Die Volksaufklärung in Thüringen im Vormärz (1815-1848): Studien zur Geschichts- und Reichstheologie des frühneuzeitlichen deutschen Protestantismus 9783412215880, 9783412210717


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Die Volksaufklärung in Thüringen im Vormärz (1815-1848): Studien zur Geschichts- und Reichstheologie des frühneuzeitlichen deutschen Protestantismus
 9783412215880, 9783412210717

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Die Volksaufklärung in Thüringen im Vormärz (1815–1848)

Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen Kleine Reihe Band 39

Alexander Krünes

Die Volksaufklärung in Thüringen im Vormärz (1815–1848)

2013 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützungs durch das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie das Forschungszentrum »Laboratorium Aufklärung« der Friedrich-Schiller-Universität Jena

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Verbesserter und unterhaltender Bauern= Haushalt= und Gesprächs=Kalender, Zwickau 1798, Titelblatt (Ausschnitt) © 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Charlotte Bensch Wissenschaftliche Redaktion: Falk Burkhardt Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-21071-7

Inhalt

VORWORT ......................................................................................................................... IX I.

EINLEITUNG...............................................................................................................1 1. Einführung in das Thema .................................................................................1 2. Forschungsstand.................................................................................................6 3. Fragestellung und Methode ............................................................................18

II. ZUR BEGRIFFSBESTIMMUNG VOLKSAUFKLÄRERISCHER TERMINI................25 1. Aufklärung und Volksaufklärung – Versuch einer Abgrenzung..............................................................................25 2. Zum Volksbegriff der Volksaufklärung.........................................................39 III. DIE GENESE DER VOLKSAUFKLÄRUNG BIS 1800 UNTER BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DES THÜRINGER RAUMES ..............................................57 1. Die Anfänge der Volksaufklärung in der Mitte des 18. Jahrhunderts – Zur Entstehung der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung.....................................................57 2. Von der ökonomisch-landwirtschaftlichen Reformbewegung zur „allumfassenden“ Erziehungsbewegung................................................73 3. Thüringen als ein Kernland der Volksaufklärung?......................................88 IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG ......................................................109 1. Das soziale Milieu der Volksaufklärer – Zum Problem der Kategorisierung und Typologisierung der Trägerschicht der Volksaufklärung.......................................................109 2. Zur Typologie der thüringischen Volksaufklärer in der Vormärzzeit..........................................................................................138 2.1 Der Pfarrer – Theodor Wohlfarth und Heinrich Schwerdt als „mustergültige Prototypen“ eines volksaufklärerisch engagierten Landgeistlichen.................................................................159 2.2 Der Staatsdiener – Ludwig Bechstein und Carl von Pfaffenrath als Volksaufklärer unterschiedlicher Couleur ..............182

VI

INHALT

2.3 Der Buchhändler – Zwischen Tradition, Innovation, Gemeinnützigkeit und Profitstreben..................................................210 2.3.1 Ludwig Storch als „traditioneller“ Buchhändler – Der Versuch der Etablierung des „Thüringer Boten“ auf dem Pressemarkt ................................................................214 2.3.2 Bernhard Friedrich Voigt als „gemeinnütziger Spekulationsbuchhhändler“.....................................................221 2.3.3 Carl Joseph Meyer als Vorreiter einer politischen Volksaufklärung im Sinne des Liberalismus.........................229 V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“ – ZUR TOPOGRAPHIE VOLKSAUFKLÄRERISCHER PERIODIKA IN THÜRINGEN IN DER ERSTEN HÄLFTE DES 19. JAHRHUNDERTS ..................257 1. Zur Struktur und Entwicklung des thüringischen Pressewesens nach 1800 ................................................................................257 2. Die thüringischen Nachrichts- und Kreisblätter als Medien der Volksaufklärung ...................................................................262 3. Regierungs- und Intelligenzblätter als indirekte Vermittler aufklärerischen Gedankengutes ................................................279 4. Desinteresse an aufklärerischem Gedankengut? – Zum Problem der Etablierung volksaufklärerischer Periodika auf dem thüringischen Pressemarkt...........................................287 VI. WANDEL UND KONTINUITÄT – GESTALTUNG UND THEMENSPEKTRUM VOLKSAUFKLÄRERISCHER PERIODIKA IM ZEITRAUM VON 1815–1848 .....................................................297 1. „Dorfzeitung“ und „Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ als Leitmedien volksaufklärerischer Periodika in Thüringen..............................................297 2. „Der Thüringer Volksfreund“ (1829–1831) als Initiator einer neuen Gründungsphase universell ausgerichteter volksaufklärerischer Periodika ............................................309 3. Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ (1844–1846) – Eine Fallstudie zur volksaufklärerischen Publizistik in Thüringen im späten Vormärz .....................................................................325 3.1 Aufbau und Programmatik ..................................................................334 3.2 Die „traditionellen“ Themen der Volksaufklärung .........................347

INHALT

VII 3.3 Die soziale Frage ...................................................................................358 3.3.1 Die soziale Not in den 1840er Jahren – Der Pauperismus als eine Existenzkrise des „Volkes“ ..............................................................................361 3.3.2 Auswanderung als Bewältigungsstrategie des Pauperismusproblems .......................................................372 3.4 Die politische Aufklärung des „Volkes“ ...........................................381 3.4.1 Vom Patriotismus zum Nationalismus – Der Wunsch nach deutscher Einheit.....................................390 3.4.2 Das Streben nach Presse- und Meinungsfreiheit.................413

VII. DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN OBRIGKEIT UND PRESSE – ZUR VORAUSSETZUNG EINER POLITISCHEN AUFKLÄRUNG DES „VOLKES“ MIT PUBLIZISTISCHEN MITTELN IN THÜRINGEN .......................421 1. Zur presserechtlichen Situation in den thüringischen Staaten im Vormärz ..............................................................421 2. Pressepolitik und Zensurpraxis in Thüringen von 1830 bis 1848 unter besonderer Berücksichtigung des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha ...........................................427 3. Widerstand gegen die Presserestriktionen des Deutschen Bundes? – Die Strategien der thüringischen Kleinstaaten zur Bewahrung einer eigenständigen Pressepolitik................................................................444 VIII. DIE VOLKSAUFKLÄRUNG ALS EIN WEGBEREITER DER BÜRGERLICHEN GESELLSCHAFT?.....................................................................465 IX. DER AUSKLANG DER VOLKSAUFKLÄRUNG NACH DER REVOLUTION VON 1848/49................................................................................485 1. Abruptes Ende oder sukzessiver Rückgang? – Die Revolution von 1848/49 als Zäsur für die literarisch-publizistische Volksaufklärung............................................485 2. Ein Sieg der Reaktion? – Unterdrückung oder Neukonzeption der politischen Volksaufklärung nach der Revolution ....................................516 X. SCHLUSSBETRACHTUNG .......................................................................................539

VIII

INHALT

ANHANG A......................................................................................................................561 Bibliographie der an das „Volk“ adressierten Periodika in Thüringen von 1800 bis 1848.........................................................................561 ANHANG B ......................................................................................................................577 1. ) Bericht der Herzoglichen Landesregierung über Gründung von Volksbibliotheken und ihrer Unterstützung aus Staatsmitteln ............577 2. ) Bericht der Herzoglichen Landes=Regierung über Etatisirung der Volksbibliotheken für die nächste Finanzierungsperiode..............583 3.) Politische Volksbildung ..............................................................................589 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS.........................................................................................593 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS................................................................595 GRAFIK- UND KARTENVERZEICHNIS ........................................................................653 ORTSREGISTER ...............................................................................................................655 PERSONENREGISTER .....................................................................................................658

Vorwort

Die vorliegende Studie ist im Rahmen der Doktorandenschule „Laboratorium Aufklärung“ entstanden und wurde im Sommersemester 2012 von der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Dissertationsschrift angenommen. Für den Druck wurde das Manuskript geringfügig überarbeitet. Zu besonderem Dank bin ich an erster Stelle meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Werner Greiling verpflichtet. Er hat die Arbeit als Erstgutachter betreut und mich jahrelang in vielfältiger Weise tatkräftig unterstützt. Seine Anregung, mich mit dem Thema intensiver zu beschäftigen, hat diese Arbeit überhaupt erst möglich gemacht. Herrn Prof. Dr. Hans-Werner Hahn danke ich nicht nur für die Übernahme des Zweitgutachtens, sondern auch für dessen fruchtbare Kritik, die die Entstehung meiner Dissertation maßgeblich vorangetrieben hat. Bedanken möchte ich mich ebenfalls bei Herrn Prof. Dr. Holger Böning (Bremen) und Herrn Prof. Dr. Reinhart Siegert (Freiburg), die mir neben zahlreichen fachlichen Ratschlägen auch die Verwendung von bisher unveröffentlichtem Datenbankmaterial aus ihrem Bio-Bibliographischen Projekt „Volksaufklärung“ gewährt haben. Großen Dank schulde ich außerdem Herrn Dr. Gerhard Müller, der mir als vorzüglicher Kenner der thüringischen Archivlandschaft viele wertvolle Quellenhinweise gegeben hat. Die Genese der Arbeit profitierte ferner von den Strukturen des Forschungszentrums „Laboratorium Aufklärung“. Die große kommunikative Vernetzung innerhalb des Forschungszentrums und dessen Anbindung an die verschiedenen akademisch-universitären Einrichtungen inner- und außerhalb Jenas führten zu vielen anregenden Diskussionen sowie zu einem regen interdisziplinären Austausch. Der Leiter des ersten Jahrganges der Doktorandenschule „Laboratorium Aufklärung“ Herr Prof. Dr. Dr. Ralf Koerrenz, der Geschäftsführer Herr Dr. Andreas Klinger und die wissenschaftliche Referentin Frau Dr. Katharina Held haben mit ihrem unermüdlichem Engagement maßgeblich dazu beigetragen, unter hervorragenden Arbeitsbedingungen promovieren zu können. Zudem sei hier meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen in der Doktorandenschule gedankt, die auch außerhalb des Wissenschaftsbetriebes immer ein offenes Ohr für meine Fragen und Probleme hatten. Mein großer Dank gilt des Weiteren der Historischen Kommission für Thüringen für die Aufnahme der Arbeit in die „Kleine Reihe“ und die großzügige finanzielle Förderung der Drucklegung. Zugleich ist dem Direktorium des Forschungszentrums „Laboratorium Aufklärung“ für die Bereitstellung eines weiteren namhaften Anteils am Druckkostenzuschuss zu danken.

X

VORWORT

Schließlich möchte ich es an dieser Stelle nicht versäumen, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der von mir benutzten Archive und Bibliotheken für ihre engagierte Hilfe bei der Beschaffung und Bereitstellung des umfangreichen Quellenmaterials zu danken. Zudem danke ich meinen Eltern und Freunden, die mich stets mit aufmunternden Worten und vielfältiger Unterstützung durch meine Promotionszeit begleitet haben. Mein letzter und größter Dank gilt meiner Lebensgefährtin Dominique Brühl, die immer an meiner Seite stand und mir vor allem in schwierigen Phasen stets die Kraft zum Weitermachen gegeben hat. Sie hat weit mehr zum Entstehen dieser Arbeit beigetragen, als ich mit Worten auszudrücken vermag. Das vorliegende Buch soll deshalb ihr und unserer Tochter Elisa, die wenige Wochen nach Abgabe der Dissertation das Licht der Welt erblickte, gewidmet sein. Jena, im März 2013

Alexander Krünes

I. Einleitung

1. Einführung in das Thema EINFÜHRUNG IN DAS THEMA Bildung ist der Seele Leben, Kenntnisse aller Art zu erringen, die rohen thierischen Ausbrüche zu zähmen, das ist die Aufgabe, die wir zu lösen haben, und es ist eine schwere; Viele ermatten, Viele sinken in das Grab, von denen wir uns sagen müssen, sie erfaßten’s nicht. Die Idee der wahren Bildung ist jetzt geweckt; es wird besser werden, darum nur gestrebt, daß die Sonne der Humanität den Erdkreis, daß die armseligen Seelen verschwinden, die in ihrer Halbheit Hindernisse abgeben für die wahre, gediegene Bildung!1

Mit diesen Worten versuchte das in der ehemaligen thüringischen Residenzstadt Saalfeld erscheinende „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ im Jahr 1844 seine Leser davon zu überzeugen, dass die Vervollkommnung und die damit einhergehende Glückseligkeit eines jeden Menschen unmittelbar von dessen Bildungsstand abhängig war. Für den Staatsdiener Carl von Pfaffenrath und den Pfarrer Heinrich Schwerdt, die sich beide als Herausgeber des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ betätigten, war Bildung der entscheidende Faktor zur Überwindung individueller und gesellschaftlicher Missstände. Dabei erachteten es beide gleichsam als elementar, dass der Begriff „Bildung“ mehr als eine bloße Anhäufung eklektischen Wissens verstanden wurde. Jeder Mensch sollte nach „wahrer Bildung“ streben, die nur im Zusammenspiel von Wissen, Vernunft und Moralität erreicht werden konnte. Der Geist des Menschen sollte frei von „Selbstsucht“ sein und „zu dem Gedanken eines allgemeinen Besten“ führen.2 Überzeugt von der Perfektibilität des Menschen, glaubte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“, dass sich die Welt zukünftig zum Besseren gestalten ließ: „Der Geist, das Edelste, soll ein Abbild der Gottheit seyn; wir sollen dahin streben, so zu werden, wie wir uns das höchste Wesen denken. Nach Gottähnlichkeit soll der Erdenbewohner trachten, den er ist geschaffen als ein Bild, das ihm (Gott) gleich sey.“ Ein wahrhaft gebildeter Mensch erkannte „den Zweck seines Daseyns“ und setzte alle „Kräfte des Geistes und des Körpers“ dazu ein, nicht nur den persönlichen, sondern auch den gesellschaftlichen Wohlstand zu heben. Um eine Intensivierung gemeinnützigen Denkens und Handelns bemüht, appellierte das „Allgemeine Volksblatt der

1 2

Was ist Bildung?, in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen. Eine belehrend unterhaltende Zeitschrift für den Bürger und Landmann, Nr. 43 vom 26. Oktober 1844, S. 342. Ebd.

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I. EINLEITUNG

Deutschen“ deshalb an seine Leser: „Wenn es dem Einzelnen wohl gehen soll, muß sich das Ganze wohl befinden, das müssen wir bedenken!“3 Damit das Ziel einer gemeinnützig agierenden, wohlhabenden Gesellschaft keine Utopie blieb, mussten zwangsläufig alle Gesellschaftsglieder in den Genuss „wahrer Bildung“ kommen. Insbesondere die weniger gebildeten landwirtschaftsund gewerbetreibenden Bevölkerungsschichten hatten nach Meinung des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ zunächst einen umfassenden Aufklärungsprozess zu durchlaufen, andernfalls waren alle Versuche zur Hebung des Allgemeinwohls zum Scheitern verurteilt. Da die Aufklärung der breiten Masse, angefangen von praktisch-ökonomischen bis hin zu kulturellen, medizinischen, historischen, religiösen, sittlich-moralischen und politischen Belangen, in den Augen von Carl von Pfaffenrath und Heinrich Schwerdt ein ausgesprochen schwieriges Unterfangen darstellte, konzipierten sie ihr Periodikum in erster Linie als ein publizistisches Organ zur Förderung der Bildung der ländlich-bäuerlichen Bevölkerung: Auch ihr, liebe Landleute, seyd ja Gottes Kinder, seyd nach seinem Ebenbilde geschaffen und mit reichen Kräften des Geistes ausgestattet; auch ihr sollt dieselben bilden, sollt auf der Bahn der Vollkommenheit immer weiter schreiten. Auch der ärmste Bauer, der bisher noch unwissend, roh und abergläubig war, weil ihm der nöthige Unterricht mangelte, soll seine Bildung nicht länger vernachlässigen. Ein Gelehrter soll der Landmann zwar nicht seyn und werden; aber ein gewisser Grad von Bildung, die seinem Stande entspricht, soll und darf auch ihm nicht fehlen.4

Mit dieser Haltung reihte sich das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ in eine Bewegung ein, die sich etwa ein Jahrhundert zuvor im gesamten deutschen Sprachraum herausgebildet hatte und das Ziel verfolgte, die „Aufklärung des Volkes“ voranzutreiben.5 Die Akteure dieser Bewegung, die sich seit den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts selbst als „Volksaufklärer“ bezeichneten, vertraten den Standpunkt, dass das Wissen der Aufklärung nicht nur den gehobenen Ständen vorbehalten sei, sondern ebenso dem „Volk“ zugänglich gemacht werden sollte. Aufklärerisches Wissen sollte der bäuerlichen Bevölkerung zunächst als „praktische Lebenshilfe“ dienen und vorzugsweise in der Land- und Hauswirtschaft zur Anwendung kommen. Im Laufe des letzten Drittels des 18. Jahrhunderts wandelte sich diese ursprünglich rein ökonomisch veranlagte Reformbewegung zu einer Erziehungsbewegung, deren Fokus neben der Vermittlung praktischer Ratschläge fortan ebenso auf der Popularisierung aufklärerischen Denkens und Handelns lag. 3 4 5

Ebd. Volksbildung und Volkswohlfahrt. Die Winterabend=Vorlesungen auf dem Lande, in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen, Nr. 46, 1845, S. 363. Vgl. BÖNING, HOLGER/SCHMITT, HANNO/SIEGERT, REINHART (Hrsg.): Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts, Bremen 2007.

EINFÜHRUNG IN DAS THEMA

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Das Hauptziel dieser Bewegung, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts im zeitgenössischen Sprachgebrauch nun explizit als „Volksaufklärung“ etikettiert wurde, war eine grundlegende Mentalitätsveränderung ihrer Adressaten. Die weniger gebildeten Bevölkerungsschichten sollten dem Beispiel der aufklärerisch denkenden Gebildeten folgen und ihre Wirtschafts- und Lebensweise auf „vernünftigen“ Prinzipien aufbauen. In Anlehnung an Immanuel Kants berühmte Definition von Aufklärung, die der Königsberger Philosoph im Jahr 1784 in der Dezemberausgabe der „Berlinischen Monatsschrift“ veröffentlicht hatte, forderte die Volksaufklärung, dass sich jeder Mensch seines Verstandes und seiner Vernunft bedienen sollte,6 um dadurch eine Verbesserung aller Lebensverhältnisse herbeizuführen. In den Augen der Volksaufklärer stellte vernunftgeleitetes Denken und Handeln außerdem die Grundlage für ein tugendhaftes Leben dar. Auch die breite Masse des „Volkes“ sollte ein Stück „gesitteter“ werden und sich die geistig-moralische Haltung der aufklärerisch denkenden Gebildeten zum Vorbild nehmen. Vernunftgebrauch, Selbstdenken, Wissensakkumulation und Gestaltungswille sowie das Streben nach Wahrheit, Wohlstand, Sittlichkeit und Gemeinnützigkeit bildeten die Wesensmerkmale einer „vollständigen“ Aufklärung, der sich jeder Mensch verpflichtet fühlen sollte. Der Grad der Aufklärung war zudem entscheidend für den Grad der Bildung eines Menschen.7 Ein aufgeklärter Mensch strebte fortwährend nach geistiger und sittlicher Vervollkommnung, die einzig durch Aneignung neuen Wissens und durch vernunftgeleitetes Selbstdenken zu erreichen war. Der Zustand „wahrer Bildung“ wurde wiederum daran gemessen, wie stark das Denken und Handeln des Einzelnen dem Ideal geistiger und sittlicher Selbstvervollkommnung entsprach. Aufklärung und Bildung waren demzufolge untrennbar miteinander verbunden. Von der Lernfähigkeit des Menschen überzeugt und um den gesellschaftlich universalen Anspruch der Aufklärung gerecht zu werden, versuchten die Volksaufklärer über den Weg der Erziehung die breite Masse der Bevölkerung an das Ideal der geistigen und sittlichen Vervollkommnung möglichst nahe heranzuführen.8 Unter den Schlagwörtern „Volksaufklärung“ und „Volksbildung“ sollten die weniger gebildeten Bevölkerungsschichten einen Aufklärungsprozess durchlaufen, der im Wesentlichen mit dem Aufklärungs- und Bildungs6 7

8

Vgl. KANT, IMMANUEL: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, in: Bahr, Erhard (Hrsg.): Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen, Stuttgart 2006, S. 9. Zum Bildungsbegriff im 18. und 19. Jahrhundert sowie zur Entstehung verschiedener „Bildungsvariationen“ nach 1800 vgl. VIERHAUS, RUDOLF: Bildung, in: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hrsg.). Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 1: A – D, Stuttgart 1972, S. 508–551. Zum Begriff der Erziehung und dessen Abgrenzung zum Bildungsbegriff vgl. TENORTH, HEINZ-ELMAR: Geschichte der Erziehung. Einführung in die Grundzüge ihrer neuzeitlichen Entwicklung, 4. Aufl. Weinheim/München 2008, S. 16–25.

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I. EINLEITUNG

programm der sozial höher gestellten Gebildeten übereinstimmte. Die Unmündigkeit und Emanzipation des „Volkes“ sollte dabei den Endpunkt dieses Aufklärungsprozesses bilden und zugleich in einer „besseren“ und „glücklicheren“ Gesellschaft kulminieren. Dass sich dieser Prozess nicht ruckartig verwirklichen ließ, sondern Zeit und Ausdauer benötigte, war den Volksaufklärern durchaus bewusst. Auch Kant hatte in der „Berliner Monatsschrift“ bereits angemerkt, dass „ein Publikum nur langsam zur Aufklärung kommen“ kann.9 Die dauerhafte Verankerung aufklärerischen Gedankengutes im „Volk“ und die damit verbundene Mentalitätsveränderung breiter Bevölkerungsschichten war kein Prozess weniger Jahre, sondern mehrerer Jahrzehnte. Damit die Aufklärung überhaupt in die breite Masse des „Volkes“ eindringen konnte, bedurfte es außerdem wohlüberlegter Strategien und geeigneter Mittel. Als besonders wirksam für die Verbreitung aufklärerischer Ideen und die Etablierung einer aufklärerischen Kultur in allen Bevölkerungsschichten erwiesen sich literarisch-publizistische Medien. Mit Tausenden von Büchern, Kalendern und Periodika versuchten die Volksaufklärer von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhundert die Aufklärung bzw. die Bildung des „Volkes“ zu heben. Carl von Pfaffenrath und Heinrich Schwerdt als Vertreter der späten Volksaufklärungsbewegung in Thüringen bedienten sich ebenfalls der Publizistik, um aufklärerisches Gedankengut einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Rückblickend auf den langen Aufklärungsprozess, den das „Volk“ seit dem Ende des 18. Jahrhunderts durchlaufen hatte, werteten die beiden Volksaufklärer die erzielten Ergebnisse der letzten Jahrzehnte als positiv: Noch zu keiner Zeit hat sich ein so lebhaftes Streben nach geistiger Bildung kund gegebenen, als in der jetzigen, und daß auch der Landmann nicht zurückbleiben darf, ist natürlich. Jahrhunderte lang in die Fesseln der Unwissenheit und des Aberglaubens eingezwängt, muß gerade für ihn das Licht der Aufklärung eine unschätzbare Wohlthat seyn, indem die fortschreitende Bildung nicht nur einflußreich auf seine Kenntnisse, sondern auch auf die Bewirthschaftung seiner Felder, auf die Vermehrung seines Wohlstandes wirkt.10

Gleichzeitig waren die beiden Herausgeber des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ aber ebenso der Meinung, dass der Prozess der Aufklärung des „Volkes“ noch keinesfalls als abgeschlossen betrachtet werden konnte. Vielmehr glaubten sie, dass die positiven Entwicklungen der letzten Jahre wieder zunichte gemacht werden könnten. Mit Sorge blickten Pfaffenrath und Schwerdt vor allem auf die im Vormärz kontinuierlich steigende Anzahl von Periodika, die nicht selten als „Volksblätter“ tituliert waren und sich demzufolge unmittelbar an ein breites Publikum richteten: „Wenn das Jahr 1844 so reich an Getraide würde, wie es 9 KANT: Beantwortung der Frage, S. 10. 10 Volksbildung und Volkswohlfahrt. Die Lesevereine auf dem Lande, in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen, Nr. 31, 1845, S. 243 f.

EINFÜHRUNG IN DAS THEMA

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überreich an Volksblättern ist, so dürfte man es ein wahrhaft gesegnetes nennen. Diese Blätter sind mit dem ersten Januar emporgeschossen wie Pilze in einer lauen Frühlingsnacht.“11 Das Problem, das die beiden Volksaufklärer in der Vielzahl der neu gegründeten Periodika zu erkennen glaubten, war die heterogene inhaltliche Ausrichtung der verschiedenen Blätter. Obwohl nahezu alle Volksblätter die Belehrung des „Landmannes“ oder des „gemeinen Mannes“ apostrophierten, unterschieden sich die Ziele der als belehrend beworbenen Inhalte mitunter stark voneinander. „Nun betrachten wir uns auch einmal das Heer von Volksblättern, da möchten einem vor Jammer die Augen übergehen, über das Zeug. An den meisten ist Nichts was zu einem Volksblatte gehört, als wie der Titel“,12 schrieb das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ über diejenigen Volksblätter, denen es an volksaufklärerischen Ambitionen fehlte. In den Augen von Pfaffenrath und Schwerdt gefährdeten alle Volksblätter, die nicht dem Programm der Aufklärung folgten, sich also nicht für die Zurückdrängung von Aberglauben, Unwahrheit und Unwissenheit einsetzten und keine Verbesserung der öffentlichen Wohlfahrt anstrebten, den gesamtgesellschaftlichen Aufklärungsprozess. Ebenso waren sie überzeugt, dass diese Blätter nicht an der Beseitigung der bestehenden sozialen, wirtschaftlichen und politisch-rechtlichen Missstände interessiert waren. Alle Blätter, die offenkundig antiaufklärerische Tendenzen beinhalteten, wurden deshalb als rückständig deklariert und als Hemmnis auf dem Weg einer allseitigen, gehobenen Volksbildung betrachtet. Ihr eigenes Blatt propagierten Pfaffenrath und Schwerdt hingegen als zukunfts- und fortschrittsorientiert. Mit dem „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ wollten sich die beiden Volksaufklärer der Masse der „falschen“ Volksblätter entgegenstellen und die geistige und sittliche Entwicklung des „gemeinen Mannes“ im Sinne der Aufklärung weiter vorantreiben. Für sie war eine höhere Volksaufklärung bzw. Volksbildung der entscheidende Schlüssel zur Gestaltung einer besseren und damit auch glücklicheren Welt. Dass diese Vorstellung nicht nur von Pfaffenrath und Schwerdt allein vertreten wurde, zeigt ein Blick auf den Buch- und Pressemarkt in Thüringen wenige Jahre vor dem Ausbruch der Revolution von 1848/49. Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ war kein Einzelfall, sondern gehörte zu einer beachtlichen Zahl von thüringischen Volksschriften, deren Verfasser und Herausgeber permanent versuchten, die weniger gebildete landwirtschafts- und gewerbetreibende Bevölkerung in emphatischer Weise davon zu überzeugen – unter Verwendung solcher Parolen wie „Volksbildung ist Volkswohlfahrt“ oder „Bildung für Alle“ –, dass Aufklärung und Bildung die essentiellen Grundvoraussetzungen einer besseren Zukunft seien.

11 Neuigkeiten, in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen, Nr. 8 vom 24. Februar 1844, S. 64. 12 Alkoven, in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen, Nr. 14, 1846, S. 112.

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I. EINLEITUNG

2. Forschungsstand FORSCHUNGSSTAND

Noch im Jahr 1991 behauptete Christof Dipper, dass in der deutschen Geschichtswissenschaft die „Aufklärung des Volkes“ bislang unzureichend behandelt worden wäre.13 Dieser Umstand hat sich im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte erheblich verbessert. Zwar entstanden bereits in den 1930er Jahren von Arthur Eichler, Walter Götze, Erich Grathoff, Gerhard Füsser, Olga von Hippel und Irene Jentsch erste pädagogische und pressehistorische Studien zur Volksbildung und Bauernaufklärung im deutschsprachigen Raum im 18. Jahrhunderts,14 doch lieferten die Untersuchungsergebnisse in diesen Schriften noch keine befriedigenden Antworten zur Verbreitung, Rezeption, Wirkung und Methodik des volksaufklärerischen Schrifttums des 18. Jahrhunderts. In der Nachkriegszeit gab vor allem Dieter Narr mit seinem Aufsatz „Fragen der Volksbildung in der späteren Aufklärung“ entscheidende Impulse und Anregungen für die weitere Bearbeitung der Themenfelder Volksbildung und Volkserziehung zur Zeit der Spätaufklärung.15 Mit den Arbeiten von Gottfried Weißert, Heinz Otto Lichtenberg, Rudolf Schenda und Reinhard Wittmann erschie13 Vgl. DIPPER, CHRISTOF: Volksaufklärung und Landwirtschaft – ein wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Kommentar, in: Segeberg, Harro (Hrsg.): Vom Wert der Arbeit. Zur literarischen Konstitution des Wertkomplexes ‚Arbeit‘ in der deutschen Literatur (1770–1930), Tübingen 1991, S. 145. 14 Vgl. GÖTZE, WALTER: Die Begründung der Volksbildung in der Aufklärungsbewegung, Langensalza/Berlin/Leipzig 1932; EICHLER, ARTHUR: Die Landbewegung des 18. Jahrhunderts und ihre Pädagogik, Langensalza/Berlin/Leipig 1933; FÜSSER, GERHARD: Bauernzeitungen in Bayern und Thüringen von 1818–1848. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Bauernstandes und der deutschen Presse, Hildburghausen 1934; GRATHOFF, ERICH: Deutsche Bauern- und Dorfzeitungen des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte des Bauerntums, der öffentlichen Meinung und des Zeitungswesens, Würzburg 1937; JENTSCH, IRENE: Zur Geschichte des Zeitungslesens in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts. Mit besonderer Berücksichtigung der gesellschaftlichen Formen des Zeitungslesens, Leipzig 1937; HIPPEL, OLGA VON: Die pädagogische Dorf-Utopie der Aufklärung, Langensalza 1939. Ebenso entstanden in den 1930er und 1940er Jahren einige regionale Forschungsarbeiten zur Bauernaufklärung in der Schweiz. Vgl. u.a. SCHMIDT, GEORG C. L.: Der Schweizer Bauer im Zeitalter des Frühkapitalismus. Die Wandlung der Schweizer Bauernwirtschaft im achtzehnten Jahrhundert und die Politik der Ökonomischen Patrioten, 2. Bde., Bern 1932; FRETZ, DIETHELM: Die Entstehung der Lesegesellschaft Wädenswil. Streiflichter auf die materielle und geistige Kultur des Zürichseegebietes im ausgehenden 18. Jahrhundert, Wädenswil 1940. 15 Die Erstveröffentlichung des Aufsatzes erfolgte im „Württembergischen Jahrbuch für Volkskunde 1959/60“. Im Jahr 1979 wurde er anlässlich des 75. Geburtstages von Dieter Narr erneut abgedruckt. Vgl. NARR, DIETER: Studien zur Spätaufklärung im deutschen Südwesten, Stuttgart 1979, S. 182–207.

FORSCHUNGSSTAND

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nen Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre die ersten quellengesättigten Untersuchungen zur bäuerlichen Lektüre und zum Leseverhalten der bäuerlichen Bevölkerung in der deutschen Spätaufklärung.16 Ihre Ergebnisse zeichneten in vielen Punkten ein weitgehend negatives Bild der Volksaufklärung. Zum einen wurde die Lesefähigkeit der ländlich-bäuerlichen Bevölkerung als sehr gering eingeschätzt und zum anderen wurde konstatiert, dass das Lesebedürfnis der einfachen Bauern nach aufklärerischer Lektüre nur schwach ausgeprägt war. Zudem wurde den Volksaufklärern des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts unterstellt, dass ihr Lektürekanon den „gemeinen Mann“ primär zu Gehorsam und Arbeitsamkeit erziehen sollte. Ihr Verständnis von Volksbildung war zunächst nur praktisch orientiert und sollte keinen gesellschaftlichen Modernisierungsprozess einleiten. Das Volksbildungskonzept der Aufklärung war darauf ausgerichtet, die bäuerlichen Schichten zu nützlicheren Untertanen des Staates zu formen. Diese Arbeiten, die hauptsächlich den sozialdisziplinären Charakter der Volksaufklärung akzentuiert haben, bildeten die Grundlage für weitere Forschungsarbeiten, die sich nun eingehender mit der Verbreitung, der Wirksamkeit und den Autoren des volksaufklärerischen Schrifttums befassten. Den ersten großen Schritt, mit einer umfassenden Studie die vorhandenen Forschungslücken auf dem Gebiet der Volksaufklärung zu schließen, leistete Reinhart Siegert mit seiner Dissertation „Aufklärung und Volkslektüre“.17 Anhand von Rudolph Zacharias Beckers „Noth- und Hülfsbüchlein“ versuchte er in seiner Arbeit zu klären, wie dem „gemeinen Mann“ um 1800 mithilfe von Literatur aufklärerisches Wissen vermittelt wurde. In seiner Studie kam Siegert zu dem Ergebnis, dass die Verbreitung der Aufklärung über die akademischen Kreise hinaus vor allem von einer breiten Gebildetenschicht getragen wurde. Er kam zu dem Befund, dass die Volksaufklärungsbewegung in erster Linie eine „Bürgerinitiative“ war, die vielerorts von staatlicher Seite geduldet, aber nicht gefördert wurde. Die Arbeit von Siegert, die enormen Einfluss auf alle nachfolgenden Studien zur Volksaufklärung ausgeübt hat und unser Bild hinsichtlich der Frage nach der 16 Vgl. WEIßERT, GOTTFRIED: Das Mildheimische Liederbuch. Studien zur volkspädagogischen Literatur der Aufklärung; Tübingen 1966; LICHTENBERG, HEINZ-OTTO: Unterhaltsame Bauernaufklärung, Ein Kapitel Volksbildungsgeschichte, Tübingen 1970; SCHENDA, RUDOLF: Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgeschichte der populären Lesestoffe 1770– 1910, Frankfurt am Main 1970; WITTMANN, REINHARD: Der lesende Landmann. Zur Rezeption aufklärerischer Bemühungen durch die bäuerliche Bevölkerung im 18. Jahrhundert, in: Berindei, Dan/Gesemann, Wolfgang/Hoffmann, Alfred/Leitsch, Walter/Timm, Albrecht/Vilfan, Sergij (Hrsg.): Der Bauer Mittel- und Osteuropas im sozioökonomischen Wandel des 18. und 19. Jahrhunderts. Beiträge zu seiner Lage und deren Widerspiegelung in der zeitgenössischen Publizistik und Literatur, Köln/Weimar/Wien 1973, S. 142–196. 17 Vgl. SIEGERT, REINHART: Aufklärung und Volkslektüre. Exemplarisch dargestellt an Rudolph Zacharias Becker und seinem „Noth- und Hülfsbüchlein“, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens, 19 (1978), Sp. 565–1348.

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I. EINLEITUNG

Trägerschicht und den publizistisch-literarischen Mitteln der Volksaufklärung des späten 18. Jahrhunderts auch zum jetzigen Zeitpunkt noch maßgeblich bestimmt, kann dabei als Initialzündung weiterer Untersuchungen zu den „Hauptprotagonisten“ der Volksaufklärungsbewegung, wie Friedrich Eberhard von Rochow oder Joachim Heinrich Campe, betrachtet werden. An dieser Stelle sei vor allem die Studie von Holger Böning erwähnt, die das volksaufklärerische Engagement des in der Schweiz wirkenden Schriftstellers und Pädagogen Heinrich Zschokkes18 zum Thema hatte.19 In seiner Arbeit untersuchte Böning nicht nur die publizistisch-literarischen Mittel, mit denen Zschokke auf die bäuerliche Bevölkerung in der Schweiz einzuwirken suchte, sondern auch dessen Engagement zur Beförderung der Volksbildung im Sozietäts- und Schulwesen. Böning fragte nach den politischen und gesellschaftlichen Grundvoraussetzungen volksaufklärerischer Tätigkeit und kam zu dem Ergebnis, dass „die Erfolge der Volksaufklärung nicht nur von dem subjektiven guten Willen und den Fähigkeiten einzelner Personen“ abhingen, sondern auch von der Art und Weise, wie die Obrigkeiten die Verbreitung aufklärerischen Gedankengutes unterstützten oder blockierten.20 Zugleich untersuchte Böning die Inhalte und Bedingungen einer politischen Volksaufklärung in der Schweiz. Dabei skizzierte er Heinrich Zschokke als einen engagierten Vermittler politisch liberaler und demokratischer Positionen, der seinen „Schweizerboten“ jahrzehntelang als publizistisches Organ zur staatsbürgerlichen Erziehung der bäuerlichen Bevölkerung geschickt einzusetzen verstand. Er konnte damit eindeutig belegen, dass die Volksaufklärung nicht nur auf eine Festigung des Untertanengeistes des „gemeinen Mannes“ zielte, sondern ebenso, in Abhängigkeit von den politischen Ansichten ihrer Träger, emanzipatorische Bestrebungen verfolgte. Wenngleich weiterhin Skepsis bestand, dass die Volksaufklärung die breite Masse der Bevölkerung zu Unmündigkeit und Emanzipation führen wollte,21 konnte Böning mit seinen Befunden die zugespitzten Behauptungen vorangegangener Forschungsarbeiten etwas relativieren. Außerdem formulierte er vorsichtig, indem er auf die Ergebnisse von Reinhart Siegert rekurrierte, dass die gängigen Epochenbestimmungen zur Aufklärung und Volksaufklärung überdacht 18 Johann Heinrich Daniel Zschokke (1771–1848) kam ursprünglich aus Magdeburg und wanderte 1798 in die Schweiz aus. 19 Vgl. BÖNING, HOLGER: Heinrich Zschokke und sein „Aufrichtiger und wohlerfahrener Schweizerbote“: Die Volksaufklärung in der Schweiz, Bern/Frankfurt am Main/New York 1983. 20 Vgl. ebd., S. 13. 21 So meinte beispielsweise Reinhard Wittmann in seiner 1991 veröffentlichten „Geschichte des deutschen Buchhandels“, dass sich die Volksaufklärer nach 1789 mit der Obrigkeit verbündet und die Emanzipation der ländlichen Bevölkerung blockiert hätten. Vgl. WITTMANN, REINHARD: Geschichte des deutschen Buchhandels. Ein Überblick, München 1991, S. 178.

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werden müssen. Zschokkes Engagement in der Volksbildung wertete er als klares Indiz, dass die Volksaufklärungsbewegung in Deutschland und in der Schweiz nicht um 1800 endete, sondern noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fortbestanden haben muss.22 Die Ergebnisse der Volksaufklärungsforschung zu den späten 1770er und frühen 1780er Jahren führten wiederum zur Frage nach der Organisation und Agitation der Volksaufklärungsbewegung. Es galt nun zu klären, welchen sozialen Schichten die Träger der Volksaufklärung angehörten, in welchen gesellschaftlichen Kreisen sie verkehrten, wie sie miteinander kommunizierten und welcher Strategien sie sich bedienten, das Gedankengut der Aufklärung in das „Volk“ zu tragen. Um verlässlichere Aussagen über die Träger und Medien der Volksaufklärung im deutschen Sprachraum treffen zu können, wurde von Holger Böning und Reinhart Siegert im Jahr 1985 das Bio-Bibliographische Projekt „Volksaufklärung“ ins Leben gerufen, das eine vollständige Erfassung aller im 18. und 19. Jahrhundert erschienenen volksaufklärerischen Schriften zum Ziel hatte.23 „Mit diesem bio-bibliographischen Projekt ‚Volksaufklärung‘ sollten die bereits bekannten Titel bibliographisch und inhaltlich vollständig beschrieben, vor allem aber sollte systematisch nach weiteren unbekannten solchen Schriften gesucht werden.“24 Wie sich herausstellte, entwickelte sich dieses Vorhaben im Laufe der Jahre zu einem „Großprojekt“ unerwarteten Ausmaßes. Die anfangs optimistische Schätzung von maximal 1.000 existierenden volksaufklärerischen Schriften wurde bei Weitem übertroffen. Im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten konnten Siegert und Böning für den Zeitraum von 1750 bis 1850 bis jetzt ca. 20.000 volksaufklärerische Schriften nachweisen, welche von rund 4.000 Autoren verfasst wurden.25 Damit war die Volksaufklärung, wie Holger Böning passend feststellte, die

22 Vgl. BÖNING: Heinrich Zschokke, S. 14. 23 Vgl. DERS./SIEGERT, REINHART: „Volksaufklärung“. Biobibliographisches Handbuch zur Popularisierung aufklärerischen Denkens im deutschen Sprachraum – Ausgewählte Schriften, Ein Werkstattbericht, in: Conrad, Anne/Herzig, Arno/Kopitzsch, Franklin (Hrsg.): Das Volk im Visier der Aufklärung. Studien zur Popularisierung der Aufklärung im späten 18. Jahrhundert, Hamburg 1998, S. 18. 24 Ebd., S. 19. Die chronologische Auflistung aller volksaufklärerischen Schriften erfolgt in einem eigens dafür vorgesehenen Handbuch. Der Zeitraum bis 1800 wurde bereits in drei Bänden aufgearbeitet. Für den Zeitraum von 1800 bis 1850 sind weitere Bände geplant. Vgl. BÖNING, HOLGER/SIEGERT, REINHART: Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch zur Popularisierung aufklärerischen Denkens im deutschen Sprachraum von den Anfängen bis 1850, Bd. 1, Bd. 2 [Teilbd. 2.1, Teilbd. 2.2], Stuttgart-Bad Cannstadt 1990–2001. 25 Vgl. BÖNING/SCHMITT/SIEGERT (Hrsg.): Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung, S. 9.

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I. EINLEITUNG

„größte Bürgerinitiative des aufgeklärten Säkulums“.26 Die gewaltige Menge an Aufklärungslektüre für den „einfachen Mann“ offenbarte damit eindrucksvoll, dass die deutsche Aufklärung keineswegs auf die kleine Gruppe der Gelehrten und Gebildeten beschränkt blieb, sondern sich auch den breiten Bevölkerungsschichten zuwandte.27 Ein weiteres Novum, das sich Böning und Siegert während ihrer Arbeit am Bio-Bibliographischen Projekt erschloss und mit dem niemand in diesem Ausmaß gerechnet hatte, waren die Ergebnisse der quantitativen Bestimmung der volksaufklärerischen Lektüre im Zeitraum von 1800 bis 1850. Die Menge der ermittelten volksaufklärerischen Literatur war so immens, dass von einem Abbruch des volksaufklärerischen Engagements zu Beginn des 19. Jahrhunderts keine Rede mehr sein konnte. Überraschenderweise lag die Zahl der volksaufklärerischen Schriften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sogar höher als in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.28 Zwar verringerte sich die Produktion volksaufklärerischer Lektüre im Zuge der Napoleonischen Kriege, doch leitete dieser Rückgang keinesfalls das Ende der Volksaufklärungsbewegung ein. Parallel zur Entwicklung des gesamten Buchmarktes erholte sich auch die Produktion volksaufklärerischer Literatur wieder in der Nachnapoleonischen Ära. Mit fast 5.000 Titeln erreichte die Volksaufklärung in der Zeitspanne von 1830 bis 1850 ähnliche Werte wie in den letzten beiden Dezennien des 18. Jahrhunderts.29 Damit konnte eindeutig belegt werden, dass die Volksaufklärung, im Gegensatz zur philosophisch-wissenschaftlichen Aufklärung, nicht um 1800, oder wie es Barbara Stollberg-Rilinger formulierte, mit dem „Paukenschlag“ der Französischen Revolution,30 ihr Ende fand. Der Niedergang der Volksaufklärungsbewegung setzte erst nach der Revolution von 1848/49 ein.31 Die Epochengrenze der Volksauf-

26 BÖNING, HOLGER: Popularaufklärung – Volksaufklärung, in: Dülmen, Richard von/Rauschenbauch, Sina (Hrsg.): Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 563. 27 Mit „deutscher Aufklärung“ ist die Aufklärung im deutschen Sprachraum gemeint. Vgl. BÖNING/SCHMITT/SIEGERT (Hrsg.): Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung, S. 9. 28 Für die Zeitspanne von 1800 bis 1850 konnten von Böning und Siegert für den gesamten deutschen Sprachraum bisher rund 10.000 volksaufklärerische Schriften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachgewiesen werden. 29 Zum Verlauf der Volksaufklärung sowie der quantitativen Verteilung des volksaufklärerischen Schrifttums im Zeitraum von 1700 bis 1900 vgl. Kapitel III.2, hier auch Grafik 1, S. 79. 30 Vgl. STOLLBERG-RILINGER, BARBARA: Europa im Jahrhundert der Aufklärung. Stuttgart 2000, S. 17 f. 31 Ob dieser Befund tatsächlich für den gesamten deutschen Sprachraum zutrifft, bedarf allerdings noch näherer Untersuchungen. Möglicherweise setzte der Niedergang in manchen Gegenden bereits vor der Revolution von 1848/49 ein.

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klärung verschob sich demnach um ein halbes Jahrhundert nach hinten.32 Die Produktion volksaufklärerischer Lektüre kam erst im Zeitraum von 1850 bis 1870 vollständig zum Erliegen.33 In Folge der neuen Erkenntnisse, die aus dem Bio-Bibliographischen Projekt von Böning und Siegert gewonnen werden konnten, entstanden in den letzten Jahren zahlreiche neue Arbeiten und Beiträge zum Thema Volksaufklärung. So kann inzwischen konstatiert werden: Das neue Angebot an Quellendokumentationen und -erschließung hat in den vergangenen knapp zwei Jahrzehnten zu einer Vielzahl von Forschungen in den verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen geführt. Vor allem zu nennen sind hier die Literaturgeschichte, Agrargeschichte, Kirchengeschichte und Theologie, Kulturgeschichte, Volkskunde, Pädagogik-, Schul-, Politik- und Philosophiegeschichte, Wissenschaftsgeschichte, Medizingeschichte, Presse- und Mediengeschichte sowie Mentalitätsgeschichte, Leser- und Lesegeschichte und Alphabetisierungsgeschichte.34

Ein Teil dieser neueren Forschungsergebnisse wurde in den letzten fünf Jahren in zwei Sammelbänden zur Volksaufklärung, geordnet nach aktuellen Themenschwerpunkten und Fragestellungen, mustergültig aufgearbeitet.35 Dank zahlreicher interdisziplinär ausgerichteter Teilstudien ist die Beantwortung der noch vorhandenen Forschungsdesiderate zur Volksaufklärungsbewegung in den letzten Jahren in erheblichem Umfang vorangeschritten. Neben den Trägern, Medien und Vermittlungswegen der Volksaufklärung können nun auch verlässliche Aussagen zur Kommunikation, zum Ideenaustausch und zur Vernetzung der Volksaufklärungsbewegung gemacht werden. Ebenso sind die Entfaltung der Volksaufklärung im aufklärerischen Sozietätswesen sowie im privaten und staatlichen Schulsektor inzwischen näher untersucht worden. Neue Regionalstudien erlauben nun ebenfalls, den Verlauf und die Wirkung der Volksaufklärung in den verschiedenen Regionen des deutschen Sprachraums differenzierter betrachten zu können. Darüber hinaus belegen neuere Arbeiten, dass die 32 Einen kurzen Überblick zur Entwicklung der Volksaufklärung von 1800 bis 1850 im deutschsprachigen Raum liefert BÖNING, HOLGER: Entgrenzte Aufklärung – Die Entwicklung der Volksaufklärung von der ökonomischen Reform- zur Emanzipationsbewegung, in: Böning/Schmitt/Siegert (Hrsg.): Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung, S. 40–50. 33 Böning und Siegert können selbst zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch einige volksaufklärerische Schriften nachweisen, allerdings beschränkt sich deren Anzahl auf rund 100 Titel. Zur Volksaufklärung nach 1850 vgl. Kapitel IX. 34 BÖNING/SCHMITT/SIEGERT (Hrsg.): Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung, S. 10. 35 Vgl. BÖNING/SCHMITT/SIEGERT (Hrsg.): Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung; SCHMITT, HANNO/BÖNING, HOLGER/GREILING, WERNER/SIEGERT, REINHART (Hrsg.): Die Entdeckung von Volk, Erziehung und Ökonomie im europäischen Netzwerk der Aufklärung, Bremen 2011.

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I. EINLEITUNG

Volksaufklärung ein europaweites „Exportgut“ der deutschen Aufklärung war. Die Kernmedien der deutschen Volksaufklärung, allen voran das von Rudolf Zacharias Becker veröffentlichte „Noth- und Hülfsbüchlein“, fanden als Übersetzungen in nahezu allen europäischen Ländern ihre Verbreitung. Verschafft man sich eine Übersicht über die Forschungspublikationen zur Volksaufklärung des 19. Jahrhunderts, wird allerdings deutlich, dass vor allem zur Endphase der Volksaufklärung (1830–1850) bislang erst eine größere Studie vorliegt. Mit ihrer Dissertation zu Berthold Auerbach hat Petra Schlüter eine beachtliche Pionierarbeit zur Erforschung der Volksaufklärung im Vormärz geleistet.36 Anhand monographischer und kalendarischer Schriften Auerbachs untersuchte Schlüter eingehender die literarische Volksaufklärung im 19. Jahrhundert. Dabei lieferte sie nicht nur tiefere Einblicke zum Programm der Volksaufklärung in den 1840er Jahren, sondern konnte zugleich belegen, dass es auch nach 1850 noch Personen gab, die sich in der Volksaufklärung engagierten. Da sich die Arbeit vorrangig auf das Wirken der Person Auerbachs konzentriert, konnte die Frage nach der Entwicklung der Volksaufklärung im Verlauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im gesamten deutschsprachigen Raum jedoch nur in Teilaspekten geklärt werden. Ebenso wird die Tatsache, dass die Volksaufklärungsbewegung in der Vormärzzeit zu keinem gesellschaftlichen Randphänomen verkommt, nur in Ansätzen thematisiert. Gleichzeitig macht Schlüters Studie aber überaus deutlich, dass eine intensivere Beschäftigung mit den Schriften und Protagonisten der Volksaufklärung des 19. Jahrhunderts absolut lohnenswert erscheint. Trotz aller Anstrengungen der letzten drei Jahrzehnte, die Volksaufklärungsbewegung in all ihren Facetten gründlich zu erforschen, existiert dennoch, sieht man einmal von der Studie Petra Schlüters ab, kaum eine Arbeit, deren Untersuchungszeitraum auf den deutschen Vormärz fokussiert ist. Bisher verorten fast alle neueren Studien zur Volksaufklärung ihre Forschungsschwerpunkte innerhalb des Zeitraums von 1770 bis 1830.37 Obwohl das von Holger Böning und Reinhart Siegert erfasste Datenmaterial zu einer umfassenden Untersuchung der Volksaufklärungsbewegung des 19. Jahrhunderts angeregt hat, wurde sich dieses Forschungsdesiderats bisher nur ansatzweise angenommen. Der Großteil der 36 Vgl. SCHLÜTER, PETRA: Berthold Auerbach. Ein Volksaufklärer im 19. Jahrhundert, Würzburg 2010. 37 Vgl. u.a. VÖLPEL, ANNEGRET: Der Literarisierungsprozeß der Volksaufklärung des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Dargestellt anhand der Volksschriften von Schlosser, Rochow, Becker, Salzmann und Hebel, Frankfurt am Main 1996; GRÜNDIG, MARIA E.: „Zur sittlichen Besserung und Veredelung des Volkes“. Zur Modernisierung katholischer Mentalitäts- und Frömmigkeitsstile im frühen 19. Jahrhundert am Beispiel des Bistums Konstanz unter Ignaz H. von Wessenberg, Tübingen 1996; MASEL, KATHARINA: Kalender und Volksaufklärung in Bayern. Zur Entwicklung des Kalenderwesens 1750 bis 1830, St. Ottilien 1997.

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aktuellen Studien richtet seinen Fokus nach wie vor auf den Höhepunkt der Volksaufklärung um 1800. Es scheint fast so, als bewege sich die Forschung parallel zum gegenwärtigen chronologischen Aufarbeitungsstand des Bio-Bibliographischen Handbuches. So verwundert es auch nicht, dass Thomas Kuhn in einem im Jahr 2003 verfassten Forschungsbericht folgerichtig das Fehlen größerer Studien zur Volksaufklärung im 19. Jahrhundert bemerkte.38 Auch in den eben erwähnten, erst kürzlich erschienenen Sammelbänden zur Volksaufklärung aus dem Jahr 2007 und 2011 finden sich nur wenige Beiträge, die in ihren Ausführungen auch auf den Zeitraum zwischen 1830 und 1850 Bezug nehmen. Neben den Dissertationen von Holger Böning zu Heinrich Zschokke und Petra Schlüter zu Berthold Auerbach existiert derzeit noch die Arbeit von Heidrun Alzheimer-Haller, die in ihre Untersuchungen die Spätphase der Volksaufklärung mit einbezogen hat. In ihrem „Handbuch zur narrativen Volksaufklärung“ richtete Alzheimer-Haller ihren Blick aber nicht primär auf die Vormärzzeit, sondern auf den recht weit gefassten Zeitraum von 1780 bis 1848.39 Wie Kuhn konstatierte auch Alzheimer-Haller, dass die Forschung zur Volksaufklärung des 19. Jahrhunderts noch in ihren Anfängen stecke.40 Jedoch wird in ihrer Studie über die „Moralischen Geschichten“ des 18. und 19. Jahrhunderts die spezifische Entwicklung der Volksaufklärungsbewegung in den einzelnen Regionen des deutschen Sprachraums nach 1815 nur am Rande thematisiert. Vielmehr versucht Alzheimer-Haller in ihrer Arbeit aufzuzeigen, dass die Volksaufklärung mit den „Moralischen Geschichten“ auf literarischer Ebene eine erstaunlich lange Kontinuitätslinie von rund 70 Jahren aufweist. Anhand einer breiten Quellenbasis konnte sie dokumentieren, dass sich die Textgattung der „Moralischen Geschichten“ ab 1780 zu einem zentralen Instrument der Volksaufklärung entwickelte und durchgängig bis 1848 zur Anwendung kam. Aus einem Quellenkorpus von rund 2.000 moralischen Erzählungen wurden von Alzheimer-Haller wiederum 50 Schriften vom ausgehenden 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts in einer Querund Längsschnittanalyse auf deren Inhalt und Erzählstruktur untersucht. Dabei kam sie zum Ergebnis, dass die moralischen Geschichten von den Volksaufklärern seit den 1770er Jahren „gezielt zur Bewusstseinsbildung eingesetzt wurden“ und dadurch die „Denkmuster und Verhaltensnormen“ ihrer Leser nachhaltig geprägt haben.41 Zudem ging Alzheimer-Haller in ihrer Arbeit der Frage nach, welchen Tugend- und Lasterkatalog, welches Verhaltensprogramm und welches 38 Vgl. KUHN, THOMAS K.: Religion und neuzeitliche Gesellschaft. Studien zum sozialen und diakonischen Handeln in Pietismus, Aufklärung und Erweckungsbewegung, Tübingen 2003, S. 92 (Fußnote). 39 Vgl. HALLER-ALZHEIMER, HEIDRUN: Handbuch zur narrativen Volksaufklärung. Moralische Geschichten 1780–1848, Berlin/New York 2004. 40 Vgl. ebd., S. 28. 41 Vgl. ebd., S. 3 f.

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I. EINLEITUNG

Gesellschaftsbild die Volksaufklärer in ihren „Moralischen Geschichten“ dem „Volk“ zu vermitteln suchten. Ihre Ergebnisse untermauerten dabei vor allem die Befunde und Thesen älterer Forschungsarbeiten. Entscheidende Fragen zur Volksaufklärung des 19. Jahrhunderts, etwa zur Rezeptionsgeschichte volksaufklärerischer Lektüre nach 1815, zu den Bedingungen volksaufklärerischen Publizierens im Vormärz, zu den inhaltlichen Neuausrichtungen der Volksaufklärung zwischen 1815 und 1848 oder zum Verhältnis der Volksaufklärer zum sich entfaltenden politischen Liberalismus und Konservativismus, wurden in Alzheimer-Hallers Handbuch jedoch nur ansatzweise beantwortet. Trotz der Tatsache, dass weitere umfangreichere Studien zur Volksaufklärung im Vormärz noch ausstehen, gibt es dennoch einige Überblicksdarstellungen zur Volkslektüre im 19. Jahrhundert, in denen auch die volksaufklärerische Publizistik eine kurze Erwähnung findet. An dieser Stelle sei hier zuerst auf die bereits erwähnte Studie „Volk ohne Buch“ verwiesen, in der Rudolf Schenda die „Lesestoffe des Volkes“ im Zeitraum von 1770 bis 1910 genauer analysiert hat.42 Seine Untersuchungen bezüglich der Wirkung und Rezeption des volksaufklärerischen Schrifttums in der Vormärzzeit fielen allerdings ernüchternd aus. Nach Schendas Meinung verfehlte der Inhalt der volksaufklärerischen Lektüre vollkommen das Lesebedürfnis und den Lesegeschmack des „Volkes“. Infolgedessen wurden die pädagogischen Volkslesestoffe im Laufe des 19. Jahrhunderts von der trivialen und unpädagogischen Unterhaltungsliteratur aus dem Buchmarkt gedrängt.43 Von den „wohlmeinenden“ Volkspädagogen, die eine weitere Ausbreitung trivialer Lesestoffe im „Volk“ unterbinden wollten, zeichnete Schenda zudem ein durchgängig konservatives Bild. Für ihn stand die Programmatik ihrer belehrenden Schriften im Dienste der Obrigkeit, die einzig darauf abzielte, den „gemeinen Mann“ zu Gehorsam und Treue gegenüber den Obrigkeiten zu erziehen.44 Außerdem betonte Schenda mehrfach, dass alle volksaufklärerischen Bemühungen, das „Volk“ in „nützliche Bahnen zu lenken“, zwangsläufig zum Scheitern verurteilt waren, weil es den ungebildeten Bevölkerungsschichten an der nötigen Lesefähigkeit mangelte.45 Nach Schenda blieb der „lesende Landmann“ ein Wunschbild der Volksaufklärer bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Die von den Zeitgenossen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts konstatierte „Lesewut“ der ländlich-bäuerlichen Bevölkerung wertete er als einen Mythos. Außerdem meinte er, dass der kleine Teil der lesefähigen Landbevölkerung fast ausschließlich religiöse oder unpädagogische Lesestoffe rezipiert hätte. Erst in den 1830er und 1840er Jahren vermerkt er einen Anstieg der potentiellen Leser in Deutschland, die nun rund 40 % der 42 43 44 45

Vgl. SCHENDA: Volk ohne Buch. Vgl. ebd., S. 89 f. Vgl. ebd., S. 141 u. 488–491. Vgl. ebd., S. 441–446.

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Gesamtbevölkerung ausgemacht hätten. Allerdings bezweifelte Schenda auch für die Zeit nach 1830, dass der „gemeine Mann“ großes Interesse an belehrender Volkslektüre hatte. Nachdem Rolf Engelsing und Reinhard Wittmann in ihren Arbeiten wenig später zu ähnlichen Befunden kamen,46 prägten Schendas Thesen bis in die Mitte der 1990er Jahre nachhaltig das Bild über das Leseverhalten und die Lesefähigkeit der einfachen Bevölkerung im 18. und 19. Jahrhundert. Wenngleich immer noch offene Fragen zur Alphabetisierungs- und Rezeptionsgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts bestehen, können die Thesen von Schenda bezüglich der Lesegewohnheiten sowie der geringen Lesefähigkeit des „Volkes“ aber mittlerweile als revidiert betrachtet werden.47 Wie bereits erläutert, müssen inzwischen ebenfalls seine Aussagen über die Quantität und die Verbreitung volksaufklärerischer Lektüre im deutschsprachigen Raum relativiert werden. Unumstritten ist hingegen, dass der Appell zur Obrigkeitstreue, den Schenda als das Grundelement aufklärerischer Volkslektüre charakterisiert, tatsächlich im Großteil der Volksschriften des 18. und 19. Jahrhunderts auftaucht. Allerdings behandelte Schenda die gesamte deutsche Volksliteratur weitgehend als einen homogenen Gegenstand. Er ließ völlig außer Acht, dass die Volksschriften im Vormärz teilweise sehr gegensätzliche Intentionen verfolgten. Ebenso erwähnte Schenda mit keinem Wort, dass die politischen Ansichten der Volksschriftsteller im Vormärz gänzlich verschieden waren und sowohl dem Liberalismus als auch Konservativismus zugerechnet werden können. Während die Volksschriften etwa bis 1800 keine „konservative Konkurrenz“ hatten, änderte sich dieser Zustand allmählich im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Betrachtet man den gesamtdeutschen Buch- und Pressemarkt und sieht über regionalspezifische Entwicklungen hinweg, dann existierten nach 1830 – vor allem bei näherer Betrachtung der politisch-rechtlichen und religiös-moralischen Inhalte – drei Typen von Volksschriften: 1. Volksschriften mit eindeutig konservativer Stoßrichtung, 2. Volksschriften mit der Vorstellung von einer „verhältnismäßigen Aufklärung“, sowie 3. Volksschriften mit liberal-emanzipatorischer Gesinnung. 46 Vgl. WITTMANN: Der lesende Landmann; ENGELSING, ROLF: Analphabetentum und Lektüre. Zur Sozialgeschichte des Lesens in Deutschland zwischen feudaler und industrieller Gesellschaft, Stuttgart 1973, S. 56–100. 47 Vgl. hierzu u.a. BÖDECKER, HANS ERICH (Hrsg.): Lesekulturen im 18. Jahrhundert, Hamburg 1991; GOETSCH, PAUL (Hrsg.): Lesen und Schreiben im 17. und 18. Jahrhundert. Studien zu ihrer Bewertung in Deutschland, England, Frankreich, Tübingen 1994; BÖDEKER, HANS ERICH/HINRICHS, ERNST (Hrsg.): Alphabetisierung und Literalisierung in Deutschland in der frühen Neuzeit, Tübingen 1999; GREILING, WERNER/SCHULZ, FRANZISKA (Hrsg.): Vom Autor zum Publikum. Kommunikation und Ideenzirkulation um 1800, Bremen 2010. In Anlehnung an Schendas These vom „Volk ohne Buch“ spricht Hans Medick sogar von einem „Volk mit Büchern“. Vgl. MEDICK, HANS: Ein Volk „mit Büchern“. Buchbesitz und Buchkultur auf dem Lande am Ende der Frühen Neuzeit: Laichingen 1748–1820, in: Bödecker (Hrsg.): Lesekulturen, S. 59–94.

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I. EINLEITUNG

Ein wesentlich differenzierteres Bild hinsichtlich dieser Problematik bot erstmals Klaus Müller-Salget in seiner Studie über evangelische Pfarrer als Volksschriftsteller.48 Im Gegensatz zu Schenda unterschied er zwischen einem konservativen und einem aufgeklärten Volksschriftsteller, betonte aber auch gleichzeitig, dass die aufklärerisch-liberale Volkslektüre durch staatliche Repressionsmaßnahmen in der Restaurationsepoche fast vollständig zum Erliegen gekommen sei.49 Aufgrund dessen entsteht auch bei Müller-Salget der Eindruck, dass die Volksliteratur des Vormärz stark konservativ geprägt war und vorwiegend zur Sozialdisziplinierung der Unterschichten eingesetzt wurde. Zuletzt sei noch die im Jahr 1986 veröffentlichte Dissertation von Michael Knoche genannt, die sich als einzige Arbeit zur Volkslektüre ausschließlich im zeitlichen Rahmen des Vormärz bewegt.50 Wie der Autor jedoch in der Einleitung bemerkt, war eine Untersuchung auf Form und Gehalt der einzelnen Volksschriften nicht vorgesehen. Vielmehr hatte sich Knoche das Ziel gesetzt, die „Bedingungen zu rekonstruieren, unter denen Volksliteratur geschrieben, gedruckt, vermittelt und gelesen wurde“.51 Dabei richtete er seinen Forschungsschwerpunkt auf die Organisation und Bemühungen der Volksschriftenvereine, mit dem erstaunlichen Ergebnis, dass die aufklärerisch geprägten Volksschriften einen weitaus höheren Stellenwert im Vormärz einnahmen, als man bisher angenommen hatte. Knoche konnte ebenso aufzeigen, dass die vormärzliche Volksliteratur als Reaktion auf die sozialen Probleme der vorrevolutionären Ära die unterschiedlichsten Konzeptionen entwickelte.52 Dabei stellte sich heraus, dass neben den bereits bekannten sozialkonservativen Ansätzen auch zahlreiche Versuche unternommen wurden, den „gemeinen Mann“ mit aufklärerischer Volkslektüre aus seiner geistigen Unmündigkeit zu befreien. Damit konnte erstmals der Beweis erbracht werden, noch bevor Holger Böning und Reinhart Siegert ihr umfassendes Datenmaterial zum volksaufklärerischen Schrifttum des 19. Jahrhunderts veröffentlicht hatten, dass die Volksaufklärung als breite Bewegung bis 1848 kontinuierlich fortbestand und nicht wie behauptet um 1800 zum Erliegen kam. Ungeachtet dessen konnte aber auch die Studie von Knoche nicht die Frage beantworten, welche thematischen und formalen Wandlungsprozesse die volksaufklärerische Publizistik im Vormärz durchlaufen hatte.

48 Vgl. MÜLLER-SALGET, KLAUS: Erzählungen für das Volk. Evangelische Pfarrer als Volksschriftsteller im Deutschland des 19. Jahrhunderts, Berlin 1984. 49 Vgl. ebd., S. 16–40. 50 Vgl. KNOCHE, MICHAEL: Volksliteratur und Volksschriftenvereine im Vormärz. Literaturtheoretische und institutionelle Aspekte einer literarischen Bewegung, Frankfurt am Main 1986. 51 Ebd., S. 2. 52 Vgl. ebd., S. 95–109.

FORSCHUNGSSTAND

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Grundsätzlich kann also festgehalten werden, dass die Entwicklung der Volksaufklärung für die Zeit nach 1830 einer genaueren Analyse bedarf. Die thüringische Kleinstaatenwelt eignet sich hierbei als hervorragender Untersuchungsraum. Vor allem die von Werner Greiling und Felicitas Marwinski publizierten Teilstudien zum thüringischen Presse-, Sozietäts- und Bibliothekswesen lassen bereits erahnen, dass die Volksaufklärungsbewegung in Thüringen während der Vormärzzeit nicht an Intensität verloren hat.53 Die bereits geleisteten Vorarbeiten zur thüringischen Pressegeschichte bestätigen außerdem, dass die volksaufklärerische Publizistik in Thüringen im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen erneuten Aufschwung erlebte und damit der von Holger Böning und Reinhart Siegert skizzierten gesamtdeutschen Entwicklung des volksaufklärerischen Schrifttums folgte. Der Thüringer Raum gehörte auch nach 1800 noch zu den Kernregionen der Volksaufklärungsbewegung in Deutschland. Gemeinnütziges Engagement zahlreicher Volksaufklärer lässt sich sowohl auf literarisch-publizistischer als auch auf institutioneller Ebene in allen thüringischen Staaten im Zeitraum von 1800 bis 1850 durchgängig nachweisen. Werner Greiling hat jüngst betont, dass der Thüringer Raum ein beträchtliches Potential für eine genauere Analyse der Volksaufklärung im Vormärz bietet.54 Zahlreiche volksaufklärerische Schriften sowie deren Verfasser warten auf ihre Erfassung und Untersuchung.

53 Vgl. u.a. GREILING, WERNER: Presse für den „gemeinen Mann“ in Mitteldeutschland – Zeitungen, Zeitschriften und Intelligenzblätter, in: Böning/Schmitt/Siegert (Hrsg.): Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung, S. 301–321; DERS.: Zwischen Kirche, Gesellschaft und Staat. Johann Georg Jonathan Schuderoff (1766–1843) als Prediger in politischer Absicht, in: Beger, Katrin/Blaha, Dagmar/Boblenz, Frank/Mötsch, Johannes (Hrsg.): „Ältestes bewahrt mit Treue, freundlich aufgefaßtes Neue“. Festschrift für Volker Wahl zum 65. Geburtstag, Rudolstadt 2008, S. 349–370; DERS.: Bürgerlichkeit im ländlichen Milieu. Die politischen Pastoren Wilhelm Friedrich Schubert und Friedrich Wilhelm Schubert in Oppurg, in: Hahn, Hans-Werner/Ders./Ries, Klaus (Hrsg.): Bürgertum in Thüringen. Lebenswelt und Lebenswege im frühen 19. Jahrhundert, Rudolstadt/Jena 2001, S. 135–163; DERS.: Der Neustädter Kreisbote und seine Vorläufer. Nachrichtenvermittlung, Patriotismus und Gemeinnützigkeit in einer sächsisch-thüringischen Kleinstadt 1800 bis 1943, Rudolstadt/Jena 2001; MARWINSKI, FELICITAS: Volksbildung und Literaturvermittlung im Sachsen-Gothaischen. Aus der Bibliotheksgeschichte der Dorfgemeinde Apfelstädt, in: Greiling/Schulz (Hrsg.): Vom Autor zum Publikum, S. 297–318; DIES.: Aufgeklärte Kleinstadtpublizistik im thüringischen Raum – Christoph Gottlieb Steinbeck aus Langensalza bei Gera, die Genese eines Journalisten, in: Jäger, Hans-Wolf (Hrsg.): „Öffentlichkeit“ im 18. Jahrhundert, Göttingen 1997, S. 188–202. 54 Vgl. GREILING: Zwischen Kirche, Gesellschaft und Staat, S. 370.

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I. EINLEITUNG

3. Fragestellung und Methode FRAGESTELLUNG UND METHODE

Die vorliegende Arbeit versteht sich als Versuch, die verschiedenen Entwicklungsprozesse der Volksaufklärungsbewegung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einem territorial eingegrenzten Raum systematisch nachzuvollziehen und gleichsam in Beziehung zu den gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Transformationsprozessen jener Zeit zu setzen.55 Die Arbeit ist als Regionalstudie angelegt. Sie erhebt dementsprechend nicht den Anspruch, alle bestehenden Forschungsdefizite zur „gesamtdeutschen“ Volksaufklärungsbewegung im 19. Jahrhundert vollständig aufzuarbeiten. Der Untersuchungszeitraum der Arbeit erstreckt sich auf den deutschen „Vormärz“, welchen der Autor als eine zusammenhängende Epoche von der Gründung des Deutschen Bundes im Jahr 1815 bis zum Ausbruch der Revolution von 1848/49 begreift.56 Der Untersuchungsraum beschränkt sich auf die Region Thüringen,57 die sich entsprechend der territorialstaatlichen Situation im Vormärz aus den ernestinischen Fürstentümern Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Gotha-Alten55 Zu den Wandlungsprozessen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. grundlegend HAHN, HANS-WERNER/BERDING, HELMUT: Reformen, Restauration und Revolution 1806–1848/49, Stuttgart 2010; KOCKA, JÜRGEN: Das lange 19. Jahrhundert. Arbeit, Nation und bürgerliche Gesellschaft, 10. Aufl. Stuttgart 2001; GALL, LOTHAR: Von der ständischen zu bürgerlichen Gesellschaft, München 1993. 56 Zum Problem des Begriffs „Vormärz“ und dessen Epochenabgrenzung vgl. STEIN, PETER: Epochenproblem „Vormärz“ (1815–1848), Tübingen 1974. Zur Einheit und Begriffsbestimmung der Epoche von 1815 bis 1848 vgl. außerdem LANGEWIESCHE, DIETER: Europa zwischen Restauration und Revolution 1815–1849, 5. Aufl. München 2007, S. 1–5. 57 Obwohl es in Thüringen im 19. Jahrhundert an staatlicher Geschlossenheit und einheitlicher politischer Herrschaft fehlte, gehört Thüringen seit dem Mittelalter zu den historisch gewachsenen Regionen Deutschlands. Der beständige Ausbau der kulturellen, wirtschaftlichen und personellen Beziehungsgeflechte zwischen den thüringischen Staaten führte im Laufe der frühen Neuzeit zur Relativierung einzelstaatlicher Grenzziehungen. Trotz des Fehlens einer staatlichen Einheit wurde die Region Thüringen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts von den Zeitgenossen als ein geschlossener Kulturraum wahrgenommen. Vgl. PATZE, HANS/SCHLESINGER, WALTER (Hrsg.): Geschichte Thüringens, 6 Bde., Köln/ Wien 1967–1979; HERZ, HANS: Regierende Fürsten und Landesregierungen in Thüringen 1485 – 1952, Erfurt 1999; JONSCHER, REINHARD: Kleine thüringische Geschichte. Vom Thüringer Reich bis 1945, Jena 1993; FLACH, WILLY: Die staatliche Entwicklung Thüringens in der Neuzeit, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde, 43 (1941), N.F. 35, S. 6–48. Zum Problem des Begriffes „Region“ in der Geschichtswissenschaft vgl. außerdem DANN, OTTO: Die Region als Gegenstand der Geschichtswissenschaft, in: Archiv für Sozialgeschichte, 23 (1983), S. 652–661; STEINBACH, PETER: Zur Diskussion über den Begriff der „Region“ – eine Grundsatzfrage der modernen Landesgeschichte, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 31 (1981), S. 185– 210.

FRAGESTELLUNG UND METHODE

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burg (bis 1826), Sachsen-Coburg-Saalfeld (bis 1826), Sachsen-Hildburghausen (bis 1826), Sachsen-Coburg und Gotha (ab 1826), Sachsen-Altenburg (ab 1826), den schwarzburgischen Fürstentümern Rudolstadt und Sondershausen, den Fürstentümern Reuß ältere und jüngere Linie sowie einem preußisch regierten Landesteil zusammensetzte.58 Während in Anlehnung an die aktuellen Forschungsdiskurse zur thüringischen Landesgeschichte die ernestinischen, schwarzburgischen und reußischen Fürstentümer in dieser Arbeit unter dem Begriff der „thüringischen Kleinstaatenwelt“ subsumiert werden,59 wird darüber hinaus unter dem Begriff „Thüringer Raum“ auch die gesamte Region Thüringens, einschließlich der preußischen Territorien, näher in den Blick genommen.60 Um die Frage beantworten zu können, auf welche Art und Weise die Vermittlung und „Übersetzung“ zentraler aufklärerischer Diskurse an ein breites Publikum bildungsferner Sozialformationen im „Thüringer Raum“ der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgte, müssen zunächst die Akteure der Volksaufklärung und deren Wirken genauer untersucht werden. Es soll vor allem geklärt werden, wer die Vertreter dieser Bewegung waren, welchem sozialen Milieu sie angehörten, mit welchen Mitteln sie agierten, welche konkreten Ziele sie verfolgten und welche Beweggründe sie dazu veranlasste, sich für eine „Aufklärung des Volkes“ einzusetzen.61 Abschließend wird zu klären sein, ob die Volksaufklärer des 19. Jahrhunderts, analog zu der Trägerschicht der Volksaufklärung des späten 18. Jahrhunderts, noch als eine homogene Gruppe verstanden werden können oder 58 Vgl. Kapitel III.3. Die auf Seite 90, 92 und 256 abgebildeten Karten bieten außerdem einen Überblick über die territorialstaatliche Entwicklung Thüringens während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 59 Vgl. hierzu grundlegend JOHN, JÜRGEN: Die Thüringer Kleinstaaten – Entwicklungs- oder Beharrungsfaktoren?, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte, 132 (1996), S. 91–150. 60 Dies gilt gleichermaßen – wenn in der Arbeit auf die Zeit vor 1806 bzw. 1815 verwiesen wird – auch für die vormals kurmainzischen und kursächsischen Gebiete in Thüringen, einschließlich der beiden Freien Reichsstädte Nordhausen und Mühlhausen. Einen kompletten Überblick zur Territorialzugehörigkeit und Bevölkerungsentwicklung aller in Thüringen gelegenen Städte und Dörfer im Zeitraum von 1782 bis 1871 liefert BOBLENZ, FRANK: Zur Statistik thüringischer Städte und Flecken im 18. und 19. Jahrhundert, in: Hahn/Greiling/Ries (Hrsg.): Bürgertum in Thüringen. S. 337–348. 61 Über den Prozess der Aufklärung in Deutschland und die Einwirkung der Aufklärung auf das „Volk“ vgl. CONRAD, ANNE/HERZIG, ARNO/KOPITZSCH, FRANKLIN (Hrsg.): Das Volk im Visier der Aufklärung. Studien zur Popularisierung der Aufklärung im späten 18. Jahrhundert, Hamburg 1998; BÖDECKER, HANS-ERICH/HERRMANN, ULRICH (Hrsg.): Über den Prozeß der Aufklärung in Deutschland im 18. Jahrhundert, Göttingen 1987. Zu den Zielvorstellungen der gebildeten, aufklärerisch denkenden Bevölkerungsschichten im 18. und 19. Jahrhundert sowie deren Rolle bei der Herausbildung eines aufklärerischen Sozietätswesens und einer aufklärerischen Literatur vgl. außerdem DÜLMEN, RICHARD VAN: Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation aufklärerischen Kultur in Deutschland, Frankfurt am Main 1986.

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I. EINLEITUNG

sich diese im Laufe des Vormärz in heterogene „Teilbewegungen“ mit unterschiedlichen Zielsetzungen aufgespaltet haben. Dabei ist allerdings zu bemerken, dass eine „flächendeckende“ Untersuchung aller thüringischen Volksaufklärer im Rahmen einer einzigen Studie nicht geleistet werden kann. Es wurde deshalb der Versuch unternommen, aus allen thüringischen Territorien einige markante Persönlichkeiten zu porträtieren, die als repräsentativ für die Gesamtheit aller volksaufklärerischen Akteure im Thüringer Raum zwischen 1800 und 1850 gelten können. Biographische Analysen über die einzelnen Akteure sollen Aufschluss darüber geben, wie die thüringischen Volksaufklärer während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts miteinander kommunizierten und wie sich das volksaufklärerische Engagement direkt „vor Ort“ in den ländlichen Gemeinden geäußert hat. Ebenso soll der Frage nachgegangen werden, welche eigenständigen oder gemeinsamen institutionellen und literarischen Projekte von den thüringischen Volksaufklärern im Vormärz initiiert wurden, und ob diese Unternehmungen im Einvernehmen oder im Konflikt mit den Interessen der einzelstaatlichen Obrigkeiten standen. Um die Entwicklung der Volksaufklärung während der Vormärzzeit möglichst präzise nachzeichnen zu können, wurde der Großteil der in Thüringen von 1800 bis 1848 erschienenen volksaufklärerischen Periodika bibliographisch erfasst.62 Da im Thüringer Raum die gesellschaftlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorzugsweise und vor allem zeitnah in periodischen Schriften thematisiert wurden,63 bietet eine solche Bibliographie eine hervorragende empirische Grundlage zur Beantwortung der Frage, ob die Volksaufklärung vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine inhaltliche Neuausrichtung durchlaufen oder strikt an alten Mustern festgehalten hat. Aufgrund der überwältigenden Menge von rund 200 Titeln ist jedoch eine komplette Auswertung aller in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschienenen Periodika nicht möglich.64 Um dennoch verlässliche Aussagen zu den inhaltlich-programmatischen Schwerpunktsetzungen der volksaufklärerischen Publizistik im vormärzlichen Thüringen treffen zu können, er62 Die Bibliographie befindet sich im Anhang A der vorliegenden Arbeit. 63 Zur Struktur der thüringischen Presselandschaft im 18. und 19. Jahrhundert vgl. grundlegend GREILING, WERNER: Presse und Öffentlichkeit in Thüringen. Mediale Verdichtung und kommunikative Vernetzung im 18. und 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2003; DERS.: Thüringen als Presselandschaft, in: Scheurmann, Konrad/Frank, Jördis (Hrsg.): Neu entdeckt. Thüringen – Land der Residenzen 1485 – 1918, 2. Thüringer Landesausstellung Schloss Sondershausen 15. Mai – 3. Oktober 2004, Teil 3: Essays, Mainz am Rhein 2004, S. 461–473; DERS.: Die historische Presselandschaft Thüringens, in: Blome, Astrid (Hrsg.): Zeitung, Zeitschrift, Intelligenzblatt und Kalender. Beiträge zur historischen Presseforschung, Bremen 2000, S. 67–84. 64 Die an alle Bevölkerungsschichten adressierten Regierungs- und Intelligenzblätter wurden in diese Statistik mit einbezogen.

FRAGESTELLUNG UND METHODE

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folgte deshalb eine repräsentative Auswahl mehrerer volksaufklärerischer Periodika unterschiedlichen Typs, die anschließend einer inhaltlichen Längsschnittanalyse unterzogen wurden. Aufgrund der territorialen Eingrenzung dieser Studie auf den Thüringer Raum eröffnen sich bei der Analyse der erfassten Schriften noch weitere Vorteile. Bereits seit den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts war die thüringische Kleinstaatenwelt ein Kerngebiet der Volksaufklärung,65 wenn nicht sogar, aufgrund des Wirkens solcher Personen wie Rudolph Zacharias Becker oder Christian Gotthilf Salzmann, das bedeutendste Zentrum volksaufklärerischen Engagements im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in Deutschland überhaupt. Ein Vergleich der Entwicklung der Volksaufklärungsbewegung im Thüringer Raum, von ihrer Hochphase am Ende des 18. Jahrhunderts bis hin zu ihrer Spätphase in der Mitte des 19. Jahrhunderts, bietet sich deshalb geradezu an. Ausgehend von den Vorarbeiten von Werner Greiling, Roswitha Grosse, Reinhart Siegert und Ursula Tölle zu Rudolf Zacharias Becker und Christian Gotthilf Salzmann,66 lässt sich hervorragend vergleichen, wo die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten der publizistischen Volksaufklärung des späten 18. Jahrhunderts und des 19. Jahrhunderts lagen. Mit Blick auf die qualitativen und quantitativen Ausmaße der in Thüringen erschienenen volksaufklärerischen Schriften kann ebenso die Frage beantwortet werden, ob der Thüringer Raum seinen Status als Kerngebiet der Volksaufklärung im Verlauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beibehalten konnte. Darüber hinaus soll mittels einer Fallstudie detailliert aufgezeigt werden, wie in der volksaufklärerischen Publizistik mit den in der späten Vormärzzeit existierenden spezifischen sozialen Problemen und politisch-gesellschaftlichen Fragen verfahren wurde. Dabei soll untersucht werden, welche Stellung die thüringischen Volksaufklärer etwa zum Pauperismus, zur einsetzenden Industrialisierung, zur Nationalstaatsfrage oder zur Massenauswanderung bezogen haben und welche Ideen und Vorstellungen über Publizistik in eine breite Öffentlichkeit getragen wurden, um die zeitgenössischen Veränderungen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zu forcieren oder ihnen entgegenzuwirken. 65 BÖNING, HOLGER: Gotha als Hauptort volksaufklärerischer Literatur und Publizistik, in: Greiling, Werner/Klinger, Andreas/Köhler, Christoph (Hrsg.): Ernst II. von SachsenGotha-Altenburg. Ein Herrscher im Zeitalter der Aufklärung, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 325–344. 66 Vgl. GREILING: Presse und Öffentlichkeit; SIEGERT: Aufklärung und Volkslektüre; GROSSE, ROSWITHA: Christian Gotthilf Salzmanns „Der Bote aus Thüringen“, Schnepfenthal 1788–1816. Eine Zeitschrift der deutschen literarischen Volksaufklärung an der Wende zum 18. und 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main/New York/Bern/Paris 1989; TÖLLE, URSULA: Rudolf Zacharias Becker. Versuche der Volksaufklärung im 18. Jahrhundert, Münster/New York 1994.

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I. EINLEITUNG

Ein weiterer Schwerpunkt dieser Arbeit soll zudem der politischen Ausrichtung der Volksaufklärung im Vormärz gelten.67 Nach Holger Böning vollzog die Volksaufklärung im 18. Jahrhundert – in den sechziger Jahren sowie im Zuge der Französischen Revolution – zwei „Politisierungsschübe“.68 Spätestens um 1800 wurde das „Volk“ überall im deutschen Sprachraum mittels zahlreicher Schriften über politische Sachverhalte und Tagesereignisse informiert. In diesen Schriften wurde der „gemeine Mann“ nicht nur über seine Rechte und Pflichten aufgeklärt, sondern gleichsam brisante politisch-rechtliche Forderungen gestellt, etwa die Abschaffung der Frondienste. Außerdem wurde in der volksaufklärerischen Publizistik am Ende des 18. Jahrhunderts verstärkt für die Verwirklichung einer „Staatsbürgernation“ plädiert. Erste Untersuchungen für das 19. Jahrhundert haben ergeben, dass die Forderungen der Volksaufklärer nach politischen Reformen, insbesondere die Umgestaltung der politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse im Sinne eines liberal-konstitutionellen, einheitlichen deutschen Nationalstaates, nach 1830 in Thüringen an Intensität gewannen.69 Einhergehend mit der Pauperismuskrise und dem Erstarken konservativer Kräfte gewann die politische Volksaufklärung zunehmend an Schärfe. Es soll daher untersucht werden, ob die Spätphase der Volksaufklärung in Thüringen von einem dritten „Politisierungsschub“ geprägt wurde und inwiefern die Intensivierung der politischen Volksaufklärung, auch in Hinblick auf die spätere Fundamentalpolitisierung während der Revolution von 1848/49, im „Volk“ eine nach 1830 nicht mehr rückgängig zu machende politische Öffentlichkeit herausgebildet hat.70 An diesen Unter67 Zur politischen Dimension der Aufklärung vgl. grundlegend BÖDECKER, HANS ERICH/ HERRMANN, ULRICH (Hrsg.): Aufklärung als Politisierung – Politisierung als Aufklärung, Hamburg 1987. Zur politisierten Aufklärung speziell im Thüringer Raum vgl. außerdem GREILING, WERNER: „Wahre Aufklärung bringt freilich diese traurigen Würkungen nicht hervor …“. Zur Politisierung der Aufklärung in Thüringen, in: Bödecker, Hans Erich/ François, Etienne (Hrsg.): Aufklärung/Lumières und Politik. Zur politischen Kultur der deutschen und französischen Aufklärung, Leipzig 1996, S. 105–144. 68 BÖNING: Entgrenzte Aufklärung, S. 42. 69 Vgl. KRÜNES, ALEXANDER: Politisierte Volksaufklärung in Thüringen während der Vormärzzeit: „Der Volksfreund“ von Carl Joseph Meyer, in: Schmitt/Böning/Greiling/Siegert (Hrsg.): Die Entdeckung von Volk, Erziehung und Ökonomie, S.333–358; DERS.: Volksaufklärung in Thüringen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte, 61 (2007), S. 215–228. 70 Wenngleich die Thesen von Jürgen Habermas hinsichtlich der Ausprägung einer literarischen und politischen Öffentlichkeit in aktuellen Forschungsarbeiten stark kritisiert und zum Teil auch revidiert wurden, dient sein Modell des sogenannten „Strukturwandels der Öffentlichkeit“ auch heute noch zahlreichen Studien zum Thema „Öffentlichkeit“ als theoretische Basis. Vgl. HABERMAS, JÜRGEN: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied 1962. Zur Bestimmung des Öffentlichkeitsbegriffes vgl. LIESEGANG, TORSTEN: Öffentlichkeit und öffentliche Meinung. Theorien von Kant bis Marx 1780–1850, Würzburg 2004, S. 7–52; HOHEN-

FRAGESTELLUNG UND METHODE

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suchungspunkt anknüpfend, soll außerdem die Nähe der Volksaufklärung zur politischen Bewegung des Liberalismus genauer untersucht werden.71 Hierbei werden vor allem die elementaren Forderungen der Liberalen, wie etwa die Bildung eines deutschen Nationalstaates, die Schaffung konstitutioneller Verhältnisse und die Abschaffung der Pressezensur im Fokus der Untersuchung stehen. In diesem Zusammenhang soll ebenfalls mittels archivarischer Quellen – Zensurakten sowie behördlichen Korrespondenzen und Berichten – eingehend überprüft werden, ob die presserechtlichen Vorraussetzungen für eine politische Aufklärung des „Volkes“ in der thüringischen Kleinstaatenwelt besonders günstig oder eher nachteilig waren. Darauf aufbauend widmet sich ein Abschnitt der vorliegenden Arbeit zudem der Frage, welchen Einfluss die Volksaufklärungsbewegung des 19. Jahrhunderts auf den „gemeinen Mann“ ausgeübt hat. Aufgrund der gewaltigen Menge an volksaufklärerischer Literatur muss zwangsläufig davon ausgegangen werden, dass das jahrzehntelange Engagement der Volksaufklärer nicht ohne Auswirkung

DAHL, PETER UWE: Öffentlichkeit. Geschichte eines kritischen Begriffes, Stuttgart/Weimar 2000; SZYSZKA, PETER (Hrsg.): Öffentlichkeit. Diskurs zu einem Schlüsselbegriff der Organisationskommunikation, Opladen/Wiesbaden 1999; GERHARDS, JÜRGEN/NEIDHARDT, FRIEDHELM: Strukturen und Funktionen moderner Öffentlichkeit. Fragestellungen und Ansätze, Berlin 1990. Zur Herausbildung der verschiedenen Formen von „Öffentlichkeit“ im Zeitalter der Aufklärung, insbesondere der „politischen Öffentlichkeit“ vgl. JÄGER, HANS-WOLF (Hrsg.): „Öffentlichkeit“ im 18. Jahrhundert, Göttingen 1997; SCHNEIDER, FALKO: Öffentlichkeit und Diskurs. Studien zu Entstehung, Struktur und Form der Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert, Bielefeld 1992; BÜRGER, CHRISTA/BÜRGER, PETER/SCHULTE-SASSE, JOCHEN (Hrsg.): Aufklärung und literarische Öffentlichkeit, Frankfurt am Main 1980. Vgl. hierzu außerdem GERHARDS, JÜRGEN: Politische Öffentlichkeit. Ein system- und akteurstheoretischer Bestimmungsversuch, in: Neidhardt, Friedhelm (Hrsg.): Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen, Opladen 1994, S. 77–105. 71 Zur Entwicklung des deutschen Frühliberalismus im Verlauf des 18. Jahrhunderts und dessen Ausprägung zu einer „politischen Bewegung“ im frühen 19. Jahrhundert vgl. grundlegend WILHELM, UWE: Der deutsche Frühliberalismus. Von den Anfängen bis 1789, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1995; LANGEWIESCHE, DIETER: Liberalismus in Deutschland, Frankfurt am Main 1988, S. 12–38. Zu den „politischen Verbindungslinien“ zwischen Spätabsolutismus und Frühliberalismus vgl. außerdem DERS.: Spätaufklärung und Frühliberalismus in Deutschland, in: Müller, Eberhard (Hrsg.): „… aus der anmuthigen Gelehrsamkeit“. Tübinger Studien zum 18. Jahrhundert. Dietrich Geyer zum 60. Geburtstag, Tübingen 1988, S. 67–80; VALJAVEC, FRITZ: Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770–1815. Mit einem Nachwort von Jörn Garber, Kronberg im Taunus/Düsseldorf 1978.

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I. EINLEITUNG

geblieben ist.72 Für den von 1750 bis 1850 vollzogenen Wandel von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft darf die Rolle der Volksaufklärungsbewegung nicht unterschätzt werden.73 Die stete Propagierung bürgerlicher Werte und Lebensweisen, gebunden an eine aus Staatsbürgern bestehende Gesellschaft, dürften entscheidend dazu beigetragen haben, dass im Bewusstsein des „gemeinen Mannes“ die Zersetzung der alten Ständegesellschaft langsam aber sicher vorangetrieben wurde. In einem letzten Punkt soll zudem nach den Gründen gesucht werden, warum das volksaufklärerische Engagement nach 1850 zum Erliegen kam. Zwar steckt die Erfassung der volksaufklärerischen Schriften aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch in ihren Anfängen, doch ungeachtet dessen zeichnet sich schon jetzt die klare Tendenz ab, dass zumindest auf literarisch-publizistischer Ebene die Volksaufklärungsbewegung rund zwei Jahrzehnte nach der Revolution von 1848/49 ihr Ende gefunden hat. Bisher liegen nur wenige Untersuchungen vor, die verlässliche Aussagen darüber erlauben, welche Entwicklung die Volksaufklärung in den ersten beiden Dezennien nach 1850 eingeschlagen hat. Außerdem ist bisher kaum in den Blick genommen worden, welche Lebenswege die Volksaufklärer während und nach der Revolution von 1848/49 eingeschlagen haben. Ein Anliegen dieser Arbeit soll deshalb sein, das Wirken einzelner thüringischer Volksaufklärer während dieser politischen und gesellschaftlichen Umbruchsphase skizzenhaft zu beleuchten. Gleichsam soll diesbezüglich ebenso geklärt werden, inwieweit nach dem Ende der Revolution überhaupt noch die Notwendigkeit oder die Möglichkeit eines volksaufklärerischen Engagements gegeben war.

72 Vgl. ALZHEIMER-HALLER: Handbuch zur narrativen Volksaufklärung, S. 66 f. Vgl. hierzu außerdem BÖNING, HOLGER: „Aufklärung braucht viel Zeit …“, in: Buchhandelsgeschichte, 1993, Heft 2, S. B. 75–78. 73 Reinhart Koselleck bezeichnet die in diesem Zeitraum verortete Übergangsphase von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft als „Sattelzeit“. Vgl. KOSELLECK, REINHART: Einleitung, in: Brunner, Otto/Conze, Werner/Ders. (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 1: A – D, Stuttgart 1972, S. XV. Zu den Umwandlungsprozessen der deutschen Gesellschaft im 18. und 19. Jahrhundert vgl. grundlegend GALL, LOTHAR: Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft, München 1993; WEHLER, HANS-ULRICH: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700–1815, München 1987; Bd. 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“, 1815–1845/49, 2. Aufl. München 1989; RUPPERT, WOLFGANG: Bürgerlicher Wandel. Die Geburt der modernen deutschen Gesellschaft im 18. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1983; BATSCHA, ZWI/GARBER, JÖRN (Hrsg.): Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft. Politisch-soziale Theorien im Deutschland der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1981.

II. Zur Begriffsbestimmung volksaufklärerischer Termini

1. Aufklärung und Volksaufklärung – Versuch einer Abgrenzung AUFKLÄRUNG UND VOLKSAUFKLÄRUNG

Eine klar definierte Trennungslinie zwischen Aufklärung und Volksaufklärung lässt sich nicht ziehen. Die Volksaufklärung kann nicht außerhalb der Aufklärung verortet werden, sondern war vielmehr ein grundlegender Bestandteil der Aufklärung. Die Aufklärung muss hierbei als eine „übergeordnete geistige Grundhaltung“ verstanden werden, die auf Basis verschiedener Leitvorstellungen einen umfassenden kulturellen und gesellschaftlichen Wandlungsprozess initiieren wollte, der sich deutlich von den Auffassungen anderer zeitgenössischer Geistesströmungen des 18. und 19. Jahrhunderts abhob.1 Der Grundgedanke der Aufklärung beruhte auf der Annahme, durch eine methodische Veränderung bestehender Denk- und Erklärungsmuster den „Wahrheitsgehalt“ aller bestehender Wissens- und Glaubensinhalte besser ergründen zu können. Darauf aufbauend, gehörte zur zentralen Leitidee der Aufklärung, dass ein extensiv veränderter Wissens- und Erkenntnishorizont ein riesiges Potential barg, verschiedene geistige und gesellschaftliche Bereiche des Lebens grundlegend neu gestalten zu können. Als geeignetes Mittel zur Gewinnung neuer Einsichten und zur Beseitigung von „Unwahrheiten“ erachtete die Aufklärung die Vernunft. Sie sollte fortan den menschlichen Verstand leiten und neue Erklärungsansätze zu bisher „unentschlüsselten“ Phänomenen liefern. Mit der 1

Das folgende Kapitel orientiert sich im Wesentlichen am aktuellen Forschungsstand zur Aufklärung im 18. und 19. Jahrhundert. Vgl. hierzu u.a. BORGSTEDT, ANGELA: Das Zeitalter der Aufklärung, Darmstadt 2004; DUCHHARDT, HEINZ: Barock und Aufklärung, 4. Aufl. München 2007; IM HOF, ULRICH: Das Europa der Aufklärung, München 1993; MÖLLER, HORST: Vernunft und Kritik. Deutsche Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert, 2. Aufl. Frankfurt am Main 1989; MÜLLER, WINFRIED: Die Aufklärung, München 2002; PORTER, ROY: Kleine Geschichte der Aufklärung, Berlin 1991; PÜTZ, PETER: Die deutsche Aufklärung, 4. Aufl. Darmstadt 1991; REED, TERENCE JAMES: Mehr Licht in Deutschland. Eine kleine Geschichte der Aufklärung, München 2009; SCHMIDT, GEORG: Wandel durch Vernunft. Deutsche Geschichte im 18. Jahrhundert, München 2009; SCHNEIDERS, WERNER: Das Zeitalter der Aufklärung, 2. Aufl. München 2001; STOLLBERG-RILINGER: Europa im Jahrhundert der Aufklärung. Zu den einzelnen Themenfeldern und Protagonisten der Aufklärung vgl. außerdem SCHNEIDERS, WERNER (Hrsg.): Lexikon der Aufklärung. Deutschland und Europa, München 2001; VIERHAUS, RUDOLF/BÖDECKER, HANS ERICH (Hrsg.): Biographische Enzyklopädie der deutschsprachigen Aufklärung, München 2002.

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II. ZUR BEGRIFFSBESTIMMUNG VOLKSAUFKLÄRERISCHER TERMINI

Vorstellung, durch vernunftgeleitete Denkprozesse völlig neues Wissen generieren zu können, knüpfte die Aufklärung an die Tradition des frühneuzeitlichen Rationalismus an, der mit Descartes, Spinoza und Leibniz auf philosophischwissenschaftlicher Ebene bereits im 17. Jahrhundert seine stärkste Ausprägung erfahren hatte.2 In Anlehnung an den Rationalismus des 17. Jahrhunderts erachtete die Aufklärung das Prinzip des methodischen Zweifels und der systematischen Kritik als die beste Möglichkeit zur Überwindung vermeintlich „falscher“ Erkenntnisse und Einsichten. Daran anknüpfend, wollte die Aufklärung verschiedene Gebiete des geistigreligiösen und gesellschaftlichen Lebens durch Reformen optimieren. Orientiert an den Prinzipien der Vernunft, beabsichtigte die Aufklärung, einen Denkprozess zu initiieren, der nicht nur auf philosophisch-theoretischer Ebene zu neuen Gedanken führen, sondern auch in praktischer Hinsicht eine Umgestaltung aller Lebensbereiche des Menschen einleiten sollte. Rudolf Vierhaus bezeichnete diese zentrale Leitvorstellung der Aufklärung als den Willen zur „Lebensgestaltung aus der Kraft des Gedankens“.3 Die gedankliche Auseinandersetzung mit alten Glaubensinhalten und Lehrmeinungen sollte demnach nicht nur dazu beitragen, alle bisher gesammelten philosophisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse auf ihre Richtigkeit zu prüfen und diese anschließend in einem „aktualisierten“ Wissenskanon zu fixieren, sondern das neu gewonnene Wissen ebenso im Interesse des Einzelnen und der Gesellschaft einzusetzen. Mit der Neuausrichtung theologischer und philosophisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse an rationalen Prinzipien verfolgte die Aufklärung konkrete, in der Lebenswelt praktisch umsetzbare Veränderungen. Deshalb wurde fortan althergebrachtes sowie neu erlangtes Wissen auf seine praktischen Wirkungsmöglichkeiten geprüft. In der Annahme, rational ergründetes Wissen könne grundsätzlich eine nützliche praktische Anwendung finden, versuchte die Aufklärung, die Welt an „vernünftigen“ Erkenntnissen auszurichten und neu zu ordnen. Dabei bewirkte der Wille zur Veränderung, dass vor allem traditionelle religiöse Erklärungsmuster zunehmend aus einem anderen Blickwinkel wahrgenommen und umgedeutet wurden. Die universelle Gültigkeit tradierter kirchlicher Dogmen wurde von der Aufklärung infrage gestellt, weil sie immer stärker in Widerspruch zu den empirisch-rational hergeleiteten wissenschaftlichen Erkenntnissen standen, die der akademisch-universitäre Gelehrtenstand seit Ende des 17. Jahrhunderts beständig generierte. Auf diese Weise wandelte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts allmählich in den Kreisen der gebildeten Bevölkerungsschichten, die das neue Wissen der Universitäten und Akademien in Sozietäten und mithilfe publizistischer Mittel rezipierten, diskutierten und weiter2

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Zur Entwicklung des Rationalismus bzw. der Herausbildung rationaler Denkmuster in Wissenschaft, Philosophie und Theologie vom 16. bis 18. Jahrhundert vgl. KONDYLIS, PANAJOTIS: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, Stuttgart 1981. VIERHAUS, RUDOLF: Was war Aufklärung?, Göttingen 1995, S. 7.

AUFKLÄRUNG UND VOLKSAUFKLÄRUNG

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verbreiteten, die Vorstellung von der Welt. Die Welt wurde „entmystifiziert“, indem man fortan scheinbar unerklärliche Naturphänomene systematisch auf ihre chemischen, physikalischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten überprüfte. Im Zuge dessen entwickelte sich unter den Gebildeten immer stärker die Vorstellung von einer fast uneingeschränkten Beherrschbarkeit der Natur. Unter diesem Gesichtspunkt stellte sich die Aufklärung gleichsam die Frage nach der Bestimmung des Menschen.4 Wenn es möglich war, die Welt unter Anwendung vernunftmäßiger Methoden und Verfahrensweisen völlig neu zu gestalten, dann musste auch das menschliche Handeln an anderen Zielen ausgerichtet werden. Losgelöst von „falschen“ Wissens- und Glaubensinhalten und unter Einbeziehung rationaler Denkmuster sollte der Mensch von nun an alle Lebensbereiche planmäßig vervollkommnen.5 Das Streben nach Verbesserung ökonomischer, sozialer und gesellschaftlicher Defizite sollte fortan das Handeln des Menschen bestimmen. Dabei deklarierte die Aufklärung die Umgestaltung aller Gebiete des Lebens, sowohl auf geistig-ideeller als auch auf materieller Ebene, als einen Weg des Fortschritts,6 der die Menschheit letztlich hin zu einer allgemeinen Glückseligkeit führen sollte. Vor allem dieses Versprechen der Aufklärung, dass alle Menschen, unabhängig von ihrem Stand, nicht erst im Jenseits, sondern bereits im Diesseits zu Wohlstand und der damit verbundenen Glückseligkeit gelangen könnten, entfaltete im 18. Jahrhundert eine relativ große Anziehungskraft in den gebildeten Bevölkerungsschichten und sorgte schließlich für die Verbreitung aufklärerischer Ideen in alle Stände der Gesellschaft, die zusätzlich durch einen kontinuierlich expandierenden Bücher- und Zeitschriftenmarkt und die Gründung zahlreicher Sozietäten nochmals verstärkt wurde. Wie Rudolf Vierhaus herausgestellt hat, war die Aufklärung aber keinesfalls die einzige geistig-soziale Bewegung des 18. und 19. Jahrhunderts.7 Neben ihr haben sich auch andere Denkvorstellungen und Anschauungen lange behaupten können und das „Jahrhundert der Aufklärung“ entscheidend mitgeprägt. Der von der Aufklärung angestrebte gesellschaftliche Fortschritt wurde allerdings von den anderen geistig-religiösen Strömungen, wie beispielsweise dem Pietismus, nicht oder nur partiell geteilt. Vor allem jene Bewegungen, die eine konservative Ausrichtung hatten, also im Wesentlichen auf Tradition und Gewohnheit beharrten 4 5 6

7

Ebd., S. 7. STOLLBERG-RILINGER: Europa im Zeitalter der Aufklärung, S. 12. Zur Entwicklung und zum Gebrauch des Fortschrittsbegriffs im 18. und 19. Jahrhundert vgl. MEIER, CHRISTIAN/KOSELLECK, REINHART: Fortschritt, in: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2: E – G, Stuttgart 2004, S. 351–423. VIERHAUS: Was war Aufklärung, S. 5–6. Eine Auflistung und Charakterisierung der Alternativ- und Gegenströmungen der Aufklärung findet sich außerdem bei MÜLLER: Die Aufklärung, S. 94–100.

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II. ZUR BEGRIFFSBESTIMMUNG VOLKSAUFKLÄRERISCHER TERMINI

sowie eine völlig rational bestimmte Lebenswelt missbilligten, standen den Ideen der Aufklärung äußerst skeptisch gegenüber. Auch bei jenen Herrschaftsträgern, deren Autorität und Legitimation ausschließlich auf althergebrachten Rechten beruhte, sowohl auf weltlicher als auch auf kirchlicher Seite, musste die Aufklärung zwangsläufig auf Widerstand stoßen. Sich dieses Umstandes bewusst, waren die Aufklärer auch darum bestrebt, dass die Umsetzung ihrer Ziele vor allem von den unterschiedlichen staatlichen Herrschaftsträgern als ein notwendiges Korrektiv wahrgenommen wurde. Die bestehenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen wurden deshalb für uneffizient erklärt und eine Optimierung jener Strukturen für unumgänglich erachtet, wollte man in Zukunft nicht in Rückständigkeit verfallen. Diese Rückständigkeit, die sich nach Ansicht der Aufklärer in erster Linie durch eine Abnahme staatlichen und bürgerlichen Wohlstandes äußern würde, galt es in Zukunft unter allen Umständen zu verhindern. Gleichzeitig gaben sich die Aufklärer erhebliche Mühe, den Eindruck zu erwecken, dass eine Realisierung aufklärerischer Ideen den bestehenden staatlichen und bürgerlichen Wohlstand nicht nur aufrechterhalten, sondern sogar noch steigern könne. Die Idee der Vermehrung staatlichen Wohlstandes durch effizientere Verwaltungsmechanismen, um damit die soziale Ordnung zu sichern und die Wohlfahrt des Gemeinwesens zu steigern, verfehlte seine Wirkung nicht und stieß alsbald bei einem Großteil der Fürsten und staatlichen Herrschaftsträger auf breite Zustimmung. Auf diese Weise hielt die Aufklärung Einzug in die Verwaltungsapparate der europäischen Fürstenhäuser und sorgte dafür, dass im 18. Jahrhundert etliche Staatsreformen umgesetzt oder angestoßen wurden.8 Um die Ziele der Aufklärung möglichst positiv nach außen darzustellen, orientierten sich die Aufklärer ihrem Selbstverständnis nach an Begriffen, die unmittelbar an das Wort „Licht“ gebunden waren. Nicht rational begründete Sachverhalte wurden hingegen negativ gewertet und oftmals an die Begriffe „Dunkelheit“ und „Finsternis“ gekoppelt. In Anlehnung an die Verben „aufklaren“ und „erleuchten“ ging es der Aufklärung um „das Aufhellen von Sachverhalten, die bisher im Dunkeln lagen“.9 Alle Begebenheiten, die als unvernünftig erachtet wurden, umschrieb die Aufklärung deshalb als Vorurteile, Irrtümer, Unkenntnisse, Unwissenheiten, Schwärmerei und Aberglauben. Die Lebens- und Glaubenswelt der Menschen war nach Auffassung der Aufklärung mehrheitlich in Dunkelheit gehüllt, die nun möglichst schnell vom hellen Licht der Vernunft verdrängt werden sollte. Dabei bediente sich die Aufklärung in solch empathischer Weise der unterschiedlichen Lichtmetaphern, dass am Ende des 18. Jahr-

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Vgl. hierzu STOLLBERG-RILINGER: Europa im Jahrhundert der Aufklärung, S. 194–230; MÜLLER: Die Aufklärung, S. 50–61. Ebd., S. 1.

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hunderts die Aufklärer selbst der Meinung waren, ihre Epoche könne als ein „Zeitalter der Aufklärung“ charakterisiert werden.10 Dass allerdings eine klare Definition von Aufklärung schon von den Zeitgenossen als äußerst schwierig empfunden wurde, zeigen die zahlreichen Ausführungen zu dieser Frage, von denen Kants berühmter Artikel aus der „Berlinischen Monatsschrift“ aus dem Jahr 1784 nur einer von vielen war.11 Aufgrund ihrer Komplexität konnte die Aufklärung selbst von den Aufklärern nur bedingt als Einheit erfasst werden. Denn wie Werner Schneiders und Barbara StollbergRilinger anschaulich aufgezeigt haben, war die Aufklärung in den einzelnen europäischen Staaten an die jeweils dort gültigen spezifischen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen gebunden.12 Aufgrund dessen entwickelte die Aufklärung in den einzelnen europäischen Staaten und Regionen unterschiedliche Ausprägungen. Werner Schneiders spricht in diesem Zusammenhang von verschiedenen „Erscheinungsformen der Aufklärung“.13 Bedingt durch unterschiedliche politische, gesellschaftliche, konfessionelle und kulturelle Grundstrukturen in den einzelnen europäischen Ländern, entfaltete die Aufklärung in ganz Europa sowie im europäisch geprägten Amerika mehrere „Erscheinungsformen“, die entsprechend ihrer Ausgangssituation unterschiedliche Ziele in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Religion verfolgten. Und so verwundert es auch nicht, dass die Aufklärung etwa in Frankreich und England, wo im Sprachgebrauch der Gebildeten der Begriff Aufklärung als Epochenbezeichnung oder Geistesströmung nie zur Anwendung kam, andere Akzente gesetzt hat und sich in vielerlei Punkten von der Aufklärung im deutschen Sprachraum deutlich abhebt.14 In diesem Zusammenhang scheint es auch nachvollziehbarer, warum die Aufklärung in den einzelnen europäischen Staaten, sowohl von den Zeitgenossen als auch der Nachwelt, zum Teil vollkommen unterschiedliche Deutungen und Wertungen erfahren hat. Trotz aller Vielschichtigkeiten sowie unterschiedlichen nationalen und regionalen Ausprägungen wurde die Aufklärung in ganz Europa und in den europäisierten Teilen der Erde von einer zentralen Leitidee bestimmt. Denn im Kern verfolgte die Aufklärung überall das Ziel, den Menschen zum kritischen Denken

10 Vgl. SCHNEIDERS: Das Zeitalter der Aufklärung, S. 7. 11 Vgl. hierzu BAHR (Hrsg.): Was ist Aufklärung?; BRANDT, HORST D. (Hrsg.): Immanuel Kant. Was ist Aufklärung? Ausgewählte kleine Schriften, Hamburg 1990; HINSKE, NORBERT (Hrsg.)/ALBRECHT, MICHAEL: Was ist Aufklärung? Beiträge aus der Berlinischen Monatsschrift, 4. Aufl. Darmstadt 1990. 12 Vgl. SCHNEIDERS: Das Zeitalter der Aufklärung; STOLLBERG-RILINGER: Europa im Jahrhundert der Aufklärung, S. 11–20. 13 SCHNEIDERS: Das Zeitalter der Aufklärung, S. 16. 14 Vgl. ebd., S. 21–115, hier insb. S. 48–51, S. 80 f. u. 113–115.

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zu bewegen.15 Sie wollte ihn zum Selbstdenken ermutigen, damit sich dieser bewusst wurde, dass man die Welt allein durch rationale Denk- und Handlungsprozesse effektiver gestalten könne. Außerdem erhoffte sich die Aufklärung durch eine gesteigerte Aktivität des Denkens, den Menschen zu einem tugendhafteren Leben bewegen zu können. Der nach Fortschritt strebende Mensch war nach Auffassung der Aufklärung nicht nur durch Vernunftfähigkeit und Perfektibilität gekennzeichnet, sondern ebenso durch eine gesteigerte Moralität. Alle Mitglieder der Gesellschaft sollten ihr Handeln fortan in den Dienst des Allgemeinwohls stellen. Die Forderung der Aufklärung nach selbstständig kritisch denkenden und handelnden Menschen führte in letzter Konsequenz schließlich auch zu konkreten Emanzipationsvorstellungen. Nach der Befreiung von geistiger Bevormundung und dem damit verbundenen Mündigwerden der Menschen, so wie Kant die Aufklärung „mustergültig“ in der „Berlinischen Monatsschrift“ definierte,16 sollte schnellstmöglich ein gesellschaftlicher und politischer Wandel folgen. Wie und in welchem Maße dieser Wandel umgesetzt werden konnte, war unter den Aufklärern aber umstritten. Bezüglich des Strebens nach gesellschaftlicher und politischer Emanzipation nahmen die Aufklärer, die selbst nie einen eigenen Stand oder eine homogene Bevölkerungsgruppe ausformten, unterschiedliche „Aufklärungspositionen“ ein, die teilweise starke Ambivalenzen und Widersprüche beinhalteten. Diskussionen um die Möglichkeiten und Grenzen der Aufklärung wurden nun intensiver geführt, was schließlich sogar dazu führte, dass die ausschließliche Orientierung des Lebens an der Vernunft von vielen Aufklärern immer kritischer bewertet wurde. Folgt man den Ausführungen Helmut Reinalters, entwickelte sich die Aufklärung auf diese Weise „zu einem offenen und selbstreflektierenden Projekt“, das am Ende des 18. Jahrhunderts auf zeitgenössische gesellschaftspolitische und sozioökonomische Fragen und Probleme „einen ganzen Komplex von unterschiedlichen Tendenzen“ herausbildete.17 Da die Aufklärung jedoch nie davon abgelassen hat, allen Erkenntnisgewinn am Prinzip des kritischen Selbstdenkens auszurichten, um auf diesem Weg den Menschen von Unmündigkeit zu befreien, kommt Reinalter letztlich ebenso zu dem Ergebnis, dass die Aufklärung trotz aller spezifischen Ausprägungen gesamtübergreifend an einigen „Hauptbestimmungen“ festgemacht werden kann.18 Dazu zählen 15 Vgl. VIERHAUS: Was war Aufklärung, S. 9 f. 16 Nach Immanuel Kant ebnete vernünftiger Verstandesgebrauch und kritisches Selbstdenken den Weg zum „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“. Vgl. KANT: Beantwortung der Frage, S. 9. 17 REINALTER, HELMUT: „Reflexive“ Aufklärung, in: Ehalt, Christian/Graber, Rolf/Klueting, Harm/Mondot, Jean (Hrsg.): Aufklärung und Moderne. 27 Studien zur Geschichte der Neuzeit, Innsbruck/Wien/Bozen 2008, S. 91. 18 Ebd., S. 91.

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das Infragestellen tradierter religiöser Vorstellungen, Dogmen und Institutionen sowie das Hinterfragen der Legitimation bestehender Herrschaftsstrukturen. Daran anknüpfend verlangte die Aufklärung bald ebenso nach Menschenrechten, Rechtsgleichheit, persönlicher Freiheit, Meinungs- und Pressefreiheit sowie nach freien wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten. Und schließlich forderte die Aufklärung in letzter Konsequenz ebenso die Realisierung einer bürgerlichen Gesellschaft sowie das Recht auf politische Partizipation.19 Allerdings wurde der Abbau ständisch-korporativer Strukturen von den Aufklärern in einzelnen europäischen Staaten und Regionen unterschiedlich bewertet und dementsprechend auch in unterschiedlichem Maße forciert. Hinzu kam, dass jeder Aufklärer innerhalb der Gesellschaft eine bestimmte soziale Stellung innehatte, die gemeinhin in eindeutige ständische Grenzen eingebettet war. Viele Aufklärer waren zeitlebens an diese Grenzen gebunden und konnten deshalb ihren Reformbemühungen nur innerhalb eines eingeengten Handlungsspielraumes nachkommen. Auf diese Weise haben es die Aufklärer zwar geschafft, verschiedene Emanzipationsbestrebungen in den einzelnen europäischen Staaten und Regionen anzustoßen, doch zu einer gesamteuropäischen Emanzipationsbewegung, die staatenübergreifend ein einheitliches gesellschaftspolitisches Programm verfolgte, vermochte sich die Aufklärung nicht zu formieren. Trotz aller unterschiedlichen Ausprägungen schuf die Aufklärung dennoch ein neues, einheitliches Bewusstsein in großen Teilen der gebildeten Bevölkerungsschichten, das im weitesten Sinne durchaus als „aufgeklärt“ umschrieben werden kann. Da die Anliegen und Zielsetzungen der Aufklärung allesamt auf eine Verbesserung des Menschen und seiner Lebenswelt ausgerichtet waren sowie auf Kritik und Vernunft bauten, war der Rahmen eines „aufklärerischen Bewusstseins“ fest vorgegeben. Solange die jeweils spezifischen Ziele der einzelnen Aufklärer innerhalb dieses Rahmens blieben, ließ sich die Aufklärung problemlos als eine einheitliche, nach Fortschritt strebende Geistesströmung darstellen. Dabei verstand sie es, im Gegensatz zu den anderen Geistesströmungen im 18. Jahrhundert, ihre Intentionen in breitem Maße in die Öffentlichkeit zu tragen.20 Vor allem die intensive Nutzung publizistischer Medien führte zu einer starken Verbreitung aufklärerischer Ideen in allen Ständen der Gesellschaft.21 Durch den im Laufe des 18. Jahrhunderts stetig expandierenden Buch- und Zeitschriften19 Vgl. hierzu auch VIERHAUS: Was war Aufklärung, S. 15. 20 Zur Wechselwirkung zwischen publizistischen Medien und der sich im Zeitalter der Aufklärung langsam herausbildenden bürgerlichen Gesellschaft vgl. grundlegend FAULSTICH, WERNER: Die bürgerliche Mediengesellschaft (1700–1830), Göttingen 2002. 21 Vgl. DÜLMEN, RICHARD VAN: Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, Bd. 3: Religion, Magie, Aufklärung 16.-18. Jahrhundert, 2. Aufl. München 1999, S. 240 f. Vgl. hierzu außerdem WITTMANN, REINHARD: Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zum literarischen Leben 1750–1880, Tübingen 1982.

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markt wurde aufklärerisches Gedankengut in alle Bevölkerungsschichten getragen. Nach Barbara Stollberg-Rilinger waren Druckschriften „das breiteste und allgemeinste Medium der Aufklärung“.22 Gegenüber den Formen mündlichen Austauschs konnte das gedruckte Wort beliebig oft vervielfältigt und über große räumliche Entfernungen verbreitet zu werden. Ebenso eröffneten Druckmedien den Aufklärern die Möglichkeit, ihre Intentionen entweder einem breiten Publikum oder einem speziell ausgewählten Leserkreis näherzubringen, ohne dafür persönlichen Kontakt mit den Rezipienten aufnehmen zu müssen. Ein weiterer Vorteil der Druckmedien, der insbesondere im Zeitschriftenwesen zur Geltung kam, war die Herstellung eines öffentlichen Diskurses zu jedem erdenklichen Thema. Etliche Aufklärer nutzten die Druckmedien als Kommunikationsplattform, wo man fortan, unabhängig von Stand oder Profession der schreibenden und lesenden Personen, verschiedene Meinungen zu brisanten Themen territorial- und ständeübergreifend austauschen konnte. Auf diese Weise gelang den Aufklärern die Ausbildung einer diskursiven Öffentlichkeit, die stark von aufklärerischen Themen dominiert wurde und dadurch die öffentliche Wahrnehmung anderer Geistesströmungen in erheblichem Maße zurückzudrängen vermochte. Des Weiteren bediente sich die Aufklärung neuartiger Geselligkeitsformen, die innerhalb der ständischen Gesellschaft der Frühen Neuzeit ein absolutes Novum darstellten. Die Träger der Aufklärung organisierten sich erstmals auf freiwilliger Basis ständeübergreifend in verschiedenen Sozietäten, um sich dort über aufklärerische Ideen auszutauschen und die Realisierung konkreter aufklärerischer Ziele voranzutreiben.23 Da sich die Ausrichtung der einzelnen Sozietäten oftmals nur an einem ganz bestimmten aufklärerischen Ziel orientierte, kam es im Laufe des 18. Jahrhunderts zur Ausformung verschiedenartiger „Aufklärungsgesellschaften“. Zahlreiche Gründungen von Akademien und Gelehrtengesellschaften, literarischen Gesellschaften, Lesegesellschaften, ökonomischen Gesellschaften, patriotisch-gemeinnützigen Gesellschaften und Geheimgesellschaften, wie etwa den Freimaurerlogen und den Illuminatenorden, führten zur Entstehung neuer, privater Orte, wo sich eine gelehrt-aufklärerische Kultur ohne ständische Zwänge frei entfalten konnte.24 Hinzu kam, dass die Aufklärer, die mitunter die Mitgliedschaft in mehreren Sozietäten besaßen,25 die Aufklärungsgesellschaften wie das Buch- und Zeitschriftenwesen als gut vernetzte Kommunikationsplattformen nutzten. Sowohl innerhalb als auch zwischen den einzelnen 22 STOLLBERG-RILINGER: Europa im Jahrhundert der Aufklärung, S. 134. 23 Vgl. DÜLMEN: Die Gesellschaft der Aufklärer; IM HOF, ULRICH: Das gesellige Jahrhundert. Gesellschaft und Gesellschaften im Zeitalter der Aufklärung, München 1982. Vgl. außerdem ZAUNSTÖCK, HOLGER: Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert, Tübingen 1999, S. 1–7 u. 34–90. 24 Vgl. BORGSTEDT: Das Zeitalter der Aufklärung, S. 65. 25 Vgl. ZAUNSTÖCK: Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen, S. 200–251.

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Sozietäten erfolgte ein reger Gedanken- und Meinungsaustausch, der letztlich zur Folge hatte, dass die Ideen der Aufklärung im Laufe des 18. Jahrhunderts immer stärker die Diskurse der Gelehrten und Gebildeten bestimmten. Die Besonderheit des aufklärerischen Sozietätswesens lag jedoch nicht nur in ihrer ausgeprägten Vernetzung, sondern ebenso im Selbstverständnis der meisten Aufklärungsgesellschaften, ihre Aktivitäten und Vorstellungen möglichst breitenwirksam in die Öffentlichkeit zu tragen.26 Nicht wenige aufklärerische Sozietäten bzw. die in den Gesellschaften wirkenden Mitglieder versuchten durch Vorträge und Publikationen ihre Intentionen öffentlich zu artikulieren. Alle Aufklärungsgesellschaften bekannten sich zu Reformen und waren der Ansicht, durch ihr Wirken wenigstens den ein oder anderen gesellschaftlichen Verbesserungsprozess initiieren zu können.27 Da jedoch den meisten Aufklärern sowie Aufklärungsgesellschaften direkte politische Mitgestaltungsmöglichkeiten verwehrt blieben, war die öffentliche Verbreitung aufklärerischer Ideen zunächst der einzige Weg, sozioökonomische oder gesellschaftspolitische Reformen anzustoßen. Die Aufklärer waren sich bewusst, dass die praktische Umsetzung der angestrebten Reformen vom Grad der Verankerung aufklärerischer Vorstellungen von allen sozialen Schichten abhing. Die Beschränkung der Aufklärung auf den Kreis der Gebildeten, also auf eine kleine Minderheit der Gesamtbevölkerung, hätte die Realisierung umfassender Reformen in der Praxis sicherlich schwieriger gestaltet. Aufklärerisches Gedankengut sollte sich demzufolge sowohl in den Köpfen der niederen als auch höheren Stände festsetzen, auch wenn unter den Aufklärern zu keinem Zeitpunkt Einigkeit darüber herrschte, in welchem Ausmaß dies zu geschehen hatte. Fast schon disparat wirkt in diesem Zusammenhang die Ausrichtung der Freimaurerlogen, die nicht in der Öffentlichkeit, sondern bewusst im Geheimen agierten, sich aber dennoch als wichtige Institutionen aufgeklärter Geselligkeit verstanden. Jens Riederer hat allerdings in seiner Dissertation, in welcher er die Sozietätsstrukturen in den beiden Aufklärungszentren Weimar und Jena um 1800 näher beschreibt, darauf hingewiesen, dass Geheimnis und Öffentlichkeit zu den Grundprinzipien aufklärerischer Organisierung gehörten.28 Arkane Sozietäten, die sich den Ideen der Aufklärung im Verborgenen widmeten, waren im 18. und 19. Jahrhundert nichts Ungewöhnliches und ein elementarer Bestandteil der Aufklärung. Folgt man den Ausführungen Helmut Reinalters, dann haben die Freimaurerei sowie andere Geheimgesellschaften, etwa die Illuminaten, die Entwick-

26 Vgl. DÜLMEN: Die Gesellschaft der Aufklärer, S. 11. 27 Vgl. ebd., S. 122. 28 Vgl. RIEDERER, JENS: Aufgeklärte Sozietäten und gesellige Vereine in Jena und Weimar zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit 1730–1830. Sozialstrukturelle Untersuchungen und ein Beitrag zur politischen Kultur eines Kleinstaates, Diss. phil., Jena 1995, S. 25–36.

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lung der Aufklärung sogar entscheidend mitgeprägt.29 Die Mitglieder einer Freimaurerloge waren prinzipiell gleichberechtigt. Innerhalb der Freimaurerei existierten weder ständische Schranken noch unterstanden die Logen einer kirchlichen oder politischen Autorität. Strukturell betrachtet, unterschieden sich die Freimauerlogen damit kaum von den öffentlich ausgerichteten Aufklärungsgesellschaften. Ebenso können die Intentionen der freimaurerischen Vereinigungen durchaus als aufklärerisch bezeichnet werden. Die Freimaurerei war in erster Linie auf die sittlich-moralische Vervollkommnung des Menschen gerichtet. Die Mitglieder der Freimaurerlogen bekannten sich zu Toleranz und Humanität sowie zu den Idealen der Brüderlichkeit und der tätigen Nächstenliebe.30 Konkrete gesellschaftliche, wirtschaftliche oder politische Veränderungen strebten die Freimaurerlogen hingegen nicht an. Als aufklärerische Organisationsform dienten die Freimaurerlogen vor allem der „geistigen Verbesserung“ ihrer Mitglieder. Für die Realisierung dieses Grundsatzes war die Herstellung von Öffentlichkeit, im Gegensatz zu den Aufklärungsgesellschaften, die nach praktischen Veränderungen strebten, schlicht und einfach nicht vonnöten. Trat ein Freimaurer dennoch in die Öffentlichkeit, um ein konkretes reformerisches Anliegen zu forcieren, dann erfolgte dies über eine bewusst öffentlich ausgerichtete aufklärerische Sozietät, etwa über eine Akademie oder eine gemeinnützig-ökonomische Gesellschaft.31 Die Mitglieder in den arkan ausgerichteten Freimaurerlogen wollten demnach keine konspirativen Geheimbünde gründen, sondern suchten nur eine Möglichkeit, wo sich geistig Gleichgesinnte standesübergreifend in privater, abgeschlossener Atmosphäre über die Ideen der Aufklärung austauschen konnten. Die Freimaurerlogen fungierten sozusagen als ein Ort des internen Meinungs- und Ideenaustauschs. Die Gespräche ihrer Mitglieder waren privat und dienten hauptsächlich der Selbstbildung der eigenen Person. Rudolf Vierhaus bezeichnete die Freimaurerlogen in diesem Zusammenhang als ein „Element der Geselligkeit und moralischen Selbstbetätigung“.32 Danach verstärkte die Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge bei den Aufklärern das Gefühl „der Zugehörigkeit zu einem Freundschaftsbund“, wo ein jeder an „der stillen Veredelung der Menschheit“ mitwirken konnte.33

29 REINALTER, HELMUT: Freimaurerei und Geheimgesellschaften, in: Ders. (Hrsg.): Aufklärungsgesellschaften, Frankfurt am Main u.a. 1993, S. 86. Vgl. außerdem DERS.: Die Freimaurerei, München 2000. 30 Vgl. MÜLLER: Die Aufklärung, S. 22. 31 Vgl. REINALTER: Freimaurerei und Geheimgesellschaften, S. 87. 32 VIERHAUS, RUDOLF: Aufklärung und Freimaurerei in Deutschland, in: Ders.: Deutschland im 18. Jahrhundert. Politische Verfassung, soziales Gefüge, geistige Bewegungen, Göttingen 1987, S. 117. 33 Ebd., S. 117.

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Diejenigen Sozietäten, die nicht nur einen internen Ideenaustausch anstrebten, um Tugend und Moralität der eigenen Person zu stärken, sondern zugleich ihre gelehrt-aufklärerischen Erkenntnisse sowie ihre rational-praktischen Absichten an die Allgemeinheit weiterreichen wollten, hatten folglich eine völlig andere Zielsetzung. Der Grad der Öffentlichkeit hing demzufolge stets von den unterschiedlichen Interessenslagen der einzelnen Sozietäten und ihrer dazugehörigen Mitglieder ab. Die arkanen und öffentlichen Organisationsformen der Aufklärung standen also nicht in Widerspruch zueinander und schlossen sich gegenseitig aus, sondern ergänzten sich vielmehr.34 Unabhängig vom öffentlichen oder arkanen Profil der verschiedenen Sozietäten, verfolgten alle Aufklärungsgesellschaften im Kern das Ziel, wohltätig zu wirken, mit dem Anspruch, einen Beitrag zur Vervollkommnung der Menschheit zu leisten. Da sowohl der Mensch als auch die Gesellschaft in vielerlei Hinsicht als verbesserungswürdig erachtet wurden, entwickelten die aufgeklärten Sozietäten explizite Strategien zur Behebung scheinbar offenkundig bestehender Defizite. Hierin zeigt sich besonders deutlich, dass die Aufklärung – zumindest im deutschsprachigen Raum – ihren Fokus auf die Erziehung des Menschen gerichtet hat. Folgt man der These von Rudolf Vierhaus, dann war das wichtigste Anliegen der deutschen Aufklärung eine übergreifende Erziehung aller Menschen. Vierhaus folgerte daraus, dass die Aufklärung im deutschsprachigen Raum daher mit dem Begriff der „Erziehung“ gleichgesetzt werden kann.35 Ob und in welcher Weise man dieser pauschalen These zustimmt, sei dahingestellt. Betrachtet man die Forschungsergebnisse der letzten Jahre, scheint sich jedoch eindeutig herauszukristallisieren, dass die Hinwendung der Aufklärung zum Menschen bzw. die Vorstellung von der Vervollkommnung des Individuums sowie der daraus resultierenden Verbesserung aller Gesellschaftsglieder ohne die Erstellung planmäßiger Erziehungskonzepte in der Praxis überhaupt nicht umsetzbar gewesen wäre.36 In der Annahme, jeder Mensch bedürfe einer „geistigen Verbesserung“, entwickelten die Aufklärer für die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen der Gesellschaft jeweils speziell zugeschnittene Erziehungsprogramme und Erziehungsmodelle, deren Inhalte wiederum dezidiert am Bildungsstand und an der sozialen Stellung der aufzuklärenden Personen ausgerichtet waren. Zu den 34 Zur Komplexität, Struktur, Ambivalenz und Wechselwirkung der unterschiedlichen arkanen und öffentlichen Aufklärungsgesellschaften vgl. SCHRADER, FRED E.: Soziabiltätsgeschichte der Aufklärung. Zu einem europäischen Forschungsproblem, in: Francia, 19/2 (1992), S. 177–194. 35 VIERHAUS, RUDOLF: Aufklärung als Lernprozeß, in: Ders.: Deutschland im 18. Jahrhundert, S. 84–86. 36 Vgl. hierzu grundlegend HERRMANN, ULRICH: Aufklärung und Erziehung. Studien zur Funktion der Erziehung im Konstitutionsprozeß der bürgerlichen Gesellschaft im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland, Weinheim 1993.

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Aufzuklärenden zählten hierbei die Gebildeten selbst sowie die als ungebildet signifizierten Mitglieder der Gesellschaft, die sich nach Auffassung der Aufklärer vor allem aus Bauern, Handwerkern, Frauen und Kindern zusammensetzten. Abhängig von Geschlecht, Alter, Stand, Profession und Konfessionszugehörigkeit entwarfen die Aufklärer für jeden „Menschentyp“ eine mehr oder weniger passend zugeschnittene „Anleitung“, wie das Leben effizienter gestaltet werden konnte, um den individuellen und gemeinschaftlichen Nutzen seiner Handlungen zu steigern. Diese „Anleitungen“, die zweifelsfrei als eine planmäßige Erziehung verstanden werden müssen, fanden im Laufe des 18. Jahrhunderts Einzug in die zahlreichen pädagogischen Felder, sowohl im staatlich-öffentlichen als auch im privat-häuslichen Bereich. An erster Stelle stand hierbei die Kindererziehung im Elementar- und Grundschulwesen, die durch etliche Reformprojekte, etwa durch die Neugründungen oder Umgestaltungen von Dorfschulen, Philanthropinen, Erziehungsanstalten oder Sonntagsschulen, das Verständnis von der Funktion der Institution Schule nachhaltig prägten. Aber nicht nur im niederen, sondern auch im mittleren und höheren Schulwesen kam es zu tief greifenden Umbrüchen. So wurden an den Gymnasien sowie an den städtischen Bürgerschulen in die Lehrpläne zunehmend neue naturwissenschaftliche Fächer integriert und der Unterricht stärker in einen praxisbezogenen Kontext gestellt. Auch auf Universitätsebene wurden neue naturwissenschaftliche Disziplinen eingeführt und die Studenten fortan zu „nützlichen Staatsbürgern“ gebildet.37 Zu einem zentralen „Erziehungsobjekt“ der deutschen Aufklärung wurde seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ebenso das „Volk“, also derjenige Teil der Bevölkerung, der über keine höhere Bildung verfügte und hauptsächlich durch bäuerliche und handwerkliche Arbeit seinen Lebensunterhalt verdiente.38 Das Bestreben, die Erwachsenen aus den „niederen“ Ständen zu besseren Menschen zu bilden, entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem Großprojekt der deutschen Aufklärung, das von den Aufklärern selbst ab ca. 1780 als „Volksaufklärung“ bezeichnet wurde.39 Dabei kann im Gegensatz zur Aufklärung, die, wie eingangs erwähnt, aufgrund ihrer vielfältigen Ausprägungen eher als „geistige Grundhaltung“ zu charakterisieren ist, festgehalten werden, dass die Volksaufklärung eine fest bestimmbare gesellschaftliche Reformbewegung war.40 Getragen von den Gebildeten aus den mittleren 37 Vgl. STOLLBERG-RILINGER: Europa im Jahrhundert der Aufklärung, S. 187–193; SCHMIDT: Wandel durch Vernunft, S. 267. 38 Zum Volksbegriff vgl. Kapitel II.2. 39 Vgl. BORGSTEDT: Das Zeitalter der Aufklärer, S. 58–60. 40 Der Begriff der Bewegung wurde im gesellschaftlich-politischen Kontext erstmals gegen Ende des 17. Jahrhunderts verwendet. Als eine Umschreibung gemeinschaftlich agierender Akteure, deren Handeln und Wirken auf konkrete gesellschaftliche, politische, soziale, ökonomische oder religiöse Veränderungen ausgerichtet war, hat sich der Bewegungsbe-

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sozialen Schichten, in erster Linie von Geistlichen beider Konfessionen sowie Lehrern, Akademikern, Beamten, Ärzten, Schriftstellern, Kameralisten und Gutsbesitzern, entwickelte sich die Volksaufklärung im Zeitraum von ca. 1750 bis 1850 zur größten „Bürgerbewegung“ im deutschsprachigen Raum.41 Der Prozess einer breit angelegten Wissenspopularisierung für die ungebildeten Bevölkerungsschichten zielte zunächst auf die Vermittlung rein praktischer und nützlicher Erkenntnisse, wandelte sich ab 1780 aber zusätzlich zu einer Erziehungsbewegung, die ganz im Sinne Immanuel Kants den „gemeinen Mann“ zum kritischen Selbstdenken ermutigen wollte.42 Und schließlich entfaltete die Volksaufklärung nach Ausbruch der Französischen Revolution mehrere Emanzipationsbemühungen, die den selbständig denkenden und handelnden Menschen weitestgehend von alten Ständeschranken befreit wissen wollte.43 Bei ihrem Vorhaben, einer breiten Bevölkerungsschicht aufklärerisches Gedankengut nahezubringen, setzten die Volksaufklärer auf die gleichen Medien und Kommunikationsformen, die auch bei den Gebildeten zur Anwendung kamen. So erstreckte sich das volksaufklärerische Engagement nicht nur über eine Fülle von volksaufklärerischer Lektüre, sondern ebenso über zahlreiche Aufklärungsgesellschaften und Vereine,44 die sich in der Pflicht sahen, die Bildung des

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griff im frühen 19. Jahrhundert – insbesondere im Zuge der Revolution von 1830 – im deutschen Sprachgebrauch fest verankert. Die Volksaufklärung bzw. die Träger der Volksaufklärung haben sich selbst nie als eine Bewegung bezeichnet. Dennoch kann die Volksaufklärung als eine Bewegung charakterisiert werden, da ihre Akteure gezielt auf einen Prozess des sozioökonomischen und gesellschaftlichen Wandels hinwirkten. Dabei ist zu beachten, dass die handelnden Akteure einer Bewegung nicht zwangsläufig einem strikt vorgegebenen, einheitlichen Muster folgen müssen. Innerhalb einer Bewegung entsteht in der Regel eine Vielfalt von Tendenzen, Kommunikations- und Organisationsformen sowie Aktionsansätzen. Trotz mehr oder weniger unterschiedlich stark ausgeprägter Binnendifferenzierungen ist das entscheidende Kriterium einer gesellschaftlichen Bewegung das kontinuierliche, über einen längeren Zeitraum anhaltende Engagement aller beteiligten Trägergruppen bei der Umsetzung eines bestimmten inhaltlichen Kernprogramms. Zum Bewegungsbegriff vgl. FRESE, JÜRGEN: Bewegung, politische, in: Ritter, Joachim (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1: A – C, Basel/Stuttgart 1971, S. 880–882. Vgl. BÖNING: Popularaufklärung – Volksaufklärung, S. 563. Der Begriff „Bürgerbewegung“ bezieht sich hierbei vor allem auf die Tatsache, dass die Träger der Volksaufklärung mehrheitlich bürgerlich Milieus angehörten oder vorzugsweise in bürgerlichen Kreisen verkehrten. Vgl. hierzu insb. Kapitel IV. Vgl. DERS./SIEGERT, REINHART: Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch zur Popularisierung aufklärerischen Denkens im deutschen Sprachraum von den Anfängen bis 1850, Bd. 1: Die Genese der Aufklärung und ihre Entwicklung bis 1780, Stuttgart-Bad Cannstatt 1990, S. X. Vgl. BÖNING: Entgrenzte Aufklärung, S. 13–50. Rolf Graber hat an der Züricher „Naturforschenden Gesellschaft“ exemplarisch herausgearbeitet, welcher Mittel und Wege sich aufklärerische Sozietäten bei der Durchsetzung

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„Volkes“ befördern zu müssen. Wie Manfred Agethen näher beschrieben hat, sahen sich sogar einzelne Freimauer und Freimaurerlogen dazu berufen, die Aufklärung des „Volkes“ durch materielle Hilfen, Bildungsangebote und Anregungen gegenüber Obrigkeiten zu fördern.45 Erstaunlich ist hierbei, dass die von der Volksaufklärung geschaffenen literarischen Konzepte und institutionellen Strukturen zur Vermittlung aufklärerischen Gedankengutes sich bis Mitte des 19. Jahrhunderts gehalten haben. Während auf philosophischer Ebene die Aufklärung mit Ausbruch der Französischen Revolution ihren Scheitelpunkt hatte,46 kam das Engagement der populären Wissensvermittlung von aufklärerischen Inhalten erst nach der Revolution von 1848/49 allmählich zum Erliegen. Dabei bleibt natürlich zu berücksichtigen, dass die Träger der Volksaufklärung keine homogene Gruppe bildeten und unter den Volksaufklärern oftmals keine Einigkeit darüber herrschte, in welchem Ausmaß aufklärerisches Wissen an den „gemeinen Mann“ herangetragen werden sollte. Die Frage nach einer „verhältnismäßigen Aufklärung des Volkes“ blieb bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fester Bestandteil volksaufklärerischer Diskurse.47 Eine Vermittlung aufklärerischer Inhalte, die weit über praktisches Alltagswissen hinausgingen und sich stattdessen mit emanzipatorischen Vorstellungen befassten, lehnten nicht wenige Volksaufklärer ab. Andere Volksaufklärer hingegen vertraten die Auffassung, dass eine Aufklärung des „Volkes“ ohne emanzipatorische Erziehungsinhalte einem „Volksbetrug“ gleichkommen würde. Trotz solcher ambivalenter Strömungen kann von der Volksaufklärungsbewegung dennoch als Einheit gesprochen werden. Unabhängig davon, ob die einzelnen Volksaufklärer den mündigen oder nur den nützlichen Menschen wollten, zielten alle Intentionen stets auf die Realisierung von Vernunft und Tugend. Zentrales Anliegen blieb durchweg die Bekämpfung von Unwissenheit und Unvernunft. Wie die Gestaltung der sich daraus ergebenden neuen Handlungsspielräume zu verlaufen hatte, folgte hingegen keinem vordefinierten Muster und stand erst an zweiter Stelle im Erziehungsprogramm der Volksaufklärer. Dass sich aus dieser Ausgangslage im Laufe ihrer volksaufklärerischer Intentionen bedienten. Vgl. GRABER, ROLF: Reformdiskurs und soziale Realität: Die Naturforschende Gesellschaft in Zürich als Medium der Volksaufklärung, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, 47 (1997), S. 129–150. 45 Vgl. AGETHEN, MANFRED: Freimaurerei und Volksaufklärung im 18. Jahrhundert, in: DONNERT, ERICH (Hrsg.): Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt, Bd. 4: Deutsche Aufklärung, Köln/Weimar/Wien 1997, S. 487–508. 46 Zur Epochenbegrenzung der Aufklärung bzw. Volksaufklärung vgl. STOLLBERG-RILINGER: Europa im Jahrhundert der Aufklärung, S. 17 f.; SCHNEIDERS: Das Zeitalter der Aufklärung, S. 128; BORGSTEDT: Das Zeitalter der Aufklärung, S. 5–9 u. 60. 47 Vgl. BÖNING, HÖLGER: Volksaufklärung, in: Schneiders (Hrsg.): Lexikon der Aufklärung, S. 434–437. Zum Begriff der „verhältnismäßigen Aufklärung“ vgl. außerdem SAUDER, GERHARD: „Verhältnismäßige Aufklärung“. Zur bürgerlichen Ideologie am Ende des 18. Jahrhunderts, in: Jahrbuch der Jean Paul Gesellschaft, 9 (1974), S. 102–126.

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des 18. und 19. Jahrhunderts innerhalb der Volksaufklärungsbewegung unterschiedliche „geistige Grundtendenzen“ herausgebildet haben, mit unterschiedlichen Auffassungen bezüglich der Aufklärung des „gemeinen Mannes“ in ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Fragen, scheint damit nahezu unausweichlich gewesen zu sein. Das zu Beginn der Aufklärung fixierte Grundmuster, alle Lebensbereiche nach vernunftmäßigen Prinzipien auszurichten, blieb hingegen über Jahrzehnte relativ stabil und bildete fortwährend das gemeinsame Bindeglied für alle Volksaufklärer, auch wenn diese untereinander zu bestimmten Sachverhalten mit der Zeit widersprüchliche oder sogar gegenaufklärerische Ansichten entwickelten. In diesem Sinne lässt sich anhand der Volksaufklärungsbewegung exemplarisch an einem konkreten „Erziehungsobjekt“, in diesem Fall der „gemeine Mann“, rekonstruieren, wie die Vertreter der Aufklärung ihre theoretisch formulierten Ziele in der Praxis einzulösen versuchten und mit welchen Problemen, Widerständen und Hindernissen sie in der Realität konfrontiert wurden.

2. Zum Volksbegriff der Volksaufklärung ZUM VOLKSBEGRIFF DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Der Begriff des „Volkes“ wurde in der volksaufklärerischen Publizistik ganz selbstverständlich verwendet, ohne dabei von den einzelnen Autoren jemals kritisch hinterfragt zu werden. Nur in äußerst seltenen Fällen finden sich ausführlichere Textpassagen, in denen der Begriff „Volk“ genauer definiert wird. Wird man einmal fündig, so lässt sich jedoch feststellen, dass der Volksbegriff nur unzureichend erläutert wird und somit stets unscharf bleibt. Das scheint recht unverständlich, da zum einen das Wort „Volk“ seit Ende des 18. Jahrhunderts durchgängig bis 1850 in der volksaufklärerischen Publizistik auftaucht und von den Volksaufklärern auch bewusst in die Titel einzelner Periodika und Einzelschriften integriert wurde. Und zum anderen wird mit der Bezeichnung „Volk“ – zumindest auf den ersten Blick – der Eindruck geweckt, dass hier in klarer Abgrenzung zu anderen Bevölkerungsgruppen ein Leserkreis angesprochen werden sollte, der einem bestimmten sozialen und gesellschaftlichen Milieu angehörte. Bei näherer Betrachtung wird jedoch recht schnell ersichtlich, dass die Herausgeber und Verfasser von volksaufklärerischen Schriften wissentlich davon abgesehen haben, den Volksbegriff näher zu umreißen. Warum also diese Unschärfe? Entweder war den Zeitgenossen die Bedeutung des Wortes „Volk“ aus dem täglichen Sprachgebrauch einschlägig geläufig und bedurfte daher keiner weiteren Erläuterung. Oder die Volksaufklärer wählten gezielt und wohlüberlegt einen

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unpräzisen Ausdruck, mit der Absicht, auf diese Weise ein breiteres Lesepublikum akquirieren zu können. Um diese Frage zu klären, bedarf es zunächst der Untersuchung ab welchem Zeitpunkt und in welcher Konnotation der Volksbegriff zum wesentlichen Bestandteil der volksaufklärerischen Publizistik wurde. Wie von Bernd Schönemann in den „Geschichtlichen Grundbegriffen“ sehr detailliert aufgezeigt und von Reinhardt Siegert im „Lexikon der Aufklärung“ nochmals untermauert, war die Bezeichnung „Volk“ keine Neuschöpfung des 18. Jahrhunderts.48 Bereits seit dem 15. Jahrhundert lassen sich Quellen nachweisen, die den Volksbegriff im theologischen, geographischen, staatsrechtlichen oder militärischen Sinne gebrauchten.49 So ist fortlaufend bis zum 18. Jahrhundert von „Gottesvolk“, „Kriegsvolk“ oder auch „Staatsvolk“ die Rede. Ebenso konnte sich der Volksbegriff aber auch „auf soziale Gruppen der unterschiedlichsten Größe und Zusammensetzung bis hin zur Gesamtheit der Besitzlosen und Ungebildeten in der Gesellschaft“ beziehen.50 Es zeigt sich somit, dass die Bezeichnung „Volk“ bereits in der Frühen Neuzeit ein vieldeutiger Begriff war. In der „Sattelzeit“ schließlich, insbesondere durch die Auswirkungen der Französischen Revolution, die Auflösung des Alten Reiches, die napoleonische Hegemonie und die einzelstaatlichen Modernisierungs- und Reformprogramme, erhielt der Volksbegriff allerdings einen neuen entscheidenden Bedeutungswandel. Erstmals wurde der Begriff des „Volkes“ ebenso mit dem Begriff der „Nation“ gleichgesetzt, so dass im Laufe des 19. Jahrhunderts diese beiden Begriffe bereits zunehmend, wenn auch nicht ausschließlich, eine synonyme Verwendung fanden.51 Dieser Bedeutungswandel wurde maßgeblich von Johann Gottfried Herder initiiert.52 Für Herder war das „Volk“ keine „soziale Gruppe inner- oder unterhalb der Nation“, sondern mit der Nation selbst gleichzusetzen.53 Er definierte „Volk“ über Sprache und Poesie sowie Sitten und Bräuche.54 Die soziale Stellung des Einzelnen oder einer Gruppe innerhalb der Gesellschaft waren für ihn ohne Belang. Sobald eine menschliche Gemeinschaft sich kollektiv einer einheitlichen Sprache und gleichartigen Sitten und Bräuchen bediente, war diese nach Herder als „Volk“ zu betrachten. Herder verband mit dem Begriff „Volk“ eine 48 Vgl. SCHÖNEMANN, BERND: Volk, Nation, in: Brunner, Otto/Kunze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Geschichte Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, Stuttgart 1992, S. 281–380; SIEGERT, REINHART: Volk / Gemeiner Mann / Pöbel, in: Schneiders (Hrsg.): Lexikon der Aufklärung, S. 432–434, hier S. 432. 49 Vgl. SCHÖNEMANN: Volk, Nation, S. 283. 50 Ebd. 51 Vgl. ebd., S. 284. 52 Vgl. ebd., S. 283 f. u. 316–319. 53 Ebd., S. 316. 54 Vgl. hierzu auch RATHMANN, JÁNOS: Die „Volks“-Konzeption bei Herder, in: Herrmann, Ulrich (Hrsg.): Volk – Nation – Vaterland, Hamburg 1996, S. 55–61.

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(kulturelle) Einheit von Menschen, die an keine bestimmten Bevölkerungsschichten gekoppelt sein musste. Damit wurde erstmals die bis dato primäre Deutungsvariante des Volksbegriffes umgangen. Die Bezeichnung „Volk“, die vorrangig als Umschreibung der unteren Schichten der Bevölkerung (Bauern, Ungebildete, Besitzlose etc.) herangezogen wurde, verlor durch Herders Neudefinition immer mehr ihre einst so starke soziale Ausprägung. Eine politische Instrumentalisierung des Volksbegriffes wurde vonseiten Herders allerdings noch nicht angestrebt.55 Erst im 19. Jahrhundert, im Zuge der Revolutionen von 1789 und 1830, wurde der Herder’sche Volksbegriff auch politisch aufgewertet und erreichte seine epochale Wirkung.56 Allmählich häuften sich die Versuche, den Begriff des „Volkes“ mit dem soziologischen Begriff der „Masse“ zu verknüpfen. Es hatte sich gezeigt, dass die „Masse“, die nach der Französischen Revolution zusehends als große Ansammlung verschiedenartiger Menschen oder Gruppierungen aus unterschiedlichen Ständen mit unterschiedlichen Interessen wahrgenommen wurde, in der Lage war, auf politische Systeme einzuwirken oder diese gar zu verändern.57 Die „Masse“ konnte – und das hatten die Revolutionen von 1789 und 1830 gezeigt – eine reale Bedrohung der gegenwärtig herrschenden gesellschaftlichen Ordnung sein. Wollten die politischen Kräfte des 19. Jahrhunderts nicht zwangsläufig Gefahr laufen, sich ständig den Vorwurf gefallen zu lassen, eine eigennützige Politik zu verfolgen, ließ es sich nicht vermeiden, den Interessen der „Masse“, das hieß den verschiedenen Ständen, Schichten, Klassen und Bevölkerungsgruppen, zumindest ansatzweise Rechnung zu tragen. Da die „Masse“ des 19. Jahrhunderts jedoch sehr heterogen und überständisch zusammengesetzt war, mussten sich zwangsläufig Beschreibungsprobleme ergeben, wenn man versuchte, die „Masse“ als ein essentielles politisches Element fungieren zu lassen. Damit die „Masse“ überhaupt als politischer Faktor genutzt werden konnte, kam man nicht darum herum sie ihrer Heterogenität zu entledigen und sie als einheitliches Kollektiv darzustellen. In Anlehnung an den kollektiv verstandenen Herder’schen Volksbegriff wurde die „Masse“, der alle politischen Strömungen im Laufe des 19. Jahrhunderts eine immer stärker werdende politische Wirkungsmächtigkeit bescheinigten, kumulativ mit dem Begriff des „Volkes“ gleichgesetzt. Vor allem 55 Zur Interpretation von Herders Volks- und Nationsidee sowie dessen politische und kulturelle Deutungen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert vgl. grundlegend OTTO, REGINE (Hrsg.): Nationen und Kulturen. Zum 250. Geburtstag Johann Gottfried Herders, Würzburg 1996. Hier vor allem die Beiträge von WILHELM SCHMIDT-BIGGEMANN, BIRGIT NÜBEL, SAMSON B. KNOLL und HANS ADLER. Vgl. außerdem SCHMIDT, ALEXANDER: Herder und die Idee der Nation, in: Dicke, Klaus/Dreyer, Michael (Hrsg.): Weimar als politische Kulturstadt. Ein historisch-politischer Stadtführer, Jena 2006, S. 94–102. 56 Vgl. ebd. S. 283 f. 57 Vgl. ebd. S. 284 u. 335 f.

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in den Bereichen, wo er politische Verwendung fand oder politisch instrumentalisiert wurde, gab es allerhand Versuche, den Begriff der „Masse“ mit dem Begriff des „Volkes“ zu homogenisieren.58 Auch wenn Reinhart Koselleck darauf hinweist, dass dieser Versuch letztendlich gescheitert ist,59 liegt hierin möglicherweise die Ursache, dass sich die Bezeichnung „Volk“ im 19. Jahrhundert immer mehr zu einem überständischen Allgemeinbegriff entwickelt hat. Fest steht, dass das Wort „Volk“ seit Ende des 18. Jahrhunderts einen unvergleichbaren Siegeszug vorweisen kann. Kaum ein anderes Wort lässt sich nach 1800 in der monographischen wie periodischen Publizistik so häufig nachweisen. Vor allem in der politisch-sozialen Sprache avancierte das Wort „Volk“ zu einem Schlüsselbegriff.60 Trotz aller definitorischen Unschärfen entwickelte der Volksbegriff nach 1800 eine solch ungeheuere Sogkraft, dass es verständlich erscheint, warum sich die verschiedenen politischen Strömungen des 19. Jahrhunderts den Volksbegriff zunutze machten und ihn so energisch in ihre jeweilige politische Rhetorik eingebunden haben. Problematisch bei dieser Entwicklung ist allerdings, dass sich die verschiedenen politischen Strömungen sowohl intern als auch extern nicht darauf einigen konnten, wie der Volksbegriff denn nun richtig zu besetzen sei.61 Anstatt den Volksbegriff zu schärfen und klar zu definieren, haben sie dafür gesorgt, dass er im Laufe des 19. Jahrhunderts noch vielschichtiger wurde.62 Interessant ist hierbei, dass im Zeitraum von 1815 bis 1914, ganz im Herder’schen Sinne, immer wieder die Konvergenz zwischen „Volk“ und „Nation“ hergestellt wurde, was dazu führte, dass man den Volksbegriff allmählich, wenn auch nicht ausschließlich, synonym für den Nationsbegriff verwendete.63 Diese Neuorientierung des Volksbegriffes hat sich dann im Verlauf des 19. Jahrhunderts weitestgehend durchgesetzt, wenngleich aber beachtet werden muss, dass diese Entwicklung um 1800 freilich noch nicht abzusehen war. Ebenso kann keinesfalls davon gesprochen werden, dass diese Entwicklung gleichförmig und gradlinig verlaufen ist.64 Untersucht man die einschlägigen Lexika im Zeitraum von 1790 bis 1840, wird einem ebenso schnell bewusst, wie schwer der Volksbegriff zu fassen ist. Die einzelnen Artikel weisen ein beachtliches Spektrum unterschiedlicher Defini58 Vgl. KOSELLECK, REINHART: ‚Menge‘, ‚Masse‘ und ‚Volk‘, in: Brunner/Kunze/Ders. (Hrsg.): Geschichte Grundbegriffe, Bd. 7, S. 380–382. 59 Vgl. ebd., S. 382. 60 Vgl. SCHÖNEMANN: Volk, Nation, S. 284. 61 Vgl. ebd. 62 Für die Zeit von 1815 bis 1871 konnte Bernd Schönemann die Ausdifferenzierung eines konservativen, katholischen, liberalen, demokratischen und sozialistischen Volksbegriffs nachweisen. Vgl. ebd., S. 347–366. 63 Vgl. ebd., S. 284. 64 Vgl. ebd.

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tionen auf. Abhängig vom politischen, sozialen, theologisch-religiösen, geographischen und staatsrechtlichen Kontext findet man in allen Lexika die verschiedensten Bedeutungen, auf welche Art und Weise das Wort „Volk“ im täglichen Sprachgebrauch verwendet wurde. Aufgrund dieser Komplexität gab es am Ende des 18. Jahrhunderts erste Versuche, den Volksbegriff systematisch zu ordnen. So untergliederte Johann Christoph Adelung das Wort „Volk“ in seinem „Grammatisch-Kritischen Wörterbuch“ aus dem Jahr 1793 in mehrere Unterkategorien und zeigte mehrfach auf, dass der Volksbegriff in vielerlei Hinsicht stets in einem „weitesten Verstande“ und in einem „engern Verstande“ gebraucht wurde.65 Dieses Schema erschien recht praktisch, denn so war es Adelung möglich, den Volksbegriff neben seiner allgemeinen Bedeutung, die ihn als eine unbestimmte Menge beieinander befindlicher Menschen charakterisierte,66 besser zu strukturieren und aufzuschlüsseln. Folgt man Adelungs Einteilung, dann lässt sich feststellen, dass im „engern Verstande“ auch die „untern Classen der Glieder einer Nation […], welche sich von der Handarbeit nähren“ als „Volk“ bezeichnet werden.67 Im Gegensatz zum Gebrauch des Volksbegriffes im „weitesten Verstande“, wo „außer dem Oberherrn […] in einem Staate alles Volk ist“,68 hatte man zeitgleich mit dem Wort „Volk“ einen Sozialbegriff gefunden, mit welchem sich scheinbar mühelos die unteren Bevölkerungsschichten zusammenfassen ließen. Um sich dennoch von anderen Bedeutungsvarianten des Wortes „Volk“ abgrenzen zu können, gab Adelung zusätzlich zu verstehen, dass der Volksbegriff, wenn er in einem sozialen Kontext Verwendung fand, oftmals mit dem Nebenbegriff „gemein“ versehen wurde.69 Dieser Einteilung Adelungs folgte wenige Jahre später auch Joachim Heinrich Campe. In Anlehnung an Adelungs „Grammatisch-Kritisches Wörterbuch“ hat Campe in seinem „Wörterbuch der Deutschen Sprache“ aus dem Jahr 1811 den Volksbegriff ähnlich untergliedert. Wie Adelung definierte auch Campe „Volk“ zunächst als „eine Menge beisammen befindlicher lebender Geschöpfe“,70 um nachfolgend die unterschiedlichen Bedeutungen von „Volk“ im politischen, theologischen, militärischen, sozialen und staatsrechtlichen Zusammenhang zu erläutern. So lässt sich auch bei Campe eine Definition finden, die „Volk“, insbesondere „das gemeine Volk“, als „den großen, gemeinen Haufen der Bewohner eines Landes“ versteht.71 65 ADELUNG, JOHANN CHRISTOPH: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen, Bd. 4, Leipzig 1793, S. 1224–1226. 66 Vgl. ebd., S. 1224. 67 Ebd., S. 1225. 68 Ebd. 69 Vgl. ebd., S. 1225 f. 70 CAMPE, JOACHIM HEINRICH: Wörterbuch der deutschen Sprache, 5. Theil, U bis Z, Braunschweig 1811, S. 433. 71 Ebd.

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Demnach hatte der Sozialbegriff „Volk“ als Umschreibung für die sozialen Unterschichten der Gesellschaft auch im frühen 19. Jahrhundert weiterhin Bestand gehabt. Auffällige Gemeinsamkeit zwischen dem „Grammatisch-Kritischen Wörterbuch“ und dem „Wörterbuch der Deutschen Sprache“ ist außerdem die Tatsache, dass der Volksbegriff zunehmend in direkte Verbindung zum Nationsbegriff gestellt wurde. Sowohl Adelung als auch Campe heben heraus, dass in jüngster Zeit die beiden Wörter „Volk“ und „Nation“ synonym verwendet werden.72 Erstaunlich ist, dass die verschiedenen Definitionen von „Volk“, welche sich in der Übergangsphase vom 18. zum 19. Jahrhundert herausgebildet haben, in der Vormärzzeit weitestgehend unverändert blieben. So findet man in dem damals wohl bedeutendsten deutschen Lexikon, im „Conversations-Lexikon“ von Brockhaus aus dem Jahr 1836, unter dem Eintrag „Volk“ fast dieselben Beschreibungen und Unterscheidungen wie in Adelungs „Grammatisch-Kritischem Wörterbuch“ und in Campes „Wörterbuch der Deutschen Sprache“. Auch im Jahr 1836 wurde noch zwischen einem allgemeinen, politischen, sozialen, theologischen und militärischen Volksbegriff unterschieden.73 Einzig die Tatsache, dass der Begriff der „Nation“ nun unzweifelhaft mit dem Begriff des „Volkes“ gleichgesetzt wurde und an erster Stelle des Lexikoneintrags auftaucht, macht deutlich, wie sehr sich der Herder’sche Volksbegriff im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr etabliert hat. So definiert das „Conversations-Lexikon“ die Bezeichnung „Volk“ als „eine durch Abstammung, Sprache, Sitte, größtentheils auch durch gemeinschaftlichen Aufenthalt verbundene Menschenmenge, die auch mit einem, aus dem Lateinischen entlehnten Ausdrucke eine Nation genannt wird“.74 In den nachfolgenden Erläuterungen macht das „Conversations-Lexikon“ aber auch mehrfach deutlich, dass das Wort „Volk“ keineswegs auf nur eine Definition beschränkt werden kann, sondern dessen Bedeutung abhängig vom jeweiligen Kontext ist. Und wie eben erwähnt, ist dabei sehr auffällig, dass sich die unterschiedlichen Bedeutungen des Volksbegriffes vom „Grammatisch-Kritischen Wörterbuch“ (1793) bis zum „Conversations-Lexikon“ (1836) kaum verändert haben. Dementsprechend findet sich auch im „Conversations-Lexikon“ eine Passage, wo das Wort „Volk“ als ein Sozialbegriff für die unteren Bevölkerungsschichten verstanden und ebenso mit dem Nebenbegriff „gemein“ näher umrissen wird. So heißt es: „Endlich versteht man darunter [unter Volk] auch bisweilen die niedern Stände oder Classen einer Gesellschaft, die man alsdann auch wol das gemeine Volk (vulgus) nennt.“75 72 So heißt es bei Adelung: „Von neuern, besonders in näherer Bezeichnung, ist [für Volk] theils Nation, theils Völkerschaft üblicher“. ADELUNG: Grammatisch-kritisches Wörterbuch, S. 1225. Vgl. auch CAMPE: Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 433. 73 Vgl. BROCKHAUS, FRIEDRICH ARNOLD: Allgemeine deutsche Real=Encyklopädie für die gebildeten Stände. Conversations=Lexikon, Bd. 11, T bis V, 8. Aufl. Leipzig 1836, S. 785. 74 Ebd. 75 Ebd.

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Es zeigt sich also, dass der Volksbegriff sowohl im 18. als auch im 19. Jahrhundert eine sehr hohe Bedeutungsbreite vorzuweisen hatte. Dies schien aber nicht wirklich problematisch, solange für jedermann ersichtlich blieb, an welchen konkreten Gegenstand der Volksbegriff gerade gekoppelt war. Etwa die Bedeutung des Wortes „Volk“ in theologischer Absicht dürfte zu keinem Zeitpunkt offene Fragen verursacht haben. Wurde der Volksbegriff in einem theologischreligiösen Sinne gebraucht, dürfte sich die überwiegende Mehrheit der damaligen Zeitgenossen bewusst gewesen sein, dass unter „Volk“ alle Laien bzw. die nicht dem Klerus zugehörigen Personen gemeint waren.76 Wo der Volksbegriff allerdings sehr allgemein gehalten wurde, blieb er vieldeutig und konnte je nach Standpunkt des Betrachters unterschiedlich interpretiert werden. Im Falle der Volksaufklärer kann aber davon ausgegangen werden, dass der Volksbegriff nicht in einer allgemeinen und undifferenzierten Weise angewandt wurde. Vielmehr ist anzunehmen, dass die Volksaufklärer mit „Volk“ sehr bewusst eine bestimmte Zielgruppe anzusprechen gedachten. Als sie Mitte des 18. Jahrhunderts den Volksbegriff aufgriffen und im Laufe der Zeit in immer größerem Maße verwendeten, hatten sie sicherlich eine klare Vorstellung von dem „Volk“, welches sie mit ihren Schriften zu erreichen versuchten. Grundsätzlich kann hierbei festgehalten werden, dass die Volksaufklärer das Wort „Volk“ in erster Linie als einen Sozialbegriff aufgefasst haben und ihn dementsprechend auch benutzten: als eine Umschreibung für die Gesamtheit der unteren Bevölkerungsschichten. Nun reicht es jedoch nicht aus, einfach zu sagen, dass das Wort „Volk“ von den Volksaufklärern nur als Synonym für die „niedern Classen im Staat“, wie es in den verschiedenen Lexika so schön heißt, verwendet wurde. Denn streng genommen lassen sich die niederen Klassen des Staates am Ende des 18. Jahrhunderts nicht präzise bestimmen. Die ständische Gesellschaft war in der Übergangsphase vom 18. zum 19. Jahrhundert derart diffizil aufgebaut, dass etliche soziale Gruppierungen aufgrund der komplexen Binnenstrukturen innerhalb ihres „Standes“ nur äußerst schwierig in das idealtypische Drei-Stände-Modell eingeordnet werden konnten. Selbst wenn man einfach die „niedern Classen“ mit dem „Dritten Stand“ gleichsetzen möchte, ergeben sich daraus weitere Probleme. Das liegt zum einen daran, dass bereits um 1800 die Trennlinien des „Dritten Standes“ sowohl nach oben als auch unten nicht mehr exakt festgelegt werden konnten, und zum anderen, dass außerhalb der ständischen Rechtsordnung andere „unterständische“ Gruppen existierten, die zweifelsohne ebenfalls zu den „niedern Classen“, also zum „Volk“, gezählt werden müssen.77 Wenn sich also die Volks76 Diese Definition eines theologisch-religiös aufgefassten Volksbegriffes wurde in den Nachschlagewerken von Adelung, Campe und Brockhaus in fast deckungsgleichem Wortlaut niedergeschrieben. 77 Zur Problematik der ständischen Strukturierung der Gesellschaft im ausgehenden 18. Jahrhundert vgl. GALL: Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft, hier bes. S. 1–11 u.

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aufklärer mit dem Wort „Volk“ bewusst an die unteren Bevölkerungsschichten gerichtet haben, so mussten diese alle ein entscheidendes Kriterium vorweisen, das sie unabhängig von ihrem Stand bzw. ihrer gesellschaftlichen Stellung als Einheit charakterisieren ließ. Dieses Kriterium, was vornehmlich allen unteren Bevölkerungsschichten angehaftet war und somit als „standesübergreifendes“ Merkmal fungieren konnte, war der Bildungsstand des Einzelnen. Der Bildungsstand eignete sich hervorragend, um die „niederen Stände“ von den „höheren Ständen“ zu unterscheiden. Diejenigen Personen und sozialen Gruppierungen, die von den Volksaufklärern als „ungebildet“ betrachtet wurden, rechnete man zum „Volk“. Das „Volk“ war also der Teil der Bevölkerung, der keine höhere Bildung erfahren hatte.78 Demzufolge zählten sich die Volksaufklärer selbst nicht zum „Volk“. Die aus dem Bildungsbürgertum kommenden Volksaufklärer betrachteten sich nicht mehr als Teil der „niederen Stände“.79 Nach ihrer Selbstauffassung stellte sie ihr höherer Bildungsstand gewissermaßen über das „Volk“. Demnach blickten die Volksaufklärer auf das „Volk“ herab, allerdings nicht in einer geringschätzigen Art und Weise. Im Gegenteil, die Mehrzahl der aufgeklärten Gebildeten80 stand dem „Volk“ aufgeschlossen gegenüber. Im Laufe des 18. Jahrhunderts, als die Anzahl der Gebildeten, die eine Verringerung der Bildungsdefizite des „Volkes“ anstrebten, sich stetig vergrößerte, wurde das Wort „Volk“ schließlich zu einem positiv besetzten Begriff.81 Abwertende Beurteilungen über die „niederen Stände“ wurden fortan mit dem Begriff des „Pöbels“ versehen.82 Die noch im 16. und 17. Jahrhundert stark pejorative Einfärbung des Volksbegriffes verlor dadurch fast vollständig an Gültigkeit. Diese

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54–56; FRIEDEBURG, ROBERT VON: Lebenswelt und Kultur der unterständischen Schichten in der Frühen Neuzeit, München 2002, S. 1–7. Interessanterweise wurden die „intellektuellen Fähigkeiten“ des Adels und des Klerus von den Volksaufklärern nie infrage gestellt. Damit waren sie pauschal von der Zurechnung zum „Volk“ ausgenommen. Vgl. hierzu CONRAD, ANNE: Aufgeklärte Elite und aufzuklärendes Volk? Das Volk im Visier der Aufklärung, Einleitung, in: Dies./Herzig/Kopitzsch (Hrsg.): Das Volk im Visier der Aufklärung, S. 1–15, hier S. 6. Vgl. SIEGERT, REINHART: Der Volksbegriff in der deutschen Spätaufklärung, in: Schmitt, Hanno/Horlacher, Rebekka/Tröhler, Daniel (Hrsg.): Pädagogische Volksaufklärung im 18. Jahrhundert im europäischen Kontext: Rochow und Pestalozzi im Vergleich, Bern/ Stuttgart/Wien 2007, S. 32–56, hier S. 36. Die Gebildetenschicht, vor allem diejenigen Personen, die im Zeitalter der Aufklärung pädagogisch auf das „Volk“ einwirkten, hat man in der Forschung zu den „gesitteten Ständen“ zusammengefasst. Im Zusammenhang mit Volksaufklärung tauchte der Begriff der „gesitteten Stände“ zum ersten Mal 1978 bei Reinhart Siegert in der Studie zu Beckers „Noth= und Hülfsbüchlein“ auf. Siegert bezeichnet dort die „gesitteten Stände“ als Gegenpol zum „Volk“. Vgl. DERS.: Aufklärung und Volkslektüre, Sp. 586. Vgl. SCHÖNEMANN: Volk, Nation, S. 314 f.; SIEGERT: Volk / Gemeiner Mann / Pöbel, S. 433; CONRAD: Aufgeklärte Elite, S. 5. Vgl. SIEGERT: Volk / Gemeiner Mann / Pöbel, S. 433.

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Umakzentuierung des Wortes „Volk“ muss dann spätestens in den 1780er Jahren auf die unteren, ungebildeten Stände eine dermaßen positive Signalwirkung ausgestrahlt haben, dass die Volksaufklärer, wohl auch, um ihre hehren Absichten nochmals zu unterstreichen, den Volksbegriff fast schlagartig in sämtliche Schriften eingebunden haben. Wie Reinhart Siegert aufgezeigt hat, avancierte das Wort „Volk“ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schließlich zu einem „Modewort“ in der volksaufklärerischen Publizistik.83 Er konnte anhand der Datenbank des „Biobibliographischen Handbuchs zur Volksaufklärung“ eindrucksvoll nachweisen, dass das Wort „Volk“ sowie eine Fülle dazugehöriger Komposita (Volksblatt, Volksfreund, Volkszeitung, Volkslehrer etc.) nach 1780 bewusst in die Titel volksaufklärerischer Bücher und Periodika eingebunden wurde. Die äußerst positive Resonanz der unteren Bevölkerungsschichten auf die volksaufklärerischen Schriften seit den 1780er Jahren dürfte dann letztlich ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass sich der Volksbegriff und seine mit ihm verbundenen Komposita auf Dauer in der volksaufklärerischen Publizistik festgesetzt haben. Es versprach schlicht und einfach einen viel größeren Erfolg, wenn man die möglichen Adressaten seiner Schriften nicht alle einzeln benannte, sondern sie unter dem positiv besetzten Begriff des „Volkes“ subsumierte. Ebenso war es dadurch möglich, soziale Ungleichheiten und Differenzierungen, die auch zwischen den unteren Bevölkerungsschichten in einem erheblichen Maße bestanden,84 geschickt zu kaschieren. Denn trotz ihrer Heterogenität ließen sich auf diese Weise die unteren, ungebildeten Bevölkerungsteile als „Einheit“ zusammenfassen. Dabei dürften die Volksaufklärer auch davon profitiert haben, dass der Volksbegriff zeitgleich in immer engerer Verbindung zum Nationsbegriff gesetzt wurde, der, wie bereits erwähnt, ebenfalls eine Vereinheitlichung der verschiedenen Stände implizierte. Ungeachtet der Tatsache, dass der Volksbegriff sich hervorragend zur Vereinheitlichung der unteren Bevölkerungsschichten eignete, erfüllte das Wort „Volk“ noch eine weitere nicht zu vernachlässigende Funktion. Es gab den Volksaufklärern die Möglichkeit, den Lesern, die den vermeintlich niederen Ständen angehörten, ihre besondere Wertschätzung auszudrücken, ohne dabei herablassend zu wirken. Auf diesem Weg ließ sich ohne große Anstrengung ein Vertrauensverhältnis zu den unteren Bevölkerungsschichten aufbauen. Dieser Umstand sollte stets bedacht werden, denn eine erfolgreiche Belehrung der ungebildeten Bevölkerungsteile konnte nur dann verwirklicht werden, wenn diese 83 Vgl. DERS.: Der Volksbegriff, S. 34 f. u. 49–56. 84 So kann beispielsweise die soziale Lebenswirklichkeit eines städtischen Handwerkers nur bedingt mit der eines Kleinbauern, eines Manufakturarbeiters oder eines Tagelöhners gleichgesetzt werden. Ebenso konnten die sozialen Unterschiede und die damit verbundene gesellschaftliche Stellung innerhalb eines Standes, etwa des Handwerksstandes, beachtliche Ausmaße erreichen.

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auch dazu bereit waren, die Volksaufklärer als „Erzieher“ zu akzeptieren. Die stetige Benutzung des Wortes „Volk“ hatte also vermutlich ebenso einen „psychologischen Hintergrund“, der empirisch zwar nicht belegt werden kann, aber dennoch nicht unterschätzt werden sollte. Die Aufwertung des Volksbegriffes und dessen permanente Verwendung im Schrifttum des ausgehenden 18. Jahrhunderts brachten aber auch Probleme mit sich. Durch die unpräzise Vereinheitlichung der unteren Bevölkerungsschichten unter dem Begriff des „Volkes“ waren gerade die Adressaten jener Schriften nicht immer sicher, ob sie auch wirklich diejenigen waren, die hier angesprochen wurden. Schon die Zeitgenossen konnten nicht immer mit Bestimmtheit sagen, wer denn nun eigentlich dem „Volk“ zuzurechnen sei. Die Verwirrung über die exakte Bedeutung und Benutzung des Volksbegriffes reichte in einigen Fällen sogar bis in die volksaufklärerische Publizistik hinein. Der undifferenzierte Gebrauch des Wortes „Volk“ stieß vor allem im „Neuen Hannoverischen Magazin“ auf harsche Kritik. Dort wurde mittlerweile schon von dem „Modewort Volk“ gesprochen, weil es offensichtlich das „Lieblingswort unserer heutiger Schriftsteller“ war.85 „Man wünscht daher durch diese Blätter einige Aufklärung über dieses Modewort, und über dessen allgemeine Einführung und Aufnahme“,86 lautete deshalb die klare Aufforderung an all jene Publizisten, die den Volksbegriff unentwegt verwendeten. Auf eine angemessene Antwort auf diese Provokation warteten die Leser des „Neuen Hannoverischen Magazins“ allerdings vergebens. Mit Ausnahme eines einzigen Antwortschreibens, das auf äußerst sarkastische Weise das „Volk“ mit leichtgläubigen Schafen verglich,87 schien niemand bereit zu sein, den Volksbegriff näher zu definieren. Aber trotz der weiterbestehenden begrifflichen Unschärfe fand der Volksbegriff in der Folgezeit eine immer stärkere publizistische Anwendung. Folgt man dem Ansatz von Peter Burke, war eine genaue Definition von „Volk“ auch nicht unbedingt vonnöten, um die gewünschten Adressaten zu erreichen. Denn Burke behauptet, dass sich im Europa der Frühen Neuzeit eine kollektiv aufgebaute „Volkskultur“ entwickelt hat, deren Strukturen ziemlich eindeutig konturierten, wer und wer nicht zum „Volk“ gehörte.88 Die „Volkskultur“ der Frühen Neuzeit war nach Burke an eine bestimmte Lebensweise gebunden, die wiederum an bestimmte gesellschaftliche und soziale Umstände gekoppelt war. Blieb eine Person dauerhaft an diese Lebensumstände gebunden, wurde sie automatisch 85 Etwas über das Modewort Volk, in: Neues Hannoverisches Magazin, 98. Stück vom 7. Dezember 1792, Sp. 1547 f. 86 Ebd., S. 1547. 87 Vgl. Ueber die Bedeutung des Wortes Volk in der neuern Sprache, in: Neues Hannoverisches Magazin, 9. Stück vom 28. Januar 1793, Sp. 141–144. 88 Vgl. hierzu BURKE, PETER: Popular Culture in Early Modern Europe, 3. Aufl. Aldershot 1988.

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zum Träger und zum Teil dieser Kultur. Dieser Tatsache waren sich schon die Zeitgenossen bewusst, exakte Definitionen waren daher überflüssig. Zum „Volk“ gehörten einfach alle Personen, die mehr oder weniger dieselbe Kultur ausübten, d.h. sich in ihren Verhaltens-, Handlungs- und Lebensweisen kaum unterschieden.89 Dieses Verständnis von „Volk“ bzw. „Volkskultur“ hat sich im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts fest im Selbstbewusstsein der frühneuzeitlichen Gesellschaft verankert und bestand schließlich auch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts weitestgehend unverändert fort. Nach Burke war die „Volkskultur“ vom 16. bis 18. Jahrhundert eine Kultur der „untergeordneten Klassen“. Und dazu gehörten faktisch all jene, die über keine politischen Gestaltungsmöglichkeiten verfügten und keine höhere Bildung erfahren hatten.90 Die „untergeordneten Klassen“ bzw. „subalternen Klassen“ waren die Masse der Bevölkerung. Sie hatten keine besondere Stellung in der Staats- oder Stadthierarchie inne und zeichneten sich auch nicht durch besonderen Reichtum aus. Vereinfacht lässt sich auch sagen, dass alle Nichtadligen, Nichtkleriker und Nichtakademiker zum „Volk“ gehörten.91 Zum „Volk“ wurden also all jene Personen und sozialen Gruppen gerechnet, die mehr oder weniger den damaligen Umständen entsprechend ein gewöhnliches Durchschnittsleben geführt haben. Deshalb bezeichnete man sie auch als „gemein“ bzw. „einfach“. So entstanden im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts die Begrifflichkeiten „einfache Leute“ und „gemeiner Mann“. In der Folgezeit wurde vor allem der Begriff des „gemeinen Mannes“ verstärkt als Synonym für die Singularform des Volksbegriffes verwendet. Als Einzelperson aus dem Kollektiv des „Volkes“ avancierte der „gemeine Mann“ im Sprachgebrauch des 18. und 19. Jahrhunderts schließlich zum Stellvertreter und Sinnbild des gesamten „Volkes“. Die beiden bedeutendsten sozialen Gruppen innerhalb der „untergeordneten Klassen“ waren die Bauern und Handwerker. Nicht nur wegen ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für den Staat, sondern schon allein wegen ihres quantitativen Übergewichts an der Gesamtheit aller unteren Bevölkerungsschichten. Hatte man sich das Ziel gesetzt, das Wohlergehen des „Volkes“ zu verbessern, dann galt das Hauptinteresse in der Regel immer einer dieser beiden Gruppen. So verwundert 89 Im Kapitel „Unity and Variety in Popular Culture“ weist Burke aber ebenfalls darauf hin, dass die „Volkskultur“ der Frühen Neuzeit trotz ihrer vielen Gemeinsamkeiten keineswegs einheitlich war. Abhängig von mehreren Lebensumständen (Stadt-Land-Zugehörigkeit, Profession, Religion etc.) konnte die „Volkskultur“ innerhalb eines Staates auch stark variieren. Vgl. ebd., S. 23–64. 90 In Anlehnung an den von Antonio Gramsci geprägten Begriff der „subalternen Klassen“ bezeichnet Peter Burke in diesem Zusammenhang das „Volk“ als „Nicht-Elite“. Vgl. BURKE, PETER: Helden, Schurken und Narren. Europäische Volkskultur in der frühen Neuzeit, Stuttgart 1981, S. 11. 91 Vgl. hierzu auch SIEGERT: Der Volksbegriff, S. 36.

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es auch kaum, dass die Volksaufklärung in ihren Anfängen fast ausschließlich eine Bauernaufklärung war. Und auch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts galt der Bauer weiterhin als Hauptadressat volksaufklärerischer Bestrebungen. Burke geht davon aus, dass die Bauern bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zwischen 80 und 90 % der Gesamtbevölkerung ausgemacht haben.92 Wenn sich also die Gebildetenschicht des 18. Jahrhunderts dem „Volk“ zuwandte, dann war dies in erster Linie eine Beschäftigung mit der Lebensweise des Bauernstandes. Oft wurde vom „Volk“ gesprochen, obwohl eigentlich nur der Bauer bzw. der „Landmann“ gemeint war. Sogar Johann Gottfried Herder, eine „Geistesgröße“ seiner Zeit, machte keinen Unterschied zwischen „Volk“ und Bauernstand. Die Lieder, Tänze, Bräuche und Geschichten der Bauern bezeichnete er ganz selbstverständlich als „Volkslieder“, „Volkstänze“ oder „Volksmärchen“.93 Ebenso spiegelt sich dieses Bild in den ersten theoretischen und praktischen Schriften zur Volksaufklärung wider. Etwa Rudolf Zacharias Beckers „Versuch über die Aufklärung des Landmannes“, eine der ersten und einflussreichsten Programmschriften der Volksaufklärung, ließ schon im Titel klar erkennen, dass hier vorrangig der Bauer aufgeklärt werden sollte.94 Schon in der Vorrede seines theoretischen Büchleins zur Volksaufklärung ist zu erkennen, dass er die Worte „gemeiner Mann“ und „Volk“ gleichbedeutend für das Wort „Landmann“ verwendet.95 Das „Volksbuch“, welches Becker in Kürze zu verfassen gedachte und in dieser Schrift unter dem Titel „Noth= und Hülfsbüchlein“ anpries,96 ist streng genommen nur ein Buch für den Bauernstand. Andere „Volksklassen“, selbst der Handwerksstand, wurden nur am Rande in seine Überlegungen eingebunden. Alle Vorschläge für eine bessere Aufklärung des „Volkes“ bezog Becker vorzugsweise auf den Landmann.97 Bezeichnenderweise lautete der vollständige Titel seiner zukünftigen volksaufklärerischen Musterschrift „Noth= und Hülfsbüchlein für Bauersleute“.98 Wer der Hauptadressat dieser Schrift sein sollte, war damit für jedermann deutlich erkennbar. Mit einer anderen bedeutenden theoretischen Schrift zur Volksaufklärung verhielt es sich ähnlich. Die von Heinrich Gottlieb Zerrenner nur ein Jahr nach Beckers „Versuch über die Aufklärung des Landmannes“ verfasste Schrift, die

92 BURKE: Helden, Schurken und Narren, S. 42. 93 Vgl. DERS.: Popular Culture, S. 29. 94 Vgl. BECKER, RUDOLF ZACHARIAS: Versuch über die Aufklärung des Landmannes. Nebst Ankündigung eines für ihn bestimmten Handbuchs, Dessau/Leipzig 1785. 95 Vgl. ebd., S. 3–13. 96 Vgl. ebd., S. 65 f. 97 Vgl. ebd., S. 39–60. 98 Vgl. DERS.: Das Noth= und Hülfs=Büchlein oder lehrreiche Freuden= und Trauergeschichte des Dorfes Mildheim. Für Junge und Alte beschrieben, Gotha/Leipzig 1788.

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erstmals überhaupt direkt den Titel „Volksaufklärung“ trug,99 konzentrierte ihr Augenmerk ebenfalls fast ausschließlich auf den Bauernstand. Bereits auf der ersten Seite in der „Ankündigung“ dieses Büchleins wurde das „Volk“ schärfer eingegrenzt, indem Zerrenner nur noch explizit vom „Landvolk“ sprach.100 Ähnlich wie Becker beabsichtigte auch Zerrenner die Herausgabe eines Volksbuches, welches die Aufklärung des „gemeinen Mannes“ vorantreiben sollte. Und ebenso wie bei Becker bestand kein Zweifel, wer mit „gemeiner Mann“ bzw. „Volk“ gemeint war. So heißt es bei Zerrenner: Ein Volksbuch soll es werden, […] für Landleute, um diese verständiger, besser, wohlgesitteter, auch wohlhabender, für die Gesellschaft brauchbarer und glüklicher zu machen. Ich werde mich also auch nicht allein auf Sittlichkeit oder Moral einschränken, sondern in demselben dem Landmann auch allerhand andre nüzliche Erkenntnisse von natürlichen Dingen, auch pädagogische, sittliche, politische ökonomische, statistische, medizinische und viele andre Kenntnisse, auch die nöthigsten Edikte im Auszuge mittheilen, von welchen ich in dieser Schrift rede, und glaube, daß von denselben gerade so viel dem Landmann mitgetheilt werden müsse, als er braucht, um so verständig, gut, wohlgesittet, […] und ganz nüzlich [sic.] und glüklich zu werden, als er es nach seiner Lage und nach seinen Umständen werden könnte. Und das ist mir Aufklärung, von welcher ich in diesem Buche handle.101

Wie in dieser Textpassage klar ersichtlich ist, sollte Zerrenners Volksbuch eine moralische und praktische Lebenshilfe für den Landmann sein. Anderen „Volksklassen“ schenkte er keine Beachtung. Die typisch durchschnittlichen Arbeiterund Handwerksberufe jener Zeit (Tischler, Zimmerer, Schneider, Sattler, Färber, Bergleute, Manufakturarbeiter etc.) werden in seinen Ausführungen nirgends erwähnt. Wenn Zerrenner also von „Volk“ sprach, dann meinte er wie Becker ausschließlich den Bauernstand. Der Vorteil an der aufklärerischen Volkskonzeption des ausgehenden 18. Jahrhunderts war aber die Möglichkeit, dass bei Bedarf andere „produzierende Stände“ neben dem „Landmann“ ebenso hervorragend in den bestehenden Volksbegriff integriert werden konnten. Dies geschah am Ende des 18. Jahrhunderts schließlich für die städtischen und ländlichen Gewerbetreibenden, weil sie maßgeblich dafür verantwortlich waren, dass die Grundbedürfnisse der Gesellschaft nach Nahrung, Kleidung und Wohnung befriedigt wurden. Vor allem in den volksaufklärerischen Wochenschriften wurde nun nicht mehr nur die Lebenssituation der Bauern, sondern auch der städtischen und ländlichen Handwerker stärker thematisiert. Fortan standen die zwei am stärksten vertretenen „Volks99 Vgl. ZERRENNER, HEINRICH GOTTLIEB: Volksaufklärung. Uebersicht und freimüthige Darstellung ihrer Hindernisse nebst einigen Vorschlägen denselben wirksam abzuhelfen, Magdeburg 1786. 100 Vgl. ebd., Ankündigung, statt einer Vorrede, unpag. [S. 1]. 101 Ebd., unpag. [S. 2 f.].

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klassen“, die Bauern und Handwerker, im Fokus der Volksaufklärung. Zwar konnten die meisten volksaufklärerischen Schriften ebenso von Tagelöhnern, Seeleuten, Soldaten oder Dienstboten rezipiert werden, doch beschäftigten sich die dort angebotenen Lesestoffe gar nicht oder nur sehr marginal mit deren Lebensbedürfnissen. Es existierten fast keine volksaufklärerischen Schriften, die explizit an Knechte, Mägde und Tagelöhner adressiert waren. Wie Reinhart Siegert treffend formuliert hat, war das „Volk“ der Volksaufklärer „der einigermaßen frei wirtschaftende, hinreichend alphabetisierte Bauer und Handwerker“.102 Diese Auffassung von „Volk“ blieb auch im Verlauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weitestgehend bestehen. Nach wie vor standen die Bauern und Handwerker, die zumindest über ein wenig Besitz und Eigentum verfügten, im Mittelpunkt der volksaufklärerischen Lektüre. Dies änderte sich ebenso wenig, als der Volksbegriff im 19. Jahrhundert zunehmend politisiert und mit dem Nationsbegriff gleichsetzt wurde. Für die Volksaufklärer waren die Bauern und Handwerker nicht nur die zwei bedeutendsten „Volksklassen“, sondern sie bildeten nunmehr auch den „Kern der Nation“.103 Dass der Volksbegriff, der durch die dezidierte Hinwendung zum Bauern und Handwerker um 1800 nun eigentlich endlich in sozialer Hinsicht klar umrissen schien, im Verlauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der volksaufklärerischen Publizistik dennoch keine handfesten Konturen erhielt, lag vor allem an den gesellschaftlichen und sozioökonomischen Veränderungen der Vormärzzeit, die die Volksaufklärer mitunter vor schwer lösbare Probleme stellte. Denn bedingt durch eine immer größer werdende Armutsschicht verloren die Volksaufklärer im Verlauf des Vormärz mehr und mehr ihre eigentliche Zielgruppe.104 Durch den zunehmenden Pauperismus sah sich die Gruppe der selbstständig wirtschaftenden Bauern und Handwerker langsam aber sicher immer stärker der Situation ausgesetzt, in prekäre Lebensverhältnisse abzurutschen. Zwar behielten die meisten Bauern und Handwerker offiziell ihren sozialen Status bei und erfüllten weiterhin das Kriterium der Selbstständigkeit – in einigen Regionen kam es im Laufe des Vormärzes sogar zu einem deutlichen Anstieg der selbstständigen Bauern und Handwerker –, doch verschlechterte sich deren Lebenssituation insbesondere in den beiden Jahrzehnten vor dem Ausbruch der Revolution von 1848/49 zusehend. Vielerorts machte es bald wenig Sinn, neue landwirtschaftliche Anbaumethoden aufzuzeigen, weil ein Großteil der Bevölkerung nicht über die entsprechenden Mittel oder hinreichend Grundbesitz verfügte, um die gut 102 SIEGERT: Der Volksbegriff, S. 44. 103 Vgl. BÖNING, HOLGER: „Demagogie im bedeutendsten Sinne des Wortes“. Die Politisierung der Volksaufklärung im 19. Jahrhundert, in: Reinalter, Helmut (Hrsg.): Politische Vereine, Gesellschaften und Parteien in Zentraleuropa 1815–1848, Frankfurt am Main/ Berlin/Bern/Brüssel/New York/Oxford/Wien 2005, S. 155–171, hier S. 156 f. 104 Vgl. SIEGERT: Der Volksbegriff, S. 44.

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gemeinten Ratschläge überhaupt umsetzen zu können. Ausgelöst durch eine permanente Bevölkerungszunahme schien sich die soziale Struktur der unteren Bevölkerungsschichten nachhaltig zu verändern.105 Vor allem der Anstieg der unterbäuerlichen Schichten (Tagelöhner, Vaganten, Bettler, häusliches Gesinde etc.), der nach 1815 rapide zunahm, bereitete den Volksaufklärern erhebliche Sorgen. Trotz anstrengender Arbeit waren sie kaum in der Lage, ein notdürftiges Auskommen zu verdienen. Was die Volksaufklärer allerdings noch viel stärker beunruhigte, war die Befürchtung, dass die Mittel- und Kleinbauern, die immerhin rund 50 bis 75 % der ländlichen Bevölkerung ausmachten,106 ebenfalls in die Verelendung abrutschen könnten. Und auch die Entwicklung im Handwerk und Gewerbe dürfte bei den Volksaufklärern beunruhigende Gedanken geweckt haben. Denn hier zeichnete sich langsam ab, dass insbesondere das Heimgewerbe und das „traditionelle“ Handwerk zunehmend am Rande des Existenzminimums wirtschaften mussten. Speziell das Überangebot an Handwerksleistungen, hervorgerufen durch eine zahlenmäßige Verdopplung der Gesellen, schränkte die Erwerbschancen des einzelnen Handwerkers außerordentlich ein.107 Die bäuerlich-gewerblichen Kleinexistenzen sowie die verarmten Gesellen und Handwerksmeister waren also in der Vormärzzeit permanent der Gefahr ausgesetzt, dem Pauperismus anheim zu fallen. Der „Kern des Volkes“ war im Begriff, auseinanderzubrechen. Die Volksaufklärer verfolgten diese Entwicklung mit Angst. Ratschläge und Hinweise zur Bekämpfung der immer größer werdenden Armut wurden spätestens nach 1835 zum ständigen Bestandteil der volksaufklärerischen Publizistik. Wer jetzt von „Volk“ sprach, der konnte das ländliche und städtische Proletariat nicht mehr ausgrenzen. Gerade die Lage der unzähligen existenzbedrohten Bauern und Handwerker verdeutlichte den Volksaufklärern in fast schon erschreckender Weise, wie schmal mittlerweile die Trennlinie zwischen „Pöbel“ und „Volk“ geworden war. Um die Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, wurde nun verstärkt nach Maßnahmen und Lösungsansätzen gesucht, wie der soziale Abstieg „gefährdeter“ Bauern und Handwerker verhindert und auf umgekehrtem Weg der soziale (Wieder-)Aufstieg der unterbäuerlichen und unterbürgerlichen Schichten gefördert werden könnte. Daraus entwickelte sich nach 1830 eine solche Eigendynamik, dass der Volksbegriff der Volksaufklärer wieder so unscharf wurde, dass sich mitunter auch einige Bevölkerungsgruppen angesprochen gefühlt haben dürften, die streng genommen nicht zum „Volk“ der Volksaufklärer gehörten.

105 Vgl. hierzu MARSCHALCK, PETER: Bevölkerungsgeschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1984, S. 27–40. 106 Vgl. WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 163–171. 107 Vgl. MARSCHALCK: Bevölkerungsgeschichte, S. 30.

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Letztendlich muss man aber konstatieren, dass trotz aller oben aufgeführten Differenzierungen keine exakte Bestimmung des Volksbegriffes möglich ist. Wie Reinhart Siegert erst kürzlich ebenfalls betont hat, gibt es schlicht und einfach „keine Definition von ‚Volk‘, die alle Schattierungen des zeitgenössischen Sprachgebrauchs abdeckt, selbst für einen engen Zeitraum nicht“.108 Diese Feststellung ist aber keinesfalls so dramatisch, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn im Grunde ist seit dem Ende des 18. Jahrhunderts einigermaßen klar umrissen, welche Vorstellung die Volksaufklärung von ihrem „Volk“ hatte, selbst wenn sie es nie wirklich explizit formuliert hat. Zu jeder Zeit, auch in ihrer Spätphase, stand fast immer der selbstständig agierende, über ein wenig Besitz und Eigentum verfügende und einigermaßen alphabetisierte Bauer und Handwerker im Mittelpunkt der Volksaufklärung. Wenn in Regelmäßigkeit vom „gemeinen Mann“ oder vom „Bürger und Landmann“ gesprochen wurde, dann waren in erster Linie die Angehörigen des Bauern- und Handwerksstandes gemeint. Diese beiden vermeintlich ungebildeten Volksklassen galt es zu erziehen. Wobei beachtet werden sollte, dass gerade der selbstständige Bauer und Handwerker schon über ein Mindestmaß an Bildung verfügte. Völlig ungebildete Personen wurden vorerst außer Acht gelassen. Die „untersten Volksklassen“, von denen in der zeitgenössischen Literatur hin und wieder auch die Rede ist,109 standen bis zum Vormärz kaum im Interesse der Volksaufklärung. Im Zuge des Pauperismus ließ sich über deren Lebenssituation aber nicht mehr hinwegsehen. Zu groß war die Gefahr, dass ein Teil der „traditionellen“ volksaufklärerischen Klientel in die „untersten Volksklassen“ abrutschen könnte. Für eine erfolgreiche Aufklärung der Bauern und Handwerker war es notwendig, dass deren Lebenslage weitestgehend stabil blieb. Warum man sich vonseiten der Volksaufklärer ab 1780 so intensiv auf den unscharfen Volksbegriff gestützt hat, lag mit Sicherheit auch an dessen positiver Konnotation, die er erst wenige Jahrzehnte zuvor erfahren hatte. Mit dem damals gängigen Konkurrenzbegriff „gemeiner Mann“ ließen sich zudem keine für die Volksaufklärung so notwendigen Komposita bilden.110 Kurze prägnante und 108 SIEGERT: Der Volksbegriff, S. 40. 109 Als „unterste Volksklassen“ oder „niederes Volk“ wurden meist die Randgruppen der Gesellschaft (Tagelöhner, Bettler, Vagabunden, Kriminelle etc.) bezeichnet, deren Subsistenzsicherung längere Zeit oder ständig gefährdet war. In der politisch-sozialen Sprache des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts setzte man den Begriff des „Pöbels“ mitunter ebenfalls mit dem „untersten Volk“ gleich. Vgl. hierzu HIPPEL, WOLFGANG VON: Armut, Unterschichten, Randgruppen in der frühen Neuzeit, München 1995, S. 32–44; WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 170–177; CONZE, WERNER: Vom „Pöbel“ zum „Proletariat“. Sozialgeschichtliche Voraussetzung für den Sozialismus in Deutschland, in: Wehler, Hans-Ulrich (Hrsg.): Moderne deutsche Sozialgeschichte, Köln/Berlin 1966, S. 111–136. 110 Vgl. hierzu ebd., S. 42 f.

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zugleich aussagekräftige Wörter wie etwa „Volksbildung“, „Volkslied“, „Volkslehrer“, „Volksschrift“ und selbst das Wort „Volksaufklärung“ konnten mit dem Begriff „gemeiner Mann“ nicht gebildet werden. Nach Reinhart Siegert war das Vier-Buchstaben-Wort „Volk“ gegenüber anderen Begriffen einfach öffentlichkeitstauglicher.111 Die Vorteile des Wortes „Volk“ zeigten sich nach 1780 auch bei der Integration des Handwerksstandes in die volksaufklärerische Klientel. Aufgrund seiner Unschärfe war es kein großes Problem, neben dem Bauernstand weitere „produzierende Volksklassen“ in den Volksbegriff aufzunehmen. Der Volksbegriff der Volksaufklärung hatte also nach oben und unten einen gewissen Deutungsspielraum. Er war damit flexibel einsetzbar und konnte gegebenenfalls auch Personen und Gruppierungen einbeziehen, die aufgrund ihrer sozialen und gesellschaftlichen Stellung ursprünglich ausgeschlossen waren. Ein Vorteil, den sich die Volksaufklärer sowohl am Ende des 18. Jahrhunderts als auch während der Vormärzzeit zunutze machten. Die gesellschaftlichen Veränderungen im 19. Jahrhundert hatten gezeigt, dass eine strikte Fokussierung auf einige wenige, sozial klar abgegrenzte Gruppen nicht mehr möglich war. Vor allem die Grenze nach unten war allzu fließend. Der Handwerker und Bauer, der bereits mit dem Pauperismus zu kämpfen hatte und womöglich schon eine Verschlechterung seines sozialen Status hinnehmen musste,112 konnte nicht einfach übergangen werden. Eine Abwendung von denjenigen Personen, deren Väter möglicherweise noch eine Generation vorher zum engeren Adressatenkreis der Volksaufklärer gehörten, war nicht tragbar. Aufgrund dieser Entwicklung könnte die ein oder andere volksaufklärerische Schrift der Vormärzzeit den Eindruck erwecken, dass die Volksaufklärer den Volksbegriff im Verlauf des 19. Jahrhunderts auch auf die „untersten Schichten“ ausgedehnt haben. Allerdings wird bei genauer Betrachtung recht schnell deutlich, dass das Gros der volksaufklärerischen Publizistik die „untersten Schichten“ weiterhin eher ausgeschlossen hat. Denn von den Inhalten der volksaufklärerischen Schriften konnte genau genommen nach wie vor nur der selbstständige und frei wirtschaftende Bauer und Handwerker profitieren, weil diese noch bis zur Mitte 111 Vgl. ebd. , S. 43. 112 Michel Hubert weist darauf hin, dass ein steigender Anteil der Bevölkerung je nach Region im Zeitraum von 1815 bis 1870 gezwungen war, den Beruf zu wechseln bzw. einer Beschäftigung in einem anderen Wirtschaftsbereich nachzugehen. Ein solcher Berufswechsel musste aber nicht immer zwangsläufig eine Verschlechterung der Lebenssituation mit sich bringen. Manchmal führte er auch zu sozialer Verbesserung. Besonders betroffen von einem Berufswechsel waren laut Hubert die Landarbeiter und die kleinen Grundbesitzer sowie die Erwerbstätigen im Handwerk und traditionellen ländlichen Kleingewerbe. Vgl. HUBERT, MICHEL: Deutschland im Wandel. Geschichte der deutschen Bevölkerung seit 1815, Stuttgart 1998, S. 57.

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des 19. Jahrhunderts zu über 50 % landwirtschaftlich-ökonomisch ausgerichtet waren. Dank des schwammig gehaltenen Volksbegriffes waren die „untersten Volksklassen“ möglicherweise verstärkt dazu bereit, die volksaufklärerischen Schriften zu rezipieren. Aber ob sie aus ihnen auch einen Nutzen ziehen konnten, bleibt in vielen Punkten mehr als fraglich. Selbst die Tatsache, dass zahlreiche Volksaufklärer nach 1815 ihre Schriften formell „an alle Stände“ richteten, änderte daran nicht viel. Auch die in den volksaufklärerischen Schriften häufig zu findende Bezeichnung „für den Bürger und Landmann“ dürfte ebenso wenig auf die untersten Bevölkerungsschichten als Lesepublikum gezielt haben. Vielmehr war die Anrede des „Bürgers“ auf den traditionellen Stadt- und den aufstrebenden Bildungsbürger gemünzt, dem hier eine kostengünstige Möglichkeit des schnellen Wissenserwerbs angeboten wurde. Aber gerade das wohlwollende Engagement einer unentwegten Wissensvermittlung war die Stärke der Volksaufklärung. Ob man aus dem Wissen einen Nutzen ziehen konnte oder nicht, die Kernaussage der Volksaufklärung blieb davon völlig unangetastet. Das Ziel war nach wie vor die Vermittlung von „nützlichem“ Wissen und eine damit verbundene Steigerung des Bildungsgrades. Die Aneignung von Bildung und Wissen sollte ein erster Schritt zur Realisierung eines besseren Lebensstandards sein. Diese Aussage war so schlicht gehalten, dass sie jede Person, unabhängig vom gesellschaftlichen und sozialen Stand, auf sich beziehen konnte.113

113 Da wie aufgezeigt, die Begriffe „Volk“ und „gemeiner Mann“ in der volksaufklärerischen Publizistik bis 1850 absichtlich unscharf gehalten worden, werden sie in dieser Arbeit als Abgrenzung vom politischen, staatsrechtlichen und religiösen Volksbegriff weiterhin in Anführungszeichen gesetzt.

III. Die Genese der Volksaufklärung bis 1800 unter besonderer Berücksichtigung des Thüringer Raumes

1. Die Anfänge der Volksaufklärung in der Mitte des 18. Jahrhunderts – Zur Entstehung der gemeinnützigökonomischen Aufklärung DIE ANFÄNGE DER VOLKSAUFKLÄRUNG

In der Mitte des 18. Jahrhunderts rückte die Lebensweise und der Bildungsstand des „gemeinen Mannes“1 zunehmend ins Blickfeld aufgeklärter Gebildeter. Diese Gebildeten, die sich selbst als „gesittete Stände“ bezeichneten,2 setzten im Laufe der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine breite gesellschaftliche Bewegung in Gang, die erstmals darauf ausgerichtet war, das zeitgenössisch naturwissenschaftliche Wissen der Gelehrten nicht nur in die Kreise der Gebildeten zu tragen, sondern ebenso den ungebildeten Bevölkerungsschichten bekannt zu machen. Nach Holger Böning vollzog sich bei den „gesitteten Ständen“ innerhalb dieses Zeitraums ein „nachhaltiger Interessen- und Wertewandel“,3 der dazu führte, dass um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Zahl der aufgeklärten Gelehrten und Gebildeten, die eine Popularisierung aufklärerischen Gedankengutes als gesellschaftlich vorteilhaft erachteten, sprunghaft anstieg.4 Aus diesem Prozess, dessen Anfänge bis in das erste Drittel des 18. Jahrhunderts zurückreichen,5 erwuchs in der Folgezeit im deutschsprachigen Raum6 die „größte Bürgerinitiative des auf1 2

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Vgl. CONRAD: Aufgeklärte Elite, S. 5 f. Im Zusammenhang mit der Volksaufklärung taucht der Begriff der „gesitteten Stände“ zum ersten Mal 1978 bei Reinhart Siegert in der Studie zu Beckers „Noth= und Hülfsbüchlein“ auf. Siegert bezeichnet dort die „gesitteten Stände“ als Gegenpol zum „Volk“. Seitdem scheint sich diese Bezeichnung einhellig in der Forschung etabliert zu haben, da sie in fast allen Studien zur Volksaufklärung ihre Anwendung findet. Vgl. SIEGERT: Aufklärung und Volkslektüre, Sp. 586. BÖNING, HOLGER: Der Wandel des gelehrten Selbstverständnisses und die Popularisierung aufklärerischen Gedankengutes. Der Philosoph Christian Wolff und der Beginn der Volksaufklärung, in: Segeberg (Hrsg.): Vom Wert der Arbeit, S. 92. Vgl. BÖNING/SIEGERT: „Volksaufklärung“, S. 24. Die erste volksaufklärerische Schrift wurde 1738 von Johann Caspar Nägeli verfasst. Vgl. NÄGELI, JOHANN CASPAR: Des Lehrnsbegierigen und Andächtigen Landmanns Getreuer Wegweiser, Zürich 1738. Jürgen Voss und Holger Böning weisen darauf hin, dass die „deutsche Volksaufklärung“ keine vergleichbaren Ausprägungen im nichtdeutschsprachigen Raum hatte. In anderen

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geklärten Säkulums“,7 die in den 1780er Jahren unter den Begriff „Volksaufklärung“8 schließlich zu ihrer vollen Entfaltung kam und fortan die „niederen Stände“ in ökonomischen, sittlich-moralischen, religiösen und auch politischen Fragen zu belehren suchte. In ihren Anfängen war die Volksaufklärung zunächst nur darauf bedacht, neue Erkenntnisse aus den Naturwissenschaften, die gewinnbringend in der Land- und Hauswirtschaft angewandt werden konnten, einer vorrangig ländlichen Bevölkerung nahezubringen. Die ersten volksaufklärerischen Schriften wollten demnach keine philosophischen Theorien oder Ideen vermitteln, sondern sollten der ländlich-bäuerlichen Bevölkerung als „praktische Lebenshilfe“ dienen. Somit war die Volksaufklärung in ihrer Anfangsphase fast ausschließlich eine „Bauernaufklärung“.9 Die an den „gemeinen Mann“ adressierte Lektüre der frühen Volksaufklärung richtete sich vornehmlich an Bauern, die über eigenen Boden verfügten und ihr Auskommen durch praktische Arbeit in der Landwirtschaft erzielten.10 Andere vergleichbare Adressatenkreise, wie etwa die ländlichen

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europäischen Ländern gab es zwar ähnliche Bemühungen zur Popularisierung aufklärerischen Gedankengutes, doch konnte sich eine Volksaufklärung, wie sie in Deutschland bestand, als Reformbewegung, die von großen Teilen der Gebildeten getragen wurde, nie wirklich entfalten. Zudem fehlte in anderen Ländern eine entsprechende Literatur, die spezifisch an dem Lesebedürfnis „ungebildeter“ Bauern ausgerichtet war. Vgl. VOSS, JÜRGEN: Der Gemeine Mann und die Volksaufklärung im späten 18. Jahrhundert, in: Mommsen, Hans/Schulze, Winfried (Hrsg.): Vom Elend der Handarbeit. Probleme historischer Unterschichtenforschung, Stuttgart 1981, S. 232 f.; BÖNING, HOLGER: Gemeinnützig-ökonomische Aufklärung und Volksaufklärung: Bemerkungen zum Selbstverständnis und zur Wirkung der praktisch-populären Aufklärung im deutschsprachigen Raum, in: Jüttner, Siegfried/Schlobach, Jochen (Hrsg.): Europäische Aufklärung(en): Einheit und nationale Vielfalt, Hamburg 1992, S. 247. BÖNING: Popularaufklärung – Volksaufklärung, S. 563. Die Anfänge der Volksaufklärung finden sich bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts, doch erst in den 1780er Jahren entsteht der Begriff der „Volksaufklärung“, der dem Wortschatz der Aufklärer selbst entstammt. Vgl. u.a. DERS./SIEGERT: Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch, Bd. 1, S. X; CONRAD: Aufgeklärte Elite, S. 7; KUHN: THOMAS K.: Praktische Religion. Der vernünftige Dorfpfarrer als Volksaufklärer, in: Böning/ Schmitt/Siegert (Hrsg.): Volksaufklärung, S. 96. Vgl. BÖNING/SIEGERT: Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch, Bd. 1, S. X; GÖTZE: Die Begründung der Volksbildung, S. 57. Erst in den vierziger und fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts rückte die mittel- und kleinbäuerliche Bevölkerung in den Fokus der aufklärerisch denkenden Gebildeten. Zuvor waren landwirtschaftlich ausgerichtete Schriften in erster Linie an adlige Gutsbesitzer und an gebildete Großbauern gerichtet. In den landwirtschaftlichen Schriften der Gebildeten ist der „gemeine Landmann“ zu Beginn des 18. Jahrhunderts oftmals nur Gegenstand der Diskussion. Erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts wird der einfache Bauer in einigen landwirtschaftlichen Schriften direkt als Adressat angesprochen. Vgl. BÖNING: Der Wandel des gelehrten Selbstverständnisses, S. 94 f.

DIE ANFÄNGE DER VOLKSAUFKLÄRUNG

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und kleinstädtischen Handwerker, die von den „gesitteten Ständen“ oftmals ebenso mit dem Begriff des „gemeinen Mannes“ umschrieben wurden, fanden fast keine Beachtung in den frühen volksaufklärerischen Schriften. Die Lebenssituation der unterbäuerlichen Schichten sowie der städtischen Unterschichten spielten ebenfalls nur eine geringe Rolle bei den Überlegungen der ersten Volksaufklärer.11 Das Hauptaugenmerk der frühen Volksaufklärung lag auf der Intensivierung und Effektivierung der Landwirtschaft. Dem Postulat der Aufklärung folgend, sollten neue wissenschaftliche Erkenntnisse für die gesamte Gesellschaft nutzbar gemacht werden, um gleichsam dem selbstgestellten Anspruch nach Vervollkommnung ein Stück näherzukommen. Nach Auffassung der (Volks-)Aufklärer musste Wissenschaft ab sofort „gemeinnützig“ sein. War der aktuelle Wissensstand, womit in erster Linie neue naturwissenschaftliche Entdeckungen und Erkenntnisse gemeint waren, im praktischen, alltäglichen Leben anwendbar bzw. im Alltagsleben von Nutzen, so hatten auch die niederen Stände das Recht, in den Genuss dieses Wissens zu gelangen.12 Da die frühe Volksaufklärung primär auf eine Verbesserung der landwirtschaftlichen und ökonomischen Situation in den Gemeinden abzielte und den gesellschaftlichen Nutzen einer praktischen Anwendung aufklärerischen Wissens vorrangig in der Landwirtschaft verortete,13 lässt sich nach Holger Böning die Anfangsphase der Volksaufklärung als eine „gemeinnützig-ökonomische Aufklärung“ beschreiben.14 Die Vermittlung aufklä11 Vgl. DERS.: Gemeinnützig-ökonomische Aufklärung, S. 239. 12 Vgl. DERS.: Die Genese der Volksaufklärung, S. XXII f. 13 Holger Böning betont ferner, dass die Gelehrten und Gebildeten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Entstehung und Vermehrung gesellschaftlichen Reichtums an landwirtschaftlichen Prozessen festmachten, weil in diesem Sektor etwa neun Zehntel der Bevölkerung direkt und indirekt beschäftigt waren. Demzufolge waren die ersten Versuche zur Verbesserung des Gemeinwesens mithilfe naturwissenschaftlicher Erkenntnisse unmittelbar an landwirtschaftliche Vorgänge gekoppelt. Jeder Versuch die Feld- und Viehwirtschaft zu optimieren, wurde im Laufe der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von den Gebildeten immer stärker als ein Beitrag zur Steigerung des Gemeinwohls betrachtet. Nach Holger Böning kam es infolgedessen zur Herausbildung einer „regelrechten Experimentalökonomie“. Vgl. DERS.: Die Anfänge der Volksaufklärung im deutschsprachigen Raum, in: Ders./Siegert, Reinhart (Hrsg.): Volksaufklärung. Ausgewählte Schriften, Bd. 2: Johann Caspar Nägeli: Des Lehrnsbegierigen und Andächtigen Landmanns Getreuer Wegweiser. Nachdruck der ersten Ausgabe Zürich 1738. Mit einem Nachwort von Holger Böning, Stuttgart-Bad Cannstatt 1992, S. 418. 14 Das Bestreben aufklärerisch denkender Gelehrter und Gebildeter nach Umsetzung umfassender Agrarreformen sowie einer daraus resultierenden praktischen Reformbewegung unter direkter Einbeziehung der einfachen bäuerlich-ländlichen Bevölkerung bezeichnet Holger Böning als „gemeinnützig-ökonomische Aufklärung“, die er wiederum als „unmittelbare Vorstufe der Volksaufklärung“ begreift. Vgl. DERS.: Die Genese der Volksaufklärung, S. XXIV.

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rerischen Wissens an den „gemeinen Landmann“ sollte zunächst dem Zwecke dienen, den als desolat empfundenen Zustand der Landwirtschaft auch mithilfe der einfachen bäuerlichen Bevölkerung zu beheben. Die Erfahrungen der aufklärerisch denkenden Gelehrten und Gebildeten zeigten, dass eine Vermehrung landwirtschaftlicher Erträge sowie die damit einhergehende Steigerung des Gemeinwohls ohne die Einbeziehung der breiten Masse der „ungebildeten“ Bauern nicht zu realisieren war. Im Zuge dessen wandelte sich unter den Gebildeten auch das Bild des einfachen Bauern. Während bis Ende des 17. Jahrhunderts die Arbeit des „gemeinen Landmannes“ von den Gebildeten nur eine geringe Wertschätzung erfahren hatte, erfuhr das Ansehen des einfachen Bauern im Laufe des 18. Jahrhunderts unter den aufklärerisch denkenden Gebildeten eine außerordentlich positive Aufwertung.15 Als wichtiger Bestandteil der Gesellschaft waren die einfachen Bauern nicht nur dazu berechtigt, sondern wurden von den frühen Volksaufklärern auch zugleich ausdrücklich dazu ermahnt, sich sowohl im Interesse der eigenen Person als auch im Interesse der Gesellschaft praxisrelevantes, naturwissenschaftliches Wissen anzueignen. Damit dieses Postulat der aufklärerischen Gebildeten nicht zum bloßen theoretischen Gedankengebilde verkam, bedurfte es allerdings einer breit angelegten öffentlichen Popularisierung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Aufgrund mangelnder Bildung dürften dem „gemeinen Landmann“ die im Grunde ausschließlich für die gebildeten Bevölkerungsschichten verfassten wissenschaftlichen Abhandlungen zu neuen naturkundlichen Erkenntnissen weitestgehend unverständlich gewesen sein. Zudem dürften die Lesestoffe der „gemeinnützigökonomischen Aufklärung“ anfangs nicht dem Leseverständnis und dem Leseverhalten des „gemeinen Landmannes“ entsprochen haben. Es bedurfte daher engagierter Einzelpersonen oder Gruppierungen, wie die sich langsam herausbildenden gemeinnützigen Gesellschaften, die es verstanden, dem „gemeinen Landmann“ neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse auf einem „sprachlichverständlichen“ Niveau zu vermitteln. Die Volksaufklärung beendete auf diese Weise die gesellschaftliche Exklusivität von Wissen.16 Im Wesentlichen reduziert auf die Möglichkeiten der praktischen Anwendung, erfolgte die Weitergabe aufklärerischen Wissens an den „gemeinen Landmann“ in mündlicher und literarischer Form. Vor allem zahlreiche Landpfarrer, die direkt in den dörflichen Gemeinden lebten und dadurch einen unmittelbaren 15 Vgl. KOHFELDT, CHRISTIAN: Die gemeinnützig ökonomische Aufklärung als Wegbereiterin für die Volksaufklärung, in: Böning/Schmitt/Siegert (Hrsg.): Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung, S. 128–135; BÖNING: Der Wandel des gelehrten Selbstverständnisses, S. 95–110; DERS.: Die Genese der Volksaufklärung, S. XXIII u. XXXI f. Zum Bauernbild der Aufklärung vgl. außerdem HEUVEL, GERD VAN DEN: Bauer, in: Schneiders (Hrsg.): Lexikon der Aufklärung, S. 55 f. 16 Vgl. BÖNING: Popularaufklärung – Volksaufklärung, S. 563.

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Einblick in die ökonomische Situation der bäuerlich-ländlichen Bevölkerung hatten, versuchten die ortsansässigen Klein- und Mittelbauern durch mündliche Belehrung von den Vorteilen neuartiger Anbau- und Zuchtmethoden zu überzeugen.17 Als selbsternannte „Volkslehrer“18 bemühten sie sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts direkt „vor Ort“, dass sich die bäuerliche Bevölkerung allmählich einer rationalen Wirtschaftsweise annahm. Dabei setzten die Landpfarrer nicht nur auf mündliche Ratschläge, sondern stellten zugleich im Pfarrgarten eigene landwirtschaftliche Experimente an, um der bäuerlichen Bevölkerung auf diese Weise direkt „vor Ort“ zu demonstrieren, wie sich durch praktische Veränderungen in der Landwirtschaft der private und gesellschaftliche Nutzen steigern ließ.19 Neben den Geistlichen engagierten sich seit den fünfziger und sechziger des 18. Jahrhunderts bald ebenso zahlreiche aufgeklärte Sozietäten in der gemeinnützigökonomischen Aufklärung. Folgt man den Ausführungen Holger Bönings, dann verstanden sich die meisten patriotischen und gemeinnützigen Gesellschaften, ähnlich wie die aufklärerisch denkenden Geistlichen, als „kollektive Volkslehrer“.20 Nicht wenige aufgeklärte Gesellschaften versuchten durch Projekte verschiedener Art unmittelbar „vor Ort“, tatkräftig auf die bäuerliche Bevölkerung einzuwirken. Um die Aufklärung des „Volkes“ voranzutreiben, wurden etwa Ackerbauschulen gegründet und Mustergüter für landwirtschaftliche Versuche bereitgestellt, öffentliche Vorträge über neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse

17 Vgl. WARNKE, GÖTZ: Pfarrer als weltliche „Volkslehrer“ – Motive und praktische Projekte, in: Schmitt/Böning/Siegert (Hrsg.): Volksaufklärung, S. 89–108. Am Beispiel der Berner Landpfarrer hat Regula Wyss herausgearbeitet, wie neues naturwissenschaftliches und landwirtschaftliches Wissen durch Geistliche, in Zusammenspiel mit der „Oekonomischen Gesellschaft Bern“, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in die bäuerliche Bevölkerung getragen wurde. Interessant ist hierbei, dass die Intensität der Bemühungen der einzelnen Landpfarrer bei der Vermittlung praktisch-ökonomischen Wissens sehr unterschiedlich ausgefallen ist. So kommt Wyss zu dem Ergebnis, dass die in der Volksaufklärung engagierten Landpfarrer in der Berner Region nur eine Minderheit darstellten, während der Großteil der Geistlichen an der Förderung agrarreformerischer Maßnahmen nur wenig Interesse zeigte. Von Landpfarrern initiierte volksaufklärerische Bestrebungen waren demnach keine Selbstverständlichkeit, sondern jeweils abhängig von der persönlichen Einstellung der einzelnen Pfarrer. Vgl. WYSS, REGULA: Pfarrer als Vermittler ökonomischen Wissens? Die Rolle der Pfarrer in der Oekonomischen Gesellschaft Bern im 18. Jahrhundert, Nordhausen 2007, S. 103–147. 18 Nach Holger Böning wurden bereits in der ersten nachweisbaren volksaufklärerischen Schrift „Des Lehrnsbegierigen und Andächtigen Landmanns Getreuer Wegweiser“ aus dem Jahr 1738, verfasst von dem Schweizer Pastor Johann Caspar Nägeli, die Geistlichen zum geeigneten und wichtigsten „Volkslehrer“ prädestiniert. Vgl. BÖNING: Der Wandel des gelehrten Selbstverständnisses, S. 107. 19 Vgl. DERS.: Gemeinnützig-ökonomische Aufklärung, S. 224 f. 20 Vgl. ebd., S. 228.

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veranstaltet21 oder Schriften zur ökonomisch-landwirtschaftlichen und medizinischen Volksaufklärung kostenlos an die Landbevölkerung verteilt.22 Die Bedeutung der aufgeklärten Sozietäten bei der mündlichen Vermittlung von aufklärerischem Wissen dürfte demnach ebenso hoch zu veranschlagen sein wie das der Landpfarrer. Bei der Vermittlung landwirtschaftlich-ökonomischen Wissens setzten die frühen Volksaufklärer jedoch nicht nur auf mündliche Kommunikation. Um ihre agrarreformerischen Ratschläge in eine breite Öffentlichkeit zu tragen, stützten sie sich ab 1750 auch vermehrt auf literarische Mittel.23 So wie die Diskurse der philosophisch-wissenschaftlichen Aufklärung auf Basis zahlreicher Schriften großflächig allen gebildeten Bevölkerungsschichten im deutschen Sprachraum zugänglich gemacht wurden, sollte ebenso die breite Masse der bäuerlich-ländlichen Bevölkerung mithilfe literarischer Mittel leichter an das Wissen der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung gelangen.24 Somit entwickelte sich die Volksaufklärung ab Mitte des 18. Jahrhunderts auch zu einer breiten literarischen Bewegung.25 Unterstützt wurden die Volksaufklärer in ihrem Vorhaben durch den Umstand, dass im 18. Jahrhundert auf publizistischer Ebene die deutsche Sprache zur vorherrschenden Schriftsprache avancierte.26 Orientiert an der Aufklärungslektüre der Gebildeten, entwickelten die frühen Volksaufklärer zunächst eine eigens für die ländlich-bäuerliche Bevölkerung konzipierte Sachliteratur, in der ökonomische Ratschläge und naturkundliche Abhandlungen in einem sachlich-nüchternen Schreibstil an den „gemeinen Landmann“ weitergereicht wurden.27 Die Vermittlung aufklärerischen Wissens erfolgte in den ersten volksaufklärerischen Schriften in Form sachlicher Informationen, denen jeder Unterhaltungswert fehlte und die nur darauf ausgerichtet waren, die agrarreformerischen Intentionen der aufklärerisch denkenden Gebildeten ohne 21 In welch umfangreichem Maße aufgeklärte Sozietäten neues naturkundliches Wissen im Sinne des „gemeinen Besten“ einer breiten Öffentlichkeit weitergereicht haben, lässt sich exemplarisch an der Vortragstätigkeit der Mitglieder der „Akademie nützlicher Wissenschaften“ zu Erfurt veranschaulichen. Wie Jürgen Kiefer minutiös aufgelistet hat, wurden im Zeitraum von 1754 bis 1803 von den Mitgliedern der Erfurter „Akademie nützlicher Wissenschaften“ insgesamt mehrere Hundert öffentliche Vorträge über neue wissenschaftliche Erkenntnisse gehalten. Vgl. KIEFER, JÜRGEN: Die Vortragstätigkeit an der „Akademie nützlicher Wissenschaften“ zu Erfurt während der Jahre 1754–1803, in: Beiträge zur Hochschul- und Wissenschaftsgeschichte Erfurts, 22 (1989/90), S. 117–207. 22 Vgl. BÖNING: Gemeinnützig-ökonomische Aufklärung, S. 224–229. Vgl. außerdem GRABER: Reformdiskurs und soziale Realität, S. 132–137. 23 Vgl. KOHFELDT: Die Gemeinnützig-ökonomische Aufklärung, S. 135–138. 24 Vgl. BÖNING: Die Genese der Volksaufklärung, S. XXVIII–XLIII. 25 Vgl. DERS.: Gemeinnützig-ökonomische Aufklärung, S. 222. 26 Vgl. DERS.: Die Genese der Volksaufklärung, S. XXII. 27 Vgl. ebd., S. XXII–XXXVII.

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Umschweife direkt an die neuen Adressaten weiterzugeben. Ohne die spezifischen Lesebedürfnisse und Lesegewohnheiten der bäuerlich-ländlichen Bevölkerung zu berücksichtigen, waren die ersten literarischen Versuche einer landwirtschaftlich-ökonomischen Aufklärung des „gemeinen Landmannes“ fast kongruent zur literarischen Selbstaufklärung der Gebildeten.28 Die frühen Volksaufklärer waren scheinbar davon überzeugt, dass eine rein sachliche Vermittlung landwirtschaftlich-ökonomischer Erkenntnisse ausreichen würde, die bäuerliche Bevölkerung zur Durchführung von Reformen in der Agrar- und Viehwirtschaft zu bewegen. Sie erwarteten in einer fast schon naiv anmutenden Selbstverständlichkeit, dass schon die Aussicht auf höhere Ertragsgewinne die einfachen Bauern dazu veranlassen würde, die gut gemeinten Ratschläge aus den Schriften der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung in der Praxis umzusetzen und sich infolgedessen einer rationalen Wirtschaftsweise anzunehmen.29 Der Fokus der ersten volksaufklärerischen Schriften lag eindeutig auf der Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion. Die frühen Volksaufklärer sahen zunächst keine Veranlassung, andere aufklärerische Inhalte an die bäuerliche Bevölkerung weiterzureichen, die nicht in der praktischen Landwirtschaft nutzbar gemacht werden konnten. Folglich wurden alle Themen und Gegenstände nicht ökonomischer Art vorerst in der frühen volksaufklärerischen Publizistik ausgeklammert. In den fünfziger und sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts herrschte demnach eine klare Trennung zwischen ökonomischer Belehrung und sittlich-moralischer Erziehung des „gemeinen Landmannes“.30 Ebenso verzichteten die frühen Volksaufklärer darauf, gesellschaftliche Missstände, die der Bauernstand in der Mitte des 18. Jahrhunderts angesichts feudaler Herrschaftspraktiken noch vielerorts zu erdulden hatte, in den ersten volksaufklärerischen Schriften anzusprechen.31 Obwohl die Debatten unter den Volksaufklärern darauf schließen lassen, dass einige unter ihnen der Meinung waren, die angestrebte Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einfachen Bauern sei ohne gesellschaftliche Strukturveränderungen nicht zu bewerkstelligen, fiel die öffentliche Kritik am System der Leibeigenschaft und der Frondienste nur sehr verhalten aus.32 Zwar plädierten hin und wieder einige Protagonisten der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung, wie etwa der Erfurter Stadtrat Christian Reichart,33 für eine Aufhebung bäuerlicher Zwangsabgaben, doch blie-

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Vgl. ebd., S. XXXV. Vgl. BÖNING: Entgrenzte Aufklärung, S. 18. Vgl. DERS.: Die Genese der Volksaufklärung, S. XXV. Vgl. KOHFELDT: Die Gemeinnützig-ökonomische Aufklärung, S. 139. Vgl. BÖNING: Die Genese der Volksaufklärung , S. XLIV f. So äußerte sich Christian Reichart im Jahr 1754: „Wenn ein Camerlist nur darauf bedacht ist, den armen Unterthanen neue Auflagen zu machen, so ist das wohl allerelendste, und eine höchst unverant-

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ben Klagen gegen Leibeigenschaft und Frondienste vonseiten der Volksaufklärer zunächst die Ausnahme. Da die Mehrheit der frühen Volksaufklärer die Ansicht vertrat, der einfache Bauer könne ohne größere Einschränkungen innerhalb seines Standes zur Steigerung des Gemeinwohles beitragen, wurden die bestehenden Strukturen der Ständegesellschaft kaum infrage gestellt.34 Erst in der weiteren Entwicklung der Volksaufklärungsbewegung und der damit einhergehenden Veränderung der volksaufklärerischen Reformprogramme löste sich der Großteil der Volksaufklärer von seinem ständisch geprägten Gesellschaftsbild allmählich los. Obwohl die Volksaufklärung als eine Reformbewegung der „gesitteten Stände“ ab der Mitte des 18. Jahrhunderts den gesamten deutschsprachigen Raum erfasste, kann man festhalten, dass die Stadt Leipzig als eine Hochburg der frühen Volksaufklärung charakterisiert werden kann. So lässt sich anhand des ersten Bandes des „Biobibliographischen Handbuchs zur Volksaufklärung“ konstatieren, dass bis in die siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts die Mehrzahl der volksaufklärerischen Schriften in Leipzig verlegt wurde.35 Folgt man den Ausführungen Holger Bönings, stellte der Leipziger Buchhandel mit den „Leipziger Sammlungen“36 sogar 25 Jahre lang, über den Zeitraum von 1742 bis 1767, das wichtigste Organ der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung dar.37 Dass die Stadt Leipzig eine wichtige Rolle bei der publizistischen Verbreitung gemeinnützigökonomischer bzw. volksaufklärerischer Ideen innehatte, kann hierbei sicherlich auf zwei wesentliche Punkte zurückgeführt werden. So war Leipzig sowohl ein bedeutendes Zentrum der deutschen Aufklärung im 18. Jahrhundert,38 das nach Günter Mühlfordt bereits unter den Zeitgenossen den Status einer „Gelehrtenrepublik“ genoss,39 als auch das wichtigste Zentrum des deutschen Buchhandels.40

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wortliche Beschäftigung, besonders wenn alsobald die Execution zur Hand genommen wird.“ Zit. nach BÖNING: Gemeinnützig-ökonomische Aufklärung, S. 231. Vgl. ebd., S. 230–234. Vgl. DERS./SIEGERT: Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch, Bd. 1, Sp. 67– 429. Von den „Leipziger Sammlungen“ erschienen von 1742 bis 1767 insgesamt 192 Stücke unter dem Titel: Leipziger Sammlungen von Allerhand zum Land= und Stadt=, Wirthschafftlichen, Policey= Finanz- Cammer=Wesen dienlichen Nachrichten, Anmerckungen, Begebenheiten, Versuche, Vorschlägen, neuen und alten Anstalten, Erfindungen, Vortheilen, Fehlern, Künsten, Wissenschafften und Schrifften, wie auch denen in diesen so nützlichen Wissenschaften und Uebungen wohlverdienten Leuten, Leipzig 1742–1767. Vgl. BÖNING: Die Genese der Volksaufklärung, S. XXV. Zum Status von Leipzig als Zentrum der Aufklärung vgl. MARTENS, WOLFGANG (Hrsg.): Zentren der Aufklärung III: Leipzig. Aufklärung und Bürgerlichkeit, Heidelberg 1990. Vgl. MÜHLPFORDT, GÜNTER: Gelehrtenrepublik Leipzig. Wegweiser- und Mittlerrolle der Leipziger Aufklärung in der Wissenschaft, in: ebd., S. 39–101. Vgl. ROSENSTRAUCH, HAZEL: Leipzig als ‚Centralplatz‘ des deutschen Buchhandels, in: ebd., S. 103–124.

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Dass die ersten Volksaufklärer bei der literarischen Vermittlung landwirtschaftlich-ökonomischen Wissens besonders auf den Standort Leipzig gesetzt haben, muss demnach kaum verwundern. Als wichtigster Druck- und Umschlagplatz für schriftlich-literarische Erzeugnisse im deutschen Sprachraum war die Chance einer erfolgreichen Verbreitung und Vermarktung neuer Lektüre wesentlich höher als andernorts. Im Thüringer Raum hingegen finden sich nur wenige Schriften der frühen Volksaufklärung. Bis in die siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts spielten die thüringischen Staaten eine eher untergeordnete Rolle bei der Verbreitung literarischer Erzeugnisse der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung. Zwar lassen sich auch in Thüringen in der Mitte des 18. Jahrhunderts schon vereinzelt Schriften nachweisen, die den „gemeinen Landmann“ zu agrarreformerischen Maßnahmen und zu einer rationalen Wirtschaftsweise bewegen wollten,41 doch fallen diese im quantitativen Vergleich mit den in Leipzig verlegten gemeinnützig-ökonomischen Schriften kaum ins Gewicht. Dieser Tatbestand lässt natürlich nicht zwangsläufig darauf schließen, dass im Thüringer Raum die Bereitschaft der aufklärerisch denkenden Gebildeten zur Verbreitung neuer landwirtschaftlich-ökonomischer Erkenntnisse geringer ausgeprägt war als in Leipzig. Vielmehr muss konstatiert werden, dass die Protagonisten der frühen Volksaufklärung in Thüringen bei der Vermittlung von aufklärerischem Wissen in geringerem Maße auf Lektüre gesetzt haben. Obwohl in zahlreichen thüringischen Städten in der Mitte des 18. Jahrhunderts im Buchhandel, Buchdruck und Verlagswesen bereits ähnlich gute Strukturen wie in Leipzig existierten,42 scheint es im Thüringer Raum bis in die 41 Beispielhaft seien hier genannt: HERING, CHRISTOPH: Christoph Herings Oeconomischer Wegweiser und beglückter Pachter, Jena 1750; GROTJAN, JOHANN AUGUST: Eines Nordhäusers güldene Kunst Brantewein zu brennen, Welche nach Anweisung einiger Tabellen und beygefügten Erläuterungen Die wahren und bisanhero gar geheim gehaltenen Vortheile des Brantewein-Brennens aufrichtig entdecket, und deutlich zeiget, Wie aller mögliche in den Früchten steckende Wein aus selbigen heraus zu bringen, ingleichen Wie zu verhüten, daß der Brantewein keinen brandereichen Geschmack bekommen möge. Alles aus vieljähriger Erfahrung aufgesetzet, und nunmehro zum Dienste des Nächsten, Nordhausen 1754; STOCKMANN, C. A.: Gründliche Anweisung zur Hauswirthschaft und Feld-Bau. Von einem in der Hauswirtschaft und Feld-Bau wohlerfahrnen Thüringer, Arnstadt 1756; Sammlung oeconomischer und anderer in der Haushaltungs=Kunst nützlicher Anmerckungen. Aus den besten Nachrichten zusammen getragen, Langensalza 1756; KOCH, JULIUS HEINRICH: Wohlerfahrner Bienenwirth, oder gründliche Anweisung was bei der Bienen=Pflege in jedem Monath des Jahrs zu beobachten, mit beygefügten Anmerkungen von den bewunderswürdigen Eigenschaften der Bienen, Arnstadt 1760; Warnung vor dem einschleichenden Aberglauben, 3. Stücke, Gotha 1762; Neue Beyträge zu den Cameral= und Haushaltungs=Wissenschaft, aus der Natur und Erfahrung bestärket von einer Societät in Thüringen, 6. Stücke, Jena 1766–1769. 42 Vgl. GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 133–141.

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1770er Jahre keine markanten Persönlichkeiten gegeben zu haben, die sich als „literarische Volksaufklärer“ betätigten und dabei das bestehende Gefüge regionaler Verlagseinrichtungen in Anspruch nahmen. Dass dies aber grundsätzlich möglich war, zeigt das Beispiel des Nordhäuser Volksaufklärers Johann August Grotjans.43 Dieser veröffentlichte seinen sechs Teile umfassenden „Calendarium perpetuum oder immerwährender Land= und Garten-Calender“44 sowohl in den beiden großen Buchhandelszentren Frankfurt und Leipzig45 als auch beim Verlag Christian Mevius’ in Gotha. Untersucht man die in der Mitte des 18. Jahrhunderts bedeutendsten thüringischen Verlagsorte Jena, Erfurt, Gotha, Weimar und Altenburg nach den publizistischen Hinterlassenschaften dort ansässiger Akteure der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung, sticht dennoch eine Person besonders hervor. So versuchte der bereits genannte Erfurter Stadtrat Christian Reichart46 in vielfältiger Weise als 43 Johann August Grotjan gibt in seinen Schriften an, als „Advocat der Reichs=Stadt Nordhausen“ tätig gewesen zu sein. So auch auf dem Titel seiner im Jahr 1759 bei Johann Heinrich Groß in Nordhausen und Leipzig verlegten gemeinnützig-ökonomischen Schrift „Ergötzende Sommerbelustigung, welche die Sommer=Gewächse, eine der größten Zierde schöner Lust=Gärten, nach ihren Anbau, richtigen Benennungen, Nutzen, Gebrauch und Merckwürdigkeiten gründlich betrachtet. Aus Selbsterfahrung nach Alphabetischer Ordnung aufgesetzt, auch mit einem nützlichen Register und Garten=Calender versehen.“ 44 Der genaue Titel lautet: GROTJAN, JOHANN AUGUST: Calendarium Perpetuum oder immerwährender Land- und Garten-Calender. Zu nützlichem Gebrauche bey dem AckerBaue, wie auch bey Blumen- Orangerie- Küchen- und Baum-Gärten; worinnen der Anbau nützlicher Kücher-Gewächse ferner erläutert, die nutzbarsten Klee-Arten und FutterKräuter beschrieben, die Vertilgung schädlicher Thiere und Ungeziefer gezeiget, auch die Erziehung nutzbarer Bäume gelehret wird, Theil 1–6, Gotha 1765–1773. 45 Vgl. BÖNING/SIEGERT: Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch, Bd. 1, Sp. 154 u. 267 f. 46 In der älteren Literatur ist mitunter auch die Namensschreibweise Reichardt oder Reichard gebräuchlich. Christian Tobias Ephraim Reichart wurde 1685 als Sohn des Erfurter Ackerbürgers Michael Reichart geboren. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1689 heiratete seine Mutter, geb. Catarina Böberin, den Stadtökonom Christoph Engelhardt. Dieser ermöglichte seinem Stiefsohn eine umfassende Ausbildung. Nachdem Reichart eine kaufmännische Lehre sowie ein Jurastudium in Erfurt und Jena absolviert hatte, bekam er 1716 eine Anstellung beim Erfurter Stadtrat. Es folgte eine städtische Ämterlaufbahn, an dessen Ende die Ernennung zum „anderen Ratsmeister“ (1752) und zum „Assessor Ministerii“ (1754) stand. Ebenso gehörte Reichart im Jahr 1754 zu den Mitbegründern der kurmainzischen „Akademie nützlicher Wissenschaften“ zu Erfurt. Zu den grundlegenden biographischen Daten Christian Reicharts vgl. MÜLLER, SIEGFRIED: Reichart, Christian, in: NDB, Bd. 21: Pütter – Rohlfs, Berlin 2003, S. 297; GUTSCHE, WILLIBALD: Der Begründer des neuzeitlichen Erfurter Erwerbsgartenbaues Christian Reichart – Sohn seiner Zeit und Wegbereiter des Fortschritts, in: Pontius, Hartmut/Schalldach, Ilsabe/Schwarz, Erika/Scheidt, Ulrich (Red.): Christian Reichart 1685–1775. Pionier und Förderer des Erfurter Erwerbsgartenbaus (= Veröffentlichungen des Naturkundemuseums Erfurt, Sonderheft), Erfurt 1985,

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Autodidakt die landwirtschaftliche Produktion seiner eigenen umfangreichen Ländereien, die er von seinem Schwiegervater Pastor Melchior Schellenberg geerbt hatte, zu verbessern.47 Ursprünglich war Reichart in verschiedenen Ämtern der Stadt Erfurt tätig und wirkte nebenbei als Stadtchronist.48 Zur Garten- und Landwirtschaft kam er nur durch Zufall. Weil sein Schwiegervater, der zuvor die Bewirtschaftung der Familiengüter leitete, einen Schlaganfall erlitten hatte, war Reichart seit 1720 gezwungen, neben seiner eigentlichen Profession als Jurist auch auf dem Gebiet der Landwirtschaft tätig zu werden. Davon überzeugt, die Erträge seiner Güter steigern zu können, entwickelte er im Laufe der Jahre durch experimentelle Versuche und tägliche Beobachtungen neue Anbaumethoden in der Garten- und Landwirtschaft und konstruierte verbesserte Ackergeräte. Daneben richtete Reichart auf dem sogenannten „Dreibrunnengebiet“ in Erfurt eine Musteranlage ein, wo er sich intensiv der Pflanzenzucht und der Bodenfruchtbarkeit widmete. Dabei beschritt Reichart neue Wege bei der Gewinnung von Gemüsesamen und entwickelte neue Verfahren gegen das stete Auslaugen der Böden, indem er bei der Bewirtschaftung seiner Güter nicht auf das traditionelle System der Dreifelderwirtschaft, sondern auf eine mehrteilige Fruchtwechselwirtschaft setzte.49 Folgt man den Ausführungen Ilsabe Schalldachs, dann begründete Reichart mit seinen Reformbestrebungen in der Landwirtschafts- und Gartenkultur das Fundament für die Entwicklung des wissenschaftlichen Gartenbaus der Stadt Erfurt.50 Aufgrund der Tatsache, dass die von Reichart entwickelten Verfahren zur Steigerung landwirtschaftlicher Erträge schon bald von außerordentlichem Erfolg geprägt waren, entschloss sich der Erfurter Stadtrat, seine garten- und landwirtschaftlichen Kenntnisse und Erfahrungen, die er aus langjährigen Beobachtungen und praktischen Versuchen gewonnen hatte, uneigennützig der Allgemeinheit weiterzureichen. Ganz im Sinne der gemeinnützig-ökonomischen Erfahrungen verfasste Reichart mehrere Schriften, in denen er seine umfangreichen Erkenntnisse einer breiten Öffentlichkeit darlegte, um auf diese Weise einen Beitrag zur

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S. 7–12; TRUTZ, KATHARINA: Christian Reichardt, in: Mitteldeutsche Lebensbilder, Bd. 4: Lebensbilder des 18. und 19. Jahrhunderts, Magdeburg 1929, S. 75–87; BIEREYE, JOHANNES: Erfurt in seinen berühmten Persönlichkeiten, Erfurt 1937, S. 87 f. Zudem diktierte Reichart kurz vor seinem Tod im April 1774 seiner Enkelin Christiane Dorothea seine Autobiographie, die wiederum 1788 veröffentlicht wurde. Vgl. REICHART, CHRISTIAN: Anhang zu den sechs Theilen des Land= und Garten=Schatzes, Erfurt 1788, S. 132–145. Vgl. SCHALLDACH, ILSABE: Reichart, Christian, in: Marwinski, Felicitas (Hrsg.): Lebenswege in Thüringen, Zweite Sammlung, Weimar 2002, S. 167. Vgl. MÜLLER: Reichart, S. 297. Vgl. HAUPT, HANS: Die Erfurter Kunst- und Handelsgärtnerei in ihrer geschichtlichen Entwicklung und wirtschaftlichen Bedeutung, Jena 1908, S. 64–66; GUTSCHE: Der Begründer, S. 12–15. SCHALLDACH: Reichart, S. 174.

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Steigerung des Gemeinwohls zu leisten. Seine erste Schrift51 veröffentlichte Reichart im Jahr 1745 im Verlag Johann Heinrich Nonnes, wo er erstmals seine praktischen Erkenntnisse, die er in seinem Mustergut „Drey Brunnen“ in langjährigen Beobachtungen zusammengetragen hatte, publizistisch verarbeitete.52 Außerdem verfasste er noch im selben Jahr eine weitere Schrift unter dem Titel „Abhandlung von allerhand Saamen-Werk“,53 die offenbar ein solcher Erfolg war, dass im Jahr 1751 eine zweite Auflage folgte.54 Auf der Basis dieses Werkes entschloss sich Reichart wenig später, ein sechs Bände umfassendes Kompendium seines gesamten Wissens zum Feld- und Gartenbau unter dem Titel „Christian Reicharts Land= und Garten=Schatz“ zu veröffentlichen. Den ersten Teil dieses voluminösen Ratgebers, den Reichart ausdrücklich „zum Dienst und Nutzen des Nächsten“ anfertigen wollte,55 bildeten hierbei die Ausführungen zur Saatpro51 Zuvor hatte Christian Reichart an Johann Hieronymus Kniphofs (1704–1763) „Botanica in Originali“ mitgearbeitet. Von der „Botanica in Originali“ erschienen zwei Bände. Christian Reichart hat nachweislich am zweiten Band aus dem Jahr 1734 mitgewirkt. Vgl. KNIPHOF, JOHANNES HIERONYMUS: Botanica In Originali. Das ist: Lebendig Kräuter-Buch, In welchen so wohl diejenigen Blumen- Baum- und Küchen-Gewächse, Küchen-Gewächse, die in den Gärten Deutschlands überall bekannt sind, als auch die fremden, so von curiösen Blumenliebhabern mit großer Mühe und Kosten angeschaffet werden, Nebst einer sonderbahren Anleitung den Saamen auf eine künstliche Manier selbst zu zeugen, Erfurt 1734. Zu Kniphofs „Botanica in Originali“ und dessen Zusammenarbeit mit Reichart vgl. außerdem SCHALLDACH, ILSABE: Johannes Hieronymus Kniphof’s „Botanica in originali“. Ein frühes Zeugnis der Gartenbauwissenschaft in Deutschland, in: Archiv für Gartenbau, 36 (1988), S. 387–393; DIES.: Johann Hieronymus Kniphof – Sohn unserer Stadt und Partner Reicharts bei der Herausgabe seltener Kräuterbücher, in: Pontius et al. (Red.): Christian Reichart 1685–1775, S. 34–46. 52 Vgl. REICHART, CHRISTIAN: Kurtzgefasste Historische Nachricht von denen bey der Thüringischen Hauptstadt Erfurt gelegenen sogenannten Dreyen Brunnen, Deren Beschaffenheit, Cultur, Nutzen und dahin einschlagenden besondern Rechten, nebst verschiedenen zur Oeconomie gehörigen Vortheilen. Denen Liebhabern der Oeconomischen Wissenschaft zum Besten an das Licht gestellet, Erfurt 1745. 53 Vgl. SCHALLDACH: Reichart, S. 174. 54 Vgl. REICHART, CHRISTIAN: Abhandlung von allerhand Saamen-Werk, Worinnen, nebst einer Nachricht von einem neu-erfundenen Saamen-Cabinet, viele nöthige und nützliche zum Garten- und Acker-Bau gehörige practische und noch nicht gemeine Vortheile mitgetheilet werden, Erfurt 1751. 55 In der Vorrede weist Reichart außerdem darauf hin, dass er der Aufforderung des „gelehrten und berühmten Geheimden Rath, Hrn. Christ[ian] Freyherrn von Wolf“, neue Erfindungen im Interesse der Wissenschaft und des gemeinen Besten öffentlich zugänglich zu machen, Folge leisten möchte und sich deshalb dazu entschlossen hat, mit dieser Schrift den Garten- und Ackerbau zu befördern. Vgl. REICHART, CHRISTIAN: Christian Reicharts Land= und Garten=Schatz, Erster Theil: Von allerhand Samen-Werk, worinn die zum Garten= und Acker=Bau in Ansehung der Sämereyen gehörige Vortheile mitgetheilet werden, nebst Beschreibung eines Samen=Cabinetts und nöthigen Kupfern, Erfurt 1753, [Vorrede, unpag.].

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duktion und Saatauslese, dessen Grundlagen er bereits 1745 in seiner „Abhandlung von allerhand Saamen-Werk“ beschrieben hatte. In den nachfolgenden Bänden, die allesamt in den Jahren 1753 und 1754 erschienen, verfasste Reichart außerdem u.a. zahlreiche Ratschläge und Anleitungen zur Baumzucht,56 zum Gemüseanbau,57 zu Arzneipflanzen,58 zu Düngemethoden und zur Fruchtwechselwirtschaft59 sowie zur Ungezieferbekämpfung.60 Aufgrund der Fülle von Informationen zu zahlreichen Dingen aus dem Garten- und Ackerbau avancierte Reicharts „Land- und Garten-Schatz“ in der Mitte des 18. Jahrhunderts zu einem der wichtigsten publizistischen Instrumente der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung. Nach Siegfried Müller war der „Land- und Garten-Schatz“ sogar „lange Zeit das Standardwerk der deutschen Gartenbauliteratur“.61 Dass Reicharts Werk in der Folgezeit einen enormen Zuspruch gefunden haben muss,62 56 Vgl. DERS.: Christian Reicharts Land= und Garten=Schatz, Zweyter Theil: Von der Baumzucht, worin die Erziehung und Wartung sowol einheimischer als Orangen=Bäume nach allen Vortheilen aufrichtig beschrieben, und mit einigen Kupfern erläutert worden, Erfurt 1753. 57 Vgl. DERS.: Christian Reicharts Land= und Garten=Schatz, Dritter Theil: Von den zur Speise dienlichen Kohlen, Wurzeln, und Zwiebeln, deren Erziehung und Wartung nach allen Stücken aufrichtig beschrieben worden. Nebst einigen Kupfern, Erfurt 1753. 58 Vgl. DERS.: Christian Reicharts Land= und Garten=Schatz, Vierter Theil: Worinnen von Küchen= Specerey= und Arzeney=Gewächsen gehandelt und deren Erziehung, Wartung und Erhaltung aufrichtig beschrieben werden. Mit einigen Kupfern erläutert worden, Erfurt 1753. 59 Vgl. DERS.: Christian Reicharts Land= und Garten=Schatz, Fünfter Theil: Von vieljähriger Nutzung der Aecker ohne Brache und wiederholte Düngung, Wobey zugleich eine Anweisung die Korn= und Hülsen=Früchte, nebst dem Hanfe, Flachse und einigen Klee-Gewächsen zu erbauen, Erfurt 1754. 60 Vgl. DERS.: Christian Reicharts Land= und Garten=Schatz, Sechster Theil: Worinnen vom Hopfen=Baue, wie auch von den vornehmsten Blumen=Ge-wächsen, deßgleichen von Vertilgung der schädlichen Thiere und Ungeziefer auf den Äeckern und in den Gärten gehandelt worden, Erfurt 1754. 61 MÜLLER: Reichart, S. 297. 62 Reichart selbst rühmt sich im Jahr 1758, dass seine „gute Absicht und Bemühung“ mit dem „Land- und Garten=Schatz“ seinen Mitmenschen zu dienen, „nicht ohne Frucht gewesen“ sei. So spricht er von einer „guten Annahme und starken Abgange des Land= und Garten=Schatzes […] in die entlegensten Provinzen Deutschlandes“ sowie „nach Liefland, Schweden und Dännemark“. Außerdem weiß Reichart „aus sehr vielen in Händen habenden Zuschriften vornehmer Männer“ zu berichten, dass „so wohl in hiesigen, alt auch in auswärtigen Orten und fremden Ländern, durch angeführtes Werk, viele ermuntert worden, ihren Garten= und Feld=Bau besser zu treiben, als vorher geschehen“. REICHART, CHRISTIAN: Einleitung in den Garten= und Acker=Bau, Erster Theil: Worin nicht nur von der Garten=Wissenschaft und Anlegung der mancherley Gärten überhaupt, Sondern auch von Erziehung und Wartung derer darein gehörigen Gewächse insonderheit aufrichtig und kürzlich gehandelt wird, Erfurt 1758, [Vorrede, unpag.]. Zur Rezeption und Verbreitung des „Land- und Gartenschatzes“ vgl. außerdem SCHWARZ,

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III. DIE GENESE DER VOLKSAUFKLÄRUNG

steht jedenfalls außer Zweifel. Bereits 1776 konnte der „Land- und GartenSchatz“ seine vierte Auflage verzeichnen. Selbst im 19. Jahrhundert wurde in der Keyser’schen Verlagsbuchhandlung in Erfurt noch eine neue Auflage des „Landund Gartenschatzes“ herausgegeben, wenngleich erwähnt werden muss, dass diese Fassung inhaltlich überarbeitet wurde und nicht mehr mit dem Original identisch war.63 Zudem erschienen im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einige Separatdrucke zu einzelnen Themen aus dem „Land- und GartenSchatz“.64 Darüber hinaus versuchte Reichart mit einer zweibändigen Schrift, die er in den Jahren 1758/59 unter dem Titel „Einleitung in den Garten= und Ackerbau“ veröffentlichte,65 seinen „Land- und Garten-Schatz“ zu erweitern und die dort beschriebenen Inhalte stärker an die Lesebedürfnisse der einfachen Landwirte und Gärtner anzupassen.66 Ebenso wollte Reichart mit der „Einleitung

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ERIKA: Einige Bemerkungen zur Literatur über den Land- und Gartenbau vor Reichart und zur Verbreitung des „Land- und Gartenschatzes“, in: Pontius et al. (Red.): Christian Reichart 1685–1775, S. 30–33. Die Herausgabe erfolgte in den Jahren 1819–21. Die thematische Untergliederung der einzelnen Bände unterschied sich dabei erheblich vom Original aus dem Jahr 1753/54. Band 1 befasste sich mit der „Pflanzenkultur im Allgemeinen“, Band 2, 3 und 4 handelten „Vom Küchengartenbau“, „Vom Feldbau“ und „Vom Obstbau“, Band 5 und 6 beschäftigten sich mit der „Erziehung der Apothekergewächse und Zierpflanzen“ und „Hauswirthschaftlichen Technologien“. Die Neuauflage wurde überarbeitet von Hieronymus Ludwig Wilhelm Völker (1779–1837). Vgl. VÖLKER, HIERONYMUS LUDWIG WILHELM (Hrsg.): Christian Reicharts Land- und Garten-Schatz, Theil 1–6, Erfurt 1819–1821. Vgl. BÖNING/SIEGERT: Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch, Bd. 1, Sp. 126– 128. Vgl. REICHART, CHRISTIAN: Einführung in den Garten= und Acker=Bau, Erster Theil: Worin nicht nur von der Garten=Wissenschaft und Anlegung der mancherley Gärten überhaupt, Sondern auch von Erziehung und Wartung derer darein gehörigen Gewächse insonderheit aufrichtig und kürzlich gehandelt wird, Erfurt 1758; Zweiter Theil: Worinnen zu einem höchstnutzbaren Feld-Bau Anweisung gegeben, und von Erbauung der Korn= Hülsen= und Specerey=Früchte, wie auch von Klee=Gewächsen, Wiesenwachs und Weinbergen ins besondere gehandelt wird, Erfurt 1759. So schreibt Reichart in der Vorrede des ersten Bandes: „Gleichwohl erkennete ich mehr als zu wohl, daß der Land= und Garten=Schatz noch mit gar wichtigen Stücken könte vermehret werden. […] Ich hätte zwar alle im Land= und Garten=Schatze nicht befindliche Abhandlungen und beygefügende Zusätze, als einen Anhang zu den sechs Theilen können zusammendrucken lassen; allein auch dieses würde nicht nur bey dem Gebrauche des Buches eine große Unbequemlichkeit verursacht haben, sondern auch meinen besonderen Endzwecke, welchen ich mir bey Herausgabe dieses Werkes vorgesetzet, gar nicht gemäß gewesen seyn. […] Diejenigen Materien, welche nicht in dem Land=und Garten=Schatze enthalten, sind hier weitläuftig ausgeführet; was aber in jenem Werke weitläuftig abgehandelt worden, ist in dieser Einleitung nur ganz kürzlich wiederholet worden, so daß ein Land=Wirth oder Gärtner, welche ohnediß zuweilen nicht viel Zeit zum Nachlesen haben, bey der Cultur der Gewächse die nöthigsten Regeln in diesem Hand=Buche in einem Augenblicke übersehen kan. Wobey der Land= und Garten=Schatz allezeit angeführet ist, damit diejenigen, welche weiteren Unterricht verlangen, solchen alsobald an gehörigen Orte

DIE ANFÄNGE DER VOLKSAUFKLÄRUNG

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in den Garten= und Ackerbau“ sicherstellen, dass die von ihm vermittelten landwirtschaftlichen Kenntnisse beim „gemeinen Landmann“ eine intensive praktische Anwendung fanden.67 Wie der „Land- und Garten-Schatz“ muss auch die „Einleitung in den Garten- und Ackerbau“ einen bestimmten Absatz gefunden haben. Nur so lässt sich erklären, dass auch diese Schrift von Christian Reichart mehrere Auflagen erlebte.68 Neben diesen beiden „Hauptwerken“ veröffentlichte Reichart noch weitere kleine Schriften.69 Dabei ist dem publizistischen Wirken des Erfurter Stadtrates stets anzumerken, dass die Vermittlung landwirtschaftlich-ökonomischen Wissens an die im Acker- und Gartenbau tätigen gebildeten sowie ungebildeten Bevölkerungsschichten höchste Priorität hatte. Mit seinem Engagement, landwirtschaftliches Wissen durch zahlreiche Schriften einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, gelang Reichart als erstem thüringischen Vertreter der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung die Verbreitung neuer rationaler Anbaumethoden weit über seinen Heimatort Erfurt hinaus.70 Reicharts literarische Ausführungen zum Gemüseanbau und zur Samenzucht sowie die von ihm entwor-fenen Ackergeräte und Produktionsinstrumente erregten unter den Landwirtschaftstreibenden im gesamten deutschen Sprachraum große Aufmerksamkeit und hatten bedeutenden Einfluss auf die Weiterentwicklung der gesamtdeutschen Agrarwirtschaft.71 Zahlreiche Aufklärer und ökonomisch-patriotische Sozietäten machten sich Reicharts Erkenntnisse zunutze und adaptierten seine Anbaumethoden. Zudem wurden, nach Erika Schwarz sehr zum Unmut von Reicharts Verleger Johann Heinrich Nonne, die Abhandlungen aus dem „Land- und

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finden können. Und in Ansehung dessen ist dieses Werk zugleich als eine Einleitung in den Land= und Garten=Schatz anzusehen.“ REICHART: Einleitung in den Garten= und Acker=Bau, Erster Theil, [Vorrede, unpag.]. So schreibt Reichart in der Vorrede: „Ich habe nehmlich schon im Jahre 1753, in der Vorrede zu dem zweyten Theile des Land= und Garten=Schatzes, verschiedene Vorschläge gethan, wie junge Leute in diesem Theile der Oeconomischen Wissenschaft auf eine practische Art zu unterweisen: dahero habe mit dieser Einleitung einen Versuch anstellen wollen, so wohl denen lehrenden als lernenden, und überhaupt allen Liebhabern ein Compendium der Garten= und Feld=Oeconomie in die Hände zu liefern, dessen sie sich bey ihrer Bemühung als eines Leit=Fadens bedienen könten, indem ich wohl wuste, daß der Land= und Garten=Schatz hierzu nicht völlig eingerichtet, und besonders bey dem Unterrichte anderer zu weitläuftig sey.“ Ebd., [Vorrede, unpag.]. Die letzte gedruckte Auflage der „Einleitung in den Garten- und Acker-Bau“ wurde von Heinrich Rudolf Nonne in Erfurt verlegt und lässt sich auf das Jahr 1772 datieren. Eine Auflistung aller von Reichart herausgegebenen Schriften findet sich in: PONTIUS ET AL. (Red.): Christian Reichart 1685–1775, S. 87–90. Ebenso enthält die 1788 veröffentliche Autobiographie Reicharts im Anhang eine Aufzählung der Schriften Reicharts. Vgl. REICHART: Anhang, S. 145. Vgl. GUTSCHE: Der Begründer, S. 22 f. Vgl. ebd., S. 15–21.

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III. DIE GENESE DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Garten-Schatz“ vielfach von anderen Autoren abgeschrieben und bearbeitet, um danach unter anderem Titel wieder veröffentlicht zu werden.72 Auf diese Weise fanden Reicharts Ausführungen weite Verbreitung und leisteten wichtige Impulse zu der von der Aufklärung geforderten Intensivierung und Effektivierung der Landwirtschaft. Somit dürfte Reicharts publizistisches Wirken für die Reformierung der deutschen Agrarwirtschaft in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. So kommen auch Holger Böning und Reinhart Siegert im „Biobibliographischen Handbuch zur Volksaufklärung“ zu dem Befund, dass Reicharts Schriften, insbesondere der „Land- und Garten-Schatz“ sowie die „Einleitung in den Garten- und Ackerbau“, bereits „die ganze Argumentation der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung“ enthielten und ein landwirtschaftliches Programm beinhalteten, welches das komplette Spektrum der von der frühen Volksaufklärung angestrebten ökonomischen Aufklärung des „gemeinen Landmannes“ nahezu mustergültig abdeckte.73 Außerdem weisen Böning und Siegert darauf hin, dass die Schriften von Reichart „eine wichtige Quelle für diejenigen Volksaufklärer [waren], die etwa als Geistliche nicht genügend Erfahrungen in ökonomischen Dingen verfügten, diese aber in ihren volksaufklärerischen Schriften behandeln wollten“.74 Aufgrund dessen ist nicht auszuschließen, dass Christian Reichart als Paradebeispiel eines gemeinnützig agierenden Aufklärers, der jahrelang bemüht war, sein ökonomisches Wissen durch Literatur und mithilfe gemeinnütziger Sozietäten und in die Öffentlichkeit zu tragen,75 zum Vorbild nachfolgender thüringischer Volksaufklärer wurde.

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SCHWARZ: Einige Bemerkungen, S. 32. BÖNING/SIEGERT: Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch, Bd. 1, Sp. 127 f. Ebd., Sp. 128. Nach eigener Angabe wurde Reichart für sein gemeinnütziges Engagement von der „Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen“ im Jahr 1850 sogar mit einem „Diploma“ ausgezeichnet. Vgl. Christian Reicharts Nachricht von seinen Lebens= Umständen und herausgegebenen Schriften, in: Reichart, Christian: Anhang zu den sechs Theilen des Land= und Garten=Schatzes, Erfurt 1774, S. 141.

VON DER REFORMBEWEGUNG ZUR ERZIEHUNGSBEWEGUNG

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2. Von der ökonomisch-landwirtschaftlichen Reformbewegung zur „allumfassenden“ Erziehungsbewegung VON DER REFORMBEWEGUNG ZUR ERZIEHUNGSBEWEGUNG

Die Volksaufklärung lässt sich innerhalb des Zeitraums von 1750 bis 1850 einordnen. Während dieser Zeitspanne kann die Volksaufklärung aber keinesfalls als eine „konstante“ Bewegung klassifiziert werden. Ihre Ausprägung war stets, wie bei allen anderen geistigen Strömungen auch, am gegenwärtig herrschenden politischen und sozioökonomischen Umfeld ausgerichtet. Wie bereits ausführlich dargelegt, war die Volksaufklärung in ihrer Anfangsphase fast ausschließlich eine „Bauernaufklärung“, deren Schwerpunktsetzung auf der Vermittlung landwirtschaftlich-ökonomischer Sachverhalte lag.76 Den frühen Volksaufklärern ging es hauptsächlich um die ökonomische Belehrung der ungebildeten ländlich-bäuerlichen Bevölkerung. Der „gemeine Landmann“ sollte sich im Alltags- und Berufsleben von seinen tradierten Vorstellungen lösen und von den persönlichen wie gesellschaftlichen Vorteilen einer rationalen Wirtschaftsweise überzeugt werden.77 Dabei versuchten die frühen Volksaufklärer, ihre ökonomischen Reformbestrebungen nicht nur durch direkten mündlichen Kontakt, sondern auch auf publizistisch-literarischer Ebene zu verbreiten. In der Annahme, dass das Versprechen von einer Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen Situation allein schon genügen würde, den „gemeinen Mann“ zur Umsetzung neuer Agrarreformen zu bewegen, konzipierten die frühen Volksaufklärer ihre ersten volksaufklärerischen Schriften als eine Art „praxisorientierte Fachliteratur“ für den einfachen Bauern.78 Jedoch erwies sich die sachliche Vermittlung neuer naturwissenschaftlicher und ökonomischer Erkenntnisse konträr zum Leseverhalten der bäuerlichen Bevölkerung. Die umstandslose Weitergabe aufklärerischen Wissens, das den Bauern zwar einen erheblichen praktischen Nutzen versprach, jedoch zugleich die alltäglichen Sorgen sowie die sozialen und gesellschaftlichen Probleme der einfachen Landbevölkerung fast völlig ausklammerte, schien der ländlich-bäuerlichen Bevölkerung offensichtlich zu realitätsfremd. Und so zeigte sich bald, dass der „gemeine Landmann“ nicht willens war, die „gut gemeinten“ Ratschläge der Volksaufklärer anzunehmen. Starr verharrend in alten Lebensgewohnheiten, erwuchs ein zäher bäuerlicher Widerstand gegen die Reformanliegen der frühen

76 Vgl. BÖNING/SIEGERT: Volksaufklärung, Bd. I, S. X; GÖTZE: Die Begründung der Volksbildung, S. 57. 77 Vgl. BÖNING: Gemeinnützig-ökonomische Aufklärung, S. 218 f.; DERS.: Entgrenzte Aufklärung, S. 18. 78 Vgl. ebd., S. 17.

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III. DIE GENESE DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Volksaufklärer.79 Um einen Wandel des bäuerlichen Wirtschaftsverhaltens herbeiführen zu können, bedurfte es literarischer Konzepte, die neben der sachlichen Wissensvermittlung neuer naturwissenschaftlicher Kenntnisse auch die Denk- und Lebensweise der aufzuklärenden Adressaten stärker in die vermittelten Inhalte einbezog. Ebenso mussten die Volksaufklärer die Erfahrung machen, dass es zuerst einer grundlegenden Mentalitätsveränderung des „gemeinen Landmannes“ bedurfte, bevor das Wissen der Aufklärung im „Volk“ auf fruchtbaren Boden stieß.80 Für die Volksaufklärer bedeutete dies vor allem, dass nicht mehr allein auf die Popularisierung von praktisch anwendbarem Wissen gezielt wurde, sondern dass auch die Denk- und Verhaltensmuster der ungebildeten Landbevölkerung umgeformt werden mussten. Der „gemeine Mann“ sollte sich fortan in seiner Denkweise an den aufgeklärten Gebildeten orientieren, sozusagen deren positive Auffassung einer rational gestalteten Lebenswelt teilen und sich dementsprechend auch einen vernunftorientierten Verstandesgebrauch aneignen. Das Bemühen der Gebildeten, volksaufklärerisch zu wirken, war nunmehr gleichbedeutend mit der Vermittlung von aufklärerischem Wissen sowie einer daran gekoppelten Überzeugung, die ungebildeten Bevölkerungsschichten zu rational denkenden Menschen umformen zu müssen. Auf diese Weise wandelte sich die Volksaufklärung von der anfänglich ökonomischen Reformbewegung zu einer Erziehungsbewegung, in der die Gebildeten gewissermaßen die Rolle von „Volkslehrern“ übernahmen.81 Zeitlich vollzog sich dieser Wandel zu einer Erziehungsbewegung zu Beginn der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts. Damit einhergehend erweiterte die Volksaufklärung in dieser Zeit ihr Themenspektrum, was, wollte man die Lebensgewohnheiten bzw. die Mentalität des „gemeinen Mannes“ verändern, auf Dauer unumgänglich war. Zusätzlich zur ökonomisch-naturwissenschaftlichen Volksaufklärung erfolgte nun auch eine juristische, historische, völkerkundliche, medizinische, religiöse und sittlich-moralische Volksaufklärung.82 Die Erschließung völlig neuer Themenbereiche hatte letztendlich zur Folge, dass der volksaufklärerischen Wissensvermittlung ein universeller Charakter verliehen wurde. Nicht mehr beschränkt auf ein Themengebiet, sondern bedacht auf die Vermittlung unterschiedlichster Sachverhalte aus Bereichen der Ökonomie, Naturwissen79 Vgl. BÖNING: Gemeinnützig-ökonomische Aufklärung, S. 221. Zum bäuerlichen Widerstand zur Annahme aufklärerischen Wissens vgl. außerdem LICHTENBERG, HEINZ-OTTO: Unterhaltsame Bauernaufklärung, Ein Kapitel Volksbildungsgeschichte, Tübingen 1970. 80 Vgl. BÖNING/SIEGERT: „Volksaufklärung“, in: Conrad/Herzig/Kopitsch (Hrsg.): Das Volk im Visier der Aufklärung, S. 24 f. 81 Vgl. BÖNING: Entgrenzte Aufklärung, S. 23. 82 Vgl. SIEGERT, REINHART: Der Höhepunkt der Volksaufklärung 1781–1800 und die Zäsur durch die Französische Revolution, in: Böning/Siegert: Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch, Bd. 2, Teilbd. 2.1, S. XXVIII–XXXI.

VON DER REFORMBEWEGUNG ZUR ERZIEHUNGSBEWEGUNG

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schaft, Geschichte, Politik, Religion etc., schufen die Volksaufklärer seit 1770 das Konzept einer „allumfassenden Volksaufklärung“.83 Der „gemeine Mann“ sollte im Sinne dieser „allumfassenden Aufklärung“ eine universelle Aufklärung erfahren, de facto in den gleichen aufklärerischen Inhalten unterwiesen werden, wie sie den Gebildeten seit Anfang des 18. Jahrhunderts zuteil wurden.84 Das stupide Beschränken auf ökonomisch-landwirtschaftliche Themen wich allmählich einer Vielzahl mannigfaltiger neuer Inhalte, die nun nicht mehr ausschließlich, wie etwa bei der historischen oder politischen Volksaufklärung, auf eine direkte praktische Anwendung im alltäglichen Leben zielten.85 Alle Themenfelder des Alltags, des praktischen Lebens, der Wissenschaft und der Gesellschaft fanden nun Eingang in die volksaufklärerische Literatur, die spätestens in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts einen enzyklopädischen Charakter erhielt.86 Außerdem ist zu beobachten, dass die Volksaufklärung nach 1780 ihren Adressatenkreis langsam erweiterte. Während sich die Volksaufklärung bis Ende der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts fast ausschließlich an „Landleute“, insbesondere an die Klein- und Mittelbauern, gerichtet hatte, kam es in den nachfolgenden Jahren zu einer Erweiterung des Zielgruppenspektrums.87 Hauptsächlich war die Mehrzahl der volksaufklärerischen Schriften zwar nach wie vor für Bauern bestimmt, die über Eigentum verfügten und ihr Einkommen aus landwirtschaftlicher Tätigkeit bezogen,88 doch ab 1780 wurden zunehmend auch volksaufklärerische Schriften veröffentlicht, die sich ebenso den Ungebildeten anderer sozialer Bevölkerungsgruppen zuwandten, die nicht unmittelbar in der Landwirtschaft tätig waren. In erster Linie wurde jetzt die Situation der ländlichen und kleinstädtischen Handwerker in der volksaufklärerischen Literatur stärker thematisiert. Daneben rückten, wenngleich in geringerem Maße, unterbäuerliche Schichten und städtische Unterschichten stärker ins Blickfeld der Volksaufklärung. Wie Reinhart Siegert aufgezeigt hat, entwickelten einige Volksaufklärer unter anderem für Arme, Verbrecher, Seeleute, Dienstboten, Hebammen, Bergleute, Soldaten und Tagelöhner speziell zugeschnittene Lesestoffe.89 Ebenfalls wurden Frauen 83 Der Begriff „allumfassende Volksaufklärung“ ist kein geläufiger Forschungsterminus. Er soll dennoch in dieser Arbeit als Umschreibung für diejenigen volksaufklärerischen Intentionen herangezogen werden, deren Programmatik und Inhalte sich nicht nur auf eine ökonomische Aufklärung beschränkten, sondern universell angelegt waren. 84 Vgl. BÖNING/SIEGERT: „Volksaufklärung“, S. 25. 85 Vgl. SIEGERT: Der Höhepunkt der Volksaufklärung, S. XXIX–XXXI . 86 Vgl. BÖNING: Entgrenzte Aufklärung, S. 33. 87 Vgl. SIEGERT: Der Höhepunkt der Volksaufklärung, S. XXXII. 88 Vgl. hierzu die Inhaltsangaben der volksaufklärerischen Schriften im Zeitraum von 1780– 1800 in BÖNING/SIEGERT: Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch, Bd. 2.1 u. Bd. 2.2. 89 SIEGERT: Der Höhepunkt der Volksaufklärung, S. XXXII.

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III. DIE GENESE DER VOLKSAUFKLÄRUNG

und Juden von Volksaufklärern nach 1780 als eine aufzuklärende Zielgruppe erfasst.90 Im Zuge der Erweiterung ihres Zielgruppenspektrums änderten die Volksaufklärer schließlich auch die Ansprache ihrer Adressaten. Sich des von Herder ausgesprochen positiv umgedeuteten Volksbegriffes bedienend, wurde ein großer Teil des volksaufklärerischen Schrifttums ab sofort schlicht an das „Volk“ adressiert.91 Als Oberbegriff für alle ungebildeten, nicht zu den „gesitteten Ständen“ gehörenden Bevölkerungsschichten, eignete sich der Begriff des „Volkes“ zudem hervorragend, um die teilweise sozial sehr heterogen zusammengesetzten Adressatenkreise gleichzeitig ansprechen zu können. Eine volksaufklärerische Schrift, die ausschließlich an „Landleute“, den „Landmann“, den „Landwirth“ oder den „Bauern“ gerichtet war, bildete nach 1780 eher die Ausnahme. Wenn in der Betitelung einer Schrift einmal nicht auf den Volksbegriff zurückgegriffen wurde, gebrauchten die Volksaufklärer stattdessen häufig die Anrede „Bürger und Landmann“ oder „gemeiner Mann“. Da diese beiden Anreden ebenfalls auf keinen speziell abgesteckten Adressatenkreis schließen ließen, wurden sie in der volksaufklärerischen Publizistik mehr oder weniger synonym zum Volksbegriff verwendet. Trotz aller Ausdifferenzierungen und Verbreiterungen der volksaufklärerischen Zielgruppen nach 1780 sowie der Möglichkeit, unter der Verwendung der Begriffe „Volk“ und „gemeiner Mann“ gleich eine Vielzahl von Ungebildeten unterschiedlicher sozialer Milieus anzusprechen, ist dennoch zu betonen, dass der „gemeine Landmann“ immer der Hauptadressat der Volksaufklärung blieb.92 Mit dem Wandel von der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung zur „allumfassenden Volksaufklärung“ beschritt auch die literarische Aufmachung der volksaufklärerischen Schriften einen völlig neuen Weg. In Anlehnung an die bilderreiche und volkstümliche Sprache der Bibel fand seit den 1770er Jahren das literarische Mittel der unterhaltsamen belehrenden Erzählung Einzug in die volksaufklärerische Literatur.93 Da die sachliche Erörterung aufklärerischer Themen vom Volk nicht angenommen wurde, erhielten die volksaufklärerischen Lehren fortan ein „erzählerisches Gewand“.94 Im Gegensatz zur sachlich-nüchtern gehaltenen „Fachliteratur“ der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung war dieses Konzept von Erfolg gekrönt. Bereits in den 1780er Jahren wurde deutlich, 90 91 92 93 94

Vgl. ebd. Vgl. hierzu Kapitel II.2. Vgl. BÖNING: Gemeinnützig-ökonomische Aufklärung, S. 240. Vgl. DERS.: Entgrenzte Aufklärung, S. 23. Zuvor gab es auch in den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts erste Bemühungen, die Schriften der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung für den „gemeinen Landmann“ interessanter zu gestalten, indem man sie in Katechismus- oder in Dialogform gestaltete. Vgl. DERS.: Die Genese der Volksaufklärung, S. XXXVII f.

VON DER REFORMBEWEGUNG ZUR ERZIEHUNGSBEWEGUNG

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dass die neu ausgerichtete literarische Konzeption der populären Wissensvermittlung in der Bevölkerung auf eine bemerkenswerte Resonanz stieß. Der neue literarische Lesestoff des „unterhaltsamen Volksbuches“ erreichte teilweise riesige Auflagenzahlen und prägte auf diese Weise die volksaufklärerische Publizistik sogar bis weit ins 19. Jahrhundert hinein.95 Der Typus der „belehrenden Erzählung“ hat letztlich bis zum Ende der Volksaufklärung permanent fortbestanden und wurde für die Volksaufklärung selbst zu ihrem charakteristischsten literarischen Merkmal. Neben dem „unterhaltsamen Volksbuch“ setzten die Volksaufklärer ab den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts auch in besonderem Maße auf periodische Schriften. Davon ausgehend, dass eine stückweise erscheinende Schrift den „gemeinen Mann“ eher ansprechen würde als ein kostspieliges und zeitraubendes Buch, entschlossen sich viele Aufklärer für ein periodisches Publizieren.96 Besonderes Interesse fanden hierbei Zeitungen und Intelligenzblätter, da sich diese gegen Ende des 18. Jahrhunderts als leicht zugängliche Informationsquelle im Alltagsleben der breiten Bevölkerung dauerhaft etabliert hatten.97 Die Volksaufklärer machten sich diesen Umstand zunutze und brachten ihre volksaufklärerischen Ambitionen seit den 1770er Jahren nun auch mittels populärer Zeitungen und Zeitschriften unter das „Volk“.98 Auf diese Weise entstanden erstmals periodische Schriften, die primär an das einfache „Volk“ gerichtet waren und im Gegensatz zu den Zeitschriften für die Gelehrten ein breites Publikum ansprechen sollten. Aus ihnen ging am Ende des 18. Jahrhunderts schließlich auch die literarische Gattung der „Volksblätter“ hervor.99 Außerdem publizierten zahlreiche 95 96 97 98

Vgl. BÖNING/SIEGERT: „Volksaufklärung“, S. 27. Vgl. BÖNING: Popularaufklärung – Volksaufklärung, S. 575. Vgl. GREILING: Presse und Öffentlichkeit in Thüringen, S. 115 u. 144. Vgl. BÖNING, HOLGER: Zeitungen für das „Volk“. Ein Beitrag zur Entstehung periodischer Schriften für einfache Leser und zur Politisierung der deutschen Öffentlichkeit nach der Französischen Revolution, in: Ders. (Hrsg.): Französische Revolution und deutsche Öffentlichkeit. Wandlungen in Presse und Alltagskultur am Ende des 18. Jahrhunderts, S. 467–526. 99 In Deutschland wurde das erste mir bekannte „Volksblatt“ unter dem Titel „Allgemeines deutsches Volksblatt, zur Belehrung des Deutschen Bürgers und Landmannes“ im Jahr 1795 in Darmstadt gegründet. Allerdings muss hierbei beachtet werden, dass diejenigen Periodika, die als „Volksblätter“ tituliert waren, keinesfalls immer einen volksaufklärerischen Charakter aufweisen müssen. Konservative Kräfte machten sich das „Erfolgsrezept“ der Volksaufklärer um 1800 zu eigen und gründeten im Gegenzug ebenfalls erste periodische Schriften für das „Volk“. Vgl. SIEGERT: Der Höhepunkt der Volksaufklärung, S. XXXVIII f. Die Quantität und Wirkung der „konservativen Volksblätter“ darf hierbei keinesfalls unterschätzt werden, haben doch die Studien von Rudolf Schenda und Klaus Müller-Salget gezeigt, dass diese – vor allem nach 1830 – den „aufklärerischen Volksblättern“ durchaus ebenbürtig waren.

78

III. DIE GENESE DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Volksaufklärer seit den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts gemeinnützige und aufklärerische Beiträge unterschiedlichster Art in lokalen und regionalen Intelligenzblättern.100 Durch ihre starke Verbreitung in der Stadt- und Landbevölkerung trugen die Intelligenzblätter einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Aufklärung des „Volkes“ und avancierten dadurch zu einem ungemein wichtigen Medium der Volksaufklärung.101 Ein weiteres unverkennbares Charakteristikum in der literarischen und publizistischen „allumfassenden“ Volksaufklärung ist die Verzahnung der unterschiedlichen volksaufklärerischen Inhalte miteinander. Die Volksaufklärer brachten dem „Volk“ ihre einzelnen Anliegen nicht mehr in gesonderten Texten nahe, sondern setzten diese in wechselseitige Beziehungen. Beispielsweise ließen sich Unterweisungen in Belangen der Politik, des Rechtswesens, der Religion und der Sittlichkeit in den „belehrenden Geschichten“ gut miteinander vermischen, so dass der „gemeine Mann“ gleich auf mehreren Gebieten aufgeklärt werden konnte. Eine Tendenz, die sich ebenso bis weit ins 19. Jahrhundert halten sollte. Durch die Einführung des belehrenden Elements in der volksaufklärerischen Publizistik erwuchs in den 1780er Jahren ein regelrechter „Volksaufklärungsboom“, der bis zur Jahrhundertwende anhalten sollte.102 Der Vertrieb volksaufklärerischer Schriften schien nun, neben der Aussicht auf ein rentables Geschäft, die gewünschte Wirkung beim „Volk“ hervorzurufen. Die Folge war ein enormer Anstieg volksaufklärerischer Schriften im Zeitraum von 1781 bis 1800, so dass dieser Zeitraum zweifelsohne als Hochphase der Volksaufklärung bezeichnet werden kann (vgl. Grafik 1). Ihren Zenit erreichte sie schließlich um 1800.

100 Vgl. BÖNING, HOLGER: Das Intelligenzblatt als Medium praktischer Aufklärung, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Ein Beitrag zur Geschichte der gemeinnützig-ökonomischen Presse in Deutschland von 1786 bis 1780, 12 (1987), S. 107–133; DERS.: Pressewesen und Aufklärung – Intelligenzblätter und Volksaufklärer, in: Doering-Manteuffel, Sabine/Mančal, Josef/Wüst, Wolfgang (Hrsg.): Pressewesen der Aufklärung. Periodische Schriften im Alten Reich, Berlin 2001, S. 69– 119. Zur Entstehung, Entwicklung und Wirkung von Intelligenzblättern im deutschsprachigen Raum vgl. außerdem DERS.: Das Intelligenzblatt, in: Haefs, Wilhelm/Mix, York-Gothart (Hrsg.): Von Almanach bis Zeitung. Ein Handbuch der Medien in Deutschland 1700–1800, München 1999, S. 89–104. 101 Folgt man den Ausführungen Holger Bönings, dann entwickelte sich die Mehrzahl der deutschen Intelligenzblätter während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von einem reinen Anzeigenblatt zu einem „Organ der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung“. Außerdem kommt Böning zu dem Ergebnis, dass zahlreiche Intelligenzblätter seit den sechziger Jahren die Aufgaben einer politischen Zeitung wahrgenommen und damit einen wichtigen Beitrag zur Entstehung einer politischen Öffentlichkeit geleistet haben. Vgl. ebd., S. 96–98 u. 101–102. 102 Vgl. SIEGERT: Der Höhepunkt der Volksaufklärung 1781–1800, S. XXVI -XLIV.

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VON DER REFORMBEWEGUNG ZUR ERZIEHUNGSBEWEGUNG

4500

4218

Anzahl der Titel pro Jahrzehnt

4000 3500

3181

3042

3000

2588 2335

2500 2000 1508

15121562

1500

1104 889

1000 500

177 69 106 103 109

390

505

324 252 266

17

17

01 -1

71 0 11 -17 20 17 21 -17 30 17 31 -17 40 17 41 -17 50 17 51 -17 60 17 61 -17 70 17 71 -17 80 17 81 -17 9 17 0 91 -18 00 18 01 -18 10 18 11 -18 20 18 21 -18 30 18 31 -18 4 18 0 41 -18 50 18 51 -18 60 18 61 -18 70 18 71 -18 80 18 81 -18 90 18 91 -19 00

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Grafik 1: Schriften zur Volksaufklärung 1700-1900

Unabhängig von der thematischen Schwerpunktsetzung der einzelnen volksaufklärerischen Schriften lässt sich nachweisen, dass nach 1780 im gesamten deutschsprachigen Raum die Produktion volksaufklärerischer Lesestoffe schlagartig zunahm.103 Der rasante Anstieg von volksaufklärerischer Lektüre war kein Phänomen, welches sich nur auf wenige Zentren beschränkte. Dementsprechend vollzog sich diese Entwicklung ohne Ausnahme auch im gesamten Thüringer Raum. So wurden gegen Ende des 18. Jahrhunderts in allen thüringischen Staaten volksaufklärerische Schriften in Form von Büchern und Periodika verlegt. Das wohl bekannteste volksaufklärerische Buch aus Thüringen verfasste hierbei der Gothaer Verlagsbuchhändler Rudolf Zacharias Becker mit seinem zweibändigen „Noth= und Hülfsbüchlein“.104 Um eine „allumfassende“ Aufklärung des „Volkes“ bemüht, bot dieses Buch eine ganze Palette unterschiedlicher Aufklärungsinhalte, die faktisch jeden Aspekt der gesamten bäuerlich-ländlichen Lebenswelt um 1800 thematisierte.105 Neben 103 Vgl. BÖNING/SIEGERT: Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch, Bd. 2.1 u. Bd. 2.2. 104 Vgl. BECKER, RUDOLF ZACHARIAS: Noth= und Hülfs=Büchlein für Bauersleute, oder lehrreiche Freuden= und Trauer=Geschichte des Dorfes Mildenheim. Für Junge und Alte beschrieben, Bd. 1, Gotha/Leipzig 1788; Bd. 2, Gotha 1798. 105 Vgl. hierzu grundlegend SIEGERT: Aufklärung und Volkslektüre.

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III. DIE GENESE DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Beckers „Musterschrift“ existierten in Thüringen aber auch noch andere volksaufklärerische Lesestoffe, die entweder ebenso um eine universelle Volksaufklärung bemüht waren oder nur einen bestimmten Themenbereich der Aufklärung behandelten. So war beispielsweise die in Hildburghausen im Jahr 1790 erschienene, von Johann Friedrich Glaser verfasste Schrift über die „Beschreibung seiner neuerfundenen, und nicht allein für Aerzte und Wundaerzte, sondern auch für alle Hausvaeter und Hausmuetter brauchbaren und sehr nuetzlichen Blutwaage und seines Blutmeßgeschirrs“ nur um eine medizinische Volksaufklärung bemüht,106 während in der im Jahr 1799 in Altenburg erschienenen, von Johannes Ludwig verfassten Schrift „Ueber die Pflicht, Gott in der Natur aufzusuchen“, einzig die religiöse und sittlich-moralische Erziehung des „Volkes“ im Vordergrund stand.107 Des Weiteren finden sich im Thüringer Raum gegen Ende des 18. Jahrhunderts mehrere volksaufklärerische Schriften, die sowohl an den „gemeinen Mann“ als auch an dessen Kinder gerichtet waren und das Ziel verfolgten, die Bildung des „Volkes“ bereits im Kindes- und Jugendalter zu verbessern. Exemplarisch sei hier das vierbändige Werk „Unterhaltungen eines Landschullehrers mit seinen Kindern“ genannt,108 das aus der Feder Johann Christian Wolfframs109 stammt und im Verlag der Salzmann’schen Erziehungsanstalt in Schnepfenthal bei Gotha verlegt wurde. Mit dieser mehrteiligen Schrift, die Erwachsene und Kinder gleichermaßen als ein Erziehungsobjekt der Aufklärung fixiert hat, zeigt sich zudem deutlich, dass gegen Ende des 18. Jahrhunderts von einigen Volksaufklärern zusätzlich ernsthafte Versuche unternommen wurden, nicht nur den

106 Vgl. GLASER, JOHANN FRIEDRICH: Beschreibung seiner neuerfundenen, und nicht allein für Aerzte und Wundaerzte, sondern auch für alle Hausvaeter und Hausmuetter brauchbaren und sehr nuetzlichen Blutwaage und seines Blutmeßgeschirrs, Hildburghausen 1790. 107 Vgl. LUDWIG, JOHANNES: Ueber die Pflicht, Gott in der Natur aufzusuchen, als eine allgemeine Menschen- und Christenpflicht. Zugleich als ein Versuch dem gemeinen Manne die sogenannten Naturpredigten auch als christliche Predigten zu empfehlen, mit einem Anhang auserlesener Naturlieder, den Städtern und Landleuten gewidmet, Altenburg 1799. 108 Vgl. WOLFFRAM, JOHANN CHRISTIAN: Unterhaltungen eines Landschullehrers mit seinen Kindern auf Spaziergängen und in der Schule über merkwürdige Wörter und Sachen aus der Natur und dem gemeinen Leben. Ein Buch für Eltern, Kinder und Schullehrer unter den Bürgern und Landleuten. Zur Uebung der Aufmerksamkeit, zur Beförderung des Selbstdenkens und zur Verbreitung nützlicher und angenehmer Erkenntnisse, 4. Bde., Schnepfenthal 1794–1800. 109 Laut dem „Hof- und Adreßkalender“ des Herzogtums Sachsen-Gotha-Altenburg war Johann Christian Wolffram als Organist in der nahe bei Gotha gelegenen Gemeinde Goldleben tätig. Vgl. Herzoglich=Sachsen=Gotha= und Altenburgischer Hof= und Adreßkalender, Gotha 1821, S. 69.

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„gemeinen Mann“ zu belehren, sondern auch in die Erziehung von dessen Kindern einzugreifen. Der wohl bekannteste Protagonist aus dem Thüringer Raum, der sich sowohl in der Volksaufklärung als auch in der Kindererziehung engagierte, war der aus Sömmerda stammende protestantische Pfarrer Christian Gotthilf Salzmann.110 Dem Beispiel Friedrich Eberhards von Rochow folgend, der in Reckahn 1773 die erste philanthropische Musterschule ins Leben gerufen hatte111 und mit seinem „Kinderfreund“112 ein Unterrichtsbuch konzipierte,113 das erstmals systematisch „Lernbegierde und vernünftiges Denken bei Kindern der ländlichen Unterschicht“ förderte,114 gründete Salzmann im Jahr 1784 in Schnepfenthal ebenfalls eine philanthropische Erziehungsanstalt, die eine an den Idealen der Aufklärung orientierte reformpädagogische Kindererziehung anstrebte.115 Damit steht Salzmann in einer Reihe mit Johann Bernhard Basedow, Joachim Heinrich Campe, Ernst Christian Trapp und Johann Christoph Friedrich GutsMuths, die sich um 1800 auf institutioneller sowie publizistischer Ebene nicht nur um eine Aufklärung des „gemeinen Mannes“ bemühten, sondern auch das Landschulwesen reformieren und die Elementarschulbildung verbessern wollten. Neben dem Buchmarkt versuchten die thüringischen Volksaufklärer nach 1780 aufklärerisches Wissen auf schriftlich-literarischer Ebene in umfangreichem 110 Zu Salzmanns Engagement in der Volksaufklärung vgl. grundlegend GROSSE: Christian Gotthilf Salzmanns „Der Bote aus Thüringen“; THEO, DIETRICH: Mensch und Erziehung in der Pädagogik Christian Gotthilf Salzmanns (1744–1811). Studien zur Anthropologie Salzmanns, München 1963. Zu Leben und Werk Salzmanns vgl. FRIEDRICH, LEONHARD: Salzmann, Christian Gotthilf, in: NDB, Bd. 22: Rohmer – Schinkel, Berlin 2005, S. 402 f. Zum publizistisch-literarischen Oeuvre von und über Christian Gotthilf Salzmann vgl. außerdem PFAUCH, WOLFGANG/RÖDER REINHARD (Hrsg.): C. G. Salzmann-Bibliographie. Unter Berücksichtigung von Besitznachweisen in Bibliotheken, Weimar 1981. 111 Vgl. SCHMITT, HANNO: Volksaufklärung an der Rochowschen Musterschule in Reckahn, in: Böning/Schmitt/Siegert (Hrsg.): Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung, S. 163. Zur Person Rochows und dessen pädagogische Bestrebungen vgl. außerdem POHLISCH, GUSTAV: Über die pädagogischen Verdienste des Domherrn E. v. Rochow, Zwickau 1894. 112 Vgl. ROCHOW, FRIEDRICH EBERHARD VON: Der Kinderfreund. Ein Lesebuch zum Gebrauch in Landschulen, 2 Bde., Frankfurt 1778–1779. 113 Zur Rezeption des „Kinderfreundes“ im deutschen Sprachraum vgl. FREYER, MICHAEL: Rochows Kinderfreund. Wirkungsgeschichte und Bibliographie, Bad Heilbronn 1989. Vgl. außerdem die Sammelbandbeiträge in: Schmitt/Horlacher/Tröhler (Hrsg.): Pädagogische Volksaufklärung, S. 142–216. 114 SCHMITT: Volksaufklärung an der Rochowschen Musterschule, S. 177. 115 Zu den Erziehungsvorstellungen Christian Gotthilf Salzmanns vgl. grundlegend KEMPER, HERWART/SEIDELMANN, ULRICH (Hrsg.): Menschenbild und Bildungsverständnis bei Christian Gotthilf Salzmann, Weinheim 1995.

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Maße auch über periodische Publikationsprojekte an das „Volk“ zu bringen. Davon profitierend, dass das Presse- und Verlagswesen in der thüringischen Kleinstaatenwelt eine beachtliche Dichte erreicht hatte,116 beschlossen nicht wenige aufklärerisch denkende Gebildete aus Thüringen, ihre volksaufklärerisch-gemeinnützigen Intentionen mittels einer Zeitung oder einer Zeitschrift in die Öffentlichkeit zu tragen. Infolgedessen kam es zu zahlreichen Neugründungen volksaufklärerischer Periodika, deren Inhalte das komplette Spektrum volksaufklärerischer Themen abdeckten. Seit den 1780er Jahren findet sich in ganz Thüringen periodische Publizistik zur naturkundlich-ökonomischen, sittlich-moralischen, religiösen und politischen Aufklärung. Im Zuge einer stärker akzentuierten politischen Aufklärung des „Volkes“ kam es um 1800 sogar zur Herausbildung einzelner volksaufklärerischer Schriften, deren Hauptaugenmerk nun hauptsächlich auf der Politik lag. Ein Beispiel hierfür stellt die „Neue privilegirte Geraische Zeitung“ dar.117 Hervorgegangen aus der „Aufrichtig-Deutschen Volks-Zeitung“, einem halbwöchentlich erscheinenden volksaufklärerischen Zeitungsblatt von Christoph Gottlieb Steinbeck, vollzog die „Neue privilegirte Geraische Zeitung“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Übergang zum politischen Tagesblatt,118 auf Kosten ihres anfänglichen „allumfassenden“ volksaufklärerischen Charakters. Trotz der stärkeren Akzentuierung auf politische Themen behielt die „Neue privilegirte Geraische Zeitung“ aber ihre volksaufklärerischen Wurzeln bei. Ihre politischen Inhalte blieben nach wie vor ausdrücklich an den „gemeinen Mann“ adressiert. Den Beginn einer gezielten volksaufklärerischen Wissensvermittlung mithilfe periodischer Literatur markiert im Thüringer Raum die Gründung des Wochenblattes „Das räsonnirende Dorfkonvent“.119 Dieses Periodikum, das im Zeitraum von 1786 bis 1788 vom Oppershausener Landpfarrer Johann Adam Christian Thon120 herausgegeben und in Erfurt bei Georg Adam Keyser verlegt wurde, war 116 Vgl. GREILING: Presse und Öffentlichkeit; DERS./SEIFERT, SIEGFRIED (Hrsg.): „Der entfesselte Markt“. Verleger und Verlagsbuchhandel im thüringisch-sächsischen Kulturraum um 1800, Leipzig 2004. 117 Die erste Ausgabe der „Neuen privilegirte Geraische Zeitung“ erschien am 15. Juli 1800. Sie erschien zweimal pro Woche (später viermal) und hatte Bestand bis Ende 1811. Im Jahr 1812 wurde mit der „Geraischen Zeitung“ ihr Nachfolgeblatt gegründet. Vgl. Neue privilegirte Geraische Zeitung, Gera 1800–1811. 118 Vgl. GREILING: Presse für den „gemeinen Mann“, S. 308. 119 Vgl. Das räsonnirende Dorfkonvent, eine gemeinnützig ökonomisch=moralische=politische Schrift für den Bürger und Landmann, Erfurt 1786–1788. 120 Johann Adam Christian Thon (1739–1809) wurde in Niederorla bei Mühlhausen geboren und war Dorfpfarrer in den bei Langensalza gelegenen Gemeinden Oppershausen und Sundhausen. Vgl. HAMBACHER, GEORG CHRISTOPH/MEUSEL, JOHANN GEORG: Das gelehrte Teutschland oder Lexikon der jetzt lebenden teutschen Schriftsteller, Bd. VIII, 5. Aufl. Lemgo 1800, S. 57.

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das erste in Thüringen veröffentlichte Blatt, das um eine wöchentlich fortlaufende „allumfassende“ Aufklärung der bäuerlich-ländlichen Bevölkerung bemüht war. Bezieht man den gesamten deutschen Sprachraum mit ein, war „Das räsonnirende Dorfkonvent“ sogar das erste volksaufklärerische Periodikum, in dem regelmäßig politische Zeitungsnachrichten abgedruckt wurden.121 Damit nahm „Das räsonnirende Dorfkonvent“ im Bereich der periodisch erscheinenden Medien die Vorreiterrolle einer neuen literarisch-publizistischen Gattung ein, welche die Volksaufklärung nachhaltig prägen sollte.122 Die inhaltliche und konzeptionelle Ausrichtung des „Dorfkonvents“ zum Vorbild nehmend, kam es gegen Ende des 18. Jahrhunderts zur Gründung ähnlicher periodischer Schriften, die als „Volksblätter“, „Volkszeitungen“, Volksboten“ oder „Volksfreunde“ ebenfalls eine universelle Aufklärung des „gemeinen Mannes“ anstrebten. Bald wurden auch in anderen Orten Thüringens neue Zeitschriften und Zeitungen für das „Volk“ gegründet, die ihre Leser mit praktisch-gemeinnützigen Themen sowie mit aktuellen politischen Nachrichten versorgten. Zwar ist davon auszugehen, dass der Großteil dieser volksaufklärerischen Periodika nur die lokalen und regionalen Leserkreise erreichten, mitunter konnten aber einige Blätter, wie etwa „Der Bote aus Thüringen“, sogar eine überregionale Bedeutung erlangen.123 Als anschauliches Beispiel für ein regional wirkendes Periodikum aus Thüringen, das sowohl gemeinnützige als auch politische Beiträge beinhaltete, sei an dieser Stelle die eben erwähnte „Aufrichtig-Deutsche Volks-Zeitung“ herangezogen.124 Diese von Christoph Gottlieb Steinbeck in Gera herausgegebene Zeitung,125 die mit 121 Vgl. BÖNING, HOLGER: „Volkszeitungen“ – „Das räsonnirende Dorfkovent“ als Vorreiter einer literarisch-publizistischen Gattung der Volksaufklärung, in: Ders./Siegert, Reinhart (Hrsg.): Volksaufklärung. Ausgewählte Schriften, Bd. 11: Das räsonnirende Dorfkonvent, Neudruck der Teile 1–3, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, S. 357–378. 122 Vgl. DERS.: Zeitungen für das „Volk“, S. 476–484. 123 Vgl. hierzu Kapitel III.3. 124 Vgl. Aufrichtig-teutsche Volks-Zeitung. Ein nützliches Hand- und Hausbuch für das deutsche Volk, seine Lehrer und seine Freunde, Gera 1795–1799. 125 Christoph Gottlieb Steinbeck (1766–1818) wurde in Thieschitz bei Gera als ältester Sohn des Pfarrers Gottlieb Wilhelm Steinbeck geboren. Nachdem Steinbeck sein Theologiestudium in Jena abgebrochen hatte, kehrte er nach Gera zurück. In der Residenzstadt des kleinen thüringischen Fürstentums Reuß-Gera wirkte er zeitlebens als Volks- und Jugendschriftsteller. Er war Verfasser und Herausgeber zahlreicher volksaufklärerischer Bücher, Kalender, Zeitschriften und Zeitungen. Im Zeitraum von 1794 bis 1810 erschienen unter anderem: Der aufrichtige Kalendermann. Ein gar kurioses und nützliches Buch für die Jugend und den gemeinen Bürger- und Bauersmann, 2. Theile, Gera 1794– 1795; Frey- und Gleichheitsbüchlein. Für die Jugend und den deutschen Bürger und Bauersmann verfertiget, Leipzig 1794; Der hundertjährige Kalender ohne Schnurrpfeifereien. Ein Volksbuch, Gera 1795; Versuch eines Erziehungsbuches für den teutschen Bürger und Landmann, Gera 1796; Wohlfahrtszeitung der Teutschen, Gera 1798; Magazin für teutsche Bürger und Landleute, Altenburg 1799; Feuersnoth= und Hülfsbuch

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den beiden Blättern „Der Volksfreund aus Voigtland“126 und „Der Volks= Freund“127 sogar schon zwei direkte Vorläufer hatte, enthielt neben politischen Berichten auch belehrende und unterhaltsame Abhandlungen zu naturkundlichen, ökonomischen, historisch-völkerkundlichen und sittlich-moralischen Themen.128 Aufgrund des Erscheinungszeitraums von 1795 bis 1799 lässt sich mutmaßen, dass die „Aufrichtig-Deutsche Volks-Zeitung“ bei ihren Adressaten einen gewissen Zuspruch gefunden hat.129 Dementsprechend ist ebenso zu vermuten, dass zumindest ein Teil der ungebildeten Bevölkerungsschichten mit den Inhalten der „allumfassenden“ Volksaufklärung dauerhaft in Berührung gekommen ist. Ein weiteres literarisch-publizistisches Medium, das in Thüringen auf lokaler und regionaler Ebene in besonderem Maße zur Verbreitung aufklärerischen Gedankengutes beigetragen hat, war zweifellos das Intelligenzblatt. Die thüringischen Intelligenzblätter, die bis auf wenige Ausnahmen während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als private Unternehmungen in fast jeder größeren und mittleren Stadt Thüringens gegründet wurden, fungierten im Gegensatz zu den Intelligenzblättern aus anderen Regionen nicht nur als ein obrigkeitliches Instrument, sondern waren vielmehr eine Kombination aus Anzeigen- und Amtsblatt, Nachrichtenorgan, moralischer Wochenschrift und aufklärerischer Belehrungsschrift.130 Die Akteure des „Intelligenzwesens“ in Thüringen, die sich

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fürs teutsche Volk und seine Freunde, Leipzig 1802; Brandbüchlein für Familien, Schulen und Volkslehrer, oder: Ausführliche Anweisung zur Verhütung aller Feuergefahr in jedem Hause in der Stadt und auf dem Lande, Langenberg 1807; Der teutsche Patriot. Ein Volksblatt, Eisenberg 1802–1805; Justiz- und Polizei-Rügen zur Förderung des Menschenwohls, Jena 1810. Zum Leben und schriftstellerischem Wirken Steinbecks vgl. außerdem MARWINSKI: Aufgeklärte Kleinstadtpublizistik, S. 192–200; Christian Gottlieb Steinbeck, in: Moser, Johann Philipp (Hrsg.): Deutschlands jetztlebende Volksschriftsteller, H. 1, Nürnberg 1795, [unpag.]. Vgl. Der Volksfreund aus Voigtland. Für Menschenglück, Greiz 1788–1792. Vgl. Der Volks=Freund. Eine Zeitung für den Handwerker und Landmann, Berlin/ Leipzig/Gera 1794. Vgl. GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 172–175. Wenn man die Erscheinungszeiträume der Vorläuferzeitung, dem „Volks-Freund“ (1794), sowie der Nachfolgezeitung, der „Neuen privilegirten Geraische Zeitung“ (1800– 1811), mit einberechnet, kommt man insgesamt auf den relativ langen Zeitraum von 17 Jahren. Zu Entstehung, Zweck, Aufbau und inhaltlichem Profil der Intelligenzblätter vgl. GREILING, WERNER: „… dem gesellschaftlichen Leben der Menschen zur Aufnahme, Vortheil und Beförderung. „Intelligenzblätter“ in Thüringen, in: Jäger, Georg/Langewiesche, Dieter/Martino, Alberto (Hrsg.): Literatur, Politik und soziale Prozesse. Studien zur deutschen Literatur von der Aufklärung bis zur Weimarer Republik, Tübingen 1997, S. 1–39; DERS.: „Intelligenzblätter“ und gesellschaftlicher Wandel in Thüringen. Anzeigenwesen, Nachrichtenvermittlung, Räsonnement und Sozialdisziplinierung, München

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im Wesentlichen aus Geistlichen, Verlegern, Buchhändlern, mittleren Beamten, Lehrern und freien Schriftstellern zusammensetzten und als Herausgeber, Redakteure und Mitarbeiter die Gestaltung und Distribution der einzelnen thüringischen Intelligenzblätter bestimmten,131 waren darum bemüht, ihren Blättern ein möglichst breitgefächertes inhaltliches Profil zu verpassen. Die programmatische Ausrichtung der thüringischen Intelligenzblätter, die in der Regel in den Avertissements der einzelnen Blätter dargelegt wurde, beschränkte sich demnach keineswegs nur auf einen Anzeigenteil, der über neue obrigkeitliche Verordnungen, Lebensmittelpreise, Geburts- und Sterberaten oder Ähnliches informierte, sondern beinhaltete ebenso etliche gemeinnützige und politische Beiträge.132 Ein nicht geringer Teil der gemeinnützigen Beiträge bestand dabei aus volksaufklärerischen Texten, die größtenteils praktisch-ökonomisches Wissen vermittelten oder auf den sittlich-moralischen Zustand ihrer Leser einwirken wollten. Ebenso verliefen in den thüringischen Intelligenzblättern die Grenzen zwischen politischer Nachrichtenvermittlung und politisierter Volksaufklärung mitunter sehr fließend.133 Gelegentlich wurden Nachrichten über politische Tagesereignisse geschickt in volksaufklärerische Beiträge eingebunden, um die Leserschaft gleichsam über die politischen Rechte und Pflichten der einzelnen Stände zu informieren. Infolge der Ereignisse der Französischen Revolution wurde nach 1790 auch über die Rechtmäßigkeiten verschiedener Verfassungen diskutiert. Auf diese Weise sorgten die thüringischen Intelligenzblätter dafür, dass aufklärerisches Wissen und aufklärerische Ideen auch in den ländlich-kleinstädtischen Raum eindrangen. Aufgrund ihrer Langlebigkeit und ihrer hohen quantitativen Dichte innerhalb der thüringischen Kleinstaatenwelt134 stellten die Intelligenzblätter im thüringischen Raum auf publizistischer Ebene sogar das wichtigste lokale Beförderungsmittel aufklärerischen Gedankengutes dar.135 Abschließend lässt sich konstatieren, dass die Volksaufklärung in ihrer Hochphase am Ende des 18. Jahrhunderts, analog zur Entwicklung in den anderen

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1995; DERS.: Magazine für alle Gattungen der menschlichen Bedürfnisse. Intelligenzblätter in Sachsen und Thüringen, in: Doering-Manteuffel/Mančal/Wüst (Hrsg.): Pressewesen der Aufklärung, S. 147–180. Vgl. DERS.: „… dem gesellschaftlichen Leben der Menschen zur Aufgabe“, S. 32–36. Vgl. DERS.: „Publicitätsvehikel und Sittenspiegel“. Zur Programmatik thüringischer Intelligenzblätter, Eine Dokumentation, Weimar/Jena 2004, S. 11–47. Vgl. DERS.: „… dem gesellschaftlichen Leben der Menschen zur Aufgabe“, S. 20–21. Einige Intelligenzblätter aus Thüringen, etwa die „Wöchentlichen Gothaischen Fragund Anzeigen“ (gegr. 1751) oder die „Wöchentlichen Weimarischen Anzeigen“ (gegr. 1755) bestanden über ein halbes Jahrhundert lang, bis sie im Laufe der ersten drei Dezennien des 19. Jahrhunderts in offizielle Regierungsblätter umgewandelt wurden. Zudem waren nach Werner Greiling die thüringischen Intelligenzblätter innerhalb des Alten Reiches quantitativ deutlich überrepräsentiert. Vgl. ebd., S. 10. Vgl. DERS.: Presse und Öffentlichkeit, S. 250.

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Territorien des Alten Reiches, auch in den kleinräumigen thüringischen Staaten zur vollen Entfaltung kam. Manch eine volksaufklärerische Schrift bzw. ein volksaufklärerisches Periodikum war sogar prägend für die Weiterentwicklung der gesamten literarischen Volksaufklärung.136 Ebenso kann festgehalten werden, dass die Produktion volksaufklärerischer Lektüre nach 1780 einen deutlichen Anstieg zu verzeichnen hatte. Der Grund für diesen Zuwachs liegt höchstwahrscheinlich darin, dass die literarische Volksaufklärung durch ihren Wandel zur Erziehungsbewegung sowie durch die Erweiterung ihres Themenspektrums, welches fortan in unterhaltsame Texte eingebunden wurde, eine größere Akzeptanz bei ihren Adressaten erzielen konnte. Dass die volksaufklärerischen Lesestoffe seit den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts nicht mehr explizit nur an den „gemeinen Landmann“, sondern allgemein an das „Volk“ gerichtet wurden, dürfte außerdem dazu beigetragen haben, dass sich der Adressatenkreis für volksaufklärerische Schriften gegen Ende des 18. Jahrhunderts vielerorts erweiterte. Durch die Erschließung neuer Leserkreise, angefangen vom „Bürger und Landmann“ über die Handwerker bis hin zu den ländlichen und städtischen Unterschichten, bedurfte es zwangsläufig eines größeren Fundus an volksaufklärerischer Literatur. Um 1800 erreichte die Produktion volksaufklärerischer Lektüre ihren Höhepunkt. Interessanterweise hatte der Ausbruch der Französischen Revolution keine Auswirkung auf den Aufschwung der Volksaufklärung im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts. Vielmehr scheint es so, dass die weitreichenden Ereignisse der Französischen Revolution, die die Volksaufklärer vor allem dazu veranlasste, politische Sachverhalte noch stärker in die volksaufklärerische Publizistik zu implementieren, die Produktion von volksaufklärerischer Literatur noch einmal beflügelte. Daran interessiert, den „gemeinen Mann“ über die Geschehnisse in Frankreich zu informieren und gleichzeitig Einfluss auf dessen Meinungsbildung zu nehmen, kommt es im Jahrzehnt nach der Französischen Revolution zu etlichen Neugründungen von volksaufklärerischen Zeitschriften und Zeitungen.137 Sie befriedigten damit das schlagartig gewachsene Informationsbedürfnis des „Volkes“ an den politischen Vorgängen in Frankreich und ihren weltumspannenden Auswirkungen. Zu einem einschneidenden Rückgang volksaufklärerischer Lektüre sollte es erst nach 1800 kommen. Im Zuge der Napoleonischen Kriege kam es zur starken Beeinträchtigung des gesamten deutschen Buchmarktes,138 was sich auch auf die 136 Vgl. Kapitel III.3. 137 BÖNING: Zeitungen für das „Volk“, S. 507–517. 138 Vgl. WITTMANN: Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 218 f. In seiner „Geschichte des Deutschen Buchhandels“ von 1913 weist Johann Goldfriedrich aber ebenso darauf hin, dass der deutsche Buchhandel trotz aller negativen Folgen der Napoleonischen Kriege nie völlig zum Erliegen gekommen ist. Goldfriedrich kam zu dem Ergebnis, dass

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Produktion des volksaufklärerischen Schrifttums auswirkte, die nun schlagartig einbrach (vgl. Grafik 1). Die abrupte Abnahme von volksaufklärerischen Schriften in der napoleonischen Ära bewirkte allerdings keinen völligen Abbruch des volksaufklärerischen Engagements. Die Volksaufklärungsbewegung bestand noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Analog zur Entwicklung des deutschen Buchmarktes, der spätestens in den 1820er Jahren die Folgen der Napoleonischen Kriege vollständig überwunden hatte,139 stieg nach dem Wiener Kongress im gesamten deutschen Sprachraum die Produktion volksaufklärerischer Lektüre wieder kontinuierlich an, bis sie in den 1840er Jahren schließlich ein ähnliches Niveau wie am Ende des 18. Jahrhunderts erreicht hatte. Eine inhaltliche und literarisch-konzeptionelle Neuausrichtung des volksaufklärerischen Schrifttums erfolgte nach 1800 nur marginal. Die in der Hochphase herauskristallisierten literarischen Formen und thematischen Schwerpunktsetzungen konnten sich um 1800 dauerhaft in der literarischen Volksaufklärung manifestieren.140 Während der gesamten ersten Hälfe des 19. Jahrhunderts orientierte sich die thematische Ausrichtung sowie die literarische Gestaltung der volksaufklärerischen Lesestoffe weiterhin an den Inhalten und Konzepten, die sich in den 1780er Jahren herauskristallisiert haben.

der deutsche Buchhandel in der Zeit von 1806 bis 1813 kein „einziges großes Bild trostlosester Verwüstung dargeboten hätte“. Durch die politischen Erschütterungen nach 1806 und damit einhergehenden unausgeglichenen Finanzsituationen in den staatlichen und privaten Haushalten wurde der Absatz von Literaturerzeugnissen erschwert. Solange sich diese Verhältnisse nicht wieder stabilisierten, musste die Buchproduktion zwangsläufig gegenüber dem Vorkriegsniveau zurückfallen. Vgl. GOLDFRIEDRICH, JOHANN: Geschichte des Deutschen Buchhandels, Bd. 4: Geschichte des Deutschen Buchhandels vom Beginn der Fremdherrschaft bis zur Reform des Börsenvereins im neuen Deutschen Reiche (1805–1889), Leipzig 1913, S. 1–51. 139 Vgl. WITTMANN: Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 219 f. Zur Entwicklung des Buch- und Zeitschriftenmarktes nach dem Wiener Kongress bis in die 1840er Jahre aus der Betrachtung eines Zeitgenossen vgl. außerdem PRINZ, AUGUST: Der Buchhandel vom Jahre 1815 bis zum Jahre 1843. Bausteine zu einer späteren Geschichte des Buchhandels, Altona 1855. August Prinz bemüht sich in dieser Darstellung, differenziert aufzuzeigen, wie der Buch- und Zeitschriftenmarkt trotz aller Zensurmaßnahmen einen solch rasanten Zuwachs nach 1815 erzielen konnte. 140 Vgl. KUHN: Religion und neuzeitliche Gesellschaft, S. 91.

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III. DIE GENESE DER VOLKSAUFKLÄRUNG

3. Thüringen als ein Kernland der Volksaufklärung? THÜRINGEN ALS EIN KERNLAND DER VOLKSAUFKLÄRUNG?

Der Thüringer Raum bildete im 18. und 19. Jahrhundert kein einheitliches politisches Territorium, sondern bestand aus einer Vielzahl weitgehend selbstständiger Kleinstaaten, die von den Fürstenhäusern der Ernestiner, Schwarzburger und Reußen regiert wurden.141 Daneben existierten in Thüringen noch weitere kleinere Territorien, die unter kurmainzischer und kursächsischer Herrschaft standen. Außerdem hatten die beiden Städte Mühlhausen und Nordhausen bis 1802 den Status einer freien Reichsstadt inne. Ein thüringischer Staat oder ein politischer Zusammenschluss, der die thüringischen Kleinstaaten zu einem „Land Thüringen“ vereinte, existierte weder im 18. noch im 19. Jahrhundert. Selbst der Begriff „Thüringen“ fand in der offiziellen Amtssprache der thüringischen Fürstentümer seit dem Beginn der territorialen Aufsplitterung des Thüringer Raumes im 16. Jahrhundert keine Verwendung mehr.142 Dennoch betrachtete sich die Bevölkerung der thüringischen Fürstentümer im 18. und 19. Jahrhundert nicht nur dem eigenen Staat zugehörig, sondern ebenso dem „Land Thüringen“, das trotz aller dynastischen Erbteilungen und einzelstaatlichen Entwicklungen nach wie vor als eine geographisch und historisch-kulturell zusammenhängende Region wahrgenommen wurde.143 Obwohl der Thüringer Raum während der gesamten Frühen Neuzeit keine politische Einheit bildete, besaßen die Bewohner dieses Raumes dennoch ein stark ausgeprägtes thüringisches Landesbewusstsein,144 welches auch in wissenschaftlichen 141 Im ausgehenden 18. Jahrhundert existierten in Thüringen die ernestinischen Fürstentümer Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Gotha-Altenburg, Sachsen-Coburg-Saalfeld, Sachsen-Meiningen und Sachsen-Hildburghausen, die schwarzburgischen Fürstentümer Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen sowie die reußischen Fürstentümer Reuß ältere Linie (Reuß-Greiz) und Reuß jüngere Linie (Reuß-Gera, ReußSchleiz, Reuß-Lobenstein, Reuß-Ebersdorf). Zur territorialstaatlichen Entwicklung Thüringens vgl. PATZE, HANS/SCHLESINGER, WALTER (Hrsg.): Geschichte Thüringens, Bd. 5: Politische Geschichte in der Neuzeit, 1. Teil, 2 Teilbd. u. 2. Teil, Köln/Wien 1978 u. 1984; FLACH, WILLY: Die staatliche Entwicklung Thüringens in der Neuzeit, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde, 43 (1941), N.F. 35, S. 6–48. 142 Vgl. EBERHARDT, HANS: Thüringens staatliche Einheit in Vergangenheit und Gegenwart, in: Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen, Heft 1: 175 Jahre Parlamentarismus in Thüringen (1817–1992), Jena 1992, S. 110. 143 Vgl. GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 46–53. 144 Wie Matthias Werner detailliert aufgezeigt hat, kam es bereits im Mittelalter zur Herausbildung eines thüringischen Landesbewusstseins, das aufgrund seiner „gemeinschaftsstiftenden Kraft“ auch in der Folgezeit weiter fortbestand. Vgl. WERNER, MATTHIAS: Die Anfänge eines Landesbewußtseins in Thüringen, in: Gockel, Michael (Hrsg.): Aspekte thüringisch-hessischer Geschichte, Marburg/Lahn 1992, S. 81–137.

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und historisch-volkskundlichen Darstellungen demonstrativ nach außen getragen wurde.145 Es lässt sich daher konstatieren, dass die in Thüringen gelegenen kursächsischen, kurmainzischen und preußischen Gebiete sowie die ernestinischen, schwarzburgischen und reußischen Fürstentümer ein staatenübergreifendes, thüringisches Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt hatten. Dies hatte zur Folge, dass geistige und kulturelle Leistungen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht speziell immer nur einem einzigen thüringischen Kleinstaat zugeordnet wurden, sondern gleichsam eine allgemeine Verortung im „Land Thüringen“ erreichten. Die größte Stadt Thüringens war Erfurt.146 Als Bestandteil des geistlichen Kurstaates Mainz wurde Erfurt von einem Statthalter verwaltet, dessen Stellung es ihm ermöglichte, die politischen Geschicke der Stadt weitestgehend eigenständig zu lenken. Unter dem Mainzer Statthalter Carl Theodor von Dalberg (17721802), der den Ideen der Aufklärung aufgeschlossen gegenüberstand,147 entfaltete sich im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das geistige und kulturelle Leben in Erfurt.148 Die Stadt wurde vor allem für aufklärerisch denkende Gelehrte und Gebildete zu einem zentralen Ort des geistigen Austauschs.149 Bekannte Persönlichkeiten der Aufklärung wie Wieland, Goethe, Herder, Schiller, Becker und Humboldt wirkten in Erfurt oder standen in direktem Kontakt mit Dalberg.150 Im Jahr 1802 endete die Statthalterschaft Dalbergs. Erfurt verlor seine Zugehörigkeit zu Kurmainz und wurde zusammen mit dem ebenfalls zu Kurmainz gehörenden Eichsfeld in einem Sondervertrag, als Entschädigung für den

145 Vgl. EBERHARDT: Thüringens staatliche Einheit, S. 110. 146 Hans Tümmler spricht Erfurt sogar den Status einer „thüringischen Metropole“ zu. TÜMMLER, HANS: Politische Geschichte in der Neuzeit, in: Patze/Schlesinger (Hrsg.): Geschichte Thüringens, Bd. 5, 1. Teil, 2 Teilbd., S. 741. 147 Zur Biographie, dem schriftstellerischen Wirken, der statthalterischen Regierungspraxis und den aufklärerischen Reformbestrebungen Carl Theodor von Dalbergs vgl. HÖMIG, HERBERT: Carl Theodor von Dalberg. Staatsmann und Kirchenfürst im Schatten Napoleons, Paderborn/München/Wien/Zürich 2011; HAUSBERGER, KARL (Hrsg.): Carl von Dalberg. Der letzte geistliche Reichsfürst, Regensburg 1995; FÄRBER, KONRAD M./ KLOSE, ALBRECHT/REIDEL, HERMANN (Hrsg.): Carl von Dalberg. Erzbischof und Staatsmann (1744–1817), Regensburg 1994; FREYH, ANTJE: Karl Theodor von Dalberg. Ein Beitrag zum Verhältnis von politischer Theorie und Regierungspraxis in der Endphase des Aufgeklärten Absolutismus, Frankfurt am Main/Bern/Las Vegas 1978. 148 Zur Entfaltung der Aufklärung in Erfurt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vgl. LUDSCHEIDT, MICHAEL (Hrsg.): Aufklärung in der Dalbergzeit. Literatur, Medien und Diskurse in Erfurt im späten 18. Jahrhundert, Erfurt 2006. 149 Vgl. JOHN, JÜRGEN: Erfurt als Zentralort, Residenz und Hauptstadt, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte, 46 (1991), S. 65–94. 150 Vgl. PATZE/SCHLESINGER (Hrsg.): Geschichte Thüringens, Bd. 5, 1. Teil, 2. Teilbd., S. 742–746.

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Verlust linksrheinischer Gebiete, dem Königreich Preußen zugesprochen.151 Erfurt teilte damit das gleiche Schicksal wie die beiden Reichsstädte Nordhausen und Mühlhausen, die infolge des Friedensschlusses von Lunéville ebenfalls im Jahr 1802 dem preußischen Staat eingegliedert wurden.152 Diese Besitzverschiebungen zugunsten Preußens sollten wenig später durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803, der die Auflösung des Alten Reiches endgültig besiegelte, nochmals bestätigt werden.

Karte 1: Die territorialstaatliche Situation Thüringens im Jahr 1806

151 Vgl. JONSCHER, REINHARD/SCHILLING, WILLY: Kleine thüringische Geschichte. Vom Thüringer Reich bis 1990, 3. Aufl. 2001, S. 160. 152 Vgl. PATZE/SCHLESINGER (Hrsg.): Geschichte Thüringens, Bd. 5, 1. Teil, 2 Teilbd., S. 772–774.

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Nach dem Sieg Napoleons über Preußen in der Schlacht von Jena und Auerstedt im Oktober des Jahres 1806 wurden die territorialen Verhältnisse in Deutschland neu geordnet. Die größte territoriale Neuordnung auf deutschem Boden war zweifellos die Gründung des Königreiches Westphalen, das per Dekret vom 18. August 1807 von Napoleons jüngerem Bruder Jérôme regiert wurde. Das Territorium des Königreiches Westphalen umfasste das ehemals preußische Gebiet westlich der Elbe sowie das Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg, das Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel sowie die Landgrafschaft HessenKassel. Infolgedessen wurden auch die preußischen Gebiete im Thüringer Raum, die Städte Mühlhausen und Nordhausen sowie der Eichsfelder Kreis, im Jahr 1807 dem Königreich Westphalen eingegliedert. Die übrigen thüringischen Kleinstaaten wurden hingegen nach der Niederlage bei Jena und Auerstedt von einer territorialen Neugliederung verschont. Napoleon garantierte den ernestinischen, schwarzburgischen und reußischen Fürstentümern ihre Souveränität, sofern diese den Kaiser der Franzosen als ihren „Protektor“ anerkannten und sich dazu verpflichteten, dem Rheinbund beizutreten. Dadurch blieb die kleinstaatliche Vielfalt Thüringens auch in der napoleonischen Zeit weiterhin bestehen.153 Ebenso kam es in der Napoleonischen Ära in Deutschland, die im Jahr 1813 durch die Völkerschlacht bei Leipzig eingeläutet wurde, zu keiner territorialen Umwälzung in Thüringen. Die Beschlüsse des Wiener Kongresses bestätigten ein weiteres Mal die Souveränität der einzelnen thüringischen Kleinstaaten. Preußen erlangte seine bereits 1802 zugesprochenen thüringischen Territorien wieder zurück154 und konnte darüber hinaus dem Königreich Sachsen die in Thüringen gelegenen Gebiete um Langensalza, Weißensee, Schleusingen, Suhl und Ziegenrück dem eigenen Staatsgebiet einverleiben.155 Die preußischen Besitzungen in Thüringen wurden im April 1815 der „preußischen Provinz Sachsen zugeschlagen und verwaltungsmäßig zum Regierungsbezirk Erfurt zusammengefaßt“.156

153 Zur Situation der thüringischen Staaten während der Rheinbundzeit vgl. GREILING, WERNER: Napoleon in Thüringen. Wirkung – Wahrnehmung – Erinnerung, Erfurt 2006, S. 85–108. 154 Das nördliche Eichsfeld wurde allerdings im Austausch mit einigen Gebieten im Harz dem Königreich Hannover zugesprochen. Vgl. WOLF, JOHANN: Politische Geschichte des Eichsfeldes, Duderstadt 1921, S. 314; PATZE/SCHLESINGER (Hrsg.): Geschichte Thüringens, Bd. 5, 1. Teil, 2. Teilbd., S. 771. 155 Zur territorialen Entwicklung der preußischen Besitzungen in Thüringen vgl. BOBLENZ, FRANK: Abriß der Territorialgeschichte des preußischen Thüringen, in: Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen, Heft 17: Das preußische Thüringen. Abhandlungen zur Geschichte seiner Volksvertretungen, Rudolstadt 2001, S. 9–45, hier vor allem S. 26–36. 156 JONSCHER/SCHILLING: Kleine thüringische Geschichte, S. 163.

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Neben Preußen profitierte außerdem das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach vom Untergang des napoleonischen Systems in Deutschland. Auf dem Wiener Kongress konnte sich der weimarische Hof vor allem ehemalige thüringische Gebiete des Königreichs Sachsen sichern und damit die Einwohnerzahl seines Territoriums auf rund 190.000 Einwohner vergrößern.157 Außerdem wurde Sachsen-Weimar-Eisenach der Status eines Großherzogtums zugesprochen.

Karte 2: Die territorialstaatliche Situation Thüringens nach dem Wiener Kongress

157 Neben königlich sächsischen Gebieten, die in erster Linie den Neustädter Kreis umfassten, konnte sich Sachsen-Weimar-Eisenach auch einen Teil des vormals fuldaischen und kurhessischen Territoriums einverleiben. Dazu zählten die Ämter Dermbach, Geisa, Vacha und Frauensee. Zudem sicherte sich Weimar die Herrschaft über Blankenhain. Vgl. PATZE/SCHLESINGER (Hrsg.): Geschichte Thüringens, Bd. 5, 1. Teil, 2. Teilbd., S. 655 f.

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Für die Territorien der restlichen thüringischen Kleinstaaten hatten die Beschlüsse des Wiener Kongresses de facto keine Auswirkungen. Zwar gab es hier und da minimale Gebietszuwächse oder -verluste,158 doch im Großen und Ganzen stimmten nach 1815 die Staatsgrenzen der ernestinischen, schwarzburgischen und reußischen Fürstentümer mit denen von 1806 überein. Demnach führten weder die Wirren der Französischen Revolutionskriege noch die tief greifenden Umbrüche zur Zeit der Napoleonischen Kriege zur umfassenden und flächendeckenden Mediatisierung des Thüringer Raumes. Und auch die auf dem Wiener Kongress verabschiedete territoriale Neuordnung Europas sah vor, die Besitzungen der thüringischen Fürstengeschlechter nahezu unberührt weiterbestehen zu lassen. Somit hatte die thüringische Kleinstaatenwelt das Ende der Napoleonischen Ära in fast unveränderter Form überstanden. Selbst die letzte große Gebietsverschiebung im Jahr 1826, die nach dem Tod Friedrich IV., des letzten Fürsten aus dem Haus Sachsen-Gotha-Altenburg, die ernestinischen Staaten unter den erbberechtigten Fürsten neu aufteilte,159 änderte nichts an der kleinstaatlichen Ordnung Thüringens. Aus politisch-territorialer Sicht glich das Bild Thüringens auch im 19. Jahrhundert weitgehend dem des 18. Jahrhunderts, einzig mit dem Unterschied, dass die thüringischen Kleinstaaten anstatt zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nation nun zum Deutschen Bund gehörten und fortan die vollständige Souveränität besaßen.

158 Beispielsweise konnte sich das Fürstentum Reuß ältere Linie auf dem Wiener Kongress das Kloster Mildenfurt mit den dazugehörigen Dörfern Altgommla, Kühdorf, Altgersdorf und Neugersdorf sichern, während das Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt die Ämter Heringen und Kelbra an Preußen abtreten musste. Vgl. ebd., S. 726 u. 734. Zur Territorialgeschichte der reußischen Fürstentümer vom Siebenjährigen Krieg bis zum Wiener Kongress vgl. außerdem SCHMIDT, BERTHOLD: Geschichte des Reußenlandes, 2. Halbband: Geschichte des Reussenlandes von Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Beginn des Weltkrieges, Gera 1927, S. 80–115. 159 Nach dem Aussterben des Hauses Sachsen-Gotha-Altenburg kam es am 12. November 1826 zur territorialen Neugliederung der ernestinischen Staaten, aus der die Fürstentümer Sachsen-Coburg und Gotha, Sachsen-Meiningen und Sachsen-Altenburg hervorgingen. Dabei wurden die Häuser Sachsen-Coburg-Saalfeld und Sachsen-Hildburghausen aufgelöst. Sachsen-Meiningen erhielt den Hildburghäuser und Saalfelder Landesteil, der bis dato zu den Herzogtümern Sachsen-Hildburghausen und Sachsen-Coburg-Saalfeld gehört hatte. Die Landesteile Coburg und Gotha wurden zum Herzogtum SachsenCoburg und Gotha zusammengefasst. Der Herzog von Hildburghausen übernahm das neu gegründete Herzogtum Sachsen-Altenburg. Die Territorien des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach sowie der schwarzburgischen und reußischen Fürstentümer blieben von der Landesteilung 1826 unangetastet. Vgl. PATZE/SCHLESINGER (Hrsg.): Geschichte Thüringens, Bd. 5, 1. Teil, 2. Teilbd., S. 696 f.; FLACH: Die staatliche Entwicklung Thüringens, S. 33. Vgl. außerdem Karte 4 auf Seite 256.

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Aufgrund der territorialen Vielfalt entstanden im Laufe der frühen Neuzeit etliche Residenzstädte, deren Fürsten sich oftmals als Förderer von Kunst und Kultur betätigten. Da die thüringischen Staaten aufgrund ihrer geringen territorialen Größe keine Möglichkeiten besaßen, machtpolitische Ambitionen zu verfolgen, blieb ihnen streng genommen, sozusagen als Ausgleich für den Verlust militärischer Handlungsspielräume, nur die Förderung künstlerisch-kultureller Projekte. Um die Reputation ihrer kleinen Staaten im Alten Reich zu heben, setzten die thüringischen Fürsten massiv auf kultur-, bildungs- und wissenschaftsfördernde Maßnahmen.160 Auf diese Weise bildete sich vom 16. bis 18. Jahrhundert in Thüringen ein ausgesprochen dichter Kulturraum heraus, der vor allem in den zahlreichen Residenzstädten zum Ausdruck kam.161 In Orten wie Erfurt, Weimar, Gotha, Jena, Altenburg, Rudolstadt, Greiz, Eisenach, Sondershausen, Arnstadt und Meiningen entfaltete sich eine rege Bautätigkeit, die zahlreiche Schloss- und Parkanlagen zur Folge hatten. Außerdem kam es zur Anschaffung künstlerischer und wissenschaftlicher Sammlungen sowie zum Aufblühen des Theater- und Musikleben.162 Daran anknüpfend, gewährten die politischen Umstände in den thüringischen Fürstentümern nicht selten eine relativ freie Entfaltung neuer geistiger Strömungen. Sowohl die Ideen des Pietismus als auch der Aufklärung hielten Einzug in die thüringischen Staaten und bestimmten zum Teil auch das Denken und Handeln einzelner Fürsten.163 Im Laufe des 18. Jahrhunderts entfalteten sich langsam 160 Vgl. JOHN, JÜRGEN: Kleinstaaten und Kultur oder: der thüringische Weg in die Moderne, in: Ders. (Hrsg.): Kleinstaaten und Kultur in Thüringen vom 16. bis 20. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 1994, S. XLVIII–LVII. 161 Vgl. PATZE, HANS/SCHLESINGER, WALTER (Hrsg.): Geschichte Thüringens, Bd. 6: Kunstgeschichte und Numismatik in der Neuzeit, Köln/Wien 1979, S. 200–207. 162 Reinhard Jonscher und Walter Schilling werten diese Kulturpolitik als beachtliche Leistung der thüringischen Fürstenhöfe, weisen im gleichen Zug aber darauf hin, dass die thüringischen Kleinstaaten durch diese Politik permanent am Rande eines Staatsbankrottes standen. Vgl. JONSCHER/SCHILLING: Kleine thüringische Geschichte, S. 148–150. 163 Wie pietistisches und aufklärerisches Ideengut von fürstlicher Seite im Thüringer Raum zur politischen Gestaltung des eigenen Staates praktisch umgesetzt wurde, lässt sich in besonderem Maße an den Fürsten Ernst I. von Sachsen-Gotha-Altenburg, Heinrich LXIV. von Reuß-Köstritz, Johann Friedrich von Schwarzburg-Rudolstadt, Anna Amalia und Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg sowie Georg I. von Sachsen-Meiningen aufzeigen. Vgl. hierzu u.a. GREILING/ KLINGER/KÖHLER (Hrsg.): Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg; JAKOB, ANDREA (Red.): Herzog I. von Sachsen-Meiningen. Ein Präzedenzfall für den aufgeklärten Absolutismus, Meiningen 2004; BERGER, JOACHIM: Anna Amalia von Sachsen-WeimarEisenach (1739–1807). Denk- und Handlungsräume einer ‚aufgeklärten‘ Herzogin, Heidelberg 2003; KLINGER, ANDREAS: Der Gothaer Fürstenstaat. Herrschaft, Konfession und Dynastie unter Herzog Ernst dem Frommen, Husum 2002; JACOBSEN, ROSWITHA/RUGE, HANS-JÖRG (Hrsg.): Ernst der Fromme (1601–1675). Staatsmann und

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in allen thüringischen Residenzhöfen die Ideen der Aufklärung, mit dem Ergebnis, dass die innere Politik der meisten Fürstenhöfe seit der Mitte des 18. Jahrhunderts im Wesentlichen von einem reformwilligen und aufgeklärten Absolutismus gekennzeichnet war.164 Diese reformorientierte Politik, die in Verbindung mit der intensiven Kulturförderung stand, führte schließlich dazu, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das geistige Leben in den meisten thüringischen Residenzen eine beachtliche Blüte erlangte.165 Vor allem die Städte Weimar, Jena, Erfurt und Gotha entwickelten sich zu wichtigen Zentren der Aufklärung, die wiederum enge Verbindungen zu den Fürstenhöfen nach Rudolstadt, Meiningen, Coburg und Sondershausen pflegten. Folgt man den Ausführungen Reinhard Jonschers und Willy Schillings, dann erlangte die thüringische Kleinstaatenwelt um 1800 „allgemein eine hohe Blüte in Wissenschaft und Gelehrsamkeit, Philosophie und Literatur, Architektur und Malerei“, im Theater-, Musik-, Bibliotheks- und Verlagswesen sowie in der Gartenbaukunst.166 Nach Jürgen John nahmen die thüringischen Residenzstädte sogar eine „herausragende Stellung im europäischen Geistesleben“ ein, was seiner Meinung nach mit ein entscheidender Grund gewesen ist, warum Napoleon von einer Zerschlagung der thüringischen Staaten abgelassen hat.167 Betrachtet man die geistig-kulturelle Situation und das aufgeklärte Klima in den thüringischen Staaten am Ende des 18. Jahrhunderts, stellt sich zwangsläufig auch die Frage, welche Rolle der Thüringer Raum für die Entwicklung der Volksaufklärung gespielt hat. Wie im Folgenden gezeigt wird, fungierten in Thüringen die Residenzstädte und kulturellen Zentren als wichtige Ausgangspunkte für volksaufklärerische Bestrebungen. Vor allem auf literarischer Ebene erlangten die Verlagsorte Erfurt, Gotha, Jena und Weimar eine überregionale Bedeutung. Allerdings war die Volksaufklärung in Thüringen keineswegs nur eine Bewegung, die in den Residenzstädten ihren Niederschlag gefunden hat. Auch im „Hinterland“ der thüringischen Staaten wirkten zahlreiche Volksaufklärer. Vor allem die Landpfarrer bemühten sich um eine bessere Bildung des „Volkes“, indem sie in vielen thüringischen Dörfern die Gründung von Sonntagsschulen, Lesevereinen und Volksbibliotheken vorantrieben. Oftmals wirkten sie auch als Mitarbeiter

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Reformer, Weimar 2002; HARTUNG, FRITZ: Das Großherzogtum Sachsen unter der Regierung Carl August 1775–1828, Weimar 1923. Eine Kurzbiographie der genannten Fürsten findet sich außerdem in IGNASIAK, DETLEF (Hrsg.): Herrscher und Mäzene. Thüringer Fürsten von Hermenefred bis Georg II., Jena/Rudolstadt 1994. Zur Entwicklung des aufgeklärten Absolutismus in den deutschen Mittel- und Kleinstaaten vgl. WEIS, EBERHARD: Der aufgeklärte Absolutismus in den mittleren und deutschen Kleinstaaten, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, 42 (1979), S. 31–46. Vgl. JONSCHER/SCHILLING: Kleine thüringische Geschichte, S. 158. Ebd. JOHN: Kleinstaaten und Kultur, S. XLVI.

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oder schrieben Beiträge für jene volksaufklärerischen Zeitungen und Zeitschriften, die in den renommierten thüringischen Verlagsorten herausgegeben wurden. Folglich wurde im gesamten Thüringer Raum volksaufklärerisches Engagement betrieben, wenngleich hervorgehoben werden muss, dass sich einige thüringische Städte, aufgrund der dort erschienenen Vielzahl von volksaufklärerischen Schriften, im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als „Hauptorte“ der Volksaufklärung in Thüringen herauskristallisiert haben. Ein Hauptort der Volksaufklärung in Thüringen war nach Holger Böning die Residenzstadt Gotha.168 Maßgeblichen Anteil an der herausragenden Stellung Gothas in der populären Aufklärung kann dem Wirken von Rudolph Zacharias Becker zugeschrieben werden.169 Durch den Erfolg seiner populären Schriften war Becker in der Hochphase der Volksaufklärung der wohl bekannteste und erfolgreichste Volksaufklärer Deutschlands.170 Mit seinem „Noth= und Hülfsbüchlein“ verfasste er eine „Musterschrift“ zur Volksaufklärung, die schon in ihrer ersten Auflage über eine halbe Million verkaufter Exemplare171 verzeichnen konnte und zum ersten Mal überhaupt einen „allumfassenden“ volksaufklärerischen Charakter aufwies.172 Seine ersten publizistisch fassbaren Gedanken zur Aufklärung formulierte Becker im Jahr 1780. Auf die Frage der Berliner Akademie der Wissenschaften, ob eine Täuschung des Volkes zulässig sei, bezog er klare Stellung für eine Aufklärung des „Volkes“, andernfalls würden die Staatsregierungen unweigerlich in „Despotismus“ und „Tirannei“ gegenüber dem „Volk“ verfallen.173 Becker gewann, neben Gustav von Castillon, der den „Volksbetrug“

168 Vgl. BÖNING: Gotha als Hauptort volksaufklärerischer Literatur, S. 328. 169 Zum Lebensweg Beckers und dessen Wirken als aufgeklärter Publizist und Verleger in Gotha vgl. KELCHNER, ERNST: Becker, Rudolf Zacharias, in: ADB, 2 (1875), S. 228; BURBACH, FRIEDRICH: Rudolf Zacharias Becker. Ein Beitrag zur Bildungsgeschichte unsres Volkes, Gotha 1895, S. 9–44; SCHULZ, HEINRICH: Rudolph Zacharias Becker als Volkserzieher, Berlin 1926; LÜLFING, HANS: Becker, Rudolf Zacharias, in: NDB, Bd. 1: Aachen – Behaim, Berlin 1953, S. 721 f.; POPPE, MARION: Rudolf Zacharias Becker zum 250. Geburtstag. Gothas erfolgreichster Verleger und Publizist der Spätaufklärung (= Mosaiksteine Gothaer Geschichte), Gotha 2002, S. 7–22; ROOB, HELMUT: Becker, Rudolf Zacharias, in: Marwinski, Felicitas (Hrsg.): Lebenswege in Thüringen, Dritte Sammlung, Weimar 2006, S. 22–25. 170 Vgl. SIEGERT: Aufklärung und Volkslektüre, Sp. 664–751. 171 Reinhart Siegert geht davon aus, „daß das ‚Noth- und Hülfsbüchlein‘ in Deutschland um 1800 das verbreiteste weltliche Buch überhaupt gewesen ist“. Vgl. ebd., Sp. 1106–1114, hier Sp. 1112. 172 Vgl. SCHULZ, HEINRICH: Rudolph Zacharias Becker als Volkserzieher, Berlin 1926, S. 14. Vgl. außerdem BÖNING: Gotha als Hauptort volksaufklärerischer Literatur, S. 337–339. 173 Vgl. BECKER, RUDOLPH ZACHARIAS: Beantwortung der Frage: kann irgend eine Art von Täuschung dem Volke zuträglich sein?, Leipzig 1781, S. 141.

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befürwortete,174 den renommierten Preis und siedelte 1784 nach Gotha um,175 wo er der Meinung war, einen geeigneten Ort gefunden zu haben, der günstigste Bedingungen zur Verbreitung seiner künftigen schriftstellerischen Werke bot.176 Seine publizistische Tätigkeit gestaltete sich fortan ausgesprochen produktiv. Bereits 1785 veröffentlichte Becker mit dem „Versuch über die Aufklärung des Landmannes“ seine erste theoretische Schrift zur Volksaufklärung,177 in der er die Gedanken äußerte, dass „ohne Aufklärung der gemeine Mann nimmermehr zu einer dauerhaften wahren menschlichen Glückseligkeit gelangen könne“.178 Zugleich kritisierte er in dieser Schrift, dass die bisherige Aufklärung des „Volkes“ unzureichend gewesen sei und plädierte deshalb für eine „wahre Aufklärung“, die nicht allein auf „eine[r] unbestimmte[n] Vermehrung der Kenntnisse aller Art“ beruhen,179 sondern den Menschen ebenso zum richtigen Vernunftgebrauch und Selbstdenken befähigen sollte. Wie eine „wahre Aufklärung“ im praktischen Leben eines Bauern auszusehen hatte, offenbarte er schließlich in seinem drei Jahre später erschienenen „Noth= und Hülfsbüchlein“.180 Verpackt in einer literarisch volkstümlich gehaltenen 174 Zur Volksaufklärung im Urteil der Preisfrage der Berliner Akademie der Wissenschaft vgl. ADLER, HANS: Volksaufklärung als Herausforderung der Aufklärung, oder: Nützt es dem Volke, betrogen zu werden? Der Preis der Preußischen Akademie für 1780, in: Böning/Schmitt/Siegert (Hrsg.): Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung, S. 51–72, hier S. 53–58. 175 Zuvor verbrachte Becker eine kurze Zeit in Dessau und gab dort im Namen des von Johann Bernhard Basedows gegründeten Philantropinums vom 1. Juli 1782 bis 14. November 1783 die „Dessauische Zeitung für die Jugend und ihre Freunde“ heraus. Vgl. ROOB: Becker, S. 22. 176 Vgl. BÖNING: Gotha als Hauptort volksaufklärerischer Literatur, S. 325. 177 Zur Entstehungsgeschichte und zum theoretischen Konzept von Rudolf Zacharias Beckers „Versuch über die Aufklärung des Landmannes“ vgl. SIEGERT, REINHART: Rudolph Zacharias Beckers „Versuch über die Aufklärung des Landmannes“ – Geburt eines Bestsellers, in: Böning, Holger/Ders. (Hrsg.): Volksaufklärung. Ausgewählte Schriften, Bd. 8: Rudolf Zacharias Becker: Versuch über die Aufklärung des Landmannes; Heinrich Gottlieb Zerrenner: Volksaufklärung. Neudruck der Erstausgaben Dessau und Leipzig 1785 bzw. Magdeburg 1786. Mit einem Nachwort von Reinhart Siegert, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, S. 292–310. 178 BECKER, RUDOLPH ZACHARIAS: Versuch über die Aufklärung des Landmannes. Nebst Ankündigung eines für ihn bestimmten Handbuches, Dessau/Leipzig 1785, S. 10. 179 Ebd., S. 5–12, hier insb. S. 6 [Hauptteil]. 180 Das „Noth= und Hülfsbüchlein“ wurde von Becker im Jahr 1788 herausgegeben. Im Jahr 1798 verfasste er einen zweiten Teil zum „Noth= und Hülfsbüchlein“, in dem indirekt auch die Ereignisse der Französischen Revolution und der sächsischen Bauernunruhen von 1790 thematisiert wurden. In einigen späteren Auflagen des „Noth= und Hülfsbüchleins“ wurden beide Teile nicht mehr als Separatdruck, sondern als zwei Teile umfassende Gesamtausgabe verkauft. Im Folgenden wurde die 3. Gesamtausgabe des

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Rahmenerzählung, die von den Erlebnissen der Bewohner des Dorfes Mildheim berichtete, unterbreitete Becker dem „Volk“ auf geschickte Weise eine große Anzahl moralischer, ökonomischer, religiöser und politischer Verbesserungsvorschläge.181 Becker ging es unter anderem um die Bekämpfung des Aberglaubens,182 die Verbreitung neuer Anbaumethoden in der Landwirtschaft,183 die Anwendung neuer technischer Errungenschaften184 oder die Errichtung aufgeklärter Volksbildungsanstalten.185 Auf politischer Ebene wurde die Abschaffung der Frondienste verlangt,186 gleichzeitig aber auch Obrigkeitstreue gefordert und revolutionäre Umtriebe verurteilt.187 Außerdem kam in Ansätzen das Prinzip der bürgerlichen Leistungsgesellschaft zum Vorschein, da Becker den „gemeinen Mann“ dazu aufrief, die Gestaltung seiner Lebensverhältnisse durch Arbeit, Fleiß, Sparsamkeit und Eigeninitiative selbst zum Besseren zu führen.188 Da Beckers Konzept eines universell ausgerichteten und unterhaltsamen Volksbuches ein außerordentlicher Erfolg beschieden war, adaptierten bald andere Volksaufklärer dieses Konzept und prägten damit das Erscheinungsbild der volksaufklärerischen Literatur für Jahrzehnte. Während der Vormärzzeit lassen sich in Thüringen immer wieder volksaufklärerische Schriften finden, die im Ver-

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„Noth= und Hülfsbüchleins“ zum Zitieren herangezogen. Vgl. BECKER, RUDOLPH ZACHARIAS: Das Noth= und Hülfs=Büchlein oder lehrreiche Freuden= und Trauergeschichte des Dorfes Mildheim, Theil 1 u. Theil 2, 3. Aufl. Gotha 1814–15. Der „Herr von Mildheim“ beklagt sich, „daß die Landleute […] allein deswegen den größten Schaden leiden müssen: weil sie nicht wissen, wie sie sich helfen sollen, und weil sie zu wenig Lust und Muth haben, guten Rath anzunehmen“. In dieser Situation fällt dem „jungen Edelmann“ ein, im Gespräch mit dem Pfarrer, „daß er gar ein besonderes Buch von der Universität mitgebracht habe, welches das Noth= und Hülfs=Büchlein heiße, und worin allerhand Mittel gegen die Unfälle, die dem Menschen und dem Vieh begegnen, beschrieben wären“. Er beschließt deshalb, dass die Bewohner der Gemeinde Mildheim ab sofort zur Bewältigung ihrer Probleme dieses „Noth= und Hülfs=Büchlein“ vorher zu Rate ziehen sollen. Vgl. BECKER: Noth= und Hülfs= Büchlein, Theil 1, S. 11 f. Becker beabsichtigte nun, den „gemeinen Mann“ davon zu überzeugen, dass er ebenso nach den Ratschlägen dieses praktischen Buches leben sollte und fügte daher, quasi als Anhang zu seiner Mildheimer Dorfgeschichte, das „originale“ Noth= und Hülfsbüchlein des Herrn von Mildheim als Anhang bei. Vgl. BECKER, RUDOLPH ZACHARIAS: Noth= und Hülfsbüchlein für Bauersleute, welches lehret, wie man vergnügt leben, mit Ehren reich werden, und sich und Andern in allerhand Nothfällen helfen kann: alles mit glaubhaften Historien und Exempeln bewiesen und mit Bildern gezieret, in: BECKER: Noth= und Hülfs=Büchlein, Theil 1, S. 67. Vgl. ebd., S. 519–532. Vgl. ebd., S. 266–279. Vgl. ebd., S. 272–274. Vgl. BECKER: Noth= und Hülfs=Büchlein, Theil 2, S. 666–675 u. 748–751. Vgl. ebd., S. 832–838. Vgl. ebd., S. 680–698. Vgl. BÖNING: Gotha als Hauptort volksaufklärerischer Literatur, S. 324 f.

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gleich zum „Noth= und Hülfsbüchlein“ in Aufbau, Stil und Inhalt nahezu identisch sind. Teilweise werden diese „Volksbücher“ in diversen Rezensionsorganen sogar in direkte Beziehung zu Beckers „Noth= und Hülfsbüchlein“ gesteckt. So stellte beispielsweise das „Landwirthschaftliche Conversations-Lexikon für Praktiker und Laien“ das von dem Großkörner Pfarrer Gustav Heinrich Haumann189 im Jahr 1826 veröffentliche Volksbuch „Lebens=, Haus= und Vermögensgeschichte des Schulzen Leberecht Feldmann zu Lindenhain“190 auf die gleiche Stufe mit Beckers „Noth= und Hülfsbüchlein“. Wohlwollend heißt es dort: Haumann (G. H.), Pfarrer zu Groß=Körner bei Mühlhausen, hat sich besonders durch die Abfassung seines Volksbuchs: ‚Lebens=, Haus= und Vermögensgeschichte des Schulzen Leberecht Feldmann zu Lindenhain‘ […] ein nicht gewöhnliches Verdienst erworben, welches aber […] noch nicht in gerechtem Maße anerkannt worden ist. Wenn man dieser populären Schrift den Rang neben Becker’s ‚Noth= und Hülfsbüchlein‘ anweis’t, so glaubt man, den Werth und die Gemeinnützigkeit derselben dadurch zu bestimmen. Die Fortschritte, welche Land= und Hauswirthschaft seit Erscheinung des letztgedachten Büchleins gemacht, hat der Verfasser des obengenannten trefflichst genutzt und jeden einzelnen Gegenstand so deutlich und mit solcher Sachkenntniß auseinandergesetzt, daß er gewiß nicht falsch verstanden werden kann.191

Beckers Einfluss auf die volksaufklärerische Literatur war so weitreichend, dass selbst in den 1840er Jahren in Thüringen noch Volksbücher erschienen, die zweifelsfrei das „Noth= und Hülfsbüchlein“ zum Vorbild hatten. Ein anschauliches Beispiel hierfür stellt die von dem Gutsbesitzer William Löbe192 im Jahr 1846 189 Gustav Heinrich Haumann (1784–1845) war Pfarrer in Großkörner, einer kleinen Gemeinde in der Nähe der Stadt Mühlhausen, die im 19. Jahrhundert zum Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg bzw. Sachsen-Coburg und Gotha gehörte. Vgl. HAMBERGER, GEORG CHRISTOPH/MEUSEL, JOHANN GEORG: Das gelehrte Teutschland oder Lexikon der jetzt lebenden teutschen Schriftsteller, Bd. XXII.2, 5. Aufl. Lemgo 1831, S. 612 f. 190 Der vollständige Titel lautet: HAUMANN, GUSTAV HEINRICH: Lebens=, Haus= und Vermögensgeschichte des Schulzen Leberecht Feldmann zu Lindenhain. Oder getreue Erzählung, wie derselbe durch zweckmäßige Einrichtung seiner Haus= und Feldwirthschaft, durch gründliche Verbesserung und geschickte Benutzung seiner Grundstücke, durch vermehrte und veredelte Viehzucht, durch wohl geordneten Bienenstand, durch Obst= und Gemüsebau, durch Anpflanzung schnell wachsender einträglicher Holzarten durch Hopfenanlagen, durch vermehrte Erzielung von Futterkräutern und Wurzelfrüchten, durch Anbau von Raps, Mohn, Anis, Hanf, Waid und anderen Gewächsen u.s.w. es dahin brachte, daß er binnen zehn Jahren aus einem armen Bauer der wohlhabenste und angesehenste Mann im ganzen Dorfe wurde. Ein Volksbuch zur Nachahmung aufgestellt, Ilmenau 1826. 191 LENGERKE, ALEXANDER VON (Hrsg.): Landwirthschaftliches Conversations-Lexikon für Praktiker und Laien, Bd. 2: F – L, Prag 1837, S. 430 f. 192 William Löbe wurde 1815 in dem Dorf Treben (Sachsen-Gotha-Altenburg) geboren. Im Jahr 1838 wurde er Verwalter des Rittergutes Schwarzbach bei Saalfeld (SachsenMeiningen). Er war Pächter der Güter Reschwitz und Obernitz und gab von 1840 an

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verfasste Dorfgeschichte über die Bewohner des „Musterdörfchens Thalheim“ dar, die inhaltlich und konzeptionell im gleichen Stil wie Beckers „Noth= und Hülfsbüchlein“ aufgebaut ist. Ganz in der Tradition des „Noth= und Hülfsbüchleins“ erlangt die Hauptfigur in Löbes Dorfgeschichte, der Bauer „Georg Vorwärts“, dank der Aneignung neuer (natur-)wissenschaftlicher Erkenntnisse und der konsequenten Anwendung rationaler Prinzipien ansehnlichen Wohlstand.193 Außerdem beschreibt Löbe in seiner Schrift, wie sich die Dorfgemeinde „Thalheim“ zu einem Musterdorf entwickeln konnte, weil dort die Gründung von Lehr- und Erziehungsanstalten,194 Dorfbibliotheken195 oder gemeinnützigen Vereinen196 forciert wurde. Vom Nutzen seiner Schrift überzeugt und durch Anregung „von verschiedenen Seiten“, verfasste Löbe ein Jahr später einen zweiten Teil zu seinem „Musterdörfchen“, der sich ebenso um die Lebensgeschichte des Bauern Georg Vorwärts drehte und das Ziel verfolgte, „noch andere gemeinnützige Veranstaltungen dem Publikum vorzuführen“.197

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zusammen mit Carl von Pfaffenrath die „Landwirthschaftliche Dorfzeitung“ heraus. Vgl. Meyers Konversations-Lexikon, Bd. 10: Königshofen – Luzon, 4. Aufl. Leipzig 1888, S. 858. Vgl. LÖBE, WILLIAM: Das Musterdörfchen. Eine lehrreiche Geschichte für den Bürger und Landmann, Dresden/Leipzig 1846. Vgl. ebd., S. 96, 249 u. 258. Vgl. ebd., S. 114. Vgl. ebd., S. 105 u. 167. So erklärt William Löbe im Vorwort des zweiten Bandes: „Es ist für Denjenigen, dessen Lebenszweck dahin gerichtet ist, seinen Mitmenschen zu nützen, und der zur Erreichung dieses Zweckes alle seine Kräfte aufbietet, gewiß der schönste Lohn, wenn er gewahrt, daß seine desfallsigen Bestrebungen und Bemühungen anerkannt und gewürdigt werden, daß seine Vorschläge zum Bessern nicht unberücksichtigt bleiben, sondern daß die ausgestreuten Samenkörner ein fruchtbares Feld finden, wo sie keimen, lustig emporwachsen und einen reichen Ertrag verheißen. Es gereicht mir zu besondern Genugthnung, das vorstehend Gesagte auf meine Wirksamkeit auf dem Felde, das ich bebaue, anwenden zu können. Daß ich mich darin nicht täusche, dies hat mir in neuester Zeit wieder mein ‚Musterdörfchen‘ bewiesen, dessen erster Band im Jahr 1846 erschien. Diese Schrift ist von allen Seiten, auch von den höchsten Behörden, so beifällig aufgenommen worden, daß ich mich darüber nur freuen kann. Aber […] man hat es nicht nur beim Lesen meiner Schrift bewenden lassen, sondern man hat auch die einen oder andern der in ihr beschriebenen gemeinnützigen Anstalten und Einrichtungen vielfältig zur Ausführung gebracht, worüber mich eine größere Anzahl von Briefen aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands vergewissert haben. In mehreren diesen Briefen wurde ich zugleich aufgefordert, in einem weitern besondern Bändchen noch andere gemeinnützige Veranstaltungen dem Publikum vorzuführen; ja ich wurde selbst von verschiedenen Seiten her mit Materialien zu einem zweiten Bändchen erfreut. […] Nun zögere ich nicht länger, auch den zweiten und letzten Band des Musterdörfchens folgen zu lassen, mich zugleich der Hoffnung hingebend, daß auch dieser Theil meiner Schrift die Beachtung finden möge, die ihm unbezweifelt gebührt. Denn auch in ihm sind viele Einrichtungen und Anstalten beschrieben, die, wenn sie gewünschtermaßen von den Stadt= und Dorfgemeinden in Vollzug gebracht werden, des Guten und Nutzbringenden viel zu vermitteln geeignet sind, und zwar sowol für den Einzelnen, als auch für die Gesammtheit eines jeden städtischen und Dorf=Verbandes. Auch die in diesem Bande meiner Schrift

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Das geistige, volksaufklärerische Erbe Beckers hatte demnach bis weit ins 19. Jahrhundert Bestand und diente späteren Volksaufklärern noch lange als Vorbild. Die nachfolgenden volksaufklärerischen Schriften Thüringens standen somit im Schatten des großen Volksaufklärers aus Gotha. Möglicherweise war es sogar Beckers Verdienst, dass die literarische Volksaufklärung in Thüringen durch ihn einen Aufschwung erfuhr, denn bis 1790 war die Produktion von volksaufklärerischen Einzelschriften im Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg nur sehr spärlich vorhanden.198 Als Sprachrohr zur Verbreitung seiner volksaufklärerischen Gedanken bediente sich Becker auch zweier periodischer Blätter, die als „National-Zeitung der Teutschen“199 oder „Allgemeiner Anzeiger der Deutschen“200 bewusst einen überregionalen, deutschlandweiten Leserkreis ansprechen wollten.201 Mit diesen beiden Periodika versuchte Becker, das Reformbestreben der Volksaufklärer auf eine nationale Ebene zu verlagern, mit dem Ergebnis, dass die überregional orientierten Periodika am Ende des 18. Jahrhunderts unter den Volksaufklärern „salonfähig“ wurden.202 Es setzte eine Entwicklung ein, die ebenfalls bis weit ins 19. Jahrhundert nachhaltig wirken sollte. So finden sich in Thüringen noch ein halbes Jahrhundert später, mehrere Zeitschriften und Wochenblätter, wie beispielsweise die „Allgemeine thüringische Vaterlandskunde“ (1822–24), der „Thüringer Volksfreund“ (1829–31 ), der „Neue Thüringer Bote“ (1831), der „Deutsche Patriot“ (1831–33), der „Thüringer Bote“ (1842–43), der „Deutsche Volksbote“ (1844), das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ (1844–46) oder der „Deutsche Stadt- und Landboten“ (1846–48), die sich eindeutig als gesamtthüringische bzw. gesamtdeutsche Periodika verstanden haben. Die Basis für Beckers überregionale Zeitschriften bildete ein bestehendes Netz aus lokalen und regionalen Periodika, das sich seit Mitte des 18. Jahrhun-

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enthaltenen Vorschläge werden, wenn man ihnen nachkommt, Sittlichkeit und Wohlstand vermitteln und unsern unbegüterten, mittellosen Mitmenschen bange Nahrungssorgen von den bekümmerten Herzen nehmen.“ LÖBE, WILLIAM: Das Musterdörfchen. Eine lehrreiche Geschichte für den Bürger und Landmann, Bd. 2, Dresden/Leipzig 1847, S. I-VI. Vgl. BÖNING: Gotha als Hauptort volksaufklärerischer Literatur, S. 330. Vgl. National-Zeitung der Deutschen, hrsg. von Rudolph Zacharias Becker, Gotha 1796–1811, 1814–1829. [Vorher u. d. T.: Deutsche Zeitung für die Jugend und ihre Freunde, Gotha 1784 ff.] Vgl. Allgemeiner Anzeiger der Deutschen, hrsg. Rudolph Zacharias Becker, Gotha 1806–1829 [Vorher u. d. T.: Der Reichs-Anzeiger oder Allgemeines Intelligenz-Blatt zum Behuf der Justiz, der Polizey und der bürgerlichen Gewerbe im Teutschen Reiche, wie auch zur öffentlichen Unterhaltung der Leser über gemeinnützige Gegenstände aller Art, Gotha 1793 ff.] Vgl. GREILING: Presse für den „gemeinen Mann“, S. 309 f.; SIEGERT: Aufklärung und Volkslektüre, Sp. 776–781; Vgl. GREILING: Presse für den „gemeinen Mann“, S. 310.

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derts in Thüringen herausgebildet hatte.203 Volksaufklärerische Elemente fanden sich vor allem in den Intelligenz- und Wochenblättern, die in Thüringen, aufgrund der territorialen Kleinstaatlichkeit, sehr zahlreich vorhanden waren.204 Wie Werner Greiling detailliert veranschaulicht, waren viele der thüringischen Intelligenz- und Wochenblätter vorzugsweise an den „gemeinen Mann“ adressiert. Die Programmatik dieser Periodika unterlag vorwiegend dem Prinzip der Gemeinnützigkeit.205 Der ländlich-kleinstädtische Leserkreis sollte aus den vermittelten Inhalten einen relevanten Nutzen ziehen bzw. seine Lebensführung durch konkrete praktische Ratschläge verbessern.206 Eines der ersten volksaufklärerischen Periodika in Thüringen, das den „gemeinen Mann“ über eine Vielzahl unterschiedlicher Themen informierte, war das von Johann Adam Christian Thon im Jahr 1786 herausgegebene und in Erfurt bei Georg Adam Keyser verlegte „Das räsonnirende Dorfkonvent“.207 Als einer der ersten thüringischen Volksaufklärer versuchte Johann Thon den „Bürger und Landmann“ mit einer unterhaltsamen periodischen Schrift in landwirtschaftlichökonomischen, medizinischen und sittlich-moralischen Fragen zu belehren. Darüber hinaus beabsichtigte er, den „gemeinen Mann“ in seinem „Räsonnirenden Dorfkonvent“ regelmäßig über politische Nachrichten zu informieren. Um sein Blatt für das Lesepublikum attraktiver zu gestalten, vermischte Thon die traditionellen Themen der Volksaufklärung mit einem politischen Nachrichtenteil. Damit avancierte das „Räsonnirende Dorfkonvent“ zum ersten volksaufklärerischen Periodikum, das in einem konstanten Turnus über politische Tagesereignisse berichtete.208 Nach Holger Böning schuf Thon auf diese Weise eine „eigentümliche Pressegattung, die mit ihrer Mischung von Zeitung und Zeitschrift praktisch nur in der volksaufklärerischen Literatur zu finden ist“.209 Obwohl Thon das Blatt bereits nach zwei Jahren wieder einstellte, konnte es innerhalb dieses kurzen Zeitraumes die volksaufklärerische Publizistik nachhaltig prägen. Volksaufklärerische Zeitungen und Zeitschriften, die politische Nachrichten und gemeinnützigbelehrende Beiträge miteinander vermischten, sollten bis zur Mitte des 19. Jahr203 Vgl. ebd. 204 Vgl. DERS.: „Publicitätsvehikel und Sittenspiegel“, S. 18 f. Den ausführlichsten Überblick zur Programmatik periodischer Schriften aus Thüringen und deren volksaufklärerischen Elementen bietet DERS.: Presse und Öffentlichkeit, S. 191–263, hier vor allem S. 243– 251. 205 Vgl. DERS.: Presse für den „gemeinen Mann“, S. 320. 206 Vgl. ebd. 207 Vgl. Das räsonnirende Dorfkonvent, eine gemeinnützige ökonomische=moralisch=politische Schrift für den Bürger und Landmann, hrsg. von Johann Christian Adam Thon, Erfurt 1786–1788. 208 Vgl. BÖNING: Zeitungen für das „Volk“, S. 476–484. 209 Ebd., S. 484.

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hunderts im gesamten deutschen Sprachraum weiter bestehen. Außerdem lieferte es Becker Anregung zur Gestaltung des „Noth= und Hülfsbüchleins“.210 Das bekannteste und erfolgreichste volksaufklärerische Wochenblatt Thüringens am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts war „Der Bote aus Thüringen“, das seit 1788, also kurz nach dem Ende des „Räsonnirenden Dorfkonvents“,211 von Christian Gotthilf Salzmann herausgegeben und in Schnepfenthal bei Gotha verlegt wurde.212 Dieses Periodikum, welches Greiling als das „publizistische Flagschiff der Volksaufklärung“ bezeichnet,213 hat der gemeinnützig-volksaufklärerischen Literatur am Ende des 18. Jahrhunderts zweifelsohne wichtige Impulse verliehen, möglicherweise sogar deren Erscheinungsbild für die kommenden Jahrzehnte bis 1850 maßgeblich mitgeprägt. Durch das Konzept einer wöchentlich, periodisch vermittelnden „allumfassenden“ Volksaufklärung214 beschritt der „Bote aus Thüringen“ einen neuen Weg in der literarischen Wissensvermittlung,215 der anscheinend, und das belegt der langlebige Fortbestand des „Boten aus Thüringen“, zumindest teilweise den Geschmack des „Volkes“ getroffen hatte. Ebenso kann man durch den enormen Erfolg und die geographische Verbreitung216 darauf schließen, dass der „Bote aus Thüringen“ wichtige Akzente für zukünftige volksaufklärerische Periodika gesetzt hat. Stil und Konzept des „Boten aus Thüringen“ versprachen eine breite Rezeption beim ländlich-kleinstädtischen Leserkreis sowie wirtschaftlichen Gewinn und wurden deshalb von anderen Volksaufklärern für die eigenen Schriften adaptiert. Aufgrund der äußerst erfolgreichen Schriften von Becker und Salzmann kann dem Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg durchaus der Status einer Hochburg der Volksaufklärung zugesprochen werden. Diese Aussage trifft aber ebenso für den gesamten Thüringer Raum zu. Wenn auch nicht gleich als eine Hochburg, so können die restlichen thüringischen Staaten, deren volksaufklärerische Bemühungen anhand der Vielzahl gemeinnütziger Intelligenz- und Wochenblätter 210 Vgl. ebd. 211 Nach Holger Böning war „Das räsonnirende Dorfkonvent“ das wichtigste Vorbild für Salzmanns „Der Bote aus Thüringen“. Vgl. ebd., S. 490. 212 Vgl. Der Bote aus Thüringen, hrsg. von Christian Gotthilf Salzmann, 1788–1816. 213 Vgl. GREILING: Presse für den „gemeinen Mann“, S. 308. 214 Der „allumfassende“ volksaufklärerische Charakter des „Boten aus Thüringen“ lässt sich anhand der vielfältigen, unterschiedlichen Inhalte gut nachvollziehen. Das sehr breit gefächerte Themenspektrum umfasst alle Lebensbereiche des „gemeinen Mannes“, sowohl in landwirtschaftlich-ökonomischer, sittlich-religiöser, politisch-sozialer, philosophischnaturwissenschaftlicher und pädagogischer Sicht. Ein Register aller im „Boten aus Thüringen“ behandelter Themen findet sich in GROSSE: Christian Gotthilf Salzmanns „Der Bote aus Thüringen“, S. 309–451. 215 Vgl. ebd., S. 283. 216 Zur Auflagenstärke des „Boten aus Thüringen“ in den verschiedenen deutschen Städten vgl. ebd., S. 262–266 u. 297–300.

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deutlich erkennbar sind, gleichermaßen als ein Kernland der Volksaufklärung bezeichnet werden. Becker und Salzmann sowie den zahlreichen auf Gemeinnützigkeit beruhenden Periodika war es zu verdanken, dass sich die literarische Volksaufklärung in Thüringen dauerhaft festsetzen konnte. Trotz des wirtschaftlichen Einbruchs des Buchmarktes in der Napoleonischen Ära und der repressiven Maßnahmen der Karlsbader Beschlüsse, die insbesondere die politische Aufklärung des „gemeinen Mannes“ erschwerten, kam in keinem der thüringischen Staaten die Produktion von volksaufklärerischer Publizistik vollständig zum Erliegen. An Schriften mit volksaufklärerischen Elementen hat es in Thüringen nach 1800 nicht gefehlt. Im Gegenteil, vor allem in den überregional bedeutenden thüringischen Verlagsorten wie Jena, Weimar, Erfurt, Gotha oder Altenburg wurde konstant bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts volksaufklärerische Literatur herausgegeben. Vor allem die thüringischen Landgeistlichen betätigten sich nach 1800 unverändert als Aufklärungsschriftsteller. Exemplarisch sei hier der Oppurger Pfarrer Wilhelm Friedrich Schubert genannt, der sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach einen Namen als Volksschriftsteller gemacht hat.217 Seine Schriften richteten sich auch an die ungebildeten Bevölkerungsschichten und zielten auf die Verbesserung der Lebensbedingungen des „einfachen Mannes“. Besonders deutlich wird dies in den „Gemeinnützigen Blättern“,218 mit denen Schubert, ganz in der Tradition von Salzmann und Becker, der ländlich-kleinstädtischen Bevölkerung ein „allumfassendes“ Wissen vermitteln wollte. Die dort publizierten Texte umfassten „die Bereiche Hunger, Armut und diverse Vorschläge zur Hebung des Lebensstandards, den Kampf gegen das Bettelwesen, die Förderung der Wirtschaft sowie Bildung und populäre Wissensvermittlung.“219 Daneben versuchte sich Schubert auch auf dem Gebiet der politischen Volksaufklärung. So erschienen in den „Gemeinnützigen Blättern“ mehrere Beiträge, die dem „Volk“ die Prinzipien der bürgerlichen Gesellschaft nahebringen wollten. Wie die Mehrheit der Volksaufklärer nach Ausbruch der Fran217 Oppurg gehörte zum Neustädter Kreis, der bis 1815 Bestandteil des Königreichs Sachsen war. Erst im Zuge der territorialen Neuordnung auf dem Wiener Kongress gelangte Oppurg in den Besitz von Sachsen-Weimar-Eisenach. Vgl. hierzu GREILING: Bürgerlichkeit im ländlichen Milieu. S. 136; DERS.: Der Neustädter Kreisbote, S. 54 f. 218 Die „Gemeinnützigen Blätter“ erschienen im Zeitraum von 1803–1812, wobei Schubert den Titel seiner Zeitschrift drei Mal ändern ließ. Vgl. Gemeinnützige Blätter für sächsische Vaterlandsfreunde. Eine Wochenschrift, Neustadt an der Orla 1803; Gemeinnützige Blätter für Freunde des Vaterlandes, Neustadt an der Orla 1804–1808; Gemeinnützige Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für Bürger und Landleute, Neustadt an der Orla 1809; Gemeinnützige Blätter zur Belehrung und Unterhaltung. Eine Wochenschrift, Neustadt an der Orla 1810–1812. 219 Vgl. GREILING: Bürgerlichkeit im ländlichen Milieu, S. 140; DERS.: Der Neustädter Kreisbote, S. 127.

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zösischen Revolution, war auch Schubert der Auffassung, dass der „gemeine Mann“ eine hinreichende Bildung benötigte, um sich zu einem „guten“ Staatsbürger entwickeln zu können.220 Schubert folgte damit einem Trend, den zahlreiche andere thüringische Landpfarrer ebenfalls bis 1850 eingeschlagen haben. Sowohl auf publizistischer als auch auf institutioneller Ebene setzten sie sich im ländlich-kleinstädtischen Raum dafür ein, die Bildung des „gemeinen Mannes“ zu heben, damit sich dieser seiner Pflichten und Rechte innerhalb der sich langsam neu formierenden bürgerlichen Gesellschaft bewusst wurde.221 Abschließend bleibt festzuhalten, dass Thüringen im Zeitraum von 1780 bis 1850 sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht ein Kernland der Volksaufklärung darstellt. Vor allem die beiden Protagonisten Becker und Salzmann prägten mit ihren Schriften die literarische Volksaufklärung bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Daneben belegen die zahlreich vorhandenen, in den etablierten thüringischen Verlagsorten erschienenen volksaufklärerischen Lesestoffe, dass die Volksaufklärung spätestens gegen Ende des 18. Jahrhunderts im gesamten Thüringer Raum Fuß gefasst hatte. Außerdem beweisen die gemeinnützigen Aktivitäten etlicher thüringischer Sozietäten und Vereine, dass volksaufklärerisches Engagement in den thüringischen Kleinstaaten nicht nur auf mündlicher und schriftlicher, sondern auch auf institutioneller Ebene betrieben wurde. Hinzu kommen die vielfachen Bestrebungen der Landpfarrer und örtlichen Verwaltungsbeamten, die Bildung des „Volkes“ in den kleinen thüringischen Dorfgemeinden mithilfe von Volksbibliotheken, Sonntagsschulen und Lesevereinen zu verbessern. Obwohl die Volksaufklärungsbewegung im Thüringer Raum von 1800 bis 1850 eine durchgängige Kontinuität aufweist, bleibt aber auch zu konstatieren, dass es im 19. Jahrhundert in keinem thüringischen Staat zur Herausbildung eines volksaufklärerischen Akteurs vom Format eines Becker oder Salzmann kam.222 Zwar engagierten sich etwa mit Ludwig Nonne, Carl Joseph Meyer oder Friedrich Johannes Frommann auch im Vormärz herausragende Persönlichkeiten in der Volksaufklärung in Thüringen, doch deren Einfluss auf die literarisch220 Vgl. ebd., S. 228. 221 Vgl. hierzu Kapitel IV.2.1. 222 Dies spiegelt sich u.a. auch in der retrospektiven Bewertung der Leistung einzelner Volksaufklärer wider. So werden beispielsweise in einem von Ralf Koerrenz, Elisabeth Meilhammer und Käthe Schneider herausgegebenen Sammelband zur Geschichte der deutschen Erwachsenenbildung die Schriften von Becker und Salzmann – hier vor allem der „Bote aus Thüringen“ und das „Noth= und Hülfsbüchlein“ – in ihrer Gesamtbedeutung als ein „wegweisendes Werk zur Erwachsenenbildung“ eingestuft. Den publizistischen Erzeugnissen der thüringischen Volksaufklärer der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird hingegen ein solcher Stellenwert nirgends zugeschrieben. Vgl. KOERRENZ, RALF/MEILHAMMER, ELISABETH/SCHNEIDER, KÄTHE (Hrsg.): Wegweisende Werke der Erwachsenenbildung, Jena 2007.

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III. DIE GENESE DER VOLKSAUFKLÄRUNG

konzeptionelle Gestaltung und inhaltliche Entwicklung der volksaufklärerischen Lesestoffe des gesamten deutschen Sprachraums dürfte nur sehr gering ausgefallen sein. Abgesehen von einer stärkeren Akzentuierung auf die politische Volksaufklärung, die ab 1830 die Ständegesellschaft grundsätzlich infrage stellte und für konstitutionelle Verhältnisse plädierte,223 finden sich kaum neue Elemente in der stilistischen und inhaltlichen Aufmachung der volksaufklärerischen Literatur aus Thüringen. Vielmehr setzten die thüringischen Volksaufklärer in der Vormärzzeit auf „Altbewährtes“. Das Erscheinungsbild aller volksaufklärerischen Bücher und Periodika aus Thüringen orientierte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausnahmslos am Vorbild der Schriften Beckers und Salzmanns. Eine literarische Neugestaltung der volksaufklärerischen Lesestoffe größeren Ausmaßes, so wie sie in den siebziger und achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts vollzogen wurde, fand im 19. Jahrhundert nicht mehr statt. Die Volksaufklärer in Thüringen folgten damit einem Trend, der sich nach 1800 ebenso im restlichen deutschen Sprachraum manifestierte.224 Obwohl die thüringischen Volksaufklärer im 19. Jahrhundert jahrzehntelang so beharrlich an den Traditionen der literarischen Volksaufklärung des 18. Jahrhunderts festgehalten haben, ist deren Leistung keineswegs als gering einzuschätzen. Die Ursache, warum das Erscheinungsbild der volksaufklärerischen Schriften nach 1800 keinen signifikanten Wandel mehr vollzogen hat, kann mit Sicherheit nicht auf eine fehlende Innovationsbereitschaft vonseiten der Volksaufklärer zurückgeführt werden. Vielmehr ist zu vermuten, dass die volksaufklärerischen Konzepte aus dem 18. Jahrhundert auch in der Vormärzzeit die gewünschte Akzeptanz und Wirkung bei den anvisierten Adressaten zu erzielen vermochten. Nicht ohne Grund wurde das „Noth= und Hülfsbüchlein“ bis in die 1830er Jahre hinein mehrfach neu verlegt.225 Wäre der Absatz von volksaufklärerischer Lite223 Vgl. hierzu Kapitel VI.3.4. 224 Vgl. BÖNING, HOLGER: Volkserzählungen und Dorfgeschichten, in: Sautermeister, Gerd/ Schmid, Ulrich (Hrsg.): Zwischen Revolution und Restauration 1815–1848 (= Hansers Sozialgeschichte der Deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bd. 5), München 1984, S. 281–312. 225 Soweit mir bekannt ist, wurden die beiden Teile des „Noth= und Hülfsbüchleins“ in überarbeiteter Form in Gotha – unrechtmäßige Nachdrucke nicht berücksichtigt – im Jahr 1838 zum letzten Mal veröffentlicht. Als Herausgeber betätigte sich Friedrich Gottlieb Becker, der nach dem Tod seines Vaters Rudolf Zacharias Becker im Jahr 1822 die Leitung der Verlagsbuchhandlung übernahm. Das „Noth= und Hülfsbüchlein“ war auch im 19. Jahrhundert ein „Bestseller“ unter den Volkslesestoffen. Nach Reinhart Siegert erschienen über 50 rechtmäßige und unrechtmäßige Ausgaben von Beckers Volksbuch. Vgl. SIEGERT: Rudolf Zacharias Beckers „Versuch über die Aufklärung des Landmannes“, S. 310. Zum Absatz des „Noth= und Hülfsbüchleins“ vgl. außerdem HENKEL, KATRIN: Das „Noth- und Hülfsbüchlein (1788/1798) von Rudolf Zacharias Becker, in: Koerrenz/Meilhammer/Schneider (Hrsg.): Wegweisende Werke, S. 97–100.

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ratur im Laufe der Vormärzzeit stark eingebrochen, hätten die Volksaufklärer des 19. Jahrhunderts die Gestaltung ihrer Volkslesestoffe sicherlich neu ausgerichtet. Da eine solche Notwendigkeit allerdings nicht bestand, wurden die alten Konzepte beibehalten und einfach dem aktuellen Wissensstand und dem aktuellen Tagesgeschehen angepasst. Dass ein Festhalten an den „traditionellen Formen“ der literarischen Volksaufklärung auch im Vormärz durchaus von Erfolg geprägt sein konnte, lässt sich für den Thüringer Raum insbesondere anhand der Langlebigkeit der beiden Periodika „Dorfzeitung“ und „Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ belegen.226 Diese Zeitungen, die ganz im Sinne einer „allumfassenden“ Volksaufklärung, so wie es Thon bereits 1786 in seinem „Räsonnirenden Dorfkonvent“ angestrebt hatte, gemeinnützig-unterhaltende Beiträge und politische Nachrichten miteinander vermischten, fanden während der gesamten Vormärzzeit eine breite Leserschaft.227 Mit ihren gemeinnützig-volksaufklärerischen und politisch-liberalen Beiträgen bildeten sie um 1830 die beiden bedeutendsten volksaufklärerischen Presseorgane in ganz Thüringen.228 Mit der „Dorfzeitung“, die vom Sachsen-Meininger Kirchenrat Ludwig Nonne herausgeben wurde, rückte zudem die Stadt Hildburghausen neben Gotha, Jena, Erfurt und Weimar in der Vormärzzeit zu den wichtigsten Orten der Volksaufklärung in Thüringen auf. Diese Entwicklung wurde durch den Umstand begünstigt, dass Carl Joseph Meyer im Jahr 1828 sein Verlagsunternehmen von Gotha nach Hildburghausen verlegte. Durch die in Meyers „Bibliographischem Institut“ veröffentlichten Bücher und Periodika, die demonstrativ unter dem Leitmotiv „Bildung für alle“ und „Bildung macht frei“ standen, sowie durch Nonnes „Dorfzeitung“ zählten die Druckerzeugnisse aus Hildburghausen nach 1830 bald zu den überregional bekanntesten volksaufklärerischen Schriften in Deutschland.229 226 Vgl. Dorfzeitung, hrsg. von Ludwig Nonne, Hildburghausen 1818–1848; Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen. Der öffentlichen Unterhaltung über gemeinnützige Gegenstände aller Art gewidmet, zugleich allgemeines deutsches Intelligenzblatt zum Behuf der Rechtspflege, der Polizei, des Handels und der Gewerbe, so wie des bürgerlichen Verkehrs überhaupt, hrsg. von Friedrich Gottlieb Becker, Gotha 1830– 1848 [zuvor separat erschienen als „Allgemeiner Anzeiger der Deutschen“ (1806–1829) und „National-Zeitung der Deutschen“ (1796–1829)]. Zur publizistischen Ausrichtung der „Nationalzeitung der Deutschen“ sowie des „Allgemeinen Anzeigers der Deutschen“ im Zeitraum von 1800 bis 1830 vgl. außerdem KOHL, MARIANNE: Die Nationalzeitung der Deutschen 1784–1830. Leben und Werk des Publizisten R. Z. Becker, Heidelberg 1936. 227 Vgl. FÜSSER: Bauernzeitungen, S. 149–154. 228 Vgl. hierzu Kapitel VI.1. 229 Vgl. BRAUNGART, MARGARETE: „Bildung macht frei“ und „Wahrheit bei aller Vorsicht“. Hildburghäuser Druckerzeugnisse des 19. Jahrhunderts, in: John (Hrsg.): Kleinstaaten und Kultur, S. 385–394.

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III. DIE GENESE DER VOLKSAUFKLÄRUNG

IV. Das Personal der Volksaufklärung

1. Das soziale Milieu der Volksaufklärer – Zum Problem der Kategorisierung und Typologisierung der Trägerschicht der Volksaufklärung DAS SOZIALE MILIEU DER VOLKSAUFKLÄRER

Fragt man nach der Trägerschicht der Volksaufklärung, wird man in der Forschungsliteratur zwangsläufig auf den Begriff der „gesitteten Stände“ stoßen, der in der Regel als übergeordneter Terminus, in Abgrenzung zum „Volk“, die Gesamtheit aller in der Volksaufklärung engagierten Personen einschließt. Der Begriff der „gesitteten Stände“ ist kein Fachterminus, der erst im Zuge der Volksaufklärungsforschung neu geprägt wurde. Bereits am Ende des 18. Jahrhunderts taucht dieser Begriff mehrfach in zeitgenössischen Erziehungsschriften auf, unter anderem bei Johann Bernhard Basedow und Joachim Heinrich Campe.1 Jedoch wird weder bei Basedow noch bei Campe näher ausgeführt, was genau unter dem Begriff der „gesitteten Ständen“ zu verstehen ist. Auch in der von Campe herausgegebenen und von ihm umfangreich kommentierten deutschen Übersetzung des Werkes von John Locke „Ueber die Erziehung der Jugend in den gesitteten Ständen“,2 wird der Begriff der „gesitteten Stände“ nicht näher definiert. Ebenso finden sich in Campes „Wörterbuch der Deutschen Sprache“ keine Ausführungen zum Begriff der „gesitteten Stände“.3 Zwar benennt Campe die verschiedenen Stände (Nährstand, Adelsstand, bürgerlicher Stand, Bauernstand etc.) und beschreibt ausführlich ihre soziale Zusammensetzung, doch über die „gesitteten Stände“ schweigt er in seinem „Wörterbuch der Deutschen Sprache“. Wenn man bedenkt, dass Campe den Begriff der „gesitteten Stände“ mehrfach selbst als konstitutives Element in seinen pädagogischen Schriften verwendete, verwundert es doch ein wenig, warum er in seinem überaus ambitionierten Werk zur Deutschen Sprache den Begriff der „gesitteten Stände“ außer Acht gelassen hat. 1

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Vgl. BASEDOW, JOHANN BERNHARD: Elementarbuch für die Jugend und für ihre Lehrer und Freunde in gesitteten Ständen, Altona/Bremen 1770; CAMPE, JOACHIM HEINRICH: Sittenbüchlein für Kinder aus gesitteten Ständen, Hamburg 1789. Die Übersetzung erfolgte von J. L. Rudolphi. Vgl. LOCKE, JOHN: Ueber die Erziehung der Jugend in den gesitteten Ständen. Ein Handbuch für Eltern und Erzieher. Mit erläuternden, bestimmenden und berichtigenden Anmerkungen der Gesellschaft der Revisoren aus dem Revisionswerke besonders abgedruckt und herausgegeben von Joachim Heinrich Campe, Wien/Wolfenbüttel 1787. Vgl. CAMPE, JOACHIM HEINRICH: Wörterbuch der Deutschen Sprache, Vierter Theil, S und T, Braunschweig 1810, S. 588 f.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Wenn man die Erziehungsschriften von Campe und Basedow genauer untersucht, wird aber dennoch deutlich, welches Verständnis diese beiden Pädagogen und Volksaufklärer vom „gesitteten Stand“ hatten. In erster Linie ging es um die Vermittlung sittlich-moralischer Grundwerte und um die Ausprägung einer auf Sitte und Moral basierenden vernunftorientierten Denkweise. Zudem sollte eine Person des „gesitteten Standes“ über ein hohes Maß an Bildung verfügen, um begreifen zu können, auf welche Weise sich die eigene Glückseligkeit sowie das Wohl der Gemeinschaft befördern ließ. Ein hoher Bildungsstand war die Voraussetzung für die Verbesserung diesseitiger Lebensumstände. Die Aneignung von Bildung sollte dem Streben nach menschlicher Vervollkommnung dienen. Eine höhere Bildung besaß derjenige, der gewillt war, sich seines gesunden Verstandes zu bedienen, um die private und die öffentliche Wohlfahrt zu steigern. Alle Personen, die bereit waren, ihre Denk- und Handlungsweise nach diesem Grundsatz auszurichten, gehörten zu den „gesitteten Ständen“. Das „Volk“ hingegen, welches nur über ein unzureichendes Maß an Bildung verfügte, beharrte weiterhin auf abergläubischen Denkgewohnheiten und war demzufolge von den „gesitteten Ständen“ abzugrenzen. In direktem Zusammenhang mit der Volksaufklärungsbewegung wurde der Begriff der „gesitteten Stände“ erstmals von Reinhart Siegert verwendet.4 In seiner Studie zum „Noth= und Hülfsbüchlein“ unterscheidet Siegert zwischen einer Träger- und einer Adressatenschicht der Volksaufklärung, die er mithilfe der beiden Termini „Volk“ und „gesittete Stände“ voneinander abgrenzt. Obwohl Siegert nicht näher ausführt, aus welchen sozialen Schichten oder Personengruppierungen sich die „gesitteten Stände“ genau zusammensetzen, hat sich der Begriff der „gesitteten Stände“ als Gegenüber zum „Volk“ in der Volksaufklärungsforschung mittlerweile weitgehend durchgesetzt. Als terminologischer Abgrenzungsbegriff bilden die „gesitteten Stände“, zusammen mit dem Begriff des „Volkes“, in der Forschung die Basis zur Unterscheidung zwischen der Empfänger- und der Vermittlerschicht aufklärerischer Ideen. Ähnlich wie beim Begriff des „Volkes“ bleibt zunächst aber auch der Begriff der „gesitteten Stände“ äußerst undifferenziert. Denn so wie der Begriff des „Volkes“ nicht einfach mit den „niederen Ständen“, dem „Bauernstand“, den „unteren Schichten“ oder mit dem „Dritten Stand“ gleichgesetzt werden kann,5 können für den Begriff der „gesitteten Stände“ ebenso keine eindeutigen sozialen Zuordnungen getroffen werden. Es wäre unzutreffend, würde man die „gesitteten Stände“ nur als Subsumtion des Adels, Klerus- und gehobenen Bürgerstandes begreifen. Unter Verwendung der Begriffe „Volk“ und „Elite“ wurden in der Aufklärungsforschung bis in die 1970er Jahre die Adressaten und die Träger der 4 5

Vgl. SIEGERT: Aufklärung und Volkslektüre, Sp. 585. Vgl. Kapitel II.2.

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Aufklärung scharf voneinander getrennt. Nachdem aber in den letzten 30 Jahren die Volks- und Elitenkultur der Aufklärung näher untersucht und stärker ausdifferenziert wurde,6 hat die Forschung von der strikten Polarität von „Volk“ und „Elite“, als Adressat und Träger der Aufklärung, inzwischen etwas Abstand genommen. Vielmehr standen die Protagonisten der Aufklärung durch gegenseitige Abhängigkeiten in unmittelbaren Beziehungen zueinander, so dass eine exakte Trennlinie zwischen Adressaten und Trägern kaum gezogen werden kann. Ebenso hat Anne Conrad darauf hingewiesen, dass die Kategorien „Volk“ und „Elite“ eine gewisse Homogenität nahelegen, die aber tatsächlich keinesfalls gegeben ist.7 Fragt man also nach den Trägern der Aufklärung, sind differenzierte Betrachtungen zur Elitenkultur der Aufklärung unumgänglich. Folgt man dieser Argumentation, macht es wenig Sinn, die Träger der Volksaufklärung als „Elite“ zu deklarieren. Möchte man die Gruppe der Volksaufklärer dennoch einer Elitenkultur zurechnen, muss zunächst geklärt werden, welche besonderen Eigenschaften die Trägerschicht der Volksaufklärung als „Elite“ charakterisiert. Wesentliches Abgrenzungsmerkmal zwischen den Volksaufklärern und ihrer Klientel war der unterschiedliche Bildungsstand. Ist man also gewillt, die Volksaufklärer einer Elitenkultur zuzuordnen, ließen sie sich am ehesten der „Bildungselite“ des 18. und 19. Jahrhunderts zuweisen. Denn im Gegensatz zur überwiegenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung besaßen die Volksaufklärer ein höheres Maß an Bildung. Im Vergleich zu ihrer Klientel, die keine oder nur geringe Schulkenntnisse besaß, haben die Volksaufklärer in der Regel eine weitaus bessere schulische Ausbildung durchlaufen, die oftmals mit einem Universitätsstudium endete. Die Sozialisation im akademischen Milieu gab vielen Volksaufklärern sicherlich ausschlaggebende Impulse für ihr späteres Engagement. Der Besuch einer Universität oder höheren Schule schloss in der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts häufig eine Berührung mit aufklärerischen Ideen ein. Vor allem die Kontakte zu aufklärerisch gesinnten Professoren und Gelehrten, wie sie etwa in Jena, Halle oder Göttingen zahlreich vertreten waren, dürften ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass viele Volksaufklärer bereits in ihrer Jugendphase ein aufgeklärt-liberales Bewusstsein entwickelt haben. Diskutiert, reflektiert und weitergetragen wurden die aufklärerischen Ideen durch eine Fülle von Aufklärungsgesellschaften und einem sich ausweitenden literarischen Markt, so dass die Aufklärung, die in Anfängen nur von einer kleinen Gelehrtenschicht getragen wurde, gegen Ende des 18. Jahrhunderts tendenziell alle Gebildeten erfasst hatte.8 Diejenigen Gebildeten, die mit der Aufklärung sympathisierten und dazu bereit waren, sich von Aberglauben und Unwissenheit 6 7 8

Vgl. u.a. MUCHEMBLED, ROBERT: Kultur des Volks – Kultur der Eliten. Die Geschichte einer erfolgreichen Verdrängung, Stuttgart 1982; BURKE: Helden, Schurken und Narren. Vgl. CONRAD: Aufgeklärte Elite, S. 5. Vgl. DÜLMEN: Die Gesellschaft der Aufklärer, S. 11 f.

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zu befreien und alle Bereiche des menschlichen Denkens dem Prinzip der Vernunft zu unterwerfen, um auf diesem Weg eine sittlich-moralische sowie eine materielle Verbesserung des persönlichen und staatlichen Wohlstandes zu erwirken, ordneten sich im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schließlich unter ihren eigens neu konstruierten Begriff der „gesitteten Stände“ ein. Das Streben nach Wahrheit und gesellschaftlichem Fortschritt durch vernunftgeleiteten Erkenntnisgewinn war nach Auffassung der „gesitteten Stände“ der höchste Gradmesser an Aufgeklärtheit. Die bloße Aneignung akademischen Wissens galt generell nicht als aufklärerisch. Gelehrsamkeit war dementsprechend nicht per se an die Aufklärung gebunden. Die Ausübung kritischer Wissenschaft auf rationaler Basis, wie dies schon im 16. und 17. Jahrhundert praktiziert wurde,9 ließ sich ohne aufklärerische Vorstellungen durchsetzen. Erst wenn erworbenes Wissen dafür verwendet werden konnte, die Glückseligkeit und die Perfektibilität des Menschen zu erhöhen, durfte man sich nach dem Selbstverständnis der „gesitteten Stände“ als aufgeklärte Person bezeichnen. Der Begriff „Bildung“ spielte dabei eine ebenso wichtige Rolle, denn er war bei den „gesitteten Ständen“ unmittelbar an den Aufklärungsbegriff gekoppelt. Einer Person wurde nur dann ein hohes Maß an Aufgeklärtheit bescheinigt, wenn sie eine entsprechende Bildung vorweisen konnte. Wie bereits erwähnt, bedeutete Bildung nicht nur die Anhäufung akademischen Wissens, sondern auch die Umsetzung aufklärerischer Denkmuster. Traditionelle Denkgewohnheiten, die größtenteils noch an abergläubische oder religiöse Vorstellungen gebunden waren, sollten überwunden und durch eine vernunftorientierte Denkweise ersetzt werden, die den menschlichen Fortschritt und die daraus resultierenden gesellschaftlichen Reformen im Blick hatte. Bildung und Aufklärung stellten für die „gesitteten Stände“ eine Einheit dar. Aufklärung war ohne Bildung nicht zu bewerkstelligen, während im Gegenzug der Bildung von vornherein eine gewisse Aufklärung innewohnte. Was die „gesitteten Stände“ also eindeutig vom „Volk“ abgrenzte, war das unterschiedliche Bildungsniveau und das damit verbundene Maß an Aufgeklärtheit. Anne Conrad bezeichnet die „gesitteten Stände“ in diesem Zusammenhang 9

Der Rationalismus bzw. rationales Denken war kein Phänomen der Aufklärung, sondern hatte seine frühen Wurzeln bereits im 16. Jahrhundert. Seine stärkste Ausprägung weist der Rationalismus schon im 17. Jahrhundert mit Descartes, Spinoza und Leibniz auf. Obwohl die Aufklärung die Denkstrukturen des neuzeitlichen Rationalismus des 16. und 17. Jahrhunderts weitestgehend übernommen hat, gelangten nach Panajotis Kondylis in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts nur bestimmte Tendenzen des neuzeitlichen Rationalismus zum Durchbruch. Demnach hat die Aufklärung ein leicht modifiziertes, neues Selbstverständnis von dem Wort „rational“ entwickelt. Vgl. KONDYLIS, PANAJOTIS: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, Stuttgart 1981, S. 9–59. Vgl. außerdem GAWLICK, GÜNTHER: Rationalismus, in: Schneiders (Hrsg.): Lexikon der Aufklärung, S. 339 f.; DERS.: Rationalismus, in: Ritter, Joachim/Gründer, Karlfried (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 8: R-Sc, Basel 1992, Sp. 44–47.

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als „aufgeklärte, bürgerliche Bildungselite“, deren Bildungsstand wichtigstes Kriterium zur Abgrenzung von „Volk“ und Adel war.10 Die „gesitteten Stände“ einzig dem Bürgertum zurechnen zu wollen, erweist sich bei genauer Betrachtung allerdings als problematisch. Der Bildungsstand als ausschlaggebendes Kriterium zur Abgrenzung zwischen den „gesitteten Ständen“ und dem Adel scheint hier völlig ungeeignet. Bildung war keineswegs exklusiv auf das Bürgertum zugeschnitten. Nicht wenige Adlige besuchten höhere Schulen und Universitäten, um sich die nötige Bildung anzueignen, die es für eine Anstellung als Regierungsoder Verwaltungsbeamter bedurfte. Bildung war dementsprechend nicht nur ein wichtiger Bestandteil des aufstrebenden Bürgertums, sondern ebenso für bestimmte Adelsgruppen, die in staatliche Justiz- und Verwaltungsberufe drängten, anstatt ihr Glück beim Militär, am Hof oder in der Bewirtschaftung ihres Grundbesitzes zu suchen. Der Adel des 18. und 19. Jahrhunderts kann sowohl in ökonomischer als auch in sozialer Hinsicht nicht als eine geschlossene Einheit betrachtet werden.11 Der Adel war sozial mannigfaltig untergliedert, etwa in hohen und niederen Adel, in landbesitzenden und landlosen Adel, in Hof- und Beamtenadel oder in Geburts- und Verdienstadel. Die Besitz- und Eigentumsverhältnisse schwankten stark zwischen den verschiedenen Adelsgruppen. Die Zugehörigkeit zum Adelsstand war keine Garantie für politischen und ökonomischen Aufstieg. Vor allem Adlige mit wenig oder keinem Grundbesitz waren auf andere Erwerbsquellen angewiesen. Zusätzliche Einkünfte außerhalb des agrarischen Bereichs konnten Adlige in der Regel nur durch Hof-, Militär-, Diplomatie-, Justiz- oder Verwaltungsdienste erzielen. Durch den stetigen bürokratischen Ausbau des frühmodernen Staates im Laufe des 18. Jahrhunderts war es nicht nur den Adligen, sondern auch Bürgern gestattet, sofern sie eine akademische Ausbildung genossen hatten, staatliche Verwaltungsberufe auszuüben. „Alle Fürsten waren auf Akademiker als Räte, Verwalter, Richter, Pfarrer und Lehrer angewiesen“.12 Bei der Besetzung dieser Stellen waren aber nicht der geburtsständische Rang, sondern die individuelle Qualifikation und die Leistungsfähigkeit entscheidend.13 Um nicht von diesem „neuen“ gebildeten Bürgertum, das nicht dem alten Stadtbürgertum angehörte, aus der staatlichen Verwaltung bzw. den öffentlichen Ämtern verdrängt zu werden, waren Teile des Adels gezwungen, sich dem immer stärker zutage tretenden Leistungsprinzip zu stellen. Wollte ein Adliger den Posten eines Staatsbeamten besetzen, musste er sich bestimmten Ausbildungsforderungen

10 CONRAD: Aufgeklärte Elite, S. 6. 11 Vgl. WIENFORT, MONIKA: Der Adel in der Moderne, Göttingen 2006, S. 7–30; REIF, HEINZ: Adel im 19. und 20. Jahrhundert, München 1999, S. 1–9. 12 SCHMIDT: Wandel durch Vernunft, S. 304. 13 Vgl. ebd.

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unterwerfen sowie einer bürgerlichen Konkurrenz stellen.14 Um seine Position behaupten zu können, war also vor allem der Beamtenadel darum bemüht, sich eine standesgemäße Bildung anzueignen. Deshalb erfuhren nicht wenige Adlige bereits im Kindesalter eine höhere Ausbildung durch den Besuch eines Gymnasiums oder einer adäquaten Privatschule. Anschließend folgte meist der Besuch einer Universität. Im Zuge ihrer Ausbildung wurden viele Adlige auch mit aufklärerischen Ideen konfrontiert. Daraus zu schließen, dass genau jene Adligen, die mit der Aufklärung in Berührung kamen, sich ihr verpflichtet fühlten, wäre zu hoch gegriffen, doch dass ein Teil der aufklärerischen Ideen auch in Adelskreisen auf Befürwortung stieß, ist nicht von der Hand zu weisen. Vor allem die Adligen, die im Staatsdienst tätig waren, waren der Aufklärung nicht völlig abgeneigt, da eine Verwirklichung ihrer Ideale nicht die Schwächung, sondern eher die Stärkung der eigenen Position versprach. Im Gegensatz zum alten Geburts- und Hofadel war der Beamten- und Funktionsadel gewillt, die soziale Position durch eigene Anstrengung und Leistung zu verbessern. Dadurch übernahmen Teile des Adels die Lebensweise des gebildeten Bürgertums, was zur Folge hatte, dass das gesamte Bürgertum langfristig eine gesellschaftliche Aufwertung erfuhr. Hinzu kam, dass die soziale Durchlässigkeit zwischen Adel und Bürgertum gegen Ende des 18. Jahrhunderts immer stärker wurde. Die Erlangung eines Adelstitels war, trotz aller Kritik des Bürgertums an ständischen Verhältnissen, nach wie vor äußerst attraktiv für aufsteigende Bürger. Nicht selten wurden Bürger, die sich hingebungsvoll in den Dienst für Fürst und Staat gestellt hatten, geadelt und mit neuen politischen und/oder rechtlichen Privilegien ausgestattet. Ein prominentes Beispiel einer solchen „Adelskarriere“ stellt Johann Wolfgang Goethe dar, dessen akademische Ausbildung und die anschließende Tätigkeit im Staatsdienst Sachsen-Weimar-Eisenachs ausschlaggebend für seine Erhebung in den Adelsstand waren. Häufig vertraten geadelte Bürger nach ihrer Erhebung in den Adelsstand weiterhin die Ideale der Aufklärung. Die Aufklärung und die mit ihr einhergehenden bürgerlichen Reformbestrebungen setzten sich deshalb im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch in Teilen des Adels fest. Somit lässt sich auch erklären, weshalb sich im 19. Jahrhundert ein beachtlicher Teil des Adels zum bürgerlichen Liberalismus bekannte.15 Den Adel strikt von den „gesitteten Ständen“ zu trennen, erscheint demnach nicht kohärent. Wenn sich die „gesitteten Stände“ vornehmlich durch einen hohen Bildungsgrad und eine aufklärerische Denkweise charakterisieren lassen, dann müssen ihnen auch einzelne Adelsgruppen zugerechnet werden. Durch ihr hohes Bildungsniveau und ihre Aufgeschlossenheit gegenüber bestimmten aufklärerischen Ideen lassen sich viele 14 Vgl. NIPPERDEY, THOMAS: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, 4. Aufl. München 1994, S. 256. 15 Vgl. ebd., S. 259.

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Adlige eindeutig den „gesitteten Ständen“ zuordnen. Eine „interne“ Trennung der „gesitteten Stände“ in Bürgertum und Adel ist dennoch möglich. Als Abgrenzungsmerkmal sollte allerdings nicht der Bildungsstand fungieren, sondern eher die unterschiedliche gesellschaftliche Rechtsstellung, die beide Bevölkerungsgruppen hierarchisch klar untergliederte. Trotz aller Kritik an der Abgrenzung des Adels von den „gesitteten Ständen“ bleibt gleichwohl festzuhalten, dass die Vertreter der „gesitteten Stände“ mehrheitlich aus dem Bürgertum kamen. Allerdings muss auch hier stärker differenziert werden. Denn wie beim Adel war auch das Bürgertum des 18. und 19. Jahrhunderts ein ausgesprochen heterogener sozialer Stand. Horst Möller hat bereits 1986 die Frage gestellt, wie bürgerlich die Aufklärung und wie aufgeklärt der Bürger war.16 Aufgrund der starken Heterogenität des Bürgerstandes kam Möller zu dem Ergebnis, dass das Bürgertum nicht pauschal zum Träger der Aufklärung erklärt werden kann. Nicht alle sozialen Gruppen, die dem Bürgertum angehörten, identifizierten sich mit der Aufklärung und setzten sich für eine Verwirklichung aufklärerischer Ideen ein. Vor allem das alte, ständisch geprägte Stadtbürgertum, das sich im Wesentlichen aus kleinen Selbstständigen in Gewerbe und Dienstleistungen sowie Handwerkern, Kleinhändlern und Kaufleuten zusammensetzte, kann im 18. Jahrhundert nur bedingt als „aufgeklärt“ eingestuft werden. Ebenso kommen die Stadtbürger, die in kleinen Ackerbürgerstädten lebten, anfangs nicht als Träger der Aufklärung in Frage. Die berufliche Tätigkeit der Ackerbürger lag im Kleingewerbe oder in der Landwirtschaft. Eine aktive Teilhabe am aufklärerischen Diskurs war unter diesen Umständen nur äußerst schwerlich zu realisieren. Die Aufklärung hat sich zunächst hauptsächlich an den Universitäten und in den gelehrten Sozietäten entfaltet.17 Erst nachdem sie sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts auf akademisch-wissenschaftlicher Ebene festgesetzt hatte und sich schließlich die Frage nach der konkreten praktischen Umsetzung aufklärerischer Ideen stellte, zeigten allmählich weitere Akteure und Gruppierungen, die nicht primär in ein gelehrt-akademisches Umfeld verortet werden können, Interesse an der (Volks-)Aufklärung. In welchem Maße sich das alte Stadtbürgertum am Modernisierungsprozess der Aufklärung beteiligte, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Die ältere Forschung ist lange Zeit davon ausgegangen, dass der Anteil des alten Stadtbürger16 MÖLLER, HORST: Vernunft und Kritik. Deutsche Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert, Frankfurt am Main, S. 289–297. 17 Richard van Dülmen sieht in den Gelehrten und Akademikern die Hauptträger der deutschen Aufklärung. Sie waren es, die den aufklärerischen Diskurs und die Verbreitung aufklärerischer Ideen an den Universitäten und in den gelehrten Gesellschaften stetig vorangetrieben haben, bevor diese einer zweiten Phase von gelehrten Beamten und Theologen in die breite Öffentlichkeit getragen wurden. Vgl. DÜLMEN: Kultur und Alltag, Bd. 3, S. 249–252.

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tums an diesem Prozess insgesamt einen eher geringfügigen Grad ausmachte. Mittlerweile wurde dieses Urteil aber in vielen Punkten revidiert. Mehrere neuere Studien haben aufgezeigt, dass sich das alte Stadtbürgertum in der Übergangsphase von der traditionalen zur modernen Gesellschaft als erstaunlich anpassungsfähig erwies und sich durchaus bereit zeigte, neue Wege einzuschlagen, die in vielerlei Hinsicht mit den Ideen der Aufklärung korrespondierten.18 Die historisch gewachsene, traditionelle Stadtbürgerschaft erkannte nicht nur die Nachteile, sondern auch die Vorteile, die sich bei der Verwirklichung aufklärerischer Vorstellungen ergaben. Dass ihre praktische Umsetzung mitunter die Chancen eines raschen ökonomisch-sozialen sowie politischen Aufstiegs erheblich steigern konnten, blieb dem alten Stadtbürgertum nicht verborgen. Dass zahlreiche Städte seit Ende des 18. Jahrhunderts ein nicht unbeträchtliches Reformpotential bei der Herausbildung moderner wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Strukturen entwickelten, lag letztlich auch an der Bereitschaft des alteingesessenen Stadtbürgertums, die Selbstinitiative zu ergreifen und neue wirtschaftliche Risiken einzugehen.19 Auf diese Weise initiierten und gestalteten sie den Modernisierungsprozess in den Städten maßgeblich mit. Jedoch verlief dieser Prozess keineswegs in allen deutschen Städten nach einem einheitlichen Muster. Abhängig vom jeweiligen Stadttypus (Residenzstadt, Handelsstadt, Universitätsstadt, Ackerbürgerstadt etc.) kam es im Laufe der zweiten Hälfte des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer stärkeren Ausdifferenzierung des alten Stadtbürgertums.20 Während in manchen Städten die Herausbildung einer „modernen“ Stadtbürgerschaft erstaunlich schnell vollzogen wurde, gab es gleichzeitig auch Städte, in 18 Vgl. hierzu grundlegend GALL, LOTHAR: Einleitung. Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur modernen Gesellschaft, in: Ders. (Hrsg.): Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur modernen Gesellschaft, München 1993, S. 1–12. Speziell für Thüringen vgl. vor allem die zahlreichen Beiträge in HAHN/GREILING/RIES (Hrsg.): Bürgertum in Thüringen. 19 Welche Wege die alten, fest im städtischen Bürgertum verankerten Familien im 18. und 19. Jahrhundert eingeschlagen haben bzw. welche Modernisierungsimpulse von diesen Familien ausgegangen sind, hat Lothar Gall exemplarisch an der in Heidelberg und Mannheim ansässigen stadtbürgerlichen Kaufmannsfamilie Bassermann nachgezeichnet. Vgl. GALL, LOTHAR: Bürgertum in Deutschland, Berlin 1989, S. 54–289. Nicht nur im badischpfälzischen Raum, sondern auch in Thüringen finden sich Ende des 18. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einigen Städten entsprechende Beispiele von städtischen Kaufmannsfamilien, wie etwa die Familie Arnoldi in Gotha, die ebenfalls nach wirtschaftlichem Aufstieg sowie stärkerem politischem Einfluss strebten und sich dabei in ihrem Wirken an dem Bürgerideal der Aufklärung orientierten. Vgl. BALLENTHIN, SVEN: Ein Gothaer Unternehmer zwischen privaten Geschäften, städtischem Engagement und nationalen Reformversuchen. Ernst Wilhelm Arnoldi, in: Hahn/Greiling/Ries (Hrsg.): Bürgertum in Thüringen, S. 231–252. 20 Vgl. GALL: Einleitung, S. 4 f.

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denen sich große Teile des alten Stadtbürgertums als ausgesprochen reformunwillig zeigten und weiterhin auf die Beibehaltung altständischer Prinzipien pochten. Tendenziell ist zumindest zu beobachten, dass sich immer mehr Bürger aus der „traditionellen“ Stadtbürgerschaft im Laufe des 19. Jahrhunderts auch als „gebildete“ Bürger verstanden haben, doch lässt es sich nur schwer überprüfen, ob das Niveau ihrer Bildung wirklich in allen Fällen ausreichend war, dem akademischen Diskurs der Aufklärung zu folgen. Ebenso darf angezweifelt werden, ob alle Berufsgruppen des alten Stadtbürgertums überhaupt das Bedürfnis verspürt haben, am (volks-)aufklärerischen Diskurs teilzuhaben und die dort generierten Ideen in der Praxis auch umzusetzen. Während die Familien des Kaufmanns- und Handelsstandes zweifelsfrei zu den treibenden Kräften des reformwilligen Stadtbürgertums gehörten, dürfte das Hauptinteresse der Vertreter des Kleingewerbes und des Handwerkes eher auf der Verteidigung ihrer stadtbürgerlichen Privilegien sowie auf der Sicherung der eigenen beruflichen Zukunft gelegen haben. Wenngleich unbestritten ist, dass auch aus dem alten Handwerksstand wichtige Reformimpulse hervorgegangen sind, dürfte die Vorstellung eines wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandels oder die Ausrichtung des Lebens nach rein leistungsorientierten Prinzipien auf diese Teile des städtischen Bürgertums weitaus weniger Attraktivität ausgestrahlt haben. In ihren Augen blieb das Bürgerrecht zunächst weiterhin ein exklusives, ständisches Recht, das vor allem die eigene soziale Position gegenüber anderen Stadtbewohnern aufwertete.21 Es bleibt demnach fraglich, ob alle unterschiedlichen sozialen Gruppierungen des alten Stadtbürgertums überhaupt dazu bereit waren, die Ideale der Aufklärung zu vertreten. Etwa die Vorstellung von einer allgemeingültigen Rechtsgleichheit oder Gewerbefreiheit dürften zumindest einige Stadtbürger vehement abgelehnt haben, weil sie den unmittelbaren Verlust der eigenen gehobenen Stellung innerhalb der Stadtmauern bedeutet hätte. Festzuhalten bleibt, dass diejenigen Bürgerlichen, die sich öffentlich zur Aufklärung bekannten, mehrheitlich nicht zur altständischen, traditionellen Stadtbürgerschaft gehörten. Dennoch wurde ihr Lebensstil als besonders „bürgerlich“ wahrgenommen, da sie im Laufe des 18. Jahrhunderts auf Stadt- und Kommunalebene immer wichtigere administrative Funktionen ausübten.22 Den Zugang zu den städtischen Verwaltungsämtern erreichten diese Bürgerlichen mithilfe ihrer Ausbildung und nicht aufgrund ihrer sozialen Herkunft. Ebenso besaß ein Teil dieser gebildeten und als „modern“ wahrgenommenen Bürgerlichen nicht das städtische Bürgerrecht. Die Anerkennung als „Bürger“ erfolgte in diesem Fall 21 KOCKA, JÜRGEN: Bürgertum und Bürgerlichkeit als Probleme der deutschen Geschichte vom späten 18. zum frühen 19. Jahrhundert, in: Ders. (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, S. 21. 22 Vgl. SCHMIDT: Wandel durch Vernunft, S. 302–305.

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nicht durch geburtsständisches Recht, sondern durch die getreue Ausübung eines dem aufklärerischen Bürgerideal verpflichteten Berufes. Damit unterschieden sich diese Bürgerlichen signifikant vom altständischen Stadtbürgertum. Ihre beruflichen Interessen lagen vorrangig im Staatsdienst und nicht in den traditionellen städtischen Wirtschaftszweigen. Hinzu kam, dass sie einige politisch-gesellschaftliche Ziele vertraten, die zum Teil konträr zu den Vorstellungen des traditionellen Stadtbürgertums waren. In der Forschung wird diese neue Schicht von „Bürgerlichen“ mitunter auch als „funktionales Bürgertum“ bezeichnet.23 Zum funktionalen Bürgertum zählten Akademiker, Gelehrte, Beamte, Pfarrer, Verleger, Ärzte, Juristen und Schriftsteller. Sie alle hatten eine höhere Ausbildung genossen und waren berufsmäßig an städtische, staatliche oder kirchliche Institutionen gebunden. Diese funktionalen Bürger, deren beruflicher Werdegang unmittelbar an Wissen und Bildung gebunden war, können ebenso als „Bildungsbürger“ bezeichnet werden. Der Begriff des „Bildungsbürgers“ ist allerdings nicht dem zeitgenössischen Sprachgebrauch entlehnt. Der Begriff des „Bildungsbürgertums“ ist ein Konstrukt der historischen Forschung des 20. Jahrhunderts und umfasst die Gruppe der gebildeten Bürger, die ihr Einkommen und ihre soziale Position einer akademischen Ausbildung verdanken.24 Dabei ist zu beachten, dass der gebildete Bürger nicht mit einem Gelehrten gleichgesetzt werden kann. Der „Gelehrtenstand“ verkörperte seit dem Spätmittelalter die lateinische Buchgelehrsamkeit und setzte sich im Wesentlichen aus Theologen, Juristen und Medizinern zusammen.25 Bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert präsentierte sich der „Stand der Gelehrten“ weitgehend als soziale Einheit mit einem klar definierten Platz im korporativ-zünftischen System der alten Ständegesellschaft.26 Allerdings erschien mit dem „gebildeten Bürger“ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein neuer Sozialtypus, der dem Gelehrtenstand nicht mehr eindeutig zugeordnet werden konnte und dadurch das 23 Vgl. u.a. LUNDGREEN, PETER: Bildung und Bürgertum, in: Ders. (Hrsg.): Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums. Eine Bilanz des Bielefelder Sonderforschungsbereiches (1986–1997), Göttingen 2000, S. 173–194; WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 202–210; SCHMIDT: Wandel durch Vernunft, S. 302–307. 24 Zur Problematik des Begriffs des Bildungsbürgertums in der historischen Forschung vgl. KOCKA, JÜRGEN: Bildungsbürgertum – Gesellschaftliche Formation oder Historikerkonstrukt?, in: Ders. (Hrsg.): Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Teil IV: Politischer Einfluß und gesellschaftliche Formation, Stuttgart 1989, S. 9–20. 25 Vgl. LUNDGREEN: Bildung und Bürgertum, S. 173. 26 Vgl. BÖDECKER, HANS ERICH: Die „gebildeten Stände“ im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert: Zugehörigkeit und Abgrenzungen. Mentalitäten und Handlungspotentiale, in: Kocka (Hrsg.): Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Teil IV, S. 21–23; ENGELHARDT, ULRICH: „Bildungsbürgertum“. Begriffs- und Dogmengeschichte eines Etiketts, Stuttgart 1986, S. 30–64.

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ständische Gesellschaftssystem langfristig zu sprengen drohte.27 Die Begriffe „Gelehrsamkeit“ und „Bildung“ waren im 18. Jahrhundert keinesfalls deckungsgleich. Im Gegensatz zur „Gelehrsamkeit“ war die „Bildung“ kein spezifisches Standesmerkmal, sondern eine Eigenschaft, die allen Bevölkerungsschichten zugeschrieben werden konnte.28 Im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelten sich die Worte „Bildung“ und „gebildet“ zu Schlüsselbegriffen der Aufklärung. Der Begriff des „Gebildeten“ implizierte soziale Offenheit, während der Begriff des „Gelehrten“ auf feste ständische Strukturen verwies.29 Auf diese Weise wurde der traditionelle „Gelehrtenstand“ abgewertet und gegen Ende des 18. Jahrhunderts neu definiert.30 Der Begriff des „Gelehrten“ wurde auf den akademischen Bereich reduziert und fortan nur noch mit der Berufsgruppe der Professoren, Hochschullehrer und Wissenschaftler in Verbindung gestellt.31 Personen, die studiert und einen akademischen Abschluss erworben hatten, aber in der Folgezeit nicht mehr im akademischen Bereich tätig waren, galten nicht als „gelehrt“, sondern als „gebildet“. Pfarrer, Ärzte, Verwaltungsbeamte, Rechtsanwälte, Apotheker und Lehrer wurden demnach am Ende des 18. Jahrhunderts nicht dem „Gelehrtenstand“ zugeordnet. Sie wurden unter dem Begriff der „gebildeten Stände“ zusammengefasst, der aufgrund seiner sozialen Offenheit nach oben und unten allerdings keinen Gesellschaftsstand nach altständischem Prinzip darstellte.32 So bestand die Möglichkeit, dass Personen anderer Stände, etwa des Bauernoder Adelsstandes, in den „Stand der Gebildeten“ integriert werden konnten. Grundvoraussetzung einer Integration war ein höherer Bildungsabschluss. Weil die „Gelehrten“ diesen Punkt mehr als hinreichend erfüllten, wurden sie im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sukzessive in den „Stand der Gebildeten“ eingegliedert.33 Folgt man den Ausführungen Engelhardts, umfassten die „Gebildeten“ bzw. der daraus neu konstruierte Begriff der „gebildeten Stände“ in der Übergangsphase vom 18. zum 19. Jahrhundert alle „Gelehrten“ und „Studierten“.34 Aufgrund der starken Bindung an akademische Bildungsabschlüsse erhoben sich die „gebildeten Stände“, trotz aller sozialen Offenheit, unweigerlich zu einer neuen

27 28 29 30 31 32

Vgl. ENGELHARDT: „Bildungsbürgertum“, S. 64 f.; MÖLLER: Vernunft und Kritik, S. 294. Vgl. BÖDEKER: Die „gebildeten Stände“, S. 22 f. Vgl. ebd., S. 23. Vgl. ENGELHARDT: „Bildungsbürgertum“, S. 64–79. Vgl. ebd., S. 71–75. Vgl. VIERHAUS, RUDOLF: Umrisse einer Sozialgeschichte der Gebildeten in Deutschland, in: Ders. (Hrsg.): Deutschland im 18. Jahrhundert. Politische Verfassung, soziales Gefüge, Geistige Bewegungen, Göttingen 1987, S. 168; BÖDEKER: Die „gebildeten Stände“, S. 23 f. 33 Vgl. ENGELHARDT: „Bildungsbürgertum“, S. 64–66. 34 Vgl. ebd., S. 70.

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gesellschaftlichen Oberschicht.35 Eine akademische Ausbildung war an die ökonomischen Verhältnisse der Eltern gebunden. Wer nicht über die entsprechenden finanziellen Ressourcen verfügte, hatte geringere Chancen, eine höhere Schule oder eine Universität besuchen zu können. Vermögenslosen Personen aus dem Bauern-, Handwerker- und Unterschichtenmilieu, die geneigt waren, ein Universitätsstudium aufzunehmen, blieb in diesem Fall nur die Möglichkeit der Vergabe eines fürstlichen oder kirchlichen Stipendiums. Während die Integration der „Gelehrten“ in die „gebildeten Stände“ ohne größere Schwierigkeiten vonstatten ging, gestaltete sich die Aufnahme von Personen aus den unteren Ständen um ein Vielfaches schwieriger, weil sich die finanziellen Barrieren zur Aneignung höherer Schulbildung nicht ohne Weiteres überbrücken ließen. Die „Gebildeten“ waren sich der sozialen Aufstiegsmöglichkeiten, die ihnen eine akademische Ausbildung ermöglichen konnte, durchaus bewusst. Deshalb suchte die Mehrzahl der „Gebildeten“ ihr Glück im Staatsdienst oder in freien Berufen, die von staatlicher Seite strikt reglementiert waren. Die Ausübung einer „staatsnahen Profession“, egal ob als Pfarrer, Beamter, Lehrer, Arzt oder Rechtsanwalt, war äußerst prestigeträchtig und steigerte das persönliche Ansehen innerhalb der Gesellschaft. Trotz der Tatsache, dass das innere Sozialprofil der „gebildeten Stände“ stark schwankte,36 weil je nach Beruf die Einkommensbezüge deutlich variierten, bedeutete jede Profession, die eine akademische Ausbildung voraussetzte, eine erhebliche soziale Statusaufwertung. Selbst diejenigen Lehrer und Pfarrer, die in bescheidenen Verhältnissen lebten, waren gegenüber ihren Mitmenschen aus dem Bauern- und Handwerksstand, die mitunter über wesentlich mehr Besitz und Einkommen verfügten, sozial höher gestellt. Dadurch avancierten die „gebildeten Stände“ im ausgehenden 18. Jahrhundert zu einer neuen gesellschaftlichen (Funktions-)Elite, die sich durch den Erwerb höherer Bildung deutlich von anderen Ständen, vor allem vom Bauernstand und vom gewerblichen Bürgertum, abgrenzte. Der Erwerb von „Bildungspatenten“, wie es Peter Lundgreen formulierte,37 war in der ständischen Gesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts der kalkulierbarste und sicherlich auch der erfolgreichste und schnellste Weg für einen möglichen sozialen Aufstieg.38 Wenn man fragt, wie bürgerlich die Aufklärung war, darf aber nicht nur der neue „Stand“ der Bildungsbürger in den Blick genommen werden, sondern ebenso das aufstrebende Wirtschaftsbürgertum. Wie das Bildungsbürgertum war auch das Wirtschaftsbürgertum kein traditioneller Stand. Im Zuge der ökonomischen 35 36 37 38

Vgl. BÖDEKER: Die „gebildeten Stände“, S. 23. Vgl. ebd., S. 25 f. Vgl. LUNDGREEN: Bildung und Bürgertum, S. 173–177. Wobei hier allerdings zu beachten ist, dass nicht wenigen „Gebildeten“ der soziale Aufstieg verwehrt blieb und sie ein ärmliches Leben führen mussten. Vgl. DÜLMEN: Kultur und Alltag, Bd. 3, S. 256.

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Veränderungen in der gewerblichen Wirtschaft im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert entwickelte sich neben dem Bildungsbürgertum eine weitere neue „bürgerliche Schicht“, die aufgrund ihrer stark kapitalorientierten Wirtschaftsweise in der Forschung als „modernes Wirtschaftsbürgertum“ bezeichnet wird. Als im ausgehenden 18. Jahrhundert zahlreiche Unternehmer die zünftischen Gewerbeschranken zu überwinden suchten und damit Erfolg hatten, wurde immer offensichtlicher, dass die gewerbliche Wirtschaft vor einem tief greifenden Wandel stand. Durch neue Technologien und verstärkten Kapitaleinsatz wurden in der Übergangsphase vom 18. zum 19. Jahrhundert die Grundlagen der späteren Industrialisierung gelegt.39 Um 1800 entstanden in einigen Gewerbezweigen, etwa im Textilgewerbe, protoindustrielle Strukturen, die das Entstehen frühindustrieller Regionen in Deutschland begünstigt haben.40 Durch Rationalisierungsprozesse in der Herstellung war es gelungen, die Massenproduktion von bestimmten Gütern und Waren zu steigern und für diese neue Absatzmärkte zu erschließen. Warum in einigen Gewerbezweigen eine wirtschaftliche Expansion vorangetrieben wurde, liegt auf der Hand. Die Versorgung überregionaler Märkte durch eine Steigerung des Warenexports versprach größere finanzielle Profite. Für manche Gewerbezweige war eine ausschließliche Fokussierung auf die heimischen Märkte sogar unprofitabel. Bestimmte (Luxus-)Waren verlangten ausdrücklich einen größeren Absatzmarkt, weil die heimischen Märkte nur zum Teil über die entsprechende Kaufkraft verfügten, um die dort angesiedelten Gewerbe langfristig aufrechtzuerhalten. Die exportorientierten, ökonomischen Expansionsbestrebungen um 1800 deuteten bereits an, in welche Richtung sich der deutsche Wirtschaftsraum im 19. Jahrhundert verändern sollte. Auch die verschiedenen staatlichen Institutionen erkannten, dass ein dauerhafter gesamtwirtschaftlicher Erfolg nur durch eine Intensivierung der wirtschaftlichen Verflechtungen des deutschen Binnenmarktes erzielt werden konnte.41 Seit Ende des 18. Jahrhunderts versuchten etliche reformorientierte Beamte, ökonomische Wachstumskräfte freizusetzen, was letztlich die Öffnung der Zunftsysteme und die Realisierung 39 Zu den Grundlagen und zur Entwicklung der Industrialisierung in Deutschland vgl. HAHN, HANS-WERNER: Die Industrielle Revolution in Deutschland, 2. Aufl. München 2005. 40 Vgl. hierzu KRIEDTE, PETER/MEDICK, HANS/SCHLUMBOHM, JÜRGEN: Industrialisierung vor der Industrialisierung. Gewerbliche Warenproduktion auf dem Land in der Formationsperiode des Kapitalismus, Göttingen 1977. Allerdings hat die Forschung bisher noch nicht schlüssig darlegen können, welche Faktoren der „Protoindustrialisierung“ besonders ausschlaggebend für den Aufstieg der Frühindustrialisierung bzw. die wenig später einsetzende kapitalistische Industrialisierung waren. Vgl. hierzu PIERENKEMPER, TONI: Gewerbe und Industrie im 19. und 20. Jahrhundert, 2. Aufl. München 2007, S. 51–58. 41 Vgl. BOCH, RUDOLF: Staat und Wirtschaft im 19. Jahrhundert, München 2004, S. 4–28.

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eines freien Warenverkehrs zur Folge hatte. Kapitalkräftige und selbstbewusste Bürger erkannten die neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten und investierten in Betriebsformen, die auf Massenproduktion setzten. Pierenkemper zufolge wurde dadurch in den Jahren um 1800 bis zum Ende der 1830er Jahre in der gewerblichen Wirtschaft eine Übergangsphase eingeleitet, in der die alten Gewerbestrukturen schrittweise durch das Eindringen neuer Wirtschaftselemente (Kapitalakkumulation, Einsatz neuer Technologien, Massenproduktion, Marktexpansion, staatliche Reformen etc.) nachhaltig verändert wurden.42 In der Summe bewirkten diese gewerblichen Strukturänderungen im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Ausbreitung kapitalistischer Wirtschaftsweisen, was wiederum dem Aufbau einer industriellen Wirtschaft zugute kam. Dass eine Veränderung des Wirtschaftssystems auf Dauer unumgänglich war, lag aber auch an den Problemen, die das rapide Bevölkerungswachstum im 18. und 19. Jahrhundert verursachte. Neben der Landwirtschaft waren es vor allem die traditionellen gewerblichen Wirtschaftszweige, das „alte“ Handwerk und das Heimgewerbe, die den rapiden Bevölkerungsanstieg nicht mehr kompensieren konnten. Das Anwachsen der Bevölkerung stürzte den Agrarsektor und das traditionelle Handwerk ab 1800 in eine schwerwiegende Strukturkrise. Zwar bestimmte zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Handwerk noch eindeutig die gewerbliche Produktion,43 doch durch den stetigen Anstieg der Beschäftigungszahlen im Handwerk, der sich proportional zum Bevölkerungswachstum verhielt, entstand ein zunehmendes Missverhältnis zwischen Produktionsinvestition und Gewinnausschüttung. Das übermäßige Wachstum wirkte sich negativ auf das traditionelle Handwerk aus. Vor allem die zünftig organisierten Kleinbetriebe, die ihre Warenproduktion fast ausschließlich auf den lokalen Markt ausgerichtet hatten, um den örtlichen Grundbedarf an Nahrung, Kleidung und Wohngütern abzudecken, litt unter der Expansion der Handwerkerzahlen.44 Die Folgen dieser Entwicklung waren für das traditionelle Handwerk verheerend. Spätestens in den 1830er Jahren kam es zu einer zunehmenden Unterbeschäftigung im Handwerk, was zu sinkenden Einkommen führte, so dass einige Kleinhandwerker sogar gezwungen waren, unter dem Existenzminimum zu leben. Im Zusammenspiel mit den hohen Beschäftigungszahlen wirkten sich die Produktionsabläufe und die feste Marktgebundenheit äußert ungünstig auf das traditionelle Handwerk aus. Durch die Aufrechterhaltung der Zunftzwänge waren viele kleinere städtische Handwerksbetriebe gar nicht in der Lage, sich einem größeren Wettbewerb zu stellen. Verstärkt wurde die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit wegen ausbleibender Zuhilfenahme neuer Produktionstechnologien und 42 Vgl. PIERENKEMPER: Gewerbe und Industrie, S. 5–8. 43 Vgl. ebd., S. 10. 44 Vgl. ebd., S. 12 f.

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einer damit verbundenen stärker ausdifferenzierten Arbeitsteilung. Zum eigenen Leidtragen stellte das traditionelle Handwerk die Warenherstellung nicht auf neue mechanisierte und arbeitsteilige Produktionsmethoden um. Folgt man den Ausführungen Pierenkempers, dann wurden auch im 19. Jahrhundert „einzelne Werkstücke zumeist von Anfang bis Ende durch ein und dieselbe Person bearbeitet“.45 Die Erschließung erweiterter, überregionaler Märkte war unter diesen Umständen faktisch unmöglich. Dass es dennoch möglich war, das Zunftwesen zu umgehen und für einen überregionalen Markt zu produzieren, zeigte das Verlagssystem, das sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum direkten Konkurrenten des traditionellen Handwerks entwickelte.46 Im Gegensatz zu den Zunfthandwerkern, die auf die lokalen Märkte spezialisiert waren, bedienten Verleger nicht nur die heimischen, sondern auch die überregionalen Märkte mit Waren. Die dezentrale Organisation der Verlage erlaubte eine Massenproduktion der angebotenen Güter, so dass Exportgeschäfte ohne große Gewinnverluste zu realisieren waren. Die Warenherstellung erfolgte von Arbeitskräften aus dem nicht zünftig organisierten Heimgewerbe, das mehrheitlich auf dem Land ansässig war. Weil er keine zünftigen Konzessionen zu beachten hatte, konnte der Verleger die Produktionsmenge der herzustellenden Waren und die Anzahl der angeworbenen Arbeitskräfte exakt nach seinen Vorstellungen bestimmen. Zudem beschaffte er die notwendigen Rohstoffe für die Warenproduktion und war in der Lage, die Löhne der Heimgewerbetreibenden nach seinen Bedingungen auszuhandeln. Wenn nötig, konnte er außerdem zusätzliche Produktionsmittel zur Verfügung stellen und einzelne Produktionsschritte auf mehrere „Heimbetriebe“ verteilen.47 Auf diese Weise konnten Verleger flexibel auf eine steigende oder eine abfallende Nachfrage reagieren und bei Bedarf die Warendistribution auch auf überregionale Märkte ausweiten. Aufgrund der hohen Anpassungsfähigkeit an die sich ändernden ökonomischen Bedingungen erlangte der Verlag zu Beginn des 19. Jahrhunderts besondere Bedeutung für die moderne Kapitalwirtschaft.48 Den Verlagen war es gelungen, die Produktivität durch fortschreitende Teilung der Arbeit zu erhöhen, neue Produktionstechniken fortzuentwickeln, Produktionsbereiche besser zu kontrollieren und größere und differenziertere Märkte zu erschließen. Für Rohstoffbeschaffung, Produktionskontrolle und Warenvertrieb benötigten die Verleger Kapital. Vor allem große Exportgeschäfte ließen sich ohne Kapitalakkumulation nicht verwirklichen. Als schließlich in der Übergangsphase vom 18. zum 19. Jahrhundert mehrere Verleger bei der Produktion ihrer Waren nicht mehr allein auf Heimarbeit, sondern auch auf 45 46 47 48

Vgl. ebd., S. 12. Vgl. WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 94–97. Vgl. ebd., S. 95. Vgl. PIERENKEMPER: Gewerbe und Industrie, S. 14–18; KOCKA, JÜRGEN: Unternehmer in der deutschen Industrialisierung, Göttingen 1975, S. 21 f.

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zentrale Werkstattarbeit setzten, lieferten die Verlage zudem wichtige Impulse für die zukünftige Entfaltung des Industriekapitalismus.49 Obwohl sich die Aufklärung intensiv mit dem Thema Wirtschaft und Handel auseinandergesetzt hatte und in der Literatur oftmals für eine Erweiterung der wirtschaftlichen Handlungsspielräume plädierte,50 wurde das moderne Wirtschaftsbürgertum, im Gegensatz zu dem sich ebenfalls neu formierenden Bildungsbürgertum, nicht unmittelbar mit der Aufklärung in Verbindung gesetzt. Dieser Umstand verwundert ein wenig, insbesondere wenn man bedenkt, dass vor allem das moderne Wirtschaftsbürgertum die Überwindung des Zunftsystems anstrebte und damit der Aufforderung der Aufklärung nach Gewährleistung größerer wirtschaftlicher Freiheiten am stärksten Nachdruck verlieh. Im Zusammenspiel mit aufgeklärten und reformorientierten Beamten gelang es dem modernen Wirtschaftsbürgertum, die altständisch-korporativen Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen seit Ende des 18. Jahrhunderts sukzessive aufzuweichen. Besonderes Merkmal der Aufklärung war ihre hohe Bereitschaft zur Kritikausübung an den vorherrschenden religiösen, politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Zuständen. Keine andere Denkströmung hat so massiv traditionelle Strukturen und Vorstellungen in Frage gestellt. Alle Lebensbereiche des Menschen sollten optimiert werden, um das Wohl des Einzelnen und der Gesellschaft zu heben. Damit dieses Ziel erreicht werden konnte, war die Umgestaltung bestimmter sozial-kultureller, politischer und wirtschaftlicher Bereiche unumgänglich. Das Programm der Aufklärung blieb nicht nur ein theoretisches Konstrukt, sondern war ebenso praktisch ausgerichtet.51 Bei der praktischen Umsetzung aufklärerischer Verbesserungsvorschläge sollten aber nicht nur die dem Bildungsbürgertum zugehörigen reformwilligen Beamten in den Blick genommen werden, sondern auch die Bürgerschichten, die sich konkret auf praktischer Ebene der neuen Reformen bedienten. Dass im ökonomischen Bereich die Überwindung altständischer Strukturen seit Ende des 18. Jahrhunderts relativ zügig bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts 49 WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 97. 50 Beispielsweise zeichnete der schottische Gelehrte Adam Smith in seinem Hauptwerk über den „Wohlstand der Nationen“ detailliert die wirtschaftlichen Mechanismen und Verhältnisse im Zeitalter der Aufklärung nach. Aber auch in Deutschland setzten sich die Aufklärer intensiv mit wirtschaftlichen Fragen auseinander, wenngleich ihre Schriften nicht die Wirkungsmächtigkeit eines Adam Smith entfalteten. Vgl. SMITH, ADAM: Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen. Aus dem Englischen übertragen und mit einer umfassenden Würdigung des Gesamtwerkes, hrsg. von Horst Claus Recktenwald, 5. Aufl. München 1990. 51 Vgl. DÜLMEN: Kultur und Alltag, Bd. 3, S. 212; SCHNEIDERS: Das Zeitalter der Aufklärung, S. 12; MÜLLER: Die Aufklärung, S. 3. Vgl. hierzu außerdem GRUNERT, FRANK/ VOLLHARDT, FRIEDRICH (Hrsg.): Aufklärung als praktische Philosophie. Werner Schneiders zum 65. Geburtstag, Tübingen 1998.

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vollzogen wurde, war sicherlich auch ein Verdienst des modernen Wirtschaftsbürgertums. Vor allem Kaufleute, Manufakturbesitzer, Verleger sowie etliche Personen aus dem alten, geburtsständischen Handwerk, die in der Übergangsphase vom 18. zum 19. Jahrhundert allmählich das moderne Wirtschaftsbürgertum konstituierten,52 dürften einigen aufklärerischen Ideen nicht abgeneigt gewesen sein. Dass die Aufklärung nicht nur im Bildungs-, sondern auch im Wirtschaftsbürgertum Fuß gefasst hatte, zeigt ein Blick in die Mitgliederlisten der aufgeklärten Sozietäten. Zwar dominierte mit den Beamten, Geistlichen, Lehrern, Professoren, Ärzten und Juristen eindeutig das Bildungsbürgertum die deutschen Aufklärungsgesellschaften, doch finden sich in fast allen Lesegesellschaften, Freimaurerlogen und gemeinnützigen Gesellschaften ebenso Kaufleute, Verleger und Handwerker.53 Dass Kaufleute und Handwerker in Aufklärungsgesellschaften eintraten, lässt vermuten, dass Teile des Wirtschaftsbürgertums Interesse daran hatten, sich über aufklärerische Themen auszutauschen und einen Weg zur kommunikativen Vernetzung mit dem als aufklärerisch geltenden Bildungsbürgertum gesucht haben. Im speziellen Falle der Verlagsbuchhändler wird außerdem deutlich, wie intensiv Wirtschaft und Aufklärung im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert miteinander verzahnt waren. Bekannte Verleger wie etwa Friedrich Justin Bertuch, Johann Friedrich Cotta, Friedrich Arnold Brockhaus oder Carl Joseph Meyer sorgten mit ihren Schriften dafür, dass das Wissen und die Ideen der Aufklärung verstärkt Verbreitung fanden und somit auch von einem breiten Publikum rezipiert werden konnten. Oftmals betätigten sie sich auch selbst als Schriftsteller. Wenngleich gesagt werden muss, dass ihr publizistisches Wirken nicht immer einen direkten Bezug zur Aufklärung hatte, waren kritische Äußerungen über feudale und altständische Strukturen keine Seltenheit. So gesehen, bildeten die Verlagsbuchhändler um 1800 eine „Mischform“ aus Bildungs- und Wirtschaftsbürger. Bis zur Herausbildung zentralistisch organisierter Großbetriebe und dem Beginn der ersten intensiven Industrialisierungsphase in den 1840er Jahren stellten sie eine Art Bindeglied zwischen dem sich neu formierenden 52 Vgl. hierzu MÖCKL, KARL: Wirtschaftsbürgertum im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Einleitung, in: Ders. (Hrsg.): Wirtschaftsbürgertum in den deutschen Staaten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, München 1996, S. 7–9; HAHN: Die industrielle Revolution, S. 74 f.; Kocka: Unternehmer, S. 33 f. 53 Vgl. DÜLMEN: Die Gesellschaft der Aufklärer, S. 59, 68 u. 87. Die detaillierten Analysen von Felicitas Marwinski und Holger Zaunstöck zur Sozial- und Berufsstruktur der Mitgliedschaften in den mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften zeigen ebenfalls, dass im Schnitt 10–20 % der Mitglieder der aufklärten Sozietäten aus dem Gewerbe kamen. Vgl. MARWINSKI, FELICITAS: Von der „Societas litteraria“ zur Lesegesellschaft. Gesellschaftliches Lesen in Thüringen während des 18. und zu Beginn des 19. Jh. und sein Einfluß auf den Emanzipationsprozeß des Bürgertums, 2. Teile, Diss. phil., Jena 1982; ZAUNSTÖCK, HOLGER: Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert, Tübingen 1999, S. 139–226.

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modernen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum dar, das eine starke Affinität zu aufklärerischen und später liberalen Ansichten pflegte. Es lässt sich deshalb kaum von der Hand weisen, dass die Verlagsbuchhändler maßgeblichen Anteil an der Verbreitung und der praktischen Umsetzung der Aufklärung hatten. Wie sich also zeigt, kann das Bürgertum des 18. und 19. Jahrhunderts keineswegs als gesellschaftliche Einheit erfasst werden. Weil die Zeitgenossen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts das alte Stadtbürgertum und das aufstrebende neue Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum, ohne eine sprachliche Ausdifferenzierung vorzunehmen, unter den Begriff des „Bürgertums“ subsumierten,54 entsteht zunächst der Eindruck, dass das „Bürgertum“ eine weitgehend geschlossene Gesellschaftsschicht war. Bei näherer Betrachtung der einzelnen bürgerlichen Gruppierungen wird allerdings deutlich, dass deren kulturelle, ökonomische und auch politische Interessen mitunter in völlig gegensätzliche Richtungen liefen. Es erweist sich als äußerst schwierig, eine der drei genannten bürgerlichen Schichten (Stadt-, Bildung-, Wirtschaftsbürgertum) pauschal der Aufklärung zuzuordnen. Das Bürgertum als Ganzes kann jedenfalls nicht per se als aufklärerisch eingestuft werden. Zweifelsfrei setzte sich das Bildungsbürgertum am stärksten für die Umsetzung aufklärerischer Ideen ein, doch daraus abzuleiten, dass jeder Bildungsbürger ein Verfechter der Aufklärung war, kann ausgeschlossen werden. Nicht jeder Gebildete musste zwangsläufig ein Aufklärer sein. Nicht nur unter den Adligen, sondern auch in bürgerlichen Kreisen gab es Gebildete, die eher konservativen Denkströmungen verhaftet waren. Die Aufklärung bildete einen ganzen Komplex an unterschiedlichen Tendenzen und Zielen,55 die kaum ein Aufklärer in Gänze vertrat. Etwa die Forderung der Aufklärung nach einer rechtlichen Gleichstellung aller Menschen wurde nicht von allen Aufklärern geteilt. Wie Richard van Dülmen aufgezeigt hat, verstand ein Teil der Bürgerlichen unter Gleichheit nicht die Gleichstellung aller Menschen, sondern die Gleichrangigkeit von Bürgern und Adligen.56 Auch hatten die überwiegend männlichen Aufklärer ein eher ambivalentes Verhältnis zur Stellung der Frau in der Gesellschaft. Auf der einen Seite plädierten die Aufklärer für eine elementare Schulausbildung der Mädchen und Frauen, verweigerten ihnen aber gleichzeitig den Besuch einer höheren Schule oder einer Universität. Die gesellschaftlichen Aufgaben der Frauen sollten sich auf die Hauswirtschaft und die Erziehung der Kinder beschränken. Wenn die Aufklärer von der Gleichheit aller Menschen sprachen, dann war in aller Regel die Emanzipation der beiden Geschlechter nicht mit eingeschlossen. Ebenso folgten nicht alle Aufklärer konsequent dem aufklärerischen Postulat nach religiöser Toleranz. Vor allem Aufklärer, die der protestantischen Konfes54 Vgl. KOCKA: Bürgertum und Bürgerlichkeit, S. 24. 55 Vgl. hierzu Kapitel VI. 56 DÜLMEN: Kultur und Alltag, Bd. 3, S. 262 u. 266.

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sion angehörten, äußerten regelmäßige Kritik am Katholizismus und am Judentum. Auch in der Forderung nach politischer Selbstbestimmung gingen die einzelnen Aufklärer unterschiedliche Wege. Während die Mehrheit am Reformabsolutismus festhielt und sich für ein erweitertes politisches Mitspracherecht des Bürgertums innerhalb einer konstitutionellen Monarchie aussprach, gab es ebenso eine kleine Minderheit, die in Anlehnung an Jean-Jacques Rousseau für republikanische Verhältnisse plädierte. Es gestaltet sich demnach alles andere als einfach, die „Gesellschaft der Aufklärer“ als homogene Einheit zu erfassen. Vielmehr muss darauf hingewiesen werden, dass die Aufklärer mehr oder weniger unterschiedliche Ziele verfolgten, die in manchen Fällen sogar konservativ anmuten, weil sie mitunter dem einen oder anderen aufklärerischen Ideal zuwiderliefen. Außerdem ist zu beachten, dass die Aufklärung grundsätzlich ständetranszendierend gewirkt hat und die Träger der Aufklärung nicht pauschal einer bestimmten Gesellschaftsschicht zugerechnet werden können. Aufklärer finden sich im 18. und 19. Jahrhundert im Adel und Klerus sowie im alten Stadt- und im neuen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum. Im Gegenzug finden sich aber genau in diesen Bevölkerungsgruppen ebenso viele Vertreter anderer Denkströmungen. So wie die Aufklärung auf andere geistige Bewegungen einwirkte, beispielsweise auf den Pietismus, wurde auch sie von anderen zeitgleich existierenden Strömungen beeinflusst. Dass die Aufklärung in manch einem Punkt mit anderen Bewegungen konform ging, muss daher nicht verwundern. Gleichwohl vertrat die Aufklärung eine bestimmte „Grundhaltung“, die sie eindeutig von anderen Denkströmungen abgrenzte. Diese „Grundhaltung“ lag vor allem in der bedingungslosen Bereitschaft, alle Bereiche des menschlichen Denkens dem Prinzip der Vernunft zu unterwerfen, verbunden mit der Überzeugung, durch eine vernunftorientierte Denkweise den einzelnen Menschen und die Gesellschaft reformieren und verbessern zu können. Alle Personen, unabhängig von ihrem Stand bzw. ihrer Stellung innerhalb der Gesellschaft, die bereit waren, ihr Leben nach dieser „Grundhaltung“ auszurichten, können der Gruppe der Aufklärer zugeordnet werden. Nicht jeder Aufklärer betrachtete es allerdings als seine gesellschaftliche Aufgabe, die Aufklärung ins „Volk“ zu tragen. Die Mehrheit der Aufklärer plädierte zwar für eine Ausbreitung der Aufklärung in alle Bevölkerungsschichten, was aber nicht bedeutete, dass sich alle Aufklärer automatisch an der Umsetzung dieser Intention beteiligten. Wie Holger Böning und Reinhart Siegert eindrucksvoll aufgezeigt haben, erreichte die Anzahl der Aufklärer, die sich bereit erklärten, die Aufklärung des „Volkes“ voranzutreiben, dennoch beachtliche Ausmaße.57 Auch wenn die Untersuchungen zur Entwicklung der Volksaufklärungsbewegung in 57 Zu Entwicklung der Volksaufklärung vgl. Kapitel III.

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der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch nicht abgeschlossen sind und erst der dritte Band des Bio-Bibliographisches Handbuches mit verlässlichen Zahlen aufwarten wird, kann nach dem derzeitigen Erkenntnisstand davon ausgegangen werden, dass die Zahl derjenigen Personen, die sich auf publizistischer Ebene für eine Aufklärung des „Volkes“ eingesetzt haben, im Zeitraum von 1750 bis 1850 bei rund 4.000 lag.58 Diese hohe Zahl darf allerdings nicht dazu verleiten, die Volksaufklärer als homogene Gruppe zu verstehen. Zunächst einmal macht sie nur deutlich, dass die Volksaufklärungsbewegung ein elementarer Bestandteil der Aufklärung war. Die Popularisierung aufklärerischen Wissens war demzufolge kein Randphänomen, das sich auf ein paar wenige Aufklärer beschränkte, sondern gehörte zum „Kernprogramm“ der deutschen Aufklärung. Wie die Aufklärung selbst bildete auch die Volksaufklärung im Laufe ihrer Entwicklung einen ganzen Komplex unterschiedlicher Themen heraus. Dass von den rund 4.000 Autoren nicht alle dieselben Vorstellungen und Ziele vertraten, versteht sich dabei von selbst. Grundsätzlich bezweckten alle Volksaufklärer eine Abkehr des „Volkes“ von traditionellen Gebräuchen und Gewohnheiten, die nicht rational erklärbar waren. Zentrales Anliegen war die Bekämpfung des Aberglaubens im „Volk“. Die Mentalität des „gemeinen Mannes“ sollte dahingehend verändert werden, dass dieser sein Lebensumfeld durch eine vernunftorientierte Denkweise erfasste und gestaltete. Eigenes Denken und Prüfen sollten die Grundlage bilden, seine Lebensumstände durch Selbsthilfe alleine verbessern zu können. Darüber hinaus waren sich die Volksaufklärer uneinig, wie weit die Aufklärung des „Volkes“ reichen sollte. Nicht wenige Volksaufklärer stimmten für eine „verhältnismäßige“ Aufklärung des Volkes,59 die bestimmte Themen kategorisch ausschloss. Die Auffassungen, ob sich die Aufklärung des „Volkes“ über die praktischen Lebensbereiche des „gemeinen Mannes“ erstrecken sollte, gingen oftmals weit auseinander. Während ein Teil der Volksaufklärer ausschließlich eine praktisch-ökonomische Aufklärung des „Volkes“ befürwortete, vertraten andere die Meinung, das „Volk“ müsse ebenso über philosophisch-politische Fragen aufgeklärt werden. Dass die Ziele der Volksaufklärer so unterschiedlich ausgefallen sind, kann in erster Linie auf die unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Lebenshintergründe der einzelnen Volksaufklärer zurückgeführt werden. In der Volksaufklärung engagierten sich Geistliche beider Konfessionen, Beamte, Professoren, Lehrer, Ärzte, Buchhändler, Schriftsteller und vereinzelt auch Gutsbesitzer und Kaufleute.60 Daher können die Volksaufklärer des 18. und 19. Jahrhunderts weder einem einzigen Stand bzw. einer bestimmten Gesellschaftsschicht noch einer gemein58 Vgl. BÖNING/SCHMITT/SIEGERT: Einleitung, S. 9. 59 Vgl. hierzu SAUDER: „Verhältnismäßige Aufklärung“, S. 102–126. 60 Vgl. ALZHEIMER-HALLER: Handbuch zur narrativen Volksaufklärung, S. 20.

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samen Berufsgruppe zugeordnet werden. Die Trägerschicht der Volksaufklärung war gesellschaftlich breit gefächert und wies kein einheitliches soziales Profil auf. Welche Schwierigkeiten bei einer sozialen Zuordnung einzelner Volksaufklärer auftreten können, zeigt sich beispielsweise an einer der bekanntesten Persönlichkeiten des Philanthropismus und der Volksaufklärung, Friedrich Eberhard von Rochow.61 Als Sohn einer märkischen Adelsfamilie schlug Rochow zunächst eine Laufbahn beim Militär (1750–58) ein, verwaltete später seine Landgüter (ab 1760) und übernahm schließlich das Amt des Domherrn zu Halberstadt (1762). Da-neben verfasste er mehrere theoretische und praktische Schriften zur Jugendund Volksbildung, gründete die Dorfschulen in Reckahn (1773), Göttin (1775) und Krahne (1799) und war außerdem Mitbegründer der „Märkischen Ökonomischen Gesellschaft zu Potsdam“ (1791).62 Wie an der Person Rochows deutlich wird, konnten die Tätigkeitsfelder einzelner Volksaufklärer mitunter sehr vielfältig ausfallen. Nicht jeder Volksaufklärer war an ein starres soziales und gesellschaftliches Gefüge gebunden. Einigen Volksaufklärern war es durchaus möglich, neben ihrer Profession anderen Beschäftigungen nachzugehen, etwa einer Sozietät beizutreten, ein weiteres Gewerbe zu betreiben oder sich als Schriftsteller zu versuchen. Jeder Volksaufklärer war zunächst einmal um die Absicherung seines Lebensunterhaltes bemüht. Die Erlangung einer Berufstätigkeit, die ein ausreichendes Einkommen garantierte, hatte oberste Priorität. Ohne eine existenzsichernde Berufstätigkeit war auch kein volksaufklärerisches Engagement möglich. Dass Volksaufklärer gleich mehrere Professionen ausübten, blieb aber die Ausnahme. Das Beispiel Friedrich Eberhard von Rochows zeigt allerdings, dass es nicht unmöglich war. Außerdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass volksaufklärerisches Engagement sowohl auf institutioneller als auch auf publizistischer Ebene stets finanzielle Kosten verursachte, die sich nicht von selbst trugen. Freie Schriftsteller oder Buchhändler, die ihr Einkommen allein aus dem Verkauf volksaufklärerischer Publizistik bezogen haben bzw. sich einzig auf die Distribution volksaufklärerischer Schriften konzentrierten, existierten nicht. Selbst der Erfolg des „Noth= und Hülfsbüchleins“, das mehrfach neu aufgelegt wurde und mit über einer halben Million Exemplaren zu einem „Bestseller“ der Volksaufklärung avancierte, änderte nichts an der Tatsache, dass volksaufklärerische Schriften im 61 Zur Person von Friedrich Eberhard von Rochow vgl. SCHMITT, HANNO/TOSCH, FRANK (Hrsg.): Vernunft fürs Volk. Friedrich Eberhard von Rochow 1734–1805 im Aufbruch Preußens, Berlin 2001. 62 Zum Wirken Rochows als Geistlicher, Landschulreformer und Volksaufklärer vgl. grundlegend SIEBRECHT, SILKE: Friedrich Eberhard von Rochow Domherr in Halberstadt – praktischer Aufklärer, Schulreformer und Publizist. Handlungsräume und Wechselbeziehungen eines Philanthropen und Volksaufklärers in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Bremen 2013.

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Allgemeinen weder für den Schriftsteller noch für den Buchhändler übermäßige Gewinne abwarfen. Bisweilen konnte sich die Herausgabe einer volksaufklärerischen Schrift, insbesondere wenn sie als Periodikum ausgelegt war, zu einem Verlustgeschäft entwickeln.63 Diejenigen Personen, die aktiv an der Ausbreitung der Aufklärung im „Volk“ beteiligt waren, dürften demnach aus Überzeugung und weniger aus persönlichem Eigeninteresse gehandelt haben. Volksaufklärerisches Engagement brachte den handelnden Akteuren keinen finanziellen Nutzen oder die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs ein. Die Volksaufklärung war ein ernst gemeinter Versuch, die theoretischen Ideale der Aufklärung, insbesondere die Vorstellungen von der universellen Bildungsfähigkeit und der Perfektibilität aller Menschen, in die Praxis umzusetzen. Aufgrund ihrer Nähe zur bäuerlichen Bevölkerung stellten die Landpfarrer bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts den quantitativ größten Teil der Volksaufklärer. Aufklärerisches Gedankengut ließ sich am ehesten dort vermitteln, wo man in unmittelbarem Kontakt mit dem „Volk“ stand. Die Pfarrer, die für gewöhnlich die einzigen Personen auf dem Land waren, die eine höhere Bildung besaßen, hatten ein besonderes Verhältnis zur ihren Gemeinden. Sie waren nicht nur für die Seelsorge zuständig, sondern standen den Dorfbewohnern auch als Ratgeber bei der Lösung weltlicher Probleme zur Seite. Auch wenn hierzu keine statistischempirischen Belege vorliegen, kann davon ausgegangen werden, dass die „pastoralen Volksaufklärer“ nicht nur publizistische, sondern auch zahlreiche mündliche Ratschläge verteilt haben. Aufgrund ihrer sozialen Stellung innerhalb der Dorfgemeinschaft, genossen sie genug Autorität, dem „gemeinen Mann“ die vermeintlichen Defizite in seiner Wirtschafts- und Lebensweise aufzuzeigen. Oftmals waren die Landpfarrer die einzigen universitär Gebildeten im Dorf, die direkten Einfluss auf die unteren Bevölkerungsschichten ausüben konnten und in der Lage waren, das „Volk“ von einer abergläubischen hin zu einer aufgeklärten und vernunftorientierten Lebensweise zu bewegen. Wie sich an den Landpfarrern außerdem nachweisen lässt, waren die Träger der Volksaufklärung nicht an eine bestimmte Konfession gebunden. Unstrittig lag der Anteil protestantischer Geistlicher in der Volksaufklärung viel höher als der Anteil katholischer Geistlicher, doch sollten aufklärerische Reformbemühungen des katholischen Klerus nicht unterschätzt werden. Vor allem der niedere katholische Klerus war darum bemüht, der bäuerlichen Bevölkerung praktische aufklärerische Inhalte näherzubringen. So wie die Forschung inzwischen auf63 Im thüringisch-mitteldeutschen Raum wurden volksaufklärerische Periodika auch bei Unrentabilität nicht sofort wieder eingestellt. Soweit es die finanziellen Mittel zuließen, wurde die Herausgabe unrentabler volksaufklärerischer Periodika bis zu drei Jahre weitergeführt. Erst wenn sich herausstellte, dass das Periodikum nach Ablauf dieser Zeit die notwendige Anzahl von Lesern nicht zu erreichen vermochte, wurde es eingestellt. Vgl. hierzu Kapitel V.4.

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zeigen konnte, dass sich die Aufklärung nicht nur im protestantischen, sondern auch im katholischen Deutschland entfaltet hat,64 kann ebenso für die Volksaufklärung eine Ausbreitung in den protestantischen und katholischen Ländern Deutschlands konstatiert werden.65 Wie die Volksaufklärer aus protestantischen Pfarrhäusern versuchten auch die katholischen Geistlichen, das „Volk“ von einer vernunftorientierten Wirtschaftsweise zu überzeugen und appellierten an den „gemeinen Mann“ sich der Tugenden Ordnung, Fleiß und Sparsamkeit anzunehmen.66 Neben dem volksaufklärerischen Engagement auf mündlicher und publizistischer Ebene waren die Volksaufklärungsbemühungen auf institutioneller Ebene nicht minder von Bedeutung. Viele aufgeklärte Sozietäten des 18. Jahrhunderts, allen voran die ökonomisch-gemeinnützigen Gesellschaften, waren durch verschiedene Beiträge darauf bedacht, aufklärerische Inhalte in das „Volk“ zu tragen. Die selbst auferlegte Zielsetzung fast aller aufgeklärten Sozietäten, die Gesellschaft zu verbessern und die Aufklärung des „Volkes“ zu fördern, war kein bloßes ideelles Bekenntnis, sondern wurde durch konkrete praktische Maßnahmen umzusetzen gedacht. Dabei war das „praktische Programm“ der Aufklärungsgesellschaften recht breit gefächert. So wurden etwa Schul- und Erziehungseinrichtungen gegründet, karitative Fürsorgemaßnahmen arrangiert oder die praktische Anwendung neuer technischer Erfindungen forciert. Folgt man den Ausführungen von Manfred Agethen, dann waren Lesegesellschaften, ökonomischpatriotische Gesellschaften und Freimauerlogen außerordentlich daran interessiert, das Gemeinwohl durch volksaufklärerische Maßnahmen zu verbessern.67 Dabei konnte Agethen anhand von Rudolf Zacharias Becker, Christian Gotthilf Salzmann, Johann Heinrich Pestalozzi und Johann Moritz Schwager aufzeigen, dass einige Volksaufklärer mehreren Aufklärungsgesellschaften (Freimauerlogen, 64 Vgl. u.a. KLUETING, HARM (Hrsg.): Katholische Aufklärung – Aufklärung im katholischen Deutschland, Hamburg 1993; HEGEL, EDUARD: Die katholische Kirche Deutschlands unter dem Einfluß der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, Opladen 1975; BREUER, DIETER (Hrsg.): Die Aufklärung in den deutschsprachigen katholischen Ländern 1750 bis 1800. Kulturelle Ausgleichsprozesse im Spiegel von Bibliotheken in Luzern, Eichstätt und Klosterneuburg, Paderborn 2001; WALLMANN, JOHANNES: Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation, 6. Aufl. Tübingen 2006, S. 168–171. 65 Vgl. SIEGERT, REINHART: Volksaufklärung in den katholischen Ländern des deutschen Sprachraums. Mit dem Versuch einer konfessionsstatistischen Topographie, in: Schmitt/ Böning/Greiling/Ders. (Hrsg.): Die Entdeckung von Volk, Erziehung und Ökonomie im europäischen Netzwerk der Aufklärung, S. 179–219; ALZHEIMER-HALLER: Handbuch zur narrativen Volksaufklärung, S. 21–23. 66 Vgl. ebd., S. 23. 67 Vgl. AGETHEN, MANFRED: Freimauerei und Volksaufklärung im 18. Jahrhundert, in: Donnert, Erich (Hrsg.): Europa in der Frühen Neuzeit, Bd. 4: Deutsche Aufklärung, Weimar/ Köln/Wien 1997, S. 487–508.

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gemeinnützige Gesellschaften etc.) gleichzeitig angehörten und dadurch kommunikativ gut miteinander vernetzt waren.68 Möglicherweise liegt hier die Ursache, warum ein Teil der aufgeklärten Sozietäten im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein ausgeprägtes volksaufklärerisches Engagement entwickelt hat.69 Den wichtigsten Beitrag zur Förderung von Volksbildung und Volksaufklärung leisteten die aufgeklärten Sozietäten durch die kostenlose Verteilung „nützlicher“ Volkslektüre. Vor allem praktisch-ökonomische und sittlich-moralische Schriften wurden in großen Mengen von den Aufklärungsgesellschaften erworben und unentgeltlich an die Landbevölkerung weitergereicht.70 Zudem konnte Manfred Agethen am Beispiel von Rudolf Zacharias Becker belegen, dass sich die Mitglieder einer aufgeklärten Sozietät auch beim Verfassen von volksaufklärerischer Lektüre gegenseitig unterstützten.71 So hat Becker, wie er in der von ihm herausgegebenen „Deutschen Zeitung“ schreibt, bei der Entstehung seines „Noth= und Hülfsbüchleins“ auch Ratschläge seiner Freimaurerbrüder verarbeitet. Der Meinungs- und Interessensaustausch in den aufgeklärten Sozietäten hatte demnach weitreichenden Einfluss – selbst wenn dieser Prozess nicht mehr im Detail rekonstruierbar ist – auf die Entwicklung und Verbreitung volksaufklärerischen Schrifttums. Wie sehr einige Aufklärungsgesellschaften darum bemüht waren, breite Bevölkerungsschichten an aufklärerischen Diskursen teilhaben zu lassen, zeigt auch die Tatsache, dass sich manche Sozietäten sogar direkt als Herausgeber volksaufklärerischer Zeitschriften betätigten.72 Auch wenn wenig darüber bekannt ist, welche Resonanz die volksaufklärerischen Bemühungen der Aufklärungsgesellschaften hatten, kann man dennoch davon ausgehen, dass sie langfristig ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Andernfalls würde es wenig Sinn ergeben, warum sich die Volksaufklärer bei der Vermittlung „nützlicher“ Kenntnisse kontinuierlich über mehrere Jahrzehnte hinweg institutioneller Strukturen bedienten. Ohne Unterbrechungen, von Mitte des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts, bildeten Literatur und Sozietäten die Grundlage zur Vermittlung aufklärerischen Gedankengutes an breite Bevölkerungsschichten. 68 Vgl. ebd., S. 499–506. Zum Mitgliedernetz der mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften und dem Phänomen der Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften vgl. außerdem ZAUNSTÖCK: Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen, S. 200–251. 69 Am Beispiel der Freimaurerlogen weist Manfred Agethen auch darauf hin, dass nicht alle Aufklärungsgesellschaften volksaufklärerische Ziele verfolgten. Manchen Logen attestiert er sogar eine „gegenaufklärerische Natur“. Vgl. AGETHEN: Freimauerei und Volksaufklärung, S. 493. 70 Vgl. ebd., S. 496 f. 71 Dabei greift Manfred Agethen vornehmlich auf Untersuchungsergebnisse aus Reinhart Siegerts Studie zu Beckers „Noth= und Hülfsbüchlein“ zurück. Vgl. ebd., S. 497. 72 Vgl. GRATHOFF, ERICH: Deutsche Bauern- und Dorfzeitungen des 18. Jh. Ein Beitrag zur Geschichte des Bauerntums, der öffentlichen Meinung und des Zeitungswesens, Würzburg 1937.

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So standen die zahlreich in der Vormärzzeit gegründeten Landwirtschaftsvereine, Gewerbevereine, Sonntagsschulen, Lesezirkel oder Dorfbibliotheken in der Tradition der aufgeklärten Sozietäten des 18. Jahrhunderts.73 Ziel dieser Institutionen blieb durchgängig die Verbreitung „nützlicher“ Lektüre sowie die Vermittlung neuer ökonomischer Kenntnisse. Die soziale Zuordnung der Vereins- und Sozietätsmitglieder ergibt allerdings auch hier kein einheitliches Bild. Vor allem in den vormärzlichen Vereinen, die im Gegensatz zu den aufgeklärten Sozietäten des 18. Jahrhunderts nicht mehr universell ausgerichtet waren, sondern ein klar abgestecktes Ziel verfolgten, zeigen sich die Mitgliedsstrukturen äußerst heterogen. Besonders in den Landwirtschafts- und Gewerbevereinen lag die Anzahl der Bauern und Handwerker weitaus höher als noch in den Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert. Somit wäre es auch vorstellbar, dass neben den in den Vereinen etablierten gebildeten Bürgern allmählich auch einfache Handwerker und Bauern einen Teil der Aufklärungsarbeit übernommen haben. Zumindest scheint es auf den ersten Blick nicht völlig abwegig, dass die Bauern innerhalb der Vereine ihre praktischen Erfahrungen zu neuen Anbaumethoden an andere Mitglieder weitergereicht haben. Streng genommen, wären diese Bauern dann ebenfalls als Volksaufklärer tätig gewesen. Wie bereits erwähnt, gab es neben allen privaten Initiativen, die Volksaufklärung durch publizistische und institutionelle Bemühungen voranzutreiben, auch von staatlicher Seite etliche Reformbemühungen, aufklärerische bzw. volksaufklärerische Vorstellungen auf juristischer Ebene durchzusetzen. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass nicht nur die Staatsbediensteten in den verschiedenen Regierungs- und Verwaltungsämtern, sondern auch die regierenden Landesfürsten eine nicht unerhebliche Rolle bei der Durchsetzung staatlicher Reformen eingenommen haben. In den absolutistisch geprägten deutschen Staaten des Alten Reiches war die Durchsetzung aufklärerischer Reformen ohne die Zustimmung des Fürsten faktisch unmöglich. Nicht selten standen reformorientierte Fürsten den Ideen der Aufklärung offen gegenüber und versuchten diese zum Teil politisch umzusetzen. Darüber hinaus unterstützten sie aktiv Privatpersonen und Sozietäten, die sich der Volksbildung bzw. Volksaufklärung verschrieben hatten. Als Beispiele können hier etwa Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg oder Herzog Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau herangezogen werden,74 die solch bekannten Volksaufklärern wie Rudolf Zacharias Becker, 73 Vgl. hierzu NIPPERDEY, THOMAS: Der Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Boockmann, Hartmut u.a. (Hrsg.): Geschichtswissenschaft und Vereinswesen im 19. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte historischer Forschung in Deutschland, Göttingen 1972, S. 1–44. 74 Vgl. GREILING/KLINGER/KÖHLER (Hrsg.): Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg; ZAUNSTÖCK, HOLGER (Hrsg.): Das Leben des Fürsten. Studien zur Biografie von Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740–1817), Halle 2008.

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Christian Gotthilf Salzmann, Friedrich Eberhard von Rochow, Johann Bernhard Basedow und Joachim Heinrich Campe umfangreiche Unterstützung gewährten. Obwohl einige Fürsten der Volksaufklärung positiv gegenüber standen, wäre es aber dennoch weit übertrieben, sie als Volksaufklärer zu bezeichnen. Es bleibt aber fraglich, ob die Volksaufklärung in einzelnen Regionen Fuß gefasst hätte, wenn sie nicht von staatlicher Seite geduldet oder gar gefördert worden wäre. Dass etwa das Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg am Ende des 18. Jahrhunderts zu einem Kernland der Volksaufklärung avancieren konnte,75 war sicherlich auch ein Verdienst seines aufgeklärten Fürsten. Die Volksaufklärer selbst waren sich jedenfalls durchaus bewusst, dass eine fürstliche Unterstützung ihren Bestrebungen unschätzbare Vorteile mit sich brachte. Um sich den Rückhalt der Fürsten zu sichern, widmeten sie nicht wenige Schriften direkt ihrem jeweiligen Landesherrn und bescheinigten ihm zugleich – wenn dies angemessen und gerechtfertigt erschien – die Ausübung einer aufgeklärten Politik. Auch im 19. Jahrhundert waren einige Fürsten sehr darum bemüht, die Volksbildung im eigenen Land zu steigern, und unterstützten neben staatlichen Reformen auch privat initiierte Bildungsmaßnahmen. Die Volksaufklärer wiederum hielten ebenfalls daran fest, solche Bemühungen besonders zu würdigen und charakterisierten den entsprechenden Fürsten in ihren Schriften als einen „Freund des Volkes“. Fasst man dies alles zusammen, wird deutlich, dass eine exakte Systematisierung der Trägerschicht der Volksaufklärung nach eng gefassten sozialen und gesellschaftlichen Kriterien kaum einlösbar ist. Volksaufklärer übten die unterschiedlichsten Professionen aus und finden sich – sowohl im katholischen als auch im protestantischen Deutschland – in allen Ständen. Die Volksaufklärer handelten nicht im staatlichen Auftrag, wurden aber teilweise von fürstlicher bzw. staatlicher Seite unterstützt. Neben Vertretern aus Bürgertum und Klerus setzten sich auch Adlige für eine Aufklärung des „Volkes“ ein. Die soziale Zusammensetzung der Trägerschicht der Volksaufklärung war keineswegs homogen. Besonders deutlich wird dies beim Bürgertum, das sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert aus altem Stadtbürgertum und neuem Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum zusammensetzte. Obwohl das Bildungsbürgertum den größten Anteil an Volksaufklärern zu verzeichnen hatte, können manche Volksaufklärer auch dem modernen Wirtschaftsbürgertum und alten Stadtbürgertum zugerechnet werden. Dass allerdings zwischen den verschiedenen bürgerlichen Sozialformationen keine klaren Grenzen gezogen werden können, wurde bereits angesprochen. So waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Übergänge zwischen altem Stadtbürgertum und neuer Wirtschaftsbürgerschaft besonders fließend. Ebenso kann seit Ende des 18. Jahrhunderts keine eindeutige Trennungs75 Vgl. BÖNING: Gotha als Hauptort volksaufklärerischer Literatur und Publizistik, in: Greiling/Klinger/Köhler (Hrsg.): Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg, S. 325–344.

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linie zwischen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum gezogen werden. Es gab Volksaufklärer, die im Staatsdienst angestellt waren und nebenbei einen Verlag oder eine Manufaktur besaßen oder Geschäfte als Bankier oder Kaufmann tätigten. Hinzu kommt, dass nicht geklärt ist, inwieweit sich in der Vormärzzeit neben wohlhabenden Gutsbesitzern auch Bauern und Handwerker – insbesondere auf institutioneller Ebene – an volksaufklärerischen Bestrebungen beteiligten. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die verschiedenen Volksaufklärer, selbst wenn sie gleichen Standes waren, unterschiedlichen Lebensumfeldern angehörten. Beispielsweise konnte ein Volksaufklärer adliger Herkunft sein Einkommen aus Gutsbesitz oder aus einer staatlichen Amtsstelle beziehen. Volksaufklärerisch gesinnte Geistliche waren als Landpfarrer in kleinen Dorfgemeinden ansässig oder wohnten als Superintendenten in größeren Städten. Berücksichtigt man all diese Aspekte, selbst ohne Einbeziehung des Umstandes, dass die Volksaufklärer vielfältige, zum Teil von einander abweichende Ziele verfolgten, gestaltet sich eine genaue Bestimmung des sozialen Milieus der Volksaufklärer äußerst schwierig. Die Volksaufklärung war eine ständeübergreifende, gesamtgesellschaftliche Bewegung. Ihre Vertreter waren Teil einer gesellschaftlichen Transformationsphase, in der moderne und traditionale Sozialstrukturen nebeneinander existierten und oftmals miteinander verbunden waren.76 Durch ihre Kultur und Lebensweise sowie ihre hohe Bereitschaft, in allen Lebensbereichen Reformen zu initiieren, trugen sie dazu bei, dass die alten ständischen Strukturen zunehmend erodiert wurden. Auf diese Weise wurden die Übergänge zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen im Laufe der „Sattelzeit“,77 also im Zeitraum von 1750 bis 1850, immer fließender. Durch die Überlagerung von ständischen und bürgerlichen Strukturen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nochmals an Dynamik gewann, lässt sich die Gesamtheit aller Volksaufklärer kaum als einheitliche Sozialformation begreifen. Hinzu kommt, dass sich die Volksaufklärer selbst nicht als geschlossene, eigenständige Gesellschaftsschicht betrachtet haben. Sie hatten auch kein Verlangen, eine solche zu etablieren. Grundsätzlich strebten die Volksaufklärer eine Gesellschaft freier und gleicher Individuen an. Die Konstituierung eines „Standes der Volksaufklärer“ widersprach ihrer Überzeugung. Auch die Selbstzuschreibung der Volksaufklärer als „gesittete Stände“ deutet nicht darauf hin, dass sie sich im bestehenden ständisch-korporativen System als neue Elite oder Oberschicht verstanden haben, sondern war vielmehr Ausdruck ihres Bildungsvorsprunges gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen.

76 Vgl. hierzu GALL, LOTHAR: Vom Stand zur Klasse? Zur Entstehung und Struktur der modernen Gesellschaft, in: Historische Zeitschrift, 261 (1995), S. 1–21. 77 Vgl. hierzu KOSELLECK, REINHART: Einleitung, in: Brunner/Conze/Ders. (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, A – D, S. XV.

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Aufgrund dieser Komplexität der sozialen Zusammensetzung der Volksaufklärer erscheint bei der Bestimmung der Trägerschicht der Volksaufklärung der Rückgriff auf den Bildungsstand umso angebrachter. Denn ein wesentliches Merkmal, das ausnahmslos alle Volksaufklärer aufweisen, war ihr hohes Bildungsniveau, das sie sich in der Regel im Zuge einer höheren Schulausbildung angeeignet hatten. Gleich welcher Herkunft die Volksaufklärer des 18. und 19. Jahrhunderts waren, gehörten sie doch mehrheitlich zur Gruppe der Gebildeten, die nach zeitgenössischem Verständnis unter dem Begriff der „gesitteten Stände“ zusammengefasst wurde. Das entscheidende Abgrenzungskriterium der Volksaufklärer zu anderen Bevölkerungsgruppen ist nicht auf spezifisch gesellschaftliche oder ständische Aspekte zurückzuführen, sondern hängt vom Bildungsstand des Einzelnen ab. Streng genommen konnte jede Person, unabhängig von ihrer Stellung innerhalb der Gesellschaft, ein volksaufklärerisches Engagement entwickeln. Allerdings musste die entsprechende Person erst mit den Ideen der Aufklärung in Berührung kommen, bevor sie sich überhaupt dazu entschließen konnte, diese einer breiten Bevölkerungsschicht näherzubringen. Der Kontakt mit aufklärerischen Ideen blieb bis Ende des 18. Jahrhunderts allerdings fast nur dem Bürgertum und dem Adel vorbehalten, da den unteren Bevölkerungsschichten dafür in aller Regel die mentalen und finanziellen Voraussetzungen fehlten. Nur in Ausnahmefällen gelang es (Groß-)Bauern oder (Klein-)Handwerkern, in aufgeklärte Sozietäten aufgenommen zu werden. Herkunft, Ausbildung und Berufstätigkeit waren also die maßgeblichen Faktoren zur Herausbildung eines aufklärerischen bzw. volksaufklärerischen Verständnisses. Die günstigsten Voraussetzungen zum Erwerb höherer Bildung besaßen vermögende Bürger und Adlige. Die Aneignung von Bildung war aber kein reiner Vergnügungszweck, sondern war in vielen Fällen substanzielles Mittel zum Einkommenserwerb. Für Personen, die einen „Bildungsberuf“ ausübten, konnte die Umsetzung aufklärerischer Vorstellungen im Idealfall deutliche soziale Vorteile nach sich ziehen. Daher verwundert es auch wenig, dass sich die Trägerschicht der Volksaufklärung vorwiegend aus dem sich neu formierenden Bildungsbürgertum zusammensetzte. Das Bildungsbürgertum profitierte am stärksten von der Realisierung aufklärerischer Prinzipien und der damit einhergehenden Öffnung der ständischen Schranken. Für sie war die Aufklärung ein „Erfolgsmodell“, das zunächst ganz unmittelbar Möglichkeiten zur Verbesserung der eigenen sozialen Situation eröffnete, darüber hinaus aber auch eine Steigerung des gesamten Gemeinwohls versprach. Dass der durch die Aufklärung verursachte gesellschaftliche und ökonomische Wandel die bestehenden sozialen Ungleichheiten nicht abbauen, sondern noch verstärken konnte,78 ließ das Bildungsbürgertum ebenfalls nicht an den langfristigen positiven Wirkungen der Aufklärung zweifeln. In 78 Vgl. WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 140.

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der Erwartung, dass durch den Erwerb von Bildung und die daraus resultierende Aneignung vernunftorientierter Lebens-, Handlungs- und Verhaltensweisen ein Großteil der noch bestehenden sozialen Missstände gelöst werden konnte, versuchten vor allem gebildete Bürger, aufklärerische Ideen in die unteren Bevölkerungsschichten zu transportieren. In den Augen des gebildeten Bürgertums konnte ein gesamtgesellschaftlicher Fortschritt bewirkt werden, wenn alle Teile der Bevölkerung, einschließlich der Angehörigen des priviligierten Klerus- und Adelsstandes, dazu bereit waren, die zentralen Ideen der Aufklärung umzusetzen und danach zu handeln. Konkret bedeutete dies die Umsetzung staatlicher Reformen zur Überwindung ständischer Strukturen sowie die Aneignung von Bildung und die konsequente Hinwendung zu einer vernunftorientierten Lebensgestaltung. Nur unter der Prämisse, dass sich alle Stände bzw. Bevölkerungsschichten an diese Vorgaben hielten, konnte die Aufklärung ihr Versprechen nach Steigerung des persönlichen und allgemeinen Wohles auf Dauer einhalten. Das Besondere an dieser Leitvorstellung aber war, dass sich ihr auch andere Personen, die keinen „Bildungsberuf“ ausübten, sich aber dennoch als „gebildete“ bzw. „gesittete Bürger“ begriffen, angeschlossen haben. Dadurch wird nachvollziehbar, warum die Trägerschicht der Volksaufklärung eine so breite gesellschaftliche Streuung aufweist. Zieht man den Bildungsstand als ausschlaggebendes Unterscheidungskriterium heran, dann fällt die gesellschaftliche Abgrenzung der Volksaufklärer nach unten deutlich leichter als nach oben. Die Volksaufklärer definierten ihr Verhältnis zum „Volk“ vor allem über das Attribut der Bildung und nicht anhand sozialer Kriterien. Während sie sich durchweg als „aufgeklärt“, „gebildet“ oder „gesittet“ betrachteten, sprachen sie den unteren Bevölkerungsschichten diese Eigenschaften ab. Dabei war die Gegenüberstellung von „gebildet“ und „ungebildet“ bzw. „gesittet“ und „ungesittet“ keinesfalls pejorativ gefärbt. Die „gesitteten Stände“ grenzten sich zwar scharf vom „Volk“ ab, standen ihm aber aufgeschlossen gegenüber.79 Trotz ihrer vermeintlichen Bildungsdefizite betrachteten die Volksaufklärer die unteren Bevölkerungsschichten, insbesondere Bauern und Handwerker, als wichtige Glieder der Gesellschaft. Dennoch waren nach ihrer Auffassung sowohl die Bemühungen des „gemeinen Mannes“ zur Verbesserung der eigenen Lebenssituation sowie des Gemeinwohles dürftig ausgeprägt. Zurückzuführen war dieser Umstand auf die scheinbar übermäßig vorhandenen Bildungslücken im „Volk“, die nun mithilfe volksaufklärerischen Engagements geschlossen werden sollten. Im folgenden Kapitel soll nun näher untersucht werden, welche Typen von Volksaufklärern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Thüringer Raum versuchten, bildungsfernen Bevölkerungsschichten aufklärerisches Gedankengut 79 Vgl. CONRAD: Aufgeklärte Elite, S. 5 f.

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zu vermitteln. Die hier ausgewählten Volksaufklärer sollen dabei unterstreichen, wie stark sozial und gesellschaftlich differenziert die Träger der Volksaufklärung waren.

2. Zur Typologie der thüringischen Volksaufklärer in der Vormärzzeit ZUR TYPOLOGIE DER THÜRINGISCHEN VOLKSAUFKLÄRER

Die Volksaufklärung konstituierte sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts zu einer Bewegung privater Personen, die mehrheitlich aus bildungsbürgerlichen Kreisen stammten bzw. in diesen verkehrten. Dass die soziale Stellung einzelner Volksaufklärer innerhalb der Gesellschaft oftmals nicht eindeutig zugeordnet werden kann, weil deren berufliche wie private Tätigkeitsfelder mitunter sehr komplexe Strukturen aufweisen, wurde bereits im vorherigen Kapitel erläutert. Grundsätzlich lässt sich aber festhalten, dass nahezu alle Personen, die sich in der Volksaufklärung engagierten, über einen höheren Grad an Bildung verfügten als deren Zielgruppe, die sich überwiegend aus einfachen Bauern und Handwerkern zusammensetzte. Während sich die Volksaufklärer ihre Bildung durch Privatunterricht oder durch den Besuch eines Gymnasiums oder einer Universität angeeignet hatten, war das aufzuklärende „Volk“ im Regelfall nie in den Genuss einer akademischen oder höheren schulischen Ausbildung gekommen. Dem zeitgenössischen Verständnis nach waren die Volksaufklärer somit dem Stand der „Gebildeten“ zuzuordnen.80 Sah sich ein aufklärerisch denkender „Gebildeter“ dazu verpflichtet, einen Teil seines Wissens an weniger gebildete Bevölkerungsschichten weiterzureichen, dann nahm dieser außerdem die „Rolle“ eines Volksaufklärers ein. Die Gruppe der Volksaufklärer war allerdings keine homogene Einheit. Die angestrebten Ziele und vermittelten Inhalte der einzelnen Volksaufklärer waren äußerst vielschichtig und standen dadurch in einigen Fällen sogar in direktem Widerspruch zueinander. Trotz diverser Unstimmigkeiten hielten aber alle Volksaufklärer im 18. und 19. Jahrhundert im Kern an dem Grundsatz fest, dass eine Popularisierung von aufklärerischem Gedankengut unweigerlich zur Steigerung des Allgemeinwohls führen würde. Dabei war allen Volksaufklärern außerdem gemein, dass sie ihre Adressaten davon überzeugen wollten, sich rationaler Denkund Handlungsmuster anzunehmen. Solange diese beiden Punkte erfüllt waren 80 Vgl. hierzu grundlegend VIERHAUS, RUDOLF: Umrisse der Sozialgeschichte der Gebildeten in Deutschland, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken, 60 (1980), S. 395–419.

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und die vermittelten Inhalte stets die Prämisse erfüllten, dem gesellschaftlichen „Fortschritt“ dienlich zu sein, lässt sich die Volksaufklärung als eine in sich geschlossene Bewegung wahrnehmen. Jedes volksaufklärerische Bestreben, unabhängig von Träger und Inhalt, blieb von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts diesem Grundsatz verpflichtet. Allerdings ist zu beachten, dass jede Form von volksaufklärerischem Engagement als eine Art „Nebentätigkeit“ betrachtet werden muss. Jeder Volksaufklärer ging einer hauptberuflichen Tätigkeit nach, die primär der Absicherung des eigenen Lebensunterhaltes diente. Von der bloßen Vermittlung aufklärerischen Gedankengutes, vor allem durch literarische Erzeugnisse, konnte kein Gebildeter seinen Lebensunterhalt bestreiten. Der Beruf des „Volksschriftstellers“, der ausschließlich vom Erlös seiner volksaufklärerischen Schriften leben konnte, existierte weder in der zweiten Hälfte des 18. noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Demnach war volksaufklärerisches Engagement auch davon abhängig, wie viel Zeit und finanzielle Ressourcen einer gebildeten Person zur Verfügung standen. Um volksaufklärerisches Gedankengut einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, waren literarische oder institutionelle Unternehmungen unabdingbar. Wenngleich das benötigte Kapital für die Umsetzung eines solchen Vorhabens nicht sonderlich hoch zu veranschlagen war, barg es dennoch ein kleines finanzielles Risiko. Wer beispielsweise die Produktion eines volksaufklärerischen Buches oder Periodikums in Auftrag gab, musste zwangsläufig damit rechnen, dass diese Unternehmung im schlimmsten Fall auf keinen Zuspruch stieß. Selbst wenn die finanziellen Einbußen aus einem solchen Verlustgeschäft äußerst gering waren, so mussten diese trotzdem erst einmal kompensiert werden. Nur wer auf ein gesichertes und regelmäßiges Einkommen zurückgreifen konnte, war auch in der Lage, über einen längeren Zeitraum seinen volksaufklärerischen Bestrebungen nachzugehen, ohne dadurch gleich in eine finanzielle Misslage zu geraten. Ebenso darf nicht außer Acht gelassen werden, dass zur Umsetzung eines jeden volksaufklärerischen Engagements ein bestimmtes Maß an Freizeit benötigt wurde. Das betraf nicht nur das Schreiben von Büchern, sondern ebenso die Leitung bzw. Mitwirkung in einer gemeinnützigen Sozietät oder in einem gemeinnützigen Verein. Auch die regelmäßige Durchführung von Leseabenden, die Gründung und Instandhaltung von Volksbibliotheken oder der wöchentliche Unterricht für Kinder und Erwachsene in Sonntagsschulen, all dies beanspruchte Zeit, die außerhalb des eigentlichen Berufes erbracht werden musste. Im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kristallisierte sich schließlich heraus, welche Berufsgruppen aus dem gebildeten und aufklärerisch denkenden Bürgertum nicht nur die „geistigen Voraussetzungen“, sondern auch die nötige Zeit sowie die nötigen finanziellen Rücklagen besaßen, um sich dauerhaft in der Volksaufklärung engagieren zu können. Dabei zeigt sich, dass die Popula-

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risierung aufklärerischen Gedankengutes seit den 1770er Jahren, also seit dem Zeitpunkt ihrer Wandlung von der praktischen Reformbewegung zur „allumfassenden“ Erziehungsbewegung,81 vor allem durch Geistliche, Verwaltungsbeamte, Gutsbesitzer, Buchhändler, Ärzte, Lehrer und Akademiker vorangetrieben wurde. Auch im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgte keine Veränderung an dieser Konstellation. Das Bildungsbürgertum, das überwiegend im Staatsdienst tätig bzw. in staatliche Stellen oder städtische Ämter eingebunden war, blieb die treibende Kraft in der Volksaufklärungsbewegung. Dass dieses Engagement seinen Niederschlag vor allem im gebildeten Bürgertum hatte, war sicherlich auch dem Umstand zu verdanken, dass sich volksaufklärerische Ambitionen und berufliche Interessen bei vielen Gebildeten hervorragend miteinander verflechten ließen. So konnten etwa Gutsbesitzer, Rentamtmänner oder Kameralisten Bücher zur landwirtschaftlich-ökonomischen Aufklärung verfassen, sich gewissermaßen ihrem beruflichen Fachgebiet widmen, und gleichzeitig darauf hoffen, dass die anvisierten Adressaten dieser Schriften ihre Ratschläge annahmen. Im Idealfall bewirtschafteten dann zukünftig auch die weniger gebildeten Bauern ihre Güter effektiver, was letztendlich sowohl den einfachen Bauern und Pächtern als auch den Grundbesitzern und dem Staat – und damit auch der gesamten Gesellschaft – zugutekam. In ähnlicher Weise konnten auch Verleger, Buchdrucker und Buchhändler berufliche Vorteile aus einem volksaufklärerischen Engagement ziehen. Zum einen trugen sie zur Verbreitung volksaufklärerischer Lektüre bei und sorgten dafür, dass bildungsferne Bevölkerungsschichten zunehmend in Berührung mit aufklärerischen Inhalten kamen, zum anderen belebte der erfolgreiche Verkauf dieser Schriften aber auch gleichzeitig ihr Buchhandel-, Druck- oder Verlagsgeschäft. Demnach profitierten nicht nur das aufzuklärende „Volk“, sondern auch die Volksaufklärer selbst, speziell einige Berufsgruppen aus dem gebildeten Bürgertum, von ihrem volksaufklärerischen Engagement. Bei den Geistlichen, die in gewisser Weise eine besondere gesellschaftliche Stellung innehatten, waren die Übergänge zwischen volksaufklärerischem Engagement und beruflicher Tätigkeit mitunter sehr fließend. Im Dorf hatte der Pfarrer die Verantwortung gegenüber seinen Gemeindemitgliedern, die sich aber nicht nur auf deren Religiosität beschränkte. Vor allem die Dorfpfarrer nahmen in ihren Gemeinden zugleich weltliche Aufgaben wahr, die vorzugsweise die Prosperität des Gemeinwesens befördern sollten.82 Dabei griffen nicht wenige 81 Vgl. Kapitel III.2. 82 Thomas Kuhn spricht in diesem Zusammenhang von einem „pastoralen Legitimationsdruck“, der seit Ende des 18. Jahrhunderts auf den Landgeistlichen lastete. Im Zuge der sich wandelnden gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse wurde das Amt des Dorfpfarrers im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend infrage gestellt. Um die gesellschaftliche Akzeptanz des Pfarramtes aufrechtzuerhalten, waren die Pastoren beider Konfes-

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Pfarrer bei der Gestaltung weltlicher Angelegenheiten auf aufklärerische Ideen zurück. So setzten sich etliche Landgeistliche in ihren Dorfgemeinden für die Durchsetzung landwirtschaftlicher, ökonomischer, medizinischer und technischer Innovationen und Reformen ein, die auf rationalen Denk- und Handlungsmustern sowie neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen basierten. Aber nicht nur in praktischer, sondern auch in geistiger Hinsicht war bei zahlreichen Dorfpfarrern die Beantwortung religiöser, sittlich-moralischer, pädagogischer, sozialer und gesellschaftlicher Fragen zunehmend vom Vernunft- und Nützlichkeitsgedanken der Aufklärung bestimmt.83 Im Gegensatz zu den Volksaufklärern aus anderen bildungsbürgerlichen Berufen nahm der Landgeistliche aber eine besondere Stellung innerhalb der Dorfgemeinschaft ein, die ihm vor allem die Möglichkeit eröffnete, aufklärerische Vorstellungen durch mündliche Unterweisung in die ländliche Bevölkerung zu tragen. Einzig der Pfarrer war in der Lage, auf der Kanzel von Vernunft und Aufklärung zu predigen bzw. aufklärerische Themen ausführlich vor der gesamten Gemeinde auszubreiten. Auf diese Weise vermochte er alle Mitglieder einer Gemeinde, aus allen sozialen Schichten, direkt „vor Ort“ zu erreichen.84 Außerdem besaß er die Autorität, mit jedem Gemeindemitglied im persönlichen oder vertraulichen Gespräch aufklärerische Gedanken zu erörtern und zu diskutieren. Hinzu kam, dass den Landgeistlichen zumeist die Aufsicht über die dörflichen Schulanstalten oblag, was eine weitere Möglichkeit eröffnete, aufklärerisches Gedankengut breitenwirksam in den Köpfen der ländlichen Bevölkerung zu verankern.85 Unter der Voraussetzung, dass sich ein Landgeistlicher wirklich dazu bereit erklärte, innerhalb der Dorfgemeinschaft die Rolle eines aufklärerisch denkenden „Volkslehrers“ wahrzunehmen, standen volksaufklärerisches Engagement und Berufsausübung in ständiger gegenseitiger Wechselwirkung. In diesem besonderen Fall war die Volksaufklärung bzw. die Umsetzung aufklärerischer Ideale für die Landgeistlichen kein nebenberufliches Engagement, sondern gehörte streng genommen mit zur hauptberuflichen Tätigkeit. Obwohl im 18. und 19. Jahrhundert eine Vielzahl von Volksaufklärern im Staatsdienst tätig war oder eine (halb)amtliche Stelle innehatte, blieb die Volksaufklärung fortwährend eine Bürgerbewegung, die von deren privatem Engagement getragen wurde. Die Volksaufklärung beruhte zu keinem Zeitpunkt auf obrigkeitlichen Anordnungen, die von kirchlichen oder staatlichen Behörden zu vollstrecken waren. Geistliche, Verwaltungsbeamte, Amtsleute, Lehrer oder Akademiker handelten stets aus eigener Initiative und nicht im Auftrag einer Regierung oder auf Geheiß einer höher gestellten obrigkeitlichen Autorität. sionen gezwungen, sich nicht nur dem geistlichen, sondern auch dem weltlichen Wohl ihrer Gemeindemitglieder anzunehmen. Vgl. KUHN: Praktische Religion, S. 89–108. 83 Vgl. ebd., S. 90–95. 84 Vgl. ebd., S. 94. 85 Vgl. WARNKE: Pfarrer als weltliche „Volkslehrer“, S. 84.

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Allerdings war die erfolgreiche Durchsetzung volksaufklärerischer Bemühungen nicht völlig unabhängig von der Gesinnung und vom Handeln einzelner Obrigkeiten. War etwa das Oberkonsistorium eines Landes nicht gewillt, einen aufklärerisch denkenden Geistlichen in einem Pfarramt einzusetzen, gestaltete es sich für diesen um ein Vielfaches schwieriger, aufklärerisches Gedankengut in eine kleinstädtische oder dörfliche Gemeinde zu tragen. Ebenso war die Gründung einer gemeinnützigen Einrichtung, die zur Verbreitung aufklärerischen Gedankengutes förderlich sein konnte, zum Beispiel eine Schulanstalt, ein landwirtschaftlicher Verein oder eine Volksbibliothek, ohne das Wohlwollen der Obrigkeit unmöglich zu realisieren. Darüber hinaus war es von unschätzbarem Vorteil, wenn volksaufklärerische Bestrebungen von fürstlicher Seite nicht nur gebilligt, sondern auch aktiv gefördert wurden. So konnte etwa die Distribution volksaufklärerischer Lektüre erheblich gesteigert werden, wenn sich ein Landesfürst dazu bereit erklärte, eine als besonders nutzbringend erachtete „Volksschrift“ in großen Mengen aufzukaufen und diese kostenlos an die eigenen Untertanen zu verschenken.86 Mit obrigkeitlicher Hilfe gestaltete sich die Verteilung einer volksaufklärerischen Schrift in der kleinstädtisch-ländlichen Bevölkerung wesentlich effektiver als über die normalen Absatz- und Vertriebswege der Buchhändler, Kolporteure und Leihbibliotheken. Aber nicht nur auf literarischer, sondern auch auf institutioneller Ebene konnten obrigkeitliche Unterstützungen die Aussichten zur erfolgreichen Umsetzung eines volksaufklärerischen Vorhabens in beachtlichem Maße steigern. Zum einen konnte eine Sozietät, ein Verein, eine Schulanstalt oder eine Volksbibliothek finanziell unterstützt werden, und zum anderen ließen sich solche Einrichtungen auch ideell fördern, wenn der Landesfürst oder ein hoher Regierungsbeamter davon überzeugt werden konnte, eine gemeinnützige Institution in der Funktion eines Ehrenmitgliedes zu protegieren. Zu guter Letzt vermochte jeder Fürst auf politischer Ebene – im Zusammenspiel mit seiner Landesregierung – in seinem Staat für ein aufklärungsfreundliches oder aufklärungsfeindliches Klima zu sorgen. War die Gesetzgebung eines Landes konservativ ausgerichtet, herrschten deutlich ungünstigere Voraussetzungen zur Realisierung volksaufklärerischer Bestrebungen. Wurden hingegen den aufklärerischen Kräften von Regierungsseite auf politischer, gesellschaftlicher und juristischer Ebene größere Handlungsspielräume gewährt, sowie im gleichen Zug konservative Strömungen durch staatliche Reformmaßnahmen zurückgedrängt, dann gestaltete sich auch die Umsetzung volksaufklärerischer Unternehmungen wesentlich leichter.87

86 Rudolf Zacharias Beckers „Noth= und Hülfsbüchlein“ wurde beispielsweise von einigen Landesfürsten in großer Stückzahl aufgekauft und unter der ländlichen Bevölkerung verteilt. Vgl. WITTMANN: Buchmarkt und Lektüre, S. 20 f. 87 Vgl. BÖNING: Gemeinnützig-ökonomische Aufklärung, S. 229.

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Sich dieser Tatsache bewusst, bekundeten etliche Volksaufklärer in ihren Schriften, ihr volksaufklärerisches Handeln stehe gänzlich im Interesse der Obrigkeit. Nach Reinhart Siegert versuchte die Mehrheit der Volksaufklärer spätestens seit dem Ausbruch der Französischen Revolution, der Obrigkeit auf diese Weise „ihre staatstragende Gesinnung zu demonstrieren“.88 Um sich die Unterstützung der Obrigkeit zu sichern, widmeten zahlreiche Volksaufklärer seit Ende des 18. Jahrhunderts ihre Schriften einem monarchischen Oberhaupt, einem kirchlichen Würdenträger oder in vereinzelten Fällen einem hohen Regierungsbeamten bzw. einer hohen Regierungsbehörde.89 Diese Strategie war vielversprechend, da sie auf der einen Seite der Obrigkeit signalisierte, dass die Schriften frei von aufrührerischen Tendenzen waren, und auf der anderen Seite dafür sorgte, dass die fürstlichen Regenten und Regierungen indirekt mit in die Vermittlung volksaufklärerischer Inhalte einbezogen wurden. Wollte ein Volksaufklärer den praktischen und gesellschaftlichen Wert einer neuen Schrift besonders herausstellen, war eine Widmung an die entsprechenden Obrigkeiten sicherlich ein probates Mittel, diese auf geschickte Weise zu beeinflussen, die Distribution einer solchen Schrift zu unterstützen oder die Umsetzung der darin geäußerten Absichten zu fördern. Bereits die ersten volksaufklärerischen Schriften in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts enthalten Widmungen, die an verschiedene Obrigkeiten gerichtet waren.90 Im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts werden schließlich die Fürsten zum wichtigsten Widmungsempfänger, wenn sich einzelne Volksaufklärer erhofften, dass ihr gemeinnütziges Engagement von den Fürstenhäusern und Landesregierungen nicht nur geduldet, sondern auch eine unmittelbare Zustimmung und Unterstützung finden könnte. Zumindest in der volksaufklärerischen Publizistik des Thüringer Raumes entwickelte sich diese Strategie um 1800 zur gängigen Praxis und fand auch während der gesamten Vormärzzeit durchgängig ihre Anwendung. Vor allem in monographischen Schriften, die inhaltlich der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung zugeordnet werden können, finden sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts etliche Widmungsinschriften, wo dem eigenen oder einem fremden Landesfürsten gehuldigt wurde. Exemplarisch sei hier die im Jahr 1843 veröffentlichte volksaufklärerische Schrift über „Die Altenburgische Landwirthschaft“ genannt, die eine Widmungsinschrift enthält, in welcher der Verfasser William Löbe in „tiefster Ehrfurcht und Unterthänigkeit“ seinen Landesherrn, „dem regierenden Herzog Joseph von Sachsen-Altenburg“, als einen „Beschützer und 88 SIEGERT: Der Höhepunkt der Volksaufklärung, S. XXXIX. 89 Zu den Adressaten und dem Zweck von Widmungen in volksaufklärerischen Schriften vgl. BÖNING, HOLGER: Bücher als Instrumente der Selbstpräsentation und -empfehlung. Was Widmungen in Büchern verraten, in: Greiling/Schulz (Hrsg.): Vom Autor zum Publikum, S. 367–388. 90 Vgl. ebd., S. 381 u. 384.

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Beförderer der Landwirtschaft“ preist.91 Außerdem dankt Löbe im Vorwort dieser Schrift „Herrn Hofrath Schulze aus Jena“,92 der ihn ermutigt hat, ein solches Werk zu verfassen.93 Des Weiteren berichtet Löbe im Vorwort, dass er eng mit den Obrigkeiten des Herzogtums Sachsen-Altenburg zusammengearbeitet und „mit großem Erfolg“ die Materialien verwertet hat, die ihm „von den hohen Behörden von Altenburg mit Liberalität zugestellt worden sind“.94 Eine solche Aussage macht besonders deutlich, warum die thüringischen Volksaufklärer eine Konfrontation mit der Obrigkeit vermieden haben. Bei einer wohlwollenden Haltung gegenüber dem Landesfürsten oder einem hohen Beamten konnten die Volksaufklärer im Idealfall erwarten, dass bei der Umsetzung ihrer Vorhaben die Obrigkeit sogar aktive Hilfe leistete. Dass die Volksaufklärung in Thüringen im 18. und 19. Jahrhundert auf so fruchtbaren Boden stieß, kann zum Großteil auch auf die aufgeklärten und liberal gesinnten thüringischen Landesfürsten zurückgeführt werden. Schon Rudolf Zacharias Becker und Christian Gotthilf Salzmann konnten bei der Verwirklichung ihrer volksaufklärerischen Ambitionen auf die Unterstützung des Herzogs

91 Vgl. LÖBE, WILLIAM: Die Altenburgische Landwirthschaft in ihrem gegenwärtigen Zustande, mit besonderer Berücksichtigung ihrer Nebenzweige und agrarischen Gesetzgebung, Leipzig 1843. 92 Gemeint ist Friedrich Gottlob Schulze, der 1795 als Sohn eines wohlhabenden Gutsbesitzers in Obergävernitz bei Meißen geboren wurde. Sein Vater ermöglichte ihm eine umfangreiche Schul- und Universitätsausbildung. Schulze besuchte die Lateinschule in Großenhain sowie die Landschule in Pforta und studierte an den Universitäten Leipzig und Jena. Außerdem besuchte er das „Landwirtschaftliche Institut“ in Tiefurt bei Weimar. Im Jahr 1817 übertrug ihm Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach die Oberverwaltung der Kammergüter Oberweimar, Lützendorf und Tiefurt. Im Jahre 1821 wurde er in Jena außerordentlicher Professor der Staats- und Kameralwissenschaften. Um die Ausbildung angehender Landwirte und Kameralisten zu verbessern, gründete er 1826 in Zwätzen bei Jena eine landwirtschaftliche Lehranstalt. Im Jahr 1839 wurde Schulze von Großherzog Carl Friedrich von Sachsen-Weimar-Eisenach zum Hofrat und im Jahr 1843 von Herzog Joseph von Sachsen-Altenburg zum Geheimen Hofrat ernannt. Vgl. GÜNTHER, JOHANNES: Lebensskizzen der Professoren der Universität Jena seit 1558 bis 1858. Eine Festgabe zur Säcularfeier der Universität Jena, Jena 1858, S. 239–241. Zum Leben und Wirken von Friedrich Gottlob Schulze vgl. außerdem SCHULZE, HERMANN: Friedrich Gottlob Schulze=Gävernitz, Gründer und erster Direktor der landwirthschaftlichen Akademien zu Jena und Eldena. Ein Lebensbild gezeichnet und als Festgabe dargebracht zur Enthüllungsfeier des Schulze=Denkmals in Jena, 2. Aufl. Breslau 1888; BIRNBAUM, CARL: Friedrich Gottlob Schulze als Reformator der Landwirthschaftslehre. Ein Nachruf mit besonderer Beziehung auf landwirthschaftliche höhere Lehranstalten und deren Reform, Frankfurt am Main 1860. 93 LÖBE: Die Altenburgische Landwirtschaft, S. VII. 94 Ebd., S. X.

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Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg zurückgreifen.95 In den anderen ernestinischen Herzogtümern herrschte ein fast analoges Bild. Vor allem Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach und Georg I. von Sachsen-Meiningen waren Verfechter eines aufgeklärten Reformabsolutismus,96 was sich unter anderem darin äußerte, dass beide Fürsten den Ausbau des staatlichen Bildungswesens sowie die Unterstützung privater Schul- und Lehranstalten forcierten.97 Außerdem schufen sie durch Reformen im Finanz-, Verwaltungs- und Justizwesen sowie durch die Handhabung einer liberalen Wirtschafts- und Pressepolitik günstige Bedingungen für die Ansiedlung aufklärerisch denkender Personen in ihren Herzogtümern.98 Das Interesse der ernestinischen Fürsten an der praktischen Umsetzung aufklärerischer Ideen setzte sich auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weiter fort. Besonders deutlich wird dies unter anderem in einer symbolischen Handlung von Herzog Ernst I., der im Jahr 1826 die Regentschaft des neugegründeten Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha antrat. Kurz nach seiner Inthronisation besuchte dieser im November 1826 persönlich die Schnepfenthaler Erziehungsanstalt und versicherte Carl Salzmann, der nach dem Tod seines 95 Vgl. BÖNING: Gotha als Hauptort volksaufklärerischer Literatur, S. 341; MÜLLER, JOHANNES LUDOLF: Die Erziehungsanstalt Schnepfenthal 1784–1934. Festschrift aus Anlaß des hundertjährigen Bestehens der Anstalt, Schnepfenthal 1934, S. 30–42. 96 Vgl. hierzu VENTZKE, MARCUS: Das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach 1775–1783. Ein Modellfall aufgeklärter Herrschaft?, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 290–402; JAKOB, ANDREA (Red.): Herzog Georg I. von Sachsen-Meiningen. Ein Präzedenzfall für den aufgeklärten Absolutismus?, Meiningen 2004. 97 Um das Volksschulwesen in seinem Land zu verbessern, erteilte Georg I. die Order zur Einrichtung eines Lehrerseminars, wo angehende Schullehrer im Sinne der Aufklärung ausgebildet werden sollten. Außerdem gründete er in Wasungen ein „Institut zur Beförderung sittlicher und bürgerlicher Vervollkommnung“ und gewährte Johann Matthäus Bechstein finanzielle Unterstützung für dessen Forstakademie in Dreißigacker. Darüber hinaus initiierte und förderte Georg I. noch zahlreiche weitere Projekte, die der Hebung der allgemeinen Wohlfahrt und der Bildung seiner Untertanen dienlich sein sollten. Aufgrund dessen kommt Herta Müller zu dem Urteil: „Zu den herausragenden Eigenschaften Georg I. gehörte, daß er die weitreichenden Ideen der Aufklärung in praktische Politik umzusetzen verstand.“ Sie folgt damit der Ansicht von Ulrich Heß, der bereits in einer früheren Studie zu dem Ergebnis kam, dass „Georg I. die großen Ideen der Aufklärung mit einem ausgeprägten Sinn für praktische Verwaltungstätigkeit“ verband. Vgl. MÜLLER, HERTA: Georg I. – Herzog von Sachsen-Meiningen, in: Ignasiak (Hrsg.): Herrscher und Mäzene, S. 368–373, hier S. 386; HEß, ULRICH: Der aufgeklärte Absolutismus in SachsenMeiningen, in: Eberhardt, Hans (Hrsg.): Forschungen zur thüringischen Landesgeschichte, Weimar 1958, S. 1–42, hier S. 10. Vgl. hierzu außerdem die Beiträge von HANNELORE SCHNEIDER, STEFFEN KUBLIK und GÜNTER WÖLFING in Jakob (Red.): Herzog Georg I., S. 13–67 u. 102–123. 98 Vgl. VENTZKE: Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach; HEß: Der aufgeklärte Absolutismus.

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Vaters die Leitung übernommen hatte, die Einrichtung auch in Zukunft zu unterstützen.99 Als eine Bekräftigung dieser Zusage muss dann auch der Akt verstanden werden, dass Ernst I. seine Kinder Ernst und Albert in den darauffolgenden Jahren mehrmals zu Besuch nach Schnepfenthal schickte.100 Als 1844 Ernst I. starb, bestätigte auch Ernst II., der als neuer Herzog von SachsenCoburg und Gotha die Regierungsgeschäfte im Land übernommen hatte, sein Wohlwollen gegenüber Carl Salzmann und dessen Schnepfenthaler Anstalt.101 Das bekannteste Beispiel fürstlicher Protektion eines Volksaufklärers im Thüringer Raum in der Vormärzzeit, stellt sicherlich das Verhältnis zwischen dem aus Hildburghausen stammenden Karl Ludwig Nonne und Herzog Bernhard II. Erich Freund von Sachsen-Meiningen dar. Unterstützt von Herzog Bernhard avancierte Nonne in der ersten Hälfe des 19. Jahrhunderts zu einem überregional bedeutenden thüringischen Volksschriftsteller,102 der vornehmlich danach strebte, die Bildung des „gemeinen Mannes“ zu heben.103 Nonnes Engagement in der Volksbildung wurde insofern noch stärker gefördert, als ihm Herzog Bernhard II. die Leitung des sachsen-meiningischen Schulwesens übertrug.104 Bereits unter Herzog Friedrich von Sachsen-Hildburghausen wurde Nonne 1808 zum „Referenten in Schulwesen und Aufseher des Schulwesens im Herzogthum Hildburg99 Vgl. AUSFELD, EDUARD: Carl Salzmann, in: Weiss, Christian von/Geibel, Carl/Brockhaus, Alfred (Hrsg.): Festschrift zur Hundertjährigen Jubelfeier der Erziehungsanstalt Schnepfenthal, Schnepfenthal 1884, S. 117. 100 Vgl. ebd., S. 117. 101 Vgl. ebd., S. 121. 102 Karl Ludwig Nonne (1785–1854) wurde in Hildburghausen geboren und avancierte dort während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum bedeutendsten Schulreformer der Herzogtümer Sachsen-Hildburghausen und Sachsen-Meiningen. Er studierte Theologie und Philosophie an der Universität Jena. Im Jahr 1808 wurde er zum Schulrat, 1819 zum Konsistorialrat des Herzogtums Sachsen-Hildburghausen ernannt. Aufgrund seiner Schulreformen im Herzogtum Sachsen-Hildburghausen (nach 1826: Sachsen-Meiningen), die im Kern den pädagogischen Prinzipien Johann Heinrich Pestalozzis folgten, wurde Nonne auch häufig der „Pestalozzi Thüringens“ genannt. Zum Leben und Wirken Nonnes vgl. u.a. WULFF-WOESTEN, HANSPETER: Wirken solange es Tag ist! Dr. Ludwig Nonne – Leben und Werk des „Pestalozzi Thüringens“. Der Schulreformer, Kirchenratgeber, Freimaurer, Dorfzeitungsschreiber in seiner Zeit und Wirkung, Leipzig/Hildburghausen 2008; BÜCHNER, HORST: Karl Ludwig Nonne und das südthüringische Schulwesen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Hildburghausen 1985; KAISER, ERNST: Dr. Ludwig Nonne, der Schulreformator und „Pestalozzi Thüringens“, Weimar 1948. 103 Vgl. REICHARDT, ERICH W.: D. theol. h. c. Dr. Ludwig Nonne. Der Pestalozzi Thüringens, in: Quandt, Willy (Hrsg.): Bedeutende Männer aus Thüringer Pfarrhäusern, Berlin 1957, S. 40. 104 Vgl. FÜSSER: Bauernzeitungen in Bayern und Thüringen, S. 123 u. 133; KAISER: Dr. Ludwig Nonne, S. 61–75.

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hausen“ ernannt.105 Stark beeinflusst von den Lehr- und Erziehungsmethoden Johann Heinrich Pestalozzis, den er 1809 und 1817 auf zwei „Studienreisen“ in die Schweiz persönlich kennenlernte,106 reorganisierte Nonne das staatliche Schulwesen des Herzogtums Sachsen-Hildburghausen im Sinne aufklärerischer Bildungs- und Erziehungsvorstellungen. Nachdem infolge der ernestinischen Landesteilung von 1826 das Herzogtum Sachsen-Hildburghausen dem Herzogtum Sachsen-Meiningen angegliedert wurde, bestätigte Nonnes neuer Landesherr Bernhard II. dessen schulreformerische Leistungen und ernannte ihn 1826 zum Oberkonsistorialrat. Zudem übertrug ihm Bernhard II. die Gesamtleitung über das Schulwesen des nun territorial stark erweiterten Herzogtums SachsenMeiningen.107 In einer Verfügung, die am 21. Februar 1827 ausgestellt und am 24. Februar 1827 im „Regierungs- und Intelligenzblatt“ veröffentlicht wurde, verkündete Herzog Bernhard II. bezüglich der „Verbesserung des Volksschulwesen“ in seinem Land, daß Wir Unseren Consistorialrath Dr. Ludwig Nonne mit Beybehaltung seiner bisherigen Function in Unserer Landes-Regierung zu Hildburghausen in Unser Consistorium zu Meiningen mit Sitz und Stimme aufgenommen und ihm in Betracht seiner rühmlichen Leistungen in Verbesserung der Schulen die spezielle Oberaufsicht über das gesammte Schulwesen in Unseren Landen unter der Leitung der genannten beyden Collegien übertragen haben.108

Aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung war es Nonne auch möglich, eine relativ freizügige öffentliche Kritik an den sozialen und politischen Missständen des Vormärz zu üben. Dafür nutzte Nonne vor allem seine im Jahr 1818 in Hildburghausen gegründete Hildburghäuser „Dorfzeitung“, wo er trotz der Bestimmungen der Karlsbader Beschlüsse nicht davor zurückschreckte, „unangenehme“

105 Vgl. BÜCHNER: Karl Ludwig Nonne, S. 12. 106 Ludwig Nonnes Reise zu Pestalozzi erfolgte auf Bestreben des Präsidenten des Konsistoriums Karl Ludwig Friedrich August von Baumbach. Dieser schlug Herzog Friedrich in einem Schreiben vom 7. Februar 1809 vor, Nonne in die Schweiz zu schicken, um die Lehr- und Erziehungsmethoden Pestalozzis durch „selbstgemachte Erfahrungen“ an „Ort und Stelle“ näher kennenzulernen. Vgl. ebd., S. 59. 107 Von der im Jahr 1826 vollzogenen ernestinischen Landesteilung konnte vor allem Sachsen-Meiningen profitieren. Durch den Zugewinn des Hildburghäuser und Saalfelder Landesteiles sowie der Ämter Themar, Kranichfeld und Camburg bekam das Herzogtum einen beträchtlichen territorialen Zuwachs (von 1.045 auf 2.468 km²). Vgl. HEß, ULRICH: Geschichte der Behördenorganisation der thüringischen Staaten und des Landes Thüringen von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Jahr 1952, Jena/Stuttgart 1993, S. 54 u. 100. 108 Zit. nach WULFF-WOESTEN: Wirken, solange es Tag ist!, S. 53.

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gesellschaftspolitische Fragen aufzuwerfen.109 In diesem publizistischen Organ, das bald in ganz Thüringen rezipiert wurde, versuchte Nonne der ländlichkleinstädtischen Bevölkerung nicht nur praktisch nützliches Wissen zu vermitteln, sondern stieß unter dem Synonym „Dorfzeitungsschreiber“ in vielen Beiträgen ebenso öffentliche Debatten zu politisch brisanten Themen wie Pressefreiheit, Nationalstaatlichkeit oder Konstitutionalismus an.110 Obwohl die „Dorfzeitung“ ein gemäßigt-liberales Profil aufwies, zog sie immer wieder den Unmut hoher reaktionärer Politiker, darunter auch Metternich, auf sich.111 Dies führte dazu, dass die Zensurbehörden mehrerer Staaten des Deutschen Bundes Anklage gegen die „Dorfzeitung“ erhoben und damit die sachsen-meiningische Regierung massiv unter Druck setzten. Doch anstatt die Verantwortlichen der „Dorfzeitung“, Herausgeber Karl Ludwig Nonne und Verleger Georg Friedrich Kesselring, abzumahnen, nahm Herzog Bernhard sie stets in Schutz.112 Zwar wurde der Meininger Herzog auf Befehl Metternichs im Jahr 1836 dazu genötigt, die Pressezensur in seinem Land zu verschärfen,113 allerdings änderte dies nichts an der Tatsache, dass Nonne weiterhin die Möglichkeit gewährt wurde, die „Dorfzeitung“ frei nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Denn die 1836 von Herzog Bernhard verabschiedeten Maßnahmen hinsichtlich der „Dorfzeitung“ waren letztlich nicht mehr als eine „Scheinzensur“. Der „Dorfzeitung“ wurde ein neuer

109 NEUMANN, THOMAS (Hrsg.): „ ... daß bei der Erziehung kein Teil von dem anderen unabhängig ist ... “. Pädagogik im 18. und 19. Jahrhundert (= Quellen zur Geschichte Thüringens, Bd. 18), Erfurt 2002, S. 181. 110 Vgl. GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 162. 111 Vgl. DERS.: Thüringen als Presselandschaft, in: Scheurmann/Frank (Hrsg.): Neu entdeckt, S. 473. 112 Selbst nach den revolutionären Ereignissen der Jahre 1830/31 stellte sich die Meininger Regierung schützend vor die „Dorfzeitung“ und verkündete demonstrativ, das „Blatt gehöre seit einer Reihe von Jahren zu den allerwirksamsten und wohltätigsten, die in irgendeinem deutschen Staat erscheinen“. Zit. nach KAISER: Dr. Ludwig Nonne, S. 83. Warum die „Dorfzeitung“ von Herzog Bernhard II. und der Landesregierung Sachsen-Meiningens stets in Schutz genommen wurde, dürfte auch am Personal gelegen haben, das neben Nonne tatkräftig an der „Dorfzeitung“ mitgearbeitet hat. Unter diesen Mitarbeitern befanden sich auch ranghohe Beamte, darunter der Superintendent Christian Hohnbaum, der Obermedizinalrat Carl Hohnbaum, der Konsistorialpräsident Karl von Baumbach, der Oberkonsistorialrat Friedrich Mosengeil, der Seminarinspektor Carl Kühner und der Kirchenrat Ernst Balthasar Wölfing. 113 Der Gesetzentwurf zur neuen Zensurverordnung für das Herzogtum Sachsen-Meiningen wurde bereits im September 1835 ausgearbeitet. Ratifiziert wurde er aber erst 1836. Vgl. ThStA Meiningen, Staatsministerium, Abt. des Innern, Akt.-Nr. 15368: Allgem. Act. Gesetzgebung, Acten des herzogl. S. Meiningischen Landesministeriums betreffend die Aufsicht über das Censurwesen, Bl. 2–12.

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Zensor zugewiesen, der allerdings „unwissentlich“114 ihr eigener Herausgeber war: Dr. Ludwig Nonne.115 Herzog Bernhard II. Erich Freund unterstützte aber nicht nur Ludwig Nonnes Bestrebungen zur Verbesserung der allgemeinen Volksbildung, sondern auch die anderer aufklärerisch denkender Personen. Das gleiche gilt auch für die anderen thüringischen Fürsten. Auch wenn aus Sicht nachfolgender Generationen andere obrigkeitliche Unterstützungen von volksaufklärerischen Unternehmungen, seien sie nun finanzieller oder ideeller Art gewesen, nicht so markant zum Vorschein getreten sind wie der Rückhalt, den Nonne bei Herzog Bernhard genossen hat, so existierten diese dennoch in allen thüringischen Staaten in zahlreichen unterschiedlichen Formen. Dabei erstreckten sich die obrigkeitlichen Unterstützungen von der einfachen Hilfe bei der Verteilung volksaufklärerischer Literatur bis hin zu finanziellen Subventionen, die zum Teil die Gründung und Ausstattung einiger gemeinnütziger Institutionen sowie Schul- und Lehranstalten überhaupt erst ermöglichten. Ebenso wurden von rechtlich höher gestellten Obrigkeiten Verordnungen erlassen, die niedere Obrigkeiten bzw. Unterbehörden dazu verpflichteten, bestimmte Aufgaben in der Volksbildung wahrzunehmen. Interessanterweise finden sich obrigkeitliche Unterstützungen von volksaufklärerischen Ambitionen auch in Gebieten des Thüringer Raumes, die auf den ersten Blick kaum vermuten lassen, dass die Volksaufklärungsbewegung auch dort zum Vorschein trat. So etwa auch im preußisch regierten Eichsfelder Land, das verwaltungstechnisch zum Regierungsbezirk Erfurt gehörte. Um das Allgemeinwohl im ländlichen Raum um Heiligenstadt zu heben, rief der Königlich Preußische Landrat Anton Christoph Ludwig Wilhelm Adolf von Bodungen am 23. Juli 1831 im „Ober=Eichsfelder Kreis=Anzeiger“ die „Herrn Schulzen und Dorfvorsteher“ und alle „Pfarrer und Schullehrer“ des Kreises sowie alle „guten, verständigen und arbeitssamen Einwohner“ dazu auf, Vereine zu gründen, die sich der „Verbesserung des Ackerbaues, Baumanpflanzung und deren Veredelung, Bienenzucht, Wegebesserung, Urbarmachung unbebaueter Gemeindeplätze und andere[r] wirtschaftliche[r] und 114 Ludwig Nonne gab seine Identität in der Hildburghäuser „Dorfzeitung“ nie preis. In seiner eigenen Zeitung publizierte er nur unter dem Anonym „Der Dorfzeitungsschreiber“. Allerdings war allgemein bekannt, dass sich Nonne hinter dem Pseudonym des „Dorfzeitungsschreibers“ verbarg. Sogar außerhalb Thüringens wussten die Zeitungen zu berichten, wer der „Dorfzeitungsschreiber“ war und dass dieser auch als Zensor seines eigenen Blattes fungierte. So machte beispielsweise 1845 die „Nürnberger Zeitung“, die wiederum ihre Informationen aus der liberalen „Weser-Zeitung“ bezogen hat, in einem Artikel über das Glückspiel auf dem Land darauf aufmerksam, dass „Konsistorialrath Nonne“ der „wahre Verleger, Redacteur und zugleich Censor“ der Hildburghäuser „Dorfzeitung“ war. Vgl. Mannichfaltiges, in: Nürnberger Zeitung, Nr. 208 vom 27. Juli 1845, unpag. 115 Vgl. FÜSSER: Bauernzeitungen in Bayern und Thüringen, S. 123 u. 133. Vgl. außerdem KAISER: Dr. Ludwig Nonne, S. 82.

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gemeinnützige[r] Gegenstände“ widmen sollten.116 Damit dieses Vorhaben auch bei der Landbevölkerung auf die nötige Akzeptanz stieß, appellierte Anton von Bodungen außerdem an die in den Vereinen tätigen Personen, die „Hessische Landwirthschaftliche Zeitung“ anzukaufen und in den Gemeinden zu verteilen sowie „desgleichen das bekannte höchst belehrende Noth= und Hülfsbüchlein von Becker anzuschaffen und zu diesem Zwecke [zu] benutzen“.117 Abschließend nahm Anton von Bodungen nochmals ausdrücklich die Dorfschulzen in die Pflicht, seinen Aufforderungen Folge zu leisten und „mit gutem Beispiele voranzugehen“.118 An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Volksaufklärer überall im Thüringer Raum auf obrigkeitliche Unterstützung ihrer volksaufklärerischen Unternehmungen hoffen konnten, solange diese nicht gegen die herrschenden politischen Verhältnisse gerichtet waren. Bedenkt man zudem, dass ein permanenter Beistand der Obrigkeit die Chancen zur erfolgreichen Umsetzung der eigenen Ziele um ein Vielfaches erhöhten, dann wird auch verständlich, weshalb die Volksaufklärer aus den thüringischen Kleinstaaten so großen Wert darauf gelegt haben, dass ihre Absichten und Handlungen nie konträr, sondern stets kongruent zu den Interessen ihrer Landesfürsten standen. Neben dem Versuch, ein möglichst positives Verhältnis zur Obrigkeit aufzubauen, versuchten die Volksaufklärer im 19. Jahrhundert den „gemeinen Mann“ davon zu überzeugen, direkt am Aufklärungsprozess des „Volkes“ mitzuwirken. Sie wollten damit an eine Entwicklung anknüpfen, die bereits am Ende des 18. Jahrhunderts erste Konturen angenommen hatte. Denn im Zuge des Wandels von der ökonomischen Reformbewegung zur universell ausgerichteten Erziehungsbewegung betätigten sich nach 1780, neben den „gesitteten Ständen“, nun erstmals auch einfache Bauern und Handwerker als Verfasser volksaufklärerischer Literatur.119 Für die Volksaufklärer bedeutete diese Entwicklung in erster Linie eine Bestätigung ihres Bestrebens, die Bildung des Volkes zu heben. Sie signalisierte den Volksaufklärern vor allem, dass ein Teil des „Volkes“ willens war, sich aufkläre116 Allgemeine Verordnungen und Bekanntmachungen, in: Ober=Eichsfelder Kreis=Anzeiger, Nr. 30 vom 23. Juli 1831, S. 234 f. 117 Ebd., S. 235. 118 Außerdem versprach Anton von Bodungen allen Dorfschulzen, für ihr gemeinnütziges Engagement von obrigkeitlicher Seite belobigt zu werden. So schreibt er: „Ich werde mich sehr freuen, wenn dergleichen Vereine, durch welche augenscheinlich so mannichfaltiger Nutzen und häusliches Glück gestiftet wird, recht bald ins Leben treten, und diejenigen Herr Schulzen, welche hierbei mit guten Beispiele vorangehen, und sich in der Ausführung thätig beweisen, wie sie es verdienen nicht allein öffentlich beloben, sondern auch der höhern Behörde davon Anzeige zu machen. Zu der allgemein bekannten Liebe für unsern innig geliebten König und Vaterland, und zu dem regen Bestreben der Herrn Pfarrer und Schullehrer, das allgemein Beste stets zu befördern, habe ich das feste Vertrauen, daß sie hierbei kräftig einzuwirken für eine angenehme Berufspflicht halten werden.“ Ebd., S. 235. 119 Vgl. SIEGERT: Der Höhepunkt der Volksaufklärung, S. XXXIV f.

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risches Wissen anzueignen, dieses anzuwenden und öffentlich darüber zu räsonieren.120 Die meisten Volksaufklärer dürften diese Entwicklung als einen Erfolg ihrer Arbeit gewertet haben. In der Hoffnung, den Prozess der Aufklärung des „Volkes“ beschleunigen zu können, versuchten sie den „gemeinen Mann“ zum Schreiben zu animieren. Dabei sollten die Schriften aus der Feder des „gemeinen Mannes“ sowohl den gebildeten als auch den ungebildeten Bevölkerungsschichten einen Einblick in die „unverfälschte“ Denkweise des „Volkes“ ermöglichen und gleichzeitig offenbaren, in welchen Bereichen noch Verbesserungspotential zur Steigerung der allgemeinen Volksbildung lag. Zudem waren alle literarischpublizistischen Äußerungen vonseiten der einfachen Bauern und Handwerker ein guter Indikator für die Volksaufklärer, inwieweit die eigenen Vorstellungen vom „Volk“ überhaupt angenommen wurden. Um die Beteiligung der einfachen Bauern und Handwerker am Aufklärungsprozess des „Volkes“ zu steigern, wurde den „Autoren aus dem Volk“ in den volksaufklärerischen Periodika des 19. Jahrhunderts zunehmend mehr Beachtung geschenkt. In zahlreichen periodischen Schriften wurde der „gemeine Mann“ nun regelmäßig dazu aufgerufen, dem „Volk“ seine praktischen Erfahrungen entweder in Sozietäten und Vereinen oder in selbstverfassten Schriften und kleineren Zeitschriftenbeiträgen mitzuteilen, damit von diesem Wissen nicht nur eine einzelne Person, sondern die ganze Gesellschaft profitieren konnte. Nach Vorstellung vieler Volksaufklärer standen alle Personen aus dem „Volk“, die sich bereits eine vernunftorientierte Denkweise angenommen hatten sowie über ein umfangreiches aufklärerisches Wissen verfügten, in der Pflicht, die „geistige Distanz“ zwischen den gebildeten und ungebildeten Bevölkerungsschichten zu verringern. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten sie Einfluss auf ihr unmittelbares soziales Umfeld ausüben und im „Volk“ den Prozess des gegenseitigen Wissenstransfers weiter vorantreiben. Wie die Landgeistlichen in Dörfern sollten sie zum einen auf literarisch-publizistischer Ebene aktiv werden und zum anderen direkt „vor Ort“ gemeinnützige Unternehmungen initiieren. Dass solche Überlegungen keine utopischen Wunschvorstellungen waren, zeigen einige volksaufklärerische Schriften, die in Thüringen während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Bauern und Handwerkern verfasst wurden. Dass mitunter auch unmittelbare Anteilnahmen des „gemeinen Mannes“ erfolgten, durch nützliche Informationen und Ratschläge die Aufklärungsbestrebungen einzelner Volksaufklärer zu ergänzen und zu verbessern, lässt sich anhand einiger Aussagen ebenso nachweisen. So verwies etwa William Löbe in der Vorrede seiner oben genannten „Altenburgischen Landwirthschaft“, dass er bei der An120 Erstaunlicherweise thematisierten die „Autoren aus dem Volk“ in ihren Schriften nicht nur landwirtschaftlich-ökonomische Sachverhalte, sondern auch technisch-naturwissenschaftliche, sittlich-moralische, theologische und politische Fragen. Vgl. ebd.

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fertigung dieser Schrift nicht nur auf die Hilfe der Obrigkeit, sondern ebenso auf „die Aufklärungen“, welche ihm „viele Altenburgische Bauern […] gegeben haben“, in umfangreichen Maß zurückgegriffen hat.121 Besonderer Dank Löbes galt dabei dem „Herrn Landstand Kresse in Dobraschütz“,122 einem Bauern aus einer kleinen Dorfgemeinde in der Nähe der Residenzstadt Altenburg.123 Zacharias Kresse lieferte William Löbe allerdings nicht nur wertvolle Hinweise für dessen Buch, sondern betätigte sich selbst als Verfasser volksaufklärerischer Schriften. Wie Löbe schrieb auch Kresse ein Werk über die Altenburgische Landwirtschaft und widmete diese Schrift „in treuster Verehrung und wärmster Dankbarkeit“ Herzog Joseph von Sachsen-Altenburg.124 Als Anerkennung ihrer publizistischen Leistungen erhielten Löbe und Kresse von Herzog Joseph einen Preis von 100 Dukaten für ihre beiden Schriften zur Geschichte der Altenburgischen Landwirtschaft.125 Neben seinen publizistischen Abhandlungen zu landwirtschaftlich-ökonomischen Themen,126 war Kresse auch darum bemüht, in seiner Gemeinde „vor Ort“ gemeinnützig zu wirken und die Bildung der Dorfbewohner zu verbessern. Damit erfüllte er nahezu mustergültig das von Volksaufklärern angestrebte Ideal eines aufklärerisch denkenden und gebildeten Bauern. Betrachtet man den Werdegang von Zacharias Kresse, der sich selbst als einen „Bauern und Anspanner“ bezeichnete,127 scheint er aus Sicht der Volksaufklärung den Typus eines „idealen Bauern“ widerzuspiegeln. Als Sohn einfacher Bauern, die aus einem heruntergewirtschafteten Gut in Dobraschütz eine funktionierende Wirtschaft gemacht hatten, besuchte Kresse 121 LÖBE: Die Altenburgische Landwirthschaft, S. X. 122 Ebd., S. X. 123 Zur Person von Zacharias Kresse (1800–1876) vgl. Mitteilungen der Geschichts- und Altertumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes, Bd. 16 (2000), Heft 4, S. 221–286. Aus verschiedenen Blickwinkeln wird hier das Leben und Wirken Kresses von MANJA KRESSE, ANDREAS KLÖPPEL, DIETER SALAMON, WOLFGANG ENKE, PERDITA SCHACHTSCHNEIDER und JOACHIM EMIG näher beleuchtet. 124 Vgl. KRESSE, ZACHARIAS: Geschichte der Landwirthschaft des Altenburgischen Osterlandes, Altenburg 1845. 125 Vgl. KLÖPPEL, ANDREAS: Zacharias Kresse und die Altenburgische Landwirtschaft, in: Mitteilungen der Geschichts- und Altertumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes, Bd. 16 (2000), Heft 4, S. 246. Vgl. hierzu außerdem KRESSE: Geschichte der Landwirthschaft, S. VIII f. 126 Zu den einzelnen landwirtschaftlichen Abhandlungen Zacharias Kresses vgl. KLÖPPEL: Zacharias Kresse, S. 237–250. 127 Vgl. KRESSE: Geschichte der Landwirthschaft, Titelbild. Zacharias Kresse verfasste außerdem eine Autobiographie, wo er sich ebenfalls als einen „Bauer und Anspanner“ umschrieb. Vgl. Lebenschronik des Altenburger Bauern Zacharias Kresse aus Dobraschütz 1800–1876. Die Geschichte des Lebens und Schaffens, sowie sonstige damit verbundene Ereignisse, Manuskript von 1874, gedruckt und herausgegebenen von der Bundeslandsmannschaft Thüringen, München 1981.

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bis zu seinem 13. Lebensjahr die örtliche Dorfschule.128 Auf Wunsch des Vaters sollte Kresse nach der Konfirmation eine Sammelschule oder eine Stadtschule besuchen. Beide Pläne konnten nicht realisiert werden, so dass Kresse auf schulischem Bildungsweg nie mehr als das Elementarschulwissen einer herkömmlichen Dorfschule erlangte. Dennoch strebte er danach, sein Wissen zu erweitern und sich selbst weiterzubilden. Er interessierte sich vor allem für Geschichte, Geographie, Politik und Literatur.129 Besonders angetan hatte es ihm die Poesie. Bis ins hohe Lebensalter verfasste er insgesamt 342 Gedichte.130 Daneben erweiterte Kresse sein Wissen über die Landwirtschaft, indem er volksaufklärerische Literatur las und das dort vermittelte Wissen in verschiedenen Feldversuchen praktisch umsetzte.131 Über die Jahre hinweg – seit 1822 leitete er das gesamte elterliche Gut – veränderte Kresse sukzessive die Anbaumethoden und wechselte vom System der Dreifelderwirtschaft zur Fruchtwechselwirtschaft. Außerdem verbesserte er die Buchführung und verstand es, durch den Ankauf neuer Grundstücke seinen Gutskomplex gewinnbringend auszubauen.132 Auf diese Weise konnte Kresse die Erträge seiner Wirtschaft deutlich steigern, was ihn schließlich in den 1830er Jahren zu einem wohlhabenden Mann machte. So wie der fiktive Bauer Georg Vorwärts aus Beckers „Noth= und Hülfsbüchlein“ hatte es Zacharias Kresse durch die konsequente Anwendung von aufklärerischem Wissen und einer rationellen Wirtschaftsweise zu finanziellem Wohlstand gebracht. Im Jahr 1835 zog Kresse als Vertreter des Bauernstandes in den Altenburger Landtag ein. Spätestens seit diesem Zeitpunkt kann Kresse allerdings nicht mehr als Mittelbauer charakterisiert werden. Um als bäuerlicher Abgeordneter in den Landtag gewählt zu werden, musste er jährlich, da sein Gut in Dobraschütz zum Amt Altenburg gehörte, „an Land= und Viehsteuern 25 Thlr.“ entrichten.133 Jedes 128 Vgl. KRESSE, MANJA: Zacharias Kresse (1800–1876), in: Mitteilungen der Geschichtsund Altertumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes, Bd. 16 (2000), Heft 4, S. 221 f. 129 Vgl. ebd., S. 223 f. 130 Vgl. SCHACHTSCHNEIDER, PERDITA: Zum dichterischen Nachlaß von Zacharias Kresse, in: Mitteilungen der Geschichts- und Altertumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes, Bd. 16 (2000), H. 4, S. 265–278. 131 Vgl. KRESSE: Zacharias Kresse (1800–1876), S. 226–229. 132 Vgl. KLÖPPEL: Zacharias Kresse, S. 243. 133 Laut § 196 des Grundgesetzes von 1831. Vgl. Grundgesetz für das Herzogthum Sachsen=Altenburg, Altenburg 1831, S. 61. Zur Entwicklung und zu den rechtlichen Grundlagen der Verfassung des Herzogtums Sachsen-Altenburg im Zeitraum von 1831 bis 1848 vgl. außerdem WOLFRUM, ANDREAS: Die Landstände in den Herzogtümern Sachsen-Gotha-Altenburg und Sachsen-Altenburg (1603–1831), in: Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen, Heft 27: Landstände in Thüringen. Vorparlamentarische Strukturen und politische Kultur im Alten Reich, Weimar 2008, S. 188–192; GOETZE, FRITZ: Die geschichtliche Entwicklung des Landtagswahlrechts in SachsenAltenburg, Stadtroda 1927; IGEL, HERMANN: Das System Metternich im Herzogtume

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Jahr einen solch hohen Betrag aufzubringen, konnten sich nur diejenigen Bauern leisten, die über umfangreichen Besitz verfügten.134 Dies änderte allerdings nichts daran, dass sich Zacharias Kresse im Landtag auch für die Belange der einfachen Bauern einsetzte. So plädierte er für die Abschaffung aller noch bestehenden bäuerlichen Frondienste im Herzogtum Sachsen-Altenburg135 und bemühte sich um die Bereitstellung zusätzlicher Gelder für eine bessere Ausbildung angehender Bauern. Nach Meinung Kresses sollte mit einem Steuerfond vor allem jungen Bauernsöhnen die Möglichkeit eröffnet werden, auswärtige landwirtschaftliche Schulanstalten zu besuchen und sich dort aus- oder weiterbilden zu lassen.136 Neben seiner Tätigkeit im Altenburger Landtag engagierte sich Zacharias Kresse auch aktiv in seiner Dorfgemeinde Dobraschütz. Seit Mitte der 1830er Jahre nahm er das Amt des Gemeindevorstehers wahr. In dieser Funktion veranlasste er mehrere Bauprojekte im Dorf137 und rief eine Stiftung ins Leben, deren Erlös den Schulkindern aus der Gemeinde zugute kommen sollte. Um das Dobraschützer Dorfschulwesen zu verbessern, gründete er 1842 eine Schulbibliothek138 und sammelte seit 1841 Gelder für den Bau einer neuen Dorfschule, die schließlich in den Jahren 1849/50 unter seiner Leitung errichtet wurde.139 Im Bestreben, die landwirtschaftliche Ausbildung der Bauern zu heben, richtete Kresse außerdem in seinem Haus von 1853 bis 1854 eine Sonntagsschule für Bauernsöhne ein, wo er selbst die angehenden Landwirte aus der näheren Umge-

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Sachsen=Altenburg, Meuselwitz 1925; PÖLITZ, KARL HEINRICH LUDWIG: Andeutungen über den staatsrechtlichen und politischen Charakter des Grundgesetzes für das Herzogthum Sachsen=Altenburg vom 29. April 1831; mit vergleichender Rücksicht auf die Verfassungen von Schwarzburg=Sondershausen, Churhessen, Hannover und Braunschweig, Leipzig 1831, S. 51–120. Dass Zacharias Kresse ein überaus wohlhabender Bauer gewesen sein muss, wird auch an den Baukosten seines „Schellenberger Gutes“ deutlich, das er in den Jahren von 1862 bis 1884 neu errichten ließ. Nach eigenen Angaben kostete Kresse die Errichtung dieses Gutes insgesamt ein Vermögen von rund 33.000 Reichstalern. Vgl. SALAMON, DIETER: Zacharias Kresse als Baumeister, in: Mitteilungen der Geschichts- und Altertumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes, Bd. 16 (2000), Heft 4, S. 251–258. Obwohl Kresse, wie er in seinen Lebenserinnerungen schrieb, gerne „eine gänzliche gesetzliche Befreiung des Grund und Bodens von den mittelalterlichen, belasteten Verhältnissen ins Leben gerufen hätte“, war es ihm nicht vergönnt, die Agrargesetzgebung des Landes vor der Revolution von 1848/49 entscheidend zu beeinflussen. Vgl. KLÖPPEL: Zacharias Kresse, S. 246. Vgl. ENKE, WOLFGANG: Zacharias Kresses Tätigkeit im Altenburger Landtag 1841–48, in: Mitteilungen der Geschichts- und Altertumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes, Bd. 16 (2000), Heft 4, S. 260. Kresse ließ u.a. die Dorfstraßen ausbessern und gab den Bau einer neuen Leichenvorhalle in Auftrag. Vgl. KRESSE: Zacharias Kresse (1800–1876), S. 232. Vgl. ebd. Vgl. SALAMON: Zacharias Kresse als Baumeister, S. 251.

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bung unentgeltlich unterrichtete.140 Darüber hinaus war Kresse auch Mitglied der Geschichts- und Altertumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes und der Naturforschenden Gesellschaft des Osterlandes sowie des Landwirtschaftlichen Vereins in Altenburg.141 Kresse nutzte diese Institutionen zur eigenen Weiterbildung und zugleich als Kommunikationsplattform zur Verbreitung neuer landwirtschaftlicher Erkenntnisse.142 Demnach engagierte sich Zacharias Kresse gleich auf mehreren Ebenen in gemeinnütziger Weise. In seiner Gemeinde wirkte er vor allem im Bildungs- und Schulbereich als „Innovationsmotor“ und versuchte gleichsam auf publizistischem Weg, sein Wissen über das Dorf Dobraschütz hinaus einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Idee einer aktiven Beteiligung des „Volkes“ an der Volksaufklärung hielt sich bis zur Revolution von 1848. Betrachtet man die Mitarbeiterverzeichnisse der im Vormärz erschienenen Periodika,143 so zeigt sich sehr deutlich, dass die publizistische Anteilnahme des „gemeinen Mannes“ an der Aufklärung des eigenen sozialen Umfeldes aber selbst im Zuge der steigenden Alphabetisierungsrate im 19. Jahrhundert nur sehr schwach ausgeprägt war. Protagonisten aus dem „Volk“, die sich mit selbst verfassten literarisch-publizistischen Mitteln am Aufklärungsprozess des eigenen Standes beteiligten, stellten zumindest im Thüringer Raum bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine Seltenheit dar. Der „Bauer und Anspanner“ Zacharias Kresse zeigt zwar, dass auch aufklärerisch denkende und gemeinnützig agierende Autoren aus dem „Volk“ existierten, doch nahmen diese im Vergleich zu den aus dem gebildeten Bürgertum kommenden Volksaufklärern nur einen verschwindend geringen prozentualen Anteil an der Gesamtsumme aller Volksaufklärer ein. Dass der „gemeine Mann“ nicht allzu oft seine von ihm selbst verfassten literarischen Erzeugnisse zum Druck gegeben hat, dürfte indes auch darauf zurückzuführen sein, dass seine Schreibweise – unter der Voraussetzung er konnte überhaupt schreiben – nicht dem Niveau der Gebildeten gleichkam. In einigen Fällen übernahmen dann Geistliche oder Buchhändler die Herausgabe der Schrift eines einfachen Bauern oder Handwerkers, nachdem sie diese überarbeitet und den Lesegewohnheiten des „gemeinen Mannes“ angepasst hatten. Ein Beispiel hierfür ist die Geschichte des Wagnergesellen Ernst Christoph Döbel, der während seiner Reise durch Europa, Kleinasien und den Vorderen Orient Tagebuch geführt hatte und diese Erlebnisse veröffentlichen wollte, nachdem er wieder in seine Heimat zurückgekehrt war. Da die Notizen seines Tagebuchs allerdings 140 141 142 143

Vgl. KRESSE: Zacharias Kresse (1800–1876), S. 233. Vgl. KLÖPPEL: Zacharias Kresse, S. 244. Vgl. ebd., S. 244 f. Vgl. hier vor allem ESTERMANN, ALFRED: Die deutschen Literatur-Zeitschriften 1815– 1850. Bibliographien – Programme – Autoren, Bd. 2–8, 2. Aufl. München/London/ New York/Paris 1991.

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nicht die Ansprüche eines unterhaltsamen Volksbuches erfüllten und damit aus verlegerischer Sicht keinen Absatz versprachen, wandte sich Döbel an den Neukirchener Pfarrer Heinrich Schwerdt, der aus den Tagebuchnotizen einen zusammenhängenden Text formte und diesen stilistisch und sprachlich überarbeitete. Unter der Herausgeberschaft Schwerdts erschienen Döbels Reiseerlebnisse schließlich in zwei Bänden.144 Dabei versäumte es Schwerdt nicht, den Lesern im Vorwort des ersten Bandes ausführlich zu schildern, wie viele Probleme es ihm bereitet hatte, das Textmaterial eines ungebildeten Handwerkers in eine angemessene Leseform umzuarbeiten. So schreibt er: Was die Bearbeitung desselben [Buches] betrifft, so erlaube ich mir darüber noch einige Worte hinzuzufügen. Daß dieselbe keine leichte Aufgabe war, werden Alle begreiflich finden, welche die gewöhnliche, oft schiefe Bildung der meisten Handwerkburschen kennen zu lernen Gelegenheit gehabt haben. Döbel legte mir allerdings seine Ausarbeitungen vor, aber – in welcher Form! Der Sprache fehlte durchaus alles Regelrechte und Runde […]; oft waren die Schriftzüge, schon darum, weil sie mit Bleistift geschrieben, kaum zu entziffern; die Ordnung der Gegenstände und Bemerkungen war nicht selten verkehrt und verworren und dadurch an vielen Stellen nicht nur das Verständniß erschwert, sondern auch der eigentliche Sinn ganz und gar verwischt.145

Da Schwerdt den Wert einer Reisebeschreibung aus der Feder eines „gemeinen Mannes“ erkannte – zumal er mit Döbel seit seiner Kindheit befreundet war146 – entschied sich der Neukirchener Pfarrer trotz aller Schwierigkeiten, den Inhalt des Reisetagebuchs „der Lesewelt nicht länger vorzuenthalten, sondern durch den Druck [zu] veröffentlichen“.147 Um sicher zu gehen, dass die Veröffentlichung einer solchen Reisebeschreibung auch wirklich den Geschmack der Leser traf, schickte Schwerdt eine erste von ihm überarbeitete Fassung „auf höchsten Wunsch an Ihre Kaiserliche Hoheit, die regierende Großherzogin von Sachsen Weimar=Eisenach“.148 Wie Schwerdt berichtet, hatte er das Glück, dass das von ihm eingesendete Manuskript der Großherzogin Maria Pawlowna „nicht zu mißfallen“ schien.149 Aufgrund dessen setzte er zusammen mit Döbel die „Bearbeitung des Werkes ununterbrochen fort“ und hoffte darauf, dass es den „billigen Ansprüchen“ der Leser genügte.150 Abschließend wies Schwert nochmals darauf hin, dass sich die Reisebeschreibungen 144 Vgl. SCHWERDT, HEINRICH (Bearb.): Des Wagnergesellen E. Ch. Döbel Wanderungen durch einen Theil von Europa, Asien und Afrika in den Jahren 1830 – 1836. Mit lithographischen Ansichten, 2 Bde., Gotha 1837/38. 145 DERS.: Des Wagnergesellen, Bd. 1, S. 9. 146 Vgl. ebd., S. 3. 147 Ebd., S. 7. 148 Ebd. 149 Vgl. ebd., S. 8. Ebenso wurde das Buch von Geheimrat Ernst Christian August Freiherr von Gersdorff, Staatskanzler Friedrich von Müller sowie dem Direktor der Weimarer Zeichenschule Ludwig Schorn weiter empfohlen. Vgl. ebd., S. 6. 150 Ebd., S. 8.

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Döbels an den „Bürger und Landmann“ und den „wissenschaftlich gebildeten Leser“ gleichermaßen richteten.151 Wie sich zeigen sollte, stießen Döbels Reisebeschreibungen nicht nur bei Großherzogin Maria Pawlowna auf Zustimmung, sondern auch bei zahlreichen anderen Lesern. Das Buch wurde ein Erfolg. Schon die Subskribentenliste des ersten Bandes weist rund 900 Käufer auf, darunter auch zahlreiche Leser, die einen Handwerksberuf ausübten oder in der Landwirtschaft tätig waren.152 Dass das Buch einen solch guten Absatz erzielte, dürfte auch dem Umstand zu verdanken sein, dass die Arbeit von Döbel und Schwerdt in einigen Zeitschriften ausgesprochen positiv rezensiert wurde. Sogar außerhalb Thüringens gab es mehrere Periodika, teilweise mit direktem volksaufklärerischem Bezug, die das Werk wärmstens an ihre Leser weiterempfahlen. Mit Begeisterung schrieb etwa die in Bamberg herausgegebene Wochenschrift „Die Biene“: Wenn es an sich schon anziehend ist, die Bemerkungen und Erfahrungen eines Mannes auf einer größern Wanderung kennen zu lernen, welcher ohne zu der Klasse der Gelehrten zu gehören, welche oft die Gegenstände in einem gewissen Vorurtheil betrachten, überall mit unbefangenen Augen sieht und seine Beobachtungen in treuherziger Sprache mittheilen; so ist es für die gegenwärtige Reisebeschreibung Döbels eine noch größere Empfehlung, daß dieselbe zugleich durch die Bearbeitung des Pfarrers Schwerdt in einem für Gebildete genießbaren Stile abgefaßt ist, ohne daß dabei die eigenthümliche Schreibart und Denkungsweise des Reisenden verwischt ist. […] Ohne mit den nöthigen Vorkenntnissen ausgerüstet zu seyn, und mit sehr wenigen Mitteln versehen, machte er [Döbel] die zum Theil gefahrvolle Wanderung und hatte das Glück, vieles zu sehen und zu erleben, wovon man vergeblich eine Kunde in andern Büchern sucht. Gute Beobachtungsgabe und strenge Wahrheitsliebe zeichnen den schlichten Mann aus. Nach seiner Rückkehr ins Vaterland ersuchte er den Pfarrer Schwerdt sein Tagebuch, welchem er noch genauere Notationen beifügte, in ein passendes Gewand einzukleiden und ein Theil dieser Bearbeitung […] hatte das Glück, Ihrer kaiserlichen Hoheit der Großherzogin von Weimar, welche den seltenen Schicksalen Ihres Landeskindes Ihre hohe Aufmerksamkeit schenkte, nicht zu missfallen.153 151 So heißt es am Ende des Vorwortes: „Und so möge denn dieses Werk nicht nur die ehrenwerthe Wißbegierde des Bürgers und Landmanns auf die einfachste und glaubwürdigste Weise befriedigen, in, dem es fremde Länder und Völker vor seine Augen führt, die schon lange, entweder aus Andeutungen öffentlicher Blätter, oder aus dunkeln Jugendbelehrungen, oder aus den heiligen Urkunden seiner Religion in ungewissen Bildern vor seinem Geiste schweben, sondern auch die billigen Ansprüche des wissenschaftlich gebildeten Lesers befriedigen und selbst der Jugend ein liebes Unterhaltungsbuch werden, das den Geist beschäftigt und anregt und mit mannigfachen geographischen und ethnographischen Kenntnissen (der Länder und Völker) bereichert.“ Ebd., S. 11 f. 152 So finden sich in der Liste u.a.: Bäcker, Bierbrauer, Buchbinder, Drechsler, Förster, Gerber, Maler, Krämer, Landwirte, Metzger, Sattler, Seifensieder, Schmiede, Schneider, Schumacher, Seiler, Steinmetze, Tischler, Töpfer, Tuchmacher, Tünscher, Wagner und Gastwirte. Vgl. ebd., S. 13–26. 153 Die Biene. Ein Bayerisches Sonntagsblatt, Nr. 49, 1837, S. 392.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Dadurch erlangten Döbels Reisebeschreibungen bald einen überregionalen Bekanntheitsgrad, was wiederum dazu führte, dass in der Folgezeit fünf weitere Auflagen des Werkes erschienen.154 Im Verhältnis zur Gesamtzahl aller volksaufklärerischen Schriften blieben diejenigen, die aus der Feder eines Handwerkers oder Bauern stammten, allerdings die Ausnahme. Auch im 19. Jahrhundert beteiligten sich nur wenige Handwerker oder Bauern an der Produktion von unterhaltsamer oder belehrender Volkslektüre. Kaum einer von ihnen verfasste ein Buch oder reichte selbst gemachte Notizen zur Überarbeitung an einen Gebildeten weiter. Hinzu kommt, dass die Wahrscheinlichkeit sehr gering gewesen sein dürfte, dass die meisten Bauern und Handwerker über ihr Alltagsleben Tagebuch geführt haben. Die tägliche Arbeit eines gewöhnlichen Bauern oder Handwerkers ließ außerdem keine spannende Geschichte erwarten. Eine Gesellenreise in den Vorderen Orient konnten sicher nur die wenigsten vorweisen. Unter dem Gesichtspunkt, dass vonseiten der Gebildeten schon vermeintlich genug Literatur über die Lebensverhältnisse der arbeitenden und gewerbetreibenden Bevölkerungsschichten verfasst wurde, dürfte es von den meisten Bauern und Handwerkern schlicht und einfach als nicht lohnenswert erachtet worden sein, über ihre täglichen Probleme des Broterwerbs zu schreiben und diese dann anschließend durch den Druck zu veröffentlichen. Daher ging volksaufklärerisches Engagement bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts auch weiterhin hauptsächlich von Geistlichen, Verwaltungsbeamten und Buchhändlern aus. Anhand mehrerer Beispiele soll im Folgenden nun näher beleuchtet werden, wie deren Engagement sich konkret geäußert hat.

154 Ab der zweiten Auflage (1842) erschien das Buch unter leicht verändertem Titel „Des Wagnergesellen E. Ch. Döbel Wanderungen im Morgenlande“ im Selbstverlag von Ernst Christoph Döbel. Druck und Herausgabe erfolgten in Gotha im Verlagscomptoir von Ludwig Storch. Auf Wunsch von Döbel gestaltete Storch außerdem den Inhalt des Buches noch volkstümlicher. Im Vorwort schreibt Storch diesbezüglich: „Es war der Wunsch des Wanderers E. Ch. Döbel, daß die zweite Auflage seiner Wanderungen mehr als die erste den Anstrich seiner eignen einfachen Darstellung tragen möge, und er wandte sich mit der Bitte an mich, ihm seine Manuskripte zu diesem Zwecke zu redigiren.“ STORCH, LUDWIG (Hrsg.): Des Wagnergesellen E. Ch. Döbel Wanderungen im Morgenlande, Bd. 1, Gotha 1842, S. V.

DER PFARRER – THEODOR WOHLFARTH UND HEINRICH SCHWERDT

2.1

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Der Pfarrer – Theodor Wohlfarth und Heinrich Schwerdt als „mustergültige Prototypen“ eines volksaufklärerisch engagierten Landgeistlichen

DER PFARRER – THEODOR WOHLFARTH UND HEINRICH SCHWERDT

Nach dem Urteil des Kirchenhistorikers Rudolf Herrmann, der die bisher umfangreichste Überblicksdarstellung zur Entwicklung der Kirche im Thüringer Raum vom frühen Mittelalter bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts verfasst hat,155 standen die thüringischen Pfarrer zur Zeit der Aufklärung „wie kein anderer Beruf mitten im Volke“.156 Vor allem im ländlichen Raum waren die Pfarrer oftmals die einzigen Gebildeten in den dörflichen Gemeinden. Für Rudolf Herrmann nahmen sie deshalb in ihren Gemeinden die Stellung eines „geistigen Führers“ ein,157 in dessen Verantwortung nicht nur die religiösen und seelsorgerischen, sondern ebenso die weltlichen Belange der Gemeindemitglieder lagen. Folgt man den Ausführungen Rudolf Herrmanns weiter, dann versuchten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die thüringischen Landpfarrer, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung auch in besonderem Maße gerecht zu werden. Um das wirtschaftliche Leben, die Bildung und die Wohlfahrt des „Volkes“ zu heben, waren etliche Pfarrer in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld praktisch tätig.158 Sie gaben wichtige Impulse zur Gründung gemeinnütziger Institutionen in ihren Gemeinden oder betätigten sich direkt als Initiatoren und Träger von Landwirtschafts- und Lesevereinen, von dörflichen Schul- und Lehranstalten, von Schulund Dorfbibliotheken sowie von Sparkassen und Versicherungsanstalten.159 Darüber hinaus attestierte Herrmann den Thüringer Pfarrern eine außerordentliche literarische Tätigkeit. Seiner Auffassung nach gab es im 19. Jahrhundert „wohl kaum einen anderen Stand […], der sich so zahlreich an der literarischen Erzeugung auf den verschiedensten Gebieten beteiligt hat, wie der Pfarrerstand“.160 Als Schriftsteller gelang es ihnen, wichtige Akzente sowohl zu wissenschaftlichen Fachthemen als auch zu populärwissenschaftlichen und gemeinnützigen Gegenständen zu setzen. Zudem erkannten viele thüringische Geistliche, dass eine publizistisch-literarische Verarbeitung ihrer Interessen eine gute Möglichkeit darstellte, diese breitenwirksam in die Öffentlichkeit zu tragen.

155 Rudolf Herrmanns „Thüringische Kirchengeschichte“ umfasst zwei Bände und gilt vielen Historikern heute noch als das wichtigste Standardwerk zu diesem Thema. Vgl. HERRMANN, RUDOLF: Thüringische Kirchengeschichte, Bd. 1, Jena 1937; Bd. 2, Weimar 1947. 156 DERS.: Thüringische Kirchengeschichte, Bd. 2, S. 572. 157 Vgl. ebd., S. 568–572. 158 Vgl. ebd., S. 568. 159 Vgl. ebd., S. 568–570. 160 Ebd., S. 563.

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Auch wenn Rudolf Herrmann seine „Thüringische Kirchengeschichte“ vor über einem halben Jahrhundert verfasst hat, können seine Ausführungen anhand neuerer Forschungsergebnisse heutzutage immer noch weitgehend bestätigt werden. So haben vor allem einige kleinere Studien von Werner Greiling und Felicitas Marwinski gezeigt, dass im 19. Jahrhundert die thüringischen Landpfarrer in ihren Gemeinden in vielerlei Hinsicht aktiv tätig waren, wobei ihr Handeln in der Regel aufklärerisch-rationalistischen Ideen und Prinzipien folgte.161 Zudem haben Greiling und Marwinski an einigen Beispielen eindrucksvoll dargelegt, dass manch ein thüringischer Pfarrer über die Jahre hinweg ein umfassendes Oeuvre an selbstverfassten und herausgegebenen Schriften angehäuft hat, das oftmals einen tiefen Einblick in die religiösen, moralischen, sozialen, gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen dieser Pfarrer gewährt sowie unmittelbar das daraus resultierende praktische Wirken dieser Pfarrer in ihren Gemeinden widerspiegelt.162 Dass viele thüringische Landpfarrer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in ihren Dorfgemeinden die Umsetzung aufklärerischer Vorstellungen durch die Gründung bildungsfördernder Einrichtungen und durch die Verbreitung „nützlicher Volkslektüre“ intensiv forcierten, veranschaulichte Marwinski erstmals ausführlich an der Person Johann Friedrich Theodor Wohlfarths. Als Pfarrer des kleinen, knapp 400 Einwohner zählenden Dorfes Kirchhasel nahe der schwarzburgischen Residenzstadt Rudolstadt, bemühte sich Theodor Wohlfarth seit den 1820er Jahren, die Bildung seiner Gemeindemitglieder im Sinne der Aufklärung zu verbessern.163 Aus einer traditionsreichen Pastorenfamilie stammend, die seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts über drei Generationen hinweg das Pfarramt in Kirchhasel innehatte, war Theodor Wohlfarth stets der Meinung, den im „Volk“ noch bestehenden Aberglauben bekämpfen und den gemeinen Landmann zur 161 Vgl. u.a. GREILING: Zwischen, Gesellschaft und Staat; DERS.: Bürgerlichkeit im ländlichen Milieu; MARWINSKI: Volksbildung und Literaturvermittlung. 162 Auch Rudolf Herrmann kam in seiner „Thüringischen Kirchengeschichte“ zu einem ähnlichen Befund. Wenngleich er auf umfangreiche empirische Belege verzichtet, zeigt er anhand zahlreicher Kurzbiographien, auf welchen Gebieten sich die thüringischen Landpfarrer im 19. Jahrhundert publizistisch betätigten und mit welchen Unternehmungen sie ihre überwiegend aufklärerischen Ideen in ihren Gemeinden praktisch zu verwirklichen gedachten. Vgl. HERRMANN: Thüringische Kirchengeschichte, Bd. 2, S. 445–597. 163 Zur Biographie Johann Friedrich Theodor Wohlfarths (1795–1879) vgl. HESSE, LUDWIG FRIEDRICH: Verzeichniß gebohrner Schwarzburger, die sich als Gelehrte oder als Künstler durch Schriften bekannt machten, 20. Stück, Rudolstadt 1829, S. 14–16; MARWINSKI, FELICITAS: Wohlfarth, Johann Friedrich Theodor, in: Dies. (Hrsg.): Lebenswege in Thüringen, Erste Sammlung, Weimar 2000, S. 203–205; DIES.: Vom Leseverein zur Schulbibliothek. Dörfliches Bildungsstreben in Kirchhasel unter dem Pfarrer Johann Friedrich Theodor Wohlfarth, in: Blätter der Gesellschaft für Buchkultur und Geschichte, 2 (1998), S. 12–17.

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Anwendung einer rationalen Denkweise bewegen zu müssen.164 Außerdem nahm Wohlfarth alle Ortspfarrer in die Pflicht, beim „gemeinen Mann“ einen Willen zur stetigen Verbesserung seiner eigenen Lebenssituation zu wecken. Schon anhand dieser Forderungen zeichnet sich deutlich ab, dass der Kirchhaseler Pfarrer zweifelsfrei als ein pastoraler Vertreter der späten Volksaufklärung identifiziert werden kann. Um die von ihm geforderten Ziele zu erreichen, plädierte Wohlfarth dafür, dass die Landgeistlichen die Bauern in ihren Predigten zum Vernunftgebrauch animieren sollten. Außerdem sollten die Gemeindepfarrer dazu beitragen, den Ideen- und Meinungsaustausch zwischen den einzelnen Gemeindemitgliedern zu intensivieren und allen in der Landwirtschaft tätigen Menschen mit praktischen Ratschlägen „vor Ort“ zur Seite zu stehen. Darüber hinaus gehörte es nach der Meinung Wohlfarths zu den Aufgaben eines jeden Landpfarrers, in den Gemeinden zweckmäßige Schriften in Umlauf zu setzen und am Schaffensprozess „nützlicher Volkslektüre“ direkt mitzuwirken.165 Wohlfarths eigene schriftstellerische Tätigkeit setzte im Jahr 1821 ein. Nach Beendigung seines Studiums in Jena166 wurde Wohlfarth zunächst seinem Vater als Substitut unterstellt. In dieser Funktion unterstützte er seinen Vater mehrere Jahre lang bei der Ausübung kirchlicher und seelsorgerischer Aufgaben. Im Jahr 1828 wurde er dann als direkter Nachfolger seines Vaters zum Pfarrer der Gemeinde Kirchhasel ordiniert.167 Bereits als Substitut äußerte sich Wohlfarth in Einzelschriften oder Zeitschriftenartikeln zu aktuellen religiösen, theologischen, pädagogischen, sozialen und gesellschaftspolitischen Themen. Er publizierte regelmäßig in fachwissenschaftlichen Blättern, wie etwa der von Johann Friedrich Röhr in Neustadt an der Orla herausgegebenen „Kritischen Prediger-Bibliothek“,168 über kirchenpolitische und theologische Fragen, sowie in volksaufklärerischen Periodika, wie dem „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ oder dem 164 Vgl. MARWINSKI: Vom Leseverein zur Schulbibliothek, S. 12. 165 Ebd., S. 11 f. 166 Wohlfarth absolvierte von 1816 bis 1818 in Jena bei Heinrich August Schott und Karl Friedrich Baumann ein Theologie- und Philosophiestudium. Zudem promovierte er 1818 bei Heinrich Karl Abraham Eichstädt zum Dr. phil. Vgl. MARWINSKI: Wohlfarth, S. 205. 167 Vgl. DIES.: Vom Leseverein zur Schulbibliothek, S. 16. 168 Johann Friedrich Röhr (1777–1848) gilt als bedeutender Vertreter des theologischen Rationalismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er war seit 1820 Generalsuperintendent und Oberhofprediger in Weimar. Röhr vertrat auf der Kanzel und in zahlreichen Schriften entschieden die Auffassung, dass der Glaube, das Denken sowie das Handeln des Menschen stets von der Vernunft geleitet werden sollten. Vgl. HANSCHE, ERHARDT: D. Johann Friedrich Röhr. Ein Streiter für evangelische Wahrheit und einen vernunftgemäßen, tätigen Glauben. Eine Würdigung zum 150. Todestag, 3. Aufl. Berlin 1999; FRANK, GUSTAV: Röhr, Johann Friedrich, in: ADB, 30 (1890), S. 92–94.

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„Thüringer Volksfreund“, wo er sich vor allem mit pädagogischen, religiösen, sittlich-moralischen und mitunter auch gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzte. Trotz der zusätzlichen Aufgaben, die Wohlfarth nach Übernahme des Pfarramtes in Kirchhasel zu erfüllen hatte, führte er seine rege publizistische Tätigkeit bis zu seinem Lebensende unentwegt fort. Allein im Zeitraum von 1821 bis 1848 verfasste er 40 Einzelschriften und veröffentlichte mehrere Beiträge in über zehn verschiedenen Periodika,169 die sich sowohl an gebildete als auch ungebildete Leserschichten richteten. Daneben verfasste er außerdem theologische, philosophische und pädagogische Artikel für Heinrich August Pierers „UniversalLexikon der Gegenwart und Vergangenheit“.170 Obwohl sich Wohlfarth in seinen Schriften hauptsächlich mit theologischen, religiösen und pädagogischen Fragen beschäftigte, bezog er vereinzelt auch Stellung zu aktuellen Problemen aus Politik und Gesellschaft. So verfasste er beispielsweise 1845 eine Schrift über die Ursachen sowie die Möglichkeiten der Bekämpfung des überall in Deutschland grassierenden Pauperismusproblems.171 In einer anderen Schrift diskutierte er äußerst lebhaft über die noch bestehende Pressezensur in den deutschen Staaten, wobei hier klar ersichtlich wird, dass er auf politischer Ebene der Realisierung eines gemäßigten Liberalismus nicht abgeneigt war.172 Für Wohlfarth war die Pressefreiheit ein Garant für wachsende Bildung, Kultur und Aufklärung. Seiner Auffassung nach war gesellschaftlicher 169 Zur Bibliographie der von Wohlfarth verfassten Einzelschriften im Zeitraum von 1821 bis 1871 vgl. MARWINSKI: Vom Leseverein zur Schulbibliothek, S. 31–45. Die Auflistung enthält außerdem die wichtigsten Zeitschriften, in denen Wohlfarth Beiträge zu aktuellen kirchenpolitischen und theologischen Fragen veröffentlichte. Vgl. ebd., S. 45. 170 Vgl. ebd. 171 Vgl. WOHLFARTH, JOHANN FRIEDRICH THEODOR: Der Pauperismus nach seinem Wesen, Ursprunge, Folgen und Heilmitteln von dem Standpunkte der Geschichte, Anthropologie, Staatsökonomie, Legislation, Polizei, Moral und christlichen Kirche, Weimar 1845. In diesem Werk bezeichnet Wohlfarth den Pauperismus als einen „Krebsschaden“, der „Tausende auf Tausende in die tiefsten Abgründe des Elends stürzt und das allgemeine Wohl bedroht“. In der „gleichsam pestartig ausbrechenden Armennoth“ sieht Wohlfarth eine Gefahr für den Erhalt der öffentlichen Ordnung. Er glaubt zu erkennen, dass der Pauperismus dafür verantwortlich ist, dass die einzelnen Glieder der Gesellschaft auseinanderbrechen und damit die Idee von der Verwirklichung einer bürgerlichen Gesellschaft, in der alle Menschen durch Fleiß und Arbeit ihren Wohlstand vermehren, gefährden könnte. Sein Buch sollte daher allen Personen, „welche es mit dem Vaterland wohlmeinen, insbesondere unseren treuen Staatsmännern und Seelsorgern“ neue Einsichten zum Pauperismusproblem in Deutschland darlegen. „Um des öffentlichen Wohles unseres Volkes“ besorgt, bat Wohlfarth „alle Stände dringendst“, sich zusammenzuschließen und das Problem gemeinsam zu lösen. Vgl. ebd., S. III f. 172 Vgl. DERS.: Ueber Censur und Pressgesetz-gebung. Nebst einem Entwurfe zu einem allgemeinen constitutionellen Pressgesetze für Deutschland. Ein Votum der Kirche, Rudolstadt 1835.

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Fortschritt ohne „Denk=Sprechfreiheit“, die er mit der Pressefreiheit gleichsetzte,173 unmöglich zu erreichen. Der Grundsatz einer jeden aufgeklärten Regierung, eine Verbesserung der Lebensverhältnisse aller Bevölkerungsschichten herbeizuführen, würde ohne Pressefreiheit zwangsläufig ins Gegenteil umschwenken. Wohlfarths Losung lautete deshalb „Freiheit der Presse!“, was seiner Meinung nach, „gegenwärtig der Ruf aller civilisirten Völker“ war.174 Sich auf die Errungenschaften der Französischen Revolution stützend,175 sah Wohlfarth in der Pressefreiheit „eines der heiligsten Rechte der Menschheit“,176 das allen „Völkern, die zu einer höheren Stufe der Civilisation fortgeschritten und des Vernunftgebrauchs mächtig geworden sind“ zur Verbesserung der allgemeinen Bildung nicht mehr versagt werden dürfe.177 Um den „Nutzen der Preßfreiheit für das wirkliche Leben“ zu unterstreichen, führte er außerdem in fünf Punkten aus: 1.) ohne Preßfreiheit würde die Menschheit entweder gar nicht, oder so langsam sich vervollkommnen, daß kaum von Fortschritten die Rede sein könnte; 2.) ohne Preßfreiheit würde die freie Untersuchung gelähmt werden, und an eine fortwährende Umgestaltung alter und veralteter Constitutionen wäre nicht zu denken; 3.) ohne Preßfreiheit gäbe es kein Organ für die allgemeine Meinung in größeren Vereinen, die zu kennen, vor allen den Regierungen höchst nothwendig ist; 4.) ohne Preßfreiheit keine Controle, wo das Auge der Regierungen nicht hinreicht, oder nicht hinreichen will; 5.) ohne Preßfreiheit keine Controle über Fürsten, Minister und Stände, welche sich der Verantwortung vor dem zuständigen Gerichte in ihrer Stellung leicht entziehen können.178

Wohlfarth erachtete demnach die Pressefreiheit als ein notwendiges gesellschaftliches Gestaltungs- und Kontrollorgan, das schnellstmöglich realisiert werden musste. Dabei war sich der Kirchhaseler Pfarrer sicher, dass die fortschrittsdenkenden Fürsten des deutschen Bundes diese Notwendigkeit bereits selbst erkannt hatten. Allerdings mahnte er gleichzeitig an, dass die Umsetzung dieses Vorhabens nicht konsequent zur Ausführung gebracht wird. So heißt es: „Unsere erleuchteten und edelsinnigen Fürsten und Regierungen haben dieses Bedürfniß [nach Pressefreiheit] nicht verkannt, und fast allgemein hat man in Uebereinstimmung mit dem hohen Bundestage die Völker auf ein zeitgemäßes Preßgesetz vetröstet. Bis jetzt inzwischen ist jener Wunsch und dieses Versprechen aber noch nicht erfüllt worden.“179 Da es in Deutschland an einem passend ausgearbeiteten Pressegesetz fehlte, und die einzelnen Regierungen des 173 Vgl. ebd., S. 13 u. 20. 174 Ebd., S. 6. 175 So heißt es: „Denk= und Redefreiheit, dieses Grundprincip der französischen Revolution, ist auf dem gegenwärtigen Standpunkte der Cultur die Losung Europa’s.“ Ebd., S. 10. 176 Ebd., S. 6. 177 Ebd., S. 9 f. 178 Ebd., S. 12. 179 Ebd., S. 6.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Deutschen Bundes nicht den Willen erkennen ließen, ein solches Gesetz in Kürze auszuarbeiten, fasste Wohlfarth den Entschluss, einen eigenen „Entwurf zu einem consititutionellen Preßgesetze“ anzufertigen und diesen „dem Publikum zu öffentlicher Beleuchtung vorzulegen“.180 Das von ihm ausgearbeitete „constitutionelle Preßgesetz“ wurde „sogleich in die legislative Form“ gebracht und umfasste insgesamt 31 Paragraphen, die sowohl den staatlichen Behörden und als auch allen Privatpersonen (Schriftsteller, Verleger etc.) als juristisches Regulativ für den Umgang mit der Pressefreiheit dienen sollte.181 Außerdem versuchte Wohlfarth, mit seinem Gesetzesvorschlag der sogenannten „Preßfrechheit“ entgegenzuwirken. Pressevergehen gegen Staat und Kirche sowie gegen Privatpersonen sollten demnach auch in Zukunft nicht ungeahndet bleiben. Über den Tatbestand und die daraus resultierende Strafe eines Pressevergehens sollte aber weder ein Zensor noch eine selbstständig agierende Pressebehörde entscheiden, sondern ab sofort ein „Preßgericht“, das sich „aus Männern von Fach“ und aus „anderen rechtlichen Staatsbürgern“ zusammensetzte.182 Nach der Auffassung Wohlfarths war ein „Preßgericht“ ein Instrumentarium, das bürgerlichen Rechtsgrundsätzen entsprach und demgemäß auch einen effektiven Schutz vor willkürlichen staatlichen Urteilen bot. Abschließend gab Wohlfarth nochmals zu verstehen, dass das allgemeine Wohl der Gesellschaft unmittelbar an die Pressefreiheit gekoppelt war.183 Dass sein Entwurf eines „constitutionellen Preßgesetzes“ durchaus verbesserungswürdig war, gestand er hierbei offen zu. Solange aber sein Entwurf die Fürsten und Staatsregierungen dazu veranlasste, die Ausarbeitung und die Realisierung eines Pressefreiheit garantierenden Pressegesetzes wieder verstärkt in Angriff zu nehmen, hatte er aus seiner Sicht das Richtige getan. Sich für seinen Gesetzentwurf rechtfertigend, schrieb Wohlfarth deshalb im Schlusswort: „Der Vf. [Verfasser] vorstehenden Entwurfes eines constitutionellen Preßgesetzes ist weit entfernt, seine Ansicht für untrüglich zu halten. Aber das war und ist seine Ueberzeugung, daß durch derartige Mittheilungen am ersten erzielt werden könne, was die Völker begehren – ein Preßfreiheit ebensowohl garantirendes, als der Preßfrechheit begegnendes Gesetz.“184 Neben seiner literarisch-publizistischen Tätigkeit, die sich auf vielfältige Themengebiete erstreckte, zeichnete Wohlfarth zudem aus, dass er direkt in seiner Gemeinde die Gründung zweier Bildungseinrichtungen initiierte. Mit beiden Einrichtungen, einem Leseverein und einer Schulbibliothek, verfolgte Wohlfarth das 180 Weil das vom Bundestag versprochene Pressegesetz, das die Pressefreiheit in den deutschen Staaten garantieren sollte, selbst 20 Jahre nach Ende des Wiener Kongresses noch keine festen Konturen angenommen hatte, meinte Wohlfarth das Recht zu besitzen, „zu dem Versuche [zu] schreiten, [sich] den versprochenen Entwurf selbst zu geben“. Ebd., S. 26. 181 Vgl. ebd., S. 26–34. 182 Ebd., S. 32 f. 183 Vgl. ebd., S. 34–36. 184 Ebd., S. 36.

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Ziel, die allgemeine Bildung der Kirchhaseler Gemeindemitglieder im Sinne der Aufklärung zu heben. Nachdem erstmals in den Wintermonaten 1839/40 auf Initiative Wohlfarths eine Lesegesellschaft aus 30 Personen zusammengetroffen war, wurde wenig später in Kirchhasel ein Leseverein gegründet, der auch in den Sommermonaten zusammentrat.185 Die Lektüre dieses Lesevereins wurde von Wohlfarth unter dem Blickpunkt ihrer „Zweckmäßigkeit“ zusammengestellt und sollte der „Belehrung“ und „Veredlung“ des Landmannes dienen.186 Unter Anleitung des Kirchhaseler Kantors und Schulleiters Johann Christian Friedrich Wenzel wurden vor allem gemeinnützige und ökonomische Schriften gelesen, darunter auch Nonnes „Dorfzeitung“ und Beckers „Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ sowie die von Carl von Pfaffenrath und William Löbe herausgegebene „Landwirthschaftliche Dorfzeitung“.187 Obwohl der Leseverein anfangs gute Mitgliederzahlen zu verbuchen hatte – immerhin nahmen rund 10 % der erwachsenen Dorfbevölkerung an den Leseabenden teil – konnte sich die Begeisterung für den Leseverein nur kurzzeitig halten. Bereits 1843 war die Mitgliederzahl auf 13 Personen zurückgegangen. Weil die verbliebenen Mitglieder nur noch unterhaltende Schriften lesen wollten, aber weder Wohlfarth noch Wenzel sich bereit erklärten, dieser Forderung nachzukommen, stellte der Verein ein Jahr später seine Aktivitäten schließlich vollständig ein.188 Etwas erfolgreicher als mit seinem Leseverein war Wohlfarth hingegen mit seiner 1843 gegründeten Schulbibliothek.189 Wie im Leseverein sollten auch in der Schulbibliothek vorrangig „zweckmäßige“ und „gemeinnützige“ Volksschriften ausliegen. Auf unterhaltsame Lektüre wurde weitgehend verzichtet. Im Gegensatz zum Leseverein konnte sich die Schulbibliothek einer größeren Zustimmung erfreuen. Anfang des Jahres 1845 berichtete Wohlfarth dem Rudolstädter Konsistorium sogar, dass die Bücherkapazitäten der Bibliothek kaum ausreichen würden, um alle Nachfragen vonseiten der Schüler zu befriedigen.190 Aufgrund 185 Vgl. MARWINSKI: Vom Leseverein zur Schulbibliothek, S. 10 f. Aufschluss zur Gründung sowie über die Aktivitäten des Kirchhaseler Lesevereins geben außerdem die Berichte von Pfarrer Wohlfarth an das Rudolstädter Konsistorium. Vgl. ThStA Rudolstadt, Konsistorium Rudolstadt, Ei I,I: Den Leseverein und die Schullesebibliothek zu Kirchhasel betr. 186 Vgl. DIES.: Vom Leseverein zur Schulbibliothek, S. 11. 187 Vgl. ebd., S. 18 u. 22. 188 Vgl. ThStA, Konsistorium Rudolstadt, Ei I,I, Bl. 14 f. Interessanterweise schlossen sich nach Auflösung des von Wohlfarth initiierten Lesevereins in Kirchhasel 30 Personen zu einem neuen Leseverein zusammen. Die Leitung dieses Lesevereins, der bis zum Ausbruch der Revolution von 1848/49 fortbestand, lag allerdings weder in den Händen von Wohlfarth noch von Wenzel. Vgl. MARWINSKI: Vom Leseverein zur Schulbibliothek, S. 22–24. 189 Vgl. ebd., S. 19. 190 Vgl. ThStA, Konsistorium Rudolstadt, Ei I,I, Bl. 14 V.

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dessen wurde die Schulbibliothek in den darauffolgenden Jahren durch staatliche und private Zuwendungen mehrmals erweitert. Neben finanziellen Zuschüssen, die unter anderem von der Gemeinde Kirchhasel sowie von der FürstlichSchwarzburgischen Kirchen- und Schulinspektion beigesteuert wurden, erhielt die Schulbibliothek außerdem mehrere Büchergeschenke. Bedingt durch Wohlfarths jahrelange schriftstellerische Tätigkeit und die daraus entstehenden Beziehungen zu den verschiedenen thüringischen Verlegern, erklärten sich die Verlagsbuchhändler Bernhard Friedrich Voigt und Johann Karl Gottfried Wagner191 bereit, sämtliche in ihren Verlagen gedruckten Volks- und Jugendschriften der Schulbibliothek in Kirchhasel kostenlos zur Verfügung zu stellen.192 Diese breite Unterstützung dürfte schließlich der ausschlaggebende Punkt gewesen sein, warum die langfristige Erhaltung der Kirchhaseler Schulbibliothek geringere Schwierigkeiten bereitet hat193 als die langfristige Aufrechterhaltung des Kirchhaseler Lesevereins. Wie Theodor Wohlfarth gehörte auch Johann Georg Heinrich Schwerdt zu denjenigen Pfarrern, die mit literarisch-publizistischen Mitteln die Bildung des „Volkes“ verbessern wollten und zugleich aktiv in ihren Gemeinden die Gründung gemeinnütziger Einrichtungen vorangetrieben haben. Geboren im Jahr 1810 in dem Dorf Neukirchen bei Eisenach als Sohn des dort ansässigen Pfarrers,194 gehörte Schwerdt bereits zu der jungen Generation von thüringischen Volksaufklärern, deren Kindheit und Jugendzeit nicht mehr ins 18. Jahrhundert 191 Nach dem Tod Johann Karl Gottfried Wagners im Jahr 1831 übernahm dessen Sohn Friedrich Ludwig Leberecht die Verlagsgeschäfte. Zur Biographie sowie zum Verlagsprogramm von Bernhard Friedrich Voigt und Johann Karl Gottfried Wagner vgl. GREILING, WERNER: „Dem sittlichen und religiösen Unterricht gewidmet“. Der Verlag J.K.G. Wagner in Neustadt an der Orla. Mit einem Anhang: Systematische Verlagsbiographie J.K.G. Wagner 1799–1831, in: Ders./Seifert (Hrsg.): „Der entfesselte Markt“, S. 129–175; SCHMIDT, RUDOLF: Deutsche Buchhändler, Deutsche Buchdrucker. Beiträge zu einer Firmengeschichte des deutschen Buchgewerbes, Bd. 6: Vandenhoeck – Zumsteeg, Eberswalde 1908, S. 990–995. 192 Vgl. MARWINSKI: Vom Leseverein zur Schulbibliothek, S. 23. 193 Die Bibliothek erhielt auch während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts regelmäßig staatliche und private Zuwendungen, so dass sie bis Anfang des 20. Jahrhunderts weiter fortbestand. Vgl. ebd., S. 27–30. 194 Zur Biographie von Johann Georg Heinrich Schwerdt (1810–1888) vgl. SCHUMANN, ADOLF: Schwerdt, Georg Heinrich, in: ADB, 33 (1891), S. 417–420; QUANDT, WILLY: Kirchenrat D. theol. h. c. Heinrich Schwerdt. Schriftsteller, Pädagoge und Politiker, in: Ders. (Hrsg.): Bedeutende Männer aus Thüringer Pfarrhäusern, Berlin 1957, S. 43–49; WIEGEL, HEINZ/MARWINSKI, FELICITAS: Schwerdt, Johann Georg Heinrich Christian, in: Marwinski (Hrsg.): Lebenswege in Thüringen, Dritte Sammlung, Weimar 2006, S. 286–292; FELSBERG, HARTMUT: Schwerdt, Johann Georg Heinrich Christian, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 30, Ergänzungen XVII, Nordhausen 2009, Sp. 1369–1383.

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fällt. Wenngleich in Schwerdts Kindheit bereits andere politische und gesellschaftliche Verhältnisse herrschten als in den wechselhaften Jahrzehnten vom Ausbruch der Französischen Revolution bis zum Ende des Wiener Kongresses,195 so ähnelte sein Lebensweg doch stark dem seiner „älteren“ Pfarrerkollegen, die ihre frühe Sozialisation in den Jahren von 1789 bis 1815 erfuhren.

Karte 3:

Detailansicht des Herzogtums Sachsen-Gotha nach der ernestinischenLandesteilung von 1826

Als Kind einer traditionsreichen Pfarrersfamilie, die seit mehreren Generationen das Pfarramt in Neukirchen innehatte, besuchte Schwerdt anfangs die Dorfschule seines Heimatortes und erwarb nebenher die ersten Lateinkenntnisse durch Privatunterricht in Eisenach. Ab dem elften Lebensjahr vollzog er dann seine restliche schulische Ausbildung an den Gymnasien in Eisenach und Gotha.196 Nach seinem Schulabschluss entschloss sich Schwerdt, den Beruf seines Vaters anzunehmen und studierte in der Zeit von 1828 bis 1831 an den Universitäten in Jena 195 Zu den vielfältigen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Umbrüchen in Europa von 1789 bis 1815 vgl. grundlegend FEHRENBACH, ELISABETH: Vom Ancien Régime zum Wiener Kongress, 5. Aufl. München 2008. 196 Vgl. QUANDT: Kirchenrat, S. 43.

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und Leipzig Theologie.197 Danach kehrte er in seinen Heimatort zurück und wurde, entsprechend der territorialen Zugehörigkeit Neukirchens zum Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha (vgl. Karte 3),198 am 7. Juli 1833 im Alter von 23 Jahren in der Margarethenkirche in Gotha durch den Superintendenten Carl Gottlieb Bretschneider ordiniert und seinem Vater als Pfarramtsgehilfe zugeteilt.199 Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1842 wurde das Neukirchener Pfarramt vom gothaischen Oberkonsistorium direkt auf Schwerdt übertragen, der es unter selbstständiger Führung bis ins Jahr 1861 leitete.200 Danach ließ sich Schwerdt nach Gräfentonna versetzen, wo er bis 1872 die Stelle eines Oberpfarrers ausübte.201 Den letzten Abschnitt seines Lebens, bis zu seinem Tod im Jahr 1888, verbrachte Schwerdt schließlich als Superintendent der Euphorie Tenneberg in Waltershausen.202 Während seiner gesamten Berufsjahre als Pfarrer, Oberpfarrer und Superintendent fühlte sich Schwerdt stets der Volksbildung und Volkswohlfahrt seiner Gemeindemitglieder verpflichtet. Auf dem Gebiet der praktischen Volksbildung engagierte er sich bis zum Ausbruch der Revolution von 1848/49 in seiner Dorfgemeinde in Neukirchen, wo er mehrere Bildungsanstalten gründete. Darüber hinaus betätigte sich Schwerdt zeitlebens als Volksschriftsteller. Er verfasste eine Vielzahl unterschiedlicher Schriften, in denen er historisch-völkerkundliche, geographische, biographische, gesundheitliche, religiöse und sittlich-moralische Themen behandelte.203 197 Vgl. SCHUMANN: Schwerdt, S. 417. 198 Neukirchen gehörte seit 1816, nach den Territorialbestimmungen des Wiener Kongresses, zum Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg. Von den Gebietsveränderungen innerhalb der ernestinischen Länder, die nach dem Aussterben der ältesten Linie SachsenGotha-Altenburg im Jahr 1826 durchgeführt wurden, blieb Neukirchen unberührt. Der Verwaltung und Gerichtsbarkeit des Amtskreises Nazza unterstellt sowie seit 1848 dem Wahlkreis Volkenroda/Nazza zugehörig, war Neukirchen bis 1920 eine Enklave des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha. Vgl. HEß: Geschichte der Behördenorganisation, S. 106; ThStA Gotha, Je 2, Verhandlungen der auf Grund der Wahlordnung vom 28. Juni gewählten Abgeordneten=Versammlung des Herzogthums Gotha, Nr. 99 vom 27. Februar 1849, S. 639. 199 QUANDT: Kirchenrat, S. 43. 200 Vgl. Thüringer Pfarrerbuch, hrsg. von der Gesellschaft für Thüringische Kirchengeschichte, Bd. I: Herzogtum Gotha, Neustadt an der Aisch 1995, S. 80 u. 615. 201 Vgl. ebd., S. 55 u. 615. 202 Vgl. ebd., S. 107 u. 615. 203 Das gesamte literarische Oeuvre ist bisher noch nicht vollständig aufgearbeitet worden. Jedoch wurde ein Großteil der von Schwerdt verfassten rund 40 monographischen Schriften und Predigten in chronologischer Reihenfolge von Hartmut Felsberg im „Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon“ aufgelistet. Vgl. FELSBERG: Schwerdt, Sp. 1375–1379.

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Für seine Leistungen auf dem Gebiet der Volksbildung wurde der Neukirchener Pfarrer im Jahr 1880 von Ernst II. mit dem Ritterkreuz II. Klasse des Sachsen-Ernestinischen Hausordens geehrt.204 Dieser Orden stellte die höchste Auszeichnung dar, die einer Privatperson in den ernestinischen Staaten zuteil werden konnte205 und zeigt in gleicher Weise die Wertschätzung des liberalen „Musterfürsten“ Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha206 gegenüber den Verdiensten des jahrelang in der Volksbildung engagierten Geistlichen. Ferner wurde er vom Deutschen Schriftstellerverband, dem „Freien Deutschen Hochstift“ in Frankfurt am Main und von der „Gesellschaft zur Verbreitung von Volksbildung“ in Berlin zum Ehrenmitglied ernannt.207 Am 12. Juli 1883 wurde Schwerdt zu seinem 50-jährigen Amtsjubiläum außerdem von Herzog Ernst II. der Titel eines Kirchenrates verliehen, und die Universität Jena ernannte ihn zum Ehrendoktor der Theologischen Fakultät.208 Als besondere Würdigung seiner politischen, theologischen, wissenschaftlichen und gemeinnützig-volksaufklärerischen Verdienste bildeten diese Auszeichnungen den Abschluss der recht facettenreichen Karriere von Heinrich Schwerdt. Damit hatte er schlussendlich einen ähnlichen Lebensweg wie der 33 Jahre ältere Theodor Wohlfarth durchlaufen, der 1847 von der Regierung Schwarzburg-Rudolstadts für seine Verdienste in der Volksbildung ebenfalls zum Kirchenrat ernannt wurde. Heinrich Schwerdts gesamtes Schaffen stand stets unter dem Motto „Volksbildung ist Volkswohlfahrt“.209 Wie Theodor Wohlfarth war auch Schwerdt davon überzeugt, dass eine verbesserte Volksbildung, die sich an den Idealen der Aufklärung orientierte, ein Garant des gesellschaftlichen Fortschritts sei. Um auf die Bildung des „gemeinen Mannes“ auch außerhalb seiner Gemeinde Einfluss auszuüben, betätigte er sich ab 1837 zunehmend als Volksschriftsteller. Erste Erfahrungen mit der Schriftstellerei sammelte Schwerdt bereits als Vierzehnjähriger, wobei sein Hauptaugenmerk zunächst dem Verfassen von Gedichten galt.210 Im Jahr 1830 fand sich mit dem „Cahlaischen Nachrichts=Blatt“ schließlich das erste Periodikum, in dem Schwerdt sein erstes Gedicht unter dem Titel „Das 204 ThStA Gotha, Staatsministerium Abt. Gotha, Dep. C. Loc. I. Tit. No. 92: Angelegenheiten des Gesammt=Hauses Sachsen Ernestinischer Spezial=Linie. Acten für das Herzogliche Staatsministerium, die Verleihung des Herzoglich Sächsischen Hausordens betr., 1880, S. 7. 205 Vgl. NIMMERGUT: Deutsche Orden und Ehrenzeichen, S. 1387. 206 Zur liberalen Gesinnung Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha vgl. SCHEEBEN, ELISABETH: Ernst II., Herzog con Sachsen-Coburg und Gotha. Studien zu Biographie und Weltbild eines liberalen deutschen Bundesfürsten in der Reichsgründungszeit, Frankfurt am Main/Bern/New York/Paris 1987, S. 13–20. 207 Vgl. SCHUMANN: Schwerdt, S. 418. 208 Vgl. ebd. 209 Vgl. QUANDT: Kirchenrat, S. 43. 210 Vgl. SCHUMANN: Schwerdt, S. 417.

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Glauben“ veröffentlichen durfte.211 Nennenswerte volksaufklärerische Absichten wies dieses Gedicht jedoch noch nicht auf. Es ist eher als Ausdruck seines Theologiestudiums zu werten, das er zu dieser Zeit in Jena absolvierte. Erste volksaufklärerische Ambitionen auf literarischem Gebiet sind bei Schwerdt erst 1837 zu erkennen, als er die Reiseerlebnisse des Wagners Ernst Christoph Döbel, der über seine Gesellenreise durch Osteuropa und den Nahen Osten Tagebuch geführt hatte, in zwei Bänden für ein breites Publikum aufbereitete.212 Damit sich nicht nur die gebildeten, sondern vor allem die ungebildeten Bevölkerungsschichten seiner Schriften annahmen, verfasste Schwerdt die Mehrzahl seiner „Volksbücher“ in einem unterhaltsam-belehrenden Schreibstil. Dass Schwerdt mit dieser Strategie durchaus Erfolg hatte, zeigt der außerordentliche kommerzielle Erfolg von Döbels zweibändiger Reisegeschichte. Das Buch konnte bis 1861 sechs weitere Auflagen verzeichnen213 und hat damit Schwerdts schriftstellerische Vorgehensweise höchstwahrscheinlich maßgeblich geprägt. Fortan verwendete Schwerdt in all seinen monographischen Veröffentlichungen, die sich explizit an den „gemeinen Mann“ richteten, eine volkstümliche Schreibweise. Seine Abhandlungen zu den verschiedenen pädagogischen, geographischen, geschichtlichen und zum Teil auch ökonomischen Sachverhalten können daher fast alle den „populären Lesestoffen“ des 19. Jahrhunderts zugerechnet werden.214 Eine Aufnahme in höhere Schulen bzw. in den akademisch-universitären Lehrbetrieb haben die Schriften von Schwerdt somit nie gefunden.215 Aller211 Vgl. Das Glauben, in: Cahlaisches Nachrichts=Blatt, Nr. 27 vom 3. Juli 1830, S. 430. 212 Vgl. SCHWERDT, HEINRICH (Hrsg.): Des Wagnergesellen E. Ch. Döbel Wanderungen durch einen Theil von Europa, Asien und Afrika in den Jahren 1830 – 1836, 2 Bde., Eisenach/Gotha 1837–1838. 213 Die letzte Auflage erschien 1861 in Eisenach im Selbstverlag von Ernst Christoph Döbel mit einem erweiterten Supplimentband. Vgl. Des Wagnergesellen E. Ch. Döbel Wanderungen im Morgenlande, Suppl.: Des Wanderers im Morgenlande E. Ch. Döbel - Erlebnisse und Abenteuer in der Heimath, Eisenach 1861. 214 Vgl. SCHENDA: Volk ohne Buch, S. 32–36. Eine exakte Definition des Begriffes „populäre Lesestoffe“ erweist sich allerdings für den Zeitraum von 1815 bis 1848/49 bei näherer Betrachtung als recht schwierig. Wie Heiner Plaul und Ulrich Schmid aufgezeigt haben, war „das Gesamtsystem der populären Lesestoffe […] keineswegs homogen, sondern ist als Ganzes wie auch innerhalb seiner einzelnen Subsysteme ein komplexes und vielschichtiges Gebilde“. Demnach lassen sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwischen den einzelnen Volkslesestoffen keine klaren Trennlinien ziehen. Vor allem die Grenzen zwischen belehrend-unterhaltsamer Volkslektüre und Trivialliteratur waren im Vormärz sehr fließend. Vgl. PLAUL, HAINER/SCHMID, ULRICH: Die populären Lesestoffe, in: Sautermeister, Gert/Ders. (Hrsg.): Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bd. 5: Zwischen Restauration und Revolution 1815 – 1848, München/Wien 1998, S. 313–338. 215 Dennoch wurden Schwerdts Schriften in wissenschaftlichen Kreisen wahrgenommen. Aufgrund seiner zahlreichen geographischen und völkerkundlichen Bücher wurde

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dings ändert dies nichts an der Tatsache, dass sie oftmals aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse beinhalteten, die Schwerdt speziell für die ungebildete Bevölkerung aufbereitet hat. Neben monographischen Schriften schrieb Schwerdt ab 1837 außerdem etliche Artikel für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften. So war er regelmäßig als Mitarbeiter der Dresdner „Abendzeitung“ von Theodor Hell tätig und verfasste mehrere Beiträge für die Darmstädter „Allgemeine Schulzeitung“.216 Ebenso schrieb er seit den 1840er Jahren für verschiedene thüringische Periodika, unter anderem für die Hildburghäuser „Dorfzeitung“, den Gothaer „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“, die Arnstädter „Thüringia“, den Saalfelder „Thüringer Stadt- und Landboten“ und den Rudolstädter „Volksfreund“. In der Folgezeit erhöhte Schwerdt seine publizistische Produktivität nochmals und war bis zum Ende seines Lebens für rund 80 wissenschaftliche, belletristische, politische und pädagogische Zeitungen und Zeitschriften in ganz Deutschland tätig.217 In seinen Zeitschriftenbeiträgen beschäftigte er sich meist mit pädagogischen, geographischen, völkerkundlichen und geschichtlichen Sachverhalten. Wie alle publizistisch-literarischen Erzeugnisse der Volksaufklärung, verfolgte Schwerdt mit seinen Beiträgen zwei wesentliche Punkte. Seine Texte sollten den „gemeinen Mann“ sowohl mit neuem, aufklärerischem Wissen versorgen, als auch erzieherisch auf diesen einwirken. Es galt vor allem die Mentalität der einfachen Bevölkerung im Sinne der Aufklärung zu verändern. Der Aberglaube im „Volk“ sollte zurückgedrängt werden und an Stelle dessen vernunftorientierte Vorstellungen treten. Außerdem zielten Schwerdts publizistische Beiträge darauf ab, den einfachen Bauern und Handwerker zur Annahme sittlichmoralischer Wertevorstellungen zu bewegen, wie sie bereits im aufklärerisch denkenden Bildungsbürgertum vorherrschten. Schwerdt war der Meinung, dass die angestrebte Mentalitätsveränderung des „Volkes“ nur dann erzielt werden konnte, wenn der „gemeine Mann“ möglichst über alle lebensrelevanten Angelegenheiten aufgeklärt wurde. Schwerdt sprach sich gegen eine „verhältnismäßige Volksaufklärung“ aus, die nur darauf beschränkt war, punktuelle ökonomische Probleme der bäuerlichen und gewerbeSchwerdt von dem Gothaer Geograph August Heinrich Petermann in besonderer Weise geehrt, indem er im Jahre 1871 einen Gletscher in Spitzbergen nach Schwerdt benannte. Vgl. FELSBERG: Schwerdt, Sp. 1374. 216 Vgl. u.a. SCHWERDT, HEINRICH: Pädagogische Miscellen, in: Allgemeine Schulzeitung. Ein Archiv für die Wissenschaft des gesammten Schul-, Erziehungs- und Unterrichtswesen der Universitäten, Gymnasien, Volksschulen und aller höheren und niederen Lehranstalten, 1837, Nr. 152 u. 153, S. 1230–1232 u. 1239–1249. Vgl. hierzu außerdem QUANDT: Kirchenrat, S. 45; FELSBERG: Schwerdt, Sp. 1379–1381. 217 Eine Auflistung seiner bekanntesten Zeitschriftenartikel findet sich bei Hartmut Felsberg. Vgl. ebd., Sp. 1379 f.

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treibenden Bevölkerung zu lösen. Schwerdts „allumfassendes“ volksaufklärerisches Engagement tritt dabei vor allem in den 1840er Jahren erstmals deutlich zum Vorschein. Sein Bestreben, die ländlich-kleinstädtische Bevölkerung universell aufzuklären, führte schließlich soweit, dass er zusammen mit dem Saalfelder Schlosshauptmann Carl von Pfaffenrath sein eigenes volksaufklärerisches Blatt herausgab.218 Auf publizistischer Ebene stellte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ dann auch den Höhepunkt von Schwerdts volksaufklärerischen Bestrebungen in der Vormärzzeit dar. In diesem Periodikum äußerte sich der Neukirchener Pfarrer zudem erstmals darüber, dass Volksbildung und Volkswohlfahrt in unmittelbarem Zusammenhang stehen würden. Für Schwerdt bildete die Volksbildung die wichtigste Grundlage für die Aufrechterhaltung der allgemeinen Volkswohlfahrt sowie des daraus resultierenden sozialen und gesellschaftlichen Friedens. Als eine Antwort auf den überhandnehmenden Pauperismus in den 1840er Jahren plädierte Schwerdt deshalb unentwegt im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ für eine Verbesserung der Volksbildung. Der Wahlspruch „Volksbildung ist Volkswohlfahrt“ entwickelte sich in dieser Zeit zu seinem Leitgedanken, an dem er bis zum Ende des publizistisch-literarischen Schaffens festhalten sollte.219 Auch 24 Jahre nach der Veröffentlichung des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ äußerte sich Schwerdt 1868 in einer bio-bibliographischen Schrift über die „Jugend- und Volksschriftstellerin“ Thekla von Gumpert, dass die „Jugend- und Volksliteratur […] unbestreitbar ein Hauptfactor fortschreitender Bildung und Gesittung, und damit ein wesentlicher Hebel der Volkswohlfahrt und der Bahnbrecher ein besseren Zukunft“ sei.220 Die Inhalte von Schwerdts Artikeln im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ weisen ein breites Spektrum unterschiedlichster Themengebiete auf, die in ihrer Vielfalt große Ähnlichkeit zu den Themenfeldern aus der Hochphase der Volksaufklärung aufweisen.221 Betrachtet man das breit gefächerte Repertoire an gemeinnützig-volksaufklärerischem Wissen, das Schwerdt im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ an die ungebildeten Bauern und Handwerker zu vermitteln versuchte, so lassen sich an ihm klar und deutlich die typischen Merkmale 218 Vgl. Allgemeines Volksblatt der Deutschen, hrsg. von Carl von Pfaffenrath und Heinrich Schwerdt, Saalfeld 1844–1846. [im Folgenden: AVD]. Siehe außerdem Kapitel VI.3. 219 Auch das „Centralblatt für deutsche Volks- und Jugendliteratur“, das von Schwerdt in den Jahren 1857 und 1858 in Gotha herausgegeben wurde und als Rezensionsorgan sämtlicher Volks- und Jugendschriften angelegt war, stand unter dem Leitspruch „Volksbildung ist Volkswohlfahrt“. Vgl. Centralblatt für deutsche Volks- und Jugendliteratur. Ein kritisches Organ für alle Förderer und Freunde der Volks- und Jugendbildung, hrsg. von Heinrich Schwerdt, Gotha 1857/58. 220 SCHWERDT, HEINRICH: Thekla von Gumpert. Ein biographisch-kritisches Denkmal zur fünfundzwanzigjährigen Jubelfeier ihrer schriftstellerischen Thätigkeit, Goslau 1868, S. 7. 221 Zur Herausbildung der volksaufklärerischen Themengebiete in der Hochphase der Volksaufklärung vgl. SIEGERT: Der Höhepunkt der Volksaufklärung, S. XXVII–XXXII.

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eines „allumfassenden“ Volksaufklärers feststellen. Wie bei Theodor Wohlfarth stand dabei die Vermittlung von praxisrelevantem Wissen und sittlich-moralischer Wertevorstellungen im Vordergrund. In Ansätzen verfolgte Schwerdt im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ aber auch eine politische Aufklärung des „gemeinen Mannes“, wobei sich zeigt, dass er – wiederum analog zu Wohlfarth – in politischen Fragen oftmals liberale Ansichten vertrat. Wie die Mehrzahl der Volksaufklärer wollte Schwerdt dem „Volk“ nicht nur aufklärerisches Wissen vermitteln, sondern machte es gleichsam zum Objekt erzieherischer Absichten. Die ländlich-kleinstädtische Bevölkerung sollte aufklärerisch denken und handeln, vor allem aber die Wertevorstellungen der Gebildeten annehmen. Nicht ungewöhnlich für einen Pfarrer, interpretierte Schwerdt die Wertevorstellungen der aufklärerisch denkenden Gebildeten dabei zugleich als „christliche Wertevorstellungen“.222 Nach seiner Auffassung ließ sich ein integeres, sittlich-moralisches Leben nur im christlichen Glauben bewerkstelligen. Allerdings vertrat Schwerdt gleichzeitig die Meinung, dass die Vernunft als „Richtschnur“ der Religion fungieren sollte. Von einem „Zwangglauben“, der dem Menschen selbstständiges Denken und Hinterfragen verbot, distanzierte sich der Neukirchener Pfarrer. Wie Wohlfarth plädierte auch Schwerdt zur Annahme eines „Vernunftglaubens“.223 Schwerdt war fest davon überzeugt, dass sich ein vernunftorientierter Glaube auf die Selbstaufklärung des „gemeinen Mannes“ positiv auswirken würde. Und ebenso meinte er, dass als Resultat dieser Selbstaufklärung nicht nur eine Steigerung der Sittlichkeit, sondern auch der Obrigkeitstreue des „Volkes“ zu erwarten wäre. Ein auf Vernunft basierender Glaube war demnach für Schwerdt auch ein Garant zur Aufrechterhaltung der bestehenden rechtlichen Ordnung. Im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ heißt es daher: Wo die Macht des Glaubens und der Religion nicht mehr bindend ist, da halten keine Aufklärungsversuche, keine Verbesserungen, keine Militärmacht und keine Stubenweisheit den Umsturz der bestehenden Ordnung und des Staates auf. Religion allein ist der Faden, der die Völker aus dem Labyrinthe des Unglaubens, des Unfriedens herausleitet an sanfter, liebender Hand auf dem Weg der Mäßigung und des alleinigen Heiles.224

Alle Versuche, die bildungsfernen Bevölkerungsschichten möglichst „allumfassend“ aufzuklären, damit das einzelne Individuum sowie die gesamte Gesellschaft davon profitieren konnte, blieben nach Ansicht Schwerdts wirkungslos, wenn 222 Vgl. hierzu auch MAURER, MICHAEL: Die Biographie des Bürgers. Lebensformen und Denkweisen in der formativen Phase des deutschen Bürgertums (1680–1815), Göttingen 1996, S. 225–228 u. 232–236. 223 Vgl. KRÜNES, ALEXANDER: Luther als Vorkämpfer der Aufklärung? Die Reformation als Bestandteil volksaufklärerischer Publizistik in der Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte, 65 (2011), S. 157–180. 224 Alkoven. Ein ernstes Wort in ernster Zeit, in: AVD, Nr. 12, 1845, S. 92 f.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

dem Glauben und der Religion innerhalb der Gesellschaft nur eine rudimentäre Bedeutung beigemessen wurde. Neben seiner umfangreichen schriftstellerischen Tätigkeit versuchte Schwerdt auch direkt „vor Ort“, in seinem Heimatdorf Neukirchen, Einfluss auf die Bildung seiner Gemeindemitglieder auszuüben. Ähnlich wie Theodor Wohlfarth in Kirchhasel gründete er in seiner Dorfgemeinde einen Leseverein und veranstaltete in regelmäßigen Abständen Leseabende für die älteren Gemeindemitglieder.225 Die seit dem Winter 1835 wöchentlich gehaltenen Leseabende erfreuten sich eines regen Zulaufs, und einige Teilnehmer richteten bald die Bitte an Schwerdt, die Bücher zum privaten Lesen im häuslichen Kreis ausleihen zu dürfen.226 Überwältigt vom Erfolg dieser Leseabende, gründete Schwerdt daraufhin am 14. Februar 1838 in Neukirchen unter dem Namen „Gutenbergs-Bibliothek“ die erste Volksbibliothek Thüringens.227 Als der Bestand der kleinen Dorfbibliothek durch mehrere Schenkungen228 in den Folgejahren auf bis zu 600 Bücher anstieg,229 sah 225 Vgl. QUANDT: Kirchenrat, S. 44. 226 Vgl. ebd., S. 44. 227 Vgl. MARWINSKI, FELICITAS: „Stiftungsurkunden“ thüringischer Bibliotheken vom 16. bis 19. Jahrhundert, in: Vodosek, Peter/Black, Alistair/Huare, Peter (Hrsg.): Mäzenatentum für Bibliotheken. Philantropy for libraries, Wiesbaden 2004, S. 212; DIES./MARWINSKI, KONRAD: Heinrich Schwerdt und die Volksbibliotheken im Herzogtum Sachsen-Gotha. Eine Dokumentation, in: Weiß, Ulman (Hrsg.): Buchwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Festschrift für Helmut Claus zum 75. Geburtstag, Epfendorf/Neckar 2008, S. 433–435. 228 Die Buchschenkungen erfolgten von buchhändlerischer und privater Seite. Zu den Förderern gehörten auch hohe Regierungsbeamte, wie etwa Generalsuperintendent Carl Gottlieb Bretschneider, der seit 1841 Leiter des Oberkonsistoriums in Gotha war. Vgl. ebd., S. 439 f. 229 Diese Zahl bezieht sich auf die Angaben, die Schwerdt im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ regelmäßig kundgegeben hat. Dabei scheint der Bücherbestand der Bibliothek innerhalb kürzester Zeit beachtlich angestiegen zu sein. Bevor sich Schwerdt seit 1844 ausschließlich im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ über die Neukirchener Dorfbibliothek äußerte, verfasste er zuvor 1841 und 1843 zwei Berichte für den „Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ und den „Neustädter Kreisboten“. Folgt man den dortigen Angaben, so verfügte die „Gutenbergs-Bibliothek“ im Jahr 1841 über rund 150 Bücher und im Jahr 1843 über rund 350 Bücher. Im Jahr 1846 verfügte sie dann über rund 600 Bücher. Vgl. SCHWERDT, HEINRICH: Geschichte einer Gemeindebibliothek, in: Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen, Nr. 314 vom 17. November 1841, Sp. 4081–4087; DERS.: Volksbibliotheken betreffend, in: Neustädter Kreisbote, Nr. 87 vom 1. November 1843, S. 347 f. Anhand der Angaben im „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ und im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ lässt sich ebenso erahnen, welche Bücher in der „Gutenbergs-Bibliothek“ geführt wurden. So wurden im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ in der Rubrik „Büchermarkt“ regelmäßig neue Listen veröffentlicht, wo man dem Leser „erachtenswerte“ Bücher empfahl. Circa 90 % der dort aufge-

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sich Schwerdt im Jahr 1841 außerdem veranlasst, die Neukirchener Dorfbibliothek zusätzlich zu einer Wanderbibliothek umzugestalten, damit nicht nur das Dorf Neukirchen, sondern die gesamte ländliche Bevölkerung des Kreises Nazza mit Volksliteratur versorgt werden konnte.230 Die Bücher aus der „GutenbergsBibliothek“ wurden nun auch den anderen Dorfgemeinden kostenlos zur Verfügung gestellt. Für den reibungslosen Austausch der Bücher zwischen den einzelnen Gemeinden bestimmte Schwerdt einen Boten, der einmal monatlich in die umliegenden Dorfgemeinden von Neukirchen geschickt wurde, um die Leiter der dort ansässigen Lesezirkel mit Büchern aus der „Gutenbergs-Bibliothek“ zu versorgen.231 Auf diese Weise gelang es Schwerdt, wie er in einem Brief an Preusker im September 1851 erwähnt, rund 300 Leser aus der ländlichen Bevölkerung zur beständigen Lektüre von Volksliteratur zu bewegen.232 Bei der lokalen Verbreitung von aufklärerischem Gedankengut setzte Heinrich Schwerdt allerdings nicht nur auf Leseabende für Erwachsene und das Verleihen von Volkslektüre aus seiner „Gutenbergs-Bibliothek“. Um die Bildung seiner Gemeindemitglieder punktuell zu fördern, gründete er außerdem in seiner Gemeinde mehrere Schulanstalten. Zur Verbesserung der Elementarbildung richtete er für die männliche Jugend eine Sonntagsschule sowie für die Mädchen eine Übungsschule ein.233 Des Weiteren gründete er einen Landwirtschaftsverein und eine Baumschule für Obstbaumzucht, die primär dazu dienen sollten, die in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung über die neuesten landwirtschaftlich-ökonomischen Erkenntnisse aufzuklären.234 Darüber hinaus gründete Schwerdt in Neukirchen einen Gesangsverein, der sowohl als ein Ort der geselligen Zusammenkunft als auch der kulturellen Identitätsbildung im ländlich geprägten Neukirchener Raum fungieren sollte. Ausgehend von seinen Aktivitäten im Neukirchener Männergesangwesen nahm Schwerdt in den 1840er Jahren auch eine zentrale Rolle in der gesamtthüringischen Sängerbewegung ein. Zusammen mit den Erfurter Gesangsverein

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führten Titel weisen dabei einen klaren volksaufklärerischen Charakter auf (z.B. Beckers „Noth= und Hülfsbüchlein“). Da diese Listen hauptsächlich von Schwerdt selbst erstellt wurden, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Neukirchener Dorfbibliothek ein Teil dieser Schriften in ihrem Bestand hatte. Vgl. DERS.: Vollständige Übersicht unserer Volksliteratur, in: AVD, Nr. 3, 20, 22 u. 47, 1846, S. 22– 24, 159–161, 173–175 u. 375–378. Vgl. hierzu DERS.: Die Gutenbergs=Bibliothek zu Neukirchen, in: AVD, Nr. 18, 1845, S. 139–142. Vgl. QUANDT: Kirchenrat, S. 44 f. Vgl. MARWINKSI, FELICITAS: Ein „systematischer Menschenfreund“ – Briefe an Karl Benjamin Preusker, in: Karl Benjamin Preusker (1786–1871). Ein Heimatforscher und Volksbildungsfreund, hrsg. vom Kreismuseum Großenhain, Großenhain 1986, S. 87 f. Vgl. FELSBERG: Schwerdt, Sp. 1370. Vgl. ebd., Sp. 1370.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

„Erfurter Liedertafel“ war der Neukirchener Pfarrer im Jahr 1843 federführend an der Konstituierung des „Thüringer Sängerbundes“ beteiligt, unter dem sich möglichst alle Männergesangsvereine Thüringens vereinigen sollten.235 Der „Thüringer Sängerbund“ verfolgte im Kern die Zusammenführung von Gesang und Geselligkeit, an der Personen aus allen unterschiedlichen Bevölkerungsschichten ständeübergreifend mitwirken konnten. Daneben verstand sich der „Thüringer Sängerbund“ aber auch als ein öffentliches Sprachrohr des „Volkes“. Deutlich wurde dies vor allem auf den „Thüringer Liederfesten“, die von 1843 bis 1847 alljährlich unter der Schirmherrschaft des „Thüringer Sängerbundes“ durchgeführt wurden. Denn auf diesen Veranstaltungen wurden nicht nur „harmlose“ Volkslieder gesungen, sondern in Festreden und durch ausgewählte Lieder ebenso politische Forderungen des liberalen Bürgertums öffentlich artikuliert. Dabei wurde das zentrale politische Anliegen des „Thüringer Sängerbundes“ bereits unmissverständlich auf der Festveranstaltung des ersten Thüringer Liederfestes, das im Schlosspark zu Molsdorf im Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha abgehalten wurde, nach außen getragen. In einer feierlichen Veranstaltung präsentierte der sachsen-meiningische Hofrat Ludwig Bechstein der Öffentlichkeit die Bundesfahne des „Thüringer Sängerbundes“, auf der mit goldenen Buchstaben die Losung „Deutsches Lied verkünde deutschen Sinn“ geschrieben stand.236 Ziel des „Thüringer Sängerbundes“ war demnach die Stärkung des deutschen Nationalbewusstseins in der thüringischen Bevölkerung.237 Dezente Forderungen nach Pressefreiheit, Rechtsgleichheit, nationaler Einheit und politischer Partizipation kamen ebenfalls im Rahmen der Thüringer Liederfeste regelmäßig zur Aussprache. Besondere Aufmerksamkeit erlangten dabei die Worte des liberalen Eisenacher Landtagsabgeordneten Oskar von Wydenbrugk, der 1847 als Festredner auf dem 5. Thüringer Liederfest aufgetreten ist.238 Für den Volksaufklärer Schwerdt waren die Thüringer Liederfeste außerdem von besonderer Bedeutung, weil sie nicht nur beim gebildeten Bürgertum, son235 Zur Gründung und Geschichte des „Thüringer Sängerbundes“ bis 1847 vgl. VOIGT, AUGUST: Geschichte des Thüringer Sängerbundes, Gotha 1889, S. 1–29. Vgl. hierzu außerdem NICKEL, SEBASTIAN: Die Erfurter Liedertafel und der „Thüringer Sängerbund“ im Spiegel des 1. Liederfestes 1843 in Molsdorf und des 5. Liederfestes 1847 in Eisenach, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt, 72 (2011), N.F. 19, S. 106–108. 236 Vgl. VOIGT: Geschichte des Thüringer Sängerbundes, S. 11. 237 Unter Artikel IV im „Statut des Thüringer Sängerbundes“ heißt es außerdem: „Zweck des Thüringer Sängerbundes ist, das deutsche Lied zu pflegen und mehr und mehr zum Gemeingut zu machen, auch durch die Macht desselben vaterländischen Sinn zu fördern – denjenigen vaterländischen Sinn, der in geistiger und sittlicher Erhebung des deutschen Volkes, in einer innigeren Einigung seiner verschiedenen Stämme, in unverbrüchlicher Treue gegen die angestammten Herrscher und in unverletztlichen Gehorsam gegen die Landesgesetze seine Befriedigung findet.“ Ebd., S. 5. 238 Vgl. NICKEL: Die Erfurter Liedertafel, S. 118.

DER PFARRER – THEODOR WOHLFARTH UND HEINRICH SCHWERDT

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dern auch beim „Volk“ auf große Resonanz stießen. Bereits das erste Liederfest des „Thüringer Sängerbundes“ erfreute sich eines beachtlichen Zuspruchs bei den unterbürgerlichen Bevölkerungsschichten. Folgt man Schwerdts Ausführungen in der „Thuringia“ dann nahmen am Liederfest im Molsdorfer Schlosspark über 10.000 Menschen teil.239 Dass all diese Personen bildungsbürgerlichen Milieus angehörten, kann allerdings ausgeschlossen werden. Bei einer solch hohen Teilnehmerzahl ist davon auszugehen, dass sich unter den Besuchern auch einfache Bauern und Handwerker befanden.240 Dementsprechend stilisierte Schwerdt die Thüringer Liederfeste grundsätzlich zu „Volksfesten“ der gesamten thüringischen Bevölkerung. Folgt man den Angaben Schwerdts im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“, dann setzte sich das bei den Thüringer Liederfesten anwesende „Volk“ aus adligen, bürgerlichen und bäuerlichen Schichten zusammen.241 In den Augen des Neukirchener Pfarrers waren die Thüringer Liederfeste damit auch ein Symbol eines ständeübergreifenden gesellschaftlichen Zusammengehörigkeitsgefühls, das seit einigen Jahren in allen Bevölkerungsschichten der deutschen Nation aufkeimte und nun öffentlich zum Ausdruck kam.242 Um den Lesern des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ zu verdeutlichen, dass sich das thüringische „Volk“ als ein Teil der deutschen Nation verstand, hob Schwerdt in einer äußerst umfangreichen Artikelreihe zum zweiten Liederfest des „Thüringer Sängerbundes“, das am 12. August 1844 auf dem Friedenstein in Gotha abgehalten wurde, den „nationalen Charakter“ der Thüringer Liederfeste nochmals in besonderem Maße hervor.243 Schon 239 Vgl. SCHWERDT, HEINRICH: Sängerfahrt und Sängerfest, in: Thuringia. Zeitschrift zur Kunde des Vaterlandes, Nr. 37, 1843, Sp. 584. 240 Folgt man den Ausführungen Hans-Werner Hahns, dann „bildeten Handwerker und verwandte kleingewerbliche Gruppen die wichtigste soziale Trägerschicht der Sängerbewegung“. Hahn geht davon aus, dass am 4. Liederfest des „Thüringer Sängerbundes“ im Jahr 1846 rund 40 % der Teilnehmer aus dem Handwerk kamen. Vgl. HAHN, HANSWERNER: Demokratische und liberale Vereinsbewegung in Thüringen 1848/49, in: Ders./Greiling, Werner (Hrsg.): Die Revolution von 1848/49 in Thüringen. Aktionsräume – Handlungsebenen – Wirkungen, Rudolstadt/Jena 1998, S. 226. 241 Vgl. Blicke in die Welt und in die Zukunft. Das zweite Liederfest des Thüringer Sängerbundes, in: AVD, Nr. 35 vom 31. August 1844, S. 276 f. 242 Zur Funktion und Teilnehmerstruktur öffentlicher Feste in der Vormärzzeit vgl. grundlegend DÜDING, DIETER/FRIEDEMANN, PETER/MÜNCH, PAUL (Hrsg.): Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, Reinbek bei Hamburg 1988; HETTLING, MANFRED/NOLTE, PAUL: Bürgerliche Festkultur als symbolische Politik im 19. Jahrhundert, in: Ders./Ders. (Hrsg.): Bürgerliche Feste. Symbolische Formen politischen Handelns im 19. Jahrhundert, Göttingen 1993, S. 7–36. 243 Vgl. Blicke in die Welt und in die Menschheit. Das zweite Liederfest des Thüringer Sängerbundes, in: AVD, Nr. 35–39, 1844, S. 275–278, 283–285, 290–293, 299–302 u. 307– 309.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

der Einführungssatz „Das deutsche Volk fühlt sich als Volk – nur noch in seinen Liedern“ lässt keinen Zweifel, worauf der Schwerpunkt der Artikelserie zum zweiten Thüringer Liederfest lag.244 So war die Intention dieser Artikelserie eindeutig darauf ausgerichtet, das Nationalbewusstsein bei den Lesern des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ zu heben. Um die Wirkung der Artikel zu verstärken, veröffentlichte Schwerdt im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ neben einzelnen Berichten über den Ablauf der Festveranstaltung auch mehrere Gedichte und Lieder, die einen unverkennbaren nationalen Impetus aufweisen. So heißt es in einer Strophe eines Liedes, das auf dem Gothaer Liederfest vorgetragen wurde: „Nicht Thüringen, nicht Franken und nicht Sachsen – / Allüberall, wo deutsche Eichen wachsen, / Allüberall, wo deutsche Männer singen / Und volle Becher deutschen Weines klingen: / Da, Brüder, da ist unser Vaterland!“245 Die Berichterstattung zum zweiten Liederfest des „Thüringer Sängerbundes“ enthielt also ein klares Bekenntnis zur deutschen Nation. Allerdings wurden weder auf dem Gothaer Liederfest noch im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ vonseiten der Organisatoren oder Festredner konkrete politische Forderungen geäußert.246 Dass sich die deutsche Nation möglichst bald in einem politischen Einheitsstaat konstituieren sollte, wurde auf den Thüringer Liederfesten nur indirekt ausgesprochen. Die Intention der vorrangig aus bildungsbürgerlichen Kreisen stammenden Veranstalter der Liederfeste des „Thüringer Sängerbundes“247 lag damit hauptsächlich auf einer geistig-kulturellen und weniger auf einer politischen Nationsbildung. Im Gegensatz zu anderen Sänger- und Turnfesten spielten politische Zielsetzungen auf den Thüringer Liederfesten nur eine untergeordnete Rolle. Selbst auf dem fünften Thüringer Liederfest, das 1847 auf der symbolträchtigen Eisenacher Wartburg abgehalten wurde, stand die Vermittlung 244 Blicke in die Welt und in die Menschheit. Das zweite Liederfest des Thüringer Sängerbundes, in: AVD, Nr. 35 vom 31. August 1844, S. 275. 245 Blicke in die Welt und in die Zukunft. Das zweite Liederfest des Thüringer Sängerbundes, in: AVD, Nr. 38 vom 21. September 1844, S. 302. 246 Folgt man den Ausführungen im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ wurden „politische Trinksprüche“ während des Liederfestes strikt untersagt: „Aber die Trinksprüche (Toaste), die doch sonst die schönste Würze festlicher Mahle sind? – Man harrte ihrer lange umsonst; denn die wohlfürsichtigen Festordner hatten gefürchtet, daß sich ein kühnes Wort, das etwa nach demagogischen Umtrieben riechen könnte, über die begeisterten Lippen verirren dürfte, und hatten mit ängstlicher Sorge jedem freien und fröhlichen Worte Zaum und Gebiß angelegt.“ Blicke in die Welt und in die Zukunft. Das zweite Liederfest des Thüringer Sängerbundes, in: AVD, Nr. 36 vom 7. September 1844, S. 283. 247 Zu den Organisatoren der Thüringer Liederfeste gehörten neben Heinrich Schwerdt u.a. auch Ludwig Bechstein, Ludwig Storch, Gottfried Wilhelm Dennhardt, Christoph Rudolph Breidenstein, Philipp Heinrich Welcker, Karl Friedrich Ameis und Friedrich Johann Christian Schneider. Vgl. VOIGT: Geschichte des Thüringer Sängerbundes, S. 134– 144.

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von national-kulturellen Inhalten im Mittelpunkt der Veranstaltung.248 Zu einer politisch oppositionellen Massenveranstaltung wie dem Hambacher Fest, wo einige Festredner die Verfassungs- und Rechtsverhältnisse im Deutschen Bund scharf kritisierten und teilweise sogar zu revolutionären Handlungen aufriefen,249 entwickelten sich die Thüringer Liederfeste nicht. Möglicherweise lag hierin die Ursache, warum die Durchführung der Liederfeste des „Thüringer Sängerbundes“ von obrigkeitlicher Seite, trotz einiger Bedenken, die bei der Gothaer Landesregierung durchaus vorhanden waren,250 fünf Jahre lang nicht verboten wurde. Umso erfreulicher muss es für Heinrich Schwerdt gewesen sein, mit den Thüringer Liederfesten, die auch von der ländlichen Bevölkerung in großer Zahl besucht wurden,251 eine Plattform zu besitzen, wo man dem „Volk“ öffentlichkeitswirksam liberale Ideen und bürgerliche Wertevorstellungen vermitteln

248 Vgl. HAHN, HANS-WERNER: Die „Sängerrepublik“ unter der Wartburg. Das Liederfest des Thüringer Sängerbundes in Eisenach im August 1847 als Beitrag zur kulturellen Nationsbildung, in: Hein, Dieter/Schulz, Andreas (Hrsg.): Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt, München 1996, S. 206–211. 249 Zu Ursprung, Verlauf und politischer Zielsetzung des Hambacher Festes vgl. KERMANN, JOACHIM/NESTLER, GERHARD/SCHIFFMANN, DIETER (Hrsg.): Freiheit, Einheit und Europa. Das Hambacher Fest von 1832 – Ursachen, Ziele, Wirkungen, Ludwigshafen am Rhein 2006; BAUMANN, KURT (Hrsg.): Das Hambacher Fest. 27. Mai 1832. Männer und Ideen, 2. Aufl. Speyer 1982; VALENTIN, VEIT: Das Hambacher Nationalfest, Berlin 1932; FOERSTER, CORNELIA: Das Hambacher Fest 1832. Volksfest und Nationalfest einer oppositionellen Bewegung, in: Düding/Friedemann/Münch (Hrsg.): Öffentliche Festkultur, S. 113–131. 250 Vgl. NICKEL: Die Erfurter Liedertafel, S. 108–112. 251 Die exakten Besucherzahlen sind allerdings nicht bekannt, sondern beruhen auf den Angaben aus zeitgenössischen Festbeschreibungen. Wie schwierig die Zahlen zu ermitteln sind, zeigt sich bereits in Schwerdts Bericht zum zweiten Liederfest in Gotha. Im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ schreibt er nur, dass auf dem Friedenstein bis zu 20.000 Menschen Platz gefunden hätten. Allerdings bleibt unerwähnt, wie viele Menschen sich letztendlich auf dem Friedenstein wirklich versammelten. Trotz dieser ungenauen Angaben kann dennoch von einem kontinuierlichen Anstieg der Besucherzahlen ausgegangen werden. Im Zeitraum von 1843 bis 1847 – vom ersten Liederfest in Molsdorf Gleichen bis zum fünften Liederfest in Eisenach – stieg die Anzahl der Besucher von rund 10.000 auf rund 20.000 Menschen. Vgl. Blicke in die Welt und in die Zukunft. Das zweite Liederfest des Thüringer Sängerbundes, in: AVD, Nr. 35 vom 31. August 1844, S. 277. Vgl. außerdem Festschriften zu den einzelnen Liederfesten: STORCH, LUDWIG: Der Thüringer Sängerbund und sein erstes Liederfest zu Molsdorf den 16. August 1843. Blätter der Erinnerung, Gotha 1843; BUDDEUS, THEOBALD: Das vierte Liederfest des Thüringer Sängerbundes in Arnstadt am 12. August 1846, Arnstadt 1846; JÄGER, HERMANN: Erinnerung an das fünfte Liederfest des Thüringer Sängerbundes zu Eisenach. Eine vollständige Festbeschreibung mit sämmtlich gehaltenen Reden, Arnstadt 1847.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

konnte.252 Davon überzeugt, mithilfe der regional stark vernetzten Männergesangsbewegung des thüringisch-mitteldeutschen Raumes die Verwirklichung seiner aufklärerischen und liberalen Vorstellungen vorantreiben zu können,253 übernahm Schwerdt im Jahr 1847 schließlich selbst den Vorsitz über die Organisation des fünften Thüringer Liederfestes am 24. und 25. August in Eisenach. Aufgrund seines symbolischen Charakters (Luther, Heilige Elisabeth, Wartburgfest) verzeichnete dieses Liederfest einen enormen Besucherandrang. Mit einer Beteiligung von rund 16.000 bis 20.000 Menschen avancierte es letztlich zum größten thüringischen Volksfest in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.254 Zusammenfassend lässt sich also konstatieren, dass Heinrich Schwerdt einer der prägenden Volksaufklärer im Thüringer Raum war. Der Landpfarrer aus der kleinen Dorfgemeinde Neukirchen entwickelte sich im späten Vormärz zu einem „mustergültigen Volkslehrer“,255 der durch seine Präsenz in der Kanzel, durch die Gründung schulischer Anstalten, durch die Einrichtung von Bibliotheken, durch die Veranstaltung öffentlicher Feste256 und durch seine schriftstellerische Tätigkeit aufklärerisches Gedankengut und zum Teil auch liberale politische Ideen in vielfältiger Weise in die ländlich-kleinstädtische Bevölkerung transportierte. Dass allerdings in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht jeder thüringische Dorfpfarrer ein solch umfangreiches gemeinnützig-volksaufklärerisches Engagement betrieben hat, wie es bei Theodor Wohlfarth oder Heinrich Schwerdt der Fall war, liegt auf der Hand. Wie intensiv sich ein Landgeistlicher für eine Verbesserung der Bildung seiner Gemeindemitglieder einsetzte, dürfte im Wesentlichen immer abhängig von der persönlichen Einstellung der einzelnen Dorfpfarrer gewesen sein. Während etwa Theodor Wohlfarth und Heinrich Schwerdt ein extensives Bedürfnis hatten, über vielfältige Wege und Mittel einen möglichst großen Einfluss auf die weniger gebildete ländlich-kleinstädtische Bevölkerung auszuüben, beschränkten die meisten thüringischen Dorfpfarrer ihr 252 Dass es den thüringischen Gesangsvereinen auch um die Verbreitung bürgerlicher Wertevorstellungen im „Volk“ ging, hat insbesondere Sebastian Nickel herausgearbeitet Vgl. NICKEL: Die Erfurter Liedertafel, S. 98–106. 253 Zum Verhältnis zwischen Bürgertum und Männergesangwesen im Vormärz vgl. grundlegend DERS.: Männerchorgesang und die bürgerliche Bewegung 1815–1848 in Mitteldeutschland. Diss. phil. Halle 2010. 254 Vgl. HAHN: Die „Sängerrepublik“ unter der Wartburg, S. 193–197 u. 200 f. 255 Vgl. KUHN: Praktische Religion, S. 94. 256 In Neukirchen veranstaltete Schwerdt im „Gutenbergjahr 1840“ auch eine öffentliche Feier zum 400-jährigen Jubiläum der Erfindung des Buchdruckes sowie im Jahr 1846 eine Reformationsfeier zu Ehren des 300. Todestages von Martin Luther. Vgl. SCHWERDT, HEINRICH: Festordnung und Festlieder der am 21. und 22. Junius 1840 in Neukirchen zu begehenden vierhundertjährigen Gedächtnißfeier der Buchdruckerkunst. Eisenach 1840; DERS.: Blicke in die Welt und in die Menschheit. Luther’s Todesfeier, in: AVD, Nr. 13, 1846, S. 101–106.

DER PFARRER – THEODOR WOHLFARTH UND HEINRICH SCHWERDT

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gemeinnützig-volksaufklärerisches Engagement in der Regel auf einen oder zwei Bereiche. Aber unabhängig davon, ob sich ein Landgeistlicher nur damit begnügte, Volkslektüre zu verfassen und zu verbreiten, oder daneben ebenfalls noch Dorfbibliotheken, Schulanstalten, Bildungseinrichtungen und Vereine gründete, so dürften all diese Aktivitäten in ihrer Gesamtsumme letzten Endes eine beträchtliche Wirkung entfaltet haben. Schon Hermann Gebhardt, der drei Jahrzehnte nach der Revolution von 1848/49 eine „Thüringische Kirchengeschichte“ verfasste, bescheinigte den thüringischen „Landpfarrern“ und „Stadtgeistlichen“ für den Zeitraum von 1763 bis 1848 außerordentliche Verdienste bei der Verbreitung des „Lichtes“ der Aufklärung im „Volk“ sowie bei der Reformierung des Volksschulwesens.257 Die Landgeistlichen aus den ernestinischen, reußischen und schwarzburgischen Fürstentümern bezeichnete er als „Kinder ihrer Zeit“, die es als ihre Pflicht erachteten, „ihr Predigtamt ‚nutzbar‘ zu machen“, um „Verbesserungen auf allen Gebieten des Volkslebens herbeizuführen“.258 Da sich diese Bemühungen großflächig auf den gesamten Thüringer Raum verteilten, kann davon ausgegangen werden, dass die thüringischen Landgeistlichen bei der Verankerung aufklärerischen Gedankengutes in der ländlich-kleinstädtischen Bevölkerung, vor allem in den weniger gebildeten Schichten der einfachen Bauern und Handwerker, eine Schlüsselrolle eingenommen haben.

257 Vgl. GEBHARDT, HERMANN: Thüringische Kirchengeschichte, seinen Landsleuten erzählt, Zweite Hälfte: Vom Beginn der Reformation bis zur neueren Zeit, 2. Bd., Gotha 1882, S. 225–237, 282–313 u. 362–380. 258 Ebd., S. 233 f.

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2.2

IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Der Staatsdiener – Ludwig Bechstein und Carl von Pfaffenrath als Volksaufklärer unterschiedlicher Couleur

DER STAATSDIENER – LUDWIG BECHSTEIN UND CARL VON PFAFFENRATH

Nimmt man die „gebildeten Stände“ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts näher in den Blick, dann wird deutlich, dass volksaufklärerisches Engagement vor allem von Personen ausgegangen ist, die im Staatsdienst tätig waren.259 Bedingt durch den Ausbau der staatlichen Bürokratie und eine damit einhergehende immer diffiziler werdende Verwaltungsorganisation einzelner Staatsapparate im Zeitraum von 1750 bis 1850, die durch den Zusammenbruch des Alten Reiches, die Modernisierungspolitik der Napoleonischen Ära sowie die Beschlüsse des Wiener Kongresses nochmals einen Beschleunigungsschub erfuhr, fand ein Großteil der „gebildeten Stände“ im staatlichen Sektor eine berufliche Beschäftigung. Durch die Ausweitung bürokratischer Strukturen in etlichen gesellschaftlichen Teilbereichen, wurden die Tätigkeitsfelder im Staatsdienst im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in vielen Staaten des Deutschen Bundes immer weiter aufgefächert. Die Einführung neuer staatlicher Verwaltungsstrukturen, die eine effizientere Regulierung des öffentlichen Lebens gewährleisten sollten, war aber ohne zusätzliches Personal nicht zu bewerkstelligen. Dass bei der Rekrutierung des neu benötigten Personals bevorzugt auf akademisch gebildete Personen zurückgegriffen wurde, nutzten die „gebildeten Ständen“ zu ihrem Vorteil. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert drängten sie massiv in den staatlichen Sektor und übernahmen die Verwaltung der auf Gemeinde-, Kreis- und Landesebene neu eingerichteten staatlichen Ämter. Bedingt durch die Ausdifferenzierung staatlicher Verwaltungsstrukturen in der Übergangsphase vom 18. zum 19. Jahrhundert, erfolgte nach 1800 in allen deutschen Staaten schrittweise die Herausbildung eines modernen Berufsbeamtentums.260 Nicht mehr unmittelbar einem Landesfürsten unterstellt, sondern staatlichen Rechtsnormen unterworfen, regulierte die moderne Beamtenschaft die wichtigen Bereiche des öffentlichen Lebens, vor allem das Finanz-, Bildungs-, Gesundheits- und Justizwesen, nicht mehr primär im Interesse des Fürsten, son259 Der Begriff des „Staatsdieners“ bleibt im Zeitraum von 1800 bis 1850 mitunter recht unscharf. Im Folgenden werden verallgemeinert alle Personen als Staatsdiener betrachtet, die in der öffentlichen Verwaltung tätig bzw. ein öffentliches Amt ausgeführt haben. Zur Problematik des Begriffes „Staatsdiener“ in der Vormärzzeit vgl. grundlegend WUNDER, BERND: ‚Verwaltung‘, ‚Bürokratie‘, ‚Selbstverwaltung‘, ‚Amt‘ und ‚Beamter‘ seit 1800, in: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7: Verw – Z, Stuttgart 1992, S. 69–95. 260 Vgl. HENNING, HANSJOACHIM: Die deutsche Beamtenschaft im 19. Jahrhundert. Zwischen Stand und Beruf, Stuttgart 1984, S. 15–16; WUNDER, BERND: Geschichte der Bürokratie in Deutschland, Frankfurt am Main 1986, S. 66 f.

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dern im Interesse des Staates. Wenngleich die Amtsführung der modernen Beamten vor einem willkürlichen Zugriff des Monarchen geschützt blieb, durften deren Handlungen den vom Landesfürst festgelegten gesetzlichen Rahmen nicht überschreiten. In diesem Sinne handelten auch die modernen Staatsbeamten – zumindest solange wie das monarchische Prinzip verfassungsrechtlich unangetastet blieb – im Interesse des obersten Landesherrn. Auch wenn die Aufgabenverteilung einzelner Ämter strikt geregelt wurde und stets auf ein bestimmtes Ressort beschränkt blieb, übernahm das moderne Beamtentum auf diese Weise sukzessive die Gestaltungs- und Kontrollfunktion über den gesamten öffentlichen Sektor und leistete damit einen entscheidenden Beitrag zur Erhaltung der gegenwärtig bestehenden Herrschaftsverhältnisse.261 Demzufolge bedurfte es für die Ausübung eines jeden staatlichen Amtes eines entsprechend qualifizierten Fachpersonals, das bestimmte Auswahl- und Prüfungskriterien zu erfüllen hatte. Und da vor allem für die Aufnahme in den höheren Staatsdienst der Bildungsgrad zu den wichtigsten Einstellungsvoraussetzungen gehörte,262 wurde bei Rekrutierung neuer Beamter die Gruppe der höher Gebildeten bevorzugt berücksichtigt. Der Zugang in den Staatsdienst war demnach – neben geburtsständischen und sozioökonomischen Kriterien – maßgeblich vom Bildungsgrad abhängig, was wiederum dazu führte, dass die „gebildeten Stände“ bald ein Übergewicht im staatlichen Verwaltungsapparat erlangten. Neben der sich im frühen 19. Jahrhundert überall im Deutschen Bund neu konstituierenden modernen Beamtenschaft, die rein rechtlich betrachtet nicht dem Landesfürsten, sondern den staatlichen Gesetzen unterstand, übte im Vormärz aber auch eine nicht zu vernachlässigende Anzahl von Personen staatliche Verwaltungstätigkeiten aus, die unmittelbar vom Landesfürsten instruiert waren. Eine Anstellung am Hof oder innerhalb eines monarchischen Regierungsapparates war stets an ein persönliches Dienstverhältnis zum jeweils regierenden Landesfürst gekoppelt. Diese im zeitgenössischen Umgangston als „Hofoder Fürstendiener“ deklarierten Amtsträger waren weniger dem Staat, sondern vielmehr den persönlichen Interessen und Bedürfnissen ihres Landesfürsten

261 Nach Hansjoachim Henning hat das moderne Beamtentum „zweifellos die Funktionsfähigkeit des monarchischen Herrschaftsapparates gestärkt“. Vgl. HENNING: Die deutsche Beamtenschaft, S. 16. 262 Besonders für die bürgerlichen Schichten wurden Wissen und Bildung im 19. Jahrhundert zur wichtigsten Einstellungsvoraussetzung zur Erlangung eines staatlichen Amtes vgl. SIEGRIST, HANNES: Bürgerliche Berufe. Die Professionen und das Bürgertum, in: Ders. (Hrsg.): Bürgerliche Berufe. Zur Sozialgeschichte der freien und akademischen Berufe im internationalen Vergleich, Göttingen 1988, S. 11–48, hier vor allem S. 27–31. Vgl. außerdem WUNDER, BERND: Die Rekrutierung der Beamtenschaft in Deutschland. Eine historische Analyse, Konstanz 1979.

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verpflichtet.263 Da die (innen-)politischen Ziele eines Monarchen letztendlich aber immer in den staatlichen Verwaltungsbehörden zu ihrer praktischen Ausführung kamen, lassen sich die Interessen des Staates bzw. seiner Staatsbeamten nicht von den Interessen des jeweils regierenden Landesfürsten trennen. Die Staatsbeamten, die ihre vorgegebenen Aufgaben auf Lokal-, Kreis- oder Landesebene pflichtgemäß erfüllten, gehörten in den konstitutionell-monarchischen Rechtsstaaten des deutschen Vormärz zu den wichtigsten Trägern des monarchischen Herrschaftsapparates.264 Demzufolge dürfte es aus Sicht der meisten Einwohner eines Landes keine fundamentale Rolle gespielt haben, ob eine im Staatsdienst tätige Person offiziell im Namen des Monarchen oder im Namen des Staates handelte. Solange der „Fürstendiener“ sowie der „Staatsbeamte“ ein Amt ausübte, das prinzipiell im Interesse der Gesellschaft stand und der Wahrung des Gemeinwohls diente,265 dürften die juristischen Unterschiede zwischen diesen beiden öffentlichen Verwaltungsträgern dem Großteil der Bevölkerung irrelevant erschienen sein. In der öffentlichen Wahrnehmung haftete den Staatsbeamten und den Fürstendienern gleichermaßen der Status eines „Staatsdieners“ oder eines „Staatsbediensteten“ an. Fasst man die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder der einzelnen Staatsbeamten 263 Zur rechtlichen Stellung bzw. zur Unterscheidung zwischen „Fürstendiener“ und „Staatsbeamten“ heißt es etwa 1834 im „Converstaions=Lexikon“ von Brockhaus: „Es ist schon oft die Frage aufgeworfen worden, ob die Hofdienerschaft zu den Staatsdienern [Staatsbeamten] gehöre, und nach juristischen Begriffen muß dies wenigstens in der Regel verneint werden, schon aus dem Grunde, weil der Staatsdiener einen in gewisser Art selbständigen Theil der Staatsgewalt auszuüben hat und von seinem Amte nicht ohne rechtliche Gründe entlassen werden kann, der Hofbeamte aber mit einer solchen Amtsgewalt nicht versehen ist und von seinem Herrn zu jeder Zeit entlassen werden kann, weil diesem nicht zuzumuthen ist, Leute, welche er wegen ihrer Persönlichkeit wegen wählt, auch dann, wie sie ihm unangenehm geworden sind, in seiner nächsten Umgebung zu behalten.“ BROCKHAUS, FRIEDRICH ARNOLD: Allgemeine deutsche Real=Encyklopädie für die gebildeten Stände. (Conversations=Lexikon), Fünfter Band: H bis Jz, 8. Aufl. Leipzig 1834, S. 341. Zur rechtlichen Stellung der Staatsbeamten im Vormärz vgl. außerdem den Artikel zu Staatsdiener oder Staatsbeamter, in: ebd., Zehnter Band: Schw bis Sz, S. 550–552. 264 Vgl. HENNING: Die deutsche Beamtenschaft, S. 9–31; WUNDER: Geschichte der Bürokratie, S. 7–68. Vgl. hierzu außerdem ELLWEIN, THOMAS: Der Staat als Zufall und als Notwendigkeit, Bd. 1: Die öffentliche Verwaltung in der Monarchie 1815 – 1918, Opladen 1993; JESERICH, KURT/POHL, HANS/UNRUH, GEORG-CHRISTIAN VON (Hrsg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2: Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Auflösung des Deutschen Bundes, Stuttgart 1983. 265 Dass Fürstendiener und Staatsbeamte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gleichsam als Staatsdiener im Interesse des Allgemeinwohls handelten, hat Stefan Brakensiek exemplarisch an den Ortsbeamten der niederhessischen Kleinstädte aufzeigen können. Vgl. BRAKENSIEK, STEFAN: Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger. Amtsführung und Lebenswelt der Ortsbeamten in niederhessischen Kleinstädten (1750–1830), Göttingen 1999.

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und Fürstendiener im Vormärz zusammen, dann ergab sich eine Vielzahl von staatlichen und höfischen Ämtern, in denen ein Gebildeter eine Anstellung finden konnte. So wurden nicht nur diejenigen Personen, die in einer Behörde einer rein bürokratischen Tätigkeit nachgingen, sondern auch Richter, Amtsärzte, Rentamtmänner, Diplomaten, Bibliothekare, Gymnasiallehrer oder Universitätsprofessoren in den Staatsdienst aufgenommen. Darüber hinaus gehörten streng genommen auch die evangelischen Geistlichen zur Staatsdienerschaft.266 Unabhängig davon, in welchem Beschäftigungsverhältnis ein Staatsdiener letztlich stand, wurde seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert bei der Vergabe höfischer und staatlicher Ämter neben der sozialen Herkunft immer stärker auf die fachliche Eignung der Amtsinhaber geachtet. Vor allem bei der Besetzung der Stellen im höheren Verwaltungsdienst wurde der Bildungsgrad bald zum ausschlaggebenden Einstellungskriterium. Damit bot der staatliche Sektor insbesondere dem akademisch gebildeten Bürgertum eine hervorragende Möglichkeit zu einer langfristig gesicherten Erwerbstätigkeit. Eine Anstellung im staatlichen Sektor, die in der Regel ein angemessenes Einkommen versprach und damit die Versorgung der eigenen materiellen Bedürfnisse absicherte, dürfte der Mehrheit der akademisch oder höher gebildeten Personen genug Anreiz geboten haben, sich um ein staatliches Amt zu bewerben. Hinzu kam, dass im Vormärz der Markt für freie akademische Berufe in einigen Branchen zwar dynamische Wachstumsraten aufwies, gleichzeitig aber immer noch vielen Akademikern nur bescheidene Einkommensmöglichkeiten bot, die zur Absicherung der eigenen Existenz kaum ausreichten. Trotz der im Vormärz steigenden Nachfrage nach freiberuflich wirtschaftenden Ärzten, Anwälten, Schriftstellern, Journalisten, Apothekern oder Künstlern267 mussten nicht wenige Akademiker in prekären finanziellen Verhältnissen leben.268 Davon abgesehen, dass der staatliche Sektor bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts für die Gebildeten mit vermeintlich attraktiveren Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten aufwartete, versprach eine Tätigkeit im Staatsdienst auch bessere soziale und gesellschaftliche Aufstiegschancen, die auf dem freien Markt in dieser Form nicht gegeben waren. Bei guter Amtsführung und besonderer Pflichter266 Vgl. JANZ, OLIVER: Zwischen Amt und Profession. Die evangelische Pfarrerschaft im 19. Jahrhundert, in: Siegrist (Hrsg.): Bürgerliche Berufe, S. 174–199, hier vor allem S. 181–184. 267 Zur Entstehung und Entwicklung „freier“ akademischer Berufe im 19. Jahrhundert liegen bereits einige Einzelstudien vor. Vgl. u.a. HUERKAMP, CLAUDIA: Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert. Vom gelehrten Stand zum professionellen Experten. Das Beispiel Preußens, Göttingen 1985; REQUATE, JÖRG: Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert, Deutschland im internationalen Vergleich, Göttingen 1995, S. 117–242. 268 Vgl. HAHN/BERDING: Reformen, Restauration und Revolution, S. 293 f.

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füllung winkte den bürgerlichen Staatsdienern im Idealfall sogar die Aufnahme in den Verdienstadel. Zusätzlich eröffneten sich vor allem für höher gestellte Staatsdiener, die über umfangreichere Kompetenzen im Justiz- und Bildungswesen verfügten, größere Handlungsspielräume zur Umsetzung neuer Reformkonzepte. Summiert man dies alles zusammen, erklärt sich, warum so viele Gebildete, sowohl aus adligen als auch bürgerlichen Kreisen, in den staatlichen Sektor drängten. Folgt man nun der Annahme, dass volksaufklärerisches Engagement in erster Linie von den „gebildeten Ständen“ ausgegangen ist, dann stellt sich die Frage, warum so viele im Staatsdienst tätige Personen in der Volksaufklärung engagiert waren. Dadurch, dass seit Ende des 18. Jahrhunderts immer mehr Gebildete eine Beschäftigung im Staatsdienst ausübten, gelangten zwangsläufig auch zunehmend mehr aufklärerisch erzogene und aufklärerisch denkende Personen in staatliche Ämter. Dort angekommen, nutzten sie ihre neu erlangten Positionen – soweit die eigenen Handlungsspielräume dies zuließen – zur Umsetzung ihrer (volks-)aufklärerischen Intentionen. Untersucht man in der Vormärzzeit die in den thüringischen Kleinstaaten angestellten Staatsdiener, also alle Staatsbeamten und Hofbediensteten, nur oberflächlich auf ihre öffentlichen und privaten Tätigkeitsfelder,269 stößt man recht schnell darauf, dass ein Teil von ihnen direkt an gemeinnützigen Aktivitäten beteiligt war. Oftmals setzten sie sich auf Vereinsebene, vor allem in Landwirtschafts- und Gewerbevereinen, für die Verbreitung von neuem praxisrelevantem, naturkundlichem und technischem Wissen ein. Zudem verfassten oder beteiligten sich einige Staatsdiener aus dem Thüringer Raum an gemeinnützig-volksaufklärerischen Schriften, wobei allerdings deren Schwerpunkt hauptsächlich auf landwirtschaftlichen Themen lag und bei Weitem nicht das Niveau der schriftstellerischen Produktivität der thüringischen Geistlichen erreichte. In wenigen Fällen engagierten sich thüringische Staatsdiener aber auch in anderen Bereichen der Volksaufklärung, die nicht unmittelbar der gemeinnützigökonomischen Aufklärung zuzuordnen sind. Dies zeigt sich in besonders anschaulicher Weise an Ludwig Bechstein, der als Hofpoet und Sachverwalter im 269 Biographische Skizzen finden sich in MARWINSKI, FELICITAS (Hrsg.): Lebenswege in Thüringen (= Thüringer Biographisches Lexikon), 4. Bde., Weimar und Jena 2000–2011. Zum Engagement der Staatsdienerschaft bei der praktischen Umsetzung aufklärerischer Reformkonzepte am Beispiel Sachsen-Weimar-Eisenachs im Zeitraum von 1770 bis 1830 vgl. außerdem KRAUSE, ANDREAS: Verwaltungsdienst im Schatten des „Weimarer Musensitzes“. Beamte in Sachsen-Weimar-Eisenach zwischen 1770 und 1830, Jena 2010, hier bes. S. 279–302. Zur sozialen Zusammensetzung der höheren Regierungsbeamten in Thüringen vgl. ebenso FACIUS, FRIEDRICH: Die thüringischen Staaten 1815–1918, in: Schwabe, Klaus (Hrsg.): Die Regierungen der deutschen Mittel- und Kleinstaaten 1815 – 1933, Boppard am Rhein 1983, S. 63–80 u. 260–284.

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Dienst des herzoglichen Hauses von Sachsen-Meiningen stand.270 Gefördert durch den Meininger Herzog Bernhard II. Erich Freund erhielt Bechstein 1828 zunächst ein Stipendium zum Philosophie-, Literatur- und Geschichtsstudium an den Universitäten Leipzig und München und 1831 dann eine Anstellung bei Hofe.271 Dort arbeitete er, neben seinen Verpflichtungen als Hofdichter und Hofliterat, als herzoglicher Kabinettsbibliothekar und als 2. Bibliothekar der „Herzoglichen Öffentlichen Bibliothek“ zu Meiningen. Außerdem übertrug man ihm 1832 die Aufsicht über das herzogliche Naturalien-, Kunst-, Münz- und Medaillenkabinett. Im Jahr 1833 wurde Bechstein schließlich zum 1. Bibliothekar der „Herzoglichen öffentlichen Bibliothek“ ernannt.272 Zugleich betätigte er sich seit 1833 als Archivgehilfe im „Gemeinschaftlich Hennebergischen Archiv“. Nachdem 1844 die Leitung des „Gemeinschaftlich Hennebergischen Archivs“ vakant geworden war, übertrug ihm die Meininger Regierung dann formell die Schlüsselgewalt über das Archiv.273 Darüber hinaus wurde Bechstein für seine Leistungen von Herzog Bernhard II. im Jahr 1840 mit dem Hofrattitel und im Jahr 1851 mit dem Verdienstkreuz des Ernestinischen Hausordens ausgezeichnet.274 In Verbindung mit seinen beruflichen Pflichten als Bibliothekar widmete sich Bechstein nach 1831 der Aufarbeitung der Geschichte des mitteldeutschen Raumes. Aus dieser Leidenschaft heraus entschloss er sich 1832 zur Gründung des „Hennebergischen Alterthumsforschenden Vereins“ in Meiningen.275 Laut den Statuten sollte sich die Wirksamkeit des Vereins „auf das ganze Deutschland und die 270 Zum Leben und Werk Ludwig Bechsteins (1801–1860) vgl. MEDERER, HANNS-PETER: Stoffe aus Mythen. Ludwig Bechstein als Kulturhistoriker, Novellist und Romanautor, Wiesbaden 2002, S. 1–17; MARWINSKI, KONRAD: Bechstein, Ludwig, in: Marwinski (Hrsg.): Lebenswege in Thüringen, Zweite Sammlung, S. 20–24; BOOST, KARL: Ludwig Bechstein. Versuch einer Biographie unter besonderer Berücksichtigung seines dichterischen Schaffens, Diss. phil., Würzburg 1926; BECHSTEIN, REINHOLD: Bechstein, Ludwig, in: ADB, 2 (1875), S. 206 f. Vgl. außerdem die umfangreiche Beitragssammlung in der zweibändige Festschrift zum 200. Geburtstag Ludwig Bechsteins, die vom Hennebergischen Museum Kloster Veßra und die Meininger Museen herausgegeben wurde. Beide Bände sind ebenfalls als Band 16.1 und 16.2 im Jahrbuch 2001 des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins erscheinen. Vgl. Ludwig Bechstein. Dichter, Sammler, Forscher. Festschrift zum 200. Geburtstag, 2 Bde., hrsg. im Auftrag des Ludwig-Bechstein-Kuratoriums, Meiningen/Kloster Veßra/Münnerstadt 2001. 271 Vgl. SCHNEIDER, HANNELORE/ERCK, ALFRED: Ludwig Bechstein und die Herzogliche Familie, in: Ludwig Bechstein, Festschrift, Bd. 2, S. 8–33. 272 Vgl. HERMANN, SILKE: Ludwig Bechstein als Bibliothekar in Meiningen, in: Ludwig Bechstein, Festschrift, Bd. 1, S. 71–90. 273 Vgl. MÖTSCH, JOHANNES: Ludwig Bechstein als Archivar, in: ebd., S. 53–70. 274 Vgl. SCHNEIDER/ERCK: Ludwig Bechstein und die herzogliche Familie, S. 13. 275 Vgl. MARWINSKI, KONRAD: Ludwig Bechstein als Gründer und Direktor des Hennebergischen Altertumsforschenden Vereins zu Meiningen, in: Jahrbuch des HennebergischFränkischen Geschichtsvereins, 16.1 (2001), S. 33–39.

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damit durch gemeinsame Abstammung ihrer Bewohner nationell verbundenen Nachbarländer“ erstrecken,276 um auf diese Weise die „Beförderung der vaterländischen Geschichts- und Alterthumskunde“ nicht nur im Meininger Raum, sondern in ganz Deutschland voranzutreiben.277 Als jahrelanger Direktor des Vereins bemühte sich Bechstein um den Aufbau eines Korrespondenznetzwerkes „mit recht vielen Vereinen gleicher Tendenz“.278 In der Folgezeit trat Bechstein mit zahlreichen Mitgliedern auswärtiger Geschichtsvereine in Briefkontakt und konnte somit teilweise seine Vorstellungen eines zusammenhängenden Verbundes deutscher Geschichtsvereine verwirklichen. So stand der „Hennebergische Altertumsforschende Verein“ bereits 1844 über Thüringen hinaus in Schriftentausch mit verschiedenen Geschichtsvereinen in Halle, Paderborn, Wetzlar, Stettin, St. Wendel, Minden und Berlin.279 Die Aktivitäten des „Hennebergischen Altertumsforschenden Vereins“ stellten für Bechstein in erster Linie einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Nationsbildung dar. Bechstein gehörte zu den Befürwortern eines geeinten Deutschlands und beteiligte sich im Rahmen der fränkischen und thüringischen Sängerfeste auch aktiv an der deutschen Nationalbewegung.280 Jedoch vermied er es konsequent, in Konflikt mit der Obrigkeit zu treten. Öffentliche Äußerungen zur deutschen Frage formulierte er stets mit Bedacht und Vorsicht. Im Gegensatz zum Gothaer Verleger Ludwig Storch, einem seiner engsten Freunde,281 ließ er sich nur äußerst selten zu konkreten politischen Aussagen hinreißen.282 276 Im Gothaer „Allgemeinen Anzeiger“ wurde 1833 von Bechstein außerdem öffentlich kundgetan, dass sich in Meiningen „ein Verein zur Beförderung der vaterländischen Geschichtsund Alterthumskunde gebildet [hat], welcher bereits seit einem Jahre in Thätigkeit ist. Dessen Name bezieht sich bloß auf seine Gründung in der ehemaligen Grafschaft Henneberg, dessen Wirksamkeit aber soll nicht an so enge Grenzen gebunden seyn, sondern sich dem Raume nach auf das gesammte Deutschland erstrecken.“ Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen, Nr. 330 vom 3. Dezember 1833, Sp. 4172. 277 Statuten des Hennebergischen Alterthumsforschenden Vereins zu Meiningen, [o.O.] 1838, S. 1–3. 278 Ebd., S. 16. 279 Vgl. MARWINSKI: Ludwig Bechstein als Gründer, S. 42 f. 280 Vgl. BRUSNIAK, FRIEDHELM: Ludwig Bechstein und die Sängerbewegung, in: Jahrbuch des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins, 16.1 (2001), S. 115–125; BOBLENZ, FRANK: Ludwig Bechstein und „Thüringens Pannier“. Ein Beitrag zur thüringischen Heraldik und Ikonographie der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: ebd., S. 127–154. 281 Zum Leben und Wirken Ludwig Storchs und dessen Freundschaft zu Ludwig Bechstein vgl. WEIGEL, HEINRICH/KÖLLNER, LOTAR: Ludwig Storch. Beiträge zu Leben und Werk des thüringischen Schriftstellers, Jena 2003, hier insb. S. 30–34; FRÄNKEL, JULIUS: Storch, Ludwig, in: ADB, 36 (1893), S. 439–442. 282 Nach der Julirevolution 1830 prangerte Ludwig Storch vehement die politischen Verhältnisse in Deutschland an. Sein im Januar 1831 gegründetes Wochenblatt „Der Neue Thüringer Bote“ wurde von der Gothaer Zensur, auf Anraten des Regierungsrates Gustav von Henning, aufgrund seiner politischen Tendenz bereits nach der ersten Ausgabe

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Die Ursache dieser Zurückhaltung ist höchstwahrscheinlich auf die Ereignisse des Jahres 1835 zurückzuführen, als Bechstein erstmals die Aufmerksamkeit der österreichischen Zensur zu spüren bekam. Der österreichische Legationsrat Johann Emmerich hegte Vorbehalte gegenüber dem „Hennebergischen Alterthumsforschenden Verein“ und forderte von der sachsen-meiningischen Regierung umgehend eine Stellungnahme, ob der besagte Verein „öffentlich“ sei und den Schutz des Herzogs genieße.283 Außerdem wollte Emmerich wissen, ob „gegen die Wahl der Mitglieder nichts eingewendet werden könne“.284 Vor allem die Ernennung des liberalen Jenaer Professors und Parlamentariers Heinrich Luden zum Ehrenmitglied des „Hennebergischen Altertumsforschenden Vereins“ im Dezember 1833 dürfte von ihm mit Misstrauen aufgenommen worden sein. Da Luden als Vertreter einer national orientierten Geschichtsschreibung weithin bekannt war und er ebenso seine liberale Gesinnung mehrfach publizistisch sowie im Landtag von Sachsen-Weimar-Eisenach eindeutig zum Ausdruck gebracht hatte,285 mussten die Ambitionen Bechsteins bei den Zensurbehörden der konservativ eingestellten Staaten des Deutschen Bundes zwangsläufig eine gewisse Skepsis hervorrufen. Es war daher nur eine Frage der Zeit – zumal im Jahr 1834 mit den „Geheimen Wiener Beschlüssen“ die Zensurmaßnahmen noch einmal verschärft wurden – bis eine Anfrage vonseiten Preußens oder Österreichs zum „Hennebergischen Alterthumsforschenden Verein“ erfolgte. Bechstein aber hatte nichts zu befürchten. Die Antwort der Regierung Sachsen-Meiningens auf die österreichische Anfrage fiel völlig zugunsten des Meininger Bibliothekars aus. Herzog Bernhard selbst verteidigte die Ambitionen des „Hennebergischen Alterthumsforschenden Vereins“ und nahm dessen Vorsitzenden Ludwig Bechstein ausdrücklich in Schutz. Dennoch wollte Bechstein mit seinem Verein ausdrücklich das Nationalbewusstsein sowohl der gebildeten als auch die bildungsfernen Bevölkerungsschichten stärken. Um ein breiteres Interesse für den Verein zu wecken und neue Mitglieder anzuwerben, wurden deshalb die jährlichen Stiftungsfeste öffentlich begangen sowie die Vereinsversammlungen von Zeit zu Zeit öffentlich zugänglich wieder verboten. Dessen ungeachtet übte Storch als Romanschriftsteller, vor allem in seinen beiden Novellen „Malers Traum“ (1832) und „Der Diplomat“ (1834), weiterhin ausgiebig Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Zuständen im Vormärz. Vgl. PACH-NICKE, GERHARD: Ludwig Storch. Ein Gothaer Dichter, Gotha 1957, S. 12–24. 283 MARWINSKI, KONRAD: Der Hennebergische altertumsforschende Verein zu Meiningen 1832 bis 1935, Meiningen 1983, S. 18. 284 Zit. nach ebd. 285 Zu Heinrich Ludens politischer Publizistik sowie seinen liberalen Ambitionen im Landtag des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach vgl. MÜLLER, GERHARD: Heinrich Luden als Parlamentarier. Ein Beitrag zur frühen Parlamentsgeschichte Sachsen-WeimarEisenachs 1816–1842, in: Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen, Heft 10, Weimar 1998, S. 11–177.

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gemacht. Auch wenn diese Feste bei der Meininger Bevölkerung keine überwältigende Resonanz erzielten, so stellten sie nach Konrad Marwinski dennoch ein „gesellschaftliches Ereignis“ in der Stadt Meiningen dar.286 Damit vermochten die jährlichen Stiftungsfeste des „Hennebergischen Alterthumsforschenden Vereins“ zumindest ansatzweise bei einem fachfremden Publikum Interesse für historische und völkerkundliche Themen zu wecken. So gesehen, kann die Gründung des „Hennebergischen Alterthumsforschenden Vereins“ als Plattform zur Erforschung und Bewahrung der Geschichte des mitteldeutschen Raumes sowie der Weitervermittlung des dort generierten Wissens an ein breiteres Publikum auch als erster zögerlicher Versuch von Ludwig Bechstein gewertet werden, sich in einer historisch-völkerkundlichen Aufklärung zu engagieren. Dass Bechstein nach seinem Studium bzw. seiner Anstellung am Meininger Hof das Bedürfnis verspürt hat, neues Wissen – in diesem Fall auf dem Gebiet der thüringisch-mitteldeutschen Landesgeschichte und Volkskunde – einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf den „Sozialisationsprozess“ zurückzuführen, den er in seiner Jugend durchlaufen hatte. Ausschlaggebend dürfte vor allem seine aufklärerische Erziehung gewesen sein, die er unter der Führung seines Ziehvaters Johann Matthäus Bechstein genossen hat.287 Johann Matthäus Bechstein288 unterrichtete in den achtziger und neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts als Mathematik- und Naturkundelehrer in Salzmanns philanthropischer Erziehungsanstalt in Schnepfenthal und beteiligte sich ebenfalls von 1788 bis 1792 an Salzmanns volksaufklärerischem Periodikum „Der Bote aus Thüringen“. Später gründete er in Waltershausen eine private Forstschule, die 1796 durch Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg zu einer öffentlichen Lehranstalt erhoben wurde. Von Georg I. von Sachsen-Meiningen zum herzoglichen Forstrat ernannt, siedelte er 1800 nach Meiningen um und eröffnete im Schloss Dreißigacker wiederum eine öffentliche Lehranstalt für Forst286 Vgl. MARWINSKI: Ludwig Bechstein als Gründer, S. 47. 287 Johann Matthäus Bechstein (1757–1822) war nicht der leibliche Vater von Ludwig Bechstein, sondern sein Onkel, der sich – nach dem plötzlichen Tode des eigenen Kindes – seinem Neffen verpflichtet fühlte und diesen im Alter von acht Jahren adoptierte. Vgl. hierzu WEIGEL, HEINRICH: Ein thüringisches Dichterleben. Zum 200. Geburtstag von Ludwig Bechstein, in: Palmbaum. Literarisches Journal aus Thüringen, 9 (2001), 1. u. 2. Heft, S. 6–8. 288 Zur Biographie Johann Matthäus Bechsteins (1757–1822) vgl. PFAUCH, WOLFGANG: Johann Matthäus Bechstein 1757 – 1822. Leben und Schaffen, Erfurt 1998; MÖTSCH, JOHANNES/ULOTH, WALTER (Hrsg.): Johann Matthäus Bechstein (1757–1822) in den beruflichen und privaten Netzwerken seiner Zeit. Vorträge des wissenschaftlichen Symposiums am 20. Oktober 2007, Remagen-Oberwinter 2009; MARWINSKI, FELICITAS: Bechstein, Johann Matthäus, in: Dies. (Hrsg.): Lebenswege in Thüringen, Vierte Sammlung, Jena 2011, S. 6–12.

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und Jagdkunde.289 Neben seiner pädagogischen Tätigkeit als Lehrer verfasste Johann Matthäus Bechstein außerdem zeitlebens gemeinnützige und populärwissenschaftliche Schriften sowie fachwissenschaftliche Abhandlungen zu verschiedensten naturkundlichen und natur-historischen Themen.290 Im Jahr 1810 nahm Johann Matthäus Bechstein seinen Neffen Ludwig Bechstein291 in seine Obhut und förderte dessen schulische Ausbildung, indem er ihn am Meininger Lyzeum anmeldete. Zusätzlich übte Johann Matthäus Bechstein in der Forstakademie in Dreißigacker einen starken Einfluss auf die Erziehung seines Neffen aus. Hier kam der junge Ludwig Bechstein zudem regelmäßig in Kontakt mit aufklärerisch denkenden Studierenden und Lehrern.292 Demnach ist Ludwig Bechstein in seinen Jugendjahren in einem ausgesprochen aufklärerisch geprägten Klima aufgewachsen, was vermutlich auch seine spätere Persönlichkeit nachhaltig geprägt hat. Dass Bechstein seinen Ziehvater sehr geschätzt hat, sowohl dessen Arbeit in Schnepfenthal als auch seine Tätigkeit als Direktor in den Forstanstalten in Waltershausen und Schnepfenthal, kann jedenfalls als gesichert gelten. In mehreren literarischen Werken brachte er seine Wertschätzung für seinen Oheim deutlich zum Ausdruck. Positiv angetan von der Salzmann’schen Erziehungsanstalt in Schnepfenthal und den dort angewandten aufklärerischen Erziehungsmethoden, schrieb er beispielsweise in seinem 1838 veröffentlichten Reisebuch „Wanderungen durch Thüringen“ voller Anerkennung: Die Erziehungsgrundsätze des Begründers [Salzmann] dieser immer noch blühenden und thätig fortschreitenden Anstalt haben sich in der langen Jahresreihe ihres Bestehens als höchst erfolg- und segensreich bewährt, und Viele, die in dem, alle Zöglinge mit gleicher Liebe umfassenden Familienkreise dort ihre erste Jugendbildung empfingen, denken noch immer dankbar an Schnepfenthal zurück.293

Die Methoden der Kinder- und Jugenderziehung in Schnepfentahl erachtete Ludwig Bechstein als besonders wertvoll. Ein Urteil, das indirekt auch ein Kompliment an seinen Ziehvater war, der als Lehrer zehn Jahre lang den Ruf der 289 Nach Reinhart Siegert gründete Johann Matthäus Bechstein damit die erste staatliche Landwirtschaftsschule in Deutschland. Vgl. SIEGERT, REINHART: Zum Stellenwert der Alphabetisierung in der deutschen Volksaufklärung, in: Goetsch (Hrsg.): Lesen und Schreiben im 17. und 18. Jahrhundert, S. 116. 290 Vgl. PFAUCH, WOLFGANG/RÖDER, REINHARD: Bibliographie von Johann Matthäus Bechstein, in: Südthüringer Forschungen, 8 (1972), S. 28–59. 291 Erst zu diesem Zeitpunkt nahm Ludwig Bechstein seinen bis heute bekannten Namen an. Benannt nach seinem leiblichen Vater, einem französischen Emigranten, lautete sein ursprünglicher Name Louis Clairant Hubert Dupontreau. Vgl. MARWINSKI: Bechstein, S. 20. 292 Vgl. ebd., S. 21. 293 BECHSTEIN, LUDWIG: Wanderungen durch Thüringen, Leipzig 1838, S. 246.

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Salzmann’schen Erziehungsanstalt in den Anfangsjahren nach deren Gründung maßgeblich mitgeprägt hat. Im Jahr 1855 widmete Ludwig Bechstein seinem Ziehvater sogar eine eigene Schrift, in der er im Sinne eines „Doppel=Denkmals“ die Person Johann Matthäus Bechsteins ausführlich porträtierte sowie dessen Verdienste zur Reformierung der Forstwirtschaft um 1800 bzw. dessen Forstakademie in Dreißigacker umfassend würdigte.294 Aufgrund der Wertschätzung, die Ludwig Bechstein seinem Ziehvater entgegengebracht hat, scheint es nachvollziehbar, warum der Meininger Bibliothekar sich ebenfalls dafür eingesetzt hat, sein erlangtes Wissen in die Öffentlichkeit zu tragen. Dass dieses nicht praktisch orientiert war, sondern auf dem Gebiet der historisch-völkerkundlichen Volksaufklärung eher der sittlich-moralischen Erziehung des „gemeinen Mannes“ diente, musste nicht weiter stören. Da sein Fachgebiet die Geschichte und Volkskunde des mitteldeutschen Raumes war, konzentrierte er sich verständlicherweise nur auf diesen Teilbereich, während andere Volksaufklärer, die stärker in landwirtschaftliche Prozesse eingebunden wurde, sich intensiver um die gemeinnützig-ökonomische Aufklärung des „gemeinen Mannes“ bemühten. Sein größtes Verdienst für die Volksaufklärung leistete Bechstein dabei sicherlich weniger mit seinem „Hennebergischen Alterthumsforschenden Verein“, sondern eher mit seinen zahlreichen literarischen Werken, die sich überwiegend an ein breites Lesepublikum richteten und damit weitgehend der Kategorie „Volksbücher“ zugeordnet werden können. Als Schriftsteller volkstümlicher Lesestoffe entwickelte Bechstein eine enorm hohe Produktivität, die im Thüringer Raum der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahezu beispiellos ist. Sein gesamtes literarisches Oeuvre umfasst Reisebücher, Sagen, Märchen, Gedichte, Novellen, Romane und populärwissenschaftliche Abhandlungen.295 Hohe Auflagenzahlen erzielten vor allem seine Märchen- und Sagenbücher, die erstaunlicherweise trotz ihres „romantischen Charakters“ oftmals sehr aufklärerische Intentionen verfolgten. Nach Hans-Heino Ewers standen Bechsteins Märchen ganz klar in der Tradition von Charles Perrault und Johann Karl August Musäus.296 Ebenso kommt Hanns294 Vgl. DERS.: Dr. Johann Matthäus Bechstein und die Forstacademie Dreißigacker. Ein Doppel=Denkmal, Meiningen 1855. Zum Verhältnis zwischen Ludwig Bechstein und Johann Matthäus Bechstein vgl. außerdem ULOTH, WALTER: Das „Doppel-Denkmal“ Ludwig Bechsteins für Johann Matthäus Bechstein und seine Forstakademie Dreissigacker – Eine unverzichtbare Quelle der Bechstein-Forschung, in: Ludwig Bechstein, Festschrift, Bd. 2, S. 34–43. 295 Einen einführenden Überblick zu Bechsteins gesamtem literarischen Oeuvre bietet SEIFERT, ANDREAS: Ludwig Bechstein. Eine Lesebuch, Meiningen 2011. 296 Vgl. EWERS, HANS-HEINO: Ludwig Bechstein – ein biedermeierlich temperierter witziger Märchenerzähler aufklärerischer Provenienz, in: Richter, Karin/Schlundt, Rainer (Hrsg.): Lebendige Märchen- und Sagenwelt. Ludwig Bechsteins Werk im Wandel der Zeiten, Baltmannsweiler 2003, S. 28 f.

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Peter Mederer zu dem Ergebnis, dass für Bechstein „bei der Verarbeitung der Volkserzählstoffe offenbar wirklich Musäus als Vorbild eine wichtige Rolle“ gespielt hat.297 Und auch Klaus Manger erkennt in vielen belletristischen Werken Bechsteins häufig klare aufklärerische Einflüsse.298 Ewers nennt Bechstein sogar einen „Märchenerzähler aufklärerischer Provenienz“, dessen Märchen den Zweck verfolgten, den Leser zum Selbstdenken zu animieren.299 Nach Ewers waren Bechsteins Märchen so konstruiert, dass sie oftmals von der Überwindung mystisch-abergläubischen Denkens und vom Austritt des Menschen aus seiner geistigen Unmündigkeit handelten.300 Seiner Meinung nach sollten sie den Leser dazu ermuntern, „am Projekt der Aufklärung teilzunehmen“.301 Dass Bechstein mit Märchen und Sagen durchaus beabsichtigte, im Sinne der Aufklärung erzieherisch auf seine Leser einzuwirken, brachte er in seiner theoretischen Schrift „Ueber den ethischen Werth der deutschen Volkssagen“ auch offenkundig zur Sprache.302 In dieser Abhandlung beurteilte Bechstein die Wirkung der Volksstoffe der Sagen und Märchen, die er im Allgemeinen als „Poesie“ bezeichnete, als ausgesprochen positiv auf den „gemeinen Mann“. Er war der Meinung, dass sie keinesfalls fortschrittshemmend wirkten oder gar in direkter Konkurrenz zu den sachlich-wissenschaftlichen Schriften der Aufklärung standen. Die Anschuldigungen, dass Sagen und Märchen das „Volk“ zu mehr Aberglauben verleiten würden, wies er entschieden zurück. Bechstein sah in der Beschäftigung des „gemeinen Mannes“ mit der „Poesie“ vielmehr eine hervorragende Ergänzung zur sachlich-nüchternen Literatur jener Zeit. Seine romantisch bearbeiteten Volkslesestoffe verortete Bechstein nicht in einer Gegenströmung zur „traditionellen“ (volks-)aufklärerischen Lektüre. So schreibt er: Mag die Welt doch immerhin in ihren praktischen Richtungen erfreulich weiter schreiten, mögen Technologie und Industrie sich für die Riesenschritte ihrer Fortbildung aller fördernden Flügel großartiger Erfindungen bedienen: die Poesie wird sicher nicht versuchen, mit ihrer schwachen Hand hemmend in die Räder des Entwicklungsganges der Zeit eingreifen zu wollen.303

297 MEDERER: Stoffe aus Mythen, S. 15. 298 Klaus Manger erkennt in Bechsteins Werken vor allem Einflüsse des „aufklärerischen Märchensammlers“ Johann Karl August Musäus. Vgl. MANGER, KLAUS: Zum 200. Geburtstag von Ludwig Bechstein (1801–1860), Bibliothekar und Schriftsteller, in: Jahrbuch der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, Bd. 2001/2002, S. 34–35. 299 EWERS: Ludwig Bechstein, S. 29. 300 Vgl. ebd. 301 Ebd. 302 Vgl. BECHSTEIN, LUDWIG: Ueber den ethischen Werth der deutschen Volkssagen, [o.O.] 1837. 303 Ebd., S. 3.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Den Vorwurf, sinnliche Lektüre bringe das „Volk“ vom Pfad der Vernunft ab, empfand Bechstein als Übertreibung. Außerdem forderte er die Kritiker der Volkssagen und Volksmärchen dazu auf, es zu unterlassen, dem „gemeinen Mann“ eine solche geistige Beschränktheit zu attestieren, dass er nicht in der Lage wäre, „Poesie“ und „Wirklichkeit“ voneinander zu unterscheiden. „Niemand wird so bornirt sein, zu glauben“ schrieb er energisch, dass durch romantische Lesestoffe „der Aberglaube gefördert, die Aufklärung gehindert, der fördernde und strebende Schritt der Zeit gehemmt, das reine Licht der Religion und der Wahrheit verdunkelt werde“. Die Beurteilung dieser Schriften solle man dem „gesunden Sinn“ des „Volkes“ überlassen.304 Ferner wies Bechstein darauf hin, dass nicht nur die belletristische Bearbeitung, sondern auch die wissenschaftliche Erforschung alter Sagenstoffe stetig voranschreiten würde, und die daraus resultierenden neu gewonnenen Erkenntnisse ebenfalls kontinuierlich einem breiten Lesepublikum zugänglich gemacht werden:305 Daß die Sagenpoesie einer Vertheidigung gegen lieblose und gehässige Gesinnung, wie solche sich wohl in einzelnen Stimmen ausspricht und aussprechen könnte, nicht bedarf, geht gerade in unsern Tagen aus einer Menge höchst erfreulicher gleichzeitiger Bestrebungen im deutschen Vaterlande hervor, welcher von einer Seite theils vom rein wissenschaftlichen und strengen Standpunkt aus, Licht und Helle in das Dunkel früher Ueberlieferung tragen, theils die noch vorhandenen, allmählich aber immer mehr verschwindenden und in Unzugänglichkeit sich schüchtern bergenden ächten Sagenblüthen aus dem Volksmunde zu sammeln bemüht sind, von der andern Seite hingegen mit großer Liebe willkommen geheißen und freudig aufgenommen und anerkannt werden.306

Den weitaus größten Vorteil in der Verbreitung deutscher Sagen und Märchen sah Bechstein allerdings in ihrer sittlich-moralischen Aussagekraft. Seiner Überzeugung nach sollten sich Volkssagen und Volksmärchen stets vorteilhaft auf die sittlich-moralische Erziehung ihrer Rezipienten auswirken. In seiner Abhandlung 304 Ebd., S. 31. 305 Ludwig Bechstein hat seine Abhandlung „Ueber den ethischen Werth der deutschen Sagen“ erstmals im Jahr 1836 bei der 4. Jahresfeier des „Hennebergischen Alterthumsforschenden Vereins“ als Festrede vorgetragen. Es ist daher anzunehmen, dass er hier gezielt auf die zahlreichen neugegründeten Geschichtsvereine im Deutschen Bund und deren Aktivitäten anspielt. In seiner Schrift „Wanderungen durch Thüringen“ spricht sich Bechstein zudem deutlich dafür aus, dass die überall neu entstehenden Geschichtsvereine ihre Tätigkeiten öffentlich bekanntgeben sollten, damit das „Volk“ nachempfinden kann, worin der Nutzen solcher Einrichtungen liegt: „Die zahlreichen historischen Vereine Deutschlands, welchen partiellen Namen, ob sächsisch, thüringisch, wetterauisch, hessisch, voigtländisch, hennebergisch u. s. w. sie immer führen mögen, haben alle den gleichen löblichen Doppelzweck: Erforschung und Aufhellung der vaterländischen Geschichte, und Erhaltung der Geschichtsdenkmäler. […] Nicht um zu sammeln, sammeln die Vereine, sondern um an und von dem Gesammelten zu lernen“. Vgl. BECHSTEIN: Wanderungen durch Thüringen, Leipzig 1838, hier bes. S. 32. 306 DERS.: Ueber den ethischen Werth der deutschen Volkssagen, S. 5.

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„Ueber den ethischen Werth der deutschen Volkssagen“ versuchte er deshalb aufzuzeigen, dass es die „Poesie“ vermag, das „Volk“ intuitiv zu besseren Bürgern zu erziehen. So meinte er in den alten Volkssagen erkannt zu haben: Meine eignen Forschungen in dem Gebiet der deutschen Volkssage […] haben mich schon jetzt zu der Überzeugung gelangen lassen, daß den meisten derselben ein ethischer Werth innewohnt, daß sie, wie sie unbewußt aus dem Volke hervorgehen und ausblühen, auch eben so unbewußt diesem zur gedeihlichen Frucht werden, und daß in ihnen eine Sittenlehre für das Volk enthalten ist.307

Demnach würde eine intensive Rezeption von Volkssagen zwangsläufig zur Aneignung positiver Tugend- und Wertevorstellungen führen. Bechstein glaubte zu erkennen, dass die alten Volkssagen „moralische Richtlinien“ beinhalteten, die unter anderem zu Sparsamkeit, Fleiß, Ordnung oder Rechtschaffenheit ermuntern würden308 und bei richtiger Anwendung eine Bereicherung für das gegenwärtige gesellschaftliche Zusammenleben wären. Zwar bezeichnete Bechstein diese „moralischen Richtlinien“ nicht explizit als bürgerliche Tugenden oder bürgerliche Werte, doch ist bei näherer Betrachtung unverkennbar, dass er Volkssagen als ein geeignetes Medium erachtete, den Wertekanon des gebildeten Bürgertums in die unterbürgerlichen Schichten zu tragen.309 In der Annahme, dass die in Sagen und Märchen vermittelten „moralischen Richtlinien“ sich positiv auf die Erziehung der einfachen Bevölkerung auswirken würden, forderte Bechstein die thüringischen Landpfarrer und Landschullehrer auf, nicht nur rational ausgerichtete Lektüre, sondern auch „sinnliche“ Literatur in die Volksbibliotheken und die Volksschulen aufzunehmen.310 Dass ein paar thüringische Landpfarrer dieser Forderung nachgegangen sind, zeigt sich dann auch am Beispiel Heinrich Schwerdts. Dieser veröffentlichte postwendend mehrere Sagen von Ludwig Bechstein in seinem volksaufklärerischen Periodikum, dem „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“.311 Ebenso befanden sich unter den rund 500 Büchern, die Schwerdt in 307 Ebd., S. 6. 308 Vgl. Ebd., S. 15–25. 309 Zu den Tugend- und Wertevorstellungen des Bürgertums in der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. MAURER: Die Biographie des Bürgers, S. 232–377. Vgl. außerdem HAHN, HANS-WERNER/HEIN, DIETER (Hrsg.): Bürgerliche Werte um 1800. Entwurf – Vermittlung – Rezeption, Köln/Weimar/Wien 2005; HETTLING, MANFRED/HOFFMANN, STEFAN-LUDWIG (Hrsg.): Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2000. 310 Vgl. BECHSTEIN: Ueber den ethischen Werth der deutschen Volkssagen, S. 30. 311 Im Jahrgang 1845 wurden mit „Frau Holle wird verbrannt“, „Der Mönch auf dem Schloßthurm“ und „Das kleine Hütchen“ unter der Rubrik „Belehrende Erzählungen“ gleich drei Sagen von Bechstein im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ veröffentlicht. Vgl. Belehrende Erzählungen. Thüringische Sagen, in: AVD, Nr. 9, 1845, S. 65 f. Darüber hinaus veröffentlichte Schwerdt auch regelmäßig Gedichte von Bechstein im

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seiner Neukirchener Volksbibliothek bis zur Mitte des 1840er Jahre angehäuft hatte, auch einige Märchen- und Sagenbücher von Ludwig Bechstein. Wie bereits erwähnt, nimmt Ludwig Bechstein unter den Volksaufklärern, die im Staatsdienst tätig waren, aber eine Sonderstellung ein. Das volksaufklärerische Engagement der im staatlichen Sektor angestellten Personen aus dem Thüringer Raum beschränkte sich in der Regel auf die gemeinnützig-ökonomische Aufklärung der einfachen Bevölkerung. Sofern diese Personen im höheren Staatsdienst beschäftigt waren, wirkten sie in manch einer ländlich-kleinstädtischen Region sogar als „Innovationsmotoren“ bei der Modernisierung der ortsansässigen Agrar- und Gewerbezweige. Primär an einer Verbesserung der wirtschaftlichen Gesamtsituation interessiert, forcierten sie in ihren Regionen die Einführung neuer landwirtschaftlicher Produktionsprozesse sowie den Aufbau neuer Gewerbeformen. Die kulturelle und politische Aufklärung des „Volkes“, also jener Bereich, der bei Ludwig Bechstein besonders im Fokus stand, spielte im volksaufklärerischen Programm vieler Staatsdiener eine eher untergeordnete Rolle. Die meisten thüringischen Staatsdiener handelten damit durchaus im Interesse ihres Landesfürsten bzw. ihrer Landesregierung. Da die Mehrheit der deutschen Monarchen, selbst diejenigen, die auf politischer Ebene zu konservativen Vorstellungen tendierten, in solchen agrar- und gewerbewirtschaftlichen Reformbemühungen einen staatlichen Nutzen erkannten, stießen die in der gemeinnützig-ökonomischen Volksaufklärung engagierten Staatsdiener nur selten auf obrigkeitlichen Widerstand. Ob die tief greifenden Auswirkungen dieser Reformprozesse, die im Laufe des Vormärz zu immer vielfältigeren Verflechtungen von modernen und traditionalen Wirtschaftsstrukturen führten, letztendlich von allen Beteiligten, also von den volksaufklärerischen und obrigkeitlichen Akteuren, falsch eingeschätzt oder genau in dieser Form erwartet wurden, lässt sich allerdings in ihrer Gesamtheit nicht mehr eruieren. Fest steht nur, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht von den politischen und gesellschaftlichen Transformationsprozessen getrennt werden kann.312 Auch wenn die Mehrheit der volksaufklärerisch engagierten Staatsdiener nur sekundär an der politischen Aufklärung des „Volkes“ interessiert war, so müssen ihre Bestrebungen zur Verbesserung der ökonomischen Situation der einfachen und bildungsfernen Bevölkerungsschichten dennoch als gewichtiger Indikator in Betracht gezogen werden, der die Transformation der bestehenden Gesellschaftsstrukturen im Laufe des Vormärz letztendlich nochmals beschleunigt hat. „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“. Vgl. u.a. DERS.: Natur und Kunst, in: AVD, Nr. 14, S. 107; DERS.: Der Kukuk, in: AVD, Nr. 21, 1846, S. 163. 312 Zu den vielfältigen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Transformationsprozessen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. HAHN/ BERDING: Reformen, Restauration und Revolution, S. 35–49.

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Einige Staatsdiener entschieden sich aber auch bewusst dazu, oftmals als Antwort auf das überhandnehmende Pauperismusproblem in den 1840er Jahren, den Wandel der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu forcieren. Wie diese Akteure agierten, lässt sich exemplarisch an der Person Carl von Pfaffenraths aufzeigen, der es in der ehemaligen Residenzstadt Saalfeld und deren ländlich geprägter Umgebung nicht nur bei einer ökonomischen Volksaufklärung beließ. Adalbert Christian Carl von Pfaffenrath (gen. von Sonnenfels) wurde am 27. April 1792 in Meiningen geboren. Er war der Sohn von Caroline von Pfaffenrath, geborene von der Tann, und Carl von Pfaffenrath, Oberforstmeister zu SachsenMeiningen.313 Aufgrund fehlender Quellen ist über Pfaffenraths Kindheit bzw. dessen schulische Ausbildung nichts bekannt. In Erscheinung tritt Pfaffenrath erstmals während der Befreiungskriege, wo er sich am Kampf gegen Napoleon aktiv beteiligte. Das Hof- und Staatshandbuch des Herzogtums SachsenMeiningen weist ihn als Träger der Ehrenmedaille für die Feldzüge der Jahre 1814/15 aus. Dem Beispiel seines Vaters folgend, entschied sich Pfaffenrath nach dem Krieg ebenfalls für eine Karriere im staatlichen Verwaltungsdienst. Der offizielle Eintritt in den Staatsdienst des Herzogtums Sachsen-Meiningen erfolgte schließlich am 17. Dezember 1821.314 Im ausgehenden 18. Jahrhundert ergaben sich für Adelige, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zum niederen oder höheren Adel,315 im Prinzip nur drei Möglichkeiten zur Einkommenssicherung.316 Dazu zählte eine Anstellung im Staats- bzw. Fürstendienst, eine Laufbahn beim Militär oder die Bewirtschaftung eines geerbten oder erworbenen Landgutes. Grundsätzlich änderte sich auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nichts an dieser Situation. Zwar wurde nach 1800 die Ausübung einer kleinen Anzahl bürgerlicher Berufe auch für die Angehörigen des niederen Adels allmählich akzeptabel, doch zeigten nur wenige Adlige den Willen, in einer rein bürgerlich geltenden Profession Fuß zu fassen.317 313 Vgl. TASZUS, CLAUDIA: Pfaffenrath, Carl von, in: Marwinski, Felicitas (Hrsg.): Lebenswege in Thüringen. Erste Sammlung, Weimar 2000, S. 150. 314 Herzoglich Sachsen Meiningisches Hof= und Staats=Handbuch, 1843, S. 22. 315 Zu den sehr heterogenen deutschen Adelsstrukuren im 19. Jahrhundert vgl. REIF, HEINZ: Adel im 19. und 20. Jahrhundert, München 1999, S. 1–9. Zur Vielfalt und den unterschiedlichen Entwicklungslinien des deutschen Adels in der Übergangsphase von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft vgl. außerdem FEHRENBACH, ELISABETH (Hrsg.): Adel und Bürgertum in Deutschland 1770–1848, München 1994; SCHULZ, GÜNTHER/DENZEL, MARKUS A. (Hrsg.): Deutscher Adel im 19. und 20. Jahrhundert. Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 2002 und 2003, St. Katharinen 2004; REIF, HEINZ: Adel und Bürgertum in Deutschland, Bd. 1: Entwicklungslinien und Wendepunkte im 19. Jahrhundert, Berlin 2000. 316 Vgl. hierzu REIF: Adel, S. 9–25; ENDRES, RUDOLF: Adel in der Frühen Neuzeit, München 1993, S. 37–44. 317 Vgl. REIF: Adel, S. 26.

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Die Ausübung eines freien akademischen Berufes, etwa als Arzt, Rechtsanwalt oder Journalist, erachtete die Mehrheit der Adligen im Vormärz als nicht standesgemäß. Der Großteil der deutschen Adligen verharrte im 19. Jahrhundert in ihren traditionellen Berufszweigen und konzentrierte sich, abseits der Bemühungen zum Erhalt ihres Grundbesitzes und ihres finanziellen Vermögens, um eine Karriere im Staatsdienst oder beim Militär. Um seine bedeutende Führungsrolle innerhalb der Gesellschaft nicht zu verlieren, war der Adel aufgrund der zahlreichen Transformationsprozesse im Vormärz dennoch gezwungen, sich den wandelnden gesellschaftlichen Verhältnissen anzupassen.318 Während ein Teil des Adels seine privilegierten Rechte zu sichern suchte und weiterhin an alten ständischen Vorstellungen festhielt, arrangierten sich andere Adelsgruppen, die ihren sozialen und gesellschaftlichen Status nicht mehr ausschließlich über geburtsständische Privilegien definierten, im Laufe des 19. Jahrhunderts mehr oder weniger mit den Wertevorstellungen und politischen Zielen des aufstrebenden Bürgertums.319 Der Abbau der „ständischen Scheidewand“ zwischen Adel und Bürgertum erfolgte im Vormärz besonders in jenen Bereichen, wo beide Gruppen zur Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes auf eine berufliche Zusammenarbeit angewiesen waren. Vor allem im Hof- und Staatsdienst, wo nach 1800 immer stärker das Leistungs- und Verdienstprinzip zum Tragen kam,320 drängten Adel und Bürgertum gleichermaßen in die gut dotierten Amtsposten. Wollte der Adel seine dominierende Position im Staatsapparat behaupten, war er auf lange Sicht gezwungen, den gesteigerten Leistungsanforderungen nachzukommen und sich die entsprechende Bildung für künftige Tätigkeiten im Staatsdienst anzueignen.321 Um die für den Staatsdienst notwendige höhere Bildung zu erwerben, schickten einige Adelsfamilien ihre Kinder vermehrt an aufklärerische Bildungsinstitutionen.322 Dabei scheint es nicht abwegig, dass ein Teil der unter dem Einfluss auf-

318 Zu den Anpassungsstrategien des thüringischen Adels in der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert vgl. grundlegend KREUTZMANN, MARKO: Zwischen ständischer und bürgerlicher Lebenswelt. Adel in Sachsen-Weimar-Eisenach 1770 bis 1830, Köln/Weimar/ Wien 2008. 319 Zum Verhältnis zwischen Adel und Bürgertum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. FEHRENBACH. ELISABETH: Adel und Bürgertum im deutschen Vormärz, München 1994; REIF (Hrsg.): Adel und Bürgertum in Deutschland, Bd. 1. 320 Zum Teil verlangten die Landesfürsten vom Adel schon seit dem 16. Jahrhundert für die Besetzung besonderer Amtsstellen einen fachlichen Leistungsnachweis. Vgl. ENDRES: Adel in der Frühen Neuzeit, S. 42 u. 79. Vgl. außerdem REIF: Adlige im 19. und 20. Jahrhundert, S. 19. 321 Vgl. FEHRENBACH: Adel und Bürgertum, S. 14. 322 Am Beispiel der Adelsfamilien der Freiherrn von Ziegesar und der Freiherrn von Fritsch hat Marko Kreutzmann aufzeigen können, dass junge Adlige durchaus in aufklärungs-

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klärerischer Reformpädagogen erzogenen Adeligen in Folge eine gewisse Akzeptanz und Affinität zu bestimmten aufklärerischen Vorstellungen und aufklärerischen Reformkonzepten entwickelte. Ob Carl von Pfaffenrath seine Anstellung im sachsen-meiningischen Staatsdienst aufgrund seines schulischen Bildungsweges oder seiner adligen Herkunft erreichte, lässt sich nicht mehr ermitteln. Aufgrund seines gehobenen Amtes, das auch den persönlichen Kontakt mit Herzog Bernhard II. einschloss, kann aber davon ausgegangen werden, dass Pfaffenrath als Aufnahmebedingung für diese Stelle eine höhere schulische Ausbildung nachweisen musste. Inwiefern er allerdings eine Eignungsprüfung abzulegen hatte, um in den Dienst bei einem Fürsten eintreten zu können, bleibt im Dunkeln. Da er in der Folgezeit vehement in volksaufklärerischer und liberaler Absicht agiert hat, liegt zumindest die Vermutung nahe, dass er während seiner Jugendjahre in einem aufgeklärten Milieu aufgewachsen ist oder eine schulische Ausbildung in einer aufgeklärten Bildungseinrichtung genossen hat. Nach dem Tod des Saalfelder Schlosshauptmanns August Freiherr von Imhoff von Meiningen im Jahr 1829 trat Pfaffenrath dessen Nachfolge am Hof des Herzogs Bernhard II. Erich Freund von Sachsen-Meiningen an.323 Durch seine neue Anstellung als Kammerherr und Schlosshauptmann zu Saalfeld erhielt Pfaffenrath zudem den Titel eines Freiherrn. In dieser Funktion war er bis kurz vor seinem Tod am 21. Oktober 1853 ohne Unterbrechung im Dienste des Herzogs von Sachsen-Meiningen tätig.324 Als Offizier à la suite widmete er sich,325 neben seiner eigentlichen Anstellung als Verwalter des herzoglichen Schlosses,326 ab 1835 auch der Förderung der Landwirtschaft sowie der Förderung von Gewerbe

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nahen Privatschulen, Gymnasien, Akademien und Universitäten erzogen wurden. Vgl. KREUTZMANN: Zwischen ständischer und bürgerlicher Lebenswelt, S. 116–137. August Freiherr von Imhoff verstarb am 27. Mai 1829. Pfaffenrath trat seine Nachfolge als neuer Schlosshauptmann offiziell am 21. August 1829 an. Vgl. HOPF, VALENTIN: Die Geschichte der Friedenshöhe, Saalfeld 1916, S. 12. Pfaffenraths Tod wurde am 21. Oktober 1853 im Saalfelder „Gemeinnützigen Wochenund Anzeigeblatt“ bekannt gegeben. Aus der kurzen Mitteilung geht hervor, dass der 60-jährige Saalfelder Schlosshauptmann kurz vor seinem Tod pensioniert wurde. Vgl. Kirchenhandlungen. In hiesiger Stadt, in: Gemeinnütziges Wochen- und Anzeigeblatt für das Fürstenthum Saalfeld, Nr. 44 vom 29. Oktober 1853, S. 352. Im „Militär=Etat“ des Sachsen-Meiningischen Hof- und Staatshandbuches wird Pfaffenrath stets als Offizier à suite aufgeführt. Vgl. Herzoglich Sachsen Meiningisches Hof= und Staats=Handbuch, 1843, S. 73. Außerdem war Pfaffenrath Pächter des südlich von Saalfeld gelegenen Pöllnitzer Steinbruchs, den er im Laufe seiner Amtszeit als Kammerherr in eine englische Gartenanlage umgestaltet hat. Diese sogenannten „Pfaffenrathschen Anlagen“ wurden im Zuge des deutsch-französischen Krieges 1870/71 in „Friedenshöhe“ umbenannt. Vgl. HOPF: Die Geschichte der Friedenshöhe, S. 11–36.

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und Handel im Saalfelder Raum. Unterstützt von Herzog Bernhard II., wurde von ihm zunächst der Saalfelder „Gewerbe-Verein“ gegründet.327 Pfaffenrath sah hierin eine gute Möglichkeit, die „Bildung und Aufklärung zu fördern und den gedrückten Gewerbsstande mit Rath und That behülflich zu seyn“.328 Zwei Jahre später, im Jahr 1837, erreichte Pfaffenrath die Vereinigung des Saalfelder „Gewerbe-Vereins“ mit dem „Thüringer Künstlerverein“,329 der fortan den Namen „Thüringischer Verein für Kunst, Gewerbe und gemeinnützige Zwecke“ trug.330 Nach Angaben Pfaffenraths wurde auch dieser Verein, der wie der „Gewerbe-Verein“ noch in der Tradition der gemeinnützig-patriotischen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts stand, „von Seiten der Staatsregierung […] auf das Freigebigste und Kräftigste unterstützt“.331 Im Unterschied zum Saalfelder „GewerbeVerein“ waren die Zielsetzungen des „Thüringischen Vereins für Kunst, Gewerbe und gemeinnützige Zwecke“, der ebenso als „Thüringer Gesammt-Verein“ bezeichnet wurde,332 allerdings nicht mehr allein auf wirtschaftliche Aspekte gerichtet. Im Vereinsprogramm äußerte Pfaffenrath nun außerdem klare Vorstellungen bezüglich der Verbesserung der allgemeinen Volksbildung und einer damit einhergehenden Veränderung der sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Welche Absichten der „Thüringische Verein für Kunst, Gewerbe und gemeinnützige Zwecke“ verfolgte, wurde von Pfaffenrath im Vereinsbericht des 327 Laut Herzoglich Sachsen-Meiningischen Hof- und Staatshandbuch: „Auf Anregung des Cammerherrn und Hauptmanns von Pfaffenrath in Saalfeld wurde am 10. December 1835 ein Gewerbverein, unter statutarischen Bedingungen, gebildet und von der Landesregierung genehmigt, mit dem Zwecke, das Gewerbwesen zu befördern und zu vervollkommnen.“ Herzoglich Sachsen Meiningisches Hof= und Staats=Handbuch, 1843, S. 302. Vgl. hierzu außerdem TASZUS, CLAUDIA: Carl v. Pfaffenrath – Freiherr, Volksfreund und Patriot, in: Jahrbuch. Landkreis Saalfeld-Rudolstadt, Geschichte und Gegenwart, 8 (1999), S. 163; Bekanntmachung von Privatpersonen, in: Saalfeldisches Wochenblatt, Nr. 52 vom 23. Dezember 1835, S. 207 f. 328 Aus Welt und Zeit. Gewerbs=Verein zu Saalfeld, in: Saalfeldisches Wochenblatt, Nr. 52 vom 22. Dezember 1838, S. 207. 329 Pfaffenrath stand mit Sicherheit schon vor der Zusammenlegung beider Vereine in Kontakt mit dem Thüringer Künstlerverein. Dafür spricht die Tatsache, dass der Thüringer Künstlerverein in der Stadt Saalfeld und im selben Jahr (1835) wie der Saalfelder Gewerbe-Verein gegründet wurde. Vgl. hierzu TASZUS: Carl v. Pfaffenrath – Freiherr, Volksfreund und Patriot, S. 166 (Anm. 3). 330 Vgl. ebd., S. 164. 331 Stadtmuseum Saalfeld, V 23430S, Dritter Jahresbericht des Thüringischen Vereins für Kunst, Gewerbe und gemeinnützige Zwecke, Saalfeld 1838, S. 1. 332 Die Bezeichnung „Thüringer Gesammt Kunst- und Gewerbsverein“ findet sich des Öfteren in den Jahresberichten des „Thüringischen Vereins für Kunst, Gewerbe und gemeinnützige Zwecke“. Pfaffenrath selbst bezeichnete sich als „Director des Kunst= und Gewerbevereins“. Bekanntmachungen von Privatpersonen, in: Saalfelder Wochenblatt, Nr. 23 vom 7. Juni.1837, S. 90. Vgl. hierzu außerdem TASZUS: Pfaffenrath, S. 150.

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Jahres 1839 schließlich explizit niedergeschrieben. So hatte es sich der Verein zur Aufgabe gemacht, ein „vernünftiges Bürgerthum zu gründen, echte und wahre Volksbildung und Erziehung zu fördern, überhaupt auf das Wohl des Staates und das Glück seiner Bürger hinzuwirken“.333 Betrachtet man den weiteren Lebensweg Pfaffenraths, so scheint für ihn die Realisierung einer „besseren“ Gesellschaft in unmittelbarer Beziehung zur Volksbildung bzw. Volksaufklärung gestanden zu haben. So lässt sich bei Pfaffenrath, nach dessen Gründung des „Thüringer Vereins für Kunst, Gewerbe und gemeinnützige Zwecke“, ein zunehmend stärkeres Engagement im Bereich der allgemeinen Volksbildung erkennen, die er in erster Linie durch die Gründung neuer Bildungseinrichtungen zu heben gedachte. Noch im Jahr 1837 betätigte er sich als Initiator eines Zeichen- und Malerinstituts und war Begründer einer Handwerkerschule in Saalfeld.334 Und auch im darauffolgenden Jahr errichtete er weitere gemeinnützige Institutionen im Saalfelder Raum, die vor allem den einfachen Handwerkern und Bauern neue ökonomische und praktisch anwendbare Erkenntnisse vermitteln sollten. „1838 entstanden durch seine Initiative eine Kopieranstalt zur Verbreitung der neuesten Kenntnisse und Erfindungen, eine Mustersammlung zur Beförderung des Absatzes, eine Vereinsbibliothek und ein Leseinstitut.“335 Daneben wurde er Mitglied und Mitarbeiter des ebenfalls 1838 neu gegründeten „Pädagogischen Vereins“ in Saalfeld.336 Nachdem er das Amt als Generaldirektors des „Thüringer Gesammt-Vereins“ sieben Jahre innehatte, wurde Pfaffenrath 1843 zum Präsident des „Vereins zur Beförderung der Landwirthschaft und nützlichen Zwecke im Herzogtum Sachsen-Meiningen“ ernannt.337 Außerdem gründete er zur selben Zeit mit der „Gesellschaft zur Beförderung der Landwirtschaft“ schließlich seinen letzten Verein, dessen Tendenz an den Zielsetzungen der vorangegangenen Vereine orientiert war.338 Auffallend ist hierbei, dass es im Saalfelder Raum erst unter Pfaffenrath zu ersten ausgeprägten Bemühungen kam, die Bildung der einfachen Bevölkerung durch umfangreiche Sozietäts- bzw. Vereinsgründungen zu verbessern. Eine „pädagogische Bewegung“, die im Saalfelder Raum in aufklärerischer Absicht 333 Stadtmuseum Saalfeld, V 23418S, Vierter Jahresbericht des Thüringischen Vereins für Kunst, Gewerbe und gemeinnützige Zwecke, Saalfeld 1839. S. 3. 334 Vgl. Bekanntmachungen von Privatpersonen, in: Saalfelder Wochenblatt, Nr. 19 vom 10. Mai 1837, S. 76. 335 Vgl. TASZUS: Carl v. Pfaffenrath – Freiherr, Volksfreund und Patriot, S. 164. Zu den gemeinnützigen Einrichtungen, die auf Initiative Pfaffenraths in Saalfeld und dessen Umgebung gegründet wurden vgl. außerdem Stadtmuseum Saalfeld, V 23430S, Dritter Jahresbericht des Thüringischen Vereins für Kunst, Gewerbe und gemeinnützige Zwecke, Saalfeld 1838, S. 2 f. 336 Vgl. TASZUS: Pfaffenrath, S. 150. 337 Vgl. ebd., S. 150. 338 Vgl. TASZUS: Carl v. Pfaffenrath – Freiherr, Volksfreund und Patriot, S. 164.

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gezielt auf die Bildung und Erziehung einwirken wollte, entfaltete sich erst mit dem Wirken Pfaffenraths.339 Im Gegensatz zu anderen Volksaufklärern, insbesondere den bereits genannten Ludwig Bechstein sowie den beiden Pastoren Schwerdt und Wohlfarth, kann für Pfaffenrath allerdings keine ausgeprägte publizistische Tätigkeit nachgewiesen werden. Seine schriftstellerischen Aktivitäten beschränkten sich lediglich auf zwei Periodika: die „Landwirthschaftliche Dorfzeitung“ und das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“. Die „Landwirthschaftliche Dorfzeitung“, welche Pfaffenrath zusammen mit William Löbe340 im Zeitraum von 1840 bis 1842 herausgab,341 kann dabei als eine belehrende ökonomisch-landwirtschaftliche Zeitschrift angesehen werden, die ganz in der Tradition der gemeinnützig-ökonomischen Publizistik der frühen Volksaufklärung stand. Diese Zeitschrift suggerierte dem Leser, der in der Regel als „Landmann“ bezeichnet wurde, dass trotz aller Fortschritte immer noch die Notwendigkeit bestand, die alteingesessenen bäuerlichen Wirtschaftspraktiken zu verändern.342 Damit der einfache Bauer seine Erträge und damit seinen Wohlstand steigern konnte, sahen sich die beiden Herausgeber in der Verantwortung, ihre Leser über „neue Erfindungen, Erfahrungen und Verbesserungen“ in der Landwirtschaft zu informieren.343 Außerdem wollten sie all diejenigen Bauern ermahnen, die „das offenbar Bessere aus Kurzsichtigkeit nicht erkennen wollen“ und dadurch den Niedergang ihrer eigenen Agrar- und Viehwirtschaft herbeiführen würden.344 Entsprechend dieser Vorgabe handelten alle Beiträge in der „Landwirthschaftlichen Dorfzeitung“ von landwirtschaftlichen Themen oder von ökonomischen Sachverhalten, die in direktem Zusammenhang mit dem bäuerlichen Arbeitsleben standen. So finden sich neben Abhandlungen über Ackerbau, Viehzucht, Obstanbau, Fruchtwechselwirtschaft, Gemüsesorten, Gartenpflege und

339 Claudia Taszus nimmt deshalb an, dass Carl von Pfaffenrath im Saalfelder Raum der Vormärzzeit eine Schlüsselrolle bei der Verbesserung der ökonomischen Zustände sowie der Modernisierung des Bildungswesens eingenommen hat. Vgl. ebd., S. 163. 340 William Löbe war Direktor des landwirtschaftlichen Vereins in Reschwitz, einem Dorf in unmittelbarer Nähe zu Saalfeld. Vgl. ebd., S. 164. 341 Die „Landwirthschaftliche Dorfzeitung“ muss hierbei als das geistige Kind des Freiherrn von Pfaffenrath angesehen werden. Merkwürdigerweise fand im Titelblatt nur sein Name Erwähnung. Die Mitherausgeberschaft von William Löbe wurde verschwiegen. Es erfolgte einzig der Hinweis, dass die Zeitschrift „unter Mitwirkung mehrerer geschickter Oekonomen“ erstellt wurde. 342 Vgl. Lieben Landleute!, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 1, 1840, S. 1 f. 343 Vgl. ebd., S. 1. 344 Ebd., S. 1.

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Tierheilkunde auch Artikel oder Erzählungen zur Gesundheitspflege,345 Hauswirtschaft346 und zum Holzgebrauch347 sowie Beiträge über Witterungsverhältnisse,348 historische Darstellungen349 und die Zweckmäßigkeit neuer Feldgeräte.350 Eine Beschäftigung mit außerlandwirtschaftlichen Thematiken sucht man jedoch vergebens.351 Daraus darf aber keinesfalls die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Pfaffenrath und Löbe nicht auch in anderen Bereichen der Volksaufklärung engagiert waren. Den beiden Herausgebern lag ebenso die Verbesserung der Allgemeinbildung des einfachen Landmannes am Herzen, was im Vorwort der „Landwirthschaftlichen Dorfzeitung“ sogar ausdrücklich Erwähnung fand: „Unsere Absicht mit Euch ist die beste, denn […] es geschieht zu Eurer und Eurer Kinder Bildung und Belehrung noch zu wenig, und eben diesen Mangel wollen wir einigermaßen zu beseitigen suchen.“352 Diese Aussage macht zudem deutlich, welche Pläne Pfaffenrath hinsichtlich seiner künftigen publizistischen Tätigkeit schmiedete. Die landwirtschaftlichökonomische Aufklärung des „Volkes“ stellte für ihn nur den Auftakt zu einer „allumfassenden“ Volksaufklärung dar. Bereits nach 26 Nummern verkündete er deshalb stolz, dass die „Landwirthschaftliche Dorfzeitung“ an „Mannichfaltigkeit und Reichhaltigkeit“ nun kaum mehr zu übertreffen sei, da man dem „Wunsch vieler Abonnenten“ nachgegangen sei, die Berichterstattung „auch auf andere Gegenstände zu richten, welche dem Landmanne von nicht weniger Interesse sind.“353 345 Vgl. u.a. Miscellen. Erfrorne Glieder zu behandeln, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 11, 1840, S. 44; Holzschuhe, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 44, 1840, S. 175 f. 346 Vgl. u.a. Verbesserung im Brotbacken, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 29, 1840, S. 116; Anleitung zum Seifenkochen in Haushaltungen, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 31, 1840, S. 123 f.; Ueber Kaffeebereitung, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 44, 1840, S. 173–175. 347 Vgl. u.a. WEBER, MICHAEL: Ueber Cultur der Nadelhölzer und die Nothwendigkeit, denselben einen, ihren Gedeihen passenden Standort zu geben, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 9, 1840, S. 34 f.; Miscellen. Ein Mittel das Holz dauerhaft zu machen, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 43, 1840, S. 172; Erhaltung des Holzes oder Schützung desselben gegen den trocknen Moder, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 46, 1840, S. 182. 348 Vgl. Witterungsregeln, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 3, 1840, S. 9 f. 349 Vgl. Zur Geschichte der Kartoffel, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 10, 16 u. 17, 1840, S. 39 f. u. 64–67. 350 Vgl. u.a. Miscellen. Der Dampfpflug, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 52, 1840, S. 208; Miscellen. Neue Hechelmaschine, in: ebd., S. 208. 351 Die Ausnahme bildet ein Aufsatz zur Leipziger Buchdruckerkunst. Vgl. LÖBE, WILLIAM: Die 400jährige Feier der Buchdruckerkunst in Leipzig, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 27, 1840, S. 105 f. 352 Lieben Landleute!, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 1, 1840, S. 2. 353 Bekanntmachung, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 26, 1840, S. 104.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Behandelt wurden diese neuen „Gegenstände“ in einem eigens dafür geschaffenen wöchentlichen Beiblatt, das abwechselnd unter dem Titel „Der Hausfreund“ und „Der Gartenfreund“ erschien.354 Der Programmatik des Hauptblattes folgend, sollten in beiden Nebenblättern vor allem solche Themen erschlossen werden, die dafür geeignet waren, den Landmann „zu belehren, sein Gemüth zu erheben, vornämlich richtige und nützliche Kenntnisse zu verbreiten“ und „Irrthümer und Vorurteile zu bekämpfen“.355 Das Beiblatt der „Landwirthschaftlichen Dorfzeitung“ stellt damit Pfaffenraths ersten publizistischen Versuch dar, dem einfachen Mann ein vielschichtigeres Wissen zu vermitteln, das weit über den Charakter der landwirtschaftlich-ökonomischen Volksaufklärung hinausging. So finden sich im Beiblatt der „Landwirthschaftlichen Dorfzeitung“ historisch-biographische Abrisse,356 Aufsätze zur Sittlichkeit und Religion,357 Abhandlungen über biologische, physikalische und chemische Gesetzmäßigkeiten358 sowie Mitteilungen zum Erziehungswesen.359 Die augenfälligste Veränderung bzw. Abgrenzung zu den Artikeln mit praxisrelevanten ökonomischen Bezügen stellen jedoch diejenigen Beiträge dar, die sich mit den gesellschaftlichen und sozialen Problemen der einfachen Bevölkerung beschäftigten. In diesen Beiträgen wurde der Leser direkt aufgefordert, im Interesse des individuellen und gemeinschaftlichen Wohles, unverzüglich gegen bestehende soziale Missstände vorzugehen. Um den Abbau sozialer Probleme aus eigener Kraft voranzutreiben, appellierte Pfaffenrath an seine Leser, sie mögen ihr Streben nach Bildung sowie ihre Bereitschaft zur Annahme bürgerlicher Werte weiter intensivieren. Gleichzeitig versprach er, dass eine Ausmerzung sozialer 354 Das Beiblatt erschien wie die „Landwirtschaftliche Dorfzeitung“ allwöchentlich. „Der Hausfreund“ bzw. „Der Gartenfreund“ wurden dabei abwechselnd, in einen 14-tägigen Rhythmus, dem Hauptblatt beigelegt. Die erste Ausgabe erschien am 1. Juli 1840. Vgl. Bekanntmachung, in: ebd., S. 104; Vorwort, in: Der Hausfreund. Beiblatt zur landwirthschaftlichen Dorfzeitung, Nr. 1, S. 1. 355 Ebd., S. 1; Bekanntmachung, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 26, 1840, S. 104. 356 Vgl. u.a. Die Buchdruckerkunst, ihre geschichtliche Entwicklung und ihr Segen, in: Der Hausfreund. Beiblatt zur landwirthschaftlichen Dorfzeitung, Nr. 1 u. 2, S. 2 f. u. 5–7; Besondere Eigenheiten berühmter Männer, in: Der Hausfreund. Beiblatt zur landwirthschaftlichen Dorfzeitung, Nr. 12, 1840, S. 48. 357 Vgl. u.a. Zur Sittengeschichte Russlands, in: Der Hausfreund. Beiblatt zur landwirthschaftlichen Dorfzeitung, Nr. 9, 1840, S. 35; Bestimmungs=Hingebung der Türken, in: Der Hausfreund. Beiblatt zur landwirthschaftlichen Dorfzeitung, Nr. 7, 1840, S. 27; Natur und Menschenleben, die trefflichsten Bildungsmittel zur Religion, in: Der Hausfreund. Beiblatt zur landwirthschaftlichen Dorfzeitung, Nr. 11, 1840, S. 41–43. 358 Vgl. Ueber Klima und Lage, in Beziehung auf Vaterland und Standort der Pflanzen selbst, in: Der Gartenfreund. Beiblatt zur landwirthschaftlichen Dorfzeitung, Nr. 3, 1840, S. 9. 359 Vgl. Die physische Erziehung des Menschen, in: Der Hausfreund. Beiblatt zur landwirthschaftlichen Dorfzeitung, Nr. 10, S. 37–40.

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Übel, die sich aus Sicht der Herausgeber etwa im fortschreitenden Alkoholismus offenbarten, automatisch zu einer Verbesserung der gesamtsstaatlichen Situation führen würde.360 Damit sich alle Glieder der Gesellschaft zum Besseren entwickeln konnten, versuchte er bisweilen seinen Lesern verständlich zu machen, dass der Aufbau einer prosperierenden Gesellschaft, welche das Wohlbefinden aller Bevölkerungsschichten garantierte, nur auf nationaler Ebene zu realisieren war.361 Indirekt machte er damit deutlich, dass für ihn die Errichtung eines deutschen Einheitsstaates mit zu den Grundvoraussetzungen bei der Verwirklichung einer „besseren“ Gesellschaft gehörte. Einhergehend mit der Gründung eines deutschen Nationalstaates, vertrat Pfaffenrath außerdem die Meinung, dass die bildungsfernen Bevölkerungsschichten gleichsam zu „ordentlichen“ Staatsbürgern erzogen werden mussten. Spätestens in den 1840er Jahren vertrat Pfaffenrath schließlich die Auffassung, dass sich eine verbesserte Volksbildung nicht mehr allein auf eine höhere quantitative und qualitative Vermittlung von praktisch anwendbarem Wissen beschränken sollte, sondern ebenso die Aufgabe zu erfüllen hatte, den „gemeinen Mann“ über dessen Rechte und Pflichten innerhalb der Gesellschaft aufzuklären, damit sich dieser zu einem rechtschaffenen Bürger entwickelte. Wie wichtig Pfaffenrath die Verwirklichung dieses Ideals war, zeigt dabei eine kurze Textpassage aus dem Vorwort der „Landwirthschaftlichen Dorfzeitung“, in welcher der Saalfelder Kammerherr dem „Landmann“ eindringlich zu verstehen gab: Die Zeit ist nicht mehr, wo der Glaube galt, daß je beschränkter der Volksunterricht, die Menschen auch friedlicher und leichter zu regieren wären. Nein! je klarer und gründlicher Ihr Eure Bestimmung, Rechte und Berufsgeschäfte kennen lernt, je leichter wird es der Regierung für Euer Wohl zu sorgen, je weniger werdet Ihr die Pflichten und Rechte gegen den Staat und Eure Mitmenschen verletzen, mit einem Worte, durch erhöhtere Bildung werdet Ihr ehrliebender, geradsinniger und wohlhabender werden und nicht so leicht Ränken und jeglicher Willkür und Unfällen preis gegeben sein.362

Vergleicht man diesen Aufruf Paffenraths mit der Parole „Volksbildung ist Volkswohlfahrt“ von Heinrich Schwerdt, dann lässt sich unverkennbar eine Parallele ziehen. Die Hauptaussage ist bei beiden Männern annähernd deckungsgleich: Eine höhere Volksbildung führt zu einer besseren Gesellschaft, in der soziale Ungerechtigkeiten und Missstände auf ein Mindestmaß reduziert werden. Diese kongruierende Auslegung über die Bestimmung der Volksbildung war möglicherweise ausschlaggebend dafür, dass sich Schwerdt und Pfaffenrath 360 Vgl. Uebervölkerung, in: Der Hausfreund. Beiblatt zur landwirthschaftlichen Dorfzeitung, Nr. 9, 1840, S. 33 f. 361 Vgl. Der deutsche Rhein, in: Der Hausfreund. Beiblatt zur landwirthschaftlichen Dorfzeitung, Nr. 11, 1840, S. 41. 362 Lieben Landleute!, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 1, 1840, S. 2.

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entschlossen haben, enger zusammenzuarbeiten und mit dem „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ ein gemeinsames volksaufklärerisches Periodikum herauszugeben.363 Die Erfahrung, die Pfaffenrath mit der „Landwirthschaftlichen Dorfzeitung“ gemacht hatte, ließ er dabei umgehend in das neue Blatt einfließen. Die „Landwirthschaftliche Dorfzeitung“ fungierte in gewisser Weise als publizistische Vorlage für das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“. Vor allem die stilistische Gestaltung des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ ähnelte in fast identischer Weise der Aufmachung der „Landwirthschaftlichen Dorfzeitung“. Auch die Struktur, etwa die Einteilung der Inhalte in verschiedene übergeordnete gleichnamige Rubriken, ist in beiden Blättern nahezu identisch.364 Ebenso versuchten beiden Periodika, die Qualität der Beiträge auf einem hohen Niveau zu halten, indem sie ihre Leser regelmäßig dazu aufforderten, durch Einsendung selbstverfasster Aufsätze die Attraktivität der Zeitschrift zu steigern.365 Wie sich zeigen sollte, kam diese Publikationsstrategie zunächst in der „Landwirthschaftlichen Dorfzeitung“ und später auch im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ erfolgreich zum Tragen. Die Frequenz der veröffentlichten Artikel von „auswärtigen Mitarbeitern“ lag in beiden Blättern ausgesprochen hoch. Unter den Autoren der eingesendeten Beiträge, die überwiegend von Pfarrern, Verwaltungsbeamten, Lehrern, Ärzten und Landwirten aus dem ganzen deutschen Sprachraum verfasst wurden,366 lassen sich sogar einige Personen nachweisen, die zu Beginn der 1840er Jahre zunächst für die „Landwirthschaftliche Dorfzeitung“ und ab 1844 dann für das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ geschrieben haben.367 363 Siehe hierzu außerdem Kapitel VI.3. 364 Am stärksten fallen die stilistischen Gemeinsamkeiten beider Blätter in der Rubrik „Miscellen“ auf. 365 In der „Landwirthschaftlichen Dorfzeitung“ erfolgte ein solcher Aufruf bereits am Ende der zweiten Nummer. Vgl. Zur gefälligen Beachtung, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 2, 1840, S. 8. 366 Informationen zu den Verfassern sind in der „Landwirthschaftlichen Dorfzeitung“ nicht verzeichnet. In einzelnen Fällen ist allerdings die Berufsangabe des Artikelschreibers beigefügt. So weist sich zum Beispiel der Autor eines Aufsatzes zur Bekämpfung von Brand befallenem Weizen, ein gewisser C. F. Schmidt, als Doktor der Medizin aus: „C. F. Schmidt, med. D.“ Vgl. Ganz sicheres Mittel wider den Brand im Waizen, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 35, 1840, S. 137 f. 367 So findet man beispielsweise mehrere Beiträge des Subrectors Rudloff aus Ohrdruf in der „Landwirthschaftlichen Dorfzeitung“ sowie in allen drei Jahrgängen des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“. Vgl. u.a. RUDLOFF: Ein gutes Buch, in: Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 45, 1840, S. 178 f.; DERS: Ueber Bauerngärten, in: Der Gartenfreund, Nr. 6, 1840, S. 21 f.; DERS.: Reisen in den Thüringer Wald, in: AVD, Nr. 42 vom 19. Oktober 1844, S. 332–334; DERS.: Die Geschichte lehrt uns: daß von den Franzosen kein Heil für andere Völker zu erwarten ist, in: AVD, Nr. 1, 1845, S 4 f.; DERS.: Was uns

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Auf diese Weise fungierten die „Landwirthschaftliche Dorfzeitung“ und das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ auch als überregional vernetzte Plattformen, wo sich alle volksaufklärerisch gesinnten Personen, auch wenn diese selbst über keine eigenen Periodika verfügten, am publizistisch-literarischen Prozess der Volksaufklärung beteiligen konnten. Pfaffenraths Vorgehensweise, den bildungsfernen Bevölkerungsschichten aufklärerisches Wissen mithilfe von Publizistik zu vermitteln, weist dabei eine besondere Eigenheit auf. Es scheint fast so, dass die Genese der Volksaufklärung von 1750 bis 1850 in den beiden von Pfaffenrath herausgegebenen Periodika in komprimiertem Maße widergespiegelt wird. Der Wandel der Volksaufklärung, von der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung hin zur Erziehungs- und Emanzipationsbewegung, lässt sich in gewisser Weise direkt an der Person Pfaffenraths rekonstruieren. Wie bereits erwähnt, zielten die volksaufklärerischen Bemühungen des Saalfelder Kammerherrn anfangs einzig auf eine Verbesserung der ökonomischen Situation im Saalfelder Raum. Sein besonderes Interesse galt hierbei der Förderung von Landwirtschaft und Gewerbe, die er durch mehrere Vereinsgründungen und die Herausgabe der „Landwirthschaftlichen Dorfzeitung“ zu heben gedachte. Recht bald musste Pfaffenrath allerdings einsehen, dass die immer stärker einsetzenden sozialen Missstände nicht allein durch eine Aufwertung der ökonomischen Zustände zu bewältigen waren. Um die bestehenden sozialen und gesellschaftlichen Probleme wirklich beseitigen zu können, bedurfte es auch der Reform vermeintlich rückständiger Gesellschaftsstrukturen. Pfaffenraths volksaufklärerische Bemühungen blieben daher in der Folgezeit nicht mehr auf den landwirtschaftlichen Bereich beschränkt, sondern schlugen in eine „Reformbewegung“ um, die den „gemeinen Mann“ zum aufklärungsorientierten und ordentlichen Bürger erziehen sowie die dafür notwendigen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen schaffen wollte. Um dieses Ziel zu erreichen, bemühte sich Pfaffenrath spätestens im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ um eine verbesserte Volksbildung bzw. Volkserziehung. Wie diese genau auszusehen hatte, wird an den dort veröffentlichten Beiträgen deutlich. Im Sinne einer „allumfassenden“ Volksaufklärung wurden nun alle Themen behandelt, die in unmittelbarer Beziehung zu den verschiedenen Lebensfeldern des „gemeinen Mannes“ standen. Pfaffenrath schlug damit einen Weg ein, den andere Volksaufklärer schon zur Hochphase der Volksaufklärung, also im Zeitraum von 1780 bis 1800, betreten hatten.368

auch Gott bescheert, ein böses Weib verdirbt auf Erden Alles, in: AVD, Nr. 17, 1846, S. 131–133. 368 Vgl. KUHN: Religion und neuzeitliche Gesellschaft, S. 91.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Pfaffenraths Wandel zum „allumfassenden“ Volksaufklärer vollzog sich vor allem an dem Punkt, wo ihm bewusst wurde, dass seine geäußerten Versprechen von bestimmten politischen und rechtlichen Strukturen abhängig waren. Dass diese aber nicht vom „Volk“, sondern nur von obrigkeitlicher Seite novelliert werden konnten, stand für ihn außer Frage. Eine Revolution oder gar einen politischen Systemwechsel lehnte Pfaffenrath strikt ab.369 Dessen ungeachtet plädierte er im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ nun vehement für die Umsetzung liberaler Vorstellungen. So forderte er die Aufhebung ständischer Ungleichheiten, die Einführung der Presse- und Meinungsfreiheit sowie das Recht auf politische Partizipation für alle gebildeten Staatsbürger.370 Ebenso sprach er sich für die Gründung eines deutschen Nationalstaates auf Basis einer konstitutionellmonarchischen Verfassung aus. Und trotz seiner Zugehörigkeit zum Adel forderte Pfaffenrath die Abschaffung aller noch bestehenden prärogativen Adelsrechte. Wie Heinrich Schwerdt, Theodor Wohlfarth oder Ludwig Bechstein sympathisierte Pfaffenrath mit der liberalen Bewegung des Vormärz und kann damit eindeutig dem „Adelsliberalismus“ zugerechnet werden.371 Seine Forderungen nach Veränderung der politisch-rechtlichen Strukturen im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ richteten sich aber nicht nur an die Obrigkeiten, sondern wurden von Pfaffenrath gleichzeitig als wichtiger Beitrag zur Erziehung des „gemeinen Mannes“ zum ordentlichen Staatsbürger betrachtet. Alle Äußerungen über die politischen, gesellschaftlichen, sozialen und rechtlichen Zustände verstand der Saalfelder Kammerherr auch als eine Art Präventivmaßnahme gegen die Herausbildung eines „schlechten Zeitgeistes“, der sich unter der einfachen Bevölkerung breitzumachen drohte.372 Die Konfrontation der Leserschaft des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ mit politischen und gesellschaftlichen Problemen, sollte demnach auch dazu beitragen, den gewünschten Mentalitätswandel bei den bildungsfernen Bevölkerungsschichten zu beschleunigen. Vor allem aber sollte im „Volk“ grundsätzlich die Einsicht verankert 369 Die Errungenschaften der Französischen Revolution werden von Pfaffenrath in hohem Maße gewürdigt, doch sollten diese nach seiner Auffassung durch Reform und nicht durch eine Revolution zustande kommen. Vgl. hierzu Blicke in die Welt und in die Menschheit. Der Bauer und das Bauerngut vormals und jetzt, in: AVD, Nr. 29 vom 20. Juli 1844, S. 227. 370 Vgl. hierzu u.a. Vorträge über die wichtigsten Beziehungen des Lebens, in: AVD, Nr. 38 vom 21. September 1844, S. 304; Gleichheit vor dem Gesetz, in: AVD, Nr. 24 vom 15. Juni 1844, S. 190 f.; Volksversammlungen, in: AVD, Nr. 30, 1846, S. 238 f.; Betrachtungen und fromme Wünsche eines Volksfreundes, in: AVD, Nr. 30, 1846, S. 239–241. 371 Vgl. DIPPER, CHRISTOF: Adelsliberalismus in Deutschland, in: Langewiesche, Dieter (Hrsg.): Liberalismus im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich, Göttingen 1988, S. 175. 372 Vgl. Ein ernstes Wort in ernster Zeit, in: AVD, Nr. 10, 1845, S. 76–79; Was giebt’s Neues?, in: AVD, Nr. 18, 1845, S. 143.

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werden, dass eine aufgeklärte Gesellschaft die Umsetzung notwendiger Reformen nicht auf revolutionärem, sondern stets evolutionärem Weg zu initiieren suchen sollte.373 Dass Pfaffenrath das „ Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ so intensiv nutzte, um seine politischen Standpunkte einem breiten Publikum darzulegen, ohne dabei größere Probleme mit der sachsen-meiningischen Zensur zu bekommen, dürfte dabei im Wesentlichen auf das Verhältnis zu Herzog Bernhard II. zurückzuführen sein. Wie am „Saalfelder Gewerbe-Verein“ dargelegt wurde, duldete der Meininger Herzog nicht nur die volksaufklärerischen Initiativen von Pfaffenrath, sondern unterstützte diese ausdrücklich. Für seine Leistungen auf dem Gebiet der Volksbildung zeichnete Bernhard II. seinen Saalfelder Kammerherrn im Jahr 1838 außerdem mit dem Verdienstkreuz des Ernestinischen Hausordens aus.374 Laut Präambel der Ordensstiftung durften diese Verdienstauszeichnung nur diejenigen „Staatsdiener und Unterthanen [erlangen], die mit deutscher Redlichkeit, durch ausgezeichnete Thaten, besondere Treue und aufopfernde Ergebenheit und Anhänglichkeit an Fürst und Vaterland, sowie durch einsichtsvolle Dienstleistung sich vorzügliche Ansprüche auf die Achtung und Dankbarkeit des Staates erworben haben“.375 Hätte Bernhard II. die Aktivitäten seines Saalfelder Kammerherrn missbilligt, wäre Pfaffenrath die Ehre des Verdienstkreuzes des Ernestinischen Hausordens mit Sicherheit nicht zuteil geworden. Pfaffenraths Handeln dürfte somit weitestgehend im Interesse des Herzogs gestanden haben. Möglicherweise gelang es Pfaffenrath sogar, bedingt durch sein enges Dienstverhältnis zum Herzog, Einfluss auf die politische Gesinnung Bernhards auszuüben, so wie andere liberal denkende Bildungsbürger, die im 19. Jahrhundert am Hofe eines Landesfürsten tätig waren.376 Festgehalten werden kann auf jeden Fall, dass die Mehrzahl der Artikel mit politischem Kontext im „Allgemeinen

373 Vgl. hierzu vor allem PFAFFENRATH, CARL VON: Zuruf eines Volksfreundes an die Deutschen, in: AVD, Nr. 2, 3 u. 4, 1844, S. 13–15, 21–23 u. 29–31. 374 Pfaffenrath bekam am 17. Dezember 1838, zu seinem 17-jährigen Amtsjubiläum, das Verdienstkreuz des Ernestinischen Hausordens überreicht. Vgl. ThStA Gotha, Staatsministerium Gotha, Dep. C. Loc. I. Tit. 6 No. 34: Angelegenheiten des Gesammt=Hauses Sachsen Ernestinischer Linie. Minist.=Acten, die Verleihung des Herzoglich Sächsischen Hausordens betr., 1839, Bl. 29 f. Vgl. außerdem Herzoglich Sachsen Meiningisches Hof= und Staatshandbuch, 1843, S. 18. 375 ThStA Meiningen, K 23, Herzoglich Sachsen Meiningisches Hof= und Staatshandbuch, 1843, S. 5. Vgl. hierzu außerdem NIMMERGUT, JÖRG: Deutsche Orden und Ehrenzeichen bis 1945, Bd. 3, Sachsen – Württemberg I, München 1997, S. 1387. 376 Vgl. LEPSIUS, M. RAINER: Das Bildungsbürgertum als ständische Vergesellschaftung, in: Ders. (Hrsg.): Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Teil III: Lebensführung und ständische Vergesellschaftung, Stuttgart 1992, S. 18.

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Volksblatt der Deutschen“ aus der Feder Pfaffenraths stammte.377 Und obwohl in einigen dieser Beiträge durchaus politisch brisante Ansichten geäußert wurden, hatte dies weder im Berufs- noch im Privatleben irgendwelche negativen Konsequenzen für den Saalfelder Kammerherrn. Vielleicht war Pfaffenraths Engagement in der politischen Volksaufklärung auch deshalb stärker ausgeprägt als etwa bei Heinrich Schwerdt oder Ludwig Bechstein, die sich hauptsächlich auf die ökonomische, sittlich-moralische und kulturell-religiöse Aufklärung des „Volkes“ konzentriert hatten, weil ihm der Meininger Hof sowie die Stadt Saalfeld eine besondere Wertschätzung entgegenbrachten und er deswegen von vornherein mit keinen übermäßig harten Repressionen zu rechnen brauchte.

2.3

Der Buchhändler – Zwischen Tradition, Innovation, Gemeinnützigkeit und Profitstreben

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Aufgrund ihrer wichtigen Funktion bei der regionalen sowie überregionalen Distribution von volksaufklärerischen Lesestoffen nahmen Buchhändler378 sowohl in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle im Prozess der Volksaufklärung ein. In den thüringischen Kleinstaaten existierte um 1800 eine ausgesprochen hohe Dichte an Verlags- und Sortimentsbuchhandlungen, die sowohl regionale als 377 Seine Beiträge signierte Pfaffenrath stets mit seinem Namen. Außerdem sind alle seine Beiträge im Autorenverzeichnis am Ende eines jeden Jahrganges unter Angabe seines Namens nochmals extra aufgelistet. Die Mitarbeiterverzeichnisse wurden in allen drei Jahrgängen der 52. Ausgabe angehängt. Vgl. Verzeichniß der Mitarbeiter, die sich unter ihrem eigenen oder einen angenommenen Namen (pseudonym) in dem Volksblatte genannt haben, in: AVD, Nr. 52 vom 28. Dezember 1844, unpag.; Mitarbeiter an dem Allgemeinen Volksblatte, im Jahr 1845 (Vergleiche das vorjährige Verzeichniß.), in: AVD, Nr. 52, 1845, unpag.; Mitarbeiter an dem allgemeinen Volksblatte im Jahr 1846 (Weitere Auskunft geben die früheren Verzeichnisse), in: AVD, Nr. 52, 1846, unpag. 378 Obwohl es im Laufe des 19. Jahrhunderts allmählich zu einer Ausdifferenzierung zwischen herstellendem und verbreitendem Buchhandel kam, war die Mehrzahl der thüringischen Buchhändler noch bis 1850 gleichermaßen in beiden Geschäftsfeldern tätig. Eine genaue Trennung zwischen Verlags- und Sortimentsbuchhändler erweist sich für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts oftmals als schwierig. Daher wird im Folgenden darauf verzichtet, die in der Arbeit angeführten Buchhändler in „reine“ Verleger und „reine“ Sortimenter zu untergliedern. Zur Definition und historischen Entwicklung sowie zu den verschiedenen Arbeitsfeldern des deutschen Buchhandels in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. GÖPFERT, HERBERT G.: Vom Autor zum Leser. Beiträge zur Geschichte des Buchwesens, München/Wien 1977, S. 19–46; GOLDFRIEDRICH: Geschichte des deutschen Buchhandels, Bd. 4, S. 52–228.

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auch überregionale Märkte mit Büchern und Periodika aller Art versorgten.379 Daneben verlegten in den kleineren thüringischen Städten auch einige Drucker, sozusagen als „Provinzverleger“, zuweilen ein paar wenige Bücher und Periodika, die sie vorrangig unter der örtlichen Bevölkerung abzusetzen suchten. Folgt man den Angaben von Werner Greiling und Siegfried Seifert, dann war das thüringische Verlagswesen im Zeitraum von 1800 bis 1830 auf rund drei Dutzend Standorte verteilt und umfasste insgesamt 229 Verlage.380 Anhand dieser Zahlen wird deutlich, dass der Thüringer Raum im Vormärz über ein gut ausgebautes Verlagsnetz verfügte. Infolgedessen erreichte auch die Produktion von Büchern und Periodika sowie deren Vertrieb im territorial zersplitterten und vorwiegend kleinstädtisch-ländlichen geprägten Thüringer Raum ein beachtliches Ausmaß. Dass unter dieser Vielzahl von thüringischen Verlags- und Sortimentsbuchhändlern auch volksaufklärerische Lektüre vertrieben wurde, liegt dabei auf der Hand. Im Gegensatz zu den volksaufklärerisch engagierten Pfarrern und Staatsdienern, die in der Regel über ein gesichertes Einkommen verfügten und den Verkauf selbstverfasster Lektüre eher als einen Nebenverdienst betrachtet haben dürften, war die Distribution von volksaufklärerischen Druckerzeugnissen für fast alle Buchhändler unmittelbar an finanzielle Interessen gebunden. Ungeachtet der Inhalte der zu verkaufenden Druckerzeugnisse, gehörte der Vertrieb von Lektüre zum täglichen Geschäft eines jeden Buchhändlers und bildete dessen Existenzgrundlage. Fand ein Buch oder Periodikum auf dem literarischen Markt keinen ausreichenden Absatz, konnte dies für einen Buchhändler, in Abhängigkeit vom wirtschaftlichen Erfolg des restlichen Verlagsprogramms, unter Umständen sogar zur Einstellung seiner Berufstätigkeit führen. Die Distribution volksaufklärerischer Lektüre erfolgte vonseiten der meisten Buchhändler demnach nicht nur aus rein gemeinnützigen Motiven, sondern diente auch, in ganz eigennütziger Weise, der Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes. Dass diejenigen Buchhändler, die volksaufklärerische Schriften unter das „Volk“ brachten, die darin vermittelten Inhalte und Ansichten nicht teilten, darf allerdings ausgeschlossen werden. Aufgrund steigender Alphabetisierungsraten in

379 Einen ausführlichen Überblick über die thüringische Verlagslandschaft um 1800 bietet MIDDELL, KATHARINA: Eine Verlagslandschaft um 1800: Buchhändler und Verleger in Thüringen, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte, 11 (2009), S. 25–59. Vgl. außerdem GREILING, WERNER/SEIFERT, SIEGFRIED: Zur Topographie und Typologie des thüringischen Verlagswesens um 1800 als Forschungsprogramm, in: Ders./Ders. (Hrsg.): „Der entfesselte Markt“, S. 9–32; IGNASIAK, DETLEF: Das Buch- und Verlagswesen in Thüringen seit Gutenberg. Versuch einer Zusammenschau, in: Ders./Schmidt, Günter (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte des Buchdrucks und des Buchgewerbes in Thüringen, Jena 1997, S. 160–178. 380 GREILING/SEIFERT: Zur Topographie, S. 19–21.

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den unteren Bevölkerungsschichten381 entwickelte sich der literarische Markt nach 1800 allmählich zu einem Massenmarkt,382 der es den Buchhändlern ermöglichte, die unterschiedlichen Lesebedürfnisse eines breiten Publikums mit vielseitigen Lektüreangeboten zu befriedigen. Kein Buchhändler, der konservative oder gegenaufklärerische Ansichten vertrat, sah sich im 19. Jahrhundert durch äußere Einflüsse dazu genötigt, etwaige Lesestoffe zu vertreiben, die seiner Überzeugung widersprachen. Entschloss sich ein Buchhändler für die Distribution aufklärerischer oder volksaufklärerischer Literatur, dann handelte dieser dem eigenen Selbstverständnis nach bewusst als ein Förderer aufklärerischer Ideen. Besonders deutlich tritt diese Überzeugung bei all jenen Buchhändlern des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts auf, die sich neben ihrer kaufmännischen Tätigkeit als Buchhändler ebenfalls als Verfasser (volks-)aufklärerischer Schriften betätigten.383 Auch wenn sich die Verlagsstrukturen und die Verlegerpersönlichkeiten im Laufe des Vormärz änderten, so blieb diese Tendenz dennoch weitgehend bestehen. Obwohl nach 1815 immer mehr Gebildete – aufgrund mangelnder Berufsperspektiven im Staatsdienst – ihr Glück als Verlags- oder Sortimentsbuchhändler suchten, handelte die „junge“ Buchhändlergeneration der Vormärzzeit nicht nur aus Profitgier und finanzieller Selbstbereicherung. Vor allem diejenigen Buchhändler, die darauf hofften, sich mit dem Vertrieb von Bildungs- und Erziehungslektüre auf dem Buch- und Pressemarkt zu etablieren, standen trotz der Kritik ihrer älteren Kollegen noch eindeutig in der Tradition der Aufklärung. Die zahlreichen Versuche der „jungen“ Buchhändlergeneration, breite Kreise der Bevölkerung mit Literatur zu versorgen, die vordergründig auf eine Verbesserung des Bildungsstandes ihrer Leser abzielte, darf nicht nur als merkantiler Selbstzweck zur Akquirierung neuer Leserschichten gewertet werden, sondern war durchaus ernst gemeint. Ähnlich der Literatur der aufklärerisch denkenden Buchhändler des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts stellen die Schriften der „jungen“ Buchhändlergeneration des Vormärz einen Beitrag zur Verbreitung von neuem Wissen dar. Außerdem sollte die angebotene Lektüre weiterhin Einfluss auf die sittlichmoralische Erziehung der unteren sozialen Schichten ausüben und die Leser über aktuelle politische und gesellschaftliche Themen informieren. Der Vorwurf der etablierten Buchhändler, die „junge“ Buchhändlergeneration wäre nicht mehr der Aufklärung verpflichtet, muss eher als eine Strategie verstanden werden, unlieb381 Vgl. BÖDECKER/HINRICHS (Hrsg.): Alphabetisierung und Literarisierung; ENGELSING: Analphabentum und Lektüre, S. 90–116. 382 Vgl. WILKE, JÜRGEN: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, 2. Aufl. Köln/Weimar/Wien 2008, S. 154–164; WITTMANN: Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 218–226 u. 250–256. 383 Vgl. RAABE, PAUL: Bücherlust und Lesefreuden. Beiträge zur Geschichte des Buchwesens im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Stuttgart 1984, S. 30–35.

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same Konkurrenz aus dem Markt zu verdrängen. Die während der Vormärzzeit stetig anwachsende Konkurrenz auf dem Buch- und Pressemarkt dürfte bei vielen Buchhändlern der „alten“ Generation die Angst geschürt haben, ihre privilegierten Konzessionsrechte zu verlieren. Zudem dürften viele die Befürchtung gehegt haben, der zunehmende Konkurrenzdruck vermindere die Absatzmöglichkeiten der eigenen Verlagsprodukte. Betrachtet man die neuen Vertriebsstrategien, die sich nach 1800 auf dem deutschen Buch- und Pressemarkt herausgebildet hatten, dann lässt sich konstatieren, dass diese Sorgen nicht unbegründet waren. Auch in den thüringischen Kleinstaaten buhlten im Zuge des Konjunkturaufschwungs nach 1815 immer mehr Buchhändler um die Gunst der Leser. Um den starken Druck der wachsenden Konkurrenz standzuhalten, bediente sich vor allem die „junge“ Buchhändlergeneration neuer Vertriebswege,384 die bei den „alten“ Buchhändlern oftmals als unsittlich und unehrenhaft apostrophiert wurden. Zu den neuen Vertriebsarten zählten etwa die billige Massenproduktion von Volkslesestoffen – teilsweise unter Umgehung des Urheberrechtes – und deren Verkauf über einen überregional sowie großflächig organisierten Reise- und Kolportagebuchhandel. Ebenso wurden alle Vertriebsmethoden angeprangert, die den traditionellen, zünftig reglementierten Sortimentsbuchhandel umgingen sowie auf vermeintlich unlauteren Subskriptions- und Pränumerationspraktiken fußten.385 Die Klagen der alteingesessenen Buchhändler, wie sie beispielsweise von Friedrich Johannes Frommann und Friedrich Perthes geäußert wurden,386 den auf den Markt drängenden Buchhändlern fehle es an aufklärerischem Pflichtbewusstsein, richteten sich daher weniger gegen die Inhalte der zusätzlich in Umlauf gebrachten Lesestoffe, sondern vielmehr gegen das Geschäftsgebaren ihrer neuen Berufskollegen. In den aus heutiger Sicht modern und innovativ anmutenden Vertriebsstrategien der „jungen“ Buchhändlergeneration erkannten die meisten alteingesessenen Buchhändler nur einen skrupellosen Spekulationsgeist. Dass diese neuen Vertriebsformen für das „Projekt“ der Aufklärung durchaus von Vorteil waren, weil sie es überhaupt erst ermöglichten, populäre Lesestoffe in viel breiterem Maße in die unteren sozialen Schichten zu tragen, übersahen dabei viele Verfechter des traditionellen, zunftbasierten Buchhandels.

384 Zu den Vertriebsstrategien des thüringischen Buchhandels nach 1800 vgl. MIDDELL, KATHARINA: Strukturen und Vertriebsstrategien des Buchhandels in Thüringen um 1800, in: Greiling/Schulz (Hrsg.): Vom Autor zum Publikum, S. 75–91; GREILING, WERNER: „Vorrathskammern des menschlichen Verstandes“. Strategien periodischer Publikationen um 1800, in: ebd., S. 109–158. 385 Dazu gehörten etwa aggressive Werbestrategien oder das Einräumen von Mengenrabatten. 386 Vgl. MIDDELL: Strukturen und Vertriebsstrategien, S. 75 f. u. 86 f.

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2.3.1

IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Ludwig Storch als „traditioneller“ Buchhändler – Der Versuch der Etablierung des „Thüringer Boten“ auf dem Pressemarkt

L. STORCH ALS „TRADITIONELLER“ BUCHHÄNDLER

Dass die alteingesessenen Buchhändler nicht gewillt waren, ihre privilegierten Positionen aufzugeben und den Markt für weitere Konkurrenten zu öffnen, lässt sich exemplarisch an der Person Ludwig Storchs aufzeigen. Wie Carl Joseph Meyer fasste Ludwig Storch in den 1820er Jahren den Plan, sich in Gotha als Buchhändler mit eigenem Druck-, Verlags- und Sortimentgeschäft niederzulassen.387 Aufgrund der Widerstände der Engelhardt-Reyherschen Hofbuchdruckerei sowie der Mevius’schen Zeitungs- und Botenanstalt, die ihre alten Privilegien bei der Gothaer Regierung geltend machten, waren aber beide gezwungen, ihr Vorhaben einzustellen. Während Meyer nach Hildburghausen übersiedelte, versuchte Storch sein Glück in den folgenden Jahren aber weiterhin in Gotha. Um sich einen Namen zu machen, betätigte er sich nebenher als Romanschriftsteller, Dichter und Zeitschriftenredakteur.388 Nach erheblichen Schwierigkeiten hatte er 1841 schließlich Erfolg, die Konzession zur Gründung eines „VerlagsComptoirs“ von der Gothaer Regierung zu erwirken. Als er allerdings wenig später seinem „Verlags-Comptoir“ eine Buchdruckerei angliederte, kam es erneut zu einem jahrelangen Rechtsstreit mit der Engelhardt-Reyerschen Buchdruckerei. Darauf bestrebt, ihre Druckprivilegien zu sichern und den neuen Konkurrenten vom Markt zu drängen,389 setzte diese durch, dass in der Storch’schen Druckerei nur Werke gedruckt werden durften, die direkt aus dem eigenen Verlagsunternehmen stammten.390 Der Druck „fremder“ Verlagswerke wurde Storch strikt untersagt. Derart eingeschränkt, war Storch bald nicht mehr in der Lage, mit 387 Vgl. ThStA Gotha, Landesregierung Gotha, Loc. 84 Nr. 9: Acta, das Gesuch des Schriftstellers und Privatlehrers Dr. Ludwig Storch zu Coburg um die Erlaubniß zur Herausgabe eines neuen Volksblattes allhier der neue Thüringer Bothe genannt sowie zur Errichtung einer Kunsthandlung, Sortiments- und Verlagsbuchhandlung mit eigener Buchdruckerey, Musikalienhandlung und Antiquar-Geschäft betr., 1829. 388 Vgl. FRÄNKEL: Storch, S. 440 f. 389 Die Engelhardt-Reyersche Hofbuchdruckerei besaß seit 1679 das alleinige Druckprivileg für das gesamte Herzogtum Sachsen-Gotha. Neben Ludwig Storch und Carl Joseph Meyer versuchten seit den 1820er Jahren auch noch andere Gothaer Verlagsbuchhändler, wie beispielsweise der Geheime Legationsrat Wilhelm Hennings, dieses Monopol zu brechen. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war jedoch all diesen Versuchen, auf rechtlichem Weg das Privileg der Engelhardt-Reyerschen Druckerei zu lockern, nur mäßiger Erfolg vergönnt. Vgl. SCHMIDT-EWALD, WALTER: Gothaer Verlage: Die EngelhardReyhersche Hofdruckerei, in: Rund um den Friedenstein. Blätter für Thüringer Geschichte und Heimatgeschehen, 8 (1931), Nr. 23, unpag.; PECHHOLD, RALF: Gothaer Verlage und Verleger, Teil 1: 1640–1955, Gotha 2008, S. 7 f.; MIDDELL: Eine Verlagslandschaft um 1800, S. 38 f. 390 Vgl. PACHNICKE: Ludwig Storch, S. 21.

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seinem Verlagsunternehmen finanziellen Gewinn zu erwirtschaften, was zur Folge hatte, dass er bereits 1844 Konkurs anmelden musste.391 Obwohl sich das Konkursverfahren noch bis 1848 hinzog, und auch das Druckverbot verlagsfremder Schriften in den folgenden Jahren mehrfach missachtet wurde,392 konnte Storch den Schuldenberg, der auf seinem Verlagsunternehmen lastete, nicht mehr regredieren.393 Damit war für Storch der Versuch endgültig gescheitert, sich in Gotha als Verlags- und Sortimentsbuchhändler niederzulassen. Dass Ludwig Storchs „Verlags-Comptoir“ keineswegs auf einen gewinnorientierten Spekulationsbuchhandel ausgerichtet war, wird bei näherer Betrachtung des Verlagsprogramms sofort ersichtlich. Zwar kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass sich Storch insbesondere vom Vertrieb populärer Lesestoffe hohe Auflagenzahlen erhoffte, doch waren die im „Verlags-Comptoir“ erschienenen Schriften nicht darauf ausgerichtet, den Lesehunger des anvisierten Publikums mit trivialer Belletristik künstlich zu stimulieren. Seine populären Verlagswerke befassten sich hauptsächlich mit historischen und geographischen Themen394 und erhoben den Anspruch, ganz im volksaufklärerisch-gemeinnützigen Sinne, einer breiten Leserschaft zugleich auf belehrende und unterhaltsame Weise neues Wissen zu vermitteln. Auch sein erfolgreichstes Verlagswerk „Des Wagnergesellen Ernst Christoph Döbel Wanderungen im Morgenlande“,395 das von 1842 bis 1845 drei Auflagen erreichte, sollte ebenfalls den gebildeten wie ungebildeten Leser über die geographischen und völkerkundlichen Gepflogenheiten Südosteuropas sowie des Vorderen Orients nahebringen. Unter dem Titel „Des Wagnergesellen Ernst Christoph Döbel Wanderungen durch einen Theil von Europa, Asien und Afrika in den Jahren 1830 bis 1836“ erschien die zweibändige Schrift unter der Herausgabe des volksaufklärerischen Pfarrers Heinrich Schwerdt bereits in den Jahren 1837/38. Als Verleger der ersten Auflage zeichnete sich der Buchhändler Johann Georg Müller aus Gotha verantwortlich. Von diesem erwarb Storch 1842 die Druckrechte und verpasste dem Reisebericht, 391 Vgl. Vorladung der Gläubiger der Inhaber des Verlagscomptoirs in Gotha, Gothaische Zeitung, Nr. 139 vom 12. Juli 1844. 392 Zum Verlauf des Konkursverfahrens vgl. ThStA Gotha, Geheimes Archiv, ZZ Nr. 22: Acta, wider die Inhaber des Verlagskomptoirs Dr. Ludwig Storch, Gotha und Christoph Klett, Mehlis wegen betrügerischen Konkurses betr., 1847. 393 Vgl. WEIGEL: Storch, S. 320. 394 Vgl. u.a. STORCH, LUDWIG: Thüringer Chronik, 5. Hefte, Gotha 1841–1843; DERS.: Wanderbuch durch den Thüringerwald. Für Bewohner und Besucher desselben, Gotha 1842; BECHSTEIN, LUDWIG: Das Mineralbad Liebenstein, seine Kaltwasserheilanstalt und seine Umgebungen, Gotha 1842; DERS.: Thüringen in der Gegenwart, Gotha 1843; WOLF, CHRISTIAN: Die Zeitrechnung in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Versuch, Gotha 1843; STORCH, LUDWIG (Hrsg.): Friedenstein. Gedenkbuch, Gotha 1843. 395 Vgl. DERS. (Hrsg.): Des Wagnergesellen E. Ch. Döbel Wanderungen im Morgenlande, 2 Bde., Gotha 1842.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

nach eigener Angabe explizit im Auftrag von Ernst Christoph Döbel, einen noch volkstümlicheren Anstrich. So schrieb Storch in der Vorrede der von ihm bearbeiteten Fassung: Es war der Wunsch des Wanderers E. Ch. Döbel, daß die zweite Auflage seiner Wanderungen mehr als die erste den Anstrich seiner eignen einfachen Darstellung tragen möge, und er wandte sich mit der Bitte an mich, ihm seine Manuskripte zu diesem Zwecke zu redigiren. Ich habe bei dieser Arbeit von der ersten Auflage ganz abgesehen und mich allein an Döbels Papiere gehalten. Es galt hier nicht ein Werk meiner Feder zu liefern, sondern vielmehr den Wagnergesellen in seiner schmucklosen Weise selbst reden zu lassen.396

Die Entscheidung, die Reisebeschreibungen Döbels ein zweites Mal zu verlegen, erwies sich bald als Glücksfall. Das Werk fand einen breiten Leserkreis und verzeichnete schon in der zweiten Auflage 2.000 Exemplare.397 Dass die im „Verlags-Comptoir“ erschienenen Schriften neben der Vermittlung von neuem Wissen vereinzelt auch sozial- und gesellschaftskritische Töne einschlugen und ihre Leser, ganz im Sinne des aufklärerisch-liberal denkenden Bürgertums, zur Annahme bestimmter moralischer Werte bewegen wollten, zeigt ebenso, warum Storchs Verlagsunternehmen nicht primär darauf ausgerichtet war, mit belangloser Unterhaltungsware schnellen Gewinn zu machen. Besonders deutlich wird dies in Ludwig Bechsteins Erzählung „Philidor“, die Storch im Auftrag seines engen Freundes im Jahr 1842 verlegte und die an dieser Stelle inhaltlich kurz wiedergegeben werden soll:398 In dieser Erzählung, die Anfang des 18. Jahrhunderts spielt, wird der rechtschaffene Pfarrer Philidor einer Straftat beschuldigt, die er nicht begangen hat. Da ihm vorgeworfen wird, mit einem hübschen Mädchen ein außereheliches Kind gezeugt zu haben, verbannen ihn die ortsansässigen adligen Gutsherren aus seiner Gemeinde. Der wahre Täter, ein kaiserlicher Offizier, der sich an dem Mädchen nach Verabreichung eines Schlaftrunks vergangen hat, kommt hingegen ungestraft davon. Obwohl die Gemeinde zu ihrem Pfarrer hält und von dessen Unschuld überzeugt ist, muss sich Philidor dennoch dem Urteil der Adligen beugen. Als er in einer Predigt die Herrschaftspraktiken des Adels anprangert, wird er daraufhin in eine Falle gelockt und ohne Prozess im Schloss der adligen Gutsherren eingekerkert. Als in einer Gemeindepetition die Schlossherren darum ersucht werden, den alten Pfarrer wieder ins Amt zu setzen, verhalten sich diese ein weiteres Mal respektlos gegenüber ihrer Gemeinde. Zwei Bauern, die die Bittschrift persönlich ins Schloss bringen, werden ebenfalls ins Gefängnis geworfen. Kurz darauf muss sich Philidor dafür verantworten, die Bevölkerung zur Revolte 396 Vgl. ebd., Bd. 1, S. III. 397 Vgl. WEIGEL/KÖLLNER: Ludwig Storch, S. 18. 398 Vgl. BECHSTEIN, LUDWIG: Philidor. Erzählung aus dem Leben eines Landgeistlichen, Gotha 1842.

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aufgestachelt zu haben. Er wird gezwungen, eine Erklärung zu unterschreiben, in welcher er bestätigt, die adlige Herrschaft unterminiert und die öffentliche Ruhe gestört zu haben. Als Gegenleistung für dieses Geständnis kommt Philidor wieder auf freien Fuß, muss aber unverzüglich mit seiner Familie die Gemeinde verlassen. Zwar führt die darauffolgende Untersuchung eines fürstlichen Abgesandten zu dem Ergebnis, dass der Pfarrer das Opfer einer adligen Intrige war, doch bleibt die Urteilsverkündung rechtskräftig. Philidor muss sich den herrschenden feudalen Rechtsverhältnissen beugen und wird seines Amtes endgültig enthoben. In einer letzten Beifallsbezeugung wird er von den Gemeindemitgliedern herzlich verabschiedet. Der Landesfürst sichert dem unschuldigen Landpfarrer aber seine Unterstützung zu, so dass Philidor andernorts eine neue Anstellung findet. Jahre später kommt es zufällig zur Begegnung zwischen Philidor und dem kaiserlichen Offizier, der einst das Mädchen misshandelt und das Leben des Pfarrers ins Unglück gestürzt hat. Als dieser im Sterben liegt, offenbart er Philidor sein dunkles Geheimnis. Doch anstatt mit Zorn zu reagieren, zeigt sich der Pfarrer milde und gewährt dem Schuldigen kurz vor seinem Tode trotz allem die Absolution seiner Taten. Diese Erzählung ist ein gutes Beispiel dafür, wie mit populärer Belletristik versucht wurde, eine breite Leserschaft mit den als überkommen erachteten Rechtsnormen der alten Ständegesellschaft zu konfrontieren. Vor allem die als rückständig bewertete feudale Rechtssprechung, die es manchen Adligen gestattete, in den Dörfern die patrimoniale Gerichtsbarkeit auszuüben, wird in dieser Erzählung scharf kritisiert. Auch die Teile des Adels, die nicht gewillt waren, ihre privilegierten Positionen in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, sondern diese nur als probates Mittel zur Durchsetzung persönlicher Interessen verstanden, werden als moralisch verwerfliche Personen charakterisiert. Damit einhergehend werden im Gegenzug die „bürgerlichen“ Tugenden des Landgeistlichen und der einfachen Dorfbevölkerung als besonders ehrenhaft dargestellt. Der Leser wird gewissermaßen dazu ermuntert, deren Beispiel zu folgen und solche Werte wie Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Treue, Unbestechlichkeit, Fürsorglichkeit oder Barmherzigkeit anzunehmen. Die Stelle, in der die Dorfbewohner ihrer Obrigkeit eine Petition überreichen, in der die Umsetzung gemeinschaftlicher Interessen eingefordert wird, birgt darüber hinaus auch eine politische Aussagekraft. Denn indirekt gibt sie dem Leser zu verstehen, dass dem „Volk“ das Recht auf politische Partizipation nicht verwehrt werden darf. Wie aus mehreren Briefwechseln mit Bechstein hervorgeht,399 erhoffte sich Storch, in der Folgezeit noch weitere Werke seines Freundes in seinem „Verlags399 Vgl. SCHMIDT-KNAEBEL, SUSANNE: „Man muß aber doch jemand haben, gegen den man sich ausspricht“ – Ludwig Bechsteins Briefe an Dr. Ludwig Storch, Aachen 2000, S. 55– 153.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Comptoir“ verlegen zu können. Aufgrund des wenig später einsetzenden Konkurses des Storch’schen Verlagsunternehmens blieb dieses Vorhaben allerdings unerfüllt. Abgesehen von den Werken Bechsteins, verfolgten auch einige von Storch selbst verfasste und in seinem „Verlags-Comptoir“ verlegte Schriften eindeutig die Intention, auf die Sittlichkeit der Leser einzuwirken. Beispielsweise war die von Storch verfasste Schrift über den Thüringer Sängerbund nicht nur auf anspruchslose Unterhaltung ausgelegt, sondern stand vor allem im Interesse der Vermittlung bürgerlicher Werte sowie einer Stärkung des Nationalbewusstseins in allen Bevölkerungsschichten.400 Am markantesten tritt aber das von 1842 bis 1843 von Storch herausgegebene Blatt „Der Thüringer Bote“ heraus.401 Dieses Periodikum, das dreimal wöchentlich erschien und dem alle drei Ausgaben ein Anzeigenblatt mit dem Titel „Felleisen“ beigelegt wurde, wollte nach Angabe von Storch „Unterhaltungen und Besprechungen aller dem Volke wichtigen interessanten Angelegenheiten“ liefern.402 „Der Thüringer Bote“ sollte ganz in gemeinnützig-volksaufklärerischer Tradition sowohl ein Belehrungs- als auch Unterhaltungsorgan für den „gemeinen Mann“ sein.403 Im Fokus des Hauptblattes standen vor allem kurze, spannungsgeladene Erzählungen und Anekdoten, die vorwiegend sittlich-moralische Intentionen verfolgten oder auf eine Steigerung des Nationalbewusstseins der Leser abzielten. In Anlehnung an Ludwig Bechstein nutzte Storch bei letzterem vor allem historische oder historisierende Geschichten und Sagen, die zum Teil aus der eigenen Feder oder von fremden Autoren stammten. Andere Erzählungen, wie die Geschichte über „Eine nächtliche Erscheinung“, sollten außerdem nach wie vor, in ganz traditioneller volksaufklärerischer Diktion, der Aberglaubensbekämpfung dienen.404 400 Für Bechstein war das Gesangswesen ein Ausdruck von Kultur, Intelligenz und Aufklärung des deutschen Volkes. Seiner Meinung nach waren die Feste des Thüringer Sängerbundes „im Entwicklungsgange der modernen Kultur Thüringens von großer Wichtigkeit, ja wohl Epoche bildend“. Für die sittlich-moralische Erziehung des Menschen erachtete er das organisierte Gesangswesen als unentbehrlich. So heißt es: „Nichts aber ist der Ausbreitung sittlicher Gefühle förderlicher als das deutsche in großer Gesammtheit gesungene Lied.“ Vgl. STORCH, LUDWIG: Der Thüringer Sängerbund und sein erstes Lied fest zu Molsdorf den 16. August 1843, Gotha 1843, hier insb. S. 14 f., 63 f. u. 68. 401 Vgl. Der Thüringer Bote. Ein Volksblatt, hrsg. von Ludwig Storch, Gotha 1842–1843. 402 Thüringer Bote. Felleisen, Nr. 1 vom 6. April 1842, S. 4. 403 In der regelmäßig im „Felleisen“ inserierten Werbung wird der „Thüringer Bote“ wie folgt beschrieben: „Zur Bildung und Unterhaltung des Volks, mit sehr unterhaltenden volksthümlichen Erzählungen, ausgezeichnet schönen Gedichten, Räthseln, ein reichhaltiges Feuilloton unter dem Namen ‚Schreibtafel des Boten‘, in welchem alle wichtigen Ereignisse und Alles, was das Volk interessirt, kurz und bündig besprochen wird. Historisches, Gemeinnütziges, Belehrendes liegt in seinem Kreise.“ Vgl. u.a. Der Thüringer Bote. Felleisen, Nr. 39 vom 27. September 1843, S. 143. 404 Vgl. Eine nächtliche Erscheinung, in: Der Thüringer Bote, Nr. 99 vom 16. November 1842, S. 435–437.

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Unter der Rubrik „Schreibtafel des Boten“ wurden ferner tagesaktuelle Themen behandelt. Dabei wurden teilweise auch heikle soziale und gesellschaftspolitische Fragen aufgeworfen, etwa wie mit dem im Land grassierenden Pauperismus zu verfahren sei.405 Im zweiten Jahrgang des „Thüringer Boten“ brachte Storch dann seinen Lesern nochmals deutlich zum Ausdruck, welches Ziel sein Volksblatt zu erreichen suchte. Im „Neujahrswunsch“ ruft er die Leser dazu auf, an der „heiligen Trias Liebe, Wahrheit und Einheit“ festzuhalten, weil diese das Fundament für Gemeinnützigkeit sei.406 So schreibt er: „Nehmt den Schild der Liebe, das Schwerdt der Wahrheit und den Panzer der Einheit, und also gewappnet begebet euch in den ehrenvollen Kampf gegen die Lüge und den Egoismus.“407 Als die zentrale Bestimmung des Menschen erachtete Storch, wiederum mit starkem Bezug auf (volks-)aufklärerische Muster, das Streben nach Fortschritt und Wohlstand sowie einer daraus hervorgehenden Glückseligkeit. Deshalb richtete er folgenden Aufruf an seine Leser: Vorwärts wandeln und streben ist die dem Menschen gestellte Aufgabe. Dem Lichte wandeln wir entgegen. Das Ziel erkennt wiederum nur der, welcher die Geister entzündet hat an seiner eigenen unvergänglichen Flamme. Aber das Streben nach Licht und Wahrheit, nach einem glücklichern Zustande ist als mächtigster Trieb der Menschenseele eingewoben; es ist die Sonnenflamme, die uns erleuchtet und erwärmt, die der alte Mythos so dichterisch schön im Prometheusfunken vorstellte. Ohne dieses Streben ist der Mensch – Thier. Wehe also denen, welche dieses Streben hindern und unterdrücken wollen!408

Dass der „Thüringer Volksbote“ als überregionales Presseorgan besonders bestrebt war, die einfache Bevölkerung nicht zu täuschen, sondern entsprechend der Bestimmung des Menschen zum Besseren zu führen, wurde in der Rubrik „Schreibtafel des Boten“ dann ein weiteres Mal unmissverständlich klar gemacht: Durch nichts kann die Sache der Menschenliebe, der Wahrheit und der Einheit unsres Volks zu großen und heiligen Zwecken mehr gefördert werden, als durch Bildung des Herzens und des Geistes, durch öffentliche Besprechung aller Interessen des Volks, durch öffentliche Belobung des Guten und Tadel des Bösen. Die menschliche Stimme reicht nicht weit, aber die Sprache der Presse dringt schnell über die ganze Erde. Die Presse ist die Riesenzunge, welche die Licht= und Feuerfunken des Geistes in die Welt schleudert und an tausend Orten zugleich den heilsamen Brand der Geister entzündet. – Volksblätter müssen gedruckt in die Welt fliegen, gefiederte Frühlingsboten, die, den Schwalben gleich, an jedem Hause, selbst an der ärmsten Bauernhütte ihr Nestchen haben. Ja in jeder Hütte sei die Wohnung eines guten Volksblattes, damit es dort belehre, bilde, unterhalte und den

405 406 407 408

Vgl. Schreibtafel des Boten, in: ebd., Nr. 100 vom 19. November 1842, S. 442. Der Thüringer Volksbote, Nr. 1 vom 2. Januar 1843, S. 3. Ebd. Ebd., S. 1 f.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Saamen des Guten ausstreue. – Der Thüringer Bote hat sich die Aufgabe gestellt, ein solch bildendes und belehrendes Volksblatt zu sein.409

Den oftmals sehr pauschal formulierten Vorwurf der etablierten Buchhändler, die neue Buchhändlergeneration würde mit massenhaft produzierten und billig angebotenen Ritter-, Räuber- oder Spukgeschichten den Büchermarkt überschwemmen und so den Lesegeschmack und die Lesegewohnheiten der einfachen Bevölkerung auf das unwürdigste verderben, lässt sich damit exemplarisch an der Person Ludwig Bechsteins anschaulich entkräften. Selbst wenn Storch den Willen hatte, Literatur fern jeglichen aufklärerischen Bildungsanspruches unter die Bevölkerung zu bringen, so kam dies während seiner Zeit als Buchhändler nie zur Ausführung. Wahrscheinlich hätte eine Fokussierung des Verlagsprogramms auf populäre Trivialliteratur das Ende des Storch’schen Verlagsunternehmens aufgrund der ungünstigen Rechtssituation sowieso nicht verhindern können. Im Vormärz lag das Hauptinteresse eines jeden Buchhändlers zunächst auf der Absicherung der eigenen beruflichen Stellung. Sowohl die „neueren“ als auch die „älteren“ Buchhändler standen gleichermaßen vor der Herausforderung, sich neben der stetig wachsenden Konkurrenz zu behaupten, indem sie ihre Produkte bestmöglich auf dem Buchmarkt platzierten und möglichst kostengünstig an die Konsumenten brachten. Jeder Buchhändler hatte also die Wahl, mit anderen Buchhändlern um bestehende Marktanteile zu konkurrieren oder eine ökonomische Nische im Buchmarkt zu besetzen, die von anderen Buchhändlern noch nicht in Beschlag genommen wurde. Wie Katharina Middell aufgezeigt hat, boten die thüringischen Kleinstaaten für Buchhändler gute Bedingungen, gleich mehrere nebeneinander existierende Geschäfts- und Vertriebsformen aufzubauen.410 Dadurch bestand in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der thüringischen Buchhandels- und Verlagslandschaft „Altes neben dem Neuen“.411 Die kleinstaatliche Struktur Thüringens ermöglichte sowohl kleinen Provinzverlegern als auch regional und überregional agierenden Verlags- und Sortimentbuchhändlern den Aufbau einer sicheren Existenz. Die Vertriebsweisen reichten vom traditionellen Kolportagehandel bis hin zum neuen Reisebuchhandel. Auch erwiesen sich Spezialisierungen, etwa auf Lektüre für die Träger der örtlichen Behörden und öffentlichen Einrichtungen, als eine tragfähige Strategie zur Aufrechterhaltung der Sortiment-, Druckerei- und Verlagsgeschäfte. Ebenso wurden kapitalschwache Verleger und Buchhändler nicht gnadenlos aus dem Markt gedrängt, sondern bedienten im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Lesebedürfnisse der lokalen Bevölkerung.

409 Schreibtafel des Boten, in: ebd., S. 4. 410 Vgl. MIDDELL: Strukturen und Vertriebsstrategien, S. 75–91. 411 Ebd., S. 91.

B. F. VOIGT ALS „GEMEINNÜTZIGER SPEKULATIONSBUCHHÄNDLER“

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Dass nicht jeder Buchhändler in Thüringen sein Glück im Vertrieb volksaufklärerisch-gemeinnütziger Lektüre versuchte, lässt sich dabei schon aus marktstrategischen Gründen nachvollziehen. Wie der Erfolg von Beckers „Noth= und Hilfsbüchlein“ oder Salzmanns „Der Bote aus Thüringen“ schon den Zeitgenossen eindrucksvoll vor Augen geführt hatte, konnte sich der Vertrieb von Volkslesestoffen im Idealfall aber als ausgesprochen lukrativ erweisen. Darüber hinaus bot der Markt für populäre Lesestoffe, aufgrund der steigenden Alphabetisierung in den unteren sozialen Schichten, noch ungenutztes Absatzpotential. Vor diesem Hintergrund erscheint es verständlich, dass auch im Vormärz weiterhin zahlreiche Buchhändler ihr Unternehmen mit Distribution von Volkslektüre, sowohl mit traditionellen als auch modernen Vertriebsformen, zu konsolidieren suchten.

2.3.2

Bernhard Friedrich Voigt als „gemeinnütziger Spekulationsbuchhändler“

B. F. VOIGT ALS „GEMEINNÜTZIGER SPEKULATIONSBUCHHÄNDLER“

Um die angebotene Lektüre an das „Volk“ zu bringen, griffen die meisten Buchhändler, solange es sich nicht um triviale Unterhaltungsliteratur handelte, auch während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weitgehend auf die Vermarktungsstrategien zurück, die sich bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts bewährt hatten. Vor allem bediente man sich der Benutzung spezieller Schlagwörter, die schon im 18. Jahrhundert den „gemeinen Mann“ vermeintlich dazu bewegen konnten, die für ihn vorgesehene Lektüre zu rezipieren. Deshalb wurde auch im Vormärz eine große Anzahl der Volkslesestoffe, vor allem jene, die den Anspruch erhoben, Bildung zu transportieren, schon im Titel als „gemeinnützig“ oder „belehrend“ angepriesen.412 Auch der Begriff „Bildung“ wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts bald selbst zu einem immer wichtigeren Verkaufsargument. Offenbar konnte man mit Schriften, die dem „Gebildeten“, dem „Volk“, dem „Bürger und Landmann“ oder „allen Ständen“ eine bessere Bildung versprachen, gute Absatzzahlen erzielen. Als besonders erfolgreich erwies sich schließlich enzyklopädisch-lexikalische Literatur, die in regelmäßigen Abständen stückweise und vergleichsweise billig auf den Markt gebracht wurde. Die Leser wurden auf diese Weise geschickt dazu animiert, thematisch miteinander verbundene, mehrbändige Schriftenreihen zu erwerben. Jedoch funktionierte dieses Geschäftsmodell aus Kostengründen nur unter der Voraussetzung einer massiven Produktionssteigerung sowie einer überregional ausgerichteten Vertriebsstrategie, die in 412 Vgl. GREILING, WERNER: Gemeinnützigkeit als Argument. Zur Publikationsstrategie der Volksaufklärung, in: Schmitt/Böning/Ders./Siegert (Hrsg.): Die Entdeckung von Volk, Erziehung und Ökonomie, S. 239–258.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

einem tief greifenden Umfang auch die ländliche Bevölkerung als potentielle neue Leser zu gewinnen vermochte. Des Weiteren erwies sich themenspezifisch und semienzyklopädisch strukturierte Bildungslektüre, die speziell auf die Nachfrage bestimmter Leserschichten zugeschnitten war, als außerordentlich erfolgreich. In Thüringen praktizierten dieses Geschäftsmodell in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem Friedrich Arnold Brockhaus (bis 1818), Heinrich August Pierer, Carl Joseph Meyer und Bernhard Friedrich Voigt. Letztgenanntem gelang es als erster thüringischer Buchhändler, eine mehrbändige Schriftenreihe ins Leben zu rufen, die die neuesten Erkenntnisse in Industrie, Handwerk und Gewerbe mit preisgünstiger Lektüre an die entsprechenden Berufsgruppen weiterreichte. Voigt erkannte, dass ihm berufsspezialisierte Bildungsliteratur für Handwerker, Gewerbetreibende und Fabrikanten eine gewinnbringende Einnahmequelle eröffnete. Seit 1817 verlegte er deshalb die Buchreihe „Neuer Schauplatz der Künste und Handwerke“,413 in der nach eigener Angabe für das gewerbetreibende Publikum bis 1842 insgesamt 140 Bände erschienen sind.414 Der Vertrieb dieser Bände erfolgte hauptsächlich über den Reisebuchhandel und über Ratenzahlungen, so dass er auch die ländlichen Gegenden und kleinen Städte weit außerhalb seines Verlagsortes konstant mit Bücherlieferungen versorgen konnte.415 Dabei machte Voigt keinen Hehl daraus, dass er mit dieser Art des Vertriebs aus rein wirtschaftlicher Sicht, die für ihn bestmögliche Strategie gewählt hatte. So wusste er 1842 ebenso zu verkünden, dass er von den 140 Bänden aus dem „Neuen Schauplatz der Künste und Handwerke“ in ganz Deutschland bereits über 200.000 Exemplare verkaufen konnte.416 Voigt bediente sich also genau jener Vertriebsformen, die von den etablierten Buchhändlern als unmoralisch angeprangert wurden. Er selbst hatte aber keine moralischen Beden413 Vgl. Neuer Schauplatz der Künste und Handwerke. Mit Berücksichtigung der neuesten Erfindungen herausgegeben von einer Gesellschaft von Künstlern, Technologen und Professionisten, Sondershausen/Ilmenau/Weimar 1817–1903. Der erste Band stammte aus der Feder von Johann Christian Eupel und befasste sich mit dem Konditoreihandwerk. Vgl. EUPEL, JOHANN CHRISTIAN: Der vollkommene Conditor, oder Gründliche Anweisung zur Zubereitung aller Arten Bonbons, Stangenzucker, Conserven, Zuckerkuchen etc., so wie auch zum Einmachen und Glasiren der Früchte, nebst Abhandlungen von Zucker, den Graden bei dem Zuckerkochen und von den zur Conditorei nöthigen Gefäßen und Geräthschaften, ingleichen erprobte Vorschriften und Rezepte zu allen Gattungen der Kunstbäckerei, Sondershausen 1817. 414 Vgl. VOIGT, FRIEDRICH BERNHARD: Würdigung einer von dem Herrn Architecten J. A. Romberg gegen den Buchhändler Bernh. Friedr. Voigt verbreiteten Schmähschrift. Von dem Geschmähten, Weimar 1845, S. 9. 415 Vgl. MARWINSKI, FELICITAS: Bernhard Friedrich Voigt – Ein Verlegerporträt des 19. Jahrhunderts, in: Marginalien. Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie, 39 (1970), S. 39. 416 Vgl. VOIGT: Würdigung, S. 9.

B. F. VOIGT ALS „GEMEINNÜTZIGER SPEKULATIONSBUCHHÄNDLER“

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ken gegenüber der „älteren“ Buchhändlergeneration. Vielmehr war er davon überzeugt, dass seine massenhaft verbreiteten Schriften einen wichtigen Beitrag dazu geleistet hätten, dass es nach 1815 in vielen handwerklichen, gewerblichen und industriellen Zweigen zu Verbesserungen gekommen sei.417 Voigts Karriere als Buchhändler begann im Jahr 1801, im jugendlichen Alter von 14 Jahren.418 Als Neffe des Weimarer Staatsministers Christian Gottlob Voigt hatte er regelmäßig Kontakt mit namhaften Aufklärern wie Wieland, Musäus, Herder und Schiller. Sein Vater Johann Carl Wilhelm Voigt hatte in Jena und Freiberg Mineralogie studiert und war seit 1789 in Ilmenau als Bergrat tätig.419 Aufgrund seiner beruflichen Stellung freundete sich dieser bald mit Johann Wolfgang von Goethe an, der seit 1779 die Oberaufsicht über den Ilmenauer Bergbau innehatte.420 Nach Rudolf Schmidt verkehrte Goethe während seiner Aufenthalte in Ilmenau häufig im Hause Voigt, wobei er nicht selten seinen Sohn August mitbrachte und sich dann mit beiden Kindern beschäftigte.421 Bernhard Friedrich Voigt wuchs demzufolge bereits seit frühster Kindheit in einem relativ aufklärerisch geprägten Milieu auf. Nach dem Besuch des Schleusinger Gymnasiums begann er 1801 in der Hoffmann’schen Hofbuchhandlung in Weimar seine Ausbildung zum Buchhändler. Im Jahr 1804 folgte eine Anstellung als Gehilfe in der Leipziger Buchhandlung Wilhelm Rein & Co. Nachdem er 1807 einigen preußischen Soldaten geholfen hatte, ihre Kameraden aus französischer Gefangenschaft zu befreien, musste er Leipzig verlassen. Er ging nach Basel und übernahm dort die Mitleitung der Samuel Flick’schen Buchhandlung. Außerdem publizierte er seine Erlebnisse, die ihm während seiner Reise von Leipzig von Basel widerfahren waren, in den „Miszellen für die neueste Weltkunde“, einem Periodikum, das von 1807 bis 1813 von dem bekannten Schweizer Volksaufklärer Heinrich Zschokke herausgegeben wurde.422 In den Jahren von 1808 bis 1810 folgte er schließlich dem Ruf der Friedrich Campe’schen Buchhandlung in 417 Vgl. VOIGT, BERNHARD FRIEDRICH: An die Leser der Voigt’schen monographisch= technischen Journale zu näherem Verständniß der über dieselben verbreiteten Irrthümer, Weimar 1845. 418 Zur Biographie Bernhard Friedrich Voigts (1787–1859) vgl. SCHMIDT: Deutsche Buchhändler, Bd. 6, S. 990–995; WAHLE, JULIUS: Voigt, Bernhard Friedrich; in: ADB, 40 (1896), S. 203. 419 Auf Gesuch seines Bruders Christian Gottlob wurde Johann Carl Wilhelm Voigt bereits 1783 von Herzog Carl August als Sekretär der Bergwerkskommission angestellt. Vgl. STEENBUCK, KURT: Silber und Kupfer aus Ilmenau. Ein Bergwerk unter Goethes Leitung. Hintergründe – Erwartungen – Enttäuschungen, Weimar 1995, S. 34 f. 420 Zum Ilmenauer Bergbau von 1776 bis 1812 und dem Verhältnis zwischen Voigt und Goethe vgl. WAGENBRETH, OTFRIED: Goethe und der Ilmenauer Bergbau, Freiberg/ Ilmenau 2006, S. 41–89. 421 Vgl. SCHMIDT: Deutsche Buchhändler, S. 990. 422 Vgl. ebd., S. 991.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Nürnberg, der Buchhandlung Heigl & Co in Straubing sowie der Herder’schen Buchhandlung in Freiburg im Breisgau.423 Nach diesen Jahren der Wanderschaft, kehrte er im November 1811 zurück in seine thüringische Heimat. Fest entschlossen, nun eine eigene Buchhandlung zu eröffnen, ließ er sich 1812 in der schwarzburgischen Residenzstadt Sondershausen nieder, die bis zu jenem Zeitpunkt noch über keine größere Verlags- und Sortimentsbuchhandlung verfügte.424 In den darauffolgenden Jahren entfaltete Voigt sukzessive sein Verlagsgeschäft sowie seine Sortimentsbuchhandlung. Obwohl in seinem Verlag anfangs theologische, naturwissenschaftliche, landwirtschaftliche, geographische, medizinische, juristische, pädagogische, historische und belletristische Schriften erschienen, spezialisierte er sich nach 1815 zunehmend auf die Bereiche Handwerk, Gewerbe, Industrie und Technik.425 Zu den beiden Kernstücken seines Verlagsprogramms entwickelte sich dabei die bereits erwähnte Buchreihe „Neuer Schauplatz der Künste und Handwerke“ sowie das biographische Nachschlagewerk „Neuer Nekrolog der Deutschen“,426 welches ihm allerdings, trotz großem persönlichen und finanziellen Einsatzes, keinen Gewinn einbrachte.427 Der Verkauf von Bildungslektüre entwickelte sich zum wichtigsten Standbein seines Verlagsunternehmens. Wie einträglich das Geschäft mit dem Vertrieb solcher Literatur sein konnte, offenbarte sich für ihn spätestens im Jahr 1816, als er das von dem Landgeistlichen Johann Günther Friedrich Cannabich428 verfasste „Lehrbuch der Geographie“ verlegte.429 Verteilt auf 17 Auflagen, konnte Voigt von diesem

423 424 425 426

Vgl. ebd., S. 991 f. Vgl. MIDDELL: Eine Verlagslandschaft um 1800, S. 30–32. Vgl. SCHMIDT: Deutsche Buchhändler, S. 994 f. Vgl. Neuer Nekrolog der Deutschen, hrsg. von Friedrich August Schmidt, Ilmenau/ Weimar 1824–1854. 427 Nach Felicitas Marwinski wurden trotz aggressiver Werbung im Reisebuchhandel von keinem der über 30 Jahrgänge mehr als 200 Exemplare verkauft. Vgl. MARWINSKI: Bernhard Friedrich Voigt, S. 28–30. 428 Johann Günther Friedrich Cannabich gehörte zu den produktivsten Autoren geographischer und völkerkundlicher Schriften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Vor allem seine geographischen Lehrbücher kamen in zahlreichen Schulen zur Anwendung. Vgl. GRAUBNER, PAUL: J. G. Fr. Cannabich (1777–1859), sein Leben und seine Werke, Königsberg 1913; HELBIG, MARTIN: Johann Günther Friedrich Cannabich (1777–1859) – Lehrer, Pfarrer, Geograph, in: Sondershausen, 5 (1994), Heft 17, S. 3–9. Vgl. außerdem KEYSER, THILO: J. F. G. Cannabich in seinem Leben und seiner Wirksamkeit. Ein biographisches Denkmal für Schüler, Freunde und Verehrer desselben, Nordhausen 1854. 429 Vgl. CANNABICH, JOHANN GÜNTHER FRIEDRICH: Lehrbuch der Geographie nach den neuesten Friedensbestimmungen, Sondershausen 1816.

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Werk, das für den Gebrauch in den unteren und mittleren Schulklassen vorgesehen war, bis 1855 rund 100.000 Exemplare absetzen.430 Auch nachdem Voigt 1822 nach Ilmenau und 1834 nach Weimar übersiedelte, lag der Fokus seines Unternehmens weiterhin auf dem Vertrieb von Schriften, die offenkundig das praktische Wissen der in Gewerbe, Handwerk und Industrie beschäftigten Bevölkerung vertiefen sollte. Nach Rudolf Schmidt gab es kein Handwerk und kein Gewerbe, dessen Fortschritte den verschiedenen Berufsgruppen nicht mittels einer Schrift aus dem Voigt’schen Verlagsunternehmen mitgeteilt worden wäre.431 Um den Lesebedürfnissen seiner Käufer gerecht zu werden, gab er auch Übersetzungen englischer und französischer Werke in Auftrag.432 Dabei betrachtete er die meisten in seinem Verlag erschienenen Schriften als „gemeinnützig“. In einem 1836 herausgegebenen Katalog listete er einen Großteil seiner Verlagsartikel unter dem Titel „Gemeinnützige Bibliothek für alle Stände“ auf.433 Der Katalog fand weithin Beachtung und wurde später auch von Volksaufklärern wie Theodor Wohlfarth und Heinrich Schwerdt für den Bücherankauf ihrer neu errichteten Volksbibliotheken zu Rate gezogen. In den 1840er Jahren richtete Voigt sein Augenmerk auf zwei Verlagsprojekte, die ihm besonders am Herzen lagen. Zum einen vertrieb er ein vier Teile umfassendes „Universal-Haus-Lexicon“, das von Ferdinand Leopold Karl Freiherr von Biedenfeld, einem seiner Hauptautoren, herausgegeben wurde und explizit an den „Bürger und Landmann“ sowie an „alle Nichtgelehrten“ adressiert war.434 Und zum anderen verlegte er im Zeitraum von 1844 bis 1854 insgesamt 23 verschiedene Zeitschriftenreihen, die erneut darauf ausgerichtet waren, berufsspezifischen Zielgruppen die aktuellsten Kenntnisse und Erfindungen in Handwerk, Gewerbe und Industrie zu vermitteln.435 Doch im Gegensatz zu den Büchern aus dem „Neuen Schauplatz der Künste und Handwerke“ verkaufte sich Voigts Kollektion handwerklicher, gewerblicher und technischer Zeitschriften nicht besonders erfolgreich. Dennoch stampfte er sein Zeitschriftenprojekt nicht ein, sondern widmete sich mit akribischer Sorgfalt, ähnlich dem biographischen Nachschlagewerk „Neuer Nekrolog der Deutschen“, das mit rund 13.000 Talern Verlust zu 430 431 432 433

Vgl. MARWINSKI: Bernhard Friedrich Voigt, S. 37. Vgl. SCHMIDT: Deutsche Buchhändler, S. 995. Vgl. MARWINSKI: Bernhard Friedrich Voigt, S. 41. Der Verlagskatalog wurde bis 1852 regelmäßig aktualisiert. Vgl. VOIGT, BERNHARD FRIEDRICH: Ausgewählte gemeinnützige Bibliothek für alle Stände, Weimar 1852. 434 Der genaue Titel lautet: Compendiöses und wohlfeiles Conversations- und UniversalHaus-Lexicon für den Bürger und Landmann und für alle Nichtgelehrte, welche nach Belehrung und Bildung streben. Im Verein herausgegeben von Ferdinand Freiherr von Biedenfeld, Weimar 1843–1845. 435 Eine Auflistung aller 23 Zeitschriften findet sich in: MARWINSKI: Bernhard Friedrich Voigt, S. 43–45.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Buche schlug, ein ganzes Dezennium der Veröffentlichung der von ihm in Auftrag gegebenen Periodika. Auch hier wird wieder deutlich, dass die „spekulativen Buchhändler“ keineswegs nur nach finanziellem Profit strebten. Voigt muss zumindest teilweise davon überzeugt gewesen sein, dass die Herausgabe seiner Zeitschriften einen gemeinnützigen Zweck erfüllten. Anders ist es nur schwer zu erklären, warum er jahrelang so beharrlich an diesem Verlustgeschäft festgehalten hat. In der Retrospektive lässt sich jedenfalls konstatieren, dass Voigt als einer der ersten Buchhändler frühzeitig die wirtschaftlichen Folgen und Umbrüche der einsetzenden Industrialisierung erkannte und mit dem Vertrieb unzähliger auf Gewerbe und Handwerk spezialisierter Bücher und Periodika dem „arbeitenden Mittelstand“ ein in seiner Wirkung nicht zu unterschätzendes Instrumentarium an die Hand gab, wie mit den sich wandelnden ökonomischen Verhältnissen am vorteilhaftesten zu verfahren war.436 Neben seinen umfangreichen Unternehmungen als Verleger und Buchhändler gehörte Voigt im Jahr 1825 zu den Gründungsmitgliedern des Börsenvereins der deutschen Buchhändler.437 Außerdem wurde er in Ilmenau zum Stadtältesten und in Weimar zum Stadtverordneten gewählt. Im Jahr 1828 zog er zudem als Abgeordneter in den Landtag von Sachsen-Weimar-Eisenach ein.438 Ebenso wurde ihm im gleichen Jahr die goldene „Civil-Verdienst-Medaille“ des Falkenordens überreicht. Aufgrund dieser Umstände trat Voigt spätestens seit Mitte der 1820er Jahre öffentlich in Erscheinung, so dass ihm schon zu Lebzeiten besondere Aufmerksamkeit zuteil wurde. Eine erste biographische Skizze über den bekannten Buchhändler fertigte schließlich der Weimarer Kirchenrat Christian Friedrich Gottfried Teuscher im Jahr 1851 an.439 Diese kurze Biographie rückt Voigt in ein durchweg positives Licht. Das muss wenig verwundern, war der porträtierte Buchhändler doch ein angesehener Bürger der Weimarer Gesellschaft. Allerdings werden von Teuscher ein paar Bemerkungen gemacht, die man in dieser Form weniger erwartet hätte. So attestierte der Weimarer Kirchenrat „dem gebornen Buchhändler“ einen seit jeher „inwohnenden Spekulationsgeist“.440 Doch anstatt die Geschäftspraktiken von Voigt nach gängigem Muster als unmoralisch anzuprangern, würdigte Teuscher diese als besonders segensreich, nicht nur für das Voigt’sche Unternehmen selbst, sondern auch 436 Vgl. MIDDELL: Eine Verlagslandschaft um 1800, S. 45. 437 Vgl. TITEL: Von der Gründung des Börsenvereins, S. 30; FROMMANN: Geschichte des Börsenverein, S. 46. 438 Vgl. SCHMIDT: Deutsche Buchhändler, S. 994. 439 Vgl. TEUSCHER, CHRISTIAN FRIEDRICH GOTTFRIED: Bernhard Friedrich Voigt. Eine kurze Darstellung seines Lebens und Wirkens. Ein Beitrag zur Feier seines fünfzigjährigen Jubiläums am 2. September 1851, veranstaltet von mehreren seiner literarischen Freunde, Weimar 1851. 440 Ebd., S. 5.

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für den gesamten „Mittelstande des deutschen Volkes“. Welch positive Auswirkungen ein solcher Spekulationsgeist hatte, glaubte Teuscher schon in den ersten Jahren von Voigts buchhändlerischer Tätigkeit in Sondershausen zu erkennen. So meint er, dass erst durch Voigts Geschäftssinn „ein Licht= und Lebensquell in einer Gegend eröffnet [wurde], wohin früher nur mit Mühe die Erzeugnisse der Kunst und Wissenschaft einen Weg hatten finden können“.441 Die Leistung, mit Massenauflagen, Fortsetzungsreihen und dem Nachdruck ausländischer Werke die Bildung der Handwerker, Fabrikanten und gewerbetreibenden Bevölkerung befördert zu haben, veranschlagte der Weimarer Kirchenrat sogar noch höher. So heißt es: Das Gebiet der Technik, das geistige Material, woraus der Gewerbsmann in seinem Berufe klares Bewusstseyn seiner Thätigkeit schöpfen, zu höheren Leistungen fortgebildet, zum Wetteifer mit ausländischer Industrie entzündet werden konnte, war von der Presse Theils gar nicht berührt, Theils nur leicht gestreift worden. Da entstand in der Seele des unternehmenden Mannes der große Gedanke, neben vielen anderen Werken theologischen, medicinischen, juristischen, schöngeistigen etc. Inhaltes, besonders die Technik im umfassendsten Sinne des Wortes in’s Auge zu fassen und für sie zu wirken. So entstand im Fortgange der Zeit jene Reihe von fast 200 Bänden unter dem Gesammtnamen: ‚Schauplatz der Künste und Handwerke‘, bei deren Durchsicht man in der That nicht weiß, was mehr zu bewundern ist, ob der tiefe Einblick in die vaterländischen Gewerbsverhältnisse, oder die Wahl der Verfasser jener Originalwerke und Umarbeitungen fremdländischer Produkte, oder endlich die Liebe zur Sache, die auf die Gefahr merkantilischer Verluste hin dem Mittelstande des deutschen Volkes solche Gaben bietet.442

Aus Teuschers Sicht war es vor allem Voigts Spekulationsgeist zu verdanken, dass die Bildung bzw. die praktisch-handwerklichen Fähigkeiten der arbeitenden und gewerbetreibenden Bevölkerung in den Jahren nach 1815 ein viel höheres Niveau erreicht hätte, als dies jemals zuvor der Fall gewesen wäre. Dass die von Voigt verlegten 200 Bücher und 23 Zeitschriften, die im Jahr 1850 schon insgesamt rund 400 Hefte umfassten, sich zwangläufig positiv auf die Bildung des „mittelständischen Gewerbsmannes“ ausgewirkt und zugleich dessen persönlichen Wohlstand befördert haben mussten, stand für Teuscher außer Frage. Pathetisch stellte er deshalb die Frage: „Wer ist im Stande zu berechnen, wie viele Arbeiterklassen unseres Volkes eben dadurch an Intelligenz, Kunstfertigkeit und daraus herfließenden Wohlstand gewonnen haben?“443 In den Augen des Weimarer Kirchenrates entwickelte sich das Voigt’sche Verlagsunternehmen im Laufe seines Bestehens immer stärker zu einem „geschmückten Prachtgebäude“, welches „die Ströme des Wissens und Könnens in die deutsche Gewerbswelt hinausgeleitet“ habe.444 Und so kam Teuscher abschließend zu dem Urteil, dass Voigt als Besitzer dieses „Prachtgebäudes“, der 441 442 443 444

Ebd., S. 7. Ebd., S. 9. Ebd. Ebd., S. 11.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

mit „That und Gesinnung“ stets darauf bedacht war, „den Wohlstand der bedeutenden Klasse der Gewerbsleute“ zu heben, nichts anderes als ein wahrer „Volks= und Bürgerfreund“ sein konnte.445 Dass Teuscher mit dieser Meinung nicht allein war, zeigen ebenfalls die Aussagen anderer Zeitgenossen. Da Voigt in den 1840er Jahren die überall in Thüringen entstehenden Dorfbibliotheken kostenfrei mit Büchern aus seinem Verlag versorgte, wurde ihm weithin attestiert, uneigennützig im Interesse des Gemeinwohls zu handeln. Auch die beiden volksaufklärerisch engagierten Landpfarrer Theodor Wohlfarth und Heinrich Schwerdt, die von Voigt mehrere Bücher und Periodika zur Ausstattung ihrer Volksbibliotheken erhalten hatten,446 würdigten sein Handeln und seine buchhändlerische Tätigkeit als besonders gemeinnützig. Heinrich Schwerdt nannte Voigt sogar explizit einen „Volksbuchhändler“. Im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ würdigte er Voigt als einen Buchhändler, der sich um die Bildung und den Wohlstand des „Volkes“, insbesondere der gewerbetreibenden Bevölkerung, im großen Maße verdient gemacht hatte. So schrieb er: Einer unserer thätigsten Buchhändler ist B. Voigt zu Weimar. Ihrer viele haben […] die Wohlfahrt und Bildung des deutschen Volkes wahrhaft gefördert. Und wenn wir daran gedenken, wie der Hofbuchhändler, den wir lieber Volksbuchhändler nennen mögten, mit patriotischer Uneigennützigkeit so manche Volksbibliothek durch seine Bücherspenden begründet oder bereichert und so somit eine edle Saat […] in Städte und Dörfer ausgestreut hat: so nennt das Volksblatt den Namen ‚Voigt‘ in Dank und Ehre. Besonders aber mag sich der Gewerbstand den Verlagsunternehmungen des Buchhändlers Voigt verpflichtet fühlen. Er hat für Schuster und Schneider, für Bierbrauer und Biertrinker, für Fabrikanten und Oeconomen die belehrendsten Bücher schreiben und drucken lassen, die auf die Vervollkommnung der Landwirthschaft und auf die Fortschritte der Gewerbe einen unabläugbaren Einfluß geübt haben.447

445 Ebd., S. 13. 446 Vgl. Kapitel IV.2.1. 447 Vgl. Landwirthschaftliches und Gewerbliches, in: AVD, Nr. 16 vom 20. April 1844, S. 125.

C. J. MEYER ALS VORREITER EINER POLITISCHEN VOLKSAUFKLÄRUNG

2.3.3

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Carl Joseph Meyer als Vorreiter einer politischen Volksaufklärung im Sinne des Liberalismus

C. J. MEYER ALS VORREITER EINER POLITISCHEN VOLKSAUFKLÄRUNG

Einen ähnlichen Weg wie Bernhard Friedrich Voigt schlug auch der Hildburghäuser Verleger und Buchhändler Carl Joseph Meyer ein.448 Wie der Großteil aller anderen Personen, die in ihrem Leben in gemeinnützig-volksaufklärerischer Weise tätig wurden, wuchs auch Meyer, der gebürtig aus Gotha stammte, in einem aufklärerisch geprägten Milieu auf. In den ersten Jahren seiner schulischen Ausbildung besuchte Meyer die Bürgerschule und das Gymnasium in Gotha. Im Jahr 1807 wechselte er an eine private Schulanstalt nach Weilar,449 welche von Pfarrer Johann Salomo Grobe nach Salzmann’schem Vorbild geleitet wurde. Die dort herrschenden philanthropischen Erziehungsmethoden dürften Meyer nachhaltig beeinflusst haben. Folgt man Armin Human, der 40 Jahre nach Meyers Tod eine erste umfassende Biographie über ihn schrieb, dann war die Schulbildung in Weilar „für Meyer von entscheidendster Bedeutung für sein ganzes Leben“.450 Das Verhältnis zwischen Grobe und Meyer dürfte jedenfalls auf gegenseitiger Wertschätzung beruht haben. Als Meyer aufgrund von Spekulationsgeschäften Jahre später in finanzielle Schwierigkeiten geriet, war es sein ehemaliger Mentor, der ihm in Weilar eine Anstellung als Fremdsprachenlehrer verschaffte. Dass Meyers Ehefrau Hermine die Tochter von Salomo Grube war,451 macht

448 Zur Biographie Carl Joseph Meyers (1796–1856) vgl. HUMAN, ARNIM: Carl Joseph Meyer und das bibliographische Institut von Hildburghausen-Leipzig. Eine kulturhistorische Skizze, in: Schriften des Vereins für Sachsen-Meiningische Geschichte und Landeskunde, 23 (1896), S. 59–136; HOHLFELD, JOHANNES: Das Bibliographische Institut. Festschrift zu seiner Jahrhundertfeier, Leipzig 1926; KALHÖFER, KARL-HEINZ: Carl Joseph Meyer, in: Ders. (Hrsg.): Leben und Werk deutscher Buchhändler, Leipzig 1965, S. 82– 90; SARKOWSKI, HEINZ: Das Bibliographische Institut. Verlagsgeschichte und Bibliographie 1826–1976, Mannheim/Wien/Zürich 1976, S. 9–74; DERS.: Meyer, Joseph, in: NDB, Bd. 17: Melander – Moller, Berlin 1994, S. 296 f.; HEIMANNSBERG, JOACHIM: Ein Mensch namens Meyer. Carl Joseph Meyer zum 200. Geburtstag, Mannheim 1996; REITZ, GERD/MARWINSKI, KONRAD: Meyer, Carl Joseph, in: Marwinski (Hrsg.): Lebenswege in Thüringen, Erste Sammlung, S. 138–143; KAISER, PETER: Der Pläneschmied. Das außergewöhnliche Leben des Verlegers Carl Joseph Meyer, Leipzig/Hildburghausen 2007. 449 Das Dorf Weilar liegt nahe der Stadt Bad Salzungen und gehörte Anfang des 19. Jahrhunderts zum Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach. 450 Human schreibt ferner, dass Grobe mit „liberalen und verständigen Erziehungsgrundsätzen“ Meyer zu „Humanität“ und zu „kosmopolitischen Sinn“ erzogen habe. Vgl. HUMAN: Carl Joseph Meyer, S. 63. 451 Die Verlobung erfolgte im September 1820, die Heirat allerdings erst am 25. Mai 1825. Zum Verhältnis zwischen Carl Joseph und Hermine „Minna“ Meyer vgl. STEINER, GERHARD: Minna Meyer – Eine fast unbekannte Frau der deutschen Verlagsgeschichte, in:

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

außerdem deutlich, dass zwischen beiden Männern ein gutes Verhältnis bestanden haben muss. Im Gegensatz zu Bernhard Voigt begann Meyer nach Beendigung seiner Schulzeit keine Lehre als Buchhändler. Er absolvierte zunächst in Frankfurt am Main (1809–1813) eine Ausbildung als Kaufmann und übernahm im Anschluss eine Kontorstelle in einem Handelshaus des Gothaer Kaufmanns Ernst Wilhelm Arnoldi. Im Jahr 1817 verschlug es ihn dann nach London, wo er eine Volontärstelle in einem Ex- und Importgeschäft annahm. An der Londoner Börse tätigte Meyer bald erste Spekulationsgeschäfte im großen Stil, die ausgesprochen erfolgreich verliefen. Bis zum Jahr 1819 war es Meyer gelungen, ein Vermögen von rund 100.000 Talern anzuhäufen.452 Zusätzlich erwarb er Luxuswaren im Auftrag von Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg.453 Als sich Meyer jedoch im Jahr 1820 mit Kaffeespekulation hoch verschuldet hatte und ihm deswegen das Gefängnis drohte, war er gezwungen, aus London zu fliehen. Da er aufgrund seiner Geschäfte mit Herzog August vorerst nicht nach Gotha zurückkehren konnte, wandte er sich an seinen alten Lehrer Salomo Grobe, der ihm, wie bereits erwähnt, in dieser schwierigen Situation hilfreich zur Seite stand. Die folgenden vier Jahre verbrachte Meyer in Weilar. Seine Anstellung als Lehrer verlor er allerdings recht schnell, da Salomo Grobe mit seinem Erziehungsinstitut Ende des Jahres 1820 nach Maßbach übersiedelte, wo ihm eine neue Pfarrerstelle angeboten wurde. Auf der Suche nach einer neuen Tätigkeit schloss sich Meyer im Herbst desselben Jahres mit Christoph Freiherr von Boyneburg zusammen. Gemeinsam schmiedeten sie den Plan, die krisengeschüttelte Barchentweberei in Weilar wieder für den heimischen Markt konkurrenzfähig zu machen. In Weilar und dessen näherer Umgebung offenbarten sich erste Zeichen der bald überall einsetzenden Verarmung ganzer Bevölkerungsschichten im ländlichen Raum. Die einheimische Textilproduktion erfolgte in Weilar zu dieser Zeit noch überwiegend in Heimarbeit oder in kleinen Handwerksbetrieben. Boyneburg und Meyer erkannten, dass diese Form der Gewerbstätigkeit keine Zukunft mehr hatte bzw. nicht mehr in der Lage war, eine große Anzahl von Erwerbstätigen mit einem ausreichenden Einkommen zu versorgen. Die am 1. Januar 1821 gegründete „Freiherrlich Boyneburgische Gewerbs- und Hülfsanstalt“, die von Marginalien – Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie, 62/63 (1976), S. 50–64 (Teil I) u. S. 34–49 (Teil II); KAISER: Der Pläneschmied, S. 89–105. 452 Vgl. HOHLFELD: Das Bibliographische Institut, S. 17. 453 Der Korrespondenzwechsel zwischen Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg und Carl Joseph Meyer in den Jahren 1817–1820 wurde vollständig von Johannes Hohlfeld editiert. Aus den Briefen wird deutlich, dass ein Großteil der kostspieligen Geschäfte zwischen Meyer und dem Herzog August über das Haus Rothschild liefen bzw. vorfinanziert wurden. Vgl. HOHLFELD, JOHANNES (Hrsg.): Aus Joseph Meyers Wanderjahren. Eine Lebensepisode in Briefen, London 1817 – 1820, Leipzig 1926, S. 1–134.

C. J. MEYER ALS VORREITER EINER POLITISCHEN VOLKSAUFKLÄRUNG

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Boyneburg mit 68.000 Gulden finanziert wurde, sollte einen ersten Versuch darstellen, mit modernen Produktionsmethoden dem schleichenden Abstieg des Weilarer Textilgewerbes entgegenwirken. Dieses Unternehmen, das nach KarlHeinz May „auf gemeinnütziger und merkantilistischer Grundlage“ arbeitete,454 versuchte also auf Basis industrieller Wirtschaftspraktiken, die Lage der Not leidenden ländlichen Bevölkerung zu lindern. Die Leitung des Unternehmens übernahm Meyer. Als Geschäftsführer baute er in kurzer Zeit eine Manufaktur auf, die zum Großteil auf eine industrielle Barchentproduktion setzte und damit auch erfolgreich wirtschaftete. Aufgrund seiner philanthropischen Erziehung schuf er nach Ernst Kaiser außerdem „für die Arbeiter und ihre Familien soziale Einrichtungen, die dem Ziel des Unternehmens entsprachen, den verarmten Arbeitern eine sichere Grundlage für ihre Existenz und gerechte Löhne für ihre Arbeit zu schaffen. So errichtete er für die Weber eine Sparkasse, in der sie einen Teil ihres Lohnes für die Sicherung ihrer Zukunft zinsgünstig anlegen konnten. Er eröffnete einen Schulfonds für die Ausbildung ihrer Kinder und gründete eine Prämienkasse zur Belohnung besonderer Leistungen.“455 Um den wirtschaftlichen Erfolg der „Gewerbe- und Hülfsanstalt“ noch weiter zu steigern, meinte Meyer bald wieder, neue Spekulationsgeschäfte tätigen zu müssen. Er verkaufte die in Weilar hergestellten Waren nicht nur auf dem heimischen Markt, sondern auch nach London, Bremen und Hamburg. Dabei überreizte er die Produktionsmöglichkeiten der „Gewerbe- und Hülfsanstalt“, so dass das Unternehmen rote Zahlen schrieb. Darüber hinaus hatte er, um die Produktpalette des Unternehmens zu erweitern, eine chemische Garnbleiche und eine Färberei errichten lassen. Die dort eingesetzten Chemikalien waren allerdings giftig und führten zum Ausfall zahlreicher Arbeiter. Weil die Krankheitsfälle in der Folgezeit weiter zunahmen, ordneten die Behörden in Weimar eine Untersuchung an, mit dem Ergebnis, dass Meyer den Betrieb unverzüglich stillzulegen hatte.456 All dies führte zu solch erheblichen Verlusten, dass die „Gewerbs- und Hülfsanstalt“ schon zwei Jahre nach ihrer Gründung von Boyneburg wieder aufgelöst wurde. Die noch ausstehenden Schulden in Höhe von 2.000 Gulden ließ er von Meyer pfänden. Viel weitreichender als der Verlust der Ersparnisse war der schädigende Ruf, den sich Meyer, nach seinem zweiten fehlgeschlagenen Spekulationsgeschäft, nun zugezogen hatte. Fortan galt er vor allem in seiner Geburtsstadt als ein rücksichtsloser Spekulant. Trotz seines schlechten Rufes entschloss sich Meyer im Jahr 1824, wieder nach Gotha zurückzukehren. Wie einst Friedrich Arnold Brockhaus in Alten-

454 MAY, KARL-HEINZ: Der feurige Geist Joseph Meyer 1796–1856, Hildburghausen 1996, S. 20. 455 KAISER: Der Pläneschmied, S. 65. 456 Vgl. MAY: Der feurige Geist, S. 20.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

burg,457 begann nun auch Meyer, sich allmählich von seinem Kaufmannsberuf zu lösen. Er suchte neue Betätigungsfelder und fand sie neben dem Lehrerberuf zunächst in der Schriftstellerei. So gründete er in Gotha ein Erziehungsinstitut für angehende Kaufleute, wo er selbst Englischunterricht und Seminare zum englischen Handelssystem gab. Außerdem brachte er in Verbindung mit seiner Lehranstalt im Selbstverlag ein wöchentlich erscheinendes „Correspondenzblatt für Kaufleute“ heraus.458 Daneben verfasste er mehrere Beiträge für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften.459 Zudem veröffentlichte Meyer im Jahr 1824 im Gothaer Verlag von Wilhelm Hennings eine Biographie über Shakespeare, die den Anfang einer mehrbändigen „wohlfeilen“ Shakespeare-Taschenbuchreihe darstellte und den Titel „Shakspeare’s Sämmtliche Schauspiele“ trug.460 Noch im Jahr 1824 veröffentliche Meyer in dieser Reihe seine Übersetzungen der Stücke „Macbeth“ und „Othello“.461 Das Besondere an Meyers Shakespeare-Ausgaben war die „freie Bearbeitung“ der Werke, die nun eine volkstümlichere Sprache erhielten und sich deutlich von den Übersetzungen eines August Wilhelm Schlegels oder Wilhelm Tiecks unterschieden. Meyers Übersetzungen richteten sich bewusst an die weniger gebildeten Leser, die bisher mit den Werken Shakespeares kaum in Berührung gekommen waren. Um den Kauf seiner Shakespeare-Reihe zu intensivieren, wurden die einzelnen Ausgaben zu sehr niedrigen Preisen angeboten. Zusätzlich ließ Meyer die Bücher in hohen Auflagen drucken und vertrieb sie anschließend über den Reisebuchhandel und mehrere Kolporteure in ganz Deutschland. Meyer bediente sich also der Spekulationspraktiken der „neuen“ Buchhändlergeneration, was die etablierten Buchhändler in Gotha sicherlich mit Argwohn aufgenommen haben dürften. Trotz der umstrittenen Vertriebsmethoden erwiesen sich die volkstümlich gestalteten Shakespeare-Ausgaben für Meyer 457 Zum Wandel Friedrich Arnold Brockhaus’ vom Kaufmann zum Verleger vgl. grundlegend BROCKHAUS, HEINRICH EDUARD: Friedrich Arnold Brockhaus. Sein Leben und Wirken nach Briefen und andern Aufzeichnungen geschildert, Theil 1, Leipzig 1872; DERS.: Die Firma F. A: Brockhaus von der Begründung bis zum hundertjährigen Jubiläum 1805 – 1905, Leipzig 1905, S. 3–31. 458 Vgl. Correspondenzblatt für Kaufleute. Wöchentlicher Bericht von London, Amsterdam, Hamburg, Paris, Berlin etc. über Waaren=, Staatspapier=, Geld= und Wechsel= Handel, hrsg. von Carl Joseph Meyer, Gotha 1824–1828. 459 So versuchte er beispielsweise im Eisenacher Wochenblatt in mehreren Artikeln die Erkrankungen der Arbeiter in der Weilarer „Gewerbe- und Hülfsanstalt“ zu rechtfertigen. Vgl. MAY: Der feurige Geist, S. 11. 460 Vgl. MEYER, CARL JOSEPH (Hrsg.): Shakspeare’s Sämmtliche Schauspiele, Bd. 1: Das Leben Shakspeare’s. Nebst einer Literärgeschichte und Beurtheilung seiner dramatischen Werke, Gotha 1824. 461 Vgl. DERS. (Hrsg.): Shakspeare’s Sämmtliche Schauspiele, Bd. 2: Macbeth, Tragödie von Shakespeare. Frei bearbeitet, Gotha 1824; Bd. 3: Orthello, Tragödie von Shakespeare. Frei bearbeitet, Gotha 1824.

C. J. MEYER ALS VORREITER EINER POLITISCHEN VOLKSAUFKLÄRUNG

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als außerordentlich erfolgreich. Die Reihe wurde in den Folgejahren kontinuierlich fortgesetzt, so dass sie bis 1833 insgesamt 50 Bände umfasste.462 Den Plan, durch billige Volksausgaben den weniger gebildeten und einkommensschwächeren Lesern eine Möglichkeit zu eröffnen, kostengünstig in den Genuss des gesamten literarischen Oeuvres von William Shakespeare zu gelangen, wertet Peter Kaiser dann auch als eine große gezielte „Volksbildungsbemühung“ vonseiten Meyers.463 Mit der Herausgabe der Shakespeare-Reihe erkennt Kaiser in Meyer erstmals einen „Aufklärer der Vielen“, der sich das Credo der Aufklärung zu Herzen genommen hat, indem er mithilfe von Lektüre die noch bestehenden Wissenslücken in der breiten Bevölkerung zu verkleinern suchte.464 Unabhängig davon, ob man dieser Wertung in Gänze zustimmt, dürfte der Erfolg der Shakespeare-Reihe die zukünftige publizistisch-schriftstellerische sowie verlegerische Ausrichtung Meyers nachhaltig beeinflusst haben. Wie bei Bernhard Voigt wurde bei Meyer der Bildungsbegriff nun zu einem zentralen Leitmotiv seines Verlagsprogramms. Zusätzlich dürfte der Erfolg der Shakespeare-Reihe bei Meyer zur Entscheidung geführt haben, in Gotha sein eigenes Verlagsunternehmen zu etablieren. Die Gründung dieses Unternehmens, das den Namen „Bibliographisches Institut“ trug, erfolgte am 1. August 1826.465 Aufgrund seiner turbulenten kaufmännischen Vergangenheit ließ Meyer allerdings seine Frau Minna, welche er ein Jahr zuvor geheiratet hatte, als Eigentümerin des „Bibliographischen Instituts“ ins Handelsregister eintragen.466 Ihm selbst oblag nur „die alleinige Geschäftsführung“ des Unternehmens.467 In Buchhändlerkreisen erregte diese, für damalige Verhältnisse ausgesprochen ungewöhnliche Aufteilung des neu gegründeten Verlags, bald Misstrauen. Nachdem das erste große Verlagswerk des „Bibliographischen

462 Der letzte mir bekannte Band der Meyer’schen Shakespeare-Reihe war das eher unbekannte Werk „Ein Trauerspiel in Yorkshire“. Vgl. DERS. (Hrsg.): Shakspeare’s Sämmtliche Schauspiele, Bd. 50: Ein Trauerspiel in Yorkshire. Frei bearbeitet, Gotha/Erfurt 1833. 463 Vgl. KAISER: Der Pläneschmied, S. 72. 464 Peter Kaiser stützt sich dabei vor allem auf die Ausführungen Armin Humans. Vgl. ebd., S. 72 f. 465 Vgl. HOHLFELD: Das Bibliographische Institut, S. 32. 466 Auf diese Weise konnten die von Meyer in London gemachten Schulden im Namen Herzog Augusts auch bei künftigen Unternehmensgewinnen von der herzoglichen Familie rechtlich nicht eingefordert werden. Da im Ehevertrag zwischen Carl Joseph und Minna Meyer eine strikte Gütertrennung vereinbart wurde, verblieben die Gewinne des Verlags rein rechtlich gesehen allein im Besitz von Meyers Ehefrau. Vgl. KAISER: Der Pläneschmied, S. 73–76. 467 Vgl. Eröffnungsanzeige des Bibliographischen Instituts vom 1. August 1826. Abgedruckt in: SARKOWSKI: Das Bibliographische Institut, S. 21.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Instituts“, eine mehrbändige Ausgabe der deutschen Klassiker,468 in den Augen der etablierten Buchhändlers als ein unberechtigter Nachdruck aufgefasst worden war, kamen weitere Zweifel an der „Ehrlichkeit“ des Meyer’schen Unternehmens in Gotha auf. Der Vorwurf des unerlaubten Nachdrucks war nicht ganz unberechtigt, da die Rechte der meisten Werke der deutschen Klassiker schon in den Händen anderer Verleger lagen. Und weil es Meyer ebenfalls nicht gelang, eine Genehmigung von den Schriftstellern oder den Erben der von ihm gedruckten Werke vertraglich auszuhandeln,469 musste er sich eines juristischen Schlupfloches bedienen. Indem er seine Klassikerausgabe in Teillieferungen als eine Anthologie veröffentlichte, in welcher die Werke der deutschen Klassiker nur auszugsweise abgedruckt wurden, konnte er die geltenden Nachdruckprivilegien, deren Einhaltung im Vormärz in jedem Staat des Deutschen Bundes noch separat von den Behörden geregelt wurde,470 geschickt umgehen. Der Nachdruck einer geschützten Schrift wurde dadurch erheblich leichter. Der „Börsenverein der deutschen Buchhändler“, der sich zum Ziel gesetzt hatte, den Nachdruck in Deutschland rechtlich stärker zu reglementieren, war jedoch von diesen Geschäftspraktiken verständlicherweise wenig angetan. Um mehr über die zukünftigen Pläne Meyers in Erfahrung zu bringen, beauftragte der Börsenverein deshalb den Gothaer Verleger Friedrich Perthes mit der Überwachung des unliebsamen Buchhändlers.471 Das Urteil Perthes gegenüber seinem Kollegen fiel dabei wenig schmeichelhaft aus. Gegenüber dem Börsenverein nannte er Meyer ein „schlechtes, selbst betrügerisches Subjekt“ und verurteilte dessen Vertriebsmethoden auf das Schärfste.472 Vor allem aber kritisierte Perthes den Vertrieb der billigen Ausgaben, den Meyer, ähnlich wie Voigt, größtenteils über den Kolportage- und Reisebuchhandel abwickelte. Dass sich Meyer bereits kurz nach der Gründung seines „Bibliographischen Instituts“ in mehreren Prozessen wegen „Privilegienraubes“ zu verantworten hatte, dürfte seinem Ruf in Gotha zusätzlich geschadet haben.473 Als im März 1827 die Cotta’sche Buchhandlung ihr Urheberrecht vor Gericht durchsetzen konnte und der Gothaer Stadtrat daraufhin alle Druckbögen der im „Bibliographischen Institut“ veröffentlichten Werke von Schiller und Goethe beschlag468 Vgl. Miniatur-Bibliothek der deutschen Classiker, 187. Bde., Gotha/Hildburghausen 1827–1834. Sie erschien außerdem als: Cabinets-Bibliothek der deutschen Classiker, Gotha/Hildburghausen 1827–1834. 469 Vgl. HOHLFELD: Das Bibliographische Institut, S. 36. 470 Vgl. hierzu VOGEL, MARTIN: Deutsche Urheber- und Verlagsrechtsgeschichte zwischen 1450 und 1850. Sozial- und methodengeschichtliche Entwicklungsstufen der Rechte von Schriftsteller und Verleger, Frankfurt am Main 1978. 471 Vgl. MAY: Der feurige Geist, S. 13. 472 Vgl. HOHLFELD: Das Bibliographische Institut, S. 39. 473 Vgl. HUMAN: Carl Joseph Meyer, S. 66.

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nahmte, dürfte Meyer diesen Vorgang als ersten herben Rückschlag für sein noch junges Unternehmen gewertet haben. Als ihm von den Behörden darüber hinaus noch verwehrt wurde, seinem Verlag eine Druckerei und eine Buchbinderei anzugliedern, fasste er 1828 den Entschluss, mit seinem „Bibliographischen Institut“ in eine andere Stadt überzusiedeln. Wie zuvor der Verlagsbuchhändler Wilhelm Hennings, der 1826 in Gotha ebenfalls eine Druckerei errichten wollte,474 konnte auch Meyer die herzogliche Landesregierung nicht dazu bewegen, das alleinige Druckprivileg der Engelhardt-Reyherschen Hofbuchdruckerei zu lockern. Der Weggang aus Gotha führte Meyer nach Sachsen-Meiningen, in die ehemalige Residenzstadt Hildburghausen. Dort waren die Bedingungen zur Entfaltung seines Unternehmens wesentlich günstiger. Unterstützt durch den Medizinalrat Carl Hohnbaum und den Kaufmann Erdmann Scheller wurde das „Bibliographische Institut“ in einen geräumigen Gebäudekomplex in die Hildburghäuser Innenstadt verlegt.475 Außerdem durfte Meyer seiner Verlagsanstalt nun auch eine Druckerei, Buchbinderei und Sortimentsbuchhandlung anschließen. Wenig später erfolgte zudem noch die Angliederung einer Schriftgießerei, einer Maschinenbauerei sowie einer Farbfabrik.476 Zusätzlich wurde dem „Bibliographischen Institut“ von herzoglicher Seite weitere Unterstützung zugesichert. Um die wirtschaftliche Prosperität des „Bibliographischen Instituts“ zu fördern, gewährte Herzog Bernhard II. dem Unternehmen Gewerbefreiheit sowie die Befreiung von der Grundsteuer.477 Diese Vergünstigungen sollten dazu beitragen, die städtische Wirtschaft in Hildburghausen zu beleben. Vor allem Handel und Handwerk litten darunter, dass Bernhard II. seine Residenz nach Meiningen verlegt hatte. Die Regierung Sachsen-Meiningens sah in Meyers „Bibliographischem Institut“ eine willkommene Gelegenheit, neue Arbeitsplätze in Hildburghausen zu schaffen. Als Gegenleistung für die herzogliche Subvention seines Unternehmens

474 Vgl. ThStA Gotha, Landesregierung Gotha, Loc. 84 Nr. 5: Acta, das Gesuch des Geheimen Legations-Rathes und Buchhändlers Wilhelm Hennings allhier um Erlaubniß zu Anlegung einer eigenen Druckerey zum Druck der in seinem Verlage heraus kommenden Bücher ingl. die in Beziehung auf dieses Gesuch von den Obermeistern hiesigen Buchbinderhandwerks überreichte Vorstellung, 1826–1828, Bl. 1–6. 475 Der Erwerb des Anwesens erfolgte durch Minna Meyer am 4. Dezember 1828. Das Haus wurde ursprünglich im Jahr 1779 von Regierungsrat Johann Christoph Brunnquell errichtet und umfasste eine Fläche von 1468 m². Vgl. HUMAN: Carl Joseph Meyer, S. 68– 71. 476 Vgl. REITZ/MARWINSKI: Meyer, Carl Joseph, S. 141. 477 Zu den gewerblichen Vergünstigungen, die am 1. November 1828 in einem Vertrag zwischen Minna Meyer als Eigentümerin des „Bibliographischen Instituts“ und dem Bevollmächtigten des Herzogs von Sachsen-Meiningen, Regierungsrat Carl Friedrich Schenck festgehalten wurden vgl. HOHLFELD: Das Bibliographische Institut, S. 51–54.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

musste Meyer der Landesregierung deshalb versichern, zwischen 150 und 200 „inländische“ Arbeitskräfte einzustellen.478 Dank der günstigen Bedingungen erwies sich die Übersiedlung des „Bibliographischen Instituts“ von Gotha nach Hildburghausen für Carl Joseph Meyer als ein absoluter Glücksfall. Sein kleines Verlagsunternehmen entwickelte sich schnell zu einem Großbetrieb, das nach Hohlfeld im Jahr 1830 schon rund 190 Menschen beschäftigte.479 Bis 1850 steigerte sich die Zahl der Angestellten, inklusive der freien Mitarbeiter, sogar auf rund 450 Personen.480 Zwar gelang es Meyer nicht, die Forderung der Landesregierung zu erfüllen und sein Unternehmen mit der geforderten Anzahl an einheimischen Arbeitskräften auszustatten,481 doch tat dies dem Ausbau der einzelnen Zweigbetriebe des „Bibliographischen Instituts“ keinen Abbruch. Vor allem die Druckerei und Buchbinderei wurden in einem rasanten Tempo erweitert. Neben Cotta, Brockhaus, Teubner und Decker zählte Meyers Druckerei 1830 mit zur größten in Deutschland.482 Indem Meyer neben mehreren Eisen- und Kupferdruckpressen auch eine Schnellpresse einsetzte, konnte das Produktionsvolumen erheblich gesteigert werden. Die im „Bibliographischen Institut“ hergestellten Bücher wurden dadurch zur industriellen Massenware, was den Vorteil hatte, dass Meyer seine Bücher ausgesprochen billig verkaufen konnte. Vor diesem Hintergrund gelang es Meyer tatsächlich, seine Bücher nicht nur unter den Gebildeten, sondern auch im „Volk“ abzusetzen. Dass das „Bibliographische Institut“ in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem der bedeutendsten Verlage in Deutschland avancierte, ist vor allem auf den Erfolg seiner periodisch erscheinenden lexikalisch-enzyklopädischen Literatur zurückzuführen. Die bereits erwähnte Klassiker-Bibliothek wurde im Zeitraum von 1839 bis 1847 auf 200 Bände ausgedehnt und als „Neue Miniatur-Bibliothek der deutschen Klassiker“ nochmals verlegt.483 Als äußerst auflagenstark erwies sich außerdem die Monatsschrift „Meyer’s Universum“, die einem breitem Publi478 Vgl. HUMAN: Carl Joseph Meyer, S. 67. 479 In einem Bericht vom Juni 1830 an die Meininger Regierung spricht Meyer von 34 Druckern und Setzern, 16 Kupfer-, Stahl- und Steinstechern, 3 Zeichnern, 8 auswärtigen Künstlern, 2 geographischen Zeichnern, 12 Stahl-, Kupfer- und Steindruckern, 8 Schlossern, 1 Buchhalter, 2 Schreibern, 1 Preßmeister, 2 Packern, 5 Buchbindearbeitern und 90 Papierfabrikarbeitern. Abschließend fasste Meyer zusammen: „Das unmittelbar vom Institut beschäftigte Personal (inclusive des in den für dasselbe arbeitenden auswärtigen Papierfabriken angestellten) summiert sich auf etwa 190 Individuen.“ Vgl. HOHLFELD: Das Bibliographische Institut, S. 60–64. 480 Vgl. KAISER: Der Pläneschmied, S. 88. 481 Vgl. ebd., S. 86–88. 482 Vgl. MIDDELL: Eine Verlagslandschaft, S. 43. 483 Vgl. MEYER, CARL JOSEPH (Hrsg.): Neue Miniatur-Bibliothek der deutschen Klassiker. Eine Miniatur-Anthologie aus ihren sämmtlichen Werken, Hildburghausen/Philadelphia/Paris/Amsterdam 1839–1847.

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kum die Geographie und Kultur aller Länder der Erde verständlich und anschaulich nahebringen wollte. Von dieser Zeitschrift erschienen bis 1850 insgesamt 14 Jahrgänge,484 deren jährliche Auflagenhöhe zwischen 30.000 und 80.000 Exemplaren betrug.485 Ein anderes Verlagsprojekt aus dem Bereich der Geographie, welches ebenfalls eine sehr hohe Auflagenzahl zu verzeichnen hatte, war „Meyers Pfennig-Atlas“.486 Wie bei Meyer üblich, wurden auch hier in regelmäßigen Abständen, von 1834 bis 1841, kostengünstige Stadt- und Landkarten einer breiten Leserschicht angeboten. Da eine kolorierte Karte nur 8 Pfennige kostete, konnte Meyer so viele Abnehmer finden, dass seine Auflagenhöhe bei 30.000 Exemplaren lag.487 Außerdem fasste Meyer 1839 den Entschluss, ein Universallexikon zu verlegen, das nach eigener Aussage „den Massen“ zur Wissensaneignung und Erziehung zugleich dienen sollte, um damit „die öffentliche Wohlfahrt auf breiteren, vernünftigeren und dauernden Grundlagen [zu] befestigen“.488 Obwohl sich Meyers „Großes Conversations-Lexikon“ in der Titelformulierung explizit an die „gebildeten Stände“ richtete, war es dennoch für eine breite Leserschaft gedacht. Sein Lexikon sollte die Bildung eines jeden Menschen fördern,489 was gleichsam einschloss, der ungebildeten Masse der Bevölkerung zu einem höheren Bildungsstand zu verhelfen.490 Dass das Lexikon wahrscheinlich nicht nur von den „gebildeten Ständen“ erworben wurde, lassen die hohen Auflagenzahlen vermuten. Bis zum Ausbruch der Revolution von 1848/49 konnte Meyer für sein „Großes Conversations-Lexikon“ etwa 70.000 Subskribenten verzeichnen.491 Dass dem Verlagsprogramm des „Bibliographischen Instituts“ durchaus ein aufklärerischer Impetus anhaftete, wird besonders deutlich, wenn man Meyers 484 Vgl. DERS. (Hrsg.): Meyer’s Universum oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde, 14 Bde., Hildburghausen/New York 1833–1850. 485 Vgl. KAISER: Der Pläneschmied, S. 134. 486 Vgl. MEYER, CARL JOSEPH (Hrsg.): Meyer’s Pfennig-Atlas. Zum Handgebrauche für die gesammte Erdbeschreibung, 116 Karten, Hildburghausen/New York 1834–1841. 487 Vgl. MAY: Der feurige Geist, S. 46. 488 Vorwort, in: Meyer, Carl Joseph (Hrsg.): Das große Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände. In Verbindung mit Staatsmännern, Gelehrten, Künstlern und Technikern, Hildburghausen 1840, S. I–XII. 489 Nach Meyers eigener Aussage betrachtete er sein „Conversations-Lexikon“ als eine „populäre Encyklopädie“, die auch der „Entwicklung der Volks-Intelligenz“ dienlich sein sollte. Vgl. KALHÖFER, KARL-HEINZ: 125 Jahre Meyers Lexikon, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen, 78 (1964), S. 463. 490 Vgl. KAISER: Der Pläneschmied, S. 186. Zum Aufbau und Programm des „Großen Conversations-Lexikons“ sowie dessen Konkurrenz zum „Konversations-Lexikon“ von Brockhaus und dem „Enzyklopädischen Wörterbuch“ von Pierer vgl. außerdem MENZ, GERHARD: Hundert Jahre Meyers Lexikon. Festschrift anlässlich des hundertjährigen Jubiläums von Meyers Lexikon am 25. August 1939, Leipzig 1939, S. 9–41. 491 Vgl. KAISER: Der Pläneschmied, S. 189.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Interpretation des Wortes „Bildung“ näher beleuchtet. Kurz nach der Gründung des „Bibliographischen Instituts“ veröffentlichte Meyer seine Verlagswerke unter der Losung „Bildung für Alle“. Bis zum Ausbruch der Revolution von 1848/49 zierten etliche Titelblätter von Meyers Schriften dieses Motto. Der Begriff „Bildung“ wurde bald zum strategisch eingesetzten, zentralen Verkaufsargument aller Verlagsschriften des „Bibliographischen Instituts“, so dass spätestens in der Mitte des 19. Jahrhunderts in der zeitgenössischen Wahrnehmung nicht nur Meyers Schriften, sondern gleichsam sein ganzes Verlagsunternehmen der Losung „Bildung für Alle“ verschrieben war.492 Auch Christina Milde kommt zu dem Befund, dass in den Schriften, die in den ersten drei Jahrzehnten des Bestehens des „Bibliographischen Instituts“ erschienen sind, kein Schlagwort häufiger Verwendung fand als der Begriff „Bildung“.493 Des Weiteren konstatiert sie, dass der Bildungsbegriff oftmals in direkter oder indirekter Korrelation zu den Begriffen „Aufklärung“ und „Erziehung“ gebraucht wurde. Nach Milde lag den Verlagswerken des „Bibliographischen Instituts“ eine konkrete Bildungskonzeption zugrunde, die im Wesentlichen auf den Erziehungsvorstellungen sowie dem Fortschrittsoptimismus der Aufklärung des 18. Jahrhunderts basierte.494 In ihrer Dissertation über „Meyer’s Universum“ weist Milde darauf hin, dass Meyers Bildungskonzeption darauf ausgelegt war, das „Volk“ in möglichst umfassendem Maße am Wissen der „gebildeten Stände“ teilhaben zu lassen. Die Aneignung von Bildung wertete Meyer als Grundlage für Vernunft und Sittlichkeit.495 Für Meyer war ohne „wahre Bildung“, die einen jeden Menschen zur Annahme vernünftiger und sittlicher Prinzipien bewog, kein gesellschaftlicher Fortschritt möglich. Die Glückseligkeit des Einzelnen sowie die Verbesserung der öffentlichen Wohlfahrt konnten nur unter der Voraussetzung realisiert werden, wenn in allen Gliedern der Gesellschaft ein gleich hohes Bildungsniveau existierte.496 Mit dieser Sichtweise stand Meyer eindeutig in der Tradition der Volksaufklärung des 18. Jahrhunderts. Die in Wechselwirkung zueinander stehende Konstellation aus Bildung, Sittlichkeit und Vernunftgebrauch umschrieb Meyer dabei mit dem Begriff „Humanität“. Ein zweiter zentraler Begriff, der ebenfalls unmittelbar an die Bildung des Menschen gekoppelt war, stellte für Meyer die „Freiheit“ dar. Bildung nahm für Meyer auch eine emanzipatorische Funktion ein, da sie den Einzelnen zur Freiheit individueller Selbstbestimmung sowie zur Freiheit aus politischer Unmün492 Vgl. STORCH, LUDWIG: Ein Pionier des Geistes, in: Die Gartenlaube. Illlustrirtes Familienblatt, Jahrgang 1857, Nr. 45 u. 47, S. 613–616 u. 633–636. 493 MILDE, CHRISTINA: Carl Joseph Meyers „Universum“. Ein Beitrag zur Geschichte der Publizistik des deutschen Vormärz, Diss. phil., Leipzig 1991, S. 56. 494 Vgl. ebd., S. 55–68. 495 Vgl. ebd., S. 91–96. 496 Vgl. ebd., S. 58–65.

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digkeit befähigte. Ein gebildetes „Volk“ hatte nach Meyer das Recht auf politische Partizipation. Die Aneignung von Bildung war demnach essentiell für die Erziehung des Menschen zum Staatsbürger. Meyer erachtete die „Freiheit“ als wichtige Konsequenz einer „allgemeinen Menschenbildung“, die neben dem gewünschten gesellschaftlichen auch den politischen Fortschritt vorantrieb. Dass ihm die „Fortbildung des Volkes“ stets am Herzen lag und er zum Wohle des Einzelnen sowie der Gesellschaft den „Mächten der Verdummung“ entgegenwirken wollte, bekräftige Meyer dann nochmals im Schlusswort des letzten Bandes seines „Großen Conversations-Lexikons“. Gegenüber den Lesern versicherte er: „Mein Motto war: die Intelligenz Aller ist der stärkste Hort der Humanität und Freiheit.“497 Auch nach der Revolution von 1848/49 hielt Carl Joseph Meyer an seinem Bildungskonzept fest. Die aus seiner Sicht gescheiterte Revolution war für ihn ein Beleg, dass sich der Bildungsstand des „Volkes“ noch nicht auf dem Niveau der Gebildeten befand.498 Vor allem attestierte Meyer dem „Volk“ eine politische Unreife. Die letzten sechs Jahre seines Lebens führte er seine Verlagstätigkeit bzw. sein Verlagsprogramm weitgehend im gleichen Stil fort. Zwar wurde „Meyer’s Universum“ von der preußischen Regierung nach 1850 kurzfristig verboten, doch hinderte ihn dies nicht daran, die politische Aufklärung des „Volkes“ mithilfe publizistischer Mittel wieder aufzunehmen. Seine Verlagswerke erschienen jetzt unter der Losung „Bildung macht frei“, die nun auch zum offiziellen Wahlspruch des „Bibliographischen Instituts“ wurde.499 In Anlehnung an die Aussage Francis Bacons „Knowledge itself is power!“ schrieb Meyer nach dem Ausbruch der Revolution: „Wissen ist Macht“.500 Vor allem das Wissen über die Mechanismen politischer Prozesse war seiner Meinung nach im „Volk“ kaum vorhanden. Meyer veröffentlichte deshalb eine „Deutsche Parlaments=Chronik“, die er insbesondere dem „Volk“ als ein publizistisches Organ zur politischen Bildung empfahl. Die in diesem Blatt bereitgestellten Informationen über die Verhandlungen in der Frankfurter Paulskirche sollten all jene für die aktuellen politischen Ereignisse sensibilisieren, die bisher an der Teilhabe politischer Vorgänge ausgeschlossen waren. Nur so konnte die von ihm postulierte „Freiheit“ auf Dauer aufrechterhalten werden. Im ersten Band der „Deutschen Parlaments=Chronik“ mahnte er deshalb an: Man kann die Freiheit nicht genießen, ohne Vorbildung für die Freiheit. Ohne daß eine tüchtige politische Bildung im Volke Wurzel geschlagen hat, kann das Volk die Freiheit nur unvollkommen erkennen, ehren und ertragen, eher kann es die Rechte nicht vollständig fassen und schätzen, die sie gibt, eher die Pflichten und Opfer, die sie auflegt, nicht mit 497 MEYER, CARL JOSEPH: Schlußwort des Herausgebers, 28. März 1855. Abgedruckt in: SARKOWSKI: Das Bibliographische Institut, S. 71. 498 Vgl. MILDE: Carl Joseph Meyers „Universum“, S. 75. 499 Vgl. MAY: Der feurige Geist, S. 45. 500 Ebd., S. 46.

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Hingebung erfüllen und nicht früher kann es des Glücks in der Freiheit in vollem Maße theilhaftig werden.501

Im Avertissement des zweiten Bandes, der seit Juli 1848 wöchentlich in insgesamt 25 Heften an die Abonnenten ausgeliefert wurde, unterstrich Meyer dann nochmals den Zweck seiner „Deutschen Parlaments=Chronik“: Das Parlamentswerk [in Frankfurt] will aber Zeit haben und die Ungeduld wird sich bezähmen müssen. Noch ist kein Plan gefaßt, noch hat sich nicht mal eine Idee zur Allgemeinheit aufgeschwungen. Chaos und Zerfahrenheit ist Alles. Darum wird das Parlament in der ersten Zeit nichts weiter seyn, als ein Kampfplatz der Grundideen über Staat und Gesellschaft und über die verschiedenen Regierungsformen, und da werden feurige Zungen aus den Häuptern der Parteien glühende Worte reden und der Unterricht über Politik und ihre Grundlehren wird aus der Versammlung über das ganze Volk kommen. Diesen Unterricht zu befördern und zu vermitteln, das Parlament so recht eigentlich zur politischen Schulstube für das gesammte deutsche Volk zu machen und den Vorträgen im Parlamente eine jeder Fassungskraft zusagende Form mit Uebersichtlichkeit und geschichtlichem Zusammenhang zu geben, ist mein Gedanke und der bestimmte Zweck dieser Chronik.502

Dass Meyers Vorstellung von „Freiheit“ nach 1849 vorerst nicht mehr zu realisieren war, dürfte den Hildburghäuser Verlagsbuchhändler schwer mitgenommen haben. Dennoch blieb er weiterhin der Überzeugung, dass „Freiheit“ nur über den Weg der Bildung zu erreichen war.503 Um „Herz und Geist“ im „Volk“ zu wecken, gab er deshalb im Jahr 1850 unter dem Titel „Meyers Groschenbibliothek“ erneut eine Klassiker-Anthologie heraus.504 In einem Prospekt warb er überschwänglich für den Nutzen dieser Reihe. So heißt es: Meyers Groschenbibliothek enthält das Beste der deutschen classischen Literatur. Sie soll ein Werkzeug werden für die intellektuelle Emanzipation des Volks, – der Masse. – Sie soll es seyn; sie wird es seyn: – denn jeder Schulknabe und jedes Mädchen, jeder Lehrling, jeder Arbeiter und jeder Handwerker, jeder Bauer, selbst der Allerärmste, der täglich zwei Pfennige zur Anschaffung der Groschenbibliothek erübrigt, kann sich in Besitz bringen der reinsten und reichsten Quelle des Wissens, der Unterhaltung und der Erhebung von Herz 501 MEYER, CARL JOSEPH (Hrsg.): Deutsche Parlaments=Chronik. Ein politisches Schulbuch für’s Deutsche Volk, Bd. 1: Vorpalament; – Fünfziger=Ausschuß. Der verfassungsgebenden Reichsversammlung erste Periode. Von der Eröffnung des Parlaments bis zur Wahl des Johann v. Habsburg=Lothringen als Reichsverweser, Hildburghausen 1848, S. 15. 502 DERS. (Hrsg.): Deutsche Parlaments=Chronik. Ein politisches Schulbuch für’s Deutsche Volk, Zweiter Band, Erste Lieferung, Hildburghausen 1848, unpag. 503 Im 14. Jahrgang seines „Universums“ (1850/51) betonte er abermals: „Bildet das Volk, um das Vaterland zu retten, und mit demselben rettet ihr die Freiheit“. Zit. nach MILDE: Carl Joseph Meyers „Universum“, S. 75. 504 Vgl. Meyer’s Groschen=Bibliothek der Deutschen Classiker, 365 Bde., Hildburghausen/ New York 1850–1855.

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und Geist. Jeder ohne Ausnahme, kann sich einen Schatz sammeln für’s ganze Leben – und dieser Schriftsatz verliert niemals an seinem Werthe.505

Daneben veröffentlichte Meyer eine „Geschichts-Bibliothek für allgemeine Kunde des Kultur- und Völkerlebens“ sowie eine „Volksbibliothek für Länder-, Völker- und Naturkunde“, die beide mehrere Bände umfassten.506 All diese Schriften sollten der breiten Masse der Bevölkerung nun die nötige politische Bildung vermitteln, über die sie während der Revolution von 1848/49 vermeintlich noch nicht verfügte. Ob alle Leser infolge der Rezeption der Verlagswerke des „Bibliographischen Instituts“ die von Meyer geforderte politische Reife erlangten, bleibt allerdings zu bezweifeln. Viel wichtiger erscheint in diesem Zusammenhang, dass die literarisch-publizistische Vermittlung von Wissen und Bildung sowie die daraus resultierende politische Aufklärung breiter Bevölkerungsschichten konstant über einen Zeitraum von 20 Jahren erfolgte und es anzunehmen ist, dass Meyers Schriften aufgrund der enorm hohen Auflagenzahlen zumindest ansatzweise im „Volk“ auch wirklich ihre Verbreitung fanden. Meyers moderne Produktionsund Vertriebsmethoden machten den Kauf von Bildungsliteratur auch für einkommensschwache Bevölkerungsschichten erschwinglich. Sofern der „gemeine Mann“ dazu bereit war, konnte er sich dank Meyer sogar eine ganze Sammlung von Bildungsschriften preisgünstig zulegen. Vor diesem Hintergrund kommt auch Katharina Middell zu dem Ergebnis, dass Carl Joseph Meyer in der Mitte des 19. Jahrhunderts „ein Vorreiter der entschiedenen Demokratisierung von Bildung und Wissen“ war.507 Meyer erfüllte damit auf eindrucksvolle Weise eine der grundlegendsten Forderungen der Volksaufklärung. Meyers größtes Verdienst auf dem Gebiet der politischen Volksaufklärung bestand allerdings nicht in einer massenhaften Distribution seiner KlassikerAnthologie oder seines Universallexikons, sondern in der Herausgabe eines volksaufklärerischen Periodikums, das zu Beginn der 1830er Jahre erstmals im Thüringer Raum energisch zur Überwindung aller noch bestehenden ständischen Strukturen aufrief. Zwar erschien vielen thüringischen Volksaufklärern nach 1815 das Konzept einer bürgerlichen Gesellschaft, eingebettet in einem auf politischer Partizipation beruhenden Verfassungsstaat, als vorteilhafteres Gegenmodell zur alten Ständegesellschaft, doch wurde dies bis zum Ausbruch der Julirevolution von 1830 nur ansatzweise auf publizistischer Ebene artikuliert.508 Meyer war kurz nach 1830 schließlich der Erste, der keine Konsequenzen scheute, als politischer 505 Zit. nach MAY: Der feurige Geist, S. 46. 506 Vgl. Meyer’s Geschichts-Bibliothek für allgemeine Kunde des Kultur- und Völkerlebens, 24 Bde., Hildburghausen/New York 1850; Meyer’s Volksbibliothek für Länder-, Völkerund Naturkunde, 102 Bde., Hildburghausen/New York 1853–1857. 507 MIDDELL: Eine Verlagslandschaft, S. 43. 508 Vgl. KRÜNES: Politisierte Volksaufklärung in Thüringen, S. 335–343.

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Publizist tätig zu werden und einer breiten Öffentlichkeit die Ideen des Liberalismus nahezubringen. Sein im Jahr 1832 gegründetes Periodikum „Der Volksfreund. Ein Blatt für Bürger in Stadt und Land“ wurde die erste volksaufklärerische Zeitschrift in Thüringen, deren Fokus allein auf einer politischen Aufklärung des „Volkes“ lag. Mit diesem rein politisch ausgerichteten halbwöchentlich erscheinenden Blatt forcierte Meyer in erheblichem Maße eine politisierte Aufklärung im Sinne des Liberalismus in Thüringen. Zwar existierten 1830 bereits mit der Hildburghäuser „Dorfzeitung“ und dem „Allgemeinen Anzeiger und National=Zeitung der Deutschen“ zwei überregional rezipierte volksaufklärerische Periodika mit liberalen Tendenzen, doch die Schärfe, mit denen Meyer seine Ausführungen im „Volksfreund“ versah, war für die Volksaufklärung im thüringischen Raum bis in die 1830er Jahre beispiellos. Da unter den Volksaufklärern im Thüringer Raum während der gesamten Vormärzzeit keine einheitliche Vorstellung oder Strategie existierte, in welchem Maße das „Volk“ mit politischen Sachverhalten konfrontiert werden sollte, stieß Meyers konfliktbereite Vorgehensweise nicht überall auf Zustimmung. Demzufolge dürfen die dem Liberalismus zugewandten Volksaufklärer keinesfalls als eine homogene Gruppe betrachtet werden. In den Grundfragen, etwa in Bezug auf Nationalstaatlichkeit und Konstitutionalismus, vertrat man zwar prinzipiell die gleichen Positionen, doch in den Detailfragen herrschte oftmals Uneinigkeit. Die von Ludwig Nonne herausgegebene „Dorfzeitung“, die ihren Sitz ebenfalls in Hildburghausen hatte, billigte die politische Ausrichtung des „Volksfreundes“ nur zum Teil. Vor allem manch eine Affinität, welcher der „Volksfreund“ zum Republikanismus hegte, wurde von der „Dorfzeitung“ unterschwellig kritisiert.509 Obwohl die „Dorfzeitung“ und der „Volksfreund“ im Grunde dieselben liberalen Ziele vertraten, missfiel der „Dorfzeitung“ die aggressive und scheinbar aufrührerische Art, mit der Meyer in seinem „Volksfreund“ die sozialen und politischen Missstände im Land anprangerte.510 Meyer empfand hingegen die politische Haltung der „Dorfzeitung“ als viel zu zurückhaltend. Er formulierte seine liberalen Forderungen weitaus offensiver und nahm dafür auch ein Verbot seines „Volksfreundes“ in Kauf. Scheinbar hat er weniger Hemmung als seine volksaufklärerischen Kollegen gehabt, die direkte Konfrontation mit den konservativen und restaurativen Kräften zu suchen. Infolgedessen stand Carl

509 Vgl. Welthändel, in: Dorfzeitung, Nr. 94 vom 26.Mai 1832, S. 380. 510 Nach Ernst Kaiser war sowohl Carl Joseph Meyer, Herausgeber des „Volksfreundes“, als auch Ludwig Nonne, Herausgeber der „Dorfzeitung“, „eine dem Fortschritt huldigende, einprägende Persönlichkeit“, doch beide hatten unterschiedliche Herangehensweisen. Für Kaiser war „der eine, Meyer, mehr Revolutionär, der andere, Nonne, mehr Reformator“. Vgl. KAISER: Dr. Ludwig Nonne, S. 93.

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Joseph Meyer ab den 1830er Jahren unter strengerer Beobachtung der Zensur als andere thüringische Volksaufklärer.511 Dass die konservativen Kräfte verstärktes Misstrauen gegenüber dem Hildburghäuser Verlagsbuchhändler hegten, lag aber auch an der Tatsache, dass Meyer enge Verbindungen zu den führenden Liberalen im süddeutschen Raum gepflegt hatte. Gemeinsam mit Philipp Jakob Siebenpfeiffer, einem Hauptinitiator des Hambacher Festes, hatte Meyer zunächst versucht, unter dem Titel „Der Hausfreund“ ein liberales Wochenblatt herauszugeben. Jedoch fand dieses Vorhaben bereits nach der ersten Ausgabe ein abruptes Ende. Aufgrund von Siebenpfeiffers früheren publizistischen Aktivitäten wurde der „Hausfreund“ augenblicklich von der Frankfurter Bundesversammlung verboten. Meyer konnte dem Lesepublikum nur noch mitteilen, dass Siebenpfeiffer die Herausgabe jeglicher Zeitungslektüre auf Bundesbeschluss strikt untersagt wurde: Durch deutschen Bundesbeschluß vom 2. März sei dem wegen Subordinationsvergehen abgesetzten Westboten, D. Siebenpfeiffer mit Namen, alles Botengehen und Zeitungsführen auf fünf ganzer Jahre streng untersagt. Deshalb dürfe keine von ihm geleitete Zeitung innerhalb des Bundesgebiets das Visa zur Fortsetzung ihrer Reise erhalten, sondern sie müsse vielmehr als ein der Acht verfallnes Ding angesehen werden, das anzuhalten oder zu unterdrücken jedes guten Deutschen Pflicht sei. 512

Damit war das Schicksal des „Hausfreundes“ besiegelt. Die sachsen-meiningische Regierung ließ den „Hausfreund“ nach Erscheinen der ersten Ausgabe unverzüglich unterdrücken. Jedoch war der Meininger Zensurbehörde nicht gestattet worden, weitere Schritte gegen Meyer einzuleiten, da sich der Bundesbeschluss ausschließlich gegen die Person Siebenpfeiffers richtete. Solange der Hildburghäuser Verleger dazu bereit war, auf Siebenpfeiffer zu verzichten, stand einer Weiterführung des „Hausfreundes“ unter neuem Namen nichts im Wege. Wollte Meyer die von ihm angestrebte politische Aufklärung des „Volkes“ intensivieren, blieb ihm streng genommen auch nichts anderes übrig. Als Verleger und Buchhändler wusste Meyer sehr genau, dass eine periodische Schrift das zweckmäßigste Medium war, mit dem politische Ideen breitenwirksam an das „Volk“ herangetragen werden konnten. Meyer hielt also an seinem Vorhaben fest und brachte, diesmal ohne Siebenpfeiffer, unter dem Titel „Der Volksfreund“ ein neues politisches Blatt heraus. Die Aufmachung des neuen Blattes war dabei deckungsgleich mit dem des ehemaligen „Hausfreundes“. Sowohl Layout und Textgestaltung als auch die Rubrikeinteilung des „Volksfreundes“ sind identisch mit denen des „Hausfreundes“. Meyer hatte sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, das Design des Titelschriftzugs zu ändern. Das Wort „Haus“ wurde 511 Vgl. hierzu außerdem Kapitel VII.3. 512 Vgl. Hausfreunds Probefahrt, in: Der Hausfreund. Ein Blatt für Bürger in Stadt und Land, Nr. 1 vom 15.Mai 1832, S. 1.

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einfach durch das Wort „Volk“ ersetzt, ansonsten blieb – inklusive des Untertitels – alles beim Alten. Es ließ sich also nicht verleugnen, auch wenn Meyer aus Angst vor weiteren Presserestriktionen gegenüber der „Dorfzeitung“ das Gegenteil behauptete, dass der „Volksfreund“ zweifelsfrei der Nachfolger des „Hausfreundes“ war. Dabei wählte Meyer bewusst den Titel „Volksfreund“, der in der Tradition von Jean Paul Marats „L’ami du peuple“ stand und der Öffentlichkeit unmissverständlich signalisieren sollte, dass diese Zeitschrift eine politisierte Volksaufklärung beabsichtigte. Dass diese Titelwahl nicht rein zufällig war, zeigt auch ein Blick auf die lange Tradition der „Volksfreund-Zeitschriften“ in Thüringen. Bereits von 1788 bis 1792 erschien in Greiz mit dem „Volksfreund aus Voigtland“ ein Periodikum, das ausdrücklich an den „gemeinen Mann“ adressiert war und neben einer ökonomischen und sittlich-moralischen auch eine politische Volksaufklärung betrieb.513 Wenig später, im Jahr 1794, wurde von der „Gesellschaft der Volksfreunde“ in Gera, als unmittelbarer Vorläufer der Steinbeck’schen „Aufrichtig-teutschen Volks-Zeitung“,514 ebenfalls ein „Volks-Freund“ herausgegeben.515 Ebenso existierten im 19. Jahrhundert in mehreren thüringischen Städten verschiedene „Volksfreunde“, die alle neben den üblichen haus- und landwirtschaftlichen Texten auch politische Berichte beinhalteten.516 Im Jahr 1818 gab Ludwig Wieland in Weimar sogar erstmals ein rein politisches Blatt unter dem Titel „Volksfreund“ heraus, das in einer Reihe mit den liberalen thüringischen Zeitschriften „Nemesis“ und „Oppositionsblatt“ stand.517 Für die Weimarer Zensur war dieses Blatt so brisant, dass sie es bereits nach nur einem Monat provisorisch unterdrücken ließ.518 Zuletzt sei noch der „Thüringer Volksfreund“ genannt, der im Zeitraum von 1829 bis 1831, also ein Jahr vor der Veröffentlichung von Meyers „Volksfreund“, in Jena erschien und in ganz Thüringen rezi-

513 So erfährt der Leser beispielsweise im September und Oktober 1789 ausführlich von den Ereignissen der Französischen Revolution. Vgl. Der Volksfreund aus Voigtland. Für Menschenglück, hrsg. von Traugott Günther Röller, Greiz 1788–1792. 514 Vgl. MARWINSKI: Aufgeklärte Kleinstadtpublizistik, S. 196. Vgl. hierzu auch BÖNING/ SIEGERT: Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch, Bd. 2, Teilbd. 2.2, Sp. 1898 f. 515 Vgl. Der Volksfreund. Eine Zeitung für den Handwerker und Landmann, hrsg. von der Gesellschaft der Volksfreunde, Berlin/Leipzig/Gera 1794. 516 Vgl. u.a. Der Fürsten- und Volksfreund. Zeitschrift in zwanglosen Heften, Schleiz 1816; Belehrender Volksfreund aus der Länder- und Völkerkunde und Geschichte für den Bürger und Landmann, Schmalkalden 1826. Vgl. hierzu auch Anhang A dieser Arbeit. 517 Wobei hier erwähnt werden muss, dass Wielands „Volksfreund“ eher auf einer Stufe mit der „Nemesis“ und dem „Oppositionsblatt“ stand und sich trotz der Adressierung an das „Volk“ vorwiegend an das gebildete Bürgertum gerichtet hat. 518 Vgl. WILLNER, FRITZ: Ludwig Wieland, ein liberaler Publizist, Halle 1915, S. 12.

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piert wurde.519 Die Herausgeber des „Thüringer Volksfreundes“, Karl Herzog und Friedrich Johannes Frommann, beide geprägt durch den Jenaer Professor und liberalen Landtagsabgeordneten Heinrich Luden,520 hegten ähnlich liberale Ziele wie elf Jahre zuvor Ludwig Wieland mit seinem Weimarer „Volksfreund“. Der Ton des „Thüringer Volksfreundes“ war gegenüber dem Weimarer „Volksfreund“ sicher viel gemäßigter und „volksnaher“, doch als unermüdliche Verfechter für konstitutionelle Verhältnisse sowie Presse- und Meinungsfreiheit standen Herzog und Frommann politisch gesehen auf derselben Linie wie Ludwig Wieland. Fasst man dies alles zusammen, dann kann davon ausgegangen werden, dass ein Teil der thüringischen Leserschaft um 1830 mit dem Zeitschriftentitel „Volksfreund“ auch eine politische Berichterstattung assoziierte. Meyer hätte also keinen treffenderen Namen für sein neues politisches Blatt auswählen können. Welche Ziele Meyer mit seinem „Volksfreund“ genau zu erreichen versuchte, formulierte er bereits im Vorwort des „Hausfreundes“, das dem „Volksfreund“ später nochmals beigelegt wurde. So steht geschrieben, dass er nichts anderes wolle als „wahre und volle Aufklärung des Bürgers in Stadt und Land“.521 Dabei machte Meyer in der Vorrede auch klar, dass diese Aufklärung des Bürgers weniger auf einen praktischen Nutzen abzielte, sondern vielmehr den „gemeinen Mann“ über seine politischen Rechte informieren sollte. Dem „Volksfreund“ ging es um das, „was uns Allen am nächsten liegt oder liegen sollte: über Erziehung und Schule, Staat und Kirche, Gemeindewesen und Staatsbürgerthum“.522 Die politische Aufklärung des „Volkes“, also eine Unterrichtung des „gemeinen Mannes“ in eben diesen Themen, war in Meyers Augen die Grundlage einer zukünftigen prosperierenden Gesellschaft. Er ging sogar soweit, die politische Aufklärung des „Volkes“ erstmals als einen Weg der „Freiheit“ zu bezeichnen. So schreibt er: Wir wollen […] ernsthaft uns unterhalten und belehren über Krieg und Frieden, und noch mehr über das was uns Noth thut: wie wir uns frei machen wollen; frei nämlich von Unwissenheit und Aberglauben, von unsrer Gleichgültigkeit, unserm Eigennutz, unserer Kriecherei; und sind wir frei von diesen Tyrannen, so werden wir auch bald freie Bürger eines freien Staates seyn: Werden wir besser und Alles wird besser werden.523

519 Vgl. Der Thüringer Volksfreund. Eine Wochenschrift für Thüringen, das Osterland und Voigtland, hrsg. von Karl Herzog und Friedrich Johann Frommann, Jena 1829–1831. Vgl. hierzu außerdem Kapitel VI.2. 520 Zu Heinrich Luden vgl. MÜLLER: Heinrich Luden als Parlamentarier, S. 11–177. Vgl. außerdem RIES, KLAUS: Wort und Tat. Das politische Professorentum der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert, Stuttgart 2007. 521 Liebe Mitbürger!, in: Der Hausfreund, Nr. 1 vom 15.Mai 1832, [unpag.]. 522 Ebd. 523 Ebd.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Interessant ist dabei auch, dass Meyer das Wort „Volksaufklärung“ bewusst in seine publizistische Programmatik integriert hat. Für ihn beschränkte sich die Volksaufklärung nicht auf praktische Belange, die den „gemeinen Mann“ in der Ausübung seines Berufes nützen sollten. Eine „Aufklärung der Massen“ war für Meyer ohne die Unterrichtung des „gemeinen Mannes“ über die Gesetze seines Vaterlandes keine „ganze, volle Aufklärung“.524 So beklagte er: „Unsere Dorfjugend erfährt in den Schulen Mancherlei von der gesellschaftlichen Einrichtung der Biber und Ameisen; von denen im Vaterlande aber keine Sylbe.“525 Ohne politische Aufklärung des „Volkes“ sei die „wahre Freiheit“, die Meyer als eine „Herrschaft des Gesetzes und des Rechts“ umschrieb, nicht zu erreichen.526 Deshalb müsse „das Volk, die Massen über Sinn und Bedeutungen der Verfassungen aufgeklärt“ werden.527 Meyer sah sich deshalb dazu verpflichtet, „das Volk darüber zu verständigen, daß ihm nicht allein Pflichten, sondern auch Rechte gegen den Staat zustehen“. Die gesamtgesellschaftlichen Effekte einer solchen Volksaufklärung wertete Meyer als ungemein positiv. So glaubte er, dass die politische Aufklärung des „Volkes“ zugleich dazu beitragen werde, den Wohlstand in der Gesellschaft zu heben sowie die öffentliche Ordnung zu festigen: Und Volksaufklärung ist zugleich die sicherste Bürgschaft für die öffentliche Ordnung und die mächtigste Beförderin aller gemeinsamen Interessen der Gesellschaft: denn wo das Volk von der Kenntniß seiner Bedürfnisse und Interessen nicht minder, wie von dem Umfange seiner Rechte und Pflichten wahrhaft durchdrungen ist, da erzeugen und befestigen sich Gemeinsinn und der freiwillige, auf eigene Ueberzeugung gegründete Gehorsam gegen das Gesetz, jener Gehorsam, durch welchen ein Volk von seiner politische Reife, von seiner Würdigkeit zum Genuß der wahren Freiheit und ihrer Früchte das gültigste Zeugniß giebt.528

Das Anliegen, dem einfachen Stadt- und Landbewohner zeitgenössische Verfassungs- und Rechtsfragen näherzubringen, durchzog den „Volksfreund“ dann auch von der ersten bis zur letzten Ausgabe. Die Botschaft war dabei immer dieselbe: Jedem Bürger, selbst dem kleinsten Bauern, standen unveräußerliche Rechte zu, die er ohne Zögern bei den fürstlichen Regierungen einfordern durfte. Viele Rechte, wie etwa eine allgemeingültige Rechtsgleichheit oder ein allgemeines Wahlrecht zur Bestimmung der Landtagsvertreter, mussten aber noch errungen werden. Das „Volk“ sollte die dringende Notwendigkeit nach sofortigen politisch-rechtlichen Reformen erkennen. Und es sollte ebenfalls erkennen, dass nicht nur die höheren Stände zum Träger politischer Entscheidungsprozesse 524 Nothwendigkeit der Volksaufklärung in Deutschland zur Begründung der Herrschaft des Gesetzes, in: Der Volksfreund, Nr. 15 vom 10. Juli 1832, S. 79. 525 Ebd., S. 78. 526 Ebd., S. 77. 527 Ebd., S. 78. 528 Ebd., S. 77.

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geeignet waren, sondern ebenso die Bürger aus den niederen Ständen. Folgt man den Ausführungen Christine Mildes, dann zielte Meyer mit seinem „Volksfreund“ erstmals auf die Herstellung einer breiten politischen Öffentlichkeit.529 Die Masse der Bevölkerung sollte die Funktionsweise konstitutioneller Verfassungssysteme verstehen lernen, um fortan die politischen Vorgänge im Land vor dem eigenen Lebens- und Erfahrungshintergrund besser einordnen zu können. Demnach betrachtete Meyer seinen „Volksfreund“ auch als publizistisches Organ zur Fundamentalpolitisierung breiter, weniger gebildeter Bevölkerungsschichten. Für den Hildburghäuser Verleger hatten vor allem die Bauern und Handwerker maßgeblichen Anteil am Gemeinwohl der Gesellschaft. Durch ihre tägliche Arbeit leisteten sie einen wichtigen Beitrag für die allgemeine Wohlfahrt des Staates und hatten es verdient, als gemeinnützige Patrioten bezeichnet zu werden. Nach Meyers Auffassung bildeten sie das Fundament der Nation und waren deshalb auch dazu berechtigt, als Staatsbürger den zukünftigen konstitutionellen deutschen Nationalstaat mit zu konstituieren. Voraussetzung für eine politische Partizipation des „gemeinen Mannes“ war allerdings ein ausreichendes Maß an Bildung. Ein „Volk“, dem es noch an Aufgeklärtheit mangelte, dürfe vorerst nicht aus seiner politischen Unmündigkeit entlassen werden. Ungebildeten Bevölkerungsschichten verweigerte die Mehrheit der thüringischen Volksaufklärer das Recht auf politische Mitbestimmung, mit der Begründung, dass sich ein „unaufgeklärtes Volk“ im schlimmsten Fall gegen den eigenen Staat richten würde. Als Beispiel hierfür wurde fortwährend der radikale Verlauf der Französischen Revolution herangezogen. Die ungebildeten Bevölkerungsschichten mussten daher erst zu „gebildeten“ Bürgern werden, bevor man sie politisch emanzipieren konnte.530 Die Meinungen, ob das „Volk“ um das Jahr 1830 schon über die entsprechende Bildung verfügte, gingen bei den thüringischen Volksaufklärern hingegen weit auseinander. Während die einen dies vehement verneinten, bescheinigten die anderen dem „Volk“ ein hohes Niveau an Bildung sowie die Fähigkeit zum vernunftorientierten Denken und Handeln. Meyer gehörte zur letztgenannten Fraktion. Auch wenn er dieses Urteil nach der Revolution von 1848/49 revidierte, war er noch 1832 im „Volksfreund“ davon überzeugt: „Ihr Bürger= und Bauersmänner, euer Verstand ist reif!“. Außerdem fügte er hinzu: „Der ächte Volkszeitungsschreiber, der leugnet nicht, daß sich mancher große Politiker schämen müßte, wenn er Gelegenheit hätte, zu sehen, wie weit die einfache Klarheit, und der schlichte Verstand des Bürgers und Landmanns in der Regel die Weisheit mancher Staatskünstler überragen“.531

529 Vgl. MILDE: Carl Meyers „Universum“, S. 42–54. 530 Vgl. hierzu BÖDECKER: Die „gebildeten Stände“ im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, S. 52; NIPPERDEY: Deutsche Geschichte, S. 293 f. 531 Der Volkszeitungsschreiber, in: Der Volksfreund, Nr. 5 vom 2. Juni 1832, S. 18.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Trotzdem oder gerade deswegen engagierte sich Meyer weiterhin in der politischen Volksaufklärung. Die Gewährleistung elementarer Menschen- und Bürgerrechte auf Basis einer festgeschriebenen Konstitution war jedoch allein durch bessere Bildungsmaßnahmen und gemeinnütziges Engagement nicht zu erreichen. Jedem Volksaufklärer war bewusst, dass in diesem Fall zunächst von staatlicher Seite Zugeständnisse gemacht werden mussten. Meyer appellierte deshalb in seinem „Volksfreund“ nicht nur an das „Volk“, sondern auch an die Fürsten. Ein gerechter Fürst müsse, so Meyer, schon aus eigener Gewissenhaftigkeit für konstitutionelle Verhältnisse in seinem Land sorgen. Die vielerorts noch bestehenden altständischen Verordnungen waren die Ursache für die sozialen und wirtschaftlichen Probleme in Deutschland. Eine prosperierende Gesellschaft war unter diesen Umständen kaum zu realisieren. Vernünftige Fürsten erkannten dies und führten die entsprechenden Reformen durch, noch bevor die Untertanen auf die Gedanken kamen, etwas einzufordern, was ihnen ohnehin zustand. Deshalb äußerte sich Meyer im Volksfreund: „Wo das aufgeklärte, im sittlichen Rechtsgefühl erstarkte Volk rechtlich keinen Vertreter findet, da wo die Vernunft ewig im Kampf mit der gesetzlichen Freiheit kommt, da muß, um gewaltsamer Umwälzung zuvorzukommen, von weisen Fürsten Constitution zur rechten Zeit gegeben werden“.532 Auch wenn diese Aussage es nicht vermuten lässt, war Meyer, so wie alle thüringischen Volksaufklärer der Vormärzzeit, gegen jegliche revolutionäre Tendenzen. Die angestrebten Reformen sollten nicht gegen, sondern stets mit der Zustimmung des Fürsten umgesetzt werden. Ebenso lehnten die thüringischen Volksaufklärer ein republikanisches Herrschaftssystem ab. Man präferierte eine dualistische Verfassungskonzeption, in der das Prinzip der Monarchie auch weiterhin fortbestehen und einen Grundpfeiler der zukünftigen Verfassung bilden sollte.533 So weist Meyer die Fürsten ausdrücklich darauf hin: Die kräftige große Masse des Volks, das heißt alle rechtlichen, arbeitsamen Bürgers= und Bauersleute […] sehnen sich nicht nach einer nur durch den Umsturz aller gesellschaftlichen Verhältnisse zu gewinnenden republikanischen Freiheit; aber sie wollen und verlangen laut und fest: daß die ihnen in ihren Verfassungen gegebene rechtmäßige, gesetzliche, konstitutionelle Freiheit zur Wahrheit werde, sie verlangen nach vernünftiger Justiz, sie fordern große durch die Noth des Volkes gebotene Einschränkungen im Staatshaushalt, Entbürdung von den Feudal=Lasten, […], Entfesselung der Rede und Schrift, Minderung der Steuern, humanere Behandlung von den Beamten, gleiche Verteilung der Lasten, Abschaffung aller Privilegien, Freiheit endlich für Gewerbe, Handel und Wandel. Nicht aus der Hand der Demagogen meinen sie diese Güter zu empfangen; sie erhoffen, sie erwarten sie, Fürsten! von euch, und setzen euch dafür Lieb“ und Treue und Leib und Leben ein.

532 Die Freiheit nach der wir verlangen. Und ist ein Streben nach ihr ein Verbrechen?, in: Der Volksfreund, Nr. 20 vom 28. Juli 1832, S. 107 f. 533 Vgl. hierzu WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 419.

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Mit euch, und durch euch will das Volk glücklicher sein! Und nur mit und durch euch kann es – das sieht jeder Vernünftige ein – glücklicher werden.534

Das Paradebeispiel eines aufgeklärten, liberalen Fürsten war für Meyer der eigene Landesherr, Herzog Bernhard II. von Sachsen-Meiningen, den er als „Freund des Lichts und der Wahrheit“ bezeichnete.535 Und Meyer lag gar nicht so falsch, denn die Verfassung, welche Bernhard II. im Jahr 1829 für sein Herzogtum verabschiedet hatte, war nach Peter Michael Ehrle „eine der fortschrittlichsten Konstitutionen des deutschen Vormärz“,536 da sie in vielen Punkten die liberalen Forderungen des Bürgertums erfüllte. Den Landständen wurde ein umfangreicher Kompetenzkatalog bewilligt, der ihnen sogar das Recht gab, über Steuerbewilligungen und Steuerverwendungen mitzubestimmen. Außerdem erhielten die Stände ein förmliches Gesetzesinitiativrecht, das mit Ausnahme von Hannover allen übrigen deutschen Staaten in der Vormärzzeit verweigert blieb.537 Die anderen Fürsten des Deutschen Bundes sollten nun dem Beispiel Bernhards folgen und den liberalen Forderungen des „Volkes“ endlich Rechnung tragen. Obwohl sich Meyer zu den deutschen Fürsten bekannte, blieb seinem „Volksfreund“ die Pressezensur dennoch nicht erspart. Immer wieder finden sich Textstellen, die von der Zensur gestrichen wurden. In einigen Ausgaben fielen sogar ganze Artikel dem Rotstift zum Opfer.538 Meyer musste also relativ schnell einsehen, dass seine aggressive Art, politische Reformen einzufordern, auch ihre Grenzen hatte. Daher dauerte es auch nicht lange, bis die ersten Zensurbehörden den „Volksfreund“ ins Visier nahmen und er in mehreren deutschen Staaten verboten wurde.539 Aber trotz dieser Verbote war Meyer nicht dazu bereit, einen gemäßigteren Ton einzuschlagen. Im Gegenteil, der Hildburghäuser Verleger ließ es sich nicht nehmen, immer schärfere Kritik an bestimmten politisch-rechtlichen und sozialen Zuständen auszuüben. So wurden etwa die staatlichen Presse-

534 Vgl. Die Lage Europas. (Dritter Artikel). Das constitutionelle Deutschland, in: Der Volksfreund, Nr. 8 vom 16. Juni 1832, S. 44. 535 Vgl. Das Herzogthum Meiningen, in: Der Volksfreund, Nr. 1 vom 19. Mai 1832, S. 1. 536 EHRLE, PETER MICHAEL: Volksvertretung im Vormärz. Studien zur Zusammensetzung, Wahl und Funktion der deutschen Landtage im Spannungsfeld zwischen monarchischem Prinzip und ständischer Repräsentation, Teil 1, Frankfurt am Main/Bern/Cirencester 1979, S. 140. 537 Vgl. ebd., S. 141. 538 Vgl. u.a. Noch ein Wort über den Bundesbeschluß vom 28. Juni, in: Der Volksfreund, Nr. 20 vom 28. Juli 1832, S. 105 f.; Patriotischer Rath, in: Der Volksfreund, Nr. 32 vom 8. September 1832, S. 177 f. 539 So schreibt Meyer am 30. Juni 1832, also rund sechs Wochen nach Erscheinen der Erstausgabe, dass der „Volksfreund“ in Österreich, Preußen und Schwarzburg-Rudolstadt bereits verboten ist und andere Staaten höchstwahrscheinlich folgen werden. Vgl. Zeitungsnachrichten, in: Der Volksfreund, Nr. 12 vom 30. Juni 1832, S. 68.

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zensoren als „Todtengräber“ bezeichnet,540 konservative Presseorgane als „Kriecher“ und „Speichellecker“ beschimpft541 oder der Adel als ein „Dämon“ diffamiert, der für „Alles Elend der Völker, vergangenes wie gegenwärtiges“ verantwortlich sei.542 Brisante Berichterstattungen, wie beispielsweise über den detaillierten Verlauf des Hambacher Festes543 oder die revolutionären Vorgänge in Frankreich,544 Polen545 und Belgien546 sowie die ständige Kritik am Deutschen Bund,547 taten ihr Übriges. Als Meyer schließlich sogar dafür plädierte, dass es konservativ gesinnten Personen nicht erlaubt werden dürfe, als Landtagsdeputierte zu fungieren,548 hatte er allmählich den Bogen überspannt. Die Frankfurter Bundesversammlung schaltete sich ein und verbot den „Volksfreund“ bereits nach einem halben Jahr am 6. September 1832. Zusammen mit dem „Bundes-Beschluss zur Unterdrückung des Volksfreundes“, der der letzten Ausgabe beigelegt wurde, blieb Meyer nichts anderes mehr übrig, als seiner Leserschaft mitzuteilen: „Obriges Bundesurtheil ward vollstreckt, – der Volksfreund, der Gewalt weichend, hat zu erscheinen aufgehört.“ Damit hatte also Meyers erster publizistischer Versuch, das „Volk“ im Sinne des Liberalismus politisch aufzuklären bzw. zu erziehen, sein Ende gefunden. Fortan war es ihm untersagt gewesen, in seinem Verlag weiterhin politische Zeitschriften zu veröffentlichen. Wollte er nicht im Gefängnis landen, musste er in Zukunft vorsichtiger agieren. Kritik an der Restauration und am politischen System des Deutschen Bundes äußerte er nun unterschwellig in der Zeitschrift „Meyer’s Universum“, die er kurze Zeit später, auch als Antwort auf das Verbot des „Volksfreundes“, im Januar 1833 neu ge-

540 Der Censor. (Aus Sauerwein’s ABC=Buch), in: Der Volksfreund, Nr. 15 vom 10. Juli 1832, S. 79. 541 Der Staatszeitungsschreiber, in: Der Volksfreund, Nr. 5 vom 2.Juni.1832, S. 17. 542 Der Geist des Adels, in: Der Volksfreund, Nr. 16 vom 14. Juni.1832, S. 81–83. 543 Vgl. Das Hambacher Fest am 27. Mai 1832, in: Der Volksfreund, Nr. 7, 8 u. 9 vom 9. Juni, 16. Juni u. 19. Juni 1832, S. 37 f., 44 f. u. 49 f. 544 Vgl. u.a. Die Lage Europas. (Zweiter Artikel). Frankreich, in: Der Volksfreund, Nr. 7 vom 9. Juni 1832, S. 33; Die Juliustage, in: Der Volksfreund, Nr. 23 vom 7. August 1832, S. 123 f. 545 Vgl. u.a. Das Volk der Märtyrer, in: Der Volksfreund, Nr. 2 vom 22.Mai 1832, S. 7 f. 546 Vgl. u.a. Zeitungsnachrichten. Die belgische Frage, in: Der Volksfreund, Nr. 25 vom 14. August 1832, S. 135 f:, Zeitungsnachrichten, in: Der Volksfreund, Nr. 27 vom 21. August 1832, S. 148. 547 Vgl. u.a. Der allgewaltige Bund, in: Der Volksfreund, Nr. 3 vom 26. Mai 1832, S. 10 f.; Die Bundesbeschlüsse vom 28. Juni 1832, in: Der Volksfreund, Nr. 17 vom 17. Juli 1832, S. 93–96; Der Bund und der Freisinnige, in: Der Volksfreund, Nr. 21 vom 31. Juli 1832, S. 112 f. 548 Vgl. Zur Meiniger Deputirten=Wahl, in: Der Volksfreund, Nr. 35 vom 18. September 1832, S. 199.

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gründet hatte.549 Meyer hatte also aus seiner Erfahrung mit dem „Volksfreund“ die Lehren gezogen und agierte bis zum Ausbruch der Märzrevolution auf publizistischer Ebene nunmehr weitaus vorsichtiger. Allerdings entfernte er sich in den Folgejahren immer mehr von den politischen Vorstellungen des gemäßigten Liberalismus. Christine Milde glaubt dabei an mehreren Textpassagen des „Universums“ erkennen zu können, dass das Jahr 1843 die entscheidende Wende für Meyers Abkehr vom Konstitutionalismus zum Republikanismus markiert.550 Fortan plädierte Meyer für die Durchsetzung einer uneingeschränkten Volkssouveränität. Während der Revolution von 1848/49 nahm er dann ebenfalls eine entschieden demokratische Haltung ein.551 In seiner „Reform-Adresse“ vom 12. März 1848 an Herzog Bernhard II. Erich Freund,552 die im gesamten Herzogtum Sachsen-Meiningen große Beachtung fand und von mehr als 1.000 Personen unterzeichnet wurde,553 forderte Meyer neben der Beseitigung vielfältiger politischer, gesellschaftlicher, sozialer und wirtschaftlicher Missstände vor allem die „Selbstregierung“ des Volkes, welches sich fortan nicht mehr in Abhängigkeit von Geburt und Besitz aus unterschiedlichen Ständen, sondern nur noch aus rechtlich gleichgestellten „freien Staatsbürgern“ zusammensetzen sollte.554 Alle Fürsten, die diesem Prinzip „wahrer Volksfreiheit“ nicht Folge leisten wollten, wurden in Meyers Schriften mit Hohn und Spott belegt. Aufgrund eines Gedichts, das 1848 im „Universum“ erschien und sich gegen den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. richtete, wurde der Hildburghäuser Verlagsbuchhändler dann rückwirkend, als die konservativ549 Zur politischen Programmatik von „Meyer’s Universum“ vgl. MILDE: Carl Joseph Meyers „Universum“, S. 73–84. 550 Vgl. ebd., S. 113. Vgl. hierzu außerdem STEINER, GERHARD: Der Verleger Joseph Meyer und seine politische Essayistik, in: Beiträge zur Kulturgeschichte Hildburghausens, 21 (1986), S. 6–39, hier insb. S. 12–15. 551 Vgl. KAISER, ERNST: Joseph Meyer, der Achtundvierziger. Bibliograph und Wirtschaftsplaner, ein Erzieher unseres Volkes, Weimar 1948, S. 16–21; JAENIKE, OLAF: Joseph Meyer und die Bürgerliche Revolution in Deutschland, in: Kleines Universum. Hildburghäuser Stadtgeschichte, 5 (2010), S. 52–56. 552 Meyers „Reform-Adresse“ wurde in mehreren regionalen sowie überregionalen Zeitungen veröffentlicht. Ein Abdruck der kompletten Petition findet sich in: ebd., S. 24–35. 553 Vgl. SCHOCKE, ERNST: Die deutsche Einheits- und Freiheitsbewegung in SachsenMeiningen 1848–1850. Ein Beitrag zur Geschichte der ersten deutschen Revolution, in: Schriften des Vereins für Sachsen-Meiningische Geschichte und Landeskunde, 86 (1927), S. 14. Vgl. außerdem HAHN, HANS-WERNER: Die Revolution 1848/49 in Thüringen und die Wurzeln unserer Demokratie, in: Greiling, Werner (Hrsg.): Revolte und Revolution. Sozialer Protest und Fundamentalpolitisierung 1848/49 in Thüringen, Rudolstadt/Jena 1998, S. 149. 554 Vgl. KAISER: Der Pläneschmied, S. 142–147; MAY: Der feurige Geist, S. 58; HAHN: Die Revolution von 1848/49, S. 149 u. 156 f.

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reaktionären Kräfte die Pressezensur wieder verschärften, im Jahr 1851 wegen Majestätsbeleidigung zu einer vierwöchigen Gefängnisstrafe verurteilt.555 Resümiert man die politische Publizistik Meyers während der Vormärzzeit, bleibt festzuhalten, dass „Der Volksfreund“ und „Meyer’s Universum“ wie kaum ein anderes Blatt aus dem Thüringer Raum darum bemüht waren, breite Bevölkerungsschichten mit politischen Grundsatzfragen zu konfrontieren. Obwohl sich Meyer im Laufe der 1840er Jahre von den politischen Positionen des gemäßigten Liberalismus allmählich distanzierte, hielt er an der aus der Aufklärung kommenden Vorstellung fest, dass Bildung und Vernunft grundsätzlich jeden Menschen zur politischen Partizipation befähigte. Eine Schlüsselrolle bei dem Versuch, die breite Masse der Bevölkerung für aktuelle politische Fragen zu sensibilisieren, nahm dabei „Der Volksfreund“ ein. Dieses Blatt stellte den ersten ambitionierten Beitrag Meyers dar, die politische Emanzipation der unteren sozialen Schichten voranzutreiben. Mit seinen Ausführungen im „Volksfreund“ erhoffte sich Meyer eine Freisetzung liberalen Denkens in den „niederen Ständen“. Ob ihm das gelungen ist, kann an dieser Stelle jedoch nur schwer beantwortet werden. Nach eigener Aussage hatte der „Volksfreund“ nach sechs Wochen bereits über 1.000 Abonnenten.556 Wenn man bedenkt, dass der „Volksfreund“ zur gleichen Zeit schon in mehreren deutschen Staaten verboten war, dann fällt diese Zahl doch recht beachtlich aus. Es lässt sich also vermuten, dass der „Volksfreund“ einen gewissen Zuspruch beim „gemeinen Mann“ gefunden haben muss. Ob Meyer mit seinen Ausführungen das „Volk“ auch für eine liberale Politik mobilisieren konnte, bleibt vorerst aber ungeklärt. Zwar war Meyers erster publizistischer Versuch einer politisierten Volksaufklärung nur von kurzer Dauer, doch zeigt er, in welche Richtung sich die politische Volksaufklärung in Thüringen nach 1830 bewegte. Im Gegensatz zu den Jahren vor 1830 waren nun einige Volksaufklärer dazu bereit, bei der Durchsetzung politischer Forderungen das Risiko einzugehen, in politischen Fragen auf Konfrontationskurs zu den reaktionären und konservativen Kräften zu gehen. Meyer stand am Anfang dieser Entwicklung. Und auch wenn er zu Beginn seines Engagements kaum auf die Unterstützung anderer thüringischer Volksaufklärer bauen konnte, so wurde bald deutlich, dass der von ihm eingeschlagene Weg scheinbar unvermeidlich war. Als sich die soziale und ökonomische Situation in den 1840er Jahren nicht verbesserte, sondern eher verschlechterte, sollten dann zahlreiche andere thüringische Volksaufklärer Meyers Vorbild folgen. Carl von Pfaffenrath und Heinrich Schwerdt mit ihrem „Allgemeinen Volksblatt der Deut555 Ein Abdruck des Gedichts findet sich in: Vgl. HOHLFELD: Das Bibliographische Institut, S. 113. 556 Vgl. Zeitungsnachrichten. Antwort, in: Der Volksfreund, Nr. 12 vom 30. Juni.1832, S. 68.

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schen“ gehörten etwa zur Fraktion der thüringischen Volksaufklärer, die sich dann auch in den 1840er Jahren in ihren Periodika äußerst kritisch über die politischen Zustände in Deutschland äußerten und auch nicht davor zurückschreckten, unangenehme Fragen aufzuwerfen. Auch die Dringlichkeit, mit der politische Reformen eingefordert wurden, nahm in den 1840er Jahren erheblich zu. Man befürchtete eine Revolution und wollte diese durch die längst überfälligen politischen Reformen noch zu verhindern suchen – eine Argumentation, die sich der „Volksfreund“ schon 1832 zu eigen gemacht hatte. Damit kommt Meyers „Volksfreund“ eine Art Vorreiterrolle in der volksaufklärerischen politischen Publizistik zu, an die ein Jahrzehnt später manch thüringischer Volksaufklärer, sei es bewusst oder unbewusst, anknüpfen sollte. Dadurch bedingt, dass Meyer sowohl von seinen Zeitgenossen als auch von der Nachwelt in erster Linie als ein umtriebiger Geschäftsmann charakterisiert wurde, ist sein dezidiert volksaufklärerisches Engagement bisher nur ansatzweise in das Blickfeld der historischen Forschung gerückt.557 Während etwa um 1800 der Verlagsbuchhändler Rudolf Zacharias Becker in jeder größeren Darstellung als Volksaufklärer charakterisiert wird, ist dies bei Carl Joseph Meyer nirgends der Fall. Aufgrund der enormen Varianz seiner unterschiedlichen Tätigkeitsfelder wird auf den ersten Blick kaum deutlich, dass Meyer neben seinen kaufmännischunternehmerischen Aktivitäten und seinen industriellen Bemühungen im Bahnund Hüttenwesen558 etliche Anstrengungen unternommen hat, die Bildung des „Volkes“ zu befördern. Denn im Gegensatz zu anderen Volksaufklärern, die sich 557 Etwa bei CHRISTINE MILDE (1991) und ERNST KAISER (2008). 558 Carl Joseph Meyer hatte seit 1837 große Summen in den Eisenbahnbau sowie in den Abbau von Kohle und Erz im Herzogtum Sachsen-Meiningen investiert. Nachdem er am 15. September 1845 die „Teutsche Eisenbahnschienen-Compagnie“, eine Aktiengesellschaft mit 10.000 Einzelaktien zu je 200 Talern, gegründet hatte, nahm er endgültig den Status eines großkapitalistischen Unternehmers ein. Zuvor hatte er schon in Neuhaus-Schiernitz ein 18 Hektar umfassendes Fabrikwerk bauen lassen, das mit modernsten Maschinen, Hochöfen, Dampfhammern und Walzwecken zur Stahlverarbeitung ausgestattet war. Meyer hatte von mehreren Regierungen Bergbaukonzessionen erworben, die ein Gebiet von insgesamt über 25.000 Hektar umfassten. Außer seinen Besitzungen in Sachsen-Meiningen besaß er Eisen-, Kupfer- und Kohlengruben im Saalfeldischen, im Schwarzburgischen, im Oberfränkischen, im Eisfeld und in Zwickau. Im Gegensatz zu seinem Verlagsunternehmen waren Meyers Eisenbahn- und Montanunternehmungen ein finanzielles Verlustgeschäft. Infolge der Ereignisse der Jahre 1848/49 zogen viele Aktionäre ihre Gelder aus den Unternehmungen zurück. Weil Meyer infolgedessen nicht mehr genug Kapital agglomerieren konnte, ging seine Aktiengesellschaft 1849 Konkurs und er war gezwungen, die rund 1.500 Arbeiter, die in seinen Hüttenwerken beschäftigt waren, zu entlassen. Vgl. SARKOWSKI: Das Bibliographische Institut, S. 58–61; KAISER: Der Pläneschmied, S. 194–210. Vgl. hierzu außerdem EISENMANN, GOTTFRIED: Beleuchtung des J. Meyer’schen Planes einer teutschen Eisenbahnschienen-Compagnie, Erlangen 1845.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

neben ihrer eigentlichen Profession – beispielsweise als Pfarrer – fast ausschließlich auf die Verbesserung des Bildungsstandes des „Volkes“ konzentrierten und nahezu ihr komplettes Leben danach ausrichteten, verfolgte Meyer auch Interessen, die die Volksaufklärung überhaupt nicht tangierten. Diese Vielseitigkeit macht es schwer, Carl Joseph Meyer sozial einzuordnen. Ihn nur als einen modernen, dem Liberalismus zugewandten Bildungs- und Wirtschaftsbürger zu bezeichnen, wird der Komplexität dieser Person aber nicht gerecht. Seine volksaufklärerischen Bemühungen, selbst wenn sie nur einen Teilbereich seines umfangreichen Wirkens ausgemacht haben, sollten nicht unterschätzt werden. Meyers Bestreben, die Bildung des „Volkes“ mithilfe von Publizistik voranzutreiben, stellt ihn durchaus in eine Reihe mit anderen „traditionellen“ Volksaufklärern. Dass bei einer konsequenten Umsetzung der liberalen Forderungen, die Meyer in seinen Schriften äußerte, nicht nur der „gemeine Mann“, sondern Meyer selbst erheblich profitiert hätte, steht dabei nicht wirklich in Widerspruch. Im Gegenteil, nach Auffassung der meisten (Volks-)Aufklärer war es sogar erstrebenswert, wenn die Zunahme des persönlichen Wohlstandes mit einer Steigerung des Gemeinwohles einherging. Ein ähnliches Bild lässt sich ebenso für den oben erwähnten Bernhard Voigt zeichnen. Auch dieser Buchhändler wurde von seinen Zeitgenossen nicht nur als „Volksbuchhändler“, sondern auch als Spekulant charakterisiert, der wie Meyer neben dem Buchhandel ebenso in den Eisenbahnbau investiert hatte.559 Zudem dehnte Voigt seinen Wirkungskreis im Laufe des Vormärz immer weiter aus. Durch seine Tätigkeiten im „Börsenverein der deutschen Buchhändler“ sowie im Landtag Sachsen-Weimar-Eisenachs und im Stadtrat von Weimar entwickelte sich Voigt zu einer vielseitig beschäftigten Person, die mehrere verschiedene wirtschaftliche und politische Interessen verfolgte und gesellschaftlich in unterschiedlichen Kreisen gleichzeitig verkehrte. Wie bei Carl Joseph Meyer stellte auch bei Bernhard Voigt sein Engagement in der Volksaufklärung nur eine von vielen Facetten seines Lebens dar. Hinzu kommt, dass beide Männer schon zu Lebzeiten in erster Linie als erfolgreiche Geschäftsmänner wahrgenommen wurden. Während Becker oder Salzmann um 1800 von ihren Zeitgenossen mehrheitlich als Philanthropen bezeichnet wurden, die sich als Schriftsteller und Buchhändler ausschließlich in den Dienst der Jugend- und Erwachsenbildung gestellt haben, finden sich für Meyer und Voigt nur wenige solcher Zuschreibungen. Eine vergleichbar eingeschränkte Wahrnehmung ihrer Persönlichkeiten, die bereits gegen Ende ihres Lebens einsetzte, erfuhren auch Ludwig Bechstein und Ludwig Storch. Die beiden Dichter und Schriftsteller wurden schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts von ihren Zeitgenossen vornehmlich als Märchen- und Sagenschreiber betrachtet oder rückten als Verfasser zahlreicher Novellen und his559 Vgl. TEUSCHER: Bernhard Friedrich Voigt, S. 14.

C. J. MEYER ALS VORREITER EINER POLITISCHEN VOLKSAUFKLÄRUNG

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torischer Romane sowie durch ihr Engagement in der Thüringer Sängerbewegung ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Ihr dezidiert volksaufklärerisches Engagement fand hingegen weniger Beachtung. Dies hatte auch Auswirkungen auf nachfolgende Forschergenerationen, die Bechstein und Storch schwerpunktmäßig unter dem Aspekt zweier idealtypischer Vertreter der Romantik untersucht haben. Dass Meyer und andere Volksaufklärer auf so vielen unterschiedlichen Feldern agieren konnten, mag möglicherweise auch ein Indikator dafür sein, dass die altständische Gesellschaft mit ihren relativ starren korporativen Strukturen um 1830 bereits einen grundlegenden Wandel vollzogen hatte und nun sukzessive von einer bürgerlichen Gesellschaft abgelöst wurde.560 Auf diese Weise ließe sich erklären, warum der berufliche Werdegang Carl Joseph Meyers so vielschichtig erscheint. Meyer verkörpert zweifelsohne den Typus eines selbstbewussten modernen Bürgerlichen, dem es gelungen ist, die hierarchische Struktur der ständischen Gesellschaft zu durchbrechen und zumindest in wirtschaftlichen Belangen eine zentrale Rolle in der Stadt Hildburghausen sowie dem Herzogtum SachsenMeiningen einzunehmen. Diese Vielfältigkeit macht Meyer – und mit Abstufung ebenso Voigt, Storch und Bechstein – in gewisser Weise zu einem neuen Typus von Volksaufklärer, der in dieser Form erst nach 1830 in Erscheinung getreten ist.

560 Zur Formierung der bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhundert vgl. GALL: Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft; KOCKA: Das lange 19. Jahrhundert, S. 98– 138.

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IV. DAS PERSONAL DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Karte 4: Die territorialstaatliche Situation Thüringens seit 1826

V. Zeitschriften und Zeitungen für den „gemeinen Mann“ – Zur Topographie volksaufklärerischer Periodika in Thüringen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

1. Zur Struktur und Entwicklung des thüringischen Pressewesens nach 1800 ZUR STRUKTUR UND ENTWICKLUNG DES THÜRINGISCHEN PRESSEWESENS

Folgt man den jüngsten Ausführungen Holger Bönings und Reinhart Siegerts, dann war eine erfolgreiche Verankerung aufklärerischer Inhalte im „Volk“ ohne Zeitschriften und Zeitungen auf Dauer kaum möglich.1 Auch im Thüringer Raum entwickelte sich die periodische Presse gegen Ende des 18. Jahrhunderts zum wichtigsten „Motor der Volksaufklärung“. Im folgenden Kapitel soll deshalb untersucht werden, inwieweit dieser Befund auch für das 19. Jahrhundert zutrifft. In Thüringen entwickelte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts ein äußerst umfangreiches und breitgefächertes Zeitungs- und Zeitschriftenwesen. Es kam zur Herausbildung einer Vielzahl unterschiedlicher Periodika, die mannigfaltige Themen aus den Bereichen Kultur, Kunst, Literatur, Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Religion, Gesundheit, Pädagogik sowie des täglichen Lebens behandelten. Wie die Forschungsergebnisse von Werner Greiling gezeigt haben, waren in Thüringen am Ende des 18. Jahrhunderts „rund dreißig Städte an der Produktion von Zeitungen, Zeitschriften und Intelligenzblättern beteiligt“.2 Dementsprechend stiegen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch die Neugründungen von volksaufklärerischen Periodika, die sich spätestens um 1800, vor allem in Verbindung mit den zahlreichen thüringischen Intelligenzblättern, zu einem überaus wichtigen Bestandteil der thüringischen Presselandschaft entwickelt hatten.3 Im 19. Jahrhundert setzte sich diese Entwicklung weitgehend fort, allerdings nicht ohne Umbrüche. Vor allem die schrittweise Umwandlung der thüringischen Intelligenzblätter in offiziöse bzw. offizielle Regierungsblätter zu Beginn des 19. Jahrhunderts läutete zunächst den Verlust des bis dahin wichtigsten Mediums 1

2 3

BÖNING, HOLGER: Ohne Zeitung keine Aufklärung; SIEGERT, REINHART: Die periodische Presse als Motor der Volksaufklärung. Leseransprache und Rezeption, in: Blome, Astrid/ Böning, Holger (Hrsg.): Presse und Geschichte. Leistungen und Perspektiven der historischen Presseforschung, Bremen 2008, S. 141–178 u. 209–224. GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 534. Vgl. DERS.: Thüringen als Presselandschaft, S. 461–473. Vgl. hierzu auch Kapitel III.3.

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

periodisch erscheinender volksaufklärerischer Lektüre in Thüringen ein. Mit der Erhebung zu Regierungsblättern verloren die thüringischen Intelligenzblätter ihren Status als selbstständige Privatunternehmungen. Einhergehend mit dieser Entwicklung wurde das inhaltliche Profil der meisten thüringischen Intelligenzblätter neu ausgerichtet, was zur Folge hatte, dass die vorher so zahlreich vorhandenen belehrenden und unterhaltsamen Beiträge fast vollständig gestrichen wurden.4 Zwar finden sich auch in den neuen Regierungsblättern hin und wieder gemeinnützige Beiträge, wo dem Leser in erster Linie – ganz in der Tradition der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung – Ratschläge zur Land- und Hauswirtschaft vermittelt wurden,5 doch stellt dies eher die Ausnahme als die Regel dar. Allerdings waren die Folgen der Umwandlung der thüringischen Intelligenzblätter in Regierungsblätter für die gesamte Masse der in Thüringen periodisch erscheinenden volksaufklärerischen Literatur weniger tief greifend, als man zunächst vermuten könnte. Bereits um 1800 wird deutlich, dass die Akteure der Volksaufklärung in Thüringen ihre Adressaten nicht nur über die lokalen Intelligenzblätter zu erreichen suchten, sondern in zunehmendem Maße auch über Zeitungen und Zeitschriften. Beginnend mit den Zeitschriftenunternehmungen von Becker und Salzmann, erfolgte um 1800 eine stärkere Ausdifferenzierung der volksaufklärerischen Presse. So etablieren sich am Ende des 18. Jahrhunderts neben den Intelligenzblättern auch volksaufklärerische Zeitschriften und Zeitungen sowie einige Periodika, die eine Mischung beider Gattungen darstellen. Nicht nur in Thüringen, sondern im ganzen deutschen Sprachraum kam es um 1800 zur Gründung zahlreicher neuer volksaufklärerischer Zeitungen und Wochenblätter, die oftmals unter den Titel „Volksblatt“, „Volksfreund“, „Volkszeitung“, „Volksbote“, „Sonntagsblatt“, „Landzeitung“, „Dorfzeitung“, „Erzähler“ oder „Beobachter“ erscheinen.6

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6

Vgl. GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 255–263. Exemplarisch sei hier das „Weimarische officielle Wochenblatt“ genannt, das im Jahr 1811 als Nachfolgeorgan der „Wöchentlichen Weimarischen Anzeigen“ zu einem Regierungsblatt umgewandelt wurde. Dort finden sich beispielsweise in Nummer 91 vom 12. Dezember 1816 unter der Rubrik „Haus= und Landwirtschaft“ gleich zwei Beiträge zur landwirtschaftlich-ökonomischen Aufklärung. Zum einen wird der Leser darüber informiert, wie „Junge Pferde vor der Gefahr des Blindwerdens zu verwahren“ sind, und zum anderen wird erklärt, auf welche Weise die ostpreußische „rothe Rübe“ zur Herstellung einer nahrhaften Speise verwendet werden kann. Wie stark die Häufigkeit solcher gemeinnützigen Beiträge abgenommen hat, lässt sich an diesem Jahrgang des „Weimarischen officiellen Wochenblattes“ ebenfalls erkennen. Abgesehen von den zwei eben erwähnten Beiträgen findet sich bis zur Nummer 91 nur noch ein weiterer Kurzartikel, der einen gemeinnützig-volksaufklärerischen Charakter aufweist. Vgl. Weimarisches officielles Wochenblatt, Nr. 91 vom 12. Dezember 1816, S. 402. Vgl. BÖNING: Entgrenzte Aufklärung, S. 40–48.

ZUR STRUKTUR UND ENTWICKLUNG DES THÜRINGISCHEN PRESSEWESENS

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Nachdem sich im Thüringer Raum um 1800 die ersten volksaufklärerischen Zeitungen und Wochenblätter erfolgreich etablieren konnten, entwickelten sie sich im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schließlich zu einem festen Bestandteil der thüringischen Presselandschaft. Es kam zur Herausbildung eines dichten Netzes an volksaufklärerischen Zeitungen und Wochenblättern. Bis zur Revolution von 1848 existierten in allen thüringischen Kleinstaaten sowie in den von Preußen regierten Gebieten Thüringens Periodika, die explizit an den „gemeinen Mann“ adressiert waren und dabei gemeinnützig-volksaufklärerische Bestrebungen verfolgten.7 Selbst in den territorial sehr kleinteiligen reußischen Fürstentümern lassen sich bis Mitte des 19. Jahrhunderts lokal und regional ausgerichtete volksaufklärerische Periodika finden. In einigen Städten, vor allem jenen, die ein gut ausgebautes Verlagswesen besaßen und aufgrund ihrer Bevölkerungsdichte über einen potentiell höheren Absatzmarkt verfügten, existierten mitunter sogar mehrere regionale volksaufklärerische Periodika gleichzeitig. So erschienen beispielsweise um 1820 in Altenburg mit den „Osterländischen Blättern für Landes-, Natur- und Gewerbkunde“,8 dem „Landwirt in seinem ganzen Wirkungskreise“,9 dem „Wochenblatt der Viehzucht, Thierarzneikunde, Reitkunst und des Thierhandels“,10 den „Jahresberichten des Kunst- und Handwerksvereins im Herzogthum Altenburg“,11 dem „Unterhaltungsblatt für den deutschen Bürger und Landmann“12 und den „Beiträgen zur Belehrung und Erbauung“13 gleich sechs verschiedene volksaufklärerische Periodika im selben Zeitraum.14 Daneben gelang es dem Gothaer „Allgemeinen Anzeiger der Deutschen“ sowie der Hildburghäuser „Dorfzeitung“,15 sich einen überregionalen Leserkreis zu erschließen, 7 Vgl. Anhang A dieser Arbeit. 8 Vgl. Osterländische Blätter für Landes-, Natur- und Gewerbkunde, Altenburg 1818–1821. 9 Vgl. Der Landwirt in seinem ganzen Wirkungskreise oder Sammlung der neuesten und nützlichsten Beobachtungen, Erfahrungen und Rathschläge in allen Zweigen der Landwirthschaft. Eine Zeitschrift für praktische Cameralisten und Freunde des ländlichen Gewerbes, Altenburg 1817–1820/21; N.F. 1821/22–1826. 10 Vgl. Wochenblatt der Viehzucht, Thierarzneikunde, Reitkunst und des Thierhandels, Altenburg 1818–1821. 11 Vgl. Jahresberichte des Kunst- und Handwerksvereins im Herzogthum Altenburg, 1818/22–1825/26. 12 Vgl. Unterhaltungsblatt für den deutschen Bürger und Landmann, Altenburg 1820–1821. 13 Vgl. Beiträge zur Belehrung und Erbauung, hrsg. von Hermann Christoph Gottfried Demme, Altenburg 1823. 14 Zu den Protagonisten des Altenburger Buchhandels sowie dessen überregionaler Bedeutung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. außerdem WOLF, GUSTAV: Geschichte der Altenburger Buchhändler. Ein historischer Überblick seit 1800, Altenburg 2000, S. 7– 47. 15 Bis 1816 hatte ebenso der „Der Bote aus Thüringen“, der nach dem Tode Salzmanns im Jahr 1811 von Johann Wilhelm Ausfeld fortgeführt wurde, den Status eines überregionalen volksaufklärerischen Periodikums inne. Als eines der wenigen volksaufklärerischen

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

mit dem Ergebnis, dass ein Großteil der ländlich-kleinstädtischen Bevölkerung Thüringens mindestens eine dieser beiden volksaufklärerischen Periodika rezipiert hat.16 Auf diese Weise konnte der Verlust an periodisch erscheinender volksaufklärerischer Literatur in Thüringen, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch die Umwandlung der vormals auf Gemeinnützigkeit beruhenden Intelligenzblätter in reine Regierungsblätter hervorgerufen wurde, durch die Gründung zahlreicher neuer volksaufklärerischer Periodika relativ schnell kompensiert werden. Hinzu kommt, dass die Akteure des thüringischen Intelligenzwesens die Verbreitung aufklärerischen Gedankengutes oftmals durch weitere publizistische Aktivitäten zu steigern suchten. So wurden beispielsweise die eben genannten „Beiträge zur Belehrung und Erbauung“17 von dem Altenburger Generalsuperintendenten Hermann Christoph Demme herausgegeben,18 der während seiner Zeit als Mühlhäuser Pfarrer (1796–1801) das Profil des Mühlhausener Intelli-

Wochenblätter gelang es dem „Boten aus Thüringen“ in der Übergangsphase vom 18. zum 19. Jahrhundert, sogar ein deutschlandweites Lesepublikum zu erschließen. Die im Jahr 1818 gegründete „Dorfzeitung“ ersetzte in gewisser Weise die „literarische Lücke“, die nach der Einstellung des „Boten“ im Jahr 1816 entstanden war. Vgl. GROSSE: Christian Gotthilf Salzmanns „Der Bote aus Thüringen, S. 271 f.; FRIEDRICH, LEONHARD: „Der Bote aus Thüringen“ (1788–1816), herausgegeben von Christian Gotthilf Salzmann, in: Koerrenz/Meilhammer/Schneider (Hrsg.): Wegweisende Werke, S. 79. 16 Vgl. hierzu Kapitel VI.1 und VIII. 17 Nachdem Hermann Christoph Demme infolge einer Brusterkrankung am 26. Dezember 1822 verstarb, wurden die „Beiträge zur Belehrung und Erbauung“ posthum im Jahre 1823 veröffentlicht. Eine weitere Schrift, die ebenfalls erst nach dem Tode Demmes herausgegeben wurde, war der zweite Teil seines Gebets- und Andachtbuches „Gebete und zum Gebete vorbereitende Betrachtungen für Christen im Familienkreise und in stiller Einsamkeit“. In diesem Buch, das 1823 in der Beckerschen Buchhandlung in Gotha verlegt wurde, lässt Demme in der Vorrede den Leser wissen, wie sehr es ihm am Herzen liegt, die Menschen nicht nur auf mündlichem, sondern auch auf literarisch-publizistischem Weg zu belehren. So schreibt er: „Man hat den ersten Theil meines Andachtsbuches, sehr freundlich aufgenommen und einen zweyten gewünscht. Gern erfülle ich diesen Wunsch; jetzt um so lieber, da ich seit einige Zeit- durch Brustschwäche verhindert worden bin, meinen Beruf, als christlicher Religionslehrer, durch mündlichen Vortrag zu erfüllen. Möge das schriftliche Wort, das ja nicht minder von Herzen kommt, als das mündliche, willige Aufnahme finden und Frucht bringen!“ Vgl. DEMME, HERMANN CHRISTOPH GOTTFRIED: Gebete und zum Gebete vorbereitende Betrachtungen für Christen im Familienkreise und in stiller Einsamkeit, Zweyter Theil, Gotha 1823, S. V. 18 Zu Biographie und publizistischem Wirken von Hermann Christoph Demme (1760–1822) vgl. SIEGERT, REINHART: Demme, Hermann Christoph Gottfried, in: Kühlmann, Wilhelm (Hrsg.): Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes, Bd. 2: Boa – Den, 2. Aufl. Berlin/New York 2008, S. 589 f.; BAUTZ, FRIEDRICH WILHELM (Hrsg.): Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 1: Aalders, Willelm Jan – Faustus von Byzanz, 2. Aufl. Herzberg 1990, Sp. 1256.

ZUR STRUKTUR UND ENTWICKLUNG DES THÜRINGISCHEN PRESSEWESENS

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genzblattes maßgeblich mitbestimmte.19 Nachdem Demme die Redaktion des Mühlhausener Intelligenzblattes übernahm, änderte er dessen Titel sogleich in „Neues Mühlhäusisches Wochenblatt“,20 um damit der Leserschaft die neue gemeinnützige Ausrichtung des Blattes kenntlich zu machen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ließ Demme den Anzeigenteil das Mühlhausener Intelligenzblattes enger drucken, erweiterte außerdem dessen Umfang von vier auf acht Seiten und rückte in den frei gewordenen Platz belehrende Texte zu den unterschiedlichsten Themen ein.21 Außerdem verfasste Demme eigene Schriften zu religiösen, sittlich-moralischen und gesellschaftlich-politischen Fragen, die zum Großteil ebenfalls einen gemeinnützig-volksaufklärerischen Charakter aufweisen.22 Darüber hinaus betätigte sich Demme auch als Mitarbeiter für andere volksaufklärerische Periodika, etwa für den „Reichs-Anzeiger“ oder die „Nationalzeitung der Teutschen“.23 Demnach führte die Umwandlung eines Intelligenzblattes in ein offizielles Regierungsblatt nicht zwangsläufig dazu, dass die volksaufklärerisch gesinnten Akteure des thüringischen Intelligenzwesens ihr Engagement in der literarischen Volksaufklärung komplett einstellten. Man bediente sich einfach anderer Wege, periodisch erscheinende volksaufklärerische Lektüre zu veröffentlichen. Die von Demme herausgegebenen „Beiträge zur Belehrung und Erbauung“ machen deutlich, dass einige Akteure des thüringischen Intelligenzwesens die literarische Verbreitung aufklärerischen Gedankengutes mit unterschiedlichen publizistischen Mitteln betrieben und sich nicht nur auf Intelligenzblätter beschränkten. Es bleibt also festzuhalten, dass periodische Volksaufklärungsschriften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts überall im Thüringer Raum produziert wurden und damit allgegenwärtiger Bestandteil städtischer und ländlicher Lesekultur waren. Der „gemeine Mann“ konnte dabei sowohl auf ein recht großes Angebot volksaufklärerischer Periodika mit landwirtschaftlich-ökonomischer, gewerblicher, sittlich-moralischer und medizinischer Schwerpunktsetzung zugreifen, oder sich auch universell ausgerichteter Zeitungen und Zeitschriften bedienen, die zusätzlich über politische, juristische, völkerkundliche, geschichtliche und naturwissenschaftlich-technische Themen informierten. Zudem versorgten die universell ausgerichteten Periodika den „gemeinen Mann“ abseits der offiziellen Bekanntmachungen der Regierungsblätter fortwährend mit Informationen zu politischen Tagesereignissen. 19 Vgl. GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 421 f. 20 Zuvor trug das Mühlhausener Intelligenblatt den Titel „Mühlhäusisches Wochenblatt“. Nachdem Demme die Redaktion übernahm, erschien es von 1796 bis 1816 unter dem Namen „Neues Mühlhäusisches Wochenblatt“. 21 Vgl. GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 421. 22 Vgl. ebd., S. 422 f. 23 Vgl. SIEGERT: Demme, S. 590.

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

2. Die thüringischen Nachrichts- und Kreisblätter als Medien der Volksaufklärung DIE THÜRINGISCHEN NACHRICHTS- UND KREISBLÄTTER

Eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Vermittlung aufklärerischen Gedankengutes nahmen die zahlreichen halboffiziellen lokalen „Amtsblätter“ ein, die nach 1815 als „Nachrichtsblatt“ oder „Kreisblatt“ nicht nur in den Residenzstädten, sondern auch in einigen thüringischen Kleinstädten neu gegründet wurden.24 Nicht selten ähnelte die Ausrichtung der einzelnen thüringischen Nachrichtsund Kreisblätter aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dem Profil der Intelligenzblätter des 18. Jahrhunderts. Die Ursache hierfür ist darin zu suchen, dass die meisten thüringischen Amtsblätter trotz ihres amtlichen Charakters private Unternehmungen waren. Aufgrund ihres Status standen sie zwar unter strengerer Aufsicht der Zensur als andere volksaufklärerische Periodika, doch wurden den Herausgebern der thüringischen Nachrichts- und Kreisblätter vonseiten der Obrigkeit oftmals großzügige inhaltliche und gestalterische Freiheiten eingeräumt. Um einen günstigen Absatz bemüht, stellten sich die meisten Herausgeber der Nachrichts- und Kreisblätter, in der Regel die ortsansässigen Verleger und Buchdrucker, bewusst in die Tradition der Intelligenzblätter des 18. Jahrhunderts. Da eine bloße Veröffentlichung offizieller Bekanntmachungen und Gesetze sowie ein dazugehöriger Anzeigenteil beim Lesepublikum häufig auf keine große Resonanz stieß, wurden die Nachrichts- und Kreisblätter klar und deutlich von den offiziellen Regierungsblättern abgegrenzt und deren unterhaltsamer, belehrender und gemeinnütziger Charakter besonders hervorgehoben. Um das Interesse der Leser zu wecken, wollte die Mehrzahl der thüringischen Amtsblätter nicht nur als ein obrigkeitliches Informationsblatt wahrgenommen werden, sondern als ein Pressemedium, das auch die Begebenheiten und Fragen des täglichen Lebens auf unterhaltsame und belehrende Weise behandelte. Um dieses Anliegen zu unterstreichen und für jedermann auf den ersten Blick kenntlich zu machen, trugen etliche Nachrichts- und Kreisblätter im Titel den Zusatz „zur Belehrung und Unterhaltung“.25 Auch wenn manche thüringischen Nachrichts- und Kreisblätter 24 Die in Thüringen nach 1815 gegründeten lokalen Nachrichts- und Kreisblätter bezeichneten sich nur in wenigen Fällen selbst als „Amtsblatt“ oder „amtliches Blatt“. Da der Herausgeber eines solchen Blattes aber in der Regel dazu verpflichtet wurde, amtliche Bekanntmachungen (Gesetze, Verordnungen, Statistiken etc.) zu veröffentlichen, begreift der Autor diese Pressegattung dennoch als ein lokales Amtsblatt. 25 Vgl. u.a. Eisenbergisches Nachrichtsblatt. Für Unterhaltung und gemeinnütziges Wirken, 1821–1848; Kahlaisches Nachrichtsblatt. Mit Beiträgen zur Belehrung und Unterhaltung, 1814–1847; Langensalzaer Kreisblatt. Mit Beiträgen zur Belehrung und Unterhaltung, 1831–1848; Neustädter Kreis-Bote. Ein Wochenblatt zur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände, 1818–1848; Ziegenrücker Kreisblatt. Zur Unterhaltung und Belehrung, 1836– 1848. Vgl. außerdem Anhang A.

DIE THÜRINGISCHEN NACHRICHTS- UND KREISBLÄTTER

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des 19. Jahrhunderts nicht dasselbe hohe kritische Räsonnement der Intelligenzblätter des ausgehenden 18. Jahrhunderts erreichten und in stärkerem Maße auf Obrigkeitstreue pochten, lieferten sie dem „gemeinen Mann“ vielerorts eine adäquate Mischung aus Anzeigewesen, Nachrichtenvermittlung und gemeinnützigvolksaufklärerischen Beiträgen. Wie sehr die Programmatik des Nachrichtsblattes einer thüringischen Kleinstadt dem Inhalt eines Intelligenzblattes des 18. Jahrhunderts ähnelte, lässt sich exemplarisch hervorragend am „Cahlaischen Nachrichts=Blatt“ veranschaulichen. Dieses halboffizielle Wochenblatt, das seit 1814 von Andreas Christian Beck, dem Besitzer der Buchdruckerei in der Kleinstadt Kahla bei Jena,26 herausgegeben wurde, stand ganz in der Tradition der „alten“ thüringischen Intelligenzblätter. Im „Herzoglichen Regierungs=Recript“ vom 2. April 1814, das der ersten Nummer des „Cahlaischen=Nachrichtsblatt“ vorgestellt ist, gewährt Fürst August von Sachsen-Gotha-Altenburg dem Buchdrucker Beck die selbstständige Redaktion und Herausgabe eines Wochenblattes, weist ihn unter Androhung des Privilegentzugs aber zugleich darauf hin, dass die „Redaction dieses öffentlichen Blattes der Aufnahme alles dessen, was gegen die Religion, den Staat und die Sittlichkeit anstoße, oder zu schädlichen Mißdeutungen Anlaß geben“ verboten werden soll.27 Um eine „nachdrückliche Ahndung“ zu vermeiden, wurde Beck außerdem untersagt, Beschwerden gegen „in= und ausländische öffentliche Autoritäten“ sowie „anmaaßende Urtheile über öffentliche Verfügungen, Anstalten und politische Ereignisse, so wie anonymer Artikel politischen Inhalts“ zu veröffentlichen.28 Außerdem wurde Beck in dem herzoglichen Reskript dazu verpflichtet, „jedes Blatt vor dessen Abdrucke der angeordneten Censur zu 26 Kahla kann als Musterbeispiel einer ländlich geprägten thüringischen Kleinstadt herangezogen werden. Wie den statistischen Angaben in August Schumanns „Staats=Post= und Zeitungslexikon“ zu entnehmen ist, besaß Kahla im Jahr 1817 rund 1.800 Einwohner und 254 Häuser. Die Stadt lebte vom Ackerbau und Handwerk. Die Umgebung von Kahla umschreibt Schumann wie folgt: „Schöne Dörfer, Wiesen mit den schönsten Futterkräutern, Felder mit allen Getraidearten, fruchtbare Obst= und Gemüßgärten liegen rund um Kahla herum.“ Außerdem äußerte sich Schumann zur städtischen Wirtschaft, die sich aus „32 verschiedenen Professionisten“ zusammensetzte. Über das städtische Handwerk schrieb er: „Die wichtigsten und zahlreichsten sind die Gerber, die Tuchmacher, die Schuhmacher u.s.w. Es werden hier zwei Leimsiedereien unterhalten, die guten Absatz machen. Ein Hauptnahrungszweig ist die Oekonomie; auch die Bierbrauerei, die recht gutes Bier liefert, giebt einen bedeutenden Gewinn.“ Vgl. SCHUMANN, AUGUST: Vollständiges Staats=Post= und Zeitungs=Lexikon von Sachsen, enthaltend eine richtige und ausführliche geographische, topographische und historische Darstellung aller Städte, Flecken, Dörfer, Schlösser, Höfe, Gebirge, Wälder, Seen, Flüsse etc. gesammter Königl. und Fürstl. Sächsischer Lande, mit Einschluß der Fürstenthümer Schwarzburg und Erfurt, so wie der Reußischen und Schönburgischen Besitzungen, Bd. 4: Herlegrün bis Königstein, Zwickau 1817, S. 411–415. 27 Cahlaisches Nachrichts=Blatt mit Beiträgen zur Belehrung und Unterhaltung, Nr. 1 vom 16. April 1814, S. 1. 28 Ebd.

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

unterwerfen“ sowie der zuständige Beamte der „Polizei=Commission zu Cahla“ mit Nachdruck ermahnt, dass „jedes Blatt der bemerkten Wochenschrift vor dessen Abdrucke bei Euch zur Censur übergeben werde“, damit „obigen Bedingungen nicht zu wider gehandelt werde“.29 Trotz dieser Einschränkungen beabsichtigte Beck, seinem „Cahlaischen Nachrichts=Blatt“ ein inhaltlich vielschichtiges Profil zu geben. Um das Interesse der Leser zu wecken, stellte er sein lokales Wochenblatt deutlich in die Tradition der volksaufklärerischen Periodika des 18. Jahrhunderts. Im Avertissement des „Cahlaisches Nachrichts=Blattes“ versicherte Beck ausdrücklich, den Bestimmungen des herzoglichen Reskriptes Folge leisten zu wollen, machte aber keinen Hehl daraus, dass sein Blatt keineswegs nur obrigkeitliche Verordnungen und Anzeigen veröffentlichen werde, sondern vielmehr auf die Unterhaltung und Belehrung des „gemeinen Mannes“ abziele. Der „Plan“, den Beck am Schluss der ersten Ausgabe verkündete, zeigt eindeutig, wie stark die Programmatik des „Cahla-ischen Nachrichts=Blattes“ an der Grundstruktur der „alten“ Intelligenzblätter ausgerichtet war. So wurde der Leserschaft bekannt gegeben: A. Landesobrigkeitliche Gesetze und Verordnungen, um sie, außer der gewöhnlichen amtlichen Bekanntmachung, noch ferner zu verbreiten. B. Vaterlandsangelegenheiten, oder wichtige Vorfälle und merkwürdige Ereignisse aus unserm Fürstenstaate und dessen Ortschaften. C. Preisertheilungen und öffentliches Lob für diejenigen, die sich durch irgend eine löbliche Handlung, z.B. bey Rettung eines Verunglückten, bey Feuers= und Wassersnoth und dergl. hervorgethan haben. D. Glimpfliche und unpartheyische Rügen und Kritiken, um Vorurtheile zu bekämpfen, den Aberglauben entgegen zu arbeiten, Mißbräuche zu entfernen und Irrthümer zu berichten. E. Geschichte und Politik in getreuen Darstellungen merkwürdiger Weltbegebenheiten in alter und neuer Zeit. F. Natur=, Länder= und Völkerkunde, so fern sie uns auf den mannigfaltigen Nutzen der Werke der Schöpfung aufmerksam macht, uns die Erscheinungen und Wunder in der Natur, die Merkwürdigkeiten und Eigenheiten naher und entfernter Länder und Städte und die Sitten und Gebräuche fremder Völker kennen lehrt, und daher ein wirksames Mittel zur Bildung des Geistes Verstandes wird. G. Wissenschaften und Künste, als: gemeinnützige und andere neue Erfindungen, durch Erfahrung erprobte Vortheile und Mittel zur klugen Führung der Land= und Hauswirthschaft und zur zweckmäßigen Betreibung der Gewerbe und Handthierungen, und überhaupt alle wissenschaftliche und gelehrte Abhandlungen. H. Erzählungen oder Darstellungen von tugendhaften und lobenswerthen Handlungen zur Nachahmung und von lasterhaften zur Warnung und Abschreckung – und Biographien oder Lebensbeschreibungen von merkwürdigen Personen, die als Vorbild zum Guten oder als Abmahnung vom Bösen dienen können.

29 Ebd., S. 2.

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Gesundheitskunde und Vorschriften zur Abwendung von Leibes= und Lebensgefahren, durchgängig in einer dem gemeinen Manne verständlichen Sprache vorgetragen. Scherz, Laune und Anekdoten, zur Abwechselung des Ernsthaften mit dem Lustigen. Vermischte Aufsätze und Bemerkungen über mancherley andere Gegenstände und Sachen. Gedichte verschiedenen, bald muntern und belustigenden, bald ernsthaften und belehrenden Inhalts. Räthsel und Aufgaben zur kurzweilenden Uebung im Nachdenken. Kirchenanzeigen von den Getrauten, Gebornen und Gestorbenen in den Städten Cahla, Orlamünda und Roda. Anzeigen und Benachrichtigungen, als: gerichtliche Vorladungen und Aufforderungen, Kauf=, Verkaufs=, Auctions=, Bücher= und andere Anzeigen und Bekanntmachungen, Familiennachrichten, gesuchte und angebotene Dienststellen, Anzeigen von gefundenen und verlornen Sachen u. dergl. Marktpreistabellen von den hiesigen und benachbarten Fruchtmärkten, zum Besten des ein= und verkaufenden Bürgers und Landmanns.30

Wie an dem Avertissement des „Cahlaischen Nachrichts=Blattes“ überaus deutlich wird, offerierte Beck der lokalen Leserschaft aus Kahla ein Wochenblatt mit einem breitgefächerten Themenspektrum. Dass ein Blatt mit solch hohen Ambitionen aber nicht allein durch das Engagement einer einzigen Person zu bewerkstelligen war, wusste Beck ebenso. Er versicherte daher seiner Leserschaft, dass mehrere Männer auf „uneigenützigste Weise“ sein Vorhaben unterstützen werden und sprach zugleich eine Bitte an die Landgeistlichen aus, sie mögen das „Cahlaische Nachrichts=Blatt“ in Zukunft ebenfalls mit gemeinnützigen Beiträgen versorgen. So schrieb Beck: In Hinsicht der Reichhaltigkeit und Mannigfaltigkeit glaube ich im Voraus versichern zu können, daß keiner in seinen Erwartungen, wenn sie nicht übertrieben sind, getäuscht werden soll, besonders da mehrere sehr schätzbare Männer, die mit regen Eifer für alles Gute beseelt und zum Theil auch schon durch ihre gemeinnützigen Schriften geachtet und bekannt sind, mir auf die uneigennützigste Weise die angenehme Hoffnung gemacht haben. Ich schmeichle mir daher, daß forthin auch mehr Männer sich finden werden, die edeldenkend genug sind, dies Blatt mit den schönen Früchten ihres Gemeinsinns zu beschenken. Besonders erbitte und erwarte ich es von den Herren Landgeistlichen, daß sie durch öffent-liche Darstellung jedes in ihrem Wirkungs= oder Gesichtskreise vorhandene oder bekannt werdende Nützliche und Gute gemeinnützig zu machen, und eben so auch alles Schädliche und Böse möglichst zu entfernen und zu verhüten suchen, besonders aber die unter ihren Augen vorfallenden denkwürdigen Ereignisse und Begebenheiten getreulich aufzeichnen und zur Kenntniß des Publikums bringen werden.31

Beck versuchte auf diese Weise sich der aufklärerisch denkenden Personen zu bedienen, die ehemals als publizistische Akteure an den gemeinnützig orientierten 30 Ebd., S. 14 f. 31 Ebd., S. 16.

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

Intelligenzblättern mitgewirkt hatten. Dass dieses Vorhaben auf Zuspruch stieß, zeigen die zahlreichen Einsendungen unterschiedlicher Personen zu verschiedensten Sachverhalten, die kontinuierlich in den folgenden Jahrgängen des „Cahlaischen Nachrichts=Blatt“ veröffentlicht wurden.32 Ebenso brachte Beck in der ersten Ausgabe nochmals ausdrücklich sein zentrales Anliegen zur Sprache, dass sich sein Wochenblatt in besonderem Maße an den ungebildeten Leser richtet. Das „Cahlaische Nachrichts=Blatt“ sollte dem „gemeinen Mann“ als praktische Lebenshilfe dienen, ihn mit wichtigen Informationen aus Politik und Gemeinwesen versorgen sowie als Medium zur Selbstbildung und Unterhaltung herangezogen werden. Dementsprechend äußerte sich Beck abschließend: Der Vortrag und die Erzählung soll in diesem Blatte in einer auch dem weniger belesenen Manne durchaus verständlichen Sprache gegeben und die etwa unverständlichen und fremden Wörter und Redensarten durch Anmerkungen erklärt werden. Ueberhaupt soll es durch Allgemeinverständlichkeit gemeinnützig werden, und ihm deswegen das einfache Motto oder Sinnsprüchelchen: ‚Nicht berühmt – nur nützlich!‘ zur Grundlage dienen, und dadurch immer das Ziel seines Bestrebens aussprechen und zeigen, was man von ihm zu erwarten berechtigt seyn kann.33

Dass Beck versuchte, dieses Versprechen auch wirklich einzulösen und seinen angekündigten Plan in die Tat umzusetzen, zeigt das Programm des „Cahlaischen Nachrichts=Blattes“ bis ins Jahr 1830. Wie versprochen, veröffentlichte es nicht nur Anzeigen und obrigkeitliche Verordnungen, sondern ebenso kontinuierlich eine Mischung aus politischen Tagesereignissen und gemeinnützigen Beiträgen aller Art. Und auch nachdem Andreas Christian Beck im Jahr 1830 gestorben war, wurden Stil und Programmatik des „Cahlaischen Nachrichts=Blattes“ nicht verändert. Nach dem Tod des Vaters am 6. Juli 1830 übernahm dessen Sohn Karl Eduard Ferdinand Beck die Herausgabe des „Cahlaischen Nachrichts= Blattes“ und versicherte den Lesern in der ersten Ausgabe, die unter seiner Leitung veröffentlicht wurde, weiterhin „im Geiste seines seligen Vaters wirken“ zu wollen und sich „durch Fortsetzung des von ihm begonnenen Werkes […] nützlich zu machen“.34 Infolgedessen wurde das inhaltliche Profil des „Cahlaischen Nachrichts= Blatt“ auch nach 1830 in seiner ursprünglichen Form beibehalten und wies im Zeitraum von seiner Gründung im Jahr 1814 bis zur Revolution von 1848 eine durchgängige thematische Beständigkeit auf. Was in diesem Zusammenhang ebenfalls recht beachtenswert erscheint, ist die Tatsache, dass trotz der politischen Unruhen nach Ausbruch der französi32 Mitunter wurden auch Beiträge aus anderen Zeitungen veröffentlicht. Dabei bediente man sich vor allem bei der Hildburghäuser „Dorfzeitung“, was in der Regel mit der Abkürzung „D.Z.“ gekennzeichnet wurde. Vgl. „Cahlaisches Nachrichts=Blatt“, 1814–1848. 33 Ebd., S. 16. 34 Cahlaisches Nachrichts=Blatt, Nr. 24 vom 12. Juni 1830, Sp. 369 f.

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schen Julirevolution im Jahr 1830, die politische Berichterstattung des „Cahlaischen Nachrichts=Blattes“ während der gesamten Vormärzzeit im selben Maße fortgeführt wurde. So informierte das Blatt unter der Rubrik „Zeitgeschichtliche Neuigkeiten“ ab dem 14. August 1830 in mehreren Ausgaben recht ausführlich über die Ereignisse in Frankreich. Dabei wird in den einzelnen Beiträgen zwar deutlich, dass man den Gewaltausbrüchen in Paris mit Ablehnung gegenüberstand,35 doch kann der Berichterstattung ein wenig Begeisterung über die Ereignisse ebenso entnommen werden. So schreibt das „Cahlaische Nachrichts= Blatt“ über die Absetzung des französischen Königs: Der König [Karl X.] ist entflohen, und wird jetzt wohl nicht mehr auf französischem Boden weilen. Trotz des Verbotes erschienen am 27sten Juli die meisten Zeitungen, sprachen in den heftigsten Ausdrücken von der Verletzung der Verfassung, forderten unumwunden zum Widerstande auf, Volksredner ermahnten die Menge, dem Beispiele ihrer Väter zu folgen, und mit Enthusiasmus ertönte durch alle Straßen von Paris der Ruf: ‚es lebe die Freiheit, es lebe das Vaterland!‘36

Und ebenso war die daran anschließende Mitteilung, dass Herzog Ludwig Philipp von Orleans „nächstens als konstitutioneller König ausgerufen werden“ soll, keinesfalls negativ konnotiert.37 Dass solche Aussagen durchaus das Misstrauen der Obrigkeit wecken konnten, war dem Herausgeber des „Cahlaischen Nachrichts=Blattes“ sicherlich bewusst. Um den Vorwurf zu entkräften, revolutionäre Gedanken zu verbreiten, versuchte Beck schon in der darauffolgenden Ausgabe die Wirkung der Ereignisse in Frankreich schnell zu beschwichtigen. So führte er aus: „Daß in Folge der neuen französischen Revolution auch für das Ausland bedenkliche Unruhen zu befürchten wären, wie einige Blätter schon muthmaßlich aussprachen, steht nach der in Frankreich so schnell wieder eingetretenen allgemeinen Ruhe und Ordnung wohl nicht mehr zu erwarten.“38 Auf diese Weise gelang es Beck, eine gute Balance zwischen „objektiver Berichterstattung“ und „subjektiver öffentlicher Meinungsbildung“ zu finden, und verhinderte damit zugleich, dass sein „Cahlaisches Nachrichts=Blatt“ von obrigkeitlicher Seite allzu strengen Presserestriktionen unterzogen wurde. Dass es in der Folgezeit entgegen der eigenen Voraussage in einigen deutschen und europäischen Staaten zu Unruhen kam, hinderte Beck allerdings nicht, darüber zu berichten. In die Rubriken „Vermischtes“ und „Zeitgeschichtliche Neuigkeiten“ wurden regelmäßig Beiträge eingerückt, die sogar über die politischen Ereignisse im eigenen Land sowie in den angrenzenden thüringischen Kleinstaaten informierten. So wurden beispielsweise auch die Protestaktionen der 35 36 37 38

Vgl. Cahlaisches Nachrichts=Blatt, Nr. 33 vom 14. August 1830, Sp. 523–525. Ebd., Sp. 524. Ebd., Sp. 525. Cahlaisches Nachrichts=Blatt, Nr. 34 vom 21. August 1830, Sp. 539.

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

Bewohner des Fürstentums Schwarzburg-Sondershausen gegen ihre neue Verfassung öffentlich gemacht und kommentiert: In Arnstadt und mehreren andern schwarzburg=sondershäusischen Orten haben die Einwohner feierlich gegen die Annahme der neuen Verfassung protestirt und um eine bessere und zeitgemäßere gebeten. Unter vielen andern Gründen führen sie an, daß durch dieselbe, statt sie gegen die bisherigen Anmaßungen und willkührlichen Eingriffe der fürstlichen Kammer zu schützen, diese nun sogar gesetzlich gemacht worden wären.39

Ebenso versuchte Beck sein „Cahlaisches Nachrichts=Blatt“ als Plattform zu nutzen, wo sich die Konsequenzen und Wirkungen der Julirevolution in klein dosiertem Maße erörtern ließen. So plädierte beispielsweise das „Cahlaische Nachrichts=Blatt“ in einem Artikel über „Preußen bei den Unruhen am Ende des Jahres 1830“, gewissermaßen als eine Lehre der Ereignisse in Frankreich und Belgien der Jahre 1830/31, für die Einführung der Meinungsfreiheit und einer konstitutionellen Verfassung in Preußen.40 Dabei achtete Beck stets darauf, dass sein Blatt sich nicht in übertriebenem Maße politischen Themen widmete. So folgte dem Artikel über Preußen direkt ein Beitrag über „Bewährte Mittel gegen das Faulwerden der Schafe“,41 der dem Leserpublikum klar signalisieren sollte, dass das Blatt seine selbst auferlegten gemeinnützigen Verpflichtungen auch weiterhin zu erfüllen beabsichtigte. Da die Ereignisse der französischen Julirevolution nach 1830 zu europaweiten Unruhen geführt hatten,42 sah sich das „Cahlaische Nachrichts=Blatt“ bald dazu veranlasst, seinen Lesern die Funktionsweise des politischen Systems in Frankreich genauer erklären zu müssen. So lieferte das Blatt unter der Rubrik „Vermischtes“, neben der reinen Nachrichtenvermittlung und teilweise kritischen Bewertung politischer Tagesereignisse, auch Informationen zum Aufbau des französischen Parlaments. Die Leserschaft konnte sich somit im Jahr 1831 auch ein Bild davon machen, wie sich das französische Parlament zusammensetzte und welche Ziele die dortigen Abgeordneten verfolgten. Darum bemüht, die inneren Verhältnissen der französischen „Deputirtenkammer“ etwas näher zu erklären, schilderte das Blatt:

39 Zeitgeschichtliche Neuigkeiten, in: Cahlaisches Nachrichts=Blatt, Nr. 12 vom 19. März 1831, Sp. 185. 40 Preußen bei den Unruhen am Ende des Jahres 1830, in: Cahlaisches Nachrichts=Blatt, Nr. 15 vom 9. April 1831, Sp. 225–227. 41 Bewährte Mittel gegen das Faulwerden der Schafe, in: ebd., S. 228 f. 42 Zum Verlauf der Julirevolution von 1830 und deren Initialwirkung auf die Unruhen in den verschiedenen Regionen Europas vgl. LANGEWIESCHE: Europa zwischen Restauration und Revolution, S. 48–54, 65 f. u. 156–162; KÖRNER, AXEL: Die Julirevolution von 1830: Frankreich und Europa, in: Wende, Peter (Hrsg.): Große Revolutionen der Geschichte. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart, München 2000, S. 138–157.

DIE THÜRINGISCHEN NACHRICHTS- UND KREISBLÄTTER

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Erklärung des politischen Ausdruckes: rechte und linke Seite der französischen Deputirtenkammer. Ein Krähwinkler43 gab sie folgendermaßen: Die Redner theilen sich nach ihren Grundsätzen in zwei Theile. Die Einen, nämlich die zur rechten, halten fest an wohlhergebrachter Observanz, und diese werden Serviles genannt, weil sie sehr Vieles von ihren alten Rechten und Privilegien ansprechen; die Andern aber, die zur linken, streben nach Neuerungen, und möchten lieber Alles von oben nach unten kehren, weswegen sie auch Liberales genannt werden.44

An anderer Stelle ging das „Cahlaische Nachrichts=Blatt“ auch auf die Zusammensetzung der eigenen Landstände des Herzogtums Sachsen-Altenburg ein, ohne darauf zu verzichten, zugleich eine dezente Kritik an den vorherrschenden Wahlbedingungen zu üben. Vor allem die Tatsache, dass nach den Bestimmungen des Grundgesetzes des Herzogtums Sachsen-Altenburg de facto nur „die Klasse der reichen Grundbesitzer“ zur Wahl des Landstandes berechtigt war, empfand das Blatt als unangemessen. So folgerte man, dass „die übrigen Grundbesitzer und alle anderen Unterthanen fast ganz ausgeschlossen von der Theilnahme an der Wahl der Landstände [waren], was aber sicher nicht die Absicht der Staatsregierung und der Landstände war, als das Grundgesetz aufgestellt wurde“.45 Der hier ausführlich beschriebene Aufbau und Inhalt des „Cahlaischen Nachrichts=Blattes“ war kein publizistischer Ausnahmefall im Thüringer Raum. Dieses kleine lokale Wochenblatt mit halboffiziellem Charakter steht exemplarisch für eine Vielzahl von thüringischen „Nachrichts- und Kreisblättern“, die fast identische Profile aufweisen und weitgehend dieselben Themen behandelten. Die eben näher beleuchteten Inhalte des „Cahlaischen Nachrichts=Blattes“ finden sich in ähnlichen Ausführungen ebenso in vielen anderen lokal ausgerichteten Wochenblättern thüringischer Kleinstädte. Wie im Avertissement des „Eisenbergischen Nachrichtsblattes“ ersichtlich wird, nahmen sich die Herausgeber einzelner „Nachrichts- und Kreisblätter“ mitunter auch gegenseitig zum Vorbild, was wiederum eine Erklärung liefert, warum die inhaltlichen und stilistischen 43 Die Bezeichnung „Krähwinkler“ ist hier bewusst doppeldeutig gehalten. Zum einen kann sich dieser Begriff auf einen Einwohner der Gemeinde Krähwinkel bei Jena beziehen, zum anderen bezeichnet er ebenso eine obrigkeitstreue und spießbürgerliche Person. Grundlage der zweiten Deutung ist das Lustspiel „Die deutschen Kleinstädter“ von August von Kotzebue aus dem Jahr 1803. In diesem Stück werden die Einwohner der fiktiven Kleinstadt Krähwinkel als rückständig, leichtgläubig und autoritätsliebend dargestellt. Im Laufe des Vormärz wird die Person des fiktiven „Krähwinklers“ in der Literatur mitunter auch dazu benutzt, die Unterdrückung liberaler Bestrebungen zu symbolisieren. Deutlichen Ausdruck findet dieses Schema in Heinrich Heines Gedicht „Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen“ (1834) und in Johann Nestroys Theaterstück „Freiheit in Krähwinkel“ (1848). Vgl. hierzu NESTROY, JOHANN. Historisch-kritische Ausgabe, Stücke 26/I: Freiheit in Krähwinkel, hrsg. von John R. P. McKenzie, Wien 1977. 44 Vermischtes, in: Cahlaisches Nachrichts=Blatt, Nr. 10 vom 5. März 1831, Sp. 155. 45 Landstand, in: Cahlaisches Nachrichts=Blatt, Nr. 32 vom 6. August 1831, Sp. 498.

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

Konzeptionen einiger lokal orientierter thüringischer Wochenblätter der Vormärzzeit untereinander so große Similaritäten aufweisen. Als beispielsweise Friedrich August Nützer im Jahr 1821 das „Eisenbergische Nachrichtsblatt“ als amtliches, lokales Wochenblatt für die Kleinstadt Eisenberg nahe Altenburg gründete,46 verkündete er im „Plan“, welcher der ersten Ausgabe angehängt wurde, sein Blatt werde sich „beynahe durchgängig den sehr reichhaltigen Plan zum Grunde legen […], welchen der Buchdrucker, Hr. Beck in Kahla für das seinige entworfen und bisher mit Glück verfolgt hat“.47 Der Programmatik des „Cahlaischen Nachrichts=Blattes“ folgend, untergliederte Nützer sein Wochenblatt in die Rubriken „Alle Gesetze und sonstige Verfügungen“, „Geschichts= und Naturkunde“, „Natur=, Länder= und Völkerkunde“, „Wissenschaften und Künste“, „Lebensbeschreibungen“, „Gesundheitskunde“, „Scherz, Laune und Anekdoten“, „Gedichte“, „Räthsel, Charaden und Aufgaben“, „Kirchenanzeigen“ sowie „Anzeigen und Benachrichtigungen“.48 Außerdem versicherte er dem Lesepublikum mehrfach, sein Wochenblatt werde stets dem Prinzip der Gemeinnützigkeit verpflichtet sein. Abschließend gab Nützer im „Vorwort“ der ersten Ausgabe des „Eisenbergischen Nachrichtsblattes“ nochmals ausdrücklich zu verstehen, dass man dem „rühmlichen Beyspiele“ des „Cahlaischen Nachrichts=Blattes“ folgen wolle, um sich in Eisenberg „auf ähnliche Art nützlich zu machen“.49 Darum bemüht, gemeinnützig zu wirken und allen „billigen Ansprüchen und Erwartungen zu entsprechen und Genüge zu leisten“, wählte Nützer das Profil des „Cahlaischen Nachrichts=Blattes“ zum passenden Vorbild bei der Realisierung eines eigenen lokal ausgerichteten Wochenblattes. Dabei wollte er keineswegs in Konkurrenz zum „Cahlaischen Wochen=Blatt“ treten, sondern versicherte seinen Lesern, dass jedes Blatt nur auf den eigenen „Wirkungskreis“ beschränkt bleiben sollte. Zum Verhältnis zwischem „Eisenbergischem Nachrichtsblatt“ und „Cahlaischem Wochen=Blatt“ äußerte sich Nützer daher wie folgt: „Sie werden einander nicht feindselig in den Weg treten, sondern friedlich neben einander wallen, und ein jedes in seinem Kreise das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden suchen und Gutes und Wahres verbreiten.“50 Wie bereits erwähnt, kam es im Laufe des Vormärz aber nicht nur in den thüringischen Kleinstädten, sondern auch in den etwas größeren thüringischen Residenzstädten zur Gründung von „Nachrichtsblättern“. Betrachtet man die inhaltliche Ausrichtung der „Nachrichtsblätter“ aus den Residenzstädten und vergleicht diese mit denen aus den thüringischen Kleinstädten, so lässt sich im All46 Analog zum „Cahlaischen Nachrichts=Blatt“ trug das „Eisenbergische Nachrichtsblatt“ im Titel ebenfalls den Zusatz „mit Beyträgen zur Belehrung und Unterhaltung“. 47 Plan des Eisenbergischen Nachrichtsblattes, mit Beyträgen zur Belehrung und Unterhaltung, in: Eisenbergisches Nachrichtsblatt, Nr. 1 u. 2 vom 2. März 1821, [unpag]. 48 Ebd. 49 Vorwort, in: ebd., S. 1. 50 Ebd.

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gemeinen feststellen, dass zwischen beiden keine signifikanten Unterschiede bestanden. So ähnelte beispielweise das „Rudolstädter Nachrichtsblatt“, das im Jahr 1833 vom Besitzer der Rudolstädter Hofbuchdruckerei Günther Fröbel gegründet wurde,51 im Wesentlichen dem Profil des „Cahlaischen Nachrichts=Blattes“ oder des „Eisenbergischen Nachrichtsblattes“. Nicht nur, dass das „Rudolstädter Nachrichtsblatt“ sein Bestreben nach Gemeinnützigkeit durch den Titelzusatz „für unterhaltende und nützliche Mittheilungen“ unterstrich,52 so erinnert auch das Vorwort, das Fröbel mit den Worten „An den wohlwollenden Leser“ überschrieb, sehr stark an das Avertissement des „Eisenbergischen Nachrichtsblattes“. Mit fast identischer Wortwahl verkündete Fröbel im Vorwort seines neugegründeten Wochenblattes, er wolle „das wahrhaft Gute, mit dem Angenehmen stets das Nützliche zu verbinden suchen“.53 Ebenso stellte Fröbel sein Nachrichtsblatt bewusst in eine Linie mit den anderen thüringischen „Nachrichtsblättern“, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse in den ungebildeten Bevölkerungsschichten voranzutreiben. Davon überzeugt, sein Wochenblatt verfolge dasselbe Ziel, wandte sich Fröbel an seine Leser: „Und so möge auch das Rudolstädter Nachrichtsblatt recht oft eine Veranlassung gemeinnütziger Mittheilungen aller Art und durch diese, wenn auch nur mittelbar, ein Hebel der vaterländischen Cultur überhaupt, sowie auch der Wohlfahrt des Einzelnen sein.“54

51 Günther Fröbel (1811–1878) übernahm im Jahr 1834 mit 23 Jahren die „Fürstlich priviligierte Hofbuchdruckerei“ in Rudolstadt, die bereits seit 1814 von seinem Vater Carl Poppo Fröbel geleitet worden war. Zum alleinigen Eigentümer der Hofbuchdruckerei wurde Fröbel am 28. Oktober 1835, nachdem er die Anteile seiner Geschwister für die Kaufsumme von insgesamt 9.264 Talern erworben hatte. Er war Herausgeber des offiziellen schwarzburg-rudolstädtischen Regierungsblattes, des „Fürstlich Schwarzburg-Rudolstädtischen privilegierten Wochenblattes“ sowie mehrerer Presseerzeugnisse mit belehrenden oder gemeinnützigen Inhalten. Zur Biographie Günther Fröbels sowie dessen Verlagsprogramm vgl. TASZUS, CLAUDIA: Fröbel, Günther, in: Marwinski (Hrsg.): Lebenswege in Thüringen, Dritte Sammlung, S. 97–101; DIES.: Günther Fröbel (1811–1878). Hofbuchdruckereibesitzer, Verleger und Auswanderungsagent in Rudolstadt. Eine biographische Skizze anläßlich seines 125. Todestages, in: Blätter der Gesellschaft für Buchkultur und Geschichte, 7 (2003), S. 33–107; HENKEL, JENS: Günther Fröbel und das Pressewesen in Rudolstadt zwischen 1833 und 1848, in: Rudolstädter Heimathefte, 33 (1987), Heft 9/10, S. 179–182. 52 Vgl. Rudolstädter Nachrichtsblatt für unterhaltende und nützliche Mittheilungen, hrsg. von Günther Fröbel, Rudolstadt 1833. 53 An den wohlwollenden Leser, in: Rudolstädter Nachrichtsblatt, Nr. 1 vom 14. August 1833, S. 1. 54 Ebd.

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

Als Fröbel im Jahr 1834 den Titel des „Rudolstädter Nachrichtsblattes“ in „Mittwochsblatt“ umbenannte,55 bekräftigte er erneut den unterhaltsamen und belehrenden Charakter seines Wochenblattes. So heißt es in der ersten Ausgabe des „Mittwochsblattes“: Das Mittwochsblatt erscheint wöchentlich einmal, und […] will, ohne sich an eine streng systematische Ordnung der Materie zu binden, seine Leser unterhalten und belehren. Sein Inhalt zerfällt daher hauptsächlich in zwei Abtheilungen. Es liefert 1.) Interessante, bald ernst=, bald scherzhafte Erzählungen, Anekdoten, Aphorismen, Gedichte, Räthsel, Mittheilungen aus der Länder= und Völkerkunde, topographische Notizen aus dem Vaterlande, Reisebilder, Züge aus dem Leben berühmter Menschen, Miscellen aus der Tagesgeschichte u.s.w., Berichte über glückliche und unglückliche Ereignisse, merkwürdige Naturerscheinungen und Referate über Gegenstände des gesellschaftlichen sowohl, als des Geschäffts=Lebens werden stets willkommen sein, und Einsendungen dieser Art addressire man unfrankirt an die Redaction 2.) Kurze Berichte über die neuesten Erfindungen und Entdeckungen, Notizen über Land= und Hauswirthschaft, über Gewerbe und nützliche Anstalten, Beiträge zur Gesundheitskunde und zur Beförderung des Menschenwohl überhaupt.56

Und wie bereits die Herausgeber der Intelligenzblätter des 18. Jahrhunderts bzw. die Herausgeber der „Nachrichtsblätter“ aus den thüringischen Kleinstädten ersuchte Fröbel die Hilfe von auswärtigen Mitarbeitern, sein Wochenblatt gleichermaßen mit „nützlichen“ und „unterhaltsamen“ Beiträgen zu versorgen. An das Verantwortungsbewusstsein der Gebildeten appellierend, rief er dazu auf: „Nützliche Kenntnisse zu verbreiten, und verderblichen Gewohnheiten mit kräftiger Sprache entgegenzutreten, ist eines jeden Gebildeten hoher Beruf.“57 Wie Andreas Christian Beck und Friedrich August Nützer gehörte für Günter Fröbel die Berichterstattung über politische Ereignisse ebenso in die Kategorie gemeinnütziger und belehrender Inhalte. Es finden sich daher auch im „Rudolstädter Nachrichtsblatt“ politische Nachrichten, denen zum Teil ebenfalls ein vorsichtig formuliertes kritisches Räsonnement beigefügt wurde. Bereits in der neunten Ausgabe wird in einem Beitrag über die „Zufällige Betrachtung über den Bauernstand“ die liberale Gesinnung Fröbels erkennbar.58 So wird der einfache Bauer in diesem Artikel als „ungeschliffener Edelstein“ charakterisiert, den es gilt, in Zukunft „auf eine höhere Stufe der Cultur und des Wohlstandes zu heben“. Laut dem Artikel besteht die Aufgabe des Staates nun darin, den Bauern „durch tüchtige Volksschulen“ und „durch Anerkennung seiner Menschen= und Bürgerwürde“ zu bilden und zu 55 Vgl. Rudolstädter Mittwochsblatt für Unterhaltende und nützliche Mittheilungen (später: Allgemeines Mittwochsblatt), Rudolstadt 1833–1840. Im Jahr 1841 wurde das „Mittwochsblatt“ in „Vaterlandsfreund“ (1841–44) umbenannt. 56 Rudolstädter Mittwochsblatt, Nr. 1 vom 1. Januar 1834, unpag. 57 Ebd. 58 Zufällige Betrachtung über den Bauernstand, in: Rudolstädtisches Nachrichtsblatt, Nr. 9 vom 9. Oktober, S. 31 f.

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veredeln.59 Außerdem wurde Kritik am System der alten Ständegesellschaft geübt, indem man das Verbot der freien Berufswahl als einen Verstoß gegen die göttliche Ordnung wertete. So argumentierte das „Rudolstädtische Nachrichtsblatt“: Manchem Bauernknaben hat der liebe Gott große Geistesgaben verliehen, so daß er geschickter wird, das hohe Gottesackerwerk im Felde der Wissenschaften und der Künste zu treiben, als den schwerfälligen Pflug in seiner Flur zu handhaben. Soll der Junge Bauer bleiben, weil er als solcher geboren ist? Gewiß nicht! Dies wäre ein Eingriff in das göttliche Recht, ein Machtspruch gegen Gottes Ordnung.60

Wie im „Cahlaischen Nachrichts=Blatt“ waren solche politischen Beiträge auch im „Rudolstädtischen Nachrichts=Blatt“ keine Seltenheit. An dieser Stelle muss allerdings auch darauf hingewiesen werden, dass einige „Nachrichts- oder Kreisblätter“ fast gänzlich auf eine Berichterstattung über politische Ereignisse verzichteten. Als Beispiele können hier das „Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Lobenstein und Ebersdorf“ sowie das „Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Gera“ herangezogen werden. Wahrscheinlich waren diese Blätter stärker an die lokalen bzw. staatlichen Obrigkeiten gebunden und standen damit unter strengerer Zensur. Im Falle des „Amts= und Nachrichtsblattes für das Fürstenthum Lobenstein und Ebersdorf“ war der Status als „offizielles Amtsblatt“ außerdem noch stärker ausgeprägt als bei anderen lokalen „Nachrichtsblättern“, wie etwa dem „Cahlaischen Nachrichts=Blatt“. Als direktes Nachfolgeorgan des „Gemeinnützigen Lobenstein= und Ebersdorfer Intelligenzblattes“ nahm das „Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Lobenstein und Ebersdorf“ gewissermaßen auch die Funktion eines offiziellen Regierungsblattes wahr.61 Hierin dürfte vor allem die Ursache liegen, warum das „Nachrichtsblatt“ für die Städte Lobenstein und Ebersdorf von einer Veröffentlichung politischer Nachrichten abgesehen hat. Insbesondere in der politisch unruhigen Zeit des Vormärz, wo die revolutionären Bewegungen eines europäischen Landes ebenso regionale Unruhen in den deutschen Staaten hervorrufen konnten, ist es nachvollziehbar, dass diejenigen Nachrichtsblätter, die einer stärkeren obrigkeitlichen Bindung unterlagen, ihr Maß an politischer Berichterstattung auf ein Minimum reduzierten. Der Verzicht auf politische Nachrichteninhalte hinderte diese Blätter jedoch keinesfalls daran, gemeinnützig-volksaufklärerische Beiträge praktischer Art zu veröffentlichen. So wurden im erwähnten „Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Lobenstein und Ebersdorf“ und „Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Gera“ nicht nur obrigkeitliche Verordnungen und Bekannt59 Ebd., S. 32. 60 Ebd., S. 31. 61 Vgl. GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 257.

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

machungen abgedruckt, sondern ebenso zahlreiche Beiträge zur landwirtschaftlich-ökonomischen und medizinischen Aufklärung. Zudem findet man in beiden Blättern etliche Artikel zur Aberglaubensbekämpfung, die ihren Inhalten nach sehr stark an die volksaufklärerische Aberglaubensbekämpfung des 18. Jahrhunderts erinnern. In Ausgabe 22 des ersten Jahrganges des „Amts= und Nachrichtsblattes für das Fürstenthum Gera“ wurde beispielsweise in einem dreiseitigen Beitrag die Leserschaft äußerst anschaulich darüber aufgeklärt, dass der Mond weder einen Einfluss auf die Witterung noch auf das Wetter auszuüben vermag.62 Eine Belehrung an den einfachen Bauern, den Zeitpunkt der Aussaat und der Ernte nicht nach abergläubischen, sondern nach rationalen Gesichtspunkten zu wählen, die über ein halbes Jahrhundert zuvor schon in Christian Reicharts „Land- und Gartenschatz“ zu finden ist.63 Erstaunlicherweise lässt sich in diesem Zusammenhang feststellen, dass die Aberglaubensbekämpfung in den „Nachrichtsblättern“ kontinuierlich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fortgesetzt wurde. Dabei wurden mitunter abstrus wirkende Geschichten publiziert, deren Wahrheitsgehalt aus heutiger Sicht eher anzuzweifeln wäre, damals wahrscheinlich aber auf real vorgefallenen Begebenheiten beruhte. So heißt es beispielsweise in einem Beitrag aus dem „Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Lobenstein und Ebersdorf“, dass ein Bauernmädchen aus einem Dorf bei Gotha im Jahr 1839 in einen Brunnen gesprungen sei, um ein von der Mutter verwunschenes „Erbschloß“ zu bergen. Dem Aberglauben verfallen, mit dieser Handlung die unglückliche Ehe des ehemaligen Geliebten zu retten, fand sie letztlich unnötigerweise den Tod durch Ertrinken.64 Abgesehen von diesen Beiträgen, die den Lesern als praktische Lebenshilfe und als Vorbild für rationale Denk- und Handlungsweisen dienen sollten, wurden in den beiden „Nachrichtsblättern“ für Gera bzw. Lobenstein und Ebersdorf auch unterhaltende Beiträge abgedruckt. Wie im „Cahlaischen Nachrichts=Blatt“ veröffentlichten auch das „Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Lobenstein und Ebersdorf“ und das „Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Gera“ kleinere biographische,65 historische und völkerkundliche Beiträge66 62 Vgl. Ueber den Einfluß des Mondes auf die Witterung, in: Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Gera, Nr. 22 vom 31. August 1824, unpag. 63 Vgl. Kapitel III.1. 64 Vgl. Vermischtes. Traurige Folgen des Aberglaubens, in: Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Lobenstein und Ebersdorf, Nr. 39 vom 21. September 1839, S. 161. 65 In der Regel wurden die Biographien bedeutender Personen unter der Überschrift „Lebensbeschreibung“ oder „Nekrolog“ publiziert. Vgl. u.a. Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Gera, Nr. 2 vom 13. April 1824, unpag.; Nr. 13 vom 29. Juni 1824, unpag.; Nr. 36 vom 7. Dezember 1824, unpag. 66 Oftmals wurden historische und völkerkundliche Themen miteinander vermischt, wie beispielsweise die Beiträge zur historischen Entwicklung des Osterfestes im „Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Gera“. Vgl. Das Osterfest. 1) Seine Geschichte über-

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sowie unterhaltsame Geschichten und Anekdoten, die sich in der Regel mit sittlich-moralischen Fragen beschäftigten.67 Außerdem wurden hin und wieder Beiträge abgedruckt, die sich explizit mit der Erziehung von Kindern und Jugendlichen befassten. Mitunter waren diese Beiträge so umfangreich, dass sie als Reihe über mehrere Ausgaben hinweg veröffentlicht wurden.68 Darüber hinaus berichteten diese beiden „Nachrichtsblätter“ ab 1830 auch verstärkt über gesellschaftliche Entwicklungen in Deutschland, wie etwa die zunehmende Auswanderungsbewegung.69 Zudem lässt sich konstatieren, dass auch in diesen Blättern eine völlige Ausklammerung politischer Inhalte nicht stattgefunden hat. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten informierten das „Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Lobenstein und Ebersdorf“ und das „Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Gera“ ihre Leser zumindest über die wichtigsten politischen Neuigkeiten aus dem eigenen Land sowie den angrenzenden thüringischen Staaten, wobei zum Teil auch auf Beiträge aus anderen Periodika zurückgegriffen wurde. Als zum Beispiel die Hildburghäuser „Dorfzeitung“ darüber berichtete, dass der Landtag von Weimar das sächsische Strafgesetzbuch „mit wenigen Abänderungen angenommen“ hätten und „die Ministerien des Herzogthums S. Altenburg und Coburg so wie die der Reußischen Lande jüngerer Linie […] gleichfalls dasselbe einzuführen gesonnen haupt, in: Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Gera, Nr. 9 vom 1. Juni 1824, unpag.; Das Osterfest. 2) Das Eyerfest der Russen, in: ebd., Nr. 10 vom 9. Juni 1824, unpag.; Das Osterfest. 3) Osterfeierlichkeiten in der Ukraine und der Crimm, in: ebd., Nr. 11 vom 15. Juni 1824, unpag. 67 Zum Teil wurden auch brisante zeitgenössische Fragen behandelt, u.a. was die richtigen Umgangsformen zwischen Menschen mit dunkler und heller Hautfarbe wären. So heißt es etwa in einer Anekdote im „Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Lobenstein und Ebersdorf“: „Gute Antwort. Der Gouverneur von Williamsburg, Sir William Gooch, ging eines Tages mit einem Freunde im Gespräche auf der Straße und erwiederte freundlich den Gruß eines Negers. – ‚Können Sie sich herablassen, einen Neger zu grüßen?‘ fragte der Freund. ‚Warum nicht?‘, erwiederte Gooch, ‚ich kann mich unmöglich von einem Sclaven an Höflichkeit übertreffen lassen‘.“ Vgl. Anekdote, in: Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Lobenstein und Ebersdorf, Nr. 30 vom 20. Juli 1839, S. 127. 68 Um die körperliche Entwicklung von Kindern zu fördern, veröffentlichte beispielsweise das „Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Lobenstein und Ebersdorf“ einen zehnseitigen Beitrag, der auf insgesamt vier Ausgaben verteilt wurde. Vgl. Welches sind die größtenteils die Ursachen der jetzt so häufig vorkommenden Verkrüppelungen der Kinder?, in: Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Lobenstein und Ebersdorf, Nr. 34 vom 17. August 1839, S. 142–144; Nr. 35 vom 24. August 1839, S. 145–147; Nr. 37 vom 7. September 1839, S. 153–155; Nr. 38 vom 14. September 1839, S. 159–160. 69 Vgl. u.a. Wie Hans und Grete nicht nach Amerika auswanderten, sondern – …, in: Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Lobenstein und Ebersdorf, Nr. 44 vom 26.Oktober 1839, S. 182 f.; Vermischte Nachrichten. Zur Warnung für Auswanderungslustige, in: ebd., Nr. 42 vom 12. Oktober 1839, S. 174 f.

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

wären“, übernahm das „Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Lobenstein und Ebersdorf“ diese Meldung und veröffentlichte diese unter der Rubrik „Vermischte Nachrichten“.70 In wenigen Fällen wurde in dieser Rubrik sogar dezente Kritik an politischen Vorgängen geübt bzw. eine positive oder negative Stellung zu bestimmten Vorfällen bezogen. Als etwa der aufklärerisch denkende und liberal gesinnte Superintendent Jonathan Schuderoff, der als Vertreter des theologischen Rationalismus seit 1806 in der sachsen-altenburgischen Stadt Ronneburg wirkte, im Jahr 1839 von dem Vorwurf kirchlicher und öffentlicher Unruhestiftung freigesprochen wurde,71 äußerte man sich „zur allgemeinen Freude“, dass „der Herzog von S. Altenburg […] die Suspension und Disciplinar=Untersuchung gegen den Superintendenten Dr. Jon. Schuderoff in Ronneburg aufgehoben“ hatte.72 Die hier angeführten Beispiele machen deutlich, dass auch diejenigen „Nachrichts- und Kreisblätter“, die eine stärkere obrigkeitliche Bindung hatten, durchaus in der Lage waren, Beiträge zu publizieren, die dem Prinzip der Gemeinnützigkeit verpflichtet waren und in vielerlei Hinsicht zu einer universell ausgerichteten Aufklärung des „gemeinen Mannes“ beitragen konnten. Dass die beiden „Nachrichtsblätter“ für Gera bzw. Lobenstein und Ebersdorf nicht das Spezifikum einer regionalen „reußischen Amtspresse“ waren und für den Thüringer Raum insgesamt keine Ausnahme darstellten, zeigt zudem die inhaltliche und konzeptionelle Gestaltung des „Ober=Eichsfelder Kreis=Anzeigers“. Dieses Blatt, das 1820 als offizielles Presseorgan der preußischen Regierung für den Eichsfelder Kreis vom Heiligenstädter Buchdrucker Carl Dietrich Ludwig Brunn herausgegeben wurde,73 verdeutlicht anschaulich, dass unabhängig von den poli70 Vermischte Nachrichten, in: Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Lobenstein und Ebersdorf, Nr. 12 vom 16. März 1839, S. 55. 71 Jonathan Schuderoff (1766–1843) war entschiedener Anhänger der rationalistischen Theologie, der sowohl auf der Kanzel als auch in mehreren Schriften aktuelle religiöse, gesellschaftliche, pädagogische sowie politische Fragen erörterte. Für seine Verdienste bei der „Aufklärung des Volkes“ verlieh ihm die Stadt Eisenberg im Jahr 1840 die Würde eines Ehrenbürgers. Als Schuderoff im November 1838 einen „Consitorialerlaß“ des Generalsuperintendenten Christoph Friedrich Hesekiel verurteilte, mit der Begründung, dieser richte sich gegen Aufklärung und Vernunft, wurde er kurzzeitig von seinem Amt suspendiert. Vgl. GREILING: Zwischen Kirche, Gesellschaft und Staat, S. 349–370, hier vor allem S. 367–369. 72 Vermischte Nachrichten, in: Amts= und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Lobenstein und Ebersdorf, Nr. 31 vom 27. Juli 1839, S. 130. 73 Carl Brunn erwarb für 2.000 Reichstaler im Jahr 1818 die Heiligenstädter Buchdruckerei von seinem Schwiegervater Johann Christoph Dölle. Seit 1820 druckte und verlegte er das „Wochenblatt für den landräthischen Kreis Worbis“ und den „Ober=Eichsfelder Kreis=Anzieger“. Vgl. MÜLLER, MANUEL: Die Schwarze Kunst im Eichsfeld. Aus der Geschichte der Druckereien in vier Jahrhunderte. Mit einem vorangestelltem Reprint des Duderstädter Pestbuches, des ersten im Eichsfeld gedruckten Buches. hrsg. von Helmut Mecke, Duderstadt 2008, S. 292–297.

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tischen und konfessionellen Eigenheiten der verschiedenen thüringischen Territorien74 überall im Thüringer Raum die „Nachrichtsblätter- und Kreisblätter“ weitgehend dieselbe Grundstruktur aufweisen. Wie das Geraer und Lobensteiner „Nachrichtsblatt“ war auch der „Ober=Eichsfelder Kreis=Anzeiger“ stärker als etwa das „Cahlaische Nachrichtsblatt“ an die örtlichen Obrigkeiten gebunden. Politische Nachrichten wurden demzufolge in diesem Blatt auf ein Minimum reduziert. Eine Berichterstattung über die tief greifenden politischen Ereignisse der Jahre 1830/31 sucht man demnach im „Ober=Eichsfelder Kreis=Anzeiger“ ebenfalls vergebens. Doch wie beim Geraer oder Lobensteiner „Nachrichtsblatt“ bedeutete dies nicht, dass sich der „Ober=Eichsfelder Kreis=Anzeiger“ nur auf die Bekanntmachung obrigkeitlicher Verordnungen und auf die Inserierung von Anzeigen beschränkte. Der Herausgeber und Redakteur Brunn war ebenso darum bemüht, regelmäßig in den Rubriken „Gemeinnützige Sachen“, „Nachlese“ und „Vaterländische Nachrichten“ gemeinnützig-volksaufklärerische und unterhaltsame Beiträge zu veröffentlichen. Dabei bot er der Leserschaft des „Ober=Eichsfelder Kreis=Anzeigers“, mit Ausnahme politischer Themen, eine Vielzahl thematisch unterschiedlicher Beiträge an, die, ganz in der Tradition der „allumfassenden“ Volksaufklärung des 18. Jahrhunderts, neben landwirtschaftlich-ökonomischen auch medizinische, sittlich-moralische, handwerklich-gewerbliche, religiöse, historisch-völkerkundliche, biographische, abergläubische und pädagogische Fragen behandelten. Um dem Anspruch eines auf Gemeinnützigkeit ausgerichteten Blattes gerecht zu werden, veröffentlichte Brunn auch Aufsätze und Texte aus renommierten landwirtschaftlich-ökonomischen Periodika und Büchern, wie etwa der „Hessischen Landwirthschaftlichen Zeitung“75 oder Beckers „Noth= und Hülfsbüchlein“.76 So kann festgehalten werden, dass der „Ober=Eichsfelder Kreis=Anzeiger“ über brisante politische Vorgänge, wie etwa die revolutionären Bewegungen in Belgien, Polen oder Sachsen des Jahres 1831, zwar nicht berichtete, aber doch zumindest versuchte, seine Leser möglichst

74 Das Eichsfeld wurde 1802 bzw. 1815 in den preußischen Staat eingegliedert. Konfessionell blieb das Eichsfeld, aufgrund seiner langen Zugehörigkeit zum Kurfürstentum Mainz, auch nach 1815 weiterhin katholisch. Vgl. HAENDLY, KARL PAUL: Das kurmainzische Fürstentum Eichsfeld im Ablauf seiner Geschichte, seine Wirtschaft und seine Menschen 897– 1933, Duderstadt 1996, S. 209–213 u. 285–291. 75 Vgl. Gemeinnützige Sachen. Ueber Kartoffel=Saat (Aus der Landwirthschaftlichen Zeitung für Kur=Hessen. November 1830), in: Ober=Eichsfelder Kreis=Anzeiger, Nr. 9 vom 26. Februar 1831, S. 72. 76 So wurde beispielsweise die Geschichte des Wilhelm Denker aus dem „Noth= und Hülfsbüchlein“ über mehrere Ausgaben hinweg veröffentlicht. Vgl. Gemeinnützige Sachen. Wie Wilhelm Denker’s Wirthschaft nachgeahmt worden. Ein geheimes Kunststück den Acker fruchtbar zu machen, in: ebd., Nr. 35 vom 27. August 1831, S. 277–279; Nr. 43 vom 22. Oktober 1831, S. 342–344.

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

vielfältig über „unpolitische Sachverhalte“ aufzuklären bzw. deren Lebensverhältnisse durch praktische Ratschläge zu verbessern.77 Zusammenfassend lasst sich also sagen, dass die Inhalte der thüringischen Nachrichts- und Kreisblätter im Gegensatz zu offiziellen Regierungsblättern deutlich ausdifferenzierter waren. Während der Leser eines Regierungsblattes fast ausschließlich mit obrigkeitlichen Verordnungen und einem Anzeigeteil versorgt wurde, veröffentlichten die Nachrichts- und Kreisblätter darüber hinaus auch zahlreiche gemeinnützige und unterhaltende Beiträge. Wurden dem Herausgeber eines Nachrichts- und Kreisblattes vonseiten der Obrigkeit bei der Gestaltung des Blattes freizügigere Gestaltungsspielräume eingeräumt, erfolgte in der Regel zusätzlich eine Veröffentlichung politischer Tagesereignisse. Der Umfang dieser gemeinnützigen und unterhaltenden Beiträge variierte dabei von Nachrichtsblatt zu Nachrichtsblatt sowie von Ausgabe zu Ausgabe. Im Allgemeinen kristallisierte sich aber spätestens ab 1830 fast überall im Thüringer Raum die Tendenz heraus, dass die obrigkeitlichen Verordnungen und das Anzeigewesen einen geringeren Platz in den lokalen Nachrichts- und Kreisblättern eingenommen haben als derjenige Teil, der den Lesern zur Unterhaltung und Belehrung dienen sollte. Auf diese Weise versorgten die lokalen Nachrichts- und Kreisblätter während der gesamten ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Bevölkerung der thüringischen Kleinstädte sowie der umliegenden ländlichen Gegenden regelmäßig mit gemeinnützigem und aufklärerischem Gedankengut.78

77 Brunn erachtete es stets als seine Pflicht, dass der „Ober=Eichsfelder Kreis=Anzeiger“ sein gemeinnütziges Profil beibehielt. So versicherte er den Lesern auch in der vorletzten Ausgabe des „Ober=Eichsfelder Kreis=Anzeiger“ des Jahres 1831: „Der O. E. Kreis=Anzeiger wird auch in dem folgenden Jahre fortgesetzt. Außer den Verordnungen und Bekanntmachungen der Administrations=, Justiz= und Polizei=Behörden, den außergerichtlichen und Privat=Anzeigen, den vaterländischen Nachrichten wird sich die Redaction bemühen, denselben auch durch die Mittheilung von Aufsätzen gemeinnützigen und wissenschaftlichen Inhalts fernerhin lesenswerth und interessant zu machen“. Vgl. Ober=Eichsfelder Kreis=Anzeiger, Nr. 52 vom 24. Dezember 1831, S. 411. 78 Zuweilen wurde auch von obrigkeitlicher Seite verordnet, dass der Gemeindevorsteher die lokalen Nachrichtsblätter an die Bevölkerung verteilte. So heißt es etwa im Avertissement des „Amts= und Nachrichtsblattes für das Fürstenthum Gera“, dass die Gemeindevorsteher Sorge zu tragen haben, „daß die Blätter von Haus zu Haus geschickt“ werden. Somit kann davon ausgegangen werden, dass zumindest ein Teil der in den Nachrichts- und Kreisblättern abgedruckten gemeinnützigen Beiträge von der ländlich-kleinstädtischen Bevölkerung rezipiert wurde. Vgl. Amts= und Nachrichtsblattes für das Fürstenthum Gera, Nr. 1 vom 6. April 1824, S. 2.

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3. Regierungs- und Intelligenzblätter als indirekte Vermittler aufklärerischen Gedankengutes REGIERUNGS- UND INTELLIGENZBLÄTTER ALS INDIREKTE VERMITTLER

Wie eingangs skizziert, verloren die thüringischen Intelligenzblätter im Zuge ihrer Umwandlung zu offiziellen Regierungsblättern ihren gemeinnützig-volksaufklärerischen Impetus. Jedoch ist an dieser Stelle zu bemerken, dass die thüringischen Intelligenzblätter noch während der gesamten Vormärzzeit auf indirektem Wege zur Verbreitung gemeinnützig-volksaufklärerischen Wissens beigetragen haben. Da die Intelligenzblätter auch im Vormärz in umfangreichem Maße von Privatpersonen als öffentliche publizistische „Werbeplattformen“ genutzt wurden, inserierten die lokalen Buchhändler und Drucker in erstaunlich großer Zahl Anzeigen zu literarischen Neuerscheinungen. Um ihre Bücher bzw. ihr Buchsortiment einem möglichst breiten Publikum bekannt zu machen, nutzten etliche Autoren und Buchhändler intensiv die Möglichkeit, eine literarische Anzeige im lokalen Intelligenzblatt zu annoncieren. Dabei richteten die Herausgeber der einzelnen thüringischen Intelligenzblätter, scheinbar um die recht umfangreichen Literaturannoncen für die Leser übersichtlicher zu ordnen, bisweilen sogar eigene Rubriken ein, denen nur die Anzeige von Literatur vorbehalten war.79 Interessanterweise bestand ein Großteil dieser literarischen Anzeigen aus gemeinnützigen Schriften. Reine Unterhaltungsliteratur, also belletristische Romane oder Gedichtbände, wurden nur selten inseriert. Oftmals direkt an den „gemeinen Mann“ gerichtet, versprach die Mehrzahl der in den thüringischen Intelligenzblättern inserierten Schriften eine Verbesserung der Lebensverhältnisse. Zu rund 80 % behandelten diese Schriften landwirtschaftlich-ökonomische, hauswirtschaftliche oder medizinische Sachverhalte. Der Rest beschäftigte sich entweder mit religiösen, pädagogischen und sittlich-moralischen Fragen oder diente der Unterhaltung, wobei auch hier zu konstatieren ist, dass die angebotene Unterhaltungsliteratur vorrangig der „schöngeistigen“ Entwicklung des „gemeinen Mannes“ nützlich sein sollte. Literarische Anzeigen zu Spuk-, Ritter- oder Räubergeschichten, die in vielen bildungsbürgerlichen Kreisen nicht nur im 18. Jahrhundert, sondern ebenso in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als bildungs- und aufklärungshemmend erachtet wurden, sucht man in den thüringischen Intelligenzblättern vergeblich. Erstaunlich ist außerdem, dass die Literaturanzeigen in den Intelligenzblättern in der gesamten Vormärzzeit eine durchgängige Persistenz aufweisen. Vergleicht man beispielsweise die Bücher, die in den 1820er Jahren aus dem Bereich der landwirtschaftlich-ökonomischen Aufklärung annonciert wurden, mit denen aus 79 Im Fall des „Fürstlich Schwarzburg-Rudolstädtischen gnädigst priviligirtem Wochenblatt“ wurde diese Rubrik treffend „Literarische Anzeigen“ genannt.

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

den 1840er Jahren, so fallen kaum Unterschiede auf. Die Inhalte dieser Bücher blieben über drei Jahrzehnte weitgehend gleich. Bücher mit landwirtschaftlichem Themenschwerpunkt handelten etwa vorrangig von Bodenfruchtbarkeit, Obstbaumzucht, Kartoffelanbau, Viehwirtschaft oder Bienenzucht. Auch Überblicksdarstellungen, die alle Fachbereiche und Betätigungsfelder der Landwirtschaft abdeckten, wurden zuhauf bis in die 1840er Jahre von Autoren und Buchhändlern in den Intelligenzblättern angezeigt. Um sich ein Bild zu machen, welche literarischen Anzeigen die thüringischen Intelligenzblätter noch bis in die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts abdruckten, um den „gemeinen Mann“ zur Anschaffung landwirtschaftlich-ökonomischer Schriften zu bewegen, reicht bereits ein Blick in den Jahrgang 1840 eines beliebigen lokalen Intelligenzblattes. Exemplarisch sei hier die Ausgabe 39 des „Regierungs- und Intelligenzblattes Gotha“ herangezogen, wo unter der Rubrik „Bekanntmachungen“ eine Anzeige zur „Anleitung für den Thüringischen Landmann zur Verbesserung des Betriebes der Landwirthschaft“ annonciert wurde. Diese landwirtschaftlich-ökonomische Schrift, die von dem schwarzburg-sonderhäusischen Domänenrat Christian Kleemann verfasst wurde,80 steht gewissermaßen stellvertretend für die zahlreichen literarischen Anzeigen aus dem Bereich der gemeinnützigen-ökonomischen Aufklärung. In Anlehnung an die Buchbesprechungen aus einer Rezensionsschrift urteilte das „Regierungs- und Intelligenzblatt Gotha“ über Kleemanns „Anleitung für den Thüringischen Landmann“: Wenn gleich es keineswegs an landwirthschaftlichen Lehrbüchern, und an größeren Werken über das Ganze und über die einzelnen Theile der Landwirthschaft fehlt, so kann der kleinere Landmann von diesen doch selten Nutzen ziehen, indem es ihm öfters an Zeit und Kenntniß fehlt, das in seinen Verhältnissen Anwendbare aus bändereichen Werken auszusuchen. Aber eine kurze, gedrängte Zusammenstellung dessen, was sich in den besseren, rationell betriebenen Wirthschaften seiner Gegend als nützlich, und als den Verhält80 Christian Kleemann war nach eigener Angabe, wie man den Titeln bzw. den Vorworten seiner Schriften entnehmen kann, Domänenrat der kleinen Gemeinde Wasserthaleben in der Nähe von Frankenhausen sowie „wirkliches“ und „correspondierendes“ Mitglied mehrerer landwirtschaftlicher Vereine. Er betätigte sich in den 1840er und 1850er Jahren als Verfasser von landwirtschaftlichen Sachbüchern, die sowohl dem „gemeinen Landmann“ als auch Kameralisten und Ökonomen bei der Bewirtschaftung ihrer Güter hilfreich sein sollten. Vgl. u.a. KLEEMANN, CHRISTIAN: Statik des Landbaues in ihrer Anwendung auf die Wasserthaleber Länderei, Sondershausen 1856; DERS.: Encyclopädie landwirthschaftlicher Verhältnisse und Berechnungen. Ein Hand= und Hülfsbuch zu landwirthschaftlichen Werthsermittelungen für Landwirthe, Cameralisten und Oeconomie=Commissäre, Sondershausen 1844; DERS.: Anleitung für den Thüringischen Landmann zu Verbesserung des Betriebes der Landwirthschaft, Sondershausen 1840; DERS.: Die landwirthschaftliche doppelte Buchhaltung. Eine kritische Prüfung der verschiedenen bei dieser Rechnungsform befolgten Grundsätze, nebst Mittheilung einer einfachen Methode zur Führung einer genauen landwirthschaftlichen doppelten Buchführung, Sondershausen 1840.

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nissen angemessen bewährt hat, wird dem nach Verbesserung seiner Wirthschaft strebenden Landmanne von großem Nutzen seyn. Für Thüringen fehlte bisher ein solches Buch. Die landwirthschaftliche Abtheilung des Erfurter Gewerbevereins erkannte dies, und veranlaßte deshalb die Verfassung dieser Schrift. In derselben wird Anleitung zur Verbesserung des Feldsystems, zur richtigen Behandlung des Düngers auf dem Hofe und im Felde, zu zweckmäßiger Bearbeitung des Ackers, Einerndtung der Früchte und Benutzung der Wiesen, sowie zu nutzbringender Behandlung der Viehbestände u.s.w. gegeben. Das alles, was über diese Gegenstände gesagt ist, nicht etwa in der Stube ausgedacht wurde, sondern sich in Thüringer Wirthschaften durch die Erfahrung als zweckmäßig herausgestellt hat, so wird der Thüringer Landmann bey Befolgung der hier gegebenen Rathschläge seine Wirthschaft sehr verbessern und seinen Wohlstand heben. Wir können daher ihm dieses Buch gewiß mit vollem Rechte dringend anempfehlen.81

Literarische Anzeigen dieser Art finden sich in allen thüringischen Intelligenzblättern. Vor allem Ankündigungen zu neu erschienenen gemeinnützig-ökonomischen Schriften, die sich der einfache Bauer oder Handwerker zur Hebung seines persönlichen Wohlstandes möglichst schnell aneignete, wurden seit den 1820er Jahren spätestens alle vier Ausgaben, also mindestens einmal im Monat, in jedem thüringischen Intelligenzblatt abgedruckt. Betrachtet man die fortlaufenden Jahrgänge der einzelnen thüringischen Intelligenzblätter im Zeitraum von 1820 bis zur Revolution von 1848, dann wird außerdem ersichtlich, dass die Anzahl der in den Intelligenzblättern annoncierten gemeinnützigen Schriften in einer Ausgabe teilweise bis zu fünf Titel betragen hat.82 Darüber hinaus ist ebenfalls zu beobachten, dass die von den etablierten Rezensionsorganen, wie der „Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung“, als besonders wertvoll erachteten gemeinnützig-ökonomischen Bücher gleich in verschiedenen Intelligenzblättern angezeigt wurden. Als etwa das von dem Großkörner 81 Bekanntmachungen, in: Regierungs- und Intelligenzblatt Gotha, Nr. 39 vom 4. Dezember 1840, Sp. 936. 82 So wurden beispielsweise in einer einzigen Ausgabe des „Fürstlich Schwarzburg-Rudolstädtisches gnädigst priviligirtem Wochenblattes“ die bevorstehende Veröffentlichung von fünf gemeinnützig-ökonomischen Schriften bekannt gegeben, die allesamt dazu dienen sollten, die Produktionstechniken von Bauern und Handwerkern zu verbessern. Die unter der Rubrik „Literarischen Anzeigen“ inserierten Schriften lauteten: „Ueber die Cultur und mannigfaltige Anwendung der Kartoffeln“, „Die Kalk= und Gipsbrennerei in ihrem ganzen Umfange zum Selbstunterricht für Kalk= und Gipsbrenner, Maurer, Tüncher, Ziegeldecker, Lederfabrikanten und Oekonomen“, „Der Stein= und Dammsetzer, oder Unterricht in der zweckmäßigsten Construction und Pflasterung der Straßen in den Städten“, „Der Landwirth in seinen monatlichen Verrichtungen oder Darstellung der gewöhnlichen Oekonomie=Geschäfte in ihrer monatlichen Reihenfolge. Ein Handbuch für angehende Landwirthe und Gutsbesitzer, besonders für solche, welche die Landwirthschaft nicht praktisch erlernt haben“ und „Déscormes, kurz gedrängtes, aber vollständiges Handbüchlein der Bienenzucht“. Vgl. Literarische Anzeigen, in: Fürstlich Schwarzburg-Rudolstädtisches gnädigst priviligirtes Wochenblatt, 44. Stück vom 3. November 1827, S. 201–203.

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

Pfarrer Gustav Heinrich Haumann verfasste Volksbuch über die „Lebens=, Haus= und Vermögensgeschichte des Schulzen Leberecht Feldmann zu Lindenhain“,83 welches bald auf eine Stufe mit Beckers „Noth= und Hülfsbüchlein“ gestellt wurde,84 im Jahr 1826 im Buchhandel erschien, konnten sich die Leser mehrerer thüringischer Intelligenzblätter ausführlich über den Zweck und Inhalt dieser Schrift informieren. So erfuhren u.a. auch die Leser des „Fürstlich Schwarzburg-Rudolstädtischen priviligirten Wochenblattes“ gegen Ende des Jahres 1825 unter der Rubrik „Literarische Anzeigen“, dass im kommenden Jahr ein Volksbuch veröffentlicht werden sollte, dessen Anschaffung für den Landmann viel Nützliches versprach: Die steigende Noth, welche durch anhaltende, fast beispiellos niedrige Preise aller landwirthschaftlichen Erzeugnisse den Landmann in unsern Tagen so verderblich darnieder drückt, vermochte den würdigen Herrn Verfasser als einen wahren Bauernfreund, allen Fleiß aufzubieten, um in obiger Volksschrift den Landmann auf die vielfachen Mittel und Wege aufmerksam zu machen, welche ihm in seiner bedrängten Lage noch übrig bleiben 83 Der vollständige Titel lautet: HAUMANN, GUSTAV HEINRICH: Lebens=, Haus= und Vermögensgeschichte des Schulzen Leberecht Feldmann zu Lindenhain. Oder getreue Erzählung, wie derselbe durch zweckmäßige Einrichtung seiner Haus= und Feldwirthschaft, durch gründliche Verbesserung und geschickte Benutzung seiner Grundstücke, durch vermehrte und veredelte Viehzucht, durch wohl geordneten Bienenstand, durch Obst= und Gemüsebau, durch Anpflanzung schnell wachsender einträglicher Holzarten durch Hopfenanlagen, durch vermehrte Erzielung von Futterkräutern und Wurzelfrüchten, durch Anbau von Raps, Mohn, Anis, Hanf, Waid und anderen Gewächsen u.s.w. es dahin brachte, daß er binnen zehn Jahren aus einem armen Bauer der wohlhabenste und angesehenste Mann im ganzen Dorfe wurde. Ein Volksbuch zur Nachahmung aufgestellt, Ilmenau 1826. 84 Diese Bewertung wurde in mehreren Rezensionsblättern geäußert. Auch in einer Rezension der „Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung“ wurden Inhalt und Konzeption von Haumanns Schrift ausgesprochen positiv gewertet. So heißt es: „Zu loben ist es daher an dem Vf. [Gustav Heinrich Haumann] dieser Schrift ganz besonders, dass er auf den glücklichen Einfall kam, die lüsterne Wissbegierde des Bauern dadurch zu reizen, dass er sein für die Landwirthschaft sehr brauchbares und durchaus praktisches Wirthschaftsbuch in das Gewand einer Geschichte einkleidete; denn bekannt ist es, dass Geschichten von ihm gern angehört, und auch wohl gelesen und gekauft werden. Hier bemerkt er nicht, dass er aus diesem Buche die neuere und verbesserte Landwirthschaft lernen soll, weil er nur Feldmanns Lebens-, Haus- und Vermögensgeschichte vor Augen hat, die dem gemeinen Manne durch die reizende Darstellung des glücklichen Fortgangs aller Dinge eine eben so angenehme Unterhaltung gewährt, als weiland Beckers Noth- und Hülfs-Büchlein. Aus diesem Grund […] verdient dasselbe eine allgemeine Verbreitung und Bekanntmachung wegen Feldmanns solider Wirthschaftsart und derselben zum Grunde liegenden und in richtige Verbindung gebrachten Grundsätze, die gewiss bey denen, die das Buch gelesen haben, nicht ohne Folgen bleiben werden. Ganz unvermerkt lernt hier der Bauer eine durchaus vollkommen geregelte Bauernwirthschaft und jene Grundsätze derselben kennen. […] Und darum ist es sehr zu wünschen, dass Feldmanns Lebens-, Haus- und Vermögensgeschichte sich allgemein unter den Bauersleuten verbreiten möchte.“ Vgl. Ökonomie, in: Jenaische Allgemeine Literaturzeitung, Nr. 58, März 1826, Sp. 461–464.

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und zu Gebote stehen. Indem er Euch, lieben Landleute, eine allgemein faßliche Uebersicht der gesammten Haus= und Landwirtschaft übergibt, dabei alle neuerlich bekannt gewordenen Entdeckungen und Vortheile berücksichtigt und Euch die vielfachen Hülfsquellen deutlich lehrt und zeigt, die auch der Erfahrenste unter Euch noch nicht alle so kennt, ja oft nicht einmal auf sie verfällt, lehrt er Euch Eure Kräfte kennen und Sie in jeder Zeit benutzen, wo jede Hülfe doppelt willkommen ist; denn der Landmann, der sich den Schulzen Leberecht Feldmann zum Vorbild wählt, und seinen Haus= und Wirthschaftsbetrieb verständig im eigenen Berufskreise anwendet, der wird selbst jetzt noch auf einen grünen Zweig kommen und seinen Wohlstand ansehnlich vermehren.85

Abschließend gab das „Rudolstädtische Wochenblatt“ noch zu bedenken, dass „der Ankauf dieses so lehrreichen Volksbuches durch den so äußerst niedrig gestellten Preis so erleichtert [wird], daß es beinahe jedem Dorfe zur unerlässlichen Pflicht wird, davon ein Exemplar aus der Gemeindekasse anzuschaffen und unter seinen Bewohnern circuliren zu lassen.“86 Abgesehen von Büchern mit gemeinnützig-ökonomischem Profil, wurden in den Intelligenzblättern aber auch gemeinnützig-volksaufklärerische Periodika angezeigt. Wenngleich die thüringischen Intelligenzblätter seit der Umwandlung zu offiziellen Regierungsblättern keine belehrenden und unterhaltsamen Beiträge mehr beinhalteten, so informierten sie ihre Leser zumindest über den Anzeigenteil, welche periodisch erscheinenden Schriften diese Funktion erfüllten. Exemplarisch kann an dieser Stelle wiederum das „Rudolstädtische Wochenblatt“ herangezogen werden. Dort inserierte Friedrich Johannes Frommann aus Jena am Ende des Jahres 1830 eine Anzeige für seinen „Thüringer Volksfreund“, den er seit zwei Jahren verlegte und als ein gemeinnützig-volksaufklärerisches Blatt für den gesamten Thüringer Raum vermarkten wollte.87 In der Annahme, durch eine Anzeige im „Rudolstädtischen Wochenblatt“ die Wichtigkeit seines Blattes zu unterstreichen, um damit auch außerhalb von Jena ein breites Publikum erreichen zu können, schrieb Frommann: Der Thüringer Volksfreund wird auch im nächsten Jahre in bisheriger Weise fortgesetzt werden. Der Beifall, welcher ihm von besonnenen und vorurtheilsfreien Männern privatim und öffentlich gezollt worden ist […] und der Eifer, womit andere Zeitungen ihn ausgeschrieben haben, während sie sorgfältig vermieden, ihn zu nennen, werden den Herausgeber anspornen, auch fernerhin alles anzuwenden, um immermehr zu leisten. Daß dieses Streben von Publicum anerkannt wird, hat der Verleger besonders am Zunehmen der Abonnentenzahl bemerkt, seitdem wöchentlich zwei Stücke erscheinen, indem der Volks-

85 Literarische Anzeigen, in: Fürstlich Schwarzburg-Rudolstädtisches gnädigst priviligirtes Wochenblatt, 43. Stück vom 31. Oktober 1825, S. 189 f. 86 Ebd., S. 190. 87 Vgl. hierzu Kapitel VI.2.

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

freund im Stande ist, durch schnellere Mittheilung der Neuigkeiten für einen großen Theil seiner Leser andre auswärtige Zeitungen überflüssig zu machen.88

Auf diese Weise beteiligten sich die thüringischen Intelligenzblätter während der Vormärzzeit zwar nicht direkt an der Vermittlung aufklärerischen Gedankengutes, trugen aber dazu bei, dass die Vielzahl der in Thüringen im Zeitraum von 1800 bis 1848 erschienenen volksaufklärerischen Bücher und Periodika einem breiten Lesepublikum bekannt gemacht wurde. Dabei zeigte sich nach 1815 vielerorts in Thüringen, dass die Beschränkung der Intelligenzblätter auf die öffentliche Bekanntgabe obrigkeitlicher Verordnungen sowie staatlicher und privater Anzeigen nicht den völligen Verlust von periodisch erscheinender volksaufklärerischer Literatur bedeutete. Vielmehr entstanden im gleichen Zug zahlreiche andere Blätter, die sich mit ihren gemeinnützig-volksaufklärerischen Beiträgen an ein lokales oder überregionales Publikum richteten und damit als eine Art „Ergänzungslektüre“ der offiziellen Regierungs- und Intelligenzblätter fungierten. In diesem Zusammenhang ist außerdem noch anzumerken, dass nicht alle thüringischen Intelligenzblätter, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in offizielle Regierungsblätter umgewandelt wurden, ihr starres amtliches Profil bzw. ihr Erscheinungsbild bis zum Ausbruch der Revolution von 1848 konstant beibehalten haben. Einige Regierungsblätter richteten sich im Laufe des Vormärz, sofern von staatlicher Seite die entsprechenden Konzessionen gewährt wurden, inhaltlich und konzeptionell neu aus.89 Das bekannteste Beispiel einer solchen Neuausrichtung in Thüringen während der Vormärzzeit ist sicherlich die Umwandlung des „Weimarischen offiziellen Wochenblattes“ zur „Weimarischen Zeitung“. Als der Weimarer Hofbuchhändler Johann Wilhelm Hoffmann die „Weimarische Zeitung“ als Nachfolgeorgan des „Weimarischen Wochenblattes“ im Jahr 1832 gründete, konzeptionell aber deutlich umstrukturierte und in umfassenden 88 Literarische Anzeigen, in: Fürstlich Schwarzburgisches Rudolstädtisches gnädigst priviligirtes Wochenblatt, 48. Stück vom 4. Dezember 1830, S. 240. 89 Hinzu kommt, dass nicht alle Intelligenzblätter im 19. Jahrhundert zu offiziellen Regierungsblättern umgewandelt wurden. Zum Beispiel fungierte im Großherzogtum SachsenWeimar nach 1811 das „Weimarische Wochenblatt“ auch für den Jenaer und Neustädter Kreis als einziges offizielles Regierungsblatt. Deswegen wurde das bis 1811 bestehende ursprüngliche Intelligenzblatt für den Jenaer Kreis, die „Priviligirten Jenaischen Wöchentlichen Anzeigen“, aber nicht eingestellt. Es nahm die Form eines lokalen „Nachrichtsblattes“ an und ähnelte damit im Wesentlichen anderen thüringischen „Nachrichtsblätter“ wie dem „Cahlaischen Nachrichts=Blatt“. Abseits der obrigkeitlichen Verordnungen und Anzeigen versorgten die „Priviligirten Jenaischen Wöchentlichen Anzeigen“ (ab 1837: „Priviligirte Jenaische Wochenblätter“) die Leser, vor allem unter den Rubriken „Zeitereignisse“, „Zeitungs- und andere Nachrichten“, „Miscellen“ und „Verschiedenes“, weiterhin mit unterhaltsamen und belehrenden Beiträgen sowie tagespolitischen Nachrichten. Vgl. Privilegirte Jenaische wöchentliche Anzeigen, 1811–1836; Privilegirte Jenaische Wochenblätter, 1837–1848.

REGIERUNGS- UND INTELLIGENZBLÄTTER ALS INDIREKTE VERMITTLER

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Maße inhaltlich erweiterte, behielt diese dennoch ihren Status als offizielles Regierungsblatt bei.90 In einer Erklärung des sachsen-weimarischen Staatskanzlers Friedrich von Müller, die der ersten Nummer der „Weimarischen Zeitung“ vom 4. April 1832 beigelegt wurde, heißt es ausdrücklich, dass gemäß dem Patent vom 18. März 1817 die „Weimarische Zeitung“ auch „forthin als ein amtliches Blatt zu betrachten“ ist.91 Ferner schrieb Müller, dass die „Weimarische Zeitung“ in „allen den Fällen an die Stelle des Weimarischen Wochenblattes“ treten soll. Konkret bedeutete dies, dass die „Weimarische Zeitung“ nach wie vor die Funktion eines offiziellen Regierungsblattes innehatte. Dementsprechend brachte Hoffmann im Avertissement der ersten Ausgabe deutlich zum Ausdruck, dass die „Weimarische Zeitung“ dieser Aufgabe mit aller Gewissenhaftigkeit nachkommen werde.92 Hoffmann versicherte den Lesern, dass die Veröffentlichung von Landesgesetzen, obrigkeitlichen Verordnungen und Anzeigen unverändert die höchste Priorität hatte. Tatsächlich aber kristallisierte sich bald heraus, dass amtliche Ankündigungen nur einen geringen Teil innerhalb des Blattes einnahmen.93 Wesentlich größeren Platz räumte Hoffmann der Berichterstattung über politische Tagesereignisse und unterhaltenden und belehrenden Beiträgen ein, die das optische Erscheinungsbild der „Weimarischen Zeitung“ nun maßgeblich prägen sollten. Obwohl im Avertissement streng genommen nur in einem Nebensatz erwähnt wurde, dass „Nachrichten von wichtigen Zeitereignissen und Erfindungen, Aufsätze über Land= und Hauswirthschaft, Künste, Manufakturen und Fabriken“ aufgenommen werden,94 bildeten sie letztlich den inhaltlichen Kern der „Weimarischen Zeitung“. Damit war das „offizielle Amtsblatt“ für die Städte Weimar und Jena sowie den Kreis Neustadt an der Orla weitaus mehr als ein Periodikum, dessen Inhalt sich einzig auf die Bekanntmachung von Verordnungen und Anzeigen beschränkte.95 Dem Prinzip der Gemeinnützigkeit verpflichtet, richtete Hoffmann in der „Weimarischen Zeitung“ zwei Rubriken ein, deren Beiträge in erster Linie die 90 Zur konzeptionellen und inhaltlichen Ausrichtung des „Weimarischen Wochenblattes“ sowie dessen Gründung im Jahr 1832 vgl. RAHMEYER, RUTH: Weimarische Zeitung 1832, in: Die Pforte, 7 (2004), S. 248–268. 91 Weimarische Zeitung, Nr. 1 vom 4. April 1832, unpag. 92 Vgl. ebd. 93 Nach wenigen Nummern wurden diese sogar nur noch in der „Beilage“ der „Weimarischen Zeitung“ veröffentlicht. Diese vier Seiten umfassende „Beilage“ nahm im eigentlichen Sinne die Funktion eines Regierungsblattes ein. Sie enthielt ausschließlich behördliche und gerichtliche Bekanntmachungen, Preistabellen und einen Anzeigeteil. Vgl. Beilage zur Weimarischen Zeitung, Nr. 1–77 vom 4. April 1832 bis 29. Dezember 1832. Zur inhaltlichen Gestaltung der „Beilage“ vgl. außerdem das Avertissement in der ersten Ausgabe der „Weimarischen Zeitung“. Vgl. Weimarische Zeitung, Nr. 1 vom 4. April 1832, unpag. 94 Vgl. ebd. 95 Vgl. RAHMEYER: Weimarische Zeitung, S. 249 f.

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

Belehrung des „gemeinen Mannes“ zur Aufgabe hatten. Während unter der Rubrik „Landwirthschaftliches“ vordergründig praktische Ratschläge aus dem Bereich der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung vermittelt wurden, konnten sich die Leser der „Weimarischen Zeitung“ unter der Rubrik „Mannigfaltiges“ über Themen der medizinischen, historisch-völkerkundlich, juristischen und religiösen Volksaufklärung informieren.96 Dass gemeinnützig-volksaufklärerische Beiträge einen wichtigen Platz in der „Weimarischen Zeitung“ eingenommen haben, wird schon allein am Umfang der landwirtschaftlich-ökonomischen Artikel deutlich, die im ersten Jahrgang veröffentlicht wurden. So finden sich im Register des ersten Jahrganges, der von Anfang April bis Ende Dezember 1832 insgesamt 77 Ausgaben umfasste, unter dem Stichwort „Landwirthschaftliches“ insgesamt 27 Beiträge.97 Diese Quantität an landwirtschaftlich-ökonomischen Artikeln wurde auch in der Folgezeit beibehalten. So werden im Register des zweiten Jahrganges unter dem Stichwort „Landwirthschaftliches“ sogar 39 Beiträge aufgelistet.98 Im Nachrichtenteil der „Weimarischen Zeitung“ verzichtete Hoffmann hingegen auf Ratschläge, die in der Haus- und Landwirtschaft sowie im Handwerk praktisch umsetzbar waren, sondern konzentrierte sich vorrangig auf politische Themen. Um Konflikte mit der staatlichen Pressezensur zu vermeiden, bemühte sich Hoffmann bei der politischen Berichterstattung stets um Neutralität. Politische Tagesereignisse wurden daher nur äußerst selten kommentiert. Dennoch klammerte Hoffmann brisante Fragen aus Politik und Gesellschaft nicht aus. Mit der gebotenen Vorsicht äußerte die „Weimarische Zeitung“ zuweilen auch leichte Kritik an politischen Zuständen. Im Zuge dessen wurde in der „Weimarischen Zeitung“ sogar über die Vor- und Nachteile verschiedener Staatsformen diskutiert.99 Ebenso schreckte Hoffmann nicht davor zurück, heikle Fragen zur Pressefreiheit aufzuwerfen. Nach Ruth Rahmeyer erfolgte dies aber stets mit der „höchsten sprachlichen Sensibilität“, so dass von obrigkeitlicher Seite nie mit Restriktionen gerechnet werden musste.100 Auf diese Weise trug die „Weimarische Zeitung“ auch einen Teil zur politischen Aufklärung ihrer Leserschaft bei und 96 Dabei wurden teilweise sogar recht exotisch anmutende Themen behandelt. Aus dem Bereich der religiösen Aufklärung wurde beispielsweise auch ein zweiseitiger Beitrag über die Religion und die zehn Gebote des Buddhismus eingerückt. Vgl. Mannigfaltiges. Die Religion des Buddha, in: Weimarische Zeitung, Nr. 6 vom 21. April 1832, unpag. 97 Nach Ablauf eines Jahres wurden die einzelnen Ausgaben der „Weimarischen Zeitung“ zu einem Jahrgang zusammengebunden. Mit einem vorangestellten Register bot Hoffmann den kompletten Jahrgang später in seiner Buchhandlung nochmals zum Verkauf an. Vgl. Register, in: Weimarische Zeitung, Nr. 1 vom 4. April, ebd., unpag. 98 Vgl. Register, in: Weimarische Zeitung, Nr. 1 vom 2. Januar 1833, unpag. 99 Vgl. RAHMEYER: Weimarische Zeitung, S. 267. 100 Ebd., S. 266.

DESINTERESSE AN AUFKLÄRERISCHEM GEDANKENGUT?

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sorgte dafür, dass insbesondere der „gemeine Mann“ eine Vorstellung davon bekam, welche Rechte und Pflichten einem „Staatsbürger“ zustanden bzw. abverlangt wurden.101

4. Desinteresse an aufklärerischem Gedankengut? – Zum Problem der Etablierung volksaufklärerischer Periodika auf dem thüringischen Pressemarkt DESINTERESSE AN AUFKLÄRERISCHEM GEDANKENGUT?

Resümiert man die bisherigen Ergebnisse dieses Kapitels, dann lässt sich konstatieren, dass während der gesamten Vormärzzeit in ganz Thüringen eine große Anzahl von Zeitungen und Zeitschriften existierten, die direkt an den „gemeinen Mann“ adressiert waren. Die Palette der in Thüringen periodisch erscheinenden volksaufklärerischen Literatur reichte dabei von praktisch orientierten Schriften, die ausschließlich die gemeinnützig-ökonomische und medizinische Volksaufklärung zum Inhalt hatten, bis hin zu universell ausgerichteten Schriften, die neben praktischen Beiträgen ebenso politische und gesellschaftliche Themen beinhalteten. In quantitativer Hinsicht ist dabei allerdings festzuhalten, dass auch im 19. Jahrhundert Themen aus dem Bereich der Land-, Gewerbe- und Hauswirtschaft die volksaufklärerischen Periodika dominierten. Im Vergleich zu den zahlreich vorhandenen landwirtschaftlich-ökonomischen Beiträgen fielen die Texte zur politischen Aufklärung wesentlich geringer aus. Hinzu kommt, dass aus Thüringen fast kein volksaufklärerisches Periodikum existierte, das sich ausschließlich mit politischen Themen befasste. Das erste thüringische Blatt, welches in der Vormärzzeit gegründet wurde und sich einzig der politischen Volksaufklärung widmete, war der von Carl Joseph Meyer im Jahr 1832 herausgegebene „Volksfreund“,102 der allerdings nach nur einem halben Jahr seines Bestehens von der 101 Ruth Rahmeyer urteilt hierzu: „Die Redaktion verstand ihre Zeitung als ein Instrument, zumindest der jetzt wachsenden Mittelstandsschicht die bestmögliche Allgemeinbildung für einen Staatsbürger angedeihen zu lassen, ganz im Sinne der politischen Aufklärung seit Lessings und Goethes Zeiten. Das deckte sich in Sachsen-Weimar-Eisenach durchaus mit den Ansichten der gebildeten Oberschicht und des Herrscherhauses – solange die konstitutionelle Monarchie als Staatsform nicht angetastet wurde.“ Vgl. ebd., S. 265 f. 102 An dieser Stelle soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass Ludwig Wieland bereits im Jahr 1818 in Jena erstmals ein rein politisches Blatt unter dem Titel „Volksfreund“ herausgegeben hat, das in einer Reihe mit den liberalen thüringischen Zeitschriften „Nemesis“ und „Oppositionsblatt“ stand. Trotz der Adressierung an das „Volk“ war Wielands „Volksfreund“, ähnlich wie die „Nemesis“ und das „Oppositionsblatt“, jedoch hauptsächlich an das gebildete Bürgertum gerichtet. Vgl. Der Volksfreund, hrsg. von Ludwig

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

Zensur verboten wurde.103 Dennoch konnte sich der „gemeine Mann“ in mehreren Periodika, sowohl in den nichtstaatlichen Wochenblättern als auch in den offiziellen oder halboffiziellen Amtsblättern, über politische Ereignisse informieren bzw. wurde in diversen Beiträgen über die verschiedenen politischen Systeme und Verfahrensweisen aufgeklärt. Betrachtet man die Erscheinungszeiträume der einzelnen volksaufklärerischen Periodika aus dem Thüringer Raum, dann wird ebenso deutlich, dass etlichen Wochenblättern, vor allem jenen, die als private Unternehmungen gegründet wurden, kein langes Fortbestehen vergönnt war. Während sich die Periodizität der zahlreichen lokalen Nachrichts- und Kreisblätter in der Regel ununterbrochen von ihrer Gründung bis zum Ausbruch der Revolution von 1848 erstreckte, gelang es kaum einer mit „Volksblatt“, „Volksfreund“ oder „Volksboten“ betitelten Wochenschrift, die nicht den Status einer offiziellen oder halboffiziellen Kleinstadtzeitung innehatte, sich länger als ein Dezennium zu halten. Bis auf wenige Ausnahmen, wie etwa „Der Thüringer Volksfreund“, der von 1838 bis 1848 in Rudolstadt erschien,104 wurden die meisten dieser Blätter bereits wenige Monate oder Jahre nach ihrer Gründung wieder eingestellt. Warum sich „Der Thüringer Volksfreund“ im Gegensatz zu den anderen volksaufklärerischen Blättern auf dem Zeitschriftenmarkt dauerhaft etablieren konnte, bleibt allerdings unklar. Konzeptionell weist „Der Thüringer Volksfreund“ keine grundlegenden Unterschiede zu den übrigen in Thüringen erschienenen volksaufklärerischen Periodika auf. Auch war sein Herausgeber Ludwig Renovanz keine schillernde Persönlichkeit, die wie Rudolf Zacharias Becker oder Christian Gotthilf Salzmann einen überregionalen Bekanntheitsgrad besaß. Ebenso weist die Vertriebsstrategie des „Thüringer Volksfreundes“ keine Besonderheiten auf.105 Während das Blatt im Verlag von Ludwig Renovanz erschien, übernahm Günther Fröbel, Besitzer der Fürstlich Privilegierten Hofbuchdruckerei in Rudolstadt und Herausgeber des „Mittwochsblattes“, den Druck und Vertrieb des „Thüringer Volksfreundes“. Renovanz und Fröbel bildeten bis zur Revolution von 1848 ein erfolgreiches Gespann, das mit erstaunlicher Konstanz die Fortführung des „Thüringer Volksfreundes“ betrieb. Im Zeitraum von 1838 bis 1848 vollzog „Der Thüringer Volksfreund“ nur eine einzige größere VerändeWieland, Jena 1818. Vgl. außerdem EHRENTREICH, HANS: Die freie Presse in SachsenWeimar. Von den Freiheitskriegen bis zu den Karlsbader Beschlüssen, Halle 1907, S. 26 f. 103 Vgl. Kapitel IV.2.3.3. 104 Vgl. Der Thüringer Volksfreund. Ein belehrendes und unterhaltendes Volksblatt für Jedermann, 1838–1848. 105 Zu den wichtigsten Vertriebs- und Publikationsstrategien periodischer Literatur im Thüringer Raum im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert vgl. GREILING: „Vorrathskammern des menschlichen Verstandes“, S. 109–158.

DESINTERESSE AN AUFKLÄRERISCHEM GEDANKENGUT?

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rung. Im Jahr 1844 wurde er von einer Monatsschrift in ein Wochenblatt umgewandelt und erschien seither mit dem Titelzusatz „(Rudolstädter Intelligenzblatt)“.106 Der Inhalt des „Thüringer Volksfreundes“ beschränkte sich bis 1844 fast ausschließlich auf unterhaltsame Kurzgeschichten, die vordergründig der Aberglaubensbekämpfung dienten sowie Einfluss auf die sittlich-moralische Erziehung des „Volkes“ ausüben wollten. Zudem leisteten die Kurzgeschichten mitunter auch einen Beitrag zur historisch-völkerkundlichen und naturkundlichen Volksaufklärung. Bei näherer Betrachtung des „Thüringer Volksfreundes“ wird ebenfalls ersichtlich, dass eine Vielzahl der Kurzgeschichten darauf ausgerichtet war, die Vermittlung bürgerlicher Werte und Tugenden zu forcieren und das Nationalbewusstsein im „Volk“ zu heben.107 Im Jahr 1840 erweiterte Renovanz den „Thüringer Volksfreund“, indem er neben den belehrend-unterhaltsamen Geschichten die beiden Rubriken „Mannigfaltigkeiten“ sowie „Miscellen und Anekdoten“ einführte, wo von ihm erstmals auch konkrete gesellschaftliche, soziale und politische Fragen aufgeworfen wurden. Im Zuge der Umwandlung von einer Monatsschrift zu einem Wochenblatt veränderte „Der Thüringer Volksfreund“ nach 1843 sein Erscheinungsbild. Vor allem die unterhaltsamen Kurzgeschichten nahmen ab sofort weniger Platz ein, da Renovanz abermals zusätzliche neue Rubriken einführte,108 die allesamt sachlich-nüchtern gehaltene Beiträge beinhalteten. Bedingt durch den überhandnehmenden Pauperismus in den 1840er Jahren, wurden in diesen Rubriken vor allem soziale Fragen thematisiert. Diese Entwicklung erklärt allerdings nicht, warum sich „Der Thüringer Volksfreund“ im Gegensatz zu anderen volksaufklärerischen Periodika über einen so langen Zeitraum halten konnte. Was allerdings auffällt, sind die stets positiven Äußerungen Renovanzs zu den Abonnentenzahlen des „Thüringer Volksfreundes“. Schon zwei Jahre nach der Gründung seines Blattes äußerte er gegenüber den Lesern, dass sich „Der Thüringer Volksfreund“ trotz „einer großen Anzahl ähnlicher Zeitungen“ einer „ehrenden und ungetheilten Auszeichnung und Theilnahme 106 Mit dem Titelzusatz „Rudolstädter Intelligenzblatt“ sollte signalisiert werden, dass „Der Thüringer Volksfreund“ nach seiner Umwandlung zum Wochenblatt dem Anzeigenteil mehr Platz einräumte. Dabei wurde der Schriftzug „Rudolstädter Intelligenzblatt“ bewusst in Klammern gesetzt, da es nicht die Funktion des offiziellen Rudolstädter Intelligenzblattes innehatte. 107 Exemplarisch seien an dieser Stelle die Titel der Kurzgeschichten der ersten und zweiten Ausgabe des Jahres 1840 genannt: „Selma, die Räuberbraut“, „Der König von Rom“, „Die schreckliche Ueberraschung“, „Glück, Ehrlichkeit und Lohn“, „Die Zeugenaussage, „Der intolerante Erzbischof“, „Der Türkenhof zu Oppurg“, „Das Stelldichein“, „Der Preis“, „Moses Rothschild“, „Ein indischer Dieb“, „Der Franzose im Keller“. Vgl. ebd., Januar u. Februar 1840, S. 2–32. 108 Eine dieser neuen Rubriken, die annähernd in jede Ausgabe eingerückt wurde und welche mitunter auch tagesgeschichtliche Ereignisse enthielt, wurde mit „Allerlei“ betitelt.

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

erfreuen“ würde.109 Fünf Jahre später, im Dezember 1844, also ein Jahr, nachdem „Der Thüringer Volksfreund“ die Gestalt eines Wochenblattes eingenommen hatte, war Renovanz immer noch fest davon überzeugt, seine Leserschaft auch in Zukunft nicht zu verlieren. Selbstbewusst verkündete er, dass „Der Thüringer Volksfreund“ es schon immer vortrefflich verstanden habe, „die Gunst seiner so zahlreich gewonnenen Freunde durch unterhaltende und belehrende Aufsätze und Besprechungen zu erhalten“.110 In der ersten Ausgabe des darauffolgenden Jahrganges schrieb er außerdem: Der gütige Leser kennt den Volksfreund längst als einen treuen Hausfreund, der nicht blos Geschichten von der Menschen Thun und Treiben ihm mittheilt, sondern der auch zu rathen und zu helfen, vor Schaden und Nachtheil zu behüten und manches Nützliche zu lehren stets bereit ist. Darum braucht denn auch der Volksfreund […] nicht erst noch viele Worte zu machen; der Leser und er sind ja alte Bekannte; – aber freundlich grüßen muß er ihn aufs Neue, und herzlich danken für alle Liebe und Ehre, die ihm mit jedem Jahre in immer größerem Maße widerfahren.111

Folgt man dieser Aussage, dann scheint „Der Thüringer Volksfreund“ während all der Jahre seiner Existenz keine Absatzprobleme gehabt zu haben.112 Zumindest muss angenommen werden, dass das langjährige Fortbestehen des „Thüringer Volksfreundes“ für Ludwig Renovanz und Günther Fröbel kein großes finanzielles Verlustgeschäft war. Andernfalls hätten sie, ähnlich der vielen anderen thüringischen Verleger und Drucker, ihr Blatt nach ein paar Jahren wieder eingestellt. Ein Grund, weshalb „Der Thüringer Volksfreund“ das Niveau seiner Abonnenten, zehn Jahre lang konstant aufrechterhalten konnte, ist möglicherweise auch auf die Vertriebsstrategie Renovanzs, zurückzuführen. Um jedes Jahr neue Leser zu akquirieren, versprach er seit 1839 jedem neuen Subskribenten als kostenlose Prämie, die Zusendung eines kompletten vorherigen Jahrganges seiner Wahl.113 Lässt man die universell ausgerichtete und in einer belehrend-unterhaltsamen Schreibweise verfasste periodische Lektüre beiseite und betrachtet hingegen nur 109 110 111 112

Ebd., Dezember 1839, S. 384. Ebd., Nr. 52 vom 24. Dezember 1844, S. 208. Ebd., Nr. 1 vom 1. Januar 1845, S. 209. Die ersten Angaben zur Auflagenhöhe des „Thüringer Volksfreundes“ finden sich im „Deutschen Zeitungs-Katalog“ von 1845. Dort wird eine Auflage von 400 Exemplaren angegeben. Vgl. Deutscher Zeitungs-Katalog. Verzeichniss der in der deutschen Sprache erscheinenden periodischen Schriften mit Einschluß der politischen Zeitungen, der Tage-, Wochen- und Intelligenzblätter, Leipzig 1845, S. 115. 113 Vgl. ebd., Dezember 1839, S. 384. Dieses Angebot wurde am Ende eines jeden Jahrganges wiederholt. So heißt es im Dezember 1842, dass man im Jahr 1843 „nicht nur seine Freunde erhalten“, sondern ebenso „auch noch viele neue erwerben“ möchte. Um diesen Ziel zu erreichen, versicherte Renovanz: „Jeder neu zutretende Subscribent erhält einen der ersten 6 Jahrgänge gratis als Prämie.“ Ebd., Dezember 1842, S. 192.

DESINTERESSE AN AUFKLÄRERISCHEM GEDANKENGUT?

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diejenigen volksaufklärerischen Periodika, die ausschließlich über landwirtschaftliche oder gewerbliche Sachverhalte informierten, wie beispielsweise die „Landwirthschaftlichen Berichte aus Mittel=Deutschland“ (1833–1848),114 so zeigt sich, dass diesen Blättern meist etwas mehr Erfolg beschieden war. Scheinbar konnten sich diese rein praktisch orientierten Periodika einem größeren Leserkreis erschließen als die universell ausgerichteten volksaufklärerischen Zeitschriften. Allerdings traf dies auch nicht auf alle Periodika dieser Art zu. So musste etwa David Dietrich seine in Jena herausgegebene Zeitschrift „Das Wichtigste aus dem Pflanzenreiche für Landwirthe, Fabrikanten, Forst- und Schulmänner“ (1831–1832) nach bereits elf Ausgaben wieder einstellen.115 Somit wird deutlich, dass die volksaufklärerischen Periodika, unabhängig von ihren thematischen Schwerpunktsetzungen, auch im 19. Jahrhundert keine langjährige Existenz vergönnt war, wenn sich diese als finanziell unrentabel erwiesen. Ob ein geringer Absatzmarkt oder schlicht mangelndes Interesse beim „gemeinen Mann“ die Ursache waren, dass sich manche Periodika länger als andere halten konnten, lässt sich allerdings nur schwer eruieren. Wenn der Erscheinungszeitraum eines Periodikums nur wenige Monate oder Jahre betrug, muss allerdings davon ausgegangen werden, dass das Zusammenwirken beider Faktoren oftmals eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben dürfte.

114 Der Herausgeber der „Landwirthschaftlichen Berichte aus Mittel=Deutschland“, Theodor Gottfried Gumprecht, der nach eigenen Angaben als Pachtamtmann im Dienste des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach stand sowie die landwirtschaftliche Lehranstalt in Eisenach leitete und als Direktor des Landwirtschaftlichen Vereins in Eisenach tätig war, formulierte bereits auf dem Titelblatt der ersten Ausgabe ausführlich das Programm dieser volksaufklärerischen Zeitschrift. Danach beinhalteten die „Landwirthschaftlichen Berichte aus Mittel=Deutschland“ die „Quintessenz der ökonomischen Tages= Literatur und Journalistik, der agrarischen Gesetzgebung, der Protokolle der landwirthschaftlichen Vereine, der Berichte über den Stand der Feldfrüchte und den Ertrag der Ernten, der Correspondenz und Mittheilungen aus verschiedenen Gegenden, Recensionen neuer Schriften, Empfehlung gelungener und erprobter Versuche und Warnungstafeln mißlungener, Anfragen und Beantwortungen, Beschreibung interessanter Wirtschaften, Prozeß- und Streitfragen, Intelligenz= und Addreß=Nachrichten von vacanten Etablissements, Pachtungen und verkäuflichen Landgütern, Dienstanerbieten, Stellengesuche und andere hierher gehörige Angelegenheiten, nicht minder die neuesten Preise landwirthschaftlicher Gegenstände und Erzeugnisse.“ Vgl. Landwirthschaftliche Berichte aus Mittel-Deutschland. Enthaltend das Neueste und Wissenswürdigste für Landwirthe, hrsg. von Theodor Gottfried Gumprecht, Heft 1, Ilmenau 1833. 115 Vgl. Das Wichtigste aus dem Pflanzenreiche für Landwirthe, Fabrikanten, Forst- und Schulmänner, so wie für Liebhaber der Pflanzenkunde überhaupt, oder naturgetreue Abbildungen der in Hinsicht auf Land- und Hauswirthschaft, Künste und Gewerbe, so wie auf Hausarzneikunde und Diätetik wichtigen und interessanten Gewächse, nebst genauer Beschreibung und Nachweisung über Nutzen und Schaden, Anbau und Ausrottung derselben, hrsg. von David Dietrich, Jena 1831–1832.

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

Eine beliebte Strategie, den Absatz eines Blattes zu erhöhen, war die Umbenennung der Zeitschrift. Um einen erweiterten Leserkreis zu erschließen, wurde dem Zeitschriftentitel in der Regel das Attribut „Thüringisch“ oder „Deutsch“ beigefügt, was allen Adressaten vor Augen führen sollte, dass sich das Blatt bewusst als ein überregionales Periodikum verstand. Ein anschauliches Beispiel stellt in dieser Hinsicht die „Allgemeine thüringische Vaterlandskunde“ (1822– 1824) dar, die von Heinrich Erhard und Karl Gräbner herausgegeben wurde.116 Obwohl dieses universell ausgerichtete volksaufklärerische Wochenblatt – mit Schwerpunkt auf historisch-völkerkundlichen Themen – Subskribenten in ganz Thüringen besaß, kamen diese fast ausschließlich aus dem gebildeten und gehobenen Bürgertum.117 Der „gemeine Mann“, der ebenso als ein Adressat und damit auch als ein potentieller Käufer dieses Periodikums vorgesehen war, zeigte nur wenig Interesse an der „Allgemeinen Thüringischen Vaterlandskunde“. Wahrscheinlich nach nur einem Jahr des Bestehens hatte die „Allgemeine Thüringischen Vaterlandskunde“ erste Probleme mit den Abonnentenzahlen.118 Darum bemüht, sein Blatt an den Bedürfnissen und Lesegewohnheiten der ländlichen Bevölkerung auszurichten, um diese in breiterem Maße, als neue Leser zu gewinnen, veröffentlichte Karl Gräbner bereits 1823 verstärkt landwirtschaftliche, naturkundliche und gewerbliche Beiträge in der „Allgemeinen Thüringischen Vaterlandskunde“. Außerdem wurde das Blatt um die Rubriken „Anekdoten“ und „Vermischte Nachrichten“ erweitert sowie die zunächst überwiegend sachlich formulierten Texte durch unterhaltsame Beiträge ergänzt. Darüber hinaus 116 Die „Allgemeine Thüringische Vaterlandskunde“ wurde zunächst von Heinrich August Erhard herausgegeben, der sich neben Karl Gräbner auch als verantwortlicher Redakteur auszeichnete. Im Laufe des Jahres 1823 übernahm Karl Gräbner schließlich die alleinige Herausgeberschaft. Zusammen mit Constantin Beyer war er für die Leitung des Blattes verantwortlich. Der Druck erfolgte in Erfurt bei S. A. Hoyer und seit Juni 1823 bei Heinrich Knick. Als Verleger betätigte sich Friedrich Wilhelm Andräe. Vgl. Allgemeine Thüringische Vaterlandskunde. Wochenschrift, der Geschichte, Natur= und Landeskunde, Literatur und Kunst, dem Alterthum, Gewerbfleiß und Handel Thüringens, so wie einer gemeinnützigen Belehrung und Unterhaltung überhaupt gewidmet, für alle Stände, Erfurt 1822–1824. 117 Wie das „Abonnenten=Verzeichniss“ zeigt, welches der letzten Ausgabe des Jahres 1822 beigelegt wurde, erstreckte sich das Einzugsgebiet der „Allgemeinen Thüringischen Vaterlandskunde“ über ganz Thüringen. Ende des Jahres 1822 verzeichnete das Blatt etwas mehr als 300 Abonnenten, die mehrheitlich dem gebildeten Bürgertum angehörten und im Staatsdienst, als Geistliche oder Verwaltungsbeamte, tätig waren. Hinzu kommen einige Abonnenten, die als Lehrer, Ärzte, Apotheker, Offiziere, Studenten, Gymnasialschüler und Kaufleute ausgewiesen sind. Vereinzelt finden sich auch Subskribenten, die dem Handwerks- und Bauernstand zugeordnet werden können. Vgl. ebd., 31. Stück vom 28. Dezember 1822, unpag. 118 Ein Indiz dafür ist die Tatsache, dass seit 1824 der „Allgemeinen Thüringischen Vaterlandskunde“ kein Abonnentenverzeichnis mehr beigelegt wurde.

DESINTERESSE AN AUFKLÄRERISCHEM GEDANKENGUT?

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entschloss sich Gräbner, den Titel der „Allgemeinen Thüringischen Vaterlandskunde“ im Juni 1823 in „Allgemeine Teutsche Vaterlandskunde“ umzubenennen,119 um die Themenauswahl seiner historischen Beiträge erweitern zu können und zugleich sein Blatt einem deutschlandweiten Leserkreis schmackhaft zu machen. Dass die Leserschaft, vor allem aus der bäuerlichen Bevölkerung, trotz dieser Maßnahmen in der Folgezeit nicht anstieg, dürfte zum Teil auch daran gelegen haben, dass Gräbner den Preis der „Allgemeinen Teutschen Vaterlandskunde“ unverändert beibehielt. Wie bei der „Allgemeinen Thüringischen Vaterlandskunde“ veranschlagte er für die „Allgemeine Teutsche Vaterlandskunde“ weiterhin jährlich 3 Reichstaler oder vierteljährlich 22 Silbergroschen und 6 Pfennige.120 Wenn man bedenkt, dass schon in den 1820er Jahren mancherorts die Einkommensverhältnisse der einfachen Landbevölkerung durch den langsam zunehmenden Pauperismus immer prekärer wurden, dürften nur wenige Bauern dazu bereit gewesen sein, einen solch hohen Preis zu bezahlen. Als sich schließlich gegen Ende des Jahres 1825 abzeichnete, dass die Leserschaft der „Allgemeinen Teutschen Vaterlandskunde“ nicht den Erwartungen entsprach, reduzierte Gräbner die Periodizität des Blattes und verkündete, dass „künftig diese Zeitung nicht mehr wöchentlich wie bisher, sondern in zwanglosen Heften“ erscheinen werde, wobei „die erste [Ausgabe] gegen Ostern“ zu erwarten sei.121 Da dem Unternehmen trotz dieser Umstellung dennoch kein Erfolg beschieden war, wurde es Ende 1826 eingestellt. In einem letzten Versuch, seine „Vaterlandskunde“ doch noch zu retten, verlegte Gräbner im Jahr 1827 den Druck des Blattes zu Friedrich Albrecht nach Arnstadt und brachte es fortan zweimal wöchentlich im kompakten Oktavformat heraus. Auf diese Weise konnte die „Vaterlandskunde“, die ab sofort auf das Attribut „Thüringisch“ bzw. „Teutsch“ verzichtete, billiger produziert werden, so dass der Preis des Blatt nur noch vierteljährlich 12 Sächsische Groschen betrug.122 Außerdem überarbeitete er die inhaltliche Gestaltung der „Vaterlandskunde“, die nun in fünf Hauptkategorien eingeteilt wurde,123 mit einer noch 119 Vgl. Allgemeine Thüringische Vaterlandskunde, 26. Stück vom 26. Juni 1824, S. 208. 120 Vgl. Allgemeine Teutsche Vaterlandskunde. Wochenschrift, der Geschichte, Natur= und Landeskunde, Literatur und Kunst, dem Alterthum, Gewerbfleiß und Handel Thüringens, so wie einer gemeinnützigen Belehrung und Unterhaltung überhaupt gewidmet, für alle Stände, 1. Stück vom 3. Juli 1824, S. 1. 121 Ebd., 52. Stück vom 25. Dezember 1825, S. 416. 122 Vaterlandskunde. Wochenschrift, der Geschichte, Natur= und Landeskunde, Literatur und Kunst, dem Alterthum, Gewerbfleiß und Handel Thüringens, so wie einer gemeinnützigen Belehrung und Unterhaltung überhaupt gewidmet, für alle Stände, 1. Stück vom 4. April 1827, S. 1. 123 Über den Inhalt der „Vaterlandskunde“ schreibt Gräbner im Avertissement: „Vorzüglich werden folgende Gegenstände betrachtet: I. Natur- und Landeskunde, als: Beschreibungen einzelner interessanter Naturgegenstände, kleine Reisen, Schilderungen von Sitten und Gewohnheiten,

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

stärkeren Ausrichtung auf die Bedürfnisse des „gemeinen Mannes“. In der Hoffnung, die Leser von der Qualität und dem Nutzen von der „Vaterlandskunde“ überzeugen zu können, äußerte sich Gräbner im Avertissement der ersten Ausgabe: Obgleich die Fluth der Zeitschriften Teutschland überschwemmt, so glauben wir doch nichts unnützes zu thun, oder Kollision mit den Vielen fürchten zu müssen, da wir uns bemühen wollen, ein vaterländisches Volksblatt, eine allgemeine Belehrung und Unterhaltung zu geben, jedoch mit dem Bestreben, die Achtung und Theilnahme des Gelehrten und Gebildeten zu erwerben.124

Abschließend macht Gräbner noch darauf aufmerksam, dass die „Vaterlandskunde“ aufgrund ihrer „Mannichfaltigkeit“, „zum Nutzen und Vergnügen für Jedermann“ geeignet ist.125 Wirklich erfolgreich kann die Neuausrichtung der „Vaterlandskunde“ dennoch nicht gewesen sein. So kündigte Gräbner in der ersten Ausgabe an, dass „am Schlusse des Jahres […] Titel, Register und ein Verzeichnis der Abonnenten dieses gemeinnützigen Unternehmens nachgeliefert“ werden sollten.126 Während Titel und Register von Gräbner am Ende des Jahres wie versprochen nachgereicht wurden, fehlt vom Abonnentenverzeichnis allerdings jede Spur. Wahrscheinlich war die Zahl der Subskribenten so gering ausgefallen, dass es für Gräbner einer persönlichen Demütigung gleichkommen wäre, diese noch zu veröffentlichen. Als sich die Situation im darauffolgenden Jahr nicht verbesserte, beschloss Gräbner, seine „Vaterlandskunde“ mit der 52. Ausgabe im Juli 1828 einzustellen. Im Vorwort der 26. Ausgabe – dem auch das Register der Ausgaben 26 bis 52 beigelegt wurde – wandte er sich an die Leser: „Mit den 52sten Stücke dieses halbjährigen Jahrganges schließt die Vaterlandskunde und hört auf fernerhin zu erscheinen. Ob wenn sie wieder ins Leben tritt, wird vorher den resp. Lesern derselben mitgetheilt werden.“127 Demnach been-

124 125 126 127

Bemerkungen über öffentliche Anstalten u.s.w. II. Handel, Gewerbe, Fabrik= und Manufakturwesen; Beschreibungen vorzüglicher Fabriken und Manufakturen Teutschlands; Nachrichten über den Gewerbsfleiß einzelner Orte und Gegenden, über Salz=, Berg= und Hüttenwerke, von neuen Erfindungen und Fortschritten des In= und Auslandes, die in den mancherlei Zweigen der Gewerbe und Manufakturen mit besonderer Berücksichtigung ihre Anwendbarkeit auf vaterländischen Boden haben. III. Land= und Hauswirthschaft; Abhandlungen über einzelne hierher gehörige Gegenstände, als: Acker= und Gartenbau, Baumzucht, Forst= und Jagdwesen, Viehzucht u.s.w., so wie Nachrichten von neuen bis dahin einschlagenden Versuchen, Erfahrungen und Entdeckungen von wirthschaftlichen Vortheilen u.s.w. IV. Neues aus der Zeit; Bekanntmachungen von Ereignissen, welche nur die Zeit gebären kann, Auszüge besondern Inhalts aus Zeitungen, welche mittel= oder unmittelbaren Einfluß auf uns haben, doch Raisonement über politische Gegenstände fällt weg. V. Vermischte und unterhaltende Aufsätze, Erzählungen, Gedichte u.s.w.“ Ebd., S. III f. Ebd., S. III. Ebd., S. IV. Ebd. Ebd., 26. Stück vom 2. April 1828, S. III.

DESINTERESSE AN AUFKLÄRERISCHEM GEDANKENGUT?

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dete Gräber sein Blatt in der Hoffnung, dieses in naher Zukunft weiterführen zu können. Warum er keinen weiteren Versuch unternommen hat, die „Vaterlandskunde“ erneut ins Leben zu rufen, ist unbekannt. Möglicherweise fehlten ihm die Kraft oder die nötigen finanziellen Rücklagen, dieses publizistische Projekt wiederzubeleben. So wie Karl Gräbner verstanden auch andere thüringische Volksaufklärer ihre neugegründeten Zeitschriften als ein gesamtthüringisches oder ein gesamtdeutsches Periodikum.128 Auch sie hofften, sich mit einer bewusst überregionalen Ausrichtung ihrer Periodika einen erweiterten Leserkreis erschließen zu können, teilten am Ende aber oftmals dasselbe Schicksal wie Gräbner und mussten ihre Blätter bereits nach wenigen Jahrgängen wieder einstellen. Sieht man von den lokalen „Nachrichts- und Kreisblättern“ ab, konnten sich letztlich nur die Hildburghäuser „Dorfzeitung“ und der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“, die beide eine Mischung aus Zeitung und Zeitschrift darstellten, bestehend aus einem Nachrichtenteil sowie verschiedenen Rubriken mit gemeinnützigen und unterhaltsamen Beiträgen, während der gesamten Vormärzzeit ohne Unterbrechung auf dem thüringischen Pressemarkt etablieren. Fasst man dies alles zusammen, dann bleibt trotz der Kurzlebigkeit vieler volksaufklärerischer Blätter dennoch zu konstatieren, dass im Thüringer Raum von 1800 bis 1848 eine erstaunliche Dichte an periodischer Literatur vorhanden war, die sich ausdrücklich an den „gemeinen Mann“ richtete. Obwohl viele thüringische Volksaufklärer in ihrem Umfeld registriert haben dürften, dass die Herausgabe periodischer Volkslektüre nur bedingt erfolgreich war, hat es sie dennoch nicht davon abgehalten, während der gesamten ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts permanent neue volksaufklärerische Zeitschriften und Zeitungen zu gründen. Somit existierte im Thüringer Raum eine konstant hohe Zahl an volksaufklärerischen Periodika, die der kleinstädtisch-ländlichen Bevölkerung in der gesamten Vormärzzeit fortwährend die Möglichkeit eröffnete, sich mittels 128 Vgl. u.a. Allgemeine thüringische Vaterlandskunde. Wochenschrift für Geschichte Thüringens, 1822–1824; Der Thüringer Volksfreund. Eine Wochenschrift für Thüringen, das Osterland und Voigtland, hrsg. von Karl Herzog und Friedrich Johannes Frommann, 1829–1831. Der teutsche Patriot. Ein Volksblatt, hrsg. von Christoph Gottlieb Steinbeck, 1802–1805, N.F. 1831–1833; Der Thüringer Bote. Ein Volksblatt, hrsg. von Ludwig Storch, 1842–1843; Allgemeine thüringische Gartenzeitung, 1842–1848; Der Deutsche Volksbote. Eine Zeitschrift für vaterländische Interessen zur Belehrung und Unterhaltung, hrsg. von Ludwig Storch, 1844; Der deutsche Stadt- und Land-Bote. Eine Wochenschrift für alle Angelegenheiten des bürgerlichen Lebens, 1847–1848; Der Deutsche. Sondershäuser Zeitung (anfangs: Der Teutsche. Priviligirte Politische Zeitung für alle Stände), 1813–1848; Der Thüringer Volksfreund. Ein belehrendes und unterhaltendes Volksblatt für Jedermann, 1838–1848; Thüringer Stadt- und Landbote. Ein Volksblatt für Belehrung und Unterhaltung aus dem Leben, der Natur und der Gesellschaft, 1834– 1848. Vgl. außerdem Anhang A.

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V. ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN FÜR DEN „GEMEINEN MANN“

periodischer Literatur aufklärerisches Gedankengut anzueignen. Ob der Thüringer Raum in dieser Hinsicht eine Sonderstellung eingenommen hat oder im Vergleich zum restlichen deutschen Sprachraum die gleichen Strukturen aufweist, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden und bedarf noch weiterer Untersuchungen.

VI. Wandel und Kontinuität – Gestaltung und Themenspektrum volksaufklärerischer Periodika im Zeitraum von 1815–1848

1. „Dorfzeitung“ und „Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ als Leitmedien volksaufklärerischer Periodika in Thüringen „DORFZEITUNG“ UND „ALLGEMEINER ANZEIGER“ ALS LEITMEDIEN

Im zwölften Band des 1837 erschienenen „Conversations-Lexikons“ wird unter dem Stichwort „Zeitschriften, Journale und periodische Schriften“ zu den in den thüringischen Kleinstaaten gelesenen volksaufklärerischen Blättern folgende Bemerkung gemacht: Unter den für das Volk berechneten Zeitblättern gewannen ein großes Publicum der 1791 in Gotha gegründete ‚Reichsanzeiger‘, der nach Auflösung des deutschen Reichs unter dem Titel ‚Allgemeiner Anzeiger der Deutschen‘ fortgesetzt und 1830 mit der 1800 gegründeten „Nationalzeitung der Deutschen“ vereinigt wurde, und die seit 1818 zu Hildburghausen erscheinende ‚Dorfzeitung‘.1

Die hier erwähnten Blätter waren zweifelsohne die beiden wichtigsten publizistischen Organe der Volksaufklärung im Thüringer Raum während der Vormärzzeit. Der „Allgemeine Anzeiger der Deutschen“(1793-1829) sowie die „Nationalzeitung der Deutschen“ (1796-1829) wurden bereits Ende des 18. Jahrhunderts in Gotha von Rudolf Zacharias Becker herausgegeben.2 Da sich beide Blätter bewusst an ein überregionales Publikum richteten, erreichten sie bald in ganz Deutschland einen recht hohen Bekanntheitsgrad.3 Becker verfolgte mit beiden 1 2

3

Allgemeine deutsche Real=Encyklopädie für gebildete Stände. (Conversations=Lexikon), Bd. 12: W bis Z, 8. Aufl. Leipzig 1837, S. 461. Die genauen Titelgebungen lauten: Der Reichsanzeiger oder allgemeines Intelligenz-Blatt zum Behuf der Justiz, der Polizey und der bürgerlichen Gewerbe im Teutschen Reiche, wie auch zur öffentlichen Unterhaltung der Leser über gemeinnützige Gegenstände aller Art, 1793–1806; Allgemeiner Anzeiger der Deutschen. Der öffentlichen Unterhaltung über gemeinnützige Gegenstände aller Art gewidmet, zugleich allgemeines Intelligenz-Blatt zum Behuf der Justiz, der Polizey und der bürgerlichen Gewerbe, 1806–1829; National-Zeitung der Deutschen, 1796–1811 u. 1814–1829. Zur Person Rudolf Zacharias Beckers vgl. außerdem Kapitel III.3. Über die genauen Auflagenzahlen existieren keine aussagekräftigen Archivalien. Nach Beckers eigener Aussage aus dem Jahr 1814 brachte ihm die „National-Zeitung der Deutschen“ jährlich einen Reingewinn von rund 4.000 bis 5.000 Francs ein, was etwa einem

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

Periodika eine Verbreitung aufklärerischen Denkens und Wissens in allen Bevölkerungsschichten. Die Blätter sollten gemeinnützig wirken und der Verbesserung des gesellschaftlichen sowie des persönlichen Wohlstandes dienen. Inhaltlich schlugen beide Periodika die Richtung einer „allumfassenden“ Volksaufklärung ein.4 Entsprechend seinem Titel nahm der Anzeigenteil im „Allgemeinen Anzeiger“ aber einen größeren Platz als in der „Nationalzeitung der Deutschen“ ein. Dennoch beinhaltete auch der „Allgemeine Anzeiger“ zahlreiche belehrendunterhaltsame Beiträge zu beinahe allen Gegenständen des privaten und öffentlichen Lebens. Da der „Allgemeine Anzeiger“ täglich erschien, fiel trotz des umfangreichen Anzeigenteils die Menge und Vielfalt der in diesem Blatt vermittelten gemeinnützig-volksaufklärerischen Lesestoffe ausgesprochen hoch aus. Dementsprechend kommt auch Holger Böning zu dem Urteil, dass der „Reichs-Anzeiger“, wie der Titel des „Allgemeinen Anzeigers der Deutschen“ von 1793 bis 1806 lautete, eine der reichhaltigsten Quellen der praktischen Aufklärung nach dem Ausbruch der Französischen Revolution darstellt.5 Im Gegensatz zum „Allgemeinen Anzeiger“ erschien die „Nationalzeitung der Deutschen“ nicht täglich, sondern wöchentlich. Wie der „Allgemeine Anzeiger“ beinhaltete auch die „Nationalzeitung“ verschiedenste Beiträge, die im gesamten deutschsprachigen Raum die (Volks-)Aufklärung befördern sollten. Sie richtete sich an die Leser „aller Stände“, die sie mit einer ausgesprochen umfangreichen Themenpalette anzusprechen suchte. Neben rein praktisch orientierten landwirtschaftlich-ökonomischen Themen umfassten die Beiträge auch sittlichmoralische, pädagogische, religiöse, medizinische, naturkundliche, historisch-

4 5

Gegenwert von 1.000 bis 1.250 Reichstalern entsprach. Setzt man diese Summe ins Verhältnis zum Preis des Blattes von 2 Reichstalern pro Jahrgang, ergibt sich eine ungefähre Auflagenhöhe von 2.000 bis 2.500 Exemplaren. Damit erreichte die „Nationalzeitung der Deutschen“ in etwa die Auflagenhöhe der „Deutschen Zeitung“, die Becker als direkten Vorgänger der „Nationalzeitung“ von 1788 bis 1796 herausgegeben hatte. Für den „Allgemeinen Anzeiger“ fehlen ebenfalls verlässliche Zahlen zur Auflagenhöhe. Nach Marianne Kohl muss die Auflage des „Allgemeinen Anzeigers“, der bis zum Ende des Alten Reiches 1806 den Titel „Kaiserlich privilegirter Reichs-Anzeiger“ trug, aber bedeutend höher gewesen sein als die der „National-Zeitung der Deutschen“. KOHL: Die Nationalzeitung der Deutschen, S. 26 f. u. 98 f.; SIEGERT: Aufklärung und Volkslektüre, Sp. 761–781. Vgl. außerdem BECKER, RUDOLF ZACHARIAS: Leiden und Freuden in siebzehnmonatlicher französischer Gefangenschaft. Ein Beytrag zur Charakteristik des Despotismus, Gotha 1814, S. 141. Vgl. BURBACH: Rudolf Zacharias Becker, S. 22–33. Vgl. BÖNING/SIEGERT: Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch, Bd. 2, Teilbd. 2.2, Sp. 1699.

„DORFZEITUNG“ UND „ALLGEMEINER ANZEIGER“ ALS LEITMEDIEN

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völkerkundliche und politisch-rechtliche Gegenstände.6 Daneben informierte die „Nationalzeitung“ über aktuelle politische Ereignisse, so dass sich das Blatt zu einer Art Mischgattung aus Zeitung und Zeitschrift entwickelte. Außerdem gelang es Becker, die „Nationalzeitung“ in der Folgezeit als eine öffentliche Diskussionsplattform zu etablieren, was dazu führte, dass die darin publizierten Beiträge von auswärtigen Lesern mitunter kommentiert oder ergänzt wurden. Nach dem Tod Rudolf Zacharias Beckers im Jahr 1822 führte dessen Sohn Friedrich Gottlieb die beiden Blätter zunächst in gewohnter Form fort. Weil seit 1826 die Abonnentenzahlen der „Nationalzeitung“ sanken, änderte Friedrich Gottlieb Becker aber erstmals die Periodizität seines Blattes.7 Die bisher einmal wöchentlich erschienene „Nationalzeitung“ wurde seit 1827 nun zweimal pro Woche verlegt. Das brachte allerdings bald erhebliche logistische Schwierigkeiten mit sich, da jetzt doppelt so viele Nachrichten und Beiträge untergebracht werden mussten. Deshalb entschloss sich Becker Ende des Jahres 1829, den „Allgemeinen Anzeiger der Deutschen“ und die „Nationalzeitung der Deutschen“ in ein einziges Periodikum zusammenzulegen. Seit 1830 erschienen beide Zeitschriften gemeinsam unter dem Titel „Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“.8 Die (volks-)aufklärerischen Ambitionen der Vorgänger wurden dabei weitestgehend beibehalten. Sich bewusst in deren Tradition stellend, heißt es im Vorwort des neugegründeten Blattes: Der allgemeine Anzeiger und die Nationalzeitung der Deutschen erscheinen von heute an in ein Nationalblatt vereinigt, in welchen die Tagesgeschichte unseres Volkes, das Thatsächliche aus dem Leben seiner Staaten, aus dem Fortgange seiner Bestrebungen in allen Zweigen menschlicher Thätigkeit und seiner Richtung auf das Höchste, Edle und Gemeinnützigste, wie auf das Gemeine und Verwerfliche, von dem freien Urtheil und von unbefangener Besprechung darüber nicht geschieden sein soll. Die bisherige Eigenthümlichkeit des allgemein. Anzeigers wird dadurch nicht die geringste Störung erleiden. Jeder Gebildete hat freyen Zutritt in diesen Sprechsaal Deutschlands, wo ihm Gelegenheit geboten wird, sich über alles, was den Menschen angeht, in jedem Verhältnisse des öffentlichen wie des häuslichen Lebens, mit Wahrheitsliebe und Freymüthigkeit auszusprechen, Belehrung zu geben und zu suchen und das Bedürfniß gegenseitiger schnellen Mittheilung in allen Fächern des Wissens und für jede bürgerliche Thätigkeit auf eine zuverlässige und leichte Weise zu befriedigen.

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Eine kurze Zusammenfassung der einzelnen Inhalte der „Nationalzeitung der Deutschen“ findet sich in: ebd., Sp. 2113–2116. Ausführlicher zu den Inhalten und Mitarbeitern der „Nationalzeitung der Deutschen“ vgl. KOHL: Nationalzeitung der Deutschen, S. 52–98. Vgl. ebd., S. 97. Vgl. Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen. Der öffentlichen Unterhaltung über gemeinnützige Gegenstände aller Art gewidmet, zugleich allgemeines deutsches Intelligenzblatt zum Behuf der Rechtspflege, der Polizei, des Handels und der Gewerbe, so wie des bürgerlichen Verkehrs überhaupt, Gotha 1830–1848.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

Staatsverfassung und Verwaltung, Rechtspflege und Polizey; Religion und Kirche, Schul= und Erziehungswesen; Wissenschaft und Kunst; Gewerbe= und Handel; Land= und Hauswirthschaft; Kunde der Natur und der fortschreitenden Entdeckungen in ihrem unermeßlichen Reiche: – kurz, was irgend das Leben veredelt, verschönert und erleichtert, jedoch aus dem Mißbrauch zu dessen Erschwerung unterworfen ist: hier darf es mit Wahrheitsliebe berichtet, aber auch freymüthig besprochen und dem Urtheil Tausender zur Prüfung und Beherzigung dargelegt werden. Auch die wichtigeren Urkunden aus dem öffentlichen Leben der deutschen Bundesstaaten, vollständig oder in angemessenen Auszügen, sollen nicht fehlen, und das Geschehene und Geleistete in allen Richtungen deutscher Lebensthätigkeit soll von Zeit zu Zeit in Uebersichten zusammengefaßt werden, damit die Fortschritte oder Rückschritte unseres Volkes in seinem Denken und Handeln leichter erkannt werden.9

Wie aus diesen Zeilen entnommen werden kann, zielte der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ weiterhin auf eine möglichst breitgefächerte Aufklärung der gesamten Bevölkerung, aus der wiederum „Fortschritt“ und „Wohlstand“ für alle entspringen sollten. Die Redaktion des Blattes übernahm Legationsrat Johann Friedrich Hennicke (1764–1848), der schon seit 1793 verantwortlicher Redakteur des „Allgemeinen Anzeigers der Deutschen“ war.10 Die Palette der Themen folgte deshalb weitgehend dem Muster der Vorgänger. In vermischter Reihenfolge, unter je einer eigens zugeordneten Rubrik („Gewerbe und Handel“, „Landwirthschaft“, „Landwirthschaftliche Gewerbe“, „Gemeinnützige Vereine und Anstalten“, „Gesundheitskunde“, „Naturkunde“, „Staatsverhältnisse“, „Staatsverfassung und Verwaltung“, „Bildungsanstalten“, „Volkserziehung“, „Schul= und Erziehungswesen“, „Rechtspflege und Polizey“, „Landes= und Ortskunde“, „Wissenschaften und Künste“, „Kirche und Reli-gion“, „Allerhand“ etc.), wurde der Leser weiterhin mit Beiträgen versorgt, die von landwirtschaftlich-ökonomischen bis hin zu politisch-rechtlichen Themen reichten. Die Verbreitung neuster wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie die Erziehung der Leser zu rational denkenden und handelnden Personen standen dabei ebenso im Fokus, wie dies in den Jahren zuvor separat im „Allgemeinen Anzeiger“ und der „Nationalzeitung der Deutschen“ gehandhabt wurde. Der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ versuchte auch nach 1830, belehrend auf seine Leser einzuwirken. Das Blatt vermittelte ein klar an aufklärerische Vorstellungen angelehntes Bild von Sitte und Moral und war besonders darauf bedacht, seine Leser zur Annahme bürgerlicher Werte und Tugenden zu bewegen. 9 Vorwort, in: Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen, Nr. 1 vom 2. Januar 1830, unpag. 10 Vgl. SCHULZE, CHRISTIAN FERDINAND: Dr. Johann Friedrich Hennicke, in: Schmidt, Friedrich August (Hrsg.): Neuer Nekrolog der Deutschen, 26. Jahrgang, Erster Theil, Weimar 1850, S. 261–269; BECK, AUGUST: Hennicke, Johann Friedrich, in: ADB, 11 (1880), S. 773 f.

„DORFZEITUNG“ UND „ALLGEMEINER ANZEIGER“ ALS LEITMEDIEN

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In diesem Zusammenhang ist außerdem zu beobachten, dass dieses Periodikum ab 1830 nun verstärkt die Idee einer bürgerlichen bzw. staatsbürgerlichen Gesellschaft propagierte. Schon in der zweiten Ausgabe findet sich unter der Rubrik „Staatsverhältnisse“ ein Beitrag aus der Feder Georg Friedrich Königs aus Osterode über „Die natürlichen Rechte des Menschen und des Bürgers“. Die Tendenz des Artikels wird bereits in den ersten beiden Einleitungssätzen den Lesern deutlich vor Augen geführt: „Frey ist der Mensch geboren, und gleich sind wir alle, im Himmel und auf Erden. Freyheit und Gleichheit sind die Urstoffe der Cultur und Bildung, und mit ihnen kann die Civilisation nur gedeihen und das Leben des Menschen verherrlichen.“11 Im daran anschließenden Text forderte König, der ein Jahr später von der Regierung des Königreichs Hannover zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde,12 die Abschaffung aller Feudallasten, die Rechtsgleichheit aller Menschen sowie die Öffentlichkeit aller Landtags- und Gerichtsverhandlungen. Politische Fragen nahmen also im „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ einen wichtigen Platz ein. Das Blatt hatte grundsätzlich eine gemäßigt-liberale Haltung und scheute auch nicht davor zurück, politisch brisante Themen öffentlich zu erörtern. Nach Becker sollte das „Volk“ zukünftig politischen Angelegenheiten den gleichen Stellenwert beimessen wie den neuesten Erkenntnissen zur Verbesserung der praktischen Landwirtschaft oder des Gewerbes. Bei der Herausgabe des „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“ orientierte sich Becker an der Periodizität des „Allgemeinen Anzeigers“. Das Blatt erschien täglich und war damit gewissermaßen omnipräsent. Selbst am Samstag und Sonntag wurde der Leser permanent mit belehrendunterhaltsamen Beiträgen sowie einer aktuellen politischen Berichterstattung versorgt. Eine Tageszeitung im heutigen Sinne war der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ jedoch noch nicht. Der Umfang einer Ausgabe betrug, je nach vorhandenem Informationsmaterial, entweder vier oder acht Seiten. Der Anzeigenteil überschritt in der Regel kaum mehr als drei Seiten. Das Augenmerk lag eindeutig auf den belehrenden, meist kurz gehaltenen Artikeln, die unter den oben genannten Rubriken den Hauptteil des Blattes ausfüllten.

11 Staatsverhältnisse. Die natürlichen Rechte des Menschen und des Bürgers, in: Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen, Nr. 2 vom 3. Januar 1830, Sp. 9. 12 Georg Friedrich König wurde 1831 aufgrund seiner politischen Kampfschrift „Anklage des Ministeriums Münster vor der öffentlichen Meinung“ zu zehn Jahren Haft verurteilt. Der am Bibliographischen Institut angestellte Kupferstecher Carl Barth fertigte im Auftrag Carl Joseph Meyers 1834 ein Bildnis Georg Friedrich Königs an. Es wurde vielfach unter der Hand verkauft, was König bald zu einer Symbolfigur der liberalen Opposition im Hannoverschen machte. Vgl. SCHUBERT, ERNST: Verfassung und Verfassungskämpfe im frühen 19. Jahrhundert, in: Hucker, Bernd Ulrich/Ders./Weisbrod, Bernd (Hrsg.): Niedersächsische Geschichte, Göttingen 1997, S. 442 f.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

Durch den täglichen Erscheinungsrhythmus wurden die Leser des „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“ trotz des geringes Umfanges der einzelnen Ausgaben im Laufe der Zeit mit einer beachtlichen Menge unterschiedlichster Informationen versorgt.13 Sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht wurde 1830 nirgendwo in Thüringen ein anderes Periodikum herausgegeben, dass über ein ganzes Jahr hinweg betrachtet, dieselben Dimensionen besaß. Hinzu kam, dass es Becker mit seinem Tagesblatt verstand, die Lesebedürfnisse der Gebildeten und der weniger Gebildeten auszutarieren. Wie von Becker beabsichtigt, entwickelte sich der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ zu einem Organ für „alle Stände“. Das Blatt stieß in der einfachen Bevölkerung und bei den Gebildeten gleichermaßen auf breite Zustimmung. Die Vereinigung des „Allgemeinen Anzeigers“ und der „Nationalzeitung“ zu einem gemeinsamen Tagesblatt wurde von den Lesern scheinbar durchweg begrüßt. Becker hielt jedenfalls bis zum Ausbruch der Revolution von 1848/49 an diesem Konzept in unveränderter Form fest. Während es viele Gebildeten nicht nur als nützliches Informationsorgan, sondern auch als willkommene Kommunikationsplattform betrachteten, dürfte den „gemeinen Mann“ vor allem die Vielfältigkeit und Kompaktheit der darin befindlichen Texte angesprochen haben. Dass von vielen thüringischen Volksaufklärern die Beiträge des „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“ als besonders wertvoll erachtet wurden, steht jedenfalls außer Frage. So ziemlich jede Dorfbibliothek, die in den 1840er Jahren im Thüringer Raum gegründet wurde, besaß die aktuelle Ausgabe bzw. den aktuellen Jahrgang dieses Periodikums. Aufgrund des geringen Umfanges der einzelnen Ausgaben eignete sich das Blatt außerdem hervorragend zur gemeinsamen Lektüre in den von den Dorfpfarrern oder Dorflehrern organisierten Lesezirkeln. Neben dem „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ entwickelte sich außerdem die Hildburghäuser „Dorfzeitung“ zum bedeutendsten volksaufklärerischen Blatt im Thüringer Raum zur Zeit des Vormärz.14 Nachdem Christian Gotthilf Salzmanns „Der Bote aus Thüringen“ im Jahr 1816 eingestellt wurde, fehlte es in Thüringen an einer gleichwertigen „Bauernzeitung“. Mit dem Ziel, diese Lücke zu schließen, konzipierte Ludwig Nonne unter dem Titel „Dorfzeitung“ ein ähnliches Blatt, das sich in erster Linie als ein publizistisches Informationsorgan für die ländlich-kleinstädtische Bevölkerung verstand. Während sich Nonne um die Redaktion und Herausgabe der „Dorfzeitung“ kümmerte, übernahm der Hildburghäuser Buchhändler Georg Friedrich Kessel13 Bereits der erste Jahrgang erschien in 354 Ausgaben und weist einen Gesamtumfang von 4.826 Spalten bzw. 2.413 Seiten auf. Vgl. Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen, Nr. 354 vom 21. Dezember 1830. 14 Zu den Inhalten, zur Gestaltung, zur Verbreitung und zur Wirkung der „Dorfzeitung“ vgl. grundlegend FÜSSER: Bauernzeitungen, S. 89–154.

„DORFZEITUNG“ UND „ALLGEMEINER ANZEIGER“ ALS LEITMEDIEN

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ring die Funktion des Verlegers.15 Der erste Jahrgang der „Dorfzeitung“ erschien 1818, weshalb sie manchem Zeitgenossen als indirekter Nachfolger des „Boten aus Thüringen“ galt.16 Wie beim „Boten aus Thüringen“ handelte es sich bei der „Dorfzeitung“ um ein wöchentlich erscheinendes Periodikum, das mit belehrend-unterhaltsamen Beiträgen gezielt die einfache bäuerliche Bevölkerung ansprechen wollte.17 Obwohl sich die „Dorfzeitung“ wie der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ prinzipiell als ein Blatt für „alle Stände“ betrachtete, lagen ihr die Leser aus den ländlichen Gebieten besonders am Herzen. Die „Dorfzeitung“ wollte ihrem Titel gerecht werden und zu einem Organ avancieren, das im Gegensatz zu anderen Blättern mit ähnlicher Zielsetzung wirklich auf dem „Dorf“ rezipiert wurde. Aufgrund des Mangels vergleichbarer Periodika in Thüringen kurz nach Gründung des Deutschen Bundes sollte dieses Vorhaben wenig später von außerordentlichem Erfolg gekrönt sein. An die Stelle des „Boten aus Thüringen“ tretend, verbreitete sich die „Dorfzeitung“ in kurzer Zeit im gesamten Thüringer Raum.18 Die Auflagenhöhe stieg von 1819 bis 1830 von 1.000 auf rund 5.000 Exemplare an.19 In den 1840er Jahren erreichte sie sogar eine Auflage von rund 6.000 Stück.20 Von ihrem inhaltlichen Profil her verfolgte die „Dorfzeitung“ ebenso wie der „Allgemeiner Anzeiger“ und die „Nationalzeitung der Deutschen“ eine „allumfassende“ Volksaufklärung, die den „gemeinen Mann“ auf eine belehrend-unterhaltsame Weise über alle Gegenstände des Lebens aufklären und informieren sowie die weniger gebildete Bevölkerung zur Annahme einer vernunftorientierten Denk- und Lebensweise bewegen wollte. Auch die Erziehung des „gemeinen Mannes“ zum Staatsbürger war ein wichtiger Bestandteil der „Dorfzeitung“. Anhand der umfangreichen Inhaltsanalyse Gerhard Füssers wird zudem deutlich,

15 Kesselring führte neben seinem Verlag auch einen Zeitungslesezirkel sowie eine Leihbibliothek. Außerdem verlegte er zahlreiche Schriften von Ludwig Bechstein. Vgl. ebd., S. 94. 16 Vgl. GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 494. 17 Vgl. TREIBER, ANGELA: Biedermeierliche Volksaufklärung in der „Dorfzeitung“, in: Brückner, Wolfgang (Hrsg.): Heimat und Arbeit in Thüringen und Franken. Zum Volksleben einer Kulturregion, Würzburg/Hildburghausen 1996, S. 99–107. 18 Die Weimarer Regierung wusste etwa 1830 zu berichten, dass „die ‚Dorfzeitung‘ namentlich in Mitteldeutschland fast in allen Dörfern und in allen Schankstätten ihr Publikum versammelt ist“. Zit. nach FÜSSER: Bauernzeitungen, S. 99. 19 Zur Entwicklung der Auflagenhöhe der „Dorfzeitung“ vgl., ebd., S. 99 f. 20 Vgl. Deutscher Zeitungs-Katalog. Verzeichniss der in der deutschen Sprache erscheinenden periodischen Schriften mit Einschluß der politischen Zeitungen, der Tage-, Wochenund Intelligenzblätter, Leipzig 1845, S. 95. Laut dem preußischen Legationsrat Heinrich von Salviati soll die Auflage der „Dorfzeitung“ zwischen 1830 und 1845 zeitweise sogar bei 15.000 gelegen haben.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

dass die „Dorfzeitung“ an diesem Konzept bis 1848 festgehalten hat.21 Gerhard Füsser hat dabei den Inhalt des Blattes in vier große Themenkomplexe untergliedert: 1. Politik, 2. Kultur und Unterhaltung, 3. Landwirtschaft und 4. Handel und Gewerbe.22 Die Kombination dieser Beiträge sollte ganz im aufklärerischen Sinne den persönlichen Wohlstand des Einzelnen heben sowie eine Verbesserung der allgemeinen Wohlfahrt bewirken. Nach Füsser war das Anliegen der „Dorfzeitung“ in erster Linie „auf die Verbesserung der sozialen und geistigen Lage des Nährstandes“ gerichtet.23 Dazu gehörte hauptsächlich die Bekämpfung des Aberglaubens, die Verbreitung neuer landwirtschaftlich-ökonomischer und handwerklich-technischer Erkenntnisse sowie eine sittlich-moralische Erziehung gemäß den Vorstellungen des aufklärerisch denkenden, gebildeten Bürgertums. Wie Friedrich Gottlieb Becker lehnte es auch Ludwig Nonne kategorisch ab, dem „gemeinen Mann“ aktuelle gesellschaftspolitische Themen und Entwicklungen vorzuenthalten. Vor allem in der Rubrik „Welthändel“24 konnte sich der Leser deshalb auch regelmäßig über die wichtigsten politischen Ereignisse und rechtlichen Fragen informieren. Um die politische Aufklärung des „Volkes“ zu forcieren, griff Nonne zu zwei unterschiedlichen Vermittlungsstrategien. Zum einen wurden in der „Dorfzeitung“ kurze politische Nachrichten und Einzelmeldungen abgedruckt, die zum Teil auch aus anderen Zeitungen stammten,25 und zum anderen veröffentlichte Nonne immer wieder längere belehrend-unterhaltsame oder sachlich-nüchterne Artikel,26 in denen der Leser ausführlich über die genaue Funktionsweise der unterschiedlichen politischen Systeme aufgeklärt wurde. Dadurch nahm die „Dorfzeitung“ ähnlich dem „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ eine publizistische Mischform aus politischer Zeitung und moralischer Zeitschrift ein.

21 Vgl. FÜSSER: Bauernzeitungen, S. 107–149. 22 Die „Dorfzeitung“ besaß darüber hinaus noch einen umfangreichen Anzeigenteil, in dem neben privaten Inseraten auch amtliche Bekanntmachungen veröffentlicht wurden. Der Anzeigenteil war allerdings kein Bestandteil des Hauptblattes, sondern wurde in das separate Beiblatt „Beiwagen der Dorfzeitung“ ausgegliedert. 23 Vgl. FÜSSER: Bauernzeitungen, S. 141. 24 Zeitweise wurde diese Rubrik auch unter einem anderen Namen geführt. Von 1824 bis 1827 beispielsweise unter „Zeitungsnachrichten“ oder von 1827 bis 1829 unter „Allerlei Nachrichten“. 25 Die „Dorfzeitung“ nutzte über 20 Zeitungen, u.a. die „Allgemeine Zeitung“, die „Frankfurter Zeitung, die „Aachener Zeitung“, den „Fränkischen Merkur“, den „Nürnberger Corrrespondenten“ und die „Rheinischen Blätter“, als Quelle für ihre politische Berichterstattung. Vgl. GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 494. 26 Um die harten Zensurbestimmungen nach Verabschiedung der Karlsbader Beschlüsse besser umgehen zu können, wurden politisch brisante Themen nach 1819 immer öfter in einem ironisch-satirischen Ton verfasst.

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In gesellschaftspolitischen Fragen vertrat die „Dorfzeitung“ während der gesamten Vormärzzeit eine gemäßigt-liberale Haltung. So plädierte sie beispielsweise für die Einführung der Pressefreiheit, sprach sich für die Öffentlichkeit von Landtagssitzungen und Gerichtsverhandlungen aus oder forderte die Abschaffung aller bäuerlichen Feudallasten. Zudem kritisierte sie scharf die politischen Verhältnisse im Deutschen Bund und bezog Stellung gegen alle restaurativen Kräfte im Land. Die Monarchen des Deutschen Bundes wurden allerdings kaum direkt angegriffen. In der Regel richtete sich die Kritik an „schlechte“ Regierungsbeamte bzw. konservativ denkende Adlige. Die „Dorfzeitung“ verlangte einen deutschen Einheitsstaat, dessen politisch-rechtliche Situation auf nationaler und einzelstaatlicher Ebene durch konstitutionelle Verfassungen bestimmt werden sollte. Nach Ausbruch der Julirevolution im Jahr 1830 verschärfte die „Dorfzeitung“ zudem ihre Forderung nach Rechtsgleichheit für alle Bürger. Allgemein wurde nach den Revolutionsereignissen der Jahre 1830/31 die Durchsetzung bürgerlicher Freiheitsrechte, insbesondere das Recht eines jeden Staatsbürgers zur politischen Teilhabe, in der „Dorfzeitung“ viel intensiver betrieben als in den 1820er Jahren. Interessant ist hierbei auch, dass der politische Teil in der „Dorfzeitung“ einen beachtlichen Stellenwert besaß. Der Anteil politischer Nachrichten und Beiträge machte im Zeitraum von 1818 bis 1835 durchweg zwischen 20 und 25 % des Gesamtinhaltes aus. Nach Gerhard Füsser lag der Anteil der politischen Stoffe damit sogar höher als die landwirtschaftlichen Beiträge.27 Dies ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass sich die „Dorfzeitung“ als eine „Bauernzeitung“ verstand, die ihr Publikum vornehmlich in der Landbevölkerung suchte. Aufgrund ihrer ausgeprägten politischen Berichterstattung im Sinne des Liberalismus geriet die „Dorfzeitung“ bald ins Visier der Zensurbehörden mehrerer Staaten des Deutschen Bundes. Aufgrund der wohlwollenden Haltung Herzog Bernhards II. sowie der Regierung Sachsen-Meiningens gegenüber Ludwig Nonne konnte ein Verbot des Blattes aber stets verhindert werden.28 Obwohl selbst Metternich Bedenken gegenüber dem Ton der „Dorfzeitung“ äußerte, wurden bis auf einige Verwarnungen und Zensurlücken vonseiten der Meininger Zensurbehörden keine restriktiveren Maßnahmen ergriffen.29 Die Verabschiedung der Geheimen Wiener Beschlüsse 1834 und die darauffolgende Neuregelung des sachsen-meiningischen Pressegesetzes von 1835 zeigten letztlich aber auch bei 27 Vgl. FÜSSER: Bauernzeitungen, S. 137 sowie Beilage 12 (Anhang II). 28 Vgl. hierzu auch Kapitel VII. 29 Selbst wenn auswärtige Zensurbehörden nach der Identität der Verfasser politisch bedenklicher Artikel verlangten, wurde diesen Gesuchen nur halbherzig nachgegangen. Nur ein einziges Mal erfolgte die Nennung des Artikelverfassers. Vgl. GROTH, OTTO: Die Zeitung. Ein System der Zeitungskunde (Journalistik), Bd. 2, Mannheim/Berlin/Leipzig 1928, S. 104–107.

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der „Dorfzeitung“ ihre Wirkung. Die politische Berichterstattung des Blattes wurde nach 1835 auf die Hälfte ihres ursprünglichen Umfanges von rund 25 auf 13 % reduziert.30 Die Kritik an gegenwärtigen politischen, gesellschaftlichen, sozialen und rechtlichen Verhältnissen fiel dadurch etwas ab. Die geistig-politische Grundhaltung der „Dorfzeitung“ blieb bis zum Ausbruch der Märzrevolution aber weiterhin unverändert. Wie beim „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ konnte sich auch die „Dorfzeitung“ kurz nach ihrer Gründung als eine von den Gebildeten dauerhaft genutzte, öffentliche Kommunikationsplattform etablieren. Wie Becker lud auch Nonne die Leser ausdrücklich zur Mitgestaltung der Zeitschrift ein. Zwar konnte Nonne bei der Gestaltung seines Blattes auf eine recht beachtliche Anzahl ständiger Mitarbeiter aus seinem unmittelbaren Umfeld zurückgreifen,31 doch die Zusendungen auswärtiger Mitarbeiter brachten den Vorteil, die verschiedenen Lesebedürfnisse der breiten Masse noch besser bedienen zu können, was die Attraktivität der „Dorfzeitung“ nochmals steigerte. Aufgrund dieser auswärtigen Unterstützung, die in erster Linie von gleichdenkenden Pfarrern und Schullehrern erfolgte,32 gelang es der „Dorfzeitung“ relativ schnell, sich auf dem thüringischen Pressemarkt zu etablieren. Spätestens gegen Ende der 1820er Jahre hatte sie ihre Stellung dauerhaft gesichert. Da die Nachfrage nach der „Dorfzeitung“ seit ihrer Gründung sprunghaft angestiegen war, entschloss sich Nonne 1827, die Periodizität seines Blattes zu erhöhen. Am 1. Januar 1828 ging er dazu über, pro Woche zwei Exemplare der „Dorfzeitung“ herauszubringen. Der sich fortsetzende Erfolg des Zeitungsunternehmens macht deutlich, dass Nonne auch mit dieser Entscheidung die Marktsituation richtig eingeschätzt hatte. Vier Jahre später gab er schließlich noch ein Beiblatt zur „Dorfzeitung“ heraus, das unter dem Titel „Der Dorfzeitungs-

30 Vgl. FÜSSER: Bauernzeitungen, Beilage 12. 31 Zu Ludwig Nonnes engstem Mitarbeiterkreis gehörten Superintendent Christian Hohnbaum, Hofarzt Carl Hohnbaum, Hofprediger Heinrich Kühner, Staatsminister Karl von Baumbach, Oberkonsistorialrat Friedrich Mosengeil, Superintendent Ernst Balthasar Wölfing, Kammerherr Christian von Schuler, Gymnasiallehrer Ludwig Grobe, Superintendent Woldemar Kost, Gymnasiallehrer August Henneberger, Pfarrer Wilhelm Füßlein, Pfarrer Conrad Friedrich Kühner, Pfarrer Hermann Kühner und Schulrektor Carl Kühner. Interessant ist hierbei, dass der feste Stamm der Mitarbeiter der „Dorfzeitung“ eine direkte Verbindung zum Meininger Hof hatte oder sogar ein persönliches Verhältnis zu Herzog Bernhard II. pflegte. Zudem fällt auf, dass alle Personen hohe Ämter in Staat und Kirche innehatten. Eine Auflistung der festen Mitarbeiter findet sich in: [o. V.] 100 Jahre Dorfzeitung 1818–1918, Hildburghausen 1918, S. 8–14. 32 Vgl. FÜSSER: Bauernzeitungen, S. 109–111.

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Gemeinde Geheimes Plauderstübchen“ veröffentlicht wurde.33 Auch diese Beilage, die dieselbe Richtung wie das Hauptblatt einschlug, erreichte innerhalb kurzer Zeit eine ansehnliche Auflage. Der Leipziger Zeitungskatalog verzeichnet 1841 eine Auflagenhöhe von 2.200 Exemplaren.34 Zusammen mit dem „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ dominierte die „Dorfzeitung“ um 1830 im thüringisch-mitteldeutschen Raum den Pressemarkt in der Sparte der Bauern- bzw. Volkszeitschriften. Beide Periodika avancierten zum Sprachrohr zahlreicher Personen mit aufklärerischer und liberaler Gesinnung, die in diesen überregional rezipierten Periodika eine Chance sahen, ihr Anliegen einer breiten Öffentlichkeit kundzutun. Auch Heinrich Schwerdt nutzte in den Anfangsjahren seiner publizistischen Karriere mehrmals die Möglichkeit, verschiedene Artikel für die Hildburghäuser „Dorfzeitung“ und den „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ zu verfassen,35 bevor er schließlich mit Carl von Pfaffenrath sein eigenes volksaufklärerisches Periodikum herausgab. Im Gegensatz zu den Herausgebern anderer volksaufklärerischer Periodika mit einem universell ausgerichteten inhaltlichen Profil, gelang es im Zeitraum von 1815 bis 1830 nur Nonne und Becker, für ihre Blätter einen überregionalen Leserkreis zu erschließen. Die meisten volksaufklärerischen Periodika aus Thüringen kamen nach 1815 nicht über den Status eines Lokal- oder Regionalblattes hinaus. Zwar existierten auch in den thüringischen Kleinstaaten noch andere Blätter, die sich explizit an das „Volk“ oder den „Bürger und Landmann“ richteten und nicht nur in der näheren Umgebung ihres Erscheinungsortes, sondern in ganz Thüringen oder Deutschland gelesen wurden, doch beschränkte sich das inhaltliche Profil dieser Periodika in der Regel nur auf ein einziges Themengebiet. Weitgehend in der Tradition der moralischen und gemeinnützig33 Die Beilage wurde wie das Hauptblatt ebenfalls von Georg Friedrich Kesselring verlegt. Vgl. Der Dorfzeitungs-Gemeinde Geheimes Plauderstübchen, hrsg. von Karl Ludwig Nonne, Hildburghausen 1832–1848. 34 Vgl. Leipziger Zeitungs-Katalog. Wissenschaftlich geordnetes Verzeichniss der in Deutschland erschienenen periodischen Schriften mit Einschluss der politischen und Lokalblätter, Leipzig 1841, S. 29. 35 Schwerdt schrieb Artikel für über 80 verschiedene Zeitschriften. Er selbst weist im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ darauf hin, dass er für den „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ mehrere Rezensionen geschrieben hat. Vgl. Vollständige Uebersicht unserer Volksliteratur, zusammengestellt von H. Schwerdt, in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen, Nr. 3, 1846, S. 22. Ebenso verfasste Schwerdt mehrere Beiträge für die „Dorfzeitung“, was sicherlich auch erklärt, warum sich in vielen Beiträgen des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ der ein oder andere wohlwollenden Verweis auf die Hildburghäuser „Dorfzeitung“ findet. Vgl. Landwirthschaftliches und Gewerbliches, in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen, Nr. 4 vom 27. Januar 1844, S. 31. Vgl. hierzu außerdem HERRMANN: Thüringische Kirchengeschichte, Bd. 2, S. 446.

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ökonomischen Zeitschriften des 18. Jahrhunderts verwurzelt, konzentrierten sich diese Blätter oftmals auf eine rein landwirtschaftliche, medizinische, geographische, historisch-völkerkundliche oder religiöse Volksaufklärung.36 Alles in allem lag der Fokus dieser periodischen Schriften auf der Vermittlung praktischen Wissens sowie der sittlich-moralischen Erziehung der Leser. Volksaufklärerische Periodika, die mit einem inhaltlich breitgefächerten Themenspektrum aufwarteten und zugleich zu überregionaler Geltung gelangten, waren in Thüringen von 1815 bis 1830 rar gesät. Zwar gab es vereinzelte Versuche vonseiten einiger aufklärerisch-liberal denkender Personen, dieses Defizit mit der Gründung neuer universell ausgerichteter periodischer Volksschriften zu verringern,37 doch war deren

36 Stellvertretend seien hier genannt: Allgemeines teutsches Garten-Magazin oder gemeinnützige Beiträge für alle Theile des praktischen Gartenwesens, Weimar 1804–1811, N.F. 1815–1824; Der Teutsche Fruchtgarten, als Auszug aus Sickler’s Teutschem Obstgärtner und dem Allgemeinen Teutschen Garten-Magazine, Weimar 1816–1829; Der Landwirt in seinem ganzen Wirkungskreise oder Sammlung der neuesten und nützlichsten Beobachtungen, Erfahrungen und Rathschläge in allen Zweigen der Landwirthschaft. Eine Zeitschrift für praktische Cameralisten und Freunde des ländlichen Gewerbes, Jena 1817– 1827; Vaterländische Unterhaltungen, Sondershausen 1821; Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde, Jena 1821–1836; Allgemeine thüringische Vaterlandskunde. Wochenschrift für Geschichte Thüringens, Erfurt 1822–1824; Jahrbuch der neuesten und wichtigsten Erfindungen und Entdeckungen, sowohl in den Wissenschaften, Künsten, Manufakturen und Handwerken, als in der Land- und Hauswirthschaft, mit Berücksichtigung der neuesten deutschen und ausländischen Literatur, Ilmenau 1822 (1824)– 1830 (1833); Allgemeines deutsches geographisch-historisches Volks-Taschenbuch zur nützlichen Belehrung und Unterhaltung für den Bürger und Landmann, Schmalkalden 1823; Neues und Nutzbares aus dem Gebiete der Haus- und Landwirthschaft und der dieselben fördernden Natur- und Gewerbskunde, Weimar 1824/25–1829/30; Allgemeine teutsche Vaterlandskunde. Wochenschrift, der Geschichte, Natur- und Landeskunde, Literatur und Kunst, des Alterthum, den technischen Gewerben, so wie einer gemeinnützigen Belehrung und Unterhaltung überhaupt gewidmet, für alle Stände, Erfurt 1824–1826; Landwirthschaftliche Blätter, Weimar 1826–1832; Vaterlandskunde. Wochenschrift der Natur- und Landeskunde, den technischen Gewerben, dem Neuen aus der Zeit, so wie einer gemeinnützigen Belehrung und Unterhaltung überhaupt gewidmet. Für alle Stände, Arnstadt 1827–1828; Gesundheitszeitung, eine populär-medizinische Zeitschrift, Greiz 1828–1830; Jahrbuch der neuesten und wichtigsten Erfindungen und Entdeckungen, sowohl in den Wissenschaften, Künsten, Manufakturen und Handwerken, als in der Landund Hauswirthschaft, mit Berücksichtigung der neuesten deutschen und ausländischen Literatur, Ilmenau 1822 (1824)–1830 (1833). 37 Die meisten Versuche scheiterten schon im ersten Jahr. Vgl. Belehrungsschriften über Volkswohlfahrt, oder patriotische Vorschläge zur Abhilfe des Nothstandes und Aufhilfe des Wohlstandes in allen deutschen Bundesstaaten, in zwanglosen Heften zum Besten des Volks und der Staatskassen, Schmalkalden 1827; Der Wanderer auf dem Felde der Geschichte, Länder- und Völkerkunde, der Sittenlehre, der Gewerbskunde, der Land- und

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publizistischen Unternehmungen letztlich kein Erfolg vergönnt. Damit nahmen in Thüringen die „Dorfzeitung“ und der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ im Bereich der überregional rezipierten Periodika, die einem breiten Lesepublikum nicht nur ökonomische und moralische Themen, sondern auch aktuelle politische und rechtliche Fragen verständlich nahebrachten, gewissermaßen eine Monopolstellung ein. Demzufolge war jede periodische Schrift, die im Thüringer Raum seit Ende der 1820er Jahre einen überregionalen Leserkreis erschließen wollte, mehr oder weniger dazu gezwungen, insbesondere, wenn sie als ein thematisch universell ausgerichtetes Blatt konzipiert war und ihre Adressaten vornehmlich im „Volk“ suchte, sich zumindest ansatzweise in ihrer äußerlichen Form sowie ihrer inhaltlichen Aufmachung der „Dorfzeitung“ und dem „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ anzupassen. Andernfalls bestand die Gefahr, sich auf dem hart umkämpften Markt periodisch erscheinender „Volksschriften“ nicht dauerhaft etablieren zu können.

2. „Der Thüringer Volksfreund“ (1829–1831) als Initiator einer neuen Gründungsphase universell ausgerichteter volksaufklärerischer Periodika „DER THÜRINGER VOLKSFREUND“ (1829–1831)

Eine der ersten thüringischen Zeitschriften, die sich die „Dorfzeitung“ sowie den „Allgemeinen Anzeiger“ und die „Nationalzeitung der Deutschen“ unmittelbar zum Vorbild nahm, war der 1829 in Jena von Karl Herzog herausgegebene und von Friedrich Johannes Frommann verlegte „Thüringer Volksfreund“.38 Karl Herzog (1798–1857) war gebürtiger Schweizer. Er stammte aus dem kleinen Ort Münster im Kanton Luzern. Seine schulische Ausbildung absolvierte er am Gymnasium in Luzern. Bevor er nach Thüringen kam, studierte er Geschichte und Staatswissenschaft in Freiburg, wo er auch Vorlesungen bei Karl von Rotteck besuchte.39 Von 1823 bis 1828 arbeitete er als Lehrer für Geschichte und

Hauswirtschaft und des Gemeindewesens. Zeitschrift für Stadt und Land, Schmalkalden 1828. 38 Der vollständige Titel lautet: Der Thüringer Volksfreund. Eine Wochenschrift für Thüringen, das Osterland und Voigtland, Jena 1829. 39 Vgl. MARWINSKI, FELICITAS: Vom Zeitungsleser zum Korrespondenten – Der „Thüringer Volksfreund“ im Dialog mit seinen Landsleuten, in: Blätter des Vereins für Thüringische Geschichte, 6 (1996), 1. Heft, S. 23.

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Literatur am Erziehungsinstitut Friedrich Fröbels in Keilhau.40 Gefördert von dem Jenaer Universitätsprofessor Heinrich Luden, schrieb er nebenher an seiner Promotion, die 1828 ihre Vollendung fand.41 Demnach verkehrte Karl Herzog in den 1820er Jahren, während seiner akademischen Ausbildung und seiner beruflichen Tätigkeit, in einem ausgesprochen aufklärerisch-liberalen Milieu. Im Jahr 1827 zeigte Herzog schließlich erste Ambitionen, die Bildung des „Volkes“ mittels Literatur zu verbessern. Er konzentrierte sich zunächst auf sein Spezialgebiet, die sächsisch-thüringische Geschichte, und veröffentlichte im Verlag von Friedrich Perthes eine Volksschrift über die „Geschichte des Thüringischen Volkes“.42 Zwei Jahre später folgte dann mit dem „Thüringer Volksfreund“ eine volksaufklärerische Wochenschrift, mit der Herzog nicht allein historisch-völkerkundliche Themen abhandeln wollte,43 sondern in einem „allum40 Vgl. PILTZ, ERNST: Geschichte des Pfeiffer’schen Instituts zu Jena, in: Festschrift herausgegeben am 20. Mai 1893 bei der Feier des 60jährigen Jubiläums der von Dr. Karl Herzog errichteten gegenwärtig vom Direktor Pfeiffer geleiteten Lehr- und Erziehungsanstalt (Pfeiffer’sches Institut) zu Jena, Jena 1893, S. 58. 41 Vgl. MARWINSKI: Vom Zeitungsleser, S. 23. 42 Vgl. HERZOG, KARL: Geschichte des Thüringischen Volkes. Für das Volk und die Jugend, Hamburg 1827. Die Schrift richtete sich an alle Stände, vom einfachen Bauern bis zum hohen Staatsbeamten. Laut dem „Subscribenten=Verzeichniß“, das dem Buch vorangestellt wurde, konnte diese Zielsetzung auch weitestgehend umgesetzt werden. In dem Verzeichnis finden sich Bauern, Handwerker, Arbeiter, Kaufleute, Schüler, Studenten, Lehrer, Geistliche sowie höhere und niedere Staatsbeamte. Allerdings fällt ins Auge, dass die „gebildeten Stände“ die Mehrheit der Subskribenten stellten. Vgl. ebd., S. V–XII. Zur Zielsetzung seines Buches schreibt Herzog in der Einleitung: „Die Geschichte eines Volkes ist der Spiegel seiner vergangenen Zeiten; was der Mensch, der Bürger eines Staates, das Glied eines Volkes mit Vernunft, Besonnenheit und Tugend vermag und was ihm aus Verkehrtheit, Leidenschaft und Ruchlosigkeit entsteht, zeigt sie im klaren Bilde; in ihr ist Trost und Lehre, Warnung und Drohung für Gegenwart und Zukunft! Jeder mag daraus erlernen, was ihm in seiner Zeit, in seiner Lage Noth thut und was das Rechte ist. […] Möchte durch die Schilderung der guten und bösen Tage dieses [Thüringer] Volkes, durch die Darstellung seiner Licht= und Schattenseiten, seiner Kämpfe und Siege, seiner Freuden und Leiden, durch die Zeichnung seiner Helden, seiner Sänger und Weisen in die Gemüther seiner Enkel Belehrung und Nacheiferung gepflanzt werden, auf das jeder nach dem Vorbilde der Alten weiser und besser, und müthiger und entschloßner würde, den Feind in eigner Brust, die allem Volks= und Staatsleben verderbliche Selbstsucht, zu bekämpfen; auf das jeder einsähe, daß er sein Leben, seine Kräfte, sein Alles dem Wohle seiner Familie, seiner Gemeinde, seines Volkes aufzuopfern schuldig sei.“ Ebd., S. 3–6. 43 „Der Thüringer Volksfreund“ wollte sich damit bewusst von solchen Blättern wie der „Allgemeinen Thüringischen Vaterlandskunde“ abheben, deren inhaltliches Profil hauptsächlich aus geographischen, völkerkundlichen und historischen Beiträgen sowie einer daraus hervorgehenden religiösen und sittlich-moralischen Erziehung bestand. Vgl. Allgemeine Thüringische Vaterlandskunde. Wochenschrift der Geschichte, Natur- und Landeskunde, Literatur und Kunst, dem Alterthum, Gewerbfleiß und Handel Thüringens, so wie einer gemeinnützigen Belehrung und Unterhaltung überhaupt gewidmet, für alle Stände. In Verbindung mit mehreren Gelehrten, hrsg. von Heinrich August Erhard, Erfurt 1822.

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fassenden“ Sinne zu wirken suchte. Der Leser sollte über alle Fragen des Lebens informiert und belehrt werden. Dabei stellte sich der „Thüringer Volksfreund“ bewusst in die publizistische Tradition der volksaufklärerischen Wochenblätter des 18. Jahrhunderts. Im Avertissement des Probeblattes betonte Herzog ausdrücklich, das der „Thüringer Volksfreund“ als ein gemeinnütziges Unternehmen konzipiert sei, dass mit belehrend-unterhaltsamen Beiträgen auf die geistige Bildung und den materiellen Wohlstand seiner Leser positiv einwirken wolle. In einer Anrede an den „freundlichen Leser“ äußerte sich Herzog wie folgt über die Programmatik seines Blattes: Der Thüringer Volksfreund bittet zuerst, daß man ihm vorläufig aufs Wort glaube, er sei das, wofür er sich ausgibt: ein Freund des Volkes, aber des ganzen Volkes durch alle Stände hindurch vom Fürsten bis zum Bauern, und zwar zunächst des Thüringer Volkes, wie es im Herzen Deutschlands auf dem seit Jahrhunderten angestammten Boden unter verschiedenen Herren, aber durch geschichtliche Erinnerungen, Sitten, Mund= und Gemüthsart verbunden lebt und sich seines Lebens zu freuen sucht. Der Volksfreund wird an die Thüren der Geistlichen und Schullehrer klopfen und sich ihnen zum Freund und Helfer anbieten in dem schweren und heiligen Berufe der Volkserziehung; er wird ehrerbietig und freimüthig vor die Diener des Staates treten, welche Gerechtigkeit, Ruhe und Sicherheit in ganzen Ländern und einzelnen Orten aufrecht zu erhalten haben, ihren zweckmäßigen Einrichtungen beim Volke Eingang und Anerkennung verschaffen und dessen Wünsche bescheiden vor ihre Ohren bringen; den großen und kleinen Landwirthen, die nach langer Beklemmung jetzt wieder freier aufathmen, wird er brüderlich die Hand reichen; den Kaufleuten, Fabrikanten, Künstlern und Handwerkern wird er aufsuchen helfen, wo ein neuer Ausweg für die Ereignisse ihres Fleißes sich zeigt, welche Verbesserungen in ihrem Geschäfte im Aus= oder Inlande gemacht und bewährt gefunden worden; endlich wird er auch bei den Frauen und Töchtern des Landes einsprechen und ihnen hie und da im Vorbeigehen etwas von Erziehung der Kinder, vom Haushalten, von der Küche und dem Keller erzählen; – Allen wird er bestreben ein willkommener Hausfreund zu werden, der ihnen Unterhaltung und Belehrung gewährt und mitunter auch wohl einen Spaß zum Besten gibt.44

Demnach konzentrierte sich der „Thüringer Volksfreund“ im Kern auf Belehrung, Unterhaltung und Gemeinnützigkeit. Im ersten Artikel der ersten Ausgabe, der mit dem Titel „Ueber die höhere Bildung der gewerbetreibenden Klassen“ überschrieben war, wurde dann nochmals unterstrichen, dass diese drei Punkte die inhaltliche Quintessenz des „Thüringer Volksfreundes“ darstellten.45 Dem Titel entsprechend, war das anvisierte Publikum des „Thüringer Volksfreundes“ das „Volk“, wobei neben einfachen Bauern, Handwerkern und Arbeitern auch die höheren bzw. gebildeten Stände als potentielle Adressaten 44 Freundlicher Gruß dem freundlichen Leser!, in: Der Thüringer Volksfreund, Probeblatt vom 15. November 1828, S. 2. 45 Vgl. Ueber die höhere Bildung der gewerbetreibenden Klassen, in: Der Thüringer Volksfreund, Nr. 1 vom 3. Januar 1829, S. 9–10.

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angesprochen wurden. Somit orientierte sich der „Thüringer Volksfreund“ am bewährten Muster der „Dorfzeitung“ sowie des „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“, die sich prinzipiell an die Leser aus „allen Ständen“ richteten. Darüber hinaus sollte mit dem Verweis auf das „Thüringer Volk“ außerdem hervorgehoben werden, dass die Bevölkerung Thüringens als eine Einheit begriffen wurde. Unter dem Begriff „Volk“ wurden im „Thüringer Volksfreund“ pauschal alle in Thüringen lebenden Personen angesprochen. Die bestehenden gesellschaftlichen oder sozialen Unterschiede zwischen einzelnen Berufs- oder Bevölkerungsgruppen sollten auf diese Weise geschickt überbrückt werden. Um die Überwindung ständischer Gesellschaftsstrukturen voranzutreiben, wurden alle Leser des „Thüringer Volksfreundes“ weitestgehend als gleichgestellte „Bürger“ betrachtet. In Anlehnung an die formale Struktur der „Dorfzeitung“, des „Allgemeinen Anzeigers der Deutschen“ und der „Nationalzeitung der Deutschen“ war der „Thüringer Volksfreund“ im Wesentlichen in zwei grundlegende Teile untergliedert. Während der erste Teil stets eine oder zwei ausführlichere Abhandlungen zu einem bestimmten Thema enthielt, umfasste der zweite Teil des Blattes meist kurz gehaltene tagespolitische Nachrichten aus dem In- und Ausland. Den Anfang einer jeden Ausgabe bildete „jedesmal eine größere Abhandlung über einen allgemein ansprechenden Gegenstand der Geschichte, des Rechts, der Polizei, des Gemeinde= Kirchen= und Schulwesens, der Landwirtschaft, des Handels, der Gewerbe u.s.w.“46 Danach folgte in den Rubriken „Vaterländische Nachrichten“, „Ausländische Nachrichten“ und „Tagesneuigkeiten“ die Berichterstattung über tagespolitische Ereignisse sowie aktuelle soziale und gesellschaftliche Probleme. Den Abschluss des Blattes bildeten in unregelmäßigen Abständen kleine Anekdoten und Miszellen.47 Damit hatte der „Thüringer Volksfreund“ weitestgehend dieselbe Form wie der „Allgemeine Anzeiger der Deutschen“ und die „Nationalzeitung der Deutschen“ aus dem Jahr 1829. Auch im „Allgemeinen Anzeiger“ und der „Nationalzeitung“ bildete ein gemeinnütziger „Leitartikel“, jeweils zu einem bestimmten landwirtschaftlich-ökonomischen, sittlich-moralischen, religiösen, politisch-rechtlichen, naturkundlichen oder pädagogischen Gegenstand, den Einstieg in das Blatt.48 Nachfolgend wurden ebenso in diesen Blättern, gleichfalls in gesonderten 46 Plan und Einrichtung des Volksfreundes, in: Der Thüringer Volksfreund, Probeblatt vom 15. November 1828, S. 1. 47 In sehr spärlichem Umfang wurden im „Thüringer Volksfreund“ auch Bücheranzeigen abgedruckt. In erster Linie wurde in diesen Anzeigen für die neuesten Bücher geworben, die Friedrich Johannes Frommann in seiner Sortimentsbuchhandlung gerade im Angebot hatte. 48 Da Herzog das Probeblatt seines „Thüringer Volksfreundes“ schon im November des Jahres 1828 veröffentlicht hatte, dürfte der Jahrgang 1828 beider Periodika als unmittelbares Vorbild gedient haben. Vgl. Allgemeiner Anzeiger der Deutschen, hrsg. von Friedrich

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Rubriken, über politische, soziale und gesellschaftliche Ereignisse berichtet sowie hin und wieder kleine Erzählungen abgedruckt, die vornehmlich der Unterhaltung dienten. Was die Gestaltung des Nachrichtenteils betraf, so nahm sich der „Thüringer Volksfreund“ ebenso offensichtlich die „Dorfzeitung“ als Vorbild. Die Art und Weise, wie der „Thüringer Volksfreund“ neue Nachrichten über zeitgenössische politische, gesellschaftliche und soziale Fragen zu vermitteln und damit gleichsam auf seine Leser in einem aufklärerisch-liberalen Sinne einzuwirken suchte, erinnert frappierend an die Berichterstattung, welche die „Dorfzeitung“ in ihrer Rubrik „Welthändel“ betrieben hat. Es ist demnach sehr wahrscheinlich, dass Karl Herzog bei der äußeren und inneren Gestaltung des „Thüringer Volksfreundes“ versucht hat, das Erfolgskonzept der „Dorfzeitung“ sowie des „Allgemeinen Anzeigers“ und der „Nationalzeitung“ auf sein Blatt zu übertragen. Ebenso beabsichtigte Herzog, wieder in Anlehnung an die von Nonne und Becker herausgegebenen Blätter, den „Thüringer Volksfreund“ als eine vielseitig genutzte, überregionale Kommunikationsplattform zu etablieren. Alle Leser wurden ausdrücklich dazu aufgerufen, mit eigenen Beiträgen an der inhaltlichen Gestaltung des Wochenblattes mitzuwirken. Kritische Anmerkungen zu bereits veröffentlichten Beiträgen waren jederzeit willkommen und sollten öffentlich im „Thüringer Volksfreund“ besprochen werden. Herzog wünschte sich einen konstruktiven Dialog zwischen den Lesern und der Redaktion des Blattes. Darauf hoffend, dass sich der „Thüringer Volksfreund“ ähnlich der „Dorfzeitung“ und dem „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ im Laufe der Zeit zu einem Sprachrohr für alle Personen mit gleichgelagerten Interessen entwickelte, rief Herzog dazu auf: Wenn die Mittheilungen des Volksfreundes Beifall erhalten, so hofft er, daß sich Mancher aus dem obgenannten Ständen finden werde, der aus einem geneigten Leser ein geneigter Schreiber und Mitarbeiter zu werden Lust hätte und das ist dem Volksfreund eben recht, denn nur so kann er seinen Zweck einen lebhaften und ersprießlichen Geistesverkehr unter seinen lieben Landsleuten zu befördern, erreichen. Wer also aus seiner Gegend, seinem Amte, oder Gewerbe Begebenheiten, Erfahrungen, Erfindungen und Ansichten mitzutheilen hat, der kann versichert sein, daß der Volksfreund sein bereitwilliger Diener sein und nach bester Ueberzeugung davon Gebrauch machen wird.49

Wie sich herausstellen sollte, folgten diesem Aufruf recht viele Personen. Die Zusendungen auswärtiger Schreiber wurden in der Folgezeit immer ergiebiger. Bald veröffentlichte der „Thüringer Volksfreund“ auch „Leitartikel“, die nicht aus der Feder der Redaktion stammten, sondern von auswärtigen Mitarbeitern verfasst wurden. Wie angekündet, wurden ebenso einzelne Briefwechsel Gottlieb Becker, Jahrgang 1828, Nr. 1–356; National=Zeitung der Deutschen, hrsg. von Friedrich Gottlieb Becker, Jahrgang 1829, Stück 1–105. 49 Freundlicher Gruß dem freundlichen Leser!, in: Der Thüringer Volksfreund, Probeblatt vom 15. November 1828, S. 2.

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zwischen der Redaktion und den Lesern veröffentlicht. Inwieweit alle abgedruckten Korrespondenzen von real existierenden Personen eingesendet wurden, lässt sich allerdings nicht genau feststellen. Felicitas Marwinski geht zumindest davon aus, dass ein Teil der im „Thüringer Volksfreund“ veröffentlichten Briefe, vor allem jene, die von weiblichen Lesern verfasst wurden,50 fingiert waren. Sie vermutet, dass der wahre Urheber dieser Briefe Friedrich Johannes Frommann war. Dessen ungeachtet, lässt sich aber auch zu vielen Beiträgen und Briefen ein eindeutiger Verfasser zuordnen. Fiktive Identitäten können vor allem bei allen Autoren ausgeschlossen werden, deren eingereichte Texte unter Angabe des vollständigen Namens und Berufes veröffentlicht wurden.51 50 Vgl. MARWINSKI: Vom Zeitungsleser, S. 13–17. 51 Der Verfasser der am meisten veröffentlichten auswärtigen Zusendungen blieb aber bis zur Einstellung des „Thüringer Volksfreundes“ unbekannt. Es handelte sich dabei um eine fortlaufende moralische Erzählung über die Erlebnisse des Bauern Konrad Berger, die im dritten Jahrgang über 38 Ausgaben hinweg abgedruckt wurde. Sie war ganz im Stil von Beckers „Noth= und Hülfsbüchlein“ gehalten und diente vor allem der Vermittlung bürgerlicher Werte sowie der sittlich-moralischen Erziehung des Landmannes. Ebenso wurden aktuelle Rechtsfragen thematisiert, die unmittelbaren Einfluss auf die Lebensgestaltung der einfachen Landbevölkerung hatten. Im Jahr 1832 wurde im Verlag von Friedrich Johannes Frommann unter dem Titel „Conrad Berger, der ehrenwerthe Landmann. Ein unterhaltendes und belehrendes Lesebuch für die lieben Landleute“ die Erzählung über Konrad Berger in einer Einzelschrift nochmals aufgelegt. Die Texte aus dem „Thüringer Volksfreund“ umfassten dabei die ersten 165 Seiten, die um weitere 140 Seiten ergänzt wurden. Die Einzelschrift über die Lebensgeschichte des Konrad Berger war demnach fast doppelt so umfangreich wie die Erzählung aus dem „Thüringer Volksfreund“. Die einschlägigen Rezensionsorgane werteten die Schrift überwiegend positiv. Im in Leipzig erscheinenden, von Karl Ludwig Heinrich Pölitz herausgegebenen „Neuen Allgemeinen Repertorium der neuesten in= und ausländischen Literatur“ heißt es: „Ein, seiner Bestimmung ganz entsprechendes, Volksbuch. An die einfache Lebensgeschichte eines gebildeten- und braven Landmannes werden Grundsätze der wahren Haus- und Lebensphilosophie, als: Winke über practische Erziehung, Warnungen vor Aberglauben und Betrug, Belehrungen über die Würde der Landleute, Erzählungen von glücklich beigelegtem Zwiste, von glücklich durchgesetzter Wegverbesserung, Obstbaumanpflanzung, Empfehlung wahrer Religiosität u. s. w. in einer allgemein verständigen Sprache angekettet. Mit vollem Rechte darf daher [der] Rez.[ensent] Prediger und Schullehrer veranlassen, diese Schrift eines ihm unbekannten Verf., dessen Name aber bekannt zu werden, wohl verdient, neben dem, immer noch der Beachtung werthen, Becker'schen Noth- und Hülfsbüchlein und Zschockke's Goldmacherdorf, den Landleuten zu empfehlen.“ Neues Allgemeines Repertorium der neuesten in= und ausländischen Literatur, 4. Heft, 1833, S. 370 f. Wie in dieser Rezension angemerkt, verzichtete der Verfasser auch in der Einzelschrift darauf, seine Identität preiszugeben. Felicitas Marwinski vermutete deshalb, dass es sich beim Verfasser der Erzählung des Konrad Berger um Frommann selbst handelte. Der verwendete Sprachstil weist aber eher auf einen Verfasser aus der Lausitz hin. Auch die „Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung“ bemerkte diesbezüglich: „So sehr die moralische Tendenz dieses Buches erfreulich ist, so wenig belehrt es den Landmann technisch in Hinsicht des Betriebes seines Gewerbes. Der Vf. [Verfasser] scheint auf moralische Geschichtserzählungen zu viel

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Die meisten Beiträge aus dem „Thüringer Volksfreund“ stammten wie üblich von Geistlichen, Lehrern und Beamten, vereinzelt auch von Kaufleuten und Ärzten. Zusendungen aus dem „Mittelstand“, also von Bauern und Handwerkern, finden sich hingegen nicht. Einzige Ausnahme bildet der Weimarer Buchbindermeister Adam Henß,52 der seine Beiträge in der Regel mit dem Vermerk „Gedanken eines Handwerkers“, „Erfahrungen eines Handwerkers“ oder „Ansichten eines Handwerkers“ versah. Interessant ist hierbei, dass der „Handwerker“ Henß keinen einzigen Artikel zur effektiveren oder ertragreicheren Ausübung eines praktischen Gewerbes verfasste, sondern sich nur zu politischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Themen äußerte. Alle seine Ausführungen handelten von schulischen Erziehungsfragen, von den Rechten und Pflichten des Bürgers sowie von staatlichen und kommunalen Gesetzen.53 Bereits in seinem zweiten Beitrag für den „Thüringer Volksfreund“ betonte er ausdrücklich, die „Belebung des Bürgersinnes“

Werth zu legen, übrigens aber ein Theolog zu seyn aus einem deutschen District, in welchem die wendische Sprache noch nicht ganz unterdrückt ist.“ Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung, Nr. 97, Mai 1833, Sp. 295. 52 Adam Henß (1780–1856) stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Er machte eine Lehre als Buchbinder und ließ sich nach seiner Gesellenwanderung in Weimar nieder. Unterstützt durch Friedrich Justin Bertuch und Freiherr von Gersdorff erlangte er 1817 das Meisterrecht. Nach seinem Aufstieg zum Buchbindermeister bemühte sich Henß um die politische und rechtliche Emanzipation des städtischen „Mittelstandes“. In seinen Schriften sowie in seiner Funktion als Weimarer Stadtältester und Landtagsabgeordneter plädierte Henß für die Verwirklichung bürgerlicher Freiheitsrechte. Vgl. HAHN, HANS-WERNER: „Selbst ist der Mann …“ Aufstieg und Wirken des Weimarer Bürgers, Buchbinders, Publizisten und Politikers Adam Henß, in: Ders./Greiling/Ries (Hrsg.): Bürgertum in Thüringen, S. 281– 301. Zu den politischen Ansichten von Adam Henß vgl. außerdem HENß, ADAM: Das Politische Glaubensbekenntniß und die Staatsbürgerlichen Ansichten eines Teutschen Bürgers und Handwerkers, Weimar 1832; DERS.: Wanderungen und Lebensansichten des Buchbindermeisters Adam Henß, Weimar 1845. 53 Vgl. u.a. Ueber gemeinnützige Unternehmungen von Privatpersonen, in: Der Thüringer Volksfreund, Nr. 15 vom 11. April 1829, S. 121 f.; Das Gesetz (vom Jahr 1823) über die Verhältnisse der katholischen Kirchen und Schulen des Großherzogthums Weimar, in seinen wirklichen und möglichen Folgen, in: ebd., Nr. 5 vom 30. Januar 1830, S. 34–36; Mittheilung eines Handwerkers an den Redacteur des Volksfreundes, in: ebd., Nr. 23 vom 5. Juni 1830, S. 180; Ueber die Verhältnisse des Handwerkers, zugleich als Beantwortung des Aufsatzes: „Ueber den Gesellenstand und das Wandern der Handwerker“ No. 177 des Allg. Anz., in: ebd., Nr. 34 u. 36 vom 21. u. 28 August 1830, S. 265–268 u. 273–276; Gespräch eines Handwerkers mit seinem Freunde, über ein jenaisches Localgesetz, in: ebd., Nr. 3 vom 8. Januar 1831, S. 9 f.; Das Recht, der Rechtsgang und die Richter, in: ebd., Nr. 17–18 vom 26. Februar u. 8. März 1831, S. 65 f. u. 69 f.; Die Sonntagsschulen, in: ebd., Nr. 23 vom 19. März 1831, S. 89 f.; A. H. an den Redacteur des Volksfreundes, in: ebd., Nr. 28 vom 9. April 1831, S. 110–112.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

vorantreiben zu wollen.54 Henß ging es also in erster Linie um die Vermittlung bürgerlicher Werte und Tugenden sowie einer daraus resultierenden Erziehung der mittelständischen Bevölkerung zu „ordentlichen“ Staatsbürgern.55 Wie in den von Nonne und Becker herausgegebenen volksaufklärerischen Periodika sollte auch für Karl Herzog die Berichterstattung über politische Tagesereignisse und die politische Aufklärung des „Volkes“ zu den Kernkomponenten seines „Thüringer Volksfreundes“ gehören. Herzogs Wochenblatt war damit um 1830 das erste überregional ambitionierte volksaufklärerische Periodikum aus Thüringen, das politisch-rechtliche Gegenstände ähnlich stark in den Vordergrund rückte wie die „Dorfzeitung“ und der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“. In politischen Fragen nahm der „Thüringer Volksfreund“ eine gemäßigt-liberale Haltung ein. Wie seine Vorbilder plädierte er für die Einführung von Presse- und Meinungsfreiheit sowie anderer bürgerlicher Freiheitsrechte. Ebenso trat er für die Abschaffung aller noch bestehenden Feudallasten ein und forderte Öffentlichkeit für alle Landtags- und Gerichtsverhandlungen. Vor allem die Berichterstattung über die Gespräche, Entscheidungen und Beschlüsse der Landtage der einzelnen Staaten des Deutschen Bundes verfolgte der „Thüringer Volksfreund“ mit einer gewissen Hingabe.56 Auch in diesem Punkt folgte das Blatt eindeutig dem Vorbild des „Allgemeinen Anzeigers“ und der „Nationalzeitung der Deutschen“. Dabei versprach der „Thüringer Volksfreund“, möglichst exakte Informationen zu allen Landtagsverhandlungen zu liefern. So finden sich dann auch Berichte über die Vorgänge in den Landtagen der thüringischen Kleinstaaten und den Landtagen aus den deutschen Staaten, wo die liberale Opposition, etwa in Kurhessen, Baden, Hannover, Braunschweig, Württemberg, Hessen-Darmstadt, Nassau oder Bayern (Pfalz), sehr aktiv war. Zudem richtete Herzog bereits in der vierten Ausgabe seines „Thüringer Volksfreundes“ eine Rubrik ein, die mit „Fromme Wünsche an den Landtag zu Weimar“ überschrieben war und in regelmäßigen Abständen – verteilt über den kompletten Jahrgang des Blattes – fortgesetzt wurde. Die in dieser Rubrik geäußerten „frommen Wünsche“ behandelten überwiegend lokale Rechts-, Finanz54 Vgl. Ueber Staats= und Communlasten, Belebung des Bürgersinnes (Gedanken eines Handwerkes), in: Der Thüringer Volksfreund, Nr. 23 vom 6. Juni 1829, S. 185 f. 55 Vgl. hierzu grundlegend HAHN, HANS-WERNER: „Aus uns selbst muß das Gute hervorgehen, was gedeihen soll …“. Werterezeption und Wertevermittlung in bürgerlichen Milieus der Residenzstadt Weimar, in: Ders./Hein (Hrsg.): Bürgerliche Werte, S. 337–362. 56 In der Rubrik „Vaterländische Nachrichten“ wurde am 7. März 1829 erstmals über die „nicht amtlichen“ Verhandlungen des Landtags des Großherzogtums Sachsen-WeimarEisenachs berichtet. Dieser kleine Bericht bildete den Anstoß für alle nachfolgenden Berichte, die im Laufe der Zeit immer häufiger und umfangreicher ausfielen. Vgl. Vaterländische Nachrichten, in: Der Thüringer Volksfreund, Nr. 10 vom 7. März 1829, S. 86.

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und Sozialfragen, waren zugleich aber auch ein klarer Ausdruck eines ansteigenden Interesses des „Bürgers und Landmannes“ nach politischer Partizipation.57 Darüber hinaus wurde auch abseits dieser Rubrik im „Thüringer Volksfreund“ immer wieder direkt oder unterschwellig der Wunsch geäußert, die konstitutionellen Verhältnisse im Deutschen Bund zu verbessern und endlich der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung anzupassen. Ab dem zweiten Jahrgang übernahm Friedrich Johannes Frommann die Herausgabe und Redaktion des „Thüringer Volksfreundes“.58 Sowohl die formale Gestaltung als auch das inhaltliche Profil des Blattes wurden ohne Veränderung fortgesetzt.59 Einzig im Bereich Handel und Gewerbe plädierte Frommann noch stärker als Herzog für die Abschaffung der Zollschranken innerhalb des Deutschen Bundes und für die Einführung einer allgemeinen Gewerbefreiheit. Als 1830 in Frankreich die Julirevolution ausbrach und es infolgedessen zu europaweiten Unruhen kam, richtete der „Thüringer Volksfreund“ seinen Fokus noch 57 Vgl. u.a. Fromme Wünsche an den Landtag zu Weimar, in: Der Thüringer Volksfreund, Nr. 4 vom 24. Januar 1829, S. 35 f.; Nr. 5 vom 31. Januar 1829, S. 43 f.; Nr. 7 vom 14. Februar 1828, S. 59–61; Nr. 8 vom 21. Februar 1829, S. 68–70; Nr. 9 vom 28 Februar 1829, S. 74 f. 58 Friedrich Johannes Frommann (1797–1886) war seit 1825 Teilhaber des Verlagsunternehmens seines Vaters Carl Friedrich Frommann (1765–1837). Ab 1830 übernahm Friedrich Johannes Frommann die vollständige Leitung der Verlagsgeschäfte. Nach dem Tod des Vaters 1837 wurde er zum Alleininhaber des Verlags sowie einer Sortimentbuchhandlung, für die er am 3. Dezember 1829 eine Konzession erwirkt hatte. Wie Friedrich Christoph Perthes gehörte er zu den Vertretern des „traditionellen“ Buchhandels. Spekulative Buchhandelsgeschäfte, wie sie beispielsweise von Bernhard Voigt oder Carl Joseph Meyer praktiziert wurden, lehnte er entschieden ab. Unbeirrt hielt er nach 1830 an der Verlagskonzeption seines Vaters fest. Er war Mitbegründer des „Börsenvereins der Deutschen Buchhändler“ und wurde mehrfach in den Vorstand gewählt. Er setzte sich in mehreren Schriften für eine Neuregelung des deutschen Urheberrechtes ein und plädierte für die Einführung von Meinungs- und Pressefreiheit. Darüber hinaus nahm er als Jenaer Stadtrat und liberaler Landtagsabgeordneter auch politische Funktionen war. Zur Biographie und Verlagstätigkeit Friedrich Johannes Frommanns vgl. LÜTGE, FRIEDRICH: Geschichte des Jenaer Buchhandels einschließlich der Buchdruckereien, Jena 1929, S. 201 f.; RÖTZSCH, HELMUT: Friedrich Johannes Frommann, in: Kalhöfer (Hrsg.): Leben und Werk deutscher Buchhändler, S. 91–98; SCHMIDT, GÜNTER: Zwischen Comptoir und Salon. Zweihundert Jahre Frommann in Jena, in: Palmbaum. Literarisches Journal aus Thüringen, 6 (1998), 3. Heft, S. 61–75, hier insb. S. 67 f.; WOGAWA, FRANK: „Zu sehr Bürger …“? Die Jenaer Verleger und Buchhändlerfamilie Frommann im 19. Jahrhundert, in: Hahn/Greiling/Ries (Hrsg.): Bürgertum in Thüringen, S. 81–107; SCHMIDT, GÜNTHER: Frommann, Friedrich Johannes, in: Marwinski (Hrsg.): Lebenswege in Thüringen, Dritte Sammlung, S. 105–108. 59 In der ersten Ausgabe des zweiten Jahrganges versicherte Frommann den Lesern: „Der Thüringer Volksfreund wird auch in diesem Jahre ungefähr in derselben Weise, wie im vorigen, fortgesetzt werden und hofft den Beifall seiner geehrten Leser […] in immer höhern Maße zu verdienen.“ Der Thüringer Volksfreund, Nr. 1 vom 2. Januar 1830, S.1.

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ein wenig stärker auf aktuelle politische Fragen.60 Angespornt durch die revolutionären Ereignisse in Frankreich und Belgien, appellierte der „Thüringer Volksfreund“ nun energischer für eine zügige Reform der bestehenden Verfassungen in den einzelnen deutschen Staaten. Ebenso wurde die Forderung nach Gründung eines deutschen Nationalstaates immer lauter. Rekurrierend auf die Vorgänge des Jahres 1830, schrieb Frommann am 1. Januar 1831 in seinem „Neujahrswunsch“ voller Hoffnung: Möchte aber auch jetzt, wo im Osten und Westen das Nationalgefühl mächtig erwacht und vor seiner Kraft die künstlichen Gebäude einer berechnenden Diplomatik wie Kartenhäuser zusammenfallen – möchte jetzt endlich auch das deutsche Nationalgefühl wieder erwachen in den Völkern wie in den Fürsten und ihren Räthen, daß sie über engherzige Vortheile hinweggehoben nicht in wechselseitiger Uebervortheilung oder Unterdrückung Macht und Ruhm suchen, sondern in der Größe, Wohlfahrt und Kraft des gesammten Vaterlands.61

Gewaltsam herbeigeführte Verfassungsänderungen, wie dies in Frankreich geschehen war, lehnte der „Thüringer Volksfreund“ aber strikt ab. Er folgte damit der Linie, die auch die „Dorfzeitung“ und der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ eingenommen hatten. Frommann gehörte demnach wie Nonne und Becker zur Riege der gemäßigten Liberalen in Thüringen, die eine Umsetzung politischer und gesellschaftlicher Reformen nicht auf revolutionärem, sondern nur auf evolutionärem Wege billigten. Obwohl der „Thüringer Volksfreund“ im Grunde die gleiche formale und inhaltliche Struktur wie die „Dorfzeitung“ und der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ eingenommen hatte, war es ihm trotzdem nicht vergönnt, die Langlebigkeit seiner publizistischen Vorbilder zu erreichen. Bereits im dritten Jahr seines Bestehens wurde der „Thüringer Volksfreund“ wieder eingestellt. Am 17. Juni 1831 gab Frommann offiziell bekannt, die Herausgabe des Blattes aufgrund „anderweitiger Geschäfte“ nach anderthalb Jahren als verantwortlicher Redakteur zu beenden.62 Außerdem verkündete er, nicht nur die Redaktion, sondern „auch den Vertrieb und Druck desselben nicht mehr besorgen“ zu wollen. Anders als Frank Wogawa vermutet, wurde der „Thüringer Volksfreund“ aber nicht aufgrund einer zunehmenden politischen Repression und verschärften Zensur eingestellt,63 sondern weil er nicht die von Frommann erwartete wirtschaftliche Tragkraft erreichte. Ein finanzielles Verlustgeschäft war der „Thüringer Volksfreund“ zwar nicht, aber im Verhältnis zum redaktionellen Aufwand, den 60 Allein zur Ursache, Verlauf und Wirkung der Pariser Julirevolution schrieb der „Thüringer Volksfreund“ insgesamt 13 Seiten. Vgl. Tagesneuigkeiten, in: Der Thüringer Volksfreund, Nr. 32–34 vom 7., 14. u. 21. August 1830, S. 253 f., 258–264 u. 269–272. 61 Neujahrswunsch, in: Der Thüringer Volksfreund, Nr. 1 vom 1. Januar 1831. 62 Der Thüringer Volksfreund, Nr. 49 vom 17. Juni 1831, S. 196. 63 Vgl. WOGAWA: „Zu sehr Bürger …“?, S. 99.

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Friedrich Johannes Frommann Woche für Woche in das Blatt steckte, sicherlich auch kein wirklich ertragreiches Unternehmen. Zur effektiven Schuldentilgung des seit 1806 in den roten Zahlen stehenden Frommann’schen Verlagsgeschäftes eignete sich der „Thüringer Volksfreund“ nur bedingt. Schon ein Blick in die drei Jahrgänge des Blattes reicht aus, um festzustellen, dass der „Thüringer Volksfreund“ von der Pressezensur Sachsen-Weimar-Eisenachs weitestgehend unbehelligt blieb. Im Gegensatz zum 1832 in Hildburghausen erschienenen „Volksfreund“ von Carl Joseph Meyer wies der „Thüringer Volksfreund“ fast keine Zensurlücken auf. Im dritten Jahrgang wurde sogar nur ein einziger Beitrag über die „Göttinger Doctorenrevolution“ von der Zensur beschnitten.64 Frommann selbst beklagte sich nie, weder im „Thüringer Volksfreund“ noch in einer anderen von ihm verfassten Schrift, einer zu harten Zensur ausgesetzt gewesen zu sein. Eher beiläufig bemerkte er Jahre später, dass nach einem schlecht recherchierten Artikel in der Nummer 36 des dritten Jahrganges „übrigens bald nachher das Blatt eingegangen“ sei.65 Aufgrund seines hohen Ansehens, das Friedrich Frommann sowohl in Jena als auch im Großherzogtum SachsenWeimar-Eisenach genoss,66 konnte der „Thüringer Volksfreund“ bis zum Ende seines Erscheinens eine relativ freizügige Kritik an den gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen üben. Dass Frommann die Herausgabe des „Thüringer Volksfreundes“ nicht auf Druck der Weimarer Zensurbehörden eingestellt hat, zeigt sich außerdem an einem weiteren Aspekt. So erklärte sich Karl Herzog ebenfalls am 17. Juni 1831 dazu bereit, die Herausgabe und Redaktion des „Thüringer Volksfreundes“ nach der 52. Ausgabe wieder zu übernehmen und das Blatt in etwas veränderter Weise

64 Vgl. Vaterländische Nachrichten, in: Der Volksfreund, Nr. 7 vom 22. Januar 1831, S. 32. Zu den „Göttinger Unruhen“ von 1830/31 vgl. LAMPE, JÖRG H.: Politische Entwicklungen in Göttingen vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Vormärz, in: Böhme, Ernst/ Vierhaus, Rudolf (Hrsg.): Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt, Bd. 2: Vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Anschluss an Preußen – Der Wiederaufstieg als Universitätsstadt (1648–1866), Göttingen 1987, S. 59–81. 65 FROMMANN, FRIEDRICH JOHANNES: Das Frommannsche Haus und seine Freunde 1792– 1837, Jena 1870, S. 53. 66 Für seine Verdienste wurde Friedrich Johannes Frommann von der Philosophischen Fakultät der Universität Jena am 8. April 1875 sogar der Ehrendoktor verliehen. Außerdem ernannten ihn die Städte Jena und Leipzig zum Ehrenbürger. Vgl. KOCH, HERBERT: Die Buchhändler Frommann in Jena. Ehrendoktor – nein oder ja?, in: Gutenberg-Jahrbuch, 38 (1963), S. 182–187; RÖTZSCH: Friedrich Johannes Frommann, S. 97. Vgl. außerdem WOGAWA, FRANK: Die bürgerliche Familie. Aspekte bürgerlicher Werterezeption am Beispiel der Jenaer Buchhändler- und Verlegerfamilie Frommman, in: Hahn/Hein (Hrsg.): Bürgerliche Werte, S. 305–336.

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fortzusetzen.67 Es ist kaum anzunehmen, dass Karl Herzog eine solche Aussage getätigt hätte, wenn das Blatt von einem Verbot bedroht gewesen wäre. Eher ist zu vermuten, dass die Zahl der Abonnenten nicht den Erwartungen Friedrich Johannes Frommanns entsprach. Um den „Thüringer Volksfreund“ in Zukunft attraktiver zu gestalten, bot Karl Herzog deshalb den Lesern an, dem Blatt wöchentlich eine Beilage anzuhängen, „welche vorzüglich Aufsätze, Mittheilungen und Notizen aus dem Gebiete des Schul= und Erziehungswesens, des Gewerbswesens und der Landwirthschaft enthalten“ sollte.68 Allerdings meinte Herzog im gleichen Zug, dass er sich zu einem solchen Schritt nur dann bereit erklären würde, „wenn die Unkosten durch die Zahl der Abnehmer hinreichend gedeckt sind“. Es ist also deutlich die Absicht zu erkennen, dass Herzog daran gelegen war, sein „publizistisches Kind“ nicht eingehen zu lassen. Dass der „Thüringer Volksfreund“ nach dem 28. Juni 1831 dennoch zum Erliegen kam, war letztlich der beruflichen Situation Karl Herzogs geschuldet. Nachdem sich dieser um eine Stelle an der Universität Jena beworben hatte, wurde er im September 1831 zum außerordentlichen Professor an der Philosophischen Fakultät ernannt.69 Zudem nahm sein Projekt der Gründung einer privaten Erziehungsanstalt klare Konturen an. Im Oktober 1831 erhielt er endlich vom Oberkonsistorium die Genehmigung, ein Knabeninstitut im Siebert’schen Hause in der Wagnergasse zu eröffnen.70 Im Jahr 1834 kehrte Herzog schließlich wieder in die Schweiz zurück.71 Er folgte einem Ruf als Professor der Staatswissenschaften an die neu gegründete Hochschule in Bern und unterstützte fortan die liberale Bewegung in der Schweiz.72 Eine mögliche Wiederbelebung des „Thüringer Volksfreundes“ durch ihren einstigen Gründer war damit endgültig passé. Wie eine Vielzahl anderer thüringischer Zeitschriften, die während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts neu gegründet wurden, zählte das Blatt nun auch „zur Phalanx jeder Periodika, die ein wirklich kontinuierliches Erscheinen nicht erlebten“.73 67 So schreibt Herzog: „Mit dem Anfange des folgenden halben Jahres fällt der von mir 1829 herausgegebene ‚Thüringer Volksfreund‘ wieder in meine Hände zurück. Ich werde mich bemühen, den ernsten Forderungen, die jetzige inhaltschwere Zeit an ein Volksblatt macht, nach Möglichkeit zu entsprechen, und es im Geiste eines redlichen, wahren Freundes des Volkes, Freimüthigkeit mit Mäßigung verbindend zu schreiben, und fordere alle seine und meine Freunde zur thätigen Mitwirkung und Theilnahme auf.“ Der Thüringer Volksfreund, Nr. 49 vom 17. Juni 1831, S. 196. 68 Ebd. 69 Vgl. MARWINSKI: Vom Zeitungsleser, S. 23. 70 Vgl. PILTZ: Geschichte des Pfeiffer’schen Instituts, S. 58 f. 71 Die Leitung seines Erziehungsinstituts übernahmen die Jenaer Theologen Adolph Facius und Ludwig Friedrich Wilhelm Stier. Vgl. ebd., S. 60 f. 72 Unter anderem redigierte er von 1836 bis 1849 den „Berner Verfassungsfreund“. Vgl. MARWINSKI: Vom Zeitungsleser, S. 23. 73 GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 497.

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Warum der „Thüringer Volksfreund“ letztendlich gescheitert ist bzw. nicht genug Leser anziehen konnte, ist allerdings schwer zu beantworten. Möglicherweise war um 1830 die Nachfrage nicht hoch genug, um neue Leser zu akquirieren, die neben den etablierten lokalen, regionalen und überregionalen Tages- und Wochenblättern noch eine weitere Zeitschrift lesen wollten. Vielleicht gelang es aber auch den etablierten Periodika im Laufe des Vormärz, ihre marktdominierende Stellung so weit auszubauen, dass andere Blätter, die ein ähnliches Profil hatten und das gleiche Publikum ansprachen, auf Dauer dem hohen Konkurrenzdruck nicht standhalten konnten. Dass zumindest ein wenig Potential vorhanden war, um 1830 neue Leserkreise erschließen zu können, zeigt die Hildburghäuser „Dorfzeitung“. Denn während das Lesepublikum des „Thüringer Volksfreundes“ scheinbar auf niedrigem Niveau stagnierte, konnte die „Dorfzeitung“ ihre Auflage in den 1830er und 1840er Jahren nochmals von rund 5.000 auf etwa 6.000 Exemplare steigern. Möglicherweise hätte Frommann auch eine aggressivere Preispolitik betreiben müssen, um der „Dorfzeitung“ oder dem „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ einige Leser abwerben zu können. Im Vergleich zum täglich erscheinenden „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ war der wöchentlich erscheinende „Thüringer Volksfreund“ regelrecht teuer. Während der Pränumerationspreis eines gesamten Jahrganges des „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“ zwei Reichstaler betrug, kostete der „Thüringer Volksfreund“ halbjährlich 1⅓ preußische Reichstaler. Auf ein komplettes Jahr verteilt, war der Preis der beiden Blätter somit annähernd gleich. Wenn man bedenkt, dass der Umfang des „Thüringer Volksfreundes“ aber nur 8 Seiten pro Woche betrug, während der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ seinen Lesern pro Woche im Schnitt 40 bis 50 Seiten lieferte, dann lagen für den Leser schon aus rein ökonomischer Sicht die Vorteile eindeutig aufseiten des letzteren Blattes. Es ist durchaus naheliegend, dass sich die meisten Leser bei der Wahl zweier formal und inhaltlich fast identischer Blätter eher für jenes entschieden, welches das bessere Preis-Leistungs-Verhältnis geboten hat. Spätestens nachdem Becker den „Allgemeinen Anzeiger“ mit der „Nationalzeitung“ im Jahr 1830 zusammengelegt hatte, musste auch Frommann die nicht unerhebliche Diskrepanz bezüglich des Umfanges des „Thüringer Volksfreundes“ mit dem des „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“ erkannt haben. Ein weiteres Mal orientierte er sich an der „Dorfzeitung“ und brachte sein Blatt, mit dem Verweis, im Interesse der Leser den „Thüringer Volksfreund“ ab sofort stärker als eine „Tageszeitung“ auf dem Markt zu positionieren, ab dem 22. September 1830 zweimal wöchentlich heraus. So schrieb er: „Der Thüringer Volksfreund wird künftig zweimal in der Woche […] erscheinen, um die Ereignisse des Tages, welche sich immer mehr drängen, schneller zu Kenntniß der Abonnenten

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

zu bringen.“74 Dass diese Umstellung vor allem als eine gezielte Maßnahme zur Gewinnung neuer Abonnenten gewertet werden muss, lässt sich an den Aussagen erkennen, die Frommann gegen Ende des Jahres im „Thüringer Volksfreund“ tätigte. Einen leichten Konfrontationskurs gegenüber anderen Zeitblättern einschlagend, meinte Frommann im Dezember 1830: Der Thüringer Volksfreund wird auch im nächsten Jahre in bisheriger Weise fortgesetzt werden. Der Beifall, welcher ihm von besonnenen und vorurtheilsfreien Männern privatim wie öffentlich gezollt worden ist […] und der Eifer, womit andre Zeitungen ihn ausgeschrieben haben, während sie sorgfältig vermieden ihn zu nennen, werden den Herausgeber anspornen, auch fernerhin alles anzuwenden, um immer mehr zu leisten. Daß dieses Streben vom Publicum anerkannt wird, hat der Verleger besonders am Zunehmen der Abonnentenzahlen bemerkt, seitdem wöchentlich zwei Stücke erscheinen, indem nun der Volksfreund im Stande ist, durch schnellere Mittheilung der Neuigkeiten für einen großen Theil seiner Leser andre auswärtige Zeitungen überflüssig zu machen.75

Die Bemerkung, die Leser bräuchten fortan neben dem „Thüringer Volksfreund“ keine weiteren Zeitungen mehr zu beziehen, macht außerdem deutlich, wie hart umkämpft der Markt für periodisch erscheinende Volksschriften um 1830 gewesen sein muss. Dass sich andere Zeitschriften einfach der Texte des „Thüringer Volksfreundes“ bedienten, ohne eine entsprechende Quellenangabe zu liefern, erachte Frommann als Frechheit. In seinen Augen verhinderte diese Praxis einen höheren Absatz seines Blattes. Dass die Entwicklung der Abonnentenzahlen am Ende doch nicht so zufriedenstellend war, wie dies Frommann im Dezember 1830 noch verkündet hatte, wurde bereits erörtert. Am Ende war der Zuwachs an neuen Lesern scheinbar doch nicht so hoch, wie es sich der Jenaer Verleger gewünscht hatte. Dass solche Blätter wie die „Dorfzeitung“ und der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ gegenüber dem „Thüringer Volksfreund“ einen besseren Absatz erzielen konnten, dürfte zum Teil auch an der Entschlossenheit Frommanns gelegen haben, den Umfang seines Blattes nicht zu erweitern oder notfalls künstlich zu strecken. Während der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ weiterhin pro Woche rund 50 Seiten lieferte, hielt Frommann beharrlich an seinen 8 Seiten pro Woche fest. Nur mit dem Unterschied, dass in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrganges und in der ersten Hälfte des dritten Jahrganges diese 8 Seiten nicht mehr einmal wöchentlich erschienen, sondern zu je 4 Seiten auf zwei Ausgaben pro Woche verteilt wurden. Obwohl der Erscheinungszeitraum des „Thüringer Volksfreundes“ nur drei Jahre betrug, spielte das Blatt für die weitere Entwicklung der universell konzipierten volksaufklärerischen Periodika im Thüringer Raum nach 1830 dennoch eine entscheidende Rolle. Zusammen mit den Ereignissen der Revolution von 74 Der Thüringer Volksfreund, Nr. 38 vom 18. September 1830, S. 304. 75 Der Thüringer Volksfreund, Nr. 59 vom 1. Dezember 1830, S. 388.

„DER THÜRINGER VOLKSFREUND“ (1829–1831)

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1830 scheint der „Thüringer Volksfreund“ eine Art Initialzündung für andere Volksaufklärer gewesen zu sein, ihre Ambitionen zur Herausgabe eines eigenen volksaufklärerischen Blattes in die Tat umzusetzen. In den 1830er und 1840er Jahren erschienen allerorts in Thüringen neue volksaufklärerische Blätter, die mit einer Mischung aus Tagesnachrichten und belehrend-unterhaltsamen Beiträgen das „Volk“ für sich gewinnen wollten. Nahezu jedes dieser Periodika, welches ein überregionales Publikum ansprechen wollte und einen wöchentlichen oder halbwöchentlichen Turnus hatte, versuchte wie der „Thüringer Volksfreund“, das Erfolgskonzept der „Dorfzeitung“ und des „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“ – stets mit kleinen Variationen in der formalen und inhaltlichen Gestaltung – für sich zu kopieren. Bei allen überregional ausgerichteten Blättern, wo die Vermittlung von praktisch anwendbarem Wissen mit der politischen Aufklärung des „gemeinen Mannes“ verzahnt wurde, ist deutlich erkennbar, dass die Periodika von Becker und Nonne als Vorbild dienten. Das Verdienst des „Thüringer Volksfreundes“ lag nun darin, dass Karl Herzog und Friedrich Frommann allen anderen Volksaufklärern vor Augen geführt hatten, dass es zumindest für ein paar Jahre möglich war, neben diesen beiden „Leitmedien“ zu bestehen. In den 1840er Jahren dürften dann einige thüringische Volksaufklärer ebenso darauf gehofft haben, sicherlich auch mit Blick auf die zunehmende Alphabetisierung der unteren Bevölkerungsschichten, mit etwas Glück einen beständigen Leserstamm für ihre Blätter erschließen zu können. Bis auf wenige Ausnahmen ist dies allerdings auch im Zeitraum von 1830 bis 1848 kaum einem universell ausgerichteten, volksaufklärerischen Periodikum aus dem Thüringer Raum gelungen.76 Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ gehörte zu jener Gruppe volksaufklärerischer Wochenblätter, die sich in den 1840er Jahren als ein überregionales Blatt positionieren wollten und auf eine „allumfassende“ Aufklärung des „gemeinen Mannes“ abzielten. Konzeptionell versuchte es im Kern ebenfalls, den „Thüringer Volksfreund“ bzw. die „Dorfzeitung“ und den „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ nachzuahmen. Im Folgenden soll daher exemplarisch am „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ näher beleuchtet werden, welche Ausrichtung die publizistische Volksaufklärung in Thüringen in ihrer Endphase eingenommen hat.

76 Vgl. Kapitel V.4.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

Titelbild „Allgemeines Volksblatt der Deutschen“ (Jahrgang 1846)

DAS „ALLGEMEINE VOLKSBLATT DER DEUTSCHEN“ (1844–1846)

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3. Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ (1844–1846) – Eine Fallstudie zur volksaufklärerischen Publizistik in Thüringen im späten Vormärz DAS „ALLGEMEINE VOLKSBLATT DER DEUTSCHEN“ (1844–1846)

Mit dem „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ versuchten Carl von Pfaffenrath und Heinrich Schwerdt, ihre volksaufklärerischen Ambitionen im Jahr 1844 in Form eines wöchentlich erscheinenden Periodikums gemeinsam zu bündeln.77 Bereits vor ihrer Zusammenarbeit hatten die beiden Volksaufklärer in ihren Wohnorten und Heimatregionen Initiativen durchgeführt, die auch den weniger gebildeten Bevölkerungsschichten eine bessere Bildung ermöglichen sollte.78 Mit dem „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ wollten die beiden ihren bisher regional begrenzten Wirkungsraum erweitern. Das Blatt war als ein überregionales Organ der Volksbildung konzipiert, das im Idealfall im gesamten deutschen Sprachraum rezipiert werden sollte. Aufgrund fehlender Dokumente und Korrespondenzen ist es leider nicht mehr nachvollziehbar, wie es zu der Zusammenarbeit zwischen von Pfaffenrath und Schwerdt gekommen ist. Auch über das erste Treffen der beiden Volksaufklärer ist nichts weiter bekannt. Allerdings ist sehr auffallend, dass sich in vielen volksaufklärerischen Periodika aus Thüringen einige Autoren immer wieder finden lassen. Schwerdt und Pfaffenrath gehörten zu dieser Gruppe publizistisch aktiver Volksaufklärer. Möglicherweise ist einer der beiden Volksaufklärer beim Rezipieren eines überregionalen Periodikums, etwa der „Dorfzeitung“ oder des „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“, auf die literarischpublizistischen Arbeiten des anderen aufmerksam geworden und hat danach den persönlichen Kontakt gesucht. Von Heinrich Schwerdt ist zumindest bekannt, dass er über Briefe an fremde Personen herangetreten ist, die ähnliche Volksbildungsbestrebungen wie er selbst hatten. Kurz nachdem der Neukirchener Pfarrer die erste Volksbibliothek Thüringens gegründet hatte, suchte dieser beispielsweise Rat bei dem Großenhainer Rentamtmann Karl Benjamin Preusker (1786–1871).79 Dieser hatte im Jahr 1828 77 Vgl. Allgemeines Volksblatt der Deutschen, hrsg. von Carl von Pfaffenrath und Heinrich Schwerdt, Saalfeld 1844–1846. [Fußnotennachweise im folgenden Kapitel unter der Abkürzung AVD]. 78 Vgl. Kapitel IV.2.1 u. Kapitel IV.2.2. 79 Ohne Karl Benjamin Preusker zuvor persönlich begegnet zu sein, schrieb Heinrich Schwerdt am 12. Mai 1840 freiheraus an den Großenhainer Rentamtmann: „Ew. Wohlgeboren entschuldigen freundlichst eine Zuschrift, die, wenn auch von unbekannter Hand – denn ob Ihnen mein Name auf dem literarischen Markte je begegnet, wage ich kaum zu hoffen –, doch aus dem engsten Interesse für die Menschheit hervorgegangen ist, und sich vertrauensvoll an einen Mann zu wenden wagt, der bereits vor ganz Deutschland bekundet und bethätiget hat, daß auch ihm die Sache keine fremde. So

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

in der sächsischen Kleinstadt Großenhain die erste Volksbibliothek Deutschlands gegründet sowie in den 1830er und 1840er Jahren zahlreiche praktische und theoretische Schriften zur Hebung der allgemeinen Volks- und Jugendbildung verfasst.80 Schnell erlangten diese Schriften, etwa durch positive Besprechungen im „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“,81 auch außerbegegnen sich verwandte Geister in dem weitesten Sinne. Und wenn ich mich länger nicht überwinden konnte, durch diese Zeilen mich gleichsam näher zu stellen, so halten Sie sich überzeugt, daß selbige lediglich von der ungeheuchelsten Hochachtung für ihr Wollen und Wirken dictiert worden sind.“ Zit. nach MARWINKSI, FELICITAS: Ein „systematischer Menschenfreund“ – Briefe an Karl Benjamin Preusker, in: Karl Benjamin Preusker (1786–1871). Ein Heimatforscher und Volksbildungsfreund, hrsg. vom Kreismuseum Großenhain, Großenhain 1986, S. 86. Zum Leben und Wirken Karl Benjamin Preuskers vgl. außerdem FÖRSTEMANN, ERNST: Preusker, Karl, in: ADB, 26 (1888), S. 576–580; WILKENING, ILKA: Karl Benjamin Preusker 1786–1871. Ehrenbürger der Stadt Großenhain. Leben und Werk, Großenhain 2005. 80 Das literatisch-publizistische Oeuvre von Karl Benjamin Preusker fällt außerordentlich umfangreich aus. Insgesamt hat Preusker 275 Schriften verfasst oder herausgegeben. Die im deutschsprachigen Raum öffentlich meist beachteten Schriften über Volksbildung und Volksbildungsanstalten waren seine „Bausteine“ und „Förderungsmittel zur Volkswohlfahrt“. Vgl. PREUSKER, KARL BENJAMIN: Andeutungen über Sonntags-, Real- und Gewerbsschulen, Cameralstudium, Bibliotheken, Vereine und andere Föderungsmittel des Gewerbfleißes und allgemeiner Volksbildung. Handwerkern, Fabrikanten, Kaufleuten, Landwirthen und andern Gewerbetreibenden, so wie Staats- und Gemeinde-Beamten, Cameralisten, Schulmännern und allen Freunden der Gewerbs- und Volksbildung gewidmet, 3. Teile, Leipzig 1835; DERS.: Förderungsmittel der Volkswohlfahrt in Bezug auf Wissenschaft, Kunst und Leben. Haus- und Handbuch für jeden, welcher für sein und Anderer Wohl zu wirken wünscht; Staats- und Gemeindebeamten, Bildungsanstalten, Gelehrten-, Kunst-, Gewerbs-, Wohltätigkeits- und Lese-Vereinen, wie allen Vaterlands- und Menschenfreunden insbesondere gewidmet, Leipzig 1836. Eine vollständige Bibliographie zu Preuskers Schriften findet sich in: MARWINSKI, FELICITAS: Karl Benjamin Preusker (1786–1871). Chronologie seines Lebens und Wirkens mit einer Bibliographie seiner Schriften und der über ihn erschienen Literatur, Großenhain 1986, S. 27–56. Zum Volksbildungskonzept von Karl Ludwig Preusker vgl. außerdem DIES.: Karl Benjamin Preusker als Publizist und Volksschriftsteller, in: Albrecht, Wolfgang (Hrsg.): Dichter und Literatur im Sechsstädtebund vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Kamenz 1998, S. 50–66; DIES.: Karl Preuskers Lebensansichten im Spiegel seiner Schriften, in: Smolnik, Regina (Hrsg.): Karl Benjamin Preusker. Archäologe – Reformer – Netzwerker, Markkleeberg 2011, S. 111–130. Ebenso gibt Preusker in seiner Selbstbiographie tiefe Einblicke in sein Verständnis von Volksbildung und Gemeinnützigkeit. Vgl. PREUSKER, KARL BENJAMIN: Lebensbild eines Volksbildungsfreundes. Selbstbiographie von Karl Preusker, Rentamtmann in Großenhain 1786–1871, Leipzig 1871, S. 150–236. 81 Der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ äußerte sich nicht nur positiv über die Schriften Preuskers, sondern gab dem Großenhainer Rentamtmann auch mehrfach die Möglichkeit, seine Ansichten durch eigene Beiträge einem breiteren Publikum öffentlich kund zu geben. Vgl. u.a. Ueber Dorfbibliotheken und Lesecirkel, in: Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen, Nr. 212 vom 7. August 1839,

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halb Sachsens große öffentliche Beachtung. Dank der wohlwollenden Besprechungen in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften wurde Karl Benjamin Preusker auch in der „thüringischen Provinz“ als ein Pionier des Volksbibliothekswesens bekannt.82 Um von den Erfahrungen des Großenhainer Rentamtmannes bei der Realisierung des eigenen Volksbibliotheksprojektes profitieren zu können, war deshalb nur logisch, dass Heinrich Schwerdt per Brief den unmittelbaren Kontakt zu Preusker suchte. Es ist also gut möglich, dass Schwerdt und Pfaffenrath, die sowohl auf publizistischer wie institutioneller Ebene ähnliche Projekte zur Verbesserung der allgemeinen Volksbildung ins Leben gerufen hatten, über das Medium Brief in Kontakt getreten sind, und dass aus diesem Briefwechsel am Ende die gemeinsame publizistische Zusammenarbeit resultierte.83 Wie gesagt, sind diese Vermutungen aber reine Spekulation. Zweifelfrei nachvollziehbar bleibt einzig die Tatsache, dass ein Teil des gebildeten Bürgertums periodische Schriften intensiv als öffentliche Plattformen für einen kollektiven Meinungs- und Ideenaustausch nutzten. Dass die öffentlich geführte Kommunikation der Gebildeten in den Zeitungen und Zeitschriften auch zu privaten Korrespondenzen zwischen einzelnen, sich persönlich unbekannten Personen führen konnte, etablierte sich jedenfalls in den Kreisen des aufklärerisch denkenden Bürgertums bereits im 18. Jahrhundert und wurde auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weiter praktiziert.84 Sp. 2701–2706; Gemeinnützige Vorschläge. Stadtbibliotheken, in: ebd., Nr. 309 vom 12. November 1839, Sp. 4005–4008; Ueber Leseanstalten, in: ebd., Nr. 174 vom 30. Juni 1842, Sp. 2299–2303. 82 Preusker verfasste zahlreiche Schriften zum Volksbibliothekswesen. Als Hauptwerk zu diesem Thema gilt allerdings seine zweibändige Schrift „Ueber öffentliche, Vereins- und Privatbibliotheken“, die in den Jahren 1839/40 veröffentlicht wurde - also genau zu dem Zeitpunkt, als Schwerdt erstmals den Kontakt zu Preusker gesucht hat. Vgl. PREUSKER, KARL BENJAMIN: Ueber öffentliche, Vereins- und Privatbibliotheken, so wie andere Sammlungen, Lesezirkel und verwandte Gegenstände, mit Rücksicht auf den Bürgerstand, Heft 1: Ueber Stadtbibliotheken für den Bürgerstand, deren Nützlichkeit, Gründungs- und Aufstellungsart, damit zu verbindende Sammlungen und Ortsjahrbücher, Leipzig 1838; Heft 2: Ueber Vereins-, Schul-, Dorf- und Privatbibliotheken, wissenschaftliche Sammlungen, Lesezirkel-Einrichtungen und verwandte Gegenstände, Leipzig 1840. 83 Zur Briefkultur in der sich herausbildenden bürgerlichen Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie zur Funktion des Briefes als ein Medium öffentlicher und privater Kommunikation sowie Öffentlichkeit vgl. FAULSTICH: Die bürgerliche Mediengesellschaft, S. 83–102; DUŢU, ALEXANDRU/HÖSCH, EDGAR/ OELLERS, NORBERT (Hrsg.): Brief und Briefwechsel in Mittel- und Osteuropa im 18. und 19. Jahrhundert, Essen 1989; STEINHAUSEN, GEORG: Geschichte des deutschen Briefes, Teil 2, Berlin 1891, S. 245–410. 84 Vgl. BÖDECKER, HANS ERICH: Aufklärung als Kommunikationsprozeß, in: Aufklärung. Interdisziplinäre Halbjahresschrift zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte, 2 (1988), Heft 2, S. 98–106.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

Daraus zu schließen, dass im Thüringer Raum ein großflächig agierendes Netzwerk von Volksaufklärern existierte, das im Bereich des Volksbildungswesens eine gemeinsam ausgearbeitete Strategie verfolgte, ist meines Erachtens aber zu hoch gegriffen. Es fehlen stichhaltige Quellen (Briefe und Ego-Dokumente), die eindeutig belegen, dass ein solches Netzwerk in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts systematisch aufgebaut wurde. Die bisher vorhandenen Briefe – im Fall von Ludwig Bechstein und Ludwig Storch sogar ein Briefwechsel über mehrere Jahrzehnte hinweg85 – zwischen einzelnen thüringischen Volksaufklärern deuten jedenfalls nicht darauf hin, dass die von den einzelnen Volksaufklärern durchgeführten Maßnahmen zur Verbesserung der Volksbildung von einem zusammenhängenden Netzwerk koordiniert wurden. Zwar gab es im Thüringer Raum in den 1840er Jahren vereinzelt Versuche zur Gründung eines zentralen Volksbildungsvereins, welcher die Kommunikation und den Gedankenaustausch zwischen allen Personen, die sich in der Volksaufklärung engagierten, verbessern sollte, doch konnte eine solche Organisation nie verwirklicht werden.86 Im vormärzlichen Thüringen nahm die Verwirklichung eines „Vereins deutscher Volksfreunde“ letztlich aber nur einmal, nach einer Initiative Heinrich Schwerdts, konkrete Formen an. Dieser hatte in der ersten Ausgabe des dritten Jahrganges des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ einen „Aufruf an die deutschen Volksfreunde“ zur Gründung eines „Vereins deutscher Volksfreunde zur Förderung der Volksbildung und Volkswohlfahrt“ getätigt, in der Hoffnung, auf diese Weise alle deutschen „Volksfreunde“ in ein großes, gemeinsames Netzwerk zu integrieren.87 Der Verein sollte die Aufgabe wahrnehmen, die Ideen und Interessen der einzelnen „Volksfreunde“ aufeinander abzustimmen sowie konkrete Maßnahmen, die eine effektivere Aufklärung und Erziehung des „Volkes“ versprachen, zu erstellen und durchzuführen. Der Verein stieß allerdings bei anderen Volks85 Der Briefwechsel zwischen Bechstein und Storch dauerte von 1830 bis 1851 und wurde in chronologischer Reihenfolge von Susanne Schmidt-Knaebel aufgearbeitet. Allerdings ist hier zu bemerken, dass von diesem Briefwechsel nur noch die Korrespondenzen von Bechstein erhalten sind. Vgl. SCHMIDT-KNAEBEL: „Man muß doch jemanden haben, gegen den man sich ausspricht“, S. 9–14. 86 Die Aufrufe zur Gründung von Volksbildungsvereinen erfolgten in den überregional ausgerichteten Tages- oder Wochenblättern. In der Regel waren die Urheber dieser Gründungsaufrufe Pfarrer und Verwaltungsbeamte wie Heinrich Schwerdt oder Carl von Pfaffenrath. Zu den Befürwortern eines zentralen Volksbildungsverein in Thüringen gehörten aber auch bekannte Pädagogen wie Friedrich Fröbel, der 1845 im Gothaer „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ und im Rudolstädter „Thüringer Volksfreund“ zur Gründung eines solchen Vereins aufgerufen hatte. Vgl. Aufruf an die deutschen Männer und Väter zur Bildung von Vereinen für Erziehung, in: Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen, Nr. 54 vom 24. Februar 1845, Sp. 741–745; Der Thüringer Volksfreund, Nr. 9 vom 25. Februar 1845, S. 34 f. 87 Aufruf an die deutschen Volksfreunde, in: AVD, Nr. 1, 1846, S. 1–4.

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aufklärern auf wenig Resonanz. Schwerdt hatte gehofft, dass sich seinem Verein bis Mitte des Jahres 1846 „wenigstens 100 Theilnehmer“ anschließen werden. Jedoch waren es gerade einmal 10 Personen, die Interesse daran zeigten, einen solchen Verein zu unterstützen.88 Am 1. Juli 1846 startete Schwerdt deshalb einen erneuten Aufruf an alle deutschen „Volksfreunde“, sich zu einem „Centralverein für deutsche Volksbildung und Volkswohlfahrt“ zusammenzuschließen.89 Ein weiteres Mal hoffte der Neukirchener Pfarrer auf den Beitritt von mindestens 100 Personen, andernfalls ließen sich die Vereinspläne kaum aufrechterhalten. Nachdem der Zuspruch für seinen zentralen deutschen Volksbildungsverein allerdings wieder nur sehr bescheiden ausgefallen war, stellte Schwert im Frühjahr 1847 sein Vereinsprojekt dann endgültig ein. Dass die Aussichten auf Erfolg gering waren, muss Schwerdt aber bereits im Sommer 1846 geahnt haben. So meinte er: Sollte aber meine abermalige Einladung, die ‚Stimme eines Predigers in der Wüste‘ bleiben, nun, so tröste ich mich des Bewußtseyns, daß ich ohne Menschenfurcht und ohne Menschendienst das Meinige gethan, um ein gutes Werk ins Leben zu rufen. Das liebe Volk, für dessen Bildung und Wohlfahrt auch ohne Vereinsverpflichtungen tausend Herzen und Hände thätig sind, möge meinen guten Willen als That erkennen und meiner unermüdlichen Theilnahme seinem Wohl und Wehe sich versichert halten.90

Dass die von Schwerdt angesprochenen „tausend Herzen und Hände“, die im Vormärz einen Beitrag zur Verbesserung der Volksbildung leisteten, im Grunde kein Interesse daran zeigten, sich zu einem Verein zusammenzuschließen, mutet schon etwas merkwürdig an. Scheinbar reichte den meisten thüringischen Volksaufklärern ihr Beziehungsgeflecht, das sie im Laufe der Jahre durch Sozietäten, Festveranstaltungen oder Briefe zu anderen Gleichgesinnten aufgebaut hatten, vollkommen aus. Wie eng der Kontakt zwischen einzelnen Volksaufklärern ausfiel, dürfte dabei abhängig vom Charakter der jeweiligen Personen gewesen sein. Während einige Volksaufklärer, zu denen auch Heinrich Schwerdt zu rechnen ist, darauf bedacht waren, möglichst viele Beziehungen zu anderen Gleichgesinnten zu knüpfen,91 wird es auch Volksaufklärer gegeben haben, die ein moderateres Kontakt- und Mitteilungsbedürfnis hatten. Aufgrund der vorhandenen Möglichkeiten zum gegenseitigen Gedanken- und Informationsaustausch war der Aufbau eines großflächig agierenden, zusammenhängenden Netzwerkes, in welchem alle

88 89 90 91

Vgl. Verein deutscher Volksfreunde, in: AVD, Nr. 26, 1848, S. 203 f. Vgl. ebd., S. 205. Vgl. ebd., S. 205 f. Die bisher erfassten Korrespondenzen von Heinrich Schwerdt zeigen dabei ebenfalls deutlich, dass der Neukirchener Pfarrer nicht nur den Kontakt mit anderen Volksaufklärern suchte, sondern auch mit zahlreichen Schriftstellern, Dichtern, Gelehrten und Künstlern, die sich nicht in der Volksbildung engagierten. Vgl. FELSBERG: Schwerdt, Sp. 1374 f.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

thüringischen Volksaufklärer in unmittelbaren persönlichen Kontakt zueinander standen, nicht unbedingt notwendig. Grundsätzlich kann dabei festgehalten werden, dass die Volksaufklärung im Thüringer Raum vor allem durch die zahlreich vorhandenen Periodika über ein sehr gut verzweigtes Kommunikationsnetz verfügte.92 Unabhängig von bestehenden oder nicht bestehenden persönlichen Beziehungen, ermöglichte die Publizistik einen schnellen, kontinuierlichen, dichten und vielfältigen Meinungs- und Ideenaustausch zwischen den in der Volksaufklärung engagierten Gebildeten. Auf diese Weise bildete sich schon im ausgehenden 18. Jahrhundert unter den Gebildeten in ganz Thüringen ein öffentlicher Grundkonsens heraus, wie die Aufklärung und Erziehung des „Volkes“ zu erfolgen hatte. Dies erklärt auch, warum die Inhalte, Ziele und Methoden bei allen thüringischen Volksaufklärern seit Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend deckungsgleich waren. Das in Thüringen bestehende Netz aus Zeitungen und Zeitschriften ermöglichte den in der Volksaufklärung engagierten Gebildeten, ihre Ideen auch außerhalb ihrer Wohnorte überall zu kommunizieren. Interessant ist hierbei, dass lokale Wochenblätter nicht selten Beiträge von auswärtigen Autoren enthielten, deren unmittelbares Lebens- und Berufsumfeld nicht in der Region verortet werden kann, in welcher das Lokalblatt erschien.93 Zusammen mit den bestehenden Aufklärungsgesellschaften und Vereinen führte das thüringische Pressewesen zur Herausbildung eines ganz Thüringen umspannenden öffentlichen Kommunikationsnetzes, aus dem zwangsläufig auch private oder halböffentliche Kontakte hervorgingen. An Pfaffenrath und Schwerdt, die unterschiedliche Berufe ausübten und deren Wohnorte Neukirchen und Saalfeld über 100 Kilometer entfernt lagen, wird jedenfalls deutlich, dass die Herausbildung privater Kontakte über dieses Kommunikationsnetz gut funktioniert haben muss, da eine zufällige Begegnung zwischen den beiden Volksaufklärern mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Außerdem belegt die Zusammenarbeit von Schwerdt und Pfaffenrath, dass solche Kontakte in der Folgezeit durchaus auch zu engen persönlichen Beziehungen oder zu gemeinsamen Projekten führen konnten. Die Gemeinsamkeiten des Saalfelder Kammerherrn und des Neukirchener Pfarrers hinsichtlich wirtschaftlicher, politischer, sozialer, gesellschaftlicher und pädagogischer Fragen sowie ihr ausgeprägter Wille, durch gemeinnütziges Engagement die Lebenssituation des „Volkes“ zu verbessern, dürften dann letzten Endes ausschlaggebend gewesen sein, dass sich die beiden Volksaufklärer zur Herausgabe eines gemeinsamen Periodikums entschlossen haben. 92 Vgl. hierzu grundlegend GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 133–189. 93 Obwohl Heinrich Schwerdt in Neukirchen bei Eisenach wohnte, schrieb er beispielsweise für das „Cahlaische Nachrichts=Blatt“. Die Entfernung zwischen Kahla und Eisenach betrug rund 120 Kilometer.

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Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ kann dabei als der indirekte Nachfolger der „Landwirthschaftlichen Dorfzeitung“ angesehen werden, die Carl von Pfaffenrath zusammen mit William Löbe von 1840 bis 1842 herausgab. Die Erfahrungen, die der Saalfelder Schlosshauptmann mit diesem Periodikum gesammelt hatte, flossen allesamt zwei Jahre später in das neue Blatt ein, mit dem Unterschied, dass beim „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ der Schwerpunkt nicht mehr allein auf der gemeinnützig-ökonomischen, sondern auf einer „allumfassenden“ Aufklärung lag. Das Wochenblatt hatte einen Umfang von acht Seiten pro Ausgabe. Für den gesamten Jahrgang verlangten die Herausgeber einen Preis von 1 Taler oder 1 Gulden und 48 Rheinische Kronen. Der Druck des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ erfolgte bei Johann Wilhelm Anton Wiedemann, der von 1841 bis 1873 im Besitz der Saalfelder Hofbuchdruckerei war.94 Als Hofbuchdrucker stand Wiedemann das Recht zu, „allerhand geist= und weltliche Tractate, Schriften und Bücher, wie die Namen haben mögen, sowohl vor Ausländische als Inländische zu drucken“.95 Durch seine rege Tätigkeit in der Stadt Saalfeld und seine engen Beziehungen zum Meininger Hof dürfte Pfaffenrath zwangsläufig in Kontakt mit Wiedemann gestanden haben. Es scheint daher nahe liegend, dass sich Pfaffenrath an den Hofbuchdrucker aus seiner unmittelbaren Umgebung wandte, zumal Wiedemann die nötigen Privilegien zum Druck einer periodischen Zeitschrift besaß. Verlegt wurde das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“, wie einst die „Landwirthschaftliche Dorfzeitung“,96 beim „Verlag der Meinhardt’schen Buchhandlung in Arnstadt“.97 Die Zusammenarbeit zwischen Meinhardt und Pfaffenrath wurde allerdings nach nur sechs Ausgaben wieder aufgelöst. Der Grund dieser Trennung bleibt jedoch ein Rätsel. In der siebten Ausgabe des „Allgemeinen 94 Vgl. HOPF, VALENTIN: Die Stadt Saalfeld mit ihrer weiteren Umgebung im 19. Jahrhundert, Saalfeld 1925, S. 95. 95 Verleihungsurkunde des Saalfelder Hofbuchdruckprivilegs an Gottfried Böhmer vom 14. August 1714. Zit. nach ebd., S. 95. Das Privileg des fürstlichen Hofbuchdruckers übertrug Böhmer im Jahr 1743 seinem Schwiegersohn, Johann Christian Otto Wiedemann. Dieser ließ es wiederum im Jahr 1808 auf seinen Sohn Johann Michael Gottfried Wiedemann überschreiben. Für die nächsten vier Generationen, im Zeitraum von 1743 bis 1873, verblieb die Hofbuchdruckerei im Besitz des Familiengeschlechts der Wiedemanns. Vgl. hierzu ThStA Meiningen, Amt Saalfeld, Akt.-Nr. 1434: Acten, Das Privilegium der hiesigen Hofbuchdruckerey, 1808, Bl. 1–3. 96 Der Verweis auf den Verlag der „Landwirthschaftlichen Dorfzeitung“ findet sich am Ende jeder Ausgabe. Vgl. Landwirthschaftliche Dorfzeitung, Nr. 1, 1840, S. 4. 97 Nach dem Kauf der Buchhandlung des Buchhändlers Gustav David Kluge wurde im Jahr 1837 das fürstliche Druckprivileg auf die Person Christian August Ferdinand Meinhardt überschrieben. Vgl. ThStA Rudolstadt, Ministerium Sondershausen, II. Abteilung (Inneres), Akt.-Nr. 3098: Cabinets=Acten der Meinhardt’schen Buchhandlung zu Arnstadt, 1837–1858.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

Volksblattes der Deutschen“ erfolgte vonseiten Pfaffenraths nur die Mitteilung, dass „durch besondere Verhältnisse […] Herr F. Meinhardt zu Arnstadt genöthigt worden [ist], den Verlag des ‚Allgemeinen Volksblattes der Deutschen‘ aufzugeben“.98 Über die Ursachen des Verlagswechsels schwieg sich der Saalfelder Kammerherr aus. Es ist aber anzunehmen, dass persönliche oder finanzielle Differenzen zwischen Pfaffenrath und Meinhardt zur Auflösung ihrer geschäftlichen Kooperation geführt haben, denn ein Verbot des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ ließ sich weder in den Zensurakten des Fürstentums Schwarzburg-Sondershausen noch im Herzogtum Sachsen-Meiningen finden.99 Außerdem war Fürst Günther Friedrich Carl II. von Schwarzburg-Sondershausen Ehrenmitglied des von Pfaffenrath gegründeten Saalfelder „Gewerbe-Vereins“ und ein Befürworter der Volksbildungsbestrebungen Pfaffenraths. Ein Verbot des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ durch die schwarzburg-sondershäusische Pressezensur ist demnach höchst unwahrscheinlich. Möglicherweise erwies sich nach kurzer Zeit auch nur die Koordinierung des Blattes zwischen Saalfeld, Neukirchen und Arnstadt als zu umständlich, so dass Pfaffenrath gezwungenermaßen auf einen Verleger aus seinem unmittelbaren Lebensumfeld zurückgreifen musste. Nach dem Bruch mit Meinhardt wandte sich Pfaffenrath an Constantin Niese, der 1831 in Saalfeld eine Verlagsanstalt gegründet und sich mit der Herausgabe des „Thüringer Stadt- und Landboten“ und des „Saalfelder Wochenblattes“ in relativ kurzer Zeit einen Namen gemacht hatte.100 Die Tatsache, dass Verlag und Druck in derselben Stadt eine erheblich effizientere Koordinierung seines Blattes bedeuteten, dürfte Pfaffenrath dazu veranlasst haben, fortan mit Niese zusammenzuarbeiten. In den drei Jahren seines Erscheinens, von 1844 bis 1846, wurde 98 AVD, Nr. 7 vom 17. Februar 1844, S. 49. 99 Vgl. u.a. ThStA Meiningen, Ministerium, Abt. des Innern, Akt.-Nr. 15393: Acten der Herz. S. Geheimen Staatskanzlei zu Meiningen betreffend Literarische Polizei, insbesondere die Censur über die im Lande erscheinenden Regierungs und Intelligenzblätter und andern Zeitungen, 1828–1848; Akt.-Nr. 15360: Acten der Herz. S. Geheimen Kanzlei zu Meiningen betreffend Literatur Polizei, insbesondere in Beziehung auf das Verbot der außerhalb des Herzogthums erscheinenden Druckschriften, 1835–1844. Zur Person Ferdinand Meinhardts existieren nur noch Zensurakten aus dem Jahr 1849. Nach einer Beleidigung der Mitglieder der Frankfurter Nationalversammlung in seiner Zeitung „Thüringer Reform“ wurde Meinhardt wegen „Preßvergehens“ zu einer zweimonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Aufgrund herablassender Äußerungen bezüglich der Könige von Preußen, Sachsen und anderer deutscher Staatsoberhäupter wurde die Anklage zunächst auf Majestätsbeleidigung ausgeweitet, jedoch durch Einspruch Fürst Günther Friedrich Carl II. von Schwarzburg-Sondershausen, der Meinhardt „eine solche Maaßlosigkeit der Presse“ verzieh, wieder fallengelassen. Vgl. hierzu auch KIRCHSCHLAGER, ANDREA: Meinhardt, Christian August Ferdinand, in: Dies./Kirschschlager, Michael (Hrsg.): Chronik von Arnstadt. Zeittafel, Lexikon, Arnstadt 2003, S. 359 f. 100 Vgl. HOPF: Die Stadt Saalfeld mit ihrer weiteren Umgebung, S. 104 f. u. 108 f.

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das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ dann ununterbrochen in Saalfeld gedruckt und verlegt. Erneute Zerwürfnisse zwischen den Herausgebern und dem Verleger oder Drucker blieben aus. Nach nur drei Jahren ereilte dem „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ das gleiche Schicksal, welches der Mehrzahl der volksaufklärerischen Periodika im Vormärz beschieden war. Aufgrund eines zu geringen Lesepublikums wurde das Blatt wieder vom Markt genommen. Der Abonnentenmangel führte bereits während des zweiten Jahrganges zu allerhand Klagen des Verlegers,101 doch starteten Pfaffenrath und Schwerdt mit dem dritten Jahrgang einen letzten Versuch, eine Wende einzuleiten.102 Da die Leser weiterhin ausblieben, wurde die Einstellung des „Allgemeine Volksblattes der Deutschen“ schließlich im gegenseitigen Einvernehmen und ohne jeglichen Zwiespalt beschlossen: „So hielten es denn Verleger und Herausgeber, um ihrem Pfleglinge nicht immer neue Opfer bringen zu müssen, für räthlicher, denselben vom Schauplatze seines gemeinnützigen Wirkens ohne Groll und Hader abzurufen.“103 Nach drei Jahren der Zusammenarbeit kamen die beiden Herausgeber – zusammen mit dem Verleger Constantin Niese – zur Erkenntnis, dass „das wohlwollende und wohlthätige Unternehmen [des Volksblattes der Deutschen] von dem Volke zu wenig unterstützt wurde“ und mit großer Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft keine höhere Resonanz im „Volk“ erzielen konnte.104 Obwohl nach eigener Aussage „das Volksblatt an totaler Auszehrung eigentlich nicht gestorben“ ist,105 machte es keinen Sinn, das Periodikum nur für eine verschwindend kleine Gruppe aus der breiten Masse der weniger gebildeten Bevölkerung fortzuführen. Die Herausgeber waren sich im Klaren, dass ein Volksblatt, welches von der breiten Masse nicht angenommen wurde, seinen eigentlichen Zweck, die Aufklärung und Erziehung des „Volkes“, nur bedingt erfüllte. Enttäuscht über den geringen Zuspruch ihres Blattes beim Lesepublikum, schrieben sie in der letzten Ausgabe: „Ein Zeitungsblatt, das nur so hinsiecht, kann der Welt nicht viel nützen und bringt seinen Pflegern weder Ehre noch Vortheil.“106

101 Vgl. SCHWERDT, HEINRICH: Schwanengesang, in: AVD, Nr. 52, 1846, S. 414. 102 Die thüringischen Volksaufklärer waren sich durchaus bewusst, dass es nur wenigen volksaufklärerischen Periodika gelang, sich über einen längeren Zeitraum auf dem Pressemarkt zu etablieren. So schrieb Schwerdt bereits Ende des Jahres 1845: „Viele Schwestern unseres Blattes gehen abermals in diesen Tagen zu Grabe. ‚Was ist des Lebens Herrlichkeit? Wie bald ist sie verschwunden!‘ Wer weiß, wann auch unserem Blatte sein Sterbelied gesungen wird!“ DERS.: Schlußwort, in: AVD, Nr. 52, 1845, S. 412. 103 DERS.: Schwanengesang, S. 414. 104 Ebd., S. 415. 105 Ebd., S. 414. 106 Ebd.

VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

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3.1

Aufbau und Programmatik

AUFBAU UND PROGRAMMATIK

Pfaffenrath und Schwerdt waren stets bemüht, ihrem Lesepublikum ein möglichst „allumfassendes“ Wissen zu vermitteln. Darauf bedacht, die Mentalitätsund Lebensweise des „Volkes“ umfassend zu verändern, erfolgte die Vermittlung eines sehr breit gefächerten Wissens, das mehr oder weniger alle Lebensbereiche der landwirtschafts- und gewerbetreibenden Bevölkerung einschloss. Im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ finden sich zahlreiche Beiträge, Abhandlungen und Erzählungen zu den verschiedensten Themen. Die Herausgeber hatten sich das Ziel gesetzt, „in edler Freimüthigkeit die Bildung und Wohlfahrt des lieben Volkes zu fördern“.107 Die Verbesserung der allgemeinen Bildung des „Volkes“ stellte für Pfaffenrath und Schwerdt die oberste Prämisse dar. Die beiden Volksaufklärer hatten sich „die wahrhaft menschenfreundliche Aufgabe gestellt, das unnatürliche Mißverhältnis zwischen der Bildung der höheren und niederen Stände möglichst zu vermitteln und auszugleichen“.108 Der Wahlspruch des Blattes lautete stets: „Laßt uns besser werden, so wird’s besser seyn!“109 Analog zu anderen volksaufklärerischen Blättern wie der „Dorfzeitung“ oder dem „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ enthielt das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ vor allem belehrendunterhaltsame Beiträge, die in einem volkstümlichen Schreibstil verfasst waren. Dadurch erhofften sich die beiden Herausgeber, dass ihr Blatt „durch belehrende Unterhaltung Jedem zu Herzen spricht und auch in den niedern Hütten verständlich ist“.110 In Anlehnung an die Gestaltung der volksaufklärerischen Publizistik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ einige Texte weiterhin in eine dialogische Erzählform verpackt. Der Dialog, in dem zwei oder mehrere Personen eine Diskussion ausfochten, war hervorragend dazu geeignet, „Positives“ und „Negatives“ gegenüber zu stellen.111 Die im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ veröffentlichten dialogischen Erzählungen handelten in der Regel von einem Meinungsaustausch zwischen einem Gebildeten und einem Bauern, wobei die Ansichten des Gebildeten als „fortschrittlich“ und die des Bauern als „rückständig“ gezeichnet wurden. Am Ende eines solchen Zwiegespräches entsagte der Bauer stets seiner traditionellen Denkweise und teilte fortan die Ansicht des Gebildeten. Man bediente sich der dialogischen Erzählform aber auch zur Vermittlung „komplizierter“ naturwissenschaftlicher Sachverhalte. So wurde etwa dem Leser die Ursache der unterschiedlichen Klimaverhältnisse in den verschiedenen Regionen auf der Erde nicht mit107 Expedition des Allgemeinen Volksblattes der Deutschen zu Saalfeld, Nr. 7 vom 17. Februar 1844, S. 49. 108 Neuigkeiten, in: AVD, Nr. 1 vom 6. Januar 1844, S. 8. 109 SCHWERDT: Schlußwort, S. 413. 110 Expedition des Allgemeinen Volksblattes, S. 49. 111 Vgl. hierzu SCHENDA: Volk ohne Buch, S. 413 f.

AUFBAU UND PROGRAMMATIK

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tels einer unterhaltsamen Erzählung, sondern durch ein Streitgespräch näher gebracht.112 Indem man das zu erörternde Problem von mehreren Protagonisten während einer „Abendunterhaltung“ gewissermaßen ausdiskutieren ließ und auf einen „Lehrtext“ verzichtete, gestaltete sich ein solch trockenes Thema für den weniger gebildeten Leser wesentlich spannender und interessanter. Der Aufbau des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ unterteilt sich in mehrere Rubriken: „Gedichte“, „Belehrende Erzählungen“, „Blicke in die Welt und in die Menschheit“, „Landwirthschaftliches und Gewerbliches!“, „Sprechsaal“,113 „Büchermarkt“ bzw. „Bücherschrank“, „Neuigkeiten“, „Buntes Allerlei“ und „Briefwechsel“.114 Abgesehen von der Rubrik „Landwirthschaftliches und Gewerbliches“, die sich ganz im Sinne der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung ausschließlich mit Landwirtschaft, Gewerbe und der im Vormärz einsetzenden Industrie auseinandersetzte, verfolgten die Beiträge und Abhandlungen der anderen Rubriken jeweils unterschiedliche Intentionen, die sich mitunter auf sehr vielfältige Bereiche bezogen. So dienten beispielsweise die „Belehrenden Erzählungen“ zur Bekämpfung des Aberglaubens, zur Festigung vernünftiger Religionsvorstellungen, zur Vermittlung bürgerlicher Werte und Tugenden, zur sittlichmoralischen Erziehung oder zur Entfaltung eines nationalen Bewusstseins. Die anderen Rubriken waren ebenfalls keinem fest definierten Gegenstand zugeordnet, verfolgten aber stets eine bestimmte inhaltliche Tendenz. Die Beiträge in der Rubrik „Blicke in die Welt“ beschäftigten sich vornehmlich mit geschichtlichen, geographischen, rechtlichen und naturwissenschaftlichen Themen, während die Rubrik „Sprechsaal“ hauptsächlich Aufsätze über Volksbildung und Politik beinhaltete. In der Rubrik „Bücherschrank“, die unter der Leitung von Schwerdt stand, wurden nun diejenigen Volksschriften aufgelistet, die nach Meinung der Herausgeber als „Grundlage und Hebel der Volksbildung“ in keiner Volksleseanstalt und

112 Vgl. Erste Abendunterhaltung mit dem Korporal zu Heidenfeld, in: AVD, Nr. 20 vom 18. Mai 1844, S. 155–157; Nr. 21 vom 25. Mai 1844, S. 163–166; Nr. 24 vom 15. Juni 1844, S. 187–189; Nr. 25 vom 22. Juni 1844, S. 195–198. 113 Im Jahrgang 1845 teilt sich die Rubrik „Sprechsaal“ in „Alkoven“ und „Volksbildung und Volkswohlfahrt“. 114 Wahrscheinlich, um den Kauf des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ anzukurbeln und die Zeitschrift dem anvisierten Lesepublikum schmackhaft zu machen, wurde in der ersten Ausgabe des dritten Jahrganges die Programmatik des Blattes in einer belehrend-unterhaltsamen Erzählung nochmals vorgestellt. Alle oben genannten Rubriken wurden geschickt in einer Geschichte über den Tischlergesellen Martin eingebunden und als unabkömmliche Notwendigkeit dargestellt, die der „gemeine Mann“ benötigte, um sein Leben unter den ständig wandelnden politisch-rechtlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zuständen erfolgreich meistern zu können. Vgl. Belehrende Erzählung, in: AVD, Nr. 1, 1846, S. 4–10.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

Volksbibliothek fehlen sollten.115 In Kooperation mit anderen volksaufklärerischen Periodika, allen voran mit dem „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“, wurden die als „schamlose Büchertitel“ eingestuften Schriften, die „der Jugend Worte und Gegenstände vor bringen, die ihr am besten ewig vorborgen blieben“,116 scharf angeprangert und für die Volksbildung als unbrauchbar deklariert.117 Um zu verhindern, dass der weniger gebildeten Bevölkerung „unnütze“ Volksschriften in die Hände fielen, sah sich das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ in der Pflicht, den „Volks- und Bücherfreunden einen zuverlässigen Wegweiser durch das weite Gebiet des überreichen Volksbüchermarktes zu bieten“.118 Dabei sollten neben allen Büchern und Zeitschriften, die angeblich zur Unsittlichkeit verleiten würden, auch diejenigen Volksblätter bloßgestellt werden, deren rückschrittliches und fortschrittsfeindliches Programm offenkundig zum Vorschein trat, wie etwa beim „Sächsischen Volksblatt“, das nach Schwerdt „hauptsächlich ein Verbot des Denkens“ bezweckte.119 Für Schwerdt war die Sondierung „vernünftiger“ Volksschriften ein ungemein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer besseren Volksbildung. Dass sich der Neukirchener Pfarrer unablässig mit diesem Punkt beschäftigte, zeigt auch seine 1857 herausgegebene Zeitschrift „Centralblatt für deutsche Volks- und Jugendliteratur“. Als ein kritisches Rezensionsorgan für alle deutschen Volks- und Jugendschriften wurde auch hier zum Teil harsche Kritik an konservativen Publikationen geübt.120 Unterstützung in seinem Vorhaben suchte Schwerdt besonders bei den Volksschriftenvereinen, Volksbibliotheken und den Lesegesellschaften, an die appelliert wurde, die „guten“ Volksschriften in ihr Sortiment aufzunehmen und sich „schändlicher“ Literatur zu verweigern. Als Vorbild sollten bereits bestehende „ehrenwerthe, wohltätige Vereine“ dienen, wie etwa der „Württembergische Volksschriftenverein“, der „Zwickauer Verein zur Verbreitung guter und wohlfeiler Volksschriften“ oder der „Zschokke-Verein“, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, „die Lectüre des Volkes in Aufsicht zu nehmen, damit durch schlechte Schriften nicht soviel Böses gestiftet werde“.121

115 Bücherschrank, in: AVD, Nr. 3, 1846, S. 22. 116 Rüge, in: Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen, Nr. 335 vom 9. Dezember 1843, S. 4370 f. 117 Vgl. Neuigkeiten, in: AVD, Nr. 1 vom 6. Januar 1844, S. 8; Sprechsaal. Mißbrauch, in: AVD, Nr. 21 vom 25. Mai 1844, S. 167; Bücherschrank, in: AVD, Nr. 3, 1846, S. 22. 118 Büchermarkt, in: AVD, Nr. 43 vom 26. Oktober 1844, S. 343. 119 Was giebt’s Neues?, in: AVD, Nr. 38, 1846, S. 303 f. 120 Vgl. Centralblatt für deutsche Volks- und Jugendliteratur, Nr. 1, 1857, S. 1–10. 121 PFAFFENRATH, CARL VON: Vereine für Volksbildung, in: AVD, Nr. 13 vom 30. März 1844, S. 103. Vgl. hierzu außerdem KNOCHE: Volksliteratur und Volksschriftenvereine, S. 27–38.

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Etwa ein Drittel aller Beiträge – verteilt auf alle Rubriken – behandelten aktuelle politische, rechtliche, soziale und gesellschaftliche Themen. Dabei wurden auch bestehende Probleme angesprochen, die durchaus politischen Sprengstoff in sich bargen. Forderungen nach konstitutionellen Landtagen, nach nationaler Einheit, Pressefreiheit oder Rechtsgleichheit waren keine Seltenheit. Im Großen und Ganzen nahm das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ aber eine gemäßigt-liberale Haltung ein. Es stellte sich selbst auf eine Stufe mit der Hildburghäuser „Dorfzeitung“, dem „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ oder den „Sächsischen Vaterlandsblättern“,122 die Sibylle Obenaus wiederum den liberalen Zeitschriften des Vormärz zuordnete.123 Radikale Positionen anderer Zeitschriften, wie sie etwa Karl Marx und Arnold Ruge in ihren „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“ vertraten, lehnte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ vehement ab.124 Politische Systemwechsel, die durch revolutionäre Akte herbeigeführt wurden und deren Entstehung auf der Anwendung von Gewalt basierte, wurden strikt verurteilt. Die Bildung und Erziehung des „gemeinen Mannes“ zum gleichen und freien Staatsbürger sollte stets in dem aktuell vorgeschriebenen gesetzlichen Rahmen erfolgen, und das schloss für Pfaffenrath und Schwerdt die Treue zum Fürsten mit ein.125 Die Errichtung einer Gesellschaft gleicher Staatsbürger war ein zentraler Gedanke des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“. Er erstreckt sich durchgängig über alle drei Jahrgänge hinweg und bringt die liberale Haltung dieses Periodikums deutlich zum Ausdruck. Das Versprechen der Aufklärung, dass grundsätzlich jeder Mensch zu Wohlstand und einer daraus resultierenden Glückseligkeit gelangen könne,126 ließ sich für Pfaffenrath und Schwerdt im späten Vormärz nur noch innerhalb einer bürgerlichen Gesellschaft realisieren. Die Erziehung der weniger gebildeten und sozial schlechter gestellten Bevölkerungsschichten zu „ordentlichen“ Staatsbürgern wurde deshalb im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ als ein essentieller Bestandteil der Volksaufklärung apostrophiert. Schwerdt und Pfaffenrath sprachen in diesem Zusammenhang von 122 Vgl. Pros’t zum neuen Jahre 1846!, in: AVD, Nr. 2, 1846, S. 14. 123 Vgl. OBENAUS, SIBYLLE: Literarische und politische Zeitschriften 1830–1848, Stuttgart 1986, S. 59–61. 124 Vgl. Edle Sprache zweier würdiger (?) deutscher Männer, in: AVD, Nr. 10 vom 9. März 1844, S. 79. Zur politischen Presse im Vormärz vgl. QUESEL, CARSTEN: Soziale Emanzipation. Kollektivismus und Demokratie im Umbruch von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/ Wien 1994, S. 412–435. 125 Vgl. Sprechsaal. Was ist Bildung?, in: AVD, Nr. 43 vom 26. Oktober 1844, S. 342. 126 Vgl. KRÜNES, ALEXANDER: Vernunft als Mittel zur „wahren Glückseligkeit“. Das volksaufklärerische Verständnis von Rationalität, in: Bohmann, Ulf/Bunk, Benjamin/Koehn, Johanna/Wegner, Sascha/Wojcik, Paula (Hrsg.): Das Versprechen der Rationalität. Visionen und Revisionen der Aufklärung, München 2012, S. 47–66.

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einer „zeitgemäßen Aufklärung“.127 Gemäß dieser „zeitgemäßen Aufklärung“ beabsichtigte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“, die „Gebrechen der Zeit zu rügen“.128 Damit waren nicht nur die Defizite in der Volksbildung gemeint, die der „gemeine Mann“ notfalls allein durch den Gebrauch seiner Vernunft und durch Eigeninitiative überwinden konnte, sondern auch die wirtschaftlichen, sozialen, gesellschaftlichen und politischen Probleme, die nur mithilfe des Staates zu bewältigen waren. Die deutschen Staatsregierungen sollten sich dem Fortschrittsgedanken der Aufklärung nicht verschließen und stärker auf die Nöte des „Volkes“ hören. Dabei behauptete das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“, dass die Masse des „Volkes“ inzwischen die Verhältnisse in Staat und Gesellschaft differenzierter beurteilen könne. Obwohl sich in der volksaufklärerischen Publizistik faktisch nur das Bildungsbürgertum zu Wort meldete, wurde dennoch darauf gepocht, dass Vorschläge aus dem „Volk“ zur Überwindung sozialer und gesellschaftlicher Probleme von der Obrigkeit nicht mehr vernachlässigt werden dürfen. Die Landesregierungen wurden dazu verpflichtet, eine Politik zu betreiben, die im Einklang mit den Interessen des „Volkes“ stand: Mögen die Regierungen die Ueberzeugung gewinnen, daß auch im Volke die Bildung zunimmt und keine blinde Unterthänigkeit, die sich des Gebrauchs der Vernunft begiebt, ihm zur Pflicht gemacht werden kann, sondern daß auch das Volk ein Recht habe, die Schritte der Regierung zu prüfen und zu beurtheilen. […] Mögen sie bedenken, wie es höchst gefährlich sey, dem Geiste der Zeit der öffentlichen Meinung sich entgegen zu stellen. Auch wünschen wir angelegentlichst, daß sich die Regierungen und die untergeordneten Behörden nicht für unfehlbar halten,weil irren menschlich ist und Persönlichkeit und Leidenschaft sich leicht in das Urtheil mischen. […] Mögen sie nicht jede öffentliche Versammlung, jedes Deutsche Wort, das kein freches, jede freie Schrift, die mit Besonnenheit und die Leidenschaft geschrieben ist, bemißtrauen und darin ein Gespenst der Revolution erblicken. Mögen sie der öffentlichen Stimme Glauben, Vertrauen und Gewähr schenken und durch weise und zweckmäßige Maßregeln der Noth und den Klagen der Unterthanen abzuhelfen sich bestreben.129

Obwohl Schwerdt und Pfaffenrath den „Bürger und Landmann“ als Hauptadressaten des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ erachteten, richtete sich ihr Periodikum, wie das obige Zitat zeigt, auch indirekt an die Obrigkeit. Nicht selten entsteht bei einigen Beiträgen zu politisch-rechtlichen Fragen der Eindruck, dass diese nicht nur an die einfachen Bauern und Handwerker adressiert waren, sondern zugleich an alle Personen, die politische und gesellschaftliche Verantwor127 SCHWERDT, HEINRICH: Schlußwort, in: AVD, Nr. 52, 1845, S. 414. 128 Vgl. Alkoven. Das Drucksystem, in: AVD, Nr. 47, 1845, S. 373. 129 PFAFFENRATH, CARL VON: Betrachtungen und fromme Wünsche eines Volksfreundes, in: AVD, Nr. 30, 1846, S. 239.

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tung trugen. Vor allem Pfaffenrath, der selbst dem Adel angehörte, richtete erstaunlich oft an seine Standesgenossen den Appell, sie mögen Abstand von ihren altständischen Privilegien nehmen. Dadurch hat es teilweise den Anschein, dass der Saalfelder Kammerherr sich dazu verpflichtet fühlte, neben dem „Volk“ auch die Fürsten, die Obrigkeit und die Beamtenschaft belehren zu müssen. In seinen kurzen Mitteilungen, die er unter der Überschrift „Aus meinem Schreibtische“ in der Rubrik „Buntes Allerlei“ veröffentlichte, tauchen immer wieder Texte auf, die scheinbar darauf abzielten, weniger auf die Mentalität und Gesinnung der unteren, sondern vielmehr der oberen Bevölkerungsschichten einzuwirken. Beispielsweise ermahnte Pfaffenrath in einer seiner Mitteilungen „Aus dem Schreibtische“ die Fürsten, ihre Pflichten gegenüber dem „Volk“ nicht zu vernachlässigen. So meinte er, dass sich die Fürsten intensiv mit den Nöten der einfachen Bevölkerung auseinandersetzen müssen, andernfalls würde das „Volk“ langsam den Respekt vor ihnen verlieren: Für Fürsten ist nichts wichtiger, um sich vor Mißgriffen zu sichern, als ihre Zeit zu begreifen. Diese Kunst scheint aber schwer zu seyn, und besonders denen, die das Volk und dessen Geist nicht studieren wollen. Wer von zu hohem Standpunkte auf das Treiben der Menschen blickt und nur auf geschriebene oder gedruckte Anzeigen und Ansprüche geht, auf Theorien baut und darin die alleinige Belehrung über den Volksgeist sucht, der wird nie einen klaren Ueberblick bekommen, denn in hoher Ferne, aus der Vogelperspective des Thrones sieht Alles anders aus, als in der Nähe und der nüchternen Wirklichkeit.130

Solche Texte zielten sicherlich weniger auf eine Belehrung des „gemeinen Mannes“. Mitteilungen dieser Art könnten zwar auch zur Beschwichtigung des „Volkes“ gedient haben, gewissermaßen als eine Erklärung, warum die Probleme der unteren Bevölkerungsschichten von den Landesfürsten nicht hinreichend wahrgenommen wurden. Allerdings widerspräche eine solche „Aufklärungstaktik“ den politischen Ansichten Pfaffenraths sowie seiner Vorstellung einer reformorientierten Modernisierungspolitik. Hinzu kam, dass diese Texte, wenn sie falsch interpretiert wurden, mögliche Revolutionsgedanken im „Volk“ eher verstärkt anstatt abgebaut hätten. Da sich Pfaffenrath aber stets gegen revolutionäre Vorgänge aussprach, dürfte dies kaum seine Absicht gewesen sein. Plausibler erscheint hier vielmehr, dass der Saalfelder Kammerherr das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ auch als öffentliches Forum nutzte, die deutschen Regierungen sowie deren bürokratisch-administrativen Verwaltungsorgane auf ihre vermeintlichen Fehler hinzuweisen.131 130 PFAFFENRATH, CARL VON: Aus meinem Schreibtische, in: AVD, Nr. 24 vom 15. Juni 1844, S. 191. 131 In einem Artikel „An den deutschen Volksboten“ weist Pfaffenrath noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ vornehmlich an das „Volk“ gerichtet war. „Haltet euch herunter zu den Niedrigen!“ sollte nach Pfaffenrath der Leitspruch eines jeden Volksblattes sein. Der Saalfelder Kammerherr räumte aber gleich-

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Trotz der milderen Pressezensur in Sachsen-Meiningen132 waren sich Pfaffenrath und Schwerdt durchaus bewusst, dass eine öffentliche Anprangerung bestimmter politisch-rechtlicher Missstände zu unangenehmen Folgen führen könnte. Da aber die Herausgeber auf eine Anklage dieser „Gebrechen“ nicht verzichten wollten, verwendeten sie bei „heiklen“ Artikeln einen ironisch-satirischen Schreibstil.133 Beispielsweise schrieb das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ spöttisch „Was sind denn auch drei Jahre für ein kurzer Spielraum!!“,134 nachdem der Weimarer Landtag die Entscheidung wichtiger Beschlüsse, deren Dringlichkeit eigentlich nach einem sofortigen Handeln verlangte, auf die nächste, erst in drei Jahren stattfindende Tagungsperiode verlegte.135 Die Forderung nach kürzeren Perioden zwischen den Sitzungen der Landtage sowie eine angemessene Auseinandersetzung der Abgeordneten mit offensichtlich zutage tretenden Problemen ist hier unüberhörbar. Ebenso zynisch prangerte man die unzureichende Überwachung über die Staatsfinanzen an, als bekannt wurde, „daß ein Staatsdiener einer geistlichen Oberbehörde, vielleicht aus Irrthum, das hübsche Sümmchen von 100 Thlr. zu einer Badereise mit verwendet hatte“, der Landtag diesbezüglich aber nichts unternahm.136

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falls mit ein, „daß wir [das Volksblatt der Deutschen] dabei die gesammten Interessen des Vaterlandes nach Kräften fördern, daß unser schlichtes Wort aber nicht blos in ‚Spinnstuben‘, sondern auch in Palästen beherzigt zu werden verdient“. DERS.: An den deutschen Volksboten, in: AVD, Nr. 7 vom 17. Februar 1844, S. 55. In regelmäßigen Abständen wird auch in anderen Artikeln darauf hingewiesen, dass sich das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ an alle Stände richtet: „Deshalb wenden wir uns nun zu den Ständen, um ihnen einen Spiegel ihrer Pflichten vorzuhalten, da wir ja wünschen und hoffen, daß das Allgemeine Volksblatt der Deutschen auch von allen Ständen gelesen werde.“ Alkoven. Ein ernstes Wort in ernster Zeit, in: AVD, Nr. 13, 1845, S. 101. Vgl. hierzu Kapitel VII. Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ bezeichnete seinen ironisch-sarkastischen Schreibstil zu bestimmten Fragen selbst als humorvoll: „Die religiösen und politischen Fragen der Gegenwart beschäftigen jetzt auch das Volk; und warum sollte dasselbe nicht an Dem, was in der Welt vorgeht und so viele Herzen und Zungen bewegt, lebendigen Antheil nehmen? Darum kann und darf wohl kaum ein Volksblatt sich derselben entschlagen, und es wird noch nicht zu einem sogenannten ‚Skandalblatte‘ herabsinken, wenn es diese Zeitfragen im humoristischen Gewande – bald mit scherzendem bald mit eiferndem Munde – seinen Lesern vorführt.“ Offene Briefe, in: AVD, Nr. 21, 1846, S. 170. Sprechsaal, in: AVD, Nr. 33 vom 17. August 1844, S. 261. Laut § 54 der landständischen Verfassung Sachsen-Weimars wurden „ordentliche Landtage“ nur alle drei Jahre abgehalten: „Zu einem ordentlichen Landtage werden die Landstaendischen Abgeordneten von drei zu drei Jahren, und zwar regelmaeßig in der ersten Woche des Januars […] zusammengerufen“. Grundgesetz über die Landständische Verfassung des Großherzogthums Sachsen-Weimar-Eisenach vom 5. Mai 1816, in: Boldt, Hans (Hrsg.): Reich und Länder. Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, München 1987, S. 266–294, hier S. 278. Sprechsaal, in: AVD, Nr. 33 vom 17. August 1844, S. 261 f.

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Ihrer Überzeugung folgend, dass die Stimme des „Volkes“ in allen Teilen der Gesellschaft erhört werden sollte, riefen Pfaffenrath und Schwerdt in der siebten Ausgabe ihres Blattes den „gemeinen Mann“ ausdrücklich dazu auf, an der Gestaltung des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ mitzuwirken.137 Zwei Monate später resümierte die Redaktion dann erstmals, dass dieser Aufruf beim „Volk“ auf ein reges Interesse gestoßen sei und man sich daher glücklich schätze, „daß auch der Stand der Landbewohner thätigen Anteil an unserem Blatte nimmt“.138 Um die Beteiligung des „Volkes“ an den kommenden Ausgaben nicht abreißen zu lassen, wiesen die Herausgeber noch einmal energisch darauf hin, dass „solche Beiträge, die aus der Mitte des Volkes hervorgehen, immer willkommen“ sind, und der Wahlspruch ihres Blattes „Aus dem Volke für das Volk!“ keine bloße Phrase sei.139 In Übereinstimmung „mit dem edlen Volksfreunde Heinrich Zschokke“ verkündeten die beiden Herausgeber: „Das Beste für ein Volk muß allezeit aus dem Volke selbst hervorgehen; denn es fühlt und kennt am besten, wessen es bedarf.“140 In der Folgezeit unterstützten nach eigenen Angaben mehr als 80 Mitarbei141 ter „mit den uneigennützigsten Eifer das Interesse des Volksblattes“.142 Die zugesandten Korrespondenzen143 und Beiträge stammten von Personen, deren Wohnorte im gesamten deutschen Sprachraum verstreut waren. Daraus lässt sich schließen, dass das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ seinem Titel zumindest ansatzweise gerecht wurde und eine überregionale Verbreitung fand, die weit über das Herzogtum Sachsen-Meiningen hinausreichte. Sogar mehrere Beiträge aus der Schweiz wurden in dem kleinen Wochenblatt aus Saalfeld abgedruckt.144 In der Rubrik „Was giebt’s Neues?“ verkündeten die Herausgeber zudem stolz, dass das 137 138 139 140 141 142 143

Bitte!, in: AVD, Nr. 7 vom 17. Februar 1844, S. 56. Correspondenz, in: AVD, Nr. Nr. 14 vom 6. April 1844, S. 112. Ebd. Ebd. Vgl. SCHWERDT: Schwanengesang, S. 412. Offene Briefe, in: AVD, Nr. 52, 1846, S. 416. Die Korrespondenzen wurden in den Rubriken „Briefwechsel“ und „Offene Briefe“ veröffentlicht. 144 Vgl. u.a. STEIGER, KARL: Deutsche Sprichwörter mit Variationen, in: AVD, Nr. 10 vom 9. März.1844, S. 80. Pfaffenrath und Schwerdt standen außerdem in engem Kontakt mit dem namhaften und national-liberal gesinnten schweizerischen Volksschriftsteller Jeremias Gotthelf. Die Zusammenarbeit mit Gotthelf schien für Pfaffenrath einen besonderen Stellenwert zu haben. Auf seine Einsendungen antwortete der Saalfelder Kammerherr regelrecht euphorisch: „Ich kann Ihnen kaum sagen, wie ihr gütige Zusendung mich erfreut und erquickt hat! Das sind Rosen in den Dornenkranz der Redaktion!“ Briefwechsel, in: AVD, Nr. 49 vom 7. Dezember 1844, S. 392. Zum Volksaufklärungsverständnis von Jeremias Gotthelf vgl. außerdem ZIMMERMANN, CHRISTIAN VON: Jeremias Gotthelf und die Volksaufklärung. Bemerkungen zur Schweizer Literatur zur Zeit des Vormärz, in: Bunzel, Wolfgang/Eke, Norbert Otto/Vaßen, Florian (Hrsg.): Der nahe Spiegel. Vormärz und Aufklärung, Bielefeld 2008, S. 367–384.

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„Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ selbst in einigen Pariser Cafés ausliegen soll.145 Schaut man sich allerdings die Autoren der eingesendeten Aufsätze genauer an, so fällt einem sofort ins Auge, dass eine Anteilnahme des „gemeinen Mannes“ an dem Blatt de facto nicht vorhanden war. Bis auf wenige Ausnahmen finden sich kaum Einsendungen von Personen aus den von Pfaffenrath und Schwerdt genannten „niederen Hütten“. Die Mehrheit der Autoren kann dem Bildungsbürgertum zugerechnet werden. Im Mitarbeiterverzeichnis finden sich hauptsächlich Geistliche, Ärzte, Anwälte, Lehrer und Beamte. Der „Landmann“ zeigte kaum Interesse, mit schriftlichen Beiträgen die Inhalte des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ mitzubestimmen. An einer mangelnden Lese- und Schreibfähigkeit der ländlich-kleinstädtischen Bevölkerung dürfte dies nicht gelegen haben.146 Eher ist zu vermuten, dass der „gemeine Mann“ kein Bedürfnis hatte, die an ihn adressierte Publizistik mitzugestalten. Pfaffenrath und Schwerdt dürften also die gleiche Erfahrung gemacht haben, die seit dem späten 18. Jahrhundert bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts von etlichen Volksaufklärern immer wieder beklagt wurde. Nach Hans-Ulrich Wehler sank die Analphabetenrate „zwischen 1800 und 1848 kontinuierlich ab, bis sie vielerorts nur mehr 20 % der älteren Bevölkerung umfaßte“.147 Einhergehend mit dem Wachstum der Lesefähigkeit veränderte sich das Lesebedürfnis der unteren Bevölkerungsschichten, die in ihrem „Lesehunger“ nach neuen Lesestoffen trachteten.148 Die Volksaufklärer fürchteten vor allem anspruchlose, reißerische und nach Sensation haschende Romane, deren Wert einzig in der Unterhaltung lag und einer vernünftigen und sittlichen Erziehung des „Volkes“ angeblich entgegenwirkte.149 Im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ wurde in diesem Zusammenhang von einer „schädlichen und kostspieligen Romansucht“ geschrieben,150 die entschieden bekämpft werden musste. Volks145 Vgl. Was giebt’s Neues? (Deutschthum), in: AVD, Nr. 46, 1846, S. 368. 146 Zum Lesebedürfnis und zur Lesebereitschaft des Landmannes vgl. WITTMANN: Buchmarkt und Volkslektüre, S. 23–42. Zur Schreib- und Lesefähigkeit im 19. Jahrhundert vgl. BÖDECKER/HINRICHS (Hrsg.): Alphabetisierung und Literarisierung. Hinsichtlich der Schreibfähigkeit des einfachen Landmannes ist der Aufsatz von Jürgen Schlumbohm äußerst aufschlussreich. Exemplarisch dargestellt am Kirchspiel Belm bescheinigt Schlumbohm der vormärzlichen Landbevölkerung eine relativ hohe Schreibfähigkeit. Vgl. SCHLUMBOHM, JÜRGEN: „zu schreiben und die ganze Beschaffenheit der Sache“: Signierfähigkeit und Schriftgebrauch bei Bauern und Heuerleuten des Kirchspiels Belm, ca. 1770–1840, in: Bödecker/Hinrichs (Hrsg.): Alphabetisierung und Literarisierung, S. 163–180, hier S. 170–180. 147 WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 521. 148 Vgl. ebd., S. 522. 149 Vgl. hierzu SCHENDA: Volk ohne Buch, S. 305–314. 150 Was giebt’s Neues? (Gehet hin und thut desgleichen!), in: AVD, Nr. 22, 1846, S. 175.

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schriftenvereine und Volksbibliotheken sollten diese „Romansucht“ zurückdrängen, konnten aber letztlich gegen die immer beliebter werdenden populären Romane nichts ausrichten.151 Rückfolgernd darauf zu schließen, dass das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ nicht den Geschmack der unteren Bevölkerungsschichten traf, dürfte aber überzogen sein. Sicherlich wird sich ein Teil der unteren Bevölkerungsschichten gegen belehrende Lektüre gesträubt haben, aber der Großteil der unteren Bevölkerungsschichten wird in Zeiten sozialer Not – von Schwerdt auch im Schlusswort des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ angesprochen – die Sorge um das tägliche Brot viel mehr beschäftigt haben, als ihr knapp bemessenes Geld für „Schundliteratur“ oder ein „gut gemeintes“ Volksblatt auszugeben.152 Außerdem, und dies wurde von Schwerdt ebenso folgerichtig erkannt, besaß der „gemeine Mann“ in der Regel bereits ein Wochen-, Kreis- oder Intelligenzblatt, das ihn mit den wichtigsten Informationen versorgte und mitunter auch gemeinnützig-volksaufklärerische Beiträge enthielt.153 Die meisten Bauern und Handwerker dürften keine Notwendigkeit gesehen haben, sich nebenher noch „eines wohlfeilen Volksblattes“ annehmen zu müssen. So schrieb Schwerdt: Dazu kommt, daß heutiges Tages jedes Städtchen sein Wochenblatt, sein Kreisblatt, vielleicht auch seine Zeitung hat. Diese werden, schon wegen der Privatanzeigen, welche die Neugierde reizen und befriedigen, und wegen der amtlichen Nachrichten, die darin enthalten sind, von jedem Bürger und Bauer gelesen, wenn auch die Zukost an politischen und gemeinnützigen Mittheilungen, die sie aus aller Welt zusammenstehlen noch so dürftig ist. Alle diejenigen aber, für welche unsere Volksblätter berechnet sind, haben schon an einer Zeitung fast übergenug und hüten sich, für ein anderes Blatt auch nur das kleinste Opfer zu bringen.154

Letztendlich haben höchstwahrscheinlich nur ein paar wenige Personen aus dem „Volk“ das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ regelmäßig rezipiert. Der Hauptteil der Leserschaft dürfte sich aus gleich gesinnten Volksaufklärern zusammengesetzt haben, welche das Periodikum in erster Linie als Plattform zum öffentlichen Gedanken- und Meinungsaustausch nutzten. In diesem Fall erging es dem „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ wie einigen anderen politischen Zeitschriften der Vormärzzeit, die ihre Artikel und Beiträge eigentlich an die 151 Die Ursache für den verstärkten Konsum von populären Romanen und die Zurückdrängung der vernunftorientierten, belehrenden Volksschriften ist nach Rudolf Schenda vor allem auf Kolporteure zurückzuführen, die Trivialliteratur, mit Aussicht auf ein profitables Geschäft, selbst im kleinsten Dorf vertrieben und dadurch ein viel größeres Publikum erreichen konnten als die Volksschriftenvereine und Volksbibliotheken, die in der Regel lokal beschränkt blieben. Vgl. SCHENDA: Volk ohne Buch, S. 215–227 u. 266–270. 152 Vgl. SCHWERDT: Schwanengesang, S. 415. 153 Vgl. hierzu Kapitel V. 154 SCHWERDT: Schwanengesang, S. 415.

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sozial schlechter gestellten Bevölkerungsschichten richteten, in der Regel aber nur von einem Kreis gleich denkender Gebildeter rezipiert wurden.155 Von allen auswärtigen Mitarbeitern des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ nahmen Pfaffenrath und Schwerdt in ihr Periodikum am häufigsten die Einsendungen von Adelbert Kühn auf, der seine Beiträge unter dem Pseudonym Adelbert Prokop veröffentlichte. Egal ob umfangreichere Aufsätze, kleinere Artikel oder einfach nur kurze Mitteilungen für die Rubrik „Was giebt’s Neues?“, die Texte von Kühn waren stets politisch konnotiert. Teilweise scharf formuliert, forderte er liberale Reformen hinsichtlich der politischen, sozialen und gesellschaftlichen Missstände im Vormärz. In seinem Aufsatz „Deutsche Flecken und Vertilgung derselben“ machte er die bestehenden politisch-rechtlichen Verhältnisse im Deutschen Bund dafür verantwortlich, dass die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland stagnierte.156 Für ihn waren die gegenwärtigen sozialen Probleme die Folge einer unzureichenden Politik der deutschen Regierungen, die nicht erkannten oder nicht erkennen wollten, dass es in vielen Bereichen einer Modernisierung bedurfte. Wie Pfaffenrath und Schwerdt verlangte Prokop deshalb die Abschaffung der Pressezensur, Einführung von Gewerbefreiheit, Förderung von Industrie und Handel, Gleichheit vor dem Gesetz, Beseitigung überflüssiger Steuern und Abgaben, Senkung unverhältnismäßiger Staatsausgaben, Öffentlichkeit und Mündlichkeit in Politik und Rechtssprechung, Verminderung der Beamtenschaft, Neugestaltung des Rechtswesens und staatliche Unterstützung gemeinnütziger Institutionen und Vereine. Nach Meinung von Kühn durften sich die deutschen Regierungen den aufklärerischen und liberalen Fortschrittsgedanken nicht verschließen, andernfalls würde sich das „Volk“ irgendwann gegen sie erheben.157 Eine solche Revolutionsfurcht ist ebenso in den Ausführungen Pfaffenraths zu beobachten. Der Saalfeder Kammerherr war in seinen Texten stets darum bemüht, den Lesern verständlich zu machen, dass eine Revolution zu keinen wünschenswerten Verbesserungen der Lebenssituation der breiten Masse des „Volkes“ führen kann. Da die Vorzeichen einer Revolution in der Mitte der 1840er Jahre immer bedrohlicher wurden, widmete sich Pfaffenrath im Laufe der Zeit immer intensiver aktuellen politischen Fragen. Ebenso wurden seit dem zweiten Jahrgang vermehrt politische Beiträge von auswärtigen Autoren veröffentlicht. Dadurch trat im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ in den drei Jahren seines Erscheinens die politische Volksaufklärung immer stärker in den 155 Vgl. OBENAUS: Literarische und politische Zeitschriften 1830–1848, S. 65. 156 Vgl. PROKOP, ADELBERT: Deutsche Flecken und Vertilgung derselben, in: AVD, Nr. 39 vom 28. August 1844, S. 309–312 u. Nr. 40 vom 5. Oktober 1844, S. 317 f. 157 Vgl. hierzu vor allem die zahlreichen politischen Neuigkeiten von Prokop in der Rubrik „Was giebt’s Neues?“ im dritten Jahrgang des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“.

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Vordergrund. Texte mit gemeinnützig-ökonomischen Intentionen verschwanden dagegen allmählich.158 Die beiden Herausgeber hatten scheinbar eingesehen, dass es nicht ausreichte, dem einfachen Bauern nur mitzuteilen, er solle seine Bildung heben und seine traditionellen Anbaumethoden überdenken. Die aktuelle Tagespolitik war ebenso entscheidend für das Wohlergehen des „Volkes“. „Indessen lässt sich jetzt kaum mit dem Volke verkehren, ohne auf das Tagesgespräch einzugehen“,159 schrieb die Redaktion über die zunehmende Politisierung des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“. Aus eigener Erfahrung, durch das Engagement in ihren Gemeinden, waren sich Pfaffenrath und Schwerdt in den 1840er Jahren durchaus bewusst, dass soziale Probleme nicht allein auf das Bildungsdefizit des „gemeinen Mannes“ zurückgeführt werden konnten. Man erkannte, dass mit einer Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge, auch wenn dies immer propagiert wurde, nur marginale Erfolge bei der Bekämpfung der Armut zu erzielen waren. Dass die deutsche Agrar- und Viehwirtschaft bereits nach 1800 eine enorme Produktivitätssteigerung verzeichnete, ist den Volksaufklärern natürlich bekannt gewesen.160 Ausgehend von der Vielzahl landwirtschaftlicher Vereine war die Verankerung von neuem landwirtschaftlichem Fachwissen in den Kreisen der einfachen bäuerlichen Bevölkerung stetig vorangeschritten.161 Pfaffenrath und Schwerdt leiteten in den 1830er und 1840er Jahren selbst einen landwirtschaftlichen Verein und wussten deshalb nur zu genau, dass Missernten und die daraus resultierende Verteuerung der Nahrungsmittel das Massenelend in den Jahren vor der Revolution von 1848/49 nochmals verstärkte,162 aber sie erkannten auch, dass die Pauperis158 Im kompletten dritten Jahrgang des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ wurden nur noch fünf Artikel mit landwirtschaftlich-ökonomischem Kontext abgedruckt. Ein rapider Schwund im Vergleich zum ersten Jahrgang, wo immerhin noch 28 landwirtschaftlich-ökonomische Beiträge abgedruckt wurden. 159 Offene Briefe, in: AVD, Nr. 13, 1846, S. 106. In gewisser Weise blieb dem „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ auch nichts anderes übrig, da die Pauperismuskrise im Zeitraum von 1845 bis 1847 ihren Höhepunkt erreichte und die Vorboten der Revolution, wie der Schlesische Weberaufstand oder der Bauernaufstand in Galizien, allerorts zu vernehmen waren. 160 Vgl. hierzu WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 40–47. 161 Vgl. ebd., S. 42 u. 47. Die ökonomisch-landwirtschaftliche Volkslektüre richtete sich in den 1840er Jahren hauptsächlich an Klein- und Mittelbauern. In den großbäuerlichen Betrieben sowie auf den adligen Landgütern wurde seit Anfang des 19. Jahrhunderts eine verbesserte, rationalistische Agrarwirtschaft betrieben, die im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dann sukzessive auch vom Großteil der Mittelbauern angenommen wurde. 162 Unter dem Begriff der „Wuchertheuerung“ wurde die Verteuerung von Lebensmitteln besonders im dritten Jahrgang (1846) zu einem zentralen Thema des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“. Vgl. u.a. Was giebt’s Neues? (Ernteaussichten), in: AVD, Nr. 33,

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muskrise hauptsächlich durch das Missverhältnis zwischen Bevölkerungswachstum und Arbeitsplatzangebot und nicht durch eine zu geringe landwirtschaftliche Produktivität verursacht wurde. Um die Krise zu bewältigen, bedurfte es daher grundlegender Strukturveränderungen. Von den fünf Möglichkeiten, die Massenarmut einzudämmen,163 postulierte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ an erster Stelle den Ausbau von Industrie und Gewerbe.164 Gleich danach folgte der Aufruf zu politischen Reformen, die eine Liberalisierung von Staat und Gesellschaft vorantreiben sollten. Dabei herrschte unter allen Volksaufklärern, die für das Periodikum von Pfaffenrath und Schwerdt publizierten, weitgehend Einigkeit, dass zu viele unzeitgemäße und längst überholte politisch-rechtliche Strukturen eine positive Entwicklung der Wirtschaft verhinderten. Der Staat stand also in der Pflicht, politische Reformen einzuleiten und die Modernisierung der bestehenden Wirtschaftsstrukturen zu forcieren, andernfalls war die Katastrophe einer Revolution auf Dauer nicht mehr abzuwenden. Dass ihre politischen Ausführungen von den Regierungen der deutschen Staaten eventuell missverstanden werden könnten, fürchteten Pfaffenrath und Schwerdt allerdings nicht. Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ betonte mehrfach ausdrücklich, dass es sich nicht als „politischer Wetterhahn“ verstand,165 sondern stets im Interesse des „Volkes“ und des Fürsten argumentierte. Den Anstieg der politischen Berichterstattung rechtfertigend, schrieben die beiden Herausgeber: „Daß aber unser Blatt dadurch den Regierungen ‚mißbeliebig‘ werden könne, fürchten wir um so weniger, als wir es mit Fürst und Volk redlich meinen.“166 Trotz der kontinuierlich steigenden, intensiveren Beschäftigung mit politischen Themen entwickelte sich das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ im Laufe seines dreijährigen Bestehens aber keinesfalls zu einer rein politischen Zeitschrift.167 Pfaffenrath und Schwerdt versuchten bis zur Einstellung ihres Blattes,

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1846, S. 265; PROKOP, ADELBERT: Und doch Wuchertheuerung!, in: AVD, Nr. 41, 1846, S. 327–328. Nach Hans-Ulrich Wehler existierten fünf Möglichkeiten, mit dem Pauperismus fertig zu werden: 1. Förderung des Agrarsektors, 2. Förderung des Handwerks, 3. Förderung des Heimgewerbes, 4. Auswanderung, 5. Ausbau der Industrie. Alle fünf Möglichkeiten wurden im Vormärz je nach Region mehr oder weniger praktiziert, doch eine wirkliche Bewältigung der Krise bot nur der Industriesektor. Vgl. WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 285 f. Dies deckt sich auch mit Pfaffenraths Zielen als Generaldirektor des „Thüringer Gewerbe-Vereins“. Vgl. Was giebt’s Neues? (Die beste Politik ist Flickwerk!), in: AVD, Nr. 21, 1846, S. 170. Offene Briefe, in: AVD, Nr. 13, 1846, S. 106. Zur Begriffsbestimmung der politischen Zeitschrift im 19. Jahrhundert vgl. HAACKE, WILMONT: Die politische Zeitschrift 1665–1965, Stuttgart 1968, S. 7–84.

DIE „TRADITIONELLEN“ THEMEN DER VOLKSAUFKLÄRUNG

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die „allumfassende“ Wissensvermittlung beizubehalten.168 Allerdings lässt sich im zweiten Jahrgang (1845) eine klare Schwerpunktverschiebung in Richtung staatsbürgerlicher Erziehung und politischer Aufklärung erkennen. Anscheinend veranlasste der Höhepunkt der Pauperismuskrise die Herausgeber dazu, mehr Beiträge zu veröffentlichen, die sich mit der Überwindung der sozialen Spannungen auf politischer Ebene beschäftigten. Es ist daher nachvollziehbar, dass sich das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ in den Jahrgängen 1845 und 1846 von landwirtschaftlich-ökonomischen und naturwissenschaftlichen Inhalten etwas Abstand nahm und sich hauptsächlich auf politische, gesellschaftliche und soziale Themen wie Rechtsgleichheit, Massenarmut, Auswanderung, Überbevölkerung, Staatsfinanzen und Sittlichkeit konzentrierte sowie die Nationalstaatsfrage stärker in den Fokus rückte.

3.2

Die „traditionellen“ Themen der Volksaufklärung

DIE „TRADITIONELLEN“ THEMEN DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Die Vermittlung von berufsbezogenem, praxisrelevantem Wissen sowie die sittlich-moralische Erziehung der landwirtschafts- und gewerbetreibenden Bevölkerungsschichten blieben im Thüringer Raum bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Kernziele der Volksaufklärung. Die Volksaufklärung hat dementsprechend nach 1800 keine grundlegende thematische Neuausrichtung vollzogen.169 Der Mehrzahl der thüringischen Volksaufklärer ging es auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in erster Linie um eine Mentalitätsveränderung des „gemeinen Mannes“. Die weniger gebildete Bevölkerung sollte ihr Denken und Handeln an vernunftorientierten Prinzipien ausrichten, sich eine rationalistische Wirtschaftsbzw. Lebensweise aneignen sowie den Wertekanon des gebildeten Bürgertums annehmen. Im Vordergrund standen nach wie vor die Aberglaubensbekämpfung, die Vermittlung vernünftiger Moral- und Religionsvorstellungen sowie die Weitergabe neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse, die sowohl im Beruf als auch in der Hauswirtschaft ihre Anwendung finden sollten. Das Zusammenspiel der beiden Komponenten Vernunft und Wissen sollte zudem den Prozess des Selbstdenkens und der Selbsthilfe befördern, was wiederum zu größerem Wohlstand im „Volk“ führen sollte. Diese Grundeinstellung der Volksaufklärung hielt sich vom Ende des 18. Jahrhunderts unverändert bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Alle volksaufklärerischen Lesestoffe, die diesem Zweck dienten, können gewissermaßen als „traditionelle“ Themen der Volksaufklärung bezeichnet werden. 168 Keine der oben aufgezählten Rubriken wurde im Laufe der drei Jahre aufgelöst. Mit der Ausnahme der Rubrik „Landwirthschaftliches und Gewerbliches“ weisen alle eine konstante Artikeldichte auf. 169 Vgl. BÖNING: Popularaufklärung – Volksaufklärung, S. 563.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

Auch das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ vertrat weiterhin die Vorstellung, dass die Aneignung von Vernunft, praktischem Wissen und bürgerlichen Werten unweigerlich zu mehr Wohlstand im „Volk“ führen werde. Um diesem Ziel näher zu kommen, veröffentlichten Pfaffenrath und Schwerdt in ihrem Blatt landwirtschaftliche, naturkundliche und technische Abhandlungen, die von den Bauern und Handwerkern im beruflichen oder häuslichen Umfeld praktisch umgesetzt werden sollten. Dabei wurde auch darauf geachtet, dass möglichst neue Erkenntnisse aus Landwirtschaft und Gewerbe an den Leser weitergegeben wurden. So waren beispielsweise die Obstbaumzucht oder der Kleeanbau ein beliebtes Thema der Volksaufklärung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und wurden dementsprechend auch im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ mehrfach besprochen.170 Ebenso wurde im Bereich der human- und veterinärmedizinischen Volksaufklärung darauf geachtet, die Leser auf dem aktuellen Wissensstand zu halten. Nachdem etwa Peter Plett am Ende des 18. Jahrhunderts eine erfolgreiche Pockenimpfmethode entwickelt hatte, fand diese sofort Eingang in die volksaufklärerische Publizistik.171 Von dem Nutzen dieser Methode überzeugt, rief das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ seine Leser ebenfalls dazu auf, sich einer Pockenimpfung zu unterziehen.172 Da sich Pfaffenrath und Schwerdt ebenso der stetig wachsenden Bedeutung technischer Erfindungen in nahezu allen Wirtschaftsbereichen bewusst waren, behandelte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ auch die neuesten technischen Fortschritte aus dem landwirtschaftlichen, gewerblichen und frühindustriellen Sektor. Neben den neuesten Gerätschaften und Maschinen, die eine Produktionssteigerung in der Landwirtschaft und im Handwerk versprachen, wurden dem Leser auch industrielle Errungenschaften, wie etwa die Dampfmaschine oder die Eisenbahn, ausführlich vorgestellt und auf ihren wirtschaftlichen Nutzen untersucht.173 Dabei wurde nicht selten den technischen Erfindungen, die in Deutschland die Industrialisierung vorantreiben sollten, ein besonderes nutzbringendes Potential beigemessen. So versuchte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ beispielsweise, den „gemeinen Mann“ davon zu überzeugen, dass die Erfindung der Eisenbahn die zukünftige Wohlstandsquelle für die gesamte

170 Vgl. u.a. Gesunde und fruchttragende Obstbäume zu erhalten, in: AVD, Nr. 8 vom 24. Februar 1844, S. 63; Kleebau, in: AVD, Nr. 4, 1845, S. 29 f.; Ueber Baumzucht, in: AVD, Nr. 5, 1845, S. 37 f. 171 Vgl. BÖNING: Entgrenzte Aufklärung, S. 41. 172 Vgl. Die Pocken=Impfung, in: AVD, Nr. 7, 1845, S. 52 f. 173 Vgl. u.a. Walz= und Dampfmühlen, in: AVD, Nr. 25 vom 22. Juni 1844, S. 198; Ueber landwirthschaftliche Maschinen und Geräthschaften, in: AVD, Nr. 30 vom 27. Juli 1844, S. 237; Was giebt’s Neues? (Fortschritt!), in: AVD, Nr. 45, 1846, S. 361.

DIE „TRADITIONELLEN“ THEMEN DER VOLKSAUFKLÄRUNG

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Gesellschaft sei.174 Der in den 1840er Jahren stärker forcierte Ausbau des deutschen Eisenbahnnetzes wurde dementsprechend auch als eine „deutsche Großartigkeit“ bezeichnet.175 Neben der Vermittlung von landwirtschaftlich-ökonomischem und gewerblich-technischem Fachwissen legten Pfaffenrath und Schwerdt im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ besonders viel Wert auf die sittlich-moralische und religiöse Erziehung der Leser. In gleich drei verschiedenen Rubriken („Belehrende Erzählungen“, „Blicke in die Welt und in die Menschheit“, „Sprechsaal“) wurde versucht, auf Sitte und Moral der weniger gebildeten Bevölkerungsschichten Einfluss zu üben. Ganz in der Tradition von Becker und Salzmann sollten vor allem die unterhaltsamen Geschichten, die in der Rubrik „Belehrende Erzählungen“ veröffentlicht wurden, das „Volk“ davon überzeugen, dass ohne die Annahme einer tugendhaften Lebensweise eine Vermehrung des individuellen und gesellschaftlichen Wohlstandes unmöglich sei. Jeder Mensch, vom Bauern bis zum Fürsten, sollte deshalb dem Ideal eines tugendhaften Lebens nacheifern. Wie ein solches tugendhaftes Leben auszusehen hatte, wurde in den belehrenden Erzählungen im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ ausführlich dargelegt.176 Das hier entworfene „ideale“ Tugendbild des Menschen war eine Mischung aus christlichen und bürgerlichen Tugenden. Mit Verweis auf das historisch gewachsene, christliche Fundament der deutschen Gesellschaft wurden „alte“ Tugenden wie Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Menschenliebe, Besonnenheit, Bescheidenheit oder Friedfertigkeit als christlich deklariert. Diese sollten wiederum mit den „neuen“ Tugenden wie Fleiß, Pünktlichkeit, Reinlichkeit, Ordnung, Sparsamkeit, Uneigennützigkeit und Leistungsbereitschaft, die als bürgerlich deklariert 174 Vgl. Eisenbahn=Gespräch im Wirtshause zu Klugheim, in: AVD, Nr. 10 vom 9. März 1844, S. 77 f. 175 Vgl. Was giebt’s Neues? (Deutsche Großartigkeit), in: AVD, Nr. 17, 1846, S. 137. In einem anderen Beitrag heißt es außerdem: „Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Erfindung einer solchen künstlichen Maschine, wie die Locomotive ist, mit zu den Triumphen des menschlichen Erfindungsgeistes gehört.“ Vgl. Dampfmaschinen und Eisenbahnen, in: AVD, Nr. 31, 1846, S. 247. 176 Vgl. u.a. Der Medicus Johannes Dizel, in: AVD, Nr. 1 vom 6. Januar 1844, S 2 f.; Der alte Patriot, in: AVD, Nr. 7 vom 17. Februar 1844, S. 50 f.; Der Schatzgräber, in: AVD, Nr. 23 vom 8. Juni 1844, S. 178 f.; Der Prozeß, in: AVD, Nr. 36 vom 7. September 1844, S. 281–283; Talent und Glück, in: AVD, Nr. 33, 1845, S. 257–260; Die Kindesmörderin, in: AVD, Nr. 43, 1845, S. 337–339; Die Stecknadel, in: AVD, Nr. 48, 1845, S. 377 f.; Thue nichts böses, dann widerfährt dir nichts Böses, in: AVD, Nr. 5, 1846, S. 35– 37; Der Leichtsinnige, in: AVD, Nr. 15, 1846, S. 115–117; Der unglückliche Bäuerle, in: AVD, Nr. 28, 1846, S. 219 f.; Das Gewissen, in: AVD, Nr. 38, 1846, S. 299–302; Geschichte eines Bauern, der durch Ehrlichkeit und gute Wirthschaft endlich zum Besitze eines Rittergutes gelangte, in: AVD, Nr. 42, 1846, S. 331–333.

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wurden und ihren Ursprung in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts hatten, 177 den Grundstock eines ehren- und tugendhaften Lebens bilden. Eng damit verbunden, sollten die belehrend-unterhaltsamen Erzählungen im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ auch dazu beitragen, die Verankerung des im 18. und 19. Jahrhundert herauskristallisierten bürgerlichen Wertekanons im „Volk“ zu forcieren.178 Weil sich der „gemeine Mann“ mit real existierenden Personen besser identifizieren konnte, wurden neben kleinen Erzählungen über fiktive Personen auch unterhaltsame Geschichten und Abhandlungen zu historischen Persönlichkeiten abgedruckt. Diese entfalteten eine stärkere Vorbildwirkung und waren besser geeignet, dem „Volk“ die Lebensweise eines rechtschaffenen Bürgers näher zu bringen. Eine der prominentesten historischen Figuren, auf die regelmäßig im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ zurückgegriffen wurde, war dabei die Person Martin Luthers.179 Er galt den Herausgebern und auswärtigen Mitarbeitern des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ als Archetyp eines mustergültigen Bürgers. In den Darstellungen der Volksaufklärer wurde er zu einer Person stilisiert, die nach Bildung und Vernunft strebte, sich uneigennützig für die Verbesserung der religiösen und weltlichen Belange des „Volkes“ einsetzte sowie gegen Unwissenheit, Unwahrheit und Aberglauben kämpfte.180 Ihm wurden Eigenschaften wie Fleiß, Standhaftigkeit, Bescheidenheit, Rechtschaffenheit und Nächstenliebe zugesprochen. Jeder Mensch, der ein anständiger Bürger werden wollte, sollte sich deshalb die einst von Luther vorgelebten Werte und Normen zum Vorbild nehmen und zu eigen machen. Im direkten Zusammenhang zur Propagierung bürgerlicher Werte und Tugenden stand auch die Sensibilisierung der sozial schlechter gestellten Bevölkerungsschichten für das Prinzip der bürgerlichen Leistungsgesellschaft. Jeder Mensch, sofern er bereit war, die von den Volksaufklärern geforderten bürgerlichen Werte und Tugenden anzunehmen, sollte die Möglichkeit haben, durch Fleiß und Qualifikation seinen Beruf bzw. seinen sozialen Status aus eigener Kraft zu verbessern. So wurde etwa im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ 177 Vgl. hierzu FREY, MANUEL: Der reinliche Bürger. Entstehung und Verbreitung bürgerlicher Tugenden in Deutschland, 1760–1860, Göttingen 1997, S. 89–92. Vgl. außerdem MÜNCH, PAUL (Hrsg.): Ordnung, Fleiß und Sparsamkeit. Texte und Dokumente zur Entstehung der „bürgerlichen Tugenden“, München 1984, S. 9–28. 178 Zur Herausbildung bürgerlicher Werte im 18. und 19. Jahrhundert vgl. HAHN/HEIN (Hrsg.): Bürgerliche Werte um 1800; HETTLING, MANFRED/HOFFMANN, STEFAN LUDWIG (Hrsg.): Der bürgerliche Wertehimmel; MAURER: Die Biographie des Bürgers, S. 232–377, hier insb. S. 376 f. 179 Vgl. u.a. Luthers Tod, in: AVD, Nr. 6, 1846, S. 43–45; Vgl. Luther’s Todesfeier, in: AVD, Nr. 13, 1846, S. 101–106; Doktor Martin Luther im „schwarzen Bären” zu Jena, in: AVD, Nr. 27, 1846, S. 211–214. 180 Vgl. KRÜNES: Luther als Vorkämpfer, S. 162–172.

DIE „TRADITIONELLEN“ THEMEN DER VOLKSAUFKLÄRUNG

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eine über 16 Ausgaben fortlaufende Lebensbeschreibung des Medicus Johannes Dicel veröffentlicht, welche das Idealbild eines leistungsorientierten, aufstrebenden Bürgers besonders deutlich zum Ausdruck brachte.181 In minutiöser Weise wurden in dieser belehrend-unterhaltsamen Geschichte die einzelnen Lebensstationen der fiktiven Person Johannes Dicel geschildert, der durch Bildung, Fleiß und Sparsamkeit seinen Berufswunsch verwirklichen und vom armen Leinenweber zum angesehenen Arzt aufsteigen konnte. Ohne direkt auf die bestehenden rechtlichen Verhältnisse einzugehen, wollte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ mit diesen Geschichten den von der Aufklärung initiierten gesellschaftlichen Wandel vorantreiben. Nicht selten wurden deshalb am Ende einer solchen Erzählung die Personen, die das Risiko eingegangen sind, ihren ständischen Zwängen zu entfliehen, von einem Fürsten oder einem hohen Staatsbeamten für ihre beruflichen Leistungen nachträglich gewürdigt. Der eingeschlagene Lebensweg und der daraus resultierende berufliche Aufstieg wurden damit gewissermaßen rechtlich legitimiert. So erhielt auch Johannes Dicel erst im Nachhinein, nachdem er mehrere Jahre erfolgreich als Arzt praktizierte, von seinem Landesherrn eine amtliche Lizenz als Arzt.182 Auf diese Weise wurde der Fürst als zeitgemäßer Herrscher dargestellt, der ständische Schranken abschaffte und die rechtliche Gleichheit aller Bürger garantierte. Damit korrelierten einige belehrend-unterhaltsame Erzählungen zugleich mit anderen sachlich-nüchtern formulierten Beiträgen aus dem „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“, die eine Einschränkung der Berufswahl durch geburtsständische Zwänge ebenfalls als unzeitgemäß anprangerten.183 Abgesehen von der indirekten Forderung nach Abschaffung altständischer Privilegien, waren diese Erzählungen so konzipiert, dass sie dem „gemeinen Mann“ das Gefühl vermittelten, jeder Mensch könne seiner persönlichen Glückseligkeit ein Stück näher kommen, wenn er sich willens zeigte, sein Leben durch Selbsthilfe und Eigeninitiative zu optimieren. Zum zentralen Programm der Volksaufklärung des späten 18. Jahrhunderts gehörte auch die religiöse Aufklärung des „Volkes“. Da Religion und Kirche trotz des fortschreitenden Säkularisierungsprozesses aber weiterhin ein elementarer Bestandteil im Leben der großen Masse der Bevölkerung blieben,184 wurde auch die religiöse Volksaufklärung in unveränderter Form und Intensität bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fortgeführt. Im Kern wollte die religiöse Volksaufklärung die weniger gebildeten Bevölkerungsschichten nach wie vor zur Annahme eines „vernünftigen Glaubens“ bewegen. Um dieses Ziel zu verwirklichen, wurde 181 Vgl. Der Medicus Johannes Dicel, Begründer des Kirchspiels zu Seebach am Thüringerwalde, in: AVD, Nr. 1–16, 1844, S. 2–123. 182 Vgl. Der Medicus Johannes Dicel, in: AVD, Nr. 12 vom 23. März 1844, S. 90–93. 183 Vgl. Ueber die Wahl des Berufs, in: AVD, Nr. 5 vom 3. Februar 1844, S. 35–37. 184 Vgl. NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 403–406.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

zum einen weiterhin an der Bekämpfung abergläubischer Vorstellungen festgehalten, und zum anderen alle religiösen Strömungen in die Kritik genommen, deren Glaubensverständnis offensichtlich gegen die Vernunft gerichtet war. Entsprechend seines universell ausgerichteten inhaltlichen Profils, finden sich auch im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ zahlreiche Beiträge, die die religiöse Erziehung des „gemeinen Mannes“ nach diesen beiden Prinzipien anstrebten. Dass der Dorfpfarrer Heinrich Schwerdt, der wie die Mehrheit der thüringischen Geistlichen ein Vertreter des theologischen Rationalismus war, besonderes Interesse daran hatte, die auf Vernunft basierende, religiöse Volksaufklärung voranzutreiben, stellt dabei sicherlich nichts Ungewöhnliches dar. Aber auch Carl von Pfaffenrath, der kein kirchliches Amt bekleidete, war gleichsam davon überzeugt, dass ein rationalistischer Glaube unentbehrlich zum Aufbau einer besseren Gesellschaft sei.185 Hinsichtlich der Frage, wie das Glaubensverständnis der „Volkes“ auszusehen hatte, vertraten Pfaffenrath und Schwerdt also die gleiche Position. Die religiöse Haltung der beiden Volksaufklärer machte sich auch im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ bemerkbar. Regelmäßig wurde in dem Blatt mit dem Begriff der „Vernunftreligion“ argumentiert und darauf hingewiesen, dass gesellschaftlicher Fortschritt nur im Zusammenspiel von Vernunft und Religion, in einem Dualismus von Glauben und Wissen, zu erreichen sei. Dabei wurde den Lesern gleichsam suggeriert, dass der Protestantismus in seiner ursprünglichen Form, so wie er sich zur Zeit der Reformation herausgebildet hatte, prinzipiell als eine Vernunftreligion betrachtet werden kann.186 Orthodoxe und pietistische Glaubensrichtungen wurden hingegen als unprotestantisch bezeichnet, weil sie die Vernunft ablehnten, den Rationalismus bekämpften und religiöse Offenbarungsgrundsätze in den Vordergrund stellten. In den Augen der thüringischen Volksaufklärer hatten sie sich damit vom grundlegenden Wesen des Protestantismus entfernt. An der Auseinandersetzung mit anderen religiösen Bewegungen wird zudem deutlich, dass die religiöse Volksaufklärung nach 1815 einen Wandel vollzogen hat. Im 18. Jahrhundert gehörte die Thematisierung der verschiedenen konfessionellen Glaubensrichtungen bzw. deren scharfe Abgrenzung noch nicht zum Programm der religiösen Volksaufklärung. Als es jedoch nach 1815 im Protestantismus zu immer stärkeren innerkonfessionellen Spannungen kam und gleichzeitig aufklärungsfeindliche Gruppierungen innerhalb des katholischen Lagers allmählich an Einfluss gewannen, war eine Ausblendung dieser Thematik bald nicht 185 Vgl. PFAFFENRATH, CARL VON: Vorträge über die wichtigsten Beziehungen des Lebens, in: AVD, Nr. 23 vom 8. Juni 1844, S. 182 f. 186 Neben dem Begriff „Vernunftglauben“ bezeichneten die thüringischen Volksaufklärer den Protestantismus auch als „Denkglauben“. Vgl. KRÜNES: Luther als Vorkämpfer, S. 166– 168.

DIE „TRADITIONELLEN“ THEMEN DER VOLKSAUFKLÄRUNG

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mehr möglich. Gab es noch bis Ende des 18. Jahrhunderts mehrere Bemühungen vonseiten katholischer und protestantischer Aufklärer, die Glaubensgegensätze der verschiedenen Konfessionen auf Basis eines „enthierarchisierten Toleranzbegriffes“ abzubauen, wurde im 19. Jahrhundert wieder größerer Wert auf die Bewahrung der eigenen religiösen und konfessionellen Identität gelegt.187 Wie Manuel Frey gezeigt hat, machte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts, hervorgerufen durch grundlegenden gesellschaftlichen Wandel, im Bürgertum verstärkt das Bedürfnis nach Grenzziehungen bemerkbar.188 Vor allem im protestantischen Bürgertum äußerten sich diese „Grenzziehungen“ in der Abgrenzung von anderen religiösen Strömungen und in der gesteigerten Hochschätzung der eigenen Konfession. Zur Bewahrung der eigenen Identität und den daraus abgeleiteten politischen, kulturellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Ansprüchen wurde der Rückgriff auf das eigene religiöse Bekenntnis immer essentieller, was wiederum dazu führte, dass sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die Fronten zwischen den einzelnen verschiedenen Konfessionen nochmals verhärteten.189 Der Thüringer Raum stellt in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar. Spätestens in der Vormärzzeit zeigt sich auch bei den thüringischen Geistlichen ein stärkeres Interesse, die eigenen religiösen Überzeugungen nachhaltig in der Gesellschaft zu verankern. Die Bereitschaft, andere konfessionelle und religiöse Positionen zu tolerieren, die nicht den eigenen Vorstellungen entsprachen, sank zu Beginn des 19. Jahrhunderts in allen Glaubensrichtungen und führte letztlich dazu, dass die Konfrontationen zwischen den Konfessionen bald immer schärfer ausgetragen wurden. Die thüringischen Volksaufklärer sahen sich jedenfalls in den 1830er und 1840er Jahren verstärkt der Situation ausgesetzt, ihre Vorstellungen einer protestantischen Vernunftreligion gegenüber den Glaubensgrundsätzen des Pietismus, des Supranaturalismus und des Mystizismus verteidigen zu müssen.190 Die größte Kritik wurde aber nicht an protestantischen Glaubensrichtungen geübt, sondern am Katholizismus. Vor allem, als in den 1830er Jahren der ultramontane Katholizismus langsam feste politische und gesellschaftliche Konturen

187 Vgl. hierzu grundlegend BORUTTA, MANUEL: Antikatholizismus. Deutschland und Italien im Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe, Göttingen 2010. Vgl. außerdem FREY, MANUEL: Toleranz und Selektion. Konfessionelle Signaturen zwischen 1770–1830, in: Blaschke, Olaf (Hrsg.): Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1970: ein zweites konfessionelles Zeitalter, Göttingen 2002, S. 113–153. 188 Vgl. ebd., S. 118. 189 Olaf Blaschke spricht in diesem Zusammenhang sogar von der Herausbildung eines „Zweiten konfessionellen Zeitalters“. Vgl. BLASCHKE, OLAF: Das 19. Jahrhundert: Ein Zweites Konfessionelles Zeitalter?, in: Geschichte und Gesellschaft, 26 (2000), S. 38–75. 190 Vgl. KRÜNES: Luther als Vorkämpfer, S. 158–160.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

annahm,191 verschärften viele protestantische Geistliche im Thüringer Raum, vor allem die Anhänger des theologischen Rationalismus, ihre Gegnerschaft zur katholischen Kirche. Obwohl sich in den Reihen der katholischen Kirche in Deutschland noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts viele aufklärerisch denkende Geistliche finden lassen, nahm der deutsche Katholizismus nach 1830 doch überwiegend eine konservative Stoßrichtung an. Die päpstliche Autorität wurde stärker in den Mittelpunkt gestellt, die Priesterausbildung strenger diszipliniert, die Selbstständigkeit der Pfarrer beschränkt und die Hierarchie innerhalb der katholischen Kirche gesteigert.192 Auf diese Weise wurde der katholische Klerus, der den Ideen der Aufklärung aufgeschlossen gegenüber stand, allmählich in die Defensive gedrängt.193 Als sich in den 1840er Jahren der Ultramontanismus zu einem „katholischen Fundamentalismus“ entwickelte,194 werteten dies viele thüringische Volksaufklärer als einen unumstößlichen Beleg für den vermeintlich rückständigen Charakter des Katholizismus. Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ schwenkte ebenso auf diesen Konfrontationskurs ein. Nach Meinung des Blattes war die Zahl der aufklärerisch denkenden katholischen Geistlichen in Deutschland rapide gesunken: „Hie und da im deutschen Vaterlande giebt es noch redliche und aufgeklärte katholische Priester, welche das Gute wollen und vollbringen, das Böse aber von Herzen verabscheuen; doch zu viele sind sie nicht.“195 Pfaffenrath und Schwerdt hielten diese Entwicklung für äußerst bedenklich und unterstellten der katholischen Kirche, sie würde den religiösen und gesellschaftlichen Modernisierungsprozess blockieren. Außerdem beschuldigten sie den Katholizismus, dass dieser, ganz im Gegensatz zum Protestantismus, prinzipiell niemals wirklich Interesse daran gehabt hätte, die Aufklärung des „Volkes“ voranzutreiben.196 Ebenso wurde behauptet, dass die meisten 191 Zur Entwicklung des politischen Katholizismus von 1815 bis 1848 im Deutschen Bund vgl. LÖNNE, KARL EGON: Politischer Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1986, S. 51–85. 192 Vgl. HAHN/BERDING: Reformen, Restauration und Revolution, S. 403. 193 Vgl. NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 410–414. 194 Nach Klaus Kienzler sind die fundamentalistischen Erscheinungen des Ultramontanismus eine Folge der ersten Modernisierungskrise der katholischen Kirche in der neueren Zeit. Vgl. KIENZLER, KLAUS: Der religiöse Fundamentalismus. Christentum, Judentum, Islam, München 1996, S. 51. 195 Bemerkungen eines deutschen toleranten Patrioten, in: AVD, Nr. 26 vom 29. Oktober 1844, S. 205. 196 Aktuelle Forschungsergebnisse zur „katholischen Aufklärung“ haben gezeigt, dass der aufklärerische Zeitgeist auch im katholischen Deutschland in umfangreichem Maße zu Buche schlug und keinesfalls eine Randerscheinung war. Die negativen Äußerungen von Schwerdt und Pfaffenrath zur katholischen Kirche müssen daher in erster Linie als Polemik gegen den sich langsam herausbildenden politischen Katholizismus – mit seinen ultramontanen und antimodernistischen Tendenzen – verstanden werden. Hierzu vgl.

DIE „TRADITIONELLEN“ THEMEN DER VOLKSAUFKLÄRUNG

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katholischen Organisationen vom Vatikan gesteuerte Marionetten seien, einzig dem Ziel verpflichtet, längst abgeschaffte, tradierte Glaubensvorstellungen wieder in die Gesellschaft zu tragen. Vor allem die Wiederbegründung des Jesuitenordens wurde mit großem Argwohn betrachtet und als antiliberale, intolerante und gegenaufklärerische Geheimorganisation diffamiert.197 Im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ wurden die Jesuiten zu einem Bollwerk klerikaler Reaktion stilisiert. Für Pfaffenrath und Schwerdt war der Jesuitenorden das Sinnbild einer rückwärtsgewandten katholischen Kirche und nicht minder gefährlich als der Teufel selbst.198 Insbesondere am Beispiel des Schweizer Sonderbundskrieges,199 wo die Jesuiten in die höheren Lehranstalten des Luzerner Kantons berufen wurden, wollte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ den Lesern verdeutlichen, dass das Wirken des Jesuitenordens primär auf die Verdrängung des vernunftorientierten, protestantischen Glaubens ausgerichtet war. Für das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ war deshalb jeder Jesuit „ein Mensch, dessen Gesicht das Gegentheil dessen sagt was er denkt, der hinterlistig, verschlagen und vermessen ist, der leise wie eine Katze zu schleichen weiß, aber einmal eingeschlichen den Herrn spielt, kurz – ein Jesuit ist der leibhaftige Wolf im Schafspelz.“200 Ein weiteres unwiderlegbares Zeichen für die Rückständigkeit der römischkatholischen Kirche sahen Pfaffenrath und Schwerdt in der Bewegung des „Deutschkatholizismus“. Auslöser dieser Oppositionsbewegung war der öffentliche Protest des katholischen Priesters Johannes Ronge gegen die Ausstellung der Reliquie des „Heiligen Rockes“201 im Dom von Trier.202 Als im Jahr 1844 mehr

197

198 199 200 201

BEUTEL, ALBRECHT: Aufklärung in Deutschland, Göttingen 2006, S. 306 f.; KLUETING, HARM (Hrsg.): Katholische Aufklärung – Aufklärung im katholischen Deutschland, Hamburg 1993; BORGSTEDT: Das Zeitalter der Aufklärung, S. 42–48. Der Jesuitenorden wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunächst in Portugal, in Frankreich, in Spanien und in der Schweiz verboten und schließlich 1773 durch Papst Clemens XIV. vollständig aufgehoben. Nach dem Exil einiger verbliebener Jesuiten in Preußen und Russland wurde der Orden 1814 unter Papst Pius VII. wieder zugelassen und wuchs in der Folgezeit schnell wieder zu alter Größe. In liberalen Kreisen wurde diese Neugründung bald zum Sinnbild der vermeintlich ultrakonservativen Haltung des päpstlichen Stuhles. Vgl. hierzu VOGEL, CHRISTINE: Der Untergang der Gesellschaft Jesu als europäisches Medienereignis (1758–1773). Publizistische Debatten im Spannungsfeld von Aufklärung und Gegenaufklärung, Mainz 2006, S. 308–324. Vgl. außerdem HARTMANN, PETER: Die Jesuiten, München 2001. Vgl. Was giebt’s Neues?, in: AVD, 17, 1845, S. 135. Zum Schweizer Sonderbundskrieg vgl. REMAK, JOACHIM: Bruderzwist, nicht Brudermord. Der Schweizer Sonderbundskrieg von 1847, Zürich 1997, hier insb. S. 31–39. Ein Besuch der jesuitischen Missionspredigten im Kanton Luzern, in: AVD, Nr. 40, 1846, S. 315. Der „Heilige Rock“ ist eine katholische Reliquie, die Fragmente der Tunika Jesu Christi enthalten soll und seit 1196 im Trierer Dom aufbewahrt wird.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

als eine halbe Million Menschen nach Trier pilgerten, konnte die römische Kirche die größte Manifestation katholischer Massenreligiosität verbuchen, die Deutschland bis dahin erlebt hatte.203 Nach Ansicht von Ronge war die Wallfahrt zum „Heiligen Rock“ aber nichts weiter als ein bigotter Reliquienkult. Er sah darin eine Heuchelei der katholischen Kirche, sich mithilfe eines „Götzenbildes“ das Geld gutgläubiger Christen zu erschleichen.204 Im Herbst 1844 verfasste er ein „Offenes Sendschreiben“, in welchem er den Trierer Bischof Wilhelm Arnoldi als „neuen Tetzel“ anprangerte und die katholische Reliquienpraxis als Aberglauben denunzierte.205 Die Reaktion aus Rom auf diese Anschuldigung war unmissverständlich, noch im gleichen Jahr wurde Johannes Ronge exkommuniziert.206 Für Pfaffenrath und Schwerdt war dies ein klarer Beleg, dass die römischkatholische Kirche mit berechtigter Kritik nicht umzugehen wusste. Der römischen Kurie wurde erneut vorgeworfen, dass sie sich dem Fortschritt verschließen und die Aufklärung ablehnen würde. Weil sie im Gebaren der katholischen Kirche nur „Finsterniß“ und „Despotismus“ erkannten, unterstützten Schwerdt und Pfaffenrath die Position Johannes Ronges sowie seiner Anhänger, nachdem sich diese zu Beginn des Jahres 1845 zur selbstständigen Bewegung der DeutschKatholiken formiert hatten und auf Grundlage aufgeklärter und antipäpstlicher Prinzipien,207 mit einer nicht zu verleugnenden Affinität zum rationationalistischen Protestantismus, eine neue modernisierte katholische Nationalkirche

202 Vgl. BAHN, PETER: Deutschkatholiken und Freireligiöse. Geschichte und Kultur einer religiös-weltanschaulichen Dissidentengruppe, dargestellt am Beispiel der Pfalz, Mainz 1991, S. 33 f. 203 Vgl. BOTZENHART, MANFRED: 1848/19: Europa im Umbruch, Paderborn 1998, S. 182. Vgl. hierzu außerdem SCHIEDER, WOLFGANG: Die Trierer Wallfahrt von 1844, Vierow bei Greifswald 1996. 204 Vgl. NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 412. 205 Das Schreiben wurde zunächst in Robert Blums „Sächsischen Vaterlandsblättern“ veröffentlicht. Nachdem der Brief in der Öffentlichkeit ein breites Interesse erregt hatte, druckten ihn wenig später ebenso andere Blätter ab. Einige Ausschnitte des Briefes wurden auch im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ abgedruckt. Gleichzeitig verpflichtete sich das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“, die fortschrittliche Haltung Ronges zu unterstützen und veröffentlichte im Jahr 1845 weitere Briefe von dem schlesischen Priester. Vgl. u.a. Was giebt’s Neues?, in: AVD, Nr. 2, 1845, S. 14 f.; Ein Wort an die Römlinge in Deutschland, zum Neujahr 1845, Nr. 7, 1845, S. 53–56. 206 Vgl. BAHN: Deutschkatholiken und Freireligiöse, S. 35. 207 Einheitliche theologische Grundsätze haben die Deutschkatholiken allerdings nie entwickelt. Die Bewegung spaltete sich nach 1845 in mehrere Richtungen auf. Vgl. hierzu GRAF, FRIEDRICH WILHELM: Die Politisierung des religiösen Bewußtseins. Die bürgerlichen Religionsparteien im deutschen Vormärz: Das Beispiel des Deutschkatholizismus, Stuttgart-Bad Cannstatt 1978, S. 26–46; BAHN: Deutschkatholiken und Freireligiöse, S. 35–47.

DIE „TRADITIONELLEN“ THEMEN DER VOLKSAUFKLÄRUNG

357

begründen wollten.208 Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ befürwortete in der Folgezeit eine Abspaltung aller deutschen Katholiken von Rom und nahm damit zugleich die Haltung anderer thüringischer Volksaufklärer an, wie sie etwa von Theodor Wohlfarth öffentlich geäußert wurde. So war der Dorfpfarrer aus Kirchhasel ebenfalls der Meinung, dass der vom Papst gesteuerte römischkatholische Glauben nur Unheil über das gesamte deutsche Volk bringen werde.209 Allerdings sei an dieser Stelle nochmals erwähnt, dass eine solch scharfe Abgrenzung und Ablehnung gegen den Katholizismus bzw. die katholische Kirche in den 1840er Jahren ein Novum in der religiösen Volksaufklärung darstellt. Die von Schwerdt in den 1830er Jahren geäußerten Ansichten zum Katholizismus beinhalteten weitaus weniger Kritik. Das mag zum einen daran liegen, dass Schwerdt mit seinen frühen publizistischen Bemerkungen zu Religion und Kirche zunächst noch stärker den im „Volk“ verbreiteten Aberglauben bekämpfen wollte, und zum anderen, weil die Mehrheit des katholischen Klerus erst nach 1835 intensiv versuchte, durch den Aufbau eines weit verzweigten Presse- und Vereinswesens das „Volk“ als Stütze einer reaktionären Kirchenpolitik zu gewinnen.210 Die teils massiven verbalen Attacken der thüringischen Volksaufklärer gegen die katholische Kirche, an denen sich wie gezeigt auch das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ beteiligte,211 müssen daher auch als eine Reaktion auf den Anstieg der katholisch-konservativen Volksblätter verstanden werden.212 Abschließend bleibt festzuhalten, dass die eben aufgezählten „traditionellen“ Themen im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ im Wesentlichen den im späten 18. Jahrhundert von Christian Gotthilf Salzmann und Rudolf Zacharias Becker entworfenen Mustern entsprachen. Zwar wurden die meisten „traditionellen“ Themen dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand und den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen angepasst, doch im Kern beinhalteten sie dieselben Botschaften wie im späten 18. Jahrhundert. Der „gemeine Mann“ 208 Schwerdt und Pfaffenrath wollten im Aufbegehren Johannes Ronges gegen die katholische Kirche sogar einen zweiten Luther erkennen. Vgl. Was giebt’s Neues (Johannes Ronge in Weimar), in: AVD, Nr. 49, 1845, S. 390–392. 209 Vgl. WOHLFARTH, THEODOR: Das katholische Deutschland frei von Rom! Oder: Was ist nach den neuesten Ereignissen zu hoffen für ein einiges christliches Deutschland, Weimar 1845, S. 96–112. 210 Vgl. hierzu SCHNEIDER, BERNHARD: Katholiken auf die Barrikaden? Europäische Revolutionen und die deutsche katholische Presse 1815–1848, Paderborn 1998, S. 52 f. 211 Wobei allerdings auch erwähnt werden muss, dass sich Schwerdt und Pfaffenrath, trotz aller Ablehnung gegenüber dem Katholizismus, im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ stets für eine Gewährleistung der Religionsfreiheit ausgesprochen haben. Das „Volk“ sollte mit Argumenten, nicht durch obrigkeitlichen Zwang von der Notwendigkeit einer auf Vernunft basierenden Religion überzeugt werden. 212 Vgl. SCHNEIDER: Katholiken auf die Barrikaden, S. 53 f.

VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

358

sollte sein gesamtes Lebens- und Berufsumfeld nach rationalistischen Prinzipien gestalten, sich möglichst viel praktisches Wissen aneignen, sich bürgerlicher Werte und Tugenden annehmen, einen Prozess des Selbstdenkens und der Selbsthilfe in Gang setzen und sich dem Prinzip der bürgerlichen Leistungsgesellschaft öffnen. All diese Punkte können gewissermaßen auch als konventionelle oder klassische Inhalte der Volksaufklärung betrachtet werden, da sie – unabhängig von allen politischen Konjunkturen – über den Zeitraum von 1780 bis 1850 in Form und Zielsetzung konstant beibehalten wurden. Allerdings wurden die Volksaufklärer im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwangsläufig auch mit völlig neuen Problemen und Fragen konfrontiert, worauf die „traditionelle“ Volksaufklärung keine adäquaten Antworten und Lösungsvorschläge hatte. So erreichte die Pauperismuskrise im Vormärz eine solche Dimension, dass auch den Volksaufklärern bewusst wurde, dass dieses Problem nicht allein mit Vernunftgebrauch, Selbsthilfe und Produktivitätssteigerung zu bewältigen war. Dabei erwies sich die Volksaufklärung in ihrer Endphase als recht flexibel. Viele Volksaufklärer stellten sich dem im Vormärz neu herauskristallisierten sozialen, politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Da die Mehrheit der Volksaufklärer – zumindest im Thüringer Raum – mit den Ideen des Liberalismus sympathisierte, deckten sich ihre Lösungsansätze in der sozialen Frage und der Nationalstaatsfrage in vielerlei Hinsicht mit den politischen und sozialreformerischen Konzepten der Liberalen.213 Neben den „traditionellen“ Themen fanden diese Lösungsansätze in den 1830er und 1840er Jahren dann auch verstärkt Eingang in die volksaufklärerische Publizistik.

3.3

Die soziale Frage

DIE SOZIALE FRAGE

Das Problem der Massenarmut entwickelte sich im späten Vormärz zu einer elementaren Gesellschaftskrise im gesamten deutschsprachigen Raum.214 Der Prozess der „Pauperisierung“ breiter Bevölkerungsschichten setzte Ende der 1830er Jahre auch in Thüringen ein und führte dazu, dass bestimmte mittelständische Berufsgruppen, die ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft und im Handwerk verdienten, plötzlich an den Rand der Armut gedrängt wurden. Zu ihnen 213 Zum Teil überlappen sich auch die sozialkonservativen und sozialliberalen Vorschläge zur Bewältigung der sozialen Frage. Obwohl aus gegensätzlichen Lagern kommend, waren sie teilweise erstaunlich kongruent. Vgl. NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800– 1866, S. 244. 214 Zum Phänomen der Massenarmut im Vormärz vgl. FISCHER, WOLFGANG: Armut in der Geschichte. Erscheinungsformen und Lösungsversuche der „Sozialen Frage“ in Europa seit dem Mittelalter, Göttingen 1982, S. 56–62.

DIE SOZIALE FRAGE

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gehörten unter anderem Klein- und Mittelbauern, Handwerker, Handwerksgesellen oder gelernte Manufakturarbeiter, deren sozialer Status nach 1830 immer weiter absank, weil diese in eine Lebenslage gedrückt wurden, die sich von den eigentlichen Unterschichten – den Dienstboten, Tagelöhnern und Gelegenheitsarbeitern, den Vermögens- und Besitzlosen – bald kaum mehr unterschied.215 Armut wurde zum Massenphänomen, das den sozialen Frieden der gesamten Gesellschaft zu sprengen drohte, weil die steigende Zahl der Armen ihre „ausweglose Lebenssituation durch Eigentumsdelikte und kollektive Proteste zu ändern“ suchte.216 Die Ursache des Pauperismus kann dabei in erster Linie auf die Bevölkerungsexplosion und in die stagnierende deutsche Wirtschaft zurückgeführt werden.217 Ein Überangebot von Arbeitskräften ließ die Einkommens- und Beschäftigungssicherheit in etlichen landwirtschaftlichen und handwerklichen Berufen rapide sinken. Zusätzlich wurde die Situation einzelner Berufgruppen, etwa der Arbeiter im Heimgewerbe, durch den voranschreitenden Strukturwandel der deutschen Wirtschaft zum Teil nochmals erheblich verschlechtert. Die Volksaufklärer registrierten diese Probleme sehr genau und blendeten diese nicht aus. Erklärungsansätze zu den Ursachen der Massenarmut sowie deren wirksame Bekämpfung wurden in den 1840er Jahren schließlich zu dem dominierenden Thema in den volksaufklärerischen Periodika in Thüringen.218 Die Beschäftigung mit der sozialen Frage wurde eine zwangsläufige Notwendigkeit, denn die sozialen Missstände waren nicht nur ein großstädtisches, sondern ebenso ein ländlichkleinstädtisches Problem.219 Die Zielgruppe der Volksaufklärer, die einfachen Bauern und Handwerker, war mit am stärksten davon betroffen, in eine soziale Notlage abzurutschen. Um keinen Imageschaden davonzutragen, musste die 215 Vgl. NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 220. 216 HAHN/BERDING: Reformen, Restauration und Revolution, S. 504. 217 Die Pauperismuskrise ist in erster Linie auf das immense Bevölkerungswachstum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückzuführen. Dadurch entstand ein Missverhältnis zwischen Arbeitskräftepotential und Arbeitsplatzangebot. Hans-Werner Hahn vermerkt für die Zeit um 1835 bereits einen Fehlbestand von 800.000 Arbeitsplätzen. Aufgrund der Strukturkrise der vorindustriellen Wirtschaftssektoren in den 1840er Jahren konnte dieses Defizit auch in der Folgezeit nicht behoben werden, sondern verstärkte die Massenverelendung noch zusätzlich. Vgl. HAHN: Die industrielle Revolution in Deutschland, S. 15. 218 Auch in einigen Einzelschriften beschäftigten sich die thüringischen Volksaufklärer in den 1840er Jahren ausführlich mit der Pauperismuskrise. So verfasste beispielsweise Theodor Wohlfarth im Jahr 1845 eine fast 300 Seiten umfassende Einzelschrift über die Ursache und die Bekämpfung des Pauperismus. Vgl. WOHLFARTH: Der Pauperismus nach seinem Wesen. 219 Vgl. HERZIG, ARNO: Unterschichtenprotest in Deutschland 1790–1870, Göttingen 1988, S. 7.

360

VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

Volksaufklärung neue Konzepte entwerfen, wie man das Problem des Pauperismus am besten bewältigen konnte. Entsprechend ihrer Überzeugung, dass Bildung der Schlüssel zur Bewältigung fast aller Probleme sei, forderten die Volksaufklärer eine verbesserte Volksbildung. Für sie war Bildung die Grundvorausetzung zur Überwindung der sozialen Not. Sie qualifizierte den „gemeinen Mann“, sich in der neu formierenden bürgerlichen Gesellschaft und damit verbundenen wandelnden Arbeitswelt behaupten zu können. Der Prozess der Verbesserung der Volksbildung sollte deshalb noch weiter intensiviert werden. Noch stärker als in den 1820er und 1830er Jahren wurde nun zur Gründung von Schulanstalten, Gewerbevereinen, Volksbibliotheken und Volksbildungsvereinen aufgerufen.220 Neben der Hebung der allgemeinen Volksbildung wurde vonseiten der Volksaufklärer auf wirtschaftlicher Ebene vor allem die fortschreitende Industrialisierung als eine Chance betrachtet, die soziale Not zu überwinden. Ihrer Meinung nach gingen aus dem industriellen Sektor die vielversprechendsten Impulse hervor, die stetig steigende Bevölkerung in Brot und Arbeit zu bringen. Allerdings war den Volksaufklärern auch bewusst, dass es staatlicher Interventionen erforderte, damit die Industrialisierung nicht ins Gegenteil umschlug und das soziale Elend in den unteren und mittleren Bevölkerungsschichten noch verschlimmerte. Die Volksaufklärer realisierten sehr genau, dass bestimmte soziale Missstände durch die Industrialisierung verschlimmert wurden. Hier sollte der Staat durch gesetzliche Maßnahmen regulierend eingreifen. Dazu gehörten unter anderem die Abschaffung der Kinderarbeit, der Naturallöhne und des Trucksystems sowie die Einrichtung sozialer Verbände oder die Neugestaltung schulischer Anstalten.221 Dementsprechend übte die volksaufklärerische Publizistik des späten Vormärz teilweise scharfe Kritik an den gegenwärtigen rechtlichen Zuständen. An die Regierungen der deutschen Staaten wurde appelliert, die Liberalisierung wirtschaftlicher Strukturen und den Ausbau des industriellen Sektors voranzutreiben, und gleichzeitig darauf Acht zu geben, die soziale Kluft zwischen den unterschiedlichen Berufs- und Bevölkerungsgruppen nicht weiter zu verschärfen. Auch im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ wurde die soziale Frage bzw. die Bewältigung der Pauperismuskrise ausführlich erörtert und soll im Folgenden näher untersucht werden. 220 Folgt man den Ausführungen von Michael Knoche, wurde vor allem der Aufforderung nach Volksbildungsvereinen und Volksbibliotheken im gesamten deutschen Sprachraum nachgegangen. So verzeichnet er die Gründung von rund 100 Volksbibliotheken und Volksschriftenvereinen im Vormärz. Vgl. KNOCHE: Volksliteratur und Volksschriftenvereine, S. 17. Vgl. hierzu außerdem NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 245. 221 Vgl. u.a. Das Drucksystem, in: AVD, Nr. 47, 1845, S. 373 f.; Arbeiterdruck, in: AVD, Nr. 47, 1845, S. 374.

DIE SOZIALE NOT IN DEN 1840ER JAHREN

3.3.1

361

Die soziale Not in den 1840er Jahren – Der Pauperismus als eine Existenzkrise des „Volkes“

DIE SOZIALE NOT IN DEN 1840ER JAHREN

In den 1840er Jahren wurde die soziale Not überall in Deutschland unübersehbar. Die ständig wachsende Zahl der Armen führte in den 1830er Jahren zum Phänomen der Massenarmut, die im Vormärz ungeahnte Ausmaße erreichte und von den Zeitgenossen als Pauperismus bezeichnet wurde.222 Die Armut blieb nicht mehr auf den Einzelnen beschränkt, sondern wurde seit etwa 1830 zu einem „kollektiven Schicksal“.223 Als schließlich in den 1840er Jahren die Anzahl der „Pauper“ überhandnahm, entwickelte sich die Massenarmut zu einem ernstzunehmenden gesellschaftlichen Problem. So ist der „Brockhaus Real-Encyklopädie“ aus dem Jahr 1846 zu entnehmen: Der Pauperismus ist da vorhanden, wo eine zahlreiche Volksklasse sich durch die angestrengteste Arbeit höchstens das notdürftigste Auskommen verdienen kann, auch dessen nicht sicher ist, in der Regel schon von Geburt an und auf Lebenszeit solcher Lage geopfert ist, keine Aussichten der Änderung hat, darüber immer tiefer in Stumpfsinn und Rohheit versinkt, den Seuchen der Branntweinpest und viehischen Lastern aller Art, den Armen-, Arbeits-, und Zuchthäusern fortwährend eine immer steigende Zahl von Rekruten liefert und dabei immer noch sich in reißender Schnelligkeit ergänzt und vermehrt.224

Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ sah dies genauso und setzte den Pauperismus mit einer Seuche gleich: „Der Pauperismus (Verarmung) ist wie eine Seuche, die, je weiter sie um sich greift, immer bösartiger wird. In Königsberg ist neuerdings das Arbeitshaus um 200 Personen reicher geworden, die so arm waren, daß sie nicht einmal die Miethe auch der dürftigsten Wohnung bestreiten konnten.“225 Die Gleichsetzung des Pauperismus mit einer Seuche scheint in diesem Fall keine Übertreibung gewesen zu sein, muss es doch erschreckend auf die Zeitgenossen gewirkt haben, dass in den 1840er Jahren rund ein Drittel der deutschen Bevölkerung unter Armut litt und täglich mehr Menschen davon betroffen waren, am Rande des Existenzminimums leben zu müssen.226 Die Ursache des Pauperismus lag nicht im aufsteigenden Industriekapitalismus der vorrevolutionären Jahre, so wie es noch Friedrich Engels im Jahr 1845

222 Vgl. MÜLLER, FRANK-LORENZ: Die Revolution von 1848/49, Darmstadt 2002, S. 26–28. 223 Vgl. NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 220. 224 Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände (Conversations-Lexikon), Bd. 11, 1846, zit. nach ABEL, WILHELM: Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Europa. Versuch einer Synopsis, Hamburg/Berlin 1974, S. 305. 225 Neuigkeiten, in: AVD, Nr. 51 vom 21. Dezember 1844, S. 408. 226 Vgl. hierzu WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 653; ABEL, WILHELM: Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Europa, 3. Aufl. Göttingen 1986, S. 9–11.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

behauptete,227 sondern hing mit dem starken Bevölkerungswachstum in Deutschland zusammen, das bereits im 18. Jahrhundert eingesetzt hatte228 und in der Vormärzzeit nochmals einen gehörigen Aufschwung erlebte.229 Die Bevölkerungsexplosion führte zu einem Überangebot an Arbeitskräften, das von den vorhandenen Wirtschaftszweigen nicht mehr kompensiert werden konnte.230 „Die traditionellen agrarisch-vorindustriellen Wirtschaftszweige waren in den Jahrzehnten zwischen 1815 und 1845 am Ende ihrer Aufnahmekapazität angelangt.“231 Die vormärzliche Wirtschaft war geprägt von Strukturkrisen in Gewerbe, Handwerk und den vorindustriellen Wirtschaftssektoren.232 Die Entstehung eines überschüssigen Arbeitskräftepotentials führte in vielen Bereichen zu einer Unterbeschäftigung, die sich rückwirkend fatal auf die Löhne auswirken sollte. Es kam zur Verminderung des Einkommens und damit einhergehend zur Senkung der Kaufkraft.233 Die Folge war eine Verteuerung der Lebensmittel, die parallel zur wachsenden Massenarmut in den 1840er Jahren permanent anstieg und die Preise für einige Grundnahrungsmittel in horrende Höhen trieb.234 Die Missernten der Jahre 1845/46 trugen ihr Übriges dazu bei, dass die Preise von Agrarprodukten – vor allem Roggen und Kartoffeln – im Jahr 1847 regelrecht ausuferten und in manchen Regionen fast 300 % über dem Jahresdurchschnitt von 1844 lagen.235 Dadurch konnte sich die Mehrheit der Bevölkerung nur schwerlich die zum Leben notwendigen Nahrungsmittel leisten. Die Einkommensschwachen vegetierten somit an der Hungergrenze, aus der schleichenden Armut wurde katastrophale Not. 227 Engels These basierte auf seinem Buch über die „Lage der arbeitenden Klassen in England“ (1845), in welchem er Elend und Ausbeutung der englischen Fabrikarbeiter eindringlich schilderte. Vgl. hierzu ABEL: Massenarmut und Hungerkrisen. Versuch einer Synopsis, S. 305 f.; ABEL, WILHELM: Massenarmut und Hungerkrisen, 3. Aufl. Göttingen 1986, S. 7 f. 228 Vgl. PFISTER, CHRISTIAN: Bevölkerungsgeschichte und Historische Demographie 1500– 1800, 2. Aufl. 2007, S. 79. 229 Die Bevölkerung des Deutschen Bundes stieg im Zeitraum von 1816 bis 1850 von ca. 24 Mio. auf 35 Mio. Einwohner. Vgl. hierzu KÖLLMANN, WOLFGANG: Bevölkerung in der industriellen Revolution, Göttingen 1974, S. 35–37; FISCHER, WOLFRAM/KRENGEL, JOCHEN/WIETOG, JUTTA (Hrsg.): Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch, Bd. 1: Materialien zur Statistik des Deutschen Bundes 1815–1870, München 1975, S. 21; EHMER, JOSEF: Bevölkerungsgeschichte und Historische Demographie 1800–2000, München 2004, S. 6– 9 u. 17. 230 Vgl. KÖLLMANN: Bevölkerung, S. 61–98. 231 HAHN: Die industrielle Revolution, S. 17 f. 232 Ebd., S. 18. 233 Vgl. ABEL: Massenarmut und Hungerkrisen, S. 9–14. 234 Vgl. ebd., S. 57. 235 Vgl. WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 642–648.

DIE SOZIALE NOT IN DEN 1840ER JAHREN

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Dem „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ war die schwerwiegende Problematik der Pauperismuskrise durchaus geläufig. Die Situation realistisch einschätzend, versuchten Pfaffenrath und Schwerdt zwar im Sinne der gemeinnützig-landwirtschaftlichen Aufklärung, mittels ökonomischer Ratschläge die Agrarproduktion der Mittel- und Kleinbauern zu verbessern, appellierten aber auch gleichzeitig an die Staatsregierungen, sich des Problems der Massenarmut anzunehmen. Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ verurteilte, entweder in sachlich-nüchtern oder ironisch gehaltenen Beiträgen, die angebliche Laissezfaire-Mentalität der deutschen Regierungen und Behörden, die nur über den Pauperismus diskutierten, aber diesbezüglich keine Maßnahmen ergreifen würden. Abwertend äußerte sich das Blatt über die vermeintliche Unfähigkeit des Weimarer Landtages, adäquat auf die soziale Notlage zu reagieren: „Der Ausdruck ‚Pauperismus‘ (Verarmung) kam [auf dem Weimarer Landtag] oft vor, aber auf die Sache selbst ging man nicht weiter ein. Dies ist wohl auch anderwärts der Fall, und man thut Recht daran.“236 Die utopische Vorstellung, die Massenarmut könne einfach durch eine Produktionssteigerung der Agrargüter behoben werden, findet sich im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ nur sehr selten. Im Gegensatz zu den Schriften in der Hochphase der Volksaufklärung (1780-1800), wo Armutskrisen noch nicht reflektiert, sondern generell nur die Mittel zur Bekämpfung von sozialer Not den Lesern dargelegt wurden,237 betrieb man im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ eine intensive „Ursachenanalyse“ des Pauperismusproblems. Die Beteiligung auswärtiger Mitarbeiter zum Thema Massenarmut war recht beachtlich. Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ erhielt zahlreiche Zusendungen, die sich mit dem Pauperismus auseinandersetzten und größtenteils ein sehr reales Bild der damaligen Zustände zeichneten.238 Dabei kam man zu dem Ergebnis, dass die Hauptursache der Armut in der kontinuierlich wachsenden Überbevölkerung und dem daraus folgenden Missverhältnis zwischen Arbeitsplatzangebot und Arbeitskräftepotential lag. Also genau in jenem Punkt, den spätere Historiker ebenfalls als die Hauptursache des Problems skizzieren sollten. Als besonders verheerend wurde hierbei eine punktuelle Überbevölkerung erachtet, die in manchen Gebieten massiver als anderswo zum Vorschein trat und dem „Volk“ dadurch keine Möglichkeit mehr ließ, das zum Leben notwendige Einkommen zu sichern. Zur schlechten Situation in Schlesien wurde etwa geschrieben:

236 Sprechsaal, in: AVD, Nr. 33 vom 17. August 1844, S. 261. 237 Vgl. DIPPER: Volksaufklärung und Landwirtschaft, S. 147. 238 Teilweise wurden die Gründe der „nahrungslosen Zeiten“ aber auch sehr unrealistisch eingeschätzt und in erster Linie auf die Luxus- und Konsumsucht der Menschen zurückgeführt. Vgl. Neuigkeiten, in: AVD, Nr. 15 vom 13. April 1844, S. 120.

364

VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

Daß es in Ungarn, Arabien, Amerika, mit einem Wort: auf der Erde, noch unbewohnte große Flächen genug giebt, widerlegt keineswegs die Thatsache, daß eben auf dieser Erdkugel Stellen sind, wo die Menschen so dicht bei einander hocken, daß sie ihre Kinder umbringen müssen (wie in China z.B.) um nicht einander selbst aufzufressen. Daß also theilweise Ueberbevölkerung fast in jedem Lande Statt findet, kann und muß ein Schulknabe begreifen, wenn er kein Brett vor dem Kopfe hat. Die Weber in Schlesien würden mehr Arbeit und mehr Lohn haben, wenn ihrer nicht so viele wären. Dann würden die Fabrikbesitzer sie suchen und ihre Arbeit besser bezahlen; das steht doch wohl nicht zu bezweifeln? – Sie sind aber einmal da die armen Leute, und wo sollen sie hin? Zwingen kann man doch die Fabrikarbeiter nicht, ihnen mehr Lohn zu geben als die Konkurrenz feststellt!239

Es bedurfte demnach angemessener Vorschläge, wie der Überbevölkerung Einhalt geboten werden konnte. Die Frage lautete daher: „Wie ist dieser Ueberbevölkerung= und Brodnoth gründlich zu helfen? […] Jeder Vorschlag verdient da gehört zu werden. Ist ein solcher an sich auch unausführbar, so weckt er doch vielleicht neue nützliche Gedanken und am Ende wohl auch den rechten und besten.“240 Die Ratschläge zur Bekämpfung der Massenarmut waren im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ recht vielfältig. Neben den obligatorischen ökonomischen Belehrungen, wie der „gemeine Mann“ beispielsweise die erhöhten Nahrungsmittelpreise durch Eigenanbau ausgleichen241 oder durch die Anwendung neuer Anbaumethoden den Ausbruch der besonders schädlichen Kartoffelkrankheit vermeiden konnte,242 forderte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ eine Steigerung des Wirtschaftswachstums mittels privater und staatlicher Subventionen sowie eine Modernisierung der bestehenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Rechtsstrukturen. Man plädierte an die Regierungen und Privatpersonen, nach Kräften den Aufbau jeglichen Gewerbes voranzutreiben. Die zwei grundlegendsten Forderungen der thüringischen Volksaufklärer an die deutschen Regierungen zur Steigerung des Wirtschaftswachstums war die Einführung der allgemeinen Gewerbefreiheit243 sowie die Regulierung des deutschen

239 240 241 242 243

Alkoven. Krieg, kein nothwendiges Uebel, in: AVD, Nr. 25, 1845, 198. Ebd., S. 198. Vgl. Verpflanzen der Kartoffeln, in: AVD, Nr. 18 vom 4. Mai 1844, S. 141. Vgl. Was giebt’s Neues?, in: AVD, Nr. 45, 1845, S. 358 f. So urteilte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ über die Einführung der Gewerbefreiheit: „Die Kräfte sollen sich frei entwickeln; Kenntniß, Geschicklichkeit und Fleiß sollen dem Geldstolze gegenüber in die ihn gebührenden Rechte eingesetzt und der Wohlstand des Volkes auf fester Grundlage erbaut werden. Daher darf der neuen Gewerbe=Ordnung [in Preußen] zufolge niemand den Betrieb eines Gewerbes untersagen oder beschränken; […] Durch solche Bestimmungen ist der zeitgemäße Fortschritt jechliger Gewerbsthätigkeit wahrhaft gefördert und gesichert worden.“ Was giebt’s Neues?, in: AVD, Nr. 12, 1845, S. 95.

DIE SOZIALE NOT IN DEN 1840ER JAHREN

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Münz- und Maßsystems innerhalb des deutschen Zollvereins.244 An den Handwerkerstand wurde appelliert, sich einer Modernisierung der Wirtschaftsstrukturen nicht zu verschließen.245 Auch wenn eine vollständige Auflösung des alten Zunftsystems abgelehnt wurde, sollten die städtischen Gewerbeordnungen in einen „zweckmäßigen Zustand“ versetzt werden, damit sich Gewerbe und Handwerk besser entfalten konnten.246 Des Weiteren wurde permanent darüber geklagt, dass die englischen Billigwaren den deutschen Markt überschwemmten und deshalb eine angemessene Schutzzollpolitik unumgänglich war.247 Außerdem sollten die Regierungen gegen die überhandnehmenden „Wuchertheuerungen“248 einschreiten und entsprechende Maßnahmen ergreifen, um der sozialen Ungerechtigkeit, von der zahlreiche Fabrik- und Heimarbeiter betroffen waren, ein Ende zu setzen.249 Nach Meinung des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ sollte die gesamte deutsche Wirtschaft möglichst so strukturiert werden, dass sie für alle Bevölkerungsschichten und Berufsgruppen sozialverträglich blieb. Vor allem Pfaffenrath, der als Leiter mehrerer Gewerbe- und Landwirtschaftsvereine in Saalfeld die Situation der landwirtschafts- und gewerbetreibenden Bevölkerung

244 Sich auf die „Allgemeine Österreichische Zeitschrift“ und die „Weserzeitung“ beziehend, schrieb das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“: „Verläßlichkeit in Maß und Gewicht ist unbeschritten eins der wichtigsten Erfordernisse des geregelten Verkehrs, eins der unerläßlichsten Bedingnisse, wenn Handel und Wandel eines Staates blühen und gedeihen soll. […] Es ist kaum nöthig, die altbekannte Wahrheit zu wiederholen, daß es nichts Unvernünftigeres und Unpraktischeres in der Welt giebt, als die deutschen Münz= Maß= und Gewichtszustände.“ Bücherschrank, in: AVD, Nr. 39, 1846, S. 312. 245 Vgl. Der Handwerksstand, in: AVD, Nr. 50 vom 14. Dezember 1844, S. 397. 246 Vor allem die Beziehung zwischen Meister und Geselle sollte auf neue rechtliche Grundlagen gestellt werden, damit keine „Knechtschaftsverhältnisse“ entstehen konnten. Jeder Handwerker sollte die Möglichkeit haben, seinen Betrieb frei zu wählen. Die Gründung neuer Handwerksbetriebe sollte zwar einfacher gestaltet, allerdings weiterhin reguliert werden. Einige Volksaufklärer befürchteten, dass ein gänzlicher Wegfall handwerklicher Schutzrechte zu sozial unverträglichen Wirtschaftsstrukturen führen und sich insbesondere für den Mittelstand negativ auswirken könnte. So heißt es: „Wenn, wer da will, und wie er will, Gewerbe treibt, im Großen und im Kleinen, ohne alle Schranken, dann! ist ein rechtloser, ein herrenloser Zustand.“ Vgl. ebd., S. 398. 247 Als musterhaftes Vorbild einer „richtigen“ Zollpolitik galt Brasilien: „In Brasilien sind die englischen Waaren mit zwanzig Prozenten Einfuhrzoll höher belegt worden, als der allgemeine Zollsatz ist. Man sollte sich auch anderwärts solche Verfügung zum Muster nehmen, damit dem Allerweltbarbier jenseits des Kanals die Ueberschwemmung mit seinen Waaren und die Niederdrückung der Gewerbe nicht so leicht gemacht würde.“ Was giebt’s Neues? (Zur Nachahmung), in: AVD, Nr. 42, 1845, S. 336. 248 Vgl. u.a. Die Wuchertheuerung, in: AVD, Nr. 41, 1845, S. 324–326; Bücherschrank. Die Wuchertheuerung, in: AVD, Nr. 25, 1846, S. 199 f. 249 Vgl. Die Gewerbe- und Fabrikarbeiter, in: AVD, Nr. 3, 1845, S. 21–23.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

sehr gut einschätzen konnte, war um einen Ausgleich zwischen modernen und traditionellen Wirtschaftszweigen bemüht. Das teils ambivalente Gesicht der Industrialisierung, das neben neuen Arbeitsmöglichkeiten auch zu einer Ausbeutung und zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen des „Volkes“ führen konnte, blieb dem „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ nicht verborgen.250 Pfaffenrath und Schwerdt sowie die zahlreichen auswärtigen Mitarbeiter des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ waren sich aber dennoch bewusst, dass, auf lange Sicht gesehen, eine Steigerung des Arbeitsplatzangebotes die einzige Möglichkeit darstellte, die Massenarmut zu beseitigen. Wenn der Ausbau des Industriesektors das scheinbar größte Potential besaß, der überschüssigen Bevölkerung eine angemessene Erwerbsquelle zu schaffen, so sollte nach Meinung des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ diese auch genutzt werden. Den negativen Folgen der Industrialisierung, wie Kinderarbeit, Hungerlöhne, aufkeimender Materialismus oder die Zurückdrängung kleiner und mittlerer Handwerksbetriebe, sollte allerdings frühzeitig entgegengewirkt werden. Die Autoren des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ warnten dabei insbesondere vor den sozialen Zerwürfnissen, die England infolge seines Industrialisierungsprozesses erfahren hatte. Solche Zustände, wie sie Friedrich Engels in seiner 1845 veröffentlichen Schrift „Die Lage der arbeitenden Klasse“ geschildert hatte, waren für die thüringischen Volksaufklärer absolut indiskutabel.251 Eine Übertragung der englischen Verhältnisse auf Deutschland, „wo jede Grausamkeit und Scheußlichkeit erlaubt ist, wenn es gilt Nutzen davon zu ziehen, wo die Menschen nur Maschinen und Waaren sind“, musste deshalb unter allen Umständen verhindert werden.252 In den Augen der thüringischen Volksaufklärer hatten sich dieser Herausforderung vor allem die Fürsten, Regierungen und Landesparlamente zu stellen, denn nur sie waren durch die Einführung neuer Gesetzesbeschlüsse in der Lage, die drohende Ausbreitung eines „Industrieproletariats“ frühzeitig zu unterbinden. Abgesehen von der Notwendigkeit staatlicher Subventionen, musste ebenso dem „Volk“ klargemacht werden, dass ein größeres Wachstum von Industrie und Gewerbe von einer höheren Effizienz bei der wirtschaftlichen Verwertung der vorhandenen Ressourcen abhing. Der „gemeine Mann“ wurde deshalb aufgefordert, mit den natürlichen Ressourcen Kohle, Holz und Torf sparsam umzugehen, denn eine „Schonung und Ersparung von Brennmaterial [war] im Allgemeinen eine Sache von der höchsten Wichtigkeit und unumgänglicher Nothwendigkeit“, weil „die größeren und 250 Im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ wurde das Wort „Ausbeutung“ besonders häufig im Zusammenhang mit dem als unsozial empfundenen Drucksystem verwendet. Vgl. Alkoven. Das Drucksystem, in: AVD, Nr. 47, 1845, S. 373 f. 251 Vgl. ENGELS, FRIEDRICH: Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Nach eigener Anschauung und authentischen Quellen, Leipzig 1845. 252 Alkoven. Das Drucksystem, in: AVD, Nr. 47, 1845, S. 374.

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wichtigeren Fabrikanstalten in fast allen Gegenden […] eine überaus große Menge an Brennmaterial in Anspruch“ nahmen.253 Ein sorgloser Umgang mit brennbaren Ressourcen wurde als fahrlässiger Akt angeprangert, der den Aufschwung der verschiedenen Industrien und der Gewerbezweige hemmte. Dies galt es zu verhindern, auch wenn sich mancherorts die Bauern und Handwerker noch dagegen sträubten. Man versuchte deshalb, dem „gemeinen Mann“ regelmäßig ins Gewissen zu reden, dass ein Stillstand in Industrie und Gewerbe unmittelbar zur Verschlechterung seiner eigenen Lebenssituation führen würde. „Oder thun etwa bei uns industrielle Fortschritte nicht Noth?“, lautete eine rhetorische Frage, die den Lesern bezüglich des Ausbaus der heimischen Industrie gestellt wurde. Die Antwort dieser Frage wurde im nachfolgenden Satz gleich mitgeliefert und war unmissverständlich: „Wer das glaubt, der höre die Klagen von tausenden unserer armen Landsleute, die über Mangel an Erwerbs= und Nahrungsquellen seufzen.“254 Ganz unrecht hatte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ damit nicht. Schon den zeitgenössischen Berichten des Nationalökonomen Friedrich Bruno Hildebrand kann entnommen werden, dass in denjenigen Regionen die Not am größten war, die über wenig Industrie verfügten.255 Deshalb appellierte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ nochmals ausdrücklich an die Leser: Wir müssen vielmehr Alles, was wir vermögen, dazu beitragen, daß auch in unsern Gegenden das Gewerbswesen nicht zurück, sondern vorwärts schreite, und zu solchem Fortschritte legen wir schon den Grund dadurch, daß wir unnöthige Holzverschwendungen nicht dulden, sondern einstellen, denn das ersparte Holz kann ein Mittel werden zum Betriebe neuer Gewerbe und Gewerke.256

Ungeachtet der für nötig gehaltenen strukturellen Veränderungen zum Ausbau der Industrie, setzte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ bei der Bekämpfung der Massenarmut aber nicht nur auf staatliche Hilfe, sondern auch auf ein breites gemeinnütziges Engagement vonseiten der wohlhabenden Bürger und Bauern. Pfaffenrath und Schwerdt veröffentlichten deshalb mehrere Aufrufe an alle „Volksfreunde“, sich ihrer Nächstenliebe zu besinnen und durch Almosen das Elend der Armen zu lindern. Ganz im Sinne der Aufklärung, wo jeder Einzelne, seinem Verantwortungs- und Pflichtgefühl gegenüber der Gesellschaft folgend, einen Beitrag zur Steigerung des Gemeinwohls zu leisten hatte, sollten diejenigen, die über die entsprechenden materiellen oder finanziellen Mittel 253 Ueber Holzverschwendung [Teil 1], in: AVD, Nr. 30 vom 27. Juli 1844, S. 239. 254 Ueber Holzverschwendung [Teil 2], in: AVD, Nr. 31 vom 3. August 1844, S. 247. 255 Vgl. ABEL: Massenarmut und Hungerkrisen, S. 7. Andere Zeitgenossen sahen dies ebenso, wie zum Beispiel Heinrich von Sybel, der beobachtete, dass „in den Landschaften, die noch nicht von der modernen Industrie berührt sind, der Pauperismus nicht schwächer, sondern […] härter auftrat als in den industriellen Gegenden.“ Zit. nach WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 288 f. 256 Ueber Holzverschwendung [Teil 2], S. 247.

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verfügten, in gemeinschaftlicher Hilfe einer weiteren Ausbreitung des Pauperismus entgegenwirken: Allerdings bedarf es da, wo es gilt, ein großes tief in der Gesellschaft verwurzeltes Uebel zu heilen, auch großartiger und mächtiger Hilfsmittel. Wie sollen diese geschaffen werden? – Dies ist die Frage, bei deren Erwägung gewiß schon mancher edle Mann den Muth verlor, weil ihm die Lösung derselben unmöglich schien. – Und dennoch, was die Einzelnen nicht vermögen, gelingt vielleicht der Gesamtheit. […] Die Nächstenliebe will nicht nur, dass wir den Hungernden sättigen, den Nackten kleiden, der Krankheit und dem Alter Hilfe gewähren; sondern sie fordert auch von uns, daß wir denen beistehen sollen, die freilich wohl ihren nothwendigsten Lebensbedarf, nicht aber so viel erwerben können, um davon die, ihrer schweren Arbeit angemessenen, kräftigen Nahrungsmittel, gesunde Wohnung, wärmende Kleidung zu beschreiten; geschweige denn, daß sie im Stande wären, die geistigen Bedürfnisse ihrer Kinder nach Wunsch zu befriedigen.257

Während diejenigen Personen, die der Bitte nach gemeinnützigen Engagement Folge leisteten, im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ entsprechend gewürdigt wurden,258 mussten alle anderen, denen es an „Nächstenliebe“ und „Mitgefühl“ mangelte, mit einer Diffamierung rechnen. Vor allem die Großbauern, Kaufmänner und Fabrikbesitzer, die, anstatt Beistand zu leisten, durch ihr Handeln den Anschein erweckten, das Problem des Pauperismus noch zu verschlimmern, standen unter scharfer Kritik. So wurden beispielsweise die „Kornwucherer“ als „Pest der Menschheit“259 bezeichnet oder profitgierige „Fabrikherren […] öffentlich an den Pranger gestellt“.260 Ebenso in der Kritik standen Staatsdiener, die ihre beruflichen Aufgaben vernachlässigten oder ihr Amt zur persönlichen Bereicherung missbrauchten. Schon aus Gründen der Pressezensur wurde aber eine zu scharfe Diffamierung von Staatsdienern oder staatlichen Behörden unterlassen. Allerdings konnte auch die Pressezensur das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ nicht daran hindern, in pauschaler Form die Fürsten und Beamten an ihre Pflichten zu erinnern. Nach Pfaffenrath und Schwerdt, die sich indirekt zum Vorbild erklärten, weil beide selbst im Staatsdienst tätig waren, hatten sich die Fürsten und ihre Staatsdiener in erster Linie um das Wohl des „Volkes“ zu sorgen. Die beiden Volksaufklärer glaubten zunehmend, dass das Ausmaß der Pauperismuskrise einige Staatsdiener oder staatliche Organe völlig überforderte. Ihnen wurden unterstellt, hinsichtlich der sozialen Not im „Volk“ keine wirkungsvollen oder die falschen Gegenmaß257 Was thut Noth, damit die von Christo gepredigte Nächstenliebe zur That, zur Wahrheit werde?, in: AVD, Nr. 26, 1846, S. 209. 258 Vgl. Fabrikwesen, in: AVD, Nr. 48, 1845, S. 378 f. 259 Buntes Allerlei, in: AVD, Nr. 44, 1846, S. 354. 260 Alkoven. Das Drucksystem, in: AVD, Nr. 47, 1845, S. 373.

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nahmen in die Wege geleitet zu haben. Als Gebildete „vor Ort“, die fast täglich in unmittelbarem Kontakt zur breiten Masse der ländlich-kleinstädtischen Bevölkerung standen, meinten sie außerdem, dass sich diese Ansicht mittlerweile auch überall im „Volk“ verbreiten würde. Sie warnten eindringlich vor den Folgen, dass nicht wenige Menschen, die am Rand des Existenzminimums lebten, ihre gegenwärtige, desolate Lebenssituation immer stärker auf die Untätigkeit oder das Versagen der staatlichen Obrigkeiten zurückführten. Besonders Pfaffenrath vertrat die Meinung, dass aus dieser Unzufriedenheit früher oder später eine Revolte hervorgehen werde. Für den Saalfelder Kammerherrn war insbesondere der Schlesische Weberaufstand ein klares Indiz dafür, dass der Ausbruch einer Revolte aufgrund von Armut nicht mehr auszuschließen war. Auch wenn der Einsatz von Gewalt grundsätzlich verabscheut wurde, so empfand das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ dennoch einige Sympathie für die vom Hunger getriebenen Weber.261 Geleitet von dem Motiv, ihren Familien etwas Essbares zu besorgen, wird die Revolte im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ als ein warnendes Zeichen für die deutschen Fürsten und Regierungen indirekt sogar gutgeheißen: Hunger thut weh! Die armen Weber in Schlesien sind übel daran. Da sie es noch nicht so weit gebracht haben, von der Luft zu leben, […] haben sie sich in den Orten Langenbielau und Peterswalden zu vielen Tausenden mit Weib und Kind zusammengerottet, die Wohnungen der reichen Fabrikherren, die ihnen das Brod vor dem Munde hinwegnehmen, zerstört und mit dem gewaltigen Rechte, welches Hunger und Verzweiflung giebt, sich ihrer Noth zu erwehren gesucht.262

Die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes wurde hingegen ausdrücklich missbilligt.263 Vielmehr wurde von den Fürsten und Regierungen eine Lösung des Pauperismusproblems gefordert: Darob sind sie [die Schlesischen Weber] aber als Aufwiegler verschrieen und mit Kugeln und Bayonetten bekämpft worden. Es floß Menschenblut und das tödtliche Blei soll sich allerdings als ein vortreffliches Mittel gegen den Hunger bewährt haben. Indessen sind die 261 Im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ wird der Schlesische Weberaufstand fast ausschließlich als Hungerrevolte dargestellt. Nach Christina von Hodenberg handelte es sich bei den Weberunruhen allerdings nicht um eine „klassische Hungerrevolte“. Plünderungen von Bäckereien und Marktläden blieben aus. „Der verbreitete Konsens unter den Aufständischen […] bezog sich auf die Notwendigkeit von Lohnerhöhungen und die Verletzung der Lohngerechtigkeit von Seiten der Fabrikanten.“ HODENBERG, CHRISTINA VON: Aufstand der Weber. Die Revolte von 1844 und ihr Aufstieg zum Mythos, Bonn 1997, S. 39–47. 262 Neuigkeiten, in: AVD, Nr. 26 vom 29. Juni 1844, S. 208. 263 Auch zum Leipziger Aufstand vom August 1845 bezog das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ eine ablehnende Haltung gegen das gewaltsame Vorgehen der sächsischen Regierung. Vgl. Was giebt’s Neues?, in: AVD, Nr. 35, 1845, S. 276–280.

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Unruhen noch nicht beschwichtigt. Wenn aber die deutschen Fürsten deutsche Gewerbe schützen und der fremden Einfuhr wehren wollten, daß sie nicht das Mark der deutschen Industrie aussaugt, so könnten sie gar manche Thräne trocknen und das Pulver sparen, das nur den Funken mehr und mehr zur Flamme anfacht.264

In seiner gewohnt ironischen Art war das „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ freilich davon überzeugt, dass „den armen Webern am sichersten geholfen [wäre], wenn sie im Grabe ruhen“, doch ein dauerhafter Einsatz des Militärs zur Bekämpfung der Armut, und dies wurde von Pfaffenrath und den anderen Mitarbeitern des Blattes permanent betont, würde letztendlich nur zu weiteren Revolten führen, aus denen schlimmstenfalls eine auf alle deutschen Staaten übergreifende Revolution hervorgehen könnte. Die deutschen Regierungen sollten die Klagen des „Volkes“ ernst nehmen und dementsprechend handeln. Die staatlichen Behörden mussten zur Einsicht kommen, dass sie sich der öffentlichen Meinung nicht verschließen durften. Zwar besaß das „Volk“ kein Recht zur Revolution, war aber dennoch dazu legitimiert, die „Mißverhältnisse und Gebrechen im Staate und in dessen Einrichtungen zu rügen oder bei den Behörden um deren Abhülfe nachzusuchen“.265 Für das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ konnte eine dauerhafte Missachtung der öffentlichen Meinung schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen. Die seit 1844 immer häufiger auftretenden Aufstände waren in den Augen von Pfaffenrath und Schwerdt der klare Beweis dafür, dass die Spannungen im „Volk“ immer stärker nach Artikulation suchten.266 Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ bekräftigte deshalb nochmals ausdrücklich, dass es dem Volke und jedem Einzelnen erlaubt seyn [muss], seine Bitten, Klagen und Wünsche zum Thron des Fürsten bringen zu dürfen, soll nicht eine Kluft entstehen, in welcher ein fürchterlicher Abgrund des Verderbens sich öffnet. Der Landesvater muß seiner Landeskinder Bedürfnisse, Leiden, Lasten und Besorgnisse kennen lernen, damit er das wahre Bild seines Landes anschaue und wo Noth und Druck ist und Unrecht geschieht, nach besten Kräften helfen könne.267

Des Weiteren wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass die zunehmenden Klagen und Verbesserungsvorschläge des „Volkes“ ihre absolute Berechtigung hatten: Was wollen die überall laut werdenden Klagen über das Zunehmen der Armuth und des Sinken des Wohlstandes, besonders der mittleren Klassen? Sind sie zurückzuweisende 264 Neuigkeiten, in: AVD, Nr. 26 vom 29. Juni 1844, S. 208. 265 Bemerkungen aus der Mappe eines Staatsbürgers, in: AVD, Nr. 26 vom 29. Juni 1844, S. 205. 266 Zu den Unruhen und Sozialprotesten vor der Revolution von 1848/49 vgl. MÜLLER: Die Revolution von 1848/49, S. 36; HERZIG: Unterschichtenprotest, S. 12–19. 267 PFAFFENRATH, CARL VON: Beachtungen und fromme Wünsche eines Volksfreundes, in: AVD, Nr. 29, 1846, S. 229.

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Aeußerungen der Ungenügsamkeit, des ungebührlichen Anspruchs und der tadelnswerthesten Unzufriedenheit? Nein es sind wohlbegründete Klagen, welche gar sehr verdienen, gehört zu werden; – Klagen über Zustände und Einrichtungen, Lasten und Mängel, die, so wie sie jetzt bestehen, das Volkswohl immer mehr zu bedrohen und den Gährungsprozeß immer mehr fördern!268

Dass sich eine Revolte des „Volkes“ jederzeit zu einem revolutionären Flächenbrand entwickeln könnte, wollte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ seinen Lesern an dem im Frühjahr 1846 ausgebrochenen Bauernaufstand in Galizien verdeutlichen. „Man sollte sich die Vorfälle in Galizien überall zur ernsten Warnung dienen lassen“, verkündete das Saalfelder Wochenblatt, und wies darauf hin, dass die galizische Revolte auch in anderen „Krisenregionen“ eine unmittelbare Nachahmung gefunden hat.269 Wollten die deutschen Fürsten die Ausbreitung ähnlicher Aufstände verhindern, mussten sie schnell und angemessen auf die öffentliche Meinung des „Volkes“ reagieren. Die regelmäßigen Warnungen in den volksaufklärerischen Periodika, dass die gegenwärtigen Sozialproteste jederzeit in eine Revolution münden könnten, müssen hierbei ebenso als ein Druckmittel des gebildeten Bürgertums verstanden werden, ihre Strategien zur Armutsbekämpfung gegenüber den höher gestellten staatlichen Obrigkeiten durchzusetzen.270 Die liberal denkenden thüringischen Volksaufklärer pochten auf ein Mitspracherecht in der Steuer- und Finanzpolitik und versuchten Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse in den Landtagen zu üben.271 Besonders harte Kritik vonseiten der thüringischen Volksaufklärer galt dabei denjenigen Staatsdienern, die ihrer Meinung nach nicht über die nötige Sachkenntnis zur „richtigen“ Verteilung der vorhandenen finanziellen und materiellen Ressourcen verfügten.272 In den Augen 268 Ebd., S. 229 f. 269 So berichtet das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ im Sommer 1846 über den Aufstand in Galizien: „Gallizien kann sich noch immer nicht in seine Lage finden; noch streiten die Bauern haufenweise herum, begehen die unsinnigsten Gewaltstreiche und wollen nicht eher zu Kreuze kriechen, als wenn alle und jede Frohnen und Steuern aufgehoben, die Güter des ermordeten Adels unter sie vertheilt werden und die Militärpflicht wegfällt. Böhmen ist von Gallizien angesteckt worden, und auch hier muß noch abgewartet werden, was für einen Ausschnitt die Sachen nehmen.“ Was giebt’s Neues? (Die beste Politik ist Flickwerk!), in: AVD, Nr. 21, 1846, S. 170. 270 Vgl. HERZIG: Unterschichtenprotest, S. 12 f. 271 Vor allem bei der Bestimmung der Militärausgaben wurde auf ein Mitspracherecht gepocht. Die staatlichen Gelder zum Unterhalt der stehenden Heere sollten „sinnvoller“ eingesetzt werden, zur Schuldenvertilgung und zur Armutsbekämpfung: „Wenn man die Angaben der Unsummen liest, welche in den deutschen Staaten jährlich das Militärwesen kostet! Nur die Hälfte davon – wie bald ließen sich mit ihr die Schuldenlasten der meisten deutschen Lande tilgen“. Das Soldatenwesen, in: AVD, Nr. 45, 1846, S. 359. 272 Besonders das Urteilsvermögen einiger Landtagsabgeordneter wurde oftmals infrage gestellt: „Da und dort ist ein Landtag eröffnet worden, und die Herren X, Y, Z sind unter großen Reverenzen zusammen gekommen, das Wohl des Volkes zu beraten. Und wie viele salbungsreiche Worte

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der Volksaufklärer war ihr fahrlässiges Handeln eine der Ursachen, dass sich die soziale Notlage stetig verschlimmerte und die Gefahr einer Revolution immer weiter zuspitzte. Für das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ waren jedenfalls die Vorboten einer Revolution überall in Deutschland unübersehbar. Umso eindringlicher appellierte Carl von Pfaffenrath deshalb im Spätsommer 1846 an die deutschen Fürsten und Regierungen, sich endlich der beklemmenden Situation im Lande anzunehmen: „Es ist Zeit, hohe Zeit, dass es anders, daß es besser werde.“273

3.3.2

Auswanderung als Bewältigungsstrategie des Pauperismusproblems

AUSWANDERUNG ALS BEWÄLTIGUNGSSTRATEGIE

Als eine Folge des Pauperismus suchten etliche Deutsche die Emigration. Die deutschen Auswanderer sahen darin eine Möglichkeit, ihre soziale Not zu überwinden oder vielmehr einer eventuell bevorstehenden Not noch rechtzeitig entkommen zu können. Die Motive der deutschen Auswanderer waren vorwiegend wirtschaftlicher und sozialer Natur.274 Vereinzelt gab es zwar ebenso religiöse und politisch motivierte Auswanderungen, doch die Hauptgründe der deutschen Emigration im Vormärz sind auf ökonomische Ursachen zurückzuführen.275 Dies zeigt sich auch in Auswanderungsstatistiken, die erst in den 1830er Jahren, als sich der Pauperismus langsam zu einer ernsthaften Gesellschaftskrise entwickelte, einen rapiden Anstieg der Auswandererzahlen verzeichnen.276 Parallel zur

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sind dabei gesprochen worden! – Wenn nur die schönen Reden auch schöne Thaten werden, dann ist wahrhaftig die Wohlfahrt des deutschen Volkes bestellt. Viele Landtagsabgeordnete haben jedoch vielleicht den Kopf auf dem rechten Flecke, aber nicht das Herz, andere das Herz, aber nicht den Kopf, andere Kopf und Herz, aber nicht den Mund, und noch andere Kopf, Herz und Mund, aber nicht die Hand.“ Was giebt’s Neues?, in: AVD, Nr. 12, 1845, S. 95 f. PFAFFENRATH, CARL VON: Beachtungen und fromme Wünsche eines Volksfreundes, in: AVD, Nr. 29, 1846, S. 230. Vgl. MARSCHALCK, PETER: Deutsche Überseewanderung im 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur soziologischen Theorie der Bevölkerung, Stuttgart 1973, S. 52–71; HANSEN, CHRISTINE: Die deutsche Auswanderung im 19. Jahrhundert – ein Mittel zur Lösung sozialer und sozialpolitischer Probleme?, in: Moltmann, Günter (Hrsg.): Deutsche Amerikaauswanderung im 19. Jahrhundert. Sozialgeschichtliche Beiträge, Stuttgart 1976, S. 11. Vgl. KOCKA: Das lange 19. Jahrhundert, S. 72; FINZSCH, NORBERT: Konsolidierung und Dissens. Nordamerika von 1800 bis 1865, Münster 2005, S. 506–510. Im Jahr 1832 überschritt erstmals die Zahl der deutschen Auswanderer die Zehntausendergrenze, während in den 1820er Jahren (bis auf 1828) die deutsche Emigrantenquote weit unter 1.000 Menschen pro Jahr lag. Vgl. hierzu FINZSCH: Konsolidierung und Dissens, S. 786; FISCHER/KRENGEL/WIETOG (Hrsg.): Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch, Bd. 1, S. 34; HANSEN: Die deutsche Auswanderung, S. 11–13. Umfangreiche Statistiken

AUSWANDERUNG ALS BEWÄLTIGUNGSSTRATEGIE

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Verschärfung der Massenarmut avancierte die Auswanderung der unteren und mittleren Bevölkerungsschichten in der Mitte der 1830er Jahre zu einem gesamtdeutschen Massenphänomen.277 Als es im Jahre 1846/47, bedingt durch Missernten und der damit einhergehenden Verteuerung der Lebensmittelpreise, zur schwersten Hungerkrise im 19. Jahrhundert kam, erfuhr die deutsche Auswanderungsbewegung nochmals einen zusätzlichen Schub, der erst nach 1855 wieder rückläufig wurde, als durch die voranschreitende Industrialisierung die Diskrepanz zwischen wachsender Bevölkerung und Arbeitsplatzangebot allmählich abgebaut werden konnte.278 Die Ursachen der ersten großen deutschen Auswanderungswelle lagen demzufolge vor allem in der drückenden Not der Vormärzzeit.279 Bevorzugtes Auswanderungsland der deutschen Emigranten waren die Vereinigten Staaten von Amerika.280 Zwar zog es die deutschen Auswanderer auch in andere Länder, doch die Mehrheit suchte ihre neue Heimat auf dem nordamerikanischen Kontinent.281 Amerika lockte mit hohen Löhnen und günstig zu erwerbendem Land.282 Verheißungsvoll klingende Briefe bereits ausgewanderter Verwandte, Freunde oder Bekannte trugen ihr Übriges dazu bei, dass sich viele Deutsche, unter ihnen auch zahlreiche Thüringer, dazu entschlossen, in Amerika eine neue Existenz aufzubauen.283 Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ nahm allerdings eine eindeutig ablehnende Haltung gegenüber der deutschen Auswanderungsbewegung ein. Mit Ausnahme einiger weniger auswärtiger Mitarbeiter, die die Auswanderung als effektives Mittel zur Regulierung der Überbevölkerung befürworteten,284 sprach

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zur deutschen Auswanderung finden sich ebenso in: MARSCHALCK: Deutsche Überseewanderung. Vgl. RESE, BEATE: Texas – Ziel deutscher Auswanderung im 19. Jahrhundert, Pfaffenweiler 1996, S. 9. Der Zeitraum von 1830 bis 1855 war die erste Phase der deutschen Massenauswanderung im 19. Jahrhundert. Im Zeitraum von 1865 bis 1875 setzte dann eine zweite und von 1880 bis 1895 eine dritte große Auswanderungswelle ein. MARSCHALCK: Deutsche Überseewanderung, S. 30–51, hier insb. die Statistiken auf S. 35 u. 40; FISCHER/KRENGEL/WIETOG (Hrsg.): Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch, Bd. 1, S. 34; KOCKA: Das lange 19. Jahrhundert, S. 73; HAHN: Die industrielle Revolution, S. 33. Vgl. KOCKA: Das lange 19. Jahrhundert, S. 70 f. Vgl. BRUNNER, BERND: Nach Amerika. Die Geschichte der deutschen Auswanderung, München 2009, S. 55–61. Vgl. RESE: Texas – Ziel deutscher Auswanderung, S. 11. Vgl. ebd., S. 11 f. Vgl. ebd., S. 16 f. Eine genaue Statistik zur deutschen Einwanderung in die Vereinigten Staaten von Amerika im Zeitraum von 1820 bis 1914 findet sich in MOLTMANN (Hrsg.): Deutsche Amerikaauswanderung, S. 201 (Tabelle 1, Kurvendiagramm 1). Vgl. Was giebt’s Neues? (Auswanderung), in: AVD, Nr. 29, 1846, S. 233.

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sich das Blatt entschieden gegen die wachsende Anzahl der deutschen Emigranten aus. Nach Auffassung des Saalfelder Periodikums verschlimmerte die Auswanderungsbewegung den Pauperismus, anstatt ihn zu beheben. Diese Behauptung war durchaus begründet, mussten doch letzten Endes all diejenigen zurückbleiben, die sich die Überfahrt nach Amerika nicht leisten konnten und schon zur Klasse der „Pauper“ gehörten.285 Für das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ bestand „der größte Theil der jetzigen Auswanderer aus vermögenden oder doch geachteten Landleuten, Handwerkern, Künstlern, Gelehrten und Beamten“.286 Auf diese Weise schwand unweigerlich das Potential derjenigen Bauern, Handwerker und Arbeiter, die über das notwendige geistige und materielle Kapital verfügten, das zur Überwindung der Pauperismuskrise unabdingbar war. Mit den zurückbleibenden Armen konnte die Krise nicht bewältigt werden. Die Auswanderungsbewegung sollte demnach unverzüglich zum Stillstand gebracht werden. Die Berichte anderer Zeitgenossen zeigen, dass das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ diese Meinung keinesfalls alleine vertrat. So schrieb Friedrich von Hundeshagen im Jahr 1849: Wenn auch diese Auswanderung, wie sie bisher stattfand, der Überbevölkerung überhaupt mag Einhalt getan haben, so hat sie doch auf die Lage der untersten Volksklassen, wo die eigentliche Not herrscht, keinen erleichternden Einfluß ausgeübt. Denn da sie meist aus den Mittelständen der kleinbegüterten, ackerbau- und gewerbetreibenden Klassen der Landleute und Bürger stattfand, so wurde unmittelbar die Zahl des Proletariats nicht verringert, und so die Lage desselben in nichts verbessert.287

Auch der Bürgermeister der rheinpreußischen Kleinstadt Büchenbeuren war davon überzeugt, dass die zahlreichen Auswanderungen die Pauperismuskrise nochmals verstärken würden: „Es ist nicht zu verkennen, daß in den Auswanderern jetzt der kernhafte Mittelstand fortzieht, […] Ganz arme Leute und Müßiggänger können und wollen nicht fortziehen (!), und es bleibt so die lästige Einwohnerzahl, die bei dem Abgang des besseren Teils der Gemeinden noch mehr zur Last wird.“288 Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ befürchtete bei einer anhaltenden Auswanderung für die thüringischen Gemeinden ein ähnliches Szenario. Nachdem die Auswanderungen im Jahr 1846 ein bis dahin ungekanntes Ausmaß erreichten, wurde im dritten Band die Auswanderungsproblematik schließlich zu einem zentralen Thema im Saalfelder Wochenblatt. Um weitere Auswanderungen zu verhindern oder wenigstens zu verringern, wurde nun in etlichen Beiträgen 285 Vgl. Was giebt’s Neues? (Aus dem Werrathal), in: AVD, Nr. 24, 1846 , S. 192. Zur sozialen Zusammensetzung der deutschen Auswanderer im Zeitraum von 1820 bis 1855 vgl. außerdem RESE: Texas – Ziel deutscher Auswanderung, S. 12; MARSCHALK: Deutsche Überseewanderung, S. 72–84. 286 Was giebt’s Neues? (Schlechte Meinung!), in: AVD, Nr. 23, 1846, S. 185. 287 Zit. nach HANSEN: Die deutsche Auswanderung, S. 50. 288 Zit. nach ebd., S. 50 f.

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versucht, den „gemeinen Mann“ von den Vorteilen der eigenen Heimat zu überzeugen. Unter mehrfacher Verwendung des Bibelspruches289 „Bleibe im Land und nähre Dich redlich“290 sollte das „Volk“ dazu animiert werden, sein Glück weiterhin in Deutschland und nicht der Ferne zu suchen.291 Nach Jürgen Kocka war die Auswanderung und der damit verbundene Existenzaufbau in einem fremden Land für die meisten deutschen Emigranten alles andere als ein Vergnügen.292 Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ machte sich diesen Umstand besonders zunutze. Der mühsame Weg über den Atlantik, der endgültige Abschied von Familie und Freunden sowie die Ungewissheit, ob sich das harte und riskante Leben in der neuen Welt auszahlen würde, waren gute Argumente, den „gemeinen Mann“ an einer Emigration nach Amerika zweifeln zu lassen. Im Mittelpunkt der Amerikaauswanderung stand die Republik bzw. der US-Bundesstaat Texas,293 der bis 1850 rund 35.000 deutsche Aussiedler aufgenommen hatte.294 Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ sah sich nun in der Pflicht, die meist „unerfreulichen“ Berichte der deutschen Auswanderer nach Texas einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen.295 In der Regel handelten sie von den Erlebnissen der deutschen Aussiedler, die schon auf ihrer beschwerlichen Überfahrt die ersten Opfer zu beklagen hatten, etwa den Verlust eines 289 Vgl. Altes Testament, Die Psalmen, Kap. 37,1. 290 Vgl. Auswanderungen nach Texas, in: AVD, Nr. 18, 1846, S. 145. 291 Dieses Argumentationsmuster, dass die deutsche Heimat mehr Vorteile bieten würde als alle anderen Regionen der Erde und dass Bodenständigkeit, wie in der Bibel geschrieben, jedem Auswanderungsdrang vorzuziehen sei, findet sich auch in anderen Schriften von Heinrich Schwerdt. Beispielsweise in seinem Buch „Daheim ist doch daheim“ beschreibt Schwerdt die hoffnungsvolle Reise zweier Handwerksgesellen nach Amerika, die dort auf ein besseres Leben hoffen, letztlich aber wieder nach Deutschland zurückkehren, weil sie einsehen mussten, dass die Fremde nur Nachteile gegenüber der Heimat gebracht hat. Die mahnenden Schlussworte „Bleibe im Land und nähre Dich redlich“ finden sich auch in diesem Buch. Vgl. SCHWERDT, HEINRICH: Daheim ist doch daheim. Nordamerikanische Bilder aus dem Munde deutscher Auswanderer, Leipzig 1858, S. 160. 292 Vgl. KOCKA: Das lange 19. Jahrhundert, S. 73. 293 Nach dem Unabhängigkeitskrieg mit Mexiko erreichte Texas im Jahr 1836 den Status einer unabhängigen Republik. Wenige Jahre später suchte Texas den Anschluss an die USA, der schließlich am 29. Dezember 1845 formell durch den Kongress vollzogen wurde. Vgl. RESE: Texas – Ziel deutscher Auswanderung, S. 46; FINZSCH: Konsolidierung und Dissens, S. 432–447. 294 Vgl. RESE: Texas – Ziel deutscher Auswanderung, S. 104. 295 Zu den Berichten und Briefen der deutschen Auswanderer sowie deren Wahrnehmung in der deutschen Öffentlichkeit vgl. grundlegend HELBICH, WOLFGANG/KAMPHOEFNER WALTER/SOMMER, ULRIKE (Hrsg.): Briefe aus Amerika. Deutsche Auswanderer schreiben aus der neuen Welt 1830–1930, München 1988; BRENNER, PETER J.: Reisen in die neue Welt. Die Erfahrung Nordamerikas in deutschen Reise- und Auswanderungsberichten des 19. Jahrhunderts, Tübingen 1991.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

Kindes.296 Ebenso wurden die Ankunft und die Lebensbedingungen in dem „gelobten Land“ als bedrohlich geschildert. Durch die besondere Betonung und Hervorhebung der Unzulänglichkeiten, die vermeintlich alle Auswanderer erwartete, sollte beim „gemeinen Mann“ jeder Wunsch nach Emigration im Keim erstickt werden. Berichte über ständige Indianerüberfälle und kriegerische Handlungen mit dem Nachbarland Mexiko, über das schlechte Klima und wilde Tiere, über Krankheiten und Landplagen oder das Fehlen von Kirchen und Bildungseinrichtungen, waren deshalb die häufigsten Beschreibungen des Landes Texas, die man im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ findet.297 Die häufigsten Darstellungen folgten diesem Muster: Und wenn Ihr nun hinkommt in das heiße Land, da seyd Ihr mit Fieber und Krankheit geplagt, seyd ihr gequält von Schlangen und Ungeziefer, so häßlich, wie Ihr’s Euch im schlimmsten Traume nicht denken könnt. […] Und zuletzt ist noch abzuwarten, ob nicht wegen Texas ein Krieg entsteht zwischen Mexiko und Nordamerika, denn das Land hat erst zu Mexiko gehört und jetzt wollen es die Nordamerikaner haben.298

Des Weiteren wurde das „großzügige Auswanderungsprogramm“ des „Vereins zum Schutze deutscher Einwanderer in Texas“, der den Zeitgenossen auch als „Mainzer Adelsverein“ bekannt war, mit Argwohn betrachtet. Teilweise unterstellte man dem „Mainzer Adelsverein“ unlautere Ziele, die einzig auf ein finanzielles Gewinnstreben ausgerichtet waren, was nicht selten dazu geführt haben soll, dass deutsche Aussiedler, trotz vertraglicher Vereinbarungen, bei ihrer Ankunft in Texas keine Unterstützung fanden.299 Nach der Studie von Beate Rese war ein solches Bedenken durchaus berechtigt, denn es stellte sich heraus, dass „die Absichten des Vereins größtenteils erwerbswirtschaftlicher Art waren und das Unternehmen auf reiner Geldspekulation beruhte.“300 Ein nicht zu unterschätzender Aspekt, warum eine Auswanderung nach Texas vom „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ ebenfalls vehement abgelehnt wurde, war die Verletzung der Menschenrechte afrikanischer Sklaven. Die Konstituierung von Menschenrechten war eine essentielle Forderung des Saalfelder Wochenblattes, als Ausdruck von Aufklärung, Fortschritt, Modernität und Humanität. Ein Staat, der eine gesetzliche Verankerung von Menschenrechten ablehnte, wurde deshalb als rückständig und skrupellos erachtet. Die Ausübung der 296 Vgl. Auswanderung nach Texas, in: AVD, Nr. 18, 1846, S. 143. 297 Vgl. hierzu u.a.: Blicke in die Welt und in die Menschheit. Vom Auswandern, in: AVD, Nr. 20, 1845, S. 159 f.; Auswanderungen nach Texas, in: AVD, Nr. 15–18, S. 117–120, 125–127, 133–136 u. 139–145. 298 Blicke in die Welt und in die Menschheit. Vom Auswandern, in: AVD, Nr. 20, 1845, S. 159 f. 299 Vgl. Auswanderungen nach Texas, in: AVD, Nr. 15–17, S. 117–120, 125–127 u. 133– 136. 300 Vgl. RESE: Texas – Ziel deutscher Auswanderung, S. 103.

AUSWANDERUNG ALS BEWÄLTIGUNGSSTRATEGIE

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Sklaverei in Texas stellte einen klaren Verstoß gegen die Menschenrechte dar und war somit für das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ kein akzeptables Auswanderungsland: „Könnte sich wohl ein Deutscher […] so weit herabwürdigen, die armen Neger, die doch auch seine Menschenbrüder sind, als Sklaven zu halten? Leider! ist aber in Texas allerdings die Negersklaverei noch herrschend, und ein Land, dass diesen Schandflecken der Menschheit noch nicht gesetzlich abgethan hat, könnte niemals meine Heimath werden.“301 Neben all den negativen Informationen und Beschreibungen finden sich im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ aber auch eine Menge positiver Nachrichten zum Thema Auswanderung. Die Vorteile, welche die Auswanderer in fremde Länder lockten, wie etwa die rechtlichen und steuerlichen Vorzüge, die hohen Löhne oder die Möglichkeit des günstigen Erwerbs riesiger landwirtschaftlicher Flächen, wurden der Leserschaft nicht verschwiegen. Da man dem eigenen Anspruch gerecht werden wollte, stets objektiv zu urteilen, veröffentlichten Pfaffenrath und Schwerdt in ihrem Periodikum deshalb ebenso einige Briefe von deutschen Auswanderern, deren Amerikabild einen affirmativen Charakter hatte. So wurde beispielsweise eine Korrespondenz des ehemaligen Buchbinders Köhler aus Creuzburg an der Werra abgedruckt, der trotz einiger Schwierigkeiten und Hindernisse seine Entscheidung zur Emigration nach Amerika in keiner Weise bereute: „Ich fühle mich in der neuen Welt munterer als in der alten, und bis heute hat es uns noch keinmal gereut, ein neues Vaterland gesucht zu haben; man gewöhnt sich leicht an Alles, und Hoffnung ist der Stern, der uns tröstend auf unserm Wege leuchtet.“302 Einige auswärtige Autoren des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ entgegneten den positiven Auswanderungsberichten zwar mit Skepsis,303 doch im Allgemeinen war man realistisch genug einsehen zu müssen, dass sich bestimmte Vorteile in anderen Ländern, insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika, einfach nicht leugnen ließen.304 Hinzu kam, dass etliche Auswanderer eher dazu bereit waren, sich den Gefahren in der Fremde zu stellen, als ständig, ohne jegliche Zuversicht auf Besserung, in der Not, Enge, Bedrückung und Aussichtslosigkeit ihres bisherigen Lebens weiter verharren zu müssen.305 Letzten Endes musste jeder Mensch selbst entscheiden, ob ihm die Ferne oder die Heimat die 301 Auswanderung nach Texas, in: AVD, Nr. 16, 1846, S. 127. 302 Neueste Nachrichten aus Texas, in: AVD, Nr. 28, 1846, S. 221 f. 303 So gab man den Lesern beispielsweise zu bedenken: „So viele schon vorausgezogen sind, so sind doch gar Wenige von ihnen ehrlich und aufrichtig genug, zu schreiben, wie es ist. Die schreiben nur, was sie Gutes gefunden haben, vom Schlimmen sind sie still, denn sie mögen nicht ausgelacht werden.“ Blicke in die Welt und in die Menschheit. Vom Auswandern, in: AVD, Nr. 19, 1845, S. 149. 304 Zur Herausbildung eines „negativen“ und „positiven“ deutschen Amerikabildes vgl. RITZENHOFEN, UTE: „Die Einen machen ein Paradies für Auswanderer daraus, die anderen eine Hölle“ – Texas in den deutschen Auswanderungsschriften des 19. Jahrhunderts, in: Herget, Winfried (Hrsg.): Amerika. Entdeckung, Eroberung, Erfindung, Trier 1995, S. 155–177. 305 Vgl. KOCKA: Das lange 19. Jahrhundert, S. 73.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

größeren Möglichkeiten bot, der sozialen Misere zu entkommen. „Es hat jedes Land sein Gutes und sein Böses und es kommt nur darauf an, in welchem wir das Gute am liebsten genießen mögen und in welchem das Böse am leichtesten zu tragen ist“, resümierte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ folgerichtig.306 Trotz seiner zahlreichen Warnungen war das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ kaum in der Lage, das „Volk“ vom Auswandern abzuhalten. Selbstkritisch stellte man fest: „So wohlmeinend diese Warnungen auch sind, so werden sie die Auswanderung aber doch nicht hindern können“.307 Viele auswärtige Autoren mahnten deshalb an, unverzüglich die Ursachen der Auswanderungen noch genauer zu analysieren. Für Adelbert Kühn waren die Gründe der Auswanderung schnell gefunden. „Abgabenlast, kostspielige Heere, drückende Censur, mangelnde Oeffentlichkeit, allgemeine Unbehaglichkeit und – keine Aussicht auf Besserung“, lautete sein Fazit zur immer stärker anschwellenden deutschen Emigrationsbewegung.308 Schon im ersten Jahrgang des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ war er davon überzeugt gewesen, dass „eine allgemeine Unbehaglichkeit mit den staatlichen Verhältnissen wohl die Hauptschuld der […] häufigen Auswanderung trägt“.309 Wollte man die Auswanderungen stoppen, musste es „in vieler Hinsicht anders werden, da die Geringfügigkeit der Abgaben, die Freiheit der Presse, die Oeffentlichkeit des gerichtlichen Verfahrens, mit einem Wort die staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen Amerika’s, nach denen verzeihlicherweise endlich auch dem Deutschen gelüstet, gar zu lockend sind“.310 Andere Autoren des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ sahen dies ähnlich. Sie sprachen sich ebenso für eine Senkung der Steuer- und Abgabenlast aus und pochten auf politische, rechtliche und wirtschaftliche Reformen. Gleichzeitig wollte man die rechtlichen und politischen Verhältnisse in den deutschen Staaten des Deutschen Bundes als Anlass der Auswanderungsbewegung aber auch nicht überbewerten. So vertrat das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ größtenteils die Meinung, dass die meisten deutschen Aussiedler von ihren neu gewonnenen Freiheiten, wie etwa dem politischen Mitspracherecht, das ihnen in den USA gewährt wurde, kaum oder nur sehr wenig Gebrauch machten.311 Nach Auffassung der meisten Autoren waren die fehlenden Möglichkeiten zur Existenzsicherung, die niedrigen Löhne, die hohen Steuern, die teilweise noch beste-

306 Blicke in die Welt und in die Menschheit. Vom Auswandern, in: AVD, Nr. 19, 1845, S. 149. 307 Die Auswanderung nach Ungarn, in: AVD, Nr. 31, 1845, S. 246. 308 Was giebt’s Neues? (Auswanderung), in: AVD, Nr. 41, 1846, S. 329. 309 PROKOP, ADELBERT: Deutsche Flecken und Vertilgung derselben, in: AVD, Nr. 39 vom 28. September 1844, S. 310. 310 Was giebt’s Neues? (Auswanderung), in: AVD, Nr. 42, 1845, S. 336. 311 Vgl. Blicke in die Welt und in die Menschheit. Vom Auswandern, in: AVD, Nr. 19, 1845, S. 150.

AUSWANDERUNG ALS BEWÄLTIGUNGSSTRATEGIE

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henden Feudallasten sowie die hohen Lebensmittelpreise die hauptsächlichen Ursachen der Emigration: Das muß wahr seyn, wir haben viel der Lasten und Abgaben. Da muß man bezahlen, um Nachbar oder Bürger werden zu können, es muß bezahlt werden, wenn man heiraten will, wenn man taufen läßt, nicht einmal der Tod ist umsonst. Und von seinem Verdienst muß man Gewerbsteuer bezahlen, Schulgeld entrichten, man kann nicht in die Kirche gehen, ohne den Klingelpfennig im Gesangbuche zu haben – wir wissens ja Alle, was wir geben müssen! Und dazu braucht man immer mehr, für die Kleider am meisten, die doch bald wieder aus der Mode kommen. Drüben in Amerika kaufe ich mir wohlfeil Land […] und brauche keinem Menschen etwas abzugeben! Da braucht man auch keine schönen Kleider, da giebt’s gar viele Ausgaben nicht, die man bei uns hat!312

Seit den 1830er Jahren hatte der „gemeine Mann“ eine permanente Verschlechterung seiner ökonomischen Situation vor Augen. Als schließlich 1845/46 eine Hungersnot ausbrach, dürften nicht wenige Bevölkerungsgruppen ernste Zweifel gehegt haben, dass die Regierungen der deutschen Staaten in der Lage seien, die Pauperismuskrise in den Griff zu bekommen. Diejenigen, die in dieser Situation noch über die finanziellen Mittel verfügten und die Wirksamkeit der staatlichen Maßnahmen zur Pauperismusbekämpfung infrage stellten, entschlossen sich nun zur Emigration. Die Angst des „Volkes“, in Zukunft in Armut, Hunger und sozialem Elend leben zu müssen, muss nach 1845 schlagartig zugenommen haben. Zeitgleich sprang die Zahl der Auswanderungen nach Amerika in den Jahren von 1844 bis 1847 von ca. 20.000 auf über 70.000 Menschen pro Jahr.313 Als sich die Hungersnot in den Jahren 1846/47 sogar noch vergrößerte, dürften viele mittelständische Familien in einer Auswanderung den letzten Ausweg gesehen haben, der bevorstehenden Armut zu entkommen. Mit einem Gespräch zweier Nachbarn – in einem fiktiven Dorf – schilderte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ eine Situation, wie sie sich zu jener Zeit überall in Deutschland zugetragen haben dürfte: Das Leben ist gar zu theuer und die Zeiten sind gar zu schlecht. Und ich bin’s nicht allein, den der Schuh drückt. Frag nur in unserm Dorfe herum oder frag in den Bürgerhäusern der Staat, da quälen sich gar Viele vom Morgen bis zum Abend, aber die Sorge: ‚was werden wir essen und womit uns kleiden?‘ vermögen sie doch weder hinwegzuarbeiten noch hinwegzubeten. – – Da bin ich denn auf einen wunderlichen Gedanken gekommen. Ich will nach Amerika gehen. In der Stadt machen sich schon viele zur Abreise fertig. Meine Frau heult und schreit zwar, wenn sie daran denkt; ‚aber schlimmer können wir’s auch nicht kriegen!‘ setzt sie gewöhnlich hinzu, und hat schon alles überschlagen, was wir verkaufen und was wir mitnehmen wollen.314 312 Ebd., S. 149. 313 Vgl. FISCHER/KRENGEL/WIETOG (Hrsg.): Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch, Bd. 1, S. 34. 314 Auswanderung nach Texas, in: AVD, Nr. 15, 1846, S. 117 f.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

Der rapide Anstieg der Auswanderungsbewegung war also in erster Linie dem Pauperismus verschuldet. Wie bereits ausführlich dargelegt, erkannte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ dessen Ursachen und dessen verheerende Wirkung auf die Gesellschaft. Mit Vorschlägen, die sowohl an das „Volk“ als auch an die Fürsten gerichtet waren, wollte man einer weiteren Ausbreitung der Massenarmut vorbeugen. Dass es dennoch genug Personen gab, die in diesen Ratschlägen keinen Sinn sahen, blieb Pfaffenrath und Schwerdt nicht verborgen. Ihre Durchhalteparolen, dass das Leben in Zukunft wieder besser werden würde, hielten nach 1845 immer weniger Menschen aus den unteren und mittleren Bevölkerungsschichten davon ab, ihr Glück in der Emigration zu suchen. Egal wie abschreckend die Gefahren im Ausland auch schienen, der Entschluss zur Auswanderung war gefallen. In diesem Fall blieb dem „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ nichts anderes übrig als nach bestem Wissen und Gewissen den deutschen Aussiedlern, damit diese nicht gänzlich ins Verderben stürzten, einige Ratschläge zu geben, welche Auswanderungslektüre,315 Auswanderungsvereine oder Auswanderungsagenturen als Unterstützung bei Auswanderungsplänen herangezogen werden konnten316 und wo sich auf dem Globus die „wohlfeilsten Siedlungsplätze“ befanden.317

315 Als vorbildliche Lektüre zum Thema Auswanderung galt dem „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ etwa die seit Ende September in Rudolstadt von Günther Fröbel herausgegebene „Allgemeine Auswanderungs-Zeitung“, die laut ihrem Plan als ein publizistisches Organ fungieren wollte, „welches sich dieser hochwichtigen Sache [der Auswanderung] annimmt und denen, welche auswandern wollen, sichere und zuverlässige Nachrichten giebt, wohin sie auswandern können, wenn die Auswanderung ihnen zum Segen, nicht zum Fluche gereichen soll“. Vgl. Plan und Einrichtung, in: Allgemeine Auswanderungs=Zeitung, Organ für Kunde aus deutschen Ansiedlungen, für Rath und That zu Gunsten der fortziehenden Brüder, sowie für Öffentlichkeit in Auswanderungssachen überhaupt, Nr. 1 vom 29. September 1846, S. 1. Zur Rudolstädter „Allgemeinen Auswanderungs-Zeitung“ vgl. außerdem SCHÄFER, PETER: Günther Fröbels Allgemeine Auswanderungs-Zeitung. Ein Bote zwischen der Alten und der Neuen Welt, in: Blätter der Gesellschaft für Buchkultur und Geschichte, 8 (2004), S. 47–76. 316 Zur Herausbildung von Auswanderungsagenturen und Auswanderungsvereinen in den 1840er Jahren in Deutschland vgl. BRETTING, AGNES/BICKELMANN, HARTMUT: Auswanderungsagenturen und Auswanderungsvereine im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1991, S. 41–55 u. 99–156. 317 Vgl. Blicke in die Welt und die Menschheit. Vom Auswandern, in: AVD, Nr. 22, 1845, S. 173–176.

DIE POLITISCHE AUFKLÄRUNG DES „VOLKES“

3.4

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Die politische Aufklärung des „Volkes“

DIE POLITISCHE AUFKLÄRUNG DES „VOLKES“

Die intensive Beschäftigung der Volksaufklärer mit aktuellen sozialen und gesellschaftlichen Problemen während der Vormärzzeit macht deutlich, dass die Volksaufklärung nach 1800 keineswegs stagnierte, sondern ihre Positionen zu bestimmten Fragen neu ausrichtete. Bei genauer Betrachtung der volksaufklärerischen Lektüre des 19. Jahrhunderts, insbesondere der im Thüringer Raum erscheinenden periodischen Schriften, sticht dabei besonders hervor, dass die politische Aufklärung des „Volkes“ im Zeitraum von 1815 bis 1848 einen unübersehbaren Wandel vollzogen hat. Zwar ist die politische Volksaufklärung, also die Unterrichtung des „gemeinen Mannes“ in politischen und rechtlichen Fragen, in Thüringen schon seit den 1780er Jahren ein wesentlicher Bestandteil der volksaufklärerischen Publizistik gewesen,318 doch erreichte die Qualität der politischen Inhalte im 19. Jahrhundert ein höheres Niveau. Im 18. Jahrhundert waren die Volksaufklärer maßgeblich darauf bedacht, den „gemeinen Mann“ über seine Pflichten und Rechte innerhalb der Gesellschaft aufzuklären. Hin und wieder gab es auch Kritik an der Ausübung bestimmter Herrschaftspraktiken, wie etwa der Leibeigenschaft, doch eine grundsätzliche Kritik am politischen System wurde nicht geübt. Das änderte sich ebenso wenig nach Ausbruch der Französischen Revolution. Man propagierte weiterhin eine Gesellschaft, in der jeder Einzelne in seinem Stand durch Erfüllung seiner Pflichten zum „gemeinen Besten“ beitragen sollte.319 Solange dies als realisierbar galt, wurde die Ständegesellschaft bzw. die Rechtmäßigkeit des bestehenden politischen Systems kaum infrage gestellt. Im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts änderte sich diese Sichtweise aber allmählich. Vor allem in politischen Fragen entwickelten die thüringischen Volksaufklärer eine starke Affinität zum Liberalismus. Die Mehrzahl der Volksaufklärer identifizierte sich nach 1815 mit dieser politischen Denkströmung, deren ideologische Wurzeln ohnehin in der Aufklärung lagen.320 Im Gegensatz zum 318 Mit dem „Räsonnirenden Dorfkonvent“ (1786–1788) von Johann Adam Christian Thon, der „Deutschen Zeitung“ (1788–1795) und der „National-Zeitung der Deutschen“ (1796–1811) von Rudolf Zacharias Becker, dem „Boten aus Thüringen“ (1788– 1816) von Christian Gotthilf Salzmann und der „Aufrichtig-teutschen Volks-Zeitung“ (1795–1799) von Christoph Gottlieb Steinbeck existierten in Thüringen sogar mehrere überregional bekannte volksaufklärerische Periodika, zu deren Profil auch politische Beiträge gehörten. Am bedeutendsten waren hierbei sicherlich Salzmanns „Bote aus Thüringen“ sowie Beckers „Deutsche Zeitung“ bzw. die „Nationalzeitung der Deutschen“ als deren Nachfolger. Vgl. hierzu GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 180–189. Vgl hierzu außerdem Kapitel III.3. 319 Vgl. BÖNING: Entgrenzte Aufklärung, S. 43 f. 320 Vgl. VALJAVEC: Die Entstehung der politischen Strömungen, S. 15–39; NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 286; LANGEWIESCHE: Liberalismus in Deutschland,

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

18. Jahrhundert forderte man nun die Beseitigung der alten Ständegesellschaft, der eine bürgerliche Gesellschaft folgen sollte. Obwohl davon ausgegangen werden kann, dass viele Volksaufklärer bereits in der Umbruchsphase von 1813/1815 Sympathien für den Liberalismus gehegt haben, waren ihre Forderungen nach Umstrukturierung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den ersten Jahren der nachnapoleonischen Ära noch relativ zaghaft.321 Schaut man sich etwa die von Rudolf Zacharias Becker herausgegebene „National=Zeitung der Deutschen“, eines der publizistischen „Flagschiffe“ der thüringischen Volksaufklärung, in den Jahren von 1815 bis 1818 an, so wird über die Ergebnisse des Wiener Kongresses zwar Bedauern, aber keine Kritik geäußert. Die Enttäuschung über das nicht Zustandekommen eines deutschen Nationalstaates wurde vielfach ausgesprochen, doch mit Blick auf die politische Entwicklung seit dem Ende der Rheinbundzeit gab sich die „National=Zeitung der Deutschen“ optimistisch, dass in den nächsten Jahren weitere Fortschritte zu erwarten seien. So heißt es dort im Rückblick auf das Jahr 1817: Viele der deutschen Staaten [haben] in dem verflossenen Jahre bedeutende Veränderungen in ihrem öffentlichen Leben, ihrer Verfassung und Verwaltung erfahren. […] Alle diese Veränderungen aber waren Erfolge der wichtigen Fortschritte, welche unsere Zeit in der Erkenntniß wahrer Menschenwürde und Menschenrechte gemacht hat, und sie gingen aus dem regen Kampf hervor, den diese bessere Ueberzeugung, in der öffentlichen Meinung und Stimme des Volkes laut sich aussprechend, bald ruhig und ohne Leidenschaft, bald hingerissen von der Begeisterung für das Gute, mit den finsteren Gestalten tyrannischer Gewalt und Willkühr, die mit gespenstischen Schatten aus einer vergangenen Welt bestanden und noch zu bestehen hat. Nicht immer trägt das Gute auf Erden den ersten Sieg davon, aber seine Kraft ist eine unvergängliche und führt zuletzt sicher zum Ziele. So gewiss auch hier. Daß die Menschen vor dem irdischen Gesetz gleich seyn sollen, wie vor Gott; daß Regierende und Regierte sich nicht entgegen stehen in Willkühr und Knechtschaft, in Befehl und Gehorsam, sondern nur in gegenseitigen Pflichten und Rechten zu dem gemeinschaftlichen Zweck der Wohlfahrt Aller durch das Beste jedes Einzelnen; daß aber, bey der Schwäche menschlicher Natur in Erfüllung der Pflichten, die Rechte des Volkes wie der Fürsten auch einer äußern wechselseitigen Gewähr bedürfen, auf einer weisen Regierungsverfassung, wahren Volksvertretung und der öffentlichen Meinung Freyheit beruhend: – das sind die Grundsätze, welche aus den vielfachen Bewegungen des öffentlichen S. 12–15; GÖTZE: Die Begründung der Volksbildung, S. 119. Nach J. Salwyn Schapiro übernahm der Liberalismus auch den Fortschrittsgedanken der Aufklärung, der sich auf das Prinzip einer vernunftorientierten Gesellschaftsordnung stützte. Vgl. SCHAPIRO, J. SALWYN: Was ist Liberalismus?, in: Gall, Lothar (Hrsg.): Liberalismus, 2. Aufl. Königstein im Taunus 1980, S. 21–25. 321 Ausgenommen sind jene politischen Periodika, die zwar an das „Volk“ adressiert waren, sich aber streng genommen nur an das gebildete Bürgertum richteten, wie beispielsweise der von Ludwig Wieland im Jahr 1818 herausgegebene „Volksfreund“ (später unter dem Titel: „Der Patriot. Ein politisches Blatt“).

DIE POLITISCHE AUFKLÄRUNG DES „VOLKES“

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Lebens der meisten deutschen Staaten im vergangenen Jahre klar hervortraten, und von deren unerschütterlichen Wahrheit durchdrungen, wir auch der nahen und fernen Zukunft getrost entgegenblicken können.322

Die „National=Zeitung der Deutschen“ blickte also zu Beginn des Jahres 1818 hoffnungsvoll in die Zukunft. Insbesondere die innere politische Entwicklung einiger deutscher Staaten wurde als vorbildhaft empfunden. Das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach hatte beispielsweise als erster deutscher Staat im Jahr 1816 eine Verfassung verabschiedet, die eine vollständige Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit garantierte.323 Ebenso wurden in mehreren süddeutschen Staaten frühkonstitutionelle Verfassungen erlassen, die Elemente eines modernen Repräsentativsystems beinhalteten und erste liberale Grundrechte gewährleisteten.324 Übermäßige Kritik an der politischen Entwicklung im Deutschen Bund schien deshalb unmittelbar nach Ende des Wiener Kongresses unangebracht. Zwar enthielten die neuen einzelstaatlichen Verfassungen noch altständische Relikte,325 doch blieb die „National=Zeitung der Deutschen“ davon überzeugt, dass die fürstlichen Regierungen gewillt waren, in Zukunft genau jene Missstände in Angriff zu nehmen und zu beseitigen. Die völlige Überwindung altständischer Strukturen bedurfte Zeit. Man ging davon aus, dass einige Forderungen, wie etwa die eben erwähnte Einführung einer „wahren Volksvertretung“, nur schrittweise verwirklicht werden konnten. Ebenso zuversichtlich beurteilte die „National=Zeitung der Deutschen“ den Wunsch nach nationaler Einheit. So rechnete man zwei Jahre nach Ende des Wiener Kongresses noch fest damit, dass in Zukunft „eine wahre Einigung unseres Volkes nach innen und außen“326 erfolgen werde. In ähnlicher Weise argumentierte auch die Zeitschrift „Der Bote aus Thüringen“, die neben der „National=Zeitung der Deutschen“ ebenso zu den publizistischen „Flagschiffen“ der thüringischen Volksaufklärung zählte.327 Für den „Boten aus Thüringen“ stellten die Ergebnisse des Wiener Kongresses einen Fortschritt gegenüber der Napoleonischen Herrschaft dar. Deshalb antwortete der 322 Rückblicke auf das Jahr 1817, in: National=Zeitung der Deutschen, 1. Stück vom 7. Januar 1818, Sp. 8 f. 323 Vgl. hierzu BLESKEN, HANS: Der Landtag im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach vom Erlaß des Grundgesetzes (1816) bis zum Vorabend der Revolution von 1848, in: Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen, Heft 2: Konstitutioneller Parlamentarismus in Sachsen-Weimar-Eisenach (1. Hälfte des 19. Jahrhunderts), Jena 1992, S. 7–68. 324 Vgl. BOTZENHART, MANFRED: Deutsche Verfassungsgeschichte, Stuttgart/Berlin/Köln 1993, S. 30–32. 325 Vgl. hierzu EHRLE: Volksvertretung im Vormärz, S. 39–141. 326 Rückblicke auf das Jahr 1817, in: National=Zeitung der Deutschen, 1. Stück vom 7. Januar 1818, S. 9 f. 327 Vgl. GREILING: Presse für den „gemeinen Mann“, S. 308; DERS.: Presse und Öffentlichkeit, S. 180–189.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

„Bote aus Thüringen“ am Ende des Jahres 1816 auf die Frage, ob die deutschen Regenten es nicht versäumt hätten, nach dem Sieg über Napoleon für bessere politische und gesellschaftliche Verhältnisse zu sorgen, auch eher besänftigend: Sind den die köstlichen Früchte des Kampfs gegen den Unterdrücker Deutschlands […] nicht von noch größerm Werthe, als die Frucht, welche die Kämpfenden zunächst vor Augen hatten und auch glücklich erkämpften: nämlich die Befreyung unsers lieben Vaterlandes von dem fruchtbaren Joche? – Ueber den sogenannten heiligen Bund, den die hohen Herrscher, nachdem sie siegreich in Paris eingezogen waren, daselbst unter sich errichteten, […]muß ich bey dieser Gelegenheit meine Meinung doch auch mittheilen […]. Da gibt es nun so manche Menschen die wenig oder gar nichts auf diesen Bund geben, und die ganze Sache, wo nicht für ein Gaukelwerk, doch wenigstens für eine vorübergehende fromme Aufwallung halten, von der es ebenso gut wäre, wenn sie nicht Statt gefunden hätte. Nach meiner Ueberzeugung kann ich ihnen aber nicht beystimmen, sondern sehe diesen Bund als eine Erscheinung an, auf die unser Zeitalter stolz seyn kann.“328

Zwar räumte der „Bote aus Thüringen“ ebenfalls ein, dass das neue politische System nicht ohne Fehler sei,329 doch wurden zunächst die guten Gestaltungsmöglichkeiten herausgestellt, die für künftige Verbesserungen in Politik und Gesellschaft garantieren sollten. Des Weiteren riet der „Bote aus Thüringen“ seinen Lesern zu Nachsicht, wenn der neu gegründete Deutsche Bund nicht jeder Erwartung gerecht wurde: So muss man wie gesagt, in seinen Erwartungen gemäßigt seyn, muß nicht vergessen, daß keine menschliche Einrichtung ganz vollkommen, ohne Mängel, ohne Tadel seyn kann; und so darf man sich auch ferner ja nicht ein trauriges Geschäft daraus machen, den Fehlern nachzuspüren, die von den hohen Häuptern und ihren Regierungsgehülfen begangen werden, sie zur Schau zu tragen, auch wohl noch zu vergrößern oder doch in einem gehässigern Lichte darzustellen, als nöthig wäre: darüber aber des Guten, das wohl auch von ihnen gewirkt und befördert wird, undankbar vergessen und es übersehen.“330

Im Grunde argumentierte der „Bote aus Thüringen“ wie die „National=Zeitung der Deutschen“. Das neue politische System, bedingt durch die Beseitigung der Napoleonischen Herrschaft und der darauffolgenden Neuordnung der europäischen Verhältnisse auf dem Wiener Kongress, war zugegebenermaßen nicht vollkommen, doch bildete es ein gutes Fundament für kommende Reformen. Noch bestehende altständische Strukturen mussten nicht schlagartig beseitigt werden, solange sie keine gravierenden sozialen Probleme bedingten. Dass etwa der Bauernstand durch die Beibehaltung ständischer Ungleichheiten in weitreichende existentielle Schwierigkeiten geraten konnte, schlossen die meisten thüringischen Volksaufklärer in der Umbruchsphase von 1815 aus. Die Vorstellung, 328 Der Bote aus Thüringen, 52. Stück, 1816, S. 411 f. 329 Vgl. ebd., S. 412. 330 Ebd., S. 412 f.

DIE POLITISCHE AUFKLÄRUNG DES „VOLKES“

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dass jeder Einzelne trotz aller Standesschranken in der Lage sei, allein durch vernünftiges und selbstständiges Handeln das persönliche und gemeinschaftliche Wohl stetig zu fördern, war kurz nach Ende der Rheinbundzeit in den Köpfen der thüringischen Volksaufklärer immer noch stark präsent. Selbst als Mitte der 1820er Jahre die ersten Vorboten des langsam aufsteigenden Pauperismus spürbar wurden, war man davon überzeugt, dass die betroffenen Stände allein durch Selbsthilfe sich dieser Misere entledigen könnten. So betrachtete beispielsweise auch die Hildburghäuser „Dorfzeitung“ im Frühjahr 1824 die aufkommende „Dorf-Noth“ nicht als ein systemrelevantes gesamtgesellschaftliches Problem, sondern als ein spezifisches Problem des Bauernstandes. So heißt es in der „Dorfzeitung“, dass die gegenwärtige Armut, unter der die Bauern besonders zu leiden hätten, nicht durch obrigkeitliche Verordnungen, sondern vielmehr durch „Fleiß und selbstdenkende und nachdenkende Betriebsamkeit“ abgewendet werden kann: Wir haben schon Zeiten der Noth in Deutschland erlebt, aber sie war auf alle Stände verteilt und schneller vorübergehend. Jetzt ist’s fast nur der Bauern= und der ärmere Bürgerstand, der seit Jahren unter den immer sinkenden Preisen aller ländlichen Erzeugnisse leidet. Der Mangel wird immer größer, die Menge der Verarmten und Ausgepfändeten nimmt immer zu. […] Es sind wenige deutsche Länder, wo man nicht schon darauf bedacht gewesen wäre, durch gleichere Vertheilung der Abgaben, durch Einschränkungen in den Staatsausgaben, durch bessere landwirthschaftliche Bildung, oder wenigstens durch vorübergehende Erleichterung und Unterstützung des Bauernstandes einigermaßen zu helfen. Unsere Fürsten haben ein Auge, zu sehen, wo Hülfe noth thut, und ein Herz, das helfen will. In den meisten deutschen Ständeversammlungen ist der Notstand der Bauern berücksichtigt worden, und wir wollen vertrauen, daß dies immer mehr und allenthalben geschehen werde. Wem aber geholfen werden soll, der muß sich zuerst fragen, ob er sich nicht selbst etwas helfen könne, ehe er nach fremder Hülfe sich umsieht. Ich denke, wir überlegen uns das, ihr Nachbarn. Die vergangene Zeit uns Bauern Manches angewöhnt, was nichts taugte; wäre es so fortgegangen, wir wären allesammt vornehme Herren und verwöhnte Städter geworden. […] Die gute alte Lehrmeisterin, die Noth, hat uns schon manche Unart abgewöhnt, aber wir können noch manches von ihr lernen, ehe sie uns aus ihrer Schule entlässt, z.B. mehr Fleiß und selbsterfindende und nachdenkende Betriebsamkeit. Es gibt doch noch hundert Dinge, wodurch etwas erspart, der Feldbau verbessert, neue Quellen des Erwerbs eröffnet werden könnten. […] Mit obrigkeitlichen Befehlen ist da wenig zu helfen, wenn nicht das eigne Gefühl der Billigkeit und die Noth hilft und ausgleicht.331

Die Mehrzahl der thüringischen Volksaufklärer sprach sich bereits nach Ende der Napoleonischen Herrschaft für die Verwirklichung liberaler Ideen aus. Dass in einigen deutschen Staaten konstitutionelle Verfassungen mit festgeschriebenen Menschen- und Bürgerrechten eingeführt wurden, werteten die thüringischen volksaufklärerischen Periodika durchweg positiv. Ebenso befürworteten sie alle 331 Dorf-Noth, in: Dorfzeitung, 3. Blatt vom 17. Januar 1824, S. 9 f.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

Bemühungen, die zum Abbau ständischer Ungleichheiten führten. Dennoch wurde die Überwindung der Ständegesellschaft noch nicht mit Bestimmtheit eingefordert. Die thüringische Volksaufklärung blieb vorerst „systemkonform“ und „obrigkeitsorientiert“ und wich damit nur geringfügig von ihrer politischen Ausrichtung ab, die sie am Ende des 18. Jahrhunderts eingenommen hatte.332 Nach Georg Schmidt propagierte die politische Volksaufklärung am Ende des 18. Jahrhunderts eine „Ständegesellschaft mit gestuften Mitwirkungsmöglichkeiten“.333 Mit dieser Formulierung lässt sich im Wesentlichen auch der Kern der politischen Volksaufklärung in Thüringen bis in die 1820er Jahre beschreiben. Die vollständige Aufhebung aller ständischen Strukturen wurde in der Umbruchsphase von 1815 noch nicht angestrebt. Die bürgerliche Gesellschaft, die ohnehin erst im Zuge der Amerikanischen und Französischen Revolution feste Konturen erhalten hatte,334 sollte nach Auffassung der Mehrzahl der thüringischen Volksaufklärer die ständische Gesellschaft schrittweise substituieren. In welchem zeitlichen Rahmen und in welchem Umfang dies erfolgen sollte, war 1815 freilich noch nicht abzusehen. Solange aber der „gemeine Mann“ nicht befürchten musste, aufgrund der ihm auferlegten Standesschranken in existenzielle Schwierigkeiten zu geraten, schien eine sofortige Umsetzung der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere das Ideal von der Rechtsgleichheit aller Staatsbürger, noch nicht zwingend erforderlich. Im Laufe der Vormärzzeit änderte sich jedoch dieses Bild. Dabei stellen die Jahre von 1830 bis 1835 für die politische Volksaufklärung in Thüringen eine Art Zäsur dar. Folgt man der Einteilung Holger Bönings und unterteilt sich die Entwicklung der politischen Volksaufklärung in mehrere Politisierungsschübe,335 so erhielt die Volksaufklärung im thüringischen Raum um 1830 einen dritten Politisierungsschub. Denn ab sofort wurde das „Volk“ in der volksaufklärerischen Publizistik nicht nur über politische Sachverhalte aufgeklärt, sondern man zeigte diesem ebenfalls die schonungslosen Defizite der aktuellen politisch-rechtlichen Situation auf. Die im Konservativismus verharrende Obrigkeit wurde nun vehement als „fortschrittshemmend“ bezeichnet, während hingegen alle liberal gesinnten Fürsten, Adligen und Beamten als „fortschrittsdenkend“ deklariert wurden.336 332 Vgl. SCHMIDT: Wandel durch Vernunft, S. 272 f. 333 Ebd., S. 272. 334 Der Begriff der „bürgerlichen Gesellschaft“ wurde in Deutschland sogar erst im Jahr 1820 in Georg Friedrich Wilhelm Hegels Rechtsphilosophie klar ausformuliert. Vgl. MAURER, MICHAEL: Gesellschaft, Bürgerliche, in: Schneiders (Hrsg.): Lexikon der Aufklärung, S. 154 f.; HALTERN, UTZ: Bürgerliche Gesellschaft. Sozialtheoretische und sozialhistorische Aspekte, Darmstadt 1985, S. 5–16. 335 Vgl. BÖNING: Entgrenzte Aufklärung, S. 42. 336 Der Fortschrittsgedanke war tief verwurzelt in der Aufklärung bzw. Volksaufklärung. Die Volksaufklärung des späten 18. Jahrhunderts assoziierte mit dem Begriff „Fort-

DIE POLITISCHE AUFKLÄRUNG DES „VOLKES“

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Die Ursache dieser Entwicklung lag in erster Linie an der gesellschaftlichen und sozialen Entwicklung jener Zeit. Besonders die Pauperismuskrise dürfte einige Volksaufklärer dazu veranlasst haben, verstärkt über die politische Situation im Lande zu räsonieren. Und als es bis zum Ausbruch der Revolution von 1848/49 immer offensichtlicher wurde, dass die fürstlichen Regierungen es nicht verstanden, der wachsenden Massenarmut Einhalt zu gebieten, erreichten die Forderungen der thüringischen Volksaufklärer nach politischen Reformen eine bis dahin ungekannte Intensität. Angetrieben von der Befürchtung, dass die Bevölkerungsschicht der einigermaßen selbstständig agierenden Bauern und Handwerker in eine drastische soziale Notlage abrutschen könnte, wurde nach 1830 zunehmend das politische Handlungsvermögen einiger fürstlicher Regierungen offen infrage gestellt. Die Mehrheit der thüringischen Volksaufklärer vertrat deshalb zunehmend die Auffassung, dass es der völligen Abschaffung der teils noch bestehenden ständischen Strukturen bedurfte. Das Konzept der bürgerlichen Gesellschaft, eingebettet in einem auf politischer Partizipation beruhenden Verfassungsstaat, wurde von vielen thüringischen Volksaufklärern nach 1830 immer stärker als vorteilhafteres Gegenmodell zur alten Ständegesellschaft angepriesen. Angestoßen von Periodika wie dem „Thüringer Volksfreund“, der von Carl Joseph Meyer in Hildburghausen im Jahr 1832 als rein politisches, liberales Volksblatt herausgegeben wurde,337 zeichnete die volksaufklärerischen Publizistik nach 1830 ein idealisiertes bürgerliches Gesellschaftsbild. Die Mehrzahl der thüringischen Volksaufklärer orientierte sich an den Ideen des deutschen Frühliberalismus und plädierte für die Verwirklichung einer „klassenlosen Bürgergesellschaft“, in welcher die soziale Ungleichheit zwischen den einzelnen Gesellschaftsgliedern auf ein Minimum reduziert werden sollte.338 Dem „gemeinen

schritt“ im Wesentlichen die Verbreitung und Anwendung nützlicher Kenntnisse sowie die erfolgreiche Bekämpfung von Vorurteilen und Aberglauben. Die Volksaufklärer zielten auf einen materiellen und geistigen Fortschritt. Nach Reinhart Koselleck gewann im 19. Jahrhundert der Fortschrittsbegriff „Schlagwortcharakter“ und wurde ab 1830 verstärkt in politische Kontroversen einbezogen. Dieser Befund zeichnet sich auch für die thüringische Volksaufklärung in der Vormärzzeit ab, wobei der Fortschrittsbegriff nach wie vor auf eine materielle und geistige Verbesserung des gemeinen Mannes abzielte. Vgl. MEIER/KOSELLECK: Fortschritt, S. 351–423, hier insb. S. 407–415. Vgl. hierzu außerdem Kapitel II.1. 337 Vgl. Kapitel IV.2.3.3. 338 Vgl. GALL, LOTHAR: Liberalismus und „bürgerliche Gesellschaft“. Zu Charakter und Entwicklung der liberalen Bewegung in Deutschland, in: Ders. (Hrsg.): Liberalismus, S. 162–186. Zu den Gesellschaftsvorstellungen des liberal denkenden Bürgertums im Zeitraum von 1770 bis 1848 vgl. grundlegend DERS. (Hrsg.): Bürgertum und bürgerlich-liberale Bewegung in Mitteleuropa seit dem 18. Jahrhundert, München 1997; DERS.: Bürger-

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

Mann“ wurde suggeriert, dass in einer Bürgergesellschaft grundsätzlich jeder Mensch die Möglichkeit besaß, sich mit Bildung und Fleiß eine eigene, frei gewählte berufliche Existenz aufzubauen. Um die sozialen Ungleichheiten zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen zu begrenzen, sollte jeder Bürger stets im Interesse des Allgemeinwohls handeln. Je mehr ein Bürger über Besitz und Bildung verfügte, desto stärker war er dazu verpflichtet, das ihm gegebene materielle und geistige Vermögen gemeinnützig in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Der von ständischen Zwängen befreite, ökonomisch selbstständige Bürger wurde nach 1830 von den thüringischen Volksaufklärern ausdrücklich gewünscht, solange die Freisetzung größerer wirtschaftlicher Gestaltungsspielräume nicht die Herausbildung einer eigennützig agierenden Besitzklasse förderte.339 Das von den thüringischen Volksaufklärern konzipierte Modell einer bürgerlichen Gesellschaft stand damit in enger Beziehung zu der Idee einer „Gesellschaft mittlerer Existenzen“, die nach Lothar Gall zum Kernprogramm des frühen deutschen Liberalismus gehörte.340 Als sich der Industriekapitalismus in den 1840er Jahren endgültig durchsetzte und die Ausbildung einer modernen Klassenstruktur voranschritt, nahm die liberale Bewegung, insbesondere bei den Liberalen im Rheinland und in Baden, aber langsam Abstand vom Ideal einer „klassenlosen Bürgergesellschaft“.341 Die liberal denkenden Volksaufklärer im Thüringer Raum hielten hingegen mehrheitlich an diesem Gesellschaftsentwurf bis zum Ausbruch der Revolution von 1848/49 fest. Um die Verwirklichung einer bürgerlichen Gesellschaft voranzutreiben, prangerten die thüringischen Volksaufklärer in ihren Schriften die rechtlichen Ungleichheiten zwischen den Ständen an und stellten das moderne Leistungsprinzip immer stärker in den Vordergrund. Sie plädierten für Rechtsgleichheit und Erwerbsfreiheit und riefen die deutschen Regierungen zum schnellen Abbau altständischer Privilegien auf. Eine sofortige Auflösung der historisch gewachsenen, ständischen Sozialstrukturen wurde aber nicht gefordert. Man versuchte traditionale und moderne Gesellschaftsformen miteinander zu verbinden, um einen tum, liberale Bewegung und Nation. Ausgewählte Aufsätze, hrsg. von Dieter Hein, Andreas Schulz und Eckhardt Treichel, München 1996. 339 Das von den thüringischen Volksaufklärern entworfene Gesellschaftsbild einer mittelständischen „klassenlosen Bürgergesellschaft“ muss dabei auch als eine Reaktion auf den Industrialisierungsprozess in England gewertet werden. Die dortige Verschärfung der sozialen Ungleichheiten zwischen den besitzlosen und den vermögenden Bevölkerungsschichten wurde mit Sorge betrachtet. Die von den Volksaufklärern angestrebte bürgerliche Gesellschaft sollte die soziale Stabilität zwischen den einzelnen Gesellschaftsgliedern festigen und nicht das Gegenteil bewirken. Vgl. LANGEWIESCHE, DIETER: Frühliberalismus und Bürgertum, in: Gall (Hrsg.): Bürgertum und bürgerlich-liberale Bewegung, S. 120–124. 340 Vgl. GALL: Liberalismus und „bürgerliche Gesellschaft“, S. 176. 341 Vgl. LANGEWIESCHE: Frühliberalismus und Bürgertum, S. 128.

DIE POLITISCHE AUFKLÄRUNG DES „VOLKES“

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Interessensausgleich zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen herzustellen.342 Um die altständische Ordnung überwinden zu können, hatten sich zunächst alle Stände ausnahmslos dem bürgerlichen Leistungsprinzip unterzuordnen. Danach sollte die allgemeingültige Gleichheit aller Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft, einer Gesellschaft aus gleichberechtigten und freien Staatsbürgern, schrittweise verwirklicht werden. So wurde beispielsweise die soziale Existenz des Adelsstandes nicht infrage gestellt. Dennoch hatte sich dieser fortan dem modernen Prinzip der Leistung unterzuordnen. Der Adel sollte die von ihm ausgeübten Berufe nicht durch geburtsständische Rechte, sondern durch fachliche Qualifikation erlangen. Auch Carl von Pfaffenrath, der selbst dem Adelsstand angehörte, äußerte sich im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ über die Rolle des Adels innerhalb der von den Volksaufklärern angestrebten bürgerlichen Gesellschaft: Möge der Adel sein Glück, seinen Glanz und seine Bestimmung nicht allein im Hofleben suchen, sondern in Bildung, Lebensart und allen bürgerlichen Tugenden das Vorbild einer Ritterlichkeit seyn, wie sie in unserem Jahrhundert angemessen ist. […] Mögen die Herrn Söhne des Adels, die vom Majorate ausgeschlossen sind, etwas Tüchtiges lernen und nicht blos die Klinge führen oder als Krautjunker verbauern. […] Mögen die Fürsten den Adel nicht zum Nachteil anderer Stände bevorzugen, denn das schadet dem Adel selbst.343

Zur vollständigen Überwindung der ständischen Gesellschaft bedurfte es zwangsläufig auch einer gleichzeitigen Veränderung der politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen. In Anlehnung an das Programm des Liberalismus war für die thüringischen Volksaufklärer die freie Entfaltung des Individuums in einer Gesellschaft gleicher Bürger nur unter zwei Grundvoraussetzungen überhaupt erst möglich. Für sie waren Rechtsgleichheit und gesellschaftlicher Wohlstand unmittelbar abhängig von der Einführung der allgemeinen Presse- und Meinungsfreiheit sowie der Errichtung eines nationalen Verfassungsstaates. Nach 1830 entwickelten sich diese zwei Punkte zu zentralen Themen in der volksaufklärerischen Publizistik und wurden dementsprechend auch im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ ausführlich behandelt.

342 Nach Hans-Werner Hahn und Helmut Berding müssen deshalb die Jahre zwischen 1800 und 1848/49 auch als eine Übergangszeit betrachtet werden, weil es innerhalb dieses Zeitraums zur Herausbildung eigentümlicher gesellschaftlicher Mischverhältnisse kam. Die aufkommenden neuen Klassenstrukturen waren noch vielfach ständisch überformt. Vgl. HAHN/BERDING: Reformen, Restauration und Revolution, S. 255. 343 PFAFFENRATH, CARL VON: Betrachtungen und Wünsche eines frommen Volksfreundes, in: AVD, Nr. 29, 1846, S. 230 f.

VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

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3.4.1

Vom Patriotismus zum Nationalismus – Der Wunsch nach deutscher Einheit

VOM PATRIOTISMUS ZUM NATIONALISMUS

„Welcher Erdtheil ist mehr geeignet, der Aufenthaltsort glücklicher Menschen zu seyn, als der, welchen wir bewohnen? Welches Land in demselben hat schönere Berge, Thäler, Ebenen freundliche Städte, als unser geliebtes Deutschland?“344 Für Magnus Escher aus dem Dorf Schwarza, nahe der Residenzstadt Rudolstadt gelegen, war es unverständlich, dass in den 1840er Jahren immer mehr Deutsche den Entschluss fassten, ihre Heimat zu verlassen. Er hatte keine rationale Erklärung dafür, wie die deutschen Auswanderer die Vorteile ihres eigenen Landes verkennen konnten. Die zunehmenden Auswanderungen waren deshalb für Escher ein unwiderlegbares Indiz, dass die Deutschen ihr Vaterland nicht zu schätzen wussten. Die soziale Not als wichtiger Faktor der Emigration war Escher durchaus bekannt gewesen, doch die massenhaften Auswanderungen waren seines Erachtens auch einer anderen Ursache geschuldet: Seiner Meinung nach mangelte es den Deutschen an Vaterslandsliebe.345 Die Vaterlandsliebe, gleichbedeutend mit dem Wort Patriotismus, war bereits im 18. Jahrhundert ein wesentlicher Bestandteil der volksaufklärerischen Literatur.346 Der Patriotismus des 18. Jahrhunderts war vor allem eine moralische Haltung, die gemäß dem Verständnis der Aufklärung jedem wahrhaft aufgeklärten Menschen zweifellos anhaftete.347 Der Patriot war ein Vaterlandsfreund, der stets im Interesse des Gemeinwohls handelte und seine Tätigkeiten in den Dienst des „gemeinen Besten“ stellte.348 In gewisser Hinsicht kann die Volksaufklärung in ihrer Grundausrichtung auch als eine Erziehungsbewegung zum Patriotismus 344 ESCHER, MAGNUS: Worin haben die immer häufiger werdenden Auswanderungen ihren Grund und wie ist dieser betrübenden Erscheinung entgegen zu arbeiten, in: AVD, Nr. 50, 1846, S. 401. 345 So schreibt Escher: „Doch einen viel tieferen Grund dieser Erscheinung unserer Zeit finde ich in der zu geringen Kenntniß des Vaterlandes und dem daraus hervorgehenden Mangel an Vaterlandsliebe.“ Ebd., S. 401. 346 Zum Patriotismusverständnis in der periodischen Presse, auch unter Berücksichtigung der volksaufklärerischen Publizistik, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vgl. WAIBEL, NICOLE: Nationale und patriotische Publizistik in der Freien Reichsstadt Augsburg. Studien zur periodischen Presse im Zeitalter der Aufklärung (1784–1770), Bremen 2008, S. 73–89. 347 Vgl. VIERHAUS: Deutschland im 18. Jahrhundert, S. 187 f. Zur Bestimmung der Begriffe „Patriot“ und „Patriotismus“ im Zeitraum von 1750 bis 1850 vgl. außerdem PRIGNITZ, CHRISTOPH: Patriot, Patriotismus, in: Reinalter, Helmut (Hrsg.): Lexikon zu Demokratie und Liberalismus 1750–1848/49, Frankfurt am Main 1993, S. 237–243. 348 Vgl. BORGSTEDT: Das Zeitalter der Aufklärung, S. 74; VIERHAUS, RUDOLF: „Patriotismus“ – Begriff und Realität einer moralisch-politischen Haltung, in: Ders. (Hrsg.): Deutschland im 18. Jahrhundert, S. 97.

VOM PATRIOTISMUS ZUM NATIONALISMUS

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verstanden werden.349 Das Anliegen der Volksaufklärer, den „gemeinen Mann“ zum Bürger zu erziehen, der stets im Dienste und zum Wohle der Gemeinschaft handelte, entspricht exakt der Vorstellung eines „guten Patrioten“. Der Patriotismus wurde von den Volksaufklärern als eine Bürgertugend interpretiert, die sich jeder Mensch zuerst anzueignen hatte, bevor ihm der Status eines Staatsbürgers zugesprochen werden durfte.350 Nach Rudolf Vierhaus war der Patriotismus des 18. Jahrhunderts zunächst an einen bestimmten Raum oder ein Konstrukt gebunden. „Patriotismus konnte sich auf die Heimatstadt, auf den Staat, in dem der ‚Patriot‘ lebte, auf das Reich und auf die Menschheit richten, allerdings auch auf die ‚deutsche Nation‘, die es zwar nicht in staatlicher Einheit, aber doch als Substrat des Reiches und als sprachlich-kulturelle Einheit gab.“351 In der Hochphase der Volksaufklärung hatte der Patriotismus noch eine starke regionale Ausrichtung. Beispielsweise blieb in Beckers „Noth= und Hülfsbüchlein“ patriotisches Handeln noch auf das Dorf Mildheim und dessen unmittelbare Umgebung beschränkt.352 Nach 1800 vollzog die räumliche Dimension des volksaufklärerischen Patriotismusverständnisses allerdings einen Wandel. Die Vorstellung der Volksaufklärer, dass ein Patriot stets gemeinnützig zu agieren hatte, existierte auch im Vormärz unvermindert weiter, doch fortan sollte dieser Patriotismus nicht mehr lokal oder regional abgegrenzt werden, sondern die komplette deutsche Nation mit einbeziehen. Die Grundlagen des Patriotismusbegriffes, welchen die thüringischen Volksaufklärer während der Vormärzzeit in ihren Schriften benutzten, wurden bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts ausgearbeitet. So erschien im Jahr 1795 unter dem Titel „Ueber Patriotismus“ in Altenburg eine anonyme Schrift, die ein Patriotismusverständniss skizzierte, wie es später von den thüringischen Volksaufklärern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in fast identischer Form zur Verwendung kam.353 Der unbekannte Verfasser dieser Schrift gab zu bedenken, dass das Wort Patriotismus „in unsern Tagen eine sehr schwankende und zum Theile übelberüchtigte Bedeutung bekommen“ hätte.354 Grundsätzlich war für ihn der Begriff Patriotismus weiterhin mit dem deutschen Wort „Vaterlandliebe“ gleichzusetzen.355 349 Für Holger Böning verfolgen Patriotismus und Volksaufklärung des 18. Jahrhunderts im Wesentlichen dieselben Ziele. Seiner Meinung nach konstituierte sich die Volksaufklärung unmittelbar aus dem Patriotismus. Vgl. BÖNING, HOLGER: Das Volk im Patriotismus der deutschen Aufklärung, in: Dann, Otto (Hrsg.): Patriotismus und Nationsbildung am Ende des Heiligen Römischen Reiches, Köln 2003, S. 65. 350 Vgl. VIERHAUS: „Patriotismus“, S. 102. 351 Vgl. ebd., S. 96. 352 Vgl. BECKER: Noth= und Hülfs=Büchlein, Theil 2, S. 858. 353 Vgl. [o. V.] Ueber Patriotismus, Altenburg 1795. 354 Ebd., S. 1. 355 Vgl. ebd., S. 3.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

„Ein lebhaftes Theilnehmen und eifriges Mitwürken zu dem Ruhme, Wohlstande und Festigkeit des Landes in dem man seinen Sitz aufgeschlagen hat“, wertete der unbekannte Verfasser als Patriotismus, als eine unmittelbare Folge von wahrer Vaterlandliebe.356 Allerdings merkte er gleichzeitig an, dass patriotisches Handeln nur an jenen Orten zur Blüte gelangt, wo „jeder Einwohner seines Vaterlandes ohne Unterschied des Standes, in seinem Verhältnisse und Lage sich wohl befinde, seinen Unterhalt leicht erwerben, sein Eigenthum sicher und ungestört besitzen und bei dem Genuße einer rechtmäßigen bürgerlichen Freiheit, ein bequemes und sorgenfreies Leben führen könne“.357 Diese Kritik am Feudalsystem bzw. an der ständischen Ordnung des Alten Reiches war ein zentrales Element dieser Schrift und wahrscheinlich der Grund, warum der Verfasser seine Identität nicht preisgeben wollte. Nach Meinung des unbekannten Verfassers waren die schlechten Rechtsverhältnisse mit dafür verantwortlich, dass sich der Patriotismus bisher kaum im „Volk“ verbreitet hätte. So schrieb er: Denn das Volk, als der zahlreichste Theil [der Bevölkerung], hatte gar keinen politischen Werth, und es war im Staate = 0. Es war Sclave, unter dem Drucke der Vasallen, die mit dem Leben und Eigenthume ihrer Dienstleute nach Gefallen schalten und walten konnten. Diese mußten ihnen ihre Ländereien bauen, mußten mit ihnen ihn den Krieg ziehen, mußten, als ob sie einzig nur um ihrentwillen in der Welt wären, einzig nur für sie leben. War hierinnen wohl Aufmunterung, ein Land zu lieben, dessen Verfassung für sie so drückend war? […] Dieß konnte sie freilich nicht reizen, auf ihr Vaterland stolz zu seyn, und für den Ruhm und Wohlstand desselben zu arbeiten. Denn eigentlich hatten sie kein Vaterland; sie hatten nur Herren, […] die in dem Wahne standen, daß sie allein die Nation ausmachten.358

Das „Volk“ stand demnach nicht außerhalb, sondern war ein wesentlicher Bestandteil der Nation. Allerdings musste sich das „Volk“ der Nation auch zugehörig fühlen. Solange die Nation von der breiten Masse der Bevölkerung nur als die Gesamtheit aller Herrschaftsträger eines politischen Verbundes wahrgenommen wurde, konnte sich der Patriotismus nicht entfalten. Hinzu kam, dass in jedem despotischen Staat, wo die Herrschenden nur darauf bedacht waren, die eigenen Interessen gegenüber ihren Untertanen durchzusetzen, eine Verankerung des Patriotismus im „Volk“ als unmöglich betrachtet wurde. Die Nation sollte eine Gemeinschaft gleicher Bürger sein, die den Bedürfnissen aller ihrer Mitglieder gerecht werden sollte. Es ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung bis 1780 keine genaue Vorstellung davon hatte, welche Ziele und Ideen die Gebildeten mit dem Nationsbegriff verbanden. Dies änderte sich allerdings am Ende des 18. Jahrhunderts. Die „deutsche Nation“, ihre Entstehung und gesellschaftliche 356 Ebd., S. 17. 357 Ebd., S. 16 f. 358 Ebd., S. 22 f.

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Zusammensetzung, entwickelte sich in den letzten zwei Dezennien des 18. Jahrhunderts schlagartig zu einem zentralen Thema der volksaufklärerischen Publizistik.359 Rekurrierend auf Sprache, Kultur und Geschichte, versuchten die Volksaufklärer seit den 1780er Jahren, das deutsche Volk – wobei der Volksbegriff nun erstmals auch als Synonym für die deutsche Nation verwendet wurde360 – als eine über Jahrhunderte zusammengewachsene Einheit darzustellen. In der historischkulturellen und politischen Volksaufklärung wurde die deutsche Nation als das Ergebnis eines historischen Entwicklungsprozesses dargestellt, welchen die verschiedenen deutschen Volksstämme seit dem Mittelalter gemeinsam durchlaufen hatten. Dabei wurde betont, dass sich das Vaterland des „gemeinen Mannes“ aufgrund dieses gemeinsamen Entwicklungsprozesses nicht nur auf das unmittelbare Lebensumfeld beschränkte, sondern über die gesamten deutschsprachigen Territorien des Alten Reiches erstreckte.361 Mit der Intention, beim „Volk“ einen Nationalcharakter bzw. ein nationales Bewusstsein zu erzeugen, kam es schließlich in den 1780er und 1790er Jahren zur Gründung einer Vielzahl überregional ausgerichteter volksaufklärerischer Periodika, wie etwa Beckers „National-Zeitung der Teutschen“. Diese Blätter zielten ganz bewusst auf ein „nationales Publikum“, versuchten also eine Leserschaft anzusprechen, die sich über den gesamten deutschen Sprachraum verteilte.362 Wie die Untersuchungen von Holger Böning gezeigt haben, blieben diese Versuche nicht ohne Erfolg. So hatten die „gesamtdeutschen“ volksaufklärerischen Periodika erheblichen Anteil an der Herausbildung einer nationalen Öffentlichkeit in Deutschland.363 Ob sich das „Volk“ im ausgehenden 18. Jahrhundert schon einer deutschen Nation zugehörig betrachtete, ist allerdings nur schwer zu beantworten. Die Äußerungen einiger Volksaufklärer lassen aber vermuten, dass sich am Ende des 18. Jahrhunderts nicht wenige Personen aus dem „Volk“, noch nicht als Teil eines nationalen Kollektivs wahrgenommen haben.364 Dementsprechend musste der „gemeine Mann“ über den Weg der Volksbildung erst noch intensiver an die Nationsidee des Bildungsbürgertums herangeführt werden. Die Vorstellung, dass die Erziehung des „gemeinen Mannes“ zur Nation, also die Herausbildung eines Nationalbewusstseins im „Volk“, zu den Kerninhalten der Volksbildung gehören sollte, verankerte sich nach Ausbruch der Französischen Revolution schließlich fundamental im Konzept der Volksaufklärung.365 In 359 360 361 362 363 364 365

Vgl. BÖNING: Das Volk im Patriotismus der deutschen Aufklärung, S. 79–81. Vgl. hierzu Kapitel II.2. Vgl. BÖNING: Das Volk im Patriotismus der deutschen Aufklärung, S. 82. Vgl. ebd., S. 85 f. Vgl. ebd., S. 83–88. Vgl. ebd., S. 88. Vgl. WEICHLEIN, SIEGFRIED: Nationalbewegung und Nationalismus in Europa, Darmstadt 2006, S. 60–62. Zur Entstehung einer deutschen Nationalbildung/Nationalerzie-

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Frankreich hatte sich im Zuge der Französischen Revolution eine Nation konstituieren können, die sich erstmals aus einem Volk von Staatsbürgern zusammensetzte.366 Für den einzelnen Franzosen bedeutete der neue Status des Staatsbürgers zunächst die Übernahme von Pflichten, die er im Interesse des Gemeinwohles der gesamten Nation unbedingt zu erfüllen hatte.367 Im Gegenzug wurde jedem Staatsbürger ein politisches Mitspracherecht eingeräumt, das es ihm gestattete, an der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung der Nation teilzuhaben. Für die deutschen Volksaufklärer avancierte das französische Nationskonstrukt bald zu einem Synonym für staatliche Modernisierung. Gleichzeitig wurde der französische Staatsbürger zum Idealtypus eines „rechtschaffenen Patrioten“. Aufgrund des radikalen Verlaufes der Revolution wuchsen unter den deutschen Volksaufklärern allerdings die Zweifel, ob eine egalitäre Staatsbürgernation zwangsläufig zu mehr Patriotismus führen würde. Die deutschen Volksaufklärer kamen nach dem Ende der Revolution mehrheitlich zur Auffassung, dass die Franzosen den Zustand eines „aufgeklärten Volkes“ vor dem Ausbruch der Revolution noch nicht erreicht hätten und eine Entfaltung patriotischen Denkens und Handelns in Frankreich aufgrund dessen nicht möglich gewesen wäre.368 Die Idee einer politisch emanzipierten Nation, die sich aus egalitären Staatsbürgern zusammensetzte, wurde von den Volksaufklärern zwar weiterhin unterstützt, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass das „Volk“, das den Hauptteil der Nation bildete, über ein entsprechendes Maß an Aufklärung und Bildung verfügte. Nach Ansicht der Volksaufklärer war gerade die fehlende Aufklärung des französischen „Volkes“ dafür verantwortlich, dass sich in Frankreich während der Revolution keine patriotische Staatsbürgergesellschaft, die im Sinne des „gemeinen Besten“ handelte, herausgebildet hatte. Stattdessen entwickelte sich die französische Nation zu einer Gesellschaft von Egoisten, die kein Interesse an Patriotismus und Gemeinnützigkeit zeigte.369 Trotz der als negativ empfundenen Entwicklung der Französischen Revolution sympathisierten die Volksaufklärer weiterhin mit der Idee einer aus emanzipierten Staatsbürgern konstituierenden deutschen Nation.370 Denn das französische Modell einer Staatsbürgernation schien dem deutschen Bildungsbürgertum, dem die Volksaufklärer ja gleichsam

366 367 368 369 370

hung als Folge der Französischen Revolution vgl. vor allem HERRMANN, ULRICH: Von der „Staatserziehung“ zur „Nationalbildung“. Nationalerziehung, Menschenbildung und Nationalbildung um 1800 am Beispiel von Preußen, in: Ders. (Hrsg.): Volk – Nation – Vaterland, S. 207–221. Vgl. WEICHLEIN: Nationalbewegung, S. 62–64. Vgl. ebd., S. 63 f. Vgl. BÖNING: Das Volk im Patriotismus der deutschen Aufklärung, S. 89–91. Vgl. PRIGNITZ, CHRISTOPH: Vaterlandsliebe und Freiheit. Deutscher Patriotismus von 1750 bis 1850, Wiesbaden 1981, S. 66–68. Vgl. BÖNING: Das Volk im Patriotismus der deutschen Aufklärung, S. 91 f.

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angehörten, nach wie vor der beste Ansatz, das ihrer Meinung nach überholte System der ständischen Gesellschaft aufzubrechen. Nach Thomas Nipperdey war damit der moderne Nationalismus geboren.371 Im modernen Nationalismus erfuhr der Begriff der Nation um die Wende des 18. zum 19. Jahrhunderts einen Bedeutungswandel. Die aus gleichberechtigten Staatsbürgern konstituierte Nation sollte ab sofort den Staat legitimieren. Autonom handelnde, ständisch legitimierte Herrschaftseliten, die wie bisher das „Volk“ von allen politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen hatten, wurden nun abgelehnt. Ab sofort sollte jeder Staatsbürger das Recht haben, die Entwicklung des Staates und der gesamten Nation mitzubestimmen.372 Die Leitidee des modernen Nationalismus war „nicht mehr der gehorsame Untertan, sondern der aktive Staatsbürger, der allerdings durch Besitz und Bildung qualifiziert sein muß, ehe er am Gemeinwesen, an der Nation mitwirken kann“.373 Nach Hans-Ulrich Wehler war der moderne Nationalismus am Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts damit vor allem eine liberale Emanzipations- und Oppositionsideologie, die Adelsprivilegien auflösen und die ständische Ungleichheit beseitigen wollte.374 Getragen wurde sie zunächst fast einzig vom Bildungsbürgertum, das nach politischer Emanzipation strebte und geeignete Wege suchte, die „Fesseln“ der ständischen Gesellschaft aufzusprengen.375 Der Nationalismus im ausgehenden 18. Jahrhundert war demnach keine Massenbewegung, sondern blieb vorerst auf eine gebildete Minderheit beschränkt. Die Volksaufklärer gehörten zu jener Gruppe von Bildungsbürgern, die nach 1800 das Ziel verfolgten, die Ideen des modernen Nationalismus in das „Volk“ zu tragen, um auf diese Weise die Nationalbewegung zu einem Massenphänomen auszuweiten. Für das gebildete Bürgertum eignete sich die Verfassung des Alten Reiches zu Beginn des 19. Jahrhunderts allerdings nur bedingt als Fundament für die von ihnen angestrebte deutsche Nation. Zum einen wurde der fehlende politische Zusammenhalt zwischen den einzelnen deutschen Staaten beklagt, der sich seit 371 Vgl. NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 301 f. Ebenso vertritt auch Dieter Langewiesche die Meinung, dass das Hauptcharakteristikum des modernen Nationalismus im Willen zur Umgestaltung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse lag. Vgl. LANGEWIESCHE, DIETER: ’Nation‘, ’Nationalismus‘, ’Nationalstaat‘ in der europäischen Geschichte, in: Ders./Schmidt, Georg (Hrsg.): Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000, S. 18. 372 Zum modernen politischen Konzept der Nation vgl. DANN, OTTO: Vereinsbildung und Nationsbildung: Sieben Beiträge, Köln 2003, S. 183. 373 WEHLER, HANS-ULRICH: Nationalismus, Nation und Nationalstaat in Deutschland seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, in: Herrmann (Hrsg.): Volk – Nation – Vaterland, S. 272. 374 Vgl. ebd., S. 272. 375 Vgl. ebd.

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dem Siebenjährigen Krieg durch die ausgeprägte Rivalität zwischen Österreich und Preußen immer weiter verschärft hatte, und zum anderen wurde die in der Reichsverfassung fixierte rechtliche Ungleichheit der ständischen Gesellschaft als unzeitgemäß betrachtet. Es bedurfte daher einer Reform der Reichsverfassung, die in der Reichspublizistik des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts in den Grundzügen auch schon ausgearbeitet war.376 Jedoch blieb die Realisierung dieser Reformvorschläge aus. Das Alte Reich, das als „nationaler Dachverband“ aller deutschen Staaten die politische und gesellschaftliche Entwicklung der deutschen Nation maßgeblich mitbestimmte, schien vielen aufklärerisch denkenden Gebildeten um 1800 als reformunfähig. Zur Herausbildung einer patriotisch handelnden Staatsbürgernation bedurfte es aber eines politisch handlungsfähigen gesamtdeutschen Staates, der genau definierte, aus welchen Gesellschaftsgliedern sich die deutsche Nation zusammensetzte und zugleich die Rechte und Partizipationsmöglichkeiten seiner Bürger übergreifend in allen Einzelstaaten abzusichern vermochte. Friedrich Hegels Formulierung aus dem Jahre 1800: „Deutschland ist kein Staat mehr“,377 unterstrich hierbei signifikant, was ein Teil des gebildeten Bürgertums über die politische Handlungsfähigkeit des Alten Reiches am Ende des 18. Jahrhunderts dachte. Ähnlich wie Hegel dürften um 1800 weite Teile des aufstrebenden Bürgertums das Heilige Römische Reich deutscher Nation nur noch als einen „politischen Scheinstaat“ wahrgenommen haben: Die Auflösung des Problems, wie es möglich wäre, daß Deutschland kein Staat sey, und doch ein Staat sey, ergibt sich sehr leicht, daß es ein Staat ist in Gedanken, und kein Staat in Wirklichkeit, daß Formalität und Realität sich trennt, die leere Formalität dem Staat, die Realität aber dem NichtSeyn des Staates zugehört.378

Wenn aus der deutschen Kulturnation, die sich bereits seit Beginn der Frühen Neuzeit herausgebildet hatte und sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts allmählich in den Köpfen der einfachen Bevölkerung festsetzte,379 auch eine einheitliche Staatsnation werden sollte, mussten die politisch-rechtlichen Strukturen des Alten 376 Vgl. hierzu grundlegend DÜWEL, SVEN: Die Diskussionen um eine Reform der Reichsverfassung in den Jahren von 1763 bis 1803. Eine Verfassungsstudie auf der Grundlage ausgewählter publizistischer Schriften der damaligen Zeit, Hamburg 2008; BURGDORF, WOLFGANG: Reichskonstitution und Nation. Verfassungsreformprojekte für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation im politischen Schrifttum von 1648 bis 1806, Mainz 1998; PETERS, WILFRIED: Späte Reichspublizistik und Frühkonstitutionalismus. Zur Kontinuität von Verfassungssystemen an nord- und mitteldeutschen Konstitutionalismusbeispielen, Frankfurt am Main 1993. 377 HEGEL, GEORG WILHELM FRIEDRICH: Über die Reichsverfassung, hrsg. von Hans Maier, Hamburg 2004, S. 3. 378 Ebd., S. 37. 379 Vgl. SCHIEDER, THEODOR: Nationalismus und Nationalstaat. Studien zum nationalen Problem im modernen Europa, 2. Aufl. Göttingen 1992, S. 146 f.

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Reiches modernisiert werden. Die größte Möglichkeit, auf Reichsebene umfangreiche politische Reformen anzustoßen, bot sich schließlich im Jahr 1806, als infolge der Gründung des Rheinbundes, der Abdankung Kaiser Franz‘ II. sowie der Schlacht bei Jena und Auerstedt das Ende des Alten Reiches besiegelt wurde.380 Obwohl einige Zeitgenossen den Untergang des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation mit Entsetzen und Fassungslosigkeit registrierten,381 setzten nicht wenige Bildungsbürger große Hoffnungen auf einen durch Napoleon initiierten Export der politischen Errungenschaften der Französischen Revolution nach Deutschland und eine damit verbundene Reform der einzelstaatlichen sowie gesamtdeutschen Verfassungs- und Rechtsstrukturen.382 Jedoch hatte Napoleon in den Jahren nach 1806 wenig Interesse, die deutsche Nation zu einer politischen Einheit nach französischem Vorbild zu formen. Zwar wurde insbesondere in den Rheinbundstaaten der Abbau altständischer Strukturen durch die Einführung moderner Verwaltungs-, Justiz- und Verfassungsreformen erheblich beschleunigt,383 doch konnte sich die deutsche Nationalbewegung während der napoleonischen Herrschaft kaum entfalten.384 Die Politik des französischen Kaisers in Deutschland beruhte in erster Linie auf der Durchsetzung eigener militärischer und fiskalischer Interessen sowie der Absicherung der französischen Hegemonialstellung in Mitteleuropa. Die anfängliche Bewunderung der Person Napoleons wich nun einer Enttäuschung, die spätestens nach 1809, als in Tirol und Spanien erste Volksaufstände gegen das napoleonische 380 Zur politischen Zäsur und Umbruchsphase des Jahres 1806 vgl. KLINGER, ANDREAS/ HAHN, HANS-WERNER/SCHMIDT, GEORG (Hrsg.): Das Jahr 1806 im europäischen Kontext. Balance, Hegemonie und politische Kulturen, Köln/Weimar/Wien 2008. 381 BURGDORF, WOLFGANG: Ein Weltbild verliert seine Welt. Der Untergang des Alten Reiches und die Generation 1806, 2. Aufl. München 2009. 382 Vgl. PRIGNITZ: Vaterlandsliebe und Freiheit, S. 70–72; DANN: Vereinsbildung und Nationsbildung, S. 107–111. 383 Vgl. SCHUCK, GERHARD: Rheinbundpatriotismus und politische Öffentlichkeit zwischen Aufklärung und Frühliberalismus. Kontinuitätsdenken und Diskontinuitätserfahrung in den Staatsrechts- und Verfassungsdebatten der Rheinbundpublizistik, Stuttgart 1994; WEIS, EBERHARD (Hrsg.): Reformen im rheinbündischen Deutschland, München 1984; FEHRENBACH, ELISABETH: Verfassungs- und sozialpolitische Reformen und Reformprojekte in Deutschland unter dem Einfluß des napoleonischen Frankreich, in: Berding, Helmut/Ullmann, Hans-Peter (Hrsg.): Deutschland zwischen Revolution und Restauration, Königstein im Taunus 1981, S. 65–90. Vgl. außerdem ARETIN, KARL OTMAR VON/WEIS, EBERHARD (Hrsg.): Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten, 7 Bde., München 1992–2005. 384 Zum einen wurde die deutsche Nationalbewegung von der französischen Hegemonialmacht unterdrückt und zum anderen zielte die Politik der deutschen Einzelstaaten auf den Erhalt der neu gewonnenen Souveränität, was die Ausbreitung des deutschen Nationalismus zusätzlich hemmte. Vgl. HAHN/BERDING: Reformen, Restauration und Revolution, S. 117–119.

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System ausgebrochen waren, in tiefes Misstrauen umschlug.385 Die napoleonische Politik wurde zunehmend als Fremdherrschaft empfunden,386 derer man sich entledigen musste.387 Aus dem Widerstand gegen die französische Besatzung erwuchs in den Jahren von 1806 bis 1813 schließlich eine gesamtdeutsche nationale Bewegung, die aber nach wie vor auf die bildungsbürgerliche Elite beschränkt blieb.388 Die Studien von Jörg Echternkamp haben aber gezeigt, dass selbst in der Phase der Befreiungskriege von einer Erhebung des deutschen „Volkes“ bzw. vom Aufkommen eines Nationalbewusstseins im deutschen „Volk“ keine Rede sein konnte.389 Nach 1815 standen die Volksaufklärer vor dem Problem, die eben skizzierten Entwicklungen, die der deutsche Nationalismus und Patriotismus im Zeitraum von 1789 bis 1815 durchlaufen hatte, in ihre Schriften zu integrieren. Der erfolgreiche Kampf gegen Napoleon, dem sich 1813 nahezu alle deutschen Staaten angeschlossen hatten, verhalf der nationalen Bewegung nach dem Ende der Befreiungskriege überall in Deutschland zu einem Aufschwung. Die Idee, die deutsche Nation in eine staatliche Einheit zu fassen, um auf diese Weise die innere und äußere Freiheit des deutschen Volkes dauerhaft zu garantieren, stieß in weiten Teilen des gebildeten Bürgertums auf breite Akzeptanz und wurde nach 1815 über das Vereinswesen, durch Festveranstaltungen und auf literarisch-publizistischem Weg massiv in die breite Öffentlichkeit getragen.390 Im Gegensatz zur vornapoleonischen Ära entwickelte sich die deutsche Nationalbewegung nun zu einer organisierten Bewegung.391 Auch in Thüringen schlossen sich einige Volksaufklärer der deutschen Nationalbewegung an und intensivierten nach 1815 vor allem die historisch-kulturelle Nationsbildung im „Volk“. Dabei sollte die Festigung eines kulturellen Nationalbewusstseins in der breiten Bevölkerung langfristig auch zu politisch-rechtlichen Veränderungen führen. Oberstes Ziel blieb weiterhin die Herausbildung einer 385 Zum Napoleonbild speziell in Thüringen vgl. GREILING: Napoleon in Thüringen, S. 119–144; DERS.: Napoleon der Große. Das Napoleonbild im Ereignisraum WeimarJena, in: Klinger/Hahn/Schmidt (Hrsg.): Das Jahr 1806, S. 329–348. 386 Vgl. KOLLER, CHRISTIAN: Fremdherrschaft. Ein politischer Kampfbegriff im Zeitalter des Nationalismus, Frankfurt/New York 2005, S. 150–190. 387 Zum antinapoleonischen Widerstand von 1806–1814/15 vgl. SPIES, HANS-BERND (Hrsg.): Die Erhebung gegen Napoleon 1806–1814/15, Darmstadt 1981; MEINECKE, FRIEDRICH: Das Zeitalter der deutschen Erhebung (1795–1815). Mit einem Geleitwort von Siegfried A. Kaehler, 7. Aufl. Göttingen 1963, S. 77–136. 388 Vgl. NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 303. 389 Vgl. ECHTERNKAMP, JÖRG: Der Aufstieg des deutschen Nationalismus (1770–1840), Frankfurt am Main/New York 1998, S. 216–222. 390 Vgl. DANN: Vereinsbildung und Nationsbildung, S. 125–129; NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 303–306. 391 Vgl. DANN: Vereinsbildung und Nationsbildung, S. 107.

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Staatsbürgernation, die in nationalen Kategorien dachte und vor allem die Aufrechterhaltung des Gemeinwohles der gesamten deutschen Nation stets im Blickfeld hatte. Der Anstieg der „politischen Volksblätter“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts zeigt, dass die Volksaufklärer dieses Vorhaben mit Nachdruck zu realisieren versuchten. Damit der Prozess der Verankerung eines nationalen Bewusstseins im „Volk“ erfolgreich verlief, mussten die Volksaufklärer aber zwangsläufig ihr Patriotismuskonzept überarbeiten. Vor allem durfte der Patriotismus, so wie er teilweise noch im „Noth= und Hülfsbüchlein“ vermittelt wurde, nicht mehr regional beschränkt bleiben, sondern musste nun konsequent auf die nationalstaatliche Ebene verlagert werden. Im Grunde wurde dieses Problem bereits Ende des 18. Jahrhunderts erkannt. In der Schrift „Ueber Patriotismus“ wurde diesbezüglich darauf hingewiesen: Es ist mit dem Patriotismus deutscher Nation eine ganz eigne Sache. Es gehört mehr dazu, als zu dem Patriotismus andrer Nationen. Der Deutsche hat zwei Vaterländer zu lieben: den ganzen großen, aus so vielen einzelnen Gliedern zusammengesetzten Staatskörper; und dann auch das kleinere deutsche Land, das er eben bewohnt.392

Der unbekannte Verfasser rief die Fürsten, Regierungen und Gebildeten dazu auf, den „Gemeinsinn“ zwischen den deutschen Volksstämmen zu stärken, um somit in allen deutschen Ländern eine gleichmäßige Verteilung des Patriotismus in allen Bevölkerungsschichten zu erreichen. An diese Vorstellung knüpften die thüringischen Volksaufklärer nach 1815 nahtlos an. Der deutsche Staatsbürger sollte ein Patriot sein, der sich willens zeigte, das Gemeinwohl seiner Nation zu fördern. Folglich hatte der aufgeklärte und gemeinnützig agierende Patriot nicht nur im Interesse seines Heimatortes, sondern ebenso im Interesse der gesamten deutschen Nation zu handeln. Auf diese Weise verschmolzen nach 1815 patriotisches Engagement und nationale Bewegung miteinander.393 Darauf hoffend, beim „Volk“ ein Nationalbewusstsein zu erzeugen und zugleich den „gemeinen Mann“ zu einem gemeinnützig handelnden, aufgeklärten Staatsbürger zu erziehen, wurde das Konzept eines auf die deutsche Nation ausgerichteten Patriotismus schließlich bis zum Ende der Volksaufklärung beibehalten. Untersucht man die volksaufklärerische Publizistik des Vormärz, wird ersichtlich, dass selbst die Volksaufklärer aus der Spätphase der Volksaufklärung, also in den 1840er Jahren, standhaft die Meinung vertraten, dass die Gründung eines deutschen Nationalstaates ohne einen Patriotismus, der sich ausnahmslos über den ganzen deutschen Sprach- und Kulturraum erstreckte, äußerst schwierig zu realisieren war. Auch für Carl von Pfaffenrath waren Patriotismus und

392 Vgl. Ueber Patriotismus, S. 84. 393 Vgl. VIERHAUS: „Patriotismus“, S. 107–109. Vgl. außerdem PRIGNITZ: Vaterlandsliebe und Freiheit, S. 66–87.

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Nationalismus untrennbar miteinander verbunden. So äußerte sich der Saalfelder Kammerherr im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“: Es läßt mich nicht ruhen, zu euch, meine deutschen Mitbürger, von dem zu reden, was ich so wahr, so tief fühle, was ja jeder gute Deutsche als ein Heiligthum in sich tragen soll, von der Liebe zum deutschen Vaterlande. O! Möchte doch meine Stimme so laut seyn, daß sie zu den Herzen aller drängen, die des deutschen Namens würdig sind. Könnte ich euch erwärmen und begeistern für das, woraus unserm Vaterlande nur allein Heil und Segen bringen kann, nämlich für die uns so nöthige deutsche Einheit und brüderliche Eintracht.394

Patriotismus durfte nach Pfaffenrath keine regionale Erscheinung sein, andernfalls blieb der Zusammenschluss der deutschen Nation zu einem deutschen Einheitsstaat reine Utopie: Also von der Liebe zum Vaterland wollte ich zu euch sprechen, und euch so recht warm an’s Herz legen, daß doch endlich die Zeit wieder hervorgerufen werde, wo ihr Deutschen deutsch denken und handeln möchtet, wo wir uns Alle würdige Söhne eines gemeinsamen deutschen Vaterlandes nennen können, wo wir aufhören mögen, die Bedeutung des Wortes Vaterland so engherzig zu nehmen, als wenn es nur das Land wäre, in welchem wir geboren. Denn solange wir noch den Glauben haben, als wären wir nur dem Geburtslande allein die Verpflichtung schuldig, welche wir Vaterlandsliebe nennen, solange sind wir keine ächten Deutschen.395

Für das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ war es kein Widerspruch, dass sich der Patriot sowohl seiner Heimatstadt als auch allen anderen deutschen Staaten verbunden fühlte. Die Vaterlandsliebe eines deutschen Staatsbürgers bzw. dessen Streben nach Gemeinnützigkeit sollte stets auf die kollektive, gesamtdeutsche Gemeinschaft gerichtet sein: Aber erwachen soll sie [die Vaterlandsliebe] und sich zeigen in der treuen Anhänglichkeit, in der gänzlichen Hingebung an das Land, wo deutsche Herzen schlagen und deutscher Mund redet. Sie soll sich zeigen in jener brüderlichen Gemeinschaft, jenem engen Zusammenhalten und jener Eintracht, mit der wir Angelegenheiten des ganzen deutschen Vaterlandes zu unseren eigenen Angelegenheiten machen, und so viel Menschenfreundlichkeit uns aneignen, daß wir stets unsere Persönlichkeit dem Allgemeinen unterordnen. Mit diesen schönen, edlen Gefühlen im Busen, soll der deutsche Staatsbürger sorgsam wachen für das Wohl des Staates, wie für das Wohl seines Hauses und seiner Angehörigen. Die Gefahren, die Nachtheile, welche jenem drohen, sollen seine Aufmerksamkeit und Kraft so anregen und beleben, wie die, welche seinen persönlichen Wohlstand bedrohen.396

Folgt man den Ausführungen der auswärtigen Mitarbeiter des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“, wie dem anfangs zitierten Artikel von Magnus 394 PFAFFENRATH, CARL VON: Zuruf eines Volksfreundes an die Deutschen, in: AVD, Nr. 2 vom 13. Januar 1844, S. 14. 395 Ebd., S. 15. 396 DERS.: Zuruf eines Volksfreundes an die Deutschen, in: AVD, Nr. 3 vom 20. Januar 1844, S. 21.

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Escher, so fallen die Klagen über eine mangelnde Vaterlandsliebe im „Volk“ recht umfangreich aus. Schenkt man diesen Berichten Glauben, wäre dies eine Bestätigung der von Otto Dann aufgestellten Theorie, dass es dem „Volk“ auch noch unmittelbar vor der Märzrevolution an nationaler Begeisterung fehlte. Nach Dann hatte sich die nationale Bewegung innerhalb des Zeitraums von 1815 bis 1840 zu einer bürgerlichen Massenbewegung entwickelt, die sowohl auf die breite Unterstützung des Besitz- und Bildungsbürgertums als auch der mittel- und kleinbürgerlichen Schichten zurückgreifen konnte, war aber in den 1840er Jahren noch nicht bis in die unterbürgerlichen Bevölkerungskreise im ländlich-kleinstädtischen Raum vorgedrungen.397 Die Ausführungen im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ weisen zumindest darauf hin, dass der Prozess der Verankerung patriotisch-nationaler Vorstellungen im „Volk“, vor allem die Idee einer gemeinnützig agierenden Staatsbürgernation, in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht vollständig abgeschlossen war. Die Bemühungen des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ machen außerdem deutlich, dass die thüringischen Volksaufklärer beharrlich an ihrem Ziel festgehalten haben, aus dem deutschen „Volk“ eine deutsche Nation zu formen. Dass sich Rückschläge nicht vermeiden ließen, war den Volksaufklärern durchaus bewusst. Viele Punkte ihres Volksbildungsprogramms, etwa die Bekämpfung des Aberglaubens, bedurften einer jahrzehntelangen Einwirkung auf die breite Masse der Bevölkerung. Der Gleichgültigkeit des „gemeinen Mannes“ gegenüber „neuen und zweckmäßigen Richtungen und Einrichtungen“ begegneten die Volksaufklärer deshalb „mit Geduld und Standhaftigkeit“.398 So waren sie auch der Meinung, dass die patriotisch-nationale Erziehung des „gemeines Mannes“ erst mit der Zeit ihre gewünschte Wirkung entfalten werde. Um ihr Ziel zu erreichen, war es allerdings unabdingbar, dass es den Volksaufklärern weiterhin gelang, das „Volk“ an sich zu binden und gegen konservative Ideen abzuschirmen. Deshalb forcierte das liberal denkende Bürgertum im Laufe des Vormärz immer intensiver seine nationalen und liberalen Bestrebungen und suchte die offene Konfrontation mit den konservativ-reaktionären Kräften.399 „Es standen sich nun gegenüber die Kräfte der einzelstaatlichen Staatsund Nationsbildung mit zunehmend antiliberaler Tendenz und auf der anderen Seite eine junge gesamtnationale Bewegung sowie eine sich verstärkende liberale Opposition in den Einzelstaaten.“400 Beide Lager erkannten dabei recht schnell, dass für die zukünftige politische Entwicklung Deutschlands das „Volk“, also die Masse der noch nicht politisierten Bevölkerung, von entscheidender Bedeutung

397 398 399 400

Vgl. DANN: Vereinsbildung und Nationsbildung, S. 152. Volksbildung, in: AVD, Nr. 49, 1846, S. 389. Vgl. DANN: Vereinsbildung und Nationsbildung, S. 130–132. Ebd., S. 131 f.

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sein konnte.401 Daher bemühten sich sowohl die Konservativen als auch die Liberalen, das „Volk“ an die jeweils eigene politische Bewegung zu binden. In den 1830er Jahren versuchten beide Lager über periodische Schriften und Vereine mehr Einfluss auf die politische Gesinnung des „gemeinen Mannes“ zu üben. In den 1840er Jahren führten dann zahlreiche konservative und liberale Volksblätter einen regelrechten Konkurrenzkampf um die Gunst des „Volkes“.402 Um die innere Nationsbildung zu beschleunigen und beim „gemeinen Mann“ Sympathien für die deutsche Nationalbewegung zu wecken, wurden in den volksaufklärerischen Blättern die Errungenschaften und Leistungen der deutschen Nation besonders hervorgehoben. Dazu gehörte neben der Propagierung einer ruhmreichen deutschen Geschichte auch die Herausstellung einer auf Sprache, Literatur, Sagen, Sitten und Architektur basierenden eigenständigen deutschen Kultur. Dementsprechend wurden auch im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ zahlreiche historische Abhandlungen zur deutschen Geschichte abgedruckt und in mehreren Artikeln die Kultur der deutschen Nation besonders hervorgehoben. So findet sich in dem von Pfaffenrath und Schwerdt herausgegebenen Blatt das komplette Repertoire der vom liberalen Bürgertum entwickelten Konzepte zur nationalen Identitätsstiftung.403 Es gab Abhandlungen zur Geschichte des deutschen Vaterlandes, Würdigungen der literarischen Werke von Schiller und Goethe, Abgrenzungen der deutschen Sprache gegenüber anderen Fremdsprachen, Lobeshymnen auf deutsche Erfindungen, Artikel über deutsche Sitten und Bräuche sowie Glorifizierungen verdienstvoller deutscher Persönlichkeiten wie Arminius, Luther, Gutenberg oder Friedrich den Großen.404 Infolge der Rheinkrise im Jahr 1840 wurde im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ ebenso eine intensive Abgrenzung der deutschen Nation gegenüber der französischen Nation betrieben. Geschockt von den expansiven Bestrebungen der Franzosen, die mit der Forderung nach Abtretung des linken Rheinufers ein „historisch verbürgtes Territorium“ der Deutschen beanspruchten, wurde die französische Nation von den Volksaufklärern zum Feind des deutschen Vaterlandes erklärt. Befürchtungen einer zweiten französischen Fremdherrschaft 401 Vgl. ebd., S. 132. 402 Vgl. MÜLLER-SALGET: Erzählungen für das Volk. Für den Thüringer Raum ist allerdings zu bemerken, dass es im Zeitraum von 1815 bis 1848 erstaunlicherweise zu keiner einzigen Gründung eines Volksblattes kam, das ein klar konservativ ausgerichtetes Profil aufweist. 403 Vgl. hierzu ebd., S. 305 f. 404 Vgl. u.a. Deutsche Einheit, in: AVD, Nr. 6–9, 1845, S. 43–46, 50–52, 58–60 u. 66–69; BECHSTEIN, LUDWIG: Thüringische Sagen, in: AVD, Nr. 9, 1845, S. 65 f.; SCHWERDT, HEINRICH: Erzählungen aus der deutschen Geschichte, in: AVD, Nr. 8–9, 1844, S. 51– 53 u. 60–63; Ausländerei, in: AVD, Nr. 45, 1845, S. 355–357; Volksbildung und Volkswohlfahrt. Noch einige Worte über Lesevereine auf dem Lande, in: AVD, Nr. 51, 1845, S. 404; Was giebt’s Neues? (Modesachen), in: AVD, Nr. 23, 1846, S. 185.

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machten sich breit und verliehen dadurch der deutschen Nationalbewegung neue Impulse.405 Im kollektiven Aufbegehren gegen den äußeren Feind ergriff der deutsche Nationalismus erstmals breite Bevölkerungsschichten. Selbst in einigen konservativen Kreisen konnte sich der deutsche Nationalismus, wenn auch mit inhaltlichen Akzentverschiebungen, in den 1840er Jahren allmählich festsetzen. „Das Gefühl der Bedrohtheit schuf ein neues Pathos emotionaler Solidarität.“406 Hans-Ulrich Wehler spricht in diesem Zusammenhang von einer „gesamtdeutschen nationalistischen Aufwallung“, die weit über die bisherige bürgerliche Anhängerschaft hinauslief und tief in die Bevölkerung eindrang.407 Die Propagierung eines Feindbildes schien die Massen in unerwartet hohem Maße für den Nationalismus zu mobilisieren. Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ machte sich diesen Umstand zunutze und stimmte in den feindseligen Tenor gegen die französische Nation mit ein. Von den Volksaufklärern bis zum Jahr 1840 weitestgehend als ein Land der Kultur und Aufklärung deklariert, wurden Frankreich bzw. die französische Nation nun als grausam und herrschsüchtig dargestellt. Nicht imstande, die großartigen Errungenschaften der französischen Aufklärung anzuwenden, erklärten die Volksaufklärer den „gemeinen Franzosen“ für unfähig, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. So heißt es im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“: Franzosen und Juden stehen in einer großen wechselseitigen Aehnlichkeit: sie gaben den Völkern gute Lehren und haben selbst keinen Frieden. Dem aufmerksamen Beobachter erscheint der Bewohner Frankreichs als ein Gemisch von Verstand und Beschränktheit, von Rechtlichkeit und Grausamkeit. Er handelt – das beweist die Geschichte – ehe er denkt und opfert dem Scheine und Ruhme Alles.408

Nach Meinung des Saalfelder Wochenblattes würde ein innerer Drang nach Zerstörung sowie das Fehlen an Aufklärung und Bildung das französische „Volk“ ständig dazu verleiten, gewaltsam gegen die Zustände im Inneren und gegen seine friedfertigen Nachbarstaaten vorzugehen. Jede Mäßigung vermissend, der Hybris und Impertinenz verfallen, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Franzosen das deutsche Vaterland wieder mit Krieg überziehen würden. Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ kam deshalb zum dem Ergebnis, „daß sie [die Franzosen] ein wenig schlechter sind, als andere Völker“.409 Aufgrund der ständigen Gefahr eines französischen Angriffs propagierte man, unter Heraufbeschwörung des glorreichen Zusammenschlusses der Deutschen 405 Vgl. MÜLLER: Die Revolution von 1848/49, S. 6. 406 NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 311. 407 Vgl. WEHLER, HANS-ULRICH: Nationalismus. Geschichte – Formen – Folgen, München 2001, S. 73. 408 Die Geschichte lehrt uns: daß von den Franzosen kein Heil für andere Völker zu erwarten sey, in: AVD, Nr. 1, 1845, S. 4. 409 Ebd.

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während der Befreiungskriege, die Schaffung eines starken Nationalstaates, der im Gegensatz zum bestehenden System des Deutschen Bundes einen vermeintlich besseren Schutz vor der französischen Aggression bot. Ihre innenpolitischen Ziele nicht aus den Augen verlierend, forderten die Volksaufklärer aber zugleich auch einen rechtsstaatlich-konstitutionellen Nationalstaat, der die Wirkungsfähigkeit besitzen sollte, sowohl die innere als auch die äußere Freiheit auf Dauer zu gewährleisten.410 In einem solchen Nationalstaat, davon war Carl von Pfaffenrath überzeugt, würden die Deutschen entschlossen und begeistert […] den Arm bewaffnen, sowohl gegen den Feind von Außen, wenn er die Grenzen Deutschlands überschreitet, oder der Volksehre zu nahe tritt, als gegen den Räuber im Innern, der in unser Haus eindringt, unser häusliches Glück entweiht und unsern häuslichen Frieden stört.411

Außenpolitisch betrachtet hatte der deutsche Nationalstaat vorrangig die Aufgabe zu erfüllen, gegenüber auswärtigen Mächten Stärke, Größe und Entschlossenheit zu demonstrieren. Kriegerische Positionen wie sie Ernst Moritz Arndt vertrat, der in seinem Gedicht „Als Thiers die Welschen aufgerührt hatte“ dazu aufrief,412 dass sich „Alldeutschland“ ganz Frankreich einverleiben sollte,413 sind im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ nicht zu finden. Ungeachtet der Tatsache, dass man eine militärische Intervention gegen Frankreich ablehnte, hatte man dennoch mit der französischen Nation ein ideales Feindbild geschaffen, auf das sich alles Negative projizieren ließ, von dem die 410 Äußere Freiheit in Bezug auf die Bedrohung auswärtiger Mächte und innere Freiheit hinsichtlich der Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit sowie politischer Mitsprache als Maßnahme zur Verhinderung despotischer Auswüchse fürstlicher Macht. Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ wollte keine deutsche Einheit auf Kosten innerer Freiheit und nahm damit eine Position ein, wie sie unter anderem auch von Arnold Ruge oder Georg Herwegh vertreten wurde. Vgl. PRIGNITZ: Patriot, Patriotismus, S. 241 f. 411 PFAFFENRATH, CARL VON: Zuruf eines Volksfreundes an die Deutschen, in: AVD, Nr. 3 vom 20. Januar 1844, S. 21. 412 Gemeint ist Adolphe Thiers (1797–1877), der im Jahr 1840 das Amt des französischen Ministerpräsidenten bekleidete. Durch seine Forderungen, den Rhein als „natürliche Grenze“ zwischen Frankreich und Deutschland zu etablieren, war er maßgeblich am Ausbruch der Rheinkrise beteiligt. Zu den Ursachen und Verlauf der Rheinkrise vgl. MÜLLER, FRANK LORENZ: Der Traum von der Weltmacht. Imperialistische Ziele in der deutschen Nationalbewegung von der Rheinkrise bis zum Ende der Paulskirche, in: Jahrbuch der Hambach-Gesellschaft, 6 (1996/97), S. 99–183. 413 So heißt es in Arndts Gedicht „Als Thiers die Welschen aufgerührt hatte“ (1841): „Und brauset der Sturmwind des Krieges heran / und wollen die Welschen ihn haben / So sammle, mein Deutschland, dich stark wie ein Mann / Und bringe die blutigen Gaben / Und bringe das Schrecken und trage das Grauen / Von all deinen Bergen, aus all deinen Gauen / und klinge die Losung: »Zum Rhein! übern Rhein! Alldeutschland in Frankreich hinein!«“ Vgl. hierzu außerdem WEHLER: Nationalismus. Geschichte – Formen – Folgen, S. 73.

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Volksaufklärer glaubten, dass es die Entwicklung des „gemeinen Mannes“ zum „ordentlichen“ Staatsbürger beeinträchtigte. Beispielsweise konnte nach Meinung des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ die Ursache für die Zunahme des Alkoholkonsums in den 1830/40er Jahren auch auf die Franzosen zurückgeführt werden.414 Vor allem die Ausbreitung der „Branntweinpest“ war zum Großteil den Franzosen verschuldet,415 da sie es waren, die den Branntwein während der napoleonischen Kriege mit nach Deutschland gebracht hatten.416 Zwar konnten die Franzosen wieder vertrieben werden, doch ihr Branntwein blieb und führte weiterhin zur geistigen Verwahrlosung des „gemeinen Mannes“.417 Auf diese Weise ließen sich geschickt mehrere „Erziehungsmaßnahmen“ miteinander verbinden. Die Verknüpfung eines äußeren Feindbildes mit den sozialen und gesellschaftlichen Problemen der eigenen Nation erfüllte damit einen doppelten Zweck. So konnten die Volksaufklärer zum einen das Nationalbewusstsein des „gemeinen Mannes“ stärken und zum anderen ebenso auf dessen Sittlichkeit einwirken. Wie bereits erwähnt, hatte sich die nationale Bewegung in den 1840er Jahren, also zum Zeitpunkt der Herausgabe des „Allgemeinen Volksblattes des Deutschen“, bereits zu einer bürgerlichen Massenbewegung entwickelt. Dass der Nationalismus im Laufe der Vormärzzeit unaufhaltsam in die breite Bevölkerung vordringen sollte, war aber keineswegs schon 1815 entschieden. Vor allem hatte das liberal denkende Bürgertum im Vormärz mit dem nicht zu unterschätzenden Problem zu kämpfen, dass in der Lebenswirklichkeit des „Volkes“ keine nationalpolitischen Strukturen existierten. Der auf Souveränität ausgerichtete Partikularismus der deutschen Einzelstaaten war zunächst stärker im Bewusstsein des 414 Zur Entwicklung des wachsenden Alkoholkonsums in der Vormärzzeit vgl. SPODE, HASSO: Alkohol und Zivilisation. Berauschung, Ernüchterung und Tischsitten in Deutschland bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Berlin 1991, S. 132–138. 415 Folgt man der Studie von Hasso Spode, war diese Behauptung nicht nur volksaufklärerische Polemik. So betont Spode, dass infolge der Napoleonischen Kriege der Branntwein zum „täglichen Volks-Getränk“ der Deutschen avancierte und somit zum „Ausgangspunkt für ein neues Kapitel der Geschichte der Trunkenheit“ wurde. Vgl. ebd., S. 132. 416 Vgl. Ueber die Wirkung des Branntweins auf die Geistesfähigkeit der Kinder, in: AVD, Nr. 23, 1846, S. 184. 417 Den wachsenden Alkoholkonsum in den 1840er Jahren betrachtete das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ mit Argwohn. In den Augen der Volksaufklärer war der Alkoholismus ein Hemmnis für die geistige Fortbildung des „gemeinen Mannes“. Wollte man den „gemeinen Mann“ zu einem patriotisch handelnden Staatsbürger erziehen, galt es den Konsum von Alkohol zu beschränken. Folglich unterstützte das Blatt die Ziele der Mäßigungsvereine, die besonders den Verzehr von Branntwein im „Volk“ zu unterbinden versuchten, „dieses Getränks, welches nur anfangs eine eingebildete Stärkung, in seinen Folgen [aber] unausbleibliche Schwäche an Geist und Körper bringt“. Sprechsaal. Mäßigkeitsverein, in: AVD, Nr. 41 vom 12. Oktober 1844, S. 327.

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„gemeinen Mannes“ verankert und solange dieses Ordnungsmodell zu funktionieren schien, also die elementaren Bedürfnisse der Bevölkerung weitestgehend erfüllen konnte, gestaltete es sich für das Bürgertum schwierig, das „Volk“ von der Notwendigkeit eines einheitlichen Nationalstaates zu überzeugen.418 Als jedoch in den 1830er Jahren die wachsenden gesellschaftlichen und ökonomischen Probleme von den Regierungen nicht mehr bewältigt werden konnten, musste deren konservative Politik zunehmend in eine Legitimationskrise führen.419 Die Entstehung eines gesamtdeutschen Verkehrs- und Kommunikationsnetzes sowie die enge wirtschaftliche Verflechtung der deutschen Einzelstaaten innerhalb des Zollvereins führten dazu, dass die soziale Frage in der zeitgenössischen Publizistik immer stärker als eine nationale Angelegenheit dargestellt wurde.420 In der volksaufklärerischen Publizistik Thüringens wurde hierbei vor allem betont, dass national organisierte Verbände und Vereine wirtschaftliche und soziale Probleme effektiver bekämpfen könnten. Ebenso wurde propagiert, dass die in den deutschen Einzelstaaten bereits vorhandenen, vorrangig regional auftretenden Landwirtschafts- und Gewerbevereine ihre Ziele besser verwirklichen könnten, wenn sie auf nationaler Ebene in engere Kooperationen treten würden. Dementsprechend wurde der „gemeine Mann“ in der volksaufklärerischen Publizistik dazu aufgefordert, sich einer oder mehreren Organisationen anzuschließen, um mit anderen gemeinnützig agierenden Personen die bestehenden sozialen Probleme auf regionaler sowie nationaler Ebene gemeinsam zu bekämpfen. Von einem solchen Engagement erhofften sich die Volksaufklärer eine Stärkung des Gemeinschaftsgefühls unter den Deutschen sowie eine daraus resultierende Beschleunigung der inneren Nationsbildung. Zusätzlich rief man das „Volk“ regelmäßig dazu auf, an nationalen Festen und Veranstaltungen, wie beispielsweise den Thüringer Sängerfesten, teilzunehmen und mitzuwirken.421 All diese Maßnahmen sollten letztendlich dazu beitragen, die landwirtschafts- und gewerbetreibende Bevölkerung stärker an die nationale Bewegung zu binden.422 Jedoch mussten die Volksaufklärer bis in die 1840er Jahre immer wieder die Erfahrung machen, dass die Aufforderungen, sich national ausgerichteten Vereinen oder Verbänden anzuschließen, beim „Volk“ auf wenig Resonanz stieß.423 418 419 420 421

Vgl. NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 306. Vgl. DANN: Vereinsbildung und Nationsbildung, S. 135. Vgl. ebd., S. 118–124 u. 137. Vgl. Blicke in die Welt und in die Menschheit. Das zweite Liederfest des Thüringer Sängerbundes, in: AVD, Nr. 35–39, 1844, S. 275–278, 283–285, 290–293, 299–302 u. 307– 309. Zum Engagement Heinrich Schwerdts in der Thüringer Sängerbewegung vgl. außerdem Kapitel IV.2.1. 422 Vgl. WEHLER: Nationalismus, Nation und Nationalstaat, S. 274. 423 Auch Carl von Pfaffenrath beklagte, dass der „gemeine Mann“ kein Interesse daran zeigte, an seinem überregional agierenden „Thüringischen Verein für Kunst, Gewerbe und

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Dass die Herausbildung einer nationalen Identität im „Volk“ bzw. die Erziehung des „gemeinen Mannes“ zum gemeinnützig handelnden Staatsbürger letztendlich keine Verbesserung der sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse bewirken konnte, solange es an den entsprechenden politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen fehlte, war den Volksaufklärern schon Ende des 18. Jahrhunderts bewusst geworden. Der von den Volksaufklärern angestrebte nationale Patriotismus des „Volkes“ bedurfte bestimmter verfassungsrechtlicher Grundlagen. Dass es der deutschen Nation an Patriotismus mangelte, führten nicht wenige Gebildete auf die unterschiedlichen Rechtsverhältnisse innerhalb und zwischen den einzelnen Ständen zurück. So wurde bereits 1795 in der anonymen Schrift „Ueber Patriotismus“ ausgeführt: Wir wollen also doch ja den Unterschied der Stände, wie er bisher bestanden hat, lassen. Der Fürst, der Edelmann, der Geistliche, der Kaufmann, der Gelehrte, der Künstler, der Bürger, der Bauer bleibe was er ist. Aber er trete nur in ein richtiges Verhältniß zu seinen Mitbürgern. Diejenige Gleichheit, die nothwendig dazu gehört, wenn dem Staatsbürger seyn Vaterland lieb seyn soll, besteht darinnen, wenn kein Stand vor dem anderen begünstigt wird, wenn kein Stand die Gewalt hat, den andern zu tyrannisiren und zu plündern, wenn ein Stand wie der andere seinen verhältnißmäßigen Theil zu den Lasten des Landes trägt, wenn nicht der Stand, sondern das Verdienst und die Geschicklichkeit Ansprüche auf Aemter und Staatsbeziehungen giebt, wenn alle Stände nach einerlei Gesetzen gerichtet werden. Warum soll ein sogenannter Vornehmer, wenn er schlechte Streiche macht, Ungerechtigkeiten und Gewaltthätigkeiten verübt, nicht gerade so bestraft werden, wie der gemeine Mann, der ein ähnliches Verbrechen begangen hat? Empört eine solche Partheilichkeit nicht den Menschenverstand und das Menschengefühl? Muß sie nicht den friedlichen Staatsbürger mismüthig machen? Kann es einem Lande gefallen, wo der Edelmann oder der Geistliche, blos weil er ein Edelmann oder ein geistlicher ist, wenn er Böses gestiftet hat, gelinder behandelt wird, als die, die seines Standes sind?424

Kein Stand sollte gegenüber einem anderen Stand bestimmte Vorrechte genießen dürfen. Eine Abschaffung der Stände, so wie dies in Frankreich im Zuge der Französischen Revolution erfolgte, wurde aber abgelehnt. Der gewünschte Rechtsstaat, der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gewährleistete, sollte zunächst auf „ständischer Basis“ realisiert werden. Die thüringischen Volksaufklärer hielten an diesem Prinzip generell bis 1830 fest. Selbst als nach 1815 die Mehrheit des liberalen Bürgertums das Ordnungsmodell des Deutschen Bundes massiv kritisierte und eine Konstitutionalisierung der politischen Verhältnisse in Deutschland forderten, gab es vonseiten der thüringischen Volksaufklärer keinen Ruf nach Modernisierung der einzelstaatlichen und gesamtdeutschen Verfassungsstrukturen, die neben einer allgemeinen Rechtsgleichheit auch Meinungsgemeinnützige Zwecke“ mitzuwirken. Vgl. Stadtmuseum Saalfeld, V 23418S, Vierter Jahresbericht des Thüringischen Vereins für Kunst, Gewerbe und gemeinnützige Zwecke, Saalfeld 1839, S. 2–4. 424 Ueber Patriotismus, S. 182 f.

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freiheit, Berufsfreiheit, Freiheit der Person, Glaubensfreiheit und politische Partizipation garantieren sollten. Die Forderung nach einer parlamentarischen Repräsentativverfassung, die alle gebildeten Staatsbürger zur politischen Partizipation auf einzelstaatlicher sowie nationaler Ebene berechtigte, erfolgte in der volksaufklärerischen Publizistik Thüringens erst nach Ausbruch der Französischen Julirevolution. Das Verfassungswerk des Deutschen Bundes erschien jetzt auch den gemäßigten Volksaufklärern als zu altständisch und reformunfähig.425 Nun wurden auch in der volksaufklärerischen Publizistik konkrete Ansichten geäußert, wie die moderne deutsche Nation verfassungsrechtlich und gesellschaftspolitisch strukturiert sein sollte. Nach 1830 präzisierten die thüringischen Volksaufklärer ihre Vorstellungen von Freiheit, Gleichheit, Bürger- und Menschenrechten und politischer Partizipation, die fortan Einzug in das Gros der universell ausgerichteten volksaufklärerischen Periodika hielten, darunter auch in das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“. Trotz aller Nationalstaatsbestrebungen und Präzisierungen zu den angestrebten Verfassungsverhältnissen in Deutschland wurde im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ nie explizit ausgeführt, über welches Territorium sich der geforderte deutsche Nationalstaat erstrecken sollte. In Anlehnung an Arndts Gedicht „Des Deutschen Vaterland“ (1813) stellte man dem Leser zwar mehrfach die Frage „Was ist der Deutschen Vaterland?“, doch eine Antwort bzw. Äußerungen über eine konkrete territoriale Abgrenzung des deutschen Nationalstaates oder Aufsätze und Artikel zur Problematik einer großdeutschen oder kleindeutschen Lösung sucht man im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ vergebens. In gewisser Weise offenbarte sich hier schon das Dilemma, vor dem nur wenige Jahre später auch die deutsche Nationalversammlung in Frankfurt stand.426 Die Aussagen über das zukünftige Territorium eines deutschen Einheitsstaates sind alle recht schwammig. Sätze wie „Kein Österreich, kein Preußen mehr, nur ein großes einiges Deutschland“ oder „Es muß endlich dahin kommen, daß sich der Deutsche in jedem deutschen Lande, wie in seinem nächsten Vaterlande fühle. Darin beruht die deutsche Einheit, nach der wir streben dürfen“ sind die einzigen Ausführungen, die sich in den

425 Vor allem die Wiener Schlussakte vom 15. Mai 1820, die den deutschen Frühkonstitutionalismus im Keim ersticken sollte, dürfte auch den thüringischen Volksaufklärern nach 1830 zunehmend missfallen haben. Zur Wiener Schlussakte vgl. HUBER, ERNST RUDOLF (Hrsg.): Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, 3. Aufl. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1978, S. 81–90. 426 Nach Frank Lorenz Müller sollte sich vor allem die Frage, wo die Grenzen der deutschen Nation lagen, während der Revolution, mit Blick auf die bevorstehende Gründung des deutschen Nationalstaates, „als unheilvoll erweisen“. Vgl. MÜLLER: Die Revolution von 1848/49, S. 96 f.

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ersten beiden Jahrgängen diesbezüglich finden lassen.427 Als im August 1846 der dänische König Christian VIII. Anspruch auf Holstein erhob, wurde die Frage nach der territorialen Grenze des deutschen Staates dann abermals im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ diskutiert. Allerdings blieben die Angaben zu einem möglichen deutschen Staatsgebilde wie in den Jahrgängen 1844/45 wenig aussagekräftig. Man berief sich nach wie vor auf Ernst Moritz Arndt und setzte den geforderten Nationalstaat mit dem schon bestehenden deutschen Sprachraum gleich.428 Ebenso unscharf waren die Aussagen des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ hinsichtlich der Thematik des zukünftigen Oberhauptes eines deutschen Nationalstaates. Die Frage nach einem deutschen Kaiser österreichischer oder preußischer Herkunft schien sich für Pfaffenrath und Schwerdt nicht zu stellen oder war aufgrund ihrer Problematik so prekär, dass man es lieber vermeiden wollte, sie öffentlich im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ auszutragen. Hingegen fielen die Vorstellungen zur Staatsform des angestrebten Einheitsstaates etwas detaillierter aus. Man strebte eine konstitutionelle Monarchie an, der die deutschen Fürsten und eine vom „Volk“ gewählte Volksvertretung vorstehen sollten. Nach Auffassung des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ sollte diese Regierungsform aber nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch in den einzelnen deutschen Staaten zum Tragen kommen. Die Legitimität der verschiedenen deutschen Fürstentümer blieb somit unangetastet. Die deutschen Einzelstaaten mit ihren fürstlichen Oberhäuptern wurden von den Volksaufklärern als eine wichtige Stütze des Staates erachtet. Für sie stand ein solches föderalistisches System in keinem Widerspruch zu der Errichtung eines gesamtdeutschen Einheitsstaates. Man vertrat die Idee einer Föderativnation, die in der partikularistischen Tradition des Alten Reiches stehen sollte.429 427 Deutsche Einheit, in: AVD, Nr. 9, 1845, S. 66 f. 428 Man bezog sich hierbei vor allem auf die sechste Strophe von Arndts Gedicht „Des Deutschen Vaterland“ aus dem Jahr 1813, das in leicht modifizierter Form abgedruckt wurde: „Was ist der Deutschen Vaterland? So nenne mir das große Land! So weit die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt! Das soll es seyn, das soll es seyn, Das, wack’re Deutsche, soll es seyn!“ Was giebt’s Neues (Schleswig=Holstein!), in: AVD, Nr. 36, 1846, S. 288 f. 429 Zur Idee einer deutschen Föderativnation sowie den Kontinuitätslinien des föderativen Nationalismus vom Alten Reich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts vgl. LANGEWIESCHE, DIETER: Föderative Nation, kulturelle Identität und politische Ordnung. (Rück-)Blick aus dem 19. Jahrhundert, in: Schmidt, Georg (Hrsg.): Die deutsche Nation im frühneuzeitlichen Europa. Politische Ordnung und kulturelle Identität, München 2010, S. 65–79; DERS.: Reich, Nation, Föderation. Deutschland und Europa, München 2008, S. 229– 234; DERS.: Zum Überleben des Alten Reiches im 19. Jahrhundert. Die Tradition des zusammengesetzten Staates, in: Klinger/Hahn/Schmidt (Hrsg.): Das Jahr 1806, S. 123–133; DERS.: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000, S. 190–199.

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Der Deutsche Bund sollte politisch erneuert und durch Reformen sukzessive zu einem Nationalstaat geführt werden. Stets mit Blick auf Frankreich verurteilten die Volksaufklärer jede Form eines republikanischen und des zentralistischmonarchischen Staates. Die Beseitigung politisch etablierter Strukturen, und dazu gehörte nach Meinung der Volksaufklärer auch die Rechtmäßigkeit der deutschen Fürstentümer, war keine politische Erneuerung, sondern eine politische Umwälzung: Es giebt […] zwei Parteien, die unter deutscher Einheit eine Umwalzung aller Ordnung verstehen. Die eine will die Aufrichtung eines deutschen Kaiserthums und die Aufhebung der einzelnen selbstständigen Staaten. Die andere will eine deutsche Republik, die entweder, wie einst die französische, einen einzigen ungetheilten Staatskörper, oder eine Bundesrepublik, wie in den vereinigten nordamerikanischen Freistaaten bilden soll. Beide Parteien […] wünschen also eine Umwälzung der bestehenden politischen Verhältnisse, die schwerlich anders, als auf gewaltsamen Wege erfolgen könnte. Fern sey es von jedem wahren Patrioten solche Gesinnung zu verbreiten!430

Vor allem die Einführung republikanischer Verhältnisse lehnte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ vehement ab, hatte die Geschichte doch gezeigt, dass „das Verlangen unruhiger Köpfe nach einem Freistaate ein Unsinn“ war.431 Für Carl von Pfaffenrath mündete der Wegfall der fürstlichen Oberhäupter zwangsläufig in Tyrannei und Despotie. An die Leserschaft seines Blattes richtete er die Frage: „Denn wo werden die Menschen mehr tyrannisiert, als in einem Staate ohne Oberhaupt?“432 Die Herrschaft der Fürsten in den Einzelstaaten durfte demzufolge nicht beseitigt werden, andernfalls drohte das politische System zu Ungunsten der gesamten deutschen Bevölkerung zu kippen. Auch in den Liedern und Gedichten, die während der Liederfeste des „Thüringer Sängerbundes“ vorgetragen wurden, wird ersichtlich, wie stark die thüringischen Volksaufklärer auf die Unterstützung der Fürsten bauten. Besonders deutlich wird dies unter anderem in dem Gedicht des Pfarrers Carl August Schramm aus Ostheim vor der Rhön,433 welches er anlässlich des Gothaer Liederfestes zu Ehren der deutschen Fürsten verfasste und das ebenso im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ abgedruckt wurde: Wo deutsche Männer beisammen wohnen, Beim frohen Mahl, bei Klang und Sang, Da gilt den Fürsten auf den Thronen Der vollen Becher erster Klang. 430 Deutsche Einheit, in: AVD, Nr. 8, 1845, S. 59 f. 431 PFAFFENRATH, CARL VON: Vorträge über die wichtigsten Beziehungen des Lebens, in: AVD, Nr. 23 vom 8. Juni 1844, S. 182. 432 Ebd. 433 Die kleine unterfränkische Gemeinde Ostheim vor der Rhön gehörte bis Jahr 1920 zum Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach.

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Wo deutsche Männer das Glas erheben, Zu trinken frohen, deutschen Muth, Da müssen hoch ihre Fürsten leben, Ihr Glück ist ja ihr höchstes Gut.434

Gemäß den Grundsätzen einer konstitutionellen Monarchie hatten die Fürsten aber kein Recht auf eine absolutistische Regierungsausübung. Ihnen sollte eine Volksvertretung beiseite gestellt werden, deren Mitglieder von allen Staatsbürgern gewählt werden sollten, vorausgesetzt sie besaßen, getreu den Vorstellungen der Volksaufklärer, einen entsprechend hohen Bildungsgrad. Darum plädierte Pfaffenrath: Wo das Volk ein Wort selbst mitsprechen kann, für sein des Ganzen Wohl, da wird es denn auch wärmer und inniger angezogen fühlen, zu dem Lande, das von ihm vertreten wird. Gar Manches würde anders seyn, wenn wir eine allgemeine deutsche Volksvertretung hätten; d.h. wenn die erfahrensten, gebildesten und würdigsten Patrioten Deutschlands das deutsche Volk da vertreten könnten und dürften, wo es vertreten seyn will, wo es drückend und immer drückender fühlt, daß es auch ein Wort mitsprechen solle, wo es gilt, überhaupt eine bessere Gestaltung der Dinge nach Innen und Außen herzustellen und so die nöthige Einheit zu bewirken. 435

Während man sich im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ einig war, dass die Zusammensetzung der allgemeinen Volksvertretung – einer zentralen deutschen Nationalversammlung – durch die Wahl des gesamten deutschen „Volkes“ zustande kommen sollte, blieb die Frage nach der Bestimmung des Oberhauptes, des zukünftigen deutschen Kaisers, weitgehend ungeklärt. Nur ein einziges Mal wurde in einem Aufsatz der Vorschlag unterbreitet, dass die Fürsten der deutschen Einzelstaaten, in Anlehnung an die Tradition des Alten Reiches, das Oberhaupt des deutschen Nationalstaates aus ihren eigenen Reihen zu wählen hatten.436 Ein gänzliches Wiederaufleben der Reichsverfassung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation wurde aber abgelehnt. Das Risiko erneuter Auflösungserscheinungen, mit denen das Alte Reich am Ende des 18. Jahrhunderts zu kämpfen hatte, sollte unter allen Umständen in dem neu zu gründenden deutschen Nationalstaat vermieden werden. Außerdem war die ständisch geprägte Reichsverfassung in den Augen der Volksaufklärer längst überholt, weil sie dem Streben nach einer egalitären Staatsbürgergesellschaft nur unzureichend Rechnung getragen hatte. Wollte man eine „stabile“ nationale Einheit schaffen, war es notwendig, die Selbstständigkeit der Einzelstaaten in bestimmten Angelegenheiten zu beschneiden. Zum einen sollte die Politik der Fürsten durch die einzel434 Trinkspruch zum zweiten Thüringer Gesangfeste zu Gotha, am 12. August 1844, in: AVD, Nr. 35 vom 31. August 1844, S. 273. 435 PFAFFENRATH, CARL VON: Zuruf eines Volksfreundes an die Deutschen, in: AVD, Nr. 3 vom 20. Januar 1844, S. 22. 436 Vgl. Deutsche Einheit, in: AVD, Nr. 8, 1845, S. 60.

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staatlichen Landesparlamente sowie durch das gesamtdeutsche Bundesparlament auf Rechtmäßigkeit kontrolliert werden,437 und zum anderen hatten sich die deutschen Einzelstaaten der Verfügungsgewalt neu eingerichteter übergeordneter Bundesinstitutionen, wie etwa einem höchsten Bundesgericht, unterzuordnen.438 Nach dem Ende der Revolution von 1848/49 befand sich der ursprünglich vom liberalen Bürgertum getragene, moderne deutsche Nationalismus in einer Krise. Bereits in den 1840er Jahren gab es erste Anzeichen, dass die verschiedenen sozialen Schichten mit dem Nationalismus unterschiedliche Ziele verbanden.439 Der Nationalismus hatte sich zwar mittlerweile zu einer Massenbewegung emporgeschwungen, doch fehlte es ihm nun an einer einheitlichen Zielsetzung. Andere politische Strömungen erkannten nun auch seine immense Wirkungskraft und nutzten ihn fortan als geeignetes Instrumentarium zur Realisierung der eigenen politischen Pläne. So war der Nationalismus bereits zum Zeitpunkt der Revolution neben dem liberalen Bürgertum auch bei der radikaldemokratischen Arbeiterbewegung und in den konservativen Kreisen auf eine breite Anhängerschaft gestoßen.440 Während des Verlaufes der Revolution zeichnete sich noch deutlicher ab, dass der deutsche Nationalismus mittlerweile keine einheitliche Bewegung mehr war.441 Größter Verlierer dieses Wandlungsprozesses war das liberale Bürgertum, das infolgedessen die Konstituierung des angestrebten staatsbürgerlichen Nationalstaates verfehlte. Im Gegenzug gewannen die gegenrevolutionären Kräfte wieder das politische Übergewicht, die aber ebenso erkennen mussten, dass eine Zurückdrängung des deutschen Nationalismus nicht mehr möglich war. Wie Hans-Ulrich Wehler treffend bemerkt, ließ sich nach der Revolution eine künftige Politik großen Stils nur mehr in Kooperation mit der Nationalbewegung betreiben.442 Allerdings war das Nationalismusverständnis der Konservativen grundlegend verschieden von dem des liberalen Bürgertums. Hier lag die Akzentuierung nicht auf der Erneuerung des Staates im Sinne eines modernen Verfassungs- und Rechtsstaates, sondern auf der Legitimierung der bestehenden 437 Mit Kontrolle ist hierbei nicht nur ein Vetorecht des Parlaments gegenüber der Politik des Fürsten gemeint, sondern auch die Gewährleistung von Gewaltenteilung. Heinrich Schwerdts Tätigkeit im Gothaer Revolutionslandtag macht deutlich, dass den Volksaufklärern eine Trennung der Gewalten sehr wichtig erschien. Beispielsweise reichte Schwerdt im Landtag einen Antrag ein, in dem er dafür plädierte, dass die Legislative nur beim Parlament liegen sollte. Vgl. ThStA Gotha, Je 2, Verhandlungen der auf Grund der Wahlordnung vom 28. Juni 1848 gewählten Abgeordneten=Versammlung des Herzogthums Gotha, Nr. 13 vom 21. Oktober 1848, S. 76. 438 Vgl. Deutsche Einheit, in: AVD, Nr. 7, 1845, S. 52. 439 Vgl. DANN: Vereinsbildung und Nationsbildung, S. 153. 440 Vgl. ebd., S. 142–149 u. 152 f. 441 Ebd., S. 153. 442 Vgl. WEHLER: Nationalismus, S. 75.

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monarchischen Herrschaftsordnung. Welche dieser beiden Nationalismuskonzeptionen sich letztendlich durchsetzen würde, war nach der Revolution noch nicht vorhersehbar. Als jedoch unter der charismatischen Führung Otto von Bismarcks die preußischen Militärerfolge in ein nationales Gewand gehüllt wurden, musste der liberale Nationalismus in den 1870er Jahren schließlich vor dem konservativen Nationalismus kapitulieren.443 Der auf Modernisierung ausgerichtete bürgerlich-liberale Nationalismus wurde nun in den Hintergrund gedrängt.444 Das chauvinistische Aggressionspotential des deutschen Nationalismus, das sich während der 1840er Jahre – auch im liberalen Nationalismus – herauskristallisiert hatte, wurde allerdings beibehalten, weil es die preußische Expansionspolitik in den 1860er Jahren hervorragend legitimierte. Nach dem Sieg über Frankreich stand der deutsche Nationalismus hauptsächlich für die Größe und die Macht des zweiten Deutschen Kaiserreiches sowie dessen militärische Stärke.445 Die mit dem liberalen Nationalismus verbundenen Ziele, insbesondere die Idee einer aus gleichgestellten Staatsbürgern zusammengesetzten konstituierten Nation, wurden in die Defensive gedrängt. Einhergehend mit dieser Entwicklung verlor schließlich auch der Patriotismus an Bedeutung. Die emanzipativen Züge des Nationalismus, d.h. die Erziehung des „gemeinen Mannes“ zum gemeinnützig agierenden Patrioten, lassen sich nach 1870 im Konzept des deutschen Nationalismus nicht mehr finden.446 Demnach kann konstatiert werden, dass sich zeitgleich mit dem Abklingen der Volksaufklärungsbewegung im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch der Patriotismus bzw. die von den Volksaufklärern mit getragene Idee eines sich an den Werten des Patriotismus orientierenden Nationalismus ihrem Ende zuneigte.

3.4.2

Das Streben nach Presse- und Meinungsfreiheit

DAS STREBEN NACH PRESSE- UND MEINUNGSFREIHEIT

Wie bereits mehrfach erwähnt, sprach sich das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ vehement gegen eine staatliche Pressezensur aus. Der Grund für diese Ablehnung war in erster Linie der Tatsache geschuldet, dass die Volksaufklärung seit der Französischen Revolution gezielt in das Visier konservativer Kräfte rückte. Für die Konservativen waren die Bemühungen zur Verbesserung der Bildung des „gemeinen Mannes“ ein Dorn im Auge, weil sie befürchteten, zuviel Wissen 443 Vgl. DERS.: Nation, Nationalismus und Nationalstaat, S. 275 f. 444 Wobei bemerkt werden muss, dass der konservative Nationalismus auch etliche Modernisierungstendenzen des liberalen Nationalismus beinhaltete bzw. von diesem übernahm. Vgl. DERS.: Nationalismus, S. 81 f. 445 Vgl. PRIGNITZ: Vaterland und Freiheit, S. 199. 446 Vgl. ebd., S. 198.

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wiegele das „Volk“ gegen die Obrigkeit auf. Die Volksaufklärer gerieten deshalb nach 1789 in einen vorher nicht geahnten Rechtfertigungszwang, der auch im Vormärz nicht abklingen sollte. Die restaurativen Maßnahmen der Karlsbader Beschlüsse trugen außerdem dazu bei, dass volksaufklärerisches Engagement, sowohl auf Vereinsebene als auch in der Publizistik, nach 1819 einer schärferen staatlichen Kontrolle ausgesetzt wurde.447 Die nationalen und liberalen Vorstellungen der Volksaufklärer dürften ihr Übriges dazu beigetragen haben, dass die Volksaufklärung in einigen konservativen Kreisen als eine demagogische Bewegung wahrgenommen wurde. Vor allem Metternich betrachtete alle liberalen Presseorgane nach Beendigung der Befreiungskriege als eine permanente Bedrohung des monarchisch-absolutistischen Machtmonopols der Fürsten.448 Er fürchtete den Einfluss der liberalen Presse auf die öffentliche Meinung und versuchte mit dem Deutschen Bund ein Instrumentarium zu schaffen, das eine effiziente Eindämmung des liberalen Schrifttums in allen deutschen Staaten ermöglichen sollte. Das Attentat Karl Ludwig Sands auf Kotzebue vom 23. März 1819 bot Metternich schließlich einen geeigneten Anlass zur Verwirklichung seines Plans. Die noch 1815 in der Deutschen Bundesakte angekündigten pressefreiheitlichen Bestimmungen wurden revidiert449 und durch die Karlsbader Beschlüsse ersetzt.450 Damit stand der Deutsche Bund seit 1819 „im Zeichen polizeistaatlicher Unterdrückung aller liberaler und nationaler Bewegungen“.451 Auch die volksaufklärerischen Schriften, die politisch liberale Themen beinhalteten, waren fortan einer schärferen staatlichen Pressezensur ausgesetzt.452 Trotz seiner liberalen Tendenzen blieb das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ in den drei Jahren seines Erscheinens von der Pressezensur aber relativ unbehelligt. Nur ein paar wenige Textstellen mussten auf Veranlassung des 447 Vgl. BÖNING: Volkserzählungen und Dorfgeschichten, S. 285. 448 Vgl. BLUMENAUER, ELKE: Journalismus zwischen Pressefreiheit und Zensur. Die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ im Karlsbader System (1818–1848), Köln/Weimar/Wien 2000, S. 14 f. 449 In der Deutschen Bundesakte (Artikel 18d) vom 8. Juni 1815 wurde bezüglich einer übergreifenden einheitlichen Pressegesetzgebung noch keine endgültige Entscheidung getroffen. Doch die in der Bundesakte formulierte Ankündigung, in der von „Abfassung gleichförmiger Verfügungen über die Preßfreyheit“ gesprochen wurde, fassten viele Liberale als eine verfassungsrechtliche Garantie der Pressefreiheit auf. Vgl. Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815, in: Huber, Ernst Rudolf (Hrsg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 80. Vgl. außerdem BLUMENAUER: Journalismus, S. 12 f. 450 Zu den einzelnen Bestimmungen der Karlsbader Beschlüsse (Universitätsgesetz, Preßgesetz, Untersuchungsgesetz) vgl. Die Karlsbader Beschlüsse, in: Huber (Hrsg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 90–95. 451 Vgl. BLUMENAUER: Journalismus, S. 15. 452 Zur Pressepolitik der thüringischen Staaten im Vormärz vgl. Kapitel VII.

DAS STREBEN NACH PRESSE- UND MEINUNGSFREIHEIT

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Zensors gestrichen werden. Wie bereits erwähnt, lag dies in erster Linie an der aufgeschlossenen Haltung Herzog Bernhards II. von Sachsen-Meiningen gegenüber den liberalen Bestrebungen Carl von Pfaffenraths. Selbst die geheimen „Wiener Beschlüsse“ aus dem Jahr 1834, die alle noch bestehenden „Zensurlücken“ in den einzelnen deutschen Staaten beseitigen sollten,453 führten zur keiner schärferen Überwachung des zehn Jahre später herausgegebenen „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“. Sich bewusst, dass die Pressezensur im Herzogtum Sachsen-Meiningen recht mild gehandhabt wurde und dass seine Aktivitäten bei Herzog Bernhard II. auf eine gewisse Affinität stießen, schrieb Pfaffenrath: „Da wollen wir uns lieber einmal von der Censur ein X für U machen und das Allgemeine Volksblatt nach wie vor in Saalfeld drucken lassen.“454 Infolge der milden Pressezensur nutzten Pfaffenrath und Schwerdt regelmäßig die Chance – nahezu in jeder Ausgabe – in ihrem Wochenblatt politische und gesellschaftliche Missstände anzuprangern. Dennoch war es nicht möglich, trotz aller Freizügigkeit der sachsen-meiningischen Pressezensur, jeden kritischen Artikel abzudrucken. So schrieb die Redaktion beispielsweise in einer Mitteilung an einen auswärtigen Mitarbeiter, dass seine „ganz richtigen Bemerkungen über die Augsburger Zeitung“ leider nicht veröffentlicht werden können, da sie sonst „die Redaktion in unangenehme Händel verwickeln dürften“.455 Der Umstand, dass eine freie Meinungsäußerung zu bestimmten Themen oder Fragen eingeschränkt war, wollten die beiden Herausgeber aber nicht hinnehmen. Sie sprachen sich daher für eine uneingeschränkte Pressefreiheit aus und äußerten bezüglich der Zensur im eigenen Lande: „Was die Bemerkung wegen der Censur betrifft, so dürfen wir die unsrige vielleicht als eine der gelindesten rühmen, obwohl auch schon der leiseste Druck wehe thut.“456 Allerdings darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ in einer allgemeinen Pressefreiheit auch eine Gefahr sah. Einige Mitarbeiter des Blattes befürchteten, dass die Einführung einer „absoluten“ Pressefreiheit unehrenhafte Personen dazu verleiten werde, die Presse für unlautere und egoistische Interessen zu missbrauchen. Hinsichtlich einer möglichen Lockerung der staatlichen Pressezensur gab etwa Adelbert Kühn zu bedenken: Diese [Pressefreiheit] nun benutzen viele, statt das Volk zu belehren und für bessere Zeiten reif und würdig zu machen, dazu persönliche Fehden auszutragen, indem einer dem anderen mit Gemeinheit und Schimpf zu überhäufen sucht, wodurch das Volk auf 453 Vgl. hierzu u.a. BLUMENAUER: Journalismus, S. 30; SCHNEIDER, FRANZ: Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit. Studien zur politischen Geschichte Deutschlands bis 1848, Neuwied/Berlin 1966, 264 f. 454 Neuigkeiten, in: AVD, Nr. 49 vom 7. Dezember 1844, S. 392. 455 Die Mitteilung richtet sich an den Pfarrer Adelbert Kühn. Vgl. Offene Briefe, in: AVD, Nr. 38, 1845, S. 304. 456 Offene Briefe, in: AVD, Nr. 43, 1845, S. 344.

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verderbliche Wege geführt und zum freventlichen Aufgeben seiner Sitte und Würde verleidet wird.457

Wie in dieser Textpassage durchschimmert, sollten die an das „Volk“ adressierten Lesestoffe den sittlich-moralischen Wertevorstellungen des aufklärerisch denkenden Bürgertums entsprechen. Die Volksliteratur sollte in erster Linie belehren, erziehen und nützliches Wissen popularisieren. Nach der überspitzten Aussage von Rudolf Schenda diente die von den Aufklärern verfasste Volkslektüre damit einzig dem Ziel, die einfache Bevölkerung zu „brauchbaren Untertanen“ zu erziehen.458 Wie neuere Forschungsergebnisse eindeutig zeigen, ist die von Schenda aufgestellte These allerdings nicht mehr tragbar. Die Volksaufklärung war eine emanzipatorische Bewegung, die den bildungsfernen Bauern und Handwerker nicht zum obrigkeitshörigen Untertanen, sondern zum gleichberechtigten Staatsbürger erziehen wollte. Zugleich kann aber nicht in Abrede gestellt werden, dass die Volksaufklärer stets die Intention verfolgten, dass die vom „Volk“ rezipierte Lektüre einen nutzbringenden Charakter aufweisen sollte. Jeder Lesestoff, der unmittelbar an das „Volk“ adressiert war, diesen Anspruch jedoch nicht erfüllen konnte, wurde von den Volksaufklärern im zeitgenössischen Sprachgebrauch als „Schundliteratur“ deklariert. Eine solche Diffamierung „unnützer“ Schriften findet sich auch im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“. Allerdings wurden dort nicht automatisch alle Schriften, die sich konträr zu den Vorstellungen der Volksaufklärung verhielten, sofort zu „schlechter Lektüre“ erklärt, sondern vornehmlich nur diejenige Literatur, die den „gemeinen Mann“ vermeintlich zur „Schwärmerei“ verführen würde.459 Politisch unliebsame Schriften, wie beispielsweise die „DeutschFranzösischen Jahrbücher“, wurden wegen ihrer Inhalte hart kritisiert, aber nicht gleich als „Schund“ bezeichnet.460 Als „Schundliteratur“ bezeichnete das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ in der Regel alle trivialen Lesestoffe, die einen subtilen Unterhaltungswert besaßen, das Lesebedürfnis des „gemeinen Mannes“ mit anspruchslosen Geschichten befriedigten, dabei jeglichen pädagogischen Gehalt vermissen ließen und sich scheinbar gezielt gegen die Aufklärung richte457 Deutsche Flecken und Vertilgung derselben, in: AVD, Nr. 40 vom 5. Oktober 1844, S. 318. 458 Vgl. SCHENDA: Buch ohne Volk, S. 135. 459 Die Literaturerzeugnisse angesehener Schriftsteller wurden nicht zur „schlechten Lektüre“ gezählt. Im Gegenteil, man begrüßte es ausdrücklich, wenn sich das „Volk“ gewillt zeigte, beispielsweise die Werke von Schiller oder Goethe zu rezipieren, auch wenn diese nicht dem Bildungsniveau des „gemeinen Mannes“ entsprachen. Vgl. Volkslektüre, in: AVD, Nr. 37, 1845, S. 290 f. 460 Zum Teil wurden auch die Herausgeber der zu bemängelnden Schrift heftig diffamiert. Vgl. Sprechsaal. Edle Sprache zweier würdiger (?) deutscher Männer, in: AVD, Nr. 10 vom 9. März 1844, S. 79; Was giebt’s Neues?, in: AVD, Nr. 38, 1846, S. 303 f.

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ten.461 Dazu zählten die Volksaufklärer vor allem die beim „Volk“ sehr beliebten Räuber-, Ritter-, Geister- und Liebesgeschichten, die beim Leser nur eine sinnliche Wahrnehmung hervorriefen, aber ein verzerrtes Bild der Realität vermittelten und obendrein keinerlei praktische Anwendung im Alltag des „gemeinen Mannes“ beinhalteten.462 Außerdem fürchteten die Volksaufklärer, das „Volk“ könnte bei einer verstärkten Rezeption dieser „Schundliteratur“ dazu verleitet werden, rational hergeleitete, wissenschaftliche Erkenntnisse anzuzweifeln. So versuchte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ mit rationalen Erklärungen, die Existenz von Geisterwesen zu widerlegen,463 während zahlreiche triviale Romane ein gegensätzliches Bild vermittelten. Es mag naiv klingen, aber die Vorstellung, eine solche „Schundliteratur“ hindere den „gemeinen Mann“ an der Annahme einer vernunftorientierten Denkweise, war unter den Volksaufklärern selbst in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch weit verbreitet. Zudem glaubte man, dass die „Schundliteratur“ negative Auswirkungen auf die Sittlichkeit des „Volkes“ hätte. So behauptete das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“, der Konsum von „Schundliteratur“ würde den „gemeinen Mann“ dazu verleiten, nach übermäßigem Luxus zu streben sowie zu verstärkter Unreligiosität, zu abnehmendem Respekt der Jugend vor dem Alter oder zu überhandnehmenden Tanzbelustigungen führen.464 Trotz dieser scheinbar offensichtlichen Gefahren für das „Volk“ wurde ein explizites Verbot der „Schundliteratur“ vonseiten der Volksaufklärer, auch im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“, nie gefordert. Vielmehr war es die Pflicht der Gebildeten, der Lesegesellschaften und Volksschriftenvereine vor „schändlicher“ Literatur zu warnen und die Verbreitung „ordentlicher“ Lektüre voranzutreiben. Die Verbreitung geeigneter Volkslektüre war nach Auffassung des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ nur eine Frage des richtigen Engagements: Es müssen Wege gezeigt werden, auf denen das Volk sich selbst geistig fortzubilden vermag. Die geeignetsten aber sind: Lesevereine und Volksbibliotheken! […] Man braucht den Hang des Volkes, in seiner Gewohnheit zu verbleiben, nicht mehr zu befürchten, und die Hindernisse, die solchen Anstalten hie und da noch im Wege stehen, sind bald beseitigt, wenn nur Geistliche und Lehrer, als die eigentlichen Volksbildner, mit gutem Willen ans Werk gehen. Leben doch Beide von den Einwohnern ihrer Orte, so können sie

461 Zu den Volkslesestoffen im Vormärz, insbesondere der Trivialliteratur vgl. PLAUL, HAINER/SCHMID, ULRICH: Die populären Lesestoffe, in: Sautermeister/Ders. (Hrsg.): Zwischen Restauration und Revolution, S. 313–338, hier insb. S. 322–330. 462 Vgl. ebd., S. 325–338. 463 Vgl. Giebt es Irrlichter oder giebt’s keine?, in: AVD, Nr. 1 vom 6. Januar 1844, S. 3–6; Zwei wahre Gespenstergeschichten, in: AVD, Nr. 17 vom 27. April 1844, S. 129–131. 464 Vgl. Deutsche Flecken und Vertilgung derselben, in: AVD, Nr. 40 vom 5. Oktober 1844, S. 318.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

auch wöchentlich einige Stunden mit und unter ihnen leben. Werden aber dem Volke keine zweckmäßigen Schriften geboten, so greift es nach Ritter= und Räubergeschichten, die ihm jede Leihbibliothek darreicht, und verdirbt mit solcher faden Speise Leib und Seele.465

Ein Verbot von „Schundliteratur“ findet sich nicht im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“. Die Forderung, dem „gemeinen Mann“ mittels Leseabenden, Volksbibliotheken und Vereinen „nützliche Lektüre“ schmackhaft zu machen, dafür umso mehr. Vor allem Heinrich Schwerdt war davon überzeugt, dass die Bemühungen der Volksaufklärer auf lange Sicht nicht vergebens waren.466 Das Plädoyer für Pressefreiheit war im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ bei Weitem stärker ausgeprägt als die Befürchtungen eines Missbrauchs der Presse, der eventuell durch den Wegfall der staatlichen Zensur hätte entstehen können. Nach Ansicht der meisten Mitarbeiter des Saalfelder Wochenblattes hatte eine weiterhin bestehende Unterdrückung der Presse für die Zukunft weitaus fatalere Folgen. Insbesondere Adelbert Kühn meinte zu erkennen, dass die Unterdrückung der öffentlichen Meinung zu einer immer stärker werdenden Revolutionsbereitschaft des „Volkes“ führen würde: Die öffentliche Meinung wird und muß zu Ehren kommen. Schon jetzt ist sie so stark, daß sie durch List oder Gewalt nicht mehr darnieder gehalten werden kann. […] Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß die öffentliche Meinung hauptsächlich durch die freie Presse befördert wird. Die Presse ist das naturgemäße Werkzeug derselben und es ist nicht gut, wenn man dasselbe in Fesseln schlägt; denn die öffentliche Meinung macht sich dann entweder durch tückische Heimlichkeit (Verschwörung und Demagogie) oder durch offene Gewalt 465 Offene Briefe, in: AVD, Nr. 16, 1845, S. 128. 466 Wie die Verbreitung nützlicher Volkslektüre erfolgreich bewerkstelligt werden konnte, versuchte Schwerdt unter anderem mit fiktiven Briefen seiner Gemeindemitglieder zu verdeutlichen: „Du weißt doch noch von der Volksbibliothek, die unser Pfarrer vor mehreren Jahren angelegt hat? Sie ist bis zu 350 Bänden herangewachsen, ohne daß es der Gemeinde einen Groschen gekostet hat. Es ist jetzt fast kein Haus, in welchen die schönen und belehrenden Bücher nicht gelesen werden. Selbst die Schulkinder, statt auf der Gasse herumzulaufen, holen sich, wenn es der Schullehrer erlaubt, vom Pfarrer ein nützliches Buch und lesen darin. […] Auch und wenn du bei den Leseabenden zugegen wärest, die unser Herr Pfarrer in den Winterabenden hält! Da gedeiht erst das Lesen, oder vielmehr das Hören, zur rechten Freude und zum rechten Nutzen; und man sollte keine Volksbibliothek begründen, ohne dem Volke Anleitung zu geben, wie es lesen und die mannichfachen Bücher, die eine solche Bibliothek ihm bietet, zu seinem Segen benutzen soll. Denn das Lesen thut es nicht allein - obschon auch dieses die müßigen Träumereien und andere Thorheiten verscheucht! – sondern vielmehr das Verständniß und die Anwendung des Gelesenen. […] Wenn aber nun der Pfarrer oder Schullehrer aus den schönsten, als lustigen bald traurigen Büchern vorlies’t, o da solltest du sehen, wie wir in andächtiger Rührung und Freude seinen Worten lauschen! Denn sie wählen zu diesen Vorlesungen nur die unterhaltendsten und geben die belehrenden mit in’s Haus. […] Dann wird das Gelesene besprochen und auf unsere Zustände und Verhältnisse angewendet, und oft nach Jahren hört man noch aus diesem oder jenem Buch erzählen!“ Sprechsaal. Lieber Konrad!, in: AVD, Nr. 1 vom 6. Januar 1844, S. 6 f.

DAS STREBEN NACH PRESSE- UND MEINUNGSFREIHEIT

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(Aufruhr und Attentate) Luft. Diese Behauptung ist auf die unzweideutigen Aussprüche der Geschichte gegründet und Niemand vermag, sie hinwegzuleugnen. Die freie Presse ist die friedliche Vermittlerin aller Unebenheiten des Volkslebens; sie weist den Ausartungen desselben Grenzen an und läutert und sichtet die öffentliche Meinung. Die Presse beschränken, heißt die Axt legen an die Wurzel des Volkslebens. […] Darin sind sich die Vertreter aller, auch der schroffsten, Meinungen und Parteien einig, daß das Leben ohne freie Presse kein Leben, ein vorübergehender Notstand ist, dessen man sich über kurz oder lang zu entledigen sucht. Wer der Beschränkung der Presse das Wort redet, der hält das Volk der Aufklärung unwürdig.467

Um einer Ausbreitung revolutionärer Gedanken entgegenzuwirken, appellierte das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ deshalb unentwegt an die Regierungen der deutschen Staaten, die Pressezensur abzuschaffen. Als es schließlich zu mehreren Aufständen in Schlesien, Böhmen, Ungarn, Polen und Galizien kam, wies Adelbert Kühn noch einmal darauf hin: Wenn die öffentliche Meinung darnie-dergehalten, keine offene Rede gutgeheißen, die Wahrheit und das Recht künstlich oder gewaltsam unterdrückt werden, dann ist der Lüge und Verrath, der Verschwörung und der offenen Gewaltthat ein weites Feld eröffnet. […] Jeder Druck, am meisten der geistige, erzeugt Erbitterung und Widerstand.468

Ein Verbot politischer Zeitschriften und Zeitschriften, selbst derjenigen Blätter, die republikanische Verhältnisse forderten, wurde von den thüringischen Volksaufklärern im Vormärz strikt abgelehnt. Jede Form der Unterdrückung der öffentlichen Meinung wurde missbilligt. Somit kann Rudolf Schendas Behauptung, dass die (Volks-)Aufklärer in Zusammenarbeit mit den Staatsregierungen eine reaktionäre Pressepolitik betrieben,469 eindeutig widerlegt werden. Die Erziehung des „Volkes“ zu einer gemeinnützig handelnden Staatsbürgernation konnte nur unter der Voraussetzung gelingen, dass jeder Person das Recht gewährt wurde, ohne Einschränkung ihre freie Meinung äußern zu dürfen. Die Bedenken, dass eine uneingeschränkte Pressefreiheit auch zu „Preßfrechheit“ führen könnte, waren zwar ebenfalls vorhanden, doch glaubte man zumindest im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“, das „Volk“ wäre mittlerweile in der Lage, missliebige von vernünftigen Presseorganen unterscheiden zu können. Viel größere Sorgen bereitete den vormärzlichen Volksaufklärern der zunehmende Anstieg von „Schundliteratur“, den sie am liebsten mit staatlicher Hilfe unterbunden hätten, allerdings nicht auf juristischer, sondern auf institutioneller Ebene, mit der staatlichen Subvention von Volksbibliotheken und Volksschriftenvereinen.

467 Die stehenden Heere und die Presse in ihrer Bedeutung für das Volk, in: AVD, Nr. 6, 1846, S. 46–48. 468 Was giebt’s Neues? (Traurig! traurig!), in: AVD, Nr. 14, 1846, S. 114. 469 Vgl. SCHENDA: Volk ohne Buch, S. 133–141.

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VI. WANDEL UND KONTINUITÄT

VII. Das Verhältnis zwischen Obrigkeit und Presse – Zur Voraussetzung einer politischen Aufklärung des „Volkes“ mit publizistischen Mitteln in Thüringen

1. Zur presserechtlichen Situation in den thüringischen Staaten im Vormärz ZUR PRESSERECHTLICHEN SITUATION IN DEN THÜRINGISCHEN STAATEN

Betrachtet man die Pressegeschichte Thüringens während der Vormärzzeit, so hat es den Anschein, dass in den thüringischen Staaten aufgrund der Pressebestimmungen des Deutschen Bundes politische Schriften mit liberalem Inhalt in den ersten Jahren nach dem Wiener Kongress reichlich vorhanden waren, aber spätestens nach Verabschiedung des „Bundes-Preßgesetzes“ am 20. September 1819 fast gänzlich verschwanden.1 Insbesondere im Großherzogtum SachsenWiemar-Eisenach, das bis zur Einführung der Karlsbader Beschlüsse die Freiheit der Presse garantierte,2 erschienen in den ersten Jahren nach Ende der Napoleonischen Ära mehrere liberale Schriften. Bedingt durch die günstigen Presseverhältnisse wurden im Fürstentum Sachsen-Weimar-Eisenach mit der „Nemesis“, dem „Oppositionsblatt“, der „Isis“ und dem „Patriot“3 sogar vier Zeitschriften verlegt, die gezielt eine Verwirklichung liberaler Ideen anstrebten und offen gegen das Wiener System von 1815 Stellung bezogen. Neben diesen vier „Speerspitzen“ der politisch-liberalen Presse existierten in den thüringischen Staaten4 mit dem „Allgemeinen Anzeiger der Deutschen“, der „Dorfzeitung“ oder dem „Boten aus Thüringen“ auch noch andere Periodika, die liberale Positionen vertraten. Wenngleich die dort geäußerten Meinungen einen 1

Vgl. Zur Entwicklung der politischen Presse in Thüringen von 1815 bis 1848 vgl. GREIPresse und Öffentlichkeit, S. 467–502. Trotz aller Liberalität erfolgte im Mai 1817 eine erste Einschränkung der Pressefreiheit in Sachsen-Weimar-Eisenach, wenngleich auch erwähnt werden muss, dass diese äußerst moderat ausgefallen ist. Vgl. hierzu KÖRNER, FRITZ: Das Zeitungswesen in Weimar (1734– 1849). Ein Beitrag zur Zeitungsgeschichte, Leipzig 1920, S. 105–108. Der „Patriot“ erschien zunächst im Januar 1818 unter dem Titel „Der Volksfreund“, wurde aber bereits nach 18 Ausgaben provisorisch unterdrückt. Danach erschien das Blatt von Februar bis September 1818 unter dem neuen Titel „Patriot“. Vgl. EHRENTREICH, HANS: Die freie Presse in Sachsen-Weimar. Von den Freiheitskriegen bis zu den Karlsbader Beschlüssen, Halle 1907, S. 26 f. Im Gegensatz zu Sachsen-Weimar-Eisenach wurde allerdings in den restlichen thüringischen Staaten im Zeitraum von 1815 bis 1819 keine Pressefreiheit eingeführt. Vgl. hierzu GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 477–483. LING:

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VII. DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN OBRIGKEIT UND PRESSE

gemäßigteren Charakter hatten und diese Schriften die Deutsche Bundesakte als ein solides Fundament für künftige Reformen erachteten, finden sich auch in diesen Periodika kritische Bemerkungen zur politischen Entwicklung in Deutschland. Erstaunlich ist dabei, dass trotz einiger Repressionen – wie beispielsweise dem Verbot des „Volksfreundes“ im Januar 1818 – eine grundsätzliche Verschärfung der Pressezensur von staatlicher Seite nicht angestrebt wurde. Selbst das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, dessen Regierung von preußischer und österreichischer Seite genötigt wurde, mit der Presse im eigenen Land strenger zu verfahren, hielt bis 1818 – trotz mehrfach überarbeiteter Zensurregelungen – weitestgehend an der seit 1815 gewährten Pressefreiheit fest.5 Nach Verabschiedung der Karlsbader Beschlüsse am 20. September 1819 wurde allerdings der Spielraum für die Verbreitung liberalen Gedankengutes in der thüringischen Presse stark eingeschränkt. Die Bestimmungen der Karlsbader Beschlüsse waren in ihrer gesamtdeutschen Bedeutung so weitreichend, dass die Pressepolitik der einzelnen Bundesstaaten de facto vollständig der zentralistisch regulativen Pressepolitik der Bundesversammlung untergeordnet wurde.6 Eckpfeiler der Karlsbader Beschlüsse „war die Aufhebung der Pressehoheit der Einzelstaaten und die Anordnung der Vorzensur“.7 Neben der Verordnung, dass die landesherrliche Zensur ab sofort alle Druckerzeugnisse im Umfang von bis zu 20 Druckbogen einer Vorzensur zu unterziehen hatte, wurde den Bundesstaaten ebenso auferlegt, dass die Zensurgesetze im eigenen Land so abzuändern waren, dass sie den in den Karlsbader Beschlüssen verordneten Bestimmungen entsprachen.8 Darüber hinaus wurde die landeshoheitliche Kontrolle über die eigene Presse dahingehend aufgehoben, dass der Bundesversammlung das Recht eingeräumt wurde, auch „ohne Aufforderung durch den Einzelstaat in dessen Zensurangelegenheiten einzugreifen und Schriften der genannten Art unanfechtbar zu verbieten und die Einzelstaaten zu verpflichten, den Beschluß der Bundesversammlung zu vollziehen“.9 In den Jahren nach 1819 bis zum Ausbruch der Märzrevolution stellte sich allerdings bald heraus, dass eine Überwachung und Steuerung des gesamten deutschen Pressewesens in der Praxis nicht durchzusetzen war. Da den deutschen Einzelstaaten weiterhin das Recht gewährt wurde, die Vorzensur der Presse un5 6

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Vgl. hierzu ebd., S. 29–86. Zur Entstehungsgeschichte der Karlsbader Beschlüsse vgl. BÜSSEM, EBERHARD: Die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die endgültige Stabilisierung der restaurativen Politik im deutschen Bund nach dem Wiener Kongreß von 1814/15, Hildesheim 1974. KANZOG, KLAUS: Literarische Zensur, in: Ders./Masser, Achim (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 4, 2. Aufl. Berlin/New York 1984, S. 1006. Vgl. BREUER, DIETER: Geschichte der literarischen Zensur in Deutschland, Heidelberg 1982, S. 153. Ebd.

ZUR PRESSERECHTLICHEN SITUATION IN DEN THÜRINGISCHEN STAATEN

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abhängig vom Bundestag durchzuführen, eröffneten sich für Publizisten und Verleger auch nach der Verabschiedung der Karlsbader Beschlüsse immer wieder Möglichkeiten, liberale Schriften zu veröffentlichen. Besonders die Tatsache, dass die Zensurentscheidungen auf Landesebene in der Zeit des Vormärz mehr oder weniger eine „persönliche“ Angelegenheit waren, machte das rigorose Repressionssystem der Karlsbader Beschlüsse bisweilen völlig wirkungslos. Die restaurativen Kräfte des Deutschen Bundes mussten bald erkennen, dass die jeweiligen Zensurbehörden der einzelnen Bundesstaaten bei der Überwachung der Presse unterschiedliche Maßstäbe ansetzten. Wie streng letztlich kontrolliert wurde, hing dabei im Wesentlichen vom Arbeitseifer und von der Gesinnung der einzelnen Zensoren ab. Da die Zensurpraxis nicht durch konkrete staatliche Instruktionen reglementiert war, wurden den Zensoren in einigen Bundesstaaten relativ breite Ermessungsspielräume gelassen. Folgt man der Analyse Klaus Kanzogs, gingen die Zensoren im Vormärz bei ihrer Prüfung in der Regel punktuell vor und untersuchten die ihnen vorgelegten Schriften nach bestimmten „Reizwörtern“.10 Ein für alle Bundesstaaten verbindlicher und allgemeingültiger Schlagwortkatalog für die Pressezensur existierte allerdings nicht. Demnach war es jedem Zensor selbst überlassen, welche „Reizwörter“ er als widrig erachtete und welche er für unbedenklich hielt. Entscheidend für die Ausmaße der Zensur der zu untersuchenden Schrift waren die politische Einstellung des Zensors sowie dessen persönliches Verhältnis zum Autor oder zum Verleger des zu untersuchenden Werkes sowie zum Vorsitzenden der entsprechenden Landeszensurbehörde. Bestanden enge persönliche Bindungen zum Verleger oder Autor und zwischen den Trägern der einzelnen Zensurinstanzen, ergaben sich durchaus Möglichkeiten, dass politisch brisante Schriften von der Vorzensur weniger streng kontrolliert wurden. So ist beispielsweise für Karl Sieveking, den Vorsitzenden der Hamburger Zensurkommission, belegt, dass er aufgrund seines freundschaftlichen Verhältnisses zu Julius Campe seinen Zensoren allerhand Freiheiten bei der Zensur der bei „Hoffmann und Campe“ verlegten Schriften einräumte. Selbst als Sieveking von preußischer Seite nach Passieren von Heines Schrift „Deutschland. Ein Wintermärchen“ unter Druck gesetzt wurde, fortan seine Zensoren strenger zu disziplinieren, ließ er diesen nur „pro forma“ eine Verwarnung zukommen.11 Auf diese Weise konnten in einigen Staaten des Deutschen Bundes, wie beispielsweise bei Julius Campe in Hamburg, auch Werke des „Jungen Deutschlands“ gedruckt und veröffentlicht werden, die anderenorts, etwa in Preußen oder Österreich, sofort verboten worden wären. 10 Vgl. KANZOG: Literarische Zensur, S. 1038. 11 Vgl. ebd., S. 1033. Vgl. hierzu außerdem REISNER, HANNS-PETER: Literatur unter der Zensur. Die politische Lyrik des Vormärz, Stuttgart 1975, S. 71–73.

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VII. DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN OBRIGKEIT UND PRESSE

Wie sehr die Zensur einer Schrift vom persönlichen Verhältnis zwischen dem Autor oder dem Verleger und zensurverantwortlichen landesherrlichen Obrigkeiten abhing, wird auch am Beispiel Ludwig Nonnes deutlich. Unterstützt durch Herzog Bernhard II. Erich Freund, avancierte Nonne im Vormärz zu einem überregional bedeutenden Volksschriftsteller,12 der danach strebte, die Bildung des „Volkes“ zu heben. Nonnes Engagement in der Volksbildung wurde zusätzlich noch gefördert, als ihm Bernhard II. die Leitung des sachsen-meiningischen Schulwesens übertrug.13 Als Oberkonsistorialrat war es Nonne möglich, an den sozialen und politischen Missständen des Vormärz eine relativ freizügige Kritik zu üben. Um „unangenehme“ Fragen breitenwirksam diskutieren zu können, setzte Nonne vor allem auf die von ihm gegründete „Dorfzeitung“.14 Trotz ihres gemäßigt-liberalen Profils zog die „Dorfzeitung“ dennoch den Unmut hoher reaktionärer Politiker – darunter auch Metternich15 – auf sich. Obwohl der „Dorfzeitung“ nie ein generelles Verbot drohte, wurde sie nach ihrer Gründung im Jahr 1818 von den konservativen Kräften im Deutschen Bund permanent mit Argwohn betrachtet. Nach Ausbruch der Julirevolution wurde die sachsen-meiningische Regierung – ähnlich der Regierung in Baden – unter solch massiven Druck gesetzt, dass sich Bernhard II. im Jahr 1836 schließlich genötigt sah, die Pressezensur in seinem Land zu verschärfen.16 Im Zuge dessen wurde auch der Zensor der „Dorfzeitung“ ausgetauscht. Allerdings waren Bernhards Maßnahmen hinsichtlich der „Dorfzeitung“ nicht mehr als eine „Scheinzensur“. Neuer Zensor der „Dorfzeitung“ wurde „unwissentlich“17 ihr eigener Herausgeber, Oberkonsistorialrat Dr. Ludwig Nonne.18 Insgesamt betrachtet, bildeten die Zensoren im gesamten Metternich’schen System der Presseüberwachung die größte „Sicherheitslücke“. Dass dieses Problem während der Vormärzzeit die reaktionären Kräfte zunehmend beunruhigt haben muss, spiegelt sich auch in den Wiener Beschlüssen von 1834 wider. Dort werden die deutschen Fürsten ausdrücklich ermahnt, dass „das Censorenamt nur 12 Vgl. REICHARDT: Dr. Ludwig Nonne, S. 40. 13 Vgl. FÜSSER: Bauernzeitungen in Bayern und Thüringen, S. 123 u. 133; KAISER: Dr. Ludwig Nonne, S. 61–75. 14 NEUMANN (Hrsg.): „ ... daß bei der Erziehung kein Teil von dem anderen unabhängig ist ...“, S. 181. 15 Vgl. GREILING: Thüringen als Presselandschaft, S. 473. 16 Der Gesetzentwurf zur neuen Zensurverordnung für das Herzogtum Sachsen-Meiningen wurde bereits im September 1835 ausgearbeitet. ThStA Meiningen, Staatsministerium, Abt. des Innern, Akt.-Nr. 15368, Allgem. Act. Gesetzgebung, Acten des herzogl. S. Meiningischen Landesministeriums betreffend die Aufsicht über das Censurwesen, Bl. 2–12. 17 Ludwig Nonne gab in der Hildburghäuser „Dorfzeitung“ nie seine Identität preis. Er publizierte nur unter dem Psydonym „Der Dorfzeitungsschreiber“. 18 Vgl. FÜSSER: Bauernzeitungen in Bayern und Thüringen, S. 123 u. 133. Vgl. außerdem KAISER: Dr. Ludwig Nonne, S. 82.

ZUR PRESSERECHTLICHEN SITUATION IN DEN THÜRINGISCHEN STAATEN

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Männern von erprobter Gesinnung und Fähigkeit übertragen“ werden sollte.19 Wie allerdings am Beispiel Ludwig Nonnes zu sehen ist, konnte diese Regelung auch geschickt umgangen werden. Entsprechende Klagen von zumeist preußischer und österreichischer Seite gegen allzu liberale Zensoren blieben demnach auch nach Verabschiedung der Geheimen Wiener Beschlüsse nicht aus. Jedoch hatten diese Zensoren, wenn sie in den Augen der Reaktionäre mal wieder eine Schrift zu nachlässig geprüft hatten, rein rechtlich gesehen keine großen Konsequenzen zu befürchten. Im Gegensatz zu den Autoren und Druckern liberaler Schriften konnte den Zensoren auf juristischem Weg keine Strafe zuteil werden. Oftmals erfolgte vonseiten der landesherrlichen Obrigkeiten für die Nachlässigkeit bei der Kontrolle der beanstandeten Schriften nur eine Rüge gegen den Zensor oder, wenn dies nicht mehr zu vermeiden war, die Entbindung des betreffenden Zensors von seinen Aufgaben. In letzterem Fall dürfte mancher Zensor sogar froh über seine Entlassung gewesen sein. Folgt man den Untersuchungen Edda Zieglers und Ulrich Eisenhardts, war das Zensorenamt im Vormärz oftmals ein schlecht bezahlter Nebenberuf, der obendrein als gesellschaftlich diskriminiert galt.20 Zudem legten einige Zensoren nach 1830 freiwillig ihr Amt nieder, weil sie resigniert feststellen mussten, dass trotz aller Zensurmaßnahmen eine langfristige Unterdrückung der liberalen Presse nicht zu realisieren war.21 Unabhängig von der Wahl der Zensoren hatte das Metternich’sche Repressionssystem aber noch weitere Schwachstellen, die die Publizisten geschickt auszunutzen wussten. Um der Zensur zu entgehen, bewährte sich die Verlegung des Druckortes einer Schrift als probates Mittel.22 Außerdem konnte eine Zeitschrift, wie etwa der „Volksfreund“ von Meyer, unter einem anderen Namen weitergeführt oder die Urheberschaft einer Schrift durch fingierte Druckorte und durch den Rückgriff auf Pseudonyme und Anonyme verschleiert werden.23

19 Die Geheimen Wiener Beschlüsse von 1834. Die Sechzig Artikel (Art. 28), in: Huber, Ernst Rudolf (Hrsg.): Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, 3. Aufl. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1978, S. 142. 20 Vgl. ZIEGLER, EDDA: Literarische Zensur in Deutschland 1819–1848. Materialien, Kommentare, 2. Aufl. München 2006, S. 115 f.; EISENHARDT, ULRICH: Wandlungen von Zweck und Methoden der Zensur im 18. und 19. Jahrhundert, in: Göpfert, Herbert G./Weyrauch, Erdmann (Hrsg.): „Unmoralisch an sich …“. Zensur im 18. und 19. Jahrhundert, Wiesbaden 1988, S. 28 f. 21 Vgl. KANZOG: Literarische Zensur, S. 1032. 22 Julius Campe nutzte beispielweise seine Verbindungen zur Piererschen Hofbuchdruckerei in Altenburg, die dazu bereit war, manche zensurgefährdete Schrift zu drucken. Vgl. hierzu ZIEGLER: Literarische Zensur, S. 139; DIES.: Julius Campe. Der Verleger Heinrich Heines, Hamburg 1976. 23 Vgl. EKE, NORBERT OTTO: Einführung in die Literatur des Vormärz, Darmstadt 2005, S. 28.

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VII. DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN OBRIGKEIT UND PRESSE

Fasst man die eben aufgezählten Punkte zusammen, zeichnet sich deutlich ab, dass die von Metternich angestrebte totale Überwachung der vormärzlichen Publizistik de facto nicht durchzusetzen war.24 Dennoch waren die Karlsbader Beschlüsse für die deutsche Presselandschaft von einschneidender Bedeutung.25 Bis zur Revolution von 1848/49 ging die Anzahl politischer Zeitschriften zurück und auch die Qualität der Darstellung aktueller politischer Themen litt unter den scharfen Pressegesetzen des Deutschen Bundes.26 Zudem mussten liberale Autoren und Verleger damit rechnen, dass die Bundesversammlung ein nachträgliches Verbot ihrer Druckschriften bewirken konnte, auch wenn diese bereits auf Landesebene die Zensur passiert hatten. Die juristisch festgeschriebene Pressehoheit der Einzelstaaten war demzufolge nach Einführung des „Bundes-Preßgesetzes“ vom 20. September 1819 nur noch Makulatur.27 Des Weiteren überwachte die Bundesversammlung penibel die Regierungen der einzelnen Bundesstaaten bei der Ausführung zentral verordneter Presseinstruktionen. So erfolgte beispielsweise nach dem Verbot einer Druckschrift auf Bundesebene die Aufforderung von der Bundesversammlung an alle deutschen Regierungen, dass alle im Lande befindlichen Buchhandlungen und Leihbibliotheken auf den Besitz der verbotenen Schrift zu überprüfen sind und beim eventuellen Auffinden jener Schrift, diese sofort zu konfiszieren sei. Außerdem wurden die deutschen Regierungen aufgefordert, die Anzahl der gefundenen Schriften sowie die Buchhändler, die im Besitz einer verbotenen Schrift waren, sofort nach Frankfurt zu melden. Darüber hinaus wurde von Metternich im Jahr 1833 in Mainz ein „Informationsbüro“ eingerichtet, das mit der Aufgabe betraut wurde, möglichst alle Aktivitäten oppositioneller und revolutionär gesinnter Personen und Gruppierungen geheimpolizeilich zu erfassen.28 Im Zeitraum von 1833 bis 1848 berichteten 85 Polizeibeamte und Geheimagenten an Metternich über die aktuelle Entwicklung

24 Daran konnten selbst solch rigorose Zensurpraktiken wie die Verbote ganzer Verlagsproduktionen in den 1840er Jahren nichts ändern. Vgl. hierzu REISNER: Literatur unter der Zensur, S. 33. 25 Franz Schneider bezeichnet das Metternich’sche Repressionssystem, mit Ausnahme des modernen Totalitarismus, sogar als das ausgedehnteste und wirksamste Unterdrückungssystem in der deutschen Pressegeschichte überhaupt. Vgl. SCHNEIDER: Pressefreiheit, S. 247. 26 Vgl. hierzu BÜSSEM: Die Karlsbader Beschlüsse. S. 425–436. 27 Vgl. HUBER, ERNST RUDOLF: Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Reform und Restauration 1789 bis 1830, Stuttgart 1957, S. 742–745. 28 Vgl. HOEFER, FRANK THOMAS: Pressepolitik und Polizeistaat Metternichs. Die Überwachung von Presse und politischer Öffentlichkeit in Deutschland und den Nachbarstaaten durch das Mainzer Informationsbüro (1833–1848), München/New York/London/Paris 1983, S. 72–81.

PRESSEPOLITIK UND ZENSURPRAXIS IN THÜRINGEN VON 1830 BIS 1848

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der deutschen politischen Presse und Öffentlichkeit.29 Das Netz der Metternich’schen „Konfidenten“ erstreckte sich dabei auf den gesamten Deutschen Bund und auf dessen Nachbarstaaten, so dass liberale und oppositionelle Kräfte sowohl im In- als auch im Ausland permanent überwacht wurden.30 Auf diese Weise konnte in allen Staaten des Deutschen Bundes die Verbreitung vermeintlich demagogischer Schriften effektiv unterbunden werden, da ein „verdecktes“ Publizieren nirgends unbemerkt blieb.31

2. Pressepolitik und Zensurpraxis in Thüringen von 1830 bis 1848 unter besonderer Berücksichtigung des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha PRESSEPOLITIK UND ZENSURPRAXIS IN THÜRINGEN VON 1830 BIS 1848

Wenn man speziell den thüringisch-mitteldeutschen Raum betrachtet, verwundert es doch zuweilen, was trotz aller Zensurmaßnahmen noch gedruckt werden konnte bzw. nicht von der Bundesexekutive nachträglich verboten wurde. Im Fall der liberalen Äußerungen des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ wunderte sich selbst Carl von Pfaffenrath, warum seine Zeitschrift von der Zensur verschont blieb. So äußerte er sich im dritten Jahrgang etwas ironisch: „In Preußen sind die ‚Weserzeitung‘ und die ‚Bremer Zeitung‘ auf einmal verboten worden; [aber] … an unser ‚Volksblatt‘ hat man sich doch noch nirgends gewagt, selbst in Kurhessen, Baiern und China nicht!“32 Wenn es also möglich war, mehrere Jahre lang in ein und demselben Periodikum liberale Ansichten zu äußern, stellt sich unweigerlich die Frage, warum das Repressionssystem des Deutschen Bundes, dessen Kontrollmechanismen mit den Geheimen Wiener Beschlüssen von 1834 sogar noch verschärft wurden,33 gegen die liberalen Druckerzeugnisse aus den thüringischen Staaten scheinbar nicht immer gegriffen hat.

29 Vgl. ANTONIUS, FRITZ: Zum Konfidentenwesen des Vormärz, in: Historische Blätter, 7 (1937), S. 80. Vgl. außerdem HOEFER: Pressepolitik, S. 84–90. 30 Vgl. ebd., S. 82 f. 31 Zum quantitativen Ausmaß der im Vormärz verbotenen Literatur vgl. HOUBEN, HEINRICH HUBERT: Verbotene Literatur von der klassischen Zeit bis zur Gegenwart. Ein kritischhistorisches Lexikon über verbotene Bücher, Zeitschriften und Theaterstücke, Schriftsteller und Verleger, 2 Bde., Berlin 1924/28. 32 Was giebt’s Neues? (Wieder ein Verbot!), in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen, Nr. 34, 1846, S. 274. 33 Zu den Geheimen Wiener Beschlüssen vgl. SCHNEIDER: Pressefreiheit, 264 f.

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VII. DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN OBRIGKEIT UND PRESSE

Um diese Frage zu beantworten und sich ein differenziertes Bild von der Pressepolitik der thüringischen Staaten machen zu können, hilft ein genauer Blick in die Zensurakten. Exemplarisch sollen hierbei die Polizeiakten aus dem Thüringischen Staatsarchiv Gotha herangezogen werden, da diese in ihrem gesamten Umfang chronologisch geordnet sind und keine größeren Lücken durch Kriegsverluste, wie etwa im Hauptstaatsarchiv Weimar, aufweisen. Hinzu ergibt sich bei den Zensurakten aus dem Staatsarchiv Gotha der Vorteil, dass die ernestinischen Fürstentümer einen gemeinsamen Vertreter im Bundestag gestellt haben und sich aufgrund dessen zu bestimmten Pressefragen regelmäßig austauschten. Entsprechend finden sich in den Gothaer Akten zahlreiche Abschriften der Korrespondenzen zwischen den einzelnen ernestinischen Regierungen, die einen tieferen Einblick in die Pressepolitik der ernestinischen Fürstentümer erlauben. Zwar sind die Polizeiakten im Staatsarchiv Gotha nicht komplett vollständig, doch allein eine über 350 Blätter umfassende, drei Folianten starke Aktensammlung, die etliche Presseverfahren bis zum Ausbruch der Märzrevolution beinhaltet sowie zahlreiche Briefwechsel zwischen den für die Zensur verantwortlichen Akteuren in Coburg/Gotha und Frankfurt dokumentiert,34 ermöglicht interessante Einblicke in die Zensurpraxis des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha im Zeitraum von 1831 bis 1848. Bei Betrachtung der Zensurakten fällt grundsätzlich auf, dass die Regierung des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha stets ohne größere Widerstände ihren Verpflichtungen gegenüber der Bundesversammlung nachgekommen ist. Alle Bundesbeschlüsse und Anordnungen aus Frankfurt wurden ohne Einwände sofort umgesetzt. Verbotene Schriften wurden im ganzen Land konfisziert und umgehend Auskunft nach Frankfurt gegeben, welche Buchhandlungen die fraglichen Schriften in ihr Sortiment aufgenommen hatten. Ebenso fällt auf, dass die Regierung des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha eine Verbreitung liberaler Schriften, nachdem diese durch Bundesbeschluss verboten wurden, möglichst schnell zu unterbinden suchte. Eine stillschweigende Duldung bereits im Lande befindlicher verbotener Schriften, im Sinne eines passiven Widerstandes gegen die reaktionäre Politik des Deutschen Bundes, ist nicht erkennbar. Allerdings kann im Umkehrschluss ebenso wenig konstatiert werden, dass das Herzogtum 34 In den besagten Folianten finden sich u.a. die Korrespondenzen der beiden ernestinischen Bundestagsgesandten Graf von Beust und Freiherr von Fritsch, des preußischen Bundestagsgesandten Johann Ludwig von Jordan, des österreichischen Bundestagsgesandten Freiherr von Münch-Bellinghausen sowie die Antwortschreiben und Verordnungen der Herzoge Ernst I. und Ernst II. an die Regierungsvertreter der beiden Staatsministerien in Coburg und Gotha. Vgl. hierzu ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 1–3: Acten, die vonseiten des Deutschen Bundestages veranlaßte Unterdrückung revolutionärer Zeitschriften, ingleichen das Verbot gefährlicher und als Nachdruck zu betrachtender Bücher und Schriften überhaupt betr., 1831–1855.

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Sachsen-Coburg und Gotha grundsätzlich nur eine konservative Presse geduldet hat. Im Gegenteil, wenn einheimische Buchhändler und Verleger, die liberale Ansichten geäußert hatten, in die Kritik der Bundesversammlung gerieten, setzte sich Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg und Gotha persönlich für diese ein. Als etwa im Mai 1832 der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ von der Bundesversammlung beschuldigt wurde, fragwürdige Artikel und Anzeigen bekannter Schmähschriften zu veröffentlichen, wies Herzog Ernst I. diese Anschuldigungen zurück. So wird im Bericht vom 10. Mai 1832 des ernestinischen Bundestagsgesandten Graf von Beust der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ von der Bundesversammlung angeklagt, fahrlässigerweise eine Anzeige der Siebenpfeiffer’schen Schrift „Teutschland“ aufgenommen und mehrere Artikel veröffentlicht zu haben, „die Weimar mehr und minder unangenehm berühren müssten“.35 Außerdem bemerkte Beust, dass die 16. Sitzung der Bundesversammlung für ihn „persönlich zum Theil nicht ganz angenehm war“, da das Präsidium nicht nur gegen die maßgeblichen Pressevergehen aus SachsenCoburg und Gotha, sondern auch gegen Sachsen-Meiningen und Sachsen-Altenburg protestierte.36 Während die Regierung Sachsen-Coburg und Gothas vor allem wegen der milden Zensur des „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“ gerügt wurde, berichtete Beust an die Regierung Sachsen-Meiningens, dass der Bundestag „die wirklich unverschämten Ankündigungen und noch unverschämteren Zusendungen […] des bibliographisches Instituts zu Hildburghausen“ nicht dulden werde.37 Außerdem übermittelte er der Regierung Sachsen-Altenburgs, dass vor allem die Bundestagsgesandtschaft des Königreichs Sachsen argwöhnisch der milden Zensur in Sachsen-Altenburg gegenüberstand.38 So berichtet Beust: Bei dieser Gelegenheit wurde auch, in Beziehung auf Altenburg, nicht eben ein Allgemeiner mit großer Lobbegleitung und unter Einstimmung der Köngl. Sächs. Gesandten, die ich indeß nicht unentgegnet ließ, sehr starck gerügt, daß man nicht selten lese, daß, was an anderen Posten die Einfuhr nicht passieren lassen, in Altenburg gedruckt werde.39

35 36 37 38

ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 1, Bl. 47. Ebd. Ebd. In erster Linie richtete sich die Kritik gegen die bei Pierer in Altenburg gedruckten Schriften des Verlags „Hoffmann und Campe“ sowie indirekt gegen die liberalen Zensoren Schuderoff, von der Gabelentz und Huth. Vgl. hierzu SCHNEIDER, KARL: Beiträge zur politischen Zensur im Herzogtum Sachsen-Altenburg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Teil 1, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde, 37 (1931) (= NF, Bd. 29), S. 416–464, hier bes. S. 430–464; Teil 2, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde, 38 (1933), (= NF, Bd. 30), S. 215– 268, hier bes. S. 215–222. 39 ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 1, Bl. 47.

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Demnach existierten gleich in drei ernestinischen Staaten verschiedene Presseorgane, in denen liberale Ansichten geäußert wurden. Dass die Bundesversammlung gegenüber dem Bundestagsgesandten der ernestinischen Höfe ihre Missbilligung aussprach, erscheint deshalb nicht allzu verwunderlich. Allerdings wird in dem Schreiben von Beust auch deutlich, dass der Bundestag in Frankfurt davon überzeugt war, dass von der thüringischen Presse keine unmittelbare revolutionäre Gefahr ausging. In Bezug auf den „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ berichtet Beust sogar, dass die Bundesversammlung die dortigen Tendenzen „am Ende für stillschweigend gebilligt halten könnte“, wenn diese in letzter Zeit in ihrer Häufigkeit nicht angestiegen wären.40 Wie die Herzogtümer Sachsen-Meiningen und Sachsen-Altenburg auf die eben beschriebenen Vorwürfe reagiert haben, darüber geben die Akten keine Auskunft, da die Antwortschreiben der Meininger und Altenburger Regierung nicht mehr vorhanden sind.41 Allerdings lässt sich aus dem noch vorfindbaren Antwortschreiben des sachsen-gothaischen Staatsministeriums an den Grafen von Beust klar herauslesen, dass man die Anschuldigungen gegen den „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ nicht zu akzeptieren gedachte. So antwortete man an Beust: Ew. Excellenz haben in deren Schreiben vom 10. d. M. über den in Gotha erscheinenden ‚Allgemeinen Anzeiger der Deutschen‘ und insbesondere darüber Beschwerde geführt, daß in No. 114 des diesjährigen Jahrganges dieses Blattes die Ankündigung der Zeitschrift ‚Deutschland‘ von Siebenpfeifer und in No. 123 desselben Jahrganges ein Artikel aufgenommen worden sei, der Weimar unangenehm berühren müsste. Wir finden jedoch in diesen beiden gezeigten Artikeln keine Veranlassung, eine Rüge einleiten zu lassen, und glauben überhaupt, daß in unserer Zeit kein Grund vorhanden ist, über dieses Zeitblatt zu Klage zu führen, seitdem auf die früheren Beschwerden gegen Aufsätze in demselben Sinne, des regierenden Herrn Herzogl. Durchlaucht gnädigst angeordnet haben, daß bei der Censur des Allgemeinen Anzeigers alle mögliche schonende Rücksicht genommen und deshalb die Censur der H[erzoglichen] L[andes]-Regierung in Gotha übertragen werden solle.42

40 Ebd., Bl. 47. 41 Wie die Ausführungen Karl Schneiders belegen, dürften die Anschuldigungen der Bundesversammlung weiteren Anlass geliefert haben, dass Herzog Joseph, der seit 1830 neben seinem Vater Herzog Friedrich Mitregent in Sachsen-Altenburg war, die Zensur nochmals verschärfte. Die Restriktionen gegen die Pierer Verlagsbuchhandlung „Litteratur-Comptoir“ führten schließlich soweit, dass 1834, nachdem Herzog Joseph nach dem Tode des Vaters zum alleinigen Regenten aufrückte, der Verlag von Pierer kurzzeitig verboten wurde. Erst nachdem Pierer mehrmals betonte, fortan keine politischen Schriften drucken zu wollen, erhielt er eine neue Buchhändlerkonzession für einen neuen Verlag. Vgl. SCHNEIDER: Beiträge zur politischen Zensur, Teil 2, S. 220 f. 42 ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 1, Bl. 48.

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Zusätzlich wird Beust in dem Schreiben instruiert, er solle bei allen Fällen zukünftig darauf verweisen, dass man die Zensur im Herzogtum bereits nach mehreren Aufforderungen verschärft hat43 und der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ schon unter besonderer Beobachtung steht. So wird Beust des Weiteren mitgeteilt: Wir sehen uns daher genöthigt Ew. Excellenz darauf aufmerksam zu machen, daß es unser ernstlicher Wunsch ist, es mögen bei ähnlichen wiederkehrenden Beschwerden gegen den Allgemeinen Anzeiger der Deutschen die […] unveränderten und geschärften Censur getroffene Maaßregel von Ew. Excellenz in Erwähnung gebracht, ohne Weiteres aber jene Rüge abgelehnt werden, welche nicht füglich weiter von uns verfolgt werden könne.44

Ob Herzog Ernst I. bzw. die Regierung Sachsen-Coburg und Gothas sich hier aus politischer Überzeugung oder aus wirtschaftlich-fiskalischen Gründen schützend vor den Verleger des „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“ gestellt hat, wird aus den Akten nicht ersichtlich. Dass eine zu große Beschneidung oder gar ein Verbot des „Allgemeinen Anzeigers der Deutschen“ dem Herzogtum und insbesondere der Stadt Gotha erheblichen ökonomischen Schaden zugefügt hätte, war der Landesregierung sicher bewusst. Die Becker’sche Buchhandlung war aufgrund ihrer langen Tradition, ihrer überregionalen Reputation und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung eine wichtige Institution des ökonomischen und kulturellen Lebens in Gotha. Der Verlust einer solchen Einrichtung hätte Sachsen-Coburg und Gotha langfristig mehr geschadet als die vermeintlich politischen Gefahren, die aus der Duldung des dort verlegten gemäßigt-liberalen „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“ resultierten. Ähnlich wie im Königreich Sachsen war das Ausmaß der presse- und literaturpolitischen Kontrollpraxis auch im Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha zum Teil wirtschaftlichen Erwägungen unterworfen.45 Wenn der Buchhandel eine wichtige Säule des einheimischen Gewerbes darstellte, dann dürfte sich die Haltung eines Einzelstaates in bestimmten Zensurfragen nicht immer mit den Vorstellungen des Bundestages gedeckt haben. Dass in Sachsen-Coburg und Gotha vor allem die etablierten landeseigenen Schriften keine strenge Zensur über sich ergehen lassen mussten, wird ebenfalls am Beispiel des „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“ besonders deutlich. Die von der Landesregierung im Schreiben an Beust erwähnte Ausübung einer „geschärften Censur“ dieses Blattes wurde in der Praxis nicht wirklich umgesetzt. Betrachtet man den kompletten Jahrgang 1832, finden sich 43 Vgl. ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 19, Vol. I: Acta, die von dem Bundestage erlassenen Bestimmungen wegen Verhütung des Mißbrauchs der Druckerpresse betr., 1819–1853. 44 ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 1, Bl. 49. 45 Vgl. ZIEGLER: Literarische Zensur, S. 117–120.

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keine klar gekennzeichneten Textstellen, in denen eine Streichung vorgenommen wurde. Selbst nach der Beschwerde der Bundesversammlung wurde die Zensur des Blattes nicht verschärft. In einem Artikel zum Standpunkt der gegenwärtigen Politik beschwört der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ zwei Monate nach der Rüge der Bundesversammlung den liberalen Zeitgeist und ruft zu Reformen auf. So heißt es beispielsweise: Die Aufgabe, deren Lösung sich die Staatskunst unter den gegenwärtigen Umständen nicht entschlagen kann, besteht also darin, die Forderungen des Zeitgeistes mit den bisher geltenden Grundsätzen des Staatsrechts in Einklang zu bringen […]. Aber gewisse Staatsmänner wollen nichts wissen von zeitgemäßen Zugeständnissen, denn man fürchtet den Strom der Revolution. – Nun ist es zwar sehr lobenswerth, Vorkehrungen gegen die verderblichen Ueberschwemmungen desselben zu treffen, nur geschieht das nicht durch die verengenden Querdämme, womit man den Fluß des Volkslebens von so vielen Seiten durchzieht. Wird man denn nie begreifen, daß durch solche Maßregeln die gefürchtete Ueberschwemmung erst veranlaßt und gleichsam mit Gewalt herbeygezogen werden muß? Wie am Himmel, gibt es auch auf der Erde, und also auch im Staatsleben, nothwendige wohltätige Revolutionen; denn die Menschheit ist in jeder Beziehung ihrer verschiedenartigen Ausbildung in einem ewigen Fortgange begriffen. Wenn die kurzsichtige Politik diese nothwendige Bewegung aufzuhalten sucht, dann erfolgen jene gewaltsamen Erschütterungen, wovon in kirchlicher Beziehung die Reformationsperiode, und in politischer die neuere Zeit ergreifende Beyspiele aufstellt. Es ist zu allen Zeiten ein vergebliches Bemühen gewesen, Ideen zu bekämpfen, welche aus einem tief gefühlten Bedürfnisse der Völker hervorgegangen sind. – Man nenne den Inbegriff dieser Ideen Protestantismus und Liberalismus und ihren Gegensatz absolute geistliche Macht oder absolute weltliche Macht, – das Endresultat wird immer dasselbe seyn: die moralische geistige Kraft macht sich Platz und die alte Ruine der Vorzeit, gegen welche sie ankämpft, stürzt endlich zusammen.46

Trotz der durchaus vorhandenen politischen Brisanz dieses Artikels scheint die sachsen-gothaische Zensur keine Bedenken gehegt zu haben. Der verantwortliche Zensor sah sich nicht dazu veranlasst, nur ein einziges Wort zu streichen. Andere Beiträge zur Presse- und Meinungsfreiheit, zu verschiedenen Staatsverfassungen, zu Justiz- und Polizeigegenständen oder zu Verwaltungsfragen weisen ebenfalls heikle Inhalte auf, die bei konservativen Kräften wahrscheinlich auf Ablehnung gestoßen sind und andernorts, in Preußen oder Österreich, sofort verboten worden wären, in Gotha aber ohne Kürzungen die Zensur passieren durften. Erstaunlich ist dabei, dass selbst die Rede Karl von Rottecks auf dem Badenweiler Fest,47 in der er sich unmissverständlich zu einem freiheitlichen, 46 Staatsangelegenheiten. Bemerkungen über den gegenwärtigen Standpunct der Politik, in: Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen, Nr. 152 vom 5. Juni 1832, Sp. 2004 f. 47 Wenn man bedenkt, dass diese Rede maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Rotteck vorzeitig in den Ruhestand versetzt wurde, war die Veröffentlichung der Rede im „Allgemeinen Anzeiger der Deutschen“ ziemlich gewagt. Vgl. ZUNHAMMER, THOMAS: Zwischen

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föderativen deutschen Nationalstaat bekannte, mit Ausnahme zweier Sätze48 ohne Probleme im „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ veröffentlicht werden durfte.49 Interessanterweise erhob die Bundesversammlung aber keine Einwände gegen das Treiben des Blattes. Die von der Bundesversammlung angeordnete, aber nicht umgesetzte schärfere Pressezensur hatte für das Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha keine Konsequenzen. Auch vonseiten Österreichs und Preußens erfolgten nach 1832 keine weiteren Beschwerden gegenüber der sachsen-gothaischen Regierung bezüglich des „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“. Die im Schreiben von Beust erwähnte „stillschweigende Haltung“ gegenüber dem „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ schien den beiden Großmächten im Deutschen Bund ein vermeintlich besserer Weg zu sein, die dort geäußerten liberalen Ansichten in ihrer Wirkung einzugrenzen. Eine übermäßige Beschneidung oder ein Verbot dieses im Thüringer Raum weitverbreiteten Blattes wäre von der Leserschaft vermutlich als überzogen gewertet worden und hätte sicherlich nur unnötige Aufmerksamkeit erregt. Hinzu kam, dass der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ republikanischen Tendenzen kritisch gegenüberstand und fortwährend betonte, dass sozialer und gesellschaftlicher Fortschritt nur im Zusammenspiel mit den deutschen Fürsten zu realisieren sei. Wenn auch widerwillig, so konnten selbst konservative Großmächte wie Preußen und Österreich die Herausgabe eines solchen Blattes, das zumal rein äußerlich Wert auf politische Neutralität legte, bis zu einem gewissen Grad akzeptieren. Außerdem war der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ ein viel gelesenes Periodikum im Thüringer Raum. Für neu gegründete Periodika war es ungleich schwerer, sich auf dem Pressemarkt gegenüber den „etablierten“ Zeitschriften durchzusetzen, da der „gemeine Mann“ seine politischen Informationen in der Regel nur aus einer einzigen Zeitschrift bezog. Im Vergleich zu demokratisch oder sozialistisch gesinnten Blättern konnten sich die konservativen Kräfte des Deutschen Bundes mit einem gemäßigt-liberalen Blatt wie dem „Allgemeinen Adel und Pöbel. Bürgertum und Mittelstandsideal im Staatslexikon von Karl v. Rotteck und Karl Theodor Welcker. Ein Beitrag zur Theorie des Liberalismus im Vormärz, BadenBaden 1995, S. 17 f. 48 Es ist offensichtlich, dass die Sätze gestrichen wurden, um etwaigen Konflikten mit Österreich, Preußen oder dem Bundestag präventiv aus dem Weg zu gehen. Die fehlende Textstelle lautet: „Ich will die Einheit nicht anders als mit Freiheit und lieber Freiheit ohne Einheit als Einheit ohne Freiheit. Ich will keine Einheit unter den Flügeln des preußischen oder des österreichischen Adlers; ich will keine unter einer etwa noch zu stärkenden Machtvollkommenheit des so wie gegenwärtig organisierten Bundestages“. Zit. nach WINKLER, HEINRICH AUGUST: Der lange Weg nach Westen, Bd. 1: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, München 2000, S. 83. 49 Staatsverhältnisse. Deutschlands Einheit, in: Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen, Nr. 173 vom 28. Juni 1832, Sp. 2273 f.

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Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ noch arrangieren, verhinderte es doch zugleich, dass ein großer Teil der Bevölkerung sich weitaus radikaleren Blättern zuwandte. Interessant erscheint hierbei der Bericht des Coburger Regierungspräsidenten Johann Heinrich Theodor Opitz an Herzog Ernst I. aus dem Jahr 1831 „über die in Coburg gelesenen resp. politisch gefährlichen Zeitblätter“, der nach Ende der Julirevolution vom Staatsministerium in Auftrag gegeben wurde.50 Darin schreibt Opitz, dass im Coburger Land bis auf die üblichen Lokalblätter nur die „Allgemeine Zeitung“,51 der „Fränkische Merkur“ sowie der „Nürnberger“52 und der „Hamburger Korrespondent“53 bei hiesigen Postämtern bestellt sind.54 Außerdem weiß Opitz zu berichten, dass von den Zeitschriften, „welche eine bedenkliche Tendenz“ aufweisen, nur die „Deutsche Tribüne“ von Johann Georg August Wirth gelesen wird. Allerdings weist Opitz gleich darauf hin, dass die „Deutsche Tribüne“ zwar in mehreren Postämtern vorliegt, aber nicht nur im Coburger Land gelesen wird, sondern einige Exemplare dieses Blattes auch nach Sachsen-Meiningen verschickt werden.55 Zudem versichert er dem Herzog, dass „der Westbote, so wie andere rheinländische Zeitungen nicht bestellt“ sind.56 Das Interesse an oppositioneller Presse aus dem „deutschen Ausland“ scheint demnach kurz nach Ende der Julirevolution in der Bevölkerung im Landesteil Coburg noch nicht sonderlich stark ausgeprägt gewesen zu sein. Dies wird ebenso von den Zahlen unterstrichen, die Opitz bezüglich der Verbreitung der „Deutschen Tribüne“ nennt. So schrieb er in seinem Bericht nach Gotha, dass die im Landesteil Coburg befindlichen Postämter gerade einmal 17 Exemplare der besagten Zeitschrift verteilt haben, wobei er nicht unerwähnt ließ, dass sich noch zwölf Exemplare in Coburg befänden, jedoch die restlichen fünf Exemplare bereits ins „Ausland“ – zwei nach Sonneberg (Sachsen-Meiningen) und drei nach Presseck (Bayern) – versendet wurden.57 Darüber hinaus muss angenommen werden, dass die Bundesversammlung den Einfluss der thüringischen Presse für die Herausbildung einer weitgefächerten radikal-liberalen politischen Öffentlichkeit gering eingeschätzt haben muss. Auch die überregionale Wirkung thüringischer Schriften außerhalb des Thüringer Raumes scheint in den Augen der Bundesversammlung schwach ausgeprägt 50 ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 1, Bl. 8. 51 Gemeint ist die von Cotta herausgegebene „Augsburger Allgemeine Zeitung“. 52 Gemeint ist der in Nürnberg erscheinende, unter der Redaktion von Jacob Henle (1803– 1875) stehende „Der Korrespondent von und für Deutschland“. 53 Gemeint ist die „Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten“. 54 ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 1, Bl. 8. 55 Ebd., Bl. 8 f. 56 Ebd., Bl. 8. 57 Ebd.

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gewesen zu sein. So finden sich nach 1832, mit Ausnahme der „Dorfzeitung“,58 in den Zensurakten im Staatsarchiv Gotha vonseiten der Bundesversammlung keine Beschwerden mehr, dass thüringische Periodika grobe Pressevergehen begangen hätten. Gleichzeitig muss an dieser Stelle aber berücksichtigt werden, dass in den 1830er Jahren eine zunehmende Ausdifferenzierung der liberalen Bewegung zu verzeichnen ist.59 Während sich auf der einen Seite staatlich-bürokratische Kräfte für die Verwirklichung einer modernen Staatsbürgergesellschaft einsetzten und den Liberalismus als Reformbewegung verstanden, die mit juristisch-rechtsstaatlichen Mitteln umgesetzt werden sollte, bildeten sich auf der anderen Seite demokratisch und sozialistisch geprägte Gruppierungen heraus, deren Anschauungen sowohl von den konservativen als auch von den gemäßigt-liberalen Kräften als zu radikal empfunden wurden. Auf oppositioneller Seite bildeten sich nach 1830 drei Hauptrichtungen heraus, deren Ambitionen in verschiedensten Zeitschriften und Zeitungen zum Ausdruck gebracht wurden. So entwickelte sich in den 1830er Jahren neben einer liberal-konstitutionellen auch eine demokratisch sowie eine sozialistisch-kommunistisch ausgerichtete Presse.60 Es kam zu einem Anschwellen des oppositionellen Presse- und Buchmarktes,61 der es der Obrigkeit schon aus personellen und verwaltungstechnischen Gründen immer schwieriger machte, alles Geschriebene einer vollständigen Kontrolle zu unterziehen. Aufgrund dessen richteten Preußen und Österreich sowie die Bundesversammlung in Frankfurt ihr Hauptaugenmerk zunehmend auf die demokratischen und sozialistischen Schriften, deren Inhalte offenkundig zum Umsturz der bestehenden 58 In Kurhessen wird 1844 die „Dorfzeitung“ sogar verboten. Am 28. November 1844 teilt der kurhessische Bundestagsabgeordnete dies allen anderen Bundestagsgesandten mit. Eine Abschrift der Erklärung hat der ernestinische Bundestagsabgeordnete Freiherr von Fritsch nach Gotha geschickt. Darin wird die Regierung Sachsen-Coburg und Gothas in Kenntnis gesetzt, „daß im Kurfürstenthum Hessen sowohl die in Leipzig erscheinende ‚deutsche allgemeine Zeitung‘ als auch die ‚Dorfzeitung‘ verboten worden ist, Erstere, weil sie öfter Artikel verbreitet, welche die Regierung, die Behörden und die Staatseinrichtungen in Kurhessen verletzen und verdächtigen, dabei die öffentliche Meinung irre leiten und bundesgesetzliche Einrichtungen umgeht, die andere Zeitung aber aus ähnlichen Rücksichten.“ ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 2, Bl. 100. 59 Zum Ausdifferenzierungs- und Entstehungsprozess der unterschiedlichen politischen Strömungen in Deutschland im Zeitraum von 1830 bis 1848 vgl. grundlegend HAHN/BERDING: Reformen, Restauration und Revolution, S. 467–503. 60 Vgl. WILKE: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, S. 187–211; HOEFER: Pressepolitik, S. 26–31; EKE: Einführung in die Literatur, S. 34 f. 61 Folgt man den Ausführungen Edda Zieglers, waren die Verschärfung des staatlichen Überwachungssystems sowie die Zunahme von Zensurverordnungen und Ausführungsbestimmungen nach 1830 so ausschlaggebend, dass sowohl die liberalen als auch die demokratischen Kräfte nach der Julirevolution stärker gegen die herrschenden Obrigkeiten opponiert haben. Vgl. ZIEGLER: Literarische Zensur, S. 84.

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Ordnung aufriefen und gewaltsam herbeigeführten revolutionären Handlungen nicht abgeneigt waren. Während die Verfolgung vermeintlich radikaler Schriften durch neue Pressegesetze nach der Julirevolution62 nochmals verschärft und die Kontrollmechanismen wiederum ein Stück zentralistischer wurden,63 konzentrierte sich die Bundesversammlung nach 1830 vorrangig auf aufrührerische und revolutionäre Schriften, die nun in einer regelrechten Publikationsflut aus Südwestdeutschland und aus der Schweiz64 über den deutschen Buchhandel hereinbrachen. Vor allem im Vergleich zu den Inhalten der nun regelmäßig erscheinenden demokratischrepublikanischen und sozialistisch-kommunistischen Schriften mussten die gemäßigt-liberalen Periodika aus Thüringen auf die Bundesversammlung nach 1832 fast schon harmlos gewirkt haben. Wenn ein recht unbedeutender Adliger wie Carl von Pfaffenrath in seiner auflagenschwachen Zeitschrift – dem „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ – einen deutschen Nationalstaat forderte und sich für konstitutionelle Verhältnisse stark machte, im gleichen Zug aber mehrfach versicherte, jede Reform nur mit den Fürsten durchführen zu wollen, dann war dies in den Augen der Bundesversammlung spätestens in den 1840er Jahren gemeinhin vernachlässigbar. Solange ein kleiner Adelsliberaler wie Carl von Pfaffenrath keine allzu große überregionale Wirkungsmächtigkeit entfalten konnte, bestand keine unmittelbare Notwendigkeit, dessen Praktiken zu unterbinden. Im Wesentlichen kann für die thüringische Presse sowie für die thüringischen Presseakteure konstatiert werden, dass diese von den Geheimpolizisten des Mainzer Informationsbüros nicht als gefährlich eingestuft wurden. Deshalb fand auch kaum eine direkte Überwachung liberal bzw. volksaufklärerisch gesinnter 62 Herauszuheben sind hierbei vor allem die „Maßregeln zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland“ vom 21. Oktober 1830 sowie die „Sechs Artikel“ vom 28. Juni 1832 und die „Zehn Artikel“ vom 5. Juli 1832. Vgl. hierzu ZIEGLER: Literarische Zensur, S. 113 f. 63 Dies wird auch deutlich, wenn man den quantitativen Anstieg der Verordnungen der Bundesversammlung im Gothaer Staatsarchiv betrachtet. Es lässt sich klar erkennen, dass nach der Julirevolution die Pressepolitik der ernestinischen Staaten stärker unter den Einfluss der Bundespolitik geriet. Dies stützen auch die Ergebnisse, die Karl Klaus Walter für die Zensurpraxis im Landesteil Coburg für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts vorgelegt hat. Er zeigt ebenso auf, dass vor allem nach 1830 „bisherige Sonderwege mehr und mehr den grenzübergreifenden Zensurpraktiken“ weichen mussten und der Bundestag größeren Einfluss auf die Zensurpraxis ausübte. Vgl. WALTER, KARL KLAUS: Literaturverhältnisse in Coburg. Buchhandel, Leihbibliotheken und Zensur zwischen 1790 und 1848, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens, 44 (1995), S. 275–300, hier bes. S. 277. Vgl. außerdem WILKE: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, S. 182–187. 64 Außerdem verfasste eine kleine Gruppe deutscher Exilanten politische Oppositionsschriften in Frankreich und Italien, die ebenfalls ihren Weg nach Deutschland fanden. Vgl. HOEFER: Pressepolitik und Polilizeistaat Metternichs, S. 116–133.

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Personen aus Thüringen statt. Neben Carl Joseph Meyer stand nur Friedrich Johannes Frommann unter Beobachtung der Metternich’schen Konfidenten, weil dieser als erster Vorsitzender65 des „Börsenvereins der deutschen Buchhändler“ mehrfach für die Einführung einer allgemeinen Pressefreiheit plädierte.66 Andere liberal gesinnte Personen aus Thüringen, die sich auf Presse- und/oder Vereinsebene politisch engagierten, wurden nicht überwacht oder fanden aufgrund ihrer „Harmlosigkeit“ in den Geheimberichten keine Erwähnung. Wie „zahm“ die politische Presse in Thüringen in den Augen der Metternich’schen Geheimpolizisten in den 1840er Jahren geworden war, macht ebenfalls ein Bericht des Mainzer Konfidenten Wilhelm Fischer überaus deutlich.67 In diesem Bericht, der Ende September 1847 verfasst wurde, schildert Fischer die Situation der gesamten deutschen Presse und gibt ausführliche Informationen, wie es um die politischen Druckerzeugnisse in den einzelnen deutschen Bundesstaaten bestellt ist. Während Fischer bemerkt, dass im Norden Deutschlands die preußische Presse und im Süden Deutschlands die badische Presse das politische und geistige Leben bestimmt,68 verliert er über die Presse in Thüringen kaum ein Wort. In wenigen Worten skizziert er die Presseverhältnisse in den ernestinischen Staaten und beurteilt sie als bedeutungslos. So schreibt er: Die gesamte Tagespresse in den übrigen sächsischen Staaten69 ist in des Wortes eigentlicher Bedeutung ohne allen weiteren Wert, und wenn ein Blatt hiervon eine Ausnahme macht, so ist es die in Hildburghausen erscheinende ‚Dorfzeitung‘, die sich durch ihre naive, oft satirische und humoristische Darstellungsweise in früherer Zeit eine hohe Geltung verschafft hatte, jetzt aber nur noch äußerst selten mit solchen Artikeln auftritt.70

65 Friedrich Johannes Frommann war in den Jahren 1841–43, 1847–49 und 1861–64 erster Vorsitzender im Vorstand des Börsenvereins der deutschen Buchhändler. Vgl. MENZ, GERHARD: Die ersten Vorsteher des Börsenvereins der deutschen Buchhändler 1825– 1925, Leipzig 1925, S. 47 f., 53 f. u. 71 f. Vgl. außerdem TITEL, VOLKER: Von der Gründung des Börsenvereins bis zur Krönerschen Reform (1825–1888), in: Füssel, Stephan/ Jäger, Georg/Staub, Hermann (Hrsg.): Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels 1825–2000, Frankfurt am Main 2000, S. 40. 66 Vgl. Geheimbericht vom 10. Mai 1841, in: Adler, Hans (Hrsg.): Literarische Geheimberichte. Protokolle der Metternich-Agenten, Bd. 1: 1840–1843, Köln 1977, S. 86 f. 67 Nach Hans Adler waren von den Metternich’schen Geheimpolizisten die Berichte von Wilhelm Fischer am informativsten und um eine objektive Darstellung bemüht. Vgl. ADLER, HANS: Staatsschutz im Vormärz, in: Ders. (Hrsg.): Literarische Geheimberichte, Bd. 1, S. 40 f. 68 Vgl. Geheimbericht vom September 1847, in: Adler, Hans (Hrsg.): Literarische Geheimberichte. Protokolle der Metternich Agenten, Bd. 2: 1844–1848, Köln 1981, S. 183. 69 Kurz vorher schildert Fischer in seinem Bericht die Situation im Königreich Sachsen. 70 Geheimbericht vom September 1847, in: Adler (Hrsg.): Literarische Geheimberichte, Bd. 2, S. 180.

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Die Presse der schwarzburgischen und reußischen Staaten blieb von Fischer vollkommen unerwähnt. Scheinbar hielt er deren politische Wirkung für so bedeutungslos, dass er es nicht für nötig erachtete, sie überhaupt in seinen Bericht mit aufzunehmen. Für die konservativen Kräfte in Preußen und Österreich war es ungleich wichtiger, dass die von der Bundesversammlung verhängten Bücher- und Presseverbote in allen deutschen Bundesstaaten konsequent umgesetzt wurden. Auch den Regierungen der thüringischen Staaten wurden deshalb ausführliche Instruktionen übermittelt, entweder von der Bundeszentralbehörde oder direkt vom preußischen oder österreichischen Bundestagsgesandten, wie gegen bereits verbotene „Schmähschriften“ im eigenen Land zu verfahren war. Die Instruktionen aus Frankfurt sollten vor allem dazu dienen, die als radikal eingestuften Schriften von Johann Georg August Wirth, Philipp Jakob Siebenpfeiffer, Heinrich Heine, Karl von Rotteck, Jakob Venedey, Karl Gutzkow, Georg Herwegh, Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Carl Ludwig Börne, Georg Büchner, Arnold Ruge und Karl Marx nicht weiter in Umlauf zu bringen.71 Als besonders gefährlich wurden dabei die Schriften des Jungen Deutschlands und der liberalen Exilpresse, die aus Furcht vor Verfolgung vorrangig in die Schweiz, nach Paris und nach Straßburg emigriert war, von der Bundesversammlung angesehen.72 Ihrer Bekämpfung galt die oberste Priorität. Wie aus den Akten außerdem ersichtlich wird, rückte in den 1840er Jahren neben der Unterdrückung radikal-liberaler Schriften die Stadt Leipzig als deutsches Buchhandelszentrum immer stärker in den Fokus der Bundesversammlung.73 Vor allem die im Verlag von Otto Wigand und Gustav Mayer herausgegebenen Schriften waren dem preußischen Bundestagsgesandten Geheimrat Johann Ludwig von Jordan ein Dorn im Auge. Die Nähe Leipzigs zu den thüringischen Staaten weckte bei ihm die Befürchtung, revolutionäre und staatsgefährdende Schriften könnten über geheime Wege auch in den Thüringer Raum eingeführt 71 Vgl. ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 1–3. 72 Vgl. hierzu auch KOSZYK, KURT: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert (= Geschichte der deutschen Presse, Teil 2), Berlin 1966, S. 66–102. 73 Vgl. ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 3. Im Hinblick auf die Wirkung politischer Schriften auf den „gemeinen Mann“ ist der Bericht vom 27. Mai 1847 des ernestinischen Bundestagsgesandten Carl Friedrich Christian von Fritsch sehr interessant, in welchem er den preußischen Bundestagsgesandten Johann Ludwig von Jordan zitiert und darauf hinweist, dass dieser „auf eine Flugschrift aufmerksam gemacht [hat], welche unter ohne Angabe des Druckers und Verlegers […] wahrscheinlich von dem bekannten Flüchtling Püttmann aus Köln verfasst, in der Schweiz oder zu Brüssel gedruckt und von da über Leipzig in Deutschland verbreitet worden [ist]“. Des Weiteren führt Fritsch aus, dass Jordan ebenso bemerkt, dass ihm „diese Schrift unter den gegenwärtigen Umständen besonders gefährlich“ erscheint, „weil sie nach Form und Inhalt“ versuche, „den gemeinen Mann zum Aufstand gegen die Regierungen und gegen die vermögenden Classen zu bewegen“. ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 3, Bl. 31.

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werden. Dass diese Vermutungen nicht ganz aus der Luft gegriffen waren, belegt indes ein Bericht des in Leipzig sitzenden Geheimpolizisten Jakob Eduard Singer an das Mainzer Informationsbüro, in welchem er schreibt, dass Otto Wigand eine Schmähschrift über Preußen herausgeben wollte, jedoch aufgrund einer nicht genehmigten Imprimatur den Druck der besagten Schrift zu Carl Joseph Meyer nach Hildburghausen verlegt hat.74 Wie beschrieben, sollte also vorrangig der Vertrieb von demokratischen und sozialistischen Schriften unterbunden werden. Entsprechende Bundesgesetze und Verbotsverordnungen bezüglich solcher Schriften wurden von der Regierung Sachsen-Coburg und Gothas ausnahmslos bis zum Ausbruch der Märzrevolution in Kraft gesetzt.75 Gegen Presseinstruktionen aus Frankfurt widersetzten sich weder die Herzöge Ernst I. und Ernst II. noch die Regierung Sachsen-Coburg und Gothas. Nachdem eine Anweisung der Bundesversammlung die Regierungen in Coburg und/oder Gotha erreicht hatte, wurde mit dem Verweis, dass es sich um eine „revolutionäre“, „staatsgefährdende“, „bösartige“, „gemeingefährliche“ oder „unsittliche“ Schrift handelt, umgehend ein juristisch klar reglementiertes „Verbotsverfahren“ eingeleitet. Am Beispiel der Schrift „Forschungen über die Verfassungen der freien Völker“ von Simonde de Sismondi sollen die einzelnen Schritte eines solches Verbotsverfahren an dieser Stelle exemplarisch kurz durchexerziert werden: 1.) Nach dem Verbot durch die Bundesversammlung, folgt am 14. Mai 1837 die Aufforderung der „Bundes=Centralbehörde“ an die Regierung Sachsen-Coburg und Gothas, unverzüglich die Schrift „Forschungen über die Verfassungen der freien Völker von Simonde von Sismondi. Uebersetzt und mit Anmerkungen begleitet von August Schaefer“ zu verbieten. So wird die Regierung angewiesen, das Verbot umzusetzen und den Verlauf dieses Verfahrens nach Frankfurt zu melden: „Wir ersuchen ganz ergebenst, den Debit dieses Buches verbieten, etwaige Exemplare in Beschlag zu nehmen, die Aufnahme von Zeitungsartikeln, welche das Verbot mittheilen oder besprechen, zur Vermeidung größerer Nachfrage verhindern und von dem, was in dieser Hinsicht geschehe, uns hochgefälligst in Kenntniß setzen zu wollen.“76 2.) Am 18. Mai 1837 bestätigt die sachsen-coburgische und gothaische Regierung das Verbot der betreffenden Schrift und versichert der Bundeszentralbehörde, dafür Sorge zu tragen, dass weder die Buchhändler noch Leihbibliotheken 74 Vgl. Geheimbericht vom 20. Februar 1841, in: Adler (Hrsg.): Literarische Geheimberichte, Bd. 1, S. 79 f. 75 Die letzte noch vorhandene Akte eines Verbots von Presseerzeugnissen vor Ausbruch der Märzrevolution stammt vom 3. Februar 1848. Darin weist Herzog Ernst II. seine Regierung an, „sämmtliche Verlagsartikel der Firma ‚Jenny Sohn‘ in Bern, so wie derjenigen Firmen, welche als Fortsetzung der genannten Buchhandlung zu betrachten wären“ im Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha zu verbieten. ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 3, Bl. 56. 76 ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 2, Bl. 23.

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in Besitz dieses Buches kommen werden. Außerdem garantiert man der Bundesversammlung „auch die Aufnahme von Zeitungsartikeln, welche das Verbot mittheilen oder besprechen, zu verhindern“.77 3.) In einem weiteren Schreiben der Bundesversammlung vom 25. Mai 1837 wird die Regierung in Gotha ermahnt, dass man mit äußerster Sorgfalt gegen die Verbreitung der Schrift „Forschungen über die Verfassungen der freien Völker“ vorgehen möge, da nach polizeilichen Quellen die Schrift bei etlichen Buchhändlern in Gotha und Coburg erhältlich ist. Dem Schreiben liegt eine Anlage bei, die die entsprechenden Buchhändler denunziert. Genannt werden „Glaeser in Gotha“, „Hennings u. Hopf in Gotha”, „Hennings in Gotha“, „Müller in Gotha“, „Neumann in Gotha“, „Meusel & Söhne in Coburg“ und „Niese in Saalfeld“.78 4.) In den folgenden Korrespondenzen wird festgehalten, wie die einzelnen lokalen Behörden in den Landesteilen Gotha und Coburg minutiöse Nachforschungen anstellen und die Stadträte dazu verordnen, die besagte Schrift möglichst schnell aus dem Buchhandel zu entfernen.79 5.) Nachdem dies erfolgt ist, meldet am 14. Juni 1837 der Gothaer Regierungsrat Gustav von Henning nach Coburg, dass alle vorgefundenen Exemplare der Schrift „Forschungen über die Verfassungen der freien Völker“ unverzüglich konfisziert wurden.80 6.) Abschließend wird eine Rechtfertigung über die Vorgänge an die Bundesversammlung versendet und nochmals darauf hingewiesen, dass man pflichtgemäß allen Anordnungen der Bundesversammlung Folge geleistet hat und die Beschlagnahmung der besagten Schrift bei aufgelisteten Buchhändlern angeordnet wurde. So berichtet das Coburger Staatsministerium am 23. Juni 1837 nach Frankfurt: Mit Bezugnahme auf die Hochlöbl. BundesCentralbehörde zu Frankfurt a/M. von dem unterzeichneten Ministerium unterm 30ten vor. Mon. ertheilte Benachrichtigung hinsichtlich der getroffenen Verordnungen wegen Wegnahme der an Buchhandlungen hiesigen Lande gesendeten Exemplare der bey Wilhelm Küchler zu Frankfurt a/M. erschienenen verbotenen Schrift: Forschungen über die Verfassungen der freyen Völker von Simonde de Sismondi, übersetzt und mit Anmerkungen begleitet von August Schäfer, ermangelt das unterzeichnete Ministerium nicht, einer Hochlöbl. BundesCentralBehörde nunmehr als Ergebnis jener Verfügungen ergebenst zu eröffnen, daß von Seiten der Herzogl. Landesregierungen allhier und zu Gotha drey Exemplare der fragl. Schrift, welche die Buchhändler Meusel & Sohn allhier, und Gläser in Gotha, so wie der Leihbibliothekbesitzer Naumann daselbst auf Verlangen abgegeben haben, anher eingesendet worden sind, hinsichtlich der übrigen angeblich nach Gotha gelangten Exemplare aber von der dortigen LandesRegierung angezeigt worden ist, daß die Buchhandlung ‚Hennings und Hopf‘ gegenwärtig nicht 77 78 79 80

Ebd., Bl. 24. Ebd., Bl. 25. Ebd., Bl. 26–28. Ebd., Bl. 27 I.

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mehr in Gotha, sondern – dem äußerlichen Vernehmen nach –, in Erfurt bestehe, ferner aber in Gotha weder bey dem Buchhändler Hennings noch bey dem Antiquar Müller die fragl. Schrift vorgefunden, und von beyden versichert worden sey, daß selbige gar nicht an sie gelangt, sondern wahrscheinlich an ihre Commissionaire zu Leipzig gesendet, und von diesen an die Küchlerl. Buchhandlung zu Frankfurt remittiert worden wäre.81

Nach diesem Muster wurden alle angeordneten Verbote der Bundesversammlung umgesetzt. Nach Eingang der Anordnungen hat Herzog Ernst I. – Herzog Ernst II. ist nach 1844 ebenso verfahren – ein Reskript erlassen, das von den ansässigen Regierungen in den Landesteilen Coburg und Gotha umgehend in Ausführung gebracht wurde. Bei Buchhändlern vorgefundene Exemplare der verbotenen Schrift wurden konfisziert und die Bundeszentralbehörde darüber in Kenntnis gesetzt. Ebenso wenig widersprach das Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha den Anliegen des preußischen und österreichischen Bundestagsgesandten. Als beispielsweise der preußische Bundestagsgesandte Jordan beim Sächsisch-Coburgischen und Gothaischen Geheimen Staatsministerium am 24. Juni 1845 ein Verbot der „New Yorker deutschen Schnellpost und deren Wochenblatt“ einfordert,e82 erfolgte bereits am 9. Juli 1845, noch bevor sich die Bundesversammlung mit dieser Schrift beschäftigt hatte, ein Erlass von Herzog Ernst II. an seine Regierung, dass „in Folge eines […] zugekommenen höchsten Befehles des K[öniglich] Preuß. Gouvernements“ die „New Yorker deutsche Schnellpost und deren Wochenblatt“ aufgrund ihrer „antimonarchischen und revolutionären Tendenz“ zu verbieten ist.83 Zu-gleich verfasste das Herzogliche Staatsministerium am 9. Juli 1845 eine Mitteilung an den Geheimrat von Jordan, dass „wegen Unterdrückung der New Yorker Schnellpost und deren Wochenblattes in den diesseitigen Staaten sofort eine den Wünschen des Königl. Preuß. Gouvernements entsprechende Verfügung getroffen worden ist“.84 Wie die Akten zeigen, waren solche Anfragen keine Seltenheit. Um keine Unstimmigkeiten herbeizuführen, erfolgten bei Verbotsanfragen von preußischer oder österreichischer Seite in der Regel gemeinsame Absprachen mit den anderen ernestinischen Staaten. So fragte beispielsweise das Coburger Staatsministerium bei den Regierungen in Meiningen und Altenburg an, ob man ebenfalls gewillt sei, dem Antrag Preußens nach einem Verbot von Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“ nachzukommen. In der Korrespondenz vom 5. November 1841 heißt es: Von Seiten der Königlich Preußischen Gesandtschaft zu Jordan ist unterm 13ten, 25ten und 26ten vor. Mon. bei uns darauf angetragen worden, daß mehrere neuerlich erschienene, als aufrührisch und gefährlich bezeichnete Werke, namentlich das bei Victor von Zabern in Mainz unter dem Titel ‚ein Glaubensbekenntniß‘ herausgekommene Gedicht von 81 82 83 84

Ebd., Bl. 29. ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 2, Bl. 111. Ebd., Bl. 112. Ebd., Bl. 111.

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Freiligrath […] und Deutschland, ein Wintermärchen, von H. Heine, auch in diesseitigen Staatsgebiete unterdrückt werden möchten. Bevor wir indeß in dieser Beziehung eine Verfügung treffen, erlauben wir uns, Ew. Excellenzien um gefälligste Mittheilung darüber zu ersuchen, ob – wie wir nicht zweifeln – ein gleichmäßiger Antrag auch bei Ew. Excellenzien gestellt, und was von denselben darauf verfügt worden ist. Einer baldgeneigten Rückäußerung entgegen sehend, benutzen wir mit Vergnügen auch diesen Anlaß zur Vertieferung unserer ausgezeichnetsten Hochachtung.85

Um Geschlossenheit gegenüber den Großmächten Preußen und Österreich zu demonstrieren, wurde am Ende solchen Anfragen immer stattgegeben. Auch bei anderen Verbotsmaßnahmen, etwa als der preußische Bundestagsgesandte mit Nachdruck dem gothaischen Staatsminister Georg Ferdinand Freiherr von Lepel die unbedingte Geheimhaltung der Verhandlungen der Preußischen Provinziallandtage mit Nachdruck in Erinnerung brachte, wurde vonseiten der Regierung Sachsen-Coburg und Gotha nicht protestiert.86 Im Gegenteil, so antwortete der gothaische Staatsminister am 8. März 1845 untertänig, dass in Rücksicht auf die vor Kurzem begonnenen Verhandlungen der Preußischen Provinziallandtage der Herzogl. Landes-Regierung allhier, der Censurbehörde der hier erscheinenden öffentlichen Blätter, die Befolgung des Bundestags=Beschlusses vom J. 1836, über die Aufnahme der Berichte und Nachrichten von Verhandlungen deutscher Ständeversammlungen in Zeitungen und periodischen Schriften, ganz besonders zur Pflicht gemacht worden ist.87

Darüber hinaus, wahrscheinlich aus politischer Überzeugung, wurde auch den Anfragen anderer Bundestagsgesandter stattgegeben. Als beispielsweise am 14. Januar 1845 der Staatsminister Friedrich Freiherr von Blittersdorf aus dem Großherzogtum Baden eine von Johann Georg August Wirth verfasste Schrift, deren Inhalt angeblich „die verwerflichsten Grundsätze und insonderheit eine Verhöhnung der Zustände Deutschlands“ enthielt, auch in den anderen deutschen Staaten verboten sehen wollte,88 gewährte man ihm dieses Anliegen. So erließ Ernst II. bereits am 24. Januar 1845 ein Reskript, die besagte Schrift in Beschlag zu nehmen und meldete dem ernestinischen Bundestagsgesandten Freiherr von Fritsch: Wir Ernst pp. haben auf den Bericht Unsers B[undes]T[ags]Gesandten vom 14ten d. Mon. keinen Anstand genommen, die neuerlich in Bellevue bei Constanz erschienene Schrift, welche unter dem Titel ‚Julius Rubner, Drama in drei Aufzügen, 1844‘, das Frankfurter Attentat vom April 1833 und die Schicksale des bekannten Pfarrers Weidig in dramatischer 85 ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 2, Bl. 95. 86 ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 58: Acten, die Censur der Zeitungen, hinsichtlich der Aufnahme von Berichten und Nachrichten über Verhandlungen deutscher Stände=Versammlungen betr., 1845, Bl. 1. 87 Ebd., Bl. 2. 88 Der Titel der Schrift lautete: Julius Rubner. Drama in drei Akten, Konstanz 1844. ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 2, Bl. 103.

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Form behandelt und unter Verhöhnung der Zustände Deutschlands die verwerflichsten Grundsätze entwickelt, in Unseren Landen zu verbieten, und die erforderlichen Verfügungen deshalb an Unsere Landesregierungen zu Coburg und Gotha ergehen zu lassen. Wir setzen daher Unseren BTGesandten mit der Anweisung hiervon in Kenntniß, dem Großh. Badischen Bundestagsgesandten von der getroffenen Verfügung Nachricht zu geben.89

Wie sich also gezeigt hat, wollte man in Sachsen-Coburg und Gotha keinesfalls in Konflikt mit der Bundesversammlung treten. Warum die Regierungen in Coburg und Gotha sowie der anderen ernestinischen Staaten den Anweisungen aus Frankfurt gehorsam Folge leisteten, dürfte im Wesentlichen auch auf die harsche Maßregelung des Bundestages gegen das Großherzogtum Baden im Jahr 1832 zurückzuführen sein, nachdem dort die Pressegesetze kurzzeitig geändert wurden. Vor allem die Haltung Österreichs nach Einführung des badischen Pressegesetzes am 1. März 1832 hatte allen deutschen Bundesstaaten deutlich gemacht, dass es schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen konnte, wenn man sich auf Landesebene den Pressebestimmungen des Deutschen Bundes zu widersetzen gedachte. Nachdem Großherzog Leopold von Baden die Zensur im eigenen Land de facto abgeschafft hatte, reagierten die restaurativen Kräfte des Deutschen Bundes, allen voran Österreich, mit äußerster Empfindlichkeit und drängten das Großherzogtum Baden zur Zurücknahme des neuen Pressegesetzes. Die Bundespressekommission verurteilte Badens Pressegesetz noch vor Inkrafttreten als unzulässig und unvereinbar mit dem Bundespresserecht.90 Metternichs Druck auf die Regierung Badens ging schließlich so weit, dass kurzzeitig sogar eine Bundesexekution ins Auge gefasst wurde, um das Großherzogtum wieder zur Einhaltung der Bundesverpflichtungen zu zwingen.91 Da Großherzog Leopold diesem massiven Druck nicht standhalten konnte, musste er bereits am 28. Juli 1832 sein Pressegesetz in den entscheidenden Punkten widerrufen. Zusätzlich wurde ihm vom Bundestag die Schmach auferlegt, seinen Fehlgriff öffentlich zu bekennen.92 Für die konservativen Kräfte im Deutschen Bund war die fehlgeschlagene Pressegesetzgebung in Baden gewissermaßen ein Glücksfall. Das „Strafexempel“ gegen Großherzog Leopold und die badische Regierung hatte allen deutschen Fürsten überaus deutlich gemacht, dass die beiden Großmächte Preußen und Österreich unter keinen Umständen dazu bereit waren, Kompromisse in einer Lockerung der Pressezensur einzugehen. Wer sich den Anordnungen des Bundestages offen zu widersetzen gedachte, musste damit rechnen, auf Betreiben einer der beiden deutschen Großmächte eine öffentliche Demütigung über sich 89 90 91 92

ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 2, Bl. 104. Vgl. SCHNEIDER: Pressefreiheit, S. 273. Vgl. EISENHARDT: Wandlungen von Zweck und Methode, S. 12. Vgl. SCHNEIDER: Pressefreiheit, S. 273.

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ergehen zu lassen. Unter diesen Umständen lässt sich auch nachvollziehen, warum ein kleiner Staat wie Sachsen-Coburg und Gotha es tunlichst vermeiden wollte, gegen die Pressebestimmungen des Deutschen Bundes aufzubegehren.

3. Widerstand gegen die Presserestriktionen des Deutschen Bundes? – Die Strategien der thüringischen Kleinstaaten zur Bewahrung einer eigenständigen Pressepolitik WIDERSTAND GEGEN DIE PRESSERESTRIKTIONEN DES DEUTSCHEN BUNDES?

Trotz des äußeren Drucks, den die thüringischen Staaten in heiklen Pressefragen oftmals von preußischer oder habsburgischer Seite zu spüren bekamen, hat es auch Widerstand gegen die Presseverordnungen der Bundesversammlung gegeben. Allen voran sträubte sich Herzog Bernhard Erich Freund von SachsenMeiningen im Jahr 1831 noch vehement dagegen, dass die Pressezensur im Zuge der Julirevolution auf bundesstaatlicher Ebene noch weiter verschärft werden sollte. Nachdem die Bundesversammlung gegen „Das constitutionelle Deutschland“ von Johann Georg August Wirth ins Feld zog, hielt er diese Repression für unzeitgemäß und juristisch nicht vertretbar. Gegenüber dem ernestinischen Bundestagsgesandten Graf von Beust äußerte er am 28. Dezember 1831 seinen ganzen Unmut über die bevorstehenden neuen bundesstaatlichen Regelungen zur Pressezensur: Wir Bernhard, Herzog zu Sachsen=Meiningen pp. haben aus dem Berichte Unseres Bundestagsgesandten vom 10ten v. M. ersehen, was derselbe in Betreff der neusten Beschlüsse der Bundesversammlung über die Beschränkung der Presse zu vernehmen gegeben hat. Obgleich nun auch Wir in gerechten Unwillen über die Zügellosigkeit, wodurch das unter dem Titel: das constitutionelle Deutschland, erschienene Zeitblatt sich auszeichnete, sowie über die in mehreren politischen Blättern sichtbare aufrührerische Tendenz, der Ueberzeugung sind, daß Sitte, Ordnung und Autorität in gleichen Maaße dazu auffordern, einen solchen Unfuge zu [stoppen?], so scheint uns doch bei der gegenwärtigen Stimmung in Deutschland, sichere Hülfe wieder jenen Unfug nur in einer gesetzlichen Bestimmung über die Presse und keineswegs in blos polizeilichen Verfügungen gefunden werden zu können. Denn wie man auch die Freiheit der Rede beurtheilen möge – mag man nun ein den Völkern Ursprünglich zustehendes, oder ein denselben von Regierungen bewilligtes Recht erblicken – : nie werden die hiefür getroffenen Einrichtungen und öffentlichen Anordnungen ihrem Zweck entsprechen, wenn sie nicht den Bedürfnissen und der Stimmung der Zeit, in welcher, – und dem Charakter und herrschenden Urtheile des Volks, für welches sie gegeben worden, genau angepasst sind.93 93 ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 19, Vol. I, Bl. 42.

WIDERSTAND GEGEN DIE PRESSERESTRIKTIONEN DES DEUTSCHEN BUNDES?

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Zur Untermauerung seiner Haltung bediente sich Herzog Bernhard interessanterweise genau der gleichen Argumentation, die zu dieser Zeit von den Liberalen verwendet wurde. Für den Fürsten aus Meiningen durften die Errungenschaften der Befreiungskriege sowie die in der Bundesakte von 1815 festgehaltenen Versprechungen nicht durch polizeiliche Maßnahmen unterdrückt oder rückgängig gemacht werden. Davon überzeugt, dass eine schärfere Repression der Presseund Meinungsfreiheit unweigerlich neue Unruhen hervorbringen werde, schrieb er weiter: Unter den Deutschen ist aber der, in dem Hang ihrer Entwicklung tief begründeter, Trieb nach bürgerlicher Selbstständigkeit, und der zufolge dessen durch die Freiheitskriege hervorgerufene und seitdem vielfältig genährte Sinn für die Oeffentlichkeit in Gesetzgebung und Verwaltung, und was davon nur eine Folge ist: der Wunsch, die Presse von einer jeglichen Art der Polizei=Verfügungen zu emancipiren, ein unverkennbares Merkmal unserer Zeit. Und wenn auch vielleicht der größere Theil des Volkes, die ackerbauende und gewerbetreibende Classe, für diese Dinge noch zur Zeit allerwärts keinen hinlänglich gebildeten Sinn besitzt, so ist doch der unter den Deutschen einmal angeregter und unaufhaltsam vorwärts schreitender Geist der Wissenschaften, und die Liebe der gebildeten Stände zu den Wissenschaften, in Verbindung mit dem Hang der unteren VolksClassen, in Gesinnung, Wort und That der nächst höheren nachzuahmen, ein sicherer Bürge, daß nur jede, diesem allgemeinen Streben nicht huldigende Form, immer mehr und mehr dem Volke als eine lästige Fessel erscheinen und nur dazu beitragen werde, den Hass dawider in den Gemüthern rege zu machen, die Deposition zu erwirken und revolutionäre Bewegungen gewaltsam hervorzurufen. […] Hinzu kommt, daß […] von den besonnensten Freunden des Vaterlandes laut und ohne Widerrede immer von Neuem wieder gefordert wird – gesetzliche Freiheit – durch die frühere Zusicherung landständischer Verfassungen als ein wünschenswerthes Gut zugestanden, auch demgemäß diese Regierungsform in mehreren Staaten eingeführt worden, dadurch aber der Forderung nach einer gesetzmäßigen Preßfreiheit, als Bedingung für die rechte Wirksamkeit jener, bei der herrschenden Richtung unserer Zeit eine fortwährende Anregung gegeben ist. Auch scheint ein haltbarer Grund, dem in seinem Entstehen begünstigten Streben der Völker die geeignete Form länger vorzuenthalten, um so weniger gefunden werden zu können, als in den 18. Art. der Bundesakte ‚die Abfassung gleichförmiger Verfügungen über die Preßfreiheit‘ bestimmt versprochen, auch in dem Protokoll der 25. Sitzung der Bundesversammlung vom 20. September 1819 die Hoffnung zu einem noch innerhalb der nächsten 5 Jahre zu fassenden ‚Definitivbeschlusse über die rechtmäßigen Grenzen der Preßfreiheit‘ – erneuert, diese Hoffnung aber bis jetzt noch nicht erfüllt und auch die Rechtfertigung darüber, warum solches nicht geschehen, nicht gegeben worden ist.94

Um die Ernsthaftigkeit seines Widerstandes gegen das Vorhaben des Bundestages zu unterstreichen, gab er abschließend folgende Anordnung: Wir verkennen nun zwar keineswegs die Schwierigkeiten, denen die Ertheilung eines allgemeinen Preßgesetzes unterworfen ist. Da indessen deren Beseitigung bei beharrlichem 94 Ebd.

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Willen nicht zu bezweifeln steht, so begehren Wir, daß Unser Bundestagsgesandter gleichförmige Bestimmungen über rechtmäßige Grenzen der Preßfreiheit unverzüglich in Antrag bringe und auf geeignete Weise den Konsequenzen widerspreche, welche aus den Beschlüssen der Bundesversammlung in der 38ten und 39ten Sitzung gezogen werden könnten, auch bei ähnlichen Angelegenheiten stets vor der Abstimmung bei Uns Instruktion auswirke.95

Herzog Bernhard II. Erich Freund wollte demnach eine juristische Neuregelung des Bundespressegesetzes erwirken. Dabei verwies er auch auf das noch ausstehende Versprechen, die Karlsbader Beschlüsse nach fünf Jahren nicht automatisch zu verlängern, sondern neu zu normieren. Außerdem missbilligte er die bestehende Pressezensur als unangebracht, mit dem Argument, dass die gegenwärtige „Geistes-Cultur“ des deutschen Volkes überzogene Presserestriktionen überflüssig mache. Dem Grafen von Beust ordnete er nun an, der Bundesversammlung seine Bedenken zur aktuellen Entwicklung der bundesstaatlichen Pressegesetzgebung mitzuteilen. Des Weiteren erhoffte er sich in dieser Frage die Unterstützung der anderen ernestinischen Fürstentümer. Deshalb schrieb das meiningische Staatsministerium am 5. Januar 1832 an die Regierungen nach Altenburg, Coburg und Weimar: Die neusten Bundestagsbeschlüsse über die Beschränkung der Presse sind in ihren Folgen zu wichtig, um nicht die ganze Aufmerksamkeit der betheiligten teutschen Regierungen in Anspruch zu nehmen und die Ueberzeugung hervorzubringen, daß Uebereinstimmung in den Ansichten hierüber und in den deshalb zu ergreifenden Maaßregeln als dringende Nothwendigkeit erscheine. Von dieser Ansicht geleitet und dem uns dieserhalb zugegangenen höchsten Befehl gemäß erlauben wir uns, Ew. Excellenzien die in Betreff der bewegten Angelegenheit dem gemeinschaftlichen Bundestagsgesandten ertheilte Instruction abschriftlich mitzutheilen, um, sofern dieselben damit einverstanden seyn sollten, hierdurch eine, jedenfalls wünschenswerthe Uebereinstimmung in den deshalbigen Erklärungen des gemeinschaftlichen Bundestagsgesandten herbei zu führen.96

Die Antwortschreiben fielen für Herzog Bernhard allerdings ernüchternd aus. So beteuerte ihm die Regierung Sachsen-Coburg und Gothas, dass man darin übereinstimme, dem Volk keine „widernatürlichen Beschränkungen“ auferlegen zu wollen, doch „daß man nicht aus Ueberschätzung des Culturzustand[es] des Volkes dem Treiben der Herausgeber von Zeitschriften einen zu ausgedehnten Spielraum zugestehen kann“.97 Daher wurde vonseiten Sachsen-Coburg und Gothas beschlossen, der von der Bundesversammlung initiierten Verschärfung der Pressezensur zuzustimmen und darauf verzichtet, dem Grafen von Beust Instruktionen zu erteilen, gegen die Bundestagsbeschlüsse Einspruch zu erheben. Auch die Antwort aus Weimar dürfte

95 Ebd., Bl. 43. 96 Ebd., Bl. 41. 97 Ebd., Bl. 51.

WIDERSTAND GEGEN DIE PRESSERESTRIKTIONEN DES DEUTSCHEN BUNDES?

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Herzog Bernhard nicht gefallen haben.98 In Übereinstimmung mit der sachsencoburgischen Regierung war man in Weimar ebenfalls davon überzeugt, dass dem „zügellosen Mißbrauch der Presse“ mit schärferen Gesetzen entgegengewirkt werden müsse.99 Wie die Regierung in Sachsen-Coburg und Gotha erklärte sich auch die sachsen-weimarische Regierung nicht dazu bereit, den Grafen von Beust anzuweisen, Protest gegen die vom Bundestag beschlossenen Maßnahmen einzureichen. Der von Herzog Bernhard angestrebte gemeinsame Widerstand der ernestinischen Staaten gegen die vom Bundestag in Gang gesetzte Verschärfung der Presse nach dem Ende der Julirevolution war damit gescheitert. Da sich die anderen ernestinischen Staaten davor scheuten, sich den Großmächten Preußen und Österreich zu widersetzen, ordnete sich schließlich auch Sachsen-Meiningen der Pressepolitik des Deutschen Bundes unter. Wie die Auseinandersetzungen zwischen dem Bundestag und dem Großherzogtum Baden ein halbes Jahr später gezeigt haben, wäre ein solcher Widerstand wahrscheinlich ohnehin zum Scheitern verurteilt gewesen. Trotz aller Bekenntnisse zur Pressepolitik des Bundestages war man im Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha dennoch gewillt, eine Art „passiven Widerstand“ zu leisten. So wurden beispielsweise keine liberalen und oppositionellen Schriften, die nicht im eigenen Land herausgegeben wurden, auf Eigeninitiative verboten. Von 1831 bis 1848 findet sich keine Akte, die belegt, dass die Staatsministerien in Coburg oder Gotha gegen eine oppositionelle Schrift eingeschritten sind, bevor die Bundeszentralbehörde oder der Bundestagsgesandte eines anderen deutschen Staates direkt an die Regierung Sachsen-Coburg und Gothas herangetreten ist. Dies wird untermauert, wenn man sich die Verbotsraten von Druckschriften im Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha in den Jahren von 1830 bis 1848 genauer anschaut. So finden sich in den Zensurakten vereinzelt Jahreslisten, auf denen alle verbotenen Schriften eines Jahres verzeichnet wurden – und in der Regel fallen diese nicht gerade üppig aus. Für das Jahr 1837 finden sich beispielsweise gerade einmal fünf Schriften auf einer solchen Liste,100 die wiederum auch nur deswegen verboten wurden, weil die Bundesversammlung der Regierung Sachsen-Coburg und Gothas die entsprechenden Anordnungen hat zukommen lassen. Wenn man diese Zahlen mit den von Kurt Koszyk für das 98 Ebd., Bl. 52 f. 99 Ebd., Bl. 49. 100 Folgende fünf Schriften sind aufgelistet: „1.) Menzel, der Franzosenfresser von Ludwig Börne, 2.) Actenmäßige Darstellung über die Ermordung des Studenten Ludwig Lessing aus Freienwalde in Preußen bei dem Criminalgerichte des Cantons Zürich geführten Untersuchung von Joseph Schauberg, 3.) Der Mord verübt an Ludwig Lessing aus Freienwalde, 4.) Forschungen über die Verfassungen der freien Völker von Simonde von Sismondi – übersetzt u. mit Bemerkungen begleitet von August Schäfer, 5.) Wichtige Tage aus dem Leben Napoleons und der Geschichte unserer Zeit von Heinrich Elsner.“ ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 2, Bl. 35.

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Königreich Preußen ermittelten Verbotszahlen vergleicht, dann ist es schon erstaunlich, wie milde die Zensur in Sachsen-Coburg und Gotha gehandhabt wurde. So hat Koszyk nachgewiesen, dass im Zeitraum von 1831 bis 1840 in Preußen durchschnittlich 30 Schriften pro Jahr verboten wurden.101 Im Vergleich dazu fällt die Differenz zu den fünf verbotenen Schriften aus dem Jahr 1837 für das Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha fast schon unverhältnismäßig hoch aus. Außerdem verweigerte Sachsen-Coburg und Gotha – in Einvernehmen mit den anderen ernestinischen Staaten – zuweilen einigen Verbotsanfragen aus den Klein- und Mittelstaaten die Zustimmung. Nachdem etwa am 27. Oktober 1842 Freiherr von Fritsch dem Coburger Staatsministerium eröffnete, dass er eine „Note“ der Kurfürstlich Hessischen Bundestagsgesandtschaft erhalten habe, in der angefragt wird, ob man in Sachsen-Coburg und Gotha gewillt ist, die Zeitschrift „Mefistofeles“ zu verbieten,102 wurde dies verweigert. Im Antwortschreiben des Coburger Staatsministeriums heißt es diesbezüglich nur lapidar: Das unterzeichnete Ministerium ermangelt nicht, den Großh. und Herzogl. Sächs. Bundestagsgesandten, Herrn Kammerherrn und Staatsrath Freiherrn von Fritsch auf dessen berichtliche Anfrage vom 27ten vor Mon. hierdurch davon in Kenntniß zu setzen, daß die in diesem Jahre zu Basel erschienene Schrift: ‚Mefistofeles, Revue der deutschen Gegenwart in Skizzen und Umrissen‘ in den hiesigen Landen bis jetzt nicht verboten oder mit Beschlag belegt worden ist.103

In einem anderen Fall wurde der Bundestagsgesandtschaft des Kurfürstentums Hessen die Anfrage verweigert, die richterlichen Urteile des Strafverfahrens gegen den Marburger Professor Sylvester Jordan der Öffentlichkeit vorzuenthalten, nachdem das sachsen-meiningische Staatsministerium ein solches Verbot als juristisch zweifelhaft deklariert hatte. So heißt es in einem Schreiben des sachsenmeiningischen Staatsministeriums vom 23. Dezember 1844: Wenn gleich die unlängst an uns gelangte Circular=Note des Kurfürstlich Hessischen Bundestags=Gesandten mit dem Antrag auf Unterdrückung zweier Schriften über das Strafverfahren gegen den Professor Jordan in Marburg – von denen besonders ‚dritte Schrift zu Vertheidigung des Professors Jordan pp von August Boden‘ als schädlich bezeichnet worden – uns nicht zweifelhaft gefunden hat über die zu fassende Entschließung, so ist es uns, wie überhaupt, so auch für den Fall, daß die Sache zur Beschlußfassung beim Bundestag gedeihen sollte, doch wünschenswerth, die erlauchtete Ansicht Ew. Excellenzen104 kennen zu lernen, um deren gefällige Mittheilung wir daher ganz ergebenst ersuchen. Was unsere Meinung anlangt, so scheint ein Verbot der gedachten Schrift schon deßhalb bedenklich, weil es sich von einem amtlich unveröffentlichten richterlichen 101 102 103 104

KOSZYK: Deutsche Presse, S. 89. ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 2, Bl. 62. Ebd., Bl. 63. Das Schreiben wurde an die Regierungen nach Altenburg, Coburg/Gotha und Weimar versendet.

WIDERSTAND GEGEN DIE PRESSERESTRIKTIONEN DES DEUTSCHEN BUNDES?

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Erkenntnisse handelt. Richterliche Erkenntnisse sollen aus ihren Entscheidungsgründen als logische Beschlüsse hervorgehen, nach festen Regeln der Theorie und des Prozesses abgeleitet aus den actenmäßigen Vorlagen, sie tragen ihre Stärke oder Schwäche in sich selbst, und Angriffe der Kritik zerfallen entweder ohne Weiteres vor ihnen, oder treffen auf wirklich vorhandene Blößen. Amtliche Unveröffentlichung berechtigt die Kritik, sich kund zu geben, und eine Unterdrückung der letzteren gewinnt alsdann leicht den Anschein einer Unterdrückung der Wahrheit, ruft an und für sich ungünstige Urtheile über das Gericht hervor und beunruhigt die Gemüther der Unterthanen in dem verbietend einschreitenden Staate. Diese Nachtheile halten wir in Bezug auf die Regierung für gefährlicher, als das gegen ein einzelnes Gericht hervorgerufene ungünstige Urtheil durch selbst ungebührliche Aeußerungen und satyrische Ausfälle, wie sie, dem Verfasser gerechten Tadel bereitend, in der fraglichen Schrift enthalten sind. Es kommt aber noch hinzu, daß diese Schrift schon seit langer Zeit allgemein gelesen und besprochen worden [ist], ein Verbot also für seinen Zweck zu spät ergehen würde, ohne sich obiger Nachtheile entäußert zu haben. Ew. Excellenzen um baldgefällige Erwiederung bittend, erneuern wir gerne die Versicherung unserer ausgezeichnetsten Hochachtung.105

In Sachsen-Coburg und Gotha teilte man diese Meinung und richtete dementsprechend der Regierung in Meiningen am 11. Januar 1845 aus, daß auch wir, in vollkommenem Einverständniß mit der am Schlusse der gedachten Mittheilung entwickelten Ansicht, Bedenken getragen haben, der Circularnote des Kurfürstl. Hessischen Bundestagsgesandten bezüglich der Unterdrückung der beiden darin bezeichneten Schriften über das Strafverfahren gegen den Professor Jordan in Marburg Folge zu geben, und verbinden hiermit zugleich gern die erneuerte Vertiefung unserer ausgezeichnesten Hochachtung.106

Des Weiteren wurden die wegen illegalen Bücherbesitzes des Öfteren in Misskredit geratenen einheimischen Buchhändler von der Coburger und Gothaer Regierung gegenüber der Bundesversammlung in Schutz genommen. Wie bereits erwähnt, mussten ihre Namen zwar stets nach Frankfurt gemeldet werden, doch konnte sie die Regierung im gleichen Zug bei Vorlage entsprechender Beweise ebenfalls von ihrer Schuld freisprechen. Im Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha wurden vor allem die Buchhändler Gläser (Gotha) und Meusel (Coburg) regelmäßig von der Bundesversammlung beschuldigt, verbotene Schriften zu besitzen. Nachdem sie bereits am 25. Mai 1837 von der Bundesversammlung angeklagt wurden, widrigerweise mehrere Exemplare der verbotenen Schrift „Forschungen über die Verfassungen der freien Völker“ von Simonde de Sismondi zu besitzen, wurde ihnen am 19. April 1838 erneut von der Bundeszentralbehörde in Frankfurt vorgeworfen, im Besitz der seit November 1837 verbotenen Schrift „Wichtige Tage aus dem Leben Napoleons und der Geschichte unserer Zeit“ zu sein.107 Vor allem der Buchhändler Carl Gläser aus Gotha stand in Verdacht, 105 ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 2, Bl. 101. 106 Ebd., Bl. 102. 107 Ebd., Bl. 37 f.

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VII. DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN OBRIGKEIT UND PRESSE

über irreguläre Wege von der Ringer’schen Buchhandlung aus Stuttgart drei Exemplare dieser Schrift erworben und vertrieben zu haben. Aufgrund der Tatsache, dass die besagte Schrift seit mehreren Monaten verboten war, wurde die Landesregierung in Gotha von der Bundesversammlung zu einer Erklärung genötigt, wie es möglich sein konnte, dass sich diese Schrift im Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha noch immer im Umlauf befand. Aufgrund der Schwere des Vergehens wollte es die Bundeszentralbehörde aber nicht einfach dabei belassen, die Schrift wie üblich zu konfiszieren, sondern verlangte zudem eine Rechtfertigung über den Hergang dieses Pressevergehens. Daher wurde am 27. April 1838 von Herzog Ernst I. an die Regierung in Gotha die Anweisung erlassen, alle vorgefundenen Exemplare der Schrift „Wichtige Tage aus dem Leben Napoleons und der Geschichte unserer Zeit“ sofort zu konfiszieren und der Bundesversammlung einen ausführlichen Bericht zukommen zu lassen, der den Vorfall näher erläutern sollte.108 Bei der Untersuchung der genauen Vorgänge durch die gothaische Landesregierung wurde dann festgestellt, dass die Anschuldigungen der Bundesversammlung gegen die hiesigen Buchhändler unbegründet waren und die Schuld einzig dem Stadtrat von Gotha zugeschrieben werden musste. Denn dieser hatte es angeblich versäumt, eine Bekanntgabe des Verbots der Schrift „Wichtige Tage aus dem Leben Napoleons und der Geschichte unserer Zeit“ öffentlich zu machen. Gleichzeitig beteuerte der gothaische Regierungspräsident Freiherr von Stein in seinem Bericht an Herzog Ernst I. vom 10. Mai 1838 „über den Erfolg des Verbots gegen den Verkauf und die Verbreitung der von dem Dr. Elsner zu Stuttgart herausgegebenen Schrift unter dem Titel: ‚Wichtige Tage aus dem Leben Napoleons und der Geschichte unserer Zeit‘“, dass die Regierung in Gotha ordnungsgemäß am 21. November 1827 das Verbot dieser Schrift im Regierungsblatt öffentlich bekannt gemacht habe.109 Da allerdings der Buchhändler Gläser die Schrift vor dem Verbot aus Stuttgart erhalten habe, hätte der Gothaer Stadtrat diesbezüglich einschreiten müssen. Konkret berichtet von Stein: Es mußte uns daher auch mit Recht befremden, daß, nach dem Inhalte des vernehmlichsten Rescipts vom 27. April d. J., die Gläsersche Buchhandlung allhier 3 Exemplare jener Schrift zugesendet erhalten haben sollte, ohne daß solche confisciert und an uns abgeliefert worden waren, und wir wiesen daher den hiesigen Stadtrath an, die Sache zu untersuchen und das Ergebnis an uns zu berichten, jedenfalls aber auch zugleich anzuzeigen, was derselbe auf unsere Bekanntmachung vom 21. Novb. v. J. gethan habe. Aus den hierauf eingegangenen Schriften des Stadtraths ergibt sich nun zwar, daß die Zusendung der in Rede stehenden 3 Exemplare jener Schrift an die Gläserische Buchhandlung allhier allerdings stattgefunden hat, es erhellt aber mich zugleich, daß solches schon unterm 12. Aug. v. J., mithin vor dem Erscheinen unseres Verbots geschehen ist, und das 108 Ebd., Bl. 39. 109 Ebd., Bl. 40.

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zwar der Buchhändler Gläser 2 Exemplare davon an Privatpersonen, die er aber nicht näher bezeichnen zu können bezeugt, von denen er glaubt, daß sie Ausländer gewesen, abgesetzt, das 3te Exemplare aber nach dem Erscheinen unseres Verbots an die Ringerische Buchhandlung zu Stuttgart zurückgeschickt hat. Unter diesen Umständen dürfte der Gläserischen Buchhandlung wegen ihres Verfahrens etwas Strafbares nicht zur Last gelegt werden können, dagegen trifft jedenfalls den hiesigen Stadtrath der Vorwurf einer ahndungswürdigen Nichtbefolgung unserer oben erwähnten öffentlichen Bekanntmachung, da derselbe zugibt, daß er keinen Grund gefunden habe, nach dem Erscheinen jener Bekanntmachung eine Verfügung eintreten zu lassen, weil es nicht zu seiner Kenntniß gekommen sey, daß die fragliche Elsnersch. Schrift sich im Besitze hiesiger Stadtbewohner befinde. Wir haben daher auch dem hiesigen Stadtrathe mittelst Rescripts vom heutigen Tage seine strafbare Nachlässigkeit in der Befolgung unserer Bekanntmachung ernstlich […] unter Androhung mißbeliebiger Maßregeln für den Unterlassungsfall zur künftigen besseren Beobachtung seiner Obliegenheit in ähnlichen Fällen angewiesen, verfehlen zugleich nicht Ew. Herzogliche Durchlaucht zu schuldigster Befolgung des höchsten Rescripts vom 27. v. M. hiervon unterthänigst Vortrag zu thun.110

Diese doch etwas fadenscheinige Ausrede schien Herzog Ernst I. zu genügen. Auch vonseiten der Bundesversammlung folgte keine Beanstandung gegenüber der Erklärung aus Gotha. Dass die Schuld auf den Gothaer Stadtrat abgewälzt wurde, der aufgrund seiner vielschichtigen personellen Zusammensetzung kaum haftbar gemacht werden konnte,111 scheint hier aber ziemlich durchsichtig. Ebenso ist es kaum glaubhaft, dass der Buchhändler Gläser das Verbot einer „berüchtigten“ Schrift fast ein halbes Jahr lang nicht registriert haben soll. Außerdem mutet der Vermerk, dass die nicht nach Stuttgart zurückgeschickten Exemplare an nicht näher bestimmbare „Auswärtige“ verkauft wurden, ebenfalls etwas dubios an.112 Für die Regierung in Gotha war der Vorfall damit glimpflich beigelegt. Nachdem die noch auffindbaren Exemplare dieser Schrift von dem Buchhändler Gläser konfisziert wurden, heißt es in einem letzten Aktenvermerk lapidar: „Da der Stadtrath auch wegen seiner bewiesenen Säumnis zurechtgewiesen worden ist, so […] geht dieser Berichte ad acta“.113 Um den Blick der Bundesversammlung von einheimischen Verlegern und Buchhändlern besser abzulenken, wurde vonseiten der sachsen-gothaischen Landesregierung auch eine Person denunziert, deren Verlagsgeschäft außerhalb des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha angesiedelt war. Dieser Verleger war 110 Ebd., Bl. 41. 111 Der Gothaer Stadtrat bestand zu dieser Zeit aus 2 Bürgermeistern, 5 Ratsherren und 30 Stadtverordneten. Vgl. BECK, AUGUST: Geschichte der Stadt Gotha, Gotha 1870, S. 81. 112 Dieses Argumentationsmuster taucht in den Akten mehrfach auf. Nicht mehr auffindbare verbotene Schriften wurden von den Buchhändlern Gläser und Meusel entweder an die Kommissionäre zurückgeschickt oder an Personen verkauft, deren Identität nicht ermittelt werden kann. 113 ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 2, Bl. 41.

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VII. DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN OBRIGKEIT UND PRESSE

Carl Joseph Meyer. Als die Bundesversammlung die anfangs erwähnte Rüge gegen den „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ aussprach, wälzte die Landesregierung die Schuld zum Großteil auf Meyers Schultern ab, und das, obwohl dieser ursprünglich aus Gotha stammte. Die von Meyer im „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ inserierte Anzeige zu Siebenpfeiffers „Deutschland“114 erfolgte nach Angabe der Regierung in Gotha unfreiwillig, weil Meyer die Redaktion des Blattes angeblich unter finanziellen Druck gesetzt hatte. So schrieb das coburgische Staatsministerium nach Frankfurt: Was aber insbesondere die Aufnahme einer Anzeige über die Siebenpfeiffersche Zeitschrift ‚Deutschland‘ in No. 114 des Allgemeinen Anzeigers betrifft, so haben wir in Erfahrung gebracht, daß der Vorstand des bibliographischen Instituts zu Hildburghausen, von welchem die fragliche Anzeige ausging, von den betreffenden Buchhändlern verlangt, daß sie ohne alle Aenderung seine Anzeigen aufnehmen, widrigenfalls er dieselben nicht bezahlt und den Buchhändlern, die seinen Willen nicht entsprechen, keinen weiteren Verdienst zukommen läßt. In dieser Weise werden die Redaktionen zur Aufnahme solcher Artikel indirekt gezwungen. Ueberhaupt scheint uns das Treiben des erwähnten Vorstandes des bibliographischen Instituts, Namens Meyer, sehr gefährlich und es möchte daher auf diesen Mann alle Aufmerksamkeit zu richten sein, zumal, da er sicherem Vernehmen nach unter gar keiner Aufsicht steht.115

Damit war Carl Joseph Meyer vor der Bundesversammlung bloßgestellt. Dass die Redaktion des „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“ ebenso fehl gehandelt hat und der Person Carl Joseph Meyers von vornherein die Zusammenarbeit hätte verweigern können, wurde dagegen mit keiner Silbe erwähnt. Ebenso wenig wurde nach Frankfurt gemeldet, dass die Redaktion des Blattes auch anderweitig keine Bedenken gezeigt hatte, Inserate von Meyer in ihr Blatt aufzunehmen. So wird völlig verschwiegen, dass der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ bereits in Ausgabe 113 eine Subskriptionsanzeige inseriert hatte, in der Meyer bekannt gab, zusammen mit dem „Herausgeber des nun todten! Westboten“116 eine neue Zeitschrift unter dem Titel „Hausfreund“ veröffentlichen zu wollen.117 Während der Verleger des „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“ weitestgehend entlastet worden 114 Die Anzeige, die unter der Rubrik „Literarische Anzeigen“ veröffentlicht wurde, lautet: „So eben ist, - in Commission des Bibliographischen Instituts zu Hildburghausen und New=York erschienen: Die erste Lieferung des genialen patriotischen Siebenpfeiffers neuen Zeitschrift: Deutschland, Journal für allgemeine Politik und deutsches Bürgerthum. Diese freysinnigste aller Zeitschriften erscheint in zwanglosen Heften, etwa 20 Bogen einen Band ausmachend. Der Band – vierteljährig einer, – kostet 3 fl. rheinl. (1 Thlr. 16 gl. Sächsisch oder 13/4 Thlr. preuß. Cour.).“ In: Allgemeiner Anzeiger der Deutschen, Nr. 114 vom 27. April 1832, Sp. 1528. 115 ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 1, Bl. 50. 116 Herausgeber des „Westboten“ war niemand anderes als Philipp Jakob Siebenpfeiffer. 117 Vgl. Allgemeiner Anzeiger der Deutschen, Nr. 113 vom 26. April 1832, Sp. 1518–1520.

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war, stand Meyer nun verstärkt im Fokus der Bundeszentralbehörde. Seine engen Verbindungen zu den süddeutschen Liberalen sowie sein liberal ausgerichtetes Verlagsprogramm beobachtete die Zensur fortan mit Argwohn.118 Infolgedessen stand Carl Joseph Meyer ab den 1830er Jahren unter strengerer Beobachtung der Zensur als andere thüringische Volksaufklärer. Der Metternich’schen Geheimpolizei galt er in den 1840er Jahren sogar als „Erz-“119 und „Ultraliberaler“.120 Ein interessanter Aspekt ist hierbei allerdings, dass die Denunzierung Carl Joseph Meyers vonseiten der sachsen-gothaischen Regierung keine politischen Beweggründe hatte. Sie erfolgte vielmehr aus einer starken Antipathie der herzoglichen Regierung in Gotha gegen die Person Carl Joseph Meyers, deren Ursprünge bereits im Jahr 1827 lagen. In diesem Jahr versuchte Meyer, mit der Absicht, eine Anthologie der Werke Goethes, Schillers und Richters121 herauszugeben, in seiner Heimatstadt Gotha als Verleger Fuß zu fassen. Auf Anfrage beim Oberkonsistorium verweigerte man ihm allerdings die Konzession zur Herausgabe seines vorgeschlagenen Werkes, mit der Begründung, dass das Privileg des Nachdrucks „in den hier vorliegenden Fällen auf den noch lebenden Schriftsteller Göthe, und auf die Erben Richters u. Schillers ausgestellt“ sei.122 Die von Meyer bereits in Auftrag gegebenen und angefertigten Druckbögen wurden konfisziert und Meyer damit seiner Geschäftsgrundlage beraubt. Enttäuscht kehrte er seiner Heimatstadt den Rücken und siedelte nach Meinungen um. Als sich dort sein neugegründetes Bibliographisches Institut als profitabel erwies, versuchte er 1830, einen Zweig seines Verlagsgeschäftes im Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha anzusiedeln. Doch die Antipathie ranghoher Regierungsbeamter gegen Carl Joseph Meyer sollte diesen Versuch wiederum zunichte machen. Ein Gesuch von Meyer am 27. Juni 1830, in das Schloss Friedrichswerth „einen Zweig des Bibliographischen Instituts, die Kunst118 Neben seinem „Volksfreund“ veröffentlichte Meyer etwa in seiner „Miniatur-Bibliothek der Deutschen Classiker“ im Jahr 1833 mehrere historische Abhandlungen und Reden von Karl von Rotteck, Ludwig Börne und Heinrich Luden. Vgl. ROTTECK, CARL VON: Geist aus Carl von Rotteck’s sämmtlichen Werken, in: Miniatur-Bibliothek der Deutschen Classiker, Heft 172–177, Hildburghausen/New York 1833; LUDEN, HEINRICH: Geist aus Ludens historischen Werken, in: Miniatur-Bibliothek der Deutschen Classiker, Heft 171, Hildburghausen/New York 1833; BÖRNE, LUDWIG: Geist aus Ludwig Börne’s Werke, in: Miniatur-Bibliothek der Deutschen Classiker, 2 Bde., Hildburghausen/New York 1832. 119 Geheimbericht vom 16. November 1840, in: Glossy, Karl: Literarische Geheimberichte aus dem Vormärz, Wien 1912, I. Teil, S. 187. 120 Geheimbericht vom 14. Januar 1843, in: ebd., II. Teil, S. 11. 121 Wahrscheinlich ist mit „Richter“ der Schriftsteller Jean Paul (1763–1825) gemeint, dessen eigentlicher Name Johann Paul Friedrich Richter war. 122 ThStA Gotha, Oberkonsistorium Gotha Generalia, Loc. 93, Nr. 39: Acta, Verbot der vom Inhaber des hies. Bibliograph. Instituts Joseph Meyer beabsichtigte Herausgabe einer Auswahl von Stuecken aus den Werken Schillers, Göthes und Richters, 1827, Bl. 1-6.

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VII. DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN OBRIGKEIT UND PRESSE

anstalt, in das Vaterland zurückzuverpflanzen“,123 wurde abgelehnt. Vor allem der Gothaer Regierungsrat – später Regierungspräsident – Ernst von Wangenheim bemühte sich sichtlich, Herzog Ernst I. zu überzeugen, dass Meyer kein Gewinn für die einheimische Wirtschaft wäre. Selbst die Beteuerung Meyers, ein „recht nützlicher und vielleicht selbst ein großer wirkender Bürger zu werden“,124 fand kein Gehör. Auch der Verweis, die geplante „Kunstanstalt“ werde 19 Künstler und 17 Drucker beschäftigten,125 war für die sachsen-gothaische Regierung kein ausreichender Beleg, dass von dem Meyer’schen Unternehmen ein wirtschaftlicher Nutzen für das Land hervorgehen werde. Da Meyers Gesuch auch eine Rückgabe seiner 1828 beschlagnahmten Druckbogen vorsah und er für den reibungslosen Betrieb seiner „Kunstanstalt“ außerdem die kostenfreie Nutzung des herzoglichen Museums und der herzoglichen Bibliothek beabsichtigte, versuchte man ihn über diese beiden Punkte abzufertigen. Zunächst verfasste Wangenheim am 12. August 1830 einen Bericht für die Landesregierung, in der er die Rückgabe der Druckbögen entschieden ablehnte: Auf das geehrteste Anschreiben der herzoglichen Regierung vom 27ten Julius v. J. bemerken wir, daß, insofern die Beschlagnahme der im Jahr 1827 von dem Dirigenten des so genannten bibliographischen Instituts, Meyer in Hildburghausen, herausgegebene Anthologie um deswillen erfolgt ist, weil dieses Werk als Nachdruck betrachtet wurde, es in rechtlicher Beziehung bedenklich erscheint, die gebetene Rückgabe dieses Werks zu gestatten, da eine solche Hinwegnahme der als Nachdruck erkannten Schriften den Zweck hat, die durch das Gesetz selbst oder durch specielle Privilegien erworbenen Rechte der Schriftsteller und deren Erben, so wie der Verleger zu wahren und mithin nur alsdann eine Aushändigung der in Beschlag genommen Exemplare dieser Anthologie würde erfolgen können, wenn Meyer hierzu die Genehmigung der Interessenten beigebracht haben wird.126

Danach beauftragte Wangenheim Landkammerrat Julius Gelbke, ein Gutachten zu verfassen, welche Räume im Schloss Friedrichswerth kommerziell genutzt und zur Miete freigegeben werden können, ohne Gelbke zusätzlich darauf hinzuweisen, dass etliche Räume einzig für den Herzog bestimmt sind. So schrieb Gelbke: Nach Meinung des Herrn Schloßhauptmanns von Wangenheim sind aber die jetzt unbewohnten 3 Zimmer im unteren Stocke unentbehrlich, welche solche bei der Anwesenheit des Durchl. Herzogs für die Dienerschaft gebraucht werden müssen. Eben so ist auch die ganze belle Etage, nach Meinung des Herrn Schloßhauptmanns von Wangenheim, nicht zu 123 ThStA Gotha, Landesregierung Gotha, Loc. 84 Nr. 11: Acta, die von dem Dirigenten des bibliographischen Instituts zu Hildburghausen Joseph Meyer gebetene Rückgabe der im Jahr 1827 mit Beschlag belegten Druckbögen von der Anthologie der Schillers. Gedichte ingl. die von demselben gebetene Erlaubniß zur Verlegung seiner Anstalt nach Friedrichswerth in das dasige herrschaftl. Schloß betr., 1830, Bl. 4. 124 Ebd., Bl. 2. 125 Ebd., Bl. 4. 126 Ebd., Bl. 6.

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entbehren, da Serenissimus das ganze corps de logis bewohnen und in den beiden Flügeln die etwa anwesenden fremden Herrschaften und Cavaliera einlogiert werden.127

Außerdem gab Gelbke zu verstehen, dass weitere Umbauten unumgänglich, aber nicht wünschenswert sind: Als solche glaube ich, aber erwähnen zu müssen, daß die in dem Schlosse befindliche einzige Küche nicht wohl mit abgegeben werden kann und die Erbauung einer zweiten in der obern Etage mit vielen Unkosten verbunden seyn dürfte und daß die sämmtlichen Zimmer in der oberen Etage in einem unwohnlichen Zustande sich befinden.128

Abschließend beendet Gelbke sein Gutachten mit einer Bemerkung, die etwas stutzig macht: Fast sollte ich auch glauben, daß eine solche Ermittlung sich überflüssig macht, weil der p. Meyer in seiner neusten Eingabe vom 27ten Juny d. J. selbst gesteht, daß er in Hildburghausen Hab und Gut verloren habe und weil es daher wohl nicht seine Meinung ist, für die Wohnung eine Miethe zu bezahlen und eine Caution zu bestellen.129

Dass Gelbke Meyer hier eine fehlende Liquidität zuschreibt, wirkt etwas verwunderlich, denn dieser gesteht in seinem Gesuch vom 27. Juni 1830 keineswegs die Insolvenz seines Geschäftes oder den Bankrott seines persönlichen Vermögens. Vielmehr weist Meyer darauf hin, dass er in der Vergangenheit viele Fehler begangen habe und durch seinen Eigensinn damals in Gotha sein Vermögen einbüßen musste. Meyer schildert dies wie folgt: „Unklug trat ich damals heraus aus der Linie und allhier – unbeschützt und ungestützt von Vettern und Brüdern in Amtsröcken und Maurerschürzen – eröffnete ich den Kampf mit dem Feinde.130 […] Ich Thor! Die Vermessenheit hat mir mein damaligen Hab und Gut und auch mein Vaterland gekostet!“131 Von seiner finanziellen Situation in Hildburghausen erwähnt er im Schreiben vom 27. Juni 1830 kein Wort. Die Bemerkung von Julius Gelbke kommt demnach schon fast einer gezielten Verleumdung gleich. Auf Grundlage des Gutachtens von Gelbke erstellte wiederum die Herzogliche Kammer am 12. August einen weiteren Bericht, den sie an die Herzogliche Landesregierung weiterreichte. Da er dem Gutachten Gelbkes in allen Punkten folgte, fiel dieser Bericht ähnlich negativ für Meyer aus. So heißt es am Ende dieses Berichts: Im Allgemeinen erlauben wir uns aber zu bedenken, daß die Verlegung des ganzen, oder auch eines Zweigs des Meyerschen Instituts in das hiesige Land bey der bekannten Persön127 128 129 130

Ebd., Bl. 8. Ebd., Bl. 9. Ebd. Meyer gibt an, den Kampf in Gotha gegen „Monopolisten und Zünfte“, „Neid“, „Egoismus“, „Vorurteile“ und „Nepotismus“ geführt zu haben. 131 ThStA Gotha, Landesregierung Gotha, Loc. 84 Nr. 11, Bl. 2.

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lichkeit und dem berüchtigten Speculations= und Schwindelgeiste seines sogenannten Chefs, kaum als empfehlend und wünschensweth zu betrachten seyn dürfte. Denn wenn auch wirklich durch das beabsichtigte Unternehmen Geld ins hiesige Land und in Umlauf gebracht wird, so steht doch nach den bis jetzt dem Publikum vor Augen liegenden Beweisen, und da Meyer in seinem Schreiben selbst ‚Hab und Gut in Hildburghausen eingebüßt zu haben‘ bekennt, schwerlich jemals ein solider Geschäftsbetrieb von ihm zu erwarten, sondern vielmehr zu besorgen, daß er durch die ihm eigene Art der Geschäftsbetriebsamkeit […] den Gouverment selbst aber vielfältige Unannehmlichkeiten bereiten und zuziehen werde. In Erwägung dieser Umstände scheint dem Meyerschen erneuerten Gesuche nichts zur Seite zu stehen und wir nehmen daher keinen Anstand, unsererseits den Wunsch auszusprechen, daß es der Herzogl. Landesregierung gefällig seyn möchte, in dem erforderten Berichte bey Sr. Herzogl. Durchlaucht auf abfällige Bescheidung anzutragen.132

Zuletzt schlägt auch der Bericht, den der herzoglich-gothaische Museums- und Bibliotheksdirektor Ernst Friedrich von Schlotheim am 26. August 1830 für die Landesregierung verfasste, in dieselbe Richtung wie die restlichen Gutachten, die bezüglich Meyers Gesuch angefertigt worden. Ebenfalls äußerst abwertend in der Beurteilung des Meyerschen Anliegens schrieb Schlotheim: Der herzoglichen Landes=Regierung ist es gefällig gewesen, der Herzoglichen Oberaufsicht über die hiesigen herzoglichen wissenschaftlichen und Kunstsammlungen ein Schreiben des pp. Meyer zu Hildburghausen kommen zu lassen, worin derselbe unter vielen Anderen auch um freye Benutzung des hiesigen Museums, den anderen öffentlichen Kunstsammlungen und der Leihbibliothek gebeten hat. Sicher ist es der Herzoglichen Landes=Regierung bekannt, daß der Besuch der herzogl. Bibliothek und des Museums ebenso wohl als die Benutzung einzelner Gegenstände aus diesen öffentlichen Sammlungen an gewisse Tage und Stunden wie an Bedingungen geknüpft ist. Nur unter diesen Bedingungen kann auch dem pp. Meyer der Besuch und die Benutzung jener öffentlichen Schätze gestattet werden, denn jede Ueberschreitung derselben zu seinen Gunsten würde nicht allein zu einer allgemeinen Ungebundenheit oder zu Beschwerden von Seiten des Publicums führen, sondern auch eine ganz neue Belästigung der bey der Bibliothek und dem Museum angestellten Personen mit sich führen. Wenn man erwarten müsste, daß ein solches unbescheidenes Gesuch gestattet werden könnte, so würde man sich pflichtmäßig genöthigt sehen, die dringendsten Vorstellungen dagegen zu machen. Endlich kann die unterzeichnete Behörde nicht mit Stillschweigen übergehen, daß ihr scheint, als suche p. Meyer die gedachte Begünstigung nicht der Wissenschaft und der Kunst willen, sondern um das Publicum durch die Beziehung auf die großen ihm gemachten Bewilligungen auf eine neue Weise irre zu leiten. Die ganze Beschaffenheit des bibliographischen Instituts weist hierauf hin: Nicht auf Beförderung der Kunst oder Wissenschaft ist dasselbe gerichtet, sondern lediglich auf den persönlichen Erwerb, es sey mit der eignen Fabrication oder mit Nachdruck.133

132 Ebd., Bl. 7. 133 Ebd., Bl. 14.

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Wie nicht anders zu erwarten, schloss sich die gothaische Regierung, der auch Ernst von Wangenheim angehörte, der massiven Kritik an. In einem abschließenden Bericht vom 31. August 1830 an Herzog Ernst I., der zu diesem Zeitpunkt auf der Ehrenburg in Coburg residierte, wurde Meyer abermals keine gute Geschäftstüchtigkeit und eine fragwürdige Persönlichkeit bescheinigt.134 Dementsprechend lehnte Herzog Ernst das Gesuch Meyers ab und gewährte ihm die Rückgabe der Druckbogen nur unter der Voraussetzung, wenn Meyer das hierfür nötige Einverständnis der Erben vorlegen konnte: Wir Ernst von Gottes Gnaden Herzog zu Sachsen und Gotha, Fürst […] wollen nach geschehenen Vortrage aus dem Berichte Unserer Landes=Regierung zu Gotha vom 31. Aug. d. J. und den hierbey zurückfolgenden Acten und Beylagen gestatten, daß dem Unternehmer des bibliographischen Instituts Meyer in Hildburghausen die mit Arrest belegten Druckbogen von der Anthologie der Schillerschen Gedichte ausgehändigt werden, wenn derselbe hierzu die Genehmigung der Interessenten beygebracht haben wird. Unsere Landes=Regierung hat hiervon dem p. Meyer Eröffnung zu thun und unter dieser Voraussetzung zu seiner Zeit die Zurückgabe anzuordnen. Was die sonstigen Gesuche des p. Meyer wegen Verlegung seiner Anstalt nach Friedrichswerth, Benutzung des Museums zu Gotha u.s.w. betrifft, so wollen Wir dieselben in Ermangelung einiger Füglichkeit auf sich beruhen lassen und hat daher Unsere Landes=Regierung in der dem p. Meyer zu ertheilenden Resolution solche mit Stillschweigen zu übergeben.135

Wie an der Person Carl Joseph Meyers exemplarisch belegt werden kann, waren persönliche Motive und wirtschaftliches Vertrauen bzw. Misstrauen mitunter dafür verantwortlich, ob sich die eigene Landesregierung oder der eigene Landesherr für den Schutz eines Buchhändlers oder Verlegers gegenüber der Bundesversammlung einsetzte. Aufgrund früherer Differenzen mit Meyer kam es der Landesregierung in Gotha wahrscheinlich sehr gelegen, dass man der Bundesversammlung nun den „wahren Schuldigen“ präsentieren und im direkten Vergleich die Rechtschaffenheit der einheimischen Buchhändler und Verleger hervorheben konnte. Dass die Positionen zwischen den einzelnen ernestinischen Staaten aber zuweilen erheblich divergieren konnten, wenn es um die Beurteilung der publizistischen Tätigkeit einer bestimmten Person ging, wird ebenso an Meyer besonders deutlich. Denn während man in Sachsen-Coburg und Gotha Carl Joseph Meyer eine fragwürdige Persönlichkeit attestierte, wurde er von Herzog Bernhard von Sachsen-Meiningen, seinem neuen Landesherrn, nicht in Misskredit gezogen, sondern durchweg in Schutz genommen. Auch als in Sachsen-Meiningen 1836 das Pressegesetz verschärft wurde, hatte Meyer nicht viel zu befürchten. Selbst die herzogliche Verfügung vom 19. Februar 1837, in welcher festgelegt wurde, dass alle Druckwerke des Bibliographischen Instituts unabhängig von der Größe ihres Umfangs der Zensur vorgelegt werden mussten, waren im Grunde nur ein 134 Ebd., Bl. 15 f. 135 Ebd., Bl. 17.

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Beschwichtigungssignal nach Frankfurt. Denn als Zensor für Meyers Schriften wurde Oberamtsmann Christian Kost eingesetzt,136 der ein freundschaftliches Verhältnis zu dem Hildburghäuser Verleger pflegte.137 Obwohl Kost im Jahr 1836 in einem Regierungsbericht festhielt, dass Meyer sein „Universum“ mit „Raffinement“ dazu einsetzen würde, gefährliche politische Ansichten zu verbreiten, blieben konkrete Strafen aus.138 Staatsminister Friedrich von Krafft wusste ebenso von Meyers „Sehnsucht“ nach Verwirklichung eines „republikanischen Utopiens“, bescheinigte dem Verleger aber ebenfalls keine Gefährlichkeit für die bestehende politische Ordnung.139 Auf diese Weise konnte Meyer auch nach 1836 in seinen Verlagswerken – allen voran im „Universum“ – für weitere zehn Jahre relativ ungestört seine politischen Positionen publizistisch nach außen tragen. Erst kurz vor der Revolution von 1848 befand Herzog Bernhard II. die Zensur der Meyer’schen Schriften als zu nachlässig und ersetzte Kost durch Kriminalrat Carl August Göbel.140 Unabhängig davon, wie ausgeprägt das Schutzbedürfnis der coburgischen und gothaischen Regierungen gegenüber den einheimischen Verlegern und Buchhändlern war, so fällt doch auf, dass nach 1830 keine politischen Schriften mit demokratisch-republikanischen oder sozialistisch-kommunistischen Inhalt im Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha erschienen sind. Auch für die anderen thüringischen Staaten lässt sich für diesen Zeitraum ein ähnlicher Befund feststellen. Bereits 1920 bemerkte Fritz Körner in seiner Abhandlung über das Zeitungswesen in Weimar das Fehlen brisanter politischer Periodika für das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach nach Einführung der Karlsbader Beschlüsse. Bedingt durch die Verschärfung der Pressegesetze des Deutschen Bundes, die trotz aller liberalen Haltung auch in Weimar konsequent umgesetzt wurden,141 folgerte Körner, dass das Bestreben, in Sachsen-Weimar-Eisenach neue politische Zeitschriften zu gründen, nach 1819 gänzlich zum Erliegen kam. Nach Ansicht Körners war die Unterdrückung der landeseigenen Presse so resolut, dass politisch radikale Meinungen nur noch aus auswärtigen Periodika bezogen werden 136 Oberamtmann Christian Kost war von 1826 bis 1835 schon als Zensor der Hildburghäuser „Dorfzeitung“ tätig gewesen. Nach Gerd Füsser führte Kost bereits über dieses Blatt eine „milde, großzügige Aufsicht“, was nach der Verschärfung der Pressegesetzgebung durch die Geheimen Wiener Beschlüsse schließlich zur Folge hatte, dass ihm 1835 die Zensurleitung über die „Dorfzeitung“ entzogen wurde. Vgl. FÜSSER: Bauernzeitungen, S. 132 f. 137 Vgl. KAISER: Der Pläneschmied, S. 139. 138 Vgl. ThStA Meiningen, Staatsministerium, Abteilung Inneres, Acten der Herzogl. S. Geheimen Kanzlei, Acta 27,10, Bl. 10. 139 Vgl. HOHLFELD: Das Bibliographische Institut, S. 296, zit. nach Anm. 41. 140 Vgl. KAISER: Der Pläneschmied, S. 139 f. 141 Vgl. KÖRNER: Das Zeitungswesen in Weimar, S. 177–189.

WIDERSTAND GEGEN DIE PRESSERESTRIKTIONEN DES DEUTSCHEN BUNDES?

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konnten.142 Wie schwierig es sich gestaltete, in Sachsen-Weimar-Eisenach ein politisches Blatt in den 1830er und 1840er Jahren zu gründen, veranschaulicht er dabei am Beispiel des Regierungsrates Alexander Müller und des Literaten Oskar Schmidt, die 1843 und 1846 beide ein neues politisches Periodikum begründen wollten, denen jedoch die Konzession verwährt blieb.143 Andere Beispiele einer rigiden Verbotspraxis bezüglich landeseigener Presseorgane führt er allerdings nicht an. Betrachtet man nun die Pressegeschichte des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha, fällt ebenfalls auf, dass eine Neugründung politischer Zeitschriften nach 1830 nicht mehr stattgefunden hat. Man könnte daher vermuten, dass die sachsen-coburgische und sachsen-gothaische Regierung alle Gesuche sowie Neugründungen von politischen Zeitschriften konsequent unterbunden hat. Ein Blick in die Presse- und Polizeiakten des Staatsarchivs Gotha zeigt allerdings, dass es im Zeitraum von 1830 bis 1847 für den Landesteil Gotha kein einziges Gesuch gab,144 eine Zeitschrift mit einem rein politischen Profil zu gründen. Zwar wird auch in Gotha dem Druck bzw. der Verbreitung einiger Periodika und Bücher keine Erlaubnis erteilt, doch betrifft dies hauptsächlich theologische oder pädagogische Schriften, die dem Landesoberkonsistorium aufgrund zu starker gegenrationalistischer Tendenzen ein Dorn im Auge waren.145 In anderen Fällen ist eine abgeschlagene Druckerlaubnis oftmals auf wirtschaftlich-rechtliche Gründe zurückzuführen, insbesondere wenn andere Verlage und Buchhandlungen ihr alleiniges Druck- und Vertriebsprivileg geltend machten. So war beispielsweise die Ablehnung der Gothaer Regierung zur Neugründung eines Wochenblattes für die Stadt Ruhla im März 1847 nicht auf politische Vorbehalte begründet, sondern weil die Buchhandlung Mevius in Gotha aufgrund eines Privilegs aus dem Jahr 1802 dies juristisch angefochten hatte.146 Als jedoch die Bürgerschaft aus Ruhla den Einspruch der Buchhandlung Mevius nicht akzeptieren wollte, verlagerte sich der Rechtsstreit am Ende sogar bis in die 142 Vgl. ebd., S. 180. 143 Vgl. ebd., S. 186. 144 Die im Jahr 1831 gegründete „Gothaische politische Zeitung“ werte ich nicht als Neugründung, weil sie mit der „Priviligirten gothaischen Zeitung“ einen direkten Vorgänger vorzuweisen hat. Auch das Konzessionsrecht dieser Zeitung wechselte nicht den Träger, sondern blieb durchgängig bei der Buchhandlung Mevius. 145 Vgl. u.a ThStA Gotha, Oberkonsistorium Gotha Generalia, Loc. 17 Nr. 42: Acta, die Anzeige betreffend, daß der Weber Zeyß zu Schwarzhausen der religiösen Schwärmerei ergeben sey und andere zu Sectiererey verleite, ingl. den Verkauf der von dem Pfarrer Treyße zu Schwarzhausen verfaßten Schriften über den Pietismus, 1827–1829; Loc. 17 Nr. 44: Acta, wegen des gegen den Schloßergesellen Rogge zu Zella entstandenen Verdachtes der Verbreitung mystischer Schriften betr., 1829. 146 ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, TT Nr. 130: Acten, die beabsichtigte Herausgabe eines Wochenblattes in Ruhla betr., 1847, Bl. 1.

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VII. DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN OBRIGKEIT UND PRESSE

höchste Instanz. Da sich die Landesregierung in Gotha bald nicht mehr weiterzuhelfen wusste, wandte sich Regierungspräsident Ernst von Wangenheim am 2. Dezember 1847 schließlich direkt an den Herzog. Vor allem in der für die Landesregierung komplizierten Frage nach der korrekten Auslegung des Mevius’ schen Privilegs von 1802 sollte Herzog Ernst II. nun einen Urteilsspruch herbeiführen. Hilfesuchend schrieb Wangenheim nach Coburg: Da sowohl die Gemeinde Ruhla die Ausführung des fraglichen Unternehmens [eines Wochenblattes] als dringenden Wunsch hervorhob, als auch das Gerichtsamt Thal sich für dessen Genehmigung verwendete, so haben wir uns wiederholt veranlaßt gesehen, die Administration der Mevius’schen Zeitungs=Expedition mit ihrer Erklärung über das fragliche Project zu vernehmen. Da jedoch auch diese, und zwar unter Berufung auf das der Mevius’schen Zeitungs=Expedition angeblich ertheilten privilegium exclusivum, abfällig ausfiel, […] so haben wir uns zuvörderst eine Abschrift der deshalbigen im Jahre 1802 erneuerten Urkunde zu verschaffen gesucht, um bemessen zu können, ob und inwieweit den Mevius’schen Erben wirklich ein solcher Widerspruch zustehe. Aus der fraglichen Urkunde fol. 15 geht nun soviel hervor, daß den Mevius’schen Erben und ihren Nachkommen die Befugnis zugestanden worden ist, die Gothaische Zeitung nebst dem Intelligenzblatte wöchentlich hier in Gotha drucken zu lassen, allhier zu vertheilen und auch dieselben durch eigene, von ihnen angenommene und abhängende Boten […] wöchentlich in die hiesige Lande abschicken und am Schlusse der Urkunden ist noch ausgesprochen worden, daß die Privilegirten und ihre Nachkommen gegen alle Behinderungen und Beeinträchtigungen in obigen Befugnissen und erlangten Freiheiten in den sämmtlichen Herzoglichen Landen geschützt werden sollen. Hierin scheint uns jedoch nur ein privilegium exclusivum der Mevius’schen Erben hinsichtlich der in der Stadt Gotha erscheinenden Zeitung nebst Intelligenzblatt, keineswegs aber ein Verbietungsrecht der Herausgabe von Localblättern in einzelnen Orten des Landes zu liegen und wir sind deshalb nach der Bestimmung der Urkunde keinen Augenblick darüber zweifelhaft, daß den Mevius’schen Erben gegen die Herausgabe von dergleichen Localblättern außerhalb der Stadt Gotha, ein Verbietungsrecht nicht zusteht. Da jedoch seither die Mevius’schen Erben in ähnlichen Fällen mit ihrer Erklärung gehört worden sind […], so hat es uns nöthig geschienen Ew. Hoheit die Sache zur höchsten Entscheidung unterthänigst vorzulegen und sehen der gnädigsten Eröffnung der höchsten Entschließung in gewohnter tiefster Ehrfurcht entgegen.147

Trotz der vorgelegten Gründe, die eher für anstatt gegen die Herausgabe eines Ruhlaer Wochenblattes sprachen, genehmigte Herzog Ernst II. den Druck des gewünschten Lokalblattes allerdings nicht. Im Antwortschreiben aus Coburg vom 24. Dezember 1847 heißt es: Wir Ernst pp., können auf erstatteten Vortrag aus dem Bericht Unserer Landesregierung vom 2ten d. M. und den damit eingesendeten, aufschlüssig zurückfolgenden Acten die Herausgabe eines Wochenblattes in Ruhla nicht für ein so dringendes Bedürfniß erkennen, um Unsere Genehmigung dazu zu ertheilen, müssen im Uebrigen, um Mißdeutungen in dieser Beziehung vorzubeugen bemerken, daß den Mevius’schen Erben ein Widerspruchs-

147 Ebd., Bl. 2 f.

WIDERSTAND GEGEN DIE PRESSERESTRIKTIONEN DES DEUTSCHEN BUNDES?

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recht in der fragl. Beziehung auf den Grund ihres Privilegiums nicht zustehen kann. Unsere Landesregierung hat daher hiernach des Weiteren zu verfügen.148

Nach Ermessen von Herzog Ernst II. bedurfte es demnach in Ruhla keines eigenen Wochenblattes. Jedoch war Ernst II. ebenso wenig dazu bereit, das Privileg der Buchhandlung Mevius zu bestätigen. Dies war vor allem darauf zurückzuführen, dass der Konflikt mit Wilhelm, Ernst und Friedrich Madelung, den Inhabern der Buchhandlung Mevius, mit dem Justizkollegium Gotha um die Weiterführung alter Zeitungs- und Botenprivilegien bereits seit 1844 erbittert vor Gericht ausgetragen wurde.149 Der Dissens zwischen der Mevius’schen Buchhandlung und der sachsen-gothaischen Landesregierung konnte auch in den Folgejahren nicht beigelegt werden. Die Fronten zwischen den beiden Konfliktparteien waren so verhärtet, dass sich die Gerichtsprozesse letztendlich bis in das Jahr 1854 fortsetzen sollten.150 Deshalb dürfte die Ablehnung der Konzession eines Ruhlaer Wochenblattes weitestgehend darin begründet liegen, dass Herzog Ernst II. die Rechtsstreitigkeiten mit den Brüdern Madelung nicht noch weiter zuspitzen wollte. Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Regierung Sachsen-Coburg und Gothas nach dem Ende der Julirevolution keine rigide Unterdrückungspraxis – selbst wenn sie es gewollt hätte – gegen vermeintliche Neugründungen politischer Zeitschriften verfolgt hat. Vielmehr ist zu konstatieren, dass vonseiten der in den Landesteilen Gotha und Coburg ansässigen Bürger keine Bestrebungen bestanden, neben den bereits im Herzogtum existierenden und etablierten Zeitschriften neue politisch ausgerichtete Periodika zu gründen. Worauf diese Entwicklung zurückzuführen ist, kann an dieser Stelle aber nur schwer beantwortet werden. Entweder mangelte es an der finanziellen Risikobereitschaft, ein neues 148 Ebd., Bl. 4. 149 Vgl. ThStA Gotha, Justizkollegium Gotha, Nr. 317: Acta, die Klage der Gebrüder Wilhelm, Ernst und Friedrich Madlung als Inhaber der Mevius’schen Zeitungs- und Botenprivilegiums gegen den landesherrlichen Fiscus, die Entscheidung wegen Beeinträchtigung eines Privilegiums betr., 1844–1846; Nr. 319: Acta, in Beweissachen der Gebrüder Wilhelm, Ernst und Friedrich Madelung als Inhaber des Mevius’schen Zeitungs- und Botenprivilegiums, Kläger, gegen den landesherrlichen Fiscus, Beklagter, die Entschädigung wegen Beeinträchtigung eines Privilegiums betr., 1845–1846. 150 ThStA Gotha, Justizkollegium Gotha, Nr. 324: Acta, in Streitsachen der Herzogl. Kammer in Gotha als Vertreter des landesherrlichen Fiskus gegen die Gebrüder Madelung in Gotha als Inhaber des Mevius’schen Zeitungs- und Botenprivilegiums in Gotha, Ingl. die Prozeßsache des letzteren gegen die ersteren wegen Beeinträchtigung des gedachten Botenprivilegiums, eine Entschädigung betreffend und das Urteil des Oberappellationsgerichts betr., 1847–1848; Nr. 325: Acta, in Oberappellationssachen der Gebrüder Madelung zu Gotha als Inhaber des Mevius’schen Zeitungs- und Botenprivilegiums in Gotha, Kläger, gegen die Herzogl. Kammer daß. Beklagte wegen Entschädigung wegen Beeinträchtigung eines Privilegiums betr., 1848–1854.

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VII. DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN OBRIGKEIT UND PRESSE

politisches Blatt zu etablieren, weil man den Absatzmarkt für Presseerzeugnisse im Thüringer Raum als gesättigt betrachtete, oder die Zensurmaßnahmen des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha wurden von außen als so streng wahrgenommen, dass von vornherein die Veröffentlichung eines politischen Blattes in Coburg oder Gotha nicht in Erwägung gezogen wurde. Resümiert man nun die hier zusammengetragenen Ergebnisse, so ergibt sich für die Pressesituation und für die Zensurpraxis in den thüringischen Staaten, und insbesondere für das Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha, folgendes Bild: 1.) Um nicht in Konflikt mit Preußen und Österreich, den beiden dominierenden Großmächten im Deutschen Bund, zu geraten, sind die Regierungen der thüringischen Staaten den Anordnungen der Bundesversammlung pflichtgemäß nachgekommen. 2.) Die thüringischen Fürsten fügten sich in Pressefragen dem Druck des Deutschen Bundes, selbst wenn sie in Einzelfällen, wie am Beispiel Herzog Bernhards von Sachsen-Meiningen näher erläutert wurde, mit der Entwicklung der bundesstaatlichen Pressegesetzgebung unzufrieden waren. Ein gemeinschaftlicher Widerstand der ernestinischen Staaten gegen die Verschärfung der Pressezensur nach dem Ende der Julirevolution konnte sich trotz der Bemühungen Herzog Bernhards nicht formieren. 3.) Verbote gegen liberale und oppositionelle Schriften wurden in der Regel nur dann ausgesprochen, wenn dies nachdrücklich auf Geheiß der Bundesversammlung im eigenen Fürstentum zu veranlassen war. Verbotsgesuche von Bundestagsgesandtschaften „mindermächtiger“ Bundesstaaten wurden zuweilen abgelehnt. 4.) Die einheimische Presse sowie einheimische Verleger und Buchhändler wurden weitestgehend vor bundesstaatlichen Repressionen geschützt, solange diese keine demokratischen, sozialistischen und revolutionären Ansichten vertraten. Wie streng die Zensur im Einzelnen ausgeübt wurde, hing teilweise davon ab, wie freundschaftlich sich das persönliche Verhältnis zwischen dem Publizisten, Verleger oder Buchhändler und dem Zensor bzw. den für die Zensur verantwortlichen Regierungsbeamten gestaltete. 5.) Die gemäßigt-liberalen Tendenzen der einheimischen Presseorgane wurden weitestgehend geduldet und nur selten mit Zensurauflagen bedacht, solange man sich dazu bekannte, mögliche Reformen auf evolutionärem Weg durch rechtsstaatliche Mittel und nur in Koalition mit den Fürsten vorantreiben zu wollen.

WIDERSTAND GEGEN DIE PRESSERESTRIKTIONEN DES DEUTSCHEN BUNDES?

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6.) Die im Zeitraum von 1819 bis 1847 in den thüringischen Staaten erschienenen politischen Periodika151 weisen durchgängig ein gemäßigt-liberales Profil auf. Vermeintlich radikal-demokratische Schriften existierten nicht. Für das Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha ist zudem nachgewiesen, dass es keine Ambitionen gab, eine radikal-demokratische Schrift zu gründen. 7.) Die gemäßigt-liberale Presse in Thüringen wurde von der Bundesversammlung als ungefährlich eingestuft. Außerdem wurde den thüringischen Periodika, mit Ausnahme der „Dorfzeitung“, von der Bundesversammlung sowie vom Mainzer Informationsbüro keine überregionale Wirksamkeit und damit auch keine politische Gefahr zugesprochen. Des Weiteren standen bis auf Carl Joseph Meyer thüringische Presseakteure nicht unter ständiger Beobachtung der Metternich’schen Geheimpolizei. Betrachtet man diesen Befund, so lässt sich zusammenfassend sagen, dass die Bedingungen für die Entwicklung und Ausbreitung einer demokratischen oder sozialistischen Presse in den ernestinischen Staaten relativ schlecht waren. Der gemäßigt-liberalen Presse wurden hingegen vonseiten der ernestinischen Regierungen und Fürsten größere Handlungsspielräume zugebilligt. Von dieser Haltung profitierten schließlich auch die in den ernestinischen Staaten erschienenen volksaufklärerischen Periodika, die eine politische Informationsvermittlung zum Ziel hatten. So war es möglich, dass in überregional bekannten Periodika, wie dem „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ oder der „Dorfzeitung“, sowie in kleineren Zeitschriften, wie dem „Thüringer Volksfreund“ oder dem „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“, liberales Gedankengut verbreitet werden konnte, ohne dass von obrigkeitlicher Seite allzu harte Restriktionen zu erwarten waren. Ob allerdings eine solch kontinuierliche Ausbreitung liberaler Ideen im Thüringer Raum auch Auswirkungen auf den „gemeinen Mann“ hatte, soll nun im nächsten Kapitel näher beleuchtet werden.

151 Hier sind auch diejenigen Blätter mit eingeschlossen, die universell ausgerichtet waren und neben einer Vielzahl unterschiedlicher Inhalte nur zum Teil politische Informationen vermittelten.

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VII. DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN OBRIGKEIT UND PRESSE

VIII. Die Volksaufklärung als ein Wegbereiter der bürgerlichen Gesellschaft?

Bereits vor 20 Jahren gab Holger Böning zu bedenken, dass die Volksaufklärung „vielleicht mehr zur Zersetzung der Alten Gesellschaft beigetragen“ habe, als bisher angenommen wurde.1 Das permanente Propagieren der Volksaufklärer, dass in einer Gesellschaft, in der jeder Mensch ein vernunftorientiertes Leben führt, die Umsetzung wirtschaftlicher und politischer Reformprojekte um ein Vielfaches leichter zu gestalten wäre, hat im Laufe mehrerer Jahrzehnte sicherlich die Denk- und Verhaltensmuster des ein oder anderen Bauern oder Handwerkers nachhaltig beeinflusst. Als nach dem Ausbruch der Französischen Revolution die breite Masse der Bevölkerung in der volksaufklärerischen Publizistik noch stärker in die öffentliche Auseinandersetzung über politische Ereignisse einbezogen wurde, dürfte die Einflussnahme der Volksaufklärung auf die politische Gesinnung ihrer Adressaten außerdem nochmals zugenommen haben. In welchem Maße die Volksaufklärung dazu beigetragen hat, die ständische Gesellschaft zu erodieren, hängt natürlich davon ab, inwieweit die anvisierten Adressaten der Volksaufklärung dazu bereit waren, die ihnen angebotenen aufklärerischen Inhalte zu rezipieren und, im Anschluss daran, diese in die Praxis umzusetzen. So kam Böning in seinen Untersuchungen zur gemeinnützigökonomischen Aufklärung zu dem Ergebnis, dass schon die frühen Volksaufklärer teilweise mit starkem bäuerlichem Widerstand zu kämpfen hatten.2 Tradierte Vorstellungen, die sich zuweilen über mehrere Jahrzehnte oder Jahrhunderte hinweg im „Volk“ gehalten hatten, ließen sich trotz aller volksaufklärerischen Bemühungen der „gesitteten Stände“ nicht schlagartig aus den Köpfen der weniger gebildeten Bevölkerungsschichten verdrängen. Eine tief greifende Veränderung der Mentalität des „Volkes“, die zur Annahme einer rationalen Denk- und Wirtschaftweise führen sollte, war in kurzen Zeiträumen kaum zu erreichen. Oftmals bedurfte es mehrerer Generationen, bis die vermittelten aufklärerischen Inhalte unter der einfachen Bevölkerung, die mehrheitlich ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft oder im Handwerk verdiente, ihre volle Wirkung entfalteten. Während Christian Reichart in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Erfurt anhand der positiven eigenen Erfahrungen für einen Wechsel von der Dreifelder1 2

Vgl. BÖNING: Gemeinnützig-ökonomische Aufklärung, S. 237. Ebd., S. 240–246. Zum Lektüreverhalten der bäuerlichen Bevölkerung um 1800 und deren Widerstand gegen volksaufklärerische Lesestoffe vgl. außerdem WITTMANN: Der lesende Landmann, S. 142–196.

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VIII. DIE VOLKSAUFKLÄRUNG ALS EIN WEGBEREITER

zur Fruchtwechselwirtschaft plädierte,3 dauerte es noch über ein halbes Jahrhundert, bis in ganz Thüringen alle Bauern in den kleinstädtisch-landwirtschaftlichen Regionen dazu bereit waren, die argarwissenschaftlichen Erkenntnisse der Aufklärung in der Praxis anzuwenden. Selbst das Versprechen, mit den neuen Anbaumethoden wesentlich höhere Erträge erzielen zu können, überzeugte nicht jeden Bauern, seine Landwirtschaft sofort umzustellen. So erfährt man beispielsweise aus der Chronik der ländlich geprägten Kleinstadt Neustadt an der Orla im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, dass erst im Jahr 1819 der Großteil der dort ansässigen Bauern sich vom System der Dreierfelderwirtschaft losgelöst hat. Der Diakon Rudolf Herrmann, der die Neustädter Chronik auf Basis der handschriftlichen Notizen des Stadtchronisten Johann Christoph Ziegenspeck (1781–1847) sowie einiger Angaben aus dem „Neustädter Kreisboten“ für die Jahre 1818 bis 1825 überarbeitet hat, fasst die Situation der Landwirtschaft im Neustädter Kreis im Jahr 1819 wie folgt zusammen: Als Fortschritt gegenüber früheren Zeiten wird angegeben, daß auch die kleineren Landwirte anfangen, den Boden kräftiger durchzuarbeiten als sonst, ihn durch Kompost zu verbessern, nasse Stellen auf den Feldern durch Kanäle trocken zu legen, den Viehdünger sorgfältig zusammenzuhalten und die Jauche nicht zum Tore hinaus laufen zu lassen, die Dornhecken auf und an den Feldern auszuroden, die Steine aus den Feldern auszugraben usw. Die reine Dreifelderwirtschaft scheint überall überwunden zu sein; teils ist man zur verbesserten Dreifelderwirtschaft (Wintergetreide, Sommergetreide, Hackfrüchte und ein drittel reine Brache, sodaß ein Neuntel der Felder jährlich ganz brach liegt), teils zur Vierfelderwirtschaft (drei Jahre Getreide, im 4. Brache) übergegangen. […] Der Anbau von Futterkräutern fängt an sich einzubürgern: wo man noch vor vier Jahre gegen den Klee geeifert habe, sehe man jetzt zahlreiche Kleefelder, Luzernfelder nur selten. Als durchschnittlichen Ertrag des Getreidebaues wird die 5 bis 8fache Frucht angegeben; schätzungsweise nimmt man an, daß dieser Ertrag der doppelte sei gegenüber dem zur Zeit der reinen Dreifelderwirtschaft.4

Als die Bauern im Neustädter Kreis die hier von Herrmann besprochenen landwirtschaftlichen Veränderungen flächendeckend im gesamten Neustädter Kreis umsetzten, waren den Gebildeten in Thüringen die positiven Effekte dieser neuen Anbaumethoden schon seit langem bekannt. Der Erfurter Ratsmeister Christian Reichart hatte bereits in den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts die ertragssteigernde Wirkung der Fruchtwechselwirtschaft erfolgreich getestet. Er berichtete darüber ausführlich in seinem sechsbändigen „Land- und Gartenschatz“. Auch dass mit veränderten Dünge- und Bewässerungsmethoden eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion erzielt werden konnte, wurde von ihm anhand mehrerer Experimente auf seinen eigenen Gütern nachgewiesen und eben3 4

Vgl. hierzu Kapitel III.1. HERRMANN, RUDOLF (Hrsg.): Die Neustädter Chronik III (= Bausteine zur Geschichte Neustadts, Heft 3), Neustadt an der Orla 1912, S. 34.

DIE VOLKSAUFKLÄRUNG ALS EIN WEGBEREITER?

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so ausführlich niedergeschrieben. Selbst wenn man davon ausgeht, dass es ein oder zwei Jahrzehnte gedauert haben könnte, bis Reicharts landwirtschaftliche Erkenntnisse endlich zu den Bauern im rund 70 Kilometer entfernten Neustadt vorgedrungen sind, so verwundert es dennoch, dass diese trotz der offensichtlichen Vorteile noch fast ein halbes Jahrhundert an ihrer traditionellen Form der Bodenbewirtschaftung festgehalten haben. Dass die neuen Anbaumethoden von den Mittel- und Kleinbauern im Neustädter Kreis schließlich dennoch angenommen wurden, dürfte letztlich auf das Durchhaltevermögen der Volksaufklärer zurückzuführen sein. Wer unablässig dem „Volk“ versprach, dass eine aufklärerisch-rationale Denk- und Wirtschaftsweise zu größerem Wohlstand und Glückseligkeit führen werde, der musste früher oder später unweigerlich auf ein paar Bauern treffen, die für diese Verbesserungsvorschläge auch empfänglich waren. Außerdem darf die Mundpropaganda unter den Bauern nicht unterschätzt werden. Wenn in einer kleinen Gemeinde ein Bauer – oder der Dorfpfarrer als Vorbild und Autoritätsperson – dank einer anderen Bewirtschaftung seiner Äcker auf einmal eine beträchtliche Ertragssteigerung erzielte, dann ist anzunehmen, dass zumindest ein paar Landwirte aus seiner direkten Umgebung dessen Anbaumethoden irgendwann nachgeahmt haben. Um diesen bäuerlichen Fortschrittsprozess nicht versiegen zu lassen, stellten die meisten aufklärerisch denkenden Gebildeten auch im Vormärz ihr volksaufklärerisches Engagement nicht ein. Obwohl die Bauern im Neustädter Kreis ihre Erträge verdoppeln konnten, war dieser Erfolg manch einem Volksaufklärer nicht genug. Auf Initiative des Weltwitzer Dorfpfarrers Christian Ernst Anger wurde deshalb 1819 ein Landwirtschaftsverein für den Neustädter Kreis gegründet, welcher die noch bestehenden Rückstände beseitigen und die neuesten agrarwissenschaftlichen Erkenntnisse unter den einheimischen Bauern verbreiten sollte.5 Um die erzielten Veränderungen dauerhaft zu sichern, wurde also vonseiten der Volksaufklärer an der Strategie einer „permanenten Konfrontation“ des Bauern mit aufklärerischem Gedankengut festgehalten. Auch in Bereichen abseits der Landwirtschaft versuchten die Volksaufklärer über lange Zeiträume hinweg, kontinuierlich auf das „Volk“ einzuwirken. Wie Jürgen Kiefer am Beispiel der medizinischen Aufklärung breiter Bevölkerungsschichten gezeigt hat, wurden neue wissenschaftliche Erkenntnisse aus Medizin und Arzneikunde von den Gebildeten ebenso beharrlich über sehr lange Zeiträume an das „Volk“ weitergereicht.6 Auch auf diesem Gebiet hielt sich die 5 6

Vgl. ebd., S. 33. Jürgen Kiefer bezieht sich hierbei häuptsächlich auf das „Erfurtische Intelligenz-Blatt“, das den „gemeinen Mann“ 52 Jahre lang kontinuierlich mit Abhandlungen populärmedizinischen Inhalts versorgte. Im Zeitraum von 1750–1802 konnte sich der Leser in beachtlichen 289 Artikeln über die neuesten medizinischen, arzneiwissenschaftlichen und hygieni-

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VIII. DIE VOLKSAUFKLÄRUNG ALS EIN WEGBEREITER

Skepsis des „gemeinen Mannes“ gegenüber den neuen gesundheitsfördernden Ratschlägen erstaunlich lang. Die Forderung der Volksaufklärer, der „gemeine Mann“ solle ihren Anleitungen zu einer gesünderen Lebensführung Folge leisten, ließ sich in der Praxis nur schrittweise umsetzen. Die von aufklärerisch denkenden Gelehrten und Gebildeten aufgestellten Regeln zur Körperhygiene, Krankheitsbehandlung, Impfung, Ernährung, Bewegung, Bekleidung und Gesundheitserziehung der Kinder wurden trotz des Versprechens, auf diese Weise die Lebenserwartung und die allgemeine gesundheitliche Konstitution zu erhöhen, von den weniger gebildeten Bevölkerungsschichten nur zögerlich angenommen. Selbst solche, heutzutage so selbstverständliche Verfahrensweisen im täglichen Umgang mit Wasser, etwa die Trennung von Brauchwasser und Trinkwasser, setzten sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts, infolge der großen Choleraepidemien, überall im „Volk“ durch. Auf lange Sicht betrachtet, konnte die (Volks-) Aufklärung letztlich ihr Programm auch im Bereich der Medizin erfolgreich in der einfachen Bevölkerung verankern. Ihre gesundheitserzieherischen Bemühungen hatten, im Zusammenspiel mit neuen öffentlichen Gesundheitspflege- und Hygienevorschriften, die Einstellung des „gemeinen Mannes“ zum eigenen Körper nachhaltig verändert. Analog verhielt es sich mit der Aberglaubensbekämpfung, die ebenfalls bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts in der volksaufklärerischen Publizistik allseits präsent war. Selbst in Zeitschriften, die erst in den 1840er Jahren neu gegründet wurden, blieb die Bekämpfung des Aberglaubens weiterhin ein Thema. Interessanterweise veränderten sich dabei die Geschichten vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts in ihrer Struktur und ihren Inhalten nur marginal. So findet sich beispielsweise im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ des Jahres 1844 eine fast identische Erzählung über eine vermeintliche Geistererscheinung wie im über 50 Jahre früher erschienenen „Noth= und Hülfsbüchlein“. Hauptfiguren dieser Geschichte sind eine Frau und ihr Mann, die des Nachts glauben, nachdem sie „ein schreckliches Toben und Schlagen gegen die Thüre“ vernommen haben, von Geistern heimgesucht zu werden.7 Aber anstatt sich Gedanken zu machen, welche natürliche Ursache das Poltern verursachen könnte, schreiten sie zusammen mit Säbel und Flinte zur Geisterjagd. Nachdem sie das mutmaßliche Gespenst niedergestreckt haben, stellt sich letztlich heraus,

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schen Erkenntnisse und gesundheitspolitischen Verordnungen informieren. Vgl. KIEFER, JÜRGEN: Gesundheitserziehung im „Erfurtischen Intelligenz-Blatt“ – ein Beispiel medizinischer Aufklärung im deutschen Zeitschriftenwesen der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Donnert, Erich (Hrsg.): Europa in der Frühen Neuzeit, Bd. 4: Deutsche Aufklärung, Weimar/Köln/Wien 1997, S. 193–204. Laut Verfasser beruht die Geschichte auf einer wahren Begebenheit. Vgl. Zwei wahre Gespenstergeschichten, in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen, Nr. 17 vom 27. April 1844, S. 129–131.

DIE VOLKSAUFKLÄRUNG ALS EIN WEGBEREITER?

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dass es nur die Katze war, die ihren Kopf in einem Milchtopf eingezwängt hatte und nun verzweifelt versuchte, sich diesem wieder zu entledigen. Im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ stößt man fortwährend auf solche Geschichten.8 Aber unabhängig davon, ob die Erzählungen von Irrlichtern,9 klappernden Geistern10 oder verhexten Kühen11 handeln, zeigt sich hier deutlich, dass die Bekämpfung des Aberglaubens im „Volk“ in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht abgeschlossen war. Während sich die Vernunft unter den Gelehrten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als oberstes Prinzip des Erkenntnisgewinns durchgesetzt hatte, gestaltete sich dieser Prozess im „Volk“ um einiges schwieriger. Glaubt man den Berichten, die regelmäßig in volksaufklärerischen Periodika veröffentlicht wurden, dann existierten auch im Vormärz noch etliche Bauern, die scheinbar apodiktisch an ihren abergläubischen Vorstellungen festhielten. So war beispielsweise Friedrich Johannes Frommann darüber entsetzt, dass es selbst im 19. Jahrhundert noch ländliche Gegenden gab, wo die Bauern aus heutiger Sicht grausam anmutende abergläubische Rituale vollzogen. In seinem „Thüringer Volksfreund“ schrieb er Anfang April des Jahres 1830: Der Thierarzt Böhme in Leipzig macht einige Beispiele von Aberglauben bekannt, wie man ihn im 19. Jahrh. Nicht mehr für möglich halten sollte. Auf einem gewissen Gute gab es bei den Kühen fast lauter Fehlgeburten oder die gebornen Kälber waren schwächlich und starben bald nach ihrer Geburt. Die Ursache lag in verdorbnem Futter und schlechter Wartung. Der Gutsbesitzer aber wollte dieß nicht glauben, sondern bestand darauf, daß er behext sei. Um die Hexe auszutreiben, ward ein lebendiges Kalb unter die Schwelle des Kuhstalls vergraben und seitdem abortirten die Kühe nicht mehr (wahrscheinlich weil man zu gleicher Zeit sie besser versorgte). – An einem andern Orte gaben die Kühe blaue und zu wenig Milch, weil sie ganz verhungert waren. Vom Arzte ward gutes Futter und Reinlichkeit angerathen, aber darauf verließ sich der Eigentümer nicht, sondern ließ eine lebendige Katze unter der Stallschwelle begraben. – Zu solchen Grausamkeiten verführt der Aberglaube!12

Obwohl die Aberglaubensbekämpfung, wie die gemeinnützig-ökonomische und die medizinische Aufklärung, seit Mitte des 18. Jahrhunderts intensiv von den Volksaufklärern betrieben wurde, stellten sich auch hier nur sehr langsam Erfolge ein. Mancherorts bedurfte es ebenfalls mehrerer Generationen, bis die Bauern ihren abergläubischen Vorstellungen vollständig entsagten. Dass die Bemühungen der Volksaufklärer, langfristig gesehen, die gewünschte Wirkung erzielten, 8 Zu Inhalt und Programmatik des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ vgl. Kapitel VI.3.3.1 und VI.3.3.2. 9 Vgl. Giebt es Irrlichter oder giebt’s keine?, in: ebd., Nr. 1 vom 6. Januar 1844, S. 3–6. 10 Vgl. Der nächtliche Spuk, in: ebd., Nr. 7, 1845, S. 50. 11 Vgl. Die behexte Kuh, in: ebd., Nr. 36, 1846, S. 283 f. 12 Vaterländische Nachrichten, in: Der Thüringer Volksfreund , Nr. 14 vom 3. April 1830, S. 109.

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konnte der „Thüringer Volksfreund“ nämlich ebenfalls bestätigen. Rückblickend auf die Zustände um 1800 verkündete man: Vor einem Vierteljahrhundert war noch die Klage wegen des unter dem gemeinen Volke verbreiteten Aberglaubens auch in Thüringen allgemein […]. Heutigen Tages ist es nicht mehr so; der Aberglaube hat […] seine lang geübte Herrschaft größten Theils verloren. Selten spuckt hie und da ein Gespenst, oder wird ein Kind von einer Hexe besprochen, oder wird es einer Frau oder Kuh angethan.13

Zwar räumte der „Thüringer Volksfreund“ zugleich ein, dass in einigen Dörfern der Aberglaube noch nicht vollständig beseitigt sei, doch war man optimistisch, dass dieser durch „Denkkraft“ und „Verstand“ in Zukunft auch dort allmählich verschwinden werde.14 Letztendlich sollte sich zeigen, dass der „Thüringer Volksfreund“ mit dieser Einschätzung richtig lag. Spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren nicht mehr nur die Denk- und Handlungsprozesse der Gebildeten, sondern auch der weniger Gebildeten am Prinzip der Vernunft ausgerichtet. Abergläubische Praktiken wurden aus der alltäglichen Arbeitswelt der Bauern, Arbeiter oder Handwerker faktisch komplett verdrängt. Der „Wandel durch Vernunft“, wie es kürzlich Georg Schmidt in seiner Überblicksdarstellung zum 18. Jahrhundert formuliert hat,15 durchdrang alle Bevölkerungsschichten und hat die Entwicklung der westlichen Moderne nachhaltig geprägt. Das entscheidende Kriterium, ob die Bemühungen der Volksaufklärer ihre gewünschte Wirkung entfalteten, war demnach eine langjährige, permanente Konfrontation der anvisierten Adressaten mit den zu vermittelnden Inhalten. Obgleich es sich empirisch kaum belegen lässt, scheint der Faktor Zeit bei der nachhaltigen Durchsetzung aufklärerischer Inhalte im „Volk“ eine Schlüsselfunktion eingenommen zu haben. Solange die Volksaufklärer die nötige Geduld mitbrachten, waren die Erfolgsaussichten einer Verwirklichung ihrer Ziele doch recht hoch. Wenn sich also die Mentalität des „gemeinen Mannes“ auf dem Gebiet der Landwirtschaft, des Gesundheitswesens und der Aberglaubensbekämpfung über Jahrzehnte hinweg allmählich breitenwirksam verändern ließ, dann muss dies ebenso für die politische Volksaufklärung angenommen werden. Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Verankerung liberaler Ideen im „Volk“ war demnach auch eine langjährige Kontinuität bei der Vermittlung politischer Inhalte. Abgesehen von der Möglichkeit der permanenten mündlichen Weitergabe politischer Anliegen, etwa durch regelmäßiges Predigen auf der Kanzel, bedurfte es – wie in allen anderen Bereichen der Volksaufklärung – in erster Linie publizistischer Organe, die dem „gemeinen Mann“ über Jahre hinweg 13 Wahrheit im Aberglauben, in: ebd., Nr. 5 vom 31. Januar 1829, S. 41. 14 Vgl. ebd., S. 42. 15 Vgl. SCHMIDT: Wandel durch Vernunft, S. 394–401.

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überhaupt erst einmal verständlich machen mussten, warum die Errichtung einer bürgerlichen Gesellschaft auch in seinem Interesse stand. Wie bereits erwähnt, hatten unter den thüringischen Periodika, die politische Sachverhalte und tagespolitische Informationen beinhalteten, vor allem die „Dorfzeitung“ und der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ hohe Auflagenzahlen zu verzeichnen. Ob die in diesen beiden Periodika bereitgestellten Inhalte in den ländlich-kleinstädtischen Regionen des Thüringer Raumes auch von der Mehrheit der Bevölkerung rezipiert wurden, ist allerdings nicht genau zu beantworten. Ebenso lässt sich schwer eruieren, in welchem Umfang politische Themen in der Landbevölkerung durch mündliche Kommunikation verbreitet, ausgetauscht und diskutiert wurden. Nachdem im Zuge der Revolution von 1830 in einigen Teilen Deutschlands erste Unruhen ausgebrochen waren, reagierten auch die thüringischen Regierungen, zumal sich Herzog Friedrich von Sachsen-Altenburg durch den Aufruhr in seiner Residenzstadt zur Verabschiedung einer neuen Verfassung bekennen musste, etwas nervös auf die in den Jahren 1830 und 1831 zugetragenen Tumulte in ihren Ländern.16 Um sich über die politische Gesinnung seiner Untertanen einen Überblick zu verschaffen, ordnete etwa Herzog Ernst I. von SachsenCoburg und Gotha im Jahr 1832 eine umfassende Untersuchung an, in der alle Kreisvorsteher in seinem Fürstentum Bericht zu erstatten hatten, welche politischen Zeitungen und Zeitschriften im jeweiligen Kreis gegenwärtig im Umlauf seien und welche Personen, Vereine, Institutionen oder sonstige Gruppierungen Einfluss auf die politische Bildung der Bevölkerung ausüben würden. Dank zweier Berichte, die im Staatsarchiv Gotha noch auffindbar waren, lässt sich zumindest teilweise rekonstruieren, was die ländliche Bevölkerung im Thüringer Raum um 1830 gelesen hat. So erfährt man aus dem Bericht des Regierungspräsidenten Opitz, dass sich die Bevölkerung im Coburger Landesteil des Herzogtums hauptsächlich anhand des „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“, dem „Nürnberger Anzeiger“ und dem „Hamburger Correspondenten“ über die politischen Vorgänge in Deutschland und Europa informierte. Im Gegensatz zur „Teutschen Tribüne“ von Johann Georg August Wirth, die in Coburg und Sonneberg insgesamt von 17 Abonnenten bezogen und von Opitz als „bedenklich“ eingestuft wurde, erachtete der Regierungspräsident die anderen Periodika nur als „gewöhnliche Zeitungen“.17 Wesentlich interessanter erscheint aber der zweite noch vorhandene Bericht aus der Feder des Tenneberger Justizamtmannes Jacob zu Zella. Dieser berichtete im März 1832 ausführlich über das Leseverhalten der überwiegend in der 16 Zu den politischen und sozialen Unruhen in Thüringen von 1830 bis 1832 vgl. PATZE/ SCHLESINGER (Hrsg.): Geschichte Thüringens, Bd. 5. 2. Teilbd., S. 30–34. 17 ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 1: Bericht des Regierungspräsidenten Opitz über die in Coburg gelesenen resp. politisch gefährlichen Zeitblätter, Bl. 8.

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Landwirtschaft und im Kleinhandwerk tätigen Bevölkerung des Tenneberger Kreises18 sowie die Einflussnahme der Presse auf die politischen Ansichten der „niederen Volks=Classen“.19 Da von herzoglicher Seite eine Beurteilung der Situation als äußerst wichtig für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung empfunden wurde, sah sich Jacob zu Zella dann auch dazu veranlasst, seine Ausführungen in detaillierter Form abzufassen. Schon im Befehl vom 25. Februar 1832 gab man ihm zu verstehen, bei seinen Recherchen ausgesprochen gewissenhaft vorzugehen. So heißt es: Höchsten Orts ist die sehr unangenehme Bemerkung gemacht worden, daß die Schonung und Nachsicht, mit der bisher die Herausgabe öffentlicher Zeitblätter in den meisten deutschen Staaten behandelt worden sind, diese Herausgabe zu Anmaßungen und zu einer Frechheit hingeleitet hat, die nur damit enden kann, daß der große Haufe der Leser, für die diese Blätter bestimmt sind, in seinen Ansichten über die Verhältnisse des bürgerlichen Wesens ganz irre gemacht, zur Unzufriedenheit mit seiner Lage in allen Beziehungen hingeführt und zur Widersetzlichkeit gegen seine Obrigkeit und deren Anordnungen durch Mißdeutung des richtigen und wahren Sinnes derselben veranlaßt wird. Diesem gefährlichen Treiben kann nun auf keine Weise länger ruhig nachgesehen werden und vom Höchsten Orte sind Wir deshalb angewiesen worden, dem Inhalte aller umlaufenden Zeitblätter unausgesetzt die nöthige Aufmerksamkeit zu widmen. Um dieser Höchsten Anweisung indeß nachkommen zu können, ist es zunächst erforderlich diejenigen Zeitblätter, welche in dem hiesigen Lande gelesen werden, kennen zu lernen, dann in Erfahrung zu bringen, in welchen Volks=Classen sich solche vorzüglich verbreitet befinden, ingleichen wie ihr Umlauf und ihre Lectüre betrieben wird, ob nicht zu dem Ende besondere Gesellschaften bestehen, wer an der Spitze solcher Gesellschaften steht, und wer diejenigen Glieder sind, welche in den Versammlungen, worin solche Blätter gelesen werden, vorzüg18 Zu dem fast ausschließlich bäuerlich geprägtem Kreis Tenneberg heißt es in August Schumanns „Vollständigem Staats= Post= und Zeitungslexikon“ aus dem Jahr 1824: „Die Hauptnahrung der Einwohner sind Ackerbau und Viehzucht, die Arbeit im Walde und mehrere Fabriken, z.B. die Messer= und Pfeifenfabrik in Ruhl, die Korbsflechterei zu Winterstein und Kleinschmalkalden, auch etwas Weberei zu Waltershausen. […] Die Orte des Amtes liegen im Ganzen sehr zerstreut; in ihm liegt auch der Inselberg. Die Dörfer des Amtes werden in Pflege= und Walddörfer eingetheilt. […] In diesen Orten und der Stadt Waltershausen sind 1694 Häuser und 8169 Einwohner. Der Viehstand des Amtes bestehet aus 273 Pferden, 154 Ochsen, 2100 Rindern, 8670 Schaafen und 152 Ziegen. – Der jährl. Aerndteertrag besteht an Korn 6480, Waitzen 2600, Gemeng 800, Gerste 1870, Hafer 14,000 und Erbsen 200 Scheffel; dann gewinnt man noch 141 Sch. [Scheffel] an Linsen, 529 Sch. Wicken, 181 Sch. Bohnen und 41,000 Körbe Kartoffeln, so wie 2800 Kloben Flachs, auch 70,000 Ctr. [Zentner] Heu und Grummet. – Dem Justizamte stehen ein Amtmann, ein Amts=Commissar und ein Aktuar vor; dem Forstamte ein Forstmeister und 1 Forstschreiber. Die geistlichen Angelegenheiten besorgen 1 Superintendent (zu Waltershausen) und ein Adjunct; der erstere bildet mit dem Amtmann das geistliche Untergericht.“ SCHUMANN: Vollständiges Staats= Post= und Zeitungs=Lexikon, Bd. 11: Schweitz bis Trebishayn, S. 637 f. 19 Vgl. ThStA Gotha, Justizamt Tenneberg, Loc. 18, Nr. 12: Acta, die verlangte Auskunft über diejenigen Zeitblätter, welche in dem Tenneberger Amtsbezirke vorzüglich gelesen werden und in welche Volksklassen solche namentlich verbreitet sind, 1832.

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lich Theil nehmen, und welche Absichten durch diese Lektüre vorzüglich ins Leben zu rufen und praktisch zu verfolgen, von den Mitgliedern solcher Gesellschaften gesucht wird. Sie haben daher über diese Umstände nach der Ihnen beiwohnenden Kenntniß und nach Befinden nach vorher eingegangener, jedoch mit möglichster Vorsicht zu bewirkenden Erkundigung, umgehend die verlangte Auskunft nach Möglichkeit zu ertheilen.20

Die Antwort des Justizamtmannes Jacob zu Zella folgte postwendend. In dem „Pflichtgemäßen Bericht des Tenneberger Oberbeamten in Betreff der von ihm verlangten Auskunft über diejenigen Zeitblätter, welche in seinen Amtsbezirke von den Amts-Insaßen gelesen werden“ lassen sich exemplarisch an einem klar abgesteckten Verwaltungsbereich interessante Aufschlüsse über die Lesegewohnheiten der thüringischen Landbevölkerung ziehen. So erfährt man aus dem Bericht von Zella: Nach Maasgabe des höchsten Rescriptes wünscht herz. Landes-Regierung über nachfolgende Fragen als: 1.) welche Zeitblätter in den Ortschaften des mir gnädigst anvertrauten Amtes gelesen werden? 2.) in welchen Volks-Classen sich solche vorzüglich verbreitet befinden? 3.) wie ihr Umlauf und ihre Lektüre betreiben werden, ob nicht zu dem Ende besondere Gesellschaften bestehen? 4.) wer an der Spitze solcher Gesellschaften stehe, und wer diejenigen Glieder sind, welche in den Versammlungen, worin solche Blätter gelesen werden, vorzüglich Theil nehmen? und 5.) welche Absichten durch diese Blätter vorzüglich ins Leben zu rufen und praktisch zu verfolgen von den Mitgliedern solcher Gesellschaften gesucht wird? eine möglichst genaue Auskunft zu erhalten. Hierauf verfehle ich nicht pflichtschuldigst anzuzeigen: In sämmtlichen zu dem mir überwiesenen Amtsbezirke gehörigen Ortschaften ist außer dem Gothaischen Regierungsblatt die priviligirte Gothaische Zeitung so wie die bekannte Dorfzeitung, deren Herausgeber der Buchhändler Keßelring zu Hildburghausen ist, die gewöhnliche Lektüre der Landleute. Diese Zeitblätter circuliren in der Regel von Hauß zu Hauß oder werden Sonntags in den Schenken und Gasthöfen von den dahin kommenden Zechgästen zur Unterhaltung vorgelesen. Vorzüglich findet die Dorfzeitung vielen Geschmack bey den untersten Volks-Classen und wird wegen der darin häufig vorkommenden witzigen und sonstigen Bemerkungen mit Begierde gelesen; nur scheint es mir oft, daß mit manchen dieser Bemerkungen den Staatsregierungen allerdings sehr zu nahe getreten wird und bey denjenigen Lesern, die vermöge ihrer Faßungsgabe solche nicht gehörig zu würdigen im Stande sind, Ideen geweckt werden, welche in der Folge auf die bestehende Ordnung nachtheilig einwirken könne. Da übrigens dieses Zeitblatt auch von allen Gebildeten Ständen der hiesigen Lande gelesen wird, so glaube ich mit Aushebungen einzelner Stellen aus derselben billig Anstand nehmen zu müßen. Nächst diesen nahmhaft gemachten Zeitblättern wird auch noch von einigen Geistlichen des Amtsbezirkes so wie von mehreren Personen in der Burgstadt Friedrichroda ‚der Allgemeine Anzeiger der Deutschen‘ gelesen.

20 Ebd., Bl. 1.

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In den beyden Fabrikorten Ruhla und Kleinschmalkalden […] aber außer der Dorfzeitung und dem allgemeinen Anzeiger der Deutschen, noch die Frankfurter Oberpostsamtzeitung, die Hanauer Zeitung, die Caßeler Zeitung, das zu Eisenach erscheinende sogenannte Sonntagsblatt, und endlich in der Erziehungsanstalt zu Schnepfenthal die Berliner Staatszeitung sowie mehrere Schweizer Zeitungen gelesen. Dagegen scheint nach der von mir mit möglichster Vorsicht unter der Hand eingezogenen Erkundigung der Inhalt, der unter dem Titel der deutschen Tribüne und des Westbothen seit kurzem erschienenen Zeitblättern, der hiesigen Umgegend und insbesondere auch den zum hiesigen Amtsbezirke gehörigen Ortschaften gänzlich unbekannt geblieben zu seyn. Besondere Vereine zu Lesung der von mir nahmhaft gemachten Zeitblätter existiren übrigens – so viel ich bis jetzt in Erfahrung habe bringen können, – in dem hiesigen Amtsbezirke so wenig, so wenig dieserhalb besondere Versammlungen statt finden oder solche sonst von einzelnen Personen dirigirt werden. Wenn daher hiermit die mir vorgelegte 5te Frage zugleich als erledigt angesehen seyn dürfe, so muß ich doch die bereits einmal in dem gegenwärtigen Berichte so eben ausgesprochenen Meinung: daß durch die Dorfzeitung in den niederen Volks-Classen Ansichten und Ideen ins Leben gerufen wurden, welche auf die bestehende Ordnung […] die nachtheiligsten Folgen hervorbringen können und schon jetzt hin und wieder bemerkbar sind.21

Jacob zu Zella ging also schon 1832 davon aus, dass die politischen Informationen der „Dorfzeitung“ auf lange Sicht bei den „niederen Volks=Classen“ Vorstellungen wecken könnten, die mit der gegenwärtigen Staatsordnung nicht zu vereinbaren waren. Die seit Gründung der „Dorfzeitung“ im Jahr 1818 kontinuierlich verbreiteten Ansichten einer notwendigen Reform der bestehenden politischrechtlichen, gesellschaftlichen und sozialen Zustände zeigten demnach um 1830 bereits die ersten Anzeichen einer Massenwirksamkeit. Die Tatsache, dass die „Dorfzeitung“ von „Hauß zu Hauß“ zirkulierte und „in den Schenken und Gasthöfen“ ununterbrochen (vor)gelesen wurde, lässt außerdem den Schluss zu, dass über die Inhalte des Blattes, zumindest in kleinen Kreisen, sicherlich auch die ein oder andere Diskussion geführt wurde und sich auf diese Weise das politische Bewusstsein der Landbevölkerung allmählich im Sinne des Liberalismus veränderte. Darüber hinaus zeigt der Bericht des Justizamtmannes Jacob zu Zella sehr deutlich, dass die „Dorfzeitung“ ihre anvisierte Adressatengruppe, gemäß dem Titel die einfache Dorfbevölkerung, auch wirklich erreichte. Wenn man zusätzlich bedenkt, dass die „Dorfzeitung“ von einer weitaus größeren Anzahl von Menschen rezipiert wurde, als die ohnehin schon beachtliche Auflagenhöhe von rund 5.000 Exemplaren widerspiegelt,22 dann dürfte die lang21 Ebd., Bl. 3 f. 22 In einem Leitartikel der „Dorfzeitung“ vom 7. März 1829 wird eine Auflagenhöhe von 5.000 Exemplaren angegeben. In den 1830er Jahren konnte die „Dorfzeitung“ ihre Abonnentenzahlen relativ konstant halten und in den 1840er Jahren schließlich leicht erhöhen.

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zeitliche Wirkung dieses volksaufklärerischen Blattes auf die politische Gesinnung der weniger gebildeten Bevölkerungsschichten in den ländlich-kleinstädtischen Gebieten Thüringens noch um einiges höher ausgefallen sein.23 Dass sich im Laufe des Vormärz das politische Bewusstsein des „Volkes“ tatsächlich langsam veränderte, lassen des Weiteren die Aussagen des Weimarer Staatsministers Christian Wilhelm von Schweitzer erkennen. In drei Berichten zur politischen Lage im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, die Schweitzer kurz vor und kurz nach der Revolution von 1830 sowie kurz vor der Revolution von 1848 für Großherzogin Maria Pawlowna verfasste, äußerte sich der Staatsminister zunehmend besorgt über die politisch-rechtlichen Ansichten der unteren Bevölkerungsschichten. Noch im Jahr 1828, kurz nach dem Tode Großherzogs Carl Augusts, begrüßte Schweitzer entschieden die politische Entwicklung im Land. In Anlehnung an die liberale Politik Carl Augusts bewertete er die politische Aufklärung des „Volkes“ – auch wenn er das Wort „Volksaufklärung“ nicht direkt benutzt – als eine wichtige Grundlage zur Aufrechterhaltung und Vermehrung des bisher erreichten Wohlstandes. Die „geistigen Errungenschaften“, von denen das Fürstentum Sachsen-Weimar-Eisenach seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts so außerordentlich profitiert hatte, galt es zu bewahren. Um zu verhindern, dass das Großherzogtum nach dem Tode Carl Augusts einen Teil seiner bisherigen freigeistigen Haltung preisgab, redete er Maria Pawlowna zu: Noch jetzt ist das Großherzogtum reich, sehr reich an geistigem Vermögen, welches nach vielen Richtungen hin vorwärts strebt. Und woher das – frage ich weiter. Man ließ dem Geiste sein Element, die Freiheit. Man war aufmerksam, aber nicht ängstlich; man lenkte ein, wo es wirklich wohl tat, aber man fesselte, man lähmte nicht im voraus, um mit dem Gebrauche der Kraft gewiß dem möglichen Mißbrauche Einhalt zu tun. Daß das nicht anders werde!24

Dank der besonderen Entfaltung, die die Aufklärung in Sachsen-Weimar-Eisenach erreichte, erachtete Schweitzer noch im Jahr 1828 die breite Bevölkerung des Großherzogtums im Vergleich zur Bevölkerung anderer deutscher Staaten, nirgendwo „auf deutschem Boden [für] ein treueres, ein sittlicheres, ein arbeitssameres, selbst ein wahrhaft religiöses Volk.“25 Der „Deutsche Zeitungs-Katalog“ aus dem Jahr 1845 verzeichnet eine Auflagenhöhe von 6.000 Exemplaren. Vgl. Deutscher Zeitungs-Katalog. Verzeichniss der in der deutschen Sprache erscheinenden periodischen Schriften mit Einschluß der politischen Zeitungen, der Tage-, Wochen- und Intelligenzblätter, Leipzig 1845, S. 95. 23 Zur Verbreitung und Wirkung der „Dorfzeitung“ im thüringischen-mitteldeutschen Raum vgl. außerdem FÜSSER: Bauernzeitungen, S. 149–154. 24 ThHStA Weimar, HA A XXV (Maria Pawlowna), Briefnachlass, S 216, Exposé des Staatsministers Christian Wilhelm Schweitzers zur Lage des Großherzogtums Sachsen-WeimarEisenach beim Tode des Großherzogs Carl Augusts, Weimar, 23. Juli 1828, unpag. 25 Ebd.

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Bereits sieben Jahre später, möglicherweise als Reaktion auf die revolutionären Unruhen der Jahre 1830 bis 1832, revidierte er seine Meinung wieder. Anstatt wie von ihm erhofft, führte die gewährte Liberalität nicht zu einer Festigung bestehender, noch ständisch geprägter Rechtsverhältnisse, sondern zur Auflehnung des „Volkes“ gegen die bestehende Ordnung, vor allem, wenn die Rittergutsbesitzer ihre Prärogativrechte von den „Zins-, Trift- und Fronpflichtigen“ vor Gericht einforderten.26 Eine Aufklärung des „Volkes“ war für Schweitzer demnach nur dann akzeptabel, solange sie den „gemeinen Mann“ nicht dazu anregte, sich Gedanken über seine rechtliche Stellung innerhalb der Gesellschaft zu machen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass dieser die geltenden Rechtsverhältnisse als ungerecht empfinden könnte, schätzte Schweitzer bei einer fortschreitenden Volksaufklärung bald als besonders hoch ein. Von einem tief greifenden Politisierungsprozess, der alle Teile der Bevölkerung einschloss, erwartete der Weimarer Staatsminister nach 1830 keine positiven Effekte mehr. Er glaubte, dass eine Politisierung der breiten Masse der Bevölkerung zu Forderungen nach politischrechtlichen Reformen führen werde, die nicht vereinbar mit der bestehenden Staatsordnung wären. Deshalb appellierte er eindringlich an Maria Pawlowna, die volksaufklärerischen Bemühungen im Lande stärker einzuschränken, da man sonst „ganz offenbar in einen wahrhaft revolutionären Zustand“ geraten werde.27 Anders als Jacob zu Zella betrachtete Schweitzer allerdings nicht die Presse, sondern die Dorfpfarrer und Dorflehrer als Ursprung dieser „fehlgeleiteten“ Volkserziehung. In seinen Augen waren es vor allem sie, die in den Kirchen und Schulen liberale Ideen verbreiteten und auf diese Weise die niederen Stände indirekt dazu ermutigten, die geltenden Rechte zu missachten: Schon längst habe ich unsere Geistlichen und unsere Schullehrer in dem Verdachte einer recht nachteiligen Einwirkung in den Gemeinden, und dieser Verdacht ist jetzt verstärkt worden. Anstatt der Idee des Rechtes in allen Formen Achtung zu erhalten und derselben noch die religiöse Stütze zu geben, darin die Hauptaufgabe ihres Berufs zu erkennen, sind sie geneigt, sich in das Materielle einzumischen, der Entfesselung, der Emanzipation oder wie die modischen Ausdrücke sonst klingen mögen, das Wort zu reden. Das sollte ihnen bei jeder sich darbietenden Gelegenheit allseitig verhoben werden, selbst ganz offen und gerade mit dem Zusatze, daß jede Anstalt, jede Bemühung, jedes Opfer für Volksbildung recht tief zu bedauern sei, wenn diese in der ersten Folge einer vermeintlichen Aufklärung aber in der Tat eine Verfinsterung zu einer Nichtachtung des Rechts, ja nur zu einem Zweifel an der Heiligkeit des Rechtes führen könnte. Dem Rechte Geltung zu verschaffen, sei zunächst Sache der Justizbehörden und weiter zur Unterstützung derselben die Sache der Bajonette. Schule und Kirche würden die Extreme abwenden können, wenn man in

26 ThHStA Weimar, HA A XXV (Maria Pawlowna), Briefnachlass, S 216, Gutachten des Staatsministers Christian Wilhelm Schweitzer, die verderbliche Rolle der Geistlichen und Schullehrer betreffend, o.D. [ca. 1835], unpag. 27 Ebd.

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ihnen die Idee des Rechtes lehrte und predigte, ganz unbekümmert um den Gegenstand und die Form.28

Der Weimarer Staatsminister gehörte demnach zu den Verfechtern einer „verhältnismäßigen Volksaufklärung“, die die Bildung der einfachen Bauern und Handwerker nur punktuell verbessern wollten. Die volksaufklärerischen Bemühungen der Pfarrer und Lehrer sollten sich lediglich auf eine berufliche Weiterbildung des „gemeinen Mannes“ beschränken. Praktische Ratschläge zur Steigerung der Produktivität in Landwirtschaft und Gewerbe wurden von Schweitzer durchaus begrüßt, solange diese nicht die Haltung des „gemeines Mannes“ in politischen, rechtlichen, gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Fragen beeinflussten. Schweitzers Aussagen sind ein klarer Beleg dafür, dass zahlreiche Pfarrer und Lehrer im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach es nicht einfach bei einer „verhältnismäßigen Volksaufklärung“ beließen. Es als verwerflich erachtend, die aktuellen politischen Entwicklungen der breiten Masse der ländlich-kleinstädtischen Bevölkerung vorzuenthalten, gehörten die in den dörflichen Gemeinden tätigen Geistlichen, Lehrer und Beamten eher zu den Vertretern einer „allumfassenden“ Volksaufklärung. Sie grenzten sich damit eindeutig von Männern wie Wilhelm von Schweitzer ab, der vorrangig um den Erhalt der ständischen Grundordnung bemüht war und den emanzipatorischen Reformwünschen des liberal denkenden Bürgertums mehr als skeptisch gegenüberstand. Den auf mittlerer Herrschaftsebene agierenden Geistlichen, Lehrern und Beamten ging es hingegen, vor allem nach 1830, gerade um die Erziehung der einfachen Bauern und Handwerker zu rechtlich gleichgestellten Staatsbürgern, was zwangsläufig eine Intensivierung der politischen Volksaufklärung erforderte. Und folgt man den Ausführungen Schweitzers, dann waren die in der Gemeinde wirkenden Geistlichen und Lehrer bei der Verbreitung ihrer Ansichten unter der ländlich-kleinstädtischen Bevölkerung auch recht erfolgreich. Demzufolge dürften sie bei der mündlichen Vermittlung politischer Ideen eine nicht zu unterschätzende Rolle eingenommen haben. Darüber hinaus führen die Aussagen Schweitzers deutlich vor Augen, dass die von den Geistlichen und Lehrern vermittelten politischen Inhalte von der ländlichen Bevölkerung tatsächlich reflektiert wurden und sich allmählich das politische Bewusstsein des „gemeinen Mannes“ zu verändern begann. In einem weiteren Bericht an Maria Pawlowna, der rund zwei Jahre vor Ausbruch der Märzrevolution auf den 26. Juni 1846 datiert ist, verschärfte Schweitzer sein Urteil über die „verderbliche“ Entwicklung der politischen Lage im

28 Ebd.

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Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach abermals.29 Vor allem die immer größer werdende Anteilnahme breiter Bevölkerungsschichten an politischen Vorgängen beunruhigte ihn zusehends. Schweitzer sah eine sich überall im Land verbreitende „politische Cholera“ und befürchtete revolutionäre Unruhen, wenn die Regierung es unterlassen sollte, umgehend gegen diese „Krankheit“ vorzugehen.30 Indirekt deutete er dabei an, dass die liberale Haltung verschiedener Obrigkeiten erst dazu beigetragen hätte, die politische Situation im Land zu destabilisieren. Etwas vorwurfsvoll begann Schweitzer seinen Bericht: Eine lebhafte Teilnahme an Dingen, welche die Zeit bewegen, darf in Weimar, zunächst in der Stadt Weimar, nicht überraschen, auch in den mittleren Kreisen nicht. Sie ist eine Folge dessen, was man von oben seit langer Zeit gepflegt hat, was forthin gepflegt, gefördert, bemerkbar nach außen gemacht werden soll. Selbst nach gemeinen sprichwörtlichen Reden, in denen großer Teil Wahrheit liegt, stehen Mittel und Zweck, stehen Tatsachen und Folgen aus Tatsachen nicht selten in einem solchen Zusammenhange, daß es Torheit sein würde, das eine zu wollen und das andere nicht zu wollen.31

Eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung neuer liberaler Ideen sowie brisanter tagespolitischer Themen in der Stadt Weimar und deren Umland schrieb Schweitzer – neben der Presse, einigen Geistlichen und diversen obrigkeitlichen Funktionsträgern – dem Theater, der herzoglichen Bibliothek sowie dem Lesemuseum zu. Schon fast entsetzt nahm er 1846 zur Kenntnis, dass die in der Bibliothek sowie Lesemuseum bereitgestellten, zuweilen politisch sehr verfänglichen Schriften auch von „unstudierten Leuten“ rezipiert wurden. Über die aus seiner Sicht zweifelhafte Wirkung der Bibliothek meinte Schweitzer: Wo jährlich 10.000 bis 20.000 Bücher aus- und einlaufen, wo in solcher Weise, vorerst und vornehmlich der nächste Kreis frei gespeist und getränkt wird, seit vielen Jahren gespeist und getränkt worden ist, wo Reisebeschreibungen durch Republiken wie durch Monarchien führend, Geschichtswerke bis zu des gepriesenen Dahlmann32 gepriesenem Gelegenheitswerke (Zweckzurichtungen), alle Jahrhunderte und alle welthistorischen Ereignisse in demselben berührend, Biographien, Monographien, Enzyklopädien, sofern sie nur nicht auf dem index prohibitorum stehen, zu jedermanns Recht aufgestellt sind und nicht nur von sogenannten studierten, sondern auch von sogenannten unstudierten Leuten fleißig benutzt werden – da darf es nicht wundernehmen, wenn sich viele Augen auch dem großen Buche der Gegenwart zuwenden, wenn sich, bezüglich auf dieses, die aus kleineren

29 ThHStAW, HA A XXV (Maria Pawolowna), Briefnachlass, S 218, Exposé des Staatsministers Christian Wilhelm Schweitzer zur politischen Lage im Großherzogtum SachsenWeimar-Eisenach, Weimar, 24. Juni 1846, Bl. 137r-147v. 30 Ebd. 31 Ebd. 32 Gemeint ist Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1860), der 1837 den „Göttinger Sieben“ angehörte und 1848 maßgeblich an der Ausarbeitung der Paulskirchenverfassung beteiligt war.

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Büchern geschöpfte Weisheit, bei der Mehrzahl nach menschlichem Geschick immer noch Afterweisheit, geltend zu machen sucht.33

Ebenso kritisch betrachtete der Weimarer Staatsminister den Einfluss des Lesemuseums auf die Herausbildung einer breiten politischen Öffentlichkeit: Wo, ebenfalls von oben gefördert und unterstützt, eine Anstalt besteht, deren Zweck ist, in dem ganzen Umfange der Literatur, besonders aber der politischen Literatur die jetzt so beliebten Zeitschriften des Inlandes und des Auslandes aufzutischen, wo eine solche Anstalt sogar mit einer, sozusagen, republikanischen Verfassung besteht, unter welcher, was zu lesen, nicht von außen dargeboten, sondern von einem frei gewählten Vorstande, oft nach Wünschen und bald wohl bedachten, bald recht unbedachten Empfehlungen der Gesellschafter in dem eigens angelegten Buche der Wünsche, bestimmt wird – da darf es wieder nicht wunder nehmen, wenn kräftige und geistreiche, wenn selbst hehren und besonderen Zwecken dienende Worte ohne Frage nach Korrektheit, ohne Untersuchung, ob sie mit den Ansichten, den Systemen, den Maßnehmungen der Staatsregierung übereinstimmen oder nicht, […] weiter in Umlauf kommen, [und] endlich Partei machen.34

Nachdem Schweitzer in der Mitte seines Berichtes an Maria Pawlowna appelliert, dem grassierenden Petitionswesen im Fürstentum Einhalt zu gebieten,35 kommt der Weimarer Staatsminister am Ende seiner Ausführungen noch einmal auf das Berufsverhalten der Staatsbeamten zu sprechen, die seiner Einschätzung nach in immer stärkerem Maße Partei für die niederen Stände ergreifen und damit gegen geltendes Recht verstoßen würden. Die Ursache hierfür sah Schweitzer im Beschäftigungsverhältnis vieler Staatsdiener, die im Gegensatz zum 18. Jahrhundert oftmals nicht mehr unmittelbar dem Landesherrn unterstellt waren und damit freiere Handlungsspielräume besaßen: Noch die Richter des achtzehnten Jahrhunderts erkannten im Zweifel bei privatrechtlichen Streitigkeiten (in Zivilprozessen) für den berechtigten Grundherrn gegen den fronpflichtigen oder zinspflichtigen Untersassen, erkannten im Zweifel für den landesherrlichen Fiskus, die Richter des neunzehnten Jahrhunderts erkennen gegen den Grundherrn und gegen den Fiskus. Weder jene Richter, noch diese Richter sind einer absichtlichen Beugung des Rechtes zu zeihen; sie folgten und folgen endlich ihrer Überzeugung. Das eben ist der Einfluß der Zeit, die Stärke der öffentlichen Meinung, der selbst die Gerichtshöfe nicht entgehen können, die in dem weiland römischen Staate, bei der Ausbildung römischen 33 ThHStAW, HA A XXV (Maria Pawolowna), Briefnachlass, S 218. 34 Ebd. 35 Schweitzer verweist dabei auf das herzogliche Dekret vom 4. Januar 1833, welches besagt, „daß nie und nimmermehr irgend jemand, noch eine Anzahl Untertanen ihre Bestrebungen erlangen werden, wenn sie durch Anwendung des Mittels im Lande gesammelter Unterschriften auf den höchsten Willen einzuwirken suchen“. Vgl. hierzu außerdem GOECKEL, FERDINAND VON (Hrsg.): Sammlung Großherzogl.-S.-Weimar-Eisenachischer Gesetze, Verordnungen und Circularbefehle in chronologischer Ordnung, Vierter Theil oder Fünfter Band: Enthaltend die gesetzlichen Verordnungen, welche im Großherzogthum S. Weimar-Eisenach vom Jahre 1832 bis 1834 (ausschl.) erschienen und noch gültig sind, Eisenach 1835.

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VIII. DIE VOLKSAUFKLÄRUNG ALS EIN WEGBEREITER

Privatrechtes, den Prätor zu Vermittelung durch Edikte nötigte. In bezug auf öffentliche Angelegenheiten findet dasselbe statt, wie viele Preß-Prozesse und der Ausgang mancher Untersuchungen in anderen Staaten sattsam beweisen. Wo ein Ministerium nicht den Buchstaben des Gesetzes für sich hat, da kann es bei der Ausführung scheinbar willkürlicher Maßregeln und weiter bei der richterlichen Entscheidung, zu welcher dieselben etwa führen, weder seine untergebene Verwaltungsbehörde, noch der richterlichen Behörde völlig sicher sein. Die Unabsetzbarkeit der Staatsdiener ohne Urteil und Recht ist der Liberalismus der älteren Zeit, welcher bei uns zu dem Liberalismus der neueren Zeit addiert werden muß und das Regiment weit schwieriger macht als z.B. in Frankreich, dessen Minister in den von ihnen Angestellten und von ihnen unbedingt Abhängigen nur dienende Werkzeuge haben.36

Dass einige Geistliche, Lehrer und Staatsbeamte offen mit dem Liberalismus sympathisierten, erachtete Schweitzer 1846 als ausgesprochen gefährlich. Aufgrund ihres Wirkens glaubte der Staatsminister in allen Teilen der Bevölkerung eine hohe „Empfänglichkeit“ für liberale Ideen erkennen zu können. Um dieser Entwicklung effektiv entgegenzuwirken, forderte er 1846 von Maria Pawlowna „ein stürmisches Dareinfahren mit Verboten, Geboten und Polizeistreichen“.37 Die reformpolitischen Konzepte des aufklärerisch-liberal denkenden Bürgertums sollten zurückgedrängt, die politische Öffentlichkeit eingedämmt und das „Volk“ mit repressiven Methoden wieder stärker zur Einhaltung geltender ständischer Gesetze gezwungen werden. Dass eine solch rigorose Unterdrückungspolitik zwei Jahre vor dem Ausbruch der Märzrevolution wahrscheinlich keine große Wirksamkeit mehr entfaltet hätte, scheint Schweitzer in seinen Ausführungen allerdings nicht in Betracht gezogen zu haben. Obwohl der Weimarer Staatsminister seit Ende der 1820er Jahre selbst mehrfach bemerkt hat, dass die geistige Entwicklung in allen Bevölkerungsschichten schon weit vorangeschritten wäre, hegte er Mitte der 1840er Jahre immer noch die Hoffnung, die gesellschaftspolitische Entwicklung im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach mit scharfen Restriktionsmaßnahmen wieder in restaurativere Bahnen lenken zu können. Aufgrund des hohen Politisierungsgrades der Gesellschaft, der auch die unteren Bevölkerungsschichten mit einschloss, musste selbst Schweitzer einräumen, dass die Erfolgsaussichten der von ihm beabsichtigten Restriktionspolitik nur sehr gering waren.38 Bereits während der Unruhen von 1830 hatte sich abgezeichnet, dass im Thüringer Raum nicht nur unter den Gebildeten, sondern auch unter der einfachen Bevölkerung liberale Ideen kursierten. So lässt beispielsweise der Aufstand der Handwerksgesellen des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen am 36 ThHStAW, HA A XXV (Maria Pawolowna), Briefnachlass, S 218. 37 Ebd. 38 Vgl. MÜLLER, GERD: Die thüringischen Landtage in der Revolution von 1848/49, in: Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen, Heft 11: Parlamente und Parlamentarier Thüringens in der Revolution von 1848/49, Weimar 1998, S. 37 f.

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20. September 1830 vermuten, dass zumindest ein paar Gewerbetreibende im unmittelbaren Umfeld von Carl Joseph Meyer eine grobe Vorstellung davon hatten, dass die von den Gebildeten geforderten bürgerlichen Freiheiten die Grundlage einer nicht ständisch strukturierten Gesellschaft bilden sollten.39 Nachdem der Buchbindergeselle Johann Thomas aus Botzen ohne Gerichtsverfahren aus der Stadt Hildburghausen verwiesen wurde, kam es zu einer Solidaritätsbekundung der übrigen Gesellen des Bibliographischen Instituts. Da die Entscheidung des Stadtrates von rund 40 Handwerksgesellen als willkürlich und unrechtmäßig empfunden wurde, versuchten diese, ihrem Protest besonderen Ausdruck zu verleihen. Sie marschierten in die Stadt, riefen nach „teutscher Freiheit“ und pflanzten eine „Freiheitsfahne“.40 Demzufolge müssen die Symbole und Schlagwörter des deutschen Liberalismus schon 1830 zu einigen Bevölkerungsgruppen durchgedrungen sein, die nicht der ursprünglichen Trägerschicht der liberalen Bewegung, dem Besitz- und Bildungsbürgertum, angehörten. Da der Aufruhr der Gesellen sich bis 22 Uhr fortsetzte – zwischenzeitlich wurde auch die „Revolution“ ausgerufen – kam es am nächsten Tag zu einer umfassenden Untersuchung des Vorfalls durch den Hildburghäuser Polizeimagistrat. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass das Verhalten der an dem Aufruhr beteiligten Gesellen nicht als lapidare Gesetzwidrigkeit einzustufen war, weil die Ruhe und Ordnung in der Stadt grob beeinträchtigt wurde. Die verhängte Strafe war dementsprechend hoch. Am Ende der Untersuchung wurden binnen drei Tagen anstatt einer einzigen Person nun 26 Gesellen, die als „Fremde“ am Bibliographischen Institut angestellt waren, des Landes verwiesen.41 Ein Gesuch Carl Joseph Meyers, die Abschiebung nicht zur Ausführung zu bringen, wurde vom Hildburghäuser Polizeimagistrat zurückgewiesen. Selbst der Hinweis von Meyer, dass seinem Unternehmen durch die Ausweisung etlicher seiner Mitarbeiter ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden entstehen würde, vermochte den Polizeimagistrat nicht dazu umzustimmen, die Strafe abzumildern. Auch wenn der Aufruhr für die meisten Beteiligten harte Konsequenzen hatte, ist es dennoch erstaunlich, dass einfache Arbeiter des Bibliographischen Instituts42 unter Verwendung liberaler Parolen und Symbole von der Obrigkeit ein Recht auf die persönliche Freiheit des Individuums einforderten, das ihnen nach 39 Zum Ablauf des von Meyer bezeichneten „kleinen Revolutiönchens“ vgl. SCHRIMPF, DIETER: Joseph Meyer und die „Rebellion“ der Gesellen des Bibliographischen Instituts vom 20. September 1830, in: Kleines Universum. Hildburghäuser Stadtgeschichte, 3 (2003), S. 83– 92. 40 Vgl. ebd., S. 85. 41 Vgl. MAY: Der feurige Geist, S. 51. 42 Laut Polizeibereicht waren am Aufruhr 6 Kupferstecher, 13 Buchbinder, 8 Buchdrucker, 12 Schriftsetzer, 5 Gesellen, 2 Expeditoren und 1 Kupferdrucker beteiligt. Vgl. SCHRIMPF: Joseph Meyer und die „Rebellion“, S. 88 f.

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VIII. DIE VOLKSAUFKLÄRUNG ALS EIN WEGBEREITER

der Verfassung des Herzogtums Sachsen-Meiningens nicht zustand. Das lässt den Schluss zu, dass einige Ideen des Liberalismus zum Teil schon 1830 Eingang in die unteren Bevölkerungsschichten gefunden hatten und der deutsche Liberalismus dort im weitesten Sinne als eine Emanzipationsbewegung verstanden wurde, die darauf abzielte, die individuellen Rechte des Einzelnen gegen staatliche Willkür abzusichern. Der Ruf nach „teutscher Freiheit“ lässt außerdem vermuten,43 dass die Arbeiter des Bibliographischen Instituts angenommen haben, dass die unveräußerlichen Freiheitsrechte des Menschen in einem einheitlichen deutschen Nationalstaat besser gesichert wären als im gegenwärtigen Staatensystem des Deutschen Bundes, wo jedes Fürstentum einen souveränen Einzelstaat mit eigenen Gesetzen bildete. Carl Joseph Meyer hatte der Aufruhr seiner Angestellten jedoch vor Augen geführt, dass es notwendig war, die Ideen des Liberalismus noch viel stärker zu popularisieren. Folgt man den Schlussfolgerungen Dieter Schrimpfs, war dieses Ereignis einer der ausschlaggebenden Punkte, warum Meyer nach 1830 sein Engagement in der politischen Aufklärung des „Volkes“ erheblich intensivierte.44 Da Meyer aus dem Aufruhr vom 20. September 1830 zu erkennen glaubte, dass dem „gemeinen Mann“ im Detail noch nicht bewusst war, wie ein moderner Verfassungs- und Rechtsstaat funktionierte, leistete er fortan eine aus seiner Sicht grundlegende politische Aufklärungsarbeit. Die unteren, vermeintlich ungebildeten Bevölkerungsschichten sollten sich ein politisches Bürgerbewusstsein aneignen, um als freie und gleiche Staatsbürger die politische Entwicklung des Landes mitzubestimmen. Dass Meyers Wirken45 sowie das anderer Personen, die sich in der politischen Volksaufklärung im Thüringer Raum engagierten, in den Folgejahren durchaus von Erfolg geprägt war, zeigen die Aussagen von Jacob zu Zella und Christian Wilhelm von Schweitzer. Die von Volksaufklärern verbreiteten liberalen Ideen fanden im Zeitraum von 1830 bis 1848 immer größeren Anklang im „Volk“. Aufgrund einer intensiven mündlichen Kommunikation innerhalb der Gemeinden, initiiert durch Literatur und Publizistik, durch öffentliche Veranstaltungen 43 Der Ursprung des Begriffes „deutsche Freiheit“ lag im Alten Reich. Der Liberalismus knüpfte an diese historische Tradition an, benutzte den Begriff der „deutschen Freiheit“ nach 1815 aber nicht mehr als Argument zur Aufrechterhaltung alter ständischer, sondern zur Durchsetzung moderner bürgerlicher Rechte. Vgl. HAHN, HANS-WERNER: Die alte Freiheit und der Beginn der Moderne. Überlegungen zur Bedeutung der „deutschen Freiheit“ in den politischen Formierungsprozessen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Schmidt, Georg/Gelderen, Martin van/Snigula, Christopher (Hrsg.): Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa (1400–1850), Frankfurt am Main 2006, S. 515– 535. 44 Vgl. SCHRIMPF: Joseph Meyer und die „Rebellion“, S. 91. 45 Vgl. hierzu Kapitel IV.2.3.3

DIE VOLKSAUFKLÄRUNG ALS EIN WEGBEREITER?

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und Feste, durch Bibliotheken, durch Vereine und Sozietäten sowie durch den unmittelbaren Kontakt des „Volkes“ mit den ortsansässigen aufklärerisch-liberal denkenden Gebildeten, dürfte die Mehrheit der ländlich-kleinstädtischen Bevölkerung Thüringens kurz vor der Revolution von 1848/49 eine genaue Vorstellung davon gehabt haben, wo die Unterschiede zwischen der ständischen und der von den Liberalen geforderten bürgerlichen Gesellschaft lagen.46 Das permanente Propagieren einer bürgerlichen bzw. staatsbürgerlichen Gesellschaft veränderte allmählich das politische Bewusstsein der weniger gebildeten Bevölkerungsschichten. Die Vorstellung von einer Staatsbürgergesellschaft, in der grundsätzlich alle Menschen die gleichen Rechte besitzen sollten und, sofern sie über genug Bildung verfügten, zur politischen Partizipation berechtigt waren, ist nach 1830 nicht mehr nur unter den aufklärerisch denkenden Gebildeten, sondern auch bei den weniger Gebildeten auf eine gewisse Akzeptanz gestoßen. Somit entwickelte sich im Laufe des Vormärz das Konzept der Staatbürgergesellschaft ebenso zum gesellschaftlichen Leitbild der sozial schlechter gestellten Bevölkerungsschichten. Glaubt man den Aussagen Schweitzers, dass einige Geistliche und Beamte, die bekanntlich mit die wichtigsten staatlichen Autoritäten in den Gemeinden bildeten, zudem bewusst die Einhaltung bestimmter altständischer Rechte konterkarierten, dann wird auch der „gemeine Mann“ die Rechtmäßigkeit der alten Ständegesellschaft auf kurz oder lang infrage gestellt haben. Demnach lässt sich also konstatieren, dass die Volksaufklärung die Erosion altständischer Strukturen im Vormärz in erheblichem Maße forciert hat. Wenn kurz vor der Revolution von 1848/49 von den Volksaufklärern des Thüringer Raumes, etwa in der Publizistik oder auf öffentlichen Veranstaltungen, vom „Bürger“ bzw. „Staatsbürger“ oder von der „bürgerlichen Gesellschaft“ gesprochen wurde,47 dann wusste der Großteil der einfachen Bevölkerung recht genau, an welche politisch-rechtlichen Sachverhalte diese Begriffe anknüpften. Wenngleich ebenso davon auszugehen ist, dass nicht alle Personen aus dem „Volk“ die 46 Zur Entstehung und Verbreitung der Idee einer „bürgerlichen Gesellschaft“ im 19. Jahrhundert vgl. grundlegend KOCKA: Das lange 19. Jahrhundert, S. 98–138; LEPSIUS, M. RAINER: Zur Soziologie des Bürgertums und der Bürgerlichkeit, in: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, S. 79–100; KOCKA, JÜRGEN: Bürgertum und bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Europäische Entwicklungen und deutsche Eigenarten, in: Ders. (Hrsg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert, Bd. 1: Deutschland im europäischen Vergleich, München 1988, S. 11–76; NIETHAMMER, LUTZ: Bürgerliche Gesellschaft als Projekt, in: Ders. (Hrsg.): Bürgerliche Gesellschaft in Deutschland, Frankfurt am Main 1990, S. 17–38; RIEDEL, MANFRED: Gesellschaft, bürgerliche, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2: E – G, Stuttgart 1975, S. 771–798. 47 Zur Begriffsgeschichte sowie zur Mehr- und Vieldeutigkeit der Begriffe „Bürger“ und „Bürgerliche Gesellschaft“ im 19. Jahrhundert vgl. grundlegend HALTERN, UTZ: Bürgerliche Gesellschaft. Sozial-theoretische und sozialhistorische Aspekte, Darmstadt 1985.

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VIII. DIE VOLKSAUFKLÄRUNG ALS EIN WEGBEREITER

ganze politische und gesellschaftliche Tragweite dieser Begriffe verstanden haben, hat der Großteil der einfachen Bauern, Handwerker und Fabrikarbeiter mit der Zeit dennoch perzipiert, was die Grundpfeiler der noch zu konstituierenden bürgerlichen Gesellschaft waren. Der „gemeine Mann“ wusste, dass die von den Gebildeten geforderte bürgerliche Gesellschaft im weitesten Sinne die Emanzipation des Einzelnen anstrebte und auf dem Fundament bestimmter Freiheitsrechte – in erster Linie Meinungs- und Pressefreiheit, Rechtsgleichheit, persönliche Freiheit, Religionsfreiheit sowie das Recht auf freie Selbstbestimmung – errichtet werden sollte. Und ebenso wird ihm bald bewusst gewesen sein, dass die von den Gebildeten angestrebte bürgerliche Gesellschaft nur in einem Rechtsstaat realisiert werden konnte, der weitgehend von ständisch-korporativen Zwängen befreit war und auf einer konstitutionellen Verfassung basierte. De facto war damit – kurz vor Ausbruch der Märzrevolution – die Zersetzung und Überwindung der ständischen Gesellschaft in den Köpfen der weniger gebildeten und sozial schlechter gestellten Bevölkerungsschichten des Thüringer Raumes bereits vollzogen. Hier dürfte auch eine der Ursachen liegen, warum die liberalkonstitutionelle Bewegung während der Revolution von 1848/49 in den thüringischen Kleinstaaten zur stärksten politischen Strömung avancierte.48

48 Zu den Ursachen, dem Verlauf, den Akteuren, der Wirkung und den Folgen der Revolution von 1848/49 in Thüringen vgl. HAHN, HANS-WERNER/GREILING, WERNER (Hrsg.): Die Revolution von 1848/49 in Thüringen. Aktionsräume – Handlungsebenen – Wirkungen, Rudolstadt/Jena 1998; Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen, Heft 11: Parlamente und Parlamentarier Thüringens in der Revolution von 1848/49, Weimar 1998; PATZE/SCHLESINGER (Hrsg.): Geschichte Thüringens, Bd. 5, 2. Teilbd., S. 53– 124. Zum Geschehen der revolutionären Vorgänge in der thüringischen „Provinz“ liegt bisher noch kein geschlossenes Bild vor. Es existieren aber schon einige Arbeiten zur Revolution in thüringischen Kleinstädten, die bereits exemplarisch erkennen lassen, welchen Verlauf die Revolution in den ländlich-kleinstädtisch geprägten Gebieten Thüringens eingeschlagen hat. Vgl. GREILING (Hrsg.): Revolte und Revolution; KEHL, ADRIENNE: Pößneck in der Revolution von 1848/49. Für „Einigkeit und Recht und Freiheit“, Jena 2008.

IX. Der Ausklang der Volksaufklärung nach der Revolution von 1848/49

1. Abruptes Ende oder sukzessiver Rückgang? – Die Revolution von 1848/49 als Zäsur für die literarisch-publizistische Volksaufklärung ABRUPTES ENDE ODER SUKZESSIVER RÜCKGANG?

Die Revolution von 1848/49 markiert ohne Zweifel einen entscheidenden Einschnitt in der Entwicklung der literarisch-publizistischen Volksaufklärung in der Mitte des 19. Jahrhunderts. War die Anzahl der volksaufklärerischen Lesestoffe nach dem Ende der Napoleonischen Ära im gesamten deutschen Sprachraum wieder deutlich angestiegen und verzeichnete bis zur Revolution von 1848/49 ein stetiges Wachstum, setzte nach 1850 der Niedergang des volksaufklärerischen Schrifttums ein. Dabei kam die Produktion von volksaufklärerischer Lektüre allerdings nicht schlagartig zum Erliegen, sondern wurde die nächsten zwei Jahrzehnte von einigen Volksaufklärern in einem geringeren und stetig abnehmenden Umfang weitergeführt, bis sie schließlich nach 1870 fast vollständig zum Erliegen kam. Demzufolge muss der Zeitraum von 1850 bis 1870 für die literarisch-publizistische Volksaufklärung als eine Abstiegsphase gewertet werden, in der die Gruppe der volksaufklärerisch engagierten Personen ihre bisherigen Bemühungen, neues Wissen mithilfe unterschiedlicher Lesestoffe zu verbreiten, schrittweise eingestellt bzw. nur noch punktuell zur Ausführung gebracht hat. Im Gegensatz zur Zeitspanne von 1800 bis 1815, wo die literarisch-publizistische Volksaufklärung aufgrund der im Zuge der Napoleonischen Kriege ausgelösten wirtschaftlichen Krise des Buchhandels einen starken Einbruch zu verzeichnen hatte, war dieser Rückgang diesmal nicht ökonomisch bedingt, sondern eine Folge des in den Revolutionsjahren 1848 und 1849 vollzogenen Veränderungsprozesses, der die politischen, gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachhaltig in eine neue Richtung gelenkt hatte.1 1

Zur Frage der Revolution von 1848/49 als Beginn einer neuen Epoche bzw. als Ereignis einer alles umspannenden, tief greifenden Umwälzung vgl. grundlegend BOTZENHART, MANFRED: 1848/49: Europa im Umbruch, Paderborn/München/Wien/Zürich 1998; JANSEN, CHRISTIAN/MERGEL, THOMAS (Hrsg.): Die Revolution von 1848/49. Erfahrung – Verarbeitung – Deutung, Göttingen 1998; LANGEWIESCHE, DIETER: 1848, ein Epochenjahr in der deutschen Geschichte?, in: Geschichte und Gesellschaft, 25 (1999), S. 613–625; HACHTMANN, RÜDIGER: Epochenschwelle zur Moderne. Einführung in die Revolution

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IX. DER AUSKLANG DER VOLKSAUFKLÄRUNG

4500

Anzahl der Schriften pro Jahrzehnt

4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0

1771- 1781- 1791- 1801- 1811- 1821- 1831- 1841- 1851- 1861- 1871- 1881- 18911780 1790 1800 1810 1820 1830 1840 1850 1860 1870 1880 1890 1900

Schriften 1508

3042

4218

2588

1512

1562

2335

3181

1104

505

324

252

266

Grafik 2: Schriften zur Volksaufklärung 1771 bis 1900

Die Volksaufklärung blieb auch nach 1850 eine Bewegung privater Personen. Wie ausgeprägt das Engagement einzelner Volksaufklärer war, die Vermittlung aufklärerischen Wissens weiterhin auf Basis eigens hierfür konzipierter Volkslektüre zu betreiben, hing also von der persönlichen Einstellung der handelnden Personen ab. So sehr die Revolution von 1848/49 neue Prozesse für einen umfassenden Wandel der bestehenden gesellschaftspolitischen und sozioökonomischen Verhältnisse angeschoben hatte, waren die alten Strukturen nach 1850 doch bei Weitem noch nicht gänzlich überwunden. Zudem erwiesen sich die turbulenten Ereignisse aus zwei Revolutionsjahren kaum als geeigneter Katalysator, um den von den Volksaufklärern eingeleiteten Mentalitätswandel des „gemeinen Mannes“ nun im Rekordtempo beschleunigen zu können. Die Mehrzahl der einfachen Bauern und Handwerker hielt während der Revolution weiterhin an ihren alten Lebens- und Arbeitsgepflogenheiten fest. Für die Bekämpfung des im „Volk“ verbreiteten Aberglaubens waren die politischen Umwälzungen der Jahre 1848/49 nahezu irrelevant. Nur die wenigsten Bauern dürften ihre alltäglichen Denk- und Handlungsprozesse stärker an vernunftorientierten Prinzipien ausgerichtet haben, nur weil sich plötzlich die konstitutionellen Verhältnisse im Land von 1848/49, Tübingen 2002; SIEMANN, WOLFRAM: 1848/49 in Deutschland und Europa. Ereignis – Bewältigung – Erinnerung, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, S. 13–22; MÜLLER, FRANK LORENZ: Die Revolution von 1848/49, 3. Aufl. Darmstadt 2009; HAHN/ BERDING: Reformen, Restauration und Revolution, S. 649–655.

ABRUPTES ENDE ODER SUKZESSIVER RÜCKGANG?

487

verändert hatten. Für eine nachhaltige, breitenwirksame Durchsetzung rationaler Denkmuster bedurfte es langfristiger Vermittlungsstrategien.2 Ebenso waren viele Volksaufklärer der Ansicht, dass der Prozess einer weitschichtigen Verbreitung von neuem, vor allem praktisch anwendbarem Wissen mit Ausbruch der Revolution noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden durfte. Obwohl die Revolution zweifelsohne eine Reihe von staatlichen und wirtschaftlichen Modernisierungsprozessen, die in unterschiedlichen Facetten seit Ende der Napoleonischen Ära in allen deutschen Staaten langsam zur Entfaltung kamen, nochmals erheblich beschleunigt hat, war sie doch bei Weitem nicht in der Lage, innerhalb von nur zwei Jahren das „Wissensdefizit“ der unteren Bevölkerungsschichten vollständig zu egalisieren. Damit die einfachen Bauern und Handwerker bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit ihr ganzes Potential ausschöpfen konnten, versorgten viele Volksaufklärer den „gemeinen Mann“ nach 1850 weiterhin mit den neuesten Erkenntnissen aus Landwirtschaft und Gewerbe. Demzufolge brach die Produktion volksaufklärerischer Lesestoffe, die eine Vermittlung von landwirtschaftlich-ökonomischem Fachwissen sowie die sittlichmoralische Erziehung des „gemeinen Mannes“ zum Ziel hatten, nach dem Ende der Revolution nicht abrupt ab. Zumindest im Thüringer Raum empfanden es einige Volksaufklärer nach 1850 weiterhin als ihre Pflicht, die im Vormärz begonnene Aufklärung des „Volkes“ solange fortzusetzen, bis die selbst gesteckten Ziele annähernd als verwirklicht gelten konnten. Ob in einigen Regionen des deutschen Sprachraums jegliches volksaufklärerisches Engagement nach dem Ende der Revolution sofort zum Stillstand gekommen ist, kann natürlich nicht ausgeschlossen werden und bedarf weiterer Untersuchungen. Für die thüringische Kleinstaatenwelt kann jedoch zweifelsfrei konstatiert werden, dass einige Volksaufklärer ihre volksaufklärerischen Bemühungen in den 1850er und 1860er Jahren punktuell fortgeführt haben. Exemplarisch lässt sich diese Entwicklung am Wirken Heinrich Schwerdts während und nach der Revolution anschaulich nachzeichnen. Um die Umsetzung ihrer gesellschaftspolitischen Ziele schneller vorantreiben zu können, suchten mehrere Volksaufklärer in der Umbruchsphase der Revolution das direkte politische Engagement. Zwar gelang es einigen aufklärerischliberal denkenden Bildungsbürgern bereits vor 1848, wie etwa das Beispiel des Meininger Oberkonsistorialrat Karl Ludwig Nonne zeigt, durch ihre Stellung in höheren Verwaltungsämtern oder im Regierungsapparat Einfluss auf die Gestaltung staatlicher und wirtschaftlicher Strukturen auszuüben,3 doch waren im Allgemeinen die politischen Handlungsspielräume des Bildungsbürgertums im 2 3

Vgl. Kapitel VIII. Vgl. BÖDECKER, HANS ERICH: Prozesse und Strukturen politischer Bewußtseinsbildung der deutschen Aufklärung, in: Ders./Herrmann (Hrsg.): Aufklärung als Politisierung, S. 28.

488

IX. DER AUSKLANG DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Vormärz noch sehr begrenzt. Dies sollte sich erst im Zuge der Revolution ändern. Nachdem die Verfassungen der einzelnen thüringischen Staaten den „März-Forderungen“ angepasst wurden,4 hatte jetzt auch das gebildete Bürgertum das uneingeschränkte Recht, sich in die neu konstituierten „Revolutionslandtage“ wählen zu lassen, um dort aktiv an der Gestaltung der künftigen gesellschaftspolitischen und sozioökonomischen Verhältnisse des Landes mitzuwirken. Unter den thüringischen Volksaufklärern sticht dabei wiederum die Gruppe der Landgeistlichen heraus, die nun ihre Chance wahrnahmen, als „politische Pastoren“ in die Parlamente einzuziehen.5 Einer von ihnen war der Oppurger Pfarrer Friedrich Wilhelm Schubert, der in der Tradition seines Vaters Wilhelm Friedrich Schubert stand und sich dafür einsetzte, Bildung und Wohlstand der ländlichkleinstädtischen Bevölkerung des Neustädter Kreises in der Mitte 19. Jahrhunderts zu heben.6 Im Glauben, auf politischem Weg der Verwirklichung dieser Ziele ein Stück näher zu kommen und vor allem das Armutsproblem in den unteren Bevölkerungsschichten besser bekämpfen zu können, ließ sich Schubert zum Abgeordneten des Wahlbezirks Oppurg in den „Revolutionslandtag“ des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach wählen.7 Mit dem Neukirchener Pastor Heinrich Schwerdt verhielt es sich ähnlich. Ebenfalls ein Pfarrer zweiter Generation, zog Schwerdt während der Revolution als Abgeordneter für den Wahlbezirk Nazza/Volkenroda in den Landtag von Sachsen-Gotha ein,8 der erstmals am 3. Oktober 1848 zusammentrat.9 In seiner Funktion als Abgeordneter war Schwerdt stets darauf bedacht, die soziale Lage 4

5

6

7 8

9

Vgl. JONSCHER, REINHARD: Verfassungen, Wahlrechte, Bürgerrechte. Zu einigen Aspekten thüringischer Verfassungsentwicklung während und nach der 1848er Revolution (1848– 1857), in: Hahn/Greiling (Hrsg.): Die Revolution von 1848/49, S. 131–137. Vgl. GREILING: Bürgerlichkeit im ländlichen Milieu, S. 160–163. Zur Gruppe der Pfarrer, die während der Revolution von 1848/49 als Abgeordnete in die thüringischen Einzelstaatenparlamente eingezogen sind vgl. außerdem LENGEMANN, JOCHEN: Thüringer Pfarrer als Abgeordnete in Thüringer Parlamenten, in: Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus, Heft 23: Kirchen und kirchliche Aufgaben in der parlamentarischen Auseinandersetzung in Thüringen von frühen 19. bis ins ausgehende 20. Jahrhundert, Weimar/Jena 2005, S. 325–344. Oppurg gehörte zum Neustädter Kreis, der bis 1815 Bestandteil des Königreichs Sachsen war. Durch die territoriale Neuordnung des Wiener Kongresses gelangte Oppurg in den Besitz von Sachsen-Weimar-Eisenach. Zu den beiden Pastoren Friedrich Wilhelm Schubert und Wilhelm Friedrich Schubert vgl. GREILING: Bürgerlichkeit im ländlichen Milieu; DERS.: Der Neustädter Kreisbote, S. 54 f. Vgl. DERS.: Bürgerlichkeit im ländlichen Milieu, S. 152–157. Vgl. ThStA Gotha, Je 2, Verhandlungen der auf Grund der Wahlordnung vom 28. Juni 1848 gewählten Abgeordneten=Versammlung des Herzogthums Gotha, Nr. 1 vom 3. Oktober 1848, S. 1. Vgl. Regierungs- und Intelligenzblatt für das Herzogthum Gotha, 38. Stück vom 21. September 1848, S. 764.

ABRUPTES ENDE ODER SUKZESSIVER RÜCKGANG?

489

und die Bildung der Unterschichten zu verbessern. Während der Jahre 1848/49 reichte er mehrere Anträge im Landtag ein,10 in denen er konkrete Forderungen stellte, mittels staatlicher Verordnungen die soziale Not im Land zu lindern. Er war der Auffassung, dass „Noth Excesse und Verbrechen erzeuge und es daher Obliegenheit sei, der Noth aus Staatsmitteln zu begegnen“.11 Aus Angst vor einer Radikalisierung der Revolution sprach sich der „politische Pastor“ für schnelle staatliche Interventionen aus. In nahezu jeder Sitzung des Parlaments brachte Schwerdt Vorschläge ein, wie man die sozialen und gesellschaftlichen Probleme in den Griff bekommen könnte. Unter anderem verlangte er die Beseitigung aller noch bestehenden Feudallasten,12 den Verkauf von Staatsgütern,13 die Aufhebung der Salzsteuer, „diese gerade für die ärmere Klasse drückende Last im Volke“,14 oder einen Plan für „treffende Maaßregeln, um die brodlosen Arbeiter während des bevorstehenden Winters zu beschäftigen“.15 Außerdem plädierte er für einheitliche kirchliche Verhältnisse, einer für ganz Thüringen geltenden Synodal- und Presbyterialverfassung.16 Zudem sollten die Schullehrer von „der Besorgung ihrer Küster- und Kirchendienste“ befreit werden.17 Darüber hinaus kritisierte Schwerdt die schulische Situation im Herzogtum Sachsen-Gotha. Besonders die Tatsache, dass manche Volksschullehrer bis zu 200 Kinder auf einmal zu unterrichten hätten, war für ihn untragbar. Im Landtag versuchte er deshalb, die übrigen Deputierten von seinem Grundsatz zu überzeugen: „Zur Hebung der Volksschule sei ein tüchtig durchgebildeter Lehrerstand das erste Erforderniß“.18 Um dieses Ziel zu verwirklichen, warb er für die Durchsetzung einer höheren Lehrerbesoldung und forderte eine Verringerung der Kinderanzahl in den Schulen. Außerdem wollte er die Lehrerausbildung mit „gut eingerichteten“ Lehrerseminaren grundlegend modernisieren.19 Wie es scheint, fand sein Anliegen bei den Delegierten Anklang, denn bereits in der folgenden Landtagssitzung konnte Schwerdt, mit einigen anderen Abgeordneten, die dieselbe Position teilten, erste Erfolge erzielen. Es wurde der Beschluss gefasst, dass die Minimal10 Schwerdts Zeit als Abgeordneter erstreckte sich von Oktober 1848 bis August 1849. 11 ThStA Gotha, Je 2, Verhandlungen der auf Grund der Wahlordnung, Nr. 18 vom 28. Oktober 1848, S. 114. 12 Ebd., Nr. 6 vom 12. Oktober 1848, S. 31. 13 Ebd., Nr. 118 vom 26. März 1849, S. 804. 14 Ebd., Nr. 3 vom 6. Oktober 1848, S. 14. 15 Ebd., Nr. 18 vom 28. Oktober 1848, S. 114. 16 Ebd., Nr. 11 vom 18. Oktober 1848, S. 61; Vgl. hierzu außerdem WEIDNER, FRIEDRICH: Gotha in der Bewegung von 1848. Nebst Rückblicken auf die Zeit von 1815 an, Gotha 1908, S. 145–147. 17 ThStA Gotha, Je 2, Verhandlungen der auf Grund der Wahlordnung, Nr. 71 vom 17. Januar 1849, S. 462. 18 Ebd., S. 460. 19 Ebd., S. 460–496.

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IX. DER AUSKLANG DER VOLKSAUFKLÄRUNG

besoldung der Volksschullehrer im Jahr bei „mindestens 200 Thlr.“ liegen sollte und dass ab sofort „nicht mehr als 100 Kinder gleichzeitig in eine Schule aufzunehmen seien“.20 Neben dem Volksschulwesen konzentrierte sich Schwerdt in seiner Bildungspolitik zusätzlich auf den Ausbau der Fortbildungsanstalten und Volksbibliotheken im Herzogtum Sachsen-Gotha. Seine Erfahrungen, die er im Volksbüchereiwesen seit Gründung der ersten Volksbibliothek in Thüringen gesammelt hatte, reichte er zudem an die Bildungskommissionen anderer deutscher Staaten weiter. So erstellte er in dieser Angelegenheit unter anderem Gutachten für das Königreich Preußen, das Königreich Württemberg und das Großherzogtum SachsenWeimar-Eisenach.21 Demnach gehörte Schwerdt zur Gruppe jener Landtagsabgeordneten, die in der Revolution eine Chance sahen, bereits begonnene Reformprozesse abzuschließen oder bisher nicht für durchsetzbar gehaltene Ideen endlich zu verwirklichen. Schwerdt war demzufolge kein „parlamentarischer Hinterbänkler“, sondern gehörte zu den aktiven Trägern der Revolutionsbewegung im Herzogtum Sachsen-Gotha. Sein Handeln war dabei weitestgehend von den aufklärerischen und liberalen Vorstellungen bestimmt, die er in den Jahren vor der Revolution angenommen hatte. Er befürwortete nicht nur den politischen Systemwechsel im Land, sondern beteiligte sich mit seiner parlamentarischen Arbeit aktiv an der Neugestaltung der Verfassungs- und Rechtsverhältnisse im Herzogtum Sachsen-Gotha. Den Idealen der Aufklärung des ausgehenden 18. Jahrhunderts und den Ideen des gemäßigten Liberalismus des 19. Jahrhunderts anhaftend, war Schwerdt vor allem am Abbau altständischer Vorrechte interessiert, um auf diese Weise die Entfaltung der modernen Bürger- und Zivilgesellschaft zu beschleunigen. Aufgrund seiner regen Teilhabe am parlamentarischen Geschehen im sachsen-gothaischen „Revolutionslandtag“ hatte Schwerdt seine schriftstellerischen Aktivitäten in den Jahren 1848/49 fast komplett eingestellt.22 Nach dem Ende seiner Tätigkeit als Landtagsabgeordneter kehrte Schwerdt in seine Pfarrstelle in Neukirchen zurück. Neben seiner offiziellen Funktion als Gemeindepfarrer und Bibliotheksleiter begann er Mitte der 1850er Jahre wieder damit, sich nebenher als Volksschriftsteller zu betätigen. Unter dem Titel „Beiträge zur Volkswohlfahrt in belehrenden Erzählungen“ verfasste er von 1856 bis 1858 vier Bände, die ganz im Zeichen einer „allumfassenden“ Volksaufklärung standen.23 Die dort behan20 Ebd., Nr. 72 vom 19. Januar 1848, S. 468. 21 Vgl. FELSBERG: Schwerdt, Sp. 1371. 22 Soweit mir bekannt ist, verfasste Schwerdt während der Revolution von 1848/49 nur eine einzige Schrift vgl. SCHWERDT, HEINRICH: Die jetzigen Bauernunruhen oder Luthers Stimme in den Wirren unserer Zeit. Ein Wort der Verständigung und Beruhigung an Alle, die es mit dem Volke gut meinen, insbesondere an den Bauernstand, Grimma 1848. 23 DERS.: Beiträge zur Volkswohlfahrt in belehrenden Erzählungen, Bd. 1: Schöndorf, oder: Wie sich der Landmann das Leben angenehm macht. Eine Erzählung für’s Volk, als Bei-

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delten Themen widmeten sich der landwirtschaftlich-ökonomischen, geographischen, medizinischen und historisch-völkerkundlichen Aufklärung sowie der religiösen und sittlich-moralischen Erziehung des „gemeinen Landmannes“. Die Texte weisen in literarischer Hinsicht die gleiche volkstümlich gehaltene Erzählweise der volksaufklärerischen Lesestoffe aus der Vormärzzeit auf. Sie waren in einem belehrend-unterhaltsamen Ton verfasst und orientierten sich nach wie vor am Vorbild des Becker’schen „Noth= und Hülfsbüchleins“.24 Allerdings markiert der letzte Band der „Beiträge zur Volkswohlfahrt“ eine erste Veränderung im Bereich der von Schwerdt verfassten Volkslesestoffe. Mit Ausnahme der im Jahr 1860 veröffentlichten Schrift „Schatzkästlein für Land- und Hauswirthschaft“ stellte Schwerdt nach 1858 seine Bemühungen ein,25 dem „gemeinen Mann“ auf literarisch-publizistischem Weg die neuesten landwirtschaftlichen Erkenntnisse zu vermitteln. Ebenso verabschiedete er sich um 1860 vom Konzept einer „allumfassenden“ Volksaufklärung. Nach 1860 sollte Schwerdt keine weitere Schrift mehr veröffentlichen, welche durch eine Vermischung vielfältigster Themen das „Volk“ möglichst universell über alle Dinge des Lebens aufzuklären versuchte. Schwerdts Abkehr vom Bestreben, dem „Volk“ ein breitgefächertes aufklärerisches Wissen zu vermitteln, bedeutete aber keineswegs das Ende seiner Tätigkeit als Volksschriftsteller. Seine volksaufklärerischen Lesestoffe beschränkten sich nach 1858 allerdings nur noch auf die sittlich-moralische Erziehung des „gemeinen Mannes“. Neben dem Versuch, mit unterhaltsamen Erzählungen über berühmte oder fiktive Persönlichkeiten oder historische Ereignisse die Denkund Handlungsweise der ländlich-kleinstädtischen Bevölkerung in rationalistische Bahnen zu lenken, dienten diese Schriften weiterhin der Verbreitung bürgerlicher Wert- und Tugendvorstellungen.26 Dabei griff Schwerdt in seinen belehrendtrag zur Landesverschönerung, Gotha 1856; DERS.: Beiträge zur Volkswohlfahrt in belehrenden Erzählungen, Bd. 2: Jakob Biedermann, oder hilf dir selber, so wird Gott dir helfen. Eine Erzählung für’s Volk als Beitrag zur christlichen Armenpflege in Stadt und Dorf, Gotha 1856; DERS.: Beiträge zur Volkswohlfahrt in belehrenden Erzählungen, Bd. 3: Das dritte Gebot, oder: An Gottes Segen ist Alles gelegen. Eine Erzählung für’s Volk, als Beitrag zu einer würdigen Sonn= und Festtagsfeier, Gotha 1857; DERS.: Beiträge zur Volkswohlfahrt in belehrenden Erzählungen, Bd. 4: Die Goldquelle, oder: Der Landwirth auf dem Wege des Fortschritts. Eine Erzählung fürs Volk als Beitrag zur zeitgemäßen Hebung der Landwirthschaft, Gotha 1858. 24 So weist Schwerdt in der Vorrede im ersten Band der „Beiträge zur Volkswohlfahrt“ ausdrücklich darauf hin, dass seine belehrenden Erzählungen als eine Ergänzung zu Heinrich Zschokkes „Goldmacherdorf“ und William Löbes „Musterdörfchen“ zu verstehen sind. Vgl. SCHWERDT: Schöndorf, S. V–VIII. 25 Vgl. DERS..: Schatzkästlein für Land- und Hauswirthschaft, ein Kalender, Darmstadt 1860. 26 Vgl. u.a. DERS.: Aus alter Zeit. Zwei Wartburggeschichten: „Die heilige Elisabeth“ und „Martin Luther“, Leipzig 1858; DERS.: Aus neuer Zeit. Zwei Handwerker-Geschichten: 1. Die Wanderschaft im Morgenland 2. Handwerk hat güldenen Boden, Leipzig 1858;

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unterhaltsamen Volksschriften mitunter auch auf Texte zurück, die er bereits im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ veröffentlicht hatte. Etwa die im Jahr 1860 erschienene Schrift über die Lebensgeschichte des Wunderdoctors Dicel hatte Schwerdt bereits als fortlaufende Erzählung – über 16 Ausgaben hinweg – im ersten Jahrgang des „Allgemeinen Volksblatts der Deutschen“ veröffentlicht.27 Zwar hatte die 15 Jahre später erschienene Einzelschrift über die vorbildhafte „bürgerliche Karriere“ des Johannes Dicel vom einfachen Bauern zum allseits hochgeachteten Arzt einige Ergänzungen gegenüber dem Originaltext erfahren, doch wurde die Grundstruktur des Textes nicht verändert.28 Obwohl Schwerdt um 1860 als Verfasser volksaufklärerischer Schriften immer weniger in Erscheinung getreten ist, läutete dieser Schritt aber keinesfalls das Ende seiner schriftstellerischen Tätigkeit ein.29 Sein literarisch-publizistischer Schaffensdrang hielt bis zu seinem Lebensende unverändert an. Die Zeit von 1858 bis 1880 kann sogar als eine literarische Hochphase von Schwerdt gewertet werden, da er in diesem Zeitraum über 25 Einzelschriften verfasste.30 Sein Hauptaugenmerk richtete Schwerdt nach 1858 verstärkt auf das Verfassen von Reisehandbüchern, die er zum Teil in mehrbändigen Sammelreihen veröffentlichte. So schrieb er nach 1858 acht Bände über „Thüringens Bäder“,31 ein „Album des Thüringer Waldes“32 und zusammen mit dem Geographen Alexander Ziegler

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DERS.: Schiller’s Geburtstag, oder: „Ich habe gelebt und geliebet“. Biographische Erzählung, Leipzig 1859; DERS.: Thüringer Dorfgeschichten, 2. Bde., Leipzig 1859. Vgl. Erzählungen. Der Medicus Johannes Dicel, Begründer des Kirchspiels zu Seebach am Thüringerwalde, in: Allgemeinen Volksblatt der Deutschen, Nr. 1–16, 1844, S. 2–123. Neben sittlich-moralischen Geschichten griff Schwerdt auch auf Texte aus dem „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ zurück, die sich mit sozialen Problemen beschäftigten. Vgl. SCHWERDT: Daheim ist doch daheim. Vgl. DERS.: Der Wunderdoctor Johannes Dicel in Seebach. Ein erbauliches Lebensbild, Leipzig 1860. Die Tatsache, dass Schwerdt nach 1860 vom Verfassen eigenständiger Volksaufklärungsschriften Abstand genommen hat, hinderte ihn dennoch nicht daran, sich weiterhin als Mitarbeiter an anderen volksaufklärerischen Schriften zu betätigen. So hat Schwerdt noch im Jahr 1870 den Abschnitt „Leibenspflege in gesunden und kranken Tagen“ für die späte Volksaufklärungsschrift „Breithaupts Vermächtnis“ verfasst. Vgl. BREITHAUPT, FERDINAND: Breithaupts Vermächtniss. Noth- und Hülfsbuch für den Bürger und Landmann, Theil 3: Für Geist und Herz, Langensalza 1870. Eine ausführliche Auflistung seiner veröffentlichten Werke findet sich in SCHUMANN: Schwerdt, S. 419. Vgl. SCHWERDT, HEINRICH: Thüringens Bäder nach ihrer Lage, ihren Heilkräften, ihren Einrichtungen und ihren Umgebungen. Wegweiser und Gedenkbuch für Einheimische und Fremde, 8 Bde., Gotha 1854–56. Vgl. DERS.: Album des Thüringerwaldes. Zum Geleit und zur Erinnerung, Leipzig 1859.

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ein mit 775 Seiten recht umfangreiches „Reisehandbuch für Thüringen“.33 Interessanterweise waren diese Schriften nicht mehr an ein spezielles Publikum gerichtet. Es erfolgte keine Nennung eines für diese Bücher genau bestimmten Leserkreises. Auf eine exakte Zuordnung des anvisierten Lesepublikums zu einer genau festgelegten sozialen oder beruflichen Bevölkerungsgruppe wurde komplett verzichtet. Ebenso entfiel die sonst in der Volksaufklärung übliche Anrede des Lesers als „gemeiner Mann“, „Landmann“ oder „Bürger und Landmann“. Die Schriften richteten sich grundsätzlich an alle interessierten Leser, ohne dabei näher auf ihre soziale Stellung innerhalb der Gesellschaft einzugehen. Auch findet sich kein Hinweis, dass Schwerdt seine nach 1858 verfassten Reisehandbücher explizit als „Volksbücher“ oder „Volksschriften“ bezeichnete. Außerdem verschwand in diesen Schriften nun das belehrend-unterhaltsame Element. Die literarische Gestaltung der Texte wurde sachlicher und konzentrierte sich vor allem auf die Vermittlung von geographischem und länderkundlichem Fachwissen. In diesem Zusammenhang ist außerdem zu bemerken, dass Schwerdt im März 1861 seine Gemeinde in Neukirchen verließ, um in Gräfentonna eine Stelle als Oberpfarrer wahrzunehmen.34 Das Ende seines Engagements als volksaufklärerischer Publizist fällt demnach genau in den Zeitraum, als er seiner kleinen Dorfgemeinde, in welcher er zuvor 28 Jahre lang seinen Pfarrdienst verrichtete, den Rücken zukehrte. In Gräfentonna verrichtete Schwerdt dann weitere elf Jahre seinen Dienst, bis er schließlich im Jahr 1872 seinen Wohnort nach Waltershausen verlegte, um dort die Stelle des Superintendenten der Ephorie Tenneberg anzutreten. Im Gegensatz zu seiner Amtszeit als Neukirchener Pfarrer, hegte Schwerdt in Gräfentonna und Waltershausen keine Ambitionen zur Gründung neuer, privat organisierter Volksbildungsinstitutionen. Die Errichtung einer Dorfbibliothek nach Neukirchener Vorbild war allerdings auch nicht mehr nötig. Durch eine Initiative mehrerer Abgeordneter im Gothaer Landtag während der Revolution von 1848/49, an der auch Schwerdt maßgeblich mitgewirkt hatte, kam es mit staatlicher Unterstützung bereits 1851 in den Amtsbezirken Tonna und Tenneberg zur Gründung einer Volksbibliothek.35 Im Jahr 1872 übernahm Schwerdt dann schließlich doch noch einmal kurzzeitig die Aufsicht über eine in Gräfentonna gegründete Erziehungsanstalt für junge Mädchen. Dieses Institut ging allerdings nicht aus seiner Initiative hervor, sondern wurde im Interesse

33 Vgl. DERS./ZIEGLER, ALEXANDER: Neuestes Reisehandbuch für Thüringen, Hildburghausen 1864. 34 Vgl. Thüringer Pfarrerbuch, Bd. 1, S. 615. 35 Vgl. ThStA Gotha, Landesregierung Gotha, Loc. 84 Nr. 47: Acta, die Volksbibliotheken im Bezirke des Amtes Tonna betr., 1851; Nr. 49: Acta, die Volksbibliotheken im Bezirke des Amtes Tenneberg betr., 1851.

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seiner beiden Töchter, den Lehrerinnen Laura und Ida Schwerdt, errichtet.36 Das Unterrichtsprogramm dieser Mädchenschule kann zudem nur bedingt als aufklärerisch bezeichnet werden. Im Gegensatz zu den philanthropischen Erziehungsanstalten des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, die sich ausschließlich der Erziehung der männlichen Jugend widmeten, wurde hier auf eine universelle Schulbildung verzichtet. Der Unterricht richtete sich hauptsächlich auf die Fächer Religion und Deutsch und war in erster Linie darauf ausgelegt, die Schülerinnen zur Hausfrau und Mutter zu erziehen.37 Die von Schwerdt praktizierte Mädchenerziehung orientierte sich demnach an dem Weiblichkeitsideal, das seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in weiten Teilen des gebildeten Bürgertums auf relativ große Resonanz stieß und erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als sich die weiblichen Erziehungsmethoden durch das Aufkommen neuer Vorstellungen von der „Bestimmung“ der Frau nachhaltig zu verändern begannen, verdrängt wurde.38 Nimmt man die von Schwerdt nach 1860 veröffentlichten Schriften genauer in den Blick, dann fällt auf, dass sich der einstige Landpfarrer aus Neukirchen auch während seiner Zeit als Oberpfarrer und Superintendent nie ganz von seinem „volksaufklärerischen Erbe“ lösen konnte. Die Mehrzahl seiner Bücher hatte weiterhin eine pädagogische Grundausrichtung, die dem Leser suggerierte, dass sich die neu erworbenen Erkenntnisse nicht nur für die Befriedigung der persönlichen Wissbegierde eigneten, sondern auch im Interesse des Einzelnen und der Gesellschaft eingesetzt werden konnten. Der aufklärerische Nützlichkeitsgedanke, mit Wissen den geistigen Fortschritt und materiellen Wohlstand der Menschen zu verbessern, war in Schwerdts Schriften in abgeschwächter Form weiter präsent. Besonders deutlich wird dies in einer größeren Abhandlung zum Industrie- und Gewerbestandort Thüringen. Dieses Buch, das nach Schwerdts eigener Angabe aus den Studien zu seinen Thüringer Reisehandbüchern hervorgegangen ist39 und diesmal explizit nicht an den „gemeinen Mann“, sondern an

36 Vgl. QUANDT: Kirchenrat, S. 48. 37 Vgl. SCHUMANN: Schwerdt, S. 418. 38 Vgl. ALBISETTI, JAMES C.: Mädchen- und Frauenbildung im 19. Jahrhundert, Bad Heilbrunn 2007, S. 25–44; KLIMEK, BRIGITTE: Mädchenbildung zwischen Traditionsbindung und Reformanspruch, Diss. phil. Bonn 2002, S. 27–32; KRAUL, MARGRET: Weibliche Bildung – männliche Bildung – allgemeine Bildung, in: Neue Sammlung. Vierteljahres-Zeitschrift für Erziehung und Gesellschaft, 35 (1995), 3. Heft, S. 23–45. 39 Vgl. SCHWERDT, HEINRICH: Das industrielle und kommerzielle Thüringen. Das Großherzogthum Weimar, die Herzogthümer Meiningen, Altenburg, Koburg-Gotha, die Fürstenthümer Reuß und Schwarzburg, so wie die preußisch-thüringischen Landestheile, nach ihrer Produktion, Fabrikation und merkantilen Bedeutung mit Angabe der bedeutendsten thüringischen Fabrik- und Handelsfirmen (= Das industrielle Deutschland, Bd. 1), Gera 1867, S. V.

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höher gebildete Personen gerichtet war,40 weist zwei markante Eigenheiten auf, die eindeutig in der Tradition der (Volks-)Aufklärung standen. Zum einen sollten die Leser dieser Schrift die darin enthaltenen Angaben zu industriellen und gewerblichen Begebenheiten des Thüringer Raumes zur praktischen Ausführung bringen, um auf diese Weise die gesamte thüringische Industrie auf ein höheres Niveau zu heben. Zum anderen sollten die zur Anwendung gebrachten Ratschläge dazu beitragen, eine Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Situation in den thüringischen Staaten herbeizuführen, was wiederum eine Steigerung des allgemeinen Wohles zur Folge hätte. Außerdem ist das komplette Werk von einem Optimismus- und Fortschrittsgedanken durchzogen, welcher eindeutig an alte aufklärerische Denkmuster angelehnt ist. Solange sich der Mensch seines Verstandes bediente, so die Grundintention des Bandes, könne die Industrialisierung auch in Gebieten mit denkbar ungünstigen Voraussetzungen realisiert werden. Obwohl Schwerdt durchaus bewusst war, dass im Thüringer Raum keine ausgedehnten Steinkohlegebiete existierten, glaubte er dennoch, dass „die thüringische Industrie ihren Kulminationspunkt noch lange nicht erreicht“ hat.41 Zwar bedauerte er, dass die Steinkohle, die er auch als „schwarzen Diamanten“ oder als das „Salz und Brod der Industrie“ bezeichnete, in „Thüringen leider nicht so reich [vorhanden ist], wie es dem Aufschwung seiner Industrie zu wünschen und zu gönnen wäre“,42 doch war er gleichzeitig voller Überzeugung, dass eine Steigerung der wirtschaftlichen Ertragskraft durch eine „Optimierung“ der vorhandenen Ressourcen kein Problem darstellen sollte. Sein Werk zur thüringischen Industrie war deshalb so konzipiert, dass es vor allem als „nützlicher Ratgeber“ für zukünftige oder bereits etablierte Geschäftsmänner, Kaufleute, Unternehmer, Händler, Fabrikanten und Ökonomen fungieren konnte. Ein weiterer Punkt, der sich am Ende der 1850er Jahre bei Schwerdt herauskristallisierte, war eine immer stärker werdende Konzentration auf eine „ordentliche“ Kinder- und Jugenderziehung. Davon überzeugt, dass mit der Erziehung und Bildung der unteren Bevölkerungsschichten schon im Kindesalter begonnen werden sollte, waren seine Schriften nach der Revolution von 1848/49 an das „Volk“ und die Jugend gerichtet. Besonders deutlich trat dieser Gedanke erstmals im Jahr 1857 im „Centralblatt für deutsche Volks- und Jugendliteratur“ hervor. Mit dieser Zeitschrift beabsichtigte Schwerdt, „dem Volk und vorzugsweise den Eltern und Lehrern“ eine kritische Übersicht der bestehenden Volks- und Jugendliteratur zu geben, um „den hehren Tempel der Volks= und Jugendbildung von Wucherern,

40 Vgl. ebd., S. V–VIII. 41 Ebd., S. 11. 42 Ebd., S. 90 f.

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Spekulanten und Pfuschern zu säubern“.43 Das „Centralblatt“ war demnach ein Rezensionsorgan für Volksliteratur, das keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse vermitteln wollte, sondern vielmehr die aktuell auf dem Buchmarkt erscheinenden Volks- und Jugendschriften auf ihren Nutzen bezüglich der Volksbildung untersuchte. Dabei legte Schwerdt großen Wert darauf, dass die „Volks= und Jugendschriften möglichst streng aus einander gehalten werden“.44 Welche Bedingungen und Anforderungen eine „nützliche“ Volks- oder Jugendschrift zu erfüllen hatte, damit diese als eine solche dem Leser auch bedenkenlos empfohlen werden konnte, wurde in mehreren theoretischen Abhandlungen festgelegt.45 Genügten die Jugendschriften den Ansprüchen der Rezensenten, wurde dies für alle Lehrer und Eltern mit einer entsprechenden Bemerkung gekennzeichnet.46 Von solchen Kennzeichnungen erhoffte sich Schwerdt „das moderne Wischiwaschi der vornehmen Jugendliteratur“ aus der Kindererziehung verbannen zu können.47 Nachdem allerdings das Blatt aufgrund des wirtschaftlichen Bankrotts des Verlages von Hugo Scheube im Jahr 1858 eingestellt werden musste und Schwerdt nicht mehr willens war, einen weiteren Versuch zur Herausgabe einer periodischen Schrift zu wagen, wurde der Plan eines umfassenden Rezensionsorgans für alle erscheinenden Volks- und Jugendschriften wieder aufgegeben. Ungeachtet dieses Rückschlages hielt Schwerdt nach 1860 weiterhin an der Vorstellung fest, dass es für eine „ordentliche“ Erziehung der Jugend eigens konzipierter Schriften bedurfte. Nachdem er einen Teil seiner Reisehandbücher veröffentlicht hatte, passte er diese den speziellen Lesebedürfnissen von Kindern an und gab sie unter dem Titelzusatz „für die Jugend bearbeitet“ heraus.48 In diesen Jugendreisebüchern wird deutlich, dass Schwerdt nun bestrebt war, die Jugend der einfachen Bevölkerung über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse aufzuklären, wobei er auf dieselbe einfach strukturierte, volkstümliche Sprache zurück43 Einleitung, in: Centralblatt für deutsche Volks- und Jugendliteratur. Ein kritisches Organ für alle Förderer und Freunde der Volks= und Jugendbildung, besonders für Lesevereine, Volks- und Jugendbibliotheken, Nr. 1, 1857, S. 7. 44 Ebd. 45 Vgl. u.a. GLAUBRECHT, O.: Die Volkschrift und die Volksschriftsteller, in: Centralblatt für deutsche Volks- und Jugendliteratur, Nr. 2, 1857, S. 113–125; SOMMERLAD, F. W.: Die Jugendschrift- und Jugendschriftsteller, in: Centralblatt für deutsche Volks- und Jugendliteratur, Nr. 4, 1857, S. 289–300. 46 Meist findet sich bei jeder Rezension mit kurzen, prägnanten Sätzen ein abschließendes Urteil. Zum Beispiel: „So kann das Buch Eltern und Lehrern für die Jugend angelegentlichst empfohlen werden“. Vgl. Recensionen. Collectiv=Recensionen, in: Centralblatt für deutsche Volksund Jugendliteratur, Nr. 2, 1857, S. 126. 47 Centralblatt für deutsche Volks- und Jugendliteratur, Nr. 1, 1857, S. 7. 48 Vgl. SCHWERDT, HEINRICH: Eine Ferienreise im Thüringerwalde. Für die Jugend bearbeitet, Langensalza 1868; DERS.: Jahrbuch der neuesten und interessantesten Reisen. Für die Jugend bearbeitet, 4 Bde., Langensalza 1868–70.

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griff, die er einst in seinen volksaufklärerischen Schriften verwendet hatte. Er selbst empfand seinen Schreibstil als eine „lebendige Darstellung“ der neuesten geographischen Forschungsergebnisse, die seiner Meinung nach den Leser viel mehr reizten und fesselten als die nüchtern formulierten Sachbücher, die im Lehrbetrieb der Schulen und Universitäten zum Einsatz kamen: So bieten wir keine eigentlichen Lehrbücher, wenn auch das belehrende Element nicht […] in den Hintergrund gedrängt werden soll, sondern populär= wissenschaftliche Unterhaltungsschriften aus dem Kreise der Länder= und Völkerkunde, deren lebendige Darstellung den Leser reizt und fesselt.49

Schwerdt schätzte zwar die Fortschritte, die „die geographische Wissenschaft in neuer und neuester Zeit gemacht hat“, doch bemängelte er im gleichen Zug die unbefriedigende Wissensvermittlung dieser Forschungsergebnisse gegenüber den weniger gebildeten Bevölkerungsschichten. Er war der Meinung, dass die wissenschaftlichen Sachbücher „eine Bildung voraussetzen, die nur in den seltenen Fällen der Jugend und den Mittelklassen des Volkes eigen ist“.50 Für Schwerdt waren die populären Reisehandbücher ein geeignetes Mittel, allen Menschen schwer verständliches Wissen zugänglich zu machen, damit sich dieses in der Allgemeinbildung der breiten Volksmassen festsetzen konnte: Darum hat man schon längst die verschiedensten Reisewerke durch populäre Bearbeitung auch diesen Klassen zugänglich gemacht, indem man sie in eine Form kleidete, welche dem Verständnis und dem Bedürfnis der Jugend und des Volkes passend schien. Und diese Popularisirung der Wissenschaften […] ist ein Triumph unserer Zeit, wodurch das gediegene Gold gelehrter Forschungen und mühseliger Entdeckungen in die gangbare Scheidemünze allgemeiner Bildung ausprägt und umgesetzt wird.51

In der „Ferienreise im Thüringerwalde“, die hier exemplarisch herangezogen werden soll, erzählte Schwerdt der Jugend in einer belehrend-unterhaltsamen Geschichte, ganz nach altem volksaufklärerischem Muster, die Erlebnisse der beiden Brüder Franz und Robert auf ihrer Reise durch den Thüringer Wald. Dabei machte er die Leser nicht nur mit den geographischen Begebenheiten ihres Heimatlandes vertraut, sondern setzte diese immer in den Kontext verwandter Sachgebiete. So folgt etwa auf die Beschreibung der Eisenacher Landschaft die Geschichte der Wartburg, von ihrer Errichtung im Mittelalter bis zum 800-jährigen Gründungsjubiläum im Sommer 1867.52 Ebenso werden kleine historische Anekdoten erzählt, die im direkten Kontext bestimmter Natur- oder Baudenkmäler stehen. So wird etwa nicht nur erwähnt, dass bei Steinbach ein Lutherdenkmal steht, sondern dass in der Nähe dieses Ortes der Reformator Martin Luther auf Befehl 49 50 51 52

DERS.: Eine Ferienreise im Thüringerwalde, S. VII. Ebd., S. V. Ebd. Vgl. ebd., S. 22–24.

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Friedrich des Weisen gefangen genommen und auf die Wartburg gebracht wurde.53 Natürlich verfolgten diese historisch-biographischen Erzählungen ebenfalls ein bestimmtes Ziel. Sie dienten in erster Linie der Vorbildfunktion und der Identifikation.54 Männer wie Martin Luther oder Friedrich der Weise bzw. die Reformationsgeschichte sollten dem „Volk“ bürgerliche Werte, Patriotismus und Frömmigkeit vermitteln sowie das regionale und nationale Bewusstsein schärfen.55 Die Geschichte wurde dabei oftmals verklärt dargestellt und im Sinne des Verfassers instrumentalisiert. Der Bauernkrieg von 1524/25 sollte beispielsweise als Mahnung vor gewaltsamen revolutionären Umtrieben dienen, während die Freiheitskriege gegen Napoleon zur Glorifizierung der nationalen Vergangenheit herangezogen wurden. Zwischen der Aufzählung und Abhandlung der geographischen und historischen Fachthemen finden sich zuweilen auch einige Passagen, in denen Schwerdt, ebenfalls in alter volksaufklärerischer Intention, die Jugend in sittlichmoralischer Hinsicht zu erziehen suchte. Als zum Beispiel die beiden Brüder einen Freund während einer Wanderung im Wald verloren, setzten sie ihre Suche trotz Anbruch der Dunkelheit und schlechten Witterungsbedingungen, mit der Gefahr, sich selbst im Wald zu verlieren und eine schwere Erkältung davonzutragen, solange unermüdlich fort, bis es ihnen endlich gelang, den verschollenen Gefährten wieder zu finden.56 Durch die „Vermischung“ unterschiedlicher Themen, die sich kontinuierlich durch das komplette Buch erstrecken, war es Schwerdt möglich, den jugendlichen Leser ein recht umfangreiches Wissen aus mehreren Sachgebieten zu vermitteln. Er selbst betrachtete die „Ferienreise im Thüringerwalde“ als „einen Beitrag zur Länder= und Völkerkunde“, in der alle „Eigenheiten“ dieser Region zur Sprache kommen sollten.57 Es ist daher wenig verwunderlich, dass – wenn auch in geringem Maße – industrielle, völkerkundliche, politische, kulturelle, religiöse oder sittlich-moralische Aspekte den Einzug in dieses Buch gefunden haben, die in verminderter Form dem alten Konzept der von ihm im Vormärz praktizierten „allumfassenden“ volksaufklärerischen Wissensvermittlung gleichkamen. Somit lässt sich festhalten, dass sich Schwerdt nach 1860 in seinen Schriften meist auf ein Schwerpunktthema konzentrierte, aber, wie am Beispiel der Reisehandbücher gut nachvollziehbar ist, auch andere Inhalte in seine Ausführungen mit einbezog. Der Gedanke einer universellen Aufklärung des Lesepublikums trat bei Schwerdt in abgeschwächter Form auch noch nach 1860 vereinzelt zum Vorschein. Weder die Revolution von 1848/49 noch das Jahr 1860 kann demzufolge 53 54 55 56 57

Vgl. ebd., S. 72–74. Vgl. MÜLLER-SALGET: Erzählungen für das Volk, S. 200 f. Vgl. KRÜNES: Luther als Vorkämpfer. Vgl. SCHWERDT: Eine Ferienreise im Thüringerwalde, S. 113 f. Ebd., S. VI.

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als absolute Zäsur hinsichtlich der volksaufklärerischen Ambitionen Schwerdts gewertet werden. Vielmehr muss der gesamte Zeitraum von 1850 bis 1860 als eine allmählich fortschreitende „Umbruchsphase“ in Schwerdts literarisch-publizistischem Wirken verstanden werden. Eine völlige Neuausrichtung seiner schriftstellerischen und pädagogischen Ziele fand nicht statt, jedoch eine Verlagerung der inhaltlichen Schwerpunktsetzung, die nun, auf Kosten der Volks- bzw. Erwachsenenbildung, verstärkt in den Bereich der Kinder- und Jugendbildung fiel. Dass sich der nach der Revolution von 1848/49 eingeschlagene Lebensweg des Volksaufklärers Heinrich Schwerdt allerdings nicht pauschal auf andere Volksaufklärer übertragen lässt, wird insbesondere an Schwerdts ehemaligem Weggefährten Carl von Pfaffenrath mehr als deutlich. Im Gegensatz zu Schwerdt, der seine schriftstellerischen Aktivitäten nach der Revolution wieder aufnahm und seine Karriere als protestantischer Geistlicher im Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha unbeirrt fortsetzte, verlief das restliche Leben von Pfaffenrath eher unscheinbar. Bereits nach dem Ende des „Allgemeinen Volksblattes der Deutschen“ sind von Pfaffenrath keine Versuche mehr unternommen wurden, noch einmal publizistisch tätig zu werden.58 Bis zu seinem Tod sollte der Saalfelder Kammerherr weder als Herausgeber eines weiteren Periodikums noch als Verfasser einer eigenständigen volksaufklärerischen Schrift in Erscheinung treten. Ebenso ist nichts darüber bekannt, dass er nach 1846 als auswärtiger Mitarbeiter noch einmal an einem anderen volksaufklärerischen Periodikum mitgewirkte. Was der Grund dieser plötzlichen Zurückhaltung war, muss leider spekulativ bleiben. Möglicherweise hat es ihn bestürzt, dass die Revolution nicht zu den von ihm gewünschten Ergebnissen geführt hat. Vielleicht war er auch darüber entsetzt, dass es überhaupt zum Ausbruch der Revolution gekommen war. Immerhin hatte er stets vor den möglichen negativen Folgen einer gewaltsam herbeigeführten Revolution gewarnt. Als im Sommer 1849 das nach seiner Ansicht wichtigste Reformprojekt seit dem Ende der Napoleonischen Ära, die Gründung eines freiheitlich-konstitutionellen Nationalstaates, gescheitert war, wirkte sich dies möglicherweise auch negativ auf seine Bereitschaft aus, sich nach dem Ende der Revolution weiterhin in der Volksaufklärung zu engagieren. Vielleicht fehlte es 58 Dieses Phänomen trat in der Volksaufklärung bereits am Ende des 18. Jahrhunderts auf. Nach dem Ausbruch der Französischen Revolution und ihren Auswirkungen auf die politischen, gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Deutschland stellten einige Volksaufklärer ihre Laufbahn als Schriftsteller ein. Bekanntes Beispiel aus dem Thüringer Raum ist der Dorfpfarrer Johann Adam Christian Thon, der von 1786 bis 1788 „Das räsonnirende Dorfkonvent“ herausgegeben hatte, aber nach 1790, zwei Jahrzehnte vor seinem Tod, seine literarisch-publizistische Tätigkeit ohne Angabe von Gründen komplett niederlegte. Vgl. BÖNING: „Volkszeitungen“ – „Das räsonnirende Dorfkonvent“, S. 373 f.

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Pfaffenrath an Kraft und Entschlossenheit, nach 1850 wieder da anzuknüpfen, wo er mit dem „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ kurz vor Ausbruch der Revolution aufgehört hatte. Womöglich bewertete Pfaffenrath die Folgen der Revolution am Ende sogar weniger negativ als angenommen. Es ist ebenso denkbar, dass er trotz der fehlgeschlagenen Nationalstaatsgründung die von der Revolution herbeigeführten sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen als einen erheblichen Fortschritt gegenüber der Situation vor 1848 wahrgenommen hat. Wenn sich seiner Ansicht nach die rechtliche und ökonomische Lage der unteren Bevölkerungsschichten im Zuge der Revolution spürbar verbessert hatte, dann war auch eine Fortsetzung des volksaufklärerischen Engagements nicht mehr dringend notwendig. Abgesehen von einer positiven oder negativen Bewertung der Revolutionsereignisse, könnten schlussendlich auch rein profane, persönliche Umstände zum Erliegen von Pfaffenraths volksaufklärerischem Tatendrang geführt haben. So darf nicht vergessen werden, dass Pfaffenrath rund 20 Jahre älter war als Schwerdt.59 Altersbedingt wollte er womöglich nach 1850 sein Leben etwas ruhiger gestalten. Da er außerdem mit schweren gesundheitlichen Problemen kämpfte, wäre ein solcher Schritt nicht ganz von der Hand zu weisen. Hinzu kam, dass der Saalfelder Kammerherr seit 1848 in finanziellen Schwierigkeiten steckte.60 So war er seither nicht mehr in der Lage, die jährliche Pacht von 42 Gulden seines am 13. Mai 1833 vom Saalfelder Magistrat erworbenen Gutes an die Stadt zu entrichten.61 Wenig später legte Pfaffenrath seine Ämter nieder und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Verarmt und vom Nervenfieber zerrüttet, starb er am 21. Oktober 1853.62 59 Während Schwerdt zur Zeit der Revolution erst 38 Jahre alt war, hatte Pfaffenrath bereits ein Alter von 56 Jahren erreicht. 60 Nach Valentin Hopf geriet Pfaffenrath aufgrund eines kostspieligen Erbschaftsprozess und hohen Steuernachzahlungen im Jahr 1848 in eine finanzielle Schieflage. Vgl. HOPF, VALENTIN: Geschichte der Friedenshöhe in Saalfeld, Saalfeld 1916, S. 16. 61 Das Gut befand sich auf der Saalfelder „Friedenshöhe“, am östlichen Hang des Pöllnitzplateaus. Es handelte sich bei dem Stück Land um einen ehemaligen Steinbruch, den der Saalfelder Kammerherr auf eigene Kosten in einen öffentlich zugänglichen, englischen Landschaftsgarten umgestaltete. Das Pachtverhältnis wurde 1848 einseitig vom Magistrat beendet. Pfaffenrath erhob Einspruch, mit dem Verweis, er hätte der Stadt 15 Jahre lang fristgerecht die Pacht bezahlt und zum Wohle der Stadt außerdem 400 weitere Gulden in die Umgestaltung des Grundstückes investiert. Trotz seiner jahrelangen Bemühungen, das Gemeinwohl der Stadt zu heben, verlor Pfaffenrath den Prozess. Das Grundstück ging 1851 wieder in den vollständigen Besitz der Stadt Saalfeld über. Außerdem wurde er auf 49 Gulden und 36 Kronen rückständiges Pachtgeld verklagt. Vgl. ebd., S. 11–18. Vgl. außerdem SCHÜNER, GUSTAV-ADOLF: Die Idee des Freiherr von Pfaffenrath. Die Friedenshöhe, in: Die neuen Saalfische, 31 (1995), S. 121 f. 62 Vgl. TASZUS: Carl v. Pfaffenrath – Freiherr, Volksfreund und Patriot, S. 163.

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Die unterschiedlichen Lebenswege von Heinrich Schwerdt und Carl von Pfaffenrath machen also deutlich, dass sich für die Volksaufklärungsbewegung im Thüringer Raum nach 1850 kein einheitliches Bild zeichnen lässt. Inwieweit sich die „gesitteten Stände“ nach der Revolution von 1848/49 dazu bereit erklärten, ihr volksaufklärerisches Programm aus dem Vormärz weiter zu verfolgen, hing dabei vor allem von der persönlichen Haltung des Einzelnen ab. Unabhängig davon, welchen Weg jeder einzelne Volksaufklärer nach der Revolution einschlug, ging im Thüringer Raum die Volksaufklärung, als eine breite Bewegung des gebildeten Bürgertums, nach 1850 allmählich und unwiederbringlich ihrem Ende entgegen. Aufgrund des Fehlens von schlüssigen, monokausalen Erklärungen ist die Ursache für diese Entwicklung nur schwer zu erfassen. Die Gründe lagen vor allem in den vielfältigen Veränderungen im staatlichen Bildungswesen sowie dem sich nach 1850 überall im Deutschen Bund nochmals beschleunigten gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Strukturwandel. Um genaue Aussagen diesbezüglich treffen zu können, bedarf es eingehender Studien, die sich explizit mit dieser Frage auseinandersetzen. Meines Erachtens lassen sich aber schon jetzt drei wesentliche Faktoren ausmachen, die zum Ende der Volksaufklärung maßgeblich beigetragen haben: 1. Der Ausbau des Elementarschulwesens im Zeitraum von 1800 bis 1870.63 Die Mehrzahl der Volksaufklärer zielte stets auf eine Verbesserung der Elementarbildung des „Volkes“. Der „gemeine Mann“ sollte nicht nur Lesen und Schreiben können, sondern auch ein profundes Allgemeinwissen besitzen. Wenngleich die Volksaufklärer nicht wirklich beabsichtigten, den Wissensstand der einfachen Bauern und Handwerker auf das Niveau der Gebildeten zu heben, sollten sie dennoch über möglichst viele geistes- und naturwissenschaftliche Grundkenntnisse verfügen. Das aufklärerisch denkende Bürgertum erkannte bereits an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, dass sich dieses Konzept einer ganzheitlichen Elementarbildung in der Praxis auch über die Institution Schule leicht realisieren ließ. Einzelne thüringische Volksaufklärer, wie etwa Ludwig Nonne im Herzogtum Sachsen-Meiningen,64 versuchten deshalb während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, das niedere Schulwesen gemäß ihrer aufklärerischen 63 Vgl. hierzu grundlegend JEISMANN, KARL-ERNST/LUNDGREEN, PETER (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. III: 1800–1870. Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des Deutschen Reiches, München 1987. Hier vor allem den Beitrag von FRIEDRICH, GERD: Das niedere Schulwesen, S. 123–152. Vgl. außerdem KRAUS, HANS-CHRISTOF: Kultur, Bildung und Wissenschaft im 19. Jahrhundert, München 2008, S. 45–50; HERRMANN, ULRICH (Hrsg.): Schule und Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Sozialgeschichte der Schule im Übergang zur Industriegesellschaft, Weinheim/Basel 1977; SPANGER, EDUARD: Zur Geschichte der deutschen Volksschule, Heidelberg 1949; HEPPE, HEINRICH: Geschichte des deutschen Volksschulwesens, 5 Bde., Gotha 1858–1860. 64 Vgl. Kapitel IV.2.

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Bildungsvorstellungen zu reformieren.65 Man versuchte, die Volksschule zu einem Ort eines elementaren, fächerübergreifenden Kenntniserwerbs und einer allseitigen Charakterbildung umzuformen.66 Der Schüler sollte auf seine spätere Lebens- und Berufswelt vorbereitet und gleichsam in die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse eingeführt werden.67 Ebenso bestand der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Volksschulen in der Vermittlung bestimmter „Grundeinsichten“. Dazu gehörte neben der Erziehung zur Annahme der moralischen und religiösen Grundsätze des gebildeten Bürgertums vor allem die Erziehung der Schüler zu einer rationalen Lebensplanung und Lebensgestaltung. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden schrittweise neue Lehrinhalte in den Religionsunterricht integriert oder gleich neue Unterrichtfächer eingerichtet. Auf diese Weise erlernten die Schüler nicht nur die praktischen Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben, Rechnen, Zeichnen, Turnen und Singen, sondern erhielten ebenfalls elementare Kenntnisse in den Bereichen Religion, Geographie, Geschichte und Naturkunde. Im Zuge dessen wurde außerdem die Ausbildung der Volksschullehrer reformiert. Diese erfolgte ab sofort in reorganisierten Lehrerseminaren, wo die angehenden Volksschullehrer planmäßig an die neuen Unterrichtsformen und Lehrmethoden herangeführt wurden. Diese Veränderungen in der Lehrerausbildung hatten zur Folge, dass sich die Qualität des Volksschulunterrichts etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in allen deutschen Staaten erheblich verbesserte.68 Die Leitung, Gestaltung und Kontrolle über das niedere Schulwesen übten im Vormärz vielerorts Staat und Kirche gemeinsam aus. Während die staatlichen Schulaufsichtsbehörden vor allem die Einhaltung der Schulpflicht kontrollierten, wurden Lehrinhalte in den einzelnen Volksschulen im Vormärz noch weitestgehend von ortsansässigen kirchlichen Amtsträgern bestimmt. Im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Elementarschulwesen in den einzelnen Ländern des Deutschen Bundes aber immer stärker unter die alleinige Kontrolle des Staates gestellt.69 In den thüringischen Staaten wurde diese Entwicklung, wie das Beispiel Ludwig Nonnes zeigt, durch das Wirken einiger kirchlicher Autori65 Wie Ludwig Nonne orientierte sich die Mehrzahl der thüringischen Schulreformer dabei an der Bildungsidee des Spätaufklärers Johann Heinrich Pestalozzi, dem wohl einflussreichsten Pädagogen in Deutschland während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Vgl. KRAUS: Kultur, Bildung und Wissenschaft, S. 55; HEPPE: Geschichte des deutschen Volksschulwesens, Bd. 5, S. 32. 66 Vgl. FRIEDRICH: Das niedere Schulwesen, S. 123–125. 67 Vgl. LUNDGREEN, PETER: Die Eingliederung der Unterschichten in die bürgerliche Gesellschaft durch das Bildungswesen im 19. Jahrhundert, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, 3 (1978), S. 87–107. 68 Vgl. FRIEDRICH: Das niedere Schulwesen, S. 141. 69 Vgl. ERLINGHAUSEN, KARL: Die Säkularisierung der deutschen Schule, Hannover 1972, S. 37–57.

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täten nochmals forciert. Bald setzte die staatliche Bürokratie nicht mehr nur die allgemeine Schulpflicht durch, sondern regelte auch die Lehrerausbildung, bestimmte die Lehrinhalte, baute Schulen, beteiligte sich an der Finanzierung von Lehr- und Lernmitteln und reglementierte die Lehrerbesoldung. Dadurch ging die komplette Schulträgerschaft von allen privaten oder kirchlich geführten Elementarschulen sukzessive auf den Staat über. Dass dieser Prozess 1848 in den thüringischen Kleinstaaten noch nicht vollständig abgeschlossen war,70 zeigen beispielsweise die vorhin erwähnten Parlamentsanträge Heinrich Schwerdts zur Reform des niederen Schulwesens im Herzogtum Sachsen-Gotha. Auch hier sprach sich ein aufklärerisch denkender Geistlicher für eine stärkere staatliche Regulierung und Finanzierung des niederen Schulwesens aus, um auf diese Weise die Bildung und Erziehung des „Volkes“ bereits im Kindesalter in die „richtigen“ Bahnen zu lenken. Möglicherweise spielte auch hier die Erfahrung der Volksaufklärer, dass der „gemeine Mann“ im Erwachsenenalter mitunter kein Interesse zeigte, sich aufklärerisches Wissen anzueignen, eine nicht unerhebliche Rolle. Die Vermittlung aufklärerischer Inhalte über den staatlich überwachten Weg der Volksschule mag in den Augen einiger Volksaufklärer eine gute Alternative gegenüber der langwierigen und oftmals von Rückschlägen gekennzeichneten Aufklärung des „erwachsenen Volkes“ gewesen sein. Das größte Problem bei der Durchsetzung eines an den Idealen der Aufklärung ausgerichteten, staatlich überwachten Elementarschulwesens waren allerdings die konservativen Kräfte innerhalb des staatlichen Regierungs- und Bürokratieapparates. Grundsätzlich waren auch die konservativen Kräfte daran interessiert, das Elementarschulwesen zu reformieren. Jedoch sollte aus ihrer Sicht die Volksschule in erster Linie dazu beitragen, die weniger gebildeten Bevölkerungsschichten zu obrigkeitstreuen Untertanen zu erziehen. Aufklärerische Inhalte, die womöglich eine emanzipatorische Wirkung entfalten und die bestehenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse unterminieren könnten, wurden abgelehnt. Bereits im Vormärz führten diese unterschiedlichen Haltungen in den einzelnen deutschen Staaten immer wieder zu Konflikten zwischen den progressiven und regressiven Entscheidungsträgern in der Volksschulpolitik.71 Während der Revolution von 1848/49 versuchte dann das aufklärerisch und liberal denkende Bürgertum, sein volksschulpolitisches Reformprogramm über die Landesparlamente gegenüber den konservativen Kräften durchzusetzen. Nachdem jedoch die liberale Bewegung mit der Realisierung ihrer Kernziele im Sommer 1849 70 Zur Entwicklung des Elementarschulwesen in den ernestinischen Staaten vom Anfang des 17. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts vgl. HEPPE: Geschichte des deutschen Volksschulwesens, Bd. 2, S. 207–352 u. Bd. 5, S. 1–64. 71 Vgl. NIPPERDEY, THOMAS: Volksschule und Revolution im Vormärz, in: Herrmann (Hrsg.): Schule und Gesellschaft, S. 111–136.

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gescheitert war, schienen die reaktionären und konservativen Kräfte zunächst auch im Elementarschulwesen endgültig die Oberhand gegenüber den Liberalen behaupten zu können. Wie sich allerdings bald zeigen sollte, konnten einige aufklärerische Reformansätze auch nach 1849 nicht mehr aus dem Volksschulwesen verdrängt werden.72 Nach dem Erstarken des politischen Liberalismus im Jahr 1858 führten nahezu alle deutschen Staaten wieder politische Stoffe in die Lehrpläne ihrer Volksschulen ein.73 Wie Hans-Christof Kraus jüngst betonte, führten selbst die in mehreren deutschen Staaten verabschiedeten und auf den ersten Blick sehr konservativ anmutenden Volksschulkonzepte auf behutsame Weise die aufklärerischen und liberalen Bildungsideen der Vormärzzeit fort.74 Somit konnten auch diejenigen Volksaufklärer, die im Vormärz und während der Revolution eine Verankerung aufklärerischer Inhalte und Prinzipien im öffentlichen Schulsektor anstrebten, letztendlich einen Teilerfolg erzielen. Die Volksschule als eine staatlich organisierte Erziehungsanstalt gehörte nach der Revolution bald zum Lebensweg einer jeden Person aus den unteren Bevölkerungsschichten.75 Die Bildung und Erziehung des „Volkes“ begann damit – noch weitaus stärker als in der Vormärzzeit – schon im Kinder- und Jugendalter. Dementsprechend konzentrierten sich die Gebildeten bei der literarisch-publizistischen Vermittlung von neuem Wissen nach 1850 ebenfalls stärker auf den Bereich der Kinder- und Jugendschriften.76 Auch Schwerdt passte sich dieser Entwicklung an. Rund zehn Jahre nach dem Ende der Revolution von 1848/49 avancierte er immer mehr zum Kinder- und Jugendschriftsteller. Einhergehend mit den Veränderungen im Elementarschulwesen wurde im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch das Fachschulwesen reformiert.77 Neben den im Vormärz zahlreich gegründeten Landwirtschafts- und Gewerbevereinen, die sich der Verbreitung von neuem landwirtschaftlichen oder gewerblich-technischen Wissen widmeten, wurden außerdem von privater und staatlicher Seite überall im ländlich-kleinstädtischen Raum neue Lehranstalten ins Leben gerufen, die sich explizit der Berufsausbildung des Landmannes und Handwerkers verschrieben hatten. Diese Landwirtschafts- und Gewerbeschulen 72 Vgl. NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 468 f. 73 Vgl. FRIEDRICH: Das niedere Schulwesen, S. 134. 74 Vgl. KRAUS: Kultur, Bildung und Wissenschaft, S. 70 f. Am Beispiel des preußischen Volksschulwesens charakterisiert Frank-Michael Kuhlemann diese Entwicklung als einen Prozess der „partiellen Modernisierung“. Vgl. KUHLEMANN, FRANK-MICHAEL: Modernisierung und Disziplinierung. Sozialgeschichte des preußischen Volksschulwesens 1794– 1872, Göttingen 1992, S. 41–51 u. 252–255. 75 Vgl. NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 451–470. 76 Vgl. ebd. S. 453. 77 Vgl. KRAUS: Kultur, Bildung und Wissenschaft, S. 50–53; SCHÖFER, ROLF: Berufsausbildung und Wissenschaft. Geschichte der Ausbildung in Deutschland, Frankfurt am Main/ New York 1981, S. 16–160.

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entwickelten sich nach 1850, ähnlich der Volksschule, immer mehr zu einem festen Bestandteil im Lebensweg der landwirtschafts- und gewerbetreibenden Bevölkerung.78 Somit nahmen diese Bildungsinstitutionen im Laufe der Zeit eine immer wichtiger werdende Funktion bei der Vermittlung von berufsrelevantem Wissen ein. Die berufliche Fortbildung des einfachen Landmannes und Handwerkers erfolgte zu Beginn des 19. Jahrhunderts in vielen Regionen noch hauptsächlich auf Basis volksaufklärerischer Lektüre. Diese Situation sollte sich gegen Mitte des 19. Jahrhunderts nachhaltig ändern. Während sich der Landmann zunächst nur in volksaufklärerischen Schriften über die neuesten Erkenntnisse im Acker- und Gartenbau, in der Tierhaltung und Tierzucht oder in der landwirtschaftlichen Betriebsführung informieren konnte, wurden diese Inhalte bald ebenso über ein immer besser strukturiertes und organisiertes Fachschulwesen unmittelbar an die Adressaten weitergegeben.79 Bedingt durch die höhere staatliche Förderung solcher Lehranstalten erfolgte die berufliche Aus- und Fortbildung nach 1850 hauptsächlich in den Landwirtschafts-, Gewerbe- und technischen Berufsschulen sowie in den Landwirtschafts- und Gewerbevereinen. Die volksaufklärerische Lektüre, vor allem die Schriften, die sich explizit mit landwirtschaftlich-ökonomischen Sachverhalten beschäftigten, wurden dadurch im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich überflüssig. Während der Besuch einer berufsbildenden Lehranstalt von staatlicher Seite nach 1850 sukzessive allerorts in Deutschland zur Pflicht gemacht wurde, blieb der Kauf bzw. die Rezeption von volksaufklärerischen Schriften weiterhin die freiwillige Entscheidung des 78 Zur Geschichte der ersten berufsbildenden Landwirtschafts- und Gewerbeschulen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie deren weitere Ausdifferenzierung in berufsspezifische Fach- und Weiterbildungsschulen vgl. JEISMANN/LUNDGREEN (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 3, S. 296–310. Zur Entwicklung der Berufserziehung im 18. und 19. Jahrhundert vgl. außerdem ZABECK, JÜRGEN: Geschichte der Berufserziehung und ihre Theorie, Paderborn 2009. 79 Welche landwirtschaftliche Bildungseinrichtung der Landmann im Einzelnen besuchte, hing dabei von seiner sozialen Stellung ab. Während die unteren Bevölkerungsschichten, die beispielsweise als Knechte in der Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt verdienten, in der Regel nur die praktische Ackerbauschule oder die landwirtschaftliche Winterschule besuchten, fanden Groß- oder Mittelbauern auch den Zugang zu den höheren Ackerbau-, Forst- und Landbauschulen oder zu einer landwirtschaftlichen Akademie. Vgl. SCHMIEL, MARTIN: Landwirtschaftliches Bildungswesen, in: Jeismann/Lundgreen (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 3, S. 306–309; DERS.: Die Landwirtschaftsschule. Eine Untersuchung über die geschichtliche Entwicklung, die Bedingungen und die weiteren Aufgaben ihres Unterrichts, München/Basel/Wien 1963, S. 16–35; RENNER, KURT: Geschichte der landwirtschaftlichen Berufsbildung in Sachsen, in: Stratmann, Karlwilhelm (Hrsg.): Historische Berufsbildungsforschung. Beiträge zu einem gemeinsamen deutschen Wissenschaftsbereich der Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Stuttgart 1992, S. 205–219.

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Einzelnen. Für das Fortbestehen der praktisch orientierten, landwirtschaftlichökonomischen Volksschriften dürfte sich diese Entwicklung bald nachteilig ausgewirkt haben. Hatten schon vor 1850 etliche Bauern und Handwerker kein Interesse gezeigt, sich volksaufklärerische Lektüre anzueignen oder zu lesen, dürfte die Nachfrage nach solchen Schriften im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nochmals gesunken sein. Aufgrund der besseren schulischen Ausbildung mag mancher Bauer oder Handwerker es nicht mehr für nötig erachtet haben, sein Geld für bestimmte berufsrelevante Informationen auszugeben, die er schon auf einem anderen Weg erlangt hatte. Durch die Modernisierung des Schulsektors, die nach 1850 in allen deutschen Staaten eine Beschleunigung erfuhr, wurden die Kerninhalte der literarisch-publizistischen Volksaufklärung gewissermaßen in das institutionelle Bildungswesen ausgelagert. Sowohl die Vermittlung von Elementar- und Berufswissen als auch die sittlich-moralische Erziehung übernahmen fortan die (halb-)öffentlichen Bildungsanstalten. 2. Ein weiterer Punkt, warum die Volksaufklärung nach 1850 allmählich zum Erliegen kam, war der konsequent fortgesetzte, flächendeckende Ausbau des Volksbibliothekswesens im ländlich-kleinstädtischen Raum. Auf Grundlage des von Rudolf Zacharias Becker im „Noth= und Hülfsbüchlein“ vorgestellten Modells einer zweckmäßig eingerichteten Dorfbibliothek kam es in den 1840er Jahren in einigen dörflichen Gemeinden im Thüringer Raum zur Gründung von Volksbibliotheken.80 Als ein Ort der Selbstbildung sollten die Volksbibliotheken dem „gemeinen Mann“ den Zugang zu nützlicher Lektüre erleichtern. Dieses Ziel wurde auch während der Revolution von 1848/49 beibehalten. Um das allgemeine Bildungsniveau der ländlichen Bevölkerung noch weiter anzuheben, versuchten die aufklärerisch denkenden Gebildeten, welche sich oftmals schon im Vormärz im Volksbibliothekswesen engagiert hatten, über die Landesparlamente das Netz der bestehenden Dorfbibliotheken auszubauen. Wie bereits erwähnt, reichte beispielsweise Heinrich Schwerdt im Gothaer Landtag mehrere Initiativen ein,81 mit staatlichen Fördergeldern das ländliche Bibliothekswesen im Herzogtum Sachsen-Gotha zu einer größeren Entfaltung zu verhelfen. In jedem ländlichen Bezirk sollte mindestens eine Volksbibliothek errichtet werden. Das Verständnis von der Funktion dieser Bibliotheken blieb dabei unverändert. Die angebotene Lektüre sollte die landwirtschaft- und gewerbetreibende Bevölkerung nicht nur unterhalten, sondern ebenso im Sinne der Aufklärung 80 Vgl. MARWINSKI, FELICITAS: Die Mildheimische Schul- und Gemeinde-Bibliothek (1798), ein in die Zukunft weisendes innovatives Bibliotheksmodell. R. Z. Beckers Vorstellungen zur Gestaltung von Dorfbibliotheken und deren Umsetzung in Thüringen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte, 62 (2008), S. 127–160. 81 Vgl. hierzu auch MARWINSKI/MARWINSKI: Heinrich Schwerdt und die Volksbibliotheken, S. 442.

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belehrend wirken. Der Bibliotheksnutzer sollte sich eine rationale Denkweise, praktische Berufskenntnisse sowie bürgerliche Werte und Tugenden aneignen. Er sollte sich geistig und moralisch soweit veredeln, dass er dem Status eines ordentlichen Staatsbürgers gerecht wurde. Überzeugt von der positiven Wirkung der Dorfbibliotheken auf die Landbevölkerung, beteiligten sich nach 1848 die thüringischen Landesregierungen an der Umsetzung eines flächendeckenden Bibliothekswesens. Resultierte die Gründung einer Dorfbibliothek im Thüringer Raum bis zum Ausbruch der Revolution einzig aus den Initiativen privater Personen, wurde die Umsetzung neuer Bibliotheksgründungen nun auch von staatlicher Seite großzügig gefördert. Interessanterweise hielten sich die Vorgaben bezüglich der Anschaffung der in den Bibliotheken angebotenen Lektüre in Grenzen. Oftmals entschieden die Landesregierungen nur über die Höhe der staatlichen Finanzierung, während die Leitung, Organisation und Buchbeschaffung zunächst relativ freizügig in die Hände der örtlichen Pfarrer, Schullehrer und Justizbeamten gelegt wurde. Aufgrund noch vorhandener, umfangreicher Aktenbestände lässt sich der Prozess des staatlich geförderten Ausbaus des Volksbibliothekswesens in den thüringischen Kleinstaaten nach 1850 besonders gut am Beispiel des Herzogtums Sachsen-Gotha rekonstruieren.82 Dort sah sich die Landesregierung aufgrund der Anträge und Debatten im Gothaer Landtag gegen Ende des Jahres 1848 dazu verpflichtet, einen Plan zu entwerfen, wie man die Gründung und Verwaltung neuer Volksbibliotheken finanziell sicherstellen könne. Auf Grundlage der auf Initiative des Gerichtsamtmannes Wilhelm Bufleb im Jahr 1844 gegründeten Dorfbibliothek in der Gemeinde Thal83 legte die Gothaer Landesregierung am 14. Februar 1849 Herzog Ernst II. ein unter der Federführung des Referenten Heinrich Müller und des Regierungsrates Maximilian Arzberger verfasstes Konzept vor, in der die Errichtung eines für unumgänglich erachteten, flächendeckenden Volksbibliothekennetzes detailliert herausgearbeitet wurde.84 Dass dabei die Dorfbibliothek Thal als Muster für weitere Bibliotheksgründungen herangezogen wurde, hatte seine Bewandtnis. Sie war die erste halbamtliche Volksbibliothek des Herzogtums Sachsen-Gotha und wurde bereits vor dem Ausbruch der Revolution von obrigkeitlicher Seite, sowohl vom Gothaer Oberkonsistorium als 82 Vgl. ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 57; Landesregierung Gotha, Loc. 84 Nr. 30–63 sowie Staatsministerium, Dep. II Loc. 150, Nr. 1, Vol. 1. 83 Nach den Angaben August Schumanns hatte das bei Ruhla gelegene Dorf Thal im Jahr 1824 rund 250 Einwohner. Vgl. SCHUMANN: Vollständiges Staats= Post= und Zeitungs= Lexikon, Bd. 11, S. 665. 84 Vgl. ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 57: Acten, die Gründung einer Volksbibliothek für den Gerichts=Amts=Bezirk Thal betr. Zugleich die Unterstützung der Volksbibliotheken im Herzogthum Gotha überhaupt, aus der Staatscasse betr., Bl. 12–20. Eine vollständige Abschrift des Berichtes befindet sich im Anhang B dieser Arbeit.

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auch vom Herzog persönlich, mit Geld- und Büchergeschenken unterstützt.85 Außerdem erhielt die Volksbibliothek in Thal umfangreiche private Bücherspenden von Pfarrern, Lehrern, Verwaltungsbeamten und Buchhändlern aus der näheren Umgebung. Auf diese Weise wuchs der Buchbestand bis kurz vor der Revolution auf etwas mehr als 1.200 Bände. Damit rangierte die Thaler Bibliothek unter allen Dorfbibliotheken im Herzogtum Sachsen-Gotha, noch vor der von Schwerdt gegründeten Neukirchener Bibliothek, an erster Stelle. Als Zentralbibliothek für den gesamten Amtsbezirk Thal versorgte sie nicht nur die Bewohner des Dorfes Thal, sondern auch die kleineren Bibliotheken in den umliegenden Ortschaften mit Büchern, so dass nach 1845 mehr als 7.000 Menschen aus insgesamt 17 Dörfern regelmäßig in den Genuss neuer Lektüre kamen.86 Die Aufsicht und Organisation über die Thaler Bibliothek führte der Pfarrer Johann Christian Ferdinand Rasch. Als Pastor der Gemeinde Thal versuchte er seit 1838 – interessanterweise genau zur selben Zeit wie Schwerdt in Neukirchen –, eine öffentliche Bibliothek für die Landbevölkerung einzurichten. Aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen dauerte die Umsetzung seines Vorhabens bis 1844. Trotz der Hilfe des Gerichtsamtmannes Wilhelm Bufleb blieb das Problem der Finanzierung auch in der Folgezeit bestehen. Schon im November 1844 war Rasch gezwungen, neue Gelder aufzutreiben. Er wandte sich an das Gothaer Oberkonsistorium mit der Bitte um finanzielle Unterstützung. Neben mehreren Berichten, die vor allem den positiven Effekt auf die Bildung und Sittlichkeit der arbeitenden Dorfbevölkerung hervorhoben,87 stellte Rasch außerdem erste Überlegungen an, wie man den Fortbestand der Bibliothek mit verschiedenen Finanzierungsmodellen (Lesegebühren, Abonnementsgebühren, Jahresbeiträgen) und 85 Die erste finanzielle Zuwendung erfolgte am 4. Februar 1845 in Höhe von 25 Reichstalern. Vgl. ebd., Bl. 4–8. 86 Vgl. MARWINSKI, FELICITAS/MARWINSKI, KONRAD: Die Volksbibliothek zu Thal im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens (1844–1853). Ein Beitrag zur Entwicklung des Volksbibliothekswesens im Herzogtum Sachsen-Gotha. Dokumente zur Entstehung, Organisationsform und Wirkungsweise eines Prototyps. Zugleich eine Studie zum Fortwirken der populären Aufklärung im 19. Jahrhundert, in: Schmitt/Böning/Greiling/Siegert (Hrsg.): Die Entdeckung von Volk, Erziehung und Ökonomie, S. 368–376. 87 Sich auf einen Bericht aus dem Jahr 1847 stützend, meinte beispielsweise der Regierungsassessor Krüger gegenüber Herzog Ernst II.: „In dem vom Herzoglichen Gerichtsamte Thal erstatteten Jahresberichte 1847 hat dasselbe auf den segensreichen Einfluß aufmerksam gemacht, den die im Jahre 1843 für den dortigen Bezirk gegründete Volksbibliothek auf die dortigen Bewohner übe, und dabei bemerkt, daß die fragliche Bibliothek – welche seit dem Jahr 1843 von 150 auf 1150 Bände angewachsen ist – vornemlich in den Wintermonaten von den Gemeinden des Bezirkes sehr fleißig benutzt werden, was außer der Bildung des Volkes noch den Nutzen gewähre, daß Viele, welche früher in Gasthöfen oder schlechter Gesellschaft ihre müßige Zeit hiezubringen pflegten, jetzt zu Hause bleiben, und sich mit dem Lesen von angemessenen Büchern beschäftigen, wodurch Viele von Thorheiten oder Vergehen abgehalten würden.“ ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 57, Bl. 9.

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Verwaltungsmodellen (Vorstandsausschuss aus Geistlichen, Lehrern und Schultheißen, besoldeter Hauptbibliothekar, ehrenamtliche Ortsbibliothekare und Botengänger) dauerhaft absichern könnte. Während der Revolution sollten diese Überlegungen dann Eingang in die Konzeption der Landesregierung zum Aufbau eines flächendeckenden Bibliothekenverbundes finden. Obwohl nach dem Ende der Revolution eine Umsetzung der in den Jahren 1848/49 erfolgten Landtagsbeschlüsse nicht mehr zwingend vollstreckt werden musste, hielt die Gothaer Landesregierung an ihrem Plan zur Errichtung eines ländlichen Bibliothekennetzes weiter fest. Nachdem Müller und Arzberger im Frühjahr 1850 nochmals in einem Bericht an Herzog Ernst II. eindringlich darauf hinwiesen, dass es im Interesse des Staates sei, die Bildung der Landbevölkerung mittels Volksbibliotheken zu fördern,88 fand das von ihnen erstellte Konzept die Zustimmung. Am 30. November 1850 bewilligte Herzog Ernst II. den Antrag und erklärte sich dazu bereit, den Ausbau des hiesigen Bibliothekswesens mit einer jährlichen Summe von 600 Reichstalern zu unterstützen.89 Außerdem wurde am 25. Februar 1851 eine Verordnung erlassen, in welcher die Verwaltung, Organisation und Finanzierung der neu einzurichtenden Bibliotheken genau festgeschrieben wurde.90 Was nun folgte, war der Ausbruch einer regelrechten Gründungswelle von Volksbibliotheken. Binnen kürzester Zeit wurden in allen Amtsbezirken SachsenGothas neue Bibliotheken errichtet. Die bestehenden Einrichtungen in Thal, Herbsleben, Werningshausen, Wangenheim (alle 1844), Friedrichswerth, Neurode (beide 1846) und Tabarz (1845) wurden in den Jahren 1851 bis 1853 durch zehn weitere Bibliotheken ergänzt bzw. in diese eingegliedert.91 Hinzu kamen drei weitere Bibliotheksneugründungen im Jahr 1851 in den Ephoriebezirken Molschleben, Uelleben und Goldbach, so dass Ende des Jahres 1853 insgesamt 16 Volksbibliotheken im Herzogtum existierten. Damit war der Ausbau eines flächendeckenden Volksbibliothekswesens in Sachsen-Gotha innerhalb von nur fünf Jahren vollständig abgeschlossen. Dank der staatlichen Subventionen verfügte nach 1853 jeder Amts- und Kirchenbezirk über eine zentrale Volksbibliothek, die gleichfalls mit allen kleineren Ortsbibliotheken im jeweiligen Bezirk vernetzt war.92 88 89 90 91

Vgl. ebd., Bl. 27. Vgl. ebd., Bl. 40–42. Eine Abschrift der Verordnung befindet sich im Anhang B dieser Arbeit. Gründungen erfolgten in den Bezirken Gotha, Volkenroda, Ohrdruf, Tonna, Georgenthal, Tenneberg (alle 1851), Zella, Ichtershausen, Liebenstein (alle 1852) sowie in Nazza (1853). Vgl. ThStA Gotha, Landesregierung Gotha, Loc. 84 Nr. 44–51, 54 u. 57. 92 Vgl. ThStA Gotha, Staatsministerium, Dep. II Loc. 150, Nr. 1, Vol. 1: Stand der Volksbibliotheken des Herzogthums Gotha nach den bis zum October 1856 vorliegenden amtlichen Berichten, Bl. 10–12.

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In einem Bericht an Herzog Ernst II., der von Regierungsassessor Heinrich Müller und Regierungspräsident Ernst von Wangenheim verfasst wurde und sich aus einer „Denkschrift“ und zwei Beilagen zusammensetzte, wurde Anfang des Jahres 1853 eine erste Bilanz über den Ausbau des Volksbibliothekswesens im Land gezogen.93 Diese fiel ausgesprochen positiv aus. Während man zum einen nochmals ausdrücklich betonte, welch wichtige Rolle die Volksbibliotheken bei der Beförderung des geistigen und sittlichen Zustandes der Landbevölkerung einnahmen, wurde an anderer Stelle die Notwendigkeit weiterer staatlicher Subventionen hervorgehoben. Da sich die neu gegründeten Volksbibliotheken nicht unmittelbar in staatlicher Hand befanden, sondern weiterhin den Status einer privaten Einrichtung besaßen, hing der Erfolg oder Misserfolg einer Bibliothek vom Engagement der örtlichen Pfarrer und Schullehrer ab. Wenn sich diese nicht verpflichtet fühlten, die Haupt- oder Zweigbibliotheken ehrenamtlich zu betreuen, war der Fortbestand der betroffenen Bibliotheken zwangsläufig gefährdet. Es wurde daher überlegt, wo ein Einsatz staatlich bezahlter Ober- und Unterbibliothekarsstellen unvermeidbar war. Ebenso wurde darüber nachgedacht, welche finanziellen Mittel nötig waren, um die Buchbestände der einzelnen Bibliotheken, die teilweise erhebliche quantitative Unterschiede aufwiesen, an ein für alle gleichmäßig aus-tariertes Niveau anzupassen. Da sich bei den gut frequentierten Volksbibliotheken erstaunliche Nutzerzahlen offenbarten,94 wurde die von Herzog Ernst II. bewilligte jährliche Unterstützung der Bibliotheken für den Zeitraum von 1853 bis 1857 erneut auf 600 Reichstaler festgesetzt. Am 6. Dezember 1853 schrieb dieser an die Gothaer Landesregierung: Wir Ernst pp., haben die neue Finanzperiode vom 1. Juli 1853 bis Ende Juni 1857 abermals einen jährlichen Beitrag von Sechs Hundert Thalern zur Unterstützung der Volksbibliotheken, aus der Staatscasse zu Gotha bestimmt, verwilligt und stellen denselben – unter 93 Vgl. ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 57, Bl. 43–49. Eine Abschrift des Berichtes befindet sich im Anhang B dieser Arbeit. 94 Nach Angabe des Regierungspräsidenten Wangenheim wurden allein in den Bibliotheken Thal, Herbsleben, Molschleben und Uelleben in den Jahren 1851 und 1852 über 13.000 Entleihungen registriert. Wangenheim kam daher zu dem Schluss: „Diese letzteren Zahlen zeigen wohl auf das Deutlichste die Empfänglichkeit des Volkes für geistige Beschäftigung, sowie den in ihm vorhandenen Bildungstrieb. Es lässt sich aber auch aus ihnen schließen, welchen Einfluß die Volksbibliotheken auf den Zustand des Volks haben werden, wenn sie erst allseitig für dasselbe nutzbar gemacht sein werden. Die zurückgebliebene Volksbildung ist die Ursache einer Menge von Gebrechen, über welche jetzt Klage geführt wird. Je weniger denselben durch bloße Gesetze und Maaßregeln von oben abzuhelfen ist, je mehr darauf Bedacht genommen werden muß, größere Einsicht und stärkere Willenskraft im Volk zu merken, desto wichtiger werden die Volksbibliotheken für den Staat. Der bisherige Jahresbeitrag von 600 rt. erscheint daher auch im Verhältnisse zur Wichtigkeit des Zwecks gewiß nicht zu hoch und wird auch für die nächste Finanzperiode entbehrt werden können, wenn den Leihbibliotheken in allen Teilen des Landes die nöthige Vollständigkeit hinsichtlich der verschiedenen Bildungsbedürfnisse gegeben werden soll.“ Ebd., Bl. 45 f.

ABRUPTES ENDE ODER SUKZESSIVER RÜCKGANG?

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Bezugnahme auf Unser den gleichen Gegenstand betreffendes Rescript vom 30. November 1850 – hiermit bis auf Weiteres Unserer Landesregierung , V.A. mit der Bestimmung zur Disposition, daß dieselbe mit Nachdruck darauf halte, daß bei der Auswahl der Bücher für die Volksbibliotheken mit möglichster Umsicht zu Werke gegangen werde und nur solche Bücher angeschafft werden, welche auch wirklich geeignet sind, nützliche Kenntnisse im Volke zu verbreiten, und die Religiosität, Sittlichkeit sowie den Sinn für Gesetzlichkeit und Ordnung zu fördern und zu befestigen.95

Als allerdings in der Folgzeit die „eigenthümlichen Richtungen“ einiger Bücher vom Gothaer Oberkonsistorium mehrfach als bedenklich eingestuft wurden,96 versuchte Herzog Ernst II. die Autonomie der Volksbibliotheken im Jahr 1855 stärker einzuschränken. Die Auswahl der Lektüre in den Volksbibliotheken sollte fortan gänzlich unter der Kontrolle der Landesregierung stehen. Diese übte allerdings Kritik an diesem Vorschlag. In einem Schreiben vom 29. März 1856, das von Regierungsassessor Müller verfasst und von Regierungspräsident Wangenheim unterzeichnet wurde, wies die Landesregierung Ernst II. darauf hin, dass eine solche Regulierungspolitik völlig dem Grundsatz widersprechen würde, der 1850 vom Herzog selbst festgelegt wurde. Dieser besagte, dass „die Volksbibliotheken nicht blos für die untern und mittleren Volksclassen dienen, sondern auch den gebildeten oberen Classen die literarischen Mittel bieten sollen, sich mit den Bewegungen und Fortschritten in den verschiedenen Gebieten des geistigen Lebens bekannt zu machen“.97 Außerdem fügte Müller hinzu: Dieser Grundsatz ist von uns seit Gründung der Volksbibliotheken festgehalten worden und hat auch in dem höchsten Rescripte vom 30. November 1850 Billigung erhalten, indem darin ausdrücklich anerkannt ist, daß der Staat nur subsidiär zu unterstützen habe, die Hauptfürsorge für die Gründung und Erhaltung der Bibliotheken aber der Selbstthätigkeit und dem Gemeinsinn der Staatsangehörigen zu überlassen sei.98

Des Weiteren machte er nochmals deutlich, dass der Erfolg der Volksbibliotheken ganz entscheidend vom Engagement der Gebildeten abhängig sei, dieses aber unweigerlich sinken werde, wenn man ihre bisherigen Gestaltungsfreiräume restringieren würde: Sollen sich aber die Gebildeten für die Volksbibliotheken interessiren, so müssen diese auch die Bestimmung erhalten, die Bücher aufzunehmen, welche für den Lesekreis der Gebildeteren passen und namentlich die Hauptfragen der Zeit behandeln. So wenig wir verkennen, daß die Volksbibliotheken vorzugsweise für die ungebildeten Volksclassen gute Lectüre zu schaffen haben, da diese schon numerisch überwiegen und besonders der Nachhülfe bedürfen, so erachten wir doch es für eine eben so wichtige Aufgabe der

95 96 97 98

Ebd., Bl. 59. Ebd., Bl. 65. Ebd., Bl. 73. Ebd.

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IX. DER AUSKLANG DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Volksbibliotheken eine zur allgemeinen Bildung gehörige Kenntniß der wichtigsten Literaturerscheinungen zu ermöglichen.99

Aufgrund dessen appellierte Müller ausdrücklich dafür, dass „die Selbstständigkeit der Bibliotheksverwaltungen in Bezug auf Auswahl der Bücher so wenig als möglich beschränkt werde“.100 Nachdem sich schließlich am Ende des Finanzjahres 1855/56 herausstellte, dass sich die „gesitteten Stände“ jährlich mit rund 150 Reichstalern an der Finanzierung der Volksbibliotheken beteiligten,101 folgte Herzog Ernst II. dem Appell seiner Regierung. Das Selbstbestimmungsrecht der Volksbibliotheken bei der Lektüreauswahl blieb unangetastet. Damit konnten die örtlichen Pfarrer und Schullehrer weiterhin relativ frei entscheiden, welche Schriften die Bibliotheksnutzer zu lesen bekamen. Dabei zeigt sich, dass die von Pfarrern und Schullehrern ausgewählte belehrend-unterhaltsame Lektüre durchaus die Lesebedürfnisse der Landbevölkerung befriedigen konnte. Wie erste Ausleihstatistiken zeigen, stießen die Volksbibliotheken bei der Bevölkerung auf immensen Zuspruch. So haben Felicitas und Konrad Marwinski erstmals genaue Zahlen vorlegt, die eine intensive Nutzung der Bibliotheken eindeutig belegen. Allein für sieben der sechzehn Volksbibliotheken im Herzogtum Sachsen-Gotha (Molschleben, Tenneberg, Thal, Friedrichswerth, Tonna, Nazza, Herbsleben) konnten sie im Zeitraum von 1850 bis 1855 mehr als 56.000 registrierte Entleihungen nachweisen.102 Als Mittel zur Hebung der Volksbildung erreichten die staatlich subventionierten Volksbibliotheken nach 1850 einen außerordentlich hohen Stellenwert. Sowohl für die Bildungsvermittler als auch für die Bildungsempfänger boten diese Einrichtungen zwei entscheidende Vorteile. Während die einfache Bevölkerung weniger Geld investieren musste, um in den Genuss unterschiedlichster Lektüre zu gelangen, weil sie nun jederzeit auf einen Pool mannigfaltiger Bücherbestände zugreifen konnte, boten die Volksbibliotheken den Gebildeten eine ideale Möglichkeit, die von ihnen präferierte Volkslektüre ganz gezielt an die ländlich-kleinstädtische Bevölkerung weiterzureichen. Auf diese Weise entwickelten sich die Volksbibliotheken neben den Elementar- und Berufsschulen nach 1850 zur wichtigsten Stütze bei der Beförderung des Bildungsniveaus breiter Bevölkerungsschichten. 3. Ein weiterer Faktor, der mit entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Volksaufklärung nach 1850 zum Erliegen kam, war der nach der Revolution nochmals beschleunigte, fundamentale Wandlungsprozess der bestehenden Gesellschaftsstrukturen und Lebensformen. Im Zuge der Industrialisierung und des 99 100 101 102

Ebd. Ebd., Bl. 74. Vgl. ebd., Bl. 77. Vgl. MARWINSKI/MARWINKSI: Die Volksbibliothek zu Thal, S. 387 f.

ABRUPTES ENDE ODER SUKZESSIVER RÜCKGANG?

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demographischen Wandels kam es nach 1850 zu einer noch stärkeren sozialen Ausdifferenzierung der Gesellschaft.103 Die Expansion des industriellen Sektors, die steigende Urbanisierung, die voranschreitende Trennung zwischen Wohnund Arbeitswelt, die Liberalisierung der Wirtschaftsordnung, die Entstehung neuer Berufszweige, der Durchbruch großkapitalistischer Wirtschaftsformen sowie die endgültige Durchsetzung rechtsstaatlicher Normen und die daraus resultierenden Möglichkeiten einer individuellen Lebensgestaltung führten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu tief greifenden sozialen Umstrukturierungen und Umschichtungen. Aus sozialer und gesellschaftlicher Perspektive wurde es nach 1850 zunehmend schwieriger, alle Bevölkerungsschichten, die ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft und im Handwerk verdienten, als eine Einheit zu begreifen. Hatten die Gebildeten schon im Laufe des Vormärz vereinzelt Schwierigkeiten gehabt, die Gesamtheit aller verschiedenen landwirtschaft- und gewerbetreibenden Berufsgruppen unter dem Sammelbegriff „Volk“ zu subsumieren, gestaltete sich diese Kategorisierung nach 1850 immer diffiziler. Aufgrund der Herausbildung neuer Berufsgruppen in den unteren und mittleren Bevölkerungsschichten erodierten allmählich die bisherigen Abgrenzung- oder Zuordnungskriterien des Volksbegriffes. Weil sich das Berufsspektrum der „arbeitenden Klassen“ immer mehr ausdifferenzierte, wurde eine genaue Grenzziehung zwischen den gebildeten und den ungebildeten sowie zwischen den gut situierten und den schlecht situierten Berufsgruppen bald unmöglich.104 Das Bildungsniveau sowie die Einkommensverhältnisse der in der Landwirtschaft und im Gewerbe tätigen Personen konnten zwischen und innerhalb der einzelnen Berufsgruppen erhebliche Schwankungen aufweisen. Der von der Volksaufklärung benutzte Volksbegriff, der in erster Linie alle klein- und mittelständischen Bauern und Handwerker als eine ungebildete, relativ homogene Bevölkerungsgruppe verstand, wurde damit obsolet und unbrauchbar. Der Volksbegriff wurde im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom gebildeten Bürgertum deshalb immer weniger in sozialer, sondern nun überwiegend in politischer Konnotation als Synonym für den Nationsbegriff verwendet.105 103 Vgl. hierzu grundlegend WEHLER, HANS-ULRICH: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des ersten Weltkrieges, München 1995, S. 106–195; LENGER, FRIEDRICH: Industrielle Revolution und Nationalstaatsgründung (1849–1870er Jahre), Stuttgart 2003, S. 139–212; GALL, LOTHAR: Europa auf dem Weg in die Moderne 1850–1890, 5. Aufl. München 2009, S. 31–38. 104 Vgl. WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 189–195. 105 Dies zeigt sich auch in den Definitionen des Volksbegriffs in den zeitgenössischen Lexika. Beispielsweise wird im „Conversations=Lexikon“ von 1868 der Volksbegriff an erster Stelle mit dem Nationsbegriff gleichgesetzt und an zweiter Stelle als „die große Menge der bürgerlichen Gesellschaft verstanden“. Dass der Begriff „Volk“ auch als eine Bezeichnung

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Außerdem kam hinzu, dass nicht nur das „Volk“, sondern auch dessen Gegenpol, das gebildete Bürgertum, sich nach 1850 ebenso sozial ausdifferenzierte. Wurden Personen wie Carl Joseph Meyer im Vormärz von den Zeitgenossen noch allgemein als „bürgerlich“ und nicht explizit als ein Wirtschaft- oder ein Bildungsbürger wahrgenommen, kam es nach der Revolution zu einer schärferen Trennung zwischen Besitz- und Bildungsbürgertum. Die tief greifenden wirtschaftlichen Veränderungen führten nun zur Konstituierung neuer bürgerlicher Sozialformationen, die bereits im Vormärz ansatzweise in Erscheinung getreten waren.106 Das Bürgertum untergliederte sich nach 1850 noch stärker als zuvor in Wirtschafts-, Bildungs- und Kleinbürger, die abhängig von ihrer Profession, ihren Einkommens- und Besitzverhältnissen, ihrer schulischen Ausbildung und ihrer konfessionellen Prägung unterschiedliche bürgerliche Lebensformen entwickelten.107 Infolgedessen kam es nach 1850 zwischen den verschiedenen bürgerlichen Gruppierungen zur Herausbildung unterschiedlicher und mitunter auch gegensätzlicher ökonomischer, politischer und gesellschaftlicher Interessen. Während das gebildete Bürgertum bis zur Revolution von 1848/49 noch weitestgehend geschlossen die Verwirklichung ganzheitlich konzipierter, aufklärerischer Ideale, allen voran die Emanzipation des universal gebildeten Menschen und die Integration der ungebildeten Massen in die sich neu formierende Bürgergesellschaft, angestrebt hatten, rückten die verschiedenen bürgerlichen Sozialformationen nach 1850 ihre Partikularinteressen stärker in den Vordergrund. Einhergehend mit der Erosion des volksaufklärerischen Volksbegriffes, nahm das liberal denkende Bürgertum im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etwas Abstand vom allgemeingültigen Fortschritts- und Glückseligkeitsgefür die „ungebildete Menge“ Verwendung findet, wird erst an letzter Stelle erwähnt. Im „Conversations=Lexikon“ von 1887 wird „Volk“ dann nur noch als „ein staatsrechtlicher und polit. Begriff“ verstanden. Soziale Zuschreibungen finden sich nicht mehr. Der Volksbegriff wird als ein Synonym für Nation oder als „die Gesamtheit der zu einem Staate verbundenen Menschen“ definiert. Vgl. Allgemeine Deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände. Conversations=Lexikon, Bd. 15: Venen bis Zwolle, 11. Aufl. Leipzig 1868, S. 176; Brockhaus’ Conversations=Lexikon. Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie, Bd. 16: Uhu – Zz, 13. Aufl. Leipzig 1887, S. 319 f. Vgl. hierzu außerdem SCHÖNEMANN/ KOSSELLECK: Volk, Nation, Nationalismus, Masse, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, 1992, S. 347–388. 106 Zur Ausdifferenzierung des alten Stadtbürgertums und des neuen Bildungsbürgertums im Laufe des Vormärz vgl. HAHN/BERDING: Reformen, Restauration und Revolution, S. 286–306. 107 Wobei allerdings ebenso angemerkt werden muss, dass exakte Grenzziehungen zwischen den einzelnen bürgerlichen Gruppierungen nur bedingt möglich sind. Vgl. LENGER: Industrielle Revolution, S. 168–187. Vgl. außerdem SCHULZ, ANDREAS: Lebenswelt und Kultur des Bürgertums im 19. und 20. Jahrhundert, München 2005, S. 53–76.

ABRUPTES ENDE ODER SUKZESSIVER RÜCKGANG?

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danken der Aufklärung.108 Zumindest im Thüringer Raum vertrat das gebildete Bürgertum nach 1850 immer weniger die Meinung, dass jeder Mensch allein durch den Gebrauch seiner Vernunft und die praktische Umsetzung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zu Wohlstand gelangen könne. Personen wie Heinrich Schwerdt, Carl von Pfaffenrath und Carl Joseph Meyer gehörten zur letzten Generation von aufklärerisch und liberal denkenden Gebildeten, die fest davon überzeugt waren, dass grundsätzlich jeder Bauer und Handwerker die Möglichkeit besaß, sich eine „mittlere Existenz“ aufzubauen, die wiederum zu persönlichem und gesellschaftlichem Wohlstand sowie einer damit einhergehenden Glückseligkeit führen sollte. Sympathisierten die Liberalen im Thüringer Raum bis 1848 mehrheitlich mit dem idealisierten Modell einer klassenlosen, bürgerlichen Mittelstandsgesellschaft, wurde nach 1850 in weiten Teilen des liberalen Bürgertums von der Verwirklichung dieser Leitidee – auch aufgrund manch negativer Revolutionserfahrung sowie dem Aufkommen neuer Gesellschaftsmodelle – allmählich Abstand genommen.109 Fasst man all diese Punkte zusammen, so wird deutlich, dass es nach der Revolution von 1848/49 zu erheblichen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Strukturveränderungen kam, die eine Fortführung der Volksaufklärung in ihrer „traditionellen Form“ entweder überflüssig oder unmöglich machten. Um weiterhin auf die Bildung und Erziehung Einfluss nehmen zu können, bedurfte es neuer Anpassungsstrategien, die unter anderem auf institutioneller Ebene, etwa über das Elementarschul- und Volksbibliothekswesen, auch eingeschlagen wurden. Hinzu kam, dass ab 1870 die Umsetzung bestimmter aufklärerischer Ideale, etwa die Rationalisierung der bäuerlichen Lebenswelt, nun vollständig

108 Vgl. GALL: Europa auf dem Weg in die Moderne, S. 23 f. 109 Wie schnell dieser Prozess im Thüringer Raum vonstatten ging, bedarf noch intensiverer Studien. Erste Untersuchungen lassen vermuten, dass es in den thüringischen Kleinstaaten in den 1850er Jahren zu keiner abrupten, sondern eher zu einer sukzessiven Abkehr des Bürgertums vom frühliberalen Mittelstandsideal kam. Vgl. HAHN, HANS-WERNER: Fortschrittshindernis oder Motor des Wandels? Die thüringische Kleinstaatenwelt im 19. Jahrhundert, in: Vom Königreich der Thüringer zum Freistaat Thüringen, hrsg. vom Thüringer Landtag und der Historischen Kommission für Thüringen, Erfurt 1999, S. 78–85; WÖRFEL, ERHARD: Liberalismus in den thüringischen Staaten im Kaiserreich, in: Gall, Lothar/Langewiesche, Dieter (Hrsg.): Liberalismus und Region. Zur Geschichte des Liberalismus im 19. Jahrhundert, München 1995, S. 217–227. Vgl. hierzu außerdem ALDENHOFF, RITA: Schulze-Delitzsch. Ein Beitrag zur Geschichte des Liberalismus zwischen Revolution und Reichsgründung, Baden-Baden 1984; S. 80–96 u. 239–242; BIEFANG, ANDREAS: Politisches Bürgertum in Deutschland 1857–1868. Nationale Organisationen und Eliten, Düsseldorf 1994, S. 38–48; LANGEWIESCHE: Liberalismus in Deutschland, S. 83–85; NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 718– 720; SCHLÜTER: Berthold Auerbach, S. 108–116.

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IX. DER AUSKLANG DER VOLKSAUFKLÄRUNG

abgeschlossen war.110 Außerdem konnte die „klassische“ Volksaufklärung für bestimmte soziale Probleme, etwa die sich zuspitzende prekäre Lage der Fabrikund Heimarbeiter, keine adäquaten Lösungen mehr liefern. Wie Wolfram Siemann treffend formuliert hat, reiften in der Gesellschaft von 1848 neue Formen heran, die besser geeignet waren, die Probleme der Zukunft zu bewältigen.111 Das sture Festhalten an aufklärerischen und frühliberalen Vorstellungen, deren Ursprünge im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert lagen, dürfte vielen Vertretern des gebildeten und gehobenen Bürgertums aufgrund des rasanten Wandels der sozioökonomischen und gesellschaftspolitischen Verhältnisse nach 1850 als unzeitgemäß erschienen sein. Der allmähliche Ausklang der traditionellen volksaufklärerischen Publizistik in den ersten drei Dekaden der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war schließlich eine logische Konsequenz dieses Entwicklungsprozesses.

2. Ein Sieg der Reaktion? – Unterdrückung oder Neukonzeption der politischen Volksaufklärung nach der Revolution EIN SIEG DER REAKTION?

In den Augen vieler thüringischer Volksaufklärer war der Prozess der politischen Aufklärung des „Volkes“ mit dem Ausbruch der Revolution noch keinesfalls abgeschlossen. Die revolutionären Ereignisse im Frühjahr und Sommer 1848 hatten zwar dafür gesorgt, dass in allen thüringischen Staaten die allgemeine Presse- und Meinungsfreiheit durchgesetzt, altständische Rechte abgebaut, Verfassungsrevisionen eingeleitet und die Wahlrechtsbestimmungen zugunsten der breiten Bevölkerung verbessert wurden, doch stellten sich viele Volksaufklärer weiterhin die Frage, ob das „Volk“ überhaupt in der Lage war, mit den neu gewonnenen politischen Freiheiten „richtig“ umzugehen. So glaubte Heinrich Schwerdt, der 1848 als Abgeordneter in den Gothaer Landtag gewählt wurde, dass eine Fortführung der bisherigen Bemühungen zur politischen Aufklärung des „Volkes“ unabdingbar war. Im Herbst 1848 veröffentlichte er deshalb in der in Rudolstadt erscheinenden „Deutschen Bürger-Zeitung“112 unter dem Titel 110 Vgl. KRÜNES: Vernunft als Mittel, S. 65 f. 111 Vgl. SIEMANN, WOLFRAM: Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806– 1871, München 1995, S. 387. 112 Die „Deutsche Bürger-Zeitung“ wurde seit dem 15. Juni 1848 dreimal wöchentlich von dem Rudolstädter Buchhändler und Buchdrucker Günther Fröbel herausgegeben. Sich auf einen Ausspruch Johann Wolfgang Goethes berufend, erschien sie unter dem Motto: „Wer ist das würdigste Glied des Staates? Ein wackerer Bürger! Unter jeder Form bleibt er der edelste

EIN SIEG DER REAKTION?

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„Politische Volksbildung“ einen zweiteiligen Aufruf an alle „Männer und Freunde des Volkes“, die politische Bildung der einfachen Bevölkerungsschichten dem „erwachten Zeitgeist“ anzupassen und auf eine Stufe mit den Gebildeten zu stellen.113 Schwerdt war der Meinung, dass sich das „Volk“ trotz jahrzehntelanger Aufklärungsarbeit noch immer nicht vollständig über seine neuen politischen Rechte und Pflichten im Klaren war. Rückblickend auf seine eigenen Bemühungen zur Hebung der Volksbildung, begann der Neukirchener Pfarrer seinen Aufruf mit folgenden Worten: Seit meiner Jugend glühte mir die Brust von hohen Idealen. Deutschlands Einheit und Freiheit, das Erwachen des Volkes zu geistiger und sittlicher, zu bürgerlicher und politischer Selbständigkeit war der Stern meiner Hoffnungen. […] ich doch nicht müde, an der Bildung und Wohlfahrt des Volkes zu arbeiten, so weit mein Wort, so weit mein Wirken reichte. Mein Wahlspruch war: ‚Wenn es erst lichter wird, so wird’s auch besser!‘ Und so gründete ich die erste Volksbibliothek des Thüringer Landes […] und so regte ich Volksbildungsvereine an, die das Licht der Aufklärung auch in die niederen Hütten trugen; und so speiste ich seit Jahren nicht bloß meine Gemeinde durch Abendunterhaltungen und Fortbildungsschulen, ich speiste auch an 20 nahe und ferne Dörfer aus jener Büchersammlung, die ich mit schweren Opfern erhielt und vermehrte, mit geistiger Nahrung; und so feierte ich erhebende Volksfeste, damit auch in dem Landmanne das Bewusstsein gemeinsamer Kraft und Würde lebendig werde; und so rief ich Singvereine ins Leben, die auf den Schwingen der Töne mit den Ideen der neuen Zeit befruchtet wurden; und so schrieb ich ein Volksblatt […], daß ich in aller Herzen ein deutsches Volksthum begründen und die Hoffnung einer besseren Zukunft anbahnen möchte; und so wirkte ich nach vielen Seiten hin durch mündlichen und brieflichen Verkehr, daß sich das Schöpfungswort je mehr und mehr verwirkliche: Es werde Licht!114

Im nachfolgenden Text vertrat Schwerdt dann unmissverständlich den Standpunkt, dass es in der politischen Volksbildung noch erheblich an „Licht“ mangelte. Die Ursachen dieser Rückständigkeit führte Schwerdt auf zwei wesentliche Punkte zurück. Zum einen musste das „Volk“ bis zum Ausbruch der Revolution weitestgehend in politischer Untätigkeit verharren, und zum anderen mangelte es, Stoff.“ Im Verlauf der Revolution entwickelte sich die „Deutsche Bürger-Zeitung“ zu einem entschiedenen Verfechter der Demokratie. Ab dem 7. April 1849 (Nr. 42) erschien das Blatt mit dem Untertitel „Organ des Central=Märzvereins“. Aufgrund der Wiederherstellung der Pressezensur im Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt übergab Günther Fröbel die „Deutsche Bürger-Zeitung“ am 5. Dezember 1849 in die Hände von Ferdinand Schrader, der das Blatt in Apolda unter dem Titel „Die Bürger-Zeitung. Blätter für Volkswohl und Fortschritt“ fortsetzte. 113 Vgl. SCHWERDT, HEINRICH: Politische Bildung (Teil I u. II), in: Deutsche Bürger-Zeitung, Nr. 93 vom 11. November 1848, S. 445 u. Nr. 107 vom 14. Dezember 1848, S. 501. Der Aufruf richtete sich vor allem an Personen, die sich „zu Volksbildnern berufen glauben – Geistliche, Lehrer, Beamte“. Eine vollständige Abschrift des Aufrufs befindet sich im Anhang B. 114 DERS.: Politische Bildung (Teil I), S. 445.

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aufgrund der vormärzlichen Überwachungspraxis, vielen Gebildeten an der nötigen Bereitschaft, das „Volk“ über aktuelle politische Fragen aufzuklären. Da die Revolution aber die restriktive Politik des Deutschen Bundes beendet und das „Volk“ zu mehr politischer Partizipation berechtigt hatte, sollten die Gebildeten nun ihrer Pflicht nachkommen und die politische Aufklärung des „Volkes“ intensivieren. Schwerdt appellierte deshalb: „So müssen wir doch Alle mitarbeiten, ein Jeglicher in seinem Kreise und nach seinen Kräften; daß auch der geringste Mann des Volkes auf die Stufe erhoben werde, die ihm als Mensch und Staatsbürger gebührt“. Der Neukirchener Pfarrer wollte damit zum Ausdruck bringen, dass die aus der Revolution hervorgegangene neue politische Ordnung nur unter der Voraussetzung fortbestehen konnte, wenn sich jeder einzelne Mensch seiner staatsbürgerlichen Verantwortung genau bewusst war. Um die gewonnenen Freiheiten nicht wieder zu verlieren, musste jeder Mensch wissen, dass der Erhalt der neu konstituierten Staatsbürgergesellschaft ganz entscheidend von seinen politischen Handlungen abhängig war. Schwerdt war sich sicher, dass „Volksmündigkeit und Volkssouveränität leere Worte [bleiben], wenn nicht das Volk die Zeit, die über uns aufgegangen ist, verstehen lernt, wenn es nicht über seine Rechte und Pflichten aufgeklärt wird“. Der Neukirchener Pfarrer und Gothaer Landtagsabgeordnete gab zu bedenken, dass eine dauerhafte Sicherung der Errungenschaften der Revolution nicht möglich wäre, wenn es nicht gelang, die einfache Bevölkerung innerhalb kurzer Zeit zu mündigen Staatsbürgern zu erziehen: Daß aber die politische Bildung des Volkes noch im Argen liegt, […] brauche ich denen, die unter dem Volke leben, nicht zu sagen, daß keine Volkswohlfahrt ohne Volksbildung gedeiht und daß diese Bildung mit den Fortschritten der Zeit Hand in Hand gehen muß, wenn nicht das stolze Gebäude, an welchem jetzt gezimmert wird, früher oder später in sich selbst zerfallen soll. Wenn darum das Volk die alten Feudallasten von seinem Nacken abschütteln will, so darf es sich auch nicht länger unter das noch schmählichere Joch selbstsüchtiger Bosheit und geistiger Knechtschaft beugen; wenn es mit einem lauten Jubelrufe seine Mündigkeit erklärt und wenn von den Errungenschaften der Gegenwart der ärmste Bauer seinen Antheil nehmen soll, so müssen auch alle zu dieser Mündigkeit herangebildet werden, so müssen alle die Zeichen der Zeit und ihre großen Forderungen verstehen lernen.115

Um zu unterstreichen, dass die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen politischen Ordnung maßgeblich vom Grad der politischen Bildung des „Volkes“ abhing, gab Schwerdt im zweiten Teil seines Aufrufes dann nochmals zu verstehen: Die politische Aufklärung des Volkes ist aber zugleich die sicherste Mauer gegen jeden Rückschrittsversuch, die wichtigste Schutzwehr gegen jede Gefahr der Verdummung. Nur das unwissende Volk läßt sich am Gängelbande leiten, nur das unwissende Volk zerreißt

115 Ebd.

EIN SIEG DER REAKTION?

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die Bande der Ordnung und des Gesetzes; das aufgeklärte weiß nicht nur was es will, sondern auch was es soll, nicht nur was es kann, sondern auch was es darf.116

Bezüglich der Frage, wie die politische Bildung des „Volkes“ im Konkreten befördert werden konnte, orientierte sich Schwerdt an altbewährten Mitteln. In jeder Gemeinde sollte unter dem Vorsitz der örtlichen Pfarrer, Lehrer und Schultheiße ein Verein zur politischen Volksbildung gegründet werden. Jeder dieser Vereine sollte möglichst viele Mitglieder akquirieren und mindestens einmal pro Woche zusammenkommen, um „aus dem Munde eines der Vorsteher zu hören, was in der Welt vorgeht, und um sich in ungezwungener Unterhaltung über die Fragen der Zeit und über die Rechte und Pflichten des Volkes aufzuklären“.117 Anschließend sollten die in den Vereinsversammlungen zur Sprache gekommenen „Berathungen und Belehrungen“ in den überregional gelesenen Zeitungen und Zeitschriften einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.118 Außerdem regte er an, dass die im kleinstädtisch-ländlichen Raum gegründeten politischen Vereine regelmäßig „unter sich in Verbindung treten“ sollten, um gemeinsam „durch kleinere und größere Versammlungen auf die Entwicklung eines freien und einigen Volkslebens hinzuwirken“. Der Aufruf von Schwerdt erfolgte zu einer kritischen Phase der Revolution. Seit Sommer 1848 hatten sich die politischen Kräfteverhältnisse allmählich gegen die liberale und demokratische Bewegung gerichtet. Der Plan von Schwerdt, die politische Bildung der unteren und mittleren Bevölkerungsschichten zu heben, kann somit auch als ein Versuch gewertet werden, die sich anbahnende Revolutionswende zugunsten der konservativ-reaktionären Kräfte abzuwenden. Bekanntermaßen konnten sich am Ende weder die Liberalen mit ihrem Modell einer konstitutionellen Monarchie noch die Demokraten mit ihrer Vorstellung einer auf Volkssouveränität beruhenden Republik durchsetzen. Nachdem der preußische König Friedrich Wilhelm IV. am 28. April 1849 die ihm angebotene deutsche Kaiserkrone ausschlug, waren die Bemühungen des liberalen Bürgertums zur Errichtung eines einheitlichen, nationalen Verfassungsstaates endgültig gescheitert.119 Als wenig später die Unionspläne Preußens ebenfalls zu keiner befriedigenden Lösung der deutschen Nationalfrage führten, kehrte man 1850 wieder zur alten Ordnung des Deutschen Bundes zurück.120 Wenngleich die reaktio116 SCHWERDT: Politische Volksbildung (Teil II), S. 501. 117 Ebd. 118 Schwerdt schlug für den Thüringer Raum unter anderem die Hildburghäuser „Dorfzeitung“, die Rudolstädter „Deutsche Bürger-Zeitung“, das Eisenacher „Sonntagsblatt“ und den Gothaer „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ vor. Vgl. ebd. 119 Vgl. NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 661. 120 Vgl. SIEMANN: Vom Staatenbund zum Nationalstaat, S. 389–393. Vgl. hierzu außerdem MORITZ, HORST: Bundesstaat oder Staatenbund – königlich oder parlamentarisch?, in: Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen, H. 15: 150 Jahre Erfurter Unionsparlament (1850–2000), Weimar 2000, S. 45–86. Zur Haltung der thüringischen

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IX. DER AUSKLANG DER VOLKSAUFKLÄRUNG

nären Kräfte nicht in der Lage waren, die politischen und rechtlichen Errungenschaften des liberalen Bürgertums nach dem Ende der Revolution vollständig zu annullieren, wurden doch einige elementare Grundrechte,121 wie die Meinungsfreiheit oder die von Schwerdt postulierte „Volksmündigkeit“, wieder abgeschafft. Obwohl die meisten deutschen Einzelstaaten nach dem Ende der Revolution eine rigorose Reaktionspolitik eingeschlagen haben,122 konnte eine vollständige Unterdrückung aller liberalen Reformbestrebungen auch nach 1850 nicht wirklich durchgesetzt werden. Man könnte daher vermuten, dass im Thüringer Raum, wo sich die liberale Bewegung vor allem in Sachsen-Weimar-Eisenach und SachsenCoburg und Gotha in moderaten Zügen weiterhin entfalten konnte, die politische Volksaufklärung nach der Revolution ebenfalls ihre Fortsetzung fand. Schaut man sich allerdings die im Thüringer Raum nach 1850 erschienenen volksaufklärerischen Schriften genauer an, dann fällt auf, dass kaum eine dieser Schriften explizit der politischen Aufklärung des „Volkes“ gewidmet war. Zwar finden sich hin und wieder einige periodische Schriften, die eine politische Aufklärung der breiten Massen anstrebten und eindeutig in der Tradition der vormärzlichen volksaufklärerischen Publizistik standen, doch bilden solche Periodika im Thüringer Raum nach 1850 eine verschwindend geringe Ausnahme. Als eine unmittelbare Fortsetzung der politischen Volksaufklärung auf literarisch-publizistischer Ebene nach dem Ende der Revolution können beispielsweise die Schriften von Carl Joseph Meyer betrachtet werden. Enttäuscht vom Verlauf der Revolution hielt dieser auch nach 1850 beharrlich an seiner literarischen Konzeption zur Hebung der politischen Volksbildung fest.123 Davon überzeugt, dass das Kleinstaaten zur preußischen Unionspolitik vgl. außerdem HAHN, HANS-WERNER: „Daß aber der Bundesstaat gegründet werden muß …“. Die thüringischen Staaten und die Erfurter Union, in: Mai, Gunther (Hrsg.): Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament 1850, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 245–269. 121 Zum Verfassungswerk und Grundrechtekatalog der deutschen Nationalversammlung vgl. HAHN/BERDING: Reformen, Restauration und Revolution, S. 622–637; KÜHNE, JÖRG-DETLEF: Die Reichsverfassung der Paulskirche. Vorbild und Verwirklichung im späteren deutschen Rechtsleben, Frankfurt am Main 1985. Zum Wortlaut der Reichsverfassung und des Grundrechtekatalogs vom 28. März 1849 vgl. BOLDT (Hrsg.): Reich und Länder, S. 387–422. 122 Eine Ausnahme bildet das Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha, wo Ernst II. auch nach 1850 mit der liberalen Bewegung sympathisierte. Vgl. SCHEEBEN: Ernst II., S. 79– 123; SIEGERT, JUTTA: Das „Staatsgrundgesetz für das Herzogthum Gotha“ vom 26. März 1849 als Ergebnis der Revolution von 1848, in: Bachmann, Harald/Korn, Werner/ Claus, Helmut/Dobritzsch, Elisabeth (Hrsg.): Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha (1818–1893) und seine Zeit. Jubiläumsschrift im Auftrag der Städte Coburg und Gotha, Coburg/Gotha 1993, S. 141–154. 123 Vgl. MILDE: Carl Joseph Meyers „Universum”, S. 75.

521

EIN SIEG DER REAKTION?

Verfassungswerk der Paulskirche letztendlich auch aufgrund der mangelnden politischen Bildung des „Volkes“ nicht gegen die reaktionären Kräfte durchgesetzt werden konnte, setzte er die politische Volksaufklärung nach altem Muster vor allem in seiner Monatsschrift „Meyer’s Universum“ von 1850 bis zu seinem Tod 1856 weiter fort.124 Im Gegensatz zu Meyer zeigte die Mehrheit der thüringischen Volksaufklärer nach 1850 kein Interesse mehr, die politische Bildung des „Volkes“ zu heben. Auch Heinrich Schwerdt, der Ende des Jahres 1848 noch vehement der Ansicht gewesen war, der einfachen Landbevölkerung fehle es an politischem Sachverstand und staatsbürgerlicher Erziehung, klammerte nach der Revolution in seinen Schriften – selbst in den volksaufklärerisch universell konzipierten „Beiträgen zur Volkswohlfahrt in belehrenden Erzählungen“ – politische Themen nahezu komplett aus.

350

Anzahl der Schriften pro Jahrzehnt

300 250 200 150 100 50 0

Schriften

1771- 1781- 1791- 1801- 1811- 1821- 1831- 1841- 1851- 1861- 1871- 1881- 18911780 1790 1800 1810 1820 1830 1840 1850 1860 1870 1880 1890 1900 4

62

224

21

24

17

122

340

28

14

2

6

5

Grafik 3: Schriften zur politischen Volksaufklärung 1771 bis 1900

124 Vgl. Meyer's Universum oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde, Bd. 14–17, Hildburghausen/ New York 1850–1856.

522

IX. DER AUSKLANG DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Politische Politische Schriften

Sonstige Sonstige Schriften

4500

Gesamt Schriften gesamt

Anzahl der Schriften pro Jahrzehnt

4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0

1771- 1781- 1791- 1801- 1811- 1821- 1831- 1841- 1851- 1861- 1871- 1881- 18911780 1790 1800 1810 1820 1830 1840 1850 1860 1870 1880 1890 1900

Politische

4

62

224

21

24

17

122

340

28

14

2

6

5

Sonstige

1504

2980

3994

2567

1488

1545

2213

2841

1076

494

322

246

261

Gesamt

1508

3042

4218

2588

1512

1562

2335

3181

1104

505

324

252

266

Grafik 4:

Anteil der politischen Schriften an den gesamten Schriften zur Volksaufklärung 1771 bis 1900

500 Anzahl der Schriften pro Jahr

450 400 350 300 250 200 150 100 50 0

1840 1841 1842 1843 1844 1845 1846 1847 1848 1849 1850 1851 1852 1853

Politische

1

3

10

15

11

21

15

12

154

80

19

7

5

0

Sonstige

263

235

225

254

316

365

375

273

322

210

258

188

181

112

Gesamt

264

238

235

269

327

386

390

285

476

290

277

195

186

112

Grafik 5:

Anteil der politischen Schriften an den gesamten Schriften zur Volksaufklärung 1840 bis 1853

EIN SIEG DER REAKTION?

523

Wenn man erste statistische Untersuchungen aus dem von Holger Böning und Reinhart Siegert geleiteten Bio-Bibliographischen Projekt zur Volksaufklärung heranzieht, dann scheint sich diese Entwicklung aber nicht nur auf den Thüringer Raum beschränkt zu haben, sondern wurde im gesamten deutschen Sprachraum vollzogen. Obwohl die Datenerhebung für das 19. Jahrhundert noch nicht vollständig abgeschlossen ist, lassen die bisherigen Befunde schon eine Tendenz erkennen, die aller Wahrscheinlichkeit nach die Entwicklung des politischen volksaufklärerischen Schrifttums in allen deutschsprachigen Gebieten nach 1850 symptomatisch widerspiegelt. Die von Böning und Siegert als rein politisch klassifizierten, volksaufklärerischen Schriften verzeichnen 1815 bis 1850 einen beachtlichen, kontinuierlichen Aufschwung, der sich gewissermaßen mit der Entwicklung der gesamten literarisch-publizistischen Volksaufklärung deckt. Nach dem Ende der Revolution brach diese Konjunktur plötzlich radikal ab. Es scheint fast so, als wäre die Produktion volksaufklärerischer Schriften politischen Inhalts im Jahr 1850 schlagartig zum Stillstand gekommen. Zwar stellt die Revolution von 1848/49 durchaus eine markante Trennlinie für die Entwicklung der literarisch-publizistischen Volksaufklärung dar, doch sind, themenspezifisch betrachtet, nochmals erhebliche Unterschiede feststellbar. Während die Veröffentlichung volksaufklärerischer Schriften mit landwirtschaftlich-ökonomischer und sittlich-moralischer Ausrichtung zwischen 1850 und 1870 – je nach Region – einen mehr oder weniger sanften Ausklang fand, kam die politische Volksaufklärung auf literarisch-publizistischer Ebene unmittelbar nach der Revolution abrupt zum Erliegen (vgl. Grafik 3 bis 5). Auf den ersten Blick korreliert der massive Rückgang der volksaufklärerischen Schriften mit politischen Inhalten hervorragend mit der Wiedereinführung staatlicher Repressionsmaßnahmen gegen das Presse- und Vereinswesen nach dem Ende der Revolution.125 Sich den Vorgaben aus Preußen und Österreich unterordnend, schlugen in den 1850er Jahren nahezu alle deutschen Einzelstaaten eine reaktionäre Politik ein.126 Es folgte der Aufbau eines Polizeisystems, welches sich über alle Staaten des Deutschen Bundes erstreckte und den einzelnen konservativ-bürokratischen Staatsapparaten eine noch effizientere Überwachung und Verfolgung aller oppositionellen Bewegungen als in der Vormärzzeit ermöglichte.127 Die schärfere Kontrolle der Presse führte zum Verbot zahlreicher demokratischer, liberaler und sozialistischer Zeitungen und Zeitschriften. Selbst konstitutionelle Blätter, die sich klar zum „monarchischen Prinzip“ bekannten, hatten 125 Zur Überwachung und Unterdrückung der öffentlichen Meinung in Deutschland nach 1848/49 vgl. SIEMANN, WOLFRAM (Hrsg.): Der „Polizeiverein“ deutscher Staaten. Eine Dokumentation zur Überwachung der Öffentlichkeit nach der Revolution von 1848/49, Tübingen 1983, S. 1–19. 126 Vgl. NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 673–683. 127 Vgl. SIEMANN: 1848/49 in Deutschland und Europa, S. 219–232.

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IX. DER AUSKLANG DER VOLKSAUFKLÄRUNG

nach der Verabschiedung des sogenannten Bundesreaktionsbeschlusses vom 23. August 1851 sowie des Bundes-Preßgesetzes vom 6. Juli 1854 mit harten Repressionen zu kämpfen und wurden in ihrer freien Meinungsäußerung stark eingeschränkt.128 Daraus zu schließen, dass der Rückgang des politisch motivierten, volksaufklärerischen Schrifttums einzig auf die Verschärfung der Pressezensur zurückgeführt werden kann, ist allerdings etwas zu eindimensional betrachtet. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass einige volksaufklärerische Schriften, die liberale oder demokratische Positionen vertraten, ihre Herausgabe aufgrund der verschärften Repressionsmaßnahmen eingestellt haben, doch ist die schlagartige Regression dieser Schriften auch durch einen Kontinuitätsbruch bedingt, die die politische Volksaufklärung im Laufe der Revolution erfahren hat. Wie in Kapitel V und VI dieser Arbeit veranschaulicht wurde, erfolgte die politische Aufklärung des „Volkes“ während der gesamten Vormärzzeit im Thüringer Raum weniger über monographische Einzelschriften, sondern hauptsächlich über periodische Schriften, die wiederum – mit Ausnahme des von Carl Joseph Meyer herausgegebenen „Volksfreundes“ – ein vielschichtiges inhaltliches Profil hatten. Genau diese volksaufklärerischen Presseorgane veränderten nach dem Ausbruch der Revolution ihr inhaltliches Konzept grundlegend. Nachdem schrittweise alle thüringischen Staaten im März 1848 die Pressefreiheit garantiert hatten, kam es im gesamten Thüringer Raum zur Gründung zahlreicher neuer Periodika. Folgt man den Angaben Werner Greilings, dann hatten in Thüringen mehr als 150 Periodika ihr Entstehen der Revolution zu verdanken.129 Dabei knüpften viele Herausgeber bei der Wahl des Titels oder Untertitels ihrer neu gegründeten Blätter bewusst an volksaufklärerische Traditionen an. Die Mehrheit der thüringischen Periodika, die nun überwiegend einen täglichen Erscheinungsrhythmus annahmen, wurde als „Volksblatt“, „Volksfreund“, „Volksbote“, „Bürgerzeitung“, „Dorfzeitung“, „Stadt- und Landbote“, „Anzeiger“ oder „Nachrichtsblatt“ veröffentlicht und war in vielen Fällen direkt an den „Bürger und Landmann“ oder „an alle Stände“ adressiert. Diese Namensgebung sollte vor allem ein breites Publikum ansprechen bzw. dem Leser unmissverständlich signa128 Zu beiden Gesetzen vgl. HUBER, ERNST RUDOLF (Hrsg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851–1900, 3. Aufl. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1986, S. 1–7. Zur Pressepolitik des Deutschen Bundes nach dem Ende der Revolution vgl. KOHNEN, RICHARD: Pressepolitik des Deutschen Bundes. Methoden staatlicher Pressepolitik nach der Revolution 1848, Tübingen 1995. 129 GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 513. Eine Auflistung der gesamten Tagespresse während der Jahre 1848/49 in den thüringischen Kleinstaaten sowie in den preußischen Gebieten Thüringens findet sich in: Ebd., S. 715–738. Vgl. außerdem HENKEL, MARTIN/TAUBERT, ROLF: Die deutsche Presse 1848–1850. Eine Bibliographie, München/ London/New York/Oxford/Paris 1986, S. 362–365, 368–370, 373, 375 f., 377 f., S. 380 f. u. 514–534.

EIN SIEG DER REAKTION?

525

lisieren, dass sich die Blätter auch an die unteren Bevölkerungsschichten richteten. Einhergehend mit der Gründungswelle neuer Presseorgane in Thüringen während der Revolution, veränderten die meisten Periodika, sowohl die neu gegründeten als auch die bereits bestehenden Zeitungen und Zeitschriften, ihr inhaltliches Profil in Richtung moderner Tageszeitung. An erster Stelle stand nun die Berichterstattung über die politischen Tagesereignisse. Erst danach folgten belehrende und unterhaltende Beiträge. Diese wurden allerdings im Laufe der Revolution immer weiter in den Hintergrund gedrängt, bis einige Periodika schließlich ganz auf sie verzichteten. Vor allem die Tagespresse richtete fortan ihr Hauptaugenmerk auf eine politische Berichterstattung über die Vorgänge in den deutschen Revolutionszentren Berlin und Wien sowie über die Verhandlungen in der Frankfurter Nationalversammlung und in den einzelstaatlichen Landesparlamenten. Die Politisierung der Presse erfasste in Thüringen nicht nur die überregional ausgerichteten Periodika, sondern ebenso nahezu alle Lokalblätter und offiziösen Regierungsblätter.130 Eine eindeutige Klassifizierung dieser politischen Blätter gestaltet sich allerdings für die Jahre 1848/49 oftmals als ausgesprochen diffizil. Welche dieser Periodika der Volksaufklärung zugeordnet werden können oder nicht, ist in vielen Fällen schlicht nicht bestimmbar. Der Grund hierfür liegt in der eigentümlichen Gestaltung der politischen Nachrichten, die in den ersten Monaten nach Ausbruch der Revolution in vielen Blättern eine Mischung aus Aufklärung, Belehrung, Meinungsbildung und Informationsvermittlung darstellen. Ebenso ist nicht immer eindeutig erkennbar, welches „Volk“ in den Blättern eigentlich angesprochen wird. Während zum einen – ganz im „alten“ volksaufklärerischen Sinne – mit „Volk“ die einfachen Bauern und Handwerker gemeint sind, wird der Volksbegriff im selben Periodikum, mitunter auch vom selben Autor, als eine Umschreibung für die Gesamtheit aller im Staat lebenden Personen gebraucht. Exemplarisch lässt sich diese Entwicklung hervorragend am „Reichsanzeiger der Deutschen“ nachvollziehen, der in Gotha seit dem 1. Januar 1849 als Nachfolgeorgan des „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“ erschien.131 Friedrich Gottlieb Becker verstand seinen „Reichsanzeiger 130 Zur Politisierung des deutschen Pressewesens während der Revolution vgl. SIEMANN, WOLFRAM: Die deutsche Revolution von 1848/49, Frankfurt am Main 1985, S. 116–119; DERS.: 1848/49 in Deutschland und Europa, S. 119–121. Zur Entwicklung der „provinziellen Presse“ im Thüringer Raum von 1848 bis 1850 vgl. GREILING, WERNER: Presse und Revolution in Thüringen 1848–1850, in: Hahn/Ders. (Hrsg.): Die Revolution von 1848/49 in Thüringen, S. 485–501. 131 Vgl. Reichsanzeiger der Deutschen. Der öffentlichen Unterhaltung über gemeinnützige Gegenstände aller Art, hrsg. von Friedrich Gottlieb Becker, Gotha 1849–1850.

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IX. DER AUSKLANG DER VOLKSAUFKLÄRUNG

der Deutschen“ als ein zeitgemäßes Presseorgan für die sich verändernden politischen und rechtlichen Verhältnisse in Deutschland und die daraus resultierenden Lesebedürfnisse der breiten Masse. Das Blatt, das siebenmal die Woche erschien, sollte weiterhin als „allgemeines deutsches Intelligenzblatt“ fungieren sowie „allen Freunden freimüthiger, aber anständiger Oeffentlichkeit zum gemeinen Sprechsaal dienen“.132 Der „Reichsanzeiger der Deutschen“ hatte die Absicht, „Wahrheit und Recht, Gutes und Nützliches […] zu fördern“. Ferner verkündete Becker in der Ankündigung: Von den mannichfaltigsten Standpuncten der Lebenserfahrung aus wird hier von Staatsdienern und Unabhängigen, von Gemeindebeamten und Bürgern, von Lehrern an Kirchen und Schulen, von Mitgliedern des Handels= und Gewerbstandes, von Land= und Forstwirthen, von Künstlern etc. das Wort ergriffen, um Angelegenheiten des Staats und der Gemeinde, der Religion und Erziehung, der Wissenschaft und der Kunst, der Gewerbe und des Handels etc. zu erörtern.133

Tatsächlich beschäftigte sich der „Reichsanzeiger der Deutschen“ im folgenden Jahrgang fast ausschließlich mit politischen und rechtlichen Fragen. Abgesehen von privaten Inseraten und gesetzlichen Verordnungen, die nach wie vor den Anzeigenteil des Blattes ausfüllten, hatten fast alle Artikel und Berichte einen unmittelbaren oder mittelbaren Bezug zum revolutionären Tagesgeschehen. Auf die im Untertitel des „Reichsanzeiger der Deutschen“ noch angepriesene „öffentliche Unterhaltung über gemeinnützige Gegenstände aller Art“ wurde weitestgehend verzichtet. Anders als angekündet, finden sich nur wenige Abhandlungen zu wissenschaftlichen, ökonomischen oder pädagogischen Themen. Ebenso wurde die religiöse und sittlich-moralische Erziehung des „Volkes“, die im Vorgängerblatt noch einen recht hohen Stellenwert eingenommen hatte, auf ein Mindestmaß reduziert. Außerdem verzichtete Becker im „Reichsanzeiger der Deutschen“ auf unterhaltsame Kurzgeschichten, die im Stil von Rudolf Zacharias Beckers „Noth= und Hülfsbüchlein“ verfasst waren und zur Erheiterung und Belehrung der Leser dienen sollten. Damit hatte Becker bei der Gestaltung seines neuen Blattes vom Konzept des inhaltlich vielschichtigen, universell ausgerichteten „Allgemeinen Anzeigers und Nationalzeitung der Deutschen“ fast komplett Abstand genommen. Zu rund 90 % beinhaltete jede Ausgabe des „Reichsanzeigers der Deutschen“ einen oder zwei „Leitartikel“, die sich mit aktuellen politischen oder rechtlichen Sachverhalten auseinandersetzen. Danach folgten unter der Rubrik „Tagesgeschichte“ weitere Nachrichten und Informationen über die politischen Vorgänge im In- und Ausland. Die veröffentlichten Texte waren allesamt in einem sachlich132 Ankündigung (Beilage), in: Reichsanzeiger der Deutschen, Nr. 1 vom 1. Januar 1849, unpag. 133 Ebd.

EIN SIEG DER REAKTION?

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nüchternen Stil verfasst. Ein Teil dieser Beiträge stand dabei aber noch eindeutig in der Tradition der politischen Volksaufklärung der Vormärzzeit. So wurde der Leser beispielsweise in dem Artikel „Wie der griechische Weltweise Platon von der demokratischen Regierungsform dachte“ über die Vorteile und Nachteile verschiedener Verfassungs- und Regierungsformen aufgeklärt.134 Aber auch in anderen Texten schimmern immer wieder volksaufklärerische Tendenzen durch. So handelt ein Artikel des Leipziger Advokaten Heinrich Graichen über die rechtliche Gleichstellung und staatsbürgerliche Erziehung des Bauernstandes.135 Mehrfach forderte Graichen den „Bürger und Bauersmann“ in diesem Artikel zur Annahme von Vernunft und Bildung auf. Zugleich plädierte er an die Pfarrer und Volksschullehrer, sich in der Volksaufklärung zu engagieren, weil sie die „wahrhafte Stütze der constitutionellen Monarchie“ sei.136 Mit den abschließenden Worten „Nur im Lichte der Volksaufklärung entfalten sich Tugend, Recht, Glück und gute Gesetze“ unterstrich Graichen dann nochmals seinen Standpunkt, dass eine politische Aufklärung des „Volkes“ zur Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Zustände unabdingbar war. Gegen Ende des Jahres 1849 wurden die im „Reichsanzeiger der Deutschen“ veröffentlichten Artikel, die klare Ambitionen oder zumindest die Tendenz einer politischen Volksaufklärung aufweisen, zunehmend spärlicher. Zwar existierten immer noch etliche Beiträge, die von der Notwendigkeit einer Hebung der politischen Bildung des „Volkes“ sprachen, doch eine direkte politische Aufklärung oder Erziehung der bildungsfernen Bevölkerungsschichten fand in diesen Artikeln kaum mehr statt. Die meisten Beiträge, die von der Sittlichkeit, Bildung und Freiheit des „Volkes“ handelten, bezogen den Volksbegriff zunehmend auf die Gesamtheit aller Staatsbürger.137 Nur noch wenige Artikel waren unmittelbar an den einfachen Bauern oder Handwerker gerichtet. Vielmehr finden sich zahlreiche Aufforderungen an „wohlgesinnte Volksfreunde“, vornehmlich Geistliche und Schullehrer, sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst zu werden und über Vereine, Bibliotheken und Schulanstalten die Sittlichkeit und Bildung der 134 Der Artikel beschäftigt sich mit der Monarchie, Aristokratie, Timokratie und Demokratie sowie mit den Rechten und Entfaltungsmöglichkeiten, die aus diesen Staatsformen hervorgehen. Vgl. Wie der griechische Weltweise Platon von der demokratischen Regierungsform dachte, in: Reichsanzeiger der Deutschen, Nr. 136 vom 11. Juni 1849, Nr. 137 vom 12. Juni 1849, Sp. 1109–1112 u. 1117 f. 135 Vgl. Unablässige Verbesserung der Zustände des Volks, in: Reichsanzeiger der Deutschen, Nr. 178 vom 30. Juli 1849, Nr. 179 vom 31. Juli 1849, Sp. 1473–1475 u. 1485 f. 136 Unablässige Verbesserung der Zustände des Volks, in: Reichsanzeiger der Deutschen, Nr. 179, Sp. 1486. 137 Vgl. u.a. Welches sind die ein gesundes Volksleben bedingten Grundkräfte, in: Reichsanzeiger der Deutschen, Nr. 292 vom 11. Dezember 1849, Sp. 2405–2408; Wir selber müssen erst besser werden, dann wird’s besser werden, in: Reichsanzeiger der Deutschen, Nr. 305 vom 28. Dezember 1849, Nr. 306 vom 29. Dezember 1849, Sp. 2517–2520 u. 2525–2534.

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IX. DER AUSKLANG DER VOLKSAUFKLÄRUNG

einfachen Bevölkerungsschichten zu verbessern.138 Im zweiten Jahrgang drosselte der „Reichsanzeiger der Deutschen“ dann nochmals seine volksaufklärerischen Ambitionen. Die Berichterstattung über die politischen Tagesereignisse rückte immer stärker in den Vordergrund. Damit hatte der „Reichsanzeiger der Deutschen“, selbst wenn in den einzelnen Beiträgen immer wieder Tendenzen einer politischen Volksaufklärung durchblitzten, im Jahr 1850 sein ursprüngliches volksaufklärerisches Profil de facto komplett abgelegt. Noch einschneidender als der „Reichsanzeiger der Deutschen“ beendete die Hildburghäuser „Dorfzeitung“ mit dem Ausbruch der Revolution ihr ursprünglich „allumfassendes“ volksaufklärerisches Engagement. Von der Einführung der allgemeinen Pressefreiheit im Herzogtum Sachsen-Meiningen profitierend, legte sich das Blatt unverzüglich ein rein politisches Profil zu. Die „Dorfzeitung“ änderte ihren Erscheinungsrhythmus und wurde anstatt zweimal nun viermal pro Woche herausgebracht. Auf diese Weise avancierte das Blatt gewissermaßen zur politischen Tageszeitung, die sich fortan einzig auf eine aktuelle Berichterstattung über alle politischen Vorgänge im In- und Ausland konzentrierte. Hatte sich die „Dorfzeitung“ entsprechend ihres Titels noch bis 1848 in erster Linie als ein Organ für die einfache ländliche Bevölkerung verstanden, nahm das Blatt nach dem Ausbruch der Revolution von dieser Ausrichtung sofort Abstand. Die Beiträge in der „Dorfzeitung“ waren fortan nicht mehr explizit an den Bauern und Handwerker im kleinstädtisch-ländlichen Raum, sondern allgemein an das ganze „deutsche Volk“ gerichtet.139 Außerdem wurde die inhaltliche Vielfältigkeit des Blattes komplett aufgegeben. Die „Dorfzeitung“ änderte ihre Struktur, die sie auch in der Folgezeit beibehielt,140 und setzte sich im Grunde nur noch aus zwei Teilen zusammen, einem politischen Teil und einem Anzeigenteil. Im Gegensatz zum „Reichsanzeiger der Deutschen“ verzichtete die „Dorfzeitung“ allerdings fast gänzlich darauf, ihre politischen Nachrichten, die unter der Rubrik „Welthändel“ geführt wurden, gezielt zur politischen Aufklärung des „Volkes“ einzusetzen. Zwar schimmern in einigen Texten immer wieder leichte Versuche einer politischen Volksaufklärung durch, doch fallen diese im Vergleich zur politischen Volksaufklärung, die die „Dorfzeitung“ während des Vormärzes betrieben hatte, doch regelrecht kümmerlich aus. Damit hatten die „Dorfzeitung“ und der „Reichsanzeiger der Deutschen“ als Nachfolgeblatt des „Allgemeinen Anzeigers 138 Vgl. u.a. Landwirthschaftliche Bildungsanstalten, in: Reichsanzeiger der Deutschen, Nr. 295 vom 14. Dezember 1849, Sp. 2441 f.; Wie bessert man das Volk?, in: Reichsanzeiger der Deutschen, Nr. 299 vom 19. Dezember 1849, Sp. 2469–2471; Häusliche Erziehung, in: Reichsanzeiger der Deutschen, Nr. 304 vom 27. Dezember 1849, Sp. 2510–2512. 139 Ungeachtet ihrer Neuausrichtung wurde die „Dorfzeitung“ auch nach 1848 größtenteils von einem ländlichen Lesepublikum bezogen. Vgl. GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 494 f. 140 Vgl. Dorfzeitung, 32. Jahrgang, Hildburghausen 1849.

EIN SIEG DER REAKTION?

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und Nationalzeitung der Deutschen“ während der Revolution einen erstaunlichen Wandel vollzogen. Die inhaltliche Neuprofilierung der beiden Blätter führte mehr oder weniger schlagartig zum Ende der zwei bedeutendsten volksaufklärerischen Periodika des Thüringer Raumes. Warum in Thüringen fast alle politischen Presseorgane nach dem Ausbruch der Revolution auf ein volksaufklärerisches Profil verzichteten, ist jedoch schwer zu beantworten. Eine der maßgeblichen Ursachen dürfte aber in der Herausbildung einer politischen Tendenzpresse nach 1848 liegen. Nach Wolfram Siemann wurde überall in der deutschen Presse ab sofort nicht mehr räsoniert, sondern „Partei“ bezogen.141 Diese Einschätzung trifft auch weitestgehend für die thüringische Presse zu.142 Die meisten Blätter, sowohl diejenigen, die sich an die lokale Bevölkerung wandten, als auch jene, die versuchten, einen überregionalen Leserkreis zu erschließen, vertraten gemäßigt-liberale Positionen. Nicht selten beteuerten die Blätter zu Beginn der Revolution, bei der Beurteilung der politischen Ereignisse ihre Neutralität und Objektivität zu bewahren. Im Laufe der Revolution unterstützten dann aber selbst die kleinen Lokalblätter ein bestimmtes politisches Lager und versuchten zuweilen andersgerichtete politische Bewegungen zu diskreditieren.143 Auch die „Dorfzeitung“ und der „Reichsanzeiger der Deutschen“ versicherten ihren Lesern regelmäßig, das politische Geschehen in Frankfurt und den anderen Zentren der deutschen Revolution stets objektiv und unparteiisch zu bewerten. Trotz ihrer Versprechen, politisch neutral zu bleiben, nahmen beide Blätter bald unverkennbar eine gemäßigt-liberale Haltung ein und akzeptierten als zukünftige Staatsform ausschließlich eine konstitutionelle Monarchie. An allen anderen politischen Strömungen, die die zentralen politischen und rechtlichen Prinzipien des gemäßigten Liberalismus ablehnten, etwa in Eigentums- oder Wahlrechtsfragen, übten beide Blätter teils scharfe Kritik. So finden sich im „Reichsanzeiger der Deutschen“ mehrere „Leitartikel“, die sich entschieden gegen die Realisierung sozialistischer und republikanischer Vorstellungen richteten und diese als „Geistesverwirrung“ und als „Schwindel“ bezeichneten.144 Eine andere politische Richtung als die „Dorfzeitung“ und der „Reichsanzeiger der Deutschen“ schlug die von Günther Fröbel herausgegebene „Deutsche 141 Vgl. SIEMANN: Die deutsche Revolution, S. 117. 142 Vgl. GREILING: Presse und Revolution in Thüringen 1848–1850, S. 496–498. 143 Vgl. DERS: Presse und Öffentlichkeit, S. 521–524. Zur Entwicklung der thüringischen Tagespresse während der Revolution in der „Provinz“, exemplarisch dargestellt am „Neustädter Kreis-Boten“ vgl. DERS.: Neustadt an der Orla in der Revolution von 1848/49, in: Ders. (Hrsg.): Revolte und Revolution, S. 63–73. 144 Vgl. Ueber Communismus, in: Reichsanzeiger der Deutschen, Nr. 19 vom 20. Januar 1849, Sp. 105–107; Die deutschen Republikaner, in: Reichsanzeiger der Deutschen, Nr. 184 vom 6. August 1849, Sp. 1521–1523.

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IX. DER AUSKLANG DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Bürger-Zeitung“ ein. Im Laufe der Revolution entwickelte sich das in Rudolstadt erscheinende Blatt zu einem wichtigen publizistischen Organ der demokratischen Bewegung in Thüringen. Infolgedessen nutzten vor allem demokratisch gesinnte Personen die „Deutsche Bürger-Zeitung“ als öffentliche Plattform zur Verbreitung ihrer politischen Ideen. Dass Heinrich Schwerdt den eingangs zitierten Aufruf zur Hebung der politischen Volksbildung gerade in diesem Blatt veröffentlichte, unterstreicht dabei die politische Haltung, die der Neukirchener Pfarrer nach dem Ausbruch der Revolution eingenommen hat. Wenngleich davon ausgegangen werden kann, dass Schwerdt nicht alle politischen Prinzipien der Demokraten für angemessen hielt, muss er dennoch eine gewisse Affinität für die demokratische Bewegung gehegt haben. Als Vertreter eines „demokratischen Radikalismus“ kann er jedenfalls nicht charakterisiert werden. Zumindest die von Schwerdt mehrfach getätigten Äußerungen, dass die Einführung eines allgemeinen Männerwahlrechtes essentiell von der, in seinen Augen noch nicht erreichten, politischen Reife des „Volkes“ abhing, spricht auf den ersten Blick dagegen.145 Der Aufruf von Schwerdt in der „Deutschen Bürger-Zeitung“ macht aber vor allem deutlich, dass sich die thüringischen Volksaufklärer in den Jahren 1848/49 politisch ausdifferenzierten. Hatten die in der politischen Volksaufklärung aktiven Personen bis 1848 im Grunde alle ein gemeinsames Ziel verfolgt – die Erziehung des „gemeinen Mannes“ zum Staatsbürger sowie den Ausbau des modernen Rechts- und Verfassungsstaates –, standen diese Personen nun vor der wesentlich schwierigeren Frage, welche konkreten politischen Konturen der zu konstituierende nationale Rechts- und Verfassungsstaat annehmen sollte. Dabei ist schon allein die Gründung der „Deutschen Bürger-Zeitung“ ein klares Indiz dafür, dass die einzelnen thüringischen Volksaufklärer im Frühjahr 1848 ihre politischen Zielvorstellungen neu geordnet und fortan am Programm der organisatorisch verfestigenden, politischen Parteiströmungen ausrichtet haben. Obwohl Günther Fröbel und Ludwig Renovanz bis zum Ausbruch der Revolution über ein Jahrzehnt zusammen in Rudolstadt die volksaufklärerische Schrift „Thüringer Volksfreund“ betreut hatten,146 trennten sich nun ihre Wege. Während Fröbel im April 1848 die „Bürger-Zeitung“ (ab Juni: „Deutsche Bürgerzeitung“) gründete, gab Renovanz von Januar 1849 bis Dezember 1850 die „Konstitutionellen Blätter für Stadt und Land“ heraus.147 Während das Blatt von Fröbel für Demokratie 145 Ebenso lässt der weitere Lebensweg von Schwerdt im Staats- bzw. Kirchendienst nicht darauf schließen, dass er radikale demokratische Positionen vertrat. Vgl. Kapitel IV.2.1. 146 Vgl. Kapitel VI.2. 147 Ludwig Renovanz konzipierte die „Konstitutionellen Blätter aus Schwarzburg“ als direkten Nachfolger des „Thüringer Volksfreundes“. Ab dem 4. April 1849 (Nr. 27) veröffentlichte Renovanz das Blatt unter einem neuen Titelzusatz. Fortan erschien das Blatt unter dem Namen „Konstitutionelle Blätter für Stadt und Land“. Es wurde zunächst

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plädierte und die Republik für die bestmöglichste Staatsform hielt, verstand sich das Periodikum von Renovanz als ein klarer Verfechter der konstitutionellen Monarchie.148 Beide Blätter dienten anfangs der politischen Volksaufklärung und politischer Meinungsbildung, wobei die politische Aufklärung des „Volkes“ – ähnlich der Entwicklung der „Dorfzeitung“ und des „Reichsanzeigers der Deutschen“ – relativ schnell in den Hintergrund trat und von der politischen Meinungsbildung überlagert wurde. Dass es während der Revolution aufgrund politischer Meinungsverschiedenheiten zu Zerwürfnissen zwischen einstigen Weggefährten kam, war kein Einzelfall. Mitunter zerbrachen sogar jahrelange Freundschaften. Eines der bekannteren Beispiele im Thüringer Raum stellt die Beziehung zwischen Ludwig Storch und Ludwig Bechstein dar. Sie hatten im Vormärz über zwei Jahrzehnte hinweg intensiven Kontakt gepflegt und waren gemeinsam im Thüringer Sängerbund aktiv gewesen. Mittels schriftstellerischer Projekte sowie über Vereine und die Sängerbewegung engagierten sie sich in der historisch-kulturellen Volksaufklärung und versuchten, Einfluss auf die sittlich-moralische und staatsbürgerliche Erziehung der unteren Bevölkerungsschichten auszuüben. Als kurz vor der Revolution das Verlagsgeschäft von Ludwig Storch Konkurs ging, kamen allerdings erste Spannungen zwischen den beiden Freunden auf.149 Aufgrund politischer Differenzen verschärften sich diese Spannungen während der Revolution. Während Ludwig Storch schon bald zu einem glühenden Verfechter der Demokratie avancierte,150 zweimal, später dreimal pro Woche herausgegeben. Vgl. Konstitutionelle Blätter für Stadt und Land, hrsg. von Ludwig Renovanz, Rudolstadt 1849–1850. 148 Bereits im Vorwort der ersten Ausgabe gab Renovanz den Lesern unmissverständlich zu verstehen, welche politische Haltung die „Konstitutionellen Blätter“ vertraten: „Die Männer, welche sich bei diesem Unternehmen betheiligen, glauben noch ein Wort über ihr politisches Glaubensbekenntniß sagen zu müssen. Sie sind alle aufrichtige Freunde des Fortschritts und der Freiheit und werden daher […] mit Bestimmtheit den Rückschritt (Reaktion) bekämpfen, welcher Zustände herbeiführen will, die sich lange überlebt haben; […] Sie wollen ehrlich zu der Freiheit vorwärts, welche auf Gesetz und Ordnung beruht, aber nicht über alle Schranken hinaus zu der Zügellosigkeit, zu der Freiheit, wie der Wilde sie in den Wäldern genießt. Sie wollen namentlich Selbstregierung des Volks in den Gemeindewesen. Theilnahme aller durch Vertreter an der Gesetzgebung und Verantwortlichkeit der höchsten Staatsbeamten; aber sie wollen diese Güter nicht unter der Form der Republik, die alles Bestehende umstürzen würde, sondern unter der Gestalt der wahrhaft konstitutionellen Monarchie.“ Konstitutionelle Blätter aus Schwarzburg, Nr. 1 vom 3. Januar 1849, S. 3. 149 Vgl. SCHMIDT-KNAEBEL: „Man muß doch jemand haben, gegen den man sich ausspricht“, S. 155–166; WEIGEL/KÖLLNER: Ludwig Storch, S. 20 u. 34. 150 Ludwig Storch beteiligte sich als Demokrat aktiv an der Revolution. In Gotha hielt er im März und April 1848 mehrere Volksreden, wo er die Bevölkerung für die demokratische Bewegung zu begeistern suchte. Er trat in Kontakt mit dem Erfurter Demokraten Hermann Alexander Berlepsch und gehörte zu den „Ordnern“ (Mitorganistoren) des zweiten „Thüringer Volkstages“ in Ohrdruf. Außerdem wurde er kurzzeitig zum Schriftleiter der in Gotha erscheinenden, demokratisch gesinnten Zeitung „Das Handwerk“. Aufgrund

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hielt Ludwig Bechstein weiterhin an der konstitutionellen Monarchie fest. Letztlich stellten diese unterschiedlichen politischen Haltungen die Freundschaft auf eine harte Belastungsprobe, die sie nicht überstehen sollte. Am Ende empfand Storch tiefe Ablehnung für Bechstein. Ungewöhnlich hart, beschimpfte er seinen einstigen Freund sogar als „Fürstenknecht“, „Erz-Reactionär“ und „Speichellecker“.151 Auch wenn keine Quellen existieren, die über das Verhältnis zwischen Heinrich Schwerdt und Carl von Pfaffenrath während der Revolution Auskunft geben, so ist schwer vorzustellen, dass die politische Haltung der beiden ehemaligen Weggefährten in den Jahren 1848/49 deckungsgleich war. Es scheint zumindest nicht völlig abwegig, dass Carl von Pfaffenrath, der im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ eine republikanische Staatsform für den neu zu konstituierenden Einheitsstaat immer vehement abgelehnt hatte, die Sympathien, die Heinrich Schwerdt 1848 der demokratische Bewegung entgegengebrachte, zumindest teilweise missbilligt hat. Manch thüringischer Volksaufklärer sah in der Revolution sogar einen Rückschritt und wechselte in ein politisches Lager, welchem er im Vormärz noch sehr kritisch gegenüberstand. So hatte beispielsweise Friedrich Johannes Frommann nach dem Ausbruch der Julirevolution 1830 in seiner volksaufklärerischen Schrift „Thüringer Volksfreund“ noch eine entschieden liberale Haltung eingenommen. Während der Revolution vertrat er aber plötzlich eine komplett gegensätzliche Haltung. Frommann bewertete die politische Entwicklung als negativ und sympathisierte fortan mit der anderen Seite des politischen Spektrums. Seit dem 1. Januar 1849 gab er in Jena die „Deutschen Blätter aus Thüringen“ heraus,152 die eine deutlich konservative Position vertraten und streckenweise sogar die äußerste Rechte in der Paulskirche unterstützten.153 Nachdem also im Jahr 1848 das von Metternich installierte vormärzliche Repressivsystem plötzlich wegbrach, verloren die liberal denkenden thüringischen Volksaufklärer ihren gemeinsamen Gegner. Politische Ziele mussten nun präziser formuliert werden, was zu Differenzierungsprozessen unter den politisch aktiven Volksaufklärern führte und somit zur schnellen Erosion ihrer im Vormärz noch seiner politischen Positionen kam Storch nach dem Ende der Revolution zeitweise in Haft und wurde schließlich gezwungen, Gotha zu verlassen. Vgl. WEIDNER: Gotha in der Bewegung von 1848, S. 140; WEIGEL/KÖLLNER: Ludwig Storch, S. 91–93. Zu den „Thüringer Volkstagen“ vgl. außerdem BURKHARDT, FALK: Die „Thüringer Volkstage“ von Juni bis September 1848. Foren politisierter Öffentlichkeit oder politische Inszenierung einer republikanischen Minorität?, in: Hahn/Greiling (Hrsg.): Die Revolution von 1848/49 in Thüringen, S. 407–444. 151 SCHMIDT-KNAEBEL: „Man muß doch jemand haben“, S. 163. 152 Vgl. Deutsche Blätter aus Thüringen, hrsg. von Friedrich Johannes Frommann, Jena 1848–1850. 153 Vgl. GREILING: Presse und Revolution, S. 497.

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als weitgehend einheitlich wahrgenommenen Bewegung. Damit stellten die Revolutionsjahre für manch einen Volksaufklärer letztlich auch eine „politische Findungsphase“ dar. Wie Werner Greiling anschaulich dargestellt hat, veränderten sich die politischen Positionen vieler thüringischer Periodika bzw. der Personen, die für diese Blätter als Autoren oder Mitgestalter tätig waren, mit den Konjunkturen des politischen Geschehens.154 Während diese „politischen Schwankungen“ vorrangig bei kleinen Lokalblättern zu beobachten sind, vollzogen vereinzelt auch überregional ausgerichtete Blätter eine ähnliche Entwicklung. Bekanntestes Beispiel hierfür ist wiederum die Hildburghäuser „Dorfzeitung“. Nahm das Blatt zu Beginn der Revolution noch eine entschieden liberale Haltung ein, änderte sich dies in den Jahren 1849/50. Als sich Ende des Jahres 1848 allmählich abzeichnete, dass sich die Liberalen nicht gegen die konservativ-reaktionären Kräfte durchsetzen konnten, wandelte die „Dorfzeitung“ langsam ihre politische Haltung. Im Laufe des Jahres 1849 schimmerten immer stärker konservative Tendenzen durch. Nach dem Ende der Revolution nahm die „Dorfzeitung“ dann endgültig eine eher konservative, weitgehend realpolitische Position ein, die sie auch in den Jahren nach 1850 beibehielt. Fasst man dies alles zusammen, kann also grundsätzlich festgehalten werden, dass die meisten thüringischen Presseorgane, sowohl die bereits bestehenden als auch neugegründeten Periodika, während der Revolution hauptsächlich darauf bedacht waren, möglichst viel Einfluss auf die politische Gesinnung ihrer Leser auszuüben. Die volksaufklärerische Publizistik, die bisher über die inhaltlich universell konzipierten Tages- oder Wochenblätter politische Informationen an die breite Masse der Bevölkerung weitergegeben hatte, passte sich dieser Entwicklung nahtlos an und forcierte sie zugleich. Ging es der politischen Volksaufklärung im Vormärz in erster Linie um eine verständliche Analyse politischer Vorgänge, die dem „Volk“ die genaue Funktionsweise der unterschiedlichen politischen Systeme nahebringen sollte, so trat im Laufe der Revolution diese Art der politischen Aufklärungspraxis sukzessive in den Hintergrund, bis sie schließlich gänzlich verschwunden war. Wollten die liberal denkenden Volksaufklärer den „gemeinen Mann“ im Vormärz in erster Linie über seine Rechte und Pflichten innerhalb einer bürgerlichen Gesellschaft aufklären und ihn damit gleichsam zu einem „ordentlichen“ Staatsbürger erziehen, ging es ihnen während der Revolution nun vielmehr um eine gezielte politische Meinungsbildung. Die einzelnen Presseorgane, die nicht selten unter der Leitung von Personen standen, die bereits im Vormärz schon einmal ein volksaufklärerisches Blatt herausgegeben oder an diesem mitgearbeitet hatten, vertraten nun eine dezidierte politische Meinung, die in der Regel an eine 154 Vgl. DERS.: Presse und Öffentlichkeit, S. 532.

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bestimmte politische Richtung oder politische Partei gebunden war. Die Tagespresse wollte nicht mehr aufklären, belehren und unterhalten, sondern in erster Linie als ein politischer Meinungsträger fungieren. Das belehrend-unterhaltsame Element, welches die publizistische Volksaufklärung seit den 1780er Jahren maßgeblich gekennzeichnet hat, wurde aus allen täglich oder halbwöchentlich erscheinenden politischen Zeitungen und Zeitschriften ersatzlos gestrichen. Das Bedürfnis nach periodischer Unterhaltungs-, Wissenschafts- und Kulturlektüre wurde nach 1850 zunehmend durch Fach- und Familienzeitschriften abgedeckt.155 Nach Rudolf Stöber avancierten dabei vor allem die Familienblätter zu den Unterhaltungsmedien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.156 Sie standen in der Tradition der Moralischen Wochenschriften und richteten sich an ein Massenpublikum. In der Regel waren die Familienblätter als Zeitschriften für alle Bevölkerungsgruppen konzipiert. Unabhängig von Alter, Beruf und gesellschaftlicher Stellung gehörten zum potentiellen Leserkreis Eltern und Kinder, Frauen und Männer, Arme und Reiche sowie Gebildete und Ungebildete.157 Wie die Moralischen Wochenschriften wollten die Familienblätter belehren, unterhalten, gemeinnützig wirken und die „guten“ Sitten fördern.158 Auch inhaltlich orientierten sich die Familienblätter an den Moralischen Wochenschriften. Stilistisch und sprachlich dem zeitgenössischen Leseverhalten angepasst, veröffentlichten sie neben Gesellschafts-, Heimat-, Liebes- und Familienromanen auch Erzählungen und Berichte universalen Inhalts zu Themen aus den Bereichen Geographie, Geschichte, Naturkunde, Technik, Gewerbe, Haushalt, Kunst, Literatur und Religion.159 Zudem wurden die Zeitschriften durch kleine Rätseleinlagen, Gedichte, Novellen, Märchen, biographischen Skizzen und satirisch-humoristische Aufsätze aufgelockert.

155 Vgl. FAULSTICH, WERNER: Medienwandel im Industrie- und Massenzeitalter (1830– 1900), Göttingen 2004, S. 60–77. 156 STÖBER, RUDOLF: Deutsche Pressegeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 2. Aufl. Konstanz 2005, S. 267. 157 Vgl. FAULSTICH: Medienwandel im Industrie- und Massenzeitalter, S. 64. 158 Vgl. STÖBER: Deutsche Pressegeschichte, S. 267. Vgl. hierzu außerdem BARTH, DIETER: Das Familienblatt – ein Phänomen der Unterhaltungspresse des 19. Jahrhunderts. Beispiele zur Gründungs- und Verlagsgeschichte, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens, 15 (1975), Sp. 121–316; GRAF, ANDREAS: Familien- und Unterhaltungszeitschriften, in: Jäger, Georg (Hrsg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 1: Das Kaiserreich 1871–1918, Teil 2, Frankfurt am Main 2003, S. 409– 447. 159 Vgl. STÖBER: Deutsche Pressegeschichte, S. 267 f.

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Zur erfolgreichsten Familienzeitschrift entwickelte sich „Die Gartenlaube“,160 die seit 1853 in Leipzig erschien und eine Startauflage von 5.000 Exemplaren hatte.161 Als Herausgeber und Redakteur der „Gartenlaube“ zeichnete der in dem thüringischen Kleinstädtchen Langensalza geborene Ernst Keil verantwortlich, der von dem Weimarer Hofbuchhändler Johann Wilhelm Hoffmann ausgebildet wurde und in den 1830er Jahren mehrere Beiträge für die Hildburghäuser „Dorfzeitung“ verfasst hatte.162 Die „Gartenlaube“ erzielte binnen kürzester Zeit immensen Zuspruch beim Lesepublikum. Es gelang Keil, namhafte Volksschriftsteller als auswärtige Mitarbeiter zu gewinnen, darunter auch Heinrich Schwerdt und Ludwig Storch, was die Popularität des Blattes nochmals steigerte. Im Jahr 1861 verzeichnete die „Gartenlaube“ über 100.000 Abonnenten und erreichte in den Folgejahren bis 1875 schließlich eine Auflagenhöhe von 382.000 Exemplaren.163 Damit hatten die belehrend-unterhaltsamen, universal ausgerichteten volksaufklärerischen Wochenblätter, die in der Regel eine Auflage zwischen 500 und 4.000 Exemplaren erreichten und nun einem viel höheren Konkurrenzdruck ausgesetzt waren, in den 1850er Jahren endgültig ausgedient. Es kam zur Ausdifferenzierung und Spezialisierung von Zeitungen und Zeitschriften. Tageszeitungen richteten ihr Hauptaugenwerk verstärkt auf politische oder gesellschaftliche Themen und entwickelten sich häufig zur Meinungspresse eines parteipolitischen Lagers,164 das sich während der Revolution herausgebildet hatte, während sich Familienzeitungen und illustrierte Zeitungen auf den Unterhaltungssektor konzentrierten. Zwar hielten in Thüringen einige Regional- und Lokalzeitungen für kurze Zeit auch nach 1850 strukturell an den alten, im Vormärz herausgebildeten Mustern fest, doch können deren inhaltliche Schwerpunktsetzungen ebenfalls nicht mehr als volksaufklärerisch bezeichnet werden. 160 Das erste Heft der „Gartenlaube“ erschien am 1. Januar 1853 noch als „Beiblatt zum illustrierten Dorfbarbier“. Ab Nummer 44 wurde die „Gartenlaube“ als eigenständiges Unterhaltungsblatt herausgegeben. Vgl. Die Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt, Leipzig 1853. 161 Nach Andreas Graf ist die „Gartenlaube“ der „Prototyp der Familienzeitschrift schlechthin“. Vgl. GRAF: Familien- und Unterhaltungszeitschriften, S. 427. 162 Zum Leben Ernst Keils (1816–1878) sowie dessen literarisch-publizistischen Tätigkeiten vor und nach der Revolution vgl. HAMOUDA, FAYÇAL (Hrsg.): Der Leipziger Ernst Keil und seine „Gartenlaube“, Leipzig 2005; SCHULZ, GERD: Keil, Ernst, in: NDB, Bd. 11: Kafka – Kleinfercher, Berlin 1977, S. 402 f. 163 Vgl. FAULSTICH: Medienwandel im Industrie- und Massenzeitalter, S. 66. 164 Trotz der Politisierung der Tagespresse wurden bestimmte Ressorts, etwa das Feuilleton oder der Anzeigenteil, auch nach 1850 beibehalten, nahmen in den Zeitungen aber im Vergleich zum politischen Teil einen wesentlich geringeren Stellenwert ein. Zur Problematik der Entstehung von Sparten und Ressorts in der deutschen Zeitungslandschaft ab 1830 vgl. STÖBER: Deutsche Pressegeschichte, S. 180–210; FAULSTICH: Medienwandel im Industrie- und Massenzeitalter, S. 28–40.

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IX. DER AUSKLANG DER VOLKSAUFKLÄRUNG

Dass die politische Volksaufklärung in der Publizistik nach 1850 nicht mehr nach vormärzlichen Mustern fortgeführt wurde, kann aber vor allem darauf zurückgeführt werden, dass das Politikverständnis der mittleren und unteren Bevölkerungsschichten während der Revolution einen grundlegenden Wandel vollzog. Die eben beschriebenen Veränderungen der deutschen Pressestrukturen waren letztlich ein Ergebnis dieses Wandels. Das von Heinrich Schwerdt eingangs zitierte, noch gegen Ende des Jahres 1848 monierte Niveau der politischen Bildung des „Volkes“ hatte sich bis 1850 erheblich verbessert. Wie von ihm angestrebt, konnte Schwerdt seine Einschätzung, dass die breite Masse zu wenig über die Grundlagen der unterschiedlichen politischen Systeme wisse, nach zwei Jahren wieder revidieren. Durch den Aufschwung des politischen Zeitungswesens – in Zusammenspiel mit den zahlreichen Vereinsgründungen, Petitionsanträgen, Leseabenden, öffentlichen Reden und Wirtshausdebatten – hatte die Politisierung der breiten Bevölkerung in den Jahren 1848/49 enorme Fortschritte gemacht. Die im Vormärz begonnene Fundamentalpolitisierung der sozial schlechter gestellten und weniger gebildeten Bevölkerungsschichten wurde im Zuge der Revolution endgültig abgeschlossen.165 Auch in Thüringen führte die Revolution zu einer weitgehenden Fundamentalpolitisierung der Bevölkerung.166 Folgt man den Ausführungen Werner Greilings, dann hatte die Presse einen wesentlichen Anteil daran, dass es nach 1848 in Thüringen zur Herausbildung einer breiten politischen Öffentlichkeit kam, die von den konservativ-reaktionären Kräften auch durch die Wiedereinführung rigider Repressionsmaßnahmen nicht mehr unterdrückt werden konnte.167 Dadurch wurde eine politische Volksaufklärung nach vormärzlichem Muster, die den ungebildeten Bevölkerungsschichten in erster Linie verständliche Erklärungen zur Funktionsweise unterschiedlicher politischer Systeme lieferte, gewissermaßen überflüssig. Nach 1850 dürfte der Großteil der weniger gebildeten Bevölkerung im Groben ein Bild davon gehabt haben, was die Grundpositionen der fünf großen Parteigruppierungen waren.168 165 Vgl. SIEMANN: Die Deutsche Revolution, S. 225. 166 Vgl. GREILING. Presse und Öffentlichkeit, S. 259; HAHN, HANS-WERNER: Die „Selbstregierung“ des „freien Bürgers“: Thüringen und die Revolution von 1848/49, in: Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus, Heft 11: Parlamente und Parlamentarier Thüringens in der Revolution von 1848/49, Weimar 1998, S. 18–23. 167 GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 527–531. 168 Zur Herausbildung der fünf Parteigruppierungen – Liberalismus, demokratische Bewegung, Konservativismus, politischer Katholizismus, Arbeiterbewegung – während der Revolution und ihre Verankerung in der deutschen Gesellschaft in den 1850er und 1860er Jahren vgl. WERNER, EVA MARIA: Kleine Geschichte der deutschen Revolution von 1848/49, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 54–60; NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 715–749.

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Und letztendlich kann außerdem konstatiert werden, dass die Bilanz der Revolution in Thüringen nicht so negativ ausfällt, wie dies frühere Historiker gezeichnet haben.169 Lässt man das verfehlte Ziel der Gründung eines konstitutionellen Nationalstaates einmal außer Acht, dann wird bei näherer Betrachtung überaus deutlich, dass eine Vielzahl der von den Liberalen geforderten politischen und rechtlichen Reformen nicht nur in den zwei Jahren der Revolution verwirklicht werden konnten, sondern auch in der Reaktionszeit weiter fortbestanden.170 Sowohl die in der volksaufklärerischen Publizistik vehement geforderte Abschaffung aller noch bestehenden Feudallasten als auch die Beseitigung altständischer Vorrechte, etwa die Aufhebung der grundherrlichen Patrimonialgerichtsbarkeit, wurden während der Revolution durchgesetzt und auch nach 1850 nicht wieder revidiert. Ebenso wurden die in den thüringischen Staaten im Zuge der Revolution eingeleiteten Verwaltungs- und Justizreformen in den 1850er Jahren fortgeführt sowie die 1848/49 erfolgte Modernisierung der einzelstaatlichen Verfassungen nicht völlig rückgängig gemacht, sondern in kleinen und behutsamen Schritten den Vorstellungen des gemäßigten Liberalismus angepasst. Nach Hans-Werner Hahn blieben in den thüringischen Kleinstaaten „weit mehr Reformgesetze von 1848/49 bestehen als anderswo in Deutschland“.171 Auf diese Weise hatte die Revolution in Thüringen letztendlich doch erheblich dazu beigetragen, dass die liberal denkenden Volksaufklärer ihren zwei zentralen Zielen, der Modernisierung des Rechts- und Verfassungsstaates sowie der Überwindung der ständischen Gesellschaft, ein großes Stück näher gekommen waren.

169 Vgl. HAHN, HANS-WERNER: Die Revolution von 1848/49 – eine „gescheiterte Revolution“? Bemerkungen aus thüringischer Sicht, in: Ders./Greiling (Hrsg.): Die Revolution von 1848/49 in Thüringen, S. 651–668; DERS.: Die „Selbstregierung“ des „freien Bürgers“, S. 13–18; DERS.: Die Revolution von 1848/49 in Thüringen und die Wurzeln unserer Demokratie, in: Greiling (Hrsg.): Revolte und Revolution, S. 164–169. 170 Vgl. MÜLLER: Die thüringischen Landtage, S. 71–76. 171 HAHN: Die Revolution von 1848/49 in Thüringen, S. 167.

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X. Schlussbetrachtung

Das Schlusskapitel dieser Arbeit soll einen zusammenfassenden Abriss der vorliegenden Ergebnisse liefern. Die folgenden Ausführungen verdeutlichen hierbei nochmals die Komplexität und Vielschichtigkeit der Volksaufklärung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit war die übergeordnete Fragestellung, welche personelle und inhaltliche Entwicklung die Volksaufklärungsbewegung im territorial kleinstaatlich gegliederten Thüringen im Zeitraum von 1815 bis 1848 vollzogen hat. Grundsätzlich konnte dabei aufgezeigt werden, dass die Volksaufklärung im gesamten Thüringer Raum im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht an Intensität verlor. Thüringen konnte auch nach 1800 seinen Status als Zentrum der Volksaufklärung beibehalten. In allen thüringischen Kleinstaaten finden sich Akteure, die entweder mit literarisch-publizistischen Mitteln oder durch die Gründung von Bildungsanstalten die Aufklärung des „Volkes“ voranzutreiben suchten. Daran anschließend kann außerdem festgehalten werden, dass in Thüringen die Produktion volksaufklärerischer Lektüre im Zeitraum von 1815 bis 1848 kontinuierlich angestiegen ist und mit dem von Holger Böning und Reinhart Siegert skizzierten gesamtdeutschen Verlauf der literarisch-publizistischen Volksaufklärung übereinstimmt. Die Volksaufklärung blieb auch in der Vormärzzeit im Kern eine Bewegung des gebildeten Bürgertums. Dabei fällt auf, dass sich die Volksaufklärungsbewegung im Thüringer Raum vor allem aus Bildungsbürgern zusammensetzte, die im Kindes- und Jugendalter in aufklärerisch geprägten Milieus aufwuchsen und in der Regel eine philanthropische Erziehung genossen. Darüber hinaus hat ein Großteil der akademisch gebildeten Volksaufklärer an den Universitäten in Jena, Leipzig und Halle studiert. Die von den thüringischen Volksaufklärern regelmäßig gestellte Forderung, der „gemeine Mann“ solle sich an der Gestaltung volksaufklärerischer Schriften und an der Vermittlung aufklärerischen Gedankengutes beteiligen, stieß im „Volk“ kaum auf Resonanz. Auch Personen wie der Weimarer Buchbindermeister Adam Henß oder der Altenburger Großbauer Zacharias Kresse, die sich im Vormärz in verschiedenen Bereichen für eine Verbesserung der Volksbildung einsetzten, gehörten nicht zum „mittelständischen“ Bauernund Handwerkerstand. Sie hatten bereits einen „Aufklärungsprozess“ durchlaufen. Durch Eigeninitiative hatten sie ihr Bildungsniveau gehoben, ihr Leben am bürgerlichen Wertekanon ausgerichtet und ihren materiellen Wohlstand vermehrt. Aufgrund ihrer politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Tätigkeiten hatten sie bereits einen sozialen Status erreicht, der dem aufklärerischen Ideal

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X. SCHLUSSBETRACHTUNG

eines gemeinnützig handelnden und gebildeten Staatsbürgers in vielen Punkten Rechnung trug und sich damit schon signifikant von der Denk- und Lebensweise der noch aufzuklärenden Masse des „Volkes“ unterschied. Den größten Teil der Volksaufklärer stellten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Thüringer Raum die Geistlichen. Vor allem die thüringischen Landpfarrer wurden direkt „vor Ort“ in den dörflichen und kleinstädtischen Gemeinden als „Volkserzieher“ aktiv. Sie gründeten Lese-, Landwirtschafts- und Gewerbevereine sowie Volksbibliotheken und Schulanstalten. Außerdem betätigten sich zahlreiche Geistliche als Herausgeber oder Autoren volksaufklärerischer Schriften oder beteiligten sich als auswärtige Mitarbeiter an der Gestaltung gemeinnützig-volksaufklärerischer Periodika. Ebenso engagierten sich Geistliche aus dem höheren Kirchendienst in der Volksaufklärung, richteten ihr Augenmerk aber noch zusätzlich auf die Reformierung des staatlich organisierten, niederen Schulwesens. Daneben beteiligten sich im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr Verwaltungsbeamte, Buchhändler und Schullehrer an der Aufklärung des „Volkes“. Sie avancierten neben den „klerikalen Volkserziehern“ schließlich zu den wichtigsten Trägern der vormärzlichen Volksaufklärung in Thüringen. Auch Teile des im Staatsdienst beschäftigten Adels,1 vor allem jene, die den Idealen der Aufklärung und dem Prinzip der bürgerlichen Leistungsgesellschaft aufgeschlossen gegenüberstanden,2 engagierten sich nach 1800 zunehmend in der Volksaufklärung. Der im Dienst des Meininger Herzogs stehende Carl von Pfaffenrath, der mit verschiedenen publizistischen und institutionellen Projekten das Bildungsniveau und den Wohlstand der landwirtschafts- und gewerbetreibenden Bevölkerung anheben wollte, lässt sich hierbei gewissermaßen als „Idealtyp“ eines adligen Volksaufklärers beschreiben. Aufgrund ihrer unterschiedlichen beruflichen Tätigkeitsfelder und den daraus resultierenden mannigfaltigen sozialen Bindungen und wirtschaftlichen Verflechtungen zu anderen Gesellschaftsgliedern können die thüringischen Volksaufklärer allerdings nur bedingt als eine homogene Gruppe betrachtet werden. Schon die exakte Bestimmung des gesellschaftlichen und sozialen Status der einzelnen Volksaufklärer erweist sich bei näherer Betrachtung einiger Protagonisten als recht diffizil. Vor allem die gemeinnützig-volksaufklärerisch engagierten Buchhändler wie Carl Joseph Meyer oder Bernhard Friedrich Voigt lassen sich nur sehr schwer in ein klar definiertes gesellschaftliches Muster einordnen. Oftmals lassen ihre Tätigkeiten sowohl bildungs- als auch wirtschaftsbürgerliche Elemente erkennen. Auch ihre gesellschaftliche Stellung innerhalb der Städte kann keinem 1

2

Zu den Tätigkeitsfeldern sowie den politischen Positionen des thüringischen Adels in der sich formierenden bürgerlichen Gesellschaft im frühen 19. Jahrhundert vgl. grundlegend KREUTZMANN: Zwischen ständischer und bürgerlicher Lebenswelt. Vgl. NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 259.

SCHLUSSBETRACHTUNG

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eindeutigen Typus zugeordnet werden. Zum einen waren sie Teil des traditionellen, zunftgebundenen Stadtbürgertums, zum anderem weisen sie ebenso charakteristische Merkmale eines modernen Unternehmers auf, der außerhalb der bestehenden Wirtschafts- und Sozialordnung agierte.3 Abhängig von der Berufsausübung konnte sich das unmittelbare Lebensumfeld der einzelnen thüringischen Volksaufklärer mitunter stark voneinander unterscheiden. Die Lebenssituation eines Pfarrers, der sein Amt in einer kleinen Gemeinde auf dem „Land“ ausübte und tagtäglich fast ausschließlich in Kontakt mit der weniger gebildeten Bevölkerung der einfachen Bauern, Handwerker und Heimarbeiter stand, unterschied sich evident von der eines Superintendenten, Verlagsbuchhändlers oder hohen Verwaltungsbeamten, der in einer Residenzstadt lebte. Die thüringischen Volksaufklärer verkehrten demzufolge in unterschiedlichen sozialen Milieus, sammelten unterschiedliche Erfahrungen und entwickelten infolgedessen auch unterschiedliche Ansichten zu wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Detailfragen. So entwarfen sie beispielsweise gleich mehrere politisch-rechtliche und wirtschaftliche Reformansätze zur Überwindung des Pauperismusproblems, die in ihrer Breite jedoch erheblich variierten. Während etwa die einen für eine Liberalisierung der Wirtschaft plädierten und die Abschaffung der Zünfte forderten, verwiesen die anderen auf die negativen Folgen der englischen Industrialisierung und setzten sich für die Beibehaltung des bestehenden Zunftsystems ein. Beide Lager verfolgten das gleiche Ziel – die Vermehrung des Wohlstandes der arbeitenden Volksmassen sowie die Steigerung des Allgemeinwohls –, vertraten jedoch voneinander abweichende Positionen, wie dieses erreicht werden könnte. Das dichte, weitverzweigte und breitgefächerte Zeitungs- und Zeitschriftenwesen in Thüringen ermöglichte den Volksaufklärern während der gesamten Vormärzzeit eine überregionale Vernetzung und gegenseitige Kommunikation. Zahlreiche volksaufklärerische Periodika dienten nicht nur der Vermittlung aufklärerischen Gedankengutes an die weniger gebildeten Bevölkerungsschichten, sondern wurden von den aufklärerisch denkenden Gebildeten auch intensiv zum Ideen- und Meinungsaustausch genutzt. Nicht wenige periodische Schriften verstanden sich ausdrücklich als öffentliche Kommunikationsplattformen, die nicht nur den Einwohnern größerer Städte, sondern ebenso den Menschen in den kleinen, ländlichen Gemeinden eine Möglichkeit bieten wollten, an aktuellen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Diskursen aktiv teilzuhaben. 3

Dass seit dem frühen 19. Jahrhundert einige Buchhändler und Verleger nicht mehr scharf in Wirtschafts- oder Bildungsbürger getrennt werden können, hat bereits Julia A. SchmidtFunke anschaulich an der Person des Weimarer Verlegers Friedrich Justin Bertuch dargelegt. Vgl. SCHMIDT-FUNKE, JULIA A.: Auf dem Weg in die Bürgergesellschaft. Die politische Publizistik des Weimarer Verlegers Friedrich Justin Bertuch, Köln/Weimar/Wien 2005, hier S. 431.

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Darüber hinaus tauschten nahezu alle thüringischen Volksaufklärer über Sozietäten, Vereine oder andere bürgerlich-aufklärerische Organisationen Meinungen und Ideen aus. Außerdem standen einzelne Volksaufklärer in engem oder lockerem Briefkontakt. Trotz dieser dichten kommunikativen Vernetzung bildeten die thüringischen Volksaufklärer aber kein geschlossenes Netzwerk,4 das auf Basis eines gemeinsam ausgearbeiteten Programms bzw. einer einheitlichen Strategie operierte. Eine aufeinander abgestimmte, koordinierte Zusammenarbeit lässt sich nur für kleinere Gruppen, aber nicht für die Gesamtheit aller in Thüringen aktiven Volksaufklärer nachweisen. Zwar wurde eine solche Zusammenarbeit von einigen thüringischen Volksaufklärern hin und wieder angestoßen, konnte allerdings nie umgesetzt werden. Neben den kaum zu bewältigenden logistischen Problemen waren außerdem die unterschiedlichen Interessensschwerpunkte zwischen den handelnden volksaufklärerischen Akteuren nur schwer in Einklang zu bringen. Den meisten thüringischen Volksaufklärern genügte der über die Publizistik geführte Meinungs- und Ideenaustausch. Sie nutzen die dort entworfenen (volks-)aufklärerischen Grundideen als Orientierungshilfe bei der Verwirklichung ihrer eigenen Vorstellungen. Zudem zeigen die in den Periodika öffentlich geführten Diskurse, dass die Volksaufklärer in Streitfragen prinzipiell um einen Ausgleich bemüht waren. Selbst zu kontrovers diskutierten politischen und wirtschaftlichen Fragen, die in der Regel durch das Aufeinanderprallen traditioneller und moderner Gegensätze ausgelöst wurden, fanden die Volksaufklärer in der Publizistik oftmals zu konsensfähigen Kompromisslösungen. Auf diese Weise hat die Volksaufklärung im vormärzlichen Thüringen eine weitgehend einheitliche Grundrichtung eingeschlagen. Trotz mancher Differenzen blieb das oberste Ziel aller Volksaufklärer stets die Verbesserung des Bildungsniveaus des „Volkes“, was wiederum eine Steigerung des Gemeinwohls bewirken sollte. Vor allem die primäre Fokussierung auf dieses zentrale Anliegen kennzeichnet die Volksaufklärung auch im Vormärz weiterhin als eine einheitliche Bewegung. Neben dem Aufklärungsbegriff avancierte dabei der Begriff „Bildung“ bzw. „Volksbildung“ zum zentralen Schlagwort der vormärzlichen Volksaufklärung. Die zu verbessernde Bildung des „gemeinen Mannes“ umfasste drei Grundelemente: 1.) Die Aneignung von neuem Wissen, 2.) Die Annahme einer vernunftgeleiteten Denk- und Lebensweise, und 3.) Die Annahme (bildungs-)bürgerlicher Werte- und Tugendvorstellungen. Nach dem Verständnis der Volksaufklärer bildeten diese drei Komponenten den Schlüssel zu „wahrer Aufklärung“ bzw. „wahren Bildung“. Zwar wurde von der landwirt4

Zum Problem einer genauen Differenzierung zwischen „Vernetzung“ und „Netzwerk“ vgl. grundlegend JANSEN, DOROTHEA: Einführung in die Netzwerkanalyse. Grundlagen, Methoden, Anwendungen, Opladen 1999.

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schafts- und gewerbetreibenden Bevölkerung nicht gefordert, den gleichen Bildungsstand wie das akademisch gebildete Bürgertum anzunehmen, doch sollte der „gemeine Mann“ zumindest versuchen, dem Ideal der „wahren Bildung“ sukzessive näher zu kommen. Das „Volk“ sollte Stück für Stück an das Bildungsniveau ihrer Lehrer, den „gesitteten Ständen“, herangeführt werden. In den Augen der Volksaufklärer war am Ende dieses Bildungsprozesses eine aufgeklärte, sittliche, wohlhabende und glücklichere Gesellschaft zu erwarten. Was die inhaltliche Ausrichtung der Volksaufklärung während der Vormärzzeit betrifft, so kann festgehalten werden, dass das komplette Themenspektrum, welches die Volksaufklärung am Ende des 18. Jahrhunderts erschlossen hatte, im Wesentlichen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts beibehalten wurde. Die Inhalte reichten von landwirtschaftlich-ökonomischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen Themen, die dem „gemeinen Mann“ in erster Linie als praktische Lebenshilfe dienen sollten, bis hin zu politisch-rechtlichen, religiösen, sittlichmoralischen und historisch-völkerkundlichen Themen, die vordergründig auf eine Erziehung des „gemeinen Mannes“ zum patriotisch-gemeinnützig agierenden Staatsbürger zielten. Dabei wurde stets darauf geachtet, dass die vermittelten Inhalte, vor allem auf ökonomisch-naturwissenschaftlichem Gebiet, dem aktuellen Wissensstand entsprachen. Wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse eine Aufwertung der Lebenssituation des „gemeinen Mannes“ versprachen, wurden diese umgehend in die aktuelle volksaufklärerische Lektüre implementiert. Ebenso wurden die literarisch-publizistischen Medien und Vermittlungskonzepte, die seit den 1780er Jahren bei der Popularisierung aufklärerischen Gedankengutes zur Anwendung kamen, nahezu unverändert beibehalten. Die literarisch-publizistische Volksaufklärung weist in ihrer Spätphase noch dieselben formalen und stilistischen Eigenschaften auf, wie man sie in den volksaufklärerischen Schriften des ausgehenden 18. Jahrhunderts findet. Besonders die Methode, dem „Volk“ aufklärerisches Gedankengut mittels belehrend-unterhaltsamer Erzählungen oder in dialogisch-katechistischer Form zu vermitteln, wurde konstant bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fortgeführt. Daneben existierten auch weiterhin Bücher und Periodika, die ausschließlich Sachtexte beinhalteten und dem „gemeinen Mann“, ähnlich der Frühphase der Volksaufklärung, zur direkten Nutzanwendung in der Land- und Hauswirtschaft oder in der Gewerbewirtschaft in die Hand gegeben wurden. Welche aufklärerischen Inhalte von den volksaufklärerisch engagierten Gebildeten an die weniger gebildeten Bevölkerungsschichten weitergereicht wurden, hing von der Persönlichkeit und den Interessen der einzelnen Protagonisten ab. So verfassten Gutsbesitzer und Rentamtmänner aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit vorwiegend landwirtschaft-ökonomische Schriften, während sich Geistliche verstärkt der religiösen und sittlich-moralischen Aufklärung widmeten. Grundsätzlich kann dabei festgehalten werden, dass landwirtschaftlich-ökono-

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mische und sittlich-moralische Schriften den Hauptanteil der im vormärzlichen Thüringen produzierten volksaufklärerischen Lektüre bildete. Die Schriften, die eine praktische Absicht verfolgten, waren überwiegend an einfache Bauern, Handwerker und Heimarbeiter, die über ein wenig Besitz verfügten, gerichtet. Ländliche und städtische Unterschichten, wie Tagelöhner oder Dienstboten, konnten von dem neuen, nutzbringenden Wissen nur geringfügig profitieren. Andere Volksaufklärer, wie beispielsweise Ludwig Bechstein und Ludwig Storch, konzentrierten sich hingegen in ihren Schriften hauptsächlich auf eine Förderung kultureller Aspekte. Die dort vermittelten Inhalte waren prinzipiell an alle „Volksgruppen“ gerichtet. Volksaufklärerische Schriften, die sich mit der Geschichte, Völkerkunde und Geographie beschäftigten, sollten dem „Volk“ die kulturellen Entwicklungen und Errungenschaften der Menschheit in Philosophie, Wissenschaft, Technik, Kunst und Religion gezielt vor Augen führen und gleichzeitig dem „gemeinen Mann“ verdeutlichen, dass jeder Mensch eine bestimmte regionale und nationale Identität besaß. Zusätzlich versuchten die Volksaufklärer mit unzähligen Moralischen Geschichten, Märchen und Sagen, die Masse der weniger gebildeten Bevölkerung zur Annahme bürgerlicher Werte und Tugenden zu bewegen.5 Auffallend ist außerdem, dass auch im Vormärz einige Volksaufklärer sich bei der Vermittlung aufklärerischen Gedankengutes bewusst nur auf ökonomische und sittlich-moralische Inhalte beschränkten und in ihren Schriften politischrechtliche Themen auf ein Mindestmaß reduzierten. Sie gehörten zu den Vertretern einer „verhältnismäßigen Aufklärung“, die zwar grundsätzlich den Abbau ständischer Privilegien und die Überwindung rechtlicher Ungleichheiten befürworteten, gleichzeitig aber Bedenken hegten, dies öffentlich gegenüber dem „Volk“ zu artikulieren, weil sie die Wirkung ihrer Forderungen nicht richtig einzuschätzen wussten. Zwar plädierten sie in ihren Schriften regelmäßig für die Abschaffung von Frondiensten und übten Kritik am System der Leibeigenschaft, äußerten aber zu konkreten, aktuellen politischen Ereignissen und Zuständen kaum ein Wort. Besonders prägend für die Entwicklung der literarisch-publizistischen Volksaufklärung in Thüringen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das in den 1780er Jahren erstellte Konzept einer „allumfassenden“ Volksaufklärung. In Anlehnung an Rudolf Zacharias Beckers „Noth= und Hülfsbüchlein“ und Christian Gotthilf Salzmanns „Der Bote aus Thüringen“ erschienen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine beachtliche Zahl inhaltlich universell ausgerichteter Einzelschriften und Periodika, die dem „gemeinen Mann“ ein möglichst umfang5

Zu den Motiven und Inhalten sowie dem Werte- und Tugendkatalog der „Moralischen Geschichten“ im 19. Jahrhundert vgl. grundlegend ALZHEIMER-HALLER: Handbuch der narrativen Volksaufklärung.

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reiches Wissen aus einem sehr breitgefächerten Themenspektrum vermitteln wollten. Vergleicht man dabei die Schriften der „allumfassenden“ Volksaufklärung des 18. mit denen des 19. Jahrhunderts, dann wird deutlich, dass Inhalt und Programmatik im Zeitraum von 1790 bis 1850 weitgehend identisch geblieben sind.6 Die Mehrzahl dieser Schriften bot ihren Lesern eine vielfältige Kombination aus landwirtschaftlichen, ökonomischen, medizinischen, juristischen, religiösen und kulturellen Inhalten. Zugleich wollten sie sittlich-moralisch auf ihre Leser einwirken sowie den „gemeinen Mann“ zu mehr Selbstdenken und Eigeninitiative bewegen. Für zahlreiche thüringische Volksaufklärer, die ein universell ausgerichtetes Periodikum herausgaben oder sich als Mitarbeiter eines solchen betätigten, war es selbstverständlich, dass sich die Aufklärung bzw. Bildung des „Volkes“ nicht allein auf Lesen, Schreiben und praktisch nützliches Wissen beschränken durfte, sondern alle Bereiche, die mittelbar oder unmittelbar das Leben und die Interessen des „gemeinen Mannes“ tangierten, zu umfassen hatte.7 Auch eine Beschäftigung mit politischen Themen sollte dem „gemeinen Mann“ nicht verwehrt bleiben. Aufgrund ihrer regelmäßigen Erscheinungsweise waren periodische Schriften besonders geeignet, das „Volk“ an politische Sachverhalte und Mechanismen heranzuführen. Vor allem aktuelle Nachrichten über innen- und außenpolitische Ereignisse ließen sich hervorragend mit einer politischen Volksaufklärung verbinden. Über gegenwärtige Geschehnisse in Politik, Staat und Gesellschaft wurde nicht nur berichtet, sondern auch räsoniert. Zudem wurden einzelne, von den Volksaufklärern als kompliziert erachtete politische und gesellschaftliche Inhalte in zusätzlichen belehrend-unterhaltsamen Beiträgen für den weniger gebildeten Leser didaktisch aufgearbeitet. Diese Beiträge wurden speziell an das Bildungsniveau und das Leseverhalten des „gemeinen Mannes“ angepasst und somit für ein breites Publikum verständlich gemacht. Die Übergänge zwischen politischen, rechtlichen, gesellschaftlichen und sozialen Themen waren dabei sehr fließend. Wurde beispielsweise Kritik an sozialen Zuständen geübt, schwang oftmals auch gleichzeitig eine Kritik an den bestehenden rechtlichen oder politischen Verhältnissen mit.

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Die von William Löbe im Jahr 1846/47 verfasste, zweibändige Dorfgeschichte über das „Musterdörfchen Thalheim“ war in thematischer Ausrichtung und literarischer Form fast identisch mit dem Becker’schen „Noth= und Hülfsbüchlein“. Vielen Volksaufklärern im Thüringer Raum, etwa auch Heinrich Schwerdt und Carl von Pfaffenrath, galt Löbes Werk deshalb als indirekter Nachfolger des „Noth= und Hülfsbüchleins“. Vgl. LÖBE, WILLIAM: Das Musterdörfchen. Eine lehrreiche Geschichte für den Bürger und Landmann, 2 Bde., Dresden/Leipzig 1846/47. Vgl. hierzu u.a. Volksbildung, in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen, Nr. 49, 1846, S. 389; Vormals und Jetzt, in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen, Nr. 8, 1846, S. 62–64.

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Durch die vielfältige Vermischung unterschiedlicher Themen und literarischer Vermittlungsformen weisen nahezu alle universell ausgerichteten volksaufklärerischen Periodika ein Profil auf, das sich aus Elementen traditioneller moralischer Zeitschriften des 18. Jahrhunderts sowie aus Elementen moderner Zeitungen des 19. Jahrhunderts zusammensetzte.8 Die Anfänge dieser Mischform aus Zeitschrift und Zeitung gehen im Thüringer Raum auf die von Johann Christian Adam Thon und Christian Gotthilf Salzmann herausgegebenen Blätter „Das räsonnirende Dorfkonvent“ (1786–1788) und „Der Bote aus Thüringen“ (1788– 1816) zurück. Aufgrund seines langen Erscheinungszeitraumes hat vor allem Salzmanns „Der Bote aus Thüringen“ die volksaufklärerische Publizistik bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nachhaltig geprägt. Zahlreiche in Thüringen erschienene Periodika, die eine „allumfassende“ Aufklärung ihrer Leser beabsichtigten, stellten sich bewusst in die Tradition des „Boten aus Thüringen“. Die beiden erfolgreichsten volksaufklärerischen Periodika waren hierbei die Hildburghäuser „Dorfzeitung“ und der Gothaer „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“. Beide Periodika avancierten im Vormärz zu Leitmedien der publizistischen Volksaufklärung in Thüringen. Die politische Volksaufklärung blieb während der gesamten Vormärzzeit ein besonderes Herausstellungsmerkmal der universell ausgerichteten Periodika.9 Die thüringischen Volksaufklärer koppelten ihre Beiträge zur politischen Aufklärung des „Volkes“ häufig unmittelbar an aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen. In volksaufklärerischen Einzelschriften wurden zu politischen und rechtlichen Fragen meist nur generalisierte Aussagen getätigt, die bereits seit den 1780er Jahren von einem Großteil der Volksaufklärer vertreten wurden. Vor allem äußerte man durchweg Kritik am System der Leibeigenschaft und den vielerorts noch bestehenden bäuerlichen Frondiensten. In periodischen Schriften wurde der „gemeine Mann“ hingegen direkt in die zeitgenössischen politischen Diskurse eingebunden. Für eine intensive Auseinandersetzung mit Verfassungs-, Rechts- und Wirtschaftsfragen, die auch die weniger gebildeten Bevölkerungsschichten nicht ausgrenzte, hatten wöchentlich oder halbwöchentlich erscheinende Blätter einen entscheidenden Vorteil. Nur diese Medien boten den Volksaufklärern die Möglichkeit, ihre politischen Ansichten zeitnah an das aktuelle politische Geschehen zu knüpfen. Bei der Intensivierung der politischen Volksaufklärung mit literarisch-publizistischen Mitteln erwiesen sich periodische Schriften im Vergleich zu Volksbüchern als das effektivere Instrumentarium. 8 9

Vgl. hierzu auch WILKE: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte. Mit Ausnahme des von Carl Joseph Meyer in Hildburghausen herausgegebenen „Volksfreundes“ existierte im vormärzlichen Thüringen kein volksaufklärerisches Periodikum, das sich ausschließlich der politischen Volksaufklärung widmete. Im thüringischen Pressewesen blieb die politische Volksaufklärung bis zum Ausbruch der Revolution von 1848/49 ein integraler Bestandteil der universell ausgerichteten Periodika.

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Besonders die privat initiierten volksaufklärerischen Blätter, die sich ganz bewusst gegen eine „verhältnismäßige“ Aufklärung des „Volkes“ aussprachen, avancierten im Vormärz zu meinungsbildenden Medien, deren Einfluss auf die politischen Ansichten der breiten Masse der Bevölkerung nicht unterschätzt werden darf. Aber auch halboffizielle und offizielle Wochenblätter, die stärker an obrigkeitliche Vorgaben gebunden waren, beinhalteten eine Vielzahl politischer Beiträge, die nicht selten mit kritischen Kommentaren versehen wurden. Demzufolge leistete ein beachtlicher Teil des thüringischen Zeitschriften- und Zeitungswesens einen Beitrag zur Mobilisierung einer breiten öffentlichen Meinung und gab damit gleichermaßen Anstoß zur Umsetzung politisch-rechtlicher Reformen. Das oberste Ziel der politischen Volksaufklärung lag durchweg in der Sensibilisierung der landwirtschafts- und gewerbetreibenden Bevölkerungsschichten für die Idee des „gemeinen Besten“. Die genaue Unterrichtung der Bauern und Handwerker über ihre Rechte und Pflichten innerhalb der Gesellschaft sollte in erster Linie zur Entfaltung eines breiten, gesamtgesellschaftlichen Strebens nach Gemeinnützigkeit führen. Dem „gemeinen Mann“ wurde suggeriert, dass eine Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen automatisch zu mehr gesellschaftlicher Verantwortung verpflichtete. Daran anknüpfend zielten alle volksaufklärerischen Periodika aus dem Thüringer Raum, die politische Themen beinhalteten, ebenso auf eine Erziehung des „gemeinen Mannes“ zum patriotischgemeinnützig agierenden Staatsbürger. Die Vorstellung, dass nicht nur die gehobenen und gebildeten Stände, sondern auch die einfachen Bauern und Handwerker den Status eines „ordentlichen“ Staatsbürgers erlangen konnten und damit zur politischen Partizipation berechtigt waren, hatte sich in der volksaufklärerischen Publizistik bereits im Zuge der Französischen Revolution herauskristallisiert und war auch noch im Vormärz in den Köpfen der thüringischen Volksaufklärer fest verankert.10 Nach Ansicht der Volksaufklärer hatte ein „ordentlicher“ Staatsbürger bereits einen umfassenden Aufklärungsprozess durchlaufen und verfügte dementsprechend über ein hohes Maß an Bildung und Sittlichkeit. Er richtete sein Denken und Handeln stets am Prinzip des „gemeinen Besten“ aus und bildete damit das Fundament einer prosperierenden Gesellschaft. Er führte ein selbstbestimmtes Leben nach vernünftigen Prinzipien, verfügte über einen positiven Gestaltungs10 Mit Verweis auf die Entwicklung der staatsbürgerlichen Gesellschaft in Frankreich seit der Französischen Revolution von 1789 unterschieden die Volksaufklärer zwischen einen „ordentlichen“ oder „gesitteten“ Staatsbürger und einem ungebildeten Staatsbürger. Verfügte eine Person nur über ein geringes Bildungsniveau, so war diese nach Meinung der Volksaufklärer nicht dazu berechtigt, den rechtlichen Status eines Staatsbürgers anzunehmen. Zum Begriff des Staatsbürgers im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts vgl. außerdem NOIRIEL, GÉRARD: Der Staatsbürger, in: Frevert, Ute/Haupt, Heinz-Gerhard (Hrsg.): Der Mensch des 19. Jahrhunderts, Essen 2004, S. 201–227.

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willen und erfüllte seine gesellschaftlichen Pflichten. Selbstständiges und kritisches Denken, Wahrheitsstreben, Toleranz, Uneigennützigkeit und Leistungsbereitschaft gehörten zu den konstitutiven Wesensmerkmalen eines gebildeten Staatsbürgers. Aufgrund seines geistigen Vermögens und gesitteten Charakters stand dem Staatsbürger auch ein Recht auf politische Partizipation zu. Jedem Staatsbürger sollten dabei grundsätzlich die gleichen Rechte zustehen. Damit wurde indirekt die Errichtung eines bürgerlichen Rechtsstaates gefordert. Allerdings wurde die ständische Gesellschaftsordnung in der volksaufklärerischen Publizistik bis in die 1820er Jahre kaum infrage gestellt. Solange dem „gemeinen Mann“ generell die Möglichkeit gegeben war, innerhalb seines Standes zu mehr Wohlstand zu gelangen und gleichzeitig einen Beitrag zum „gemeinen Besten“ zu leisten, sollte der Abbau ständischer Schranken nicht schlagartig, sondern in kleinen Schritten vollzogen werden. Nach dem Ende der Napoleonischen Herrschaft manifestierte sich die Vorstellung von einer deutschen Kultur- und Staatsnation, die den gesamten deutschen Sprachraum umfasste, dauerhaft in der volksaufklärerischen Publizistik Thüringens. Der patriotisch handelnde Staatsbürger sollte dabei den Kern der noch zu konstituierenden deutschen Staatsnation bilden. Im Zuge der politischen Umbruchsphase des späten 18. und frühen 19. Jahrhundert entwickelten die Volksaufklärer neue Vorstellungen von der politischen und gesellschaftlichen Struktur der zukünftigen deutschen Nation. Die einfachen Bauern und Handwerker wurden nach dem Ausbruch der Französischen Revolution immer weniger als Untertanen, sondern vielmehr als Bürger betrachtet, die durch ihr wirtschaftliches Handeln das Wohl des Staates garantierten. Auch wenn es dem „Volk“ noch an der nötigen Bildung fehlte, wurde es in zunehmendem Maße als eine Gemeinschaft von Staatsbürgern verstanden. Das „Volk“ war fortan – vor allem wenn es mit dem Attribut „deutsch“ näher beschrieben wurde – nicht mehr allein dem Gemeinwohl des Dorfes, der Heimatstadt oder des Fürstenstaates, sondern der gesamten deutschen Nation verpflichtet.11 Um das Nationalbewusstsein des „Volkes“ zu stärken, wurde die deutsche Nation in der volksaufklärerischen Publizistik nach 1800 bewusst als eine kollektive Einheit von Personen dargestellt, die die gleiche Abstammung, Kultur und Sprache hatten. Das größte und wichtigste Glied dieser Gemeinschaft bildete dabei das „Volk“. In den Augen der thüringischen Volksaufklärer des frühen 19. Jahrhunderts musste die deutsche Nation in einem klar definierten staatlichen Rahmen eingebettet werden. Andernfalls konnte die deutsche Nation ihr gestalterisches Potential, das nach Meinung der Volksaufklärer vor allem in der Beförderung der all11 Zum zeitgenössischen Verständnis der Begriffe „Volk“ und „Nation“ um 1800 vgl. SCHMIDT: Wandel durch Vernunft, S. 73–81. Vgl. hierzu außerdem HERRMANN (Hrsg.): Volk – Nation – Vaterland.

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gemeinen Wohlfahrt lag, nicht vollständig ausschöpfen. Aufgrund der territorialen Verschiebungen und politischen Neuordnungen im deutschen Sprachraum im frühen 19. Jahrhundert, ausgelöst durch die Napoleonischen Kriege und das daraus resultierende Ende des Alten Reiches, blieb die genaue räumliche Eingrenzung der deutschen Nation in der volksaufklärerischen Publizistik allerdings unscharf. Auch über die politisch-verfassungsrechtlichen Strukturen des zu gründenden deutschen Staates wurden in der volksaufklärerischen Publizistik bis 1815 keine genauen Angaben gemacht. Erst nach dem Ende der Napoleonischen Herrschaft stellten sich die Volksaufklärer intensiv die Frage nach den Grenzen der deutschen Nation und dem politisch-rechtlichen Aufbau des künftigen deutschen Staates. Dabei wurde die Debatte von der Vorstellung getragen, dass ein von Staatsbürgern konstituierter, einheitlicher deutscher Nationalstaat die günstigsten Voraussetzungen bot, das „gemeinen Beste“ auf breiter gesellschaftlicher Basis zu befördern. In der volksaufklärerischen Publizistik kam es nun häufig zu einer Verschmelzung nationaler und patriotischer Elemente, die für die kommenden Jahrzehnte prägend war. Die Idee eines „patriotischen Nationalismus“ konnte sich im Vormärz dauerhaft in der politischen Volksaufklärung verankern und entwickelte sich zumindest im Thüringer Raum zu einem eminenten Merkmal der „allumfassenden“ volksaufklärerischen Publizistik. Einhergehend mit der Forderung nach einem deutschen Einheitsstaat orientierte sich die politische Volksaufklärung in Thüringen nach 1815 zunehmend an den Ideen des Liberalismus. Nach 1815 vertraten einige volksaufklärerische Periodika, allen voran die Hildburghäuser „Dorfzeitung“, dezidiert liberale Positionen. Um der angestrebten Gesellschaft gleichberechtigter Staatsbürger den Weg zu ebnen, sollten die politisch-rechtlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Deutschen Bund schrittweise modernisiert werden. Der Abbau ständischer Strukturen wurde ausdrücklich befürwortet. Der Ausbau des bürgerlichen Rechtsstaates sollte von staatlicher Seite forciert werden. Man forderte die verfassungsrechtliche Fixierung von Menschen- und Bürgerrechten, wie Meinungsfreiheit, individuelle Freiheit oder Rechtsgleichheit. Außerdem wurde nach konstitutionellen Verhältnissen verlangt und jedem gebildeten Staatsbürger ein Recht auf politische Partizipation zugebilligt. Die deutschen Einzelstaaten wurden zu einer Politik der „nationalen Vereinheitlichung“ aufgerufen, die letztendlich in der Gründung eines deutschen Nationalstaates kulminieren sollte. Fürsten und Regierungen, die diesen Forderungen nachkamen und entsprechende Reformen in die Wege leiteten, wurden dementsprechend in der volksaufklärerischen Publizistik des Lobes gewürdigt. Konservative Kräfte mussten hingegen mit harscher Kritik rechnen.12 12 Vgl. u.a. Alkoven. Ein ernstes Wort in ernster Zeit, in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen, Nr. 13, 1845, S. 101–103; Belehrende Unterhaltung über Rechtsverhältnisse und

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Radikale Töne wurden aber nicht angeschlagen. Die angestrebten Reformen sollten nur auf evolutionärem Wege und stets mit der Zustimmung der Fürsten umgesetzt werden. Revolutionäre Umtriebe wurden auf das Schärfste verurteilt. Ebenso lehnte man die Einführung demokratisch-republikanischer Verhältnisse strikt ab. Die Monarchie galt weiterhin als ein wichtiger Garant für Recht und Ordnung. Die volksaufklärerische Publizistik Thüringens blieb diesen Prinzipien bis zum Ausbruch der Revolution von 1848/49 treu und nahm demzufolge während der gesamten Vormärzzeit eine gemäßigt-liberale Haltung ein. Nach dem Ausbruch der Französischen Julirevolution im Jahr 1830 erreichte die politische Volksaufklärung im Thüringer Raum eine neue Qualität. Während die politisch engagierten Volksaufklärer nach der Gründung des Deutschen Bundes und in den 1820er Jahren noch davon überzeugt waren, dass die Regierungen der deutschen Staaten die Umsetzung wichtiger Reformprojekte aus eigener Initiative zu realisieren suchten, änderten diese nach 1830 allmählich ihre Sichtweise. Die Kritik an der Herrschaftsausübung der Eliten wurde nun stärker. In der volksaufklärerischen Publizistik wurde die Umsetzung liberaler Reformen vehementer eingefordert. Die politische Volksaufklärung gewann in den 1830er Jahren zunehmend an Schärfe. Insbesondere die Jahre von 1830 bis 1835 stellten einen Einschnitt für die politische Volksaufklärung in Thüringen dar. Die Volksaufklärung des Thüringer Raumes erhielt in diesen Jahren einen Politisierungsschub.13 Der „gemeine Mann“ wurde in der volksaufklärerischen Publizistik nicht mehr nur seine über Rechte und Pflichten aufgeklärt, sondern man zeigte diesem ebenfalls die schonungslosen Defizite der aktuellen politisch-rechtlichen Situation auf. Als mit der zunehmenden Massenarmut die Defizite der ständischen Strukturen sowie daraus resultierende Unfähigkeit der fürstlichen Regierungen, angemessen auf die soziale Krisenlage zu reagieren, offensichtlich wurden, erreichten die Forderungen der Volksaufklärer nach politischen Reformen eine bis dahin ungekannte Intensität. Sinn und Zweckmäßigkeit der bestehenden Ordnung bzw. die Vorteile und Nachteile unterschiedlicher Verfassungen standen jetzt verstärkt in der Diskussion. Darüber enttäuscht, dass das politische System des Deutschen Bundes nach 1815 nicht zu der gewünschten Modernisierung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse geführt hatte, wurde dieses nun offen infrage gestellt. Wenige Jahre vor der Revolution von 1848/49 galt der Deutsche Bund vielen thüringischen Volksaufklärern nur noch als eine „zur Zeit

Staatseinrichtungen, in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen, Nr. 36, 1845, S. 287; Förderung der Humanität, in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen, Nr. 11, 1846, 89 f. 13 Zur Unterteilung der politischen Volksaufklärung in mehrere Politisierungsschübe vgl. BÖNING: Entgrenzte Aufklärung, hier vor allem S. 42.

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des Congresses in Wien gegliederte Adelskette“, dessen Ordnung einzig darauf abzielte, den „Bürger und Bauern, wie zur Zeit des Mittelalters, in harte Fesseln [zu] schlagen“.14 Um den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Modernisierungsprozess anzustoßen, wurde in der volksaufklärerischen Publizistik nach 1830 für eine schnellere Auflösung der noch bestehenden ständischen Strukturen plädiert. Der bereits begonnene gesellschaftspolitische und sozioökonomische Wandel sollte nochmals beschleunigt werden. Neben der Forderung einer stärkeren Liberalisierung des Wirtschaftssystems wurde vor allem die schnelle Überwindung der ständischen Gesellschaft als die beste Lösung zur Behebung des Pauperismusproblems angepriesen. Die Realisierung einer Gesellschaft aus gleichen und freien Staatsbürgern entwickelte sich im Zeitraum von 1830 bis 1848 schließlich zur Hauptintention der politischen Volksaufklärung in Thüringen. Die angestrebte bürgerliche Gesellschaft sollte außerdem in einem monarchisch-konstitutionellen Verfassungsstaat eingebettet sein. Der Deutsche Bund, der sich in den Augen der meisten Volksaufklärer im Laufe der Jahre immer mehr zu einem Bollwerk der Restauration entwickelt hatte, sollte aufgelöst und durch einen föderativ strukturierten deutschen Nationalstaat ersetzt werden. Um die soziale Lage des „Volkes“ zu verbessern, sollten zudem die rechtlichen Strukturen in Wirtschaft und Gesellschaft soweit modernisiert werden, dass grundsätzlich jedem Mensch die Möglichkeit gegeben war, sich aus eigener Kraft – durch Fleiß, Arbeit, Selbstdisziplin und fachliche Qualifikation – eine „mittlere Existenz“ aufzubauen. Infolge der Intensivierung der politischen Volksaufklärung, die nicht nur in periodischen Schriften, sondern auch in den Vereinen und auf öffentlichen Festen zum Tragen kam, bildete sich im „Volk“ spätestens nach 1830 eine breite politische Öffentlichkeit heraus.15 Die Volksaufklärung spielte damit eine herausragende Rolle bei der Verankerung politischer Sachverhalte und politischer Ideen im „Volk“. Sie prägte das politische Bewusstsein der breiten Masse der weniger gebildeten Bevölkerungsschichten und bildete damit die Grundlage der Fundamentalpolitisierung, die während der Revolution von 1848/49 de facto die gesamte Gesellschaft erfasste. Diesbezüglich dürfte die politische Volksaufklärung außerdem einen entscheidenden Beitrag geleistet haben, dass im „Volk“ der Wunsch nach politischer Mitwirkung geweckt wurde. Die hohe Beteiligung der breiten Masse der Bevölkerung am Revolutionsgeschehen des Jahres 1848, ihre aktive Teilhabe an den zahlreichen politischen Versammlungen, Vereinen, Petitionen und Protestkundgebungen, waren auch Ausdruck und Ergebnis des jahrzehntelangen Volksaufklärungs- und Volksbildungsprozesses.

14 Der Bauer und das Bauerngut vormals und jetzt, in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen, Nr. 29 vom 20. Juli 1844, S. 229. 15 Vgl. BÖNING: Entgrenzte Aufklärung, S. 43–46.

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Die politisch-gesellschaftlichen Reform- und Modernisierungsbestrebungen sowie das damit verbundene Streben, das „Volk“ schrittweise zur Mündigkeit zu führen, zeichnen die Volksaufklärung im Vormärz ebenso als eine Emanzipationsbewegung aus.16 Damit kann die These von Rudolf Schenda, dass die Volksliteratur der Aufklärer einzig dazu diente, dem „gemeinen Mann“ Gehorsam gegenüber der Obrigkeit einzuflößen,17 eindeutig entkräftet werden. Von den konservativ ausgerichteten Volksblättern, die nach 1830 ebenfalls verstärkt auf den Pressemarkt drängten und das Ziel verfolgten, den „gemeinen Mann“ zur Obrigkeitstreue und zum frommen Denken bewegen, distanzierten sich die thüringischen Volksaufklärer. Zu dem außerordentlich erfolgreichen und unverkennbar konservativ geprägten „Volksblatt für Stadt und Land“,18 das Klaus Müller-Salget als „einen Sammelplatz der Konservativen“ bezeichnet,19 hatte beispielsweise Heinrich Schwerdt in seiner Rezensionszeitschrift „Centralblatt für deutsche Volks- und Jugendliteratur“ nur Spott übrig. In der von ihm verfassten Rezension zum „Volksblatt für Stadt und Land“ verurteilte er dessen „specifisch christliche Färbung“ und schrieb in einem polemisch-abwertenden Ton, dass diese Zeitschrift „mit der Kreuzzeitung und der Evangelischen Kirchenzeitung auf gleichen Boden steht“. 20 „Sonach begreift man kaum, wie das Blatt zu seinem Titel gekommen ist, dem weder Form noch Inhalt entspricht“, war Schwerdts abschließendes und gleichsam niederschmetterndes Fazit zu diesem konservativen Volksblatt.21 Diese Auseinandersetzung macht zugleich deutlich, dass die „Konkurrenz“ um das „Volk“ im Laufe des Vormärz zunahm. Sowohl die aufklärerisch-liberalen als auch die konservativen Kräfte bedienten sich derselben Mittel, um die breite Masse der einfachen Bevölkerung für die eigenen politischen Positionen zu gewinnen. Dabei dienten die Zeitungen und Zeitschriften der beiden Lager nicht nur dem Zweck, dem „Volk“ die Vorzüge der eigenen Anschauung nahezubringen, sondern auch dazu, die politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen des Gegners gezielt zu diskreditieren. Aufgrund der ausgesprochen positiven Haltung der thüringischen Fürsten und Landesregierungen gegenüber aufklärerischen und liberalen Ideen hatte die 16 Vgl. hierzu auch KNOCHE: Volksliteratur und Volkschriftenvereine, S. 114. 17 Vgl. SCHENDA: Volk ohne Buch, S. 141. 18 Der vollständige Titel lautet „Volksblatt für Stadt und Land zur Belehrung und Unterhaltung“. Das Blatt stand unter der Leitung des Giebichensteiner Pfarrers Friedrich von Tippelskirch und erschien in Halle im Zeitraum von 1843 bis 1871. Bis zur Revolution von 1848/49 lag die Abonnentenzahl des „Volksblattes für Stadt und Land“ bei rund 2.500. Vgl. hierzu MÜLLER-SALGET: Erzählungen für das Volk, S. 50 f. 19 Vgl. ebd., S. 41. Zur konservativen Programmatik des „Volksblattes für Stadt und Land“ vgl. ebd., S. 50–56 u. 67 f. 20 Vgl. Rezensionen, in: Centralblatt für deutsche Volks- und Jugendliteratur, Nr. 1, 1857, S. 58. 21 Ebd.

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Volksaufklärungsbewegung in Thüringen während der gesamten Vormärzzeit kaum mit staatlichen Repressionen zu kämpfen. Die Volksaufklärer, die mithilfe eines Landwirtschafts- oder Gewerbevereins die landwirtschaftlich-ökonomische Aufklärung des „Volkes“ vorantreiben wollten, konnten in einigen Fällen sogar mit aktiver staatlicher Unterstützung rechnen. Teilweise wurden auch Bildungsanstalten und Volksbibliotheken mit staatlichen Mitteln subventioniert. Hinzu kam, dass einige Volksaufklärer, die im höheren Staatsdienst tätig waren, sich intensiv für eine Modernisierung des staatlichen Elementarschulwesens im Sinne der Aufklärung einsetzten. So betätigte sich der Hildburghäuser Oberkonsistorialrat Ludwig Nonne nicht nur als Herausgeber der „Dorfzeitung“, sondern auch als Reformator des sachsen-meiningischen Schulwesens nach dem Vorbild des Schweizer Pädagogen und Aufklärers Johann Heinrich Pestalozzi. Trotz staatlicher Billigung oder Unterstützung blieb die Volksaufklärung in Thüringen aber auch im Vormärz durchweg eine ausschließlich private Bewegung. Sie folgte zu keinem Zeitpunkt einem staatlich verordneten, einheitlichen Programm oder wurde von staatlicher Seite systematisch gelenkt. Obwohl in der volksaufklärerischen Publizistik mitunter sehr kritische Töne zu den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen geäußert wurden, verfolgten die thüringischen Staaten im Vormärz eine relativ milde Pressepolitik. Solange die Volksaufklärer in ihren Schriften eine gemäßigt-liberale Haltung vertraten, hatten sie keine großen Restriktionen zu befürchten. Um einen möglichen Konflikt mit der Pressezensur zu vermeiden, konnte es sich außerdem als überaus nützlich erweisen, wenn man im direkten Kontakt mit einem Landesfürsten stand oder zumindest gute Verbindungen zur herrschenden Elite besaß. Das Beispiel Carl von Pfaffenraths zeigt deutlich, dass für die Durchsetzung aufklärerisch-liberaler Ziele persönliche Kontakte zum Landesherren durchaus von Vorteil waren. Das freundschaftliche Verhältnis zwischen Carl von Pfaffenrath und Herzog Bernhard II. Erich Freund dürfte auch ein Grund dafür gewesen sein, dass im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“ sehr freizügig über politische und gesellschaftliche Themen diskutiert werden konnte.22 Ebenso dürfen die persönlichen Beziehungen zwischen Publizisten, Verlegern oder Buchhändlern zu den Zensoren bzw. den für die Zensur verantwortlichen Regierungsbeamten nicht unterschätzt werden. Die Veröffentlichung oder Zensierung eines Artikels war oftmals auch davon abhängig, wie freundschaftlich sich das Verhältnis zwischen den Herausgebern eines Periodikums und den dafür zuständigen Zensoren gestaltete.

22 Das „Allgemeine Volksblatt der Deutschen“ konnte sogar, ohne nachträgliche Monierung vonseiten der sachsen-meiningischen Pressezensur, Texte abdrucken, deren Veröffentlichung in anderen Periodika noch verboten wurde. Vgl. Alkoven. Die unheilbringende Charade, in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen, Nr. 42, 1845, S. 334 f.

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X. SCHLUSSBETRACHTUNG

Direkte Kritik an den Landesfürsten wurde in der volksaufklärerischen Publizistik des Thüringer Raumes nur sehr selten geübt. Häufig wurden die Fürsten nur darauf hingewiesen, die Nähe zum einfachen „Volk“ zu wahren, um sich stets über die Nöte der Einwohner ihrer Länder im Klaren zu sein.23 Wenn die Volksaufklärer eine harsche Obrigkeitskritik betrieben, dann richtete sich diese für gewöhnlich an die höheren Staatsdiener oder die Beamtenschaft. Die thüringischen Fürsten wurden in der Regel als „aufgeklärte Herrscher“ dargestellt. Dass der „gemeine Mann“ in der volksaufklärerischen Publizistik regelmäßig dazu ermahnt wurde, sich jeglicher revolutionärer Tendenzen zu verweigern, dürften die thüringischen Pressebehörden außerdem mit Wohlwollen registriert haben. Die permanente Propagierung, dass eine Steigerung des Gemeinwohls nur im Einklang des „Volkes“ mit seinen Fürsten zu realisieren war, muss hierbei auch als eine gezielte Form der Sozialdisziplinierung und Revolutionsprävention betrachtet werden.24 Selbst wenn die Umsetzung längst überfälliger Reformen von staatlicher Seite bewusst blockiert wurde, hatte das „Volk“ nicht das Recht, diese gewaltsam einzufordern. Solange die Subsistenz der Masse der Bevölkerung vom Staat grundsätzlich abgesichert wurde, war ein revolutionärer Umsturz der bestehenden Ordnung in den Augen der thüringischen Volksaufklärer absolut indiskutabel. Aufgrund der schwierigen Quellenlage lässt sich nur schwer ermitteln, ob die anvisierten Adressaten der volksaufklärerischen Lektüre diese auch rezipiert haben. Noch schwieriger gestaltet sich die Frage, welche Wirkung die volksaufklärerischen Schriften auf ihre Leser ausgeübt haben. Dass im Thüringer Raum etliche volksaufklärerische Periodika im Vormärz innerhalb weniger Monate oder Jahre wieder eingestellt wurden, dürfte nicht am Inhalt dieser Blätter bzw. am fehlenden Interesse der anvisierten Zielgruppe gelegen haben. Es kann ausgeschlossen werden, dass der „gemeinen Mann“, wie in älteren Forschungsarbeiten noch behauptet wurde, nur Interesse an anspruchsloser Unterhaltungslektüre hatte. Auch die Tatsache, dass alle im Thüringer Raum erschienenen volksaufklärerischen Periodika weitestgehend die gleichen inhaltlichen und programmatischen Schwerpunktsetzungen aufweisen, führt eine solche Vermutung ad absurdum. Volks23 So schrieb beispielsweise Carl von Pfaffenrath im „Allgemeinen Volksblatt der Deutschen“: „Das Reisen soll die Prinzen bilden. Ich habe aber Prinzen gesehen und geglaubt, sie seyen auf einer Flucht begriffen. Man flog gleichsam von einem Lande, von einer Stadt zu andern, besah in Eile die Naturschönheiten und Kunstschätze, besuchte die Höfe und höheren Cirkel, aber das Volk, der wichtigste Bestantheil der Staaten, blieb ihnen fremd, und ging an ihnen vorüber, wie die Bilder einer Zauberlaterne.“ PFAFFENRATH, CARL VON: Aus meinem Schreibtische, in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen, Nr. 18 vom 4. Mai 1844, S. 144. 24 Zu den sozialdisziplinarischen Funktionen der volksaufklärerischen Publizistik, insbesondere der thüringischen Intelligenzblätter vgl. GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 251– 255.

SCHLUSSBETRACHTUNG

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aufklärerische Blätter wie die Hildburghäuser „Dorfzeitung“ oder der Gothaer „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ hatten während der gesamten Vormärzzeit Bestand, erreichten ein überregionales Publikum und verzeichneten sehr hohe Auflagenzahlen.25 Demzufolge war das „Volk“ einer aufklärerischen Wissensvermittlung nicht gänzlich abgeneigt. Die „Dorfzeitung“ hatte im Zeitraum von 1830 bis 1850 rund 5.000 bis 6.000 Leser. Selbst wenn man davon ausgeht, dass das gebildete Bürgertum ebenfalls zu den Käufern und Abonnenten des Blattes gehörten, dürfte sich bei einer solch hohen Auflagenzahl die Hauptleserschaft aus einfachen Bauern, Handwerkern und Arbeitern zusammengesetzt haben. Hinzu kommt, dass die „Dorfzeitung“ in zahlreichen Dorfschenken, Volksschriftenvereinen und Volksbibliotheken kostenlos auslag und – wie zeitgenössischen Berichten zu entnehmen ist – in den Gemeinden auch von Haus zu Haus weitergereicht wurde. Die Zahl der potentiellen Leser betrug also mindestens das Doppelte der tatsächlichen Auflagenhöhe. Die Gründe, warum andere volksaufklärerische Blätter keinen Erfolg hatten, und das obwohl sie ein ähnliches Profil wie die „Dorfzeitung“ oder der „Allgemeine Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“ besaßen, sind oftmals nicht klar ersichtlich. Folgt man den Angaben von Heinrich Schwerdt und Carl von Pfaffenrath, die ihr „Allgemeines Volksblatt der Deutschen“ aufgrund einer zu geringen Leserschaft bereits nach drei Jahren wieder einstellen mussten, dann lagen die Ursachen des Scheiterns ihres Blattes in mangelnder Werbung, der vermeintlich fehlenden Kaufkraft des „Volkes“ und einem zu hohen Konkurrenzdruck.26 Blickt man auf das quantitativ sehr umfangreiche Angebot an Wochen- und Tagesblättern, die in der späten Vormärzzeit unmittelbar an den „gemeinen Mann“ adressiert waren, dann dürfte zumindest der letzte Punkt eine entscheidende Rolle gespielt haben, weshalb etlichen volksaufklärerischen Blättern der Erfolg verwehrt blieb. Durch einen Überfluss an in- und ausländischen Blättern war der thüringische Markt für periodisch erscheinende Volksschriften in den Jahren vor Ausbruch der Revolution hart umgekämpft und wahrscheinlich auch schon teilweise übersättigt. Volksaufklärerische Blätter, die sich bereits im frühen Vormärz etabliert hatten und sich im Laufe der Jahre eine entsprechende Stammleserschaft erschließen konnten, hatten es sicherlich leichter, auf diesem Markt zu bestehen. Wie an Heinrich Schwerdt und Carl von Pfaffenrath ebenfalls deutlich wird, beschränkten sich die Volksaufklärer bei der Vermittlung aufklärerischen Gedankengutes nicht nur auf literarisch-publizistische Mittel, sondern verlagerten ihr Engagement auf verschiedene Ebenen. Auf institutioneller Ebene konnten der Saalfelder Kammerherr und der Neukirchener Pfarrer dann auch weitaus größere 25 Vgl. FÜSSER: Bauernzeitungen in Bayern und Thüringen, S. 100. 26 Vgl. Schwanengesang, in: Allgemeines Volksblatt der Deutschen, Nr. 52, 1846, S. 415.

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X. SCHLUSSBETRACHTUNG

Erfolge erzielen als mit ihrem gemeinsamen Periodikum. Die von ihnen gegründeten Bildungseinrichtungen waren für den Neukirchener und Saalfelder Raum richtungweisend. Ihre Vereine und Bibliotheken stießen auf breiten Zuspruch und hatten noch bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts Bestand.27 Die Möglichkeiten, aufklärerisches Gedankengut zu verbreiten, gestalteten sich vielfältig. Etliche Volksaufklärer gründeten oder wirkten in Vereinen, Organisationen, öffentlichen Veranstaltungen, Bibliotheken oder Schulanstalten. Dass über diese Vielzahl von Plattformen die Kerninhalte der Volksaufklärung ihre anvisierten Adressaten auch irgendwann erreichte, steht außer Frage. Ob diese Inhalte auch die gewünschte Wirkung entfalten konnten, lässt sich hingegen nicht mit Bestimmtheit beantworten. Zumindest kann konstatiert werden, dass die angestrebte Mentalitätsveränderung des „Volkes“ im Laufe des 19. Jahrhunderts vollzogen wurde. Auch die weniger gebildeten Bevölkerungsschichten richteten ihr Leben mehr und mehr an rationalen Prinzipien aus und übernahmen allmählich die Werte- und Tugendvorstellungen des aufklärerisch denkenden, gebildeten Bürgertums. Ebenso ist davon auszugehen, dass nach 1830 weite Teile des „Volkes“ ein genaues Bild davon hatten, was die Grundpfeiler der von Volksaufklärern geforderten bürgerlichen Gesellschaft waren. In den thüringischen Staaten warnten konservativ denkende Regierungsbeamte nach dem Ausbruch der Französischen Julirevolution eindringlich vor den Folgen einer weiteren Verbreitung dieser Idee im „Volk“. Sie fürchteten um die Stabilität der bestehenden Ordnung. Trotz ihres ausgesprochen pejorativen Charakters sind diese Berichte dennoch ein Indiz dafür – abgesehen von den meist zu positiv gehaltenen Aussagen der Volksaufklärer –, dass im Thüringer Raum die Zersetzung der alten Ständegesellschaft in den Köpfen des „Volkes“ schon längst vorangeschritten war.28 Die Revolution von 1848/49 stellt für die Volksaufklärung eine markante Zäsur dar. Bedingt durch den Verlauf und die Ergebnisse der Revolution kam es in Thüringen nach 1850 zu einem abrupten Rückgang volksaufklärerischer Lektüre. Im Zuge der „Entfesselung“ und „Politisierung“ der thüringischen Presse änderten vor allem die universell ausgerichteten Periodika ihr inhaltliches und formales Profil. Periodische Schriften, die eine „allumfassende“ Volksaufklärung 27 Die von Heinrich Schwerdt in Neukirchen gegründete erste Volksbibliothek Thüringens sowie der von Carl von Pfaffenrath in Saalfeld gegründete „Thüringische Verein für Kunst, Gewerbe und gemeinnützige Zwecke“ wurden nach dem Weggang bzw. Tod der beiden Protagonisten fortgeführt. Auch im Deutschen Kaiserreich gehörten die Institutionen noch zu den zentralen Bildungseinrichtungen in den beiden Orten. 28 Dass die ländlich-kleinstädtische Bevölkerung allerdings nicht restlos von dem Modell der bürgerlichen Gesellschaft überzeugt werden konnte, zeigen die Haltungen einiger Bauern und Handwerker während der Revolution von 1848/49. Sie stemmten sich gegen den Abbau ständischer Strukturen, weil sie den Verlust sozialer Sicherheiten befürchteten. Vgl. hierzu HAHN/BERDING: Reformen, Restauration und Revolution, S. 574–593.

SCHLUSSBETRACHTUNG

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beinhalteten, verschwanden im Laufe der Revolution vollständig aus der thüringischen Presselandschaft. Ebenso entledigten sich die volksaufklärerischen Periodika ihrer belehrend-unterhaltsamen Beiträge. Die Popularisierung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse wurde ebenfalls auf ein Minimum reduziert. Ab sofort wurde das Bedürfnis nach periodischer Unterhaltungs- und Wissenschaftslektüre hauptsächlich durch Familien- und Fachzeitschriften abgedeckt.29 Von der eigentümlichen Mischgattung aus moderner Zeitung und moralischer Wochenschrift, die typisch für den Großteil der universell ausgerichteten volksaufklärerischen Periodika in Thüringen war, wurde während der Revolution allmählich immer mehr Abstand genommen. Fortan dominierten politische Tageszeitungen den Pressemarkt. Sie versorgten die Leser mit politischen Informationen und aktuellen Nachrichten, verzichten dabei aber fast vollständig auf den belehrenden und räsonierenden Stil, die den volksaufklärerischen Tages- und Wochenblätter bis 1848 anhaftete. Die neuen Zeitungen waren im Gegensatz zu den volksaufklärerischen Blättern der Vormärzzeit in einem viel stärkerem Maße von „politischer Parteilichkeit“ geprägt.30 Auch die Produktion volksaufklärerischer Einzelschriften ging nach 1850 ihrem Ende entgegen. Die zahlreich vorhandenen ökonomischen Schriften, Moralischen Geschichten und universell ausgerichteten Schriften, die nach dem Schema von Rudolf Zacharias Beckers „Noth= und Hülfsbüchlein“ gestaltet waren, verschwanden bis 1870 allmählich aus dem Buchmarkt. Die Ursache dieser Entwicklung war die voranschreitende Modernisierung des Elementarschul- und Berufsschulwesens, die insbesondere die landwirtschaftlich-ökonomische bzw. gewerblich-technische Volksaufklärung allmählich überflüssig machte. Obwohl es natürlich weiterhin private Initiativen gab, übernahm der Staat im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowohl die fachliche und alsbald auch die sittlichmoralische Erziehung der breiten Bevölkerung. Die Volksaufklärer, die sich nach 1850 weiterhin in der Volksbildung engagierten, konzentrierten sich zunehmend auf die Kinder- und Jugenderziehung. Waren beispielsweise die Volksschriften Heinrich Schwerdts bis Ende der 1850er Jahre ausschließlich an den erwachsenen „Bürger und Landmann“ adressiert, richteten sich diese nach 1860 fast nur noch an Kinder und Jugendliche. Hinzu kam, dass sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Möglichkeiten zur Selbstbildung erheblich verbesserten. Mit staatlicher Unterstützung wurde ein flächendeckendes Netz aus Volksbibliotheken errichtet, so dass auch die Einwohner kleinerer Gemeinden kostengünstig in den Genuss aktueller Bildungslektüre kamen.31 Demzufolge war der Niedergang 29 Vgl. FAULSTICH: Medienwandel im Industrie- und Massenzeitalter, S. 60–77. 30 Vgl. hierzu grundlegend GREILING: Presse und Öffentlichkeit, S. 506–531. 31 Dass die ländlich-kleinstädtische Bevölkerung das Angebot der Volksbibliotheken auch tatsächlich nutzte, zeigen erste Untersuchungen. Vgl. MARWINSKI: Die Volksbibliothek zu Thal, S. 387 f. Vgl. außerdem Anhang B dieser Arbeit.

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X. SCHLUSSBETRACHTUNG

der Volksaufklärung nach der Revolution von 1848/49 unmittelbar an die sich wandelnden Strukturen des Presse- und Bildungswesens gekoppelt. Was die politische Gesinnung der im Vormärz politisch engagierten Volksaufklärer im Verlauf der Revolution von 1848/49 betrifft, so kann grundsätzlich festgehalten werden, dass die Mehrzahl der Protagonisten an ihrer gemäßigtliberalen Haltung festgehalten und sich dem konstitutionellen Lager angeschlossen haben. Ein kleiner Teil sympathisierte auch offen mit der demokratischen Bewegung. Und ein paar wenige, wie beispielsweise Friedrich Johannes Frommann, wechselten die Seiten und vertraten plötzlich konservative Positionen. Damit verlor die politische Volksaufklärung während der Revolution ihre „einheitliche Linie“. Die politische Aufklärungsarbeit im eigentlichen Sinne rückte nun allmählich in den Hintergrund. Der Einfluss auf die politische Meinungsbildung des „Volkes“ hatte fortan eine höhere Priorität. Die Unterrichtung des „gemeinen Mannes“ über seine Rechte und Pflichte bzw. das Erklären politischer Systeme und Mechanismen wurde sukzessive eingestellt. Die Revolution hatte in Thüringen zu einer weitgehenden Fundamentalpolitisierung der Bevölkerung geführt, so dass eine politische Volksaufklärung nach alten Mustern überflüssig geworden war. Die politisch engagierten Volksaufklärer passten sich dieser Entwicklung an. Vor allem ihre gemeinnützig-volksaufklärerischen Tages- und Wochenblätter wurden neu ausgerichtet und nahmen den Charakter einer Tendenzund Meinungspresse an. Und letztlich konnte auf eine politische Volksaufklärung nach vormärzlichem Muster auch deshalb verzichtet werden, da die zentralen Anliegen der thüringischen Volksaufklärer – abgesehen von der verfehlten Gründung eines nationalen Verfassungsstaates – im Zuge der Revolution schrittweise umgesetzt wurden. So war die Beseitigung altständischer Strukturen und der damit einhergehende Ausbau des bürgerlichen Rechtsstaates massiv vorangeschritten. Bei der Überwindung der ständischen Gesellschaft, einem Kernelement der Volksaufklärung seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, kann der Revolution von 1848/49 demnach eine entscheidende Rolle zugesprochen werden. Abschließend sei noch bemerkt, dass mit der vorliegenden Arbeit versucht wurde, ein möglichst umfassendes Gesamtbild der Entwicklung der Volksaufklärung in Thüringen zur Zeit des Vormärz zu geben. Allerdings muss an dieser Stelle ebenso eingeräumt werden, dass diese Studie aufgrund der Breite der Thematik und der Länge des Untersuchungszeitraumes keinesfalls alle Forschungslücken schließen kann. Die vorliegende Studie versteht sich deshalb auch als eine Anregung für kommende Forschungsarbeiten zur Volksaufklärung des 19. Jahrhunderts. Allen voran stellt sich die Frage, welchen Verlauf die Volksaufklärung in anderen deutschsprachigen Regionen genommen hat. Ein Vergleich territorial geschlossener Räume mit dem territorial zersplitterten Thüringer Raum kann als Grundlage dafür dienen, die Entwicklung der gesamtdeutschen Volksaufklä-

SCHLUSSBETRACHTUNG

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rungsbewegung detaillierter nachzuzeichnen bzw. deren regionalspezifische Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszufiltern. Mit Blick auf die hier vorgelegten Ergebnisse wäre es vor allem interessant zu erfahren, ob die liberal geprägte politische Volksaufklärung in Thüringen ein Spezifikum darstellt oder einem gesamtdeutschen Trend folgte. Möglicherweise hatte die politische Volksaufklärung in den süddeutschen Staaten, etwa in Baden, einen „demokratischeren“ Charakter, während sie hingegen in Preußen auf dem Stand einer „verhältnismäßigen“ Aufklärung verharrte? Zugleich können die Ergebnisse dieser Arbeit als Ausgangspunkt für weiterführende Untersuchungen über die verschiedenen Facetten volksaufklärerischen Engagements dienen. Besonders lohnenswert erscheinen in diesem Zusammenhang weitere Fallstudien zu den von den Volksaufklärern im Vormärz so zahlreich gegründeten Landwirtschafts-, Gewerbe- und Lesevereinen sowie den ab 1840 überall im ländlich-kleinstädtischen Raum entstehenden Volks- und Dorfbibliotheken. Sie erlauben genaue Aussagen über das Programm und die Wirkung der Volksaufklärung direkt „vor Ort“ in den dörflich-kleinstädtischen Gemeinden. Zudem können sie den Blick auf das „Gesamtphänomen“ Volksaufklärung, dessen literarisch-publizistischer Zweig bisher im Fokus der Forschung stand, weiter schärfen. Es ist daher zu wünschen, dass die Volksaufklärung des 19. Jahrhunderts in Zukunft in der Forschung den gleichen Stellenwert erfährt, wie dies für die Volksaufklärung des 18. Jahrhunderts seit gut zwei Jahrzehnten der Fall ist. Damals gaben die Forschungsergebnisse des von Holger Böning und Reinhart Siegert geleiteten Bio-Bibliographischen Projektes „Volksaufklärung“ den entscheidenden Anstoß zu einer intensiveren Beschäftigung mit dem Thema.32 Es bleibt zu hoffen, dass die noch bevorstehende Veröffentlichung des dritten Bandes des „Biobibliographischen Handbuches zur Volksaufklärung“ in den verschiedensten historischen, germanistischen und pädagogischen Wissenschaftsdisziplinen ähnliche Impulse für die zukünftige Auseinandersetzung mit der Volksaufklärung des 19. Jahrhunderts zu erzeugen vermag.

32 Vgl. BÖNING/SIEGERT: Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch zur Popularisierung aufklärerischen Denkens.

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X. SCHLUSSBETRACHTUNG

Anhang A

Bibliographie der an das „Volk“ adressierten Periodika in Thüringen von 1800 bis 1848

Vorbemerkung Die hier erstellte Bibliographie stützt sich auf die Angaben von JOACHIM KIRCHNER,1 FELICITAS MARWINSKI,2 ALFRED ESTERMANN3 und CARL DIESCH4 sowie auf eigene Bibliotheks- und Archivrecherchen. Aufgenommen wurden alle Periodika, die im Zeitraum von 1800 bis 1848 in Thüringen erschienen sind, sich an ein breites Lesepublikum richteten und ein gemeinnütziges bzw. belehrend-unterhaltsames Profil aufweisen. Da im vormärzlichen Thüringen zahlreiche lokale Intelligenz-, Kreis- und Amtsblätter ebenfalls gemeinnützige oder belehrendunterhaltsame Beiträge beinhalteten (Kapitel V), wurden diese Periodika mit in die Bibliographie aufgenommen. Hingegen wurden die ebenso an das „Volk“ gerichteten Kalender aufgrund ihrer literarischen Sonderform nicht berücksichtigt. An dieser Stelle sei nur kurz erwähnt, dass im Thüringer Raum das Kalenderwesen auch bis weit ins 19. Jahrhundert zu den publizistischen Trägern aufklärerischen Gedankengutes gehörte.5 Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts lassen sich Volkskalender in fast allen thüringischen Residenz- und Kleinstädten nachweisen. Exemplarisch seien der „Unterhaltende Kalender“ aus Neustadt an der Orla, der „Sachsen=Meiningische verbesserte Alte und Neue Kalender“ aus Mei1 2 3 4 5

Vgl. KICHNER, JOACHIM: Die Zeitschriften des deutschen Sprachgebietes von den Anfängen bis 1830. Mit einem Titelregister von Edith Chorherr, Stuttgart 1969. Vgl. MARWINSKI, FELICITAS: Zeitungen und Wochen-Blätter, Weimar 1968. Vgl. ESTERMANN, ALFRED: Die deutschen Literatur-Zeitschriften 1815–1850. Bibliographien – Programme – Autoren, 10 Bde., 2. Aufl. München/London/New York/Paris 1991. Vgl. DIESCH, CARL: Bibliographie der Germanistischen Zeitschriften, Leipzig 1927. Zum Kalender als Medium der (Volks-)Aufklärung vom Beginn des 17. Jahrhunderts bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vgl. PETRAT, GERHARDT: Einem besseren Dasein zu Diensten. Die Spur der Aufklärung im Medium Kalender zwischen 1700 und 1919, München/New York/London/Paris 1991. Zur Definition der literarischen Gattung Kalender sowie deren verschiedenen inhaltlichen und formalen Charakteristiken vgl. außerdem KNOPF, JAN: Die deutsche Kalendergeschichte. Ein Arbeitsbuch, Frankfurt am Main 1983; ROHNER, LUDWIG: Kalendergeschichte und Kalender, Wiesbaden 1978.

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ANHANG A

ningen und der „Allgemein verbesserte Volks=Kalender“ aus Weimar genannt.6 Diese drei Kalender erschienen in den 1820er Jahren und wurden von Personen herausgegeben, die sich auch als Autoren oder Verleger anderer volksaufklärerischer Schriften betätigten. So enthält der „Unterhaltende Kalender“ aus Neustadt an der Orla, der von dem Drucker und Verleger Johann Karl Gottfried Wagner herausgegeben wurde, neben dem eigentlichen Kalender auch belehrendunterhaltsame Beiträge, die der landwirtschaftlich-ökonomischen und sittlichmoralischen Volksaufklärung dienten.7 Außerdem wurden im „Kalender=Anhang“ nicht nur Feier-, Fest- und Markttage sowie astronomische und meteorologische Ereignisse verzeichnet, sondern auch alle im Kalender befindlichen Beiträge über aktuelle „Zeitereignisse“, „Belehrende und unterhaltende Sachen“, „Erzählungen“, „Charaden“, „Kunststücke“ und „Gedichte“ aufgelistet. Eine systematische Erschließung und Aufarbeitung der Volkskalender im Thüringer Raum des 19. Jahrhunderts steht noch aus, stellt aber mit Blick auf zukünftige Untersuchungen zur Volksaufklärungsbewegung im 19. Jahrhundert ein lohnenswertes Forschungsfeld dar. Die in der vorliegenden Bibliographie erfassten Periodika sind nach ihrem Erscheinungsort geordnet und in chronologischer Reihenfolge aufgelistet. Die Anordnung der Erscheinungsorte erfolgt in alphabetischer Reihenfolge. Aus pragmatischen Gründen wurden nur die Periodika erfasst, deren Erscheinungsorte sich innerhalb der Grenzen des Landes Thüringen befinden. Kleinere Städte wie Duderstadt, die im 19. Jahrhundert noch zur thüringischen Kleinstaatenwelt gehörten, heute jedoch außerhalb des Freistaates Thüringen liegen, wurden nicht berücksichtigt. Einzige Ausnahme bildet die ehemalige ernestinische Residenzstadt Coburg. Bei den Städten Erfurt, Jena und Weimar, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Zentren des thüringischen Pressewesens betrachtet werden können, lag die Menge der ermittelten Periodika im Vergleich zu den anderen thüringischen Städten um ein Vielfaches höher. Da bei einigen dieser periodischen Schriften die inhaltliche Ausrichtung nicht eindeutig bestimmt werden konnte, wurde für die Städte Erfurt, Jena und Weimar eine Auswahl der wichtigsten gemeinnützig-volksaufklärerischen Titel getroffen. Rund zwei Drittel der in 6

7

Vgl. Unterhaltender Kalender, hrsg. von Johann Karl Gottfried Wagner, Neustadt an der Orla 1827; Allgemein verbesserter Volks=Kalender, hrsg. von Friedrich Albrecht, Weimar 1825; Sachsen=Meiningischer verbesserter Alter und Neuer Kalender. Nach dem Hennebergischen und angränzenden Fränk= und Hessischen Horizont mit Fleiß calculiret und eingerichtet, hrsg. von Johann Christian Reichard, Meiningen 1826. Vgl. u.a Vortheile, wenn man das Getreide vor der völligen Reife einärntet, in: Unterhaltender Kalender, Julius 1827, unpag.; Das Einärten des Hafers, in: Unterhaltender Kalender, August 1827, unpag.; Auswahl der Zeit zum Schneiden des Weitzens, in: Unterhaltender Kalender, November 1827, unpag.; Die Simonschen Töchter, in: Unterhaltender Kalender, Januar 1827, unpag.

BIBLIOGRAPHIE DER AN DAS „VOLK“ ADRESSIERTEN PERIODIKA

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der Bibliographie aufgelisteten Zeitungen und Zeitschriften wurden direkt gesichtet. Bei allen Blättern, deren Erscheinungszeitraum mehr als zehn Jahre beträgt, wie beispielsweise bei der Hildburghäuser „Dorfzeitung“ oder beim Gothaer „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“, wurden die einzelnen Jahrgänge der jeweiligen Titel einer stichprobenartigen Autopsie unterzogen. Wenn der Herausgeber eines Blattes zweifelsfrei identifiziert werden konnte, wurde dies ebenfalls in der Bibliographie vermerkt. Ungeachtet dessen, dass einige Zeitschriften und Zeitungen bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts fortbestanden,8 wurden alle Periodika ausnahmslos nur bis 1848 erfasst. Da vor allem die universell ausgerichteten, volksaufklärerischen Periodika während der Revolution von 1848/49 eine Neuausrichtung ihres inhaltlichen Profils vollzogen haben (siehe Kapitel IX), soll hier eine bewusste Zäsur gesetzt werden.9 Die Bibliographie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, kann aber dennoch als repräsentativ angesehen werden und verdeutlicht die quantitative und qualitative Vielseitigkeit der im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Thüringen veröffentlichten Periodika, die unmittelbar an das „Volk“, an „alle Stände“, den „gemeinen Mann“ oder den „Bürger und Landmann“ adressiert waren. Arnstadt 1. Arnstädtische wöchentliche Anzeigen und Nachrichten, 1768–1827. 2. Übersicht der Fortschritte in Wissenschaft, Künsten, Manufakturen und Handwerken enthaltend die neuesten Entdeckungen und Erfindungen, 1795/96–1806(1808). 3. Gesundheitszeitung, oder Beiträge zur Beförderung der Körperstärke, des langen, frohen Lebensgenusses, der sichern Erkenntniß und glücklichen Behandlung der Krankheiten und der plötzlichen lebensgefährlichen Zufälle des Körpers, 1802–1804. 4. Privilegirtes Arnstädtisches Regierungs- und Intelligenzblatt, 1823–1848. 5. Thüringens Merkwürdigkeiten aus dem Gebiete der Natur, der Kunst, des Menschenlebens etc. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften, hrsg. von H. J. Meyer, 1826. 6. Vaterlandskunde. Wochenschrift der Natur- und Landeskunde, den technischen Gewerben, dem Neuen aus der Zeit, so wie einer gemeinnützigen Belehrung und Unterhaltung überhaupt gewidmet. Für alle Stände, hrsg. von Karl Gräbner, 1827–1828. 8 9

Beispielsweise wurde die Hildburghäuser „Dorfzeitung“ von 1848 bis 1932 ohne Titeländerung fortgeführt, wechselte aber während dieses Zeitraum mehrfach ihr inhaltliches Profil und äußeres Gestaltungsbild. Zum überaus umfangreichen Bestand thüringischer Periodika während der Revolution vgl. grundlegend BURKHARDT, FALK: Chronik und Bibliographie zur Revolution von 1848/49 in Thüringen, Erfurt 1998, S. 255–304.

564

ANHANG A

7.

Der Volksfreund, ein unterhaltendes und belehrendes Zeitblatt für alle Stände, hrsg. von Wilhelm Neuhof, 1828–1829. 8. Der Beobachter. Gnädigst priviligirte Arnstädtische Zeitung 1828–1839. 9. Landwirthschaftliche Dorfzeitung, hrsg. von Carl von Pfaffenrath und William Löbe, 1840–1842. 10. Thuringia. Zeitschrift zur Kunde des Vaterlandes, 1841–1843. 11. Thüringer Zeitung, hrsg. von Hermann Alexander Berlepsch, 1847–1848. Artern 1. Arternsches Wochen-Blatt, hrsg. von H. A. Weichelt, 1838–1848. Altenburg 1. Magazin für deutsche Bürger und Landleute zu immer weiterer Beförderung wahrer Aufklärung und Wohlfahrt unter denselben, hrsg. von Christoph Gottlieb Steinbeck, 1799–1800. 2. Sächsische Provinzialblätter, hrsg. von Friedrich Graf von Beust, 1800– 1803. 3. Der Kinderfreund auf dem Lande. Eine Wochenschrift, hrsg. Christoph Friedrich Höger, 1804–1805. 4. Politische Andeutungen, 1810. 5. Der Landwirt in seinem ganzen Wirkungskreise oder Sammlung der neuesten und nützlichsten Beobachtungen, Erfahrungen und Rathschläge in allen Zweigen der Landwirthschaft. Eine Zeitschrift für praktische Cameralisten und Freunde des ländlichen Gewerbes, hrsg. von Karl Christoph Gottlieb Sturm und Carl Wilhelm Ernst Putsche, 1817–1820/22; N.F. 1821/22– 1826. 6. Osterländische Blätter, hrsg. von Friedrich Ferdinand Hempel, 1818–1819. 7. Osterländische Blätter für Landes-, Natur- und Gewerbkunde, 1820–1821. 8. Wochenblatt der Viehzucht, Thierarzneikunde, Reitkunst und des Thierhandels, 1818–1821. 9. Gnädigst Privilegiertes Altenburger Wochenblatt, 1754–1822. 10. Jahresberichte des Kunst- und Handwerksvereins im Herzogthum Altenburg, 1818/22–1825/26. 11. Unterhaltungsblatt für den deutschen Bürger und Landmann, hrsg. von Christian Ludwig Hahn, 1820–1821. 12. Beiträge zur Belehrung und Erbauung, hrsg. von Hermann Christoph Gottfried Demme, 1823. 13. Herzoglich Sachsen-Altenburgisches Amts- und Nachrichtsblatt, 1823– 1848.

BIBLIOGRAPHIE DER AN DAS „VOLK“ ADRESSIERTEN PERIODIKA

565

14. Verzeichniß der Kunst-, Industrie- und Gewerbs-Gegenstände, welche bei dem Kunst- und Handwerksverein zu Altenburg öffentlich ausgestellt sind, 1823–1826. 15. Altenburger Blätter. Wöchentliche Mittheilungen für das Herzogthum Sachsen-Altenburg, 1830–1833. 16. Altenburger Landtagsblätter. Mittheilungen und Nachrichten vom Landtage, 1832/35–1844/48. 17. Mittheilungen aus dem Osterlande, 1837–1848. 18. Sonntagsschule zur Belehrung und Unterhaltung und Ideenmagazin für Gewerbsgenossen aller Klassen und Industriezweige. Eine Monatsschrift zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse nach den Anforderungen unserer Zeit, hrsg. von E. F. V. Lorenz, 1841. 19. Deutsche Eisenbahn. Unterhaltungsblatt für Volk und Haus, hrsg. von E. A. Honigmann, 1846–1848. 20. Zeitung für Stadt und Land, hrsg. von J. Gersdorf und R. Schneider, 1847– 1848. Bad Frankenhausen 1. Frankenhäuser Intelligenzblatt. Amtliches Nachrichtsblatt für die Unterherrschaft des Fürstentums Schwarzburg-Rudolstadt, 1765–1848. 2. Thüringisches Magazin zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse und zur Unterhaltung, hrsg. von Wilhelm Günther Bleichrodt, 1808–1809. Bad Salzungen 1. Salzunger Wochenblatt, hrsg. von W. Walch, 1842–1848. Bleicherode 1. Gemeinnütziges Wochenblatt für Bleicherode und Umgegend, 1847–1848. Camburg 1. Magazin für Freunde des deutschen Vaterlandes. Monatsschrift für den Bürger und Landmann, hrsg. von Christoph Gottlieb Steinbeck und Johann Ernst Daniel Bornschein, 1803. 2. Nützliches und unterhaltendes Camburger Wochenblatt für alle Stände, hrsg. von Julius Ferdinand Schreyer, 1835–1848. Coburg 1. Coburger Wochenblatt, 1803–1807. 2. Herzoglich-Sachsen-Coburg-Saalfeldisches Regierungs- und Intelligenzblatt, 1807–1826.

566 3. 4. 5. 6.

ANHANG A

Herzoglich-Sachsen-Coburgisches Regierungs- und Intelligenzblatt, 1827– 1839. Die Sonntags-Schule für Junge Handwerker in der Herzoglich Sächsischen Residenzstadt Coburg, 1826–1831. Berichte über das Wirken des Kunst-, Industrie- und Gewerb-Vereines, sowie des Vereines für Gartenbau und Feldwirthschaft, in der Herzoglich S. Residenzstadt Coburg, 1839–1846/47. Regierungs- und Intelligenzblatt für das Herzogtum Coburg, 1839–1848.

Eisenach 1. Eisenachisches Wochenblatt, 1811–1848. 2. Sonntagsblatt für Stadt und Land, 1825–1848. 3. Der Landmann in Haus und Flur, 1833. Eisenberg 1. Der teutsche Patriot. Ein Volksblatt, hrsg. von Christoph Gottlieb Steinbeck, 1802–1805; N.F. 1831–1833. 2. Eisenbergisches Nachrichtsblatt. Für Unterhaltung und gemeinnütziges Wirken, hrsg. von Friedrich August Nützer, 1821–1848. Erfurt (Auswahl) 1. Der deutsche Schulfreund. Ein nützliches Hand- und Lesebuch für Lehrer in Bürger- und Landschulen, hrsg. von Heinrich Gottlieb Zerrenner, 1791– 1801. 2. Gesundheitszeitung, oder Beiträge zur Beförderung der Körperstärke, des langen, frohen Lebensgenusses, der sichern Erkenntniß und glücklichen Behandlung der Krankheiten und der plötzlichen lebensgefährlichen Zufälle des Körpers, hrsg. von Johann Ludwig Andreas Vogel, 1802–1804. 3. Allergnädigst privilegierte Thüringische Vaterlands-Kunde, 1801–1805. 4. Witziges und nützliches Allerley, 1802–1805. 5. Gemeinnützige Unterhaltungen über Länder-, Natur- und Volkskunde, 1803. 6. Neue allgemeine Weltbühne, 1804–1821. 7. Die deutsche Landwirthschaft in ihrem ganzen Umfange, 1808–1812. 8. Allgemeiner deutscher Staatsbote, 1808. 9. Der Patriot. Volksschrift für Preußen, 1815. 10. Sächsische Provinzblätter für Stadt und Land, hrsg. von Johann Christian Müller, 1821–1823. 11. Allgemeine thüringische Vaterlandskunde. Wochenschrift für Geschichte Thüringens, hrsg. von Heinrich August Erhard, 1822–1824.

BIBLIOGRAPHIE DER AN DAS „VOLK“ ADRESSIERTEN PERIODIKA

567

12. Allgemeine teutsche Vaterlandskunde. Wochenschrift, der Geschichte, Natur- und Landeskunde, Literatur und Kunst, des Alterthum, den technischen Gewerben, so wie einer gemeinnützigen Belehrung und Unterhaltung überhaupt gewidmet, für alle Stände, hrsg. von Karl Gräbner, 1824–1826. 13. Allgemeine thüringische Gartenzeitung, 1842–1848. 14. Der Erfurter Stadt- und Landbote, 1844–1847. 15. Feierabendstunden. Blätter, die den Bürger und Landmann in seinem Berufe den geistigen Blick erweitern und ihn zugleich im Familienkreise erheitern sollen, 1844. 16. Der deutsche Stadt- und Land-Bote. Eine Wochenschrift für alle Angelegenheiten des bürgerlichen Lebens, 1846–1848. Gehren 1.

Gehrener Kreisblatt, 1841–1848.

Gera 1. Aufrichtig-deutsche Volks-Zeitung, hrsg. von Christoph Gottlieb Steinbeck, 1795–1800. 2. Neue privilegirte Geraische Zeitung, 1800–1811. 3. Mannigfaltigkeiten zur angenehmen und nützlichen Unterhaltung. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften, hrsg. von Herman Wilhelm Franz Uelzen und Georg Friedrich Beneken, 1807. 4. Fürstlich Reuß Plauische priviligirte Geraische Zeitung, 1812–1848. 5. Amts- und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Gera, 1824–1848. 6. Deutsche Jugendzeitung. Zur belehrenden Unterhaltung, 1832–1834; N.F. 1835–1836, 1837–1848. 7. Unterhaltungs-Saal. Eine Zeitschrift für Belletristik, Literatur, Geschichte, Kunst und gemeinnützige Unterhaltung, hrsg. Adolph Hofmeister, 1843– 1848. Gotha 1. Kaiserlich privilegirter Reichs-Anzeiger, hrsg. von Rudolph Zacharias Becker, 1793–1806. 2. National-Zeitung der Deutschen, hrsg. von Rudolph Zacharias Becker, 1796–1811, 1814–1829. 3. Der Volksfreund. Eine Monatsschrift, deren Aufsätze auch einzeln als Flugschriften zu haben sind, hrsg. von Johann Ferdinand Schlez, 1798–1800. 4. Der Rathgeber für alle Stände in Angelegenheit, welche die Gesundheit, den Vermögens- und Erwerbsstand und den Lebensgenuß betreffen, hrsg. von Daniel Collenbusch, 1799–1803.

568 5. 6. 7.

8. 9. 10.

11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.

ANHANG A

Der Polyhistor, eine Quartalsschrift, so wissenswerthe und nützliche Sachen zur Belehrung und Unterhaltung enthält, 1802. Beiträge zur praktischen Arzneikunde, hrsg. von Johann Georg Friedrich Henning, 1802–1804. Allgemeiner Anzeiger der Deutschen. Der öffentlichen Unterhaltung über gemeinnützige Gegenstände aller Art gewidmet, zugleich allgemeines Intelligenz-Blatt zum Behuf der Justiz, der Polizey und der bürgerlichen Gewerbe, hrsg. von Rudolph Zacharias Becker, 1806–1829. Wochentliche Gothaische Anfragen und Anzeigen, 1808–1812. Gothaisches Intelligenzblatt, 1814–1829. Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen. Der öffentlichen Unterhaltung über gemeinnützige Gegenstände aller Art gewidmet, zugleich allgemeines deutsches Intelligenzblatt zum Behuf der Rechtspflege, der Polizei, des Handels und der Gewerbe, so wie des bürgerlichen Verkehrs überhaupt, hrsg. von Friedrich Gottlob Becker, 1830–1848. Regierungs- und Intelligenzblatt für das Herzogtum Gotha, hrsg. von W. Ortleb, 1830–1848. Gothaische politische Zeitung, 1831–1834. Der neue Thüringer Bote, hrsg. von Ludwig Storch, 1831. Gothaische Zeitung. Gothaer neueste Nachrichten, 1835–1844. Der Thüringer Bote. Ein Volksblatt, hrsg. von Ludwig Storch, 1842–1843. Priviligirte Gothaische Zeitung, 1845–1848. Der Deutsche Volksbote. Eine Zeitschrift für vaterländische Interessen zur Belehrung und Unterhaltung, hrsg. von Ludwig Storch, 1844. Jahresbericht des Thüringer Gartenbauvereins zu Gotha, 1842/43–1848. Verhandlungen des Gothaischen Landtags, 1846–1848.

Greiz 1. Greizer Intelligenzblatt, 1778–1816. 2. Fürstlich Reuß Plauisches Amts- und Verordnungsblatt, 1817–1848. 3. Gesundheitszeitung. Eine populär-medizinische Zeitschrift, 1828–1830. Heiligenstadt 1. Heiligenstädter Intelligenz-Blatt zum Nutzen und Besten des Publikums, 1779–1804. 2. Heiligenstädter Wochenblatt (zwischenzeitlich: Departements=Blatt), 1798– 1817. 3. Wochenblatt für den Landräthlichen Kreis Heiligenstadt, 1817. 4. Wochenblatt für den Kreis Heiligenstadt, 1818–1819. 5. Ober-Eichsfelder Kreis-Anzeiger, hrsg. von Carl Brunn, 1820–1848.

BIBLIOGRAPHIE DER AN DAS „VOLK“ ADRESSIERTEN PERIODIKA

569

Hildburghausen 1. Hildburghäusisches Wochenblatt, 1806. 2. Dorfzeitung, hrsg. von Karl Ludwig Nonne, 1818–1848. 3. Bürgerzeitung oder freimüthiges Gemeinde-Blatt, 1823. 4. Herzoglich-Sachsen-Meiningisches Regierungs- und Intelligenzblatt für das Herzogthum Hildburghausen und das Fürstenthum Saalfeld, 1827–1848. 5. Der Volksfreund. Ein Blatt für Bürger in Stadt und Land, hrsg. von Carl Joseph Meyer, 1832. 6. Der Dorfzeitungs-Gemeinde Geheimes Plauderstübchen, hrsg. von Karl Ludwig Nonne, 1832–1848. 7. Allgemeines Gewerbsblatt für das Herzogthum Sachsen-Meiningen und die angrenzenden Länder, 1836. Ilmenau 1. Jahrbuch der neuesten und wichtigsten Erfindungen und Entdeckungen, sowohl in den Wissenschaften, Künsten, Manufakturen und Handwerken, als in der Land- und Hauswirthschaft, mit Berücksichtigung der neuesten deutschen und ausländischen Literatur, hrsg. von Heinrich Leng, 1822(1824)– 1830(1833). 2. Gott und der Mensch. Ein Sonntagsblatt für alle Stände und Confessionen, 1825. 3. Ilmenauer Nachrichtsblatt für die Thüringer Waldgegend, 1829–1847. 4. Landwirthschaftliche Berichte aus Mittel-Deutschland. Enthaltend das Neueste und Wissenswürdigste für Landwirthe, hrsg. von Theodor Gottfried Gumprecht, 1833–1848. Jena (Auswahl) 1. Jenaische wöchentliche Anzeigen, 1779–1811. 2. Wohlfahrtszeitung der Teutschen, hrsg. von Christoph Gottlieb Steinbeck, 1799–1800. 3. Gemeinnützige Stadt- und Land-Zeitung oder Wöchentliches Lehr-, Nährund Hülfsblatt moralischen, ökonomischen, physikalischen, politischen und vermischten Inhalts, hrsg. von Christian Gottlob Rost und Ernst August Ludwig von Teubern, 1800. 4. Patriotische Zeitung für Teutsche. Zur Verbreitung nützlicher Kenntnisse und zur Beförderung häuslicher Glückseligkeit, 1800. 5. Gemeinnütziges Justiz- und Polizeiblatt der Teutschen zur Beförderung wahrer Wohlfahrt unter denselben, 1810. 6. Jahrbuch der Landwirthschaft und der damit verbundenen Wissenschaften, 1810–1814. 7. Privilegirte Jenaische wöchentliche Anzeigen, 1811–1836.

570

ANHANG A

8.

Der Landwirt in seinem ganzen Wirkungskreise oder Sammlung der neuesten und nützlichsten Beobachtungen, Erfahrungen und Rathschläge in allen Zweigen der Landwirthschaft. Eine Zeitschrift für praktische Cameralisten und Freunde des ländlichen Gewerbes, 1817–1827. 9. Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde, 1821–1836. 10. Der Thüringer Volksfreund. Eine Wochenschrift für Thüringen, das Osterland und Voigtland, hrsg. von Karl Herzog und Friedrich Johannes Frommann, 1829–1831. 11. Das Wichtigste aus dem Pflanzenreiche für Landwirthe, Fabrikanten, Forstund Schulmänner, so wie für Liebhaber der Pflanzenkunde überhaupt, oder naturgetreue Abbildungen der in Hinsicht auf Land- und Hauswirthschaft, Künste und Gewerbe, so wie auf Hausarzneikunde und Diätetik wichtigen und interessanten Gewächse, nebst genauer Beschreibung und Nachweisung über Nutzen und Schaden, Anbau und Ausrottung derselben, hrsg. von David Dietrich, 1831–1832 12. Privilegirte Jenaische Wochenblätter, 1837–1848. Kahla 1. Gemeinnützige Zeitung für’s Volk, 1801. 2. Kahlaisches Nachrichtsblatt. Mit Beiträgen zur Belehrung und Unterhaltung, hrsg. von Andreas Christian Beck und Karl Eduard Ferdinand Beck, 1814–1847. 3. Kahla-Rodaisches Nachrichtsblatt. Mit Beiträgen zur Belehrung und Unterhaltung, 1847/48. Langensalza 1. Langensalzaer Wochenblatt, 1816–1818. 2. Wochenblatt für den Langensalzaer Kreis, 1818–1823. 3. Langensalzaer Kreis-Wochenblatt. Mit Beiträgen zur Belehrung und Unterhaltung, hrsg. von F. W. Knoll, 1824–1830. 4. Langensalzaer Kreisblatt. Mit Beiträgen zur Belehrung und Unterhaltung, hrsg. von F. W. Knoll, 1831–1848. 5. Die Welt. Unterhaltende und belehrende Vierteljahrsschrift, hrsg. von Th. Tetzner u. F. G. L. Greßler, 1844–1847. Lobenstein 1. Lobensteinisches gemeinnütziges Intelligenzblatt, 1784–1805. 2. Gemeinnütziges Lobenstein- und Ebersdorfer Intelligenzblatt, 1818–1827. 3. Amts- und Nachrichtsblatt für das Fürstenthum Lobenstein-Ebersdorf, 1829–1848.

BIBLIOGRAPHIE DER AN DAS „VOLK“ ADRESSIERTEN PERIODIKA

571

Meiningen 1. Meiningische wöchentliche Nachrichten. Mit Herzoglich Sächsischen gnädigstem Privilegio, 1777–1825. 2. Herzoglich Sachsen-Meiningisches Regierungs- und Intelligenzblatt, 1826– 1848. 3. Verhandlungen des Landtags von Sachsen-Meiningen, 1830/31–1848. 4. Landtagsblatt. Eine zwanglose Wochenschrift zur Beförderung des konstitutionellen Lebens im Herzogtum Sachsen-Meiningen, 1832–1833. 5. Unterhaltendes und gemeinnützliches Volksblatt. Eine Zeitschrift für Stadt und Land, 1835–1848. Mühlhausen 1. Neues Mühlhäusisches Wochenblatt, 1796–1816. 2. Wochenblatt für den Mühlhäuser Kreis, 1817–1848. 3. Gemeinnütziges Unterhaltungsblatt, hrsg. von Ernst Wilhelm Röbling, 1826/27–1848. 4. Der deutsche Tribun, 1847. Neustadt an der Orla 1. Der Sächsische Vaterlandsfreund, 1802. 2. Gemeinnützige Blätter für sächsische Vaterlandsfreunde (später: Gemeinnützige Blätter für Freunde des Vaterlandes), hrsg. von Wilhelm Friedrich Schubert und Ernst August Ludwig von Teubern, 1803–1808 3. Gemeinnützige Blätter zur Unterhaltung und Belehrung (später: Gemeinnützige Blätter zur Belehrung und Unterhaltung), hrsg. von Johann Gottfried Daniel Schmiedtgen und Johann Christian August Bauer, 1809–1812. 4. Neustädter Kreis-Bote. Ein Wochenblatt zur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände, hrsg. von Ferdinand Gotthelf Frenkel, Christian Ernst Anger und Friedrich Ludwig Leberecht Wagner, 1818–1848. Nordhausen 1. Nordhäusisches wöchentliches Nachrichtsblatt, hrsg. von Ferdinand Förstemann, 1816–1848. 2. Der Hohnsteinsche Erzähler (später: Hohensteinsche Zeitung), hrsg. von Georg Friedrich Heinrich Plieth, 1816–1817/1819–1820. 3. Hohnsteinsche Interims-Blätter, hrsg. von Georg Friedrich Heinrich Plieth, 1817. 4. Der Volksfreund und der Vaterlandsfreund, hrsg. von Georg Friedrich Heinrich Plieth, 1818. 5. Teutonia, hrsg. von Rosinus Landgraf, 1821–1833.

572

ANHANG A

6. 7.

Beiträge zur landwirthschaftlichen Bauwissenschaft, 1825–1827. Thüringische Mannigfaltigkeiten. Eine Zeitschrift zur nützlichen und angenehmen Unterhaltung, 1826–1827. 8. Unterhaltungsblatt zur Beförderung gemeinnütziger Erkenntnisse, 1834. 9. Thüringer Bote, hrsg. von D. Schoepfer, 1834/36. 10. Bericht über die Wirksamkeit des Landwirthschaftlichen Vereins in der Goldenen Aue zu Nordhausen, 1843–1844. 11. Volks-Halle oder Zeitgemälde aus dem Volks-, Natur- und Kunst-Leben in Schrift und Bild, hrsg. von Gottfried Müller, 1844–1846. 12. Die Warte. Monatsschrift zur Belehrung und Unterhaltung, hrsg. von Philipp Havelland, 1846–1847. Ohrdruf 1.

Ohrdrufer wöchentlicher Anzeiger, 1816–1848.

Pößneck 1. Pößnecker wöchentliche Nachrichten für Stadt- und Landbewohner, 1828– 1831. 2. Pößnecker Wochenblatt, 1832–1848. 3. Ziegenrücker Kreisblatt. Zur Unterhaltung und Belehrung, 1836–1848. Ranis 1. Wochenblatt des Ziegenrücker Kreises, 1829–1831. 2. Ziegenrücker Kreis-Wochenblatt zur Belehrung und Unterhaltung (eigenständige Beilage des Wochenblattes des Ziegenrücker Kreises), 1829–1831. 3. Ziegenrücker Kreisblatt. Zur Unterhaltung und Belehrung, 1832–1836. Rudolstadt 1. Rudolstädter Wochenblatt, 1773–1815. 2. Fürstlich Schwarzburg-Rudolstädtisches privilegirtes Wochenblatt, 1816– 1848. 3. Rudolstädter Nachrichtsblatt für Unterhaltende und nützliche Mittheilungen (= Rudolstädter Mittwochsblatt), 1833–1840. 4. Wochenblatt für die landwirthschaftlichen Vereine in Thüringen, 1835. 5. Zeitschrift für landwirthschaftliche und Gewerb-Vereine in Thüringen, 1836–1837. 6. Zeitschrift für Landwirthschaft und Gewerbe in Thüringen. Organ der Landwirthschaftlischen Gesellschaft zu Ranis und mehrerer gemeinnützigen Vereine im Schwarzburgischen, 1838–1840.

BIBLIOGRAPHIE DER AN DAS „VOLK“ ADRESSIERTEN PERIODIKA

573

7.

Der Thüringer Volksfreund. Ein belehrendes und unterhaltendes Volksblatt für Jedermann, 1838–1848. 8. Zeitschrift für Landwirthschaft. Organ mehrerer landwirthschaftlicher Gesellschaften und Vereine in Sachsen, 1841–1842. 9. Vaterlandsfreund, 1841–1844. 10. Allgemeine Auswanderungs-Zeitung. Ein Bote zwischen der alten und der neuen Welt, 1846–1848. 11. Thüringische illustrirte Zeitschrift (eigenständige Beilage des Fürstlich Schwarzburg-Rudolstädtischen privilegirten Wochenblattes), 1847–1848. Saalfeld 1. Saalfeldisches Wochenblatt, 1801–1802; 1818–1821. 2. Herzoglich-Sachsen-Coburg-Saalfeldisches Regierungs- und Intelligenzblatt, 1807–1826. 3. Der Saalfelder Stadt- und Landbote. Ein Volksblatt zur Belehrung und Unterhaltung, 1831–1833. 4. Thüringer Stadt- und Landbote. Ein Volksblatt für Belehrung und Unterhaltung aus dem Leben, der Natur und der Gesellschaft, 1834–1848. 5. Feierabendstunden. Erzählungen, Gedichte, Rathschläge, Warnungen, Landwirthschaftliches und Gewerbliches, Anekdoten. Dem Bürger und Landmanne zur Belehrung und Unterhaltung, 1847–1848 (eigenständige Beilage des Thüringer Stadt- und Landboten). 6. Jahresbericht des Thüringischen Kunst- und Gewerbvereins zu Saalfeld, 1836–1848. 7. General-Blatt der wichtigsten Verhandlungen der Kunst-, Industrie- und Gewerbsvereinen Deutschlands, nebst einem Gewerbsanzeiger, redigiert von Carl von Pfaffenrath, 1837–1840 8. Allgemeines Volksblatt der Deutschen. Eine belehrende und unterhaltende Zeitschrift für den Bürger und Landmann, hrsg. von Carl von Pfaffenrath und Heinrich Schwerdt, 1844–1846. 9. Gemeinnütziges Wochen- und Anzeigenblatt für das Fürstenthum Saalfeld, 1844–1848. Schleiz 1. Gemeinnütziges Schleizer Wochenblatt, 1812–1842. 2. Der Fürsten- und Volksfreund. Zeitschrift in zwanglosen Heften, 1816. 3. Amtliches Schleizer Wochenblatt, 1842/43–1848. 4. Zeitschrift für reußische Landeskunde, allgemeine Belehrung und Unterhaltung, 1845. 5. Reußisch-vogtländischer Dorfbote, 1846–1848.

574

ANHANG A

Schleusingen 1. Intelligenzblatt für die Thüringer Waldgegenden oder Wochenschrift für Belehrung, Unterhaltung und Bekanntmachung für alle Stände und Bewohner dieser Gegenden. Nebst einem politischen Blatte, 1807–1812. 2. Königlich-Preußisches Hennebergisches Intelligenzblatt, 1816–1819. 3. Königlich Preußischer privilegirter wöchentlicher Anzeiger im Henneberger Kreise, 1823–1834. 4. Henneberger Kreisblatt, 1835–1848. Schmalkalden 1. Schmalkaldischer Anzeiger, 1825–1833. 2. Belehrender Volksfreund aus der Länder- und Völkerkunde und Geschichte für den Bürger und Landmann, 1826. 3. Belehrungsschriften über Volkswohlfahrt, oder patriotische Vorschläge zur Abhilfe des Nothstandes und Aufhilfe des Wohlstandes in allen deutschen Bundesstaaten, in zwanglosen Heften zum Besten des Volks und der Staatskassen, 1827. 4. Der Wanderer auf dem Felde der Geschichte, Länder- und Völkerkunde, der Sittenlehre, der Gewerbskunde, der Land- und Hauswirtschaft und des Gemeindewesens. Zeitschrift für Stadt und Land, hrsg. von Theodor Bernhard Georg Friedrich Varnhagen, 1828. 5. Schmalkalder Anzeiger, 1835–1848. Schnepfenthal 1. Der Bote aus Thüringen, hrsg. von Christian Gotthilf Salzmann, 1788– 1816. 2. Der Kinderfreund aus Schnepfenthal, hrsg. von Johann Wilhelm Ausfeld, 1817. Sondershausen 1. Der Hohnsteinsche Erzähler, ein vaterländisches Wochen-Blatt historischen und gemeinnützigen Inhalts, hrsg. von Georg Friedrich Heinrich Plieth, 1798–1816. 2. Gemeinnützige Blätter für Schwarzburg, hrsg. von Friedrich Karl Ludloff und Carl Christian Fleck, 1806–1814. 3. Allgemeines Intelligenz-Blatt für Schwarzburg-Sondershausen, 1811–1814. 4. Teutonia, hrsg. von Bernhard Friedrich Voigt, 1813–1814. 5. Der Deutsche. Eine politische Zeitschrift für alle Stände, hrsg. von August Christian Wilhelm Gimmerthal, 1821.

BIBLIOGRAPHIE DER AN DAS „VOLK“ ADRESSIERTEN PERIODIKA

575

6.

Der Teutsche. Priviligirte Politische Zeitung für alle Stände, hrsg. von Friedrich August Eupel, 1822–1848. 7. Regierungs- und Intelligenzblatt Sondershausen, 1820–1834. 8. Vaterländische Unterhaltungen. Eine Wochenschrift, hrsg. von Friedrich Karl Ludloff, 1821. 9. Fürstlich Schwarzburgisches Regierungs- und Intelligenz-Blatt, 1835–1848. 10. Verhandlungen des Vereins zur Beförderung der Landwirthschaft zu Sondershausen, 1841–1848. 11. Unterhaltungsblatt (eigenständige Beilage des Teutschen), 1844–1848. 12. Verhandlungen des Landtags für Schwarzburg-Sondershausen, 1847–1848. Sonneberg 1. Wöchentlicher Anzeiger für das Oberland des Herzogthums Sachsen-Meiningen, hrsg. von C. A. Mylius, 1840–1848. Suhl 1. Königlich Preußisch privilegiertes Hennebergisches Intelligenzblatt, oder Wochenschrift zur Belehrung, Unterhaltung und Bekanntmachung für alle Stände und Bewohner des Königlichen Antheils in der gefürsteten Grafschaft Suhl, 1815–1821. 2. Königlich Preußisches privilegiertes Hennebergisches Wochenblatt, 1821– 1834. 3. Ortsnachrichtsblatt für die Stadt Suhl, 1834–1848. Waltershausen 1. Wöchentliche Anzeigen für die Stadt Waltershausen, 1847. Weimar (Auswahl)10 1. Weimarisches Wochenblatt, 1801–1810; 1811–1832. 2. Allgemeines teutsches Garten-Magazin oder gemeinnützige Beiträge für alle Theile des praktischen Gartenwesens, 1804–1811; N.F. 1815–1824. 3. Politisch-literärischer Anzeiger, 1807–1820. 4. Landsturmblatt für Weimar, hrsg. von Heinrich Carl Friedrich Peucer, 1815–1817. 5. Der Teutsche Fruchtgarten, als Auszug aus Sickler’s Teutschem Obstgärtner und dem Allgemeinen Teutschen Garten-Magazine, 1816–1829. 10 Zudem wurden in Weimar von Bernhard Friedrich Voigt mehr als 20 Periodika zur Popularisierung praktisch-handwerklichen und technischen Wissens herausgegeben. Vgl. Kapitel IV.2.3.2.

576 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

ANHANG A

Großherzoglich Sachsen-Weimar-Eisenach’sches Regierungs-Blatt, 1817– 1836. Sonntagsblatt für das Großherzogthum Weimar, hrsg. von Heinrich Carl Friedrich Peucer, 1818–1819. Neues und Nutzbares aus dem Gebiete der Haus- und Landwirthschaft und der dieselben fördernden Natur- und Gewerbskunde, 1824/25–1829/30. Landwirthschaftliche Blätter, 1826–1832. Weimarische Zeitung, hrsg. Johann Wilhelm Hoffmann, 1832–1848. Verhandlungen des Landtags im Großherzogthume Sachsen-Weimar-Eisenach, 1832/33–1835/36. Landwirthschaftliche Berichte aus Mittel-Deutschland. Enthaltend das Neueste und Wissenswürdigste für Landwirthe, 1833–1848. Gesundheitstempel der Deutschen. Eine Quartalschrift zur Erhaltung und Beförderung der Gesundheit des Leibes und der Seele, 1835–1836. Regierungsblatt für Sachsen-Weimar-Eisenach, 1837–1848. Der Hausgenosse. Blätter für bildende Unterhaltung, hrsg. von Heinrich Jäde, 1847.

Weißensee 1. Weissensee’r Kreisblatt. Ein Volksblatt für Thüringen, hrsg. von Friedrich Häßler, 1824–1848. 2. Allgemeines Unterhaltungsblatt. Beilage zum Weissensee’r Kreisblatt, 1826– 1830. 3. Eckartsbergaer Kreisblatt. Ein Volksblatt für Thüringen, 1826–1848. 4. Weissensee’r allgemeines Unterhaltungsblatt. Beilage zum Weissensee’er und Eckartsbergaer Kreisblatt, 1830–1848. 5. Gemeinnützliche Mittheilungen über Wein-, Obst und Gemüsebau, Bienenkunde, Feld- und Hauswirthschaft, 1833–1848. 6. Provinzial-Blätter für die Provinz Sachsen, 1838–1840. 7. Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Garten- und Feldbaues. Eine Zeitschrift für praktische Gärtnerei, Landwirtschaft und die verwandten Fächer, 1839–1846. Worbis 1. Wochenblatt für den landräthlichen Kreis Worbis, 1820–1834. 2. Worbiser Kreis-Wochenblatt, 1834–1848. Ziegenrück 1. Wochenblatt des Ziegenrücker Kreises. Zur Belehrung und Unterhaltung, 1818–1828.

Anhang B 1.)

Bericht der Herzoglichen Landesregierung über Gründung von Volksbibliotheken und ihrer Unterstützung aus Staatsmitteln

BERICHT DER LANDESREGIERUNG ÜBER GRÜNDUNG VON VOLKSBIBLIOTHEKEN

Gotha, den 14. Februar 1849 Referentär: Müller Vorreferiert: Geheimer Regierungs-Rath Arzberger Wenn auch durch Verbesserung und Erweiterung des Unterrichts in den Volksschulen die allgemeine Bildung sowohl in geistiger wie moralischer Beziehung, künftig auf eine höhere gebracht werden wird, so kann doch die Schule allein alle Forderungen nicht befriedigen. Die Schule vermag uns Grund für die Volkserziehung zu legen. Sie hat die Einzelnen nur soweit zu bringen, daß sie die für das spätere Alter bestimmten Bildungsmittel zu benutzen und dadurch sich selbst weiter fortzuhelfen vermögen. Außer der Schule ist es daher weitere Aufgabe des Staats, dem Volk diese späteren Bildungsmittel, da wo sie gar nicht vorhanden, oder schwer erreichbar sind, möglichst nahe zu legen, die Hindernisse ihrer Benutzung zu beseitigen und unter der großen Menge des Dargebotenen ihm das wirklich Gute und Dienliche auszuwählen. Unstreitig verdient deshalb das Volksbibliothekswesen großer Aufmerksamkeit und Unterstützung von Seiten des Staats. Mit den lebendigeren gewerblichen und politischen Verkehre der Menschen ist auf der einen Seite der Bildungstrieb außerordentlich gesteigert worden, auf der andern Seite hat aber auch das Bedürfniß größerer allgemeiner sowie besonderer Berufsbildung auf eine früher kaum geahnte Weise zugenommen. Jener Trieb läßt sich nicht mehr unterdrücken, seitdem die Presse von Tag zu Tag ihre Erzeugnisse in das Volk bringt. Er kann nur geleitet und vor Abwegen bewahrt werden. Das Bedürfniß aber ist so groß, daß der Staat, welcher es nicht befriedigt, eine Hauptquelle des National-Wohlstands und der Nationalkraft versiegen läßt. Jetzt, wo die Massen des Volks auf den Schauplatz des politischen Lebens getreten sind, ist ohne Hebung ihrer geistigen und sittlichen Bildung die Herstellung geordneter Zustände des Staats und die Befestigung des Ansehens der Gesetze nicht zu erwarten. Alle socialen Probleme, welche gegenwärtig die europäische Welt in ihren Grundfesten zu erschüttern drohen, bewegen sich massenweise. Es können diese Probleme nur gelöst werden, wenn mit der inneren Durchbildung des überzählig gewordenen Volks nicht blos seine Arbeitskraft durch Kenntniß der Mittel der Naturbeherrschung sowie durch sonstiges Wissen erhöht, sondern wenn auch ganz hauptsächlich dafür gesorgt wird,

578

ANHANG B

daß der Einzelne zu beurtheilen vermag, wie und ob er seine Kräfte nutzbar anwenden und verwerthen kann. Die Einsicht von der Nothwendigkeit, die Massen zu veredeln, hat Vereine für Verbreitung von Volksschriften geschaffen, um im Wege der Association der Literatur die Bahn ins Volk zu brechen. Der Staat darf sich nicht seiner Pflicht entziehen, diesen Bestrebungen mindestens da, wo es nothwendig, zu Hülfe zu kommen und selbstständig den Bedürfnissen des Volks durch Gründung von Volksbibliotheken abzuhelfen. Er muß auch dem Aermsten möglich machen, sein geistiges Kapital und seine sittliche Kraft durch Lesen guter und nützlicher Bücher zu vergrößern; er muß durch Lectüre in allen Kreisen des Volks die Kenntniß der ökonomischen Fortschritte zu verbreiten suchen, er muß durch sie auf das nationale Gefühl des Volks und die politische Haltung desselben einwirken. Er muß durch sein Dazwischentreten die gewissenlosen Speculanten welche den Auswurf der Literatur dem armen Volke in die Hände spielen, und ihm verführerisches Gift statt gesunder geistiger Nahrung geben, verdrängen und unschädlich machen. Auch im Herzogthum Gotha sind bereits Anfänge mit Volksbibliotheken gemacht und hier und da Keime für sie ausgelegt. Es bedarf nur des Ausspruchs des Staates, daß er sie zu seiner Sache mache, um überall freudige Herzen und hülfreiche Hände für dieselbe zu finden. Nicht wenige Geistliche haben theils mit fremder Unterstützung, theils aus eigenen Mitteln allein kleine Bibliotheken von Volksschriften angelegt, um die Angehörigen ihrer Gemeinden und der Nachbarschaft mit Lectüre versehen zu können. Am meisten ist, soweit wir wissen, von den Geistlichen zu Thal, Neukirchen, Ichtershausen, Apfelstedt, Tambach, Ballstedt und Körner geschehen. Von ihnen gebührt vor Allen dem Pfarrer Rasch zu Thal der Verdienst, mit unermüdlichem Fleiße für die Sache gewirkt und mit den geringen ihm zu Gebote stehenden Mitteln bereits eine ansehnliche Bibliothek gegründet zu haben. Es liegt gegenwärtig von ihm ein Bericht vor, in welchem er sich ausführlich über die Verhältnisse der dortigen Volksbibliothek und die Benutzung derselben von Seiten des Publikums verbreitet. Ist ein Document geeignet, die Zweifel über den Bildungsdrang des Volkes zu beseitigen und zu Hoffnungen für die Zukunft zu berechtigen, wenn diesem Drange des Volkes von Seiten des Staates entgegen gekommen wird, so ist es der fragliche Bericht. Die Thal’sche Volksbibliothek zählt gegenwärtig 1247 Bände, wovon 522 geschenkt und 725 gekauft worden sind. Seit ihrer Gründung im November 1844 bis Ende vorigen Jahres sind ungefähr 22,000 Bände ausgeliehen worden, wovon allein auf die kleinen Orte Thal, Weißenborn, Kittelthal und das Gut Hücherode 4272 Bände kommen. Die Bibliothek ist vom vormaligen Gerichtsamtmann Bufleb und dem Herrn Rasch zu Thal gegründet worden. Sie ist aber keine Privatanstalt, sondern als ein dem Amtsbezirk Thal gehöriges Institut zu betrachten. Es sind nämlich die in den einzelnen Gemeinden bestehenden Dorfbibliotheken mit der in Thal vereinigt worden. Sämmtliche Gemeinden haben statuarisch be-

BERICHT DER LANDESREGIERUNG ÜBER GRÜNDUNG VON VOLKSBIBLIOTHEKEN

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schlossen, daß jeder neue Nachbar 5 gl.; und jeder von auswärts Einziehende 10 gl. Beitrag zu Volksbildung leiste. Das Gerichtsamt Thal führt die Kassekuratel in der Weise, daß ihm jährlich die Rechnung über die Bibliothekskasse abgelegt werden muß. Was die Bibliotheksverwaltung betrifft, so concentrirt sich dieselbe bei dem Pfarrer Rasch. Für die einzelnen Orte haben sich aber die betreffenden Geistlichen und Schullehrer sowie Privaten zu Unterbibliothekern verstanden und besorgen die Ausgabe der Bücher, welche ihnen von der Hauptverwaltung zugestellt werden. Es besteht auf diese Weise in jedem Orte des Amtsbezirks ein besonderer Bibliothekar. Für die Benutzung der Bibliothek hat jeder einen kleinen Beitrag zu leisten. Wer in einen Lesezirkel tritt, erhält alle 14. Tage 1. Buch ins Haus geschickt und hat dafür jährlich 6 gl. zu zahlen. Außerdem hat jeder Lesende für 1. Buch auf -

8 Tage 3 Wochen 4 5 6 -

2 pf. 3 pf. 6 pf. 9 pf. 12 pf.

zu zahlen. Nur Arme, namentlich Schulkinder, erhalten die Bücher frei. Bis Ende v. J. betrugen die Einnahmen der Volksbibliothek 28 rt. – gl. – pf. 149 rt. 2 gl. 9 pf. 73 rt. 28 gl. 5 pf. ________________ 251 rt.

an Nachbar= und Einzugsgeldern an Lesegebühren an Geldgeschenken, worunter 25 rt. aus der Herzogl. Kammerhauptcasse im Jahr 1845. und 10 rt. aus derselben im v. J.

11 gl. 4 pf.

Die Ausgaben 200 rt. 29 gl. 7 pf. 89 rt. 15 gl. 7 pf. 33 rt. 7 gl. 4 pf.

an Abschlagszahlungen an die Buchhandlungen für gekaufte Bücher für Buchbindearbeiten für Bothenlöhne, Schreibmaterialien und andern Verwaltungsaufwand

_____________________

323 rt. 22 gl. 1 pf. 72 rt. 10 gl. 7 pf. 47 rt. 10 gl. 1 pf. ________________

demnach Mehrausgaben, dazu kommen noch rückständige Zahlungen an die Buchhandlungen, so daß sich

119 rt. 20 gl. 8 pf.

als Schuldbestand herausstellen

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ANHANG B

Die Verwaltung hatte sich Hoffnung gemacht, durch die Lesegebühren die Mittel zu gewinnen, um zwischen Einnahmen und Ausgaben Gleichgewicht herzustellen, da sie die Beschränkung des Bücherankaufs nicht so weit ausdehnen mochte, daß die Versorgung der einzelnen Orte mit der hinlänglichen Anzahl neuer Bücher darunter leide. Es hat sich jedoch die Unthunlichkeit, durch die Lesegebühren dieses zu erreichen ergeben, zumal die Abnutzung der Bücher, die zum Theil auf sehr schlechtes Papier gedruckt sind, sehr groß ist. Die Verwaltung hat daher das Gesuch gestellt, daß ihr zur Bezahlung der Schulden ein Beitrag aus Staatsmitteln gegeben werden möge. Von den anderen Volksbibliotheken mag wohl die des Pfarrers Schwerdt zu Neukirchen die größte sein; über sie, wie über die übrigen, fehlen uns jedoch aktenmäßigen Notizen. Nach unserem Dafürhalten macht sich in jedem Amtsbezirk die Gründung einer Volksbibliothek nöthig. Die Mittel für sie würden vom Staate, den Gemeinden und den Privaten aufzubringen sein. Von den Gemeinden läßt sich überall erwarten, daß sie zu Beiträgen sich verstehen; nur möchte ein gesetzlicher Zwang nicht wünschenswerth sein, besonders da sie schon in anderer Beziehung für das Erziehungs= und Unterrichtswesen künftig stärker werden beigezogen werden. Legt man für die Beiträge des Staates die Bevölkerungszahl der Amtsbezirke zu Grunde, so würden für die erste Einrichtung im Amtsbezirke Gotha „ „ Ichtershausen „ „ Tonna „ „ Tenneburg „ „ Thal

später jährliche Unterstützung

100 rt. 100 rt. 90 rt. 90 rt. 90 rt. (zum

50 rt. 50 rt. 45 rt. 45 rt. 45 rt.

Schuldenabtrag)

„ „ „ „ „ „ „

„ „ „ „ „ „ „

Georgenthal Wangenheim Liebenstein Ohrdruf Zella Volkenroda Nazza

80 rt. 70 rt. 60 rt. 40 rt. 40 rt. 30 rt. 30 rt. 820 rt.

40 rt. 35 rt. 30 rt. 20 rt. 20 rt. 15 rt. 15 rt. 410 rt.

hinreichend sein. Außer dieser Summe würde jedoch nicht zu umgehen sein, für Remunerationen der Bibliothekare etwas auszusetzen.

BERICHT DER LANDESREGIERUNG ÜBER GRÜNDUNG VON VOLKSBIBLIOTHEKEN

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Wir sind überzeugt, daß in jedem Orte die Geistlichen und Schullehrer bereit sein werden, die Bibliothekargeschäfte für denselben unentgeltlich und lediglich im Interesse der guten Sache zu übernehmen. Es fragt sich, ob und in wiefern man nicht den Schullehrern eine gewisse Verpflichtung für die Verwaltung auferlegen könne. In keinem Falle kann aber verlangt werden, daß der Hauptbibliothekar diese Geschäfte unentgeltlich verrichte. Sein Mühe- und Zeitaufwand steht in keinem Verhältnisse zu dem der Ortsbibliothekare; die Buchführung, welche zur Erhaltung der Ordnung eingerichtet werden muß, ist eine so zusammengesetzte, Empfangnahme und Versendung der Bücher sowie die sonstigen Geschäfte nehmen den Hauptbibliothekar so in Anspruch, daß ihm eine angemessene Vergütung nicht vorzuenthalten sein dürfte. Wir veranschlagen dieselbe für den Amtsbezirk „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „

Gotha Ichtershausen Tonna Tenneburg Thal Georgenthal Wangenheim Liebenstein Ohrdruf Zella Volkenroda Nazza

auf „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „

20 rt. 20 rt. 20 rt. 20 rt. 20 rt. 20 rt. 15 rt. 15 rt. 10 rt. 10 rt. 10 rt. 10 rt. 190 rt.

Es wären demnach zur jährlichen Unterstützung der Volksbibliotheken aus Amtsmitteln 600 rt. erforderlich. Rechnet man dazu die Beiträge der Gemeinde und die Lesegebühren, so bieten sich Mittel dar, um in Kurzem Bibliotheken zu gründen, welche dem Bedarfe genügend entsprechen. Auch ist zu hoffen, daß den Bibliotheken von den Privaten, welche bis jetzt für den Gegenstand sich interessiert und gewirkt haben, reiche Geschenke an Büchern zufließen werden. Für den Organismus der Bibliotheksverwaltung könnten im Wesentlichen die Einrichtungen der Thalschen Bibliothek zum Muster genommen werden. Die Beaufsichtigung und Leitung würde der Behörde zu überweisen sein, welche künftig die Bezirks=Inspection über das Volksschulwesen hat. Um alle Interessen beim Bücherankaufe zur Berücksichtigung zu bringen, würden wir vorschlagen einen Ausschluß von 3. Personen, durch welche die allgemein wissenschaftliche, die landwirtschaftliche und gewerbliche Bildung thunlichst zu

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ANHANG B

vertreten wäre, von den Schultheißen, die vorgängig über den Zweck und Umfang der Anstalt gehörig aufzuklären sein würden, wählen zu lassen. Die vereinigten Wahlcollegien hätten ferner den Ort für die Hauptbibliotheksverwaltung zu bestimmen und den Hauptbibliothekar zu ernennen, und wäre dabei nur zu bestimmen, daß entweder der Amtssitz oder ein anderer in der Mitte des Amtsbezirks liegender Ort gewählt werde. Dem Ausschlusse für den Bücherankauf würde die Jahresrechnung von der Hauptverwaltung abzulegen sein und hätte er dieselbe nach geschehener Revision an die Schul=Inspection zur Einsicht einzusenden. Die Betheiligung der Schultheißen bei der Wahl des Ausschusses scheint uns unerläßlich zu sein, wenn die Gemeinden ins Interesse gezogen und zu reichlichen Beiträgen veranlaßt werden sollen. Geistliche und Schullehrer aber sind die zunächst Betheiligten, weil sie vorzugsweise das Amt der Ortsbibliothekare zu bekleiden haben werden. Ew. Hoheit die Angelegenheit der Volksbibliotheken dringend empfehlend bitten wir höchst dieselben in den dem Landtage vorzulegenden Etat der Staats=Casse die von uns beantragten Verwilligungen für die einzelnen Volksbibliotheken in Ansatz bringen und über die Einrichtung der Letzteren selbst dem Landtage die erforderliche Gesetzvorlage machen zu lassen. Herzoglich Sächs. Landes=Regierung [Unterschrift Arzberger]

Quelle: Thüringisches Staatsarchiv Gotha, XX. VI. Nr. 57: Acten für das Herzogliche Ministerium die Gründung einer Volksbibliothek für den Gerichts=Amts=Bezirk Thal betr. Zugleich die Unterstützung der Volksbibliotheken im Herzogthum Gotha überhaupt, aus der Staatscasse betr., Bl. 12–20.

BERICHT DER LANDES=REGIERUNG ÜBER ETATISIERUNG DER VOLKSBIBLIOTHEKEN

2.)

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Bericht der Herzoglichen Landes=Regierung über Etatisirung der Volksbibliotheken für die nächste Finanzierungsperiode

BERICHT DER LANDES=REGIERUNG ÜBER ETATISIERUNG DER VOLKSBIBLIOTHEKEN

Gotha, den 4. Februar 1853 Referent: Regierungs=Assessor Müller Correferent: Regierungs=Präsident von Wangenheim Beilage: Denkschrift Ew. Hoheit überreichen wir in der Beilage die Denkschrift über Etatisirung der Volksbibliotheken für die Finanzperiode 1853/57 mit dem Antrage, in den Staatscasse=Etat die bisherige Summe von 600 rt. einsetzen zu lassen. Herzoglich Sächsische Landes=Landesregierung Wangenheim

Denkschrift über die Etatisirung der Volksbibliotheken für die Finanzperiode 1853/57 In Gemäßheit des höchsten Rescriptes vom 30. November 1850, welcher der herzoglichen Landesregierung, Verwaltungsabtheilung, zur Unterstützung von Volksbibliotheken auf die laufende Finanzperiode jährlich 600 Thaler zur Verfügung gestellt hat, sind die Bezirksbehörden durch das in Abschrift beiliegende Rescript vom 25. Februar 1851 (Beilage A) angewiesen worden, die Anregung zur Gründung von dergleichen Bibliotheken zu geben. Wo nicht bereits Volksbibliotheken bestanden, wie für den Amtsbezirk Thal, sowie in Herbsleben, hat diese Aufforderung fast überall den gewünschten Erfolg gehabt. Nach der gegebenen Anleitung haben sich Vereine gebildet, welche die Einrichtung und Leitung der Bibliotheken übernommen haben. Wie die Beilage B ergibt, bestehen gegenwärtig 12 vollständig eingerichtete Bibliotheken; in den übrigen Bezirken aber sind die Verhandlungen aber wenigstens in Gange, so daß auch sie in Kurzem mit diesem Volksbildungsmittel versehen sein werden. Die Unterstützung, welche die Sache bis jetzt von Seiten der Gemeinden durch Beiträge aus ihren Mitteln gefunden hat, ist aber so ungleich gewesen, wie die aus Kirchmitteln. Allerdings mag in einigen Bezirken, wie in Georgenthal und Liebenstein die Einsicht von dem Nutzen der Volksbibliotheken noch nicht in dem Maaße vorhanden sein, wie anderwärts; die Mittellosigkeit der meisten Gemeinden ist aber

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ANHANG B

gewiß ein Hauptgrund der geringen Unterstützung von ihrer Seite. Leider ist auch nicht überall die Sache mit dem Eifer angegriffen worden, wie zu wünschen gewesen wäre; dies allein mag der Grund sein, weshalb bis jetzt in einigen Bezirken keine Bibliotheken ins Leben getreten sind. Um eine möglichst gleichmäßige Vertheilung der verwilligten Dispositionssumme zu bewirken, ist die Bevölkerungszahl der einzelnen Bezirke zu Grunde gelegt worden. Die hierdurch ausgeworfenen Verwilligungen sind zum Theil nur da gekürzt worden, wo durch Gemeinde, Kirchen= und Privatbeiträge für ausreichende Mittel gesorgt war. Aus diesem Grunde sind für Ichtershausen, wo die bedeutenden Dorf= und Privatbibliotheken in Apfelstedt und Ichtershausen der Amtsbibliothek einverleibt und 100 rt. aus Kirchenmitteln verwilligt worden sind, und außerdem nicht geringe Gemeinde= und Privatbeiträge in Aussicht stehen, statt 222 rt. auf die ganze Finanzperiode nur 150 rt. gegeben worden. Der bedeutende Ertrag der Sammlung und sonstigen Beiträge im Amtsbezirk Thal war zur Zeit der Verwilligung nicht bekannt; es konnte daher auf diese Einnahme, die übrigens keine jährlich wiederkehrende ist, keine Rücksicht genommen werden. Die ursprünglich bestimmte Verwilligung für den Amtsbezirk Zella, im Betrage von 33 rt. jährlich, ist dagegen durch einen außerordentlichen Beitrag von 50 rt. erhöht worden, weil die dortigen Gemeinde= und Kirchkassen unvermögend sind, für die Sache etwas zu thun, die meisten Privaten hierzu gleichfalls außer Stande sind, das Bedürfnis aber, durch größere Bildung die Lage der Bevölkerung zu bessern, in Fabrikorten wie Zella und Mehlis vor Allem befriedigt werden muß. Soweit bis jetzt in den Berichten der einzelnen Bibliotheks=Verwaltungen davon Erwähnung geschehen ist, bestand die Anzahl der angeschafften Bücher: Ende Juli Frühjahr Herbst Herbst Ende

1852 in 230 Bänden bei der Bibliothek im Ephoriebezirk Molschleben 1852 in 150 „ „ „ „ „ „ Uelleben 1852 in 1800 „ „ „ „ des Amtsbezirks Ichtershausen 1852 in 2054 „ „ „ „ „ „ Thal 1851 in 1851 „ „ „ „ „ „ zu Herbstleben

Zur Ausleihung waren gekommen: vom Herbst 1851 – 1182 Bände bei der Bibliothek des Ephoriebezirks Molschleben Ende Juni 1852 1851 – Frühjahr 1852 Mai 1851 – November 1852 1851

ca. 2200











9594 „









382 „











Uelleben

Amtsbezirkes Thal „

in Herbsleben

BERICHT DER LANDES=REGIERUNG ÜBER ETATISIERUNG DER VOLKSBIBLIOTHEKEN

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Diese letzteren Zahlen zeigen wohl auf das Deutlichste die Empfänglichkeit des Volkes für geistige Beschäftigung, sowie den in ihm vorhandenen Bildungstrieb. Es lässt sich aber auch aus ihnen schließen, welchen Einfluß die Volksbibliotheken auf den Zustand des Volks haben werden, wenn sie erst allseitig für dasselbe nutzbar gemacht sein werden. Die zurückgebliebene Volksbildung ist die Ursache einer Menge von Gebrechen, über welche jetzt Klage geführt wird. Je weniger denselben durch bloße Gesetze und Maaßregeln von oben abzuhelfen ist, je mehr darauf Bedacht genommen werden muß, größere Einsicht und stärkere Willenskraft im Volk zu merken, desto wichtiger werden die Volksbibliotheken für den Staat. Der bisherige Jahresbeitrag von 600 rt. erscheint daher auch im Verhältnisse zur Wichtigkeit des Zwecks gewiß nicht zu hoch und wird auch für die nächste Finanzperiode entbehrt werden können, wenn den Leihbibliotheken in allen Teilen des Landes die nöthige Vollständigkeit hinsichtlich der verschiedenen Bildungsbedürfnisse gegeben werden soll. Allerdings wird dahin zu streben sein, daß die Gemeinden und Privaten mehr und mehr zur eigenen Unterhaltung der Bibliotheken sich verstehen, allein schon jetzt ihnen die staatliche Unterstützung zu entziehen, würde die unausbleibliche Folge haben, daß das ganze Institut ins Stocken geräthe und diejenigen Bezirke, welche wegen geringeren Wohlstandes weniger thun können, auf eine dem Ganzen nachtheilige Weise noch mehr der Bildung und Erwerbsfähigkeit zurückbleiben, als es schon jetzt der Fall ist. Gotha, den 4. Februar 1853 Herzoglich Sächsische Regierung [gez. Wangenheim]

Beilage A (Reskript vom 23. Februar 1851) Im Namen des Herzogs Ernst, Herzogs zu Sachsen Coburg und Gotha. Die Herzogliche Staatsregierung hat mit Zustimmung der Abgeordenten=Versammlung zur Unterstützung von Volksbibliotheken auf die Dauer der gegenwärtigen Finanzperiode die Summe von jährlich 600 rt. verwilligt und uns zur Verfügung gestellt. Der Plan, nach welchem diese Institute ins Leben gerufen, verwaltet und unterstützt werden sollen, ist folgender: 1. Die Volksbibliotheken sollen überall ein Werk der Selbstthätigkeit und des Gemeinsinns der Staatsangehörigen sein. Privaten und Gemeinden sind es, in deren Hand ihre Gründung und Verwaltung gelegt ist und welche die Mittel zu ihrer Erhaltung aufzubringen haben. Die Behörden haben zu ihnen nur aufzumuntern und anzuregen, an der Verwaltung selbst aber keinen Theil zu nehmen. Von Seiten des

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ANHANG B

Staats werden daher auch nur aushülfsweise und namentlich wo Mittellosigkeit vorliegt, Unterstützungen verwilligt; wo sie gegeben werden, findet Controle von Seiten der Staatsregierung über ihre gehörige Verwendung statt. 2. Die Errichtung der Volksbibliotheken wird am leichtesten bewerkstelligt, so wie ihre Fortdauer und ihr Gedeihen am besten gesorgt werden können, wenn sich die Gemeinden jedes Amtsbezirkes entweder alle zusammen oder mehrere für sich besonders für die Sache vereinigen. Von der Größe des Amtsbezirks und der Entfernung der einzelnen Orte voneinander wird es abhängen, ob das Eine oder Andere räthlich ist. Zu kleine Kreise zersplittern die Mittel zu sehr; es kommt ihnen die Anschaffung der Bücher höher, als wenn sich der Aufwand auf einen größeren Kreis vertheilt. Bei zu großen Kreisen geht dagegen die Circulation der Bücher zu langsam von Statten und wird die Verwaltung für die Hauptbibliotheken zu mühsam und zeitraubend. Letzteres wird besonders ins Auge zu fassen sein, da bei Anspruchnahme eines mäßigen Aufwandes von Zeit und Mühe es überall leichter sein wird, die geeigneten Personen für die Stellen der Hauptbibliotheken zu finden und eine unentgeltliche Verwaltung dieses Amtes zu erlangen, wogegen in umgekehrten Falle Manche durch ihre sonstigen Geschäfte abgehalten sein werden, eine solche Stelle überhaupt oder ohne angemessene Vergütung zu übernehmen. Von der vielleicht anfänglich sich zeigenden Bereitwilligkeit ist durchaus kein Schluß auf die Zukunft zu machen; ergibt die Erfahrung, daß zu große Beschwerde mit dem Amte verbunden ist, so wird man sich dasselbe wieder zu entledigen such oder Vergütung für dasselbe beanspruchen. Zu wünschen ist, daß in ähnlicher Weise, wie es im Gerichtsamtsbezirke Thal geschehen ist, bereits bestehende Dorfbibliotheken verschmolzen und den sich bildenden Bezirksbibliotheken einverleibt werden. 3. Wird die Sache als Gemeinde=Angelegenheit aufgefaßt und behandelt, so empfiehlt sich, daß die Ortsvorstände, Geistliche und Schullehrer jedes Amtsbezirks zu gemeinschaftlicher Berathung zusammen treten und sich über die zu bildenden Bibliotheksbezirke, sowie über die aus Gemeinde= und andren geeigneten Fonds zu verwilligenden Geldmittel verständigen. Erwünscht kann es nur sein, wenn Privaten, welche sich für die Sache interessiren an diesen Berathungen Theil nehmen und in ihren Kreisen für Unterstützung des Werkes durch Geldbeiträge und auf sonstige Weise wirken. Es ist zu hoffen, daß die Gemeinden, wenn sie eigens in Mitteln sind, den Bibliotheken feste Beiträge aussetzen oder ihnen wenigstens sonstige Intraden zuweisen. 4. Die sich bildenden Bibliotheken haben die gesammte Bibliotheks=Verwaltung selbst zu bestimmen und zu bestellen. Ein zu wählender Ausschuß aus Geistlichen, Schullehrern, Schultheißen und den für die Sache sich interessirenden Privaten wird das geeignetste Organ für die Leitung der Verwaltung sein. Diese selbst wird im Wesentlichen betreffen die Auswahl der Bücher, die Verwaltung der Haupt= und Zweigbibliotheken, die Kassenführung und Rechnungsabnahme

BERICHT DER LANDES=REGIERUNG ÜBER ETATISIERUNG DER VOLKSBIBLIOTHEKEN

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5. Was ins Besondere die Auswahl der Bücher anbelangt, so stimmen die Erfahrungen derjenigen, welche bereits Volksbibliotheken leiten und verwalten, darin überein, daß dieselben Bücher verschiedenen Inhalts besitzen müssen, wenn sie fleißig benutzt und nach allen Seiten sie segensreich wirken sollen. Es wird jede ausschließliche Nutzung zu vermeiden, vielmehr zu sorgen sein, daß die Bedürfnisse der Belehrung, Erbauung und Unterhaltung gleichmäßig Befriedigung erhalten. Neben allgemein belehrenden und veredelnden Büchern werden auch solche anzuschaffen sein, welche zur Verbreitung landwirtschaftlicher und gewerblicher Kenntnisse geeignet sind. Dasgleichen werden die verschiedenen Bildungsstufen Berücksichtigung finden müssen. 6. Ohne andere Personen ausschließen zu wollen, werden Geistliche und Schullehrer doch in der Regel am geeignetsten sein, das Amt der Bibliotheken zu übernehmen. Von der Größe der Bezirke wird es abhängen, ob für jeden nur ein oder mehrere Bibliotheken zu bestellen sind. Jedenfalls empfiehlt es sich, nach einem bestimmten Plan die Bücher dergestalt unter die einzelnen Orte des Bezirks zu vertheilen, daß ein Wechsel der Bücher stattfindet. Es wird daher wenigstens in jedem Orte ein Unterbibliothekar zu bestellen sein, der vom Hauptorte, wo der eigentliche Sitz der Bibliothek ist, die Bücher empfängt, ihre Abgabe an die Ortsangehörigen besorgt, und sie an den Hauptbibliothekar zurücksendet oder weiter befördert. 7. Da jeder Bezirk die Mittel zur Unterhaltung seiner Bibliothek eigens aufzubringen hat, so macht sich auch für jeden besondere Kasse= und Rechnungsführung nöthig. Es ist Sache des Verwaltungsausschusses hierüber die erforderlichen Bestimmungen zu treffen und den Kassirer zu bestellen. Eine Rechnungscontrole von Seiten der Behörden findet nur in dem Falle statt, wo von Seiten des Staats Unterstützungen für die Bibliotheken gegeben werden. In diesem Falle hat der Verwaltungsausschuß jährlich die von ihm revidirte Bibliothekskasse=Rechnung der betreffenden Verwaltungsbehörde zur Einsicht mitzutheilen. 8. Nach den vorliegenden Erfahrungen ist es unbedenklich, eine geringe Lesegebühr zu erheben. Doch darf nicht darauf gerechnet werden, durch diese Gebühren eine erhebliche Einnahme für die Bibliothekskasse zu erlangen. Auch würde die unentgeltliche Ausleihung dadurch nicht auszuschließen sein. Als räthlich hat es sich gezeigt, die Gebühren mit den Wochen steigen zu lassen, um der Lässigkeit und Unordnung der Leser entgegen zu wirken. 9. Bei den fühlbar werdenden Bedürfniß nach Fortbildungsschulen für die erwachsenere Jugend wird darauf Bedacht zu nehmen sein, die Volksbibliotheken für die Zwecke derselben mit zu verwenden. Sie bieten die Mittel dar, durch die Geistlichen und Schullehrer Stunden einrichten zu lassen, in denen sich an passende Lectüre Belehrung und bildende Unterhaltung knüpft. Es ist dies ein Punkt, welcher die größte Beachtung verdient.

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ANHANG B

Wir veranlassen die außen genannte Behörde, nach diesen Grundzügen dahin zu wirken, daß in ihrem Amtsbezirke zur Errichtung von Volksbibliotheken geschritten wird. Es sind zu diesem Behufe zunächst Besprechungen mit den Geistlichen, Schullehrern und Schultheißen, von welchen sich ein besonderes Interesse für die Sache hoffen läßt, vorzunehmen und dann in Conferenzen, zu denen sämmtliche Geistliche, Schullehrer und Schultheißen, sowie sonstige geeignete Personen zuzuziehen sind, den Gegenstand in Anregung zu bringen. Bei dieser Gelegenheit ist alsbald die Aussicht zu eröffnen, daß die Bezirke, welche nicht in den Mitteln sind, durch sich selbst eine Bibliothek einzurichten und zu unterhalten, unter Umständen von uns eine angemessene Unterstützung erhalten werden. Für den Fall, daß eine solche beansprucht wird, haben die betreffenden Bezirksausschüsse der Behörde in einer Eingabe die Unvermögenheit zur eigenen Aufbringung der Mittel gründlich nachzuweisen und die Behörde selbst hat dann diese Eingabe mit ihren Gutachten an uns einzusenden. Da von den bereits bestehenden Volksbibliotheken die das Gerichtsamtsbezirks Thal die größte Ausdehnung und Wirksamkeit erlangt hat und ihre Einrichtung in vieler Beziehung als Muster dienen kann, so fügen wir in der Anlage eine Abschrift des Berichts bei, welchen der Pfarrer Rasch zu Thal, als Verwalter der fraglichen Bibliothek im Jahre 1849 an uns erstattet hat. Nach Verlauf von einem halben Jahre ist an uns zu berichten, welchen Erfolg die Bemühungen der außen genannten Behörde gehabt haben. Gotha, den 23ten Februar 1851 Herzogliche Sächs. Landes=Regierung [Unterschrift Wangenheim]

[[Beilage B (Blatt 48) enthält eine Auflistung, geordnet nach den einzelnen Amts- und Kirchenbezirken, aller Volksbibliotheken im Herzogtum Sachsen-Gotha]]

Quelle: Thüringisches Staatsarchiv Gotha, XX. VI. Nr. 57: Acten für das Herzogliche Ministerium die Gründung einer Volksbibliothek für den Gerichts=Amts=Bezirk Thal betr. Zugleich die Unterstützung der Volksbibliotheken im Herzogthum Gotha überhaupt, aus der Staatscasse betr., Bl. 43–50.

POLITISCHE VOLKSBILDUNG

3.)

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Politische Volksbildung (Teil I)

POLITISCHE VOLKSBILDUNG

Seit meiner Jugend glühte mir die Brust von hohen Idealen. Deutschlands Einheit und Freiheit, das Erwachen des Volker zu geistiger und sittlicher, zu bürgerlicher und politischer Selbständigkeit war der Stern meiner Hoffnungen. Als aber dieser Stern in dem Nebel der alten Zeit erblich – da ward ich doch nicht müde, an der Bildung und Wohlfahrt des Volkes zu arbeiten, so weit mein Wort, so weit mein Wirken reichte. Mein Wahlspruch war: „Wenn es erst lichter wird, so wird’s auch besser!“ Und so gründete ich die erste Volksbibliothek des Thüringer Landes, die jetzt 600 Bände zählt; und so regte ich Volksbildungsvereine an, die das Licht der Aufklärung auch in die niederen Hütten trugen; und so speiste ich seit Jahren nicht bloß meine Gemeinde durch Abendunterhaltungen und Fortbildungsschulen, ich speiste auch an 20 nahe und ferne Dörfer aus jener Büchersammlung, die ich mit schweren Opfern erhielt und vermehrte, mit geistiger Nahrung; und so feierte ich erhebende Volksfeste, damit auch in dem Landmanne des Bewusstsein gemeinsamer Kraft und Würde lebendig werde; und so rief ich Singvereine ins Leben, die auf den Schwingen der Töne mit den Ideen der neuen Zeit befruchtet wurden; und so schrieb ich ein Volksblatt und ließ meine Feder nicht rasten, ob mir auch vor Schmerzen nicht selten die Augen thränten, daß ich in aller Herzen ein deutsches Volksthum begründen und die Hoffnung einer besseren Zukunft anbahnen möchte; und so wirkte ich nach vielen Seiten hin durch mündlichen und brieflichen Verkehr, daß sich das Schöpfungswort je mehr und mehr verwirkliche: Es werde Licht! und erließ schon vor Jahren einen Aufruf, daß sich alle Volksfreunde in ihren gemeinnützigen Bestrebungen vereinigen sollten, um mit desto größerem Erfolge dem Erwachen eines neuen Zeitgeistes in die Hände zu arbeiten. Lange hatte ich den schönen Gedanken genährt, bald in der Stille meiner Brust und bald im schriftlichen Verkehr mit Männern, die ich auf demselben Wege zu demselben Ziele grüßen durfte; und ob mir auch fast nirgends mit der freudigen Bereitwilligkeit, mit der ich angeklopft hatte, aufgethan wurde, und ob mich auch einzelne Stimmen warnten, es sei nicht an der Zeit, mit einem so idealen Gedanken in das nüchterne Leben der damaligen Welt zu treten und den deutschen Michel aus seinem süßen Schlummer zu wecken: so tröstete ich mich damit, daß stets die Besten ihrer Zeit ohne ängstliche Rücksicht und Vorsicht ihres Weges in Wort und That gegangen seien und daß allmählich auch das kleine Senfkorn zur kräftigen Staude wachse. Schöner Traum! Meine Stimme, wenn auch nicht gerade die Stimme eines Predigers in der Wüste, fand doch aber in den nächsten Kreisen meines Wirkens nur geringen Anklang; - ja, es ist sogar noch in diesen Tagen eine Einladung, die ich an die benachbarten Pfarrer und Schullehrer erließ, um einen Verein für politische Volksbildung ins Leben zu rufen, wirkungslos verhallt, und ich war und blieb das einzige Mitglied, der zu diesem Behufe ausgeschriebenen Versammlung. – Mehr durfte ich früher, mehr konnte ich in meiner Stellung nicht thun. Da sprach der Himmel selbst das Schöpfungswort: Es werde Licht! Und es ward Licht. Wie Zaubermährchen stürmten die wunderbarsten Ereignisse an uns vorüber. Es war Früh-

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ANHANG B

ling geworden in der Schöpfung und im Völkerleben. Die alten Ideale verjüngten sich in des Mannes Brust. Es wird anders, es wird besser werden! das stand und steht, wie ein prophetisches Glaubensbekenntniß, vor meinen leuchtenden Blicken. Das Volk ist lange genug unpolitisch gewesen, es wird endlich auch politisch werden. Aber noch ringt die neue Zeit in gewaltigen Geburtswehen, und wenn auch die Sonne einer besseren Zukunft durch die trüben Wolken der Gegenwart strahlt, so müssen wir doch Alle die Ostermahnung zu Herzen nehmen: „Feget den alten Sauerteig aus!“ So müssen wir doch alle von der Pfingsttaufe des erwachten Zeitgeistes berührt und durchdrungen werden; so müssen wir doch Alle mitarbeiten, ein Jeglicher in seinem Kreise und nach seinen Kräften; daß auch der geringste Mann des Volkes auf die Stufe erhoben werde, die ihm als Mensch und Staatsbürger gebührt -; wir müssen alle mitarbeiten, daß sich die drohenden Wetter zerstreuen und daß die Sonne jener besseren Zukunft edlere Früchte reife, als in dem bisherigen Boden der Staaten und Völker geblieben sind. Nun aber ist der Tempel der neuen Zeit in die Luft gebaut, wenn nicht ein Grund gefügt wird, darauf er sicher ruhen kann, und Volksmündigkeit und Volkssouveränität sind leere Worte, wenn nicht das Volk die Zeit, die über uns aufgegangen ist, verstehen lernt, wenn es nicht über seine Rechte und Pflichten aufgeklärt wird. Nur in dem Boden dieser Aufklärung können die politischen Vereine, die immer größeren Umfang gewinnen, zu segensreicher Wirksamkeit gedeihen, nur aus dem Boden dieser Aufklärung vermag die Freiheit, deren Losungswort von Mund zu Munde geht, zu einem weithin schattenden Baume aufzuwachsen. Daß aber die politische Bildung des Volkes noch im Argen liegt, daß Tausende nicht wissen, was sie wollen und sollen, brauche ich denen, die unter dem Volke leben, nicht zu sagen, daß keine Volkswohlfahrt ohne Volksbildung gedeiht und daß diese Bildung mit den Fortschritten der Zeit Hand in Hand gehen muß, wenn nicht das stolze Gebäude, an welchem jetzt gezimmert wird, früher oder später in sich selbst zerfallen soll. Wenn darum das Volk die alten Feudallasten von seinem Nacken abschütteln will, so darf es sich auch nicht länger unter das noch schmählichere Joch selbstsüchtiger Bosheit und geistiger Knechtschaft beugen; wenn es mit einem lauten Jubelrufe seine Mündigkeit erklärt und wenn von den Errungenschaften der Gegenwart der ärmste Bauer seinen Antheil nehmen soll, so müssen auch alle zu dieser Mündigkeit herangebildet werden, so müssen alle die Zeichen der Zeit und ihre großen Forderungen verstehen lernen. Dann erst dürfen wir in Wahrheit rühmen: „Die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen!“ (Schluß folgt)

Politische Volksbildung (Teil II) Diesem schönen Ziele wollen Männer und Freunde des Volkes in die Hand arbeiten. Denn es hat sich neuerdings, auf Anregung des Dr. Köhler aus Vacha, und zwar zunächst im Eisenacher Oberlande, ein Verein gebildet, der sich die politische Aufklärung des Volkes zum Ziele gesetzt hat. Je eifriger ich nun seit Jahren für ähnliche Zwecke thätig gewesen bin, desto lieber habe ich mich diesem Vereine angeschlossen, der schon einen weiten Umfang gewonnen und sich, wenigstens mit seinen

POLITISCHE VOLKSBILDUNG

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Ideen, auch in das Herzogthum Gotha und Meiningen verzweigt hat, und möchte nun der großen Aufgabe dieses Vereins in immer weiteren Kreisen fördernde Kräfte werben. Denn wenn es jemals eine heilige Aufgabe gewesen ist, das Volk zum Selbstbewusstsein aufzuwecken, so ist sie es jetzt! Ein neues Leben regt, ein neuer Geist entfaltet allmählich seine Schwingen. Wer möchte darum an der Gegenwart, die so groß und einzig dasteht, weil ihr belebender Geist auch an dem schlichtesten Herde nicht vorübergeht, wer möchte an ihr zum Verräther und zum Lügner werden? wer möchte nicht, ein Jeglicher an seinem Theile und nach seiner Kraft Hand anlegen, daß der hehre Bau der besseren Zukunft auf einer festen Grundlage fußt und daß die Sturmloosung der Gegenwart: Vorwärts! auch unter dem Dache des schlichten Bürgers und Landmanns offene Ohren und Herzen finde? „Wer Kräfte fühlt, der mag die Kräfte regen!“ Und so wollen wir denn, die wir uns zu Volksbildnern berufen glauben – Geistliche, Lehrer, Beamte, und wer mit den Bestrebungen der Zeit Hand in Hand geht –, wir wollen Alle dahin wirken, daß es nach Oben und nach Unten immer besser, immer lichter werde! Im einträchtigen Zusammenwirken ruht eine wunderbare Kraft, die auch die Macht der Hölle nicht zu bewältigen vermag. – Die politische Aufklärung des Volkes ist aber zugleich die sicherste Mauer gegen jeden Rückschrittsversuch, die wichtigste Schutzwehr gegen jede Gefahr der Verdummung. Nur das unwissende Volk läßt sich am Gängelbande leiten, nur das unwissende Volk zerreißt die Bande der Ordnung und des Gesetzes; das aufgeklärte weiß, nicht nur was es will, sondern auch was es soll, nicht nur was es kann, sondern auch was es darf. Darum lasset uns in einem gegliederten Vereine zusammenstehen und zusammengehen: was dem Einen nicht gelingt, gelingt dem Andern; was der Eine verfehlt, erreicht der Andere; wenn der Eine müde wird, so richtet ihn der Andere auf. Und das ist der Vorzug unseres Vereines, daß kein anderer Adel in demselben gültig ist, als der Adel des Geistes und der Gesinnung und daß wir uns als Männer eines Volkes, einer Liebe, eines Strebens die Hände reichen. – Mit dem Zwecke eines so gemeinnützigen Vereines werden wir als einverstanden sein. Durch welche Mittel aber dieser Zweck erreicht werden soll? Ich meine dadurch, daß sich in jedem Orte ein Vorstand bildet – und wäre es einstweilen nur der Pfarrer und der Schultheiß! – der durch einen Ausruf an die ganze Gemeinde, in welcher er sie zu einer berathenden Versammlung bescheidet, möglichst viele Vereinsmitglieder zu gewinnen sucht. Diese mögen dann wöchentlich (etwa in den sonntägigen Nachmittagsstunden oder in den Winterabenden) zusammenkommen, um aus dem Munde eines der Vorsteher zu hören, was in der Welt vorgeht, und um sich in ungezwungener Unterhaltung über die Fragen der Zeit und über die Rechte und Pflichten des Volkes aufzuklären. Diese Berathungen und Belehrungen sollen sich an öffentliche Blätter (wir empfehlen – wenn man nicht eine größere Zeitung vorzieht, die wenigstens in den Händen des Vorstandes sein sollte – die Hildb. Dorfzeitung, das Eisen. Sonntagsblatt, die Rudoldst. Bürger=Zeitung, den Allg. Anzeiger, den Leuchthurm, des Goth. Beiblatt u.a.m.) und insbesondere an die Zeitung knüpfen, die der Verein in seinem eigenen Interesse herauszugeben gedenkt; sodann aber auch an die wichtigsten und populärsten Flugschriften, die auf Empfehlung des Centralvorstandes, in den

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ANHANG B

einzelnen Ortschaften der Bezirksvereine circuliren werden; so wie an die Verhandlungen des speciellen Landtages und des allgemeinen deutschen Parlamentes, und endlich an die nächstliegenden Erscheinungen und Begebenheiten. Sodann werden die einzelnen Vereine unter sich in Verbindung treten und durch kleinere und größere Versammlungen auf die Entwicklung eines freien und einigen Volkslebens hinzuwirken suchen. Die geringen Ausgaben, die mit der Verwirklichung dieses hochwichtigen Zweckes verknüpft sind, sollen durch freiwillige Beiträge (insbesondere der Vorstandsmitglieder) gedeckt zu werden suchen, keineswegs aber das Ansehen einer mißliebigen Steuer gewinnen und dadurch der guten Sache hinderlich entgegentreten. Wer die Wahrheit des Spruches fühlt: „Der Mensch lebt nicht allein vom Brode,“ und wer ein Volksfreund ist, nicht allein mit der Zunge, sondern mit der That und mit der Wahrheit, der wird in der verhängnißvollen Gegenwart, wo so große Opfer auf den Altar des Vaterlandes niedergelegt werden, auch seine Kräfte, seine Spenden gern der allgemeinen Wohlfahrt widmen. Wo sich nun irgend, in dem angeregten Sinne, ein Localverein bildet, oder wo alsbald mehre Ortschaften zu einem Bezirksvereine zusammentreten, da mögen die Vorstandsmitglieder durch brieflichen Verkehr mit dem Centralvorstande (Adresse des Unterzeichneten oder des Dr. med. Enders in Tiefenort) in Verbindung treten und weiterer Mittheilungen gewärtig sein. Wir werden uns herzlich freuen, wenn das wohlgemeinte Wort eine gute Stätte findet und der ausgestreute Same reiche Früchte trägt. – Neukirchen bei Eisenach. H. Schwerdt, Pfarrer

Quelle: Deutsche Bürger-Zeitung (Rudolstadt), hrsg. von Günther Fröbel, Nr. 93 vom 11. November 1848, S. 445 (Teil I) u. Nr. 107 vom 14. Dezember 1848, S. 501 (Teil II).

Abkürzungsverzeichnis ADB Act./Akt. Anm. Art. Aufl. AVD ä. L. Bd. betr. Bl. bzw. BT Cour. Dep. dergl. ders. dies. Diss. Durchl. d. J. d. M. ebd. etc. Ew. f./ff. fl. Fol./fol. fragl. Fürst./fürstl. gen. gl. Großh. H. Herz./herzgl. hies. Hrsg. ingl. insb. j. L.

Allgemeine Deutsche Biographie Akte Anmerkung Artikel Auflage Allgemeines Volksblatt der Deutschen ältere Linie Band betreffend Blatt beziehungsweise Bundestag (in Frankfurt am Main) Courant (Kurantmünze) Departement dergleichen derselbe dieselbe Dissertation Durchlaucht des Jahres des Monats ebenda et cetera Eure folgende Gulden Foliant fraglich Fürstlich genannt Groschen Großherzoglich Heft Herzoglich hiesige Herausgeber ingleichen insbesondere jüngere Linie

594 Jahrh./Jh. K./Königl. kr. löbl. Min. Mon. NDB NF/N.F. No./Nr. o. D. o. O. o. V. p. pf. phil. pp. preuß. rt. S./Sp. säch./sächs. SA Sch. SM Teilbd. Thlr. ThHStA ThStA u. a. u. d. T. unpag. usw./u. s. w. Vgl. Vol. v. J. v. M. zit.

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Jahrhundert Königlich Kreuzer löblich Ministerium Monat Neue Deutsche Biographie Neue Folge Nummer ohne Datum ohne Ort ohne Verfasser Person Pfennig philosophisch praemissis praemittendis preußisch Reichstaler Seite / Spalte sächsisch Stadtarchiv Scheffel Stadtmuseum Teilband Taler Thüringisches Hauptstaatsarchiv Thüringisches Staatsarchiv unter anderem unter dem Titel unpaginiert und so weiter Vergleich Volumen vorigen Jahres vorigen Monats zitiert

Quellen- und Literaturverzeichnis QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

A. Archivalien 1. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar ThHStA Weimar, HA A XXV (Maria Pawlowna), Briefnachlass, S 216, Exposé des Staatsministers Christian Wilhelm Schweitzers zur Lage des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach beim Tode des Großherzogs Carl Augusts, Weimar, 23. Juli 1828. ThHStA Weimar, HA A XXV (Maria Pawlowna), Briefnachlass, S 216, Gutachten des Staatsministers Christian Wilhelm Schweitzer, die verderbliche Rolle der Geistlichen und Schullehrer betreffend, o.D. [ca. 1835]. ThHStA Weimar, HA A XXV (Maria Pawolowna), Briefnachlass, S 218, Exposé des Staatsministers Christian Wilhelm Schweitzer zur politischen Lage im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, Weimar, 24. Juni 1846. 2. Thüringisches Staatsarchiv Gotha ThStA Gotha, Geheimes Archiv, ZZ Nr. 22: Acta, wider die Inhaber des Verlagskomptoirs Dr. Ludwig Storch, Gotha und Christoph Klett, Mehlis wegen betrügerischen Konkurses betr., 1847. ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, TT Nr. 130: Acten, die beabsichtigte Herausgabe eines Wochenblattes in Ruhla betr., 1847. ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 19 Vol. I: Acta, die von dem Bundestage erlassenen Bestimmungen wegen Verhütung des Mißbrauchs der Druckerpresse betr., 1819–1853. ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 30: Acta, die Beschränkung des Eingangs fremder Zeitungen und Journale in den deutschen Bundesstaaten betr., 1836. ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. I: Bericht des Regierungspräsidenten Opitz über die in Coburg gelesenen resp. politisch gefährlichen Zeitblätter, 1832. ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 38, Vol. 1–3: Acten, die von Seiten des Deutschen Bundestages veranlaßte Unterdrückung revolutionärer Zeitschriften, ingleichen das Verbot gefährlicher und als Nachdruck zu betrachtender Bücher und Schriften überhaupt betr., 1831–1855. ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 57: Acten, die Gründung einer Volksbibliothek für den Gerichts=Amts=Bezirk Thal betr. Zugleich die Unterstützung der Volksbibliotheken im Herzogthum Gotha überhaupt, aus der Staatscasse betr., 1845–1857.

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ThStA Gotha, Geheime Kanzlei, XX VI. Nr. 58: Acten, die Censur der Zeitungen, hinsichtlich der Aufnahme von Berichten und Nachrichten über Verhandlungen deutscher Stände=Versammlungen betr., 1845. ThStA Gotha, Je 2, Verhandlungen der auf Grund der Wahlordnung vom 28. Juni gewählten Abgeordneten=Versammlung des Herzogthums Gotha, 1848/1849. ThStA Gotha, Justizamt Tenneberg, Loc. 18, Nr. 12: Acta, die verlangte Auskunft über diejenigen Zeitblätter, welche in dem Tenneberger Amtsbezirke vorzüglich gelesen werden und in welche Volksklassen solche namentlich verbreitet sind, 1832. ThStA Gotha, Justizkollegium Gotha, Nr. 317: Acta, die Klage der Gebrüder Wilhem, Ernst und Friedrich Madlung als Inhaber der Mevius’schen Zeitungs- und Botenprivilegiums gegen den landesherrlichen Fiscus, die Entscheidung wegen Beeinträchtigung eines Privilegiums betr., 1844–1846. ThStA Gotha, Justizkollegium Gotha, Nr. 319: Acta, in Beweissachen der Gebrüder Wilhelm, Ernst und Friedrich Madelung als Inhaber des Mevius’schen Zeitungsund Botenprivilegiums, Kläger, gegen den landesherrlichen Fiscus, Beklagter, die Entschädigung wegen Beeinträchtigung eines Privilegiums betr., 1845–1846. ThStA Gotha, Justizkollegium Gotha, Nr. 324: Acta, in Streitsachen der Herzogl. Kammer in Gotha als Vertreter des landesherrlichen Fiskus gegen die Gebrüder Madelung in Gotha als Inhaber des Mevius’schen Zeitungs- und Botenprivilegiums in Gotha, Ingl. die Prozeßsache des letzteren gegen die ersteren wegen Beeinträchtigung des gedachten Botenprivilegiums, eine Entschädigung betreffend und das Urteil des Oberappellationsgerichts betr., 1847–1848. ThStA Gotha, Justizkollegium Gotha, Nr. 325: Acta, in Oberappellations=Sachen der Gebrüder Madelung zu Gotha als Inhaber des Mevius’schen Zeitungs- und Botenprivilegiums in Gotha, Kläger, gegen die Herzogl. Kammer daß. Beklagte, wegen Entschädigung wegen Beeinträchtigung eines Privilegiums betr., 1848– 1854. ThStA Gotha, Landesregierung Gotha, Loc. 84 Nr. 5: Acta, das Gesuch des Geheimen Legations-Rathes und Buchhändlers Wilhelm Hennings allhier um Erlaubniß zu Anlegung einer eigenen Druckerey zum Druck der in seinem Verlage heraus kommenden Bücher ingl. die in Beziehung auf dieses Gesuch von den Obermeistern hiesigen Buchbinderhandwerks überreichte Vorstellung, 1826– 1828. ThStA Gotha, Landesregierung Gotha, Loc. 84 Nr. 9: Acta, das Gesuch des Schriftstellers und Privatlehrers Dr. Ludwig Storch zu Coburg um die Erlaubniß zur Herausgabe eines neuen Volksblattes allhier der neue Thüringer Bothe genannt sowie zur Errichtung einer Kunsthandlung, Sortiments- und Verlagsbuchhandlung mit eigener Buchdruckerey, Musikalienhandlung und Antiquar-Geschäft betr., 1829.

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ThStA Gotha, Landesregierung Gotha, Loc. 84 Nr. 11: Acta, die von dem Dirigenten des bibliographischen Instituts zu Hildburghausen Joseph Meyer gebetene Rückgabe der im Jahr 1827 mit Beschlag belegten Druckbögen von der Anthologie der Schillers. Gedichte ingl. die von demselben gebetene Erlaubniß zur Verlegung seiner Anstalt nach Friedrichswerth in das dasige herrschaftl. Schloß betr., 1830. ThStA Gotha, Landesregierung Gotha, Loc. 84 Nr. 47: Acta, die Volksbibliotheken im Bezirke des Amtes Tonna betr., 1851. ThStA Gotha, Landesregierung Gotha, Loc. 84 Nr. 49: Acta, die Volksbibliotheken im Bezirke des Amtes Tenneberg betr., 1851. ThStA Gotha, Oberkonsistorium Gotha Generalia, Loc. 17 Nr. 42: Acta, die Anzeige betreffend, daß der Weber Zeyß zu Schwarzhausen der religiösen Schwärmerei ergeben sey und andere zu Sectiererey verleite, ingl. den Verkauf der von dem Pfarrer Treyße zu Schwarzhausen verfaßten Schriften über den Pietismus, 1827–1829. ThStA Gotha, Oberkonsistorium Gotha Generalia, Loc. 17 Nr. 44: Acta, wegen des gegen den Schloßergesellen Rogge zu Zella entstandenen Verdachtes der Verbreitung mystischer Schriften betr., 1829. ThStA Gotha, Oberkonsistorium Gotha Generalia, Loc. 93 Nr. 39: Acta, das Verbot der vom Inhaber des hiesigen bibliographischen Instituts Joseph Meyer beabsichtigten Herausgabe einer Auswahl von Stuecken aus den Werken Schiller’s, Göthe’s und Richter’s betr., 1827. ThStA Gotha, Staatsministerium Abt. Gotha, Dep. C. Loc. I. Tit. No. 92: Angelegenheiten des Gesammt=Hauses Sachsen Ernestinischer Spezial=Linie. Acten für das Herzogliche Staatsministerium, die Verleihung des Herzoglich Sächsischen Hausordens betr., 1880. ThStA Gotha, Staatsministerium Gotha, Dep. C. Loc. I. Tit. 6 No. 34: Angelegenheiten des Gesammt=Hauses Sachsen Ernestinischer Linie. Minist.=Acten, die Verleihung des Herzoglich Sächsischen Hausordens betr., 1839. ThStA Gotha, Staatsministerium, Dep. II Loc. 150, Nr. 1, Vol. 1: Stand der Volksbibliotheken des Herzogthums Gotha nach den bis zum October 1856 vorliegenden amtlichen Berichten. 3. Thüringisches Staatsarchiv Meiningen ThStA Meiningen, Amt Saalfeld, Akt.-Nr. 1434: Acten, Das Privilegium der hiesigen Hofbuchdruckerey, 1808. ThStA Meiningen, K 23, Herzoglich Sachsen Meiningisches Hof= und Staatshandbuch, 1843.

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ThStA Meiningen, Ministerium, Abt. des Innern, Akt.-Nr. 15393: Acten der Herz. S. Geheimen Staatskanzlei zu Meiningen betreffend Literarische Polizei, insbesondere die Censur über die im Lande erscheinenden Regierungs und Intelligenzblätter und andern Zeitungen, 1828–1848. ThStA Meiningen, Ministerium, Abt. des Innern, Akt.-Nr. 15360: Acten der Herz. S. Geheimen Kanzlei zu Meiningen betreffend Literatur Polizei, insbesondere in Beziehung auf das Verbot der außerhalb des Herzogthums erscheinenden Druckschriften, 1835–1844. ThStA Meiningen, Staatsministerium, Abt. des Innern, Akt.-Nr. 15368: Allgem. Act. Gesetzgebung, Acten des herzogl. S. Meiningischen Landesministeriums betreffend die Aufsicht über das Censurwesen. ThStA Meiningen, Staatsministerium, Abteilung Inneres, Acten der Herzogl. S. Geheimen Kanzlei, Acta 27,10. 4. Thüringisches Staatsarchiv Rudolstadt ThStA Rudolstadt, Konsistorium Rudolstadt, Ei I,I: Den Leseverein und die Schullesebibliothek zu Kirchhasel betr. ThStA Rudolstadt, Ministerium Sondershausen, II. Abteilung (Inneres), Akt.-Nr. 3098: Cabinets=Acten der Meinhardt’schen Buchhandlung zu Arnstadt, 1837– 1858. 5. Stadtarchiv/Stadtmuseum Saalfeld SA/SM Saalfeld, V 23430S, Dritter Jahresbericht des Thüringischen Vereins für Kunst, Gewerbe und gemeinnützige Zwecke, Saalfeld 1838. SA/SM Saalfeld, V 23418S, Vierter Jahresbericht des Thüringischen Vereins für Kunst, Gewerbe und gemeinnützige Zwecke, Saalfeld 1839.

B. Periodika Eine Übersicht über die in Thüringen während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschienenen gemeinnützig-volksaufklärerischen Periodika gibt die Bibliographie im Anhang A. Die hier verzeichneten Zeitungen und Zeitschriften wurden inhaltlich ausgewertet und in der vorliegenden Arbeit zitiert. ALLGEMEINE SCHULZEITUNG. Ein Archiv für die Wissenschaft des gesammten Schul-, Erziehungs- und Unterrichtswesen der Universitäten, Gymnasien, Volksschulen und aller höheren und niederen Lehranstalten, Darmstadt 1837. ALLGEMEINER ANZEIGER DER DEUTSCHEN, Gotha 1806–1829.

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ALLGEMEINER ANZEIGER UND NATIONALZEITUNG DER DEUTSCHEN. Der öffentlichen Unterhaltung über gemeinnützige Gegenstände aller Art gewidmet, zugleich allgemeines deutsches Intelligenzblatt zum Behuf der Rechtspflege, der Polizei, des Handels und der Gewerbe, so wie des bürgerlichen Verkehrs überhaupt, Gotha 1830–1848. ALLGEMEINES DEUTSCHES GEOGRAPHISCH-HISTORISCHES VOLKS-TASCHENBUCH ZUR NÜTZLICHEN BELEHRUNG UND UNTERHALTUNG FÜR DEN BÜRGER UND LANDMANN, Schmalkalden 1823. ALLGEMEINE TEUTSCHE VATERLANDSKUNDE. Wochenschrift der Geschichte, Natur= und Landeskunde, Literatur und Kunst, dem Alterthum, Gewerbfleiß und Handel Thüringens, so wie einer gemeinnützigen Belehrung und Unterhaltung überhaupt gewidmet, für alle Stände, Erfurt 1824–1826. ALLGEMEINE THÜRINGISCHE VATERLANDSKUNDE. Wochenschrift der Geschichte, Natur- und Landeskunde, Literatur und Kunst, dem Alterthum, Gewerbfleiß und Handel Thüringens, so wie einer gemeinnützigen Belehrung und Unterhaltung überhaupt gewidmet, für alle Stände. In Verbindung mit mehreren Gelehrten, Erfurt 1822–1824. ALLGEMEINES VOLKSBLATT DER DEUTSCHEN, Saalfeld 1844–1846. ALLGEMEINES TEUTSCHES GARTEN-MAGAZIN ODER GEMEINNÜTZIGE BEITRÄGE FÜR ALLE THEILE DES PRAKTISCHEN GARTENWESENS, Weimar 1804–1811, N.F. 1815–1824. AMTS= UND NACHRICHTSBLATT FÜR DAS FÜRSTENTHUM GERA, Gera 1824. AMTS= UND NACHRICHTSBLATT FÜR DAS FÜRSTENTHUM LOBENSTEIN UND EBERSDORF, Lobenstein 1839. AUFRICHTIG-TEUTSCHE VOLKS-ZEITUNG. Ein nützliches Hand- und Hausbuch für das deutsche Volk, seine Lehrer und seine Freunde, Gera 1795–1799. BEITRÄGE ZUR BELEHRUNG UND ERBAUUNG, Altenburg 1823. BELEHRENDER VOLKSFREUND AUS DER LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE UND GESCHICHTE FÜR DEN BÜRGER UND LANDMANN, Schmalkalden 1826. BELEHRUNGSSCHRIFTEN ÜBER VOLKSWOHLFAHRT, ODER PATRIOTISCHE VORSCHLÄGE ZUR ABHILFE DES NOTHSTANDES UND AUFHILFE DES WOHLSTANDES IN ALLEN DEUTSCHEN BUNDESSTAATEN, IN ZWANGLOSEN HEFTEN ZUM BESTEN DES VOLKS UND DER STAATSKASSEN, Schmalkalden 1827. BLÄTTER DER ERINNERUNG, Gotha 1843. CAHLAISCHES NACHRICHTS=BLATT MIT BEITRÄGEN ZUR BELEHRUNG UND UNTERHALTUNG, Kahla 1814–1848. CENTRALBLATT FÜR DEUTSCHE VOLKS- UND JUGENDLITERATUR. Ein kritisches Organ für alle Förderer und Freunde der Volks- und Jugendbildung, Gotha 1857/58.

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CORRESPONDENZBLATT FÜR KAUFLEUTE. Wöchentlicher Bericht von London, Amsterdam, Hamburg, Paris, Berlin etc. über Waaren=, Staatspapier=, Geld= und Wechsel=Handel, Gotha 1824–1828. DAS RÄSONNIRENDE DORFKONVENT, EINE GEMEINNÜTZIGE ÖKONOMISCHE= MORALISCH=POLITISCHE SCHRIFT FÜR DEN BÜRGER UND LANDMANN, Erfurt 1786–1788. DAS WICHTIGSTE AUS DEM PFLANZENREICHE FÜR LANDWIRTHE, FABRIKANTEN, FORST- UND SCHULMÄNNER, SO WIE FÜR LIEBHABER DER PFLANZENKUNDE ÜBERHAUPT, ODER NATURGETREUE ABBILDUNGEN DER IN HINSICHT AUF LAND- UND HAUSWIRTHSCHAFT, KÜNSTE UND GEWERBE, SO WIE AUF HAUSARZNEIKUNDE UND DIÄTETIK WICHTIGEN UND INTERESSANTEN GEWÄCHSE, NEBST GENAUER BESCHREIBUNG UND NACHWEISUNG ÜBER NUTZEN UND SCHADEN, ANBAU UND AUSROTTUNG DERSELBEN, Jena 1831–1832. DER BOTE AUS THÜRINGEN, 1788–1816. DER DORFZEITUNGS-GEMEINDE GEHEIMES PLAUDERSTÜBCHEN, Hildburghausen 1832–1848. DER FÜRSTEN- UND VOLKSFREUND. Zeitschrift in zwanglosen Heften, Schleiz 1816. DER HAUSFREUND. Beiblatt zur landwirthschaftlichen Dorfzeitung, Arnstadt 1840 DER HAUSFREUND. Ein Blatt für Bürger in Stadt und Land, Hildburghausen 1832. DER LANDWIRT IN SEINEM GANZEN WIRKUNGSKREISE ODER SAMMLUNG DER NEUESTEN UND NÜTZLICHSTEN BEOBACHTUNGEN, ERFAHRUNGEN UND RATHSCHLÄGE IN ALLEN ZWEIGEN DER LANDWIRTHSCHAFT. EINE ZEITSCHRIFT FÜR PRAKTISCHE CAMERALISTEN UND FREUNDE DES LÄNDLICHEN GEWERBES, Jena 1817–1827. DER TEUTSCHE FRUCHTGARTEN, ALS AUSZUG AUS SICKLER’S TEUTSCHEM OBSTGÄRTNER UND DEM ALLGEMEINEN TEUTSCHEN GARTEN-MAGAZINE, Weimar 1816–1829. DER TEUTSCHE PATRIOT. Ein Volksblatt, Eisenberg 1802–1805. DER THÜRINGER BOTE. Ein Volksblatt, Gotha 1842–1843. DER THÜRINGER VOLKSFREUND. Ein belehrendes und unterhaltendes Volksblatt für Jedermann, Rudolstadt 1838–1848. DER THÜRINGER VOLKSFREUND. Eine Wochenschrift für Thüringen, das Osterland und Voigtland, Jena 1829–1831. DER VOLKSFREUND, Jena 1818. DER VOLKS=FREUND. Eine Zeitung für den Handwerker und Landmann, Berlin/ Leipzig/Gera 1794. DER VOLKSFREUND AUS VOIGTLAND. Für Menschenglück, Greiz 1788–1792. DER WANDERER AUF DEM FELDE DER GESCHICHTE, LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE, DER SITTENLEHRE, DER GEWERBSKUNDE, DER LAND- UND HAUSWIRTSCHAFT UND DES GEMEINDEWESENS. ZEITSCHRIFT FÜR STADT UND LAND, Schmalkalden 1828.

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DEUTSCHE BLÄTTER AUS THÜRINGEN, Jena 1848–1850. DEUTSCHE BÜRGER-ZEITUNG, Rudolstadt 1848–1849. DIE BIENE. Ein Bayerisches Sonntagsblatt, Bamberg 1837. DIE GARTENLAUBE. Illustriertes Familienblatt, Leipzig 1853, 1857. DORFZEITUNG, Hildburghausen 1818–1850. EISENBERGISCHES NACHRICHTSBLATT, Eisenberg 1821. FÜRSTLICH SCHWARZBURG-RUDOLSTÄDTISCHES GNÄDIGST PRIVILIGIRTES WOCHENBLATT, Rudolstadt 1825, 1827, 1830. GEMEINNÜTZIGE BLÄTTER FÜR SÄCHSISCHE VATERLANDSFREUNDE. Eine Wochenschrift, Neustadt an der Orla 1803. GEMEINNÜTZIGE BLÄTTER FÜR FREUNDE DES VATERLANDES, Neustadt an der Orla 1804–1808. GEMEINNÜTZIGE BLÄTTER ZUR UNTERHALTUNG UND BELEHRUNG FÜR BÜRGER UND LANDLEUTE, Neustadt an der Orla 1809. GEMEINNÜTZIGE BLÄTTER ZUR BELEHRUNG UND UNTERHALTUNG. Eine Wochenschrift, Neustadt an der Orla 1810–1812. GEMEINNÜTZIGES WOCHEN- UND ANZEIGEBLATT FÜR DAS FÜRSTENTHUM SAALFELD, Saalfeld 1853. GESUNDHEITSZEITUNG, EINE POPULÄR-MEDIZINISCHE ZEITSCHRIFT, Greiz 1828– 1830. GOTHAISCHE ZEITUNG, Gotha 1844. JAHRBUCH DER NEUESTEN UND WICHTIGSTEN ERFINDUNGEN UND ENTDECKUNGEN, SOWOHL IN DEN WISSENSCHAFTEN, KÜNSTEN, MANUFAKTUREN UND HANDWERKEN, ALS IN DER LAND- UND HAUSWIRTHSCHAFT, MIT BERÜCKSICHTIGUNG DER NEUESTEN DEUTSCHEN UND AUSLÄNDISCHEN LITERATUR, Ilmenau 1822 (1824)–1830 (1833). JAHRESBERICHTE DES KUNST- UND HANDWERKSVEREINS IM HERZOGTHUM ALTENBURG, Altenburg 1818/22–1825/26. JENAISCHE ALLGEMEINE LITERATUR-ZEITUNG, Jena 1833. KONSTITUTIONELLE BLÄTTER FÜR STADT UND LAND, Rudolstadt 1849–1850. LANDWIRTHSCHAFTLICHE BERICHTE AUS MITTEL-DEUTSCHLAND. Enthaltend das Neueste und Wissenswürdigste für Landwirthe, Ilmenau 1833. LANDWIRTHSCHAFTLICHE BLÄTTER, Weimar 1826–1832. LANDWIRTHSCHAFTLICHE DORFZEITUNG, Arnstadt 1840–1842. LEIPZIGER SAMMLUNGEN VON ALLERHAND ZUM LAND= UND STADT=, WIRTHSCHAFFTLICHEN, POLICEY= FINANZ- CAMMER=WESEN DIENLICHEN NACHRICHTEN, ANMERCKUNGEN, BEGEBENHEITEN, VERSUCHE, VORSCHLÄGEN, NEUEN UND ALTEN ANSTALTEN, ERFINDUNGEN, VORTHEILEN, FEHLERN, KÜNSTEN, WISSENSCHAFFTEN UND SCHRIFFTEN, WIE AUCH DENEN IN DIESEN SO NÜTZLICHEN WISSENSCHAFTEN UND UEBUNGEN WOHLVERDIENTEN LEUTEN, Leipzig 1742–1767.

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MAGAZIN FÜR TEUTSCHE BÜRGER UND LANDLEUTE, Altenburg 1799. NATIONAL-ZEITUNG DER DEUTSCHEN, Gotha 1796–1811; 1814–1829. NEUE PRIVILEGIRTE GERAISCHE ZEITUNG, Gera 1800–1811. NEUER SCHAUPLATZ DER KÜNSTE UND HANDWERKE. Mit Berücksichtigung der neuesten Erfindungen herausgegeben von einer Gesellschaft von Künstlern, Technologen und Professionisten, Sondershausen/Ilmenau/Weimar 1817–1848. NEUE BEYTRÄGE ZU DEN CAMERAL= UND HAUSHALTUNGS=WISSENSCHAFT, AUS DER NATUR UND ERFAHRUNG BESTÄRKET VON EINER SOCIETÄT IN THÜRINGEN, Jena 1766–1769. NEUES ALLGEMEINES REPERTORIUM DER NEUESTEN IN= UND AUSLÄNDISCHEN LITERATUR, Leipzig 1833. NEUES HANNOVERISCHES MAGAZIN, Hannover 1792–1793. NEUES UND NUTZBARES AUS DEM GEBIETE DER HAUS- UND LANDWIRTHSCHAFT UND DER DIESELBEN FÖRDERNDEN NATUR- UND GEWERBSKUNDE, Weimar 1824/25–1829/30. NOTIZEN AUS DEM GEBIETE DER NATUR- UND HEILKUNDE, Jena 1821–1836. NÜRNBERGER ZEITUNG, Nürnberg 1845. OBER=EICHSFELDER KREIS=ANZEIGER, Heiligenstadt 1831. OSTERLÄNDISCHE BLÄTTER FÜR LANDES-, NATUR- UND GEWERBKUNDE, Altenburg 1818–1821. PRIVILEGIRTE JENAISCHE WÖCHENTLICHE ANZEIGEN, Jena 1811–1836. PRIVILEGIRTE JENAISCHE WOCHENBLÄTTER, Jena 1837–1848. REGIERUNGS- UND INTELLIGENZBLATT FÜR DAS HERZOGTHUM GOTHA, Gotha 1840, 1848. REICHSANZEIGER DER DEUTSCHEN. Der öffentlichen Unterhaltung über gemeinnützige Gegenstände aller Art, Gotha 1849–1850. RUDOLSTÄDTER NACHRICHTSBLATT FÜR UNTERHALTENDE UND NÜTZLICHE MITTHEILUNGEN, Rudolstadt 1833. SAALFELDISCHES/SAALFELDER WOCHENBLATT, Saalfeld 1835, 1837–1838. SAMMLUNG OECONOMISCHER UND ANDERER IN DER HAUSHALTUNGS=KUNST NÜTZLICHER ANMERCKUNGEN. AUS DEN BESTEN NACHRICHTEN ZUSAMMEN GETRAGEN, Langensalza 1756. THURINGIA. Zeitschrift zur Kunde des Vaterlandes, Arnstadt 1843. UNTERHALTUNGSBLATT FÜR DEN DEUTSCHEN BÜRGER UND LANDMANN, Altenburg 1820–1821. VATERLANDSKUNDE. Wochenschrift, der Geschichte, Natur= und Landeskunde, Literatur und Kunst, dem Alterthum, Gewerbfleiß und Handel Thüringens, so wie einer gemeinnützigen Belehrung und Unterhaltung überhaupt gewidmet, für alle Stände, Erfurt 1827.

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VATERLANDSKUNDE. Wochenschrift der Natur= und Landeskunde, den technischen Gewerben, dem Neuen aus der Zeit, so wie einer gemeinnützigen Belehrung und Unterhaltung überhaupt gewidmet. Für alle Stände, Arnstadt 1827–1828. VATERLÄNDISCHE UNTERHALTUNGEN, Sondershausen 1821. WEIMARISCHES OFFICIELLES WOCHENBLATT, Weimar 1816. WEIMARISCHE ZEITUNG, Weimar 1832. WOCHENBLATT DER VIEHZUCHT, THIERARZNEIKUNDE, REITKUNST UND DES THIERHANDELS, Altenburg 1818–1821. WOHLFAHRTSZEITUNG DER TEUTSCHEN, Gera 1798.

C. Gedruckte Quellen und zeitgenössisches Schrifttum ADELUNG, JOHANN CHRISTOPH: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen, Bd. 4, Leipzig 1793. ADLER, HANS (Hrsg.): Literarische Geheimberichte. Protokolle der Metternich Agenten, Bd. 1: 1840–1843; Bd. 2: 1844–1848, Köln 1977–1981. ARETIN, KARL OTMAR VON/WEIS, EBERHARD (Hrsg.): Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten, 7 Bde., München 1992–2005. BASEDOW, JOHANN BERNHARD: Elementarbuch für die Jugend und für ihre Lehrer und Freunde in gesitteten Ständen, Altona/Bremen 1770. BECHSTEIN, LUDWIG: Ueber den ethischen Werth der deutschen Volkssagen, [o. O.] 1837. DERS.: Wanderungen durch Thüringen, Leipzig 1838. DERS.: Das Mineralbad Liebenstein, seine Kaltwasserheilanstalt und seine Umgebungen, Gotha 1842. DERS.: Thüringen in der Gegenwart, Gotha 1843. DERS.: Dr. Johann Matthäus Bechstein und die Forstacademie Dreißigacker. Ein Doppel=Denkmal, Meiningen 1855. DERS.: Philidor. Erzählung aus dem Leben eines Landgeistlichen, Gotha 1842. BECK, AUGUST: Geschichte der Stadt Gotha, Gotha 1870. BECKER, RUDOLF ZACHARIAS: Noth= und Hülfs=Büchlein für Bauersleute, oder lehrreiche Freuden= und Trauer=Geschichte des Dorfes Mildenheim. Für Junge und Alte beschrieben, Bd. 1, Gotha/Leipzig 1788; Bd. 2, Gotha 1798. DERS.: Versuch über die Aufklärung des Landmannes. Nebst Ankündigung eines für ihn bestimmten Handbuchs, Dessau / Leipzig 1785. DERS.: Beantwortung der Frage: kann irgend eine Art von Täuschung dem Volke zuträglich sein?, Leipzig 1781. DERS.: Leiden und Freuden in siebzehnmonatlicher französischer Gefangenschaft. Ein Beytrag zur Charakteristik des Despotismus, Gotha 1814.

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BIEDENFELD, FERDINAND FREIHERR VON (Hrsg.): Compendiöses und wohlfeiles Conversations- und Universal-Haus-Lexicon für den Bürger und Landmann und für alle Nichtgelehrte, welche nach Belehrung und Bildung streben, Weimar 1843–1845. BIRNBAUM, CARL: Friedrich Gottlob Schulze als Reformator der Landwirthschaftslehre. Ein Nachruf mit besonderer Beziehung auf landwirthschaftliche höhere Lehranstalten und deren Reform, Frankfurt am Main 1860. BOLDT, HANS (Hrsg.): Reich und Länder: Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, München 1997. BÖRNE, LUDWIG: Geist aus Ludwig Börne’s Werke, in: Miniatur-Bibliothek der Deutschen Classiker, 2 Bde., Hildburghausen/New York 1832. Breithaupt, Ferdinand: Breithaupts Vermächtniss. Noth- und Hülfsbuch für den Bürger und Landmann, Theil 3: Für Geist und Herz, Langensalza 1870.

BROCKHAUS, FRIEDRICH ARNOLD: Allgemeine deutsche Real=Encyklopädie für die gebildeten Stände. (Conversations=Lexikon), Bd. 5: H bis Jz; Bd. 10: Schw bis Sz; Bd. 11: T bis V, Bd. 12: W bis Z, 8. Aufl. Leipzig 1834 u. 1836–1837. BUDDEUS, THEOBALD: Das vierte Liederfest des Thüringer Sängerbundes in Arnstadt am 12. August 1846, Arnstadt 1846. CAMPE, JOACHIM HEINRICH: Wörterbuch der Deutschen Sprache, Vierter Theil, S und T; Fünfter Theil, Braunschweig 1810/1811. DERS.: Sittenbüchlein für Kinder aus gesitteten Ständen, Hamburg 1789. CANNABICH, JOHANN GÜNTHER FRIEDRICH: Lehrbuch der Geographie nach den neuesten Friedensbestimmungen, Sondershausen 1816. CHRISTIAN REICHARTS Nachricht von seinen Lebens=Umständen und herausgegebenen Schriften, in: Reichart, Christian: Anhang zu den sechs Theilen des Land= und Garten=Schatzes, Erfurt 1774. DEMME, HERMANN CHRISTOPH GOTTFRIED: Gebete und zum Gebete vorbereitende Betrachtungen für Christen im Familienkreise und in stiller Einsamkeit, Zweyter Theil, Gotha 1823. DEUTSCHER ZEITUNGS-KATALOG. Verzeichniss der in der deutschen Sprache erscheinenden periodischen Schriften mit Einschluß der politischen Zeitungen, der Tage-, Wochen- und Intelligenzblätter, Leipzig 1845. EISENMANN, GOTTFRIED: Beleuchtung des J. Meyer’schen Planes einer teutschen Eisenbahnschienen-Compagnie, Erlangen 1845. ENGELS, FRIEDRICH: Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Nach eigener Anschauung und authentischen Quellen, Leipzig 1845. EUPEL, JOHANN CHRISTIAN: Der vollkommene Conditor, oder Gründliche Anweisung zur Zubereitung aller Arten Bonbons, Stangenzucker, Conserven, Zuckerkuchen etc., so wie auch zum Einmachen und Glasiren der Früchte, nebst Abhandlungen von Zucker, den Graden bei dem Zuckerkochen und von den zur

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Conditorei nöthigen Gefäßen und Geräthschaften, ingleichen erprobte Vorschriften und Rezepte zu allen Gattungen der Kunstbäckerei, Sondershausen 1817. FISCHER, WOLFRAM/KRENGEL, JOCHEN/WIETOG, JUTTA (Hrsg.): Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch, Bd. 1: Materialien zur Statistik des Deutschen Bundes 1815– 1870, München 1975. FROMMANN, FRIEDRICH JOHANNES: Das Frommannsche Haus und seine Freunde 1792–1837, Jena 1870. GLASER, JOHANN FRIEDRICH: Beschreibung seiner neuerfundenen, und nicht allein für Aerzte und Wundaerzte, sondern auch für alle Hausvaeter und Hausmuetter brauchbaren und sehr nuetzlichen Blutwaage und seines Blutmeßgeschirrs, Hildburghausen 1790. GOECKEL, FERDINAND VON (Hrsg.): Sammlung Großherzogl.-S.-Weimar-Eisenachischer Gesetze, Verordnungen und Circularbefehle in chronologischer Ordnung, Vierter Theil oder Fünfter Band: Enthaltend die gesetzlichen Verordnungen, welche im Großherzogthum S. Weimar-Eisenach vom Jahre 1832 bis 1834 (ausschließlich) erschienen und noch gültig sind, Eisenach 1835. GROTJAN, JOHANN AUGUST: Eines Nordhäusers güldene Kunst Brantewein zu brennen, Welche nach Anweisung einiger Tabellen und beygefügten Erläuterungen Die wahren und bisanhero gar geheim gehaltenen Vortheile des Brantewein-Brennens aufrichtig entdecket, und deutlich zeiget, Wie aller mögliche in den Früchten steckende Wein aus selbigen heraus zu bringen, ingleichen Wie zu verhüten, daß der Brantewein keinen brandereichen Geschmack bekommen möge. Alles aus vieljähriger Erfahrung aufgesetzet, und nunmehro zum Dienste des Nächsten, Nordhausen 1754. GRUNDGESETZ FÜR DAS HERZOGTHUM SACHSEN=ALTENBURG, Altenburg 1831. GÜNTHER, JOHANNES: Lebensskizzen der Professoren der Universität Jena seit 1558 bis 1858. Eine Festgabe zur Säcularfeier der Universität Jena, Jena 1858. HAMBACHER, GEORG CHRISTOPH/MEUSEL, JOHANN GEORG: Das gelehrte Teutschland oder Lexikon der jetzt lebenden teutschen Schriftsteller, Bd. VIII, 5. Aufl. Lemgo 1800. HAUMANN, GUSTAV HEINRICH: Lebens=, Haus= und Vermögensgeschichte des Schulzen Leberecht Feldmann zu Lindenhain. Oder getreue Erzählung, wie derselbe durch zweckmäßige Einrichtung seiner Haus= und Feldwirthschaft, durch gründliche Verbesserung und geschickte Benutzung seiner Grundstücke, durch vermehrte und veredelte Viehzucht, durch wohl geordneten Bienenstand, durch Obst= und Gemüsebau, durch Anpflanzung schnell wachsender einträglicher Holzarten durch Hopfenanlagen, durch vermehrte Erzielung von Futterkräutern und Wurzelfrüchten, durch Anbau von Raps, Mohn, Anis, Hanf, Waid und anderen Gewächsen u.s.w. es dahin brachte, daß er binnen zehn Jahren aus einem armen Bauer der wohlhabenste und angesehenste Mann im ganzen Dorfe wurde. Ein Volksbuch zur Nachahmung aufgestellt, Ilmenau 1826.

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HEGEL, GEORG WILHELM FRIEDRICH: Über die Reichsverfassung, hrsg. von Hans Maier, Hamburg 2004. HEPPE, HEINRICH: Geschichte des deutschen Volksschulwesens, 5 Bde., Gotha 1858–1860. HERRMANN, RUDOLF (Hrsg.): Die Neustädter Chronik III (= Bausteine zur Geschichte Neustadts, Heft 3), Neustadt an der Orla 1912. HERZOGLICH=SACHSEN=GOTHA= UND ALTENBURGISCHER HOF= UND ADREßKALENDER, Gotha 1821. HENß, ADAM: Das Politische Glaubensbekenntniß und die Staatsbürgerlichen Ansichten eines Teutschen Bürgers und Handwerkers, Weimar 1832. DERS.: Wanderungen und Lebensansichten des Buchbindermeisters Adam Henß, Weimar 1845. HERING, CHRISTOPH: Christoph Herings Oeconomischer Wegweiser und beglückter Pachter, Jena 1750. HERZOG, KARL: Geschichte des Thüringischen Volkes. Für das Volk und die Jugend, Hamburg 1827. HESSE, LUDWIG FRIEDRICH: Verzeichniß gebohrner Schwarzburger, die sich als Gelehrte oder als Künstler durch Schriften bekannt machten, 20. Stück, Rudolstadt 1829. HÖCK, JOHANN DANIEL ALBRECHT: Statistische Darstellung der Landwirthschaft in den deutschen Bundesstaaten. Nebst einem Grundriß der Landwirthschaftspolizei und den Statuten mehrerer land= und forstwirthschaftlichen Vereine und Bildungs=Anstalten, Ulm 1824. HUBER, ERNST RUDOLF (Hrsg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, 3. Aufl. Stuttgart/Berlin/ Köln/Mainz 1978; Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851–1900, 3. Aufl. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1986. JÄGER, HERMANN: Erinnerung an das fünfte Liederfest des Thüringer Sängerbundes zu Eisenach. Eine vollständige Festbeschreibung mit sämmtlich gehaltenen Reden, Arnstadt 1847. KANT, IMMANUEL: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, in: Bahr, Erhard (Hrsg.): Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen, 2. Aufl. Stuttgart 1994, S. 9–17. KEYSER, THILO: J. F. G. Cannabich in seinem Leben und seiner Wirksamkeit. Ein biographisches Denkmal für Schüler, Freunde und Verehrer desselben, Nordhausen 1854. KLEEMANN, CHRISTIAN: Statik des Landbaues in ihrer Anwendung auf die Wasserthaleber Länderei, Sondershausen 1856. DERS.: Encyclopädie landwirthschaftlicher Verhältnisse und Berechnungen. Ein Hand= und Hülfsbuch zu landwirthschaftlichen Werthsermittelungen für Landwirthe, Cameralisten und Oeconomie=Commissäre, Sondershausen 1844.

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DERS.: Anleitung für den Thüringischen Landmann zu Verbesserung des Betriebes der Landwirthschaft, Sondershausen 1840. DERS.: Die landwirthschaftliche doppelte Buchhaltung. Eine kritische Prüfung der verschiedenen bei dieser Rechnungsform befolgten Grundsätze, nebst Mittheilung einer einfachen Methode zur Führung einer genauen landwirthschaftlichen doppelten Buchführung, Sondershausen 1840. KNIPHOF, JOHANNES HIERONYMUS: Botanica In Originali. Das ist: Lebendig Kräuter-Buch, In welchen so wohl diejenigen Blumen- Baum- und Küchen-Gewächse, Küchen-Gewächse, die in den Gärten Deutschlands überall bekannt sind, als auch die fremden, so von curiösen Blumenliebhabern mit großer Mühe und Kosten angeschaffet werden, Nebst einer sonderbahren Anleitung den Saamen auf eine künstliche Manier selbst zu zeugen, Erfurt 1734. KOCH, JULIUS HEINRICH: Wohlerfahrner Bienenwirth, oder gründliche Anweisung was bei der Bienen=Pflege in jedem Monath des Jahrs zu beobachten, mit beygefügten Anmerkungen von den bewunderswürdigen Eigenschaften der Bienen, Arnstadt 1760. KRESSE, ZACHARIAS: Geschichte der Landwirthschaft des Altenburgischen Osterlandes, Altenburg 1845. LEBENSCHRONIK DES ALTENBURGER BAUERN ZACHARIAS KRESSE AUS DOBRASCHÜTZ 1800–1876. Die Geschichte des Lebens und Schaffens, sowie sonstige damit verbundene Ereignisse, Manuskript von 1874, gedruckt und herausgegebenen von der Bundeslandsmannschaft Thüringen, München 1981. LEIPZIGER ZEITUNGS-KATALOG. Wissenschaftlich geordnetes Verzeichniss der in Deutschland erschienenen periodischen Schriften mit Einschluss der politischen und Lokalblätter, Leipzig 1841. LÖBE, WILLIAM: Die Altenburgische Landwirthschaft in ihrem gegenwärtigen Zustande, mit besonderer Berücksichtigung ihrer Nebenzweige und der agrarischen Gesetzgebung, Leipzig 1843. DERS.: Das Musterdörfchen. Eine lehrreiche Geschichte für den Bürger und Landmann, 2 Bde., Dresden/Leipzig 1846/47. LOCKE, JOHN: Ueber die Erziehung der Jugend in den gesitteten Ständen. Ein Handbuch für Eltern und Erzieher. Mit erläuternden, bestimmenden und berichtigenden Anmerkungen der Gesellschaft der Revisoren aus dem Revisionswerke besonders abgedruckt und herausgegeben von Joachim Heinrich Campe, Wien/Wolfenbüttel 1787. LUDWIG, JOHANNES: Ueber die Pflicht, Gott in der Natur aufzusuchen, als eine allgemeine Menschen- und Christenpflicht. Zugleich als ein Versuch dem gemeinen Manne die sogenannten Naturpredigten auch als christliche Predigten zu empfehlen, mit einem Anhang auserlesener Naturlieder, den Städtern und Landleuten gewidmet, Altenburg 1799.

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LUDWIG, KARL-HEINRICH: Andeutungen über den staatsrechtlichen und politischen Charakter des Grundgesetzes für das Herzogthum Sachsen=Altenburg vom 29. April 1831. Mit vergleichender Rücksicht auf die Verfassungen von Schwarzburg=Sondershausen, Churhessen, Hannover und Braunschweig, Leipzig 1831. MEYER, CARL JOSEPH (Hrsg.): Meyer’s Volksbibliothek für Länder-, Völker- und Naturkunde, 102 Bde., Hildburghausen/New York 1853–1857. DERS. (Hrsg.): Meyer’s Groschen=Bibliothek der Deutschen Classiker, 365 Bde., Hildburghausen/New York 1850–1855. DERS. (Hrsg.): Meyer’s Geschichts-Bibliothek für allgemeine Kunde des Kultur- und Völkerlebens, 24 Bde., Hildburghausen/New York 1850. DERS. (Hrsg.): Deutsche Parlaments=Chronik. Ein politisches Schulbuch für’s Deutsche Volk, Bd. 1: Vorpalament; – Fünfziger=Ausschuß. Der verfassungsgebenden Reichsversammlung erste Periode. Von der Eröffnung des Parlaments bis zur Wahl des Johann v. Habsburg=Lothringen als Reichsverweser, Hildburghausen 1848. DERS. (Hrsg.): Das große Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände. In Verbindung mit Staatsmännern, Gelehrten, Künstlern und Technikern, Hildburghausen 1840. DERS. (Hrsg.): Neue Miniatur-Bibliothek der deutschen Klassiker. Eine MiniaturAnthologie aus ihren sämmtlichen Werken, Hildburghausen/Philadelphia/Paris/ Amsterdam 1839–1847. DERS. (Hrsg.): Meyer’s Pfennig-Atlas. Zum Handgebrauche für die gesammte Erdbeschreibung, 116 Karten, Hildburghausen/New York 1834–1841. DERS. (Hrsg.): Meyer’s Universum oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde, 17 Bde., Hildburghausen/New York 1833–1856. DERS. (Hrsg.): Miniatur-Bibliothek der deutschen Classiker, 187 Bde., Gotha/Hildburghausen 1827–1834. DERS. (Hrsg.): Shakspeare’s Sämmtliche Schauspiele. Frei bearbeitet, 50. Bde., Gotha/Erfurt 1824–1833. MOSER, JOHANN PHILIPP (Hrsg.): Deutschlands jetztlebende Volksschriftsteller, Nürnberg 1795. NÄGELI, JOHANN CASPAR: Des Lehrnsbegierigen und Andächtigen Landmanns Getreuer Wegweiser, Zürich 1738. NESTROY, JOHANN: Historisch-kritische Ausgabe, Stücke 26/I: Freiheit in Krähwinkel, hrsg. von John R. P. McKenzie, Wien 1977. NEUMANN, THOMAS (Hrsg.): „… daß bei der Erziehung kein Teil von dem anderen unabhängig ist …“. Pädagogik im 18. und 19. Jahrhundert (= Quellen zur Geschichte Thüringens, Bd. 18), Erfurt 2002. PREUSKER, KARL BENJAMIN: Andeutungen über Sonntags-, Real- und Gewerbsschulen, Cameralstudium, Bibliotheken, Vereine und andere Föderungsmittel des

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Gewerbfleißes und allgemeiner Volksbildung. Handwerkern, Fabrikanten, Kaufleuten, Landwirthen und andern Gewerbetreibenden, so wie Staats- und Gemeinde-Beamten, Cameralisten, Schulmännern und allen Freunden der Gewerbsund Volksbildung gewidmet, 3 Teile, Leipzig 1835. DERS.: Förderungsmittel der Volkswohlfahrt in Bezug auf Wissenschaft, Kunst und Leben. Haus- und Handbuch für jeden, welcher für sein und Anderer Wohl zu wirken wünscht; Staats- und Gemeindebeamten, Bildungsanstalten, Gelehrten-, Kunst-, Gewerbs-, Wohltätigkeits- und Lese-Vereinen, wie allen Vaterlands- und Menschenfreunden insbesondere gewidmet, Leipzig 1836. DERS.: Lebensbild eines Volksbildungsfreundes. Selbstbiographie von Karl Preusker, Rentamtmann in Großenhain 1786–1871, Leipzig 1871. DERS.: Ueber öffentliche, Vereins- und Privatbibliotheken, so wie andere Sammlungen, Lesezirkel und verwandte Gegenstände, mit Rücksicht auf den Bürgerstand, Heft 1: Ueber Stadtbibliotheken für den Bürgerstand, deren Nützlichkeit, Gründungs- und Aufstellungsart, damit zu verbindende Sammlungen und Ortsjahrbücher; Heft 2: Ueber Vereins-, Schul-, Dorf- und Privatbibliotheken, wissenschaftliche Sammlungen, Lesezirkel-Einrichtungen und verwandte Gegenstände, Leipzig 1838/1840. PRINZ, AUGUST: Der Buchhandel vom Jahre 1815 bis zum Jahre 1843. Bausteine zu einer späteren Geschichte des Buchhandels, Altona 1855. REICHART, CHRISTIAN: Anhang zu den sechs Theilen des Land= und Garten= Schatzes, Erfurt 1788. DERS.: Einführung in den Garten= und Acker=Bau, Erster Theil: Worin nicht nur von der Garten=Wissenschaft und Anlegung der mancherley Gärten überhaupt, Sondern auch von Erziehung und Wartung derer darein gehörigen Gewächse insonderheit aufrichtig und kürzlich gehandelt wird, Erfurt 1758; Zweiter Theil: Worinnen zu einem höchstnutzbaren Feld-Bau Anweisung gegeben, und von Erbauung der Korn= Hülsen= und Specerey=Früchte, wie auch von Klee=Gewächsen, Wiesenwachs und Weinbergen ins besondere gehandelt wird, Erfurt 1759. DERS.: Einleitung in den Garten= und Acker=Bau, Erster Theil: Worin nicht nur von der Garten=Wissenschaft und Anlegung der mancherley Gärten überhaupt, Sondern auch von Erziehung und Wartung derer darein gehörigen Gewächse insonderheit aufrichtig und kürzlich gehandelt wird, Erfurt 1758. DERS.: Christian Reicharts Land= und Garten=Schatz, 6. Theile, Erfurt 1753–1754. DERS.: Abhandlung von allerhand Saamen-Werk, Worinnen, nebst einer Nachricht von einem neuerfundenen Saamen-Cabinet, viele nöthige und nützliche zum Garten- und Acker-Bau gehörige practische und noch nicht gemeine Vortheile mitgetheilet werden, Erfurt 1751.

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DERS.: Kurtzgefasste Historische Nachricht von denen bey der Thüringischen Hauptstadt Erfurt gelegenen sogenannten Dreyen Brunnen, Deren Beschaffenheit, Cultur, Nutzen und dahin einschlagenden besondern Rechten, nebst verschiedenen zur Oeconomie gehörigen Vortheilen. Denen Liebhabern der Oeconomischen Wissenschaft zum Besten an das Licht gestellet, Erfurt 1745. ROCHOW, FRIEDRICH EBERHARD VON: Der Kinderfreund. Ein Lesebuch zum Gebrauch in Landschulen, 2 Bde., Frankfurt 1778–1779. SCHMIDT, FRIEDRICH AUGUST (Hrsg.): Neuer Nekrolog der Deutschen, Ilmenau/ Weimar 1824–1854. SCHUMANN, AUGUST: Vollständiges Staats=Post= und Zeitungs=Lexikon von Sachsen, enthaltend eine richtige und ausführliche geographische, topographische und historische Darstellung aller Städte, Flecken, Dörfer, Schlösser, Höfe, Gebirge, Wälder, Seen, Flüsse etc. gesammter Königl. und Fürstl. Sächsischer Lande, mit Einschluß der Fürstenthümer Schwarzburg und Erfurt, so wie der Reußischen und Schönburgischen Besitzungen, Bd. 4: Herlegrün bis Königstein; Bd. 11: Schweitz bis Trebishayn, Zwickau 1817/1824. SCHWERDT, HEINRICH: Jahrbuch der neuesten und interessantesten Reisen. Für die Jugend bearbeitet, 4 Bde., Langensalza 1868–70. DERS.: Eine Ferienreise im Thüringerwalde. Für die Jugend bearbeitet, Langensalza 1868. DERS.: Thekla von Gumpert. Ein biographisch-kritisches Denkmal zur fünfundzwanzigjährigen Jubelfeier ihrer schriftstellerischen Thätigkeit, Goslau 1868. DERS.: Das industrielle und kommerzielle Thüringen. Das Großherzogthum Weimar, die Herzogthümer Meiningen, Altenburg, Koburg-Gotha, die Fürstenthümer Reuß und Schwarzburg, so wie die preußisch-thüringischen Landestheile, nach ihrer Produktion, Fabrikation und merkantilen Bedeutung mit Angabe der bedeutendsten thüringischen Fabrik- und Handelsfirmen (= Das industrielle Deutschland, Bd. 1), Gera 1867. DERS.: Der Wunderdoctor Johannes Dicel in Seebach. Ein erbauliches Lebensbild, Leipzig 1860. DERS.: Schatzkästlein für Land- und Hauswirthschaft, ein Kalender, Darmstadt 1860. DERS.: Album des Thüringerwaldes. Zum Geleit und zur Erinnerung, Leipzig 1859. DERS.: Schiller’s Geburtstag, oder: „Ich habe gelebt und geliebet“. Biographische Erzählung, Leipzig 1859. DERS.: Thüringer Dorfgeschichten, 2 Bde., Leipzig 1859. DERS.: Aus alter Zeit. Zwei Wartburggeschichten: „Die heilige Elisabeth“ und „Martin Luther“, Leipzig 1858. DERS.: Aus neuer Zeit. Zwei Handwerker-Geschichten: 1. Die Wanderschaft im Morgenland, 2. Handwerk hat güldenen Boden, Leipzig 1858. DERS.: Daheim ist doch daheim. Nordamerikanische Bilder aus dem Munde deutscher Auswanderer, Leipzig 1858.

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DERS.: Thüringens Bäder nach ihrer Lage, ihren Heilkräften, ihren Einrichtungen und ihren Umgebungen. Wegweiser und Gedenkbuch für Einheimische und Fremde, 8 Bde., Gotha 1854–56. DERS.: Beiträge zur Volkswohlfahrt in belehrenden Erzählungen, Bd. 1: Schöndorf, oder: Wie sich der Landmann das Leben angenehm macht. Eine Erzählung für’s Volk, als Beitrag zur Landesverschönerung; Bd. 2: Jakob Biedermann, oder hilf dir selber, so wird Gott dir helfen. Eine Erzählung für’s Volk als Beitrag zur christlichen Armenpflege in Stadt und Dorf; Bd. 3: Das dritte Gebot, oder: An Gottes Segen ist Alles gelegen. Eine Erzählung für’s Volk, als Beitrag zu einer würdigen Sonn= und Festtagsfeier; Bd. 4: Die Goldquelle, oder: Der Landwirth auf dem Wege des Fortschritts. Eine Erzählung fürs Volk als Beitrag zur zeitgemäßen Hebung der Landwirthschaft, Gotha 1856–1858. DERS.: Die jetzigen Bauernunruhen oder Luthers Stimme in den Wirren unserer Zeit. Ein Wort der Verständigung und Beruhigung an Alle, die es mit dem Volke gut meinen, insbesondere an den Bauernstand, Grimma 1848. DERS.: Festordnung und Festlieder der am 21. und 22. Junius 1840 in Neukirchen zu begehenden vierhundertjährigen Gedächtnißfeier der Buchdruckerkunst, Eisenach 1840. DERS. (Bearb.): Des Wagnergesellen E. Ch. Döbel Wanderungen durch einen Theil von Europa, Asien und Afrika in den Jahren 1830 – 1836. Mit lithographischen Ansichten, 2 Bde., Gotha 1837/38. DERS./ZIEGLER, ALEXANDER: Neuestes Reisehandbuch für Thüringen, Hildburghausen 1864. SPIES, HANS-BERND (Hrsg.): Die Erhebung gegen Napoleon 1806–1814/15, Darmstadt 1981. SMITH, ADAM: Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen. Aus dem Englischen übertragen und mit einer umfassenden Würdigung des Gesamtwerkes, hrsg. von Horst Claus Recktenwald, 5. Aufl. München 1990. STATUTEN DES HENNEBERGISCHEN ALTERTHUMSFORSCHENDEN VEREINS ZU MEININGEN, [o. O.] 1838. STEINBECK, CHRISTOPH GOTTLIEB: Justiz- und Polizei-Rügen zur Förderung des Menschenwohls, Jena 1810. DERS.: Brandbüchlein für Familien, Schulen und Volkslehrer, oder: Ausführliche Anweisung zur Verhütung aller Feuergefahr in jedem Hause in der Stadt und auf dem Lande, Langenberg 1807. DERS.: Feuersnoth= und Hülfsbuch fürs teutsche Volk und seine Freunde, Leipzig 1802. DERS.: Versuch eines Erziehungsbuches für den teutschen Bürger und Landmann, Gera 1796.

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DERS.: Der hundertjährige Kalender ohne Schnurrpfeifereien. Ein Volksbuch, Gera 1795. DERS.: Der aufrichtige Kalendermann. Ein gar kurioses und nützliches Buch für die Jugend und den gemeinen Bürger- und Bauersmann, 2. Theile, Gera 1794–1795. DERS.: Frey- und Gleichheitsbüchlein. Für die Jugend und den deutschen Bürger und Bauersmann verfertiget, Leipzig 1794. STOCKMANN, C. A.: Gründliche Anweisung zur Hauswirthschaft und Feld-Bau. Von einem in der Hauswirtschaft und Feld-Bau wohlerfahrnen Thüringer, Arnstadt 1756. STORCH, LUDWIG (Hrsg.): Friedenstein. Gedenkbuch, Gotha 1843. DERS.: Der Thüringer Sängerbund und sein erstes Liederfest zu Molsdorf den 16. August 1843. DERS. (Hrsg.): Des Wagnergesellen E. Ch. Döbel Wanderungen im Morgenlande, Gotha 1842. DERS.: Wanderbuch durch den Thüringerwald. Für Bewohner und Besucher desselben, Gotha 1842. DERS.: Thüringer Chronik, 5 Hefte, Gotha 1841–1843. TEUSCHER, CHRISTIAN FRIEDRICH GOTTFRIED: Bernhard Friedrich Voigt. Eine kurze Darstellung seines Lebens und Wirkens. Ein Beitrag zur Feier seines fünfzigjährigen Jubiläums am 2. September 1851, veranstaltet von mehreren seiner literarischen Freunde, Weimar 1851. THÜRINGER PFARRERBUCH, hrsg. von der Gesellschaft für Thüringische Kirchengeschichte, Bd. I: Herzogtum Gotha, Neustadt an der Aisch 1995. VOIGT, FRIEDRICH BERNHARD: Würdigung einer von dem Herrn Architecten J. A. Romberg gegen den Buchhändler Bernh. Friedr. Voigt verbreiteten Schmähschrift. Von dem Geschmähten, Weimar 1845. DERS.: An die Leser der Voigt’schen monographisch=technischen Journale zu näherem Verständniß der über dieselben verbreiteten Irrthümer, Weimar 1845. DERS.: Ausgewählte gemeinnützige Bibliothek für alle Stände, Weimar 1852. VÖLKER, HIERONYMUS LUDWIG WILHELM (Hrsg.): Christian Reicharts Land- und Garten-Schatz, Theil 1–6, Erfurt 1819–1821. WOHLFARTH, THEODOR: Das katholische Deutschland frei von Rom! Oder: Was ist nach den neuesten Ereignissen zu hoffen für ein einiges christliches Deutschland, Weimar 1845. DERS.: Der Pauperismus nach seinem Wesen, Ursprunge, Folgen und Heilmitteln von dem Standpunkte der Geschichte, Anthropologie, Staatsökonomie, Legislation, Polizei, Moral und christlichen Kirche, Weimar 1845. DERS.: Ueber Censur und Pressgesetzgebung. Nebst einem Entwurfe zu einem allgemeinen constitutionellen Pressgesetze für Deutschland. Ein Votum der Kirche, Rudolstadt 1835.

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WOLF, CHRISTIAN: Die Zeitrechnung in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Versuch, Gotha 1843. WOLFFRAM, JOHANN CHRISTIAN: Unterhaltungen eines Landschullehrers mit seinen Kindern auf Spaziergängen und in der Schule über merkwürdige Wörter und Sachen aus der Natur und dem gemeinen Leben. Ein Buch für Eltern, Kinder und Schullehrer unter den Bürgern und Landleuten. Zur Uebung der Aufmerksamkeit, zur Beförderung des Selbstdenkens und zur Verbreitung nützlicher und angenehmer Erkenntnisse, 4 Bde., Schnepfenthal 1794–1800. ZERRENNER, HEINRICH GOTTLIEB: Volksaufklärung. Uebersicht und freimüthige Darstellung ihrer Hindernisse nebst einigen Vorschlägen denselben wirksam abzuhelfen, Magdeburg 1786. [O. V.] Conrad Berger, der ehrenwerthe Landmann. Ein unterhaltendes und belehrendes Lesebuch für die lieben Landleute, Weimar 1832. [O. V.] Ueber Patriotismus, Altenburg 1795. [O. V.] Warnung vor dem einschleichenden Aberglauben, 3. Stücke, Gotha 1762.

D. Literatur ABEL, WILHELM: Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Europa, 3. Aufl. Göttingen 1986. DERS.: Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Europa. Versuch einer Synopsis, Hamburg/Berlin 1974. ADLER, HANS: Volksaufklärung als Herausforderung der Aufklärung, oder: Nützt es dem Volke, betrogen zu werden? Die Preis der Preußischen Akademie für 1780, in: Böning, Holger/Schmitt, Hanno/Siegert, Reinhart (Hrsg.): Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts, Bremen 2007, S. 51–72. DERS.: Staatsschutz im Vormärz, in: DERS. (Hrsg.) Literarische Geheimberichte. Protokolle der Metternich-Agenten, Bd. 1: 1840–1843 , Köln 1977. AGETHEN, MANFRED: Freimaurerei und Volksaufklärung im 18. Jahrhundert, in: Donnert, Erich (Hrsg.): Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt, Bd. 4: Deutsche Aufklärung, Köln/Weimar/Wien 1997. ALBISETTI, JAMES C.: Mädchen- und Frauenbildung im 19. Jahrhundert, Bad Heilbrunn 2007. ALDENHOFF, RITA: Schulze-Delitzsch. Ein Beitrag zur Geschichte des Liberalismus zwischen Revolution und Reichsgründung, Baden-Baden 1984. ALZHEIMER-HALLER, HEIDRUN: Handbuch zur narrativen Volksaufklärung. Moralische Geschichten 1780–1848, Berlin/New York 2004. ANTONIUS, FRITZ: Zum Konfidentenwesen des Vormärz, in: Historische Blätter, 7 (1937), S. 79–88.

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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

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WERNER, EVA MARIA: Kleine Geschichte der deutschen Revolution von 1848/49, Köln/Weimar/Wien 2009. WERNER, GERHARD: Von den Pfaffenrathschen Anlagen zur Friedenshöhe. Zur Geschichte eines ehemaligen Saalfelder Landschaftsgartens, in: Saalfeld informativ, 17 (2008), Heft 5/6, S. 33–39. WERNER, MATTHIAS: Die Anfänge eines Landesbewußtseins in Thüringen, in: Gockel, Michael (Hrsg.): Aspekte thüringisch-hessischer Geschichte, Marburg 1992, S. 81–137. WIEGEL, HEINZ/MARWINSKI, FELICITAS: Schwerdt, Johann Georg Heinrich Christian, in: Marwinski, Felicitas (Hrsg.): Lebenswege in Thüringen, Dritte Sammlung, Weimar 2006, S. 286–292. WIENFORT, MONIKA: Der Adel in der Moderne, Göttingen 2006. WILHELM, UWE: Der deutsche Frühliberalismus. Von den Anfängen bis 1789, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1995. WILKE, JÜRGEN: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, 2. Aufl. Köln/Weimar/Wien 2008. WILKENING, ILKA: Karl Benjamin Preusker 1786–1871. Ehrenbürger der Stadt Großenhain. Leben und Werk, Großenhain 2005. WILLNER, FRITZ: Ludwig Wieland, ein liberaler Publizist, Halle 1915. WINKLER, HEINRICH AUGUST: Der lange Weg nach Westen, Bd. 1: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, München 2000. WITTMANN, REINHARD: Geschichte des deutschen Buchhandels, 2. Aufl. München 1999. DERS.: Geschichte des deutschen Buchhandels. Ein Überblick, München 1991. DERS.: Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zum literarischen Leben 1750–1880, Tübingen 1982. DERS.: Der lesende Landmann. Zur Rezeption aufklärerischer Bemühungen durch die bäuerliche Bevölkerung im 18. Jahrhundert, in: Berindei, Dan/Gesemann, Wolfgang/Hoffmann, Alfred/Leitsch, Walter/Timm, Albrecht/Vilfan, Sergij (Hrsg.): Der Bauer Mittel- und Osteuropas im sozio-ökonomischen Wandel des 18. und 19. Jahrhunderts. Beiträge zu seiner Lage und deren Widerspiegelung in der zeitgenössischen Publizistik und Literatur, Köln/Wien 1973, S. 142–196. WOGAWA, FRANK: Die bürgerliche Familie. Aspekte bürgerlicher Werterezeption am Beispiel der Jenaer Buchhändler- und Verlegerfamilie Frommman, in: Hahn, Hans-Werner/Hein, Dieter (Hrsg.): Bürgerliche Werte um 1800. Entwurf – Vermittlung – Rezeption, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 305–336. DERS.: „Zu sehr Bürger …“? Die Jenaer Verleger und Buchhändlerfamilie Frommann im 19. Jahrhundert, in: Hahn, Hans-Werner/Greiling, Werner/Ries, Klaus (Hrsg.): Bürgertum in Thüringen. Lebenswelt und Lebenswege im frühen 19. Jahrhundert, Jena/Rudolstadt 2001, S. 81–107.

652

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

WOLF, GUSTAV: Geschichte der Altenburger Buchhändler. Ein historischer Überblick seit 1800, Altenburg 2000. WOLF, JOHANN: Politische Geschichte des Eichsfeldes, Duderstadt 1921. WOLFRUM, ANDREAS: Die Landstände in den Herzogtümern Sachsen-Gotha-Altenburg und Sachsen-Altenburg (1603–1831), in: Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen, Heft 27: Landstände in Thüringen. Vorparlamentarische Strukturen und politische Kultur im Alten Reich, Weimar 2008, S. 157– 193. WÖRFEL, ERHARD: Liberalismus in den thüringischen Staaten im Kaiserreich, in: Gall, Lothar/Langewiesche, Dieter (Hrsg.): Liberalismus und Region. Zur Geschichte des Liberalismus im 19. Jahrhundert, München 1995, S. 217–252. WULFF-WOESTEN, HANSPETER: Wirken solange es Tag ist! Dr. Ludwig Nonne – Leben und Werk des „Pestalozzi Thüringens“. Der Schulreformer, Kirchenratgeber, Freimaurer, Dorfzeitungsschreiber in seiner Zeit und Wirkung, Leipzig/ Hildburghausen 2008. WUNDER, BERND: ‚Verwaltung‘, ‚Bürokratie‘, ‚Selbstverwaltung‘, ‚Amt‘ und ‚Beamter‘ seit 1800, in: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7: Verw – Z, Stuttgart 1992, S. 69–95. DERS.: Die Rekrutierung der Beamtenschaft in Deutschland. Eine historische Analyse, Konstanz 1979. DERS.: Geschichte der Bürokratie in Deutschland, Frankfurt am Main 1986. WYSS, REGULA: Pfarrer als Vermittler ökonomischen Wissens? Die Rolle der Pfarrer in der Oekonomischen Gesellschaft Bern im 18. Jahrhundert, Nordhausen 2007. ZAUNSTÖCK, HOLGER (Hrsg.): Das Leben des Fürsten. Studien zur Biografie von Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740–1817), Halle 2008. DERS.: Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert, Tübingen 1999. ZIEGLER, EDDA: Literarische Zensur in Deutschland 1819–1848. Materialien, Kommentare, 2. Aufl. München 2006. DIES.: Julius Campe. Der Verleger Heinrich Heines, Hamburg 1976. ZIMMERMANN, CHRISTIAN VON: Jeremias Gotthelf und die Volksaufklärung. Bemerkungen zur Schweizer Literatur zur Zeit des Vormärz, in: Bunzel, Wolfgang/Eke, Norbert Otto/Vaßen, Florian (Hrsg.): Der nahe Spiegel. Vormärz und Aufklärung, Bielefeld 2008, S. 367–384. ZUNHAMMER, THOMAS: Zwischen Adel und Pöbel. Bürgertum und Mittelstandsideal im Staatslexikon von Karl v. Rotteck und Karl Theodor Welcker. Ein Beitrag zur Theorie des Liberalismus im Vormärz, Baden-Baden 1995. [o. V.] 100 Jahre Dorfzeitung 1818–1918, Hildburghausen 1918.

Grafik- und Kartenverzeichnis Grafiken1 1. Schriften zur Volksaufklärung 1700 bis 1900 ....................................................S. 79 2. Schriften zur Volksaufklärung 1771 bis 1900 ....................................................S. 486 3. Schriften zur politischen Volksaufklärung 1771 bis 1900 ................................S. 521 4. Anteil der politischen Schriften an den gesamten Schriften zur Volksaufklärung 1771 bis 1900...................................S. 522 5. Anteil der politischen Schriften an den gesamten Schriften zur Volksaufklärung 1840 bis 1853...................................S. 522

1

Die Daten dieser Grafiken stammen aus dem Bio-Bibliographischen Projekt „Volksaufklärung“, von Holger Böning (Bremen) und Reinhart Siegert (Freiburg): HOLGER BÖNING/ REINHART SIEGERT: Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch zur Popularisierung aufklärerischen Denkens im deutschen Sprachraum von den Anfängen bis 1850. Bd. 1 – 4, Stuttgart-Bad Cannstatt 1990 ff. Datenbankstand: 01.01.2013. Die Datenbank soll nach Erscheinen der Druckfassung des Handbuchs online zugänglich gemacht werden. An dieser Stelle gilt mein besonderer Dank den beiden Projektleitern, die mir diese Daten freundlicherweise vorab zur Verfügung gestellt haben. Die offensichtliche Kollision des Spitzenwerts dieser Schaubilder mit dem bei REINHART SIEGERT: Volksaufklärung – die bibliographische Erfassung eines geisteswissenschaftlichen Phänomens. Methode – Stand – Nutzerperspektiven (In: Volksbildung durch Lesestoffe im 18. und 19. Jahrhundert. Voraussetzungen – Medien – Topographie, hrsg. von Reinhart Siegert in Zusammenarbeit mit Peter Hoare und Peter Vodosek., Bremen 2012, S. 17–46, hier: S. 39) gab Anlass, beide Zahlenreihen nochmals zu überprüfen. Dabei zeigte sich, dass sich bei der Veröffentlichung 2012 ausgerechnet beim Spitzenwert eine falsche Zahl eingeschlichen hatte. Für den Zeitraum von 1791–1800 muss es dort „4151“ heißen anstatt „4424“. Außerdem ist bei diesen Zahlen zu bedenken, dass es sich bei ihnen um Titel handelt, die zwar aus guten Gründen (Thema, Titelformulierung, Autor, Querverweise) in den Datenbankthesaurus „Schriften zur Volksaufklärung“ aufgenommen wurden, dass aber ein erheblicher Prozentsatz davon sich bei Inaugenscheinnahme als für die Volksaufklärung wenig oder gar nicht relevant erweist. Von den Titeln 1791–1800 wurden beispielsweise 2.318 in die Druckfassung der Bibliographie aufgenommen, also nur etwas mehr als die Hälfte der Datenbankzahl. Im Zeitraum nach 1800 scheint der Anteil an Aufnehmenswertem kontinuierlich abzunehmen; beim jetzigen Bearbeitungsstand sind bereits ca. 20 % der Datenbanktitel fest für die Aufnahme in die Druckfassung vorgesehen, doch dürfte der Endstand wesentlich unter 40 % bleiben. Die Bearbeitung des letzten Bibliographiebandes soll bis Ende 2013 abgeschlossen sein.

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GRAFIK- UND KARTENVERZEICHNIS

Karten2 1. Die territorialstaatliche Situation Thüringens im Jahr 1806.............................S. 90 2. Die territorialstaatliche Situation Thüringens nach dem Wiener Kongress (1815) .......................................................................................S. 92 3. Detailansicht des Herzogtums Sachsen-Gotha nach der ernestinischen Landesteilung von 1826 ..............................................................S. 167 4. Die territorialstaatliche Situation Thüringens seit 1826....................................S. 256

2

Die Gestaltung der Karten erfolgte nach Vorlagen bei: HUNDT, MICHAEL: Die mindermächtigen deutschen Staaten auf dem Wiener Kongress, Mainz 1996, S. 238 f. (Karten 1 und 2); THÜRINGER PFARRERBUCH, hrsg. von der Gesellschaft für Thüringische Kirchengeschichte, Bd. 1: Herzogtum Gotha, Neustadt an der Aisch 1995, S. 14 (Karte 3); MAST, PETER: Thüringen. Die Fürsten und ihre Länder, Graz 1992, [Vorsatz] (Karte 4).

Ortsregister Das Register enthält alle im Textteil aufgeführten Orte. Außerdem sind alle Orte erfasst, die in den transkribierten Quellen im Anhang B erwähnt werden. Ausgenommen sind territoriale Bestandteile in den jeweiligen Herrschertiteln und geographische Landschaftsbezeichnungen. Ortsnennungen, die lediglich bibliographischen Angaben zugehören, sind ebenfalls nicht erfasst. Da die thüringischen Residenzstädte Altenburg, Coburg, Gotha, Hildburghausen, Meiningen, und Weimar, Rudolstadt und Sondershausen sowie Ebersdorf, Gera, Greiz, Schleiz, Lobenstein und Schleiz aus Gründen der stilistischen Vielfalt mitunter synonym für eine Landesbezeichnung stehen, sind von Fall zu Fall die obengenannten Einschränkungen modifiziert worden. Apfelstädt 578, 584 Apolda 517 Arnstadt 94, 171, 268, 293, 331 f. Altenburg 66, 80, 94, 104, 144, 152–155, 259 f., 270, 391, 425, 429, 441, 446, 448, 539 Altgersdorf 93 Altgommla 93 Auerstedt 91, 397

Bad Frankenhausen 280 Bad Salzungen 229 Ballstedt 578 Basel 223, 448 Berlin 96, 169, 188, 525 Bern 61, 320, 439 Blankenhain 92 Botzen 481 Bremen 231 Büchenbeuren 374

Camburg 147 Coburg 95, 275, 428, 434, 439–441, 443, 446–449, 457, 460–462, 471 Creuzburg 377

Darmstadt 77, 171

Dermbach 92 Dobraschütz 152–155 Dreißigacker 145, 190–192

Ebersdorf 273–276

Eisenach 94, 166 f., 170, 176, 178–180, 232, 291, 330, 474, 497, 519 Eisenberg 269–271, 276 Erfurt 62 f., 66 f., 70 f., 82, 89–91, 94 f., 102, 104, 107, 149, 175 f., 281, 292, 441,465–467, 531

Frankfurt am Main 66, 169, 230, 239 f., 243, 250, 332, 408, 426, 428, 430, 435, 438–443, 449, 452, 458, 525, 529 Frauensee 92 Freiberg 223 Freiburg im Breisgau 224, 309 Freienwalde 447 Friedrichroda 473 Friedrichswerth 453 f., 457, 509, 512

Geisa 92 Georgenthal 509, 580 f., 583 Gera 82 f., 244, 273–278 Giebichenstein 552 Goldbach 509 Gotha 66, 79 f., 94–97, 101, 103 f., 106 f., 116, 158, 167 f., 171 f., 174, 177–179, 188, 214 f., 229–236, 259 f., 274, 280, 297, 328, 410, 412, 428, 430 f., 434–436, 439–441, 443, 444–455, 457–463, 471, 473, 493, 506–511, 516, 518 f., 525, 531 f., 546, 555 Göttin 129 Göttingen 111, 319, 478

656 Gräfentonna 168, 493 Greiz 94, 244 Großenhain 144, 325–327 Großkörner 99, 281, 578

Halberstadt 129 Halle 111, 188, 539, 552 Hamburg 231, 423, 434, 471 Heidelberg 116 Heiligenstadt 149, 276 Herbsleben 509 f., 512, 583 f. Heringen 93 Hildburghausen 80, 107, 146 f., 149, 171, 214, 229, 235 f., 240, 242 f., 247, 249, 251, 255, 259, 266, 275, 295, 297, 302, 307, 319, 321, 337, 385, 387, 424, 429, 437, 439, 452, 454–458, 473, 480 f., 519, 528, 533, 535, 546, 549, 553

Ichtershausen 509, 578, 580 f., 584 Ilmenau 223, 225 f.

Jena 33, 66, 83, 91, 94 f., 104, 107, 111, 144, 146, 161, 167, 169 f., 189, 223, 244 f., 263, 269, 281–285, 287, 291, 309 f., 317, 319 f., 322, 397, 532, 539

Kahla 263–274, 277, 284, 330 Keilhau 40 Kelbra 93 Kirchhasel 160–163, 165 f., 174, 357 Kittelsthal 578 Kleinschmalkalden 472, 474 Krähwinkel 269 Kranichfeld 174 Krahne 129 Kühdorf 93

Langensalza 91, 535 Leipzig 64–66, 91, 144, 168, 187, 223, 307, 314, 319, 369, 435, 438 f., 441, 469, 527, 535, 539 Liebenstein 509, 580 f., 583 Lobenstein 273–277 London 230 f., 233 Lunéville 90 Lützendorf 144 Luzern 390

ORTSREGISTER

Magdeburg 8 Mainz 89, 277, 376, 426, 436 f., 439, 441, 463 Mannheim 116 Maßbach 230 Mehlis 584 Meiningen 94 f., 147, 187 f., 190, 197, 199, 441, 445, 449 Meißen 144 Mildenfurt 93 Minden 188 Molschleben 509 f., 512, 584 Molsdorf 176 f., 179 Mühlhausen 19, 82, 88, 90 f., 99, 260 f. München 187 Münster 301 Münster (Schweiz) 309

Nazza 168, 175, 488, 509, 512, 580 f. Neugersdorf 93 Neuhaus-Schiernitz 253 Neukirchen 156, 166–169, 172–177, 180, 196, 325, 329 f., 332, 336, 488, 490, 493 f., 508, 517 f., 530, 555 f., 578, 580, 592 Neurode 509 Neustadt an der Orla 161, 285, 466 f., 488 Niederorla 82 Nordhausen 19, 88, 90 f. Nürnberg 224, 434, 471

Obernitz 99 Oberweimar 144 Ohrdruf 206, 509, 531, 580 f. Oppershausen 82 Oppurg 104, 289, 488 Osterode 301 Obergävernitz 144

Paderborn 188 Pforta 144 Potsdam 129 Presseck 343 Reckahn 81, 129 Reschwitz 99, 202 Rom 289, 356 f.

657

ORTSREGISTER

Rudolstadt 94 f., 160, 165, 171, 271–273, 283, 288 f., 328, 380, 390, 516, 519, 530 Ruhla 459–461, 472, 474

Saalfeld 1, 99, 171 f., 197, 199–202, 205, 207–210, 330–333, 341, 365, 371, 374, 376, 400, 403, 415, 418, 440, 499 f., 555 f. Schleusingen 91, 223 Schnepfenthal 80 f., 103, 145 f., 190 f., 474 Schwarza 390 Schwarzbach 99 Sömmerda 81 Sondershausen 94 f., 224, 227 Sonneberg 434, 471 St. Wendel 188 Steinbach 497 Stettin 188 Straubing 224 Stuttgart 450 f. Suhl 91 Sundhausen 82

Tabarz 509 Tambach 578 Tenneberg 168, 471–473, 493, 509, 512 Thal 460, 507–510, 512, 578–581, 583 f., 586, 588 Themar 147

Thieschitz 83 Tiefurt 144 Tonna 493, 509, 512, 580 f. Treben 99 Trier 355 f.

Uelleben 509 f., 584 Vacha 92, 590 Volkenroda 168, 488, 509, 580 f.

Waltershausen 168, 190 f., 472, 493 Wangenheim 509, 580 f. Wasserthaleben 280 Wasungen 145 Weilar 229–232 Weimar 33, 66, 94 f., 104, 107, 144, 156, 161, 223, 225–228, 231, 244 f., 254, 275, 284–286, 315 f., 340, 363, 428–430, 446–448, 458, 475–480, 534, 539, 541 Weißenborn 578 Weißensee 91 Werningshausen 509 Weltwitz 467 Wetzlar 188 Winterstein 472

Zella 509, 580 f., 584 Ziegenrück 91 Zwätzen 144 Zwickau 253, 336

Personenregister Das Register verzeichnet alle im Text erwähnten Personen. Außerdem sind alle Personen erfasst, die in den transkribierten Quellen im Anhang B erwähnt werden. Nicht aufgenommen wurden Autoren, auf die nur im Kontext der Forschungsdiskussion rekurriert wird oder die lediglich in bibliographischen Angaben erscheinen. Adelung, Johann Christoph 43–45 Albrecht, Friedrich 293 Ameis, Karl Friedrich 178 Andräe, Friedrich Wilhelm 292 Anger, Christian Ernst 467 Anna Amalia, Herzogin von SachsenWeimar-Eisenach 94 Arminius, Fürst der Cherusker 402 Arndt, Ernst Moritz 404, 408 f. Arnoldi, Ernst Wilhelm 116, 230 Arnoldi, Wilhelm 356 Arzberger, Maximilian 507, 509, 577, 582 Auerbach, Berthold 12 August, Herzog von Sachsen-GothaAltenburg 230, 233, 263 Ausfeld, Johann Wilhelm 259

Barth, Carl 301 Basedow, Johann Bernhard 81, 97, 109 f., 134 Baumann, Karl Friedrich 161 Baumbach, Karl Ludwig Friedrich August von 147 f., 306 Bechstein, Johann Matthäus 145, 190–192 Bechstein, Ludwig 176, 178, 182, 186–196, 202, 208, 210, 216–218, 220, 254 f., 303, 328, 531 f., 544 Beck, Andreas Christian 236–266, 270, 272 Beck, Karl Eduard Ferdinand 266–268 Becker, Friedrich Gottlieb 165, 299, 301 f., 304, 306 f., 313, 316, 318, 321, 323, 525 f. Becker, Rudolf Zacharias 7, 12, 21, 46, 50 f., 57, 79 f., 89, 96–101, 103–106, 131–133, 142, 144, 150, 153, 175, 221, 253 f., 258, 260, 277, 282, 288,

297–299, 314, 349, 357, 381 f., 391, 393, 491, 506, 544 f., 557 Berlepsch, Hermann Alexander 531 Bernhard II. Erich Freund, Herzog von Sachsen-Meiningen 146–149, 187, 189, 199 f., 209, 235, 249, 305 f., 415, 424, 444–447, 457 f., 462, 553 Bertuch, Friedrich Justin 125, 315, 541 Beust, Carl Leopold Graf von 428–431, 433, 444, 446 f. Beyer, Constantin 292 Biedenfeld, Ferdinand Leopold Karl Freiherr von 225 Blittersdorf, Friedrich Freiherr von 442 Blum, Robert 356 Böberin, Catarina 66 Boden, August 448 Bodungen, Anton Christoph Ludwig Wilhelm Adolf von 149 f. Böhmer, Gottfried 331 Börne, Carl Ludwig 438, 447, 453 Boyneburg, Christoph Freiherr von 230 f. Breidenstein, Christoph Rudolph 178 Bretschneider, Carl Gottlieb 168, 174 Brockhaus, Friedrich Arnold 44 f., 125, 222, 231 f., 236 Brunn, Carl Dietrich Ludwig 276–278 Brunnquell, Johann Christoph 235 Büchner, Georg 438 Bufleb, Georg Christoph Wilhelm 507 f., 578

Campe, Friedrich 223 Campe, Heinrich Joachim 8, 43–45, 81, 109 f., 134 Campe, Julius 423, 425 Cannabich, Johann Günther Friedrich 224

PERSONENREGISTER

Carl August, (Groß)Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 94, 144 f., 223, 475 Carl Friedrich, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 144 Castillon, Gustav von 96 Christian VIII., König von Dänemark 409 Clemens XIV., Papst 355 Cotta, Johann Friedrich 125, 234, 236, 434

Dahlmann, Friedrich Christoph 478 Dalberg, Carl Theodor von 89 Decker, Rudolf Ludwig 236 Demme, Hermann Christoph 260 f. Dennhardt, Gottfried Wilhelm 178 Descartes, René 26, 112 Dietrich, David 291 Döbel, Ernst Christoph 155–158, 170, 215 f. Dölle, Johann Christoph 276 Dupontreau, Louis Clairant Hubert 191 Eichstädt, Heinrich Karl Abraham 161 Elsner, Heinrich 447, 450 f. Emmerich, Johann Matthias Joseph 189 Engelhardt, Christoph 66 Engels, Friedrich 361 f., 366 Erhard, Heinrich August 292 Ernst I., Herzog von SachsenCoburg und Gotha 145 f., 428 f., 431, 434, 439, 441, 450 f., 454, 457, 571 Ernst I., Herzog von SachsenGotha-Altenburg 94 Ernst II., Herzog von SachsenCoburg und Gotha 146, 169, 428, 439, 441 f., 460 f., 507–512, 520 Ernst II., Herzog von SachsenGotha-Altenburg 94, 133, 145, 190 Escher, Magnus 390, 401 Eupel, Johann Christian 222 Facius, Adolph 23 Fallersleben, Heinrich Hoffmann von 438 Fischer, Wilhelm 437 f. Franz II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation 397 Freiligrath, Hermann Ferdinand 442

659 Friedrich, Herzog von SachsenAltenburg 430, 471 Friedrich, Herzog von SachsenHildburghausen 146 f. Friedrich II. (der Große), König von Preußen 402 Friedrich III. (der Weise), Kurfürst von Sachsen 498 Friedrich IV., Herzog von SachsenGotha-Altenburg 93 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 251, 519 Fritsch, Carl Friedrich Christian Freiherr von 428, 435, 438, 442, 448 Fröbel, Carl Poppo 271 Fröbel, Friedrich 310, 328 Fröbel, Günther 271 f., 288, 290, 380, 516 f., 529 f., 592 Frommann, Carl Friedrich 317 Frommann, Friedrich Johannes 105, 213, 245, 283, 309, 312, 314, 317–323, 437, 469, 532, 558 Füßlein, Wilhelm 306 Gabelentz, Hans Conon von der 429 Gebhardt, Hermann 181 Gelbke, Julius 454 f. Georg I., Herzog von SachsenMeiningen 94, 145, 190 Gersdorff, Ernst Christian August Freiherr von 156, 315 Gläser, Carl 440, 449–451 Glaser, Johann Friedrich 80 Göbel, Carl August 458 Goethe, August 223 Goethe, Johann Wolfgang 89, 114, 223, 234, 402, 416, 453, 516 Gräbner, Karl 292–295 Graichen, Heinrich 527 Grobe, Ludwig 306 Grobe, Johann Salomo 229 f. Groß, Johann Heinrich 66 Grotjan, Johann August 66 Gumpert, Thekla von 172 Gumprecht, Theodor Gottfried 291 Günther Friedrich Carl II., Fürst von Schwarzburg-Sondershausen 332

660 Gutenberg, Johannes 402 Gutzkow, Karl 438 GutsMuths, Johann Christoph Friedrich 81 Haumann, Gustav Heinrich 99, 282 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 386, 396 Heine, Heinrich 269, 423, 438, 441 f. Heinrich LXIV., Fürst von Reuß-Köstriz 94 Hell, Theodor 171 Henle, Jacob 434 Henneberger, August 306 Hennicke, Johann Friedrich 300 Henning, Gustav von 188, 440 Hennings, Wilhelm 214, 232, 235, 441 Henß, Adam 315 f., 539 Herder, Johann Gottfried 40–42, 44, 50, 76, 89, 223 Herrmann, Rudolf 159 f. Herwegh, Georg 404, 438 Herzog, Karl 245, 309–313, 316 f., 319 f., 323 Hesekiel, Christoph Friedrich 276 Hildebrand, Friedrich Bruno 367 Hoffmann, Johann Wilhelm 284–286, 535 Hohnbaum, Carl 148, 235, 306 Hohnbaum, Christian 148, 306 Hoyer, Samuel August 292 Humboldt, Wilhelm von 89 Hundeshagen, Friedrich von 374 Huth, Johann Ernst 429 Imhoff, August Freiherr von 199 Jérôme Bonaparte, König von Westphalen 91 Johann Friedrich, Fürst von Schwarzburg-Rudolstadt 94 Jordan, Johann Ludwig von 428, 438, 441 Jordan, Franz Sylvester 448 f. Joseph, Herzog von SachsenAltenburg 143 f., 152, 430 Kant, Immanuel 3 f., 29 f., 37

PERSONENREGISTER

Karl X., König von Frankreich 267 Keil, Ernst 535 Kesselring, Georg Friedrich 148, 203, 302 f., 307, 473 Keyser, Georg Adam 70, 82, 102 Kleemann, Christian 280 Kluge, Gustav David 331 Knick, Heinrich 292 Kniphof, Johann Hieronymus 68 Krafft, Friedrich von 458 Kresse, Zacharias 152–155, 539 Krüger, Ludwig Wilhelm Friedrich 508 Köhler, Gustav Constantin 590 König, Georg Friedrich 301 Kotzebue, August von 269, 414 Kost, Christian 458 Kost, Woldemar 306 Küchler, Wilhelm 440 f. Kühn, Adelbert 344, 378, 415, 418 f. Kühner, Konrad Friedrich 306 Kühner, Carl 148, 306 Kühner, Heinrich 306 Kühner, Hermann 306 Leberecht, Friedrich Ludwig 166 Leibniz, Gottfried Wilhelm 26, 112 Leopold, Großherzog von Baden 443 Leopold III. Friedrich Franz, Herzog von Anhalt-Dessau 133 Lepel, Georg Ferdinand Freiherr von 442 Lessing, Ludwig 447 Löbe, William 99 f., 143 f., 151 f., 165, 202 f., 331, 491, 545 Locke, John 109 Louis-Philippe I., König von Frankreich 267 Luden, Heinrich 189, 245, 310, 453 Ludwig, Johannes 80 Luther, Martin 180, 350, 357, 402, 497 f. Madelung, Ernst 461 Madelung, Friedrich 461 Madelung, Wilhelm 461 Marat, Jean Paul 244 Maria Pawlowna, Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach 156 f., 475–477, 479 f. Marx, Karl 337, 438

PERSONENREGISTER

Mayer, Gustav 438 Meinhardt, Christian August Ferdinand 331 f. Metternich, Klemens Wenzel Lothar von 148, 305, 414, 424, 426 f., 437, 443, 453, 463, 532 Mevius, Christian 66 Meyer, Carl Joseph 105, 107, 125, 214, 222, 229–255, 287, 301, 317, 319, 387, 425, 437, 439, 452–458, 463, 481 f., 514 f., 520 f., 524, 540, 546 Meyer, Hermine 229 Mosengeil, Friedrich 148, 306 Müller, Alexander 459 Müller, Friedrich von 156, 285 Müller, Johann Georg 215, 440 f. Müller, Heinrich 507, 509–512, 577, 583 Münch-Bellinghausen, Joachim Eduard Freiherr von 428 Musäus, Johann Karl August 192 f., 223

Nägeli, Johann Caspar 57, 61 Napoleon, Kaiser der Franzosen 91, 95, 197, 384, 397 f., 447, 449 f., 498 Nestroy, Johann 269 Niese, Constantin 332 f., 440 Nonne, Heinrich Rudolf 71 Nonne, Johann Heinrich 68, 71 Nonne, Karl Ludwig 105, 107, 146–149, 165, 242, 302, 304–307, 313, 316, 318, 323, 424 f., 487, 501 f., 553 Nützer, Friedrich August 270, 272

Opitz, Johann Heinrich Theodor 434, 471

Paul, Jean 453 Perrault, Charles 192 Perthes, Friedrich Christoph 213, 234, 310, 317 Pestalozzi, Johann Heinrich 131, 146 f., 502, 553 Petermann, August Heinrich 171 Pfaffenrath, Carl von 1 f., 4 f., 100, 165, 172, 182, 197, 199–210, 252, 307, 325, 327 f., 330–334, 337–342, 344–346, 348 f., 352, 354–357, 363, 365–370, 372, 377, 380, 389, 399 f.,

661 402, 404, 406, 409–411, 415, 427, 436, 499–501, 515, 532, 540, 545, 553–556. Pfaffenrath, Caroline von 197 Pierer, Heinrich August 162, 222, 237, 425, 429 f. Pius VII., Papst 355 Plett, Peter 348 Pölitz, Karl Ludwig Heinrich 314 Preusker, Karl Benjamin 175, 325–327 Prinz, August 87 Püttmann, Hermann 438

Rasch, Johann Christian Ferdinand 508, 578 f., 588 Reichart, Christian 63, 66–72, 274, 465–467 Reichart, Michael 66 Renovanz, Ludwig 288–290, 530 f. Richter, Johann Paul Friedrich 453 Rochow, Friedrich Eberhard von 8, 81, 129, 134 Röhr, Johann Friedrich 161 Ronge, Johannes 355–357 Rotteck, Karl von 309, 432, 438, 453 Rousseau, Jean-Jacques 127 Rubner, Julius 442 Rudolphi, Ludwig 109 Ruge, Arnold 337, 404, 438

Salviati, Heinrich von 303 Salzmann, Carl 145 f. Salzmann, Christian Gotthilf 21, 80 f., 103–106, 131, 134, 144, 190–192, 221, 229, 254, 258 f., 288, 302, 349, 357, 381, 544, 546 Sand, Karl Ludwig 414 Schäfer, August 439 f., 447 Schauberg, Joseph 447 Schellenberg, Melchior 67 Scheller, Erdmann 235 Schenck, Carl Friedrich 235 Schiller, Friedrich 89, 223, 234, 402, 416, 453, 457 Schlegel, August Wilhelm 232 Schlotheim, Ernst Friedrich von 456 Schmidt, Oskar 459 Schneider, Johann Christian 178 Schorn, Ludwig 156

662 Schott, Heinrich August 161 Schrader, Ferdinand 517 Schramm, Carl August 410 Schubert, Friedrich Wilhelm 488 Schubert, Wilhelm Friedrich 140 f., 488 Schuderoff, Hermann 429 Schuderoff, Johann Georg Jonathan 246 Schuler, Christian von 306 Schulze, Friedrich Gottlob 144 Schumann, August 263, 472, 507 Schwager, Johann Moritz 131 Schweitzer, Christian Wilhelm von 475–480, 482 f. Schwerdt, Heinrich 1 f., 4 f., 156 f., 159, 166–180, 195, 202, 205, 208, 210, 215, 225, 228, 252, 307, 325, 327–338, 340–346, 348 f., 352, 354–357, 363, 366–368, 370, 375, 377, 380, 402, 406, 409, 412, 415, 418, 487–501, 503 f., 506, 508, 515–521, 530, 532, 535 f., 545, 552, 555–557, 580, 592 Schwerdt, Ida 494 Schwerdt, Laura 494 Shakespeare, William 232 f. Siebenpfeiffer, Philipp Jakob 243, 429, 438, 452 Sieveking, Karl 423 Sismondi, Jean-Charles-Léonard Simonde de 439 f., 447, 449 Singer, Jakob Eduard 439 Smith, Adam 124 Spinoza, Baruch de 26, 112 Steinbeck, Christoph Gottlieb 82–84, 244, 381 Steinbeck, Gottlieb Wilhelm 83 Stier, Ludwig Friedrich Wilhelm 320 Storch, Ludwig 158, 178, 188 f., 214–220, 254 f., 328, 531 f., 535, 544

Teubner, Benedictus Gotthelf 236 Teuscher, Christian Friedrich Gottfried 226–228

PERSONENREGISTER

Trapp, Ernst Christian 81 Tieck, Wilhelm 232 Tippelskirch, Friedrich von 552 Thiers, Louis Adolphe 504 Thon, Johann Adam Christian 82, 102, 107, 381, 499, 546 Thomas, Johann 481

Venedey, Jacob 438 Voigt, Bernhard Friedrich 166, 221–230, 233 f., 254 f., 317, 540 Voigt, Christian Gottlob 223 Voigt, Johann Carl Wilhelm 223

Wagner, Johann Karl Gottfried 166, 562 Wangenheim, Ernst von 454, 457, 460, 510 f., 583, 585, 588 Weidig, Friedrich Ludwig 442 Welcker, Philipp Heinrich 178 Wenzel, Johann Christian Friedrich 165 Wiedemann, Johann Christian Otto 331 Wiedemann, Johann Michael Gottfried 331 Wiedemann, Johann Wilhelm Anton 331 Wiegand, Otto 438 f. Wieland, Christoph Martin 89, 223 Wieland, Ludwig 244 f., 287, 382 Wirth, Johann Georg August 434, 438, 442, 444, 471 Wohlfarth, Theodor 159–166, 169, 173 f., 180, 202, 208, 225, 228, 357, 359 Wolffram, Johann Christian 80 Wölfing, Ernst Balthasar 148, 306 Wydenbrugk, Oscar von 176

Zabern, Victor 441 Zella, Jacob zu 471–474, 476, 482 Zerrenner, Heinrich Gottlieb 50 f. Ziegenspeck, Johann Christoph 466 Ziegler, Alexander 492 Zschokke, Heinrich 8 f., 13, 223, 341, 491

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Gabriel Riesser (1806–1863) wuchs in Hamburg in einer religiösen jüdischen Familie auf. Er wurde in Heidelberg zur Zeit der Restauration promoviert, als die Diskriminierungen gegen Juden einen neuen Höhepunkt erreichten. Zwei Universitäten verweigerten ihm die Habilitation, seine Heimatstadt Hamburg die Anstellung als Advokat. Danach wuchs Riesser in die Rolle eines Bürgerrechtlers hinein und wurde dadurch berühmt. 1848 wählten ihn christliche Wahlmänner in die Paulskirchen-Versammlung. Er wurde 1860 der erste jüdische Richter Deutschlands. Seine vielfältigen, rhetorisch brillanten Schriften spiegeln die Kultur des Vormärz und die Entwicklung des deutschen Parlamentarismus. 2012. 280 S. GB. 170 X 240 MM. | ISBN 978-3-412-20864-6

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