Die Wahrheit über die Wunderwaffe, Teil 3: Geheime Waffentechnologie im Dritten Reich

Der letzte Band der Trilogie vertieft die Rechercheergebnisse der ersten zwei Bände. Igor Witkowski legt seine neuesten

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Table of contents :
Konventionelle Waffen – neue Dokumente
Bewaffnete Fahrzeuge
U-Boote aus Niederschlesien
Einige ergänzende Worte über die zweite Düsenjägergeneration
Die Betonflotte
Fortgeschrittene Konzepte der Reichspost
Einige ergänzende Worte über „unsichtbare“ Schiffe und Flugzeuge
Geheimnisvolle Konzepte aus dem Bereich der Hochfrequenzforschung
„Wirbelwaffen“?
Geheime Laboratorien und Einrichtungen
Der unbekannte Plan, eine neue Kriegsphase zu entfesseln – das Arsenal des Durchbruchs
Das unbekannte Forschungsimperium der SS
Himmlers Offensive in der Rüstungsindustrie – der Fall des Monopols von Speer
Kammlers Spezialwaffen-programme innerhalb der SS
Der „Ss-Musterstaat“
Der nachrichtendienstliche Wettlauf um die Kriegsbeute
Waffen des 21. Jahrhunderts?
Ergänzung: Was hat Joseph P. Farrell ermittelt?
Postskriptum
Literaturnachweis
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Die Wahrheit über die Wunderwaffe, Teil 3: Geheime Waffentechnologie im Dritten Reich

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Igor Witkowski Die Wahrheit über die Wunderwaffe, Teil 3 Titel der Originalausgabe: „Prawda o Wunderwaffe“ Deutsche Erstausgabe, 2011 Deutsche Übersetzung: Marek Kosmala Titelgraphik: Tomasz Maros Layout: Inna Kralovyetts Druck: Westkreuz Druckerei Ahrens KG, Berlin / Bonn

www.mosquito-verlag.de © Mosquito Verlag Ltd & Co KG, Immenstadt 2011 Nachdrucke oder Kopien dieses Buchs, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

IGOR WITKOWSKI DIE WAHRHEIT ÜBER DIE WUNDERWAFFE Geheime Waffentechnologie im Dritten Reich

Teil 3 Das Dritte Reich als Königreich der Geheimwaffen Das unbekannte Forschungsimperium der SS

Ausgewählte Orte östlich von Berlin, die mit Forschungs- und Entwicklungsarbeiten oder der Produktion von deutschen „Spezialwaffen“ in Zusammenhang standen; auch die drei wichtigsten Konzentrationslager sind aufgeführt. Die Karte zeigt den Nachkriegsgrenzverlauf.

Zur Erinnerung an Jacek Duszczak, der der Antwort so nahe war.

Einleitung Ich habe beschlossen, als Einleitung einen Artikel zu „wiederholen“, den ich bereits vor einigen Jahren in dem Buch „Hitler – pytania niepostawione“ („Hitler – ungestellte Fragen“) (2005) veröffentlicht hatte. Er wurde modifiziert und etwas erweitert. Ich habe mich zu diesem Schritt aus dem einfachen Grund entschieden, dass dieser Artikel ursprünglich (d. h. vor dem „Hinzufügen“ zum erwähnten Buch) eben als Einleitung zur Fortsetzung des ersten Bandes der „Wahrheit über die Wunderwaffe“ vorgesehen war. Ich hatte damals darauf verzichtet, deshalb traf ich die Entscheidung, ihn als eine Art Ergänzung einer anderen Publikation zu behandeln. Schließlich kam jedoch so viel neues Quellenmaterial hinzu, dass das Verfassen eines dritten Bandes der „Wahrheit“ real erschien, der quasi seine eigene Einleitung „verlangte“. Die weiter unten dargelegten Überlegungen mögen auf den ersten Blick etwas provokativ erscheinen, provokativ ist jedoch auch der Fragenkomplex selbst. Allein schon die Formulierung „technischer Fortschritt im Dritten Reich“ mag politisch oder moralisch verdächtig klingen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass diese Überlegungen von denjenigen, die die ersten beiden Bände dieser Ausarbeitung bereits gelesen haben, völlig anders aufgenommen werden. Es waren nämlich die Gespräche mit den Lesern, die mich dazu veranlasst haben, auf diese Weise das Problem anzugehen. Die sehr große Zahl der Beschreibungen zukunftsweisender technischer Konzepte, die in den ersten beiden Bänden besprochen wurde, führte bei jeder Gelegenheit und bei jedem Treffen zu den gleichen Fragen: „Wie war das möglich?“, „Wie haben sie das gemacht?“. Ich kann mich, wie jeder andere auch, bei der Antwort irren, bin jedoch davon überzeugt, dass die Fragen an sich wichtig und wertvoll sind, und dass wir sie uns stellen müssen. Hier der erwähnte Text:

Eine Gruppe, die Anfang der 1930er Jahre Flüssigtreibstoffraketen testete. Erster von rechts neben der Rakete: Professor Oberth, eine geheimnisvolle Gestalt während des Krieges (seine Rolle konnte niemals vollständig aufgeklärt werden). Zweiter von rechts ist der junge von Braun. Eines der weniger bekannten Mitglieder dieser Gruppe war Ari Sternfeld – ein polnischer Jude aus Lodz, der kurz danach den ersten Raumanzug entwarf. Später arbeitete er in der UdSSR. Er war einer der vergessenen und im Westen völlig unbekannten Pioniere der Raumfahrttechnik. (Archiv der Smithsonian Institution)

Die herausragendsten „Architekten“ der Kernphysik. Ihre Einstellung zum Faschismus sollte sie bald teilen (Foto von 1927). Von links: Enrico Fermi, Werner Heisenberg und Wolfgang Pauli. Solche charismatischen Genies fehlen wohl in der heutigen Physikforschung. (AIP-Archiv / Emilio Segre)

Es muss wohl niemand davon überzeugt werden, dass Hitler einer der größten, wenn nicht sogar der größte Verbrecher der Geschichte war. Er ahnte wahrscheinlich selbst, dass ihn die Deutschen eines Tages so sehen würden. Meines Wissens wurde z. B. nie ein von Hitler unterzeichnetes Dokument gefunden, das den Holocaust absegnet. Man könnte den Eindruck gewinnen, als hätte er eine weiße Weste behalten wollen. In den Memoiren seiner Mitarbeiter erscheint er vielmehr als Staatsmann, Befehlshaber oder Revolutionär des Nationalsozialismus. Nirgendwo taucht er in Zusammenhang mit den zig Meter hohen Flammen über den Schornsteinen von Auschwitz oder den über 3 km langen Eisenbahnrampen dieses Lagers auf. In dem Versuch, ein Bild dieses Mannes zu erhalten, bedienen wir uns

daher verschiedener, mitunter ungleichartiger Elemente – kein leichtes Unterfangen. Wir erkennen in erster Linie den Verstand eines begabten Mörders; das Komplizierte daran aber ist, dass dies nicht der einzige Aspekt seines Charakters war. Dieser Aspekt bezieht sich im Übrigen eher auf die Außenwelt, die Deutschen selbst sahen ihn während seiner Herrschaft anders. Besonders auffallend im Hinblick auf das Dritte Reich selbst war jedoch seine erschreckende Vision von der vollständigen Umgestaltung der Gesellschaft nach feudalem Muster, eine Vision, die wir mit reinem Gewissen als „rückläufige Zivilisationsentwicklung“ bezeichnen könnten.

Die Kopenhagener Physikerkonferenz im Jahr 1936, auf der die Richtung künftiger Kernforschung festgelegt wurde. Sie fand noch unter dem Zeichen internationaler Zusammenarbeit statt, obwohl sich zum ersten Mal scharfe Meinungsverschiedenheiten abzeichneten. Die Tatsache, dass die Konferenz in jeder Hinsicht von Physikern aus dem Dritten Reich dominiert war, das gerade seine intensive Militarisierung begann, erregte Bedenken der ausländischen Teilnehmer. Dennoch nahmen an ihr noch viele dortige jüdische Physiker teil. In der ersten Reihe sitzen von links: Pascual Jordan (der sich das Kinn hält, mit Brille – ähnlich wie Oberth sollte auch er zur „grauen Eminenz“ der Physikforschung im Dritten Reich werden), Heisenberg, Born, Lisa Meitner, Stern und Franck. (Niels-Bohr-Archiv, Kopenhagen)

Die Gesellschaft an sich sollte in ein totalitäres System überführt werden, das auf der Steuerung des Individuums von oben beruhte und einer Totalkontrolle gleichkam. So beschrieb es im Übrigen Hitler selbst: 4

„Die Kinder gehörten mit zehn Jahren ins Jungvolk, mit vierzehn in die Hitlerjugend, anschließend in die Partei und in den Arbeitsdienst. Und nach der Wehrmacht nehmen wir sie sofort wieder in die SA, SS usw. und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben.“

Die V2-Rakete im unterirdischen „Mittelwerk“. Auch im Zusammenhang mit diesem Programm gibt es viele offene Fragen: 1. Die Rakete konnte für kurze Zeit den Weltraum erreichen (bis zu einer Höhe von etwa 170 km). Vor einiger Zeit wurde im Fernsehen ein Dokumentarfilm ausgestrahlt, der von jemandem aus der Hauptkommission für die Untersuchung der nationalsozialistischen Verbrechen vorbereitet worden war. Darin wurde die These aufgestellt, dass im Geheimen auch eine bemannte Versuchsversion gebaut und erprobt worden war – der erste Raumfahrer der Welt sollte ein polnischer Jude sein, dessen Namen nie ermittelt werden konnte. 2. Abgesehen vom Produktionsprogramm für die V1 und die V2 wurde im „Mittelwerk“ offensichtlich ein viel geheimeres und unbekanntes Konzept verwirklicht – darauf deuten die weiter unten beschriebenen Dokumente hin. 3. Im Weiteren wurde auch der fast völlig unbekannte und enge Zusammenhang zwischen der V2 und dem Entwicklungsprogramm für Massenvernichtungswaffen beschrieben – es wurden biologische und nukleare Sprengköpfe für die V2 entwickelt. (Archiv)

Wenn wir dies im Kontext unseres demokratischen Systems betrachten, das auf der Freiheit des Menschen beruht, dann erhebt sich der Verdacht, dass die gesellschaftliche Unterdrückung der Individualität und des Ideenaustausches die Weiterentwicklung des Dritten Reiches sehr bald gestoppt, materiellen Fortschritt quasi unmöglich gemacht hätte und der Anfang vom Ende des Systems wäre. Befürchtungen dieser Art wurden im Übrigen auch in Hitlers eigenem Umfeld geäußert. Reichsminister Albert Speer brachte sie

vortrefflich zum Ausdruck: 3 „Unter normalen Umständen werden Menschen, die der Realität den Rücken kehren, vom Hohn und der Kritik aus ihrem Umfeld schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Im Dritten Reich gab es solche korrigierenden Maßnahmen nicht. Stattdessen multiplizierte sich jegliche Selbsttäuschung wie in einem Spiegelkabinett, während sie nach und nach zum festen Bestandteil einer fanatischen Traumwelt wurde, die jeden Bezug zur trüben Außenwelt verloren hat. Ich konnte in diesen Spiegelbildern nichts erkennen, außer meinem eigenen mehrfach reflektierten Gesicht.“ Hitler stellte auch Folgendes fest: 1 „Ich will keine intellektuelle Erziehung. Mit Wissen verderbe ich mir die Jugend“. Quasi eine Bestätigung dieser Tendenz war in der „Entwicklungszeit“ des Nationalsozialismus der deutliche Rückgang der Studentenzahlen im Bereich der exakten Wissenschaften und der technischen Fachrichtungen – um nicht weniger als 40 Prozent (Sommersemester 1939 im Vergleich zum Wintersemester 1933/34).1 Also ein Antiintellektueller und ein fortschrittsfeindlicher Mensch? Genau hier beginnt das Problem. Es kommt nämlich zu einem deutlichen Widerspruch. Wenn wir uns mit Behauptungen und Fakten beschäftigen, dann sollten wir uns bei Diskrepanzen zuerst immer auf die Fakten stützen. Was verraten sie uns? Ich lasse hier den Umstand eines Übergangs vom Elend und Rekordarbeitslosigkeit hin zu Wohlstand, vom Fehlen eines Fahrrads zum Traum vom eigenen Auto weg (denn zum wirtschaftlichen Aufschwung trugen auch Faktoren bei, die man als extern bezeichnen könnte), auch deshalb, weil es bedeutend wichtigere Themen gibt. Obwohl der Totalitarismus erblühte und all seine negativen Folgen mit sich brachte, erfuhr die wissenschaftliche und technische Entwicklung eine Beschleunigung wie zu keinem früheren oder späteren Zeitpunkt in der Geschichte der Menschheit. Der wissenschaftlich-technische Forstschritt ist ja gewissermaßen ein geistiger Fortschritt. Wenn vom „freien Ideenaustausch“ oder seiner Abwesenheit die Rede ist, dann dürfen wir auch nicht einen gewissen universellen Richtwert des

Zivilisationsentwicklungsniveaus vernachlässigen – die tatsächliche Menge an Informationen, die von einer Zivilisation erschaffen wird oder durch sie hindurchfließt. Im vorliegenden Fall war er sicherlich sehr hoch. Es ist bekannt, dass sich der technologische Stand seit Ende des Ersten Weltkrieges bis zum Jahr 1939 oder 1940 nicht wesentlich weiterentwickelt hat. Pferde und leinenbespannte Holzflugzeuge beherrschten das Bild. Die Sensation, die die Deutschen im September 1939 in die Knie zwingen sollte, war eine Panzerbüchse mit einem Kaliber von 7,92 mm (Modell 1935 / Ur), die unter strengster Geheimhaltung stand. Es reichten tatsächlich wenige Jahre, um eine Rakete zu bauen, die den Weltraum erreichen konnte (die V2 im Vertikalflug), und das zu einer Zeit, in der z. B. in Großbritannien die Konstruktion einer solchen Rakete noch nicht einmal theoretisch für möglich gehalten wurde. Die Arbeiten an der Rakete waren noch nicht abgeschlossen, als bereits Pläne für eine Interkontinentalrakete und später für eine Raumstation entstanden, die nach dem Krieg von Wernher von Braun beschrieben wurde. Noch kurz vor dem Krieg behauptete ein Professor sogar, dass „wir heutzutage praktisch schon alles über Elektrizität wissen“. Nur ein paar Jahre später wurden IRHalbleiterdetektoren für zahlreiche Anwendungen und Geräte produziert, u. a. für verschiedenen Arten zielsuchender Sprengköpfe für Bomben und Raketen.

Der Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion Albert Speer, Goebbels und Generäle der Wehrmacht bewundern den geglückten Abschuss einer V2. (Bundesarchiv Koblenz)

Vom bahnbrechenden Charakter der MP-43 (in Band I ausführlicher beschrieben) zeugt die

Tatsache, dass sie nach dem Krieg zum Vorbild einer ganzen Familie von Handfeuerwaffen wurde. Das wird beim Vergleich dieser Entwicklungsversion des Karabiners, bei dem das Visierkorn etwas nach hinten auf die Verkleidung der Gasleitung und des Rohrs verschoben wurde … (Archiv)

… mit dem Nachkriegsgewehr G-3 von Heckler und Koch deutlich (diesmal für Gewehrmunition konzipiert), das zum großen Exportschlager wurde und immer noch von mehreren Dutzend Armeen verwendet wird. (Foto: „Strzał“)

Es entstanden Entwürfe eines ersten Halbleiterverstärkers (H. Welker, 1945) sowie der erste funktionierende programmgesteuerte Digitalrechner, der von der Firma Henschel für die Erstellung von Zielsuchalgorithmen für das Hs-293-Geschoss verwendet wurde; für ihn wurde eine spezielle Programmiersprache mit der Bezeichnung Plankalkül entwickelt (K. Zuse, 1941).5 Nur wenige Menschen sind sich der Tatsache bewusst, dass alle Grundlagen der „revolutionärsten“ Erfindung der Nachkriegszeit, nämlich des Transistors, bereits in den 1920er Jahren in Deutschland erarbeitet worden waren, als Julius Edgar Lilienfeld einen Transistor patentierte, bei dem er als Halbleiter Kupfersulfid einsetzte (der Autor emigrierte in die USA, wo er 1930 seine Errungenschaft unter der Nummer 1.745.175 patentierte).5 Kurz darauf, im Jahr 1935, patentierte sein Landsmann Oskar Heil eine erheblich verbesserte Lösung (britisches Patent Nr. 439.457).5 Schauen wir uns jetzt die Luftfahrt an. Die Schockwellen, die sich nach der Präsentation des ersten Düsenjägers, der Me-262, ausbreiteten, waren noch zu spüren, da war schon eineinhalb Jahre später die nächste Generation von Düsenflugzeugen testbereit (z. B. die Ho-229), die dritte Generation war sogar bereits in Vorbereitung. Als Beispiele wären das Überschallflugzeug Lippisch P-13b, die Ta-283 oder der Triebflügel von Focke-Wulf zu nennen, ein Jäger, der vertikal starten und landen konnte (sie wurden in Band II der „Wahrheit über die Wunderwaffe“ genau beschrieben und dokumentiert). In diesem Kontext scheint das weiter unten beschriebene, ungewöhnlich fortschrittliche Konzept sehr interessant, das von der SS in Pilsen verwirklicht wurde, wobei bei der

Personalwahl als Hauptkriterium die Fähigkeit galt, „visionären Projekten die Stirn bieten zu können“. Nach diesem Grundsatz wurden sogar die mit Peenemünde in Verbindung stehenden Personen ausgeschlossen! Auch wenn wir den technischen Aspekt an sich außer Acht lassen, so wäre doch anzumerken, dass in diesem Fall ein Forschungsmanagementsystem eingeführt wurde, das zwar eine fundamentale Bedingung für den Forschungsfortschritt darstellte, jedoch unter normalen Bedingungen nicht die geringste Chance auf Verwirklichung gehabt hätte – auch nicht bei der Wehrmacht, von anderen Ländern ganz zu schweigen.

Entgegen der verbreiteten Meinung beruhte die rasante Entwicklung der Halbleiterelektronik in den 1950er Jahren auf Vorkriegsentdeckungen, die während des Krieges technologisch weiterentwickelt wurden. Die Zeichnung zeigt das Schema des Lilienfeldtransistors von 1938. (Internet)

In keinem Land gab es damals vergleichbare Waffen oder Systeme. Der amerikanische Präsident Eisenhower drückte nach dem Krieg diese Tatsache ziemlich unmissverständlich aus – ich vermute jedoch, dass auch er von den interessantesten Entwicklungen nichts wusste: 8 „Die deutsche Technik war der Technik der Alliierten gut zehn Jahre voraus. Glücklicherweise hat die deutsche Führung diesen Vorsprung nicht auszunutzen gewusst und kam zu spät dahinter, welche Chancen vor ihr standen.“

Das Bild eines jungen Wehrmachtsrekruten (bei Kriegsende an der Oderlinie). Darauf ist die Verwirklichung zweier Konzepte zu sehen, die zu den bahnbrechendsten zählten: der Automatikkarabiner (für Mittelpatronen) und die Panzerfaust. Das Erstere, die MP-43, lieferte im Gegensatz zu einer Maschinenpistole auch auf eine Entfernung von mehreren hundert Metern eine hohe Feuerstärke (wobei der technologische Ansatz ein vollkommen anderer war). Der rückstoßfreie Granatwerfer verschoss Hohlladungsgranaten und war die erste wirklich wirksame Panzerabwehrwaffe für den einzelnen Soldaten und auch noch billig in der Herstellung. (Museum Seelower Höhen)

Dieses Phänomen zwingt zu einer tieferen Reflexion, deren Bedeutung jenseits rein geschichtlicher Betrachtungen liegt, insbesondere in Bezug auf die Gegenwart. Nehmen wir ein Beispiel: Das weit verbreitete Passagierflugzeug Boeing 737, das viele Fluglinien (z. B. LOT) innerhalb Europas nutzen, wurde Mitte der 1960er Jahre entwickelt und beruht zum großen Teil auf Konstruktionselementen der um etwa zehn Jahre älteren Boeing 707. Nach über 40 Jahren wird das Flugzeug auch heute noch produziert und ist sehr gefragt. Es gibt keine Pläne, die Produktion einzustellen (es wird zwar modernisiert, das bestätigt jedoch nur, wie klein der Spielraum für den Fortschritt ist). Anfang 2004 hat der amerikanische Präsident Bush Pläne für eine Rückkehr auf den Mond und die „Eroberung“ des Mars im dritten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts verkündet, und zwar mit Hilfe einer Raketen- und Staustrahlantriebstechnologie, die bereits in den 1930er Jahren des letzten Jahrhunderts in groben Zügen existierte. 2005 haben die Amerikaner mit Pauken und Trompeten ihren nächsten Schritt zur Eroberung des Weltraums verkündet, der darauf beruhen soll, auf Raumfähren zu verzichten und zu Trägerraketen aus dem Apollo-Programm zurückzukehren – einem Konzept also, das noch von Wernher von Braun entwickelt wurde. In einem Artikel ist zu lesen:

„Die von der NASA präsentierte Vision der weiteren Entwicklung der bemannten Raumfahrt bestätigt leider das riesige Ausmaß des Fiaskos des Space-Shuttle-Programms und adelt gleichzeitig die Errungenschaften und visionären technischen Lösungen des ApolloProgramms, das in den 1970er Jahren offensichtlich verfrüht beendet wurde, eben mit dem Ziel, die Mittel für die Entwicklung des Raumfährenprogramms zu erhöhen.“ 10

Hitler und Speer (Hulton Archiv)

Wernher von Braun ergibt sich den Amerikanern. Der Empfang fiel unverhofft herzlich aus, obwohl die Amerikaner nur eine blasse Ahnung von Langstreckenraketen hatten. (Foto: NASA)

Die Amerikaner haben sich vorgenommen, dieses Niveau 2018 zu erreichen. Es mag sich der Eindruck ergeben, als sei der Fortschritt praktisch zum Stillstand gekommen – im Vergleich zu einer Zeitspanne und einem System,

die als Rückschritt für die Zivilisation angesehen werden, als dunkle Sackgasse in der Geschichte unserer Zivilisation. Ein gutes Beispiel, das diesen Widerspruch verdeutlicht, ist das gesamte Thema der deutschen Flugzeugtechnologie, die von den Amerikanern und anderen sehr hoch bewertet wurde. Senator Harry F. Byrd sprach von der „Revolutionierung des Wesens des Luftkrieges an sich“, und General Donald L. Putt stellte fest: 6 „Der Fortschritt ihrer Forschungsarbeiten im Bereich der Düsen- und Raketenantriebe, der Aerodynamik, der Thermodynamik, der Überschallflugphysik und in anderen Bereichen war unseren Leistungen eindeutig weit voraus. Ich glaube jedoch nicht, dass die Deutschen grundsätzlich talentierter als die besten amerikanischen Wissenschaftler und Techniker sind. Schließlich haben wir die Atombombe entwickelt. Der Unterschied lag in der Fliegersprache ausgedrückt darin, dass während wir einen großen Fortschritt im Bereich der konventionellen Entwicklung gemacht haben, die Deutschen vollkommen neue Wege auf dem Gebiet künftiger Luftfahrt beschritten und ausgenutzt haben.“ (Bei dieser Gelegenheit sei angemerkt, dass von den etwa zwölf leitenden Wissenschaftlern, die an der amerikanischen Atombombe arbeiteten, nur Feynman, Lawrence und Oppenheimer Amerikaner waren, wobei der Letztere in Deutschland ausgebildet wurde.) Trotz der Freiheit, die die Formulierung von Gedanken und den Ideenaustausch ermöglicht, entwickelt sich unser System nicht weiter, und ein jährliches Wirtschaftswachstum von ein bis zwei Prozent wird in den entwickelten westeuropäischen Ländern bereits als Erfolg gewertet. Dagegen absorbierte das totalitäre System Nazideutschlands neue und innovative Ideen – zumindest auf dem Gebiet der Wissenschaft und der Technologie – mit einer unheimlichen Effizienz und rasenden Geschwindigkeit; es beseitigte die Systemblockaden, die uns aus der Gegenwart bekannt sind („normale“ Wissenschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich im Grunde genommen nur mit dem beschäftigt, was sie schon kennt).

Die MP-43. (Archiv)

Ist die These von der Überlegenheit der Demokratie und der „Gedankenfreiheit“ demnach lediglich ein Mythos? Vielleicht ist unsere demokratische Welt bloß eine kurzlebige Episode in der Geschichte? Oder liegt das Problem vielleicht auch woanders, nämlich in der Fähigkeit, Gedanken zu schöpfen sowie Meinungen und Ideen zu formulieren? In dieser Hinsicht wird der Vorzug unseres Systems – die Freiheit, Gedanken und Ideen auszutauschen – nur zweitrangig, wenn Menschen in den Kategorien der Massenkultur denken und folglich nicht viel auszutauschen haben. (Die zweite Gefahr besteht darin, dass die Massenkultur zum wichtigsten Mechanismus der Politik aufrücken und die normalen meinungsbildenden Prozesse ersetzen wird). Am deutlichsten wird diese Entwicklung in der „Demokratie Nr. 1“ – den USA sichtbar, wo im Übrigen das Bildungsniveau sehr niedrig ist. Ein führender amerikanischer Wissenschaftler stellte fest:7 „Viele Pädagogen und politische Entscheidungsträger sind sich darin einig, dass die Vereinigten Staaten in diesem wichtigen Bereich [Bildung] auf dramatische Art und Weise gegenüber der übrigen Welt in Rückstand geraten. Ergebnisse der Erhebungen des National Assessment of Educational Progress [Nationale Einschätzung des Pädagogischen Fortschritts] und

der Third International Mathematics and Science Study [Dritte Internationale Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie], die 41 Länder umfassen, werden oft als Belege für dieses Versagen angeführt.“ Kehren wir jedoch zum Hauptthema zurück – zu Hitler. Ich frage mich, ob sich uns durch einen Einblick in seine Gedankenwelt Spuren von solchen Geistesblitzen offenbaren, die die Fakten untermauern und die uns einen Anhaltspunkt für ihren Ursprung liefern könnten (obwohl Hitler logischerweise nicht derjenige war, der die deutsche Wissenschaft schuf). Einige interessante Elemente „zum Thema“ lassen sich in Hitlers Irrationalismus finden. Betrachten wir beispielsweise die folgenden Aussagen, die in der Wolfsschanze getätigt wurden: 2 „Notwendigkeit lehrt den Menschen nicht nur zu beten, sondern auch Erfindungen zu machen und, was am wichtigsten ist, diese auch zu akzeptieren. Jede neue Schöpfung zerstört den Wert so viel anderer Arbeit, dass es fast immer zu heftigen Kämpfen kommt, um das neu Erschaffene zur Anwendung zu bringen.“ (04.01.1942) Oder bei einer anderen Gelegenheit: „Die Menschen denken alle zusammen unlogisch und die Professoren sind dabei am schlimmsten.“ Diese Aussagen scheinen banal und nicht gerade genial zu sein, jedoch ist ein derartiges Verständnis von den Umständen des Fortschritts höchst ungewöhnlich. Wäre es anders, würde derzeit nicht der Usus vorherrschen, dass kein Professor seine Unterschrift unter ein Konzept setzt, das sein Wissen übersteigt. Ein Merkmal des Dritten Reiches war eben, dass die Professoren die Wissenschaft nicht mit Absolutheitsanspruch regierten – Hitler vertraute vor allem Intellektuellen nicht. Das System war etwas komplizierter. In diesem Zusammenhang erscheint die Tatsache interessant, dass Hitler zwei Entwicklungshemmnisse erkannte: die mentale Trägheit und Engstirnigkeit akademischer Wissenschaft und das Christentum. Am 21. Oktober 1941 sagte er beispielsweise in der Wolfsschanze: 2 „Das Christentum unterdrückte die Blütezeit der deutschen Welt für

über 1.000 Jahre – erst im 18. Jahrhundert erreichten wir mehr oder weniger das Niveau, auf dem die Römer sich befanden, bis das Christentum auftauchte. […] Wenn wir diese Plage beseitigen, tun wir etwas für die Menschheit, von dessen Tragweite unsere Männer an der Front keine Vorstellung haben.“

Präsident J. F. Kennedy und Wernher von Braun im Jahr 1963. (Foto: NASA)

Das Dritte Reich vollbrachte hervorragende Leistungen in Wissenschaft und Technologie. Manche Menschen sehen das anders, aber es ist keine Glorifizierung des Nationalsozialismus, wenn wir diese Tatsache anerkennen oder die Düsenflugzeugkonzepte von 1944 sogar bewundern. Man darf im Übrigen die technischen Errungenschaften eines Systems nicht mit seiner moralischen Seite vergleichen. Dass ein Land technisch entwickelt ist, heißt nicht, dass es nicht kriminell sein kann. Eine Analogie: Die Griechen des klassischen Altertums vollbrachten außergewöhnliche Leistungen in den Geisteswissenschaften, die ihrer Zeit weit voraus waren, jedoch nicht im Bereich der exakten Wissenschaften oder der „Anwendungstechnik“; sie kannten nicht einmal die einfachsten mathematischen Gleichungen, alle Beziehungen wurden mit Worten ausgedrückt. Die Auseinandersetzung mit den Gründen für diese Beschleunigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung ist wertvoll und, allem Anschein zum Trotz, sogar moralisch angemessen. Wir brauchen die Entwicklung, um die Herausforderungen des neuen Jahrtausends zu meistern, ganz abgesehen von der schwächer werdenden Rolle Europas in der Welt. Das ist in erster Linie eine Frage der Überwindung geistiger Barrieren. Wenn die Deutschen mit ihrem durch eine kranke Ideologie belasteten Parteiapparat dazu in der Lage waren, wäre es für uns umso mehr möglich

gewesen. Das ist natürlich nicht die einzige Lehre, die wir aus der Analyse von Forschungsprojekten im Dritten Reich ziehen können, es ist auch nicht die einzige Warnung – vielleicht jedoch die für uns nützlichste.

*** Der vorliegende Band erinnert in gewisser Weise an die ersten beiden Bände, es gibt jedoch auch einige wesentliche Unterschiede. Entgegen meinen eigenen Erwartungen ist es mir gelungen, viele neue Quellen zu finden, die sozusagen hinter weitere Vorhänge blicken lassen, wo in unüberschaubaren Archiven Beschreibungen äußerst moderner Konzepte des Naziimperiums verborgen lagen. Der erste Teil dieses Bandes beinhaltet Neues aus dem Bereich konventioneller Waffen, darunter nachrichtendienstliche Beschreibungen geheimer Betriebe und Laboratorien, die in Zusammenhang mit „Spezialwaffen“ standen – darüber war bisher nur sehr wenig bekannt. Die Spuren, die vom letzten Teil des zweiten Bandes initiiert wurden, haben sich jedoch als die interessantesten und fruchtbarsten herausgestellt. Sie haben es u. a. ermöglicht, zwei sehr spannende Fragen im neuen Licht zu betrachten: die Vorbereitung auf die totale Kriegsphase unter Einsatz von Massenvernichtungswaffen und die, wie sich herausstellt, sehr umfangreichen geheimen Forschungsprojekte der SS, die auch in Zusammenhang mit der ersten Frage stehen. Zur damaligen Zeit waren diese Projekte technisch sehr fortgeschritten, was nicht einmal Reichsminister Speer gewusst hatte, wie er später im Gefängnis schrieb. Ich lade Sie also zur Lektüre ein.

Das Dritte Reich als Königreich der Geheimwaffen

Konventionelle Waffen – neue Dokumente Bewaffnete Fahrzeuge Der erste Band des Buches beinhaltet ein Kapitel über den oft übersehenen Fortschritt, den es im Dritten Reich auf dem Gebiet bewaffneter Fahrzeuge gab. Es ist bekannt, dass es in diesem Bereich während des Krieges zu sehr großen Änderungen kam – es reicht, den Pz. Kpfw. I von 1939 (nur mit einer Maschinenpistole bewaffnet, sehr schwach gepanzert) mit dem Panther oder dem Königstiger zu vergleichen. Es handelte sich dabei im Grunde genommen um einen Sprung um zwei Generationen, der von einer vollständigen Umwertung der Rolle von Panzern auf dem Schlachtfeld begleitet wurde – von einem Mittel zur Unterstützung von Pferdeheer und Infanterie bis zu einer ähnlichen Rolle wie heute. In den Jahren 1944/45 wurde jedoch eine weitere große Revolution vorbereitet, die von mir in Band I beschrieben wurde. Es tauchten (in Form von Prototypen und kurzen Serien) Erfindungen auf, die ehrlich gesagt eher der Panzertechnik der 1970er Jahre glichen. Zur kurzen Erinnerung: Es handelte sich dabei um den Dieselantrieb, den Turbinenantrieb (Gasturbine, z. B. mit einer Leistung von 1.000 PS; notabene wäre der Königstiger, der sie erhalten sollte, eine für die damalige Zeit perfekte Konstruktion gewesen, wäre da nicht sein Antrieb, der es ihm ermöglichte, im Gelände eine Geschwindigkeit von 20 – 30 km/h zu erreichen), Nachtzielfernrohre sowie Geräte zur nächtlichen Beobachtung des Kampffeldes (die es einigen Panther-Kompanien erlaubten, mit einem „blinden“ Gegner beinahe wie tagsüber zu kämpfen). Das ist jedoch nicht alles – dazu kamen hydrokinetische und elektromagnetische Antriebssysteme, stufenlose hydrostatische Drehwerke, automatische Schaltgetriebe.

Mehrere Panther bei einer Truppenverschiebung in der Region von Kostrzyn (Küstrin) während der russischen Januaroffensive im Jahr 1945. (Archiv)

Diese Errungenschaften blieben voneinander isolierte Neuigkeiten, da die Deutschen es nicht schafften, einen Panzer herzustellen, bei dem diese „kumuliert“ zum Tragen hätten kommen können. Die Wirkung einer solchen Lösung wäre aber zweifelsohne beträchtlich gewesen. Das, was ich im erwähnten ersten Band vorgestellt habe, ist jedoch lediglich ein Teil der Wahrheit. Es gab noch andere Fortschrittsrichtungen in diesem Bereich. Beginnen wir mit einer bestimmten vergessenen Version des „guten alten“ Panthers – ab der Ausführung F.11 Sie entstand im Rahmen eines Programms mit dem offiziellen Namen Panther II, analog zum Königstiger, der auch als Tiger II bezeichnet wurde. Die Deutschen schafften es lediglich, zwei Prototypen fertig zu stellen. Es wurden bestimmte Verbesserungen eingeführt, die auf Erfahrungen an der Front zurückgingen, es gab aber auch einige vollkommen neuartige Lösungen. Der Panzerkampfwagen hatte eine andere, besser geformte Panzerung, und der vollkommen neue Turm sollte mit einer erheblich modernisierten Kanone bewaffnet werden (75 mm). Die Rumpfseitenwände bestanden aus einzelnen, geraden und zur Mitte geneigten Flächen. Am interessantesten war der durch die Firma Rheinmetall gebaute Turm: Er war deutlich kleiner als der Standardturm, erinnerte eher an eine abgeschnittene Pyramide und bekam den Namen „Schmalturm“. Die Kriegserfahrung hat gezeigt (und zeigt es noch heute), dass etwa die Hälfte aller Treffer auf dem Turmvorderteil landen. Deshalb galt als höchste Priorität, sein Stirnprofil unter gleichzeitiger Neigung der Seitenwände zu verkleinern.

Ein im Februar 1945 in Niederschlesien zurückgelassener Pz. Kpfw. IV; rechts: ein schwerer Kettenschlepper. (Archiv)

Einer der unzähligen Panther, die auf den Feldern des Dritten Reiches in den letzten Kriegswochen zurückgelassen wurden. (Archiv)

Die Fläche der vorderen Panzerplatte wurde in der Projektion um etwa ein Viertel verkleinert. Das ermöglichte es, die Dicke der Panzerung auf 120 mm zu erhöhen. Die Breite der vorderen Panzerplatte betrug 1,5 m am Sockel und lediglich 95 cm an der Decke. Im Großen und Ganzen sah der verjüngte Turm viel besser als der bisherige aus. Auch das Joch der Kanone war kleiner und wurde mit dem Ziel entworfen, die Wahrscheinlichkeit einer Verkeilung im Falle eines Treffers zu minimieren. Seine Verkleidung hatte jetzt die Form einer Glocke – ähnlich wie beim modernisierten Tiger – die so charakteristische vertikale Halbkreisverkleidung war verschwunden. Das ist jedoch lediglich ein kleines technisches Detail. Die wichtigste Änderung beruhte nämlich auf einer erheblichen Steigerung des Wirkungsgrades der Bewaffnung, obwohl sie ohnehin (wie vorher beschrieben) gegenüber der mächtigen 122-mm-Kanone des sowjetischen IS-2 als überlegen galt. Hier gab es die klassischen Vorboten künftiger Trends: Ein Nachtzielfernrohr (FG-1250) durfte natürlich nicht fehlen. Darüber hinaus wurde Folgendes eingeführt:11 • Periskophauptzielfernrohr mit dem Kopf auf der Turmdecke (was die Wahrscheinlichkeit der Zerstörung des Hauptzielfernrohrs durch die auf die Stirnpanzerung auftreffenden Splitter verringerte). • Das erwähnte Zielfernrohr (SzF-1 von Leitz) war mit einem System zur Stabilisierung der Ziellinie während der Fahrt ausgestattet – jedoch nur in der vertikalen Ebene. Die Serienproduktion wurde erst im Januar 1945 in Auftrag gegeben.

• Die neue KwK 44m / 2-Kanone wäre mit einem automatisierten Ladesystem ausgestattet worden, das notabene von den im weiteren Teil des Buchs ausführlich beschriebenen und heute in gewissem Sinne in Vergessenheit geratenen Skoda-Werken in Pilsen in Serie hergestellt werden sollte. Dort (in den Krupp-Werken) sollten auch ausschließlich neue Kanonen produziert werden. Der Abschluss der Produktionsvorbereitungen war allerdings erst für April 1945 geplant. • Eine Ergänzung dieser Neuerungen war ein Raumbildentfernungsmesser mit einem Sockel von 1.320 mm, dessen Objektive an den Turmseiten herausragten und mit halbkreisförmigen Gussverkleidungen geschützt waren. Die Vorrichtung hätte es erlaubt, die Entfernung zum Ziel über die ganze Schussreichweite der wirksamen Kanone genau zu bestimmen. Eine weitere Änderung, die sich stark auf die Gefechtsmöglichkeiten ausgewirkt hätte, war der Einsatz des neuen Motors Maybach Hl-234 mit einer Leistung von nicht weniger als 850 PS (gegenüber 700 PS in der Grundversion). Im Rahmen der Vorbereitungen zum chemischen Krieg, der ein weiteres übergangenes Motiv in der Kriegsendphase darstellt, wurde der Panzerkampfwagen mit Indikatoren für das Vorhandensein von toxischen Kampfmitteln ausgestattet. Sie hatten die Form von kleinen, am Turm befestigten Sensortafeln. Die letzte Neuigkeit, die eher ungewöhnlich für Panzerkampfwagen ist, waren Öffnungen im Turm zum Feuern von Handfeuerwaffen durch die Besatzung, die für die Automatikkarabiner MP43 / MP-44 vorgesehen waren. Die Frage der Modernisierung der zwei wichtigsten Panzerkampfwagen des Dritten Reiches in den letzten Kriegsjahren – des Panthers und des Tigers – wurde bereits im Bericht des technischen Nachrichtendienstes der USA (FIAT) erörtert, auf den ich während meiner „Expedition“ zum dortigen Archiv im Mai 2006 gestoßen bin.12 Ich möchte vor allem auf die Punkte eingehen, die im bisherigen Teil dieses Kapitels und im zweiten Band unerwähnt geblieben sind. Hier die Zusammenfassung des Berichts:

Der Panther in Tschechien (weiter unten beschrieben), in der Endphase des Krieges. (Archiv)

Beide erwähnten Panzerkampfwagen unterschieden sich von früheren Konstruktionen u. a. dadurch, dass mit ihrer Konzipierung schon während des Krieges begonnen worden war, d. h. nachdem die Deutschen Schlüsse aus den ersten Panzerkämpfen ziehen konnten. Der Panther war vom Grundkonzept her für Offensivmaßnahmen gedacht – er sollte aus dem Marsch angreifen und die feindlichen Verteidigungskräfte bezwingen können – während der Tiger eher für Verteidigungsaufgaben konzipiert war. Aufgrund der starken Bewaffnung einerseits (in Form der bewährten 88-mmKanone, die womöglich die beste Artilleriebewaffnung dieses Krieges darstellte) sowie der starken Panzerung und schwachen Einzelleistung andererseits war er vielmehr quasi ein beweglicher Artilleriebunker. Für Angriffe war er ungeeignet, da seine Manövrierfähigkeiten anderen Kampfwagen deutlich unterlegen waren. Der Panther kam zum ersten Mal im Sommer 1943 zum Kampfeinsatz und avancierte schnell zum Grundpanzer. Nach und nach wurde er zur Ausrüstung sowohl der selbstständigen als auch der untergeordneten Panzerbataillone – in den Panzerdivisionen. Es wurde der allgemeine Grundsatz eingeführt, dass jedes Panzerregiment aus einem Pz. Kpfw. IVBataillon und einem Panther-Bataillon bestehen sollte. Der Panther war dem Modell IV deutlich überlegen, was vor allem auf seine Bewaffnung zurückzuführen war: Die 75 mm-Kanone zeichnete sich durch eine hohe Mündungsgeschwindigkeit der Kerngeschosse und eine große Zielgenauigkeit aus. Der Panther hatte auch Vorzüge im Bereich der Panzerung und der Manövrierfähigkeit. In die Massenproduktion gingen die Versionen D, A und G – in dieser Reihenfolge. Der hohe Wirkungsgrad der Bewaffnung führte dazu, dass diese Panzerkampfwagen beim Feuerwechsel auf große Entfernungen, etwa zwischen 1.000 und 2.500 m, die größten

Siegeschancen hatten. Die Praxis an der Front zeigte relativ schnell, dass eines der Hauptprobleme die geringe Lebensdauer des Motors war. Wenn es möglich war, versuchten die Deutschen deshalb auf die Schiene auszuweichen.

Ein aufgegebenes schweres Sturmgeschütz vom Typ Panzer IV / 70(V), das zur Ausrüstung einer der Divisionen der Waffen-SS gehörte, die Tschechien verteidigte. (Archiv)

Der modernisierte Panther, Version F. Der Panzerkampfwagen wurde gründlich modernisiert, die Änderungen betrafen keineswegs nur den Turm. Er sollte auch mit einem neuen Antriebssystem sowie u. a. Vorrichtungen zur wirkungsvollen Feuerführung nachts und während der Fahrt ausgestattet werden. Es handelte sich also um Änderungen, die den Panzerkampfwagen für die nächste Generation qualifizierten. (Archiv)

Die Karriere des Tiger begann etwas früher, und zwar 1942 in der UdSSR. Damals war er für die Russen eine große Überraschung, und seine Frontpanzerung war mit der verwendeten Munition praktisch nicht zu durchdringen. Wie so oft in der Kriegsgeschichte tauchten jedoch relativ schnell neue Panzerabwehrkanonen und Panzerhaubitzen auf, die die schweren und wenig beweglichen Maschinen wirkungsvoll bekämpfen konnten. Bei dieser Gelegenheit stellte sich heraus, dass die Panzerkampfwagen eine weitere Schwäche aufwiesen – die zwar dicken, aber senkrecht aufgestellten (und großen) Frontplatten sowohl des Turms als auch des Rumpfes. Die Tiger entpuppten sich auch als sehr empfindlich gegenüber seitlichem Beschuss, insbesondere durch die 122 mm-Kanonen der Josef Stalin-Panzer (IS), die amerikanischen 90 mm-Kanonen und sogar die 57 mm-Panzerabwehrkanonen der Alliierten. Die Deutschen wirkten dem auf

zwei Arten entgegen: Erstens wurde das Panzerkampffahrzeug (der Königstiger) umgebaut, und die Panzerung wurde entsprechend geformt, um die Wahrscheinlichkeit von Abprallschüssen zu erhöhen. Zweitens wurde die Taktik geändert – die Deutschen versuchten nun, diese Panzerkampfwagen in der Hauptverteidigungsrichtung / Hauptangriffsrichtung (im letzteren Fall meistens in der zweiten Staffel!) zu konzentrieren, damit sie seitlich durch die Panther geschützt werden konnten. Im Rahmen dieses Konzepts entstanden „Schwerpanzerbataillone“, die Durchbrüche durchführten. Außerdem stellte die Lebensdauer des Motors und des Fahrwerks genauso wie bei der letzteren Variante eine erhebliche Einschränkung dar (die sich überlagernden Laufräder nutzten sich schnell ab und wurden zum Albtraum, wenn sie aneinander festfroren). Überhaupt war dieser Panzerkampfwagen bei den Truppen nicht besonders beliebt und dafür berüchtigt, jede freie Stunde für Reparaturen und Wartung zu benötigen. Ein anderes Problem entstand durch das Gewicht des Fahrzeugs selbst – falls die Notwendigkeit bestand, beschädigte Panzer vom Kampffeld zu evakuieren. Es gab nur wenige Fahrzeuge, die eine solche 60 t schwere Eisenmasse aus der Klemme befreien konnten, insbesondere wenn der Untergrund schwierig und der Gleisanschluss weit entfernt war. Man muss nämlich wissen, dass unter normalen Umständen, wenn der Gegner ein Gebiet nicht sofort besetzt, die meisten getroffenen Panzer abgeschleppt und erneut in Dienst gestellt werden können (es sei denn, dass es zur Explosion des gesamten Munitionsvorrats kommt).

Bei der Seitenansicht des Panthers F springt die trichterförmige Verkleidung des Kanonenjochs in die Augen, nach Muster des Königstigers. (Archiv)

Eine experimentelle 88 mm-Panzerhaubitze, zurückgelassen in der Nähe von Berlin. (Archiv)

Der Königstiger auf dem Vorgelände von Berlin. (Archiv)

In der zweiten Kriegshälfte hatten die Tiger einen tödlichen Feind, mit dem sie nur schwer fertig werden konnten. Es handelte sich dabei um den IS-2 (122 mm gegenüber 88 mm), obwohl dessen Kanone auch einige Einschränkungen aufwies, die in Band I beschrieben wurden. Mit dem IS-2 wurden lediglich die Jagdtiger-Panzerhaubitzen problemlos fertig, die mit gewaltigen 128 mm-Kanonen bewaffnet waren. Davon wurden jedoch nur wenige produziert – lediglich 48 Stück! Das ist natürlich nicht so zu verstehen, dass sich der Tiger in der Kampfpraxis als schwach herausstellte, schließlich waren auch der IS-2 und die 40 t schweren amerikanischen Pershings (90 mm-Kanone) keine Standardpanzer, wobei die letzteren relativ spät zur Anwendung kamen. Sogar in der Endphase des Krieges war der Tiger eine Waffe, die der anderen Seite Angst einflößte – besonders den Alliierten, was das Einschlagen eines vergleichsweise tiefen Keils durch die Deutschen in die zahlreichen alliierten Truppenverbände in den Ardennen im Dezember 1944 beweist. Den Königstiger (offizielle Bezeichnung: Pz. Kpfw. VI ç, 8,8 cm Kw.K.43 – L / 71, Sd. Kfz. 182) beschrieben die Amerikaner als eine „… greifbar ganz neue Qualität, mit einer Kanone, die sich durch eine wesentlich höhere Geschossdurchschlagsleistung als alle anderen in einem 360°-Drehturm eingebauten Kanonen auszeichnet. Er besitzt auch eine viel wirkungsvollere Panzerverkleidung – nicht nur in Bezug auf ihre Dicke (150 mm bei der oberen und vorderen Rumpfplatte), sondern auch aufgrund der Neigung der Panzerplatten, insbesondere vorne, wo der obere Rumpfhauptteil unter einem Winkel von 50° zur Senkrechten geneigt ist.“

Querschnitt eines deutschen Panzerkanonenstabilisators. (NARA / CIOS)

Ein wenig bekanntes Beispiel der Panzertechnik im Dritten Reich – ein selbstangetriebenes Flugabwehrgerät mit einer 37-mm-Kanone. Auch dieses Bild wurde wahrscheinlich in Niederschlesien aufgenommen. (Archiv)

Der Bericht beschreibt auch die tatsächliche Durchschlagsleistung der 10 kg schweren Kerngeschosse des Tigers auf verschiedene Entfernungen. Das ist insofern interessant, als ich auf solche Angaben bei keiner anderen Quelle gestoßen bin: Entfernung Geschossgeschwindigkeit Durchdringung bei senkrecht [m] [m/s] stehender Panzerung [mm]

Durchdringung bei einer um 30° geneigten Panzerung

457

942

218

179

914

886

200

164

1.372

832

183

150

1.829

780

168

136

2.286

731

153

123

Mit „Panzerung“ ist hier eine homogene Platte aus Standardpanzerstahl gemeint. Erst durch den Vergleich mit den Panzerungsdicken der Hauptgegner lassen sich die angegebenen Ergebnisse konkret einordnen. So besaß der „gefährlichste“ gegnerische Panzer, der IS-2, einen 20 – 160 mm dicken Mantel („stromlinienförmige“ Frontpanzerung, wie bei den meisten anderen sowjetischen Konstruktionen), weshalb die Russen um die Jahreswende 1944/45 die modernisierte Version IS-3 eingeführt hatten, bei der ausgewählte neuralgische Panzerungselemente auf 230 mm verdickt wurden (in geringem Ausmaß, da sich das Gesamtgewicht nur um etwa 500 kg auf 46,5 t gegenüber den 68 t beim Königstiger erhöhte).

Die Titelseite eines Berichts des amerikanischen Nachrichtendienstes über die Modernisierung des Panthers und des Tigers. (NARA)

Die schweren Panzer der Alliierten fielen wesentlich schlechter aus. Der Britische Churchill Mk.3, der ab 1941 bis zum Kriegsende produziert wurde, hatte eine 19 – 102 mm dicke Panzerung. Der amerikanische, etwas übermäßig angepriesene M-26 General Pershing (da in Wirklichkeit die erste Serie erst bei Kriegsende eingeführt wurde) besaß eine noch schwächere Panzerung mit einer Dicke von 13 (sic!) bis 102 mm. Der Vergleich mit Panzerkampfwagen mittlerer Klasse soll nur die Neugier des Lesers befriedigen – wenn es um die Dicke der Panzerung geht, waren alle „Konkurrenten“ sowohl dem Königstiger als auch, was noch viel wichtiger

ist, dem Panther unterlegen! Die einzige Ausnahme bildete der eigentlich experimentelle sowjetische T-44-Panzer, der in geringen Stückzahlen in den letzten Kriegsmonaten eingesetzt wurde. Er zeichnete sich durch identische Panzerungsdicken wie der Panther aus, d. h. 15 – 120 mm. Der bereits „berühmte“ T-34 besaß eine Panzerungsdicke von lediglich 20 – 52 mm. Eine modernisierte Version mit einer 85 mm-Kanone hatte eine Frontpanzerung, deren Dicke an einigen Stellen auf 90 mm erhöht wurde (wobei erneut das Gesamtgewicht nur um etwa eine Tonne stieg). Auf etwa demselben Niveau war der Sherman (13 – 76 mm), darüber hinaus war seine Panzerung erheblich schlechter geformt als beispielsweise bei den sowjetischen Panzerkampfwagen. Er war relativ hoch. Die Kanone (75 oder 76 mm) war theoretisch mit der Bewaffnung des Panthers vergleichbar, aber erst die 1944 eingeführten Versionen besaßen ähnliche ballistische Parameter. Bei einfachen Duellen in offenem Gelände, bei denen der Panther sich direkt gegenüber befand, hatte der Sherman nur geringe Chancen. Zu allem Übel gaben ihm die Soldaten in Anlehnung an eine populäre Feuerzeugmarke den Spitznamen Ronson, da er sich nach einem Treffer leicht entzündete. Die Amerikaner versuchten deshalb, ihn zu modernisieren, so wurde u. a. 1944 hastig eine Version entworfen, bei der die Dicke der Panzerung auf 140 mm zu Lasten der Manövrierfähigkeit erhöht wurde. Im Vergleich zu den ausgereiften Vertretern der zweiten deutschen Panzergeneration hatte er jedoch einen anderen unbestreitbaren Vorteil – es wurden über 48.000 Stück dieses Modells hergestellt, was die gesamte Panzerkampfwagenproduktion des Dritten Reiches überstieg.

Querschnitte von Elementen der Aufhängung, die für die späteren Panzerkampfwagen E-50 und E-75, d. h. die jeweiligen Nachfolger des Panthers und des Tigers entwickelt wurde. Es handelte sich um „Vorboten“ der ersten Nachkriegsgeneration von Kampfpanzern. (NARA / CIOS)

Dieses Buch ist jedoch nicht der Bilanz von Kriegsfeldzügen, sondern der fortschrittlichen Technik gewidmet, die die technische Entwicklung nach dem Krieg beeinflusste. In diesem Sinne fiel den Deutschen eindeutig eine Führungsrolle zu. Es genügt, den deutsch-amerikanischen experimentellen Panzer Kpz.-70 / MBT-70 aus den 1970er Jahren zu betrachten, der die „Panzerwelt“ durch viele revolutionäre Lösungen schockierte – u. a. durch den Turbinenantrieb, die hydrokinetische Antriebsübertragung, die hydropneumatische Aufhängung. Das alles war lediglich eine Integration und Implementierung all jener Lösungen in der Produktionspraxis, die in den Jahren 1944/45 entworfen worden waren, als die dritte deutsche Panzergeneration konzipiert wurde (hauptsächlich Fahrzeuge der Serie „E“). Es lohnt, sich mit einem weiteren offen gelegten Bericht vertraut zu machen, der die stabilisierten Zielvorrichtungen der Firma Leitz sowie Geräte zur Stabilisierung der Kanone während der Fahrt beschreibt.13 In diesem Fall griff der Konstrukteur ein Konzept auf, das bereits (in geringem Ausmaß) von den Alliierten in der Praxis eingesetzt wurde und entwickelte es weiter. 1942 erbeuteten die Truppen des Afrikakorps eine gewisse Zahl amerikanischer M-3-Panzer, die im Grunde genommen als experimentelle Fahrzeuge mit Kanonenstabilisatoren und vergleichbaren Zielvorrichtungen ausgestattet waren. Angeblich wurden entsprechende Arbeiten schon vorher im Dritten Reich durchgeführt; das Signal, das schließlich zum Durchbruch verhalf, waren jedoch erst die in Afrika getätigten Beobachtungen. Der Panzer, der auf diese Weise modernisiert werden sollte, war eben der Panther.

Der Turm in der Version F besticht durch seine Einfachheit und das kleine Stirnprofil. (Archiv)

Parallel zu den Fortschritten bei der Konstruktion von Panzern selbst, wurden Zeichen für einen Durchbruch bei der Munition sichtbar: U. a. wurde eine Hohlladungsmunition eingeführt, Subkaliberkerngeschosse mit Steuerflossenstabilisierung wurden getestet (darunter mit Urankernen – in Mielec), es wurden auch die auf dem Foto abgebildeten und von Tromsdorff gebauten Geschosse mit zusätzlichem Staustrahlantrieb erprobt, die ihrer Epoche um ganze Jahrzehnte voraus waren. (NARA)

Den Auftrag für die Anfertigung der optischen Elemente des Hauptzielfernrohrs bekam die Firma Leitz aus Wetzlar, das Kreiselsystem und wahrscheinlich auch das Ausführungssystem sollten hingegen von der Berliner Firma Kreiselgeräte hergestellt werden. Nach Kriegsende behauptete ihr Hauptkonstrukteur (ein gewisser Ernst Haass) während seiner Verhöre, der Autor des ersten Konzepts gewesen zu sein. Er versuchte noch vor dem Krieg, den künftigen amerikanischen Hersteller (die Firma Sperry) dafür zu interessieren, war jedoch dann mit dem von diesem Unternehmen vorgelegten Angebot nicht zufrieden. Während des Krieges erfuhr er, dass Sperry eine ähnliche Lösung herzustellen begann. Unabhängig davon zeigte Ludwig Leitz, einer der Leiter der Leitz-Werke, eine Art Prototyp eines relativ ungenau angefertigten Gerätes, und behauptete ziemlich überraschend,

dass es sich um einen Vorläufer ihrer späteren Konstruktion handelte, der in der UdSSR erbeutet worden war! Es kann also nicht ausgeschlossen werden, dass die deutsche Konstruktion in gewissem Sinne sowjetischer Herkunft war. Das wäre nicht der erste Fall, bei dem eine bereits in einem anderen Land entwickelte Lösung verbessert wurde: Es genügt, das Düsentriebwerk zu erwähnen, das in Großbritannien von Frank Whittle erfunden wurde. Junkers, BMW und Heinkel verbesserten das Konzept, indem sie auf den Radialverdichter zugunsten eines Axialverdichters verzichteten, wodurch sie quasi den Weg für Nachkriegsarbeiten ebneten. Ähnlich war es mit der amerikanischen Bazooka, deren Muster die Soldaten von General Student auf Kreta erbeuteten. Der amerikanische Granatwerfer war der Prototyp für das Konzept raketenangetriebener Panzerabwehrwaffen für die Infanterie, er zeichnete sich jedoch durch eine geringe Durchschlagsleistung (kleines Kaliber), Zielgenauigkeit und Reichweite aus, wodurch er in der Praxis keine große Rolle bei der Bekämpfung von Panzern spielte – insbesondere in den späteren Jahren. Auf seiner Basis bauten die Deutschen den wesentlich besseren Granatwerfer Panzerschreck mit einem Kaliber von 88 mm. Im Gegensatz zum Prototyp konnte er die Frontpanzerungen praktisch aller Panzer durchstoßen und war insofern ein Präzedenzfall, als die Infanterie niemals vorher über eine individuelle (durch einen Einzelsoldaten zu tragende) und gleichzeitig wirkungsvolle Waffe zur Panzerbekämpfung verfügte.

Manche der im Dritten Reich verwirklichten Konzepte haben sich als anachronistisch

herausgestellt, wie z. B. die riesigen Eisenbahngeschütze, die zwar wichtige Vorteile hatten (das Geschoss konnte sogar 20 – 30 m unter die Erdoberfläche eindringen und dort auf der Tiefe von Luftschutzbunkern explodieren), diese Vorteile wurden jedoch mit sehr hohen Kosten erkauft. Solche Waffen wichen bald den taktischen Raketen, die auch im Dritten Reich eingeführt wurden. Das Foto wurde wahrscheinlich in Darłowo (Rügenwalde), im Patronenlager des 80 cm-Dora-Geschützes aufgenommen. (Archiv)

Dabei hatte er eine erheblich höhere effektive Reichweite als die Panzerfaust. Man könnte deshalb die Behauptung wagen, dass Arbeiten an Bewaffnungsstabilisatoren noch auf die Vorkriegszeit zurückgehen und in mehreren Ländern gleichzeitig durchgeführt wurden. Die Arbeiten an dem für den Panther bestimmten Stabilisator wurden hauptsächlich in Berlin und Themar bei Meiningen durchgeführt, da Leitz sich im Grunde genommen auf Modifikationen der existierenden Zielvorrichtung beschränkte. Alle Prototypen wurden leider vor Kriegsende zerstört. Sie wurden erst im März 1945 auf dem Testgelände in Kummersdorf bei Berlin untersucht. Laut Ernst Haass war Hitler selbst Zeuge dieser Versuche, und da sie sehr erfolgreich ausfielen, verlangte er den schnellstmöglichen Beginn der Serienproduktion, was natürlich nur ein frommer Wunsch blieb. Laut dem Hauptkonstrukteur zeigten die Versuche, dass die Schussgenauigkeit durch das neue System etwa ein halbes Tausendstel betrug (es ist anzunehmen, dass sich diese Angabe auf die Fahrt bezog), was einem mittleren Trefferfehler von 1 m auf eine Entfernung von 2 km entspricht. Wenn das stimmt – wenn man also die Meinung des Konstrukteurs selbst wörtlich nehmen darf – wäre das ein sehr guter Wert, sogar lange nach dem Krieg. Es handelte sich dabei um einen Mittelwert, der nach dem Abschuss von 10 Geschossen gemessen wurde. Im erwähnten Bericht wurde betont, dass die amerikanische Lösung (mit einer anderen Konstruktion) eine viel geringere Präzision erreichte. Im Buch wurden die technischen Originalzeichnungen abgedruckt, die dem amerikanischen Bericht beilagen. Eine davon zeigt den Querschnitt durch den optischen Block des Zielgerätes, die andere den Kreiselhauptblock. Ein weiterer Bericht des amerikanischen Nachrichtendienstes über bewaffnete Fahrzeuge betrifft die Entwicklung der Panzerkampfwagen E-50, E-75 und E-100, die die dritte Kriegsgeneration deutscher Panzer darstellten.14 Beginnen wir mit dem schwersten der drei – dem E-100. Im Folgenden wurden verkürzt nur die wichtigsten Informationen dargestellt, da

der E-100 bereits in Band I beschrieben wurde. Dieses Panzerfahrzeug wurde im Auftrag des Heereswaffenamtes von der Firma Adler in Friedberg unter der Leitung eines gewissen Dr. Jenschke entwickelt und war als ein Alternativkonzept zur superschweren Maus gedacht. Obwohl die Arbeiten formell bereits am 30. Juni 1943 begannen, konnte bis zum Kriegsende kein Prototyp fertiggestellt werden, da die Arbeiten nach etwa einem Jahr unterbrochen wurden. In Sennelager bei Paderborn (Westfalen) fanden die Alliierten einen nicht fertig gestellten Prototyp. Die Suche nach den Konstruktionsplänen ergab, dass vor dem Einmarsch feindlicher Truppen die ganze Dokumentation vernichtet worden war. Erst nach dem Krieg gelang es Jenschke, sie aus dem Gedächtnis (!) aufgrund von Messungen an bereits fertig gestellten und erhaltenen Teilen teilweise zu rekonstruieren. Ähnlich wie die Maus war auch der E-100 ein ziemlich originelles Konzept, obwohl die Konstruktionsstruktur an sich klassisch war. Im Gegensatz zur Maus sollte im Turm nur eine, dafür aber sehr große Kanone (150 mm, auch 174 mm wurden in Erwägung gezogen!) eingebaut werden. Aus diesem Grund war das Hauptproblem bei der Konzipierung des E-100, für genügend Raum im Rumpf und im Turm für die Munition zu sorgen, die eine Rekordgröße hatte. Das wiederum veranlasste das Konstruktionsbüro, nach Änderungen in vielen klassischen Konstruktionslösungen zu suchen. Eine davon war der Verzicht auf die damals bereits übliche (und heute zum Standard gehörende) Aufhängung auf Torsionswellen, die quer durch das Rumpfinnere direkt über den Boden verliefen, was sich auch aus dem Wunsch ergab, eine Einstiegsluke im Rumpfboden zu installieren, was bei Torsionswellen nicht möglich wäre (auch bei modernen Fahrzeugen ist so etwas nicht vorgesehen). Es wurde beschlossen, die ganze Aufhängung nach außen zu verlegen, und die Torsionswellen wurden durch „altmodische“ Federn ersetzt. Interessanter war der Versuch, den vom Motor, Drehwerk und Antriebsübertragungssystem eingenommenen Platz zu reduzieren – das ermöglichte nämlich die Entwicklung des integrierten Triebwerks. Die Getriebe wurden im Motor integriert, wodurch ein Prototyp des modernen „Power Packs“ entstand. Es war in diesem Zusammenhang ziemlich seltsam, dass sich die Gleiskettenantriebsräder vorne befanden, obwohl das Triebwerk hinten montiert war. Das, was beim E-100 am meisten in die Augen sprang, war jedoch die sehr

starke Betonung auf die größtmögliche Feuerkraft auf Kosten anderer Faktoren, die den Wert eines Panzers definieren (Innenraumschutz und Manövrierfähigkeit). Davon zeugt eine Kanone mit einer mehrfach höheren kinetischen Geschossenergie als bei allen bereits produzierten Fahrzeugen (!), aber z. B. auch, dass die Manövrierfähigkeit nur zweitrangig war – der Panzerkampfwagen sollte den gleichen Antrieb wie der viel leichtere E-50 und E-75 besitzen, die neuen Pendants des Panther und des Tiger. Laut dem erwähnten Hauptkonstrukteur ging dies natürlich nicht auf seine eigene Initiative zurück, sondern es handelte sich um Kriterien, die vom Heereswaffenamt in der Spezifikation vorgegeben worden waren. Jenschke behauptete, dass damit das neue Fahrzeug noch vor der Entwurfsphase zum Scheitern verurteilt war. Die Vorgaben führten u. a. dazu, dass trotz der riesigen Turmabmessungen darin kein Platz für die Besatzung, d. h. für den Kommandanten und den Ladeschützen vorhanden war! Wie sich im Laufe der Arbeiten herausstellte, gab es jedenfalls keine Möglichkeit, dass der Ladeschütze die Kanone laden könnte, wenn er selbst im Turm sitzen würde. Es war einfach so, dass entweder er oder das in die Kanone geladene Geschoss Platz hatte, das im Übrigen nicht viel kürzer als ein Mensch war. Es stellt sich natürlich die Frage nach den konkreten Gründen für die Vorgabe, eine Bewaffnung mit einem Kalibermaß einzusetzen, das fast doppelt so groß wie beim Tiger war. Die Unterbrechung der Arbeiten im Jahr 1944 ergab sich also im gewissen Sinne aus der Notwendigkeit, solche Fragen zu beantworten. Die Arbeiten wurden nicht wieder aufgenommen, in der Firma wurde jedoch von einer Umprojektierung des Fahrzeugs gesprochen. Konkret ging es darum, den Panzerturm durch eine Art unbeweglichen Rumpfaufbau zu ersetzen. Den sprichwörtlichen und wirklichen Flaschenhals stellte nämlich das Lager dar, auf dem sich der Turm drehte. Eine solche Lösung scheint im Übrigen viel vernünftiger, umso mehr, als der E-100 – genauso wie die Maus – sowieso kein Panzer im wörtlichen Sinne sein sollte, sondern eher eine Art selbstangetriebener (wenn auch langsamer) Kampfbunker. Bei dieser Gelegenheit sollten angeblich auch die vorne platzierten Antriebsräder durch normale hintere ersetzt werden. Die Eliminierung des bei Panzern üblichen Turms hätte sicherlich das Gewicht der Konstruktion und die Kosten verringert sowie die Produktion vereinfacht. Der letzte Faktor galt bei allen Panzern der neuen Generation als

ausschlaggebend, auch bei den weiter unten verkürzt beschriebenen Fahrzeugen E-50 und E-75.14, 15 Sie sollten, wie bereits erwähnt, denselben Motor wie der E-100 bekommen. Der endgültige Motortyp war noch nicht genehmigt, deshalb gab es vorläufige Pläne, HL-230-Motoren von Maybach einzusetzen (die bisher in den Fahrzeugen Königstiger, Jagdtiger und Sturmtiger verwendet wurden). Ähnlich wie beim E-100 wurde auch bei ihnen die Aufhängung komplett nach außen verlegt. In Übereinstimmung mit deutscher „Tradition“ waren sich überlagernde Räderpaare auf Federn von Belleville vorgesehen – insgesamt jeweils 6 Räder an jeder Bordwand beim E-50 und jeweils 8 beim E-75. Das Phänomen der weit fortgeschrittenen Standardisierung, die beispiellos bei der Produktion von bewaffneten Fahrzeugen im Dritten Reich war, ist auch am Beispiel der Konstruktion von Rümpfen zu sehen. Generell unterschieden sie sich von ihrer Größe her, die Grundparameter waren aber bei allen identisch: Die Neigung der vorderen Rumpfoberplatte betrug 60°, die der unteren Frontplatte sowie der oberen und unteren Hinterplatte jeweils 45°. Sogar die Rumpflagerlaufflächen unter den Türmen waren beim E-50 und E-75 gleich – theoretisch hätten die Türme wechselweise montiert werden können! Vorgesehen war ein ähnlicher elektrischer Turmantrieb in der horizontalen Ebene. Die Türme wurden in den Krupp-Werken in Essen konzipiert und wahrscheinlich auch dort hergestellt, den Amerikanern war es jedoch nicht möglich festzustellen, wie fortgeschritten diese Arbeiten waren. Es fehlen konkrete Daten zur Bewaffnung; es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Kaliber der Kanonen (jedenfalls vorläufig) die gleichen wie beim Panther und Tiger wären. Beide erwähnte Typen sollten eine Aufhängung in Form von eingebauten Stoßdämpferblöcken besitzen, die längs an den Rumpfseiten platziert wären. Jeder „Block“ hätte vier in Öl getauchte Federn umfasst, die mit zwei Laufrädern verbunden wären. Interessant war der Einsatz eines zentralen Ölsystems, das das Öl zu allen Stoßdämpferblöcken liefern sollte, sowohl um Erschütterungen zu dämpfen als auch die Lager und andere bewegliche Elemente zu schmieren. Eine solche Aufhängung war natürlich eine Weiterentwicklung der Wagen (z. B. aus der Zwischenkriegszeit), die mit jeweils zwei Rädern ausgestattet waren. Die Lösung war jedoch insgesamt durchaus originell, allerdings war sie viel komplizierter als Torsionswellen, die ihre Aufgabe ausgezeichnet erfüllten. Interessant ist auch eine andere Tatsache: Jenschke, der Autor einer Anlage

zu einem der Berichte, legte den Amerikanern nahe, die Produktion des E-50 und E-75 schnellstmöglich aufzunehmen. Vielleicht als Panzer einer neuen deutschen Armee?

U-Boote aus Niederschlesien Unterseeboote werden für gewöhnlich mit großen Werften in Verbindung gebracht, die viele Hektar Fläche einnehmen und eine Menge Gleisanschlüsse, Hellinge u. Ä. besitzen. Genau das war gewissermaßen die Hauptschwäche der deutschen Unterwasserwaffen: die Existenz riesiger Industriekomplexe, die ein ideales Ziel für Flächenbombardements boten. Bei der Konzipierung der für Kriegszwecke vorgesehenen Hochseeschiffe zweiter Generation vom Typ XXI beschlossen die Deutschen, genau das zu ändern. Zum ersten Mal wurde das Konzept der modularen Konstruktion eingesetzt. Ein großes Schiff mit einer Wasserverdrängung von mehreren tausend Tonnen wurde jetzt von vielen Werken gebaut, die im ganzen Land verstreut waren. Sie waren durch Kanäle und Flüsse miteinander verbunden, auf denen Lastkähne fertige Rumpfsegmente befördern konnten. In einer klassischen Werft erfolgte jetzt lediglich die relativ einfache und nicht besonders viel Zeit in Anspruch nehmende Endmontage. So hat sich herausgestellt, dass U-Boote vom Typ XXI – eines der „technischen Wunder“ des Zweiten Weltkrieges – hauptsächlich in Niederschlesien gebaut wurden. Vor einiger Zeit blätterte ich die Akten der „Industriespionage“ der polnischen Heimatarmee durch und stieß dabei auf interessante Berichte, die ich im Folgenden zitieren möchte.16 Im April 1944 erfolgte eine Meldung über Betriebe, die an der Produktion mancher Module der erwähnten Einheiten beteiligt waren: „12 Buge für U-Boote vom Typ XXI (beobachtet in der Flusswerft von Płock). Abmessungen: 17 m lang, 7,5 m hoch, Breite unbekannt. Gesamtlänge der U-Boote etwa 100 m. Jeder Bug ist mit 6 Torpedorohren ausgerüstet und wiegt etwa 115 t. Sonderstufe [d. h. Priorität]: SS. Beplattung aus 8 mm- und 12 mm-Blechen; der ganze Bug ist verschweißt. Die Werft stellt zwei Teile her: die Sektionen 8 und 7.

Die an der Fertigung der Buge beteiligten Unternehmen (UBootprogramm – insgesamt etwa 140 Boote) samt ihrer prozentualen Beteiligung am Herstellungsprozess: • Bauchelt und Co. Grünberg [Zielona Góra] – 26,4 Prozent; • Prämba und Freudenberg, Schweidnitz [Świdnica] – 13,3 Prozent; • Agefko Dr. E. Schneider und Co. Litzmannstadt [Łódź] – 5 Prozent; • Adolf Irle, Żychlin Kr. Kutno – 4,6 Prozent; • VOH Werk Donnermarkshütte Hindenburg O.S. – 8,3 Prozent; • Carl Wolffgramm Nieder Salzbrunn, Schlesien [Szczawno Zdrój bei Wałbrzych / Waldenburg] – 3,0 Prozent; • Schles. Dampfer Co. Berlin Lloyd A.G. Schiffswerft Ursetten b. Glogau [Głogów] – 24,4 Prozent; • Waldemar Schütz Rogassen Kreis Warthegau [Rogoźno] – 0,6 Prozent • Weichselwerft GmbH, Schröttersburg [Płock] – 14,4 Prozent. Das Fertigungsprogramm der Buge sah wie folgt aus: im I [im Januar?] – 8 fertig gestellt, im II – 12, von III bis VII jeweils 20, im VIII – der Rest. Die Firma Siegener A.G. Geiswald, Kreis Soegen [Kreis Sagan? – Żagań?] krümmt und presst die Beplattungsbleche. Die Werft in Płock bereitet die Fundamente für einen Kran, der zum Herstellen und Beladen der fertigen Buge dienen wird. Die zwei ersten Buge sollen im IV’44 verschickt werden, der Organisationszustand der Werft wird dies jedoch nicht zulassen. Der Transport der Buge ans Meer soll durch zwei zu diesem Zweck umgebaute Lastkähne erfolgen.“ Diese Meldung lässt jedoch ein ziemlich interessantes Motiv außer Acht, das mit Breslau selbst, der Hauptstadt Niederschlesiens, in Zusammenhang steht. Es ist nicht sicher, ob dort tatsächlich Elemente für U-Boote hergestellt wurden, viele Indizien deuten jedoch darauf hin. Piotr Maszkowski von der Zeitschrift Odkrywca („Der Entdecker“) hat versucht, diese Anhaltspunkte zu untersuchen und beschrieb die Ergebnisse seiner Ermittlungen in einem vor

mehreren Jahren veröffentlichten Artikel.17 Ich möchte kurze Auszüge daraus zitieren:

Ein Küsten-U-Boot vom Typ XXIII bei Tests im Sommer 1944. (Archiv)

„Seit einigen Jahrzehnten macht in der Hauptstadt Niederschlesiens die Geschichte über den Bau von Bugen für U-Boote und ihre Beförderung auf der Oder in Richtung Ostsee die Runde. An den einzelnen Flussabschnitten soll die Ausrüstung vervollständigt worden sein, um schließlich in Stettin das U-Boot dienstbereit zu machen. Diese sehr lakonische Überlieferung weckt jedoch viele Emotionen und gleichzeitig auch Kontroversen, da sie genauso viele Befürworter wie Gegner hat. Versuchen wir deshalb, die obigen Informationen in Anlehnung an das vorhandene Wissen und die zur Verfügung stehenden Quellen zu verifizieren. Hier erwartet uns leider eine große Überraschung. Obwohl Breslau während des Zweiten Weltkrieges mit Sicherheit über eine entsprechende industrielle Infrastruktur und die erforderliche Basis für den Bau von U-Bootbugen und einzelnen Ausstattungselementen verfügte, fehlt uns jegliches Wissen darüber. Es gibt nur rätselhafte Überlieferungen über die Produktion der einzelnen Betriebe, wobei dem Thema lediglich einzelne Sätze in allgemein gehaltenen Ausarbeitungen gewidmet sind. […] Im Buch ,Historia Wrocławia‘ (,Breslaus Geschichte‘) von Teresa Kulak finden wir eine Spur über die Produktion von Bugen für U-Boote

in einer Flusswerft in der Kwidzyńska Straße in Breslau. Zwar handelt es sich dabei nur um einen Satz, mit diesem Argument gewappnet können wir jedoch der Spur folgen. Wenn Historiker über die Bugproduktion in einer Flusswerft schreiben, dann muss etwas dran sein. Insbesondere, da es auch einige Berichte über Konstruktionen gibt, die an Bugsektionen erinnerten und sich auf dem Werftgelände noch in den 1990er Jahren befunden haben sollen. Ein Besuch auf dem Werftgelände und Gespräche mit den ältesten Beschäftigten konnten dies jedoch nicht bestätigen. […] Die einzige Spur in Form des uns bereits bekannten Satzes über die Bugproduktion findet sich in einer zeitgenössischen Ausarbeitung über die Geschichte der Werft. […] Die Aktenmappe des Bezirksamtes für Liquidationen, das nach dem Krieg die Industriebetriebe übernahm, liefert auch keine konkreten Informationen. […]

Ein U-Boot vom Typ XXIII in der Danziger Werft, in der Phase der Fertigstellung. Die Alliierten bekamen technische Details über diese U-Boote vor allem vom Nachrichtendienst der polnischen Heimatarmee. (Archiv)

Da es Spuren über die Montage bestimmter Baugruppen für U-Boote in Breslau gibt, ist es schwer, die Verbindung mit einem in der Hauptstadt Niederschlesiens bis heute existierenden Objekt zu übersehen, das beinahe buchstäblich aus einem U-Boot entnommen zu sein scheint, obwohl es ein wenig getarnt ist. Es befindet sich auf dem Hof der Technischen Hochschule für Binnenschifffahrt in der Brückner Straße, die nomen est omen etwa 150 m von der erwähnten Flusswerft entfernt ist. […] In einer der Ausgaben der Zeitschrift ,Morze‘ (,Das Meer‘) aus den 1960er Jahren klassifizierte der Autor, der dieses ziemlich geheimnisvolle Objekt aus Anlass einer Reportage über die Schule beschrieb, als ein Modell eines Flussschiffes. Nun, auch für die damalige Zeit musste das ein ungewöhnlich futuristisches Schiff gewesen sein. Auch eine vor mehreren Wochen im Sekretariat der Schule befragte Frau bezeichnete das Objekt mit einer gewissen Nonchalance als eine Art Attrappe. Erst die Schullehrer mit einer längeren Berufspraxis brachten die Hypothese hervor, dass es sich eigentlich um einen früheren Kommandoturm eines U-Bootes handeln könnte. Die Erfindungsgabe mehrerer Jahrgänge von Schulwerkstätten brachte natürlich zahlreiche Modifikationen mit sich, die einerseits das Aussehen attraktiver gestalten, andererseits aber auch die fortschreitende Korrosion maskieren sollten. Ziemlich geheimnisvoll ist auch, wie der Kommandoturm auf das Gelände der Technischen Hochschule für Binnenschifffahrt kam. Die erste Geschichte besagt, dass er von einem der ersten Jahrgänge eben von der nahe gelegenen Werft transportiert wurde, eine andere, dass er Anfang 1948 auf der Ausstellung der wiedergewonnenen Gebiete gezeigt wurde, von wo er auf das Schulgelände kam. Wie es wirklich war, ist unbekannt. Das Problem liegt darin, direkt an Personen zu kommen, die sich an die älteste Geschichte der Schule erinnern können.“

Ein Hochseeunterwasserboot vom Typ XXI nach dem Krieg. (Archiv)

Die weiter oben zitierte Meldung des Nachrichtendienstes der Roten Armee besagt, dass die in den heutigen polnischen Gebieten gelegenen Werke auch eine wesentliche Rolle bei der Produktion der Küsten-U-Boote des Typs XXIII spielten, die genauso modern wie die vom Typ XXI waren. Hier dominierten die Städte Płock (Produktion von Segmenten) und Gdynia, konkret die ehemalige polnische Werft der Kriegsmarine, wo Segmente für verschiedene Typen hergestellt wurden. Von den etwa 6.500 Beschäftigten im Februar 1944 waren nur etwa 15 Prozent deutscher Nationalität (hauptsächlich Spezialisten), die dominierende Gruppe waren immer noch Polen! Werftleiter Burchardt war im Übrigen Schlesier, der die polnische Sprache fließend beherrschte – was jedoch kein Hindernis darstellte, ihn in die NSDAP aufzunehmen. In Gdynia wurden wahrscheinlich Segmente für U-Boote vom Typ XXIII produziert, die dann in Danzig, Elbing und Stettin montiert wurden. Ein separater Teil der Meldung des Nachrichtendienstes der polnischen Heimatarmee war der Beteiligung der Werft in Płock gewidmet: „20 U-Bootbuge vom Typ XXIII. Bugabmessungen: 10 m lang, 4,5 m hoch, 2,5 – 3 m breit. Gesamtlänge des U-Bootes etwa 50 m [in Wirklichkeit waren es nur 34,7 m]. Bugausstattung: 2 Torpedorohre; Buggewicht: 28 t. Wichtigkeitsgrad: Sonderstufe DE (Deutsche Erfindung). Den direkten Auftrag gab die Deutsche Werft Kiel, den indirekten das OKM. Blechdicke: 6 und 8 mm. Der durch die Werft gebaute Bug besteht aus zwei Teilen: dem eigentlichen Bug, der von der Werft hergestellt wird (16,5 t), und dem damit verschweißten Druckkörper (11 t), produziert von der Firma Bauchelt u. Co. Grünberg [Zielona Góra], Schlesien. Die Konstruktion ist komplett verschweißt. Der Mangel an Spezialisten und Elektroden erschwert in großem Maße eine genaue und angemessene Durchführung der Arbeiten. Die Werft sollte im Februar drei, im III und IV jeweils vier und in den übrigen Monaten jeweils drei Buge verschicken. Bisher wurde noch kein einziger verschickt, einer ist fertig, es stellte sich jedoch heraus, dass er mangelhafte Schweißnähte aufwies. Das Röntgenbild wurde zur Überprüfung nach Danzig gebracht. Zwei andere Buge werden mit den Druckkörpern verschweißt, sechs weitere sind in der Arbeit.

Nach der Bestellplanung des Ingenieur Büros ,Glückauf‘, Halberstadt sind 6.000 Stunden für die Produktion des Buges und das Verschweißen mit dem Druckkörper notwendig. Adressen der Firmen, die am Bau des U-Bootes vom Typ XXIII beteiligt sind: • Beuchelt u. Co. Grünberg (Schlesien), • Siegener A.G. für Eisenkonstruktion, Geiswald Kr. Soegen [?], • Ottensener Eisenwerk Abt. Schiffswerft, Hamburg, • Germania Werft, Kiel, • Carl Spaeter, Hamburg.“

Einige ergänzende Worte über die zweite Düsenjägergeneration In den ersten beiden Bänden der „Wahrheit über die Wunderwaffe“ wurden in zwei Kapiteln die deutschen Arbeiten an Düsenflugzeugen beschrieben. Es handelt sich nämlich um einen sehr umfassenden Fragenkomplex, der sich durchaus nicht nur auf die Messerschmitt Me-262 beschränkt. Das, was aus heutiger Perspektive am interessantesten erscheint, ist die Tatsache, dass in den letzten beiden Kriegsjahren Arbeiten an der zweiten und dritten Generation von Jagdflugzeugen dieser Art aufgenommen wurden – zur zweiten Generation können all jene Konzepte gezählt werden, die von ihrer Konstruktionsart und Aerodynamik her etwas weiter gingen (z. B. die Messerschmitt P-1101, die Ta-183 und die Ho-229). Interessant dabei ist, dass zwar die ersten zwei Konzepte nach dem Krieg in Form der amerikanischen F-86 Sabre und der sowjetischen MiG-15 weitergeführt wurden, die heckleitwerklose Ho-229 trotz sehr guter Flugleistungen jedoch nicht weiterentwickelt wurde. Das ist kein vereinzeltes Beispiel, denn keines der im Folgenden genannten Flugzeuge dritter Generation hatte einen „Abkömmling“ nach dem Krieg, obwohl es sich dabei um interessante und vielversprechende Konzepte handelte. Sie wurden jedoch schnell als „unkonventionell“ ad acta gelegt (was einen guten Beleg für die in der Einleitung genannten Thesen darstellt). Da es keine allgemeingültige Klassifizierung gibt, müssen meiner Meinung nach zur dritten Generation Flugzeuge gezählt werden, die eine Geschwindigkeit nahe der

Schallgeschwindigkeit oder eine Überschallgeschwindigkeit erreichten, allen voran die Maschinen mit fortgeschrittenem Staustrahlantrieb (die P-13b von Lippisch sowie die Ta-283 und der Triebflügel von Focke-Wulf).

Schema einer Anlage zum Untersuchen von Staustrahltriebwerken der Firma Sänger auf einer Do-217 – Skizze aus einem Bericht der Alliierten. (NARA / CIOS)

Eine Skizze aus einem Bericht der Alliierten, die die Konstruktionsweise des Jägers P-1106 von Messerschmitt zeigt. (NARA / CIOS)

Diesmal möchte ich die früheren Beschreibungen lediglich um wenige ergänzende Informationen aus neuen Quellen vervollständigen.18, 19, 16 Beginnen wir mit einem Bericht des militärischen Nachrichtendienstes der USA. Er ist vier Konzepten gewidmet, die die zweite Generation der Düsenflugzeuge von Messerschmitt repräsentieren: der P-1101, der P-1106, der P-1110 und der P-1111.18 Diese Flugzeuge sollten simpler als die Me-262 sein: Ihre Aerodynamik wurde von Anfang an unter dem Gesichtspunkt des Hochgeschwindigkeitsfluges konzipiert, und sie sollten durch modernere Triebwerke mit geringerem individuellen Treibstoffverbrauch angetrieben werden. Es wurde nämlich vorgegeben, dass die Reichweite und Flugdauer der Me262 gewahrt werden mussten. Im Bau befanden sich drei Prototypen, die zueinander in Konkurrenz standen, dann sollte die Entscheidung zugunsten

der aerodynamischen Konfiguration fallen, die am besten die gestellten Anforderungen erfüllt hätte. Die im Bericht geschilderten Informationen konnten durch Verhöre von W. Voigt, dem Leiter des Forschungsbüros von Messerschmitt in Oberammergau erlangt werden.

Schema des Staustrahltriebwerks von Sänger. (NARA / CIOS)

Querschnitte eines Jägerkonzepts mit Staustrahlantrieb, entwickelt in den Skoda-Werken in Zusammenarbeit mit dem Kommando der Waffen-SS. Das Flugzeug sollte mit einem Staustrahltriebwerk von Sänger ausgestattet werden, das sich jedoch als komplett misslungen herausstellte. Andere Konstrukteure von Antrieben dieser Art (die in Band I beschrieben wurden) hatten eine bessere Intuition. (NARA / CIOS)

Die Arbeiten am Konzept der P-1101 begannen auf persönliche Initiative von Prof. Willy Messerschmitt, damit entsprechende Daten (hauptsächlich aerodynamische) über eine für hohe Fluggeschwindigkeiten optimierte Tragfläche gewonnen werden konnten – daher der „verstellbare“ Flügel mit variabler Pfeilung. Aus zahlreichen Nachkriegspublikationen ist bekannt, dass die Alliierten in den Besitz eines unfertigen Prototyps kamen, bei dem u. a. das Triebwerk fehlte. Im Bericht wurde jedoch vermerkt, dass es auch einen fertig gestellten Prototyp gab, der vor dem Eintreffen der Front in die

Luft gesprengt wurde. Er besaß ein montiertes Jumo-004-Triebwerk, das innerhalb weniger Monate durch das endgültige, viel leistungsfähigere HeS001-Triebwerk von Heinkel-Hirth ersetzt werden sollte. Die P-1106 besaß eine ähnliche Konfiguration, allerdings sollte sich der Pilot nicht auf der Bugnase oberhalb des Triebwerkslufteinlasses, sondern fast schon auf dem Heck befinden. Die Arbeiten an diesem Modell wurden in relativ frühem Stadium aufgrund der erwarteten ähnlichen Flugleistungen, jedoch einer wesentlich schlechteren Sicht aus dem Cockpit unterbrochen.

Ein Konzept der EF-132 von Junkers. (Graphik: Marek Ryś)

Die erste der geplanten Modernisierungsphasen der Me-262: die Version HG II. (Graphik: Marek Ryś).

Die P-1110, die P-1111 und die P-1112 unterschieden sich vor allem durch die Platzierung des Triebwerks sowie durch die Art, wie der Kompromiss zwischen einem klassischen und einem heckleitwerklosen aerodynamischen System gelöst wurde. Hier taten sich die letzten zwei Konzepte hervor, die

ohne Heckteil auskamen und durch großflächige Flügel mit großer Vorderkantenpfeilung gekennzeichnet waren. Sie hoben sich nur in Details voneinander ab, die vor allem auf die unterschiedliche Platzierung der Treibstofftanks zurückzuführen waren. Interessant war auch das Konzept der P-1110, bei der eine bahnbrechende Lösung zur Anwendung kam. Sie beruhte auf dem Ansaugen der wandnahen Luftschicht auf den Tragflächen, was auch den Triebwerkslufteinlass / die Triebwerkslufteinlässe (abhängig von der Version) „entlasten“ sollte. Die Tragflächen sollten nach bestimmten Modifikationen von der P-1101 stammen. Dies sind die wenigen neuen Informationen, die der zitierte Bericht enthält. Ein weiteres interessantes Element sind die Parameter und erwarteten Flugleistungen der erwähnten Flugzeuge, obwohl keines davon vor Kriegsende vom Boden abhob. (Anmerkung: Die P-1101 wurde nach dem Krieg in den USA unter der Bezeichnung Bell X-5 verwendet, wobei beträchtliche Probleme mit der Stabilität ans Licht kamen, die schließlich zu einer Katastrophe führten.) Identische Schwierigkeiten, wenn auch in geringerem Umfang, traten bei der ähnlich gebauten Ta-183 von Focke-Wulf auf, die ein „Konkurrenzkonzept“ war und in Argentinien unter der Bezeichnung Pulqui II vom Boden abhob – in diesem Fall gelang es jedoch, die Probleme zu lösen. Hier die technischen Details, die es erlauben, die verschiedenen Konzepte zumindest rudimentär miteinander zu vergleichen:18 Ein weiterer amerikanischer Bericht ist den Arbeiten am Staustrahlantrieb gewidmet, die in der „Deutschen Forschungsanstalt für Segelflug“ (DFS) in Ainring durchgeführt wurden.19 Verglichen mit dem entsprechenden Kapitel in Band II enthält er allerdings nichts Neues und beschreibt eher das Frühstadium der Arbeiten, die im Übrigen relativ einfache, wenn nicht sogar elementare Konzepte betrafen. Dem Bericht wurden lediglich einige interessante technische Zeichnungen angefügt, die im Buch abgedruckt wurden – darunter die Zeichnung eines Versuchsaufbaus auf der Do-217 von Dornier sowie die Konzeptskizze eines Düsenjägers von Skoda, der mit einem solchen Antrieb ausgestattet werden sollte.

Die Betonflotte Band I der „Wahrheit über die Wunderwaffe“ enthält ein sehr kurzes

Kapitel über den Bau von Hochseebetonschiffen in Darłowo (Rügenwalde). Seit dieser Zeit (2001) ist es mir gelungen, viele neue Quellen zu diesem vergessenen und ungewöhnlichen Themenkomplex zu finden, die es erlauben, die Beschreibung etwas zu ergänzen. P- (mit dem HeS-011-Triebwerk, gemäß der erwarteten Triebwerksleistung) Flügelspannweite Länge Höhe Treibstofftankvolumen

P-1101

P-1110

ca. 8 m – abhängig ca. 8 m – abhängig von der Pfeilung; von der Pfeilung; 8,5 m 10,0 m 2,8 m

2,8 m

1.000 oder 1.200 l 1.000 oder 1.200 l

P-1111 8,0 m 6,5 m 2,5 m 1.200 l

13 m

13 m

Vorderkantenpfeilung

35° - 45°

35° - 45°

24 – 27 m2 (verschiedene Tragflächenkonzepte) 40° oder 45°

Startgewicht

3.800 kg

3.960 kg

3.840 kg

Flugdauer in der Höhe des Meeresspiegels

40 min

40 min

Flugdauer in einer Höhe von 10.000 m

108 min

108 min

108 min

Flugreichweite in der Höhe des Meeresspiegels

500 km

500 km

500 km

1.500 km

1.500 km

1.500 km

1.000 km/h

1.000 km/h 940 km/h

800 m

940 km/h 180 km/h (mit 20 % Treibstoff) 800 m

Gipfelhöhe

12.000 m

über 12.000 m



Tragflächenbelastung

290 kg/m2

300 kg/m2

160 kg/m2.

Steigungsgeschwindigkeit in der Höhe des Meeresspiegels

25 m/s

25 m/s



Zeit bis zum Erreichen einer Höhe von 2.000 m

1,5 min





Koeffizient Schubkraft / Eigengewicht

0,49





Tragfläche

Flugreichweite in einer Höhe von 10.000 m

2

Reisegeschwindigkeit

975 km/h in 8.000 m 910 km/h

Landegeschwindigkeit

180 km/h

Max. Fluggeschwindigkeit

Startbahnlänge

2

165 km/h 640 m

Die Me-262 HG III sollte mit einem modernen Flügel mit geringerem aerodynamischen Widerstand und größerer Tragfläche ausgestattet werden. (Graphik: Marek Ryś)

Eines der interessantesten Konzepte von Messerschmitt im Rahmen der zweiten Generation von Düsenjägern: die P-1110. (Graphik: Marek Ryś)

Ein im Werk aufgenommenes Foto des Jumo 004B-Düsentriebwerks samt Querschnitt. (Archiv des Autors)

Ein Foto des HeS-011-Triebwerks.

Pläne eines der HeS-011-Triebwerke von Heinkel / Hirth, die für die zweite Generation von Düsenjägern der Luftwaffe vorgesehen waren. (Archiv des Autors)

Ein Prototyp der Messerschmitt P-1101 nach der Überführung in die USA und der Montage eines neuen Triebwerks (wahrscheinlich vom Typ Nene). (NAIC-Archiv)

Die P-1101 wurde in den USA unter der Bezeichnung Bell X-5 Probe geflogen. Die Amerikaner haben dieses Flugzeug bei fast jeder Gelegenheit als ihr eigenes bahnbrechendes Konzept „beworben“. (NARA)

Das Konzept eines schweren Abfangjägers, der lediglich den Decknamen Zerstörer bekam. (Graphik: Marek Ryś. Anmerkung: Die Graphik auf der ersten Umschlagseite zeigt ein anderes interessantes Konzept: die P-13b in einer dreieckigen Version, die in Band II beschrieben wurde.)

Vorabentwurf des leichten Volksdüsenjägers von Dornier aus dem Jahr 1944. (Archiv)

Im Archiv gefundene Originalpläne, die wahrscheinlich Konzepte leichter Düsenbomber von Messerschmitt betreffen – die Zeichnungen waren ohne Beschreibung. (NARA)

Der Prototyp des HeS-30, eines weiteren Triebwerks für Düsenjäger der zweiten Generation. Ein vergleichbares Triebwerk (DB-007) wurde auch in den Werken von Daimler-Benz entworfen. (Archiv des Autors)

Originalpläne eines der ungewöhnlichsten Konzepte des Dritten Reiches – des schweren Nachtbombers von Focke-Wulf mit Hybridantrieb in Form eines Kolbentriebwerks zum Antrieb der Druckluftschraube und zwei BMW-003-Düsentriebwerken, die hauptsächlich beim Start und während des Kampfes verwendet werden sollten. (Archiv des Autors)

Die Deutschen waren nur einen Schritt vom Durchbrechen der Schallmauer entfernt. Dies hätte z. B. die DFS-228, ein experimentelles stratosphärisches Aufklärungsflugzeug mit Raketenantrieb vollbringen können, das vom „Rücken“ einer Do-217 starten sollte. (DFSArchiv)

Davon, dass viele aus dem Dritten Reich stammenden Konzepte erst nach dem Krieg verwirklicht wurden, zeugt sehr gut dieses Foto eines wenig bekannten Transportflugzeugs, das nach dem Krieg von Reimar Horten in Argentinien entwickelt wurde. Das Konzept basierte auf einem unverwirklichten Entwurf der Ho-18 aus der Kriegszeit, die als

strategischer Bomber zum Transport von Massenvernichtungswaffen gedacht war (es handelte sich dabei möglicherweise um den gleichen Bomber, dessen verblüffende Beschreibung in der „Ergänzung“ zu finden ist). In der argentinischen Stadt Córdoba wurde ein Rumpf zum Tragflügel hinzugefügt, der als Ladeabteil fungierte. Das Flugzeug bekam die Bezeichnung IAe-38. Die meisten der für das Bild posierenden Personen sind deutsche Spezialisten. (Archiv des Autors)

Dieses Foto zeigt, in wie viele Richtungen gleichzeitig die Arbeiten durchgeführt wurden. Es handelt sich um einen Forschungsaufbau, der die Verbindung einer Do-217 (zu sehen ist die Cockpit-Attrappe) mit einem rückstoßfreien Geschütz mit einem Kaliber von 355,6 mm zeigt. (Archiv von Marek Ryś)

Im Juni 1942 wurde im Dritten Reich ein Spezialkomitee geschaffen, das sich mit dem Bau solcher Einheiten befassen sollte, da Stahl vor allem für die Rüstungsindustrie gebraucht wurde. Das Komitee trug die Bezeichnung „Sonderausschuss Betonschiffbau“. Als Leiter wurde der prominente Ingenieur Ulrich Finsterwalder designiert.21 Die Deutschen beruhten dabei auf Erfahrungen, die noch aus dem 19. Jahrhundert stammten. Die erste kleine Flusseinheit dieser Art wurde nämlich in Frankreich bereits 1854 gebaut! Noch vor dem Ersten Weltkrieg wurden vergleichbare Konzepte in den USA, in Italien, Deutschland, Norwegen und Holland verwirklicht. Der Zweite Weltkrieg schuf die Bedingungen für eine Renaissance dieses Konzepts. 2006 gelang es mir, in den Besitz eines nachrichtendienstlichen Berichts der Alliierten zu kommen, der diesen Fragenkomplex etwas umfassender beschreibt; er wird auch als das Ostseegeheimnis bezeichnet.20 Es hat sich herausgestellt, dass solche Schiffe und Flussbarken nicht nur an unserer Ostsee entstanden. Hier ein Auszug aus dem Originaltext:

„Der Bau von Betonschiffen in Deutschland war ein behelfsmäßiges Unterfangen. Es entstanden zwei Tankschiffe mit einer Wasserverdrängung von jeweils 3.000 t, die verloren wurden. Darüber hinaus gab es auch einen Tausendtonner in Wien, nicht fertig gestellte 700-t-Einheiten und 750-t-Flussbarken, die schwer, jedoch nicht besonders widerstandsfähig waren. Es gab einen 3.400-t-Ostseetanker […] und ein 3.700-t-Frachtschiff […] Ein 700-t-Taubertschiff. Hellmann und Littmann haben den Rumpf für ein Taubertschiff an der Weser konzipiert. Es ist unklar, ob er fertig gestellt werden kann. 700-t-Flussbarken. Zwei Flussbarken mit einem Gewicht von jeweils 700 t wurden in den Heuer-Werken in Paris gebaut. Sie gingen aufgrund von Kriegshandlungen verloren. Sie konnten normalen Belastungen standhalten und zeichneten sich durch die entsprechende Elastizität aus. Die erforderliche Widerstandfähigkeit gegen punktuelle Schläge wurde jedoch nicht erreicht. Ein 180-t-Ponton. Abgesehen von den Flussbarken wurde auch ein Ponton mit Wänden aus Stahl gebaut. […] Schalenkonstruktionen • Ein 3.400-t-Hochseetanker. • Rügenwalde / Ostsee – 1 Tanker, • Warna / Bulgarien – 3 Tanker. Nach zwölf Monaten des Rumpfbaus und 13 weiteren Monaten, die für das Ausrüsten und die Montage von Anlagen notwendig waren, wurde das Schiff aus Rügenwalde in der Stettiner Vulcan-Werft fertig gestellt. Kurz vor seiner Probefahrt wurde es durch eine schwere Bombe getroffen und beschädigt, was zum Bruch des Mittelschiffs führte. Es ist jedoch möglich, das Schiff zu reparieren und die Schwimmfähigkeit wiederherzustellen. Soweit bekannt, liegt das Schiff immer noch in Swinemünde, wo es trotz schwerer Beschädigungen problemlos abgeschleppt werden konnte. Im September 1944 erfolgte in Warna der Stapellauf des ersten Tankers. Das Kriegsgeschehen verhinderte den Stapellauf der übrigen zwei Tankschiffe.

Ein 3.700-t-Motorfrachter. 1944 wurden in Rügenwalde zwei Frachtschiffe mit einer Wasserverdrängung von jeweils 3.700 t fertig gestellt, was zehn Monate in Anspruch genommen hatte. Sie sollten nach Kopenhagen verlegt werden, um sie auszurüsten und mit Anlagen auszustatten. Das Kriegsende verhinderte jedoch ihre Fertigstellung. Es wird angenommen, dass die Frachter aus Rügenwalde in russische Häfen verholt wurden. Ein 1.000 t-Binnenkahn. Zwei von diesen Einheiten wurden in Neuss am Rhein gebaut, weitere acht in der Neusatz-Werft an der Donau. Die Neuss-Werft wurde durch wiederholte Luftangriffe schwer beschädigt. Dennoch konnten die Schiffe gebaut und in die Gustavburg-Werft in Mainz transportiert werden, um sie auszurüsten. Ein Binnenkahn konnte im Prinzip fertig gestellt werden und wurde danach von amerikanischen Pioniertruppen für den Brückenbau verwendet. Die zweite Einheit wurde von deutschen Truppen in Schierstein außer Betrieb gesetzt. In der ungarischen Neusatz-Werft wurde ein leistungsfähiges System der Serienproduktion ausgearbeitet, wodurch ein Binnenkahn pro Monat hergestellt werden konnte. Vier Einheiten wurden ausgerüstet und geliefert. Sie wurden als Einsenbahnfähren im unteren Lauf der Donau in Richtung Belgrad eingesetzt. Als Ungarn kapitulierte, wurden die drei übrigen Binnenkähne gerade ausgerüstet. Es wird angenommen, dass sie in Richtung Österreich fuhren. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass während dieser Fahrt einer der Kähne auf eine Mine lief – die Explosion erfolgte unter dem Bug. Das Schiff war in der Lage, ans Ufer zu fahren und wurde in schwimmendem Zustand mit Beton instand gesetzt, der in der Lage ist, unter Wasser zu erstarren. Beschädigt wurde eine Fläche von etwa 12 m2. Nur ein Teil des Betons wurde aus der Bewehrung herausgerissen, der an einigen Stellen nachgab. Der Betonstahl wurde nicht auseinander gerissen. Ein parallel fahrender Stahlkahn der gleichen Größe war einer vergleichbaren Explosionsenergie ausgesetzt, was zu einem Leck führte, wonach er zerbrach und im Kanal versank. Ein 300-t-Motorfrachter Diese für die Küstenschifffahrt vorgesehene Schiffsart wurde in Ostswine, Larvik, Rotterdam, Neusatz, Nussdorf und Perama in Serie

produziert. Es wurden etwa 50 Buge hergestellt, wovon 25 zum Dienst kamen. Es ist anzumerken, dass nur eine eingeschränkte Zahl von kleinen und zweitrangigen Werften für das Ausrüsten solcher Schiffe zur Verfügung stand. Dennoch war es möglich, eine monatliche Produktion von etwa zwei bis drei Stück zu erreichen, insbesondere in Rotterdam und Ostswine. Die verhältnismäßig eingeschränkte Fertigung von Betonschiffen, ihre ungewöhnlich lange Bauzeit und die sich mehrenden technischen Defekte waren vor allem auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Schiffe nicht von Werften, sondern von Zementfabriken gebaut wurden. Man gab sich mehr Mühe bei der Herstellung der Buge als bei ihrer Ausrüstung mit Motoren, Hilfsanlagen u. Ä. In der Folge stellte sich heraus, dass nicht nur die falschen Motoren gewählt, sondern auch die falsche Bordausrüstung montiert wurde.“

Fertigstellung des Betonrumpfes, der mit dem Kiel nach oben gedreht ist. Das Foto zeigt Arbeiter, die den Beton mit Handschleifmaschinen polieren. (Archiv des Autors)

Vor einiger Zeit nahm Aleksander Ostasz, der Chefredakteur der Zeitschrift Magazyn Nurkowanie („Tauchermagazin“) mit mir Kontakt auf, der seit Langem von der etwas „undurchschaubaren“ Frage des Baus von Betonschiffen in den heutigen polnischen Gebieten fasziniert ist. Er war an den von mir aus den USA mitgebrachten Dokumenten interessiert, hatte jedoch auch selbst sehr viel anzubieten – u. a. das Wissen, das der Erforschung von Wracks solcher Einheiten entsprang, sowie Fotos in ausgezeichneter Qualität. Er hat auch einen sehr interessanten Artikel zum Thema geschrieben.21 Dieser Artikel ist wichtig, weil er es ermöglicht, die Quellen quasi durch praktisches Wissen zu ergänzen. Darin ist u. a. zu lesen:

Einige Originalkonzepte deutscher Betonschiffe. (NARA / FIAT)

„Zurzeit befindet sich das am besten erhaltene Betonwrack in Polen im Dammschen See bei Stettin. Dieser ca. 90 m lange Frachter wurde in Darłowo (Rügenwalde) gebaut. 1944 kam er nach Stettin, wo er aus verschiedenen Gründen nie fertig gestellt werden konnte. Nach dem Krieg sollte er zu einem städtischen Erholungs- und

Schwimmbadkomplex umgebaut werden, das Konzept wurde jedoch wegen der Kosten verworfen. Das Wrack entging glücklicherweise der Zerstörung. In den 1960er Jahren wurde es auf den nördlichen Teil des Dammschen Sees bei Inoujście (ehemals Ihnamünde) verholt und seinem eigenen Schicksal überlassen. Beim zweiten erhaltenen Betonschiff handelt es sich um das Wrack des Tankers ‚Ulrich Finsterwalder’, das sich auf der Höhe von Grodno bei Międzyzdroje (Misdroy) befindet. Die Einheit lief 1943 in Darłowo als erste einer Tankerserie vom Stapel. Der fast 100 m lange Betonrumpf mit einem Volumen von 2.947 BRT wurde nach Stettin verholt, um die restliche Ausstattung sowie Motoren und Deckaufbauten zu montieren. Am 30. August 1944, als das Schiff fast fertig war, tauchten über dem Hafen alliierte Bomber auf. Aufgrund des Flächenbombardements wurde der ‚Ulrich’ schwer beschädigt. Ende 1944 kam er nach Swinemünde, wo er instandgesetzt wurde und bis zum Kriegsende blieb. Die sich im Rückzug befindenden Deutschen versenkten den Tanker im heutigen Piastenkanal (Kanał Piastowski), wodurch sie die Fahrrinne zum Hafen in Stettin wirkungsvoll blockierten. Nach der Befreiung wurde das Wrack geborgen und in die Pommersche Bucht in die Misdroy-Region verholt, wo es auf der Höhe von Grodno erneut versenkt wurde. Wahrscheinlich wurde dieser Ort als der am meisten abgelegene und vom Fahrwasser am weitesten entfernte gewählt, vielleicht dachte man schon damals an den Schutz der dortigen Steilküste.

Das Wrack einer Betoneinheit auf dem Dammschen See bei Stettin. Abgesehen vom beschädigten Bug ist sie in einem verhältnismäßig guten Zustand. (Foto: Aleksander Ostasz – www.nurkowanie.v.pl)

Das Betonschiff liegt derzeit auf dem Flachkiel mit dem Bug in Uferrichtung, die Meerestiefe um das Wrack beträgt 8 bis 10 m. Bei niedrigem Wasserstand ist das Oberdeck zu sehen, das oft von Wellen umspült wird. Die Kriegsschäden, der Strom der Zeit und Stürme bleiben jedoch nicht ohne Folgen: Das Wrack wird immer mehr zerstört.“ Wie ich bereits in Band I erwähnt habe, bildet darüber hinaus das Wrack einer großen Betoneinheit einen Teil des Wellenbrechers in Darłowo.

Fortgeschrittene Konzepte der Reichspost Die Rolle der Reichspost bei den Rüstungs- und Forschungsbemühungen des nationalsozialistischen Staates kommt nur selten zur Sprache. Schon aus diesem Grund lohnt es sich, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Es wäre natürlich falsch zu behaupten, dass es sich dabei um eine Schlüsselrolle handelte, allerdings ist sie auch nicht zu unterschätzen. Wir haben es dabei im Übrigen mit einem allgemeinen Phänomen zu tun: Es wird deutlich, wie stark im Grunde genommen die Bestrebungen waren, sich im Forschungssektor zu engagieren, da dies entsprechenden Einfluss gewährleistete. Dieser Einfluss ist in doppeltem Sinne zu verstehen – sowohl als politisches Ansehen (z. B. wurden Wissenschaftler, die an den wichtigsten Projekten beteiligt waren, beinahe wie Fürsten behandelt) als auch wörtlich, wenn es um den Zufluss von Mitteln ging, da in solchen Fällen dieser Zufluss nicht nach den starren Regeln erfolgen konnte, die für die Finanzierung der Rüstungsproduktion galten.

Am 1. Januar 1937, also noch vor dem Krieg, gründete die Reichspost ein Forschungszentrum, das eng mit den Kriegsvorbereitungen verknüpft war. In kurzer Zeit überstieg die Zahl der dort beschäftigten Mitarbeiter 1.000 Personen. Anfangs war die Hakeburg bei Berlin die Hauptarbeitsstätte, bald wurde jedoch mit dem Bau eines größeren Forschungszentrums im nahe gelegenen Kleinmachnow begonnen. Solch eine schnelle „Beförderung“ einer Institution, die theoretisch mit diesem Bereich nichts zu tun haben sollte, war vor allem den persönlichen Ambitionen ihres Leiters Wilhelm Ohnesorge zu verdanken. Er war Physiker und daher hauptsächlich an Arbeiten auf diesem Gebiet interessiert – die Nutzung der Fernsehtechnik im Bereich der gelenkten Waffen wurde relativ schnell zu seinem „Steckenpferd“.

Das Forschungsflugzeug der Reichspostforschungsanstalt, das u. a. für Untersuchungen von TV-Suchköpfen diente. (Archiv)

Ohnesorge nutzte dabei den guten Ruf, den er bei Hitler und seinem Umfeld genoss. Er wurde auch schnell zum Objekt von Bestrebungen des Reichsführers-SS und hielt auch zu ihm guten Kontakt. Im Endeffekt konnte sich die Anstalt in Kleinmachnow nicht über fehlende Aufträge beklagen, und seine Rolle wuchs ständig. Bei Kriegsende befasste sie sich bereits mit 50 „Forschungsbereichen“, darunter der Kernphysik, der Hochfrequenzphysik (einschließlich Untersuchungen der Ionosphäre), der Radartechnik, dem Bau von TV-Suchköpfen für Bomben und Raketen, der Entwicklung von ferngesteuerten Kampfwagen, der Flugabwehrbewaffnung, der Infrarottechnik, den Zielleitsystemen für Nachtjäger, der Abhörtechnik, den Methoden (Algorithmen) zum Knacken von Verschlüsselungen u. v. a.

m.22 Dabei ist noch eine weitere Tatsache interessant: Bereits 1941 hielt der Leiter der Reichspostforschungsanstalt Prof. Friedrich Gladenbeck eine Vorlesung für hohe Offiziere des Rüstungsamtes beim Oberkommando der Wehrmacht über „die Bedeutung der Atomspaltung für den Bau einer Bombe mit bisher unbekannter Explosionskraft“ – genauso lautete der Titel dieser Vorlesung! Dabei muss zugegeben werden, dass sich viele deutsche Wissenschaftler während des Krieges – und sogar danach – nicht besonders über das „doppelte Gesicht“ der Reichspost im Klaren waren. Übrigens sind auch heute noch nicht alle Fragen geklärt – mit Sicherheit wissen wir noch nicht alles! Dies ist eine direkte Folge der (allem Anschein zum Trotz) schwach zentralisierten Forschungspolitik des Dritten Reiches, die keinem einheitlichen und simplen Schema untergeordnet war, sowie der komplizierten Beziehungen zwischen verschiedenen Institutionen und Forschungsteams, die ja mehr oder weniger geheim gehaltenen wurden (den Charakter dieser nur scheinbar chaotischen Organisation habe ich in Band II in einem ausführlichen Nachtrag beschrieben). Die Rolle der Anstalt von Professor Gladenbeck wuchs in dem Maße, wie sich die Beziehungen zu den Streitkräften und zur Industrie konkretisierten, worum sich Ohnesorge laufend bemühte. Einer der Wendepunkte auf diesem Weg war eine Besprechung, die am 17. August 1943 in der Wolfsschanze (Masuren) stattfand. Anwesend waren der bereits erwähnte Reichspostleiter, Hitler, General Bodenschatz, der Reichsmarschall Göring repräsentierte, sowie mehrere weitere Personen. Es wurde beschlossen, dass die Reichspostforschungsanstalt die folgenden Projekte im Auftrag der Luftwaffe verwirklichen wird: • Entwicklung eines Gerätes, das den Nachtjägern ermöglichen würde, Kämpfe bei geschlossener Wolkendecke zu führen. • Entwicklung eines Rundblickfernsehgerätes zur visuellen Identifizierung von Streifen aus metallisierter Zellophanfolie, mit denen die Alliierten den Betrieb deutscher Radargeräte störten (die Wolken strahlten starke Falschechos ab). Es ging darum, tatsächliche von scheinbaren Zielen zu unterscheiden. • Entwicklung von elektrischen Annäherungszündern für die von der

Flugabwehrartillerie verwendeten Laufgeschosse. • Entwicklung von Sprengköpfen mit Zielsuchlenkung für Flugabwehrraketen. • Entwicklung eines „elektrischen Fernrohrs“ – wahrscheinlich ging es dabei um ein Beobachtungsgerät, das ein normales optisches Objektiv mit einem Fernsehverstärker für Restlicht in sich vereinte. Vom Vertrag waren Nachtsichtgeräte ausgeschlossen, die separat verwirklicht wurden.

Mitarbeiter der Reichspostforschungsanstalt. Die Aufnahme stammt von 1934. (Archiv)

Allein schon diese kurze Aufzählung zeigt, dass es sich um eine interessante Forschungseinrichtung handelte. Sie wurde auch von der höchsten Führung des Dritten Reiches sehr respektiert, Hitler z. B. sprach mehrmals in Superlativen über Ohnesorges Bemühungen und zeichnete ihn im November 1944 mit dem Ritterkreuz zum Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern aus – der höchsten Auszeichnung, die ein Zivilist bekommen konnte. Dadurch stieg stetig der Rang der Einrichtung, was Früchte in Form immer lukrativerer Beziehungen trug. Die Anstalt war z. B. in bedeutendem Maße an den Arbeiten der Forschungseinrichtungen in Peenemünde (d. h. der militärischen „Heeresversuchsanstalt Peenemünde“ und der privaten Produktionsfirma „Elektromagnetische Werke“) beteiligt. Auf der Insel Usedom gab es im Übrigen eine Art „Verbindungsstab“, der sich aus abkommandierten Mitarbeitern der Anstalt zusammensetzte. Als Partner fungierten solche Firmen wie AEG, Telefunken (sie schlossen sich viel später

zusammen), Lorenz, Siemens, Blaupunkt und Bosch. Darüber hinaus gab es zwei Gesellschaften, an denen die Reichspost viele Anteile besaß: die Reichspost-Fernseh- GmbH und die Elektro-Optik GmbH. Beide befassten sich hauptsächlich mit der Fernsehtechnik und ihrer Gefechtsanwendung. Das alles ermöglichte nicht nur einen ungehinderten Zugang zu Krediten, sondern brachte auch zahlreiche staatliche Subventionen. Die Produktion vieler verschiedener elektronischer Geräte wurde aufgenommen, wobei man nicht vergessen sollte, dass es sich damals ausnahmslos um sehr fortschrittliche Technik handelte, u. a. Fernsehverstärker und verschiedene Bausteine für Fernsehsysteme mit einer Auflösung von 441, aber auch 729 Zeilen – also mehr als dies beim heutigen Fernsehsignal der Fall ist. Dazu kamen verschiedene Elektronenröhren, Oszillographen, Verstärker, UKW- und LWRadiogeräte (für die Kriegsmarine) – von rein experimentellen Konzepten ganz zu schweigen.

Die durch die Anstalt entwickelte Tonne-Kamera. (Archiv)

Die gleiche Kamera, eingebaut im Bugteil eines Hs-293-Geschosses (mit und ohne ballistischem Schutz). (Archiv)

Die Reichspost stellte auch eine große Zahl von verschiedenen Kurzwellensendern her. Panzer, die an der Septemberoffensive teilnahmen, waren bereits mit UKW-Sendern der Reichspost ausgestattet. Dabei stieg der Bedarf ständig. So war die Regionalverwaltung in den eroberten Ostgebieten und sogar auf den griechischen Inseln ständiger Abnehmer von Funkstationen aufgrund des unsicheren Fernsprechverkehrs. Allein der Bau von Funkhilfsstationen war eine gewaltige Aufgabe, da zu diesem Zweck 60 m hohe Masten errichtet wurden, was über 20 Stockwerken entspricht. Gleichzeitig wurden Störsender gebaut, um fremde Rundfunkstationen zu stören, die ihre Sendungen nach Deutschland ausstrahlten. Das zentrale und wohl interessanteste Betätigungsfeld war jedoch die Fernsehtechnik – darunter auch das klassische Fernsehen, das nichts mit Sprengköpfen für Fernlenkwaffen zu tun hatte. Ohnesorge schaffte es, das Heereswaffenamt zur Finanzierung des Baus von Fernsehsendern für den Kommunikationsbedarf der Wehrmacht zu überreden. Bereits Anfang der 1940er Jahre entstanden Sender in Berlin, München, auf dem Brocken und dem Großen Feldberg, zusätzlich wurde der Sender auf dem Eiffelturm in Paris durch eine Anlage ausgetauscht, die den deutschen Normen entsprach. Es wurden Übertragungswagen für propagandistische Reportagen sowie Wagen mit Fernsehschirmen gebaut, die das Leben der Soldaten in Feldlazaretten angenehmer gestalten sollten. Dabei ist interessant, dass am 15. August 1940 die Anstalt Besuch von einer sowjetischen Delegation bekam, die sich am Propagandapotential des Fernsehens sehr interessiert zeigte und deshalb eine enge Zusammenarbeit aufnehmen wollte. Aufgrund

des Angriffes auf die UdSSR wurde nichts daraus, es blieb jedoch der Beschluss, kraft dessen sich die sowjetische Staatsführung entschloss, den deutschen Fernsehsignalübertragungsstandard einzuführen. In den nächsten Jahren gab es immer mehr Konzepte, die direkt mit der Konstruktion von Bewaffnung und elektronischer Ausrüstung für das Militär in Verbindung standen. Es begann ein regelrechter Boom auf diesem Gebiet. Unter dem Decknamen Naxos wurde ein Gerät für U-Boote entwickelt, das vor der Bestrahlung mit einem Radarstrahl warnte und die Richtung aufzeigte, aus der das Strahlenbündel ausgestrahlt wurde. Auf einem ähnlichen Prinzip beruhte ein Sprengkopf mit Zielsuchlenkung für Flugabwehrraketen. Er sollte sich gegen die bordeigenen Radargeräte von Flugzeugen ausrichten, die den alliierten Formationen den Weg bahnten (Leaders). Diese Arbeiten waren mit dem Decknamen Windhund versehen.

Eine Bildersequenz, die an Bord eines Forschungsflugzeugs von Junkers durch die TonneKamera aufgenommen wurde. Das Flugzeug simulierte die Annäherung des Projektils ans Ziel – die Hs-293-Geschosse sollten gegen Schiffe eingesetzt werden. (Archiv)

Ein weiteres wichtiges Gebiet war die bereits im ersten Band beschriebene Infrarottechnik und die damit verbundenen Arbeiten an der Konstruktion von Fernsehzielgeräten mit Kathodenverstärkern, die eine Ähnlichkeit mit den Verstärkern in Nachtsichtgeräten aufwiesen, aber im Bereich des sichtbaren Lichts arbeiteten. Man könnte die Behauptung wagen, dass die Gruppe Fernsehtechnik die wichtigste Abteilung der Anstalt war. Im zweiten Band habe ich bei der Besprechung von TV-Suchköpfen für Fernlenkwaffen die Tätigkeit der Fernseh GmbH beschrieben – einer Gesellschaft, die eng mit der Anstalt in Kleinmachnow zusammenarbeitete, obwohl sie formell Teil des RobertBosch-Konzerns war. Deshalb wird das Thema hier lediglich angedeutet. Ein wenig schockierend ist die Tatsache, dass außer an Kameras für gelenkte Waffen auch an einem Fernsehsystem gearbeitet wurde, das die Führung von Bodentruppeneinheiten unterstützen sollte. Es war hauptsächlich dazu bestimmt, aktuelle Landkarten der taktischen Lage zu übermitteln. Den Deutschen gelang es, ein System mit einer Auflösung von 1.029 Zeilen zu bauen und zu testen! Solche „Terminals“ waren auch für die Montage in Nachtjägern vorgesehen.22 Auf diese Weise hätten die bordeigenen Radargeräte, die eine relativ geringe Reichweite besaßen, durch aufbereitete Bilder der taktischen Lage in einem größeren Gebiet, die von großen Bodenradaren (z. B. Würzburg-Riese) stammten, unterstützt werden können. Die Bodenradare sollten zusätzlich – wie in Band I beschrieben – mit dem Triangulationsnetz der Wärmepeiler gekoppelt werden. In Verbindung mit einem Netz aus „Flugabwehrtürmen“, bei denen die Flugabwehrkanonen automatisch auf Ziele ausgerichtet worden wären, hätte das sicherlich zur grundlegenden Revolution bei der Verteidigung großer Städte geführt und die Verluste der alliierten Formationen radikal erhöht! Für die Luftwaffenerprobungsstelle Peenemünde, die an Flugabwehrraketen mit Flüssigtreibstoffantrieb arbeitete, wurden 16 x 16 x 40 cm große Minikameramodule mit batteriebetriebenen Sendern entwickelt, die die Decknamen Fluko und Tonne bekamen. Die Tonne wurde auch von Henschel beim Luft-Boden-Geschoss Hs-293 eingesetzt. Angeblich wurde ein solches

Leitsystem auch für die Wasserfall-Flugabwehrrakete in Erwägung gezogen. Auf diese Weise sorgte die Reichspost dafür, dass sie eine Schlüsselstellung im renommierten Bereich des Baus von gelenkten Raketen einnehmen konnte. Groß angelegte Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet wurden seit Anfang 1943 durchgeführt. Bereits am 5. November des Vorjahres fand in Berlin eine Geheimkonferenz zum Thema „Besondere Probleme der Fernsteuerung“ statt, auf der zwei Experten von der Reichspostforschungsanstalt anwesend waren. Zu dem Zeitpunkt wurde lediglich festgelegt, dass ein „sicher zu bedienendes Fernsehleitsystem in Verbindung mit thermischen oder optischen Sensoren, und zur Zielidentifikation auch mit einem Radar“ gebaut werden sollte.22 Danach begannen intensive Versuche auf dem Testgelände, die mit der Perfektionierung konkreter Lösungen verbunden waren. In diesem Stadium bereiteten sie den „Postlern“ aufgrund zahlreicher zum Vorschein kommender Probleme noch Kopfschmerzen. Die Hauptschwierigkeit bestand darin, dass die in den Suchköpfen montierten Kleinsender keine ausreichende Signalstärke gewährleisteten, wodurch die Bildqualität bei Entfernungen von etwa 10 km unbefriedigend war. Die hohe Geschossgeschwindigkeit in Verbindung mit dem geringen Sichtfeld der Kamera und der übermäßigen Empfindlichkeit des Hs-293-Geschosses (es ging nämlich hauptsächlich um diese Rakete) auf Joystickbewegungen führten fast bei jedem Versuch zur Unterbrechung des Sichtkontakts zum Ziel. Die wirkungsvolle Nutzung der neuen Waffe verlangte dem Techniker an Bord des Flugzeugs ein außerordentliches Fingerspitzengefühl, ja geradezu eine manuelle Begabung ab. Damals nutzte die Anstalt das zu einem früheren Zeitpunkt erworbene Transportflugzeug Junkers W-34, das als fliegendes Laboratorium fungierte. An Bord befanden sich der Empfänger und moderne Geräte zur Bildanalyse. Außer der Tonne-Kamera wurde auch ein neuerer Suchkopf mit einem Fernsehmodul aus der Null Serie untersucht. Schließlich gingen jedoch die Suchköpfe mit den Tonne-Kameras in die Produktion. Die Fernseh GmbH vereinnahmte deswegen nicht weniger als 5 Millionen Mark. Mit der Zeit gelang es auch, die meisten der bisherigen technischen Probleme zu minimalisieren, insbesondere diejenigen, die einen negativen Einfluss auf die übermittelten Bilder hatten. 1943 begannen die Henschel-Werke in Berlin-Schönefeld mit der Montage der Kameras in den Hs-293-Geschossen. Wie bereits erwähnt, sollten sie

hauptsächlich gegen Schiffe auf dem Mittelmeer eingesetzt werden. Bei dieser Gelegenheit kamen noch Probleme mit dem Leitsystem zum Vorschein, die durch solche Faktoren wie Seitenwind oder die Flugabwehr der angegriffenen Einheiten, die das Flugzeug zu Manövern zwang, noch verstärkt wurden. Zum Glück für die Deutschen schränkte die Funkübertragung von Lenkbefehlen die Manövrierfähigkeit des Flugzeugs grundsätzlich nicht ein (abgesehen von Beschleunigungsbelastungen, die die feinen Bewegungen des Geschosstechnikers beeinflussen konnten). Die Reichspostforschungsanstalt ergriff noch eine weitere Initiative auf diesem Gebiet. Sie befasste sich nämlich mit der Installation ähnlicher Suchköpfe, die mit den Tonne-Kameras ausgestattet waren, auf den ferngesteuerten Zwergpanzern / -robotern Goliath. In seiner Grundversion wurde Goliath durch ein Kabel gesteuert, das auch den zum Antrieb des Elektromotors notwendigen Strom lieferte. Er war insbesondere bei Kämpfen in urbanisierten Gebieten nützlich. Uns ist er vor allem vom Warschauer Aufstand bekannt, als die deutschen Truppen auf diese Weise die durch die Aufständischen errichteten Straßenbarrikaden zerstörten. Die Reichspost hatte vor, die Goliaths in eine wirkungsvolle Panzerabwehrwaffe auf dem Schlachtfeld zu verwandeln, damit sie eine Alternative zu den gleichzeitig gebauten gelenkten Panzerabwehrraketengeschossen darstellen konnten. Es wurde ermittelt, dass die Reichweite der Funkverbindung im Gelände es erlaubte, den Gleiskettenroboter in einer Entfernung von bis zu etwa 7 km einzusetzen. Die Sprengladung sollte unter dem Rumpf des angegriffenen Panzers initiiert werden. Es gibt keine Informationen über den Antrieb, es ist jedoch anzunehmen, dass bei dieser Variante ein Verbrennungsmotor zum Einsatz gekommen wäre. Damit war Ohnesorges Forschungsehrgeiz aber keineswegs erschöpft. Bereits seit dem Kriegsanfang war er daran interessiert, auch das perspektivische Gebiet der Kernphysik zu betreten, was Rainer Karlsch im Übrigen sehr gut in seinem Buch „Hitlers Bombe“ beschrieb. Auf diesem Gebiet war die Anstalt in Kleinmachnow eine der führenden Forschungseinrichtungen und u. a. an der Trennung von Isotopen beteiligt. Mitte 1940 wurde überdies das Institut für spezielle Probleme der Physik in Miersdorf errichtet. Am nahe gelegenen Zeuthener See wurde mit dem Bau eines Zyklotrons zur Erforschung von Phänomenen begonnen, die beim Zusammenstoß von Atomkernen eintreten – in diesem Fall wurde das

amerikanische Forschungsmuster nachgeahmt. Die Zusammenarbeit mit dem Kernforschungsinstitut in Berlin-Lichterfelde, das von dem damals wenig bekannten Unternehmer Manfred von Ardenne geleitet wurde (er hatte weder ein Chemie- noch ein Physikstudium abgeschlossen) wurde stetig vertieft. Wie man also sieht, verfügte die Reichspost über eine durchaus ansehnliche Forschungsbasis, die auf die Entwicklung einer Atombombe bzw. eines nuklearen Sprengkopfes regelrecht ausgerichtet war! Man könnte geradezu behaupten, dass sie im Dritten Reich einer der Pioniere auf diesem Gebiet war. Dennoch spielte sie eher nur eine Nebenrolle – sie baute keinen eigenen Reaktor. Eine Schlüsselrolle in diesem Bereich fiel wesentlich weniger bekannten Einrichtungen zu, wovon ein Teil an anderer Stelle in diesem Buch erwähnt wird. Viele Autoritäten im Dritten Reich meinten, dass die Produktion von Atomwaffen zu langfristig sei, um auf sie noch vor Kriegsende zu hoffen. Für die Reichspost war hier vor allem von Bedeutung, dass das Heereswaffenamt auf die Leitung der Arbeiten verzichtete und die Aufsichtspflichten an den Reichsforschungsrat weitergab. Für die Wehrmacht war diese Richtung lediglich „kriegswichtig“ und bekam keine hohe Priorität. Das erwähnte Reichspostinstitut in Miersdorf wurde zwar immer besser finanziert – 1944 bekam es z. B. einen Betrag von 2,5 Millionen Mark – dies war jedoch entschieden zu wenig, um auf die Konstruktion der Atombombe vor Kriegsende hoffen zu können. Das ergibt sich auch aus der Zahl der Beschäftigten – Anfang 1945 waren es etwa 60 Wissenschaftler. Es wurde eine Anlage zur Isotopenanreicherung, die sogenannte Philips-Kaskade gebaut, die 13 kg eines Radium-Berylliumpräparates lieferte. Sie war der einzige Neutronengenerator in der Berliner Region, der u. a. von Otto Hahn genutzt wurde. Erst Ende 1944 war die Firma Lorenz AG im Begriff, die Montage des Zyklotrons abzuschließen, dabei handelte es sich allerdings nur um ein Hilfsgerät auf dem Weg zum Bau eines Reaktors. Ein zweites ähnliches Gerät mit einem Gewicht von 60 t wurde in ähnlicher Zeit in Berlin-Lichterfelde gebaut. Die in Kleinmachnow und Miersdorf durchgeführten Arbeiten ergaben natürlich nur dann Sinn, solange die Wehrmacht und Speers Ministerium an ihrer Nutzung interessiert waren. Der Rückzug aus der Finanzierung der renommiertesten Forschungsrichtung und andere „Dissonanzen“ bewirkten, dass Ohnesorge immer größere Hoffnungen auf die Zusammenarbeit mit der

SS setzte. Himmler teilte natürlich dieses Interesse, da er grundsätzlich von allen möglichen Neuerungen im Bereich der Industrie und Forschung fasziniert war. Anfangs handelte es sich noch um Maßnahmen, die keine größere Bedeutung aus der Perspektive der Forschung und Entwicklung hatten. Im Herbst 1941 führte Ohnesorge eine Reihe von Gesprächen mit SSGruppenführer (später Obergruppenführer) Gottlob Berger, dem Leiter des SS-Hauptamtes durch. Sie führten Anfang Mai 1942 zur formellen Eingliederung des ganzen etwa 45.000 Mann starken Postschutzes in die SS. Berger stellte der Reichspost darüber hinaus etwa 5.000 – 7.000 Personen zur Verfügung, die die Fernkraftposteinheiten bildeten. Ab diesem Zeitpunkt trugen paramilitärische Formationen der Reichspost außerhalb der Reichsgrenzen grünlich-graue Uniformen der Waffen-SS mit „SSPostschutz“-Tressen auf den Ärmeln. Innerhalb des Reiches wurden schwarze Uniformen der Allgemeinen SS benutzt. Manche Truppen wurden später sogar als Hilfsformationen im Kampf gegen die Partisanenarmee eingesetzt. Berger bildete im Übrigen ein Waffen-SS-Nachrichtenregiment mit der Bezeichnung Ohnesorge. Im Gegenzug setzte sich die Reichspost für eine Propagandakampagne zugunsten der Anwerbung von Freiwilligen für die Waffen-SS ein. Es war davon die Rede, dass später die ganze Forschungsinfrastruktur der Reichspost in das durch Himmler gegründete Wirtschafts- und Wissenschaftsimperium eingegliedert werden sollte. Auf alle Fälle wurde Himmler von Ohnesorge regelmäßig über den Stand der Forschungsarbeiten informiert. SS-Brigadenführer Willi Köhn wurde zum Generalbevollmächtigten des Reichspostministers für die besetzten Ostgebiete ernannt (ab 1933 war er Auslandskommissar der NSDAP für Südamerika; in den Jahren 1937–39 bekleidete er das Amt des Sonderbeauftragten der Reichspost in Spanien und war Chef eines Sonderstabes bei General Franco). 1944 verstärkte sich Ohnesorges „Abdrift“ in Richtung der SS. Es wurde eine enge Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Hochfrequenzforschung aufgenommen, was dazu führte, dass Himmlers Imperium eine entscheidende Rolle in diesem Bereich zu spielen begann, indem es – wie in Band II beschrieben – „Unterstützung“ in Form von Konzentrationslagern (Groß-Rosen) anbot. Die Reichspost unterstützte auch den Sicherheitsdienst dadurch, dass sie den transatlantischen Telefonverkehr abhörte und entschlüsselte. Es ist nicht

auszuschließen, dass Himmler auch von der Nuklearforschung der Reichspost profitierte, die von der Wehrmacht stiefmütterlich behandelt wurde.

Einige ergänzende Worte über „unsichtbare“ Schiffe und Flugzeuge Das vorliegende Kapitel ist lediglich eine Ergänzung der Informationen, die in Band I abgedruckt wurden, und beruht auf einem bisher unbekannten Bericht der alliierten Geheimdienste, obwohl es Informationen enthält, die teilweise in den vorher beschriebenen Berichten veröffentlicht wurden.23 Deshalb ist es eher als eine kurze Zusammenfassung dieses fast immer noch unbekannten, jedoch zweifellos faszinierenden Themas zu behandeln. Der Bericht zählt nur etwa ein Dutzend Seiten, stellt jedoch aufgrund des Charakters der Institution, die ihn verfasste, eine Synthese von Informationen aus vielen Quellen dar. Er bezieht sich deshalb nicht nur auf eine Einrichtung, sondern versucht, den beschriebenen Themenkomplex als ein Ganzes zu schildern. Das ist insofern wertvoll, als die ersten amerikanischen Nachkriegsarbeiten an einer Technik, die dort unter dem Begriff „stealth“ bekannt ist und auf einer Reduzierung der Radarsichtbarkeit beruht, zweifelsfrei nicht nur eine Weiterentwicklung, sondern geradezu eine praktische Anwendung der deutschen Forschungsergebnisse darstellten, und das nach über zehn Jahren! Schauen wir uns also die Arbeitsergebnisse der Experten von der „Joint Intelligence Objectives Agency“ aus den Jahren 1945–47 an. Der Autor der nachrichtendienstlichen Veröffentlichung, auf die ich mich beim Verfassen dieses Kapitels gestützt habe, erwähnt, dass die Reduzierung der Radarsichtbarkeit für die amerikanischen Wissenschaftler kein fremdes Thema während des Krieges war. Er nennt die Namen von zwei Institutionen: des staatlichen War Committee on Dielectrics (ein Komitee des Verteidigungsministeriums, das für Dielektrika zuständig war) sowie gewissen Radiation Laboratories. Er gab jedoch zu, dass diese Arbeiten nicht besonders weit fortgeschritten waren, auf jeden Fall brachten sie keine derart konkreten Ergebnisse wie die Konzepte des Dritten Reiches. Im ersten Band habe ich grundsätzlich nur die vom I. G. Farben-Konzern in

Höchst bei Frankfurt verwirklichten Arbeiten ausführlicher besprochen, die anderen habe ich lediglich angedeutet. Jetzt bietet sich die Gelegenheit, diesen Mangel zu beheben. Im „neuen“ Bericht wurden nämlich auch vier andere Konzepte aus diesem Bereich beschrieben: • der Firma Osram (vorher lediglich kurz angesprochen); • von Professor Stetter vom Kernforschungsinstitut in Wien; • der Technischen Hochschule Stuttgart; • des Kaiser-Wilhelm-Instituts (das ein Äquivalent zur Akademie der Wissenschaften war), konkret des ihm unterstellten Institutes für Biophysik in Frankfurt am Main; • der Technischen Hochschule in Prag und in Brünn, wobei dieses Konzept aufgrund seiner Bedeutung für die in diesem Buch beschriebenen Themen ebendort dargelegt wurde. Es wurde nämlich zum Ziel des Wettlaufs um geheime Technologien des Dritten Reiches zwischen den amerikanischen und sowjetischen Geheimdiensten! Noch eine weitere Institution wurde kurz angesprochen: das Ernst-OerlichInstitut und das dort von Prof. Schwenghagen verwirklichte Konzept – mehr jedoch auch nicht. Genauso lakonisch wurde die Beteiligung der Firmen Telefunken, AEG und Bosch sowie der Technischen Hochschule Darmstadt (Prof. Carl Wagner) und der Physikabteilung der Universität Erlangen erwähnt. Dennoch ist klar zu erkennen, dass der Umfang der Arbeiten im Bereich der „Stealth“-Technik imponierend war und bis heute nicht in gebührender Weise gewürdigt wird. Er war sicherlich größer als z. B. die Bemühungen um den Bau eines Kernreaktors, die zurzeit dermaßen exponiert werden; ehrlich gesagt hätte ihr Ausgang einen viel größeren Einfluss auf den Kriegsverlauf haben können! Schauen wir uns also die oben erwähnten Konzepte an, indem wir mit dem Osram-Konzern beginnen. Das Forschungsteam des amerikanischen Nachrichtendienstes konzentrierte sich auf Verhöre der wichtigsten Personen, beginnend mit dem Ingenieur Erwin Weise vom erwähnten Unternehmen. Er war Assistent von Dr. Friedrich von der „Studiengesellschaft für Elektrische Beleuchtung“, die als die firmeneigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung fungierte. Offiziell befassten sich beide mit der Technologie und Anwendung von Halbleitern. Weise wurde von der Staatsführung des Dritten Reiches als eine Schlüsselpersönlichkeit unter dem Aspekt der Kriegswissenschaft angesehen

und in den letzten Kriegswochen nach Erlangen evakuiert, wo er bald das Interesse des amerikanischen Nachrichtendienstes weckte – insbesondere, da er den Ruf eines fanatischen Nationalsozialisten hatte und Parteimitglied war. Hier wurde auch noch vor der Kapitulation der Versuch unternommen, Weises Laboratorium wiederherzustellen. Obwohl in Wirklichkeit keine Versuche darin wiederaufgenommen worden waren, ist es vielsagend, dass es bald von mehreren Mobilgruppen des technischen Nachrichtendienstes der Alliierten geplündert wurde, und zwar so gründlich, dass das JIOA-Team, das Material für den hier beschriebenen Bericht sammelte, dort nichts mehr fand. Weise behauptete jedoch hartnäckig, keine Rolle im „Stealth“-Projekt gespielt zu haben, und verwies die Amerikaner auf seinen Vorgesetzten Dr. Friedrich. Dieser jedoch verwies auf Weise, deshalb wurde die Suche nach ihm erneut aufgenommen. Er wurde zum zweiten Mal in Höchst verhört, lieferte aber auch diesmal keine wichtigen Informationen. Doktor Friedrich, auf den sich nun die ganze Aufmerksamkeit konzentrierte, war Leiter der erwähnten „Studiengesellschaft“. Er konnte in seiner Berliner Wohnung nicht angetroffen werden; erst am 13. September 1945 kam es zu einem Verhör im Direktionsgebäude des Osram-Konzerns. Zu dieser Zeit war er 65 Jahre alt und laut mehreren Mitarbeitern auch aktives Parteimitglied, obwohl er genau den gegenteiligen Eindruck zu erwecken versuchte. Davon abgesehen besaß er jedoch den Ruf eines erfahrenen Forschers und eines sehr intelligenten und guten, wenn auch nicht minder kleinlichen und egoistischen Verwalters. Er begann scheinbar ohne jegliche Vorbehalte über das Schornsteinfeger-Projekt zu erzählen (siehe Band I), obwohl er sich dauernd hinter seinem schlechten Gedächtnis versteckte – insbesondere, wenn es um konkrete technische Angaben ging. Im Rahmen des erwähnten Projektes wurden Materialien mit den Decknamen Wesch und Jaumann entwickelt und hergestellt. Er erwähnte jedoch beiläufig, dass seine Aufgabe in der Entwicklung einer einlagigen Antiradarbeschichtung mit einem „hohen mu-Koeffizienten“ bestand. Die amerikanischen Offiziere bemerkten, dass ihr Gesprächspartner der Unterhaltung deutlich abgeneigt war. Sie begannen deshalb, Friedrich über Einzelheiten auszufragen und einen immer größeren Druck auf ihn auszuüben. Es ist unbekannt, worauf das Konzept konkret beruhte, sie hatten jedoch sicherlich viele Argumente in der Hand – immerhin waren sie Vertreter der neuen Staatsführung. Friedrich kam schließlich zu dem Schluss,

dass die einzig sinnvolle Antwort ein Bericht sein würde, den er auf der Grundlage der gefundenen Notizen und Details aus der erhalten gebliebenen Dokumentation erstellen wollte. Er erwähnte bei dieser Gelegenheit, dass ein Offizier des Nachrichtendienstes der amerikanischen Kriegsmarine einen solchen Bericht von ihm bereits verlangt hatte und er in einer Woche fertig sein sollte, obwohl es ihm noch nicht gelungen war, das Material entsprechend zu sortieren. Die Amerikaner hatten das Gefühl, auf eine wertvolle und vielversprechende Spur gestoßen zu sein, obwohl sie bereits nach dem Verlassen des Zimmers von einem Mitglied der Unternehmensgeschäftsleitung hörten, dass Friedrich Kontakt zu einer sowjetischen Forschungsorganisation in der Nähe von Berlin aufgenommen hätte. Darunter ist natürlich zu verstehen, dass er auch Kontakt mit dem russischen Nachrichtendienst aufnahm! Während nämlich, wie sich bald herausstellen sollte, die Amerikaner beschlossen hatten, bei ihrer Technologiedrainage hauptsächlich auf gelenkte Raketen zu setzen – wobei sie viele andere Forschungsrichtungen, deren sie sich oft nicht einmal bewusst waren, gänzlich ignorierten – war es für die Russen eine Frage der Ehre, die deutsche „Stealth“-Technologie als eine der Hauptkriegstrophäen zu übernehmen. Das war eines der Hauptziele ihres technischen Nachrichtendienstes, was sich zugegebenermaßen als eine richtige Entscheidung herausstellte. Es handelte sich dabei um eines der vergessenen und geheimen Schlachtfelder der Nachrichtendienste in den ersten Nachkriegsjahren, das noch im weiteren Teil des Buches beschrieben wird. Wir haben es hier jedoch mit einem gewissen Paradox zu tun: Es waren doch die Amerikaner, die später trotz der Lückenhaftigkeit der gewonnenen Daten das erste Flugzeug (die SR-71) in das Waffenarsenal aufnahmen, das schwer für Radargeräte zu entdecken war, während die Sowjetunion praktisch überhaupt keinen Nutzen aus dem gewaltigen Wissen zog, in dessen Besitz sie kam – das ist jedoch eine Geschichte für eine ganz andere Publikation. Der versprochene Bericht wurde schließlich von Friedrich vorbereitet und trug zur technischen Zusammenfassung des Wissens über deutsche „Antiradarwerkstoffe“ bei, die auf den nächsten Seiten beschrieben wurden. Eine weitere Einrichtung, mit der sich die JIOA-Gruppe befasste, war die Technische Hochschule Brünn in der durch die Sowjetische Armee besetzten Tschechoslowakei. Hier jedoch stieß sie aus ziemlich offensichtlichen Gründen auf eine Mauer des Schweigens und es gelang ihr, nur in den Besitz

von Informationsfetzen zu kommen, die samt anderen Informationen über diese Region im weiteren Teil des Buches abgedruckt wurden. Es stellte sich nämlich heraus, dass diese Gegend eine Art Forschungsenklave des Dritten Reiches und so etwas wie ein „inländisches Fürstentum der SS“ war! Eine Enklave, die im Grunde genommen von späteren Forschern vergessen wurde! Wie dem auch sei, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Einrichtung in Brünn (neben der in Prag) zu den wichtigsten gezählt wird, die an den Arbeiten an „unsichtbaren“ Flugzeugen und Schiffen beteiligt waren!

Die Titelseite eines der wichtigsten nachrichtendienstlichen Berichte der Alliierten über die deutsche „Stealth“-Technologie – die Reduzierung der Radarsichtbarkeit. (NARA / JIOA)

Ein weiteres Ziel der amerikanischen Offiziere war das Physikalische Institut der Universität Wien sowie das mit ihm kooperierende Institut für Neutronenforschung. Während des Krieges wurde es aus Wien in das Bergdorf Thumersbach in der Nähe von Zell am See (unweit von Salzburg) evakuiert. Am 12. Oktober gelang es, zu Dr. Georg Stetter vorzudringen, einem der wichtigsten Wissenschaftler, der im Übrigen im Zimmer eines nahe gelegenen Cafés einquartiert war. Während der Verhöre wurde jedoch ermittelt, dass die Wiener Einrichtungen nur Hilfsuntersuchungen durchführten und keine konkreten Antiradarschichten entwickelten. Ihre Hauptaufgabe bestand in der Endphase des Krieges darin, die Gründe für die Abnahme der Absorption von elektromagnetischen Wellen in existierenden Materialien bei Erhöhung der Wellenlänge auf über 50 cm zu bestimmen. Wenn jedoch dies das

Hauptproblem der Deutschen war, dann zeugt das von einem beträchtlichen Fortschritt der Arbeiten. Wellen mit dieser Länge haben nämlich nur eine marginale Bedeutung in der Radartechnik. Mitte Oktober 1945 verlagerte deshalb die Gruppe ihr Interesse auf ein weiteres „Ziel“, und zwar das Forschungsinstitut für Anorganische und Anorganisch-Chemische Technologie der Technischen Universität Stuttgart. Bei Kriegsende wurden die Laboratorien in die ehemalige Kabelfabrik in Neckarhausen bei Stuttgart evakuiert. Hier gelang es auch, zu einem Wissenschaftler vorzudringen, der das Projekt während des Krieges geleitet hatte – Professor Robert Fricke. Auch in diesem Fall stellte sich jedoch heraus, dass die Einrichtung nur Hilfsuntersuchungen durchgeführt hatte. Sein Hauptinteresse galt – entgegen der Bezeichnung des Instituts (!) – den Kunststoffen, auf deren Basis Absorptionsschichten für elektromagnetische Strahlen entwickelt wurden. Auch Kombinationen solcher Stoffe mit Ferriten wurden untersucht, die in diesem Fall den aktiven Bestandteil ausmachten.

Ein Auszug aus demselben Bericht, der bestätigt, dass die wichtigsten Einrichtungen, die an der Erreichung der „Radarunsichtbarkeit“ arbeiteten, sich in Tschechien und Niederschlesien befanden. Ihre Arbeitsergebnisse sollten zum einen von mehreren Hauptzielen des sowjetischen „SMERSCH“-Nachrichtendienstes werden. (NARA / JIOA)

Das letzte Ziel des nachrichtendienstlichen Vorstoßes war das Labor für Biophysische Untersuchungen des Kaiser-Wilhelm-Institutes in Frankfurt, in der Forsthausstraße 70. Auch in diesem Fall war der Name völlig irreführend, Antiradarschichten hatten nämlich mit Biophysik überhaupt nichts zu tun! Hier entstanden gleichfalls keine neuen Stoffe, es wurden lediglich die aus anderen Laboratorien eingeschickten Proben getestet. Es wurden jedoch eine ganze Reihe interner Ausarbeitungen mit einem Gesamtumfang von 180

Druckseiten gefunden. Als Beispiele hier einige Titel: • „Bestimmung der Impedanz und der Elektrizitätskonstanten von Stoffen für Wellen aus dem Dezimeterbereich“, • „Messtechnik für Impedanzen mittels Dezimeterwellenresonanz“, • „Bau von Geräten für Resonanzuntersuchungen von Impedanzen im Dezimeterwellenbereich“, • „Einfluss von Befestigungen im Lecher-System auf die Spannungsverteilung entlang des genannten [Systems]“. Nun ja, das sind nur „Streiflichter“, Fragmente eines großangelegten Forschungsvorhabens, in dessen Rahmen es gelang, mehrere Generationen von Stoffen zu entwickeln. Vielleicht hätten diese Bemühungen die Überlegenheit der Alliierten im Bereich der Radartechnik im Laufe des Jahres 1945 nivelliert. Obwohl die Deutschen diese Schichten hauptsächlich für U-Boote verwendeten (Deckname: Schwarzes U-Boot), wurde z. B. auch der Nurflügel der Gebrüder Horten in einer „Stealth“-Konfiguration untersucht, es gab im Übrigen ein Projekt mit der vielsagenden Bezeichnung Schwarzes Flugzeug. Der weitere Teil des Berichts beinhaltet die Beschreibung der im Dritten Reich entwickelten Antiradarwerkstoffe. Hier Auszüge aus dem Originaltext: „Der älteste, von seinem Funktionsprinzip her aber auch einfachste und am wenigsten wirkungsvolle Typ eines deutschen Absorptionsstoffes für elektromagnetische Wellen war eine Substanz mit dem Decknamen ‚Netzhemd’ oder ‚Bachemnet’. Das Ganze beruhte auf dem Versuch, ein Zerstreuungsnetz zu bauen, das als Diffusionsabschirmung um die Elemente des Unterseebootes platziert werden sollte. Es sollte das UBoot schützen, indem sein Widerstand gegenüber der ‚empfangenen’ Welle genau an den Luftwiderstand angepasst wurde. Das Netz befand sich in einer Entfernung einer Viertelwellenlänge von der Metallfläche und erzeugte dadurch an der Stelle der geschützten Fläche einen unendlich großen Widerstand. ‚Bachemnet’, gebaut aus einer großen Zahl von Widerständen, stellte sich aufgrund seiner Unhandlichkeit, seines Einflusses auf die Manövrierfähigkeit des U-Bootes sowie der mechanischen Beschädigungen der Netzelemente, die der Einwirkung des Meerwassers ausgesetzt waren, als unpraktisch bei der Anwendung

heraus. Der nächste, ähnlich erfolglose Versuch beruhte auf dem Bau eines aus mehreren Schichten bestehenden Absorbers. Die Schichten waren abwechselnd halbleitend und nichtleitend (Luft). Dieser als ‚BeckeHellwege’ bekannte Werkstoff wurde schließlich aufgrund der Schwierigkeit, die verschiedenen Materialschichten miteinander zusammenzusetzen, aufgegeben. Der obige Grundsatz wurde jedoch – wenn auch in modifizierter Form – zur Konstruktion des besten deutschen Absorbers benutzt, der unter der Bezeichnung ‚Jaumann’ bekannt war. Es handelte sich dabei um eine etwa 7 cm dicke laminierte Struktur, die sich aus sieben halbleitenden Schichten zusammensetzte, die voneinander etwa 9 mm entfernt und durch Schichten eines dielektrischen Materials getrennt waren. Die Schichten bestanden aus zellularem Igelit mit einer geringen Dielektrizitätskonstante (1,3). Der ganze Absorber war mit einer 5 mm dicken Igelitschicht bedeckt, um den Halbleiterstoff zu schützen. Der Oberflächenwiderstand änderte sich expotentiell von etwa 30.000 Ohm auf etwa 300 Ohm. Die Wirksamkeit dieses Materials war angeblich so hoch, dass es den Reflexionskoeffizienten im Wellenlängenbereich von 3 bis 30 cm auf unter 10 Prozent verkleinerte. [Das wäre eine Errungenschaft, die besser in die 1960er Jahre passen würde, eine um dutzende Male verringerte wirksame Reflexionsfläche des Radarstrahls!] […] Der am häufigsten eingesetzte Werkstoff war ‚Wesch’, der angeblich von Dr. Wesch vom Institut für Weltpost- und Weltnachrichtenwesen in Heidelberg entwickelt worden war. Er bestand hauptsächlich in einer ‚Matte’ aus einer als ‚Perbuman’ bezeichneten gummiähnlichen Substanz, die stark mit Eisencarbonyl durchtränkt war. Sie war wie eine Waffel geformt und besaß etwa 4 mm hohe Ränder, wobei die Quadratflächen etwa 20 mm lang waren. Die Basis der ‚Waffel’ war etwa 3 mm dick und vom Rumpf des U-Bootes mittels einer etwa 1 mm dicken Schicht einer als ‚Opanel-0’ bezeichneten Substanz getrennt. Das Ganze wurde mit einer als ‚Chloropren’ bezeichneten Substanz an das U-Boot geklebt. Bei früheren Modellen wurde die Waffeloberfläche aus ‚Perbuman’ durch eine Lackschicht geschützt. Später wurde die

ganze Waffel mit polymerisiertem Synthetikgummi (Buna) in Form von Schaum ausgefüllt, um eine ebene Außenfläche zu erzielen. Der Wirkungsgrad dieses Absorbers hing von der Frequenz ab. Eine gute Dämpfung wurde im S- und X-Band erreicht, wo nach deutschen Angaben nicht mehr als 10 Prozent der Radarstrahlen reflektiert wurden. […] Die komplexen Strukturen, die von den Deutschen getestet und zur Reduzierung der Radarsichtbarkeit ihrer Unterseeboote in der Praxis eingesetzt wurden, waren unbequem, schwer und relativ teuer in der Produktion und bei der Montage. Sie besaßen auch eng definierte Frequenzeinschränkungen. Ihre Anwendung ergab sich aus der militärischen Notwendigkeit. Es wurden jedoch – und zwar bereits relativ früh – Forschungsarbeiten in die Wege geleitet, um echte Antiradarwerkstoffe zu entwickeln, die die Energie ausreichend absorbieren und zerstreuen könnten, um Reflexionen zu eliminieren.“ Hier beginnt die Beschreibung eines „perfekten Materials“, die mit der folgenden Schlussfolgerung endet: „Weder in Deutschland noch anderswo konnte ein Material entwickelt werden, das die Anforderungen perfekt erfüllt hätte. Die Deutschen erreichten jedoch genug, um zu erkennen, dass sie uns bei der Grunderforschung derjenigen Werkstoffe voraus waren, die wenigstens einige der genannten Eigenschaften besaßen.“ Bei diesen Worten handelt es sich lediglich um die sprichwörtliche Spitze des Eisberges, denn im weiteren Teil des zitierten Berichts wurde unumwunden Folgendes vermerkt: „Da die meisten dieser Arbeiten in der Tschechoslowakei und den sowjetischen Zonen in Deutschland durchgeführt wurden, sind genaue Informationen über diese Werkstoffe nicht verfügbar“. Dort führen viele der interessantesten Spuren hin; dieses Buch ist hauptsächlich ihnen gewidmet.

Geheimnisvolle Konzepte aus dem Bereich

der Hochfrequenzforschung Beim Durchstöbern der Akten, die vom Archiv des Persönlichen Stabes des Reichsführers-SS übrig geblieben sind, bin ich auf einen deutschen Bericht gestoßen, der relativ übergreifend Forschungsarbeiten im Bereich der sogenannten „Hochfrequenzphysik“ beschreibt, die im Dritten Reich durchgeführt wurden. Da rund um diesen wenig bekannten Bereich bereits Mythen und Legenden entstanden sind, möchte ich eine Kurzfassung dieser Beschreibung wiedergeben.24 Ihr Autor ist unbekannt – sein Name ist unleserlich, die Kopfzeile trägt jedoch eine Bezeichnung, die charakteristisch für den Reichsbevollmächtigten für Hochfrequenzforschung ist (BHF – siehe Band I). Die Einleitung enthält einen für die Deutschen ziemlich bitteren Vergleich zwischen ihren Forschungsbemühungen in diesem Bereich und den amerikanischen, wobei das Verhältnis 1 zu 10 betragen haben soll. Um welche absoluten Zahlen geht es dabei? Der Bericht liefert auch darauf eine Antwort und gibt an, dass auf Hitlers Befehl 1.500 Personen vom Frontdienst für solche Forschungsprogramme freigestellt wurden. Ist das viel oder wenig? Wahrscheinlich handelt es sich um vergleichbare Zahlen wie im Falle des Themas des letzten Kapitels. Aus dem weiteren Text, der eine Übersicht der Forschungsarbeiten enthält, geht jedoch hervor, dass sie vor allem auf der Weiterentwicklung der Radartechnik, radioelektronischer Gegenmaßnahmen (nach heutiger Terminologie, also quasi der „Antiradartechnik“), der elektronischen Ausstattung von Flugzeugen (insbesondere von Nachtjägern) sowie der verschiedenen Arten von Fernsteuerungssystemen für gelenkte Waffen beruhten. Für einen solchen „Prestigebereich“ sowie angesichts der Bedeutung der Herrschaft über den deutschen Luftraum, der durch die alliierten Luftstreitkräfte angerichteten Schäden usw. sind 1.500 Personen in der Tat nicht viel, auch wenn es tatsächlich insgesamt einige tausend waren und ihre Zahl im Steigen war. Übrigens erklären die Ziele der Forschungsarbeiten, die eng mit der Luftfahrt in Verbindung standen, weshalb Göring formell die Funktion des Reichsbevollmächtigten ausübte. Das Schreiben ist, wie bereits erwähnt, auf Anfang Januar 1944 datiert, und es ist ein Druck auf den Ausbau der auf diesem Gebiet tätigen Einrichtungen

zu erkennen. Tatsächlich schien die „Wachstumsdynamik“ imposant zu sein. Es ist z. B. Folgendes zu lesen: „Die übergebenen Institute müssen ausgebaut werden, um neues Personal aufzunehmen zu können, darüber hinaus sind neue Institute zu bauen, die existierenden Gebäude und [andere] Liegenschaften müssen vorbereitet werden. Die bisher durchgeführten Bauarbeiten belaufen sich auf eine Summe von 5 Millionen Mark. Im weiteren werden in großem Ausmaß Laborausstattung, Werkstattmaschinen, Messgeräte, Radiogeräte, Material, Rohrstoffkontingente, Fahrzeuge, Flugzeuge, Betriebsmaterial usw. gebraucht. Aufgrund der Luftangriffe, insbesondere auf Hamburg, Köln und München, sowie die immer größer werdende Gefahr für Berlin sind viele Forschungsinstitute zu evakuieren. Um diese Arbeiten, von denen nur die wichtigsten erwähnt sind, durchführen zu können, wurde am 16. Juli 1943 die Reichsstelle für Hochfrequenzforschung e. V. ins Leben gerufen. […] Zur wissenschaftlichen Leitung über die Forschungsarbeiten wurden zwölf Arbeitsgruppen gebildet, entsprechend den wichtigsten Forschungsgebieten. […] Nach dem Ausbaustadium, das etwa neun Monate in Anspruch genommen hat, kann ich heute melden, dass die deutschen Arbeiten auf dem Gebiet der Hochfrequenzforschung in ihrem wichtigsten Teilstück nun einer Leitung unterstellt sind und im vorgesehenen Sinne voll ausgeschöpft werden können. Die Forschungsarbeiten sind jedoch langfristig ausgerichtet und man sollte natürlich innerhalb einer Zeitspanne von drei Quartalen keine großen Erfolge erwarten, die vom Standpunkt der Kriegsführung aus gesehen wichtig wären. Aufgrund der Kriegslage, die zu schnellen Lösungen zwingt, wurden drei ausgewählte Forschungsrichtungen besonders intensiviert – und zwar derart, dass schon jetzt vorläufige Ergebnisse vorgelegt werden können: 1. Der Schutz unserer radioelektronischer Geräte vor Störungen aufseiten des Feindes – in Form von abgeworfenen Metallfolien

(Dipolen). 2. Das Zurverfügungstellen unserer Zentimeterwellentechnik und die Entwicklung eines Bordradargerätes zur Runderkennung (ähnlich dem englischen Gerät ‚Rotterdam’). Darüber hinaus: Entwicklung der physischen Grundlagen für Maßnahmen zum Schutz unserer Städte vor der Lokalisierung [von Zielen] durch die ‚Rotterdam’-Geräte (siehe Anlage 1 – Übersicht zum Thema: ‚Mögliche Luftangriffe auf die Reichshauptstadt mittels der ‚Rotterdam’-Geräte samt Verteidigungsmöglichkeiten’). 3. Der Schutz von Unterseebooten vor Entdeckung durch Radargeräte (‚Schwarzes U-Boot’).“ Der letzte zitierte Punkt betrifft natürlich das im Vorkapitel beschriebene Thema. Im weiteren Teil des für Himmler (!) vorbereiteten Berichts wurden die einzelnen Vorhaben genauer beschrieben. In Bezug auf Punkt 1, bei dem es um die Unterscheidung von Echos geht, die von Streifen einer metallisierten Folie oder tatsächlichen Zielen reflektiert werden, wurden zwei Lösungsansätze definiert. Der erste wurde etwas verschwommen Propellermodulation genannt, was sich auf die bordeigenen Radare der Flugzeuge bezog. Das Gerät mit dem Decknamen Nürnberg wurde laut Beschreibung bereits getestet und die Deutschen begannen, es in das Waffenarsenal aufzunehmen. Das zweite Konzept, das die Bezeichnung Würzlaus trug, sollte sich die Echodämpfung von unbeweglichen Objekten zunutze machen (Dipolwolken stellten in etwa solche Objekte dar) basierend auf dem Dopplereffekt, bei dem es zu einer Frequenzverschiebung des Echos abhängig von der Geschwindigkeit des Ziels kommt. Ein solches Gerät sollte erst gebaut werden. Laut Beschreibung sollten beide Konzepte gleichzeitig eingesetzt werden.

Das Freya-Radargerät und seine Entwicklungsversion. (NARA)

In Bezug auf die in Punkt 2 erwähnte Entwicklung von Radargeräten für den Zentimeterbereich wurde Folgendes angegeben: Als die Deutschen zum ersten Mal mit dem Rotterdam-System in Berührung kamen, erkannten sie mit gewissem Entsetzen, dass dieser neue Peilfunkbereich keine Entsprechung in ihren eigenen Forschungsarbeiten hatte. Sein Vorteil beruhte vor allem auf einer höheren Erkennungsgenauigkeit – genau aus diesem Grund änderte sich in solchem Maße das Schicksal der U-Boote und der Verlauf der ganzen „Atlantikschlacht“, da die neue Ausrüstung imstande war, selbst Periskope zu entdecken. Außerdem waren die deutschen Störgeräte nicht für diesen Arbeitsbereich angepasst. Die Deutschen nahmen deshalb „mit allerhöchster Dringlichkeit“ Arbeiten an einem vergleichbaren System auf, das den Decknamen Berlin bekam und dem alliierten Vorbild – wie im Bericht zu lesen ist – auf gewisse Weise überlegen war. Es stellte sich nämlich als störsicher heraus. Die Firma Telefunken sollte die Produktion aufnehmen. Auf dieser Basis sollte auch ein „Radarperiskop“ für Unterseeboote entstehen, das das Auffinden fremder Überwasserfahrzeuge unter Wasser ermöglicht hätte.

Ein anderes Konzept bekam den Decknamen Reichenhall und betraf Radargeräte für Nachtjäger – ihre Reichweite „war größer als die Flughöhe“, es kann also davon ausgegangen werden, dass sie mehr als 10 km betrug. Sie hätten es Jagdflugzeugen ermöglicht, selbstständige Luftkämpfe selbst bei Sichtweite Null zu führen.

Das Radargerät Würzburg, das auf dem Foto zu sehen ist, war viel kleiner als die spätere Version unter dem Namen Riese. (Archiv des Autors)

Der Würzburg-Riese. (Archiv des Autors)

Ein weiteres Forschungsergebnis auf diesem neuen Gebiet war ein Gerät, das Flugzeugen, die zur Unterstützung der Bodenstreitkräfte eingesetzt wurden, das Auffinden von Panzern auf dem Gefechtsfeld erleichtert hätte. Die Beschreibung spricht von einer „Erhöhung der Treffgenauigkeit“. Eine ganze Reihe von Anwendungen war für die Flugabwehrartillerie geplant, um ihre Wirksamkeit zu erhöhen. Sie wurden jedoch nicht genannt. In einem Punkt der Aufzählung wird wiederum ziemlich vorsichtig die Möglichkeit angedeutet, „sehr kurze Lichtimpulse von großer Leistung im unsichtbaren Teil des Spektrums (Ultraviolett, Infrarot) zu generieren und zu verstärken, um Befehle und Fernsteuersignale störsicher zu übertragen sowie um Ziele zu identifizieren, Entfernungsmessungen vornehmen zu können u. Ä.“ Zusammenfassend ist festzustellen, dass die deutsche Radartechnik durchaus kein marginales oder schwach entwickeltes Gebiet war – trotz der verspäteten Nutzung des Zentimeterbereiches. Das Dritte Reich verfügte bei Kriegsende alleine über mindestens 5.000 Bodenradaranlagen, davon waren etwa 2.500 vom Typ Würzburg-Riese, die Antennen mit einem Durchmesser von 7,5 m besaßen und sich durch eine relativ hohe Genauigkeit und eine Reichweite von 80 km auszeichneten. Sie ermöglichten die Radarabdeckung der wichtigsten Gebiete des Landes und die Erschaffung von Radarleitzonen für Jagdflugzeuge. Ein Teil des deutschen Berichts ist genau diesem Thema gewidmet. Die Generäle Kammhuber und Galland begannen bereits 1942 mit der Erschaffung eines mit Radaren verbundenen Systems, um die Luftabwehr steuern zu können – beginnend mit der ersten und wichtigsten Verteidigungslinie, die aus Holland, dem Ruhrgebiet und der Nordseeküste bestand. Diese Zone wurde in 60 km breite Sektoren unterteilt. In jedem befanden sich ein Radar vom Typ Freya zur Fernaufklärung und Frühwarnung sowie zwei Radare vom Typ Würzburg, wobei das erste zur „Ziellenkung“ und das zweite zum Leiten des Abfangjägers (anfangs nur tagsüber) diente.25 Der Bericht gibt an, dass innerhalb der ersten sechs Monate des Versuchsbetriebes dieses Systems 43 feindliche Flugzeuge, und innerhalb von weiteren sieben Monaten nicht weniger als 457 weitere Maschinen abgeschossen wurden. Schließlich wurde am 4. September 1943 der 500. Abschuss verzeichnet, „davon etwa ein Drittel bei schwacher Sicht, weit über dem Meer und gegen sehr hoch fliegende, schnelle Aufklärungsmaschinen (Mosquito und Spitfire), bei denen das neue

Steuersystem sich als besonders wirkungsvoll herausstellte“. Das innovative System funktionierte also perfekt – bis die Alliierten massenhaft Dipolwolken einzusetzen begannen. Danach nahm die Wirksamkeit der Würzburg-Radare deutlich ab, noch 1943 wurde jedoch mit ihrer Modernisierung begonnen, die auf der Installation der Nürnberg-Geräte beruhte. Sie umfasste 1.500 Anlagen, wobei die ersten Versuche in den Einheiten bereits vier Monate nach Abschluss der Forschungsarbeiten aufgenommen wurden. Damit wurde das Problem gelöst. Die territoriale Reichweite der integrierten Luftverteidigung wurde im Übrigen systematisch erweitert, auch Nachtjäger wurden mit einbezogen. Anfangs konzentrierten sich die Bemühungen auf Nordwestdeutschland und Holland, erst im Spätsommer 1943 wurde damit begonnen, das übrige Reichsgebiet mit einem integrierten Luftabwehrradarsystem zu überziehen.

Der gewaltige Würzburg-Riese, zerstört durch einen Luftangriff. (NARA)

Das Antennensystem des Bordradars Neptun und der Technikerstand an Bord eines Nachtjägers. (Archiv des Autors)

Die Bf-110 mit montiertem FuG-202 Lichtenstein-Radar. (NARA)

Die obige Beschreibung erschöpft das Thema natürlich keineswegs, andere Bodenradare und bordeigene Radargeräte von Nachtjägern bleiben unerwähnt. Da ich diesem Thema auch im ersten Band nicht besonders viel Platz eingeräumt habe, möchte ich jetzt die wichtigsten Systeme kurz vorstellen. Der Würzburg-Riese war zwar bestimmt das beste und am häufigsten eingesetzte Bodenradar, die bordeigenen Radare von Nachtjägern sind jedoch deutlich weniger bekannt (der Würzburg-Riese wurde kurz in Band I im Rahmen der Vorstellung von Stadtverteidigungssystemen beschrieben). Von den bordeigenen Systemen sind folgende besonders beachtenswert: das FuG-202 Lichtenstein, das FuG-212 Lichtenstein C-1, das FuG-220 Lichtenstein C-2 und das FuG-218 Neptun (FuG ist eine Abkürzung von „Funkmessgerät“). Die ersten drei wurden von der Firma Telefunken entwickelt und hauptsächlich von ihr hergestellt, das Letzte entstand hingegen im staatlichen Flugfunkforschungsinstitut Oberpfaffenhofen, das unter der Abkürzung „FFO“ bekannt war. Später wurde es von Siemens weiterentwickelt und produziert.

Das FuG-220-Radargerät wurde auch auf der Bf-110 von Messerschmitt montiert. (Archiv)

Die Bf-110 mit gemischtem Radarantennensystem: dem FuG-220 (größer) und dem FuG212 – in der Mitte. (Archiv)

Die Arbeiten am Lichtenstein begannen noch vor dem Krieg im Jahr 1939. Die erste Variante („BC“) lieferte Telefunken im August 1941, damit sie von der Luftwaffe erprobt werden konnte. Die Anlage war noch so groß, dass kein typisches Jagdflugzeug sie hätte transportieren können. Zu diesem Zweck wurden leichte Do-215B-5-Bomber von Dornier angepasst, und erst später die Ju-88c. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch die Bezeichnung FuG202 eingeführt. Die außerhalb des Flugzeugs (auf der Bugnase) angebrachte Antenne hatte die Form eines Kreuzstücks in der Form des Buchstabens „X“, an dessen Enden sich vier kleinere Kreuzstücke befanden. An den Enden waren insgesamt 16 kleine Dipole angebracht. Das Radar durchsuchte nicht wie bei den heutigen Jagdflugzeugen den Raum; durch die Phasenverschiebung zwischen den einzelnen Dipolen wurden wechselweise vier Strahlenbündel ausgestrahlt: schräg nach rechts unten, schräg nach rechts oben usw. Der Techniker an Bord wusste nur ungefähr, aus welcher Richtung das reflektierte Signal kam und versuchte, die Flugzeugnase dorthin zu lenken, wo das aus vier Richtungen empfangene Echo ungefähr gleich war. Die Anlage arbeitete mit einer festen Frequenz von 490 MHz, d. h. im Dezimeterbereich (genau 61 cm). Trotz ihrer großen Abmessungen war die Reichweite der Anlage gering – etwa 4 km, was zur Folge hatte, dass die Jagdflugzeuge von der Erde aus ziemlich präzise zu ihren Zielen geführt werden mussten. Der „Sichtfeldbereich“ der Antenne betrug etwa 70 Grad.

Der Techniker hatte drei Bildröhrenanzeigen zur Verfügung, die entsprechend die Entfernung zum Ziel, den ungefähren Azimut und die Flughöhe gegenüber dem Träger zeigten. Die Elektronik selbst war relativ einfach. Sie basierte natürlich auf Vakuumröhren, und der Phasenumschalter der Antenne wurde mechanisch durch einen Elektromotor angetrieben. Die Deutschen begannen die Nachtjäger im Frühjahr 1942 mit diesen Anlagen auszurüsten. Die erste Modernisierung (FuG-212) beruhte vor allem auf der Vereinfachung der Konstruktion, u. a. auf der Reduktion des Antennensystems auf nur ein Kreuzstück, das an jedem Ende jeweils zwei senkrechte Dipole besaß. Das Gewicht wurde so stark verringert, dass das FuG-212 bereits in Serienjagdflugzeugen installiert werden konnte, die maximale Reichweite verringerte sich jedoch um nicht weniger als die Hälfte auf zwei km. Im Herbst 1943 wurde deshalb eine ziemlich seltsame Lösung eingeführt – eine Verbindung zwischen dem FuG-212 und dem größeren FuG-220 (auch von Telefunken). Auf der Flugzeugnase befanden sich jetzt zwei Antennen – die „Miniaturantenne“ des FuG-212 vor der CockpitFrontscheibe und die größere Antenne des FuG-220. Die letztere arbeitete im Meterwellenbereich (3,5 – 5 m) und zeichnete sich einerseits durch eine große Reichweite von etwa 8 km im Falle eines Bombers aus, aufgrund der Wellenlänge war sie aber weniger präzise. Die minimale Reichweite betrug nicht weniger als 0,5 km, deshalb wurde das FuG-212 im letzten präzisen Lenkstadium eingesetzt, da sein Hauptvorteil in seiner minimalen Reichweite von lediglich etwa 100 m lag. Insgesamt kam dabei wieder ein System mit einem beträchtlichen Gewicht heraus, es ermöglichte aber den Jagdflugzeugen immerhin, relativ autonome Luftkämpfe zu führen. Die Piloten tauschten per Funk die Daten über Ziele aus und die zerstreute Formation hatte keine größeren Probleme mit der Lokalisierung von Bombergruppen. Im Übrigen wurde das FuG-220 bald soweit verbessert, dass sich auch dieses Modell durch eine minimale Reichweite von etwa 100 m auszeichnete, weshalb auf die Montage des FuG-212 verzichtet werden konnte.

Das Unterbringen von zwei Radarkonsolen (FuG-212 und FuG-220) im engen Jagdflugzeugrumpf war keine geringe Herausforderung. (Archiv des Autors)

Ergänzend wurden passive Anlagen des Typs FuG-227 Flensburg eingesetzt, um die Ausstrahlungen der Bordradare der alliierten Flugzeuge anzupeilen. Zu diesem Zweck wurden jeweils zwei kleine Antennen montiert, üblicherweise an den Flügelenden. Im Sommer 1944 wurden völlig neue Radargeräte vom Typ FuG-218 Neptun in das Waffenarsenal aufgenommen. Auch sie besaßen auf Kreuzstücken montierte Dipolantennen, im Gegensatz zu den LichtensteinModellen wurden jedoch die Kreuzstücke an Stangen befestigt, die aus der Flugzeugnase herausragten, sodass sie deutlich am Rumpf überstanden. Dabei waren sie etwas kleiner. Die Reichweite war ähnlich wie beim FuG220: 100 m bis 5 – 6 km. Der Hauptvorteil gegenüber dem Vorgänger bestand in der Möglichkeit, eine von sechs Frequenzen zu wählen, was die Störfestigkeit wesentlich erhöhte. Die Deutschen schafften es jedoch, nur kleine Stückzahlen dieser Anlagen zu bauen, mit denen nur die Bf-110-Jäger in der Version G-4 ausgestattet wurden.25 Der Grund für den starken Druck, Jagdflugzeuge mit Bordradaren auszurüsten, war offensichtlich: Es war notwendig, den massenhaften Nachtluftangriffen – insbesondere der britischen Luftstreitkräfte – entgegenzuwirken (die Amerikaner bombardierten hauptsächlich tagsüber).

Unter der Leitung des Reichsbevollmächtigten für Hochfrequenzforschung wurde Ende 1944 ein interessantes Präzisionsleitsystem für Langstreckenraketen (die A4b mit einer erwarteten Reichweite von etwa 600 km) entwickelt, das die Flugbahn mittels eines modifizierten Freya-Systems ermittelte und Korrekturbefehle erzeugte, die automatisch zum Navigationssystem der Rakete übermittelt wurden. Das System bestand aus einer Sendeantenne auf der Abschussrampe (in der Mitte der Zeichnung) sowie zwei Empfangsantennen, die voneinander weit entfernt waren. Vielleicht hätten Überhorizontradare wie der See-Elefant auf die gleiche Weise Korrekturen für strategische Raketen generieren können. (via Joseph P. Farrell)

Der in diesem Kapitel besprochene Bericht ist auf den Januar 1944 datiert. Man darf auf seiner Grundlage keinesfalls die Verwirklichung anderer Arbeiten ausschließen, von denen wir nichts wissen und die z. B. Leitsysteme für Fernlenkwaffen betrafen – insbesondere bei Kriegsende. Schließlich dienten die Verlegung des Instituts für Hochfrequenztechnik in das Konzentrationslager Dachau im August 1943 und die Errichtung seiner Zweigstelle in Groß-Rosen Anfang 1944 nicht nur dazu, Himmlers Ambitionen zu befriedigen, sondern auch (wenn nicht gar vor allem) die Forschungsarbeiten streng geheim zu halten!

„Wirbelwaffen“? Im ersten Band der „Wahrheit über die Wunderwaffe“ habe ich eine ziemlich ungewöhnliche Erfindung beschrieben, die ich als „Generator für

gerichtete Luftstoßwellen“ bezeichnet habe (deutsche Bezeichnung: Windkanone). Die Anlage bestand hauptsächlich aus einem langen Rohr mit einem Durchmesser von mindestens einem halben Meter. Vor einiger Zeit hat mich ein gewisser britischer Physiker, der sich mit ähnlichen Problemen befasst (die englische Ausgabe des ersten Bandes der „Wunderwaffe“ war bereits erschienen) darauf aufmerksam gemacht, dass diese Interpretation falsch sei. Es soll sich dabei nämlich um etwas anderes, raffinierteres und weitaus interessanteres gehandelt haben. Das Abschießen von Flugzeugen allein mit einem „gewöhnlichen“ Luftstoß wäre im Übrigen eine ziemlich verzweifelte Maßnahme. Umso fraglicher wäre „das Durchstoßen einer Stahlplatte aus einer Entfernung von 200 m“ – die Rede ist vom „Durchstoßen“, und nicht vom Zurückstoßen auf eine bestimmte Entfernung. Es musste sich also um gebündelte Energie gehandelt haben, wobei die Bündelung im Falle eines Luftstrahls auf eine sehr wirksame Art zu erfolgen hatte. Was hatte dieser Physiker zu diesem Thema zu sagen? Es stellte sich heraus, dass ein ganz neues Phänomen im Spiel war – und es ist ziemlich merkwürdig, dass die Deutschen diese Technologie bereits während des Krieges beherrschten. Es ist allgemein bekannt, dass ein Luftstrahl, der eine hohe Energie aufweist, sehr schnell zerstreut wird und es keine klassische Methode gibt, dies zu verhindern – jedenfalls nicht bei Entfernungen von mehreren hundert Metern. Es gibt jedoch eine relativ einfache, wenn auch völlig „unklassische“ Methode. Es geht um eine bestimmte Art von Wirbeln. Später in diesem Buch komme ich noch auf eine verblüffende Frage zurück, zu der der Schlüssel in einem einzigen Wort liegt: „Solitonen“. Es gibt nämlich verschiedene Arten von Wirbeln. Zwei davon sind für unsere Betrachtungen besonders interessant. Bei der ersten Art handelt es sich natürlich um all das, was wir aus der täglichen Beobachtung kennen. Bei der zweiten haben wir es mit Wirbeln zu tun, die energetisch von ihrer Umgebung isoliert sind. Sie kommen z. B. in suprafluiden Flüssigkeiten (u. a. in flüssigem Wasserstoff) vor. Ein solcher Wirbel dreht sich immer weiter – es gibt keine Reibung gegen die Wände des Gefäßes. Ein gutes Beispiel aus der Natur ist der „Große Rote Fleck“ auf der Oberfläche des Jupiters. Es handelt sich dabei um einen Wirbel, der viel größer als die Erde ist, sich wahrscheinlich schon seit Jahrtausenden dreht

und aller Wahrscheinlichkeit nach noch ein langes „Leben“ vor sich hat. Wodurch unterscheidet er sich von anderen atmosphärischen Wirbeln, die fast nie länger als einen Tag überdauern? Er besitzt keinen mechanischen Widerstand, wobei dies relativ zu sehen ist, da er bei einer Änderung der externen Bedingungen auch aufgelöst werden könnte, z. B. indem er in viele kleinere Wirbel zerrissen wird. Es gibt auch magnetisch isolierte Solitonen. Hierzu gibt es Beispiele aus der Plasmaphysik. Durch eine Hochspannungsentladung (in Spezialanlagen oder nach einem Blitzeinschlag) entstehen oft Miniaturwirbel – Knäuel eines leuchtenden Gases mit einer Temperatur von hunderttausenden oder gar einer Million Grad. Sie sind nur dann zu sehen, wenn eine ultraschnelle Kamera eingesetzt wird. Ihre „Lebenszeit“ beträgt nämlich millionstel Teile einer Sekunde. Im ionisierten Gasknäuel mit einer solchen Temperatur herrscht ein ungeheurer Druck, der entsprechend schnell sein Dasein beendet, insbesondere weil es auch durch die Emission elektromagnetischer Energie an Kraft verliert. Man könnte meinen, dass dies unvermeidlich sei – das ist aber keineswegs der Fall! Bei einer bestimmten, scheinbar geringen Änderung der externen Parameter entsteht ein Wirbel mit einer ähnlichen Temperatur, der dutzende Sekunden lang existiert, wobei er nicht einmal durch die Berührung mit dem Gehäuse gestört wird. Er existiert also etwa dutzende Millionen Mal länger als sein klassischer „Kollege“. Der Schlüssel zur Lösung ist wieder der gleiche: der fast vollständig fehlende Energieaustausch mit der Umgebung. Ein Beispiel hierfür sind Kugelblitze.

Der Prototyp einer deutschen Wirbelkanone. (NARA)

Es handelt sich dabei um fast schon ein philosophisches Geheimnis, eine womöglich fundamentale Eigenschaft der Materie, die uns bisher nur oberflächlich bekannt ist. Es stellt sich heraus, dass ähnliche Wirbel auch in der Luft bei normalem Druck und normaler Temperatur entstehen können – sogar relativ einfach. Schauen wir uns den Rauchring einer Zigarette an. Er ist wesentlich stabiler als andere Wirbel. Mit geringem Aufwand lässt sich dieser Effekt erheblich verstärken. Er kann bei erheblich höheren Energien und Geschwindigkeiten auftreten.

Das Konzept der Erzeugung von Plasmawirbeln als Träger sehr großer Energien ist nicht neu und kann bis zu den Forschungsarbeiten aus den 1920er Jahren zurückverfolgt werden, die in Band II beschrieben wurden. Das gegenwärtige faszinierende amerikanische Konzept kann deshalb als eine Art Fortsetzung dieser Forschungen angesehen werden. Die oben abgedruckte Seite stammt aus einem Artikel in der Zeitschrift Wojskowy Przegląd Lotniczy („Übersicht über die Militärflugtechnik“) von 1963 und beinhaltet eine Beschreibung von Analysen, die von dem herausragenden sowjetischen Physiker Pjotr Kapiza durchgeführt wurden. Das ist insofern wichtig, als diese Analysen das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen Prof. Walther Gerlach und Kapiza über das Wesen und die Anwendung von „Kugelblitzwirbeln“ darstellten, wie bereits im zweiten Band erwähnt. Das ist die einzige Methode, relativistische Geschwindigkeiten der Materie unter Laborbedingungen zu erreichen (in dem Artikel wurde schon damals ein gemessener Wert von 180 km/s angegeben), die dadurch den Schlüssel zu anderen interessanten Phänomenen darstellt. Siehe auch das Kapitel „Waffen des 21. Jahrhunderts?“. (via B. Rdułtowski)

Das ist ein relativ neues Gebiet in der Physik, über das selten geschrieben wird, u. a. deshalb, da es eine sehr attraktive Alternative für klassische Trennanlagen zur Separation von Isotopen darstellt – es geht hier um die Kontrolle der Verbreitung von Kernwaffen. Ein auf diesem Gebiet führender amerikanischer Wissenschaftler, der ziemlich leichtfertig einige Forschungsarbeiten zu viel veröffentlicht hatte, musste dafür mit seinem Leben bezahlen. In solchen Wirbeln können nämlich so hohe Geschwindigkeiten auftreten, dass Zigarettenrauch von der Luft getrennt werden kann. Deshalb verzichte ich auf die Beschreibung von Versuchen, die in Laboratorien durchgeführt werden. Ich möchte ein viel einfacheres Beispiel anführen: Erst seit einigen Jahren wird an einer Theorie gearbeitet, die den Weg zu weiteren Anwendungen öffnen soll; die Beobachtungen solcher Wirbel an sich sind jedoch natürlich nichts Neues (der Grund für eine solche Stabilität liegt grob gesagt daran, dass in einer solchen „Brezel“ – d. h. einem Torus – eine Zentripetalkraft wirkt, die jedoch überhaupt keinen exotischen Charakter hat, sondern sich daraus ergibt, dass der Widerstand zur Mitte hin immer mehr abnimmt – genau aus diesem Grund sammelt sich der Zucker im umgerührten Tee in der Mitte, obwohl er sich „theoretisch“ am Rand sammeln sollte, da er schwerer als Wasser ist). Bereits in den 1960er Jahren wurde in den Vereinigten Staaten ein ziemlich ungewöhnliches Spielzeug auf den Markt gebracht, das eine Trommel mit Membran auf der einen und eine runde Öffnung auf der anderen Seite besaß. Eine Feder, die gegen die Membran schlug, bewirkte die

Entstehung eines so schnell rotierenden Toruswirbels, dass er bei Windstille, z. B. in einer geschlossenen Halle, sogar 100 – 150 m weit fliegen konnte, ohne dabei merklich an Energie zu verlieren. Die Probleme begannen, als sich herausstellte, dass die Rauchbrezel auch auf eine solch große Entfernung nicht nur ein Blatt Papier durchstoßen, sondern auch Hautverletzungen verursachen konnte. Aus diesem Grund wurde der Verkauf des „Spielzeugs“ verboten. Vor kurzem kam jedoch etwas Ähnliches erneut in den Handel, diesmal in Form verkleinerter Kopien (www.zerotoys.com). Sie sollen nicht mehr so gefährlich sein. Eigentlich wäre das nur eine belanglose Kuriosität, wären da nicht die historischen Wurzeln, die bis in die 1940er Jahre reichen, sowie das Bewusstsein, dass Luftwirbel Stahlplatten durchbohrten und feindliche Flugzeuge abschießen sollten – obwohl sich die Verfasser der alliierten nachrichtendienstlichen Ausarbeitung der Wirkungsweise nicht bewusst waren und daher das Ganze falsch interpretierten. Im Kapitel über die Vorbereitungen zum chemischen Krieg wurde eine nachrichtendienstliche Meldung abgedruckt, die suggerierte, dass der obige Grundsatz auch bei Giftgaswerfern zur Anwendung kam!

Eine Fotosequenz von Solitonwirbeln im Plasma. Alle haben eine ringförmige „Donut“Form. Sie garantiert die höchste Stabilität. (Archiv des Autors)

Im letzten Kapitel dieses Buches werde ich noch auf ein deutsches Forschungsprojekt im Bereich der Plasmaphysik zurückkommen, das womöglich eine Inspiration für ein gegenwärtiges amerikanisches Projekt war. Es wird unter strenger Geheimhaltung in den sogenannten „Sandia Laboratories“ verwirklicht, die sich auf dem Gelände der Kirtland Air Force Base befinden. Es geht um Methoden zur Erzeugung von Plasmawirbeln (Solitonen), die sich durch eine so hohe Rotationsgeschwindigkeit auszeichnen, dass sich ihre relativistischen Wirkungen offenbaren. Das Projekt trägt die Bezeichnung Shiva Star (sofern es noch fortgesetzt wird). Seine Existenz wurde offen gelegt, man darf jedoch nicht auf allzu genaue technische Details hoffen. Es hat zweifelsfrei eine Bedeutung für die Antriebstechnik – darauf werde ich noch im letzten Teil des Buches zurückkommen. Jetzt möchte ich jedoch einen anderen Aspekt dieses Projekts besprechen, da es direkte Analogien zum deutschen Konzept der Windkanone gibt, die jedoch viel größere Energien betreffen. Vor mir liegt gerade eine Notiz zu diesem Thema, die bereits vor sechs Jahren in der Monatszeitschrift Skrzydlata Polska („Beflügeltes Polen“) veröffentlicht wurde. Ich möchte daraus kurze Auszüge zitieren:60 „Das als Phantom Works bekannte Forschungszentrum des BoeingKonzerns arbeitet am Konzept eines superschnellen, mit Plasmatriebwerken angetriebenen Flugzeugs sowie an Bewaffnungssystemen, die auf gerichteter Energie basieren. Ähnliche Forschungsarbeiten werden in den wichtigsten russischen Laboratorien durchgeführt. […] Seit einiger Zeit tauchen auch Informationen über Möglichkeiten auf,

Plasma zur Vermeidung der Entdeckung von Flugzeugen durch Radargeräte zu verwenden. Laut den USA hat Russland auf diesem Gebiet riesige Erfolge erzielt. […] Die Amerikaner arbeiten seit den frühen 1990er Jahren an Plasmawaffen, die Gefechtsladungen mit ungeheurer Energie ausstoßen sollen. Diese Arbeiten fruchteten in der ‚Shiva Star’-Technologie, die Ende des Jahrzehnts entwickelt wurde. Sie beruht auf der Kumulation von Energie einer Größenordnung von 10 MJ und ihrer rapiden Entladung. In den amerikanischen Laboratorien wurde bereits eine Geschwindigkeit der ionisierten Gasteilchen in der Größenordnung von 10.000 km/s (etwa 3 Prozent der Lichtgeschwindigkeit) erreicht. Solche Plasmakugeln könnten für Raketenabwehrsysteme zum Zerstören von ballistischen Geschossen mit mehreren Sprengköpfen in Frage kommen.“

Ein einfaches Plasmoid kann man sogar in einem Mikrowellenherd erzeugen (obwohl er dadurch beschädigt werden kann), es zeichnet sich jedoch durch eine sehr geringe Geschwindigkeit von etwa hundert Metern pro Sekunde und keine besonders stabile Konfiguration aus. In speziellen Ring-Plasma-Beschleunigern können tausendfach höhere Geschwindigkeiten erreicht werden. (Internet)

Ein interessantes Foto eines Plasmoids. Genau zu erkennen sind die Struktur des Wirbels und seine sich genau abzeichnenden Grenzen. (Internet)

Beispiele für die mathematische Modellierung von Kugelblitzplasmoiden. (Internet)

Es geht natürlich um Solitonwirbel (in diesem Fall der relativistischen Art), die aufgrund der vernachlässigbaren Energieabstrahlung in der Luft und der fehlenden Zerstreuung eine Art relativ stabiler Geschosse darstellen. Stabil genug, dass ihre Verwendung zur Verteidigung vor strategischen Raketen in Erwägung gezogen wurde, d. h. im Falle sehr großer Entfernungen (was auch von der Überwindung der Probleme mit ungeheuren Energiemengen zeugt)! „Darstellen“ deshalb, weil es Anzeichen dafür gibt, dass eine solche Waffe versuchsweise im Irak zur Anwendung kam. Hier ein weiteres Zitat, aus einer völlig unabhängigen Quelle, das sich auf das Jahr 2003 bezieht. Man könnte diese Information ignorieren, wenn nicht ein deutlicher Zusammenhang mit der oben dargestellten Beschreibung bestünde:61

Eine Karte, auf der der Standort einer geheimen amerikanischen Forschungseinrichtung (Sandia – in der Ecke) auf dem Gelände der Kirtland Air Force Base in einer einsamen Gegend in New Mexico zu erkennen ist. Es scheint mehr als wahrscheinlich, dass der dortige Plasmabeschleuniger mit einer neuen Technologie für die amerikanischen Luftstreitkräfte in Verbindung steht. Sie könnte zum Bau einer neuen Generation von Luftfahrzeugen und Waffen führen, die auf „neuen“ Phänomenen basieren, obwohl sie wahrscheinlich schon im Dritten Reich bekannt waren. Siehe auch das Kapitel „Waffen des 21. Jahrhunderts?“. (Internet)

„Patrick Dillon führte auch ein Interview mit Personen durch, die Augenzeugen der albtraumhaften Folgen des Einsatzes der amerikanischen Superwaffe waren. Sie wurde während der Straßenkämpfe in Bagdad eingesetzt. Die Wirkungsweise dieser auf einem Panzerkampfwagen montierten Geheimwaffe wurde von Majid al-Ghazali, einem Soldaten der irakischen Infanterie beobachtet. Er beschrieb sowohl die Waffe selbst als auch ihre Wirkung als etwas, das sich grundlegend von allem unterschied, was er bislang während seines langjährigen Militärdienstes gesehen hat. Während des gefilmten Interviews beschrieb al-Ghazali die Waffe als etwas, das gewissermaßen an einen Flammenwerfer erinnerte, jedoch eine viel höhere Zerstörungskraft hatte. Er behauptete, dass es so aussah, als hätte die Waffe keine Flammen, sondern konzentrierte Kugelblitze abgefeuert. Aufgrund seiner langjährigen Ingenieurerfahrung vermutete al-Ghazali, dass für die schreckliche Wirkungsweise dieser Waffe wahrscheinlich irgendeine Art Strahlung verantwortlich gewesen sei. Wie alle Männer in Irak unter Saddams Herrschaft war auch al-Ghazali dazu verpflichtet, Dienst im irakischen Äquivalent der amerikanischen Nationalgarde zu leisten und kämpfte in den letzten 30 Jahren in drei Kriegen. Er hat alle Arten konventioneller Waffen gesehen, die auf dem Schlachtfeld eingesetzt werden, und kennt sich mit ihrer Wirkung auf Menschen und Ausrüstung sehr gut aus. Am 12. April verstecke er sich mit seiner Familie im Haus, als in der Nähe ein hitziges Straßengefecht ausbrach.

Das Satellitenbild der Kirtland AFB mit markiertem Sonderbereich. Von der Bedeutung der dort entwickelten Konzepte zeugt die Tatsache, dass 2006 in den Sandia Laboratories der zweitgrößte Supercomputer der Welt installiert wurde. Die Analyseergebnisse könnten deshalb all das, was in öffentlichen Publikationen erscheint, in den Schatten stellen. (Internet)

Er bemerkte, dass die Amerikaner während der Kämpfe einen seltsam gebauten Panzerkampfwagen kommen ließen. Zu seiner Verwunderung feuerte dieser plötzlich einen grellen Strahl ab, der wie ein Feuer mit Blitzen aussah und einen großen Personenbus sowie drei andere Fahrzeuge erfasste. Der Bus verwandelte sich innerhalb weniger Sekunden in eine halb geschmolzene Masse, die wie ein ‚nasser Sack’ aussah, wie al-Ghazali es ausdrückte. Er behauptete, dass der Bus unter der Einwirkung des heißen Wärmestoßes augenblicklich geschmolzen und bis auf die Größe eines VW Käfers geschrumpft sei. Als ob das nicht genug wäre, beschreibt er genau das Aussehen der menschlichen Körper, die auf die Größe eines Neugeborenen geschrumpft seien. An diesem Tag verbrannte diese Waffe seit der Beendigung der lokalen Straßenkämpfe 500 bis 600 Soldaten bei lebendigem Leibe. In der Stadt, die mit verbrannten Zivilisten und Militärfahrzeugen bedeckt war, tummelten sich amerikanische Soldaten, die mittels Planierraupen die Überreste, die nach dem Einsatz der Waffe

übriggeblieben waren, sehr sorgfältig eingruben. Al-Ghazali führte Dillon an einen Ort, wo sie vergraben wurden. Dillon behauptet, dass sie mit Leichtigkeit große Lachen geronnenen Metalls und Berge eines seltsamen faserigen Materials ausgruben, das von den Fahrzeugreifen übrigblieb. Dillon besaß eine große Erfahrung als Mediziner, die er in Vietnam erlangte, und als Reporter, der viele Kriege von Somalia bis Kosovo mitverfolgte. Er erklärte, viele verschiedene Operationen gesehen zu haben, die sowohl gegen Menschen als auch Fahrzeuge gerichtet waren: ‚Ich habe in meinem Leben viele destruktive Kampfmittel gesehen: Flammenwerfer, Napalm, weißen Phosphor, Thermit und viele andere. Abgesehen von der Wasserstoffbombe kenne ich jedoch keine andere Waffe, die einen Bus sofort schmelzen oder den Körper eines erwachsenen Menschen auf die Größe eines Neugeborenen schrumpfen könnte. Gott, hab Erbarmen mit der Menschheit, wenn das nur die Einleitung zu dem sein soll, was uns im 21. Jahrhundert erwartet.‘“ Ich habe diese Beschreibungen angeführt, weil ich meine, dass nur wenige Menschen von den Ursprüngen dieser Technologie wissen. Andererseits ist es schockierend, dass die Arbeiten in diesem Bereich so weit fortgeschritten waren, auch im Kontext der Antriebstechnik.

Geheime Laboratorien und Einrichtungen Die Orte, wo all das erforscht wurde, was üblicherweise als „Geheimwaffen des Dritten Reiches“ bezeichnet wird, sind bereits in unzähligen Publikationen beschrieben worden. Dennoch gibt es immer noch sehr viele Unklarheiten! Im Mai 2006, während meiner letzten Suche in den amerikanischen Regierungsarchiven, gelang es mir, eine ziemlich ungewöhnliche Ausarbeitung des dortigen militärischen Nachrichtendienstes zu finden, die eine Liste ebensolcher Orte enthielt. Die Liste ist sehr lang und beinhaltet (was eine richtige Seltenheit ist) Verweise auf alle Quellen – eine Vielzahl

von Berichten, Meldungen u. Ä. Viel wichtiger ist jedoch, dass eine verhältnismäßig große Zahl der beschriebenen geheimen Einrichtungen und Laboratorien aus keiner anderen Quelle bisher bekannt war! Dabei ist der Bericht sehr umfangreich – er umfasst 63 Seiten. Der Bericht ist dabei umso wertvoller, als er entgegen den Regeln des „Kalten Krieges“ auch Orte erwähnt, die nach dem Krieg in die sogenannte „sowjetische Einflusszone“ kamen – wahrscheinlich deshalb, weil er noch Ende 1944 verfasst wurde. Die Nachkriegsausarbeitungen von 1946 oder 1947 (BIOS, CIOS, JIOA, FIAT) sind nicht mehr so „nachlässig“.

Der große Beschleuniger zur Erzeugung von isolierten Plasmawirbeln (Plasmoiden), die sich durch sehr hohe Geschwindigkeiten auszeichnen, auf dem Gelände der Sandia Laboratories. Diese Fotos könnten suggerieren, dass das Projekt publik ist, der Anschein trügt jedoch. Weder technische Daten noch glaubhafte Informationen über das Ziel des Projekts werden veröffentlicht, obwohl es seit über 15 Jahren mit ununterbrochener Intensität verwirklicht wird. Seit einigen Jahren sickern überhaupt keine Informationen mehr durch, was darauf hindeutet, dass das Projekt in eine neue Phase eingetreten ist. Siehe auch das Kapitel „Waffen des 21. Jahrhunderts?“, in dem schockierende Effekte beschrieben werden, die im Falle solcher Wirbel beobachtet werden konnten – als Ergebnis vergleichbarer Forschungsarbeiten, die mit einem viel kleineren Beschleuniger dieser Art in Großbritannien durchgeführt wurden. (USAF)

In der Hoffnung, dass auch die Leser daran interessiert sein werden, stelle

ich nun eine Auswahl der interessantesten Orte vor, die im Bericht beschrieben wurden (mit Ausnahme der Einrichtungen, die mit Massenvernichtungswaffen – hauptsächlich chemischen Waffen – und deren Trägersystemen in Verbindung stehen, weil diesem Thema das ganze nächste Kapitel gewidmet ist, sowie der sehr interessanten Einrichtungen auf dem Gebiet der besetzten Tschechoslowakei, da sie in Band II beschrieben wurden).26 1. Die Produktion von Geheimwaffen ist stark dezentralisiert, die Herstellung der einzelnen Teile ist über zahlreiche Fabriken verstreut. Es gibt jedoch Gebiete, in denen die Fabriken deutlich konzentriert auftreten, wie z. B. die Baden-Bodenseeregion. Die Meldungen deuten auf eine Beschleunigung der Konzentration in dieser Region und eine Ausdehnung der Geheimwaffenherstellung auf Süddeutschland und Österreich hin. 2. Es handelt sich um eine großangelegte Produktionsplanung. 3. Ein Vergleich mit [der Abteilung] A2 zeigt, dass die Raketenbombenfabriken in Peenemünde, Manzell, Weimar und Fallersleben starke Verluste im Juli und August erlitten. Die Chemiewerke in Höllriegelskreuth und Darmstadt (Merck) wurden auch stark beschädigt. Davon abgesehen wurden in diesen Monaten keine weiteren Geheimwaffenfabriken bombardiert. 4. Die Forschungsarbeiten an den neuen Waffen und ihre Produktion sind wahrscheinlich sehr fortgeschritten. Es gibt Berichte, nach denen es sich um eine Rakete zum Transportieren starker Sprengstoffe handeln könnte, obwohl es auch andere Beschreibungen gibt, die auf eine V2 hindeuten [tatsächlich?], d. h. Kunstnebel, Brandaerosol und der Einsatz nichtmagnetischer Hangars. 5. Versuche mit Strahlen, ,Fernsehbomben‘, einem Miniaturunterseeboot und einem funkgesteuerten Schiff [eher Motorboot] werden

durchgeführt und könnten zur Entstehung einer ähnlich unkonventionellen Lösung wie der fliegenden Bombe führen. 6. Die Herstellung von Giftgasen läuft auf Hochtouren und erfolgt dezentral. 7. Wir haben nur einen Bericht über biologische Waffen erhalten, der am 13. August 1944 eingegangen ist. Schlussfolgerungen 1. Es ist möglich, dass neue Geheimwaffen in das Waffenarsenal aufgenommen werden, was womöglich mit der Verteidigung von Südund Westdeutschland in Verbindung steht, wo es die meisten Produktionsbetriebe gibt. 2. Es gibt neue Beweise, die die Vermutung erhärten, dass biologische Waffen eingesetzt werden könnten. 3. Die Vorbereitungen für den (sowohl defensiven als auch offensiven) Einsatz von chemischen Waffen sind sehr weit fortgeschritten. Beschreibung der einzelnen Einrichtungen: • Augsburg – Bayerische Motoren Werke (BMW) In den unterirdischen Betrieben von BMW bei Augsburg werden die V1 und die V2 hergestellt. Die Geschosse werden auf dem Schießplatzgelände bei Augsburg in einem kleinen unterirdischen Fortteil gelagert. In jedem Fall handelt es sich um Räume, die etwa 20 m in den Boden reichen und jeweils etwa 50 Stück fassen. (Quelle: OSS, RB-17463 pt. 16.08.1944. Klassifizierung: C-3.) • Berlin – AEG Das Forschungsinstitut der Firma AEG befindet sich an der östlichen Ecke der Kreuzung Hollanderstraße und Aroser Allee im Ortsteil Reinickendorf, wo photoelektrische Forschungsarbeiten und geheime Versuche durchgeführt werden.

(Quellen: OSS, A-23330, D-1129, 22.03.1944. C.)

Ein Lageplan der deutschen Hüttenwerke in Dąbrowa Górnicza (Dombrowa) – aus einer Meldung der polnischen Heimatarmee. (Archiv)

• Böblingen (Deutschland) Im 16 km südlich / südwestlich von Stuttgart entfernten Böblingen gibt es ein Werk, das bestimmte Ausstattungskomponenten für unbemannte Flugzeuge herstellt. (Quelle: OSS, RB-13080 pt, aus der Schweiz, ohne Datum. Klassifizierung: C-3.) • Bromberg (Bydgoszcz) Produktionszentrum für Geheimwaffen. Das kleinere Modell wiegt 12 t und transportiert eine 9 t schwere Minen- oder Brandladung. Einige Seetorpedos, die auf diesem Prinzip basieren, werden gerade untersucht. [In den Wäldern bei Bydgoszcz / Bromberg befindet sich ein großer Produktionsbunkerkomplex samt hoch entwickelter Infrastruktur. Es handelt sich dabei um die ehemaligen ,Alfred Nobel & Co. Bromberg‘-Werke, wo u. a. Pulver und Sprengstoffe hergestellt sowie verschiedene Arten von Munition befüllt wurden.]62 (Quelle: DGSS – Direction Technique S.R. ,Operations‘. Nr. 9163 R.G.

Algier. 19.07.1944.)

Technische Zeichnungen des Sprengkopfes für das Fernlenkgeschoss Hs-293. Elemente für dieses Geschoss wurden in Dąbrowa Górnicza hergestellt. (Polnische Heimatarmee / Archiv)

In der nur scheinbar sinnlosen Beschreibung des 12 t schweren Monstrums, das größtenteils mit einer „Ladung“ befüllt werden sollte, kann in Wirklichkeit die Information versteckt sein, dass auch Komponenten für V2Raketen hergestellt worden waren, die während der Vorbereitung des Berichts noch nicht in Richtung Großbritannien abgefeuert wurden. Die erwähnten 9 t stimmen ziemlich genau mit dem Treibstoffgewicht überein. Im Falle der Meldung über Bydgoszcz kann es sich jedoch genauso gut um etwas ganz anderes und wichtigeres handeln! Vielleicht haben wir es mit der Beschreibung eines Geschosses mit zusätzlichem Raketenantrieb für die große elektromagnetische Kanone zu tun. Das passt jedenfalls ziemlich exakt zu einem Dokument, das im zweiten Band samt Übersetzung abgedruckt wurde. In diesem Fall hätten wir eine unabhängige Bestätigung für die Existenz eines ungewöhnlichen Rüstungskonzeptes, das nicht nur sehr fortschrittlich war, sondern auch kurz vor der praktischen Anwendung stand! In dem in Band II abgedruckten Dokument wurde erwähnt, dass für die Deutschen Unfälle aufgrund der gewaltigen Magnetfelder problematisch waren, die im Tunnel während der Abschussphase auftraten. Nach dieser

Beschreibung nahm nämlich die Waffe eine große unterirdische Einrichtung an der französischen Küste in Anspruch. Handelte es sich dabei um eine heute unbekannte Alternative zur V2? Das werden wir wahrscheinlich nicht mehr herausfinden. • Eisenach (Deutschland) Wurde als Standort einer Versuchseinrichtung zur Untersuchung von Waffen in Berka vor dem Hainich in Thüringen identifiziert. Das offizielle Postsiegel auf Umschlägen lautet ,Berka bei Eisenach‘, und auf der Frankiermaschine ,Mihla bei Eisenach‘. (Quelle: Postzensur. NYPW 63892 vom 08.04.1944, C.) • Gernrode Standort einer Fabrik mit Versuchsgelände für neue Kanonenarten. Der Eintritt ist sogar für Offiziere einer unweit stationierten Einheit verboten. (Quelle: Alliierte Regierungen, London Nr. 2046. 01.08.1944, C.)

Ein vom Nachrichtendienst der polnischen Heimatarmee angefertigter Plan der Luftfahrtbetriebe von Junkers in Dessau. (Polnische Heimatarmee / Archiv)

• Göppingen – Speiser Dieses Werk ist auf die Herstellung von gegossenen Werkstücken spezialisiert – teilweise für die von der Firma Schuler montierten Abschussrampen. Anfang 1944 befanden sich sowohl Schuler als auch

Boehringer unter der Kontrolle der Wehrmacht und bildeten praktisch eine Einheit, die ein Armeemajor mit unbekanntem Namen leitete. Im Januar 1944 wurde der Werkschutz in den Schuler-Werken durch junge und gesunde SS-Männer ersetzt, die jedoch mit Werkschutzuniformen bekleidet waren. Diese drei Firmen sind praktisch nicht voneinander abzugrenzen. Sie befinden sich auf der Nordseite der Straße von Göppingen nach Stuttgart und erstrecken sich in westliche Richtung fast bis zur Abzweigung nach Gmünd. Wenn wir direkt westlich von Göppingen sowie nördlich der Straße nach Stuttgart und der Eisenbahnlinie beginnen, finden wir zuerst die Speiser-Werke. Etwas weiter liegt die größte und wichtigste Firma – Schuler. Westlich von ihr befindet sich wiederum das Gelände von Boehringer – östlich der Eisenbahnlinie nach Gmünd. (Quelle: Air Sec., CMF rpt. 1 / 91, 22.07.1944. S – Kriegsgefangener.) • Gravelotte (Moselle, Frankreich) Es wurde ermittelt, dass die Geheimwaffenfabrik tief in einer unterirdischen Einrichtung gebaut worden war, die sich auf dem Gelände der Jeanne d’Arc de Guise-Forts bei Gravelotte und Vernéville befindet. Sie wird von Fontoy aus mit elektrischer Energie versorgt. (Quelle: France-Air N.B.G. 2 / 940. Juni 1944. S.)

Das Schema eines Düsentriebwerks (Jumo?), das im November 1943 vom Nachrichtendienst der polnischen Heimatarmee angefertigt wurde. (Polnische Heimatarmee / Archiv)

• Grudziądz (Graudenz), Polen – Junler Ruhr Ein bei der Produktion gelenkter Raketen kooperierender Betrieb ,Junler Ruhr‘ bezieht sich wahrscheinlich auf die Firma ,Junker und Ruh‘ – früher ,Herzefeld & Victorious‘ in Grudziądz. Diese Betriebe stellen Panzerplatten für Unterseeboote her. Laut der Meldung sind die Gießereien der Firma gegenwärtig auf die Produktion von Hüllen für Geschosse und Bomben umgestellt worden. (Quelle: Polnischer Nachrichtendienst, S-3148 / 44 ohne Datum. OSS.) • Halle-Niedleben – „der große Flugplatz“ Nach Aussagen eines Kriegsgefangenen und Augenzeugen gibt es dort zwischen Niedleben und Liskav bei Halle einen großen Feldflugplatz. Alle Hangars befinden sich unter der Erde, und die Parkfelder bieten Platz für über 200 Flugzeuge gleichzeitig. 1943 sah er dort eine Me109, eine He-111 und eine Ju-199 (die Einrichtung wurde bis Mai 1944 nicht bombardiert). Der Kriegsgefangene ist ein Antifaschist und wurde als glaubwürdig eingestuft. (Quelle: CSDIC / WEST / NOI 410. 23.08.1944. C.)

Die von der polnischen Heimatarmee ausspionierte Industrieeinrichtung in der Nähe von Zasieki (Forst-Berge) in Niederschlesien. (Polnische Heimatarmee / Archiv)

• Houilles (Frankreich)

Die Deutschen haben umfangreiche Arbeiten 30 m unter der Erde auf dem Gelände des Steinbruchs in Houilles in der Nähe der MontessonStraße (Seine & Oise) verrichtet. Viele Arbeiter haben berichtet, dass die Bewohner aller Gebäude in der Gegend evakuiert worden sind. Manche Arbeiter behaupten, dass sie einen Gefechtsstand für Rommel, andere wiederum, dass sie unterirdische Lager für V1-Geschosse bauen. Die Deutschen geben sich alle Mühe, damit die Arbeiter die Bestimmung der Einrichtung nicht erkennen. (Quelle: France-Air. Juli 1944. S. JAQ / 37bis / 904.) • Jeßnitz In Jeßnitz, 39 km nördlich von Leipzig, wurden zwei unterirdische Fabriken gebaut, die als Einrichtungen ,von höchster Kriegsrelevanz‘ galten. Zurzeit ist nicht bekannt, was sie herstellen, wahrscheinlich stehen sie jedoch mit Geheimwaffenprogrammen in Zusammenhang. (Quelle: OSS, SUN-165. 15.07.1944. Quellenbeurteilung: B-3. C.) • Kapfenberg Dort wird eine neue Kanone mit sehr kurzem Rohr gebaut, die Geschosse mit äußerst starken Sprengladungen abfeuert [Hochbrisanzgeschosse]. Die zerstörerische Wirkung ist angeblich enorm. (Quelle: britische Dokumente über abgefangenes Personal und Material. Br.1313. 28.08.1944. S. Als glaubhaft eingestuft.)

Plan der Focke-Wulf-Werke in Żary (Sorau), Niederschlesien. (Polnische Heimatarmee / Archiv)

• Klosterlechfeld Dort befindet sich

eine

unterirdische

Geheimwaffen-

und

Munitionsfabrik, die eine Fläche von 1.500 mal 300 m einnimmt. Klosterlechfeld liegt etwa 1.100 m östlich von der Eisenbahnstation und südlich von der Straße, die zum Bahnhof in Augsburg führt. (Quelle: OSS, RB-17463 pt. 16.08.1944. Klassifizierung: C-3.) • Kranj (Krainburg), Jugoslawien Hier werden große Flugbomben hergestellt, sowie die V2, die V3 und die V4 [?] (Quelle: OSS Nr. 50450. 13.08.1944. Glaubwürdigkeit unbekannt.)

Ein Versuchsabwurf des V1-Geschosses durch einen He-111-Bomber. (Deutsches Museum)

• München – Bayerische Motoren Werke (BMW) Das Werk hat sein Profil geändert und befasst sich nun mit der Geheimwaffenproduktion. (Quelle: ein Kriegsgefangener. BX-76. 18.05.1944. C.) • München Eine in München arbeitende Person behauptet, dass es sich bei der zweiten hier hergestellten Geheimwaffe um eine funkgesteuerte Raketenbombe handelt. Ein deutscher Major hat behauptet, dass in einem Monat 1.000 Stück die Fertigungsstraße verlassen. (Quelle: ein Telegramm aus Stockholm an das State Department. 02.09.1944. Minister Johnson. S.) • Maginot-Linie (Frankreich) Die Montage von Komponenten für die V2 erfolgt unter der Erde, in den Einrichtungen der Maginot-Linie. Auch die Weinkeller im Rheintal wurden in Werkstätten umgebaut, wo Teile für die V2 hergestellt werden.

(Quelle: OSS. Nr. 27169 pt. 01.08.1944. Glaubhafte Quelle. C.) • Neuburg Am 30. Juni wurden auf dem Feldflugplatz Heinrichsheim (3 km von Neuburg) Versuche mit einer neuen Geheimwaffe durchgeführt. (Quelle: CP&M-Bericht Br. BX-94. 18.08.1944. S. Als glaubhaft eingestuft.)

Sogar die Montage von Anhängern zum Transport der V2 erfolgte in einer (unidentifizierten) unterirdischen Einrichtung. (Deutsches Museum)

• Oberhausen bei Augsburg Dort befindet sich eines der Forschungs- und Produktionszentren für Geheimwaffen, die wahrscheinlich mit der V1 in Verbindung stehen. Beteiligte Firmen: Riedinger, Epple & Buxbaum. (Quelle: Dr. Franz Gutmann, Mitglied der Handelsschule an der University of North Carolina, der wegen des Hitler-Regimes 1939 aus Deutschland emigrierte, als glaubhaft eingestuft.) • Oberraderach Laut der Meldung ist in Oberraderach (4,5 km nördlich / nordwestlich von Friedrichshafen in Richtung Markdorf) eine riesige Fabrik für die Produktion von Geheimwaffen adaptiert worden, die eine Fläche von vielen Hektaren einnimmt. Die Fabrik ist eingezäunt und wird streng

bewacht. Den Arbeitern ist es nicht erlaubt, sie zu verlassen, und sie werden in Unwissenheit gehalten. (Quelle: OSS, RB-16214. 01.08.1944. C.)

Eine der ersten Handzeichnungen des V1-Geschosses. (Archiv)

• Die Insel Rügen Am 10. Mai 1944 führte ein deutscher Kriegsgefangener eine Notlandung auf Rügen durch. Er hörte von einem Offizier, dass sich an der Ostküste der Insel ein Forschungszentrum befindet, das mit dem V1-Flugbombenprogramm in Zusammenhang steht. (Quelle: Der Kriegsgefangene ist Elsässer und Pilot einer Me-109, der in Italien desertierte. OSDIC Air Sec. CMF, Bericht I / 108. 05.08.1944. S.) Die Deutschen nutzten die Insel Rügen vor allem dazu, Ausrüstung zum Photographieren von Raketengeschossen und Messen [von Flugparametern] zu installieren. Sie wurden von einem Ort abgefeuert, der nördlich von Peenemünde auf der Insel Usedom [Uznam] lag, und so gelenkt, dass sie genau auf halber Entfernung zwischen Rügen und Greifswalder Oie flogen. (Quelle: Kriegsgefangener 1203, 10.04.1944. S.) Weitere Raketenversuchsstarts erfolgten im März 1944 im Norden von Rügen.

(Quelle: Alliierte Regierungen #990. 07.04.1944. S.) Betrifft Versuchsstarts deutscher Geheimwaffen an der Nordküste Rügens: Die Rakete wurde vom Boden aus gezündet und erreichte eine Höhe von 8.700 m. Die Auspuff-Flammen führten lediglich zu einer schwachen Rauchbildung von rostig-roter Farbe [wahrscheinlich handelte es sich dabei um Stickoxide aus der Wasserfall-Rakete]. Im Steigflug waren nacheinander starke Explosionen von großer Intensität zu hören [es könnte sich um die Explosion des Sprengkopfes gehandelt haben, der eine beim Überschallflug entstehende Schockwelle voranging; das hügelige Gelände könnte bewirkt haben, dass verschiedene Schockwellenreflexionen zu leicht unterschiedlichen Zeiten wahrgenommen wurden]. (Quelle: OSS, SZ-6064. 15.04.1944. S.) Im Rahmen der Küstenverteidigung wurden auch Pläne für den Abschuss von 6,20 m langen Torpedos mittels sechsrädriger Fahrzeuge entlang der Küste und von Anlegeplätzen aus vorbereitet. Derartige Versuche wurden auf Rügen im August 1942 abgeschlossen. Solche vom Ufer aus abzufeuernde Torpedos sollten ab Anfang 1944 eingesetzt werden. (Quelle: Kompilation aus fünf Kriegsgefangenenverhörprotokollen. Nr. 1456. 03.05.1944. S.)

Eine amerikanische Nachkriegskopie der V1. (Archiv des Autors)

Hierzu ein kurzer Kommentar: Es sieht so aus, als hätte es auf Rügen eine (sicherlich kleinere) Alternativeinrichtung zu der in Peenemünde gegeben, deren Existenz verheimlicht werden konnte! Nach dem Krieg wurde die Insel praktisch zu einer sowjetischen Garnison.

Eine französische Nachkriegskopie des Rheintochter-Geschosses – das SE-4300. (Archiv des Autors)

Solutier-Werke – geleitet von Dr. Maier aus Huningue. Vorher befanden sie sich in Markradwitz in Bayern, im Juni 1942 wurden sie jedoch in das alte Geigy und Uningue [?] in der Nähe der schweizerischen Grenze verlegt. Thermoelektrische Metallbearbeitung. Dort befinden sich auch wichtige Forschungslaboratorien. Dr. Maier soll in Anwesenheit von vier Ingenieuren gesagt haben, das Werk habe eine Schlüsselbedeutung für den deutschen Sieg. Reichsminister Speer übt die direkte Kontrolle über das Werk aus, das von der Gestapo streng überwacht wird. (Quelle: Berno an das State Department. Nr. 5795. 03.09.1944. S.)

• Sommerda – Ardo Die Firma hat ein zweimotoriges gesteuertes Flugzeug zum Transportieren einer Raketenbombe gebaut, die samt Steuerflächen 4 5 t wiegt. Sie wird in einer Entfernung von 20 bis 30 km vom Ziel abgeworfen. Ihr Bau in Sommerda verspätet sich erheblich, da entsprechende Werkzeuge aus Frankreich nur langsam geschickt werden. (Quelle: DGSS Direction Technique S.R. ,Operations‘ Nr. 9191. R.G. Algier. 10.07.1944, Klassifizierung: C-3. C.) • Tesno (Österreich) Ein Deserteur, der am 13. August zu den Partisanen übergelaufen ist und in Tesno gearbeitet hat, berichtet, dass sich dort in den Schächten eines früheren Bergwerks Reparaturwerkstätten für Propeller und Naben von Flugzeugen befinden. Die Quelle ist überzeugt, dass es sich um diejenigen unterirdischen Werkstätten handelt, die bereits gemeldet worden sind. (Quelle: OSS Washington D.C. Bericht Nr. 50662. 21.08.1944.) • Wien Die Ehefrau eines Kriegsgefangenen behauptet, dass unter der DreherWeinbrennerei (an der Ecke Simmeringer Hauptstraße und Schlechthauegasse, gegenüber der Rennwagerkaserne) sich zwei Etagen tiefer eine Geheimfabrik befindet. Über die Art der Produktion ist nichts bekannt. (Quelle: CP&M Br. #1313. 28.08.1944. S. Als glaubwürdig eingestuft, nicht verifiziert.) • Vosges (Frankreich) Der Bussangtunnel in Vosges wird zur Montage der V1 genutzt. Zweimal wöchentlich kommt dort ein Zug aus Belfort an. (Quelle: OSS. RB-17126 pt. ohne Datum. Information vom 31.07.1944. Klassifizierung: C-3. C.) • Wittenberg – Kents Fabrik Kents Schokoladenfabrik stellt Teile für Flugbomben her. (Quelle: OSS, SZ-6272. 02.08.1944. C. Glaubwürdig.)

Das Militärforschungsinstitut in Lutherstadt wurde in die ehemalige Schokoladenfabrik verlegt […]. (Quelle: Alliierte Regierungen. Nr. 2160. 10.08.1944. S. Klassifizierung: B-3. Tschechische nachrichtendienstliche Quelle.)

Ein Prototyp des monströsen ungelenkten Boden-Luft-Raketengeschosses June Bug. (Archiv)

• Wustrow – Halbinsel (Deutschland, in der Mecklenburger Bucht, südwestlich von Rostock) Jetzt heißt sie Insel Rerik. Dort werden geheime technische Untersuchungen in einem äußerst wichtigen Forschungs- und Versuchszentrum durchgeführt. Sie betreffen: 1. 8,8 cm 41-42-Flugabwehrkanonen; 2. funkgesteuerte Luftfahrzeuge; 3. Umbauten von Flugzeugen zu Wasserflugzeugen; 4. Versuche mit Bombern und Jagdflugzeugen; 5. eine Station für Versuche mit Radargeräten (Freya, Würzburg); 6. Radioanlagen und diverse technische Ausstattung; 7. das Zeiss-Laboratorium [der Kontext lässt auf Infrarottechnik schließen]; 8. Prüfstände zur Erforschung fremder Flugzeuge und fremder Schießbewaffnung;

9. Forschungen über die Nutzung von Nachtjägern. (Quelle: JEIA Nr. 2964. 24.04.1944, S.) Dieser Ort ist eine völlige Überraschung, ähnlich wie im Falle der nahe gelegenen Insel Rügen handelte es sich offensichtlich um eine ausgebaute Forschungseinrichtung an der Ostsee, die unter dem Aspekt der Entwicklung neuer Waffen eine Schlüsselstellung einnahm. Trotzdem war sie bisher völlig unbekannt!

Das Konzept des ungelenkten Flugabwehrraketengeschosses Luftfaust von 1944. (Archiv)

• Zipf (Österreich) In dem Betrieb, der zwischen Linz und Salzburg 3 km nördlich von der Eisenbahnlinie und am Fuß eines als Zipf bekannten Berges liegt (66 km südwestlich von Linz), werden Bomben befüllt. Die Einfahrt in die Fabrik führt über das Gelände einer Brauerei. Die Tagesproduktion beträgt 90 Bombenwaggons. Der Betrieb befindet sich unter der Erde, der Abraum ist jedoch maximal 4 – 9 m dick. Der Grund scheint auf dem Luftbild sandig zu sein. An der Einsenbahnlinie in Richtung Marbarghausen und 4 km von der genannten Einrichtung entfernt

befindet sich ein Damm, der im Falle einer Bombardierung die Einrichtung überfluten würde. Achtung OSS: Der letzte britische Bericht sprach von der Herstellung von Flugbomben auf dem Gelände einer früheren Brauerei, die 15 Meilen [etwa 25 km] von Salzburg entfernt liegt. (Quelle: OSS. GG-988. 27.07.1944. Klassifizierung: F-3. C.) • Bisingen Hochentwickelte Teile für Radargeräte und die Funksteuerung von Geschossen werden nicht mehr in Berlin, sondern in der ,Forschungsstelle E‘ [untersucht? hergestellt? – hier fehlt ein Wort], die nach Bisingen in Württemberg verlegt worden ist. (Quelle: OSS. A-18911. RB-614. 14.01.1944. C.) • Friedrichshafen Nach dem Luftangriff auf Friedrichshafen wurde damit begonnen, die geheimen Produktionsstandorte mit Kunstnebel zu schützen. Dies ist in einem Wald östlich der Eisenbahnlinie in Kluftern, 7,5 km nordwestlich von Friedrichshafen der Fall. (Quelle: OSS. RB-14329, 11.07.1944. C.) • Gessertshausen 7 km von der Straße nach Augsburg entfernt. Dort befindet sich eine Fabrik für Raketengeschütze, nebenbei liegt ein Versuchsgelände. Das Personal zählt 2.000 Personen, die teilweise in der Nähe einquartiert sind, der andere Teil wird mit LKWs aus dem weiteren Umkreis gebracht. (Quelle: London, polnischer Nachrichtendienst. 15.08.1944. Nr. 2628.) • Rudersdorf Die Produktion von Flugzeugen und Flugabwehrgeräten erfolgt in natürlichen und errichteten Grotten in den Rudersdorfer Kalkbergen. (Quelle: OSS. Nr. 27169 pt. 01.08.1944. Als glaubwürdig eingestuft, C.)

Das Konzept des deutschen ungelenkten Flugabwehr-Raketensplittergeschosses Rheinkinder von 1944. (Archiv)

Hier endet der wichtigste Teil des amerikanischen Berichts26, der Beschreibungen von Orten enthält, an denen Geheimarbeiten durchgeführt wurden, die in Zusammenhang mit dem allgemeinen Thema der Geheimwaffen standen (mit Ausnahme solcher Beschreibungen, die die im weiteren Teil des Buches beschriebenen Themen betreffen). Ein großer Teil befasst sich z. B. mit Vorbereitungen zum chemischen Krieg, denen das nächste Kapitel gewidmet ist, deshalb finden sich auch dort die entsprechenden Beschreibungen. Als gesonderte Teile wurden in dem Bericht darüber hinaus folgende Themen beschrieben: 1. Produktions- und Forschungseinrichtungen, die am umfassenden, umgangssprachlich als „Todesstrahlen“ bezeichneten Forschungsgebiet beteiligt waren – diese Bezeichnung wird im Dokument benutzt (siehe Band I). Ein Großteil der Meldungen betrifft jedoch andere Forschungen, die mit der Nutzung elektromagnetischer Strahlen in Verbindung stehen, wobei die womöglich wichtigste Meldung im ganzen Bericht (!) mit der Kerntechnik zusammenhängt. Die Meldung bezieht sich auf Jáchymov in Tschechien. 2. Orte, die mit Plänen zur Einführung völlig neuer Technologien und neuer Waffen für die Seekriegsführung in Zusammenhang stehen. Es handelt sich um kurze Ergänzungen, die erste umfasst lediglich drei, die

zweite vier Seiten. Da wir es jedoch mit einer Synthese von Informationen aus vielen Quellen zu tun haben, sind sie trotzdem beachtenswert – umso mehr, als es sich dabei natürlich um Themen handelt, die trotz allem sehr wenig bekannt sind. Deshalb wurden die erwähnten Ergänzungen, die den ersten und interessantesten Punkt betreffen, in ihrer Ganzheit wiedergegeben. Die Ergänzungen zum zweiten Punkt wurden von mir einer gewissen Selektion unterworfen. Beginnen wir mit den „Todesstrahlen“: [fehlende Ortsangabe] Die zweite Nazigeheimwaffe beruht auf dem Prinzip der Emittierung von Strahlen, die auf Röntgenstrahlen basieren. Diese Strahlen beschädigen die Augen und führen zur Blindheit, die zeitlich beschränkt oder dauerhaft ist. (Quelle: OSS. RB-16583. 06.08.1944. C. Klassifizierung: B-0.) • Carteret 7 km von Carteret wurde ein Versuchslabor errichtet. Angeblich werden dort spezielle Versuche mit Todesstrahlen durchgeführt. Vier Personen, die sich dem Labor unter Missachtung von Befehlen näherten, wurden ohne Warnung erschossen. (Quelle: Polnischer Nachrichtendienst. S-8109 / 43. 02.11.1943. S.) • Dresden – Universität Es wurde ermittelt, dass Dresden das Herz der Arbeiten an Geheimwaffen ist. An der Universität arbeitet eine Gruppe von Ingenieuren – Chemikern und Professoren – unter der Leitung von Heisenberg. Seine Mitarbeiter arbeiten an einem Nebenprodukt von Radium [Es ist nicht klar, ob damit ein Nebenprodukt des Zerfalls oder der Produktion gemeint ist, was eine Frage von grundsätzlichem Charakter darstellt. Dennoch ist das eine sehr interessante und ungemein wichtige Meldung, sie könnte die bereits angedeutete These bestätigen, dass die Deutschen eine Sprengladung auf der Basis eines Gemisches verschiedener Isotope mit kurzer Zerfallszeit zu bauen versuchten. Sie bekräftigt damit eine alternative Auffassung vom Bau einer Kernwaffe]. Die Arbeiten werden in einem Bergwerk in Aussig in der Nähe des

Bergwerkes in Jáchymov auf dem Gebiet des Protektorats [d. h. Tschechien] durchgeführt. (Quelle: ein Telegramm des Militärattachés in Ankara #99. 11.04.1944. MIS Journal (ein Bulletin des militärischen Nachrichtendienstes) Nr. 298. 12.04.1944. S.) Zu diesem Aspekt kehren wir noch in dem Teil des Buches zurück, das die Kernarbeiten in Tschechien betrifft! Die Information bezieht sich auf eine vorher praktisch unbekannte, ungemein wichtige Spur in Zusammenhang mit der deutschen Bombe.

Die deutsche ungelenkte Spezialantischiffsrakete SB-800 / R-5 nach Vorbild der britischen Dambusters. Das Triebwerk arbeitete nur 2,5 Sekunden lang und wurde vom kugelförmigen Gefechtsteil abgetrennt, das vom Wasser abprallte, um schließlich ein Schiff zu treffen oder zu versenken. Versuche ergaben, dass das Gefechtsteil auf diese Weise bis zu 2,5 km auf der Wasseroberfläche zurücklegen konnte, wobei es bis zu zwölfmal hochsprang. (Archiv)

Die Erwähnung des radioaktiven Radiums ist wahrscheinlich jedoch genauso wichtig, und es fällt schwer, sie nicht mit einer ungewöhnlichen Information über ein japanisches Unterseeboot (I-29) in Verbindung zu bringen, die in einer Publikation über Operationen der Unterseeflotte der Achsenmächte auf dem Indischen Ozean und in Ostasien enthalten ist. Darin ist zu lesen, dass am 16. April 1944 die erwähnte Einheit vom U-BootStützpunkt in Lorient (Frankreich) mit dem Auftrag aufbrach, u. a. eine Ladung „Silber-Radium-Amalgams“ nach Japan zu liefern!84 Vom Rang der Mission zeugt in gewisser Weise die Tatsache, dass der alliierte

Kommandostab für die Pazifikregion eine Meldung des japanischen Kapitäns abfing und entschlüsselte (der im Übrigen unter den „Unterseeassen“ der Kaiserlichen Marine sorgfältig ausgewählt worden war), woraufhin beschlossen wurde, nicht weniger als drei Unterseeboote (das USS Tilefish, das Rock und das Sawfish) mit dem Auftrag in den Westpazifik zu schicken, das I-29 zu versenken. Der Auftrag konnte ausgeführt werden, und die geheimnisvolle Ladung sank um die Monatswende Juli / August auf den Meeresgrund in der Straße von Balintang in der Nähe von Luzon.84 Chusa Kinashi, der Kommandeur des I-29, wurde nachträglich gleich um zwei Dienstgrade zum Konteradmiral befördert, was äußerst ungewöhnlich war. Wie man sieht, scheint diese Angelegenheit ein völlig vergessenes, obgleich sehr wichtiges Motiv der deutschen (und japanischen) Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Kernphysik gewesen zu sein! Kehren wir zur Analyse der Alliierten zurück.

Die sehr gelungene gelenkte Langstreckenbomber BV-246 von Blohm und Voss, aufgehängt unter dem Rumpf einer FW-190. Insgesamt wurden etwa 400 Stück in vielen verschiedenen Versionen hergestellt, wobei etwa die Hälfte zum Kampfeinsatz kam, hauptsächlich gegen Geleitzüge im hohen Norden. Die Bombe war eine sehr interessante Alternative für die V1, da sie eine Reichweite von etwa 200 km hatte. Es gab Versionen mit Zielsuchlenkung für elektromagnetische Strahlungsquellen (z. B. Schiffsradare), mit Wärme-, Akustik- und Lichtpeilern. Das Gewicht des Gefechtsteils betrug 435 kg, das Gesamtgewicht 730 kg; es war also dreimal kleiner als bei der V1. Die Version mit befehlsbasiertem Fernlenksystem zeichnete sich durch eine ähnliche Einschlagstreuung wie die V1 aus. (Archiv)

• Feldberg – ein Kriegslabor Das Labor liegt in einer isolierten Zone hoch auf dem Plateau. Es wurde hauptsächlich unterirdisch gebaut und in den Jahren 1939/40 fertig gestellt. Alle Dörfer im Umkreis von 10 Meilen [etwa 16 km] wurden ausgesiedelt und von Labormitarbeitern besetzt, deren Zahl 1.500 bis 1.800 beträgt. Unter den diversen Versuchen, die in diesem Labor durchgeführt werden, werden auch Strahlen untersucht, die Flugzeugtriebwerke zerstören oder Menschen töten sollen. (Quelle: ein Bericht, der aufgrund von fünf Verhörprotokollen eines Kriegsgefangenen verfasst wurde. Verhör Nr. 1456. 03.05.1944. S.)

Das Fernlenkgeschoss Hs-295, eine Weiterentwicklung des Hs-293. (Archiv)

• Hamburg (Wandsbek) Dort befindet sich eine riesige unterirdische Fabrik, die angeblich etwas sehr Geheimnisvolles in Zusammenhang mit der Firma Blohm und Voss herstellt. (Quelle: OSS, eine schwedische Quelle. 25.08.1943.) • Rügen Ein Kriegsgefangener sah ein hermetisches Schiff eines völlig neuen Typs, das an einen Zerstörer erinnerte und eine Geschwindigkeit von 34 Knoten erreichen konnte. [Sollte es sich etwa um eine Einheit handeln, die zum Kampf nach dem Einsatz chemischer Waffen geeignet war, oder die solche Waffen transportierten konnte?]. (Quelle: ein Kriegsgefangener, B-633. 02.04.1944.) Als Ergänzung zum oben beschriebenen amerikanischen Bericht26 können die monatlichen Meldungen der Industriespionage der polnischen Heimatarmee (einer polnischen Widerstandsbewegung) herangezogen werden, die bereits vorher zitiert wurden und sich größtenteils auf Arbeiten an deutschen ,Geheimwaffen‘ beziehen.16 Hier

scheinen nur einige Meldungen interessant: Information vom September [1943], geliefert auf einer Tagung der NSDAP in Łódź: Es wurde ein magnetischer Reflektor erfunden, der auf die elektrischen Anlagen in Flugzeugen paralysierend wirkt. (Meldung 10 / 43) • Bayerische Motoren Werke im Raum München […] Gemäß den Angaben vom Dezember [1943] funktionieren im Raum München die folgenden BMW-Werke: a) Werk I – in Pasing, in südwestlicher Richtung von der Eisenbahnstation Allach; b) Werk II – in Karlsfeld. Im Wald gelegene Gebäude, auf der rechten Seite der Bahnverbindung Allach – Dachau, gut maskiert, ein Teil der Fertigungshallen befindet sich unter der Erde. Eine Scheinfabrik, etwa 1 km von der Bahnstation Karlsfeld entfernt. Produktion: angeblich Flugzeugtriebwerke und Flugzeuge. Beschäftigte: etwa 23.000. c) Werk Allach – auf dem Gelände der früheren Eisenbahnwerkstätten. Produktion: Triebwerke. Beschäftigte: etwa 14.000. Die Werke in Allach werden ausgebaut. (Meldung 1 / 44) • Dornier – Friedrichshafen Gemäß einer Information von Mitte Dezember 1943 haben die Luftangriffe bis zu diesem Datum nicht zur Stilllegung der Fabrik geführt. Die Produktion umfasst u. a. die Me-323-Flugzeuge. Auf dem Fabrikgelände werden angeblich Versuche mit einer nicht näher bekannten Waffe durchgeführt. (Meldung 1 / 44) • Region Peenemünde […] Die Produktionsräume sind meistens unterirdisch […]. [Wie bereits erwähnt, ist das nicht die einzige Quelle, die eine solche Information enthält – seit den 1940er Jahren ist es niemandem gelungen, zu diesen unterirdischen Bauten vorzudringen!] (Meldung 2 / 44)

Der unbekannte Plan, eine neue Kriegsphase zu entfesseln – das Arsenal des Durchbruchs Wie ich bereits in Band II geschrieben habe, sind sich nur wenige Forscher und Historiker der Tatsache bewusst, wie großangelegt das deutsche Vorbereitungsprogramm zur Entfesselung eines chemischen Krieges war, um welch zerstörerisches Arsenal es sich handelte und welch große Hoffnungen aufgrund dessen gehegt wurden. Trotz der enormen Bemühungen, die ich schon damals in das Sammeln möglichst vollständiger Informationen investiert habe (es handelt sich wohl um die bisher kompletteste Schilderung dieses Themas), ist es mir gelungen, zu noch neueren, vorher unbekannten Dokumenten und Beschreibungen vorzudringen, hauptsächlich während meiner Recherche in den amerikanischen Archiven im Jahr 2006. Bevor ich jedoch dies alles vorstelle, möchte ich eine kurze Zusammenfassung dessen vornehmen, was im vorherigen Band besprochen wurde. Ein Rückblick auf die wichtigsten Fakten ist insbesondere für diejenigen Leser unverzichtbar, die keine Gelegenheit hatten, den zweiten Band zu lesen. Die erste und wichtigste Information betrifft den völlig revolutionären Charakter dieses Arsenals. Es geht um sogenannte „Phosphorsäureester“ – Tabun, Sarin und Soman. Sie waren nicht nur um eine Größenordnung toxischer als die Mittel, über die die Alliierten verfügten, sie konnten auch – was noch wichtiger ist – durch keine damals bekannten Filter zurückgehalten werden und wurden durch die Haut fast genauso leicht aufgenommen wie über die Lungen. Dadurch wurde quasi ein Präzedenzfall geschaffen: Es entstand eine Waffe, vor der es keinen wirksamen Schutz gab! Was bedeutete jedoch diese Toxizität in der Praxis? Das am meisten hergestellte Tabun führte bei einer Konzentration von etwa 0,4 g in einem Kubikmeter Luft zum fast sofortigen Tod, bereits Bruchteile eines Milligramms pro Kubikmeter führten jedoch nach längerer Zeit zu mehr oder weniger starken Lähmungserscheinungen (was ungefähr dem Bruchteil

eines Kubikmillimeters, also einem kleinen Tröpfchen entsprach!). Alle Stoffe aus der erwähnten Gruppe (Sarin und Soman waren noch toxischer) wirkten nämlich direkt auf das Nervensystem. Das erste Vergiftungssymptom, das bereits bei kleinsten Dosen auftrat, war Blindheit – die ja ausreichte, um einen Soldaten kampfunfähig zu machen. Bei etwas höherer Dosis oder längerem Kontakt kam es zur Muskellähmung und Krämpfen. Die „tödliche“ Dosis führte zur Lähmung der Nerven, die die Lungentätigkeit steuern, und es kam zur Erstickung. Wenn wir diese Milligramm-Mengen mit mindestens 10.000 t an Vorräten vergleichen, müssen wir zu dem Schluss kommen, dass auch bei der ungünstigsten Verteilung und den unvorteilhaftesten atmosphärischen Bedingungen auf diese Weise über eine Milliarde Menschen hätten getötet werden können! Allein die Fabrik in Brzeg Dolny (Dyhernfurth) lieferte 1.000 t pro Monat – nach den Worten eines dort arbeitenden Ex-Häftlings eine geradezu „schwindelerregende“ Menge. Wie bereits erwähnt, war das Hauptproblem das fehlende „strategische Trägersystem“, das diese abstrakten Parameter bei Friedensverhandlungen in konkrete Argumente hätte verwandeln können.

Eine Landkarte, die als Anlage dem in diesem Kapitel beschriebenen Bericht beigefügt war – darauf wurden Orte markiert, die mit den „Geheimwaffenprogrammen“ verknüpft waren, wobei vieles nicht sonderlich genau eingetragen wurde. Überraschend ist die Tatsache, dass sich auf der Karte fast überhaupt keine interessanten Einrichtungen in Niederschlesien befinden! Sollte etwa bereits im September 1944 die interalliierte Zensur funktioniert haben? Ein interessantes Detail ist der Name „Riesengebirge“, der normalerweise ein Teilgebirge der Sudeten bezeichnet, es kann sich aber auch um den Riesen handeln. In diesem Fall besitzt jedoch das Stichwort auf der Landkarte kein Äquivalent in Form einer Meldung im Bericht. Das ist eine Ausnahme bei diesem Bericht, bestätigt jedoch die Regel, dass in den Quellen der westlichen Nachrichtendienste das Thema Riese wie ein Tabu behandelt wird – es existiert einfach nicht. Es ist schwer zu glauben, dass es sich um ein Versehen handelt, schließlich geht es um eines der größten Rüstungsvorhaben des Dritten Reiches im Jahr 1944. Vor einiger Zeit äußerte ein Beamter des Geheimdienstes während einer Unterhaltung die Meinung, dass solche erheblichen Einschränkungen deshalb vorgenommen wurden, da die strategische US-Führungsanlage unter dem Cheyenne Mountain dem Riesen nachgeahmt war. Sein Plan lässt tatsächlich gewisse Ähnlichkeiten erkennen – auch dort wurden die Tunnels von verschiedenen Seiten des Massivs aus gebohrt, und das „Zentrum“ befindet sich unter dem höchsten Berg, wo unter einer natürlichen Gneiskuppel riesige Hallen gebaut wurden. Es handelt sich natürlich um eine Hypothese, obwohl die Tatsache bestehen bleibt, dass keine Informationen über den Riesen offen gelegt werden. (NARA)

Das alles führte zu einer Situation, in der die Deutschen wenigstens theoretisch die feindlichen Armeen noch 1945 hätten aufhalten können! Das erwähnte „Problem“ wurde von mir bereits in Band II beschrieben. Insgesamt betrachtet hingen die Schwierigkeiten auch damit zusammen, dass das Dritte Reich nicht in der Lage war, seinen Luftraum zu beherrschen. In dieser Lage hätten irgendwelche „Teilschläge“ die Alliierten nur zu Flächenbombardements provoziert – diesmal unter Einsatz von chemischen und biologischen Waffen (die Amerikaner planten, zwei Millionen Stück biologischer Bomben herzustellen!). Es ist belanglos, dass sie veraltet waren und sich hinsichtlich ihrer Wirksamkeit nicht wesentlich von den aus der Zeit des Ersten Krieges bekannten Kampfstoffen unterschieden; sie hätten auch so die Vernichtung bewirkt. Der deutsche Plan hätte nur dann Sinn, wenn es eine reale Drohung gebeben hätte, auf die Hitler mit einem geballten und totalen Vergeltungsschlag oder eher Zweitschlag antworten konnte, der unmöglich aufzuhalten und nicht nur auf die europäische Kriegsbühne beschränkt gewesen wäre. Die Deutschen brauchten kurzum eine strategische Waffe, die genauso wie die V2 schwer zu treffen wäre, und bei der man sich

vor den Folgen ihrer Anwendung nicht hätte schützen können. Dann wären die Alliierten nicht mehr an einer Eskalation dieser neuen Konfliktphase interessiert gewesen, da unabhängig davon, was sie gemacht hätten, ihre Verluste inakzeptabel gewesen wären.

Dr. Otto Ambros – Leiter des „Sonderausschusses C“ im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion, der für die Vorbereitung eines chemischen Krieges verantwortlich war - hier beim Prozess in Nürnberg. (Archiv)

Insgesamt betrachtet wurden „moderne“ Mittel, die das Nervensystem lähmten, nur in ausgewählten Einrichtungen hergestellt. Im Gegensatz zu Kernwaffen beanspruchte jedoch ihre Produktion nicht annähernd so viele Ressourcen. Dabei wäre zu betonen, dass die Fabrik in Brzeg Dolny (Dyhernfurth) als die wichtigste galt. Für diese Aufgabe wurden auch die Werke in Gendorf / Bayern und in Ammendorf bei Halle ausgewählt. Im Rahmen großangelegter Vorbereitungen für einen chemischen Krieg, wurde 1944 damit begonnen, noch eine weitere, bereits existierende Fabrik für Giftkampfstoffe entsprechend zu adaptieren, die sich im mehrere dutzend Kilometer östlich von Berlin gelegenen Falkenhagen in der Nähe von Seelow befand. Es handelte sich dabei um eine große und sehr moderne Einrichtung, obwohl sie bereits 1938 gebaut worden war. Sie beanspruchte mehrere oberirdische Gebäude sowie einen Komplex unterirdischer Bunker mit einer Gesamtfläche von etwa 15.000 Quadratmetern (unter der Erde). In Falkenhagen wurde bisher der ätzende N-Stoff (ClF3) hergestellt. Nach der „Transformation“ sollte es hingegen zum wichtigsten (wenn nicht zum einzigen) Werk im Reichsgebiet werden, das massenhaft Sarin herstellen sollte. Laut einigen Quellen konnte die Produktion nicht mehr aufgenommen werden, obwohl dies im Widerspruch zur Aussage Speers steht, die weiter unten abgedruckt wurde.

Das alles führte zur Herstellung von insgesamt mindestens 10.000 t von Stoffen, die lähmend auf das Nervensystem wirkten, darunter mindestens 155.000 Bomben und 9.000 Artilleriegeschosse, die mit Tabun gefüllt waren. Diese Beschreibung bezieht sich ausschließlich auf die „unstrittigen“ Produktionsmengen in Einrichtungen, die nach dem Krieg entsprechend identifiziert werden konnten; die weiter unten angegebenen nachrichtendienstlichen Informationen deuten jedoch eindeutig darauf hin, dass darüber hinaus auch Produktionswerke existiert haben könnten, die gegenwärtig unbekannt sind! Ich war natürlich nicht der Erste, der auf die Existenz dieser „supermodernen“ chemischen Waffen im Dritten Reich aufmerksam geworden ist. Die meisten Autoren vernachlässigen jedoch die Tatsache, dass parallel zur Produktion selbst auch Operationspläne und Trägersysteme entwickelt werden mussten. Genau das war auch der Fall, wovon eine Reihe bisher „vereinzelter“ Fakten zeugt (die neuen werden an anderer Stelle dieses Kapitels genannt). Professor Mieczysław Mołdawa, der aufgrund seiner Beschäftigung in der sogenannten „Technischen Kanzlei“ des Konzentrationslagers Groß-Rosen (das an vielen niederschlesischen Projekten beteiligt war) Zugang zu vielen einzigartigen Informationen hatte, behauptete z. B., dass der deutsche Vorstoß in die Tabunfabrik nach Brzeg Dolny ein etwas anderes Ziel hatte als allgemein angenommen. Zur Erinnerung: Nachdem die Russen den Betrieb besetzt hatten, bekam eine Kommandoeinheit der Wehrmacht den Auftrag, in das Hinterland der sowjetischen Truppen vorzudringen und das erwähnte Ziel wenigstens für ein paar Stunden in ihre Gewalt zu bringen. In einem von mir durchgeführten und auf Film aufgezeichneten Interview sprach Professor Mołdawa nicht nur über die Notwendigkeit, die Vorräte dieser Stoffe zu vernichten, sondern vor allem über das Leeren des Panzerschranks, in dem sich die streng geheimen Pläne für die neue Kriegsphase befanden!

Otto Ambros im Jahre 1945. (Archiv)

Dass es solche Pläne gab, konnte man schon „zwischen den Zeilen“ des in diesem Band abgedruckten Kapitels über Panzerabwehrwaffen lesen. Im vorigen Band wurde eine Aussage von Reichminister Speer abgedruckt, in der er den Ausdruck „überstürzte Vorbereitungen“ (für die neue Kriegsphase) benutzte und Tabun als „eine der Wunderwaffen des Dritten Reiches“ bezeichnete. Anfang der 1980er Jahre wurden im Westen einige Quellen zu diesem Thema offen gelegt. Die britische Sunday Times schrieb damals:28 „Hitler wollte wie ein wagnerianischer Krieger in seiner bayerischen Festung sterben und nur Wüste um sich zurücklassen. Er wollte seine Feinde mittels einer Gaswolke kampfunfähig machen und jedes Leben ringsum vernichten.“ Eine glaubwürdige und zugleich wichtige Bestätigung für solche Pläne ist die Tatsache, dass praktisch alle Hauptquartiere Hitlers sowie die in den Bergen gelegenen industriellen Kommandofestungen (der Riese-Komplex in Thüringen) in der Endphase des Krieges einerseits unter Berücksichtigung der Möglichkeit des Überstehens eines vergleichbaren (bzw. atomaren) Gegenschlages gebaut wurden, andererseits aber auch Zusammenhänge mit deutschen Massenvernichtungswaffen sichtbar sind. Dieses Konzept ist bei den folgenden Einrichtungen zu erkennen: 1. Thüringen – in der Gegend um das Jonastal wurde ein monströses Konglomerat von Kommandoeinrichtungen der Zentralebene errichtet, die tief in die Berge ausgehauen wurden (S-4, Amt 10 und Jasmin). Schon als unterirdische Einrichtungen waren sie viel besser geschützt als z. B. die früheren Bunker bei Kętrzyn (Rastenburg), daneben fällt jedoch der Zusammenhang mit deutschen Massenvernichtungswaffen auf –

möglicherweise in Form eines Arsenals, das der „Festung“ selbst zugeordnet war. Dorthin (nach Stadtilm) wurden auch die wichtigsten Kernforschungslaboratorien verlegt, außerdem wurden im Talgebiet nach dem Krieg die gefährlichsten chemischen Waffen gefunden.29 2. Das Gebiet um den Riese-Komplex in Niederschlesien kann als eine zweite Festung angesehen werden, in der es eine Verbindung zwischen dem Kommandozentrum unter dem Schloss in Książ (Fürstenstein) und dem Industrie- und Forschungszentrum gab, zu dem das Eulengebirge selbst, Ludwikowice (Ludwigsdorf), eine Einrichtung unter dem zweiten Schloss in Książ sowie Strugholds Forschungseinrichtung für strategische Waffen in Szczawno Zdrój (Bad Salzbrunn) zählten. Auch hier fallen einerseits die Wahl eines ungewöhnlich harten Gesteins und die Unterbringung des Zentralsektors des Riese-Komplexes unter einer natürlichen Gneiskuppel mit einem etwa 200 m hohen Abraum auf, andererseits gibt es auch hier eine Verbindung zu deutschen Massenvernichtungswaffen. Es gibt zwei glaubwürdige Zeugen, die das behaupten – u. a. der erwähnte Professor Mołdawa. In einem vor wenigen Jahren gegebenen Interview sprach er von einem chemischen Waffenarsenal. Es gehörte zu den strategischen Waffen, denen der Komplex gewidmet war. Ein Auszug aus diesem Interview wurde in Band II abgedruckt.31 Der zweite Zeuge, der Informationen praktisch aus erster Hand lieferte, war Dr. Jacek Wilczur.32 Anfang der 1960er Jahre erforschte er im Auftrag der Hauptkommission für die Untersuchung der nationalsozialistischen Verbrechen eine zum Riese-Komplex gehörende unterirdische Einrichtung, die sich etwas weiter südlich (und unterhalb) der bekannten „Osówka“-Anlage befindet, und in der Pioniere, die die Maßnahmen absicherten, wiederum radioaktive Erzreste fanden. Behauptungen, die ähnliche Zusammenhänge suggerierten, wurden auch von Anton Dalmus, dem ehemaligen Hauptenergetiker des Komplexes geäußert. 3. Den neuen Trend (1944) beim Bau von Kommandoeinrichtungen auf Zentralebene repräsentiert auch ein unterirdischer Bunkerkomplex in Pullach bei München. Da er fertig gestellt wurde, ermöglicht er es, Elemente zu beobachten, die z. B. beim Riese-Komplex oder beim S-4 noch nicht vorhanden waren. Direkt nach dem Krieg wurde er von

alliierten Offizieren untersucht, die vom technischen Niveau, den er repräsentierte, schockiert waren. Am meisten waren sie jedoch von den ungewöhnlich modernen antichemischen Schutzeinrichtungen überrascht, die sie zum ersten Mal sahen.30 In ihrem Bericht erwähnten sie die Ausstattung des internen Belüftungssystems mit einer Klimaanlage (damals stellte das ein gewisses Phänomen dar). Das ganze System erzeugte einen Überdruck, was in Verbindung mit einem modernen Aggregat, das eventuelle toxische Dünste chemisch neutralisierte (!), das Weiterbestehen der Anlage auch beim Einsatz der neusten chemischen Waffen „zeitlich praktisch unbegrenzt“ ermöglichte, wie im Bericht vermerkt wurde. Es gab auch einen Raum zur chemischen Dekontamination verseuchter Personen samt geeigneten Anzügen. Man sieht also zweifelsfrei, dass Hitlers skeptische Einstellung bzw. Unentschlossenheit, die noch im Sommer 1943 zu beobachten waren, eine grundsätzliche Umwertung erfuhren. Wir müssen uns dabei vergegenwärtigen, dass es sich nicht nur um Bedenken wegen eines alliierten chemischen Angriffs handeln konnte. Die Alliierten wussten nämlich von den deutschen Errungenschaften auf diesem Gebiet, und sie wären sicherlich gedanklich in der Lage gewesen, diese Errungenschaften zumindest mit den V2-Raketen in Verbindung zu bringen, vor denen es keine Verteidigungsmöglichkeiten gab. Die Vorbereitungen des Dritten Reiches auf einen geballten chemischen Krieg konnten nur seinen eigenen offensiven Operationsplänen entspringen und sich aus der Tatsache ergeben, dass es der einzige Bereich war, in dem Deutschland gegenüber den Alliierten eine vernichtende Überlegenheit besaß. Es handelte sich um ein geradezu ungeheuerliches Arsenal. Wie war also Hitlers Einstellung zu diesem Thema? Zunächst drückte sie sich in einem optimistischen Interesse aus, das umso größer wurde, als sich die Tendenz zur Verschiebung der Ostfrontlinie nach Westen immer mehr abzeichnete. Am 15. Mai 1943 berief Hitler eine Konferenz in der Wolfsschanze in Ostpreußen ein, zu der er u. a. Dr. Otto Ambros, den Leiter des „Sonderausschusses C“ im Speer-Ministerium vorlud, der für die Vorbereitung des chemischen Krieges verantwortlich und zugleich Mitglied der Geschäftsleitung des I. G. Farben-Konzerns war.27 Hitler verlangte eine vollständige Aufklärung, ob ein entsprechendes Arsenal auch von den

Alliierten eingesetzt werden könnte. Er soll dann die Frage gestellt haben: „Was tut die andere Seite mit dem Gas?“. Ambros sagte nach dem Krieg bei den Nürnberger Prozessen aus, er habe Hitler absichtlich in die Irre geführt, um der Entfesselung solch einer zerstörerischen Kriegsphase vorzubeugen. Er soll gesagt haben, dass der Feind wegen des „besseren Zugangs zum Ethylen wahrscheinlich über bessere Möglichkeiten verfügt, Senfgas herstellen zu können“. Der Führer soll ihn unterbrochen und betont haben, dass es ihm nicht um traditionelle Giftstoffe ginge: „Ich verstehe, dass diejenigen Staaten, die Erdöl besitzen, eine größere Menge produzieren können, die Deutschen haben jedoch ein spezielles Gas – Tabun, worauf wir in Deutschland ein Monopol besitzen“. Ambros nahm ein ziemlich riskantes Spiel auf, indem er behauptete, das Produktionsgeheimnis für Tabun wäre noch vor dem Krieg in den Westen gelangt. Er fügte hinzu: „Wenn die Deutschen Tabun einsetzen, müssen sie damit rechnen, dass es von den Alliierten in noch größerer Menge hergestellt wird.“ Daraufhin verließ Hitler angeblich das Treffen. Ich wiederhole: Dieser Bereicht beruht ausschließlich auf den Nachkriegsaussagen eines Menschen, der den Tod vermeiden wollte. Er wäre wahrscheinlich hingerichtet worden, wenn er zugegeben hätte, dass er die entsprechenden Vorbereitungen geleitet hatte – was ja der Fall gewesen war! Seine Aussagen klingen nicht besonders glaubhaft, insbesondere weil laut Ambros Informationen durch offizielle deutsche Vorkriegspublikationen durchsickerten, die Produktionsspezifikationen enthalten haben sollen. Solche Behauptungen – wenn sie tatsächlich aufgestellt wurden – wären insofern riskant, als dass es solche Publikationen gar nicht gab. Dennoch hatte Hitler keinen Grund, solchen „entmutigenden“ Beteuerungen Glauben zu schenken. Er verfügte über einen ganzen nachrichtendienstlichen Apparat, der bestätigte, dass die Alliierten (und die Russen) von phosphorsäureesterbasierten Waffen nicht die blasseste Ahnung hatten.27 In Wirklichkeit erfuhren sie davon erst nach dem Krieg: Die Russen hinkten auf diesem Gebiet besonders weit hinterher. Ich kann mich im Übrigen an einen russischen Dokumentarfilm erinnern, in dem jemand erwähnte, dass es in Moskau während des Krieges einen Betrieb zum Befüllen chemischer Munition gab, in dem verkrüppelte Kinder arbeiteten, die giftige Flüssigkeiten mit Teekesseln eingossen! Alle zwei Wochen wurden die Arbeitskräfte ergänzt. Am 1. März 1944 warnte Dr. Ambros Hitler angeblich ein weiteres Mal,

ohne sich vorher vergewissert zu haben, ob die Alliierten nicht doch an Stoffen arbeiten könnten, die das Nervensystem lähmen. Und wieder klingt das nicht besonders glaubhaft, da ungefähr zu dieser Zeit die Vorbereitungen im Dritten Reich intensiviert wurden und Ambros seinen Posten behielt. Der Vorbereitungsumfang ist u. a. klar an den weiter unten abgedruckten Informationen zu erkennen. Bevor ich jedoch zur Vorstellung neuer Informationen aus den Dokumenten übergehe, möchte ich noch auf die obenerwähnte geheimnisvolle Episode des Zweiten Weltkrieges zurückkommen: den Vorstoß einer Kommandoeinheit nach Brzeg Dolny, was auch die Beschreibung der Fabrik selbst (die eine Schlüsselbedeutung einnahm) mit einschließt. Mit dem Bau des erwähnten Betriebes, der den Decknamen Hochwerk trug, wurde 1940 unter Zuhilfenahme von 120 französischen Kriegsgefangenen begonnen. Bald wurden sie von etwa 800 italienischen Arbeitern und 80 deutschen Spezialisten unterstützt, die den Status „u.k.“ – „unabkömmlich“ bekamen. Das bedeutete, dass diese Personen zu „Geheimnisträgern“ wurden und z. B. nicht mehr in die Reihen der Armee zurückkehren konnten. Später wurden Außenlager des KZ Groß-Rosen mit den Namen Dyhernfurth I und Dyhernfurth II gebaut. Zuerst hielten sich dort nur mehrere hundert Häftlinge auf, mit der Zeit wurden sie jedoch ausgebaut und beherbergten in der Spitzenperiode mindestens 2.500 Menschen. Hier ein Zitat aus einem entsprechenden Artikel zu diesem Thema:27 „Die Häftlinge arbeiteten in einer separaten Halle, zu der Drittpersonen nur einen eingeschränkten Zugang hatten. Die Geheimhaltungsstufe war so hoch, dass die das Lager beaufsichtigenden SS-Wächter trotz verfahrensmäßiger Erklärungen zur Geheimniswahrung die Häftlinge nicht bei der Arbeit beobachten konnten. Während dem Abladen der Geschosshüllen, die bereit zur Gasbefüllung waren, wurden um die Waggons hohe Wandschirme aufgestellt. Zur isolierten Fabrikhalle, in der die Geschosse befüllt wurden, wurden dicke Rohre verlegt, mit denen das Gas aus Behältern zugeführt wurde [Tabun war eine Flüssigkeit]. Die Rohre, in denen die Reaktionen abliefen, wurden mit Quarz und Silber bedeckt. Die Räume, die zur Produktionsfertigstellung dienten, waren durch Wände aus doppeltem Glas abgeriegelt, zwischen denen ein Überdruckluftpolster aufrechterhalten wurde. Die Türen und

Fenster der Halle wurden luftdicht verschlossen; zu Ventilationszwecken wurde durch im Boden platzierte Kanäle Luft in das Halleninnere geblasen, die durch sehr hohe Schornsteine zugeführt wurde. Die Räume wurden periodisch mit heißem Dampf und Ammoniak desinfiziert [eher entgiftet]. Um die Sicherheit der Gastransporte zu gewährleisten, wurden in der Betriebstischlerei die beim Transport beschädigten Kisten repariert und Dichtstoffe vorbereitet, um die fertigen Gasträger in den Waggons zu fixieren. Weiter gab es einen Stand zur Gasbefüllung der Bomben, einen Raum zum Befüllen von Artilleriegeschossen und Glasbehältern sowie Markierungs- und Kontrollstände. Das hergestellte Gas wurde in einem Bunkermagazin gelagert, das an das Produktionsgebäude angrenzte. Das flüssige Tabun wurde durch Maschinen in die Geschosse eingefüllt, und ein Teil der Produktion wurde aus der Fabrik mit Zisternen weggeschafft. […] Bis zum Kriegsende entstanden noch zwei von der SS verwaltete [Fabriken], die monatlich etwa 500 t des ätzenden ,N-Stoffes‘ (Chlortrifluorid) produzierten. Oberst Ochner beschrieb das neue Gas als so stark und außergewöhnlich wirkungsvoll, dass nur durch die Anwendung der ,Grünkreuzmaske‘, die vor den stärksten Gasen schützt, der Tod vermieden werden könnte. Als er das sagte, wusste er nicht, dass Tabun und Sarin so ätzend sind, dass auch die Verwendung der besten Gasmaske nicht viel hilft, wenn man sich in einer Gaswolke befindet. Die große Gasfabrik mit dem Decknamen ,Hochwerk‘ besaß auch eine unterirdische Tochterfabrik in Krapkowice (Krappitz) in Form einer Halle, die zum Befüllen von Artilleriemunition mit Gas diente.“ Im oben erwähnten Zitat taucht ein interessantes und wenig bekanntes Motiv auf, und zwar die Verwaltung der Produktion von chemischen Waffen durch die SS, das zum Inhalt eines der weiteren Kapitel bezüglich der Übernahme der Kontrolle über die vielversprechendsten Rüstungsbereiche durch Himmler beigetragen hat. Es wäre daher lohnenswert, dieses Motiv näher zu beleuchten. Kurzum ist das obige Beispiel nicht das einzige, das dieses Phänomen illustriert. Im Falle dieses Rüstungsbereiches sind die Verbindungen zur SS besonders deutlich, auch wenn vollständige

Informationen fehlen. 1. Solche Einrichtungen wie z. B. der Riese oder auch andere unterirdische Fabriken befanden sich in der Regel unter SS-Aufsicht (Kammler), schon alleine aus dem Grund, weil sie eben unterirdisch waren. Darüber hinaus fielen die Arbeitskräfte (Häftlinge) in die Kompetenz der SS. 2. Das Gleiche gilt für Orte, die sich mit Trägersystemen (strategischen Waffen) befassten. Der Zement-Komplex in Österreich, der der Erforschung und Produktion von Interkontinentalraketen dienen sollte, war Kammler unterstellt. Auch das Forschungsteam in Pilsen, das an neuen Antriebslösungen für strategische Waffen arbeitete (weiter unten beschrieben), unterstand dem technischen Amt des SSFührungshauptamtes (SS-FHA), also der SS. Die damit verbundenen, in Niederschlesien durchgeführten Arbeiten, die im vorigen Band beschrieben worden sind, waren auch eine Domäne der SS, obwohl eine Zusammenarbeit mit der Luftwaffe stattfand. 3. Reichsminister Speer erwähnte in seinem „Sklavenstaat“ die Ambitionen Hitlers in diesem Bereich. Bezeichnend ist der folgende Auszug:33 „Aber im Falle des [bereits erwähnten] N-Stoffes handelte es sich für Himmler letztlich darum, die Produktion des Nervengases Sarin in die Hand der SS zu bringen. Sarin war unser modernster Kampfstoff, der die Wirkung aller bisher produzierten Kampfgase um ein mehrfaches übertraf [etwa zweimal stärker als Tabun, aber weniger stabil und schwieriger herzustellen]. Zudem gab es gegen ihn keine Abwehrmöglichkeit, weil die damals bekannten Gasmasken und Filter ohne Schutzwirkung blieben. Sarin konnte daher eines Tages ein gewichtiger Faktor zumindest der Erpressung in einem innerdeutschen Machtkampf zwischen Wehrmacht und SS sein. Nach dem 20. Juli [nach dem Hitler-Attentat] waren solche Überlegungen nicht mehr als absurd anzusehen. Das Heer hatte im Frühjahr 1944 die Produktion des N-Stoffes abgelehnt; dieser war angeblich eine nicht löschbare chemische Brennmasse, ähnlich dem sagenhaften ‚griechischen Feuer’. Anfang 1944 hatte daraufhin Hitler festgestellt, dass er sich entschlossen habe, sowohl die Erprobung als auch die Produktion des N-Stoffes der SS zu übergeben. Ich wies Hitler darauf hin, dass der Betrieb einer chemischen Fabrik nach Möglichkeit innerhalb der

gesamten chemischen Produktion bleiben müsse. Hitler änderte seine Meinung. Er wolle aber [immer noch] ‚dem Reichsführer-SS den Auftrag geben, eine Erprobung und Begutachtung des N-Stoffes vorzunehmen und erst danach mit mir zusammen [es müsste wohl „ohne mich“ heißen!] entscheiden, ob die Produktion des N-Stoffes in unseren Händen bleibt’. Am 7. Juli 1944 ließ Hitler den Chef des Heeresstabs, General Buhle, nochmals befehlen, dass ‚durch Reichsführer-SS beschleunigt weiter Versuche mit N-Stoff durchgeführt werden’. Drei Wochen später sprach ich Hitler auf die Absichten der SS an, kurzerhand den noch nicht erprobten N-Stoff zu produzieren: ‚Ich habe damals den Führer davon überzeugt, dass eine Übernahme der Produktion durch die Waffen-SS zunächst nicht durchgeführt werden solle, sondern dass es genüge, wenn die WaffenSS die Erprobung des N-Stoffes übernehme. Ich halte es auch heute für verfehlt, wenn die Produktion des N-Stoffes von der Waffen-SS übernommen wird. Denn die für die laufenden Neuerungen im chemischen Prozeß notwendigen Fachkräfte hat nun einmal in Deutschland nur IG-Farben. […] Ich kann der Übernahme der Produktion von Falkenhagen [die Fabrik wurde einige Seiten vorher beschrieben] durch die Waffen-SS auch deswegen zunächst nicht zustimmen, weil neben und in Verbindung mit der N-Stoffanlage, eine entscheidende Kampfstoff-Anlage errichtet ist. Eine doppelte Betriebsführung erscheint nicht tragbar. Der in Falkenhagen erzeugte Kampfstoff Sarin ist der wertvollste und modernste aller Kampfstoffe und hat die sechsfache Wirkung aller bisherigen Kampfstoffe. […] Von einer Übernahme der Fertigung des N-Stoffes durch die SS sprach Hitler nicht mehr. Aber trotz des negativen Berichtes der höchsten SS-Fachinstanz [im Hinblick auf den Kampfnutzen des NStoffes] hatte die SS zur gleichen Zeit die wegen der Sarin-Produktion wertvolle Fabrik in Falkenhagen kurzerhand in Besitz genommen.“

Im Sommer 1944 traten die Vorbereitungen der Reichsbevölkerung auf einen chemischen Krieg in ihre totale Phase ein. (AKG)

4. Himmler wollte zweifelsfrei eine Schlüsselrolle beim chemischen Krieg spielen, der gerade in Vorbereitung war, und in den ja große Hoffnungen auf die Rettung des Dritten Reiches gesetzt wurden. Diese Tendenz war nicht nur auf der Zentralebene sichtbar, sondern vor allem dann, wenn wir uns die vielen kleineren Vorhaben ansehen, die weitab von Berlin verwirklicht wurden und von denen Speer, der eifersüchtig über seinen Einflussbereich wachte, nicht einmal wissen musste. Ein solches Beispiel „in der Fläche“ stellte das Forschungszentrum in Lubiąż (Leubus) dar. Laut zahlreichen Berichten wurde dort an einer Massenvernichtungswaffe geforscht, darunter an einer biologischen und chemischen. Interessante Beschreibungen finden sich in den Publikationen von Sukmanowska und Anna Lamparska. Aus einem Buch der letzteren Autorin stammt das folgende Zitat:34 „in der Luft war ein seltsamer Geruch zu spüren, der die Lunge und die Augen reizte, wie ein Gas …“ In einem Zeugenbericht war von unterirdischen Räumen die Rede, in denen Deutsche in weißen Kitteln arbeiteten, auch Glaswände waren vorhanden, die wir bereits von der Fabrik in Brzeg Dolny kennen. Direkt nach dem Krieg wurden in einem der Gebäude im nahe gelegenen Krzydlina Wielka (früher: Groß Kreidel) u. a. kleine Phiolen oder eher Ampullen gefunden, die an Glasbehälter für Infusionslösungen erinnerten, jedoch kleiner waren. Da die neuen Einwohner von Lubiąż mit einer Plage von Ratten zu kämpfen hatten, die „aus dem Nichts“ an vielen unerwarteten Stellen auftauchten, kam irgendwann einmal jemand auf die Idee, in die Löcher, aus denen die Nager kamen, jeweils ein paar von diesen nutzlosen, da unbeschrifteten Ampullen, hineinzuschmeißen (sie waren lediglich mit farbigen Streifen versehen). Es musste sich um ein wirksames Mittel gehandelt haben, da

auf diese unerwartete Weise nicht nur die Ratten, sondern auch Hunde und Katzen ausgerottet wurden (sogenannte „phosphorsäureesterbasierte Giftkampfstoffe“, die im nahegelegenen Brzeg Dolny an der Oder (Dyhernfurth) hergestellt wurden, führten zu ernsthaften Vergiftungserscheinungen bereits in Dosen von tausendsten Teilen eines Milligramms; auch eine kleine Ampulle mit einer Tabun- oder Sarinlösung hätte deshalb in einem großen aber geschlossenen Gebäude alle Lebewesen töten können). Alles deutet darauf hin, dass sich auch diese Einrichtung unter der Kontrolle der SS befand. 5. Es sei ergänzend angemerkt, dass die SS durchaus nicht nur das chemische Arsenal übernehmen wollte. In Pokrzywno (Nesselstadt) gab es die einzige bedeutende Forschungseinrichtung des Dritten Reiches im Bereich biologischer Waffen – auch sie wurde von der SS geleitet! Angeblich deshalb, weil die Wehrmacht nichts mit Menschenversuchen zu tun haben wollte. Ein weiteres Element stellen die weiter unten beschriebenen Arbeiten aus dem Bereich der Kernforschung in Tschechien dar. Sie wurden unter solcher Geheimhaltung verwirklicht, dass sogar Speer nicht nur eine sehr nebelhafte Vorstellung von ihrem Charakter hatte, sondern – wie er nach dem Krieg zugab – geradezu nichts von der Existenz eines SS-Spezialamtes wusste, dem diese Forschungsteams unterstellt waren33 (SS-Führungshauptamt, Amtsgruppe „A“ – T.Amt VIII FEP), und auf das wir natürlich noch zurückkommen werden.

Titelseite eines britischen nachrichtendienstlichen Berichts über Tabun – die Alliierten wurden sich erst nach dem Krieg bewusst, über welch ein tödliches Arsenal der Gegner verfügt hatte. (NARA / BIOS)

Diese wenig bekannten Fakten berechtigen zur Aufstellung der These, dass, falls das Dritte Reich tatsächlich sein (existierendes!) Massenvernichtungswaffenarsenal einsetzen wollte – was keine allzu ferne Perspektive war – es sich größtenteils um einen „SS-Krieg“ gehandelt hätte. Es ist nicht schwer, dabei zu dem Schluss zu kommen, dass, wenn die SS das chemische Arsenal (samt eventuellen anderen Massenvernichtungswaffen) übernommen und im strategischen Maßstab angewendet hätte, sie zweifelsohne zur dominierenden Kraft nicht nur im Deutschen Reich selbst, sondern vielleicht auch auf der ganzen Welt geworden wäre! Die Bedeutung der Vorbereitungen auf einen chemischen Krieg bestätigt im Übrigen in gewissem Sinne der bereits erwähnte Überraschungsangriff des deutschen Spezialkommandos vom Februar 1945 auf die Fabrik in Brzeg Dolny. Ich möchte noch einmal auf den bereits zitierten Artikel zurückkommen, in dem eine ausgezeichnete Beschreibung dieses interessanten Vorfalls zu finden ist:27 „Die Russen besetzten Dörfer und Ortschaften, ohne die weiträumige Umgebung abzusichern. Sie besetzten lediglich Schlüsselpositionen und beobachten das Gelände für den Fall, dass ein Gegenangriff notwendig würde. Die deutschen Fronteinheiten in dieser Gegend bestanden aus gemischten Gruppen von Veteranen, Soldaten, die die Verteidigung der Weichsellinie überstanden hatten, des Deutschen Volkssturms und der HJ. Alle waren mit allen notwendigen Waffen ausgerüstet, in Kampfbereitschaft versetzt und zum Mitwirken in operativen Teams gut geeignet. Die Aufklärungstruppen meldeten wiederum, dass die feindlichen Stellungen sehr leicht zu bewältigen waren. Diese Meldungen wurden sehr schnell bestätigt, als der General mit zwei Truppenoffizieren sich dem Fluss näherte. Aus einem leichten russischen [sowjetischen] Maschinengewehr wurde hinter dem Fluss sofort das Feuer eröffnet, wobei die zwei Offiziere verletzt wurden. Der General fuhr mit den Aufklärungsmaßnahmen fort, wobei er langsam zu seiner Stellung zurückkehrte. Er beobachtete die verminte Brücke, die auf der deutschen Seite direkt über dem Treibeis, das sich auf dem

Wasser auftürmte, in Fetzen hing. Auf ,ihrem‘ Ende der Brücke stellten die Russen auf beiden Seiten zwei 20 mm-Maschinengewehre [eher Maschinenkanonen] auf. Der nächste sichtbare und um weitere 200 m entfernte Verteidigungsposten befand sich hinter den Gewehren. Das Gelände dazwischen war wahrscheinlich vermint. Gleich dahinter bog die Eisenbahnlinie scharf nach links in Richtung Dyhernfurth [Brzeg Dolny] ab. An dieser Stelle zweigte eine Versorgungslinie ab, die direkt zur Fabrik führte. Das war eine sehr gute Methode, damit sie bei Dunkelheit von Leuten gefunden werden konnte, die sich nicht im Gelände auskannten. Viel hing von einer leisen und schnellen Beseitigung der russischen Besatzung beider Gewehre ab … […] Der jüngste General der deutschen Armee [Sachsenheimer], der von den Soldaten sehr geschätzt und respektiert wurde, und mit denen er oft die Strapazen der Januaroffensive von Puławy bis nach Breslau erduldet hatte, kam nach selbstmörderischen Sturmangriffen der Infanterie gegen die kein Ende nehmenden Attacken der russischen Panzer in die Nähe der Oder und der Festung Breslau, um das Kommando über die Festung Glogau [Głogów] zu übernehmen, die mehrere dutzend Kilometer von Dyhernfurth entfernt lag. Am 3. Februar bestellte Oberst Knüppel, der Stabschef der 4. Panzerarmee, den General zu einem Treffen ins Hauptquartier nach Lubań (Lauban). Der Überraschungsangriff auf die Fabrik in Brzeg sollte unbedingt ganz und gar erfolgreich abgeschlossen werden. Der Oberst schilderte ihm alle bekannten Details und ordnete an, unverzüglich mit der Operationsplanung zu beginnen, wobei er den folgenden schriftlichen Befehl übergab: ‚Einen Stoßtrupp zur Durchführung eines Überraschungsangriffs auf die chemische Fabrik in Dyhernfurth bilden. Die Operation hat zum Ziel, einem Offizier für chemische Kriegsführung samt zivilen Freiwilligen, zwei Wissenschaftlern und 18 Arbeitern dieser Fabrik die Gelegenheit zu bieten, das dort gelagerte geheime Giftgas zu vernichten. Diese flüssigen Stoffe befanden sich hinter der feindlichen Front in unterirdischen Tanks. Die Ingenieure haben vorgeschlagen, die Substanz in die Oder zu pumpen, was unter Zuhilfenahme der Fabrikpumpen und -anlagen einfach sein sollte. Weiterhin hat die

Heeresgruppe befohlen, die übrig gebliebenen Chemikalien unidentifizierbar zu machen. Die Sprengung der Tanks ist weder praktikabel noch ratsam. Sie kann Konsequenzen für das am Überraschungsangriff beteiligte Personal haben, und es wäre möglich, dass eine ausreichend große Substanzmenge übrig bleibt, die der Feind später analysieren könnte. Danach sollte der Sturmtrupp das ganze übrige Material und die neun Lagerbunker mittels Sprengstoff zerstören. Die Menge der zurückgelassenen Substanzen könnte für eine spätere Evakuierung zu groß sein.’ In der Zwischenzeit wählte das Generalkommando entsprechende Einheiten aus, die zur Durchführung der Operation benötigt wurden. In der Nähe der Eisenbahnbrücke begaben sie sich sofort in ihre Ausgangsstellung. Das Generalkommando versprach auch zusätzliche Einheiten und Spezialwaffen. Am Überraschungsangriff sollten zwei Fallschirmjägerkompanien, zwei 88-mm-Kanonenbatterien und eine Pionierkompanie mit 81 Sturmbooten teilnehmen. Der General war sich dessen bewusst, dass die Mission gelingen musste, obwohl er eines fürchtete: Er kannte die von ihm kommandierten Einheiten überhaupt nicht. Er war auch über die Anwesenheit von Zivilisten besorgt, die nicht zu einem solchen Einsatz passten. Er konnte nur beten, dass die Russen, die auf der anderen Fluss-Seite das Schloss besetzt hielten, so lange wie nur möglich betrunken blieben. Er überprüfte seine Entscheidungen ein weiteres Mal und wandte sich mit einer neuen Idee an die Kommandostelle der 4. Panzerarmee, ohne auf die Berichte zu warten. Die Kommandostelle akzeptierte seine Pläne und man einigte sich darauf, keine Fallschirmjäger aus der Luft abzusetzen, sondern sie als Reserve näher an das Ausgangsgebiet zu bringen. Vom AOK-4-Stab wurde diese Nachricht an das Hauptquartier telegrafiert. Major Joos und sein Landetrupp schwammen in völliger Stille und im Schutz der Dunkelheit unter der Brücke hindurch und liquidierten lautlos die russischen Maschinengewehrstellungen. Sie konnten die Minen auf beiden Seiten der Brücke vermeiden und liefen dann bereits als Trupp am Scheitel des Bahndamms entlang, um gleich danach die nächste russische Stellung anzugreifen. Die Russen waren vollkommen überrascht und ergaben sich wortlos. 65 min ab dem Beginn des

Angriffs arbeiteten die Fabriktechniker und Experten für chemische Waffen an der Inbetriebnahme der Generatoren und Werkspumpen. Die Arbeit ging schneller vonstatten als erwartet. Um die Fabrik herum waren Geräusche zerstreuter Kämpfe zu hören. Erst um 13 Uhr kamen die Russen dahinter, warum sie die Deutschen hier so verbissen bedrängten. Einen Augenblick später starteten sie einen konzentrierten Gegenangriff. Von Seifersdorf her formierten sich aus nördlicher Richtung 18 Panzer (ein paar T-34, meistens T-52) zu einem Keil in der Form des Buchstabens ,V‘. Der General entschied, dass er zu wenig Zeit habe, um die Panzerabwehrkanonen von jenseits des Flusses zu verlegen, deshalb stellte er am Ufer zwei Hetzer auf, die gleich damit begannen, die russischen Panzer zu beschießen. Die zurückkehrenden deutschen Vorposten brachten den maskierten Blockadeeinheiten [Panzerabwehruntereinheiten] Informationen über die angreifenden Panzer und legten neue Ziele für sie fest. Das Panzerjagdkommando verteilte sich entsprechend für den Einsatz. Alle Panzerjäger waren Freiwillige, an denen es bei der Armee immer fehlte. Für einen zerstörten Panzer stand ihnen eine Woche Urlaub zu. Die Wirksamkeit der Panzerjäger war bei Kriegsende beträchtlich. Mittels eigens entwickelter Methoden konnte ein Großteil von ihnen viele Panzer im Rahmen eines einzigen Zusammenstoßes zerstören. Diesmal verwandelte sich nach kurzer Zeit das Gelände nach dem Panzerangriff in eine brennende und rauchende Landschaft, die durch beide Seiten besetzt war. Alle Fahrzeuge kamen zum Stillstand. Vor Anbruch des Abends erschienen von Kranz her weitere sieben Panzer, die ununterbrochen den zur Fabrik führenden Bahndamm beschossen. Ein Sieg der Russen wäre mit dem Scheitern des Einsatzes verbunden gewesen und hätte zur Folge gehabt, dass allen an der Operation beteiligten Einheiten der Rückzugsweg abgeschnitten worden wäre. Die Russen kamen schließlich dahinter, worum es genau ging, und was zu tun war, um die Zerstörung der Fabrikanlagen zu verhindern. Genau für diesen Fall wurden in der Nähe der Brücke die 88 mm-Kanonen aufgestellt. Die Rohre hoben sich über die Flussdeiche empor und zerstörten rasch fast alle auf den Bahndamm schießenden Panzer, indem sie sie auf eine vorher eingestellte Entfernung von 500 – 700 m

ununterbrochen beschossen. Nur einer drehte um und floh in Richtung der rettenden Baumgrenze. Dieser kurze, außergewöhnlich wirkungsvolle Beschuss lähmte die Russen völlig, die auf alle weiteren Angriffe verzichteten. Allmählich verstummten die Kämpfe um die Fabrik, überall lagen tote Soldaten, und Panzer brannten in der winterlichen Abenddämmerung. Die Teilnehmer des Überraschungsangriffs bereiteten sich auf den Rückzug vor, indem sie die Ausrüstung, die Verletzten und einige wenige tote Kameraden mitnahmen. Die Operation wäre ein voller Erfolg geworden, wenn es nicht zu einem Unfall in der Fabrik gekommen wäre. Die Pioniere bereiteten die Sprengladungen vor, als ein Druckbehälter mit Gasresten platzte, die mehrere Soldaten und Zivilisten bespritzten, wodurch diese sofort erblindeten. Das Hauptquartier hielt die ganze Zeit über eine Direktverbindung mit den in der Fabrik arbeitenden Personen aufrecht! Marschall Schörner verlangte persönlich, dass General Sachsenheimer ans Mikrofon kommt. Sicherlich wollte er ihm Erfolg wünschen bzw. ihn an die Bedeutung der Operation erinnern. Der General ignorierte unterdessen den Befehl und beaufsichtigte mit zwei Wissenschaftlern den Operationsfortschritt. Dann bat er einen Adjutanten, sich hinter eine Schreibmaschine zu setzen und die Meldung zu verfassen, dass das ganze Gas samt wichtigem Material und Dokumenten ordnungsgemäß ,gesichert‘ wurde. Dieses Dokument wurde von zwei an der Operation beteiligten Professoren unterschrieben. […] Die von der Kommandostelle versprochenen Fallschirmjäger sind nie gekommen, auch nicht als Reserve. Die vor Wut schäumenden Russen steckten das Schloss Dyhernfurth und die umliegenden kirchlichen Gebäude in Brand, die eine Bibliothek von unschätzbarem Wert beherbergten.“ Das war im Februar 1945, als das Dritte Reich bereits dem Untergang geweiht war. Gehen wir jedoch zum „Höhepunkt“ der Vorbereitungsphase auf den chemischen Krieg zurück. Von ihrem bisher unbekannten Ausmaß zeugt sehr gut die Anzahl der Einrichtungen, die in dieses strenggeheime Räderwerk eingespannt waren. Die auf den folgenden Seiten vorgestellten Informationen stammen aus dem bereits zitierten ausführlichen Bericht des amerikanischen Nachrichtendienstes und wurden größtenteils noch nie bisher

veröffentlicht.26 Es lohnt sich im Übrigen, die in der Einleitung zu diesem Bericht dargelegten Schlussfolgerungen nochmals zu unterstreichen: „Ermittlungsergebnisse, Punkt 6: Die Herstellung von Giftgasen läuft auf Hochtouren und erfolgt dezentral.“ Und: „Ermittlungsergebnisse, Punkt 3: Die Vorbereitungen für den (sowohl defensiven als auch offensiven) Einsatz von chemischen Waffen sind sehr weit fortgeschritten.“ Beginnen wir mit einer Liste der Orte, oder eher mit einer Ergänzung der bisher bekannten Informationen: Garmisch-Partenkirchen Chemische Vorbereitungen in Zusammenhang mit der fliegenden Bombe wurden durch die chemischen Werke in dem genannten Ort verwirklicht. (Quelle: Alliierte Regierungen, London, #2036. 29.07.1944. S.) Gelsenkirchen Um die Jahreswende 1943/44 wurde ermittelt, dass es dort eine Abschussrampe für unbemannte Flugzeuge gibt. (Quelle: Alliierte Regierungen, London, #2036, 29.07.1944. S.) Vorher wurde gemeldet, dass in der Fabrik zwischen Gelsenkirchen und Essen irgendwelches Gas produziert wird. (Quelle: Alliierte Regierungen, London, #1501. 18.04.1944.) Die unten stehende Meldung muss keinen direkten Zusammenhang mit chemischen Waffen, sondern mit ihren Trägersystemen haben: München – Bayerische Motoren Werke, Werk Nr. 1. Das Werk stellte 400 Triebwerke im Monat her, wobei die Gesamtproduktion im Deutschen Reich etwa 12.000 Stück im Jahr betrug. […] Versuche eines neuen Triebwerks mit einer Leistung von 35.000 PS werden durchgeführt. Es trägt die Bezeichnung BMW-806 und soll als Antrieb eines ,Superflugzeugs‘ eingesetzt werden, das sich der US-Küste nähern und eine Roboterbombe abwerfen soll. […] Das BMW-Werk Nr. 1 wurde völlig zerstört, die Produktion wurde ins

Werk Nr. 2 in München-Allach verlegt. (Quelle: ein Telegramm aus Stockholm an das State Department. 02.09.1944. Johnson, Minister. S.) Tilleur (Belgien) – Angleur-Athus-Werke Diese am linken Ufer des Flusses Meuse at Tilleur gelegenen Werke wurden durch die Deutschen übernommen. Sie wurden zu einer wichtigen Einrichtung zur Herstellung von Flüssigluft. Die Anlagen befinden sich über und unter der Erde, erstrecken sich auf einer Länge von etwa 1 km und liegen zwischen den Brücken in Seraing und Ougree – sie beginnen etwa 750 m östlich der Seraing-Brücke. (Quelle: OSS, SO-1257. 02.08.1944. Klassifizierung: B-2, S.) Diese Werke befassen sich mit der Befüllung von Bomben mit toxischen Gasen bzw. mit Flüssigluft. (Quelle: OSS, SR-796. Februar 1944. Eine glaubhafte belgische Quelle, C.) Tannwald (Tschechoslowakei) – unter dem Aspekt der weiteren Kapitel eine besonders wichtige Meldung! Teile für die deutsche Geheimwaffe werden in Tannwald hergestellt. Die genaue Lage des Betriebes ist noch nicht ermittelt worden. Bei der als V3 [?] bezeichneten Waffe soll es sich um einen Lufttorpedo handeln, der einen Brandstoff versprüht. Das Sprühgerät wird durch die Skoda-Werke in Pilsen hergestellt. (Quelle: Alliierte Regierungen, Bericht Nr. 2232. 18.08.1944. Klassifizierung: C-3. Tschechoslowakischer Nachrichtendienst. S.) Kommentar: Es ist relativ wahrscheinlich, dass es hier tatsächlich um eine Rakete ging (vielleicht die V2, sie wurde oft als Lufttorpedo bezeichnet), während sich hinter dem „Sprühgerät“, das im Falle einer großen Rakete keinen besonderen Sinn ergeben würde, etwas verbergen könnte, was beim Militär als „Verteileranlage für chemische Waffen“ bezeichnet wird. Das ist insofern wichtig, als aus anderen Quellen der Zusammenhang zwischen der Einrichtung in Pilsen und strategischen Waffen bekannt ist! Wieder geht es um eine SS-Einrichtung. Wenn die Erwähnung der vorher unbekannten Forschungsarbeiten in der nahe gelegenen Tschechoslowakei jemanden neugierig gemacht haben sollte,

so habe ich eine gute Nachricht: Das vorliegende Buch ist größtenteils genau diesem vergessenen Aspekt des Krieges gewidmet. Die Tschechoslowakei war nämlich auf eine besondere Weise mit der Entwicklung deutscher Strategiewaffen verknüpft, und chemische Waffen stellten die wohl wichtigste Komponente dar! Anvers (Belgien) Am 17. Juni 1944 erhielt die Garnison in Anvers neue Gasmasken. Der Atemschutzfilter ist wie folgt aufgebaut: Anti-Arsenik-Papierfilter [?], in 2 mm-Schichten eng gefaltet; Metallscheibe; drei Aktivkohleschichten – 20, 20 und 18 mm-Scheiben [?]. (Quelle: Alliierte Regierungen, Bericht Nr. 1931. 20.07.1944, aus einem Bulletin des belgischen Militärnachrichtendienstes Nr. 203.) Berlin / Dahlem – Kaiser-Wilhelm-Institut Dieses Institut führt ununterbrochen Forschungsarbeiten auf allen Gebieten der Physik und Chemie sowie im Bereich der damit verbundenen Wissenschaften durch, ist größtenteils unabhängig und wird von Prof. Planck geleitet. Es setzt sich aus vielen Abteilungen zusammen, einige davon sind geheim und stehen unter besonderem Schutz. Eine Abteilung sei laut Aussage eines deutschen Kriegsgefangenen zweifellos für chemische Waffen zuständig. Das Institut ist mit zahlreichen Einrichtungen und Laboratorien sehr verstreut, der Kriegsgefangene konnte jedoch keine genauen Standorte nennen. (Quelle: Bericht des Militärattachés in London, Nr. 70675. 21.07.1944. Verhör des Kriegsgefangenen, S.) Brünn (Tschechoslowakei) – Waffen Union Brünn Dieses Werk bekam ein Schreiben aus Deutschland über die Möglichkeiten der Herstellung von mit Gas befüllten Fernlenkraketen. (Quelle: Bericht des Militärattachés. Alliierte Regierungen, Nr. 1995. 27.07.1944.) Cakovica (Tschechoslowakei) Produziert Rümpfe für die Arado-96B und montiert Triebwerke. Seit Anfang 1944 bis zum März wurden 8.000 trichterförmige Gehäuse

hergestellt. Sie besitzen einen 50 mal 50 cm großen quadratischen Sockel und einen Abschluss mit Öffnung, der 50 cm vom Sockel entfernt ist. Sie wurden gebaut, um einem Druck von 40 atm standzuhalten, und es wird vermutet, dass sie zur Freisetzung von Gasen oder Flüssigkeiten eingesetzt werden sollen. Beschäftigte: 5.000 – 6.000 Arbeiter. (Quelle: OSS #2297, 19.07.1944: ,Die Rüstungsindustrie in der Gegend von Prag‘. Die Information ist auf Ende März 1944 datiert. Glaubwürdigkeit unbekannt.) Tschechoslowakei Die Informationen deuten auf Kampfgastransporte mittels der Eisenbahnlinie Wien – Moravská Ostrava hin. Es wurden Anweisungen über Schutzmaßnahmen erteilt, nach denen die Gefahrenzone bei einer Explosion 2 -3 km von der dem Wind zugekehrten, und 20 km von der dem Wind abgekehrten Seite umfassen wird. (Quelle: Alliierte Regierungen, Nr. 2089. 05.08.1944. C. Klassifizierung: C-3.) Děčín / Tetschen-Bodenbach (Tschechoslowakei) Dort befinden sich große Kampfgasfabriken. (Quelle: S&I Div. 4 S.C. PFI-2. 01.03.1944.) Fürstenberg [in der Nähe von Gubin / Guben] In dieser Stadt (52° 07’ N. – 14° 40’ E) befindet sich eine Gasfabrik, die ein intensives Produktionsprogramm verwirklicht. (Quelle: Bericht aus CP&M Br. BX-94. 24.08.1944. Die Information stammt aus einer Quelle, die als sehr glaubwürdig eingestuft wird und sich auf dem durch den Feind besetzten Gebiet befindet. Sie umfasst den Zeitraum vom 13.4. bis zum 30.07.1944.) Hamburg (Deutschland) Vorbereitungen auf einen chemischen Krieg. Prof. Keeser vom Institut für Pharmakologie der Universität Hamburg hat ein neues Rundschreiben über Verteidigungsmaßnahmen im Falle eines chemischen Krieges vorbereitet, den alle Doktoren erhalten haben. Darin werden Lewisit, ein Gelbringmittel, Phosgen, ein

Gelbkreuzmittel und Stickstoffloste [?] erwähnt. (Quelle: OSS, ohne Datum. Bericht RB-18121.) Hochpyrenäen Es wird gemeldet, dass Giftgas in dieser Region hergestellt wird. Daher werden Anstrengungen unternommen, um weitere Informationen zu erhalten. (Quelle: Übersicht der nachrichtendienstlichen Meldungen über chemische Waffen, Bericht Nr. 7. 20.06.1944.) Kolín (Tschechoslowakei) Dort gibt es Betriebe, die Natriumcyanid herstellen (das als Grundstoff zur Herstellung von Giftgasen verwendet wird). Der Direktor der nahe gelegenen Kaliumwerke in Kolín ist Deutscher. (Quelle: FS / S&ID 6SC. Bericht Nr. 1675. 29.07.1944. S.) Landsberg Auf dem Gelände der örtlichen Betriebe befindet sich ein Labor, in dem alle Arten von infektiösen Mikroorganismen untersucht und gezüchtet werden, um mit ihnen V2-Sprengköpfe zu befüllen. (Quelle: OSS. SO-1524. 12.08.1944. Britische Quelle.) Diese Meldung war möglicherweise nur zufällig im Bericht über chemische Waffen enthalten, sie ist jedoch äußerst interessant. Sie erinnert mich an eine Geschichte, die der unermüdliche Forscher Kordaczuk vom Regionalmuseum in Siedlce einmal beschrieb – er befasst sich mit Orten, an denen Probeaufschläge von V1- und V2-Geschossen in der Gegend um Siedlce erfolgt waren, die aus der Region um Blizna abgefeuert wurden. Er stellte mir vor einiger Zeit Fragen zum folgenden Thema: Zahlreiche Krater im Feld, die aufgrund der Raketenaufschläge entstanden waren, hatten einen Durchmesser von bis zu mehreren dutzend Metern, füllten sich in der Regel nach einiger Zeit mit Wasser und bildeten künstliche Teiche. Die Landwirte konnten auf diese ungewöhnliche Weise Tränke für das Vieh gewinnen, die in der ganzen Gegen verstreut waren. In den Jahren direkt nach dem Krieg wurde jedoch ein Ort von einer seltsamen Epidemie heimgesucht, die große Viehherden niederstreckte. Eine Veterinärinspektion traf ein, die damit begann, Trinkwasserquellen für Tiere zu überprüfen. Auch eine Probe aus einem

runden „Teich“ wurde genommen. Daraufhin stellte sich heraus, dass er mit einer Suspension von Milzbranderregern gefüllt war! Man darf gespannt sein, ob es auch eine chemische Version des V2-Sprengkopfes gab – es besteht nämlich kein Zweifel, dass solche Sprengköpfe für die V1 hergestellt wurden. Marpingen Die chemischen Werke in Marpingen stellen Kampfgase her. (Quelle: OSS, RB-17949. 21.08.1944. C-3, C.) München-Allach Das BMW-Werk Nr. 1 wurde völlig zerstört, die Produktion wurde ins Werk Nr. 2 in München – Allach verlegt. Dort werden Versuche mit einer unbekannten Giftgasart durchgeführt. (Quelle: Stockholm an das State Department. 02.09.1944. Johnson, Minister. S.) Kommentar: Eine interessante Verbindung! Es handelt sich doch um dasselbe Werk, das im Kontext eines nicht näher bezeichneten strategischen Marschflugkörpers erwähnt wurde, mit dem die Deutschen vorhatten, die USA anzugreifen! Und was die „unbekannte Giftgasart“ betrifft: Tabun und Sarin waren den Alliierten damals nicht bekannt. Neuberg (Deutschland) In Neuberg gibt es ein Spezialtrainingsgelände, auf dem Reservisten der Infanterie unter Bedingungen ausgebildet werden, die während eines chemischen Krieges herrschen. Zur Anwendung kommt Senfgas und ,Weißkreuz‘. Das Gegengift gegen das Letztere ist Losantinoasta. ,Weißkreuz‘ dörrt Pflanzen aus – sie werden weiß. (Quelle: OSS, ohne Datum. Org. Bericht RB-18121.) Pardubice / Pardubitz (Tschechoslowakei) Kampfgasfabrik. (Quelle: S’I Div. 4 SC. PFI-2. 01.03.1944.) Pieve Vergonte (Italien) Die Fabrik ,Rumianca‘ in Pieve Vergonte (D-5729) stellt große Mengen an Giftgasen her. Es handelt sich dabei um eine Flüssigkeit vom Typ

FT, die an der offenen Luft verdunstet. (Quelle: OSS. 21.08.1944. Originalbericht: J-2193. Klassifizierung: B3.) Radebeul – Firma Heyden Ein Vertreter (P. Prosch junior) stellte im November 1938 fest, dass der Betrieb Tag und Nacht Kampfgase produziert. Das Gas ist so stark und durchdringend, dass es die in allen Ländern verwendeten Gasmasken völlig nutzlos macht. Die Firma Heyden hat früher Chemikalien und pharmazeutische Erzeugnisse zur allgemeinen Anwendung hergestellt. (Quelle: 9SC. Nr. 280. 31.08.1944.) Vilbel (bei Frankfurt am Main) In ,Jilbel‘ (wahrscheinlich Vilbel) befindet sich eine große chemische Fabrik, die angeblich medizinische Produkte herstellt. In Wirklichkeit liefert sie jedoch ausschließlich Kampfgase. Es gibt dort nur eine Fabrik, deshalb kann ein Irrtum leicht ausgeschlossen werden. (Quelle: OSS. SO-1524. 12.08.1944. Britische Quelle.) Zámky (Tschechoslowakei) – Pyrotechnische und Munitionsfabrik Ing. F. Janecek GmbH. Dieses Unternehmen, dessen Kapital 200.000 Kronen beträgt, besitzt ein Munitionswerk in Prag und eine Fabrik für pyrotechnische Stoffe am Stadtrand von Zámky. Früher war sie an der Produktion von Raketen, Feuerwerkskörpern und Signalgeräten für das Militär beteiligt. Es wird vermutet, dass auf ihrem Gelände Sprengstoffe gelagert werden. Die Fabrik liegt in einem Tal über Moldau [Vitava, mehrere dutzend Kilometer von Pilsen entfernt] und ist zwischen Hügeln versteckt. Aus der Luft ist lediglich eine Reihe von eingeschossigen Holzgebäuden zu sehen. Die Quelle betont, dass es sich dabei um einen der größten Gasmaskenhersteller in der ganzen Tschechoslowakei handelt, der von der Produktionsmenge her nur mit den Bata-Werken in Zlín nicht mithalten kann. (Quelle: P. Albert Klauber, Speedry Products Corp. 19 Rector Street NY. Chemieingenieur und tschechoslowakischer Bürger. NY MID

12488. 14.01.1944.) Zlín (Tschechoslowakei) – die Firma Bata Im Gebäude Nr. 34 werden Endstücke für Giftgaswerfer hergestellt [der Text ist unklar und enthält sicherlich einen Fehler: ,muzzle attachments for gas bomb throwers‘ – er suggeriert, dass es sich um Verteileranlagen für Flugzeuge handelt, obwohl aus dem weiteren Kontext hervorgeht, dass es um mobile Werfer geht]. Der Gasbehälter wird auf dem Rücken getragen. Das komprimierte Gas wird auf eine Entfernung von 50 m ausgestoßen [!] und hat einen Streuungsbogen von 28 m [Wieder eine unklare Formulierung: „dispersal arc of 28 m“]. Das Gas kann durch den Wind nicht zurück herbeigeweht werden, da es verwirbelt ausgestoßen wird [siehe Kapitel „Wirbelwaffen“]. Die Gasart konnte nicht ermittelt werden. (Quelle: OSS. A-31218. 01.06.1944. Tschechische Quelle, London.) Vorarlberg (Österreich) Ende September [1944] bekamen fünf Werke in Vorarlberg eine Bestellung für eine halbe Million Gasmasken. Das ist das Fünffache ihrer Monatsproduktion. Es wird vermutet, dass nur für 10 Prozent der deutschen Bevölkerung Gasmasken vorhanden sind. (Quelle: Der Militärattaché in Bern. Nr. 1736. 09.09.1944.)

Originalzitate der Meldungen aus dem nachrichtendienstlichen Bericht der Alliierten. Sie enthüllen das bisher unbekannte Ausmaß der deutschen – offensichtlich fieberhaften – Vorbereitungen auf einen chemischen Krieg. (NARA)

Karlsruhe Die Vorbereitungen auf einen möglichen Einsatz von Lewisit dauern an [durch die Gegenseite]. Achthundert Parteimitglieder wurden am 3. September 1944 auf einem speziellen Unterweisungskurs in Karlsruhe versammelt. (Quelle: Der Militärattaché in Bern. Nr. 1736. 09.09.1944.) Die weiteren im Bericht enthaltenen Meldungen beschreiben keine konkreten Orte mehr, sondern die Gesamtheit der Vorbereitungen auf einen chemischen Krieg – sie sind erheblich interessanter!26 Der durch das NBC überwachte britische Rundfunk hat berichtet, dass polnische Patrioten über die Verwendung von ,Gasgranaten‘ durch die Deutschen während der Kämpfe in der polnischen Hauptstadt zu melden begonnen haben. [Kommentar: In der Tat warfen SS-Einheiten solche Granaten in die Kanäle, durch die die Aufständischen aus den umkreisten Stadtregionen flüchteten. Die Gasart ist unbekannt.] (Quelle: AP, London. 30.08.1944.) Die Herstellung von Gasmasken hat in Deutschland zurzeit die höchstmögliche Priorität, obwohl sie bisher nur den dritten Platz eingenommen hat. Diese Information stammt direkt von einem Beamten aus einem Werk, das Masken liefert. Er fügte hinzu, dass sein Werk innerhalb des letzten Jahres die Produktion um 100 Prozent gesteigert hat. [Kommentar: Das ist ein starkes Indiz dafür, dass tatsächlich fieberhafte Vorbereitungen auf eine chemische Offensive

getroffen wurden, wie Speer behauptete. Eine der weiteren Meldungen enthält noch schockierendere Zahlen!]. (Quelle: OSS. RB-18014 (pt). 22.08.1944.) Hans Lazar, der Presseattaché der deutschen Botschaft in Madrid hat behauptet, dass das Dritte Reich besiegt werden könnte, es jedoch alles tun wird, damit sowohl die inneren wie äußeren Feinde dafür den höchstmöglichen Preis bezahlen, wozu auch die Konsequenzen eines chemischen Krieges zählen. (Quelle: ein Telegramm aus Madrid an das State Department – 30.08.1944. Botschafter Hayes.) Fehlbestand an Gasmasken bestätigt. Die durch die NS-Frauenschaften hergestellten N.J. Atemschutzmasken werden zurzeit überreicht. (Quelle: Bern an das State Department. Nr. 5778. 02.09.1944.) Eine als ,Kampfstoffisches Werkblatt für Ärzte‘ betitelte Broschüre ist in den letzten Tagen an alle deutschen Ärzte verschickt worden. Sie beschreibt Erste-Hilfe-Maßnahmen – es werden Verletzungen durch Phosgenacetat, Lewisit, ,Loste‘ und ,Gelbringmittel‘ besprochen [also Stoffe, die den Alliierten zur Verfügung standen]. Alle lokalen Gemeinschaften, die eine bestimmte Größe übersteigen, sollen ,passive Gegenwehr‘ für den Angriffsfall üben; die massenhafte Gasmaskenproduktion wurde befohlen. (Quelle: Minister Johnson. Stockholm an das State Department. 02.09.1944. S.) Laut italienischen Wirtschaftskreisen haben Beauftragte des deutschen Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion mehrere chemische Fabriken besucht, die in Norditalien immer noch funktionieren, und streng geheime Bestellungen aufgegeben. Informanten, die diese Informationen geliefert haben, haben von Vorbereitungen Deutschlands auf einen chemischen Krieg gesprochen. (Quelle: Telegramm – Bern an das State Department. Nr. 5771. 02.09.1944.) Am 25. August hat die Libera Stampa berichtet, dass die Deutschen eine große Bestellung für Chlor und Aktivkohle bei der italienischen Industrie aufgegeben haben, die mit großangelegten Vorbereitungen auf

einen chemischen Krieg und der Produktion von Gasfiltern in Verbindung steht. (Quelle: Telegramm – Bern an das State Department, Nr. 5592. 26.08.1944.) Der türkische Sicherheitsdienst beruft sich auf einen Redakteur der Zeitschrift Vakit, der geschrieben hat, dass die Deutschen alle Anstrengungen unternehmen werden, um ihre Grenzen zu schützen. Es wird erwartet, dass verschiedene Arten von Gasen [chemischen Waffen] und anderen Vernichtungsmitteln eingesetzt werden, wenn das deutsche Kriegssystem dieses neue Stadium erreicht. (Quelle: FCC – täglicher Bericht. 10.–13.07.1944.) Die Staatsführung hat allen Bürgern des Deutschen Reiches befohlen, an obligatorischen Vorträgen über entsprechende Verhaltensweisen bei Gasangriffen teilzunehmen. Diese Vorträge sollen von Kreischemikern in allen Städten Süddeutschlands gehalten werden – Berichte von der deutschen Grenze sind am 11. August offen gelegt worden. (Quelle: N.Y. Times, 12.08.1944. Bern / Schweiz.) Die Deutschen versorgen alle Fabriken und andere Arbeiter mit Gasmasken. Geheimnisvolle Kisten, deren Inhalt eindeutig mit chemischen Waffen in Verbindung steht, werden an die Front geschickt. Laut früheren Berichten arbeitet die deutsche Industrie an der schnellstmöglichen Ausführung einer Bestellung für 60 Millionen Gasmasken. Bis zum 25. Juli sollte die ganze Bevölkerung des Deutschen Reiches mit ihnen versorgt sein, verschiedene Probleme haben jedoch die Verwirklichung dieses Programms verzögert. (Quelle: Zürich, Fernschreiben. 17.08.1944.) Ein bisher glaubwürdiger Informant hörte vom Direktor der chemischen Industrie, dass negative Berichte von I. G. Farben und anderen chemischen Firmen über den künftigen chemischen Krieg eingetroffen waren. Obwohl bestimmte Ergebnisse mit Cyanwasserstoff erzielt wurden, sind die Deutschen nicht in der Lage, ein wirkungsvolleres Gas herzustellen. Es ist nicht möglich, eine Massenproduktion von komplizierten Ventilen und Tanks aufzunehmen. Auch die Experimente mit Mikroben endeten in einem Fiasko. [Es handelt sich hierbei um eine

offenkundige und absichtliche Fehlinformation, die die Wachsamkeit des Gegners einschläfern und von Einrichtungen ablenken sollte, die mit den Vorbereitungen in Verbindung standen, da sie Ziele von eventuellen Luftangriffen hätten darstellen können! Die Deutschen kamen nämlich nicht nur mit der Massenproduktion von Tabun und Sarin problemlos zurecht, sondern hatten auch bereits im Herbst 1944 ausreichende Vorräte dieser Mittel, um den Alliierten den entscheidenden Stoß versetzen zu können – einen Engpass gab es nur bei der Verfügbarkeit von strategischen Trägersystemen! Auch die Herstellung von Behältern oder Ventilen stellte überhaupt kein Problem dar! Cyanwasserstoff wurde im Übrigen nie als eventuelle chemische Waffen in Erwägung gezogen – dafür gab es einfach keine Notwendigkeit.] (Quelle: OWI – offizielles Telegram. Botschaft der USA in Bern. 29.06.1944.) Laut Informationen aus dem Balkangebirge transportieren die Deutschen große Mengen von Kampfgasen aus dem Deutschen Reich nach Ungarn, um sie gegen die Sowjetarmee zu verwenden, da sie mit Entsetzen eine neue gewaltige Offensive befürchten. Es wird auf ein offizielles Dokument des Deutschen Reiches hingewiesen – am 2. Juni wurden ausführliche Anweisungen zum Transport und Umgang mit Kampfgasen veröffentlicht. (Quelle: FCCL, Radio France, Algier. 6 / 20-506A.) In Großbritannien herrscht die Meinung vor, dass Gas in diesem Krieg nur dann eingesetzt werden wird, wenn [im Deutschen Reich] die Fraktion der verzweifelten Nazis die Oberhand gewinnt, die die Macht behalten und Widerstand bis zum bitteren Ende leisten wollen. (Quelle: AP, London, 31.08.) Der Genfer Berichterstatter der Daily Mail hat sich heute auf Berichte berufen, die ,im Deutschen Reich und den neutralen Staaten kursieren‘, nach denen die Deutschen eine chemische Offensive als endgültiges Verteidigungsmittel planen. (Quelle: AP, London. 30.08.1944.) Im März 1944 bekam eine Einheit, in der ein Kriegsgefangener war,

Anweisungen über das neue ,Schwarzkreuz‘-Gas [wahrscheinlich Tabun]. Es ist farb- und geruchlos. Das Gas durchdringt die Atemschutzfilter älterer Masken, es wurden neue Gasmasken ausgegeben. (Quelle: Abteilung für Kriegsgefangene. Nr. 1318. 05.09.1944.) Laut dem Untergrund soll innerhalb von etwa zwei Wochen die Luftwaffe über der deutschen Hauptstadt in Erscheinung treten [mögliche Wortverdrehung]. Das ist in etwa der gleiche Zeitraum, der als Beginn des chemischen Krieges im Westen festgesetzt wurde [die Alliierten kannten also bereits das konkrete Datum!]. Ein wohlbekannter Kleidungsdesigner und Erzeuger [der Firma?] Geringer, der vor kurzem Stockholm besuchte, verfasste eine Information ähnlich der obenerwähnten. (Quelle: OWI, Stockholm USINFO. 02.09.1944.) Laut dem norwegischen Nachrichtendienst soll die nächste Geheimwaffe der Deutschen eine mit chemischen Waffen befüllte Roboterbombe sein [ein Marschflugkörper?]. In letzter Zeit ist es zu einer starken Erhöhung der Produktion von Gasmasken in Deutschland gekommen, und die Bevölkerung wird auf einen chemischen Krieg vorbereitet. (Quelle: Moskau, Nr. 3614. 12.09.1944. Minister Johnson.) [Kurzkommentar des Autors: Das weckt Assoziationen u. a. mit den weiter oben beschriebenen Arbeiten des BMW-Konzerns in München.] All das, was ich oben in Form von Rohinformationen aus unveränderten Primärquellen vorgestellt habe, macht einen weitgehend authentischen Eindruck. Es handelt sich immerhin um eine ungeheure Zahl von verschiedenen Meldungen aus diversen Quellen. Verglichen mit Schulbüchern lassen sie alle ein ganz anderes Bild der Vorgänge aus der zweiten Hälfte des Jahres 1944 erkennen, die sich hinter den Kulissen abspielten. Es ist klar zu erkennen, dass die Welt nur einen Schritt von einer ungeheuren chemischen Apokalypse entfernt war, die aller Wahrscheinlichkeit nach ganze Städte ausgelöscht hätte. Ein Beispiel: „Nur“ 100 t Tabun (bei einem hypothetischen Angriff auf eine Großstadt, was weniger als ein Prozent der Gesamtvorräte ausmachte) entsprechen etwa

einer Milliarde tödlicher Dosen und etwa hundert Milliarden lähmender Dosen, die zur Erblindung führen. Es sind immer noch nur sehr wenige Historiker, die sich über das Ausmaß der deutschen Vorbereitungen in diesem Bereich und ihrer besonderen Priorität im Klaren sind. Immerhin wurden zig Millionen Gasmasken zu einer Zeit hergestellt, als Gummi ein so defizitärer Werkstoff war, dass Kautschuk sogar durch U-Boote aus Ostasien hergebracht wurde! Zweifellos wären die Opfer dieser noch totaleren Kriegsphase in die Millionen gegangen! Aller Wahrscheinlichkeit nach waren es nicht Probleme mit den chemischen Waffen an sich, die zur Änderung der Entscheidungen führten, sondern das Unvermögen, sie sicher und gewissermaßen zuverlässig ins Hinterland des Gegners zu bringen – es fehlte an einem strategischen Arsenal, das es erlaubt hätte, einen geballten Angriff gegen eine Reihe verschiedener Ziele durchzuführen. Die Arbeiten auf diesem Gebiet verzögerten sich. In den genannten Plänen musste es sich um Fernziele handeln, da andernfalls zur Initiierung dieser Phase die vorhandenen Trägersysteme ausgereicht hätten – z. B. die V2-Raketen. Das erinnert mich an eine Aussage von Prof. Mołdawa, der einmal in der Technischen Kanzlei von Groß-Rosen eine Unterhaltung mithörte, in der (in dem hier besprochenen Kontext) die folgenden Worte fielen: „London, Moskau, New York …“. Damals, in der zweiten Hälfte des Jahres 1944, kamen die Anführer des Dritten Reiches zu dem Schluss, dass es ihnen nur so gelingen würde, den Gegner in die Knie zu zwingen. Ich muss zugeben, dass sogar aus der heutigen Perspektive diese Ansicht begründet erscheint. Es erinnert mich auch an die im ersten Band erwähnte Verlegung von deutschen Agenten in die USA im Jahr 1944, die mit Fernsteuerungssendern ausgerüstet waren. Im Kontext der Vorbereitungen auf eine strategische Offensive (d. h. auch gegen die USA) bin ich dem Argument begegnet, dass das Dritte Reich über Fernsteuerungssysteme für Waffen mit einer solchen Reichweite gar nicht verfügte. Dieses Argument ist jedoch nicht sonderlich zutreffend. Ein Trägheitsnavigationssystem, das z. B. beim Sprengkopf der V2-Rakete eingesetzt wurde, konnte einen „Gegenstand“ mit einer Abweichung von mehreren dutzend Kilometern befördern. Eine präzise Fernsteuerung auf dem Endflugabschnitt hätte hingegen problemlos ein Empfänger übernehmen können. Er könnte Signale von einem Bodensender empfangen, der im Zentrum der Stadt von einem Agenten zurückgelassen

worden wäre. Es gab Sprengköpfe, die sich auf ein Schiffsradarsignal aus einer Entfernung von über 100 km ausrichten konnten. Es lohnt sich, diesen Abschnitt bei der Lektüre der weiter unten abgedruckten Beschreibung über Pilsen im Gedächtnis zu behalten, wo Arbeiten an einem fortschrittlichen Antrieb für die deutschen strategischen Waffen koordiniert wurden! Das sind jedoch noch nicht alle neuen Informationen über die Vorbereitungen des Dritten Reiches auf die Entfesselung eines chemischen Krieges! Wie bereits erwähnt, handelte es sich bei den strategischen Trägersystemen um den entscheidenden, jedoch nicht den einzigen Faktor. Auch Waffen, mit denen Angriffe in taktischem Umfang hätten verwirklicht werden können, mussten berücksichtigt werden. Nach der Veröffentlichung des ersten Bandes der englischen Ausgabe der „Wahrheit über die Wunderwaffe“ (im November 2003) habe ich auf ein Echo von den dortigen Lesern gehofft, auf Informationen, die manche der Rätsel in Zusammenhang mit Geheimwaffen des Dritten Reiches lösen helfen könnten. Dieses Echo ist nicht sehr groß ausgefallen, einige interessante Signale haben mich aber dennoch erreicht. Das wichtigste davon betrifft gerade die Vorbereitungen auf einen chemischen Krieg – die Konstruktion von Raketengeschossen, die durch Unterseeboote abgefeuert werden sollten. Ich habe einen Briefwechsel mit einem Briten aufgenommen, dessen Vater als Militärangehöriger 1945 auf diese Spur gekommen war! Er heißt Keith Sanders, und er beschrieb während unserer langen Korrespondenz eine ziemlich ungewöhnliche Geschichte, die seinem Vater widerfahren war. Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich herzlich bei ihm bedanken, dass er wertvolle Informationen mit mir geteilt hat. Ich hoffe, dass die vorliegende Publikation ihm dabei helfen wird, den dargestellten Sachverhalt aufzuklären. 1945 soll sein Vater in eine unterirdische Geheimfabrik in Espelkamp in Nordwestdeutschland gelangt sein, die unter Kontrolle der SS stand. Er hat sie als MUNA bezeichnet, was einfach die Abkürzung für „Munitionsanstalt“ ist. Dort befassten sich die Deutschen mit der Befüllung der FeuerlilieRaketen mit Giftkampfstoffen, konkret mit Tabun! Die Raketen waren den bekannten Versuchsversionen, die u. a. in Band II der „Wahrheit über die Wunderwaffe“ beschrieben wurden, völlig unähnlich. Sie besaßen Festtreibstofftriebwerke, da sie von U-Booten gegen Bodenziele abgefeuert werden sollten. Es ist nicht möglich, die Authentizität dieser Geschichte

heute zu überprüfen, u. a. aufgrund der verblüffend großen Probleme, an Dokumente zu diesem Thema heranzukommen. In meinem subjektiven Empfinden handelt es sich jedoch um eine wahre Geschichte, auf jeden Fall macht Herr Sanders einen seriösen und verantwortungsbewussten Eindruck. Ich möchte einfach, dass sich die Leser ihre eigene Meinung darüber bilden. Schließlich war der ganze Fragenkomplex um die Vorbereitungen auf diese „super-totale“ Kriegsphase bis vor kurzem mit einem solchen Schleier des Geheimnisses umhüllt, dass solche ungeklärten Fragen keinen wundern dürften. Auf der anderen Seite musste – wie bereits erwähnt – die Produktion der Giftstoffe selbst sowohl durch Arbeiten an Trägersystemen als auch eine Operationsplanung begleitet worden sein – worüber wir immer noch überraschend wenig wissen (dennoch war ich darum bemüht, im weiteren Teil dieser Publikation auch auf diese Fragen zumindest teilweise einzugehen). Was die Geschichte von Herrn Sanders angeht, wird es am besten sein, wenn ich ihn selbst zu Wort kommen lasse, indem ich Auszüge seiner Beschreibungen zitiere: (21.02.2006) „[…] Diese Geschichte ist mir seit Sommer 1952 bekannt. Mein Vater starb nur wenige Monate später, er hatte seit vier Jahren aufgrund seines schlechten gesundheitlichen Zustandes gelitten. Es sollte aber noch schlimmer kommen – unser Bezirksarzt war Kommunist und einer der Anführer der Widerstandsbewegung in den Bergbautälern von Nordwales. Wir hatten den Arzt etwa 18 Monate vor dem vorzeitigen Tod meines Vaters gewechselt, als er 46 war. Damals absolvierte ich seit zwei Monaten meine fünfjährige Lehrzeit als Flugzeugtechniker bei der Gloster Aircraft Company, als ich nach Hause gerufen wurde. Nach der Demobilmachung im Jahr 1946 kehrte mein Vater zu seiner Vorkriegstätigkeit als Bahnbeamter zurück. Die Great Western Railway ermöglichte ihm, eine Tätigkeit als Neuling mit einer sechsmonatigen Vorbereitungszeit aufzunehmen, obwohl er 1923 der Bahn beigetreten war. Der Firmenleiter war es gewohnt, in der Zeit vor dem Krieg seine Ferien auf Parteikongressen in Nürnberg zu verbringen! Weihnachten 1940 – in der Euphorie der Luftschlacht um England trat mein Vater als Navigator in die RAF ein. Bald wurde ihm jedoch mitgeteilt, dass er eine reservierte Funktion übernommen hatte und es

schade wäre, wenn er seine Zeit vergeuden würde, insbesondere während des Krieges! Im August 1941 wurde er zum Dienst in die Royal Artillery einberufen, wo er zu einem Kurs für Artillerieschlepperfahrer in derselben Schule geschickt wurde, die auch sein Stiefbruder besuchte. 1943 kam jedoch die Armee zu dem Schluss, dass sie eine ausreichende Zahl von Artilleristen für diesen Krieg besaß, und mein Vater wurde in das Royal Army Ordnance Corps (RAOC) versetzt. Hier wurde er zum Munitionstechniker (technischen Offizier) ausgebildet und schließlich zum Korporal befördert. Er wurde dem 12 Base Ammunition Depot (BAD) zugeteilt und war am Bau von Munitionsdepots im Sherwood Forest beteiligt, der mit Robin Hood in Verbindung gebracht wird. 1944 führten die Deutschen eine kleine Luftoffensive gegen Großbritannien durch. Bei einem der Luftangriffe auf das Dockgelände in Tilbury kam ein RAOC-Korporal ums Leben, der seinen Dienst im Hauptquartier verrichtet hatte. Das war am 14. Februar, am Valentinstag […]. Es wurde jemand gebraucht, um seine Funktion zu übernehmen, deshalb wurde mein Vater zu einer Umschulung nach Liverpool geschickt, damit er Schiffe mit Munition beladen konnte. Eines der Schiffe, auf denen er arbeitete, war die ,Robert S. Montgomery‘ – ein Liberty-Frachter, der immer noch in der Themsemündung ruht. […] Am 29. Juni 1944 wurde die 12 BAD in die Normandie geschickt, wobei die Sektion meines Vaters nach Flixecourt-sur-Somme verlegt wurde. Sie sollte sich dort mit einem V1-Lager befassen, das in einer Fabrik auf dem Gelände eines Dorfes entdeckt worden war. Diese Arbeiten konnten erst 1945 abgeschlossen werden, wonach er sich den meisten seiner Kollegen von der RAOC-Truppe in Tamise, Belgien anschloss. Dort wartete er auf die Überquerung des Rheins durch die 21. Heeresgruppe. Der Truppenkommandeur in Tamise bekam den dringenden Befehl, eine mobile Freiwilligengruppe von Munitionstechnikern zusammenzustellen, die die Truppen der 11. Panzerdivision auf ihren Weg begleiten sollte. Der Armee fehlte es dauernd an Fahrern, insbesondere bei den hinteren Truppenverbänden. Kommandeur Oberst Pritchard beauftragte damit Hauptmann Tucker (er wurde im August

1945 mit dem DSO-Verdienstorden ausgezeichnet, und im Jahr 2000, als er bereits Major war, ist es mir gelungen ihn zu finden; er hat meine Version der Ereignisse in allen Einzelheiten bestätigt). Die Mission konnte nur dann zustande kommen, wenn sich Korporal Sanders dafür als Freiwilliger meldete – dieses Ereignis veranlasste meinen Vater später dazu, mich unentwegt davon überzeugen zu wollen, dass ich mich nie im Leben und für keinen Preis für irgendetwas freiwillig melden sollte! Die Mobilgruppe Nr. 1 überquerte den Rhein am 24. März 1944, gleich hinter den Panzern und Hilfsfahrzeugen. In dieser Anordnung rückten sie so lange vor, bis sie am 4. April um 8 Uhr morgens Boomte erreichten. Dort fand auf einem Platz die Befehlsausgabe statt. Major Bill Close vom 3. Panzerregiment unterrichtete meinen Vater über Prinzipien, wie man sich in einer Kolonne von Panzerfahrzeugen zu bewegen habe, die die leichter gepanzerten Fahrzeuge sichern sollten (was im Journal der Kampfhandlungen dokumentiert ist). Bill Close bestätigte das während eines Mittagessens, das 1998 für die Divisionsveteranen veranstaltet wurde. Die Kolonne schlug die Richtung nach Espelkamp ein, indem sie den südlichen Weg durch Levern wählte. Dieses Dorf wurde von etwa zweitausend SS-Leuten geschützt, und der Kampf dauerte fast eine ganze Woche. Die SS weitete ihre Stellungen entlang des Weges aus, um den Marsch der britischen Truppen aufzuhalten. Die ‚Comet’Panzer wählten samt vier LKWs (davon drei mit Infanterie, die nicht auf den Panzern fahren konnte) einen Seitenweg aus, etwa einen Kilometer südlich der Stadt. Deshalb stand ihnen der Weg nach Fabbensett fast völlig offen, wenn man von den mit Panzerfäusten bewaffneten Selbstmordkommandos absieht. An der nächsten Kreuzung gab es schon deutlich mehr SS-Truppen, die alle verschanzt waren. Sie schützten direkt den Zugang zur MUNA. Diese Gruppe von etwa 50 – 60 SS-Leuten (die Zahl ist geschätzt) wurde durch die Typhoons mit Streubomben außer Gefecht gesetzt. […] Mein Vater parkte bei dem Werkswachtturm [in Espelkamp] und beobachtete die Entwicklung der Lage. Eine große Zahl ausgehungerter

sowjetischer Kriegsgefangener, Verhöre und die Suche nach einem vermissten deutschen General – all das trug zu einer leicht erregten Stimmung bei. Das Fähnchen des Generals wehte immer noch an einem der fünf Fahrzeuge, die am Eingangstor standen. Einer der russischen Kriegsgefangenen sprach Englisch und machte eine Bemerkung. Ihre [genaue] Bedeutung hat mein Vater bereits vergessen, es ging allerdings darum, warum die deutsche Atombombe nicht funktioniert hatte. Das war am Mittwoch, dem 4. April 1945, um 15:10 Uhr – als sich herausstellte, dass die RAOC-Truppen die als ‚Deadly Nightshades’ bezeichneten Gegengiftspritzen erhalten sollten, um welche die dort anwesenden deutschen Wissenschaftler flehentlich baten. Mein Vater lehnte ab – er bevorzugte es, sich auf deutsche Mittel zu verlassen. Aus meinen Nachforschungen geht hervor, dass diese Spritzen auch den Kollegen meines Vaters in den nächsten Jahren nicht halfen. Ich konnte keinen finden, der das überlebt hätte. Mein Vater bemerkte, dass keiner der Offiziere die Schwelle der Chemiewaffenfabrik überschritt, in der Stoffe hergestellt wurden, die das Nervensystem lähmten. Es kann davon ausgegangen werden, dass sowohl Major Tucker als auch Oberleutnant Draper den Krieg überlebten. Was den Letzteren angeht, so gelang es mir zu ermitteln, dass er nur acht Meilen von mir entfernt in Maidenhead gewohnt hatte. Als ich versuchte, ihn im Jahr 2000 zu erreichen, erfuhr ich, dass er sich in einem Altenheim für psychisch Kranke befindet und ich ihn nicht einmal sehen durfte [es ist nicht auszuschließen, dass die Hirnschädigung durch Tabun verursacht wurde]. Schließlich stellte sich heraus, dass der Trupp es mit zwei Zügen mit ‚Feuerlilie’-Raketen zu tun hatte, die bereits zur Hälfte befüllt worden waren. Am Sonntag, dem 8. April bekam mein Vater weitere Frachtbriefe zu Gesicht. Sie betrafen drei Züge, die noch im März abgefertigt worden waren. Der letzte mit der Nr. 0126 fuhr am sechsten Tag dieses Monats ab. Diese Entdeckung sollte später höllisches Aufsehen erregen. Das ging so weit, dass mir der Zugang zu den Akten über den Dienstverlauf meines Vaters ‚unter allen Umständen’ verboten wurde. Es gehört zur Norm, dass Akten zum Dienstverlauf den nächsten

Familienangehörigen nach 20 Jahren zur Verfügung gestellt werden. Die Beschreibung ihres skandalösen Vorgehens bei dem Versuch, alles, was mit den Reisen meines Vaters zu tun hatte, zu vertuschen, würde ganze Kapitel füllen. Es gibt sehr viele Detailinformationen über die MUNA. Wie bei einem Eisberg ist auch hier nur die Spitze zu sehen. Der Uranreaktor steckte tief in der Erde und war mit Holz maskiert, was das Ganze wie eine Baustelle aussehen ließ, das übrige Werk wurde in einer Porzellanerdelagerstätte ausgehöhlt. Ursprünglich gehörte diese Lagerstätte zu den Ressourcen einer Firma, die der Familie Rosental gehörte. Als ein jüdisches Unternehmen ging es jedoch zum Eigentum der SS über. Die Erde wurde zu Schlamm verwandelt und mittels einer Pipeline im Mittlandkanal entsorgt. Dort wurde sie mittels Barken und Zügen abtransportiert, was auf Luftaufnahmen zu erkennen ist. Die von den Zwangsarbeitern geförderte Menge scheint riesig gewesen zu sein. Die Pipelineabmessungen lassen darauf schließen, dass eine Fördermenge von 1.300 t pro Stunde erreichbar war. […]“ Diese Beschreibung verleitet zu einigen Überlegungen. Eine davon ist ziemlich unerwartet und ergibt sich aus dem Schicksal sowohl des Vaters selbst als auch einiger seiner Kriegskameraden. Aus dem Bericht geht hervor, dass sie sicherlich nur geringe Dosen aufnahmen, denn sie hatten ja keine Probleme mit dem Sehvermögen und nahmen weiterhin am Kriegsgeschehen teil. Dennoch starben viele von ihnen innerhalb weniger Jahre nach diesen Ereignissen! Das ist insofern interessant (wenn man solche albtraumhaften Vorgänge überhaupt als „interessant“ bezeichnen kann), als normalerweise nur kurzfristiger Kontakt mit Giftkampfstoffen untersucht wird. Diesmal besitzen wir Daten über die langfristigen Wirkungsfolgen von geringen, wenn nicht gar winzigen Dosen. Die erwähnten deutschen Wissenschaftler waren womöglich die einzigen, die sich in Espelkamp darüber im Klaren waren – sicherlich verlangten sie nicht ohne Grund so fieberhaft nach Injektionen, obwohl der Autor in seinem Bericht keine sichtbaren Symptome erwähnt. Ich könnte mir ganz gut das folgende Szenario vorstellen: Wenn z. B. Raketen oder andere Geschosse über irgendeine Stadt mehrere Tonnen Tabun transportieren würden, dann gäbe es sicherlich eine gewisse Anzahl von Menschen, die auf der Stelle tot wären. Wesentlich mehr Menschen

wären von den Auswirkungen mehr oder weniger betroffen; sie würden sicherlich zu Tausenden blind umherirren, wie in dem vor vielen Jahren populären Science-Fiction-Roman „Die Triffids“, oder lägen halbgelähmt in ihren Kellern. Viele scheinbar gesunde Menschen wären jedoch bestimmt nach gewisser Zeit evakuiert worden. Wie jedoch der obige Bericht suggeriert, würden auch diese Menschen innerhalb weniger Jahre ernsthafte gesundheitliche Probleme bekommen und wären für den Staat als „menschliches Hinterland des Krieges“ (in einem größeren Ausmaß als man zunächst glauben könnte) verloren. Vielleicht käme es auch zu einer Epidemie psychischer Krankheiten – schließlich schädigen die betreffenden Stoffe das Nervensystem auf molekularer Ebene. Auf jeden Fall wäre das Ausmaß der Zerstörung ganz anders als bei allen bisher bekannten Szenarien. Der zweite Punkt ist die Frage nach der möglichen Existenz eines „Uranreaktors“ in Espelkamp. Durch jüngste Untersuchungen einer deutschen Forschergruppe unter der Leitung von Jörg Finkemeyer, der in dieser Region wohnt, konnte keine erhöhte Strahlung nachgewiesen werden. Bei diesem Teil der Aussage kann es sich jedoch auch um ein Missverständnis aufgrund von Gerüchten handeln, die unter den Deutschen selbst oder den Zwangsarbeitern kursierten. Es ist aber genauso möglich, dass der Bau des Reaktors erst vor kurzer Zeit begonnen hatte und der Ort deshalb wie eine Baustelle aussah. Ich vermute, dass sich dieses Rätsel nicht mehr lösen lassen wird. Keith Sanders beschrieb auch seine „Nachkriegsabenteuer“ mit den erwähnten Raketen, oder eher den Versuch, das Geheimnis der vorher unbekannten chemischen Version (Wasser-Boden-Klasse) zu lösen: (03.03.2006) „1957 war ich im College of Aeronautics in Cranfield in der Grafschaft Bedfordshire, um die Aufnahmeprüfung abzulegen und ein Eignungsgespräch zu führen. Nach der Prüfung erlaubte man uns, sich das Gelände anzuschauen, es gab dort u. a. ein wunderbares Museum, das als Unterrichtsmittel während des Studiums diente. Die Einrichtung wurde seinerzeit durch das Ministry of Supply gegründet und verwaltet. Sie enthielt eine unglaubliche Zahl verschiedener erbeuteter Ausrüstungsgegenstände – Raketen und Flugzeuge. Ich hatte eine 35 mm-Kamera bei mir und photographierte zu meiner ewigen Schande

alle möglichen Flugzeuge, jedoch keine einzige Rakete! Die ‚Feuerlilie’ war auf einem Wagen in Brusthöhe ausgestellt. Das ermöglichte es mir, das Geschoss zu berühren und mir zwei ‚Korken’, d. h. Verschlussdeckel genau anzuschauen, die den Eindruck machten, als wären sie aus nichtrostendem Stahl hergestellt. Sie sahen wie heutige Tankdeckel für die Fahrzeuge von Porsche aus. Erst später habe ich begriffen, das es kein rostfreier Stahl, sondern Silber war, das bei Kontakt mit dem binären Tabun nicht korrodierte [Bei einem „binären“ chemischen Sprengkopf vermischen sich zwei Substrate oder (häufiger) Halbstoffe erst nach dem Verlassen der Abschussrampe miteinander, was die Gefahr beim Transport und Abfeuern verringert. Es fällt auch ein wichtiges Problem weg, das bei Stoffen mit verringerter Haltbarkeit vorkommt (obwohl dies im Falle des deutschen Arsenals eher Sarin und Soman betraf – weniger Tabun). Das Geschoss kann mit „vollem“ Sprengkopf transportiert werden, und die aus Rekruten bestehende Mannschaft hat es schwerer irgendetwas zu „beschädigen“ oder ins Jenseits befördert zu werden, was z. B. beim Befüllen im Gelände der Fall sein könnte. Im Übrigen (oder eher vor allem): Sogar kleinste Probleme mit der Dichtigkeit könnten bei einem normalen Sprengkopf zur Katastrophe an Bord eines U-Bootes führen, was sich bei kontinuierlichen Luftdruckänderungen nicht ausschließen lässt!]. Als ich diese Angelegenheit 1995 für den Militärgerichtshof untersuchte, nahm ich Kontakt mit dem Leiter der Luftfahrtabteilung in Cranfield auf (heute ist es die Cranfield University). Er behauptete, dass die ‚Feuerlilie’ vor vielen Jahren an das Military College of Science in Shrivenham zurückgeschickt worden war. Dann versicherte er mir, dass sie sich zurzeit im Luftfahrtmuseum in Cosford befinde. Das ist durchaus möglich, allerdings stellt für mich die dort ausgestellte, ziemlich primitive Attrappe der ‚Feuerlilie’ nur die Bestätigung dafür dar, das etwas versteckt worden ist. Dabei darf man nicht die Maßnahmen der Wilson-Regierung im Jahr 1966 vergessen, als alle Dokumente über diese Geschichte vernichtet wurden. Das haben mir viele Quellen bestätigt. Bis zum März 1945 war die ‚Feuerlilie’ in der Version F-165, d. h. mit einer Reichweite von 165 km verfügbar, die mit einem zweistufigen

Festtreibstofftriebwerk ausgestattet war. Nach dem Verlassen des Abschussrohrs an Bord des U-Boots hoben die äußeren Hilfstriebwerke das Geschoss auf eine Höhe von 12 km empor, und die Flügel ermöglichten einen durchaus langen Flug. Dann wurden die Triebwerke der zweiten Stufe gezündet, die dank des Pulsbetriebes eine Reichweite von 160 km gewährleisteten. Danach wurde der Sprengkopffallschirm ausgeworfen, und ein barometrischer Zünder initiierte die Explosion der Azidladung auf einer festgelegten Höhe. [Laut Herrn Sanders kamen die Deutschen zu der Überzeugung, dass die Explosion eines konventionellen Sprengstoffes einen Teil der Tabunladung zerstört und entwickelten einen Spezialstoff, der weniger Wärme abgab.] […] Der Richter des Militärgerichts, der meiner Mutter im Juli 1998 schließlich die Leistungen zuerkannte, schrieb in seiner Begründung: ‚Es passiert sehr selten in der Geschichte, dass ein gewöhnlicher Soldat einen so ungewöhnlichen Einfluss auf das Kriegsergebnis ausübt.‘“ In dem von Keith Sanders eingeschickten Material gibt es noch eine weitere interessante Spur. Als Anlage eines der Briefe hat er mir die Fotokopie eines ziemlich verblüffenden Artikels zugeschickt, der in der renommierten britischen Zeitung The Times veröffentlicht wurde. Daraus geht hervor, dass 1983 das Wrack eines deutschen Unterseebootes gefunden wurde, dass sich von allen bekannten Konstruktionen unterschied! Der Verfasser des Artikels suggeriert, dass es sich um eine spezielle „Evakuierungsversion“ handelt (was hätte sie an der US-Küste zu suchen?), de facto weckt jedoch die Beschreibung eher Assoziationen mit Nachkriegsschiffen, die Träger für ballistische Raketen waren! 35 Hier einige Auszüge: „Diese Entdeckung eines bisher unbekannten deutschen Unterseebootes aus dem Zweiten Weltkrieg, das in unberührtem Zustand in den karibischen Gewässern ruht, ist ein neuer Impuls für die Theorie, dass Göring neun U-Boote in Empfang nahm, um die Evakuierung der ranghöchsten Amtsträger des Dritten Reiches zu ermöglichen [Im Falle der Arbeiten im Bereich dessen, was landläufig als strategische Waffen, die mit den chemischen Waffen in Verbindung standen, bezeichnet wird, gibt es ein gemeinsames, sich oft wiederholendes Motiv – die enge Zusammenarbeit zwischen der SS und der Luftwaffe. Die Luftwaffe wiederum organisierte keine strategischen Evakuierungen!].

Dieses Unterseeboot, das von einem amerikanischen Wrackforscher gefunden wurde, besitzt lediglich eine Bronzeplatte mit der Aufschrift ‚Hamburg, Deutschland, abgenommen im Jahr 1944’. Es gibt keine sichtbare taktische Nummer, und das Schiff zeigt keine Ähnlichkeit mit irgendeinem bekannten Konzept aus der Zeit des letzten Krieges. Auch das Imperial War Museum hat keine Informationen darüber, dass ein deutsches Unterseeboot in der Region, in der das Wrack liegt, versenkt wurde. Nachdem sich das Personal der Bibliothek mit den Skizzen der Einheit vertraut gemacht hatte, hat es bestätigt, dass ihre Silhouette ‚ungewöhnlich’ ist. Das U-Boot wurde von Roger Miklos (41) gefunden. Er leitet die Firma ‚Nomad Salvage’ mit Sitz in Florida, die sich mit der Suche nach Wracks beschäftigt. Miklos hat während der letzten Monate deutsche Museen auf der Suche nach einer Spur dieser Einheit durchstöbert. Er sagte: ‚Anfangs war ich nur an Quecksilber interessiert, das sich an Bord als Ballast befand’ [Woher wusste er, dass es an Bord war, und wieso als Ballast? Es gab viel billigere und ungefährlichere Stoffe, und die U-Boote begaben sich doch nicht auf solch gefährliche Fahrten, um Ballast zu transportieren!]. Nach mehreren Tauchgängen und einigen Untersuchungen fand er jedoch heraus, dass sich das Schiff von den bekannten Kampftypen unterscheidet. Miklos behauptet, dass es sich um eine Einheit vom Typ VIIC handelt, die während des Krieges weitgehenden Modifikationen unterzogen wurde. Keines [kein bekanntes Stück], so der Finder, besitzt jedoch so große Stabilisierungsflossen und einen Kommandoturm, der weit vor dem Mittelschiff platziert und mit dem Bug mittels einer langen Stahlstange verbunden ist [sicherlich ist der Fischnetzabstreifer damit gemeint]. Das Schiff ist 76 m lang und wiegt etwa 2.000 t. Es ruht in einer Tiefe von etwa 24 m, wird jedoch von einem Korallenriff abgeschirmt, das unter dem Rumpf eine Art natürlichen Überhang bildete. […] Miklos behauptet, es sei in einem ausgezeichneten Zustand erhalten und würde u. a. aufgrund der ungewöhnlichen Eigenschaften des hiesigen Wassers, das keine schnelle Verrostung verursache, nicht einmal Beschädigungen aufweisen. Er ist davon überzeugt, dass das U-Boot immer noch dicht ist, und dass sich in seinem Innern die Besatzung

sowie 18 Passagiere befinden [warum ausgerechnet 18?]. Die Klappen der Torpedorohre und der Kommandoturmluken sind immer noch fest verriegelt, und Untersuchungen mit dem Sonargerät zeigen, dass im Innern noch Luft vorhanden ist. […]“ Dieser Text erklärt zwar nicht viel, zeigt jedoch wenigstens, dass immer noch bisher unbekannte Geheimnisse des Zweiten Weltkrieges entdeckt werden! Die letzte Quelle, die bestimmte neue Informationen über die Vorbereitungen des Dritten Reiches auf die hier beschriebene neue Kriegsphase beinhaltet, ist ein Bericht des britischen Nachrichtendienstes über die „Toxikologie“, d. h. die Toxizität des chemischen Arsenals.36 Er basiert auf den Verhören mehrerer auf diesem Gebiet führender Wissenschaftler, ist jedoch nicht so interessant, wie man zunächst meinen könnte. Die verhörten Experten, die mit keinem Beweismaterial konfrontiert wurden (die deutschen Operationspläne und Versuchsergebnisse sind nicht erhalten geblieben), vermieden es sorgfältig, ihre Namen in Zusammenhang mit etwas zu erwähnen, was als ein weiteres Verbrechen gegen die Menschlichkeit interpretiert werden könnte, da sie sich damit ja selbst belastet hätten. Sie behaupteten, überhaupt nichts mit phosphorsäureesterbasierten Stoffen zu tun gehabt zu haben, und bei Fragen über Menschenversuche wurden sie verständlicherweise still und breiteten hilflos die Arme aus – eine solche Haltung lässt sich aus den Kommentaren der Verfasser des Berichts ablesen. Dennoch ist es nützlich, sich wenigstens mit einer Kurzfassung des Berichts vertraut zu machen, denn trotz allem enthält er einige nützliche Informationen:36 „Diese BIOS-Erkundung hatte vor allem zum Ziel, Professor Ferdinand Flury zu verhören, der am Institut für Pharmakologie der Universität Würzburg gearbeitet hatte, und von dem bekannt war, dass er die physiologischen Wirkungen von Kampfgasen sowie die allgemeinen Grundsätze im Bereich der Industrietoxikologie und Hygiene erforschte [Der Begriff „Kampfgase“ ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen, in Wirklichkeit lag fast keiner dieser Stoffe unter Normalbedingungen in Gasform vor!]. Das letztere Thema wurde in einem gesonderten Bericht behandelt, der offen gelegt wurde, damit er in industriellen Kreisen verteilt werden kann [Es ist also klar, dass es den Alliierten einfach um

die Wiederholung des deutschen „Erfolges“ ging!]. Außer Flury gelang es dem Team auch noch Dr. Wolfgang Wirth, den Leiter der Gruppe VII im Wa. Prüf. 9 [der entsprechenden Forschungseinrichtung der Wehrmacht] und der Sanitärinspektion, sowie den Leiter der Toxikologischen und Therapeutischen Abteilung der Militärärztlichen Akademie in Berlin zu verhören. Flurys Gesundheitszustand war immer noch schlecht, und ohne seine Akten war er nicht in der Lage, sich an irgendetwas außer den Grundzügen seiner Forschungsarbeit zu erinnern [!]. Er bekundete (was später bestätigt werden konnte), nie mit Gasen experimentiert zu haben, die das Nervensystem lähmten; sein Hauptinteresse galt den Voruntersuchungen von Stoffen, die als chemische Waffen qualifiziert werden könnten. Basis dafür waren Verträge mit dem Heereswaffenamt. Mehrere Wochen nach dem Besuch wurden seine Akten für Untersuchungen freigegeben; eine Liste mit den in seinem Labor überprüften Verbindungen wurde angehängt. Diese Verbindungen, mit Ausnahme von ‚Excelsior’ [?], das in einem anderen Bericht genau beschrieben wurde, stellten sich als bedeutungslos heraus. In den meisten Fällen wurde nicht einmal ansatzweise versucht, die MLD zu ermitteln [Mean Lethal Dose: eine Dosis, die bei 50 Prozent der Versuchsorganismen zum Tod führt]. […] Fragen zu Menschenversuchen Wie wohl zu erwarten war, gab keines der verhörten Personalmitglieder zu, direkt oder indirekt über Menschenversuche informiert gewesen zu sein, abgesehen von ‚subjektiven Versuchen’, z. B. zur Festlegung der Nachweisbarkeitsgrenze mittels Geruch u. Ä. […] In Bezug auf die direkt durch die Wa. Prüf. 9 geleiteten Gruppen scheint es relativ wahrscheinlich, dass die MLD nicht bei Menschen ermittelt wurde. Es scheint, als wäre die Wa. Prüf. 9 aus seltsamen Gründen dagegen gewesen, solche Versuche durchzuführen – auch in solchen Fällen, in denen das Risiko zu sterben oder schwerwiegende Verletzungen davonzutragen vernachlässigbar war. Beispiel: Vieles deutet darauf hin, dass Menschen der Wirkung verschiedener Reizstoffe nicht ungeschützt ausgesetzt wurden (siehe CIOS, Bericht XXVIII-50, Seite 34). Aus diesen Gründen wurde es für notwendig erachtet, solche Arbeiten auf

Organisationen zu beschränken, die zu 100 Prozent der SS-Kontrolle unterstellt waren. [Hier kam ein vergleichbarer Mechanismus wie bei den chemischen Waffen zum Tragen – siehe Band II. Im Endeffekt wurde die Kontrolle über den Großteil des potentiell kriegsentscheidenden Arsenals an Massenvernichtungswaffen der SS „aufgedrängt“ – nicht aufgrund irgendeines internen Kampfes oder durch Himmlers Intrigen, sondern weil die Wehrmachtsgeneräle es selbst so wollten! In diesem Fall ist es kaum verwunderlich, dass eben die SS zum Hauptverfechter der Anwendung solcher Waffen wurde, umso mehr, als sie bereits bestimmte Ressourcen kontrollierte, die in diesem Kontext eine Schlüsselstellung besaßen: die Konzentrationslager und die unterirdischen Fabriken. Und umgekehrt – die Abneigung mancher Kreise gegen die Entfesselung eines chemischen Krieges konnte ihren Ursprung in der Befürchtung haben, die SS würde zum entscheidenden Hauptakteur aufrücken! Das war jedenfalls mit Sicherheit bei Speer der Fall.] Gleichzeitig kam bei Professor Wirth eine Tendenz zum Vorschein, [bei heiklen Fragen] Ablenkungs- und Ausweichmanöver anzuwenden, was die Grundlage für den Verdacht darstellte, dass er mehr darüber wusste, als er zuzugeben bereit war (sicherlich nicht ohne Zusammenhang mit dem Nürnberger Prozess). Wie jedoch während des Einsatzes ermittelt werden konnte, machten sogar unter dem höhergestellten Personal Gerüchte über streng geheime Konzepte die Runde (Flury z. B. erfuhr von der Existenz des Tabuns u. Ä. zu einer Zeit, als er definitiv nicht berechtigt war, solche Informationen zu besitzen). Deshalb erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass jemand, der eher eine Zentralposition einnahm, nicht einmal Gerüchte über Versuche mit chemischen Waffen kannte, die mit dem Tod endeten – was, wie es scheint, eine ziemlich häufige Praxis war. Aus diesem Grund müssen wir uns genau überlegen, ob wir weiterhin Druck auf Professor Wirth ausüben sollten, um zu sehen, ob er dazu ‚ermuntert’ werden kann, sich an weitere Informationen zu erinnern, die sogar den Aufbewahrungsort der entsprechenden Dokumente betreffen könnten – wie es auch sonst der Fall war. Als Alternative könnte auch Dr. Asal, Chefarzt und Leiter der Militärärztlichen Akademie verhört

werden. Berichte früherer Forscher ergaben den Eindruck, dass Professor Richard Kuhn aus Heidelberg womöglich irgendwelche Informationen zu diesem Thema besitzen könnte. Er bekleidete einen verantwortungsvollen Konsultationsposten, der in Zusammenhang mit den Forschungsorganisationen der Partei stand, und war offensichtlich als Berater für Doktor [Professor] Osenberg tätig. Er wäre also wahrscheinlich durchaus in der Lage gewesen, Informationen über SSForschungsarbeiten im Gebiet des Deutschen Reiches zu erteilen. Mehr noch – er war persönlich an Problemen in Zusammenhang mit chemischen Waffen interessiert und befasste sich 1944 mit Versuchen über den Einfluss von Tabun, Sarin usw. auf Enzyme, wodurch er auf Soman stieß. Man darf jedoch nicht vergessen, dass Kuhns Verhör, das nach den hier beschriebenen Verhören erfolgt war, keine solchen Informationen zu Tage brachte. Forschungsarbeiten an Stoffen, die das Nervensystem beeinflussen Wir gaben uns eine gewisse Mühe, die Geschichte der deutschen Arbeiten an diesen Stoffen zu ermitteln, teilweise in der Hoffnung, dass auf diese Weise irgendwelche theoretischen Überlegungen aufgedeckt werden könnten, die als Grundlage dienten. Teilweise auch, um herauszufinden, ob Stoffe, die auf das Nervensystem lähmend wirkten, bei Menschen getestet wurden. Die Verhörte brachten nur sehr wenig an den Tag (es geht um Spuren, die frühere Forscher nicht verfolgt hatten, und die deshalb in vorherigen Berichten nicht beschrieben werden konnten). Ernüchternd war die Tatsache – obwohl es eigentlich zu erwarten war – dass keiner der Verhörten über die theoretische Beschaffenheit der Komponenten, die die pharmakologische Wirkungsweise dieser Stoffe bestimmten, etwas zu sagen hatte. Insbesondere kam Schräder [der als Entdecker von Tabun gilt] zu dem Schluss, dass es im gegenwärtigen Stadium keine maßgeblichen Grundlagen dafür gibt, eine Theorie zu formulieren, die es ermöglichen würde, die Wirkungsstärke der neuen Stoffe vorauszusehen bzw. das Wesen dieser Wirkung überhaupt zu ermitteln. Er hob nicht ohne Stolz hervor, dass seine Methode einfach auf der Synthetisierung aller möglichen Varianten der ursprünglichen

chemischen Verbindung beruhte. Dabei verwarf er alle Stoffe, die sich als nicht wirkungsvoll erwiesen oder Trägersubstanzen erforderten, die wahrscheinlich nicht in industriellen Mengen hätten hergestellt werden können [eine Trägersubstanz ist ein Zusatz, der die Absorption erleichtert]. Das war eine mühsame Prozedur, die etwa 600 vorher meistens unbekannter Synthesen erforderte, wobei angemerkt werden muss, dass sie sich voll ausgezahlt hat. […] Es ist klar, dass die ursprüngliche Entscheidung, Tabun zum StandardGiftkampfstoff zu erklären, im Sommer 1939 getroffen wurde. Damals erhielt der I. G. Farben-Konzern eine Anfrage über die Möglichkeit, eine Produktionslinie zu bauen, die eintausend Tonnen monatlich hätte liefern können. Solche Schätzungen wurden mündlich bei einem Treffen im September 1939 genannt. Später, am 7. November desselben Jahres, wurden sie bei einem Treffen der Leitung von I. G. Farben mit dem Personal der Wa. Prüf. 9 und Wa. J. Rü. (Mun 3) besprochen. Formell wurden sie im Dezember akzeptiert, als die Wehrmachtseinrichtung Wa. J. Rü. 9.IX einen entsprechenden Durchführungsbefehl erteilte (Signatur 9 / IX-240-9018-39 vom 18.12.1939). Die meisten Maßnahmen der SS in Zusammenhang mit der Tötung von KZ-Häftlingen und Insassen von Institutionen für unheilbar oder PSychisch Kranke – die unter verschiedenen euphemistischen Bezeichnungen verwirklicht wurden – begannen, wie es scheint, lange Zeit nach Kriegsausbruch. Deshalb scheint es, als würde die ursprüngliche Empfehlung von Tabun durch die Wa. Prüf. 9 nicht auf Menschenversuchen mit genau festgelegten Mengen beruhen. Eine große Zahl anderer Daten, die sich aus dem zufälligen Kontakt der Arbeiter [mit Tabun] ergaben, musste bereits 1939 zur Verfügung gestanden haben (obwohl sich daraus nicht ergibt, dass es zu Todesfällen vor Aufnahme der großangelegten Produktion im Jahr 1942 gekommen war), und es scheint wahrscheinlich, dass es eben solche Daten waren, die zur oben erwähnten Entscheidung geführt hatten […]. Aus deutschen Dokumenten geht hervor, dass es bis 1941 insgesamt zu 324 Unfällen kam (in der Regel waren sie nur leicht, ohne Todesfolge). Deshalb stellt sich die folgende Frage: War das ausreichend, auch unter

Berücksichtigung der Tierversuchsergebnisse, um sich für die Aufnahme der Massenproduktion im Mai 1942 zu entscheiden? Nach dem Beginn der Industrieproduktion gab es zehn tödliche Unfälle, wenn also keine Menschenversuche durchgeführt wurden und die weiteren Schlussfolgerungen richtig sind, wären das die ersten durch Tabun verursachten Todesfälle. Wenn wir jedoch den vorher erwähnten Brief Himmlers berücksichtigen, scheint es äußerst zweifelhaft, ob unter solch schwierigen Umständen höhere Parteiorganisationen eine so große Mühe auf sich genommen und die Produktion von chemischen Waffen gestartet hätten, wenn nicht eindeutig festgestellt worden wäre, dass sie auch Menschen töten konnten. Das ist insofern begründet, als Tabun den Streitkräften nicht als „Reizstoff“, sondern als ein tödliches und schnell wirkendes Mittel angeboten wurde. […]“ Zum Abschluss dieses Kapitels möchte ich den Leser noch einmal dazu ermuntern, sich mit dem Inhalt des letzten Teils des zweiten Bandes vertraut zu machen, weil die dort beschriebene Geschichte einer deutschen Superwaffe sehr gut zu den Plänen passt, einen chemischen Krieg im strategischen Ausmaß zu entfesseln. Nehmen wir z. B. einen zweitrangigen, scheinbar rätselhaften Auszug aus dem Bericht eines Zeugen, der das Gespräch von zwei SS-Leuten mithörte: „Es werden nur diejenigen überleben, die sich im Wald oder hoch in den Bergen aufhalten, da kein Schutzraum den Tod verhindern kann“.

Das unbekannte Forschungsimperium der SS

Himmlers Offensive in der Rüstungsindustrie – der Fall des Monopols von Speer Die Feststellung, dass der Reichsführer SS seinen Machtbereich fortlaufend erweiterte und im Laufe des Krieges immer mehr Funktionsgebiete des Staates unter seine Kontrolle brachte, ist natürlich nichts Neues. Dennoch ist der konkrete Inhalt, der hinter dieser vagen Aussage steckt, nur relativ oberflächlich bekannt. Er hatte die Ambition, die von ihm geleitete Organisation nicht nur zur nach der Wehrmacht zweiten Streitkraft im Staat zu machen – die weniger zahlreich, dafür aber elitär wäre – sondern mit der Zeit auch zu einer wirtschaftlichen Macht, vor allem aber zur unerlässlichen Komponente einer riesigen Rüstungsmaschinerie.

Kurz vor Kriegsausbruch: Hitler, Himmler und der rechts von Hitler stehende General Paul Hausser – Generalinspekteur der Verfügungstruppen, die später zur Waffen-SS umgestaltet wurden, der wirkliche Gründer der Waffen-SS. (Archiv des Autors)

Während des Krieges betrat er auch das Feld der Forschung, um die gefährlichsten Waffenarten entwickeln und erforschen zu lassen. Dieser

zunächst unscheinbare Zug, der nicht einmal auf eine besondere Gegenwehr der übrigen Spieler innerhalb des Dritten Reiches stieß (weder der Wehrmacht – aus Gründen, die am Ende des vorherigen Kapitels dargelegt worden sind – noch des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion, vor allem deshalb, weil Reichsminister Speer anfangs nicht einmal von diesen Maßnahmen wusste), sollte folgenschwere Konsequenzen nach sich ziehen. Himmler befasste sich nämlich mit Waffen, die – wären sie eingesetzt worden – nicht nur den immer dramatischeren Kriegsverlauf hätten verändern können, sondern die SS auch zur Schaltstelle des wichtigsten Waffenarsenals gemacht hätten, zu dem auch Massenvernichtungswaffen zählten! Das hätte einen beinahe automatischen Aufstieg des Himmlerschen Imperiums auf ein Niveau vergleichbar dem Rang der Wehrmacht bedeutet. Dieses Szenario wurde nur deshalb nicht verwirklicht, weil sich die Fronten zu schnell veränderten. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass das Fundament für dieses letzte Stadium des steigenden Einflusses der SS bereits gelegt war. Dies ist bisher übersehen worden, da sich das Ganze hauptsächlich in einem Gebiet abspielte, das zur sowjetischen Besatzungszone gehören sollte – in Niederschlesien, vor allem jedoch in der besetzten Tschechoslowakei, die unter die fast ausschließliche Kontrolle der SS geraten war. Die Beweise, die die Formulierung einer solchen These ermöglichen, sind ziemlich stichfest und wurden größtenteils in den folgenden Kapiteln vorgestellt, obwohl bereits die zwei vorigen Kapitel viele früher unbekannte Informationen enthalten, die Tschechien eine besondere Position auf der Karte des Dritten Reiches einnehmen lassen.

Himmler schaute mit großer Hoffnung auf das Meer von Arbeitskräften, die in den Konzentrationslagern versammelt wurden (hier: Dachau), denn sie sollten zum Fundament seines Rüstungsimperiums werden. In den Lagern wurden auch viele Forschungseinrichtungen untergebracht. (Archiv des Autors)

Bevor wir jedoch zu diesem „letzten Akt“ übergehen, der die geheimen Forschungsprojekte der SS betrifft, beginnen wir von vorn und schauen uns die allmählich fortschreitende „Industrie- und Rüstungsoffensive“ Heinrich Himmlers an. Wie wir wissen, stellten die Konzentrationslager die erste und ziemlich starke Ausgangsbasis für die weitere Entwicklung dieser Offensive dar. Im Vergleich zur „normalen“ Rüstungsindustrie boten die Lager nämlich eine gewisse Überlegenheit –Vorteile, die nicht zu ignorieren waren, um nicht zu sagen: ein „Monopol“. Der erste Vorteil lag darin, dass praktisch kostenlose Arbeitskräfte zur Verfügung standen, über deren Schicksal man sich nicht nur keine Sorgen zu machen brauchte, sondern die praktisch in unbegrenzter Quantität zu haben waren. Ohne den „Beitrag“ der SS wäre es für das Dritte Reich einfach nicht ständig möglich gewesen, die Industrie auszubauen und die Produktion trotz immer größerer Probleme zu steigern. Eine wichtige Informationsquelle zu diesem Thema ist ein Buch von Albert Speer, das unter dem Titel „Der Sklavenstaat“ erschienen ist.33 Die englischsprachige Ausgabe besitzt einen noch vielsagenderen Titel: „Infiltration – wie Himmler das SS-Wirtschaftsimperium baute“. Obwohl Speers Veröffentlichung eine eher fragmentarische Beschreibung beinhaltet, die stark ergänzt werden müsste und tendenziös ist (sie stellt die Sichtweise eines Rivalen dar), so muss sie dennoch als Pflichtlektüre in diesem Bereich angesehen werden. Deshalb möchte ich das vorliegende Kapitel hauptsächlich auf dieses Buch stützen. Es lohnt sich, Speers Meinungen näher zu betrachten. Hier ein Beispiel über das Jahr 1944, das man als „Wendepunkt“ bezeichnen könnte:33 „Im Frühjahr 1944 stimmte Hitler Himmlers Vorschlag zu, einen SSeigenen Wirtschaftskonzern aufzubauen, um die SS für immer vom Staatshaushalt unabhängig zu machen. Mit ähnlicher Begründung bat Hitler mich, Himmlers Vorhaben zu unterstützen. Damit waren jahrelange Bestrebungen Himmlers an ihr Ziel gekommen. Diese Genehmigung Hitlers machte darüber hinaus deutlich, dass er auch für

die Friedenszeit keine straffe Autorität des Staates vorsah. Seit 1933 hatte er den Staatsapparat unterhöhlt, indem er die Partei als das Politik und Verwaltung bestimmende Element hervorkehrte. Wir hatten aber stets vermutet, dass es ihm im Grunde um den Primat der Partei gegenüber dem Staat gehe und dass er nicht zulassen würde, was seinerseits geeignet sei, die Partei zu schwächen. Nun zeigte sich, dass er der SS eine eigene, vom Staat und von der Partei unabhängige Stellung sichern wollte. Für den Fall eines Nachfolgers, der den Staatshaushalt als Instrument zur Beschneidung der Macht von SS und Gestapo zu benutzen suchte, wollte er eine Geldquelle schaffen, die der SS ihren eigenen Etat sicherte. Solche Überlegungen setzten ein merkwürdig lockeres Verhältnis zu seiner eigenen Reichskonstruktion voraus. Auch diese Idee einer bis in den Etat hinein selbstständigen SS hatte ihren Ursprung in Hitlers Neigung, durch permanente Förderung von Gegensätzen innenpolitische Gegenkräfte zu bilden, die in einer fernen Zukunft gegeneinander auszuspielen wären. Das System war erprobt, der Aufbau eines Staates im Staate schon längst in die politische Struktur des Reiches eingeführt. Dem Ernährungsminister stand eine selbstständig handelnde Organisation der Bauernschaft im Reichsnährstand gegenüber; die Deutsche Arbeitsfront bildete einen finanziell unabhängigen Gegenpol zum Arbeitsministerium wie auch zu staatlichen Trägern der Erziehungspolitik, und seit 1942 hatten die führenden Industriellen die administrative Vorherrschaft des Staates auf dem Gebiet der Produktion abgelöst.

Das in Auschwitz-Monowitz gebaute Kombinat war eine der ersten „Rüstungsanlagen“ Himmlers. Auf dem Bild: Himmler besucht Monowitz, 18. Juli 1942. Ein erster Vorgeschmack des internen Konfliktes innerhalb der SS – zwischen Plänen zur Auslöschung und industriellen Vorhaben. (Archiv des Autors)

Es war nicht nur Himmlers Machthunger, der hinter dem Aufbau eines ‚Staates im Staate’ stand; es spielten also auch sonderbare staatspolitische Überlegungen mit und jene eigentlich staatsverneinende Theorie eigenständiger Herrschaftsgewalten.“ (Diese Behauptung ist wahr, spiegelt jedoch nur einen Teil der Wahrheit wieder. Der weiter unten beschriebene Aufschwung des „Kammlerschen Imperiums“, darunter die in Tschechien verwirklichten Projekte, zeigen eher das Gegenteil.) Danach erfolgt quasi eine Rückschau – es wird die Anfangsphase der „SSIndustrieoffensive“ beschrieben, deren Ausgangspunkt die Konzentrationslager waren. Dieser Abschnitt ist unerwartet interessant, da Speer diese Pläne auf eine „neue“ Art mit dem Plan zur Auslöschung der Juden konfrontiert:

Himmler beim Besuch der Waffen-SS-Einheiten in der Nähe von Charkiw – März 1943. (Archiv des Autors)

„Himmler hatte Ende 1941 die Absicht, mit Hilfe jüdischer Arbeitskräfte und anderer KZ-Häftlinge sein Industrie-Imperium aufzubauen. Hitler machte einen Strich durch diese Rechnung. Für Hitler gab es in der zweiten Phase des Krieges zwei Kriegsziele: Er wollte Rußland besiegen und die Juden auslöschen oder, um seine ständige Terminologie zu verwenden, ‚ausrotten’. Das letzte Ziel stand

dem ersten im Wege. Denn die ‚Ausrottung’ der Juden behinderte notwendigerweise sowohl Himmlers Pläne als auch die Fortführung des Krieges. Die Millionen Juden, die durch diese Entscheidung Hitlers für die Rüstung verlorengingen, dazu die hunderttausende sowjetischer Kriegsgefangener, die in deutschen Lagern starben, hätten unser vordringlichstes Problem, die Arbeitsfrage, lösen können. Hinzu kam, dass aufgrund ihrer Intelligenz Juden leichter an der Drehbank zu verwenden waren als russische Frauen, mit denen man sich zudem noch nicht einmal sprachlich verständigen konnte. Vor die Wahl gestellt, entschied sich Hitler dennoch für die Ermordung der Juden! Auf einer Gauleitertagung in Posen im Oktober 1943 versprach Himmler der obersten Parteispitze [in einer Rede für die Gruppenführer], dass schon bis zum Ende desselben Jahres alle Juden bis zum letzten Mann vernichtet sein würden, wobei er gegen jene polemisierte, die aus verschiedensten Gründen für Ausnahmen einträten. Aber er selbst war es, der einige Wochen später zehntausende jüdischer Arbeiter in die SS-eigenen Werke in den Ostgebieten einwies. Dieses zwiespältige Verhalten des Mannes, der für die lückenlose Ermordung zuständig war und selber die Ausrottungspolitik ständig durchbrach, lässt mich vermuten, dass nicht Himmler die treibende Kraft bei der Ermordung der Juden war, sondern dass sie eher bei Hitler, Goebbels und Bormann, diesem hasserfüllten Motor, zu sehen ist.“ Wir dürfen doch nicht vergessen, dass die Konzentrationslager eine sehr konkurrenzfähige Basis darstellten, auf deren Grundlage Ansätze einer SSWirtschaft hätten entstehen können – nach Beendigung der Auslöschung hätten die Lager aufgehört zu existieren! Für Himmler, der langfristig plante, war die Schaffung von Grundlagen für die geplante Expansion der SS, die mehr als nur einige Jahre vorhanden wären, wichtiger als ideologische Fragen. Schauen wir uns deshalb – eher zur Erinnerung – die Informationen und Beschreibungen über die industrielle Rolle der Lager an. Der Moment, in dem Himmler die sich bietende Gelegenheit spürte, den Rang seiner Organisation auf dem Weg zur wirtschaftlichen Expansion zu steigern, war laut Speer die Niederlage bei Moskau. Anfang 1942 wurde sich Hitler des Ernstes der Lage bewusst und ordnete an, den

Rüstungsbemühungen eine höhere Priorität als bisher einzuräumen (zu dieser Zeit arbeitete die Rüstungsmaschinerie des Dritten Reiches tatsächlich weit unter der möglichen Kapazität). Insbesondere sollte die Rüstungsproduktion für das Heer erheblich gesteigert werden. Für Speer, den Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, sollte eine Zeit der wirtschaftlichen Triumphe beginnen, auch Himmler versuchte jedoch, die neue Konjunktur für sich zu nutzen. Ich möchte mich noch einmal auf ein von Speer angeführtes interessantes Beispiel berufen:33

Im Verlauf des Krieges war Himmler immer mehr an Konzepten interessiert, die in seinen Händen zum Trumpf werden könnten. Hier ein Besuch in Peenemünde im April 1943. (Archiv des Autors)

„Zu Worten war Himmler [bei jedem Anlass] schnell bereit, und er neigte auch zu weitschweifenden Phantasien. Aber diesmal schien die Verwirklichung seiner Pläne eines ausgedehnten Industriekonzerns tatsächlich in greifbarer Nähe. Höß [der Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz] berichtet in seiner Autobiographie, dass Himmler, fast ein Jahr zuvor, im März 1941 bei einer Besichtigung des Lagers Auschwitz erklärt habe, er wolle dieses Lager in eine Arbeitszentrale der Rüstung mit hunderttausend Gefangenen verwandeln: ‚Ich habe diese Frage [der Ermordung der Häftlinge] in meinen Berichten immer behandelt, aber ich konnte nichts gegen den Druck von Himmler machen, der immerfort mehr Gefangene für die Rüstung wollte’. […] Die Absichten Himmlers, aus der militärischen Notlage Nutzen zu ziehen und einen Wirtschaftskonzern der SS aufzubauen, schlug sich einige Wochen später in einem grundsätzlichen Wandel der SS-

Organisationsstruktur nieder. Am 16. März 1942 wurde Oswald Pohl durch Zusammenlegung verschiedener Hauptämter der Verantwortliche der SS in allen Wirtschafts- und Verwaltungsangelegenheiten. Pohl war, wie auch das Urteil gegen ihn feststellt, weder für die Einweisung von Gefangenen oder für ihre Entlassung noch für Hinrichtungen verantwortlich. Seine ‚Rechtsvollmachten begannen mit dem Eintreffen der Häftlinge an den Toren der Konzentrationslager’. Aber ihm und dem von ihm geleiteten Wirtschafts-Verwaltungshauptamt der SS unterstanden auch ‚die letzten Einzelheiten der Entgelte, der Produktion und des Einsatzes der Häftlinge. [Es] oblag ihm auch die Belieferung der Ernährung und Bekleidung der Häftlinge, und diese Verpflichtung erstreckte sich bis zu der untersten Stufe der Verteilung [bis zu] der tatsächlichen Verantwortung, dass die Gefangenen die notwendigen Zuteilungen erhielten’.“ Speer nennt in Zusammenhang mit Himmlers Plänen ein fast unbekanntes Detail. Er erwähnt nämlich die Reise seines Sonderbeauftragten Dr. Walter Schrieber in die UdSSR (obwohl es sich dabei um einen SS-Offizier und Informanten Himmlers in seinem Ministerium handelte!), kurz vor dem Angriff auf dieses Land. Schrieber besuchte dort große Industriezentren, wo er sich mit der sowjetischen „Auffassung“ zur Frage der Sicherung von Arbeitskräften vertraut machen sollte – unter Nutzung der dortigen GulagLager, die in der Tat ein Spiegelbild des deutschen Modells waren. Himmler bekam eine Kopie des Berichts Schriebers, der offensichtlich eine Art Eingebung für ihn war. Eine Kopie ging auch an den Leiter des Reichsicherheitshauptamtes (RSHA), wo sie als Inspiration aufgenommen wurde.

Himmler war von Anfang an an Rüstungskonzepten interessiert, er musste jedoch lange auf entsprechende Bedingungen warten, damit er auf diesem Gebiet seine Flügel ausbreiten und den Keim zu einem autarken „Staat im Staate“ legen konnte. Hier ist er auf einer Rüstungsausstellung im April 1937 zu sehen – am vierten Jahrestag der Entstehung des Dritten Reiches. Damals vermutete kaum jemand, dass eine Zeit kommen würde, in der Himmler zu einer der wichtigsten Personen im Staat und, für eine kurze Zeit, auch in der Wirtschaft werden wird. (Archiv des Autors)

Auch Kammler machte sich damit vertraut. Schrieber selbst wurde zum SSOberführer befördert und nahm später aktiv an der „Industrialisierung“ der SS teil. Es scheint also, dass der Reichsführer SS bei der Entwicklung seiner Pläne in gewissem Sinne das sowjetische Modell vor Augen hatte. Sein nächster Schritt war die Schaffung von Produktionsbetrieben in fünf ausgewählten Lagern, wo insgesamt 25.000 Häftlinge arbeiten sollten (vor allem in Buchenwald bei Weimar, dann in Neuengamme bei Hamburg, in Sachsenhausen, Auschwitz und Ravensbrück). Im April 1943 konnte sich Himmler vor Hitler bereits damit rühmen, dass in „seinen“ Lagern 140.000 Menschen für die Rüstungsindustrie arbeiteten. In der Tat waren es sogar mehr, wie ihn bald Pohl korrigierte, und zwar etwa 200.000, obwohl laut Schrieber bei der Produktion selbst etwa 60.000 Menschen arbeiteten – auf jeden kamen durchschnittlich 250 Arbeitsstunden im Monat. Unabhängig davon konnte man von einer dynamischen Entwicklung der „SSLagerindustrie“ sprechen. Und noch eins, was vielleicht am wichtigsten ist: Es steht außer Frage, dass die Bedeutung der SS mit der Zeit wuchs, wobei hier die Jahre 1944/45 am

bedeutsamsten sind. Erst zu diesem Zeitpunkt kann man ernsthaft von der Entstehung eines Imperiums reden – eines braunen Staates im Staate, der u. a. einen wesentlichen Einfluss auf die Gesamtheit der Rüstungsvorhaben ausübte. Es geht hier jedoch nicht nur und nicht vorrangig um die Quantität! Weder das Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion noch die Wehrmacht konnten sich mit Himmlers Imperium und dessen geradezu monopolistischer Rolle bei einigen fortschrittlichen Schlüsselrüstungskonzepten, Forschungsprojekten und anderen Spezialvorhaben messen. Das trifft vor allem auf Tschechien zu, auf das wir noch näher eingehen werden, aber auch auf eine Reihe unterirdischer Industriekomplexe, die zweifelsfrei unter der Kontrolle der SS standen und an Schlüssel-Rüstungskonzepten beteiligt waren. Solche Komplexe wie der Verband großer unterirdischer Fabriken, der auf dem Konzentrationslager in Mauthausen basierte, der niederschlesische Riese, die nah gelegene und unvollendete Concordia oder die kilometerlangen unterirdischen Hallen in der Region um Nordhausen in Thüringen (das Mittelwerk, das B-11, das B12, das B-3 und das B-17) standen mehr oder weniger schon immer unter SSKontrolle, und ihr Rauminhalt wurde nicht selten in Millionen Kubikmetern gemessen. Es sind diese letzten beiden Kriegsjahre, die wirklich wichtig und interessant erscheinen. Kehren wir jedoch zunächst zu der Beschreibung von Speer zurück. Er nennt auch die Zahl der Beschäftigten in fast allen Konzentrationslagern (laut einem Bericht vom September 1943, als sich die „Lagerindustrie“ erst entwickelte):33

Das Lächeln der Reichsführers spiegelt wahrscheinlich den ersten Eindruck beim Besuch

von Peenemünde im April 1943 wieder. Auf den ersten Blick stellten taktische Raketen einen so großen technologischen Sprung dar, dass tatsächlich der Eindruck entstehen konnte, dass sie in der Lage wären, den Krieg zu entscheiden – das hätte jedoch nicht so schnell und vor allem nicht bei einem solchen Konzept ihrer Verwendung (konventionelle Vergeltung) erfolgen können. Rechts von Himmler ist Dornberg, der Militärkommandant der Einrichtung, zu sehen. (Archiv des Autors)

„Diese Baumaßnahmen waren nicht für die Vernichtungslager in Polen und Oberschlesien, wie Sobidor, Treblinka und Auschwitz gedacht. Dort wurden die Selektierten umgebracht [Speer wollte wahrscheinlich die „Massenvernichtungslager“ hervorheben]. Arbeitsfähige wurden in die zur Arbeit bestimmten Lager verschickt. In ihnen also vegetierten die Überlebenden. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit bestand Interesse, das Leben der Insassen zu erhalten. Pohl führte in seinem Bericht vom September 1943 diese Lager auf. Schon ihre Aufzählung ruft Erinnerungen an grausame Einzelheiten in uns wach: Dachau mit 17.300, Sachsenhausen mit 26.500, Buchenwald mit 17.600, Mauthausen / Gusen mit 21.100, Flossenbürg mit 4.800, Neuengamme mit 9.800, Auschwitz – Männer mit 48.000, Auschwitz – Frauen mit 26.000 [zusammen 74.000], Groß-Rosen mit 5.000, Natzweiler [Natzweiler-Struthof] mit 2.200, Bergen-Belsen mit 3.300, Stutthof – Männer mit 3.800, Stutthof – Frauen mit 500, Lublin [also Majdanek] – Männer mit 11.500, Lublin – Frauen mit 3.900, Ravensbrück – Männer mit 3.100, Ravensbrück – Frauen mit 14.100, Riga mit 3.000, Herzogenbusch mit 2.500, also zusammen mit 224.000 zur Arbeit bestimmten Häftlingen. Bald zeitigte die schnelle Auslieferung des Installationsmaterials [für sanitäre Zwecke?] positive Folgen. Die Sterblichkeit betrug in den Konzentrationslagern im Monat Dezember 1942 noch 10 Prozent der Gesamtstärke. Sie hatte seitdem ständig abgenommen, um im Juli 1943 auf 2,23 Prozent und im August 1943 auf 2,09 Prozent abzusinken.“

Himmlers Besuch in Peenemünde im April 1943. (Archiv des Autors)

Diese Angaben zeigen deutlich, dass in dem Maße, wie die Probleme mit der Kriegsführung stiegen, der Druck immer größer wurde, die Häftlinge wie eine wirtschaftliche Ressource zu behandeln. Meiner Meinung nach klingt die vorher dargestellte These Speers glaubwürdig, dass Himmler keinen besonderen Grund hatte, das Vernichtungstempo der Häftlinge zu erhöhen, und dass dabei wahrscheinlich Druck von außen im Spiel war. Schauen wir uns noch Speers Schilderungen über das Jahr 1944 an:33 „Anfang Juni 1944 teilte ich Hitler mit, ‚dass ich selbstverständlich den Reichsführer-SS immer dabei unterstützen werde, seine Produktionsstätten auszubauen, dass jedoch von vornherein eine klare Zuständigkeit festzulegen sei, denn auch seine Produktionsstätten müßten derselben Kontrolle unterliegen, wie die der übrigen Rüstungsund Kriegsproduktion. Ich könnte es nicht zulassen, dass hier ein Wehrmachtteil [damit war die Waffen-SS gemeint] den Weg der Selbstständigkeit ginge, während ich mit vieler Mühe in zweijähriger Arbeit die Rüstung der drei übrigen Wehrmachtteile einheitlich

zusammengefaßt hätte.’ Mein Protokoll fährt fort: ‚Der Führer stimmte dieser Meinung zu und ist unter Umständen bereit, dies dem Reichsführer-SS mitzuteilen. Ich erkläre, dass ich zunächst versuchen werde, mit dem Reichsführer-SS die Angelegenheit selbst zu klären.’ Etwa eine Woche später fand diese Besprechung im Hauptquartier Himmlers, seiner privaten Villa bei Berchtesgaden statt. (Ein knappes Jahr später, kurz vor dem Ende des Krieges, erzählte Himmler mir plötzlich, dass in diesem Haus seine Geliebte wohne, die ihm dort einen Sohn geboren hätte. Stolz zog er aus seiner Brieftasche eine Fotografie der jungen attraktiven Frau und des Kindes hervor.) Himmler vertraute mir in diesem Gespräch vom Juni 1944 an, dass er die Absicht habe, eine SS-eigene Produktion von der Stahlerzeugung bis zum Fertigprodukt aufzubauen, wobei er mir in einem langen Gespräch seine Motive auseinandersetzte. Oft habe er sich nämlich mit dem Führer darüber unterhalten, dass nach Hitlers Tod eines Tages eine SS-fremde Tendenz die Reichspolitik beherrschen könne. Jetzt sei die SS auf die finanziellen Zuwendungen des Reichsfinanzministers angewiesen, womit natürlich eine vollkommene Abhängigkeit der SS verbunden sei – was nichts ausmache, solange es den Führer gebe. Mit ihm sei aber der Führer der Meinung, dass es zweckmäßig wäre, wenn auf weite Sicht sich die SS vom Reichshaushalt unabhängig mache, indem sie sich als finanzielles Fundament eigene Industriebetriebe aufbaue. Am Ende dieser Eröffnung erklärte mir Himmler, dass seine Pläne, einen großen Wirtschaftskonzern aufzubauen, lediglich an der Unzulänglichkeit seiner Mitarbeiter gescheitert seien. Ihm fehle der geniale Mann, der ihm beim Aufbau eines SS-Konzerns helfen könne. Ob ich ihm eine Persönlichkeit empfehlen würde? Ich war in einiger Verlegenheit.“

Himmlers zweite Inspektion in Peenemünde – 29. Juni 1943. (Archiv des Autors)

Himmler im Gespräch mit den Befehlshabern der Waffen-SS an der Westfront – Herbst 1944. (Archiv des Autors)

Dieser Moment sollte bald den Beginn einer eindrucksvollen Karriere des SS-Gruppenführers Hans Kammler bedeuten, die im nächsten Kapitel beschrieben wurde. Speer schreibt über Himmlers Gefühl der Niederlage, von dem er sich im Juni 1944 überzeugen konnte. Die aus der Sichtweise der SS wichtigen Dinge sahen zu dieser Zeit nicht besonders gut aus, und zwar insofern, als die ehrgeizigen Vorhaben im Grunde genommen immer noch nicht über den Ausbau der Betriebe hinausgingen, die direkt mit den Konzentrationslagern in Verbindung standen. Genau jetzt sollte sich das jedoch ändern. Im Frühjahr wurden übrigens der Jägerstab und andere Sonderinstanzen ins Leben gerufen; sie sollten sich mit dem Bau großer unterirdischer Rüstungskomplexe befassen, wo die Entwicklung fortschrittlicher Schlüsselwaffenarten für den Bedarf der Luftwaffe geplant war. Sowohl diese Sonderinstanzen als auch der Jägerstab selbst gelangten nach gewisser Zeit (dank der außergewöhnlichen Fertigkeiten und Kompetenzen Kammlers!) unter den Einfluss der SS – erst auf Umwegen, da die SS mit ihren Häftlingen Hauptauftragnehmer dieser Vorhaben war, und schließlich auch formell – dadurch, dass die Rüstungsprogramme Kammlers Spezialstab unterstellt wurden. Das war ein Wendepunkt der SS-Expansion,

der Übergang auf ein ganz neues Niveau – obwohl nicht mehr genügend Zeit vorhanden war, um das Dritte Reich vor einer Katastrophe zu bewahren. Dennoch sollte man nicht vergessen, dass dadurch ein System geschaffen wurde, das sowohl damals als auch später ein Muster der Organisationskunst darstellte und zur Entstehung des Mythos der SS als einer Organisation beitrug, die auch dann wirkungsvoll agieren konnte, als es mit allen anderen staatlichen Tätigkeitsbereichen bereits haperte. Dazu kamen im Übrigen die für die SS günstigen Umstände nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 hinzu – danach vertraute Hitler eigentlich nur noch auf die SS.

Ein weiterer Wendepunkt auf dem Weg zur Errichtung des SS-Rüstungsimperiums – ein

Dokument des Kammlerstabes zur Übernahme des Manfred-Weiss-Konzerns. (AAN)

Der Kommentar zu den Worten von Speer sollte noch um eine Anmerkung ergänzt werden. Bisher manifestierten sich Himmlers Aktivitäten im Bereich der Errichtung des „SS-Imperiums“ auf zwei Ebenen: 1. Das Errichten von Produktionsbetrieben in den Konzentrationslagern selbst (was langsam, aber erfolgreich vollzogen wurde); 2. Das Planen eigener klassischer Fabriken, darunter der erwähnten Stahlindustrie – was jedoch nicht über die Planungsphase hinausging. Speer bezieht sich darauf und stellt auf dieser Basis die These über Himmlers Niederlage im Industriebereich auf. Dabei handelte es sich jedoch nur um einen von vielen Bereichen. Zu nennen wären noch: 3. Der erwähnte Bau unterirdischer Komplexe – hauptsächlich ab dem Frühjahr 1944; 4. Die erwähnte Übernahme von Rüstungsprojekten durch Kammler, von der V2 bis zu den in einem der vorigen Kapitel beschriebenen und ungemein wichtigen Projekten in Zusammenhang mit Massenvernichtungswaffen, die die Macht zu sichern vermochten; 5. Der Bau eines „Staates im Staate“ auf dem Gebiet Tschechiens – was an anderer Stelle des Buches beschrieben wird. Unabhängig davon gab es Anzeichen für noch weitere Maßnahmen. Himmler unternahm nämlich Versuche, Privatfirmen zu übernehmen. Im Sommer 1944 übernahm er z. B. den größten Rüstungskomplex in Ungarn – den Manfred-Weiss-Konzern. Als Vorwand diente dabei die Tatsache, dass manche Mitglieder der Geschäftsleitung jüdischer Abstammung waren. Der Konzern wurde unter Druck gesetzt und einfach übernommen (formell: aufgekauft), ohne irgendjemanden um Erlaubnis zu fragen und, wie Speer selbst feststellte, sogar ohne sein Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion zu informieren. Himmler handelte also auf mehreren Fronten und kompensierte erfolgreich Schwächen in einem Bereich auf anderen Feldern. Ein wenig bekannter Ausdruck dieser „Aggressivität“ des Reichsführers SS war sein persönliches Interesse für neue Waffenarten und die moderne Technik überhaupt. Das galt insbesondere für Konzepte, die sich seiner Meinung nach als bahnbrechend hätten herausstellen können. Davon zeugen

gewiss seine Versuche, alle sich bietenden Gelegenheiten auszunutzen, um bestimmte „Hochburgen“ im Rüstungsbereich zu erobern – es zeigt aber auch, wie offen dieser Mensch für Neues war! Auch dazu liefert Speer einige Informationen:33 „Himmlers Wissbegierde fürchteten wir auch deshalb, weil stets die Gefahr bestand, dass er sich in Entwicklungsarbeiten einschalten und deren Ablauf durch seine laienhafte Initiative stören könne. Am 14. Mai 1943 kam Himmler z. B. nur deshalb in Hitlers Hauptquartier zu einer Besprechung mit Porsche zusammen, um den Hitler gerade in einem Holzmodell vorgeführten produktionsreifen 188 t schweren Panzer Maus zu begutachten. Anfang desselben Jahres hatte Himmler gehört, dass Hitler nach einer Vorführung des FlettnerHelikopters bemerkt habe, dieses Projekt sei sehr förderungswürdig. Aber Himmler hatte schon ein Jahr zuvor den Konstrukteur kommen lassen, um sich über das noch schwebende Projekt unterrichten zu lassen. Weder der schwere Panzer Maus noch der FlettnerHubschrauber hatten auch nur das geringste mit den Arbeitsbereichen Himmlers zu tun.

Sommer 1941 – bei der Inspektion seiner Truppen an der Ostfront macht sich Himmler mit der Lage im Hinterland bekannt. (W. Frentz / Archiv)

Im August 1943 wurde Hitler, wie es in meinem Protokoll heißt, von anderer Seite, also wohl von Himmler oder seinem Vertreter, über die Entwicklung einer neuen infanteristischen Abwehrwaffe vorgetragen. Hitler äußerte sich begeistert und ordnete sofort an, dass diese ‚Kampfpistole Gerloff [dazu gibt es keine Daten, nicht einmal in der Schusswaffenenzyklopädie] wegen ihrer außerordentlichen Bedeutung jede Unterstützung finden’ müsse, ‚vor allem, um baldmöglichst entscheiden zu können, welche laufenden sonstigen Entwicklungen und

Fertigungen abgestoppt werden können’. Aber die Begeisterung Hitlers war unbegründet. Das Protokoll einer Besprechung beim Chef der Heeresrüstung (Generaloberst Fromm) vom 21. Januar 1944 berichtet nüchtern über diese Kampfpistole: ‚Waffe als Wundergerät proklamiert; hat auf 70 m 3 m Breiten- und 4 m Höhenstreuung. Nächste Vorführung Ende Januar. Abschluss der Entwicklung noch nicht zu übersehen. Versuchsstück in der Reparatur. Geschosse trudeln bei Kampfentfernung bis zu 100 m.’ Solche Misserfolge und Niederlagen konnten Himmler und seine Vertrauten nicht davon abbringen, immer wieder scheinbar revolutionäre Entwicklungen zu unterstützen. Kamen solche Ideen aus den Erfahrungen der SS-Truppe, so konnten sie mitunter vernünftig sein. Das 3-t-Gleiskettenfahrzeug Maultier, von der ‚SS-Division Reich’ gefördert, war z. B. eine exzellente Entwicklung. Hitler entschied in den ersten Tagen des Januar 1943, dass eine Fertigung von 1.000 Stück pro Monat vorzubereiten sei. Eine weitere Steigerung sei beschleunigt im Rahmen der Möglichkeiten des 3-t-Typs anzustreben. Dem SS-Führer, der diese SS-Raupe entwickelt hatte, wurde von Hitler eine Dotation von 50.000 RM ausgehändigt.“ Das Maultier war eine Mischung zwischen dem Blitz-LKW von Opel und einem Panzerraupenfahrwerk (vom Pz. Kpfw. I oder Pz. Kpfw. II, die aus dem Waffenarsenal genommen wurden). Natürlich waren das keineswegs die einzigen Beispiele für die Unterstützung von Forschungsprojekten aus verschiedenen Bereichen durch Himmler. Die fortschrittlicheren Konzepte wurden weiter unten beschrieben, wir dürfen jedoch zumindest nicht vergessen, dass unter der SS-Schirmherrschaft sogar bestimmte Handfeuerwaffen entwickelt wurden, beginnend mit den Maschinenpistolen von Bergmann, z. B. der MP-35 (Bgm), und dem leichten Maschinengewehr LMG-35 / 36 von Knorr-Bremse, bis zu der in Band I beschriebenen revolutionären Pistole für hülsenlose Munition, die im Übrigen samt vielen genauso interessanten Waffen im „tschechischen Fürstentum der SS“, konkret an der SS- und Polizeiakademie in Brünn entwickelt wurde. Speer weist nach, dass sich der Ehrgeiz des Reichsführers durchaus nicht nur darauf beschränkte. Eines der Gebiete, auf dem Himmler eine Schlüsselrolle zu spielen begann, war die bereits in einem der Kapitel

beschriebene Hochfrequenzforschung, die mit Radargeräten und verwanden Bereichen in Zusammenhang stand. Damals handelte es sich um technisch sehr fortgeschrittene Lösungen (für uns sind diese Forschungsarbeiten auch deswegen von Interesse, weil sie von der SS in einer im Konzentrationslager Groß-Rosen gebauten Einrichtung durchgeführt wurden – siehe Band II). Speer bestätigt, dass die SS das Institut für Hochfrequenzforschung gründete – zuerst im Konzentrationslager Dachau, dann in Groß-Rosen in Niederschlesien. Das Institut befand sich in Książ (Fürstenstein bei Waldenburg) und kooperierte eng mit der Luftwaffe. Man sollte nicht vergessen, dass sich gleich daneben die Weltraumforschungseinrichtung von Professor Hubertus Strughold befand, die weiter unten beschrieben wurde. Diese Informationen ermöglichen es, einen wichtigen Schluss über GroßRosen und Książ zu ziehen (wo sich auch eine Einrichtung mit dem Decknamen Wetterstelle befand, die aus der oben beschriebenen ausgesondert wurde). Es geht nämlich darum, dass es ungenau ist, die Rolle dieser wissenschaftlichen Forschungsinstitution der SS auf Untersuchungen der Ausrüstung amerikanischer und britischer Bomber zu beschränken. Sie sollte ihre eigene Tätigkeit führen, die mit SS-eigenen Projekten zusammenhing, ohne das Wissen von Speers Ministerium oder anderer Regierungsgeschäftsstellen! Speer nennt noch andere Beispiele für die Einmischung in bestehende Projekte (auch der Wehrmacht!), oder für die Bildung neuer Projekte durch die SS. Er beschreibt z. B. das von Himmler im Frühjahr 1944 unterstützte Konzept des schnellen Kampfbootes Zisch, das durch einen gewissen SSStandartenführer Frosch entwickelt wurde und dem im ersten Band beschriebenen Linse-Konzept etwas ähnelte. An diesem Projekt wurde in den Wankel-Versuchs-Werkstätten in Lindau gearbeitet. In diesem Fall ging es darum, ein bisher von der Kriegsmarine reserviertes Feld zu betreten. Himmler wollte, dass am Ende ausschließlich die SS die Produktion auf sich nimmt! Wie sich aus dem Kontext ergibt, war der Druck sehr stark und effektiv; die Arbeiten wurden wahrscheinlich nur deshalb eingestellt, weil die Landung der Alliierten in der Normandie vor dem Abschluss der Entwicklung dieser Waffe erfolgt war (das Kampfboot sollte hauptsächlich Landungsverbände bekämpfen). Speer bringt auch andere ziemlich faszinierende Informationen vor, die klar darauf hindeuten, dass sich die ganze SS-Forschung, obwohl sie ausgebaut

wurde, völlig im Geheimen entwickelte, und er sich deren Existenz erst nach dem Krieg bewusst wurde! Hier ein besonders wichtiger Auszug:33 „Mir wurde erst bei der Durchsicht des ‚Schriftgutes des ReichsführersSS’ bewußt, dass Himmler neben einem eigenen Rohstoffamt auch ein Technisches Amt unterhielt. Ich halte es heute für denkbar, dass es sich um den Aufbau einer Art Schattenverwaltung gehandelt hat, mit der eines Tages die Amtschefs der wichtigsten Ämter meines Ministeriums ersetzt werden sollten. Dass die SS durch dieses Amt eigene Waffen entwickelte, schien mir unnötig und verschwenderisch.“ Dieses Problem überraschte nicht nur den Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, da es auch heute im Grunde genommen unbekannt ist. Wie ich bereits im letzten Teil des vorigen Bandes geschrieben habe, kam bei den Zeugenaussagen zum Schlüsselprojekt der Bezug zu der SS-Geschäftsstelle auf, die für diese Forschungsarbeiten zuständig war. Es handelte sich lediglich um den Decknamen einer Geheimstelle „beim Waffenamt der Waffen-SS“ mit der Abkürzung „FEP“, die aller Wahrscheinlichkeit nach für „Forschungen, Erfindungen, Patente“ stand. Mehrere Jahre lang konnte niemand entziffern, was sich tatsächlich hinter diesen Worten verbarg. Der Versuch, diese Frage zu lösen, brachte mich auf eine interessante Spur. Die FEP war quasi eine Universaleinrichtung – solche Stellen gab es bei verschiedenen Ämtern, nicht nur in der SS – sie wurden mit römischen Zahlen bezeichnet. Über diese der SS zugeschriebene Stelle war jedoch lange praktisch nichts bekannt. Nach langer Suche stellte sich Folgendes heraus:

Himmler in der Hitler-Residenz Berghof. (W. Frentz / Archiv)

Unter den etwa zwölf SS-Zentralämtern gab es auch das SSFührungshauptamt (SS-FHA), das formell ein Befehlsamt der Waffen-SS war (soweit die einzelnen Einheiten nicht den Frontkommandostellen der Wehrmacht unterstellt waren). Sein Leiter war SS-Obergruppenführer Hans Jüttner. Nach den organisatorischen Änderungen, die formell am 24. Februar 1944 durchgeführt worden waren, wurde es in fünf „Amtsgruppen“ (mit den Buchstaben von A bis F), und unabhängig davon in etwa ein Dutzend Ämter unterteilt. Darunter war das Amt VIII mit dem Namen Rüstung. Es war für die Verwirklichung von SS-Rüstungsvorhaben zuständig. An seiner Spitze stand Otto Schwab, ein brillanter Doktor der Physik. Allein das schon zeugt nicht nur vom Druck, der auf die Verwirklichung der Forschungsrolle ausgeübt wurde, sondern auch vom Profil dieser Forschungsarbeiten. Die von Schwab wahrgenommene Rolle war so geheim, dass er auf vielen Dokumenten nicht als Amtsleiter, sondern als Kommandant der „Artillerieschule Nr. 1 der Waffen-SS“ bezeichnet wurde. Erst nach dem Krieg stellte sich heraus, dass es sich bei dieser „Schule“ um ein Forschungszentrum in Glau handelte, das einige Zeilen weiter unten erwähnt wird. Von der Bedeutung seiner wahren Funktion zeugt auch eine Reihe von blitzartigen Beförderungen – u. a. wurde er innerhalb von zwei Jahren (1942–

44) vom Standartenführer zum Gruppenführer, d. h. vom Oberst zum Generalmajor befördert. In einem bestimmten Bereich befasste sich das Amt VIII selbst mit den Forschungsarbeiten, für besonders wichtige Aufgaben war jedoch eine gesonderte Spezialstelle zuständig, die mit dem bereits erwähnten Decknamen FEP bezeichnet wurde (in den Akten des Persönlichen Stabes des RFSS sind Einzeldokumente erhalten geblieben, die das bestätigen; das trifft leider nicht auf die Dokumentation über das eigentliche Amt VIII zu, was jedoch kaum überraschend ist). Das Hauptinteresse der FEP galt Konzepten aus dem Bereich der Kernphysik.37, 38 Sie kontrollierte u. a. das SS-Kernforschungszentrum in Glau, in der Nähe von Trebbin in Brandenburg sowie ein entsprechendes SS-Zentrum in Pilsen, das weiter unten beschrieben wurde. Der volle Name dieser Forschungsstelle lautete also in der Originalschreibweise: SS-Führungshauptamt, Amtsgruppe „A“ – T. Amt VIII FEP. Unabhängig davon war im Rahmen des Amtes VIII auch eine „Forschungsund Entwicklungsgruppe“ tätig, die von SS-Brigadenführer Heinrich Gärtner geleitet wurde. Es ist mir bisher nicht gelungen, den Charakter ihrer Verbindung mit der FEP zu ermitteln – ob z. B. die FEP-Stelle innerhalb dieser „Gruppe“ oder ganz unabhängig tätig war. Im Gegensatz zu Gärtner galt Otto Schwab als ein hervorragender Spezialist und erfahrener Organisator (ähnlich wie Kammler – entgegen manchen Mythen, die auch von Speer kreiert wurden).

Himmler besucht zusammen mit den Mitgliedern seines persönlichen Stabes das Ghetto Litzmannstadt, eine seiner „industriellen Versuchsparzellen“. (Archiv)

Darüber hinaus gab es noch eine Institution, die die SS-Forschungsarbeiten koordinierte – und zwar unabhängig! 1944 beschloss Himmler, das Wissen und die Qualifikationen der in den Konzentrationslagern eingesperrten Wissenschaftler zu nutzen. Das Ganze war als eine massenhafte und gut organisierte Maßnahme geplant und hatte vor allem Physiker, Mathematiker und Chemiker im Visier, darunter natürlich auch Juden.37, 39 Zu diesem Zweck wurde das Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung unter dem Dach einer der Abteilungen des Deutschen Ahnenerbes, einer eher pseudowissenschaftlichen SS-Organisation gegründet. Leiter des Instituts wurde der bisherige RSHA-Referent Helmut Fischer, der sich mit „Naturwissenschaften befasste“. Es ist bekannt, dass im Rahmen dieses Vorhabens ein „mathematisches Institut“ im KZ Sachsenhausen geschaffen wurde; darin wurden jedoch nur 18 Häftlinge als Wissenschaftler beschäftigt. Im Großen und Ganzen hatte das mit dem Ahnenerbe verknüpfte „Ressort“ in der Praxis nur eine marginale Bedeutung und nahm nur Hilfsfunktionen wahr. Keinesfalls kann man es mit dem Technischen Amt im SS-FHA vergleichen – es handelte sich eher um eine Kuriosität. Sie zeigt jedoch, wie mehrgleisig Himmlers Expansion war. Speer räumt in seinem Buch Himmlers „Intrigen“, d. h. den Maßnahmen des SD-Apparates und der Gestapo, die gegen konkrete Personen in anderen für die Rüstung zuständigen Institutionen gerichtet waren, viel Platz ein. Als Vorwand galt ihre angebliche Unfähigkeit, es gab sogar Anschuldigungen wegen Subversion. Offensichtlich wollte der Reichsführer-SS vor allem das bisher für die Luftwaffe reservierte Feld betreten, deshalb wurde das Reichsluftfahrtministerium zum Ziel seiner schwersten Attacken. Diese erste „Offensive“ im Sommer 1944 erzielte noch keine deutlichen Effekte, Himmler ließ sich jedoch nicht durch zeitweilige Misserfolge abschrecken. Wir dürfen nicht vergessen, dass es sich weder um irgendwelche leeren Drohungen, wie der (irreführende) „freundschaftliche“ und „zaghafte“ Brief an Speer suggerieren könnte, noch um aus einem breiteren Kontext herausgerissenen Maßnahmen handelte, denn bald übernahm die SS die Direktkontrolle über alle fortschrittlichen Konzepte der Luftwaffe! Grund zur Sorge hatten also nicht nur die Abteilungsleiter im RLM, sondern auch Speer

selbst. Seine Feststellungen zur „zweiten Macht“ waren also keineswegs übertrieben. Ein weiterer Zug der SS war das Abschicken einer zweiten Denkschrift am 15. November 1944, die hinsichtlich der geforderten Maßnahmen bereits radikaler formuliert war. Ihr Verfasser war SS-Standartenführer Klumm – wahrscheinlich vom Stab des SS-FHA. Speer schrieb dazu:33 „In dieser neuerlichen Denkschrift wurde der Verdacht ausgesprochen, ‚dass Kräfte am Werk sind, kriegsentscheidende Maßnahmen zu unterbinden’, was ein kaum verhüllter Hinweis war, dass die Gestapo sich mit der Angelegenheit einmal beschäftigen möge. ‚Die Ereignisse beweisen uns immer mehr’, erklärte Klumm, ‚dass tatsächlich eine Änderung in den befehlsgebenden Stellen eintreten muß, wenn nicht alles Geplante doch noch im letzten Augenblick schiefgehen soll.’ […] ‚Ich kann nur immer wieder betonen, dass wir die besseren Erfinder und Geräte besitzen, die aber in keiner Weise zur Auswirkung kommen. Sie werden noch nicht einmal durch das RLM [Reichsluftfahrtministerium] in Entwicklung gebracht, obwohl sie seit vielen, vielen Jahren bereitliegen und für den Neubau der Flugzeuge und der Offensivgeräte benutzt werden könnten.’“ Entgegen Speer, der Himmler als einen unfähigen Ignoranten darzustellen versuchte, monopolisierte dieser bald nicht nur die Rüstungsmaßnahmen in der Luftfahrt – darunter solche, die mit den modernsten Waffenarten in Zusammenhang standen (mehr darüber im nächsten Kapitel) – sondern er hatte auch Spezialisten mit hohen Qualifikationen, die Speer hinsichtlich organisatorischer Fähigkeiten sicherlich in nichts nachstanden. Es reicht, als Beispiel Schwab und Kammler zu nennen. Das Jahr 1944 bedeutete auch einen schnellen Aufstieg Himmlers auf militärischem Gebiet. Außer den bisherigen Funktionen, wie Reichsinnenminister oder Leiter der Gestapo und anderer RSHA-Dienste wurde Himmler nach dem 20. Juli zu Hitlers Bevollmächtigtem in allen Angelegenheiten, die mit dem Frontnachschub zu tun hatten. Im Dezember 1944 übernahm er die Position des Oberbefehlshabers der Armee Oberrhein, und mehrere Wochen später die Führung der Armeegruppe Weichsel. Auch dann kümmerte er sich jedoch am meisten um die Forschungsarbeiten an neuen Luftwaffenarten.

Das Imperium der Waffen-SS bestand nicht nur aus der gewöhnlichen Armee, die an Seite der Wehrmacht kämpfte, sondern auch aus Fremdenlegionen (auf dem Bild: ein Offizier und ein Unteroffizier der Gebirgsdivision Prinz Eugen) und Forschungseinrichtungen, die bis heute praktisch unbekannt sind. (Archiv des Autors)

Speer kommentiert kurz noch eine weitere beachtenswerte Tatsache – am 31. August 1944 trat formell seine Verordnung in Kraft (die sich aus Hitlers Erlass „Über die Konzentration von Maßnahmen im Bereich der Rüstung und Kriegsproduktion“ vom 19. Mai ergab), die die Einstellung aller Forschungsprojekte anordnete, es sei denn, dass irgendein Projekt infolge einer langwierigen Prozedur von diesem Verfahren ausgeschlossen worden wäre. Formell ging es darum, in der schwierigsten Zeit die Produktion auf Kosten der Forschung zu steigern. Speer schreibt jedoch unverhohlen, dass das wirkliche Ziel in der Beendigung der zahlreichen SS-Projekte bestand (das ist nicht das einzige Beispiel dafür, dass Speer Himmlers Versuche sabotierte, auch wenn es sich negativ auf die Lage des Dritten Reiches auswirken sollte. „Ich wurde fast entlassen“ – so schrieb er – für die Sabotage des Baus unterirdischer Fabriken, was das ganze Programm um fast ein Jahr verzögerte!). Das bestätigt die These, die in der zitierten (späteren) Denkschrift Klumms vom November des Jahres enthalten war, dass die SS nicht nur die Übernahme „fremder“ Projekte anstrebte, sondern sie wollte – vielleicht sogar vor allem – um jeden Preis die Verwirklichung bestimmter eigener Arbeiten sicherstellen, die Speer zu torpedieren versuchte. Es handelte sich dabei um Projekte, die im Falle ihrer Verwirklichung (siehe voriges Kapitel) Himmler eine größere Macht als alles andere bisher gegeben hätten. Speer fügt jedoch in Bezug auf seine Verordnung hinzu: „Die erzielte Wirkung war geradezu entgegengesetzt“! Um die Jahreswende 1944/45 war Kammler bereits Fürst eines richtigen Staates im Staate, der auf Forschung ausgerichtet war, und die Kontrolle der SS über ausgewählte Forschungsgebiete war bereits unumschränkt, eingerechnet die Arbeitskräfte,

die Finanzierung, die Produktionsbasis und – als Folge – die Geheimniswahrung. Wie er selbst schreibt, wurde Reichsminister Speer nicht einmal über die Existenz des Amtes informiert, dem diese Forschungsarbeiten unterstanden. Himmlers „Offensive“ umfasste jedoch nicht nur die Industrie und die wissenschaftliche Forschung selbst. Eine separate „Angriffsrichtung“ waren die Banken. Es wurden ununterbrochen Anstrengungen unternommen, vertraute Personen (Vertreter) in ihnen unterzubringen. Zunächst basierte das Ganze auf dem erprobten „Freundschaftskreis des Reichsführers SS“, bei dem es sich in Wirklichkeit um eine nicht ganz formelle Finanzlobby handelte, die großes Kapital kontrollierte. Das tatsächliche Ziel war hingegen die Unterbringung höherer SS-Offiziere in den Aufsichtsräten großer Privatbanken. Erfolge in diesem Bereich waren nur begrenzt. Lediglich im Aufsichtsrat der Dresdner Bank fanden sich einige vertraute SS-Offiziere ein, sie gehörte jedoch zu den größten Privatbanken (wenn sie nicht die größte war). Eigentümlich ist, dass die Dresdner Bank die einzige Privatbank war, die vom Gerichtsverfahren in Nürnberg (auf Washingtons Initiative) ausgeschlossen wurde. Das offenbart wahrscheinlich noch einen weiteren Aspekt der Verhandlungen Wolfs mit Dulles in Zürich.

Kammlers Spezialwaffenprogramme innerhalb der SS Es wäre schwierig, in der Geschichte des Dritten Reiches eine unheilvollere und gleichzeitig geheimnisvollere Gestalt zu finden. Hans Kammler wurde zum Hauptvollstrecker von Himmlers Plan, aus der SS nicht nur eine „innere Armee“ und Elite der Streitkräfte, sondern auch den Herrscher über ein riesiges und für die damalige Zeit unglaublich modernes Rüstungsimperium zu machen. Das Symbol für die Karriere dieses Mannes ist die Übernahme der Kontrolle über das V2-Programm, das unter dem Gesichtspunkt des eingesetzten Potentials mit dem amerikanischen Atomwaffenprogramm vergleichbar war. Das sollte jedoch lediglich die sprichwörtliche Spitze des Eisberges sein!

Kammlers Karriere war das Ergebnis der Infragestellung der bisher unanfechtbaren Position von Reichsminister Speer, auf dessen Image viele Faktoren einen negativen Einfluss hatten – u. a. die Unfähigkeit, die Geheimhaltung in der Industrie und einen Subversionsschutz zu garantieren, sowie die Sabotage der Verlegung von Fabriken unter die Erde. Andererseits war Hitler nach dem Attentat im Sommer 1944 bereit, den bisherigen Grundsatz des inneren Kräftegleichgewichts im Staat aufzugeben und der SS wesentlich mehr Macht als bisher zuzugestehen. (Sammlung des Autors)

Das Ausmaß der von Kammler auf den Weg gebrachten Umwandlungen war so groß, dass sie sogar zu Systemänderungen im Dritten Reich geführt hätten (vorausgesetzt, sie hätten den Krieg überdauert). Es genügt zu erwähnen, dass eines der geplanten Elemente die Verlegung fast der ganzen Rüstungsindustrie unter die Erde bis zum Jahr 1946 war. Am Kriegsende befanden sich mindestens 800 verschiedene unterirdische Einrichtungen (größtenteils Fabriken) in verschiedenen Bau- / Bohrungs- bzw. Adaptationsphasen. Bei einigen von ihnen handelte es sich lediglich um kleine Wertstätten, es gab jedoch auch dutzende von wahren Monstren, deren Tunnel und Hallenkomplexe sich im Inneren von Gebirgsmassiven kilometerlang erstrecken. Es entstanden ganze unterirdische Reviere, die manchmal mit Staatsführungs- und Befehlszentren verbunden waren – ich habe diesen Themenkomplex in dem zweibändigen Werk „Podziemne królestwo Hitlera“ („Hitlers unterirdisches Königreich“) beschrieben, das 2006 erschienen ist. Das hätte den Charakter der ganzen Wirtschaft dieses Landes verändert, und doch war es nur ein Aspekt der Tätigkeit Kammlers.

Alleine die Verlegung der Industrie unter die Erde hatte eine Reihe weitreichender Folgen, wovon eine die Staatsform betraf. Es entstand ein für die Industriellen besorgniserregender Präzedenzfall, da (größtenteils) private Firmen in staatlichen und unter der Kontrolle der SS stehenden Einrichtungen untergebracht wurden, wobei ihnen oft „staatliche“ Arbeitskräfte in Form der durch die SS bereitgestellten Häftlinge zur Verfügung standen. Auf diese Weise entstand quasi eine gemischte kapitalistisch-staatliche Wirtschaftsordnung. Speer versicherte zwar, dass eine Fortsetzung solcher Praktiken nach dem Krieg nicht vorgesehen war und der Kapitalismus aufrechterhalten werden würde; es darf jedoch bezweifelt werden, ob die SS so leicht auf ihren Machtanteil verzichtet hätte. Speer sabotierte dieses Programm der „unterirdischen Transformation“ aufgrund ebensolcher Befürchtungen fast ein Jahr lang (etwa ab Sommer 1943 bis zum Frühjahr 1944). Die Privatindustrie ging de facto in die Kontrolle der SS über, da die Einrichtungen fast ausnahmslos durch KZHäftlinge gebohrt wurden und die SS die Gewalt über sie behielt. Der oben erwähnte, die Staatsform betreffende Aspekt hatte noch eine weitere Dimension: Die Grundlage der Wirtschaft beruhte auf der Rückkehr der Sklaverei. Wie das in der Praxis aussah wurde bereits in unzähligen Büchern beschrieben, auch an dieser Stelle wäre jedoch wenigstens eine kurze Beschreibung angebracht, um eine Vorstellung davon zu vermitteln. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass damit das Äquivalent der Hölle auf Erden (oder eher unter ihr) für hunderttausende von Menschen geschaffen wurde. Hier ein kurzes, wenig bekanntes Speerzitat, das eine Inspektion in den großen unterirdischen Mittelwerk-Betrieben in Thüringen im Dezember 1943 beschreibt. Am Ende sollten sie einen Rauminhalt von knapp zwei Millionen Kubikmetern besitzen und u. a. V1- und V2-Geschosse herstellen:33 „Die Durchführung dieser gewaltigen Aufgabe [d. h. des Baus] verlangte von den führenden Männern [der SS] die letzte Kraft. Einige waren soweit, dass sie zur Auffrischung ihrer Nerven zwangsweise in Urlaub geschickt werden mußten. Das Werk wurde in der Tiefe der Stollen besucht und von oben aus dem Flugzeug besichtigt. Die Führung teilten sich Direktor Degenkolb und Brigadenführer Kammler. Nach einer Besichtigung von etwa einer Stunde waren wir zur

Baubaracke zurückgekehrt. Was sah ich: ausdruckslose Gesichter, stumpfe Augen, in denen noch nicht einmal Hass zu erkennen war, ermüdete Körper in schmutzig-blaugrauen Hosen. Beim Nahen unserer Gruppe nahmen sie auf ein schneidendes Kommando Hab-AchtStellung ein, die blaßblauen Mützen in ihren Händen. Sie schienen keiner Reaktion mehr fähig zu sein. – Kaum zweieinhalb Jahre später sollte ich in gleicher Bekleidung meine blaßblaue Mütze abnehmen, wenn sich ein untergeordneter Aufsichtsbeamter im Spandauer Gefängnis näherte. Die Häftlinge waren unterernährt und übermüdet; die Höhlenluft kühlfeucht, nach Fäkalien stinkend und verbraucht. Der Mangel an Sauerstoff machte auch mich schwindlig; ich fühlte mich benommen. Sonderbarerweise dachte ich in diesem Augenblick an die griechischen Kriegsgefangenen, die vor über 2.000 Jahren die Höhlen von Syrakus in den Fels trieben, die ich wenige Jahr zuvor mit Magda Goebbels, den Bildhauern Arno Breker und Joseph Thorak besucht hatte. Damals hatte es mich geschaudert, angesichts der Hinterlassenschaft grausamer Jahrhunderte; nun sah ich trostlosere Bilder, als sie mir damals meine Phantasie vorgestellt hatte. Wahrscheinlich kannten die SS-Führer bereits die Reaktion ihrer Besucher auf dieses grausige Bild. Denn sie boten sogleich einen Korn an, den ich – gegen meine Gewohnheit – rasch hinunterstürzte.“ Trotz der eingeschränkten Produktivität der menschlichen Trümmer, die in Sträflingsanzüge aus Brennnesseln gekleidet waren, rühmte sich Himmler vor seinen Generälen bereits am 21. Juni 1944 während einer Rede in Sonthofen mit dem Bau „riesiger unterirdischer Fabriken“. Er kündigte die Fertigstellung einiger großer Einrichtungen bis Mitte August an. Das muss auch Widerwillen gegen Kammler selbst erregen, wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass Himmlers immer stärkerer Druck, Häftlinge in der Rüstungsindustrie und beim Bohren unterirdischer Einrichtungen einzusetzen, auf der anderen Seite auch bedeutete, dass sie dadurch eine Überlebenschance bekamen. Dieses Motiv wird selten im Kontext der SSRüstungspläne erwähnt, es handelte sich aber um eine Abkehr vom Holocaust in seiner „Reinform“, wie es Speer in seinen früheren Zitaten suggerierte! Es

war ja ein Hindernis auf dem Weg zum Bau eines Industrieimperiums. Der Mangel an Häftlingen hätte dazu geführt, dass Himmler in den Augen Hitlers einen der wichtigsten Trümpfe verlieren würde (es ging nicht nur um den Bestand an Arbeitskräften, sondern im gleichen Maße um die Einfachheit, die Projekte geheim zu halten).

Kammler in der Waffen-SS-Uniform mit den Rangabzeichen des Gruppenführers. (Sammlung des Autors)

Das ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass Kammler an einen Statthalter des Teufels erinnerte, der gleichermaßen mit Rücksichtslosigkeit wie organisatorischem Talent ausgestattet war. Der Höhepunkt seiner Karriere fiel in ein Krisenstadium in der kurzen Geschichte des Dritten Reiches, als die Zeit knapp und die Widrigkeiten immer größer wurden. Das führte dazu, dass seine Vorgehensweise aus Prinzip und fast ausnahmslos drakonisch war. Er hatte die Macht, in seinem Tätigkeitsbereich den SDOffizieren (Sicherheitsdienst der SS) Direktbefehle zu erteilen, und im Gegensatz zu den Beamten des Speer-Ministeriums oder der Organisation „Todt“ zögerte er nicht, diese Macht auch einzusetzen, was darauf hinauslief, dass er Beamte des Industrieapparates, die den anvertrauten Aufgaben nicht entsprechend nachkamen, verhaften und liquidieren ließ. Kammlers Weg, der durch das Gebiet der Konzentration von „Spezialunternehmungen“ aller Art führte, war also eine Todesroute – nicht nur vom Standpunkt der Häftlinge und Zwangsarbeiter aus gesehen. Bei der Beschreibung der Karriere dieses Mannes ist noch eine Anmerkung

über die unzähligen Titel notwendig, die sich bei seinem Namen mehrten („Sonderbeauftragter für …“ und „Sonderbevollmächtigter des Führers für …“), insbesondere ab Herbst 1944. Das erfordert einen ziemlich wichtigen Kommentar allgemeiner Art. Der Nationalsozialismus führte eine Reihe neuer Bräuche in das politische und gesellschaftliche Leben ein. Einer davon ergab sich aus dem „Führerprinzip“. Kammlers Karriere lehnt sich musterhaft an dieses Konzept an, das darauf beruht, dass die den Ämtern verliehene Exekutivrolle zugunsten des Vorrechts konkreter Personen aufgegeben wurde. Es gab z. B. keine „höheren Führungsämter für die SS und Polizei“ in der Funktion der zuständigen Staatsführungselemente (in irgendeinem Gebiet), es gab hingegen den Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF). Nach einem ähnlichen Prinzip funktionierten auch die „Kommandantenämter“ (statt „Kommandanturämtern“). Ein perfektes Beispiel für das Konzept des „Führerprinzips“ waren auch die Gauleiter – Vertreter der Partei in den Gauen (die im Großen und Ganzen den heutigen Bundesländern entsprachen – der Gau knüpft an die Epoche der Bezirkseinteilung im Ersten Reich an). Eine gegenwärtige Entsprechung ist z. B. das Amt eines Rektors oder Bischofs – nicht das Rektorat, sondern der Rektor ist das Führungsorgan der Hochschule. Genauso ist jedes der vielen dutzend (!) Titel zu verstehen, die SS-Obergruppenführer Hans Kammler besaß – nicht als eine sich aus der Amtsfunktion ergebende Kompetenz, sondern als Identität einer juristischen Person. Das war natürlich eine Anknüpfung an die feudale Tradition, und es ist schwer, diesen Vorgang nicht mit der Absicht in Zusammenhang zu bringen, nach dem Krieg „reguläre“ aristokratische Titel in der SS (zusätzlich) einzuführen. Den Titeln sollte im Übrigen eine viel umfassendere Wirklichkeit folgen. Die Abdrift in Richtung eines kapitalistisch-sozialistisch-feudalen Mischsystems ruft noch einen weiteren Umstand aus der Erinnerung, der den Charakter dieses Menschen wiedergibt. In der ersten Kriegsphase, als Hitler und Stalin Verbündete waren, hielt sich Kammler als abkommandierter Stabsoffizier in der UdSSR auf. Dort hatte er die Möglichkeit, die sowjetischen Führungs- und Verwaltungsmethoden kennenzulernen. Das ist potentiell insofern wichtig, als Kammler im Gegensatz zu Speer, der es eher vorzog, sich auf die Autonomie der Verwaltungskader in der Wirtschaft zu verlassen, ein wesentlich zentralisierteres System in der Rüstungsindustrie einführte. Der damalige Standartenführer (Oberst) kehrte erst vor dem

Angriff auf die UdSSR ins Reich zurück. Die Meinungen der Zeitgenossen über Kammler waren durchwegs negativ, zur Regel gehörte allerdings auch ein Hauch von Faszination, die auf etwas Undefinierbarem beruhte, als wäre er die Verkörperung eines dunklen Genies. General Walther Dornberger, der für die Forschungsarbeiten an der V2 vonseiten der Wehrmacht zuständig war, konnte sich an folgende Merkmale erinnern: „Seine wachsamen, durchdringenden Augen machten den Eindruck, als würde man vor einem Söldling aus der Zeit der Renaissance stehen. Sein stark ausgeformter Mund mit vorstehenden Lippen drückte Brutalität und Arroganz aus.“ SS-Obersturmbannführer (Oberstleutnant) Rudolf Höß – der erste Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz (mit dem Kammler an der Umgestaltung von Gaskammern zusammenarbeitete, um ihre Leistung zu erhöhen), beschrieb ihn einfach mit den Worten: „Geradsinnig und bescheiden im Privatleben“. Wie wurde er jedoch durch Personen von außen wahrgenommen? Ein in Berlin akkreditierter amerikanischer Diplomat behielt den fast 40-jährigen Offizier wie folgt in Erinnerung:40 „Er war zum Tragen einer Uniform geboren, obwohl er in einer säuberlich zugeschnittenen Reitweste genauso gut aussah. Seine Liebe zu Pferden und zum Reitsport brachte ihm Popularität in den Berliner Kreisen. Er war jedoch immer unberechenbar.“ Der britische Forscher und Historiker Tom Agoston schrieb seinerzeit:40 „Wenn Kammler im altertümlichen Ägypten gelebt hätte, hätten sich die snobistischen Pharaonen, die die früheren Dynastien immer überstrahlen wollten, mit der Errichtung der Pyramiden sicherlich an ihn gewandt. Im Rom der Cäsaren wäre er als Erbauer des Kolosseums zelebriert worden, wo die damaligen Gladiatoren-Superstars um erhobene Daumen einer 50.000 starken Menge miteinander rivalisierten.“ Bevor ich den Lebenslauf dieses Menschen und seine ungeheure Macht in der Endphase des Krieges vorstelle, möchte ich zwecks Einleitung noch einmal auf einige Beschreibungen von Speer zurückkommen, da sie

einerseits fast schon den Rang eines Dokumentes besitzen und die manchmal kuriosen Mechanismen eines bestimmten Prozesses offen legen, andererseits aber auch besonders zutreffend sind:33 „Kaum 14 Tage nach meiner Genesung von mehrmonatiger Krankheit, am 12. Mai 1944, versuchte ich, durch eine neue Regelung der Aufgabenverteilung im A4-Programm den Einfluß der SS auf meine Dienststellen einzudämmen. Dem SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt verblieb danach im Wesentlichen der Ausbau der Mittelwerke. Es stellte die für Ausbau und Produktion erforderlichen Häftlinge als Arbeitskräfte zur Verfügung, die auch allein der Disziplinargewalt der SS unterstanden. Die Entwicklung und Erprobung der A4 oblag aber nun wieder dem Oberkommando des Heeres, nämlich dem Heereswaffenamt und wurde von General Dornberger verantwortet. Der Sonderausschuss A4 meines Ministeriums unter der Leitung von Degenkolb stellte das Fertigungsprogramm auf, er sicherte die technischen Produktionsvoraussetzungen und sorgte für die rechtzeitige Gestellung von Maschinen, Zubehörteilen und Materialien. Verantwortlicher Träger der Fertigung sollte, im Gegensatz zu Himmlers eigenmächtigem Führungsanspruch, die Geschäftsführung des Mittelwerkes unter der Leitung der von den Organen der Selbstverantwortung gestellten Geschäftsführung sein, die unter der Leitung des Direktors der Demag, Georg Rickhey, stand. Meine Stellung war nach meiner Versöhnung mit Hitler gestärkt, und so konnte ich auch Himmler gegenüber stark auftreten. Mein Versuch, den Machtanspruch der SS-Führung auf die gesamte Fertigung einzudämmen, scheiterte aber sehr bald. Himmler, der nach dem 20. Juli 1944 Nachfolger Fromms als ‚Befehlshaber des Ersatzheeres und Chef der Heeresrüstung’ geworden war, übergab Kammler am 6. August 1944 ‚verantwortlich die Durchführung aller Vorbereitungen für die Erreichung der Einsatzfähigkeit der A4. […] Sie unterstehen hierbei nur mir sowie dem [Stabs-]Chef BdE [Befehlshaber des Ersatzheeres] und [Stabs-]Chef HRüst [Heeresrüstung], SSObergruppenführer Jüttner.’ Himmler hielt es in seiner neuen Machtfülle nicht einmal für notwendig, wenigstens die Form einzuhalten und mir eine Abschrift dieser Anordnung zuzuleiten. Ich

war inzwischen durch die Tatsache belastet, dass mein Name auf der Ministerliste der Verschwörer entdeckt worden war. Kammler schrieb wenig später an Saur und präzisierte die undeutlich ausgedrückte Bevollmächtigung Himmlers. Fünf Tage später protestierte ich bei Jüttner: ‚Wie ich einem Schreiben von Dr. Kammler an Herrn Saur entnehme, hat der Reichsführer-SS in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber des Heimatheeres diesem die Verantwortung für die Fertigung und Einsatz des A4-Gerätes gegeben. Für die Fertigung des A4-Gerätes ist unter mir ausschließlich der Sonderausschuss A4 unter Herrn Direktor Degenkolb verantwortlich, der unter der Gesamtverantwortung von Herrn Saur steht. Ich bitte Sie, den Befehl des Reichsführers-SS an Herrn Kammler nach Rücksprache mit mir entsprechend ändern zu lassen. Aber ich erreichte wenig. Selbst in Kleinigkeiten achtete Himmler nun vielmehr darauf, dass ihm die Entscheidung in allen Angelegenheiten der A4 verblieb. Es war den zuständigen Ministern vorbehalten, Hitler die Verleihung von Ritterkreuzen zum zivilen Kriegsverdienstkreuz vorzuschlagen. Nun übernahm Himmler auch hierin die Initiative. Am 28. September 1944 ließ er sich von Hitler die Ritterkreuze für Dornberger und zwei seiner Mitarbeiter am A4-Projekt, Riedel und Kunze, genehmigen. Salopp und respektlos fügte er in einem Fernschreiben an mich hinzu: ‚Ich halte es für das Beste, wenn von Ihrer Seite die formellen Vorschläge eingereicht würden. Auf die Antwort ließ ich Himmler sechs Wochen warten. Für die V2 seien ‚bis jetzt Herr Rickhey [Direktor der Mittelwerke] und Herr Kunze und aus dem Bereich des Chef HRüst [Heeresrüstung] General Dornberger und der gefallene Dr. Thiel, einer der Konstrukteure, vorgesehen’. Den eigentlichen Initiator der Raketenentwicklung, Wernher von Braun, hatte Himmler unberücksichtigt gelassen. Ich fand das grotesk. So schrieb ich an Himmler, es schiene mir ‚notwendig, ihn [Wernher von Braun] mit dem Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes auszuzeichnen, nachdem er als engster Mitarbeiter von General Dornberger seit Beginn der Entwicklung von A4 vor zehn Jahren tätig war’. Im Winter, am 31. Dezember 1944, hielt es Himmler nicht einmal mehr für angebracht, seine ‚Abgrenzung der Arbeitsgebiete und

Verantwortlichkeiten auf dem Gebiet des A4-Programms’ mit meinen Stellen auch nur abzustimmen. Im Verteiler dieses Befehls ist mein Ministerium nicht aufgenommen. Der Befehl solle ihm nur ‚nachschriftlich’ zugesandt werden. Eine offensichtliche Demütigung, denn das hieß aus dem Amtsdeutsch übersetzt, dass ich mit dieser Angelegenheit nicht befaßt sei. Diese unbedeutend erscheinende Kleinigkeit ist in unserem Zusammenhang für die Beurteilung dieses Erlasses wichtiger als sein langatmiger Inhalt. Es folgten weitere Erlasse Himmlers und Kammlers, die aber am Tatbestand ihrer vollen Übernahme der A4-Entwicklung und -Produktion nichts änderten.“ Speer beschrieb Kammler als einen begabten, energischen, aber auch skrupellosen Organisator – aus diesem Grund verglich er ihn mit Heydrich. Seine Wirksamkeit und Vorgehensgeschwindigkeit mussten den Reichsminister entsetzen, was die folgenden Worte am besten belegen: „In der SS sagte man, dass Kammler für meinen Nachfolger vorbereitet sei!“

Kammler, noch als Brigadenführer. (Sammlung des Autors)

Der spätere SS-Obergruppenführer Dr. Ing. Hans Friedrich Karl Franz Kammler wurde am 26. August 1901 in Szczecin (Stettin) geboren. Nach gewisser Zeit zogen seine Eltern nach Bydgoszcz (Bromberg) um, wo er als Siebenjähriger auf die Allgemeinschule ging. Damit war die familiäre Wanderschaft nicht zu Ende – nach vier Jahren siedelten sie nach Ulm an der Donau, und während des Ersten Weltkrieges nach Danzig über, wo Kammler

am Gymnasium die Reifeprüfung ablegte. Er war zu jung, um am Weltkrieg teilzunehmen, verband sein Schicksal jedoch relativ früh mit der Armee. Im Februar 1919, also im Alter von 18 Jahren, trat er freiwillig dem Heer, und zwar dem Leib-Husarenregiment Danzig bei. Das hinderte ihn nicht, im Mai 1919, ebenfalls in Danzig, auch dem nationalistischen Freikorps beizutreten. Die Reichswehr war kraft des Friedensvertrages Reduzierungen unterworfen, und Kammler kehrte nach sechs Monaten nach Hause zurück. Die Zeit bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hat für uns keine größere Bedeutung, deshalb möchte ich nur auf die wichtigsten Ereignisse eingehen.41 Wichtig ist u. a., dass Kammler im Oktober 1919 das Architekturstudium an der Technischen Hochschule Danzig aufnahm (es war das Bauwesen, das ihm später die Karriere in der SS bahnte). Vier Jahre später besaß er bereits das Ingenieurdiplom. In der Zwischenzeit arbeitete er zusätzlich in einer lokalen Zuckerfabrik, in der er auch mit Bauaufgaben beauftragt wurde. In den Jahren 1921/22 arbeitete er auch im Danziger Siedlungsamt. In den Jahren 1924–28 zeigte er bereits seinen Ehrgeiz, indem er viele Posten gleichzeitig bekleidete und zahlreiche anspruchsvolle Aufgaben verwirklichte. Er war z. B. Assistent im Berliner Büro des Preußischen Bauamtes und befasste sich sogar mit Finanzanalysen. Ein Jahr lang war er Praktikant in einem angesehenen Berliner Architektenbüro, nahm am Entwurf und Bau der modernen Großsiedlung Zehlendorf-West in der deutschen Hauptstadt teil u. Ä. Seine eigenen Entwürfe wurden für mehrere Wettbewerbe vorgeschlagen. Sein Lebenslauf wäre zu dieser Zeit so umfangreich gewesen, dass es schwierig wäre, ihn auf ein paar Seiten unterzubringen. Es lohnt sich zu erwähnen, dass Kammler bereits am 1. April 1928, also im Alter von 26 Jahren, wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer staatlichen Forschungsinstitution war, die sich mit dem wirtschaftlichen Aspekt von Bauprojekten befasste (Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftsfragen im Bau- und Wohnungswesen). 1931 war er selbstständiger Referent, der für die Planung ähnlicher Projekte im Reichsarbeitsministerium zuständig war. Zugleich war er in der Gauleitung (dem Kreissitz der Partei) Berlin beschäftigt, wo er die Gelegenheit hatte, während der Arbeiten an einer weitreichenden Umgestaltung der Reichshauptstadt Speer kennenzulernen (der damals auch Architekt war!). Hitler träumte schon damals von der Umwandlung Berlins in die große Europahauptstadt Germania.

In der Zwischenzeit heiratete Kammler 1928 Jutta Horn, eine 22-jährige Pastorentochter aus Naumburg (Nowogród Bobrzański hieß damals Naumburg am Bober, sollte es sich etwa um diese Stadt handeln?). Am 1. März 1931 trat er der NSDAP bei, trat aus der protestantischen Kirche aus und trug gemäß der nationalsozialistischen Richtschnur „gottgläubig“ in die Rubrik „Religion“ aller Dokumente ein. Im November 1932 promovierte er an der Technischen Hochschule Hannover und trat im Mai nächsten Jahres der SS bei. Man könnte also die Behauptung wagen, dass er es damit rechtzeitig geschafft hatte, sich eine Art Sprungbrett für die spätere Karriere zu bilden, noch bevor Hitler an die Macht kam. Die Mitgliedschaft in der Partei öffnete ihm jedenfalls den Weg zu leitenden Stellungen in der Staatsverwaltung. 1934 wurde Kammler Mitglied im Aufsichtsrat der Gemeinnützigen Wohnungsbau AG – Groß-Berlin, eines Unternehmens, das vor allem zur Umgestaltung Berlins ins Leben gerufen worden war, als auch Berater im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Ein Jahr später wurde er Mitglied einer Forschungsgruppe, die sich mit Großbauprojekten im Reichsarbeitsministerium befasste. Im Juni 1936 wurde er Referent für Bauangelegenheiten in einem der militärischen Luftkreise im Reichsluftfahrtministerium (im Dritten Reich gab es diese separate Unterteilung, im Übrigen deckte sich die Aufteilung in militärische Kreise der Waffen-SS überhaupt nicht mit der entsprechenden Aufteilung der Wehrmacht). Dadurch erweckte er den Eindruck, als wollte er seine Karriere mit der Luftwaffe verbinden. Dazu kam es zwar nicht, er besaß jedoch zumindest gewisse Qualifikationen, um 1945 die Kontrolle über die Jägerfabriken zu übernehmen. Im November 1936 wurde er zum Regierungsbaurat der Luftwaffe befördert und kam ab diesem Zeitpunkt in einer Uniform mit gelben Vorstößen und den Rangabzeichen eines Majors zur Arbeit – obwohl er nicht in den Offiziersrang befördert wurde! Unabhängig von diesen Funktionen wurde Kammler 1936 in der SS zum SSUntersturmführer (Leutnant) befördert und trat einen Beamtenposten im Rassen- und Siedlungshauptamt der SS (SS-RuSHA) an.

Hans Kammler. (Sammlung des Autors)

Seit dieser Zeit verband er Ministerialfunktionen bei der Luftwaffe mit verschiedenen Zuweisungen in der SS. Am 1. Juni 1937 bekam er im Rassen- und Siedlungshauptamt die Oberleutnantuniform und wurde Oberregierungsbaurat. Im selben Jahr wurde er Ausbilder bei der Schupo in Berlin, wo er Schulungen für Polizeibeamte durchführte. Zu dieser Zeit begann sich seine Karriere immer mehr der SS hinzuwenden. Es begann eine Zeit schneller Beförderungen – am 12. September 1937 zum SS-Hauptsturmführer (Hauptmann); am 11. September 1938, fast genau ein Jahr später, zum SS-Sturmbannführer (Major), und am 1. Juni 1939, etwas mehr als ein halbes Jahr danach, zum SSObersturmbannführer (Oberstleutnant). 1939 wurde er auch Leiter der „Hochbaugruppe“ in der Abteilung LD-5 (Bauwesen) im Reichsluftfahrtministerium. In der Zwischenzeit wurde er deutscher Repräsentant auf dem internationalen Städtebaukongress in Stockholm. Am 20. Mai 1940 wurde er Baudirektor der Luftwaffe – und damit zum jüngsten der vier Baudirektoren des RLM. Als Luftwaffenbeamter trug er bereits die Militäruniform eines Obersts. Im August wurde er auch bei der SS in den gleichwertigen Rang eines SSStandartenführers befördert. Gleichzeitig wurde er zum Dienst im SSWirtschafts- und Verwaltungshauptamt (SS-WVHA) abkommandiert. Nach dem RLM wurde dies quasi zu einer weiteren „Leiter“, mit der er die höheren Karrierestufen erklimmen konnte. Bereits am 1. Juni 1941 wurde er formell zum SS-Oberführer (Brigadier, ein Dienstgrad zwischen Oberst und Generalmajor) befördert. Nach weiteren zehn Monaten besaß er den ersten Generaldienstgrad: Er wurde SS-Brigadenführer und Generalmajor der Waffen-SS! Gleichzeitig mit der Übernahme der Funktion im SS-WVHA wurde er zum Referatsleiter für Siedlungsangelegenheiten im Stabshauptamt des

Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums (RKF) – diese Funktion wurde vorher von Himmler wahrgenommen. Im November 1940 trat er zusätzlich die Funktion des Generalreferenten für die Normung des Grund- und Baurechts im Stab des Reichskommissars für den sozialen Wohnungsbau (Robert Ley) an, was mit den Plänen zum langfristigen Umbau Berlins verbunden war. Aufgrund einer solchen Unmenge von Aufgaben gab er am 29. Mai 1941 endgültig alle bisher im Reichsluftfahrtministerium wahrgenommenen Funktionen auf. In der Zeit vom 1. Juni 1941 bis zum 1. Februar 1942 war er auch Leiter des Amtes II (Bauten) im Hauptamt Haushalt und Bauten, das in Zusammenhang mit großangelegten Plänen zum Ausbau von Polizei- und Waffen-SS-Einrichtungen in den „besetzten Ostgebieten“ bis zum Ural und dem Kaspischen Meer, aber auch im sogenannten „Protektorat“ (Tschechien), dem Generalgouvernement, in Skandinavien und Holland gegründet worden war.

Kammler begleitet Himmler während einer Inspektion in Monowitz – 18. Juli 1942. Er war u. a. für den Ausbau der Krematorien in Auschwitz verantwortlich. (Sammlung des Autors)

Für diese Ziele waren damals Beträge von etwa zwölf Milliarden Mark vorgesehen. Da dieses Vorgehen mit der Exterminierung der bisherigen Bevölkerung einhergehen musste, bestand ein Teil dieser Pläne darin, Massenvernichtungslager zu errichten und auszubauen, insbesondere der Krematorien im Osten – wofür Kammler persönlich verantwortlich war. Im

Rahmen dieser Aufgaben kam es am 20. Juli 1941 zu einem Treffen zwischen Kammler, Himmler, Pohl und Globocnik in Lublin. Der Letztere war Höherer SS- und Polizeiführer des Distriktes Lublin. Während dieses denkwürdigen Gespräches wurden die Rahmenbedingungen für eine mehrfache Erhöhung der „Kapazität“ von Konzentrationslagern in diesem Teil des Generalgouvernements auf etwa 50.000 Menschen täglich umrissen! Am 22. September 1941 verschickt Kammler auf Weisung Himmlers eine Verordnung zur Errichtung des „Waffen-SS-Kriegsgefangenenlagers in Lublin“ (Majdanek), wo anfangs nur UdSSR-Bürger hinkommen sollten. Im Dezember ordnete er an, 150.000 Kriegsgefangene nach Majdanek und 200.000 nach Auschwitz zu schicken. Am 1. Februar 1942, nach der Beförderung zum Brigadeführer, übernahm Kammler die Leitung der Amtsgruppe „C“ (Bauwesen) im SS-Wirtschaftsund Verwaltungshauptamt und wurde zum Bevollmächtigten von Amtsleiter Pohl für Rüstungsangelegenheiten. Die ersten wichtigen Aufgaben betrafen die Lager im besetzten Polen. Es begann die Zeit regelmäßiger Reisen nach Auschwitz und Majdanek. Im Juli präsentierte Kammler in der Berliner Zentrale Modelle und Pläne zum Ausbau der Konzentrationslager und zu ihrer Umwandlung in große Zwangsarbeitszentren. Er beginnt auch mit der Kontrolle des Ausbaus von Krematorien in Auschwitz. Kammler wird zum Hauptverantwortlichen für die Erhöhung der „Kapazität“ der dortigen Gaskammern und Öfen von 10.000 auf 60.000 Menschen täglich ernannt! Hitler betrachtete in Berlin das unter Kammlers Aufsicht pedantisch, fast schon suggestiv angefertigte Lagermodell (mit handgemalten Kleindetails) nach dem Ausbau. Im August fuhr Kammler in die Ukraine, wo er u. a. das Vernichtungslager Belzec inspizierte. Im Quartier in Winnyzja unterhielt er sich mit Himmler und Eichmann (dem Leiter des „Judenreferats“ der Gestapo) über Pläne zur massenhaften Exterminierung der Ostbevölkerung. Im September informierte er ihn während eines Gesprächs mit Speer über die gemeinsam mit Himmler und Pohl getroffene Entscheidung, die KZHäftlinge massenweise in Rüstungsbetrieben einzusetzen. Im Mai 1943 gab es zahlreiche Meldungen über die Notwendigkeit, die Lebensbedingungen der Häftlinge zu verbessern, wenn die Rüstungsaufgaben verwirklicht werden sollten. Daraufhin erfolgte eine geringe Besserung in diesem Bereich. 1943, nach der Niederschlagung des Aufstandes im Warschauer Ghetto, wurde Kammler mit der Aufgabe betraut, die Ruinen zu bewirtschaften und

dafür zu sorgen, dass keine Spur von den letzten Bewohnern blieb. Die Art der Befehlsausführung überraschte sogar Hitler. Das ganze Stadtviertel wurde dem Erdboden gleichgemacht. Nicht nur Rohre und Kabel, sondern auch alle Ziegel, die erneut verwendet werden konnten, wurden mit einer wahrhaft deutschen Genauigkeit aus den rauchenden Trümmern sorgfältig herausgeholt und gezählt. Es waren 34 Millionen. Am 21. August 1943 übernahm Himmler formell die Verantwortung für die Produktion der V2-Raketen. SS-Brigadeführer Kammler wurde zum Hauptvollstrecker dieses Programms. Am selben Tag wurde der „Sonderstab Kammler“ ins Leben gerufen. Zu seiner Hauptvollstreckungsinstanz wurden das „Baubüro Dr. Kammler“ mit Sitz in Berlin und zahlreiche „SSSpezialinspektionen“ im ganzen Reichsgebiet. Ihnen unterstanden wiederum die lokalen SS-Kommandostäbe. Das war ein weiterer Wendepunkt in der Karriere dieses Mannes und der Geschichte der SS-Expansion. Speer schrieb (zwar in Bezug auf eine etwas spätere Periode, als die Produktion der V2 bereits im Gange war):33 „Am 6. August 1944 betraute er [Himmler] Kammler mit der ‚Verantwortung, dass die A4 [V2] die volle Kampffähigkeit erreicht. Sie sind nur vor mir und dem SS-Obergruppenführer Jüttner verantwortlich‘. In seiner neuen Machtdomäne hat sich Himmler nicht einmal die Mühe gemacht, die Form zu wahren und mir eine Kopie dieses Befehls zukommen zu lassen.“ Diese Information bedeutet, dass der „Sonderstab“ seine Tätigkeit in enger Zusammenarbeit mit dem bereits erwähnten „T. Amt VIII“ im SSFührungshauptamt verwirklichte (geleitet von Jüttner). Die führende Person im „Sonderstab“ war der aus dem Speer-Ministerium „mitgenommene“ Dr. Fritz Schmelter, der die Abteilung für die Nutzung der Zwangsarbeitskräfte leitete. Die Hauptaufgabe des Sonderstabes war der Ausbau von unterirdischen Fabriken im ganzen Deutschen Reich. Dadurch konnte Kammler sich später auch in den Kompetenzbereich des Jägerstabes einmischen, da der Erfolg dieses Stabes im gleichen Maße von der Errichtung unterirdischer Fabriken abhing. Dazu kehren wir gleich zurück. Kammlers Baubüro war in drei separate SS-Führungsstäbe unterteilt, die mit den Buchstaben A, B und S versehen wurden. Stab A war für den Schutz der Rüstungsfabriken selbst vor Luftangriffen zuständig, Stab B hatte die gleiche

Funktion im Hinblick auf Unternehmen, die mit anderen Firmen von hoher Priorität kooperierten, während Stab S vielfältige Spezialprojekte verwirklichte. Im August 1943 wurde in Thüringen auf Anweisung Kammlers das zum KZ Buchenwald gehörende Außenlager Dora errichtet, das in erster Linie Arbeitskräfte für den Ausbau der bereits beschriebenen unterirdischen Großfabrik Mittelwerk zur Verfügung stellen sollte. Die ersten Häftlinge wurden am 28. August dorthin gebracht. Am 1. Oktober 1944 wurde Dora zu einem eigenständigen Konzentrationslager unter der Bezeichnung Mittelbau. Bald hatte es bereits 30 Außenkommandos. Sie bohrten eine Reihe anderer, oft vergleichbar großer unterirdischer Fabriken, die vor allem der Luftfahrtund Raketenproduktion dienen sollten. Im November 1943 wurde Kammler Mitglied des Beratungsrates der Mittelwerk GmbH. Das Vorhaben galt aufgrund des Ausmaßes der unterirdischen Betriebe, die relativ schnell zurzeit der allgemeinen Kriegsprobleme errichtet worden waren, als großer Erfolg. Daraufhin, am 17. Dezember 1943, wurde Kammler schriftlich von Reichsminister Speer selbst mit der „Verwirklichung von Spezialbauprojekten“ beauftragt. Es handelte sich dabei zwar lediglich um eine Formalität, sie zeugte jedoch von der Anerkennung der Leistungen durch die Konkurrenz. Kurz danach, im Januar 1944, begannen die ersten in Serie hergestellten V2-Raketen die Hallen des Mittelwerks zu verlassen. Zu einem weiteren Wendepunkt in Kammlers Karriere kam es am 1. März 1944, als der Jägerstab gebildet wurde. Er sollte sich mit der Koordinierung von Industrievorhaben befassen, die im Allgemeinen dem Wiederaufbau und der Modernisierung der Jagdflugzeugherstellung durch die Luftwaffe gewidmet waren. Das Ziel war natürlich, die Wellen der alliierten Bomber aufzuhalten, die zu tausenden am Himmel über dem Dritten Reich auftauchten (im selben Jahr stellten z. B. die Amerikaner etwa 90.000 Flugzeuge her!). Es ging vor allem um den Bau unterirdischer Fabriken, da andere Einrichtungen in der bestehenden Situation keine Daseinsberechtigung gehabt hätten, gleichzeitig aber auch um die Aufnahme der Massenproduktion von Düsenjägern, die zu Recht als ein großer technischer Trumpf betrachtet wurden. Kammler wurde Mitglied des Jägerstabes als Repräsentant Himmlers (in der Praxis übte diese Funktion in seiner Abwesenheit Fritz Schmelter aus, der auch Mitglied war). Im Übrigen

wurden Kammler wenige Tage später (am 5. März) Spezialvollmachten zur Verwirklichung des Jägerprogramms auch von Reichsmarschall Göring übergeben. Leiter des Jägerstabes wurde Karl Otto Saur, der bisher die Technikabteilung in Speers Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion geleitet hatte. Für diesen Posten wurde er gleichzeitig von Speer und dem Generalinspekteur der Luftwaffe Erhard Milch vorgeschlagen. Kammler war im Rahmen dieses Stabes für die Errichtung einer vor Luftbomben gesicherten Produktionsfläche zuständig. Als der Stab ins Leben gerufen wurde, begann er sich mit dem weiteren Bau bzw. Wiederaufbau von 20 bereits existierenden Betrieben zu befassen. Einige große und moderne unterirdische Fabriken sollten im Rahmen dieses Programms von Grund auf errichtet werden, u. a. der Lachs in Thüringen, der Bergkristall in der Nähe von Linz (die zwei größten Betriebe – sie sollten die Me-262 herstellen), sowie eine Reihe von ober- und unterirdischen Einrichtungen mit dem Namen Weingut in Bayern – größtenteils auch für Messerschmitt. Lassen wir zu dieser Frage noch einmal Speer zu Wort kommen:33 „Zu den ständigen Mitgliedern dieses Jägerstabes zählte seit seiner Gründung Dr. Ing. Kammler. Er nahm die für den baulichen Sektor von Saur angeordneten Maßnahmen zur Verlagerung von Industrieobjekten entgegen, soweit sich nicht die Organisation Todt die Durchführung vorbehielt. Diese Maßnahmen standen in der höchsten Dringlichkeitsstufe und daher wurden für derartige Projekte z. B. auch die notwendigen Kontingente für den Barackenbau zugeteilt. Die SSBauverwaltung kam dadurch, im Gegensatz zu den spärlichen Zuteilungen des Jahres 1943, in die Lage, ihre Lagerkapazität zu erhöhen. ‚Nach einem Befehl Himmlers unterstand der Arbeitseinsatz der Häftlinge für die sogenannten Verlagerungsbaumaßnahmen’, führte der Chef der Amtsgruppe B des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes aus, ‚nicht der Amtsgruppe D, sondern dem General Kammler. Jedoch nicht in seiner Eigenschaft als Chef der Amtsgruppe C (Bau), sondern persönlich [siehe das „Führerprinzip“]. Er hatte dafür eine eigene Dienststelle und die Dienstbezeichnung ‚Sonderbeauftragter des Reichsführers-SS’. Da Kammler die Verantwortung für unterirdische

Verlagerungen am 4. März 1944 auch von Göring übertragen worden war, konnte er alle Vorteile eines ‚Doppelspänners’ ausnutzen und sich je nach Bedarf auf die eine oder andere Dienststelle berufen. ‚Kammler hatte die ungewöhnliche Vollmacht’, zitiert Professor Bartel den ehemaligen Generaldirektor der Mittelwerke, Georg Rickhey, ‚über die ihm persönlich unterstehende SD-Abteilung jede Person, die nach seiner Ansicht in den Ablauf der von ihm angeordneten Maßnahmen unbefugt eingriff, verhaften zu lassen. Da Kammler von dieser Machtbefugnis jederzeit auch SS-Führern gegenüber rücksichtslos Gebrauch gemacht hat, war ein Eingriff anderer Personen oder Dienststellen in den Arbeitseinsatz [der Häftlinge], der die wichtigste Seite der Kammler’schen technischen Aufgaben war, vollkommen ausgeschlossen.’ […] Durch die Tätigkeit Kammlers, eines rücksichtslosen, aber befähigten Roboters, sollte vom Frühjahr 1944 an eine Entwicklung eingeleitet werden, die hunderttausende von Häftlingen unter härtesten Bedingungen in den Produktionsprozeß eingliederte; aber eben das gab diesen Hunderttausenden eine Chance zum Überleben. […] In seiner Rede vor Generalen berichtete Himmler in Sonthofen am 21. Juni 1944, dass von Häftlingen ‚große unterirdische Fabriken gebaut werden. Wir haben in den letzten Wochen in einem nicht für möglich gehaltenen Tempo, in acht Wochen, mit diesen Kräften zehn unterirdische Fabrikräume mit zehntausenden von Quadratmetern Bodenfläche geschaffen.’ In der Tat wurde eine organisatorisch und technisch bemerkenswerte Leistung vollbracht. Ein halbes Jahr später berichtete Kammler dem Reichsführer-SS über ‚die 1944 [von der SS] fertiggestellten Fertigungsflächen bombensicherer unterirdischer Fertigungsstätten für den Rüstungsstab im Auftrage des Herrn Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion’.“ Kammler wurde am 30. Januar 1944 zum Gruppenführer (Generalmajor) befördert. Im Laufe der Eskalation von „Spezialhandlungen“ und des immer größeren Zeitdrucks kam die Rücksichtslosigkeit dieses Menschen immer mehr zum Vorschein, der das Menschenleben – nicht nur der Häftlinge – völlig missachtete! Im Mai stellte er z. B. auf einer Sitzung gegenüber Generalfeldmarschall Milch, der mehr über ein Luftfahrtvorhaben wissen

wollte, ungeniert fest, dass „er zwar 30 Leute hängen musste“, aber „jetzt alles in bester Ordnung war“. Milch verfasste zwar daraufhin eine offizielle Protestnote, was jedoch offensichtlich keinen besonderen Eindruck auf Kammler machte, da er bei einer weiteren Konferenz genauso ungezwungen und sogar stolz erwähnte, dass er „50.000 Menschen in die Lager schicken ließ“, um den Bestand an Arbeitskräften für die SS zu ergänzen.

Kammler in Auschwitz – 17. Juli 1942 (zweiter von rechts).

Im Juni 1944 überraschte Kammler seine Vorgesetzten erneut mit seiner Fähigkeit, sogar eine großangelegte, dabei dringende und untypische sowie organisatorisch ungemein schwierige Aufgabe sorgfältig auszuführen. Am 6. Juni führten die alliierten Streitkräfte eine Truppenlandung an der Normandieküste durch, und schon am 10. Juni schickte Kammler einen Geheimbericht an Himmler, in dem er die ganze Ausrüstung und alle Rohstoffe aufzählte, die innerhalb dieser wenigen Tage – unter Frontbedingungen – aus dem gefährdeten französischen Gebiet fortgeschafft werden konnten! Im Bericht war eine lange Liste, die u. a. Kilometer von Eisenbahnschienen (genau gezählt!), Kabel, Tonnen von Schrott (unter Nennung der einzelnen Metalle und Legierungen), Lokomotiven und schwere Maschinen enthielt. Genau dieses Erstaunen, das ähnliche, nur scheinbar prosaische Leistungen auslösten, trug zum blitzschnellen Karrieretempo des Gruppenführers in den nächsten Monaten bei. Dabei darf nicht vergessen werden, dass das eigentlich Erstaunliche die Fähigkeit zur Ausübung vieler

ähnlicher Funktionen war. Hier ein perfektes Beispiel – es handelt von Ereignissen, die sich ungefähr zur gleichen Zeit abspielten: In der Dokumentation über Kammler gibt es einen interessanten Eintrag, der auf den 19. Juni 1944 datiert ist.41 Er sollte damals „im Auftrag des Reichsführers SS mit allen Kräften die von Professor Porsche [SS-Oberführer Ferdinand Porsche, einem bekannten Konstrukteur] vorgeschlagene Verlegung [der Produktion] ins Mittelwerk unterstützen“. Unter der Erde sollte also nicht nur die Produktion von Raketen beginnen! Im Kommentar wurde angegeben, dass es um eine unbekannte Geheimwaffenart ging! Davon ist im Übrigen auch in den Dokumenten des Persönlichen Stabes Himmlers die Rede.48 Das bezog sich sicherlich nicht auf die V2-Rakete, die dort bereits seit einem halben Jahr produziert wurde. Das Ganze ist ein ziemliches Kuriosum und ein Rätsel, das die bereits im ersten Band beschriebene Meldung der Industriespionage der polnischen Heimatarmee ins Gedächtnis ruft. Darin werden direkt die Vorbereitungen zur Produktion irgendwelcher Waffen oder Anlagen genau in dieser Einrichtung erwähnt, die unverkennbar mit der Kerntechnik verbunden und bisher unbekannt waren (Meldung vom März 1944).16 Es werden dort Spezialmasken und eine bleigeschützte Kammer beschrieben: „Diese Geschosse werden aus einem sehr leichten, als „Thol“ bezeichneten Material hergestellt und mit Glasbehältern beladen, die unbekannte Flüssigkeiten sowie eine geringe Menge Sprengstoff enthalten. Die bei dieser Befüllung anwesenden Chemiker arbeiten in Spezialkleidung und -masken, manchmal auch in Bleikammern.“ Manchmal stellt sich heraus, dass ein scheinbar offensichtlicher und „seit langem eindeutiger“ Aspekt des Krieges ungeklärte und relativ wichtige Fragen beinhaltet, die ein ganz neues Licht auf ihn werfen. So war es z. B. mit dem unterirdischen Teil von Peenemünde, der in verschiedenen und völlig unabhängigen nachrichtendienstlichen Meldungen erwähnt wird – sowohl amerikanischen als auch denen der polnischen Heimatarmee. Hier haben wir es mit einer ähnlich rätselhaften Geschichte von großer Tragweite zu tun, die in zahlreichen Publikationen über das Mittelwerk völlig übersehen worden ist! Es geht unverkennbar um ein System, das auf der einen Seite mit chemischen Waffen, auf der anderen aber mit Kernphysik in Zusammenhang steht (obwohl nicht unbedingt mit Kernwaffen, die es ja im Juni 1944 nicht

gab). Vielleicht handelte es sich um die weiter unten beschriebenen strategischen Waffen, die das chemische Arsenal (die erwähnten „Geschosse“) transportieren sollten. Das scheint sehr wahrscheinlich, insbesondere angesichts der weiter unten präsentierten und auf neuen Quellen basierenden Informationen über einen neuen Antrieb, als auch aufgrund der Bezeichnung Thol, die wahrscheinlich an Edward Tholen, den Erfinder einer neuen, in Band II erwähnten Legierung anknüpfte. Unabhängig davon scheint am wichtigsten, dass Kammler offensichtlich an Vorbereitungen zur Entfesselung eines totalen chemischen Krieges beteiligt war (die in einem der vorigen Kapitel beschrieben wurden), und dass diese Vorbereitungen eine hohe Priorität haben mussten, wenn zu diesem Zweck ein Teil des Mittelwerks ausgegliedert wurde. Sie mussten auch unter besonders strenger Geheimhaltung stehen, wenn Informationen darüber auch heute noch nicht allgemein bekannt sind! Am 31. August 1944 erteilte Himmler Kammler einen Befehl, kraft dessen dieser die Leitung über alle mit V2-Raketen ausgerüstete Einheiten erhielt. Am 5. September wurde er formell zum Führer der FR-Truppen ernannt. Einen Tag später konnte Kammler zur langen Liste der „Beauftragtentitel“ noch einen weiteren hinzufügen: „Sonderbeauftragter des Reichsführers-SS für das A4-Programm“. Das bedeutete die formelle Übernahme der Kontrolle über alle Aspekte sowohl der Produktion als auch der Kampfanwendung. Am 1. Oktober wurde Kammler zum Befehlshaber der speziell geschaffenen „Division z. V.“ („zur Vergeltung“) ernannt. Darunter fielen alle V2-Raketeneinheiten, und ab dem 13. November auch eine Spezialformation, die die V3-Mehrkammerkanone bedienen sollte. Zu diesem Zweck wurde bereits ein Spezialbunker – eine sogenannte „Startstellung“ in Mimoyecques an der französischen Küste, 153 km vom Zentrum Londons gebaut, das als Ziel vorgesehen war. Es war geplant, 25 Kanonen unter der Erde zu installieren. Während der Forschungsarbeiten stellte sich heraus, dass ihre Schussreichweite völlig unzureichend war, deshalb wurde das Vorhaben am 14. Februar 1945 aufgegeben (siehe Band I). Gemäß verhältnismäßig sicheren Quellen kam die V3 jedoch zum Kampfeinsatz! Es ist z. B. bekannt, dass im Februar 1945 eine Kanone in der Nähe von Hermeskeil installiert wurde, aus der noch am 22. Februar sechs Geschosse in Richtung Luxemburg abgefeuert wurden!41 Bestandteil der „Division z. V.“ waren auch die sich erst in der Aufstellung befindenden Batterien der ungelenkten Boden-Boden-

Raketen Rheinbote. Am 28. November fällte Hitler die Entscheidung, der Division auch Einheiten (die jedoch nie endgültig formiert werden konnten) mit gelenkten Flugabwehrraketen des Typs Enzian zu übergeben. Am 27. Januar 1945 wurde die Division in ein Armeekorps umgewandelt und bekam die Bezeichnung „Armeekorps z. V.“. Am 31. Dezember wurde der Titel „Sonderbeauftragter des Reichsführers-SS für das A4-Programm“ durch den Titel „Sonderbevollmächtigter-2 / Sb-2 des Reichsführers SS“ ersetzt. Im Januar 1945 wurde Kammler zusätzlich „Beauftragter des Führers zur Überwindung des Bombenterrors“. In der Praxis betraf das sowohl die Produktion von Jagdflugzeugen als auch der immer noch untersuchten Boden-Boden-Raketen. Mitte Januar 1945 begann sich die Kriegslage in einem unkontrollierbaren Tempo zu ändern – die sowjetische Januaroffensive wurde gestartet. Bis zu diesem Augenblick verspürte die Führung des Dritten Reiches noch keine direkte Existenzgefährdung des Staates, und die Situation an den Fronten war relativ stabil. Um die Jahreswende 1944/45 funktionierte die Wirtschaft noch verhältnismäßig gut, wobei in manchen Produktionsbereichen (Panzer, Handfeuerwaffen und neue Unterseeboote) sogar Höchstwerte notiert wurden. Von Ostpreußen und den weiter nordöstlich verstreuten Truppenverbänden abgesehen war die Ostfront für fast ein halbes Jahr um die Weichsellinie stabil. Das Herrschaftsgebiet des Dritten Reiches war immer noch riesig und umfasste u. a. einen Teil des Generalgouvernements, Tschechien, einen Teil Ungarns bis zum Balaton sowie ganz Dänemark und Norwegen. Die Gegenoffensive in den Ardennen, die die Westfront für mehrere Monate aufgehalten hatte (Dezember / Januar), sowie Erzählungen über revolutionäre Waffen ermöglichten es, die Hoffnung noch nicht aufzugeben. Diese zeitweilige Illusion platzte im Januar nach dem Durchbruch der Weichsellinie. Die Russen und die polnische Volksarmee rückten jetzt um nicht weniger als einige dutzend Kilometer pro Tag vor. Am 31. Januar war Kammler im Rahmen der Ermächtigungen zur Herstellung der V-Waffen auch schon für die V1 zuständig. Entsprechende Einheiten wurden der Waffen-SS unterstellt. Am 6. Februar 1945 wird er „Sonderbevollmächtigter ‚Z’ des Reichsführers SS“ (Sb-Z). In diesem Fall umfassten seine Kompetenzen „alle Arten von Langstreckenwaffen [Raketen und die V3] und gelenkte Flugabwehrraketen“. Am 7. Februar wurde er zum vergleichbaren „Spezialbevollmächtigten“ von Reichsmarschall Göring auf

diesem Gebiet. Am 13. Februar übernahm Kammler die Kontrolle über die gesamte Hochfrequenzforschung, was in Zusammenhang mit der geplanten Revolution im Bereich der Reichsluftverteidigung stand. Im Januar und Februar 1945 versuchte Kammler auch erneut, ein bisher für die Luftwaffe reserviertes Feld zu betreten. Die SS übernahm nämlich die vollständige Kontrolle über Forschungs-, Produktions- und Einsatzpläne für Jagdflugzeuge mit Raketenantrieb, die ausschließlich mit den Ba-349Raketen (Natter) bewaffnet waren. Sie sollten von Senkrechtrampen abgefeuert und zum Schutz von Einzeleinrichtungen verwendet werden. Bis zum April wurden lediglich 36 Stück hergestellt, darunter sieben bemannte Versionen – obwohl am Ende alle Kampfmaschinen bemannt wären. Am 28. Februar kam es zum ersten Versuchsabschuss mit einem Pilot an Bord, der mit dessen Tod endete. Die Angelegenheit ist insofern interessant, als sie einen offenen Versuch der Bildung einer SS-Luftwaffe darstellte. Ein Konflikt mit dem auf diesem Gebiet empfindlichen Göring konnte schließlich geschickt vermieden werden, der früher wirkungsvoll den Bau des Flugzeugträgers Graf Zeppelin blockiert hatte, da er es nicht ertragen konnte, dass die Marine eine eigene Luftwaffe besitzen sollte. Ein Streit konnte verhindert werden, da die Natter von der SS als eine Flugabwehrrakete eingeordnet wurde. Im März soll Kammler [„soll“, weil das Dokument nicht erhalten geblieben ist] den Befehl zur Ermordung aller Häftlinge des Lagers Mittelwerk unterschrieben haben, da sie Geheimnisträger waren. Wegen der Pläne zur Aufnahme einer Massenproduktion von Boden-Luft-Raketen (die wohl nur noch auf dem Papier Bestand hatten) wurde Kammler am 27. März zum „Sonderbeauftragten für die Bekämpfung von viermotorigen Flugzeugen“. Am selben Tag wurde er zum „Generalbevollmächtigten des Führers für Düsenflugzeuge“ – und das zu einer Zeit, in der sich die Sowjetarmee und die polnische Volksarmee bereits auf die (im April beginnende) Schlacht um Berlin vorbereiteten, und die Alliierten drei Wochen vorher an der Westfront den Rhein forcierten und sich nach Osten bewegten. Laut Hitler war es das „das letzte große Kontingent im Rüstungsbereich“ – was grundsätzlich richtig ist, mit der einen Einschränkung, dass seine Größe nur noch in seiner Phantasie existierte.33 Goebbels beschrieb das in seinem Tagebuch als „den Erhalt der größten Macht vom Führer“. Vielleicht meinte er damit, dass Kammler in Zusammenhang mit dieser Vollmacht nicht mehr

Himmler unterstellt war; jetzt war er direkt vor Hitler verantwortlich. Am 8. April ernannte Kammler SS-Obersturmführer Matare zu seinem offiziellen Vertreter für Angelegenheiten, die mit der Produktion von Düsenjägern verknüpft waren – einen Oberleutnant! Dieser kooperierte mit Degenkolb, dem entsprechenden Bevollmächtigten Speers. In diesem Zusammenhang stand Kammler im März vor seiner letzten Beförderung zum Obergruppenführer, d. h. zum General. Er erwog sogar die Einstellung der V2-Produktion, um die bisherigen unterirdischen Fabriken zur Herstellung von Düsentriebwerken nutzen zu können. Am 3. April 1945 wurde er – nicht mehr von Himmler sondern von Hitler – zum „Generalkommissar für die gesamte Luftrüstung“ ernannt. Auch diesmal war er ausschließlich vor ihm verantwortlich. Der April stellte noch einen weiteren Wendepunkt in seiner Karriere dar, die sich langsam ihrem Ende näherte. Er wurde zum „Reichsbevollmächtigten für den Aufbau des Forschungszentrums in Pilsen zur Frage atomarer Technologien für den Antrieb von Lenkwaffen und Flugzeugen“ ernannt.41 In den weiteren Kapiteln werden wir auf die faszinierende Rolle von Pilsen und dieser Forschungsarbeiten zurückkommen. Es handelt sich nämlich um eines der interessantesten Geheimnisse des Zweiten Weltkrieges! Am 16. April wurde Speers bisheriger Ministerialdirektor Dr. Ing. Gerhard Degenkolb zum Generalkommissar für das Programm 262 ernannt. Einen Tag später gab es das erste untrügliche Anzeichen, dass das Ende sehr nahe war – obwohl von Kammler zu diesem Zeitpunkt letztmals immer noch Signale lebhafter Tätigkeit ausgingen. Er schickte aus München ein Telegramm an das SS-Führungshauptamt, in dem er die Übergabe eines speziellen Transportflugzeugs von Junkers verweigerte (das dann nach Prag gelangte). Er hielt die letzten Rüstungskonferenzen in Ebensee und Salzburg (Österreich) ab. Um die Monatswende April / Mai gab er seiner Frau Cyanidkapseln und sagte zu seinen Kindern: „Wir werden uns nie wiedersehen“. Er begab sich auf seine letzte, ungeklärte Mission – nach Tschechien. Die eine Version besagt, dass er durch den Ausbruch des Aufstandes in Prag überrascht wurde und am 9. Mai südlich der Hauptstadt in einem Geleitzug zu fliehen begann, der sich aus Überlebenden der Division Der Führer und anderer Verbände der Waffen-SS zusammensetzte. Es handelte sich um Überbleibsel der von SS-Gruppenführer von Pückler-Burghauss

kommandierten „Kampfgruppe“. Laut dieser Version passierte Kammler Jílové (Deutsch: Eulau) und erreichte die Donau, die er in der Nähe von Davle (Dawle) überquerte. Abends an diesem Tag nahm Graf von Pückler Kontakt mit der amerikanischen Führung auf. Das weitere Schicksal der mächtigsten Gestalt im Dritten Reich nach Hitler (in der Endphase des Krieges) ist ungewiss. Es gibt widersprüchliche Versionen über seinen Tod, es ist nicht einmal gewiss, ob er damals überhaupt starb. Diese Versionen wurden weiter unten vorgestellt, bevor wir jedoch über ihre Bedeutung nachdenken, wäre es wichtig, die folgende ziemlich interessante und wichtige Frage zu erörtern: Warum warf sich ein hoher Offizier der SS, auf dem ein Völkermord lastete, angesichts der nahen Katastrophe und drohender Gefangenschaft praktisch in die Arme der Roten Armee – alle flohen doch in den Westen bzw. in die Alpen? Schließlich weckten die damals kursierenden Geschichten über die sowjetische Eroberung des Deutschen Reiches eher Assoziationen mit Legenden über mittelalterliche Raubzüge mongolischer Horden. Auf jeden Fall war ein solches Verhalten sehr seltsam. Unabhängig von den einzelnen Versionen über den Verlauf seiner letzten Tage kann und soll die folgende These aufgestellt werden: Entweder kooperierte er mit den Russen, oder er hatte in Tschechien eine so besondere Aufgabe zu erledigen, dass er bereit war, sie auch um den Preis seines Lebens zu erfüllen! Etwas, was wichtiger als die Existenz des Dritten Reiches war. Bei ihrer Verwirklichung wurde er offenbar vom unerwarteten Ausbruch des Aufstandes gestört. Wertvolle Schlüsse in Zusammenhang mit dem zweiten Teil dieser These können aber nur dann gezogen werden, wenn wir uns zunächst überlegen, was die SS eigentlich in Tschechien machte (siehe nächstes Kapitel). Schauen wir uns also zunächst die anderen Versionen über diese Maitage an, die verschiedene Forscher präsentieren. 1948 beantragte Kammlers Frau Jutta, seinen Tod gerichtlich feststellen zu lassen, wobei sie als Todeszeitpunkt den 9. Mai 1945 angab. Sie berief sich dabei auf die Aussage seines Fahrers, SS-Oberscharführer Kurt Preuck, der ausgesagt hatte, dass ihm die Todesursache und die genauen Todesumstände nicht bekannt seien, er jedoch am 8. Mai Kammlers Leiche in der Nähe von Jílové, etwa 50 km südlich von Prag gesehen und bei der Beerdigung teilgenommen hätte. Die Leiche ist jedoch nie gefunden worden. Mehr noch: Preuck schrieb in den 1950er Jahren, der Tod sei „um den 10. Mai“ erfolgt.

Preucks Version könnte man als glaubwürdig betrachten, wenn die Tatsache nicht wäre, dass sie von keinem der anderen SS-Offiziere bestätigt wurde, die in den letzten Tagen Kontakt mit Kammler gehabt hatten. Der britische Historiker und Journalist Tom Agoston, der in Deutschland als Reporter kurz nach dem Krieg gearbeitet hatte, hat im Westen eine andere Version popularisiert, für die sich auch Speer ausgesprochen hatte, und die später von Joachim Fest, einem angesehenen deutschen Historiker beschrieben wurde. Während des Prager Aufstandes soll sich der General in der Stadt aufgehalten haben, genauer in einem der Bunker, hinter einer gasdichten Panzertür, samt seinem Adjutanten und anderen unbekannten Deutschen. Am 9. Mai bemerkte eine Partisanenpatrouille in einem teilweise zerbombten Gebäude diese Panzertür und versuchte sie zu öffnen, was jedoch ohne Erfolg blieb. Erst durch den Beschuss mit diversen Waffen wurde sie fast aus dem Türrahmen herausgerissen. Im Innern sollen sich etwa 20 – 30 Soldaten und Waffen-SS-Offiziere befunden haben. Es kam zu einem erbitterten Kampf. Auch Kammler soll zu einer Maschinenpistole gegriffen und versucht haben, in einer engen Passage mit Feuer zu antworten. Hinter ihm stand sein Adjutant, der seinen Vorgesetzten irrtümlich mit einer kurzen Serie am Kopf traf. Dabei soll es sich angeblich um SS-Obersturmbannführer Strack gehandelt haben. Das Ganze soll einen Tag vor dem Einmarsch der Russen in die Stadt geschehen sein. Man muss zugeben, dass diese Version einen unbestrittenen „Vorteil“ hat – sie schließt nämlich die Identifizierung der Leichen aus. Soweit mir bekannt ist, sind bisher keine Informationen ans Tageslicht gekommen, die man als Beweis für ihre Authentizität ansehen könnte! Wilhelm Voss, der im nächsten Kapitel beschriebene Direktor der SkodaWerke, schilderte eine Version, die er am 12. Mai von SS-Leuten gehört haben soll. Kammler soll sich irgendwo zwischen Prag und Pilsen im Konvoi irgendwelcher SS-Fahrzeuge befunden haben (d. h. südlich von Prag, was mit der ersten Version übereinstimmt). Plötzlich befahl er anzuhalten und lief ohne irgendwelche Erklärungen direkt in den Wald. Stillschweigend wurde angenommen, dass er dort einem menschlichen Bedürfnis nachgehen wollte, und die Fahrzeuge wurden am Wegrand geparkt. Nach einer Weile machte sich jedoch sein Adjutant auf, um ihn zu suchen, und fand die noch warme Leiche mit Spuren einer zerbissenen Glasphiole zwischen den Zähnen. Angeblich begrub er sie an Ort und Stelle und die Fahrzeuge machten sich

erneut auf den Weg. Von allen Versionen ist das die wahrscheinlichste: 1958 kam es zu einem Prozess gegen SS-Leute, die Zeugen dieses Vorfalls gewesen waren, obwohl das Verfahren selbst die Ermordung von mehr als hundert polnischen und sowjetischen Zwangsarbeitern in Holland betraf. Sie wurden auf Kammlers Befehl durch eine ihm unterstellte Einheit ermordet, die Abschussrampen für V1-Raketen bediente. Bei dieser Gelegenheit wurden die Angeklagten auch ausführlich zu den Ereignissen in Tschechien verhört; sie bestätigten die obige Version. Nach einiger Zeit begann jedoch Voss selbst, an ihrer Authentizität zu zweifeln. Er konnte nicht glauben, dass ein Mann solchen Kalibers sich dem Schicksal so leicht gefügt haben könnte. Kammler besaß schließlich goldwertes Wissen über Einzelheiten der am weitesten fortgeschrittenen Konzepte des Zweiten Weltkrieges, und wenn ihn aufgrund seiner Kriegsverbrechen die Amerikaner oder die Russen nicht mit offenen Armen empfangen hätten, so hätten ihm sicherlich viele Länder der Dritten Welt gern ein Leben im Reichtum gewährt, ohne auf alle Aspekte seines Lebenslaufs zu achten. Das behauptete jedenfalls später Voss. Eine der Versionen besagt, dass der General von seinem Adjutanten in Prag durchaus nicht unabsichtlich getötet wurde. Es sind aber keine weiteren Details vorhanden, die es erlauben würden, diese Darstellung zu beurteilen. Agoston war sehr bemüht, ehemalige Offiziere der Waffen-SS ausfindig zu machen, die Anfang Mai Kontakt mit Kammler gehabt hatten. Er fand zwei ehemalige Beamte der Prager Vertretung des Sonderstab-Baubüros. Hier die Aussage des ersten Beamten:40 „Kammler kam Anfang Mai nach Prag, worauf wir nicht vorbereitet waren. Er hat seinen Besuch nicht angekündigt. Niemand wusste, weshalb er hierher kam, da die Rote Armee bereits im Anrücken war. Wir hatten jedoch den Eindruck, dass er einen Halt auf dem Weg woandershin machte. Er war nicht am Büro interessiert und nutzte auch nicht das ihm überlassene Arbeitszimmer. Zu dieser Zeit wendete sich der Großteil der tschechischen Bevölkerung gegen uns. Sogar vor dem Aufstand wurden deutsche Frauen und Kollaborateure brutal behandelt: Sie wurden an Laternen und Bäumen aufgehängt oder mit Benzin übergossen und als lebendige Fackeln angezündet. Als sich die Nachricht herumsprach, dass die Hilferufe der Tschechen an den Westen keine Wirkung gezeigt hatten, tobte bereits der nahende

Aufstand. Der Großteil der deutschen Bevölkerung in Prag begann in Panik zu geraten. Alle, die Zugang zu Alkohol hatten, tranken. Kammler blieb ruhig, er ignorierte die Orgien und die Stimmung der defätistischen Schreie ,heute rot – morgen tot‘ [ein Ruf aus Bayern aus der Zeit der sowjetischen Revolution]. Er fand sogar die Zeit, seinem bisherigen Ordner beizubringen, wie er seine immer polierten Stiefel hinstellen soll, damit sie gerade standen.“ Hier die zweite Aussage: „Im Morgengrauen des 5. Mai, gerade als der Aufstand in Prag mit voller Wucht ausbrechen sollte, organisierte Kammler eine Parade aller Männer deutscher Nationalität, die eine Waffe tragen konnten. Alle bekamen Handfeuerwaffen ausgehändigt. Kammler sagte, dass laut einer ihm übermittelten Information das nahegelegene Waffenlager der Aufständischen schwach bewacht sei und wir versuchen sollten, es in die Luft zu sprengen. Wir wurden vom Informanten geführt und Kammler fand das Versteck. Der Wachmann wurde getötet. Wir jagten alles in die Luft und flohen. Während der nächsten drei Tage (bis zum 8.) schafften es der General, ich und vier andere Personen, sich am Stadtrand zu verstecken. Schließlich gelang es uns, aus Prag zu entkommen. Am 8. bestiegen wir nachts einen LKW und fuhren in westliche Richtung. Kammler entschied, dass wir versuchen sollten, die Nacht in der SS-Kaserne in Ruzyně am Stadtrand von Prag zu verbringen. Als wir jedoch das Kasernengelände betraten, bemerkten wir, dass sie durch WlassowEinheiten besetzt war. Sie haben zwar gemeinsam mit der SS gut gekämpft, aber Sie wissen ja wie das ist, wenn Ihnen jemandes Blick nicht gefällt. Uns gefiel ihr Blick überhaupt nicht. Mit den ,Ivans‘ um die Ecke gab es die Gefahr, dass die Wlassow-Einheiten uns – und insbesondere den General – als Sicherheit übergeben. […] Deshalb verließen wir die Kaserne in Ruzyně und machten uns in Richtung Cheb (Eger) an der deutschen Grenze auf, damit wir eine Chance hatten, in die amerikanische Zone zu gelangen. Die Rote Armee hatte bereits einen Großteil der Tschechoslowakei im Griff, der Krieg war zu Ende. Dann trafen wir in der Nähe von Karlovy Vary (Karlsbad) auf irgendwelche Amerikaner. Irgendwie gelang es uns, ihnen

auszuweichen, und wir flohen in den Wald. Das war außerhalb der Kampfzone, es gab auch keine Anzeichen für die Anwesenheit der Roten Armee, deshalb schlugen wir ein Feldlager auf. Am nächsten Morgen bat uns der General, sich um ihn zu versammeln. Es sollte eine Abschiedsrede sein. Wir standen stramm, während uns Kammler sagte, dass er uns von allen Pflichten entbindet und wir nach Hause gehen könnten, da die vom Führer aufgestellten Ziele nicht zu verwirklichen sind. Danach begab sich Kammler in den Wald. Bald war ein einzelner Schuss zu hören. Wir rannten ihm hinterher, aber es war zu spät. Er erschoss sich mit seiner Dienstpistole. Wir begruben ihn gleich an Ort und Stelle.“ Es ist auch möglich, dass keine der oben erwähnten Versionen der Wahrheit entspricht. Eine bisher wohl unbekannte Kuriosität im Hinblick auf Kammlers Pläne – eine „Notiz“ vom 7. Februar 1945, die wahrscheinlich von jemandem aus dem Sonderstab oder vom WVHA verfasst wurde (der Erstere entstand im Übrigen auf der Basis des Letzteren):

„SS-Hauptsturmführer Lipinsky war am 6. Februar 1945 auf der FeldKommandostelle. Nachdem der ihm zuerst erteilte Forschungsauftrag in

Anbetracht der gegenwärtigen Verhältnisse und aufgrund des Briefes von SS-Obergruppenführer Pohl zurückgezogen worden ist, hat SSStandartenführer Dr. Brandt am 6. Februar 1945 mit SS-Gruppenführer Dr. Kammler gesprochen und von ihm erfahren, daß er für seinen Aufgabenbereich dringend Chemiker benötige.“ (BA / N-1340 / 253) Lipinsky wurde zu Kammler abkommandiert, wo er sich mit der Verwirklichung entsprechender Aufgaben befassen sollte. Es ist wichtig festzustellen, dass die Chemieforschung – die ohnehin eine sehr große Rolle spielte – sogar in Anbetracht des Frontzusammenbruchs plötzlich auch von Kammlers Stab vorrangig behandelt wurde. War das der letzte verzweifelte Plan, das Dritte Reich zu retten?

Der „SS-Musterstaat“ Der etwas vage klingende Titel dieses Kapitels ist eine Formulierung, die Hitler im Gespräch mit Reinhard Heydrich verwendet haben soll, als er seine (und Himmlers) Pläne im Hinblick auf Tschechien besprach. Allein diese Tatsache ist ein wichtiges, aber durchaus nicht das einzige Argument, sich mit Tschechien näher zu befassen. Deshalb möchte ich die Gründe vorstellen, die mich dazu bewogen haben, diesem Thema nachzugehen.

Obwohl die volle Machtübernahme über Tschechien (das Protektorat Böhmen und Mähren) durch die SS darin bestand, dass Heydrich de facto das Ruder an sich riss, so war schließlich auch der bisherige Reichsprotektor immer noch SS-Gruppenführer (Constantin

von Neurath war vorher Reichsaußenminister). Dabei darf man nicht vergessen, dass er formell die ganze Zeit als Reichsprotektor fungierte – Heydrich war „theoretisch“ nur sein Vertreter. (Bundesarchiv Koblenz)

1. Ich versuche seit Jahren, hinter die Wahrheit über einige Vorhaben zu kommen, die vom Dritten Reich in Niederschlesien verwirklicht wurden, was solch monströse und dabei immer noch rätselhafte Unternehmungen umfasst wie den Riese-Komplex, die von der SS in Książ (Fürstenstein) und an anderen Orten der nahe gelegenen Berge durchgeführten Forschungsarbeiten, den Zusammenhang zwischen dem „unterirdischen Revier“ und der Weltraumforschung von Prof. Strughold in Szczawno Zdrój / Bad Salzbrunn (siehe Band II) usw. Ich kenne zwei Personen, die Zugang zu Originaldokumenten über diesen Bereich hatten, d. h. zu Informationen, die aus der Kriegszeit stammten oder in den Jahren direkt danach durch Aufklärungsmaßnahmen erlangt wurden. Hier meine ich insbesondere meinen Informanten Professor Mieczysław Mołdawa, der in Band II am Anfang des letzten Teils erwähnt wurde und die letzten Kriegsjahre in der Technischen Kanzlei des Konzentrationslagers GroßRosen verbrachte, wo er viele niederschlesische Rüstungsvorhaben im Hinblick auf Arbeitskräfte „bediente“. In zahlreichen Gesprächen mit diesen Personen fielen von Zeit zu Zeit immer wieder Namen von Orten, die sich auf der anderen Bergseite in Tschechien befanden. Bald wurde mir klar, dass es bestimmte Verbindungen gibt, die aufgeklärt werden müssen, wenn wir Antworten über Niederschlesien selbst erhalten wollen. 2. Es ist kein Geheimnis, dass das sogenannte „Protektorat Böhmen und Mähren“ fast ausschließlich unter der Kontrolle der SS stand. Es gab dort keine „Zivilverwaltung“, wie z. B. im Generalgouvernement. Die höchste Gewalt besaß der SS-General. Dieses Motiv wird weiter unten natürlich weiter ausgeführt. Zunächst war unklar, wie Himmler diese Situation ausnutzen wollte, es schien aber auf alle Fälle lohnenswert, der Angelegenheit genauer auf den Grund zu gehen, was natürlich von der Tatsache verstärkt wurde, dass dorthin auch die Spur Kammlers führte – insbesondere, weil das Ziel und das Wesen dieser Mission so rätselhaft waren. 3. Im Jahr 2000 habe ich den britischen Forscher Nick Cook kennengelernt. Sein Interesse wurde für bestimmte Forschungsarbeiten geweckt, die

durch die Deutschen in Niederschlesien durchgeführt worden waren. Deshalb haben wir eine gemeinsame „Expedition“ unternommen. Ich erachte ihn als einen angesehenen Journalisten – er ist Analytiker der Verlagsgruppe „Jane’s“. Sie veröffentlicht viele Zeitschriften und Militärjahrbücher, die auf der ganzen Welt als eine Art Kanon erachtet werden.

Heydrich - eine der wenigen ausgesprochen intelligenten Personen in Himmlers Umfeld. (Sammlung des Autors)

Einige Jahre später veröffentlichte Cook ein Buch, in dem er seine investigativen Versuche beschreibt, die Geheimnisse einer Reihe fortschrittlicher Flugkonzepte zu lüften, wobei er mit den während des Krieges durch die SS initiierten Projekten beginnt und mit den neusten amerikanischen Forschungsarbeiten abschließt. In dem Buch haben mich vor allem die zahlreichen Verweise auf all das überrascht, was im Protektorat insbesondere am Kriegsende vor sich ging, obwohl sie auf bereits bekannten Quellen basierten. Dort befanden sich ja nicht nur zahlreiche Flugfabriken, sondern auch Forschungseinrichtungen, darunter auch solche, die mit der SS in Verbindung standen – sogar bei Skoda wurden Jagdflugzeuge mit Staustrahlantrieb entwickelt. All das bestätigte meine intuitive Überzeugung, dass der Schlüssel zu vielen wichtigen Fragen, die mit den interessantesten Konzepten des Zweiten Weltkrieges in Zusammenhang standen, genau dort lag – bzw. in den Archiven, in denen sich entsprechendes Material befinden könnte. Ein zusätzlicher Ansporn war die Tatsache, dass sich bisher niemand mit diesem Themenkomplex ernsthaft auseinandergesetzt hat, womit ich das Auffinden

von „Originalquellen“ insbesondere für Forschungsprojekte meine. Ich bin von der Annahme ausgegangen, dass bei einem solchen Operationsumfang irgendetwas übriggeblieben sein musste – seien es auch nur Informationsfetzen – die ein neues Licht auf das Ganze werfen würden. Auf diese Weise motiviert habe ich eine relativ großangelegte Suchaktion begonnen, die Folgendes beweisen (oder widerlegen) konnte: 1. In Tschechien hatten wichtigere und interessantere Dinge stattgefunden, als bisher in der Literatur angegeben wurde. 2. Die SS spielte dabei die Schlüsselrolle. 3. Die Geheimnisse um die „niederschlesischen“ Projekte standen eng mit etwas in Verbindung, was südlich der heutigen Staatsgrenze vor sich ging, manchmal nur mehrere dutzend Kilometer entfernt. Die Beurteilung der Arbeitsergebnisse überlasse ich dem Leser. Mein erster Schritt bestand darin, mich mit der Quelle zu befassen, die Nick Cook verwendete – eine Quelle, die eine ganz neue Wirklichkeit zu Tage bringen sollte. Es handelte sich dabei um das Buch des bereits erwähnten Tom Agoston, das auf seinen eigenen Ermittlungen direkt nach Kriegsende (er schrieb u. a. Berichte über die Hintergründe des Nürnberger Prozesses), vor allem jedoch auf Gesprächen mit Dr. Wilhelm Voss, dem ehemaligen Direktor von Skoda beruhte.40 Beginnen wir also damit, wer dieser Informant war und worum es sich bei den ehemaligen Skoda-Werken wirklich handelte. Fangen wir mit der letzteren Frage an:

SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich im Prager Stadtteil Hradschin. Trotz seiner „eisernen Hand“ (Liquidation der Widerstandsbewegung) konnte er einen großen Teil der Bevölkerung für sich gewinnen – vor allem die Beschäftigten der tschechischen Rüstungsindustrie, deren Leistungsfähigkeit während seiner Regierungszeit sehr hoch war. Vielleicht war gerade er die beste Werbung für Himmler und Garant seiner Fähigkeit, die Industrie zu verwalten. Viele betrachteten ihn sogar als Nachfolger von Hitler selbst. (Sammlung des Autors)

Vor dem Krieg besaß die Tschechoslowakei eine wesentlich modernere und besser ausgebaute Rüstungsindustrie als Polen. Sie wurde von einem Konzern dominiert – eben von Skoda, der stark mit amerikanischem Kapital verknüpft war. Kraft des Münchener Abkommens wurde Skoda beim Anschluss Tschechiens vom Dritten Reich übernommen. Zuerst kam der Konzern unter den Einflussbereich von Krupp, schließlich wurde er jedoch Teil der Hermann-Göring-Werke. Die Firma wurde mit dem Unternehmen Česká Zbrojovka vereint (das den Namen „Waffenwerke Brünn“ bekam), wodurch die neue Waffen Union entstand.

Das Dorf Lidice (Liditz), das nach dem Anschlag auf Heydrich massakriert wurde. (Sammlung des Autors)

Dr. Wilhelm Voss war ihr Firmenleiter von 1938 bis zum 27. Januar 1945, als er durch seine Weigerung, zwei ständige Spezialabgesandte Görings zu empfangen, von ihm entlassen wurde. Man verbat ihm sogar, die Werke zu betreten, er genoss jedoch großen Respekt sogar bei der tschechischen Belegschaft, deshalb hatte das keine größere praktische Bedeutung. Gleichzeitig fungierte er (offiziell) als Abteilungsleiter im SpeerMinisterium, hielt sich jedoch vorwiegend im Protektorat auf. Er war für seine Sorge sowohl um den Zustand des Werkes als auch um die Zufriedenheit der Beschäftigten bekannt. Er setzte z. B. durch, dass Bezüge in tschechischen Kronen ausbezahlt wurden, was eine Hintertür war, um die

Gehälter deutlich zu erhöhen. Voss hatte aufgrund der ausgeübten Funktion und privater Beziehungen Zugang zu vielen erstrangigen Geheimnissen. Aus seinem Bericht geht u. a. hervor, dass sie bei Skoda zusammen mit Kammler40 „[…] etwas errichteten, was bei ‚Insidern’ allgemein als das modernste Forschungszentrum im Dritten Reich galt, das sich mit fortschrittlicher Technik befasste. Es forschte im Geheimen und völlig unabhängig für die SS und stand unter einer speziellen Schirmherrschaft von Hitler und Himmler. Die Einrichtung arbeitete an wissenschaftlichen Erkenntnissen jenseits des normalen Forschungsbereichs und -profils der auf der ganzen Welt bekannten Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Skoda in enger Kooperation mit Krupp [das erinnert an Głuszyca (Wüstegiersdorf) im Kontext des RieseKomplexes] und befasste sich hauptsächlich mit der Untersuchung erbeuteter Ausstattung, u. a. von Flugausrüstung [das erinnert wiederum an Książ (Fürstenstein)], dem Kopieren und der Verbesserung neuster Lösungen. Bei der Verwirklichung dieser Vorhaben soll die SS-Gruppe über die erste Generation von Geheimwaffen hinausgekommen sein. Ihr Ziel war, Luftfahrzeuge mit einem Atomantrieb bzw. einem anderen Antrieb zu bauen, der auf irgendeine Weise mit der Kernphysik zu tun hatte, sowie Energiestrahlen, die damals noch als ,Todesstrahlen‘ bezeichnet wurden, als auch eine ganze Reihe von Raketen mit Zielsuchlenkung [zu entwickeln]. Es wurden auch Forschungsarbeiten durchgeführt, um andere Bereiche potentieller technischer Durchbrüche zu ermitteln. Im heutigen Jargon moderner Technik würden diese Maßnahmen wahrscheinlich als eine SS-Denkfabrik bezeichnet werden, in der die herausragendsten Köpfe eingeschlossen und vom Rest der Welt abgeschnitten wurden. Manche Forschungsarbeiten an der zweiten Generation von Geheimwaffen, darunter an der Verwendung der Kernphysik zum Antrieb von gelenkten Geschossen und Luftfahrzeugen, waren bereits sehr fortgeschritten.“ Es wäre zu betonen, dass die obige Charakteristik direkt auf der Beschreibung von Dr. Voss beruht! Ein Antrieb für gelenkte Geschosse? Für die so dringend gebrauchten

strategischen Waffen? Es fällt schwer, dies nicht in Verbindung mit chemischen Waffen zu bringen, wobei dieses Motiv sowohl in Tschechien als auch in Pilsen selbst auftaucht.

Eine Karte der administrativen Aufteilung des Dritten Reiches. Zu sehen ist die formelle Untergliederung Tschechiens in das Protektorat und das Sudetenland.

Die Sache erfordert gewisse Überlegungen. Die erste, gewissermaßen oberflächliche Interpretation dieser Worte ist die Assoziation mit etwas, das an heutige Antriebslösungen für Atomunterseeboote erinnert – ein von einem normalen Reaktor gespeistes System, wie in einem Kraftwerk. Es ist wohl offensichtlich, dass diese Interpretation zu verwerfen ist. Die Deutschen hatten riesige Schwierigkeiten, einen funktionierenden Kernreaktor zu bauen; die Variante, dass die Reaktoren „serienmäßig“ in irgendeiner Miniaturversion, die in einem Geschoss Platz gefunden hätte, hergestellt wurden, ist deshalb ganz einfach ausgeschlossen. Auch heute wäre so etwas trotz großer Fortschritte im Bereich der Kernenergietechnik nicht möglich. Im Übrigen wird ein solches hypothetisches System auch in 10 oder 30 Jahren gegenüber einem normalen Raketentriebwerk nicht konkurrenzfähig sein. Wir sollten auch nicht vergessen, dass Voss von „sehr fortgeschrittenen“ Arbeiten sprach. Kammler hätte übrigens einen Monat vor

Kriegsende nicht die weiter oben erwähnte Mission, die mit Pilsen (wo sich das Zentrum befand) in Zusammenhang stand, verwirklicht, wenn die Perspektive der Verwendung der Arbeitsergebnisse zur Zurückdrängung der feindlichen Armeen nicht wirklich nahe gewesen wäre, wenn es sich also nicht um ein durchaus konkretes Arsenal gehandelt hätte.

Eine Sammlung nachrichtendienstlicher Meldungen aus einem amerikanischen Bericht (Project 363), die etwas zeigt, was fast keinem bewusst ist – nämlich dass Tschechien eine Schlüsselrolle bei der Vorbereitung auf eine totale chemische Offensive spielte (nur einige der Meldungen wurden abgedruckt). Dieses Motiv taucht auch im Hinblick auf eine neue Vergeltungswaffe auf, an der in Pilsen geforscht wurde. (NARA)

Es gibt natürlich auch eine realistischere und einfachere Lösung als ein Reaktor-Propeller-System. Etwas, was antreibt und auf Phänomenen aus dem Bereich der Kernphysik basiert, aber überhaupt nicht mit einem normalen Reaktor, d. h. mit Brennstoffstäben, einem Bleimantel u. Ä. zu tun haben muss. Könnte es sich also nicht um das Gleiche handeln, was auf den letzten 60 Seiten am Ende des zweiten Bandes beschrieben wurde? Vielleicht, das wissen wir jedoch noch nicht. Es gibt noch eine weitere Frage, die bei dieser Gelegenheit auftaucht. Wie die Leser meiner früheren Bücher sicherlich wissen, zählen die von

Professor Hubertus Strughold in Szczawno Zdrój (Bad Salzbrunn) vorgenommenen Untersuchungen zu den interessantesten Arbeiten, die von den Deutschen bei Kriegsende in Niederschlesien durchgeführt wurden. Sie wurden von ihm in einem Interview beschrieben, das er Kąkolewski gab, und hatten in einer unterirdischen, der Luftwaffe unterstellten Einrichtung in der Nähe von Książ (Fürstenstein) stattgefunden. Während des Interviews beschrieb er ein Gerät, in dem „Weltraumflüge simuliert wurden“, was aber offensichtlich in vollem Umfang erfolgte, da sich in der Kapsel ein Mensch befand. Damals soll sich herausgestellt haben, dass aufgrund von Vibrationen Probleme mit der Steuerung auftraten. Das ist eine wichtige Information, die man auf zwei Arten interpretieren kann: 1. Entweder befand sich ein Überschall- / Transsonikwindtunnel zum Testen von z. B. Raketen und Raumkapsel im Maßstab 1:1 unter der Erde; eine solche Installation wäre allerdings so riesig (etwa von der Größe eines halben Fußballfeldes), dass eine unterirdische Konstruktion eher ausgeschlossen werden kann. Der Bau eines Tunnels im Maßstab 1:1 wäre vor allem irrational. 2. Wir könnten natürlich annehmen, dass es sich bei dem Simulator um eine Schleuder handelte, sie wird allerdings nicht gesteuert und es treten auch keine entsprechenden Vibrationen auf. 3. Die dritte Interpretation beruht darauf, dass es sich nicht so sehr um ein Objekt handelte, dass sich relativ zur Luft bewegte, sondern einfach um einen eingeschalteten Antrieb auf dem Prüfstand. Eine Weltraumrakete mit funktionierendem Triebwerk wäre aber nicht unter der Erde getestet worden! Es sei denn, dass die Deutschen – wie bereits Voss ausführte – auf einen ganz anderen Antrieb für strategische Waffen setzten. Vielleicht ging es gerade darum? Das wissen wir natürlich nicht – es sind nur unverbindliche Überlegungen. Voss’ Ausführungen und die Informationen, die Agoston selbst gefunden hat, beinhalten noch viele andere sehr interessante Angaben:40 „Die SS-Maßnahmen auf dem Gelände von Skoda wurden ohne das Wissen Görings, Speers und anderer Forschungszentren des Dritten Reiches initiiert. Auch die Schöpfer der V1 und der V2 wurden von dem Ganzen ferngehalten. Geheime SS-Forschungsarbeiten wurden

Teil von Himmlers Traum – sie sollten genauso wie das Rheingold aus den ,Nibelungen‘ nach der Umschmiedung zum Ring dem Besitzer die Weltherrschaft ermöglichen, und das SS-Forschungsteam sollte auf ähnliche Weise das Großdeutsche Reich in die Lage versetzen, einen großen Teil der Welt zu erobern. Die nachrichtendienstlichen Meldungen zeigen, dass Pläne, Zeichnungen, Berechnungen und andere ähnliche Unterlagen durch einen dreifachen Ring von Spezialisten der Gegenspionage geschützt wurden; sie wurden von Himmler abkommandiert, um undichte Stellen und Sabotage in den Forschungsabteilungen und den Einrichtungen selbst zu verhindern. Die SS-Gruppe war intern dem Kammlerstab unterstellt. […] Die Finanzierung des SS-Teams in Pilsen erfolgte mittels Voss, der in diesem Zusammenhang wenigstens teilweise informiert sein musste, da er mir später in Frankfurt im Jahr 1949 vom Aufbau [der Einrichtung] berichtete. In vielen langen Interviews in Frankfurt und in seinem Haus in Bayern erzählte Voss von dieser vergangenen Tätigkeit mit besonderer Offenheit. Die offene Forschungsund Entwicklungsabteilung von Skoda arbeitete bei bestimmten Projekten relativ eng mit der SS-Gruppe zusammen. Das gewährleistete eine wirkungsvolle Tarnung der Kammler unterstellten Spezialisten, die unter großer Geheimhaltung aus Forschungsinstituten im ganzen Deutschen Reich hergebracht wurden, um die Experten vor Ort zu unterstützen. Voss behauptete, alle wären aufgrund ihres Wissens, und nicht der Vermerke in den Parteiakten ausgesucht worden. Alle mussten die Fähigkeit besitzen, visionären Projekten die Stirn bieten zu können. Es waren auch einige Tschechen dabei. Manche arbeiteten vor dem Krieg in den Vereinigten Staaten. Die Beteiligung an Kammlers Projekt gab den Experten neue Möglichkeiten. […] Viele Wissenschaftler, die um jeden Preis ihre Forschungsarbeiten in gedruckter Form veröffentlicht sehen wollten – auch dann, wenn sie geheim waren – schickten sie and das Zentralbüro für wissenschaftliche Publikationen, das sie wiederum an entsprechende Empfänger verschickte. Manche dieser Ausarbeitungen stellten die Basis für die Auswahl von Kandidaten für die Gruppe dar, die in den

Skoda-Werken arbeitete. Für Himmler war es ein Anliegen von höchster Priorität, alle Verträge über Forschungsarbeiten der Waffen-SS über Skoda zu ‚kanalisieren’. Er legte ein außerordentliches Gewicht auf eine ‚glatte’ Zusammenarbeit zwischen Skoda und dem Rüstungsamt der Waffen-SS [Erneut taucht also das „Technische Amt VIII“ des SSFührungshauptamtes auf!]. Das spiegelt sich in der Korrespondenz zwischen Voss und Himmler wider. Um die Kooperation zu gewährleisten, rief Himmler in den Skoda-Werken den Waffen-SSVerbindungsstab ins Leben und machte Voss für die ordnungsgemäße Zusammenarbeit verantwortlich. Voss schickte daher die Berichte direkt zu Himmler. Er erwähnte, dass die Rüstungshierarchie zunächst sehr widerwillig an die Idee heranging, Skoda auf gleiche Stufe mit Krupp und anderen deutschen Firmen zu stellen – vielleicht deshalb, weil sie die ehemals österreichischen und später tschechischen Betriebe als ,fremd‘ betrachtete. […] Hitler […] befahl, Skoda unverzüglich den gleichen Status wie den anderen deutschen Firmen zu verleihen, auch im Hinblick auf geheime Ausrüstung. Er sagte das am 15. März 1942 während einer Unterredung mit Heydrich.“ Wir kommen noch auf die Tätigkeit von Heydrich zurück, da ihm die meisten Verdienste bei der Umwandlung des Protektorats Böhmen und Mähren in eine solch effizient funktionierende Rüstungsmaschinerie zukamen. Bleiben wir zunächst noch bei Agostons Beschreibung:40

Karte Tschechiens und des anliegenden Teils Niederschlesiens, auf der die wichtigsten im Buch beschriebenen Einrichtungen markiert wurden. Die Grenzen entsprechen dem heutigen Stand. Die Linie, die Pattons Armee annähernd erreichte, wurde gestrichelt dargestellt.

„Trotz Speers außerordentlicher Anstrengungen, Skoda in seinem Einflussbereich zu behalten, verbuchte Himmler einen Erfolg, indem er diese Werke praktisch in eine Unternehmung der SS mit Kammler als Hauptverbindungsmann verwandelte. Um den internen Wettstreit zwischen [zentralen] Ämtern zu minimalisieren, blieb Voss Himmlers diskreter Informant. Im Juli 1942, als in den Werken die Forschungsarbeiten an einer neuen, sehr zielgenauen Bombe abgeschlossen wurden, schickte Voss den Bericht über den Fortschritt der Arbeiten zunächst an Himmler, bevor er ihn auf dem offiziellen Vertriebsweg weiterleitete. Reichsmarschall Erhard Milch, damals für die gesamte Luftwaffenproduktion zuständig, sollte den Bericht als erster erhalten. Voss wusste von den internen Kämpfen, die sich bei jeder möglichen Gelegenheit wegen seiner Person abspielten, deshalb legte er dem Brief eine Notiz bei, in der er Himmler um Erlaubnis bat, den Bericht Milch zuschicken zu dürfen. Dann bedankte er sich bei Himmler in einem Brief mit dem Stempel ‚streng geheim’ für dessen Initiative, Hitler um Zustimmung für die ‚Kanalisierung’ aller Arbeiten zu bitten, die in Zusammenhang mit den Forschungs- und Entwicklungsarbeiten und Skodas Produktion für die Waffen-SS standen. Er fügte hinzu, dass er

alles daransetze, sämtliche Wünsche zu erfüllen, insbesondere solche, die die Waffen-SS betreffen, und zwar ‚in jeder Beziehung’.“

1939 – die Deutschen besetzen Pilsen, eines der Hauptzentren der tschechoslowakischen Rüstungsindustrie. (Archiv)

So wie Otto Schwab formell Kommandant einer Artillerieschule war, so befand sich auch der nach diesen Ereignissen ins Leben gerufene Spezialverbindungsstab der Waffen-SS offiziell in Prag. Ein Zeichen der neuen Zeit war jedoch, dass Dr. Voss (der formell immer noch Beamter des Speer-Ministeriums war!) bereits im Sommer 1942 alle Dokumente mit „SSStandartenführer“ unterschrieb. Die ungewöhnliche Karriere Himmlers im Reichsprotektorat von Böhmen und Mähren lässt natürlich die Frage nach den Gründen aufkommen – warum gerade Tschechien? Mit dieser Frage kehren wir zur Rolle zurück, die SSObergruppenführer Reinhard Heydrich bereits in der ersten Kriegshälfte spielte. Am 3. September wurde er von Hitler zum „Statthalter“ der neuen Provinz ernannt – formell war Heydrich Konstantin von Neuraths Stellvertreter, als dieser auf Genesungsurlaub geschickt worden war, in der Praxis regierte er jedoch das Protektorat. Solch eine Rolle als höchste Verwaltungsmacht, die von einem SS-Führer und direkten Statthalter Himmlers ausgeübt wurde, war etwas Einzigartiges im ganzen besetzten Europa. Heydrich war „ein Prinz der SS“, der fast exklusiv regierte. Er trat sein Amt am 27. September an, ohne seine Funktion als Leiter des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) aufzugeben. Der direkte Impuls für Hitler, eine solche Entscheidung zu treffen, war die systematisch steigende Rolle der tschechischen Widerstandsbewegung, der von Neurath nichts entgegenzusetzen hatte. Dieselben Gründe machten auch aus Karl Hermann Frank, dem Höheren SS- und Polizeiführer im Protektorat eine Randfigur, der später nur noch ein passiver Vollstrecker für die

Anweisungen des „Protektors“ war. Der Widerstand der Tschechen nahm keine solch „gefährliche“ Form für das Dritte Reich wie z. B. in Polen an, zeugte jedoch vom Versagen der bisherigen sanften Politik der zivilen Provinzverwaltung. Er sollte eher eine demonstrative Abneigung zum Ausdruck bringen. Am 24. Februar 1941 sollten z. B. in Prag traditionelle Feierlichkeiten in Zusammenhang mit St. Matthäus, dem Schutzpatron der Stadt abgehalten werden. Es war geplant, sie mit einer winterlichen Hilfsaktion für die an der Ostfront kämpfenden deutschen Soldaten zu verbinden. Dem Ganzen wurde ein voller künstlerischer und propagandistischer Rahmen spendiert. Dadurch sollte die Solidarität mit der Politik des Dritten Reiches zum Ausdruck gebracht werden. Im Grunde genommen basierte das auf dem Trugbild der „Nähe“ zwischen Tschechen und Deutschen. Der Zauber brach, als die Tschechen das Fest nicht nur boykottierten, sondern zusätzlich auf einem großen Platz im Stadtteil Dejvice eine offene nazifeindliche Demonstration veranstalteten. Solche Aktionen wiederholten sich. Sie wurden zwar unterdrückt und es gab Opfer, die bisherige Verwaltung fürchtete jedoch ein mögliches Blutbad (das im Generalgouvernement sicherlich ohne Zögern durchgeführt worden wäre), da es die Versorgung der Wehrmacht mit den in Tschechien hergestellten Waffen gestört hätte – und Tschechien verfügte über eine sehr bedeutende Rüstungsindustrie. Noch einen Tag nach Heydrichs Ankunft wurde ein Boykott der ganzen Presse organisiert. Die Untergrundbewegung bereitete zwar keine bewaffneten Aktionen vor, dennoch war sie sehr gefährlich. In ihrer Führung befand sich die intellektuelle Elite des tschechischen Volkes – eine kleine Gruppe zwar, die jedoch eine durchdachte langfristige Politik verwirklichte, in der kein Platz für spektakuläre, jedoch nutzlose blutige Ausbrüche war. Die andere Seite der Medaille war jedoch die Möglichkeit, die ganze Infrastruktur aufgrund ihres zentralisierten Charakters relativ leicht außer Gefecht setzen zu können. Heydrich zögerte nicht mit der Entfesselung eines blutigen Terrors, der gegen diese Führung gerichtet war. Bereits am Tag seiner Anreise in Prag unterzeichnete er einen Erlass über die Einführung des Ausnahmezustandes und ordnete eine ganze Reihe von Exekutionen an, die „Ausschreitungen vorbeugen“ sollten. Schon in der ersten Woche nach Heydrichs Amtsantritt wurden etwa 6.000 Personen festgenommen, bis Ende 1941 wurden etwa 5.000 hingerichtet. Die scheinbare Autonomie wurde abgeschafft und viele

Tschechen verloren ihre Ämter. Sechs tschechische Generäle, 21 bekannte höhere Offiziere, viele Professoren, Intellektuelle, Abgeordnete und Gewerkschaftsfunktionäre kamen ums Leben. Jetzt wurden die Führungspositionen in den Ministerien fast ausnahmslos durch Deutsche besetzt, und in allen Städten gab es deutsche Kommissare.

15. März 1939 – Hitler im Prager Schloss. Das „Protektorat“ wird ausgerufen. (Archiv)

Pilsen wird besetzt, neben der Flagge des Dritten Reiches wehen jetzt SS-Flaggen. (Archiv)

Heydrichs ganze Politik beruhte auf der Annahme, dass nicht die Tschechen selbst, sondern die Eliten Feinde waren. Er nahm an, dass nach der Eliminierung der feindlich gesinnten (potentiellen) Anführer das Land als befriedet gelten könnte. Er befürchtete demnach keine Lähmung der Rüstungsproduktion und keine Popularisierung der Widerstandsbewegung. Gleichzeitig mit der Eskalation des Terrors führte er nämlich eine prosoziale Politik ein, insbesondere in der erwähnten Schlüsselindustrie. Zu diesem Führerkonzept würde der heutige Begriff vom „gütigen Hegemon“ der

amerikanischen Neokonservativen passen. Das Ganze wurde durch entsprechende Propaganda begleitet: Sie stellte Heydrich als „Beschützer“ der Arbeiter dar, der ihre Lebensverhältnisse erheblich verbesserte. Im Oktober und Dezember 1941 organisierte er einen weit beworbenen Empfang für eine Delegation von Bauern und Industriebeschäftigten, denen er für die Verwirklichung der gestellten Aufgaben „goldene Berge“ versprach. Er erhöhte ihre Gehälter, bewilligte kostenlose Schutzkleidung, verteilte 200.000 Paar Sicherheitsschuhe und Fahrräder. In den Fabriken wurden die sozialen und medizinischen Leistungen erweitert, es wurden zahlreiche kostenlose Vergnügungsveranstaltungen organisiert, in den Kantinen gab es kostenlos Suppe u. Ä. Das fiel in erster Linie bei den besonders kriegswichtigen Betrieben auf, wobei das Modellbeispiel die bereits erwähnten und weiter unten ausführlicher beschriebenen Skoda-Werke waren. Auf Fotos sind eine moderne Kantine, eine medizinische Beratungsstelle und ein Sanatorium zu sehen. Nicht selten standen diese Vorteile den Beschäftigten nicht einmal vorher, zu Friedenszeiten zur Verfügung. Die Aufrechterhaltung des hohen Leistungsvermögens der Industrie hatte nämlich die allerhöchste Priorität. Diese Politik stellte zugleich die Verwirklichung der früher von Hitler aufgestellten These dar, dass nur die Eliten Träger der nationalen Identität seien; für den Rest der Bevölkerung sei sie von zweitrangiger Bedeutung. Heydrich wollte dabei als eine Art König seines SS-Musterstaates angesehen werden. Am Rande sei angemerkt, dass damit eine ziemlich ungewöhnliche, fast schon anekdotenhafte Geschichte verbunden ist. Bei der ganzen Rücksichtslosigkeit für seine Feinde hatte Heydrich eine Schwäche für seine Kinder, er war ein liebevoller Vater und konnte ihnen nichts abschlagen. Eines Tages ordnete er an, speziell für sie die Kapelle der böhmischen Herrscher im Veitsdom zu öffnen. Er nahm die Krönungsinsignien heraus und gab sie den Kindern zum Spielen, die die reich verzierte goldene Krone auf dem Boden rollten, sie anprobierten, mit dem Zepter gegen die Wand schlugen. Auch Vati selbst probierte die Krone an und setzte zur Freude seiner Sprösslinge einige Minuten lang alberne Mienen auf. Er kannte wahrscheinlich nicht die alte Legende, die besagte, dass jeder, der unbefugt die Krone der Přemysliden aufsetzt, bald um sein Leben kommen werde, und zwar nicht auf natürliche Weise.

Kehren wir jedoch zur Politik der SS im Protektorat zurück. Bewährte sich dieses Konzept in der Praxis? Ja, es übertraf sogar alle Erwartungen. Heydrich fand nicht nur bei beträchtlichen Teilen der Bevölkerung Anerkennung (die Widerstandsbewegung war nicht so massenhaft wie in Polen, deshalb wurden auch die gegen sie gerichteten Schläge nicht von der Allgemeinheit verspürt). Viel wichtiger war, dass die Staatsführung des Deutschen Reiches den musterhaften „SS-Staat“ anders zu betrachten begann. Hitler war von den unglaublichen Erfolgen entzückt – sowohl wirtschaftlicher Art als auch im Bereich der inneren Sicherheit. Sogar Walter Schellenberg, Leiter des SS-Nachrichtendienstes schrieb, dass „Heydrichs Politik im Protektorat einen großen Erfolg versprach“. Der „SS-Musterstaat“ wurde zur Wirklichkeit. Das alles bereitete natürlich den Boden für Himmlers weiter reichende wirtschaftliche Expansion vor, hatte allerdings auch einen anderen Nachklang. Es erregte die Feindseligkeit sogar im Kreis der Oberhäupter des Dritten Reiches selbst – vor allem bei Himmler, der ganz konkrete Gründe für die Befürchtung hatte, Hitler wollte ihn durch Heydrich ersetzen. Natürlich hatte der „Protektor“ viele Feinde. Unabhängig davon führten am 27. Mai 1942 die Mitglieder der von London aus kontrollierten tschechischen Widerstandsbewegung einen Anschlag auf den ohne Begleiteskorte in einem Wagen fahrenden Heydrich. Diese Angelegenheit ist jedoch nur scheinbar einfach.

Der riesige Skoda-Komplex in Pilsen beschäftigte etwa 36.000 Personen. (Archiv)

Konnte die so pragmatische tschechische Bevölkerung auf diese Weise ihre Lage verbessern? Die Tschechen hätten davon überhaupt nicht profitiert, sie hätten nur verlieren, und ihr Land hätte in Blut versinken können – das wissen wir bereits. Die sinnvollste Theorie besagt, dass der Grund für den Anschlag die Unzufriedenheit der Alliierten über Heydrichs großes

Leistungsvermögen war, mit dem er seinen Minimodellstaat transformierte, wobei es ihm gleichzeitig gelang, die tschechische Bevölkerung zu befrieden und sie an einer fruchtbaren Zusammenarbeit zu beteiligen. Der Terror nach dem Anschlag hätte die Funktionsweise dieses Motivationsmechanismus erheblich gestört. Die Alliierten waren aber durchaus nicht die Einzigen, die diese Sachlage erheblich störte!42

Einer der tschechischen LT-38-Panzer in den Werken in Pilsen, der von einem SS-Offizier inspiziert wird. (Archiv)

Eine andere Inspektion, die diesmal von Wehrmachtsoffizieren mit General Blaskowitz an der Spitze durchgeführt wurde. (Archiv)

Trotz Heydrichs Tod (nach lediglich acht Monaten Herrschaft) wurde das bisherige Wirtschaftsmodell immer noch weiterentwickelt, und die SS behielt ihren Einfluss. Mehr noch – die Rolle der Fabriken und Forschungseinrichtungen im Protektorat stieg beträchtlich, einerseits aufgrund ihrer Modernisierung, andererseits aber auch, weil dieses Gebiet, ähnlich wie Niederschlesien, als eine Art „Reichsluftschutzraum“ fungierte. Dies betraf vor allem die Bergregionen. Das führte wiederum zum Aufstieg des „SS-Musterstaates“. Kurzum kam es zum identischen Vorgang wie im Falle Niederschlesiens. Diese Entwicklung fasst am besten eine denkwürdige Monatsmeldung der Industriespionage der polnischen Heimatarmee vom

März 1944 zusammen:16 „41. Pläne zum Aufbau einer deutschen Industrie in Tschechien. Laut einer indirekten glaubwürdigen Information vom Ende II’44 von einem Ing. aus dem Stab des Reichsministers Speer. Die Industrie steckt wegen der Luftangriffe in einer schweren Krise, die Lage soll sich allerdings innerhalb von 3 – 5 Monaten radikal ändern, nachdem die nach Tschechien verlegten Fabriken in Betrieb genommen werden. Laut Informant herrscht in Speers Stab die Überzeugung, dass die Industrie in Tschechien aufgrund des internationalen Kapitals nicht bombardiert werden wird. Die Meinungen über Tschechen sind positiv, sie werden als ein reifes Volk angesehen, das den Deutschen entgegenkommt.“ Auch Albert Speer ist eine Quelle vieler interessanter und wichtiger Informationen über die Entwicklung des tschechischen „Fürstentums“: 33 „Die Industrie des ‚Protektorat’ genannten tschechischen Gebietes hatte die SS vor 1942 genauso als ihre eigene Domäne angesehen wie ab September 1941 nach dem Sturz des Reichsprotektors für Böhmen und Mähren, Freiherrn Konstantin von Neurath, die Verwaltung dieses Landes.“

Ein Foto, das bereits in Band II abgedruckt wurde, aber ungemein bezeichnend ist. Die Werke in Pilsen waren für die Deutschen so wichtig, dass trotz der geringen Gefahr von Luftangriffen eine zweite Fabrik aus Holz am Stadtrand errichtet wurde, mit hölzernen Eisenbahnschienen, um die Bomber anzulocken! (Archiv)

Eine Inspektion in den Skoda-Werken. Direktor Voss zeigt von Neurath Unterlagen über die Produktion. Links stehen SS-Offiziere. (Archiv)

Von da an bis zu seiner Ermordung am 4. Juni 1942 war Reinhard Heydrich der unbestrittene, von Berliner Zentralstellen weitgehend unabhängige Beherrscher dieses Gebietes, und auch nach seinem Tode wurde durch die Ernennung des unbedeutenden Karl Hermann Frank die Tradition fortgesetzt, nach der die Regierungsgeschäfte erprobten SS-Führern übertragen wurden. So war es nicht erstaunlich, dass Himmler und sein Stab danach strebten, die starke Waffenindustrie der ehemaligen Tschechoslowakei für SS-eigene Rüstungszwecke auszunutzen. Er betrachtete es offensichtlich als sein angestammtes Recht, als er in den ersten Monaten meiner Ministertätigkeit kurzerhand die Waffen- und Munitionsentwicklung der fortschrittlichen Skoda-Werke, zu denen auch die Brünner Waffenwerke gehörten, abzweigte. Um dieses Vorhaben abzusichern, war es Himmler im März 1942 gelungen, Hitler davon zu überzeugen, dass in Zukunft ‚die Skoda-Werke und die Waffenwerke Brünn [die ehemalige Česká Zbrojovka Brno] ihre Neuentwicklungen in Zusammenarbeit mit der Waffen-SS machen’ sollten. Es scheint also nicht nur darum gegangen zu sein, wie Voss behauptete, eine SS-Forschungsstelle „bei“ den Werken in Pilsen einzurichten – der ganze Skoda-Konzern arbeitete eng mit Otto Schwabs „Technischem Amt“ zusammen, zumindest zu dieser Zeit! Hier der weitere Teil der Schilderung des „Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion“:33 „Dieser Befehl Hitlers blieb mir viele Monate unbekannt; es handelte sich um eine der zahlreichen Zweigleisigkeiten Hitlers, die er unbeschadet des Ansehens seiner Minister oder Oberbefehlshaber immer wieder anordnete, ohne den eigentlich zuständigen Mitarbeiter auch nur davon in Kenntnis zu setzen. Wahrscheinlich ging diese Anordnung auf das Misstrauen Hitlers gegen das Heereswaffenamt zurück, von dem er annahm, dass es allzu

konservativ und Neuerungen abgeneigt sei. Ich selbst hatte, ohne diese Auswirkung ahnen zu können, am 16. März 1942 bei Hitler Bedenken ausgeräumt, die bis dahin für Entwicklungsarbeiten in diesen tschechischen Werken mit tschechischen Ingenieuren aus Geheimhaltungsgründen berücksichtigt werden mussten. Hitler bestimmte damals, den Skoda-Werken erstmals Beutewaffen zur technischen Auswertung auszuliefern und Heydrich von seiner Entscheidung zu unterrichten. [Es geht um die sowjetischen 76 mmKanonen des Typs F-22, die später auf dem Rumpf des tschechischen 38-t-Panzers installiert wurden – auf diese Weise entstand eine gelungene Version des Jagdpanzers Marder III].

Von Neurath in den Skoda-Werken – hinter ihm ein SS-Offizier. (Archiv)

Skoda – Montage der 150-mm-Haubitze. (Archiv)

Montage leichter Panzer in den Skoda-Werken im Jahr 1941. (Archiv)

Es entsprach durchaus der gegebenen Lage, wenn der Chef der SkodaWerke, Voss, der Ehren-Standartenführer der SS war, in seinem ersten Bericht an Himmler versicherte, ‚bestrebt zu sein, sämtlichen Wünschen und Sonderwünschen der Waffen-SS in jeder Beziehung gerecht zu werden’. Auf vielen Schreibmaschinenseiten wurden Himmler präzise Berichte über Entwicklungen für Gebirgshaubitzen, für einen 8-cm-Minenwerfer mit 48 Raketengranaten nach dem Muster der Stalin-Orgeln [Katjuscha-Batterien], über eine SSMaschinenpistole, über Gewehrgranaten, über ein Maschinengewehr mit erhöhter Folge von 1.000 Schuss pro Minute und über ein automatisches Gewehr gegeben. Zu einem großen Teil waren danach die Versuche bereits weit fortgeschritten und die ‚vom Reichsführer-SS gestellten Forderungen in weitestgehendem Maße erfüllt’. Voss beendete seinen Brief an Himmler als ‚Ihr gehorsamst ergebener SSStandartenführer’. Himmler war beeindruckt: ‚Ihr Bericht über den Stand der Entwicklungsarbeiten hat mich sehr interessiert. Ich nehme an, dass sich jetzt die Zusammenarbeit recht gut eingespielt hat’, antwortete er einige Wochen später. Drei Tage nach diesem Lob, am 11. Mai 1942, konnte Voss Himmlers Meinung bekräftigen: ‚Dadurch, dass wir die Gesamtentwicklung für die Waffen-SS bei Skoda und Brünner Waffenwerken im Verbindungsstab konzentriert haben, und dadurch, dass eine systematische, intensive Zusammenarbeit mit dem SS-Waffenamt sichergestellt ist’, sei die Entwicklung der neuen Waffen schneller vorangekommen als erwartet.“ Die Forschungsarbeiten wurden in Pilsen so effektiv verwirklicht, dass das

Zentrum zur einer der wichtigsten Forschungseinrichtungen im ganzen Deutschen Reich und damit auch von Hitler entsprechend behandelt wurde – was selbst Speer bei der Beschreibung einer vorübergehenden Schwächung des Einflusses der SS bei Skoda zugibt. Hier noch einige weitere wertvolle, von Speer verfasste Informationen: „Mitte Mai 1944 waren auch die letzten unkontrollierbaren Einflüsse der SS von Skoda genommen: ‚Dem Führer über die erfreuliche Entwicklung der Ausbringungszahlen der Skoda-Werke berichtet, unter Vorlage einer Gegenüberstellung des Ausbringens im Januar 1943, Januar 1944 und März 1944. Der Führer hat gebeten, dem Werk seinen Dank und seine Anerkennung auszusprechen, unter gleichzeitiger Betonung der hervorragenden Entwicklungsleistungen des Werkes. Er hat mit Genugtuung davon Kenntnis genommen, dass für die Waffenwerke Brünn ähnliche Maßnahmen eingeleitet werden, um auch dieses Werk auf den gleichen Leistungstand zu bringen.’ […] Hitler war von der Mitarbeit der tschechischen Ingenieure und Techniker beeindruckt. Daher stimmte er auch noch in den letzten Tagen des Krieges ohne weiteres zu, als ich ihm bei meinem Besuch im Berliner Bunker in der Nacht vom 23. auf 24. April 1945 vorschlug, den Befehl zu erteilen, die führenden tschechischen Industriellen und Ingenieure der Rache der Russen zu entziehen und ihnen einen Flug in das amerikanische Hauptquartier zu ermöglichen. Wie jüngst festgestellt wurde, sind sie in der Tat auf westlichem Gebiet angekommen, und einige von ihnen sind dann, wie manche ihrer deutschen Konstrukteurs-Kollegen, in die USA gelangt. Es ist anzunehmen, dass sie dort noch Jahrzehnte gearbeitet haben. Mit einiger Ironie soll festgestellt werden, dass es sich dabei wohl um den vorletzten Erlass Hitlers gehandelt hat. Ihr folgte nur noch jene Verfügung, in der er Großadmiral Dönitz zu seinem Nachfolger einsetzte.“ Kehren wir noch zum Jahr 1944 zurück. Das obige Zitat suggeriert, dass die SS kraft Hitlers Erlass die Macht über die Rüstungsindustrie im Protektorat abgab. Dieses „Abgeben“ war allein schon deshalb nicht vollständig, weil SS-Offiziere nirgendwo anders solche Schlüsselpositionen in der staatlichen Verwaltung bekleideten. Der Erlass bezog sich außerdem auf die Produktion

und schränkte keine Forschungsarbeiten in den eigenen Teams und SSEinrichtungen ein, die bereits aufgenommen worden waren, und zwar unter solcher Geheimhaltung, dass nicht einmal Speer über sie wusste. In den Händen der SS befand sich vor allem immer noch ein Spezialforschungszentrum, das an einem fortschrittlichen Antrieb für strategische Waffen arbeitete (Pilsen) und deshalb auch eine strategische Bedeutung unter dem Aspekt einer möglichen Steigerung des Einflusses Himmlers im Deutschen Reich nach einer eventuellen Anwendung dieser Waffe auf dem Gefechtsfeld besaß – falls dieser Begriff im Kontext eines solchen Arsenals überhaupt verwendet werden kann. Das ist natürlich nur ein Beispiel.

Montage der schweren 127-mm-Kanonen für U-Boote in den Pilsener Werken. (Archiv)

Hier ein anderer Aspekt: Die Übernahme der Kompetenzen durch Speers Rüstungsinspektionen im Protektorat erfolgte nicht so reibungslos und vollständig, wie die zitierten Auszüge suggerieren könnten, da Himmler eine ganze Palette von mannigfaltigen „Gegenmaßnahmen“ einleitete, von Schritten auf höchster Ebene bis zur Einmischung in personelle Fragen in den Fabriken selbst. Um Druck auszuüben, wurde u. a. ein ausgebautes Netz von Gestapo- und SD-Agenten genutzt. Im Dritten Reich war die Verbannung in ein Konzentrationslager grundsätzlich der ausschließlichen Kompetenz der SS unterstellt und war keinem gerichtlichen Verfahren unterworfen, es gab auch keine Berufungsmöglichkeit – offiziell wurde das auf euphemistische Weise als „Schutzhaft“ bezeichnet. Das war ein wichtiges Argument (eines

von mehreren), das es erlaubte, irgendeine Kontrolle auch für den Fall zu bewahren, dass die SS formell auf die Leitung der Fabrik verzichtete. Es gab auch andere Mittel. Hier noch ein weiteres Beispiel von Speer:33 „Zu meinem örtlichen Repräsentanten war der Leiter der Rüstungsinspektion Prag, General Hernekamp, bestellt, der gleichzeitig von mir zum Vorsitzenden der Rüstungskommission, d. h. zum Chef der höchsten zusammenfassenden Stelle aller Rüstungsinteressen im Protektorat bestellt war. Natürlich wurde er von der SS-geleiteten Führung des Protektorats erbittert bekämpft. Im Herbst 1943 gab es einen heftigen Streit zwischen dem SS-abhängigen Prager Verwaltungszentrum und meinem Ministerium. Am 8. Oktober 1943 konnte in Berlin nach einer ermüdenden Diskussion zwischen SSObergruppenführer Karl Hermann Frank [dem Höheren SS- und Polizeiführer] und mir eine befriedigende Übereinkunft für das Protektorat erzielt werden. Dabei war Franks Position zunächst schwach, da er es nicht wagen konnte, sich in Ausführungen von Produktionsbefehlen Hitlers einzuschalten. Die Chronik des Ministeriums hielt fest: ‚Der Minister erreichte, dass Frank das Weisungsrecht Speers auf dem Rüstungsgebiet anerkannte. Dabei wurde Frank – zur Wahrung des Gesichts der politischen Autonomie von Böhmen und Mähren – zugestanden, dass die Adressierung von Weisungen über ihn laufen sollte.’

Frühjahr 1941. Die Werke in Pilsen übten sogar auf eine Armeedelegation des Imperiums der aufgehenden Sonne ihre Anziehungskraft aus. In der Gastgeberrolle trat die SS auf. (Archiv)

Doktor Voss (mit Hut und erhobener Hand) empfängt Karl Hermann Frank. Obwohl er ein SS-Offizier (Obergruppenführer und „Höherer SS- und Polizeiführer“ im Protektorat) war, trat er hier jedoch als Leiter einer theoretisch zivilen Protektoratsregierung auf (im Anzug, Erster von links). (Archiv)

Die Schwierigkeiten nahmen trotz dieser Vereinbarung nicht ab. In der täglichen Kleinarbeit geschah es immer häufiger, dass SS-Stellen meine Organisation übergingen. Um meine Stellung eindeutig zu fixieren, teilte ich am 2. März 1944 Frank als dem verantwortlichen Chef der in Prag installierten deutschen Verwaltung meine Absicht mit, ‚zum Zwecke der Zusammenfassung meiner Dienststellen im Protektorat Böhmen und Mähren den Vorsitzer der Deutschen Rüstungskommission, Generalmajor Dipl. Ing. Hernekamp zu meinem Beauftragten für Böhmen und Mähren zu berufen’. ‚Gegenüber dem Ministerium für Wirtschaft und Arbeit’, hieß es in dem beigegebenen Entwurf zu einem Erlass, ‚hat er die Befugnisse, die sich aus seiner Stellung als Vorsitzender der Rüstungskommission nach meinem Erlass vom 29. Oktober 1943 über die Aufgabenverteilung in der Kriegswirtschaft ergeben. Der Beauftragte ist für eine einheitliche Ausrichtung meiner Dienststellen im Protektorat Böhmen und Mähren verantwortlich.’ Dass sich die SS von solchen Bestrebungen der Zentralisierung wenig beeindrucken ließ, zeigt ein Fernschreiben Kammlers vom 13. Juni 1944, in dem er Himmler darüber informierte, dass sich Staatsminister Dr. Frank ‚für Sondermaßnahmen zur Schaffung unterirdischer Fertigungsstätten für Rüstungsbetriebe im Protektorat’ für zuständig erklärt habe. Ich wusste von solchen Absprachen nichts.“

Die Werke in Pilsen wurden von Luftwaffensoldaten bewacht, deren Zahl etwa einem Bataillon gleichkam! Sie waren mit 88-mm-Kanonen ausgerüstet, die im Übrigen an Ort und Stelle hergestellt wurden. (Archiv des Autors)

Danach kam es zur „Offensive des SD“, des SS-Sicherheitsdienstes, die Himmler quasi als eine geheime Reservearmee Speers Macht gegenüberstellte. Der SD begann nicht nur, auf einzelne Personen in der Führung der Rüstungsindustrie, sondern auch im Speer-Ministerium selbst Einfluss zu nehmen. Er sorgte für einen stetigen Fluss von Unterlagen, die mit Analysen über die interne Lage verflochten waren und die Amtsgeschäfte von Speers Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion diskreditierten. Im Sommer 1944 kam es zum Höhepunkt dieses internen Kampfes. Hier noch einige zusammenfassende Worte Speers, mit denen er an einem der entscheidenden SD-Berichte anknüpft: „Dieser Angriff konzentrierte sich also auf eine Herabsetzung der Tätigkeit General Hernekamps und seiner Dienststellen. Nicht durch die mir unterstehende Rüstungsinspektion, sondern ‚nur durch eine regionale (Prager) Dienststelle kann eine solche Aufgabe [die Leitung der Rüstungsbetriebe] durchgeführt werden, da alle angeführten, besonders politischen und strukturellen Verhältnisse nicht von Berlin aus übersehen werden’. Wir werden im Folgenden sehen, dass einige Wochen später dieser Forderung des Sicherheitsdienstes Genüge getan wurde und dass fortan in der Tschechei eine der Prager Regierung unterstehende, autonome Wirtschaftsorganisation die Rüstung verantworten sollte.“

Die Schutztruppe der Pilsener Werke setzte sich ausschließlich aus Deutschen zusammen – sie war etwa 170 Mann stark. (Archiv)

Montage einer schweren 210-mm-Kanone „bei Skoda“. (Archiv)

Das sind wichtige Worte, die bezeugen, dass die SS ihre Unabhängigkeit im Protektorat größtenteils bewahren bzw. wiedererlangen und sich das tschechische „Fürstentum“ unterordnen konnte. Dies galt auch für Rüstungsbetriebe und die mit ihnen verbundenen wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen. Die ganze Angelegenheit samt Speers Berichten ist vor allem ein wichtiger Beleg für den internen Kampf um Einflussbereiche mit Himmler. Und Tschechien war die wichtigste Front dieses Kampfes … Dennoch muss festgestellt werden, dass Reichsminister Speer in seinen Beschreibungen nur die sprichwörtliche „Spitze des Eisberges“ aufdeckt und sich grundsätzlich auf den Skoda-Konzern beschränkt (vielleicht wusste er nicht von einigen Vorhaben). Es ist jedoch nicht möglich, das Gesamtphänomen der SS-Expansion in Tschechien und die dahinter stehenden Beweggründe zu verstehen, ohne sich den Umfang der Ausbaumaßnahmen im Hinblick auf die Rüstungsindustrie zu vergegenwärtigen. Erst dann wird die „Verdichtung“ der Einrichtungen

sichtbar, die mit den modernsten Rüstungsvorhaben in Zusammenhang standen. Sie umfasste eine verhältnismäßig kleine Fläche, die etwas größer war als Ostpreußen vor dem Krieg. In dieser Hinsicht kam weder das besetzte polnische Gebiet noch Niederschlesien dem „Fürstentum“ gleich. Schauen wir uns also das Ganze genauer an, indem wir mit der Analyse der nachrichtendienstlichen Berichte beginnen. Viele Informationen sind in den Berichten der Industriespionage der polnischen Heimatarmee enthalten, insbesondere im Hinblick auf Einrichtungen, die mit der Flugzeugproduktion in Zusammenhang standen:16 Meldung 2 / 44 (Februar 1944) Junkers – Prag Aufgrund von Lieferunterlagen für Wawerma-Werkzeugmaschinen aus Pruszków im XII konnte eine Junkers-Zweigniederlassung in PragLuben entdeckt werden. Meldung 4 / 44 Industriegebiet – Prag a. Avia – Prag Čakonice / Letisany – Flugzeugmontage, etwa 1.000 Beschäftigte. b. Česko Moravske Strojnice – Prag Karlín / Karolinenthal (Sudetska Straße), Teil des Skoda-Konzerns, Herstellung von Teilen für Flugzeugtriebwerke. Etwa 1.000 Beschäftigte. c. Flugzeugwerke Letow – Prag Bubeneč – Teil des Skoda-Konzerns, stellen angeblich Teile für Flugzeugtriebwerke her. d. Siemens – Prag Karlin – stellt Teile für Flugzeugtriebwerke her. e. Kolben – Danek – Prag Vysočany, arbeitet eng mit der Firma Praga zusammen, stellt u. a. Gussteile aus Elektron und Aluminium her. Diese Einrichtungen werden zurzeit ausspioniert. Meldung 1 / 44 Mitteldeutsche Motorenwerke – Taucha b. Leipzig […] Teile für die Triebwerksproduktion werden u. a. von den JunkersZweigniederlassungen in Königshof (Dvůr Králové) und Starkenbach (Jilemnice) geschickt.

In der Meldung vom Mai 1944 findet sich eine kurze Beschreibung einer (ziemlich geheimnisvollen) großen unterirdischen Einrichtung: Maschinenfabrik u. Gießerei Liesner – Rosenthal b. Reichenberg (Sudeten) Laut Informationen vom IV erstreckt sich das Fabrikgelände auf einer Länge von 3 km, zwischen Rosenthal und Reichenberg. Alle Fabrikräume, mit Ausnahme der Gießerei und des Sägewerks in Rosenthal, befinden sich unter der Erde. Die Fabrik stellt u. a. Zylinderblöcke für Flugzeugtriebwerke und Fahrzeugmotoren sowie Seeminenhüllen her. Der Ortsname Rosenthal konnte als Rožmitál pod Třemšínem identifiziert werden. Dieser Ort liegt in der Nähe von Příbram (einer Stadt, die unter dem Aspekt der SS-Forschungen wichtig ist) etwa 50 km südwestlich von Prag und etwa 30 km östlich von Pilsen. Bei dieser Gelegenheit sollte erwähnt werden, dass es durchaus nicht die einzige unterirdische Fabrik in dieser Gegend war! Für den Bedarf des „tschechischen“ Flugzeugkonzerns „Flugmotoren-Werke Brünn-Lösch“ in Brünn wurde z. B. eine Reihe von Höhlen adaptiert:43 • „Dinar“ in der Nähe von Prag (Auslasshöhle bei Kiritein) mit einer Fläche von 4.400 m2. • „Lei“ in der Nähe von Prag (Rastelbinderhöhle bei Kiritein) mit einer Fläche von 1.023 m2. • „Dollar“ mit einer Fläche von 550 m2 (Stierfelshöhle bei Adamstal). • „Pengö“ in der Nähe von Prag (Backofenhöhle bei Brettschlag) mit einer Fläche von 1.000 m2. • „Drachme“ in der Nähe von Sloup (Kuhstallhöhle) mit einer Fläche von 1.750 m2. • „Rubel“ in der Nähe von Prag (Schoschowkahöhle) mit einer Fläche von 550 m2. • „Lewa“ in der Nähe von Holstein (Michaeler Höhle) mit einer Fläche von 310 m2. Dort wurden Werkstätten mit der Absicht installiert, Flugzeugtriebwerke herzustellen. Mit der Flugzeugindustrie stand auch ein unterirdischer Komplex in der Gegend von Rabstein mit dem Decknamen Zechstein in

Verbindung. Bereits 1943 wurde dorthin mit der Verlegung der Betriebe der Firma Weser Flugzeugbau begonnen, die (ähnlich wie Skoda) formell Teil der Hermann-Göring-Werke war. Unter der Erde wurden die Ju-87 und die Ju-188 von Junkers sowie Teile für das Düsenflugzeug Me-262 hergestellt. Es handelte sich wohl auch um den ersten Betrieb auf der Welt, der serienmäßig Hubschrauber vom Typ FA-223 der Firma Focke-Achgelis hergestellt hat. Für 1945 war auch geplant, mit der Montage von Elementen für den neuen strategischen Bomber Ju-388 zu beginnen. Wenn wir schon über geheime und fortschrittliche Einrichtungen der Flugzeugindustrie reden, dürfen wir auch nicht die immer noch geheimnisumwitterten „Flugzeugwerke Eger“ in Cheb (Eger) vergessen. Sie verwendeten eine Reihe unterirdischer Einrichtungen – zwei davon, mit deren Ausstattung um die Jahreswende 1944/45 begonnen wurde, befanden sich in der Nähe von Kirchbüchl; die Produktion konnte wahrscheinlich nur in einer Einrichtung aufgenommen werden.

Der von einer SS-Ehrenwache bewachte Sarg mit Heydrichs Leiche und das durch den Anschlag beschädigte Fahrzeug. (Archiv Pilsen)

In der Gegend befanden sich auch Tunnels einer für die Nachkriegszeit geplanten Autobahn, die auch verwendet wurden. Darüber hinaus sind zahlreiche Legenden über unentdeckte unterirdische Hallen in Cheb selbst, unter den Hauptwerken im Umlauf. Zunächst beschäftigten sich die Betriebe hauptsächlich mit der Produktion von Teilen für die Me-262, eines Tages, wahrscheinlich Ende 1944 wurde sie jedoch eingestellt. Dann tauchte „in Sichtweite“ die SS auf, die die Geheimhaltungsstufe deutlich erhöhte und den unterirdischen Teil der Werke für ein eigenes, näher unbekanntes Rüstungsprogramm nutzte. Laut den aus Tschechien kommenden Berichten könnte das mit der SS-Forschungseinrichtung in Pilsen in Zusammenhang gestanden haben. Unabhängig davon sollten wir nicht vergessen, dass Eger / Cheb eines der wichtigsten Zentren der Rüstungsindustrie im Gebiet des Protektorats war. Die Deutschen schafften es allerdings nicht mehr, den größten unterirdischen Komplex fertig zu stellen, die Gänge und Hallen befinden sich bis heute größtenteils im Rohzustand. Sie haben eine Gesamtlänge von mindestens einem Dutzend Kilometer und bilden ein richtiges Labyrinth, da sie sich nicht im geraden Winkel schneiden. Sie machen einen großen, wenn auch bedrückenden und düsteren Eindruck. Es handelt sich um drei miteinander verbundene Einrichtungen in der Nähe von Litoměřice (Deutsch: Leitmeritz) in Westtschechien, die den gemeinsamen Decknamen Richard bekamen. Aus den zur Verfügung stehenden Daten geht hervor, dass dorthin zwei Fabriken verlegt werden sollten – ein Werk für Panzermotoren der Firma Auto Union (derselben, die schon damals über die Marke Audi verfügte) und ein Verarbeitungsbetrieb für sogenannte „hochschmelzende Metalle“ (Wolfram und Molybdän) der Firma Osram A.G.

Nach Heydrichs Tod übernahm SS-Obergruppenführer Karl Hermann Frank seine Aufgaben. (Archiv)

Die wichtigste und interessanteste Quelle für Informationen über Einrichtungen im Gebiet des „SS-Fürstentums“, insbesondere solche, die mit „Geheimwaffen“ in Verbindung stehen, ist jedoch der bereits zitierte Bericht der Alliierten, der eine Zusammenstellung nachrichtendienstlicher Meldungen enthält. Im Kapitel über chemische Waffen wurden Informationen über Einrichtungen vorgestellt, die an Vorbereitungen für den chemischen Krieg beteiligt waren (sie beweisen, dass das durch die SS kontrollierte Protektorat eine besonders wichtige Rolle in diesem Bereich spielte); jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um die übrigen Meldungen über das Protektorat vorzustellen:26 Gorsdorf-Grottau – Sudetengau [Hrádek nad Nisou in der Nähe von Liberec / Reichenberg, also direkt hinter der Grenze Niederschlesiens!] Ein in Goersdorf, Grottau [im] Sudetengau beschäftigter deutscher Arbeiter lehnte die Verlegung in die Peenemünde-Werke an der Ostsee ab. (Quelle: Postzensur, NYPW 63991. 05.11.1944. Brief von der Freundin eines Kriegsgefangenen. C.) Jetzt eine kleine Ausnahme: zwei Beschreibungen von Einrichtungen, die mit geheimen Rüstungsprogrammen in der benachbarten Slowakei verbunden und natürlich eng mit denen aus dem Protektorat verknüpft waren:26 Dubnice – [eine Einrichtung der] Waffenwerke Brünn AG aus Brünn (tschechische Bezeichnung: „Zbrojovka“).

Zbrojovka kontrolliert eine Reihe von Betrieben in der ganzen [ehemaligen] Tschechoslowakei und steht vollständig unter deutscher Leitung. Die deutsche ,Geschäftsleitung‘ dieses Unternehmens befindet sich auf dem Schloss Plevnik in Považská Bystrica, auf dem höchsten Stockwerk, wo auch viel Bewaffnung aufbewahrt wird. Wie schon vorher gemeldet worden ist, befindet sich ein Teil der ZbrojovkaBetriebe in Dubnice (Slowakei) unter der Erde. In der südöstlichen Ecke [des Komplexes], in der Halle Nr. II befindet sich ein separater Teil, wo – wie man hört – Elemente für irgendwelche Geheimwaffen hergestellt werden. (Quelle: Alliierte Regierungen Nr. 2326, 25.08.1944.) Malacky (Malatzka / Kirchlee) In Malacky (37 km südlich / südwestlich von Bratislava / Pressburg, in der Nähe der Nebeneisenbahnlinie nach Wessely an der March) liegt eines der wichtigsten Gebiete mit konzentrierten Militäranlagen in der Slowakei. Das Artillerietestgelände in Malacky wurde zum Testen neuer deutscher ,Schleuderkanonen‘ [?] genutzt; dort werden auch weitere Forschungsarbeiten an ähnlichen Artilleriegeschossen durchgeführt. Es wird auch eine neue Artillerie für die Erzeugung von Tarnrauch getestet. In der Nähe der Eisenbahnstation wurde auch ein neues Labor zur Untersuchung von Raketengeschossen errichtet. (Quelle: OSS, A-24979, 08.05.1944.) Kehren wir jetzt zu den Einrichtungen im Protektorat zurück:26 Neudek [Nejdek – etwa ein Dutzend Kilometer von Jáchymov (!) und etwa 30 km von Cheb (Eger) entfernt, im Westen Tschechiens] – Neudeker Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei (Kommentar G-2: Die Einrichtungen sind schon vorher gemeldet worden). Es konnte eine gewisse Zahl Tragflächen für Flugzeuge mittlerer Größe ausgemacht werden, die auf offener Fläche neben einem zum Betrieb führenden Gleisanschluss lagen. Es sieht danach aus, als würde es sich um eine von vielen Textilfabriken im durch das Dritte Reich besetzten Europa handeln, die für die Produktion von Flugzeugkomponenten umprofiliert worden ist.

(Quelle: MEW – wöchentliches Bulletin des Nachrichtendienstes vom 22.06.1944 Nr. 125. Militärattaché. London #70275, 08.07.1944.) Pilsen Die Deutschen haben einen Teil der bisherigen Kraftfahrzeugwerke für die Produktion von großen Elementen für Flugbomben [so wurde in der Regel die V1 bezeichnet] umfunktioniert. (Quelle: JICAME, 8218-44, 20.08.1944. B-3. C.) Vitkovitz [Vítkovice] Die Deutschen haben das städtische Walzwerk in der Nähe von Moravská Ostrava in eine Fabrik für Flugbombenelemente umgestaltet. (Quelle: JICAME, 8214, 20.08.1944. B-3, geheim.) Die Gesamtheit der in den Archiven gefundenen und oben vorgestellten Quellen ermöglicht es bereits, ein mehr oder weniger ganzheitliches Bild der Geheimarbeiten zu erstellen, die während des Krieges in diesem Gebiet verwirklicht wurden. Es ist auch möglich (teilweise mittels der weiter unten vorgestellten Quellen), sich eine Meinung über die Bedeutung der verschiedenen Orte zu bilden, wobei einige sich deutlich hervortun, und zwar nicht nur im Vergleich zu anderen Einrichtungen in diesem Gebiet; sie repräsentieren auch ein ganz anderes Qualitätsniveau im Vergleich zu allen anderen Forschungsarbeiten über neue Waffenarten, die im ganzen Dritten Reich durchgeführt wurden. Zu dieser „elitären“ Gruppe, die sich auch durch ihre Geheimhaltungsstufe auszeichnete, können mit Sicherheit drei Einrichtungen gezählt werden:

Nach dem mehr oder weniger misslungenen Luftangriff der RAF auf Pilsen am 17. April 1943, an dem fast 300 Flugzeuge beteiligt waren (die Hauptziele, darunter die SkodaWerke, wurden nicht getroffen!), bekam die Flugabwehrartillerie Unterstützung in Form von großen Suchscheinwerfern und modernen Würzburg-Riese-Radaren – eines davon wurde am Stadtrand fotografiert. (Archiv)

1. Pilsen – Standort der geheimsten SS-Forschungseinrichtung im ganzen Dritten Reich, die an einem auf der Kernphysik basierten Antrieb arbeitete. Er war für „gelenkte Waffen“ vorgesehen, was eine deutliche Anknüpfung an das Konzept der strategischen Waffen darstellt. Die Quellen beinhalten eine Reihe wichtiger Fakten, die auf den besonderen Charakter des Projekts hinweisen: Erstens stand es unter solcher Geheimhaltung, dass der Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion nicht einmal von der Existenz des Amtes zur Koordinierung der Arbeiten (T. Amt VIII) wusste. Zweitens waren die Arbeiten „sehr fortgeschritten“, was bereits eine Revolution der bisherigen Auffassung über die deutsche Forschung in der Endphase des Krieges und die deutschen strategischen Konzepte darstellt. Sie mussten im Übrigen fortgeschritten sein, wenn Hitler sie noch im April 1945 als Rettungsanker sah und Kammler als seinen Sonderbevollmächtigten für diesen Bereich ernannte. Um welche Waffenart konnte es sich gehandelt haben? Sicherlich war sie nicht zum Transport von TNT vorgesehen. Im Übrigen enthält der amerikanische Bericht (in seinem anderen Teil) hierzu einen sehr deutlichen Hinweis, da er Pilsen als eine Forschungsstätte für Trägersysteme chemischer Waffen nennt! Das ist jedoch nicht die einzige interessante Überlegung in diesem Kontext. Aus dem Bericht (insbesondere aus Voss’ Aussage) geht nämlich auch hervor, dass Pilsen eine Art „wissenschaftliches Zentrum“ des Projekts war. Schließlich hatte die SS gerade in Tschechien die volle Kontrolle, also ist auch die Wahl des Standortes nicht verwunderlich. Aus dem Kontext geht jedoch hervor, dass sich die Einrichtung innerhalb der Stadt befand, es musste sich also um den Teil eines größeren Ganzen gehandelt haben. Bisher hatten wir es bei der „niederschlesischen“ Beschreibung (Band II) mit einer sehr ausgebauten Forschungsinfrastruktur (außer Ludwikowice / Ludwigsdorf könnte man ja die „Weltraumeinrichtung“ von Professor Strughold in Szczawno / Bad Salzbrunn und die von Prof. Mołdawa angesprochene Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Jägerstabs erwähnen, die ganz in der Nähe an „neuen Luftwaffen“ arbeitete) und dem Bau eines künftigen Produktionskomplexes zu tun.

Die Deutschen legten auch größten Wert auf den Schutz der Werke mittels Gegenspionage, und insbesondere der darin getarnten streng geheimen SS-Stelle. Das war die Hauptaufgabe der zahlreich besetzten Lokalstelle der Gestapo. Zusätzlich wurde sie durch eine völlig unabhängig agierende und mit höchsten Vollmachten ausgestattete halbkonspirative SDStelle dupliziert. Dieses von einem der Offiziere gemachte Privatfoto erinnert an einen Teil dieses Personals. Auf den Ärmeln sind die SD-Rauten zu sehen – die meisten Offiziere für operative Aufgaben traten jedoch ausschließlich in Zivilkleidung auf und bedienten sich falscher Personalien. Die Geschichte zeigt, dass dieses System erstaunlich wirksam war – Patton wusste womöglich überhaupt nicht, was die SS in Wirklichkeit so streng in Pilsen bewachte. (Archiv)

1943: Offiziere der Waffen-SS, die die Betriebe in Pilsen überwachten. (Archiv)

Praktisch mit keinem Wort wurde hingegen die wissenschaftliche Basis erwähnt, die sich doch nicht auf einige Personen beschränkt haben konnte! In Pilsen hatten wir hingegen die umgekehrte Situation – das wissenschaftliche Team selbst hätte z. B. ohne die Infrastruktur zum Testen seiner innovativen Lösungen nicht viel ausrichten können. Es gibt natürlich keinen unumstößlichen Beweis, dass beide Elemente zwei Hälften eines Ganzen darstellen, es wäre jedoch schwer, diesen Aspekt zu übersehen. Unabhängig davon deckt dieser ganze Aspekt quasi ein neues Blatt in der Kriegsgeschichte auf. Kaum jemand hätte früher vermuten können, dass es sich bei der SS um die wissenschaftliche Forschungsavantgarde des Dritten Reiches handelte. 2. Die Gründe, die es der SS geboten erscheinen ließen, ihr wichtigstes wissenschaftliches Zentrum gerade im Protektorat zu errichten, machen es auch notwendig, aus derselben Perspektive den bisher völlig unbekannten Aspekt der Arbeiten an einer Kernwaffe im Dritten Reich zu betrachten. Es geht um die Forschungsstelle auf dem Gelände des ehemaligen Bergwerks bei Jáchymov (Deutsch: Sankt Joachimsthal), die auch bereits erwähnt worden ist. Sie wurde direkt von Werner Heisenberg, einer der herausragendsten wissenschaftlichen Persönlichkeiten des Dritten Reiches geleitet, und beschäftigte laut der Meldung hauptsächlich Wissenschaftler der Universität Dresden. Das weiter unten vorgestellte Material lässt darauf schließen, dass diese streng geheime Einrichtung die größten Errungenschaften vorweisen konnte – was sicherlich auch den Grund dafür darstellte, weshalb sie so streng geheim war! Es ging dabei nicht um theoretische Arbeiten, sondern um den Bau einer Bombe! Auch in diesem Fall ist es übrigens schwer, bestimmte Assoziationen mit dem heutigen Gebiet Polens zu übersehen – mit Einrichtungen, von denen die westlichen Forscher im Grunde genommen keine Ahnung haben. Drei Einrichtungen rücken dabei ins Blickfeld: die unterirdischen Betriebe in der Nähe von Żagań (Sagan) und Mosty sowie der Riese im Eulengebirge (auch ein unterirdischer Komplex!). Die zwei letzten Orte wurden in Band II beschrieben - zur möglichen Rolle des Riesen im Bereich der Kernforschung kehren wir noch im nächsten Kapitel zurück. Mosty wurde direkt in einem der (polnischen) Dokumente als „Laboratorien, die an der Atombombe

arbeiteten“ erwähnt. Die Informationen über Żagań sind hingegen das Ergebnis neuster Nachforschungen. In dem Buch „Podziemne królestwo Hitlera“ („Hitlers unterirdisches Königreich“ – Band I) habe ich eine verblüffende Notiz beschrieben, die ich in einem nachrichtendienstlichen Bericht der USA über unterirdische Einrichtungen (auch im heutigen Polen!) gefunden hatte. Dort ist von einer geheimen unterirdischen Anlage die Rede, die etwa 15 km von Żagań im Wald versteckt war. Der Bericht enthielt auch die Formulierung „Herstellung von Atomwaffen“ und erwähnte den Geheimnisschutz in Zusammenhang mit den Versuchsarbeiten.44 Diese drei Orte (plus Aussig in der Nähe von Jáchymov) vermitteln das Bild eines bisher völlig unbekannten Aspektes der deutschen Kernforschung, wobei nur im Falle des tschechischen Standortes hochrangige Spezialisten direkt erwähnt wurden. Wir können deshalb davon ausgehen, dass es sich dabei um eine führende Einrichtung handelte – im Übrigen hatte sie, wie bereits erwähnt, ganz konkrete Ergebnisse vorzuweisen. Am wichtigsten ist, dass in jedem der erwähnten Fälle konkret die Rede von Atomwaffenherstellung war, was niemals im Kontext von Heigerloch, Gottow, Berlin und anderen Orten im Westen der Fal war, die später den westlichen Forschern bekannt wurden! Zu diesem Bild passen auch Kowary (Schmiedeberg im Riesengebirge – im zweiten Band beschrieben) sowie die Episode mit einem geheimnisvollen Transport, der am 17. August 1944 auf den Grund der Oder sank. An diesem Tag versenkte eine alliierte Bombe in der Nähe des Dąbie-Sees ein Schiff, das flussaufwärts fuhr. Wie sich erst nach der Besichtigung seiner Ladung mehrere Jahre später offenbarte, transportierte es u. a. 500 kg präzise angefertigter Graphitstäbe. 3. Der dritte Bereich, der ein äußerst fortschrittliches, dringliches und im Protektorat verwirklichtes Forschungsprojekt betraf, waren die bereits am Anfang des Buches angesprochenen Arbeiten an „Stealth“-Werkstoffen (die die Radarsichtbarkeit von Flugzeugen und Schiffen reduzierten; salopp gesagt handelte es sich um Flugzeuge und Schiffe, die für Radargeräte „unsichtbar“ waren). Im Dritten Reich wurde an einer solchen Lösung in vielen bereits beschriebenen Einrichtungen geforscht, den ersten Platz nahm allerdings das Forschungsteam von Professor

Hüttig an der Technischen Hochschule Prag ein, das zusätzlich mit den Forschungsteams in Brünn, Dresden und Breslau (dem Institut für Keramik an der dortigen technischen Hochschule) kooperierte. Ich möchte deshalb auf die nachrichtendienstliche Analyse der Alliierten über die deutsche „Stealth“-Technologie zurückkommen, in der dieses Themengebiet beschrieben wurde. Bei dieser Gelegenheit haben wir zum ersten Mal die Chance, die Frage der sowjetischen „Jagd“ nach diesen Schlüsseltechnologien zu erörtern. Das ergibt sich einerseits aus den beschriebenen Geheimhaltungsmaßnahmen nach dem Krieg und der Schwierigkeit, an Quellen heranzukommen (der Bericht entstand 1947), andererseits aber auch aus einer Notiz über einen der Mitarbeiter – Dr. Friedrich von der Osram AG, von dem direkt gesagt wurde, dass er kurz nach dem Krieg mit den Russen kooperierte. Gehen wir zur Beschreibung des Projekts selbst über:23 „4.3. Technische Hochschule in Prag und Brünn (Tschechoslowakei). Aufgrund mehrerer Bedingtheiten, die die allgemeine politische und militärische Lage in der Tschechoslowakei widerspiegeln, als auch aufgrund bestimmter Ermittlungen früherer nachrichtendienstlicher Teams wurden die Möglichkeiten zur Ausspionierung aller industriellen und wissenschaftlichen Ziele in der Tschechoslowakei sehr stark eingeschränkt. Auch unter Zuhilfenahme des sehr einflussreichen und [zur Kooperation] willigen Büros des amerikanischen Militärattachés hat es sich als unmöglich herausgestellt, persönlichen Kontakt mit irgendeinem der an diesen Arbeiten beteiligten Wissenschaftler aufzunehmen oder eines der Laboratorien ausfindig zu machen. Es konnten lediglich einige sehr allgemeine Informationen gewonnen werden, die in einem der weiteren Kapitel vorgestellt wurden. […] 6.0. Werkstoffe, die [elektromagnetische] Strahlen absorbieren. Im Anfangsstadium der Forschungsarbeiten an ‚Antiradarwerkstoffen’ wurde versucht, Werkstoffe herzustellen, die sich durch eine [entsprechende] Dielektrizitätskonstante und [magnetische] Permeabilität beim Sättigen der verfügbaren Dielektrika mit Eisen auszeichneten. Ein solcher Werkstoff wurde z. B. in den ‚Waffeln’ aus dem ‚Wesch’-Material eingesetzt. Ähnliche Arbeiten wurden

in bedeutendem Umfang in den Betrieben des I. G. FarbenKonzerns [in der Nähe von Frankfurt] verwirklicht, wo Kunststoffe wie Polyvinylchlorid oder Moltopren mit Eisenverbindungen gesättigt wurden [es wurde der falsche Begriff „carbonyl iron“ verwendet, der sich nicht eindeutig übersetzen lässt], um ein niedriges Verhältnis von ‚Epsilon’ zu ‚My’ zu erreichen. Dieser Ansatz stellte sich jedoch als völlig unwirksam heraus, da das Hinzufügen von Eisenteilchen zum Kunststoff den Wert beider Konstanten mehr oder weniger gleichmäßig erhöhte. Ein vergleichbares Konzept, bei dem Kunststoff durch das Hinzufügen leitender Teilchen (Lampenruß, Aluminiumstaub, Graphit) elektrisch leitend gemacht wurde, stellte sich als ähnlich wirkungslos heraus, da sich dadurch der ‚Epsilon’-Wert fast genauso schnell wie die Leitfähigkeit erhöhte. […] Die Forschungsarbeiten, die durch das Institut für Anorganische und Analytische Chemie an der Deutschen Technischen Hochschule in Prag, das August Toeppler Institut in Dresden und […] die Firma Osram in Berlin aufgenommen wurden, verfolgten einen fundamentaleren Ansatz. Eine verkürzte Beschreibung dieser Arbeiten wurde weiter unten in 6.1. vorgestellt.

Die SS verwöhnte die Skoda-Beschäftigten auf eine Weise, die sogar deutschen Arbeitern nur selten zuteil wurde! Auf den Fotos sind Andenken an zahlreiche Bühnenauftritte, Empfänge, die Betriebssportmannschaft, eines der ausgewählten Erholungszentren (dessen Besuch für gute Arbeitsergebnisse gewährt wurde, wovon insgesamt 43.000 tschechische Arbeiter profitierten) und ein modernes medizinisches Zentrum zu sehen. (Archiv)

In Pilsen wurde natürlich auch in die Produktionsentwicklung investiert – hier ein während des Krieges gebautes, für die damalige Zeit sehr modernes Endmontagewerk. (Archiv)

Pilsen – zusammengebaute Hetzer-Panzerhaubitzen. (Archiv)

Die Betriebe in Pilsen hatten auch eine eigene kleine unterirdische Einrichtung, die jedoch ausschließlich für Munitionsversuche verwendet wurde. (Archiv)

Bisher hat das Institut von Professor Hüttig in Prag den bedeutendsten Beitrag zur Erforschung neuer Werkstoffe geleistet, die elektromagnetische Wellen absorbieren. Es gibt Gründe für die Annahme, dass die Mitglieder sowohl des Prager Instituts als auch des August Toeppler Instituts in Dresden [immer noch] sehr aktiv auf diesem Forschungsgebiet sind. Unter den gegebenen Umständen hat es sich leider als unmöglich herausgestellt,

glaubwürdige und ausführliche Informationen über den Arbeitsfortschritt zu bekommen. 6.2. Bei Kriegsende wurde eine unvorstellbar große Zahl von Oxiden, Hydroxiden, Sulfiden sowie Nickel-, Kobalt- und Ferritverbindungen vorbereitet und genau untersucht. In diesem Zusammenhang untersuchte die Gruppe von Professor Hüttig und Dr. Sedlatschek in Prag hunderte solcher Werkstoffe. […] Darunter wurden die folgenden Stoffe als vielversprechend am meisten empfohlen: Gamma-Fe2O3 […], Magnesiumferrite (Mischungen von MgCO3 und Fe2(CO3)3), Manganferrite (MnFe2O4). Es wurden auch komplexere Verbindungen untersucht, was zur Ergänzung der oben erwähnten Ferrite durch manche Oxide führte, wie z. B. CuO. 6.3. Obwohl das ursprüngliche Ziel dieser Forschungsarbeiten das Entdecken von Werkstoffen war, deren ‚Epsilon’ der Konstante ‚My’ bei verschiedenen Wellenlängen gleich gewesen wäre und deren Impedanz den entsprechenden Werten der Luft unter Wahrung eines hohen Absorptionskoeffizienten entsprochen hätte (377 Ohm), konnten auf diese Weise auch andere Werkstoffe mit interessanten Eigenschaften erzeugt werden. Z. B.: Professor Kelka und Prof. Sedlatschek aus Prag konnten beobachten, dass durch die Zugabe von CuO zum MnFe2O4 Werkstoffe entstehen, bei denen die Permeabilität und die Dielektrizitätskonstante proportional zur zweiten Potenz der Wellenlänge sind. Es wird auch behauptet, dass Werkstoffe geschaffen worden sind, deren dielektrische Eigenschaften im großen Umfang von der Temperatur, dem Magnetfeld und dem Druck abhängen. Aufgrund der Tatsache, dass die meisten dieser Arbeiten in der Tschechoslowakei und den sowjetischen Zonen [Besatzungszonen] in Deutschland [eher: im Dritten Reich] durchgeführt worden sind, gibt es leider keine genauen Informationen über diese Stoffe. 6.4. Die wichtigsten Forschungsarbeiten an Gamma-Fe2O3 und MnFe2O4 wurden von Professor Hüttig und einer großen Gruppe von Wissenschaftlern in der Tschechoslowakei geleitet, u. a. von Dr. K. Sedlatschek, dem Ingenieur F. Wagenknecht, Dr. E. Herman, Dr. V. Brenner, Dr. K. Pschera, Prof. Fleger, Dr. Wiechowsky, Dr. Wenzel, Dr. Meier, Dr. Gudden, Dr. Krafka und Dr. Henl. Einige dieser Personen sind

sowjetische Kriegsgefangene, manche stehen unter Hausarrest oder werden von den Russen und Tschechen streng überwacht. Viele haben in letzter Zeit Angebote für eine Anstellung als Wissenschaftler in der Sowjetunion angenommen. Angesichts des nahen Winters werden ihnen andere folgen.“ 4. Als der vierte Arbeitsbereich, der nicht nur technisch fortschrittlich war, sondern auch zum Durchbruch an der Front hätte führen können und gleichzeitig sowohl im Protektorat als auch in dem an das Deutsche Reich direkt angeschlossenen Gebiet besonders stark vertreten war, sind die Vorbereitungen auf einen chemischen Krieg zu erachten, obwohl diese Richtung mit keiner einzelnen Einrichtung in Zusammenhang steht.

Pilsen wird von Pattons Truppen besetzt. (Archiv)

In dem nachrichtendienstlichen Bericht, der im Kapitel über chemische Waffen zitiert wurde, gibt es konkrete Beschreibungen von etwa 25 Einrichtungen, die mit diesem Themenkomplex in Verbindung standen, wovon sich nicht weniger als neun (also fast 40 Prozent, falls die Meldungen ein verhältnismäßig repräsentatives Bild liefern!) auf tschechischem Gebiet befanden. Zur Erinnerung: Es geht hier um Tannwald (Tschechisch:

Tanvald), Brünn, Cakovica (falls die Schreibweise stimmt), Děčín (TetschenBodenbach), Kolín, Pardubice (Pardubitz), Zámky, Zlín (Zlin / Gottwaldov) und Pilsen. Der letztere Ort verdient besondere Beachtung, da in dem Bericht Arbeiten an Trägersystemen für chemische Waffen erwähnt werden (an einer Art Gefechtskopf). Deshalb könnte er mit (Kammlers) SSForschungszentrum in dieser Stadt in Zusammenhang stehen, wo an einem neuen Antrieb für strategische Waffen gearbeitet wurde. Auf alle Fälle ist solch ein großer Prozentsatz von Einrichtungen, die mit den Vorbereitungen auf diese neue Kriegsphase in Zusammenhang standen und sich in dem für uns interessanten Gebiet befanden, ziemlich schockierend. Dadurch muss das Protektorat als das wichtigste Territorium für die Verwirklichung der oben erwähnten Vorbereitungen angesehen werden – was sicherlich mit der Tatsache zusammenhängt, dass die Wehrmacht dieses Programm mit einer gewissen Abscheu, die SS hingegen mit Enthusiasmus betrachtete! Nach der Hervorhebung von Grundsätzlichem in den vier obigen Punkten taucht noch eine weitere, etwas allgemeinere Assoziation auf. So wie die Analyse der ganzen Quellen es erlaubt hat, diese wichtigsten (vorrangigen) Interessengebiete aufzulisten, so tauchen auch jetzt Elemente auf, die diese Themen quasi miteinander verbinden – als hätten sie alle einen „gemeinsamen Nenner“. Sie liefern nämlich das Bild eines bestimmten, relativ kohärenten Trends, der vielleicht die langfristigen Interessen der SS widerspiegelt.

Aufgrund der allgemeinen Tendenz, die Rüstungsindustrie unter die Erde zu verlegen, sollte auch der Skoda-Konzern dieses Schicksal teilen. Im Frühjahr 1944 wurden Bohrarbeiten für einen großen unterirdischen Komplex in der Nähe von Beroun (Beraun) /

Srbsko südlich von Prag aufgenommen (siehe Karte). Es sollten drei Einrichtungen der Serien Sigma (Sigma I, Sigma L, Sigma III) und Ro mit einem Gesamtrauminhalt von einer halben Million Kubikmetern entstehen. Die Zeichnung zeigt den Originalplan der Einrichtung Sigma I mit Hallen von jeweils 165 m Länge und 12 m Breite – was 4.000 m2 und 35.000 m3 ergab. (Archiv)

Originalplan der Anlage Sigma L (Sigma II) mit einem geplanten Rauminhalt von 200.000 m3. (Archiv)

Plan der Einrichtungen Sigma III (die kleinere, obwohl sich beide Montagehallen durch eine Länge von nicht weniger als 280 m auszeichneten) und Ro. In der ersten sollten Rohrwaffen, in der zweiten Flugzeugtriebwerke hergestellt werden. In beiden Fällen sollte eine Vollspurbahn unter die Erde führen. Die Einrichtungen wurden nicht fertig gestellt. (Archiv)

Damit ist jedoch unsere „Infiltration“ der im Protektorat durchgeführten

Forschungsarbeiten noch keineswegs abgeschlossen! Eine weitere sehr wichtige Quelle zum Thema ist ein ausführlicher Bericht des britischen Nachrichtendienstes, der das Ergebnis der Fahrt einer Expertengruppe nach Tschechien direkt nach dem Krieg (zwischen dem 16. November und dem 9. Dezember 1945) war. Es war zwar – wie sein Verfasser selbst zugibt – nicht zu erwarten, dass die Russen und Tschechen ihre Geheimnisse mitteilen, dennoch handelt es sich dabei um eine sehr wichtige Quelle. Übergeben wir jedoch das Wort (oder eher die „Feder“) an den Verfasser:45 Einleitung Die Fahrt wurde durch das Außenministerium arrangiert, nachdem die tschechische Regierung den Vorschlag zur Entsendung von BIOSTeams [BIOS ist eine Nebenstelle des britischen Nachrichtendienstes] zur Ausspionierung der deutschen Tätigkeit in tschechischen Rüstungsfabriken abgelehnt hatte. Sie war jedoch bereit, dem Besuch eines Schriftstellers zuzustimmen. Die Absage ist verständlich, da die Tschechen sehr verärgert über die Art waren, auf die die sowjetischen und amerikanischen Kräfte über die Einrichtung vieler ihrer Fabriken verfügten, Ausrüstungsgegenstände entfernten oder Leute, an denen sie interessiert waren, einfach mitnahmen, ohne solche Maßnahmen mit der tschechischen Regierung zu konsultieren [In der Gegend von Pilsen gab es Sondertruppen der Patton-Armee, worauf wir noch zurückkommen werden]. Man könnte in einer solchen Situation argumentieren, dass solches Material feindliches Eigentum und dadurch legale Kriegsbeute darstellt, die Tschechen hielten jedoch dagegen (womit sie sicherlich zumindest teilweise Recht hatten), dass solche Maßnahmen mit ihnen abgesprochen werden sollten, und dass ein Teil des erwähnten Materials tschechisches Eigentum war. Die letzte Erklärung lautet, dass die Amerikaner bedeutende Mengen an Ausrüstung aus Pilsen und Příbram (Pibrans) mitnahmen und darüber hinaus 37 Personalmitglieder in die USA deportierten. Darunter waren auch Tschechen. Die Folge ist, dass das tschechische Verteidigungsministerium weder weiß, was sich noch im Land befindet, noch wer durch die Alliierten fortgeschafft wurde. Ihr Nachrichtendienst ist erst seit wenigen Monaten in Prag tätig und hatte noch keine Zeit, seine eigenen

Ermittlungen durchzuführen. Diese Lage illustriert das folgende Beispiel: Der tschechische Geheimdienst wusste nichts von der Existenz einer Personalkartei in Příbram, bevor die Mission diesen Ort erreicht hatte. Die Existenz der Kartei war eine Überraschung für den Offizier des tschechischen Nachrichtendienstes, der die Mission begleitete. Ziel der Mission Das Hauptziel des Vorhabens war das Erlangen aller möglicher Informationen über die Tätigkeit des Konzerns Herman Göring [Werke] und der Waffen Union Skoda – Brünn, wobei ein besonderes Augenmerk der Versuchseinrichtung in Příbram galt. Bei der Aufklärung der tschechischen Staatsführung über das Ziel des Besuchs wurde unterstrichen, dass keine tschechischen Militärgeheimnisse offen gelegt werden sollen und es nur von den Tschechen selbst abhängt, ob sie sich dafür entscheiden, die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten zu enthüllen, oder sie für sich zu behalten. Als sie diesen Ansatz zu würdigen begannen, gab sich die Staatsführung sehr hilfreich und bot jede mögliche Hilfe bei der Durchführung der Aufklärungsmaßnahmen an. Der Verfasser wurde sehr herzlich vom Stabschef General Bočk empfangen, der seinem Personal befahl, uns jede mögliche Hilfe zu gewähren. Alle Abteilungen [des Generalstabes] gewährten sie auch ohne Probleme. Trotz mangelhafter Transportmöglichkeiten wurde der Mission ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt, was sie sehr zu würdigen wusste. Besuchte Orte und Personalmitglieder, mit denen Gespräche durchgeführt wurden Alle Besuche und offiziellen Interviews wurden in Absprache mit dem tschechischen Militärgeheimdienst organisiert, wobei jedes Mal ein tschechischer Offizier anwesend war. Die Zentrale der Firma Skoda in Prag und ihre Werke in Pilsen wurden besucht, wo Gespräche mit vielen älteren Personalmitgliedern durchgeführt wurden. Das Versuchszentrum in Příbram wurde inspiziert, zwei Besuche erfolgten auch in der Zentrale der Firma Zbrojovka in Prag.

Die Werke in Brünn waren aufgrund des schlechten Wetters, das die Reise sehr erschwerte, nicht erreichbar. Im tschechischen Verteidigungsministerium wurden Gespräche mit folgenden Personen durchgeführt: 1. Dr. W. Voss – Leiter der Waffen Union, 2. Ing. K. Staller – Voss’ Stellvertreter, 3. Ing. Musel – Verwaltungsdirektor der Firma Zbrojovka, 4. Ing. Sidlek – Českomoravska Kolben Danek [CKD], 5. Dr. Frey – Jawa. Die Berichte über diese Besuche und Gespräche befinden sich in den entsprechenden Kapiteln oder Anhängen. […] „Hermann-Göring-Werke“ und „Skoda – Brünn Waffen-Union“ Der Herman Göring-Konzern war in drei Bereichen der Industrie tätig: 1. Stahlindustriewerke, 2. Ingenieurwesen, 3. Schiffbau. Die Stahlwerke waren Dr. Kornier unterstellt, eines davon war die Einrichtung in Vítkovice (Vitkovitz) in der Tschechoslowakei. Den Bereich der Schiffsindustrie leitete Dr. Guido Schmidt. Der ,Ingenieurbereich‘ umfasste eine Reihe wichtiger Firmen, wie z. B. Rheinmetall – Borsig, die Gustloff-Werke usw. Skoda, Zbrojovka und ähnliche Betriebe wurden allmählich geschluckt, in dem Maße wie die Industrie der eroberten Staaten mit der Wirtschaft des Dritten Reiches integriert wurde. 1936 waren Pleiger und Voss Leiter dieser Branche, der Erstere als technischer Generaldirektor, und Voss als Vorsitzender des Aufsichtsrates. Voss bekam offensichtlich diesen Posten als der herausrangendste Buchhalter in Berlin. 1938 wurde er Generaldirektor für Verwaltungsangelegenheiten und leitete die Handelsangelegenheiten [des Konzerns] in Berlin. Pleiger hingegen war weiterhin für technische Fragen zuständig. Ungefähr zu dieser Zeit entfachte zwischen den beiden ein Kampf um die größte Macht. Schließlich gliederte Göring um das Jahr 1942 Skoda und Zbrojovka

aus dem Hauptkonzern aus und rief dadurch die ,Waffen Union‘ ins Leben. Pleiger blieb in der Zentrale, während Voss sich an die Spitze der Waffen Union stellte. […] Diese Firma wurde [formell] mit einem Kapital von einer halben Million Mark gegründet. Ihre Büros mit etwa 60 Beschäftigten befanden sich in Berlin, während Voss sein eigenes Hauptquartier in Prag hatte. Diese Firma besaß Mehrheitsbeteiligungen sowohl bei Skoda als auch Zbrojovka, Göring war jedoch bemüht, die Anteile auf mindestens 75 Prozent zu erhöhen. Das Ganze macht einen simplen Eindruck, in Wirklichkeit jedoch waren die finanziellen Beziehungen zwischen Skoda, Zbrojovka, den Banken und dem Staat sehr komplex. Skodas Gesamtkapital betrug 687,5 Millionen Kronen, Zbrojovkas etwa 300 Millionen Kronen. Die Waffen Union wurde unter Voss’ Leitung zur einer unabhängigen Organisationsstruktur, die Kontakt zu Berlin in allen Fragen der Produktion und Forschungsarbeiten unterhielt, allerdings nicht über die ,Herman-Göring- Werke‘. Voss unterstrich das ganz besonders. [Natürlich sind hierbei auch die bereits erwähnten Beziehungen Voss’ mit der SS und Himmler persönlich, sowie im Bereich der Forschung und der Entwicklung neuer Projekte mit Schwabs Technischem Amt und der FEP-Stelle beim SS-Führungshauptamt zu berücksichtigen. Die Unterbringung der wissenschaftlichen Zentrale des geheimsten, geradezu futuristischen SS-Forschungsprojektes auf dem Gelände seiner Werke konnte schließlich kein Zufall sein.] Göring selbst hielt einen gewissen Kontakt zur Waffen Union über seinen Vertreter General Bodenschatz aufrecht, der jedoch keine Exekutivbefugnisse hatte; vieles deutet darauf hin, dass er diesen Posten eher als Zeichen persönlicher Freundschaft bekommen hatte. Offensichtlich kam er dreibis viermal im Jahr nach Prag, er behandelte jedoch diese Reisen als Ferien. Dr. Voss behauptete, dass er direkten Kontakt zu Speer und Saur in Fragen hatte, die mit der Verwirklichung von Bestellungen [Rüstungsbestellungen] in Zusammenhang standen. Das kann durchaus der Wahrheit entsprechen, da vieles darauf hindeutet, dass Speer Prag relativ oft besuchte. Es gab jedoch viele Mechanismen, die Industrie auf

tschechischem Gebiet zu kontrollieren, und die Waffen Union befand sich als deren Teil auch im oben erwähnten Netz der Abhängigkeiten. Der Ingenieur Mayer und Dr [Walther] Pohl besaßen offensichtlich die übergeordnete Macht im Bereich der Produktion und der Forschungsarbeiten im Protektorat.

Titelseite des ausführlichen britischen Geheimdienstberichtes über die Ausspionierung von Einrichtungen der Rüstungsindustrie im besetzten Tschechien. (NARA / BIOS)

Kontrolle über die tschechische Rüstungsindustrie Diagramm Nr. 1 zeigt die Kontrollmaschinerie [über die Industrie] im Hinblick auf die Waffen Union. Sie ist repräsentativ für die allgemeinen Leitungsgrundsätze in allen Großunternehmen. Die Rüstungsinspektion [im Speer-Ministerium] kann mit einer normalen Inspektionsabteilung verglichen werden, wobei Diagramm Nr. 2 die Namen von Schlüsselpersonen in dieser Struktur nennt [Die Diagramme wurden im Buch abgedruckt]. Wie man sieht, war General Hernekamp für die Leitung direkt verantwortlich, und besaß seine Bevollmächtigten in allen Fabriken [Das bezieht sich natürlich nur auf die direkte Zusammenarbeit mit dem Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion, die Gegenstand einer ständigen Rivalität mit der SS war, so wie Speer es in den weiter oben abgedruckten Zitaten beschreibt].

Britisches Schema zur Illustrierung des Kontrollsystems tschechischer Rüstungseinrichtungen (hauptsächlich im Hinblick auf Sicherheitsfragen). (NARA / BIOS)

Parallel zu diesem Kontrollmechanismus, allerdings völlig unabhängig, agierte die ‚Abwehrstelle’ – eine nachrichtendienstliche Abteilung, zu deren Aufgaben die strenge Produktionsüberwachung, die Benachrichtigung über verringerte Arbeitsproduktivität und verdächtige Individuen sowie Sabotagegegenmaßnahmen gehörten. [„Abwehrstelle“ bedeutet wörtlich eine lokale Organisationseinheit, die in diesem Fall keinen nachrichtendienstlichen Charakter hatte, sondern sich mit Spionageabwehr befasste]. Sie arbeitete mit der Gestapo zusammen, die Exekutivbefugnisse besaß [Verhaftungen]. Es handelte sich um eine ungewöhnlich mächtige Organisationsstruktur, die sehr gefürchtet wurde, da viele ihrer Vertreter unerkannt blieben. Über der Gestapo stand die ,Ober-Gestapo‘ (SD) [Die Überlegenheit des Sicherheitsdienstes gegenüber der geheimen Polizei war kein weitverbreitetes Phänomen, sondern eher von informellem Charakter und ergab sich aus der Eigenart der dienstlichen Zuweisungen im Protektorat – daraus, dass die Schlüsselstellungen bei der Gestapo u. a. aufgrund von Personalmangel durch Beamte des SD besetzt waren. Es handelte sich jedoch um keine formelle Unterordnung]. Diese

Überwachungsstruktur führte zum noch größeren Entsetzen [was nicht weiter verwundert, wenn sie wirksame Angriffe sogar gegen Speer vornahm]. In jeder Fabrik gab es einen ihrer Vertreter, der oft als ,geheimer Verwalter‘ bezeichnet wurde. Sie besaßen eine Macht, die es ihnen ermöglichte, nicht nur die Entscheidungen der Fabrikgeschäftsleitung, sondern auch wesentlich höher gestellter Personen in Frage zu stellen. Es wurde berichtet, dass der SD-Leiter die mehrstündige Verhaftung von Frank selbst anordnete [der Höherer SSund Polizeiführer für das Protektorat war und nach Heydrichs Tod praktisch die höchste Staatsmacht verkörperte]. Diese Leute vom Sicherheitsdienst waren nicht unbedingt Parteimitglieder und trugen keine Identifikationsabzeichen. Viele von ihnen sind zwar bekannt, ein Großteil kann jedoch nicht identifiziert werden, da ihre Lebensweise einen gewöhnlichen Eindruck machte; sie vermieden es, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. […] Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass es praktisch allen von ihnen gelang, vor dem endgültigen Fall des Dritten Reiches zu fliehen. Aufgrund der Tatsache, dass sicherlich alle über falsche Papiere verfügten, wird es schwer sein, sie aufzuspüren. Die Personalien der folgenden SD-Beamten sind bekannt, die Kontrollaufgaben in den vorher genannten Einrichtungen wahrnahmen:

Das parallele Kontrollsystem des Speer-Ministeriums, das sich über die Rolle der SS

hinwegsetzte. (NARA / BIOS)

Herr Wolf – Brünn, Dr. Koch – Podberezova, Dr. Witt - Považská Bystrica, Von Lüdingshausen – Prag, G. Kordeman – Skoda (Prag). Ihr derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt. Kleine Firmen im Protektorat waren in Gruppen organisiert, um die Rohstoffverteilung zu erleichtern. Später, zu Speers Zeiten, wurde die ganze Rüstungsindustrie standortabhängig acht Kreisen zugeordnet […]. Böhmen und Mähren bildeten einen Kreis, der von Malzacher geleitet wurde [Es handelte sich dabei um den formellen Zivilvertreter Speers auch im Gebiet des Generalgouvernements]. […] Arbeit und Arbeitsbedingungen Die Deutschen beharrten auf der Beschäftigung möglichst vieler Frauen. Sie legten eine ,Quote‘ von 70 Prozent fest, die jedoch nie erfüllt werden konnte. Frauen wurden unabhängig von ihrer Bildung zur Arbeitsaufnahme gezwungen, auch dann, wenn sie zwei Kinder zu versorgen hatten. Es wurde berichtet, dass Minister Bertsch [der Wirtschaftsminister in der Protektoratsregierung] Dr. Voss’ Ehefrau in der Fabrik einstellen wollte, was allerdings auch Neid hätte entspringen können. Viele Fabriken führten eine 70- bis 72-Stunden-Arbeitswoche ein, wobei eine Schicht 10 bis 12 Stunden dauerte. […] Alle Fabriken arbeiteten mit voller Produktionskapazität bei minimaler technischer Wartung. Wenn der tschechische Verwalter oder Meister nicht die Produktionskapazität erreichte, die durch die deutsche Aufsicht für möglich erachtet wurde, wurde er durch einen deutschen Spezialisten ersetzt. Die Arbeiter wurden auch mit zusätzlichen Lebensmitteln, Zigaretten u. Ä. ,bestochen‘, um die Produktion anzukurbeln. Auf diese Weise werden die hohen Produktionsergebnisse mancher Fabriken erklärt. Diverse Informationen

[Hier wurden vor allem Beschreibungen der „nachrichtendienstlichen Ziele“, d. h. interessanter Einrichtungen in Tschechien und der Slowakei vorgestellt. Jeder Posten ist mit einer „Nummer aus der schwarzen Liste“ versehen, die im Buch am Ende jeder Meldung abgedruckt wurde. Wahrscheinlich geht es um Nummern auf der Liste der Ziele der United States Strategic Bombing Survey (?)]: 1. Skodawerke Semtin – diese Fabrik steht nicht [direkt] mit Skoda in Verbindung, ihr Eigentümer ist ‚Explosia Synthesia’. I.C.I. [ein bekannter amerikanischer Chemiekonzern] verfügt über etwa 30 Prozent des Kapitals. I.C.I. hat bereits Kontakt mit dieser Firma aufgenommen. Laut Meldungen sind diese Werke sehr fortschrittlich und befassen sich mit der Produktion von Treib- und Sprengstoffen. Sie kooperierten mit Skoda bei der Befüllung von Geschossen u. Ä. Der Hauptverwalter heißt Ales – er ist ein sehr guter, obwohl älterer Ingenieur, der jetzt durch die neue Führung von seinem Posten entbunden wurde und nach Prag umgezogen ist. Es konnten keine Informationen über Pulver in Form von schwarzen Briketts erlangt werden [Der letzte Satz braucht sich durchaus nicht auf Pulver zu beziehen, sondern kann genauso gut einen Spezialsprengstoff mit dem Namen „Nipolit“ betreffen, der ausschließlich für Diversionszwecke verwendet wurde. Es handelte sich dabei um eine mechanisch feste Verbindung von Sprengstoff und Kunststoff, die in Form verschiedener unscheinbarer Gegenstände hergestellt wurde – von „Kohlebriketts“ bis zu Schuhsohlen. Nebenbei bemerkt, in den erwähnten Werken wurde auch der nach dem Krieg berühmt gewordene, geradezu legendäre Semtex-Sprengstoff entwickelt. In Wirklichkeit war er jedoch genauso wenig technisch raffiniert wie jeder andere Plastiksprengstoff: Es reicht, das feinkristalline Hexogen oder Nitropenta (schwächer, seltener eingesetzt) mit einem „Weichmacher“ in Form irgendeiner öligen Substanz, Vaseline u. Ä. zu vermischen, um einem Stoff „Nutzeigenschaften“ zu verleihen, der im Gegensatz zu TNT bei erhöhter Temperatur nicht schmilzt und nicht gegossen werden kann – Hexogen ist um etwa 30 Prozent stärker als TNT. Plastik eignet sich jedoch nur für Pionieranwendungen.

Wenig bekannt ist, dass alle allgemein verwendeten Plastiksprengstoffe stark neurotoxisch sind – bereits Mengen von wenigen Milligramm führen zu Herzrhythmusstörungen. Nitropenta ist im Übrigen Hauptbestandteil eines starken Herzmittels]. Nummer auf der Liste: 2 / 131. 2. Dubnica – unterirdische Fabrik, gebaut von Skoda vor dem Krieg. Sie wurde von den Deutschen übernommen und später genutzt. Als die sowjetischen Truppen tief in die Slowakei hinein vordrangen, wurde sie von den Deutschen komplett zerstört. Nr. 2 / 464. 3. Myrany – Teil der Skoda-Werke in Pilsen. Dort wurden Geschosse und Zünder befüllt. Nummer: siehe oben. 4. Bratislava (Pressburg) – die dortigen S.A.A.-Werke wurden vor dem Krieg nach Považská Bystrica verlegt, es blieben nur Verwaltungseinrichtungen. Nummer: siehe oben. 5. Vítkovice (Vitkovitz) – Skoda hatte dort keine Betriebe, besaß jedoch womöglich Kohlebergwerke, für die diese Region bekannt ist. Die Haupteinrichtung sind die Stahlwerke in Vítkovice, die den Hermann- Göring-Werken angehörten. Die Werke besitzen jedoch keine [direkte?] Verbindung mit Skoda. Ihr Leiter war ein gewisser Ringhoffer – ein Deutscher, auch Direktor bei Skoda. Nr. C2 / 788. 6. Praeve-Gesellschaft. [Ihre Einrichtungen?] befanden sich in Prag und am Stadtrand. Sie ist Teil des Jawa-Konzerns, der Motoren und Motorräder herstellt. […] Nr. C2 / 789. 7. Elektro-Mechanik Reichenberg [in einer der vorher abgedruckten Meldungen der polnischen Heimatarmee als große unterirdische Einrichtung in Rosental bei Reichenberg / Rožmitál pod Třemšínem beschrieben]. Gilt als wichtige Forschungseinrichtung, die sich jedoch in sowjetischen Händen befindet. Nr. C2 / 790.

8. Jawa-Fabrik in Prag – geleitet von Dr. Frey. Außer Motorrädern stellt sie auch Flugzeugteile her und beschäftigt etwa 3.000 Arbeiter. Nr. C2 / 791. 9. Česká Zbrojovka Strakonice – hat keine direkte Verbindung mit Česká Zbrojovka in Brünn. Vor dem Krieg stellte sie hauptsächlich Flugzeug-Maschinengewehre her – Typ unbekannt. Nr. C2 / 792. 10. Ubersky Brod – eine Filiale der oben erwähnten Werke. Sie stellte Flugzeug-Maschinengewehre und Fahrradteile her. [Diese Liste könnte man noch um die Česká Zbrojovka-Werke in Prag ergänzen, die auf eine näher unbestimmte Weise an der Produktion der Tiger-Panzerkampfwagen beteiligt waren,46 sowie um das riesige SSVersuchsgelände in Benešov, 40 km östlich von Prag, wo auch Bewaffnung getestet wurde] […]

Das Organisationsdiagramm des Skoda-Konzerns aus dem britischen Bericht. (NARA / BIOS)

Skoda (Anhang) [Dieser Teil des Berichtes wurde stark verkürzt wiedergegeben, da es

sich größtenteils um weniger wichtige Informationen im Hinblick auf das Hauptthema dieses Buches handelt]: Die Skoda-Zentrale in Prag wurde in Anwesenheit der Herren Hromadko und Baxant besucht. Beide sind Mitglieder des neuen Verwaltungskomitees und bekleideten wichtige Funktionen in der Firma. Anfangs waren sie nicht gewillt, Fragen zu beantworten, nach der Übermittlung der Anweisungen durch den tschechischen Militärgeheimdienst äußerten sie sich jedoch zu einer Reihe von Fragen – siehe Anhang Nr. IV [dieser Anhang befasst sich vor allem mit der Einrichtung in Příbram (Pibrans) und wurde weiter unten besprochen]. […] Einige zusätzliche Informationen konnten später beim Besuch in Pilsen erlangt werden. […] Bestellungen: Diese kamen direkt vom Oberkommando der Wehrmacht [OKW], die Produktion erfolgte in der Regel in Anlehnung an deutsche technische Zeichnungen. […] Eine Liste mit dem für die Bestellungen zuständigen OKW-Personal wurde als Anlage angefügt. […] Beschäftigung: Skoda beschäftigte eine beträchtliche Zahl von qualifizierten Mitarbeitern und etwa 10 Prozent Frauen. Am Kriegsende stieg dieser Wert auf 20 Prozent. Es gab weder ausländische Arbeiter noch Kriegsgefangene. Der Prozentsatz der bei der Rüstungsproduktion beschäftigten Mitarbeiter stieg von 60 Prozent im Jahr 1943 auf 90 Prozent im Jahr 1945. Die nachstehenden Daten zeigen die Gesamtzahl der Beschäftigten in allen Skoda-Werken. Der tschechische Militärgeheimdienst war nicht in der Lage, diese Zahlen auf die einzelnen Fabriken zu verteilen: 1941 – 38.740 Männer; 4.622 Frauen. 1942 – 41.764 Männer; 8.958 Frauen. 1943 – 44.573 Männer; 10.066 Frauen. 1944 – 55.842 Männer; 13.165 Frauen. 1945 – 64.132 Männer; 13.724 Frauen. [Diese Zahlen sind ziemlich schockierend – fast 78.000 Menschen im

Jahr 1945! Es war in der Tat einer der größten Rüstungskonzerne des Dritten Reiches!]. […] Konzepte und Forschung: Das ganze befragte Skoda-Personal unterstrich insbesondere, dass es keine wichtigen Arbeiten verrichtete [?!]. Im Hinblick auf Geheimwaffen (V1, V2) gab die Belegschaft zu, dass sie bestimmte Elemente als Nachauftragnehmer hergestellt haben könnte, sie wusste jedoch nicht, wozu diese Teile dienten. Schlüsselpersonen: Adolf Wamberski, 60 Jahre alt, war Skodas Hauptverwalter während des Krieges. Er hat für diese Firma 30 Jahre lang gearbeitet und galt als ein sehr begabter Ingenieur, Konstrukteur und guter Organisator. Er genießt den Ruf eines guten Tschechen.

Eine Liste von Personen, die in Zusammenhang mit Forschungsprojekten Kontakt zu Skoda aufnahmen. Nur Wehrmachtspersonal wurde genannt, vollständige Register über die SS sind nicht erhalten geblieben. (NARA / BIOS)

Walter Pohle. Der Name wurde manchmal ohne ,e‘ ausgesprochen. In den letzten Kriegsjahren war er Skodas technischer Generaldirektor und arbeitete in Prag. Ein sehr aufgeweckter Ingenieur, der jedoch Allen Hass und Angst einflößte. Früher war er für Rohstofflieferungen für die Waffen Union zuständig. Er war Saurs enger Freund, mit dem er direkt

zusammenarbeitete. […] Er verließ Prag am 23. April und wurde in Bayern durch die SS erschossen, weil er seinen Posten ohne Befehl verlassen hatte. Der Ingenieur Vilem Hromadkho. Vor dem Krieg und in den ersten zwei Kriegsjahren war er Firmenleiter von Skoda. Später geriet er unter Verdacht, weswegen er für sechs Monate von der Gestapo verhaftet wurde. Schließlich wurde er durch Görings persönliche Intervention entlassen. Zurzeit befindet er sich wieder in der Prager Zentrale. […] Im weiteren Teil des Berichtes tauchen Personallisten auf – sie enthalten u. a. Namen und Funktionen deutscher Offiziere, die Kontakt zu Skoda wegen Bestellungen und anderen Aufträgen aufnahmen. Ähnlich wie bei dem etwas früheren Auszug über Forschungsarbeiten wird jedoch die von Voss erwähnte enge Zusammenarbeit mit der SS auf diesem Gebiet fast überhaupt nicht erwähnt! Es gibt lediglich drei Zeilen, in denen (im Kontext von Forschungsarbeiten) die SS-Polizeiakademie Brünn und eine näher unbestimmte Waffen-SS-Artillerieschule angesprochen werden. Bei der Letzteren kann es sich im Übrigen um eine verschleierte Forschungsabteilung des Technischen Amtes des SS-Führungshauptamtes handeln, da, wie wir wissen, SS-Gruppenführer Otto Schwab laut seiner „Visitenkarte“ die Funktion des Kommandanten der „Artillerieschule Nr. 1 der Waffen-SS“ wahrnahm, wobei diese „Artillerieschule“ in Wirklichkeit eine geheime Kernforschungseinrichtung in Glau war. Nach gleichem Schema wurden auch Kontakte zur SS-Forschungseinrichtung in Pilsen verwirklicht. Vielleicht handelt es sich deshalb um diese Richtung. Dies wird gewissermaßen durch die Tatsache bestätigt, dass auf der Liste neben den zwei erwähnten Einrichtungen Dienstgrade und Namen von Verbindungsoffizieren auftauchen, wobei es sich jedoch um Dienstgrade der Wehrmacht handelt. Das ist natürlich nicht möglich, womit suggeriert wird, dass sowohl die Dienstgrade als auch die Namen selbst lediglich „operative Personalangaben“ sind, d. h. nicht der Wahrheit entsprechen. Eine solche Praxis gehörte im Falle streng geheimer SS-Projekte zur Regel, denn sie wurden nicht nur vor „inneren Feinden“, sondern auch vor den neugierigen Blicken Speers und seiner Leute verheimlicht! Im Kontext der Akademie in Brünn wurden „Oberst Winter“ und „Major Dr. Henzel“ genannt, und neben der „Artillerieschule“ tauchte ein gewisser „Major Dr. Lötzbayer“ auf. Eine

solche „Lücke“ im britischen Bericht sollte nicht überraschen, schließlich geht es um die sowohl von den Deutschen als auch (nach dem Krieg) von den Russen am strengsten gehüteten Geheimnisse. Täuschen wir uns nicht: SMERSCH und andere russische Dienste blieben zu dieser Zeit nicht untätig, worüber später noch die Rede sein wird. Seien Sie jedoch unbesorgt, das interessante Motiv ist noch nicht zu Ende, wir kommen noch auf die Fragen über die SS zurück! Kehren wir jedoch vorläufig zum Bericht des britischen Nachrichtendienstes zurück.45 Ein recht großer Anhang ist der Rolle Brünns gewidmet (die SS- und Polizeiakademie, die wichtige Forschungsprojekte verwirklichte, wird zwar nirgends erwähnt, Informationen hierzu wurden jedoch in Band I abgedruckt). Auch in diesem Fall möchte ich eine Kurzfassung vorstellen: Československa Zbrojovka Brno Die Prager Zentrale wurde zweimal besucht. Die Mission wurde sehr herzlich aufgenommen. […] Die Antworten auf das Fragenpaket waren jedoch nicht einmal annähernd so genau wie im Falle von Skoda. Vielleicht ergab sich das aus der Tatsache, dass die Fragen nicht ganz verstanden wurden. […] Zbrojovka Brno hat nichts mit Zbrojovka Strakonice gemein. Die Erstere ist viel größer, in diesem Bericht wird sie im Weiteren als ,Zbrojovka‘ bezeichnet. Organisation Das Organisationsschema wurde als Diagramm dargestellt, die folgenden Anmerkungen sollen sein Verständnis erleichtern:

Organisationsschema der Firma Zbrojovka Brno (zur Kriegszeit: Waffenwerke Brünn). (NARA / BIOS)

1. Brünn. Die Hauptfabrik befindet sich hier, am Stadtrand. Anfangs beschäftigte sie sich mit der Produktion von tschechischen Gewehren und von leichten Maschinengewehren des Typs ,Bren‘. Es wurden auch deutsche Gewehre und das MG-34 hergestellt. Die in Zbrojovka entwickelten Waffentypen wurden jedoch woanders produziert. Obwohl die Stadt selbst in der letzten Kriegsphase ernsthaft zerstört wurde, blieben die Rüstungsbetriebe unberührt; zurzeit wird das Produktionsprofil auf die Friedenszeit umgestellt. 2. Vsetín. Diese Betriebe wurden vor dem Krieg errichtet, um großkalibrige 15 mm-Maschinengewehre sowie 15 mm- und 20 mm-Munition herzustellen. Sie liegen in Waldnähe inmitten zerklüfteter Hügel. Die Einrichtung wurde besonders sorgfältig getarnt, im Übrigen wurde sie entsprechend entworfen, damit Luftangriffe keinen großen Schaden anrichten konnten. […] 3. Považská Bystrica. Es handelt sich um eine Munitionsfabrik für Handfeuerwaffen, die vor dem Krieg hierher aus Bratislava verlegt worden war. Sie besitzt Walzwerke für Bronze und Kupfer sowie entsprechende Ausstattung, um Patronenhülsen aus diesen Metallen herzustellen. 4. Kurim (Gurein). Dieser Betrieb stellte anfangs in Zbrojovka

entworfene Werkzeuge für Maschinen her, die hoch geschätzt wurden. Er wurde durch die Deutschen übernommen und ausgebaut, danach wurde er zum Herstellen und Testen von Flugzeugtriebwerken genutzt. 5. Prevov. Optische Fabrik, deren Bau vor dem Krieg unter dem Namen Optika Techa [?] begann. Hier wurden Feldstecher und Panzerperiskope von sehr hoher Qualität hergestellt. Die Produktion wird fortgesetzt. Als „Zentrum der SS“ im Protektorat galt Pilsen (wegen des Spezialforschungszentrums, das später direkt Kammler unterstand), möglicherweise auch Prag als offizielle Hauptstadt und Sitz des Waffen-SSVerbindungsstabes, wo alle Fäden zusammenlaufen sollten. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass die SS auch an Brünn besonders interessiert war. Ich besitze die Kopie einer internen SS-Veröffentlichung (die durch den amerikanischen Militärgeheimdienst abgefangen und übersetzt wurde), in der alle seit Anfang 1945 existierenden Einrichtungen dieser Organisation genannt sind, von den Hauptinstitutionen über Truppen- bzw. Garnisonsstandorte und KZ-Nebenstellen bis zu den kleinsten Zellen in Provinzstädten, Offiziershotels u. Ä.47 In der relativ kleinen Stadt Brünn sind nicht weniger als acht Einrichtungen verzeichnet! Darunter sind zwei Bataillone, der Sitz eines unidentifizierten Befehlshabers oder Kommandeurs (es gibt nur die Abkürzung F-SS-F Oa „BM“ – Nebenstelle), eine Zweigstelle des Wehrbezirkskommandos Prag, aber auch der Sitz des Waffen-SSWehrbereichs für Böhmen und Mähren (SS-Abschnitt XXXIX), der 1944 aus Prag hierher verlegt wurde, sowie ein Konzentrationslager (ohne Namen). Die Verlegung des Bezirksstabes, über den formell ein Teil der Korrespondenz mit den SS-Zentralinstitutionen in Berlin abgewickelt wurde (das meiste wurde vom Waffen-SS-Verbindungsstab „erledigt“), musste schon sehr erhebliche Gründe gehabt haben. Mit anderen Worten spielte sich in Brünn etwas sehr Wichtiges ab, was sicherlich nicht nur auf die Tätigkeit der SS- und Polizeiakademie beschränkt war. Vielleicht hatte das erwähnte und heute unbekannte Konzentrationslager damit etwas zu tun, in dem Häftlinge ausgenutzt wurden?

Eine Liste des Verwaltungspersonals der Waffenwerke Brünn. Sie ist insofern wichtig, als sie nachdrücklich belegt, dass die Stadt Pilsen, in der die SS eine sehr große Rolle spielte, durchaus kein Einzelfall war – in Brünn bestand über ein Drittel des Schlüsselpersonals der Betriebe aus Offizieren und Unteroffizieren der SS (etwas, was im Deutschen Reich selbst undenkbar gewesen wäre). Andere Daten deuten hingegen darauf hin, dass Brünn für Himmler mindestens genauso wichtig wie Pilsen war – siehe die weiteren Dokumente. (NARA / BIOS)

Im Bericht sind Informationen enthalten, die auf eine gewisse

Desorganisation der Rüstungsindustrieverwaltung im Protektorat hindeuten, was u. a. eine mögliche Folge der immer noch nicht entschiedenen Kompetenzaufteilung zwischen den Speerämtern und der SS war. Ein Beispiel hierfür war die Nutzung der Zbrojovka zur Herstellung von Gewehren und MG-34-Maschinengewehren. Nach der Septemberoffensive begann die Wehrmacht, alarmierende Berichte zu schicken. Sie besagten, dass die Konstruktionselemente des MG-34 massenhaft barsten. Deshalb wurde die Produktionslinie in Brünn mit relativ hohen Kosten modernisiert, wonach der ganze Auftrag für die Produktion neuer Elemente storniert wurde. In den Jahren 1941/42 kam es noch dreimal zu einer derartigen Wiederaufnahme und erneuten Einstellung der Arbeiten, wodurch die Produktionsmenge von Handfeuerwaffen erst 1943 deutlich gesteigert werden konnte. Erst danach wurde die Produktionsverwaltung im SpeerMinisterium reformiert und es entstanden Sonderausschüsse, d. h. Spezialkomitees, die sich umfassend mit allen Aspekten und Stadien konkreter Produktionsbereiche beschäftigten. Sie setzten sich aus kompetenten Fachleuten zusammen, die meistens aus Rüstungsfirmen kamen. Mit den Werken in Brünn nahmen z. B. folgende Personen Kontakt auf: Tix (Hanomag Hannover), Nieman (Mauser), Schebeck, Heinen und Jastrabek. Leiter des Sonderausschusses war hingegen ein gewisser Budin, der für die Munitionsproduktion in Zbrojovka (und vielleicht auch in anderen Betrieben) zuständig war. In Zbrojovka war auch Josef Holl, Voss’ persönlicher Vertreter tätig. Eine gewisse, in dem britischen Bericht enthaltene Kuriosität ist die ziemlich geheimnisvolle Frage nach dem hervorragenden leichten Maschinengewehr Bren, das noch aus der Vorkriegszeit stammte. Der Verfasser des Berichts fragte die Tschechen, warum es nicht während des Krieges produziert worden war. Die Antwort lautete, dass 1940 in Berlin eine Besprechung stattfand, während der eine solche Lösung ernsthaft erwogen wurde. Als Hauptproblem stellte sich der Einspruch der Wehrmachtsoffiziere heraus! Die SS-Generäle, die von der Wirksamkeit der von den Briten während des Westfeldzuges verwendeten Bren beeindruckt waren, vertraten einen gegensätzlichen Standpunkt. Viele dieser Waffen fielen übrigens nach der Evakuierung Dünkirchens den Deutschen in die Hände. Diesem „Streit“ schlossen sich auch die tschechischen Konstrukteure an, die nachzuweisen begannen, dass die Waffe viele Mängel hatte, die zunächst beseitigt werden

müssten. Aus ihrer Sicht beruhte das Problem darauf, dass die Produktionslinie fertig gestellt war und in kurzer Zeit die volle Produktionskapazität von 40.000 Stück jährlich hätte erreichen können! Schließlich wurde beschlossen, sie für die Produktion des fehlerhaften MG34 umzustellen, was die oben erwähnten Kompetenzstreitigkeiten innerhalb der deutschen Führung offen legte. 1941 versuchten Himmlers Leute erneut, die Produktion der Bren für die Waffen-SS aufzunehmen, allerdings auch ohne Erfolg.

Eine Liste von Offizieren der deutschen Spionageabwehr, die für den Schutz der wichtigsten Rüstungseinrichtungen in Tschechien zuständig waren. (NARA / BIOS)

Von einem gewissen Chaos auf der deutschen Seite zeugt auch die Tatsache, dass das durchaus bewährte Entwurfspotential der Brüder Holek (es waren drei), die das Maschinengewehr Bren und das Besa-Gewehr entwickelt hatten, während mehrerer Kriegsjahre nicht ausgenutzt wurde. Ein anderes Potential der Rüstungsindustrie im Protektorat waren die CKDWerke (Českomoravska Kolben Danek). Sie beschäftigten 39.000 Menschen (in Betrieben, in denen vorher 22.000 Menschen Platz gefunden hatten!). Die Firma stand nicht mit deutschen Konzernen in Verbindung und bekam Bestellungen direkt vom Reichministerium für Rüstung und Kriegsproduktion. Zu den Haupterzeugnissen zählten Panzer und mittlere

gepanzerte Fahrzeuge (9 – 15 t), von denen durchschnittlich 120 – 150 im Monat hergestellt wurden, sowie Flugzeugsuchscheinwerfer. Es handelte sich größtenteils um eigene Konzepte. Im Gegensatz zu Zbrojovka und Skoda mischten sich die Deutschen hier nicht ein. Einen interessanten Auszug aus dem britischen Bericht stellt der folgende Anhang dar:45 Versuchseinrichtung in Příbram Geschichte: Alle Quellen stimmen darin überein, dass das Institut in Příbram es herausragenden tschechischen Wissenschaftlern und Ingenieuren ermöglichte, im Protektorat zu bleiben, und sie dadurch davor schützte, in andere Teile des Deutschen Reiches zur Arbeit geschickt zu werden. Wie es scheint, wurde den Tschechen 1943 befohlen, eine bestimmte Zahl von Konstrukteuren für Werkzeuge und Messlehren zur Arbeit nach Plauen zu schicken. Danach kam die Forderung, auch Rüstungskonstrukteure und Wissenschaftler zu entsenden. Die Errichtung einer Versuchsanstalt in Příbram sollte dem entgegenwirken. Ein zweites, weniger wichtiges Motiv war der Wunsch, die wertvolle technische Bibliothek und die Ausstattung der Bergbauschule in Příbram zu erhalten. Die Schule ist eine sehr alte Institution von sehr gutem Ruf. Es wurde befürchtet, dass sowohl die Bibliothek als auch die Maschinen nach Deutschland verfrachtet würden. Während des Verhörs schrieb Dr. Voss sich selbst das Verdienst zu, diese Maßnahmen initiiert zu haben, und es ist relativ wahrscheinlich, dass die Tschechen es schafften, ihn zum Sponsern dieses Vorhabens zu überreden. Es gibt auch gewisse Beweise, dass die Deutschen, die die Rüstungsindustrie im Protektorat kontrollierten, ein eigenes Forschungs- und Entwicklungszentrum besitzen wollten, das mit ähnlichen Einrichtungen des Dritten Reiches, wie z. B. mit Rheinmetall-Borsig, Mauser und vielen anderen hätte konkurrieren können. Erfolgreich verwirklichte Forschungsarbeiten oder eindrucksvolle Konzepte hätten die Aufmerksamkeit Görings oder womöglich sogar Hitlers auf sie gelenkt. Die Vorbereitungen hierfür begannen Ende 1943, ernsthafte

Forschungsarbeiten konnte das Personal jedoch erst Anfang des Sommers 1944 aufnehmen. Die großen Gebäude des Bergbauinstituts sind sehr alt und scheinen für die Verwirklichung moderner Forschungsprogramme nicht geeignet. Ihre Existenz konnte jedoch von großem Vorteil sein, weil sie die frühe Aufnahme der Forschungstätigkeit ermöglichte. Dazu kam die Tatsache, dass Příbram nicht in der Nähe irgendeines Ziels lag, das einen Luftangriff wert gewesen wäre. Die Stadt war jedoch leicht von Pilsen und Prag aus zu erreichen, was zusätzlich für den Standort sprach. Arbeiten: Laut den Tschechen beruhte ihre Politik darauf, nur solche Probleme zu lösen, bei denen viele Jahre vergehen mussten, um zufriedenstellende Ergebnisse zu erreichen – in der Hoffnung, dass der Krieg zu Ende war, bevor die Deutschen sie [in der Praxis] einsetzen konnten. Alle Quellen betonten, dass keine besonderen Ergebnisse erreicht wurden; die Tatsache, dass die Einrichtung nur etwa 12 Monate lang tätig war, verleiht dieser Aussage einen besonderen Charakter. Eine Tatsache scheint erwähnenswert. Als die Gebäude Ende November inspiziert wurden, waren sie vollständig leer geräumt, nur ein Ingenieur und eine Sekretärin waren noch vor Ort anzutreffen. Auf Fragen über das Schicksal der Bibliothek, der Ausstattung und des Personals kam die Antwort, dass das Bergbauinstitut nach Moravská Ostrava verlegt wurde, und das wissenschaftliche Personal zur KarlsUniversität, zur technischen Schule und in die Firmen zurückkehrte, aus denen diese Personen ursprünglich gekommen waren. […]

Der durch den amerikanischen Nachrichtendienst angefertigte Abdruck des internen deutschen Verzeichnisses von Einheiten, Einrichtungen und Stellen der SS samt einer Seite, auf der Brünn genannt wird. Die Zahl der Posten ist verblüffend (obwohl es nicht gelungen ist, alle Abkürzungen zu „dechiffrieren“): Es gab z. B. ein „Konzentrationslager“ (KL – womöglich ein Außenlager?). Am wichtigsten ist jedoch die Verlegung des SSAbschnittstabes, also des Waffen-SS-Wehrbereichs aus Prag nach Brünn, weil dadurch Brünns besondere Rolle bestätigt wird. Darüber hinaus befand sich eine SS- und Polizeiakademie in der Stadt, die die im ersten Band beschriebenen Forschungsprojekte

verwirklichte. (NARA)

Leitung über die Arbeiten: Dafür waren die Deutschen zuständig, es scheint jedoch, als hätte es eine starke Rivalität zwischen ihnen gegeben; manche ‚Leiter’ hielten sich im Institut nur kurz auf, dann wurden sie entlassen. Voss behauptet, dass er die Weisungen erteilte, andere gaben jedoch Pohl und Mayer als ihre Vorgesetzten an. Es ist wahrscheinlich, dass alle drei die Kontrolle über das Institut zu übernehmen versuchten. Aufgrund der Tatsache, dass [die Firmen] Skoda, Zbrojovka und Semtin einen Teil des Personals stellten und die Gesamtfinanzierung gewährleisteten, konnten sie über die durchgeführten Arbeiten etwas zu sagen haben. Die Kosten wurden wie folgt aufgeteilt: Skoda – 55 Prozent, Zbrojovka – 40 Prozent, Explosia Synthesia – 5 Prozent. Personal: Das Personal zählte 350 Personen. Diese Zahl beinhaltet sowohl Arbeiter als auch die Leitung. Skoda und Zbrojovka stellten Ingenieure und Konstrukteure zur Verfügung, während das wissenschaftliche Personal aus verschiedenen Universitäten und technischen Schulen kam. Auf dem Gelände der Einrichtung wurde ein Karteischrank mit allen Personalmitgliedern gefunden. Ein flüchtiger Blick auf die Karten [Personalkarten] offenbarte einen hohen Prozentsatz deutscher Spezialisten und die Tatsache, dass es fortwährend zu schnellen Änderungen – sowohl Beförderungen als auch Entlassungen kam. Das scheint die Aussagen über Streitigkeiten und Rivalität zu bestätigen. Aufgrund des erwähnten Materials und anderer Quellen wurden Basisinformationen über manche Personen in leitender Stellung zusammengestellt: Wilson Kiess-Gutta. Geboren 1887 in Wien. War anfangs Leiter des Instituts, vor Kriegsende wurde er jedoch entlassen. War Mitglied des SD [d. h. der SS!]. Rolf Engel. Geboren 1912. Kam am 23. Juli 1944 vom

Forschungsinstitut in Großendorf [Władysławowo – eine bis heute geheimnisvolle SS-Versuchseinrichtung, die direkt von SSObergruppenführer Mazuw kontrolliert wurde!]46 nach Příbram und übernahm die Leitung einer Abteilung. Er war Physiker mit Ingenieurdiplom. Später leitete er das ganze Institut. Wird für einen besonders begabten Ingenieur und Mathematiker gehalten. Er hatte den Dienstgrad eines SS-Hauptsturmführers [Hauptmanns]. Er flüchtete nach Deutschland, das letzte Mal hörte man südlich von München von ihm [die „Rattenlinie“ durch die Alpen?]. Dr. Ing. Miroslav Tayerli, ein Tscheche aus Zbrojovka. War Leiter der Metrologieabteilung in Příbram. Arbeitete auch in Prag. […] Im weiteren Teil des Berichts finden sich interessantere Informationen über das oben erwähnte Institut, darunter vor allem über die Projekte selbst, die dort verwirklicht wurden. Darauf wirft bereits die Anwesenheit des bereits erwähnten Engel ein gewisses Licht, da bekannt ist, dass er vor der Versetzung ins Protektorat Hauptexperte der SS für Raketen war. Wenn er Leiter des gesamten Instituts war, bedeutet das automatisch, dass dieses Forschungsprofil Vorrang besaß – es musste sich natürlich um SS-Projekte gehandelt haben. Was ergibt sich nun aus dem Bericht selbst? Das ganze Institut beanspruchte sechs Gebäude und ein Versuchsgelände in Brahelcice – falls die Schreibweise stimmt. Das Letztere ergibt sich aus weiteren Personaldaten, die am Ende dieses Kapitels vorgestellt wurden. Es wird angegeben, dass die Einrichtung neue Bewaffnungsmuster entwickeln wollte, die in den Waffen-Union-Werken produziert werden sollten. Aus der Beschreibung lässt sich jedoch auf eine für die damalige Zeit eindeutig fortschrittliche Technik schließen und es scheint zweifelhaft, ob sich die Deutschen für das Protektorat als Standort einer solchen Produktion entschieden hätten. Im Kontext der Raketenforschung taucht z. B. die Information auf, dass dort Versuche mit einem Raketensteuerungssystem auf eine Entfernung von 10 km durchgeführt wurden. Es wurde „in Anlehnung an die Hochfrequenzphysik“ entwickelt. Die Forschungsarbeiten umfassten auch ein Raketenleitsystem, das „Infrarotstrahlen nutzte“. Darüber hinaus wurde ein Stabilisator für Panzerbewaffnung entwickelt, der aus einem Teleskopzielfernrohr und einem Kreiselsystem bestand. Es wurde auch eine

Lösung untersucht, die mehrere Maschinengewehre basierend auf einem einzigen Zielsystem auf das Ziel lenkte. Die weiteren Informationen hierzu beinhalten Notizen über Personen, die für die einzelnen Forschungsgebiete zuständig waren. Ich möchte nur die wichtigsten Beispiele anführen: Jastrabek: Abteilung für Automatikwaffen. Dr. Walter Schmidt: Leiter des Chemischen Instituts der Waffen Union [chemische Waffen?]. • Larsson: Raketenforschung – ein schwedischer Staatsbürger! • Dr. Ing. Karel Votruba: Leiter der Gruppe für Hochfrequenzforschung. • Dr. Inval Simon: Leiter der Gruppe für Niederfrequenzforschung, abgeordnet von der Karls-Universität in Prag. • Dr. Ing. Zdenek Truha: Leiter der Gruppe für Langstreckenleitsysteme und Messungen. • Dr. Jaroslav Broz: Leiter der Gruppe für magnetische Messungen. • Dr. Jahoda: zuständig für lokale Laboratorien in Brahelcice. • Der Ingenieur Jan Stelsovsky: Leiter der Raketenbauabteilung. Das beschriebene Institut verdient es also voll und ganz, auf der Liste einiger der interessantesten Einrichtungen im Gebiet des „SS-Musterstaates“ berücksichtigt zu werden. Am Ende der obigen Liste ist im Übrigen die Bemerkung zu finden, dass all diese Einrichtungen der Charakteristik desselben Trends entsprechen, der die wichtigsten, hauptsächlich strategischen Waffenarten umfasst – siehe die Frage der „Langstreckenleitsysteme“ oben (es handelt sich um Forschungsbereiche, die in anderen Teilen des Deutschen Reiches schwach vertreten waren, abgesehen von Niederschlesien). Auch das Institut in Příbram weicht nicht sehr weit vom erwähnten Schema ab.

Der nachrichtendienstliche Wettlauf um die Kriegsbeute Die besonderen Merkmale der Forschungseinrichtungen, die im durch das Dritte Reich besetzten Tschechien lagen und nicht zuletzt in den letzten

Sätzen des vorigen Kapitels erwähnt worden sind, waren auch für fremde Geheimdienste Grund genug, um sich für dieses Gebiet zu interessieren. Dieses Interesse hatte eine ganz besondere Priorität. Es handelte sich ja um Bereiche, die in den alliierten Staaten überhaupt nicht existieren – um Trümpfe, die über die Überlegenheit in einer Nachkriegskonfrontation hätten entscheiden können! Sowohl in der Sowjetunion als auch in den USA gab es nicht einmal den Begriff „strategische Waffen“, die ferngesteuert wären und dazu noch auf einem Antrieb wie aus einem heutigen Science-Fiction-Roman basieren würden, und die ein viel gefährlicheres Massenvernichtungsarsenal als Kernwaffen transportieren könnten. Dasselbe galt für die „Stealth“Technologie. Dieser hohe Einsatz führte dazu, dass 1945 im selben Gebiet ein beispielloser Wettstreit der Geheimdienste der jüngsten Verbündeten aus der nazifeindlichen Koalition entfesselt wurde. Natürlich darf nicht automatisch angenommen werden, dass alle Seiten ein komplettes Bild der lokalen Vorgänge hatten und sich über den Wert der dortigen „wissenschaftlichen Schätze“ bewusst waren. Greifen wir jedoch den Ereignissen nicht vor.

Prag – eine Szene vom Aufstand. (Sammlung des Autors)

Man könnte natürlich die These wagen, dass die alleinige Verwirklichung von außergewöhnlichen Forschungsprojekten noch nicht darüber entschied, ob die damit befassten Personen und das entsprechende Material von den Deutschen im Frühjahr 1945 an Ort und Stelle belassen wurden. In einem

solchen Fall hätten jedoch die Geheimdienste der siegreichen Mächte nicht um jeden Preis darum gekämpft, die festgelegten „nachrichtendienstlichen Ziele“ zu verwirklichen – wie sich herausstellen sollte, stieg ihr Interesse in dem Maße, wie immer mehr Informationen ans Tageslicht kamen. Davon, dass die Deutschen keine Evakuierung dieser Orte vorbereiteten, zeugt indirekt noch eine weitere Tatsache. Im Dezember 1944 billigte Kammler einen geradezu entgegen gesetzten Plan: In die Sudetenregion sollten SS-Zentralämter verlegt werden!49 Es würde schwer fallen, dies mit der allgemeinen Konzentration der wichtigsten Rüstungsvorhaben (unterirdische Fabriken sowie Kommando- und Kontrolleinrichtungen) im Protektorat und im grenznahen Gebiet Niederschlesiens nicht in Verbindung zu bringen. Damit wird also die These bestätigt, dass die Deutschen versuchten, eine „sudetische Festung“ zu errichten, von der möglicherweise der entscheidende Schlag mittels einer Massenvernichtungswaffe ausgehen sollte (siehe u. a. die Kapitel über chemische Waffen und Arbeiten im Bereich der Kernforschung). Zu diesem Thema werden wir allerdings im letzten Kapitel zurückkehren. Auf jeden Fall deutete im Frühjahr 1945 alles darauf hin, dass die erwähnte Region den Schlüssel für außergewöhnlich wertvolle Geheimnisse des Dritten Reiches beherbergt. Mein Interesse für dieses Thema wurde vor allem durch die ziemlich seltsamen Umstände geweckt, unter denen die amerikanische Armee in Tschechien auftauchte. Damit meine ich vor allem die merkwürdige Eile, als das Dritte Reich eigentlich schon besiegt war und die Hauptgebiete des Widerstandes sich ganz woanders befanden; auf der anderen Seite brachen die Amerikaner damit die interalliierte Vereinbarung mit der Sowjetunion. Der ehrgeizige Vorstoß in das Landesinnere führte zunächst zu Protesten, dann geradezu zum Jähzorn des Kreml und verursachte einen scharfen Konflikt zwischen Moskau und Washington. Am verdächtigsten an dem Ganzen ist die Tatsache, dass der erwähnte Vorstoß ohne einen verständlichen militärischen Grund erfolgte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass General Pattons Dritte Armee, von der hier die Rede ist, durch General Clarence Huebners V Korps zuvor deutlich aufgestockt worden war. Dadurch zählte sie über eine halbe Million Soldaten und Offiziere, als sie (am 2. Mai) die tschechoslowakische Vorkriegsgrenze erreichte! Zu diesem Zeitpunkt zögerte die amerikanische Armeeführung noch, als würde sie auf die Zustimmung der höchsten Behörden warten.

Patton blieb nämlich an der ehemaligen Grenze stehen. Erst am nächsten Tag gab Eisenhower gegenüber General Bradley seine Zustimmung, mit der Offensive zu beginnen. Nebenbei bemerkt, Patton wurde von Letzterem als „mustergültiger Befehlshaber“ charakterisiert, „mit der entsprechenden Motivation und Vorstellungskraft, um schnell gefährliche Dinge zu verwirklichen“. Er war auch dafür bekannt, dass er die Russen nicht leiden konnte. Patton hatte im Übrigen bereits eine gewisse Erfahrung, Einrichtungen geübt unter Kontrolle zu bringen, die interessante Geheimnisse des Dritten Reiches beherbergten. Vorher nahm er u. a. eine „Sonderregion“, um nicht zu sagen: „unvollendete Festung“ in der Gegend von Jonastal in Thüringen, die kilometerlange unterirdische Labyrinthe der Einrichtungen Olga (S-4), Amt 10 und Jasmin beherbergte, als auch die in der Gegend verstreuten Lager für chemische Waffen und die Kernforschungslaboratorien in Stadtilm ein. Einer der Stabsoffiziere der Dritten Armee, der dieses Gebiet nach dessen endgültiger Eroberung besuchte, hat uns unvergessliche Eindrücke „aus erster Hand“ hinterlassen. Es handelt sich um Oberst Robert S. Allen:50 „Die unterirdischen Einrichtungen waren verblüffend. Es handelte sich buchstäblich um unterirdische Städte. Vier davon befanden sich in und um Ohrdruf: eine in der Nähe eines entsetzlichen Lagers, eine unter dem Schloss und zwei westlich der Stadt. Bei keiner davon handelte es sich um ein Bergwerk oder eine natürliche Höhle, alle waren von Menschenhand geschaffen. Das grausige Lager [im Original: „horror camp“ – es geht um ein Außenlager in der Nähe von Ohrdruf] lieferte Arbeitskräfte. Interessant war, dass jegliches Fördergut fehlte. Es wurde auf Hügeln, die viele Kilometer entfernt lagen, sorgfältig verstreut. […] Die über 15 m unter der Erde gelegenen Komplexe bestanden aus zwei oder drei Ebenen, die sich über viele Kilometer strahlenförmig wie die Speichen eines Rades erstreckten [ein ähnlich „konzentrisches“ Schema also wie beim Riesen!] Die ganze Zentralanlage bestand aus massivem Stahlbeton. Das Ziel des Vorhabens war, die oberste Heeresleitung nach der Bombardierung Berlins hier unterzubringen. Diese Orte besaßen Büros mit Fußbodenbelägen und Teppichen, zahlreiche Arbeits- und Lagerräume, vollständig ausgestattete Badezimmer, Küchen mit elektrischer Ausstattung, dekorierte Speise- und Besprechungszimmer,

riesige Kühlschränke, ausgebaute Schlafzimmer, Erholungsräume, separate Bars für Offiziere und anderes Personal, ein Kino, eine Klimaanlage und Kanalisation.“ Die obige Beschreibung betrifft offensichtlich nur ein Element des ganzen Vorhabens, und zwar das Kommandozentrum oder eines von mehreren Kommandozentren. Sie ist insofern wichtig, als gegenwärtig der Untergrundkomplex nicht zugänglich ist. Am 2. Mai befand sich ein Großteil des Protektorats immer noch unter deutscher Kontrolle. Die Rote Armee wurde östlich von Prag durch starke Waffen-SS-Formationen aufgehalten. Die 500.000 Mann starke Panzermaschinerie brach in Ostösterreich auf und nahm Kurs auf das in einem kürzlich erfolgten Luftangriff zerstörte Pilsen, das noch vor wenigen Wochen das letzte funktionierende Rüstungszentrum des Dritten Reiches darstellte. Sie begab sich jedoch maximal 60 km ins tschechische Territorium hinein. Buchstäblich innerhalb weniger Tage hatte Patton Zugang zum Skodas Industriekomplex in Pilsen gefunden. Die Nordflanke umfasste Cheb (Eger) und Nejdek (Neudek), dann rückte sie in die Nähe von Jáchymov (St. Joachimsthal) vor. Příbram mit seinem durch die SS kontrollierten Forschungsinstitut, Rožmitál, Prag und Brünn waren weit außerhalb der Reichweite der Dritten Armee – in den letzten zwei Orten befanden sich quasi lokale „Zentralen“, in denen die SS die Forschungsarbeiten leitete: der Waffen-SS-Verbindungsstab in der Hauptstadt und der bereits erwähnte Sitz des Abschnitts XXXIX. Es ist daher offensichtlich, dass Patton viele wichtige Ziele nicht erreichen konnte. Es gibt zwar Signale, dass ausgegliederte Aufklärungsteileinheiten sogar in die Grenzregion von Niederschlesien vordrangen (Jerzy Rostkowski, ein bekannter Forscher der Stadt Książ / Fürstenstein, behauptet, ein Foto zu besitzen, auf dem amerikanische Soldaten in der Osówka-Einrichtung im Riesen zu sehen sind; Es kam auch zu einer Plünderung, die mit dem Vorstoß nach Świeradów-Zdrój / Bad Flinsberg verbunden war und später als Vorlage für den Film „Stoßtrupp Gold“ diente). Wenn wir uns die Frage nach der Dimension des Vordringens der Dritten Armee und der möglichen Nutzung der wissenschaftlichen Geheimnisse des Dritten Reiches stellen, müssen wir uns auch vergegenwärtigen, dass im Mai 1945 die Amerikaner das Potential der deutschen Technik weitgehend unterschätzten, was sich erst in den

späteren Jahren merkbar änderte. Sie besaßen schlicht nicht die notwendige Orientierung. Oft handelte es sich um Bereiche, die sie einfach noch nicht begriffen. Das erste Verhör von Brauns und seine Erinnerungen, die in Band II beschrieben wurden, sind ein eindrückliches Beispiel dafür, dass auch die herausragendsten Befehlshaber und Wissenschaftler einen kognitiven Horizont besaßen, der viele solche fortschrittlichen Fragen schlichtweg nicht umfasste. Sie verstanden die Durchbrüche nicht, die von den Deutschen bewerkstelligt wurden. Sie kannten sich auf diversen vielversprechenden Gebieten nicht aus, z. B. im Bereich der Arbeiten an einem Staustrahlantrieb (die damals den kürzesten Weg darstellten, um Überschallflugzeuge zu bauen), an der zweiten Generation von Düsenjägern, oder in den interessanten Richtungen der Kernforschung – die sie überhaupt nicht interessierten, weil sie meinten, das Versuchsstadium bereits hinter sich gebracht zu haben. Ein Beweis hierfür ist nicht zuletzt die Tatsache, dass viele sehr interessante Kernphysiker (Heisenbergs Assistent Guido Beck, Würschmidt, Gans, Jaffke und etwa zehn weitere Personen) und Flugzeugkonstrukteure (Tank, Horten, Klage, Henrici) nach Argentinien gingen und die Amerikaner nichts unternahmen, um sie daran zu hindern – einzig Heisenberg wurde aufgehalten, und von Braun wurden bessere Bedingungen vorgeschlagen.

Prag im Mai 1945 – russische Truppen wurden herzlich begrüßt; den Alliierten (die die Tschechoslowakei Hitler überließen) wurde weniger vertraut. (Archiv)

Davon, dass es den Amerikanern an Ahnung fehlte, zeugt auch das Schicksal der Operation Paperclip. Unter starkem Widerstand der einheimischen „antinationalsozialistischen“ Kreise wurden in ihrem Rahmen etwas mehr als hundert herausragende deutsche und österreichische Wissenschaftler und Konstrukteure in die USA gebracht, aber erst nach

mehreren Monaten seit der Wiederaufnahme ihrer Arbeit zeigten die Amerikaner Anzeichen einer Erleuchtung und kamen zu dem Schluss, dass es ganz gut wäre, noch weitere 200 – 300 anzustellen. Ich schreibe das nicht deshalb, um von vorneherein auszuschließen, dass Patton nicht in der Lage war, Beute zu machen, die des ganzen Feldzugs würdig gewesen wäre (in dem vorher zitierten britischen Bericht war direkt von der Verschleppung mehrerer dutzend Personen und irgendwelcher Unterlagen die Rede). Ich möchte lediglich andeuten, dass das Endergebnis unter den gegebenen Umständen nur unvollständig sein konnte. Vielleicht schafften es die Amerikaner, wenige wertvolle Dinge zu finden, vielleicht auch nicht. In vielen Fällen war das Material versteckt, und Pattons Leute hatten nur wenige Tage Zeit, um das Ganze in der Fläche auszuspionieren. Die verfügbaren Dokumente zeigen, dass die ganze „Veranstaltung“ viele surrealistische Aspekte hatte, jedenfalls nach der Einschätzung der Soldaten. Zeuge dieser Vorgänge war u. a. der spätere amerikanische Militärhistoriker Charles B. MacDonald:40

Kämpfe mit den Patton-Einheiten waren sporadisch, auf beiden Seiten kam es jedoch zu Verlusten. Auf dem Foto ist ein Andenken an ein solches Gefecht in Form von zwei zerstörten Fahrzeugen zu sehen, der deutschen Marder-Kanone und des weiter weg stehenden Sherman-Panzers mit durchgestoßener Frontpanzerung. (Archiv)

Eine getroffene und in Tschechien liegen gelassene deutsche selbstangetriebene Kanone auf dem Rumpf des Pz. Kpfw. IV. (Archiv)

„Die Kämpfe waren ungewöhnlich. Die Leute, die sich ergeben

wollten, spielten eine komische Oper. Offensichtlich mussten sie dabei ein oder zwei Schüsse abfeuern. Auch das Land war seltsam, weder deutsch noch tschechisch. Kleine Ortschaften an der Grenze, mit Häusern, die durch Zäune verbunden und mit Bögen über den Einfahrtstoren geschmückt waren, sahen wie slawische Dörfer aus, die Bevölkerung war jedoch ohne Frage feindlich eingestellt. Es war das Sudetenland – Gegenstand von Streitigkeiten [vor dem Krieg], hauptsächlich durch Deutsche bewohnt. Amerikanische Panzerkräfte befanden sich auf der Straße, die zur Zielstadt Pilsen führte. Sie passierten in Stille die unbeschützten Forts der [ehemaligen] Tschechoslowakei, ihre unverteidigte westliche Befestigungslinie (die ‚kleine Maginotlinie’), und hatten plötzlich das Sudetenland mit seinen apathischen, manchmal düsteren pro-deutschen Sympathisanten hinter sich. Sie betraten ein feierndes Land mit bunten Flaggen und wurden herzlich begrüßt. Sie kamen plötzlich in ein vor Glück taumelndes Land, als hätten sie irgendeine unsichtbare Barriere überschritten. Es war wie in Paris, zwar in einem kleineren Maßstab und mit anderen Flaggen, jedoch mit den gleichen feiernden Gesichtern, dem gleichen Befreiungswahnsinn. Die Panzer huschten an den Flugabwehrkanonen vorbei, die den riesigen Industriekomplex von Skoda am Stadtrand beschützten, und fuhren im Rekordtempo in die Stadt ein. ‚Nazdar! Nazdar!‘ – ‚Hallo, seid gegrüßt‘ – schrien die Menschen.“

„Gebrandmarkte“ Deutsche, die auf ihre Aussiedlung warten, direkt nach der Besetzung Prags durch die Sowjetarmee. (CTK)

Das Erreichen des Industriekomplexes selbst verlief jedoch nicht so glatt, wie die obige Schilderung suggerieren könnte; erst am 6. Mai wurde er von ausgegliederten Truppen der 3. Panzerdivision eingenommen, denen die Heeresleitung den Namen Combat Command B gegeben hatte. Es handelte sich um dieselbe Einheit, die drei Wochen vorher das monströse unterirdische Mittelwerk bei Nordhausen geschickt ausgeräumt hatte (später drehte dort die Sowjetarmee einen im Übrigen sehr guten Dokumentarfilm, der beweisen sollte, dass Patton die Bündnisverträge verletzt hatte – es wurden die verwüstete Ausstattung und große leere Hallen gezeigt. Damals wurden über 200 V2-Raketen weggeschafft, die später in White Sands getestet wurden). Die ausgegliederten Truppen verließen jedoch bald ihre Stellungen und fuhren östlich der Stadt ein, wo sowjetische Truppen erwartet wurden, was jedoch nicht der Fall war. In den Werken hatten sich Soldaten einer anderen Einheit eingerichtet. Patton, der seinen Hass den Russen gegenüber nicht einmal zu verstecken versuchte, wollte in der Zwischenzeit ihre Unfähigkeit, sich Prag anzunähern, ausnutzen, und entwickelte einen Plan zur Besetzung Prags, da die deutschen Truppen sich im völligen Chaos befanden (und keinen Schlag aus westlicher Richtung erwarteten). Ein Aufklärungstrupp wurde entsandt, obwohl sich in

der Hauptstadt immer noch Deutsche befanden, was die Tschechen etwas übertrieben auffassten und sich für einen Aufstand entschieden. Damit wurde jedoch ein Kampf auf wesentlich höheren Ebenen eingeleitet. Patton wurde zwar von General Eisenhower unterstützt, bald meldeten sich jedoch die Russen zu Wort. Eisenhower schickte zunächst einmal eine Nachricht nach Moskau, dass angesichts der Tatsache, dass die Front auf ihrer Seite zum Stehen gekommen war (etwa 70 km östlich von Prag), das Gebiet von der Dritten Armee besetzt wird. Das Ganze machte den Eindruck, als gäbe es keine Vereinbarungen, kraft deren die Tschechoslowakei, Sachsen, Thüringen usw. durch die Russen besetzt werden sollten. Ohne eine Reaktion abzuwarten schaffte es Patton, Panzerposten östlich der erreichten Linie zu entsenden. Die Offiziere eines dieser Posten nahmen Kontakt zur tschechischen Widerstandsbewegung in Prag auf. Es wurde festgelegt, dass die Stadt den Amerikanern übergeben werden sollte. Patton war also überzeugt, dass er vollen Erfolg hatte – aber nur für einen Augenblick.

General Patton. (Sammlung des Autors)

Bald danach zog Eisenhower seine Zustimmung zurück, was auf Stalins Einwände zurückzuführen war. General Antonow, der Stabschef der Roten Armee, reichte eine scharfe Protestnote in Zusammenhang mit der vorhergehenden amerikanischen Nachricht ein. General John Dean, der Militärattaché der US Army in Moskau, fügte auch seine Anmerkungen hinzu. Im Endeffekt gab Eisenhower den Befehl, die Offensive (eher den Marsch) zu stoppen und die ausgegliederten Aufklärungspanzertruppen auf

die bisherige Linie Karlovy Vary (Karlsbad) – Pilsen – Budějovice (Budweis) zurückzuziehen. Die Lage wurde jedoch durch die Tatsache kompliziert, dass Patton völlig ernsthaft beabsichtigte, die Verbindung zum Hauptquartier für 24 Stunden abzubrechen, um so vorzutäuschen, dass er den Befehl nicht erhalten hatte! Am nächsten Tag (5. Mai, zwei Tage nach dem Überschreiten der ehemaligen tschechischen Grenze) brach in Prag der Aufstand aus. Auf der russischen Seite führte dies sicherlich zu der Überzeugung, dass sie es mit einer Art organisierter Verschwörung zu tun hatte. Der Aufstand begann natürlich aus rein politischen Gründen. Die Aufständischen ließen in ihren Überlegungen quasi die Tatsache außer Acht, dass in der Hauptstadt immer noch sehr starke SS-Kräfte konzentriert waren.

Pattons Armee in Tschechien. (NARA)

Dadurch begannen sie, trotz des Überraschungseffekts noch am selben Tag schwere Verluste zu erleiden. Es war nicht möglich, dass die Tschechen z. B. noch zwei Monate ausharren würden, wie das beim Warschauer Aufstand der Fall war. Vieles deutete darauf hin, dass sie nicht länger als einige Tage durchhalten würden (vielleicht wusste die Sowjetarmee von diesen Plänen und hielt den Angriff absichtlich zurück?). Die Surrealität der Lage bestand also zu dem Zeitpunkt darin, dass trotz der Niederlage des Dritten Reiches an den Fronten die Formationen der Wehrmacht und der SS im zentralen und nördlichen Teil Tschechiens (und im angrenzenden gebirgigen Teil Niederschlesiens) immer noch völlig frei agieren konnten. Bereits am 6. Mai, also einen Tag nach Ausbruch des Aufstandes, brachte die New York Times

die folgende alarmierende Meldung: „Der tschechische Rundfunk sendet seit dem frühen Morgen dramatische Hilferufe. Sie deuten darauf hin, dass sich die Deutschen auf die Rückeroberung der Stadt vorbereiten, um sie aus der Hand der tschechischen Widerstandsbewegung zu reißen. Der Sprecher hat die folgende dringende Meldung auf Englisch verlesen: ‚An alle verbündeten Armeen! Wir brauchen dringend Hilfe. Schickt eure Panzer und Flugzeuge. Die Deutschen rücken gegen Prag vor. Um Gottes Willen, schickt Hilfe!’“ Zu dieser Zeit hatten die Russen die Situation soweit geregelt, dass sich Eisenhower und die westlichen politischen Führer über die mit der sowjetischen Regierung geschlossenen Vereinbarungen ausreichend bewusst waren. Patton blieb deshalb untätig und die Dritte Armee sollte bald das tschechische Territorium verlassen. Daher scheint es, dass sie nicht besonders viel Zeit hatte, den bombardierten Komplex in Pilsen oder andere interessante Ziele zu erforschen. Ob die Amerikaner in den Besitz der größten wissenschaftlichen Geheimnisse der SS kommen konnten, schien ein Rätsel, das nicht einfach zu lösen sein würde. Im Unterschied z. B. zu den Kämpfen um Berlin hatten die angreifenden Truppen diesmal keinen einzigen Kriegsberichterstatter dabei, und auch Berichte aus anderen Quellen sind nicht besonders zahlreich. Der nächste Schritt bestand deshalb darin, nach nachrichtendienstlichem Material in amerikanischen Regierungsarchiven zu suchen (wofür ich u. a. die Hilfe des amerikanischen Forschers Joseph Farrell in Anspruch nahm). Nach gewisser Zeit hat sich herausgestellt, dass es viele Aktengruppen gibt, die auf die eine oder andere Weise mit der Tätigkeit der amerikanischen Streitkräfte in Tschechien in Zusammenhang stehen. Keine davon enthielt jedoch einen Bericht, der direkt die Suche nach Material über Forschungsarbeiten während der Offensive der Dritten Armee beschrieben hätte. Es handelte sich dabei generell um die Korrespondenz zwischen verschiedenen militärischen Befehlsgliedern und dem State Department, der den Konflikt zwischen Washington und Moskau zu mildern versuchte. Ich bin jedoch in den Besitz von Material über eine andere interessantere Episode gekommen, an der die Amerikaner beteiligt waren. Die Angelegenheit begann Mitte Februar 1946 bzw. lebte zu diesem

Zeitpunkt wieder auf, weil sowohl die tschechische Regierung als auch der amerikanische Kongress auf der Aufklärung des Operationsverlaufs bestanden, da der Verdacht aufgekommen war, dass Maßnahmen zum Nachteil des Verbündeten unternommen wurden. Die erste Maßnahme der Militärführung als Antwort auf die oben erwähnten Forderungen war die Offenlegung des Materials für die interessierten Parteien. Dadurch entstand das Dokument vom 14. Februar 1946.51 Es gab auch, wie sich herausstellen sollte, noch einen weiteren Unterton für das Interesse der Amerikaner. Sie wollten, diesmal in Zusammenarbeit mit der tschechischen Staatsführung, an irgendwelches Material herankommen, von dem sie im Mai 1945 nichts gewusst hatten! Am 19. Februar verfasste Oberst Alfred Starbird, der Leiter der europäischen Sektion in der Einsatzabteilung des amerikanischen Generalstabes ein Informationsschreiben, in dem er Folgendes schrieb: „1. Aufgrund des Wechsels mehrerer Telegramme zwischen dem State Department und dem tschechischen Außenministerium unter Beteiligung der Aufklärungsabteilung des Generalstabes und des amerikanischen Militärattachés in Prag fand heute eine Konferenz im State Department statt, an der Vertreter des G-2 [des militärischen Geheimdienstes], der OPD [der Einsatzabteilung des Generalstabes] und des State Departments teilnahmen. Ihr Ziel war, Maßnahmen in Zusammenhang mit einem Vorfall zu beschließen, an dem amerikanische Soldaten beteiligt waren, die angeblich die Souveränität Tschechiens verletzten, indem sie einen ,Angriff‘ ins Landesinnere veranstalteten, um in den Besitz von 12.000 Pfund [etwa 5,5 t] streng geheimer deutscher Dokumente zu kommen. 2. Der ,Angriff‘, über den der G-2 in Washington vor seiner Beendigung nicht informiert worden war, führte in dem Sinne zum Erfolg, als die Dokumente nach Deutschland gebracht werden konnten, obwohl drei amerikanische Soldaten von den Tschechen gefasst wurden und zurzeit durch tschechische Behörden festgehalten werden. 3. Der genaue Inhalt der weggeschafften Kisten ist unbekannt, es wird jedoch angenommen, dass sie persönliche amtliche Dokumente Hitlers

und Himmlers enthalten. Die Tschechen behaupten jedoch, dass sie mit besonders hochentwickelten Radargeräten und Daten in Zusammenhang stehen. Sie verlangen die sofortige Rückgabe dieses Materials an die Tschechoslowakei; im Gegenzug würden sie die drei Mitglieder des amerikanischen Militärpersonals freilassen, die von ihnen festgehalten werden. 4. Das State Department vertritt die Meinung, dass die tschechoslowakische Regierung den Streifzug durchaus als einen kriegerischen Akt betrachten könnte. Um die Tschechen zu besänftigen, erteilte das State Department seinem Botschafter die Weisung, sie darüber in Kenntnis zu setzen, dass in dieser Angelegenheit Ermittlungen aufgenommen worden sind. 5. Als Ergebnis der Konferenz wird der G-2 am 20. Februar 1946 eine Telekonferenz mit General Sibert von der G-2, USFET veranstalten. Eine Kopie des [für die Konferenz] vorgeschlagenen Materials liegt als Anhang bei.“ Die Militärführung gab also zu, dass Tonnen streng geheimer Unterlagen weggeschafft worden sind! Seltsam bei dem Ganzen ist die Verhaftung mehrerer Soldaten durch die Tschechen. Wie konnte es dazu kommen? Anfang Mai 1945 gab es ja noch keine tschechoslowakischen Behörden. Oder wurde die Operation vielleicht später durchgeführt? Konzentrieren wir uns zunächst auf den im obigen Schreiben erwähnten Anhang. Er ist insofern wichtig, als er vom Nachrichtendienst im Grunde genommen für den internen Gebrauch vorbereitet wurde, um die Standpunkte zwischen den Offizieren des Militärgeheimdienstes aus Washington und dem Leiter der nachrichtendienstlichen Abteilung beim USFET (US Forces, European Theater) abzusprechen. Im Übrigen wird bereits in der Einleitung betont, dass die in diesem Dokument enthaltenen Informationen nur für die beiden Gesprächspartner bestimmt sind. Aus diesem Grund konnte erwartet werden, dass interessante Informationen ans Tageslicht kommen würden. Und tatsächlich, das Dokument zeigt uns eine interessante Tatsache auf: Es ist möglich, dass Pattons Armee durchaus nicht das fand, wonach sie suchte (falls sie überhaupt danach suchte), da wichtiges Material in der Tat erst später gesichert werden konnte! Nicht nur später, sondern auch woanders! Bei der ganzen Angelegenheit (damit ist die Gesamtheit der erwähnten

Dokumente gemeint) ist die Tatsache bezeichnend, dass die Tschechen einen großen Radau machten, der beinahe an eine Kriegserklärung grenzte, sie jedoch kein einziges Mal die Rückgabe der in Pilsen gefundenen Unterlagen forderten! Dieses Thema existierte für sie überhaupt nicht. Dabei muss man wissen, dass sich auf dem Werksgelände bis zum Kriegsende tschechisches Personal befand. Es ist also durchaus möglich, dass die Amerikaner von dem supergeheimen SS-Projekt im Hinblick auf einen fortschrittlichen Antrieb überhaupt nichts erfuhren. Hier die wichtigsten Auszüge des erwähnten Dokuments: 51 „[…] Der Luftattaché wurde durch den G-2, USFET [Aufklärungsabteilung im Stab der amerikanischen Streitkräfte beim US Forces European Theater] vor etwa zwei Monaten [d. h. im Dezember 1945] gebeten, das Flussufer etwa 30 Meilen südlich von Prag aus der Luft zu fotografieren.“ Hier möchte ich die Analyse des Dokuments kurz unterbrechen. Wenn wir auf der Karte alle wichtigen Einrichtungen eintragen, die sich im Protektorat von Böhmen und Mähren befanden, dann wird das Ganze sofort völlig klar: 30 Meilen entsprechen etwa 48 km – genau in dieser Entfernung befindet sich südlich der Hauptstadt nur ein einziges Ziel – Příbram (Pilsen liegt z. B. in einer Entfernung von etwa 80 km). In einer Entfernung von etwa einem dutzend Kilometern fließt von Norden nach Süden die Moldau, der einzige Fluss in dieser Region. Woran in Příbram gearbeitet wurde, wissen wir bereits. Kehren wir zum Inhalt des Dokuments vom 20. Februar 1946 zurück: „Vor etwa zehn Tagen wurde der Militärattaché in der Tschechoslowakei durch den G-2, USFET gebeten, eine Genehmigung für die Einreise von 14 amerikanischen Offizieren und Soldaten in die Tschechoslowakei einzuholen. Das Ziel der Mission wurde nicht genannt, es war allerdings klar, dass die Einreise mit den Aufnahmen in Verbindung steht. USFET wurde darüber in Kenntnis gesetzt, dass sich die Gruppe im Prager Büro des Attachés melden muss. Das tat sie jedoch nicht, sondern begab sich direkt zum Ort am Flussufer und führte die Evakuierung [der Ladung] nach der Neutralisierung bestimmter Sprengvorrichtungen durch. Das Büro des Militärattachés wurde gebeten, Ermittlungsmaßnahmen durchzuführen und Erklärungen für die tschechischen Beamten vorzubereiten, die davon

erfahren haben, dass eine Bergungsoperation durchgeführt worden war und eine große Menge an Material weggeschafft wurde. Die Tschechen ahnen, dass das Material die neuste Radartechnik betrifft, und sind über die Verletzung der Souveränität der Tschechoslowakei und insbesondere über die angewendeten Methoden aufgebracht. Das Büro des Attachés wusste, dass die Gruppe die Tschechoslowakei erreichen wollte, um Dokumente zu sichern. Durch die Tatsache, dass der Zugriff im Geheimen erfolgte und die Kisten nach Deutschland gebracht wurden, geriet jedoch der Attaché in eine peinliche Lage. Dieser Vorfall wurde mit einem früheren Angriff amerikanischer Soldaten in Verbindung gebracht, die ein bestimmtes Haus betraten, die Möbel und die Geländefahrzeuge mitnahmen sowie die Frauen wegschafften. Die Tschechen bekamen Kopien der Befehle des G-1, USFET, die die Gruppe anwiesen, die Operation [das Ziel der Operation?] zu nennen und die höchsten Behörden zu informieren. Die tschechischen Beamten behaupten, dass die Gefangenen alles gebeichtet haben, und der Hauptmann zugegeben hat, ein Sprengstoffexperte zu sein. Der Botschafter stellte später fest, dass das Kriegsministerium darüber informiert werden sollte, dass der Angriff auf höchster Ebene akzeptiert worden ist, und dass die tschechischen Beamten eine nebelhafte Vorstellung von den Disziplinärmaßnahmen auf niedrigerer Ebene haben. Der Botschafter wurde um Anweisungen gebeten. Vorläufig wurde der Botschafter darüber informiert, dass das State Department vom Kriegsministerium die Durchführung einer Untersuchung verlangt hat. Das State Department übt Druck aus, um Informationen zu erhalten, auf deren Grundlage die Antwort für den Botschafter vorbereitet werden soll, um die Angelegenheit wie folgt abzuschließen: • die Sache wird nicht publik, • die Unterlagen bleiben in amerikanischem Besitz, • das Personal wird entlassen, • freundschaftliche Beziehungen mit der Tschechoslowakei werden wiederhergestellt,

• keine Komplikationen mit dem Bündnispartner im Osten. Gestern, am 19. Februar, wurde auf der Konferenz mit dem State Department vorgeschlagen, dass die Vereinigten Staaten sich für die Art der Durchführung dieser Operation entschuldigen sollten. Das soll derart geschehen, dass die Position des USFET-Befehlshabers nicht gefährdet wird. Abhängig vom Inhalt der Dokumente ist eine freundschaftliche Geste gegenüber dem tschechischen Nachrichtendienst denkbar, indem dessen Mitglieder eingeladen werden, die Dokumente zu besichtigen. Dies könnte auch als Verhandlungsargument benutzt werden, um die drei Personen zu befreien. Ich bitte Sie, dies mit General McNarney und Botschafter Murphy zu besprechen, um festzustellen, ob die in den zwei letzten Abschnitten dargelegten Maßnahmen Ihre Zustimmung finden. Über Ihre Entscheidung sollten Sie so schnell wie möglich dem G-2 über Befehlskanäle übermitteln, da das State Department auf eine schnelle Antwort drängt. Sie sollten darauf vorbereitet sein, die Dokumente zurückzugeben, falls dies von den höchsten amerikanischen Behörden angeordnet wird. Ihr S-1675 hat vermerkt, dass ein amerikanischer Kriegsberichterstatter in der Gruppe war. Ich hoffe, Sie haben alle möglichen Vorkehrungen getroffen, um zu verhindern, dass die Sache publik wird. Das Kriegsministerium und das State Department wären für jegliche Hinweise über den Inhalt der Dokumente dankbar. Könnten Sie jetzt irgendwelche Informationen dazu erteilen? Es wird davon ausgegangen, dass Sie die Dokumente auf Mikrofilm kopieren – und zwar so schnell, wie die Geräte es erlauben. Der G-2 schlägt vor, General Egmont Koenig während seiner Rückkehr in die Tschechoslowakei aufzuhalten, damit ihm alle Informationen über diese Affäre vermittelt werden können. Koenig sollte darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass das Kriegsministerium Taylor wahrscheinlich entlassen wird, da er viele [wunde?] Punkte besitzt. Die Entlassung soll ohne [persönliche?] Vorurteile im Hinblick auf den betroffenen Offizier erfolgen. Sie soll dazu genutzt werden, friedliche Beziehungen mit Tschechien wiederherzustellen.“

Ziemlich interessant klingt eines der oben genannten Ziele, die die amerikanischen Behörden trotz des Skandals erreichen wollten: Es geht darum, dass die Unterlagen in amerikanischem Besitz bleiben sollten. Auf den ersten Blick verwundert das nicht, wenn es aber lediglich darum gegangen wäre, das Wissen über Forschungsprojekte aus der Kriegszeit zu nutzen, hätte es doch ausgereicht, die Unterlagen zu kopieren. Hier ging es eindeutig um mehr, und zwar darum, dass dieses Wissen nicht die Russen erreichte!

Ausgewählte Dokumente über den Vorstoß einer amerikanischen Spezialtruppe nach Štěchovice und den Abtransport deutscher Dokumente – Beschreibung siehe Text. (NARA)

Ein weiteres streng geheimes Dokument, auch vom 20. Februar, beinhaltet eine Kopfzeile, in der nicht mehr um den heißen Brei geredet wird. Sie lautet: „Nachrichtendienstlicher Vorstoß in die Tschechoslowakei“.52 General Starbird bereitete eine Erklärung vor, in der er u. a. Folgendes angibt: „1. Im Rahmen einer Telekonferenz, die heute Morgen zum Thema des Vorstoßes des amerikanischen Militärpersonals in der Tschechoslowakei veranstaltet wurde, wurde ermittelt, dass die weggeschafften Dokumente Folgendes enthalten: • Deutsche Korrespondenz über Böhmen und Mähren, sowie Unterlagen, die Himmler, von Ribbentrop, Frank und Funk gehörten, darunter: • Unterlagen der Gestapo und des deutschen Nachrichtendienstes über Böhmen und Mähren; • Unterlagen von Präsident Beneš aus den Jahren 1918–38; • Standorte von Schätzen, die in Höhlen im Gebiet der Tschechoslowakei entdeckt wurden. 2. Der G-2 im Kriegsministerium wurde informiert, dass die Herald Tribune in Paris die komplette Geschichte der ganzen Affäre kennt, ausgenommen den Inhalt der Dokumente. Das Theater [USFET] bemerkte heute Morgen, dass die Presse in dieser Angelegenheit wegen der Tschechoslowakei, die ihre Grenzen für alle Amerikaner geschlossen hat, nicht kontrollierbar zu sein scheint. 3. Das State Department hat ein Telegramm an seine Botschaft in Prag geschickt, in dem der Botschafter ermächtigt wurde, die tschechische Regierung zu entschuldigen.“ Damit wäre eigentlich alles klar, wenn da nicht der seltsame Inhalt der Dokumente wäre. Hätten die Amerikaner tatsächlich so große politische Komplikationen riskiert, wenn das Material für sie nicht einen konkreten Wert besessen hätte? Die Erklärung scheint nicht besonders überzeugend. Wen interessierten damals deutsche nachrichtendienstliche Unterlagen aus der Kriegszeit?

Ein weiteres streng geheimes Schreiben von Oberst Starbird enthält bestimmte interessante Einzelheiten:53 „[…] Botschafter Murphy ist dafür, die Kisten sofort von einer tschechischen Militärmission inspizieren zu lassen, um die Unterstützung der Tschechen zu erhalten. In einem Telegramm hat General Bull die Ansicht ausgedrückt, dass eine Entschuldigung nicht notwendig sein wird, wenn die tschechische Regierung über die Umstände vollständig aufgeklärt wird und danach eine Übereinkunft im Hinblick auf einen gemeinsamen Zugang zu den Dokumenten oder ihre Rückgabe erreicht wird. General McNarney stimmt damit überein. […] Der Aspekt mit der Presse wurde durch die Tatsache verkompliziert, dass die Franzosen offensichtlich Informationen an die Presse weitergegeben (die Informationen über das Versteck kamen aus französischen Quellen) und eine Woche vor dem Angriff angeblich auch die Tschechen über das Versteck informiert haben. Mehr noch: Ein schwedischer Korrespondent hat eine verdrehte Version der Geschichte über den Angriff nach Stockholm geschickt, die auf Informationen vom G-2 basierte.“ Bevor wir zu weiteren Dokumenten übergehen, versuchen wir diesen Vorfall mit einer Version zu konfrontieren, die der tschechische Forscher Miloš Jesenský aufgrund diverser Quellen (in seinem Buch, das er gemeinsam mit Robert Leśniakiewicz verfasst hatte) kompiliert hat. Er gibt an, dass das Dokumentendepot in Štěchovice, etwa 30 km südlich von Prag versteckt war. Er erklärt auch das französische Motiv:56 „Am 13. Oktober schickte die französische Botschaft in Prag einen Brief an das tschechoslowakische Außenministerium, in dem sie via Gen. Koenig verkündete, dass in einem französischen Kriegsgefangenenlager für SS-Leute sich der SS-Offizier Günther Achenbach enttarnt hatte. Achenbach erzählte, er wisse von einem Ort unweit von Prag, wo ein Dokumentenarchiv über wichtige Kriegsereignisse versteckt sei. Die französische Botschaft wollte die Aufrichtigkeit Achenbachs überprüfen und ihn in die Tschechoslowakei liefern, damit er mit der Wirklichkeit konfrontiert werden konnte. Vom Außenministerium kam jedoch auch nach drei Monaten keine Antwort, deshalb schickte General Flipo, der französische Militärattaché, eine

Niederschrift des Berichtes Achenbachs dorthin und die von ihm übermittelten Pläne. Sie wurden vom tschechischen Generalstab übernommen. Wir lesen in den Aussagen des gefassten SS-Mannes, dass am 20. April das Sonderkommando ‚Lange’ auf dem SSVersuchsgelände in Hradíšťko ins Leben gerufen wurde, das einen 12 m langen Stollen in der Nähe des Versuchsgeländes ‚Zavist’ anfertigte. Er [Achenbach] schrieb: ‚Nach dem Ausgraben des Stollens wurden darin etwa 30 Säcke hineingelegt. Sie stammten aus Berlin und waren sehr schwer. Ein Sack ging auf und enthielt nur Papiere’. […] ‚Die Aktion wurde auf Befehl des Staatsministers Karl Hermann Frank durchgeführt, der als Einziger den Plan für die Zusammenstellung und Zerstörung [dieses Archivs] besaß. Den Befehl über die Zuteilung von Arbeitskräften erhielt der Kommandeur der Ausbildungsgruppe Nr. 1. Das Kommando bestand aus 32 Erdarbeitern und 3 Schichtleitern (nur Leutnants). Wir vermuteten, dass sich in den Säcken Dokumente von besonderer Bedeutung befanden, weshalb die Aktion streng geheim war und von Offizieren durchgeführt wurde.’“ Falls der Bericht des deutschen Kriegsgefangenen wörtlich zu nehmen ist, dann hatte das Depot wahrscheinlich nichts mit Rüstungsprogrammen und noch nicht einmal etwas mit dem Protektorat zu tun. Es ist ja von einer Lieferung aus Berlin die Rede. Das ist die zweite Version, die man als relativ glaubwürdig ansehen könnte. Die erste stammte von den Tschechen, mit denen die amerikanische Botschaft Kontakt hatte, und betraf Radartechnik. Im zitierten Buch wird auch erwähnt, dass der Stolleneingang mit einer Lehmschicht maskiert war, der in der Gruppe anwesende Achenbach es jedoch schaffte, den Ort wiederzufinden. Der Zugang dahinter war mit fast einer Tonne TNT vermint! Um nach innen vorzudringen, waren nicht weniger als 38 Stunden notwendig, das Ganze erfolgte während eines Schneesturms. Am 22. Februar gab das amerikanische Kriegsministerium Anweisungen heraus, die tschechische Staatsführung zu entschuldigen und ihr das Material zurückzugeben. Es wurde auch eine Erklärung vorbereitet, in der die Version aufrechterhalten wurde, dass die Dokumente hauptsächlich „Hitlers

Vorkriegspläne und Kriegführungspläne“ betrafen.54 Wie ich bereits erwähnte, wäre es schwer, eine solche Erklärung als glaubwürdig zu betrachten. Die Tschechen waren der gleichen Meinung, u. a. sagte am 8. März der Abgeordnete Vaclav David in seiner Rede während einer Parlamentssitzung:56 „Wenn es um den Inhalt der Säcke geht, die die amerikanische Heeresleitung zur Prager Burg brachte, so handelt es sich um wertvolles Material, wir haben jedoch Beweise dafür, dass es nicht dasselbe Material ist, das die Amerikaner aus Štěchovice abtransportiert hatten.“ Wenn das so ist, dann bezog sich die Feststellung wahrscheinlich auf dieselben Radartechnologien, die die Tschechen bei den offiziellen Gesprächen mit den Beamten der Botschaft erwähnt hatten. Es tauchten natürlich auch andere Versionen der Geschichte auf, die vor allem in der populären Presse beschrieben wurden. Es scheint jedoch, als würden sie vor allem auf fragmentarisch durchgesickerten Informationen und Vermutungen beruhen. Auf alle Fälle deutet nichts Konkretes darauf hin, dass die Amerikaner damals zu den wirklich interessanten „tschechischen“ Projekten des Dritten Reiches vorgedrungen waren, die mit der streng geheimen SSEinrichtung in Pilsen, mit dem „ehemaligen Aussig-Bergwerk“ in der Nähe von Jáchymov oder den Errungenschaften von Professor Hüttig und seiner Kollegen aus Prag in Zusammenhang standen. Bei dieser Gelegenheit kommt erneut die Frage nach dem Charakter der Offensive Pattons Anfang Mai 1945 auf. Schließlich wurde in diesem Fall die erwähnte Stadt von vorne herein als Hauptziel betrachtet. In dieser Angelegenheit ist es mir jedoch gelungen, eine interessante Quelle zu finden, und zwar einen Bericht des Direktors Wilhelm Voss. Er ist umso interessanter, als seine Geschichte ehrlich und themenbezogen klingt. Er wusste, dass Skoda vor dem Krieg stark mit amerikanischem Kapital verbunden war und verheimlichte später überhaupt nicht, dass er darauf hoffte, den Amerikanern beim Auffinden geheimer Unterlangen helfen zu können! Wahrscheinlich wollte er sich damit den Fortbestand seiner Berufskarriere und ein luxuriöses Leben in den Vereinigten Staaten sichern. Wichtig in diesem Zusammenhang sind auch die Ergebnisse der Suchaktion von Tom Agoston selbst, die größtenteils durch Interviews initiiert wurden, die er kurz nach dem Krieg mit Dr. Voss geführt hatte. Beginnen wir also mit

seiner interessanten Beschreibung, die viele früher unbekannte Informationen beinhaltet:40

Eine Zusammenstellung von Nachkriegsdokumenten des amerikanischen Nachrichtendienstes, die vor kurzem offen gelegt worden sind und den Versuch der sowjetischen Geheimdienste beschreiben, zur Dokumentation über deutsche Forschungsprojekte, zu Spezialisten sowie Kernwaffenelementen (!) vorzudringen. Aus dem Inhalt geht klar hervor, was die Russen als wahre „Schätze“ betrachteten, wenn es um die technischen Errungenschaften des Dritten Reiches geht, von denen die Amerikaner größtenteils erst nach dem Krieg erfuhren. (NARA)

„Die Nachricht, dass Skoda am 6. Mai unter die vorläufige Kontrolle der US Army kam, elektrisierte sowohl die westliche Rüstungsindustrie als auch das Militär. Ohne Zeit zu verlieren, teilten die Vereinigten Staaten und Großbritannien spezialisierte nachrichtendienstliche Teams zu, die Pilsen erreichen sollten, um die technischen Geheimnisse von

Skoda in Augenschein nehmen zu können, bevor das Gebiet durch die Rote Armee besetzt würde. Das Vorhaben wurde geheim gehalten und die Ankunft der Mission auf keine Weise angekündigt. Die unerwartete Möglichkeit, hinter die Kulissen blicken zu können, war eine einzigartige Gelegenheit festzustellen, inwieweit die achtjährige Zusammenarbeit zwischen Skoda und dem deutschen Giganten der Stahl- und Rüstungsindustrie Krupp die Produktionsprozesse des Komplexes in Pilsen bereichert hatte, der sich 1938 im Gebiet des Deutschen Reiches befand. Angesichts der unvermeidlichen Absorption Skodas durch die sowjetische Rüstungsindustrie wurden die nachrichtendienstlichen Informationen, die die beiden alliierten Teams erbeuten sollten, als besonders wichtig eingestuft. Die von Skoda weiterentwickelten Produktionstechnologien für Stahl und Rohre sowie die Rohrgießerei [für Artillerierohre] waren genauso wie die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit der Firma legendär. Das amerikanische und britische Spionageteam sollten sich auch die Panzerproduktion, deren spanabhebenden Bearbeitungswerkstätten, Gießerei, Walzwerk und Maschinenpark anschauen. Außer der unvermeidlichen Betrachtung des Potentials von Skoda als künftiges [Element] der sowjetischen Rüstungsindustrie war die Perspektive, dass die Firma zum Partner des UdSSR bei internationalen Schwerindustrieprojekten werden wird, noch ein weiterer offensichtlicher Grund für das Interesse Großbritanniens und der USA. Wir müssen bedenken, dass die Verdienste Skodas u. a. mit der Beteiligung am Bau der Infrastruktur für die Wasserkraftwerke an den Niagarafällen, des Suezkanals und mit der Verwirklichung einer Reihe von Schlüsselprojekten für den Iran, China und andere Länder zusammenhängen. Die alliierten Spionagetruppen wussten nichts von der Tätigkeit eines streng geheimen SS-Spionageteams, das ‚unter dem Deckmantel’ von Skodas Forschungsprojekten agierte. Die Russen hatten jedoch eine gewisse Ahnung davon. Ihre konspirativen Informanten, die die [nachrichtendienstlichen] Infiltrierungspunkte ermittelten, waren jedoch nicht in der Lage, den dreifachen militärischen, industriellen und politischen Gegenspionagering zu unterwandern, den Himmler Pilsen

zum Schutz der Pläne, Daten und Personen, die die Arbeiten verwirklichten, zuteilte. Die sowjetischen Informanten waren Teil einer Organisation für Technikspionage, die Moskau 1944 ins Leben rief, um alle technischen Informationen zu sammeln und analysieren, die in Zusammenhang mit den übernommenen deutschen Geräten standen. Diese Expertenteams begleiteten die Rote Armee überall dort, wo sie kämpfte [Agoston meinte wahrscheinlich die Sektionen für Objekt- und wissenschaftliche Aufklärung des Nachrichtendienstes „SMERSCH“ mit dem Decknamen „MIF“]. Ihre Stabsarbeit ging so tief, dass manche der den besetzten Fabriken zugeteilten Teams über vollständige Listen der Produkte, an denen sie interessiert waren, und sogar über Namen der Schlüsselmitglieder des technischen Personals verfügten. Diese Informationen stellten sich als unbezahlbar bei den Nachkriegsoperationen heraus, in deren Rahmen die Demontage [ganzer Fabriken] erfolgte. Die übernommene ,Goldgrube‘ Skoda war für die Russen eine richtige Rarität; bis 1941 wurden die nach Pilsen geschickten sowjetischen Verhandlungsteams immer von Technikern begleitet. […] Als das amerikanische Spionageteam seine Arbeit in den SkodaWerken aufnehmen konnte, war bereits ein Vorgeschmack des Kalten Krieges zu spüren, und das metallische Geräusch des ,eisernen Vorhangs‘, der gerade zugeschoben wurde, war bereits sehr gut hörbar. In Berlin hatten die Russen eine Ausrede nach der anderen, um den Zugang zu einer ausgesonderten amerikanischen Einheit im amerikanischen Sektor der in vier Teile geteilten Stadt zu verhindern. Die Einheit blieb fast zwei Monate lang isoliert [Agoston war Kriegsberichterstatter, u. a. in Berlin]. Die Stimmung in Pilsen war völlig von dem sich ändernden politischen Klima durchdrungen, was zur großen Frustration bei den alliierten Missionen führte. Wie sich herausstellte, hegten sie die naive Überzeugung, dass die Zusammenarbeit im Krieg und die gegenseitige Unterstützung beider Staaten sich auch auf die tschechoslowakische Exilregierung erstreckte, deren Verbindungsstäbe auf beiden Seiten des Atlantiks mit Gegenseitigkeit antworten würden – insbesondere jetzt, nach der

Bezwingung des Hauptgegners. Die Stimmung in Pilsen spiegelte nicht nur den Geist der tschechischrussischen Allianz aus den Jahren 1943/44 wider, die das Land lange vor dem endgültigen Kriegssieg kräftig in den sowjetischen Einflussbereich stieß, sondern bestätigte auch vollständig die nachrichtendienstliche Analyse der Amerikaner (OSS), die im Januar 1945 im SHAEF-Quartier und in den Kreisen der tschechischen Exilregierung in London zirkulierte. Laut dieser Analyse kam das OSS zu dem Schluss, dass es ein ‚fast einstimmiges Einvernehmen in den tschechischen Emigrationskreisen (in den USA) gibt, dass die Zusammenarbeit mit der UdSSR notwendig und wünschenswert ist’. Man ging sogar soweit zu behaupten, dass die tschechischen kommunistischen Kreise und die linksgerichteten Sozialdemokraten ‚die Tschechoslowakei mehr oder weniger vollständig mit der UdSSR integriert und von ihrer Politik abhängig sehen wollen’. Ironischerweise schloss die OSS-Analyse (in der auch der Einfluss ihres Kriegspartners KGB [eher NKWD] zu sehen ist) mit einer kategorischen Schlussfolgerung ab: ‚Die tschechischen Emigranten sind überzeugt, dass die UdSSR ihre wirtschaftlichen oder politischen Methoden des sowjetischen Kommunismus nicht in der Tschechoslowakei einführen wird.’ In einem geänderten politischen Klima fanden sich die alliierten Missionen in der demütigenden Lage wieder, in der sie in den Wind redeten und auf eine Zusammenarbeit vonseiten Skodas nicht zählen konnten. Da die entsprechenden amerikanischen Dokumente nicht zugänglich sind, gibt es keine Spur von der Reaktion der Spionagetruppe der US Army auf diese ‚Rempeleien’, denen sie unterworfen war. Das gleich gilt für den Bericht, der [eventuell] nach Washington geschickt wurde. Zwei britische nachrichtendienstliche Berichte, die mir im Imperial War Museum in London zugänglich gemacht wurden, lassen keinen Zweifel daran, dass die Obstruktionen der Tschechen gegenüber den britischen Missionen ausschließlich verhindern sollten, dass Skodas und Krupps Technologie in die amerikanischen oder britischen Hände gelangte, bevor alle sich auf dem Werksgelände befindenden Daten der Roten Armee übergeben werden

konnten. Am 12. Mai, während der Übergabe der Betriebe an die Russen, war der Leiter der ersten britischen Spionagemission Oberst James Brierley anwesend. Er schreib Folgendes in seiner Meldung: ‚Die Mitarbeiter der Skoda-Werke haben behauptet, dass die Gebäude, in denen sich technische Zeichnungen befunden hatten, samt Inhalt vollständig zerstört wurden, deshalb könnten sie keine Pläne über Forschungsprojekte zeigen. Ein Gespräch mit einem rangniedrigeren Beschäftigten brachte zu Tage, dass die Firma alle Pläne auf Mikrofilm aufgenommen hatte, die sowohl Standardvorhaben [Produktionsvorhaben] als auch Entwicklungsprojekte betrafen. Die Mikrofilme sollen an einem sicheren Ort außerhalb Pilsens versteckt worden sein.’ Skodas Leitung behauptete hingegen, dass sie von keinen Mikrofilmen wisse und lehnte weitere Gespräche zu diesem Thema ab. […] Die nach Prag auf hoher Ebene übermittelten und wiederholt vorgebrachten Bitten, die Mikrofilme zur Verfügung zu stellen, blieben ohne Antwort. Die verspäteten Bitten um diese Informationen unterstreichen die Tatsache, dass die Briten angesichts der äußerst wirkungsvollen SSGegenspionageabschirmung nicht in der Lage waren, die von den Deutschen geleitete Fabrik zu infiltrieren. Brierley vermerkte in seinem Bericht, in dem er sich direkt auf die SS-Gegenspionagemaßnahmen bezog, dass diese Abschirmung so wirkungsvoll war, da für alle wichtigsten Daten über Versuche oder die Montage von Geheimgeräten ausschließlich SS-Techniker zuständig waren, oder sie wurden nach Deutschland geschickt, um der Sabotage und dem Durchsickern von Informationen entgegenzuwirken. Die zweite britische Mission verbrachte vier Tage in Pilsen, vom 22. bis zum 25. September, und wurde genauso in die Irre geführt. H. G. Barber, ihr ziviler Leiter, schrieb Folgendes: ‚Während des Treffens mit Skodas Generaldirektor, seinem Englisch sprechenden Handelsdirektor und zwei Offizieren der tschechischen Armee, die die Gäste durch die Werke führten, hörten wir ausschließlich Ausreden darüber, warum keine technischen Informationen über Skodas Tätigkeit während des Krieges vorhanden sind. Beträchtliche, durch Bomben verursachte Schäden gehörten zu

den häufigsten Ausflüchten.’ Die tschechischen Werksverwalter hatten vollen Erfolg, das zu beschützen, was ihnen anvertraut worden war. Sie hüteten dieses Geheimnis so stark, wie ein romantischer Held seine Geliebte beschützt. Das beweist Brierleys Abschlussbericht. Seine Bitten um konkrete Informationen über Geräte zum Ziehen von Rohren, Stahlgießtechnologien für Kanonenrohre oder die von Skoda in der Forschungsabteilung verwendete ausgeklügelte technische Messausrüstung wurden ganz einfach nicht erfüllt. Skodas Personal behauptete unentwegt, dass die ‚ganze Ausrüstung und alle Dokumente’ bei den letzten Luftangriffen zerstört wurden und verbrannt sind. Es wurden auch keine Informationen über experimentelle Entwicklungsarbeiten an gelenkten Kleinkalibergeschossen zugänglich gemacht, die woanders hergestellt wurden. Es wird angenommen, dass das amerikanische Team zwei solche Geschosse samt Daten sicherstellen konnte. Brierley ließ sich nicht entmutigen und hoffte immer noch, dass seine Empfehlung, ‚weitere Forscher zu Skoda zu schicken, und an der nächsten amerikanischen Mission einen britischen Rüstungsexperten zu beteiligen’, wie auch sein Vorschlag, dass Skoda Anweisungen zur Vorbereitung von Organisationsplänen ihrer Forschungs- und Entwicklungsabteilung erhalten sollte, eine gewisse Chance auf Erfolg hatten. Das war ein weiteres Beispiel für eine Art politische Naivität, die bei Kriegsende im Westen allgemein verbreitet war – zur Freude der pragmatischen Russen, die den kürzeren Ansatz ‚hinkommen und mitnehmen’ verfolgten.“ Die Russen übernahmen im Endeffekt die Kontrolle über alle Zweigstellen des ehemaligen Konzerns und spannten sie sofort in das Räderwerk der eigenen Rüstungsindustrie ein – dazu gehörte sogar, wie Agoston beschreibt, eine „unterirdische, unbeschädigte Kanonenfabrik“. Im Gegensatz zum Westen (wo man es lange Zeit geradezu nicht glauben wollte) lief nämlich direkt nach dem Krieg die Rüstungsproduktion in der UdSSR nur in einem unwesentlich langsameren Tempo weiter als in den Jahren zuvor. Noch Anfang der 1960er Jahre wurden in der UdSSR etwa 2.000 Panzer im Monat hergestellt! Skoda wurde u. a. dazu genutzt, Antriebsschrauben für

Unterseeboote herzustellen (die im Übrigen Kopien der deutschen U-Boote vom Typ XXI waren). Deutsche Ingenieure entwarfen in Pilsen Landungstragflächenboote für die Kriegsmarine der UdSSR. Wie ich bereits erwähnt habe, gibt es hierzu noch eine weitere Quelle, die insbesondere über das Schicksal der Dokumentation über die geheime SSForschungseinrichtung in Pilsen Aufschluss gibt. Es handelt sich dabei um einen Bericht von Direktor Wilhelm Voss selbst, der auch in Agostons Buch enthalten ist. Daraus geht hervor, dass der jüngste Treuhänder der großen Rüstungsgeheimnisse des Dritten Reichen (der u. a. Abteilungsleiter im Speer-Ministerium gewesen war) am 10. Mai 1945 mit seinem PKW nach Pilsen kam. Er bewegte sich inmitten der Zivilistenkolonnen auf einer schmalen Straße langsam vorwärts, wobei er die immer häufiger vorhandenen Bombentrichter umfuhr. Die meisten davon befanden sich in der Stadt bei den Werken selbst. Sie waren ein Andenken an die jüngsten Luftangriffe auf den Rüstungskomplex am 17. und 25. Mai. Seine Mission war sehr gefährlich, er konnte schließlich jeden Augeblick verhaftet werden. Deshalb versuchte er, den günstigsten Zeitpunkt für ihre Verwirklichung zu wählen und hatte sich zuvor samt Familie an einem Ort aufgehalten, der niemandem bekannt war, und zwar in einer Jägerhütte in der Nähe von Votice (Wotitz). Er hatte insofern eine freie Hand, als er am 27. Januar durch Göring formell von allen seinen Posten entbunden worden war (da er gegen die Ernennung irgendwelcher Schützlinge des Reichsmarschalls protestiert hatte). Dennoch war er den Beschäftigten bestens bekannt und sie mochten ihn. Er zählte darauf, dass sie ihm keine Schwierigkeiten bereiten und ihn auf das Werksgelände einlassen würden. So sagte er 1949:40 „Ich hatte die Hoffnung, die amerikanischen Offiziere in den Werken angesichts [ihrer] möglichen Übernahme durch die Rote Armee davon überzeugen zu können, dass die Rettung dessen, was sich von den fortschrittlichen, mit Forschungen in Zusammenhang stehenden Daten und Zeichnungen retten ließ, im höchsten Verteidigungsinteresse der Vereinigten Staaten lag. Wenn dieses Material in sowjetische Hände fallen würde, hätte die ganze dahinterstehende Technologie eine unbestreitbare Gefahr für die Sicherheit des Westens dargestellt.“ Voss wusste genau, wie die sowjetische Maschinerie vorging. In der

Anfangsphase des Krieges leitete er bis zum Sommer 1941 mehrmals Delegationen nach Moskau, die den damaligen Verbündeten den Weg zu einer Zusammenarbeit im Rüstungsbereich ebnen (oder vielleicht nur vortäuschen?) sollten. Damals hatte er die Gelegenheit, sich vom Professionalismus der Bediensteten Stalins und auch davon überzeugen, wie sehr die dortige Industriemaschinerie nach westlichen technischen Ideen gierte. Voss konnte bei seiner Eskapade im Mai 1945 seine Nervosität nicht verbergen. Die Spannung erreichte den Höhepunkt, als er an das Hauptwerkstor heranfuhr. Der Wachmann erkannte ihn sofort und hob die Schranke, ohne auf den danebensitzenden amerikanischen Soldaten zu achten. Voss bemerkte jedoch, dass er gleichzeitig zum Telefonhöher griff. Nach kurzer Zeit kam ein junger Tscheche, der mit der Aufgabe betraut worden war, den ehemaligen Direktor zu eskortieren. Während des ganzen Aufenthaltes auf dem Werksgelände wich er keinen Schritt von ihm. Sie begaben sich in Richtung des Direktionsgebäudes. Bei dieser Gelegenheit bemerkte Voss viele Soldaten aus Pattons Armee. Er nahm kein Gespräch mit ihnen auf, hatte jedoch nur noch einen Gedanken im Kopf: Wie sollte er sie von der Bedeutung des vom Kammler-Forschungsteam stammenden Materials überzeugen? Vorläufig wusste er allerdings nicht, wo es sich befand und ob seine Übernahme überhaupt möglich sein würde. Während des Gespräches mit dem tschechischen Direktionspersonal wurde sich Voss der ersten Hindernisse bewusst. Die Tschechen waren ausnahmslos loyal gegenüber der neuen tschechischen Leitung, obwohl sie vorläufig noch weit weg war. Es gab keine alten „Hasen“, zu denen er guten Kontakt gehabt hatte, und die neuen Direktionsvertreter blickten eher misstrauisch auf ihn. Voss’ Argumente waren unter diesen Umständen nicht besonders überzeugend. Er wusste, dass er zunächst in Erfahrung bringen musste, was mit den Dokumenten geschehen war, bevor er Kontakt mit den Offizieren der US Army aufnehmen konnte. Als er das Gebäude verließ, traf er einen der Konstrukteure, der im Kammler-Team gearbeitet hatte (obwohl Kammler die direkte Leitung über dieses Team erst direkt bei Kriegsende übernommen hatte). Er kannte diesen Mann sehr gut und konnte sich etwas später mit ihm unterhalten. Die weitere Beschreibung ist so interessant, dass es am besten sein wird,

wenn ich die „Feder“ Agoston selbst übergebe:40 „Voss erfuhr, dass seine ‚Kontaktperson’ samt zwei konspirativen Beamten der SS-Spionageabwehr bereits einen ähnlichen Plan erstellt hatten, die Forschungsdokumentation in die amerikanische Besatzungszone nach Deutschland zu bringen. Die wichtigsten ausgewählten Dokumente und Daten waren bereits in Kisten verpackt, die unter der Plane eines LKWs ruhten. Der LKW selbst stand am Verwaltungsgebäude geparkt. Die Ladung wurde mit Papieren versehen, die sie als ‚Personalakten und Auszahlungsbelege’ beschrieben. Voss hörte auch, dass manche der technischen Zeichnungen aus der Forschungsabteilung zu einer Zeit auf Mikrofilm aufgenommen worden waren, als die Niederlage bereits unabwendbar war; die Mikrofilme wurden dann von den tschechischen Mitgliedern der Geschäftsleitung mitgenommen. Dem Informanten war ihr genauer Verbleib vorläufig unbekannt. Er versuchte bereits mit zwei Helfern, das Werksgelände mit dem LKW zu verlassen, schließlich brachen sie jedoch die ‚Aktion’ ab, da sie zu dem Schluss kamen, dass sie zu dieser Zeit unmöglich durchgeführt werden konnte. Voss beschloss deshalb, den Stier bei den Hörnern zu fassen. Es war höchste Zeit, Kontakt mit dem zuständigen amerikanischen Offizier aufzunehmen. Da er jetzt über den Verbleib der Forschungsdokumentation im Bilde war, verfügte er über bessere Argumente. Der Offizier hörte Voss an, dann drehte er ohne viel Federlesens die Daumen nach unten. Die Anweisungen, die er bekommen hatte, besagten, dass alles der Roten Armee übergeben werden sollte, und alles bedeutete alles. Das war ihre Zone. Alles auf dem Skoda-Gelände sollte erhalten werden, und die Aufgabe des Offiziers bestand darin, genau dafür zu sorgen. Voss erklärte detailliert, wer er war und warum er sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um nach Pilsen zu gelangen. […] Als erfahrener Waffenhändler, der Hindernisse aufseiten des Militärs gewohnt war, war er auf dem richtigen Weg. Er konnte von der Weisung der Joint Chiefs of Staff Nr. 1067 vom 24. April 1945 nichts wissen. Sie verpflichtete das amerikanische Militärpersonal, ‚alle Dokumente,

Pläne, Notizen, wissenschaftliche Daten und Informationen, die deutschen Organisationen gehörten, welche an militärischen Forschungsarbeiten beteiligt waren’, vor Zerstörung und Übernahme zu schützen. Der amerikanische Offizier war unbeeindruckt. Er war nicht dazu bereit, Dienstvorschriften zu verletzen. Mit dem Nachrichtendienst hatte er nichts zu tun. Außerdem hatte vor wenigen Tagen ein amerikanisches Rüstungsteam die Werke inspiziert und zwei auf dem Testgelände gefundene Fernlenkgeschosse mitgenommen. Sicherlich hätten sie bereits ‚alles, was sie brauchten’ mitgenommen – hörte Voss vom Offizier. Voss versuchte es jedoch erneut. Er sagte dem Amerikaner, dass die Kisten Unterlagen über Forschungsarbeiten von großer Bedeutung für den Westen enthielten, an denen eine enge Elite von Wissenschaftlern und Konstrukteuren beteiligt gewesen war. Sie sollten so schnell wie möglich über die Grenze in die amerikanische Besatzungszone gebracht und dem nächsten Stab der amerikanischen Armee übergeben werden, bevor die Russen (die in der Gegend noch nirgends zu sehen waren) die Fabrik übernahmen. Voss drängte den Offizier, das Material nicht als Teil von Skodas Inventar zu betrachten, das Pattons Einheiten der Sowjetarmee übergeben sollten. Auf den Offizier machte das nicht den geringsten Eindruck. Von der geheimen SS-Forschungstätigkeit auf dem Werksgelände ‚wollte er nichts hören’. Es gehörte nicht zu seinen Aufgaben, sich darüber Sorgen zu machen. Der Krieg war bereits zu Ende. Er und seine Leute hofften auf eine schnelle Rückkehr nach Hause und hatten nicht vor, ihre Zeit für eine Inventaraufnahme oder das Verlagern von ‚irgendwelchen verdammten Kisten’ zu vergeuden.

General Richard Bissell – einer der Koordinatoren der amerikanischen nachrichtendienstlichen Aufklärung in Tschechien während der ersten Nachkriegsjahre. (Internet)

Voss erreichte überhaupt nichts. Als er vier Jahre später auf diese Ereignisse zu sprechen kam, war er immer noch über die damalige ausweglose Situation empört: ‚Das war eine unbeschreibliche Dummheit. Der Offizier war sich eigentlich darüber im Klaren, dass es sich um eine nachrichtendienstliche Angelegenheit handelte und die Prozedur von ihm verlangte, den nächsten nachrichtendienstlichen Stab zu benachrichtigen, um Anweisungen zu erhalten. Die Tatsache, dass er mich nicht einmal anhören wollte, war ein richtiger Schock. Ich hatte angenommen, dass ein amerikanischer Offizier mehr gesunden Menschenverstand als ein Offizier der Wehrmacht in einer vergleichbaren Situation hätte. Bedenken Sie jedoch, dass ich für ihn ein gewöhnlicher Deutscher war, wir hatten gerade den Krieg verloren und er musste mich nicht anhören oder mir irgendetwas glauben.’ Voss verbrachte die Nacht auf dem Werksgelände und war Zeuge, als der Betrieb zwei Tage später (am 12. Mai) der Sowjetarmee übergeben wurde. Am Morgen dieses Tages bemerkte er ein Stabsfahrzeug der britischen Armee, mit dem gerade eine Gruppe von Offizieren gekommen war. Ihm wurde mitgeteilt, dass es sich um eine britische Mission handelte, die zur Inspektion der Werkstätten und der Fabrik abdelegiert worden war. Voss fand jedoch schnell heraus, dass er keine Chance haben würde, Kontakt aufzunehmen. Genau zu diesem Zeitpunkt wurden im Rahmen der Übergabeprozedur die auf dem Gelände stehenden LKWs der Wehrmacht in mehrere verschiedene Gruppen aufgeteilt. Plötzlich bemerkte Voss seine ‚Kontaktperson’ [einen Deutschen aus Kammlers Gruppe], die mit zwei Kollegen langsamen Schrittes in Richtung des LKWs ging, auf dem sich die Kisten mit der Dokumentation befanden. Sie sahen ganz gewöhnlich aus; sie bestiegen das Führerhaus und fuhren langsam in Richtung des Parkplatzes der amerikanischen Armee los, wo Fahrzeuge standen, die nicht für die Übergabe vorgesehen waren. Ein wachsamer Soldat der US Army bemerkte jedoch das Ganze und gab mit seiner Hand ein Zeichen zum Umkehren.

Ein gleichfalls wachsamer Transportoffizier der Roten Armee wollte auch seine Chance nicht verpassen. Er gab dem Fahrer ein Zeichen, näher heranzufahren, dann ließ er alle drei aussteigen. Das Fahrzeug wurde entladen. Eine der Kisten war offen. Lediglich wenige Sekunden später marschierten diese drei Personen, die die Forschungsdokumentation für den Westen beinahe gerettet hätten, vor einer sowjetischen Maschinenpistole. […] Als Voss sah, dass die Werke der Sowjetarmee übergeben wurden und der Verlust der Forschungsgeheimnisse der SS, den er so sehr verhindern wollte, nicht mehr rückgängig zu machen war, kam er zu dem Schluss, dass es höchste Zeit war, die sich selbst auferlegte Mission aufzugeben und nach Hause zurückzukehren. Plötzlich – wie er sich später erinnerte – bemerkte er einige tschechische Mitglieder der ‚Kammler Gruppe’, als sie PKWs bestiegen, die in einer Reihe neben dem Verwaltungsgebäude geparkt waren. Er kannte sie alle, obwohl keiner von ihnen sich anmerken ließ, ihn erkannt zu haben. Wahrscheinlich waren das Leute, die die Spitze des SSForschungsteams repräsentierten, und sich dazu entschlossen hatten, in der sowjetischen Einflusszone zu bleiben.“ Die oben dargestellten Informationen müssen natürlich nicht die ganze Wahrheit über den alliierten Aspekt des Wettlaufs um die Errungenschaften deutscher Forschungsprogramme in dem für uns interessanten Bereich widerspiegeln. Während meiner Suche in den amerikanischen Archiven bin ich im sogenannten „Inventarverzeichnis“ auf Vermerke auf potentiell interessante Aktengruppen über das Dritte Reich gestoßen, die immer noch streng geheim sind. Es handelt sich dabei um persönliche Dokumente des Leiters des Generalstabes, darunter auch „Material, das dem Spezialvertrieb unterlag“.57, 58 Ähnlich sieht es bei den britischen Ressourcen aus. Dennoch scheint es unwahrscheinlich, dass die Amerikaner und Briten in der Tschechoslowakei bedeutende Mengen an Dokumentation über fortschrittliche Forschungsprojekte sichern konnten. Das trifft natürlich insbesondere auf die interessantesten und sowohl von den Deutschen als auch später von den Tschechen am besten bewachten Unterlagen zu: 1. Die Hinterlassenschaft des SS-Teams aus Pilsen. Gerade von ihr wissen wir, dass sie in sowjetische Hände geriet („sehr fortgeschrittene“ Arbeiten

an einem Antrieb für Flugobjekte, die auf Phänomenen aus dem Bereich der Atomphysik beruhten). 2. Die Hinterlassenschaft der Gruppe Heisenbergs aus der Gegend um Jáchymov (Atombombe), deren Schicksal vorläufig unbekannt ist. 3. Die Errungenschaften der Prager Einrichtung, die zur engen Weltelite im Bereich der „Stealth“-Technologie zählten – auch deren Schicksal ist vorläufig unbekannt. Die immer noch ungelösten Fragen stehen also eher mit den russischen Geheimdiensten in Verbindung. Einiges von dem, worauf sie sonst noch gestoßen sind, ist durchaus bekannt!

General Wiktor Abakumow – der Leiter von „SMERSCH“. (Sammlung des Autors)

Im Mai 2006, während meiner Recherche in den Regierungsarchiven in der Nähe von Washington, ist es mir gelungen, eine richtige „Rarität“ zu finden, und zwar Materialien des amerikanischen Militärgeheimdienstes aus den Nachkriegsjahren, die das Vorgehen der Russen in diesem Gebiet beschreiben!59 Noch vor kurzem waren sie streng geheim. Es handelt sich dabei zwar um kurze Informationen, sie kommen jedoch von den „höchsten“ und am besten informierten Quellen! Alle Dokumente stammen vom Büro des Militärattachés in der amerikanischen Botschaft in Prag – mit anderen Worten: der Residentur des amerikanischen Militärgeheimdienstes. Sie machen den Eindruck, als hätten die Amerikaner erst im Herbst 1945 begriffen, wie viele wichtige „wissenschaftliche Schätze“

sie im ehemaligen Protektorat übersehen hatten. Der Attaché General Richard Bissell hatte sehr gute Kontakte im tschechoslowakischen Generalstab. Dadurch erreichten ihn (zunächst spärliche) Informationen über Operationen, die von sowjetischen Geheimdiensten nach dem Erreichen dieser „übersehenen“ Orte unternommen wurden. Bissell versuchte deshalb jede Gelegenheit zu nutzen, um ausführlichere Daten zu bekommen. Am Rande gesagt galt Bissell als einer der herausragendsten Offiziere des amerikanischen Nachrichtendienstes, nach dem Krieg war er u. a. Stellvertreter des CIA-Direktors für Planungsangelegenheiten, plante die Landung in der Schweinebucht in Kuba und wurde mit dem Anschlag auf Kennedy in Verbindung gebracht. Von den mehreren von mir mitgebrachten Dokumenten ist das (chronologisch) erste wahrscheinlich am interessantesten – es stammt vom 15. September 1945. Im Text wird die Kodebezeichnung „CARNIVAL“ verwendet, die sich zweifellos auf die Russen bezieht. Deshalb habe ich sie bei der Übersetzung durch „sowjetisch“, „sowjetische“ u. Ä. ersetzt:59 „Absender: Botschaft der USA in Prag, Tschechoslowakei. Empfänger: Kriegsministerium. Nr. 18, 15.09.1945. TOP SEC Msg. Nr. 18 an Milid und Haupt-USFET – für Feldwebel Woldike. Kriegsminister Svoboda, General Boček und General Molotkov kamen am 14. nach Moskau, um Druck auszuüben, damit die sowjetischen Truppen gemäß der ursprünglichen Vereinbarung zurückgezogen werden als auch um die immer noch von den Russen verwirklichten Industrierequisitionen zu stoppen. Die Russen stellten zunächst Postulate an General Boček, dann zwangen sie ihn dazu, Forderungen in Zusammenhang mit der Übergabe aller deutschen Pläne, Modelle, Teile und Technologien für die Atombombe, neue Raketenwaffen, radarstörende Unterseeboote, Störfarben u. Ä. direkt zu erfüllen. [Die letzten zwei Posten beziehen sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf die „Stealth“-Technologie, bei den „neuen Raketenwaffen“ könnte es sich um Raketen handeln, das Wort „neue“ lässt allerdings auch den Verdacht aufkommen, dass es

sich um Arbeiten der SS in Pilsen handeln könnte]. Die Quelle behauptet, dass auf der jüngsten Außenministerkonferenz in London China, Russland und Frankreich erfolglos die Übermittlung der Geheimnisse über die Atombombe gefordert haben. Am nächsten Tag besetzte ein sowjetisches Infanteriebataillon samt technischen Truppen das Bergwerk und die Fabrik in Jáchymov (Achimuv) (St. Joachimsthal) – die einzigen Orte in Europa, die Uran produzieren – obwohl der russisch-tschechische Vertrag die Besetzung dieses Gebietes nicht umfasst. Die Russen haben seit dieser Zeit von den Tschechen die Verdreifachung der Fördergutmenge gefordert. Meine Quelle ist ein direkt beteiligter tschechischer Oberst im Generalstab mit der [höchsten] Glaubwürdigkeitsklassifizierung ‚A’ […].“

Jáchymov – einer der Stollen, aktuelles Foto. (Internet)

Ein interessantes Detail, das zum Nachdenken zwingt, ist die Erwähnung des samt Hilfstruppen nach Jáchymov geschickten Bataillons (das bis zu 500 Soldaten umfassen kann). Es handelt sich um verdächtig starke Kräfte. Das suggeriert eine großangelegte Erkundung dieser Region. Am Rande gesagt glaubte der Attaché wohl, dass es um Uran aus einem Bergwerk geht! In einer zweiten Meldung vom 19. September ist nicht nur vom „Interesse“ an deutschen Projekten die Rede, sondern auch von sehr wirksamen Maßnahmen:59 „Bei der Quelle handelt es sich um einen Offizier der tschechischen Gegenspionage: Kurz nach der Befreiung forderten die sowjetischen technischen Missionen deutsche Geheimwaffen und wurden

abgewimmelt. Anfang Juni kam eine zweite, viel stärkere Mission [bzw. mit „stärkeren Vollmachten“] und erhielt irgendwelche Teile, nachdem sie Druck ausgeübt hatte. Die dritte technische Mission kam direkt aus Moskau, mit der kategorischen Forderung, ihr alle Details zugänglich zu machen, woraufhin irgendwelche Pläne gezeigt wurden. Sie bekamen irgendwelche Teile, einen Teil der Geheimnisse behielten die Tschechen jedoch für sich. Kurz danach kam in derselben Angelegenheit auch ein technisches Team der Amerikaner. Nach anfänglichen Täuschungsversuchen, als ich schließlich Druck auszuüben begann und mich auf das Bündnis gegen Japan berief, wurde einem Gespräch mit einem gefangenen Wissenschaftler zugestimmt. Kurz nach dem großen Aufsehen, an dem die Russen beteiligt waren, befahl General Boček die Offiziere vors Kriegsgericht zu stellen, die den Amerikanern geholfen hatten (nach großer Aufregung machte er den Befehl wieder rückgängig, warnte aber seine Offiziere, aufgrund der Einstellung der Russen vorsichtig zu sein). Am 31. August kam direkt aus Moskau die dritte und wichtigste sowjetische Mission an, und übte einen solchen Druck aus, dass Boček befahl, ihr alles zu überreichen, und uns alles vorzuenthalten. Die Quelle besitzt eine komplette Liste aller tschechischen und deutschen Wissenschaftler. Sie wird uns diese Personen bei Bedarf zugänglich machen. Die UdSSR bietet ihnen [jeweils] zehn Millionen Kronen, ein ganz passables Haus in Moskau, Spezialverpflegung und Fahrzeuge – wenn sie sich dazu bereit erklären, dorthin auszureisen und für sie zu arbeiten. Ein Wissenschaftler verschwand auf diese Weise mitten in der Nacht samt Ehefrau. Es wurde beobachtet, wie ihre Sachen auf einen sowjetischen LKW geladen werden. Ein Mitglied der sowjetischen Mission versuchte die Quelle mit zehn Millionen Kronen zu bestechen, damit er ,mit ihm zusammenarbeitete‘. Der britische Militärattaché bekam eine anonyme Notiz, die von der Besetzung des Bergwerkes in Jáchymov sprach, sie enthielt jedoch im Vergleich zu den früheren Informationen keine neuen Details.“

Ein Plan der unterirdischen Einrichtungen in Jáchymov. (Sammlung des Autors)

Das dritte Dokument, das ich nicht mehr zitieren möchte, befasst sich mit der Zugänglichmachung der vorher erwähnten Listen von Wissenschaftlern. Dieses Material zeigt zum einen deutlich, dass die Russen sich erstens der größten, durch das Dritte Reich zurückgelassenen wissenschaftlichtechnischen Geheimnisse bewusst waren; zum anderen hatten sie eine so große Macht, dass sie in der Lage waren, die Übermittlung aller bekannten Materialien zu erzwingen. Die Entsendung einer Mission nach der anderen in kurzen Zeitabständen und die sehr starken finanziellen Anreize belegen eindeutig, welchen Vorrang diese Angelegenheit hatte. Man sieht auch, dass die Russen ausgezeichnet informiert waren – allein schon deshalb, weil sie sich auf die wirklich wichtigsten Sachen konzentrierten, d. h. auf die Technik zur Reduzierung der Radarsichtbarkeit und die Arbeiten an Kernwaffen. Dabei war nicht von Kerntechnik die Rede, sondern direkt von einer Bombe! Zusammen mit den Informationen über Pilsen lässt das die These glaubwürdig erscheinen, dass die russischen wissenschaftlich-technischen Dienste wahrscheinlich alle verfügbaren übrig gebliebenen Materialien und Informationen übernahmen, die in Zusammenhang mit Schlüsselkonzepten standen! Ähnlich sah es ja

auch im benachbarten Niederschlesien aus. Das von Rainer Karlsch gesammelte Material beweist, dass u. a. 36 Kernphysiker des Dritten Reiches und die Konzepte einer deutschen Atombombe mit einem zentral platzierten Deuteriumzünder (!) sowie eines Atomsprengkopfes für die V2-Rakete in die UdSSR gebracht wurden, der gegen Großbritannien eingesetzt werden sollte. Auch das bestätigt, dass die Russen wahrscheinlich alle wesentlichen Materialien in Zusammenhang mit diesem Aspekt deutscher Forschungsarbeiten und Produktionsvorbereitungen übernahmen.

Eine Luftaufnahme der Gegend um Jáchymov. (Sammlung des Autors)

Ich kann mich übrigens an ein Gespräch im Jahr 1997 oder 1998 mit dem bekannten Forscher Jerzy Rostkowski über das Vorhaben Riese im Eulengebirge erinnern. Damals teilte er mir völlig unbekannte und verblüffende Dinge mit: Er erwähnte u. a., dass die nachrichtendienstliche Aufklärung in diesem Fall von dem bekannten Physiker und Akademiker Lew Andrejewitsch Arzimowitsch koordiniert worden war. Dieser war, wie sich nach meiner Überprüfung herausstellte, ein weltbekannter Experte im Bereich der Kernfusionsforschung und Plasmaphysik. Darüber war ich erstaunt, weil ich noch nichts über den Zusammenhang zwischen der Region des Eulengebirges und diesem Forschungsgebiet wusste. Weder ich noch

andere hatten darüber irgendetwas geschrieben. Wenn also der sowjetische Nachrichtendienst einen solchen Mann verpflichtete, bedeutete das mit Sicherheit, dass er genau darüber Bescheid wusste, was dort trotz der außergewöhnlichen Geheimhaltungsstufe vor sich ging (das ist nur ein Beispiel am Rande). Das Ganze setzt sich zu einem etwas grausigen Bild einer unglaublichen Leistungsfähigkeit zusammen, insbesondere wenn wir das mit dem etwas infantilen Ansatz der alliierten Geheimdienste vergleichen, die bestimmte Fragenkomplexe überhaupt nicht verstanden und auf deren Aufklärung nicht vorbereitet waren (siehe „radarstörende Unterseeboote“). Es erhebt sich die Frage, wie solche Ergebnisse erreicht werden konnten. Weder Tschechien noch Niederschlesien waren natürlich Regionen, die unter dem Aspekt der Verwirklichung wertvoller Projekte für das ganze Dritte Reich repräsentativ gewesen wären. Üblicherweise sah es so aus, dass überall dort, wo „SMERSCH“ / MIF-Teams (militärische Gegenspionage) oder NKWD-Teams (Innenministerium) auftauchten, die Orte von allem Wertvollen beraubt waren und von den Wissenschaftlern nicht einmal eine Spur vorhanden war – alle flohen in den Westen. Es gab natürlich auch Ausnahmen: ein Konstruktionsbüro z. B., das die Dokumentation oder einen Prototypen nicht zerstört hatte, weil es auf ihn sehr stolz war; man schaffte es nicht, alles zu vernichten, oder eine irgendwo versteckte Dokumentation konnte aufgefunden werden – meistens im Verlauf von Verhören. In der Regel war es jedoch anders und die Russen befanden sich in einer ungleich schlechteren Lage als z. B. der technische Nachrichtendienst der Amerikaner, zu dem alle von sich aus kamen, insbesondere die wissenschaftliche Elite. Wie bereits erwähnt ist ein sowjetischer Dokumentarfilm erhalten geblieben, der nach dem Betreten des unterirdischen Mittelwerks („Dora“) gedreht wurde. Der Filmkommentar lässt eine authentische, fast schon kindliche Verbitterung erkennen – die Amerikaner hatten alles mitgenommen und nur verstreuten, völlig nutzlosen Schrott zurückgelassen! Aus diesem Grund waren die Russen (entgegen verbreiteter Meinung) bereit, den zur Mitarbeit willigen Experten viel mehr zu bieten als die Amerikaner, wobei sie eine viel bessere Orientierung in bestimmten Schlüsselbereichen hatten, insbesondere in solchen, die in Zusammenhang mit den Einrichtungen im Wirkungsbereich ihrer Truppen standen. Diese Umstände gaben sogar Anlass zu Spekulationen, dass auch Kammler

selbst sich mit den Russen verständigt haben könnte. Das ist jedoch nicht besonders wahrscheinlich für mich – sie hätten kaum Verwendung für ihn gehabt. Vor einiger Zeit lieh mir ein Bekannter eine auf VHS-Kassette aufgenommene Sendung der ARD über die wissenschaftlich-technische „Drainage“ der Sowjetunion aus. Ursula Gröttrup (Tochter des berühmten Flugzeugkonstrukteurs Helmut Gröttrup) stellte darin Folgendes fest: „Die Russen machten fantastische Angebote. Als zusätzlich die Amerikaner mit ihm Kontakt aufnahmen, als er noch im Harzgebirge war, waren sie an Vaters Einstellung interessiert, ob er ein Nazi war […], was eigentlich entsetzlich war. Danach schlugen sie ihm die Ausreise in die USA vor, aber ohne Familie – es gab diesen Punkt und nicht alles passte ihm, deshalb lehnte er ab. […] Er konnte also wählen, wohin er gehen wollte. Zu diesem Zeitpunkt waren die Russen die bequemeren ‚Geschäftspartner’. Sie machten ein gutes Angebot, das es ihm erlaubte, mit der Familie in Deutschland zu bleiben, und er sollte sehr viel Geld bekommen.“ Dann äußerte sich Boris Tschertok, ein sowjetischer Offizier: „Wir schafften für ihn außerordentliche Verhältnisse. Wir gaben ihm eine eigene Villa mit Dienstpersonal, stellten ihm ein deutsches Konstruktionsteam zur Verfügung und machten ihn zur wichtigsten Persönlichkeit. Wir nahmen ihm alle Sorgen ab – er sollte nur arbeiten.“ Dann kam wieder Ursula Gröttrup zu Wort: „Mein Vater hatte als sogenannter Leiter der Zentralwerke [in Bleicherode] freie Hand bei der Wahl seiner Mitarbeiter, die massenhaft kamen. Alle waren hungrig, es gab überall Hunger. Alle wollten arbeiten, alle waren leistungsfähige Mitarbeiter.“ Lloyd Wenzell und Wolf E. Samuel, zwei ehemalige Offiziere der amerikanischen Luftstreitkräfte (Wissenschaftler und Unterlagen wurden mit Flugzeugen in die USA gebracht), äußerten sich in derselben ARD-Sendung über den „großen internen Widerstand“ in Amerika, Vertreter der wissenschaftlichen „Nazielite“ ins Land zu bringen. Solche Proteststimmen gab es sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Kongress, u. a. auf Veranlassung jüdischer und linksgerichteter Kreise. Unabhängig davon

konnten deutsche Wissenschaftler (die immer noch Gefangenenstatus besaßen!) nach geltendem Recht nicht an Geheimprojekten teilnehmen! So sieht in groben Zügen der Unterschied zwischen Wahrheit und Mythen im Hinblick auf den Vergleich zwischen der amerikanischen und sowjetischen Drainage von Technik und wissenschaftlichen Konzepten aus. Nach gewisser Zeit änderten sich zwar die Umstände – die Wissenschaftler in den Vereinigten Staaten assimilierten sich mit dem dortigen Rüstungs- / Weltraumsektor. Diejenigen, die für die Russen arbeiteten, wurden im Herbst 1946 (samt Familien) in die UdSSR gebracht und in späteren Jahren nach und nach durch sowjetische Wissenschaftler ersetzt. Entscheidend waren jedoch die im Jahr 1945 verwirklichten Maßnahmen und der Kompetenzvorteil der sowjetischen Geheimdienste (paradoxerweise vor allem der Abschirmdienste) über den alliierten Pendants. Die Grundlage für den „Umzug“ war Stalins Befehl, alle wissenschaftlichen Teams im sicheren Landesinneren unterzubringen. Insgesamt betraf das über 5.000 Personen – die meisten Flugzeugexperten kamen nach Kuibyschew, die Raketenexperten nach Gorki in der Nähe von Moskau und die Kernphysiker und -techniker in die von der Welt vollkommen abgeschottete Stadt Agudzera in Abchasien. Hellmuth Banas (Banaś?), einer der deutschen Spezialisten für Düsentriebwerke, erinnert sich: „Alles war genauso wie in Deutschland vor der Abreise aufgestellt. Auf dem Tisch waren Schokolade und Kuchen, die auf ihm genauso wie am Tag der Abreise aus Deutschland lagen.“ Hier spielte es keine Rolle, ob einer der Wissenschaftler früher ein fanatischer Nationalsozialist gewesen war – trotz des ganzen ideologischen Wahnsinns der Stalinepoche. Einmal wurde die Tochter eines der Konstrukteure schwerkrank und brauchte eine Bluttransfusion. Der Vater lehnte es entschieden ab, dass seine Tochter sowjetisches Blut in den Adern haben sollte. Die Tochter starb, aber abgesehen von solchen spektakulären Fällen zog eine nationalsozialistische Vergangenheit keine wesentlichen Folgen nach sich. Etwas anderes ist die Frage nach dem tatsächlichen Nutzen, den die Russen aus den vorher erwähnten „interessantesten“ Konzepten ziehen konnten, die im Protektorat von Böhmen und Mähren und in Niederschlesien verwirklicht worden waren. Es ist schwer zu sagen, was mit den Errungenschaften des SS-

Teams aus Pilsen geschah. Ich besitze jedoch Informationen, die darauf hindeuten, dass diese Arbeiten nach gewisser Zeit auf dem Nebengleis landeten, gewisse „Splitter“ jedoch sogar noch in den 1990er Jahren zum Vorschein kamen. Das Thema ist allem Anschein zum Trotz nicht „gestorben“, worauf ich im nächsten Kapitel noch zurückkommen werde. Die Russen zogen jedoch fast keinen Nutzen aus der „Stealth“-Technologie (obwohl diese Richtung durch die Amerikaner eingeschlagen wurde). Darauf hatten einfach bestimmte Trends in der Luftfahrtentwicklung Einfluss, was sich aus sehr vielen Faktoren ergab. Das für die Deutschen wichtigste Anwendungsgebiet (der Schutz aufgetauchter U-Boote vor Entdeckung) war nicht mehr aktuell, als der Atomantrieb eine viel längere Aufenthaltsdauer unter Wasser ermöglichte. Aus ähnlich prosaischen Gründen wurden die deutschen Originaltrends bei der Konstruktion von Atomwaffen verworfen. Diese Richtung riss plötzlich kraft eines Verwaltungserlasses Stalins ab, der anordnete, die Forschungen abzubrechen und die amerikanischen Bomben zu kopieren.

Waffen des 21. Jahrhunderts? In diesem Kapitel möchte ich auf die Tätigkeit der Deutschen und der SS in Niederschlesien und im Eulengebirge zurückkommen, da sie mit den Themen in Zusammenhang steht, die in den letzten Kapiteln beschrieben wurden. Die in den vorangehenden Kapiteln vorgestellten Informationen zeigen, dass sich die SS in ihrer Tätigkeit auf das nahe gelegene Protektorat Böhmen und Mähren konzentrierte. Die Interessenbereiche entsprachen der Eigenheit dieses Gebietes und waren in gewisser Weise der Grund für die Existenz des „SS-Musterstaates“. Das betraf vor allem chemische Waffen und Trägersysteme für das Massenvernichtungsarsenal. In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch die Frage, warum sich die Deutschen nicht völlig auf Tschechien begrenzten. Warum wurden manche Elemente des sich abzeichnenden größeren Plans trotzdem in Niederschlesien angesiedelt? Das wissen wir nicht, wir können es uns jedoch, wie ich meine, relativ überzeugend erklären. Tschechien hatte den Vorteil, dass die für die Entwicklung neuer Waffen zuständigen SS-Dienste die dortige ausgebaute Industrie- und Forschungsstruktur kontrollierten. Trotz Speers Großspurigkeit

wurde während der ganzen Kriegszeit die Kontrolle der SS über viele Einrichtungen aus dem prosaischen Grund gewahrt, dass das Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion nicht einmal die Möglichkeit hatte festzustellen, was die einzelnen mit dem SSFührungshauptamt verbundenen Forschungseinrichtungen taten. Trotz dieser günstigen Umstände hatte das Protektorat jedoch gewisse Mängel, die man vermeiden konnte, indem man bestimmte Programmelemente auf der nördlichen Seite der Sudeten platzierte.

Auf die Spur der Einrichtung in der Nähe von Żagań (Sagan) kam 1947 der Leiter der sogenannten „Aktion zur Entwaffnung der Oderlinie“, es war jedoch nicht möglich, den unterirdischen Komplex zu erreichen, da er unter Wasser stand. (Sammlung des Autors)

Niederschlesien hatte den Hauptvorteil, dass es ausschließlich von deutscher Bevölkerung bewohnt war. Hier konnten sogar großangelegte Vorhaben verwirklicht werden. Im Protektorat wäre so etwas wahrscheinlich viel schwieriger und risikoreicher gewesen. Ein zusätzliches wichtiges Argument könnte die bessere Zugänglichkeit von Arbeitskräften gewesen sein, die das etwa 20 km nördlich von Wałbrzych (Waldenburg) hauptsächlich unter dem Aspekt der Errichtung von Rüstungseinrichtungen gebaute Konzentrationslager Groß-Rosen gewährleistete. Niederschlesien hatte auch eine besser entwickelte Verkehrsinfrastruktur. Vor allem jedoch war diese Region viel sicherer. Insgesamt betrachtet liefern die bisher bekannten und die in diesem Buch veröffentlichten Informationen ein relativ kohärentes Bild der

Vorbereitungen für die „entscheidende“ Kriegsphase, die aller Wahrscheinlichkeit nach der Begriff „Sonderkampf“ beschrieb (siehe Band II). Dieses Bild setzte sich aus den folgenden Elementen zusammen:

Die erste Seite des amerikanischen Berichts über unterirdische Einrichtungen des Dritten Reiches, sowie ein Auszug, in dem die heute unbekannte Einrichtung in der Nähe von Żagań (Sagan) erwähnt wird, die an der Produktion von Atomwaffen beteiligt war. (NARA)

1. Pilsen – das Hauptforschungszentrum der SS; es koordinierte die Arbeiten an einem neuen Antrieb, der auf Phänomenen aus dem Bereich der Kernphysik basierte.40, 41 2. Środa Śląska (Neumarkt in Schlesien) – wahrscheinlich ein SSHilfsforschungsteam (das zu den Wehrmachtslaboratorien „kooptiert“ wurde). Die Quelle war in diesem Fall „lediglich“ eine Person, die in vergangenen Jahren Materialien aus Verhören von Mitgliedern des Evakuierungskommandos analysierte [Name vorbehalten].

3. Eine Reihe von Einrichtungen, die direkt mit chemischen Waffen (dem „SS-Arsenal“) in Zusammenhang standen. Sie können in solche aufgeteilt werden, die an der Herstellung von Giftkampfstoffen selbst beteiligt waren (Brzeg Dolny / Dyhernfurth, Děčín / Tetschen-Bodenbach, Kolín, Pardubice / Pardubitz)27, 26, „Waffensysteme“ wie z. B. Sprengköpfe und Flugzeugstreugeräte (wieder Pilsen, Tannwald, Brünn, Čakovice)26 herstellten sowie sich mit der Produktion in Sekundärbereichen befassten – damit sind Gasmasken (Zámky)26 und tragbare Geräte (Zlín / Gottwaldov)26 gemeint. Die in dem Kapitel über die Vorbereitungen auf einen chemischen Krieg vorgestellten Materialien zeigen deutlich, wie umfassend dieser Rüstungsaspekt des Dritten Reiches war und in welch enger Verbindung er zur SS stand. Noch ein weiteres Detail zu diesem Punkt: Wenn dem in einem der vorhergehenden Kapitel abgedruckten Bericht von Keith Sanders über die „chemische“ Version der Feuerlilie Glauben geschenkt werden darf (für mich persönlich klingt er glaubwürdig), so müssen wir bedenken, dass die Arbeiten an diesem Geschoss, darunter auch die Produktionsvorbereitungen, bis zum Januar 1945 von den Ardelt-Werken in Wrocław (Breslau), also im selben Spezialgebiet verwirklicht wurden. 4. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Jägerstabs in Książ (Fürstenstein bei Waldenburg). Als Informationsquelle fungiert in diesem Fall Prof. Mołdawa, ein ehemaliger Häftling von Groß-Rosen, der in der Technischen Kanzlei (Entwurfskanzlei) des Konzentrationslagers arbeitete. Dadurch hatte er Zugang zu Informationen, die auf andere Weise unerreichbar waren (offiziell und inoffiziell: Er war immerhin Zeuge vieler Gespräche zwischen den Deutschen und hatte einen zwar „flüchtigen“, aber immerhin persönlichen Kontakt mit Kammler – 1944 bekam er sogar als Dank für ein mustergültig angefertigtes Messingtürschild eine Tafel Schokolade von ihm geschenkt). Mołdawa schrieb in seinem Buch über Groß-Rosen (und ergänzte diese Informationen durch spätere Aussagen, die von mir aufgenommen wurden) von einer Verbindung zwischen der Einrichtung in Książ und dem Riese-Komplex, die darauf beruhte, dass dort strategische Waffen hergestellt werden sollten, die (u. a.) in Książ selbst entwickelt worden waren. Sie sollten ein chemisches Arsenal transportieren, und die

Arbeiten wurden durch die SS unter Zusammenarbeit mit der Luftwaffe verwirklicht.31 Man könnte deshalb die Behauptung wagen, dass Pilsen zwar die führende Rolle als ein wissenschaftliches Zentrum spielte, in dem am Antrieb selbst geforscht wurde, Książ jedoch auf vergleichbare Weise ein Zentrum zur Koordination von Arbeiten an Waffensystemen darstellte (Trägersysteme an sich, ihre Tests u. Ä.). 5. Książ – das SS-Zentrum für Hochfrequenzforschung. Wie bereits angegeben, wurden dort verschiedene Arbeiten verwirklicht. Nicht alle sind jedoch bekannt (siehe Speers Bericht), es ist deshalb nicht auszuschließen, dass aufgrund des territorialen Kontextes dieses Zentrum irgendeine Rolle bei den hier beschriebenen Plänen spielte. Es hätte z. B. an Leit- oder Navigationssystemen arbeiten können. Eine Quelle stellen die Dokumente des Persönlichen Stabes des Reichsführers-SS dar.24 6. Szczawno Zdrój / Bad Salzbrunn („Grenzgebiet“ zwischen Wałbrzych / Waldenburg und Książ / Fürstenstein; de facto liegen sowohl Książ als auch Szczawno am Stadtrand von Wałbrzych). Auf dem Gelände eines der heutigen Sanatorien befand sich eine unterirdische „Weltraumeinrichtung“, die von Professor Hubertus Strughold geleitet wurde und formell dem Institut für Luftfahrtmedizin der Luftwaffe unterstand. Sie wurde bereits früher beschrieben (vor allem im zweiten Band); ihre Tätigkeit erfordert wohl keinen besonderen Kommentar. Die Informationsquelle ist Strughold selbst – es geht um das Interview, dass er Kąkolewski gab. Die in den Punkten 4 – 6 genannten Einrichtungen befanden sich fast an der gleichen Stelle, in einer Entfernung von etwa 2 km zueinander.

Zwei frappierende Auszüge aus dem in einem der vorhergehenden Kapitel ausführlich beschriebenen Bericht. Der eine betrifft Kernforschungsarbeiten, die in der Einrichtung in der Nähe von Jáchymov durch Heisenbergs Gruppe durchgeführt wurden, der andere ist hingegen der Rolle der BMW-Werke in München bei der Herstellung eines strategischen Trägersystems für chemische Waffen gewidmet, das für einen Angriff auf die Vereinigten Staaten verwendet werden sollte – beide Meldungen stellten bisher völlig unbekannte

Motive dar! (NARA)

Ein vom britischen Nachrichtendienst nach dem Krieg erstelltes Schema eines technologischen Prozesses zur Anreicherung von Thorium und anderen Stoffen – die Alliierten konnten sich das Ziel dieser Arbeiten nie erklären! (NARA / BIOS)

Es wäre schwer, dies als Zufall abzutun. 7. Die Versuchsbasis. Es kann mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass sich die Versuchsbasis in Niederschlesien (Książ / Fürstenstein – „Altburg“, Ludwikowice / Ludwigsdorf) in direkter Nähe

des Riesen befand. Die Quellen hierfür sind Prof. Mołdawa und ein ehemaliger Analytiker, der in Punkt 2 erwähnt wurde. Ich möchte noch den Bericht der Gefangenen Jadwiga Dębiec zitieren: 65 „In Ludwigsdorf gab es auch ein Konzentrationslager, von dem fast nichts bekannt war. Diese Menschen wurden in Kolonnen geführt und jede Kolonne war anders. Ihre Haut war farbig, eigentlich war ihr ganzer Körper mit Farben durchtränkt. Am besten kann ich mich an eine gelbe und blaue Kolonne erinnern [chemische Produktion?]. Diese wurden sehr streng bewacht und man merkte ihnen die Erschöpfung an – sie gingen nicht, sondern schleppten sich mühsam vor sich hin. Ich weiß, dass sie unter dem Elektrizitätswerk arbeiteten und unmenschlich behandelt wurden. Dort tauchten auch Gruppen von Juden auf, die angeblich nach einer gewissen Zeit liquidiert und durch andere ersetzt wurden.“ Es gibt Dokumente des Roten Kreuzes, die belegen, dass zwei Arbeitslager (Außenlager von Groß-Rosen) in Ludwikowice organisatorisch dem AL „Wüstegiersdorf“ (Głuszyca) unterstellt waren, d. h. mit dem Riesen in Zusammenhang standen.65 Aus Prof. Mołdawas Beschreibung, die in seinem Buch über Groß-Rosen abgedruckt wurde, geht im Übrigen hervor, dass das „Kommando Wüstegiersdorf“ der Luftwaffenforschungsabteilung in Książ unterstellt war, die an „neuen Luftwaffen arbeitete“, was eine entsprechende Verbindung auch im Falle von Ludwikowice suggeriert. 8. München (BMW) – laut nachrichtendienstlichen Quellen die einzige Einrichtung, die direkt an Arbeiten an strategischen Waffen zum Transport des chemischen Arsenals beteiligt war, das sich außerhalb der beschriebenen Region befand. Dieses Waffensystem sollte dazu dienen, einen Angriff auf die USA durchzuführen.26 In der in einem der vorhergehenden Kapitel zitierten nachrichtendienstlichen Meldung wurde eine „unbekannte Giftgasart“ erwähnt (phosphorsäureesterbasierte Stoffe waren den Alliierten unbekannt). 9. Produktion – Riese im Eulengebirge. Von seiner Rolle in diesem Programm zeugen Prof. Mołdawas Worte, darunter solche, die sich direkt auf die Forschungsabteilung in Książ beziehen31 (siehe Band II), der weiter unten vorgestellte Bericht von Dr. Jacek Wilczur von der

Hauptkommission für die Untersuchung der nationalsozialistischen Verbrechen (der auf Materialien des militärischen Abschirmdienstes und Zeugenberichten aus Deutschland beruht) sowie der Bericht von Jerzy Cera. Der Letztere „debütierte“ als einer der ersten Forscher des Komplexes im Eulengebirge. In seinem Buch hat er beschrieben, wie er als Leiter einer Gruppe von Offiziersanwärtern die Gesellschaft eines sowjetischen „Journalisten“ ertragen musste, der sich später als ein in Baiqongyr ausgebildeter Offizier entpuppte. Das war Anfang der 1970er Jahre.63 Mołdawa brachte dabei die geplante Produktion strategischer Waffen eindeutig mit dem chemischen Arsenal in Verbindung. Ich möchte einen Teil der Aussage Wilczurs zu diesem Thema zitieren:64 „Basierend auf den in den letzten Jahrzehnten durchgeführten Untersuchungen, Forschungen und Ermittlungen haben wir heute allen Grund zu behaupten, dass die Unterstellung, die Komplexe in der Gegend des Eulengebirges sollten als Hitlers künftiges Quartier dienen, eine Lüge ist. Wir schließen natürlich nicht aus, dass ein bestimmtes Segment oder Fragment des Baus für Hitlers Stab bestimmt war. Das alles konnte jedoch keine mehrere dutzend Kilometer unter der Erde umfassen. Ein solcher Unsinn erscheint nicht nur einem Fachmann für Militär- oder Festungsbauwesen, sondern auch einem Menschen ohne Spezialwissen als undurchsichtig. […] Nach unserem Wissen sollte das ein riesiger Rüstungskomplex werden, in dem die Herstellung von Waffen für Spezialzwecke geplant war, darunter auch Massenvernichtungswaffen. […] Die militärische Gegenspionage übte ungebührlichen Druck und Zwang auf einheimische Deutsche aus, die nach dem Krieg eine gewisse Zeit in der Gegend des ,Riesen‘ verblieben waren. Die auf diese Weise gewonnenen Informationen erlauben es, meine Meinung über den Bestimmungszweck der Einrichtungen im Eulengebirge aufrechtzuerhalten.“ 10.Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass im Rahmen der beschriebenen Pläne der SS und der Luftwaffe auch ein Kernwaffenarsenal in Form von Sprengköpfen oder Bomben eingesetzt werden sollte (wahrscheinlich erst in Zukunft, da die Produktion von chemischen Kampfmitteln bereits im

Industriemaßstab möglich war). Man sollte in diesem Kontext nicht vergessen, dass sich in dem hier beschriebenen Gebiet (zwei) große Einrichtungen befanden, die laut dem Nachrichtendienst sich nicht so sehr „mit Forschungsarbeiten an Atomwaffen befassten“, als sie vielmehr „bauten“ oder „produzierten“! Es geht natürlich um die bereits vorher beschriebene „Aussig“-Einrichtung in der Nähe von Jáchymov in Tschechien26 und um „Sagan“ (Żagań) in Niederschlesien.44 Es handelte sich, wie in vielen der hier beschriebenen Fälle, um eine geheime unterirdische Einrichtung. Zusätzlich taucht das Kernwaffenmotiv an einigen anderen Orten auf. Es geht um die in Band II beschriebene Stadt Kowary (Schmiedeberg) als auch Dr. Wilczurs Bericht über die militärische Infiltrierung eines Teils des Riesen Anfang der 1960er Jahre, in dem er das Aufspüren von Uranerzresten in den unterirdischen Gängen erwähnte.32 Dasselbe berichtete auch Anton Dalmus, der ehemalige Hauptenergetiker des Komplexes. Zusätzlich ist anzumerken, dass mein Informant den Zusammenhang zwischen den im letzten Teil des zweiten Bandes beschriebenen Arbeiten und Jáchymov erwähnte (siehe Band II). Zur selben Gruppe von Meldungen ist auch die Information über ein Schiff hinzuzurechnen, das Graphitblöcke auf der Oder transportierte. Es wurde am 17. August 1944 in der Nähe von Stettin durch einen Luftangriff versenkt. Vor kurzem wurden neue Details darüber veröffentlicht:76 Das Schiff trug den Namen Artushof; nach dem Krieg wurden u. a. 38 2,5 m lange und 60 cm breite Graphitstäbe aus seinem Laderaum geborgen. In diesem Fall springt die Ähnlichkeit mit der Bestellung aus dem Jahr 1941 ins Auge, als Siemens’ „Plania-Werke“ in Racibórz (Ratibor) 100 Blöcke mit den Abmessungen 3 m auf 60 cm hergestellt hatten (sie waren für den ersten Reaktor mit einem Graphitmoderator bestimmt, der aufgrund des verunreinigten Graphits nicht „funktionieren wollte“ – sein Standort ist übrigens bis heute unbekannt). Die Episode von 1944 mag mit dem Graphitreaktor in Gottow in Zusammenhang gestanden haben, wären die Blöcke in einem solchen Fall jedoch auf der Oder transportiert worden? Der Kernreaktor war im Übrigen kugelförmig, die Moderatorblöcke müssten also auch die entsprechende Form gehabt haben. Das könnte ein Hinweis auf die Existenz noch eines weiteren

Reaktors dieser Art sein, womöglich in Niederschlesien. 11.Železný Brod (Eisenbrod) – etwa 40 km südwestlich von Kowary (Schmiedeberg) in Tschechien. Vor Kriegsende wurde hier ein Führungsund Stabsgebäude errichtet, das in Zusammenhang mit der geplanten Verwendung von „gelenkten Langstreckenwaffen“ stand. Es unterstand der Luftwaffe.31 12.Książ – dieser Ort taucht in der vorliegenden Aufzählung bereits zum vierten Mal auf. Es ist fast sicher, dass sich hier Hitlers Hauptquartier (ein unterirdischer Gefechtsstand der Zentralebene) befand. Książ lag in der Luftlinie lediglich etwa ein Dutzend Kilometer vom Riesen entfernt und laut Aussage eines der Gefangenen wurde bereits eine unterirdische Verbindung gebaut, durch die eine Elektrobahn verkehren sollte. An diesen Vorbereitungen waren samt den Gefangenen weit mehr als 50.000 Menschen beteiligt, was sogar einen Vergleich mit dem amerikanischen „Manhattan-Projekt“ zulässt – in einer SS-Version, in „Zusammenarbeit“ mit der Luftwaffe (obwohl hier das Kernwaffenarsenal im Hintergrund war). Ob dieses Programm deshalb nicht verwirklicht wurde, weil es technologische Probleme in Zusammenhang mit Trägersystemen gab, die Errichtung der Industriebasis sich verspätete oder vielleicht weil jemand im Dritten Reich die unabwendbare Zunahme des Einflusses der SS zu sehr fürchtete (auch das ist nämlich nicht auszuschließen) – das werden wir wohl kaum mehr erfahren. Eine wichtige „Errungenschaft“ in diesem Zusammenhang ist für mich ein vorher unbekanntes Dokument über den Riesen. Um ganz genau zu sein: In der Sammlung des deutschen Bundesarchivs habe ich einige Dokumente gefunden, in denen dieser Deckname auftaucht, sie waren jedoch größtenteils bereits vorher bekannt und wurden auch in der Literatur erwähnt (das alles ist insofern wichtig, als es trotz des ungeheuren Ausmaßes des ganzen Projektes fast überhaupt keine Unterlagen zu diesem Thema gibt, jedenfalls ist das die vorherrschende Meinung). Ich möchte jedoch mit dem Wichtigsten beginnen. Die Bestände des Bundesarchivs sind unter dem Aspekt der im Text auftauchenden Schlüsselwörter grundsätzlich sehr gut katalogisiert und beschrieben, und diese Beschreibungen sind auch in elektronischer Form vorhanden. Deshalb könnte der Eindruck entstehen, dass Forscher bereits alles entdeckt haben, was es zu entdecken gab. Das hat sich jedoch als nicht

ganz richtig herausgestellt, denn das erwähnte Dokument war früher unbekannt – ich bin darauf eigentlich per Zufall gestoßen! Das Dokument ist auf den 12. Dezember 1944 datiert (Nachkriegssignatur: NS-19 / 3346) und wurde formell im SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (SS-WVHA) verfasst (das Motiv der SS ist bei diesem Vorhaben dominierend). Da es jedoch von Gruppenführer Kammler unterzeichnet wurde, scheint es wahrscheinlich, dass es in Wirklichkeit im sogenannten „Sonderstab“ entstand, der von Kammler im August 1943 auf der Basis ausgewählter WVHA-Abteilungen ins Leben gerufen worden war und mit dem SS-Führungshauptamt kooperierte (diese Frage hat jedoch in diesem Fall keine grundsätzliche Bedeutung und ich möchte sie hier überspringen, obwohl sie indirekt den Charakter dieser niederschlesischen Vorhaben aufzeigt, da im Allgemeinen die Organisation „Todt“ als der Hauptverwalter angesehen wird). Das Dokument ist an den Persönlichen Stab des Reichsführers-SS adressiert und stellt einen Bericht über die Durchführung eines früheren Hitler-Erlasses dar, der mit bestimmten Spezialbauvorhaben in Zusammenhang stand. Es wurde demnach persönlich für Himmler vorbereitet – die Angelegenheit muss also außerordentlich wichtig gewesen sein. Es war natürlich auch als geheim eingestuft. Das Dokument umfasst drei Themenbereiche: künftige SS-Gebäude, die nach dem Krieg in Berlin für Himmler gebaut werden sollten (das hat für uns keine direkte Bedeutung), das Konzept von SS-Musterstädten für die Nachkriegszeit (es besteht kein Zusammenhang mit Niederschlesien) und schließlich etwas viel interessanteres: die Absicht, die SS-Zentralämter aus Berlin in die tschechischen „Grenzgebiete“ zu verlegen! Grenzgebiete zu was? Das wurde zwar nicht definiert, wir wissen allerdings sicher, dass es z. B. nicht um Thüringen gehen konnte. Die Angelegenheit ist im Grunde genommen ein interessanter Beitrag, um die vorher signalisierte Frage der „sudetischen Festung“ zu klären. Noch interessanter ist, dass im selben Kontext der „geheime“ Deckname S-III zweimal genannt wird. Laut dem zwei Seiten starken „Decknamenverzeichnis deutscher unterirdischer Bauten…” umfasst die Bezeichnung S-III u. a. den Riesen, die Einrichtung Rüdiger in Wałbrzych (Waldenburg – Verbindungszentrale des Ganzen?) und eine im Verzeichnis nicht präzisierte Einrichtung in Książ (Fürstenstein) – wahrscheinlich Hitlers Quartier unter dem Schloss. Es ging also um etwas mehr als lediglich um den Riesen selbst – es handelte sich um ein viel

größeres Unterfangen. Es ist wohl am besten, sich mit dem Inhalt des entsprechenden Dokumentauszugs vertraut zu machen: „Der Reichsführer-SS befahl einen Entwurf für die Führungsgebäude [für] den Reichsführer-SS in Berlin. Die Vorarbeiten dazu können nach Feststellung des Raumbedarfes der Hauptämter in diesem Führungsgebäude […] alsbald beginnen, liegen z. Zt. aber noch still, da das Amt C-IV, das damit betraut ist, mit allen Kräften bei dem Sonderbauvorhaben ‚S-III’ eingesetzt wurde. Nach Beendigung dieses Bauvorhabens wird das Projekt alsbald wieder aufgenommen. Für die Dezentralisation der Hauptämter sind die Vorarbeiten soweit gediehen, dass die vorgesehenen Räume in Grenzgebieten von Böhmen und Mähren statistisch erkundet wurden. […] Auch hier ist beabsichtigt, nach Beendigung der Arbeiten für ‚S-III’ einen tüchtigen, organisatorischen, fachmännischen Planer mit der Aufgabe zu betrauen. […]” Der letzte Satz deutet eindeutig darauf hin, dass die SS-Zentralämter nicht, wie manche meinen, direkt in den Riesen verlegt werden sollten, da geplant war, diese Arbeiten erst nach Abschluss von S-III (also nach Fertigstellung des Riesen, der im Übrigen nicht im Grenzbereich zu Tschechien liegt) zu verwirklichen. Der wichtigste Schluss, der sich aus der Lektüre dieses Dokumentes ergibt, ist jedoch ein anderer: Es scheint, als wäre S-III das Hauptprojekt des SS-WVHA (und daher auch der SS) zu dieser Zeit gewesen, seine Verwirklichung blockierte andere Projekte, und das Ziel dieses Amtes (und Kammlers) war es ja nicht, Hitler-Quartiere zu bauen, sondern große Rüstungsvorhaben zu verwirklichen. Kammler war, wie wir wissen, nur für einen bestimmten Spezialrüstungsabschnitt verantwortlich, und zwar für neue Luftwaffen und spezielle Langstreckenwaffen. Eine Bemerkung am Rande: Das Schema des zu realisierenden Vorhabens erinnert auf gewisse Weise an das japanische Programm für Massenvernichtungswaffen – als wenn die Deutschen nach demselben Muster vorgegangen wären. Auch dort handelten verschiedene Teams und Zentren völlig unabhängig, manchmal wussten sie nicht einmal voneinander. Deshalb haben sich die Forscher z. B. lange Zeit ausschließlich auf der Tätigkeit des Tokioter RIKEN-Instituts konzentriert, das sich mit der Isotopentrennung beschäftigt hatte, wodurch ihnen das Hauptelement

entging: Das, was für das Dritte Reich Niederschlesien und die Sudeten waren (also eine sichere Gebirgsbasis mit Infrastruktur), das war für Japan Korea, insbesondere der bergige Norden. Dort entstanden vergleichbare unterirdische Komplexe, dort nutzte man auch den „Segen“ fast unbegrenzter kostenloser Arbeitskraft (Kriegsgefangene, koreanische Dorfbewohner, aber auch japanische Kinder). Auch diese Region zeichnete sich durch eine starke Industriekonzentration aus. Dort entstand ein riesiger Komplex, der mit den lateinischen (!) Buchstaben NZ bezeichnet wurde, wo unter der Leitung des künftigen Nobelpreisträgers Yukawa Hideki im Innern des Berges ein Kernwaffenproduktionsprogramm verwirklicht wurde, von dem die Amerikaner überhaupt nichts wussten. Dieses Programm wurde im Auftrag der japanischen Kriegsmarine durchgeführt. Auch die Ausstattung des NZKomplexes wurde nach dem Krieg durch die Russen weggeschafft. Einer ähnlichen „Segmentierung“ unterlagen die Programme für chemische und biologische Waffen [Quelle: R. Wilcox – „Japan’s secret war“]. Man könnte natürlich Überlegungen anstellen, warum dieses tschechischniederschlesische „Puzzle“ immer noch unvollständig ist, warum über 60 Jahre notwendig waren, um bestimmte Zusammenhänge zu bemerken, warum es fast keine Originaldokumente über Vorhaben gibt, die den „Krieg entscheiden“ sollten. Wir müssen uns jedoch der Tatsache bewusst sein, dass im Falle solch geheimer Projekte normalerweise keine besonders lesbaren Spuren hinterlassen wurden. Schließlich kennen wir nicht einmal die Personalien der für die SS in Pilsen arbeitenden Personen, es gibt keine Dokumentation des „Technischen Amtes“ von Otto Schwab – von der FEPStelle ganz zu schweigen! Dieses Phänomen wird u. a. im Buch von Karlsch beschrieben, das der Kernforschung gewidmet ist:37 „Was den hohen Grad der Geheimhaltung durch die Deutschen selbst angeht, so war dazu bereits im Januar 1940 ein grundsätzlicher Befehl Hitlers erlassen worden. Je mehr sich die Kriegslage verschlechterte, desto misstrauischer wurde er. Sein Pilot Hans Baur berichtete, dass Hitler den Verdacht hegte, in seinem engeren Umfeld befinde sich ein Spion. ‚Ende 1944 herrschte im Führerhauptquartier eine Atmosphäre der gegenseitigen Verdächtigung.’ Besonders brisante Gespräche pflegte Hitler unter vier Augen zu führen. Dies galt auch für die Atomforschung. […] In größerer Runde wurde nur sehr allgemein über

die ‚Wunderwaffen’ gesprochen. Nahm das Gespräch doch einmal eine konkrete Wendung, durfte es nicht mehr protokolliert werden. Auch die für die kernphysikalische Forschung Verantwortlichen haben entscheidende Gespräche nur unter vier Augen geführt und sensible Termine nicht in ihren Dienstkalendern festgehalten. Dies sei am Beispiel Walther Gerlachs […] kurz erläutert. Seine Sekretärin, Giesela Guderian, führte einen akkuraten Terminkalender und tippte seine gesamte Korrespondenz. Sobald ein Gast zu Gerlach kam, der über die neusten Forschungsergebnisse Bericht erstattete, wurde sie jedoch aus dem Raum geschickt. Besonders wichtige Treffen durften nicht im Terminkalender eingetragen werden. […] Kurz vor Kriegsende wurden viele Geheimunterlagen mehr oder weniger systematisch vernichtet. Besonders groß sind die Lücken in den Akten der Forschungsstellen der Marine, der Luftwaffe, der SS und der Reichspost.“ Es ist niemals möglich, alle Spuren zu verwischen oder das Durchsickern von Informationen mit hundertprozentiger Wirksamkeit zu verhindern (daher die in diesem Buch vorgestellten nachrichtendienstlichen Berichte); in der gegenwärtigen Lage kann man jedoch nicht mehr viel tun, um das Bild zu vervollständigen – es sei denn, es gelänge, in Russland an die Ergebnisse der durch „SMERSCH“ („MIF“) durchgeführten Aufklärung heranzukommen. Bestimmte Elemente dieses Bildes wurden bereits im letzten Teil des zweiten Bandes besprochen. Ich möchte noch ein weiteres Beispiel einer bis heute geheimnisvollen Episode anführen, die einen Teil eines Projektes darstellt, das überhaupt nicht zu den bekannten Mustern passt, eigentlich nur als Exempel, dass wir in bestimmten Fällen nur Informationsfetzen kennen. Auch dieser Auszug wurde dem Buch von Karlsch entnommen:37 „Lindemayers Gruppe befasste sich mit der Materialprüfung von Raketenteilen. Außerdem erhielten die Techniker einen Spezialauftrag. Sie prüften die Stabilität von Aluminiumkugeln verschiedener Größen. Bereits in Anklam hatten diese Experimente begonnen, wie sich Ingeborg Brandt erinnerte, die 16-jährig zur Büroarbeit bei der Lindemayer-Gruppe dienstverpflichtet wurde: ‚Vor unserer Halle war so eine Art Terrasse. Man nannte dies Prüfstand. Dort stand so eine Kugel […]. Ich selbst schätze sie auf einen Durchmesser von 1,80 m’

Die Beschreibung von Irene König ist präziser. Sie arbeitete als Fernschreiberin in Anklam und hat die Kugelexperimente mehrmals gesehen: ‚Da wurden zwei Aluminiumkugeln ineinander gesetzt, eine große und eine kleine, und die dampften. Zuerst dachte ich, die kochen darin Wasser. Aber ich habe mich natürlich nicht getraut zu fragen, das war ja alles so geheim. Wir wurden dann nach dem Bombenangriff nach Friedland verlagert. Lindemayer ging nach Nordhausen [vielleicht stand das mit den vorher beschriebenen „seltsamen“ Arbeiten im „Mittelwerk“ in Verbindung?], und Johann Grüner übernahm die Leitung der Gruppe. In Friedland wurden die Kugeln in einem großen Kessel mit hoher Geschwindigkeit gedreht. Manchmal war ein gewaltiges Getöse und Donnern zu hören. Die Ingenieure erzählten uns dann, dass sie Versuche mit Druckminderern durchführen.’ Anzumerken ist hier, dass es derartige große Aluminiumkugeln in den bekannten Raketenkonstruktionen nicht gab. Der beobachtete Dampf könnte Trockeneisdampf gewesen sein, der zur Kühlung eines unbekannten Materials in der Kugel eingesetzt wurde.“ Diese Beschreibungen könnte man mit einer gewissen, genauso ungewöhnlichen (jedoch vielleicht etwas verzerrten) Meldung des Nachrichtendienstes der polnischen Heimatarmee vom Januar 1944 in Zusammenhang bringen:16 „Information vom Januar von einem deutschen Feldwebel. Die Deutschen haben bereits 6 Millionen ‚Leuchtkugeln’ vorbereitet, die weiter hergestellt werden. Es soll sich um eine ätzend-brennende Flüssigkeit handeln, die alles zerstört und mittels aller Geschossarten verstreut wird.“ Die am Anfang des Kapitels zusammengefassten Informationen über das Rüstungsprogramm der SS rufen erneut die Frage der vermeintlichen „sudetischen Festung“ hervor. Diese Vermutung ist insofern berechtigt, als in einer einzigen Region quasi ein Konglomerat einer riesigen wirtschaftlichen Basis entstand, die mit neuen Waffen (die den Kriegsverlauf ändern sollten) in Zusammenhang stand, samt Gefechtsständen auf höchster Ebene, sogar mit einem neuen Hauptquartier für Hitler. Das bestätigt zusätzlich das bereits erwähnte Dokument über Kammlers Pläne, die SS-Zentralinstitutionen nach

Tschechien zu verlegen. In diesem Fall war dieses „Bollwerk“ mit Sicherheit realer als die mythische Alpenfestung. Dieser letzten Frage hat Tom Agoston in seinem Buch etwas Platz gewidmet.40 Deshalb möchte ich Auszüge seiner interessanten Beschreibung zitieren, da sie es erlaubt, die realen Vorhaben in Niederschlesien und im Protektorat mit dem „Alpenmythos“ zu konfrontieren, der aller Wahrscheinlichkeit nach die Aufmerksamkeit der Alliierten von dem, das tatsächlich vorbereitet wurde, ablenken sollte. „Das, was den alliierten Befehlshabern am meisten Kummer bereitete, war der plötzliche Zustrom amerikanischer Geheimdienstmeldungen des Amtes für strategische Dienste (Office of Strategic Services – OSS, des Vorgängers des Zentralen Nachrichtendienstes CIA). Darin wurde gemeldet, dass die Deutschen eine ‚bewaffnete nationale Verteidigungsfestung in den Alpen’ in ‚Süddeutschland und Nordösterreich’ vorbereiteten, um den nationalsozialistischen Befehlshabern ‚die Fortsetzung des Kampfes’ zu ermöglichen. Laut den Berichten des OSS sollte die ‚Festung’ mittels ‚allerneuster technischer Geheimwaffen und Elitetruppen’ verteidigt werden, die ‚ausgebildet wurden, um einen Aufstand zu organisieren und Deutschland von den Besatzungsmächten zu befreien’. Die ‚Festung’ sollte über ein funktionierendes Führungszentrum in der Nähe von Salzkammergut in Österreich und den höchsten Gefechtsstand in Obersalzberg bei Berchtesgaden verfügen [genau deshalb wurde er in den letzten Kriegstagen bombardiert!]. Die ‚Nationalfestung’ hat in Wirklichkeit nie existiert. Sie stellte sich als ein einziger Propagandamythos heraus. Die Alliierten nahmen jedoch die OSS-Meldungen wörtlich. Die fehlerhafte Einschätzung der Lage führte nicht nur dazu, dass das Hauptziel während der Landung in der Normandie verfehlt wurde, sondern verursachte auch eine Schattenjagd in einer kritischen Phase der Begegnung zwischen Ost und West in Europa. Schließlich trug sie zu einer grundsätzlichen Änderung der Lage in Europa bei. Heute […] verrät die Aufzeichnung der Ereignisse vom April 1945 ein alarmierendes Niveau an politischer Naivität. An solchen Einfaltspinseln fehlte es auf beiden Seiten des Atlantiks nicht.

Ab März [1945] spielten die OSS-Meldungen bereits eine solche Rolle, dass sie das taktische Denken der Alliierten zu beeinflussen begannen. Bis Frühjahr 1945 verbreitete sich das Mythos um die ‚Nationalfestung’ blitzschnell in den militärischen Kreisen, trotz der Einwände des britischen und amerikanischen [militärischen] Nachrichtendienstes. […]

Die Überbleibsel der unterirdischen Forschungseinrichtung von Professor Strughold in Szczawno Zdrój (Bad Salzbrunn) am Stadtrand von Wałbrzych / Waldenburg (im Randgebiet von Książ / Fürstenstein), wo sich laut den von Strughold selbst in einem Interview gegebenen Informationen ein „Weltraumflugsimulator“ befand – keine Tiefdruckkammer, da „Vibrationen“ zu spüren waren, die die „Steuerung erschwerten“ (also auch keine Rakete, da bemannte Raketen eher nicht unter der Erde getestet werden). Das ist ein Motiv, das ein wichtiges Licht auf die in dieser Region verwirklichten Vorhaben wirft, gleichzeitig aber auch zeigt, dass Weltraumambitionen allem Anschein zum Trotz keine ausschließliche Domäne von Peenemünde waren – die Einrichtung war der SS unterstellt, und wir wissen, dass auch die SS ihre eigenen Ambitionen auf diesem Gebiet verwirklichte. Die Fotos wurden von Jerzy Rostkowski gemacht, der als erster diesen Ort erreicht hatte, und bei dem ich mich bei dieser Gelegenheit für die Aufnahmen bedanken möchte. Der Autor behauptet zwar, dass alle Räume, die zu sehen sind, sich in Bunkern, Bunkerkellern und oberirdischen Gebäuden befinden, konnte jedoch gleichzeitig ermitteln, dass die Häftlinge diesen Ort mittels eines Tunnels vom ein paar Kilometer weiter liegenden Biały Kamień (Weißstein) aus erreichten. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass es außer den Bunkern noch „etwas anderes“ gab, umso mehr, als Strughold direkt von einer unterirdischen Kammer sprach. Bald soll J. Rostkowskis Buch über die Geschichte dieser Einrichtung erscheinen!

Es gibt keine Beweise dafür, dass die alliierten Befehlshaber irgendwelche Schritte unternahmen, um die Glaubwürdigkeit der ersten OSS-Meldungen trotz ihrer schwerwiegenden Implikationen zu verifizieren. Die frühesten und ersten OSS-Prognosen, in denen der Begriff ‚Festung’ auftauchte, wurden durch die OSS-Analyseabteilung am 29. Dezember 1944 veröffentlicht. In einem Geheimbericht überwog die Erwartung, dass ‚die Deutschen nach dem Ende der Kämpfe wahrscheinlich Festungen (sic!) errichten werden’. Und weiter: ‚Das Herzstück dieser Pläne wird wahrscheinlich eine Festung, ein

fortifizierter, frühzeitig vorbereiteter Widerstandspunkt in den Bergen bilden. Er wird durch starke Partisanengarnisonen verteidigt sein, die als Basis für Überlebende von Partisanentruppen dienen werden. Von einer solchen Basis aus werden die Nazis wahrscheinlich wesentlich länger Widerstand leisten können. […] Es wäre unvernünftig, die Möglichkeit auszuschließen, dass die Festung als Basis zur Entfesselung eines letzten spektakulären Kampfes dienen könnte. Sie könnte durch bestimmte Parteiführer kommandiert werden, die wahrscheinlich zu bekannt wären, um im Untergrund zu verschwinden.’

Am 15. August 2007 führte eine Gruppe, die sich aus Piotr Kałuża, Łukasz Kazek, Michał Szkudlarz und dem Verfasser dieses Buches zusammensetzte, Voruntersuchungen eines vorher unzugänglichen Tunnelabschnittes in Jugowice (Hausdorf) durch, der Teil des Riesen war. Es wurden erste Erkundungen vorgenommen – es handelt sich wohl um einen ersten solchen Fall in den letzten Jahrzehnten, dass es gelungen ist, zu einem früher unbekannten Teil vorzudringen. (Foto: I. Witkowski)

Die Ereignisse, die danach folgten, zeigten, dass hinter der ‚Festung’ nicht mehr als hinter allen anderen routinemäßigen Desinformationsmaßnahmen der Wehrmacht steckte. Sie beruhten darauf, unentwegt Gerüchte über die baldige Ankunft nichtexistenter Verstärkung und über fiktive Gefechtsstände zu verstreuen; sogar aufblasbare Gummipanzer wurden im Feld aufgestellt, um die alliierten Analysten für Luftaufnahmen in die Irre zu führen. Ein solches Gerücht hätte von der OSS sofort analysiert und verworfen werden müssen, anstatt es mehrere Monate lang zu verbreiten und dadurch die militärische und politische Strategie zu beeinflussen, was der Sowjetunion zum Vorteil gereichen sollte.

Weitere Bilder zum „Problem von Włodarz“, wo der Tunnel liegen soll. Über der erwähnten Stelle befindet sich das hier gezeigte Pumpwerk. (Foto: I. Witkowski)

[Erst als] Eisenhower den Befehl gab, die ‚Festung’ zu besetzen, bevor

sie die Nazis zur Verteidigung hätten vorbereiten könnten, entdeckten die alliierten Truppen, dass sie nur eine Schimäre war. Sie bestand ausschließlich aus isolierten und unverwirklichten Vorschlägen, die Hitler von Fanatikern aus Bayern vorgelegt worden waren. Die ‚Festung’ sollte sich schließlich als ein realistisches Kriegsspiel entpuppen, das nach einer entsprechenden Aufarbeitung durch die Desinformationsspezialisten von Reichsminister Goebbels konkrete Formen annahm. Goebbels ließ schließlich diese Informationen in Berlin an die Berichterstatter der neutralen Länder durchsickern. Sie schlugen so tiefe Wurzeln beim Oberkommando der Alliierten, dass den beim Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (SHAEF) akkreditierten Berichterstattern (also auch mir) sogar eine alliierte Landkarte gezeigt wurde, die die Verteilung der deutschen Kräfte im Gebiet der ‚Festung’ dokumentieren sollte. Bradley, der spätere Leiter der amerikanischen Joint Chiefs of Staff, musste kurz nach dem Krieg Folgendes zugeben: ‚[…] erst nach Beendigung der Offensive erfuhren wir, dass diese Festung hauptsächlich in der Vorstellung einiger fanatischer Nazis existiert hatte. Die Idee wurde dermaßen aufgeblasen, dass ich überrascht bin, wie wir so arglos daran glauben konnten. Zur damaligen Zeit stellte jedoch diese Legende eine zu große Gefahr dar, um vernachlässigt werden zu können. In der Folge formte sie unser taktisches Denken in den letzten Kriegswochen’.“ Mit einem solchen Nachrichtendienst und solchen Entscheidungsmechanismen, wie sie „der Fall Alpenfestung“ offenbart, hatten die Alliierten im technisch-nachrichtendienstlichen Wettlauf mit den Russen keine Chance – in einem Gebiet, in dem die wertvollsten Rüstungsprojekte des Dritten Reiches konzentriert waren. Mehr noch: Sie hatten auch geringe Chancen, Schlüsselziele in Tschechien und Niederschlesien entsprechend zu erkennen, insbesondere bei zwei oder drei Gegenspionageringen. Andererseits, wenn diese „naiven“ Analytiker wussten, welche Überraschung ihnen die Deutschen tatsächlich vorbereiteten. Für die Deutschen bot die bestehende Situation noch während des Krieges konkrete Vorteile – es geht darum, dass die Alliierten ganze große Kriegsoperationen auf „Informationen“ stützten, die keine Entsprechung in

der Wirklichkeit hatten. Genau aus diesem Grund wurden die mit dem „SSPlan“ in Zusammenhang stehenden Forschungseinrichtungen und Produktionsanlagen nicht bombardiert (mit Ausnahme von Pilsen, was eventuell den Grund hatte, dass sich diese Stadt „zufällig“ auf dem Gelände von Skoda befand). Die Deutschen hatten dort also tatsächlich bis in die letzten Kriegswochen hinein völlige Handlungsfreiheit!

Von der Rolle des beschriebenen Ortes in der Nähe von Włodarz zeugen die intensiven Arbeitsspuren (die einen größeren Arbeitsumfang als unter dem bekannten Komplex Włodarz suggerieren) – u. a. eine riesige Rutsche für Gestein samt den Fundamenten für einen Steinbrecher. (Foto: I. Witkowski)

Eine Frage im Hinblick auf diese Periode konnte bisher noch niemand vernünftig klären. Es geht um die Quecksilbertransporte nach Japan, die bereits in Band II beschrieben wurden. Ich habe darin Fälle in Zusammenhang mit einigen Unterseebooten beschrieben, obwohl hierbei deutlich gesagt werden muss, dass wir aufgrund der Geheimhaltung im Grunde genommen nur über die wenigen U-Boote etwas wissen, deren Ladung auf die eine oder andere Weise zufällig entdeckt worden war (das U234, das U-859 und das U-530 in Verbindung mit den japanischen I-52 und UIT-25). Die Welt hat später von diesen Fällen nur deshalb etwas erfahren, da die erwähnten Schiffe versenkt worden waren und später deren Laderäume untersucht werden konnten, bzw. – wie beim U-234 – das Schiff den Amerikanern übergeben wurde. Obwohl wir über die meisten Fahrten nichts wissen, sind die verfügbaren Daten ausreichend, um von einem

Massenphänomen sprechen zu können. Es scheint sich um ein typisch industrielles Ausmaß gehandelt zu haben! Ich schreibe darüber, weil diese Episode offensichtlich wichtig ist und mit den Forschungen Heisenbergs in Jáchymov (St. Joachimsthal) oder (und?) mit den Arbeiten an der Glocke zusammenhängen könnte, die im vorigen Band beschrieben worden sind. Diese faszinierenden Daten konnten zuletzt um einen weiteren Fall ergänzt werden. Kürzlich – am 10. Januar 2007 – erschien in der renommierten Tageszeitung International Herald Tribune ein Artikel, der das Auffinden des U-864 beschreibt, eines weiteren Schiffes, das am 9. Februar 1945 direkt an der norwegischen Küste versenkt worden war.

Auf dem riesigen Areal befinden sich auch zahlreiche versteinerte Zementsäcke – Zement

konnte jedoch nicht lange offen gelagert werden, hier musste ein zum Ausbetonieren bereiter Rauminhalt vorhanden gewesen sein – was man nicht vom bekannten „Włodarz“ sagen kann, da die Stollen größtenteils noch nicht einmal den erforderlichen Querschnitt haben. (Foto: I. Witkowski)

In diesem Fall bestand die ganze U-Bootladung aus Quecksilber, was die unsinnige Theorie ausschließt, nach der dieses gefährliche Material als Ballast fungierte – das Dritte Reich hatte Wichtigeres zu tun, als Ballast nach Japan zu transportieren! Hier ein Auszug aus dem Artikel:66 „‚Ich wusste, dass es ein U-Boot war’, sagte Karlsen, ein 73-jähriger Hafenpilot im Ruhestand, und zeigte vor dem Hintergrund der grauen Weite der Nordsee auf die Stelle, an der es am 9. Februar 1945 zu einer Explosion gekommen war. An diesem Tag hielt er sich, wie er während des Interviews behauptete, mit seiner Großmutter auf der Insel auf, wo er Torf gesammelt hatte. Die Insel war damals, wie auch das restliche Norwegen, unter deutscher Besatzung. ‚Es war eine große Explosion, aber gleich danach war alles still und ich konnte überhaupt nichts sehen’, sagte er, ‚in der deutschen Garnison war jedoch die Hölle los.’ Das ist keine Überraschung. Die Wassersäule samt den Wrackteilen, die sich 60 m über der Wasseroberfläche emporhob, war das Ergebnis der Explosion eines Torpedos, der von dem patrouillierenden britischen Unterseeboot ‚Venturer’ abgeschossen worden war. Er traf das Mittelschiff des deutschen Unterseebootes U-864, ganz am Anfang seiner geheimen Fahrt nach Japan. Als das in zwei Teile zerbrochene deutsche Schiff langsam auf den 120 m tiefen Meeresgrund sank, riss es nicht nur 73 Besatzungsmitglieder in die Tiefe, sondern auch 65 t Quecksilber für die japanische Munitionsindustrie, was nach manchen historischen Berichten mit der Entwicklung eines neuen deutschen Düsenantriebs in Zusammenhang stand [das ist wahrscheinlich ein verzerrtes Echo der englischen Ausgabe der „Wahrheit über die Wunderwaffe“; Knallquecksilber wurde nicht im Zweiten Weltkrieg bei der Munitionsherstellung verwendet!]. Diese Technik sollte den ,Achsenmächten‘ einen Vorteil in der letzten Kriegsphase sichern. Viel später gab es Gerüchte – die nicht bewiesen werden konnten – dass das Schiff Nazigold und sogar

Hitlers letzten Willen und sein Testament transportiert hatte. […] Die lange Saga des U-864 ist jedoch noch lange nicht zu Ende. Viele der mit flüssigem Quecksilber gefüllten Behälter korrodieren. Eine geringe Menge Quecksilber ist ins Meer gelangt, und die zurzeit von der norwegischen Regierung durchgeführten Untersuchungen der Wrackumgebung haben eine geringfügig erhöhte Konzentration des Metalls in Krabben und Fischen ergeben, die nach Erdöl und Gas das wichtigste Exportgut des Landes sind. […] Die norwegischen Beamten meinen, dass bis zu einem Drittel der 1.857 Behälter mit Quecksilber, die früher sorgfältig entlang des Schiffskiels aufgestellt waren, auf dem Meeresgrund verstreut wurden. Viele sind im Schlamm versunken, ihr Zustand ist unbekannt.“

Die Bedeutung der Region des vermuteten Zentralsektors unterstreicht die Tatsache, dass die Deutschen bereits begannen, Verbindungen zu anderen Einrichtungen des Komplexes zu bohren. Davon zeugen Überreste verschütteter Ventilationsschächte, die die Richtungen dieser Verbindungstunnel aufzeigen. Die zwei, die auf den Fotos zu sehen sind, liegen z. B. zwischen diesem „Sektor“ und der Rzeczka-Einrichtung. (Foto: I. Witkowski)

Es ist mir gelungen, weitere Informationen über diesen „Quecksilberunterseetransporte“ in dem bereits erwähnten Operationen der „Achse“ auf dem Indischen Ozean und in finden.84 Im Hinblick auf das U-864 gibt der Autor auch an,

und andere Buch über Ostasien zu dass es sich

dabei um den einzigen Kampf zwischen zwei untergetauchten U-Booten während dieses Krieges handelte, der mit einer Versenkung endete – der Befehlshaber der britischen Einheit ermittelte die Zielposition mit einem Echolot und ließ wahrscheinlich Fido-Torpedos mit Zielsuchlenkung abfeuern. Das Buch präsentiert viele neue Fakten über diese seltsamen Transporte. Es zeigt auch, wie ungeheuer riskant und kostspielig das Unterfangen war. Lediglich 42 Prozent aller Transporte erreichten Ostasien – diese Missionen könnte man deshalb durchaus als halb selbstmörderisch bezeichnen! Trotz vieler Widrigkeiten und ungestillter Defizite auf beiden Bündnisseiten muss die Tatsache zu denken geben, dass Quecksilber nicht weniger als 45 Prozent aller nach Japan auf dem Unterseeweg geschickter Waren ausmachte – es nahm eindeutig den ersten Platz ein (926,7 t)! Vielleicht berücksichtigt diese Zahl auch Quecksilber in Form des vorher bei der Gelegenheit des I-29 erwähnten radioaktiven Amalgams. Eine so große Bedeutung dieses Metalls lässt die Quecksilberlieferungen als das vorrangige Ziel des „unterirdischen Austausches“ erscheinen – ein Ziel, das niemand bisher erklären konnte.

Eines der Elemente des tschechisch-niederschlesischen Puzzles ist die von Prof. Mołdawa beschriebene unterirdische Führungseinrichtung für strategische Waffen, die sich in der Nähe von Železný Brod (Eisenbrod) befunden haben soll (siehe Landkarte und obiges

Foto) – ich habe davon gehört, dass die Russen dort sogar irgendeinen General verhaftet hatten. Ich fuhr deshalb nach Železný Brod, um die Einheimischen zu befragen – vom Museumspersonal bis zu den Beschäftigten der Raumplanungs- und Umweltschutzabteilung des Stadtamtes: Keiner wusste jedoch von irgendwelchen unterirdischen Strukturen und mir wurde gesagt, dass „das Luftwaffenpersonal hier nur ein Hotel belegte“. Vielleicht würde ein genaues Studieren einer guten topographischen Karte bessere Ergebnisse bringen, es wäre auch denkbar, Förster nach eventuellen guten Wegen (z. B. Betonwegen) im Wald zu fragen. Bei dieser Reise ist mir jedoch etwas anderes aufgefallen – in direkter Nähe des oben erwähnten Ortes gab es einen Wegweiser nach Jílové (Eule), eine nahe gelegene Stadt, wo sich nach glaubwürdigsten Informationen Kammler „in Luft aufgelöst hatte“, d. h. er soll dort Selbstmord begangen haben und angeblich sofort an unbekannter Stelle in der Nähe begraben worden sein. Erneut stellt sich die Frage, warum sich ein hoher SS-Offizier, der wie kaum ein anderer belastet war, in die Arme der Roten Armee warf und in die entgegengesetzte Richtung begab wie seine Fachkollegen – doch nicht deshalb, um dann Selbstmord zu begehen! (Foto: I. Witkowski)

Nur 43 Prozent (396 t) des Metalls erreichten die festgelegten Bestimmungshäfen. Diese Angaben basieren auf allgemein verfügbaren Quellen und umfassen nicht den durch die Amerikaner im Rahmen einer Aufklärungsoperation mit dem Decknamen Lusty entdeckten Geheimflottenverband (der teilweise zerstört wurde – siehe Band II), von dessen Existenz der Autor des Buches offensichtlich nichts wusste. Er hat jedoch viel mehr Einheiten beschrieben, die die „Quecksilbermissionen“ verwirklichten. Um das Bild zu vervollständigen, möchte ich sie kurz aufzählen: • Außer dem U-Boot Torellego (UIT-25), das den Italienern abgenommenen wurde, transportierten auch andere Schiffe dieses Geschwaders Quecksilber. In diesem Kontext wurden Einheiten erwähnt, die mit den Decknamen Aquila II und Aquila III versehen worden waren – es ist ungewiss, ob sich das auf beide oder nur die eine Einheit bezog. • Am 10. Mai 1943 lief aus Lorient das U-511 aus, das von Fritz Schneewind kommandiert wurde und „Quecksilberbehälter, einen Daimler-Benz-Motor mit einer Leistung von 3.000 PS, Pläne für ein UBoot des Typs IX und Passagiere“ transportierte. • Am 15. Juli legte es in Penang in Indonesien an, und genau einen Monat später erreichte es Kōbe in Japan. • Mitte 1944 verstärkten sich die Quecksilbertransporte deutlich. Am 22. August verließen zwei U-Boote Bordeaux: das von Rolf Reisen

kommandierte U-180 und das U-195 von Friedrich Steinfeldt. Das erste beinhaltete „1843 Quecksilberstahlflaschen“, das zweite „54,5 t Quecksilber“ sowie eine Reihe weiterer Waren, u. a. Ersatzteile für in Ostasien stationierte U-Boote. Am 28. Dezember erreichte nur das U-195 sein Ziel. Am 9. September legte auch das von Heinrich Timm kommandierte U-862 in Penang fest, das „Quecksilberstahlflaschen“ lieferte. Etwa zwei Wochen später fand nach fünfmonatiger Fahrt auch noch das U-861 seinen Weg nach Penang. Auch beim Letzteren stellte Quecksilber die Hauptladung dar – nicht weniger als 120 t. • In etwa dieselbe Zeit fielen auch die Fahrten der meisten in Band II beschriebenen „Quecksilberschiffe“, u. a. des U-859 (1959 Stahlflaschen, Ende September 1944 versenkt) und des großen japanischen I-52. • Intensive Versuche, den Verbündeten mit diesem offensichtlich äußerst wichtigen Rohstoff zu versorgen, wurden fortlaufend verwirklicht, das Risiko stieg jedoch beinahe mit jedem weiteren Monat. Dennoch lief am 24. August 1944 aus Bordeaux ein großes U-Boot vom Typ U-219, ein Spezialfrachter des Typs X aus, das Folgendes Ladung enthielt: „[…] eine komplette Sendefunkstelle für Kōbe, Ersatzteile für Dieselmotoren, eine Torpedoauswuchtstation für Penang, Medikamente für Krankenhäuser, Ausstattung für den deutschen Radiosender in Singapur, Ersatzteile für Arado 196-Flugzeuge und Kisten mit Aluminiumstäben. Ungeschliffenes optisches Glas und Quecksilber in Stahlflaschen wurden im Schiffskiel platziert.“ Das U-219 kam am 11. Dezember 1944 nach Jakarta (Batavia) und war das letzte U-Boot, dem es gelang, nach Ostasien vorzudringen. Drei weitere wurden versenkt, und das vierte, bereits beschriebene U-234 ergab sich den Amerikanern.84 Am Rande gesagt scheint das Aluminium ein genauso überraschender Posten auf dieser Liste zu sein. Sollte es sich um ein so wertvolles und für die Japaner nicht erhältliches Material handeln? Vielleicht handelte es sich um die superleichte Legierung Thol, die in Band II und in einer Meldung des Nachrichtendienstes der polnischen Heimatarmee erwähnt wurde? Einer meiner Konsultanten meinte, das wäre genauso, als würde man mittels U-Booten Kartoffeln transportieren. Und noch eine weitere Sache, die mit dem dritten Teil des letzten Bandes in Zusammenhang steht:

Es geht um die Antwort auf die Frage, um welche Art Antrieb es sich handelte, an dem das geheime SS-Forschungsteam in Pilsen und eine Reihe mit ihm verbundener Einrichtungen arbeitete. Wie kann man sich das erklären, wenn einerseits die Rahmen der Kernphysik, andererseits aber auch das Kriterium der technischen Durchführbarkeit zu dieser Zeit berücksichtigt werden sollen (obwohl es offensichtlich ist, dass es sich um ein durch und durch fortschrittliches Konzept handelte)? Das, was ich im weiteren Teil dieses Kapitels vorstellen möchte, stellt eine gewisse Hypothese dar, die allerdings auf wissenschaftlichen Grundlagen basiert. Sie ist eine Weiterentwicklung der Interpretation der deutschen Beschreibung aus dem letzten Band, stellt jedoch ein eigenständiges Ganzes (eine Ergänzung) dar, daher ist es nicht notwendig, sich mit dieser früheren Beschreibung vertraut zu machen. Es handelt sich auch nicht um eine einfache Wiederholung.

Das von den Russen offen gelegte Konzept einer deutschen Atombombe. Sie übernahmen auch das Konzept des Atomsprengkopfes für die V2 und die A9. Es beruhte womöglich auf einer Idee von Heisenberg, die es in Aussicht stellte, eine Ladung mit ausreichend geringem Gewicht von etwa einer Tonne zu bauen. (Sammlung des Autors)

Auf den ersten Blick scheint es, dass der Bau eines Antriebs, der die obigen Kriterien erfüllte, einfach unmöglich war, schließlich ist das Raketenantriebmonopol bis heute nicht gebrochen worden. Vielleicht handelte es sich um irgendein Hirngespinst, einen großen wissenschaftlichtechnischen Irrtum, eine Art Versuch, ein Perpetuum Mobile u. Ä. zu bauen?

Wenn jedoch auf dem Ganzen ein großes Rüstungsprogramm basierte, und die Arbeiten „sehr fortgeschritten“ waren, musste die Perspektive einer praktischen Nutzung dieses Durchbruchs real und nah gewesen sein. Die offizielle und beispiellose Qualifizierung des Konzeptes als „kriegsentscheidend“ (siehe Band II) musste auch auf irgendwelchen konkreten Daten basieren. Die Aufgabe, die ich mir gestellt habe, beruht im Übrigen darauf, eine sinnvolle Erklärung zu finden, die mit der im vorigen Band beschriebenen Wirkungsweise des Gerätes übereinstimmen würde. Erst wenn eindeutig bewiesen werden kann, dass der Bau eines solchen Gerätes unmöglich war, wird man davon ausgehen können, dass es sich um irgendeinen großen Irrtum handelte. Normalerweise bringen wir die Kernphysik mit einem Reaktor oder einer Bombe in Verbindung. In diesem Fall konnte es aber durchaus auch anders gewesen sein. Die Kernphysik ist auch die Quelle einer Reihe anderer Phänomene. Das ergibt sich gewissermaßen aus der Tatsache, dass in der Welt der Atome viel höhere Energiegeschwindigkeiten und -dichten erreicht werden können, als wir es aus der täglichen Erfahrung kennen. Eine Gruppe solcher Phänomene steht mit Einsteins Relativitätstheorie in Verbindung. Nach dieser Theorie wäre es möglich, Kräfte zu erzeugen, die für einen Antrieb nützlich sein könnten. Schauen wir uns also zunächst die allgemein bekannten akademischen Grundprinzipien an: Einsteins Theorie wurde bei vielen Gelegenheiten weiterentwickelt, aus ihr wurden „Lösungen“ abgeleitet, die für die Beschreibung verschiedener Systeme oder Situationen herangezogen wurden und Faktoren berücksichtigten, die vom Autor der Relativitätstheorie außer Acht gelassen worden waren. Eine solche Weiterentwicklung ist die 1918 formulierte Einstein-Cartan-Gleichung (die natürlich von der Wissenschaft allgemein anerkannt wird). Sie berücksichtigt nicht so sehr die Existenz der Masse selbst, sondern auch ihre Rotationsbewegung. In der Gleichung tauchte ein Glied mit negativem Vorzeichen auf. Es bedeutet, dass sich bei entsprechend hoher Drehzahl die Körper voneinander abzustoßen beginnen und die negative Gravitation die positive überwiegt. Mit anderen Worten geht es um Antigravitation. Durchgeführte Versuche zeigen, dass es sich alleine auf der Grundlage der durch diese Gleichung beschriebenen Abhängigkeiten um Geschwindigkeiten von etwa mehreren Millionen Umdrehungen pro Sekunde handeln sollte.67 Ich habe versucht, bei diesem Problem jemanden zu Rate zu

ziehen, der sich mit der Weiterentwicklung von Einsteins Theorie beschäftigt. Es hat sich herausgestellt, dass es in Polen nur sehr wenige solcher Spezialisten gibt; im Sommer 2006 habe ich jedoch schließlich Professor Andrzej Trautman vom Institut für Theoretische Physik der Universität Warschau kontaktiert, den womöglich herausragendsten Experten in ganz Polen. Ich habe ihn mit dem folgenden Aspekt konfrontiert: Ich beschrieb ihm natürlich in wenigen Worten das deutsche Konzept (siehe Band II) und fügte hinzu: „Ich habe beschlossen, mich an Sie zu wenden, da in der Beschreibung ein Begriff auftaucht, der einen relativistischen Kontext suggeriert [d. h. die Relativitätstheorie betrifft]. Es geht um die „Magnetfeldtrennung“ in Verbindung mit sehr hohen Winkelgeschwindigkeiten von Ionen.“ Ich wollte diesen Aspekt noch präzisieren und meine Vermutungen begründen, mein Gesprächspartner unterbrach mich jedoch: „Wissen Sie, ich glaube nicht, dass das möglich ist. Wir haben das [die Cartan-Gleichung] für ‚schwarze Löcher’ berechnet und es kam dabei heraus, dass dieser Antigravitationseffekt völlig vernachlässigbar war. So etwas könnte man nicht im Labor machen.“ Ich versuchte noch hinzuzufügen, worauf meine Vermutungen konkret beruhen und welche Beziehungen ich meine, Herr Trautman war jedoch daran nicht im Geringsten interessiert. Der direkte Grund, diese Telefonnummer zu wählen – und sich für ein längeres persönliches Gespräch zu verabreden – war eben der Beweis, dass so etwas im Labor möglich ist! Ich hatte nämlich eine Fotokopie eines Artikels vor mir, der bereits vor mehr als zehn Jahren in der Fachzeitschrift Physics Letters B veröffentlich worden war. Theoretisch müsste jemand, der zur engen Spitze dieses Forschungsgebietes in Polen zählt, schon lange davon erfahren haben und viel mehr als ich darüber wissen. Das Gegenteil war jedoch der Fall – er wollte sich das Ganze nicht einmal anhören – „Das ist unmöglich, fertig!“ (ich habe mich bereits daran gewöhnt). Ich hätte ihm dabei nicht von theoretischen Voraussagen, sondern den Ergebnissen eines sehr interessanten Experiments erzählt.68 In dem Artikel werden bestimmte überraschende Versuchsergebnisse beschrieben, die mittels eines Beschleunigers für schwere Ionen auf dem Gelände des Daresbury Laboratory in Großbritannien erzielt werden konnten.

Es handelte sich dabei eigentlich um ein System von zwei Beschleunigern (um einen Tandembeschleuniger), das die Ionen nicht nur beschleunigte, sondern auch in Rotation versetzte. Ehrlich gesagt habe ich seit langem erfolglos versucht, an solche Messergebnisse heranzukommen. Das hat sich als ungemein schwierig herausgestellt, da normalerweise Ionen leichter Elemente beschleunigt werden. Kaum jemand ist an der Energie interessiert, die sich aus ihrer Rotation ergibt. Vor allem bin ich bisher auf keine einzige Arbeit gestoßen, in der das alles unter dem Aspekt der Relativitätstheorie (konkret der Antigravitation) analysiert worden wäre. Hier kam hingegen „alles zusammen“. Mehr noch: Die Ionen wurden mit solch ungeheuren Geschwindigkeiten rotiert, dass die Atomkerndeformationen unter dem Einfluss der Zentrifugalkraft etwa 50 Prozent betrugen! Es wurden also die Grenzen dessen erreicht, was technisch möglich ist, es wurde lediglich auf den „Segen“ anderer Phänomene verzichtet, die die entsprechenden Effekte wesentlich verstärken können, darauf komme ich jedoch später zurück. Zunächst betrachten wir Phänomene, die sich direkt auf die Einstein-CartanTheorie beziehen (rotierende Masse als Kraftquelle). Quecksilber, das im Kontext der deutschen Glocke genannt wird, wurde zwar nicht untersucht, dafür aber andere sehr schwere Elemente: Gadolinium, Terbium und Dysprosium. Dennoch war die Ähnlichkeit mit der deutschen Beschreibung relativ groß – mit Ausnahme der „Magnetfeldseparation“ und der damit verbundenen Fragen. Was wurde als Ergebnis dieser Experimente ermittelt? Zwei überraschende Tatsachen kamen ans Tageslicht:68 1. Es wurde keine Gravitationsanziehung oder -abstoßung gemessen, da das bei diesen Geschwindigkeiten und Kernenergien gelinde gesagt ziemlich schwierig gewesen wäre. Der Effekt konnte jedoch sehr genau auf eine etwas andere Weise gemessen werden. Es ist nämlich bekannt, dass es ein Gleichheitszeichen zwischen der Gravitationskraft und der Trägheit gibt (die Nivellierung der Gravitation hätte die Nivellierung der Trägheit zur Folge und umgekehrt). Aus diesem Grund wurde die Trägheit der sich bewegenden Kerne gemessen. Es stellte sich heraus, dass bei großen Rotationsgeschwindigkeiten die Gravitationsabnahme (Trägheitsabnahme) nicht weniger als 50 Prozent betrug! Ich vermute, dass das mit den Berechnungen von Professor Trautman und seiner Kollegen nicht zu vereinbaren ist!

2. Das zweite Novum bestand darin, dass diese Ergebnisse etwas unterschiedlich für die einzelnen Elemente waren – bei denselben Energien! Der Artikel sagt dazu Folgendes: „Das Diagramm zeigt, dass es in den einzelnen Fällen starke Unterschiede im Hinblick auf das Trägheitsmoment abhängig von der Rotationsgeschwindigkeit gibt. Bei 150Gd und 151Tb sind die Trägheitsmomentwerte bei niedrigen Frequenzen [Rotationsgeschwindigkeiten] sehr groß und verringern sich schnell mit dem Anstieg der Winkelgeschwindigkeiten, während sie bei 149Gd wesentlich langsamer abnehmen; bei 151,152Dy sind sie schließlich fast konstant.“ In diesem Fall spielt der sogenannte „Isospin“ eine Rolle – die unterschiedliche resultierende Rotationsgeschwindigkeit von Protonen und Neutronen, die den Atomkern bilden. Der letzte Punkt – die unterschiedliche „Fähigkeit“ von verschiedenen Elementen und Isotopen, Gravitation und Trägheit abzuschwächen – lässt erneut die Frage nach den Gründen aufkommen, warum Professor Gerlach, eine führende Persönlichkeit des deutschen Projekts, sich für Quecksilber entschied, das auch in ionisierter Form zum Hauptgegenstand seines Interesses noch vor dem Krieg geworden war (daher wissen wir darüber).

Professor Walther Gerlach. (Internet)

Um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, müssten wir womöglich auf die 1920er Jahre zurückblicken und ermitteln, warum Gerlach auf die Rotation der Ionen eben dieses Metalls „setzte“ – und sich gleichzeitig an Untersuchungen über das Wesen von Kugelblitzen (wie in Band II beschrieben) beteiligte. Hatte der Briefwechsel mit Piotr Kapica einen Einfluss auf diese Entscheidung? Oder kam die Inspiration aus der UdSSR? Auch in diesem Fall ist die Antwort wahrscheinlich in russischen Archiven versteckt. Wie bereits erwähnt sind die Ergebnisse der oben beschriebenen Versuche lediglich eines von vielen Anzeichen für die künftige und bereits in Erscheinung tretende Revolution in der Physik. In diesem Fall kam der Hauptimpuls aus der Astronomie. Es hat sich herausgestellt, dass die Bewegungen der Galaxien ganz anders sind, als man aufgrund der Relativitätstheorie annehmen könnte, denn sie stoßen sich viel mehr voneinander ab als dass sie sich gegenseitig anziehen! Dies widerspricht nebenbei bemerkt natürlich auch der Ansicht von Prof. Trautman, da es unserem ganzen bisherigen Wissen widerspricht. Ein Astronom hat dieses Phänomen wie folgt beschrieben:69 „Ende des letzten Jahrhunderts kam es in der Kosmologie zu einem richtigen Durchbruch. Plötzlich stellte sich heraus, dass unsere bisherigen Vorstellungen sowohl von der Zusammensetzung des Universums als auch von seiner Geschichte und Zukunft nicht so sehr unvollständig als vielmehr falsch sind! Die von Albert Einstein eingeführte geheimnisvolle kosmologische Konstante (oder der sie nachahmende Universumsbestandteil), die von ihm später als ein riesiger Irrtum betrachtet und vergessen wurde, übt als Antigravitation einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf unser Universum aus. Sie beschleunigt die Expansion, und die Dichte der mit ihr in Zusammenhang stehenden Energie macht etwa 70 Prozent der Gesamtdichte des Universums aus. […] Dort, wo die Anwendungsbereiche der Quantenphysik (kleine Maßstäbe) und der Gravitationstheorie (große Massen und Energien) ineinanderzugreifen beginnen, sollte die Neue Physik in Erscheinung treten. Vorläufig gibt es jedoch keine solche Theorie, obwohl die

scheinbar verrückten Ideen, die in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht werden, uns einen Vorgeschmack auf die neue Vision des Universums geben können. […] Vielleicht liegt das Problem in der Form der Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie selbst, und nicht in dem zusätzlichen Universumsbestandteil?“ Zeichen des Durchbruchs erreichen auch die Presse. Es genügt, einen Artikel in einer der größten polnischen Zeitungen zu erwähnen, der den bezeichnenden Titel „Einstein zur Revision“ trägt.70 In einem Artikel, der in der amerikanischen populärwissenschaftlichen Zeitschrift Natural History veröffentlicht worden war, wurde im Hinblick auf den im Weltraum an Bord eines Orbitallabors durchgeführten Versuch Folgendes geschrieben:71 „Und was ist mit der Möglichkeit, dass uns Gravity Probe B einen neuen Weg der Physik aufzeigt? Laut dem Physiker und Nobelpreisträger Chen Ning Yang von der Stony Brook University in New York wird Einsteins allgemeine Relativitätstheorie wahrscheinlich revidiert werden – auf eine Weise, die irgendwie den Spin und die Rotation umfassen wird.“ Diese Entdeckungen zeigen ganz allgemein, dass die Antigravitation durchaus keine „exotische“ Kraft darstellt und leichter als bisher angenommen zu erzeugen sein müsste. Wie? Die Rotationsbewegung selbst ist noch zu wenig, es gibt jedoch ziemlich interessante Hinweise. Ich möchte die Behauptung riskieren, dass wir mit solchen Bereichen der Physik anfangen sollten, in denen sich Gravitation und Quantenphysik miteinander verbinden, da es allen Anschein zum Trotz solche Bereiche durchaus gibt. Im vorigen Band habe ich eine direkt nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte Theorie erwähnt, die von Josef Lense und Hans Thirring, einem Deutschen und einem Österreicher erarbeitet wurde. Sie entwickelten Einsteins Theorie auf eine Weise weiter, die auch die Rotationsbewegung berücksichtigte. Dabei handelte es sich jedoch nicht um die wichtigste Richtung, obwohl Thirring während des Krieges ein enger Mitarbeiter von Professor Gerlach war. Es geht darum, dass (wie sich in der Zwischenzeit herausgestellt hat) auf der Basis ihrer Theorie die Leistungsfähigkeit eines

eventuellen Antriebes sich nicht wesentlich steigern lässt.

Professor Pascual Jordan – ein im Weltmaßstab ähnlich herausragender Physiker wie Gerlach und Heisenberg, mit einer nicht minder geheimnisvollen Karriere. Ideologisch waren alle drei sehr radikal eingestellt. Was jedoch viel wichtiger ist: Die Geschichte dieser drei Personen zeigt, dass die Hauptbereiche ihrer Forschungsarbeiten aus der Kriegszeit in der Nachkriegsgeschichtsschreibung der deutschen Kernphysik praktisch überhaupt nicht vorhanden sind (Gerlach: Plasma und Atomkernspin im starken Magnetfeld; Heisenberg: Amalgame; Jordan: Feldseparationstheorie im relativistischen Kontext). (Archiv des Autors)

Die entsprechende Theorie gab es jedoch schon während des Krieges, jedenfalls in ihren Grundzügen, obwohl ihr Urheber ein anderer war. Im zweiten Band habe ich erwähnt, dass einer der in der deutschen Beschreibung vorkommenden Grundbegriffe die anfangs rätselhafte „Magnetfeldtrennung“ war. Wie ich geschrieben habe, sollte deshalb überprüft werden, ob es sich nicht um eine Richtung handelte, die den „Gravitationseffekt“ hätte steigern können. Die Antwort auf diese Frage hätte gleichzeitig die Stichhaltigkeit der „Gravitationshypothese“ bestätigen oder verneinen können. Es handelte sich auf jeden Fall um eine ziemlich wichtige Information. Es stellte sich heraus, dass tatsächlich ein ziemlich offensichtlicher Zusammenhang mit der Gravitation bestand, wobei die Grundlange nicht die Lense-Thirring-Theorie bildete, sondern die erwähnte „zweite“ Theorie, die von Professor Pascual Jordan (einem Deutschen mit Vorfahren aus der spanischen Aristokratie – daher der ungewöhnliche Vor- und Nachname) formuliert wurde.

Jordan war, ähnlich wie Gerlach, einer der herausragendsten deutschen Physiker während der Kriegszeit. Seine Errungenschaften waren so überdurchschnittlich, dass er ein fast sicherer Kandidat für den Nobelpreis im Jahr 1954 war. Schließlich ging der Preis jedoch an Max Born, da Jordan wirkungsvoll disqualifiziert werden konnte, nachdem seine Zusammenarbeit mit der NSDAP und der SS während des Krieges ans Tageslicht kam. In Anlehnung an Untersuchungen aus der Kriegszeit verfasste Jordan eine Reihe von Arbeiten sowohl über Gravitation als auch Quantenphysik sowie über gemeinsame Bereiche dieser beiden Gebiete (heute beschäftigen sich nur wenige Wissenschaftler damit). Er stellte u. a. fest, dass es möglich ist, durch das Rotieren eines starken Magnetfeldes (elektromagnetischen Feldes) die Gravitation künstlich zu beeinflussen. Der Grundsatz war genau derselbe, den ich im vorigen Band beschrieben habe: Ein Feld (Magnetfeld) darf nicht losgelöst vom Raum betrachtet werden, in dem es sich befindet, und wenn es uns gelänge, eine völlige Separation der rotierenden Felder zu erreichen, würden wir eine Art Gravitationsabschirmung erhalten. Analysen deuten darauf hin, dass dieser Effekt nur dann wesentlich ist, wenn eine sehr hohe Rotationsgeschwindigkeit, eine hohe Feldenergie und ein „Separationsgrad“ des Feldes bzw. der Felder von über 99 Prozent erreicht werden können. Der Endeffekt sollte eine Resultierende dieser drei Faktoren sein. Diese „Feldseparationstheorie“ bekam ihren letzten „Schliff“ kurz nach dem Krieg in Zusammenhang mit einer Beschreibung des französischen Physikers Thiry und wird heute als „Jordan-Thiry-Theorie“ bezeichnet. Bevor ich zu ihrer Bedeutung in dem Kontext übergehe, der uns am meisten interessiert, möchte ich in einigen Sätzen Pascual Jordan selbst beschreiben.72, 73, 74 Er wurde am 18. Oktober 1902 in Hannover geboren, 1944 war er also gerade einmal 42 Jahre alt. Mitte der 1920er Jahre war er Absolvent der angesehenen und im Bereich der exakten Wissenschaften damals wahrscheinlich weltbesten Georg-August-Universität Göttingen. Dort begann er auch seine wissenschaftliche Karriere als Assistent des Mathematikers Richard Courant und des Physikers Max Born. 1936 wurde er Dozent und begann Vorträge an der oben erwähnten Universität zu halten. Anfangs war er ausschließlich an der Quantenfeldtheorie (Elektromagnetismus) interessiert, noch kurz vor dem Krieg wandte er sich jedoch vor allem der Gravitation und ihren Beziehungen zur Quantentheorie

zu. Zu seinen wichtigsten Arbeiten aus dieser Zeit gehören: „Anschauliche Quantentheorie“ (1936) und „Die Physik des 20. Jahrhunderts“ (auch 1936). 1941 veröffentlichte er auch einen Auszug, der eher eine Projektion seiner persönlichen Interessen war – das Buch „Die Physik und das Geheimnis des organischen Lebens“. Auch Werner Heisenberg war zu dieser Zeit sein enger Mitarbeiter und Mitautor zahlreicher Artikel. Jordan hielt auch die ganze Zeit über engen Kontakt zu Professor Gerlach. Bereits 1933 trat Jordan der nationalsozialistischen Partei bei, wo er sehr schnell zum aktiven Mitglied wurde. Ein Jahr später war er auch Mitglied der SA. In den kommenden Jahren erleichterte ihm das sicherlich den Aufstieg auf der Leiter der wissenschaftlichen Karriere, die Parteibonzen hatten jedoch kein besonderes Vertrauen zu ihm. Obwohl Jordan sich später als ein fanatischer Nationalsozialist zu erkennen gab, stritt er niemals seine Bewunderung für Einstein ab und verleugnete nie solch herausragende jüdische Physiker wie Courant, Born oder Wolfgang Pauli. Jordans überdurchschnittliches Talent wurde hingegen sehr schnell durch die Armee, konkret die Luftwaffe gewürdigt, die ihn u. a. bereits 1936 in Zusammenhang mit dem Ausbau der dortigen Forschungsbasis nach Peenemünde schickte. Zu dieser Zeit war also sein Werdegang dem von Debus vergleichbar, obwohl der Letztere Mitglied der SS war. Über Luftwaffenprojekte aus der Kriegszeit, an denen Jordan beteiligt war, wissen wir jedoch nicht viel. Es ist bekannt, dass er bis 1944 auch einen Ziviletat als Professor für theoretische Physik an der Universität Rostock hatte. 1942 wurde er für herausragende Verdienste durch die höchsten Behörden des Dritten Reiches mit der Max-Planck-Medaille ausgezeichnet. Umfassende Arbeiten über die Zusammenhänge zwischen Quantenphysik und Gravitation konnte er erst nach dem Krieg veröffentlichen: Im Jahr 1952 erschein das Buch „Schwerkraft und Weltall“, und vier Jahre später „Atom und Weltall“. In den 1960er Jahren war er u. a. Mitglied der amerikanischen Forschungsstiftung „Gravity Research Foundation“ in New Boston, die sich mit Forschungsarbeiten über Gravitation beschäftigte. Unabhängig davon war er Abgeordneter des Bundestages, wo er sich als fanatischer Nationalist zu erkennen gab, u. a. begann er 1957 eine Kampagne für die Ausrüstung der Bundeswehr mit taktischen Kernwaffen, und 1965 protestierte er gegen die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze zu Polen. Es ist bezeichnend, dass ein

identischer außerordentlicher Fanatismus auch die übrigen in diesem Bereich tätigen Wissenschaftler kennzeichnete (die im vorigen Band beschrieben wurden), und zwar Gerlach und Debus.

Werner Heisenberg vor dem Krieg (zweiter von rechts). Er war eine führende, aber auch, wie sich nun herausstellt, eine der geheimnisvollen Persönlichkeiten der deutschen Kernphysik in der Kriegszeit. Die vor kurzem offen gelegten Materialien zeigen, dass er nicht nur mit einer bisher unbekannten Forschungseinrichtung in Zusammenhang stand, sondern auch einen ganz anderen Ansatz für die Konstruktion der Bombe unterstützte als bisher angenommen. (Internet)

Was bedeutet in der Praxis Jordans Theorie für die Beurteilung des Konzeptes, das wahrscheinlich hinter dem revolutionären und „mit Kernphysik verbundenen“ Antrieb stand? Sie bedeutet natürlich, dass die erwähnte „50-prozentige“ Nivellierung der Gravitation in eine „mehrfache“ Nivellierung verwandelt werden könnte, wenn nur die in der Theorie genannten Kriterien erfüllt werden könnten. Wie ich bereits im vorigen Band geschrieben habe, stellt die Plasmaphysik die einzige Möglichkeit dar, Wirbel schwerer Ionen unter Feldseparationsbedingungen (bei entsprechend hoher Stärke dieser Felder) zu erzeugen; konkret geht es um die im Kapitel „Wirbelwaffen“ beschriebenen „Plasmasolitone“, an denen, wie bereits erwähnt, auch Gerlach interessiert war (d. h. an Kugelblitzen im Kontext der Briefe an P. Kapica). Dieser Themenkomplex erfreut sich in letzter Zeit immer größerer Beliebtheit in der Wissenschaft. Wenn er übrigens nicht interessant und vielversprechend wäre, wäre das sehr kostspielige Shiva Star-Projekt nicht viele Jahre lang fortgesetzt worden und das Ganze würde nicht insgeheim auf dem Gelände eines bewachten Militärflugplatzes stattfinden (am Rande gesagt knüpft der Name den Projektes an Überliefungen aus dem „Mahabharata“ an).

Der Umschlag einer umfangreichen wissenschaftlichen Ausarbeitung über SolitonPlasmawirbel (die Kugelblitzen ähneln), in denen es aufgrund der sehr hohen Ionengeschwindigkeiten (darunter Winkelgeschwindigkeiten) und insgesamt sehr hohen Energiedichten zu Gravitationseffekten kommt, d. h. Effekten, die unter dem Aspekt eines eventuellen Antriebs nützlich sind. Das Vorhandensein einer solchen Analyse zeigt, dass das Konzept an sich sinnvoll ist. Im Bereich der allgemein anerkannten Physik ist sie leider immer noch so neu, dass sie ausschließlich den Charakter einer mathematischen Theorie hat. (Anmerkung: Diese Mathematik ist so kompliziert, dass es mir bisher nicht gelungen ist, jemanden zu finden, der auf dieser Basis Berechungen über die deutsche Glocke durchführen könnte. Falls dies jemand liest, der sich dieser Aufgabe gewachsen fühlt, so möge er dies als Einladung betrachten – ein Exemplar des Buches steht zur Verfügung.)Die Forschungsarbeiten, die z. B. durch die Amerikaner in den Sandia Laboratories durchgeführt werden, stellen eine völlig separate (hermetische) Wirklichkeit dar.

In diesem Zusammenhang besorge ich mir ein Buch zum Thema, dessen Titel (übersetzt) eben „Gravitationssolitone“75 lautet, und machte mich daran, einen oder mehrere Konsultanten zu suchen, die die bekannten Elemente miteinander verbinden könnten. Das stellte sich als sehr schwierig heraus. Ich konnte zwar ermitteln, dass ein gewisser Professor Witold Nazarewicz sich mit diesem Thema beschäftigt hatte, es stellte sich jedoch heraus, dass er dauerhaft im Ausland arbeitet. Die Wissenschaft ist leider so eingerichtet, dass es keine Spezialisten für Zusammenhänge zwischen so „verschiedenen“ Gebieten wie Elektromagnetismus und Gravitation gibt. Durch Zufall habe ich jedoch auf dem Breslauer „Erfindungsforum“ den Physiker Dr. Zbigniew Osiak kennengelernt, der sich mit diesem Themengebiet befasst. Er fand die Sache frappierend und versprach mir, eine Art Analyse durchzuführen. Er

machte den Eindruck eines Experten auf mich, und arbeitet im Übrigen gerade an einem „Wörterbuch der Physik“ für einen renommierten wissenschaftlichen Verlag. Sein spezielles Interessengebiet ist die Relativitätstheorie. Am 9. November 2006 verfasste ich als eine Art Begleitschreiben zu den vielen Materialien die folgende Bitte: „Wie ich bereits am Telefon gesagt habe, bin ich an der Durchführung einer Analyse im Bereich einer bestimmten technischen Lösung interessiert, um zu ermitteln, ob die Antigravitationswirkung im Rahmen einer solchen Lösung wesentlich wäre (samt Berechnungen, falls möglich). Das Endergebnis könnte eine DIN A4 Seite umfassen, die ich im Buch abdrucken würde. Als Ausgangspunkt könnte der im beiliegenden Artikel aus Physics Letters B beschriebene Versuch dienen: Bei sehr großen Rotationsgeschwindigkeiten schwerer Ione wurde eine Verringerung des Trägheitsmoments um etwa 50 Prozent festgestellt. Da in dem Artikel mit keinem Wort Solitone erwähnt werden (Feldseparation), ist anzunehmen, dass der oben erwähnte Effekt ausschließlich auf der Cartan-Gleichung basierte (beiliegender Buchauszug). Mich interessiert, was passieren würde, wenn man das Gleiche in einem Solitonwirbel verwirklichte - mittels einer ,Magnetfeldseparation‘, wie es die Deutschen nannten. Hier müsste man sich auf eine mathematische Solitonenbeschreibung (der entsprechende Auszug aus dem Buch ‚Gravitational Solitons’ liegt bei) und auf die Jordan-Thiry-Theorie (im Internet erhältlich) stützen. Sie beschreibt die Kopplung zwischen dem elektromagnetischen Feld und dem Gravitationsfeld. Daraus ergibt sich, dass die Sicherstellung einer Magnetfeldtrennung die Lokalität des Bezugssystems im Sinne der Relativitätstheorie zur Folge haben müsste. Ich weiß zwar nicht, welcher Feldtrennungsgrad in Plasmasolitonen erreicht werden könnte (z. B. in einem Kugelblitz), man könnte ihn jedoch vorsichtig auf 99 Prozent schätzen – vermutlich noch mehr. Kurzum: Bedingungen wie im Physics Letter B beschrieben plus Magnetfeldtrennung von etwa 99 Prozent. […] Ich wäre für Ihre Hilfe ungemein dankbar.“

Noch vor der Vorbereitung der versprochenen Analyse und nach zahlreichen, manchmal einstündigen Telefongesprächen berechtigte mich Dr. Osiak, die folgenden Worte zu zitieren: „Sie können mit reinem Gewissen schreiben, dass ich mit Ihrer Denkrichtung völlig übereinstimme und Ihre Hypothese komplett unterstütze“ (Aussage vom 16. Februar 2007). Vorläufig musste mir diese Erklärung genügen. Schließlich bekam ich statt einer Analyse die Erklärung, dass der Zusammenhang zwischen dem beschriebenen Themenkomplex und der Rotation (darunter von Feldern), der Jordan-Theorie u. Ä. zwar offensichtlich sei, aber die genaue Ermittlung der erzeugten Kräfte und des Wirkungsgrades eines solchen Gerätes als Antriebsmittel im gegenwärtigen Entwicklungsstadium „aufgrund fehlender Bewegungsgleichungen“ nicht möglich sei. An dieser „Mauer“ scheiterten alle weiteren Analyseversuche. Die nächsten Jahre werden wahrscheinlich zeigen, ob die von mir aufgestellte Hypothese über den Antrieb für strategische Waffen richtig ist oder nicht. Nach der Veröffentlichung der (ersten) polnischen Ausgabe dieses Buches nahm ein Physiker zu mir Kontakt auf, der sich von mir das Buch „Gravitational Solitons“ ausgeliehen hatte, und begann seine Berechnungen. Obwohl inzwischen ein Jahr vergangen ist, ist er immer noch am Rechnen – es handelt sich hierbei um Gleichungen, deren alleiniger Anblick einen Herzinfarkt auslösen könnte. Ab und zu teilt er mir jedoch seine Überlegungen mit, die sich mit meiner Hypothese decken, z. B.: „Ich glaube, dass sich eines Tages herausstellen wird, dass das Ganze – so wie Sie sagten – viel einfacher ist, als es uns heute erscheint“. In der Tat ist die mathematische Komplexität ungeheuerlich. Dieser Physiker stellte eines Tages fest, dass er z. B. die ganze Theorie der Akustik meistern musste, um ein Modell eines solchen Wirbels zu erstellen. Er sucht auch selbst nach Informationen und es ist ihm gelungen, eine früher unbekannte Arbeit Heisenbergs aus der Kriegszeit mit dem Titel „Ordnung der Wirklichkeit“ zu finden, in der Möglichkeiten der Unifizierung verschiedener physischer Einflüsse analysiert werden.

Ergänzung:

Was hat Joseph P. Farrell ermittelt? Innerhalb der letzten Jahre sind im Ausland bereits einige Bücher erschienen, die das Thema der Glocke – eines Gerätes, das ausführlich im letzten Teil des zweiten Buches der „Wahrheit über die Wunderwaffe“ vorgestellt wurde – beschreiben und eventuell weiterführen.77, 78, 79, 80 Die Publikationen von Nick Cook und Geoffrey Brooks liefern im Grunde genommen keine neuen und originellen Informationen zum Thema, die das Ergebnis einer eigenständigen Suche der Autoren wären. Anders sieht es hingegen im Falle des Buches des argentinischen Forschers Abel Basti unter dem Titel „Hitler in Argentinien“ aus. Dem deutschen Projekt wurde zwar nicht viel Platz gewidmet und es wurde nur seine Evakuierung besprochen, diese Informationen sind jedoch sehr wichtig und neu (am Rande gesagt ist das Buch von einem sehr hohen Niveau und basiert u. a. auf zahlreichen Berichten von Personen, die Zeugen der deutschen Maßnahmen waren, sowie auf Aussagen der Deutschen selbst; der Autor hat vier Jahre gebraucht, um sie zu sammeln). Wie ich bereits im zweiten Band geschrieben habe, ist eine der ungeklärten Fragen der geheimnisvolle Flug des Transportflugzeugs Junkers-390, wahrscheinlich desselben, das Kammlers letztes Telegramm betraf – er wollte das Flugzeug nicht zurückgeben. Laut einer Aussage von SS-Obergruppenführer Sporrenberg soll das Flugzeug im April 1945 Bodø in Norwegen erreicht haben, wonach es spurlos verschwand. Das bedeutet natürlich, das es irgendwohin weiterflog, wobei man wissen muss, dass es eine Reichweite hatte, die Aufklärungsflüge entlang der Ostküste der USA ermöglichte; mindestens einmal flog es auch ohne Zwischenlandung nach Japan. Basti schreibt, dass diese Angelegenheit bei den Deutschen bekannt ist: Das Flugzeug landete in Uruguay in der Nähe von Gualeguay und der argentinischen Grenze. Nach der Entladung wurde es in den Fluss Uruguay gestoßen, wo es wahrscheinlich noch heute liegt. Ein LKW-Transport nach Bariloche im Süden Argentiniens wurde organisiert, für den der ehemalige SS-Offizier Reinhard Kopps verantwortlich war, der den Namen Juan Maler benutzte (und in Bariloche wohnte). Dieses Motiv wiederholte Geoffrey Brooks, der auch in Argentinien wohnt, in seinem auch bei uns herausgegebenen Buch.

SS-Obergruppenführer Jakob Sporrenberg. (Sammlung des Autors)

Ich halte diese Meldung für glaubwürdig, da sie sich mit meinen Informationen deckt, die ich nie vollständig veröffentlicht habe. Ich erhielt sie von Paweł Dębicki aus Mielec. Die Angelegenheit fing damit an, dass eine anfangs mysteriöse Person meinem Informanten ein in Südamerika aufgenommenes Foto der Ju-390 auf einem im Dschungel gerodeten Feldflugplatz mit Palmen im Hintergrund gezeigt hatte. Aufgrund bestimmter (irreführender) Anregungen kam der Verdacht auf, dass es sich bei dieser Person um irgendeinen Nachkommen eines in Uruguay oder Argentinien akkreditierten polnischen Diplomaten gehandelt hatte. Jorge Guaraglia, mein Mitarbeiter in Uruguay, nahm sich der Sache an, und stellte nach einiger Zeit kategorisch fest, dass es eine solche Person im polnischen diplomatischen Korps nie gegeben hatte. Die Angelegenheit konnte erst nach längerer Zeit aufgeklärt werden. Eigentümer des Flugzeugfotos war ein Offizier der militärischen Gegenspionage, der zur Beaufsichtigung der PZL-Werke in Mielec abkommandiert worden war und verschiedene Personen in dieser Sache befragt hatte. Dies stand mit der Tatsache in Verbindung, dass der Flug der Junkers nach Japan eben auf diesem Flugplatz in Mielec begann. Diese Person benutzte noch in den 1980er Jahren den Namen „Kowalewski“, und (wahrscheinlich) den Vornamen „Adam“. Später „firmierte“ er unter dem Namen „Bańka“. Gegenwärtig ist er angeblich nicht bereit, irgendwelchen Kontakt in dieser Angelegenheit aufzunehmen. Paweł Dębicki war in der Lage, Folgendes zu ermitteln: „Der Name Kowalewski [Robert, wohl ein Major] tauchte in der KG-

40-Fernaufklärungseinheit der Luftwaffe auf. Sie war in Norwegen und Frankreich stationiert [Limoges?].“ Das Bild wurde also wahrscheinlich von einem Mitglied der Flugzeugbesatzung aufgenommen! Laut Dębicki könnte es sich um den Großvater des Bildeigentümers gehandelt haben. Man kann also davon ausgehen, dass er in Südamerika blieb; vielleicht gelingt es Abel Basti, seine Verwandten oder die Verwandten der übrigen Flieger zu erreichen. Unter den vier erwähnten Publikationen, die in gewissem Sinne auf das Thema des deutschen Projektes eingehen, verdient jedoch das vor kurzem in den Vereinigten Staaten unter dem vielsagenden Titel „Die Bruderschaft der Glocke“ herausgegebene Buch von Joseph P. Farrell die größte Aufmerksamkeit.80 Viel Platz im Buch nimmt eine Zusammenfassung meiner Recherchen über die „Glocke“ im zweiten Band ein, der auch in einer englischen Version erschienen ist. Die meisten der etwa 460 Seiten (!) enthalten Spekulationen verschiedener Art, die manchmal etwas exotisch und meiner Meinung nach an den Haaren herbeigezogen sind.

Der Umschlag des Buches von Farrell.

Die Interpretationen sind jedoch deutlich von den Fakten abgetrennt, wodurch der Wert des Buches nicht gemindert wird. Zwar enthält nur ein geringer Teil dieser Publikation neue Quelleninformationen und wirklich interessante Vorschläge, da sie jedoch sehr umfangreich ist, sind sie dennoch relativ zahlreich vorhanden – jedenfalls zahlreich genug, um im vorliegenden

Kapitel präsentiert zu werden. Zunächst stellt Farrell einige faszinierende Einzelheiten über verschiedene Rüstungsprojekte des Dritten Reiches vor. Er beschreibt u. a. den Staustrahljäger P-13b von Lippisch, der gemäß der Dokumentation der Operation Lusty nach dem Krieg heimlich in die USA gebracht wurde (siehe Band II). Es soll sich um ein Überschallflugzeug gehandelt haben, das im Laufe des Jahres 1945 eingeflogen wurde. Farrell stellt bei dieser Gelegenheit im Kontext des amerikanischen „Nachkriegswettlaufes um die Schallmauer“ fest, dass – wie in vielen Verlautbarungen gemeldet wurde – „Chuck Yeager der erste Amerikaner war, der die Schallmauer durchbrochen hatte“. Der Autor war sehr an meinem Kapitel über „Todesstrahlen“ interessiert und ergänzte das Thema um die folgende beachtenswerte Anmerkung (Seite 43): „Unter diesem Gesichtspunkt ist es vielleicht erwähnenswert, dass der Elektronik-Gigant Siemens 1955 eines der ersten US-Patente für einen Röntgen-Laser angemeldet hat; also ungefähr ein halbes Jahrzehnt, bevor die ersten Maser und Laser „entdeckt“ wurden. Sollte das Siemens-Patent in Wirklichkeit die Frucht einer Arbeit sein, die bereits während des Dritten Reiches geleistet worden war?“ Eine interessante Notiz ist auch wenige Seiten später zu finden: „Im August 1946 legte eine hochrangige Abteilung des englischen Kriegsministeriums offen, dass Hitler ‚den Mond wollte.‘ […] Wie der deutsche Autor Friedrich Georg sagt, deutet der Kommentar auf die Existenz der von Braunschen A14-Mondrakete hin – einem Entwurf für eine fünfstufige Rakete, die drei Astronauten zum Mond und wieder zur Erde zurück befördern würde, wo sie dann in einer Version von Erich Sängers ‚Raketenflugzeug‘ landen sollten.“ Ein weiterer Auszug bezieht sich auf die wenig bekannten deutschen Arbeiten an Radaren: „Ein wenig bekannter Aspekt der deutschen Forschungsarbeiten aus der Kriegszeit sind die Überhorizontradare. Während die Nazis mehrere Optionen erkundeten, um das Problem der Zielsuchlenkung der interkontinentalen ‚Amerikaraketen’ zu lösen (inklusive einer bemannten Version, bei der der Pilot sich im letzten Moment

herauskatapultieren sollte), war die am meisten bevorzugte Methode ein Radarstrahlleitsystem. Eines der Konzepte sah zu diesem Zweck vor, einen Sender auf der Spitze des Empire State Building anzubringen! Bisher waren jedoch die verschiedenen sogenannten Überhorizontradare im Sinne der Produktionstechnologie die vielversprechendsten, seriösesten und am weitesten fortgeschrittenen Lösungen, die zu diesem Zweck weiterentwickelt wurden (‚Elefant’, ‚See-Elefant’ und die mobilen ‚Freya’-Anlagen). Das ‚Elefant’-System wurde von der Forschungsabteilung der Reichspost entwickelt und war das erste echte Überhorizontradar der Welt, das sich die Temperaturinversion in der Ionosphäre zunutze machte. Der ‚SeeElefant’ stellte seine Weiterentwicklung dar und wurde in Westdänemark errichtet [eher „entfaltet“]. Er bestand aus einer etwa 100 m hohen Sendeantenne und zwei stationären Empfangsantennen, die in gewisser Entfernung seitlich von ihm aufgestellt waren. Es handelte sich um ein Breitbandsystem, das in den Frequenzbereichen 23 – 29 MHz, 24 – 30 MHz und 30 – 38 MHz arbeitete. Das modernste aller Überhorizontradare war jedoch das ‚Freya’-System – eine revolutionäre Lösung, die voll beweglich war. […] Ihr lag eine völlig andere und neue Funktionsweise als beim ‚Elefanten’ und ‚SeeElefanten’ zugrunde, die noch mit einzelnen Sendeantennen und doppelten Empfangsantennen ausgestattet waren. Die Hauptsende- und Empfangsantenne sendete einen Impuls, der etwas später auch mittels der Seitenantennen gesendet wurde. Es handelte sich um ein authentisches Radar mit synthetischer Apertur, das imstande war, das Strahlenbündel zu modulieren. […] Diese Systeme waren bereits im Oktober 1943 sehr präzise: Zu dieser Zeit ermöglichten sie es, einen Bomber aus einer Entfernung von 105 km ins Ziel zu lenken, der Bomben mit einer Genauigkeit von 600 m auf das Zeil abwerfen konnte, ohne es zu sehen.“ Das im Buch abgedruckte deutsche Originalschema zeigt genau den Einsatz des Freya als Mittel zum Leiten von Langstreckenwaffen! Der Umriss eines A4b-Geschosses, das eine Reichweite von etwa 600 km hatte, ist ganz klar zu erkennen (es hätte den Beschuss Großbritanniens direkt vom deutschen Territorium aus ermöglicht).

Solche Informationen befinden sich im besprochenen Buch quasi am Rande – größtenteils ist es nämlich dem Chronos / Laternenträger-Projekt gewidmet. Der Autor hat wohl versucht, das allzu umfangreiche Zitieren der Originalpublikation zu vermeiden und hat seine eigenen Spekulationen über die Wirkungsweise und das Konstruktionsziel des beschriebenen Gerätes dargelegt. Er stimmt völlig mit meinen Ausführungen überein und stützt sie durch weitere Argumente. Er vermutet jedoch, dass die Glocke „etwas mehr“ gewesen sein könnte. Diese Annahme beruht jedoch darauf, dass ein Teil der von mir präsentierten Originalbeschreibung ersetzt werden müsste – z. B. dass das Gerät kurze, diskontinuierliche Strahlungsimpulse aussendete und dass sich in der Nähe eine sehr starke Schallquelle befunden haben „soll“. Das würde die Hypothese „stützen“, dass die im „Kern“ enthaltenen Isotope gerichtete Gammastrahlungsimpulse aussendeten u. Ä. Glücklicherweise hat Farrel selbst dies als Spekulationen bezeichnet und vom restlichen Teil seiner Ausführungen abgetrennt. In diesem „restlichen Teil“ habe ich jedoch zwei „Motive“ gefunden, die tatsächlich neue wichtige Daten beinhalten und dabei mit der Quellenbeschreibung vereinbar sind. Ich halte sie für sehr interessant. Das erste ist lediglich ein Satz, in dem ein Artikel erwähnt wird, der das untypische „Verhalten“ von Quecksilber während eines bestimmten Versuches beschreibt. Er wurde 1969 in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Science veröffentlicht. Meine erste Reaktion war deshalb, diesen Jahrgang zu finden. Es hat sich herausgestellt, dass der Artikel dieser geringen Mühe durchaus wert gewesen ist, er stellt nämlich ein interessantes, seltsames und später wohl vergessenes Phänomen dar.81 Bei seiner Entdeckung war übrigens viel Zufall im Spiel. Der Versuch ist sehr einfach. Zwei Wissenschaftler, die verschiedene Luftzirkulationsmodelle analysierten, machten Folgendes: Sie gossen Quecksilber in ein kleines rundes Gefäß, das an eine Untertasse erinnerte. Das Gefäß wurde mit einer durchsichtigen Hülle abgedeckt. Darunter wurde ein gewöhnlicher Gasbrenner platziert, und zwar derart, dass er sich langsam entlang des Gefäßes mit einer Geschwindigkeit von etwa einer Umdrehung pro Minute bewegen konnte. Das Gefäß selbst drehte sich dabei nicht. Nach kurzer Zeit, in der sich das Quecksilber erhitzte, wurde beobachtet, dass es sich um die Gefäßmitte zu drehen begann, und zwar in der entgegengesetzten Richtung zur Bewegung des Brenners. Das Phänomen schien banal einfach

zu sein – es war das Ergebnis von Konvektion, die Bewegung des Quecksilbers war durch den Wärmefluss verursacht. Beachtenswert ist jedoch die Tatsache, dass diese Rotationsbewegung „um ein Vielfaches schneller“ als die Drehbewegung des Brenners war. In einem ähnlichen Experiment, bei dem sich statt Quecksilber Wasser im Gefäß befand, rotierte es nur sehr langsam, mit dem Bruchteil eines Prozents der Brennerdrehgeschwindigkeit. Wenn man das mit dem im Falle von Quecksilber gemessenen Wert vergleicht (mehrere hundert Prozent), so stellt sich heraus, dass der Unterschied drei Größenordnungen, also etwa das Tausendfache ausmacht! Immerhin wurde auf diese Weise eine einzigartige Eigenschaft dieses Flüssigmetalls entdeckt. Die Wissenschaftler stellten fest, dass sie sich aus der „sehr geringen Viskosität“ ergibt. Das erinnert an die in Band II abgedruckte Bemerkung von Professor Demiański, der auf die Frage „Warum ausgerechnet Quecksilber?“ u. a. auch auf seine geringe Viskosität verwies. Mit anderen Worten rotiert Quecksilber viel leichter als andere Stoffe – manchmal tausende Male „bereitwilliger“. Bei dieser Gelegenheit eine Anmerkung: Der obige Versuch erinnert eindeutig an die in dem indischen „Mahabharata“ enthaltene Beschreibung, in der die Rede von einem „kugelförmigen, mit Quecksilber gefüllten Behälter“ die Rede ist, der „über eine Flamme gehalten die Macht des Donners“ entfaltet usw. Die Seiten 305 – 310 des Buches von Farrell enthalten wiederum eine ziemlich interessante Hypothese über die Rolle des Kerns im deutschen Gerät. Der Kern war gleichzeitig ein Behälter, in dem sich eine geheimnisvolle Substanz mit der Bezeichnung Serum 525 oder Xerum 525 befand. Es handelte sich um ein metallisch aussehendes „Gel“, das aller Wahrscheinlichkeit nach irgendein Amalgam von Quecksilber und schwerer Isotope war. Der Kern stellte die Achse des Plasmabeschleunigers dar, was bedeutet, dass er im Betrieb mit auf sehr hohe Geschwindigkeiten beschleunigten Quecksilberionen bombardiert wurde und deshalb auch einem sehr starken Neutronenstrahl ausgesetzt sein musste. Ich muss zugeben, dass es mir vorher nicht gelungen ist, das Rätsel um den Charakter des metallischen „Gels“ oder um die Rolle des Kerns an sich zu lösen (außer dass der Kern aller Wahrscheinlichkeit nach eine der Elektroden des Beschleunigers darstellte und sich in seinem Innern Produkte von Kernreaktionen sammeln konnten). Es war jedoch überhaupt nicht klar, ob es sich dabei um „Nebenprodukte“ handelte, oder ob den Deutschen daran

vielleicht am meisten gelegen war. Was hat also Farrell vorgeschlagen? Da die sich im Kern befindenden Atome der Einwirkung eines außerordentlich starken Magnetfeldes ausgesetzt waren, führte das (seiner Ansicht nach) wahrscheinlich zur Entstehung von „Hochspinisomeren“, oder anders gesagt: Atomkernen mit einem hohen „Isotopenspin“. Wie ich bereits im Falle des Versuchs erwähnt habe, bei dem relativistische, durch das Rotieren von Schwermetallionen hervorgerufene Phänomene untersucht wurden (Verringerung der Trägheit), hing dieser Effekt stark vom „Isotopenspin“ ab. Es geht darum, dass außer der Rotationsbewegung, die man künstlich erzeugen kann, auch eine Komponente vorhanden ist, die die Resultierende der Drehmomente der einzelnen Bestandteile des Atomkerns darstellt (und mit der Rotation des ganzen Atoms nicht verknüpft ist). Sie ist unterschiedlich für die einzelnen Elemente und Isotope, auch für bestimmte „Varianten“ desselben Elementes, die eben als „Isomere“ bezeichnet werden. Wenn es um den Einfluss auf relativistische Effekte (Gravitationseffekte) geht, wurden bei den in dem Artikel beschriebenen Versuchen Unterschiede etwa um den Faktor 2 beobachtet. Im Falle des deutschen Gerätes hätte es also um die Erzeugung eines Spezialmaterials gehen können, das für solche Effekte am anfälligsten gewesen wäre und im Endeffekt höhere resultierende Kräfte zur Folge hätte. Aus der Beschreibung ging hervor, dass es sich bei der „gelähnlichen“ Substanz um irgendeine Mischung handelte. Farrell bringt jedoch noch ein weiteres damit in Zusammenhang stehendes Motiv zur Sprache. Der Isotopenspin bewirkt auch, dass im Kern grundsätzlich eine bestimmte zusätzliche Energiemenge gebunden ist – und diese Energie kann durchaus relativ groß und unter dem Aspekt einer Atomwaffe, oder genauer gesagt: für die Initiierung der Reaktion interessant sein. Farrell schrieb: „Diese Substanzen sind eine seltsame Art von radioaktiven Isotopen, die man nukleare Isomere nennt, und Isomere besitzen einige wirklich sehr merkwürdige Eigenschaften. Die 1921 entdeckten Isomere sind ganz einfach metastabile oder ‚extrem stabile‘ Formen von Atomen, die durch eine Anregung der Protonen oder Neutronen in deren Nuklei entstehen, und die eine Änderung ihres Spins benötigen, bevor sie ihre aufgestaute Energie freisetzen können. Nun sind wir dem Verständnis der Glocke einen Schritt näher, denn nun scheint es, dass das Gerät

aufgrund des Vorhandenseins von ‚Xerum-525‘ weitaus mehr war als bloß eine gegenläufig rotierende Plasmafalle mit hohen Voltzahlen, wie sie sich Witkowski vorstellt. Ganz sicher war sie das auch, aber sie war auch eine Art Reaktor.“ Die erwähnte Substanz weckt Assoziationen mit etwas, das in der Welt der Physikwissenschaft in den 1980er Jahren heftig diskutiert wurde, und zwar mit „rotem Quecksilber“. Diese Substanz führte zu einem Phänomen, das auf dem illegalen Waffenmarkt (insbesondere für spaltbare Stoffe) ohne Übertreibung als das Äquivalent zum „Goldrausch“ galt. Sie wurde nämlich laut Geheimdienstaussagen aus der UdSSR geschmuggelt. Danach tauchten zahlreiche Analysen und Versuche auf, in deren Rahmen festgestellt wurde, dass es sich um Betrug handelte, viele führende westliche Physiker (insbesondere die besser informierten) meinten jedoch weiterhin, dass „rotes Quecksilber“ etwas wirkliches war und einen wahren (und gefährlichen) Durchbruch im Bereich der Konstruktion von Kernwaffen darstellte. Zu diesem Kreis zählt u. a. Dr. Frank Barnaby – Mitentwickler der britischen Atombombe, der die Angelegenheit in Russland selbst untersuchte, sowie Dr. Sam Cohen persönlich – der Entwickler der amerikanischen Neutronenbombe (einer durch eine konventionelle Hohlladungsexplosion initiierten thermonuklearen Ladung ohne Spaltungszünder). Rotes Quecksilber, auch unter der Bezeichnung RM-20.20 bekannt, sollte die Eigenschaften eines „beinah nuklearen Sprengstoffes“ besitzen, der zweimal so stark wie TNT war, was ja die Konstruktion einer Bombe erheblich erleichtert hätte. Das ruft im Übrigen Karlschs Beschreibung einer Explosion in Thüringen in Erinnerung, die insofern seltsam war, als von der ungewöhnlich geringen Menge von etwa 100 Gramm (d. h. wenigen Kubikzentimetern) an spaltbarem Material die Rede war, das für diesen Zweck verwendet wurde. Die Frage nach einem „gelähnlichen Amalgam“ ruft auch die in Aussig, Tschechien durchgeführten Arbeiten und einen durch das japanische I-29Unterseebot durchgeführten Transport in Erinnerung. Im letzteren Fall wurde ein Quecksilber-Radium-Amalgam „entdeckt“.84 Diese Formulierung ist etwas problematisch, da das spezifische Gewicht von Quecksilber fast dreimal so hoch wie das von Radium (bzw. seiner Isotope) ist und sich die beiden Metalle in Flüssigform nicht miteinander vermischen können, so wie

sich Wasser nicht mit Öl vermischen kann. Wasser und Öl kann man jedoch miteinander vermischen, wenn man daraus einen Teig formt. Aus demselben Grund muss wohl auch das erwähnte Quecksilber-Radium-Amalgam eine ziemlich dickflüssige Substanz gewesen sein, die deshalb zumindest grob an „rotes Quecksilber“ erinnerte. In den verfügbaren Publikationen taucht kein einziges Mal eine sinnvolle Erklärung über die Beschaffenheit von RM-20.20 auf, und die Hypothese über Hochspinisomere hat keine ernsthafte Konkurrenz (Barnaby meinte, dafür könnten die sogenannten „freien Radikale“ verantwortlich sein, bei dieser Energiemenge wäre das jedoch unmöglich). Dabei gibt es bestimmte Ähnlichkeiten mit dem Inhalt des beschriebenen deutschen „Kerns“. Es ist bekannt, dass auch die sowjetische Substanz durch die Bestrahlung von Quecksilber oder eines seiner Amalgame in einem Beschleuniger (in Dubna) hergestellt wurde. Wir wissen zwar nicht, um welchen Beschleunigertyp es sich handelte, ob er ausreichend starke magnetische Felder erzeugte (was eine erforderliche Bedingung ist), ein möglicher Ansatz ist jedoch die Ähnlichkeit zwischen Serum / Xerum und RM-20.20. Beide Substanzen hatten der Beschreibung nach dieselbe Konsistenz und beide waren – jeweils violett und kirschrot – gefärbt. Sollte es also den Deutschen um die Entwicklung eines „Rohstoffes“ für den Bau einer Kernwaffe („Spinkernwaffe“?) gegangen sein? Das ist natürlich nur eine Spekulation, und das wichtigste Gegenargument ist die Frage, ob das damalige Wissen im Bereich der Kernphysik für solch raffinierte Lösungen ausreichend war. Es gibt auch keine überprüfbare Bestätigung dafür, dass eine solche Substanz tatsächlich als ein außergewöhnlicher Sprengstoff verwendet werden könnte, obwohl bekannt ist, dass trotz der formellen „Metastabilität“ Isomere unter besonderen Umständen leichter zerfallen können als normale Kerne desselben Elements. Die erste Erklärung, dass es um die Entwicklung einer Substanz ging, die Gravitationseffekte erleichtert, scheint mir „sicherer“ – da wir wissen, dass in diesem Fall die Eigenschaften von Isomeren tatsächlich wesentliche Vorteile bringen.68 Diese Erklärung ist auch insofern einfacher, als das Entwicklungsziel direkt mit dem Wirkungsprinzip des Gerätes selbst verbunden wäre (das hergestellte Material sollte seinen Wirkungsgrad steigern). Vielleicht gab es noch einen weiteren Vorteil – wir sollten die im obigen Zitat enthaltene Anmerkung über die außergewöhnliche Stabilität von

Isomeren beachten. Das hätte eine wesentliche Bedeutung unter dem Aspekt der Einschränkung von schädlichen, vor allem biologischen Nebenwirkungen haben können, da sie sicherlich wenigstens in gewissem Maße das Ergebnis des Zerfalls von Kernen aufgrund ihrer Zusammenstöße miteinander, mit dem Gehäuse u. Ä. waren. Das war jedenfalls die Quelle der Neutronenstrahlung. Das „Hochspinmaterial“ zeichnete sich womöglich durch eine höhere „Viskosität“ als Quecksilber aus (vielleicht gab es dort Isomere von Quecksilber selbst?), hatte jedoch andere Vorteile. Ich möchte diese Spekulationen hiermit abschließen, denn man kann sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt ohnehin nicht entscheiden. Kehren wir zu den Quelleninformationen aus Farrells Buch zurück. Farrell kommentiert auch eine Frage, die zwar im zweiten Band nicht deutlich formuliert wurde, sich jedoch zwangsläufig stellen muss. Es geht darum, dass einige in Band II erwähnte Schlüsselwissenschaftler nach dem Krieg in die USA kamen, und trotzdem war nicht einmal ansatzweise zu erkennen, dass die Amerikaner ihre Arbeiten fortsetzten oder wenigstens stärker an ihnen interessiert waren. Die Rede ist von Dr. Kurt Debus und Professor Walther Gerlach. Der Erstere wurde mit der Leitung des John F. Kennedy Space Center der NASA auf Cape Canaveral beauftragt, der Letztere wurde hingegen verhört, danach wurde er wieder freigelassen und ließ sich in Deutschland nieder. Bezeichnend im Falle Gerlachs war die Tatsache, dass er nichts mehr zu den Themen veröffentlichte, die ihn noch in den 1930er Jahren so fasziniert hatten (von den Kriegsjahren gar nicht zu reden). Das kann man sich natürlich so erklären, dass beide Angst davor hatten, der Teilnahme an Vorbereitungen für Taten vom wahrlich apokalyptischen Charakter bezichtigt zu werden, was sicherlich einen Einfluss auf ihrer Karriere gehabt hätte. Beide standen ja nach dem Krieg in relativ hellem Rampenlicht. Trotz dieser prosaischen Erklärung ist es schwer, sich dem Eindruck zu entziehen, dass es sich hier um etwas mehr handelte, und zwar um ein verabredetes Stillschweigen. Vor einigen Jahren nahm im Übrigen eine gewisse Helga Mazuw, die Tochter des „geheimnisvollen“ Emil Mazuw zu mir Kontakt auf, der für das im vorigen Band beschriebene Projekt zuständig und ein enger Mitarbeiter Himmlers war. Seine Tochter versuchte, von mir irgendetwas über die Kriegstätigkeit ihres Vaters zu erfahren, da sie nach eigenen Angaben überhaupt nichts darüber wusste. Ihr Vater hinterließ nicht nur keine Dokumente oder Andenken, sondern sprach auch niemals mit

seiner Familie darüber, was er tat. Er lebte nach dem Krieg jedoch noch 40 Jahre weiter! Im Kontext dieses Themenkomplexes zitiert Farrell einen interessanten Auszug aus einer Ausarbeitung von Tom Bower aus dem Jahr 1987 über die amerikanische Operation Paperclip [deren Ziel es war, die wichtigsten Raketen- und Flugzeugwissenschaftler zu gewinnen]. Ich möchte seinem Beispiel folgen und auch diesen Auszug zitieren:83 „Drei Wissenschaftler aus Peenemünde – alle Antifaschisten, die sich geweigert hatten, Verträge mit den Amerikanern zu unterzeichnen – offenbarten sich Osborne, dass die strikte hierarchische Struktur, die Dornberger, Axster und von Braun unterstand, trotz der Niederlage des Dritten Reiches unberührt blieb. Vor jedem Verhör [durch die Amerikaner] gab es eine detaillierte Besprechung mit der ‚Dreifaltigkeit’, während der festgelegt wurde, was offen gelegt werden darf und was nicht. Die Anweisungen waren einfach: nicht mehr offen legen als notwendig war, um die wissenschaftliche und technische Neugier zu wecken, und keine Details nennen, die dazu führen könnten, dass die Amerikaner sie nicht mehr einstellen wollten. […] Nach jedem Verhör wurde jeder Deutscher erneut in Anwesenheit seiner Kollegen befragt, damit die übrigen genau wussten, wie der gegenwärtige Wissensstand der Amerikaner war. Osborne entdeckte auch, dass diejenigen Wissenschaftler, die Dornbergers Anweisungen kritisierten oder sich nicht nach ihnen richteten, bestraft wurden.“ Farrell nennt nicht nur strikt technische Daten, sondern zeigt auch relativ klar auf, dass in der Endphase des Krieges unter den Alliierten – bzw. unter den besser informierten höheren Befehlshabern – eigentlich erneut die Angst aufkam, dass das Dritte Reich den Krieg gewinnen könnte! Dafür gibt es mehr als nur eine Quelle. In den Aussagen und Berichten taucht natürlich das Motiv neuer Waffen mit außergewöhnlicher Zerstörungskraft auf. Beginnen wir mit Auszügen aus einem Dokument, das in einem Buch abgedruckt wurde, dessen Verfasser der Kommandeur einer Geheimdienstabteilung beim Stab der Strategischen USLuftstreitkräfte in Europa war; das Schreiben war an General George McDonald gerichtet. Das Dokument ist auf den 5. Januar 1945 datiert, es entstand also direkt nach dem Aufhalten der deutschen Gegenoffensive in

den Ardennen: 1. Sie erinnern sich sicherlich an die SHAEF-Prognose, die 1944 nach dem D-Day eintraf. Darin stand, dass die Kapitulation Deutschlands Ende Dezember dieses Jahres erfolgen würde. Es wird angenommen, dass die SHAEF-Prognose sowohl auf die Planung in Washington als auch auf unser Kriegstheater einen starken Einfluss hatte. Nach diesem Datum wurden die Ausstattung der US Air Force, die Bewaffnung, die Taktik, der Schulungsbedarf und die Versorgung ermittelt. 2. Hitler-Deutschland hat jedoch das Ende dieses Krieges nicht auf Ende 1944 festgesetzt. Hitler-Deutschland erwartet mit Entschlossenheit und Vitalität, dass der Krieg noch unbestimmt lange dauern, und dass es um Überlegenheit sowohl in der Bewaffnung als auch in der Führung kämpfen wird. 3. Mit Ausnahme weniger Modifikationen und Verbesserungen kämpfen die amerikanischen Luftstreitkräfte in diesem Kriegstheater grundsätzlich mit der gleichen Bewaffnung wie im Jahre 1942. Von 1942 bis 1944 waren die Flugzeuge und die Ausrüstung der US Army Air Forces praktisch unter jedem Gesichtspunkt besser als alles, worüber der Gegner in diesem Kriegstheater verfügte. In der Tat waren insgesamt die Waffen und die Ausrüstung in dieser Periode den gegnerischen Lösungen überlegen, sowohl im Hinblick auf die Bodenals auch die Luftstreitkräfte. Dieser Zeitabschnitt ist am 31. Dezember 1944 zu Ende gegangen – Deutschland führt immer noch Krieg, jedoch nicht mit Waffen von 1942. Sie sind Weltspitzenreiter, die über getestete Düsenflugzeuge, Langstreckenfernlenkgeschosse, neue Arten von Unterseebooten und – in bestimmten Kategorien – bessere Panzer verfügen. Ein Großteil ihrer Produktionseinrichtungen wurde unter die Erde verlegt […].“ Interessant ist auch der folgende Auszug aus dem Buch: „Am 4. Januar 1945 schrieb General George S. Patton etwas

Bemerkenswertes in sein Journal: ‚Wir könnten den Krieg immer noch verlieren’. Das war eine bedeutungsschwere Aussage, insbesondere da die letzte deutsche Angriffsoperation des Zweiten Weltkrieges – die Gegenoffensive in den Ardennen [die Angelsachsen beschreiben sie unter dem Begriff „Battle of the Bulge“, wörtlich: „Schlacht des Einbruchs“] fast abgewehrt war, und die siegreichen alliierten Armeen samt den sowjetischen Kräften dem untergehenden Dritten Reich gerade den Todesstoss versetzten sollten. Im Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (SHAEF) überwog der Optimismus. Aus irgendeinem Grund hegte jedoch General ,Old Blood and Guts‘ Patton, trotz seines öffentlichen mutigen und optimistischen Image, ernsthafte Bedenken und Vorbehalte. Es stellt sich die Frage: Warum? In allen konventionellen Militärbereichen war das Dritte Reich doch erledigt!“ Das Buch beinhaltet sogar eine ähnliche Ansicht von Roosevelt selbst! Farrell vermutet im Übrigen, dass einer der Gründe für die deutsche Gegenoffensive in den Ardennen der Wunsch war, nahe genug an London heranzukommen, um die letzte Salve von V2-Raketen mit Massenvernichtungswaffen an Bord abzufeuern. Er druckt ein Zitat aus Brooks’ Buch ab:78 „Ein Adjutant der Luftwaffe im Hitler-Quartier [von Below] schrieb 1982 in seinen ‚Erinnerungen’, dass nicht einmal er verstehen konnte, warum Hitler Antwerpen – ‚einen Ort nach nirgendwo’ – erreichen wollte.“ Aus derselben Quelle kommt auch eine Notiz über eine Aussage von Donald Putt – er soll festgestellt haben, dass „die Deutschen V2-Raketen mit Atomsprengköpfen hatten“. Davon, dass es ein solches Konzept gab, wussten wir bisher aus russischen Dokumenten. Wohl am interessantesten im ganzen Buch ist jedoch ein darin abgedruckter außergewöhnlicher Artikel, der kurz nach dem Kriegsende in Europa veröffentlicht und laut Farrell durch Experten der Flugzeugfirma Convair (Consolidated Vultee) verfasst worden war. Er wurde geschrieben, als der

Krieg auf dem Pazifik noch andauerte, und trägt den bezeichnenden Titel „Um Haaresbreite“:82 „Während der europäischen Kriegsphase war der Sieg mehrere Male in Deutschlands Reichweite auf dem Land, auf dem Meer und am Himmel. Die Nazis wussten vor allem um die Schlüsselbedeutung der Luftüberlegenheit und wollten sie oft den Alliierten entreißen. Und es wäre ihnen beinahe gelungen. ES FEHLTE AN ZEIT Insbesondere in den letzten Kriegsmonaten war unser Sicherheitsspielraum knapper als die meisten von uns glaubten. Wie knapp er genau war wissen am besten bestimmte amerikanische Militärexperten, die seit dieser Zeit einige deutsche unterirdische Forschungslaboratorien und Kriegsindustriebetriebe inspiziert haben. Dort erblickten sie Geheimwaffen in verschiedenen Entwicklungsstadien, Waffen, die wahrscheinlich das Ruder zum Vorteil der Deutschen umgerissen hätten, wenn sie von ihnen ohne Skrupel in der letzten verzweifelten Auseinandersetzung eingesetzt worden wären. Manche dieser Dinge können nun offen gelegt werden. Andere – noch nicht. In einem Betrieb fanden die Offiziere der US Army teilweise zusammengebaute Düsenjäger mit einer völlig neuen Konstruktion. Diese Flugzeuge waren potentiell besser als alle Lösungen, über die die Alliierten damals auf dem Gefechtsfeld verfügten. Wenn den Deutschen die Zeit nicht gefehlt hätte, hätte eine bestimmte Anzahl dieser Flugzeuge das Gleichgewicht der Kräfte im Luftkrieg zu ihren Gunsten beeinflussen können. In einem Werk, das V-Raketen herstellte und 800 Fuß [245 m ?!] unter Kalkgestein versteckt war, fanden unsere Techniker Entwürfe für eine entsetzliche V-Bombe mit einer geschätzten Reichweite von 3.000 Meilen [die A9 / A10?]. ‚Wir planten, mit der Zerstörung New Yorks und anderer amerikanischer Städte im November zu beginnen’ – sagte ein deutscher

Raketeningenieur.

Der Anfang des Artikels „Um Haaresbreite“.

DAS ZIEL: DIE USA In einem umgebauten Salzbergwerk untersuchten unsere Waffenoffiziere fast fertig gestellte schwere Bomber mit Düsenantrieb Bomber, die laut den Deutschen in der Lage waren, starke Sprengstoffe auf Industriestädte im östlichen Teil der Vereinigten Staaten abzuwerfen und über den Atlantik zu ihren Stützpunkten zurückzukehren. Göring selbst sagte, dass diese Flugzeuge erfolgreich eingeflogen wurden und eingesetzt worden wären, wenn Deutschland noch drei weitere Monate ausgehalten hätte. Solche – und andere – Katastrophenszenarios sind jedoch nie zur Wirklichkeit geworden. Wir schafften es, bis zuletzt unsere bisherige Luftüberlegenheit zu wahren, wenn auch nur um Haaresbreite! UND WAS IST MIT JAPAN? Was geschieht in diesen unterirdischen Kriegsfabriken, die von den Japanern gebaut worden sind? Wir möchten das wissen! […] Sowohl damals als auch jetzt erreichen uns unter all den Meldungen über die Erfolge unserer Flieger, die die Japaner im Verhältnis 10:1 abschießen, alarmierende Nachrichten über eine ganz neue japanische Waffe. […]“

Postskriptum Die durch andere Autoren vorgestellten Informationen über den im Nachtrag erwähnten Riese-Komplex und über seine Rolle sollten um noch ein weiteres Detail ergänzt werden, das mir diesmal von Bartosz Rdułtowski übermittelt wurde, der u. a. das Werk „Syndrom V-7“ („Das V-7-Syndrom“) verfasst hat. Er ist auf einen Bericht zweier Häftlinge von 1946 gestoßen, die früher im Riesen gearbeitet hatten; dieser Bericht scheint bestimmte Thesen zu bestätigen. Obwohl er das Gespräch mit mir mit einer längeren Pause und den Worten „Du weißt, was ich von diesen Geschichten über deutsche fliegende Untertassen halte …“ begann, hat ihn der Bericht sehr neugierig gemacht – mich übrigens auch. Zuerst sollte ich keine Einzelheiten darüber verraten, nach mehreren Monaten konnte ich jedoch selbst die Quelle dieser Informationen finden. Es hat sich herausgestellt, dass der erste Nachkriegskommandant der Bürgermiliz in Walim (Wüstewaltersdorf) über die Aussagen zweier Häftlinge verfügte, die „ovale“ fliegende Objekte beschrieben hatten. Sie schwebten lautlos über der Erde und wurden in der Region hergestellt. Ein dort wohnender Bekannter fand auch den Brief eines deutschen Ingenieurs, der am Kriegsende in Ludwikowice (Ludwigsdorf) gearbeitet hatte. Der Ingenieur schrieb: „Das, woran wir arbeiten, wird die Welt vollkommen verändern“.

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installations”, Part III: „Various installations of general interest” 31 Ein von mir durchgeführtes Interview mit Prof. Mieczysław Mołdawa – die Aufnahme ist in meinem

Besitz 32 Ein von mir durchgeführtes Interview mit Dr. Jacek Wilczur – die Aufnahme ist in meinem Besitz 33 Speer, A.: „Der Sklavenstaat” (englische Ausgabe: „Infiltration”) (Macmillan-Verlag, 1981) 34 Lamparska, J.: „Tajemnice ukrytych skarbów” (ASIA Press-Verlag 1995) 35 Gibb, F.: „U-Boat find revives Nazi escape theory” in The Times, 02.05.1983. 36 NARA / RG-319: British Intelligence Objectives Sub-Committee (BIOS) final report no. 782, Item

No. 8: „Interrogation of professor Ferdinand Flury and dr Wolfgang Wirth on the toxicology of chemical warfare agents” 37 R. Karlsch „Atomowa bomba Hitlera” (Dolnośląskie, 2006) 38 Bundesarchiv Koblenz. NS-19: „Akten des Persönlichen Stabes des RFSS”, Ordner 3021 39 Kater, M.: „Das Ahnenerbe der SS 1933-1945” (R. Oldenbourg-Verlag, 1997) 40 Agoston, T.: „Blunder! – how the US gave away Nazi supersecrets to Russia” (W. Kimber Verlag, 1985) 41 Schulz, A., Wegmann, G., Zinke, D.: „Die Generale der Waffen-SS und der Polizei”, Band II (Bissendorf: Biblio-Verlag, 2005) 42 Klonowski, S. – einige Artikel über R. Heydrich in WTK Nr. 40 – 43 / 1977 43 „Decknamenverzeichnis deutscher unterirdischer Bauten” (Johann Schulte Verlag) 44 NARA / RG-319 – „P-Files”: FIAT-Akten (Field Information Agency Technical). Intelligence Research Project No. 876: „German underground factories producing military equipment”, 18.10.1944 45 NARA / RG-319 – „P-Files”: BIOS (British Intelligence Objectives Sub-Committee) final report No. 313, Item No. 2: „Report on visit to Czechoslovakia by Armament Design Department”, August 1946 46 Wojewódzki, M.: „Akcja V1, V2”, Seite 83 (Instytut Wydawniczy PAX-Verlag, 1970) 47 NARA / RG-319 – Records of the Army Staff: „Installations and establishments of the SS”. Security classified intelligence and investigative dossiers 1939–76, Box 47, April 1945 48 Bundesarchiv Koblenz. NS-19: „Akten des Persönlichen Stabes des RFSS”, Ordner 3546, 3800 49 Bundesarchiv Koblenz. NS-19: „Akten des Persönlichen Stabes des RFSS”, Ordner 3346 50 R. S. Allen „Lucky Forward: the history of Patton’s Third Army” (Vanguard Press Verlag, 1947) 51 NARA / RG-319 – OPD 580 ATC: „Operations of the US ATC Command in Czechoslovakia”, Box 465, Dokumente vom 9. und 14.02.1946 52 NARA / RG-319 – OPD 350.05 TS, box 75: „Seizure of documents by American soldiers in Czechoslovakia”, 19.02.1946 und „Intelligence foray into Czechoslovakia”, 20.02.1946 53 NARA / RG-319 – OPD 350.05: „Seizure of documents in Czechoslovakia”, 21.02.1946

54 NARA / RG-319 – OPD 350.05 TS: „The Czech incident”, 22.02.1946 55 NARA / RG-319 – OPD 386.3: „Removal of documents by US officers from a Certain Place in

Czechoslovakia“, Box 405, März 1946 56 Jesensky, M., Leśniakiewicz, R.: „Kryptonim Wunderland” (WIS-2-Verlag, 2006) 57 NARA / RG-319: „Formerly Top Secret Intelligence Documents 1943–1959 (Special Distribution

[SD] and Top Secret [TSC])” 58 NARA / RG-319: „Special Distribution intelligence documents” 59 NARA / RG-319: „Top Secret Incoming and Outgoing Cables 1942–1952” / Czechoslovakia (eine

Sammlung amerikanischer, bis vor Kurzem streng geheimer Materialien über nachrichtendienstliche Maßnahmen, die in der Tschechoslowakei nach dem Krieg durchgeführt wurden) 60 „Samoloty plazmowe“ in Skrzydlata Polska, Nr. 6 / 2001. 61 „Stany Zjednoczone użyły tajnej broni podczas walk w Bagdadzie“ in Nexus, XI-XII / 2003. 62 Rozwadowski, M.: „Tajemnice Gór Sowich“ (Inter Cera, 1998) 63 Cera, J.: „Tajemnice Gór Sowich” (Inter Cera, 1998) 64 Maszkowski, P.: „Olbrzym (-iej) zagadki ciąg dalszy” in Odkrywca, Nr. 11 / 2004 65 Dawidowicz, Z. W.: „Akcja Sowa-71. Cz. 3 – Ludwigsdorf” in Odkrywca, Nr. 2 / 2006 66 Cowell, A., Gibbs, W.: „German sub manaces North Sea 61 years after sinking” in International Herald Tribune, 10.01.2007 67 Kopczyński, W., Trautman, A.: „Czasoprzestrzeń i grawitacja” (PWN-Verlag, 1981) 68 Fallon, P., et al.: „Superdeformed bands” in Physics Letters B, 16.02.1989) 69 Frąckowiak, M.: „Neutrina i ciemna energia – niezwykłe połączenie” in Urania – Potępy Astronomii, Nr. 2 / 2005 70 „Einstein do poprawki” in Rzeczpospolita, 18.02.2006. 71 Fisher, A.: „Testing Einstein (again)“ in Natural History, Nr. 3 / 2005 72 „Who’s Who in Nazi Germany” (London: Wiederfield and Nicolsa, 1982) 73 Brockhaus Enzyklopädie 74 http: / / en.wikipedia.org 75 Belinski, V., Verdaguer, E.: „Gravitational Solitons”. (Cambridge University Press, 2005) 76 Owidzki, R.: „Prace wodne PPT” in Odkrywca, Nr. 2 / 2007 77 Cook, N.: „The hunt for zero point” (Century, 2001), deutsche Ausgabe: „Die Jagd nach Zero Point“ (Potsdam: Mosquito Verlag, 2006) 78 Brooks, G.: „Cudowna broń Hitlera” (Bellona, 2006) 79 Basti, A.: „Hitler en Argentina” (Verlag des Autors, 2006) 80 Farrell, J.P.: „Die Bruderschaft der Glocke“ (Potsdam: Mosquito Verlag, 2009) 81 Schubert, G., Whitehead, J. A.: „Moving flame experiment with liquid mercury” in Science, 03.01.1969 82 „By the skin of our teeth” in Life, 27.08.1945 83 Bower, T.: „The Paperclip conspiracy: the hunt for the nazi scientists” (Little, Brown & Company, 1987) 84 Paterson, L.: „Szare wilki Hitlera – U-Booty na Oceanie Indyjskim” (L&L, 2005)