483). Heinrich Hüschen, siehe Anm. 5, Sp. 21.
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sowie deren Förderung des Schuldramas, die beide dem seelsorgerischen Impetus des Ordens entsprangen, so nimmt das Interesse der Jesuiten an einer Vokalgattung Gestalt an, die zwar geistlich, jedoch nicht liturgisch, die poetisch anspruchsvoll, volkssprachlich und im Ausdruck effektvoll ist: eben das geistliche Madrigal. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, daß Philippe de Monte sogar so weit geht, seine Claudio Acquaviva gewidmeten Madrigale im weiteren Text seiner Dedikation als eine aus dessen „weiser Einsicht entsprungene Sache“ zu bezeichnen. Keinesfalls, so schreibt er, hätte er es zugelassen, Madrigale unter Acquavivas Namen zu veröffentlichen, „[...] wenn diese nicht geistlich und fromm gewesen seien, so daß sie, wenn unsere Musik das zu bewirken vermag, was ihr die Alten zuschreiben, jenem Endzweck vielleicht nützlich sind, für den Ihre Religion sich unaufhörlich mit so viel Wohltaten für die ganze Welt und zum Ruhme Gottes bemüht. Darüber hinaus fühlte ich mich geradezu verpflichtet, sie Ihnen darzureichen als eine Ihrer weisen Einsicht entsprungene Sache: denn geschickt wurden mir die Madrigale von Pater Lorenzo Cottemanno von Ihrer Gesellschaft, dem ich herzlich verbunden bin und der einst mein Schüler war, als er als Knabe in der Kapelle Ihrer Kaiserlichen Majestät Maximilian seligen Angedenkens diente. Ich flehe Sie, Hochwürdiger Pater, an, sie anzunehmen und zwar gerne und als Ihre eigene Sache und als ein Zeichen meiner Hochachtung gegenüber Ihnen, für den ich unseren Herrgott um ein langes Leben bitte.“8 Die Texte geistlichen Inhalts, die der Jesuitenpater Lorenzo Cottemanno – sein richtiger Name könnte Lorenz Kottmann gewesen sein – Philippe de Monte zur Vertonung übersandt hatte, waren keine Madrigale, als die sie in der Widmung bezeichnet werden, sondern Sonette, also Gedichte der 8
„[...] se non fossero stati spirituali, & pij: si che se la nostra Musica potesse quello, che dicono de gli antichi, non sariano forsi se non utili a quel fine, per il quale la vostra religione si adopera continuamente con tanto beneficio di tutto il mondo, & gloria di Dio. Mi pareva oltre a ciò esser quasi obligato à presentarli à lei, come cosa di sua ragione: conciosia che i Madrigali mi furon mandati dal P. Lorenzo Cottemanno della vostra Compagnia, molto à me amorevole, & altre volte mio discepolo, mentre egli fanciullo servi in Cappella la Ces. M. di Massimiliano fel. mem. Supplico adunque la P. V. R. à riceverli volontieri, & come cosa sua, & in segno della mia osservanza verso lei, alla quale prego da N. Signore lunga vita.“
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ernsthaftesten und geschlossensten Gattung der italienischen Lyrik. Es war im Italien der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts üblich, nicht nur die mehrstimmigen Vertonungen sämtlicher lyrischer Gattungen (Sonette, Ottave rime, Madrigale) als „madrigali“ zu bezeichnen, sondern offenbar auch schon die zur Vertonung vorgesehenen Gedichte selbst. Montes erstes Buch geistlicher Madrigale von 1581 enthält 15 Sonette, vertont in 30 Madrigalen, die beiden Quartette jeweils als Prima parte und die beiden Terzette als Seconda parte bezeichnet. Von acht dieser Sonette sind die Textdichter unbekannt; die restlichen sieben stammen aus der Feder der römischen Dichterin Vittoria Colonna. Diese entstammte dem bedeutenden römischen Adelsgeschlecht der Colonna, hatte als Siebzehnjährige den Marchese von Pescara, Ferrante d’Avalos, geheiratet und war bereits mit 33 Jahren Witwe. Nach dem Tod ihres Gatten im Jahre 1525 hat sie sich auf die Insel Ischia zurückgezogen, wo sie petrarkistische und mit platonischen Ideen durchsetzte Sonette schrieb, die erstmals 1538 erschienen sind. Obwohl Vittoria Colonna mit den berühmtesten Persönlichkeiten ihrer Zeit in Verbindung stand, zog sie mehr und mehr ein Leben in klösterlicher Zurückgezogenheit einem glanzvollen Leben vor, das sie sich aufgrund des enormen Besitzes ihrer Familie hätte leisten können. Sie hatte bereits den Ruf einer hochbegabten und gelehrten Frau, als sie 1536 mit Michelangelo Buonarotti in nähere Bekanntschaft trat, der sie sehr bewunderte und einige seiner schönsten Sonette an sie richtete; damals war die Marchesa 44 und der Bildhauer 61 Jahre alt. Aus dieser Zeit stammt die folgende Charakterisierung Vittoria Colonnas durch einen in Rom weilenden portugiesischen Kunstmaler mit Namen Francisco d’Ollanda: „Es ist aber die Signora Vittoria Colonna, Marchesa von Pescara und Schwester des Herrn Ascanio Colonna, eine der erlauchtesten und berühmtesten Frauen, welche Italien und Europa, d. h. die Welt besitzt: keusch an Sitten, noch immer schön, lateinkundig, klugen Geistes und aller übrigen Tugenden teilhaftig, die einer edlen Frau zur Zierde gereichen. Seit dem Tod ihres erlauchten Gemahls hat sie sich in ein bescheidenes Privatleben zurückgezogen, hat auf das glanzvolle Leben, das sie bis dahin umgab, verzichtet und lebt seither nur für Jesus Christus und den
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christlichen Werken, indem sie bedürftigen Frauen Wohltaten erweist und sich als wahre Gläubige betätigt [...].“9 Vittoria schickte im Jahre 1541 ihre Sonetti spirituali aus Viterbo an Michelangelo, der von der Gabe zutiefst angerührt war und ihr mit einem ergreifenden Sonett dankte. Das 103 Sonette umfassende Pergamentbüchlein10 enthielt auch die sieben von Monte vertonten Gedichte. Waren Vittoria Colonnas frühe Gedichte, wie bei Hugo Friedrich zu lesen ist, „von einer kühlen Perfektion“, gelangte ihre späte Dichtung „nur in den geistlichen Sonetten – den besten, die sie überhaupt schrieb – zu einer bewegten Innigkeit“11. Aus der Sicht der modernen italienischen Literaturhistorie steht Vittorias Lyrik ganz im Schatten der Sonette ihres berühmten Freundes Michelangelo. Da aber dieser dies keineswegs selbst so beurteilt hat und da das Freundespaar sich über die Inhalte und den Stil ihres Dichtens intensiv ausgetauscht hat, paßt so manche Charakterisierung des dichterischen Oeuvres Michelangelos auch auf Vittorias späte geistliche Sonette, so auch Volker Kapps Beobachtung, Michelangelo verzichte nicht selten auf Anschaulichkeit, breche die syntaktisch lineare Gedankenführung durch Anakoluthe, Einschiebungen und Trennung syntaktisch zusammengehöriger Glieder auf und zeige eine unverkennbare „Tendenz zur Erschwerung des lyrischen Stils“12. In ihren späten geistlichen Sonetten kreisen Vittora Colonnas Themen inhaltlich um Gnade und Erlösung durch die Muttergottes und durch Jesus Christus. Leid und Unzulänglichkeit alles irdischen Tuns lösen sich in drei der durch Monte vertonten Sonetten in der Sphäre der „celeste armonia“13. Wie in Dantes Paradiso die Lichtvisionen bildet in den letzten Sonetten Vit-
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Zitiert nach Kurt Pfister, Vittoria Colonna. Werden und Gestalt der frühbarocken Welt. München 1950, S. 111. Vgl. ibidem, S. 143. Hugo Friedrich, Epochen der italienischen Lyrik. Frankfurt a. M. 1964, S. 348. Volker Kapp, Italienische Literaturgeschichte, 2. verbesserte Aufl. Stuttgart–Weimar 1994, S. 159. Es handelt sich um die Sonette Un foco sol la Donna [...] (VII-VIII), Se’l breve suon [...] (XVXVI) und Vorrei l’orecchia haver [...] (XXI-XXII).
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torias „dieser hohe Klang himmlischer Harmonien schließlich das Leitmotiv ihrer Dichtung“14. II. Das Sonett Vorrei l’orecchia haver (Madrigale XXI-XXII) und seine fünfstimmige Vertonung durch Monte seien im folgenden einer genaueren Betrachtung unterzogen: Vittoria Colonna (1492–1547) 1 2 3 4
Vorrei l’orecchia haver qui chiusa e sorda Per udir coi pensier più fermi e intenti L’alte angeliche voci e i dolci accenti, Che certa pace in vero amor concorda.
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Spira un aer vital fra corda e corda, Divino e puro in quei vivi instrumenti: E sí move ad un fine i lor concenti, Che l’eterna armonia mai non discorda.
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Amor alza le voci, amor le abbassa, Ordina e batte egual l’ampia misura, Che non mai fuor del segno in van percuote.
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Sempre è più dolce il suon, se ben ei passa Per le mutanze in più diverse note; Che chi compone il canto ivi n’ha cura!
Poetische Übertragung von H. Mühlestein 1 2 3 4 14
O wär’ verschlossen, wäre taub mein Ohr, auf daß mir stärker durch die Seele dränge die süße Fülle himmlischer Gesänge, die Frieden lockt aus wahrer Lieb hervor; Kurt Pfister, siehe Anm. 9, S. 150.
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und daß ich Gottes reine Harmonien hörte durch die lebendigen Instrumente ziehn! So strömt ihr Sang nach einem Ziele hin, daß nie noch Mißklang ew’gen Einklang störte.
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Zum Höchsten schwingt, ins Tiefste dringt die Stimme der Liebe – wie des Pendels weiter Schlag im Gleichmaß einigt zweier Glocken Töne;
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und ob er tiefer fahre, höher klimme, stets süßer wird der Ton: denn Tag für Tag veredelt ihn der Schöpfer dieser Schöne.
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Wörtliche Übersetzung 1 2 3 4
Ich hätte gerne die Ohren hienieden geschlossen und taub, Um mit festeren und aufmerksameren Gedanken zu hören Die hohen Stimmen der Engel und die süßen Laute, Da sicherer Friede mit wahrer Liebe zusammenklingt.
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Es weht eine lebhafte Luft zwischen Saite und Saite, Göttlich und rein in diesen lebenden Instrumenten: Und dergestalt bewegt sie ihre Akkorde zu einem Ziele, Daß die ewige Harmonie niemals nicht zusammenklingt.
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Die Liebe hebt die Stimmen, die Liebe senkt sie, Sie ordnet und schlägt gleichmäßig die weite Mensur, Daß sie niemals außerhalb des Zeichens vergebens schlägt.
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Immer sanfter wird der Klang, wenn er gut schreitet Durch seine Wechsel in vielgestaltigen Noten; Denn der den Gesang zusammenfügt, trägt dort die Sorge.
Das Sonett, das auf der Grundlage einer Rückbesinnung auf die mittelalterliche Vorstellung einer musica mundana bzw. musica coelestis die himmlische Harmonie sowie deren Reinheit und göttliche Ordnung imaginiert und reflektiert, ist gleichsam aufgespannt zwischen seiner ersten und letzten Zeile zwischen den Wörtern qui („hier“ auf Erden) und ivi („dort“ im
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Himmel). Innerhalb einer Denkbewegung von unten nach oben, vom Wunsch nach tauben Ohren bis hin zu Gott, dem erhabensten Komponisten, werden als Metaphern für die göttliche Vollkommenheit musikalische Begriffe – solche des Tönens, des Zusammenklingens, des rhythmischen wie harmonischen Geordnetseins in der Vielfalt der Erscheinungen – verwendet und poetisch-assoziativ untereinander verknüpft. Keine Zeile des Sonetts ohne Wörter oder Begriffe des Klingens, des Hörens sowie solchen von Dingen, die zur Musik gehören: eine Herausforderung für jeden Komponisten, ein außergewöhnlicher Anreiz für eine madrigalische Vertonung nach dem Prinzip des „imitar la parola“. Philippe de Monte wählt für die Vertonung des Sonetts den 9. Modus, in glareanischer Terminologie das „authentische Aeolisch“. Die Musiktheoretiker der Zeit bezeichnen diesen Modus als „modo aperto & terso“, also als offene und reine Tonart, und merken an, daß diese zur Vertonung lyrischer Verse geeignet sei, die von heiteren und sanften, angenehmen und wohlklingenden Dingen handelten. Auch sei ihr Ernst zu eigen mit einem Anflug von Heiterkeit und Milde15. Es ist erstaunlich, wie sehr Vittoria Colonnas Sonett Vorrei l’orecchia haver in dieser Tonartencharakteristik präsent ist: Vertonung lyrischer Verse, sanfte und wohlklingende Dinge, Reinheit, Ernst und Heiterkeit im Sinne einer serenitas. Monte disponiert die fünf Stimmen des Satzes regulär: die tonarttragenden Stimmen Canto, Quinto und Tenore mit authentischem Ambitus, den Alto und den Basso mit plagalem Tonumfang, wobei letzterer insofern irregulär ist, weil er einen sehr großen Tonumfang (A – e1) aufweist. Diese dispositio modi spiegelt sich auch in der originalen Schlüsselkombination der Stimmen, die eine Hochschlüsselung darstellt mit Ausnahme des F-Schlüssels auf der dritten Linie im Basso, mit dem Monte die Verwendung einer zweiten Hilfslinie vermeidet. Das Zeitmaß der Komposition ist der madrigalische Tactus alla semibreve, ausgedrückt durch den Halbkreis. Im Gegensatz zur Gabrielischule, die beim 9. Modus neben der Kadenz auf der Finalis a als zweithäufigste diejenige auf d verwendet16, stützt sich Monte auf die moderne, vor allem von deutschen Theoretikern (z. B. Seth Calvisius) beschriebene Variante, derzufolge die Kadenz auf der Finalis a den Rang einer clausula 15
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Vgl. Siegfried Schmalzriedt, Heinrich Schütz und andere zeitgenössische Musiker in der Lehre Giovanni Gabrielis. Studien zu ihren Madrigalen. Neuhausen bei Stuttgart 1972, S. 46. Ibidem, S. 60.
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primaria, die zweithäufigste auf der Quint e über der Finalis den einer clausula secundaria und die dritthäufigste auf der Terz c über der Finalis den einer clausula terziaria einnehmen17. Monte legt seine Komposition so an, daß er jeder Zeile des Sonetts einen eigenen musikalischen Abschnitt widmet, wobei diese Abschnitte durch die Tatsache, daß Monte den Text oder Teile desselben in der Regel wiederholt, etwas länger werden, als dies bei Madrigalen üblich war. Ist hierin sowie in der häufigen satztechnischen Verknüpfung der Abschnitte untereinander eine Tendenz zum Motettischen auszumachen, so erweisen sich andere Züge, wie etwa die Bildung von Kontrasten und eine differenzierte Textausdeutung im Sinne der Forderung nach einer ausgeprägten „imitatione della parola“ als unverkennbar madrigalisch. Ein analytischer Gang durch die 14 Abschnitte der Komposition soll in gebotener Kürze auf einige Einzelheiten aufmerksam machen. Monte sieht sich sogleich im 1. Abschnitt vor das schier unlösbare Problem gestellt, mit Tönen Taubheit darzustellen. Dabei kommt ihm jedoch die Tatsache zu Hilfe, daß das Wort „sorda“ („taub“) das letzte Wort des Abschnitts (T. 5) ist, also eine Stellung einnimmt, an der nach den Regeln des Tonsatzes eine Kadenz auf der Finalis zur Klärung bzw. Festigung der Tonart erwartet wird. Anstelle dieser läßt er den Abschnitt mit einer vierstimmigen clausula in mi endigen, deren „pathopoetischer“ Halbtonschritt f – e (also: fa – mi) in der Baßstimme hier zwar nicht modusfremd ist, aber einen symbolträchtigen Stellenwert hat, der mit Begriffen wie Trauer, Elend, Schmerz und Erbärmlichkeit18 assoziiert wird. Doch gibt der Text des 2. Abschnitts, der von „pensier più fermi e intenti“ („festeren und aufmerksameren Gedanken“) spricht, sogleich den erwarteten Anlaß zu einer die Tonart festigenden vollstimmigen Formalklausel auf der Finalis a (T. 9). Fester als im 1. Abschnitt ist nun auch die Deklamation: sie ist langsamer, nämlich in halben und ganzen Noten, und hierin kontrastierend zu den Viertel- und Halbenoten des Beginns. Zudem stellt in den beiden Unterstimmen die betonte Silbe von „fermo“ („fest“) mit ihrer punktierten ganzen Note, den bislang längsten Notenwert, dar.
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Vgl. Siegfried Schmalzriedt, Kadenz, in: HMT 1974, S. 4 f. Vgl. Bernhard Meier, Die Tonarten der klassischen Vokalpolyphonie. Utrecht 1974, S. 259 f.
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Es wird niemanden verwundern, daß die 3. Zeile des Sonetts mit den Worten „L’alte angeliche voci e i dolci accenti“ („Die hohen Engelsstimmen und die sanften Laute“) eine außergewöhnliche euphone Vertonung erfährt. Kontrastreich beginnend mit einem dreistimmigen Hochchor in höchster Lage, erreicht der Satz seine bislang größte klangliche Aufhellung. Es wird wohl richtig sein, hier von einer commixtio tonorum zu sprechen, einer Tonartänderung zum 11. Modus, dessen Affektlage aus der Sicht der Theoretiker die heiterste und hellste aller zwölf Modi ist. Der Satz ist erstmals homophon, und er bleibt es auch bei der Wiederholung des ersten Halbverses durch den vollstimmigen Chor, auch der in höchster Lage. Die „dolci accenti“ (die „sanften Laute“) klingen zunächst etwas dunkler (bei fehlendem Canto), führen schließlich aber mit betörendem Klang in die Höhe (bei fehlendem Basso) und kehren verklingend in den 9. Modus zurück. Der folgende 4. Abschnitt komponiert das Wort „concordare“ („Zusammenklingen“) mittels einer in eine plagale Kadenz eingebauten Folge von Durchgangs- und Vorhaltsdissonanzen (T. 18 f.) aus. Die in dem plagalen Kadenzrahmen erreichte Kadenzierung dritten Ranges auf c ist nur geringfügig schlußkräftig. Zudem sind die Abschnitte 4 und 5 untereinander verzahnt. Dennoch ist im 5. Abschnitt der „aer vital“ (die „lebhafte Luft“) in der nun wieder schnelleren Deklamationsbewegung und in den Oktavsprüngen einzelner Stimmen zu spüren. Die „vivi instrumenti“, mit denen möglicherweise die Geigen gemeint sind, mit denen der Himmel vollhängen soll, werden im 6. Abschnitt durch Achtelmelismen zum Ausdruck gebracht. Diese finden sich wohl deshalb auf dem aussageschwachen Wort „quei“ („diese“) angebracht, weil man Melismen nicht auf den Buchstaben „i“ und „u“ anbringen soll, weil solche auf „i“ „kichern“ und die auf „u“ „heulen“. Die Viertelsmelismen auf dem ersten Wort von „i lor concenti“ („ihre Akkorde“, „ihre Harmonien“) lassen sich freilich nicht in der gleichen Weise erklären. Sie wirken dabei mit, ein ausgreifendes Klanggewebe zu gestalten, das auf dem Ton g, der Repercussa bzw. Dominante des 11. Kirchentons, kadenziert. Zuvor war in ebendemselben 7. Abschnitt das Wort „fine“ („Ende“, „Ziel“) im Quinto in T. 27–28 mit einer formelhaften melodisch synkopierten Kadenz und in T. 30 mit einer dreistimmigen Binnenkadenz ausgedeutet worden. Für Monte scheinen – modern ausgedrückt – C-Dur-Dreiklänge die „eterna armonia“ (die „ewige Harmonie“) am treffendsten auszudrücken. Mit ihnen beginnt er den 8. Abschnitt erneut im Bereich des Ionischen. Das erste Madrigal, die prima parte des
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vertonten Sonetts, endigt zwar mit einer vollstimmigen Kadenz auf der Tonartfinalis a, doch als Plagalkadenz und einem Schlußklang ohne Terz macht sie dem Hörer deutlich, daß die Komposition mit einem zweiten Teil fortgesetzt wird. Mit den Worten „Amor alza le voci, amor le abbassa“ („die Liebe hebt die Stimme, die Liebe senkt sie“) beginnt das zweite Madrigal und damit die Vertonung der beiden Terzette des Sonetts. Unnötig zu sagen, daß sich ein Komponist von Madrigalen eine solche Gelegenheit nicht entgehen läßt und sich veranlaßt sieht, an die Grenzen des jeweiligen Stimmambitus zu gehen, ja diese sogar über- oder unterschreitet, wie dies z. B. im Canto im ersten Takt bei den beiden g2 und im dritten Takt bei dem e1 der Fall ist. Dabei fällt auf, daß auch die Liebe Gottes, die das Anheben und Absenken der Stimmen bewirken soll, selbst in die Darstellung des Steigens und Fallens einbezogen ist. Es kommen hierbei extreme Stimmvertauschungen zustande, wie etwa zwischen Canto und Quinto auf dem zweitletzten Viertel von T. 3, wo der Canto mit e1 eine Dezime unter den Quinto mit g2 zu liegen kommt. Um das Wort „ordinare“ („ordnen“), mit dem der 10. Abschnitt beginnt, adäquat darstellen zu können, bringt Monte am Schluß des 9. Abschnitts (T. 5) zuerst einmal mittels einer cadenza sfuggita (einer „geflohenen Kadenz“) das Gefüge des Satzes vollends in Unordnung, um ihn dann zu den Worten „ordina e batte egual“ („sie ordnet und schlägt gleichmäßig“) auf der Quint e des vermiedenen Kadenzschlußtones a ordnend zusammenzufassen und ihn mittels mehrerer rhythmisch präziser Wiederholungen des stehenden E-Dur-Klangs das Schlagen des Taktes imitieren läßt. Während Monte das „battere“ (das „Schlagen des Taktes“) in Viertelnoten nachzeichnet, verbreitert sich die Deklamation zur ampia mensura (zur „weiten Mensur“) erheblich, am extremsten im Alto in den T. 7-9. Die Plagalkadenz auf der Finalis a am Ende des 10. Abschnitts wird wiederum verzahnt mit dem Beginn des 11. Abschnitts, der auf die Worte „in van“ („vergeblich“, „eitel“) ein Melisma bringt und mit einer clausula secundaria endigt. Der 12. Abschnitt ist wieder wie der dritte ein solcher des Engelsgesangs. Die Worte „Sempre è più dolce il suon“ („Immer sanfter wird der Klang“) werden dreimal dreistimmig gesungen, zuerst vom Hochchor, dann ein zweites Mal vom Tiefchor und zuletzt wieder vom Hochchor. Wieder sind wir in der getragenen Deklamation und im Bereich des Ionischen. Das immer sanfter Werden drückt Monte mittels einer ständigen Verringerung der
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Stimmen im Schlußklang aus: in T. 14 endigt der Hochchor dreistimmig mit einem quintlosen Klang auf c, in T. 16 der Tiefchor zweistimmig auf f und zu Beginn des 19. Taktes der Hochchor einstimmig wiederum auf c. Der zweite Textteil des 12. Abschnitts „se ben ei passa“ („wenn er gut schreitet“) erfährt nun zum verklingenden Engelsgesang eine kontrastierende und in den 13. Abschnitt überleitende Behandlung. Das „passare“ („Schreiten“) wird durch einen fauxbourdonartigen Satz, d. h. in schrittweise abwärts geführten parallelen Sextakkorden ausgedrückt. Im 13. Abschnitt ist sodann von den „mutanze“ des Klanges die Rede, die „in più diverse note“ stattfinden, also von „Klang“- bzw. „Harmoniewechseln“ mittels „vielgestaltiger Noten“. Beide Begriffsbereiche überträgt Monte in eine jeweils besondere musikalische Faktur. Beginnend mit T. 21 werden die „mutanze“ durch Harmoniewechsel auf jeder haben Note zum Ausdruck gebracht: A – H – G – C – F6 – H – G – C6 – F – D – G6 – e – a – F – G, während die „diverse note“ repräsentiert werden durch unterschiedliche Dauern: Achtel-, Viertel-, punktierte Viertel- und halbe Noten, aber auch durch die notae fictae fis, gis und cis. Der 14. und letzte Abschnitt, der auf den erhabensten Komponisten, nämlich Gott, metaphorisch anspielt, schildert schließlich das „componere“ mittels eines kunstvollen imitatorischen Satzes, der in eine breitangelegte majestätische clausula formalis et finalis einmündet. *** Meine Fragestellung zu Beginn dieser kleinen Studie lautete, ob bei Philippe de Monte ein Madrigale spirituale in musikalischer Hinsicht unverwechselbar ein Madrigal bleibt – so wie eine Parodiemesse über einem Madrigal sich als eine vollgültige Meßkomposition erwiesen hatte –, oder ob es sich, durch seinen geistlichen Text bedingt, zu einer Art Motette in der Volkssprache hinentwickelt hat. Ich denke, daß deutlich wurde, daß man, trotz der ausgedehnten Abschnitte und trotz deren häufigen Verknüpfung untereinander, mit Fug und Recht von einer madrigalischen Faktur sprechen kann: Zeile für Zeile werden Bestandteile der textlichen Aussage mit den Mitteln der Tonart, mit den Arten der Kadenzierung, mit melodischen Figuren und rhythmischen Mustern, mit satztechnischen Differenzierungen und vielem mehr äußerst kunst- und ausdrucksvoll ausgedeutet, so daß dabei ein Werk von subjektiver Eigenart entstanden ist, das „ingenio“ und „arguzia“, „Erfindungsreichtum“ und „Scharfsinn“, die Merkmale eines
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avancierten Madrigals, ausstrahlt. Daß Philippe de Monte 1581 noch nicht die regelwidrige Dissonanztechnik eines Monteverdi oder die Chromatik eines Gesualdo einsetzt, ist nicht so sehr eine Frage der Zurückhaltung oder des mangelnden Mutes des Komponisten oder gar ein stilistischer Konservativismus des Hofmusik-Kapellmeisters, sondern eine solche seines historischen Ortes.
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Bernhard Klingensteins Rosetum Marianum von 1604 Cantus-firmus-Bearbeitungen des Maria zart durch „kaiserliche“ und „nichtkaiserliche“ Komponisten Am 12. Oktober des Jahres 1576 starb Kaiser Maximilian II. während des von ihm am 25. Juni eröffneten Reichstages in Regensburg, knapp nach dem Eintreffen seines Sohnes Rudolf. Rudolf, seit dem 26. Dezember 1572 König von Ungarn sowie seit dem 7. September 1575 König von Böhmen, wurde nach dem Tod seines Vaters am 27. Oktober 1576 in Regensburg zum Römischen König gewählt, die feierliche Krönung zum (als Rudolf II.) Kaiser des Heiligen Römischen Reiches fand dann noch im Rahmen des Reichstages, und zwar am 1. November im Regensburger Dom, statt1. Rudolf, der in einem noch höheren Maße als sein Vater der böhmischen Metropole verbunden war2, übersiedelte (nach einem langen Prager Aufenthalt in den Jahren 1578–1581) im Frühsommer 1583 endgültig in den Hradschin. 1602 ließ er von Jan Vermeyen in seiner Prager Hofwerkstatt sogar eine neue Kaiserkrone anfertigen3, die dann am 11. August 1804 bzw. endgültig am 6. August 1806 zur österreichischen Kaiserkrone werden sollte, als Franz II. die Würde eines Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zurücklegte und in Zukunft nur mehr als Kaiser Franz I. von Österreich fungierte.
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Daten laut Walter Kleindel, Österreich. Zahlen. Daten. Fakten, hg., bearbeitet und ergänzt von Isabella Ackerl und Günter K. Kodek. Wien 2004, S. 128 f. Genaueres siehe vor allem bei Gertrude von Schwarzenfeld, Rudolf II. Ein deutscher Kaiser am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. München 21979, weiters bei Inge Bodesohn-Vogel, Zeittabelle, sowie R.[obert] J.[ohn] W.[eston] Evans, Rudolf II.: Prag und Europa um 1600, in: Prag um 1600. Kunst und Kultur am Hofe Rudolfs II. Ausstellung Kunsthistorisches Museum Wien [1988/89], 1. Bd. Freren 1988, S. 14-26 bzw. 27-37. Hiezu siehe u. a. R. J. W. Evans, siehe Anm. 1, S. 29 ff. Siehe Rudolf Distelberger, Die Kunstkammerstücke, in: Prag um 1600, siehe Anm. 1, S. 437-466, hier S. 449ff. (Abb. S. 441).
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Über das gleichsam „goldene“ Zeitalter imperialen Glanzes im Prag der Jahre 1583–1612, das sich auf allen Gebieten der Kunst ausbreitete4, wurde schon in unserem Hofmusikkapelle-Kongreß des Jahres 1997 gesprochen, insbesondere auch unter dem Aspekt der kaiserlichen Vorliebe für Okkultes oder gar Mystisch-Jenseitiges, was unter anderem zu deutlichen Ausprägungen einer „manieristischen“ bzw. „ästhetisierenden“ Kunstpflege sowie zu einer speziellen Art von Späthumanismus führte5. Und auch auf dem Gebiet der Musik scheint Rudolf II. eine Ader für höchste Artifizialität aus dem Geiste der Tradition gehabt zu haben, wie das Engagement von Komponisten beweist, die einer besonders kunstvollen Spezies der Vokalpolyphonie huldigten. Namen wie Hans Leo und Jakob Haßler6, Carl Luython7, Philipp de Monte8, Jakob Regnart, Franciscus Sale und Mathias de 4
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Vgl. Jiří Dvorský (Red.), Die Kunst am Hofe Rudolfs II. [Prag 1988], Deutsche Bearbeitung O. Werdau. Hanau 1990. Vgl. weiters die Artikel von Lars Olof Larsson, Görel CavalliBjörkman, Ivan Muchka, Eliška Fučíková und Teréz Gerszi in: Prag um 1600, siehe Anm. 1. Zum damaligen Prager Musikleben siehe vor allem Robert Lindell, Das Musikleben am Hof Rudolfs II., in: Prag um 1600, siehe Anm. 1, S. 75-83, sowie ders., Die Kaiserliche Hofmusikkapelle in Prag zur Zeit Rudolfs II., in: Elisabeth Theresia Fritz-Hilscher – Hartmut Krones – Theophil Antonicek (Hg.), Die Wiener Hofmusikkapelle II: Krisenzeiten der Hofmusikkapellen. Wien–Köln–Weimar 2006, S. 21-31. Hiezu siehe u. a. Hartmut Krones, Manieristische Tendenzen im musikalischen Umfeld Rudolfs II., in: Elisabeth Theresia Fritz-Hilscher – Hartmut Krones – Theophil Antonicek (Hg.), siehe Anm. 4, S. 33-59, sowie Klaus Wolfgang Niemöller, Musikinstrumente in der Prager Kunstkammer Kaiser Rudolfs II. um 1600, in: Jürgen Schläder – Reinhold Quandt (Hg.), Festschrift Heinz Becker. Laaber 1982, S. 332-341. Vgl. auch Erich Trunz, Späthumanismus und Manierismus im Kreise Kaiser Rudolfs II., in: Prag um 1600, siehe Anm. 1, S. 5760. Speziell zu humanistischen Tendenzen in der Musik siehe noch Hartmut Krones, Musik und Humanismus im Prag Kaiser Rudolphs II. Am Beispiel der „Moralia“ von Jacobus Gallus, in: ÖMZ 46 (1991) S. 459-470; erweiterte Fassung in: Wiener humanistische Blätter 33 (1992) S. 57-74. Hartmut Krones, Die Beziehungen der Brüder Haßler zu Kaiser Rudolf dem II. und zu Prag, in: Klaus Wolfgang Niemöller – Helmut Loos (Hg.), Die Musik der Deutschen im Osten und ihre Wechselwirkung mit den Nachbarn. Ostseeraum – Schlesien – Böhmen/Mähren – Donauraum. Bonn 1994 (Deutsche Musik im Osten 6) S. 375-381. Zu ihm siehe u. a. A.[lbert] Smijers, Karl Luython als Motetten-Komponist. Amsterdam 1923, sowie Klaus Wolfgang Niemöller, Studien zu Carl Luythons Lamentationes (Prag 1604), in: Heribert Klein – Klaus Wolfgang Niemöller – Mitarbeit von Jürgen Schaarwächter (Hg.), Kirchenmusik in Geschichte und Gegenwart, Festschrift Hans Schmidt zum 65. Geburtstag. Köln 1998, S. 185-196. Siehe Siegfried Schmalzriedt, Philipp de Montes „Madrigalmesse“ über Anchor che col partire, in: Elisabeth Theresia Fritz-Hilscher – Hartmut Krones – Theophil Antonicek (Hg.), siehe Anm. 4, S. 61-78.
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Sayve sprechen hier eine deutliche Sprache. Einigen von ihnen werden wir auch bei der Betrachtung des Rosetum Marianum begegnen. Da alle diese Komponisten aber sowohl verschiedene Ausbildungswege als auch jeweils mehrere Lebensstationen besitzen, scheint es äußerst schwierig, eventuell ähnliche stilistische Ausprägungen in einzelnen Werken in einigermaßen aussagekräftiger Weise auf den Einfluß des Amtes oder gar eines „Stiles der Hofkapelle“ zurückzuführen. Wenn dies überhaupt gelingen kann, dann nur auf zweierlei Art: a) durch parallele Untersuchungen zahlreicher persönlicher Stilentwicklungen, die dann zu einer gemeinsamen Kulmination zu Zeiten der Präsenz der Komponisten in der Hofkapelle führen müßten, oder b) durch stilistische Vergleiche ähnlich gearteter Werke mehrerer Musiker der Hofkapelle, eventuell noch im Vergleich zu Kompositionen anderer Provenienz. Wir wollen im folgenden den letzteren Weg einschlagen, wobei sich im Falle der Hofkapelle Rudolfs II. speziell zwei Möglichkeiten anbieten, nämlich zwei Sammelwerke, die Werke von Meistern jener Institution mit solchen anderer Schöpfer vereinigen: zunächst einmal die Odae suavissimae, die der „Intendant der Hofkapelle“, der Hofkaplan und Domherr Jacob Chimarrhaeus aus Roermond, zu seinem 60. Geburtstag erhielt9. In dieser „musikalischen Festschrift“ war die musikalische Prominenz aus dem kaiserlichen musikalischen Hofstaat mit lateinischen Spruchmotetten vertreten: Philipp de Monte, Jacob Regnart, Hans Leo Haßler und Carolus Luython, weiters der ebenfalls in Prag wirkende Jacobus Gallus sowie Rudolf Lassus und Nicola Vincentinus gleichsam als Gäste.
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Zu Chimarrhaeus und den Odae suavissimae siehe u. a. Klaus Wolfgang Niemöller, Die musikalische Festschrift für den Direktor der Prager Hofkapelle Kaiser Rudolfs II. 1602, in: Bericht über den internationalen musikwissenschaflichen Kongreß Bonn 1970, hg. von Carl Dahlhaus et. alii. Kassel 1975, S. 520-522, sowie ders., Jacob Chimarrhaeus. Ein Kölner Musiker am Habsburger Hof Rudolfs II. in Prag, in: Klaus Wolfgang Niemöller – Helmut Loos (Hg.), siehe Anm. 6, S. 359-374.
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Notenbeispiel 1: cantus firmus Maria zart (Faksimile)
Der zweiten Möglichkeit begegnen wir in einer Sammlung, die Bernhard Klingenstein (1545/46–1614) im Jahre 1604 in Dillingen herausgab und in welcher 33 Komponisten 33 Strophen der (in anderen Publikationen etwas anders überlieferten) Liedmelodie Maria zart 10 (Notenbeispiel 1: Faksimile; Notenbeispiel 2: Übertragung durch William E. Hettrick, leider mit störenden Taktstrichen) als fünfstimmige cantus-firmus-Variation in Musik setzten: „ROSETVM MARIANVM. Unser lieben Frawen Rosengertlein / Von drey und dreyßsig lieblichen schönen Rosen oder Lobgesangen Gott dem Allmechtigen / und dessen würdigsten Mutter und Junckfrawen Marie / durch drey und dreyßsig beriembte Musicos und Componisten / mit sondern fleiß auff ein Subiectum, mit fünff Stimmen Componirt, und letztlich zusammen getragen. Durch BERNHARDVM KLINGENSTEIN, hoher Stifft Augspurg / Chori Musici praefectum.“ In der Widmung der Sammlung an den von 1598 bis 1646 als Bischof von Augsburg fungierenden Heinrich von Knöringen erklärte der Herausgeber sein Unternehmen selbst 10
Notenbeispiel aus der Übertragung der Melodie in: William E. Hettrick, Preface, in: ders. (Hg.), Rosetum Marianum (1604). Collected by Bernhard Klingenstein. Part I. Madison 1977, S. X.
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folgendermaßen: „Also hat sich nach meinem wunsch, und begeren begeben, dass mir auss sondern gunst guthertziger Personen, ein gar schön alt, und andächtig Lied, welches vol allerlay süsser lieblicher frücht, Geistlicher frewd, und nutzlicher betrachtungen, zukommen, welches etwann ein Jüngling in einer langwirigen kranckheit Gott, und seiner würdigsten Mutter Mariae zu lob und ehren gedichtet, und dardurch wie ich berichtet bin, Leibs und der Seelen gesundheit wunderbarlich erlanget[.] Dieweil nun gedachtes Lied, so in die drey und dreyssig schöner gesetzlein begrifft, mich sehr erfreyet? hab ich mir lassen angelegen sein, solches Cantu Figurali, wolgeziert allen Gott liebenden Hertzen zu Trost in den Truck zu verfertigen, und zu Communiciern. Da ich nun wol betrachtet, wie das Subjectum weitleffig und der Thonus offtermaln repetiert, auch nothwendigerweiss erholet müsse werden? menigklichen aber annemblicher sein möchte, das solliches werck, variis floribus und ingenijs viler fürtreflicher Musicorum gezieret, unnd aussgearbeitet wurde: Demnoch hab ich von etlichen in disem werck hernach benannten fürnemmen Musicis leichtlich erhalten, das sie mir das angefangne Lustgärtlein gutwilligklich zieren unnd ausarbeiten helffen, mit sollichem fleiss, und ernst, dass ich mir nur ein einigs pflantzböthlein, neben demselbigen, meinem vermögen nach zuzieren vorbehalten dö[r]ffen. Wann dann dieses vilgemelte [= vielgemeldete] Lustgärtlein meinem verlangen, und begeren nach, mit hilff Göttlicher Gnaden und Trewlichem beystand angedeyter meiner günstigen, und freundtlichen Herren Collaboratoren, Ihns werck gericht, unnd an jetzo albereit absolviert, und zu end gebracht worden.“11 Notenbeispiel 2: cantus firmus Maria zart (Übertragung)
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Zitiert nach ibidem, S. IX. Kommentare in [ ] vom Autor.
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Die 33 Strophen des Ende des 15. Jahrhunderts in den Reihen der „Meistersinger“ entstandenen Liedes Maria zart (das in mehreren Liederbüchern des 16. und 17. Jahrhunderts Aufnahme fand) waren 1593 in Dillingen ohne Melodie unter dem Titel „Ein schon andächtigs Liedt und gedicht, von unser lieben Frawen“ bei Johann Mayer erschienen, gezeichnet nur mit den Initialen R. C., hinter denen sich Renwart Cysat (1545–1614) aus Luzern verbirgt, eine wichtige Persönlichkeit in der Gegenreformation jener Zeit. Etliche der Strophen sind sind aus früheren Drucken bekannt, von Cysats Hand stammen wohl die Strophen Nr. 5, 6, 8, 10, 12, 13, 15, 21, 23, 25, 26, 28 sowie 29-33. Die Strophen Nr. 1-28 beginnen sämtlich mit dem Wort „Maria“, die Strophen Nr. 29-33 mit „Jesu ich bitt, verschmäh mich nit“. Die Melodie selbst diente zuvor übrigens (zum Teil nur partiell) Komponisten wie Jacob Obrecht, Ludwig Senfl, Leonhard Kleber oder Arnolt Schlick als cantus firmus. Hier ist sie laut dem Stimmbuch des Altus „Subiectum darauff alle volgende Componisten ihre Composition dirrigiert.“12 Die Melodie von Maria zart (Notenbeispiele 1 und 2) steht „in mi“ auf „e“, ist daher dem phrygischen Bereich zuzurechnen, vertritt unseres Erachtens aber nicht, wie Hettrick meint13, den authentischen phrygischen 3. Modus, sondern gehört dem 4., hypophrygischen Modus an. Einerseits bewegt sich der cantus firmus „meist im Tonraum c-c’“, berührt aber das c’, die Repercussa (den Ténor) des phrygischen Modus sehr spät, sondern peilt gleich zu Beginn ostentativ das „a“ an, also die hypophrygische Repercussa, wodurch von Beginn an die „Repercussio mi-la (e-a) des 4. Modus“ modusprägend erklingt. Zudem zeigt sich sofort die für den 4. Modus bezeichnende „sehr eng an den Umkreis der Finalis e gebundene Melodik“ (hier c-a, wodurch die plagale Repercussa der höchste, die authentische Repercussa „c“ der tiefste Ton ist). Die Tatsache, daß der Ambitus des Liedes mit dem d’ einmal über das c’ (den höchsten ,erlaubten‘ Ton, der die ,schulmäßige‘ Oktav-Spezies um einen Ton übersteigt) hinausgeht, ist ebenfalls typisch für den hypophrygischen Modus, der immer eine gewisse Freiheit besaß und etwa laut Gallus Dressler (1561) oft einen tiefen Ton zugunsten eines hohen „wegließ“ [hier das H zugunsten des d’]14. Diese Freiheit, die oft so 12
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Zitiert nach den Faksimiles, ibidem. Hiezu, zu weiteren Einzelheiten sowie zur Entstehung der Sammlung siehe ibidem, S. XI und passim. Er spricht von „the phrygian quality of the subject“. Ibidem, S. XIX. Bernhard Meier, Die Tonarten der klassischen Vokalpolyphonie. Utrecht 1974, S. 147, 213 und 148.
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weit ging, daß die Zuordnung eines Werkes zum 3. oder 4. Modus (laut Gallus Dressler, aber auch laut anderen Autoren) kaum möglich ist, prägt auch unsere Sammlung, wobei offensichtlich auch Auffassungsunterschiede zwischen den hier vertretenen Komponisten herrschen – etliche Stücke sind (angesichts der deutlichen Repercussio e-a) eindeutig hypophrygisch, manche scheinen (vor allem durch die Bedeutung des authentischen Repercussa c) aber offensichtlich authentisch phrygisch gedacht, während einige kaum zuzuordnen sind. Die von Klingenstein eingebundenen 33 Komponisten wirkten sämtlich im süddeutsch-österreichischen Raum und widmeten sich nun je einer Strophe, wobei die Reihenfolge offensichtlich nach gewissen geographischen Aspekten erfolgte15; die Wahl fiel dabei insbesondere auf Augsburger Kollegen des Herausgebers, auf Musiker der Münchener Hofmusikkapelle, auf an den Hohenzollernschen Höfen Hechingen und Sigmaringen wirkende Meister sowie auf Komponisten der Habsburgerhöfe in Prag, Wien und Innsbruck, und diese letzteren erscheinen gemäß ihrer Wirkungsstätte gleichsam ostentativ geblockt. Insgesamt handelt es sich um folgende Persönlichkeiten (die Namen erscheinen zunächst in der originalen Schreibweise der Sammlung und danach in der heute üblichen): I. Ioannes á Fossa (Johannes de Fossa): Maria zart, von edler Art II. Ferdinandus di Lasso (Ferdinand de Lasso): Maria mild, du hast gestillt III. Rudolphus di Lasso (Rudolph di Lasso): Maria fein, du gibst ein Schein IV. Phileno Cornazzani (Fileno Cornazzani): Maria rein, du bist nit klein V. Mechior Schrammius (Melchior Schramm): Maria schon, aus Himmels Thron VI. Iacobus Reinerus (Jakob Reiner): Maria gut, du bist die Glut VII. Franciscus Sale (Franciscus Sale): Maria klar, du bist für wahr VIII. Christophorus Harant Barode Bolsciz (Christoph Harant): Maria Kron, die Engel schon IX. Carolus Luyton (Carl Luyton): Maria ein Reis, des Paradeis X. Matthias Sayue (Mathias de Sayve): Maria klar, der Engel Schar XI. Iacobus Regnart (Jakob Regnart): Maria fein, du klarer Schein XII. Bernhardus Klingenstain (Bernhard Klingenstein): Maria süss, hilf dass ich büss XIII. Simon Kolbanus (Simon Kolb): Maria Herz, wann tödlicher Schmerz XIV. Georgius Florius (Georg Flori): Maria gross, O edle Ros XV. Narcissus Zenckel (Narcissus Zängel): Maria fein, ein klarer Schein 15
Klingenstein bezeichnete die Reihenfolge in seinem Vorwort „An den Günstigen Leser“ als „unmeydenlich, doch jedermeniglich an seinen ehren und reputation, unpreiudicierlich, unnd unverkleinerlich zuhalten verursacht worden [...].“ William E. Hettrick, siehe Anm. 10, S. X.
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Hartmut Krones XVI. Gregorius Aichinger (Gregor Aichinger): Maria uns tröst, die du erlöst XVII. Conradus Stueber (Conrad Stuber): Maria wert, so mein Seel kehrt XVIII. Hieronymus Biltstain (Hieronymus Bildstein): Maria Frau, hilf dass ich schau XIX. Cæsar de Zacharijs (Cesare de Zachariis): Maria gut, wann in Unmut XX. Ioannes Stadelmayr (Johann Stadlmayr): Maria klar, du bist für wahr XXI. Ioannes Andreas Hagel (Johann Andreas Hagel): Maria Herz, mit grossem Schmerz XXII. Michaël Tonsor (Michael Tonsor): Maria zart, gemehret ward XXIII. Christianus Erbach (Christian Erbach): Maria fein, gedenk der Pein XXIV. Ioannes Geisenhoff (Johann Geisenhoff): Maria gut, hab mich in Hut XXV. Philippus Zindelin (Philipp Zindelin): Maria fein, dein Gnad mich b’schein XXVI. Lampertus de Sayue (Lambert de Sayve): Maria rein, mit deim Sohn g’mein XXVII. Hieronymus VVullinus (Hieronymus Wullinus): Maria Freud, ohn alles Leid XXVIII. Ioann le Febure (Johann Le Febure): Maria süss, hilf dass ich büss XXIX. Ianino Fauereo (Janino Favereo): Jesu ich bitt, verschmäh mich nit XXX. Jacobus Hasler (Jakob Hassler): Jesu ich bitt, verschmäh mich nit XXXI. Matthæus Krellius (Matthäus Krell): Jesu ich bitt, verschmäh mich nit XXXII. Paulus Sartorius (Paul Sartorius): Jesu ich bitt, verschmäh mich nit XXXIII. Ioannes Leo Hasler (Hans Leo Hassler): Jesu ich bitt, verschmäh mich nit
Die Vergabe der Strophen muß spätestens 1599, eher bereits 1598 stattgefunden haben, da Franciscus Sale und Jakob Regnart 1599 starben. Zudem hat Klingenstein die Strophen sieben (7) bis vierzehn (14), bei einer Unterbrechung durch die Nummer 12, folgenden Komponisten der kaiserlichen bzw. allgemein Habsburgischen Hofkapellen überantwortet: Franciscus Sale, Christoph Harant, Carl Luython, Mathias de Sayve, Jakob Regnart, Simon Kolb und Georg Flori. Die Nummern 30 und 33 wurden von Jakob bzw. Hans Leo Haßler beigesteuert, allerdings inmitten von Musikern der Hohenzollernschen Höfe bzw. von benachbarten Schlössern, also von Orten, wo diese beiden Meister gerade um 1598 tatsächlich tätig waren. An den kaiserlichen Hof wurden sie dann erst 1602 berufen, doch hat Klingenstein seine ursprünglich vorgesehene Reihenfolge trotz des späten Erscheinungsjahres 1604 nicht mehr geändert. Interessant erscheint, daß Klingenstein selbst inmitten der sieben kaiserlichen Musiker plaziert ist und die Strophe Nr. 12 vertonte. Wir wollen nicht an einen so trivialen Grund glauben, daß er im letzten Moment für einen nicht liefernden Musiker aus Habsburgischen Diensten eingesprungen ist. Vielmehr scheint die Reihenfolge ein ausgeklügeltes Kalkül gewesen zu sein. Zunächst fällt auf, daß der erste kaiserliche Musiker den Satz Nr. 7 beisteuerte, der letzte hingegen den Satz Nr. 14 (zwei mal 7). Insgesamt handelt es sich wieder um sieben Nummern, da ja die Nummer 12 in dieser Hinsicht ausfällt. Und die Anzahl der „Maria“-Nummern ist 28, also vier
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mal 7. Die Bedeutung der Zahl 12 ist nun allen bekannt, und offensichtlich hat sich Klingenstein selbst an diese prominente Stelle gesetzt, noch dazu inmitten der Musiker des Kaisers und gleich nach den prominenten Komponisten Carl Luython, Mathias de Sayve und Jakob Regnart. Und in Bezug auf seine Person als Augsburger Domkapellmeister wollte er vielleicht auch an die traditionellen engen Beziehungen der römischen Kaiser im allgemeinen und auch Kaiser Rudolfs im speziellen zu Augsburg erinnern, der Stadt vieler Reichstage16. (Hier sei auch angemerkt, daß Rudolf seinem Kammerorganisten Jakob Haßler die Pfründe zum Kloster Heiligenkreuz in Augsburg verlieh und daß er diesen Musiker später auch mit speziellen Aufträgen finanzieller Natur in die Fuggerstadt sandte.)17 – Woran Klingenstein unseres Erachtens aber sicher dachte, war die Vorliebe des Kaisers für die Zahl sieben, die sich u. a. in einer Vielzahl (z. T. ihm gewidmeter) siebenstimmiger Werke in seinem Umkreis manifestierte;18 denn daß er gerade sieben kaiserliche Hofmusiker auf die Plätze sieben bis vierzehn setzte (und dabei die Zahl 12 für sich aus- und aufsparte), kann fast kein Zufall sein19.
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In Augsburg hatten zuvor 952, 1040, 1077, 1138, 1155, 1158, 1179, 1207, 1226, 1251, 1275, 1282, 1473, 1474, 1500, 1503, 1510, 1517, 1518, 1525, 1530, 1547/48, 1550/51, 1555, 1558/59 und 1566 Reichstage stattgefunden. Von den fünf von Rudolf II. einberufenen Reichtagen (1582, 1594, 1598, 1603 und 1608) fand nur mehr einer (1582) in Augsburg statt, die übrigen tagten in Regensburg. Siehe Hartmut Krones, Jakob Hassler – Leben und Werk eines zu entdeckenden Orgelkomponisten. Mit zahlreichen biographischen Funden, in: Organa Austriaca IV (1988) S. 7-40, sowie ders., Haßler, Familie, in: MGG-Personenteil 8 (2002) Sp. 828-844. Hiezu siehe Robert Lindell, Das Musikleben am Hof Rudolfs II., siehe Anm. 4, S. 81. Die Zahl 7 besitzt zudem eine mannigfaltige Marien-Symbolik (u. a. wegen der „sieben Schmerzen“ Mariä), steht traditionell aber auch für „den Lobgesang Gottes, als Symbol der Trauer und der Sündenvergebung, schließlich als Symbol für die Verbindung der drei göttlichen Personen mit der Welt der Schöpfung (3 + 4)“. Willem Elders, Studien zur Symbolik in der Musik der alten Niederländer. Bilthoven 1968, S. 94. Weitere biblische Hinweise auf die Zahl Sieben sind die sieben Engel, die sieben bösen Geister oder die sieben letzten Worte Jesu am Kreuz, antike Topoi stellen die sieben Weltwunder oder die sieben Weisen dar. Schließlich sei an die „sieben freien Künste“, die septem artes liberales, erinnert. Vgl. Peter Benary, Musik und Zahl. Von 1 bis 12. Eine musikalische Zahlenkunde. Aarau 2001, S. 64-70.
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Notenbeispiel 3 (Mathias de Sayve, Maria klar, der Engel Schar)
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Wir wollen nun zu unserem Vergleich schreiten und blicken zu diesem Zwecke zunächst in die Nr. 10, die Strophe Maria klar, der Engel Schar von Mathias de Sayve. Die Motette zitiert den ganzen cantus firmus im 1. Tenor, wobei die Rhythmisierungen des cantus firmus durch ihre tänzerisch wirkenden additiven Dreier-Gruppierungen (die angesichts der durchgezogenen Taktstriche in Hettricks Übertragung leider kaum auszunehmen sind und wie Synkopen erscheinen) für eine spezielle Charakterisierung der Hauptstimme sorgen (T. 2/2 bis T. 3/2, T. 10/1 bis T. 11/1, T. 29/2 bis T. 30/2, T. 33/1 bis T. 34/1, T. 36/2 bis T. 37/2, T. 40/2 bis T. 41/2); zusätzlich versehen sie aber auch andere Stimmen immer wieder mit diesem Merkmal. (Ich verweise nur kurz auf den Alt in T. 1 f.) Darüber hinaus verwendet de Sayve von Anfang an auch die (tatsächlichen) Synkopen des cantus firmus, um im Verein mit den Dreier-Gegenrhythmen ein dichtes polymetrisches Gewebe zu gestalten. Auffallend ist auch, daß der Komponist keine Imitationen der Choralzeilen in weiten Einsatzabständen anwendet, sondern die Polyphonie durch enge Führungen verschleiert und sogar zunächst zu einer Art von polyphon aufgelockertem Cantionalsatz findet, ehe im weiteren Verlauf das imitatorische Gefüge etwas reicher wird, aber bis zum Schluß keine Sukzessiv-Imitationen mit großem Einsatzabstand begründet. Dadurch weist der Satz von Mathias de Sayve (in der vorliegenden Übertragung) lediglich 43½ „Takte“, recte 87 Semibrevis-Einheiten auf.
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Die hypophrygische Grundmodalität des cantus firmus wird in Mathias de Sayves Satz so gehandhabt, daß der fünfstimmige Satz deutlich dem (authentischen) phrygischen Modus angenähert erscheint, wobei der Komponist das Phrygische bereits in jener modernen Form verwendet, die dem Äolischen ähnelt, das heißt, daß die plagalen Stimmen offensichtlich vom Ambitus a-a ausgehen und nicht von dem „alten“, schulgemäßen h-h; wir sehen dies insbesondere daran, daß die Spitzentöne von Alt und Baß das a und nicht das h sind. Mit ein Grund für diese Konzeption war ja allgemein,20 und daher wohl auch bei de Sayve, die Quasi-Aufwertung des plagalen Ténors a, also der 4. Stufe, die somit zusätzlich die Funktion der Ambitusbegrenzung einnimmt. Hier erhält sie bei den Worten „auf deiner Scheitel bist du bekleid’t“ (T. 18f.) eine besonders auffällige Kadenz, die auf der plagalen Repercussa schließt, gleichzeitig aber im 2. Tenor durch eine Exclamatio (einer kleinen Sext) zur authentischen Repercussa „c“ das „du“ deutlich hervorhebt; dies fällt auch deswegen speziell auf, weil Cantus, 1. Tenor und Baß schulmäßig ihre Kadenz-Stimmführung ausmusizieren: Im Tenor erklingt die stufenweise absteigende clausula tenorizans, im Cantus die den Leitton führende clausula cantizans, im Baß die clausula basizans mit dem Quintsprung. Der Alt pausiert zwar kurz (T. 19), wohl nicht zuletzt im Sinne einer die hohe „Kron“ von Maria rhetorisch (gleichsam „atemlos staunend“) ausdeutenden Suspiratio, bleibt aber gleichsam virtuell auf demselben Ton liegen und vertritt demgemäß die ,richtige‘ clausula altizans. Bald danach gestaltet der 2. Tenor ebenfalls seine clausula tenorizans zum a (T. 19f.), wobei der Satz allerdings im Sinne einer „clausula fuggita“ sofort weiterdrängt. Auch einen Takt später setzt de Sayve eine solche ein, wenn die Cantus-Klausel zum g ebenfalls nur zu einer angedeuteten Kadenz führt, welches Spiel nun noch einmal beginnt, ehe das „hilf dass ich werd’ gelernet“ T. 25 in das sämtlichen Ballast abwerfende, gleichsam demütige Unisono des Tones „g“ mündet. Nach diesem für die Erkenntnis der modalen Ausrichtung des Stückes wichtigen Blick auf einen späteren Abschnitt blicken wir nun auf die Dis20
Hiezu siehe Bernhard Meier, siehe Anm. 14, S. 149 f. Durch die Betonung des Tones „a“ als Ambitus-Grenzton im Phrygischen bzw. Hypophrygischen wird fallweise sogar eine dem Äolischen ähnliche Charakteristik hervorgerufen. Hiezu siehe Hartmut Krones, Secundus tonus est gravis et flebilis – Tertius tonus severus est. Zur Semantik der Modi in Trauermotetten der Zeit um 1500, in: Stefan Gasch – Birgit Lodes (Hg.), Tod in Musik und Kultur. Zum 500. Todestag Philipps des Schönen. Tutzing 2007 (Wiener Forum für ältere Musikgeschichte 2) S. 157-188, passim.
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position sämtlicher Stimmen: Der Cantus sowie beide Tenöre über- bzw. unterschreiten den Ambitus des cantus firmus (c-d) mit keinem einzigen Ton, sodaß sie (angesichts des relativ frei gehandhabten Ambitus des Hypophrygischen) auch phrygisch deutbar sind. In diesem Fall unterschreiten sie den „erlaubten“ Ambitus (die Oktavspezies e-e bzw. die gemäß damaligem Usus übliche Erweiterung auf d-f) lediglich einige Male um einen Ton, das tiefe „c“; dies allerdings nur bei Worten, die durch speziell negative Affekte oder durch Nachzeichnungen besonders großer, ausladender oder auch speziell „niederer“ Inhalte auffallen. Das gilt in unserem Falle im Cantus fünfmal: bei der (durch einen Oktavsprung zusätzlich ,unterstrichenen‘ bzw. ,von oben nach unten blickenden‘) „Engel Schar“ (T. 3), beim negativ zu sehenden „verjehen“ [vergehen] des Lobes (T. 6), dann bei den beiden folgenden Parallelstellen (beim „empfachen“ [empfangen] sowie beim – offenkundig von unten vonstatten gehenden – „sehen“ des Anblicks des „Morgensterns“ T. 11 und 13) sowie bei (der Weite des) „ewig“ (T. 41). Der 1. Tenor singt den cantus firmus mit seinem dreimaligen Abstieg zum tiefen „c“, der 2. Tenor hingegen besitzt einen ostentativ authentischen Ambitus und läßt das tiefe „c“ nur erklingen, um die Höhe des „Morgensterns“ durch einen Oktavsprung nachzuzeichnen (T. 9) sowie um „gelernet“ (T. 23) zu werden; hier kann fast angenommen werden, daß der ,zu tiefe‘ und somit ,falsche‘ Ton bei diesem Wort erklingt, um die Notwendigkeit des „Lernens“ der richtigen Stimmdisposition (bzw. die ,Niedrigkeit‘ des Lernenden) auszudeuten. Im Falle des „hohen“ Morgensterns ist zudem zu bedenken, daß der Ton „c“ ja den authentischen Ténor des Stückes darstellt. Stimmt die Annahme, daß der Cantus und die beiden Tenöre hier authentisch angelegt sind, müßten nun Altus und Bassus plagalen, also hypophrygischen Ambitus besitzen. Dies bedeutet „traditionell“ jeweils einen Stimmumfang h-h bzw. (weil auch hier ein Ton mehr in beiden Richtungen üblich und „erlaubt“ war) von „a“ bis „c“. Im „traditionellen“ Sinn unterschreitet der Alt seinen Ambitus lediglich (und zwar jeweils um einen Ton bis zum „g“) bei dem negativen Wort „verjehen“ (T. 7), weiters bei „gelernet“ (T. 25), bei „[und hilf mir] dann“ (T. 36) sowie bei „bei ihm ewig zu [leben]“ (T. 38f.), er besitzt somit also eindeutig hypophrygische Eigenschaften. Ähnliches gilt für den Baß, der seine Tiefe aber wesentlich häufiger in „verbotene“ Gefilde erstreckt, was angesichts der „harmonietragenden“ Basis-Töne in dieser Stimme durchaus häufig war; insbesondere für
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den „Hypophrygius“ galt dies in erhöhtem Maße21. Unter der Annahme, daß de Sayve an die moderne Disposition des „Hypophrygius“ mit dem Ambitus a-a bzw. („erlaubt“) g-h dachte, sind allerdings die tiefen Töne des Alt korrekt – im Baß wäre nur das zweimal zu Beginn erklingende tiefe „F“ als Lizenz zu sehen, die angesichts des Beginns auf der authentischen Ténorstufe „c“ harmonisch begründet erscheint. Dieser Beginn ist ebenso wie die Wahl der hier eingesetzten Kadenzstufen von hohem Interesse für de Sayves Behandlung des Modus. Der Komponist verfährt an sich in bester „schulgemäßer“ Manier, da er nur auf den Stufen e (Finalis), g (der eigentlich „rechtmäßigen“ plagalen Repercussa), a (der tatsächlichen Repercussa) sowie c (der Repercussa des authentischen phrygischen Modus) Klauseln (Kadenzen) setzt22, auf der letztgenannten Stufe allerdings besonders viele an prominenter Stelle. Die auffallende Bevorzugung der Ténorstufe „c“ deutet nun aber ebenso wie der Beginn mit einem – modern gesprochen – C-Dur-Akkord vehement auf die authentische Disposition des Werkes. – Und von besonderem Interesse scheint uns, daß von den insgesamt 33 Bearbeitungen des cantus firmus nur drei mit der akkordisch auskomponierten Ténorstufe „c“ beginnen, nämlich der Satz des in Prag wirkenden Franciscus Sale (Nr. 7, Maria klar, du bist fürwahr), also des ersten der hier vereinigten „kaiserlichen“ Komponisten, weiters die Komposition des in Wien engagierten Mathias de Sayve (unsere Nr. 10) sowie jene von Hieronymus Wullinus (Nr. 27, Maria Freud, ohn alles Leid), über den wir nichts wissen, sodaß wir weder seine Nähe zu „kaiserlichen“ Komponisten und Kapellen noch das Gegenteil annehmen können.
21 22
Vgl. Bernhard Meier, siehe Anm. 14, S. 149. Zu den „korrekten“ und „fremden“ Kadenzstufen der Modi siehe vor allem Bernhard Meier, siehe Anm. 14, S. 86-102 und S. 233-268 („clausulae peregrinae“), sowie ders., Alte Tonarten. Dargestellt an der Instrumentalmusik des 16. und 17. Jahrhunderts Kassel etc. 1992 (Bärenreiter-Studienbücher Musik 3) S. 181.
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Notenbeispiel 4: Christoph Harant, Maria Kron, der Engel schon (T. 1-5)
Notenbeispiel 5: Christoph Harant, Maria Kron, der Engel schon (T. 52-56)
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Angesichts dieser Parallele auffällig ist auch die Faktur der Nr. 8, Maria Kron, die Engel schon von Christoph Harant, einem ebenfalls am Hof von Rudolf II. wirkenden Musiker. Sie beginnt zwar mit dem Ton „e“, der Finalis der hier eng imitatorisch gebauten phrygischen (wieder nicht hypophrygischen) Eröffnung, in der der Tenor gleich zum „c“ (der authentischen Repercussa) hochstrebt, endet aber auf der Ténorstufe „c“ (Notenbeispiele 4 und 5). Für diese Faktur, einer als „finis irregularis“ eher seltene Ausnahme, gab es seinerzeit zwei mögliche Gründe: Entweder wollte man aus inhaltlichen Gründen gleichsam den Schluß offenlassen, wenn es sich etwa um negative Inhalte handelte, die in (bzw. von) der Zukunft hoffentlich aufgehoben würden23, oder es handelte sich um eine „prima pars“, der eine „secunda pars“ als Fortsetzung folgte, die dann ihrerseits in die Finalis führte. Da der erste Grund hier angesichts des positiven, gebetsartigen Textes wohl wegfällt, bleibt nur der Schluß, daß Harant bewußt auf die nächste Strophe seines Kollegen Carl Luython vorausweisen wollte, mit dem er sich in Prag ja leicht absprechen konnte. So deutet der Schlußtext der Nr. 8, „durch deinen Sohn, du Gilgenblum, in ewiglicher Wonne, leuchtest du für die Sonne, hilf uns aus Not, durch dein’s Sohn Tod, der in dir war, vom Vater zwar, Gott mit Menschheit behaftet, du reines Fass, darinnen was Gott wunderlich erschaffen“ voraus auf die folgende, ebenfalls phrygisch disponierte Nr. 9, Maria ein Reis, des Paradeis, daraus ist uns entsprungen der wahre Christ, bei dem du bist in freudenreicher Wonne (Notenbeispiel 6).
23
Hiezu siehe grundsätzlich Bernhard Meier, siehe Anm. 14, S. 322-327. Leonhard Lechner etwa bildet solche Schlüsse bei ironischen Texten oder bei einem Abschied, dem ein Wiedersehen folgen möge (beim „Neuen lustigen Teutschen Lied“ Gott b’hüte dich). Hartmut Krones, Petrarca und Wein, Liebe und Leid. Modale Lizenzen in den Teutschen Liedern Leonhard Lechners, in: Susanne Mautz – Jörg Breitweg (Hg.), Festschrift für Siegfried Schmalzriedt zum 60. Geburtstag. Frankfurt/Main etc. 2001, S. 11-26, hier S. 24 f.
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Notenbeispiel 6: Carl Luython, Maria ein Reis, des Paradeis (T. 1-4)
Wir wollen nun noch einen anderen Aspekt berühren. Das überaus dichte, sehr eng imitierende Stimmgeflecht der Nr. 10, Mathias de Sayves Maria klar, der Engel Schar, umfaßt in Hettrichs Edition insgesamt 87 SemibrevisEinheiten24 (Hettrichs Ausgabe verkürzt die Notenwerte um die Hälfte, sodaß die Semibreven als Halbe Noten erscheinen) und wirkt ungemein aus einem Guß geschaffen, ähnlich wie fünf weitere Nummern „kaiserlicher“ Autoren (außer der wohl textbedingt besonders langen Nr. 14). Die Nr. 7 von Franciscus Sale (Maria klar, du bist fürwahr) besitzt eine Ausdehnung von 100 Semibreven25, die Nummern 8 und 9, die wir bereits als quasizusammengehörig erkannt haben, umfassen 112 bzw. 114 Einheiten; wenn man die Erstreckung der Stücke in der „tempus“-Einheit der Breven mißt, ist es also gleichsam so, als ob Christoph Harant die Finalis, die virtuelle 57. (Brevis-)Einheit, ausgelassen hätte, und Carl Luython sie dann nachgeholt hat. Die Nr. 11, Jakob Regnarts Maria fein, du klarer Schein, weist 147 Semibreven auf, die Nr. 13, Simon Kolbs Maria Herz, wann tödlicher Schmerz, 120 Semibreven, danach schließt Georg Flori mit der Nr. 14 die „kaiserliche“ 24
25
Die von Hettrich eingestandenermaßen fallweise durchgeführte Anpassung von Endnoten zu „the value of a full measure“ muß unberücksichtigt bleiben, scheint aber den hier vorgetragenen grundsätzlichen Überlegungen keinen Abbruch zu tun. William E. Hettrich, siehe Anm. 10, S. XIX. Der 1. Teil wird wiederholt, sodaß sich die 100 Semibreven als 15+15+70 [!] darstellen.
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Serie ab. Entsprechend dem Textinhalt Maria gross, o edle Ros legte er seinen Satz besonders breit (204 Semibreven) an und fügte auch für den Text „ich muß von dann, und weiss nit wann“ als neben Hieronymus Bildstein (Nr. 18) einziger Meister der Sammlung einen Abschnitt in DreierProportion ein, womit ein altbekannter semantischer Kunstgriff vorliegt – ein Kunstgriff, den z. B. Leonhard Lechner in seinen Deutschen Sprüchen von Leben und Tod so schön anwandte. Lechner versinnbildlichte dort die angesprochenen irdischen Freuden („Wenn sich erschwinget das Glück dir g’linget, tu nit drauf bauen, ihm z’viel vertrauen“) durch homophone Villanellen-Textur sowie durch eine tänzerische „proportio“. (Ähnliches kennen wir von vielen anderen Autoren der Zeit um 1600 wie insbesondere auch von Hans Leo Haßler.) Flori tritt nun in diese Tradition und läßt 10 solche Proportions-Einheiten erklingen, ehe der Text „hilf mir, wann ich muß sterben“ zum tempus imperfectum zurückkehrt. Angesichts des deutlichen Bezugs zwischen den Nummern 8 und 9 und angesichts des Verhältnisses der ersten „kaiserlichen“ Nummer zur letzten (100 Semibreven – 204 Semibreven) ist es wohl auch kein Zufall, daß Hans Leo Haßlers Schlußnummer, Jesu, ich bitt, verschmäh mich nit, die Reihe mit genau 200 Semibreven abschließt. Haßler war bekanntlich seit 1. Jänner 1602 „kaiserlicher Hofdiener von haus aus“ und dem Kaiser auch schon zuvor in mannigfacher Hinsicht verbunden, sodaß er durchaus in ein mögliches Gesamtkonzept einbezogen worden sein könnte. Notenbeispiel 7: Carl Luython, Maria ein Reis, des Paradeis (T. 15-19)
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Ehe wir uns die Nr. 12, Klingensteins Maria süss, hilf dass ich büss, ansehen, werfen wir noch einen Blick in Luythons phrygisch angelegte Nr. 9, Maria, ein Reis, des Paradeis. Hier begegnen wir einer besonders auffallenden „clausula peregrina“ zum Ton „d“, und zwar in einer besonders „kühnen“ Form: Zunächst wird sie beim Text „durch dein Geschlecht“ (T. 19) nur angedeutet (Notenbeispiel 7) und könnte auf die alte „re“-Symbolik für Gott oder „König“ weisen26, was dieses Wort ja wörtlich heißt. Dafür spricht auch das Cantus-Initium (siehe Notenbeispiel 6), welches entgegen der üblichen Stimmdisposition das „d“ (und nicht das „c“) besonders hervorhebt. Im weiteren Verlauf kommt es dann bald zu einer zweiten „clausula fuggita“ zum „d“ hin, und zwar nach der Wiederholung der Worte „durch dein Geschlecht“ exakt bei „Unrecht“ (T. 24) von „wend mein Unrecht“. Luython sieht die im Phrygischen ja „falsche“ „d“-Klausel also offensichtlich als „clausula peregrina“ mit all ihren negativen inhaltlichen Implikationen, symbolisiert aber gleichzeitig, daß das „Wenden meines Unrechts“ ja positiv ist und in den Himmel führt – und nun ist die „re“Klausel zum „d“ auch gemäß ihrer anderen, positiven semantischen Möglichkeit behandelt. Notenbeispiel 8: Carl Luython, Maria ein Reis, des Paradeis (T. 20-29)
26
Hiezu siehe insbesondere Othmar Wessely, Musik. Darmstadt s. a. [1972] (Das Wissen der Gegenwart. Geisteswissenschaften 10) S. 230 f., sowie Hartmut Krones, Jacobus Gallus – ein Meister der Verbindung von Inhalt und Form, in: Primoz Kuret (Hg.), Gallus in mi. Gallus und wir. Slovenski Glasbeni Dnevi [Slowenische Musiktage] 1991 [Kongreßbericht]. Ljubljana 1991, S. 23-41, hier S. 26 f.
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Speziell angesichts dieser „re“-Symbolik wollen wir auch Bernhard Klingensteins Satz, „Maria süss, hilf dass ich büss“, betrachten. Er rückt T. 66 bei den Worten „den Himmel aufgeschlossen“ von einem e-Klang mit großer Terz, der wohl als Kadenz-Schritt zur plagalen Ténorstufe „a“ vorbereitet wurde, ziemlich abrupt in den „d“-Klang d-f-a, um dem „Himmel“ das ihm nötig scheinende „d“=re zuzuweisen, will vielleicht aber mit diesem „ruckartigen“ Akkordwechsel zusätzlich das (plötzliche) „Aufschließen“ versinnbildlichen. Klingenstein wiederholt diesen Vorgang dann noch einmal T. 72 bei „o edler Schrein“, um auch diesen Schrein inhaltlich in die „re“-Sphäre zu heben (Notenbeispiel 9). Notenbeispiel 9: B. Klingenstein, Maria süss, hilf, dass ich büss (T. 65-73)
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In anderer Hinsicht unterscheidet sich Klingensteins Satz aber deutlich von den Kompositionen der Mitglieder der Hofmusikkapelle. Zunächst im Hinblick auf die ausladend exponierten Imitationen-Ketten gleich zu Beginn, und schließlich in Bezug auf die modale Disposition des Satzes. Könnte man das tiefe „h“ des Cantus T. 43 noch relativ traditionell mit dem folgenden ostentativen Oktav-Aufschwung bei „Gott“ erklären, wenngleich auch dieser auf dem Ton „c“ gleichsam „passender“ wäre, so verläßt Klingenstein im Baß vollends die Tradition; ja, er koppelt hier authentischen und plagalen Umfang zu einer Art von „Gesamt-Ambitus“ von E bis c’ und geht solcherart einer Möglichkeit nach, die in der Theorie als „mixtio tonorum“ bekannt war, meist aber nur im Sinne einer speziellen Text-Ausdeutung Verwendung fand. Wenn wir nun angesichts des eindeutig authentischen Ambitus der beiden Tenöre und des angesichts seines sofortigen Aufstiegs zum „c“ auch als authentisch zu sehenden Cantus davon ausgehen, daß der Baß einen plagalen Ambitus haben müßte, so fällt dessen exorbitant großer Umfang auf (der Alt ist „normal“ plagal). Vereint der Baß-Ambitus doch den authentischen mit dem plagalen Umfang, wobei das hohe „c“ nur bei den Worten „hilf“ (bzw. „nach“, T. 17) und „Gott“ (T. 39) verwendet wird, also wie eine inhaltlich begründete Lizenz wirkt. Angesichts des Alt-Ambitus von g bis a könnte dies auch tatsächlich der Fall sein, denn wenn der hier angedachte „moderne“ Ambitus a-a (bzw. „erlaubt“ g-h) wäre, so wäre das hohe „c“ im Baß bereits „zu hoch“. Auf der anderen Seite wirkt auch der tiefe Finalis-Ton „E“ des Basses T. 87 wie eine Lizenz, eine Figur vom Typ der Hypobolé, die den „tiefen Fall“ der Sünder geradezu bildlich erkennen läßt.
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Während Klingenstein mit seinem „modus mixtus“ noch einigermaßen im „authentischen“ Bereich bleibt und während die sieben „kaiserlichen“ Komponisten sämtlich die „traditionelle“ streng hypodorische Textur des cantus firmus zugunsten authentischer Strukturen aufgeben, folgen viele „nicht-kaiserliche“ Komponisten der „plagalen“ Vorgabe: Insbesondere Ferdinand und Rudolph di Lasso, Melchior Schramm, Jakob Renner, Gregor Aichinger, Hieronymus Bildstein, Michael Tonsor, Janino Favereo und Paul Sartorius passen sich hier der Vorlage an und verharren in den Grenzen „quarti toni“. Zwar überwinden auch etliche „nichtkaiserliche“ Komponisten diese Grenzen, doch scheinen die Komponisten der Hofkapelle Rudolfs II. angesichts der hier auch auf anderen Gebieten herrschenden Offenheit gegenüber allen Neuerungen in den Künsten sämtlich zu einer Avanciertheit gefunden zu haben, die geradezu als Biotop für stilistische Weiterentwicklungen fungierte. Die weitgehende Auflösung der Kapelle durch Kaiser Matthias hat dieser Entwicklung dann ein plötzliches Ende bereitet.
Dieter Gutknecht (Köln)
Orlando di Lasso in Wien und Graz Bemerkungen zu einer Stilfrage der Dedikationskompositionen Glaubt man der recht spärlichen musikwissenschaftlichen Literatur, ferner den mehr musikpraktischen Ausgaben und deren Sammlungen, die den Terminus „Staatsmotette“ als eine Art Gattungsbezeichnung im Titel führen, so muß zu Orlandos Zeiten ein Unterschied bestanden haben, ob für die Herzöge Albrecht oder Wilhelm in München, den Grazer oder Innsbrucker Hof oder aber für den Kaiser in Wien komponiert wurde. Boetticher beschreibt in seiner monumentalen Lasso-Monographie die neue Stilart: „Ein neuer, akkordisch schwingender(?), dreiklangsbetonter Typus war am Wiener und Innsbrucker Hof entstanden, als dessen wichtigste Zeugen wir J. Vaet, Jac. de Brouch (Bruck), Chr. Hollander, Wilh. Formelis, sowie den Italiener Castileti und den Franzosen Mich. de Buissons in Erfahrung bringen. Auch der damals 28jährige Jacob Regnart, als Tenorist am Wiener Hof, hat an diesem Prozeß mitgewirkt. Marschähnliche Gleichförmigkeit des Akkordblocks, abnorm hohe Teilchöre, Häufung des perfekten Metrums, vor allem aber Beschränkung des Bildvorrats auf einfache Verhältnisse (hoch-tief, laufen, Weite etc.), verbunden mit Trompetenmotivik, zeichnen diese Gelegenheitskunst aus.“1 Boetticher beschreibt also einerseits einen der Hofkapelle vermeintlich typischen Stil und benennt ferner dafür die Gewährsleute. Kompositionsanfragen aus Wien und Kompositionslieferungen dorthin sind seit den ersten Tagen Orlando di Lassos in München (Amtsantritt im Herbst 1556) dokumentiert. Kaiser Maximilian hatte bereits 1556 im Herbst (14. Oktober 1556), wie wiederum Boetticher zu berichten weiß, in München anfragen lassen, „wan der orlando delassus was componieren wiert oder [...] sonst was neus von gesang zuekhumen wiert“2. Man weiß, daß Orlando zwei Messen an den Wiener Hof gesandt hat, für die sich der
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Wolfgang Boetticher, Orlando di Lasso und seine Zeit. Kassel 1958, S. 234 f. Nach ibidem, S. 161.
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Kaiser im Juni 1557 bedankte3. Es kann leider kaum geprüft werden, ob die Meß-Komposition der Ort für die stilistische Ausprägung einer hofmusiktypischen Spezies sein kann, da die in Frage kommende Missa super secundum actum meum, fol. 5v4, nicht für diesen Anlaß verfaßt wurde, von der zweiten Messe keine Angaben bekannt sind. Ähnlich ist die Sachlage einer späteren Dedikation, für die sich Maximilian 1571 bedankt5. Es scheint so, als wenn die sicher zu benennenden Werke nur aus dem Motetten-Korpus heranzuziehen seien, deren Entstehung Boetticher um 1565 ansetzt6. Wie Federhofer mitteilt, besuchte Orlando di Lasso Graz wohl nie, was jedoch die über Jahre nachweisbare intensive Pflege seiner Kompositionen am Grazer Habsburger Hof der Erzherzöge Karl und Ferdinand von Innerösterreich nicht wesentlich beeinflußt zu haben scheint, ein Umstand, den Gernot Gruber in seiner Dissertation von 1964 ausführlich belegen konnte7. Ferner ist nach Federhofer belegt, daß Lasso die Huldigungsmotette Heroum soboles 8 für Erzherzog Karl verfaßte9. Also auch im Falle des Grazer Hofes kann lediglich auf eine sicher nachgewiesene Motette zurückgegriffen werden. An Huldigungsmotetten nennt Boetticher ausdrücklich: Quid vulgo memorant? und Ergo rex vivat, diese beiden 8stimmigen Motetten sind Kaiser Rudolf gewidmet. Bei Boettichers Charakterisierung dieser beiden Werke liest man: „Lasso stellt den fanfarenhaften Dreiklang meist absteigend dar, wie er auch die äußerlichen Instrumentalbässe der Wiener Hofkomponisten, von den großen Leistungen eines Vaet und Chr. Hollander abgesehen, nicht übernimmt“10. Nun ist es jedoch so, daß Boettichers vermeintliche Analysen lediglich unbewiesene Behauptungen darstellen, die weder durch 3 4
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Ibidem. Siegfried Hermelink (Hg.), Orlando di Lasso, Messen 30-35: Messen aus Sammel- und Einzeldrucken 1570–1588. Kassel 1967 (Lasso, Sämtliche Werke N. R. 7) S. 49. Wolfgang Boetticher, siehe Anm. 1, S. 343. Ibidem, S. 235. Gernot Gruber, Beiträge zur Geschichte und Kompositionstechnik des Parodiemagnificat in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Graz: masch. phil. Diss. 1964. Orlando di Lasso, Primo libro de motetti a 5 e a 6v., Antwerpen 1556, in: Orlando di Lasso, Magnum operum musicum. Lateinische Gesänge für 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 und 12 Stimmen. In Partitur gesetzt von Carl Proske, krit. durchgesehen und red. von Franz Xaver Haberl, Theil 6. Leipzig 1900 (Lasso, Sämtliche Werke, Alte Ausgabe 11) S. 122, a 6v. Hellmut Federhofer, Musikpflege und Musiker am Grazer Habsburgerhof der Erzherzöge Karl und Ferdinand von Innerösterreich (1564–1619). Mainz 1967, S. 243. Wolfgang Boetticher, siehe Anm. 1, S. 235.
Kompositionen von Orlando di Lasso
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Notenbeispiele der genannten Motetten noch durch vergleichende Betrachtung mit Kompositionen der Wiener Hofkapelle oder den ihr nahestehenden Komponisten auch nur annähernd belegt wurden. Somit scheint es reizvoll, die sicher auszumachenden Dedikationskompositionen für den Grazer Hof, speziell aber diejenigen des Kaiserhofes daraufhin zu betrachten, ob es in der Tat zu einer solch charakteristischen stilistischen Ausprägung von Widmungswerken kam und ob dann diejenigen, die dem Kaiserhaus zugedacht waren, sich noch durch besondere Merkmale hervortun. Als weiteres Vergleichsmaterial sei ferner ein Band „Staatsmotetten“ für Erzherzog Karl II. von Innerösterreich herangezogen, den Albert Dunning herausgegeben hat, um zu überprüfen, ob vielleicht auch in diesem Konvolut Spezifika einer „Dedikations-Komponierweise“ auszumachen sind11. Diese Sammlung enthält auch je eine Komposition von Jacobus de Brouck und Johannes Castileti, Komponisten, die in Verbindung mit der kaiserlichen Hofkapelle in Wien standen (es handelt sich um die Motetten Carole qui lato von Brouck und Carole ter felix von Castileti). Die 8stimmige Doppelchor-Motette Quid vulgo memorant? ist antiphonal angelegt: Die beiden eröffnenden rhetorischen Fragen lauten sinngemäß: Woran erinnert man sich im Volk? Welche Neuigkeiten verbreiten sich im Volk? – sie werden vom antwortenden Chor dahingehend gelöst, daß sie auf den hochherzigen österreichischen Kaiser verweisen, dessen Ruhm bis an die Grenzen des Reiches dringe. Erst im letzten Drittel der Komposition beim Text „vade columna“ werden beide Teilchöre zusammengeführt. Natürlich stimmen beide Formationen am Schluß in den verherrlichenden Jubel „Vivat Rex, vivat per saecula, vivat Augustus patriae, vive Rudolphe, pater“ gemeinsam ein. Der Text der zweiten 8stimmigen Huldigungsmotette an Rudolf II. erfordert schon zu Beginn ein Zusammengehen der beiden Chöre: Ergo rex vivat, per saecula mille rex tantus. Auch in dieser Komposition läßt sich das Princip von Quid vulgo memorant? beobachten, daß nämlich an Textstellen, die ein Auseinandergehen, ein responsoriales Verhalten möglich machen, die jeweils vierstimmigen Teilchöre auseinandergehen. Es scheint so, als wenn durch dieses Kompositionsprinzip eine weitausgreifende bildlich gewordene Verräumlichung des Herrschaftsbereichs des zu Huldigenden sinnlich 11
Albert Dunning (Hg.), Staatsmotetten für Erzherzog Karl II. von Innerösterreich. Graz 1971 (Musik alter Meister 21/22).
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gemacht worden wäre. Die eigentliche Huldigung geschieht hier ebenfalls natürlich durch beide Chöre zusammen, „[...] sine fine dierum“, mit der das Werk endet. Betrachtet man nun die beiden Motetten, die eindeutig als Huldigungswerke ausgewiesen sind, auf die Kriterien hin, die uns Boetticher als vermeintlich stilkennzeichnende vorgegeben hat, einen Stiltypus meinend, der sich am Wiener Kaiserhof, aber auch in Innsbruck beobachten ließe – auf diese beiden Kompositionen bezogen, vor allem den fanfarenhaften absteigenden Dreiklang, aber auch die erwähnte „Beschränkung des Bildvorrats auf einfachste Verhältnisse (hoch-tief, laufen, Weite etc.)“12 –, so kann bei aller waltenden Akribie dieser deskriptive Katalog an keiner Stelle belegt werden. Um das erste Belegmaterial für einen vermeintlich typischen Kaiserhofstil vorsichtig zusammenzutragen, müssen unserer Ansicht nach andere Merkmale genannt werden, die in den Kompositionen tatsächlich vorhanden sind. Notenbeispiel 1
Es scheint fast eine Selbstverständlichkeit zu sein, daß in einer Huldigungskomposition der Widmungsträger musikalisch-figürlich besonders hervorgehoben wird, wie es im Notenbeispiel 1 sehr deutlich mit Kaiser Rudolf geschieht. Der melodische Verlauf bei „Rudolphum“ wirkt wie ein epitheton ornans, wohingegen der abwärts- und unmittelbar folgend aufwärtsgerichtete Lauf im Umfang einer None vielleicht nicht nur ausschmückend zu verstehen ist. Es ist sicherlich kein Zufall, daß die Figur der Katabasis noch an anderen Stellen auszumachen ist, die in gedanklicher Nähe zum aufgezeigten Beispiel stehen. Das Wort „fama“ wird gleich nach Beginn der Komposition in allen Stimmen ausgeziert durch Diminution, wobei in Tenor und Bassus ein absteigender Verlauf auftritt.
12
Wolfgang Boetticher, siehe Anm. 1, S. 235.
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Notenbeispiel 2
Zwar sind die abwärtsgerichteten Läufe nicht in gleich großem Umfang wie bei „Caesar“, jedoch scheint die Bezogenheit deutlich zu sein. Eine weitere verwandte Stelle ergibt sich zu Beginn des zweiten Choreinsatzes beim Text „ferunt magna“, wobei hier vor allem das Wort „magna“ im Altus besondere Beachtung verdient, ebenso die zweimalige Anabasis in Tenor und Baß bei gleichem Wort. Notenbeispiel 3
Ein weiterer Beleg unserer Vermutung, daß die Wörter des Bedeutungsfeldes „Kaiser“, „Ruhm“ und „magna caterva“ auch musikalisch ähnlich ausgestaltet werden, findet sich beim – so scheint es wenigstens – alles erklärenden Wort „finibus Austriacis“.
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Notenbeispiel 4
Die Katabasis auf der ersten Worthälfte vermag auf die Verwandtschaft der Gestaltung aller anderen genauso gearteten Stellen hinzuweisen und gleichzeitig die Erklärung für eine so gewählte Darstellung zu bieten. Aufzuführen wären noch die gleichen Figuren bei „vade“ – eine Anabasis durch eine Septime – und bei „Rudolphe pater“ – Oktavsprung nach unten, dann Anabasis durch den ganzen Oktavraum –, womit eine hinreichende Menge von gleichgearteten Belegstellen vorliegt. Die Gleichförmigkeit der Gestaltung scheint darauf hinzuweisen, daß sich die Fama der Hochherzigkeit des Kaisers Rudolf nicht nur durch die österreichischen Länder, sondern auch unter den „germanis populis“ verbreitet, gewissermaßen diese Länder von Grenze zu Grenze „durchlaufend“, wie es musikalisch in Form des Oktavlaufs, gar im Umfang einer None, als eine Grenzüberschreitung gestaltet wurde. Ohne alle im musikalischen Text sicherlich noch vorhandenen, Inhalt gestaltende Figuren aufzuführen, vermag dieses Beispiel schon zu belegen, daß sich Boettichers anfänglich aufgeführte Behauptung, in den Huldigungskompositionen sei eine „Beschränkung des Bildvorrats“ als ein wesentliches Merkmal feststellbar, wohl in dieser Eindeutigkeit nicht aufrecht erhalten läßt. Die ebenfalls 8stimmige Motette Ergo rex vivat weist einen komplett andersgestalteten Aufbau auf. Der Text nötigt zu einem gleichzeitigen Beginn der beiden Chöre, wodurch der Huldigungscharakter besonders verdeutlicht wird. Ein dreifaches „vivat“ und ein „vivant regi“ unterbricht den Textzu-
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sammenhang: „ergo rex vivat per saecula mille rex tantus, vivant regi qui foedere juncti Austriaci et Boji“. Dieser Text wird in kleine Abschnitte unterteilt und responsorisch-alternierend durch beide Teilchöre zitiert, was wie ein Jubel beider verbundener Volksscharen wirkt. Der Schluß der Komposition mündet in einen allgemeinen Jubel: „sine fine dierum“. Zwar wird immer diese Textzeile alternierend nacheinander in beiden Chören vorgetragen, musikalisch ist jedoch jeder Block anders gestaltet, so daß keinerlei echoartig-vereinfachende Muster auftreten. Ein beträchtlicher Abschnitt wird in beiden Chören wiederholt, die jeweiligen Stimmeinsätze, vor allem des „sine fine“, werden stets in anderer Betonung organisiert, so daß tatsächlich ein Eindruck des „ohne Ende“, des unaufhörlichen Lobpreisens entsteht. In diesem Zusammenhang scheint es naheliegend, Trompeten- oder Fanfaren-Klänge zu vermuten, wie es Boetticher vorschlägt, wobei er jedoch lediglich den „fanfarenhaften Dreiklang meist absteigend“ auszumachen meinte. Eine Dreiklangshäufigkeit ist tatsächlich gegeben. Ob aber dieses Faktum lediglich fanfarenhafte, pomphafte äußere Gestaltung malen soll, muß aufgrund der Lage der Dreiklänge in den Stimmen näher betrachtet werden. Notenbeispiel 5
Der Ausschnitt macht zunächst deutlich, daß die sogenannten Dreiklangsfanfaren bzw. die einfachen gebrochenen Dreiklänge auf- und abwärts in allen Stimmen zu beobachten sind, jedoch in einer Mittellage, die keinen lauten Jubel zuläßt. Es scheint sich um eine tieferliegende Bedeutungsebene
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zu handeln, die vielleicht der zugrundegelegte Text enträtseln kann. Dem „sine fine dierum“ geht unmittelbar das „faxit Deus ille deorum, cui decus immensum constat“ voraus. Man kann sich also fragen, ob die Dreiklangszitate nicht vielmehr auf den Symbolgehalt, also die Dreieinigkeit Gottes verweisen, diese eine figura rhetorica darstellen, die z. B. bei Schneegaß (1591) und später dann ebenfalls bei Lippius (1612) als Trinitätssymbol gedeutet werden13. Nun scheint es jedoch so zu sein, daß diese an einer weltlichen Huldigungsmotette gemachte Beobachtung nicht nur für diesen Bereich allein zutreffend genannt werden kann. In der geistlichen Motette in gleicher Achtstimmigkeit Tui sunt coeli besteht der gesamte zweite Teil über dem Text „praeparatio sedis tuae“ aus absteigenden Dreiklangsbrechungen – worauf bereits Boetticher hinwies14 –, die in diesem inhaltlichen Zusammenhang sicherlich eine gleiche Bildhaftigkeit darstellen, in der Dimensionierung jedoch weit über die Verwendung in der Dedikations-Komposition hinausgehen. Auch kann man eine Gleichartigkeit in der bildlichen Darstellung der Gesamtanlage der Komposition feststellen, wenn man z. B. das Hoch – Tief des „Tui sunt coeli“ gegen das „Et tua est terra“ ansieht. Ein wesentlicher Unterschied besteht, wenn auch nur ein rein äußerlicher, in dem Stimmenumfang von weltlicher und geistlicher 8stimmiger Motette. Die beiden kurz erläuterten Huldigungs-Kompositionen weisen einen auffallend engen Gesamtstimmumfang auf: in Quid vulgo übersteigt der Cantus nur an der Stelle „vade pater“ den erwarteten Umfang von g – d”, was sicherlich mit zur Bildlichkeit der Komposition zu rechnen ist. In der geistlichen Komposition jedoch läßt sich beobachten, daß der Cantus des ersten Chores – das Werk würde man dem G-Dorischen zuordnen – des öfteren den Spitzenton g” zu singen hat und sich darüber hinaus fast nur in der Quarte d” – g” bewegt, wohingegen der Cantus des zweiten Chores nur das d” erreicht. Sicherlich spiegelt sich in dieser Feststellung die anfänglich erwähnte Beobachtung des Gegeneinandersetzens von Himmel und Erde. Auch die Motette Ergo rex vivat, die wohl dem G-Mixolydisch zuzuordnen ist, weist den gleichen Stimmumfang wie Quid vulgo auf.
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Cyriacus Schneegass, Isagoges musisae [...]. Erfurt 1591; Johann Lippius, Synopsis musicae [...]. Straßburg 1612. Vgl. Rolf Dammann, Der Musikbegriff im deutschen Barock. Köln 1967, S. 414. Wolfgang Boetticher, siehe Anm. 1, S. 235.
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Sicherlich: um überhaupt einen möglichen Unterschied zwischen weltlichkaiserlicher Huldigung und geistlichem Werk benennen zu können, reichen die aufgeführten Beispiele nicht aus, können bislang nur Vermutungen zulassen. Hellmut Federhofer benennt eine andere Huldigungsmotette Orlandos, die dieser aus Anlaß der Hochzeit Erzherzog Karls schuf, womit der enge Kontakt zum Grazer Hof nachgewiesen ist, obwohl Lasso, wie bereits erwähnt, wohl niemals persönlich dort gewesen sein dürfte15. Gemeint ist die 6stimmige Motette Heroum soboles, die bereits 1556 in Antwerpen erschien. Mit diesem Werk ist jedoch die Präsenz Orlandos in Graz nicht erschöpft, was Gernot Gruber an einigen Kompositionen nachweisen konnte, denen Werke des vielerorts geachteten Münchner Meisters als Modell dienten16. In dieser Motette fällt zunächst eine homophone, akkordische Blockhaftigkeit bei den Textstellen „Carole“ und „aflicto musarum“ auf, die eine besondere Form der Huldigung darstellen mag. Darüber hinaus ist der Gesamtduktus rhythmisch unkomplizierter, weniger verzahnt als die beiden KaiserDedikationen. Wenn eine rhythmische Verzahnung vorkommt, dann ist diese fast nur in einer Stimme zu beobachten, während die anderen zusammengehen. Aus dem vermeintlichen Befund einer konstatierten Schlichtheit Schlüsse dahingehend zu ziehen, daß Orlando bewußt eine graduelle Unterscheidung zwischen Kaiser- und Erzherzogshof vornahm, verbietet wiederum der nicht ausreichende Belegbestand an eindeutig auszumachenden Kompositionen. Vielleicht vermag ein Blick in die Sammlung Pietro Giovanellis Novus Thesaurus Musicus eine Erhellung bringen, da in ihr eine Menge von Dedikationskompositionen ebenfalls an den Kaiserhof in Wien und andere Höfe enthalten ist, jedoch von anderen Komponisten17. Es seien aus dem stattlichen Fundus drei ausgewählt: Jacobus Vaets Qui gerit Augustini Diademata Caesaris Ales, 4stimmig, „In laudem Invicitissimi Romanorum Imperatoris Maximiliani II.“, ferner eine 6stimmige Motette von Jacobus de Brouck, Ut vigilum densa silvam cingente corona, mit gleicher Dedikation, und ein 8stimmiges Werk von Christiaan J. Hollander, Austria virtute aquilas Augustaque signa, ohne persönliche Widmung, aber „in laudem inclitae domus Austriae“. 15 16 17
Hellmut Federhofer, siehe Anm. 9, S. 243. Ibidem, S. 243. Pietro Giovanelli (Hg.), Novus Thesaurus Musicus (1568), Book 5, hg. von Albert Dunning. New York 1974 (Corpus Mensurabilis Musicae 64).
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Ohne Frage: schon nach kurzer Betrachtung wird in allen Kompositionen eine hohe Kunstfertigkeit deutlich, sei es die filigrane Wortausdeutung in Qui gerit (besonders hervorgehoben sei das „sceptris“ und „generose“), wie überhaupt diese geringstimmige Komposition den Eindruck eines kammermusikalischen Werkes hinterläßt, in dem dem Detail und der engmaschigen Verarbeitung und Zusammenführung der Themeneinsätze besondere Aufmerksamkeit zukommen kann; das größer dimensionierte Ut vigilum ist in seiner zurückhaltenderen Polyphonie mehr auf wirksame Klanglichkeit angelegt und schon eher eine Komposition für eine prunkvolle Gelegenheit, der Austria virtute ganz ausschließlich zuzurechnen ist. Die Achtstimmigkeit ist nicht in zwei korrespondierenden Chören oder in der Coro-spezzato-Technik konzipiert, sondern weist an vielen Stellen und über lange Strecken eine sich abwechselnde Vierstimmigkeit auf, da sich jeweils Cantus, Altus, Sextus, Bassus mit Cantus secundus, Quintus, Tenor, Bassus secundus im Singen und Pausieren abwechseln. Nur wenige homophone Stellen lassen sich erkennen: „Austria“ und, was nicht verwundert, „et toti“, wozu noch kurz vor dem Ende der Komposition ein „faveant“ kommt. Besonders kunstvoll gestaltet sind die zwei vierton-motivischen Stellen bei „obvia fit“ und „vera cano“, die rhythmisch gleichgestaltet sind und in ihrer anfänglichen Punktierung und dem schnellen Stimmenwechsel eine plötzliche Lebendigkeit in die großflächige Komposition bringen. Die sich abwechselnde Vierstimmigkeit bringt natürlich die Möglichkeit mit sich, den stets wiederholten Text in ganz anderer Klangfarbengestaltung zu erleben. Alle drei Komponisten standen wenigstens zeitweilig in kaiserlichen Hofdiensten in Wien. Ihre drei kurz vorgestellten Werke werfen die Frage auf, zu welchen Anlässen und für welche Orte sie geschaffen wurden, was natürlich wesentlich für die letztendlich dargebotene Gestaltung sein dürfte. Von diesem Ansatz aus fällt es noch schwerer, allgemeine Kriterien eines Hofmusikstils zu erarbeiten. Kehren wir nach diesem Vergleichs-Exkurs zu den Werken Orlando di Lassos zurück: Das übergangslose Nebeneinanderhalten seiner Werke scheint deutlich zu machen, daß sie mehr „gearbeitet“ sind, um einen späteren Terminus anzuwenden, ja die Kunstfertigkeit, das Beherrschen und fast spielerisch gekonnte Umgehen mit kompositorischen Mitteln wird bei ihm bis zur Ausarbeitung einiger „Kabinettstückchen“ getrieben. Als Beispiel sei die Stelle „rex tantus“ aus Ergo rex vivat angeführt.
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Notenbeispiel 6
Mit dem D unterschreitet der Baß bei „tantus“ den bislang tiefsten Baßton. Nur an dieser Stelle kommt er vor. Noch bemerkenswerter erscheint die Stimmführung im Tenor mit gleichem Text: Quintfall – Oktavsprung, als wenn „per saecula mille rex tantus“ hier musikalisch-bildlich wie in einem Brennpunkt dargestellt werden sollte. Geht man abschließend der Frage nach, ob in Orlando di Lassos Dedikations-Kompositionen für das Kaiserhaus und die innerösterreichischen Erzherzöge, von denen uns für letztere lediglich ein Beispiel zweifelsfrei vorliegt, spezifische Stilkriterien festgemacht werden können, so kann doch trotz der erwiesenermaßen problematischen Quellenlage – nur wenige eindeutig zuzuweisende Kompositionen, fehlende Hinweise zu Anlaß- und Aufführungsort-Gegebenheiten – als Ergebnis dieser kurzen Studie festgehalten werden, daß durch Vergleich mit eigenen Werken und mit denjenigen anderer beim Münchner Meister eine klar auszumachende Darlegung seiner hohen Künstlerschaft zu erkennen ist. Es scheint im Falle Orlandos eher in dieser Hinsicht eine besondere Gestaltungsart auszumachen zu sein als in der Art, die Boetticher, wie anfänglich erwähnt, gar als ein stilistisches Spezifikum der Wiener Hofmusik allgemein erkannt zu haben glaubte. In den Werken der von ihm benannten Komponisten war keinerlei Charakteristikum in der Art des „akkordisch schwingende(n)r, dreiklangsbetonte(n)r Typus“ oder der anderen oben genannten Kriterien einer „Gelegenheitskunst“ auszumachen. Die vorkommende Dreiklangsgestaltung unterlag, wie gezeigt, wesentlich anderen Deutungs-Zusammenhängen. Was die Werke Orlando di Lassos in diesem Zusammenhang anbelangt, sei herausgestellt, daß sie sich eher durch eine individuell ausgezeichnete Künstler-
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schaft darbieten als durch eine Anpassung an einen vermeintlich bestehenden wie auch immer gearteten Hofmusikstil. Es kam Orlando anscheinend wohl mehr darauf an, seine unangefochtene Kunstfertigkeit in solchen Dedikationen offenzulegen als ein stilistisch angepaßtes Werk zu liefern. Vielleicht muß man seine an den Wiener Kaiserhof und die innerösterreichischen Höfe in Graz und Innsbruck gelieferten Kompositionen in dem Sinne verstehen wie die Prophetiae Sibyllarum und die Psalmi Davidis Poenitentiales, die wegen ihrer außergewöhnlichen und hervorragenden Gestaltung dadurch ausgezeichnet wurden, daß Herzog Albrecht sie zeit seines Lebens seiner Kunstkammer einverleibte. In Orlandos Verständnis wäre dann ein Widmungswerk an einen kaiserlichen oder erzherzoglichen Adressaten per se nur in einer herausgehobenen Form gestaltet denkbar, um die beiderseitige Sonderstellung nachdrücklich zum Ausdruck zu bringen.
Markus Grassl (Wien)
Instrumentalisten und Instrumentalmusik am kaiserlichen Hof von 1527 bis 1612 Fakten – Hypothesen – Fragen Im folgenden soll zusammengestellt werden, was sich nach derzeitigem Kenntnisstand über die Instrumentalmusikpflege am Hof der österreichischen Regenten und Kaiser Ferdinand I. (1521/22 bzw. 15581 bis 1564), Maximilian II. (bis 1576) und Rudolf II. (bis 1612) an Fakten feststellen läßt. Diesen Sektor einmal gesondert zu untersuchen, d. h. nicht wie sonst üblich als Teil oder im Kontext der Hofmusik bzw. Hofmusikkapelle insgesamt zu behandeln, erscheint angesichts zweier, für sich genommen wohlbekannter Tatsachen gerechtfertigt, wenn nicht geboten: zum einen der ungebrochenen Bedeutung des kaiserlichen Hofes als eines der ersten musikalischen Zentren Europas – einer Bedeutung, die sich nicht zuletzt der ausgedehnten wie ambitionierten musikalischen Patronage der habsburgischen Kaiser auch in der Ära zwischen Maximilian I. und den barocken Monarchen seit Ferdinand III. verdankt2; zum anderen der dynami1
2
Ferdinand I. trat bekanntlich 1521/22 die Herrschaft in den österreichischen Erbländern an, wurde 1527 böhmischer König und schließlich 1558 als Nachfolger seines Bruders Karl V. römisch-deutscher Kaiser. Eine Bedeutung, die nicht nur im „populären“ Geschichtsbild als musikalisch weniger glanzvoll wahrgenommen werden dürfte; symptomatisch ist, wenn das den Habsburgern gewidmete Kapitel im Renaissance-Band der institutionengeschichtlichen Man & Music–Reihe nur dem Hof Maximilians und seiner burgundischen Nachfolger gewidmet ist; siehe Martin Picker, The Habsburg Courts in the Netherlands and Austria, 1477–1530, in: Iain Fenlon (Hg.), The Renaissance. From the 1470s to the End of the 16th Century. London 1989 (Man & Music 2) S. 216-242. Vgl. dagegen von der mittlerweile ausgedehnten Sekundärliteratur fürs Erste nur die Überblicksdarstellungen von Walter Pass, Reformation und katholische Erneuerung, in: Rudolf Flotzinger – Gernot Gruber (Hg.), Musikgeschichte Österreichs 1. Wien–Köln–Weimar 1995, S. 215-244, und Robert Lindell, Music at the Imperial Court after Charles V, in: Jean-Michel Vaccaro (Hg.), Le Concert des voix et des instruments à la Renaissance. Actes du XXXIVe Colloque Internationale d’Etudes Humanistes. Tours 1991. Paris 1995, S. 273-285, die Standardwerke von Othmar Wessely, Arnold von Bruck. Leben und Umwelt. Mit Beiträgen zur Musikgeschichte des Hofes Ferdinands I. von 1527 bis 1545.
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schen Entwicklung, die das Musizieren auf Instrumenten während des 16. Jahrhunderts nahm, und die sich, um nur die markantesten Aspekte zu nennen, in einem massiven Verschriftlichungsschub, einer generell stark wachsenden Relevanz in Musikleben und -kultur sowie schließlich um 1600 in der Ausdifferenzierung einer Instrumentalmusik im modernen Sinn manifestierte, d. h. einer schriftgestützten, von individuellen Autoren getragenen, ausschließlich für Instrumente bestimmten und von vokaler Musik stilistisch und gattungsmäßig getrennten Produktion3. Die Schwierigkeiten, denen die Erforschung der habsburgischen Hofmusik des Spätmittelalters und der beginnenden Neuzeit im Allgemeinen begegnet, treten beim Versuch einer Rekonstruktion der Instrumentalmusikpflege in zum Teil noch verschärfter Weise auf. Natürlich sind am relativ leichtesten Quellen mit Evidenz- bzw. Rechnungscharakter wie Statuslisten bzw. Hofstaatsverzeichnisse, Zahlungs- oder Registraturbücher systematisch zu erfassen und zu erschließen4. Nicht zufällig beruht daher die ausgedehnte, gerade hinsichtlich der Instrumentalmusik aber keineswegs „flächendeckende“, institutionengeschichtliche Literatur primär auf solchen Materialien5. Diese bergen jedoch ihren Erkenntniswert einschränkende
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Wien: masch. Habil.schrift 1958, und Walter Pass, Musik und Musiker am Hof Maximilians II. Tutzing 1980 (Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft 20), sowie Robert Lindell, Music and Patronage at the Court of Rudolf II, in: John Kmetz (Hg.), Music in the German Renaissance. Sources, Style and Contexts. Cambridge 1994, S. 254-271. Vgl. zu diesem Epoche machenden Prozess nur Ludwig Finscher, Instrumentalmusik, in: MGG-Sachteil 4 (1996) Sp. 873-911, insbesondere Sp. 887-905, sowie speziell für Österreich Markus Grassl, Instrumentalmusik, in: Oesterreichisches Musiklexikon 4 (2003) S. 842853, insbesondere S. 844-846. Allerdings ist auch bei diesen Quellen bis zu einem gewissen Grad mit einer lokalen Streuung (über die Wiener Archive hinaus) zu rechnen, wie das erst jüngst ausgewertete, im Badischen Generallandesarchiv Karlsruhe aufbewahrte Verzeichnis des Hofstaats von Maximilian II. am Speyrer Reichstag 1570 zeigt; siehe Thorsten Hindrichs, Die Hofkapelle Kaiser Maximilians II. auf dem Reichstag zu Speyer 1570 und während seiner Wahl zum polnischen König in Wien 1570, in: Mitt. der Arbeitsgemeinschaft für mittelrheinische Musikgeschichte 74/75 (2002) S. 191-209. Zur (eingeschränkten) Aussagekraft dieser Quellentypen aus allgemeiner historiographischer Perspektive vgl. Jaroslava Hausenblasová, Die „Höflinge“ des Kaisers Rudolf II. Beitrag zur Begriffsbestimmung, in: Lubomír Konecny (Hg.), Rudolf II, Prague and the World. Papers from the International Conference Prague, 2–4 September 1997. Prag 1998, S. 239-243, hier S. 240 f. So sind die letzten Jahre der Regentschaft von Ferdinand I. (ab 1545, d. h. dem Ende des Beobachtungszeitraums von Othmar Wessely [siehe Anm. 2]) monographisch nicht aufgearbeitet. Smijers’ grundlegende Archivstudien setzen zwar 1543 an, erfassen aber nur die Angehörigen der Kapelle, lassen also – von den Organisten abgesehen – die In-
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oder zumindest diffizile interpretatorische Fragen aufwerfende Probleme, die im wesentlichen in zwei Punkten zusammengefasst werden können: Erstens orientieren sich die Hofdokumente an jener aus dem spätmittelalterlichen „burgundischen Erbe“ der Habsburger stammenden und am Kaiserhof bis in das frühe 17. Jahrhundert weitertradierten administrativen Ordnung, die auf der Trennung zwischen der Kapelle, d. h. dem Klerikerund Sängerverband einschließlich Organist und Hilfspersonal mit geistlichliturgischer Funktionsdefinition, und den organisatorisch der sogenannten Stallpartei zugehörigen Trompetern als sozusagen weltlichem Repräsentationsmittel beruht6. Ergänzt bzw. modifiziert wurde dieses Muster lediglich durch die seit Maximilian II. greifbare Kategorie der „Kammermusik(er)“, allerdings in einer, wie zu zeigen sein wird, nicht immer konsequenten bzw. konsistenten Weise. Vor allem aber liegt die (formale) organisatorische Struktur gleichsam quer zu jenem fundamentalen (faktischen) Prozess in der Hofmusik des 16. Jahrhunderts, der in Richtung eines Zusammenwirkens von Instrumentalisten u. a. aus dem Trompeterkorps und Sängern der Kapelle sowohl im liturgischen wie im weltlichen Bereich ging, und der an einzelnen Höfen (wie dem Münchener oder dem Dresdner) auch normativen Niederschlag in Kapellordnungen fand, welche die Kantorei explizit zu weltlichen Aufgaben verpflichteten, umgekehrt die Trompeter dem Kapellmeister unterstellten – und damit die Säkularisierung der Institution bewirkten7. Ein Teilaspekt der Diskrepanz zwischen organisatorischem Schema und musikalischer Realität ist zudem die Verwendung von (büro-
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strumentalisten unberücksichtigt; siehe Albert Smijers, Die kaiserliche Hofmusik-Kapelle von 1543–1619. [I.]–IV. Teil, in: StMw 6 (1919) S. 139-186, 7 (1920) S. 102-142, 8 (1921) S. 176-206, 9 (1922) S. 43-81. Für die Ära Rudolfs II. liegt neuerdings vor: Jaroslava Hausenblasová, Der Hof Rudolfs II. Eine Edition der Hofstaatsverzeichnisse 1576–1612. Prag 2002. Eine Darstellung unter musikhistorischer Perspektive und auf der Basis zusätzlicher Archivalien existiert nur für die Jahre 1600 bis 1605: Monika Rosenberg, Musik und Musiker am Hof Kaiser Rudolfs II. im Spiegel der Hofzahlamtsbücher. Wien: Dipl.arb. 2003. Diese Struktur der kaiserlich-habsburgischen Hofmusik wurde im musikwissenschaftlichen Schrifttum oft erwähnt; vgl. an neuerer historischer den „Hoforganismus“ umfassender charakterisierender Literatur nur Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 75-77 und 100-103; Thomas Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter. Wien 2003 (Österreichische Geschichte 1522– 1699) Bd. 1, S. 178-191. Eingehend hat diesen „Strukturwandel“ Erich Reimer, Die Hofmusik in Deutschland 1500–1800. Wandlungen einer Institution. Wilhelmshaven 1991 (Musikwissenschaftliche Taschenbücher 112) S. 22-69, beschrieben.
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kratisch hinreichenden, in musikalischer Hinsicht aber pauschalen bzw. ungenauen) Bezeichnungen wie „Trompeter“, „cammermusicus“ oder bisweilen überhaupt nur „musicus“, die eine präzise Bestimmung von Aufgaben bzw. Betätigungen der betreffenden Person nicht gerade erleichtern. Besonders schwer ins Gewicht fällt zweitens, daß die administrativen Quellen nur den „offiziellen“, d. h. jenen Teil des höfischen Musiklebens wiedergeben, für den fest in den fürstlichen Haushalt integriertes Personal sorgte. Eine Reihe von Hinweisen deutet freilich darauf hin, daß gerade zur Instrumentalmusikpflege in einem nicht unerheblichem Ausmaß Akteure beitrugen, die nicht oder nur am Rande in den Hofakten dokumentiert wurden. So ist mit kurzfristiger oder fallweiser Beiziehung durchreisender oder auswärtiger Kräfte zu rechnen8, etwa der städtischen Musiker des jeweiligen Aufenthaltsorts (wie beispielsweise eine zeitgenössische Zeichnung der Ehrenpforte für Maximilian II. in Nürnberg anläßlich seines Besuchs 1570 zeigt, auf der die Stadtpfeifer und der Organist an St. Sebald, Hans Haiden, positioniert sind9). Zu erinnern ist weiterhin an die von Robert Lindell „entdeckten“ und im Wesentlichen in der Korrespondenz Maximilians II. und panegyrischen Canzonen- bzw. Chansontexten greifbaren de facto-Angehörigen der kaiserlichen Kammermusik: den zeitweise den Medici dienenden Organisten und Komponisten Stefano Rossetti, der während der 1570er Jahre offenbar relativ intensive Beziehungen zum Wiener Hof unterhielt, welche sich in gelegentlichen Auftritten, der Übersendung von Kompositionen und der Vermittlung bzw. Empfehlung von
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Die zumindest teilweise eine Spur in der gar nicht seltenen (aber nur ausnahmsweise begründeten) Anordnung von Gnadengeldern oder Geschenken an nicht dem Hofstaat angehörige Musiker hinterlassen haben könnte. Siehe die Zusammenstellung solcher Zuwendungen bei Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 273-302, die auffällig oft Instrumentalisten, insbesondere Trompetern, gewährt wurden. Siehe Rudolf Wagner, Artikel „Haiden“, in: MGG 5 (1956) Sp. 1324-1328, hier Sp. 1325 f., sowie eine Reproduktion der Zeichnung ibidem, Tafel 57 bei Sp. 1311. Auch bei dem aus einem Zinkenisten, zwei Posaunisten, zwei Schalmei- und einem Dulzianspieler bestehenden Ensemble auf der Ehrenpforte zum feierlichen Einzug Rudolfs II. in Breslau 1577 könnte es sich um die lokalen Stadtpfeifer handeln (wenngleich dies nicht definitiv nachweisbar ist); siehe ein Faksimile des betreffenden Stichs in Walter Salmen, Musikleben im 16. Jahrhundert. Leipzig 1976 (Musikgeschichte in Bildern III/9), Abb. 125 (S. 177), sowie bei Lindell, Music and Patronage, siehe Anm. 2, S. 259 f.
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Musikern manifestierten10, und die 1570 von de Monte in Mecheln angeworbene Martha (Ordelwring?), die als Lautenistin, Cembalistin (und Sängerin) exzellierte11. Unter der Voraussetzung eines Interesses an der höfischen Musikkultur in ihrer gesamten Breite ist schließlich zu berücksichtigen, daß sich auch Mitglieder der kaiserlichen Familie bzw. der adeligen Hofgesellschaft am Instrument betätigt haben dürften. Der weithin informelle Charakter dieser dementsprechend nur sporadisch dokumentierten Musikausübung macht eine nähere Einschätzung von Quantität wie Qualität unmöglich; angesichts der im 16. Jahrhundert europaweit steigenden Bedeutung des Laienmusizierens innerhalb der sozialen Eliten könnte es sich aber um eine nicht ganz nebensächliche Komponente des Musiklebens auch am Hof der österreichischen Regenten gehandelt haben12. Konkrete Indizien (die vielleicht nur „die Spitze eines Eisbergs“ darstellen) sind die Unterweisungen am Tasteninstrument, welche die Töchter Ferdinands I. (durch Organisten der in Innsbruck stationierten Kapelle Annas von Un-
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Robert Lindell, Filippo, Stefano and Martha: New Findings on Chamber Music at the Imperial Court in the Second Half of the 16th Century, in: Angelo Pompilio u. a. (Hg.), Trasmissione e recezione delle forme di cultura musicale. Atti del XIV Congresso della Società Internazionale di Musicologia. Bologna 1987, Bd. 3: Free Papers. Turin 1990, S. 869-875; ders., New Findings on music at the court of Maximilian II., in: Friedrich Edelmayer – Alfred Kohler (Hg.), Kaiser Maximilian II. Kultur und Politik im 16. Jahrhundert. Wien–München 1992 (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 19) S. 231-245; ders., Stefano Rosetti at the Imperial Court, in: Siegfried Gmeinwieser – David Hiley – Jörg Riedlbauer (Hg.), Musicologia Humana. Studies in Honor of Warren and Ursula Kirkendale. Florenz 1994, S. 157-181. Vgl. zu Leben und Wirken Rossettis außerhalb des kaiserlichen Hofs das Vorwort in: Stefano Rossetti, Sacrae Cantiones, hg. von Allen B. Skei. Madison 1973 (Recent Researches in the Music of the Renaissance 15) S. IX f. Siehe, neben den in Anm. 10 genannten Arbeiten, Robert Lindell, Marta gentil che’l cor m’ha morto. Eine unbekannte Kammermusikerin am Hof Maximilians II., in: Musicologica Austriaca 7 (1987) S. 59-68. Die Musikerin könnte mit Martha Ordelwring identisch sein, die in erster Ehe mit Mauro Sinibaldi, in zweiter mit Carlo Ardesi verheiratet war. Siehe auch Clemente Lunelli, Notizie di alcuni musicisti a Praga nel cinquecento dagli atti di un nataio di Trento, in: Atti dell’ accademia roveretana degli agiati. Contributi della classe di scienzie filosoficostoriche e di lettere. Calliano 1975 (Estratto degli anni accademici 220-223, Serie IV, 1970– 73) S. 137-142. Vgl. Linda Maria Koldau, Frauen – Musik – Kultur. Ein Handbuch zum deutschen Sprachgebiet der Frühen Neuzeit. Köln–Weimar–Wien 2005, S. 39-81, wo die vorhandenen Informationen zur musikalischen Aktivität weiblicher Angehöriger der habsburgischen Höfe zusammengetragen werden.
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garn)13 und Maximilians II. (durch den Hoforganisten Guilelmus Formellis)14 empfingen15. Als nicht minder schwierig erweist sich die Quellenlage, was das am Hof verfügbare Instrumentarium betrifft. Relativ zahlreiche und detaillierte Nachrichten liegen zu zwei ganz bestimmten Instrumenten vor: der 1567 fertig gestellten Orgel im Prager Dom und dem berühmten Clavicymbalum universale seu perfectum von Carl Luython (wir verdanken die Informationen im ersten Fall großteils der langwierigen Entstehungsgeschichte und den anschließenden Kontroversen um die Renovierung der Orgel16, im anderen Fall den außergewöhnlichen Eigenschaften dieses enharmonischen Cembalos, das u. a. von Praetorius beschrieben wurde17). Verstreute Hinweise und nach Auflösung der Prager Residenz bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts angelegte (Teil-)Inventare vermitteln einen – wenngleich lückenhaften – Eindruck von den Musikautomaten, Orgeluhren, musikalischen Apparaturen und wie auch immer exzeptionellen Instrumenten, die sich einst in der Kunstkammer Rudolfs II. befanden18. Jedoch ist – anders als von den erz13
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Nachweise bei Walter Senn, Musik und Theater am Hof zu Innsbruck. Innsbruck 1954, S. 51-55. Smijers, siehe Anm. 5, 7 (1920) S. 137; Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 161, 257. Von einer musikalischen Betätigung der Regenten dürfte, soweit ich sehe, nichts Näheres bekannt sein, sieht man ab von der eher pauschalen Aufzählung der Musik unter den Gegenständen des Prinzenunterrichts (der sich bei Ferdinand I. seit 1518 aber immerhin am Hof Margaretes von Österreich in Mecheln abgespielt hat) und einer sporadischen Erwähnung, wonach Maximilian II. gelegentlich für sich selber gesungen habe. Siehe Karl Friedrich Rudolf, „Yo el infante – ich, der Infant“. Ferdinand, „Prinz in Hispanien“, in: Wilfried Seipel (Hg.), Kaiser Ferdinand I., 1503–1564. Das Werden der Habsburgermonarchie [Austellungskatalog Kunsthistorisches Museum Wien 2003] Wien–Mailand 2003, S. 31-51, hier S. 41, sowie Paula Sutter Fichtner, Emperor Maximilian II. New Haven– London 2001, S. 97. Vgl. Smijers siehe Anm. 5, 7 (1920) S. 107-118; Rudolf Quoika, Die Prager Kaiserorgel, in: KmJb 36 (1952) S. 35-46; Thorsten Hindrichs, Philipp de Monte (1521–1603). Komponist, Kapellmeister, Korrespondent. Göttingen 2002, S. 120-123. Näheres bei Adolf Koczirz, Zur Geschichte des Luython’schen Klavizimbels, in: SIMG 9 (1907/08) S. 565-570, und Smijers, siehe Anm. 5, 8 (1921) S. 204-206. Siehe auch Hartmut Krones, Manieristische Tendenzen im musikalischen Umfeld Rudolfs II., in: Elisabeth Fritz-Hilscher – Hartmut Krones – Theophil Antonicek (Hg.), Die Wiener Hofmusikkapelle II: Krisenzeiten der Hofmusikkapellen. Wien–Köln–Weimar 2006, S. 33-59, hier S. 57 ff. Die Belege wurden gesammelt von Klaus W. Niemöller, Musikinstrumente in der Prager Kunstkammer Kaiser Rudolfs II. um 1600, in: Jürgen Schläder (Hg.), Festschrift Heinz Becker
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herzöglichen Höfen in Graz oder Innsbruck – kein Verzeichnis der sozusagen im normalen musikalischen Alltag verwendeten Gebrauchsinstrumente bekannt, sodaß ein besonders für die Rekonstruktion der Ensemblepraxis wertvoller Quellentypus nicht zur Verfügung steht19. Immerhin ist gelegentlich die Anschaffung von Instrumenten dokumentiert, für lange Zeit beziehen sich diese Belege vorwiegend auf Orgeln20, erst ab den 1570er Jahren vermehrt auch auf andere Instrumente21. Der Versuch, eine konkrete Vorstellung von der auf Instrumenten produzierten Musik selbst zu gewinnen, sieht sich vor das Problem gestellt, daß diese auch noch im 16. Jahrhundert zu einem großen Teil entweder schriftlose Praxis war oder in der Wiedergabe original vokaler Sätze bestand. Im ersten Fall ist man im wesentlichen auf Rückschlüsse aus dem allgemein über instrumentale (Stegreif-)Praktiken Bekannten angewiesen, im zweiten Fall konvergiert die am Hof gepflegte „Instrumentalmusik“ tendenziell mit dem gesamten dort präsenten Werkbestand. Immerhin kann das Repertoire seit etwa der Mitte des Jahrhunderts insofern etwas näher bestimmt werden, als seit damals in wachsendem (und zusammengenommen beachtli-
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zum 60. Geburtstag. Laaber 1982, S. 332-341. Zu ergänzen ist ein von Arcimboldo zusammen mit Mauro Sinibaldi konstruiertes synästhetisches Cembalo, das zu den einzelnen Tönen Farben anzeigte; siehe Lindell, Music and Patronage, siehe Anm. 2, S. 267; ders., Music at the Imperial Court, siehe Anm. 2, S. 278. Siehe die Grazer und Innsbrucker Inventare bei Hellmut Federhofer, Musikpflege und Musiker am Grazer Habsburgerhof der Erzherzöge Karl und Ferdinand von Innerösterreich (1564– 1619). Mainz 1967, S. 30, 281-285, und Senn, siehe Anm. 13, S. 166-170. Vgl. Rudolf Hopfner, „Posaun und Zinckhen han wir gestelt zu dem Gesang, wie dann gefelt der Kaiserlichen Mayestat“. Die Kaiserliche Hofmusikkapelle und der Musikinstrumentenbau, in: Günter Brosche et al. (Hg.), Musica Imperialis. 500 Jahre Hofmusikkapelle in Wien 1498–1998. Katalog der Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, 11. Mai – 10. November 1998. Tutzing 1998, S. 262-274, hier S. 265 f., sowie unten Anm. 119. Daneben ist aus dem Jahr 1549 der Ankauf von Pommern dokumentiert; vgl. Smijers, siehe Anm. 5, 8 (1921) S. 189. Der früheste Beleg für den Ankauf eines Streichinstruments, nämlich einer „Geige“ für die kaiserliche Kammer, stammt aus 1571; vgl. dazu Hopfner, siehe Anm. 20, S. 264, und Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 312. Weiterhin ist bekannt, daß für den Hof Maximilians II. ein Trompetenmacher namens Paumhauer tätig war, und daß sich der Hoftrompeter Giuseppe Dusinello 1570 zum Ankauf von (nicht näher spezifizierten) Instrumenten in Venedig aufhielt; siehe ibidem, S. 208 und 312. Schließlich erwähnt Praetorius (Syntagma musicum II. De Organographia, Wolfenbüttel 1619, FaksimileReprint Kassel u.a. 2001, S. 55) eine am Prager Hof vorhandene zwölfchörige Cister; vgl. auch Prag um 1600. Kunst und Kultur am Hofe Kaiser Rudolfs II. Ausstellung Kunsthistorisches Museum Wien [1988/89]. Freren 1988, Bd. 2, S. 273.
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chem) Ausmaß die Instrumentalisten als Komponisten, und zwar auch von Vokalmusik, hervortraten. An Sammelhandschriften oder -drucken mit instrumentaler Musik, die sich direkt mit dem kaiserlichen Hof in Verbindung bringen lassen bzw. dessen Repertoire widerspiegeln, sind (derzeit) nur zwei bekannt: der Tanzdruck der Brüder Hess von 1555 und die (aus dem frühen 17. Jahrhundert stammende, zum Teil aber älteres Material umfassende) Tabulaturhandschrift XIV.714 des Wiener Minoritenkonvents22. Wie sich zeigt, erfordert das Thema also die Auswertung von Quellen aller Art, weit über die „üblichen“ administrativen Archivalien hinaus. Als eine weitere „Quelle“ kommen freilich auch die generellen Entwicklungslinien und Erscheinungen in Instrumentalmusik und instrumentalem Musizieren des 16. Jahrhunderts in Frage. Diese im Auge zu behalten, erlaubt nicht nur eine Einschätzung der eingangs angedeuteten Frage nach der Stellung des Kaiserhofs im allgemeinen historischen Prozeß, sondern kann auch Anhaltspunkte für Rückschlüsse bzw. Interpretationen im Fall lückenhafter oder nicht eindeutiger Dokumentation liefern. In diesem Sinn möchten die folgenden Ausführungen als Grundlage zukünftiger Forschung für das erste die in der Literatur bereits verfügbaren, durchaus zahlreichen Einzelinformationen vor dem Hintergrund genereller Tendenzen zusammenführen. Basis und ständigen Bezugspunkt bildet dabei das Verzeichnis aller derzeit bekannten Instrumentalisten am Hof Ferdinands I., Maximilians II. und Rudolfs II. (siehe Anhang A). Wie an den meisten europäischen Höfen des 16. Jahrhunderts bildeten auch am Hof der habsburgischen Herrscher die Bläser die bei weitem größte Gruppe unter den Instrumentalisten23. In der quantitativen Vorrangstellung manifestieren sich gleichermaßen Bedeutung wie Vielfalt der wahrzunehmenden Aufgaben; dies wiederum korreliert mit einer bereits im späteren Mittelalter einsetzenden Vermehrung von Ensembletypen und parallel dazu einer Ausdifferenzierung der Qualifikationen der einzelnen Spieler. So sind für das 16. Jahrhundert bekanntlich folgende Hauptarten von Bläserformationen zu unterscheiden24: Zunächst das paramilitärische, als Herr22 23
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Näheres zu diesen beiden Quellen weiter unten. Vgl. nur die Aufstellungen bei Martin Ruhnke, Beiträge zu einer Geschichte der deutschen Hofmusikkollegien im 16. Jahrhundert. Berlin 1963, S. 219, 251f., 266f. und 292-300. Vgl. von der umfangreichen Literatur nur den Überblick bei Lorenz Welker, Bläserensembles der Renaissance, in: Basler Jb. für historische Musikpraxis 14 (1990) S. 249-270; ders.,
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schaftssymbol zentrale und daher bei zeremoniell-repräsentativen Anlässen aller Art unerläßliche Korps aus Naturtrompeten und Heerpauken, das in der „klassischen“ Funktionsbeschreibung Sebastian Virdungs aufzutreten hatte, „wan[n] man zu tisch plaset / oder wan ein fürst in ein stat ein reitet / oder außzeucht / oder in d[a]s felt zeucht“25. Neben einstimmigen signalartigen Hervorbringungen wurde eine Stegreifmehrstimmigkeit praktiziert, die spätestens seit Ausbildung des ab den 1470er Jahren belegten Clarinregisters26 distinkte Stimmlagen aufwies und zu einem etwas komplexeren Idiom vorstoßen konnte. Durch die Clarintechnik, die eine Skala oberhalb des achten Partialtons zugänglich macht, waren schlichte mehrstimmige Sätze realisierbar, die eine diatonische Melodie in hoher Lage mit einfachen, auf die unteren Teiltöne beschränkten Stimmen verbanden. Eine genauere Vorstellung von der Trompeter-Ensemble-Improvisation läßt sich erstmals anhand von Cesare Bendinellis (auf 1614 zu datierender, aber auf die Praxis des 16. Jahrhunderts zurückgehender) Trompetenschule Tutta l’arte della trombetta gewinnen27. Der (in einer Art Doppelchörigkeit unter Umständen sogar zweimal) fünfstimmige Satz über einen vorgegebenen, als „Sonata“ bezeichneten Tenor, die zum Teil dem Vokalsatz entlehnten Stimmbenennungen, schließlich die theoretische Behandlung in einer Lehrschrift (die u. a. „Ricercare“ betitelte Übungsstücke enthält) sind dabei als Ergebnis eines Prozesses fortschreitender Artifizialisierung der Bläsermusik zu begreifen. Wesentlich früher hatte ein anderes Ensemble den Anschluß an den Bereich der mensuralen Kunstmusik vollzogen: die sogenannte Blä-
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Die Musik der Renaissance, in: Hermann Danuser (Hg.), Musikalische Interpretation. Laaber 1992 (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 11) S. 146-151. Virdung, Musica getutscht und ausgezogen. Basel 1511, fol. C ivv. Das im 16. Jahrhundert immer wieder belegte „zu Tisch Blasen“ des Trompterkorps meint nicht die eigentliche Tafelmusik, sondern ein Signal-Geben am Beginn des Banketts. Siehe Gerhard Pietzsch, Die Beschreibungen deutscher Fürstenhochzeiten von der Mitte des 15. bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts als musikgeschichtliche Quellen, in: AnM 15 (1960) S. 21-62, hier S. 28. Vgl. dazu im Detail Detlef Altenburg, Untersuchungen zur Geschichte der Trompete im Zeitalter der Clarinblaskunst (1500–1800). Regensburg 1973 (Kölner Beiträge zur Musikforschung 75) Bd. 1, S. 314-350. Die Handschrift wurde von Bendinelli 1614 der Accademia Filarmonica in Verona überlassen. Wie die Datierung einzelner Sätze darin zeigt, geht ihr Inhalt aber zumindest teilweise bis jedenfalls auf die 1580er Jahre zurück. Siehe zu Bendinelli, seiner Schrift und der dort dokumentierten Improvisationspraxis Edward Tarr, Cesare Bendinelli, in: Brass Bulletin 17 (1977) S. 31-45; 21 (1978) S. 13-25, sowie die Faksimileausgabe Cesare Bendinelli, Tutta l’arte della Trombetta, 1614, hg. von Edward Tarr. Kassel u. a. 1975 (Documenta musicologica II/5).
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ser-Alta, die bereits im späteren 15. Jahrhundert komponierte Mehrstimmigkeit (und kontrapunktisch elaborierte Ensemble-Improvisationen) auszuführen vermochte28. In Folge der Integration des Zink in die Alta um 1500 kam es zu einer Ausdifferenzierung einerseits in das im 16. Jahrhundert regelmäßig zur colla parte-Begleitung der Vokalkapelle herangezogene Zink/Posaunen-Ensemble, andererseits in diverse ebenfalls zur Realisierung polyphoner Literatur befähigte und insbesondere für Tanz- und Tafelmusik verwendete Kombinationen von Zink, Posaunen, Pommern und gelegentlich Krummhörnern. Beim Versuch, den Bläserensembles am Hof der österreichischen Regenten auf die Spur zu kommen, stellt sich das Problem eines unspezifischen zeitgenössischen Sprachgebrauchs in besonderem Maß. So werden die Spieler von Blasinstrumenten vielfach pauschal unter dem Überbegriff Trompeter subsumiert – ein Usus, der wohl durch die organisatorische Zusammenfassung in der „Stallpartei“, aber auch den notorischen Umstand bedingt war, daß Spieler von Zink, Posaune, Pommer usw. im Regelfall auch die Trompete beherrschten. Es ist darauf hinzuweisen, daß der in der musikwissenschaftlichen Literatur für solche zur Wiedergabe artifizieller Mehrstimmigkeit qualifizierten Musiker gängige Terminus musikalischer Trompeter (und dementsprechend sein Gegenstück, der für die nur auf der Feldtrompete versierten Spieler verwendete Ausdruck nicht-musikalischer Trompeter) nicht schon aus dem 16. Jahrhundert stammen dürfte. Der früheste derzeit bekannte Beleg für diese Unterscheidung von einem habsburgischen Hof ist eine Statusliste aus dem Jahr 1637 (worin die „tubicines musicales“ von den „tubicines non musicales“ getrennt werden)29. Sehr wohl bedienen sich die 28
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Vgl. dazu ausführlich Keith Polk, German Instrumental Music of the Late Middle Ages. Players, Patrons and Performance Practice. Cambridge 1992. Ludwig von Köchel, Die Kaiserliche Hof-Musikkapelle in Wien von 1543–1867. Wien 1869, Reprint Hildesheim–New York 1976, S. 130. Die Rückprojektion dieser Ausdrücke auf das 16. Jahrhundert geht offenbar auf Köchel zurück, der vermutlich im Wege einer Konjektur auf Basis des Gehaltsunterschieds für 1566/76 vier „musicalische Trompeter“ mit einem Gehalt von 18 fl. und elf mit 15 fl. entlohnte „nichtmusicalische“ nennt (S. 49). Vgl. dagegen den Abdruck der Hofstaatsverzeichnisse dieser Jahre bei Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 361-368. Vgl. außerdem Federhofer, siehe Anm. 19, S. 29 f., der unter ausdrücklichem Hinweis auf Köchel die Unterscheidung zwischen „musikalischen“ und „nicht-musikalischen“ Trompetern übernimmt, jedoch hinzusetzt, daß „die Kapellverzeichnisse [des Grazer Hofs] eine solche Unterscheidung nicht treffen“. Grundsätzlich ist festzuhalten, daß Gehaltsdifferenzen keinen sicheren Anhaltspunkt für die Feststellung der gespielten Instrumente bieten, weil sich in der Höhe der
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Hofakten des 16. Jahrhunderts aber des Ausdrucks „Trompeter und musicus“, doch sollte eine generelle Gleichsetzung vorsichtshalber vermieden, die Bezeichnung also nicht in jedem Fall a priori als Verweis auf einen „musikalischen Trompeter“ genommen werden (wie dies in der Literatur gelegentlich geschieht30). So werden etwa in Hofstaatsverzeichnissen aus der Zeit Rudolfs II. alle in der Rubrik Trompeter angeführten Personen unterschiedslos mit diesem Epitheton versehen (sofern sie nicht als „trometter lehrjung“ ausgewiesen sind)31; es ist also nicht auszuschließen, daß „trommeter und musicus“ spätestens Ende des 16. Jahrhunderts wiederum einen eher unspezifischen Überbegriff darstellte32. Im Zusammenhang gelesen lassen jedoch auch die administrativen Hofdokumente durchaus Differenzierungen innerhalb der großen Gruppe der Trompeter erkennen. Auszugehen ist von den Vorkehrungen Ferdinands I. im Zuge des Aufbaus seiner Hofkapelle 1527. Seit diesem Jahr wurde nicht nur ein (bis 1545 in der Regel aus acht oder neun Musikern bestehendes) Trompeterkorps unterhalten33, vielmehr beschäftigte Ferdinand ab 1528 zusätzlich mehrere Musiker aus dem Hofstaat seiner Gemahlin Anna von Ungarn, die in den Rechnungs- und Gedenkbüchern konsequent als Posaunisten bzw. in einem Fall als Posaunist und Zinkenist ausgewiesen werden. Neben dem bekannten Stephan Mahu handelt es sich um Hieronymus
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Löhne auf je verschiedene und keineswegs systematische Weise diverse Faktoren wie individuelle Fertigkeit, Dienstalter, Fleiß etc. niederschlugen; siehe dazu Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 170. Vgl. beispielsweise Edward Tarr, Die Trompete. Ihre Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Mainz u. a., 3. Aufl. 1994, S. 47. Siehe Gerhard Pietzsch, Zur Musikkapelle Kaiser Rudolfs II., in: ZfMw 16 (1934) S. 171176, hier S. 174 f., und Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 444-447. Siehe das Hofstaatsverzeichnis–Stallpartei von 1612 auch unter http://documenta.rudolphina.org/Regesten/A1612-02-00-02639.xml (aufgesucht am 3.6.2009). In diese Richtung deutet auch, wenn Maximilian II. 1574 dem Trompeter Stefano Cardenaro eine Sonderzahlung gewährt, wobei „die anndern Musici“ – und damit müssen naheliegenderweise (auch) alle anderen Trompeter gemeint sein – „khain wissenschaft darvonbekhumben sollen“. Siehe Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 202. In der Hofstaatsordnung Ferdinands vom 1. Januar 1527 wird die Neunköpfigkeit des Trompeterkorps gleichsam als Richtwert normiert und zudem als einzige, d. h. offenbar für besonders bedeutsam erachtete Aufgabe das „zu tisch plasen“ genannt. Siehe Thomas Fellner – Heinrich Kretschmayr, Die österreichische Zentralverwaltung von Maximilian I. bis zur Vereinigung der österreichischen und böhmischen Hofkanzlei (1749), 1. Abt., 2. Bd. Wien 1907, S. 114, sowie Bruno Hirzel, Dienstinstruktion und Personalstatus der Hofkapelle Ferdinand’s I. aus dem Jahre 1527, in: SIMG 10 (1908/09) S. 151-158, hier S. 154.
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Blasel, Valentin von Straßburg und Rudolphe Nicolas bzw. Thomas de Berzizia34, insgesamt also um vier Posaunisten und einen Zinkenisten – eine Konfiguration, die von Anzahl wie Zusammensetzung her auf ein selbständiges, zur Aufführung mehrstimmiger Kompositionen befähigtes Zink/Posaunen-Ensemble hindeutet. Daß die fünf Musiker in den Hofstaatsverzeichnissen von 1539 und 1541 als „extraordinari diener“ und das heißt zugleich, von den Trompetern gesondert, geführt werden35, mag (auch) durch ihren besonderen Status als Bedienstete der Königin mit einer „Nebenverpflichtung“ im Haushalt Ferdinands zu erklären sein. Zugleich reproduziert sich darin aber ein in den Quellen des 16. Jahrhunderts mehrfach beobachtbares Muster. Schon in der 1519 unmittelbar nach dem Tod Maximilians I. angefertigten Aufstellung des Hofpersonals werden der „pusauner“ Hans Steidl und der berühmte Posaunen- und Zinkenspieler Augustein Schubinger – bekanntlich einer der renommiertesten Instrumentalvirtuosen seiner Zeit36 – eigens, und zwar in der Rubrik „zalschreibern und ander Hofgesind“ genannt37. Der Usus, speziell qualifizierte Bläser hervor- bzw. (von den übrigen) abzuheben, setzte sich das ganze 16. Jahrhundert über fort. In erster Linie betrifft er die Zinkenisten, die immer wieder entweder durch eine Zusatzbemerkung explizit als solche ausgewiesen und/oder in den Hofstaatsverzeichnissen außerhalb der Liste der restlichen Trompeter vermerkt werden38. Entscheidend ist, daß auf diese Weise eine bis in die Ära Rudolfs II. zeitlich nahezu geschlossene Folge von zumindest einem Zinkenisten im kaiserlichen Dienst sichtbar wird. Daß fix mit einem auf dieses Instrument spezialisierten Spieler gerechnet wurde, 34 35
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Siehe dazu und zum folgenden stets die Einzelnachweise in Anhang A. Siehe Hellmut Federhofer, Biographische Beiträge zu Erasmus Lapicida und Stephan Mahu, in: Mf 5 (1952) S. 37-46, hier S. 45. Vgl. Keith Polk, Augustein Schubinger and the Zinck: Innovation in Performance Practice, in: Historic Brass Society Journal 1 (1989) S. 83-92; ders., The Schubingers of Augsburg: Innovation in Renaissance Instrumental Music, in: Friedhelm Brusniak – Horst Leuchtmann (Hg.), Quaestiones in musica. Festschrift für Franz Krautwurst zum 65. Geburtstag. Tutzing 1989, S. 495-503. Siehe Adolf Koczirz, Die Auflösung der Hofmusikkapelle nach dem Tode Kaiser Maximilians I., in: ZfMw 13 (1930/31) S. 531-540, hier S. 533. Im einzelnen handelt sich um folgende Hofstaatsverzeichnisse und Musiker: 1550 und 1551: Freinstain (Wessely, siehe Anm. 2, S. 406-410); 1551, 1554: Strazzacappa (Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 350 und 354; Hellmut Federhofer, États de la chapelle musicale de Charles-Quint (1528) et de Maximilien (1554), in: RB 4 [1950] S. 176-183, hier S. 181); 1570: Zanobi (Hindrichs, siehe Anm. 4, S. 198); 1574, 1576, 1580: Träxl (Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 392; Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 443).
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belegt nicht zuletzt das Hofstaatsverzeichnis von 1574: Es enthält – sozusagen abstrakt – eine eigene, aber leere Rubrik „Zinkchenplaser“ (in einem weiteren Verzeichnis aus demselben Jahr mit nachgetragenen Änderungen nach dem Regierungsantritt Rudolfs II. 1576 scheint dann an dieser Stelle der Name Träxl auf)39. Die in Statuslisten und Hofdokumenten so mancher fürstlicher Haushalte europaweit beobachtbare Tendenz zur gesonderten bzw. ausdrücklichen Erfassung der Zinkenisten40 spiegelt zweifellos deren auch musikalisch zunehmend exponierte Stellung wider41. Unter anderem ist dabei an (solistische) Aufgaben im Rahmen der Kammermusik zu denken. Auf den Einsatz des Zink in dieser „gehobenen“ Sphäre der Musikpflege deutet etwa die Karriere Giovanni Domenico Cappas hin, der in den Zahlamtsbüchern zunächst als „trommeter und musicus“ oder „trompeter“, seit 1572 immer häufiger als „Musicus und Zinkenbläser“ und schließlich in Hofstaatsverzeichnissen der 1580er Jahre als Kammermusiker figuriert42. Weiterhin veranschaulicht das Beispiel Luigi Zanobis das – durch kaiserliche Intervention gestützte – Bemühen um eine Besetzung der Zinkenistenstelle mit einem erstklassigen Spezialisten. Der namhafte, seit 1589 für die d’Este in Ferrara tätige Zanobi43 wurde (im Unterschied etwa zu Cappa) offenbar von vornherein als Zinkenist engagiert – er wird jedenfalls in den Akten von Anfang an als solcher geführt und ist höchstwahrscheinlich auch mit jenem „corneta musico veneziano“ identisch, den abzuwerben Maximilian II. in einem Brief vom April 1569 den Botschafter in Venedig anweist. Überdies versuchte der Kaiser (erfolglos), Zanobi nach dessen Abgang aus Ferrara 1573 neuerlich für den Hof zu gewinnen44. 39 40
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Siehe Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 383, 392. Vgl. eine Reihe von Beispielen bei Georg Karstädt, Zur Geschichte des Zinken und seiner Verwendung in der Musik des 16.-18. Jahrhunderts, in: AfMf 2 (1937) S. 385-430, insbesondere S. 415-418; für den deutschsprachigen Raum vgl. Ruhnke, siehe Anm. 23, und z. B. für Graz Federhofer, siehe Anm. 19, S. 252 f. und 257. Vgl. zur Entwicklung des Zinks, der sich im Laufe des 16. Jahrhunderts ja als Virtuoseninstrument etablierte, die nach wie vor nützliche Darstellung von Karstädt (siehe Anm. 40) sowie die Beiträge im Basler Jb. für historische Musikpraxis 5 (1981; Zink und Posaune. Studien zu Überlieferung, Instrumentenbau und Repertoire). Siehe die Angaben unten Anm. 144. Vgl. Anthony Newcomb, The Madrigal at Ferrara 1579–1597. Princeton 1980, Bd. 1, S. 181-183 (mit allerdings überholten Vermutungen zur Dauer der Anstellung am kaiserlichen Hof). Die näheren Umstände von Zanobis Beziehung zum kaiserlichen Hof wurden von Lindell, New Findings, siehe Anm. 10, S. 238, 242, aufgedeckt.
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Weiterhin läßt sich in mehreren Hofstaatsverzeichnissen der 1560er und 1570er Jahre quasi eine eigene Unterkategorie innerhalb der Auflistung der Trompeter erkennen. Auffällig ist, daß dort auf den sonst üblicherweise an letzter Stelle genannten Heerpauker noch bis zu neun Namen folgen, und/ oder nach der Überschrift „Trommeter“ ein Zusatz „sollen hinfuro sambt den Hörpaugger fünftzehen gehalten werden“ angebracht ist, diese Zahl insgesamt aber (zum Teil erheblich) überschritten wird45. Die Vermutung, daß sich hinter den „zusätzlichen“ Trompetern Experten für mehrstimmige Ensemble-Improvisation oder Angehörige des Zink/Posaunen-Ensembles verbergen, erscheint umso plausibler, als zu den im Anschluß an den Pauker Genannten u .a. der durch sein Lehrwerk bekannte (und seit 1567 am Kaiserhof wirkende) Cesare Bendinelli, der auch als Komponist nachweisbare, d. h. auf dem Gebiet polyphoner Kunstmusik ausgewiesene Giuseppe Dusinello46 und (im Verzeichnis von 1570) der „zingenplaßer“ Luigi Zanobi zählen. Ganz abgesehen davon sprechen freilich allein die Anwesenheit Bendinellis und gelegentliche Hinweise auf Clarinbläser47 für ein hohes Niveau bzw. die Elaboriertheit der kaiserlichen Trompetenmusik. Auf ein Zink/Posaunen-Ensemble nehmen schließlich mehrere Nachrichten ausdrücklichen Bezug. Sie bekräftigen zugleich die naheliegende Annahme, daß zu dessen Aufgaben auch am Kaiserhof die im 16. Jahrhundert allgemein etablierte und bereits von der Kapelle Maximilians I. (als einer der ersten überhaupt) praktizierte Verstärkung des Vokalchors bei der Ausführung von Figuralmusik48 gehörte. Zwei dieser Belege seien wegen ihres 45
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Siehe Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 368, 373 f.; Hindrichs, siehe Anm. 4, S. 198. Von ihm ist eine vierstimmige Missa sine nomine erhalten. Siehe Carmelo Peter Comberiati, Late Renaissance Music at the Habsburg Court. Polyphonic Settings of the Mass Ordinary at the Court of Rudolf II. (1576–1612). New York 1987, S. 54 f. und 99 f.; Lilian P. Pruett, Sixteenth-century manuscripts in Brussels, Berlin and Vienna: Physical evidence as a tool for historic reconstruction, in: RB 50 (1996) S. 73-92, hier S. 91. So berichtet etwa Alexander Orologio in einem Brief an Christian IV. von Dänemark aus dem Jahr 1599 von vier ihm am Prager Hof Rudolfs II. anvertrauten TrompeterLehrjungen, von denen einer „superiorem huius instrumenti vocem, quam Germanico idiomate Clarin appellitant“ hervorragend auszuführen imstande sei. Siehe einen Abdruck dieses Briefs in der Einleitung zu Alessandro Orologio, Intradae quinque et sex vocibus liber primus, hg. von Gioachino Perisan. Udine 1995 (Opera omnia 7) S. 4 f., sowie bei Robert Eitner, Drei Briefe von Alessandro Orologio, in: MfM 31 (1899) S. 42-45. Die bekannteste einschlägige Quelle aus Maximilianeischer Zeit, die mit dem Vers „Posaun und Zinckhen han wir gestelt zu dem Gesang“ versehene Abbildung des Triumphzugs, zählt zu den frühesten Zeugnissen für die seit den 1490er Jahren aufkom-
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weiterführenden Informationswerts erwähnt. Zum einen ein Brief Stefano Rossettis an Maximilian II. vom Dezember 1574. Wenn darin erläutert wird, daß eine (dem Brief angeschlossene) achtstimmige Motette durch zwei beim Altar nahe dem Priester aufgestellte Teilchöre zu je vier Sängern und zwei hinter dem Altar positionierte Gruppen von je drei Posaunen sowie einem „Cornetto permutto“ zu realisieren sei49, so ist das in doppelter Hinsicht bemerkenswert: als Hinweis darauf, daß am kaiserlichen Hof ein zumindest achtköpfiges Zink/Posaunen-Ensemble zur Verfügung stand, und als Dokument für eine von der Autorintention umschlossene (raum)klangliche Vorstellung. Zum anderen für die 1551 erlassene, das „Transportwesen“ regelnde „Fuerordnung“, die den einzelnen Angehörigen des Hofstaats jeweils eine bestimmte Zahl von Wagen und Pferden zuweist. Daß dieses auf die Alltagsrealität bezogene Dokument von „unnserm capelmaister unnd seiner zugehörigen parthei alss organisten, cantores, calcanten, zinckhenplaser [...]“50 spricht, impliziert nicht nur, wie selbstverständlich bereits um die Jahrhundertmitte das Zusammenwirken eines Zinkenisten mit der Vokalkapelle erschienen sein dürfte; vielmehr signalisiert die Zurechnung eines Bläsers zur „Kapellpartei“ (statt wie üblich zur „Stallpartei“), daß auch am Kaiserhof – wenngleich eine „progressive“, die Instrumentalisten in toto dem Kapellmeister unterstellende Kapellordnung nicht erlassen wurde – ein Stück weit die faktischen Verhältnisse auf die Ebene der normativen Regulierung durchschlugen51. Mehrere Quellen schließen sich zu einer Indizienkette zusammen, die nicht bloß ein reines oder mit Posaunen gemischtes Pommernensemble erken-
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mende Verbindung von Zinkenisten, Posaunisten und Kantorei. Vgl. Polk, Augustein Schubinger and the Zinck, siehe Anm. 36; ders., Patronage, Imperial Image, and the Emperor’s Musical Retinue: On the Road with Maximilian I., in: Walter Salmen (Hg.), Musik und Tanz zur Zeit Kaiser Maximilian I. Innsbruck 1992, S. 79-88. Siehe Lindell, Stefano Rosetti, siehe Anm. 10, S. 166, 178. Smijers, siehe Anm. 5, 6 (1919) S. 173. Weitere Belege für das Zusammenwirken von Zink/Posaunen-Ensemble und Vokalchor sind ein (im Zuge der Auseinandersetzungen um die Reparatur der Prager Domorgel verfaßter) Bericht des Hoforganisten Paul de Winde an die böhmische Kammer aus dem Jahr 1588, in dem von den in der Kirche dienenden „instrumentalisten, als zinkenblaser und pusauner“ die Rede ist (Smijers, siehe Anm. 5, 7[1920] S. 118), sowie eine Beschreibung der polnischen Königswahl Maximilians II. 1576 in Wien, die dem in der Landesbibliothek Wiesbaden aufbewahrten Exemplar von Peter Fleischmann, Description des [...] Reichstag zu Augsburg (Augsburg 1582) beigebunden ist, und die ausdrücklich die Mitwirkung von Posaunern im Gottesdienst erwähnt; vgl. Hindrichs, siehe Anm. 4, S. 202.
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nen läßt, sondern auch einen Hinweis auf dessen Repertoire gibt. 1549 werden von Paul Hess, damals Stadtpfeifer in Breslau, Ferdinand I. „etliche Geschray Pheiffen“, also Pommern mit Windkapseln, geliefert52. Der aus der Steiermark stammende Paul Hess brachte zusammen mit seinem Bruder Bartholomäus 1555 beim Breslauer Drucker Crispinus Scharffenberg eine zweibändige Sammlung von insgesamt mehr als 450 vier- bis sechsstimmigen Tanzsätzen heraus (es handelt sich im übrigen um den einzigen ausdrücklich für Instrumentalensemble bestimmten Musikdruck im deutschsprachigen Raum aus dem 16. Jahrhundert)53. Die Veröffentlichung ist mit einem Druckprivileg Ferdinands I. ausgestattet, der erste Band Erzherzog Ferdinand von Tirol und der zweite Maximilian [II.] gewidmet, darüber hinaus legen Nachrichten über die offenbar blühende Tanzkultur am Hof Ferdinands I. nahe, daß dort konkretes Interesse, wenn nicht Bedarf an dem im Hess-Druck enthaltenen, aus einheimischen und ausländischen Tänzen gemischten Repertoire bestand54. Wie Armin Brinzing gezeigt hat, kommt aufgrund der Stimmumfänge für die Ausführung dieser Sätze in erster Linie ein Pommern-Ensemble in Frage55. In das Bild einer solchen auch im weltlichen Bereich sich auf schriftlich fixierte Musik stützenden Formation fügt sich schließlich eine auf 1564 datierte Radierung, die ein Bankett des böhmischen Königs Maximilian II. im Jahr 1560 darstellt und dabei ein aus Stimmbüchern aufspielendes Ensemble aus drei Pommern, zwei Posaunen und einem Zink zeigt56. Die fünfstimmige Improvisationspraxis der Trompeter, die Beteiligung an der Realisierung von Vokalpolyphonie, die Verwendung notierter Tanzund Tafelmusik – all dies sind Anzeichen für das massive Fortschreiten der Annäherung und schließlich Verschränkung von Bläsertradition und komponierter Mehrstimmigkeit. Daß der habsburgische Hof voll in diesen Prozeß involviert war, zeigt nicht zuletzt die relativ große Zahl an Hoftrompetern bzw. -bläsern, die sich kompositorisch betätigt haben und zum Teil
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Siehe Smijers, siehe Anm. 5, 8 (1921), S. 189. Howard Mayer Brown, Instrumental Music Printed before 1600. A Bibliography. Cambridge/Mass. 1965, S. 164-167. Die Sammlung wurde eingehend untersucht von Armin Brinzing, Studien zur instrumentalen Ensemblemusik im deutschsprachigen Raum des 16. Jahrhunderts. Göttingen 1998 (Abhandlungen zur Musikgeschichte 4) Bd. 1, S. 155-289. Ibidem, S. 163 f. Ibidem, S. 284-289. Vgl. Salmen, siehe Anm. 9, Abb. 109 (S. 159).
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sogar mit leitenden Funktionen in der Kapelle betraut wurden. Dazu zählen: - der Posaunist Stephan Mahu (im übrigen der erste auch als Komponist bekannte Instrumentalist des habsburgischen Hofs nach Paul Hofhaimer), der eine Reihe lateinischer Werke sowie einige, zum Teil in prominente zeitgenössische Sammeldrucke aufgenommene deutschsprachige Lieder und Liedmotetten hinterlassen hat und von circa 1530 bis 1539 als Vizekapellmeister wirkte57; - die Trompeter Giuseppe Dusinello, Zuanjosepo Zelotti58, Gregorio Turini, von dem drei Individualdrucke (Cantiones admodem devotae. Venedig 1589; Neue liebliche teutsche Lieder. Nürnberg 1590; Il primo libro de canzonette. Nürnberg 1597) vorliegen59, sowie - Philippe Schöndorff, der durch (eine kleine Zahl an) Messen, Magnificat und Motetten, vor allem aber durch die Herausgabe der Motetten-Anthologie Odae suavissimae (1601/02) zu Ehren des langjährigen Elemosinarius der Kapelle Rudolfs II., Jacob Chimarrhaeus, hervortrat60. Besonderer Erwähnung bedarf schließlich Alessandro Orologio: Der bekannte Trompeter, Posaunist und Zinkenist ist Verfasser eines stattlichen weltlichen und geistlichen Vokaloeuvres; sieben Individualdrucke (drei Madrigal-, drei Canzonettenbücher und ein Motettenband) und die Aufnahme zahlreicher Stücke in Sammeldrucke aus Italien, Deutschland, den Niederlanden und England zeugen von Produktivität wie internationalem 57
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Siehe das Werkverzeichnis bei Thomas Schmidt-Beste, Stephan Mahu, in: MGG-Personenteil 11 (2004) Sp. 864 f. Zum Komponisten Dusinello siehe Anm. 46, zu Zelotti siehe Michaela Žáčková Rossi, I musici dell’area padana alla corte di Rodolfo II (1576–1612), in: Alberto Colzani – Andrea Luppi – Maurizio Padoan (Hg.), Barocco Padano 4. Atti del XII Convegno internazionale sulla musica italiana nei secoli XVII–XVIII. Brescia 2003. Como 2006, S. 207-222, hier S. 217. Vgl. Michaela Žáčková Rossi, Gregorio Turini e il suo „Primo libro de Canzonette“ a quattro voci (1597), in: Maria Paola Borsetta – Annunziato Pugliese (Hg.), Villanella – Napolitana – Canzonetta. Relazioni tra Gasparo Fiorino, compositori calabresi e scuole italiane del Cinquecento. Vibo Valentia 1999, S. 163-181. Vgl. Christian Bettels, Philipp Schoendorff, in: MGG-Personenteil 14 (2005) Sp. 1566 f.; Comberiati, siehe Anm. 46, S. 54 f., 101 f.; Klaus Wolfgang Niemöller, Die musikalische Festschrift für den Direktor der Prager Hofkapelle Kaiser Rudolfs II. 1602, in: Carl Dahlhaus u. a (Hg.), Bericht über den internationalen musikwissenschaftlichen Kongreß Bonn 1970, Kassel u. a. 1971, S. 520-522, sowie Bénédicte Even-Lassmann, Les musiciens liégois au service des Habsbourgs d'Autriche au XVIème siècle. Tutzing 2006, S. 256-263.
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Prestige61. Besondere Bedeutung kommt den 1597 in Helmstedt erschienenen Intradae [...] quinque & sex vocibus zu62. Diese Veröffentlichung instrumentaler Ensemblemusik leistete nicht nur einen entscheidenden Beitrag zur Etablierung des Terminus Intrada als Gattungsbezeichnung im deutschsprachigen Raum, sie markiert vor allem insofern einen wichtigen Schritt in der Artifizialisierung der Bläsermusik, als ein bis dahin in der Stegreifpraxis angesiedelter musikalischer Typus in den Bereich von Schriftlichkeit und autorbezogener Komposition übergeführt und dabei trompetentypische Idiomatik mit Elementen des motettisch-imitativen Satzes kombiniert wird. Zwar ist die Publikation nicht unmittelbar mit dem kaiserlichen Hof in Verbindung zu bringen, da der Widmungsträger Christian IV. von Dänemark ist, und auch zeitlich fällt sie in eine spätestens 1590 beginnende Phase häufiger bzw. ausgedehnter Aufenthalte Orologios in Wolfenbüttel, Kassel, Dresden und Kopenhagen. 1603 kehrte Orologio allerdings nach Prag an den Hof Rudolfs II. zurück, an dem er bis 1613 das Amt des Vizekapellmeister ausübte63 – eine Funktion, für die er sich wohl durch ein Bündel von Eigenschaften empfahl: das internationale Renommée als Komponist, die Vielseitigkeit als Instrumentalist, den großen Erfahrungshorizont als weitgereister höfischer Bediensteter. Während das kaiserliche Trompeterkorps 1519, am Ende der Herrschaft Maximilians I., noch ausschließlich aus Musikern mit deutschem Namen bestand64 und damit die seit dem späteren 15. Jahrhundert führende Rolle von Bläsern aus dem deutschsprachigen Raum widerspiegelte65, stützte sich 61
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Vgl. zu Orologio insgesamt Rudolf Flotzinger, Alessandro Orologio und seine Intraden (1597), in: Dansk Arbog for Musikforskning 17 (1986) S. 53-64 (hier S. 54 f. auch ein Verzeichnis der Drucke), sowie zur Biographie neuerdings Žáčková Rossi, siehe Anm. 58, S. 215 f. Vgl. dazu – neben Flotzinger (siehe Anm. 61) – Karl Nef, Die Intraden von Alexander Orologio, in: Gedenkboek aangeboden aan Dr. D. F. Scheurleer op zijn 70sten verjaardag. ‘s-Gravenhage 1925, S. 219-225, und die Einleitung zur Neuausgabe: Alessandro Orologio, siehe Anm. 47. De facto bedeutete dies die Leitung der Kapelle, da nach dem Tod de Montes 1603 die Kapellmeisterstelle unbesetzt blieb. Zu Orologios Tätigkeit als Vizekapellmeister vgl. Comberiati, siehe Anm. 46, S. 21-24. Vgl. die von Koczirz, siehe Anm. 37, S. 532, und Ruhnke, siehe Anm. 23, S. 259 mitgeteilten Statuslisten von 1519 bzw. 1520. Vgl. zu diesem Phänomen die zahlreichen Arbeiten von Polk (siehe Anm. 28 bzw. Anm. 36).
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Ferdinand I. seit der Errichtung seiner Hofmusik 1527 zunehmend auf Italiener66. Wie Stephan Mahu, der ungarisch-slowakischer oder flämischer Abstammung war, Rudolphe Nicolas, der aus Frankreich kam67, und Zacharias Freinstain zeigen, wurden für die musikalisch anspruchsvolleren Aufgaben anfänglich zwar noch Musiker aus den Gebieten nördlich der Alpen herangezogen. Gleichwohl leitete Ferdinand mit seinen Trompetern insgesamt eine „Italianisierung“ der Instrumentalmusik am Hof der habsburgischen Regenten ein, die sich in der zweiten Jahrhunderthälfte in der Kammermusik und – wenngleich nicht personell, so doch stilistisch – bei den Organisten fortsetzte68. Daß bei dieser Neuorientierung sowie beim Aufbau der Kapelle Karls von Innerösterreich in den 1560er Jahren69 die konfessionelle Frage im Spiel, das Kriterium also die Herkunft aus verläßlich „altgläubigem“ Gebiet war, ist insofern unwahrscheinlich, als Ferdinand bis in die 1540er Jahre in seine Kantorei – wie übrigens auf die Ämter und Positionen seines Hofes insgesamt – vorwiegend Personen aus den österreichischen Erblanden und dem Reich berief70. Umso bemerkenswerter ist die Bevorzugung italienischer Bläser, die darüber hinaus vor allem aus zwei Städten kamen: unter Ferdinand wie unter dessen Nachfolgern aus Brescia und unter Rudolf II. außerdem aus Udine71. Diese Häufung mag u. a. die Folge typischer „Dynastienbildung“ sein – über mehrere Generationen dienten den Habsburgern Angehörige der aus Brescia bzw. Udine stammenden Familien Rizzo und Mosto (die dann weitere, ihnen aus 66
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Vgl. Ruhnke, siehe Anm. 23, S. 307. Siehe im einzelnen die Listen der Jahre 1527 bis 1558 bei Wessely, siehe Anm. 2, S. 391-434. Lediglich die Position des Heerpaukers wurde konsequent mit einem Musiker aus dem deutschen Sprachraum besetzt. Zur Herkunft dieser Musiker siehe Othmar Wessely, Die Musiker im Hofstaat der Königin Anna, Gemahlin Ferdinands I., in: Heinrich Hüschen (Hg.), Musicae scientiae collectanea. Festschrift Karl Gustav Fellerer zum 70. Geburtstag. Köln 1973, S. 659-672, hier S. 662 f. Unter Rudolf II., vor allem in der Spätphase seiner Regentschaft, nimmt der Anteil der Trompeter nicht-italienischer Herkunft allerdings wieder zu: Von den 29 bei Rosenberg (siehe Anm. 5) und den 64 bei Hausenblasová (siehe Anm. 5, S. 442-446) Verzeichneten tragen zehn bzw. 21 einen (jedenfalls) deutschen Namen. Vgl. Federhofer, siehe Anm. 19, S. 28. Vgl. Winkelbauer, siehe Anm. 6, Bd. 1, S. 181. Erst seit 1546 unter dem Kapellmeister Pieter Maessins wurden vermehrt Franko-Flamen aufgenommen; vgl. Hellmut Federhofer, Die Niederländer an den Habsburgerhöfen in Österreich, in: Anzeiger der phil.-hist. Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 93 (Wien 1956) S. 103-120, hier S. 109; Wessely, siehe Anm. 2, passim. Vgl. Wessely, siehe Anm. 2, S. 239; Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 180 und 182, und Žáčková Rossi, siehe Anm. 58, passim.
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der Heimat bekannte Kollegen an den habsburgischen Hof vermittelt haben könnten). Auffällig ist zugleich aber, daß in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Kapelle von San Marco mit zahlreichen Instrumentalisten (vorwiegend Streichern) aus Brescia und einigen Bläsern aus Udine besetzt war72. Möglicherweise war also auch hier die (insbesondere bei den Tasteninstrumentalisten offenkundige) Orientierung an Venedig im Spiel. Kleinere Präzisierungen sind anzubringen, was eine weitere in der Literatur gelegentlich registrierte Tendenz betrifft, nämlich die sukzessive Zunahme der Anzahl von am Hof angestellten Bläsern. Während unter Ferdinand I. bis 1545 acht oder neun „Trompeter“ dokumentiert sind, nennen die Statuslisten ab 1546 zumeist deren elf oder zwölf (und einen, 1550 sogar zwei Heerpauker sowie eine kleinere Zahl an Lehrjungen). Inwieweit dies eine reale Steigerung bedeutet, muß offenbleiben: Nach dem Ausscheiden von Blasel, Valentin von Straßburg, Mahu und Nicolas werden in den Quellen keine Musiker mehr ausdrücklich als „Posauner“ apostrophiert, möglicherweise sind also in den späteren Trompeterverzeichnissen Posaunisten ohne nähere „Charakterisierung“ mitenthalten. Feststeht, daß es dann im Hofstaat Maximilians II. während der 1560er Jahre zu einer markanten Aufstockung auf rund 20 Bläser (Zinkenisten, Posaunisten und Pauker eingerechnet) kam, eine Zahl, an der auch unter Rudolf II. im wesentlichen festgehalten wurde73. Mehrere (interdependente) Faktoren könnten dabei eine Rolle gespielt haben: die generell an den Höfen des römisch-deutschen Reichs seit etwa der Jahrhundertmitte bemerkbare Tendenz zur Vergrößerung der Ensembles bzw. des musikalischen Hofstaats74, die Notwendigkeit einer adäquaten Repräsentation der Kaiserwürde (gerade im Verhältnis zu den anderen Reichsfürsten), aber auch die Etablierung der Mehrchörigkeit (es sei an die Bläserbegleitung der doppelchörigen Motette Rossettis erinnert).
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Eleanor Selfridge-Field, Venetian Instrumental Music from Gabrieli to Vivaldi. New York 31994, S. 13. Der einmalige Spitzenwert von 27 Spielern am Reichstag von Regensburg 1594 ist wohl anlaßbedingt zu erklären. Als „Richtwert“, der aber stets übertroffen wurde, geben die Hofstaatsverzeichnisse 1567 und 1569 fünfzehn, jenes von 1574 fünfzehn bis siebzehn Trompeter (einschließlich des Paukers) an; siehe Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 368, 373, 377 und 390. Vgl. die instruktiven Tabellen bei Ruhnke, siehe Anm. 23, S. 219, 251 f. und 292-301.
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Dank der Forschungen Robert Lindells75 besitzen wir ein in den wesentlichen Konturen klares und in manchen Einzelheiten sogar recht konkretes Bild von der kaiserlichen Kammermusik, einem Sektor habsburgischer Hofmusik, der bereits bei den Zeitgenossen höchstes Ansehen genoß76. Deutlich ist das Interesse und die persönliche Initiative Maximilians II. und in einem gewissen Maße auch Rudolfs II. (etwa in Zusammenhang mit der Anwerbung von Musikern), das Bemühen um einen hohen qualitativen Standard und vor allem die an den oberitalienischen Fürstenhöfen bzw. musikalischen Zentren orientierte „moderne“ Ausrichtung zu erkennen. Nicht zuletzt zählte der Hof Maximilians II. zu den ersten, an denen sich die „Kammermusik“ insofern als selbständige Sphäre ausdifferenzierte, als der Terminus in den (offiziellen) Sprachgebrauch einwanderte und dafür eigens Musiker angestellt wurden (anstatt sich mit der Verwendung von Angehörigen der Kapelle auch in der Kammer zu begnügen)77. Allerdings bilden die in den administrativen Dokumenten greifbaren – und dort anfänglich ganz wechselhaft in das überkommene Schema von Kapell- und Stallpartei eingepaßten78 – „Cammermusici“ (manchmal auch nur „Musici“) eine relativ kleine Gruppe. Sie umfaßte phasenweise einen Organisten (1573/74–75: Hans Perger, 1576–82: Carl Luython, 1602–1613/14: Jacob Hassler), einen Sänger (Luigi Fenice) sowie seit 1565 für lange Zeit nur zwei „geiger“ (Mauro Sinibaldi, Alberto Ardesi), ab 1570 für wenige Jahre 75
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Vgl. die in Anm. 10 und 11 angeführten Arbeiten. Für die Ära Rudolfs II. vgl. auch Robert Lindell, Das Musikleben am Hof Rudolfs II., in: Prag um 1600. Kunst und Kultur am Hofe Kaiser Rudolfs II. Ausstellung Kunsthistorisches Museum Wien. Freren 1988, Bd. 1, S. 7583; ders., Music and Patronage, siehe Anm. 2, S. 267-269. Wie insbesondere der oft zitierte Brief Herzog Albrechts V. von Bayern an seinen Sohn Wilhelm vom 18. 11. 1573 zeigt. Dort heißt es: „Der Orlando [di Lasso] gibt aus, der kayser hab ein so costliche camermusic, die man mitt Zungen nitt khünde aussprechen, noch mitt den Oren genug vernemben oder mitt sinnen begreiffen.“. Siehe Adolf Sandberger, Beiträge zur Geschichte der bayerischen Hofkapelle 3. Leipzig 1895, S. 311. Vgl. Erich Reimer, Kammermusik, in: HMT (1971) S. 1 f. und 4; Nicole Schwindt, Kammermusik, in: MGG-Sachteil 4 (1996) Sp. 1618-1653, hier insbesondere 1618-1623. Der früheste Beleg für den Terminus (musica da camera) ist ja überhaupt erst Nicola Vicentinos L’antica musica ridotta alla moderna prattica. Rom 1555. So kennen die Hofstaatsverzeichnisse erst seit 1589 regelmäßig eine eigene Rubrik „Musici“, und zwar im Rahmen der Kapelle; davor werden die Kammermusiker teils unter den Kapellmitgliedern, teils unter den Trompetern, manchmal aber auch in beiden Kategorien (doppelt) genannt. Es handelt sich hier um typische Unsicherheiten beim Versuch, eine neuartige Erscheinung mit einer tradierten, fest gefügten bürokratischen Ordnung zur Deckung zu bringen.
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einen dritten „musicus“ (J. A. Capellis) und erst seit 1580 konstant vier Instrumentalisten. Diese Vierzahl dürfte sich dann zu einer Art Norm verfestigt haben, wie die um 1620 angefertigte Instruktion über Hofstaat und Ämter zeigt, in der von „Denen [Musici] von allerhand musicalischen instrumenten, so man cammermusici genant, deren gemeiniglich vier gehalten worden“ die Rede ist79. Daß die kaiserliche Kammermusik nicht auf diese relativ bescheidenen Kräfte beschränkt war, ist nicht bloß aus Plausibilitätsgründen anzunehmen. Wie erwähnt, wissen wir mittlerweile von Stefano Rossetti und Martha (Ordelwring); die Existenz weiterer in den Dokumenten der offiziellen Hofstellen nicht greifbarer (und bislang nicht identifizierter) Musiker und vor allem Musikerinnen kann, wenn nicht als bewiesen, so doch als in hohem Maße wahrscheinlich gelten. Einschlägige Hinweise sind etwa die Kompositionen für drei Soprane und Bass, die Rossetti dem Kaiser übersenden soll80, und die verschiedenen Bemühungen Rossettis bzw. Maximilians II., Sängerinnen bzw. Instrumentalistinnen an den Hof zu binden81. Abgesehen davon ist mit Verstärkung aus dem Kreis der „Trompeter“ zu rechnen (auf die wahrscheinliche Beteiligung von Zinkenisten wurde schon hingewiesen), mehr noch mit der Mitwirkung von Angehörigen der Kapelle, sowohl der Organisten (auffällig ist, daß Luython selbst nach seiner ausdrücklichen Überstellung von der Kammer zur Kapelle ebenso wie Liberale Zanchi in den Dokumenten fallweise als „cammerorganist“ geführt wird82) als auch von Sängern. Anhaltspunkte bietet weiterhin das zu vermutende und durch punktuelle Indizien erschließbare Repertoire. Mit Blick auf die einschlägige kompositorische Produktion habsburgischer Hofmusiker (allen voran Philippe de Montes) im Allgemeinen, mehrerer Kammermusiker wie Carlo und Giovanni Paolo Ardesi, Carl Luython sowie Jacob 79 80 81
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Vgl. Smijers, siehe Anm. 5, 6 (1919) S. 159. Siehe Lindell, Stefano Rosetti, siehe Anm. 10, S. 162 f., 174 und 177. Neben dem von Lindell, New Findings, siehe Anm. 10, S. 237 f., sowie dems., Stefano Rosetti, siehe Anm. 10, S. 162 f., geschilderten Fall ist die zu diplomatischen Verwicklungen führende Causa der versuchten Abwerbung einer Musikerin des Herzogs von Urbino zu erwähnen; siehe dazu eingehend Franco Piperno, Diplomacy and Musical Patronage: Virginia, Giudubaldo II, Massimiliano II, ‚Lo streggino‘ and Others, in: Early Music History 18 (1999) S. 259-279. Zu Luython vgl. Smijers, siehe Anm. 5, 8 (1921) S. 203; Comberiati, siehe Anm. 46, S. 205; zu Zanchi vgl. Smijers, siehe Anm. 5, 9 (1922) S. 80; Comberiati, siehe Anm. 46, S. 210; Adolf Koczirz, Exzerpte aus den Hofmusikakten des Wiener Hofkammerarchivs, in: StMw 1 (1913) S. 278-303, hier S. 303.
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Hassler im besonderen ist in erster Linie an weltliche Vokalmusik wie Madrigale und Canzonetten zu denken83. Neben einer ausschließlich vokalen Wiedergabe scheinen alle zeitüblichen Besetzungsvarianten zur Anwendung gekommen zu sein – die Begleitung bzw. Stützung der Gesangsstimmen durch ein Akkordinstrument84, insbesondere der im 16. Jahrhundert geradezu omnipräsente „Gesang zur Laute“85, ebenso wie eine rein instrumentale Ausführung im Ensemble oder solistisch in Form einer Intavolierung. Abermals ist ein Hinweis der Korrespondenz Maximilians II. zu entnehmen, der 1575 von Rossetti zu den erbetenen Vokalwerken auch Intavolierungen anfordert86. Vor allem aber dürfte sich eine konkrete Überlieferungsspur in der Handschrift MS XIV.714 des Wiener Minoritenkonvents erhalten haben. Die mehr als 500 Sätze umfassende Claviermusiksammlung entstand während der späten 1620er und 1630er Jahre höchstwahrscheinlich am oder zumindest im Umfeld des habsburgischen Hofes87. Sie birgt ein umfangreiches Repertoire an Stücken vor allem italienischer, 83
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Luython, J. Hassler und Carlo Ardesi haben je ein Madrigalbuch veröffentlicht. Zu jenem von Carlo Ardesi, das auch vier Sätze seines Bruders Giovanni Paolo enthält, vgl. Marco Mangani, I Madrigali di Carlo e Giovanni Paolo Ardesi: Un contributo cremonese alla produzione musicale della corte rodolfina, in: Maria Caraci Vela – Rodobaldo Tibaldi (Hg.), Intorno a Monteverdi. Lucca 1999, S. 423-457. So erbittet Maximilian II. von Rossetti zur erwähnten Musik für drei Soprane ein Buch für „la persona que tocare el instrumento“; siehe die Angaben in Anm. 80. Dafür sprechen einzelne Veröffentlichungen wie Orologios Canzonette a tre voci intavolate per sonar di liuto (Venedig 1593), worin zusätzlich zu den Vokalstimmen eine Lautenintavolierung mitgeliefert wird, vor allem aber scheint Martha Ordelwring diese Aufführungspraxis personifiziert zu haben, geht man nach den Schilderungen ihrer Darbietungsweise in den auf sie verfaßten Lobgedichten; siehe diese Texte bei Lindell, siehe Anm. 11, S. 60-62. Vgl. zu dem Phänomen insgesamt die Beiträge in Nicole Schwindt (Hg.), Gesang zur Laute. Kassel u.a. 2003 (troja 2002. Trossinger Jahrbuch für Renaissancemusik 2). Siehe Lindell, New Findings, siehe Anm. 10, S. 237 f. und 245; ders., Stefano Rosetti, siehe Anm. 10, S. 179. Vgl. zu dieser Handschrift die Einleitung von Robert Hill zur Faksimilie-Edition Vienna. Minoritenkonvent, Klosterbibliothek und Archiv, MS XIV.714. New York–London 1988 (17th century keyboard music 24); darin S. XI-XXV auch ein Inventar samt Angabe der Konkordanzen; vgl. weiters das Vorwort in Siegbert Rampe (Hg.), Orgel- und Claviermusik der kaiserlichen Hofkapelle Wien, 1500–1700. Kassel u .a. 2006, S. III-V, sowie Markus Grassl, Paralipomena zur Instrumentalmusik im Umkreis Rudolfs II.: Liberale Zanchi und seine Canzonen in der Handschrift A-Wm XIV.714, in: Julia Bungardt – Maria Helfgott – Eike Rathgeber – Nikolaus Urbanek (Hg.), Wiener Musikgeschichte. Annäherungen – Analysen – Ausblicke. Festschrift für Hartmut Krones. Wien –Köln–Weimar 2009, S. 67-86.
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österreichischer und süddeutscher Provenienz, das zu einem nicht unerheblichen Teil in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts zurückreicht und neben originalen Clavierwerken u. a. von Andrea und Giovanni Gabrieli, Merulo, Luython, Hans Leo Hassler sowie Liberale Zanchi Intavolierungen von Motetten und Madrigalen u. a. von Blasius Ammon, Franz Sales, Jacob Regnart, Bernardo Mosto und Philippe de Monte einschließt88. Für die instrumentale Ensembleausführung von Madrigalen liegt neben einer noch zu erläuternden Veröffentlichung de Montes möglicherweise ein Zeugnis in Gestalt der sogenannten Harmonia a 5 von Mateo Flecha d. J. vor, die es in der Sekundärliteratur als angeblich originale Instrumentalkomposition zu einem gewissen Ruhm gebracht hat, in Wahrheit aber eine Transkription des zehnten Satzes aus Flechas Il primo libro de Madrigali von 1568 für Streicher ist89. Von den „leisen“ Instrumenten, die für die Kammermusik und die mit ihr assoziierte Ästhetik eines verfeinerten Klanges typisch waren – Cembalo, Clavichord, Blockflöte, Laute und Gambe90 –, erlebten bekanntlich die beiden letzteren während des 16. Jahrhundert eine regelrechte Konjunktur. So wurde insbesondere das aus mehreren Gamben gebildete homogene Streicherensemble von Italien seit Anfang des Jahrhunderts ausgehend zu einem Signum höfisch-elitärer Musikkultur, an dem teilzuhaben als hervorragender Ausdruck aristokratischer Kultiviertheit galt91. Die Laute wieder88
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Blasius Ammon hielt sich nach seiner Tätigkeit am Innsbrucker Hof und Zwischenstationen in Italien in Wien auf und war möglicherweise 1585–87 Kantor in Heiligenkreuz; vgl. Senn, siehe Anm. 13, S. 96-98. Franz Sales wirkte am Münchner, Innsbrucker und von 1591 bis 1599 am kaiserlichen Hof in Prag; siehe ibidem, S. 124. Bernardo Mosto, aus dessen Madrigali [...] a cinque voci (Antwerpen 1588) drei Sätze in der Minoritenhandschrift enthalten sind, gehörte jener weit verzweigten Udineser Musikerfamilie an, aus der die habsburgischen Höfe eine Reihe von Instrumentalisten rekrutierten. Er ist nicht mit seinem gleichnamigen Neffen zu verwechseln, der seit 1588 Rudolf II. als Trompeter diente. Vgl. Žáčková Rossi, siehe Anm. 58, S. 218, sowie Federhofer, siehe Anm. 19, S. 99 f. Siehe M. Carmen Gomez, Precisiones en torno a la vida y obra de Matheo Flecha el joven, in: Revista de Musicologia 9 (1986) S. 41-56, hier S. 50. Die für zwei Violinen, zwei Violen und Baß bestimmte „Harmonia a 5“ ist in einer auf 1820–1830 zu datierenden Handschrift im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (Sign. 23.573) enthalten. Nicht auszuschließen ist, daß schon dem Kopisten des 19. Jahrhunderts eine textlose bzw. für instrumentale Besetzung gedachte Übertragung der Vokalkomposition vorlag. Vgl. Schwindt, siehe Anm. 77, Sp. 1620. Vgl. Ian Woodfield, The Early History of the Viol. Cambridge 1984, S. 182-190.
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um etablierte sich – seit auf ihr gegen 1500 zum Spiel mit Fingerkuppen übergegangen und damit mehrstimmige Musik realisierbar geworden war – als vielfältig, solistisch und in diversen Ensemblekonfigurationen, von Dilettanten wie professionellen Virtuosen eingesetztes, pointiert gesagt: als das Universalinstrument der Epoche schlechthin92. Bezeichnend ist, daß unter den von Ian Woodfield in seiner grundlegenden Monographie aufgelisteten fürstlichen Haushalten des deutschen Sprachraums, die im späteren 16. Jahrhundert ein Gambenensemble unterhielten, der kaiserliche Hof fehlt (hingegen die Hofhaltungen in Graz und in Innsbruck aufscheinen)93. In der Tat existieren direkte Nachrichten nur vom Anfang des Jahrhunderts. Zum einen ist im Gefolge Maximilians I. zwischen 1515 und 1518 mehrfach ein aus vier (namentlich bekannten) „geygern“ bestehendes Ensemble dokumentiert94, zum anderen wissen wir von einem 1522/23 dem Hofstaat Annas von Ungarn angehörenden „Geiger“ Caspar Eker, von dem als „teneur de grosses violes“ mit „tout autres ses compaignons“ die Rede ist95. Aus dem weiteren 16. Jahrhundert ist (nach derzeitigem Kenntnisstand) nur ein Hinweis überliefert. Philippe de Monte begründet in der Vorrede zu seinem 15. Buch fünfstimmiger Madrigale die Dedikation mit dem besonderen Gefallen, das der Widmungsträger, der päpstliche Nuntius Camillo Caetano, an den Werken gefunden habe, als er sie von einem Gambenconsort vorgetragen hörte96. Angesichts der im 16. Jahrhundert weit verbreiteten Praxis, Madrigale instrumental und insbesondere auf Gamben wiederzugeben97, ist Robert Lindell zuzustimmen, daß die von de Monte erwähnte Aufführung „very likely [...] was in Rudolf II’s chambers“ und „it seems safe to assume that such presentations 92
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Vgl. von der umfangreichen Literatur neuerdings nur die Beiträge im Sammelband Performance on Lute, Guitar and Vihuela. Historical Practice and Modern Interpretation, hg. von Victor Anand Coelho. Cambridge 1997. Ian Woodfield, siehe Anm. 91, S. 192 f. Für Graz und Innsbruck belegen Instrumenteninventare die Existenz eines solchen Ensembles (siehe die Angaben in Anm. 19). Vgl. im einzelnen Polk, siehe Anm. 48, S. 86; ders., Vedel and geige – fiddle and viol. German string tradition in the fifteenth century, in: JAMS 42 (1989) S. 504-546, hier S. 541; vgl. hier auch zum Verhältnis der „Geige“ des deutschen Sprachraums zur Viola da gamba spanisch-italienischer Provenienz. Vgl. Wessely, siehe Anm. 67, S. 670. Die Widmung ist abgedruckt in Georges van Doorslaer, La vie et les oeuvres de Philippe de Monte. Brüssel 1921, Nachdruck Hildesheim–New York 1980, S. 243 f. Vgl. dazu Michael Fütterer, Das Madrigal als Instrumentalmusik. Regensburg 1982 (Kölner Beiträge zur Musikforschung 119); Woodfield, siehe Anm. 91, S. 188-190.
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of the works of musicians in the Imperial chapel as well as of popular works by other composers were a standard part of the repertoire“98. Bei der Ermittlung der für diese Praxis erforderlichen Spieler ist man allerdings ein Stück weit auf Mutmaßungen angewiesen. In erster Linie kommen die beiden seit 1565 beschäftigten, aus Cremona stammenden „Geiger“ Alberto Ardesi und Mauro Sinibaldi und später die bis zu vier Instrumentalisten der Kammermusik in Frage. Zwar enthalten die verfügbaren Quellen keinen ausdrücklichen Hinweis auf deren Qualifikation, bei Carlo und Giovanni Paolo Ardesi kann jedoch allein aufgrund der familiären Herkunft von einer Betätigung als Streicher ausgegangen werden. Marc Antonio Mosto gehörte zwar vor seiner Bestellung zum Kammermusiker 1601 dem Trompeterkorps an, doch scheinen Bläser mit einer Expertise auf gezupften oder gestrichenen Saiteninstrumenten keine Seltenheit gewesen zu sein99. Zu den bekannten Beispielen zählt Marc Antonio Mostos Vater Francesco, der während seiner Zeit am Grazer Hof 1589 einen unbekannten Schüler „uff allen instrumenten [...], fürnemblich aber dem zinckhen und der fiolen“ unterwies100. Vor diesem Hintergrund wird letztlich auch vorstellbar, daß (abgesehen von bislang nicht eruierten professionellen Musikern oder vielleicht sogar Dilettanten aus dem Kreis der Hofgesellschaft) einzelne „hauptamtliche“ Bläser zur Komplettierung eines Gambenensembles herangezogen wurden. Auch die nähere Bestimmung der Stellung von Lautenmusik und Lautenspiel am kaiserlichen Hof erweist sich als komplexer, als es im ersten Moment erscheinen mag. Die häufig erwähnte Tätigkeit Bálint (Valentin) Greffs, genannt Bakfark, unter Maximilian II. stellt nämlich nur einen kleinen Mosaikstein dar. Wohl zählte Bakfark zu den führenden Lautenisten seiner Zeit und reihte sich damit in die lange Liste hervorragender Instrumentalisten im habsburgischen Dienst. Er repräsentiert den im 15. Jahrhundert aufkommenden Typus des international bekannten, ganz Europa bereisenden Instrumentalvirtuosen. Sein hohes Ansehen schlägt sich u. a. in der Publikation zweier Lautenbücher nieder, die in Lyon und Krakau erschienen sind und partiell in Paris und Antwerpen nachgedruckt sowie
98
Lindell, Filippo, Stefano e Martha, siehe Anm. 10, S. 871. Vgl. nur Tarr, Cesare Bendinelli, siehe Anm. 27, S. 41, wonach Cesare Bendinelli in München 1585 „drei neue Geigen“ für die Trompeter-Lehrjungen erwarb. 100 Vgl. Federhofer, siehe Anm. 19, S. 99 f. 99
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handschriftlich verbreitet wurden101. Stilistisch hat er mit seinen strikt kontrapunktischen, verschiedene Soggetti abschnittsweise durchimitierenden „Recercate“ und Fantasien Anteil an aktuellen Tendenzen der Lautenkomposition um die Jahrhundertmitte, insbesondere der Annäherung der „freien“ Lautenmusikformen an Standards und Techniken der entwickelten Vokalpolyphonie102. Allerdings währte Bakfarks Aufenthalt am habsburgischen Hof nicht lange; formal stand er dort von 1566 bis 1569 im Dienst, de facto dürfte sich seine Wiener Tätigkeit infolge von Reisen, Abwesenheit und zuletzt kaiserlicher Ungnade auf nicht einmal zwei Jahre beschränkt haben103. Nach Bakfark ist für Jahrzehnte kein an Bedeutung und Reputation gleichrangiger Nachfolger nachweisbar; erst unter Kaiser Matthias wird 1612 mit Pietro Paolo Melli wieder ein namhafter Lautenspieler und -komponist berufen104. Zwar wurde spätestens seit Maximilian II. mit einem Lautenspieler als festem Bestandteil der Hofmusik gerechnet, wie die Hofstaatsverzeichnisse von 1574 und 1612 belegen, die eine – leer gelassene bzw. mit dem Zusatz „vaciert“ versehene – Rubrik Lautenist enthalten105. Ein Inhaber dieses Amts ist jedoch nur für die Jahre 1593/941604 in der Person von Lorenz Hennigk nachgewiesen (über den sonst nichts bekannt ist). Eine Reihe von Indizien bestätigt freilich die vom allgemeinen Entwicklungsstand her naheliegende Vermutung, daß die Laute am kaiserlichen Hof in vielfältiger (solistischer, begleitender bzw. in Ensemble-) Verwendung stand, und läßt weiterhin darauf schließen, daß für das Lautenspiel diverses Personal herangezogen wurde (oder zumindest werden sollte). Bei diesen Hinweisen handelt es sich im Einzelnen um:
101
Vgl. das Brown (siehe Anm. 53) und RISM ergänzende Werk- und Quellenverzeichnis bei Peter Király – Vladimir Ivanoff, Bakfark, in: MGG-Personenteil 2 (1999) Sp. 44-50, hier Sp. 48 f. 102 Vgl. zu Bakfark als Komponisten Otto Gombosi, Der Lautenist Valentin Bakfark. Leben und Werke (1507–1576). Kassel 21967; István Homolya, Valentin Bakfark. Ein Lautenist aus Siebenbürgen. Budapest 1985, sowie allgemein zur Entwicklung der Lautenfantasie James M. Meadors, Italian Lute Fantasias and Ricercars Printed in the Second Half of the Sixteenth Century. Havard University: Ph.D. Diss. 1984. 103 Vgl. zusammenfassend zur Biographie auf der Basis neuerer Forschungsergebnisse Király – Ivanoff, siehe Anm. 101, insbesondere Sp. 47 f. 104 Vgl. Silke Leopold, Melli, in: MGG-Personenteil 11 (2004) Sp. 1518 f. 105 Siehe Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 381 und 390; Pietzsch, siehe Anm. 31, S. 174, Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 427.
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ein Gemälde von Lucas van Valckenborch, das darstellt, wie sich Rudolf II. während einer Trinkkur zusammen mit seiner Hofgesellschaft im Freien ergeht und dabei vom solistischen Spiel eines einzelnen Lautenisten unterhalten wird106; ein (anonymes) Aquarell, welches das Bankett anläßlich der Verleihung des Goldenen Vlieses an Rudolf 1585 und dabei ein Ensemble aus Laute, Tasteninstrument, da braccio gespieltem Streichinstrument und Sängern zeigt107; Zahlungen an den von 1589 bis 1612 als Edelknabenfechtmeister nachweisbaren Asconius Romanell für den spätestens seit 1601 zusätzlich verrichteten „tanzmeister- und lauttenschlagerdienst“108 (die aus praktischen Gründen plausible und auch vom Innsbrucker Hof bekannte „Personalunion“ von Tanzlehrer und Spieler eines tragbaren Akkordinstruments ist bereits 1549 in der Person von Abraham Jud greifbar, einem „harpfenschläger“, der die „edlknaben wellisch tanzen gelernnt“109); die zeitgenössische Panegyrik auf Martha Ordelwring, welche auch deren Fähigkeiten auf der Laute hervorhebt110; Rossettis Empfehlung an Maximilian II., eine auf der Laute exzellierende junge römische Musikerin zu engagieren111; eine Zahlung 1568 an den bekannten, mit dem Grazer Hof in Beziehung stehenden Virtuosen Jacomo Gorzanis (der in den 1560er Jahren durch mehrere Individualdrucke hervortrat und kompositorisch ambitionierte wie technisch anspruchsvolle Lautensätze vorlegte), möglicherweise für einen Aufenthalt am kaiserlichen Hof112;
Reproduziert in Salmen, siehe Anm. 9, Abb. 101 (S. 148f.); Karl Vocelka, Rudolf II. und seine Zeit. Wien–Köln–Graz 1985, S. 71. 107 Reproduziert bei Vocelka, siehe Anm. 106, S. 85 und 151 (Ausschnitt); Thomas DaCosta Kaufmann, The School of Prague. Painting at the Court of Rudolf II. Chicago–London 1988, S. 12; Salmen, siehe Anm. 9, Abb. 108 (S. 159). 108 Vgl. Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 427. 109 Vgl. Smijers, siehe Anm. 5, 8 (1921), S. 191; für Innsbruck vgl. Senn, siehe Anm. 13, S. 152. 110 Vgl. Lindell, siehe Anm. 11. 111 Siehe Lindell, New Findings, siehe Anm. 10, S. 237 f.; ders., Stefano Rosetti, siehe Anm. 10, S. 162 f. Ob es zu diesem Engagement kam, ist unbekannt. 112 Siehe Lindell, New Findings, siehe Anm. 10, S. 233 f.; Federhofer, siehe Anm. 19, S. 238f.; zu Gorzanis’ Kompositionen vgl. Issam El-Mallah, Die Pass’ e mezzi und Saltarelli
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der zwischen 1564 und 1570 betriebene (letztlich fehlgeschlagene) Versuch, Virginia Vagnoli, eine angesehene Sängerin, Lautenistin und Violaspielerin im Dienst des Herzogs von Urbino, nach Wien abzuwerben (und mit Luigi Zanobi zu verheiraten)113; das Interesse Rudolfs II. am französischen Bassisten und Lautenisten Lambert de Beaulieu, über den Erkundigungen einzuholen der Botschafter am französischen Hof 1590 angewiesen wird114.
Eine markante Entwicklung in der kaiserlichen Hofmusik des 16. Jahrhunderts stellt die sukzessive Vermehrung der Organistenposten dar115. Hatte Ferdinand I. in den 25 Jahren seit der Errichtung seiner Hofkapelle lediglich einen Organisten unterhalten, der zudem das Organistenamt an der Schloß- und Domkirche in Prag ausübte116, so wurde 1550/51 mit Jacobus Buus ein zweiter berufen. 1570 wurden mit der Bestellung Paul van Windes ein weiterer Posten geschaffen und seit den 1570er zudem sogenannte Kammerorganisten beschäftigt. Insgesamt standen damit in den letzten Jahren der Herrschaft Maximilians II. und unter Rudolf II. mindestens drei, phasenweise sogar vier Organisten zur Verfügung117. Hinzukommt, daß spätestens seit 1559 der Posten an der Prager Schloßkirche eigens besetzt wurde118. Für den um die Jahrhundertmitte offensichtlich stark ansteigenden Bedarf an Tasteninstrumentalisten, der im übrigen mit relativ zahlreichen Nachrichten über den Ankauf von Orgeln und Clavichorden konvergiert119, dürften mehrere Faktoren verantwortlich sein. Nächstliegende Eraus der Münchner Lautenhandschrift von Jacomo Gorzanis. Tutzing 1979 (Münchner Veröffentlichungen zur Musikgeschichte 31). 113 Vgl. Piperno, siehe Anm. 81. 114 Vgl. Lindell, siehe Anm. 75, Bd. 1, S. 81 f. 115 Siehe dazu die Aufstellung im Anhang B. 116 Vgl. Wessely, siehe Anm. 2, S. 87, 232. 117 Seit 1607 waren es nominell sogar fünf, doch hat Hans Leo Hassler das ihm 1605 übertragene Amt eines Kammerorganisten real nie ausgeübt. Siehe Hartmut Krones, Die Beziehungen der Brüder Haßler zu Kaiser Rudolf dem II. und zu Prag, in: Klaus Wolfgang Niemöller – Helmut Loos (Hg.), Die Musik der Deutschen im Osten und ihre Wechselwirkung mit den Nachbarn. Bericht über den Kongreß Köln 1992. Bonn 1994 (Deutsche Musik im Osten 6) S. 375-381; ders., Haßler, in: MGG-Personenteil 8 (2002) Sp. 828-844, hier Sp. 833. 118 Vgl. Smijers, siehe Anm. 5, 7 (1920), S. 118 f. 119 Im einzelnen: 1544 werden ein Regal, 1548 drei Positive, vor 1564 von Servatius Rorif eine Orgel mit 18 Registern, 1571 zwei Clavichorde sowie unter Rudolf II. zwei weitere Instrumente vom Ulmer Orgelbauer Caspar Sturm und von Benedict Jäger erworben – vgl. die Nachweise bei Smijers, siehe Anm. 5, 7 (1920) S. 141; ders., siehe Anm. 5, 8
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klärung ist, daß auch am kaiserlichen Hof die damals ganz allgemein in der geistlich-liturgischen wie weltlichen Musik um sich greifende Besetzungspraxis Einzug hielt, bei der zum vokalen oder instrumentalen Ensemble ein colla parte mitgehendes oder einzelne Stimmen des Satzes allein ausführendes Akkordinstrument hinzutrat. Konkrete Belege bzw. Indizien sind: abermals die Darstellung der Bankettszene beim Vliesfest 1585, Philippe de Montes 1588 verfaßter Bericht „über den Zustand der orgl in der Prager Schlosskhirchen“, wonach die um einen Halbton zu hohe Stimmung des Instruments der Kapelle Ungelegenheiten bereiten würde (sie müsse „anstatt singens, schreien“), weshalb man sich bei der anläßlich des Vlies-Fests 1585 aufgeführten dreichörigen Messe (in die „allerlai instrument darein gangen gemelte orgl darumben“) mit einem Regal behelfen mußte120, und schließlich Luythons Clavicymbalum universale, das den zeitgenössischen Beschreibungen zufolge mittels einer Transponiervorrichtung in drei Stimmtonhöhen spiel- und damit in diversen instrumentalen und/oder vokalen Besetzungskonstellationen verwendbar war121. Die Pflichten auf dem Sektor von Ensemblespiel bzw. -begleitung dürften umso stärker angewachsen sein, als es zu einer Entfaltung der Kammermusik und einer Pflege mehrchörigen Repertoires kam. Schließlich mag die erwähnte, im Zuge der ästhetischen wie sozialen Aufwertung des instrumentalen Musizierens während des 16. Jahrhunderts aufkommende Usance, (vor allem weibliche) Angehörige der adeligen Hofgesellschaft im Spiel von Clavichord und Cembalo zu unterweisen, eine gewisse Vermehrung der von den Hoforganisten wahrzunehmenden Aufgaben nach sich gezogen haben. Es ist keine Übertreibung zu behaupten, daß mit Jacob Buus erstmals seit Paul Hofhaimer ein Organistenposten am habsburgischen Hof wieder hochkarätig besetzt wurde. Buus, von dem auch eine Reihe von Chansons und Motetten, größtenteils in Individualdrucken, überliefert ist122, repräsen(1921) S. 291; Senn, siehe Anm. 13, S. 84; Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 315; Wendelin Böheim, Urkunden und Regesten aus der k.k. Hofbibliothek, in: Jb. der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 7 (Wien 1888, Nachdruck Graz 1966) Reg. 1583, fol. 411. 120 Siehe Smijers, siehe Anm. 5, 7 (1920) S. 117. 121 Vgl. Koczirz, siehe Anm. 17, S. 566 f.; Gerhard Stradner, Die Klangwelt der Musikinstrumente in Prag um 1600, in: Prag um 1600. Kunst und Kultur am Hofe Kaiser Rudolfs II. Ausstellung Kunsthistorisches Museum Wien. Freren 1988, Bd. 2, S. 28-31, hier S. 29. 122 Siehe das Verzeichnis in Jean Ferrand, Buus, in: MGG-Personenteil 3 (2000) Sp. 1446 f.; Walter Breitner, Jacob Buus als Motettenkomponist. Tutzing 1977 (Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft 6).
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tiert eine der richtungsweisenden Schulen instrumentalen Komponierens des 16. Jahrhunderts. Als zweiter Organist an San Marco von 1541 bis zu seiner Berufung an den Kaiserhof 1551 zählt er zu jenem ferrarensischen und venezianischen Zirkel um Adrian Willaert, von dem gegen und um die Jahrhundertmitte maßgebliche Impulse auf dem Gebiet der Tasten- und Ensemblemusik ausgingen. Insbesondere kam es in diesem Kreis zur Konstituierung des (imitierenden) Ricercars als erster Gattung, in der sich instrumentale Bestimmung bzw. Textungebundenheit, werkförmige Fixierung und Schriftgebundenheit, gesteigerte Kunsthaftigkeit und kompositorische Ambition mit einer vom Modell der Vokalpolyphonie sich lösenden Satzanlage verband123. Buus hat mit seinen zur thematischen Vereinheitlichung tendierenden Ricercaren von teilweise geradezu exzessiver Länge hierzu bekanntlich entscheidend beigetragen124. Bei den seit den 1570er Jahren am kaiserlichen Hof wirkenden Organisten setzte sich in doppelter Hinsicht fort, was sich in der Person Buus’ angekündigt hatte. Vermehrt wurden nun „komplette“ Komponisten berufen, die wie Luython, Zanchi, die beiden Hassler und ein Stück weit Formellis auch auf ein zum Teil umfangreiches geistliches und/oder weltliches Vokalwerk verweisen konnten, vor allem aber an die neueste italienische, in erster Linie venezianische Instrumentalmusikproduktion anknüpften125. Wie die Clavierwerke Zanchis (der aus dem zur Republik Venedig gehörenden Treviso stammte), Luythons und Jacob Hasslers (die beide Studienaufenthalte in Italien absolvierten) deutlich machen und durch den Überlie123
Vgl. zum Ricercar nur die grundlegenden Arbeiten von Dietrich Kämper, Studien zur instrumentalen Ensemblemusik des 16. Jahrhunderts in Italien. Köln–Wien 1970 (Analecta musicologica 10) S. 113-154; Milton A. Swenson, The Four-Part Italian Ensemble Ricercar from 1540 to 1619. Diss. Indiana University 1971; Arnfried Edler, Gattungen der Musik für Tasteninstrumente. Teil 1: Von den Anfängen bis 1750. Laaber 1997 (Handbuch der musikalischen Gattungen 7,1) S. 319-330. 124 Vgl. zu Buus’ Ricercaren Swenson, siehe Anm. 123, S. 23-113; Gordon A. Sutherland, The Ricercari of Jacques Buus, in: MQ 31 (1945) S. 448-463. 125 Vgl. an neueren Arbeiten nur: Carmelo Peter Comberiati, Carl Luython at the court of Emperor Rudolf II: Biography and his polyphonic settings of the Mass Ordinary, in: ders. – Matthew Clark Steel (Hg.), Music from the Middle Ages through the twentieth century: Essays in honor of Gwynn S. McPeek. New York 1988, S. 130-146; ders., siehe Anm. 46, S. 62-77; Hartmut Krones, Jacob Hassler – Leben und Werk eines zu entdeckenden Orgelkomponisten. Mit zahlreichen biographischen Funden, in: Organa Austriaca 4 (1988) S. 7-40; zu Zanchi vgl. Grassl, siehe Anm. 87; Christian Bettels, Formellis, in: MGG-Personenteil 6 (2001) Sp. 1470 f.
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ferungsbefund des Minoritenkodex bestätigt wird, war am Prager Hof um 1600 ein vollständiger Anschluß an den aktuellen, insbesondere von Andrea und Giovanni Gabrieli repräsentierten Entwicklungsstand vollzogen worden. Dies betraf gleichermaßen die Rezeption von Repertoire126 wie die stilistische Ausrichtung der „Eigenproduktion“, die sich im Rahmen der nunmehr als selbständige Formen instrumentaler Kunstmusik konsolidierten Gattungen Ricercar, Canzon (da sonar) und Toccata vollzog.
126
Als signifikantes Detail sei lediglich die zweite der sechs im Minoritenkodex überlieferten Canzonen Zanchis erwähnt, die Giovanni Gabrielis bekannte Canzone La Spiritata paraphrasiert (fol. 77v/78 bzw. Nr. 144 in der Zählung nach Hill, siehe Anm. 87).
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ANHANG A Die Aufstellung verzeichnet die derzeit bekannten Instrumentalisten am Hof Ferdinands I., Maximilians II. und Rudolfs II. unter Angabe des dokumentierten Tätigkeitszeitraums, des Namens (jedoch unter Vernachlässigung der oft zahlreichen Schreibvarianten), des Monatslohns und der Funktion. Die Trompeter werden grundsätzlich pauschal angegeben, namentlich werden nur jene genannt, die als Posaunist, Zinkenist, Komponist und/oder in einer besonderen Position bei Hofe nachweisbar sind. [KaMus = Kammermusiker, KaOrg. = Kammerorganist, Laut. = Lautenist, Org. = Organist, Pos. = Posaunist, Trp. = Trompeter, Zink. = Zinkenist] 1527 1527128/29129–45 1527–58 1528–32 1528–38 1528–41 1528–40
127
MELLE127 Hanns GRAFENDORFER
(15fl.,
1539:
25fl.)130 6–12 Trompeter + 1 (1550: 2) Pauker (818fl.), (1541-58:) 2-4 Trompeterknaben (24fl.)131 Hieronymus BLASEL (seit 1518 im Hofstaat Königin Annas von Ungarn)132 Valentin von Straßburg (schon zuvor im Hofstaat Kg. Annas)133 Stephan MAHU (schon zuvor im Hofstaat Kg. Annas, seit 1529/32 bis mind. 1539 Vizekpm.)134 Rudolphe NICOLAS (schon zuvor im Hofstaat Kg. Annas)135
Org. Org.
Pos. Pos. Pos. Pos.
Hirzel, siehe Anm. 33, S. 154; Wessely, siehe Anm. 2, S. 228. Hirzel, siehe Anm. 33, S. 156. 129 Wessely, siehe Anm. 2, S. 228, bringt Nachweise erst ab 1529; dazu auch Fellner – Kretschmayr, siehe Anm. 33, S. 152. 130 Wessely, siehe Anm. 2, S. 392 f. und 395-401; Federhofer, siehe Anm. 35, S. 44; Hirzel, siehe Anm. 33, S. 156. 131 Nähere, jahresweise und namentliche Angaben bei Wessely, siehe Anm. 2, S. 102, 239 f. und 391-434; siehe für 1527/28 auch Hirzel, siehe Anm. 33, S. 155 f., für 1539 Federhofer, siehe Anm. 35, S. 45, für 1539 und 1541 Fellner – Kretschmayr, siehe Anm. 33, S. 160, und auf dieser Literatur aufbauend Ruhnke, siehe Anm. 23, S. 259 f. 132 Federhofer, siehe Anm. 35, S. 42 und 45; Wessely, siehe Anm. 67, S. 667 f. 133 Federhofer, siehe Anm. 35, S. 42 und 45; Wessely, siehe Anm. 67, S. 668. 134 Federhofer, siehe Anm. 35, S. 41-46; Wessely, siehe Anm. 2, S. 259-270 und 395 f.; Wessely, siehe Anm. 67, S. 661-663. 135 Federhofer, siehe Anm. 35, S. 42 und 45; Wessely, siehe Anm. 2, S. 259-270 und 395 f.; Wessely, siehe Anm. 67, S. 663-665. 128
142 1528–64 1546–64 1549–51 1549 1550/51–64 1551-60 (1553/54142) 1564–82 (1560) 1564–89 1565–80 1565–85
136
Markus Grassl Thomas de BERZIZIA (seit 1521/22 im Hofstaat Kg. Annas)136 Christoph KHRÄLL (10fl., 1550: 15fl., 1554: 20fl.137) Zacharias FREINSTAIN (5fl.)138 Abraham JUD139 Jacob BUUS (20fl., 1553: 25fl.)140 Antonio STRAZZACAPPA (18fl.)141 Guilelmus FORMELLIS (15fl., 1564: 24fl., 1568: 25fl., 1570: 30fl.)143 Giovanni Domenico CAPPA (12fl., später 15fl., 1572: 18fl.)144 Alberto ARDESI (12fl., 1570: 15fl.)145 Wilhelm VAN MULEN (16fl.)146
Pos., Zink. Org. Trp., Zink. „härpfenschlager“ Org. Trp., Zink. Org. Trp., 1572ff. auch Zink., 1584ff. KaMus KaMus („Geiger“) Vizeorg.
Federhofer, siehe Anm. 35, S. 42 und 45; Wessely, siehe Anm. 2, S. 259-270 und 395 f.; Wessely, siehe Anm. 67, S. 665-667. 137 Wessely, siehe Anm. 2, S. 101, 406 und 421; Smijers, siehe Anm. 5, 6 (1919) S. 142; ders., siehe Anm. 5, 8 (1921) S. 192 f.; Breitner, siehe Anm. 122, S. 21; Pietzsch, siehe Anm. 25, S. 24. 138 Köchel, siehe Anm. 29, Nr. 103; Wessely, siehe Anm. 2, S. 406 und 409. 139 Smijers, siehe Anm. 5, 8 (1921) S. 191. 140 Breitner, siehe Anm. 122, S. 21. 141 Mitglied des Hofstaats von Maximilian als Erzherzog bzw. böhmischer König. Nach Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 169 und 177, stand Strazzacappa erst ab 1554 im Dienst Maximilians, jedoch wird er bereits im Hofstaatsverzeichnis von 1551 (ebenda, S. 350) genannt; vgl. auch Federhofer, siehe Anm. 38, S. 181. 142 Formellis stand bereits vor 1564 im Dienst des Erzherzogs bzw. böhmischen Königs Maximilian, siehe Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 160, sowie das Hofstaatsverzeichnis 1554 bei Federhofer, siehe Anm. 38, S. 180. 143 Smijers, siehe Anm. 5, 6 (1919) S. 145-147; ders., siehe Anm. 5, 7 (1920) S. 137 f.; Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 160-162; vgl. auch Koczirz, siehe Anm. 82, S. 295; Comberiati, siehe Anm. 46, S. 202, und Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 163 und 391. 144 Auch Cappa diente bereits seit 1560 dem böhmischen König Maximilian II., siehe Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 169-177 und 197 f., wonach „1576 über den weiteren Verbleib des Trompeters nichts bekannt geworden [ist]“. Wie aus Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 170, 380 und 443, hervorgeht, wurde Cappa jedoch von Rudolf II. übernommen und scheint in den Hofstaatsverzeichnissen 1576 und 1580 als Trompeter, 1584 und 1589 als Kammermusiker auf. Die Listen ab 1600 nennen ihn nicht mehr, vgl. Rosenberg, siehe Anm. 5. 145 Köchel, siehe Anm. 29, Nr. 187; Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 174 f., 219222, 373, 382 und 391; Hindrichs, siehe Anm. 4, S. 198; Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 170 und 443.
Instrumentalisten und Instrumentalmusik 1527–1612 1565–91 1566–69 1566–76 1567–80(82)150 1567–76 1569–73 1570–1594 146
Mauro SINIBALDI (12fl., 1569: 15fl., 1574: 21fl., 1576: 28fl.20kr.)147 Valentin GREFF BAKFARK (300 Taler jährl.)148 17–21 Trompeter + 1 Pauker (8-18fl.)149 Cesare BENDINELLI (15fl., 1572: 17fl.)151 Giuseppe DUSINELLO (12 fl., 1569: 15fl., 1576: 18fl.)152 Luigi ZANOBI (15kr.)153 Paul VAN WINDE (25fl.)154
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KaMus („Geiger“) Laut.
Trp. Trp. Zink. Org.
Van Mulen war daneben von spätestens 1560 bis 1598 als Kapellsänger tätig. Vgl. Smijers, siehe Anm. 5, 9 (1922) S. 54 f.; Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 164, Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 162. 147 Köchel, siehe Anm. 29, Nr. 188; Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 174 f., 219222, 373, 377, 382 und 386; Hindrichs, siehe Anm. 4, S. 198; Comberiati, siehe Anm. 46) S. 199; Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 161, 380; vgl. auch Senn, siehe Anm. 13, S. 149 f. 148 Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 224, 367 und 372; Király – Ivanoff, siehe Anm. 101, Sp. 47 f. 149 Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 173-179 und 361-392; Hindrichs, siehe Anm. 4, S. 198. Vor 1564 umfaßte das Trompeterkorps des Erzherzogs und böhmischen Königs Maximilian bis zu 16 Mitglieder. 150 Bendinelli wird noch im Hofstaatsverzeichnis 1580 angeführt (vgl. Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 443); zwar wechselte er in diesem Jahr an den Hof des bayerischen Herzogs, allerdings dürfte Bendinelli auch danach zumindest gelegentlich für Rudolf II. tätig geworden sein. So scheint sein Name noch in der Liste der Angehörigen von dessen Trompeterkorps am Reichstag 1582 auf (vgl. Pietzsch, siehe Anm. 31, S. 171); vgl. auch den Text auf einem von Bendinelli gestifteten Votivbild, in dem davon die Rede ist, daß er „1582 von ir khays: Mst. zu dero dienst abgefordert“ wurde; siehe Tarr, Cesare Bendinelli, siehe Anm. 27, S. 37. 151 Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 205-207, 368, 373, 382 und 391; Hindrichs, siehe Anm. 4, S. 198; Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 170, 443. 152 Comberiati, siehe Anm. 46, S. 99 f.; Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 208 f., 368, 374, 382 und 391; Hindrichs, siehe Anm. 4, S. 198; Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 170 und 443. 153 Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 222 f.; Lindell, New Findings, siehe Anm. 10, S. 238 und 242 f. Ist wohl identisch mit dem von Köchel, siehe Anm. 29, Nr. 192, für 1569 mit einem Gehalt von 15kr. geführten „Ludwig Zampi“; Zanobi scheint weiterhin im Verzeichnis des Hofstaats am Speyrer Reichstag 1570 als „Luigi Comobi Zingenplaßer“ auf (Hindrichs, siehe Anm. 4, S. 198, liest „Luigi Lomolis“). 154 Entgegen der Angabe bei Köchel, siehe Anm. 29, S. 49, und Smijers, siehe Anm. 5, 6 (1919) S. 145, war Paul van Winde am kaiserlichen Hof nur bis 1594 tätig. Vgl. Georges van Doorslaer, Paul van Winde, organiste à la cour imperiale de Vienne ( † 1598), in: Bericht über den Internationalen Kongreß der Gesellschaft für Musikforschung Lüttich 1930. Guilford
144 1570–? 1570–71 (74?) ca. 1570–81 1571–72 1573–75 nach 1574–80 1576–1612
1576–89 (1579?) 1580– 1596 1580–1612
Markus Grassl Martha [ORDELWRING, verehel. Sinibaldi, nach 1591: Ardesi]155 Johann Andreas CAPELLIS (25kr.)156 Stefano ROSSETTI157 Jacobo CELANO (15fl.)158 Hans PERGER (5 fl.)159 (1574 auch „instrumentist“ = Kammermusiker?) Hans Jacob TRÄXL (10fl.)160 Carl LUYTHON: 1576 Sänger, 1576 KaMus. (Org.) (10fl., 1580: 20 fl.), 1582 Kapellorg. (25fl.), 1603 zudem Hofkomponist (+ 10fl.)161 18–22 Trompeter + 1 Pauker162 Gregorio TURINI (15fl.)163 Giovanni Paolo ARDESI (10fl., 1600: 18fl.,
Lautenistin, Cembalistin (Sängerin) KaMus („Geiger“) KaMus – Tasteninstr. Zink. Org. Trp., Zink.
Trp. KaMus
1930, S. 97; vgl. auch Koczirz, siehe Anm. 82, S. 302; Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 162 f.; Comberiati, siehe Anm. 46, S. 202; Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 163 und 391. 155 Lindell, siehe Anm. 11; Lunelli, siehe Anm. 11. 156 Köchel, siehe Anm. 29, Nr. 189; Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 217 f., nennt Capellis nur für die Jahre 1570/71, allerdings wird er noch im Hofstaatsverzeichnis 1574 (ibidem, S. 377) geführt; vgl. auch Hindrichs, siehe Anm. 4, S. 194. 157 Lindell, siehe Anm. 11, und alle unter Anm. 10 angeführten Arbeiten desselben Autors. 158 Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 223 f. 159 Ibidem, S. 163 f.; Unrichtig hingegen Köchel, siehe Anm. 29, Nr. 110, und Smijers, siehe Anm. 5, 6 (1919) S. 145, die als Ende des Diensts 1596 bzw. 1576 angeben. 160 Pass, Musik und Musiker, siehe Anm. 2, S. 224 und 392; Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 443; vgl. auch Senn, siehe Anm. 13, S. 149. 161 Luython war bereits unter Maximilian II., vermutlich 1566, als Chorknabe in die Hofkapelle eingetreten und hielt sich vor 1576 mehrere Jahre in Italien auf. Vgl. Comberiati, siehe Anm. 46, S. 62-77; ders., siehe Anm. 125, S. 130-138; vgl. auch Smijers, siehe Anm. 5, 6 (1919) S. 147; ders., siehe Anm. 5, 8 (1921) S. 196-198; Georges van Doorslaer, La Chapelle musicale de l’empereur Rudolphe II, en 1594, sous la direction de Philippe de Monte, in: AMl 5 (1933) S. 148-161, hier S. 150 und 159 f.; Rosenberg, siehe Anm. 5, S. 8587, Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 161 und 391. 162 Siehe die von Hausenblasová (siehe Anm. 5, S. 136) für 1576, 1580, 1584 und 1589 gegebenen Gesamtzahlen. 163 Vgl. Žáčková Rossi, siehe Anm. 59, S. 165 f., mit detaillierten Nachweisen und darauf aufbauend dies., Turini, Gregorio, in: NGroveD 25 (2001); dies., siehe Anm. 58, S. 220 f. (überholt sind die Angaben im Artikel Joachim Steinheuer, Turini, in: MGG-Personenteil 16 [2006] Sp. 1132); vgl. auch Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 444; Pietzsch, siehe Anm. 31, S. 171.
Instrumentalisten und Instrumentalmusik 1527–1612
1580–1612 1580–[1587]/ [1603–]1613 1582 1586–1592 1589–94 1589–1612 [1590–91 1590–1612 1593–99
164
1604: 21fl.)164 Carlo ARDESI (15fl., 1601: 30fl.)165 Alessandro OROLOGIO: 1580: Zink., Trp. (15fl.), 1603: Vizekpm. (30fl.)166 19 Trompeter + 1 Pauker167 Zuanjosepo ZELOTTI168 Hans LAMPERTUS169 Asconius ROMANELL170 Francesco MOSTO171 Philippe SCHÖNDORFF (15fl., 1600: 18fl., 1602: 21fl., 1605: 24fl.)172 Hanns LEMMENS (10fl.)173
145
KaMus
Trp. KaMus Edelknabenfechtmeister, Laut. Zink., Pos.] ? Trp. „Extraordinari“ Org.
Köchel, siehe Anm. 29, Nr. 276 und 363; Comberiati, siehe Anm. 46, S. 205 und 210; Rosenberg, siehe Anm. 5, S. 79 f., Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 381 und 444. 165 Köchel, siehe Anm. 29, Nr. 278 und 364; Rosenberg, siehe Anm. 5, S. 80 f.; Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 380 f. und 443, woraus hervorgeht, daß Carlo Ardesi bereits 1580 in kaiserlichen Diensten stand. Vgl. auch Mangani, siehe Anm. 83, S. 424 f., der nachweist, daß Alberto Ardesi nicht wie bislang vermutet der Vater, sondern ein Bruder von Giovanni Paolo und Carlo war. 166 Žáčková Rossi (siehe Anm. 58, S. 214 f.) konnte den Eintritt Orologios in die Hofmusik im Jahre 1580 nachweisen und damit Köchel (siehe Anm. 29, Nr. 277) entgegen den Bedenken Flotzingers (siehe Anm. 61, S. 56) bestätigen; weitere Belege bei Pietzsch, siehe Anm. 31, S. 171; Smijers, siehe Anm. 5, 6 (1919) S. 149; ders., siehe Anm. 5, 8 (1921) S. 185-187; Rosenberg, siehe Anm. 5, S. 34 f., Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 380 und 444. 167 Nach dem Verzeichnis von Rudolfs Hofstaat am Augsburger Reichstag 1582; vgl. Pietzsch, siehe Anm. 31, S. 171. 168 Žáčková Rossi , siehe Anm. 58, S. 217 169 Lampertus wird im Hofstaatsverzeichnis 1589 sowie in der Liste der Hofangehörigen am Reichstag in Regensburg 1594 unter der Rubrik „Musici“ mit dem Zusatz „instrumentist“ genannt (siehe Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 391; Doorslaer, siehe Anm. 161, S. 150 und 155), ist ansonsten aber nicht belegt. 170 Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 427. 171 Wie Žáčková Rossi, siehe Anm. 58, S. 217 f., gezeigt hat, hielt sich der bis zum Ableben Karls von Innerösterreich 1590 in Graz tätige Mosto danach bis zu seinem Tod 1591 am Hof Rudolfs II. auf. 172 Smijers, siehe Anm. 5, 9 (1922) S. 67 f., Pietzsch, siehe Anm. 31, S. 175; Rosenberg, siehe Anm. 5, S. 112 f.; Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 445; vgl. auch Comberiati, siehe Anm. 46, S. 101 f. 173 Smijers, siehe Anm. 5, 6 (1919) S. 147; Köchel, siehe Anm. 29, Nr. 203, und wohl im Anschluß daran Rosenberg, siehe Anm. 5, S. 83 f., führen Lemmens jedoch erst ab 1594.
146 (1593?) 94–1604 1594 1594–1602 1591–1612 1596–1612 1585–1605 1600–05 1602–12
174
Markus Grassl Lorenz HENNIGK (15fl.)174 26 Trompeter + 1 Heerpauker175 Georg KETTERLE (15fl., 1601: 21fl.)176 Marco Antonio MOSTO (10fl., 1602: 15fl., 1605: 18fl.)177 Liberale ZANCHI (20fl., 1599: 25fl.)178 Tobias BIDERMANN (5fl., 1589: 10fl., 1590: 12fl., 1594: 15fl.)179 19–23 Trompeter + 1 Pauker (10-24fl.), 9–19 Trompeter-Lehrjungen180 Hans Leo HASSLER: „Hofdiener von haus aus“ (15fl.), seit 1605 auch KaOrg181
Laut. KaMus 1594 Trp., seit 1601 KaMus Org., KaOrg. Trp. (Clarinist?)
Hennigk ist 1594 am Reichstag in Regensburg nachweisbar, vgl. Doorslaer, siehe Anm. 161, S. 150 und 155; Rosenberg, siehe Anm. 5, S. 84 f., gibt ohne näheren Beleg 1593 als Jahr des Dienstbeginns an und kann Zahlungen bis 1604 nachweisen; vgl. auch Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 427. 175 Nach dem Verzeichnis von Rudolfs Hofstaat am Regensburger Reichstag 1594; vgl. Pietzsch, siehe Anm. 31, S. 171. 176 Köchel, siehe Anm. 29, Nr. 280, und danach Rosenberg, siehe Anm. 5, S. 82 f., geben als Dienstbeginn 1595 an, Ketterle scheint aber bereits im Hofstaatsverzeichnis des Regensburger Reichstags 1594 auf, vgl. Doorslaer, siehe Anm. 161, S. 150 und 155; vgl. auch Smijers, siehe Anm. 5, 6 (1919) S. 155; Comberiati, siehe Anm. 46, S. 205, und Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 381. 177 Nachweis des bereits von Rosenberg, siehe Anm. 5, S. 103, erwähnten Dienstbeginns 1591 bei Žáčková Rossi, siehe Anm. 58, S. 218; als Trompeter ist Mosto am Regensburger Reichstag 1594 belegt, vgl. Pietzsch, siehe Anm. 31, S. 171; als Kammermusiker wird Mosto spätestens seit 1601 (nicht erst 1603, wie Rosenberg, siehe Anm. 5, S. 104, angibt) geführt: vgl. Smijers, siehe Anm. 5, 6 (1919) S. 155 und 185; Comberiati, siehe Anm. 46, S. 205 und 210, und Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 381 und 446. 178 Smijers, siehe Anm. 5, 6 (1919) S. 147, 149, 156 und 185 f.; ders., siehe Anm. 5, 9 (1922) S. 80; Comberiati, siehe Anm. 46, S. 207 und 210; Rosenberg, siehe Anm. 5, S. 87 f., und Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 391; vgl. auch Grassl, siehe Anm. 87. 179 Rosenberg, siehe Anm. 5, S. 93, kann Bidermann von 1585 bis 1605 nachweisen (und zwar zunächst als Trompeter-Lehrjungen), weiterhin scheint er als Trompeter in der Hofstaatsliste anläßlich des Regensburger Reichstags 1594 auf; vgl. Pietzsch, siehe Anm. 31, S. 171; vgl. auch die Nachweise als Trompeter für 1589 und 1601 bei Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 444. Köchel, siehe Anm. 29, Nr. 284, führt Bidermann für 1598/99 als „Clavierist“, eine ungewöhnliche und angesichts dieser mehrfachen Belege als Trompeter unwahrscheinliche Qualifikation. Möglicherweise hat Köchel „Clarinist“ verlesen. 180 Siehe die jahresweisen Aufstellungen der Gesamtzahl der Musiker bei Rosenberg, siehe Anm. 5, S. 10-15, und die Einträge zu den einzelnen Musikern ibidem, S. 92-140; vgl. auch Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 136.
Instrumentalisten und Instrumentalmusik 1527–1612 1602–13(14?) 1603–12 1607–12 1612
181
Jacob HASSLER (30fl.)182 Ludovico FABIO (12fl., 1607: 16fl.)183 Caspar RAICKENROY (20fl., 1610: 25fl.)184 19 Trompeter + 1 Pauker (10-24fl.), 11 Trompeter-Lehrjungen (4-10fl.)185
147
KaOrg. KaMus Org.
Smijers, siehe Anm. 5, 8 (1921) S. 177-183; vgl. auch Krones, Die Beziehungen, siehe Anm. 117. 182 Siehe die näheren Nachweise bei Krones, siehe Anm. 125, S. 30-35; ders., Haßler, siehe Anm. 117, Sp. 842 f.; vgl. auch Rosenberg, siehe Anm. 5, S. 83. 183 Köchel, siehe Anm. 29, Nr. 127, 366; Smijers, siehe Anm. 5, 6 (1919) S. 185; Comberiati, siehe Anm. 46, S. 210; Rosenberg, siehe Anm. 5, S. 81 f., und Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 381. 184 Köchel, siehe Anm. 29, Nr. 293; Smijers, siehe Anm. 5, 6 (1919) S. 149; Comberiati, siehe Anm. 46, S. 210, und Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 391. 185 Pietzsch, siehe Anm. 31, S. 174-176; vgl. auch Hausenblasová, siehe Anm. 5, S. 136, die allerdings Trompeter und Trompeter-Lehrbuben zusammenrechnet.
148
Markus Grassl
ANHANG B: Hof- und Kammerorganisten 1527 1528
Melle Grafendorfer | | 1546 Khräll 1550/51 | | 1564 Formellis 1565 | | 1570 | 1573 | 1575 | 1576 | | 1582 Luython (Capellorg.) 1585 | | 1593/94 | | 1596 | 1599 | | 1602 | 1605 | 1607 | | 1612 |
Buus | van Mulen | | | | | | | | | Lemmens | | |
Raickenroy | |
van Winde | Perger | | | Luython | (Kammerorg.) | | | | | Zanchi | | | | | | |
J. Hassler [H.L. Hassler] | | | | | | | |
Werner Braun (Saarbrücken)
„Wohlfugierte Tafelsonaten“: Johann Theile und die Wiener Hofmusik Über die Verbindungen des mitteldeutschen Kontrapunktikers Johann Theile (1646–1724) mit dem Wiener Hof unterrichtet aus erster Quelle Johann Mattheson in Hamburg. Er hatte den Meister als Parteigänger im sogenannten „Orchestre-Streit“ gewinnen können, korrespondierte auch nach 1717 mit ihm, kannte die eine oder andere kunstvolle Theile-Sonate und veröffentlichte 1724/25 einen ausführlichen Nachruf auf ihn mit vielen biographischen Daten1. Dieses curriculum vitae übernimmt Johann Gottfried Walther 1732 so gut wie vollständig, darunter die Mitteilung, Theile habe für eine 1695 von der kaiserlichen Hofkapelle musizierte Messe „durch den damaligen Herrn Schmeltzer [sic] 100 Reichsthaler bekommen“2. Es handelte sich dabei wahrscheinlich um den Ballettkomponisten Andreas Anton Schmelzer, einen der Söhne des Vizekapellmeisters Johann Heinrich Schmelzer, der – gerade zum Kapellmeister ernannt – 1680 verstorben war. Als Termin für diese Aufführung kommt die Nachfeier zum Namenstag von Kaiser Leopold I. am 22. November 1695 in Betracht, denn Kurfürst Friedrich August I. von Sachsen weilte noch immer zu Besuch in der Hofburg3, und für seinen anstehenden Konfessionswechsel wäre eine mitteldeutsche „Missa“ ein gutes Omen. Die Höhe des angegebenen Honorars entsprach den mehrfach belegten Gnadensummen für jährliche Pensionszahlungen und andere Unterstützungen in und im Umkreis der kaiserlichen Hofkapelle4. Theile konnte sich angemessen belohnt fühlen. 1
2 3
4
Johann Mattheson, Critica Musica II (Hamburg 1725) Reprint. Amsterdam 1964, S. 57 f.; Theiles Brief aus der „Orchester-Kantzley“ ibidem, S. 282 f. Johann Gottfried Walther, Musicalisches Lexikon. Leipzig 1732, S. 602 f. Herbert Seifert, Die Oper am Wiener Kaiserhof im 17. Jahrhundert. Tutzing 1985 (Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft 25) S. 109, 836 und 838. Herwig Knaus, Die Musiker im Archivbestand des kaiserlichen Oberhofmeisteramtes (1627– 1705) Bd. 2. Wien 1968 (Veröffentlichungen der Kommission für Musikforschung 8)
150
Werner Braun
Über die Wohlfugierten Tafelsonaten spricht Mattheson in seinem TheileArtikel zur Musikalischen Ehrenpforte 17405. Die Quellenangabe „ex autogr[aphis]“ zu Artikelbeginn bezieht sich auf abermals herangezogene Theile-Briefe, die nun insofern besonderes Gewicht erhalten, als in einem von ihnen ein Briefpassus des alten Schmelzer selbst zitiert wird. Mattheson berichtet: „Er, Theile, hat etliche Jahr herdurch, bey des Vicecapellmeisters, Johann Heinrich Schmelzers Lebzeiten in Wien, Sonaten mit 4. und 5. Stimmen, alle Leipziger=Messen überschicken müssen, wofür er manche Ergetzlichkeit genossen, und schreibet gedachter Schmeltzer [sic] aus Wien, wie folget: Anlangend die übergeschickten Sonaten, sind solche fast schon alle bey Ihro Kaiserliche Majestät unter der Tafel produciret worden, und versichre meinen Herrn, daß es Ihro Majestät mit absonderlichem Contento angehöret haben; zumahlen Ihro Majestät den Contrapunct gar wohl verstehen, und die wohlfugierten Sonaten sehr aestimiren“6. Den musikalischen Sachverstand des Kaisers hatte schon der Bericht zur Theile-Messe gerühmt: Der Monarch, „der den Contrapunct wohl verstund“, habe viel von Theiles „Sachen gehalten“. Schmelzers Amtszeit als Vizekapellmeister von 1671 bis 1679 markiert nun den zeitlichen Rahmen für diese Notenlieferungen. Sie müssen sich über mehrere Jahre (jeweils mit den großen Meßterminen „Ostern“ und „Michaelis“) erstreckt haben. Kontaktmöglichkeiten Wie war es zu den Verbindungen gekommen? Voraussetzung ist der gerade in dieser Zeit kräftige Musikalienaustausch zwischen dem katholischen Wien und dem lutherischen Norden. So stammen „etwa 50 Werke“, das heißt ungefähr ein Fünftel des gesamten Bestandes von Instrumentalwerken in der Düben-Sammlung, aus Wien, wobei sich das Hauptinteresse auf
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6
S. 12, 22, 32, 48, 58 und 67. Die Geheimen Kammerzahlamtsrechnungsbücher aus den Jahren zwischen 1669 und 1706 fehlen. Paul Nettls Exzerpte zur Kaiserlichen Hofkapelle 1636–1680 enden – politisch zeitbedingt – 1666. Über die Zahlungen aus der Privatschatulle weiß man wenig. Johann Mattheson, Grundlage einer Ehren-Pforte, Hamburg 1741, neu hg. von Max Schneider. Berlin 1910, S. 369 f. Ibidem, S. 370.
Johann Theile und die Wiener Hofmusik
151
Schmelzer bezog7. Theile gehörte in die umgekehrte Richtung. Sein Ruhm beruhte weniger auf seinem ersten Druck, den Weltlichen Arien und Canzonetten von 1667, weniger auf seinen Hamburger Opern und sogar weniger auf seinen Beiträgen zur evangelischen Kirchenpassion (1673 und 1708) und zur konzertierenden Kirchenmusik als auf seinen Arbeiten zum mehrfachen Kontrapunkt. Mattheson, seinerseits an Theiles strenger Lehre geschult, wird gerade ihretwegen auf diesen „Anwalt“ Wert gelegt haben, denn durch das Neu-eröffnete Orchestre von 1713 drohte ihm der Vorwurf, ein oberflächlicher Musikgelehrter zu sein. Theile setzte sein Wissen und seine Erfahrung teils vokal kirchlich und altertümlich, teils instrumental und modern ein. Analog zu Claudio Monteverdis Unterscheidung von „Prima“ und „Seconda Pratica“ sprach er global von „Opus primum“ und „Opus secundum“ (1686)8, doch er blieb dabei in den Bahnen des linearen Kontrapunkts. Für die freien Arbeiten hätte Theile noch ein „Opus tertium“ postulieren müssen. Die beiden – auch für Wien interessanten – Verwendungsarten des strengen Stils sind exemplarisch belegt in der Pars Prima Missarum 4. et 5. Vocum, Wismar 1673, und im Musikalischen Kunstbuch (=MKB), Handschrift 1691 oder früher9. Doch Theile verfügte über einen viel größeren Vorrat an Kompositionen beider Genera, er wollte daraus weiteres veröffentlichen, und er bot Einzeltitel zum Verkauf an. Zu den Fortsetzungsdrucken zu den Messen von 1673 ist es nicht gekommen, auch nicht zu einer Veröffentlichung der kontrapunktischen Sonaten, und so sind wir weithin auf die zum Teil von Theile selbst herausgegebenen Kataloge seiner Arbeiten10 angewiesen, um den Umfang des Gesamtwerks abzuschätzen. 7
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Erik Kjellberg, Über Inhalt und Bedeutung der Instrumentalmusik in der Düben-Sammlung [...], in: Arnfried Edler – Friedhelm Krummacher (Hg.), Dietrich Buxtehude und die europäische Musik seiner Zeit. Bericht über das Lübecker Symposium 1987. Kassel 1990 (Kieler Schriften zur Musikwissenschaft 35) S. 167. Im Wolfenbütteler Katalog, zitiert bei Johann Gottfried Walther, siehe Anm. 2, S. 603. .Johann Theile, Musikalisches Kunstbuch (1691), hg. von Carl Dahlhaus. Kassel 1965 (Denkmäler norddeutscher Musik 1). Daraus das folgende Notenbeispiel 1. Daß es sich dabei um Angebotslisten für handschriftlich verfügbare Werke handelt und nicht um Inhaltsverzeichnisse verschollener Drucke, wird durch die Notiz bei Mattheson zum Handel mit Theiles Sonaten anläßlich der Leipziger Messen und durch Vorausanzeigen in den Meßkatalogen selbst deutlich. Mindestens vier Kataloge dieser Art sind bekannt: zum Opus primum aus Wolfenbüttel (1686) und Merseburg (1701 oder
152
Werner Braun
Man kann sich daraufhin folgendes Vermittlungsmodell zwischen Theile und dem Wiener Hof vorstellen: Die sechs Messen „juxta veterum contrapuncti stylum“ im Druck von 167311 hatten ein weitergehendes Interesse geweckt, und ein – nun wohl handschriftlicher – Katalog hatte auf einen Vorrat an Instrumentalmusik im strengen Stil aufmerksam gemacht. Ein Kommissionär des Hofes bestellte daraufhin im Auftrag des erfahrenen Instrumentalkomponisten Schmelzer erste Proben dieser ungewohnten Kost bei dem zur Leipziger Messe anwesenden Komponisten. Und als der „Allerhöchste“ Erfolg gewiß war, kam es zu einer Art Abonnement im Zeitraum von einigen Jahren. Was nun das Verhältnis des MKB – Inbegriff von Theiles Opus secundum – zum kaiserlichen Hof betrifft, so ist als erstes festzuhalten, daß das zur Fertigstellung des verschollenen Originals genannte Jahr „1691“ gut im Rahmen von Theiles sich über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren erstreckenden Wien-Kontakten liegt (circa 1675–1695), daß zweitens die darin gelehrte „Kunst“ mit einem wichtigen Zweig der Wiener Instrumentalmusik (eben den Sonaten) korrespondierte. Jedoch wissen wir nicht, ob das MKB in Wien überhaupt bekannt gewesen ist. Das in Naumburg ausgefertigte Vorwort wendet sich ohne lokale Präzisierungen an Kompositionsschüler, an Liebhaber der Musik und an erfahrene Komponisten. Das paßt außer auf Wien auf alle anderen Musikzentren der Zeit. Dieses erst durch Johann Gottfried Walther 1735/37 bekanntgemachte, d. h. durch seine Abschrift erst überliefertes Exempelbuch12 krönte Theiles einschlägiges Schaffen, das kurz vor 1670 begonnen hatte. Daß Theile dar-
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12
1708), zum Opus secundum aus Hamburg (1683), wieder aus Wolfenbüttel (1686) und aus Leipzig (1699). Der Wolfenbütteler Katalog, der als einziger beide Opera berücksichtigt, ist von den drei Quellen zum zweiten Bereich die ausführlichste; Hamburg und Leipzig stellen demgegenüber einen auf drei Stimmen eingeschränkten Spezialfall dar. Nur in Wolfenbüttel erscheinen auch instrumentale „Ariae“ und die Zahl „50“ für alle Einzelkategorien: Der neuernannte Rosenmüller-Nachfolger suchte sich nachdrücklich zu profilieren. Er wird die genannten Einzelarbeiten selbst vertrieben haben, ebenso die geistlichen Werke in Merseburg, wo außer ihm nur der Drucker genannt ist. Die dreistimmigen Opera secunda, für die eine größerer Absatz erhofft werden konnte, überließ er Verleger-Buchhändlern (Gottfried Schultze in Hamburg, Christoph Hülse in Leipzig). Emilie Schild, Geschichte der protestantischen Messenkomposition im 17. und 18. Jahrhundert. Gießen: Diss. 1934, S. 106-108. Werner Braun, Kunstbuch, in: MGG2, Sachteil 5 (1996) Sp. 818.
Johann Theile und die Wiener Hofmusik
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in eine seiner leopoldinischen Sonaten aufgenommen hätte, würde zum Rang der Schrift passen. „Stimmigkeiten“ Zu den bekannten Schwierigkeiten bei der Stimmenzählung eines Werkes mit Generalbaß – Anzahl der Satz- und der Ausführungsstimmen – kommt bei den wohlfugierten Sonaten noch eine weitere: die Anzahl der Kontrapunkte. Theile selbst geriet hier in Verwirrung. Denn die drei betreffenden Nummern seines MKB XIII-XV zeigen nur in Bezug auf die Kontrapunkte eine progressive Reihenfolge: zwei, drei und vier soggetti. Die Überschriften lauten aber: „Sonata duplex à 3“ (Nr. XIII), „Sonata à 3“ (Nr. XIV) und „Sonata à 5“ (Nr. XV), und die Partitur besteht zweimal aus vier Systemen (erst mit beziffertem, dann mit unbeziffertem Baß). Bei dieser letzten Komposition des MKB könnte man die Zählung je nach Satztechnik, Satzgestalt und Aufführungsweise so präzisieren: „Sonata quadruplex mit fünf obligaten Stimmen in sechs Partien.“ Von hier aus sind die Angaben der Theile-Kataloge zu interpretieren. In Wolfenbüttel 1686 reichte die angegebene Stimmenzahl von zwei bis fünf, wobei der niedrigste Wert auch die Anzahl der soggetti angibt, es handelte sich also um Doppelsonaten mit wohl zwei weiteren Partien. Umgekehrt endet die Anzahl der soggetti auch bei den fünfstimmigen Sonaten bei vier. Wie bei Nr. XV des MKB muß also beim Stimmtausch jeweils eine Stimme pausieren. Für Wien sind – wie gesagt – Theile-Sonaten „mit 4. und 5. Stimmen“ bezeugt. Da im MKB keine dezidiert vierstimmig gezählte Sonate überliefert ist, konzentriert sich unser Interesse auf die fünfstimmige. Sie nimmt als frühe Permutationsfuge ohnehin eine besondere Stellung ein. Daß sie aus dem Wiener Bestand stammt, läßt sich weder beweisen noch ausschließen. Auf jeden Fall repräsentiert sie ausgezeichnet den Typus einer „Wohlfugierten“ Sonata.
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Tafelsonaten „Sonata“ hießen damals Instrumentalkompositionen entweder als Einzelstücke oder als Eröffnungsstücke oder als mehrsätzige Gebilde13. Theile benutzt den Ausdruck im erstgenannten Sinn: für eine Spielmusik, die weder „Praeludium“ noch ein Tanz war. Gebraucht wurde sie in unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen. Mattheson versichert mit den Worten Schmelzers, die Theile-Sonaten seien „unter der Tafel“ dargeboten worden. Das war grundsätzlich nichts Besonderes. Am Weimarer Hof gab es kurz vor 1662 viele Sonaten, „so [...] vor der tafel gemacht worden“14, darunter fraglos solche von Schmelzer, der im dortigen Inventar mehrfach als Sonatenkomponist bezeugt ist, zweimal sogar mit Notenincipit. Das Umstandswort „unter“ bezieht sich auf die zeitliche Abfolge der Tafelei, das Wort „vor“ auf den Ort nahe den Tafelnden. Im Unterschied zur Signalfunktion usueller Tafelsonaten für Trompeter15 – Zusammenrufen der Gäste und Tusch beim Zutrinken – gehörten die komponierten Tafelsonaten zum Verlaufsprogramm einer leisen Musik. Sie waren nicht die einzige Musiksorte in dem großen Funktionalbereich16, aber offensichtlich eine außerordentlich wichtige. Daß in den bisher erschlossenen Abbildungen zur kaiserlichen Tafel der Akzent auf der lauten und der großen Musik (mit Sängern) liegt17, hat mit Repräsentationsgründen zu tun. Die Sonaten vertraten weniger eine festliche denn eine alltägliche Form der Tafelmusik. Statt auf gravitas, Ethos der Kirche, kam es mehr auf suavitas an. Theiles Erläuterung zum Opus secundum betont dies. Und die hohe kontrapunktische Kunst widersprach dem nicht. Aber zur Regel gehörte sie auch nicht. Schmelzer selbst hatte sich eher auf die klangliche Außenseite der Musik eingestellt, auf geigerische Virtuosität, auf leicht faßliche Formen und 13
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William S. Newman, The Sonata in the Baroque Era. Chapel Hill 1959, S. 215, 249 und öfter. Adolf Aber, Die Pflege der Musik unter den Wettinern und den wettinischen Ernestinern. Bückeburg–Leipzig 1921, S. 154; Eberhard Möller, Die Weimarer Noteninventare [...], in: SJb 10 (1988) S. 70. Sonaten, „wann zu Tisch geblasen wird“: Michael Praetorius, Syntagma musicum 3. Wolfenbüttel 1619 (Reprint Kassel 1958) S. 171. Erich Reimer, Tafelmusik, in: HMT 1971. Abbildungen von 1654 (Theatersaal und Ritterstube zur Erbhuldigung) und 1678 (Wiener Neustadt) bei Herbert Seifert, siehe Anm. 3, Nr. 31, und in ders., Der Sig-prangende Hochzeit-Gott. Wien 1988 (dramma per musica 2) S. 94 und 125.
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Techniken wie Variationen18. Auch von Theile gab es ein paar in leichterer Manier gestaltete Stücke19. Andererseits waren Schmelzers Ensemble-Sonaten von 1662 geistlich und weltlich verwendbar20. Theiles wohlfugierte Musik fiel nicht mit der Tür ins Haus. Die beiden Sonaten XIII und XV des MKB beginnen und enden tanzartig, lautlich abgestuft. Und zwischen den obligatorischen beiden Fugenteilen, den rectound verso-Führungen der soggetti, vermittelte stets eine akkordische Überleitung. Die Form der solcherart „umkleideten“ Fugensonaten XIII und XV (Sonata duplex und Sonata quadruplex) lautet A B-B’A. Wohlfugiert Der mehrfache Kontrapunkt verlangt rhythmische Simultankontraste, die einerseits das Ganze des Tonsatzes tragen, andererseits das Verfahren des Stimmtauschs bemerkbar machen. Die sukzessive Beschleunigung wird schon in den Anfangsnoten der ersten drei soggetti von Sonata XV des MKB deutlich: Viertel, Achtel, Sechzehntel. Die Zweiunddreißigstelnoten in soggetto 2 und 3 (b und c) betonen die Nähe zu solistischer Virtuosität, die also auch in „abstrakten“ Kombinationen ihr Recht behielt. Der vierte Kontrapunkt (d) kehrt nur scheinbar zum ersten Bewegungsmuster zurück; er spielt mit den Taktschwerpunkten und ist damit wohl ein Beispiel für die „artificiosi Syncopationes“ bzw. den „syncopatus Contrapunctus“, von welchem der Wolfenbütteler Katalog 1686 im Opus secundum spricht.
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Heinrich Schmelzer, Sonatae unarum fidium 1664, hg. von Erich Schenk. Wien 1958 (DTÖ 93). Ernst Hermann Meyer, Die mehrstimmige Spielmusik des 17. Jahrhunderts. Kassel 1934, S. 116 und 252 (zwei Sonaten in Uppsala, Deutsches Musikgeschichtliches Archiv, Nr. 1/1669 und 1/1670). An den Kunstbuch-Sonaten glaubt Meyer „eine gewisse Verknöcherung konstatieren [zu] müssen“ (S. 125). Den zu Johann Sebastian Bach führenden Weg sieht er nicht. Heinrich Schmelzer, Sacro-profanus concentus musicus fidium aliorumque instrumentorum 1662, hrsg. von Erich Schenk. Graz 1965 (DTÖ 111/112).
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Diese Kunst wurzelt letztlich in der franko-flämischen Instrumentalmusik um 1500, die den Ausgleich zum fehlenden Singtext in subtilem Kontrapunkt suchte. Tripelfugen fanden sich dann in der italienischen Instrumentalmusik schon vor 1650: bei Giovanni Battista Buonamente 163721 – lange vor den Artificii musicali op. 13 des Giovanni Battista Vitali (Modena 1689). In dieser Tradition befand sich bereits Schmelzer, der in der Sonata XII seiner Trios von 165922, der letzten dieser dem Kaiser Leopold gewidmeten Sammlung, die drei soggetti auf eine geistvoll „redende“ Art einführte, nämlich über die jeweils gleiche Klagemelodie der drei Instrumente Violine 1, Violine 2 und Viola da gamba. Bezeichnen wir die drei Gedanken als a, b, c und die Klage als x, so ergibt sich folgendes Schema: 1 2 3
----------------------- a ------- x b a ----------- b ------------------- x c a x
a
b a c
c c c
c a
c b c
a
b
b a c
Stellt man Theiles Sonata XV dagegen (mit dem Sigel d für den vierten soggetto), so versteht man zwar Schmelzers Interesse an der Kunst des zwanzig Jahre Jüngeren, aber auch seinen (vermutlichen) Verzicht auf 21
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Willi Apel, Die italienische Violinmusik im 17. Jahrhundert. Wiesbaden 1983 (Beihefte zum AfMw 21) S. 65 f. Duodena selectarum sonatarum, in: Heinrich Schmelzer, Triosonaten, hg. von Erich Schenk. Graz 1963 (DTÖ 105). Hieraus (S. 73) das folgende Beispiel.
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Nachahmung, denn die Permutationsfuge ist nun voll ausgeprägt mit all ihren Kennzeichen: lückenlose Folge der Kontrapunkte, ständiger Stimmtausch im mehrfachen Kontrapunkt (fünfmal, danach Transposition), dabei regelmäßiges Alternieren zwischen fünfter und erster Stufe, Verzicht auf Zwischenspiele. 1 2 3 4 5
a
a b
b c a
c d a b
-
-
-
-
d
-
-
a c d b
b c a
a b d
c
b c a d
c d a b
-
d
-
-
a c d b
b c a
a b d
c
b c
a d
Überspitzt ausgedrückt, erscheint Schmelzers Kontrapunkt kümmerlich, der von Theile trocken. Der Wiener kommt über den doppelten Kontrapunkt in der Oktave nicht hinaus (soggetti a b – b a; a c – c a), und er wiederholt sich (a b ; b a c). Dafür haben seine Gebilde „Charakter“, der bei dem Haupt-soggetto a aus einem starken Gegensatz zur „Klage“ resultiert. Sie erwidern mittels aufsteigenden Sequenzfiguren, die ihre melodische Verwandtschaft offenlegen. Hier die beiden ersten simultanen Vereinigungsformen:
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Ein Vergleich des soggettos a von 1659 mit Theiles soggetto c zeigt den fundamentalen Unterschied. Zwar durchmessen beide den Tonraum einer Septime abwärts und setzen danach zur steigenden Sequenz an, doch nur Schmelzer geht zielstrebig weiter (Ausgangstöne d’’ e’’ f’’’ g’’ a’’), Theile formt durch Gegenbewegung eine größere Einheit, die er eine Terz tiefer wiederholt und so ihres finalen Zuges beraubt.
Andere Komponisten Im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts galt in der Hofburg nicht nur Theile als Fachmann für den strengen Stil. Aus dessen unmittelbarer Umgebung kam Nicolaus Adam Strungk, der bei zwei Auftritten (am Clavier und mit der Violine) „2 güldene Ketten zum Praesent “ erhielt, und diese Ehrung betraf natürlich zugleich den Komponisten. Sein Clavier-Capriccio primi tuoni
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im strengen Stil trägt die Entstehungsnotiz „Vienna il 8. Julij ao. 1686“23. Strungks Trio- und Ensemble-Sonaten könnten wenigstens nachrichtlich in Wien bekannt gewesen sein. Neben den norddeutschen Vorstößen in den Bereich des linearen Kontrapunkts dürfen die italienischen Beiträge nicht übersehen werden. 1677 widmete der Domkapellmeister von Salò (am Gardasee) Stefano Pasino sein Kanonwerk Gvida, e Conseqventi Kaiser Leopold I. Es enthält außer zehn liturgischen vierstimmigen Stücken (meist Psalmen) zwei kanonische Triosonaten. Eröffnet wird das Op. 7 mit einer Musikgraphik, die einen vierstimmigen Doppelkrebs „Jesu mi Rex“ als Rastralkreuz darstellt24. Trotz der bei dieser Technik verminderten Eleganz erreicht der Komponist in der Stückmitte eine ungewöhnliche, fast fugierende Satzauflockerung25. Seine Sonaten Op. 8 (Venedig 1679) enthalten einen dreistimmigen Kanon26, nun aber nicht als Regelfall, sondern als Ausnahme. Pasinos „musikalisches Kunstbuch“ von 1677 hebt sich desto stärker hervor. Ob noch weitere kunstvolle Kontrapunktisten sich dem Kaiser näherten, muß eine Repertoire-Untersuchung klären. Aber an dem schon durch Theile, Pasino und Strungk entstandenen Eindruck dürfte sich nicht viel ändern: daß nämlich die „Allerhöchste“ Bewunderung einen Stil betraf, der am Ort selbst nicht (oder noch nicht) durch einheimische Kräfte verwirklicht werden konnte. Stilbewußtsein Bei der Wiederbelebung des linearen Kontrapunkts und des alten Stils nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs war ein anderer Schütz-Schüler Theile vorangegangen: der achtzehn Jahre ältere Christoph Bernhard, dessen 23
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Friedrich W. Riedel, Quellenkundliche Beiträge zur Geschichte der Musik für Tasteninstrumente in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. ²München–Salzburg 1990, S. 155 f. Oscar Mischiati, Bibliografia delle opere die musicisti Bresciani pubblicate a stampo dal 1497 al 1740, II. Firenze 1992, Nr. 385. Abbildung des Titelblatts und der Graphik S. 731 f. Werner Braun, Visuelle Elemente in der Musik der frühen Neuzeit: Rastralkreuze, in: Mara R. Wade – Gerhard F. Strasser (Hg.), Die Domäne des Emblems. Außerliterarische Anwendungen der Emblematik. Wiesbaden 2004 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 39). Peter Allsop, The Italien ,Trio‘ Sonata. From ist Origins Until Corelli. Oxford 1992, S. 223.
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Musiktraktate auch und insbesondere in Österreich studiert wurden27. Er ermutigte und lobte Theile im „Sendschreiben“ zum Messendruck von 1673 für eine Schreibweise, welche „eine recht Majestätische / und von aller Geilheit saubere / und also der Kirchen anständigste Harmoniam führet“28. Auf die „harmoniam veri Praenestini styli majestaticam“ seiner zwanzig Messen – alle ohne Gloria! – hat dann auch Theile im Wolfenbütteler Katalog hingewiesen. Hier lag ein klares Programm vor, das zu einer großen kirchenmusikalischen Bewegung werden sollte. Mit seinen Fugensonaten wollte Theile etwas Analoges für den weltlichen Bereich schaffen. Nun konnte er jedoch keinen Palestrina als erlauchtes Vorbild nennen. Von Bernhard, dem Generationsgenossen Schmelzers, kamen wohl eher indirekte Anregungen. Und eine „Bewegung“ war schon deshalb kaum möglich, weil der drei- und vierfache Kontrapunkt eine spezielle Schulung verlangte und für die damit zu konstruierenden Werke eine der Singmesse vergleichbare Aufführungsmöglichkeit fehlte. Auch war das erforderliche Hörverhalten29 nicht jedermanns Sache. Da vermutlich ein homogenes Ensemble von fünf oder sechs Violen die Sonaten vortrug30 und, da es während der Permutation keinen idiomatischen Unterschied von Ober-, Mittel- und Unterstimmen gab, bedeutete „Hören“ soviel wie „Erkennen der kompositorischen Struktur“. Daß Kaiser Leopold sich gern darauf einließ, folgte aus seinen kompositorischen Erfahrungen31, aus seinem Pflichtgefühl auch dem Zeremoniell gegenüber und aus dem habsburgischen Kulturerbe. 27
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Hellmut Federhofer, Zur handschriftlichen Überlieferung der Musiktheorie in Österreich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Mf 11 (1958) S. 264-279. Willy Maxton, Johann Theile. Tübingen: masch. phil. Diss. 1926, S. 159; Wolfgang Horn, Die Kompositionslehre C. Bernhards in ihrer Bedeutung für einen Schüler, in: SJb 17 (1995) S. 117 f. Vgl. auch die Tafelmusik in Stuttgart 1613 (Wettkampf zwischen der englischen und der deutschen Kapelle) bei Werner Braun, Britannia abundans. Tutzing 1977, S. 20-23. Ohne jene Affektensemantik, wie sie Eva Linfield herausstellt: dies., Historische Zusammenhänge und affektuose Bedeutung des Gambenensembles in der Vokalmusik des Barockzeitalters, in: Arnfried Edler – Wilhelm Krummacher (Hg.), siehe Anm. 7, S. 123-145. Musikalische Werke der Kaiser Ferdinand III., Leopold I. und Joseph I., hg. von Guido Adler, I. Wien 1892 (Reprint Gregg 1972). Günter Brosche, Die musikalischen Werke Kaiser Leopolds I., in: ders. (Hg.), Beiträge zur Musikdokumentation. Franz Grasberger zum 60. Geburtstag. Tutzing 1975, S. 27-82; Steven Saunders, The Emperor as Artist: New Discoveries Concerning Ferdinand III’s Musical Compositions, in: StMw 45 (1996) S. 7-31.
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So blieben die Wohlfugierten Tafelsonaten ein singuläres Phänomen, ausgedacht von einem leidenschaftlichen Kontrapunktisten, getragen von einem sachverständigen Potentaten und verwirklicht in einem traditionsreichen Milieu. Unter Kaiser Karl VI., dem zweiten Sohn von Leopold, setzte Johann Joseph Fux den linearen Kontrapunkt vor allem kirchlich fort, zu dem Vizekapellmeister Antonio Caldara mit geselligen Kanons eine anmutige Alternative bot32.
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Daraus 35 in: Antonio Caldara, Kammermusik für Gesang, hg. von Eusebius Mandyczewski. Wien 1932, Reprint Graz 1960 (DTÖ 75) S. 10-106.
Herbert Seifert (Wien)
Das Sepolcro – ein Spezifikum der kaiserlichen Hofkapelle Soweit man heute sehen kann, ist das sogenannte Sepolcro die einzige musikalische Gattung, die autochthon auf dem Boden der kaiserlichen Hofkapelle entstanden ist und während seiner relativ kurzen Lebensdauer von etwa sechseinhalb Jahrzehnten auch nur dort gepflegt wurde. Es trägt daher stark zur positiven Beantwortung der Frage dieses Symposions nach einem eigenen Stil der Hofkapelle bei, natürlich nur in seiner zeitlichen und gattungsmäßigen Begrenzung. Diese italienische Bezeichnung „Sepolcro“ bedeutet nur „Grab“ und ist eine durch lediglich zwei zeitgenössische Quellen belegte, heute aber gängige Kurzform für längere, von denen die häufigste „Rappresentatione sacra al Santissimo Sepolcro“ lautete. Diese Gattung einer szenischen musikdramatischen Aufführung vor dem Heiligen Grab am Karfreitag oder Gründonnerstag wurde zu Beginn der 1640er Jahre in Wien vom Hofkapellmeister Giovanni Valentini kreiert und während der Regentschaft Kaiser Leopolds I. zwischen 1660 und 1705 an diesen feststehenden Tagen in gleichbleibender Erscheinungsform Teil des Hofzeremoniells für die Karwoche. Richten wir nun unseren Blick auf Beginn, Blütezeit und Auflösung dieser Gattung. Schon 1640 erfahren wir aus einem Brief Kaiser Ferdinands III. an seinen jüngeren Bruder, Erzherzog Leopold Wilhelm, daß der kaiserliche Kapellmeister Giovanni Valentini eine Passion seiner eigenen Komposition vor dem Heiligen Grab geleitet hatte, wahrscheinlich am Karfreitag1. Wir wissen nicht, ob sie in lateinischer oder italienischer Sprache verfaßt war und ob sie theatralischen Charakter hatte. Ich nehme aber an, daß sie in der Art der Sepolcro-Libretti von Valentini aus den kommenden Jahren 1
Herbert Seifert, Die Oper am Wiener Kaiserhof im 17. Jahrhundert. Tutzing 1985 (Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft 25) S. 439 und 899; Steve Saunders, The Antecedents of the Viennese Sepolcro, in: Alberto Colzani – Norbert Dubowy – Andrea Luppi – Maurizio Padoan (Hg.), Relazioni musicali tra Italia e Germania nell’età barocca. Atti del VI Convegno internazionale sulla musica italiana nei secoli XVII–XVIII, Loveno di Menaggio (Como), 11-13 luglio 1995. Como 1997, S. 64.
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Herbert Seifert
1642 und 1643 gehalten war. Das erste erhaltene sind die Rime sovra la Colonna, Flagello, Corona di Spine, Croce, e Lancia di Christo da recitarsi in musica il Venerdi Santo. Dedicate al Serenissimo Ferdinando Francesco, Arciduca d’Austria 2 (Abb. 1). Diese von Valentini dem erst neun Jahre alten ersten Sohn Kaiser Ferdinands III. gewidmeten Verse waren für den Karfreitag 1642 bestimmt. Fünf Fromme treten mit den Passionsinstrumenten auf – die uns übrigens auch in den Titeln späterer Sepolcri immer wieder begegnen3 – und wenden sich mit ihren Reflexionen teils an diese, teils an das Volk. Es gibt wie beim späteren Sepolcro keine wirkliche Handlung, aber sparsamste szenische Anweisungen wie Niederknien und Aufstehen. Der Text besteht aus Kanzonettenstrophen wechselnder Prägung, die Musik war dementsprechend wohl strophisch arios, mit Ensembles und einem Schlußtutti. Ein Jahr danach, in der Karwoche 1643, wurde wahrscheinlich wieder ein Werk mit Text und Musik von Valentini4 am Wiener Hof aufgeführt: Santi risorti nel giorno della Passione di Christo et Lazaro tra quelli, eine „Opera da rappresentarsi in musica“, bestehend aus zwölf Sonetten, die unregelmäßig auf Lazarus und fünf andere Heilige aufgeteilt sind; das Thema ihrer statischen Reflexionen ist wieder die Leidensgeschichte Christi, wobei die Aufführung szenisch vor dem heiligen Grab stattgefunden haben könnte. Gernot Gruber5 bezeichnet das Werk als eine Lamentoszene in monodischem Stil, und Steven Saunders6 vermutet eine Ähnlichkeit der Musik mit Dialogmotetten in Valentinis Sacri concerti (1625) mit Texten, die auch über Christi Passion reflektieren. Diese waren als Rezitativdialoge komponiert, natürlich in diesem Fall in Latein statt Italienisch. Doch die Musik des Sepolcros kann nicht ganz rezitativisch gewesen sein, da der Text mehrere Duette fordert und die Schlußterzine ein Ensemble aller sechs auferstandenen Heiligen ist.
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Wien 1642. Privatbesitz von Dr. Juliane Riepe, der ich den Hinweis darauf und Kopien davon verdanke. Z. B. Antonio Draghis La Corona di Spine cangiata in Corona di Trionfo (1675), Li trè Chiodi di Christo (1678), La sacra Lancia (1680), I Frutti dell’Albero della Croce (1691). In seiner Widmungsvorrede schreibt er über „queste mie rime oscure“ und „le mie fredde note“. Gernot Gruber, Das Wiener Sepolcro und Johann Joseph Fux. 1. Teil, Graz 1972 (Jahresgabe der Johann Joseph Fux-Gesellschaft 9/1968) S. 29. Siehe Anm. 1, S. 71.
Das Sepolcro
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Wahrscheinlich ebenfalls aus den 1640er Jahren7 stammt ein Manuskript mit dem Text eines anonymen8 geistlichen dramatischen Werks, das Ferdinand III. gewidmet ist. Es war für eine szenische Aufführung in der Karwoche bestimmt, denn L’Ave Maria addolorata col morto Giesu ist in Prolog und sechs Szenen geteilt, und in der Widmungsvorrede heißt es: „Ecco questa volta si rappresenta la Beatiss. Vergine assisa, stante, e passeggiante.“ Darüber hinaus bezieht sie sich auf eine Aufführung mit der Heiligen Jungfrau im Jahr davor. Der Prolog wird von der Allegorie der Pietà gesungen, und die Personen der Handlung sind Maria, Gabriel, zwei Engel, Gioseffo, Maddalena, Nicodemo, Giovanni und zwei Sünder. Es gibt rezitativische Verse und solche für Arien. Der Titel bezieht sich darauf, daß die Zeilen des Ave Maria in italienischer Fassung an passenden Stellen in den Text integriert sind. Die letzte Szene schließt wieder mit einem Ensemble aller Personen. Der Charakter des ganz auf die Nachwirkungen der Passion Christi gerichteten Textes, mit der Marienpietà im Zentrum, ihren Klagen und dem Mitleid von biblischen Personen und zwei Sündern, entspricht dem späterer Sepolcri, die auch öfters Marienlamenti enthalten9. Die nächste Wiener Aufführung beim Heiligen Grab, von der wir wissen, scheint am 4. April 1654, dem Karsamstag, stattgefunden zu haben. Erzherzog Leopold Wilhelm hatte den Text für ein Oratorio per la Settimana Santa in Musica verfaßt10. Hier sind die Personen fünf Sünder, von denen vier schon reuig sind und der fünfte im Verlauf der Handlung bekehrt wird. Obwohl der Autor sein Werk „Oratorio“ nennt, gehört es zur Gattung des Sepolcro. In der handschriftlichen Fassung werden Sinfonie, Rezitative, Canzonen, Arien und ein Schluß-Madrigal mit diesen Termini benannt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Kaiser Ferdinand III. diesen Text vertont hat11. 7
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Das Wasserzeichen, ein Tierhorn mit zwei Bändern (Posthorn), findet man in anderen Manuskripten in der Österreichischen Nationalbibliothek wie z. B. in Prospero Bonarellis Il Faneto (Cod. 13.310 von 1638?) oder Antonio Abbatis Drama musicale per Introduttione al Torneo del Sereniss.o Arciduca Ferdinando (Cod. 13.262, vor 1647). Der Autor nennt sich „L’Incognito Ottuso“, wörtlich der unbekannte Stumpfsinnige, was wohl ein Akademiename war, möglicherweise für ein Mitglied der Accademia degli Incogniti in Venedig oder eines der Accademia degli Ottusi in Spoleto. Vgl. Gustav Renker, Das Wiener Sepolcro. Wien: masch. phil. Diss. 1913, S. 40. Er ist in zwei Versionen überliefert, eine in der datierten Handschrift A-Wn, Cod. Ser. nov. 4.270, die andere in der gedruckten Sammlung von Dichtungen des Erzherzogs Diporti del Crescente. Bruxelles 1656, S. 60-71. Die erste Nummer wird in der handschriftlichen Fassung mit Canzona fatta de Sua Altezza Imperiale bezeichnet, und in der Vorrede zu seiner gedruckten Sammlung
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Aus dem Jahr 1656 datiert die nächste Nachricht über eine Sacra rappresentatione, die am Karfreitag, dem 14. April, privatim in der Hofburg gehalten wurde12. Die ganz ähnliche Bezeichnung Rappresentatione sacra al SS. Sepolcro wird in den folgenden Jahrzehnten bis 1705 die häufigste für Sepolcri sein13. 1660 fanden schon zwei Sepolcri auf Befehl der Kaiserin-Witwe Eleonora und des Kaisers Leopold I. am Gründonnerstag bzw. Karfreitag statt, wie in den folgenden Jahren bis 1686, also bis zu Eleonoras Tod. Über das erste schreibt sein Librettist Giovanni Perellio, Botschafter des Herzogs von Modena, daß seine „Rappresentaz.ne per Musica“ am Abend des Gründonnerstags in der kaiserlichen Kapelle aufgeführt worden sei. Das zweite war die Komposition Leopolds Il Sagrifizio d’Abramo mit Text von einem Conte Caldana – und dieses ist das erste Sepolcro, dessen Musik erhalten ist. Es trägt zwar wieder die Gattungsbezeichnung „Oratorio“, ist aber eindeutig ein Sepolcro mit Abramo, Isacco, einem Engel und den allegorischen Personifikationen Ubidienza, Humanità and Penitenza. Dieses verhinderte Opfer des Alten Testaments wird zum Vorläufer dessen von Christus erklärt, genau wie in Pietro Metastasios Isacco, Figura del Redentore, einem der beliebtesten Oratorien der letzten beiden Drittel des 18. Jahrhunderts, das auch öfters szenisch aufgeführt wurde14. Kaiser Leopolds Instrumentation ist besonders reich: zwei Violinen, fünf Violen, zwei Cornetti muti und eine Posaune außer dem Basso continuo15.
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schreibt Leopold Wilhelm, daß er seine Dichtungen zur Komposition durch seinen Bruder verfaßt habe. Für einen weiteren Beleg, daß Ferdinand Verse seines Bruders vertont hat, siehe Herbert Seifert, The Beginnings of Sacred Dramatic Musical Works at the Imperial Court of Vienna: Sacred and Moral Opera, Oratorio and Sepolcro, in: Paola Besutti (Hg.), L’oratorio musicale italiano e i suoi contesti (secc. XVII–XVIII). Atti del convegno internazionale Perugia, Sagra Musicale Umbra, 18–20 settembre 1997. Florenz 2002, S. 500. Abate Felice Marchetti am 15. April 1656 in einem Brief nach Florenz; vgl. Herbert Seifert, siehe Anm. 1, S. 641. Vgl. Rudolf Schnitzler, The Viennese Oratorio and the Work of Ludovico Ottavio Burnacini, in: Maria Teresa Muraro (Hg.), L’opera italiana a Vienna primo di Metastasio. Florenz 1990, S. 220. Vgl. Herbert Seifert, Dittersdorfs Oratorien, in: Hubert Unverricht (Hg.), Carl Ditters von Dittersdorf. Leben. Umwelt. Werk. Internationale Fachkonferenz in der Katholischen Universität Eichstätt 1989. Tutzing 1997 (Eichstätter Abhandlungen zur Musikwissenschaft 11) S. 92. Guido Adler, Musikalische Werke der Kaiser Ferdinand III., Leopold I. und Joseph I. Wien 1892, Bd. 2, S. 305 f.
Das Sepolcro
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In den folgenden 26 Jahren fand mit wenigen Ausnahmen je eine Aufführung bei den heiligen Gräbern in der Kapelle der Kaiserin Witwe Eleonora am Gründonnerstag und in der Hofburgkapelle am Karfreitag statt, beide jeweils in Kostümen und mit einem Minimum an szenischer Aktion, jedoch nur in der größeren kaiserlichen Kapelle mit einem hinter dem Grab aufgehängten, bis ins Gewölbe reichenden und von Lodovico Ottavio Burnacini bemalten Hintergrundprospekt16. Die Unterschiede zu den in der Fastenzeit vor der Karwoche gesungenen Oratorien sind so signifikant, daß man durchaus von einer eigenständigen Gattung des Sepolcros sprechen kann – trotz der bis 1660 gelegentlich auftretenden terminologischen Unschärfe: 1. 2.
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Die Oratorien waren zweiteilig angelegt – die Sepolcri einteilig, gelegentlich sogar mit Szeneneinteilung. Die Stoffe der Oratorien waren der Bibel oder den Heiligenlegenden entnommen, die wenigen Personen, dem entsprechend, vereinzelt durch Allegorien ergänzt – die der Sepolcri durchwegs Reflexionen auf den Tod Christi, mit den damit verbundenen Personen und/oder allegorischen Personifikationen, insgesamt eine größere Besetzung bildend17. Oratorien wurden konzertant und vor der Karwoche aufgeführt, bis 1686 in der Kapelle der Kaiserin-Witwe, danach in der Hofburgkapelle – Sepolcri dagegen in der Karwoche in Kostümen und mit Aktion, in der Hofburgkapelle auch vor einem Prospekt. Oratorien wurden häufig aus Italien importiert – Sepolcri hingegen ausschließlich von den jeweiligen Kapellmeistern und Hofdichtern des Kaiserhofs produziert, wenn nicht vom Kaiser selbst. Die Instrumentation der Oratorien war gewöhnlich auf Violinen und Continuo beschränkt – die der Sepolcri hingegen setzte dem Sujet entsprechend dunklere Klangfarben ein, mit Bevorzugung von Violen, Cornetti muti und Fagotten.
Vgl. Rudolf Schnitzler, siehe Anm. 13, S. 217-237: Es sind 20 Entwürfe erhalten, deren Format in die Hofburgkapelle paßt und deren Thematik teilweise konkreten Sepolcri zuzuordnen ist. In seltenen Fällen wurden Parallelen aus dem Alten Testament gebracht, wie z. B. im genannten Il Sagrifizio d’Abramo von 1660.
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Herbert Seifert
6.
Die Vokalformen der Oratorien sind mehr auf die eindeutigen von Rezitativ und Arie konzentriert – die der Sepolcri sind häufiger arios.
Als Beispiel für einige dieser Punkte dient ein Ausschnitt des Solos der Jungfrau Maria, das sie unmittelbar vor dem Schlußensemble des zweiten Sepolcros singt, das Kaiser Leopold vertont hat: Il Lutto dell’Universo, Text von Francesco Sbarra, erstmals aufgeführt 1668 in Wiener Neustadt und mehrmals wiederholt. Wir haben hier in neun Verszeilen den Wechsel vom Rezitativ zum Arioso und ein von Streichern begleitetes, kurzes Lamento vor uns, das aber am Schluß ebenfalls in ein Arioso übergeht und von einem Instrumentalritornell abgeschlossen wird: Beatissima Vergine: Ecco la tomba oscura Dove ascose de l’huom la colpa ria: Il mio Christo, il mio cor, l’anima mia. Qui spargete, occhi dolenti, Due torrenti Per tributo a un mar di pene! Qui conviene In mestissima sembianza Sfogar il duol ch’ogni tormento avvanza.
Rezitativ Arioso Lamento mit Streichern: Arietta Arioso Ritornello
Die Unterscheidung zwischen den beiden geistlichen dramatischen Gattungen entspringt nicht dem Systematisierungsdrang der neueren Musikwissenschaft, sondern wurde schon von den aktiv an ihrer Produktion beteiligten Künstlern vorgenommen und von den Zeitgenossen erkannt, und zwar nicht erst beim Hofpoeten Graf Nicolò Minato, der zwischen 1669 und seinem Tod 1698 die Libretti fast aller Opern und Sepolcri des Kaiserhofs verfaßte und von dessen geistlichen Texten im Jahr 1700 eine posthume Sammlung erschienen, die auf zwei Bände mit folgenden Titeln aufgeteilt ist: Tutte le Rappresentazioni sacre, fatte successivamente al SS. Sepolcro de Christo nelle Cappelle Cesaree nel Giovedì, e Venerdì Santo mit 33 Texten und
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Oratorii cantati successivamente nella Cappella imperiale mit nur fünf Texten18. Schon der am Beginn beider Gattungen stehende Hofkapellmeister und Dichter Giovanni Valentini hatte zwischen Opera da rappresentarsi für Santi risorti (1643) and Dialogo da cantarsi für sein geistliches dramatisches Libretto La Vita di Santo Agapito mit Charakteristika des Oratoriums im selben Jahr unterschieden. Nicht ganz so eindeutig ist die Aufführungsbestimmung des Sepolcros für den Karfreitag 1642, „da recitarsi in musica“. Nahm also das Sepolcro unter Kaiser Ferdinand III. seine Anfänge in noch nicht festgelegten Formen, wobei der experimentierfreudige Valentini die Rolle des Pioniers hatte, fand die Gattung durch die vereinten Bestrebungen seiner Witwe Eleonora und seines Sohns Leopold I. ihren Höhepunkt mit regelmäßigen jährlichen Aufführungen und kodifizierten Traditionen von Text und Musik, was natürlich mit den über Jahrzehnte gleich bleibenden Autoren zusammenhängt – vor allem Minato und Antonio Draghi. Eine Besonderheit stellen vier deutsche Sepolcri dar, die 1677–1679 und 1682 in der Kapelle von Leopolds Tochter Maria Antonia (* 1669) aufgeführt wurden: Stärcke der Lieb, Thron der Gnaden, Die Erlösung deß menschlichen Geschlechts in der Figur deß aus Egipten geführten Volcks Israel und Sig des Leydens Christi über di Sinnligkeit; Johann Heinrich Schmelzer (1-2) und der Kaiser (3-4) waren die Komponisten19. In diesen Jahren wurden also je drei Vertreter dieser Gattung gesungen. Nach dem Tod Eleonoras 1686 reduzierte sich die Zahl der Sepolcri von zwei auf nur eines pro Fastenzeit, und mit dem Tod Kaiser Leopolds fand die Gattung ihr abruptes Ende, nachdem sie über sechs Jahrzehnte bestanden hatte. Im Jahr 1706 ändern sich nämlich schlagartig und nachhaltig nicht nur die Bezeichnungen für die beim heiligen Grab aufgeführten dramatischen Kompositionen, sondern auch Form und Aufführungsart. War 1705 kurz vor dem Tod Leopolds I. am Karfreitag noch die vierte Rappresentazione sacra al SS. Sepolcro des Vizekapellmeisters Marc’Antonio Ziani in der traditionellen Art aufgeführt worden, folgten während der kurzen Regentschaft Josephs I. bis 1711 zum gleichen Anlaß sechs Oratori al SS. Sepolcro dieses Komponisten. Sie unterscheiden sich von den vor der Karwoche gegebenen Oratorien durch ihre Einteiligkeit und ihre Sujets, in 18
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A-Wn, *38.J.133 Mus.-S. Die Hervorhebungen sind vom Verf. – Vgl. Rudolf Schnitzler, The Sacred Dramatic Works of Antonio Draghi. Chapel Hill: Ph.D. Diss. Univ. of North Carolina 1971, S. 117. Herbert Seifert, siehe Anm. 1, S. 488, 493, 496, 505.
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denen sie den früheren Sepolcri gleichen, von denen sie sich aber durch das Fehlen von szenischen Anweisungen und Hinweisen auf einen gemalten Hintergrund unterscheiden20. Man kann also mit gutem Grund annehmen, daß der neue Herrscher die Order gegeben hatte, die Karfreitagsdarbietungen nicht mehr bühnenmäßig, sondern wie die übrigen Oratorien konzertant, d. h. ohne Aktion, Kostüme und Szenerie aufzuführen. Diesem Umstand trug die geänderte Gattungsbezeichnung Rechnung. Aus den ersten drei Jahren der Regentschaft Kaiser Karls VI. sind keine Quellen oder Nachrichten von Aufführungen beim heiligen Grab überliefert, erst 1715 gab es eine Wiederaufnahme eines schon 1701 gegebenen Sepolcros von Ziani, das nun die Gattungsbezeichnung Componimento sacro erhielt21. Dieser Terminus, meist mit dem Zusatz „al SS. Sepolcro“, weiters Azione sacra al SS. Sepolcro, der schon in den 1660er und 1670er Jahren in Gebrauch war, sind bis 1740 die üblichen für die Aufführungen in der Karwoche beim heiligen Grab. Die Angleichungen an das Oratorium sind nun trotz der abweichenden Bezeichnungen noch viel stärker: Nur die Componimenti haben die Passion Christi zum Gegenstand, bis auf eine Ausnahme sind diese Werke zweiteilig, und seit 1718 fanden sie in Fortsetzung der an den Dienstagen der Fastenzeit gesungenen Oratorien ebenfalls am Dienstag der Karwoche statt am Karfreitag statt – mit Ausnahme von 171922. Mit dem Ende der Ära Karls VI. im Jahr 1740 läßt das Interesse an Oratorien am Wiener Hof insgesamt sehr stark nach, doch das Aus für das Sepolcro als eigenständige Gattung war schon 1705 mit dem Tod Kaiser Leopolds gegeben gewesen; seine Charakteristika hatten sich danach verloren und es war dem Oratorium angeglichen worden. Es bleiben noch zwei Fragen offen: 1) Hat es Vergleichbares in Italien gegeben, bevor das Sepolcro in Wien auftauchte und hat 2) das Wiener Sepolcro irgendwo Nachahmer gefunden? Wie uns Kenner der geistlichen dramatischen Musik in Italien versichern, gab es zwar vor und gleichzeitig 20 21 22
Rudolf Schnitzler, siehe Anm. 14, S. 225. Il Fascietto di Mirra, in Petto alla Sposa de’Sacri Cantici. Gesù Cristo negato da Pietro, Componimento sacro von Johann Joseph Fux und Pietro Pariati am Karfreitag 1719. – Die vorangehenden Daten ergeben sich aus dem leider noch immer nicht gedruckten Quellenkatalog zur Geschichte des Oratoriums am Wiener Kaiserhof bis 1740 von Rudolf Schnitzler, dessen Entwurf von 1986 mir der Autor freundlicherweise damals zur Verfügung gestellt hat.
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mit dem Sepolcro Passionsoratorien, deren Texte ähnlich strukturiert und die auch mit visuellen Elementen versehen waren, jedoch die szenische Darbietung und überhaupt den Aufführungskontext des Sepolcros nicht aufwiesen23. Einzelne Elemente waren also vorgegeben, jedoch deren spezifische Verbindung war der eigenständigen Gattung des Wiener Sepolcros vorbehalten. Zur zweiten Frage nach allfälligen Nachahmungen gibt es bis jetzt lediglich den Nachweis einer Neuvertonung eines Sepolcro-Librettos von Minato in Palmanova bei Udine durch einen dort tätigen Komponisten im Jahr 167624 und der Neuvertonungen eines Sepolcro- und zweier Oratorienlibretti von Minato, nämlich von La Sete di Christo in Croce (Abb. 2) von 168325 und der in Wien fast alljährlich mit Musik von Leopold I. gesungenen Il Transito di S. Giuseppe und L’Amor della Redentione durch Carlo Agostino Badia für Aufführungen am Gründonnerstag oder Karfreitag der Jahre 1691 und 1693 beim heiligen Grab in Innsbruck26. In den beiden Fällen von ursprünglichen Sepolcri gibt es aber keinen Hinweis auf Übernahme der spezifisch wienerischen Aufführungsmodalitäten, sondern ganz im Gegenteil in Innsbruck den Terminus „cantato“ und in Palmanova den Zusatz „ridotta in concerti musicali“, was beides auf konzertante Darbietungen schließen läßt. Bei den beiden neu vor das heilige Grab gestellten Oratorien ist eine solche Übernahme gar nicht zu erwarten. So scheint also das sogenannte Sepolcro der Jahre 1640 bis 1705 an der Wiener Hofkapelle tatsächlich eine autochthone Gattung gewesen zu sein, 23
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Juliane Riepe, Valentinis geistliche Dialoge und Sepolcro-Dichtungen und das Entstehen der Wiener Sepolcro-Tradition, in: Silke Leopold – Günther Morche – Joachim Steinheuer (Hg.), Giovanni Valentini – Kapellmeister am Kaiserhof. Kongreßbericht Heidelberg 1998. Kassel 2007, und dies., „Per la gloria del nostro santissimo protettore, per propria divotione, e per honore della compagnia“. Osservazioni sulle esecuzioni di oratori delle confraternite in Italia nel XVII e XVIII secolo, in: Paola Besutti (Hg.), siehe Anm. 11, S. 341-364, sowie andere der in diesem Bericht gesammelten Vorträge und Carlida Steffan, Oratori senza sepolcri e sepolcri senza oratori. Su alcune consuetudini paraliturgiche della Settimana Santa nel Seicento italiano, in: Emilio Sala – Davide Daolmi (Hg.), „Quel novo Cario, quel divin Orfeo“. Antonio Draghi da Rimini a Vienna. Atti del convegno internazionale (Rimini, Palazzo Buonadrata, 5–7 ottobre 1998). Lucca 2000, S. 321-340. Il Trionfo della Croce, Wien 1671 (Musik: Giovanni Felice Sances) und Palmanova 1676 (Musik: Giovanni Antonio Lombardini). Zu dieser Aufführung vgl. Carlida Steffan, siehe Anm. 23, S. 340. Damals mit Musik von Giovanni Battista Pederzuoli. Libretti im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck.
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Herbert Seifert
die es in dieser spezifischen Ausprägung sonst nirgendwo gegeben hat, nur hier durch das besondere Interesse zweier musikalisch und dichterisch tätiger und außerdem frommer Kaiser gefördert wurde und gleich nach deren Tod in dem allgemein im italienischen Kulturbereich verbreiteten Oratorium aufging. Abb. 1
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Abb. 2
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Jiří Sehnal (Brünn)
Der Einfluß der Hofmusikkapelle auf das Musikleben in Böhmen und Mähren Vorbemerkung Bevor wir den Einfluß der kaiserlichen Hofkapelle auf die Musik in den Ländern der böhmischen Krone untersuchen wollen, halten wir es für notwendig, einige Faktoren anzuführen, die zur unterschiedlichen Aufnahme dieser Einflüsse in Mähren und Böhmen beigetragen haben. Als Kaiser Rudolf II. in den Jahren 1585–1612 Prag zu seiner Residenzstadt erwählt und seine Hofmusikkapelle nach Prag gebracht hatte, übten die kaiserlichen Musiker sicher einen starken Einfluß auf das Prager Musikleben aus. Im übrigen Land entwickelte sich die Musik jedoch weiterhin nach den Traditionen der unterschiedlichen nichtkatholischen Konfessionen, unter welchen die Katholiken nur eine Minderheit von 10 bis 20 % bildeten. Der unglückliche Aufstand der böhmischen Stände 1618, die Schlacht auf dem Weißen Berge 1620 und Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges haben die kulturelle Situation in Böhmen und Mähren gewandelt. Die Markgrafschaft Mähren unterhielt bis zu der Zeit der preußischen Kriege traditionell Kontakte mit Schlesien, die jedoch im wesentlichen unter dem direkten Einfluß Wiens standen. Als die bis zu dieser Zeit größte und blühende Stadt Mährens, Olmütz, im Jahr 1642 in die Hände der Schweden fiel, übernahm Brünn, das sich im Jahr 1645 gegen die Schweden zu verteidigen wußte und ihren Anmarsch an Wien verhinderte, deren politischen Rang 1. Brünn wurde vom Kaiser reichlich belohnt und nahm praktisch die führende politische Stellung in Mähren ein, während die weitere Entwicklung Olmützs von der militärischen Rolle als Festung gegen Preußen bestimmt wurde. Die Jesuitenuniversität blieb zwar in Olmütz, aber die politischen Organe wie Landesstände und Landesregierung wählten in der Folge Brünn 1
Vor dem schwedischen Einfall hatte Olmütz an die 8.000, nach dem Krieg weniger als 1.000 Einwohner – Brünn zählte zu dieser Zeit an die 5.000 Einwohner.
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zu ihrem Sitz. Da Brünn nur eine Tagesreise von Wien entfernt war, stand die Stadt unmittelbar unter beim Einfluß Wiens und wirkte wiederum als Drehscheibe bei der Verbreitung dieser Einflüsse über die ganze Markgrafschaft Mähren. Für das weitere Schicksal Brünns ist die Charakteristik dieser Stadt als Vorstadt Wiens sehr zutreffend. Das Verhältnis zwischen Prag und Wien hatte sich nach dem Dreißigjährigen Krieg gewandelt: Obwohl der Adel sowohl in Böhmen als auch in Mähren eine im Grunde erniedrigende Loyalität zum Kaiser bewahrte, empfand sich der selbstbewußte böhmische Adel als vom Kaiserhof verkannt. Die Tatsache, daß Prag aufgehört hatte, die Residenzstadt des Kaisers zu sein und nur für kurze Zeit vom Kaiserhof aufgesucht wurde, löste im böhmischen Adel ein Gefühl der Verbitterung aus. Zudem erleichterte die geographische Lage Prags den Zustrom von Einflüssen auch aus anderen Richtungen, sodaß Prag der Vermittlung durch Wien nicht bedurfte. Der Einfluß Wiens auf Prag war daher nicht so bestimmend und ausschließlich wie jener auf Brünn. Obwohl Prag politisch auf das Niveau einer Provinzstadt heruntergestuft wurde, blieb es weiterhin eine relativ große Stadt, die bereits vor dem Dreißigjährigen Krieg mehr als 60 000 Einwohner gezählt hatte2. Überdies verfügte Prag weiterhin über einen außerordentlich reichen und bunten Komplex an Kirchen, Klöstern, erzieherischen Anstalten (drei Jesuitenkollegien und eine Universität) und adeligen Residenzen. In dieser Hinsicht konnte Prag mit der Kaiserresidenz Wien mit Recht wetteifern. Aus dem Gesagten geht klar hervor, daß der Einfluß der Kaiserstadt Wien in Mähren stärker war als in Böhmen. Was Wien für die Musiker aus Mähren bedeutete, das waren für die böhmischen Musiker Prag und die westlichen Länder des Reiches. Die aus Mähren ausgewanderten Musiker wählten vor allem Wien als Ziel; das bezeugen z. B. die Namen František Vincenc Kramář, Pavel und Antonín Vranický. Dagegen suchten die besten Musiker aus Böhmen ihr Brot in den Metropolen Deutschlands und Itali-
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Anfang des 18. Jahrhunderts sank die Prager Bevölkerung auf 38.500 Einwohner, stieg aber um 1770 auf 77 500 an. Laut: Zdenka Pilková, Doba osvícenského absolutismu 1740– 1810 [Die Zeit des aufgeklärten Absolutismus 1740–1810], in: Hudba v českých dějinách. (Praha 1989) S. 227.
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ens, wie Jiří Antonín Benda, Josef Mysliveček, Jan Václav Stamic, Jan Zach und Jan Dismas Zelenka3. Mähren Das erste Verbindungsglied zwischen der kaiserlichen Kapelle und dem bischöflichen Hof in Olmütz könnte bereits im 16. Jahrhundert Jacobus Gallus gewesen sein. Theodora Straková vermutet, daß sich Gallus im Gefolge des Kaisers Maximilian II. befand, als dieser 1567 Kremsier besuchte. Sie versucht ihre Hypothese dadurch zu untermauern, daß Gallus in diesem Jahr in Melk als Sänger tätig war, und die Melker Musiker engen Kontakt zur Hofkapelle unterhielten4. Diese Hypothese wird von Gallus selbst in der Widmung der ersten zwei Bände der Selectiores quaedam missae aus dem Jahr 1580 an Stanislav Pavlovský (1572–1599) unterstützt. Gallus erwähnt die Musikliebe des Bischofs Vilém Prusinovský (1565–1572), des Vorgängers von Pavlovský: „Egregie in Guilhelmi eiusdem loci quondam Antistitis vestigia, pedem ponis, ut nec in Musicae cultu (quae illi domestica et charissima) ab hoc vinci te patiare.“ 5 Als überzähliger Sänger der kaiserlichen Hofkapelle 1574 wird Gallus wohl die dort übliche Musikpraxis gekannt haben6. Der Nachfolger Pavlovskýs, Kardinal Franz von Dietrichstein (1599–1636), der den Piaristenorden in seine Residenzstadt Mikulov (Nikolsburg) berief, lud einige italienische Musiker an seinen Hof ein. Einer von ihnen, der Minoritenpater Giovanni Battista Alouisi aus Bologna (ca. 1600–1664/1665), der nach des Kardinals Tod 1636 in den Dienst seines Neffen Maximilian in Nikolsburg trat, gab 1640 in Venedig als Opus 6 eine Sammlung Vellus aureum heraus. Dieses Werk beinhaltet zehn lauretanische Litaneien, die für die Sängerknaben in der Loretokapelle von Nikolsburg bestimmt waren. In einer Anmerkung an die Musiker hebt Alouisi hervor, daß er seine Litanei3
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Eine anschauliche Statistik der in den Jahren 1740–1810 aus Böhmen und Mähren ausgewanderten Musiker brachte Zdenka Pilková (ibidem, S. 230). Theodora Straková, Vokálně polyfonní skladby na Moravě v 16. a na počátku 17. století [Vokale Polyphonie in Mähren im 16. und am Anfang des 17. Jahrhunderts], in: Acta Musei Moraviae/ scientiae sociales 66 (1981) S. 167. Ibidem, S. 76, Anm. 8. Vgl. auch Edo Škulj (Hg.), Gallusovi predgovori in drugi dokumenti. Ljubljana 1991, S. 22. Dragotin Cvetko, Jacobus Gallus Carniolus. Ljubljana 1965, S. 22 f.
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en nach dem Vorbild der Kompositionen komponiert habe, „quelle che si cantano in Capella Cesarea, e non senza gusto motivo, poiche ardierei dire (con ogni riverenza pero, e senza ver’ uno pregiudicio di tutte l’altre) ch’ella sia non solo la vera scuola della musica, e il Parnasso delle muse, ma per ogni titolo la prima d’Europa“ 7. Offensichtlich muß Alouisi die Musik der Hofkapelle aus eigener Erfahrung gekannt haben. Alouisis Worte stimmen mit dem Bericht überein, den Nuntius Carlo Caraffa im Jahr 1621 nach Rom schickte: „Godi in oltre S. Mta [Ferdinand II.] grandemente della musica, per servizio della quale mantiene una capella di più sesanta musici provisionati con molti instrumenti, et di questa e Maestro un Venetiano di casa Prioli [Giovanni Priuli], ma naturale huomo di molto valore nella sua professione, et che da S. Mta e stimato il primo del mondo, e perciò gli e molto caro; e freguentissima la musica non solo per occasione delle capelle, le quali ordinamente nella capella di S. Mta in palazzo si furono ogni sabbato e Vespero, le domeniche due volte il giorno et tutte altre feste dell’ anno con la medesima regola, et sempre con l’ intervento di S. Mta, che con molta attentione vi assiste per quelle due, o tre hore, che dura per ciasche d’ una volta.“8 Die Biographie Giovanni Battista Alouisis ist noch nicht vollständig rekonstruierbar. Es ist wohl möglich, daß er sich zwischen 1629 und 1636 in Wien aufgehalten hat, wo er die Musik der Hofkapelle kennengelernt haben könnte. Nach dem Tod Kardinal Dietrichsteins wirkte er als italienischer Sekretär im Dienst von Kardinal Dietrichsteins Verwandten Maximilian und Ferdinand. Vor 1643 (ein genauer Zeitpunkt ist nicht bekannt) wurde er zum Pfarrer von Perná (Bergen), ab 1653 von Dolní Věstonice (Unterwisternitz) bestellt, verzichtete aber offensichtlich ab diesem Zeitpunkt auf jegliche musikalische Betätigung. Alouisi muß gute Kontakte zum Kaiserhof gehabt haben, da er noch im Jahr 1663 Fürst Ferdinand Dietrichstein beraten konnte, wie dieser ein seltenes Pferd aus der kaiserlichen Hofstall erwerben könnte. Giovanni Battista Alouisi starb vor dem Juli 1665 im Minoritenkloster von Brünn9. 7
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Jiří Sehnal, La musica alla corte dei vescovi di Olomouc dal sec. XIII alla meta del sec. XVII, in: Quadrivium 11 (1970) H. 1, S. 261. Relation des Nuntius Carlo Caraffa aus Wien an den Staatssekretär in Rom, Lodovico Lodovisi vom 13. 10. 1621. Für die Kopie dieses Textes danke ich herzlich Dr. Pavel Balcárek aus Brünn. Jiří Sehnal, Italští hudebníci v první polovině 17. století na Moravě [Italienische Musiker in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Mähren], in: Jižní Morava 44 (2005) S. 88 f.
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Die Werke tschechischer Komponisten des 17. Jahrhunderts beweisen, daß auch die Vesperliturgie in den Ländern der böhmischen Krone von den Liturgiegewohnheiten der kaiserlichen Hofkapelle beeinflußt war, wie der Usus, am Schluß der Versper noch die Lauretanische Litanei und die Antiphon Sub tuum praesidium anzufügen, belegt10. Das bedeutendste Musikensemble zwischen Wien und Dresden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war die Musikkapelle des Olmützer Bischofs Karl Liechtenstein-Castelcorno (1664–1695) in Kroměříž (Kremsier)11. Auch Bischof Karl war dem Kaiser sehr zugetan. Dank dieser Beziehung erhielten sich in Kremsier Werke von Mitgliedern der Hofkapelle Kaiser Leopolds I., darunter viele, die weder in Wien noch an anderen Orten erhalten sind, wie z. B.: Valentini, Bertali, Sances, Schmelzer, Poglietti u. a. Nie war der Einfluß der Hofkapelle und der Wiener Kirchenmusik in Mähren stärker als in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die bischöflichen Residenzen in Kremsier, Olmütz und Wischau wurden nach Plänen der kaiserlichen Architekten Pietro Tencalla und Filiberto Luchese gebaut. Die Kunstgeschichte vergißt manchmal die großartigen Parkanlagen in Kremsier, die früher entstanden sind als jene des Belvedere in Wien. In Böhmen konnte nur das Waldstein-Palais in Prag mit der bischöflichen Residenz in Kremsier konkurrieren. Der Reichtum und Ehrgeiz des Olmützer Bischofs war so groß, daß er im Jahr 1673 für 30.000 fl eine Gemäldesammlung kaufte, auf deren Ankauf sowohl der Kaiser als auch Fürst Karl Eusebius Liechtenstein verzichten mußten12. Es ist kein Zufall, daß sich der Kompositionsstil des bischöflichen Trompeters und Kapellenvorstehers Pavel Vejvanovský (1639? –1693) vom Kompositionsstil Bertalis
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Friedrich Wilhelm Riedel, Kirchenmusik am Hofe Karls VI. (1711–1740). Untersuchungen zum Verhältnis von Zeremoniell und musikalischem Stil im Barockzeitalter. München 1977 (Studien zur Landes- und Sozialgeschichte der Musik 1) S. 170; Adam Václav Michna Z Otradovic, Officium Vespertinum – Compositiones ad honorem B. M. V, hg. von Vratislav Bělský – Jiří Sehnal. Praha 2004. S. VIII. Die Literatur über diese Musikkapelle ist sehr umfangreich. Eine zusammenfassende Information findet der Leser in der Einführung zu dem thematischen Katalog der liechtensteinschen Musiksammlung: Jiří Sehnal – Jitřenka Pešková, Caroli de Liechtenstein– Castelcorno episcopis Olomucensis operum artis musicae collectio Cremsirii reservata. Praha 1998. Hier findet der Interessent auch eine umfangreiche Bibliographie. Anton Breitenbacher, Dějiny arcibiskupské obrazárny v Kroměříži [Geschichte der erzbischöflichen Gemäldegalerie in Kremsier] Kroměříž 1927, insbesondere S. 14-27.
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und Schmelzers kaum unterschied. Bekanntlich kopierte Vejvanovský nicht nur Stimmen der Werke seiner Wiener Kollegen, sondern stellte sich auch selbst zu Studiengründen deren Partituren zusammen13. In den Jahren 1690–1730, die für die Entstehung des sogenannten „Kaiserstils“ ausschlaggebend gehalten werden, kam es in Mähren zu einer Entfaltung der adeligen Musikkapellen und zu ersten Opernaufführungen. Obwohl Wien als Vorbild für diese Unternehmungen diente, kamen wesentliche Impulse nicht nur aus der Kaiserstadt. Vor allem zwei Männer machten sich um die Einführung der Oper in Mähren verdient: Graf Johann Adam Questenberg (1678–1752) und der Olmützer Bischof Kardinal Wolfgang Hannibal Schrattenbach (1711–1738). Der kaiserliche Geheimrat und Kämmerer Graf Johann Adam Questenberg war ein besonderer Liebhaber der Musik, des Theaters und der Oper. Ab 1706 begann er auf seinen Gütern Musik und Theater zu fördern. Das Hauptzentrum dieses Geschehens war das Städtchen Jaroměřice nad Rokytnou (Jaromeritz), in dem Questenberg in den Jahren 1700–1737 eine prunkvolle Residenz nach Plänen von Jakob Prandtauer in der Art eines kleinen Versailles bauen ließ. Er errichtete dort auch ein Schloßtheater, in dem seine Bediensteten, Stadtbewohner und Untertanen bis an die 30 Komödien, Operetten und Opern pro Jahr aufführten. Die Hauptaufgabe des Tenoristen und zugleich Maestro di Cappella František Václav Míča (1694–1744) bestand darin, die Partituren italienischer Opern den Möglichkeiten der Jaroměřicer Bühne anzupassen. Während seiner Amtstätigkeit in Wien (bis 1735) knüpfte Questenberg freundschaftliche Kontakte mit Antonio Caldara, Francesco und Ignazio Conti und ließ einige ihrer Oratorien und Opern in Jaroměřice aufführen14. 1736 lud er Nicola Porpora und Giovanni Bononcini nach Jaroměřice ein, doch beide entschuldigten sich15. Questenberg hatte sich für den damals modernen neapolitanischen Stil begeistert, während der ernste Stil eines
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Jiří Sehnal, Pavel Vejvanovský a biskupská kapela v Kroměříži [Pavel Vejvanovský und die bischöfliche Muskkapelle in Kremsier] Kroměříž 1993, insbesondere S. 83–96. Theodora Straková, Die Questenbergische Musikkapelle und ihr Repertoire, in: Studia minora Fac. Philos. Universitatis Brunensis H 31 (1996) S. 16–18. Ibidem, S. 18.
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Johann Joseph Fux ihm fremd blieb16. Die Opernpartituren bestellte der Graf nicht nur in Wien, sondern auch in Venedig, Rom und Neapel. Wir können also in Jaroměřice keine Spuren des angesprochenen „kaiserlichen Geschmacks“ (Kaiserstils) finden. Neben den genannten Autoren wurden in Jaroměřice auch Constantini, Galuppi, Hasse, Leo, Lucchini, Pergolesi, Sarro und Vinci gespielt. Sogar Míča komponierte in diesem vereinfachten, auf der Melodie und dem Baß basierten zweistimmigen, kontrapunktlosen Stil. Dies brachte Vladimír Helfert in seiner Monographie über Jaroměřice zu einer ungerechtfertigten Geringschätzung des Schaffens von Míča17. Der Olmützer Bischof Kardinal Schrattenbach war in den Jahren 1719 bis 1722 Vizekönig von Neapel gewesen, wo er sich für die Oper zu begeistern begonnen hatte. Nach Mähren zurückgekehrt, wünschte er, daß in seinen Residenzen in Kremsier und Vyškov (Wischau) von Zeit zu Zeit eine Oper veranstaltet würde18. Die Ausführenden waren zum Teil Italiener, zum Teil heimische Musiker, insbesondere Zöglinge des Sängerseminars der Piaristen in Kremsier19. Seit 1729 leitete Václav Gurecký (1705–1743), den der Kardinal zu Antonio Caldara zur weiteren Ausbildung nach Wien gesandt hatte, die bischöfliche Musikkapelle. Caldaras Schulung läßt sich z. B. in Gureckýs Missa obligationis aus dem Jahr 1740 erkennen20. Auch am Hof des Kardinals überwog der neapolitanische Geschmack, was die Komponistennamen Bononcini, Giacomelli, Hasse, Leo, Peli, Porpora bezeugen. Kardi16
Eine Ausnahme bildete „die Fuxische opera“ – eher eine Serenade zu Ehre des Grafen, die Ende Oktober 1718 nach Jaroměřice gelangte und hier aufgeführt wurde; ibidem, S. 16.
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Vgl. Vladimír Helfert, Hudební barok na českých zámcích [Musikbarock in den böhmischen Schlössern]. Praha 1916; ders., Hudba na jaroměřickém zámku [Musik auf Schloß Jaroměřice]. Praha 1924; weiters Jiří Sehnal, Die adeligen Musikkapellen im 17. und 18. Jahrhundert in Mähren, in: Otto Biba – David Wyn Jones (Hg.), Studies in Music History presented to H.C. Robbins Landon. London 1996, S. 206-208 (hier auch die wichtigste Literatur.). Vgl. auch die neuesten Studien von Rudolf Pečman, Theodora Straková, Jana Perutková, Elisabeth Th. Hilscher, Andreas Kröper und Helena Kazárová in: Studia minora Fac. Philos. Universitatis Brunensis H 31 (1996). Jiří Sehnal, Počátky opery na Moravě [Anfänge der Oper in Mähren]. Praha 1974, S. 56 ff. Jan Bombera, K významu Liechtensteinova zpěváckého semináře v Kroměříži [Zur Bedeutung des liechtensteinschen Sängerseminars in Kremsier], in: Hudební věda 16 (1979) S. 326348. Jiří Sehnal, Hudba v olomoucké katedrále v 17. a 18. století [Musik in der Olmützer Kathedrale im 17. und 18. Jahrhundert]. Brno 1988, S. 41, 126 f.
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nal Schrattenbach erwarb sich auch Verdienste um die Verbreitung des italienischen Oratoriums und des Sepolcro in Mähren. Wir kennen zahlreiche Libretti dieser Aufführungen in Brünn. Demnach wurden Oratorien von Caldara, Giovanni Costanzi, Gurecký, Leo, Logroscino, Predieri, Porpora, Porsile, Sarro und Vinci aufgeführt; von Fux erklang nur Cristo nel orto im Jahr 1731 in Brünn21. Im Herbst des Jahres 1733 kam aus Prag die berühmte Operngesellschaft Angelo Mingottis nach Brünn und begann, hier für alle Stände zu spielen. Sie blieb in Brünn bis zum Frühling 1736. Auch Mingotti führte das moderne italienische Repertoire auf: Nicola Alberti, Eustachio Bambini, Antonio Constantini, Galuppi, Giuseppe Maria Orlandini, Porpora, Sarro, Vivaldi22. Nach 1730 entstand in Mähren ein drittes von Wien unabhängiges Opernzentrum in Holešov (Holeschau). Hier, in seinem Schloß und im umgebenden Park veranstaltete Graf Franz Anton Rottal (1690–1762) in den Jahren 1731–1740 mehrere Opernaufführungen. Die Musiker und Sänger stammten meist aus den Reihen seiner Bediensteten (Reymund Albertini, Sohn des Olmützer Domkapellmeisters, Johann Georg Orsler, Ignaz Holzbauer), doch traten in den Sommermonaten hier auch Mitglieder der damals in Brünn tätigen Operntruppen Angelo Mingottis, della Fantasias und Alessandro Manfredis auf. In den Rollen der Oper Nel perdono la vendetta 1730 wirkten sogar Mitglieder der gräflichen Familie mit. Das Repertoire war offenbar auch von den mingottischen Musikern beeinflußt. Auf dem Programm standen Opern von Alberti, Bambini, Hasse, Holzbauer, Johann Georg Orsler, Giovanni Porta und Johann Ferdinand Seidl (einem Beamten des Grafen)23. Abgesehen von den Oratorien war die Kirchenmusik, insbesondere in den bedeutenden Kirchen, traditionell enger an die Wiener Kirchenmusik gebunden als die Oper. Die Kirchenmusiker in Mähren hielten oft persönli21
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Jiří Sehnal, siehe Anm. 18, S. 61 f.; Michaela Freemanová, Oratorium a opera v olomoucké diecézi za Wolfganga Hannibala Schrattenbacha [Oratorium und Oper in der Diözese Olmütz in der Zeit des W. H. Schrattenbach], in: Eva Vičarová (Hg.), Hudba v Olomouci. Historie a současnost. Olomouc 2003. S. 78-82. Jiří Sehnal, siehe Anm. 18, S. 57. Ibidem, S. 204 f.
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che Kontakte mit den Musikern in Wien. Die Komponisten Benedikt Anton Aufschnaiter („Musicus et componista moderni temporis inter Viennenses non postremus“ 1700, 1701), Georg Reinhardt (1718) und der Bassist der Hofkapelle Friedrich Götzinger (1724, 1725) waren mehrmals im Prämonstratenserkloster Hradisko zu Gast. Jedes Mal brachten sie dem Regens chori neue Kompositionen mit und musizierten mit den Klostermusikern24. Spuren dieser Kontakte mit Wien bzw. mit der kaiserlichen Kapelle finden wir im Torso der Musiksammlung der Wallfahrtskirche Heiligenberg, die von den Prämonstratensern in Hradisko verwaltet wurde. Hier befinden sich 17 Werke von Johann Joseph Fux (zwei davon sind Unikate)25 24 von Caldara, drei von Oettl, fünf von Reinhardt, zwei von Reutter und zwei von Marc Antonio Ziani. Eine der wertvollsten Musiksammlungen in Mähren stellt jene der Stadtpfarrkirche St. Jakob in Brünn dar, deren älteste Stücke aus dem Ende des 17. Jahrhunderts stammen. Sie gehörten ursprünglich Mathias Franz Altmann, der 1682–1715 Kantor der Collegiatskirche St. Peter und 1715–1718 an der Stadtpfarrkirche St. Jakob in Brünn war. In seinem Gesuch vom 13. Februar 1715 um die Stelle an der Stadtpfarrkirche betonte er, er stünde in Briefkontakt mit Rom und mit der kaiserlichen Kapelle in Wien, wovon er sich verspräche, in der Zukunft hervorragende Kompositionen der ruhmreichsten Komponisten zu gewinnen26. Aus der Ära Altmann haben sich mehrere Werke, insbesondere von Aufschnaiter, Bassani und Zacher erhalten. Zu Altmanns Nachfolger wurde erst 1721 der ehemalige „Vice Regens Chori und Bassist ad St. Michaelem in Wien“ Matthaeus Rusman bestellt27. Caldara gehörte in der Amtszeit Rusmans (1721–1762) zu den meist gespielten Autoren an St. Jakob. Davon zeugen an die 41 erhaltene Werke 24
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Jiří Sehnal, Musik im Prämonstratenserkloster Hradisko bei Olmütz in den Jahren 1693–1739, in: KmJb 77 (1993) S. 89-91. Jiří Sehnal, Johann Joseph Fux und die kirchenmusikalische Praxis seiner Zeit in Mähren, Arnfried Edler – Friedrich Wilhelm Riedel (Hg.), Johann Joseph Fux und seine Zeit. Laaber 1996 (Publikationen der Hochschule für Musik und Theater Hannover 7) S. 228. Theodora Straková, Hudba na jakubském kůru v Brně od poloviny 17. do začátku 19. století [Musik auf dem Chor der Kirche St. Jakob in Brünn ab der Mitte des 17. bis zur Hälfte des 19. Jahrhunderts], in: Studia minora Fac. Phil. Universitatis Brunensis 19-20 (1984) S. 108. Ibidem, S. 109. Vgl auch Karl Schütz, Musikpflege an St. Michael in Wien. Wien 1980 (Veröffentlichungen der Kommission für Musikforschung 20) S. 676 und 143.
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von Caldara aus der Zeit Rusmans28. Rusman erwarb mehrere Werke – unter anderem von Fux, Oettl, Reinhardt, Zacher und M. A. Ziani. Auch die Olmützer Kathedrale orientierte sich am kaiserlichen Musikgeschmack. Aus dem 17. und 18. Jahrhundert sind zwar aus der Kathedrale weder Musikalien noch Musikinventare erhalten geblieben, trotzdem lassen sich Beziehungen der Musiker der Kathedrale zu Wien belegen. Der erste Laienkapellmeister der Kathedrale war Thomas Anton Albertini, welcher angeblich aus Wien stammte. Er wurde auf Fürsprache von Bischof Karl Liechtenstein Castelcorno 1693 bestellt. Albertini vernachlässigte seine Pflichten, beschwerte sich jedoch immer wieder, daß er vom Metropolitankapitel wenig geschätzt würde. Ende des Jahres 1708 begab er sich unter dem Vorwand nach Wien, Kaiser Joseph I. seine Kunst vorführen zu wollen. Ob es sich um sein vituoses Geigenspiel oder seine Kompositionen handelte, wissen wir nicht. Da er seinen bewilligten Urlaub weit überzog, wurde er vom Kapitel entlassen. Albertini appellierte an den Kaiser, der sich seiner annahm und dem Kapitel befahl, Albertini wieder in den Dienst zu nehmen. Nach dieser Episode hat das Metropolitankapitel Albertini, der mit den Worten des Kapitelchronisten als „inoboediens et raro luridus Capellae Magister valde negligens in suo officio“ bis zu seinem Tode 1736 im Amt geduldet29. Aus dieser Episode ist ersichtlich, daß Albertini mit der Wiener Hofkapelle in Kontakt war. Darüber hinaus unterhielt Albertini Kontakte mit dem Reichsgrafen Jan Jáchym ze Žerotína (1667–1716), der mit Kaiser Joseph I. befreundet war und mit ihm die Leidenschaften für Jagd und Hasardspiel teilte30. Nach dem Ableben von Thomas Anton Albertini bekleidete der oben erwähnte Václav Matyáš Gurecký, ein Schüler Antonio Caldaras, in den Jahren 1736–1743 die Kapellmeisterstelle an der Kathedrale. Direkte Beziehungen zu Wien hatte auch der Organist der Kathedrale, Karl Joseph Einwaldt (1715–1753). Er war nach 1710 (ein genauer Zeitpunkt ist nicht bekannt) Schüler von Johann Georg Reinhardt gewesen, was er stolz auf dem 28
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Jiří Sehnal, Das mährische Musikleben in der Zeit Antonio Caldaras, in: Brian W. Prichard (Hg.), Antonio Caldara. Essays on his life and times. 1987, S. 261. Jiří Sehnal, siehe Anm. 20, S. 38-40, 97. Jiří Sehnal, Die musikalischen Liebhabereien des Grafen Jan Jáchym von Žerotín, in: Acta Universitatis Palackianae, Fac. Phil. Philosophica-Aesthetica 19 (2000) S. 136. Detaillierter über die Erlebnisse des Grafen in Wien und am Kaiserhof: Jiří Sehnal, Deníky Jana Jáchyma ze Žerotína [Die Tagebücher des J. J. Ž.], in: Časopis Matice moravské 119 (2000) S. 376-388.
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Titelblatt seines Vocalis Decalogus (Königgrätz 1720) erwähnt31. Der Name von Johann Joseph Fux hatte unter den Domherrn des Olmützers Metropolitankapitels noch 1777 eines guten Ruf. Das bezeugen Gesuche des bischöflichen Wirtschaftsbeamten Mauritz Hantke, der sich in den Jahren 1769–1777 einige Male um die Stelle eines Choralisten bewarb. Hantke begründete sein Ansuchen unter anderem dadurch, daß er die Komposition nach den Regeln des Hofkapellmeisters Fux erlernt hätte. Hantkes Kirchenkompositionen zeichnen sich tatsächlich durch einen ernsten, zurückhaltenden Stil mit kurzen Imitationsabschnitten aus, worin sie sich von der zeitgenössischen opernhaften Kirchenmusik unterscheiden32. Der Choralist am Dom Franz Wilhelm Marshoffer (1744–1771) studierte Anfang des Jahres 1744 auf Kosten einer Gräfin Žerotín Komposition bei Georg Christoph Wagenseil und perfektionierte sich hier auch noch weiter in der Kirchenkomposition „nach dem Wienerischen Kirchen-stylo“33. Leider sind von ihm keine Kompositionen bekannt. Von den geistlichen Orden in Mähren waren in musikalischer Hinsicht vor allem die Benediktiner von besonderer Bedeutung. Ihr Kloster Rajhrad (Raigern) befand sich ungefähr fünfzehn Kilometer südlich von Brünn. Aus dem Jahr 1725 erhielt sich ein Musikinventar des Klosters, in dem drei Werke von Caldara, drei von Fux, drei von Oettl, drei von Sances, zwei von Schmelzer und zwei von M. A. Ziani verzeichnet sind. Leider ist keines dieser Werke erhalten geblieben. Dagegen finden sich hier zahlreiche Werke der Prager Komponisten Johann Joseph Ignaz Brentner (28) und Gunther Jacob (59) vor – Rajhrad war nämlich eine Expositur des Klosters Břevnov in Prag34. Den Wiener Musikgeschmack propagierte in den Jahren 1767–1786 in der Wallfahrtskirche in Dub nad Moravou Kaplan P. Johann Kops. Wir wissen, daß er 1760 in Graz, 1761 in Krems und 1762 in Wien studiert hatte. Nach den Eintragungen auf den Titelblättern erwarb er sich große Verdienste um 31 32
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Jiří Sehnal, siehe Anm. 20, S. 60 f. Jiří Sehnal, Die Musikkapelle des Olmützer Erzbischofs Anton Theodor Colloredo–Waldsee (1777–1811), in: The Haydn Yearbook 10 (1978) S. 137. Vgl. auch ders., Hantke, Mořic, in: NGroveD 8 (1980) S. 155. Jiří Sehnal, siehe Anm. 20, S. 179. Theodora Straková, Rajhradský hudební inventář z roku 1725 [Das Musikinventar von Raigern aus dem Jahr 1725], in: Acta Musei Moraviae /scientiae sociales 58 (1973) S. 233.
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die Duber Musiksammlung; ihm ist zu verdanken, daß acht Werke von Caldara und mehrere Kompositionen von Gassmann, Hofmann, Monn, Orsler, Reinhardt, Reutter, Tůma und Wagenseil in diese Sammlung gelangten35. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wuchs in der Kirchenmusik Mährens das Interesse an Werken von Joseph und Michael Haydn, Leopold Hofmann und Georg Zechner. Aber auch das Interesse an der heimischen Produktion wuchs, sowohl an den Prager Komponisten wie an heimischen Komponisten: an František Xaver Brixi und Antonín Laube aus Prag oder an Peregrin Gravani aus Brünn, Franz Karl Müller aus Olmütz, Mauritius Haberhauer aus Rajhrad, František Navrátil aus Valašské Meziříčí (Walachisch Meseritsch), Jan Antonín Sedláček aus Mohelnice (Müglitz) und anderen. Zu ihrer Beliebtheit trug manchmal mehr ihre leichte Ausführbarkeit als die künstlerische Qualität bei, da die Kirchenmusik vor allem eine Gebrauchskunst war. Nach dem Wiener Stil richtete sich auch die Musikkapelle des Bischofs Leopold Egk (1758–1760) in Kremsier. Dieser erwarb zahlreiche Symphonien und Trios frühklassischer Prägung von Leopold Hofmann, Wagenseil und anderen damals in Wien gepflegten Komponisten36. Ähnlich waren die Verhältnisse in der Musikkapelle des Kardinals Erzbischofs Anton Theodor Colloredo-Waldsee (1777–1811), der viele Musikalien der Wiener Kopisten Laurenz Lausch, Johann Schmutzer und Radnitzki besaß37. In der Musiksammlung Colloredos überrascht eine große Anzahl an Werken des Klavierlehrers der kaiserlichen Familie, Josef Antonín Štěpán (Steffan). Leider gelang es noch niemandem zu entschlüsseln, auf welchem Wege diese Stücke nach Kremsier gelangt sind38.
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Theodora Straková, K hudební minulosti Dubu u Olomouce [Zur Musikgeschichte Dubs bei Olmütz], in: Acta Musei Moraviae / scientiae sociales 53-54 (1968/69) S. 14, 25 f. Jiří Sehnal, Das Musikinventar des Olmützer Bischofs Leopold Egk aus dem Jahr 1760 als Quelle vorklassischer Instrumentalmusik, in: AfMw 29 (1972) S. 308-317. Jiří Sehnal, siehe Anm. 32, S. 141. Vgl. Howard J. Picton, The Life and Works of Joseph Anton Steffan (1726–1797) with Special Reference to his Keyboard Concertos. New York 1989.
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Böhmen Eigentlich würde man starke Auswirkungen der Hofkapelle Rudolfs II. auf das Prager Musikleben voraussetzen. Die tschechischen Musikhistoriker sind sich jedoch in der Beurteilung nicht einig, ob und wie weit die katholische kaiserliche Hofkapelle die Musik der tschechischen Utraquisten, Lutheraner und der Brüdergemeinde beeinflussen konnte. Der Einfluß der international und katholisch orientierten Hofkapelle auf das tschechische Musikleben standen nämlich konfessionelle und sprachliche Hindernisse im Wege. Im tschechischsprachigen kirchlichen Umfeld waren zwar, wenn auch sporadisch, Prager Musikdrucke der kaiserlichen Musiker bekannt, die deutschen Lutheraner gaben jedoch den deutschen protestantischen Autoren den Vorzug39. Die Böhmischen Brüder pflegten hingegen nur den unbegleiteten tschechischen Gesang. Nur die musikalisch besseren Literatenchöre der tschechischen Utraquisten konnten Stücke aus dem lateinischen Repertoire der kaiserlichen Komponisten benützen. Der bedeutendste tschechische Komponist des 17. Jahrhunderts, Adam Michna z Otradovic (1600–1676), ließ sein erstes Werk Obsequium Marianum 1642 bei Matthäus Rictius in Wien drucken. Wir wissen leider nicht, was Michna dazu bewegte, sein Opus primum in Wien und nicht in Prag drukken lassen, wo er alle seine übrigen Werke herausgab. Spielten in dieser Angelegenheit persönliche Kontakte Michnas zu Wien eine Rolle oder die enge Beziehung zum Widmungsträger Graf Vilém Slavata, der als eines der Opfer des Prager Fenstersturzes 1618 enge Kontakte zu Wien und zum Kaiser pflegte? Das einzig bis heute bekannte Exemplar des Obsequium Marianum besteht jedoch nur mehr aus drei von ursprünglich insgesamt dreizehn Stimmen40.
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Jiří Kouba, Od husitství do Bílé Hory [Von der Hussitenzeit bis zum Weißen Berg], in: Jaromír Černý et al. (Hg.), Hudba v českých dějinách [Musik in der tschechischen Geschichte] Praha 1989, S. 123 f. Otmar Urban, Diskussionsbeitrag an der Konferenz Nové poznatky o dějinách starší české a slovenské hudby [Neue Erkenntnisse aus der Geschichte der tschechischen und slowakischen Musik]. Praha 1988, S. 208-213.
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Das älteste bekannte böhmische Musikinventar des Barock stammt aus Český Krumlov (Böhmisch Krumau) und datiert aus dem Jahr 170641. Es enthält Werke, die zu Lebzeiten von Johann Christian Eggenberg in Český Krumlov aufgeführt wurden, und ähnelt der liechtensteinschen Musiksammlung in Kremsier. Es kommen darin Bertali, Vinzenz Fux, Sances und Schmelzer vor. Diese Autoren sind in Böhmisch Krumau in einer geringeren Anzahl als in Kremsier vertreten, und Namen wie Vejvanovský oder Biber treten hier nicht auf. Dagegen trifft man in Český Krumlov häufig auf in Böhmen wirkenden Komponisten wie Brückner, Bulovský, Flixius, Melcelius und Michna. Zahlenmäßig sind die kaiserlichen Komponisten in der Gruppe der Messen am meisten vertreten, während sie in den übrigen Kirchengattungen nur selten vorkommen. Auf Grund mangelnder Quellen ist schwierig zu sagen, wie intensiv der Einfluß der Wiener Hofkapelle auf die Musik in Prag war. Das einzige älteste, bis heute bekannte Prager Musikinventar stammt aus dem Jahr 1667 aus der Theinkirche und enthält nur summarische Angaben ohne Komponistennamen42. Das bedeutendste Zentrum der Oratorienpflege in Prag im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts stellte die Kreuzherrenkirche an der Karlsbrücke dar. Interessanterweise wurden seit 1724 in dieser relativ kleinen Kirche Oratorien gepflegt. Zum Unterschied von Brünn, wo den italienischen Autoren der Vorzug gegeben wurde, wurden bei den Prager Kreuzherren an die zehn Oratorien von Johann Joseph Fux aufgeführt43. Ein sehr buntes Kirchenrepertoire bieten die Musikinventare der Zisterzienser in Osek (Osseg) aus dem Jahr 1733. In ihrem älteren Teil überwiegen Namen heimischer, besonders Prager, süddeutscher und italienischer Komponisten, während die Namen Fux und Caldara nur ausnahmsweise vorkommen. Ab 1724 werden Caldara und Conti (ohne Vornamen) häufi41
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Staatsarchiv Třeboň, Sign. 1283/10–64. Eine nicht verläßliche Ausgabe des Inventars veröffentlichte Jiří Záloha, Hudba na českokrumlovském zámku ve druhé polovině 17. století [Musik im Schloß Böhmisch Krumau in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts], in: Hudební věda 29 (1992) S. 31-46. Jan Baťa, Inventář hudebnin Daniela Ignatia Mrázka kantora u Matky Boží před Týnem [Musikalieninventar des Kantors der Theinkirche in Prag Daniel Ignác Mrázek], in: Opus musicum (2003) Nr. 3, S. 12. Jiří Fukač, Die Oratorienaufführungen bei den Prager Kreuzherren mit dem roten Sterne als Typ lokaler Musikpflege, in: Studia minora Fac. Phil. Universitatis Brunensis 29 (1994) S. 83 f.
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ger, Fux jedoch nur vereinzelt genannt44. Aus diesem Grund können wir über einen Einfluß der Wiener Hofkapelle auf die Musikpflege in Osek kaum sprechen. Ein ähnliches Bild bieten Musikinventare der Piaristenkollegien in Kosmonosy und Slaný (Schlan). Im Inventar aus Kosmonosy aus dem Jahr 1712 kommen die kaiserlichen Hofkomponisten nur vereinzelt vor45. Ebenso wenig waren Komponisten der Hofkapelle im Musikinventar der Piaristen in Slaný (Schlan) aus dem Jahr 1713 vertreten, in dem Zuwächse bis 1751 verzeichnet sind46. Die Kirchenmusik in Prag im 18. Jahrhundert repräsentieren die Archive der drei wichtigen Kirchen: von St. Franziscus Ser. der Kreuzherren mit dem roten Stern (an die 3.000 Nummern), der Loretokirche (793 Nummern) und der St. Veit-Kathedrale (1757 Nummern). Da die Musikalienbestände der Kreuzherren noch nicht veröffentlicht wurden, können wir uns nur auf die Arbeiten von Jiří Fukač berufen, der unter den 258 Autoren 119 Italiener gefunden hat, wodurch ein Überwiegen der italienischen Musik in Prag um die Mitte des 18. Jahrhunderts bezeugt würde47. Von den vom Regens chori Constantin Anton Taubner in den Jahren 1727 und 1728 für die Loretokirche auf dem Hradschin 256 kopierten Musikalien stammte nur ein Zehntel der Werke von Komponisten der kaiserlichen Hofmusikkapelle: 17 Werke von Caldara, drei von Oettl, zwei von Reinhardt und zwei von Conti – ohne Vornamen –, aber kein einziges von Fux48. Zum Unterschied von Kreuzherren und Loretokirche waren die kaiserlichen Komponisten (aus logischen Gründen) in der Metropolitankirche St. Veit stark vertreten. Der erhaltene Notenbestand enthält 96 Kompositionen von Caldara, elf von Francesco Bartolomeo Conti, 20 von Fux, 15 von 44 45
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Emil Trolda, Tote Musik, in: Musica Divina 7 (1919) S. 71 f., 111 f., 139-143. Zdeněk Culka, Inventáře hudebních nástrojů a hudebnin piaristické koleje v Kosmonosích [Inventare der Musikinstrumente und der Musikalien des Piaristenkollegs in Kosmonosy], in: Příspěvky k dějinám české hudby 2 (Praha 1972) S. 32-38. Slaný, Staatliches Bezirksarchiv: Inventarium rerum et instrumentorum chori Slanensis Scholarum Piarum [...] 1713. Jiří Fukač, siehe Anm. 43, S. 75. Oldrich Pulkert, Domus Lauretana Pragensis. Praha 1973 (Catalogus artis musicae in Bohemia et Moravia cultae 1/1) S. 43-60.
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Oettl und zwölf von Reinhardt49. Die meisten Werke von Caldara wurden in den Jahren 1737–1758 unter dem Regens chori Jan František Novák erworben. František Xaver Brixi, der einem ganz anderen Musikstil zugetan war, führte noch in den Jahren 1759–1771 Kompositionen von Caldara, Fux, Oettl und Reinhardt auf50. Wir können nur vermuten, daß das Metropolitankapitel selbst in den Werken der Hofkomponisten den Ausdruck des echten würdigen Kirchenstils sah. Oder hing diese Tatsache mit den konservativen Tendenzen zusammen, die Jiří Fukač in der Prager Barockmusik um 1700 und später auch bei den Prager Kreuzherren konstatierte51? Es läßt sich nicht bestreiten, daß das kirchenmusikalische Repertoire in Böhmen von der kaiserlichen Hofkapelle und von Wien überhaupt weniger beeinflußt war als die Kirchenmusik in Mähren. Dies kann auch noch an weiteren Musiksammlungen in Böhmen demonstriert werden: Im Benediktinerkloster Broumov (Braunau) wurden in den Jahren 1755–1777 von Kapellmeister Franz Xaver Czerny an die 400 Kompositionen kopiert. Während die Wiener Komponisten in diesem Bestand eine ganz bescheidene Rolle spielten (Gassmann ein, Hofmann drei, J. G. Reutter ein, Sonnleitner drei Werke), widmete Czerny sein Interesse hauptsächlich den heimischen Komponisten (Czerny 24, František Xaver Brixi 114, Jan Antonín Koželuh 13, Jan Augustin Šenkýř 10 Werke). Neben diesen Autoren waren in Broumov weiter Antonio Boroni mit 14, Ditters von Dittersdorf mit 15, Karl Heinrich Graun mit 18 und ein wenig bekannter, damals in Petersburg wirkender italienischer Komponist, Francesco Zoppis, mit 50 Werken präsent52 – es ist also festzustellen, daß Czerny das Repertoire des Kirchenchores in Broumov ganz unabhängig vom Wiener Repertoire aufbaute. Eine Unabhängigkeit von Wien zeigen auch die Musikalienzuwächse in Břevnov 49
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Jiří Štefan, Ecclesia Metropolitana Pragensis. Pragae 1983 und 1985 (Catalogus artis musicae in Bohemia et Moravia cultae IV/1-2). Ibidem, S. 8. Jiří Fukač, Archaische Tendenzen in der Prager Barockmusik um das Jahr 1700, in: Studia minora Fac. Phil. Universitatis Brunensis 14(1965) F 9, S. 93-105. Rudolf Klinkhammer, Die Figuralmusik in Břevnov und Braunau zur Zeit des Priors und Abtes Friedrich Grundmann (1730–1772), in: Tausend Jahre Benediktiner in den Klöstern Břevnov, Braunau und Rohr. St. Ottilien 1993, S. 483-495; ders., Die kirchenmusikalische Sammlung des Benediktinerklosters Braunau/Ostböhmen zur Zeit des Kapellmeisters Franz Xaver Czerny (1755– 1777), in: Helmut Loos (Hg.), Musikgeschichte zwischen Ost- und Westeuropa. Sankt Augustin 1997, S. 429 f.
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(Prag-Břewnow) aus der Mitte des 18. Jahrhunderts53. Noch deutlicher als hier läßt sich der Prozeß der Emanzipation vom Wiener Musikrepertoire in der Kirchenmusik der Barmherzigen Brüder in Kuks (Kukus) verfolgen54; von einem besonderen Einfluß Wiens kann hier nicht mehr gesprochen werden, da das Musikrepertoire zum überwiegenden Teil aus Werken heimischer und allgemein beliebter Autoren aufgebaut wurde. Die glänzende Aufführung der Krönungsoper Constanza e Fortezza von Johann Joseph Fux 1723 in Prag hat das Interesse des böhmischen Adels für die Oper angeregt. Die höfische Oper war ein sehr kostspieliges Unternehmen, aber die venezianische Oper des 18. Jahrhunderts hat zum Teil dieses Hindernis entfernt. Nach einer kurzen Episode im Jahr 1724 im Badeort Kuks (Kukus), der dem Grafen Franz Anton Sporck (1662–1738) gehörte, kam die Operntruppe von Antonio Denzio nach Prag, wo sie bis 1735 meist Opern zeitgenössischer venezianischer Autoren spielte: sieben Opern stammten von Antonio Vivaldi, sechs von Tomaso Albinoni, fünf von dem Kapellmeister der Gesellschaft, Giovanni Antonio Bioni, vier von Antonio Lotti. Ab 1727 wurden auch Opern von Francesco Feo und Nicola Porpora aufgeführt. Aber noch in den dreißiger Jahren begegnet man älteren Autoren wie Constantini, Gasparini, Orlandini und Pollaroli55. Das Repertoire der weltlichen Musik des 18. Jahrhunderts, wie es vom böhmischen Adel gepflegt wurde, repräsentiert die Musiksammlung der Fürsten Schwarzenberg in Český Krumlov. Das Inventar verzeichnete aus dem Zeitraum 1769–1770 228 Ballette und Opern, unter anderem elf Ballette von Starzer, sechs von Aspelmayer, fünf szenische Werke von Gassmann, fünf von Gluck, drei von Deller und von Hasse. Mit einer oder zwei Kompositionen sind jeweils Anfossi, Fischietti, Galuppi, Gazzaniga, Guglielmi, Piccini, Salieri, Stabinger vertreten, und an die 180 Nummern sind 53 54
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Rudolf Klinkhammer, Die Figuralmusik, siehe Anm. 52, S. 426-428 und 431. Michaela Freemanová-Kopecká, Collectio fratrum misericordiae Kukussiensis. Praha 1998 (Catalogus artis musicae in Bohemia et Moravia cultae 6/1-2). Jiří Sehnal, Pobělohorská doba 1620–1740 [Die Zeit nach dem Weißen Berg 1620–1740] in: Hudba v českých dějinách [Musik in der tschechischen Geschichte]. Praha 1989. S. 179 f; Tomislav Volek – Marie Skalická, Vivaldis Beziehungen zu den böhmischen Ländern, in: AMl 39 (1967) S. 64-72; Pravoslav Kneidl, Libreta italské opery v Praze v 18. století [Italienische Opernlibretti in der Bibliothek des Klosters Strahov], in: Strahovská knihovna 1 (1966) S. 97-131.
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anonym überliefert56. Solange die meisten anonymen Werke nicht mit Sicherheit zugeordnet werden können, kann der Wiener Einfluß in Böhmisch Krumau nicht genau bestimmt werden57. Zum Schluß Musik der kaiserlichen Hofkomponisten oder Wiener Musik im allgemeinen („nach dem wienerischen Gusto“) begegnen wir in Mähren und Böhmen länger im kirchlichen als im weltlichen Bereich. Es scheint, daß Musik der Mitglieder der Hofkapelle vor allem und auch am längsten an den Kathedralkirchen in Prag und Olmütz gepflegt wurde, was vielleicht mit dem musikalischen Geschmack und mit der loyalen Einstellung des hohen Klerus zum Kaiserhof zusammenhing. Der stärkste und unmittelbarste Einfluß der Wiener Hofkapelle machte sich in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts am Hof des Olmützer Bischofs Karl Liechtenstein-Castelcorno bemerkbar. Von dort verbreitete sich das Musikrepertoire der Hofmusikkapelle auch in den Kapellen der mit dem Bischof befreundeten Adeligen (Tovačov, Brtnice). Im Laufe des 18. Jahrhunderts schwächte sich der Einfluß der Hofkapelle ab, und es wäre eher angebracht, über den Einfluß Wiens im allgemeinen zu sprechen. Die Autorität der Hauptstadt war größer als jene des Kaiserhofes. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts finden wir in den Musikinventaren eine internationale Mischung an Komponisten, in der die Wiener Komponisten den italienischen, deutschen und heimischen Autoren gleichgestellt waren. In der Oper der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bestimmten italienische Komponisten den Geschmack, deren Werke die in Brünn, Kuks und Prag tätigen italienischen Operntruppen aufführten und bekannt machten – diese Tatsache trug sicher zur Lockerung der bisherigen Abhängigkeit vom Wiener Geschmack bei.
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Jiří Záloha, Českokrumlovský inventář hudebnin z druhé poloviny 18. století [Musikalieninventar aus Böhmisch Krumau aus der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts], in: Příspěvky k dějinám české hudby 2. Praha 1972, S. 45-70. Jiří Záloha verzichtete leider auf die Identifizierung der anonymen Werke, unter welchen sich z. B. Le Cadi dupé, Le diable a quatre sowie La rencontre imprévue von Gluck und La buona figliuola, La schiava und Le contadine bizzare von Piccinni befinden.
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Das Kirchenmusikrepertoire begann im 18. Jahrhundert in den Ländern der böhmischen Krone allmählich von den heimischen Komponisten beherrscht zu werden. Dadurch wurde der Einfluß Wiens auf die Musik in den böhmischen Ländern noch mehr geschwächt; in Böhmen kam es dazu deutlich früher als in Mähren. Dieser Unterschied wurde durch die Quantität und Qualität des Schaffens der böhmischen und insbesondere der Prager Komponisten verursacht. In Mähren, wo es nicht so viele einheimische Komponisten gab, hielten sich die Wiener Autoren länger im Repertoire der Kirchen.
Dagmar Glüxam (Wien)
Gibt es einen Stil der Hofkapelle? Das Instrumentarium und der Instrumentalstil der Hofkapelle in der italienischen Oper am Wiener Hof zwischen circa 1700 und 1740 Machte schon Friedrich W. Riedel in seinem Aufsatz Der „Reichsstil“ in der deutschen Musikgeschichte des 18. Jahrhunderts auf die enge Verbindung zwischen dem kompositorischen Repertoire und der politisch-sozialen Situation am Wiener Hof aufmerksam1, konnte die Frage des musikalischen Stils im engeren Sinne von ihm nur angedeutet werden. Aufgrund der neuesten Untersuchungen des Wiener Opernrepertoires zwischen 1705 und 1740 ist es nun möglich2, genauer auf die Entwicklung des Instrumentariums und des Instrumentalstils der Wiener Hofkapelle im Bereich der Oper einzugehen, also einer Gattung, die am Wiener Hof während der Regierung der Kaiser Joseph I. und Karl VI. wegen ihrer hohen repräsentativen Wirksamkeit einen überaus hohen Stellenwert einnahm. Als die wichtigsten und hervorstechenden Merkmale bieten sich in diesem Zusammenhang folgende Bereiche an: 1. Das Instrumentarium 2. Organisation des Orchesters und der Orchesterbegleitung (Concerto grosso-Prinzip, doppelchöriges Prinzip 3. Arie mit obligaten Instrumenten 4. Instrumentalstil
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Friedrich W. Riedel, Der „Reichsstil“ in der deutschen Musikgeschichte des 18. Jahrhunderts, in: Georg Reichert – Martin Just (Hg.), Bericht über den Internationalen Musikwissenschaftlichen Kongreß Kassel 1962. Kassel u. a. 1963, S. 34-36, hier insbesondere S. 35. Siehe Dagmar Glüxam, Instrumentarium und Instrumentalstil in der Wiener Hofoper zwischen 1705 und 1740. Tutzing 2006 (Publikationen des Instituts für österreichische Musikdokumentation 32).
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Dagmar Glüxam
1. Das Instrumentarium Obwohl die Wiener Hofoper in der Zeit zwischen circa 1700 und 1740 hinsichtlich des verwendeten Instrumentariums durchaus der Entwicklung der Zeit entsprach, lassen sich hier einige spezifische Züge erkennen, die primär aus den einmaligen finanziellen Bedingungen am Wiener Hof resultieren. Die Tatsache, daß die Auswahl sowie die Anzahl sowohl der Musiker als auch der Instrumente durch die besonders günstigen Umstände der nicht profit-orientierten höfischen Oper bestimmt war, führte dazu, daß hier nur wenige finanzielle, sondern vorwiegend künstlerische Gründe bzw. diverse Vorlieben der regierenden Kaiser sowie der angestellten Komponisten Auswahl und Einsatz der Instrumente bestimmten. Trotzdem war die Entwicklung der Oper am Wiener Hof keineswegs isoliert von jener in Italien, sondern sie reagierte relativ rasch – wenn auch nicht rigoros – auf die aktuellen, vor allem aus Italien stammenden kompositorischen Tendenzen sowie auf diverse bautechnische Verbesserungen im Bereich des Instrumentariums. Ähnlich wie in Italien läßt sich auch in Wien seit circa 1690 eine Entwicklung beobachten, in deren Zentrum die kontinuierlich wachsende Rolle des begleitenden Orchesters bzw. des Instrumentalensembles stand. Dieser Aspekt kommt in den Opernpartituren einerseits durch eine steigende Anzahl von Arien mit Orchesterritornellen sowie Orchesterbegleitung zum Vorschein, andererseits durch die zunehmende Länge dieser Ritornelle sowie den Einsatz von verschiedenen konzertierenden Instrumenten. Neben den Saiteninstrumenten wie Violine, Viola da braccio, Viola d’amore, Baryton, Viola da gamba, Violoncello oder Kontrabaß lassen sich in den Wiener Opernpartituren nach 1700 auch Mandolino, Harfe und Theorbe, oder Blasinstrumente wie Flöte (und Baßflöte) und Traversflöte, Oboe, Fagott, Chalumeau, Basson, Corno da Caccia sowie Trompeten mit Pauken oder Cembalo in der Doppelrolle als obligates oder Continuo-Instrument finden3. Zu den wichtigsten Merkmalen der ersten 3
Ausführlich darüber vgl. Dagmar Glüxam, siehe Anm. 1, Kap. 4 (Das Instrumentarium und die Funktion der einzelnen Instrumente). Dazu auch dies., Die Bläserensembles in der Wiener Oper zwischen ca. 1700 und 1740, in: Boje E. Hans Schmuhl – Ute Omonsky (Hg.), Zur Geschichte und Aufführungspraxis der Harmoniemusik. Bericht der XXXII. Wissenschaftlichen
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Dekade des 18. Jahrhunderts gehört in Wien die mannigfaltige und überaus intensive Anwendung des Concerto grosso-Prinzips sowie der Doppelchörigkeit (beides siehe unten). In Hinsicht auf die Neuerungen im Bereich des Instrumentariums sei hier in erster Linie die rasche Einführung und Verwendung der bautechnisch verbesserten bzw. neu eingeführten Blasinstrumente wie Oboe, Flöte, Horn oder Chalumeau erwähnt, die in der Zeit unmittelbar nach 1700 den Charakter des Instrumentariums der Wiener Hofoper prägten. Ein weiterer – und sowohl für die allgemeine Entwicklung als auch für die Wiener Hofkapelle essentieller – Wesenszug liegt im zeittypischen Ansteigen der Wichtigkeit der Instrumente der Violinfamilie sowie der Vergrößerung der Violingruppe. Diese Entwicklung läßt sich dabei sowohl an der Zusammensetzung der Hofkapelle als auch – und zwar auf mehrschichtige Weise – an den Wiener Opernpartituren ablesen. Bezüglich der Größe der Violingruppe können wir nach Eleanor SelfridgeField zwischen den Jahren 1716 und 1727 einen signifikanten Anstieg von 22 auf 32 Spieler beobachten4; die Vergrößerung der Violingruppe bei gleichzeitiger Verkleinerung bzw. Stagnation der Oboengruppe5 trug dabei dazu bei, daß sich das Verhältnis von Violinen und Oboen zugunsten der Violinen änderte. Diese Veränderung verlief dabei Hand in Hand mit einer grundlegenden (und ebenso zeittypischen) Vereinfachung des gesamten Instrumentariums. Neben dem Rückgang der Instrumente der Viola-dagamba-Familie oder des Zink6 verschwanden aus den Wiener Opernpartituren nicht nur unübliche Instrumente wie Viola d’amore, Viola inglese oder Mandolino, sondern auch die zahlreichen vielfältigen und stets wechselnden Instrumentenkombinationen, die das Bild der Wiener Hofoper in der ersten Dekade des 18. Jahrhunderts entscheidend prägten. Es ist signifikant, daß sowohl die Viola da Gamba als auch der Zink in der Wiener Oper trotz der Anwesenheit der nötigen Instrumentalisten nicht gebraucht
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Arbeitstagung, Michaelstein Mai 2004. Augsburg 2006 (Michaelsteiner Konferenzberichte 71) S. 53-68. Eleanor Sefridge-Field, The Viennese court orchestra in the time of Caldara, in: Brian W. Pritchard (Hg.), Antonio Caldara. Essays on his life and times. Aldershot 1987, S. 125 bzw. 128. Herbert Seifert, Die Bläser der kaiserlichen Hofkapelle zur Zeit von J. J. Fux, in: Bernhard Habla (Hg.), Johann Joseph Fux und die barocke Bläsertradition, Kongreßbericht Graz 1985. Tutzing 1987, S. 9-11 bzw. 21. Siehe Anm. 2, Kap. 4. 2. 5. (Zink, Cornetto) bzw. Kap. 4. 1. 4. (Viola da gamba).
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wurden. Der letzte Zinkenist der Wiener Hofkapelle, Johann Adam Christ, starb zwar erst im Jahr 17467, doch ist der Zink in der Wiener Hofoper zwischen 1705 und 1740 – anders als etwa um 1700 – lediglich in drei Ballettsätzen anzutreffen: in zwei Sätzen aus dem Balletto Primo zu Caldaras Sirita (1719; Sign. A-Wn, Mus.Hs. 18 093) und in einem Satz aus dem Balletto Primo zu Francesco Contis Archelao (1722; A-Wn, Mus.Hs. 17 283). Ähnlich waren im Jahr 1711 in der Wiener Hofkapelle noch mindestens sechs Gambisten tätig, nach 1718 blieb hier als einziger Spieler der Gambist Franz Anton Schmidtbauer, der in der Hofkapelle bis zu seinem Tod im Jahr 1737 diente8. Als die letzten Opern, in denen dieses Instrument solistisch verwendet wurde, sind jedoch die bereits 1714 bzw. 1717 entstandenen Werke Dafne in Lauro von Joseph Johann Fux (1714; Sign. A-Wn, Mus.Hs. 17 249)9 und Andromeda (1714; Sign. A-Wn, Mus.Hs. 17 173) von Marc’ Antonio Ziani sowie Sesostri Rè d’Egitto (1717; Sign. A-Wn, Mus.Hs. 17 210) von Francesco Conti zu nennen10. Parallel mit der wachsenden Bedeutung der Violinen sowie der Instrumente der Violinfamilie findet auch in der Wiener Hofoper die für die Zeit um 1700 charakteristische Durchsetzung des vierstimmigen Orchestersatzes statt, die wiederum an den Rückgang der Arie mit Basso-continuoBegleitung gekoppelt war. Eine logische Folge dieser Entwicklung bildet hier die Verlagerung der Begleitkompetenz (Begleitung der Gesangsstimme) vom Basso continuo bzw. diversen obligaten Instrumenten auf zunächst dreistimmigen und (in zunehmendem Maße in der Zeit nach 1720) vierstimmigen Streichersatz. Anders als nach 1700, als die Gesangsbegleitung noch regelmäßig von verschiedenen Blasinstrumenten wie Oboe, Flöte oder Chalumeau ausgeführt wurde, setzte sich schon gegen 1710 die Begleitung des Sängers durch das Concertino der Violinen bzw. „Violini 7
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Markus Spielmann, Der Zink im Instrumentarium des süddeutsch-österreichischen Raumes 1650– 1750, in: Bernhard Habla (Hg.), Johann Joseph Fux und die barocke Bläsertradition, Kongreßbericht Graz 1985. Tutzing 1987, S. 143. Vgl. Marc Strümper, Die Viola da gamba am Österreichischen Kaiserhof. Untersuchungen zur Instrumenten- und Werkgeschichte der Wiener Hofmusikkapelle im 17. und 18. Jahrhundert. Tutzing 2004 (Publikationen des Instituts für Österreichische Musikdokumentation 28) S. 352. Mehr dazu vgl. ibidem, S. 160. Ibidem, S. 163.
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soli“ durch11. Nicht zuletzt soll in diesem Zusammenhang die steigende Rolle des Orchesteranführers (des Konzertmeisters im heutigen Sinne) erwähnt werden, der – wie die Wiener Partituren konkret seit dem Jahr 1717 bezeugen – sich zunehmend an der Führung des Orchesters beteiligte12. Als weitere Instrumente stechen im Kontext der Wiener Hofoper bis 1740 das Violoncello und die Trompete hervor. Ähnlich wie in Italien, wo das Violoncello seit den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts und insbesondere um und nach 1720 einen bedeutenden Aufschwung erlebte, zählt dieses Instrument auch am Wiener Hof zu den eindeutig bevorzugten Instrumenten13. In den Wiener Opernpartituren spätestens in C. A. Badias La Gare Dei Beni (1700; Sign. A-Wn, Mus.Hs. 18 930, Leopoldina) erwähnt, fand das Violoncello in der Komponistengeneration von G. und A. Bononcini sowie M. A. Ziani sowohl als Basso-continuo-Instrument (bzw. als Baßstimmen im Rahmen des Concertino) in den Arien, Ritornellen und Rezitativen, als auch als solistisches Instrument eine vielfältige Anwendung. Ein signifikantes Charakteristikum der Wiener Opernpartituren aus dem besprochenen Zeitraum stellen die typischen hoch figurativen und nicht selten virtuos gestalteten Baßstimmen dar, die nachweisbar nicht solistisch, sondern von mehreren Spielern ausgeführt wurden14. Als besonders fruchtbar erwies sich in der Zeit um und nach 1720 das Zusammenwirken des Komponisten und Cellisten in Personalunion Antonio Caldara und von zwei bedeutenden Cellisten, Giovanni Perroni (geb. 1688 in Oleggio, Novara, gest. am 10. März 1748 in Wien; vom 1. April 1721 bis zu seinem Tod an der Wiener Hofkapelle angestellt)15 und Francesco Alborea (genannt 11
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Anhand der überlieferten Wiener Opernpartituren findet sich diese Vorgangsweise zum ersten Mal in Julo Ascanio Rè d’Alba von J. J. Fux (1708). In diesem Poemetto Dramatico sind die Gesangsabschnitte in der Partitur (Sign. A-Wn, Mus.Hs. 17 247) entweder als „Concertino“ oder „Senza Hautbois“ gekennzeichnet. Ausführlich darüber bei Dagmar Glüxam, siehe Anm. 2, Kap. 3. 1. 4. (Con oder Senza Hautbois?). Ibidem, Kap. 2. 2. 2. (Das Stimmenmaterial). Ibidem, Kap. 4. 1. 7. (Violoncello). Ibidem. Ludwig von Köchel, Die kaiserliche Hof-Musikkapelle in Wien von 1543 bis 1867. Wien 1869, Reprint Hildesheim–New York 1976, S. 78.
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Franciscello, Franceschilli; geb. am 7. März 1691 in Neapel, gest. 20. Juli 1739 in Wien; nach Köchel zwischen 1721 und 20. Juli 1739 an der Hofkapelle angestellt)16. Die Zusammenarbeit dieser drei Persönlichkeiten führte nicht nur zur Entstehung zahlreicher und bisher kaum bekannter Arien mit obligatem Violoncello17, die zweifelsohne einen wichtigen Einfluß auf die Weiterentwicklung dieses Instrumentes am Wiener Hof hatten, sondern sie wirkte sich offenbar wesentlich auf die Fortsetzung der „Wiener“ Tradition der anspruchsvollen Baßstimmen aus. Während in Italien die Baßstimmen schon um 1720 in Zusammenhang mit der Durchsetzung des homophonen Stiles ihre melodische Selbstständigkeit verloren und zu harmoniestützenden Stimmen mutierten, behielten die Baßstimmen in der Wiener Hofoper bis in die 30er Jahre ihren typischen virtuosen Charakter. Von der besonderen Stellung der Zusammenarbeit zwischen Caldara, Perroni und Alborea zeugt die Tatsache, daß die Arie mit konzertantem Violoncello nach Caldaras Tod (1736) aus der Wiener Oper verschwand. Die Trompete nahm in der Wiener Hofoper als Symbol weltlicher Macht und imperialen Prunks insbesondere nach 1716 eine herausragende Position ein, und zwar nicht nur dank ihrem massiven Einsatz im Rahmen der doppelchörig organisierten Trompetenensembles, sondern auch als eines der wichtigsten Soloinstrumente (siehe unten)18.
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Ibidem. Nach Angabe von Marc Strümper, siehe Anm. 8, Tab. 16, S. 358, die auf archivalischen Untersuchungen von Herbert Seifert basiert, kann eine Anstellung bis mindestens 1738 bestätigt werden. Dagmar Glüxam, siehe Anm. 2, Kap. 4. 1. 7. (Violoncello). Ausführlich darüber ibidem, Kap. 4. 2. 8. (Trompete) sowie bei Peter A. Brown, Caldara’s trumpet music for the Imperial celebrations of Charles VI and Elisabeth Christine, in: Brian W. Pritchard (Hg.), Antonio Caldara, Essays on his life and times. Aldershot 1987, S. 3-47, und bei Andreas Lindner, Die kaiserlichen Hoftrompeter und Hofpauker im 18. und 19. Jahrhundert. Tutzing 1999 (Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft 36).
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2. Organisation des Orchesters und der Orchesterbegleitung Concerto-grosso-Prinzip, doppelchöriges Prinzip Aufgrund der Tatsache, daß die Wiener Hofkapelle schon im Jahr 1700 zumindest nominell über siebzehn Violinisten (Violen inklusive) verfügte19, konnte hier problemlos von der Teilung des Orchesters in zwei verschiedene und räumlich getrennte Gruppen, dem sogenannten concerto-grossoPrinzip, Gebrauch gemacht werden. Spätestens in Richters Le Promesse degli Dei (9. Juni 1697; Sign. Sign. A-Wn, Mus.Hs. 16 875; Leopoldina) angewendet, mutierte dieses Prinzip am Wiener Hof insbesondere in der ersten Dekade des 18. Jahrhunderts bei Komponisten wie A. Ariosti, A. Bononcini, C. A. Badia oder J. J. Fux zu einem der wichtigsten stilbildenden Kompositions- und Orchestrierungsmittel20. Obwohl sich der Einsatz des Concertino hauptsächlich aus Gründen der dynamischen Reduktion auf die Gesangsbegleitung beschränkte, findet sich der Effekt der Gegenüberstellung der beiden Gruppen oft auch in den Einleitungssätzen oder instrumentalen Ritornellen. Wie die überlieferten Wiener Opernpartituren bezeugen, konnte das Concertino verschiedenartig besetzt sein, mit zwei, drei oder vier Instrumentalisten pro Stimme in den zwei Oberstimmen. Die Besetzungsangaben variieren zwischen „Concertino (Conc.)“, der Zahl „4“ bzw. „quattro“, „Tre“21 oder „(due) Violini soli“. Ähnlich wie vor ihm schon Pollarolo22 verwendete M. A. Ziani in seiner Chilonida (1709, III. Akt; Sign. A-Wn, Mus.Hs. 17 157) den Begriff „Concertino“ auch für die Blasinstrumente23. Obwohl in Hinsicht auf die genaue Bedeutung der Beset-
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Eleanor Selfridge-Field, siehe Anm. 4, S. 124. Dagmar Glüxam, vgl. Anm. 2, Kap. 3. 1. 6. (Violini soli und Concertino). Vgl. z. B. F. Contis Pallade Trionfante (1722; Sign. A-Wn, Mus.Hs. 17 216), in der eine Teilung auf „Trè Primi Violini“ und „Trè Secondi Violini“ zu finden ist. Olga Termini, Stylistic and formal changes in the arias of Carlo Francesco Pollarolo (ca. 1653– 1723), in: Current Musicology 26 (1978) S. 119. Vgl. die Sopranarie der Chilonida Tù schernisci aus Zianis Chilonida, in der in T. 53 unter der Baßstimme die Angaben „Concertino Un Fagotto solo“ und in den darauf folgenden Takten „Hautbois 2:do“ und „Hautbois P:[ri]mo“ anzutreffen sind.
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zungsangaben „Concertino“ und „Violini soli“ Unklarheit besteht24, machen diese zahlreichen Klangnuancen deutlich, wie differenziert das Klangbild der Wiener Hofoper eigentlich war (und aufgrund der vorhandenen Kräfte überhaupt sein konnte). Nach 1710 finden sich die Hinweise „Concertino“ bzw. „Conc“: hauptsächlich bei J. J. Fux, wie in Orfeo, ed Euridice (1715; Sign. A-Wn, Mus.Hs. 17 231) oder noch Elisa (1719; Sign. A-Wn, Mus.Hs. 17 228); ansonsten setzte sich in dieser Zeit die Begleitung der Gesangsstimme durch „Violini soli“ durch. Seit der dritten Dekade des 18. Jahrhunderts scheinen die Besetzungsangaben „Concertino“ und „Violini soli“ aufgrund der weitreichenden Veränderungen im Bereich des Kompositionsstils nur selten auf: die vorherrschende homophone Schreibweise mit den charakteristischen melodisch nivellierten Begleitstimmen machte es möglich, auch während der Gesangsbegleitung vom gesamten, lediglich im piano spielenden Streichorchester Gebrauch zu machen25. Hand in Hand mit der Homogenisierung und Vereinfachung des Orchesterklanges gewann gegen 1720 eine andere Form klanglicher Pracht an Bedeutung: das doppelchörige Prinzip. Als Fortsetzung der am Wiener Hof bereits im 17. Jahrhundert verankerten Tradition des polychoralen Prinzips wurde die Teilung des begleitenden Orchesters bzw. des Trompetenensembles in der Zeit nach 1705 in zwei Opern angewendet, in A. Ariostis Marte Placato (1707; Sign. A-Wn, Mus.Hs. 19 125) und in Gli ossequi della notte (1709; Sign. A-Wn, Mus.Hs. 17 998) von J. J. Fux; die Hochblüte der Doppelchörigkeit am Wiener Hof erstreckt sich auf die Jahre 1716–1736.
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Es gibt mehrere Belege dafür, daß der Hinweis „Concertino“ mit je vier Violinisten für die Erste und Zweite Stimme, die Besetzungsangabe „Violini soli“ dagegen mit je zwei Violinisten pro Stimme in Verbindung gebracht wurde. Wie die Untersuchung der überlieferten Partituren ergab, bezieht sich die Angabe „Violini soli“ auf jeden Fall auf eine reduzierte Violingruppe. Sollten Oboen weggelassen werden, wurde dies mit der Angabe „Senza Hautbois“ oder „Violini“ in den Partituren zum Ausdruck gebracht. Mehr darüber bei Dagmar Glüxam, siehe Anm. 2, Kap. 3. 1. 6. (Violini soli und Concertino). Dazu vgl. auch Dagmar Glüxam, Zum vorliegenden Band, in: Johann Joseph Fux, Orfeo ed Euridice, hg. von Dagmar Glüxam. Graz 2004 (Johann Joseph Fux, Sämtliche Werke V/7) S. VII.
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Im Poemetto drammatico Marte Placato findet die Teilung des Orchesters sowohl in der einleitenden Introduzione (B, C, Presto, staccato; siehe Abbildung 1)26 als auch in den Arien und in zwei Ritornellen statt; in nur zwei Arien der ganzen Oper werden die zwei Streicherchöre zusammengeführt.27 Darüber hinaus vereint Ariosti in dieser Introduzione zwei Grundprinzipien der polychoralen Schreibweise: die Gegenüberstellung zweier identer, aber räumlich getrennter Gruppen und die Gegenüberstellung zweier klanglich kontrastierender Klangkörper. Im 1. und 3. Teil der Introduzione wechseln sich sowohl zwei vollbesetzte tutti-Klangkörper (mit je zwei Violinen, Viola, Fagott und B.c.) als auch je eine Solo[-Violine] mit Basso continuo ab. Im 2. Teil, einem Adagio in französischer Manier, sind diese zwei Chöre vereint, wobei die Fagottstimme des Primo Choro geringfügig beweglicher ist als im 1. Teil. Im 4. Teil der Introduzione im 3/4-Takt verlangt Ariosti eine Besetzung mit Chalumeau, Oboen, zwei Alt-Violen da gamba und „Basso Chalumeaux Senza Cembalo“. Jedoch erst im T. 52 des insgesamt vierundsechzig Takte langen Satzes setzen „tutti“ ein; davor wechseln sich in zehn bis neunzehntaktigen Abschnitten die Bläser (Chalumeau, Oboen) mit den Gamben ab. Die Besetzung der Baßstimme bleibt durchgehend unverändert28. Prachtvoll wirkt der fünfte Teil der Introduzione (B, Allegro). Ariosti kehrt zuerst zu der ursprünglichen Besetzung vom Beginn der Introduzione zurück (zwei Streicherchöre, nun expressis verbis als „Violini“ bezeichnet, je eine Fagottstimme, B. c.), die er zunächst antiphonal einsetzt. Ab T. 20 wechseln sich wiederholt ein Bläsertrio (Chalumeau, Oboe, „Basso Chalumeau“), ein Quartett (zwei Violinen, Viola und „Fagotti“) und das „Tutti“Orchester ab. Des weiteren wendete Ariosti das doppelchörige Prinzip wiederholt in der Arienbegleitung an. Interessante räumliche Effekte entstehen in der Sopranarie von la Pace Par, che in Ciel, in der der Gesang abwechselnd von einem der beiden Streicherchöre begleitet wird. Auch hier, ähnlich wie bei dem oben beschriebenen Concerto-grosso-Prinzip, handelt 26 27
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Introduzione (B, C, Presto, staccato). Das Quartett La Pace/ L’Orgoglio/ Il Danubio/ Marte Pace Pace (A, 3/2-3/8, AdagioPresto) für 1: Unisoni, 2: [Vla.], 7: [B.c.] und die Il Danubio-Tenorarie Con quel sereno (C, 3/8, Allegro) für 1: Violini, 2: „Chalamaux“, 3: Viola, 5: [B.c.]. Die überlieferte „Basso di viola“-Stimme (Sign. A-Wn, Mus.Hs. 19 126) weist in diesem Abschnitt 64 Takte Pausen auf.
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es sich um eine Reduktion des begleitenden Orchesters, mit dem Unterschied, daß das begleitende Ensemble größer wurde. Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das dreistimmige Ritornell nach der Tenorarie von il Danubio Se le Madri, für 1: „Viole da Gamba“, 2: „Violini“ und 3: „Violette“ bestimmt. Der Blick in das überlieferte Stimmenmaterial verrät, daß die „Violini“-Stimme, in der Partitur mit „piano piano“ bezeichnet, lediglich in der „Violino Secondo/ Violino Primo Choro Secondo [sic!]“-Stimme vorhanden ist. Das heißt, daß an diesem Ritornell nur der zweite Chor beteiligt war, der „Choro P:mo“ pausierte hingegen. In der Praxis ergibt diese Vorgangsweise einen zusätzlichen räumlichen Effekt. Verlangte Ariosti in Marte Placato noch keine Trompeten, läßt die Serenata Gli Ossequi mit der Sinfonia, einer Arie und zwei Chören mit doppelchörigen Trompetenensembles bereits den Prunk der kommenden Jahre ahnen. Exemplarische Beispiele für die Verschiebung des Schwergewichtes von den musikdramatischen Werken mit diversen obligaten Instrumenten und Instrumentenkombinationen bzw. Besetzungsstärken in Richtung vierstimmiges Tutti-Orchester und üppige Trompetenbesetzungen stellen aber erst die Festa teatrale Angelica, vincitrice di Alcina (1716; Sign. A-Wn, Mus.Hs. 17 281) sowie das Componimento teatrale per Musica Elisa (1719; A-Wn, Mus.Hs. 17 228) von Johann Joseph Fux dar. In diesen Opern verzichtete Fux zwar auf sämtliche obligate Instrumente, die Trompeten und Pauken bzw. Corni da caccia in Elisa wurden in diesen zwei Opern jedoch überaus häufig und auch doppelchörig eingesetzt. Nach diesen Werken finden sich die geteilten Trompetenensembles in einer ganzen Reihe weiterer Opern, vor allem jenen, die zu den Namenstagen des Kaisers aufgeführt wurden, und prägen dadurch deutlich den Charakter der Wiener Hofoper jener Zeit29. Nach dem Tod Caldaras wurde das doppelchörige Prinzip – wie schon in F. Contis Oper Il Trionfo della Fama (1723) oder Fuxens’ Enea negli Elisi (1731) – nach 1736 öfters im Chor angewendet. Interessanterweise handelt es sich hier hauptsächlich um Werke, die anläßlich der Geburts- oder Namenstage der Kaiserin Elisabeth Christine gegeben wurden, wie in Georg Reutters Il Parnaso (1738; Geburtstag der Kaiserin), Luc’Antonio Predieris Astrea Placata (1739, Geburtstag der Kaiserin), in Il Nume d’Atene von Giuseppe Bonno 29
Mehr dazu bei Dagmar Glüxam, siehe Anm. 2, Kap. 4. 2. 8. (Trompete).
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(1739; Namenstag der Kaiserin), oder auch Bonnos La Gara del Genio con Giunone (anläßlich des Geburtstages von Maria Theresia am 13. Mai 1737 in Laxenburg aufgeführt)30. 3. Arie mit obligaten Instrumenten Die optimalen Bedingungen im Bereich des Instrumentariums sowie das Vorhandensein von hervorragenden Instrumentalisten in der Wiener Hofkapelle ermöglichten, daß hier ganz intensiv der Typus der Arie mit obligaten Instrumenten gepflegt werden konnte. Ein glänzendes und überaus bekanntes Beispiel stellt hier die Aufführung von Fux’ Costanza e Fortezza in Prag im Jahr 1723 dar, an der sich „die berühmtesten Virtuosen aus Europa“ beteiligten31; es ist bisher jedoch kaum bekannt gewesen, daß diese Oper nur eines von vielen Beispielen darstellt. Eine auffällige Konzentration der Arien mit obligaten Instrumenten begann in Wien um 170032, zunächst mit deutlichem Schwerpunkt auf Blasinstrumenten wie Oboen, Bläsertrio mit zwei Oboen und Fagott oder Chalumeaus mit Flöten. Trotz der berauschenden klanglichen Vielfalt konnte sich dieser Arientypus jedoch nicht uneingeschränkt entfalten: Bald zeigte sich die historisch ambivalente Wirkung dieser Arie, deren Konzentration – wie es etwa in Ariostis Marte Placato, 1707, La Gala delle Antiche Eroine ne’Campi Elisi, 1707, oder auch noch in La Placidia, 1709, zu beobachten ist33 – zur deutlichen „Unterbeschäftigung“ der Streicher bzw. des Tutti-Orchesters führte. Schon vor 1710, aber vor allem in den darauf folgenden Jahren wurde die Arie mit obligaten Instrumenten deshalb nur eingeschränkt eingesetzt, meist nur einmal im Rahmen eines Aktes. Die Situation änderte sich allerdings mit der Anstellung Antonio Caldaras (1. Januar 1717 bzw. April 1716), der diesen Arientypus in der Wiener Hofoper wieder aufleben ließ, wobei diese Ent30 31
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Vgl. dazu ibidem, Kap. 2. 4. 2. 7. (Chor). Johann Adam Hiller, Lebensbeschreibungen berühmter Musikgelehrten und Tonkünstler neuerer Zeit. Leipzig 1784, Reprint 1975, S. 217. Mehr darüber bei Dagmar Glüxam, siehe Anm. 2, Kap. 2. 4. 2. 1. (Arie mit konzertanten Instrumenten). Marte Placato, Sign. A-Wn, Mus.Hs. 19 125, 1707, La Gala, Sign. A-Wn, Mus.Hs. 17 605, La Placidia, Sign. A-Wn, Mus.Hs. 18 216.
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wicklung in der Wiener Hofoper auch in den 1720er und 1730er Jahren fortgesetzt wurde. Auch hier handelt es sich um ein Wiener Spezifikum bzw. um ein Spezifikum der Wiener Hofkapelle: Ist in Italien nach 1723 ein deutlicher Rückgang der Arie mit konzertierenden Instrumenten zu beobachten34, ließen Wiener Opernkomponisten wie Antonio Caldara, Giuseppe Porsile, Johann Joseph Fux oder Georg Reutter in den 1720er und 1730er Jahren zahlreiche hochvirtuose Arien mit obligaten Instrumenten entstehen. Der Charakter der Arie sowohl die Wahl der Instrumente änderten sich jedoch, Hand in Hand mit der zeittypischen Veränderung des Kompositionsstils. Statt der früheren Instrumentenvielfalt und verschiedenen Instrumentenkombinationen in den Arien wurden nun Instrumente wie Violine, Violoncello, Fagott, Trompete sowie Salterio bevorzugt. Darüber hinaus wurden diese Instrumente aufgrund des aufkommenden homophonen Satzes weniger als konzertierende Gegenstimme, sondern als gleichwertiges Pendant zur Gesangsstimme eingesetzt. Eine logische Folge davon war die Herausbildung der oft beachtlich langen instrumentalen Ritornelle, die sich freilich direkt auch auf das Ausmaß der betreffenden Arie auswirkte. Ähnlich wie bei den Cellisten Perroni und Alborea war auch bei den anderen genannten Instrumenten die Anwesenheit von ausgezeichneten Instrumentalisten ausschlaggebend, wie die der Violinisten Nicola Matteis (geb. zwischen 1675–1677 in London, gest. 23. 10. 1737 in Wien), Giovanni Antonio Piani (geb. 1678, Neapel, gest. nach 1759, Wien?), Angelo Ragazzi (geb. 1680?, gest. 12. Oktober 1750 in Wien)35, des Trompeters Johann Baptist Hainisch (Geburtsdatum und -ort unbekannt, gest. 30. 10. 1751 in Wien?), des Fagottisten Johann Jacob Friederich (circa 1691–1741; von 28. Dezember 1725 bis zu seinem Tod am 13. April 1741 an der Hofkapelle angestellt), oder des Salterio-Spielers Maximilian Hellman (circa 1702 in Wien?, gest. 20. 3. 1763 in Wien). Trotz der bevorzugten Stellung dieses Arientypus ignorierten die Wiener Hofkomponisten nicht die neu aufkommende Entwicklung aus Italien: Auch in Wien entstanden in jener Zeit Opern, die die Arie mit obligatem Instrument zur Gänze missen lassen, wie F. Contis Alessandro in Sidone 34
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Reinhard Strohm, Italienische Opernarien des frühen Settecento (1720 bis 1730). Köln 1976 (Analecta musicologica 16) Teil 1, S. 95. Ludwig v. Köchel, siehe Anm. 15, S. 76.
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(1721; Sign. A-Wn, Mus.Hs. 18 089) oder Galatea Vendicata (Version 1724; Sign. A-Wn, Mus.Hs. 18 137). Es ist dabei bemerkenswert, daß dieses Nebeneinander von zwei konträren Tendenzen sich in der Wiener Hofoper auch noch auf einer anderen Ebene abspielte: Gerade um die Jahre 1723 und 1724 wurden am Wiener Hof Werke wie Badias Il bel Genio dell’Austria ed il Fato (1723; Sign. A-Wn, Mus.Hs. 17 625) oder Contis Trionfo dell’Amicizia (1711, 1724; Sign. A-Wn, Mus.Hs. 17 047) auf- bzw. wiederaufgeführt, die deutlich einer konservativen Stilrichtung zuzuordnen sind36. 4. Der Instrumentalstil Zeichnete sich der Instrumentalstil, insbesondere der Streicherstil der Wiener Hofoper bei Komponisten wie G. und A. Bononcini, A. Ariosti oder J. J. Fux schon seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts durch einen hohen Anspruch aus, setzte sich diese Entwicklung auch in den darauf folgenden Jahrzehnten nahtlos fort. Als wichtiger Katalysator wirkte neben dem Concerto-grosso-Prinzip mit seinen zahlreichen Möglichkeiten zum Hervortreten einzelner Instrumentalisten oder Instrumentalistengruppen der sogenannte Galante Stil, dessen Anfänge sich bereits bei G. Bononcini bald nach 1700 feststellen lassen und der seine Hochblüte bei A. Caldara erlebte. Anders als in der italienischen Oper der neapolitanischen Prägung, bei Komponisten wie Domenico Sarri, Leonardo Vinci oder (in Wien) Giuseppe Porsile, deren Violinbegleitstimmen einen auffallenden Hang zu melodischer und rhythmischer Einfachheit zeigen, strotzen die Orchesterstimmen der Wiener Opern geradezu von zahlreichen herausfordernden ausgeschriebenen Verzierungen, punktierten Rhythmen, diffizilen Artikulationen oder dynamischen Feinheiten. Als Besonderheit sind die hier häufig auftretenden Unisono-Arien zu nennen, in denen entweder die Oberstimmen zusammengeführt wurden (als „Violini unissoni“ oder „Unissoni“ in den Partituren deutlich gemacht, vgl. dazu Abbildung 2), die Oberstimmen mit der Viola („Violini e Violae“) oder aber das ganze Orchester im Unisono
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Mehr darüber bei Dagmar Glüxam, siehe Anm. 2, Kap. 4. (Das Instrumentarium und die Funktion der einzelnen Instrumente).
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(„Tutti suonano il basso“ und ähnliches)37. Es ist naheliegend, daß diese derart ausgearbeiteten Instrumentalpartien erhöhten Anspruch auf das Zusammenspiel der Musiker und die Bogen- bzw. Orchesterdisziplin überhaupt stellten. Schon aus diesem Grund belegen diese mitunter hochvirtuosen Arien für „Violini e Violae“ oder „Tutti suonano il basso“, die meist mit feurigen Affekten in Verbindung gebracht wurden und deshalb im schnellen Tempo gespielt werden sollten, zugleich den essenziellen Wandel in der Entwicklung des Orchesters: Die hoch entwickelte spieltechnische Fertigkeit galt nicht mehr – wie noch um und nach 1700 – als Domäne einiger ausgewählten Solisten, ähnlich wie das Orchester nicht mehr als eine „Vereinigung von Einzelspielern“38 aufgefaßt wurde; klanglicher Reichtum und farbige Vielfalt wurden durch eine homogene, jedoch äußerst bewegliche Klanggruppe abgelöst. Aus den oben angeführten Beobachtungen läßt sich feststellen, daß die Wiener Hofkapelle als der entscheidende instrumentale Träger im Bereich der höfischen Oper sehr wohl über eine Reihe spezifischer stilistischer Züge verfügte. Es handelt sich um einen höchst repräsentativen höfischen Stil, der jedoch im Verlauf der Jahrzehnte einem kontinuierlichen Wandel unterlag. Der gemeinsame Nenner dieser stilistischen Merkmale ist ihre beinahe „flächendeckende“ und eine kaum nachahmbare Exklusivität. Neben der Tatsache, daß die Wiener Kaiser sowohl Auftraggeber als auch Widmungsträger waren und daß die Aufführungen der weltlichen, nur zu bestimmten Festtagen komponierten musikdramatischen Werke fast ausschließlich nur am Wiener Hof stattfanden, zeigen auch die Breite des verfügbaren Instrumentariums, die Größe des Orchesters sowie des Trompetencorps, die eine Teilung auf mehrere Chöre ermöglichte, der durchgehend anspruchsvolle Instrumentalstil und nicht zuletzt die anwesenden herausragenden Instrumentalisten, daß diese Exklusivität de facto in allen Bereichen der musikalischen Komposition gesichert war. Genau an diesem Punkt zeigt sich allerdings die zweischneidige Wirkung dieser Exklusivität: Sollte durch all diese Einzelheiten die Einmaligkeit der musikalischen Darbietungen gegeben werden, bedeutet dies aber auch die kaum mögliche 37 38
Mehr darüber ibidem, Kap. 2. 4. 2. 2. (Unisono-Techniken). Christoph-Hellmut Mahling, Orchester, in: MGG-Sachteil 7 (1997) Sp. 814.
Gibt es einen Stil der Hofkapelle?
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Aufführbarkeit dieser Werke im veränderten sozial-historischen Kontext. Es sind also genau die Gründe, die das Wiener Opernrepertoire aus der Zeit seiner absoluten Hochblüte noch bis heute bis auf wenige Ausnahmen praktisch unbekannt sein lassen.
Abbildung 1 A. Ariosti, Marte Placato (1707), Introduzione (Sign. A-Wn, Mus.Hs. 19 125, fol. fol. 2r)
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Abbildung 2 G. Bononcini, Muzio Scevola (1710; III. Akt), Arie des Orazio, Tenta di spargere (Sign. A-Wn, Mus.Hs. 18 269, Bd. 3, fol. 10v)
Friedrich W. Riedel (Mainz/Sonthofen)
Kaiserliche Musik Einleitung 1738 wurde im Benediktinerstift Göttweig (Niederösterreich) die von Johann Lukas von Hildebrandt entworfene Kaiserstiege vollendet und damit der barocke Bau des Klosters zum vorläufigen Abschluß gebracht1. Das ikonographische Programm für die Skulpturen und die Malerei innerhalb des monumentalen Treppenhauses entwarf der damalige Abt Gottfried Bessel2, ehemaliger Offizial des Mainzer Erzbischofs und Kurerzkanzlers Lothar Franz von Schönborn, lange Zeit als Diplomat im Dienst von Kaiser und Reich tätig, geistlicher Berater der Kaiserin Elisabeth Christine, bedeutender Historiograph und Editor mittelalterlicher Kaiser-Urkunden sowie zeitweise Rektor der Wiener Universität. Zentrales Thema des riesigen Deckengemäldes des Tiroler Malers Paul Troger ist „Die Apotheose der Künste und Wissenschaften“. Die Entstehung läßt in drei Phasen die allmähliche Entwicklung bestimmter Ideen des „Kaiserstils“ erkennen: 1) 2)
3) 1
2
Entwurfszeichnung: Allegorie der Künste und Wissenschaften (Position einer Figurengruppe). Öl-Bozetto: Apollo als Helios und Musagetes (Sonnengott, Gott der Musen und der Künste), Apotheose des Lichtes (SonnenNymbus und Zodiacus), Sieg über die Finsternis. Die Personen sind wie Theaterfigurinen ohne Gesichtskonturen dargestellt. Deckengemälde 1739: Apoll trägt die Gesichtszüge Karls VI., der Ausschnitt des Zodiacus zeigt die Waage als Sternzeichen des KaiGregor M. Lechner, Die Kaiserstiege, in: 900 Jahre Stift Göttweig 1083–1983. Ein Donaustift als Repräsentant benediktinischer Kultur. Stift Göttweig 1983, S. 48-58 (dort weitere Literatur). Gottfried Bessel (1672–1749). Diplomat in Kurmainz – Abt von Göttweig – Wissenschaftler und Kunstmäzen. Mainz 1972 (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 16).
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Friedrich W. Riedel
sers, der Wappenschild mit den österreichischen Farben deutet auf das Haus Habsburg, die Betonung des Lichts um die Person des Monarchen dient der Apotheose des römisch-deutschen Kaisers als Patron von Wissenschaften und Künsten. Seit das Haus Habsburg 1273 erstmals in die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches eintrat, hat die Pietas sein geistiges, soziales und politisches Wirken in besonderem Maße geprägt3. Diese Haltung intensivierte sich im Zeitalter der Glaubensspaltung unter Karl V. und seinen Nachfolgern und erstarkte unter dem Eindruck der zweimaligen Bedrohung der habsburgischen Erblande durch die Türken. Vergegenwärtigen wir uns die historische Situation nach dem Dreißigjährigen Krieg: Am Ende der spanischen Vorherrschaft in Europa und in der westlichen Hemisphäre wird der Dualismus England – Frankreich zugunsten der Hegemonie Englands entschieden. Im Heiligen Römischen Reich mangelt es zu jener Zeit an einer Zentralgewalt, der Kaiser ist nur einer, wenn auch der mächtigste vieler Landesfürsten. Weite Teile des Reiches stehen unter fremder Herrschaft, ausländische Fürsten sind im Reichstag vertreten: Frankreich für Lothringen und das Elsaß, England für Hannover, Schweden für Vorpommern sowie die Bistümer Bremen und Verden, Dänemark für Holstein. Im Südosten nahen die Türken, die 1526 den größten Teils Ungarns erobert hatten und im Bündnis mit Ludwig XIV. stehen, den Toren Wiens. Diese Bedrohung der christlich-abendländischen Kultur vereinte in der Stunde höchster Not 1683 die katholischen und protestantischen Reichstände zum vereinten Gegenangriff und zur Vertreibung der Türken bis weit in den ungarischen Raum und im Westen zur Zurückweisung der Ansprüche Ludwigs XIV. Die Idee des Heiligen Römischen Reiches wurde von Staatsmännern und Philosophen aufgegriffen, nicht zuletzt in Verbindung mit konfessionellen Einigungsbestrebungen. Am Wiener Hof fand man offene Ohren für diese Idee, die jedoch unter Leopold I. und Joseph I. politisch nicht realisierbar war, zumal der Spanische Erbfolgekrieg zu einer erneuten Kräfteverschiebung in Europa führte. 3
Anna Coreth. Pietas Austriaca. Ursprung und Entwicklung barocker Frömmigkeit in Österreich, Wien 1959.
Kaiserliche Musik
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Erst unter Karl VI. kam es zur philosophisch-theologisch-historischen Fundierung: Nicht nur das in der Reichsverfassung begründete mittelalterliche Imperium, vielmehr auch das salomonische Königtum des Alten Bundes, weit mehr noch das von Octavianus Augustus eingesetzte, von Konstantin dem Großen ins Christliche transferierte Imperium Romanum wurden die Leitbilder der Herrschaftsvorstellungen Karls VI. Hinzu kam die Gestalt seines Namenspatrons, des Heiligen Karl Borromäus, dem Motor der Kirchenreform des Konzils von Trient, zugleich Prototyp christlicher Barmherzigkeit in der Aufopferung für den Nächsten. Die vornehmsten Tugenden des christlichen Herrschers waren somit: Prudentia – die salomonische Weisheit; Caritas – die Nächstenliebe; Pietas – die Frömmigkeit in der Gottesliebe und Heiligenverehrung. Die Devise Karls VI. Constantia et Fortitudo vereinigte die römischen Herrschertugenden: Beständigkeit, Beharrlichkeit und Stärke in allen Lebenslagen. Ein wesentlicher Zug sollte darüber hinaus der Salus populi als oberste Pflicht des Herrschers gelten. Cæsar Augustus war der Titel des Kaisers, die Attribute Sacra Cæsarea et Regia Catholica et Apostolica Majestas wurden nach dem Frieden von Rastatt 1714 mit der Übernahme der östlichen Teile des Königreichs Spanien (südliche Niederlande, Königreiche Neapel, Sizilien, Sardinien, Herzogtümer Mailand und Parma) dem Haus Habsburg übertragen. Funktion der Künste Die Ideen des nach dem Friedensschluß heraufziehenden „Augusteischen Zeitalters“ fanden ihren Niederschlag in der panegyrischen und chronikalischen Literatur, aber auch in Lehrwerken von Künstlern verschiedener Bereiche4. 4
Vgl. Franz Matsche, Die Kunst im Dienste der Staatsidee Karls VI. Ikonographie, Ikonologie und Programmatik des „Kaiserstils“, 2 Bde. Berlin-New York 1981 (Beiträge zur Kunstgeschichte, 16/1,2); in konzentrierter Form: ders., Gestalt und Aufgabe der Kunstunternehmungen Kaiser Karls VI., in: Arnfried Edler – Friedrich W. Riedel (Hg.), Johann Joseph Fux und seine Zeit. Kultur, Kunst und Musik im Spätbarock. Laaber 1996 (Publikationen der Hochschule für Musik und Theater Hannover 7) S. 35-74.
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Als Beispiele seien genannt: 1. 2.
3. 4.
Johann Basilius Küchelbecker, Allerneueste Nachricht vom RömischKayserlichen Hofe, nebst einer ausführlichen Beschreibung der kayserlichen Residenz-Stadt Wien und der umliegenden Örter. Hannover 1730. Carl Gustav Heraeus, Inscriptiones et symbola varii argumenti. Leipzig 1734: Programmatische Vorstellung der Herrschertugenden und ihrer Wirkungen zugunsten der Untertanen und ihrer Darstellung in Kunstwerken. Konrad Adolph von Albrecht, Schrifft-Verfassungen, ca. 1731 (Codex Albrecht5): Entwürfe für die kaiserlichen Bauten unter Berücksichtigung der Symbolik. Johann Bernhard Fischer von Erlach, Entwurff einer Historischen Architectur, Wien 1721: Adaption und Synthese historischer Baustile im Dienst der imperialen Idee. Johann Joseph Fux¸ Gradus ad Parnassum, sive Manuductio ad Compositionem Musicæ Regularem, Wien 1725: Musikalische Stillehre im Hinblick auf die kaiserliche Liturgie.
Die sichtbarsten Zeichen setzten die Bildenden Künste, anknüpfend an die Formen und Stilmittel der römischen Kaiserzeit: Säulen als Triumphsäulen, Statuen zur Apotheose von Personen, Triumphbögen als Ehrenpforten. Die gleichen Elemente verwendete man im Kirchenbau als Säulen, Pfeiler, Statuen in der Architektur von Altären, Kanzeln, Oratorien und Orgeln. Eine Kumulation symbolischer Darstellungen finden sich im Palast- und Kirchenbau, in Bibliotheken, Reithallen, Theaterbauten und deren Dekorationen, im Bereich der Poetik vor allem Huldigungsgedichte, auch Theaterstücke und Opern mit allegorischen Anspielungen auf den Herrscher und seine Familie. Zu diesem Umkreis zählen auch die kantatenförmig angelegten musikalischen Applausus6. Diese wurden insbesondere anläßlich von Solennitäten wie Siegesfeiern, Krönungen, Namens- oder Geburtstagen analog zu den gleichen Anlässen errichteten Ehrenpforten komponiert und
5 6
A-Wn, Mus.Hs. 17585. Friedrich W. Riedel, Joseph Haydns „Applausus“ und die Tradition des musikalischen Schultheaters in Österreich, in: Gerhard J. Winkler (Hg.), Joseph Haydn und die Oper seiner Zeit. Eisenstadt 1992 (Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland 90) S. 88-106.
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gegebenenfalls auch aufgeführt. Alle diese Werke der Künste waren eingebunden in das kirchliche und profane Zeremoniell am kaiserlichen Hof7. Musikalische Attribute imperialer Repräsentation Schon seit den ältesten Zeiten der Menschheitsgeschichte wurde Musik für zeremonielle Zwecke benützt. Insbesondere Blasinstrumente wie Fanfaren, Trompeten und Pauken signalisieren Auftritt oder Einzug eines Herrschers8. Eine besondere Funktion als „kaiserliches“ Instrument fiel der Orgel zu. Man verwendete sie beispielsweise im Alten Rom beim Auftritt des Kaisers im Zirkus, wobei sie wegen ihrer Klangstärke (in Anbetracht des geringen Tastaturumfangs erklangen wahrscheinlich nur gehaltene Akkorde) die Trompeteninstrumente ersetzte oder stützte. Nach römischer Auffassung symbolisierte die Orgel die göttliche Würde des Kaisers. Diese Auffassung setzte sich bei den christlichen Herrschern des Altertums fort9. Die Karolinger übernahmen das Instrument und seine Funktion ins cisalpine Reich. So erklang 1470 die Orgel im Dom zu Mainz beim feierlichen Einzug Kaiser Friedrichs III.10, und noch im Jahr 1714 wird das Orgelspiel zum Ein- und Auszug Karls VI. in die Wiener Michaelerkirche am Fest Pauli Bekehrung (25. Januar) eigens im Zeremonialprotokoll erwähnt11. 7
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11
Vgl. hierzu die grundlegende Studie von Andreas Pečar, Die Ökonomie der Ehre. Höfischer Adel am Kaiserhof Karls VI. (1711–1740). Darmstadt 2003. Vgl. Winfried Dotzauer, Die Ankunft des Herrschers. Der fürstliche „Einzug“ in die Stadt (bis zum Ende des Alten Reichs), in: Archiv für Kulturgeschichte 55 (1973) S. 245-288. – Man denke auch an die Auftrittszenen in Shakespeares Königsdramen. Vgl. Dietrich Schuberth, Kaiserliche Liturgie. Die Einbeziehung von Musikinstrumenten, insbesondere der Orgel, in den frühmittelalterlichen Gottesdienst. Göttingen 1968 (Veröffentlichungen der Evangelischen Gesellschaft für Liturgieforschung 17). – Hiervon rührt möglicherweise die in der späteren theoretischen Literatur verwendete Bezeichnung „Rex Instrumentorum“; auch Wolfgang Amadeus Mozart spricht vom „König der Instrumente“; die weibliche Form „Königin“ kam erst im 19. Jahrhundert auf. Vgl. Friedrich W. Riedel, Zur Problematik der Kathedralorgel – Die Orgeln im Dom zu Mainz, in: ders. (Hg.), Die Orgel als sakrales Kunstwerk I. Beiträge zur Orgelgeschichte im ehemals kurrheinischen Reichskreis und seinen Nachfolgestaaten. Mainz 1992 (Neues Jb. für das Bistum Mainz. Beiträge zur Zeit- und Kulturgeschichte der Diözese, Sonderband 1991/92) S. 302-317. Friedrich W. Riedel, Kirchenmusik am Hofe Karls VI. (1711–1740). Untersuchungen zum Verhältnis von Zeremoniell und musikalischem Stil im Barockzeitalter. München-Salzburg 1977 (Studien zur Landes- und Sozialgeschichte der Musik 1) S. 42.
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Die Krönung In den Zeremonien der Krönung des römischen Königs bzw. römischdeutschen Kaisers12 spiegelt sich eine Synthese der Auffassungen vom davidischen Herrschertum des Alten Testaments und der göttlichen Würde des römischen Kaisers als Vicarius Christi und Protector Ecclesiae wider13. Dies kommt zum Ausdruck in mehreren Elementen: 1. 2. 3. 4. 5.
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Die Huldigung des Volkes nach der Inthronisation in Anlehnung an die seit den byzantinischen und römischen Krönungsriten gesungenen Kaiser-Akklamationen. Die ebenfalls als liturgische Akklamationen zu wertenden Intraden der heraldischen Trompeter und Pauker14. Das Te Deum laudamus als Akklamation des Gottesvolkes an den dreifaltigen Gott. Die aus der Priester- und Bischofsweihe übernommenen Zeremonien der Prostratio (Niederwerfung), des Skrutinium (Befragung) und der Salbung. Der aus den Pontifikalgewändern bestehende Krönungsornat15.
Es handelte sich ursprünglich um zwei getrennte Vorgänge. Die Wahl und Krönung des deutschen Königs erfolgte in Deutschland, ursprünglich in Aachen, die Kaiserkrönung nahm der Papst in Rom vor. Als letzter deutscher König wurde Karl V. durch den Papst (in Bologna) gekrönt. Friedrich W. Riedel, Krönungszeremoniell und Krönungsmusik im Barockzeitalter, in: Pavel Polák (Hg.), Historia Musicae Europae Centralis. Mitteleuropäische Aspekte der Barockmusik. Bratislava 1997, S. 109-132. Vgl. Friedrich W. Riedel, wie Anm. 11, Abb. neben S. 48; diese Intraden wurden auch in die von den geistlichen Kurfürsten und anderen Fürstbischöfen zelebrierten Pontifikalämter übernommen. Nach der Säkularisation wurden sie von Militärmusikern ausgeführt, beispielsweise im Mainzer Dom von der österreichischen Garnison. Vgl. Werner Pelz, Kirchenmusik in Mainz am Übergang von der kurfürstlich-erzbischöflichen Residenz und Metropole zur Hessen-Darmstädtischen Bischofs- und Provinzstadt, in: Friedrich W. Riedel (Hg.), Kirchenmusik zwischen Säkularisation und Restauration. Sinzig 2006 (Kirchenmusikalische Studien 10) S. 267-286. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts in der Schatzkammer der Wiener Hofburg verwahrt; vgl. Georg Johannes Kugler, Die Reichskrone. Wien–München 1968. Daß die Kaiser unter der Krone eine Mitra trugen, ist noch durch den Bügel über dem Kronreif zu erkennen.
Kaiserliche Musik
6.
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„Altertümliche“ liturgische Gesänge und Kompositionen, ausgenommen die meist aus aktuellem Anlaß komponierten Missae pro Coronatione.
Liturgie und Kirchenmusik im Rahmen des kaiserlichen Zeremoniells Die Pontifikalgewänder mit gekreuzter Stola als Zeichen seiner sakralen Würde durfte der Kaiser ebenso wie die Krönungsinsignien nur während der Krönungszeremonie tragen. Zeitlebens verblieb ihm jedoch der liturgische Rang eines Diakons mit dem Recht, während des Hochamts das Evangelium zu verlesen, vor allem bei besonderen Anlässen wie Konzilien. Kaiser Sigismund hat von diesem Recht Gebrauch gemacht, zuletzt auch Kaiser Maximilian I. Es kann als selbstverständlich gelten, daß die römisch-deutschen Kaiser des Hauses Habsburg reges Interesse am Ablauf der Liturgie und ihrer Gestaltung hatten. Die teilweise aus Elementen des israelitischen Tempelgottesdienstes, teilweise aus dem römisch-kaiserlichen Zeremoniell beziehungsweise der kaiserlichen Liturgie der spätrömischen Zeit hervorgegangene lateinische Liturgie des christlichen Abendlandes entwickelte sich nach dem Übergang des Imperiums an die Karolinger weiter im Frankenreich, bis mit der Einfügung des Nicänischen Credo auf Wunsch Kaiser Heinrichs II. (des Heiligen) im Jahr 1014 der abendländische Mess-Ordo seine definitive „klassische“ Gestalt erhielt16. Durch Karl V. kamen dann Elemente des burgundischen Zeremoniells hinzu, welche dem kaiserlichen Zeremoniell am Ende des Heiligen Römischen Reiches die vollendete Gestalt verliehen17. Eine regulierte „Ordnung“ des Gottesdienstes, umfassend Messe, Offizium im Jahreskreis nebst „extraordinären“ Feiern, konnte jedoch erst entstehen, nachdem die Herrscher eine ständige Residenz besaßen. Dies geschah bei 16
17
Josef Andreas Jungmann, Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe, Band I. Wien u. a. 1962, S. 601. Vgl. Friedrich W. Riedel, Kirchenmusik in der ständisch gegliederten Gesellschaft am Ende des Heiligen Römischen Reiches, in: Friedrich W. Riedel (Hg.), Kirchenmusik zwischen Säkularisation, siehe Anm. 14, S. 47-57.
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den Habsburgern erst unter Ferdinand I.18. Inwieweit das Offizium über das private Gebetbuch des Herrschers hinaus auch als „musikalischer“ Gottesdienst begangen wurde, hing von den persönlichen Wünschen des jeweiligen Monarchen ab, ebenso die Einrichtung einer „musikalischen“ Kapelle. Die Bezeichnung „Cappella“ der mittelalterlichen Kaiser oder Könige bezog sich auf die königliche Kanzlei, die aus hochgebildeten adeligen „Cappellani“ (= Kaplänen) bestand, von denen manche später als Bischöfe eingesetzt wurden wie der Passauer Bischof Altman, der im Investiturstreit eine wichtige Rolle im Kampf zwischen Kaiser und Papst spielte und sich die Ungnade Heinrichs IV. zuzog19. Daß ein solcher „Capellanus“ zugleich Kapellmeister im kaiserlichen Hofstaat werden konnte und später sogar Bischof wurde, zeigt die Lebensgeschichte von Georg Slatkonia20. Erst mit dem Übergang der Erblande und Königreiche an die Grazer Linie des Hauses Habsburg bahnte sich nach dem Dreißigjährigen Krieg eine feste Struktur des liturgisch-musikalischen Verlaufs an in der Ausrichtung auf das Missale Romanum und die Zeremonialvorschriften des kaiserlichen Hofes21. Unterschiedliche historische Schichten wurden dabei durch unterschiedliche „historische Stile“ zum Ausdruck gebracht. Die Basis, bestehend aus einem handgeschriebenen Graduale und Chorbüchern mit dem Offizium für die Karwoche, die Christmette, die Exequien sowie für Weihwasser-, Sakraments- und Prozessionsgesänge, ferner Palestrinas Vesper-Hymnen wurden von dem kaiserlichen Kopisten Georg Moser und seinem Sohn
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Vgl. Elisabeth Hilscher, Mit Leier und Schwert. Die Habsburger und die Musik. Graz–Wien– Köln 2000, S. 57-60. Vgl. Christine Tropper, Der Heilige Altmann, Bischof von Passau und Gründer des Klosters Göttweig, in: 900 Jahre Stift Göttweig 1083–1983, siehe Anm. 1, S. 17-20. Annemarie Fenzl, Bischof Georg von Slatkonia, seine Person und seine Einbettung in die Problematik der Zeit am Beginn der Reformation, in: Theophil Antonicek – Elisabeth Theresia Hilscher – Hartmut Krones (Hg.), Die Wiener Hofmusikkapelle I: Georg Slatkonia und die Wiener Hofmusikkapelle. Wien–Köln–Weimar 1999, S. 49-73. Vgl. Elisabeth Kovacs, Kirchliches Zeremoniell am Wiener Hof des 18. Jahrhunderts im Wandel von Mentalität und Gesellschaft, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32 (1979) S. 109-142.
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Johann Christoph unter Kaiser Ferdinand III. in den Jahren 1637 bis 1651 geschrieben22. Unter Leopold I. wurden die Choralgesänge der Introiten und Offertorien für die Sonn- und Feiertage durch instrumentalbegleitete Figuralsätze der Hofkapellmeister Bertali, Sances und Schmelzer ersetzt, ebenso die PsalmAntiphonen für die solennen Vespern an den Festtagen. Eine neue Ära begann nach dem Regierungsantritt Karls VI. und dem Frieden von Rastatt. 1715 rückte Johann Joseph Fux zum Amt des Ersten Kapellmeisters auf, im gleichen Jahr entstand das Ordnungs-Buch, wie Ihre Röm: Kais: und Königl: Majestät Ihre Kirchen Andacht in Wien feyerten, das für die folgenden Jahre richtungweisend wurde. Ergänzend dazu verfaßte der kaiserliche Partausteiler Kilian Reinhardt aufgrund seiner fünfzigjährigen Berufserfahrung 1727 ein Direktorium für die Hofkapelle unter dem Titel Rubriche Generali per le Funzioni Ecclesiastici Musicali di tutto l’anno 23. Es behielt Gültigkeit bis zum Tod des Kaisers. Änderungen wurden jeweils an den betreffenden Stellen notiert24. Hier ist zugleich die stilistische Zuordnung des musikalischen Repertoires gemäß den Vorschriften des liturgischen und höfischen Zeremoniells genau festgelegt. Man kann demnach unterscheiden zwischen: 1. 2. 3. 4.
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Ferial-Musik = Choral-Gesang an Wochentagen ohne Fest im Kalender; Quadragesimal-Musik = a-cappella-Musik während der Adventsund Fastenzeit; Dominikal-Musik = vokal-instrumental gemischter konzertierender Stil in einfacher Besetzung; Pontifikal-Musik = dasselbe in solenner Besetzung mit Trompeten und Pauken.
Friedrich W. Riedel, siehe Anm. 11, S. 113; das Karwochen-Offizium hatte bereits Ferdinand II. durch seinen aus Graz mitgenommenen Kopisten Georg Kugelmann zusammenstellen lassen; siehe ibidem, S. 74. Beschreibung ibidem, S. 17-20. Hier ist auch die Ausdehnung der Gottesdienste festgelegt, gemessen an der Zelebration einer still gelesenen Messe (ca. 20 Minuten) als zeitliches Richtmaß. Das Hochamt an Sonn- und kleineren Festtagen wurde auf zwei stille Messen (ca. 40-45 Minuten) berechnet, eine Festmesse (Pontifikalamt) auf drei stille Messen (ca. eine Stunde).
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Dabei wurden die aus der Zeit Ferdinands III. und Leopolds I. insbesondere für die Advents- und Fastenzeit wie auch für bestimmte Propriumsteile (Introiten) komponierten Sätze übernommen, im Bedarfsfall durch neue Vertonungen ergänzt. Zu dieser Zeit war in der kaiserlichen Kapelle eine beträchtliche Zahl von Komponisten tätig, von denen nicht wenige sich der Kirchenmusik widmeten25, so daß der Kapellmeister Fux offensichtlich eine regelrechte Aufgabenverteilung vornehmen konnte: Der Hauptanteil fiel auf die „Ordinari Kirchenmusik“ für die Sonntage und kleineren Feste, also Messen, Vespern, Marianische Antiphonen, Litaneien im stilus mixtus, d. h. relativ kurze Kompositionen mit einfacher Instrumentalbesetzung. Der wichtigste personelle Zuwachs für den Kaiserhof war Antonio Caldara, der neben Alessandro Scarlatti, Antonio Vivaldi und Georg Friedrich Händel zu den fruchtbarsten und bedeutendsten aus Italien stammenden oder dort geschulten Komponisten seiner Zeit zählte. Durch die Komposition und Aufführung seines Componimento da Camera Il più nome nel festiggiarsi il Nome Felicissimo di Sua Maestà Cattolica Elisabetha Cristina Regina 26 delle Spagne anläßlich ihrer Hochzeit mit Karl VI. am 2. August 1708 in Barcelona hatte sich Caldara die Gunst des Kaisers erworben, so daß er 1716 in Wien als Vizekapellmeister angestellt wurde. Ihm fiel zunächst die Aufgabe zu, einen neuen Zyklus der liturgischen Sonntagsoffertorien zu vertonen. Es folgten solenne Werke wie Messen, Vespern, Te Deum, Offertorien. Stilistisch ging Caldara über seine Vorgänger hinaus: er verband in seinen Wiener Kirchenkomposition strenge Kontrapunktik mit reicher Melodik und bewegter Figuration. So verkörpern sie den Stil des Spätbarock, der vor allem in den solennen Messen und den konzertanten (frei gedichteten) Offertoriumsmotetten, ebenso in den Vespern zum Ausdruck kam und bei seinen Schülern vorherrschte27.
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Neben Fux waren es Antonio Caldara (seit 1716), Francesco Conti (seit 1713), Johann Georg Reinhardt (seit 1712), Angelo Ragazzi (seit 1713), Matthias Oettl (seit 1720), später Johann Georg Reutter (seit 1731), Matteo Palotta (seit 1733), Luca Antonio Predieri (seit 1739), Georg Christoph Wagenseil (seit 1739) und Giuseppe Bonno (seit 1739). Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel. Da Caldaras Messen auch nach 1740 sehr häufig am Hof aufgeführt wurden, sind die älteren Umschläge mit den früheren Aufführungsdaten nicht mehr vorhanden.
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Widmungen von Kirchenwerken an den Kaiser kommen in der Regel durch die Nennung des Namenspatrons im Titel zum Ausdruck, beispielsweise Missa Sti. Caroli (Fux K 7 mit persönlicher Widmung, K 33; Caldara, Reinhardt). Eine besondere, symbolische Art der Dedikation an den Kaiser stellen drei Messen des Violinisten Angelo Ragazzi dar, denen das Soggetto cavato „Carolus Sextus Imperator Romanorum, et Hispaniarum Rex“ als Subjekt zugrunde liegt. Die zwei ersten (1736, 1737) sind im a-cappella-Stil geschrieben, die erste enthält einen Widmungstext des Komponisten mit Erläuterung der „versteckten“ Symbolik, die archaisierend an ähnliche Kompositionen für Kaiser Karl V. erinnert28. Auf demselben soggetto basiert die solenne doppelchörige Missa Tertia von 1739, die am Fest Allerheiligen aufgeführt wurde und somit zum letzten Mal vor dem Kaiser erklang, der ein Jahr später verstarb. Liturgische Höhepunkte bildeten die „Toison“-Ämter und -Vespern an den Hochfesten und Apostelfesten des Kirchenjahres, seitdem nach dem Tod des spanischen Königs Karls II. die Würde des Souverains des Ordens vom Goldenen Vließ an die österreichische Linie des Hauses Habsburg gefallen war. Karl VI. wurde der achte Souverain des Ordens29. Zu diesen Anlässen hatten die in Wien anwesenden Ritter in ihrer Robe und ihren Insignien bei der ersten Vesper und beim Hochamt zu erscheinen, besonders am Patronatsfest des Ordens, St. Andreas (30. November)30. Hierbei wurden die dem Orden eigenen Paramente31 benützt und besonders prächtige Kompositionen aufgeführt. So trägt eine Messe des späteren Hofkapellmeisters Johann Georg Reutter den Titel Missa pro Principali Feste Inclyti Ord: Equit. aueri Velleris 32. Die Pontifikalvesper am Vorabend in der Augustinerkirche 28
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Friedrich W. Riedel, siehe Anm. 11, S. 134 f.; vgl. auch Elisabeth Hilscher, „ … Dedicata alla Sacra Cesarea Maestà …“. Joseph I. (1678–1711) und Karl VI. (1685–1740) als Widmungsträger musikalischer Werke – zum historischen und geistesgeschichtlichen Umfeld der Widmungskompositionen, in: StMw 41 (1992) S. 95-177. Da die spanischen Bourbonen das gleiche Recht beanspruchten, kam es zu einer bis heute gültigen Spaltung in einen österreichischen und einen spanischen Zweig. Letzterer nimmt auch nichtkatholische Mitglieder auf; vgl. Het Gulden Vlies. Vijf Eeuwen Kunst en Geschiedenis. Tentoonstelling. Brugge 1962. Vgl. Friedrich W. Riedel, siehe Anm. 11, S. 25 f. u. 269 f.; ferner Andreas Pečar, siehe Anm. 7, S. 173-179. Sie werden in der Schatzkammer der Wiener Hofburg verwahrt. Musikarchiv der Pfarre Lichtental in Wien; freundlicher Hinweis von Dr. Erich Benedict, Wien.
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dauerte etwa eine und eine Dreiviertelstunde. Die Musik in solenner Besetzung mit Trompeten und Pauken erklang im Jahr 1734 in nachstehender liturgischer Folge: Versikel: Deus in Adjutorium meum intende – Domine, ad adjuvandum me festina 1. Antiphon Salve crux pretiosa Felice Sances 1. Psalm Dixit Dominus Johann Joseph Fux 2. Antiphon Beatus Andreas Felice Sances 2. Psalm Confitebor tibi domine Johann Joseph Fux (?) 3. Antiphon Andreas Christi famulus Felice Sances 3. Psalm Beatus vir Antonio Caldara 4. Antiphon Maximilla Christo amabilis Felice Sances 4. Psalm Laudate pueri Johann Joseph Fux 5. Psalm Laudate Dominum (?) 5. Antiphon Qui persequebantur justum Felice Sances Hymnus Exsultet orbis gaudiis Marco Antonio Ziani Antiphon Unus ex duobus Felice Sances Canticum Magnificat anima mea Dominum Marco Antonio Ziani Antiphona Alma Redemptoris Mater Marco Antonio Ziani Litaniae de B. M. V. Johann Joseph Fux
Das Toison-Amt am folgenden Tag, ebenfalls in St. Augustin zelebriert, war auf etwa eine Stunde berechnet, die Musik erklang in solenner Besetzung mit doppelten Trompetenchören: Intrata Introitus: Kyrie / Gloria: Sonata: Credo: Offertorium:
Sanctus / Agnus Dei:
für zwei Chöre Trompeten und Pauken Antonio Bertali Mihi autem 1727 Johann Joseph Fux Missa corporis Christi 1733 Antonio Caldara Missa à 8 voci 1732 Johann Joseph Fux 1727 Johann Joseph Fux Missa corporis Christi Motetto de Apostolis solenne con trombe e timpani a due cori (während des Opfergangs der Toisonritter) Antonio Caldara Vos tubae sonate 1727 Johann Joseph Fux Missa corporis Christi 1737 Antonio Caldara Missa Assumptionis B. M. V.
So fügte sich das historisch gewachsene kirchenmusikalische Repertoire in das ebenfalls historisch gewachsene liturgische Zeremoniell am Wiener Kaiserhof organisch ein.
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Solennitäten und extraordinäre Zeremonien Regelten die Ordnungsbücher und Direktorien den täglichen Verlauf der Sonn-, Fest- und Alltage im Jahreskreis, so erforderten „extraordinäre“ Ereignisse wie Sieges- oder Friedensfeiern, Geburts- und Namenstage des Kaiserpaares, Taufen, Hochzeiten oder Todesfälle innerhalb der kaiserlichen Familie jeweils ein spezielles Zeremoniell und stellten eine Herausforderung an die Künste hinsichtlich einer angemessenen, sowohl dem Anlaß als auch der Huldigung des Hauses Habsburg und der Einbettung jedes Ereignisses in die tausendjährige Tradition des abendländischen Imperiums. Gestaltungsmittel der Bildenden Künstler waren die Ehrenpforten oder Trauergerüste, die Dekorationen von Festsälen oder Festumzügen, während die Poeten panegyrische oder allegorische Gratulations- und Huldigungsgedichte zu verfassen hatten. Eine Synthese von Poetik und Musik bildeten die kantatenförmig angelegten Applausus nach dem Vorbild dieser von den Jesuiten, aber auch in anderen Klöstern und Gymnasien gepflegten Gattung33. Sie erklangen am Hof bei besonderen Solennitäten wie Jubiläen, Sieges- und Familienfeiern zwecks Kommentierung oder Allegorisierung der Ereignisse oder Personen. Als Beispiele seien genannt: 1702
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Eroberung der Festung Landau durch König Joseph I.34 Johann Theodor Herold35: Cantata qua victoria et reditus del gran figlio d’Augusto Joseph Paris Feckler36: Applauso poetico al giorno di Nome di Giuseppe Re dei Romani. Rückkehr Karls VI. nach Wien von der Kaiserkrönung in Frankfurt Jacob Jan Hamel Bruyninx37: Applauso38
Friedrich W. Riedel, Joseph Haydns „Applausus“ und die Tradition des musikalischen Schultheaters in Österreich, in: Gerhard J. Winkler (Hg.), Joseph Haydn und die Oper seiner Zeit. Eisenstadt 1992, S. 88-106. Aus diesem Anlaß errichtete Johann Bernhard Fischer von Erlach in Wien die hölzerne Ausführung der Josephsäule am Hohen Markt. Mainzer Hofkapellmeister († 1720). Kurpfälzischer Hofkapellmeister (1666–1735).
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1716 1718 1731
Friedrich W. Riedel
Geburtstag Karls VI. Antonio Caldara: Il Natale d’Augusto Namenstag Karls VI. Antonio Caldara: Il Nome più glorisoso Namenstag des Mainzer Kurfürsten und Kurerzkanzlers Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg39 Antonio Caldara: Il Nome di Giove
Die textlichen und musikalischen Gestaltungsmittel der Applausus waren die gleichen wie beim Jesuitentheater beziehungsweise bei den höfischen Opern oder Oratorien: rezitativischer Dialog oder Disput der personifizierten Tugenden oder Untugenden, oftmals mittels Metaphern, Steigerung des musikalischen Ausdrucks in den nachfolgenden Arien auf der Basis der Temperamenten- und Affektendarstellung mittels Tonartencharakteristik, Harmonik und vokaler wie instrumentaler Figuration. Eine Steigerung der Synthese von Dichtung und Musik mit Choreographie und den Bildenden Künsten zum barocken „Gesamtkunstwerk“ stellten die musikdramatischen Werke dar, bezeichnet als Dramma per musica, Favola pastorale, Festa musicale, Azione teatrale, Componimento per musica oder ähnlich40. Herausragende Werke dieser Gattung waren die Festopern anläßlich von Krönungen, Hochzeiten oder Siegesfeiern. Als Beispiele seien genannt: 1667
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Hochzeitsfeier von Kaiser Leopold I. mit der spanischen Infantin Margareta Theresia Antonio Cesti: Il Pomo d’oro41
1661–1738, seit November 1700 Holländischer Gesandter in Wien; Komponist, Dichter oder nur Auftraggeber des Applausus? A-Wn, Mus.Hs. 17585. Friedrich W. Riedel, Die Reise des Mainzer Kurfürsten Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg nach Wien im Jahr 1731, in: ders., Musik und Geschichte. Gesammelte Aufsätze und Vorträge zur musikalischen Landeskunde. München–Salzburg 1989 (Studien zur Landes- und Sozialgeschichte, Bd. 10) S. 67-83. Friedrich W. Riedel, Typen dramatischer Musik im Spätbarock, in: Günter Holtus (Hg.), Theaterwesen und dramatische Literatur. Beiträge zur Geschichte des Theaters. Tübingen 1987, S. 275-288 (Mainzer Forschungen zu Drama und Theater 1). Edition durch Guido Adler, Wien 1896 (DTÖ 6, Prolog und 1. Akt) und Wien 1897 (DTÖ 9, Akt 2-5).
Kaiserliche Musik
1716
1723
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Text basierend auf der antiken Mythologie (Sage vom Goldenen Vließ) mit Anspielungen auf das Haus Habsburg. Feier der Geburt des Thronfolgers Erzherzog Leopold und des Sieges bei Peterwardein (Bezugnahme in der Licenza)42 Johann Joseph Fux: Angelica vincitrice d’Alcina (Libretto nach Ludovico Ariosto, Orlando furioso) Krönung Karls VI. zum König von Böhmen in Prag Johann Joseph Fux: Costanza e Fortezza43 Das Libretto basiert auf der Argonautensage und dient der Ehrung des Kaisers in seiner Funktion als Souverän des Ordens vom Goldenen Vließ.
Exequien Profane Gegenstücke zu den Applausus und Festopern waren die Trauermusiken und Trauerkantaten, die im Unterschied zu den liturgischen Exequien in den Hauptstädten vorwiegend protestantischer Reichsstände nach dem Ableben der Kaiser oder anderer Herrscher aufgeführt wurden. Erwähnt seien das Castrum doloris für Leopold I. von Dietrich Buxtehude in der Lübecker Marienkirche (1705) oder die leider verschollene Trauermusik für Kaiser Karl VI. von Georg Philipp Telemann, ferner jene für Friedrich II. von Preußen von Johann Friedrich Reichardt (1786), schließlich Beethovens Trauerkantate auf den Tod Josephs II. (1790)44. Sind diese meist hochqualifizierten Kompositionen retrospektiv auf die Verdienste des Verstorbenen ausgerichtet, so steht bei den Exequien vor dem kunstvollen „Trauergerüst“ (Castrum doloris) der Blick in die Ewigkeit (Gericht, Trost, Auferstehung) im Vordergrund45. Im Totenoffizium erklangen die von Kaiser Leopold I., Marco Antonio Ziani, Johann Joseph Fux und Johann Georg Reinhardt vertonten Lektionen im Wechsel. Die 42
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Vgl. John Henry Van der Meer, Die Opern von Johann Joseph Fux, Bd. 2. Bilthoven 1961, S. 135-157. Ibidem, S. 225-241. Siehe Friedrich W. Riedel, Die Trauerkompositionen von Joseph Martin Kraus. Ihre geistes- und musikgeschichtliche Stellung, in: ders. (Hg.), Joseph Martin Kraus in seiner Zeit. München– Salzburg 1982, S. 154-169. Vgl. Friedrich W. Riedel, siehe Anm. 11, S. 181-184.
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Friedrich W. Riedel
Missae pro Defunctis von Leopold I., M. A. Ziani, J. H. Schmelzer, und J. J. Fux zeigen eine verhaltene Trauer und zugleich eine majestätische Feierlichkeit, die eine Glaubenszuversicht offenbart, wie sie Karl VI. auf dem Totenbett gegenüber Minister Bartenstein geäußert haben soll46: „Wer seiner Sache gewiß ist, wie ich, der kann eine solche Reise mit gutem und gelassenen Mute antreten“. Nach der Ablegung aller Titel und Würden war es nicht mehr der Herrscher, sondern der einfache, sündige Mensch, der Gott gegenübertrat47. Die Ehrung vor dem Trauergerüst in der Augustinerkirche mit seiner ganzen Symbolik und architektonischen Pracht galt jetzt weniger der Person Karls VI. als dem Amt des römischen Kaisers, dem Repräsentanten des christlichen Abendlandes. Ausbreitung des „Kaiserstils“ Als Karl VI. im Alter von 55 Jahren unerwartet starb, waren viele politische Probleme ungelöst. Die Nachfolge im Reich stand nicht fest, weil der Kaiser es angesichts der ungünstigen politischen Situation nicht gewagt hatte, bei den Kurfürsten die Wahl seines Schwiegersohnes Franz Stephan zum römischen König durchzusetzen. Die Pragmatische Sanktion zur Sicherung der Erbfolge in den österreichischen Erblanden war zwar vertraglich vereinbart, stand aber auf unsicheren Füßen, zumal die männliche Nachfolge bei den Nachkommen Karls VI. zu jener Zeit noch nicht gesichert war48. So war der Österreichische Erbfolgekrieg vorprogrammiert. Er sollte die letzte Phase des Heiligen Römischen Reiches einleiten. Der Krieg setzte allen kulturellen Plänen und Unternehmungen ein Ende. Dem Bestreben des Wiener Hofes, der Kaiseridee durch Repräsentationsbauten nach außen hin Geltung zu verschaffen, waren schon zu Lebzeiten Karls VI. finanzielle Grenzen gesetzt49. Unvollendet blieben das Gesamt46 47
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Zitiert nach Bernd Rill, Karl VI. Habsburg als barocke Großmacht. Graz 1992, S. 132. Dies kam auch im Zeremoniell der Beisetzung in der Kapuzinergruft zum Ausdruck; vgl. Magdalena Hawlik-van de Water, Das Zeremoniell bei Tod und Begräbnis. Der Tod Kaiser Leopolds I., der Trauerzug, die reglementierte Trauer, in: Helga Mraz, Ausstellunsgkatalog Triumph des Todes. Eisenstadt 1992, S. 118-132. Joseph II. wurde erst fünf Monate nach dem Tod seines Großvaters geboren. Zum folgenden vgl. Andreas Pečar, siehe Anm. 7, S. 249-292.
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konzept der Hofburg, die mächtige Klosterresidenz in Klosterneuburg und zahlreiche andere Bauvorhaben. Erfolgreicher waren die Landstände, d. h. der Hofadel und die Stifte, wie die prächtigen Schloß-, Kirchen- und Klosterbauten in den Erblanden, in Ungarn und vor allem in Böhmen beweisen. Eine wesentlich größere architektonische Prachtentfaltung konnten sich auch in der Folgezeit die Reichsstände erlauben. In diesen Bauten lebten die historischen und politischen Verbindungen zur Sacra Cæsarea et Regia Catholica et Apostolica Majestas weiter. Beispiele hierfür sind die Residenzbauten in Dresden, Berlin, Potsdam, Mannheim, Stuttgart, München sowie die Bischofsresidenzen der Reichskirche in Münster, Bonn, Koblenz, Mainz, Würzburg, Bamberg oder Salzburg nebst den Klosterbauten der schwäbischen Reichsstifte50. Deren „Herrlichkeit“ endete erst mit der Säkularisation, den Napoleonischen Kriegen und dem Reichsdeputationshauptschluß von 180351. Verhielt man sich in Wien und den habsburgischen Territorien beim unerwarteten Tod Karls VI. verhalten, so erfuhr der verstorbene Kaiser von den Reichsständen vor allem auf musikalischem Gebiet hohe Ehrungen. Erwähnt sei die im Auftrag der Hansestadt Hamburg komponierte Trauermusik von Georg Philipp Telemann (1740), die ebenso wie jene auf den Tod von Kaiser Franz I. (1765) verschollen ist52. Diesen geistlichen Kantaten steht als liturgisches Werk gegenüber das im Auftrag des Reichsstiftes Ottobeuren von dem Freiburger Stiftskapellmeister Franz Anton Maichelbeck komponierte Requiem [...] ad Solemnes Exequias Augustissimi Imperatoris Caroli VI. qui singularis Benefactor nobis erat. Compositio verè excellens [...] 1740, das bis 1792 alljährlich aufgeführt wurde pro Anniversariis Benefact. Otto50
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Vgl. insbesondere Franz Matsche, Der Festsaal im Kloster St. Mang in Füssen als Kaiser- und Reichssaal, in: Alt-Füssen. Jahrbuch des Historischen Vereins „Alt Füssen“ 2005 (Füssen 2006) S. 80-99; ferner Werner Schiedermair, Klosterland Bayrisch Schwaben. Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803. Lindenberg 2003. Vgl. Klaus Peter Hartmann, Europa, das Heilige Römische Reich und die Säkularisation (1789 bis 1803), in: Friedrich W. Riedel (Hg.), Kirchenmusik zwischen Säkularisation, siehe Anm. 14, S. 33-46. Erhalten blieben nur die Trauermusiken auf Kaiser Karl VII. (1745), auf den polnischen König August den Starken (1733) und auf den englischen König Georg II. (1760).
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buranorum & pro Exequiis Imperatorum Romanorum. Das festliche Werk steht in der für eine Missa pro Defunctis seltener verwendete Tonart D-Dur und ist doppelchörig angelegt für acht Vokalstimmen, zwei Hörner, zwei Trompeten, zwei Orgeln und zwei Kontrabässe zur Aufführung auf den zwei gegenüberliegenden Emporen im Presbyterium der Klosterkirche zu Ottobeuren. In Wien wurde die Hofmusik durch den Verlust der Kaiserwürde zur königlichen Kapelle degradiert. Sparmaßnahmen zwangen Maria Theresia zur Schließung der Hofoper und zur Reduzierung des Personals53. Auch die Applausus fanden weniger Interesse, mit dem Verbot des Jesuitenordens verschwand diese barocke Gattung weitgehend aus dem gesellschaftlichen Leben. Demgegenüber blieb die kaiserliche Liturgie in überlieferter Form erhalten, allerdings mit manchen Einschränkungen, besonders hinsichtlich der Anzahl der Feiertage. Darüber hinaus führte die Übertragung der Souverainswürde des Ordens vom Goldenen Vließ auf Herzog Franz von Lothringen als Nachfolge seines Schwiegervaters wie auch seine Wahl und Krönung zum Römisch-deutschen Kaiser 1745 als Nachfolger seines Schwagers Karl VII. (dem Mann der Cousine seiner Frau) aus dem Hause Wittelsbach zum Wiederaufleben der kaiserlichen Zeremonialordnung. Als römischdeutscher Kaiser oblag Franz I. eine Fülle zeremonieller Verpflichtungen (Belehnungen, Erbhuldigungen, Verleihungen von Adelsprädikaten, Audienzen ausländischer Fürsten) innerhalb des gesamten Reichsgebietes54. Er bediente sich bei diesen offiziellen Ereignissen stets der Zeremonialkleidung, d. h. des sogenannten „spanischen Mantelkleides“, in welchem er
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Ludwig von Köchel, Die kaiserliche Hof-Musikapelle in Wien von 1543–1867. Wien 1829; Günter Brosche et al. (Hg.), Musica Imperialis. 500 Jahre Hofmusikkapelle in Wien 1498– 1998. Katalog der Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, 11. Mai – 10. November 1998. Tutzing 1998. Die wichtigsten Regierungsinstitutionen des Reiches waren der ständig in Regensburg tagende Reichstag, das Reichskammergericht in Wetzlar, der Erzbischof von Mainz als „Kurkanzler“ und der diesem unterstellte Reichsvizekanzler im Reichskanzleitrakt der Wiener Hofburg, an der Spitze der Kaiser selbst im gleichen Hause.
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häufig auf Porträts abgebildet ist. Erst sein Sohn und Nachfolger Joseph II. ersetzte dieses Gewand nach preußischem Vorbild durch die Uniform55. Die Veränderung bzw. Neugestaltung im liturgisch-kirchenmusikalischen Bereich geht aus dem Directorium56 hervor: „Laudetur Jesus Christus. / Anno 1745 / Allhier seind alle dienst beschrieben, / welche in disem gantzen Jahr bey dem / Kais. Hoff seind gemacht worden, also / ein M. steht. will sagen manet, ver- / bleibet durch alle Jahr, welche / nicht verbleiben, werde ich von Jahr zu Jahr nachsetzen; so seind auch nach disem / Jahr Extra anmerckungen beschriben, / welche in dem Direktorium nicht stehen. / Andre Johann Ziss Kaysl. Concert- / dispensator, und Musicalischer / Camer Copist.“57 Reduziert wurden die öffentlichen Kirchgänge zu den Stationskirchen, insbesondere in den Sommermonaten, wo sich der Hof zumeist im Schloß Schönbrunn aufhielt. Doch behielt man das musikalische Repertoire weitgehend bei, speziell bei den Offizien der Karwoche, zu Weihnachten und bei den Exequien. Später ersetzte Georg Reutter viele der alten in Chorbüchern notierten a-cappella-Gesänge durch eigene Kompositionen, die aus separaten Stimmheften gesungen wurden. Bis zum Anfang der 1750er Jahre wurden die Aufführungen auf den Umschlägen notiert. Caldaras Werke erfreuten sich weiterhin großer Beliebtheit, vor allem seine Festmessen. Von Fux bevorzugte man dagegen die Gradualsonaten. Caldaras Schüler Reutter widmete sich nach seiner Ernennung zum Hofkapellmeister vorzugsweise der Schaffung von solennen Messen mit großer, differenzierter Instrumentalbesetzung. Auch die dacapo-Form fand bei den Fest-Offertorien größere Beachtung. Stärker entfalteten sich die neuen Gestaltungsweisen der solennen Kirchenmusik bei den Landständen, insbesondere in den Klöstern und Stiften 55
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Vgl. Herbert Haupt, Die Aufhebung des spanischen Mantelkleides durch Kaiser Joseph II. – Ein Wendepunkt im höfischen Zeremoniell, in: Österreich zur Zeit Josephs II. Niederösterreichische Landesausstellung Stift Melk 1980, Katalog. Wien 1980, S. 79-81. Darunter waren offenbar die Rubriche Generali per le Funzioni Ecclesiastici Musicali di tutto l’anno von Kilian Reinhardt aus dem Jahr 1722 zu verstehen. A-Wn, Inv. I, Hofmusikkapelle 15; vgl. Karl Pfannhauser, Wiener Kirchenmusik im Spiegel der Gesellschaftskritik, in: ÖMZ 25 (1970) S. 300-304.
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der Erblande und Böhmens. Antonio Caldara übte auch hier als Lehrer von Klosterkomponisten und durch die weite Verbreitung seiner Werke einen entscheidenden stilbildenden Einfluß bis zum Ende des 18. Jahrhunderts aus. Ähnlich verhielt es bezüglich der Reichsstände, das heißt bei den Residenzen von Dresden über Bonn und Koblenz bis Salzburg sowie bei den süddeutschen Stiften und Landklöstern. Fragt man resümierend in Analogie zur Entwicklung der Bildenden Künste nach einem „Kaiserstil“ bei der während der Regierungszeit Karls VI. komponierten Musik, so kann dies für die theatralische Musik, also Dramme per musica, Favole pastorale, Feste musicale, Azione teatrale, Componimenti per musica, aber auch für Oratorium und Applausus bejaht werden. Hier war die Beziehung zur Ideenwelt des „cäsarisch-imperialen“ Stils58 bereits durch den Text vorgegeben, musikalisch-rhetorische Figuren, Affektfiguren und die da-capo-Form waren die besten Mittel zur Verdeutlichung von Inhalt und Ausdrucksgehalt der Werke. Anders verhielt es sich bei der Kirchenmusik, der Hauptaufgabe der Hofmusikkapelle. Hier bildete die tausendjährige Tradition der „kaiserlichen Liturgie“ das Fundament, d. h. der unter Kaiser Heinrich II. abgeschlossene Mess-Ordo der abendländischen Kirche und das lateinische Officium Romanum wie auch das tridentinische Rituale Romanum. Kirchenjahreszeiten und Zeremonialordnungen gaben die Richtlinien, den liturgischen Verläufen und Texten das angemessene „Gewand“ zu verleihen. Wie die Paramente den Verlauf und Inhalt der liturgischen Zeremonien optisch verdeutlichen sollten, so geschah dies akustisch durch die Musik, und zwar durch unterschiedliche Stilarten. Insofern kann man von einer „Historischen Architektur“ der kaiserlichen Liturgie zur Zeit Karls VI. sprechen59. Aus diesen Überlegungen heraus wäre es falsch, die Entwicklung der Kirchenmusik an einzelnen Gattungen zu demonstrieren, etwa nur an Vertonungen des Ordinarium Missae, erst recht nicht „pars pro toto“ an kleinen, mehr oder weniger untergeordneten Gattungen wie Introitus oder Marianischen Antiphonen. Erst die Synthese der Stilarten in der Architektur der „kaiserlichen Liturgie“ läßt sich für die Epoche Karls VI. und seines Nach58 59
Vgl. Franz Matsche, Gestalt und Aufgabe, siehe Anm. 4. Friedrich W. Riedel, siehe Anm. 11, S. 222-228.
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folgers – auf die Reichsstände und die Reichskirche übertragen – für die Zeit bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches als „kaiserlicher Stil“ definieren60. Abbildung 1 Paul Troger, Deckenfresko der Kaiserstiege im Stift Göttweig
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Vgl. hierzu auch Friedrich W. Riedel, Johann Joseph Fux und die Hofkapelle Karls VI. in ihrer Bedeutung für die europäische Musikhistoriographie, in: Arnfried Edler – Friedrich W. Riedel (Hg.), siehe Anm. 4, S. 15-23.
Herbert Karner (Wien)
Reichsstil, Kaiserstil oder die Kunst des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation: Kunstgeschichte und politische Begriffskonstruktion I. Herkunft des Begriffes Im letzten Dezennium des 20. Jahrhunderts hat das Nachdenken in der deutschen Kunstgeschichte über „das Deutsche“ in der deutschen Kunst zunehmend publizistischen Niederschlag gefunden1. Ein besonderes Augenmerk erhielt in diesem Diskurs die barocke Architektur. Dies ist wenig überraschend, weil in der Architekturgeschichtsschreibung der im Jahr 1938 geprägte Begriff des „Reichsstils“ eine über die Jahrzehnte latent wirksame Rolle gespielt hat und ein nicht unwesentlicher Hinderungsgrund für eine politisch wertfreie Analyse deutscher Barockarchitektur gewesen war. Wollte man mit neuen Fragen an „das Deutsche“ der Barockarchitektur zu neuen Ergebnissen kommen, mußte zuerst der „Reichsstil“ historiographisch richtig positioniert werden. Es war bekanntermaßen der Wiener Kunsthistoriker Hans Sedlmayr, der im Jahr des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich den „Reichsstil“ in einer kleinen Studie über Die politische Wirkung des deutschen Barock zu einem Topos der Kunstgeschichtsforschung machen sollte2. Er war zwar nicht der erste, wohl aber der nachhaltigste Verkünder des Reichsstils. Einleitend wies Sedlmayr auf das Buch Politische Kulturlehre von Gustav Steinboimer von 1933 hin, das ihn zu seinen Ausführungen animiert habe, allerdings um „manches Ungenaue und Schiefe“ in Steinboimers Darstellung richtigzustellen und die Bedeutung des Begriffes zu verfeinern, wie er betont. 1 2
Siehe dazu die Literaturangaben in Anm. 37. Hans Sedlmayr, Die politische Bedeutung des deutschen Barock: Der Reichsstil, in: Gesamtdeutsche Vergangenheit. Festschrift für Heinrich v. Srbik. München 1938, S. 126-140; die hier abgedruckten Zitate aus dem Neudruck in: ders., Epochen und Werke, Bd. 2. Wien–München 1960, S. 140-156.
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Herbert Karner
Aus kunsthistorischer Sicht zentral war die Meinung Steinboimers, die 1683 erfolgreich abgewehrte Türkenbelagerung Wiens wäre für die politische Geschichte des deutschen Reiches von elementarer Bedeutung und in der Folge die Geburtsstunde eines letzten großen, vorrangig in der Architektur faßbaren Reichsstils gewesen. Sedlmayr hat in seiner Begriffs-Aneignung allerdings nicht darauf hingewiesen, daß bereits 1937 Werner Hager in einer ausführlichen lexikalischen Darstellung der Bedeutung von Fischer von Erlach, Lukas von Hildebrandt und Jacob Prandtauer den Begriff von Steinboimer übernommen und damit als kunsthistorischen Terminus eingeführt hatte: „So hat die neueste Forschung die Verkettung der Wiener Reichspolitik mit der Entstehung des deutschen Barockstils ans Licht gebracht. Wir beginnen zu erkennen, dass in der Ernennung Fischers zum obersten Baumeister, in dem von ihm vollzogenen Einbau der letzten künstlerischen Errungenschaften der führenden Länder Italien und Frankreich in seine neue eigene Bauweise, in der Planung des Schlosses Schönbrunn, das ein deutsches Versailles werden und die Bauten des Sonnenkönigs übertreffen sollte, dass in alledem ein bewusster kulturpolitischer Wille wirksam ist: die Absicht, Deutschland künstlerisch freizumachen und durch die Hand eines hochbegabten, universal gebildeten Meisters, wie es Fischer war, einen für alle deutschen Lande vorbildlichen ‚Reichsstil‘ zu schaffen.“3 Der deutsche Barock, so schließt Sedlmayr weiter, wäre ein „synthetischer Stil“ gewesen, „der das neue Deutsche als höhere Einheit aus jenen Extremen erzeugt, die einander im 17. Jahrhundert scheinbar unvereinbar gegenübergestanden waren: aus dem italienischen Hochbarock und der französischen ‚Vorklassik‘ und ‚Klassik‘“4. Dieser Stil habe von Österreich, genauer von Wien seinen Ausgang genommen, „die Form der Synthese“ habe Johann Bernhard Fischer von Erlach in seinen Schloßbauten seit 1690 gefunden. Der Reichsstil, für den er auch als begriffliches Surrogat den „Kaiserstil“5 gelten ließ, habe das ganze deutsche Reich erfaßt, ja auf gewisse Weise
3
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Werner Hager, Fischer von Erlach – Hildebrandt – Prandtauer, in: Willy Andreas – Wilhelm von Scholz (Hg.), Die großen Deutschen. Neue deutsche Biographie 5 (1937) S. 70-85, hier S. 72. Auf Hagers Verwendung des Begriffs vom Reichsstil hat bereits hingewiesen Hans H. Aurenhammer, Zäsur oder Kontinuität? Das Wiener Kunsthistorische Institut im Ständestaat und im Nationalsozialismus, in: Wiener Schule. Erinnerung und Perspektiven = Wiener Jb. für Kunstgeschichte 53 (2004) S. 11-54, hier S. 24, Anm. 49. Hans Sedlmayr, siehe Anm. 2, S. 141. Ibidem, S. 149.
Reichsstil, Kaiserstil oder die Kunst der Heiligen Römischen Reiches
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gelte er als Synonym für den „deutschen Barock in der Prinz Eugenzeit“6. „Im ‚Reichsstil‘ ist Deutschland die künstlerische Mitte Europas geworden, die die europäischen Extreme überwindet und versöhnt“7. Der „Reichsstil“ war gleichermaßen eine wissenschaftliche Vorleistung, eine Ehrengabe an das Dritte Reich, dem der Österreicher Sedlmayr ideologisch aufs engste verbunden war. Bemerkenswert offen erläutert er, daß ein Phänomen seiner eigenen politischen Realität das Motiv für die Sichtung eines Zusammenhangs zwischen der vorgeblichen nationalen Stilfindung und der reichspolitischen Wandlung nach 1683 verantwortlich sei: „Über die Art, wie Tatsachen der politischen Sphäre auf die Kunst überhaupt wirken können, besteht heute noch wenig Klarheit. Das Problem ist durch die politische Wandlung aber, die wir selbst in den letzten Jahren mitgemacht haben, erst gestellt worden“8. Im vollen Bewußtsein also des eigentlichen, zeitbedingten Anlasses entwirft er einen Zusammenhang von politischen Umständen, neuen Formgelegenheiten und den schlummernden künstlerischen Anlagen eines Künstlers, die erst durch diesen Kontext aktiviert werden. II. Argumente Sedlmayrs Es soll aber hier weniger der ideologische Hintergrund, der Sedlmayr wesentlich zu seinen Ausführungen veranlaßt hat, reflektiert werden; diesen hat jüngst erhellend Hans Aurenhammer dargelegt9. Im folgenden soll vielmehr ein Blick auf die Sachargumente Sedlmayrs und dann ein weiterer Blick auf die Perspektiven geworfen werden, die die jüngste deutsche Kunstgeschichtsschreibung hinsichtlich der „politischen Bedeutung“ des deutschen Barock entwickelt hat. Es wird sich zeigen, wie sehr dieses von 6 7 8 9
Ibidem, S. 141. Ibidem, S 148. Ibidem, S. 142. Hans H. Aurenhammer, siehe Anm. 3; ders., Hans Sedlmayr und die Kunstgeschichte an der Universität Wien 1938–1945, in: J. Held – Martin Papenbrock (Hg.), Kunst und Politik = Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft. Weimar 2003, S. 161-194; siehe auch Friedrich Polleross, Johann Bernhard Fischer von Erlach und das österreichische „Entweder-und-oder“ in der Architektur, in: Friedrich Polleross (Hg.), Fischer von Erlach und die Wiener Barocktradition. Wien–Köln–Weimar 1995, S. 9-46, insbesondere das Kapitel „Barock und Nationalsozialismus“, S. 20-30.
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Herbert Karner
Sedlmayr eingebrachte Thema virulent geblieben ist und wie sehr sich die Forschung zu neuen Antworten herausgefordert sieht. Auf die vielleicht entscheidende Schwachstelle der hybriden Konstruktion Sedlmayrs hat zuerst Hellmut Lorenz hingewiesen10. Am Anfang der Kette der relevanten Werke, so Sedlmayr (und vor ihm Hager), wäre Fischer von Erlachs erster Entwurf des Schlosses Schönbrunn (Abb. 1) gestanden: Versailles und Gian Giacomo Berninis Louvre-Planung sind in ihm enthalten – aber eben erst die (deutsche) Synthese dieser Vorbilder habe deren Möglichkeiten gewaltig gesteigert. „Zwar ist beklagenswerter Weise das erste große Projekt für Schönbrunn nicht ausgeführt worden, aber dafür hat dieser Plan Deutschland einen neuen Stil gebracht“11. Dieser Überschwang wurde erst Jahrzehnte später durch Hellmut Lorenz auf den Boden der Tatsachen zurück geholt, indem Lorenz mit knappen, aus dem Aufriß des Gebäudes und aus der Art von dessen Repräsentation in der Landschaft abgeleiteten Argumenten kurz und bündig festgestellt hat, daß das Blatt ein unausgereiftes und „ziemlich überschätztes Stück Phantasiearchitektur“ mit nicht nachweisbarer Breitenwirkung zeige. Zwei weitere von Sedlmayr genannte Kronzeugen für den „Reichsstil“ und damit für einen einheitlichen deutschen Barock, die Karlskirche Fischer von Erlachs und das unvollendet gebliebene Ausbauprojekt für das Stift Klosterneuburg des Italieners Donato Felice d’Allio (Abb. 2), sind unbestritten hoch programmatische, individuell auf den universellen Anspruch Kaiser Karls VI. zugespitzte Architekturen. Zugleich, wie Meinrad von Engelberg kürzlich notiert hat, „beziehen sie hierbei aber eine formal und bauikonologisch so exponierte Position, daß sie gerade nicht als nachahmenswerte Vorbilder, also ‚Reichs-Stil‘-bildend wirken konnten“12.
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Hellmut Lorenz, Der habsburgische „Reichsstil“ – Mythos und Realität, in: Thomas W. Gaehtgens (Hg.), Künstlerischer Austausch – Artistic Exchange. Akten des XXVIII. Internationalen Kongresses für Kunstgeschichte, Berlin 1992, Bd. 2. Berlin 1993, S. 163-176; ders., Dichtung und Wahrheit – das Bild Johann Bernhard Fischers von Erlach in der Kunstgeschichte, in: Friedrich Polleross (Hg.), Fischer von Erlach, siehe Anm. 9, S. 129-146. Hans Sedlmayr, siehe Anm. 2, S. 147. Meinrad von Engelberg, Reichsstil, Kaiserstil, „Teutscher Gusto“? Zur „politischen Bedeutung des deutschen Barock“, in: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und Neue Staaten 1495 bis 1806. Ausstellungskatalog Berlin – Magdeburg 2006, Bd. 2 (Essays). Berlin 2006, S. 289-300, hier S. 293.
Reichsstil, Kaiserstil oder die Kunst der Heiligen Römischen Reiches
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Die adeligen Auftraggeber des neuen Stils (Guido von Starhemberg, Graf Strattmann, Prinz Eugen von Savoyen), meint Sedlmayr weiter13, hätten allesamt der Reichspartei, der „deutschen Partei“ – hinsichtlich der außenpolitischen Ausrichtung des Kaisers Gegenspieler der „spanischen Partei“ am Wiener Hof – angehört. Den Fragen nach der tatsächlichen reichspolitischen Ausrichtung der Auftraggeberschaft Fischers und nach deren Bedeutung für das Werk Fischers kann an dieser Stelle nicht nachgegangen werden14. Der impliziten Behauptung Sedlmayrs, die Bauunternehmungen der genannten Adeligen wären allesamt Exponenten des Reichsstils, aber ist wenig abzugewinnen15. Schon die Außenwirkungen der beiden Bauten des Prinzen Eugen, des Stadtpalais in der Himmelpfortgasse (Abb. 3) und des Schlosses Belvedere (Abb. 4), definieren sich als Ergebnisse unterschiedlichster Konzepte, die sich nicht zuletzt aus den divergenten künstlerischen Profilen ihrer Entwerfer, einmal Fischer, das andere Mal Hildebrandt, ableiten16. Wo beiden ein gemeinsamer, politisch begründeter „Stil“ zu Grunde liegen soll, ist nicht auszumachen. Klopft man also die Argumente Sedlmayrs nach dem ihnen zu Grunde liegenden Wahrheitsgehalt ab, bleibt wenig sachliche Essenz über. Das hängt natürlich auch mit dem seit 1938 13 14
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Hans Sedlmayr, siehe Anm. 2, S. 149. Ganz anders liest man solche vorgeblichen Zusammenhänge bei Albert Ilg, dem wiederum aufgefallen war, daß mehrheitlich Mitglieder der „spanischen Partei“ wie der Generalbaudirektor Althan, die Schlick oder die Mitrowitz zu den Auftraggebern Fischer von Erlachs gezählt hätten; siehe Albert Ilg, Leben und Werke Johann Bernhard Fischers von Erlach. Wien 1895, S. 387. Das in seinem ursprünglichen Fischerschen Zustand nur duch einen Stich Salomon Kleiners überlieferte Palais für den Grafen Strattmann in der vorderen Schenkenstraße in Wien und das für denselben Bauherrn errichtete Lustgebäude in Neuwaldegg bei Wien, wie auch das für den Grafen Starhemberg in Engelhartstetten, Niederösterreich, gebaute Jagdschloß; siehe Hans Sedlmayr, Johann Bernhard Fischer von Erlach. Wien 1976, S. 79 f., 81, 85 f., 250 und 256. In diesem Zusammenhang ist es vielleicht bedeutsam, daß auch Fischers großer Rivale Lukas von Hildebrandt eine politische Zuordnung erfahren hat. Jörg Garms hat die Frage aufgeworfen, „inwieweit im Gegensatz zum römisch orientierten ‚Kaiserstil‘ Fischers der ‚Reichsstil‘ […] eher mit einem an Hildebrandt orientierten und unter den habsburgertreuen Fürsten Süd- und Westdeutschlands verbreiteten Idiom zu identifizieren“ wäre. Siehe Jörg Garms, Kaiser–Kirche–Adel–Architekten. Wien und Neapel: Vergleiche und Verbindungen, in: Barock in Neapel. Kunst zur Zeit der österreichischen Vizekönige. Ausstellungskatalog Wien–Neapel 1993. Neapel 1993, S. 93-107, hier S. 98-100; Friedrich Polleross, Kunstgeschichte oder Architekturgeschichte. Ergänzende Bemerkungen zur Wiener Barockarchitektur, in: Friedrich Polleross (Hg.), Fischer von Erlach, siehe Anm. 9, S. 59-116, insbesondere Kapitel „Kaiserstil versus Reichsstil“, S. 64-69, hat diese These aufgegriffen.
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beträchtlich erweiterten Wissensstand zusammen, der den konstruierten Charakter von Sedlmayrs These schnell vor Augen führt. Wie differenziert die Genese einzelner Palastbauten in den von Sedlmayr in Anspruch genommenen Jahren um 1700 zu beurteilen ist, läßt sich exemplarisch bei Bau und Ausstattung des Gartenpalais des Fürsten von Liechtenstein erkennen17. Aus den Quellen wissen wir von einem mühsamen, sich ab 1693 über Jahre hinziehenden Prozeß. Die Verantwortung für den Bau lag kurz in den Händen des Bolognesen Domenico Egidio Rossi und ging wenig später auf Domenico Martinelli, vor seiner mitteleuropäischen Karriere Architekturlehrer an der römischen Accademia di San Luca, über. Der Realisierung der Ausstattung ging ein jahrelanger Briefwechsel, bestehend aus Anfragen und Angeboten des Fürsten an italienische, vorwiegend bolognesische Künstler und aus deren Absagen, voraus. Der Fürst war geradezu besessen von einer italianità, die er um jeden Preis realisiert wissen wollte. Fragen der Ikonographie und der Ausstattungsmodi stand er auffallend unvoreingenommen, fast gleichgültig gegenüber, solange nur Italiener zu Werke gingen. Daß er letztlich den in Wien weilenden Andrea Pozzo für die Ausmalung des großen Saales ködern konnte, war ein viele Rückschläge kompensierender Glücksfall. Daß er jedoch dem aus dem Salzburgischen stammenden, aber immerhin in Venedig ausgebildeten Johann Michael Rottmayr die Ausmalung von Erdgeschoß und Stiegenhäusern anvertraute, war wohl ein (nicht geringer) Kompromiß. Das Gartenpalais ist ein im wesentlichen von Italienern und italienischen Usancen geprägtes fürstliches Unternehmen, das von den vitalen Eigeninteressen und Vorlieben eines einzelnen Fürsten geprägt ist, die keinen sichtbaren Spielraum für etwaige Überlegungen über eine italo-französische Synthese oder einen reichsspezifischen Aussagewert gewähren. Sedlmayr selbst hat aber ausdrücklich die Ausstattungskünste, und hier im besonderen die Deckenmalerei als Träger des politischen Anspruchs der 17
Hellmut Lorenz, Ein „exemplum“ fürstlichen Mäzenatentums der Barockzeit – Bau und Ausstattung des Gartenpalais Liechtenstein in Wien, in: Zs. des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 43 (1989) S. 7-24; ders., Zu Rottmayrs Treppenhausfresken im Wiener Gartenpalais Liechtenstein, in: Acta Historiae Artium 34 (1989) S. 137-142; Friedrich Polleross, Utilità, virtù e bellezza – Fürst Johann Adam Andreas von Liechtenstein und sein Wiener Palast in der Rossau, in: Österreichische Zs. für Kunst und Denkmalpflege 47(1993) S. 36-52. Weiters Herbert Karner, Andrea Pozzo, Johann Michael Rottmayr und die Kutsche des Fürsten von Liechtenstein, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 61 (2007) S. 568-589.
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neuen Kunst anerkannt18. Als allerdings einziges Beispiel nennt er Sebastiano Riccis 1701/02 entstandenes Fresko im ehemaligen Speisesaal im Schloß Schönbrunn, das eine Allegorie eines Tugendhelden zeigt, der wahrscheinlich mit dem römischen König Joseph I. zu identifizieren ist19. Auch hier offenbart sich die vereinfachte und unzulässig abkürzende Methode, mit wenigen Beispielen (in diesem Fall einem einzigen) die künstlerische Produktion (hier die Deckenmalerei) in ihrer Gesamtheit in Beschlag zu nehmen: Die Realität der kaiserlichen Aufträge in diesen Jahren war geprägt von der Ambivalenz zwischen dem konservativ-altväterisch agierenden Kaiser Leopold I. und den innovativen Vorstellungen von kaiserlicher Repräsentation seines jungen und dynamischen Sohnes Joseph I. Sie war insofern bei weitem heterogener und vielschichtiger und nicht einem einzigen „reichpolitischen“ Ziel verpflichtet. Das wahrscheinlich wichtigste Ausstattungsprojekt dieser Jahre im kaiserlichen Milieu war die von Leopold 1698/99 veranlaßte Neuausstattung der Beletage des Leopoldinischen Traktes, des damals höchstrangiges Bauteiles der Wiener Hofburg, anläßlich der Hochzeit seines Sohnes, des römischen Königs Joseph mit Wilhelmine Amalie von Braunschweig-Lüneburg. Etwa fünfzig Repräsentations- und Privaträume wurden vom Hofmaler Peter Strudel mit 148 von Stuck gerahmten Ölgemälden versehen20. Deren Thematik läßt eine kaiserliche, auf das Reich bezogene Ambition nicht erkennen, sie war auf einen sehr allgemeinen Fürstenspiegel mit allegorischen Darstellungen verschiedenster idealer Tugenden des Fürsten festgelegt, war also von realpolitischer Unverbindlichkeit geprägt. Der Versuch einer Sach-Argumentation gegen den Terminus „Reichsstil“ ist immer auch eine Art Spiegelfechterei, weil Sedlmayr kaum konkrete Gründungs- und Folgewerke des Reichsstils genannt hat und ihn als formal-ästhetische Kategorie der Bau- und Ausstattungskunst merkwürdig undefiniert läßt: wenig konkrete Beispiele und kein einziges am Objekt 18 19
20
Hans Sedlmayr, siehe Anm. 2, S. 151. Karl Möseneder, Katalognummer: Sebastiano Ricci (1659–1734), Allegorie des Tugendhelden, in: Hellmut Lorenz (Hg.), Geschichte der bildenden Kunst in Österreich, Bd. 4 (Barock). München 1999, S. 331-332; siehe dort die weitere Literatur. Manfred Koller, Die Brüder Strudel. Hofkünstler und Gründer der Wiener Kunstakademie. Innsbruck 1993, S. 140-149. Siehe auch Elena Holzhausen, Kat.-Nr. 162–165 (Peter Strudel, Folge von vier Dekorationsbildern mit Putten, Blumen und Früchten. Nach 1698/99), in: Agnes Husslein-Arco (Hg.), Barock. Meisterwerke des Belvedere. Wien 2008, S. 326-330.
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erzieltes analytisches Ergebnis, keine Argumente – nur eine atmosphärisch abgedichtete Überzeugungstat21. Die verwendeten Sprachbilder atmen deutschnationalen Geist, haben die „Rollen der deutschen Stämme“ in der Bildung der deutschen Kunst im Visier und sind deshalb oft schwer verdaulich: So wächst der einzelne „Schössling“ [die Leistung Fischers] „gleichsam mit Luftwurzeln zum Volksboden herab [...]“. „Erst in den Umformungen Hildebrandts erreicht der Reichsstil den Boden der volklichen Tradition [...].“ „Am Großartigsten gelingt dann die Bindung an das Bodenständige bei Prandtauer.“22 Solcherart erzeugte Stimmung ermöglichte es Sedlmayr, dem deutschnationalen Klientel eine These zu verkaufen, die es streng genommen wenig goutieren hätte dürfen: Der deutsche Barock wäre keine autochthone Leistung des deutschen Geistes, sondern „lediglich“ ein Amalgam internationaler Strömungen gewesen. Es handelt sich hierbei, das darf zur Ehrenrettung gesagt werden, um einen respektablen Spagat zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und deren politischer Verformung. III. Rezente Stellungnahmen Franz Matsche war der erste, der den Ideenkomplex Sedlmayrs aufgriff und ihn auf eine seriöse und bis heute gültige Weise modifiziert hat. Er löste sich in seinem Standardwerk über die Staatskunst Kaiser Karls VI.23 vom Begriff des Reichsstils und ersetzte ihn durch jenen des „Kaiserstils“, den – es wurde darauf hingewiesen – bereits Sedlmayr als gültigen und gleichwertigen Parallelterminus genannt hatte. Der Versuch, diesen Umstand Matsche implizit als Etikettenschwindel vorzuwerfen, wie ihn Meinrad von Engelberg unternommen hat, zielt an den Fakten deutlich vorbei24. Für 21
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24
Diese Symbiose von politischer Obsession und argumentativem Defizit macht den Aufsatz zu der wohl schwächsten, weil im wahrsten Sinn des Wortes un-sachlichsten Publikation Sedlmayrs. Hans Sedlmayr, siehe Anm. 2, S. 155. Franz Matsche, Die Kunst im Dienst der Staatsidee Kaiser Karls VI. Ikonographie, Ikonologie und Programmatik des „Kaiserstils“. Berlin–New York 1981 (Beiträge zur Kunstgeschichte 16/1, 2). Meinrad von Engelberg, siehe Anm. 12, S. 290: „Diese terminologische Präzisierung [nämlich die Verwendung des Begriffs „Kaiserstil“] bedeutet aber nur ein scheinbares Abrücken von Sedlmayr, denn [...].“
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Sedlmayr war der Kaiserstil ein Synonym für den Reichsstil, für Matsche hingegen ist er per definitionem anders dimensioniert: „[...] Von daher besteht vor allem inhaltlich die Berechtigung, diese Werke mit dem Begriff ‚Kaiserstil‘ zu bezeichnen und auf den bisher gebrauchten Alternativbegriff ‚Reichsstil‘ zu verzichten, weil dies mehr das ‚Heilige Römische Reich Deutscher Nation‘ assoziieren läßt als das, was unter ‚Kaiserstil‘ zu verstehen ist, nämlich Römisch-Caesarisch-Imperial.“ Auch beschränkte Matsche sein Untersuchungsfeld auf die Programmkunst Kaiser Karls VI., während die von Sedlmayr fokussierte Zeitspanne die vom römischen König Joseph I. geprägten Jahre bis 1705 umfaßt und in den frühen Jahren Karls VI. lediglich ein letztes, wenn auch bedeutsames Aufleben des Stils konstatiert. Im Unterschied zu den diffusen Stil-Vorstellungen Sedlmayrs ist Matsches Ansatz deutlich. Er behandelt „Stil“ nicht als „formgeschichtliches Phänomen“, sondern als das, „was er eigentlich seiner Natur nach ist: ein von Grund auf ideologisch geprägter ‚ikonographischer Stil “25. Diese Beschränkung der Wahrnehmung von Architektur als bloßen Träger einer applizierten Ikonographie wurde hingegen Ziel der Kritik von Ulrich Fürst. Matsche habe Aspekte der Formensprache, wenn überhaupt, nur als „Zitat bestimmbarer Vorbilder aus dem Bereich herrscherlicher Architektur und Staatskunst“ berücksichtigt26. Sein divergentes, unmittelbar aus der Bauformation abgeleitetes Verständnis von der politischen Bedeutung der Architektur legt Fürst unter anderem in einer umfassenden Analyse der Wiener Peterskirche dar27. An ihr demonstriert Fürst, daß durch die Übernahme von „Archetypen und Prägemustern“ deren Autorität und Bedeutung nicht bloß einem anderen Träger appliziert wird, sondern mit diesem eine unauflösliche Synthese eingeht. „Architektur ist hier kein Bedeutungsträger, sondern sie verkörpert Bedeutung, [...].“28 Architektur an sich beinhaltet demgemäß die nachhaltigsten Argumente hinsichtlich politischer Programmatik: Sie sind als dem Bau immanente Kriterien mit architekturhistorischem Werkzeug faßbar. Mit dieser Untersuchung hat Fürst den entscheidenden Nachweis für die Existenz einer kaiserlichen Programmkunst 25
26
27 28
Franz Matsche, siehe Anm. 23, S. XI. Die Roma antica ist der definitive Bezugspunkt dieses Stils, er besitzt präfigurative Bedeutung für die kaiserliche Repräsentationskunst. Siehe auch Anm. 38. Ulrich Fürst, Die lebendige und sichtbahre Histori. Programmatische Themen in der Sakralarchitektur des Barock (Fischer v. Erlach, Hildebrandt, Santini). Regensburg 2002, S. 28. Ibidem, S. 131-194. Ibidem, S. 175.
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schon in der Ägide Kaiser Leopolds I. erbracht. Karl VI. konnte demnach mit seinem Anliegen imperialer Repräsentation mittels Architektur bereits auf gewichtige Vorbildungen zurückgreifen29. Die Frage nach künftiger Existenzberechtigung des Reichsstils versucht Fürst über eine kritische Auseinandersetzung mit den beiden Bestandteilen des Begriffs Reich-Stil zu beantworten. So hätten noch zur Zeit Leopolds I. hinsichtlich der heilsgeschichtlichen Aufgabe des Kaisers, seines universalistischen Anspruchs oder der translatio imperii sehr unterschiedliche Meinungen bestanden. Man könne also keinesfalls von einer einheitlichen theoretischen Auffassung vom Wesen des Imperiums zur Zeit Leopolds sprechen, weshalb eine verbindliche programmatische Grundlage für einen Reichsstil gar nicht existiert habe30. Auch der zweite Wortbestandteil, der Stil, ist in den Ausführungen Sedlmayrs wenig überzeugend präzisiert. Dies deckt sich mit unseren oben angestellten Ausführungen, wonach dem Stil-Verständnis Sedlmayrs so gegensätzliche Stilbildungen wie jene Fischer von Erlachs, Lukas von Hildebrandts, Jacob Prandtauers oder auch Balthasar Neumanns subsumiert werden müssen. Der daraus resultierenden Empfehlung von Fürst, zumindest den mißverständlichen „Reichsstil“ in Zukunft aufzugeben, war schon Hellmut Lorenz zuvorgekommen. In seinem 1992 erschienen Aufsatz Der habsburgische „Reichsstil“ – Mythos und Realität geht er mit dem Terminus und seinem Erfinder hart ins Gericht31. Der Stil, der von Wien aus nach 1683 im Reich Verbreitung gefunden hat, wäre der hochbarocke Stil in seiner heterogenen, nicht aber reichspezifischen Ausprägung gewesen; auch wäre, so Lorenz weiter, dessen Verbreitung nicht das Verdienst des Kaiserhauses als vielmehr des international denkenden Adels. „Wir können jedenfalls, so möchte ich vorschlagen, die Vision eines deutsch-habsburgischen ‚Reichsstils‘ getrost als Wunschbild der 1930er Jahre ansehen und ad acta legen [...].“32 29
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Siehe Friedrich Polleross, Pro decore Majestatis. Zur Repräsentation Kaiser Leopolds I. in Architektur, Bildender und Angewandter Kunst, in: Jb. des Kunsthistorischen Museums Wien 4/5 (2005) S. 191-295; zur Interpretation der Wiener Jesuitenkirche als politischer Raum Kaiser Leopolds I. siehe: Herbert Karner, Die Wiener Universitätskirche der Jesuiten: „Der Römische Kayser / und Römische Bischoff gehören zusammen“, in: Barockové umenie. Generácie–Interpretácie– Konfrontácie [Barockkunst. Generationen – Interpretationen – Konfrontationen] Festschrift zu Ehren Maria Pötzl Malikova. Bratislava 2007, S. 177-193. Ulrich Fürst, siehe Anm. 26, S. 171 f. Hellmut Lorenz, Reichsstil, siehe Anm. 10. Ibidem, S. 167.
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Man kann mit Ulrich Fürst der Meinung sein, daß die Interpretation von Lorenz, die „Erfindung“ des Reichsstils läge im Versuch Sedlmayrs begründet, die für das Dritte Reich wieder gewonnene „Ostmark“ nicht als Randgebiet, sondern vielmehr als deutsch-kulturelle Kernzone aufzuwerten, zu kurz greift; dennoch sind die Klarstellungen von Lorenz durch das unbestreitbare Verdienst ausgezeichnet, die kunstwissenschaftliche Dimension von Sedlmayrs These aus ihrer politischen Konnotierung befreit zu haben. Indem er als erster die deutschnationalen Rahmenbedingungen umriß, die Sedlmayrs These erst ermöglicht haben, hat er dem Begriff des Reichsstils und einer etwaigen politische Aufgabe des deutschen Barock den Schrecken genommen. Er hat den NS-Hintergrund herauspräpariert und damit den Weg für eine zunehmend entmystifizierende Diskussion des Begriffs freigemacht. So hat es sich jüngst, bezeichnenderweise im Katalog der in Berlin und Magdeburg 2006 abgehaltenen Ausstellung über das Heilige Römische Reich, Meinrad von Engelberg zur Aufgabe gemacht, vom Begriff des Reichsstils ausgehend über das Wesen der deutschen Barockarchitektur nachzudenken33. An Hand eines einzelnen Beispiels, des von Balthasar Neumann für Fürstbischof Damian Hugo von Schönborn errichteten Schlosses Bruchsal, kommt der Autor zum Schluß, das Spezifische der Repräsentationsbauten deutscher Reichsfürsten läge in der „Manifestation einer selbstbewussten formalen Autonomie“34. Die stilistische und typengeschichtliche Heterogenität des Schlosses in Bruchsal und seiner Teile, der charakteristische, zu neuer Selbstständigkeit zusammengeführte Reichtum an Zitaten internationaler Architektur wäre signifikant für die deutsche Barockarchitektur, die sich mithin als Ausdruck der politischen und kulturellen Verhältnisse im Reich begreifen ließe: „International orientiert, aber dezentral und pluralistisch organisiert, um formale Autonomie, Unverwechselbarkeit und explizite Souveränität bemüht, undogmatisch und oft gewollt originell, aber unabhängig von der angestrengten römischimperialen Prätention des Wiener ‚Kaiserstils‘.“35 Klarerweise ist dieser Definitionsansatz erst angedacht und keinesfalls umfassend erprobt, dennoch ist er als „preview“ auf jenes Modell zu werten, welches von Engelberg im 2008 erschienenen Barockband der „Geschichte
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Meinrad von Engelberg, siehe Anm. 12. Ibidem, S. 297. Ibidem, S. 298.
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der bildenden Kunst in Deutschland“ entwickelt hat36. Gerade eingedenk des Anspruches dieses ehrgeizigen Publikationsprojektes wird man zu fragen haben, ob die junge deutsche Architekturgeschichte mit der Einschwörung auf eine hemmungslos eklektische, nachgerade zum Kennzeichen deutscher Barockarchitektur werdende Internationalität nicht gleichfalls in eine politische Zeitfalle geht. Nicht, daß an der internationalen Ausrichtung der barocken Kunst des Deutschen Reiches (wie sie etwa an der Architektur des Wiener Adels in den Jahren um 1700 hinlänglich dokumentiert ist) viel zu rütteln wäre. Es ist aber eine Frage des Umgangs mit diesem Faktum, denn die Wortwahl und der durchklingende Enthusiasmus des begeisterten Europäers lassen – überspitzt gesagt – die von Meinrad von Engelberg unternommene Definition der deutschen Barockarchitektur wie ein Zitat aus einem Programmheft der Europäischen Union lesen. Vor einer Zeitfalle sei in dem Sinn gewarnt, daß die angestrebte und im 21. Jahrhundert den europäischen Staaten wohl neue Identität gebende Europäisierung, für die Migration und Austausch Schlüsselbegriffe sind, zu sehr auf die frühe Neuzeit rückübertragen werden könnte. Der von Sedlmayr dem deutschen Barock verschriebene Synthesecharakter des Barock würde auf diese Weise indirekte Bestätigung erfahren – wenngleich unter völlig gegensätzlichen politischen Vorzeichen und auf unterschiedlichen methodischen Wegen37. 36
37
Meinrad von Engelberg, Von Münster nach Rastatt – Konfession und Territorium als Rahmenbedingungen des Deutschen Barock und Rokoko, in: Frank Büttner – Meinrad von Engelberg – Stephan Hoppe – Eckhard Hollmann (Hg.), Barock und Rokoko. Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland 5. München–Berlin–London–New York 2008, S. 11-25 . Schon zuvor siehe ders., Wie deutsch ist der deutsche Barock? Vorüberlegungen zu einer neuen „Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland“, in: Zs. für Kunstgeschichte 4 (2006) S. 508-530. Aus historiographischer Sicht erscheint es bemerkenswert wie folgerichtig, daß die von Hellmut Lorenz 1992 eröffnete Auseinandersetzung mit dem Sedlmayrschen Reichsstil und der politischen Bedeutung des deutschen Barock in den Beginn eines für die deutsche Kunstgeschichtsschreibung und für deren Selbstreflexion bedeutsamen Zeitabschnitts fällt. Hans Belting räsonierte 1992 und erneut 1999 über deutsche Kunst, Heinrich Klotz und Martin Warnke publizierten zwischen 1998 und 2000 eine dreibändige Geschichte der deutschen Kunst, und Werner Hofmann legte 1999 die Streitschrift zur Frage Wie deutsch ist die deutsche Kunst vor. 2004 schließlich brachte Volker Gebhardt mit seiner Untersuchung über Das Deutsche in der deutschen Kunst die Diskussion zu einem Zwischenergebnis. 2006 wurde auch das achtbändige Großprojekt einer Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland gestartet, dessen 2008 erschienenem Barockband (siehe Anm. 36) vom Mitherausgeber Meinrad von Engelberg im Jahre 2010 eine instruktive Studie nachgelegt wurde.
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IV. Reichsstil mit Zukunft? Neben der notwendigen wie endgültigen Abkehr von der Sedlmayrschen Reichsstil-Definition und neben der akzeptierten Existenz eines ikonographischen Kaiserstils (als Ausdruck einer Wiener Kaiserkunst38) ist der Reichsstil – ausgesprochen oder auch unausgesprochen – allemal ein Thema der Forschung geblieben. Spekulativ, aber mit ernstzunehmenden Argumenten wird versucht, ihn als eine künstlerische Ausdrucksform zu erfassen, der von Teilen der Reichsstände zum Zweck politischer Absichtserklärungen verwendet worden ist. Franz Matsche und Matthias Müller haben – unabhängig von einander – in diesem Sinn Thesen entwickelt; auf unterschiedliche Weise, aber mit auffallend parallelen Begründungen haben sie nach den Möglichkeiten einer programmatischen Inanspruchnahme im Kern kaiserlich-imperialen Formenguts durch Mitglieder der Reichsstände gefragt. Matthias Müller hat eine nachhaltige Bedeutung der kaiserlichen Hofburg in Wien für reichsfürstliche Burg- und Schloßkonzepte in Erwägung gezo-
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Siehe: Hans Belting, Die Deutschen und ihre Kunst. Ein schwieriges Erbe. München 1992; ders., Identität im Zweifel. Ansichten der deutschen Kunst. Köln 1999; Heinrich Klotz, Geschichte der deutschen Kunst. Bd. 1: Mittelalter 600–1400. München 1998; ders., Geschichte der deutschen Kunst. Bd. 3: Neuzeit und Moderne 1750–2000. München 2000; Martin Warnke, Geschichte der deutschen Kunst. Bd. 2: Spätmittelalter und frühe Neuzeit 1400–1750. München 1999; Werner Hofmann, Wie deutsch ist die deutsche Kunst. Eine Streitschrift. Leipzig 1999; Volker Gebhardt, Das Deutsche in der deutschen Kunst. Köln 2004; Meinrad von Engelberg, „Deutscher Barock“ oder „Barock in Deutschland“. Nur ein Streit um Worte?, in: Georg Schmidt (Hg.), Die deutsche Nation im frühneuzeitlichen Europa. Politische Ordnung und kulturelle Identität? München 2010 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 80) S. 307-334. Siehe dazu mehrfach die Forschungen von Friedrich Polleross; u. a. Friedrich Polleross, Monumenta Virtutis Austriacae. Addenda zur Kunstpolitik Kaiser Karls VI., in: Markus Hörsch – Elisabeth Oy-Marra (Hg.), Kunst–Politik–Religion. Studien zur Kunst in Süddeutschland, Österreich, Tschechien und der Slowakei. Festschrift für Franz Matsche zum 60. Geburtstag. Petersberg 2000, S. 99–122; ders., „Dieses neue Rom, ein Wohn-Sitz Römischer Kayser“. Zur historischen Legitimation des habsburgischen Kaiserstils, in: Andreas Kreul (Hg.), Barock als Aufgabe. Wiesbaden 2005, S. 9-38; ders., „Romanitas“ in der habsburgischen Repräsentation von Karl V. bis Maximilian II., in: Richard Bösel – Grete Klingenstein – Alexander Koller (Hg.), Kaiserhof–Papsthof (16.–18. Jahrhundert). Wien 2006 (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturforum in Rom 12) S. 207-223.
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gen39. Unbeeindruckt von der von Hellmut Lorenz vertretenen Meinung, die Hofburg habe auf Grund ihrer (an den Usancen des europäischen Schloßbaus gemessenen) „Rückständigkeit“ und Antimodernität in Bausubstanz und Repräsentationswirkung keinerlei Vorbildfunktion für den Schloßbau im Deutschen Reich gehabt40, stellt er eine Gegenthese in Diskussion. Auf zum Teil spekulative Weise versucht Müller die Kastellform der mittelalterlichen Hofburg (des heute sogenannten Schweizer Traktes) zu einem „modernen Firmenlogo“ zu erklären, das absichtsvoll auch die Grundform der spanischen Residenzen der Habsburger in Madrid und Toledo und des Escorial bestimmt habe41. „Die Prägekraft eines solchen Bildes als Symbol für das Haus Habsburg und die Beständigkeit und Rechtmäßigkeit seiner Regentschaft in Wien, in den österreichischen Landen („Casa d’Austria“), im Königreich Spanien und im Deutschen Reich ist kaum zu überschätzen.“ 42 Müller nennt in der Folge eine Reihe von (wie er selbst einräumt) „möglichen“ Rezeptionsbauten im Reich, deren Bauherrn kaiserliche Ämter bekleidet, vom Kaiser verliehene Privilegien genossen oder auch „politisch exponiert“ zum Kaiserhaus gestanden haben und deshalb Anlaß hatten, das habsburgische Logo in ihre Residenzplanungen zu integrieren. Mehr oder weniger deutlich wäre dieser Gestus am Dresdner Schloß, an der Augustusburg bei Chemnitz, am Schloß in Aschaffenburg und an der Würzburger Residenz abzulesen. Die Kernüberlegung dieser These, daß der historische Kontext und die Gedächtniskultur des Adels entscheidende Voraussetzungen für die Tradierung von architektonischen Mustern wären, ist grundsätzlich gewinnbringend und methodisch fruchtbar. Die genannten Beispiele verfügen auch über bedenkens-
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Matthias Müller, Der Anachronismus als Modernität: Die Wiener Hofburg als programmatisches Leitbild für den frühneuzeitlichen Residenzbau im Alten Reich, in: Marina Dmitirieva – Karen Lambrecht (Hg.), Krakau, Prag und Wien. Funktionen von Metropolen im frühmodernen Staat. Stuttgart 2001 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 10) S. 313-329. Hellmut Lorenz, Reichsstil, siehe Anm. 10, S. 170: „Künstlerische Impulse auf die übrigen Regionen des Reiches sind von der Hofburg jedenfalls nicht ausgegangen (wie dies etwa in Frankreich vom Pariser Louvre oder dem Schloß von Versailles geschehen ist).“ Als einzige Ausnahme läßt Lorenz das Zitat des Fischerschen Entwurfs für die Michaelerfassade der Hofburg gelten, das an der nach 1770 errichteten Königlichen Bibliothek in Berlin Anwendung gefunden hat. Matthias Müller, siehe Anm. 39, S. 323 ff. Ibidem, S. 324.
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werte historische Argumente, entscheidender Mangel der These ist aber ihr fehlendes Quellenfundament. Das von Müller ins Spiel gebrachte Kriterium der Referenz gegenüber dem Kaiserhaus hat auch Franz Matsche in seinen Untersuchungen zum „Kaisersaal“ genannten Saaltypus ins Spiel gebracht, der häufig in Klöstern und Stiften auf Reichsgebiet, zuweilen aber auch in reichsfürstlichen Residenzen zur Anwendung gekommen ist43. Matsche differenziert dabei auf Grund der ikonographischen Ausstattungen zwischen eigentlichen Kaisersälen (oder Habsburgersälen), die ausschließlich in österreichischen Klöstern zu finden sind und deren Programm dem Landesherrn in seinem höchsten Amt huldigt, und den Reichsälen mit einer Ikonographie, die auf die universalmonarchische Konzeption des Reichs zugeschnitten war. Reichsäle befanden sich in der Regel in reichsfürstlichen Residenzen, oder zumeist in Reichsstiften und solchen Abteien, die Reichsunmittelbarkeit beansprucht haben. Am Beispiel des Schlosses Aschaffenburg kreuzen einander die Argumentationslinien von Matsche und Müller, offensichtlich ohne voneinander zu wissen. Das 1614 fertiggestellte Schloß, eine kurmainzische Nebenresidenz des Erzbischofs, Kurfürsten und Reichserzkanzlers Johann Schweikard von Kronberg, zählt zu den Kronzeugen von Müllers „Kastellburg“-These, aber auch – aufgrund seines Reichssaals – von Matsches Überlegungen. Zu Matsches Saal-Theorie hat sich jüngst Johannes Erichsen kritisch geäußert44, wobei er allerdings ein zentrales, von Franz Matsche 2002 nachgelegtes Argument außer acht gelassen hat. In einer in diesem Jahr veröffentlichten Studie griff Matsche das Thema der „Reichsäle“ bzw. „Kaisersäle“ erneut auf, in der er sich ausführlich dem Typus des Kolonnadensaals widmet, der dort im Regelfall zur Anwendung gekommen war45. Er gibt zu 43
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Franz Matsche, Kaisersäle–Reichssäle. Ihre bildlichen Ausstattungsprogramme und politische Intentionen, in: Rainer A. Müller (Hg.), Bilder des Reiches. Sigmaringen 1997 (Irseer Schriften 4) S. 323-355; ders., Der Festsaal im Kloster St. Mang in Füssen als Kaiser- und Reichssaal, in: Alt Füssen. Jb. des Historischen Vereins Alt Füssen, Jg. 2005, S. 80-99; siehe auch Friedrich Polleross, Imperiale Repräsentation in Klosterresidenzen und Kaisersälen, in: Alte und moderne Kunst 203 (1985) S. 17-27; Arnulf Zerbst, Zur Ikonologie des barocken Kaisersaals, in: Berichte des Historischen Vereins Bamberg 106 (1970) S. 207-344. Johannes Erichsen, Kaisersäle, Kaiserzimmer: Eine kritische Nahsicht, in: Heiliges Römisches Reich, siehe Anm. 12, S. 273-287. Franz Matsche, Prachtbau und Prestigeanspruch in Festsälen süddeutscher Klöster im frühen 18. Jahrhundert. Zum Typus und zur Verbreitung des Kolonnadensaals und zur Frage des „Reichsstils“, in: Markwart Herzog – Rolf Kießling – Bernd Roeck (Hg.), Himmel auf Erden? Wirtschaft-
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bedenken, daß nach einem frühen Vorspiel in Prag und nach Entwürfen für das Wiener Gartenpalais der Fürsten Liechtenstein der Kolonnadensaal zuerst von Reichsfürsten, namentlich vom Reichsfeldmarschall in Rastatt und vom Mainzer Reichserzkanzler in Pommersfelden, in ihre Schloßbauten integriert worden war und dann auch von Reichsstiften und Klöstern in ihr Bauprogramm übernommen wurde, „die ihre Reichsunmittelbarkeit erfolgreich verteidigt hatten, wie Ottobeuren, oder den Anspruch auf Reichsunmittelbarkeit erhoben und hartnäckig verteidigten, wie Ebrach“46. Die entscheidende Erweiterung liegt nun in der These, daß dieser Typus des „Säulensaals“ sehr absichtsvoll aus der römischen Kurie des Senats, der Curia Senatoria des Imperium Romanum, entwickelt wurde, die L. B. Alberti in seinen Libri decem de architectura rekonstruiert hatte47. „Dieser könnte als analoger Prototyp für ein ideell gedachtes Versammlungs- und Beratungsgebäude der Nachfolger der Senatoren des antiken römischen Reiches, nämlich der Stände des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, zum Vorbild genommen worden sein.“48 Der Status als Reichsmitglied bzw. die Deklaration bestimmter reichspolitischer Positionen wären demnach nicht nur mit einer differenzierten Kaiser- oder Reichsikonographie der Saalausstattung, sondern auch mittels eines reaktivierten antiken Saaltypus auf besondere Weise demonstriert worden. Aus solchen Fallbespielen, die freilich noch einer präzisen Quellenbasis harren, könnte künftig eine Basis gesponnen werden, auf der die sinnvolle Diskussion eines prononcierten Reichsstils (als politisch-symbolisches Instrument von Teilen der Reichsstände) auf verschiedenen Ebenen möglich werden könnte: vorrangig im architekturtypologischen und im bauikonologischen Kontext, angereichert mit stilgeschichtlichen Argumenten. Der Sedlmayrsche Reichsstil hingegen hat nur noch Bedeutung für die Geschichte der Kunstgeschichte. Folgerichtig ist er auch im angesprochenen
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liche und soziale Bedingungen des süddeutschen Klosterbarock. Sigmaringen 2002 (Irrseer Schriften, N. F. 1) S. 81-118. Siehe auch ders., Johann Bernhard Fischers von Erlach Kuppelrotunden mit Kolonnadensaal und ihre Rezeption in Österreich und im Reichsgebiet. Symbolarchitektur des fürstlichen Merito und Reichsstil-Architektur alla Romana, in: Andreas Kreul (Hg.), Barock als Aufgabe. Wiesbaden 2005, S. 39-281. Franz Matsche, Prachtbau, siehe Anm. 45, S. 117. Matsche zeigt den entsprechenden Holzschnitt (Auf- und Grundriß), der C. Bartolis Ausgabe von Albertis Architekturtraktat von 1550 illustriert. Franz Matsche, Prachtbau, siehe Anm. 45, S. 115.
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Barock-Band der Geschichte der Bildenden Kunst in Deutschland 49 kein Thema mehr – nicht einmal in der Darstellung als überholtes, ad acta zu legendes Phänomen der deutschen Kunstgeschichte. Im Vorfeld dieser Publikation hingegen, als noch die Konzeption des Bandes und die Frage der politischen Grenzen jenes Deutschlands diskutiert wurde, dessen barocke Kunst Gegenstand werden sollte, hat Meinrad von Engelberg als Mitherausgeber eingehend über den Reichsstil nachgedacht50. Dabei ist es sinnfällig, daß dieses Nachdenken gerade mit jenen Aktivitäten zusammenfiel, die 2006 anläßlich des 200jährigen Endes des alten Deutschen Reichs mit Büchern und Ausstellungen unternommen wurden. Das ist Ausdruck eines Abarbeitungsprozesses, eines kathartischen Vorgangs, der vielleicht notwendig war, um in der Analyse der Architektur des deutschen Barock die Frage nach dem Sedlmayrschen Reichsstil nicht mehr stellen zu müssen und ihn implizit als das zu qualifizieren, was er längst geworden ist: eine Kuriosität der Architekturgeschichte und ein warnendes Beispiel der Korrumpierbarkeit einer geistesgeschichtlichen Disziplin.
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Siehe Anm. 36. Meinrad von Engelberg, siehe Anm. 12; ders., Nation und Migration – Römische Architektur, „Teutsche Kunst“ und „Reichsstil“ im Werk des Johann Bernhard Fischer v. Erlach, in: Mitt. d. Instituts für Europäische Kulturgeschichte Augsburg (2008) H. 18, S. 63-90.
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Abbildung 1 Johann Bernhard Fischer von Erlach, „Erster Entwurf“ für Schloß Schönbrunn. Kupferstich von J. A. Delsenbach, 1721 (Schloß Schönbrunn Kultur- und Betriebsges. m. b. H., Photograph: Johannes Wagner).
Abbildung 2 Donato Felice d’Allio, Idealansicht des Ausbauprojektes von Stift Klosterneuburg. Zeichnung von J. Knapp, 1774 (Stift Klosterneuburg).
Reichsstil, Kaiserstil oder die Kunst der Heiligen Römischen Reiches Abbildung 3 Johann Bernhard Fischer von Erlach, Stadtpalais des Prinzen Eugen. Kupferstich von S. Kleiner, 1725 (ÖAW, Kommission für Kunstgeschichte).
Abbildung 4 Lukas von Hildebrandt, Schloß Belvedere des Prinzen Eugen. Kupferstich von S. Kleiner, 1735 (ÖAW, Kommission für Kunstgeschichte).
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Martin Eybl (Wien)
Zum Stilwandel der Kirchenmusik am Wiener Hof um 1740: Die Kapelle der Kaiserinwitwe Elisabeth Christine (1741–1750) II Forschungen zum musikalischen Stilwandel des 18. Jahrhunderts handeln nicht selten von frühen Ausprägungen der Sonatenform, der Verlangsamung des harmonischen Rhythmus, der neuen Regularität der Taktgruppen oder ähnlichen satztechnischen und formalen Stilmerkmalen. Wer dergleichen hier in bezug auf Wiener Kirchenmusik erwartet, muß enttäuscht werden. Der Gegenstand der folgenden Überlegungen ist scheinbar viel einfacher. Warum, so lautet das Problem, fielen in der Kirchenmusik am Wiener Hof ab etwa 1740 die Kompositionen in der Regel merkbar kürzer aus? Warum nimmt ein Alma redemptoris mater von Johann Joseph Fux (1659/60–1741) für solistischen Sopran und Alt 80 Takte in Anspruch, ein Werk derselben Gattung in derselben Besetzung von Franz Tuma (1704– 1774) dagegen nur 29 Takte?1 Man könnte versucht sein, die Frage vorschnell zu beantworten. Der reduzierte Umfang vieler Werke der (Zweiten) Wiener Schule wird gemeinhin kompositionsgeschichtlich erklärt – etwa durch einen Zug zu expressionistischer Komprimierung (ähnlich dem rasenden Lauf der Bilder im Traum) oder durch die Schwierigkeit, nach Aufgabe der Tonalität größere Verläufe zu komponieren. Wer behaupten würde, die Kürze der Werke diene lediglich dazu, in einem Konzert mehr Stücke von verschiedenen Komponisten unterzubringen, machte sich zurecht lächerlich. Für das theresianische Wien ist dagegen ein historischer Topos schnell und meist unwiderspro1
Johann Joseph Fux, Alma redemptoris K 192, A-Wn, Mus.Hs. 16359; Franz Tuma, Alma redemptoris Vogg A-VII-1, A-Wn, Mus.Hs. 15667. Die Signaturen hier und im folgenden beziehen sich auf Handschriften in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien (A-Wn). Die Numerierung der Werke von Tuma folgt Herbert Vogg, Franz Tuma (1704–1774) als Instrumentalkomponist nebst Beiträgen zur Wiener Musikgeschichte des 18. Jahrhunderts (Die Hofkapelle der Kaiserin-Witwe Elisabeth Christine). Wien: masch. phil. Diss. Wien 1951.
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chen zur Hand. Die sparsame Kaiserin stellte, so könnte es heißen, im Sinne der Aufklärung den Nutzen über die Funktion der Repräsentation. Und weil zum einen längere Stücke größere Kosten verursachten und zum anderen eine Herrscherin den Großteil des Tages besser mit Ideen zu Bildungsund Wirtschaftsreformen zubringe als bei Gebet und unablässiger Andacht, wären die Komponisten eben angewiesen worden, sich entsprechend kürzer zu fassen. Solche Überlegungen greifen in mehrerlei Hinsicht zu kurz. Sie überschätzen – in historiographischer Manier des 19. Jahrhunderts – den Einfluß von etwas wie „persönlichem Geschmack“ auf die Handlungen des Herrschers; sie unterstellen fälschlicherweise, daß sich Art und Umfang herrschaftlicher Repräsentation mit dem Tode Karls VI. am Wiener Hof schlagartig geändert hätten; und sie nehmen die aus verwaltungstechnischen und budgetären Gründen erfolgte Ausgliederung von Hofmusikkapelle und Hofoper als Ausdruck der Geringschätzung von Tonkunst. Dem naiven Einwand, die Ausdehnung von Kompositionen sei am Wiener Hof nach 1740 aus ideologischen und praktischen Gründen geschrumpft, setzen sich die folgenden Beobachtungen schon deshalb nicht aus, weil sie sich auf diesbezüglich völlig unverdächtige Beispiele stützen. Die untersuchten Stücke stammen aus einer Bastion der Beharrung, der Kapelle der Kaiserinwitwe Elisabeth Christine2. Die Witwe nach Karl VI. residierte zunächst in den Kaiserinnenapartements des Leopoldinischen Traktes der Hofburg und übersiedelte später in die ebenfalls zur Hofburg gehörende Amalienburg. Nach ihrem Tod 1750 wurde ihre Kapelle aufgelöst, und die Mitglieder kamen großteils in der kaiserlichen Hofkapelle unter. Die Musikalien der Kapelle wurden – ob zur Gänze oder nur teilweise, muß offen bleiben – in die Sammlung der Hofkapelle übernommen und gelangten später in die Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek. Die Mutter der Kaiserin war nicht mit Regierungsgeschäften belastet und hatte in keinem Fall Ursache, ihre religiösen Übungen einzuschränken. Sie bewies in der großzügigen Ausstattung ihrer Musikkapelle große Wertschätzung der Musik. Und in dieser Kapelle gaben nicht etwa Leute wie Georg Reutter (1708–1772), ein Antipode des alten Kapellmeisters Fux, den Ton an, son2
Zur Kapelle und ihren Kopisten siehe: Martin Eybl, Die Kapelle der Kaiserinwitwe Elisabeth Christine (1741–1750) I: Besetzung, Stellung am landesfürstlichen Hof und Hauptkopisten, in: StMw 45 (1996) S. 33-66. – Die behandelten Stücke sind handschriftlich erhalten und leider nicht in modernen Ausgaben zugänglich.
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dern zwei Schüler des zuletzt Genannten: der bereits erwähnte Franz Ignaz Anton Tuma und Georg Christoph Wagenseil (1715–1777). Fux selbst ist im Repertoire der Kapelle stark vertreten. Die kirchenmusikalischen Werke wurden in der Ära nach Fux nicht aus außermusikalischen Gründen kürzer, so lautet die hier vertretene These, sondern wegen eines in Produktion und Rezeption wirksamen veränderten Umgangs mit jenem Medium, das Musik zuinnerst bestimmt: der Zeit. Der vorliegende Text handelt von Spuren einer neuen Zeitwahrnehmung. Die Marianische Antiphon Alma redemptoris mater hat ihren liturgischen Ort in den Vespern der Weihnachtszeit; sie wird im katholischen Ritus zwischen dem ersten Adventsonntag und Maria Lichtmeß (2. Februar) gesungen. Aufgrund der Kopistenhandschrift lassen sich sechs Alma-redemptorisKompositionen für ein bis drei Solostimmen dem Kapellrepertoire der Kaiserinwitwe Elisabeth Christine zuweisen (siehe die Übersicht unten). Drei Werke von Fux wurden für die erste Saison der Kapelle 1741 kopiert, 1743 wurden sie durch drei neue Kompositionen von Tuma (Vogg A-VII-1 bis 3) ergänzt und, wie die Aufführungsdaten auf den Umschlägen zeigen, verdrängt. Die Motette K 188 wurde nach einer einzigen Aufführung am Silvestertag 1741 ad acta gelegt, K 192 brachte es auf zwei Aufführungen. Nur K 197 konnte sich bis 1747 neben den neuen Stücken von Tuma behaupten, allerdings auch seltener aufgeführt als jene. Geringstimmige Motetten Alma redemptoris mater in der Kapelle der Kaiserinwitwe Elisabeth Christine, chronologisch nach jeweils erstem Aufführungsdatum (Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek, Musiksammlung). Berücksichtigt werden nur Aufführungen bis zur Auflösung der Kapelle 1750. Mus. Hs. 17337 Fux, Alma redemptoris K 197 16359 Fux, Alma redemptoris K 192 16360 Fux, Alma redemptoris K 188 15668 Tuma, Alma redemptoris A-VII-2 15667 Tuma, Alma redemptoris A-VII-1 15669 Tuma, Alma redemptoris A-VII-3
Aufführungen 1741–1747 1741–1743 1741 1743–1748 1743–1749 1743–1747
Umfang 44 Takte 80 Takte 161 Takte 32 Takte 29 Takte 28 Takte
Soli A,T,B S,A A T,B S,A A,T,B
Die Werke von Fux gehörten allgemein zum Kernbestand des Repertoires der elisabethanischen Kapelle, die, soweit die Quellen darüber Auskunft geben, Spielplan und funktionelle Zuordnung der Stücke an den jeweiligen liturgischen Ort von der Hofkapelle unter Karl VI. zu großen Teilen ge-
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treulich übernommen hatte. Das Ensemble war somit stärker an der Tradition orientiert als die kaiserliche Hofkapelle der 1740er Jahre selbst. Der Austausch älterer Werke durch jüngere ist kein Indiz einer grundsätzlichen „fortschrittlichen“ Neuorientierung – dann hätte man Zug um Zug sämtliche Werke von Fux eliminieren müssen –, sondern wohl eher Ausdruck erst allmählich wirksamer, gewandelter ästhetischer Anschauungen, die die Musiker nicht prinzipiell, aber doch im Einzelfall zu den neueren Werken greifen ließ, wenn solche vorhanden waren. Es ist nicht nur der geringere Umfang, der Tumas Kompositionen von den älteren Motetten unterscheidet. Mißt man sie an den Maßstäben musikalischer Rhetorik, erscheinen sie zunächst durchaus konventionell; die barokke Figurenlehre ist in ihnen noch ungebrochen lebendig. In Ernst Kurths Gegenüberstellung von barocker Fortspinnung und klassischer Gruppierung3 gehören sie in die erste Kategorie. Und sucht man in ihnen Prinzipien, die den neuen Stil des 18. Jahrhunderts wesentlich ausmachen, wird man ebenfalls enttäuscht. Folgen von Taktgruppen derselben Dimension, Symmetrie der Phrasen und Ausdifferenzierung von Themen spielen darin keine Rolle. Auf den ersten Blick erscheinen die drei Motetten von Tuma in einem durchaus konventionellen Gewand. Was sie auszeichnet, tritt erst bei näherer Betrachtung zutage: eine veränderte formale Dramaturgie. Bei Fux wird die Zeit tendenziell aufgehoben, Musik ist „Zeitvertreib“, bei Tuma und den jüngeren Komponisten wird der Lauf der Zeit kompositorisch einbezogen4. Fux komponiert gedehnte Augenblicke, Tuma Verläufe. Bei Fux stehen die einzelnen Momente seiner Musik für sich, der Hörer kann ein- und aussteigen, wo es ihm beliebt. Tuma bindet dagegen die Teile in ein größeres Ganzes ein, das der Hörer nur erfassen kann, wenn er die Partien dieses Prozesses durchgehend verfolgt.
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Ernst Kurth, Grundlagen des Linearen Kontrapunkts. Bachs melodische Polyphonie. Berlin 19223, S. 203-49. Zur Bestimmung der Musik als Zeitvertreib in einer älteren, bis in das 18. Jahrhundert reichenden Tradition, festgemacht am Taktbegriff Matthesons, siehe: Wilhelm Seidel, Über Rhythmustheorien der Neuzeit. Bern 1975 (Neue Heidelberger Studien zur Musikwissenschaft 7) S. 55-57. „Man kann überspitzt sagen: diese Musik hat keine Temporalstruktur. Sie hypostasiert Zeitlosigkeit. Sie gibt dem Menschen, der sie ausführt und hört, die Illusion, der Zeit und der Vergänglichkeit zu entgehen. Darin besteht vielleicht das Glück, das sie stiftet: sie ist Vorgeschmack ewiger Freuden“ (ibidem, S. 57).
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Vergleicht man den Beginn je einer Motette von Fux und Tuma, lassen sich unschwer charakteristische Unterschiede der melodischen Struktur erkennen (Notenbeispiele 1 und 2). Tumas Melodie erscheint konzis, klar und knapp. Über der Harmoniefolge I-V-I bilden die Spitzentöne der Melodie – jeweils auf der betonten Silbe jeden Wortes – einen diatonischen Skalenausschnitt: e’’ – d’’ – c’’. Auch bei Fux erreicht die Melodie schließlich einen Endpunkt; so jedoch, als würde sich ein Flaneur mit einem Dutzend anderer Möglichkeiten vor Augen auf eine Parkbank setzen, während Tumas Melodie von allem Anfang an keinen Zweifel über das Ziel zu lassen scheint, das sie ansteuert. Der Eindruck des Schweifens ergibt sich bei Fux aus der Harmonik – H und gis’ (statt B und g’) führen in einen Schlußakkord mit kleiner Terz –, aus dem Zögern auf dem ersten Ton des zweiten Taktes und aus der Gestaltung der weiblichen Endung auf „Mater“ insgesamt. Die Melodien enden bei Fux häufig mit einem Melisma, so daß im Falle einer weiblichen Endung die betonte Silbe zum Teil stark gedehnt wird. Bei Tuma wird dagegen charakteristischerweise zum Schluß hin beschleunigt. Die Kerntöne der Melodie bewegen sich zunächst in Vierteln (e’’ – a’ – gis’ – d’’), dann in Achteln (c’’ – a’). Der erste Teil des Textabschnitts, „Alma Redemptoris“, ist bei Fux und Tuma gleich rhythmisiert. Man braucht nur den Text beider Phrasen rhythmisch zu lesen, um den Unterschied am Schluß überdeutlich zu erfassen. Notenbeispiel 1: Fux K 1975, T. 1-3
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Alma. / a 3. / Alto Tenore e Basso / Del sg: Fux / Maestro di Cap:la / Di S: C: e R: C: M: A-Wn, Mus.Hs. 17337, zehn Aufführungsdaten zwischen 1741 und 1747; 7 Stimmen: Alto, Tenore, Basso, Violoncello, Violone, Organo, Maestro di Cappella.
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Notenbeispiel 2: Tuma A-VII-16, T. 1–2
Ein solcherart abgerissener Phrasenschluß findet sich bei Tuma häufig. In der zitierten Motette schafft die Endung der ersten Phrase geradezu musikalischen Zusammenhang über das ganze Stück hin. Sie wird mehrfach wiederaufgenommen (so bei den Worten „manes“, „cadenti“, „genuisti“, „ore“, „illud“). Wo immer im Text Bewegung anklingt, werden musikalisch-rhetorische Figuren eingesetzt; wo vom Fallenden die Rede ist, eine Katabasis, bei „surgere“ (sich aufrichten) entsprechend eine Anabasis. Wo um Erbarmen gefleht wird, imitiert die Musik in einem Passus duriusculus ein sich Winden vor Schmerz und Zerknirschung. Tuma, der sich all diese Gelegenheiten zur Illustration nur selten entgehen läßt, zeichnet etwa auch das Straucheln des Fallenden mit einer solistischen Sechzehntelfiguration im Baß (AVII-3, T. 6–7). Auch der diesbezüglich sparsamere Wagenseil versinnlicht in einem a-cappella-Satz von 1741 (Mus.Hs. 16982) die Unterstützung des Fallenden („succurre cadenti“) durch engste Imitation – so ineinander gehakt sind die Motive wie die Arme des Hilfsbedürftigen und dessen, der ihn 6
Alma Redemptoris / à / Alto solo con Violinj. / Del Sg: Fux. A-Wn, Mus.Hs. 16360, ein Aufführungsdatum: 31. 12. 1741; 6 Stimmen: Alto Solo, Violino Primo, Violino Secondo, Violone, Organo, MDC. Aus den Angaben „senza organo è fagotto“ in der Dirigierstimme ergibt sich die Mitwirkung eines Fagott. Da an diesen Stellen auch der Violone pausiert, muß auch ein Violoncello, dessen Stimme ebenfalls nicht erhalten blieb, mitgespielt haben.
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stützt. Die Tatsache allein, daß Figuren in einem unveränderten semantischen Horizont verwendet werden, ist jedoch belanglos gegen die charakteristische Art und Weise, in der dies geschieht. Rhetorisch-musikalische Figuren verweisen nicht auf Vorhergegangenes oder Späteres im Stück, sie akzentuieren jeweils die Gegenwart. Tuma und Wagenseil nehmen sich dafür wenig Zeit; eine oder zwei Wiederholungen reichen meist. Fux dagegen schwelgt in solchen Figuren. In der Motette K 192 werden dem „cadenti“ fünfmal in jeder der beiden Solostimmen fallende Terzen zugeordnet, und jeweils dreimal folgt ein steigender Lauf über eine Oktave bei „surgere“. Dafür stehen 17 Takte zur Verfügung, ein Zeitraum, in dem die Stücke von Tuma schon zur Hälfte vorüber sind. Das liebevolle Nachzeichnen kleiner und großer Wellen in Singstimme und Begleitung („stella maris“, T. 33–51) dehnt in K 188 den Augenblick. Die Vielzahl der Wiederholungen schafft, betrachtet man die Motette als Ganzes, kleinräumigen Zusammenhang; indem sie nicht über die Grenzen des jeweiligen Abschnittes hinausgreift, verfestigt sie diese. Mit welch unterschiedlichem Effekt können so einfache kompositorische Mittel wie Wiederholungen eingesetzt werden! Vergleicht man den ersten Einsatz der Singstimme in der Solomotette K 188 von Fux (T. 11-17, Notenbeispiel 3) mit dem Beginn von Tumas Motette A-VII-2 (T. 1-8, Notenbeispiel 4), wird der jeweilige dramaturgische Ansatz der beiden Kompositionen deutlich. Fux gibt mit dem neuerlichen, gleichlautenden Anruf der Gottesmutter dem Augenblick musikalisch Raum; im komponierten Stillstand – auch der Einwurf des Orchesters besteht aus einer bereits in der einleitenden Sonatina vorgestellten Passage – versetzt der Komponist den Hörer in die Haltung andächtiger Versenkung. Bei Tuma wird das Eingangsmotiv ebenfalls, sogar mehrfach durch Imitation (in der Unterquint) und Sequenzierung (mit jeweils verändertem Beginn) wiederholt. Die neuen Tonhöhen und der unterschiedliche Text verändern jedoch zugleich das Motiv von Anfang an. Die kurze, unscheinbare Gestalt wird sofort einer Verarbeitung unterzogen, wodurch der Komponist den Eindruck des Hetzens auch bei Zuhörern hervorruft, die nicht mit der streng kanonischen Gestaltung den Fachterminus der „Fuga“ (Flucht) assoziieren. Die Musik stürzt sich gleich in fortwährende Bewegung, anders als bei barocken Sequenzketten, denen in der Regel ein stabiles Element vorangeht – mit der Wirkung eines Ausstiegs aus der Zeit, als würde der Lauf der Zeit vorübergehend angehalten (vgl. etwa Fux K 188, T. 32-38).
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Die fehlende Prägnanz des durchgeführten Motivs, die sich an der Melodik der Singstimmen als auch der Geigen ablesen läßt, setzt diese Musik wie viele andere Stücke um 1750 der Gefahr aus, wie tönender Leerlauf zu wirken. Der Interpret wird gut daran tun, das Motiv leicht dahin fließen zu lassen und mehr Aufmerksamkeit den kleinen Haken zu schenken, die der Komponist eingebaut hat, um die Aufmerksamkeit des Hörers nicht zu verlieren: der synkopischen Bildung bei „manere“ (bleiben), der dunklen Farbe der neapolitanischen Sexte im Orchesterzwischenspiel und jenem heftigen Impuls, mit dem Tuma oft den Abschluß seiner Themen herbeiführt, indem er einer absehbaren Entwicklung durch einen gänzlichen unerwarteten Gestus einen neuen Lauf gibt (Tenor T. 4 „et stella“ nach Pausen; Violine Übergang von T. 7 auf 8). Text und musikalisches Motiv stützen sich bei Fux, eng verklammert, gegenseitig. Bei Tuma treten sie auseinander. Die Motive werden hier so gewählt, daß sie auf mehrere Texte passen, oder sie werden entsprechend verändert – die eben zitierte Motette von Tuma lieferte dafür bereits ein kunstvolles Beispiel. In der Motette A-VII-1 (Notenbeispiel 5) macht sich der Komponist den Umstand zunutze, daß die letzten Worte der ersten beiden Textzeilen dieselbe rhythmische Struktur aufweisen. „Redemptoris mater“ entspricht „coeli porta manes“ – jeweils 3 Trochäen, und Tuma verwendet dieselbe melodische Gestalt für beide Phrasen. Elegant versteht er es, das viersilbige jambische „quae pervia“ dem Kopfmotiv bei „Alma“ anzupassen. Der Hauptton wird auftaktig vom Leitton aus erreicht und eine Antizipation vor dem Schlußton des Motivs eingeschoben. Die Quint des Soprans wird im Alt tonal durch eine Quart beantwortet. Das neugewonnene Quartmotiv mit Halbton-Auftakt wird nun fortspinnend zweifach aufgenommen. Im zweiten Einsatz der Oberstimme steht es vor einem nach dem Vorbild von „porta manes“ mehrfach gestuften diatonischen Abstieg – der Quartrahmen a’ – e’ wird übrigens hier durch den Quintrahmen e’’ – a’ beantwortet. Im zweiten Einsatz des Alto ist die Ausgangsgestalt fast schon liquidiert; aus dem Abstieg wurde eine Nebennotenbewegung, und die fortgesetzte rhythmische Verkürzung des Sprungmotivs reduzierte die Quart auf Sechzehntelwerte.
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Notenbeispiel 3: Fux, Alma redemptoris mater K 1887, T. 11–25
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Alma Redemptoris / à 2 / Soprano et Alto. / Con / Violini Unis: / Partes 10. / Del Sg: Franc: Tuma / M: D: C: di S: M: C: / dell’ Imp:ce Elis: vedova / 1743. A-Wn, Mus.Hs. 15667, 17 Aufführungsdaten zwischen 1743 und 1755; zehn Stimmen: Soprano, Alto, Violino (4fach), Violoncello, Violone, Organo, Maestro di Capella.
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Notenbeispiel 4: Tuma, Alma redemptoris mater A-VII-28, T. 1–8
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Alma Redemptoris / à 2 / Tenore e Basso / Con / Violini vnis:ni / Partes 10. Del Sg: Franc: Tuma / Maestro di Cap:la Di S: C: M: d’Imp:ce Elis: vedova / L’Anno 1743. A-Wn, Mus.Hs. 15668, 18 Aufführungsdaten zwischen 1743 und 1755; zehn Stimmen: Tenore, Basso, Violino (4fach), Violoncello, Violone, Organo, Maestro di Cappella.
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Notenbeispiel 5: Tuma, Alma redemptoris mater A-VII-1, T. 1–6
Die entsprechende Stelle in der Motette K 188 von Fux (Notenbeispiel 3) beruht ebenfalls auf dem Prinzip der Fortspinnung. Der Text läuft bei Tuma weiter, auch wo sich musikalische Gestalten aufeinander beziehen, während Fux für analoge Melodiegestalten denselben Text wählt. Bei Fux singt eine Stimme, bei Tuma dialogisieren zwei. Dabei zeigt sich, daß weder der ständig wechselnde Text noch das Dialogisieren für die Art der Anknüpfung bei Tuma unwesentlich sind. Beide Komponisten setzen die Technik der Fortspinnung auf ganz unterschiedliche Weise ein, so daß es geboten erscheint, die beiden Verfahrensweisen terminologisch auseinanderzuhalten. Die Begriffe „variative“ und „kontrastierende“ Fortspinnung sollen im folgenden zum Ausdruck bringen, daß einmal das Moment der Ähnlichkeit, das andere Mal das des Kontrasts stärker in den Vordergrund tritt, ohne daß jemals eines davon gänzlich verschwände.
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Tuma beginnt seine Motette in kontrastierender Fortspinnung (Notenbeispiel 5). Die vier Takte entsprechen in ihrer Dramaturgie insofern dem dialektischen Dreischritt von These, Antithese und Synthese, als die Schlüssigkeit des musikalischen Gedankens von einem Kontrast herrührt, der in zwei Schritten exponiert und in einem dritten überwunden wird. Auch was in der Schönberg-Schule als Satz oder satzartige Bildung bezeichnet wird9, folgt diesem dramaturgischen Modell: ein Motiv (These) und dessen transponierte Wiederholung (Antithese) werden in einem Abschnitt doppelter Ausdehnung aufgenommen, weitergeführt und vermittelt (Synthese). Der Beginn der Motette ist einem viertaktigen Satz (1 + 1 + 2 Takte) durchaus vergleichbar, nur daß hier der Kontrast von zwei Stimmen dargestellt wird. Die zweite Stimme antwortet der ersten mit einem grammatikalischen Einschub; die „These“ endet auf der Tonika, die „Antithese“ auf der Dominante. Die beiden Stimmen „einigen sich“ im weiteren nicht nur in der Schlußharmonie, sondern auch textlich. „Et stella maris“ ist grammatikalisch doppeldeutig. Es kann auf das Prädikat des Nebensatzes bezogen – „caeli porta manes, et stella maris“ – oder als zweiter Teil der einleitenden Anrede verstanden werden: „Redemptoris mater [...] et stella maris“. Tuma entscheidet sich nicht für eine Lesart, sondern läßt Sopran und Alt jeweils eine davon präsentieren. Und in der Zusammenführung der Texte ist die Doppeldeutigkeit der Worte schließlich aufgehoben. Die motivische Synthese besteht in Takt 3 darin, daß der Kopf der „Antithese“ in den Quintrahmen der „These“ eingefügt wird; das Motiv leitet einen diatonischen Abstieg von e’’ nach a’ ein. Bei Fux dagegen hat man nirgendwo den Eindruck einer synthetischen Zusammenfassung. Die Art der Anknüpfung wirkt spielerisch, sie verzichtet darauf, zwingend zu erscheinen. In der variativen Fortspinnung tritt das Moment des Kontrastes nicht in den Vordergrund, und was an der Ausgangsgestalt verändert wird, erscheint unerwartet, nicht als Konsequenz eines Gegensatzes. Im zweiten Abschnitt der Motette K 188 (T. 11-25, siehe Notenbeispiel 3) wird, wie erwähnt, die Melodiegestalt zunächst ohne jede Änderung wiederholt. Darauf folgt eine Steigerung, bei der die melodischen Bestandteile multipliziert, diminuiert oder vereinfacht, rhythmisch verkürzt oder vergrößert werden. Motiv A besteht im Kern aus einem ab9
Siehe dazu Erwin Ratz, Einführung in die musikalische Formenlehre. Über Formprinzipien in den Inventionen und Fugen J. S. Bachs und ihre Bedeutung für die Kompositionstechnik Beethovens. 3. erw. Auflage. Wien 1973, S. 21-24.
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steigenden Sekundschritt, der auftaktig von zwei steigenden Sekundschritten erreicht wird (in Vierteln: e – fis – g – fis, vgl. T. 11). In der Steigerung (T. 17-20) erscheint der Auftakt unverziert und verkürzt, der fallende Sekundschritt dagegen vergrößert und diminuiert. Das Motiv wird sequenziert und etwas anders diminuiert (T. 18/19). Der darauf folgende Auftakt des Motivs, diminuiert wie zu Beginn (T. 19), geht in eine Variante von Motiv B über, eine fallende Skala, die in einen Terzsprung mündet (T. 12). Ein Abschluß, der die Modulation nach G-Dur, die die Steigerung vollzogen hatte, bekräftigt, greift das Motiv A noch einmal auf (T. 21-23). Fux komponiert Augenblicke, Tuma Verläufe – dies wirkt sich, wie gezeigt, auf die Melodiebildung, auf die Syntax, ebenso aber auch auf die Funktion der Zwischenspiele aus. Im formalen Ablauf der Stücke wirken die orchestralen Einwürfe bei Tuma zukunftsorientiert; sie wecken Erwartungen und verweisen auf das, was noch kommt. Bei Fux dagegen beziehen sie sich auf Vergangenes. Das Zwischenspiel in Takt 23 bis 25 (Notenbeispiel 3) knüpft an die Singstimme an und bestätigt den Schluß auf G. Das Erreichte wird unterstrichen, der Augenblick, die Gegenwart gedehnt. Nebenbei bemerkt sieht man hier, daß Imitation keineswegs immer als Gegensatz auftreten muß. Fuxens Dialog folgt einer anderen Dramaturgie als derjenige Tumas. Die zweite Geige widerspricht der ersten nicht, sondern bestärkt sie, während Tumas Alt (Notenbeispiel 5) quasi einen Einwand formulierte. Auch das Zwischenspiel von Takt 13 bis 15 blickt in der zitierten Motette von Fux zurück. Es verklammert den zweiten Abschnitt mit der einleitenden „Sonatina“, ohne im weiteren Verlauf irgendeine Rolle zu spielen. In dem erwähnten Werk von Tuma wird sich der an älteren Modellen orientierte Hörer vielleicht wundern, daß die Violinen sofort vollkommen neues Material exponieren (Notenbeispiel 5, T. 4-6). Der Passus duriusculus, den sie umschreiben, hat keinen Bezug zum Beginn der Motette. Wer den Text der Antiphon kennt, assoziiert möglicherweise das abschließende Miserere. Und tatsächlich mischen sich am Ende die Violinen unter die Singstimmen, um die zum Ausdruck kommende Zerknirschnung über die eigene Sünde zu steigern. Hier wird dem Hörer rückblickend klar, daß die Demutshaltung, zu der der Text erst am Schluß gelangt, musikalisch das ganze Stück durchzieht und prägt. Das Orchester verbindet durch das gleichbleibende Motiv die je nach Text unterschiedlichen Abschnitte des Satzes zu einer musikalischen Einheit. Überdies markiert das Zwischenspiel jede Station eines klaren tonalen Verlaufes (Notenbeispiel 6). Zunächst erscheint es in a-Moll, angedeutet in C-
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Dur, in voller Ausdehnung wieder in e-Moll, sodann verkürzt und über den Singstimmen in d-, a- und e-Moll. Zum Abschluß erscheint es noch einmal vollständig in der Tonika a-Moll. Die Dominante wird somit als wichtigstes Etappenziel hervorgehoben. Notenbeispiel 6: Tuma, Alma redemptoris mater A-VII-1 und Fux, Alma redemptoris mater K 188, tonaler Verlauf im Vergleich
Die Folge der Kadenzen ergibt bei Fux (nochmals K 188) innerhalb der sieben Abschnitte eine ebenso planvolle Anlage: e / e-G / G-D-h / e / Ge / C / e. Doch steht hinter diesem Plan eine andere dramaturgische Idee. Die Achse e-Moll wird immer nur kurzfristig verlassen. Man unternimmt, um im Bild zu sprechen, keine Reise, sondern nur Ausflüge, die bald wieder zum Ausgangspunkt zurückführen. Eine solche Anlage läßt sich ohne Mühe durch Reihung erweitern. Würden bei Tuma weitere Abschnitte angereiht, wäre der Plan zerstört. Tumas Formgestaltung ist zielgerichtet. Wenn der Komponist auch sonst, wie erwähnt, nicht in musikalisch-rhetorischen Figuren und in ausführlichen Wiederholungen einzelner Satzteile schwelgt, an den Schlüssen macht er bei dieser Zurückhaltung eine Ausnahme. Um dem Hörer die Empfindung zu vermitteln, daß ein Ziel erreicht ist, werden in den drei Motetten Tumas das abschließende „peccatorum miserere“ und die zugehörigen chromatischen Gänge breit entfaltet. Hier und nur hier finden sich breitere Melismen, die Fux bei Kadenzen allerorten verwendet. In den beiden Duetten wird der Schluß außerdem noch durch ein Orchesterritornell bekräftigt. Der letzte Abschnitt in den Motetten von Fux ist im Verhältnis zum Ganzen deutlich weniger ausgedehnt. Das Orchesternachspiel in K 188 nutzt Fux nicht, um ein Ziel zu markieren, sondern um – im pianissimo! –
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wieder in die Stille der liturgischen Handlung zurückzuführen. Ein ähnlicher Gestus des Zurücksinkens in das Schweigen findet sich übrigens auch in manchen seiner Kirchensonaten10. Verschiedene Problemkreise – die Frage nach der Möglichkeit, die gemachten Beobachtungen auf andere Gattungen zu übertragen; die Frage nach dem historischen Kontext einer solcherart veränderten Dramaturgie; die Frage nach dem Platz der beschriebenen Ansätze innerhalb einer Problemgeschichte des Komponierens – all diese Fragenkomplexe können abschließend nur mehr angerissen werden. Es ist kaum denkbar, daß ein neuer kompositorischer Umgang mit Zeit auf eine oder wenige Gattungen beschränkt bleiben sollte. In Tumas Kirchensonaten findet man denn auch ähnlich prägnante, auf ein Ziel hin steuernde Themen, linear anstatt zirkulär organisierte harmonische Verläufe, in denen die Dominantregion durch einen Wechsel der Textur, bisweilen auch durch neue melodische Gestalten hervorgehoben ist, und deutliche Schlüsse im Tutti. Indem manche Kirchensonaten Tumas durch angefügte Sätze zu Sinfonien erweitert wurden, führt ein direkter Weg von der Kirchenmusik in die zentrale Gattung des neuen Stils. Im Umkreis der Hofmusikkapelle bietet sich eine Reihe von Alma-redemptoris-Vertonungen in der Art geringstimmiger Motetten zum Vergleich an. Direkte Vorbilder für Tuma sind hier nicht zu finden. Insbesondere durch die Sorgfalt der Deklamation stechen Tuma und übrigens auch Wagenseil aus dieser Gruppe hervor. Der Theorbist und Wiener Hofkomponist Francesco Conti (1682–1732)11 und der neapolitanische Kirchenmusiker Francesco Durante (1684–1755)12 schaffen durch fugierte Schreibweise 10
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Siehe dazu Josef-Horst Lederer, Das Kanzonenprinzip in den Sonate da Chiesa von Fux, in: Rudolf Flotzinger (Hg.), J. J. Fux-Symposium Graz ’91. Bericht. Graz 1992 (Grazer musikwissenschaftliche Arbeiten 9) S. 85-104, insbesondere S. 93-96. Alma Redemptoris Mater, in: Geistliche Solomotetten des 18. Jahrhunderts, hg. von Camillo Schönbaum. Graz 1962 (DTÖ 101/102) S. 68-76. „Alma. / â Soprano Solo. / con / 2. Violini. / Partes. 9. [mit Blei korrigiert: 7] / Del Sig: Francesco Durante. / 1739.“ A-Wn, Mus.Hs. 16137, ein Aufführungsdatum: 7. 12. 1739. Wenn das Werk nicht über Durantes Schüler Giuseppe Bonno, der 1739 zum Hofkomponist ernannt wurde, in die Hofkapelle kam, könnte es sich auch um eine Originalkomposition für Wien handeln. Die Datierung fällt in die Jahre, in denen Nachweise einer Anstellung Durantes in Neapel fehlen. Hofkapellmeister Fux war 79 Jahre alt, und es ist denkbar, daß sich Durante wie auch Vivaldi oder Porpora um 1740 für eine Position am Habsburger Hof interessierte.
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starke motivische Einheitlichkeit, ohne zugleich einen zielgerichteten linearen harmonischen Verlauf anzustreben und durch die Orchesterritornelle zu markieren. In zwei Duetten von Georg Reutter dem Jüngeren (1708– 1772) aus den Jahren 1744 und 174913 werden die Violinen wie bei Tuma großteils unisono geführt. Die Themengestaltung und der Modulationsgang erscheinen noch relativ schweifend, doch bilden sich tonale Schwerpunkte aus, die als Elemente eines Verlaufs verstanden werden können. Direkte Anknüpfungspunkte für Tumas spezielle Gestaltungen scheint weniger die zeitgenössische Sakralmusik zu bieten als das Solokonzert. Von dort kommt wohl die Idee einer melodischen Differenzierung von Solo und Tutti, die Versetzung des Ritornells auf verschiedene Stufen und vielleicht überhaupt das Konzept eines prozessualen Komponierens. So wäre eine Gattung untergründig in der Musik am Wiener Hof wirksam geworden, die offiziell eine untergeordnete Rolle spielte. Der Umstand, daß ein Concerto grosso von Tuma lediglich halbiert in Form zweier Kirchensonaten erhalten ist14, demonstriert sowohl den mangelnden Rang der Gattung am Hof als auch Tumas Interesse dafür. Nach dem bisher Gesagten erscheint Herbert Voggs vernichtendes Urteil über Tuma voreilig, unfair und unzutreffend. Durch „das zähe Festhalten an den strengen Satzprinzipien seiner Lehrers Fux“ wären seine Instrumentalwerke „weder genial noch interessant noch auch originell“15. In den untersuchten Vokalwerken weicht der Komponist jedenfalls sehr deutlich von Fux ab, indem er Verläufe komponiert. Aber er tut dies mit Material, das sich für sozusagen komponierte Gegenwart viel besser eignet, mit thematischen Gestalten ohne besonderes Profil. Dies ist eines der Probleme, die nach einer kompositionsgeschichtlichen Lösung verlangen: die Melodien müssen stärker individualisiert werden, damit sie der Hörer besser wiedererkennen und so den Verlauf nachvollziehen kann. Und überdies wird es nötig, die Funktionen im Formverlauf stärker zu differenzieren, die Passage, die die Dominante markiert, auf ganz andere Art zu gestalten als etwa 13
14
15
A-Wn, HK 803: „Alma / à 2 Bassi, e 2 Violini / Del Sig:re Reütter Comp:e di S: M: e M: D: C: di St:o Steffano 1744. / Partes 12 [korrigiert in: 10]“; A-Wn, HK 801: „Alma. à 2. / Soprano, e Basso, con / 2. Violini. / Partes 13. [korrigiert in: 11] / Del Sig: de Reütter, Maestro di Cap:la / di S: C: R: M: Anno 1749.“ A-Wn, Mus. Hs. 3742, 1–2, dazu Martin Eybl, siehe Anm. 2, S. 45 f. Die beiden Sonaten erschienen in: Fr. I. A. Tuma, Composizioni per orchestra. Praha 1965 (Musica Antiqua Bohemica 67) Nr. IV und V. Herbert Vogg, siehe Anm. 1, S. 124.
Zum Stilwandel der Kirchenmusik am Wiener Hof um 1740
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den Beginn oder Schluß eines Satzes. Tuma hat wie andere Komponisten neben ihm in Richtung eines prozessualen Komponierens erste Schritte unternommen. Daß andere nach ihm den Weg weiter gegangen sind, schmälert seine Leistung nicht.
Franz Karl Praßl (Graz)
Choralpflege und deren liturgische Voraussetzungen im Gottesdienst der Hofburgkapelle Wir haben es mit einer paradoxen Situation zu tun: Die Hofburgkapelle ist heute in Österreich einer der wenigen Orte, an denen – neben Klöstern wie Heiligenkreuz im Wienerwald oder Mehrerau bei Bregenz – regelmäßig jeden Sonntag Choral gesungen wird1. Das regelmäßige Singen des sonntäglichen Propriums – wenn auch in geringem Umfange – basierte im Zuge des Neustarts der Hofmusik nach dem Untergang der Donaumonarchie auf den kirchenmusikalischen Verordnungen von Papst Pius X.2. Heute geschieht dies – meist vollständig – nach der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils gemäß den liturgischen Rahmenbedingungen, unter denen Gregorianik legitimer Weise nur ein musikalisches Gestaltungselement von vielen ist, zudem stark zurückgedrängt durch die Praxis volkssprachigen Singens. Es gehört geradezu zum Kennzeichen der 9.15 Uhr-Gottesdienste in der Hofburg, daß neben der schwerpunktmäßig gepflegten klassischen oder romantischen Orchestermesse das von der Choralschola der Wiener Hofburgkapelle gesungene Proprium erklingt. Vor mehr als 100, 200, 300 Jahren war diese Situation ganz anders. Gregorianik spielte eine absolut untergeordnete Rolle, sie war – rein statistisch und vom „Rang“ der liturgischen Feiern her gesehen – das „fünfte Rad am Wagen“3. Wir werden freilich diese Situation noch genauer betrachten müssen, um die relativ geringfügige Choralpflege der Barockzeit und späterer Epochen 1
2
3
Vgl. dazu Franz Karl Praßl, Gregorianik in der heutigen Liturgie. Ideal und Wirklichkeit – Versuch einer vorläufigen Bilanz, in: Martin Hobi (Hg.), Im Klangraum der Kirche. Aspekte – Positionen – Positionierungen in Kirchenmusik und Liturgie. Zürich 2007, S. 137-176. Motu proprio Tra le sollecitudini vom 22. 11. 1903 samt Folgedokumenten, leicht zugänglich in: Hans Bernhard Meyer – Rudolf Pacik (Hg.), Dokumente zur Kirchenmusik unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Sprachgebietes. Regensburg 1981. Vgl. dazu Franz Karl Praßl, Die österreichische Choralpflege im 19. Jahrhundert, in: Uwe Harten et alii (Hg.), Bruckner-Symposion „Bruckner – Vorbilder und Traditionen“. Linz, 24.–28. September 1997, Bericht. Linz 1999, S. 35-51.
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Franz Karl Praßl
im Kontext der jeweiligen kirchenmusikalischen Situation auch richtig zu deuten. Dieses geringe Ausmaß der Choralpflege finden wir in jenen Jahrhunderten, in denen Choralgesang zumindest jenseits der breit gestreuten süddeutsch-österreichischen Kirchenmusiktradition nach wie vor – gesamtkirchlich gesehen – zu den Selbstverständlichkeiten katholischer Liturgiepraxis gehörte4. Daher können wir das Paradoxon so benennen: Als Gregorianik vielerorts selbstverständlich war, wurde sie bei Hof nur wenig gepflegt – jetzt, wo es keine Veranlassung mehr gibt, Choral „pflichtgemäß“ zu singen, hat es sich in Wien als Markenzeichen etabliert: das Choralsingen bei der Sonntagsmesse in der Hofburg. Über die Choralpflege im Gottesdienst der Hofmusikkapelle im Laufe der Jahrhunderte zu reden, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt immer noch ein problematisches Unterfangen. Man kann dies nur in Schlaglichtern tun. Es ist zwar Etliches an Details bekannt, gleichsam als Nebenprodukt anderer Studien, eine gründliche Untersuchung dieses Fragenkomplexes steht jedoch noch aus. Ich wage aufgrund der zahlreichen Studien zur Hofmusik zu vermuten, daß man bezüglich der Choralpflege am Ende umfangreicher Archivstudien wahrscheinlich über weite Strecken zu eher geringeren Ergebnissen kommen wird. Die folgenden Ausführungen sollen sich daher auf zwei Schwerpunkte beschränken: Choralpflege bis zum 20. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Gottesdienste der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, also zur Zeit Karls VI., und Choralpflege im 20. Jahrhundert nach dem Untergang des Kaiserhauses, als es zwar keinen Hof mehr gab, wohl aber die Hofburgkapelle. Die liturgischen Voraussetzungen für Kirchenmusikpflege am Kaiserhof bilden nach der Übernahme des Missale Romanum von 15705 mutatis mutandis die Ordnungen des Missale von Pius V., dem etwas schlampig sogenannten Tridentinischen Meßbuch. Für unsere Überlegungen müssen wir uns nur vor Au4
5
Vgl. dazu die einschlägigen Artikel in Karl Gustav Fellerer (Hg.), Geschichte der katholischen Kirchenmusik 2. Kassel 1976, sowie Theodore Karp, An Introduction to the Post-Tridentine Mass Proper, 2 Bde. Middletown 2005 (Musicological Studies and Documents 54). In der Diözese Passau geschah dies schon 1608 durch Bischof Erzherzog Leopold von Österreich, zu den konkreten Wiener Verhältnissen kennen wir keine Daten. Interessant ist, daß Johann Joseph Fux in seiner Vertonung der Ostersequenz Victimae paschali laudes K 276 die vortridentinische, mittelalterliche Textversion verwendet hat.
Choralpflege an der Hofburgkapelle
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gen halten, daß die exklusive Verwendung der Texte dieses Missales mit Änderungs- und Hinzufügungsverbot ein zentrales Gebot der liturgischen Ordnung war. Für den gültigen Vollzug war letztlich die Rezitation durch den Zelebranten entscheidend, bei allen strengen Regeln für den Chorgesang bei der Missa in cantu, dem sogenannten Amt. Die musikalische Gestalt der Texte war von sekundärem Belang, auch wenn kirchliche Autoritäten gegen vermeintliche oder echte Fehlentwicklungen immer wieder eingeschritten sind. Erst diese Sichtweise bedingte die Entfaltungsmöglichkeit liturgischer Komposition. Für den Choral ist weiters festzuhalten, daß ihn überhaupt erst Pius X. in seinem berühmten Motu proprio Tra le sollecitudini 1903 erstmals in der Neuzeit amtlich als Kirchenmusik bzw. überhaupt als Musik gesehen hat. In den Dokumenten des Konzils von Trient scheint Choral in den Diskussionen und Beschlüssen um Kirchenmusik überhaupt nicht auf. Wir finden ihn aber in den Dekreten der Priesterausbildung, in denen es heißt, daß die Alumnen das nötige Handwerkszeug zu lernen haben – dazu gehören unter anderem der computus und der cantus 6, also die Kalenderregeln und der Choral. Gregorianik ist die selbstverständlich vorausgesetzte Basis alles Erklingens in der Liturgie, der Choral kann jedoch beliebig und wahllos überlagert und verdeckt werden durch Musik. Der Usus muß zwar immer da sein, er wird jedoch nach Möglichkeit durch die Kunst abgelöst, also cantus versus ars, um in der Unschärfe älterer Termini zu sprechen. Dagegen spricht nicht, daß sich bestimmte Traditionen hartnäckig gehalten haben, wie etwa das Choralrequiem, oder der Choral an den Kartagen usw. Bei dieser Praxis gilt auch für die Kirchenmusik das für die liturgische Entwicklung von Anton Baumstark postulierte Gesetz von der Erhaltung des Alten in liturgisch hochwertiger Zeit. Choral ist in der Praxis der Barockliturgie also dasjenige, was dann an die Oberfläche kommt, wenn nichts mehr da ist, was traditionell oder aus Tagesaktualität ihn überlagern könnte. Wir wissen natürlich, daß es den Choral, also ein einheitliches Repertoire an einstimmigen liturgischen Gesängen für den katholischen Erdkreis, nie gegeben hat, das gehört zum ideologischen Wunschdenken kirchenmusikalischer Kreise, deren Denken noch immer im Zeitalter der Piuspäpste verhaftet ist. Melodische und zum Teil auch textliche Versionen, Stil- und Aufführungspraxis des liturgischen Gesanges der fränkisch-römischen Liturgie – wie wir etwas genauer sagen sollten – waren im Lauf der Jahrhunderte enormen Verände6
Concilium Tridentinum, 23. Session, Dekret vom 6. Juli 1563, vgl. dazu Robert F. Hayburn, Papal Legislation on Sacred Music. Collegeville 1979, S. 28.
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rungen unterworfen, die vielfältig benannt worden sind, so beispielsweise als stilistischer Paradigmenwechsel, als Dekadenz und Verfall, als Restauration, Rekonstruktion, liturgische Fiktion, als Regionalismen usw., um nur einige Schlagwörter zu nennen. All diese Wandlungen schlagen sich natürlich auch in der Choralpraxis der Hofmusikkapelle in den letzten Jahrhunderten nieder. Der Introitus Ad te levavi in den Chorbüchern von Georg Moser (circa 1584–1654), etwa im Graduale von 16517, hat wohl nur wenige Gemeinsamkeiten mit dem gleichnamigen Gesang, der heute in einer anhand der ältesten Quellen rekonstruierten Fassung unter der Leitung von Kees Pouderoijen OSB erklingt. Hinsichtlich der musikalischen Gestalt ist festzuhalten, daß die Verwendung der jeweils aktuellen Choralversionen im Gottesdienst der Hofkapelle sich nicht von den Praktiken der jeweiligen Umgebung unterscheidet. Dies ist insofern bedeutsam, als es ja gerade in der mehrstimmigen Kirchenmusik im Repertoire enorme Unterschiede gibt zu dem, was sonst mit wenigen Ausnahmen im weiten Umkreis passiert ist. Zum Unterschied von der polyphonen Kirchenmusik gibt es hinsichtlich der Choralfassungen keine Sondertraditionen. Choralpflege nach Zeugnissen aus dem 18. und 19. Jahrhundert In welchem Umfang wurde Choral in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts gesungen? Das schon genannte Graduale von Georg Moser 1651 (A-Wn, Mus.Hs. 15.952) ist ein Spiegel der tatsächlichen Praxis: es notiert generell Introitus und Alleluia bzw. anstelle des Alleluia den Tractus, falls vorgesehen. Die Communio ist nur in der Vorfasten- und Fastenzeit notiert, das Graduale nur zu Ostern und Fronleichnam. Dazu kommen noch die vier Sequenzen des Missale von Pius V. Dies alles wurde Mitte des 17. Jahrhunderts bei der Messe choraliter gesungen, die anderen Propriumsteile waren figural. Etwa 100 Jahre später hatte sich dieses schmale Repertoire nochmals verkleinert: Kilian Reinhardt verzeichnet im Jahre 1727 in seinen Rubriche Generali 8 eine noch reduziertere Praxis. Der Introitus wurde nur mehr ausnahmsweise choraliter gesungen, das Alleluia normalerweise wie das Graduale durch die Epistelsonate ersetzt. Bezeichnenderweise heißt das Graduale von Moser bei Reinhardt Libro 7
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Dazu Friedrich Wilhelm Riedel, Kirchenmusik am Hofe Karls VI. (1711–1749). Untersuchungen zum Verhältnis von Zeremoniell und musikalischem Stil im Barockzeitalter. München-Salzburg 1977 (Studien zur Landes- und Sozialgeschichte der Musik 1) S. 70 f. Beschrieben ibidem, S. 18.
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feriale: der Choral war per definitionem keine Musik für Festtage, sondern für die gewöhnlichen Wochentage bzw. für die Fastenzeiten und das Totenoffizium. Hans Haselböck hat dies einmal auf die treffliche Formel gebracht, daß hierzulande Gregorianik eine „Fastenspeise“ sei. Dazu gehört auch, daß die Responsorien nur bei den so genannten „violetten Messen“ (abgeleitet aus der verwendeten liturgischen Farbe) einstimmig gesungen worden sind, ansonsten vierstimmig, wie wir dies auch heute noch in den anglikanischen Kathedralen, oder in abgelegenen Kärntner Bergdörfern hören können. Choral war ansonsten in „liturgisch hochwertiger Zeit“ vorhanden, um mit Anton Baumstark9 zu sprechen, also zu den Offizien von Weihnachten und in der Karwoche, darüber hinaus bei allen außergewöhnlichen Feiern, für die es eben keine Figuralmusik gab. Dazu gehörten etliche Prozessionen, diverse Andachten und Weiheriten. Traditionellerweise wurde auch das Totenoffizium choraliter absolviert. Es ist jedoch festzustellen, daß häufig der Choral mit mehrstimmigen a-cappella-Sätzen abzuwechseln war, Gregorianik trat prinzipiell in Verbindung mit mehrstimmiger Musik auf. Bezeichnenderweise wurden diese Gesänge auch im Fünfliniensystem notiert, um den Sängern beim Umstieg von Ein- auf Mehrstimmigkeit keine Leseprobleme zu bereiten. Zur Choralpraxis gehörte auch die falsobordone Ausführung der Psalmen bzw. Cantica. Auf Orgelbegleitung wurde verzichtet. Die Ausführenden waren im Regelfall die Tenoristen und Bassisten. Wenn es sich von der textlichen Dramaturgie ergab, konnten es die Soprane10 sein, wie bei der Prozessionsantiphon Pueri Hebraeorum. Am häufigsten wurde noch in der Karwoche11 Choral gesungen. Reinhardt verzeichnet für den Palmsonntag: sechs Antiphonen und drei Responsorien choraliter, das zweite Pueri Hebraeorum und das Gloria laus et honor jedoch figuraliter. Bei der Messe wurden Graduale, Tractus und Communio choraliter gesungen. Dienstag und Mittwoch waren es ebenfalls nur die Zwischengesänge und die Communio. Zu den Vespern wurden die Psalmenantiphonen einstimmig gesungen, die Psalmen jedoch falsobordone. Bei den Trauermetten wurden die Antiphonen und Psalmen einstimmig, die Responsorien mehrstimmig gesungen (Psalmen auch falsobordone). Bei der Gründonnerstagsmesse verblieben Graduale und Communio choraliter. Bei der Karfreitagsli9 10
11
Vgl. Anton Baumstark, Vom geschichtlichen Werden der Liturgie. Freiburg 1923. Über die Beteiligung der Sängerknaben am Choralgesang informiert vereinzelt Maria Benediktine Pagel, Die kk (kuk) Hofsängerknaben zu Wien 1498 bis 1918. Wien-Köln-Weimar 2009. Riedel, siehe Anm. 7, S. 75-86.
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turgie erklangen die Tracten sowie Teile der Gesänge zur Kreuzverehrung choraliter. In der Osternachtfeier am Karsamstagmorgen blieben die vier Cantica zu den alttestamentarischen Lesungen sowie die Litanei choraliter, dazu kam noch das Alleluia der „Osternacht“. Die Weihnachtsmatutin12 ergibt ein ähnliches Bild wie die Trauermetten: Psalmen und Antiphonen bleiben choraliter, die Responsorien werden figural ausgeführt, ähnlich wird auch das Totenoffizium vollzogen. Dazu kommen noch diverse Cantus extraordinarii, wie am Fest Maria Lichtmeß und an weiteren ähnlichen Festen. Daß bei Prozessionen häufiger choraliter gesungen wurde, ergibt sich aus der Natur der Sache: der technische Vollzug war einfach leichter. Choral war statistisch gesehen nur wenig vorhanden, aber infolge seines Ferialcharakters und wegen der Traditionen an liturgisch hochrangigen Feiern dennoch quasi omnipräsent. Er war das Fundament aller Kirchenmusik, das von Zeit zu Zeit mehr oder weniger freigelegt wurde. Hörbar waren gregorianische Modelle jedoch immer beim Cantus des Zelebranten bzw. des Diakons und Subdiakons. Die geschilderte Situation hat sich im 19. Jahrhundert nicht gravierend geändert. Sie ist auch nicht grundlegend verschieden von den zeitgenössischen Praktiken in Stifts- und Kathedralkirchen, wie auch das Beispiel des Wiener Stephansdomes zeigt13, dessen im 19. Jahrhundert benutzte Chorbücher im Diözesanmuseum einsehbar sind. In den Kathedralen wurde jedoch systembedingt mehr Choral gesungen als bei Hof, war doch die Kirchenmusik in den österreichischen Domkirchen des 19. Jahrhunderts vielfach geprägt von den Nachwirkungen des Josephinismus, zu denen auch Strukturreformen beim Musikpersonal nach den Neuordnungen der Diözesen, wie etwa Graz-Seckau oder Gurk-Klagenfurt, gehörten. Dazu kamen die Einschränkungen durch die wirtschaftlichen Probleme im Gefolge der Napoleonischen Kriege. So wurde im Wiener Stephansdom mit 1. Juni 1815 das tägliche Choralamt eingeführt14, wobei mit „täglich“ die gewöhnlichen Werktage gemeint sind. Dieser Gottesdienst ist die traditionelle Hauptmesse, das Kapitelamt, das im 18. Jahrhundert, wie man auch in den 12 13 14
Alle Belege ibidem, ab S. 87. Vgl. Praßl, siehe Anm. 3, S. 35-51. Graduale Romanum. Venedig 1690, Notiz am ersten Vorsatzblatt, Wiener Diözesanarchiv, Liturgie Nr. 7: „Anno 1815 zum täglichen Gebrauch bei St. Stephan gegeben den 1sten Juni.“
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Reiseberichten von Charles Burney liest, wohl täglich mit einer Orchestermesse begangen wurde15. An liturgisch höherrangigen Tagen hat es den „gesungenen Frühchor“ gegeben16, bei dem von der Matutin das Te Deum sowie die ganzen Laudes gesungen wurden. Wenn der Erzbischof zelebrierte, wurde auch die Terz vor dem Pontifikalamte gesungen. Die Vesper wurde an gewöhnlichen Tagen normalerweise gebetet, an Samstagen und gewöhnlichen Sonntagen jedoch choraliter gesungen. Auch bei den feierlichen figuralen Vespern war Choral zu hören, üblicherweise bei den Antiphonen und beim Hymnus. Dazu kamen noch zahlreiche Requiemmessen, die zum Teil auch mit dem zu singenden Totenoffizium verbunden waren. In den Kathedralen von Graz und Klagenfurt waren ebenfalls die täglichen Kapitelämter choraliter gestaltet sowie die tägliche Vesper, die jedoch an bestimmten Tagen auch gebetet werden konnte17. Dazu kommen nach dem Ausweis von Anton Seydler in Graz die Metten an den höchsten Festen, diverse Prozessionen und die Priesterweihe. Hier wird wiederum ein Detail der Choralpflege deutlich: was es an zu persolvierenden liturgischen Gesängen mehrstimmig nicht gibt, wurde choraliter ausgeführt. Choralpflege in der Hofburgkapelle im 20. Jahrhundert In seiner Darstellung der österreichischen Kirchenmusikgeschichte18 beschreibt Ernst Tittel eingehend die Befindlichkeiten der Wiener Kirchenmusikszene in den Jahren nach dem Erlaß des Motu proprio Pius’ X. 1903. Die Aufnahme dieses, das Jahrhundert prägenden Dokumentes war in Österreich sehr zwiespältig. Ein eher „reformorientiertes“ Lager begrüßte die verlangte Neuorientierung der Kirchenmusik an Gregorianik und an der sogenannten altklassischen Vokalpolyphonie, die traditionell gesinnten Kräfte bangten 15
16
17
18
Charles Burney, Tagebuch einer musikalischen Reise [...]. Hamburg 1772, Reprint Wilhelmshaven 1985, S. 264 f. und 268 f. Ludwig Donin, Gott der Herr und seine Diener im St. Stefansdome. Wien 1874, S. 135. Die weiteren Angaben sind den folgenden Seiten dieses Buches entnommen. Anton Seydler, Geschichte des Domchores in Graz von den Zeiten Erzherzogs Karl II. bis auf unsere Tage, in: KmJb 15 (1900) S. 26-65, hier S. 45; Franz Karl Praßl, Zur Geschichte der Chormusik im Gottesdienst. Diözese Gurk-Klagenfurt, in: Johann Trummer (Hg.), Kirchenchöre Österreichs. Graz 1987, S. 26-43, hier S. 31-35. Ernst Tittel, Österreichische Kirchenmusik. Werden – Wachsen – Wirken. Wien 1961, insbesondere S. 311-354.
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nicht ohne Grund um den Verlust der über Jahrhunderte gewachsenen Kultur einer orchesterbegleiteten Kirchenmusik, welche gerade in Wien zur Selbstverständlichkeit einer sehr breiten liturgisch-musikalischen Praxis gehörte und einen wesentlichen Identitätsfaktor lokaler Liturgie bildete. Das Verbot des Frauengesangs am Kirchenchor galt trotz prominenter Knabenchöre in der Stadt als undurchführbar und wurde stillschweigend ignoriert. Sogar der Kaiser mischte sich in die Diskussionen um die Neuorientierung der liturgischen Musik ein19; er erwirkte bei Pius X. im Zuge einer Audienz, welche im März 1904 dem Hofpfarrer Weihbischof Laurenz Mayer und dem „Ersten Dirigenten“ Carl Luze gewährt worden war, die Tolerierung der Praxis von Orchestermessen in Wien. Dennoch setzte sich langsam das Bewußtsein durch, in der Kirchenmusik für „liturgischere“ Sitten zu sorgen, soweit dies machbar war und die „Heiligtümer“ der Tradition nicht angegriffen hat. Dazu gehörte auch die Sorge um einen nach damaligen Maßstäben würdigen Vollzug des Propriums, das im Hochamt (siehe oben) ja weitgehend ausgeblendet oder durch liturgische Surrogate ersetzt worden ist („Einlagen“). So bemühten sich die aufgeschlossenen Kreise redlich, den Gesang eines (orchesterbegleiteten) Ordinariums mit dem Gesang des Choralpropriums zu verbinden, um den wieder mehr ins Bewußtsein gerufenen Grundregeln für die Zelebration der Missa in cantu zu entsprechen. Ein im ultramontanen Geist erzogener und auf Gehorsam gegenüber Rom getrimmter Klerus sah in dieser Verbindung einen goldenen Mittelweg zwischen den zu befolgenden Anordnungen der Kirchenzentrale und den lokalen pastoralen und kulturellen Notwendigkeiten. Nach Tittel „zeigte sich bald, daß die neuen Vorschriften des Motu proprio cum grano salis mit einigermaßen gutem Willen auch in Wien und Österreich durchführbar seien: man sah die Notwendigkeit einer einheitlich durchgeführten Choralpflege ein. […] Man wußte auch, daß die nationale Kirchenmusik nicht unmittelbar bedroht sei“ und ging „im frommen Selbstbetrug in die Zukunft“20. Der Gesang des choralen Propriums wurde freilich selten vollständig ausgeführt, für das Graduale und das Offertorium wurden weiterhin an vielen Orten polyphone Gesänge („Einlagen“) bevorzugt. Diese Grundorientierung blieb vielerorts Wunschdenken, faßte aber dennoch bald mehr oder weniger Fuß und ging auch nach den durch die Katastrophe des Ersten Weltkriegs verursachten Neuordnungen in Kirche und Gesell-
19 20
Ibidem, S. 315. Ibidem.
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schaft nicht verloren. Für den Bereich der Hofburgkapelle21 hatte ja Luze im Rahmen der oben genannten Audienz Pius X. einen sicher vorteilhaften Bericht über die Choralpflege bei Hofe geliefert, erst 1912 hat er auch tatsächlich die neuen Choralbücher angekauft. So finden wir in den Gottesdiensten der Hofburgkapelle während der Ersten Republik auch Choral und Orchestermesse in friedlicher Eintracht beisammen, wie vor allem Zeitzeugen berichten22 – dies nicht zuletzt aufgrund eines persönlichen Interesses des Kirchenrektors. Die Reorganisation der Musik an der Hofburgkapelle nach dem Krieg erfolgte durch das energische Engagement von Hofrat Monsignore Josef Schnitt (1885–1955), dem letzten Kaplan der kaiserlichen Hofkapelle, der seit 1921 als Kirchenrektor an diesem traditionsreichen Gotteshaus weiter wirkte und 1924 mit der Gründung der 1927 alsdann so genannten Wiener Sängerknaben die Jahrhunderte alte Tradition der Kirchenmusik mit Knaben- und Männerchor wiederaufgenommen hat23. Nachdem Schnitt die Zeit des Nationalsozialismus als Kaplan in St. Augustin überstanden hatte, konnte er wiederum die Hofmusikkapelle reaktivieren. Im Zuge der Reorganisation ordentlicher liturgischer Verhältnisse gründete er 1952 die Choralschola der Wiener Hofburgkapelle, die sich zunächst aus den Mutanten der Sängerknaben zusammensetzte24 und jeden Sonntag im Altarraum der Kapelle das Choralproprium in Ergänzung des von den Sängerknaben am Westchor vorgetragenen Ordinariums gesungen hatte, letzteres geschieht bis heute gemeinsam mit den Männern des Staatsopernchores. Die Choralschola wurde bald bei gemeinsamen Auftritten mit den Sängerknaben in Konzerten außerhalb der Hofburg Chorus Viennensis genannt. Die erste künstlerische Formung der Schola übernahm der Hoforganist und Kapellmeister bei den Sängerknaben Josef Julius Böhm (1907– 1984), ein ehemaliger Zisterzienser25. Die Schola hatte zunächst nur den Introitus und die Communio sowie die Responsorien gesungen, Graduale und Offertorium wurden figural vorgetragen. War dies nicht der Fall, wurde das 21
22
23 24
25
Vgl. auch Karlheinz Schenk, Die Wiener Hofmusikkapelle in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (1900 bis 1955). Tutzing 2001 (Publikationen des Instituts für Österreichische Musikdokumentation 26) insbesondere S. 83 und 90 f. Ich danke Herrn Prof. Alfred Planyavsky für seine diesbezüglichen Auskünfte. Das tatsächliche Ausmaß der Choralpflege wird von Schenk (siehe Anm. 21, S. 91) als marginal beschrieben. Zumindest scheint dies kaum dokumentiert zu sein. Alexander Rausch, Schnitt, Josef, in: oeml 4 (2005) S. 2115. Festschrift 50 Jahre Chorus Viennensis. Choralschola der Hofburgkapelle Wien (Männerchor ehemaliger Wiener Sängerknaben) 1952–2002. Wien 2002, S. 3 f. Elisabeth Fritz-Hilscher, Böhm, Josef Julius, in: oeml 1 (2002) S. 173.
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Offertorium auf einem Ton rezitiert (dies genügte zur rubrizistisch vorschriftsmäßigen Ausführung eines „Gesanges“). Beim Zwischengesang wurde das Chorstück des Alleluia dem Gradualbuch gemäß gesungen, der Alleluiavers und die Gradualverse wurden jedoch im dazu passenden Psalmton rezitiert26. Auf Böhm folgte für kurze Zeit der damalige Wiener Doyen der Gregorianik, Monsignore Dr. Franz Kosch (1894–1985)27, der in Solesmes seine einschlägige Ausbildung erhalten hatte und die so genannte „Methode von Solesmes“, also das Rhythmussystem des Dom Mocquereau, in Österreich popularisiert hat. Mit der Übernahme der Leitung der Schola durch Konsistorialrat Prof. Dr. Josef Schabaßer (1909–1981)28, dem langjährigen Leiter des Chores der Augustinerkirche und Wiener Kirchenmusikreferenten, begann eine erste große Blütezeit des Ensembles. Die Schola hatte damals zehn Mitglieder, sie probte jeden Freitag im Augartenpalais. Für einen Sonntagsdienst bekamen die Sänger damals zehn Schilling und zwei Fahrscheine für die Straßenbahn. Auch unter Schabaßer wurde das bis heute gültige Prinzip beibehalten, daß die Schola in der Liturgie im Altarraum ohne Dirigenten singt, die kollektive Leitung übernehmen drei Kantoren. Durch das Anwachsen der Sängerzahl einerseits und durch die natürliche Fluktuation der Besetzung andererseits ging man auf das Prinzip über, aus einem Pool von Sängern die konkrete sonntägliche Besetzung zusammenzustellen. Schabaßer hob Schritt für Schritt die Qualität der sonntäglichen Produktionen und arbeitete intensiv an eigenen Interpretationskonzepten. Unter Schabaßer wurde auf das Singen aus der Quadratnotation umgestellt, nachdem bisher auf die populären Umschriften in das Fünfliniensystem gesetzt worden war. 1960 unternahm er eine Studienreise nach Solesmes, wo er einen Sommerkurs bei Dom Gajard besuchte und Gelegenheit hatte, drei Wochen dem täglich mehrstündigen Gesang der Mönche zu lauschen. Sein begeisterter Reisebericht29 erhellt die damalige Soles26
Die Praxis der „Erleichterung“ der Zwischengesänge war weit verbreitet und ist bestens auf Doblingers Gregorianik-Chorblättern dokumentiert. Dies war unter Kategorien eines rubrizistischen Denkens möglich, die Mißachtung der liturgischen Funktion und kompositorischen Gestalt dieser Gesänge spielte keine Rolle. 27 Alexander Rausch, Kosch, Franz, in: oeml 3 (2004) S. 1127. 28 Alexander Rausch, Schabaßer, Josef, in: oeml 4 (2005) S. 2041. 29 Josef Schabaßer, Bericht über meine Choral-Studienreise nach Solesmes/Frankreich vom 7. –26. August 1960 [ungedruckt], Archiv DI Helmut Hüttler, Archikantor der Choralschola, dem
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menser Philosophie, Choral primär als „Musik“ zu begreifen und für deren Ausführung objektive Richtlinien zu formulieren. Er zeigt auch sehr deutlich, wie wenig man sich dort an die eigenen Regeln des Äqualismus gebunden fühlte und den musikalischen Ausdruck dynamisierte, mehr als man dies „von Schallplatten her kannte“. Dom Gajard gab Schabaßer auch den Rat mit auf den Weg, Choral etwas mehr zu üben, denn „die Choralschola der Hofburgkapelle ist durchaus in der Lage, besser zu singen als die Mönche in Solesmes“, schon vom Stimm-Material her gesehen. Schabaßer orientierte sich stilistisch auch am Singen der Beuroner Mönche, welche eine deutsche Variante der Solesmenser Schule bildeten. Ein klingendes Ergebnis der künstlerischen Bemühungen Schabaßers sind drei bei VOX 1963 erschienene Langspielplatten, die zunächst nur in den USA im Handel waren, heute jedoch auch auf CD überall erhältlich sind. In die Ära von Schabaßer fällt die Zeit der Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanum mit ihrer Umstellung der meisten Gottesdienste auf die Muttersprache und die zwingend erforderliche Beteiligung der Gemeinde am Beten und Singen. Rein äußerlich gesehen könnte man meinen, nur eine Minimallösung an nötigsten Veränderungen wurde durchgeführt, mehr nicht. Diese Sicht verkennt freilich die Tatsache, daß sich die Gottesdienstpraxis absolut im Rahmen der durch den Ordo Missae 1970 und die Musikinstruktion 1967 sehr weit gestreckten Variablen heutiger Liturgie bewegt, vor allem in Hinblick auf die Verwendung des Lateins und des klassischen Propriums in der Messe. Wurde zunächst das Latein durch den Zelebranten weitgehend beibehalten, erfolgte unter Kirchenrektor Prälat Dr. Rudolf Schwarzenberger, dem von der liturgischen Bewegung her kommenden ehemaligen Pastoralamtsleiter der Erzdiözese Wien, eine teilweise Umstellung auf deutsch, vor allem bei den Schriftlesungen. Schabaßer beendete seine Tätigkeit an der Hofburgkapelle 1972, sein Nachfolger wurde 1973 der Jesuitenpater Dr. Hubert Dopf (* 1921), Professor für Liturgik und Gregorianik an der Wiener Musikhochschule, welcher die Schola bis 1996 leitete. In seine Anfangszeit fällt die Umstellung des Repertoires auf die neue liturgische Ordnung: vom Liber Usualis zum Graduale Romanum 1974 bzw. Graduale Triplex 1979, wofür es schon unter Schabaßer durch das Missale 1970 Übergangslösungen geben mußte. In der Ära Dopf hielt die semiologische Interpretation des Chorals auch in der Hofburg ihren Einzug, nach Aussagen von Archikantor DI Helmut Hüttler ab 1984. Hubert Dopf hatte sich ich für zahlreiche erhellende Gespräche und die Überlassung von Studienmaterial zu großem Dank verpflichtet bin.
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schon Anfang der Achtzigerjahre bei der Diskussion um neue Studienpläne für das Fach Kirchenmusik an den österreichischen Musikhochschulen dafür ausgesprochen, Semiologie, also die Interpretationslehre der Gregorianik gemäß deren ältesten adiastematisch neumierten Quellen, verpflichtend einzuführen. Damit übernahm Österreich durch das Kunsthochschulstudiengesetz 1983 eine Vorreiterrolle in der Verbreitung des damals im deutschen Sprachraum noch wenig bekannten Interpretationsansatzes der Gregorianik des Solesmenser Mönches Eugène Cardine (1905–1988), der 1954 diesen Forschungszweig beim Kirchenmusikkongreß in Wien erstmalig vorgestellt hatte. P. Dopf führte die Neuerungen und stilistischen Umstellungen behutsam und vorsichtig ein. Auf Klausurtagungen in Klöstern sollte durch intensives Üben und durch das Erleben der gesungenen Liturgie eine vertiefte Beziehung der Sänger zur Gregorianik geschaffen werden. Die Sänger erlernten also ein grundsätzlich anderes Eingehen auf den Text als Basis der Musik und Ausgangspunkt für deren Interpretation. Unter Hubert Dopf stellte sich die Choralschola der Hofburgkapelle auch einer völlig neuen Herausforderung: der konzertanten Darbietung von Gregorianik. Viele Jahre wurde dies vom Ensemble abgelehnt, 1989 nahm man eine Einladung zum Musikfestival in Santander bei Bilbao in Spanien an. Die drei Konzerte auf dieser Reise wurden nach Stil des Hauses nicht vom Leiter der Schola, der gar nicht zugegen war, dirigiert, sondern von drei Kantoren moderiert. Hubert Dopf hingegen hat die Generalprobe in der Wiener Ruprechtskirche und eine Nachaufführung in der Kartause Aggsbach (Wachau) selbst geleitet. Später wurde das Dirigieren der Konzerte üblich. Bis gegen 1999 hat in weiterer Folge die Schola etwa drei bis fünf Konzerte pro Jahre gegeben, darunter waren mehrere Spanientourneen. Höhepunkte der Konzerttätigkeit30 waren Einladungen zu den Salzburger Festspielen (John Neumeiers Ballett Requiem 1991), in die Dresdener Hofkirche, nach St. Michaelis in Hamburg und nach Graz, wo im Dom eine CD der Marienvesper von Claudio Monteverdi unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt entstand. Konzertreisen führten nach Barcelona, Luzern, Breslau und Warschau sowie in zahlreiche österreichische Orte. Das aus sachlichen Gründen zu Recht problematisierte konzertante Darbieten von Gregorianik31 wurde von der gesamten Schola ebenfalls als Schwierigkeit empfunden. Durch entsprechende Programmierung bzw. 30 31
Programme im Archiv DI Hüttler, Berichte in der Festschrift, siehe Anm. 24. Vgl. dazu Franz Karl Praßl, Gregorianik im heutigen Konzertleben, in: Singen und Musizieren im Gottesdienst 122 (1997) S. 111-118.
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äußere Hinweise versuchte man, den Konnex zur Liturgie deutlich werden zu lassen. So tragen die Programme öfters den Titel Meditatives Konzert mit Gesängen im Gregorianischen Choral oder einfach Meditation, um den Eindruck zu vermeiden, hier werde Musik aus ihren ursprünglichen Funktionen und Kontexten gänzlich herausgerissen. Wie ein Konzertprogramm32 vom 30. Juli 1993 (Abtei Nonnberg, Salzburg) zeigt, wurde der Verlauf des Abends anhand eines von den Texten her gegebenen „roten Fadens“ konzipiert. So erreichte man auch eine größere musikalische Abwechslung durch ein neu kontextualisiertes Zusammenstellen von Gesängen aus unterschiedlichen Gattungen, liturgischen Zeiten und Funktionen. Unter Hubert Dopf gab es auch eine intensive Zeit der Produktion von Tonträgern. Bei Philips Classics erschienen 1983 und 1985 zwei CDs mit marianischen und weihnachtlichen Propriumsgesängen. Ein Großprojekt waren die sechs wiederum bei Philips (1997 auch in einer Sammelbox) edierten CDs, die zwischen 1990 und 1995 einzeln erschienen sind. Dieser große Querschnitt durch das Repertoire zeigt die Vielseitigkeit des Ensembles und seinen Weg zu einer modernen zeitgemäßen Gregorianik-Interpretation. Daneben sind zahlreiche CDs erschienen, bei denen die Schola mitwirkt, beispielsweise gregorianische Ergänzungen bei den Mozartvespern, Orgel und Gregorianik, Choral und Rezitation, cross over mit Wolfgang Muthspiel usw.33 Auch die langjährige Zusammenarbeit mit dem Clemencic Consort ist auf Tonträgern dokumentiert, darunter eine CD mit dem Ludus Danielis. In der Ära Dopf war auch ein atmosphärischer Wechsel in der Akzeptanz der Gregorianik im Ensemble der Hofburgliturgie zu beobachten. Laut DI Hüttler wurde aus dem „ungeliebten Kind“ der liturgischen Pflichtübung Gregorianik ein wohl akzeptiertes künstlerisches Element sonntäglicher Kirchenmusik. 1995 wurde die Choralschola Teil des neu gegründeten Vereines Chorus Viennensis/Choralschola der Wiener Hofburgkapelle, der auf Basis eines Werkvertrages mit dem Bundesministerium für Unterricht und Kunst seine liturgischen Dienste in der Hofburg vollzieht. 1996 übernahm nach dem altersbedingten Ausscheiden von Hubert Dopf dessen Schüler Mag. Thomas Holmes (* 1965) die Leitung der Choralschola, der als ehemaliger Sängerknabe aus der Schola selbst stammt. In seiner Amtszeit wurde das Singen mit den restituierten Melodien des Graduale Romanum 32 33
Archiv DI Hüttler. Detailinformationen bietet die Homepage der Schola: http://www.choralschola.at [Zugriff am 6. 11. 2010].
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eingeführt. Diese Melodiekorrekturen im Sinne einer Editio magis critica des Graduale Romanum, welche die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanums (SC 117) eingefordert hatte, werden laufend in der Zeitschrift Beiträge zur Gregorianik publiziert und sind Ergebnis einer systematischen Annäherung an die ältesten Überlieferungsschichten der Gregorianik. Holmes änderte auch die Aufstellung der Kantorengruppe, um ein noch kompakteres Singen zu erreichen. Die Choralschola widmet sich seit 2002 auch der Musik der Gründungszeit der Maximilianischen Hofkapelle des späten 15. Jahrhunderts. Dies erfolgt mit Blick auf die Aufgabenstellung der Hofmusikkapelle in Zusammenarbeit mit den Wiener Sängerknaben unter der Leitung von René Clemencic. Dadurch wird neben der Interpretation von Gregorianik im Lichte der ältesten Quellen nunmehr auch spätgregorianisches Repertoire mit seiner eigenen Stilistik in das Programm genommen. 2004 wurde der Benediktiner Fr. Cornelius (Kees) Pouderoijen (* 1950) aus der Abtei Vaals (NL), der lange Jahre in Solesmes gelebt und geforscht hatte, auf den Lehrstuhl für Gregorianik und Liturgik an der Wiener Musikuniversität berufen. 2005 hat er auch die Leitung der Choralschola der Hofburgkapelle übernommen und wiederum neue ästhetische Konzepte eingebracht. Seine interpretatorischen Ideale sind auf der CD der Hofburgkapelle 5 Jahre Kuhnorgel zu hören. Sänger der Schola lassen im Gespräch erkennen, daß der Singstil unter dem jetzigen Leiter zu einer weiteren Flexibilisierung und Nuancierung der expressiven Parameter des Chorals geführt hat. Auch unter Pouderoijen wird die Konzerttätigkeit der Schola an vielen Orten fortgesetzt. Seit Jahrzehnten singt die Schola auch bei Gottesdiensten in anderen Wiener Kirchen, Mitglieder der Schola helfen als Choralisten in diversen Pfarren aus. Im Rahmen dieses Beitrags kann das „zweite Gesicht“ der Choralschola nicht näher beleuchtet werden: ihr Auftreten als Chorus Viennensis, als „Männerchor der Wiener Sängerknaben“, wenn diese außerhalb der Hofburg gemischtstimmige Chorliteratur in Liturgie und Konzert aufführen. Auch dies ist eine Erfolgsgeschichte, welche in den beiden Festschriften zum 40-jährigen und 50-jährigen Bestehen des Ensembles dokumentiert ist. Heute präsentiert sich die Choralschola als ein Pool von etwa 25 Sängern, aus dem die Ensembles für die konkreten Dienste bzw. Projekte zusammengestellt werden. Zu den am längsten dienenden Mitgliedern zählt der Archikantor Helmut Hüttler, der dem Ensemble seit 1956 angehört. Er steht neben jungen Mitgliedern, die noch in der Phase ihrer Ausbildung stehen. Alle zu-
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sammen bilden ein hoch spezialisiertes Ensemble, allesamt ausschließlich ehemalige Wiener Sängerknaben, die sich in einer Spannweite von drei Generationen der Gregorianik widmen. Die Geschichte der Choralschola der Hofburgkapelle im 20. Jahrhundert zeigt viel vom allgemeinen Paradigmenwechsel im Umgang mit der Gregorianik und darf als Bestandteil dieser Entwicklung betrachtet werden. Aus der liturgischen Pflichtübung, bei der künstlerische Überlegungen eine eher untergeordnete Rolle spielten, wurde ein ernstzunehmendes ästhetisches Ereignis, das um seiner selbst willen als Wert erkannt wird und daher unter den Bedingungen einer Vielfalt von gottesdienstlichen Gestaltungsmöglichkeiten eine Funktion in der Liturgie bewahrt bzw. wieder bekommen hat. Eine auch im ästhetischen Sinne gut vorgetragene Gregorianik hat ihren nicht mehr angefochtenen Platz im Gottesdienst, wenn auch als spezielles Angebot für dafür Interessierte und nicht mehr als kirchenmusikalisches Massenideal. Besucht man heute den sonntäglichen 9.15 Uhr-Gottesdienst in der Hofburgkapelle, so kann man den Eindruck gewinnen, daß zumindest im Kirchenschiff eine feiernde Gemeinde vorhanden ist, der es ein Anliegen ist, mit offenem Ohr und innerer, aber auch selektiv äußerer Teilnahme an der Liturgie ihren Glauben mit hoch qualitativer Musik zu feiern und zu bezeugen. Daß darüber hinaus viele Menschen sich einfach an der Musik erfreuen, soll kein Schaden sein. Die Schola erfüllt in diesem komplexen Geflecht von Gegebenheiten und Interessen einen wichtigen Dienst in Kirche, Musikwelt und Gesellschaft. Das eingangs genannte Paradoxon wird durch die Kenntnis der historischen Zusammenhänge um eine Facette reicher: Bis zur jüngsten Liturgiereform hätte man ja eigentlich all die Jahrhunderte schon aus Repertoiregründen den Choral wesentlich mehr pflegen müssen, als dies der Fall war. Man hat es aus unterschiedlichen Gründen nicht getan. Heute, wo es keinerlei Veranlassung mehr gibt, Gregorianik singen zu müssen, wird Choral im Gottesdienst der Hofburgkapelle vor allem seit den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts in einem Umfang gesungen, der für diese Pflegestätte der Kirchenmusik bislang neu und unbekannt war und auch in der heutigen Kirchenmusikpraxis außerhalb bestimmter Klöster seinesgleichen sucht. Die liturgische wie musikalisch-interpretatorische Neuorientierung der Gregorianik nach der Liturgiereform hat letztlich nach vielen „dürren“ Jahrhunderten zu einer neuen, vielversprechenden Blüte geführt.
Michael Jahn (Wien)
Klassische Traditionen im 19. Jahrhundert In der Kirchenmusik war, im Gegensatz zur Opernmusik, seit jeher der Widerstand gegen das jeweils Neue die bestimmende Kraft: War es zunächst die Verwendung der Orgel im Gottesdienst, dann die Mehrstimmigkeit, schließlich der kolorierte Sologesang im Gegensatz zum Chor – all diese Strukturen konnten sich erst nach heftigen Auseinandersetzungen durchsetzen. Da die Hofmusikkapelle in Wien zu allen Zeiten ein Hort besonders ausgeprägten Traditionsbewußtseins war, blieb klassisches Formempfinden hier lange der vorherrschende Geschmack. Die Sparmaßnahmen von Maria Theresia führten gegen Ende der Ära Georg Reutters d. J. zu einem gewissen – und oft beklagten – Niveauverlust der Hofmusikkapelle. War Reutter (1708–1772) noch in der Tradition des ausklingenden Barock gestanden, so kam sein Nachfolger, Florian Leopold Gassmann (1729–1774), aus der frühklassischen Schule eines Padre Martini oder eines Francescantonio Valloti, seine Tonsprache war jener des jungen Michael Haydn vergleichbar. Die Orchesterbesetzung der Ära Reutter blieb unverändert beibehalten, die Blechbläser etwa wiesen die Besetzung 2 Clarini, 2 Trombe, 2 Tromboni auf, und dies, obwohl durch einen Erlaß Maria Theresias Pauken und Trompeten in der Kirchenmusik verboten waren. Nicht verboten waren jedoch die Posaunen, somit war ein Ansatz für die Rückkehr der Trompeten in das Orchester gegeben. Anders bei den Pauken: in Gassmanns Messen fehlen die Paukenstimmen im Stimmenmaterial der Hofmusikkapelle (diese wurden später ergänzt). Hingegen sind einige Orgelsolomessen Gassmanns erhalten, die „dadurch bemerkenswert sind, daß solistische Passagen in jedem Teil des Ordinarium Missae zu finden sind.“1 1
Leopold M. Kantner, Die Zeit der Wiener Klassik, in: Günter Brosche et al. (Hg.), Musica imperialis. 500 Jahre Hofmusikkapelle in Wien. 1498–1998. Katalog der Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, 11. Mai – 10. November 1998. Tutzing 1998, S. 107-116, hier S. 108.
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Auf Gassmann, der nur zwei Jahre an der Spitze der Hofmusikkapelle gestanden war, folgte Giuseppe Bonno (1710–1788), der, schon aufgrund seines fortgeschrittenen Alters, mehr als sein Vorgänger dem barocken Erbe verpflichtet war. Bonno war somit Hofkapellmeister, als Maria Theresias’ Sohn Joseph II. seine Reformideen zur Kirchenmusik in einem Hofdekret festlegte (1783); der Kaiser trug sich sogar einige Zeit mit dem Gedanken, in der Hofkapelle die lateinischen Gottesdienste abzuschaffen. Mit diesen Veränderungen wollte Joseph allerdings bis nach dem absehbaren Tode seines Hofkapellmeisters warten – daß der rüstige Bonno bis 1788 im Amt blieb, konnte der Kaiser nicht vorhersehen. Immerhin waren die Kompositionen Bonnos in einem Joseph genehmen Stil abgefaßt: Vermeidung von Koloraturen und Ornamentik, Vorherrschen anspruchsvoller Polyphonie (die Joseph begeisterte, vergleiche Mozarts: „Der Kaiser will nichts als Fugen“) und archaisierende Tonsprache waren ganz nach des Kaisers Geschmack2. Als Antonio Salieri (1750–1825), Gassmanns Lieblingsschüler, das Amt des Hofkapellmeisters aus Bonnos Händen übernahm, war die Rigorosität der Reformen Josephs bereits gemildert. Den Beginn von Salieris Ära als Hofkapellmeister markierte die Messe in D-Dur, die so genannte Kapellmeistermesse. Bereits in diesem Werk trug der Italiener dem Musikgeschmack des Kaisers Rechnung: keine Koloraturen, keine Soli, nur Soloensembles, jedoch breiter Raum für Polyphonie. Neu war die Einführung der „biedermeierlichen“, liedhaften Abschnitte, die für eine ganze Komponistengeneration bis Schubert Vorbild sein sollte. – Der junge Schubert wirkte auch in der Uraufführung von Salieris Messe in B-Dur mit (1809). In der Ära Salieri erhielten die Messen Mozarts ihren festen Platz im Repertoire der Hofmusikkapelle; die heute noch gängigen Bezeichnungen einiger dieser Messen wie Krönungsmesse oder Piccolominimesse rühren vom Gebrauch im Rahmen der Hofmusikkapelle her3. Nicht zuletzt fand auch Mozarts Requiem in dieser Epoche seinen Eingang in das Repertoire der Hofmusikkapelle. Von den Brüdern Haydn kamen zunächst jene Michaels zur Aufführung (etwa 1801 die Uraufführung der Theresienmesse, einem Auftragswerk der Kaiserin Marie Therese, aufgeführt in der Hofkirche des 2 3
Vgl. ibidem, S. 109. Vgl. ibidem, S. 112.
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Schlosses Laxenburg durch Kräfte der Hofmusikkapelle, dann 1803 die Franziskusmesse und das Te Deum). Das kirchenmusikalische Œuvre Michael Haydns wurde von nun an in der Hofmusikkapelle gepflegt, und Haydn zu einem der meistaufgeführten Komponisten im Repertoire dieser Institution (insbesondere seine Propriumsvertonungen waren ausgesprochen beliebt); jedenfalls wurde Michael als Kirchenmusiker zu jener Zeit mehr geschätzt als sein Bruder Joseph, dessen Werke zunächst kaum in das Repertoire integriert werden konnten. Fürst Nikolaus II. Esterházy war eben nicht gerade begeistert, wenn die Werke seines Kapellmeisters an anderem Ort aufgeführt wurden. Doch glücklicherweise konnte der Fürst die Entwicklung nicht aufhalten, und die großartigen kirchenmusikalischen Schöpfungen Joseph Haydns fanden ebenfalls ihren festen Platz in der Hofmusikkapelle. Das Repertoire war jedoch wesentlich breiter gestreut: Werke von Ferdinando Paër, des auch in Wien sehr erfolgreichen Opernkomponisten (Messe d-Moll, Exulate Domine, Salve Regina, Laudate exultate, Te Deum), oder von Étienne-Nicolas Méhul (Messe du couronnement, O magne rex gloriae) wurden ebenso aufgeführt wie Vincenzo Righinis pompöses Te Deum. Oft wurden diese Kompositionen gekürzt wiedergegeben: vor allem Koloraturen, Kadenzen, Orchestervor- und Nachspiele wurden zusammengestrichen, während polyphone Chorpartien und Fugen wesentlich seltener beschnitten wurden4. Alle diese Einflüsse nahm der junge Schubert in sich auf, der 1808 als Hofsängerknabe seinen Dienst antrat, 1812 Schüler von Salieri wurde und später an dem feierlichen Requiem für Salieri in der Minoritenkirche (1825) teilnahm. Nach Salieris Tod rückte Vizehofkapellmeister Joseph Eybler (1765–1846) nach, seine vakante Stelle mußte ebenfalls nachbesetzt werden. Schubert, der keinerlei Erfahrung als Dirigent besaß, bewarb sich ebenso wie namhafte Komponisten wie Joseph Weigl oder Ignaz Ritter von Seyfried. Gleichzeitig reichte Schubert seine Messe As-Dur zur Aufführung ein, nicht wissend, daß sein Werk – laut der Beurteilung Eyblers – nicht dem Geschmack des Kaisers, und wahrscheinlich noch weniger jenem des 4
Vgl. Richard Steurer, Das Repertoire der Wiener Hofmusikkapelle im neunzehnten Jahrhundert. Tutzing 1998 (Publikationen des Instituts für Österreichische Musikdokumentation 22) S. 64.
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Hofkapellmeisters entsprach. Die As-Dur-Messe nimmt tatsächlich spätere romantische Entwicklungen vorweg, während sich in der Hofmusikkapelle seit jeher ein traditionsverbundener Stil, ein „imperialer Klassizismus“5, entwickelt hatte, dessen Repräsentanten nun eben Eybler und Weigl waren. Diese Traditionsverbundenheit brachte es auch mit sich, daß die drei so genannten „Wiener Klassiker“ zur Zeit ihres Wirkens im Repertoire der Hofmusikkapelle eindeutig unterrepräsentiert waren. In der langen Ära Salieris jedoch und unter dessen Nachfolger Eybler nahmen die Werke Joseph Haydns und Mozarts nach und nach eine dominierende Stellung im Spielplan ein. Zwischen 1820 und 1850 sind Eyblers Werke unangefochten vorherrschend (323 Aufführungen der Vertonungen des Ordinarium Missae), dazu kommen bis 1840 häufige Aufführungen der Messen von Albrechtsberger, Reutter und Leopold Hoffmann. Mozart und die beiden Haydn scheinen ebenso sehr oft im Spielplan auf wie Werke des Vizehofkapellmeisters Joseph Weigl (1766–1846), während die Kompositionen Salieris in relative Bedeutungslosigkeit zurückfallen; die Namen Beethovens und Cherubinis begegnen uns nur sehr sporadisch. Auffällig sind die hohen Aufführungszahlen von Missae breves Mozarts (B-Dur-Messe, Orgelsolomesse), Joseph Haydns (alleine die Kleine Orgelsolomesse 42mal) und Michael Haydns (C-Dur-Messe MH. 182, d-Moll-Messe, MH. 553), während die großen Messen wie Josephs Missa in angustiis oder Harmoniemesse sowie Michaels Missa hispanica selten oder gar nicht zu hören waren; auch die beiden c-Moll-Messen Mozarts wurden nicht aufgeführt6. Ignaz Assmayr (1790–1862) bekam zwar erst 1846, als Weigl und Eybler knapp hintereinander gestorben waren, den Posten des Hofkapellmeisters übertragen, in der Praxis hatte er jedoch bereits Ende der 1830er-Jahre immer öfter deren Dienste übernommen, da Eybler auf Grund seiner Krankheit und Weigl wegen seines hohen Alters nicht selten ausfielen. Vizehofkapellmeister wurde Benedikt Randhartinger (1802–1893), seines Zeichens als Sänger, Klavierbegleiter, Dirigent und Komponist gleichermaßen anerkannt. Unter Assmayr und Randhartinger, die Zeit ihres Lebens einem überkommenen und traditionsverbundenen Kirchenmusikstil (einem „bie-
5 6
Vgl. Leopold M. Kantner, siehe Anm. 1, S. 115. Vgl. Richard Steurer, siehe Anm. 4, S. 134-136.
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dermeierlich gefärbte[n] Spätestklassik-Stil“)7 verpflichtet blieben, stagnierte das Repertoire der Hofmusikkapelle: In trüber Regelmäßigkeit werden 20 Jahre lang die Werke der beiden Komponisten wiederholt, dazu kommen Werke des Vizehofkapellmeisters Gottfried Preyer (1807–1901) und des Hoforganisten Simon Sechter (1788–1867). Von älteren Komponisten werden Albrechtsberger und Michael Haydn gepflegt, während Mozart und Joseph Haydn an den Rand gedrängt erscheinen. Daß Gaetano Donizettis Erscheinen in Wien, seine Ernennung zum k. k. Kammerkapellmeister und Hofcompositeur die eingesessenen Hüter der Tradition ebenso aufschrekken mußte wie die Aufführungen seiner geistlichen Werke (in der Hofmusikkapelle allerdings nur ein Miserere, 1843), liegt auf der Hand8. – Soweit zeitgenössische Komponisten des 19. Jahrhunderts in der Hofburgkapelle zur Aufführung gelangten, sollten sie eben „einen Schimmer Patina spätklassischer Stilelemente aufweisen, wie Vitásek, Jan Václav Vořišek und bis zu einem gewissen Grad der vielgespielte Cherubini; Otto Nicolai war mit seiner D-Dur-Messe nahezu ein Fremdkörper, vielleicht nicht allzu erwünscht.“9 Die Traditionsverbundenheit ist zwar im Repertoire der Hofmusikkapelle festzustellen, spricht jedoch nicht gegen die Qualität der Aufführungen. Im Gegenteil, nach Wien reisende ausländische Musiker wie Hector Berlioz, der 1842 die Leistungen der Hofmusikkapelle hervorhob, berichten ebenso von ausgezeichneten Darbietungen wie einheimische Journale. „Die Aufführung war meisterhaft“, „Offertorium von Aßmayr mit künstlerischer Vollendung gegeben“, „Über die Art der Aufführung kirchlicher Tonwerke in der Hofkapelle sind bereits die Akten geschlossen“, „Die Aufführung war heute, wie immer, ganz vorzüglich“, so und ähnlich enthusiastisch äu7
8
9
Leopold M. Kantner, Stilistische Strömungen in der Kirchenmusik des 19. Jahrhunderts in Wien, in: Jana Lengová (Hg.), Geistliche Musik im 19. Jahrhundert. Sammelband von der internationalen musikwissenschaftlichen Konferenz Banská Bystrica 1994. Banská Bystrica 1995, S. 64-69, hier S. 67. Vgl. Leopold M. Kantner, La musica sacra di Donizetti scritta per Vienna in confronto alle composizione contemporanee della corte, in: Accademia Nazionale dei Lincei (Hg.), Donizetti, Parigi e Vienna. Roma, 19-–20 marzo 1998. Roma 2000 (Atti di convegni Lincei 156) S. 19-224. Leopold M. Kantner, Kirchenmusikalische Strömungen bis Bruckner, in: Othmar Wessely (Hg.), Anton Bruckner und die Kirchenmusik. Bruckner-Symposion Linz 1985. Bericht. Linz 1988, S. 53-57, hier S. 56.
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ßerten sich die Kritiker10. Begeistert reagierten die Rezensenten, wenn endlich einmal das ewig gleich bleibende Repertoire (klassizistisch) aufgelockert wurde: „Es freut uns, im diesmonatlichen Berichte über Wiens Kirchenmusik so mancher schönen, ja selbst bedeutungsvollen Erscheinung gedenken zu können. Unsere Hofcapelle, deren leitende Organe gewöhnlich die dürftigsten Erzeugnisse ihrer in geistloser Manier erstarrten Mache uns aufdringen, brachte uns diesmal eine herrliche Dreieinheit kirchlicher Tonwerke [,] und zwar Weigl’s große Messe in Es-dur, jene Woržissek’s in B und endlich, was als ein denkwürdiges, beinahe unerhörtes Tonereigniß anzusehen kommt, die feierliche schwunghafte D-moll-Messe von Cherubini. [...].“11 Weniger erfreut begegnete der aufmerksame Zuhörer jedoch der Tatsache, dass Cherubinis d-Moll-Messe gekürzt wurde – nicht die Kürzung an sich wurde zum Thema (sprengte das Werk doch den zeitlichen Rahmen des Gottesdienstes), sondern der Ersatz von Cherubinischen Stücken durch Einlagen aus der Feder Assmayrs, die nicht nur qualitativ abfielen, sondern nicht einmal wesentlich kürzer als die Originale waren: „[...] Daß man Cherubini’s Meisterwerk in verkürzter Gestalt uns vorgeführt, möchte, vom practischen Standpuncte betrachtet, noch hingehen. Denn diese Messe würde, ihrem vollständigen Umfange nach gegeben, mit dem Rituale und den stereotypen fremdartigen Toneinlagen zusammengenommen, wohl drei Stunden ausfüllen. Zudem sind diese Kürzungen sichtlich von einer geschickten Hand und von einem pietätvollen Geiste, wir vermuthen von Weigl oder Eibler, gemacht, wirken also auf den Eindruck des ganzen herrlichen Werkes selbst für Denjenigen nicht eben störend ein, der es genau kennt. Daß aber Hr. Aßmayer sich auch hier nicht enthalten konnte, zwei Einlagstücke eigener Mache einzuschieben, ist eine wahrlich sehr bestürzende Thatsache, deren Gründe wir nur, entweder in einer unendlich naiven Selbstgefälligkeit, oder in einer grenzenlos unkünstlerischen Gesinnung finden können. [...] Ueberdies waren diese beiden Gesangstücke nicht um Vieles kürzer als das aus unserem Kirchenwerke Abgestutzte, und ihre Wirkung durchaus nicht die vom Componisten erwartete und gewünschte, sondern eine merkbar abspannende, ja geistödtende für alle Musiker. Hr. Aßmayer hat mithin dem Cherubini’schen Meisterwerke und seiner eigenen Mache durch dieses Verfahren offenbar geschadet. Möge er in Hinkunft 10 11
Vgl. Richard Steurer, siehe Anm. 4, S. 118 ff. Monatschrift für Theater und Musik, hg. von Josef Klemm, 1 (1855) S. 77.
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künstlerischer und in seinem eigenen Interesse klüger zu Werke gehen, und seine selbstgefertigten Gradualien und Offertorien auch für jene Messen sparen, die seinen Autornamen an der Stirne tragen, wozu er sich selbst gewiß so oft wie möglich die Gelegenheit verschaffen wird. [...].“12 Assmayrs aufdringliches Einfügen von Eigenkompositionen wurde heftig gerügt, dem Rezensenten der Monatschrift für Theater und Musik (vermutet wird als Autor Graf Laurencin) fiel jedenfalls eine Vielzahl von aufführungswürdigen Motetten, Offertorien oder Gradualien ein: „[...] Wählt er aber ein in der That kirchliches Werk zur Aufführung, möge er auch bedacht sein, es durch wirklich schöne, edle und wahrreligiöse Musik zu gruppiren. An Motetten solcher Art ist kein Mangel. Von den alten Italienern und altdeutschen Kirchencomponisten abgesehen, haben deren Seb. Bach (siehe die neue in Leipzig verlegte Gesammtausgabe seiner Werke), ferner Mozart, M. Haydn, B. Klein, Schnabel, Vogler, Cherubini u. A. die Fülle geschrieben. Zudem würde die gesammte Kunstwelt es nicht nur Hrn. Aßmaier, sondern allen unseren hierortigen Chorregenten Dank wissen, möchten sie sich einmal dazu verstehen, die wunderherrlichen Psalmen, Cantaten und geistlichen Lieder Mendelssohn’s, so wie die poliphonen Theile der Händel’schen und Bach’schen Oratorien größeren und kleineren Umfangs, endlich jene Graun’s, Schicht’s, Schneider’s, Spohr’s u. a. Meister als Einlagstücke zu benützen. [...].“13 Der Höhepunkt der Kritik an Assmayr war jedoch noch nicht erreicht – der Rezensent zeigte sich auf Grund einer Kürzung in Beethovens C-DurMesse erbost und unterstellte den zuständigen Personen – und hier ist in erster Linie der amtierende Hofkapellmeister gemeint – einen etwas beschränkten Geist: „[...] Nachträglich wäre noch einer Aufführung der wunderwürdigen Beethoven’schen C-Dur-Messe in der Hofcapelle zu gedenken. Leider ist dies die einzige Kunstthat jenes Tonkörpers in diesem Monate, auch können wir darüber nur Traditionelles berichten; denn die Wiedergegenwärtigung dieser üppigsten Blüthe des modernkirchlichen Be12 13
Ibidem, S. 77 f. Ibidem, S. 78. Zu Graf Laurencins Kirchenmusik-Ästhetik siehe Hartmut Krones, „… der diese so schöne Tempelhalle alter Kirchenmusik in Schutt zertrümmert“ (Laurencin-„Philokales“, 1856). Kirchenmusik-Ästhetik aus Prag für Wien, in: Helmut Loos – Klaus-Peter Koch (Hg.), Musikgeschichte zwischen Ost- und Westeuropa. Kirchenmusik – geistliche Musik – religiöse Musik. Bericht der Konferenz Chemnitz 1999. Sinzig 2002 (Edition IME I/7) S. 263-280.
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wusstseins fiel gerade in Einen [!] Zeitpunct mit einer andern Orts uns gebotenen Neuheit dieser Art, über welche unten treu berichtet werden wird. Sachkundige bezeugen uns aber die diesmalige Aufführung des Beethoven’schen Meisterwerkes in der Hofcapelle als eine der vollendesten, die hier je gehört worden. Ueber eine Sünde jedoch, welche diesmal wie immer diesem herrlichen Kunstdenkmale gegenüber begangen wird, sei uns hier eine offene Sprache der Rüge vergönnt. Man gibt Beethoven’s C-dur-Messe in der Hofcapelle ganz vollständig; nur im Agnus Dei erlaubt man sich eine höchst sinnstörende und offenbar aus engherzigen Anschauungen hervorgegangene Kürzung. Man hat nämlich jene, höchstens 20 bis 30 Tacte füllende Stelle gestrichen, die, nach der ersten Ankündigung des Dona nobis in C-dur wieder in das gleichtonartliche Minore einlenkt, und auf dem Orgelpuncte über D jenes dithyrambisch kühne, in seiner Rhythmik und abgebrochenen Declamationsweise ganz eigenthümlich gefärbte Miserere ertönen lässt. Wahrscheinlich ist diese Stelle der beschränkten Geistestragweite irgend eines Capellmeisters nicht eingegangen; denn um ein Beträchtliches kürzer wird die Messe durch diese Hinweglassung keineswegs; aber entstellt wird sie merkbar und einer ihrer höchsten geistigen Zierden beraubt; [...].“14 Assmayr reagierte auf diese scharfe Kritik (in einem angehängten Kommentar zu dieser Rezensionen wird angeführt, daß die Tatsache, „daß Hr. Aßmayer als Dirigent ebenso Mangelhaftes leistet, wie in der Ausübung seiner sonstigen Prärogativen“ in Wien „kein unparteiischer Musikfreund und Kenner“ zu leugnen im Stande wäre)15 mit Zensur – er rief den Schutz des k. k. Obersthofmeisteramtes an; die Musikzeitung reagierte sofort und besprach in der Ära Assmayr nur noch die in der Hofkapelle aufgeführten Werke, nicht jedoch die Ausführung derselben. Die Bestellung von Assmayrs Nachfolger Randhartinger (1862), dem bisherigen Vizehofkapellmeister, war ein reiner Formalakt. Nicht gerade der Typ eines Reformers, setzte Randhartinger den Kurs seines Vorgängers fort, einschneidende Wechsel in Personal- wie Programmpolitik waren nicht zu erwarten, vorherrschend blieben Werke von Eybler, Assmayr, Preyer und Randhartinger selbst. In Johann Ritter von Herbeck (1831–1877) erwuchs 14 15
Ibidem, S. 79. Ibidem, S. 81.
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Randhartinger jedoch bald ein Konkurrent, der 1866 die Leitung übernehmen sollte. Nach der Zwangspensionierung Randhartingers begann nun unter Hofkapellmeister Herbeck und Obersthofmeister Constantin Prinz von Hohenlohe-Schillingsfürst der Reformkurs der erstarrten Hofkapelle: Die „Klassiker“ des Repertoires wurden gefördert; Cherubini, Mozart, Beethoven, Joseph Haydn scheinen von nun an öfters im Spielplan auf, und Schubert – den seltsamerweise gerade Randhartinger, ein „Dutzfreund“ Schuberts, sträflich vernachlässigt hatte – wurde von Herbeck geradezu verehrt (1865 leitete Herbeck die Erstaufführung der G-Dur-Messe, 1866 jene der As-Dur-Messe). Unter Herbeck wurden die Aufführungen „großer“ Kirchenmusikwerke gefördert, organisatorische Veränderungen gingen mit der Hebung des künstlerischen Niveaus durch die Verpflichtung erstrangiger Musiker (Anton Bruckner als Hoforganist) Hand in Hand16. Herbecks Nachfolger Joseph Hellmesberger senior (1812–1893, 1877 bis zu seinem Tode Hofkapellmeister) und Hans Richter (1843–1916, 1893 bis 1900 Hofkapellmeister) setzten Herbecks Linie grundsätzlich fort, eine Öffnung der Hofmusikkapelle zum öffentlichen Konzertwesen und zur Hofoper wurde mit der Aufnahme berühmter Künstler (etwa dem Hofoperntenor Hermann Winkelmann) vollzogen. In den Programmen überwog jedoch weiterhin die Traditionsverbundenheit der Hofmusikkapelle. – Bis in das beginnende 21. Jahrhundert bilden die „klassischen“ Werke entgegen der Bestrebungen des Caecilianismus oder späterer kirchenmusikalischer Strömungen den Eckpfeiler des Repertoires.
16
Vgl. Erich Wolfgand Partsch, Die Hofmusikkapelle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Günter Brosche et al. (Hg.), Musica imperialis. 500 Jahre Hofmusikkapelle in Wien. 1498– 1998. Katalog der Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, 11. Mai – 10. November 1998. Tutzing 1998, S. 151-170.
Erich Wolfgang Partsch (Wien)
Stilistische Ausprägungen in der Wiener Hofmusikkapelle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Präsentierte sich die Wiener Hofmusikkapelle in früheren Zeiten als ein geschlossenes System, in dem der Musik durch das Herrschaftsverständnis und die damit verbundene repräsentative Gesamtstruktur fest umrissene Funktionen mit Leitbildwirkung zukamen und diese weitgehend autonom in Personalpolitik und Repertoire abgehoben von der Umwelt erfüllt wurden, änderte sich dieses Bild im Laufe des 19. Jahrhunderts grundlegend. Eine bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert erfolgte Statusänderung vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen und soziokulturellen Wandels, nicht zuletzt die Loslösung vom Interesse des Herrschers – bei Kaiser Franz Joseph besonders gravierend –, führten zu massivem Druck auf die innere Struktur. Die Perspektiven änderten sich: Nun wurde erstmals die „Außenwelt“ immer mehr zu einem bestimmenden Faktor. Die gewissermaßen ausgegliederte Hofoper, Institutionen wie die Gesellschaft der Musikfreunde oder die Wiener Philharmoniker, Salons und Hausmusikzirkel traten als ernsthafte Konkurrenten auf, die die Hofmusikkapelle als traditionsbestimmte, höfische Institution in eine isolierte Position mit schwindender musikgeschichtlicher Relevanz drängten. Dies bedeutet aber, daß die Frage nach einem möglichen Stil – im Sinne einer grundsätzlichen Einstellung gegenüber personal- und programmpolitischen Fragen – in dieser Zeit nur mehr mit einem Blick auf diese gewichtige Außenwelt bzw. Wechselwirkungen zu ihr beantwortet werden kann. Und ich darf hier gleich einmal vorausschicken, daß – entgegengesetzt zu alten Zeiten – eine relative Stabilisierung eben nur durch eine Öffnung der Institution nach außen hin erreicht werden konnte, allerdings auch nicht für lange Zeit. Oder anders ausgedrückt: Die ständig wachsenden Angebote und die Differenzierung in der externen Musikwelt erzwangen von der Hofkapelle vermehrte Kontakte, die ihrerseits jedoch die Autonomie der Innenstruktur gefährdeten.
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In diesem Zusammenhang bildet der Mai des Jahres 1866 eine scharfe Zäsur. Bis dahin wurde von Ignaz Assmayr und Benedict Randhartinger noch der Versuch unternommen, das geschichtlich gewachsene System – über manche Veränderungen hinweg – als kontinuierlich und problemlos zu präsentieren, neben den festgelegten Aufführungstraditionen insbesondere eigene Werke zu bevorzugen und respektvollen Abstand zur Außenwelt – also zu jenen zeitgenössischen Komponisten, die nicht der Hofmusikkapelle angehörten – zu halten. Betrachtet man die politische und organisatorische Entwicklung in der ersten Jahrhunderthälfte, erscheint es – wie auch in der Literatur mehrfach ausgesprochen – durchaus sinnvoll, die Ära Assmayr/Randhartinger als eigenständige Periode mit ziemlich gleichartiger Gangart aufzufassen1. Assmayrs Amtszeit als Hofmusikkapellmeister ab 1846 ist für unseren Problemkreis von zweifacher Bedeutung: Einerseits prägte seine Amtszeit Kaiser Franz Joseph, der bekanntlich keinerlei Direktiven mehr an die Hofmusikkapelle erließ, andererseits endete im Jahre 1849 das Hofmusikgrafenamt, indem es einfach nicht mehr nachbesetzt wurde – beides als Zeichen eines inneren Identitätsverlustes. Daß Assmayr und Randhartinger, die in ihrer künstlerischen Tätigkeit meist negativ beurteilt werden2, eine konservative Linie vertraten und viele ihrer eigenen Kompositionen aufführen ließen, ist angesichts des langen Traditionsverlaufes noch kein hinreichender Kritikpunkt, gehörte doch das Komponieren für den Eigenbedarf der Institution unter strikter Bewahrung überkommener, „anerkannter“ Musik zu den vorrangigen Aufgaben der jeweiligen musikalischen Leiter. In der Ära Randhartinger (1862–1866) dominierten – an die programmatische Linie Assmayrs anschließend – in den Hochämtern Michael Haydn (dessen Bevorzugung schon aus Zeiten unter Kaiser Franz I. datiert) und Joseph Eybler, danach folgten nahezu gleichwertig eigene Messen und jene
1
2
Allgemein dazu Richard Steurer, Das Repertoire der Wiener Hofmusikkapelle im neunzehnten Jahrhundert. Tutzing 1998 (Publikationen des Instituts für österreichische Musikdokumentation 22). Ibidem, S. 143 f.
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Mozarts. Es ist also deutlich eine klassische Ausrichtung unter starker Einbeziehung bewährter Hofkapellkomponisten erkennbar: 1) M. Haydn; Eybler 2) Randhartinger 3) Mozart; Gottfried Preyer 4) Assmayr 5) J. Haydn 6) Ludwig Rotter; Simon Sechter 7) Johann Nepomuk Hummel; Joseph Preindl 8) Georg Albrechtsberger 9) Johann Gänsbacher; Joseph Weigl 10) Beethoven; Peter von Winter; Jan Vacláv Hugo Worzischek Und diese Grundlinie bleibt – mit einzelnen zum Teil temporären Modifikationen (am markantesten die spätere Vorrangstellung Joseph Haydns gegenüber Michael) – als musikgeschichtlicher Kanon bis 1900 erhalten. Nur Schubert wurde während Johann Herbecks Amtszeit als „RepertoireKomponist“ hinzugefügt3. Randhartingers eigene Messen, die gewissermaßen den zeitgenössischen Anteil im Repertoire darstellen, sind zumeist chronologisch wesentlich früher entstanden und fügen sich in dieses Bild: An klassischen Vorbildern geschult, weisen sie eine einprägsame, liedhafte Melodik auf und bedienen sich dezent der überlieferten Modelle musikalischer Textausdeutung. Darüber hinaus schienen kaum neue Werke von Zeitgenossen auf; als „neu“ tituliert wurde lediglich eine Messe in Es-Dur von Sechter aufgenommen. Randhartinger war aber auch nicht der Typ eines Reformers. Er fügte sich in die vorgegebenen, sechzehn Jahre lang als Vizehofkapellmeister erlebten und vertrauten Rahmenbedingungen ein, ohne markante Eigeninitiativen zu setzen. Als gefragter Liedsänger war er vor allem bis zur Jahrhundert3
Für den vorliegenden Beitrag wurden nur jeweils die Ordinariumsvertonungen herangezogen, wobei sich im Proprium keine wesentlichen bzw. gegenläufigen Tendenzen abzeichnen; siehe auch Gabriele Krombach, Die Vertonungen liturgischer Sonntagsoffertorien am Wiener Hof. Ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Kirchenmusik im 18. und 19. Jahrhundert. München–Salzburg 1986. – Die statistische Grundlage für den Beitrag bildet das in Richard Steurer, siehe Anm. 1, abgedruckte Repertoire.
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mitte in der Öffentlichkeit präsent gewesen und forcierte natürlich eigene Werke. Diese vielfältigen Kontakte und Erfahrungen führten auch bei seiner Reorganisation der Hofkonzerte zu beachtlichen Erfolgen, da er eine Reihe prominenter Künstler mit abwechslungsreichen Programmen gewinnen konnte. Im Grunde genommen war Randhartingers Berufung an die höchste Stelle in der Hofmusikkapelle jedoch zu spät erfolgt, denn seine große Zeit war der Vormärz gewesen. Die gewandelten historischen und musikästhetischen Verhältnisse waren somit kein passender Rahmen mehr, in dem er tätig werden konnte. So erntete er – damals bereits als „Relikt“ aus vergangener Zeit – zum Teil heftige Kritik bis zu seiner forcierten Pensionierung im April 1866. Stellt das berühmte Diktum von Graf Laurencin, „Unter derartigem Secirmesser des alten Kapellmeister-Blödsinnes erlag gar vieles Grosse der Vergangenheit“4 zwar ein sehr hartes Urteil dar, zeigt es doch eine neue Position, die direkt ins Zentrum der damaligen Problematik führt: Eine Verbesserung des Status der Hofmusikkapelle könne in der gegenwärtigen Zeit nur durch eine markante Änderung in der Programm- und wohl auch Personalpolitik erreicht werden – also konkret durch eine Öffnung nach außen, d. h. vor allem eine Anpassung an das aktuelle bürgerliche Musikleben. Eine Übernahme bestimmter Wertvorstellungen und Kompositionen sollte eine Auflockerung in den fest gefügten, zum Teil erstarrten Strukturen bringen. Ein spezieller Vorwurf, der Randhartinger wiederholt gemacht wurde, war dessen Aussparung Schuberts im Kirchenmusikrepertoire: Während der gesamten mehrjährigen Amtszeit als oberster Hofkapellmeister war keine Schubert-Messe zu hören. Die Erstaufführung der Messe G-Dur am Christtag des Jahres 1865, also wenige Monate vor Randhartingers Abgang, fand schon unter Einflußnahme des Nachfolgers Johann Herbeck statt, in dessen Reformideen gerade die Schubert-Pflege einen zentralen Platz einnahm. Die Erwartungen an Herbeck waren von vielen Seiten aus hochgespannt. Im Gegensatz zu den Besetzungsusancen mittels Exspektanzsystems war Herbeck der gezielt ausgewählte Prominente, der als erfolgreicher Chor4
Zitiert nach Ludwig Herbeck, Johann Herbeck. Ein Lebensbild von seinem Sohne Ludwig. Wien 1885, S. 184.
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meister und Professor am Konservatorium „von außen“ geholt worden war. Gerade in diesen außersystemischen Rollenbezügen lag die Hoffnung auf eine Erneuerung. Denn wollte die intendierte neue Programmpolitik im veränderten Umfeld bestehen, waren in erster Linie folgende Punkte bedeutsam: eine Forcierung berühmter Komponisten bzw. repräsentativer Kirchenmusikwerke, die Beteiligung hochqualifizierter Musiker (um sowohl das ästhetische als auch das interpretatorische Niveau zu heben), eine allgemeine Öffnung in Richtung externer Institutionen und Strömungen, nicht zuletzt auch Veränderungen in der inneren Organisation. Und genau dies waren die Hauptpunkte in Herbecks Reformplänen, die in dem musikinteressierten Hofmarschall Constantin Prinz zu Hohenlohe-Schillingsfürst einen engagierten Unterstützer fanden. Überblickt man die Ära Herbeck (1866–1877) im gesamten, ist eine deutliche Verbreiterung des Repertoires zu konstatieren, d. h. es wurden um etwa die Hälfte mehr Komponisten berücksichtigt, auch mehr Novitäten. Mozarts Messen standen grundsätzlich an der Spitze. Unter Herbeck trat jedoch – wohl durch Erfahrungen aus dem öffentlichen Konzertleben bedingt – ein Wechsel von Michael zu Joseph Haydn ein: In dieser Ära drehte sich nämlich in den auf die Hochämter bezogenen Aufführungszahlen das Verhältnis um. Öfter als Joseph Haydn schienen jedoch Preyer und Rotter als „Hauskomponisten“ auf; die Anzahl von Messen Karl Kempters und Gänsbachers stieg an. Der neue Hofkapellmeister trat – der Tradition gemäß – aber auch selbst als Komponist in Erscheinung: So wurden seine eigenen Messen immerhin so oft gespielt als jene von Michael Haydn. Sieht man als exemplarisches Beispiel Herbecks Missa brevis in F-Dur näher durch, kann von einer stilistischen Anpassung an die veränderten Verhältnisse in der „Außenwelt“ gesprochen werden. Fließende Melodik und romantische Harmonik mit teilweisen Schubert-Anklängen, formale Übersichtlichkeit, eine differenzierte Textausdeutung, gekonnte Satztechnik und das handwerklich geschickte Spiel mit Klangwirkungen zeugen von dieser „neuen“ Richtung im bisherigen Repertoire5. Wie oben bereits erwähnt, war wohl die wichtigste und zukunftsträchtige Erweiterung die Aufnahme von Messen Schuberts. Nach der Erstauffüh5
Zu Herbecks Messe näher Richard Steurer, siehe Anm. 1, S. 156-161.
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rung der Messe in G-Dur widmete sich Herbeck insbesondere der letzten Messe in Es-Dur, die am 12. August 1866 – nur wenige Monate nach Amtsantritt – zum ersten Mal in der Hofkapelle erklang. Damit wurde der Grundstein für eine neue Aufführungstradition gelegt. Als Novitäten wurden Werke von Schumann, Weber und – verstärkt – von Liszt aufgenommen, was eine Öffnung in Richtung deutsche Romantik bzw. Neudeutsche Schule bedeutete. Von Liszt, dessen Kompositionen Herbeck seit längerem vertraut waren, kamen mehrere Male die „Festmesse“ in Es-Dur sowie die Graner Messe zur Erstaufführung. Im Bereich der Alten Musik war Palestrina zweimal mit Messen vertreten; von Hans Leo Haßler wurde die doppelchörige Messe auf das Programm gesetzt. Die Erstaufführung von Caspar Etts Vokalmesse in A-Dur zeigt erste Spuren einer Auseinandersetzung mit dem Cäcilianismus. Aber auch in anderen Bereichen wurden Änderungen wirksam. Als äußeres Zeichen erschienen ab 1874 die Musiker in dunkelblauen (und nicht mehr scharlachroten) Uniformen. Im Exspektanzsystem folgte ebenfalls eine Änderung: Bei Vorrückungen war jetzt nur mehr das aktuelle Dienstalter maßgeblich, was frühere Ungerechtigkeiten beseitigte. Um das interpretatorische Niveau zu heben, wurde die Verpflichtung namhafter Künstler vorangetrieben; so konnte etwa der Hofopernsänger Gustav Walter gewonnen werden. Im Zentrum der Reform-Ära Herbeck stand jedoch ohne Zweifel die Verpflichtung Anton Bruckners, allerdings eine zwiespältige Entscheidung, wie sich später herausstellen sollte. Bruckner hatte ja schon in jüngeren Jahren versucht, eine Position in der Hofmusikkapelle zu erreichen. Aber erst bei seinem insgesamt dritten Versuch konnte er diesen Wunsch realisieren. Schon einiges zuvor hatte er einen wichtigen Kontakt knüpfen können, nämlich anläßlich einer Prüfung im Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde, bei der Herbeck den Vorsitz inne gehabt hatte. „Von dort her ließ mich Herbeck nicht mehr aus den Augen“, erinnerte sich der Komponist später6. Und er ließ ihn auch nicht als erster Hofkapellmeister aus den Augen. So leitete Herbeck persönlich am 10. Februar 1867 die Wiener 6
Zitiert nach August Göllerich – Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffens-Bild. Bd. 3/1. Reprint, Regensburg 1974, S. 117.
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Erstaufführung der Messe in d-Moll in der Hofburgkapelle. Das Ereignis geriet zu einem großen Erfolg, wenn sich auch in der Presse keine Einhelligkeit in der Beurteilung einzustellen vermochte. Herbeck ermöglichte Bruckner weiters ein inoffizielles Orgel-Probespiel vor dem Obersthofmeister; schließlich erhielt der Komponist seitens des Obersthofmeisteramtes einen Kompositionsauftrag. Am 4. September 1868, nur wenige Tage nach Vollendung der neuen Messe in f-Moll, wurde Bruckner zum „exspectirenden Hoforganisten“ ernannt. 1878 rückte er in die „Wirklichkeit“ (d. h. mit 600 fl Gehalt und 200 fl Quartiergeld besoldet) ein. Damit kam aber eine Diskrepanz zum Vorschein, die auf der einen Seite den Organisten, auf der anderen den Komponisten Bruckner betraf. Zunächst verlangte das Amt eines Hoforganisten natürlich keinen kreativkühnen Improvisator, sondern weit mehr einen gewandten Literaturspieler: „Die organistischen Stärken Bruckners waren nämlich kaum gefragt, wo es galt, Sänger und Instrumentalisten zu begleiten. [...] Wenn Bruckner im Gottesdienst zum Improvisieren kam, etwa während des Kanons, vergaß er mitunter Raum und Zeit und ließ, erfaßt von göttlicher Inspiration, die Herrschaften in den Logen, den Dirigenten am Pulte verzweifeln. Hierfür konnte er kein Lob erwarten und mußte sich nicht wundern, wenn er aus der Hofkapelle verdrängt werden sollte. [...] Das Genie hatte sich in einen unpassenden Rahmen gezwängt, entbehrte darin der angemessenen Bewegungsfreiheit und eckte zwangsläufig an. Die Hofkapelle war für das schöpferische Genie nicht der rechte Ort der Entfaltung.“ 7 Eben diese Tatsache, kombiniert mit Bruckners unerbittlichem Karrierestreben, seinem anvisierten Ziel als erster Hofkapellmeister (obwohl er sich kontraproduktiv deutlich als Symphoniker deklarierte), brachten eklatante persönliche Schwierigkeiten mit sich, schließlich sogar den Bruch mit seinem Mentor Herbeck. Dies bedeutete – einer sehr plausiblen These von Theophil Antonicek zufolge8 – wohl auch das endgültige Ende der hochgesteckten Reformpläne an der Hofmusikkapelle. Zudem kam noch, daß sich Bruckners musikalische Stilwelt an einem Erfahrungshorizont rieb, der 7
8
Erwin Horn, Zwischen Interpretation und Improvisation. Anton Bruckner als Organist, in: Zum Schaffensprozeß in den Künsten. Bruckner-Symposion Linz 1995. Bericht. Linz 1997, S. 119 ff. Theophil Antonicek, Anton Bruckner und die Wiener Hofmusikkapelle. Wien 1979 (Anton Bruckner. Dokumente & Studien 1) S. 9-18; ders., Artikel Hofmusikkapelle in: Uwe Harten (Hg.), Anton Bruckner. Ein Handbuch. Salzburg 1996, S. 199 f.
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gerade erst Schuberts Messen amalgamiert hatte. Und so erschienen die beiden Messen Bruckners reichlich selten im Repertoire, nämlich insgesamt nur viermal, wobei Stil und technische Anforderungen der Auftragsmesse in f-Moll gewaltige Probleme in der Ausführung, aber ebenso Meinungsverschiedenheiten in der ästhetischen Haltung brachten. Selbst Herbeck war – zumindest vorerst – von dieser Messe gar nicht überzeugt9. Zwischen Abschluß der autographen Partitur und Erstaufführung in St. Augustin standen knapp vier Jahre. Der Eindruck eines „eigenthümlichen [im Sinne: originellen] Geistes“ und „keiner Spur von Schablone“10 paßte nicht in den gewohnten stilistischen Vorstellungsrahmen. Stellten auch die Aufführungen der beiden Bruckner-Messen musikhistorisch bedeutsame Innovationen dar, konnte die beabsichtigte Integration der Künstlerpersönlichkeit in die Hofkapelle eben nicht gelingen. Als freier Künstler mit ganz konkreten Vorstellungen über Beruf und Berufung trat er in Widerspruch zu der traditionsreichen Institution. Und damit mußte die grundsätzlich großartige Idee von Hohenlohe und Herbeck, die Erstarrung durch die Verpflichtung einer markanten Künstlerpersönlichkeit von außen her zu lösen, in diesem Fall scheitern. Überdies erwies sich das alte Exspektanzsystem in Verbindung mit dem offiziellen Status für den freien Künstler als immer weniger attraktiv. Im wesentlichen wurde Herbecks Weg in der Programmpolitik von den Nachfolgern fortgesetzt. Unter Joseph Hellmesberger senior (1877–1893) dominierten die altvertrauten „Klassiker“ Mozart und Joseph Haydn mit großem Abstand zu den übrigen Komponisten. Die folgende Rangliste soll die Situation im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts verdeutlichen: 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 9 10
Mozart Joseph Haydn Michael Haydn; Schubert Rotter Hummel Luigi Cherubini Moritz Brosig; Gänsbacher; Kempter
Zu Herbecks Kritik auch Max Auer, Bruckner. Zürich–Leipzig–Wien 1923, S. 99. Eduard Kremser in seiner Rezension in: Das Vaterland, 20. Juni 1872.
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8) Herbeck; Joseph Mayseder 9) Palestrina 10) Assmayr Wenn in allen Perioden Mozart an der Spitze erscheint, muß jedoch angefügt werden, daß sein kirchenmusikalisches Oeuvre keineswegs breitflächig berücksichtigt wurde. Absoluter Spitzenreiter war seine Messe in C-Dur (KV 317), die – nicht zuletzt aus aufführungspraktischen Gründen – ganz oben stand; im Gegensatz dazu fand etwa die Erstaufführung der Messe in c-Moll (KV 427) erst im Jahre 1883 statt. Überdies wurden Mozarts Messen den aktuellen Geschmacksvorstellungen gemäß in bearbeiteten Fassungen (was insbesondere eine Vergrößerung des Klangvolumens betraf) gespielt. „Neben Mozart erfreuten sich im zur Heroisierung neigenden Zeitalter des Historismus folgerichtig auch Joseph Haydn, Franz Schubert und Luigi Cherubini größter Beliebtheit. Von Joseph Haydn werden vor allem die Heiligmesse (Hob. 22/10) und die Theresienmesse (Hob. 22/12), von Schubert die Messen Es-Dur und G-Dur und von Cherubini die Messen in C-Dur und D-Dur angesetzt. Die feste Verankerung der B- bzw. D-DurMessen Hummels sowie der Werke Gänsbachers im 9. Jahrzehnt fügt sich, statistisch gesehen, in das Bild, das die Hofkapelle unter Hellmesberger dem Betrachter bietet: Komponisten der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und Komponisten des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts beherrschen neben zeitgenössischen Komponisten, die aber vor allem als Kapellmeister der Hofkapelle angehören, eindeutig den Spielplan.“11 Trotz einzelner Erneuerungsversuche wurde somit der anerkannte Künstler- und Werk-Kanon fortgeschrieben, ohne einzelne neue Messen in diesen aufzunehmen. Novitäten blieben singuläre Ereignisse ohne weitere Folgewirkungen, mit Ausnahme der 16 Liszt-Aufführungen (die bemerkenswerterweise in der nachfolgenden Ära Hans Richter drastisch zurückgenommen wurden). Das bereits in der Ära Assmayr/Randhartinger bemängelte Festhalten an konservativen, hausinternen Kräften ist nun – nicht minder deutlich – an den Aufführungszahlen Rotters und an der „Wiederentdeckung“ Assmayrs 11
Richard Steurer, siehe Anm. 1, S. 163.
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zu beobachten. Rotter, seit 1870 Titularvizekapellmeister mit spätklassischer Orientierung im kompositorischen Schaffen, galt als „der“ Kirchenmusiker, dem dafür auch von oberster Stelle hohe Anerkennung ausgesprochen wurde12 (was im übrigen bei Bruckner nie passierte). Im Bereich der Erstaufführungen fallen – die reichlich späte „Entdeckung“ von Schuberts F-Dur-Messe einmal abgesehen – in erster Linie folgende Werke auf: die Messe in D-Dur von Niccolo Jomelli, die Cäcilienmesse von Charles Gounod, die mit ihrem neuen lyrischen Ton und opernhafter Gestik ein berühmtes Beispiel zeitgenössischer erfolgreicher Kirchenmusik darstellte, sowie die Vokalmesse in Es-Dur von Josef Rheinberger. Jomelli, der neapolitanischen Schule zugehörig und in der Kirchenmusik mit stileantico-Elementen arbeitend, und Rheinberger, klassisch bzw. frühromantisch orientiert unter Ablehnung der Neudeutschen Schule, erwiesen sich als gut geeignet für eine traditionsverbundene Verbreiterung des stilistischen Angebotes. Im weiteren wurde die Messe in D-Dur von Moritz Brosig erstaufgeführt, der sich trotz Aufnahme romantischer Stilelemente in seinem Werk für alte Kirchenmusik einsetzte. Selmar Bagge, mit seiner Messe in C-Dur vertreten, war von seinen Lebensdaten her BrucknerZeitgenosse, stilistisch jedoch der Spätklassik und Schumann verpflichtet. Auch Heinrich Proch, der in bürgerlichen Gesellschaftskreisen beliebte Verfasser des Alpenhorns und langjähriges Mitglied der Hofkapelle, zählte zum Kreis der erstaufgeführten Künstler. Grundsätzlich beinhaltete die Auswahl der Novitäten jedoch keinen thematischen Plan, schon gar keinen nachhaltigen Eingriff in die ästhetischen Leitlinien der Institution; viel eher handelte es sich um punktuelle Auflockerungen ohne Konsequenzen. In die Ära Hellmesberger senior fällt auch eine Auseinandersetzung mit der wiederentdeckten Vokalpolyphonie der Renaissance und den Bestrebungen des Cäcilianismus im Sinne einer musikalischen Restauration im Zeichen einer Neugewichtung der liturgischen Funktion von Musik. Beredtes Zeugnis liefert der starke Anstieg von Palestrina-Messen, daneben einzelne Kompositionen von Pietro Heredia, Pompeius Cannicciari, Giovanni Maria 12
„[…] für dessen ausgezeichnete Leistungen auf dem Gebiete der Kirchenmusik den Ausdruck der allerhöchsten Anerkennung bekanntgeben zu dürfen“, heißt es in einem Vortrag des Obersthofmeisters Constantin Prinz zu Hohenlohe-Schillingsfürst am 1. Mai 1876; Wien, Haus-, Hof und Staatsarchiv, Obersthofmeisteramtsakten 959 (1876), 59/5, Zl. 2266.
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Casini oder Tomás Luis da Victoria. Ihr Auftreten war allerdings strikt zeitgebunden, und zwar auf die Fastenzeit beschränkt. Ein diesbezüglicher Hinweis findet sich am Passionssonntag des Jahres 1884 (30. März) anläßlich einer Aufführung der Messe in A von Antonio Lotti13: „Heuer zum ersten Mal vom Dom. 1. Quad. An nur Vokalmessen während der Fastenzeit. Die Messen der alten italienischen Komponisten sind enthalten in der ‚Sammlung ausgezeichneter Kompositionen für die Kirche‘ von Stephan Lück.“ Damit begann vom bezeichneten Sonntag bis hin zum Passionssonntag eine stereotype Programmbildung. Im Eröffnungsjahr 1884 lautete die Reihenfolge: Canniciari – Heredia – Palestrina – Casini – [Mariä Verkündigung: Cherubini] – Lotti – [Palmsonntag:] Palestrina. Ab 1887 wurde am Palmsonntag die Messe in G von Johann Georg Albrechtsberger zum Standard, aus dessen Werk auch das Proprium musiziert wurde. Die Musik der „alten italienischen Komponisten“ blieb also die Ausnahme in besonderen Zeiten. Was nun den cäcilianistischen Einfluß angeht, fügte sich die Hofmusikkapelle in den „österreichischen“ Weg einer moderaten Auseinandersetzung ein, deshalb ist auch der Name Franz Xaver Witt im Repertoire vergeblich zu suchen. In einer überzeugt von Orchestermessen Mozarts und Haydns dominierten Institution wäre überdies selbst eine nur teilweise Übernahme der Regensburger Vorgaben ein Widerspruch gewesen. In der musikalischen Praxis der Hofkapelle bedeutete dies konkret die Aufnahme einer einzigen Messe Etts und dreier Messen von Johann Evangelist Habert, der wohl wichtigsten Persönlichkeit innerhalb der österreichischen Interpretation der Reformbewegung14. Zwei Meßvertonungen von Jan Levoslav Bella, der ebenfalls als gemäßigter Reformer galt, ergänzten in der Hofkapelle diesen Stilbereich15. Unter Hans Richter (1893–1900) gab es keine nennenswerten grundlegenden Änderungen, nur daß die Brüder Haydn (wieder nahezu gleichwertig) und Schubert mit ihren Aufführungszahlen näher aneinanderrückten, aller13 14
15
Zitiert nach Richard Steurer, siehe Anm. 1, S. 548. Näher dazu Barbara Boisits, „… die Geistlichkeit ist es nicht wert, daß sich jemand um die Verbesserung der Kirchenmusik annimmt“. Die Kontroverse um die Kirchenmusikreform in Oberösterreich zwischen Johann Evangelist Habert und Ignaz Traumihler, in: Bruckner-Jahrbuch 1997– 2000 (Linz 2002) S. 279-288. Näher dazu Richard Steurer, siehe Anm. 1, S. 168 f.
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dings von Rotter mit deutlichem Abstand übertroffen. Auch die Erstaufführungen von drei Messen Rudolf Bibls zeigen, daß der Traditionalismus weiterhin vorwiegend mittels institutionsinterner Kräfte gepflegt wurde. Bibls Messen waren in dieser Ära etwa gleich häufig zu hören wie jene der Brüder Haydn; Preyer wurde sogar noch öfter gespielt. Unter Richter, der als erfolgreicher Dirigent von außen kam und sein hohes Amt wohl nur als eines von mehreren ansah16, wurden sehr wenige neue Messen aus einem weiteren geographischen Umfeld präsentiert: Mit dem Belgier Edgar Tinel und Charles Villiers Stanford war – sehr vorsichtig und extrem selektiv – eine Verbindung zur europäischen zeitgenössischen Musikproduktion gegeben. Aber auch in diesen beiden Fällen zeigte sich ein Grundproblem der damaligen Repertoirebildung: Mit Tinel und Stanford griff man zwar aktuell bekannte Komponisten heraus, deren Schwerpunkte jedoch bei weitem nicht auf dem Gebiet der Kirchenmusik lagen. Und denkt man an Richard Wagner, Giuseppe Verdi, Johannes Brahms, Hugo Wolf, Gustav Mahler oder Richard Strauss – sie alle kamen mit ihrem Schaffen für die Hofmusikkapelle nicht in Betracht17. Daß allerdings Antonín Dvořák nicht in das Repertoire aufgenommen wurde, erscheint merkwürdig und könnte im Hintergrund wirkende politische Gründe gehabt haben (die fast zeitgleich bei den Opernprojekten an der Hofoper nachweisbar vorhanden waren). Merkwürdig erscheinen ebenso der starke Rückgang von Liszts kirchenmusikalischem Oeuvre und die Tatsache, daß Bruckner – ungeachtet ungünstiger biographischer Vorfälle in der Vergangenheit – im Repertoire strikt ausgeklammert bleibt (zumal Richter dessen Symphonien vor 1900 am häufigsten und durchaus mit Erfolg aufgeführt hat). Der berühmte Dirigent konnte sich jedoch nicht im historisch langsam gewachsenen System etablieren. Losgelöst von der alten Verpflichtung des Komponierens für den Hausbedarf und Bewahrens anerkannter Werte sowie als eine die Dynamik des anonymen Kunstbetriebs gewohnte Per16
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Siehe dazu Hildegard Hermann-Schneider, Status und Funktion des Hofkapellmeisters in Wien (1848–1918). Innsbruck 1981 (Innsbrucker Beiträge zur Musikwissenschaft 5) S. 298 f. Nur Brahms war mit seinem Ave Maria, op. 12, kurzfristig vertreten.
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sönlichkeit kam er mit den Grundstrukturen der Institution in Konflikt. Insofern war Richters Kündigung im März des Jahres 1900 ein Novum in der Geschichte der Hofmusikkapelle und zugleich aber ein Signal für die Unmöglichkeit einer selbstverständlichen Verbindung von Innen- und Außenwelt. Als Hauptcharakteristikum in der zweiten Jahrhunderthälfte – vor dem Hintergrund eines äußeren Status- und eines inneren Identifikationsverlustes – kann die Festschreibung des musikgeschichtlichen Kanons der bildungsbürgerlichen Öffentlichkeit gelten, gekoppelt an immer wiederkehrende Versuche, eine punktuelle Anpassung an aktuelle Strömungen und Geschmacksvorstellungen zu erreichen. Der Grundriß war dabei aber so angelegt, daß der Kanon mit dem – verspätet entdeckten – Oeuvre Schuberts abschloß, und fast alle zeitlich später komponierten Werke mehr oder weniger Episodencharakter erhielten. Die Ausnahme bildeten jene Hofkapellangehörige, die sich in ihrem Neuschaffen dem verbindlichen Kanon unterwarfen oder zumindest nicht in Frage stellten (Beispiel: Rotter, Bibl). Aufgrund dieser Strukturbedingungen war es daher nicht möglich und in der Elite-Institution auch gar nicht erwünscht, eine spürbare Änderung dieses allgemeinen Stils herbeizuführen. Dazu mußte konsequenterweise eine geänderte Personalpolitik ebenfalls in Konflikt geraten – das Wirken eines Bruckner oder Richter dokumentiert dies deutlich.
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Abbildung 1 Benedict Randhartinger, Missa in Es Nr. 9, Partitur (A-Wn, MS, Suppl. Mus. 0188)
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Abbildung 2 Johann Ritter von Herbeck, Messe e-moll, Soprano-Stimme (A-Wn, HK 1524)
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Abbildung 3 Ludwig Rotter, Graduale Confitemini, Partitur (A-Wn, HK 2909)
Uwe Christian Harrer (Wien)
Auftragswerke für die Wiener Hofmusikkapelle seit 19451 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im Jahr 1945 die Wiener Hofmusikkapelle wieder dem Bundesministerium für Unterricht unterstellt und erhielt 1952 unter Bundesminister Dr. Ernst Kolb ein eigenes Statut, in dem ihr als Auftrag die Pflege der Kirchenmusik, unter besonderer Berücksichtigung der Österreichischen Kirchenmusik, übertragen wurde. Mit der Übernahme der künstlerischen Leitung des Institutes Wiener Sängerknaben und der Wiener Hofmusikkapelle durch Prof. Dr. Hans Gillesberger in den Jahren 1964 bzw. 1971 wurde für beide Institutionen die Pflege der zeitgenössischen österreichischen Kirchenmusik zu einem wichtigen Anliegen. Als einer der bedeutendsten Chorleiter dieser Zeit ist Gillesberger vor allem zu verdanken, daß er sich beständig für Chorliteratur der Moderne eingesetzt hatte, und vielen ist auch heute noch in Erinnerung, mit welchem Mut und Interesse er zahlreiche Werke lebender Komponisten mit seinem Wiener Kammerchor und der Wiener Singakademie aus der Taufe gehoben hat. Im Jahre 1972 ersuchte der künstlerische Leiter den Komponisten und Domorganisten zu St. Stephan, Peter Planyavsky, eine lateinische Messe für dreistimmigen Knabenchor und Orgel zu schreiben. Der junge Kirchenmusiker und Schüler Anton Heillers wie Ernst Tittels sah knapp nach dem II. Vatikanischen Konzil darin eine interessante Herausforderung, für die Hofmusikkapelle ein Ordinarium zu konzipieren, das trotz der konventionellen liturgischen Sprache „eine Überhöhung in der ausdeutenden Verkündigung“ darstellen sollte. Die formalen Akzente sah Planyavsky in „fernem Erinnern an die klassischen Vorbilder eines Joseph Haydn oder Wolfgang Amadeus Mozart“. 1
Uwe Christian Harrer war 1998 Künstlerischer Leiter der Wiener Hofmusikkapelle und hat seinen Beitrag aus den aktuellen Beständen der Hofmusikkapelle, der Korrespondenz mit den Komponisten bzw. aus eigenen Erfahrungen und Erlebnissen gestaltet.
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Uwe Christian Harrer
Eine A–B–A-Form im Kyrie, das durchgehende Credo-Motiv über einem rezitierenden Text in zyklischer Anordnung und die Reprise des Kyrie im Agnus Dei spiegeln sich in dieser Idee. Im Sinne der liturgischen Reformen fügt sich das Benedictus nahtlos an das Sanctus an und ergibt eine gut balancierte symmetrische Abfolge. Daß die Missa Viennensis kein Gloria enthält, geht auf die spezielle Situation des Auftraggebers Wiener Hofmusikkapelle zurück: Der liturgische Alltag in der Hofburgkapelle wird durch die Messen der Wiener Klassik dominiert, sodaß für Advent- und Fastenzeit Meßordinarien aus der klassischen a-cappella-Zeit zur Aufführung kommen und des öfteren auch zeitgenössische Werke – aber dann eben ohne die Notwendigkeit eines Gloria-Teiles. Am 1. April 1973 brachte Hans Gillesberger die Messe zur Uraufführung. In der Folgezeit kam es zu Initiativen der Hofmusikkapelle über deren übergeordnete Dienststelle des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst, die eine regelmäßige Pflege österreichischer zeitgenössischer Kirchenmusik an der Burgkapelle gewährleisten sollte. Der für die Institution zuständige Ministerialrat Dr. Hans Temnitschka – selbst ein begeisterter Chorsänger und Anhänger der Musik des 20. Jahrhunderts – wurde zum Motor der Entwicklung im Sinne des Auftrages gemäß der Statuten vom Jahre 1952 und verstand es, nicht zuletzt auch durch entsprechende Dotierung von Auftragswerken, Prof. Gillesberger zur Vergabe solcher Kompositionen zu ermutigen. Herbert Tachezi, Organist an der Hofkapelle und namhafter Theorielehrer an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien, schrieb im Jahre 1977 eine Messe für vierstimmig gemischten Chor und Orgel nach Motiven aus der Gregorianik. Die Uraufführung fand am 11. Dezember 1977 unter der Leitung Hans Gillesbergers statt. Bald darauf folgte eine Messe des Hofkapellorganisten Martin Haselböck – wie die vorher genannten Werke „Herrn Prof. Dr. Hans Gillesberger dankbar zugeeignet“ –, welche am 23. März 1980 zur Uraufführung gelangte. Die sogenannte Madrigal-Messe sollte auch im Hinblick auf die spezielle Situation der Wiener Hofmusikkapelle ausgerichtet sein: diesmal für Knabenchor, Flöte, Oboe, Fagott und Streichquartett – die „spezielle“ Situation bezieht sich unter anderem auch auf die Besetzung mit einer Flöte, da die-
Auftragswerke für die Wiener Hofmusikkapelle seit 1945
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ses Instrument im Laufe eines kirchenmusikalischen Dienstjahres allzu selten zum Einsatz kommt und nur eine geringe Anzahl der im Repertoire vertretenen Messen dieses Instrument verwendet. Die Madrigal-Messe sollte ebenso eine Verbindung von Geschichte und zeitgemäßer Tonsprache ergeben, wenn moderne Themen mit dem Madrigal Gott b’hüte dich von Leonhard Lechner gemeinsam verarbeitet werden. Drei Klangebenen kennzeichnen das Kyrie – Chor, Bläser und Streicher –, am Ende erscheint erstmals das Zitat aus dem Madrigal, dessen orgelpunktartigen Schlußakkord das Sopransolo mit „Kyrie eleison“ flehentlich bittend übersingt. Rhythmisch und akzentuiert gestaltet sich das Gloria, welches in der Art der klassischen Messen dreiteilig angelegt ist. Im Kanon konzertierend mit den Holzbläsern und dem Pizzikato der Streicher deklamieren die Solisten den langsamen Mittelteil („Qui tollis“), um dann in der Reprise („Quoniam“) jubelnd schwingend in einem ruhigen Amen zu schließen. Gleich der mittelalterlichen Kirchenmusik rezitiert der Knabenchor unisono in gregorianischer Weise, während verborgen der Schlüsselvers des Madrigals Scheiden macht uns die Äuglein naß in den Streichinstrumenten erklingt. Im ruhigen „Qui propter nos homines“ intoniert der Chor a cappella einen dichten vierstimmigen Satz, und im skandiert gesungenen „Crucifixus“ übernimmt das Orchester in klang-hartem Stil das Modell des Madrigals. In eine Komposition zusammengefaßt ertönen Sanctus und Benedictus, wobei den Holzbläsern wieder konzertierende Elemente zugeordnet sind, während die Form des Kanons bei den Vokalstimmen verwendet wird. Im Agnus Dei kehren Teile des Kyrie zurück, und mit freien Kadenzen verbindet der Komponist die einzelnen Rufe, die sich in Richtung „Dona nobis“ immer drängender verdichten, bis mit dem Wort „pacem“ die Bewegung sich mehr und mehr entspannt, um sehr ruhig nach einem letzten Zitat des Madrigals in den tiefen Streichern auszuklingen. Nach dem Tod Hans Gillesbergers im Jahre 1986 übernahm der damalige künstlerische Leiter der Wiener Sängerknaben, Uwe Christian Harrer, die Leitung der Hofmusikkapelle. In dieser Ära war es Ministerialrat Dr. Alfred Koll, dem es ebenso ein großes Anliegen war, österreichische Kirchenmusik der Gegenwart in Wiens Hofburgkapelle aufgeführt und gepflegt zu wissen.
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Uwe Christian Harrer
Harrer gelang es, den Komponisten und Theorieprofessor Heinz Kratochwil für ein Auftragswerk zu begeistern, welches den räumlichen und musikalischen Gegebenheiten der Hofburgkapelle im zeitgemäßen Sinne der Neuen Liturgie zur Gänze entsprechen sollte. Kratochwil konnte für seine Komposition neben dem vierstimmig gemischten Chor, den Knaben- und Herrensolisten, dem symphonischen Orchester und der Orgel auf der Empore auch die Schola, den Kantor und das Orgelpositiv im Presbyterium mit einbeziehen. Auch sollte dem Umstand entsprochen werden, daß es in diesem Kirchenraum keine gewachsene Gottesdienst-Gemeinschaft gibt, sondern ein internationales, vielsprachiges und ständig wechselndes Gemeinde-Volk Sonntag für Sonntag anwesend ist. Da auch im Sinne der neuen Liturgie die „Actuosa participatio“ berücksichtigt werden sollte, konnte Kratochwil dem Volksgesang einzelne durchaus „geläufige“ Texte oder Rufe wie „Kyrie eleison“ und „Agnus Dei“ überantworten. Dem künstlerischen Leiter war es auch ein Anliegen, mit diesem Werk eine durchkomponierte liturgische Form erstehen zu lassen, in welcher neben dem lateinischen Ordinarium auch neutrale Psalmen-Texte als Propriumsgesänge in deutscher Sprache Verwendung finden sollten: ein Loblied als Introitus, ein Zwischengesang und Ruf vor dem Evangelium, ein Gabenlied sowie Kommunion- und abschließendes Danklied. Stilistisch entstand bei dieser „Großform“ eine Synthese aus kirchentonaler Melodik und klassischer Polyphonie mit Elementen zeitgenössischer Rhythmik und „französischer Klangsinnlichkeit“. Am Ende dieses poly-choren Ereignisses bei der Uraufführung am 7. Oktober 1990 durch den Widmungsträger Uwe Christian Harrer hörte man auch noch einen virtuosen Improvisations-Dialog als Postludium zwischen Herbert Tachezi an der Orgel auf der Empore und Martin Haselböck an der Truhenorgel im Altarraum. Einer ähnlichen Art von Raum-Dramaturgie begegnet man auch im nächsten Werk, mit welchem Harrer den oberösterreichischen Musikpädagogen und Zisterzienser-Pater Balduin Sulzer beauftragte. Auch für diesen vielseitigen Musiker waren die Gegebenheiten der Hofburgkapelle eine überaus reizvolle Herausforderung, die in der Uraufführung vom 15. November 1992 ihr liturgisch-künstlerisches Ergebnis fand. Formal und musikalisch orientiert sich das Werk ebenso an den Erfordernissen der Liturgiereform mit lateinischen sowie deutschen Texten und ist
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grundsätzlich auf maximale klangliche Abwechslung bedacht, sodaß sich jeder der elf Teile der Messe in einer anderen vokal-instrumentalen Konstellation präsentiert. Der zentrale Satz der Missa sine nomine ist das Credo, welches in RitornellForm abläuft und mit seinen häufig wiederholten Credo-Rufen an die aus der Wiener Klassik tradierten „Credo-Messen“ erinnert. Der Einsatz eines Sprechers soll die nachdrückliche Aufforderung an die Gläubigen artikulieren, sich ohne Vorbehalte zu den im Konzil von Nicäa (325) formulierten Glaubensinhalten zu bekennen. Auch der Kontrast zwischen zwei Welten soll spürbar werden: die Welt der „ratio“, deren Betätigungsfeld das Beweisbare ist; und „fides“, die aus der Offenbarung lebt und deren Inhalte nicht in die Kategorie nüchterner Beweisbarkeit fallen. Stilistisch versucht Sulzer geläufige Elemente der Gregorianik, der Neoklassik, der Trivialmusik und der Wiener Schule auf persönliche und unbefangene Art zu vereinen. Mit der bewußten Bezeichnung „sine nomine“ will der Komponist auf den Gebrauch dieses Terminus in der Zeit der Niederländer hinweisen, wo die Auswahl der Cantus-firmus-Elemente auch außerliturgisches Musikgut einbezogen hatten: Folkloristisches und Volksliedartiges etwa, Musik jedenfalls, deren Wendungen dem Zuhörer aus dem Alltag bekannt vorkamen. In dieser seiner modernen und jedem Einzelnen möglichst verständigen Sprache intendierte Sulzer nicht zuletzt – „bei allem Respekt für die traditionelle Kirchenmusik – eine Anregung, so manche absichtsvoll persönlich gestaltete Überlegung zur Feier des Gottesdienstes in Diskussion zu stellen“. Als „Liturgische Kammermusik für Oberchor, Solostreicher, Bläser, Schlagzeug und Orgel“ bezeichnete Peter Marschik (künstlerischer Leiter der Wiener Sängerknaben 1991–1996) seine Missa Pater Hemon, die er selbst am 9. April 1995 in der Hofburgkapelle als Auftragswerk zur Uraufführung brachte. Für die Fastenzeit konzipiert enthält dieses Ordinarium kein Gloria, bringt jedoch das griechische Vater unser (Pater hemon) als festen Bestandteil dieser Komposition. Die Bezeichnung „Liturgische Kammermusik“ bezieht sich auf die Behandlung des dreistimmigen Chores, der nicht dem Orchester dialektisch gegenübergestellt wird, sondern mit diesem ensembleartig verschmilzt.
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Uwe Christian Harrer
Eine dreiteilige Kyrieform mit choralartigen Unisono-Rufen und martialischen Orchesterklängen steht am Beginn der Messe. Im Credo fällt eine sechtzehntaktige Passacaglia auf, deren Tonart (e-Moll) und Taktmaß einen „respektvollen Seitenblick auf Johannes Brahms gestatten“. Mit dieser strengen Form, die dem Orchester anvertraut ist, wollte Marschik die Festigkeit des Glaubens untermauern, welche durch die wiederholten, „gegenseitig Mut machenden“ Credo-Rufe im Chor symbolisiert wird. Das Sanctus durchschreitet alle zwölf Dur-Dreiklänge und schließt mit einem fugierten Hosanna ab, welches nach dem als vierstimmiger Kanon angelegten Benedictus die entsprechende Wiederholung erfährt. Das zentrale Pater hemon beginnt sehr meditativ, steigert sich aber immer mehr bis zu „dramatischem Schreien des Volkes nach Brot (ton arton hemon) oder zu zerknirschtem Bekenntnis der Fehler im Abgrund der Versuchung“. Am Ende zielt die Besetzung dieses Gebetes (vierstimmiger Knabenchor und Streichquartett) auf die symbolhafte Darstellung Gott Vaters in seiner Vollkommenheit. Ein Arioso des Altsolisten leitet das Agnus Dei ein, wird von den MiserereEinwürfen des Chores unterbrochen und wechselt nach agitierten AgnusRufen zum friedlich verklingenden „Dona nobis pacem“. Wiewohl kein Auftragswerk im Sinne der oben genannten Kompositionen, aber dafür nicht minder bemerkenswert, darf schlußendlich ein Werk angeführt werden, das von einem 13jährigen Sängerknaben zur Aufführung in der Hofburgkapelle gedacht war. Florian Reithner, geb. am 15. November 1984, fiel bei den Wiener Sängerknaben als sehr begabt auf und hatte schon einige Kompositionsversuche vorzuweisen. Als er eines Tages dem künstlerischen Leiter der Hofmusikkapelle, Uwe Christian Harrer, Teile eines Meßordinariums vorspielte, bot ihm dieser umgehend an, gerne diese Messe in der Burgkapelle aufführen zu wollen, er möge nur noch die Messe durch ein Credo vervollständigen. So kam es gerade im Jubiläumsjahr der Wiener Hofmusikkapelle am 28. März 1998 zur öffentlichen Uraufführung eines Werkes, das von einem aktiven Sängerknaben und Mitglied des Ensembles komponiert worden war. Man hörte ein durchaus beachtliches Werk, welches Florian Reithner in lateinischer Sprache für Knabenchor, Solisten und Orgel geschrieben hatte. Formal hält sich das junge Talent an Vorbilder der klassischen Kirchenmusik, stilistisch lassen sich verschiedenste Einflüsse feststellen, wobei motori-
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sche Elemente und funktionsharmonische Wendungen im Vordergrund stehen. Abschließend sei es erlaubt, zu den eben beschriebenen Auftragswerken die Namen jener Komponisten des 20. Jahrhunderts anzuführen, deren Meßkompositionen immer wieder zu Aufführungen in der Hofburgkapelle kamen und auch weiterhin kommen werden. Es sind dies die verschiedenen Ordinarien von Franz Krieg, Waldemar Bloch, Alfred Bammer, Anton Heiller, Horst Ebenhöh, Wolfgang Ziegler, Augustinus Franz Kropfreiter, Jean Alain und Benjamin Britten.
TAGUNGSPROGRAMM Montag, 14. Dezember 1998, 10.00 Uhr Festliche Eröffnung des Symposions Georg Reutter: Sinfonia aus Il Palladio Conservato (1735)
o. Prof. Mag. Michael Hruby Stellvertretender Leiter der Abteilung Musikpädagogik Begrüßung o. Prof. Erwin Ortner Rektor der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien Grußworte des Rektors Sektionschef MR Dr. Rudolf Wran Leiter der Abteilung Kultur- und Kunstangelegenheiten des Bundesministeriums für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten Eröffnung o. Prof. Mag. Dr. Hartmut Krones Leiter der Lehrkanzel „Musikalische Stilkunde und Aufführungspraxis“ Zum Begriff des Stils in der Musik Univ.-Prof. Dr. Theophil Antonicek Kommission für Musikforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Hofmusikkapelle und Stil
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Programm Antonio Caldara: Sinfonia aus La passione di Gesù Christo (1730)
Univ.-Prof. Dr. Rudolf Flotzinger (Graz) Ordinarius für Musikwissenschaft an der Universität Graz Habsburgische Hofkapellen und ihr Umfeld im 15. Jahrhundert. Die Vorgeschichte als ein Beitrag zu Repertoire und Stil Nicolò Matteis: aus dem Balletto Primo zur Opera L’Issipile von Francesco Conti (1732), Aria – Aria – Aria Musikalische Umrahmung Le Monde Classique di Vienna Dagmar Neumann-Glüxam (Violino barocco) – Eri Ota (Violino barocco) – Martina Reiter (Viola barocca) – Marcy Bölli (Viola da gamba) – Anton Gansberger (Cembalo)
Montag, 14. Dezember 1998, 15.00 Uhr Elisabeth Theresia Hilscher (Wien) Die kaiserliche Hofmusikkapelle als Vorbild und Nachahmerin auf dem Gebiet des musikalischen Stils Siegfried Schmalzriedt (Karlsruhe) Zu den „Madrigali spirituali“ von Philipp de Monte Hartmut Krones (Wien) Maria zart: Cantus-firmus-Bearbeitungen „kaiserlicher“ und „nichtkaiserlicher“ Komponisten in Bernhard Klingensteins Rosetum Marianum von 1604 Theophil Antonicek (Wien) 1 Zur Musik italienischer Musiker der Hofmusikkapelle im 17. Jahrhundert
1
Leider war es Theophil Antonicek aus Krankheitsgründen nicht möglich, Einleitung wie Referatstext für den Druck auszuarbeiten.
Programm
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Montag, 14. Dezember 1998, 18.00 Uhr Buchpräsentation
Die Wiener Hofmusikkapelle I (Georg von Slatkonia und die Wiener Hofmusikkapelle) herausgegeben von Theophil Antonicek, Elisabeth Theresia Hilscher und Hartmut Krones Bericht über das von 16. bis 18. Dezember 1996 veranstaltete gleichnamige Symposion Dr. Peter Rauch (Leiter des Verlages Böhlau, Wien–Köln–Weimar) o.Prof. Mag. Dr. Hartmut Krones (für die Herausgeber) Musikalische Umrahmung: Dagmar Neumann-Glüxam und Anton Gansberger
Dienstag, 15. Dezember 1998, 10.00 Uhr Dieter Gutknecht (Köln) Kompositionen von Orlando di Lasso für München, Graz und Innsbruck Markus Grassl (Wien) Zur Entwicklung der Instrumentalmusik am kaiserlichen Hof im 16. und 17. Jahrhundert Werner Braun (Saarbrücken) „Wohlfugierte Tafelsonaten“. Johann Theile und die Wiener Hofmusik Herbert Seifert (Wien) Das Sepolcro – eine Spezialität der Hofkapelle
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Programm
Dienstag, 15. Dezember 1998, 15.00 Jiří Sehnal (Brünn) Der Einfluß der Hofmusikkapelle auf das Musikleben in Mähren und Böhmen Dagmar Neumann-Glüxam (Wien) Zu Fragen der Instrumentierung in der Wiener Hofmusikkapelle zwischen 1705 und 1711
Mittwoch, 16. Dezember 1998, 10.00 Uhr Friedrich Wilhelm Riedel (Mainz) Zur Konzeption des „Kaiserstils“ im musikalischen Repertoire der Wiener Hofkapelle zwischen 1683 und 1740. Voraussetzungen – Gattungen – textliche und musikalische Parameter Hellmut Lorenz (Wien)2 „Reichsstil“ und „Kaiserstil“ in der Kunstgeschichte Martin Eybl (Wien) Zum Stilwandel der Kirchemusik am Wiener Hof um 1740
2
Leider war es Hellmut Lorenz nicht möglich, seinen Beitrag für den Druck auszuarbeiten. Da wir aber keineswegs auf eine fundierte Diskussion des „Reichsstil/Kaiserstil“Begriffes verzichten wollten, konnten wir dankenswerterweise Herbert Karner (Kommission für Kunstgeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften), einen profunden Kenner des Barock, für einen entsprechenden Beitrag gewinnen, wofür wir ihm an dieser Stelle herzlich danken wollen.
Programm
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Mittwoch, 16. Dezember 1998, 15.00 Franz-Karl Prassl (Graz) Choralpflege und liturgische Voraussetzungen im Gottesdienst der Hofmusikkapelle Leopold M. Kantner (Wien)3 Klassische Traditionen im 19. Jahrhundert Erich W. Partsch (Wien) Stilistische Ausprägungen in der Hofmusikkapelle in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts Uwe-Christian Harrer (Wien) Auftragswerke für die Wiener Hofmusikkapelle seit 1945
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Da Leopold M. Kantner leider 2004 verstarb, ohne sein Manuskript für den Druck fertiggestellt zu haben, hat sein Schüler und langjähriger enger Mitarbeiter Michael Jahn sich dankenswerterweise bereit erklärt, den Beitrag in Kantners Sinne neu abzufassen.
Auswahlbibliographie (Zusammenstellung: Elisabeth Fritz-Hilscher) Vorbemerkung: Aufgenommen wurden nur Monographien, Sammelbände und Aufsätze, die sich mit der Hofkapelle allgemein (als Institution, Repertoire etc.) beschäftigen; Beiträge zu einzelnen Mitgliedern der Hofmusikkapelle wurden weitgehend ausgeklammert. Aufgrund der intensiven Wechselwirkungen erschien es sinnvoll, auch die grundlegenden Arbeiten zu den Hofkapellen in Graz und Innsbruck in die Auswahl aufzunehmen. Ludwig Ritter von Köchel, Die kaiserliche Hof-Musikkapelle in Wien von 1543 bis 1867. Nach urkundlichen Forschungen. Wien 1869, Reprint: Hildesheim–New York 1976. Guido Adler, Ferdinand II., Leopold I. und Karl VI. als Förderer der Musik, in: VfMw 8 (1892) S. 252-274. Cölestin Wolfsgruber, Die k.u.k. Hofburgkapelle und die k.u.k. Geistliche Hofkapelle. Wien 1905. Bruno Hirzel, Dienstinstruktion und Personalstatus der Hofkapelle Ferdinand ’s I. aus dem Jahre 1527, in: SIMG 10 (1908/09) S. 151-158. Adolf Koczirz, Excerpte aus den Hofmusikakten des Wiener Hofkammerarchivs, in: StMw 1 (1913) S. 278-303. Franz Waldner, Zwei Inventarien aus dem XVI. und XVII. Jahrhundert über hinterlassene Musikinstrumente und Musikalien am Innsbrucker Hof, in: StMw 4 (1916) S. 128-147. Ivan Zolger, Die geistliche Kapelle und die Hofmusikkapelle. Wien 1917.
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Auswahlbibliographie
Albert Smijers, Die Kaiserliche Hofmusik-Kapelle 1543–1619 [gedruckt in 4 Teilen], in: StMw 6 (1919), S. 139-186, StMw 7 (1920) S. 102-142, StMw 8 (1920) S. 176-206, StMw 9 (1921) S. 43-81. Georg Gruber, Das deutsche Lied in der Innsbrucker Hofkapelle des Erzherzogs Ferdinand (1567–1595). Eine stilkritische Untersuchung über seine Harmonik, seine Setzweise und seine Form. Wien: masch. phil. Diss. 1928. Paul Nettl, Zur Geschichte der Kaiserlichen Hofmusikkapelle von 1636–1680 [gedruckt in 4 Teilen], in: StMw 16 (1929) S. 70-85, StMw 17 (1930) S. 95-104, StMw 18 (1931) S. 23-35, StMw 19 (1932) S. 33-40. Adolf Koczirz, Die Auflösung der Hofmusikkapelle nach dem Tode Kaiser Maximilians I., in : ZfMw 13 (1930/31) S. 531-540. Alfred Einstein, Italienische Musik und italienische Musiker am Kaiserhof und an den erzherzöglichen Höfen in Innsbruck und Graz, in: StMw 21 (1934) S. 352. Herbert Vogg, Franz Tuma (1704–1774) als Instrumentalkomponist, nebst Beiträgen zur Wiener Musikgeschichte des 18. Jahrhunderts. Die Hofkapelle der Kaiserin-Witwe Elisabeth Christine, 3 Bde. Wien: masch. Phil. Diss. 1951. Franz Josef Grobauer, Die Nachtigallen aus der Wiener Burgkapelle. Chronik der k.u.k. Hofsängerknaben. Mit einem Geleitwort von Clemens Krauss. Horn 1954. Georg Reichert, Die Preces primariae-Register Maximilians I. und seine Hofkapelle um 1508, in: AfMw 11 (1954) S. 103-119. Walter Senn, Musik und Theater am Hof zu Innsbruck. Geschichte der Hofkapelle vom 15. Jahrhundert bis zu deren Auflösung im Jahre 1748. Unter Verwendung von Vorarbeiten Lambert Streiter. Innsbruck 1954. Othmar Wessely, Archivalische Beiträge zur Musikgeschichte des maximilianischen Hofes, in: StMw 23 (1956) S. 79-134.
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Auswahlbibliographie
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(kuk) Hofsängerknaben zu Wien 1498 bis 1918. Studien zur Geschichte der Integration einer höfischen Institution spezieller Bildung in die allgemeine. Graz: masch. gewi. Diss 2008]. Jürgen Heidrich, Die Habsburger und die Niederlande. Musik und Politik um 1500, in: Jürgen Heidrich (Hg.), Die Habsburger und die Niederlande. Musik und Politik um 1500. Kassel u. a. 2010 (Trossinger Jb. für Renaissancemusik 8) S. 9-14. Laurenz Lütteken, Musikalische Identitäten: Hofkapelle und Kunstpolitik Maximilians um 1500, in: Jürgen Heidrich (Hg.), Die Habsburger und die Niederlande. Musik und Politik um 1500. Kassel u. a. 2010 (Trossinger Jb. für Renaissancemusik 8) S. 15-26. Nicole Schwindt, Habsburgische Kulturpolitik im Spiegel des Liedrepertoires: französisch – flämisch – deutsch, in: Jürgen Heidrich (Hg.), Die Habsburger und die Niederlande. Musik und Politik um 1500. Kassel u. a. 2010 (Trossinger Jb. für Renaissancemusik 8) S. 27-70.
Die Wiener hofmusikk apelle
BanD ii: krisenzeiten Der hofmusikk apellen
her ausgegeBen von: elisaBeth theresia fritz-hilscher, hartmut krones unD theophil antonicek
Der Band stellt die Dokumentation des im Dezember 1997 veranstalteten 2. Symposions zur Geschichte der Wiener Hofmusikkapelle dar, das den im Laufe der Jahrhunderte immer wieder auftretenden Krisen der Institution gewidmet war. Um die Situation der Kapelle im gesamteuropäischen Kontext besser einschätzen bzw. bewerten zu können, wurde der Blick aber nicht nur auf die Geschichte der Wiener Hofmusik, sondern auch auf die Blütezeiten, Eigenheiten, Probleme und Krisen der wichtigsten anderen Hofmusikkapellen im mitteleuropäischen Raum gerichtet. Solcherart ergab sich ein faszinierendes Gesamtbild eines wesentlichen Teiles der europäischen Musikkultur, der viele Jahrhunderte die Weiterentwicklung der Gattungs-, Kompositionsund Stilgeschichte der Musik geprägt hat. 2007, 226 S., 17 x 24 cm, Br. ISBN 978-3-205-99074-1
böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, 1010 wien. t : + 43 (0) 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar