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German Pages 194 [184] Year 1837
Die
Verklärung im Tode.
V o »
Friedrich Wilhelm Heidenreich.
Berlin, 1837. B e L
G.
Reimer.
meiner Gattin
(Achaue
freundlich
nieder
aus dem himmlischen
Lichte, zu dem so früh Du cingegangen! Wechselnd war Dein Dasein zwischen Freude
und Schmerz, beglückend deine Liebe, aber schnell
vergänglich wie alles Irdische. Viel littest Du zuletzt und lange, und endlich
erschien der Trennung Stunde, Du eiltest von der schönen Erde
Hinab in jenes dunkle Haus.
Doch hast Du es bei Deinem Scheiden ver
heißen, ein schöner Stern zu fein, der meiner Zu kunft leuchten soll.
Und Du wirst cs sein;
denn
wer in seiner Nachwelt Geiste lebendig wirket und lebet ist schon aufcrstandcn von den Todten. Diese
Blätter —
dem Tode, leben;
und auch
sie
suchen das Leben in
in ihrem Geiste wirst Du
denn der Geist ist das Leben, Macht dich auf ewig wieder jung.
Vorwort.
Nichts Endliches ist für die Ewigkeit geschaffen und Alles was da ist, blühet und lebet, muß ttn tergehen, verwelken und sterben in ewigem Wechsel. Astes irdische Dasein endet sein Tod. Der Wechsel selbst aber der endlichen Gestal ten ist ewig, es gibt keinen Tod, der Tod ist neueS Leben. Was ist mehr der Endlichkeit und Vergäng lichkeit unterworfen als das menschliche Leben? und wer macht mehr Ansprüche auf die Unendlichkeit und Ewigkeit als gerade der Mensch?
Wir sehen vor unsern Augen das irdische Da sein enden, den Leib verwesen und in Staub zer-
vni fallen,
und dvch glauben wir Alle fest in unserm
Herzen an unserer Seele Ewigkeit und Unsterb
lichkeit. Leib aber und Seele sind Eines, bilden nur
ein Leben, jener die Erscheinung, diese das Wesen,
und nichts vermag sie zu scheiden, keines kann be
stehen, keines untergehen, ohne das andere.
Wer enthüllet uns nun des Lebens und Ster
bens Geheimniß?
Wir suchen diese Erkenntniß, wir forschen nach dem Verhältniß des Zeitlichen und Ewigen,
wir
fragen was der Tod sei, ob er Vernichtung bringe oder Verklärung? Wir suchen ihn zu überwinden,
denn der Sieger über
den Tod erringt sich die
Unsterblichkeit.
Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode
scheut und von der Vernichtung rein bewahrt, son dern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist
das Leben des Geistes.
Ist aber die Ueberwindung des Todes wesent
lich der Rückblick des Individuums in seine ganze Vergangenheit,
die Uebersicht über all' sein Thun
und Leiden, die Rechenschaft über erfüllte oder ver-
XI
fehlte Bestimmung, die Selbsterkenntniß gestatteter Freiheit oder drängender Nothwendigkeit, das Zu
sammenfasten Daseins,
des
vollen Inhalts seines irdischen
die Versöhnung mit dem Schicksal und
Leben — so ist die Idee der Todesüberwindung allerdings an das Ende der individuellen Entwick
lung,
in den Augenblick des Todes selbst gesetzt.
Denn Niemand ist vor seinem Tode glücklich zu preisen und kein Sterblicher ist seines Schicksals ge wiß, ehe cs geendet hat. Der Weise und Gute kann in Irrthum und
Fehler verfallen, der Böse kann bereuen und Gu
tes thun, den Glücklichen kann Ungemach und Kum mer prüfen, dem Tiefgebeugten die Freude lächeln — keine Entwicklung ist vollendet, ehe sie geschlof
fen ist.
Wenn aber die Klarheit der Erkenntniß mit
dem nahenden Tode getrübt wird, wenn durch körper liches Leiden die geistige Kraft gelähmt, wenn das
Drgan des Geistes von physischem Drucke gepreßt,
von Krankheit und Zerstörung ergriffen,
oder von
fieberhaft wallendem und in seiner Mischung zer
setzten Blute umstuthet wird, wenn qualvolle Schmer
zen martern, oder noch Kummer und Sorgen des Erdenlebens, bewußt oder in dunkeln Träumen, den
Scheidenden erfüllen,
oder der letzte
noch glim
mende Lcbcnsfunkc selbst dem Erlöschen nahe ist —
dann ist es nicht mehr Zeit den Tod zu bekämpfen,
der uns ereilt, der «ns schön faßt — die SterbeStunde selbst wird uns der Sieg über den Tod nicht sein.
Der Tod muß vor dem Tode
überwunden
werden.
Mit voller Kraft muß der Mensch zu retten suchen was ihm das Höchste ist, das Leben.
Es hat daher auch Sinnesänderung in den letzten Lebensaugenblickcn keinen Werth,
weil deö
Geistes Kraft gebrochen ist, und ein Wanken in der
Todesstunde kann über wahre
Lebensansicht
kein gültig Zeugniß geben.
Der Weg des Todes ist dunkel, denn noch kein Sterblicher hat den Stein gewälzt von des Grabes Thür, und keiner von den Todten ist zurückgekom
men, um uns zu sagen was Jenseits ist.
So sucht nun diese Abhandlung darzuthun,
daß wenn der Mensch schon in diesem Leben den
Tod überwunden hat,
am Schluffe der zeitlichen
Entwicklung und Ende seines irdischen Daseins das
von selbst eintritt, was er im Leben errungen hat, daß also der letzte Moment deö Erdenlebens, der Tod selbst, zu ewiger Verklärung werde.
XI
Dazu bedarf es aber einer Zusammenstellung
des gestimmten Inhaltes menschlicher Natur,
des
Leibes und der Seele, um zu erkennen welchen Reichthum der Entwicklung und des Daseins das
menschliche Leben bietet, was davon, an die Orga
nisation gebunden,
im ewigen Wechsel der Dinge
der Vernichtung unterliegt, und was den Tod über
stehend eingeht zur Unsterblichkeit.
Wir fühlen es wohl, wie "nahe wir vorüber
gehen an
dem
Begriffe des an sich Guten und
Bösen und dem Glauben an zukünftige Vergeltung, und wie wir selbst das Gebiet der Theodizee be
rühren.
Wir überlasten diese Resultate der eigenen Ent wicklung jedes Denkers.
Der ganze Verlauf der
Abhandlung zeigt aber,
wie im Allgemeinen und
eben so im Individuum Philosophie und Religion,
Wissenschaft und Glaube in Eines zusammenfallen.
Ist dieses Schriftchen
auch ursprünglich aus
dem Gemüthe und der Stimmung hervorgegangcn,
so strebt es dennoch nur nach aufwärts zum Geiste lmd zum Licht der Erkenntniß.
Wir haben über unsern Gegenstand einige we nige Schriften, die uns zu Gebote standen, gelesen,
xn und dem Kundigen wird cs nicht entgehen.
Ansicht
und Darstellung halten wir für eigenthümlich und
scheuen uns aber nicht zu gestehen, Vieles erborgten.
daß wir auch
Nur wollen wir uns nicht mit
Namen und Zitaten schmücken, wo wir aber dem Sinne nach oder sogar wörtlich erborgten, gewähren wir Jedem recht gerne das Seine.
Alles Wesen bedarf seiner Form um zur Er scheinung zu kommen,
chen.
und so auch unser Schrift-
Auch dieses muß sich mit einer Form beklei
den, wenn es in das Leben treten soll.
Aber auch hier wird
der Kundige leicht die
Schule und deren Meister erkennen, und wir haben
für unser ganzes Leben zuviel aus den Lehren und Schriften eines Mannes geschöpft, und auch für
den vorliegenden Gegenstand seinem Organon der
menschlichen
Erkenntniß
wörtlich entnommen,
zu viel und
zum Theil
als daß wir den Namen I.
I. Wagner hier nicht nennen müßten.
Die
Schrift eines geistvollen uns freundlich
verwandten Denkers über einen ähnlichen Gegen stand ist ohne Namen erschienen, so daß wir die Aner kennung dessen, was wir hieraus entnommen haben, auch nur auf diese Weise aussprechcn dürfen.
Gott ist das Leben. Gott ist das Leben. liche, Ewige, Alle.
Er ist der Eine/ Unend
Er ist es, der in aller Natur
und allem Geiste sich offenbart,
ihn glauben alle
Völker, ihn verehren die Frommen, ihn zu erkennen
streben die Weisen, an seinem Dasein mag es kei nen wahren Zweifler geben.
Dieser
allgemeine
Nationen ist
boren,
dem
Glaube aller Zeiten und
menschlichen
Geschlechte einge
er ist überall angenommen und stets gehei-
liget; so daß fast Allen ihres Gottes Dasein unbe
stritten gilt und über allen Zweifel erhaben ist.
Wenige nur stnd es die Beweise suchen.
So Wenige aber auch deren sind, so verdient dieses
Suchen
alle Achtung;
dennoch
menschliche Geist,
denn
der
seinem Urbilde, dem göttlichen,
nachstrebend, fordert Selbstständigkeit des Erkennens und Wissens.
Nicht zufrieden mit lichen
Gefühle,
mit
dem ursprünglich natür
welchem
alle
Welt
ihren
Schöpfer ahnet, sucht er Erkenntniß, um seinen Gott
14 nicht allein in Demuth und im Glauben zu vereh
ren — verlangt er Gewißheit, um ihn auch
im
Geiste und in seiner Wahrheit zu erkennen. So entspringt ihm der Zweifel, und ist ein
mal der erste Glaube verloren, so muß der Mensch
durch Zweifel und Forschen sich durcharbeiten biö er zum Schauen gelangt,
Schauen ist aber der nach
Ueberwindung des Zweifels durch das Forschen geläu
terte Glaube. Man hat verschiedene Beweise für GotteS Da
sein aufgestellt.
Wir entheben aus der gewöhnlichen philosophi schen Ansicht den kosmologischen: Die Welt und Alles,
Grund nicht in sich selbst, ist Folge einer Ursache.
was da ist,
hat ihren
ist zufällig.
Die Welt
Da nun der Grund der
Welt nicht in ihr selbst liegt, so muß er wohl aus
ser ihr liegen und in Gott gesetzt werden,
den theologischen: Die Welt ist zu Zwecken bestimmt,
ist nach
Innen gegliedert, nur das bewegende bestimmende Glied fehlt. zurück,
Dieses weißt auf das Bestimmende
welches die Welt und sich selbst bestimmt,
den ontologischen:
Der Begriff des allervollkommensten Wesens weiset auf das objektive Dasein desselben, weil die-
15 seS ohne Dasein nicht das allervollkommenste Wesen
sein könnte, den moralischen:
Es ist ein moralische- Prinzip, ein Sittcngeseh, welches zum unbestechlichen Richter das Ge
wissen hat, uns eingeboren.
Da dieses Sittengcseh
oft im Widerspruch geräth mit der sinnlichen Natur
und stets über diese sich geltend macht, so muß ihm
eine gewisse Superiorität eingcräumt werden,
die
auf das höchste Wesen zurückführt.
Man hat freilich wiederum gesagt, VerstandesBeweise für das Dasein Gottes sind nichts Ande
res, als Seufzer der Seele nach der Gemeinschaft
mit Gott. Warum sollte aber nun diese Gemeinschaft zu suchen nicht vergönnt sein, um auch in der Eckennt-
niß und im Geiste zu erfassen,
was den ganzen
Glauben und das Gemüth erfüllt?
Wir versuchen
diese
Darstellung auf unsere
Weise, ohne gerade das größte Verdienst unserer
Abhandlung in diese Beweißführung zu sehen, deren Schwierigkeit wir wohl erkennen und deren mögliche Unvollkommenheit wir einer tiefern Erkenntniß zur
Berichtigung überlassen. Man fange vom Niedersten an, was die Er
kenntniß bietet, vom empirisch Gegebenen, von der Wahrnehmung der äußern Sinne, z. B. dem Sinne
des Tastens, Hörens, Sehens u. s. w., so entsteht
16 hier der Gegensatz des Wahrnehmenden und Wahr
genommenen, das selbstständige Jndividualleben wird zurückgedrängt von der Einwirkung der Aussenwelt,
und es entsteht der Gegensatz des Subjektes und
Objektes. Das Wahrnehmende, Subjektive,
das Ich,
führt zurück auf das Geistige, Intelligente, und so mit zur
absoluten zur
höchsten Intelligenz,
das
Wahrgenommene, Objektive, das Nicht-Ich führt
zurück zur Materie, zur Ursubstanz, und somit leitet das erstere auf das Denken oder den Geist,
das
letztere auf das Sein oder die Natur zurück. Ob aber der Vorstellung das Ding außer ihr entspreche, und das Ding ausser der Vorstellung auch
wirklich sei,
dieser Zweifel wird gelöst
Bestimmung der Vorstellung selbst;
durch die
denn Vorstel
lung ist reiner Abdruck der Form und Bestimmt
heit des Objektes im Subjekte.
Vorstellung
ist
also gar nicht möglich, ohne daß die Dinge ausser
ihr wirklich sind, und das Subjekt schon zur Un terscheidung des Aeussern und Innern gelangt ist.
Nur einer rein subjektiven Ansicht kann das Ding als Erkenntnißbild erscheinen und diese Frage
möglich werden.
Es war dieses der objektive Weg zu Denken und Sein, oder Geist und
Natur zu gelangen.
Diesem gegenüber steht der subjektive und verfährt
ungefähr folgendermaßen.
17 Um gar Nichts von Bornen herein anzuneh
men oder vorauszusehen,
sei der Glaube an die
gesammte Aussenwelt und alles andere Dasein zu rückgewiesen.
diese Zurückweisung ist nicht
Aber
einfach, sie besteht
1) aus einer geistigen Thätig
keit, die ohne bestimmte Richtung auf einen Ge genstand, selbst unbestimmt, inhaltslos ist, sie heiße mit der neuern philosophischen Schule das Denken,
und als inhaltslos ,
das reine Denken;
aus dem Gegenstände,
und 2)
der zurückgewiesen werden
soll, und es mußte das ursprüngliche, inhaltslose
reine Denken durch irgend etwas sollizitirt worden
sein, um zum bestimmten Denken, z. 23, zum Zurückweisen des Gegebenen zu gelangen.
Dadurch aber, daß das Denken sein Vorausgesehes, sein Anderes zurückweiset, hat es dasselbe
selbst als ausser ihm gesetzt und gegeben anerkannt. Der unbekannte Gegenstand aber, der zurück
gewiesen wird,
von dem wir nicht wissen was er
ist, ist das Unbestimmte, Inhaltslose; das inhalts lose Andere aber ist das Bestehen, das Sein, und
eben weil cs inhaltslos ist, das reine Sein. Man sieht,
daß wir das Sein, welches wir
als empirisches aufheben wollten, nun als ideelles wieder anerkennen müssen,
und es ist Alles wie
derum auf Denken und Sein, oder Geist und Na
tur zurückgeführt.
18 Dieses Verfahren beruht aber auf Vorausseh-
ungen. Unser objektiver Weg seht das Dasein, subjektiver das Denken voraus.
unser
Der erstere ent
wickelt im wirklich Gegebenen die Gegensätze
von
Subjekt und Objekt, der letztere findet in fich selbst
seine Entwicklung,
der daS Gegebene
der erstere,
anschaut, sucht das Denken, um das Vorhandene
in Subjekt und Objekt zu zerlegen, der letztere sucht das Sein, um was ihm als Thätigkeit gegeben ist
auch im Bestehen zu haben;
beide
Wege führen
uns aber zu einen letzten Resultate zu Denken und
Sein oder Geist und Natur. Dieses sind die beiden letzten Prinzipien, die der
menschliche Geist
höchste Prinzipien
zu
erkennen vermag,
kann es
aber
neben
zwei
einander
nicht geben, man muß also suchen Eines über das
Andere zu sehen und Eines vom Andern abzuleiten, oder beide auf ihre gemeinschaftliche Einheit zurückzuführen.
Haben wir aber nun Denken und Sein oder Geist und Natlir auf diesen zwei entgegengeschten
Wegen als die lehten unmittelbarsten Momente ge funden,
so kann versucht werden aüs dem Geiste
die Natur, oder aus der Natur den Geist abzulei-
ten, wie beides oftmals geschehen ist. Es
Denken
kann ist
gesagt
das Erste;
werden:
der
Geist,
das
denn das Denken schließt
19 das Sein in sich.
so ist
Wenn das Denken ist,
auch das Sein gegeben.
Es kann aber auch gesagt werden: die Natur, das Sein, ist das Erste, wenn es ein Sein nicht
giebt, so kann es auch kein Denken geben. Für den ersten Fall hat man gesagt,
wenn
der Geist, das Thätige, gegeben ist, so schafft er sich
seine Natur, für den zweiten aber kann gesagt wer den,
daß das Thätige
nicht denkbar ist,
als in
Beziehung und Verhältniß zum Ruhenden z
denn
wenn ein Ruhendes nicht ist, so giebt es auch kein Thätiges. Man sieht also, Geist und Natur haben glei
chen Werth, sind daher Gegensätze,
mittlung suchen.
die ihre Ver
Sie sind gleich ursprüngliche Prin
zipien, gleich unmittelbare höchste Prinzipien, und als solche stehen sie sich im Gegensatze gegenüber
und
müssen
sich
auf ihre
Einheit
zurückführen
lassen. Jeder Gegensatz setzt nämlich sein Erstes, seine
Einheit voraus,
in welcher die
später
durch die
Entwicklung getrennten und gegenübergestellten Mo mente noch Eins und ungetrennt sind,
Letztes,
worinnen
und
sein
diese Momente ihre Auslösung
finden und wieder verschwinden.
Die Einheit aber, aus der der Gegensatz Na tur und Geist oder Sein und Denken hervorgeht,
ist Gott, und die Auflösung,
in welcher derselbe
20 vermittelt
wird
und wieder verschwindet,
ist die
Welt.
Geist, Denken, «st lebendige Thätigkeit, Natur,
Sein,
ist ruhiges Bestehen;
die Wissenschaft deS
Geistes ist die Jdcalphilosophie, die Wissenschaft der
Natllr ist Natmvhilosophke.
Keine dieser Wissen
schaften ist vollständig für sich, sie weisen beide zu
rück auf ihren' Ausgangspunkt und führen zu dessen vollendeter Entwicklung,
sic liegen zwischen Gott
und Welt.
Nun könnte freilich noch gefragt werden, giebt es denn außer Gott und Natur oder Denken und Sem nichts Weiteres, finb diese die einzigen Mo
mente, die von Gott ausgehen d oder hier nament
lich auf ihn zurückführen? Gäbe cö aber ein solches drittes Moment ober
mehrere, so müßte ein solches von höherem Range oder vom niedrigerem sein, oder gleich stehen dem
Denken und Seim Höherer und niederer Rang ist unmöglich, da
die Materialisten das Sein oder die Natur,
die
Idealisten das Denken oder den Geist als das letzte
oder immittelbarste Moment setzen,
oder wie wir
gezeigt haben, beide im Gegensatze, dem Range nach
sich gleich, die höchsten unmittelbaren Momente bil den, und wäre ein weiteres neues Moment diesem
gleich, so würde hier der Gegensatz nicht zwischen
21 den Gliedern einer Vielheit,
Vielheit selbst und
sondern zwischen der
der Einheit bestehen,
wie in
einer Blumenkrone z. B. dreierlei Blüthen auf den
nur einen Fruchtboden,
oder in der Chemie zwei
Basen und eine Säure auf die Eiirheit des Tripel salzes Hinweisen.
Daß
die
menschliche
Erkenntniß
ein
solches
drittes und weiteres Moment bis seht nicht gefun
den hat, ist kein Bcwciß für dessen Unmöglichkeit;
da aber die oft gedachten Prinzipien höchste Prinzi pien sind, und alle Entwicklung in aufwärts oder
abwärts steigender Richtung an den Gegensatz ge bunden ist, und dieser nur in der Zweizahl bestehen so ist dadurch die Möglichkeit eines dritten
kann,
und weiteren Momentes abgcwiesen.
Gäbe cs aber wirklich einen ernstlichcu Zweisier
an dem
Dasein
Gottes und seinem
würde man diesen durch
eigenen,
so
einige Fragen über die
Bestimmtheit seines Daseins,
und ob er an dem
Zweifel seines Zweifelns zweifle? zu einem Posi und
tiven
dadurch
zum
Absoluten
zurücktreiben
können. Dieses Positive ist auch das Letzte, was «och zu begründen ist, wenn ein Skeptiker in den vorher
gehenden Untersuchungen an den» Dasein und der Möglichkeit des Denkens zweifeln uiib sie läugnen
wollte.
Voraussetzung deö
die
Hiemit ist nun auch
Daseins und des Denkens/ von der oben noch die Rede war, nachgewiesen und begründet,
und wie
wir glauben diese Untersuchung geschloffen.
Wir gingen vom empirischen Dasein aus und
kamen von der sinnlichen Wahrnehmung zurück auf Geist und Natur, wir gingen von geistiger Thätig
keit aus und tarnen durch das reine Denken und daö reine Sein zurück auf Geist und Natur, wir haben
diese
als Gegensätze
von gleichem
Range
einander gegenübergestellt, sie zurückgeführt auf ihr
Eins und ihr All, auf Gott und Welt, haben so mit vom Glauben an die Gottheit ausgehend,
die
Möglichkeit des Zweifels durch wissenschaftliche Un tersuchung zu bekämpfen gesucht,
und sind wieder
zu unserem Ausgangspunkte zurückgekehrt; wir die
und
Gottheit
und deren Dasein
voraussetzcnd
auS
ihr
nun
so daß
anerkennend zu
entwickeln
suchen. Die Idee der
Gottheit
ist selbstständig
und
über Alles erhaben.
Gott ist aber der lebendige Gott und das Le ben, welches er den idealen und realen Dingen ver liehen hat, ist ihre Grundlage.
Gott offenbart sich als Natur und als Geist, jene ist die
Idealität;
absolute Realität,
diese die absolute
die Natur ist das Ruhende, das Sein,
der Geist das Thätige, das Werden, und ihre Wech-
LS seldurchdringung ist das Leben, welches alle Dinge erfüllt.
Hat sich aber in Gott der Gegensah zwi
schen Geist und Natur als zwischen Wesen und Form geoffenbart, und ist anerkannt, daß der Geist,
als das Wesen, in der Natur , als der Form, zur Wirklichkeit und Erscheinung komme,
so
geht die
Entwicklung weiter fort in das Einzelne bis zur Unendlichkeit.
Das Leben der Natur erscheint im
ewigen Dildungs - und Rückbildungs-Prozeß und
die Thätigkeit des Geistes wird zum lebendigen Er
kennen und Begreifen. Das einzelne Ding ist in dieser allgemeinen Entwicklung an einer besondern Stelle gescht, und
besonderes Sein an einer bestimmten
Stelle des
allgemeinen ist Dasein.
So ist auch der Mensch zum Dasein gekom men, der in Leib und Seele ein lebendiges Abbild des Geistes und der Natur der Gottheit ist.
Mit der Unendlichkeit des Weltalls und dessen Ewigkeit in Gott kann der menschliche d. h. end
liche Geist ssch nur schwer befassens
denn das Un
endliche und Ewige liegt über das Beschränkte und
Bestimmte hinaus, und kann der endliche Geist ssch
des unendlichen Seins und ewigen Werdens nicht bemächtigen, so sucht er sich davon eine Form, deren
Dualitäten auch für ihn etwas haben, ein Endliches und Begränztes,
neben Unendlichem und Ewigem,
um solches leichter zu erfassen.
24 Gott offenbart sich aber als Natur, als Sein, als Substanz, und deren Erscheinungsform ist der Raum. Gott offenbart sich als Geist, als Werden, als Intelligenz, und
dessen Erscheinungsform ist die
Zeit.
Raum und
Zeit sind aber
dem Menschen
leichter zu erfassen, als Geist und Natur,
oder
Unendliches und Ewiges, weil jene Erscheinungs
formen auch ihr Endliches und Zeitliches an sich
haben, und das Ewige und Unendliche mit diesem
vermitteln.
Kommt es aber nun darauf an, Raum und Zeit
als
Abstraktionen der göttlichen Offcn-
die
barungsformen darzustellcn, und nachzuweisen, daß diese Abstraktionen auch wirklich das All' erfüllen
und umfassen, so ist auch zu zeigen, daß Geist und Natur die einzigen Offenbarungsformen und Zeit
und Raum
also auch die einzigen
Abstraktionen
derselben sind. Es ist nun dieselbe Aufgabe wie oben, nur
umgekehrt.
Wie wir nämlich vom Empirischen und
Ideellen ausgehend auf die Gottheit zurückwiescn,
Denken und Sein, Geist und Natur als die Fak
toren erkennend,
so suchen wir dasselbe zu begrün
den, nur aus der Gottheit jetzt ableitend.
Das Leben ist das Wesen der Dinge und sic
selbst sind dieses Wesens unendlich endliche Form,
25 Wesen und Form sind aber die ersten Urbegriffe, von denen die Erkenntniß ausgehen muß.
DaS
Wesen als Leben ist allen Dingen gemeinschaftlich und in sich Eines,
die Form aber jedem Dinge
eigenthümlich und selbst Ursache der Vielheit.
We
sen und Fonn sind also Urbegriffe aller El-kennt-
niß.
Diese beiden Urbegriffe sind sich aber entge
gengesetzt und werden durch das Leben vermittelt.
Dadurch
entstehen
Urbegriffen
zwischen den
zwei neue, Gegensatz und Vermittlung, so daß die beiden Urbegriffe einander entgegengesetzt sind und
die Mittelbegriffe ebenfalls, verschlungene
Gegensätze,
als 'zwei ineinander
ein
unvermittelter
und
ein vermittelter, wodurch die Urbcgriffe in ihren Ur verhältnissen ausgedrückt sind, und dieses Urschema als
Satz
Dinge
ausgesprochen
heißt:
das
Wesen
geht durch vermittelte Gegensätze über
der
in
ihre Form. Ein anschauliches Bild dieser Verhältnisse ge
währt uns
die Bewegung der Erde.
Die
Be
wegung um die Sonne giebt den nord-südlichen, die Bewegung um ihre Achse
Gegensatz,
jene den
den ost-westlichen
Wechsel von Sommer
Winter, diese von Tag und Nacht,
einander
verschlungene
und
was zwei in
Gegensätze sind,
die noch
dazu an den Polen in einander fallen. Dieses Schema der Urbcgriffe von seinem Er
finder allerdings nur für die Erkenntniß der endli-
26 chen Dinge entwickelt,
aller Erkenntniß.
ist aber dennoch Urfchema
Wird es nun von unS auf die
höchsten Ideen übertragen,
so vermögen wir mit
menschlicher d. h. endlicher Intelligenz nicht anders zu schließen,
als der absolute Gegensatz wird ver
mittelt durch den relativen, oder mit andern Wor ten,
das höchste Wesen geht durch entgegengesetzte
Mittelglieder über in die höchste Form, oder Gott offenbart sich durch Natur und Geist als Welt. Natur, das Sein, das ruhende Bestehen, die
Substanz, und Geist, das Werden, die Thätigkeit, die Intelligenz, sind also die Offenbarungsformen
der Gottheit.
Wir sind nicht im Zirkel des Beweises befan gen;
denn oben vom empirisch Gegebenen so wie
von der spekulativen Ansicht ausgehend, haben wir den Gegensatz gefunden, von dem wir zum Wesen
der Gottheit aufstiegen;
jetzt, diese vorausgesetzt,
hat uns die Entwicklung und Construktion in der
Wissenschaft dasselbe gelehrt, und wir sind wiederum auf zwei Wegen zu demselben Resultate gelangt. Sind nun aber die beiden Offenbarungsformen,
Natur und Geist, als die einzigen und den Inhalt
des
Alls
erschöpfenden
nachgewiesen,
so
müssen
auch die Abstraktionen davon, Raum und Zeit, den
vollständigen einzigen,
sums sein.
Inhalt der Welt umfassen und die
aber erschöpfenden Faktoren des Univer
27 lange die Philosophie
Zeit und Raum
Anschauungen im Ich und
durch dieses nur
So
als
produzirt setzte, hat man es kaum gewagt, Raum und Zeit auch ausser uns anzuschauen.
Man hielt
sie für subjektive Produkte des Ich, und ging so weit,
Zeit und Raum erst mit dem Bewußtsein
des Ich entstehen und vergehen zu lassen,
so daß
ausser dem Ich Zeit und Raum es gar nicht geben sollte, und das Ich erklärte man für ewig, weil es über Raum und Zeit erhaben,
beide erst schaffen,
produzircn müsse.
Ja man fragte, ob Zeit
Aussenwelt
wären?
nicht
ohne Objektivität in
bloße Vorstellungen in uns, der
und Raum
und
ob
überhaupt
den
Vorstellungen in uns eine Realität ausser uns ent spreche ?
Diese Fragen werden aber dadurch abgewiesen, daß man die Vorstellung als Nachbildung objekti
ver Weltform im Subjekte
erkannt hat,
was die
erste Stufe der Erkenntniß ist, und nur durch den
in das Leben getretenen Gegensatz von Subjekt und
Objekt möglich wird.
Dadurch wird aber auch die
in der Geschichte der Philosophie berüchtigte Frage, ob den Vorstellungen etwas ausser ihnen entspräche,
völlig sinnlos, und es war diese Frage auch nur
dadurch
möglich,
daß
die
Philosophirenden' statt
ihren Standpunkt in der Idee des Lebens über haupt zu nehmen, ihn in der erkennenden Subjek-
SS tivität genommen haben, in welcher allerdings auch das selbstständigste Objektive nur als Erkenntnlßbild vorkommen kann. Man übersah den Widerspruch,
daß ja daS
Ich in Zeit und Raum bestehe, entstehe und ver als Thätiges selbst nur in der Zeit bestehen
gehe,
könne, und als Thätigkeit selbst der Zeit bedürfe,
um nur seine eigne Anschauung zu sehen. Kann man aber im Leben und in der Wirk
lichkeit Geist und Materie nicht trennen, kann also
das Denken, Vorstellen, Anschauen, von seiner Leib lichkeit dem Nervensystem, dem Gehirne, und dieses
vom Schädel und
übrigen Körper nicht getrennt
werden, so gilt das Gleiche auch vom Raume, und
das körperliche Ich mußte auch im Raume lange physisch begründet und ziemlich herangewachsen sein, ehe es als philosophirendes Individuum dieselben
sich durch Anschauung und Vorstellung produziren konnte.
Wollte man aber auch diese, etwas derb ma terielle Ansicht nicht gelten lassen, und nur die un-
körpcrlichc
Thätigkeit
des Denkens
annehmen, so
liegt diese ja in — und bedarf der Zeit und seht
diese also voraus, wie so eben nachgewiesen wurde. Ja
der
transscendentale
Idealismus
selbst
mußte sein Zeit und Raum produzirendcs Ich an irgend einen Punkt der Zeit ausser ihm anheftcn,
es in ihr entstehen und
vergehen lassen,
um cs
29 zum endlichen zu machen;
also stillschweigend we
daß es eine Zeit gebe auch
nigstens zugestehen,
außer dem Ich.
Man hatte aber dabei übersehen,
daß
alle
Elkenntniß nur nachgebildete Form der Aussenwelt
daß also auch
fei,
Zeit und
Raum auch ausser
uns eristircn und durch das Denken selbst erst auf
uns übertragen werden. Nehmen wir nun unsern Standpunkt weder
'm Subjektivität noch Objektivität, sondern im Le ben selber, so sehen wir das Leben der Dinge, als
als Sein und Werden,
Natur und Geist,
von
denen Raum und Zeit die Nachbildungen in un
serem Innern sind.
Die ruhende Form der Er
scheinung der Dinge, Ausdehnung
und Begränzung,
schreitende Form, Entstehen
danke
das Sein, die Natur, giebt
das Werden,
und Vergehen
davon
die thätige, fortder Geist,
bietet
und der abstrahirte Ge
erscheint uns alK
der Begriff von
Raum und Zeit.
Zeit und produzirt,
Raum
sind daher nicht von uns
nicht als Resultate unserer Anschauung
geschaffen, sondern, von der Erscheinung der Dinge
abstrahirt, auf unser Inneres übertragen, sie sind die Formen des objektiven Daseins.
Wir sind nun zu dem Resultate gelangt, daß die Begriffe von Raum uud Zeit zwar als 2lbstraktionen von der Erscheinung der Dinge gebildet
30 werden, daß sie aber die einzigen Abstraktionen der
einzigen Offenbarungsformen Gottes sind, und so mit auch den Inhalt deS Weltalls umfassen. Das Bestehen des Gegebenen in ruhigem Da
sein liegt der Idee des Raumes zu Grunde. Die Worte des Raumes sind:
Punkt,
Unend
Begränzung,
Ausdehnung,
lichkeit.
Der Punkt ist das Erste des
Raumes,
ist
eigentlich gar kein Raum, selbst ohne Richtung, die Möglichkeit aller Richtungen.
nach Raum
dem Wesen
Der Punkt ist nur
Ausdehnung und
ohne
ohne Begränzung, der in sich zusammengedrängte, unentwickelte Raum.
Die Richtung der Ausdehnung strebt zur Un endlichkeit, die Richtung der Begränzung in ihrer
Unendlichkeit ist der Punkt.
Aufhebung aller Rich
tungen mit der Möglichkeit zu allen, von allen,
Daher ist
ist der Punkt.
die Einheit
der Punkt
auch überall. Man unterscheidet aber im Leben einen Be
stirnten
Raum,
Entfernung
Hier die Einheit
dieses ist
eine
die
Lange dieses Zimmers,
Baumes
von
Ausdehnung
des Punktes hat sich
einer Richtung. durch
die
jenem
die
Hause.
hervorgetreten, entfaltet
nach
Diese Richtung ist aber bestimmt
Gränze,
und
die
Ausdehnung selbst
31 hat
ihren
die
erweckt,
Gegensatz
Begränzung.
Begränzte Ausdehnung ist aber bestimmter Raum,
ist die Unendlichkeit.
Des Raumes Höchstes
Die Möglichkeit des Punktes ist entfaltet, Ausdeh
nung und Begränzung verschwinden in der Allheit
der Richtungen — das All wird nur umfaßt von der Unendlichkeit. Wir messen den bestimmten Raum mit un
sern Gliedern, und Fuß und Elle haben davon Be deutung und Namen.
Wir messen mit dem Te
leskop die Entfernung der Sterne und Milchstrassen nach Erdhalbmeffern und Firsternweiten,
und er
kennen durch das Mikroflop Dlutkügelchen, sorien
und
Monaden.
Nähern
sich
diese
Infu dem
Punkte, so gränzen jene an die Unendlichkeit, ohne aber je dieselbe
zu
erreichen,
und
bleiben
stetS
bestimmter Raum.
Wer wollte aber den Punkt messen, der ohne Ausdehnung ist,
wer die Unendlichkeit berechnen,
die keine Gränzen hat?
Aus
dem körperlich ge
wordenen Punkte aber daS Leben zu entwickeln,
aus der Anlage das Dasein,
aus der Möglichkeit
die Wirklichkeit zu schaffen, aus dem Saamenkorn den Baum wachsen zu lassen, und den gewaltigen
Baum in das Saamenkorn zurückzudrängen, auS einem Funken den ungeheuern Brand zu erwecken,
ein Schleimtröpfchen mit Lebenshauch zu befruchten,
daß es einen
lebendigen Organismus bilde
und
32 ein denkendes Wesen, den unendlichen Weltraum mit Stoffen zu erfüllen,
mit leuchtenden Sonnen
zu bevölkern und mit lebendigen Kräften zu durch
dringen, ist ein Thun, das nur Offenbarung der
Gottheit ist. Ausdehnung und Begränzung sind aber be
stimmter oder menschlicher Raum,
Punkt und Un
endlichkeit sind unbestimmter oder göttlicher Raum. In
Punkt
dieser und
unbegränzter
Unendlichkeit
Raumerfüllung
als
für
die
liegen
Gott
Eigenschaften der Allgegenwart und Unendlichkeit.
Fortschreitend bewegte Thätigkeit liegt der Idee der Zeit zu Grunde. Die Worte der Zeit sind:
Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft, Ewigkeit. Gegenwart ist die einfache, unentwickelte, in sich zusammengedrnägtc Zeit,
Zeit;
eigentlich gar keine
denn sie ermangelt des Fortschreitens,
aber die Anlage,
ist
die Möglichkeit, zu aller Zeit,
dem Punkte im Raume vergleichbar.
Sie ist die
unaufgeschloffene Einheit der Zeit, von ihr gehen die Richtungen rückwärts und vorwärts. Man unterscheidet aber im Leben eine bestimmte
Zeit, was gewesen ist und im Erscheinen der Dinge vorbei
ist und
vorübergegangen,
und
was
sein
wird, was erst noch kommen soll. So entsteht uns
die Vergangenheit und die Zukunft,
und die Ge
genwart ist ihre Gränze und Scheidewand.
Vcr-
33 gangenheit ist was von der Gegenwart abgeschieden
rückwärts liegt in verlaufener Entwicklung, Zukunft ist was vor ihr liegt nnd noch entstehen und sich
gestalten soll. Der Zeit Höchstes aber ist die Ewigkeit.
sie umfasset alle
ist die aufgeschlossene Gegenwart, Richtungen der Zeit,
Sie
in ihr als dem Ganzen der
Zeit verschwinden Vergangenheit und Zukunft, sie
selbst ist unvergängliche Zeit,
die vollständig ent
wickelte, nie verschwindende Gegenwart. Wir messen die bestimmte Zeit nach Achsen
drehungen der Erde und Umläufen um die Sonne und die Eintheilungen,
die in diese Bewegungen
gebracht worden sind, kurze Momente der Vergan genheit und Zukunft,
nähern sich der Gegenwart
ohne je sie zu sein.
Während ich eines Wortes
Laute spreche, liegt der eine in der Vergangenheit, der andere in der Zukunft, ein Pulsschlag liegt in der Vergangenheit, während der nächste in der Zu kunft steht.
Urwcltliche Schöpfungsgeschichten und
einstige Entwicklungsperioden,
magnetische Jahre,
Achsenerhcbungen und Bahnenvercngerungen unsers
Sphärenshstcms, so groß sie immer sein mögen, grän
zen an die Ewigkeit, aber erreichen sie nicht.
Sie
bleiben immer bestimmte Zeit. Wer mag aber die Gegenwart fesseln, daß sie
halte und nicht verfließe?
Wem
ist alle Zeit nur
Eine? Wer hat nicht Vergangenheit mib Zukunft?
3
34 Nur Er, dem Gegenwart Ewigkeit und die Ewig keit Gegenwart ist, dessen Eigenschaften in dieser Hinsicht sind Ewigkeit und Unveränderlichkeit.
Vergangenheit und Zukunft sind aber bestimmte ober menschliche Zeit, Gegenwart und Ewigkeit sind
unbestimmte oder göttliche Zeit. Wo ober Zeit und Raum sich durchdringen,
dort ist Bewegung, und Bewegung ist Leben.
Das Einssein im Punkte und Gegenwart geht über in das Nebeneinandersein, als ausgedehnt und
begränzt
sein,
dieses in
das Nacheinander sein,
als vergangen und zukünftig sein, und diese Ent wicklungen schließen im Zugleichsein, alS unendlich
und ewig sein,
und die beiden
mittlern Glieder
sind wieder in Raum und Zeit, als bestimmtes, menschliches, endliches Sein, ist
unbestimmt,
als
das erste und lehtc
unendliches,
als
göttliches
Sein. Vereinigt
Zeit,
sich endlicher Raum
mit endlicher
so ist ihre Wechseldurchdringung Bewegung;
bestimmter Raum verändert sich in bestimmter Zeit,
ein Stern verändert in einer Nacht seine Stellung
zu andern Sternen,
der Zeiger der Uhr rückt in
einer Stuilde von einer Ziffer zur andern; aber göttlicher Raum und
göttliche Zeit,
wenn ewiges
Sein und unendliches Werden sich durchdringen,
so ist es das ewig unendliche Leben aller Dinge.
35 Wir haben aber diese Abstraktionen der gött lichen Offendarungsformen ausgesucht und verfolgt, weil sic in dieser Art das Endliche vermitteln dem
Unendlichen, daö Zeitliche hinübcrführen zur Ewig keit.
Gott ist der Alle, der Allumfasser, der Aller halter,
in ihm durchdringt sich Geist und Natur,
und Eines ist in Allem und Alles in Einem.
Gott ist alle Dinge,
wie sie in ihrem Wesen
und ihrer Wahrheit sind.
Alle Dinge sind aus Gott herausgetrctcn und kehren zu ihm zurück; denn nur Er ist der Unend
liche, der Ewige,
und alle Dinge sind zeitlich und
endlich.
Gäbe es ausser Gott noch ein Leben, das un
endlich und ewig wäre,
so wäre Gott mcht das
absolute Leben, nur dadurch,
daß alles andere Le
ben aus Gott entsteht und in ihm untergeht, ist
Gott das wahre Leben. Der Tod aller endlichen Dinge ist also Noth
wendigkeit. Alles endliche Ding kommt durch seine Ent
wicklung,
seine
Natur und seine Geschichte,
zur
möglichster Vollendling, was aber vollendet ist muß
seine Entwicklung rückwärts antreten;
denn sonst
müßte es stehen bleiben, ein Ding aber, das un verändert stehen bliebe, wäre ausser Gott, ein sol ches Leben giebt es nicht.
3*
36 Nur das Alt ist ein vollendetes Ganzes, aus dem die Einzelheiten hervmtreten und zu ihm zn-
rückkehren. Alles also, was feine Perioden der Entwick
lung durchlaufen hat, alles endliche Wesen und Le ben, muß untergehen,
und dieser
Untergang ist
sein Tod.
Naturwissenschaft und Weltgeschichte bezeugen diese- in jedem ihrer Momente.
Dieses ist die allgemeine Nothwendigkeit des
Todes und daran hängt die Frage,
was ist der
Tod.? Der Tod ist die Richtung der bildenden Kräfte
nach dem All, einzelnen Der
Tod
während diese Richtung nach dem
Mittelpllnkte ist
das
individuelle Leben ist.
Rückkehr des individuellen
Lebens
zum All.
Das Dasein ist einer Thermometcrskala ver gleichbar,
die Leben heißt, und von welcher der
Tod der Nullpunkt ist,
der das individuelle Leben
schließt und das universelle beginnen läßt. Der Tod ist ein Divistonserempel gegenüber der Multiplikation des individuellen Lebens.
Der Tod ist kein Spiegel,
der dasselbe Bild
nur hinter seiner Fläche zeigt, er ist ein Brennglas, das die getrennten Strahlen zur Einheit sammelt. Was »vir gemeinhin Tod nennen, ist nur der Ucbergang zu neuem Leben.
Die Uulkehrung der
37 Organisation wird Destruktion, die Umkehrung der Endlichkeit
und
Zeitlichkeit
wird
Ewigkeit
und
Unendlichkeit — der Tod ist Rückkehr des Einzel nen zum All.
Alle
Dinge
lichen Wesen,
ftitb
ausgenommen
im
gött
alle Dinge sind in Gott, denn sie
sind nur herausgetreten zu ihrer Entwicklung als besondere, und sind Offenbarung Gottes. Der
Mensch
aber ist ein Ding
unter
den
Dingen, ein Wesen unter den Wesen, als Abbild der Gottheit selbst ist er hemusgetrcten
aus dem
göttlichen Allleben mit selbstständiger selbstbewußter
Individualität, und das göttliche Schema des uni versalen Lebens:
Gott, Natur,
Geist,
Welt, in
das Endliche und Menschliche her abgezogen heißt:
Individualität, Leib, Seele, Person. Die Aufgabe des Menschen, sein Wesen durch Entwicklung seiner Natur und seiner Geschichte zur
Vollendung zu bringen,
d. h. die Individualität
durch Entwicklung des Leibes und der Seele alö
Person zu vollenden,
kann nicht vom Einzelnen,
kann nur von der Gattung gelöst
werden.
Das
Individuum ist nur das Einzelne, die Gattung ist
das Ganze. Die Fortdauer des Individuums würde
die
Gattung aufheben, der Untergang der Individuen
ist nur die Reproduktion der Gattung.
Wie der
organische Leib fortwährend Stoffe aufnimmt, um-
38 wandelt und ausscheidet, und sein Leben bei diesem Stoffwechsel sich gleich und dasselbe bleibt, eben so ist die Gattung in steter Erneuerung, Umwandlung und Ausstoßung ihrer Glieder begriffen. Die
Gottes,
Menschheit ist ein
Gedanke
im Geiste
ein Moment im göttlichen Leben.
Wie
ein jedes Organ deö Leibes wird, indem es ist,sö daß das Werden ohne ein Sein,
so wird auch die Gattung
das Werden nicht ist,
indem sie ist,
das Sein ohne
und ist, indem sie wird,
werdend
durch bestimmtes Sein, seiend in ewigem Wechsel. Die Gattung als Ganzes ist bleibend, die Indivi
duen als Einzelne wechseln.
lebt in der Gattung fort,
Die Menschheit
aber
die
werden geboren,
Einzelnen
müssen sterben.
leben und
Daher ist der menschliche Tod zu
nächst Rückkehr zur Gattung.
Die
Nothwendigkeit
liegt
aber
chen
Leibes.
in
auch Der
der
Leib
des menschlichen
Natur
deö
zu Grunde geht,
menschli
besteht aus Elementen,
deren Prozesse in der Zeit sich aufreibcn, der Leib endlich durch
Todes
so daß
den Egoismus der Stoffe
aus lauter Streben sich zu be
festigen und zu erhalten, wie der Tod aus wahrer
Altersschwäche und Entkräftung durch Verknöcherung
der Arterien, Steifwcrden der Glieder, Abstumpfung
der Sinne u. s. w.
39 Der Mensch muß auch sterben wenn die Ent
wicklung seiner Seele vollendet ist.
Welches Indi
viduum könnte leben in einem andern Jahrhundert,
als dem seinigen?
nur diese Begriffe
passen für
diese Periode, nur dieser Geist greift erkennend und
handelnd ein in diese Zeit, und fremd und unsicher, wie in ein fernes Zaubcrland, schaut schon der Geist
des Greises herab auf die neue Generation.
Und
wenn der alternde Geist glänzend war und sie ent wickeln half diese neue
jugendliche Epoche, er ist
nicht mehr für diese Zeit,
er muß abfallcn und
heimgehen aus dem Garten des Lebens — denn die schönste
goldne Frucht heurigen Herbstes steht
nicht wohl mehr unter des nächsten Lenzes Blü
then. Diese
vierfache
Nothwendigkeit des
Todes,
daß außer Gott es ein ewiges Leben nicht gebe, daß die Gattung nur bestehe durch den Wechsel der Individuen, daß die Elemente des Leibes selbst sich
verzehren
muß
vom
und
endlich
Schauplahe
auch seines
der
Geist
abtrcten
Wirkens — diese
Nothwendigkeit des Todes fuhrt zu dessen Wirk lichkeit. Aber cs giebt keinen Tod, der Tod ist neues
Leben. Nichts geht verloren, Sterne verlieren ihr Licht und verschwinden, er ist aber nur scheinbar ihr Tod,
ihr Wesen geht nicht unter im Weltenraume;
Pla-
40 neten zersplittern,
ober
die Trümmer kreisen in
eigenen Bahnen, sie sind nicht vernichtet; uhb mö
gen auch «Sterne erlöschen und Planeten bersten,
das Weltall bleibt unerschüttert. Was irdisch ist ist dem irdischen Menschen kla
rer,
und
die einfachsten Darstellungen
aus
der
Physik und Chemie beweisen es noch leichter, wie nichts im
Raume zu Grunde geht oder verloh-
ren ist. Die Auflösung des Zuckers in Thee, des Sal
zes in Wasser, eines Metalles in einer Säure, macht den Stoff verschwinden, sie ändert aber nur seine Form.
Die
Verdunstung des Weingeistes,
des Quecksilbers, löst den Körper auf in der Luft,
sie vermag ihn aber nicht zu zerstören.
Die Ver
wandlung des Wassers in Dampf, seine Zersetzung
in Gas, ändert dessen Gestalt, hebt aber sein We sen nicht auf. tung,
Verbrennung ist scheinbare Vernich
es geht aber
nichts
zu Grunde,
nur die
Theile und Stoffe mischen sich anders; einige bin den sich, einige werden frei. So verhalten sich Licht,
Wärme,
Elektrizität,
Magnetismus, u. s. w. so
verhalten sich alle Stoffe mit ihren Kräften, und
Physik und Chemie sind
die lebendigen Beweise
des ewigen Formenwechsels. Welche vorweltliche Thiergeschlechter hat nicht
die Wissenschaft
resten,
auferweckt aus einigen Knochen
die sie in Höhlen fand? Was heißt todt?
41 Welches
ist
Sie
eine vergrabene Vegetation,
ist
das
Leben
einer
Steinkohlenmine?
Feuer und
Wasser haben sie verschlungen und die Erde hat sie
verschüttet, aber welche Stoffe und Kräfte schlum mern in ihr, wenn sie aufgeschlossen wird und er weckt zu neuem Leben!
Ja unsere lebende Pflanzenwelt geht unter im Herbste und erwacht wieder aus sich selbst im näch sten Lenze, viele Thiere schlummern im Winter in träger Ruhe und erwachen im Frühling zu neuem
Leben,
und so auch die Geschlechter der sterblichen
kein Stoff, keine Kraft geht verloren,
Menschen z alle
sind
nur
Glieder
der
großen
Kette
des
Ganzen. So auch der Leib des Menschen.
Kein Stäub
chen, kein Element geht verloren im ewigen Wechsel der Formen.
Was von dem Leibe gilt als Stoff, gilt von
der Seele, als Kraft.
Ihre Erscheinung als Men
schenseele hat aufgehört im Tode, aber nur die äußere
Erscheinung ist verschwunden, die Kraft ist ausgenom men in die allgemeine, in die absolute Kraft, und
lebt in ihr ein neues Leben. Warum sollte man ihn fürchten den Tod?
Sein oder Nichtsein — das ist allerdings die Frage — wer aber die Wahrheit erkannt hat, weiß,
daß es einen Tod nicht giebt, nur unendliches Sein uiib ewiges Werden, unvergängliches Leben in Gott.
42 die
Man hat
Unsterblichkeit deS Menschen,
oder strenger genommen der Seele, zu beweisen ge sucht aus ihrer Triplizität, als Leib, Seele, Geist;
Individualität,
Persönlichkeit;
Bewußtsein,
Ei»l-
fachheit, Unendlichkeit, Denken. Die neuere Philosophie sucht die Unsterblichkeit
zu begründen durch die Aufnahme
der Seele in
den Logos, oder die Versöhmmg, und eine große
Schule bemüht sich,
unter Deutung
nach
ihrem
Sinne, die Worte der heiligen Schriften mit ihrem Systeme zu vereinigen. Man hat nicht nur die Unsterblichkeit im All
gemeinen sondern sogar die persönliche Fortdauer zu
beweisen gesucht,
Geschöpf von dacht wird,
ungefähr wie folgt:
dem
Schöpfer
als
wenn das
denkend
ge
so denkt auch das Geschöpf, weil cs
nicht allein von Gott gedacht, sondern von dem
Denkenden deswegen
als
denkend
denkt es
gedacht
Gott;
ist,
aber eben
oder deutlicher,
Gott
der Denkende wird von dem Geschöpf, als dem
denkend gedachten wieder gedacht. Folgt nun aber daraus des menschlichen Den kens und individuellen Bewußtseins Ewigkeit?
Die Zweifel über
die Fortdauer
Tode liegen aber nur darin,
nach dem
daß der Zeit eine
Herrschaft über das Individuum zugeschrieben wird.
Die Furcht
des Menschen
Tode ist im Grunde
nur
vor dem
die Furcht vor
ewigen
seiner
43 eigenen, erwiesen,
menschlichen
d. h. endlichen Zeit;
wäre
daß der Tod ausserhalb der Zeit, d. i.
der endlichen fällt, so wäre auch die Unsterblichkeit
gewiß. Die Läugnung der Unsterblichkeit liegt ferner
darin, daß dem Sein, der räumlichen Existenz, der Vorzug vor dem Werden, oder der geistigen, hiemit
eine Herrschaft über
dieselbe
zugcschrieben
wird,
daß also der Natur eine Uebermacht über den Geist
ausdrücklich oder heimlich,
bewußt oder unbewußt
eingeräumt ist.
Beruhen nun alle Zweifel an der Unsterblich
keit in der Furcht vor den» Untergang in der Zeit und der Vernichtung im Raume, so ist dieses nur
die
endliche Zeit und der endliche Raum.
Der
Untergang in der Zeit ruht nur in der endlichen Zeit, denn nur diese hat ihr Maaß, ihre
Vergangenheit und Zukunft,
Dauer,
die Vernichtung im
Raume ruht nur im endlichen Raume, nur dieser
hat eine Schranke seines Umfanges, Ausdehnung und Degränzung.
Nun
ist gezeigt,
daß Raum und Zeit die
Abstraktionen der Dffcnbarungsformen Gottes sind, der Natur und des Geistes,
daß sie
also gleich
unendlich und ewig sind, wie diese, wie Gott selber.
Sind wir aber im Leben der Dinge, so sind
wir in Gott, in der ewigen Zeit und im unendli chen Raume.
Können wir nicht aus Gott heraus-
44 treten,
so können wir nicht aus dem Leben treten,
denn Gott ist daS Leben. Gott ist aber nicht befangen in der endlichen Zeit und im beschränkten Raum, sein Raum ist die Unendlichkeit
und
seine Zeit
die
Ewigkeit,
und
dieses Raumes und dieser Zeit Unendlichkeit und Ewigkeit sind
auch für unS die
Bürgen unserer
eigenen Unsterblichkeit. Die Erscheinung des LebenS hat zwar im Tode ailfgehört, ist nicht mehr vorhanden, aber sie ist ausge
nommen in Gott, im Leben Gottes lebend, hat sie Theil an seines Lebens Unendlichkeit und Ewigkeit. Der Tod besteht im Nichtsein, mithin, da das
Nichtsein nicht ist, darin daß er selbst nicht ist. Der Tod ist aufgehoben;
denn die in Gott
sterben, werden das Leben haben.
45
Der Leib ist Form. Gott offenbart sich als Natur.
Diese ist das
Sein, das Ruhende, Passtve, Stoff, Masse, Ma
terie, und ihre leere Abstraktionsform der Raum. Die Natur ist die Aeußerlichkeit Gottes gegenüber
seiner Innerlichkeit,
das göttliche
Sein und Be
stehen im Gegensatze zum Schaffen und Werden,
nach menschlichen Begriffen sein Leib im Gegensatze zu seiner Seele, wie der Dichter sagt: So schaff ich am saußenden Webstuhl der Zeit
Und webe der Gottheit lebendiges Kleid. Man darf aber die Natur nicht als todt und
leblos betrachten, sie läßt, auch wenn wir cs woll ten, von ihrem Geiste sich nicht trennen und bildet
mit ihm die Welt.
Nur der Abstraktion und Dar
stellung möge es gelingen, als zwei und getrennt
zu betrachten, was in der That ungetheilt und nur Eines ist.
46 Die Natur ist groß, sie ist unendlich wie der göttliche Geist, schauen wir das Universum an in seiner Ausdehnung, oder die wir besser kennen un
sere Sphäre in innerlicher Entfaltung ihres Inhal
tes und Reichthums.
Und wie wenig wissen
wir dennoch
davon!
Die Masse ist das Erste der Natur und kommt vom Geiste erregt zur Bewegung.
Die Materie ist nicht ohne Kraft, die Kraft nicht ohne Materie, beide werden nur wie Geist
und Natur zur Darstellung getrennt.
Die Natur ist vom Geiste belebt, aber nicht
selbst das Leben des Geistes, die Quelle und Ur sache des Lebens liegt ausser ihr und ihre Entwick lungen sind nur Folgen des Lebens.
Die Kraft
entsteht nicht aus der Masse, die Masse nicht aus der Kraft, sondern beide sind gleichzeitig, sich wech selseitig
durchdringende
Offenbarungsformcn
der
Gottheit, durch welche alle Dinge zur Erscheinung kommen.
Die Urmaterie ist der Aether, unendlich dünn und leicht, den ganzen Weltenraum erfüllend, der
Urstoff, aus dem alle Dinge sich gestalten. und in ihm bilden sich die Sphären.
Aus
Wir erkennen
Sonnen, Planeten, Trabanten und Kometen. Es ist dem menschlicheir Geiste allerdings ge
lungen, die äußern Gesetze wenigstens zu erkennen, die unser Sphärensystem auseinander und zusam-
47
men halten, und die Kräfte zu bemessen, die jene himmlischen Körper tragen und bewegen. Die Mathemathik, die die Verhältnisse deö Raumes und der Zeit ermittelt, hat uns dieses gelehrt, aber ausser diesen, den Bahnen, der Umlaufszeit und Größe dieser Weltkörper, ihrem Glanz Bewegung, Dichtig keit, wissen wir nicht viel weiter von ihnen, und diese Momente nur von den nächsten Sphären un seres Systemes, fernere sind uns unbekannt. Kaum daß wir noch Berge und Meere im Monde und den uns nächsten Planeten vermutheil, an einem andern einen Ring zu sehen glauben, vier Asteroiden für die Trümmer eines großen Wandel sternes halten — welchen Einwirkungen aber diese Himmelskörper unterliegen, zu welchen Resultaten ihre Prozesse führen, welches ihre Entwicklungen sind, ihre Zwecke, ihre Bewohner u.' s. w. geht über die Gränzen unserer Erkenntniß, und unser Wissen giebt uns nur Hypothesen und Vermuthungen. Und könnten wir die Natur unseres ganzen Sonnensystems durchschauen, was wäre dieses ge gen die Milchstrasse, die ein Meer von Sonnen systemen ist? Der Sirius soll über sieben und zwan zig tausendmal weiter als die Sonne von uns stehen, die Milchstrasse wird zu fünfzig Millionen Sonnen angenommen, und schenkt man den ge wöhnlichen Berechnungen Glauben, so enthält die Milchstrasse zwei hundert fünfzigtausend Millionen
48 Weltkörper.
Die Nebelsterne sollen acht tausend
Siriusweiten von uns entfernt fein, man zählt sechs
hundert
Nebelsterne
und jeder soll
wieder
eine
Milchstrasse sein.
Und dieses sind Erscheinungen,
die doch nur
von einem einzigen endlichen Sinnorgan, dem Au ge, beobachtet werden.
Es ist aber Zeit dieses Gebiet zu verlassen, um zu unserer Erde zurück zu kehren, auf der unser Wissen heimischer ist.
Unsere Erde ist ein Stern unter den Sternen, ein Planet, in unserem Sonnensysteme der Zahl
nach der dritte. Wie unser
Sonnensystem und
unsere Erde
entstand, auch darüber wissen wir nicht viel.
Aus
dem Aether bildeten sich Luft, Wasser und Festes, und in der allgemeinen Bewegung eine Beziehung
zu sich selbst und ihrem Zentralkörper ergreifend, als Feuerkugel glühend in noch ungeregelter Bahn im Raume sich fortwälzend, mag unser Planet in
langen Perioden sein Verhältniß zur Sonne und seine Achsenneigung geordnet haben.
das
Das Feuer,
in wilden Ausbrüchen an dem Gerippe der
Erde zerrte und Berge und Felsen hob, hatte aus
gewüthet, nun kam das Wasser, durch die Hitze
bisher zu Dunst und Dampf verflüchtigt, fluthcte über den Gebirgen und bildete den letzten und ober
sten Niederschlag,
49 Was das Feuer nicht zerklüftet hatte mit to benden Flammen,
das spülte das Wasser aus in
brausenden Strömungen, und die Oberfläche war der Kampfplatz gährcnder Elemente. Als
die Achsenneigung
der
Erde
und
ihre
Bahn um die Sonne geregelt war, legte sich dieser Kampf, cs schwiegen Flammen und Fluthcn, und
Ruhe und Stille trat ein auf der
wild bewegten
Sphäre. Das Feuer trat nach Innen zurück,
nur in
Feucrbergen oder als Erdbeben noch ausbrechend.
Das Meer sank in seine Tiefen und bildete gere gelte Ebbe und Fluth,
es gab eine Athmosphäre
und es befreundeten sich die Elemente.
Allmählig verkühlte sich die Erde, wohl zuerst
an den Polen, die wechselsweise am Längsten des Sonneneinflußes, der Beleuchtung und Erwärmung
entbehren, und nun versuchte die Natur ihre ersten
Schöpfungen.
In der feuchten Wärme erhob sich die Vege tation riesengroß, denn es war für dieses Land die
Periode der Farren und Palmen, und geringe Reste
überraschen durch die kolossalen Bildungen urwelt licher Pflanzenzeit. Klein war wohl die Zahl der Thiere,
riesig ihre Gestalt,
über
und nur die lebensvolle Kraft
der jungen Erde vermochte die gewaltigen Schöpfun
gen zu erzeugen,
die
von jener Vorwelt Zeiten 4
__ 50 Zeuge waren, und deren zertrümmerte Reste durch
Größe und Seltsamkeit die Bewunderung des For
schers erwecken. Immer wieder, wenn auch nicht in der ersten Wuth chaotischer Kämpfe, tobten die Elemente, und
vernichteten alles Geschaffene.
Vorweltliche Vege
tation und Thierwclt wurden verschüttet und begra
ben, und werden jetzt nur in Lehm und Kalk ge funden. Wie viele solcher urwcltlicher Schöpfungs - und
Zerstörungs-Perioden sich gefolgt, ist ungewiß, end lich aber legte sich der Sturm der Elemente, die Wärme zog gegen den Aequator hin, ruhiger er
folgte das Fortschreiten der Entwicklung, eine neue
Vegetation erwuchs, die Meere und Wälder bevöl kerten sich
mit Thieren bis
zur Schöpfung des
Menschen. Die Erde war ein Theil der Welt, ihr Geist,
aus Gott geboren, empfangen,
in ihrer Masse,
dem Chaos,
und dieser brausete in elcmentarischcn
Kämpfen, wie der Geist eines stürmenden Jünglings,
zuerst in physischer Kraft sich versuchend, bis nach Entwicklung
dieser Periode er ruhig zurückkehrtc
zu höherer aber sanfterer Thätigkeit.
Erst als der Geist aus der Sphäre los sich riß von den Stoffen, und zum Menschen wurde,
die Masse aber sich gestaltete
znm Niederschlag,
kam Ruhe und Friede über unsere Erde.
51 Sei dem nun auch wie ihm wolle, seit dem Dasein der Menschen hat die Erde keine so großen elementarischen Katastrophen erlebt, keine so gewal tigen Revolutionen mehr gesehen, und es ist keincs-
weges erwiesen, daß der Mensch jener urweltlichen
Dildungs - und Zerstörungs-Prozesse Zeuge war. Seit jener Zeit, als der Mensch auftrat, im
Gebiete der irdischen Schöpfungen, waren die Erd als Erdbeben,
revolutionen
Feuerberge,
Waffer-
fluthen, u. s. w. nur partiell. dieses Geschichtliche
Aber auch
liegt
noch
unserer Erde
in tiefem Dunkel und man hat über
alle diese Entwicklungsperioden nur Vermuthungen — keine Gewißheit.
Doch es ist Zeit auch davon abzubrechen und zur Gegenwart uns zu wenden, die unS sicherern Haltpunkt reicht.
Nachdem
erlangt und
die
Erde selbstständige
Gestaltung
regelmäßige Bewegung sich
angeeig-
nct hatte, und durch einen Mittelpunkt, Achse und
Qucerachse, Meridian und Aequator erworben und zur Kugel sich gebildet hatte, gestalteten sich Zonen
und Klimate und ihre Produkte, und auf der Ober
fläche der Erde entwickelte sich daS höhere Leben der Organisation in seinen verschiedenen Stufen. Der Erdkörper selbst in seinem jetzigen Bestehen ist Mineral,
die tiefste Stufe
des Daseins,
4*
an
52 der die höher» Bildungen sich entwickeln, und auf ihr als ihrer Basis ruhen.
Die Erdsphäre ist ein Ganzes von Stoffen und
Kräften und hat als Ganzes
Leben und Entwicklung.
selbstständiges
Sie zeigt aber in ihrer
äußeren Form größtcntheils ruhiges Bestehen der Stoffe und ihrer Verhältnisse zu einander, und es
ist hier nur wenig vom innern Leben und der Ent
wicklung, mehr vom ruhigen Dasein die Rede. In dieser Hinsicht ist der Erdkörper Mineral, das Unorganische.
In Beziehung auf dessen Ent
stehung und Entwicklung, namentlich in Betreff der
Oberfläche nimmt man vier Perioden an, die Pe riode der Urbildung, des Uebcrgangcs,
der Flöhe
und des aufgcschwcmmtcn Landes, und theilt die Gebirgsarten darnach ein in Urgcbirge, Uebcrgangsgebirgc, Flöhformation und aufgcschwemmtes oder
Alluvial-Land. Jede Klasse ist charakterisirt durch das Vor-
kommen eigenthümlicher nur ihr angehörcnder Mi
neralien.
Es gehört aber dieses mehr zur Ent-
stehungs- und Bildungs-Geschichte, und cs handelt sich hier mehr um das Nebcneinanderbestehen.
Man hat in dieser letztem Hinsicht die Mine ralien nach verschiedenen Prinzipien cingethcilt, wo bei man namentlich auf die äußere Form und Ge
stalt, die hier besonders in geometrischer Struktur
hervorgehoben ist,
oder aus den chemischen Gehalt
53 und das innere gegenseitige Verhältniß der Stoffe und Elemente Rücksicht genommen hat.
In dieser
Beziehung wurden Mineral-Systeme nach der Kri-
stallisationsform und nach der chemischen Qualität aufgestellt.
Bei
unserer
genüge es,
Betrachtung
eine Eintheilung
des des
Gegenstandes Minerales
in
Metall, Gestein, Erde und Salz aufzustellen. Metalle, Erden und Salze nimmt fast jede
Eintheilung an, möge es uns vergönnt fein,
die
Combustibilien, die man sonst noch als besondere Klaffe
aufführt,
unter
den Begriff Gestein
weitern Sinne ' zu fassen,
im
da ja doch der Name
schon z. B. Steinkohlen, sie dahin stellt, auch in chemischer Hinsicht als noch
und sie
vom Sauer
stoffe zu bearbeitende, Orydations und Säuerungs
fähige Basen,
wie z, B. der Schwefel sich ver
halten. Jedes einfache Mineral ist ein einfacher selbst
ständiger Grundstoff und bildet mit seinen Erzen und Verbindungen eine eigene Welt, die als Grup
pen , Sippen, Geschlechter und Arten verschieden sind, von denen aber das in Rede stehende Mine
ral selbst der Mittelpunkt ist.
Das Metall ist das Einfache, Unentwickelte, am Meisten Elementarische,
für sich Bestehende,
innerlich gleichförmig an Gestalt, Stoff und Eigen
schaften, für sich ein Ganzes, in Glanz und Klang
54 sein Licht
und
seine
Stimme
besitzend/
in
der
Capazität für Wärme/ in seiner Cohäsion, Elastizi
tät/ Schwere u. s. w. seine eigenthümlichen Quali täten und Eigenschaften entwickelnd.
Je selbstständiger ein Metall ist, um so weni ger hat eS Verwandtschaft zum Sauerstoff, und diese nannte man die edeln.
von Schlacken und wandelnden Gewalt
Ist ein Metall frei
hergesteüt auö der alles um
deS
Orygens,
so
heißt es
König, nnd wie ein König seinen Hof, versammelt
es seine Erze um sich her in buntem Glanze.
Es
wird aber nur selten regulinisch gefunden und die
ses um so weniger, als es, wie z. B. unser häu
figstes und am Meisten verarbeitetes Metall, das Eisen, dem Sauerstoffe näher verwandt ist, so daß
cs Metalle gibt, die auf einfachen Qrydationsstufen
schon zu Säuren übergehen, während andere auf den Stufen ihrer Durchdringung vom Sauerstoffe Oryde, Kasten und Erden bilden.
Gesteine
sind zusammengesetzte
Gebilde und
vielfach, selten daß eine einfache Masse ein Gestein bildet.
Sie bestehen aus vielen nähern und fernern
Bestandtheilen,
als Orydationsstufen früherer ur
sprünglicher Metalle.
Nicht selten führen sie
letzten Uebergänge von Erzen,
die
mehr oder minder
reichhaltig, näher oder ferner verwandt, eingesprengt.
Sie sind mannigfaltiger Mischung,
Produkte viel
facherer Thätigkeit der Erde, haben Umwandlungen,
Veränderungen, Mischungen ihrer Bestandtheile er fahren, und ihre Masten sind mechanisch und che
misch vielfach vereinigt, verbunden,
gemengt, ge
mischt.
Hat hier der Orydations-Prozeß schon eingegriffcn,
so hat er
dennoch
nur
säuerungsfähige
Basen erzeugt und das Fortschreiten geht weiter. Die Erden sind umgewandclte Metalle und
Gesteine, durch den Orydationsprozeß vollends zer fallen und ihrem Ursprünge entfremdet.
Bei vielen
Erden ist die Wiederherstellung des ursprünglichen
Metalles gelungen, was diese
Ansicht begründet
hat, bei andern wird die Reduktion noch möglich
werden. Was im Metalle Eins war und gleichförmig
und durch den Prozeß getrennt wurde, den alles
Ding zu seiner Entwicklung eingehen muß, vereinigt sich wieder zlir
Einheit im
Salz.
Schon unter
den Metallen wurde angedeutet, wie der Stoff in den chemischen Gegensatz von
Base und
Säure
auseinander geht, im Salze aber ist Wechseldurch dringung beider,
Base
und
Bildung des Salzes erloschen,
Säure sind in
der
und das Salz ist
wieder gleichförmige Einheit nach dem Verschwin
den der Gegensätze.
Es entsteht
damit
in den
meisten Fällen eine rein geometrische Gestalt in der Krpstallisationsform, und es hat nicht leicht etwas den
Uebergang
des Wesens
durch
Prozeß
und
56 Produkt zur Form so klar nachgewiesen,
alS das
Metall, umgewandelt durch den chemischen Prozeß
zum Salzkristall. Die Erde aber
alS Alles
tragende
Mutter
bleibt nicht In der starren Welt der Kristalle,
die
sie am vollkommensten in ihrem dunkeln Schooße und in ihrer Tiefe bildet — mit dem äußern Leben
in Verkehr und Wechselwirkung gesetzt geht sie zu reicherer Entfaltung höhern Inhalts über. Das Erdstäubchen, welches dem Einflüße der
Cohäsion und Schwere gehorchend, nur zum Kry stall erstarrt,
geht unter der Einwirkung des Lich
tes, der Luft und des Wassers über zu Organi sation.
Das Leben der Erde ist nur ein Ganzes und entwickelt sich nach dem Gesetze des Gegensatzes, es erscheint unter der Gestalt der Kraft und der Masse,
die belebende Kraft aber reißt sich los aus dem
Schooße der Erde,
und diese selbst sinkt in ihrer
Tiefe immermehr zur leblosen starren Materie herab, jemchr die höhern Bildungen aus dem Dunkel der kalten
unterirdische!:
Nacht
heraustreten
an
die
Oberfläche und zu des Tages freundlichem Lichte.
2(ber auch hier ist kein Sprung, nur Uebergang und zwar ein doppelter. Die Organisation selbst in ihren beiden Ge
gensätzen als Pflanze und Thier,
Ruhendes
und
Bewegtes ist schon angedeutet in der unorganischen
57 Natur, und ein geistvoller Naturforscher hat schon längst ausgesprochen,
daß die Pflanze ihren Ur
sprung nehme aus dem Thon, wie das Thier aus
dem Kalk,
und die Urpflanze
das Thongebirge,
das Urthier das Kalkgebirge sei.
Die ruhende Pflanze ist vorgebildet durch die dendritischen Formen an manchen Mineralien z. B.
an Schiefern, und den Metallbaum, der durch Re duktion d. h. Hydrogenisation des gesäuerten Me
talles, meist Blei, erziell wird, welches in Baum gestalt anschießt,
diese
und
Richtung
vegetative
geht so weit, daß sie sich noch im Höchsten der physischen Bildung der Thiere und des Menschen, im Gehirne selbst, als Lebensbaum wieder findet.
Die zweite Richtung, durch welche das unor ganische Leben zum organischen des bewegten Thie res übergeht, ist eine andere physikalische Erschei nung.
Kalium oder Natrium in Wasser gebracht
nimmt Kugelgestalt an,
wobei die Kügelchen
in
großer Schnelligkeit nicht nur scheinbar willkührlich
hin und her,
sondern auch drehend sich bewegen.
Kleine Stückchen Kampher, in ein metallenes Ge fäß nut Wasser geworfen, zeigen dasselbe. Diese
der
Bewegung hat große Aehnlichkeit mit
Bewegung
der kleinen
die den Prozeß der
einfachen
Monaden,
Infusorienbildung einzuleiten
und zu beschließen pflegen.
Dieses Metall
aber
sucht im Wasser sich zu orydiren, und diese Bewe-
58 gung
erinnert
an die Be
thierischen Leben
im
wegung der Blutkügelchen, die mittelst des Athmens
ebenfalls ihre Oxydation suchen, während die Bil dung des Metallbaumes,
wie die der gesammten
Vegetation, in einer Hydrogenisation besteht. So ist im Unorganischen schon die Anlage zu
höherer Bildung, zu Pflanze und Thier, Gränze
der
Organisation
angedeutet
an der
und
vor
gebildet, wo das Leben von der Masse sich loö reißt. Die Organisation begreift das höhere Leben oder das Leben im engeren Sinne in sich, und le
bendig ist, was ein inneres Prinzip der Bewegung in sich selber hat.
chemischer
Ist der Metallbaum nur nach
Reduktion
angeschosscn unter
magneti
schen Gesehen, die nicht in ihm selber liegen, haben die Mctallkügelchen unter elektrochemischen Verhält
nissen sich gedreht und orydirt, so liegt der Grund dieser Prozesse nicht in ihnen selber; in den Orga nismen herrscht selbstständiges Leben, und organisch
ist nur, was den Grund seiner Bewegung, seines Wer
dens und Seins d.i. seines Lebens in sich selber trägt. Cs giebt an der Gränze des Organischen und
Unorganischen allerdings einen Punkt,
in welchem
Pflanze und Thier in ihren ersten Rudimenten in einander überzugehen scheinen, und man hat diesen Punkt der Indifferenz als eine Art von Mittel reich, aus welchem in divergirender Richtung die Pflanzenwelt
und
das
Thierreich,
wie aus der
59 Spihe eines Winkels
dessen
beide Schenkel, sich
hervorentwickeln/ betrachtet, und Protorganismen ge nannt. In einem Wasser z. B., in
welchem man
eine große Menge Jnfusionsthierchen wahrnimmt,
verschwinden sie zuweilen in kurzer Zeit fast alle,
und nun
zeigt sich
eine größere Menge
grüner
Umgekehrt stellen sich wie
vegetabilischer Materie.
der Infusorien ein, wenn man die grüne Materie zerstört. in
Es ist keinem Zweifel unterworfen,
diesen
Erscheinungen
ein
daß
Ucbergang aus der
Animalisation zur Vegetation und wieder umgekehrt
aus der Vegetation zur Animalisation Statt finde. Wie freilich aus den vom Thiere verzehrten Pflanzentheilen im Innern des Thieres thierischer
Stoff sich bilde, und aus den thierischen Ausleerun gen wieder Pflanzen sich erzeugen,
des
Forschers
verborgen, obgleich
ist dem Auge
die Thatsache
allgemein ist. Die niedrigsten Organismen sind nichts Ande
res als ein seröses Bläschen, sie sind aber weder Pflanze noch Thier,
heit beider.
sondern die rudimentäre Ein
Man hat sie Protorganismen, Urbla
sen, genannt und als ein für sich bestehendes Reich
der losgeriffenen Formelemente der höhern Organi sation betrachtet.
Der Zellstoff ist im Organischen das Erste, sowohl der Zeit nach,
als das am Frühsten Auf-
60 tretende, wie dem Raum nach, als das am Meisten
Verbreitete. Wie nun aber aus dem Zellstoffe die übrigen
organischen Gewebe, so bildet sich
ganischen Urreiche dellen,
aus diesem or
der frei bestehenden
Zellstoffs
als aus ihrer ursprünglichen Einheit,
die
gestimmte Welt der Pflanzen und Thiere, je nach dem nämlich ein Theil der Urblase als Wurzel in die Erde wächst, oder sich als inneres Hautsystem,
als Darm, in sich selbst zurückschlägt.
Der Gegensatz des innern und äußern Haut systems oder, wie es sonst hieß,
das Vorhanden
sein einer Mundöffnung ist der allgemeinste Cha rakter der Thierheit, der Gegensatz eines oberirdi
schen und unterirdischen Theiles d. h. das Vorhan densein einer organischen Continuität mit der Erde
ist
der
allgemeinste
Charakter der
Pflanzenwelt.
Was bei den Thieren Innen ist, Darm,
das ist
bei der Pflanze Unten, Wurzel.
Pflanzen und Thier also treten aus dem Un organischen hervor, sind in ihrem ersten Erscheinen einen Augenblick Eins und jene entwickelt sich ge gen
das Licht,
als den äußern Mittelpunkt der
Schöpfung, dieses gegen den innern, Die Pflanzenwelt
hat
einen
äußern
die Seele. allgemeinen
Mittelpunkt im Lichte, während jedes Thier seinen
besondern Mittelpunkt in sich selber trägt.
61 Daher steht die höchste Pflanze am Weitesten vom höchsten Thiere ab, und die niedrigste Pflanze
ist dem niedrigsten Thiere am
Aehnlichsten;
und
Pflanze und Thier sind in ihrer entwickelten Voll
kommenheit
schärfer
getrennt,
als an
ihren
Ur
sprüngen. Protophyten oder unvollkommene Pflanzen, in denen aber die vegetative Richtung schon deutlich ausgesprochen ist, sind die Pilze, Flechten u. s. w.
gleichsam aufgeblähte Eier; Protozoen oder unvoll
kommene Thier, in denen aber die animalische Rich tung schon deutlich ausgesprochen ist,
fusorien,
sind die In
an denen schon ein Inneres Hautsystem
Statt findet. Nachdem der Ucbergang
der Protorganismen
zur Pflanzenwelt durch Protophyten, wie jener zum Thierreichc durch die Protozoen angedeutet ist,
er
scheint die Vegetation in ihrer vollen Entwicklung
und Ausbildung.
Pflanzen sind organische Wesen, und man be
merkt an ihnen eine Reihe von Erscheinungen und Veränderungen,
welche von Innen heraus durch
eigene Lebens- oder Bildungs-Kraft bewirkt werden, die sich als Umlauf von Säften, in der Entfaltung
verschieden gestalteter Theile und in der Fortpflan zung äußert. Das Pflanzenleben ist der Durchgang des all
gemeinen Lebens durch die Gränzen einer besondern
62 Cohäsion, wodurch das vdn Außen Aufgenommene
stets wieder umgewandelt und ausgestoßen wird, in fortwährender Selbsterneuerung und Stoffwechsel,
durch
Aufnahme,
Aneignung,
Umwandlung und
Ausscheidung, und darin, wie in der Fortpflanzung,
liegt die Bedeutung der Vegetation. Das Pflanzenleben ist Wafferzersehung unter
dem Einfluß des Lichtes,
Vegetation,
aller
Bedingung
und Licht ist die erste ist
der
allgemeine
Mittelpunkt der gesammten Pflanzenwelt, um den sie zu ihrer Einheit versammelt wird.
Die Lebensverrichtungen der Pflanzen gesche hen durch besondere Gebilde und Organe, die sich mit mehr oder weniger Vollständigkeit und Aus
dehnung in ihnen entwickeln, namentlich die Saft
gefäße und Schraubcngänge und
Fortpflanzung,
die Organe der
die Staubgefäße und Griffel, die
Nektarien u. s. w.
Der
Lcbcnsprozeß der
Allgemeinen in
Pflanzen
besteht
im
ihrem Verhältniß zu Licht, Luft,
Elektrizität und Waffer, und in der Aufnahme und Ausscheidung von Stoffen. Die Pflanze ist aber verschieden vom Thiere,
es fehlt ihr die willkührliche Bewegung, oder es ist
dieselbe höchstens nur sehr unvollkommen angedeutet, die Pflanze ist äußerlich durch ihren Mittelpunkt,
den sie im
Lichte hat,
während denselben jedes
Thier in sich selber trägt, die Pflanze ist Sauerstoff
63 aushauchend/ Evolution, das Thier Sauerstoff ver zehrend,
Involution,
der
Pflanze ist Kohlenstoff,
Grundbestandtheil
der
und der vegetative Prozeß
Hydrogenisation des Kohlenstoffes, derHauptbestandtheil des Thieres ist Stickstoff, und der animalische
Lebensprozeß
ist
Oxydation des Stickstoffes,
die
Pflanze tragt ihre Systeme und Organe äußerlich,
das Thier innerlich, und- cs ist die Entwicklung des
Saamcns, mit welcher sie entweder ganz, oder we nigstens für den Iahreszyklus zusammcnstnkt, wah rend die höher» Thiere an diesen Rhythmus der
Zeit weniger gebunden stnd. Selbst im Tode noch stnd Pflanze und Thier verschieden, indem der Pflanzentod im Verdorren
und Vertrocknen besteht, während der thierische Tod
Fäulniß und Verwesung ist. Ob den Pflanzen die Priorität der Entstehung vor den Thieren zuzuerkennen sei, fragt sich noch sehr, denn wie oben gezeigt, entspringen die nieder
sten Thiere und Pflanzen gleichzeitig aus dem Un
organischen.
Bei den höheren Thieren könnte das
spätere Auftreten der
Fall gewesen sein, da die
Pflanze dem Thier zur Nahrung dienen muß.
Die Kleid,
Pflanzenwelt ist
der
Erde
die Vegetation selbst der Erde äußerste lung ist.
natürliches
das ihr hier auf dem Leibe wächst,
weil
Entwick
64 Der Reichthum
ist dargestellt:
der gesummten Pflanzenwelt
in Kryptogam, Gras, Kraut und
Baum, deren erstes ohne sichtbare Fortpflanzungs
organe, die Moose, Flechten, Algen, Pilze, Farren u. s. w., deren zweites die Gräser, Schilfe, Rohre,
Getraide u. s. w.,
deren
drittes
die
unendliche
Mannigfaltigkeit der verschiedensten Gewächse, und
letztes
deren
die
Vollendung
der Vegetation in
Entwicklung ihrer mächtigsten Gebilde der Sträu-
cher und Bäume umfaßt. Das Thier steht über der Pflanze ruht aber auf seiner pflanzlichen Organisation.
Was bei der
Pflanze Aeußcrlichkeit ist, und was sie außer sich sucht und anzieht,
Licht und Wärme,
das ist bei
dem Thiere Innerlichkeit, trägt das Thier in sich selber.
Das Verdauungs- und Ernährungs-System,
als Stoffwechsel, durch Aufnahme, Aneignung, Um
wandlung und Ausscheidung, hat auch das Thier
mit der Pflanze gemein,
es tritt aber auf dieser
Stufe ein neuer Faktor hinzu, das Nervensystem, erst an daS Gefäßsystem gebunden, als Ganglion,
bald aber seinen eigenen Zentralpunkt im
Hirne
findend, und so erscheint das Thier mit Sinnlichkeit und Willkühr. Von der niedersten Stufe der Protozoen an
hat das Thier eine vielfache Metamorphose durch
zu machen, bis es sich auf seinen höchsten Stufen
65 in der äußern Organisation dem Menschen nähert, den es jedoch niemals zu erreichen vermag. In einzelnen Funktionen z. B. der Kraft der
Muskeln,
der Schärfe
Sinnen,
der
mag
das
Thier dem Menschen überlegen sein, cs kaun der Adler durch das Gesicht, der Haase durch das Ge
hör, der Hund durch den Geruch, der Affe durch das Greifen, das Pferd im Laufe, es dem Men schen zuvorthun, die Muskelstärke reißender Thiere
ist ohnehin genugsam bekannt — aber die mensch
liche
Vollendung
in
der
Persönlichkeit
erreicht
das Thier niemals, wenn gleich entwickelter In stinkt, Kunsttricbe und Fertigkeiten der Thiere es oft zum Unglaublichen bringen, so wie der thierische
Urzustand der Völker in ihrem gesammten Verhal
ten, sowohl an Muskelkraft und Schärfe der Sin nen, als in Urkultur und Rohheit ebenfalls an das
Unglaubliche gränzt.
Mit dem Nervensystem aber als dem physisch Höchsten der organischen Bildung, welches den ma teriellen Vorläufer der geistigen Vollendung darstellt, erscheint auch die Individualität des Thieres;
cs
ist das Thier ein Subjekt, den Objekten der äußern Welt gegenüber, und so erwachsen ihm auch zwei
mittlere Systeme zwischen Vegetation und Nerven, nämlich das Glieder- und das Sinnen-System,
Artikulation und Sensualität;
so daß es mit dem
66 einen die Erscheinungen der Außenwelt aufnimmt,
mit dem andern aber dagegen zurückwirkt. Hierdurch entstehen dem Thiere Empfindung, Vorstellung, Gefühl und Trieb, indem die durch das Sinnensystem aufgefaßte Einwirkung der Außenwelt wahrgenommen
wird als Empfindung, und das
thätige Prinzip im Thiere reagirt dagegen durch
willkührliche Bewegung.
Auf diese Weise ist dem Thiere durch Subjekt - Objektivitätsverhältniß
das
sein
Bewußtsein
geworden, und es hat fich das Thier vom Gegen
stand zum Individuum erhoben. Der
Mannigfaltigkeit hat
Thiere unendliche
man unter Strahlthier, Weichthier, Gliederthier und Wirbelthier zusammengesteüt. Strahlthiere als Asterien, Seesterne u. s. w.
haben fast nur eine Magenhöhle, kaum ein Gefäß — und
höchstens
von
Spuren
einem
Nerven
system. Weichthiere, Mollusken, Muscheln, Würmer h.
s. w. haben entwickeltere Nerven und Berdau-
ungswerkzeuge, auch Respirations - und GeschlechtsOrgane, sind ziemlich entwickelt. Gliederthiere sind die Infekten. Unter Zurück
finken
tritt
des Nerven die
äußere
und
Zirkulations- Systems,
Gliederung
in
Freßwerkzeugen,
Kneipzangen, Füßen, Flügeln, hörnernen Panzern,
67 so wie
die Entwicklung
der Sinnesorgane,
na
mentlich der Augen mehr hervor.
Wirbelthiere endlich entwickeln sich alö Fische,
Reptilien, Vögel und Säugthiere. allen
diesen Stufen der Entwicklung
steht der Mensch.
Der Mensch umfaßt den Inhalt
Ueber
der gestimmten Organisation, was im Minerale tief und still versunken lag, was Vegetation und Am-
malisation in buntem Relchthume entwickelten. —
Alles ist hier in seiner Vollendung zusammengestellt, und der Geist als Seele in die Natur des Leibes cingekehrt.
Die Gestalt aber des Menschenleibes und feine
Natur, von der hier die Rede ist, ist thierisch und daher auch eine genauere Darstellung der thierischen
Organisation bis hieher verspürt worden. Das
menschliche Leben
ist nicht das längste,
aber das reichste an Inhalt in der sichtbaren Natur, und der Mensch ist im Ganzen von den Thieren
unterschieden, nicht im Einzelnen, denn sonst wäre er im Einzelnen weniger von dem Thiere getrennt, als manche Gattungell der Thiere selbst von ein
ander.
Der Mensch steht über dem Thiere durch die
Selbstständigkeit seiner Seele und die Gesammtheit
seiner Organisation z die Vollständigkeit aller einzel nen Verhältnisse ist zur Einheit vollendet, und es
ist die Mcnschennatur ausgezeichnet
durch die Sy-
5*
«8 rnctrie
der
Gestalt.,
Vollzähligkeit
der
Organe
und vollkommene Entwicklung des Gehirns.
Durch die Selbstständigkeit der Seele werden
die Funktionen der Ernährung nnb Zeugung vom vegetativen System und seinem Stoffwechsel losge
rissen, und durch diese Unabhängigkeit in die Mög lichkeit gesetzt zu anderweitigen körperlichen und gei
stigen Thätigkeiten. Durch die Herrschaft des Rückgrathes kn seiner aufgerichteten Stellung erhält der Kopf großes Uebergewicht über Brust und Bauch,
ilnd aus dieser aufrechten Stellung entsteht Frei
lassung der Oberglieder vom Dienste der Ortsbe
wegung, und es gewinnt die Hand Gelegenheit zu
Durch
vielfacher Uebung und Bildung.
hebung
die Er
des Schädels von der Erde erlangt das
Auge größere Unabhängigkeit.
Die
vielfache
Freilassung
der
Organe
des
menschlichen Leibes vom Dienste der Ernährung, und das über die Nothdurft
der
Reproduktion,
überschüssige Leben gestattet Ausbreitung der Sin nenthätigkeit und deren Wiederholung im Innern,
Herrschaft über die Vorstellungen und Vorstellungs mäßiges Rückwirken auf die Außenwelt, Sprache
u. s. w.
Unser Zweck erfordert es hier uns zur Anato
mie zu wenden, also nur von der Natur zu spre chen, vom Geistigen soll später die Rede sein; denn
in der Erscheinungswelt, von welcher hier zunächst
69 es sich handelt, ist der ideelle 'Pol zurückgedrängt
und nur der materielle hervorgehöben. Ist aber der Mensch Schlußpunkt der irdischen
Organisation, wie aller endlichen Bildung überhaupt,
so muß er auch alle vorhergehende Entwicklung in seinem Inhalte zufammenfaßen, also die Ernährung der Pflanze und die Bewegung und Sinnlichkeit
des Thieres, zu welchen er noch die Beseelung, als
das rein Menschliche, hinzufügt. Dieses giebt in der leiblichen Erscheinung, von
der hier die Rede ist,
vier Systeme im Orga
nismus. Das thierische Leben, mithin auch das mensch
liche, entspringt entweder wie das erstemal aus un
mittelbarer Zeugung der Natur, als Erzeugung der Gattung, dann aber immer aus der Gattung durch
die Zeugung der Geschlechter, denen die Natur die
Fortpflanzung der Individuen übertragen hat. Der anatomische Bau des Menschenleibes zer fällt in vier große Systeme, den Stufen der Außen-
natur gegenüber.
Es sind diese vier Systeme das
Ernährungs- oder Bildungs - System, das Glieder oder Bewegungs-System, das Wahrnehmungs- oder
Sinnen- System, das Beseelungs - oder Nerven System.
Es beginnt diese Darstellung mit demjenigen Systeme, welches am Ersten und das
Thier charakterisirt
und
Bestimmtesten
konstituirt,
mit der
70 Verdauung, es ist daö innere Hautsystem/ der Darm,
nur in seiner vollständigen Entwicklung.
Bildungssystem. Das Bardauungs-, Ernährungs-, DildungS-,
oder Vegetations-System
ist das erste
thierische
System, welches den übrigen das Material und den
Stoff liefert. Des
Thieres
Ursprung
auS
der
niedersten
Stufe der Thierreiche ist eine Höhle, die Magen, Herz und Geschlechtsorgan zu gleicher Zeit ist, daö Erste des Thieres ist also der Darm,
oder der
Vcrdauungs - Apparat. Die Stoffe aber, die der Verdauungsapparat
ouö der Außennatur zuführt,
müssen umgewandelt
und durch ein weiteres belebendes Prinzip begci-
stet
werden, so
vorgeschritten ist,
bald ihre Umwandlung so weit
daß dieses geschehen kann.
Die
neue Belebung des aufgenommenen und sluidisirten
Stoffes erfolgt durch die Respiration. Verdauung und Athmen sind also zwei um«
wandelnde Prozesse,
die sich auch als Aufnahme
und Ausscheidung bestimmt gegebener oder modifizir-
ter und neu gebildeter Stoffe verhalten. Beide aber werden vermittelt und hängen zu sammen durch das Blut,
welches die Indifferenz
zwischen beiden bildet, es giebt also drei untergeord-
tiefe Systeme im Bildungssysteme selbst,
ein aus
nehmendes und ausscheidendes in der Nutrition und Respiration, und ein drittes allgemeines als Zirku
lation.
Da nun in der Dildungsgeschichte des in
dividuellen
Organismus
dieses
allgemeine
oder
Blutsystem den beiden andern vorhcrgeht und diese erst aus ihm sich entwickeln, so steht es auch hier diesen billig voran.
Erst spat, nach übrigens schon geschehener kör
perlicher Entwicklung und Vollendung entsteht das Geschlechtssystem, welches früher mehr in der An lage gegeben war.
Das.Blutsystcm oder die Zirkulation ist also, wie
das Allgemeine und chronologisch Frühere, auch hier das Erste,
das Serualsystem,
als das
Indivi
duellste, das Letzte, und zwischen beiden stehen Ver dauung und Athmen, so. daß es also im Bildungs
systeme
untergeordnete
vier
Systeme
giebt,
die
Zirkulation, Nutrition, Respiration und Produktion. 1. Zirkulation. Die Zirkulation ist der Mittelpunkt des bil
denden Lebens im Körper, vereinigt die Produkte
des Affinnlations - und Respirations-Prozesses und theilt an
alle
Stoff aus,
Gebilde
so daß sich
nährenden
und bildenden
der Zeugungsprozeß des
Körpers im Allgemeinen immerfort aus diesem Sy
steme wiederholt, und das Blut
die allgemeinste
n Flüssigkeit ist,
während gegenüber das Geschlechts
organ die individuelle Zeugung vermittelt und die
Saamenslüßigkeiten die individuellsten Fluida sind. Das Blutsystem oder die Zirkulation zerfällt
in
Urgefäß,
das
Blutgefäß
Lymphgefäß,
und
Herz.
Urgefäß verstehen wir hier die ersten
Unter
Rudimente und Anfänge, oder wenn man lieber
anders will,
die letzten Endigungen der Gefäße,
die ein früherer Forscher mit dem Namen Haarge ein ganz neuerer mit dem Namen periphe
fäße,
rische Gefäße bezeichnete; oder was man überhaupt
unter
Benennung
der
intermediäres
Gefäßnetz,
Maschen - oder Schlingen - Gefäßnch betrachtete.
Diese letzten Endigungen oder ersten Ursprünge der Gefäße,
oder das Borkonunen eines mittleren
Gefäßsystems zwischen beiden, haben allerdings noch
manches Dunkle, und sind noch nicht so genau ent deckt,
daß ein allgemein gültiger Kanon darüber
aufgestellt unserer
werden
könnte,
daher
dieser
Anfang
anatomischen Darstellung auch gerade der
dunkelste und schwierigste Punkt derselben bleibt. Ob diese Gefäße mit oder ohne Wandungen
bestehen,
ob die Flüßigkeit unmittelbar im Thier
stoffe ohne Gcfäßwandung frei sich bewege,
ob
diese Wandungen
dieser kleinsten
unendlich zart und dünne sind,
oder
Gefäße nur
wie die neuesten
Forscher behaupten, ist noch nicht völlig ermittelt,
TS dennoch aber anerkannt, daß hierin diesen Gefäßen das Blut dem Nerveneinfluße unterliege, und daß
hier die Aufnahme, Aneignung, Umwandlung und Ausscheidung der Stoffe, mit einem Worte die or
ganische Metamorphose vor sich gehe. Uns genüge es bei der Unbedeutenheit dieser
Gefäße selbst mehr ihren Inhalt zu betrachten, als auf den Streit über Geschloffen - oder Nichtgeschlos
sen-sein
des
Blutumlaufes
einzugehen,
um die
organisch lebendige Umwandlung der Stoffe in die ser Gcfäßparthie,
der mechanischen Bewegung des
Blutes im Herzen gegcnübcrzustcllen und den Lebens
prozeß der Säfte im Urgefäße anzucrkcnnen, wäh rend in den andern Gefäßen die Flüßigkeit, wie in
Röhren eingeschlossen, erst zu diesem Heerde ihrer
organisch lebendigen Thätigkeit geleitet wird.
Es theilt sich aber das Blut selbst, als Lebens quell, in Lymphe, Chylus, Venenblut und Arterien blut, und eben so nehmen wir als erstes Rudiment
der Gefäße ein lymphatisches, chylöses, venöses und arterielles Urgcfäß an, in welchem wir nach dieser
Vicrheit des Blutes selbst die ursprünglichsten Umwandlungsprozeffe verlaufend glauben. Das Lymphgefäß besteht aus dem Brustgang,
Milchgefäß, Sauggefäß und Drüsen.
ren sind
Diese letzte
wieder wesentlich die Lymphdrüsen,
Schilddrüse,
die
die
Nebennieren und Gekrösdrüscn,
indem alle diese Drüsen nur als Verschlingungen
74 von Gefäßen, als wahre Gefäßganglien, zu betrach ten sind.
DaS Blutgefäß theilt sich in Lungengefäß, Ar terie, Vene und Körpergefäß; denn das arterielle
Blut beginnt in den Lungen und endet im Körper, während das venöse im Körper beginnt und sein
Ende findet in der Respiration. Das Herz hat seine vier Kammern, Hohlve
nen -
Vorhof,
Lungen-Kammer,
Vorhof, Hauptgefäß-Kammer.
entgegengesetzte
Lungenvenen -
Diese in sich selbst
Vierkammerigkeit deS Herzens ist
auch für sich selbst klar, und ihre Bedeutung liegt darin, das Blut geschieden als Druck - und Saug
werk mechanisch in seinem Laufe zu fördern, wäh rend im Urgefäß, als den dem Herzen entgegenge setzten Gefäßen,
der organische Lebensprozeß und
die lebendige Umwandlung vor sich geht.
2. Nutrition. Die Nutrition zerfällt in die Aneignungs-, Berarbeitungs -,
Umwandlungs -
und
Ausschei
dungs-Gebilde. Die Aneignungs-
oder
Ingestions-Organe,
die die Nahrung ergreifen, sind: Kiefer nnd Zähne,
Lippen und Zunge, Rachen und Schlundkopf,
die
Speiseröhre.
Verarbeitungsorgan ist der Magen mit seinem
Magenmund und Pförtner, Pförtner-Hälfte.
seiner Mund - und
75 Umwandlungsgebilde sind die Verdauungsdrü sen, als Speicheldrüsen, Milz, Leber und Pankreas,
durch ihre Säfte die aufgelößten und verflüßigten
Stoffe zersetzend.
Ausscheidungsgebild
sowohl
für
den
Körper
selbst, das Nutzbare in die Gefäße, als das Un
brauchbare auf dem gewöhnlichen Wege als Rück gabe an die Außennatur, ist der Darmkanal, als Dünn-, Dick-, Blind-, Mast-Darm.
Diese
Theile
des
Darmkanals können auch
ihrer Struktur nach jedes wieder cingetheilt werden
in seine seröse Haut, muskulöse Haut, Schleimhaut und eigenthümlichen Drüsen. Der Mensch nicht geschloffen in sich, sondern
mit der Außenwelt zusammenhängend durch die in nere Haut als Nutrition und Respiration, hat auch
an jedem dieser Systeme einen Anhang. Als Anhang an das
Nutritionssystem heftet
sich zwischen dieses und die Geschlechtsorgane das Harnsystem, bestehend aus den Nieren Harnleitern,
der Blase und Harnröhre. 3. Respiration. Die Respiration geschieht durch die Lungen, und man theilt die Athmungsgebilde ein in das
Zellgewebe, Luftgefäße, Blutgefäße und Membranen. Das Zellgewebe als konstituirendes Vehikel ist
das Lungenparenchym,
das Luftgefäß ist vierfach,
76 als Kehlkopf, Trachea, Bronchien, Luftzellen.
Das
Blutgefäß ist Lungcngefäß und Bronchialgefäß, und beides arteriell und venös.
Membranen sind die Schleimhaut der Luft Lungenzellen,
wege und
und die serösen Blätter
des Brustfelles, als Rippen - nnd Lungen-Pleura. Als Anhang an die Respiration heften sich
die Organe der Stimme und Sprache, als Knor
peln , Bänder, Muskeln und Häute.
Diese Or
gane der Sprache und Stimme gehören aber nur in so weit hkeher, als sie das Material der Stim
me,
die
Luft zum Tone liefern,
die eigentliche
Thätigkeit des Sprechens, Singens u. s. w. gehört zur Bewegung, und daher zum Gliedersystem.
4. Produktion. Die Natur hat die Produktion der Gattung
übertragen,
mit
und diese in den beiden Geschlechtern
besonderen
Theilen und
Organen versehen.
Diese Theile und Gebilde sind verschieden nach dem
Geschlechte, aber im Allgemeinen: Saamenzeugend: Hoden und Eierstöcke;
Saamenzuleitcnd:
Saamengänge und
9)iuf-
Saamenbläschen
und
terröhren; Saamenbewahrcnd:
Fruchthalter; Saamenausleitend: Ruthe und Scheide.
n Die Erzeugung ist aber doppelt, und der Erzeugung
nesis
ren:
neben
des Individuums besteht die Ge
der Gattung.
Hier sind die ersten Fakto
Thierstoff, Blut, Nerve, Organismus, oder
schon spezieller geworden, Zellgewebe, Faser, Mem bran, Gefäß. DaS Zellgewebe ist das Allgemeinste und Er
ste, am Frühesten Vorhandene, ist überall zugegen,
das Indifferente, Oualitätslose, Urstoff aller thieri schen Bildung, entspringen,
aus welchem alle thierische Gebilde
und zu welchem alle sie zurückkehren.
Von den verschiedenen Einthcilungen des Zell gewebes ijl hier aufzustellcn:
das parenchymatöse,
freie, leitende, athmosphärische, das erste als bil
dendes Grundgcwebe der Theile, das zweite als Verbindungsmittel getrennter Gebilde, als begleitendes Gewebe
das
dritte
einzelner besonderer Or
gane und Theile, und das vierte als äußere Um gebung einzelner Organe, oder den ganzen Körper
umhüllend.
Die Faser, als Längenpolarität aus dem Zell
gewebe herausgebildet,
verhält sich als Knochen-,
Knorpel -, Sehnen - und Muskel-Faser, unter wel
cher die Muskelfaser sich wiederum entwickelt als:
Gefäß-,
Schleimhaut-,
Ring -
und
Längen
muskel.
Die Membranen, zur Längenpolarität noch die
der Breite annehmend,
bilden sich in die Fläche
78 und, entwickeln sich als Wafferhaut, Schleimhaut,
Faserhaut und Bedeckungshaut. Die Wasserhaut oder seröse Haut ist des thie
rischen Leibes erste Haut und ursprüngliche,
das
Zellgewebs-Kügelchen ist ein seröses Bläschen, wie
die niedersten Thiere seröse Blasen sind. Wasserhäute giebt es für alle Systeme, für die
Artikulation die Synovialsäcke, für die Sinnen die
serösen Häute des
Auges und
Ohres,
Nervensystem die seröse Haut des
für
das
GehirneS und
Rückenmarkes, für das Bildungssystcm selbst Brust fell, Herzbeutel, Bauchfell, Scheidenhaut der Ho
den , so daß jeder Unterabtheilung des Vegctations-
systemes seröse Häute zukommen, von denen wieder
in
der Brusthöhle die Lungen - und Rippenfelle
und die Mittelfelle, in der Unterleibshöhle die bei
den Blätter des Bauchfelles, die Rehe und Ge
kröse unterschieden werden. Die Schleimhaut ist weniger allgemein, aber
in größer« Zügen uud weiterer Ausbreitung vor
kommend, fast einzig nur für das vegetative Sy stem,
und nur wenig für die Sinnen, wo diese
dem ernährenden und bildenden Systeme sich an
schließen.
Sie ist die innere Hautfläche für die
Verdauung, Uropoese, Genitalien und Respiration.
Die Faserhaut ist für
alle
Systeme.
Für
das Gliedersystem besteht sie als Kapselband und
Beinhaut, für das Sinncnsystem als Faserhaut des
19 Auges, für das Nervensystem als harte Haut des Gehirnes
und Rückenmarkes und für die Vegeta
tion endlich selbst als fibröse Häute des Milz, der Nieren, der Hoden u. f. w.
Die Dedeckungshaut ist die äußerste Umhüllung
Hat es ein Ding zur Individualität
des Leibes.
gebracht, so sucht cs auch seine Degränzung,
und so gestaltet sich
Organischen seine Umhüllung,
die Dedeckungshaut. Lederhautgewebe,
im
Sie selbst zerfällt wieder in Absonderungsorgane,
überzug und Horngebild,
Schleim
und dieses letztere theilt
sich wieder in Epithelium, Haare, Nägel,
Ober
haut.
Hat sich nun Zellgewebe,
Faser und Mem
bran entwickelt, so kommt es zum Gefäße, und es entsteht das Gefäß zuerst als Höhle in der Masse,
aus der die Wandungen allmählig sich entwickeln,
und das Bildungssystem ist nun sprünge, zum Gefäße,
zu seinem
Ur
von welchem unsere Dar
stellung ausging, zurückgekehrt.
Die ausgebildeten
Gefäße bestehen aus Zellgewebe, Fasern und Häu
ten.
Ist die erste Zelle seröses Bläschen, einfache
qualitätslose Indifferenz, so ist das Herz entwickelte
vierkammerige Kugel,
die
die höchste Indifferenz
des versiüßigten organischen Leibes, das Blut, me chanisch
nur
daß
in
Kammern
das
geschieden
in
sich
faßt,
Zellstoffbläschen in Ruhe liegt in
verwaltendem stillen Sein,
und das Herz
ewig
80 sich
bewegt
in
ermüdender,
nie
überwiegender
Thätigkeit.
Gliedersystem. Stoffwechsel
und
Reproduktion,
Aneignung, Umwandlung
und
Materie hat auch
die Pflanze,
eben
System
abgehandelte
Aufnahme,
Ausscheidung
auch
der
weßhalb das so
das
vegetative
heißt — Willkühr und Sinnlichkeit hat nur das Thier; — daher Sinnesorgane und Bewegungs
glieder nur dem Thiere zukommen, und die Funk tionen des animalen Lebens oder Beziehungslebens heißen;
denn
Empfindung
und
Bewegung
ist
Wechselwirkung des Individuums mit der äußern Natur.
Das
Gliedersystem, Bewegungssystcm,
die Artikulation vermittelt die willkührliche
oder
Bewe
gung des Organismus und ist die aktive Seite des Beziehungslcbens, in welcher das Individuum thä tig gegen die Aussenwelt zurückwirkt.
Es steht zwar diese Bewegung in dem Thier reiche im Dienste der Vegetation, und Ernährung,
und ist in den niederen Thiergattungen an dieselbe gebunden, man vergleiche die Kneipzangcn, überhaupt
die Freßwerkzeuge der Insekten, bald aber reißt sie
sich in den höhern Thieren von dieser Funktion los.
81 ist der Willkühr unterworfen, bei dem Menschen
endlich der Vernunft freigegebcn und edleren Ver richtungen dienstbar. Indem in diesem Systeme nur die Ausfüh
rung der Bewegung, nur ihre Möglichkeit betrach tet wird, und die Thätigkeit der Bewegung selbst
vom Nervensystem als dem belebenden Prinzipe,
als dem Organe des Willens abhängig ist,
und
nur diesem gehorcht, so ist dieses System das me Der Knochen ist die Last, der Muskel
chanische.
die Kraft,
das Band die Vermittlung und das
Gelenke der Stützpunkt, somit der ganze Vorgang
einer
Bewegung
in
eine Hebel
einem Gelenke
aktion.
Alles Wesen hat seinen Mechanismus,
den es sich stützt und der cs trägt, senreihcn für die Erde,
auf
und was Fel-
was Holzfasern für die
das ist das Knochensystem für das
Pflanze sind,
Thier, es ist die Grundfeste, auf welcher cs als
auf seiner Basis mechanisch ruht.
Man vergleiche hiezu den Bau der Knochen, die Anheftung der Muskeln,
Gelenke
u.
s.
w.
Man
die Construktion der betrachte
z.
B.
den
Bau der Halswirbel, des Ellenbogenknochens, der Armspeiche mit ihren Muskeln und sonstigen Bc-
wegungsapparatcn, und cs wird sich leicht ergeben, daß das gesammte Gliedcrsystem ein System von
Hebeln ist, deren Aktion dem höher» Einflüße des Willens, als der äußern Kraft gehorcht. Die Ernährung des Gliedersystems gehört eben
so wenig hieher, alö die Wirkung der Nerven, von
beiden ist an seinem Orte die Rede.
In den niedern Thieren, als den Seesternen, noch fast zum Krystall erstarrt, in den Korallen als steinerne Faser, an Schnecken und Muscheln als knöchernes Gehäuse, hat die Artikulation nur wenig
Bedeutung, bis sic bei den Insekten als Freßwerk
zeuge
und
Bewcgungsglicder
in
Kncipzangcn,
Flügeln, Flügeldecken, Füßen, Panzern, u. s. w. mehr hervortritt, und erst bei den Wirbclthieren wird
das vollendete
Skelett
in das Innere der
weichen Umhüllung ausgenommen. Selbst der Ton der Stimme ist Anfangs äusser
lich z durch die Bewegung der hörnernen Flügel und
Flügeldecken entsteht das Sumsen der Mücken, das Schwirren der Cicaden — bis auf höheren Stufen
auch die Erzeugung des Tones, der Stimme und Sprache in das Innere des Thieres
ausgenom
men wird.
Das Gliedersystem besteht aus Knochen, Bän dern, Muskeln und Gelenken.
1. Die Knochen. Sie zerfallen in Fasern, Knorpel, Beinhaut und Mark.
83 2. Die Bänder.
Sie theilen sich in Gelenk-, Knochen-, Vcrstärkungs- und Kapsel-Bänder. 3. Die Muskeln. Der Muskel zerfällt in Faser, Flechsenhaut,
Sehnen und Scheiden. Die Elementarkügelchen der
Muskeln bilden
in ihrer Verbindung das feinste Muskelfädchen, diese Fäden durch Vereinigung die Fasern, und diese Muskelfasern durch Zellstoff vereint die Bündel. 4. Die Gelenke.
Die Gelenke werden hier als besonderes Sy
stem betrachtet, überall
in so
gleichförmig
ferne ihr
eigenthümlicher
vorkommcnder
Apparat
sie
dazu erhebt. Nicht
nur
her genannten
das
Zrsammentreten
aller bis
Gebilde des Gliedcrsystems,
son
dern auch das Hinzutrcten eigenthümlicher neuer und die hohe Bedeutung der Funktion berechtigen
dazu, das Gelenk als Zentralpunkt des Gliedersy
zu betrachten.
stems
Es ist das höchste Gebild
im organischen Mechanismus. Der Bauart, Zusammensetzung und Beweg
lichkeit
tcn,
nach unterscheidet
verschiedene
man
der Struktur nach sind die 6*
Ar-
eigenthümlichen
84 Gebilde des Gelenkes die Synovialmembran,
der
Gelenkknorpel/ das Gelenkfett, die Synovia.
Sinnensystem. Das dritte Hauptsystem des ganzen Körpers
und zweite
Glied
Sinnensystem.
des Beziehungslebens ist das
Während
das
die
Gliedersystem
eine Seite des Jndividuallebcns mit der Aussen
die
vermittelt, vollendet das Sinnensystem
welt
andere,
und cs ist daö Sinnensystem durch seine
Wahrnehmung das Ausnehmende, Empfangende,
während das Gliedersystem das Aktive, das Thä tige ist.
Sinnorgane sind diejenigen Gebilde, die die Eindrücke der Aussenwelt in sich aufnchmen und ihre Wahrnehmung dem Bewußtsein mittheilen. Die Aussennatur hat aber vier Stufen,
die
sie dem Individuum gegenüberstcllt, den Mechanis
mus, den Chemismus, die Dynamik und die Or ganisation; und so giebt es auch einen Sinn für
daö Mechanische, als Form, Gestalt, Härte, Weich heit, Glätte, Rauhheit, überhaupt für den Wider
stand der Masse; Auflösung,
einen Sinn für die chemische
Verflüßigung
und
Umwandlung
der
Stoffe, für das Saure, Süße, Bittere, Milde,
Herbe; Beben
einen Sinn für der Dinge,
das
innere Leben
und
deren innere Bewegung sich
offenbart als Schall, Ton, Stimme, Sprache; und
___ 85 einen Sinn für den Gesammteindruck der Gegen stände im Reflexe des Lichtes. In gewisser Hinsicht stehen die Sinne auch den
Systemen des Leibes gegenüber,
so daß der me
chanische Sinn der Sinn des Gliedersystcms ist,
auf dessen Artikulation er wurzelt, der chemische
Sinn der Sinn des Bildungs - und Ernährungs
systemes ist,
in
dessen Schleimhäuten er
Sih sich aufgeschlagen;
seinen
der dynamische Sinn alS
der Sinn für das Sinnensystem selber auftritt, und der Lichtsinn den Sinn für die gcsammte Organi
sation für das Nervensystem ausmacht. Die
Sinne
sind
Hören und Sehen,
also
und
Tasten,
Schmecken,
fe edler ein Sinn ist,
um so zusammengesehter ist sein Bau und um so
höher steht das Medium, das ihn vermittelt. Tasten an starrer Masse ist unmittelbare
Das
Wahr
nehmung, während das Schmecken durch das Was ser, das Hören durch die Luft und das Sehen durch das Licht seine Vermittlung findet.
Uebrigens ist
alle Sinneswahrnehmung nur ein veredeltes Tasten, indem das Ohr durch den Schall - das Auge durch den Licht-Strahl den zu vernehmenden Gegenstand tastend berührt.
1.
Gctaste.
Das Gctaste als mechanischer Sinn ist an den Händen vornämlich aber an den Fingerspitzen ent-
86 wickelt,
und
eS
gehet daS
Gliedersystem
mit
Knochen und Muskeln als das Tragende und Be wegende, die Oberhaut als das Deckende, die Le
derhaut als das ernährende Organ darauf ein. 2. Schmecken.
Der Schmecksinn, chemische Sinn, Schleim hautsinn, ist doppelt für das liquid und für daS
elastisch Flüßige, seine Einheit aber liegt schon in
der Sprache, indem an vielen Orten die Bezeich nung von Geruch und Geschmack nur durch ein
Wort, nämlich schmecken, geschieht.
Wie aber die
Stoffe zur chemischen Umwandlung auf doppeltem Wege zum Organismus gelangen, zur Nutrition
und Respiration, so sitzt auch dieser Sinn doppelt,
gleichsam als Pförtner,
an
den Eingängen
des
Speisekanales, an Mund und Nase.
Im
Allgemeinen
besteht
dieser
Sinn
auö
Knochen, Knorpeln und Muskeln als Gliedern des Dewegungssystemes, Schleimhaut und Drüschen, Wärzchen und Schleim.
Im Munde ist es namentlich die Zunge mit
Muskeln Schleimhaut, Wärzchen und Schleim, in der Nase sind es Knochen und Knorpeln, Schleim haut, Wärzchen und Schleim.
3.
Gehör.
Das Gehör ist der Sinn für das innere Lc-
ben der Dinge, für das dynamische.
Es besteht
nicht wie Tasten und Schmecken in so unmittel
barer Berührung mit den Dingen, ist aber dafür um so ausgedehnter und weiterreichend.
Die vorzüglichsten Organe des Ohres sind die Muschel, der Gchörgang, die Paukenhöhle und daS Labyrinth. Die Muschel besteht aus Knorpeln, Bändern,
Muskeln und Haut, und ihre Theile sind die Ohr leisten, die Kahnförmige Grube,
die eckigen Her-
vorragungcn und das Läppchen. Der
Gehörgang besteht
aus Knochen - und
Knorpel-Struktur, aus kleidender Haut, aus Talg drüsen, und schließt mit dem Trommelfelle.
Zur Pauckenhöhlc gehört die Eustachische Röhre, der
Zihcnfortsah,
die Ohrknöchclchen mit
ihren
Muskeln und die beiden Fenster. Das Labyrinth, etwas schwierig zu untersuchen
durch Kleinheit und Zartheit des Baues und tiefe möchte sich eintheilen lassen in den Vorsaal
Lage,
mit seinen Vertiefungen, Wasscrgcfäßen unb Nervcnkanälcnz in die eigentlich knöchernen GchörweckSchnecke
zcugc,
und
Halbkreiskanäle z
in dem
häutigen Labyrinth als Ausbreitung des Hörner
ven,
und in die Labyrinthflüßigkeir mit den Oto-
konien.
88 4.
Gesicht.
Die Organe des Gesichtes werden im Allgemeinen eingetheilt in die Augenhöhle, die Weichge bilde, die Thränenorgane und den Augapfel. Die Augenhöhle,
aus
gebaut,
Knochen
zu
denen namentlich das Stirnbein, Keilbein, Ober
kiefer- und Sieb-Bein gehören, ist stützend und tragend, die Weichgebilde sind schützend, umhüllend, bedeckend und bewegend, als Augenbrauen, Augen
fett, Augenliedcr, Augenmuskeln; die Thränenor gane sind Thräncnerzeugend, zuleitend, aufnehmend
und abführend, als Thränendrüse, deren Ausfüh rungsgänge, Thränensee, Kanälchen und Sack, und
Nasenkanal. Der Augapfel selbst zerfällt
seiner Gestaltung,
der
die Organe
in
Blendung, der
Brechung
und Wahrnehmung.
Bildungsorgane sind die weiße Faserhaut, die
Spknnenwebenhaut, die Hornhaut und Bindehaut. Blendungsorgane
Strahlenkörper;
bogenhaut ;
Flüssigkeit, Glaskörper;
haut.
das
sind
die
Linse,
die
Strahlenband,
Brechungsgebilde die
Gefäßhaut,
die
sind
die
Regen
wässerige
Kapselsiüßigkeit,
Wahrnehmungsorgan
ist
der
die
der Netz
89
Nervensystem. Nachdem wir die Reproduktion als das erste
Moment, als Bildung und Erhaltung betrachtet, die Bewegung und Sinnlichkeit als zuerst noch an
die Ernährung gebunden, bald aber von ihr sich
losreißend erkannt haben, kommen wir nun an das letzte Glied der thierischen Organisation, an das
Nervensystem,
welches die Bedingung der Selbst
ständigkeit, das Belebende, das Lcbcnsprinzip des Ganzen, beim Menschen das
Organ
des Gei
stes ist.
Nerven und Blut sind die ursprünglichen Ele
mente des animalischen Lebens, die nach der Zeu gring zuerst, aber beide gleichzeitig, aus dem beleb ten Thierstoffe sich entwickeln,
und aus diesen ur
sprünglichen Faktoren bilden sich alle Organe und
Systeme. Der
Nerv ist das Solare,
Ruhende,
das
Blut das Planetarische, Bewegte, der Nerv der ideelle, konzentrirende Pol, das Blut der materielle crpandirende, und beide gleichweit im Organismus
verbreitet;
das Blut ist der Mittelpunkt der Ve
getation, der Nerv das Zentrum der Sensibilität
und
aller
lebendigen
Thätigkeit,
das
Prinzip für den ganzen Organismus.
belebende
90 DaS Nervensystem ist ein Ganzes, kein Ner-
vcngebild wächst aus dem andern hervor, alle sind
zugleich da, zugleich entsprungen,
stehen aber in
Kein
innigster Verbindung und Zusammenhang.
Gebild verdankt dem andern seinen Ursprung, und
so kann auch das Hirn nicht als Effloreszenz des
Rückenmarkes betrachtet werden.
Jedes
Gebilde
ist selbstständig für sich, kann aber nur neben und in Wechselwirkung mit den andern bestehen. So gewiß es ist, daß das Nervensystem das
belebende Prinzip für den ganzen Organismus sei,
so
kann man
Seele erkennen.
keine Stelle für das Organ der
Die Seele ist kein Ding,
das
ausser dem Körper wäre, ist nur belebende Kraft, die das Ganze beherrscht. Die Haupteintheilung des Nervensystems ge
staltet sich nach den vier Systemen des Leibes, so daß eine Parthie der Ernährung dient, eine zweite
die Bewegung leitet, eine dritte die Wahrnehmung
vermittelt, eine vierte das Ganze zur Einheit sam melt.
Es gibt also Ganglien für die Vegetation,
Bewegungsnerven für das Gliedcrsystem, Sinnes nerven für das
Sinnensystem uud Zentralmasscn
als Mittelpunkte für das Nervensystem selber.
Jede dieser Parthieen zerfällt wieder in ihre eigenen Unterabtheiluligcn.
91 1.
Ganglien.
Das Gangliensystem ist für sich ein Ganzes, daö Zentrum der gesammten Vegetation.
Es ist
den Organen der Vegetation innig angebildet, so
daß cs bei den niedern Thieren die Stelle des Gehirnes und gesammten übrigen Nervensystemes vertritt.
Es besteht aus einzelnen Knoten, dem
aufsteigenden und herabtretenden Berbindungsstrange,
und den Geflechten. Ein einzelnes Ganglion, ein Ganglienknoten,
ist eine für sich bestehende Nervenmasse, ein rund lich
eckiger Knoten, mit einer
zogen,
röthlich aussehend,
Membran über
grauliche
Masse
ent
haltend, auS innig verwebten Markfäden bestehend. Die beiden Hauptsträngc sind der große sym
pathische Nerve, der eigentlich nicht vom Gehirne, sondern vom Gangliensystcme ausgehend, von die
sem nach Oben hinaufsteigt und sich vielfältig mit den übrigen Hirnnerven, auch in der Schädelhöhle
selbst noch verbindet. Der andere Strang, den das Gehirn herab
sendet, ist der pneumogastrische Nerve.
Es ist die
ser Nerv durch seinen Einfluß auf Respiration und Verdauung und durch die Geflechte, die er bildet, ein wahrer Ganglicnnerv, seiner Funktion nach zur
Vegetation gehörend, zumal da er nicht mehr als Bewegungsnerv«: gelten kann, und der Beinerve als
92 Dewegungsnerve für Kehlkopf und Stimmorgane,
für Stimme und Sprache zu betrachten ist.
Bildet
das
Gangliensystem eine große dem
Hirne entgegengesetzte Masse, so sind die sympathi
schen und pneumogastrischen Nerven die vermitteln den Stränge zwischen beiden, jener vom Ganglien
system zum Hirne hinauf -, dieser vom Hirne zum Gangliensysteme herabsteigend. Das Zentrum des Gangliensystemes selbst ist
das
Sonnengeflechte,
Geflechte
cs
aber
giebt
verschiedene
für alle
des Gangliensystemes
einzelne
Gebilde der Vegetation, und jedes Geflechte kann wiederum als ein
Ganzes der einzelnen Knoten
und Vcrbindungsfädcn angesehen werden. Das Gangliensystem ist ein Sammelplatz der wichtigsten Nerven, mit allen Provinzen des Kör
pers in Verbindung stehend, und seine Verzweigun gen sehen es mit andern
Nerven
gleichsam
mit
seiner Außenwelt in Verbindung.
Es ist aber ein Ganzes für sich
und wirkt
belebend nnd bethätigend auf die Organe der Ve getation,
die durch dasselbe angeregt,
eigenthümlichen Struktur nen verrichten.
So sind
ihre
nach ihrer
besondern Funktio
die Nierengcflechte nicht
Harnnerven, die Lebergeflechte nicht Gallenncrven, sondern es ist dieses Nervensystem nur das Bele
bende im Allgemeinen, was jedes Einzelne zur be sondern Thätigkeit antreibt.
SS 2. Bewegungsnerven. Die Glieder - oder Bewegungs-Nerven ent
springen aus Hirn - und
ihre
durch
doppelte
Rückenmark und sind
Wurzel Bewegungs -
Empfindungs - Nerven zugleich,
indem
und
wohl der
Muskel, als so vielfacher freier Funktion unterlie gend , Empfindung
haben muß und gegen Reiz
nicht fühüos sein darf, um für die von verschiede nen Seiten ihm kommenden Eindrücke empfänglich
sein und gegen dieselben reagiren zu können. Ihre Eintheilung ist in Bewegungsnerven und Empfin
dungsnerven
und
zwar ist jede Parthie
wieder
doppelt, indem fie entweder aus dem Gehirne oder aus dem Rückcnmarke ihren Ursprung nehmen.
Ihr Zweck ist für die Bewegung der Glieder, namentlich des Rumpfes und
sic
sind aber auch Hülfsnerven
der Extremitäten,
für die Sinne;
für das Kauen, die Respiration, Sprache u. s. w. 3.
Sinnesnervcn.
Der Sinnesnerv vermittelt die wahrgenomme nen Eindrücke mit dem Gehirn und dadurch mit dem Bewußtsein,
er selbst aber ist unempfindlich
für Reiz und Schmerz und für Eindrücke anderer
Art,
so hat z. B. der Sehnerv
lichkeit
für
den
Schall,
der
keine Empfind
Riechnerv
keine
für die Farbe, ja der Sinnesnerve ist sogar un
empfänglich gegen Eindrücke seiner
eigenen
Art,
94 so daß der Sehnerve selbst daS Licht,
den
nerve
Geruch
der Riech-
nicht wahrnimmt,
und
die
SinneSempfindung und Wahrnehmung erst im Or
gane, in welches der Nerv sich verbreitet, entsteht.
Man theilt die Nerven der Sinnorgane in den spezifischen, den vermittelnden oder empfinden
den, den bewegenden und den Gangliennerv. Aber nur die vollkommen entwickelten Sinnen
haben diese vier Nervengattungcn wie z. B. Auge und Ohr, bei den andern sind sie wenigstens min der deutlich. Die einzelnen Sinnesnerven theilen sich ein
nach den Sinnorganen selbst.
Der Tastnerve ist einfach, mit den Bewegungs nerven verschmolzen, und die Möglichkeit des Ge
fühles und der Empfindung nur durch den doppel ten Ursprung der Wurzeln zu erklären,
Getrenntheit des
empfindenden
und
und die
bewegenden
Nerven trotz ihrer Verschmelzung, ist dennoch durch
die Erscheinung
nachgcwiesen,
daß bei manchen
Krankheitszufällen die Empfindung verloren werden und die Bewegung fortdauern, oder die Bewegung aufgehoben werden, und die Empfindung beharren kann.
Ob in den Gefühlswärzchen des Tastorgancö ein spezifischer Nerve für das Tasten bestehe,
ist
zur Zeit noch problematisch, wäre dieses der Fall, so wäre, weil Ganglicnnerven mit den feinsten
95 Gefäßen zutreten, auch hier schon die Vierheit deS spezifischen, empfindenden, bewegenden und Gang
lien-Nerven im Sinnorgane gegeben. Bei dem Schmeckfinne hat man wie doppelte
Organe so auch doppelte Nerven.
2(it der Zunge ist der spezifische Nerve der Zungcnschlundkopfnerve, der bewegende der Zungen-
flcischncrvc,
der empfindende oder vermittelnde ist
der Zungcnast vom dritten Stamme des fünften Paares, und das Ganglion ist angedeutct im Kic-
ferganglion desselben Nerven.
Für die Nase ist als Ganglion zu betrachten das Ganglion sphönopalatinum, welches durch seine
Zweige
mit
dem Geruchsorgane
steht, bewegender Nerv,
in Verbindung
so weit Bewegung hier
nöthig wird, ist der Antlihnerv, vermittelnde Ner ven sind der Augenhöhlen- Nasennerv, so wie der
Hintere Scitennasennerv, wozu noch mehrere Zweige
des fünften Parres kommen, und spezifischer Nerv ist der Geruchsnerve. Das Ohr hat als spezifischen Nerven den Ge
hörnerv, der begleitet ist vom Antlihnervcn als sei nen bewegenden, welcher durch die Paukensaite mit
den Vidischcn und Jakobsonschen Nerven, nnd da
durch mit den Aestcn des Drillingsnerven als ver mittelnden in Verbindung tritt, und als Ganglion besteht das neuentdeckte, noch viel bestrittene Gan
glion oticum.
96 Für das Auge ist diese Vierheit der Nerven am Klarsten ausgesprochen, spezifischer Nerv ist der Sehnerv,
bewegend find der Augenmuskel - und
Roll-Nerv und der abziehende Nerv, vermittelnd die verschiedenen Aeste
am
deutlichsten tritt
hier das Ganglion
des
Drillingsnerven
unter allen
und
Sinnesorganen
als Ciliarganglion mit seinen
Ciliarncrven hervor.
4. Hirngebilde. Die Hirngebilde oder Zentralmassen, bei dem
Menschen am Meisten entwickelt,
das höchste Ge
bild der materiellen Schöpfung,
find Träger der
Thätigkeit des Lebens, des Bewußtseins und Wil lens, insoweit dieses für ein einzelnes Organ zu
gegeben werden kann, und es hat das Hirn seine hohe Bedeutung als Vermittler der geistigen Exi stenz, die den Menschen erst zum Menschen macht.
Hier handelt cs fich mehr darum, als Träger
das Hirn
des organischen Lebens zu betrachten,
und das gcsammtc Nervensystem ist nur ein Gan zes und das Hirn dessen Zentralorgan und Mit
telpunkt.
Es theilen fich aber die Zentralparthien des
Nervensystems ganz
natürlich in Hirn - und Rü
ckenmark, und das Hirn unbestritten wieder in das große und das kleine.
91 DaS Rückenmark theilt sich in das eigentliche
Rückenmark und das verlängerte Mark.
Dieses
anzunehmen ist ebenfalls nicht willkührlich, auch ist es ein höherer Grund als seine Lage im Schädel,
das verlängerte Mark vom übrigen Rückcnmarke zu trennen. Betrachtet man nämlich das obere Ende des
Rückenmarkes,
wo die Hirnschenkel für das große
und kleine Gehirn entspringen, und untersucht man die Entfaltung
der Rückenmarksstränge aus dem
verlängerten Marke, und sieht man, wie auch fast
alle Hirnnervcn aus diesen Strängen entspringen,
so ist das verlängerte Mark als Nervenheerd für das ganze Cerebral- und Spinal-System anzu sehen, es ist Zentrum der Zcntralmassen.
Betrachtet man nun den Hirnknoten selbst als
Ganglion, welches die Schenkel für das große und kleine Hirn durch sich hindurchtrcten läßt und an Maße verstärkt, und die Brückenartigc Commissur
der
Hemisphärien
des kleinen Gehirns —
wie
diese Queerfasern mit den Hirnschenkeln sich kreuzen und verflechten — so ist wohl klar, daß hier Aus
strahlung und Conzentration zusammentreffen, und
diese Gebilde einen Bereinigungspunkt der Hirnge
bilde und zugleich Punkt der beginnenden periphe rischen Verbreitung konstatiren.
Diese zerfallen
Gebilde
die
als Basilargebildc ausgestellt,
sämmtlichen
Zentralmaffen 7
in Ba-
98 silargebilde, großes Hirn,
kleines Hirn, Rücken
mark. Diese Zentralmassen tufycn, aus verschiedenen
Substanzen bestehend,
in
mannigfaltige Formen
gestaltet, von verschiedenen Membranen umkleidet,
von einem dunstförmigen Hauche umfloßen, in knö chernen Höhlen, der Schädelhöhle und dem Wir
belkanal. Wollte man eine solche Gintheilung der Zentral massen noch weiter verfolgen, so könnte man km Hirne eine Jnsich-Conzentration als eine Reihe von Hirn
ganglien, Vierhügel, Sehhügel, Streifcnkörper u. s. w.,
und eine Entwicklung zur Erpansion als Entfaltung
der Hemisphärien, und zwischen diesen Richtungen
wieder
ein Schenkclsystem und
ein Balkensystem
unterscheiden u. s. w. Diese Skizze der menschlichen Anatomie mö
ge diesen Abschnitt beschließen; von den Thätig
keiten wird also bald die Rede sein.
Ueberblickt
man aber diese unsere Zusammenstellung der ge-
sammten Natur, so müßen wir nur mit dem Dich ter sprechen: Wie alles sich zum Ganzen webt,
Eins in dem Andern wirkt und lebt!
99
Die Seele ist Wesen. Gott offenbart sich als Geist,
er erfüllt die
Welt mit seiner lebendigen Kraft, ist ihr Leben und
ihr Wesen. Diese geistige Offenbarungsform steht gegen über der Natur, sie durchdringend und belebend,
und die Erscheinung deö Geistes ist Wirken und Thätigkeit, und über das All verbreitet
kann sie
Weltseele genannt werden.
Ihre leere Abstraktion ist die Zeit.
Die Kraft ist
aber nicht getrennt von
der
Masse, sondern diese ist durchdrungen vom Leben deS
Geistes, und
Geist
und Natur bilden
die
Welt. Hätten wir diese Erkenntniß erlangt, ten wir auch erkannt:
Was die Welt Im Innersten zusammenhält.
V-
so hät
100 Die Welt ist aber voll göttlichen Geistes und seiner Kraft, mögen Milchstraßen und Nebelstern
systeme, Sonnengebiete mit Irr-
und
sternen sich aus dem Aether bilden,
Wandel
oder werden
diese Bildungen auf einer Sphäre bis zum Ein
zelnen und Kleinsten fortgesetzt — so sind sie er füllt von lebendiger Kraft und durchdrungen vom
göttlichen Geiste. Schaut man auf die großen Bildungen des
Weltenreiches,
von
denen
Astronomie unS lehrt,
einige
Kenntniß
die
so ergeben sich uns Kräfte,
die dem Gesetze der Mathematik gehorchen;
oder
vielmehr das Gesetz der Mathematik ist von ihnen abstrahirt. Es war oben von Sonnen,
Planeten, Tra
und Kometen die Rede.
So wenig wir
banten
aber wissen von ihrem innern Reichthum der Ge
stalten,
so wenig wissen wir von der Art ihrer
Entstehung und Entwicklung, und nur Ort und Zeit
ihres Umlaufes ist uns bekannt. Wir sehen zwar, daß Sterne die Farbe und
den Glanz ihres Lichtes ändern, ganz verschwinden
und wiederkchren,
wir
sehen an
unserer Sonne
Sonnenfackeln als hellere, Sonnensiecken als dun klere Stellen, wir bemerken an einigen Planeten
hellere und dunklere den Himmelskörper umgebende Streifen,
die nicht selten sich ändern sollen.
inneres Leben ist uns unbekannt.
Ihr
101 Die Kräfte aber,
stens
äußerliche Leben
die das allgemeine, wenig dieser
Körper
vermitteln,
Pud uns einigermaßen bekannt, cs sind die Schwere,
die Attraktion, die Repulsion und die Schwunghaft.
Diese Kräfte sind das Wesen, und sollte auch ein Theil der Himmelskörper,
die ihrem Gesetze
unterliegen, zu Grunde gehen oder sich verändern,
diese Kräfte sind ihr Leben,
so weit der Erdbe
wohner dieses kennt. Schwere ist die einfache Kraft, das Streben der Materie nach Einheit, nach Einssein; Repul
sion ist das Ausdchnende,
Abstoßende; Attraktion
das Zusammendrängende, Vereinigende, und beide
Faktoren,
von
nur
denen
in
der
Attraktion
das Streben nach Contraktion, in der Repulsion der Drang nach Erpansion die Oberhand gewinnt, Diese Schwungkraft, die
bilden die Schwungkraft.
die Sphären um ihre eigene Achse wälzt und krei
send um ihren Zentralkörper treibt, ist das Resul tat dieser Kräfte, und durch diese Bewegung wird
die Einheit des Ganzen in Zeit und Raum wie
der hergestellt. Näher auf unsere Erde bezogen entwickelt sich auf dieser unserer Sphäre
Masse drängt sich um
selbst das Leben.
Die
den Mittelpunkt und die
Schwere erscheint als Cohäsion.
Die Sphäre be
kommt eine Achse, und deren Pole,, im Gegensatz, erzeugen den Magnetismus;
Polarität überhaupt
102 und das gegenseitige Anziehen und Abstoßen der Pole ist nur Attraktion und Repulsion in Bezieh
ung auf unsere Erde.
Die Achse und deren oberflächliche Erscheinung, der Meridian, werden gekreuzt durch die Queerachse, die oberflächlich alS Aequator erscheint,
diese seht
der Länge die Breite hinzu, wird also zur Fläche und entwickelt die Elektrizität, und die ganze kör
perlich gewordene Kugel entfaltet ihr innerliches Le ben im Chemismus, aus welchem sich daS höhere Le ben entwickelt. Chemismus ist aber körperliche Wechsel
durchdringung entgegengesehtcr Stoffe, Umwandlung zweier entgegengesehtcr zu einem neutralen dritten. Das Leben der Erde ist ein Theil vom Leben
GotteS,
seiner Natur
und seines Geistes.
Die
Masse ist nicht vom Leben erzeugt, das Leben nicht von der Masse, das Leben kommt nur durch die Ma terie zur Wirklichkeit.
Es war die Masse mit dem
Geiste früher inniger verbunden, und selbst das äl teste Menschengeschlecht der Erde naher verwandt,
bis es sich loöriß durch die Entwicklung des Gei stes.
Je tiefer nun auf der einen Seite das Le
ben der Erde hinabsinkt, so daß in den festruhen-
dcn Grundpfeilern, den Felsen, Gesteinen, Metallen und Erzen für die äußere Erscheinung cs fast ganz erlischt, und je mehr die todte Masse sich nach der
Tiefe senkte,
um so freieres Leben entwickelte sich
an der Oberfläche.
103 Die Lebensärmere Materie
trennt sich vom
höhern Wesen, der Geist reißt sich loS und gestaltet
sich zu Bildungen edleren Lebens.
Die Masse,
des innewohnenden Geistes verlustig, geht den Weg der Niederschläge, das höhere Leben sucht den Pfad
der Jndividualisirung auf. Die Organisation erscheint, Pflanzen wurzeln,
Thiere
leben auf dem durch
Licht und Wärme,
Lust und Wasser modifizirten Mineral, sie wachsen
und leben, sind aber das Höchste nicht.
Der lebende Erdgeist, das alte Chaos ist noch nicht zu sich selbst gekommen, nur Pflanzen und Thiere sind da, sic gehen aber verschiedentlich unter in Erdrevolutioncn und zeugen durch ihre riesigen
Reste von der Borzeit schöpferischer Bildungskraft.
Die Gottheit selbst schafft sich ein Wesen, das ihr gcgenüberstehe als eigenes Abbild,
in dem sie
sich selbst als in einem Spiegel beschaue.
Dieser
Spiegel muß aber das Urbild selbst zurückgeben,
muß unendlich sein, frei, bewußt, wie der Schöpfer selbst, und dieses Bild ist der Mensch.
Jetzt hat der Geist von der Masse sich losge-
riffen, sie ruht in tiefer friedlicher Stille, und er selber geht den Weg unendlicher Entwicklung. Der
Geist aber durch
die
Entwicklung
ge
trennt, sucht seine Erde stets wieder, und erhält ihr das Leben in den
Stufen:
Mineral,
Pflanze,
104 Thier und Mensch.
Er bleibt in stetem Verhält
niß zu seiner Erde, nur daß daS ursprüngliche Ver umkehrt in seinem Fortschreiten,
halten sich
eine Mutter
ihr hülfloses Kind
erst
trägt
wie und
pflegt, bald aber der erwachsene Sohn die alternde Mutter stützt. Mineral hat
Das
seine Bedeutung uur in
rnhigcm stillen Sein, die Pflanze wächst,
ist Or
ihr Lebensprozeß das Wachsen tritt in
ganismus,
Erscheinung durch den Stoffwechsel, uud sie durchläuft
ihre Perioden im Keimen, Grünen, Blühen und
Reifen.
Das Thier lebt
und ist Individuum.
Zum Stoffwechsel der Pflanze tritt auf dieser Stufe Willkühr und Sinnlichkeit, daS Thier lebt in Ge
fühl und Trieb. Der Schlußpunkt der irdischen Schöpfung ist
der Mensch.
Der Mensch denkt uud ist Person.
In ihm vollendet sich das mineralische Sein, das
pflanzliche Wachsen und das thierische Leben zum
Denken. Nur der Mensch hat eine vollendete Seele. ES hat der Mensch in seiner leiblichen Or
ganisation die vier Systeme: die Vegetation, und diese entspricht dem Chemismus in der Zersetzung
und Umwandlnng der Stoffe; die Artikulation ge
genüber dem Magnetismus der Außennatur,
Funktion der Faser in Längenpolarität; sualität
eine Thätigkeit größtentheils
als
die Sen-
der Häute,
also der Flächen, mithin der Elektrizität entsprechend,
105 und das Nervensystem als daS BekebungSprinzip
für das Ganze. Die
Vegetation
erhält und
reproduzirt den
Orgauismus durch die Aufnahme von Nahrung, indem ste den gewonnenen Stoff in die Indifferenz des Blutes leitet, und vom Hauche der Luft begeistet, als neu erzeugte Materie zu Theilen des
Organismus umwandelt.
Wie aus dieser Indiffe
renz des Blutes der individuelle Leib erwächst, so erzeugt die Indifferenz der Geschlechter im Begat
tungsakte das neue Individuum. Diese Funktionen sind alle noch thierisch, aber das Verhältniß des Beziehungslebens zur Vegetation
und zur Beseelung unterscheidet den Menschen vom
Thiere. Es ist das Dezichungslcben, als Bewegung
und Sinnlichkeit, allerdings zuerst und auch bei dem
Menschen an die Ernährung gebunden, bald aber reißt cs sich los und wird frei. Die Thätigkeit des Gliedcrsystems entspringt
aus der Aneignung der Nahrung, die Funktionen der
Sinnorgane aus der Unterscheidung, welche Nahrung
anzueignen sei, diese Thätigkeiten gehen also von der Ernährung aus, gränzen aber an den Geist,
die Sinnen mehr an das Bewußtsein, die Be wegung mehr an den Willen.
Anfänglich steht also das Beziehungsleben im Dienste der Vegetation,
allmählig aber wird es
von diesem Dienste frcigelasscn, und die Vollendung
106 deS Bezlchuug-leben- ist für daS Sinnensystem die Wissenschaft,
für
daS
Gliedersystem
die
Kunst.
Je mehr nun im Menschen diese Funktionen von der Ernährung sich losreißen,
um so mehr wird
die freie Thätigkeit selbstständig.
Alle Wissenschaft
alle Erkenntniß verklärt sich durch den Geist;
die
Kunst aber vom Gliedersysteme ausgehend ist An
fangs
mechanische Kunst
der
Taschenspieler
und
Äquilibristen, Ballet- und Seiltänzer und vollen
det sich endlich in der Fertigkeit der Darstellung, des
Musikers, Malers, Bildhauer«, ja als Deklamation und Gesang. Wenn aber
die Thätigkeit der Glieder mit
der Anschauung der Sinne sich wechselseitig durch
dringet und Eins das Andere ergänzt und unter stützt, dann muß auch anerkannt werden, menschlicher Natur,
Wissenschaft
und
daß in
Kunst des
Beziehungslebens Hochpunkt sei.
Würde man fragen,
durch
Mensch so hoch erhoben wurde,
was
denn
der
und wodurch wir
des Thieres tiefen Standpunkt erkennen, so müssen wir antworten: durch die Sprache. Das Thier hat Erinnerung und Gedächtniß,
cs gedenkt seiner Pflicht und seiner Rechte,
der
Wohlthat und der Strafe, es hat Gefühl für Dank
barkeit und Liebe, für Furcht und Rache, hat sinn liche Wahrnehmung,
oft schärfer als der Mensch,
101 es gehorcht aber auch dem blinden Triebe, erman
gelt der frei bewußten Selbstbestimmung. Vergleiche
Menschen,
man
mir
die
Entwicklung
des
wenn das Kind mit seiner Sprache
noch auf gleicher Stufe
mit
den Thieren steht,
und großer Aufschluß wird über deö Thieres Phy siologie erwachsen. Man hört am Thiere wie am Kinde Töne
und Laute des Gefühles und des Bedürfnisses, das
Brüllen des Löwen ist der Trieb nach Beute, das Winseln des Hundes ist das Gefühl von Schmerz, der Schlag
der
Nachtigall ist der
Seufzer der
Liebe — aber Sprache ist es nicht.
Wir gehen erwächst
hier
nun über zur Psychologie und es
vor
Allem die
Frage,
was
die
Seele sei? Soll
diese
Frage
beantwortet
müssen wir etwas weiter ausholen, men wir auf das Urschcma zurück:
werden,
so
und so kom
Gott offenbart
sich in Natur und Geist als Welt, und dieses in das Menschliche herabgezogen heißt:
das Indivi
duum erscheint durch Leib und Seele als Person.
Der Leib ist Erscheinung, ist Form, die Seele ist
Thätigkeit, ist Wesen. Das Leben des Leibes greift aber so in das
Leben der Seele ein und umgekehrt, daß Besondere und Zwei in Einem zu unterscheiden unmöglich ist.
Leib und Seele sind eben so verschmolzen,
wie in
108 einem
vollkommen
Neutralsalze Base
gesättigten
und Säure, so daß nicht mehr angegeben werden kann, welche Eigenschaft dem Einem oder dem An-
dern zukomme, eben weil Beide zu Einem gewor
den sind.
Die Seele ist nicht in
den
Körper cingc-
schloffen und kann doch auch nicht aus ihm heraus treten,
denn in beiden Fällen wäre sie räumlich
und körperlich. Die Seele ist kein Ertrakorporeum, daher gibt eS auch kein Organ der Seele, sondern
Alles an ihr ist lebendige Thätigkeit.
Daß das
Nervensystem vornämlich die Funktionen der Sensi
bilität vermittelt, ist klar, es kann aber nicht geradezu, und noch weniger irgend ein Gebilde des Nerven
systems oder gar Organ des Gehirns als Sitz der Seele betrachtet werden,
eben so gut könnte man
mit der
Ansicht
altcrthümlichen
Seele im Blute
sitze,
sagen,
daß
die
weil nach Blutverlust die
Seelencrscheinung aufhört, oder mit gleichem Rechte könnte man sagen,
Magen sein,
der Sitz der Seele müße im
weil der Mensch ohne Verdauung
nicht leben kann.
Die Seele ist Leben, ist Kraft
und Thätigkeit, es ist daher nicht anzugeben,
wo
die Wirksamkeit der Seele endige und die Erschei
nung des Leibes beginne, in welcher Funktion die Thätigkeit der Seele erlischt und die des Leibes beginnt, weil alle Thätigkeit Aktion der Seele ist.
Die Gränze zwischen Physiologie und Psychologie
109 ist ganz willkührlich, eigentlich gar keine, die Wis
senschaft aber hat gewisse Stufen geschieden, die sie der einen und andern zugetheilt hat. Der Mensch ist nun der Schlußpunkt der Or
ganisation
und steht
der
wie
Erde,
Geist der
Masse gegenüber.
Wenn nun nach dem Schema: Mensch, Leib,
Seele, Person, die Persönlichkeit das Wesen der Menschheit ist, und Leib und Seele deren Faktoren,
der Leib der materielle räumliche,
die Seele der
ideelle zeitliche, jener das Bestehende und Erschei nende, dieser das Thätige und Handelnde, so geht
die Definition dahin:
daß die Seele die Urfraft
des Lebens sei. Die Seele ist die Thätigkeit, die die höchsten
Vernunftidcen
und
Phantasiegebilde
bis zu
den
niedrigsten Funktionen der Bewegung, Assimilation
und Verdauung trägt, und alles Leben, Thun und
Handeln ist der Seele Werk, der Leib ist der Trä ger und das Organ der Kraft, durch die sie selbst zur Wirklichkeit kommt.
genwärtige
unendliche
Sie ist das überall ge Prinzip
des
menschlichen
Lebens. Die Seele ist die Einheit aller Thätigkeit im
Organismus, von welcher die besondern Funktionen
und Verrichtungen Brechungen sind,
wie der ein
fache Lichtstrahl durch das Prisma gebrochen wird zur Vielheit der Farben. Der Leib ist das Prisma,
110 in welchem
der
ungeteilte Lichtstrahl der Seele
zur Vielheit der Erscheinungen entfaltet wird.
Im Prisma aber liegt der Grund und die
Art der Brechung,
so im Leibe die verschiedenen
Ursachen zu verschiedenen Offenbarungen der Seele; wie aber aus Stärke und Glanz des Lichtstrahls
und Klarheit und Reinheit des Prismas das Helle
kräftige Farbenbild entsteht, so entspringt aus der Thätigkeit der Seele und Beschaffenheit des Leibes
die Quantität und Qualität der Funktionen. Die Materialisten haben Unrecht, das Denken,
überhaupt die Seele, als Resultat der Materie zu erklären; denn dieses wäre nur möglich dadurch,
daß man dem an sich Unthätigen, Bildsamen, Leb losen, die Thätigkeit und das Leben zuschriebe, und die Möglichkeit sich so weit zu organisiren und zu entwickeln,
daß
das
Denken
daraus
entstehen
könnte.
Liegt aber diese Kraft in ihr, so ist sie nicht rohe leere Materie, sic ist schon vom Geiste durch
drungen oder der Geist selber in seiner Verkör perung.
Die Seele ist also nicht die Effloreszenz des Organismus, aber ihr Träger ist der organische Leib. Hinderniße in der Entwicklung des Körpers,
Säfteverlust, Stumpfheit der Sinnen, Mangel von Organen, hemmen die Entwicklung und Erschei-
111 nung der Seele, die durch vortheilhafte körperliche
Einflüße begünstiget wird. Hierin
liegt das Verhältniß
des Leibes zur
Seele.
Aber auch die Idealisten haben Unrecht, wenn sie sagen, daß die Seele ihren Körper baue.
Der
Leib baut gerade eben so gut seine Seele, z. D. der
Taubstumme hat keinen
Sinn für Musik.
Hier
hindert die Organisation des Leibes die Entwick
lung der Seele,
weil der Mangel des
diesen Sinn unkultivirt lassen muß.
Gehöres
Denn es wird
doch wohl kaum eine taubstumme Seele geben, die
sich einen Leib ohne Gehör baut? Es müßte denn
in solchen Fällen bei organischen nnd Bildungs fehlern des Leibes die Seele selbst unvollkommen und mangelhaft sein,
was aber schon von selbst
darin seine Widerlegung findet,
daß bei großer
körperlicher Verkrüppelung oft eine große und er habene Seele zugegen ist.
Es verhält sich also hier, wie anderwärts ge sagt worden ist,
daß der Organismus die Basis,
aber nicht das Prinzip der Seelenthätigkeiten sei.
So zwar
daß auf dem Organismus
die Seele
wohl erblühe, aber nicht von ihm ausgehe, so daß
wer den Leib zerstört auch die Seelcnthätigkeit auf hebt, weil er das Organ vernichtet, durch welches dieselbe erscheinen muß.
112
Die Seele ist nun ba, wie kommt aber der Mensch zur Seele? wie entsteht sie, wächst sie ober wirb sie erworben? Wie ber erste Mensch zur Seele kam ent wickelt bie Schöpfungsgeschichte. Es mußte ein Schlußpunkt ber endlichen Schöpfung entstehen, ein Abbild und Spiegel der Gottheit, eine Vollendung der irdischen Kreatur. Dieses konnte aber nur ge schehen, indem zur materiellen Schöpfung die gei stige hinzutrat, oder auch aus ihr heraus sich ent wickelte. Als die Beseelung aus dem Erdchaos schied und dieses zur trägen Masse sich niederschlug, rief die Gottheit den Geist und er flüchtete sich zum Menschen, und der Mensch gewann die Seele. Nur die Jugendkraft der Erde vermochte Menschen zu bilden und ihnen eine lebendige Seele zu verleihen. Nachdem aber die erste Menschheit ihre Seele erhalten hatte und dastand, eigene Seele zu haben, und Seele der Erde zu sein, so mußte es bleiben, und wie die Menschheit sich erhält so erhalt sie auch ihre Seele, und wie jedes Individuum, jeder Einzelne die ganze Menschheit barstellt, so auch jede Seele. So wie nun der leibliche Mensch aus der Vermischung der Geschlechter durch Zeugung ent steht und leibliche Keime zur Bildung des Leibes
113 von den Zeugenden sich ablösen, eben so geht auch
der Keim der Seele als
geistige Thätigkeit
auf
das neue Wesen über, der geistige Theil des Men giebt im Zeugungsakte
schen
eben sowohl
Bestandtheil zum neuen Produkt
als
der
einen
orga
nische. Dieses Ueberströmen der Seele der Zeugenden giebt dem neuen Wesen die Seele,
und
es kann
mit Recht gesagt werden, die höchste Intensität der Lust sei die geistige Mitgabe für das neu geschaf fene Leben.
Jede Zeugung, jede Geburt,
ist ein fortge
setzter Akt der göttlichen Schöpfung, Leibes und der
Seele, die der Gattung übertragen ist, nachdem die Gottheit selbst ihr unmittelbares Schaffen beendigt hatte.
Die Seele
wird also auf diese Weise dem
neuen Individuum als Fortschreiten des Allgemei
nen zum Besondern aus der Gattung geschaffen, entspringt aus
der Vereinigung
der Geschlechter,
und hat, wie der Leib, aus der Menschheit hervor
gegangen, also auch den Inhalt der Menschheit. Ist nun in
den ersten Menschen eine Seele
gesetzt, so pflanzt sie sich fort von Geschlechte zu Geschlechte, und es ist bei der Zeugung mit dem
organischen auch zugleich der Keim der Seele ge geben, und sie entwickeln beide sich gleichzeitig, und
man sicht die Größe des Schöpfungsaktes aus der
8
114 körperlichen und geistigen Größe, zu welcher das
aus beiden Zeugungsslüßigkciten gemischte geistbe lebte Schleimklümpchen sich zu entwickeln und zu
erheben vermag. Nach diesen Betrachtungen über die Seele im Allgemeinen suchen wir nun deren Einzelnheiten. Die Seele ist zwar die Summe aller im Körper
enthaltenen Thätigkeit und Kraft,
hier wird
sie
aber dennoch von den niedern Funktionen geschie
den, von denen in der Physiologie die Rede zu sein hat. Es wird hier nicht genetisch verfahren,
wie
gewöhnlich, und die Thätigkeiten der Seele in ihrer
Entwicklung verfolgt;
sondern es wird der Reich
thum der Erscheinungen und die Mannigfaltigkeit der Seele dargcstellt, wie sie in der Natur neben
einander entfaltet liegen, und wir heben die Haupt punkte mit ihren Unterabtheilungen nebeneinander hervor, wie der Botaniker, dem eine Pflanze gege
ben ist, Alles Zugleich überblickt, vorerst aber die Blüthe ansieht, ehe er Blätter, Stengel und Zweige
betrachtet — oder
überhaupt wie
wir bei Dar
stellung der menschlichen Anatomie verfahren sind. Bewußtsein,
Gemüth,
Geist und Wille sind
aber die vier Hauptglieder der Psychologie. Das Bewußtsein ist das erste; denn ans freier
bewußter Thätigkeit muß Alles quellen, was den Menschen zum Menschen macht.
115 Nur durch das
Bewußtsein gelangt der Mensch
zur Persönlichkeit, wenn er selbst sich als sein Ich anerkennt.
Das Bewußtsein ist das Element des
Menschen, im Bewußtsein wurzeln alle andere Seclenthätigkeiten, aller Gedanke, aller Sinnescindruck,
alle Vorstellung und Anschauung. Alles Phantasie und Kunstprodukt,
jede
einzelne Handlung muß
auf das Bewußtsein bezogen werden,
muß zum
Bewußtsein kommen oder von ihm ausgehen. Es ist aber das Bewußtsein nicht der Consiur aller Seelenthätigkeitcn, sondern ihrEinheits- und Ausgangspunkt.
Der Wille ist das Thätige und Handelnde im
Menschen,
Freiheit und Selbstständigkeit, die ur
sprünglichen Prärogative des Menschen, sind nur
Der Wille geht Allem vor
vom Willen bedingt.
aus.
Der Wille muß erst den Gedanken wollen,
geht also allem Denken, Fühlen und Vorstcücn vor her.
Durch den Willen offenbart sich die Seele.
Nur der Wille macht frei und gibt die Fähigkeit
über sich selbst zu herrschen. Das Bewußtsein
Subjekt die Richtung,
Bewußtsein schweben, richten kann;
ist vom Gegenstände zum der
Gegenstand
muß im
ehe der Wille darauf sich
das Wissen muß aber auch gewollt
werden, das Bewußtsein durch den Willen nach
dem Gegenstände gezogen werden.
Wissen
und
des Seelenlebens,
Wollen sind die Grundfaktoren
und nur was das Bewußtsein
116 inne wird/ darauf handelt der Wille, und der Wille
strebt die Dinge in das Bewußtsein aufzunehmen. Sie stnb auch Eins in ihren Attributen der
Freiheit und Nothwendigkeit; denn die Freiheit ist beiden
nothwendig, und in ihrer Nothwendigkeit
sind sie beide frei.
Wille ist daher nicht, wo kein Bewußtsein ist, und Bewußtsein nicht, wo kein Wille ist.
Diese
beiden Momente bedingen sich und sind die Pole
des Seelenlebens. Zwischen beiden jenes
stehet
Gemüth
mehr daS Empfangende,
mehr das
und
Geist,
Ruhende, dieser
Handelnde und Wirkende, jenes dem
aufnehmenden Bestehen des Bewußtseins sich an
schmiegend, dieser den strebenden Willen verfolgend.
Das Gemüth ist daS Fühlende, Empfindende, der Geist das Denkende, Erkennende, beide aber be stehend nur durch ihre Beziehung zu Bewußtsein
und Willen.
Wie kann ich fühlen und empfinden,
wie erkennen und denken, ohne meiner selbst und der Äinge außer mir bewußt zn sein? ich aber fühlend
und empfindend,
wie kann
erkennend und
denkend thätig sein ohne zu wollen? dafür liegt
aber auch der erkennende Geist näher dem handeln den Willen und das empfangende Gemüth näher dem
ruhenden Bewußtsein.. Aber auch das Gemüth und
dessen Fühlen und Empfinden ist vom Willen ab-
117 hängig;
denn diese
find so
Funktionen
einfach
nicht, wie bald gezeigt werden soll.
Da aber Bewußtsein und Wille dem Denken und Borstellen wie dem Fühlen und Empfinden
vorhergehen müßen, so steht auch richtig Geist und zwischen beiden.
Gemüth das
Ruhende,
Das
Bewußtsein
in sich selbst Eine,
als
Ungetheilte,
die erste ursprüngliche Einheit der Seele,
umfaßt
den ganzen geistigen Menschen wie dieser sich offen bart in Gemüth und Geist,
und das stille Sein
des Bewußtseins geht durch die Ruhe des vollen deten Gemüthes über zum Streben des verklärten Geistes, und dieser schließt im Willen, der wieder
das Ganze umfaßt. Auf diese Weise ist aber der Inhalt der See
leufunktionen erschöpft.
Bewußtsein. Bewußtsein ist die ursprüngliche Einheit der
Seele, es ist dem Range wie der Entstehungszeit nach das Erste im geistigen Leben, es ist nicht In differenz, nicht Durchschnittspunkt, sondern Mittel
punkt
des
Seelenlebens
sondern
Seelenlebens,
und
die
find nicht synthetisch
analytisch
Radien
des
hineingezogen,
daraus entwickelt.
Das Be-
118 wußtsein
ist nicht Bereinigung der Vielheit zur
Allheit, sondern Einheit als Ausgangspunkt der ven-
schiedenen Seelenthätigkeiten.
Die Betrachtung des Bewußtseins ist uns hier besonders wichtig, weil von dessen Fortdauer oder Aufhören im Tode auch die Fortdauer oder das Aufhören
Individualität
der
und
Persönlichkeit
abhängig ist. Das Bewußtsein kommt nicht durch das Den
denn man denkt im Bewußtsein,
ken zu Stande;
wie der Vogel in der Luft fliegt,
der Fisch im
Wasser schwimmt, daö Bewußtsein ist das Element, in
welchem
Seelenwesen
alle
Mensch kann nicht anders
leben,
denn
der
denken als im Gegen
satze und in Beziehung zu dem Objekte.
ist
Bewußtsein
schon
dem Worte nach ein
Das Denken weiß vom Sein,
Wissen vom Sein.
der Geist von der Natur.
Es besteht aber ein
Gegensatz zwischen Wissendem und Seiendem und Daher
das Bewußtsein ist dessen Ausgleichung.
ist auch in Gott
er
die
absolute
das
höchste
Indifferenz
Bewußtsein,
weil
ist von Natur und
Geist. Bewußtsein ist Subjektobjektivitätsverhältniß,
eine Wechselwirkung zwischen Subjekt und Objekt. Einheit des Subjektes und Objektes, Indifferenz
des
Subjektes
und
Objektes — Aufnahme des
Seins in das Wissen, ist Bewußtsein.
Daö Be-
119 wußtsein hat verschiedene Stufen, als Weltbewußt
sein, empirisches Bewußtsein, Selbstbewußtsein und
Gottesbewußtscin.
1. Weltbewußtsein. Wenn das Individuum dahin gekommen ist, daß cs sich selbst von dem Gegenstände außer ihm
unterscheidet, daß das Ich sein Anderes von sich geschieden weiß, d. h. Subjekt und Objekt, ihr Ge
gensatz und ihre Aufnahme in einander in das Le ben getreten sind, aber um in der Sprache des ge
wöhnlichen Lebens zu reden, so zu sagen unbewußt, und das Bewußtsein selbst zu dunkel ist, um die
Art des Gegenstandes zu erkennen, und daher der
eine unbestimmte Gegenstand ihm alle Gegenstände ist, der Gegenstand also, das Andere, welches dem In
dividuum gegenüber steht, die gesammte Außenwelt
für dasselbe ist;
so ist dieses das Weltbewußtsein;
denn cs ist der eine ununterschiedene Gegenstand die ganze Welt, die im Bewußtsein liegt.
Dieses ist
das Bewußtsein des Fötus oder des neugebohrnen Kindes.
Da aber Sein und Werden der Gegensatz ist, der im eben erzeugten Wesen sich ausspricht,
Kraft und Stoff,
und
Geist und Natur sich verhaltcil
wie Subjekt und Objekt, so ist klar, daß diese Mo
mente sich vereinigen, die Rückwirkung des Stof fes auf die Kraft, in
die Kraft,
das
die
Aufnahme
Bewußtsein
des
ist,
Stoffes
aber
wie
120 eS sonst genannt wird,
schlafende;
daS latente, dämmernde,
während die Wirkung der Kraft auf
den Stoff der Wille ist,
im FötuSzustande der
Bildungstrieb. Das Subjektobjektivitätsverhältniß, der Gegensatz
des StoffeS und der Kraft, beginnt aber schon mit
der Zeugung, und daher auch, auf freilich niederster Stufe, das Bewußtsein als Weltbcwußtsein,
ihm gegenüber der Wille,
und
auf dieser Stufe als
Entwicklungskraft, als Bildungstrieb. 2. Empirisches Bewußtsein. Hat das Subjekt stch so weit fortentwickelt,
daß es sich selbst von Gegenständen unterscheidet,
sein eigenes Sein vom Sein der Dinge trennt, unter diesen eine Vielheit anerkennt, sich selbst aber wenn gleich noch als Gegenstand unter Gegenstän
den,
doch als die fortlaufende Einheit betrachtet,
welche bei dem Wechsel der verschiedenen Objekte
dieselbe bleibt, die Identität des Subjektes erhält bei dem Wechsel der Objekte, und die fortlaufenden
Gegenstände auf sich bezieht, sich selbst als bleiben den Gegenstand unter den vorübergehenhen betrach
tend;
so ist dieses das empirische Bewußtsein. Das
Kiud
auf dieser Stufe spricht:
Karl
wollen Aepfel essen; Julie heißer Ofen wehe thun;
oder die Menschheit auf kindlicher Stufe wird mit dem
Ureinwohner
Indiens sprechen:
wenn
der
121 weiße Mann durstig ist, wird -er rothe ihn zur
Quelle führen.
Hier fehlt noch die Persönlichkeit.
3. Selbstbewußtsein. Sobald aber die Individualität sich so weit
entwickelt hat, daß sie sich selbst als ihr Andere-
erkennt, sich selbst zum Objekte wird, so ist das
Selbstbewußtsein gefunden.
Ich hin Ich, mir sel
ber gleich und setze mich
selber, gilt hier ohne
Spott.
Das Ich kommt nur durch den Akt des
Selbstbewußtseins zu Stande, ist außer ihm Nichts,
und nur dieser Akt selbst. 4. Gottesbewußtsein.
Die Indifferenz des Subjektes und Objektes in das Höchste gesetzt, ist das absolute Bewußt
sein in der
Gottheit selbst,
hervorgchen.
Findet aber nun daS Subjekt nur
aus dem alle Dinge
mehr das Objekt in sich, und das Subjekt außer sich und dessen Wahrheit im höchsten Subjekte, so
verklärt sich das Selbstbewußtsein zum Gottesbe wußtsein, und die Seele tritt in ihr Verhältniß zu Gott.
Dieses
Aufgeben eigener Subjektivität und
Aufgehen in Gott erscheint dem Menschen in die
sem Leben nur in dunkler Ahnung, und tritt voll kommen ein erst mit dem Tode.
122 Wenn nämlich der Mensch selbst Objekt für ein höheres Bewußtsein geworden ist,
so hat er
aufgehort selbst Subjekt zu sein.
Weltbewußtsein und Gottesbewußtsein bestehen aber als PoK deS Bewußtseins im Allgemeinen,
von welchen jenes hereindämmert und dieseö hinaus aus diesem Leben. Das WeÜbewußtsem ist mit der Zeugung ge
geben, das GottrSbewußtsein ist das Verschwinden menschlicher Persönlichkeit, das Aufgehen der Seele in Gott.
Empirisches Bewußtsein und Selbstbe
wußtsein werden durch Entwicklung erworben und sind nur für dieses Leben. In Kürze wiederholt sind diese Stufen fol
gende :
Das
Weltbewußtsein entwickelt
Zeugung und
sich mit der
verharrt in ruhigem stillen Sein,
man heiße es Seelenschlaf, Allsinn, Zentralleben oder welchen Namen man ihm geben will.
werdenden Subjekte gegenüber
ist ihm
Den»
sein Leib
die ganze Welt, und so ist das Versunkensein in diesen das Weltbewußtsein. Wird das Kind geboren, so kommen fciü Ein
drücke der Außenwelt, es erwacht mit der Empfin
dung und Vorstellung Gefühl und Trieb, lernt das Kind
scheiden,
und so
eine Vielheit von Objekten unter
welchen
gegenüber cs selbst die Einheit
123 ist, und es ist also zum empirischen Bewußtsein gelangt.
Bei noch höherem Fortschreiten der Entwick
lung, wenn der innere Reichthum so groß gewor den ist, daß das Individuum, das Ich, sich selbst,
als Objekt anzuschauen vermag, entsteht das Selbst bewußtsein.
Das
Gottesbewußtsein tritt ein,
wenn das
Individuum diese Stufen durchlaufen hat und in
geistiger Versenkung, oder in der That und Wahr heit zurückkehrt zum Sein alles Seins, zum Wesen
aller Wesen.
Keine Art des Bewußtseins, wenn sie einmal entwickelt ist,
geht mehr unter.
Es versteht sich
daß hier vornämlich vom empirischen und Selbst
bewußtsein die Rede sei.
Man hat den natürli
chen Schlaf, das Schlafreden, Nachtwandeln, Fie
berhitze, Raserei, Ohnmacht, Delirium, Scheintod, ja die Trunkenheit angeführt, um daraus den Beweiß zu führen, daß das Bewußtsein periodisch untergche und wiederkchre.
Aber in den meisten wo nicht in allen Fällen, in welchen das Bewußtsein sollte verloren gegan gen sein,
ist es nur Mangel des Gcdächtyißes,
fehlende Erinnerung, der Mensch weiß nicht mehr, er gedenkt, er erinnert sich dessen nicht, was in sol chen Zuständen mit ihm vorgcgangen, was er ge
than, was er gewollt hat und was geschehen ist.
124 Das Schlafreden und der Traum und selbst die verschiedenen Stufen der Entäußerung mensch licher Würde durch Trunkenheit sind die Beweise, daß das Bewußtsein nicht verloren war.
Das Er
wachen des Scheintodten mit Erinnerung an Alles
Vorgegangene ist der klarste Beweis, und wir be haupten es, daß in andern Fällen nicht das 95es wußtsein, nur die Erinnerung fehle. Der Mensch lebt, handelt in solchen Fällen
bewußt fort,
aber das klare Bewußtsein ist um
dämmert vom Nebel der Leiblichkeit, es wird dun
kles, latentes Bewußtsein, oder nach unserer Ansicht
das Selbstbewußtsein sinkt zum empirischen, ja bis zum Wcltbewußtsein herab. Das Bewußtsein selbst aber geht nicht unter
im ganzen Leben und dauert vom Ende des Zeu
gungsaktes bis zum Anfänge des Todesschlafs.
Gemüth. Gemüth ist diejenige Thätigkeit unserer Seele,
die der inhaltvollen Tiefe entspricht, die dem Be
wußtsein und seiner Ruhe näher, durch Empfangen von Außen her ein Empfinden und Fühlen, das Zuständlsche
ihrer
der
Seele bezeichnet,
Entwicklung
im
einzelnen
und geht
in
Individuum,
125 wie
im ganzen Geschlechte,
der Entfaltung des
Geistes der Zeit noch voraus, während der Geist
als das Thätige und nach Außen Handelnde spä ter erscheint, und näher
an dem Willen gelegen
besteht.
Gemüth und Geist, die mittleren Faktoren des
Seelenlebens,
stehen
sich gegenüber zwischen Be
wußtsein und Wille, wie Bewegung und Sinnlich
keit zwischen Bildungs - und Nervensystem. Der Inhalt des Gemüthes ist Empfindung,
diese
vier
Stufen machen den gesammten Inhalt des
Ge
Gefühl,
Trieb und Stimmung, und
müthes aus.
1.
Empfindung.
Das Empfinden ist eine Zurückdrängung des Strebens
des Individuums
von der Außenwelt,
und dieses Zurückdrängen geschieht im Sinnorgan. Die Möglichkeit zu empfinden ist der Sinn,
der
Eindruck geht vom Gegenstände aus und der erste Reiz der Außenwelt giebt den ersten Eindruck.
Die Formen der Empfindung sind die Lebens empfindung, gußere und innere Sinnes - und die
Allgemein - Empfindung. Ehe verschiedene Sinne
sich
entwickeln und
verschiedener einzelner Eindrücke fähig werden, giebt der Gesammteindruck von Luft, Wärme, Licht, Schall
u. s. w. bei unentwickeltem oder ungeübtem Sinn-
126 Organ oder bei Undeutlichkeit des Eindruckes eine Gesammtempfindung, welche Lebens- oder DaseinsEmpfindung heißt.
Diese ist eine einfache Empfin
dung, geht aber über in die Empfindung des äus ser» und innern Sinnes.
Die äußere Sinnesem-
pfindung wird bedingt von dem Eindruck der Aus senwelt, in der innern Sinnesempfindung
ist das
Subjekt selbst thätig und die Empfindung vollendet
sich in der Allgemeincmpfindung, die nach Entwick lung der Sinnen mehrere oder alle Eindrücke kon-
zentrirt und nur von der Lebensempfindung dadurch verschieden ist, daß jene vor, diese nach Entwicklung
der einzelnen Sinnen cintritt. Da die Lebenscmpfindung eine
so ist sie selbst dunkel
unbestimmt,
einfache ist,
analog dem
Wcltbewußtsein, und da die Vielheit qualitativer
Verschiedenheit bei noch nicht geschehener Entwick lung der Sinnen nicht vorhanden ist, so hat diese Empfindung nur quantitative Differenz, als: Alienation, Depression, Eraltation, Modifikation des vorhandenen Zustandes, da die äußere Einwirkung
nur unbestimmte qualitätslose Wahrnehmung ver
anlassen kann. Der äußere Sinn und
die äußere Sinnes
empfindung besteht im Tasten, Schmecken, Hören und Sehen,
wie bei der Darstellung der Anato
mie des Sinnensystems schon gezeigt worden ist.
127
Was die innere Sinnesempfindung sei, das ist nun die Frage. Man hat viel vom innern Sinne gesprochen, ohne sich darüber klar zu werden Der innere Sinn ist aber ebenfalls Wahrnehmung wie der äußere, und seine Worte sind: Erregbarkeit, Aufmerksamkeit, Beurtheilung und Unterscheidung. Wie passend diese Eintheilung des innern Sinnes sei, ergiebt sich daraus, daß die innern Zustände des Individuums durch die angegebenen Funktionen beobachtet und empfunden werden. Es kann schon der äußere Sinn von äußern Eindrücken keine Wahrnehmung gewähren, ohne diese Funktionen des innern Sinnes; wird aber erst das Individuum mit seinen innern Zuständen sich selbst Gegenstand der Wahrnehmung, so kann es nur durch diesen innern Sinn geschehen. Man sieht aber auch hier sogleich, wie neben dem Bewußtsein auch der Wille schon in die ersten Glieder des Gemüthes, in die Empfindung, han delnd eingreift; denn, wenn auch der erste Ein druck der Außenwelt unwillkührlich ist, so ist die Aufmerksamkeit und Beurtheilung stets schon Re sultat des Willens. Die Allgemeinempfindung, die wieder eine einfache und zusammenfaßende ist, ist eine qualita tive, eraltirte, deprimirte, quantitative. Es ergiebt sich aber hier wie in der Vor stellung, von der bald die Rede sein wird, wie
128 alle Erkenntniß von der Sinnlichkeit ausgeht, und
alles geistige Leben sich aus äußerm und innerm Sinne entwickelt.
2.
Gefühl.
Das Gefühl entspringt auS der Empfindung, indem
diese sich bewußt
wird und
nehmung eines Zustandes giebt.
die Wahr
Das Gefühl ist
dadurch verschieden von der Empfindung,
daß die
Empfindung ein Vermögen der Seele ist, hingezogen oder affizirt zu werden von äußern oder innern
Objekten und zum Auffaßen derselben, welches Auf faßen Statt findet ohne das Angenehme oder Un
angenehme
davon wahrzunehmen.
Dadurch steht
das Gefühl um eine Stufe höher als die Empfin dung, daß hier der Empfindung die Beziehung des
empfundenen Gegenstandes zur wahrnehmcnden Per son beigeseüt wird.
Die Empfindung nimmt den Gegenstand wahr, da- Gefühl bestimmt sein Verhältniß zum wahr
nehmenden Subjekte,
und das
Wahrnehmen be
stimmter Zustände einer erhaltenen oder ermangeln den geistigen oder körperlichen Bestimuiuiig ist das Gefühl. Jeder Zustand des Individuums ist körperlich
oder geistig und dem Individuum zusagend oder
nicht.
Körperliches und geistiges Gefühl mit Lust
oder Unlust sind also die vier Arten der Gefühle,
129 Das erste ist Selbstgefühl
in Wahrnehmung indl-
vidueüer Persönlichkeit, körperlicher oder einzelner,
das letzte ist Wcltgefühl,
Wahrnehmung geistiger
oder universeller Zustände, beide aber unter dem Charakter der Lust und des Schmerzes, so daß das
Schema der Gefühle heißt: Selbstgefühl, Schmerz gefühl, Lustgefühl, Weltgefühl. Das Selbstgefühl als Gefühl leiblichen Da
seins und
erscheinender Persönlichkeit im fühlen
den Subjekte, und verschieden von der Lebenscm-
psi'ndung dadurch, daß alle erhaltene Bestimmungen auf das fühlende Subjekt selbst bezogen werden,
theilt sich in Lcbensgefühl, Zustandsgefühl, Wir
kungsgefühl und Befriedigungsgefühl.
Die unter dem Selbstgefühle bezeichneten Ge fühle gehen nun auf die physische Natur des Sub
jektes über, z. D. das Befriedigungsgcfühl,'als Sättigung nach Hunger und Durst, Ruhe nach Er
müdung, Befriedigung der Geschlechtslust u. s. w.,
während
diese Momente vorher als Zustandsge
fühle erschienen waren — sie verlieren sich aber
allmählig in die Physiologie, deren Abgränzung von der
Psychologie, wie oben schon gezeigt wurde,
willkührlich ist.
Das Lustgefühl ist erschöpft in Liebe, Freude, Hoffnung und Entzücken.
Liebe das Umfassendste, die allgemeinste An ziehung der Natur und des Geistes, des Menschen
9
130 höchstes Gebot und Bedürfniß; Freude daS wohl thuende Gefühl über die Erreichung deß geliebten
Gegenstandes, Hoffnung die Erwartung künftiger Freude, und das Entzücken verklärt alle drei alS
höchster Ausdruck erlangten Wunsches. Das Schmerzgefühl steht gegenüber, als Haß Traurigkeit, Furcht, Entsehen. Haß als Abneigung eng sich abschließend wo
Liebe sich erweitert,
abstoßend wo jene anzieht,
Traurigkeit das Mißbehagen über gegenwärtigen
Schmerz, Furcht Besorgniß vor zukünftigem Uebel,
Entsehen höchster Ausdruck des Schmerzes. Weiter verfolgt zerfallen diese
Glieder des
Lust - und Schmerzgefühles wicdennn: Liebe in Verehrung, Zuneigung, Anziehung, Freundschaft,
Freude in Zufriedenheit, Fröhlichkeit, Heiter keit, Lebenslust, Hoffnung in Sehnsucht, Duldung,
Glaube,
Zuversicht,
Entzücken in Ueberraschung, Erfüllung, Ge
währung, Stetigkeit; und gegenüber diesen lieblichen Töchtern dtr
Lust die Kinder des Schmerzes: Haß in Verachtung, Abneigung, Widerwillen,
Feindschaft,
Traurigkeit in Trübsinn,
Schwermuth,
Kummer,
Gram,
131 Furcht in Bangigkeit, Angst, Ahnung, Verzagen,
Entsetzen in Schrecken, Grauen, Verzweiflung Ohnmacht. Die entsprechende Stellung dieser Worte, daß,
z. D. die Glieder der Hoffnung wie die der Furcht
in der Zukunft liegen,
Seeligkeit und Ohnmacht
als die Extreme der Lust und des Schmerzes Zeit und Raum aufheben u. s. w., lehrt mehr als wei
tere Erklärung. Das letzte Glied des Gefühles, das Weltge
fühl, entfaltet sich als Naturgefühl, Kunstgefühl, Wis senschaftsgefühl, Religkonsgcfühl. Unter Naturgefühl ist das höhere verstanden,
das Kunstgefühl ist das ästhetische, das Wissenschafts gefühl das scientifische,
giebt der Wissenschaft sich
hin ohne sie klar zu erkennen,
und beide gehören
unter das Weltgefühl, weil sowohl die Kunst in
plastischer Schöpfung als die Wissenschaft in ratio neller Erkenntniß die Nachbildung der Welt ver
suchen, und das Religionsgefühl zieht die Idee deS
Glaubens und der Gottheit an.
3. Trieb. Das Gefühl stellt eine Lage, einen Zustand
des Subjektes dar,
der nach dem Charakter alles
Fuhlens angenehm oder unangenehm ist.
Es will
nun das fühlende Subjekt im Zustande der Wohl behaglichkeit verbleiben, oder der Unannehmlichkeit
sich entwinden.
Dieses erweckt eine Aktion, ein 9’-*
132 Begehren.
Das
gefühlte Bedürfniß erstrebt der
Trieb. Aller Trieb erscheint als Selbsttrieb/ abstoßen der Trieb, anziehender Trieb und Welttricb. Der Selbsttrieb beschrankt sich blos auf die
nächste Beziehung des Individuums als individuel les Begehren für die eigene Existenz, und zerfällt in den Lcbenstricb, Erhaltungstrieb, Bewegungs
trieb und Geschlcchtstricb. Der Lebcnstrieb ist der Trieb da zu sein und
schließt die Bedürfnisse des Leibes in sich, soweit diese aus der Physiologie hieher gezogen werden
wollen,
der Erhaltungstrieb strebt, den erlangten
behaglichen Zustand zu erhalten, der Bewegungs
trieb strebt das Uebel abzuwenden,
und der Gc-
schlechtstrieb ist das Streben, das an die Endlichkeit
gebundene und daher der Vernichtung unterworfene Individuum durch die Gattung zu erhalten,
und
steht somit dein Lebcnstriebe gegenüber, in welchem das
Individuum
durch
Befriedigung
natürlicher
Bedürfnisse sich selbst erhält.
Der abstoßende Trieb zerfällt in Zerstörungs sucht, Rachsucht, Wildheit, Wuth.
Die Zerstörungssucht strebt alles Unangenehme zu vernichten, die Rachsucht sucht Böses mit Bösem zu vergelten, Wildheit bedeutet hier das, was man
mit Unkultur bezeichnen möchte, und ist ein Begriff, für den mehr die Stufe als das Wort gefunden
133 ist.
Wuth ist der aus sich selbst herausgctrctenc
bis zum Aeußersten gesteigerte Trieb zu vernichten
und zu schaden. Der anziehende Trieb zieht Alles an,
was
der Mensch will, und in wessen Besitz er zu treten
wünscht, und gestaltet sich als Freßsucht, Habsucht, Herrschsucht, Hochmuth.
Die Frcßsucht auf der niedersten Stufe will Alles in sich selbst aufnehmen, verschlingen, und
bei Kindern und bei Geistesarmen ist cs das ein
zige Streben gegen die Außenwelt, sie zu essen. Was
die Freßsucht
nicht verschlingen
kann,
will die Habsucht besitzen, und was die Habsucht nicht besitzen kann, das will die Herrschsucht ihrer
Willkühr unterordnen,
will cs beherrschen.
WaS
sich aber auf keine Weise untcrordnen und sich be
herrschen läßt, darüber erhebt sich und setzt sich selbst
im eitlen
der Hochmuth
Dünkel über
die
Außenwelt. Diese Stufen
der Triebe zerlegen sich aber
weiter gleich den Gliedern der Gefühle. Im abstoßenden Triebe zerfällt: Die Zerstörungssucht in Uebermuth, Ausge
lassenheit, Rohheit, Prahlerei,
die Rachsucht in Unwillen, Zorn, Bosheit, Schadenfreude, Die Wildheit in Unbarmherzigkeit, Grausam
keit, Blutgier, Hartherzigkeit,
134 die Wuth in Mordlust, Sreitsucht, Raufsucht,
Raserei.
Gegenüber zertheilen sich die Glieder des an ziehenden Triebes: Die
Freßsucht
in
Unmäßigkeit,
Völlcrci,
Schlemmerei, Näscherei, die Habsucht
in Geiz,
Betrug,
Eigennutz,
Neid,
die Herrschsucht in Unverträglichkeit, Bedrückung, Despotismus,
Tyrannei,
der Hochmuth in Anmaßung,
Stolz,
Ein
bildung, Eitelkeit. Daß in der Stellung dieser Worte das ideelle,
am
Meisten
geistige
Glied als
das
letzte
und
höchste gesetzt ist, und auch Trieb und Leidenschaft
sich durch den Geist vollenden, bedarf wohl kaum bemerkt zu werden. Man wird hier die besondere Aufzählung der
Leidenschaften vermissen, so wie im Vorhergehenden
Es möge aber genü
die Berührung der Affekte.
gen anzuführen, daß Affekte nichts sind, als beson
ders hervorgehobene Gefühle, und Leidenschaft nichts ist,
als
der
bis
zum
Erzcntrischen
gesteigerte
Trieb.
Der Welttrieb geht auf die Gesammtheit der äußern Welt, oder sucht dieselbe im Innern des Individuums
nachzubilden.
Es ist dieser
Trieb
135 die Richtung dcö Lebens, über seine eigne Indivi dualität hinaus auf das Ganze zu wirken,
oder
dieses im Einzelnen zu begreifen und nachzubildcn. Es
ist dieser Welttrieb
Naturtrieb,
Kunsttrieb,
Wissenschaftstrieb, Rcligionstrieb. Der Naturtrieb ist der veredelte, der Zug die Neigung zur Natur, gegenüber dem Naturgcfühl;
der Kunsttrieb ist entweder
der plastisch produzi-
rende oder der genießende, der Wissenschaftstrieb ist das Streben nach Erkenntniß, und der Religions trieb der Drang nach
dischcn,
dem Erhabenen, Ueberir-
Göttlichen.
4. Stimmung. Das Letzte des Gemüthes ist die Stimmung. Diese faßt zusammen, was im ganzen Gemüthe enthalten ist, und giebt den Gesammteindruck des
ganzen Gemüthes.
Je nachdem die Empfindung den Stoff ge währt, das Gefühl diesen behaglich oder unbehag lich findet, und der Trieb das Angenehme zu errei
chen, das Schmerzliche zu entfernen vermag, dem nach fällt die Stimmung aus.
Die Stimmung
ist Totalaffektion des Gemüthes, die wie oben ge zeigt, dessen ganzen Inhalt zusammenfaßt. Man theilt auch die Stimmung in eine finn-
liche, künstlerische, wissenschaftliche, religiöse.
136 Die sinnliche Natur aber zerfällt in Mineral, Pflanze, Thier und Mensch; die Kunst in Poesie, Musik, Malerei und Plastik;
die Wissenschaft in
Jurisprudenz, Medizin, Theologie;
Philosophie,
die Religion in Naturreligion, Bcrnunftreligion, Aberglaube, Offenbarung, und nach dieser Stufen
eintheilung lassen sich auch die Funktionen des Ge müthes,
die Empfindungen, Gefühle, Triebe und
Stimmungen bezeichnen. Diese Eintheilungen gewinnen aber mehr km
Folgenden
bei
Entwicklung
Idee erst
ihre
Seelenlebens ist
der
der
wahre Bedeutung.
G e i ft. Die
dritte Stufe des
Geist, dem empfangenden Gemüthe gegenüber das
Handelnde, Erkennende, Zeugende.
Geist ist Licht,
Gemüth ist Warme, daher auch die Sprache rich
tig von heißem, warmen Gemüthe und Hellem kla ren Geiste redet.
Abgesehen von allen andern Be
deutungen, die man sonst dem Worte Geist unter
legen könnte,
ist er hier das erkennende und den
kende Prinzip der Seele.
Der Inhalt des Geistes besteht in Vorstellung, Anschauung, Begriff und Stufen sind
Idee, nnd
diese
vier
die Entwicklungen des Geistes und
machen seinen vollen Reichthum aus.
137
1. Vorstellung.
Vorstellung ist die erste Stufe der Nachbildung objektiver Wcltform im Subjekte, und ist nur mög lich durch den in das Leben getretenen Gegensatz von Subjekt und Objekt, also Bewußtsein; Vor stellung ist aber dadurch verschieden vom Bewußt sein, daß dieses die allgemeine Athmosphäre ist, in welcher alles geistige Leben sich regt, Vorstellung aber nur das (Einzelne. Bewußtsein ist das All gemeine , die Möglichkeit aller besondern Geistes thätigkeiten, aus welcher die einzelnen in ihrer Geschiedenheit hervortreten. Diese erste Stufe des Geistes, die Vorstellung, ist elementarisch, sie faßt die Elemente der Dinge auf, bezieht sich auf Einzelnheiten, führt den Ge genstand dem Geiste vor, wie er ihr selbst objektiv geworden ist, sei er innerlicher oder äußerlicher; sie liefert, sie erzeugt dem Geiste Stoff und Material. Die Glieder der Vorstellung sind: AuffaßungsVermögen, äußerer Sinn, innerer Sinn, Erkennt nißvermögen. Zum Vorstellen ist erforderlich das geistige Subjekt, ein Objekt, die Richtung des Geistes da rauf, und das daraus entstandene Produkt, wodurch der Gegenstand dem Geiste zur Erkenntniß wird, ist die Vorstellung. Das Objekt ist immer etwas Sinnliches in der Wirklichkeit Gegebenes, vom vorstellenden Sub-
138 feste Geschiedenes, obgleich int höhern Denken der Geist stch selbst Objekt werden kann. das Objekt äußeres,
Es ist also
wenn es aus der sinnlichen
Welt kommt, und inneres, wenn das Denken selbst
sich zum Gegenstände wird.
Soll nun der Mensch
in seiner Vorstellung
nachbilden was in und außer ihm eristirt, so muß auch Innen - und Außenwelt der Vorstellung offen
liegen. Die Fähigkeit die Gegenstände in den Geist
aufzunehmen, heißt Auffaßungsvermögenz
ist aber
aller Gegenstand, welcher immerhin der Vorstellung geboten werden mag,
stets ein sinnlich gegebener,
und dieser äußerer oder innerer, so wird der äußere
Gegenstand vom äußern,
der innere vom innern
Sinne aufgefaßt, und das Resultat dieser Auffaß-
ung durch äußere und
innere Sinnlichkeit ist die
Erkenntniß. Das Auffaßungsvermögcn also und seine bei
den Richtungen auf das äußere und innere Objekt,
als äußerer und innerer Sinn,
mit der daraus
entspringenden Erkenntniß machen den Inhalt der Vorstellung aus. Das
Auffaßungsvermögen selbst könnte wie
derum, je nachdem es die äußere oder innere Rich
tung verfolgt,
und geistigen oder sinnlichen Ein
druck zu perzipiren hat, eingetheilt werden in sinn
liches, äußeres, inneres, geistiges.
139 Der äußere Sinn
zerfällt in Gctaste, Ge
schmack, Gehör, Gesicht, wie unter Darstellung der Anatomie schon gezeigt wurde, und wir vernehmen mit doppelten Sinnorgancn einfach, weil die Vor
stellung des Gegenstandes eine einfache ist, und das
wahrnehmende Subjekt auch von doppelten Sinnes eindrücken nur einfach modifizirt wird. Dem innern Sinne gaben wir bei Abhandlung der Empfindung die Prädikate, die der Sinn
lichkeit im Allgemeinen mehr zukommcn.
und der höheren um so
Diese sind
Erregbarkeit durch
den Eindruck, wodurch das freie Prinzip zur Ge-
gcnwirksamkeit gereizt wird, und diese erscheint ver
möge des darauf gerichteten Willens als Aufmerk samkeit; dieser folgt, ebenfalls veranlaßt vom freien Prinzipe, die Beurtheilung, und nun ergiebt sich die
Unterscheidung, wodurch erst das Wesen der Wahr nehmung erschöpft wird.
Wie sich aus dem vorhergehenden ergiebt, ist der äußere und innere Sinn auch das zweite und dritte Glied der Empfindung,
stellung.
wie hier der Vor
Empfindung und Vorstellung sind aber
die ersten Stufen,
jene des Gemüthes, diese des
Geistes, Gemüth und Geist entspringen lalso aus
gleicher Wurzel, der äußern und innern Sinnlich keit.
Diese
äußere und innere
Sinnlichkeit er
scheint hiemit in genetischer Entwicklung als Ur sprung und Wurzel aller Seelenthätigkeiten, und
140 nachdem der Einfluß von Bewußtsein und Wille auf Empfindung und Vorstellung nachgcwiescn wor den ist, so
ist durch die Darstellung dieser beiden
Stufen auch der Beweis geliefert,
daß alle See-
lenfunktionen zwischen Bewußtsein und Wille schwe ben und diese wirklich die Grundfaktoren alles See
lenlebens sind. Der Vorstellung viertes Glied ist das Erkennt
nißvermögen.
In der Erkenntniß verschwinden die
aufgcfaßten Einzelnheiten der Gegenstände und bil
den ein Ganzes. Das Mannigfaltige ist hier schon,
so weit es für diese Stufe paßt, zur Einheit ver knüpft, und das Erkenntnißvermögen selbst ist em
pirisches, objektives, subjektives, rationales.
2. Anschauung.
Was die Vorstellung als Einzclnhcit aus dem
Leben der Dinge in sich ausgenommen hat, wird in der
Anschauung zusammen in
betrachtet,
ruhigem
Bestehen
ehe der trennende Begriff es zerreißt
und sondert.
Die Anschauung tritt hier in höherer
Würde als gewöhnlich auf.
Sie
entfaltet das von der Vorstellung gelie
ferte nach seinem ganzen Umfange, betrachtet den Gegenstand
nach
allen
Seiten
und Richtungen,
legt dem Geiste das Material zur Uebersicht und Untersuchung dar, hebt Dieses oder Jenes beson-
141
ders hervor, ist gleichsam das Magazin des Gei stes, woraus er sein Bedürfniß wählt. Die Glieder der Anschauung sind die Ein bildungskraft, Erinnerung, Gedächtniß und Phan tasie, unter denen Einbildungskraft und Phantasie nur Neues schaffen, zum vollständigen Reichthum des Geistes aber Erinnerung und Gedächtniß das 2(fte wiederholen. Die Einbildungskraft durch eigene innere Thätigkeit, ohne Wechselwirkung der äußern Sinnen und Gegenstände, Bilder hcrvorrufend und der Anschauung darstellend, mehr der räumlichen Er scheinung entsprechend, lieber Bilder als Thaten betrachtend, zerfällt in die unwillkuhrliche, produk tive, reproduktive und freischaffende.
Die reproduktive kann dem Geiste gehabte Bilder zurückrufen, schließt sich der Erinnerung an, die produktive erschafft selbst Neues, gränzt an die Phantasie, beide aber stehen unter dem Charakter der Unfreiheit und der Willkühr, ob nämlich die Bilder und Anschauungen sich nach der Bestimmung des freien Willens oder unwillkührlich, wie meist bei poetischen Produktionen, entwickeln. Erinnerung wie das Gedächtniß, mehr in die zeitliche Entwicklung eingehend, mehr an Ercigniße und Begebenheiten sich haltend, vermittelt die Vergangenheit mit der Gegenwart.
142 Wesentlich kommen allerdings diese Momente
auch dem Gedächtniß zu, es unterscheidet sich aber die Erinnerung von dem Gedächtniß dadurch, daß
erstere die Dinge nur unwillkührlich wiederholt, den
Gegenstand oft nur unvollständig giebt,
während
das Gedächtniß mehr der Freiheit und Wiükühr untergeordnet ist und die Dinge vollständig rcproduzirt.
Die Erinnerung zerfällt in Achtsamkeit, An reihung, Wiederholung und Verknüpfung, und die ses sind die Momente, namentlich die beiden mitt
leren, welche oft gegen Wunsch und Absicht Dinge reproduziren, die man der Vergessenheit zu über lassen wünschte, oft aber auch das Gesuchte nur mi-
deutlich und unvollständig wiedcrgeben.
Das Gedächtniß gestaltet sich als Personen Orts - Zahlen - und
Sachgcdächtniß;
denn alles
Ding ist entweder Person oder Sache uud eristirt in Zeit und Raum.
Die Phantasie ist das Vermögen der Ideale. Sie unterscheidet sich dadurch von der Einbildungs kraft, daß ihre Produkte das Gepräge der Allheit,
Universalität und
Vollständigkeit an
sich tragen,
während die Formen und Bilder der Einbildungs kraft mehr auf dem Boden der Einzelnheit und Beschränktheit wurzeln.
Die Glieder der Phanta
sie sind: Ersindungsgeist,
Künstlergenie,
schaftssinn und Begeisterung,
Wissen
143 Selbst die Entwicklung ihrer Gliederung trennt und erhebt die Phantasie bei
Weitem über
die
Einbildungskraft. 3.
Begriff. ist
Diese Stufe
die
wisienschaftliche,
wenn
man die vorhergehende die künstlerische nennen will. Es enthält diese dritte Stufe
höhere Denkvermögen,
des
Geistes
das
weil das Denken jetzt mit
sich selbst in Wechselwirkung tritt. Es ist aber hier nicht vom gewöhnlichen Begriffe die Rede, sondern es handelt sich von der ganzen Stufe des konsequenten
wiffenschaftlichen Denkens, der logischen Geistesthätig-
keitcn, und es verhält sich diese Stufe des Denkens
zum gewöhnlichen Denken ungefähr wie das Selbstbe
wußtsein zum gewöhnlichen Bewußtsein, indem hier das Denken sich selbst zum Gegenstände des Ge
dachtwerdens wird.
Der gcrvöhnliche
Begriff zeichnet sich
durch
Sichten und Sondern aus, sondert nach Gattungs und Geschlechtsmerkmalen, sammelt das Vorgestellte und Angeschaute
nach allgemeinen Regeln
durch
Verbindung und Trennung und Beziehung der we sentlichen und unwesentlichen Unterschiede.
Diese eben bezeichneten Verhältnisse des ge
wöhnlichen Begriffes kommen zwar auch auf die
ser Stufe vor, jedoch nur untergeordnet, für dieselbe nicht erschöpfend.
und sind
144 Vorstellung
ist
das
Verknüpfen der Wahr
nehmungen zur Einheit, Begriff ist das Verknüpfen
der Vorstellungen zur Einheit. Die
Glieder
des Begriffes
stnd
Verstand,
Klugheit, Urtheilskraft, Vernunft Der Verstand ist das Vermögen des Einvcr-
stehens, Zusammenfassens,
des Begreifens,
Zersetzens eines Gegenstandes
des
in einzelne Merk
male und des Verbindens derselben zu neuen all gemeinen Begriffen.
Der Verstand selbst wie er hier bezeichnet ist, zerfällt in die Perzeption, als
Zusammenfaffen,
Erhebung einer Theilvorstellung zum Ganzen, Ber-
standeserkenntniß;
in
die
Reflexion, eine Ver
gleichung der gemeinschaftlichen Merkmale, ein Gegenüberstcllcn der einzelnen Thcilvorstellungcn, wo
jede einzelne gegen die andere abgewogen mit ihr
verglichen wird; in die Abstraktion, als das eigent
liche Absondern oder zusammenfassendc Vergleichung
der einzelnen gemeinschaftlichen Merkmale und Un
terschiede, wobei die wesentlichen übereinstimmen
den Eigenschaften hcrausgehoben, die unwesentlichen disharmonirenden beseitigt werden;
in die Com
bination, in welcher Vorstellungen, die sich sonst ausschließen, durch Aufnahme in eine höhere Ein
heit wieder verbunden werden. Klugheit. Dieser Begriff, von dem mehr die Stufe
als das rechte Wort gefunden ist, bedeutet hier prak-
I4L tische Urthellskraft gegenüber der wissenschaftlichen. In geistigen Prozessen ohne
völlig klar zu werden,
sich
deiiüwch
des Herganges
beit
Gegenstand
richtig zu beurtheilen, ist die Sache der Klugheit
— was man sonst mit Lcbensklughcit, praktischem Sinn u. s. w. bezeichnet. Diese Klugheit ist das Weibliche,
wie das
Gemüth, und häufiger bei dem Weibe, als beim Mann, sie macht den Charakter des Weibes aus,
verhält sich zu der ihr gcgcnüberstehendcn Urtheils
kraft, wie das Gemüth zum Geiste.
Ihre Glieder sind Sinn, Wih, Scharfsinn und Tiefsinn.
Der Sinn ist hier als Anlage, als Kopf, Takt
u. s. w. zu begreifen, als Fähigkeit ohne langes Denken und klares Bewußtsein bald das Rechte zu finden;
der Witz
ist es,
der mit obersiächlichen
Aehnlichkeitcn ohne tiefe innere Begründung spielt;
der Scharfsinn findet Aehnlichkeitcn und Diffirenzcn der Dinge, die der gewöhnliche Verstand nicht mehr sicht; und der Tiefsinn, aber nicht der hy
pochondrische und melancholische, sondern der wirk lich tief blickende, ist es, der das Gründliche und
Wahre der Dinge erkennt. Die Urtheilskraft
steht der praktischen Klug
heit als das Gebiet des theoretischen Wissens ge
genüber, und sie ist das Feld der Logik.
Es han
delt sich aber hier nicht um die logische Form des 10
146 Urtheil- und dessen Hergang, fonbcm um die gei
stigen Funktionen, dasselbe zu erzeugen. Zum Urtheile gehören zwei VorsteÜungen, die
von der Anschauung dem Geiste vorgehalteu werden müßen, von denen die eine eine allgemeine ist, weitere Ausdehnung hat, die andere eine besondere
ist,
geringere
Ausdehnung besitzt;
entsteht noch kein Urtheil;
aber dadurch
sondern erst durch das
flufmerffame Betrachten, die wechselseitige Beziehung und die freie Bestimmung,
wodurch Verbindung
oder Trennung ausgesprochen wird, wird das Ur theil gebildet.
Dieses
geschieht unter
dem Verhältnisse der
Ähnlichkeit und Uebereinstimmung, oder der Ver
schiedenheit und des Gegensatzes,
ist das Urtheil verbindend,
von
was
der
im ersten Falle
im zweiten trennend,
freien vergleichenden Bestimmung
ausgeht, die zuletzt den Ausschlag giebt. Das Erwägen im Geiste ist des Urtheils Erstes,
dann
tritt
die
gegenseitige Beziehung und
Be
trachtung verbindend und trennend ein, und end
lich führt die Vergleichung zum Resultate, so daß also die Glieder der Urtheilskraft bestehen: in Denk kraft,
Verhindungs- und Trcnnungs- und Ver-
gleichungs - Vermögen.
Die Vernunft ist das Vermögen, das Man nigfaltige zu noch höherer Einheit zu verbinden.
147 als es durch Verstand, Klugheit und Urtheilskrast ge schehen kann. Der Verstand wird Einheit der Vorstel
lungen durch den Begriff im gewöhnlichen Sinn, die Vernunft ist Einheit der Begriffe durch Prinzipien.
Wenn der Verstand auf unserer Begriffsstufe Gedanken und Anstchten bildet,
die die Lebensklugheit unbe
wußt, die Urtheilskraft aber mit Bewußtsein und
Klarheit nach Grundsätzen ordnet, trennt und ver einigt, also Urtheile bildet z so erhebt sich die Ver
nunft zu
Schlüßen, und vollendet hiedurch die
höchste Form der relativen Wahrheit, die aus For men des menschlichen Denkens gebildet, nur in so
ferne wahr ist, als der Grundsatz richtig ist, von
dem sie abgeleitet wurde. Die Vernunft hat schon Totalität der Bestim
mungen, während im Verstände nur noch Partialität herrschend ist.
In dieser Hinsicht ist also die Vernunft das Vermögen der Prinzipien, Prinzip aber ist, waS
ein ganzes System von Begriffen zur Einheit ver
bindet.
Das Prinzip hat Totalität für den gege
benen Fall, aber noch keine absolute Wahrheit und
Universalität, diese liegt erst in den Ideen. Die Vernunft ist es, und durch
die die Urtheile prüft
Schluffe sich zur Erkenntniß verhilft.
Ihre Glieder sind daher Forschungsgeist, Unterordnung, Ausschließung, Schlußvermögen.
14$ 4- Idee. Die Idee ist das Höchste, wozu der Geist sich
erhebt, in der er Alles umfaßt, was ihm gegeben
worden ist.
Die Idee ist universell, geht von den
höchsten Prinzipien aus, sammelt die Einzelnheiten zur Vollständigkeit und Allseitigkeit und
vollendet
alles Wissen durch Zurückführung auf die Univer
salität aller Erscheinungen und Entwicklungen des
Geistes und der Natur. Unsere Stufe der Vorstellung sammelt einzelne
Dinge, Gegenstände und ihre Erscheinungsformen, ist Einzelnhcit;
die Anschauung legt ihren erhal
tenen oder sclbstgeschaffenen Inhalt und Reichthum dem Geiste vor, ist Mannigfaltigkeit; der Begriff
begränzt und beschränkt das Gegebene zur Geschlos
senheit eines Ganzen, ist Zusammenfassung;
die
Zdee ist höchste Einheit, Universalität, und vollendet durch
ihre
Allseitigkeit
und
Vollständigkeit
die
Erkenntniß der Dinge.
Die
höchste
Mannigfaltigkeit
findet in der
Idee ihre höchste Einheit, und aus dieser lcztcn Einheit entwickelt sich wiederum die reichste Man
nigfaltigkeit. Im ersten Falle ist die Idee Schlußpunkt, und die Entwicklung Synthesis, im zweiten ist die Idee
Ausgangspunkt, und die Entwicklung Analysis.
Ideen sind aber Gedanken im Verhältniß zu den Ertremen des Weltalls und
man kommt zu
ihnen durch Ableitung von der Uridee.
149 Die Zahl der Ideen
unendlich , ein jedes
Ding hat seine Idee, denn? sonst wäre cs nicht; cs giebt also soviel Idexg, als es Dinge gibt, d. h. eine Unendlichkeit. Die erste Idee aber ist Gott.
Gott hat sich
geoffenbart als Welt, dieses giebt zwei Ideen. Die Offenbarungsform ist aber doppelt, als Natur und
Geist, also sind vier Ideen.
Gott, Natur, Geist
und Welt sind die Grundideen, und jede derselben
kann sich wieder weiter entwickeln. Menschlicherweise genommen ist das ideelle Verhältniß zu Gott ein religiöses, die plastisch-ideelle
Nachbildung des sichtbaren Weltalls ist künstlerisch, die ideelle Auffaßung der Natur und des GcisteS ist wissenschaftlich, und die Welt selbst als Außen
natur erscheint
dem Menschen als
Somit sind nun Religion,
Sinnlichkeit.
Kunst, Wissenschaft
uud Sinnlichkeit die ersten Ideen des Menschen. Es ist bereits oben am Ende der Entwicklung
des Gemüthes, bei Darstellung
der
Stimmung
angedeutet worden und wird hier wiederholt,
wie
die Religion in Naturreligion, Vernunftreligion,
Aberglaube und Offenbarung,
die Wissenschaft in
Philosophie, Jurisprudenz, Medizin und Theologie;
die Kunst in Poesie, Musik, Malerei und Plastik; und endlich die Sinnlichkeit in ihrer irdischen Er
scheinung in Mineral, Pstanze, Thier und Mensch zerfalle — und was im Gemüthe pon der Stim-
150 mung galt, das gilt noch mehr im Geiste von der Idee, daß nämlich diese Stufen Ableitungen sind
von den Grundideen, und fortgesetzt werden können bis in das Einzelnste.
Wille. Der Wille ist
der
andere Grundfaktor der
Seele, während das Bewußtsein der erste ist. Ohne Willen ist keine Freiheit und somit kein menschlich
Es versteht sich von selbst, daß
persönliches Wesen.
hier nur von dem freien vernünftigen Willen die Rede ist,
der sonst auch Vernunftwille, Selbstbe Autonomie,
stimmung,
u. s. w. ge
Autokratie
nannt wird. Der Wille kann nicht unter das Denken ge
stellt werden, denn er ist selbst zum Denken noth
wendig, der Mensch bedarf zu Allem den Antrieb
des Willens und der sclbstbcstimmenden Kraft; der Wille
ist
auch
vor
dem
Gedanken
da,
denn
selbst das Denken kann nicht ohne Wille geschehen, und auch der Gedanke muß gewollt werden. Der Wille geht auch nicht vom Triebe aus;
denn wo blinder Trieb, «»gebändigt hinreißende Leidenschaft herrscht, überhaupt Trübung des Be wußtseins eingetreten oder dasselbe nicht zur vollen Klarheit entwickelt
ist,
auch nicht die Rede sein.
kann von
freiem Willen
151 Wenn im unentwickelten Zustande z. B. im Kinde oder bei einer Nation auf tiefer Stufe der
Kultur nur der Trieb hervortritt, ist es nicht der Wille, der aus dem Triebe entspringt, sondern es
ist der Trieb nur eine unvollkommene Offenbarung des Willens. Der Wille geht also nicht aus vom Geiste
oder der Erkenntniß, er geht nicht aus vom Ge
müthe,
Gefühl
oder Trieb,
sondern er ist eine
Scelenfunktion für sich, und wie er der Empfin dung und Vorstellung vorhergehe, auf diese iiifluire, und die Wahrnehmungen des äußern und innern Sinnes, die die Wurzeln alles. Gemüthes und al
les Geistes sind, beherrsche, ist bereits gezeigt und nachgcwiescn worden.
Wille ist aber bewußtes, selbstständiges Han deln ,
freie Selbstbestimmung. Die Seele steht in einem Subjekt-Objektivi
täts-Verhältniße zur Außenwelt, diese Außenwelt als das Objekt in
und
das Subjektive
aufzunchmen
darnach bestimmt zu werden, ist das Be
wußtsein; und die Rückwirkung des Subjektes auf
das Objekt ist
der Wille.
Beide sind ein und dasselbe Verhältniß, nur die Bestimmbarkeit ist verschieden.
Im Bewußt
sein ist das Subjekt das Bestimmbare und das Objekt das Bestimmende, im Willen ist es umge-
152 kehrt, und daS Subjekt ist daS Bestimmende und
das Objekt das Bestimmbare.
Der Wille selbst offenbart sich in Selbstbe stimmung,
Nothwendigkeit,
Freiheit und
Welt
wirkung. 1. Selbstbestimmung.
Die Richtung des Willens geht vom Subjekte auf das Objekt.
Ist es das Subjekt selbst wie
derum, auf welches, als zum Objekte geworden,
der Wille wirkt, so daß derselbe auf das sich selbst objektiv gewordene Subjekt gerichtet ist; so ist die ses die Selbstbestimmung, und ihre Glieder sind
Sclbstgesehgebung, Mäßigung, Festigkeit, Selbstbe
herrschung.
Es handelt sich hier darum, sich selbst
sein Verhältniß zu bestimmen, dasselbe aber dann
auch einzuhalten und zu erfüllen.
2. Nothwendigkeit.
Die Thätigkeit des Willens kann aber Statt finden unter zweierlei Modifikationen, der Gebun
denheit und der Selbstständigkeit, der Nothwendig keit und der Freiheit.
Die Nothwendigkeit ist Abhängigkeit und Be stimmtheit des Einzelnen vom Ganzen. Die Glie
der der Nothwendigkeit sind Unvermeidlichkeit, Ge bundenheit, Beschränkung, Zwang.
153 3.
Freiheit.
Freiheit ist Beziehungslosigkeit des Einzelnen dadurch,
daß das Einzelne innerlich selbst wieder
ein Ganzes ist, und so ist der Mensch frei, weil
er, wenn gleich äusserlich
in das Ganze verschlun
gen, dennoch innerlich eine Totalität für sich selber bildet. Die Glieder der Freiheit sind: Selbstständig
keit/ Ungcbundenheit, Eigenmächtigkeit, Willkühr. 4. Weltw irkung.
Wirkt der Wille auf ein Acußercs, auf das wirkliche Objekt, als Einzclnheit oder Vielheit oder Allheit der
Gegenstände, so
ist dieses die Welt
wirkung ; denn dem Ich gegenüber steht das Nicht-
Jch, dem denkenden wollenden Subjekte gegenüber die Welt. Die Glieder der Weltwirknng sind eine sinn
liche, nach dem Erdverhältniß gekehrte Richtung,
eine leiblich materielle, eine geistig ideelle und eine
religiöse nach dem Göttlichen gewandte. Die Wcltwirkung ist nur an die Individuali
tät gebunden, kann daher auch vom Thiere geschehen, Selbstbestimmung aber erfordert reine Persönlichkeit.
Nothwendigkeit und Freiheit gehen in einan der über, wie z. B. der Glaube an eine frei er
kannte Wahrheit nothwendige Ueberzeugung wird, und umgekehrt
die erkannte
Nothwendigkeit
und
Unvermeidlichkeit zur freien Wahl sich umgestaltet.
154 In der Gottheit fällt absolute Freiheit und
Nothwendigkeit zusammen.
Freiheit
und
Noth
wendigkeit verhalten sich aber wie Zeit und Raum, Eines wird durch das Andere gemessen, Eines ist durch das Andere bestimmt, und beide sind in Gott unendlich, für den Menschen beschrankt;
da nun
der Mensch in sich selber ein Ganzes bildet,
aber
äußerlich in das große Ganze verflochten bleibt, so
ist
auch Freiheit
und
Nothwendigkeit
bei
ihm
nur relativ. Wie
oben vom Weltbewußtsein nachgewicsen
wurde, so erscheint auch der Wille sogleich mit der Zeugung;
denn er ist der andere Faktor des Le
bens, die Rückwirkung des Thätigen auf das Ma
terielle, der Seele auf ihren Leib, und er erscheint ans dieser Stufe als Bildungstrieb. Wollten wir auf die Ansichten der gewöhnlichen Psychologie eingehen,
so möchten wir ihn hier den latenten Willen heißen, gleichwie cs ein latentes Bewußtsein geben soll. Hat sich
aber der Wille als Bildungstrieb
entwickelt, ist das Kind geboren, und wirken Ein flüße der Außenwelt auf dasselbe ein, so erwacht der Trieb, und erst bei vorgeschrittener Entwicklung mit
dem Eintritt des Selbstbewußtseins tritt auch der Wille als Selbstbestimmung auf, und das Indivi
duum erscheint nun als Person.
Wie das Bewußtsein nicht untergeht so lange der Mensch am Leben ist, so auch der Wille nicht,
155 und der Mensch bleibt frei bei aufgedrungener oder
selbstverschuldeter Entäußerung seiner ursprünglichen Würde.
Wie aber das Bewußtsein umdämmcrt
werden, und das Selbstbewußtsein zum empirischen, oder gar zum Weltbcwußtscin hcruntersteigcn kann,
so kann auch der Wille zum unbezwingbaren Triebe hcrabsinkcn, oder als glühende Leidenschaft als ra
sende Wuth
hervorbrechend die Freiheit scheinbar
vernichten, und cö ist die selbstbestimmcnde Persön
lichkeit zum wcltwirkenden Individuum geworden.
So lange der Mensch
noch handelt hat er
Bewußtsein und Freiheit nicht verloren; Menschliche
kann
zwar,
um
in
der
das rein
Sprache
der Psychologen zu reden, latent geworden,
oder
nach unserer Ansicht kann die Persönlichkeit zur In dividualität hcrabgcsunkcn sein,
untergchen können
sie aber nicht. In moralischer und strafrechtlicher Beziehung
hat
dieses
freilich eine ganz andere Bedeutung,
als in rein menschlicher und wissenschaftlicher.
Bewußtsein und Wille sind jedoch unzertrenn lich
und begleiten den
Menschen
vom Anfänge
seines Lebens bis zu dessen Ende.
Der Mensch scheint aber dem Schicksal und der Außenwelt zum Spiele hingegebcn, und muß oft er fahren, wie der Zufall seinen Willen bricht. Es kann allerdings der Mensch durch
sein
äußeres Verhältniß, Zeit und Ort seiner Geburt,
156 Umstände, Anlage, Triebe, Neigungen, Leidenschaf
ten, Erziehung, Krankheiten, Lebensweise u. s. w. das nicht erreichen, was in seinen Wünschen liegt, oder er wird zu etwas ganz Anderem hingczogen,
als was er mit der ganzen Kraft seines WillenS erstrebte z der Einstuß der Verhältniße ist zu mäch
tig,
der Kampf übersteigt seine Kräfte, die Er
reichung des Zieles ist unmöglich — je höher aber der Kampf und das Streben, um so größer und
herrlicher ist die Tugend, und die menschliche Frei
heit bleibt gerettet, wenn sie auch kämpfend unter liegt.
Am Schlüße unserer Psychologie müßen wir von
dem menschlichen
Wesen sagen, was ander
wärts vom absoluten gemeint ist: Aus dem Kelche dieses Geisterrckchcs
Schäumt ihm die Unendlichkeit.
157
Die Welt ist Wirklichkeit. Das unendliche Leben ist Eines, allen Raum umfaßend, Wirklichkeit.
alle Zeit
erfüllend, unendlich ewige
Geist und Natur sind nicht getrennt,
sondern in ihrer Wcchscldurchdringung bilden sie
das All der Welt.
Die in Gottes Wesen gesetzte
Möglichkeit ist durch unendlichen Raum und ewige
Zeit geworden zur Wirklichkeit.
Wir haben eine
göttliche Welt, eine vom Geiste belebte Natur, einen die Natur befruchtenden Geist, und das Ur- und
erste Schema ist vollkommen entwickelt, Gott offen bart sich in Natur und Geist als Welt. Alles aber, was in der Welt erscheint,
Wirklichkeit, und so auch der Tod. über uns Alle kommt,
ist
Der Tod, der
ist nicht theilweiser nicht
scheinbarer Tod, sondern wahrer Tod, er vernichtet
das Individuum völlig,
und wie Alles
in der
Welt Wirklichkeit ist, so ist es auch Untergang und
Vernichtung.
158 Von der Nothwendigkeit des Todes war schon
oben die Rede,
jetzt handelt eS
sich von dessen
wahrem Vorhandensein. Der Untergang des ganzen Menschen ist also
nicht scheinbar sondern wirklich.
Außer Gott giebt
cs kein Leben, und der wahre Tod fuhrt das End
liche zum Unendlichen, das Zeitliche zum Ewigen. Der Mensch ist nur in Raum und Zeit und
endet in ihnen, sie sind die Gränzen seines Seins und
Werdens;
als
endliches
Wesen kann
der
Mensch nicht sein, außer endlichem Raum und end
licher Zeit, er endet daher auch in deren Schran ken, in bestimmtem Raum und bestimmter Zeit,
ist also nur in diesem Leben.
Wenn
wir
mit
allen unsern
Sinnen
uns
überzeugen, daß das Leben aufgehört hgt, wenn Tasten und Fühlen uns die erweichten modernden Stoffe zeigen, die den Körper im Leben bildeten;
wenn der Geruch die Fäulniß und Verwesung be kundet; wenn das Ohr die gährenden Bewegungen chemischer Zersetzung vernimmt; das Auge die ge-
sammte Vernichtung erblickt und den Leib in Staub
und Asche zerfallen sicht,
sollen wir dann an den
Tod nicht glauben?
Wenn das Auge erloschen ist und das Ohr erstorben, zerstört,
wenn
die
Verwesung den Gliederbau
wenn die Gebilde sich ausiösen und die
Gewebe zerreißen, sollte da noch Leben sein?
159 Das Mut ist zersetzt, die Lunge verweset, Ma
gen und Darm ist zerstört,
das Hirn erweicht,
Herzschlag und Athem stehen still, die Glieder sind starr, alle Sinnen sind erstorben — wo sollte noch
Thätigkeit und Leben, wo Denken und Wirken sein? Der Leib, der Mensch ist todt —
Wir haben gesagt,
daß ein Wesen nicht er
scheinen kann ohne Form, eine Form nicht ohne Wesen;
wie ein Stein nicht gedacht werden kann
ohne Cohäsion und Schwere, so kann das Indivi duum nicht gedacht werden ohne Leib und Seele. Ist aber der Leib todt, sollte nun die Seele
leben? sollte die Seele,
die den Körper dirigirt,
eine andere sein, als die, welche denkt? sollte die Seele,
die die Ernährung und Bewegung leitete,
verschieden sein von der,
die Wahrnehmung und
Bcwußtsetn vermittelte?
Dann gäbe es aber zwei Seelen, und man
kann ja nicht zwei oder mehrere annchmen;
denn
gerade dadurch wäre die Einheit aufgehoben,
in
der doch das Wesen der Seele besteht.
Es müßte ja dann eine Seele für die Funk tionen der Ernährung und Bewegung, eine andere für die Thätigkeiten des Geistes geben.
Die Seele als die Summe der Thätigkeiten ihres Körpers stirbt auch mit ihrem Leibe;
denn
alle ihre Funktionen und Verrichtungen hören mit dem Tode auf.
160 Faßt man den Punkt auf, wo alles gemüthliche Empfinden und Fühlen und alles geistige Vorstellen
und Anschaucn. aus der äußern und innern Sinn
lichkeit sich hcrvorbildct, denn die Sinne sind das Verdauungsshstem für die Seele, die die Einflüße
der Außenwelt aufnehmen und assimiliren, so ist
auch bewießen, daß alle Gemüthes - und Geistes thätigkeit mit dem Erlöschen der Sinne zu Grunde
So wie eine Seelcnthätigkeit bei mangeln
geht.
dem Sinne z. B. das Hören und die Musik bei dem Taubstummen gar nicht zum Vorschein kommt, so kann sie auch nicht fortdauern, wenn ihr Organ
vernichtet ist,
man beachte nur als einfaches Bei
spiel die Veränderung der Sprache bei Taubgc-
wordenen. Es sind also die Seclenthätigkciten Folge der
Entwicklung und der Organisation, und müssen mit ihr zu Grunde gehn. Wollten wir mit den Supernaturalisten sagen,
die Seele reißt sich los vom Körper, sie trennt sich im Tode von ihm,
so würden wir sie zu etwas
Körperlichem machen, sie wäre ihrer Jmmaterialität, ihrer Einheit und Untheilbarkeit verlustig, was
gerade wiederum den Charakter der Seele
aus
macht. Die Formelemente
des Leibes bleiben nicht
ohne Thätigkeit, sie verwesen, sie wandeln sich um, ihre Masse ist nicht ohne alles Leben, der Prozeß
161 der Verwesung, Gährung, Fäuliüß selbst ist nur Pro
dukt fortdauernder Thätigkeit und Lebens, das unbe streitbar bei uns in den Theilen des Leibes bleibt —
sollte sich also ein anderer Theil der Seele losrcißen,
so hätten wir wiederum zwei — und Einheit und Unthcilbarkcit der Seele wäre
für immer aufge
hoben. Oder sollen wir mit grellem Materialismus glauben, daß die Seele als Efslorcszcnz des Lei bes, als Produkt der Materie und der Stoffe übrig
bleibe, wenn diese wieder zerfallen; soll vielleicht die Materie ihre Seele schaffen, soll vielleicht Er
nährung und Sinnlichkeit eine Seele erzeugen, wie sich aus Säure und Weingeist Acther bildet, und
soll diese Seele, wenn sie fertig geworden, nach dem Untergange ihres Körpers übrig bleiben? Man sicht, so lange Geist und Natur, Leib
und Seele sich gegenübcrstehen, wie die Pole eines
Magneten, kann Keines leben, Keines sterben ohne das Andere.
Es muß die Seele mit ihrem Leibe zu Grunde gehn.
Dian hat sich zur Rettung der persönlichen
Unsterblichkeit
an
das Bewußtsein gehalten
und
von diesem die individuelle Fortdauer abzuleiten gesucht, cs ist jedoch schon oben durch ausführliche Darstellung des Bewußtseins und dessen Formen
angedeutet worden, wie es um die große Katastrophe,
die wir Tod nennen, mit ihm stehen möge.
162 Das
Gottesbewußtsein tritt ein, wenn
der
Mensch die durchlaufenen Stufen des Bewußtseins aufgiebt und zurückkehrt zu Gott, in welchem sein
bisheriges Sein als Subjekt, seine Individualität,
zum Objekte des höchsten Subjekts wird.
Hat es die erste Stufe, das Weltbewußtsein, noch nicht zur Individualität und Persönlichkeit ge bracht, und bcgicbt sich auf der vierten das Got-
tesbewußtsein seiner Subjektivität d. h. Individuali tät und Persönlichkeit, um im allgemeinen Bewußt
Gottes zu verschmelzen, so ist klar, daß in
seyn
diesen beiden Stufen individuelles Bewußtsein und Bewußtsein einer einzelnen bestimmten Persönlich keit weder vor, noch nach den, Tode Statt finden
könne. Die zweite und dritte Stufe aber, das empi
rische und Selbstbewußtsein,
sind nur Momente
fortschreitender Entwicklung. Sie treten auf in der endlichen Zeit mit vollkommenerer Ausbildung des
gcsammtcn Leibes und namentlich
des Gehirnes,
sind bedingt von dieser fortschreitenden Entwicklung
der Organisation, und die normale Fehlerfreie Bil dung des Gehirnes muß bis zu einer ziemlichen Reife gediehen sein, ehe das Selbstbewußtsein er scheinen kann. Es kann nun aber durch Organisations- und
Bildungsfchler ein Individuum in seiner Entwick lung gehindert, ja sein ganzes Leben lang auf der
163 Stufe des empirischen oder gar des Weltbewußt
zuruckgehaltcn werden,
seins
ohne es je bis zum
Selbstbewußtsein bringen zu können. Man vergleiche
hieher
angeborne
Dildungsfchler,
Hemmungsbil
dungen oder Krankhcitsprodukte, und es wird sich daraus der Beweist ergeben,
daß das empirische
und Selbstbewußtsein an die Organisation gebunden sei.
Sind sie aber an die Organisation gebunden
und von dieser bedingt, so müssen sie auch mit ihr zu Grunde gehn» Ist das Weltbewußtsein gar noch
Individualität gelangt,
nicht zur
hat das Gottesbewußtscin
sie aufgegeben, und geht die des empirischen und
Selbstbewußtseins mit der Organisation zu Grunde,
so ist wohl klar, daß nach dem Tode kein individuelles Bewußtsein sei. Wohl werden manche zartfühlende oder fromm
gläubige Seelen schaudern um dieser Worte willen, und doch gehört nicht einmal Resignation zu dieser
Ansicht, die nur das Wissen und der Geist uns giebt.
Was' ist es, das wir vermissen im Tode? Bewußtsein, Selbstständigkeit. —-
Glaubt nicht Jedermann, daß er im Schlafe ohne Bewußtsein sei?
bewcißen,
und mußten wir nicht erst
daß das Bewußtsein im Schlafe nicht
anfhöre? Wir mußten zeigen, daß nicht Krankheit oder Verletzung cs so unmittelbar vernichten, als
11*
164 cs gewöhnlich angenommen wird, und doch fürchtet
man
dessen Verlust so sehr.
Das Gemüth fühlt
Freude und Schmerz in diesem Leben, der Geist
lebt für die Erkenntniß, die Sinnen freuen sich des
Genusses, mit dem Tode hört aber Alles auf, und wo kein Sinnorgan mehr ist, ist auch kein Gefühl,
keine Lust und kein Schmerz, aber auch kein Be
dürfniß und kein Streben mehr. Wir haben -oben den Tod aufgehoben und ge
sagt, daß in Gott keinen Tod cs gebe, und haben
nun gesczt den Tod als Wirklichkeit, der den gan zen Menschen vernichtet, wir haben oben gesczt den
Menschen außer der Endlichkeit des Raumes und
der Zeit, und jezt innerhalb derselben, wie
löset
sich der Widerspruch? Im völligen Untergang, im wahren Tode liegt aber schon von selbst die Unsterblichkeit. Alle Dinge
vergehen, aber nicht im Raume und
in der Zeit,
sondern in Gott, und das Höchste, was das In
dividuum erreichen kann, ist Versenkung und Aufge-
lößtsein in Gott, das ganze Individuum, was cs als Mensch war, geht auf in Gott.
Die Vielheit
der Gestalten und Wesen findet ihre Vollendung in der Allheit des Universums, und so auch das mensch
liche Lebenz das Individuum hört im Tode auf, gerade dadurch, daß ■ es ganz aufhört, versinkt cs in Gott.
Bliebe nur etwas vom
Leben übrig,
so
hätte es keine Unsterblichkeit. Nur durch den wah-
165
reit Tod und die völlige Auflösung sind wir kn Gott, und haben Theil an seinem Leben, seinem Bewußtsein und seiner Unsterblichkeit. Das Indi viduum hört auf für sich selbst zu sein, es ist aber in Gott. Dieses ist die allgemeine Unsterblichkeit. Der Leib kehrt zurück zu den Elementen, aus denen er entstanden war, und selbst das Begraben und Bestatten der Todten, überhaupt die LeichenBegangniffe aller Völker, sind symbolische Gebrauche, die Rückgabe des Individuums an die Elemente andeutend, und das Individuum wird, wie in der That und Wirklichkeit, so durch den geheiligten Ge brauch der bewußtlosen Allgemeinheit überliefert. Das Leben wirkt nach synthetischen, der Tod nach analytischen Gesetzen, daher ist der Tod des Leibes nichts Anderes, als ein analytisches Auseinanderfallen der Formelementc des Organismus, ein Abtrünnigwerden der Stoffe von der Einheit der Organisation, eine Jndividualisirung der einzelnen Stoffe. Im Tode werden die Stoffe nach eigenen einzelnen Prozessen zersetzt und umgebildet, und der Leib geht zu niederern Bildungen, zu Infusorien zurück und zerfällt in Gasarten, Wasser, Erden u. s. w. aus denen er unter der Einheit der wir kenden Kraft der Organisation zusammentrat. So wird der individuelle Leib vernichtet und in seine Urelemente aufgelößt.
166 Wurde durch die zeugenden Geschlechter in der Mischung der Saamenflüffigkeiten belebte Materie gesezt als der neu zu schaffende Mensch, so entwickelt
sich in dieser der Thierstoff durch Blut und Nerven
zum Organismus; das Leben das Fötus offenbart
sich als Zcntrallcben, Ernährungsthätigkeit, Ncr-
venthätigkeit und DllyungMrch, und daraus ge staltet sich durch Fortschreiten und Vervielfältigung
der Entwicklung der gesammte Inhalt des Leibe-
und der Seele im vollendeten Menschen, Muß nun aber die Seele mit der Entwick
lung ihres Reichthums von Funktionen, mit der Menge seiner Systeme, Organe, Gebilde und Ge
webe zu Grunde gehen, wie er entsteht, so crgicbt sich doch, daß er durch Materie und Thätigkeit zum
Leben kommt, und Materie und Thätigkeit, also Leib und Seele nur
in veränderter Form,
auch
nach dem Tod übrig bleiben. Rcduzirt man den Inhalt der Seele und des
Leibes auf die früheren niedrigen Stufen, die noch
ihrem Ursprünge näher gelegen sind,
so geht der
gesammte Leib mit allen Gebilden, die wir als
Vegctation, Artikulation, Sensualität und Nerven system dargcstellt haben, und die Seele, deren Inhalt wir als Bewußtsein, Gemüth, Geist und Wille entwik-
keltcn, in dem Schema auf, welches heißt: Zentral
leben, Ebnährungsthätigkeit Ncrvcnthätigkeit, Bil dungstrieb ; Zentrallebeu
und
Bildungstrieb hier
167 als unentwickeltes Bewußtsein und Wille, als Fak
toren der Seele, Ernährung und Nervenlebcn als
Faktoren des Leibes, aus denen die
übrigen Ge
bilde sich entwickeln. Auch Dieses ist aber schon Entwicklung und sezt
Seelenthätigkcit so
wie Leibbildung
voraus,
wir müssen also auf eine noch frühere Stufe zurück die sich als die früheste anatomisch und
kehren,
physiologisch begründen läßt, und diese heißt: Thier
stoss, Blut, Nerve, Organisation. Hier verhält sich der Thierstoff stoff des
als der Zeugungsschleim, als Ur
neuen Wesens, Nerve und Blut haben
sich im Gegensatze gegeneinander und unter dem Ein flüsse des Lebens gebildet, und aus ihnen, den Ner
ven als belebenden und dem Blute als bildenden Fak toren,
entwickelt sich der gesaminte Organismus,
indem sich zwischen diese beiden extremen Pole thie rischen Lebens die beiden mittleren des Beziehungs lebens, Glieder- und Sinnensystem legen, und so
den Körper vollenden.
Aber auch in diesem Schema: Thierstoff, Blut, Nerve, Organismus, hat das Leben schon thätig eingcwirkt auf den einfachen Urstoff, und aus ihm bereits Blut und Nerven und wenigstens die ru
dimentäre Anlage zum Organismus gebildet —
man wird also noch weiter zurückgetricben auf das
ursprünglichste Schema der menschlichen wie aller
Natur: Materie, Sein, Werden, Leben,
Belebte
168 Materie ist und wird -er Organismus des Men
schen/ und aus ihr entwickelt sich alles vorwärts/
wie wir cs so eben rückwärts nachgcwießen haben.
Sind wir aber in dem Schema: Materie/ Sein, Werden, Leben, bis auf den ersten Ursprung oder das lezte Ende des menschlichen Lebens zu-
rückgekommcn, so ist dieses bleibend, und die belebte Materie wird in Zeit und Raum nicht untergehen.
Hier stehen wir an der Gränze des endlichen
Lebens, also am Anfänge des ewigen.
Der Mensch als Mensch wird im Tode ver nichtet, was aber im menschlichen Individuum Leib
und Seele war, erscheint hier, freilich unter anderer Form, als Kraft und Materie, Leib und Seele
hören zwar
im Tode auf zu erscheinen, sie hören
aber nicht auf zu sein.
Leib und Seele werden
wirklich erhalten als Kraft und Materie, für diese
giebt es keine Vernichtung,
sie können nicht untcr-
Hchn.
Die Stoffe, die den individuellen menschlichen Organismus
bilden, mit den
ihnen
einwohnen-
den Thätigkeiten werden zerlegt, zersetzt, vereinzelt,
ueu verbunden, umgcwandelt — aber untergchcn kön nen sic nicht. Der Tod ist keine Vernichtung, er ist nur Wech
sel des Seins, — Formcnwechsel. Dieses ist die materielle Unsterblichkeit.
Dieser äußern materiellen Unsterblichkeit steht
169
gegenüber die innere ideelle/ die das Individuum sich selbst bereitet. Diese ideelle Unsterblichkeit ist die Todesüberwindung und individuelle Unsterblichkeit, wie das Individuum sie sich selber schafft, und darin liegt es auch, in jedem Glauben fertig zu werden. In der Bildungsstufe des Individuums liegt dessen Zukunft. Die Todesüberwindung im Allgemeinen ist Ueberblick und Aufklärlmg über sich selbst, Rechen schaft über erfüllte oder verfehlte Bestimmung u. s. w. wie es schon in der Einleitung angegeben wurde, möge diese Erkenntniß nun Ruhe und Freude ge währen, oder Kummer und Gingst und Vorwurf über die durchlaufene Lebensbahn. Im engern Sinne ist die Todesüberwindung das Sterben. Sterben ist aber das Ringen des Lebens mit dem Tode, der Streit der Endlichkeit und Ewigkeit um das Individuum, die Rückkehr des Zeitlichen zur Unendlichkeit, und ist Handlung des Individuums, während der Tod selbst als Akt, als Moment erscheint. Insofern aber das Ster ben Handlung und Thätigkeit des Sterbenden sel ber ist, zu scheiden aus der Gewohnheit des Da seins, ist dieses Scheiden mehr Wunsch und Wille oder Kampf und Zwang, und die Handlungsweise sehr verschieden. Körperlich geschieht es während der Kreislauf
MO stockt, der Nerv erlahmt, die Sinne schwinden, die
Glieder erstarren-—und die Erscheinungen deö Le
bens haben aufgehört, und es giebt kein sicheres Zeichen
des wahren Todes, als die Verwesung,
d. i. neues Leben,
Die Seele aber stirbt im Glauben, Zweifeln, Forschen oder Schauen. Der Glaube ist daö
Erste und
das Lezte,
denn er ist das, was in das Gemüth gepflanzt ist, und was ein Jeder sicher erkannt hat und bewährt weiß, glaubt er wieder, und im Schauen kehrt der
verklärte Glaube zurück. 21(lc Versuche die Fortdauer oder Vernichtung
nach dem Tode zu crwcißcn, sind nur verschiedene Glaubensbckenntnißc, mit denen das Individuum
hinüber geht. Der Glaube ist also das Erste, er ist es, der
dem menschlichen Gemüthe eingcprägt, von Natur dem Menschen angeboren ist.
So der Glaube an
das höchste Wesen, der Glaube an die ewige Fort
dauer nach dem Tode, dieser Glaube liegt tief in
der Menschennatur. Darum hat er so großen Werth, ob er gleich die Gründe nicht weiß, warum er glaubt. Er wird
in der Form der Offenbarung dem
kindlichen Sinne gelehrt und von diesem- ausgenom men als göttliche Wahrheit.
Wie in kindlich reinem Gemüthe sich noch kein
171
Zweifel regt, so stirbt der fromme Gläubige, er hat den Glauben seiner Jugend durch das ganze Leben bis zum Tode erhalten und geht ruhig und Gottergeben hinüber in das andere Leben, das ihm in seinem Glauben verheißen ist, Glücklich die, die mit Freudigkeit den Tag begrüßen, der sie ins bessere Leben führt, sie haben ihre Unschuld bewahrt, ober im Glauben an die göttliche Verheißung den Frieden der Seele wieder erlangt, und von ihnen gilt was anderwärts der Dichter sagt; Wohl dem der ohne Schuld und Fehle Bewahrt die kindlich reine Seele. Er aber, der vor zwei tausend Jahren für seine Lehre starb, hat den Weg des Heils gezeigt im Glauben, hat aber das Forschen überlassen der Wissenschaft künftiger Tage. Der Geist nun in der Entwicklung der Welt geschichte sucht zu ergründen und zu erkennen, er geht über den Glauben hinaus, und so entsteht der Zweifel. Die Natur des Zweifels ist das Rüt teln an einer Wahrheit, auf welche ein Wiederver schwinden des Zweifels und am Ende Rückkehr der Wahrheit erfolgt. Der Zweifler ist unglück lich, der aus seinem Glauben gewichen ist, und der Zweifel kann zur Verzweiflung werden, wenn Erkenntniß nicht wieder zurückführt zum Glauben. Jener armselige Trost: ich müßte ein Thor
172 sein, dich zu fürchten Tod; denn so lange ich bin, bist du nicht, und wenn du bist, bin ich nicht, ist
nur der Trost des Zweiflers, der den Glauben ver loren hat, ohne zum Schauen gelangt zu sein. Der Zweifel ist aber nicht bleibend, denn in
der Ungewißheit des Zweifels selbst liegt das For
schen.
Forschen ist ein Suä^en, und
der mensch
liche Geist strebet nach Erkenntniß und Gewißheit. Aber, auch das Forschen ist noch nicht am Ziele; denn.Forschen ist ein Suchen, und der Forscher hat
sie noch nicht gefunden, die er erstrebet, Gewißheit,
Klarheit, Ueberzeugung.
Doch nähert er sich dem
Ziele und in unbewußtem Ahnen in dunklem Gefirfilc berührt ihn oft die Wahrheit, nach deren kla
rer Erkenntniß ihn verlangt. Hat das Forschen sein Ziel erreicht, so ist der
Zweifel völlig überwunden, und der Glaube kehrt wieder als Schauen.
und
Der Mensch hat den Gott
in diesem den Frieden wieder gefunden, den
er im Zweifel verließ. sich selbst und
Wenn so das Individuum
sein ganzes Verhältniß
in
seiner
Wahrheit überschaut, so ist es Weisheit, und wer so zum Tode geht, der stirbt den Tod des Weisen
und Gerechten. Dieses ist die ideelle Unsterblichkeit. Der Zweck der Menschheit ist nicht der Ein
zelne oder das Individuum, sondern er ist das Ganze, die Entwicklung des Ganzen, und den Zweck
I7S der Gattung zu fördern, ist die Aufgabe des Ein zelnen.
Die gesummte Menschheit ist nur ein Ganzes und ihre Aufgabe ist die Weltgeschichte. Geschichte hat die
Menschheit nur, weil sic eine Einheit ist, ihre In dividuen nur ein Ganzes ausmachcn, Geschichte ist
aber Entwicklung des Einzelnen, damit sich das Ganze vollende.
Hierin hat jeder Einzelne Zweck,
Stelle und Bestimmung. Das Individuum
ist
ausgenommen
in
die
Gattung, tritt tni Leben hervor und sinkt im Tode
zurück.
Wie im organischen Leibe die Stoffe wech
seln, ausgenommen werden, sich
umwandeln
und
ausgeschicdcn werden, das Leben aber bei allem Wechsel der Stoffe immer dasselbe bleibt,
so die
Jndividucm in der Gattung.
Die Menschheit selbst aber ist ausgenommen in das Wesen Gottes,
hat darin ihre Unsterblich
keit, und da jedes Individuum ein Glied der Mensch
heit ist, so findet cs auch hierin seinen Theil an
der Unvcrgänglichkeit und Ewigkeit. Und wenn auch die gesammte Menschheit selbst in
einem
höhern
Ganzen untergchen sollte, wie
das Individuum in der Menschheit, so wäre den noch die Unsterblichkeit
gerettet.
Und wenn
der
Erdball untcrginge, und das ganze Sonnensystem vernichtet wurde, der. Mensch verlöre nichts an sei ner Unsterblichkeit.
H4 Die Entwicklung der Menschheit ist die Ge nach
schichte ,
unseren
Begriffen,
Weltgeschichte.
Geschichte des Individuums aber in anderem Sinne
ist das Leben im Geiste der Nachwelt, die sich des Thuns und Wirkens ihrer Ahnen freut. Geht nun
ein Individuum im Tode unter, so tritt das eigene Wissen aus ihm heraus und wird ein Wissen An derer von ihm, wird seine Erinnerung und sein
Gedächtniß.
Je höher nun die Otufe eines Individuums, je reicher sein Inhalt,
Nachwelt.
um
so
größer
ist
seine
War es in seinem Leben der Mittel
punkt seiner Zeit, seines Volkes, seiner Stadt, so
bleibt es auch als solches in der Geschichte, sein Wir
ken hört nicht auf, und die Weltgeschichte feiert und
verehrt ihre Herrscher, Helden, Dichter Und Weise. Wie
aber
das Große
lebet, so auch
das
Kleine. Wie die Herrscher leben in der Geschichte,
die am Nil die Pyramiden bauten, und das Volk nie wird vergessen werden, das Wissenschaft und
Kunst zuerst bei sich erblühen ließ, wie der Weisen Worte sich erhalten in Wort und Schrift und die Helden
aller Zeiten leben in Liedern — so hat
auch jedes Individuum seine Nachwelt, sein Volk, seinen Stamm, seine Stadt, seine Familie, deren
Glied es ist, in deren Kreise es bleibet, und das ist seine Geschichte, daß es im Gedächtniß der Sei-
nigen lebe.
175 Dieses ist die Unsterblichkeit der Geschichte.
Jetzt ist unsere Aufgabe gelöst und aller Wi derspruch gehoben.
Wir haben gesagt, daß in Gott keinen Tod cs gebe,
und haben den Tod aufgehoben.
Wir
haben den Tod als völlige Vernichtung wieder eingcsczt und die Unsterblichkeit nachgewießcn.
Der Mensch, das Individuum, die Person, erlischt als
solcher völlig, geht unter im wahren
Tode, Leib und Seele hören auf zu sein, es giebt
kein Bewußtsein und keinen Willen mehr. Das Individuum geht aber dadurch ein zur
Unsterblichkeit, cs
versinkt in Gott, und nur durch
den völligen Untergang seiner Individualität und
Persönlichkeit
hat
cs
Theil
an dem Bewußtsein
Gottes, an dessen Unvcrgänglichkeit und Ewigkeit.
Kraft sltet und Materie bleiben ewig und so Leib und Seele, sie können nicht untergehn, sie er scheinen
nur
in
veränderter
Gestalt.
Der Leib
in seiner Erscheinung war Form, die Seele Wesen,
die Natur der Form ist aber der Geschichte des
beide
Wesens
verschwistert und
Hand.
Je reicher die Thätigkeit der einen war,
gehen
Hand an
um so feiner und zusammengeseztcr sind die Stoffe
der
andern.
Wie
der geistige Inhalt des Men
schen der höchste ist unter den Wesen dieser Erde, so
ist auch der Stoff seines
Körpers der reichste
176 und feinste, und um so größer die Zersetzung und
das Zerfallen in neue Schöpfungen. Jezt hat cs seinen wahren Sinn, wenn wir sagten, der Leib ist Erscheinung, die Seele Thätig keit und der Tod ist Formcnwechscl; denn während
die Stoffe auseinander fallen, werden sie umgewan
delt zu neuen Wesen,
und Thiere entstehen
und
Blumen erblühen auf unsern Gräbern.
Es verwittert das Gestein, es vertrocknet die
Pflanze, cs verweset
das Thier, aber dem selbst
ständigen Individuum mit Bewußtsein und Willen
muß daran gelegen sein, den Tod zu überwinden; denn
wie kann der unterliegen,
darin liegt
aber
der Unterschied
der Sieger ist?
des Todes
der
Menschen von dem Untergänge und der Vernichtung anderer Geschöpfe, daß der Mensch den Tod über
windet.
Aufdicse Weise hat der Mensch seine Individuali
tät gerettet, und hier erscheint der Satz: Ich bin
Ich, in seiner furchtbarsten Wahrheit. Diese Individualität
wird
aber erhalten in
der Geschichte.
Wir haben nun eine vierfache Unsterblichkeit nachgewießen, eine allgemeine
in Gott, eine ma
terielle der Stoffe und Thätigkeiten in der Natur, eine
ideelle in der Todesüberwindung des Individuums
und eine Unsterblichkeit in der Geschichte.
irr Die ersteren beiden Arten sind allgemeine/ die sezieren individuell. Sinkt nun die materielle Unsterblichkeit zurück
U die allgemeine/ in Gott, und seine Offenbarung zunächst als Natur, so tritt die ideelle hervor als Aufnahme des Individuums in die Gattung und somit in lebet
deren Geschichte,
und das Individuum
als Leib und Seele in der Natut
wieder
lind im Geist.
Nicht alle können zu Weisen werden, nicht alle die Vollendung erreichen.
Die aber im Le
ben nicht zur vollen Entwicklung kommen, die frühe Verstorbenen, Kinder, Embryonen, die an Krank
heiten und Mißbildungen leiden, sie sind abgefallen
vom Baume
geistig und
des Lebens,
körperlich
ihre Entwicklung
war nicht höher bestimmt»
Die in Leiden, Armuth und Unglück leben, ja die
als Verbrecher ausgcstoßen sind aus der menschli
chen Gesellschaft, Alle stehen im Zusammenhänge
des großen Ganzen, nur mit Ursachen und Grün
den, die der endliche Geist nicht kennt.
So ist auch das Schicksal Derer, die die Ele mente vernichten, die Seuchen dahin raffen, die im Kriege fallen, es geschieht im Sinne und zu
Zwecken des Ganzen nach unabänderlichen Geschert
des Weltalls, und ihre Todesüberwindung ist die
Hingebung und die Kraft, mit der sie ihrer Be stimmung entgegen tretem
Der
Menschenfreund,
der
Flammen oder Fluchen sich
auf Hülferuf in
stürzt,
und Rettung
versuchend selbst zu Grunde geht; der Held, der den tödtlichen Pfeil in der Brust zurückhält, bis er
des Sieges Botschaft
empfängt,
Seele mit dem Blute entfliehen
nm
dann
die
zu lassen;
der
treue Diener, der für den Herrn sich opfert; die
Mutter, die für ihr Gebornes stirbt s ja der Ver brecher, den auf dem Blutgerüste das Schwerdt des
Gesetzes trifft, wenn er erkennt, daß mit Recht er sein Verschulden büße, hat seine Todesüberwindung. Dem Schöpfer ist es gleichgültig, wie sein GcschöpfderTod ereilt. Erruft es in das Leben, bestimmt
ihm Thun und Leiden
und
nimmt es weg am
Ende seiner Entwicklung nach ewig unwandelbaren
Gesetzen.
Der Tod, gefürchtet oder ungefürchtct. Kommt unaufhaltsam, und so ist es Sache des vernünftigen Menschen
mit Willen, Bewußtsein und Freiheit zu werden, was er doch am Ende zu sein gezwungen wird. Wenn ein Individuum bewußt oder
unbewußt erkennt,
daß cs seine Entwicklung vollendet habe, so sehnt
es sich nach dem Tode, verlangt nach ihm, so daß, was im menschlichen Dasein am Meisten erzwun
gen scheint, der Tod, durch vernünftige Freiheit
selbst zum Akt der freien Wahl und des Wunsches
wird;
179
Denn, im Tode, der unfehlbar annaht, Tauscht der Mensch zuletzt den eignen Willen Mit dem Willen Gottes um. Diese Ergebung aber, mitunter allerdings wohl nach langer Krankheit, in hohem Alter, oder nach Uebcrstchung vieler Mühseligkeit, aus Stlimpfheit entsprungen, soll nicht aus Gleichgültigkeit, Kleinmuth, Verachtung der Gegenwart oder Zukunft entstehen, sondern die frei erkannte Nothwendigkeit, daß jezt das Sterben unvermeidlich sei, soll den Tod als willkommenen Freund empfangen. Alles, was geschieht, geschieht zunächst um seiner selbst willen, und eine ängstliche Teleologie ist ein armseliges Streben. Gut und Böse ist zunächst an sich, und der Unendliche, der das Gute scztc, mußte auch das Böse setzen. Beide sind aber verschlungen in die Harmonie des Ganzen und verschwinden in ihr. Die Beurtheilung des Guten und Dösen hängt vom Standpunkte der Ansicht ab, beide verschwinden auf dem absoluten göttlichen Standpunkte, stehen sich gegenüber auf dem relativen menschlichen. In seiner beschränkten Freiheit aber stets das Rechte thun, ist die Vollendung des Menschen. Das individuelle Sein erlischt im Tode. Er lischt es aber und mit ihm Sinnen und Bewußt sein, so haben wir auch keine individuelle Sehn sucht mehr. Wie wir nicht die Gestalt mehr sehen,
186 den Leib mehr fühlen, die Stimme vernehmen, so suchen mir auch nicht mehr die Individualität, weil wir selbst nicht mehr Individuen sind,
Wird aber die Nacht des Todes uns drücken,
wenn unser Sinn für das Lichterloschen ist? wird uns die Stille des Sarges ängstigen, wenn unser Ohr erstorben ist? werden wir die Kühle des Gra
bes fühlen,
wenn unsere Gefühlsorgane in Staub
zerfallen sind?
Wir
sprechen
und handeln als Individuen,
so lange wir selbst noch Individuen sind, werden
wir aber der Individualität
unserer
Nebenmcn-
schen bedürfen und diese suchen wenn sie, wie wir selbst, indipidualitätslos geworden sind?
Und jene himmlischen Gestalten
Sie fragen nicht nach Mann noch Weib, Hat das Individuum aufgehört Individuum
fein, so suchen wir nicht die Individuen, son dern das Wesen, und finden unsere Geliebten wie
der im Wesen aller Wesen, in Gott,
Der Tod ist zwar Trennung der Geliebten, er besteht im Aufhören der Verbindung, er ist aber
keineswegs das Aufhörcn des Seins. Die
völlige Vernichtung ist vernichtet durch
die wirkliche Vernichtung, der gänzliche Untergang
ist abgewiesen durch den
wahren Untergang, der
absolute Tod ist aufgehoben durch den realen Tod, und siegend kehrt wieder das Leben ein.
181 Der Tod ist nicht schreckend mehr, er ist der liebreichste Vater, Israels Kinder kommen in Abrahams Schoos z ex ist ein wackerer Genosse, Muhameds Gläubige schmanßen an frohen Mahlen, In
diens Urbewohner jagen in den Hainen des großen
Geistesz der Tod ist der treueste Freund, denn der Christ entschlummert in seinem Erlöser, welcher ihm
ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Sind nun die Schrecken des Todes gehoben und haben Sarg und Grab ihren Schauder ver
loren, so betrachten wir auch den Tod in fteundlichen Bildern. Wir werden nicht vom Tode gemäht wie die
Halmen, wir kommen ihm entgegen, wie das Kind
der Mutter, die
cs am Abend zur
Ruhe legt.
Darum verschwinde der bleiche Todtenschädel und das dürre Knochengerippe mit Sense und Stun denglas. Wir verschmähen, sy lange wir Individuen
find und im irdischen Leben wallen,
die heitere
Ansicht nicht, unsere Verklärten in den Wohnungen
der Seeligen wieder zu finden,
wo sie in schat
tigen Palmenhainen ruhen, die Lebensmüden.
Stehen wir unsern Vorangegangenen im Geiste
so nahe, so dürfen wir auch freundlich zu ihnen treten, und es ist ein beruhigender Gedanke, einst zu den Seinen versammelt zu werden.
Ja wir
182 freuen uns wirklich des Glaubens an die Wieder
vereinigung mit unsern Geliebten. Der Tod ist
der Bruder des Schlafes, der
wirklich, wie der Schlaf nur scheinbar, das Bewußt
sein unserer Cinzelnhcit löset,
und unsere leztcn
Träume umschweben uns wie Friedcnsengcl, die
uns, wenn auch oft nach Schmerz und Angst und
schwerem Todeskampfe, hinüber tragen in das Land der Verklärung. Die Pforte ist dunkel z denn stc gehet durch
Grabcsnacht, aber sie führt zum Anschauen Got
tes, zum himmlischen Licht.
Wer daö Leben erfasset wird den Tod nicht, sehen in Ewigfeit.