Die Vereinheitlichung Des Verwaltungsverfahrensrechts: Vortrage Und Diskussionsbeitrage Der 1. Verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung 1983 Des ... Speyer (German Edition) 3428056167, 9783428056163

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German Pages 233 [234] Year 1984

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Die Vereinheitlichung Des Verwaltungsverfahrensrechts: Vortrage Und Diskussionsbeitrage Der 1. Verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung 1983 Des ... Speyer (German Edition)
 3428056167, 9783428056163

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Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 93

Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts Vorträge und Diskussionsbeiträge der 10. Verwaltungswiesenechaftlichen Arbeitstagung 1983 des Forschungsinatituts für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

herausgegeben von

Prof. Dr. Willi Blümel

DUNCKER & HUMBLOT

BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts: Vorträge u. Diskussionsbeitr. d. 10. Verwaltungswiss. Arbeitstagung 1983 d. Forschungsinst. für Öffentl. Verwaltung bei d. Hochsch. für Verwaltungswiss. Speyer I hrsg. von Willi Blümel. - Berlin: Duncker und Humblot, 1984. (Schriftenreihe der Hochschule Speyer; Bd. 93) ISBN 3-428-05616-7 NE: Blümel, Willi [Hrsg.]; Verwaltungswissenschaftliche Arbeitstagung (10, 1983, Speyer); Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung (Speyer); Hochschule für Verwaltungswissenschaften ( Speyer): Schriftenreihe der Hochschule ...

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1984 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany

© 1984 Dunelter

ISBN 3-428-05616-7

Vorwort Die verwaltungswissenschaftliche Arbeitstagung 1983 des Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule Speyer, die vom 24. bis 26. Oktober 1983 stattfand, war dem Thema "Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts" gewidmet. Die Referate und die Zusammenfassungen der Aussprachen sowie die Niederschrift der Podiumsdiskussion der Referenten werden mit diesem Band vorgelegt. Ein ausführlicher Bericht über die Arbeitstagung ist in der Zeitschrift "Deutsches Verwaltungsblatt" 1984, S. 510/13 (Forschungsreferent Dr. Klaus Grupp) erschienen. Mit der Vorlage dieses Tagungsbandes verbindet sich die Hoffnung, daß die in ihm enthaltenen Referate und Diskussionsbeiträge nicht nur zur weiteren Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts beitragen, sondern auch den Anstoß zur Fortentwicklung der Verwaltungsverfahrensgesetze abgeben mögen. Die Hoffnung ist jedenfalls mit Blick auf den ersten Punkt nicht ganz unbegründet. So haben die Erörterungen auf der Speyerer Tagung bereits ihren Niederschlag in der Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts (BT-Drucks. 10/1232, S. 87) gefunden. Danach bereitet die Bundesregierung Vorschläge "vor, damit die verfahrensrechtlichen Sonderregelungen für die Planfeststellung nach dem Bundesternstraßengesetz und dem Bundeswasserstraßengesetz soweit entbehrlich aufgehoben, im übrigen den Planfeststellungsvorschriften der §§ 72 ff. VwVfG angepaßt werden können. Sie bezieht in ihre Erwägungen die verfahrensrechtlichen Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes und des Luftverkehrsgesetzes ein. Im Zuge der vorgesehenen Bereinigung von Planfeststellungsvorschriften wird geprüft, ob und inwieweit auch das Eisenbahnkreuzungsgesetz und das Wasserhaushaltsgesetz zu ändern sind und vereinfacht werden können". Mein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Klaus Grupp, der mich bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung tatkräftig unterstützt und die Redaktion dieses Bandes in die Hand genommen hat. Ebenso danke ich meinen Sekretärinnen, Frau Erika Kögel und Frau Marliese Dietrich, für ihre Mitwirkung bei der Vorbereitung des Bandes. Willi Blümel

Inhalt Eröffnungsansprache des Geschäftsführenden Direktors des Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Professor Dr. Frido Wagener, Speyer . . . . . . . . . . . .

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Einführung durch den Leiter der Tagung, Professor Dr. Willi Blümel, Speyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Vereinbeitlichung oder bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht? Von Professor Dr. Rainer Wahl, Freiburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Aussprache zu dem Referat von Professor Dr. Rainer Wahl. Leitung: Professor Dr. Werner Hoppe, Münster Bericht von Forschungsreferent Dr. Klaus Grupp, Speyer . . . . . . . . . . . .

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Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts des Bundes Von Ministerialrat Dr. Ralf Schaefer, Bundesministerium des Innern, Bonn . ... . ...... . .. . . ... ..... .. ..... . .. ....... . ........... .. ... .... 67 Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts in den Ländern Von Ministerialrat Ralf Dittus, Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Aussprache zu den Referaten von Dr. Rolf Schaefer und Rolf Dittus. Leitung: Prof. Dr. Udo Steiner, Regensburg Bericht von Oberregierungsrat Dr. Ferdinand Kirchhof, Speyer

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Landesbericht Bayern Von Ministerialdirigent Dr. Herbert Zeitler, Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, München . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Landesbericht Schleswig-Holstein Von Ministerialrat Dr. Jost-Dietrich Busch, Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein, Kiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Aussprache zu den Referaten von Dr. Herbert Zeitler und Dr. Jost-Dietrich Busch. Leitung: Professor Dr. Richard Bartlsperger, Erlangen Bericht von Forschungsreferent Dr. Klaus Grupp, Speyer . . . . . . . . . . . . 119

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Inhalt

Luftverkehrsrechtliches Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren Von Professor Dr. Michael Ronellenfitsch, Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Planfeststellungsverfahren (Bundes- und Landesrecht) Von Ltd. Ministerialrat a. D. Dr. Hans Carl Fickert, Ratiogen

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Förmliche Verwaltungsverfahren (atomrechtliches und immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren) Von Rechtsanwalt Siegfried de Witt, Freiburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Aussprache zu den Referaten von Professor Dr. Michael Ronellenfitsch, Dr. Hans Carl Fickert und Siegfried de Witt. Leitung: Ministerialrat Fritz Kastner, Bundesministerium für Verkehr, Bonn Bericht von Wiss. Assistent Wolfgang Bambey, Speyer . . . . . . . . . . . . . . 180 Asylverwaltungsverfahren Von Dr. Claus Meissner, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Mannheim ...... : . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Aussprache zu dem Referat von Dr. Claus Meissner. Leitung: Dr. Günter Korbmacher, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Berlin Bericht von Wiss. Assistent Wolfgang Bambey, Speyer ....... .. ..... 198 Podiumsdiskussion der Referenten. Leitung: Professor Dr. Willi Blümel, Speyer ..... .. ................................. .. .................. ... . 201

Eröffnung Ansprache des Geschäftsführenden Direktors Professor Dr. Frido Wagener

Das Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung veranstaltet jeweils im Herbst, allerdings nicht immer bei Nebel, eine verwaltungswissenschaftliche Arbeitstagung. Diese Tagung hat in diesem Herbst eine beachtliche Größe erreicht, nämlich mehr als siebzig Teilnehmer. Ich vermute, daß es hierfür mehrere Gründe gibt: 1. die bewährte Leitung von Herrn Kollegen Blümel,

2. das Vereinheitlichungsthema und (so hoffe ich jedenfalls) 3. die Weinlese in der Pfalz. Ich darf Sie, aus welchen Gründen Sie auch immer gekommen sind, ganz herzlich zu der Tagung in Speyer beim Forschungsinstitut und bei der Hochschule begrüßen. Der Rektor der Hochschule, Herr Professor Siedentopf, hätte Sie auch gerne begrüßt. Er ist aber zum Landtag zu einer Anhörung gerufen worden. Sie mögen ersehen, wie wichtig die anderen Geschäfte sind, die ihn davon abgehalten haben, hier zu sein. Er läßt Sie herzlich grüßen. Als Geschäftsführender Direktor des Forschungsinstituts sollte ich nicht inhaltlich zu dem Tagungsthema Stellung nehmen. Ich könnte mir jedoch vorstellen, daß Sie ein paar Fragen zum Forschungsinstitut und seinem Verhältnis zur Hochschule haben. Das Forschungsinstitut ist eine Einrichtung der überregionalen Forschung nach Art. 91 b Grundgesetz, das heißt, es wird zu 50 Ofo vom Bund und zu 50 Ofo von allen Ländern, allerdings mit dem Löwenanteil des Sitzlandes RheinlandPfalz, finanziert. Wir haben einen eigenen Institutsverwaltungsrat und einen eigenen Vorstand. Wir sind im Haushalt des Landes RheinlandPfalz getrennt von der Hochschule aufgeführt. Wir gehören zu den geförderten Institutionen nach der sogenannten Blauen Liste. Das gibt eine gewisse Bestandssicherheit, weil einzelne Institutionen dort schlecht "herausgeschossen" werden können. Die Zahl der Forschungsreferenten schwankt zwischen 15 und 25, je nachdem, wieviel Drittmittelprojekte wir einwerben und bearbeiten können. Zur Zeit wird im Rahmen des Art. 91 b GG ein neues Gebäude

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errichtet. Im Nebel können Sie es schlecht sehen, es werden gerade die Fenster eingehängt. Wenn die Sonne herauskommt, werden Sie ein kleines Wunder der "Mischfinanzierung" erblicken. Wir haben zur Zeit Zimmer in vier verschiedenen Gebäuden. Sie sehen deshalb auch kaum ein Schild "Forschungsinstitut". Ein Teil unserer Stellen sind Stellen für abgeordnete Beamte bis zum Rang des Regierungsdirektors. Die Einbeziehung von Praktikern in die Bearbeitung von Forschungsprojekten hat sich sehr bewährt. Helfen Sie uns, daß diese Möglichkeit für wissenschaftlich interessierte Praktiker, Forschungsprojekte zu bearbeiten und dabei eventuell noch zu promovieren, nicht verlorengeht. Wir haben außerordentliche Schwierigkeiten, gute Leute für mindestens ein Jahr aus der Praxis herauszulösen. Alle haben Angst, daß gesagt wird, die Personalnot sei wohl nicht groß, wenn man einen guten Mitarbeiter nach Speyer schicken kann. Soviel zum Forschungsinstitut. So ganz kann ich es mir doch nicht "verkneifen", bei dem Wort "Vereinheitlichung" einiges zu denken. Unwillkürlich denke ich jedenfalls dabei an "Einheit" und dann bald auch an "Gleichheit", und die hat natürlich mit dem "Zeitgeist" zu tun, wobei man sich bei dem weitgehenden Abbau und den raschen Veränderungen im Wertsystem der Menschen heute natürlich fragen muß, ob wir überhaupt noch so etwas wie "Zeitgeist" haben. Vielleicht kann man aber das Streben nach Gleichheit als den eigentlichen Geist der Epoche bezeichnen. Die Realisierung des Zeitgeistes hat erkennbar immer mehr Gleichheit in der Gesellschaft zur Folge gehabt. Zum Teil muß dieses Mehr an Gleichheit dann durch Gesetze, Verordnungen und Erlasse festgelegt werden. Das hat zur Folge, daß die Sicherung und Aufrechterhaltung von mehr Gleichheit einer ständig steigenden rechtlichen und bürokratischen Kontrolle bedarf. Verwaltung bedeutet jedoch auch stets den Ausbau von selbst schwer zu kontrollierenden Herrschaftssystemen. Wohlmeinende Reformer haben die Gefahr wuchernder bürokratischer Vorherrschaft durchaus gesehen und sie versuchen, ihr durch mehr und bessere Rechtsgarantien beizukommen. Im Ergebnis führt dies dazu, daß Unterschiede jeglicher Art (abweichendes Verhalten und abweichende Regelungen) suspekt werden und langsam verschwinden müssen. Wenn man in diesem Zusammenhang an Föderalismus denkt, das spielt ja bei uns hier sicher auch eine Rolle, dann zeigt sich schon daraus, daß der Föderalismus nicht mehr so recht in die Landschaft paßt, weil er dem Zeitgeist widerspricht. Die Grundvoraussetzungen für die relative Selbständigkeit eines Landes ist die Ungleichheit und gerade nicht die Gleichheit. Ich neige also zur Vereinheitlichung in Maßen, die hier Versammelten werden schon dafür sorgen, daß die Ungleichheit nicht zu weit getrieben wird. Auch die Tradition Speyers wird dafür

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sorgen, denn das Verwaltungsverfahrensrecht hat eine ganz spezielle Beziehung zu Speyer. Wir in Speyer haben uns immer nach § 17 II 32 des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 gehalten. Dort war nämlich festgelegt: "Jeder Untertan zeige Mängel des öffentlichen Wesens der Obrigkeit an, mache aber davon kein Geräusch im Publikum." Das letzte scheint heute weitgehend verlorengegangen zu sein. Im pluralistischen Staat mit repräsentativer Demokratie lassen sich Veränderungen ohne "Geräusch im Publikum" offenbar nur noch sehr schwer erreichen. Ich hoffe, daß wir dennoch ohne großartige Geräusche weiterkommen. Was wir brauchen ist -

mehr Forschung, gute Politik und vielleicht sogar mehr Glauben.

Dann stellt sich natürlich wieder die Frage, wie sich Forschung, Politik und Religion zueinander verhalten. Man kann dies wie folgt definieren: Forschung ist, wenn zwei Männer in einem dunklen Zimmer eine

schwarze Katze suchen;

Religion ist, wenn zwei Männer in einem dunklen Zimmer eine

schwarze Katze suchen, die gar nicht da ist; Politik ist, wenn zwei Männer in einem dunklen Zimmer eine schwarze Katze suchen, die gar nicht da ist, und einer ruft: "Ich hab' sie!"

Ich darf diese Tagung eröffnen und ihr einen guten Verlauf wünschen.

Einführung durch den Leiter der Tagung, Professor Dr. Willi Blümel Nach der freundlichen Eröffnung durch den Geschäftsführenden Direktor des Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer heiße ich Sie als Leiter dieser Arbeitstagung ebenfalls recht herzlich willkommen. Ich freue mich, daß Sie unserer Einladung gefolgt sind, hier in Speyer das ebenso spröde wie aktuelle Thema der Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts in Bund und Ländern zu erörtern. Um einen intensiven Gedankenaustausch zu gewährleisten, wird zu unseren Herbsttagungen - im Unterschied zu unseren offenen Fortbildungstagungen im Frühjahr - nur eine begrenzte Zahl von Wissenschaftlern und Praktikern eingeladen. In diesem Jahr hat unser Programm aber eine solche Resonanz gefunden, daß wir Schwierigkeiten hatten, die Teilnehmerzahl auf etwas über 70 Personen zu beschränken. Gleichwohl ist der hier versammelte Sachverstand beträchtlich. Neben mit dem Thema vertrauten Wissenschaftlern, Richtern und Rechtsanwälten nehmen vor allem Vertreter der mit der Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts befaßten Ministerien in Bund und Ländern an dieser Tagung teil. Von daher verspreche ich mir fundierte und praxisorientierte Ergebnisse unserer Beratungen, die alsbald in der Schriftenreihe der Hochschule veröffentlicht werden. Die die Gesetzgebung begleitende Beschäftigung mit dem Verwaltungsverfahrensrecht hat, worauf Herr Wagener bereits hingewiesen hat, an dieser Hochschule Tradition. Ich darf daran erinnern, daß der frühere Inhaber meines Lehrstuhls, Herr Kollege UZe, sich zusammen mit den Kollegen Bachof und Fröhler im Oktober 1962 dem BundLänderausschuB zur Erarbeitung des Musterentwurfs eines Verwaltungsverfahrensgesetzes zur mündlichen Erörterung des Ergebnisses der ersten Lesung' als Gutachter zur Verfügung gestellt hatte. Ule und Franz Becker veröffentlichten dann 1964 unter dem Titel "Verwaltungsverfahren im Rechtsstaat" Bemerkungen zum Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes. 1966 folgten zu diesem Musterentwurf die Ergebnisse eines Planspiels in der von UZe im Sommersemester 1964 geleiteten Verwaltungswissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft für Referendare aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Im

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Einführung

Jahre 1967 erschienen in der Schriftenreihe der Hochschule Speyer die von Ule in Verbindung mit Franz Hecker und Klaus König herausgegebenen, 1037 Seiten umfassenden Teilbände (Bd. 31) "Verwaltungsverfahrensgesetze des Auslandes". Erinnern möchte ich weiter daran, daß die während des Gesetzgebungsverfahrens vom Bundesminister des Innern vorgelegten Formulierungsvorschläge zur Regelung des Massenverfahrens u. a. auf einem vom Bundesminister der Justiz beim Forschungsinstitut der Hochschule Speyer in Auftrag gegebenen "Gutachten über eine künftige gesetzliche Regelung für Massenverfahren im Verwaltungsverfahrensrecht und im Verfahrensrecht für die Verwaltungsgerichte" (Januar 1975) beruhten, das unter der wissenschaftlichen Leitung von UZe von Hans-Wemer Laubinger erstattet wurde. Schließlich kann in diesem Zusammenhang natürlich das Studienbuch "Verwaltungsverfahrensrecht" von Ule I Laubinger (2. Aufl. 1979) nicht unerwähnt bleiben. Angesichts dieser Vorgeschichte lag es nahe, daß der Bundesminister des Innern auf Anregung des Vorsitzenden des Innenausschusses des Deutschen Bundestages Ende 1981 das Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei dieser Hochschule um Mitarbeit bei der systematischen Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts des Bundes bat. Bekanntlich hatte der Deutsche Bundestag bei der Verabschiedung des Verwaltungsverfahrensgesetzes im Jahre 1976 in einer Entschließung die Bundesregierung aufgefordert, binnen 8 Jahren die angestrebte Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts dadurch zu verwirklichen, daß das entgegenstehende oder gleichlautende Verwaltungsverfahrensrecht bereinigt wird. Außerdem wurde die Bundesregierung ersucht, zum 1. Januar 1982 einen 1. Bericht über die bis dahin erfolgten Maßnahmen zur Herbeiführung eines einheitlichen Verfahrensrechts vorzulegen. Da dieser Bericht aus verschiedenen Gründen ausblieb, erinnerte der Deutsche Bundestag bei der Debatte über den in Ihrer Tagungsmappe befindlichen Antrag der CDU/CSU-Fraktion (BT-Drucks. 9/1415) am 30. 4. 1982 (Plenarprotokoll 9/98, S. 5915/22) die Bundesregierung mit Nachdruck an die genannte Entschließung. Ausdrücklich begrüßten damals mehrere Redner die Einschaltung des Forschungsinstituts für bestimmte Teilaufgaben. Das unter meiner Leitung stehende Forschungsprojekt "Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts des Bundes" wurde ab 1. 7. 1982 zunächst von Assessor Heberlein bearbeitet. Seit 1. 4. 1983 - und befristet bis 31. 12. 1984 - steht mir als Forschungsreferent nunmehr Herr Dr. Grupp zur Seite. Mit Blick auch auf unsere beschränkte Arbeitskapazität und wegen der bereits laufenden Vorarbeiten am Entwurf eines Ersten Bereinigungsgesetzes, über den heute nachmittag

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Herr Dr. Schaefer berichten wird, kamen wir nach grundsätzlichen Erörterungen mit dem Bundesminister des lnnern überein, daß wir uns zunächst mit dem Normenbestand im Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau beschäftigen sollten. Da jedoch im Bundesbauministerium die Arbeiten an dem neuen Baugesetzbuch, durch welches das zersplitterte Städtebaurecht vereinheitlicht werden soll, bereits angelaufen sind, werden wir uns nach vorbereitenden Gesprächen darauf beschränken, zunächst die Vorschriften über das Enteignungsverfahren und das Umlegungsverfahren zu überprüfen und dabei vor allem die Erfahrungen einiger Länder bei der Novellierung ihrer Enteignungsgesetze berücksichtigen. Inzwischen wurde auch mit dem Bundesminister für Verkehr Kontakt wegen der Vereinheitlichung der Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren im Bundeswasserstraßengesetz, im Bundesfernstraßengesetz, im Luftverkehrsgesetz, im Personenbeförderungsgesetz und im Eisenbahnkreuzungsgesetz aufgenommen. Wegen der großen praktischen Bedeutung dieser sondergesetzlichen Regelungen werden sich morgen Herr Dr. Fickert und Herr Kollege Ronellenfitsch eingehend mit dem Planfeststellungsverfahren beschäftigen. Unsere eigenen Vorüberlegungen im Rahmen des Forschungsprojekts haben besondere Aktualität dadurch erlangt, daß der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 7. 10. 1983 zum 8. Abschnitt des Ersten Hereinigungsgesetzes - die Beschlußdrucksache 341/83 liegt Ihnen als Bestandteil eines Sonderdrucks vor - die Bundesregierung gebeten hat, sobald wie möglich Vorschläge vorzulegen, um die gesetzlichen Bestimmungen des Flanfeststellungsverfahrens - merkwürdigerweise allerdings nur - im Bundesfernstraßengesetz und im Bundeswasserstraßengesetz den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes anzupassen. Bei unseren eigenen Arbeiten im Rahmen des auf den Bereich des Bundes beschränkten Forschungsprojekts kam ich bald zu dem Ergebnis, daß es angezeigt sein würde, die im Bund und in den Ländern bei der Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts gewonnenen Erfahrungen auszutauschen und die für und gegen eine Verfahrensvereinheitlichung sprechenden Gründe anhand ausgewählter Bereiche zu erörtern. Diesem Zweck soll diese hier und heute stattfindende Verwaltungswissenschaftliche Arbeitstagung in erster Linie dienen. Nachdem uns von den zuständigen Ressorts der Bundesländer Erfahrungsberichte und Stellungnahmen übermittelt worden waren, bot es sich von selbst an, bei dieser Arbeitstagung auch dem Landesrecht breiten Raum zu widmen. Das geschieht zum einen in dem Überblicksreferat von Herrn Dittus, zum anderen in den Landesberichten Bayern und Schleswig-Holstein der Herren Dr. ZeitZer und Dr. Busch. Die Anpas-

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sungsgesetze einiger Länder finden Sie in der Tagungsmappe. Aus Zeitgründen habe ich davon abgesehen, auch noch die Verfahrensvorschriften der Landesbauordnungen, der Landeswassergesetze, der Landesenteignungsgesetze und der Beamtengesetze gesondert zu thematisieren. Die Anpassungsprobleme, z. B. bei der aktuellen Novellierung der Landesbauordnungen auf der Grundlage der neuen Musterbauordnung, können jedoch in den nachfolgenden Diskussionen erörtert werden. Gleiches gilt für die Planfeststellungsvorschriften in den Landesstraßengesetzen und in den Landeseisenbahngesetzen, die im Referat von Herrn Dr. Fickert eine Rolle spielen werden. Jeder, der sich in der Praxis oder wissenschaftlich näher mit dem Verwaltungsverfahrensrecht befaßt, weiß, daß es offenbar Bereiche gibt, in denen eine Verfahrensvereinheitlichung besonders schwierig oder überhaupt nicht zu erreichen ist. Die Frage, ob das bei den abweichend von §§ 63 ff. VwVfG geregelten förmlichen Verwaltungsverfahren, vor allem bei dem atomrechtlichen und dem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, der Fall ist, wird Herr Rechtsanwalt de Witt zu beantworten versuchen. Schließlich hat es Herr Dr. Meissner übernommen, die Vorschriften über das Asylverwaltungsverfahren im Asylverfahrensgesetz daraufhin zu überprüfen, ob und aus welchen Gründen sie als sondergesetzliche Regelungen aufrechterhalten bleiben können oder sogar müssen. Der intimere Charakter dieser Arbeitstagung sollte es möglich machen, die Ihnen allen geläufigen Argumente für oder gegen eine weitere Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts in Bund und Ländern offen vorzubringen. Dazu gehört etwa die Befürchtung mancher Bundesressorts - und hier spielt der leidige § 1 Abs. 3 VwVfG mit herein -, daß der Verzicht auf vorhandene bundesgesetzliche Verfahrensregelungen zugunsten der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder auf lange Sicht zu einer mit Art. 72 Abs. 2 GG nicht zu vereinbarenden Rechtszersplitterung führen könnte. Ob dem in bestimmten Fällen (z. B. Bundesfernstraßengesetz, Luftverkehrsgesetz) durch einen Verweis auf das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes - wie etwa in dem insoweit vom Bundesrat nicht beanstandeten Art. 10 des Entwurfs des Ersten Hereinigungsgesetzes (BR-Drucks. 341/83) für das atomrechtliche Planfeststellungsverfahren - begegnet werden kann, sollte eingehend und unvoreingenommen diskutiert werden. An dieser Stelle muß ich indessen einhalten. Denn mit der soeben aufgeworfenen Frage ist eine der zahlreichen Grundsatzfragen berührt, die mit der Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts zusammenhängen und die im nachfolgenden Referat von Herrn Kollegen Wahl sowie in weiteren Referaten behandelt werden. Diese Grundsatz-

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fragen sind bislang im mühsamen Alltagsgeschäft der allseits geforderten Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts etwas zu kurz gekommen. Soweit ich sehe, hat sich bisher nur die Konstanzer Staatsrechtslehrertagung 1982 auf der Grundlage des damaligen Referats von Herrn Kollegen Wahl mit dieser Thematik befaßt. Schon in Konstanz hatte sich Herr Kollege Wahl in seinem Referat über "Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag" für bereichsspezifische Regelungen in einem sektoralen Verwaltungsverfahrensrecht ausgesprochen. In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage, ob nicht etwa verfassungsrechtliche Überlegungen einer weiteren Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts entgegenstehen. Vor allem bleibt zu prüfen, ob die vom Bundesverfassungsgericht seit dem Mülheim-KärlichBeschluß vom 20. 12. 1979 (BVerfGE 53, 30) herausgestellte Grundrechtsrelevanz von Verwaltungsverfahrensvorschriften den Gesetzgeber nicht zu Differenzierungen und damit gegebenenfalls zu sondergesetzlichen Regelungen zwingt. Gegen diese These lassen sich allerdings wieder Gegenargumente anführen, u. a. auch diejenigen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 20. 4. 1982 (BVerfGE 60, 253 - 295 ff. -) - Zurechnung des Anwaltsverschuldens auch im Asylverfahren - gegen ein grundrechtsspezifisches Sonderverfahrensrecht (dort im Bereich des gerichtlichen Verfahrens) genannt hat. Was nach dieser Entscheidung zugunsten einer einheitlichen Regelung des Verwaltungsgerichtsverfahrens spricht, gilt wohl auch für ein einheitliches Verwaltungsverfahrensrecht. Obwohl auf unserer Tagung die Frage der Anpassung sondergesetzlicher Regelungen an die geltenden Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder im Vordergrund stehen wird, soll und kann die Frage nicht ausgeklammert werden, ob die jeweilige Vorschrift der Verwaltungsverfahrensgesetze als solche überhaupt sachgerecht ist. Gerade bei den bisherigen Novellierungsbemühungen dürften FallgestaUungen erkennbar geworden sein, bei denen offenkundig ist, daß die Regelung der Verwaltungsverfahrensgesetze nicht ausreicht und deshalb eine Sonderregelung erforderlich ist. Als Alternative bietet sich in solchen Fällen aber auch der - allerdings sehr mühsame und problembeladene - Weg einer Änderung oder Ergänzung sämtlicher Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder an. Überlegungen dieser Art werden in mehreren Referaten angesprochen werden. Dabei kann auch nicht übersehen werden, daß der Bundesgesetzgeber - genauer: die Bundesregierung - eine solche Lösung in bestimmten Fällen offenbar befürwortet. Ich verweise in diesem Zusammenhang z. B. auf § 191 Abs. 9 des Entwurfs einer Verwaltungsprozeßordnung, wonach 2 Speyer 93

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das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes an 6 Stellen- wenn auch größtenteils nur redaktionell - geändert werden soll. Allerdings hat die Bundesregierung in einem Punkt - Übernahme des § 59 VwGO (Rechtsbehelfsbelehrung) in einen neuen § 40 a VwVfG - den massiven Bedenken des Bundesrates Rechnung getragen und will insoweit von einer Ergänzung des Verwaltungsverfahrensgesetzes absehen. Unabhängig hiervon werden die Gesetzgeber in Bund und Ländern aber dort an eine Änderung oder Ergänzung der Verwaltungsverfahrensgesetze herangehen müssen, wo gewichtige verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Vorschrift- wie z. B. gegen § 46 VwVfG- aufgetaucht sind. Auch ansonsten scheint mir der Änderungsbedarf - betrachtet man nur die bisher vorliegenden Vorschläge - schon jetzt recht erheblich zu sein. Bei diesen Überlegungen wird man allerdings Bedacht darauf nehmen müssen, daß die bisher erreichte weitgehende wörtliche Übereinstimmung der Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder mit denen der Bundesfassung nicht wieder verloren geht. Denn das hätte erhebliche nachteilige Folgen, wie allein § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO zeigt, wonach die Revision zum Bundesverwaltungsgericht auch darauf gestützt werden kann, daß das Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes beruht, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt. Gerade die zuvor genannte Vorschrift der Verwaltungsgerichtsordnung provoziert allerdings die weitergehende Frage, welchen Beitrag die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überhaupt zur Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts leisten kann. Dabei können die Befürworter der Aufrechterhaltung von wörtlich mit den Verwaltungsverfahrensgesetzen übereinstimmenden sondergesetzlichen Regelungen des Bundes - z. B. der Planfeststellungsvorschriften des Bundesfernstraßengesetzes - darauf verweisen, daß wegen der einheitlichen Interpretation der übereinstimmenden Vorschriften durch das Bundesverwaltungsgericht ein Auseinanderlaufen der Praxis nicht zu befürchten und daher eine Streichung der bundesgesetzlichen Sonderregelung nicht erforderlich sei. Aber damit will ich es in dieser Einführung bewenden lassen und nunmehr Herrn Kollegen Wahl bitten, mit seinem Referat zu beginnen.

Vereinheitlichung oder bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht? Von Rainer Wahl Rechtsvereinheitlichung und Kodifikation gehören eng zusammen. Vereinheitlichung - auch die einem umfassenden Gesetzgebungswerk nachfolgende Vereinheitlichung- ist ein immanenter Bestandteil einer Kodifikation der Art, wie es der Erlaß der Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern sicherlich ist, der auch als Markstein des Verwaltungsrechts apostrophiert worden ist1 • Enthält nämlich ein Gesetzgebungswerk eine systematische und systematisierende Leistung, dann ist es eine selbstverständliche Folgearbeit, die Systemgedanken, die ausgeprägten Rechtsinstitute - und nicht als das geringste - die neue Terminologie im gesamten vorhandenen Bestand an Rechtsvorschriften durchzusetzen. Erst mit der Rechtsbereinigung auf die Verwaltungsverfahrensgesetze hin und einer Bedeutungsminderung der Subsidiaritätsklauseln der VwVfGe ist deshalb das Gesamtwerk abgeschlossen. Die innere Verknüpfung der Rechtsvereinheitlichung mit der Kodifikationsidee macht aber auch auf Grenzen der Vereinheitlichung aufmerksam. Die (Leistungs-)Grenzen des Kodifizierens, die Grenzen der Verallgemeinerungsfähigkeit beim Regeln sind deshalb auch Grenzen der möglichen Vereinheitlichung. Die Kodifikationsidee selbst steht nun derzeit nicht gerade im besten Ansehen und Ruf. Zweifel am Beruf unserer Zeit zur ,großen Gesetzgebung aus einem Guß' 2 können mit dem tatsächlichen oder angeblichen Verfall der Gesetzgebungskunst allein nicht begründet werden. Über immer mögliche und immer wieder berechtigte Zweifel am inhaltlichen Rang unserer heutigen Gesetzgebung hinaus geht es um das grundsätzliche Problem der Generalisierbarkeit des Rechtsstoffes in wenigen grundsätzlichen Regeln angesichts der 1 H. Maurer, JuS 1976, 496; vgl. auch C. H. UZe I H.-W. Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 2. Aufl. 1979, 22; UZe, DVBl. 1976, 421. - Zur Auswirkung der VwVfGe auf die Dogmatik des Verwaltungsrechts vgl. die gleichnamige Arbeit von I. Heberlein (Speyeret Forschungsberichte, H. 24, 1981). 2 Statt aller Einzelnachweise sei auf die Referate und Diskussionen zum Thema: Gesetzgebung im Rechtsstaat, VVDStRL 40, 1982, verwiesen (insbesondere Eichenberger, 13 ff., 19 ff.; Novak, 40 ff.; Kloepfer, 68 ff.). Zusammenfassend neuerdings H. Schneider, Gesetzgebung, 1982, 4.

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Rainer Wahl

stark ausdifferenzierten Lebensverhältnisse. Wenn das Recht in ein irgendwie geartetes annäherndes Entsprechungsverhältnis zur Kompliziertheit und Differenziertheit der Lebensverhältnisse treten soll, dann ergeben sich unter heutigen Bedingungen zwangsläufig daraus Grenzen für eine abschließende und hoch generalisierende Kodifikation. Die inhaltlichen Möglichkeiten und Grenzen der Generalisierung erscheinen mir als das geheime Leitthema der Vereinheitlichungsdiskussion, nicht dagegen die Frage der äußerlichen Harmonisierung, der quantitativen Reduzierung oder des - auch modische Züge tragenden - Kampfes gegen die Normenflut3 , so wenig diese Gesichtspunkte in ihrer relativen Bedeutung unterschätzt werden sollen. Die aktuelle Vereinheitlichungsdiskussion zehrt sehr von den Erwägungen, die zur Kodifikation der VwVfGe geführt haben, sie segelt so stark im Fahrtwind dieser Kodifikation, daß derzeit kaum noch grundsätzliche Überlegungen zur Notwendigkeit und zum Umfang der Vereinheitlichung angestellt werden. Darin sehe ich die Gefahr einer Verengung, die Gefahr, daß nur noch in der Art des Vollzuges schon längst entschiedener Grundsatzfragen gedacht wird, ohne daß bemerkt wird, daß der Umfang der möglichen Vereinheitlichung, genauer: der Umfang der möglichen Generalisierung des Verwaltungsverfahrensrechts bei Schaffung der VwVfGe nicht ausdiskutiert worden ist und damals nicht ausdiskutiert werden mußte. Die Kodifikation hat ein allgemeines Verfahrensrecht geschaffen; damit ist aber nicht zugleich die Idee eines Einheitsverfahrens4 abschließend beurteilt oder gar bejaht worden. Diese Frage liegt noch auf dem Tisch- bei der jetzt anstehenden Vereinheitlichungsdiskussion. Will man also den Stand der Vereinheitlichungsdiskussion schildern und eine Zwischenbilanz der Argumente ziehen (dazu unten I und II), dann darf man nicht nur auf die relativ spärlichen Äußerungen aus den jüngsten Jahren seit 1976 Bezug nehmen, sondern man muß auch die grundsätzliche Diskussion im Vorfeld der Weichenstellung zugunsten der Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts heranziehen. Insoweit erscheinen mir nach wie vor die Überlegungen von Bettermann5 aus dem Jahre 1958 als prinzipielle und tiefgehende Überlegungen an3 Im vorliegenden Zusammenhang wird der Kampf gegen die Normenflut ausdrücklich hervorgehoben in der Begründung zum b. w. Gesetz zur Anpassung des Landesrechts an das Landesverwal tungsverfahrensgesetz und zur Aufhebung entbehrlicher Rechtsvorschriften, LT-Drs. 8/3411, 1, 22 und in der Begründung zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Anpassung des bayerischen Landesrechts an das Bayerische Verwaltungsverfahrensgesetz, LTDrs. 8/7739, 6. 4 Begriff bei K. A. Bettermann, Das Verwaltungsverfahren, VVDStRL 17, 1959, 118/143; vgl. die Ausführungen im anschließeBden Text. 6 Vgl. Fn.4.

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regend. Seiner und anderer6 Kritik am Kodifikationsvorhaben selbst sind schon der Deutsche Juristentag 1960 und später die Gesetzgebungspraxis nicht gefolgt - zu Recht, wie ich in Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Auffassung meine. Ganz offen ist es dagegen, ob Rettermann nicht in der Substanz seiner Einwände recht hatte und deshalb heute recht behalten sollte, nämlich in der Stoßrichtung seiner Einwände gegen das Einheitsverfahren, gegen die Unifikateure, wie Rettermann seine eigentlichen Gegner in dieser Auseinandersetzung bezeichnet hat7. Ehe auf diese Grundfragen der Notwendigkeit und des Umfangs von Sonderverfahrensrecht im einzelnen eingegangen wird (V und VI), soll zunächst ein Überblick über die Gesetzgebungspraxis (I) und über die wissenschaftliche Diskussion (II) gewonnen werden.

I. Bestandsaufnahme der Gesetzgebungspraxis8

1. Vereinheitlichung im Bund Die einzelnen Stationen und Dokumente des keineswegs unaufhaltsamen Gangs zur Vereinheitlichung im Bund sind bekannt; sie sollen hier nur in der Form des Überblicks und stichwortartig aufgezählt werden9 : -

Im Musterentwurf 1963 war eine achtjährige Übergangszeit für das Außerkrafttreten inhaltsgleicher und entgegenstehender Rechtsvorschriften vorgesehen10.

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Die Begründung zum Entwurf des VwVfG von 1973 setzte auf die rechtsvereinheitlichende Wirkung eines VwVfG, an dem bei der künftigen Gesetzgebung nicht würde vorbeigegangen werden können; man erwartete so starke Wirkungen auf die künftige Gesetzgebung, daß nach und nach alle bestehenden verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften ersetzt werden11 •

8 Zur Kritik von W. Weber, F. Wemer, M. Baring vgl. die Nachweise bei UZe I Laubinger (Fn. 1), § 2 III. 7 (Fn. 4), 142.

8 Entsprechend der Themenstellung der Tagung bleibt die Aufspaltung des Verwaltungsverfahrensrechts gemäß der ,Drei-Säulen-Theorie' in das VwVfG, das SGB X und die AO außer Betracht. 9 Einen Überblick mit einigen wörtlichen Zitaten enthält die Begründung zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts, BR-Drs. 341183, 70 f. = BT-Drs. 1011232; vgl. auch Stelkens I Bonk I Leonhardt, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 1983, Einleitung Rn. 61 ff. und insgesamt das Referat von Schaefer, in diesem Band, S. 67 ff. to Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes von 1963, 1964: § 85 II 2 Bundesfassung, § 84 II 2 Landesfassung. 11 BT-Drs. 611173, 25.

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Rainer Wahl Die Stellungnahme des Verwaltungsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins war dagegen unter Hinweis auf die Stärke von Ressortinteressen sehr skeptisch12. Das Bundesgesetz von 1976 enthält dann, wie auch die VwVfGe der meisten Länder13, eine SubsidiaritätsklauseP4 • Die bekannte Entschließung des Bundestages vom 15. Januar 1976 forderte die Vereinheitlichung innerhalb eines Zeitraums von acht Jahren; der Bundesrat hatte dies schon im ersten Durchgang der Beratungen des Entwurfs 1973 gefordert; die Bundesregierung hatte den sofortigen Beginn der Bereinigung und besonderen Nachdruck bei ihr zugesagtl5 • Nichtvorlage des in der Entschließung vorgesehenen ersten Berichts zum 1. Januar 1982; nachfolgend ein erfolgloser Mißbilligungsantrag der damaligen Opposition, der CDUICSU-Fraktion16 . Die Beauftragung des Forschungsinstituts der Hochschule für Verwaltungswissenschaften als Nothelfer angesichts des geltend gemachten Personaimangels im Innenministerium17. Ende August der Entwurf des vorliegenden Ersten Gesetzes zur Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts18.

Aus der Begründung zu diesem Entwurf sind auch die weiteren Schritte auf Bundesebene zur Bereinigung und Vereinheitlichung bekannt18: Einzelanpassung bei Novellierung (sogen. Novellenbereinigung20) und bei neuen Rechtsvorschriften im Wege der Prüfung der Verwaltungsförmigkeit, d. h . der Übereinstimmung der Regelungen mit dem VwVfG. Durch die Nutzung des Datenblatt-Informationssystems kann diese Verwaltungsförmigkeitsprüfung frühzeitig nach der ersten Meldung einer Gesetzgebungsabsicht einsetzen. - Als Teil einer systematischen Überprüfung ist 1976 eine Bestandsaufnahme über vorhandenes Sonderverfahrensrecht vorgenommen worden. Diese heute nicht mehr vollständige und aktuelle Analyse21 ergab 535 Vorschriften mit inhaltlichem Sonderverfahrensrecht in 136 Gesetzen und

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12 Stellungnahme des Verwaltungsrechtsausschusses des Dt. Anwaltsvereins zum Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes, 1973, 5 (zit. nach UZe I Laubinger [Fn. 1], § 8 II). 13 Vgl. die Synopse, S. 59. 14 Die kontroverse Literatur zur Subsidiaritätsklausel ist nachgewiesen bei Stelkens I Bonk I Leonhardt (Fn. 9), Einleitung, Rn. 66. u BT-Drs. 714499 + Sten. Ber. 7. WP, 212. Sitzung, 14 695. Stellungnahme des Bundesrats BR-Drs. 71910, 99. Erklärung der Bundesregierung ebd., 108. Zur Bewertung der Bundestags-Entschließung als ,Nachtarocken aus schlechtem Gewissen' W. Schmitt Glaeser, in: ders. (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, 1977, 23.- Ähnliche Entschließungen haben die Landtage von BW und NW beim Erlaß des LVwVfG verabschiedet. 16 BT-Drs. 911415 + Sten. Ber. 9. WP, 98. Sitzung vom 30. 4. 1982, 5915. 17 Vgl. Innenminister Baum, Sten. Ber. (Fn. 16), 5918. ts BR-Drs. 341183 = BT-Drs. 1011232 (mit Stellungnahme des Bundesrates, s. 81 ff.). 19 (Fn. 18), 71. 20 Schaefer, in diesem Bande, S. 73 f. 21 Zahlenangabe nach BR-Drs. 341183, 71; dazu auch Schaefer, in diesem Bande, S. 70 f.

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432 Vorschriften in 176 Rechtsverordnungen. Den Umfang der jetzt beab-

sichtigten Bereinigung durch das Erste Gesetz lassen die Zahlen erkennen: 136 Vorschriften in Gesetzen und 55 Vorschriften in Rechtsverordnungen, bei denen die Ressorts keine Bedenken hatten, sollen bereinigt werden, also ungefähr ein Viertel der Gesetzesvorschriften und ungefähr ein Achtel der Vorschriften in Rechtsverordnungen. Interessant und systematisch auszuwerten wären die Begründungen, die bei dem Dreiviertel der Gesetzesvorschriften und den sieben Achteln der Vorschriften in Rechtsverordnungen von den einzelnen Ressorts gegen eine Vereinheitlichung vorgebracht worden sind.

Zur Praxis der Vereinheitlichung gehören auch die Gesetze, in denen nach Überprüfung Sonderverfahrensrecht aufrecht erhalten worden ist. Dazu gehören insbesondere das Bundesfernstraßengesetz und das Bundeswasserstraßengesetz; in beiden Fällen ist das Planfeststellungsverfahren im Sondergesetz ausführlich geregelt22 , während die Länder bei ihren Straßengesetzen zu einem Großteil auf die Verwaltungsverfahrensgesetze verweisen. Der Bundesrat hat die Bundesregierung in seiner Stellungnahme zum erwähnten Ersten Vereinheitlichungsgesetz gebeten, bei beiden Gesetzen eine Anpassung an das VwVfG vorzunehmen23. Sonderrecht ist weiterhin aufrecht erhalten geblieben im Bereich der Enteignungs- und Umlegungsverfahren im BBauG. Neues Sonderverfahrensrecht ist in erheblichem Umfang im Asylverfahrensgesetz normiert worden24. Das förmliche Verfahren ist bislang nur in wenigen Fällen für anwendbar erklärt worden, so z. B. im Bundesberggesetz (§ 105 BBergG) und beim Verfahren der Ausschüsse für Kriegsdienstverweigerung25 ; eine weitere Anwendungserklärung ist im Ersten Gesetz für das Versicherungsaufsichtsrecht vorgesehen2&. Als wichtige Ergänzung einer Vorschrift der VwVfGe können die Einfügungen der §§ 44 a in den Haushaltsordnungen von Bund und Ländern gelten27 .

22 Ausführlich dazu, insbes. zur Entstehungsgeschichte H. C. Fickert, in diesem Bande, S. 145 ff. (147 f., 156 ff.) = DVBl. 1984, 207 ff. (208, 213). 23 BR-Drs. 341/83 (Beschluß), 13 (= BT-Drs. 10/1232, S. 84). 24 Dazu C. Meissner, in diesem Bande, S. 187 ff. 25 Art. 1 § 10 II Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz vom 28. 2. 1983 (BGBl. I 203). t& Art. 15 Nr. 1 (BR-Drs. 341/83, 29). Eine Übersicht über die Anwendungsfälle des förmlichen Verfahrens ist enthalten bei Knack-Busch, Verwaltungsverfahrensgesetz, 1982, § 63, Anm. 3.3. Von den förmlichen Verfahren i. S. der §§ 63 ff. VwVfG sind sonstige stärker formalisierte Verfahren zu unterscheiden; Aufzählung bei Knack-Busch, vor § 63, Anm. 2.1. 21 Dazu näher unten IV. 2.

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2. Vereinheitlichung in den Ländern Technik und Stand der Vereinheitlichung in den Ländern ergibt sich aus der anliegenden Synopse28 • Jeweils hinzuzunehmen sind bei allen Ländern die Einzelanpassungen aus Anlaß von Novellierungen einzelner Gesetze und neuer Gesetzgebung. In der Gesetzgebungspraxis der Länder hat sich herausgestellt, daß das häufig als Ideallösung angesehene sofortige Außerkrafttreten allen inhaltsgleichen und entgegenstehenden Verfahrensrechts die Probleme nicht voll lösen kann. Dies zeigt das Vorgehen in Bremen29 : Die normative Anordnung des sofortigen Außerkrafttretens schaffte natürlich die abweichenden Vorschriften noch nicht aus den Gesetzestexten. Zur dann dringend erforderlichen Beseitigung der dadurch entstandenen Rechtsunsicherheit bedarf es dann doch der formellen Bereinigung der Gesetzestexte. Entsprechend war auch ein formelles Sammelanpassungsgesetz im Saarland notwendig; dort trat nach § 96 II SaarVwVfG abweichendes Recht nach vier Jahren außer Kraft, soweit es nicht angepaßt worden ist. Die formelle Bereinigung und Anpassung geschah durch das Gesetz vom 10. Dezember 198030 • Generell ist die Anpassung und Bereinigung des Planfeststellungsrechts im Bereich der Verkehrsplanungen in den Ländern viel weiter fortgeschritten als beim Bund. In den Ländern werden die Regelungen der §§ 72 ff. LVwVfGe als Standardregelungen für das Planfeststellungsverfahren verstanden, die dann in spezieller Hinsicht modifiziert werden31 • Wie im Bund hat sich in den Ländern das förmliche Verfahren der §§ 72 ff. LVwVfG nicht in erheblichem Umfang als aufnahmefähig erwiesen, um vorhandenes Sonderverfahrensrecht überflüssig zu machen. Offen ist insbesondere die Situation im Hinblick auf förmliche Genehmigungsverfahren. Auf der einen Seite wurden etwa im bayerischen Wassergesetz für die traditionell besondere Förmlichkeiten enthaltenden wasserrechtlichen Verfahren (Bewilligung und gehobene Erlaubnis) nicht die Vorschriften der Art. 63 ff. BayVwVfG für anwendbar erklärt, sondern die - in einigen Punkten modifizierten - Rege28 S. 59 und insgesamt die Beiträge von Dittus, ZeitZer und Busch in diesem Bande. 29 § 1 BremVwVfG enthält keine Subsidiaritätsklausel, dafür aber einen erweiterten Katalog von Ausnahmen vom Anwendungsbereich des VwVfG in § 2 (vgl. insbes. die Liste in § 2 III Nr. 5). § 97 BremVwVfG ordnet das Außerkraftreten der entgegenstehenden und inhaltsgleichen Vorschriften im Rahmen des Anwendungsbereichs an; außerdem sind einige Vorschriften schon ausdrücklich durch § 97 S. 2 BremVwVfG aufgehoben worden. 30 Gesetz Nr. 1128 zur Anpassung von Landesrecht an das Saarländische Verwaltungsverfahrensgesetz vom 10. Dezember 1980 (ABl., 1082). Nach Art. 5 dieses Gesetzes sind die Vorschriften des Beamtengesetzes, der Disziplinarordnung und der Bauordnung von den Vorschriften des VwVfG ausgenommen. 31 Dazu ausführlich Fickert, in diesem Bande, S. 162 ff.

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lungen des Planfeststellungsverfahrens32 • Auf der anderen Seite hat man in Schleswig-Holstein im Wasserrecht das förmliche Verfahren nach den §§ 130 ff. LVwG, die inhaltsgleich mit §§ 63 ff. VwVfG sind, für anwendbar erklärt33 • Entsprechendes gilt für Berlin und NordrheinWestfalen34.

3. Schwerpunkte der Vereinheitlichung und des verbleibenden Sonderverfahrensrechts Die Bestandsaufnahme und eine überschlägige Beurteilung ergeben, daß die Vereinheitlichung in den Ländern im Vergleich zum Bund zeitlich früher und sachlich umfassender vorangekommen ist. Insbesondere fehlt es beim Bund an der gänzlichen Aufgabe von geschlossenen Sonderverfahrensregelungen fast völlig. Erst jetzt werden mit dem Entwurf zum Ersten Vereinheitlichungsgesetz in einigen wenigen Gesetzen Planfeststellungsvorschriften gestrichen; Ausdehnung auf weitere Gesetze ist vom Bundesrat empfohlen. Auf die Gründe für die Diskrepanz zwischen Bund und Ländern ist noch zurückzukommen35 • Die Kataloge der vorliegenden Bammelanpassungsgesetze und die Aufzählung von Einzelanpassungen in Bund und Ländern haben einen äußerlich imponierenden Umfang. Beim Versuch einer inhaltlichen Bewertung dieser Kataloge legt es sich hier in Speyer nahe, eine der provokanten, aber treffenden Formulierungen von Frido Wagener aufzugreifen und zu modifizieren. Wagener hat im Zusammenhang mit den Gesetzen zur Funktionalreform von Riesenkatalogen von Kleinviehzuständigkeiten gesprochen36 • Verhält es sich hier bei den Gesetzen zur Rechtsbereinigung ähnlich? Macht man sich ein Bild von den inhaltlichen Schwerpunkten dieser Bereinigungen, die bei den Vorschriften über die Bekanntmachung, Wiedereinsetzung, Nebenbestimmungen, Begründungspflicht, Rechtsbehelfsbelehrung und Fragen der örtlichen Zuständigkeit liegen, so hat man nicht den Eindruck, daß es sich hier um inhaltlich gewichtige und substantielle Vorgänge handelt. Aber immerhin- auch die terminologische Bereinigung der überkommenen Ausdrücke ,Untersagung', ,Abberufung', ,Zurücknahme', ,Aberkennung' u. ä. durch die neue und einheitliche Terminologie der ,Rücknahme' und des ,Widerrufs' ist nicht unwichtig37 • Was dabei geschieht, ist ein not32 Dazu E. Mader, BayVBI. 1982, 167; zum Bayerischen Straßen- und Wegegesetz Kersten, BayVBI. 1981, 745/749. 33 Dazu Busch, in diesem Bande, S. 105 ff. (116). 34 §§ 86 und 88 WG Berlin i. V. m. § 4 b BerlVwVfG; § 143 LWG NW. as Vgl. unten IV. 2. 3 & F. Wagener, in: ders. (Hrsg.), Zukunftsaspekte der Verwaltung, 1980, 42. 37 Vielfältige Beispiele dazu im Verwaltungsverfahrensrechts-Anpassungsgesetz NW vom 18. 5. 1982 (GV. NW 248) und LT-Drs. 9/1410, z. B. Art. 2, 4, 10.

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wendiger Akt der laufenden Alltagsgesetzgebung, für den man im vorliegenden Zusammenhang den spezifischen Begriff der Rechtsbereinigung verwenden kann. Bei dieser mehr technischen Bereinigung geht es um das Zuendeführen des in den VwVfGen entwickelten systematischen und terminologischen Ansatzes. Es geht dabei häufig um Recht, das historisch in einer bestimmten Formulierung entstanden ist, das aber seinem eigenen Anspruch nach häufig gar nicht Sonderrecht sein wollte, sondern nur wegen seines Verhaftetseins an seine Entstehungszeit inzwischen zum abweichenden oder unvollständigen Verfahrensrecht geworden ist. Davon abzugrenzen sind Regelungen, die den Anspruch auf Sonderverfahrensrecht erheben, um angenommenen Besonderheiten gerecht zu werden. Diese Regelungen zu identifizieren, sie abzugrenzen von zufällig anders formulierten und deshalb zu bereinigenden Vorschriften, ist die Schwierigkeit in der Praxis und überhaupt unseres Themas. Aber auch solches weiterhin in Spezialgesetzen enthaltenes Sonderverfahrensrecht soll und muß in seinen Formulierungen den Modellregelungen des VwVfG so weit wie möglich entsprechen; auch für dieses Sonderverfahrensrecht ist deshalb häufig eine ,Anpassung' an die Begrifflichkeit und die Systemgedanken der VwVfGe erforderlich38•

II. Der Stand der Diskussion um die Vereinheitlichung des Verfahrensrechts

1. Argumente für und gegen die Vereinheitlichung Der Stand der wissenschaftlichen Diskussion zur Vereinheitlichung ist, wie oben erwähnt39, zu einem wesentlichen Teil aus der Phase der Weichenstellung in Richtung auf die Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts zu entnehmen. In seinen grundsätzlichen Überlegungen hat Rettermann bemerkens- und beachtenswerte Thesen formuliert40: die Fach- und Bachgerechtigkeit ist wichtiger als die Einheitlichkeit; Unität ist noch keine Garantie für Qualität; Generalisierung führt leicht über die Unifizierung zur Simplifizierung. Zusammenfassend lautet für Rettermann "die richtige Fragestellung ... also nicht: Einheitsverfahren oder Mehrheit oder Vielfalt von Spezialverfahren? sondern dahin wie weit die Spezialisierung und wie weit die Generalisierung getrieben werden kann oder soll. Es geht um die richtige Kombination beider Methoden". Diese prinzipielle Position wird in der 38

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Dazu auch Dittus, in diesem Bande, S. 79 ff. (82 f.). Vgl. Einleitung vor I. (Fn. 4), 150 und 143.

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neueren Literatur von einigen Autoren aufgegriffen41 • Auf der anderen Seite verwundert es jedoch nicht, daß Autoren, die die Entstehung des VwVfG maßgeblich mitbestimmt und gefördert haben, allen voran Carl Hermann Ule, sich auch heute für die Abrundung der Kodifikation durch eine weitgehende Vereinheitlichung einsetzen42 • Die Lehrbuchund Kommentarliteratur folgt im wesentlichen dieser vom Gesetzgeber aufgegriffenen Grundlinie ohne weitergehende Vertiefung4 s, 44 • Für einen Überblick über die Argumente für und gegen eine Vereinheitlichung kann auch die parallele Diskussion über die Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsordnungen45 einbezogen werden. Es bestehen zwar generell gewichtige Unterschiede zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozeßrecht46 ; auch sind die Gemeinsamkeiten der drei gerichtlichen Verfahren untereinander wesentlich stärker als die der Verwaltungsverfahren47 , der Argumentationshaushalt ist jedoch in beiden Fällen grundsätzlich derselbe. Argumente für eine Vereinheitlichung sind: -

Vereinfachung, Bereinigung historisch zufällig entstandener Unterschiede angesichts von gemeinsamen Grundstrukturen der einzelnen Verwal tungsverfahren; größere Transparenz, Verständlichkeit und Übersichtlichkeit sowie leichtere Handhabbarkeit für Benutzer (Bürger, Beamte, Anwälte, Richter); Förderung und Prägung des Rechtsbewußtseins durch ,das' Verfahrensgesetz48;

41 Zustimmend sind die Passagen von Bettermann zitiert von P . Badura, Das Verwaltungsverfahren, in: H . U. Erichsen I W. Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 1981, § 36 II bei Fn. 8. Vgl. auch R. Wahl und J. Pietzcker, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL 41 , 1983, 171 f. und 209. 42 Ule I Laubinger (Fn. 1), § 8 li, auch§ 5 I 1. 43 Temperamentvoll für die Vereinheitlichung auch im Hinblick auf das Verhältnis VwVfG- SGB X- AO H . Meyer, ZRP 1979, 105 ff. 44 Erwähnenswert aus soziologischer Sicht F . X. Kaufmann, wenn auch primär auf die Vereinheitlichung der materiellen Regeln gerichtet, in: Dt. Sozialgerichtsverband (Hrsg.), Möglichkeiten und Grenzen der Vereinfachung und Vereinheitlichung des Sozialverwaltungsrechts, 1970, 19 ff. 45 UZe, DVBI. 1967, 345; ders., DVBI. 1981, 363; D. Merten (Hrsg.), Die Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsgesetze zu einer Verwaltungsprozeßordnung, 1978; F . Kopp, Gutachten B zum 54. DJT 1982; St. Bräutigam, W. Funk und J. Martens, Verhandlungen des 54. DJT, Bd. li, 62, 38 u. 10 ff.; J . Meyer-Ladewig, NVwZ 198'2, 401; K. Redeker, DVBI. 1982, 805; W.-R. Schenke, DÖV 1982, 709; H. Sendler, DVBI. 1982, 812; J.-D. Busch I D. B erger, DVBI. 1982, 831. 46 Dazu unten V. 2. 47 So zu Recht Meyer-Ladewig, NVwZ 1982, 4011405. 48 Meyer, ZRP 1979, 105 ff. ; Meyer-Ladewig, NVwZ 1982, 4011405.

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-

bessere Möglichkeit der wissenschaftlichen Durchdringung; Steigerung der Rechtssicherheit durch gleichmäßige Rechtsanwendung; einheitliche Rechtsfortbildung49 ; -Eindämmung der ,Normenflut'50 ; -

Kostensenkungst.

Argumente gegen die Vereinheitlichung sind: - Vereinheitlichung ist kein Wert an sich52 ; -

die Sachgesetzlichkeiten in speziellen Materien und speziellen Verfahrenssituationen gehen verloren;

-

die Zusammengehörigkeit von inhaltlichen Regelungen und Verfahrensrecht geht verloren;

-

Innovations- und Experimentierfeindlichkeit der generellen Kodifikation. 2. Zielkonflikte

Mehr noch als die Auflistung der Argumente pro und contra sind die Zielkonflikte von Interesse, die sich bei den Vereinheitlichungsvorhaben im Verwaltungsverfahrensrecht wie auch bei dem Entwurf einer VPO ergeben: -

Abstraktionsgrad bei Vereinheitlichung versus Verständlichkeit und Sachnähe53 ;

-

Vereinheitlichungseffekt lungen54;

-

Transparenz und Verständlichkeit versus Ablenkung des Benutzers durch im Einzelfall nicht einschlägige Regelungen55 ;

-

Sachzusammenhang des Verfahrensrechts (Verfahrensrecht in einem Gesetz) versus Sachzusammenhang Verfahrensrecht - inhaltliche Regelungen.

versus

aufrechterhaltene

Sonderrege-

Ein besonderer Zielkonflikt ergibt sich, wenn einige Sonderregelungen in einem speziellen Verwaltungsbereich erforderlich erscheinen und sich die Alternative stellt, ob das Spezialgesetz nur die Besonder49 50 51

Kopp (Fn. 45), 16; Sendler, DVBl. 1982, 812 f. ; Redeker, DVBl. 1982, 806. S. oben Fn. 3.

So die Argumentation beim Antrag der CDU/CSU-Fraktion in BT-Drs.

9/1415 im Rahmen des Mißbilligungsantrags (Fn. 16). 52 So auch in der Diskussion um den E VPO Sendler, DVBI. 1982, 812; ähnlich Schenke, DÖV 1982, 713. 53 Schenke, DÖV 1982, 713. 54 Kopp (Fn. 45), 19. 55 Schenke, DÖV 1982, 713; Sendler, DVBI. 1982, 812.

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heiten oder eine geschlossene Verfahrensregelung enthalten soll. Am zugespitzten Beispiel des sozialrechtlichen Verfahrens hat die Bundesregierung im Entwurf zum SGB X dazu ausgeführt: "Es ist nicht einfacher, zweckmäßiger und klarer, nur die Besonderheiten des sozialrechtlichen Verfahrens im Sozialgesetzbuch zusammenzufassen und im übrigen das Verwaltungsverfahrensgesetz gelten zu lassen. Solche Verweisungstechniken erschweren sowohl der Verwaltung als auch insbesondere den Betroffenen das Verhältnis und die Anwendung der Verwaltungsvorschriften im Sozialleistungsbereich. Im Interesse einer größeren Transparenz des Rechts und seiner besseren Anwendbarkeit für alle Benutzer sind für gleich gelagerte Sachverhalte Normen des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowohl bei der Abgabenordnung für die Finanzverwaltung als auch hier bei dem Sozialleistungsbereich wortgleich wiederholt worden. Das erleichtert den Berechtigten und der Verwaltung das Lesen des Gesetzes. Der vom Bundesrat vorgeschlagene Weg wäre erheblich komplizierter. Es müßten dann stets zwei Verfahrensgesetze, die verschiedene Standorte haben, in einem Verwaltungsverfahren zur Anwendung kommen" 58• Diese Argumentation wird auch in der aktuellen Diskussion zugunsten der Aufrechterhaltung von geschlossenen Sonderregelungen, etwa im BBauG oder im Städtebauförderungsgesetz, gebraucht; im Rahmen der angekündigten Arbeiten für ein einheitliches Städtebaugesetz wird diese Frage zu entscheiden sein.

111. Problemansatz und terminologische Abgrenzungen 1. Die Lösungsalternativen Zu Beginn der Problemerörterung empfiehlt sich eine Vergewisserung über die Fragestellung, damit nicht unbewußt oder unreflektiert eine verengende Weichenstellung vorgenommen wird. Unter Vereinheitlichung läßt sich zunächst die Anpassung des überkommenen Verwaltungsverfahrensrechts an die vorhandenen Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder verstehen. Dabei sind dann kleinere Modifikationen dieser Gesetze in der Zukunft nicht ausgeschlossen, aber im Kern heißt Vereinheitlichung bei diesem Verständnis Anpassung an das Regelungsmodell der Verwaltungsverfahrensgesetze, so wie diese derzeit sind. Bei dieser Betrachtungsweise erscheint dann konsequenterweise ein Bedarf nach abweichenden, nach anderen Regelungen des Verwaltungsverfahrensrechts automatisch als ein Bedarf nach Sonderverfahrensrecht. Besonders in der mittel- und längerfristigen Perspektive muß dieses Verständnis als verengt gelten; stattdessen muß von Anfang an in der Diskussion um die Vereinheitlichung oder Aufrechterhaltung von bisherigem Sonderrecht auch die dritte Alter58

BT-Drs. 8/2034, 60.

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native einbezogen werden, nämlich die von Änderungen der VwVfGe57 • Bedarf nach anderem Verwaltungsverfahrensrecht kann auch innerhalb der VwVfGe befriedigt werden, etwa durch zusätzliche Regelungen, die dann in einem zweiten Schritt eine Vereinheitlichung im Hinblick auf die novellierte Fassung der VwVfGe erlauben. Eine Alternative zum Sonderverfahrensrecht der immissionsschutzrechtlichen und atomrechtlichen Genehmigungen ist auch die Ergänzung der VwVfGe um einen Verfahrenstyp komplexe Genehmigungsverfahren. Um auf die Themenformulierung anzuspielen: bereichsspezifisches Verfahrensrecht kann es auch innerhalb der VwVfGe geben; die Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren sind ein Beispiel dafür. Diese Kennzeichnung ist aber nur vor dem Hintergrund einer terminologischen Klarstellung sinnvoll, die ich wie folgt vornehmen möchte:

2. Terminologische Differenzierungen und Abgrenzungen Den Begriff Sonderverwaltungsverfahrensrecht (oder Sonderverfahrensrecht) benutze ich als einen rein formellen Begriff; er bezieht sein Abgrenzungskriterium allein aus dem Ort einer Verfahrensregelung, entweder in den VwVfGen, dann allgemeines Verwaltungsverfahrensrecht, oder außerhalb der VwVfGe, dann Sonderverwaltungsverfahrensrecht. Unter bereichsspezifischem Verwaltungsverfahrensrecht verstehe ich dagegen einen inhaltlich definierten Begriff, der Verfahrensrecht mit gegenständlich beschränktem Anwendungsbereich meint. Er bezieht sich also auf sachliche Sonder- und Spezialregelungen im Verhältnis zu dem allgemeinen Verfahrensmodell, das grundsätzlich in den allgemeinen Vorschriften, also in den Teilen I- IV der VwVfGe enthalten ist. Wie schon erwähnt, können deshalb Regelungen in den VwVfGen, insbesondere die Vorschriften im Abschnitt "Besondere Verfahrensarten" als bereichsspezifisches Verfahrensrecht qualifiziert werden, so besonders deutlich die §§ 72 ff. VwVfGe zu Planfeststellungsverfahren. Im Vorgriff auf die späteren Ausführungen58 kann hier schon gesagt werden, daß diese begriffliche Unterscheidung, die ja eine frei gebildete und nicht eine dogmatische Begriffsbildung ist59, letztlich darauf ab57 So auch Blümel, Dittus und Zeitler, in diesem Bande, S. 13 ff. (17 f.) bzw. S. 91 f. bzw. S. 97 ff. (101 ff.); vgl. hierzu auch die Podiumsdiskussion der Referenten, unten S. 201 ff. 58 Dazu unten VI. 2. 59 Deshalb können Abgrenzungsschwierigkeiten wie z. B. die Frage nach der Qualifizierung der Vorschriften über Massenverfahren letztlich auf sich beruhen. In der Sache dürfte es sich bei diesen Vorschriften um eine interne Differenzierung des allgemeinen Verfahrensmodells handeln, die primär auf Unterschiede in spezifischen Verfahrenssituationen reagiert, gleichgültig um welchen Sachbereich oder Verwaltungszweig es sich handelt.

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zielt, ob verfahrensrechtliche Sonderregelungen veranlaßt sind durch besondere sachliche Problemlagen in einer verwaltungsrechtlichen Materie, also durch die Besonderheiten des einschlägigen sachlichen Verwaltungsrechts veranlaßt sind. Von besonderem Interesse ist bereichsspezifisches Verfahrensrecht, das spezifische Verfahrenstypen oder Verfahrensarten konstituiert.

3. Präzisierung des Ausgangsproblems Diese begriffliche Differenzierung erlaubt eine Präzisierung des Ausgangsproblems. Zu unterscheiden sind nämlich zwei Ebenen der Begriffsbildung. Ein erster Gegensatz bezieht sich auf die Alternative: Vereinheitlichung in den VwVfGen oder Sonderverfahrensrecht. Der zweite Gegensatz betrifft die Unterscheidung zwischen allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht und bereichspezifischem Verwaltungsverfahrensrecht. In der Kombinierung beider Begriffsbildungen entstehen also die in der folgenden Übersicht dargestellten vier Problemfelder: allgemeines VVerfR

bereichsspezif. VVerfR

VwVfGe

1) überwiegende Zahl der Bestimmungen der VwVfGe

2) z. B. PlanfeststellungsVer! §§ 72 ff.

SonderVVerfR

3) inhaltsgleiche (oder wenig abweichende) Regelungen in SpezialGen

4) sachlich abweichendes VVerfR in SpezialGen

Die beiden Felder 1 und 2 sind schon angesprochen worden und Feld 3 betrifft das in einem Spezialgesetz enthaltene Sonderverfahrensrecht, das inhaltsgleich mit den Regelungen der Abschnitte II- IV der VwVfGe ist oder nur wenig davon abweicht. Feld 3 ist also im wesentlichen der Anwendungsbereich der Rechtsbereinigung. Feld 4 enthält die interessanteren Fälle der sowohl formellen wie auch sachlichen Sonderregelungen. Hier stellt sich die entscheidende Frage, ob vorhandenes sachliches Sonderrecht beibehalten werden soll. Im folgenden geht es mir nicht nur um die Frage der äußeren Vereinheitlichung, also um die Aufhebung von Sonderverfahrensrecht, sondern auch um die Frage nach dem notwendigen Ausmaß von bereichsspezifischem Verfahrensrecht, außerhalb oder auch innerhalb der VwVfGe.

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IV. Typologie der Ursachen für verwaltungsverfahrensrechtliche Sonderregelungen In einer weiteren Hinsicht muß einer möglichen Verengung der Diskussion vorgebeugt werden. Es gibt nicht nur einen oder nur einen einheitlichen Grund für die (behauptete) Notwendigkeit von verfahrensrechtlichen Sonderregelungen. Deshalb empfiehlt sich eine Typologisierung dieser Begründungen.

1. Zusammengehörigkeit von sachlichem Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht Aus den Gesetzesbegründungen ist die häufig wiederkehrende Formulierung geläufig, daß "zwingende Gründe, hauptsächlich aus der Materie des Regelungsgegenstandes" eine verfahrensrechtliche Sonderregelung erforderlich machen60 • Verwiesen ist damit auf das Argument der inneren und wechselseitigen Bezogenheit des sachlichen Verwaltungsrechts und des Verwaltungsverfahrensrechts; dieses Argument und seine Berechtigung wird später den Schwerpunkt meiner eigenen Überlegungen bilden61 • Aber dieses Argument stellt, obwohl häufig nur auf es abgestellt wird, nur einen, wenn auch wichtigen Ausschnitt aus den Gründen für die Einführung oder Beibehaltung von Sonderverfahrensrecht dar. Einen zweiten Wirkfaktor möchte ich als Bedarf aus kodifikationstechnischen Gründen bezeichnen.

2. Kodifikationsbedingter Bedarf nach Sonderregelungen Dabei handelt es sich um Besonderheiten der Gesamtkodifikation der VwVfGe im Bundesstaat, die man abkürzend unter dem Stichwort: Verwaltungsverfahrensgesetze als augenfälliges Anwendungsbeispiel des schwierigen Bundesstaates kennzeichnen kann. Bekanntlich ist die Gesamtkodifikation der VwVfGe durch die Eigenart und eigenwillige Konstruktion einer inhaltlich übereinstimmenden Gesamtkodifikation in getrennten, z. T. parallelen, z. T. (dynamisch62) aufeinander verweisenden Gesetzen ausgezeichnet. Gesetzgebungspolitisch besteht das Postulat der inhaltlichen Übereinstimmung und der bleibenden inhaltlichen so Begründung des Ersten Bereinigungsgesetzes des Bundes, BR-Drs. 341/ 83, 71; auf ,zwingende Gründe', die Sonderrecht rechtfertigen, verweist auch die BT-Entschließung von 1976, BT-Drs. 7/4499. 81 Unten V. 62 Eine statische Verweisung enthält § 1 I nds. VwVfG, dynamische Verweisung dagegen § 1 I Gesetz über das Verfahren der Berliner Verwaltung und§ 1 I des rh.-pf. LVwVfG. Zur Problematik der letzteren Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 1980, Vorbemerkung Rn. 16 f. mit Nachweisen.

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Übereinstimmung der selbständigen Gesetze des Bundes und der Länder. Rechtlich ist diese Übereinstimmung nicht gefordert und auch nicht abgesichert83 , jeder der Beteiligten kann inhaltlich verschiedenes Verwaltungsverfahrensrecht in seinem Verwaltungsverfahrensgesetz normieren64. Um so mehr stellt die Gesamtkonstruktion der VwVfGe ihrem inneren Sinne nach klare Anforderungen an die Gesetzgebungspolitik von Bund und Ländern auf dem Gebiet des Verwaltungsverfahrensrechts, Anforderungen, die man unter dem Oberbegriff gesamtkodifikationsfreundliches Verhalten zusammenfassen kann. Gesetzgebungspolitisch gefordert ist ein Verhalten des Bundes- und der Landesgesetzgeber, das betont Rücksicht auf die Einheitlichkeit und gemeinsame Weiterentwicklung der Gesamtkodifikation nimmt65 • Unterbleiben soll also ein Ausscheren eines der Beteiligten aus dem gemeinsamen Geleitzug; gefordert ist peinliches Beachten der gleichen Fahrbahn und gemeinsames, zeitlich und sachlich abgestimmtes Verändern der bisherigen Fahrbahn. Diese Situation hat mehrere für das Thema einschlägige Konsequenzen. Im gemeinsamen Geleitzug bestimmt der Langsamste das Tempo. Das gemeinsame Fahren bringt generell Zeitverluste mit sich- koordiniertes Ändern der VwVfGe hat deshalb einen großen Zeit- und Abstimmungsbedarf - in irgendeinem der Länder oder im Bund steht fast immer eine Wahl oder eine vorgezogene Wahl an. Der Gesetzgeber kommt dann nicht voran. Verwaltungsverfahrensrecht, das in den VwVfGen vereinheitlicht ist, gewinnt allein aus den technischen Eigenarten der Gesamtkodifikation eine Verfestigung, ihm wächst eine Änderungsresistenz zu. Dies mag zuweilen gegenüber der Neigung zu improvisierten Schnellschüssen des heutigen Gesetzgebers eine heilsame Bremse sein; ob eine sachlich notwendige Änderung des Verfahrensrechts immer oder in der Regel rechtzeitig und koordiniert zustande kommt, ist dadurch jedoch infrage gestellt. Wie stark sich dieser Zeitverlust und die Abhängigkeit von Koordinationsergebnissen auf die Neigung oder Abneigung, auf Sonderverfahrensrecht zu verzichten, auswirken wird, hängt wesentlich von der künftigen Gesetzgebungspraxis bei Änderungen der VwVfGe ab. Es ist 11 Ausdrücklich so Borgs, in: Meyer I Borgs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Auf!. 1982, § 1 Rn. 20. " Die Abweichungen der LVwVfGe vom BVwVfG sind zusammengestellt bei Stelkens I Bonk I Leonhardt (Fn. 9), 1027 ff. - Die Abweichungen fallen inhaltlich gesehen nicht ins Gewicht; sie beeinträchtigen derzeit das rechtspolitische Postulat der grundsätzlichen inhaltlichen Übereinstimmung nicht. 85 Dazu Kopp (Fn. 62), Vorbemerkung§ 1 Rn. 17 a. E. Dieses Ziel ist in der Gesetzgebungspolitik auch anerkannt, vgl. z. B. Begründung zum Entwurf eines b. w. VwVfG (LT-Drs. 71820, 63) und die Antwort des Innenministers LT-Drs. 811955, 3 f.

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für die Entwicklung zu einem und für die Beibehaltung eines vereinheitlichten Verfahrensrechts von großer Bedeutung, daß notwendige Änderungen in angemessener Zeit und in verständnisvoller Absprache zwischen den Beteiligten erreicht werden, sonst wird die Neigung zum Verzicht auf Sonderverfahrensrecht vermutlich rasch und entschieden sinken. Das Gesamtverhalten von Bund und Ländern in der Frage der Novellierung der VwVfGe ist eine der rechtspolitisch sensiblen und kritischen Stellen für das Ausmaß der andauernden Rechtsvereinheitlichung im Verwaltungsverfahrensrecht66. These 1 a) Die besondere Form der Gesamtkodifikation des Verwaltungsverfah:.. rensrechts im Bundesstaat (rechtspolitisches Postulat der bleibenden inhaltlichen Übereinstimmung bei formell getrennten zwölf Gesetzen) erfordert besondere Anstrengungen in der Rechtspolitik im Sinne eines gesamtkodifikationsfreundlichen Verhaltens in der Rechtspolitik der einzelnen Beteiligten. These 1 b) Der Umfang des künftigen Sonderverfahrensrechtsdes Bundes hängt auch vom rechtspolitischen Gesamtverhalten von Bund und Ländern bei der Weiterentwicklung der VwVfGe ab. Ein Beispiel, das zu denken und, zumindest für mich, zu Fragen Anlaß gibt, ist die inhaltlich . gewichtige Änderung des Rechts des Widerrufs und der Rücknahme durch die koordinierte Einfügung eines § 44 a in die Haushaltsordnungen von Bund und Ländern67 • Es kann kein Zweifel sein, daß diese Vorschrift in den Haushaltsordnungen nicht ihren sachgemäßen Ort hat. Ebensowenig ist es zweifelhaft, daß es sich in der Sache um eine, und zwar um die erste gewichtige inhaltliche Veränderung der VwVfGe handelt, aber sie ist eben nicht im Geleitzug der Änderungen der VwVfGe vorgenommen worden, sondern bezeichnenderweise im Bereich der Haushaltsordnungen, die grundsätzlich der autonomen Disposition jedes einzelnen Gesetzgebers unterliegen68. Am Ende kam es zwar zu den einheitlichen Änderungen in den Gesetzen von Bund und Ländern. Zu beantworten ist die Frage, warum 88 Insbesondere können die Länder vom .Bund Verzicht auf (vorhandenes) Bundessonderrecht nicht erwarten, wenn vom :Bund für notwendig gehaltene Änderungen der VwVfGe sich zeitlich verzögern oder nur schwerfällig vorankommen. 87 Dazu R. Grawert, DVBI. 1981, 1029 ff. und P. Weides, NJW 1981, 841 ff. ss § 44 a BHO (LHO) gehört nicht zu den Materien; die nach dem. Haushaltsgrundsätzegesetz des Bundes Pflichtmaterien für die Haushaltsordnungen von Bund und Ländern sind.

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diese Änderung nicht im Rahmen der VwVfGe vorgenommen worden ist69 • Der faktische Verlust an Dispositionsmöglichkeiten über die eigene Gesetzgebung durch die Gesamtkodifikation der VwVfGe stellt sich für den Bund besonders und in spezifischer Weise dar. Ein Verzicht auf Sonderverfahrensrecht wirkt sich für den Bund anders aus als bei den Ländern - es besteht insofern eine wichtige Inkongruenz in der Problemlage. Bei den Ländern lautet die Alternative zum Landessonderrecht die Anwendbarkeit des eigenen LVwVfG. Beim Bund dagegen ist im Regelfall der Ausführung der Bundesgesetze durch landeseigene Verwaltung die Alternative zum Bundessonderrecht die Einschlägigkeit der Landesverwaltungsverfahrensgesetze. Dies hat mehrere Konsequenzen. Zum einen ist der Verzicht auf Sonderrecht für den Bund häufig nur möglich, wenn die VwVfGe der Länder untereinander übereinstimmen und auch weiterhin vermutlich übereinstimmen werden70 • Zum anderen verliert der Bund mit dem Verzicht auf sein Sonderrecht die Dispositionsmöglichkeit über künftige Änderungen in einschneidender und bedeutsamer Weise. Nicht einmal durch eine Novellierung seines VwVfG könnte er eine Rechtsänderung erreichen, da ja beim landeseigenen Vollzug von Bundesgesetzen die VwVfGe der Länder einschlägig sind. Und auch, was die denkbare alternative Reaktionsweise des Bundes betrifft, daß er nämlich zum Bundessonderrecht zurückkehren möchte, so sei dieser wegen der Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesrats erschwerte Weg am Beispiel des immissionsschutzrechtlichen Verfahrens erläutert. Das Gedankenexperiment sieht folgendermaßen aus: - Der Bund würde auf das Sonderrecht in der 9. BlmSchV zugunsten von evtl. inhaltlich geänderten Vorschriften über das förmliche Verfahren nach den§ 63 ff. LVwVfG verzichten. - Später taucht ein Änderungsbedarf auf - man denke an Parallelen zu den Änderungswünschen, die etwa nach dem Voerde-Urteil des OVG Münster aufgetaucht sind, auf verfahrensrechtlichem Gebiet, - die Koordination zur Änderung der VwVfGe mit den Ländern gelingt nicht oder nicht rechtzeitig, - ein Alleingang des Bundes zur Änderung des BVwVfG wäre nutzlos - der Versuch der erneuten Einführung von Bundessonderrecht müßte im Bundesrat die Zustimmung erhalten. Dies ist zwar eine Anforderung an jede Verwaltungsverfahrensregelung des Bundes, sie würde auch bei der jetzigen Rechtslage bei einer Änderung 89 Dazu näheres in der Diskussion, vgl. unten den Bericht von Grupp, S. 60 ff. (61 f.). 70 Die Länder bestimmen also durch die Art, in der sie an der Einheitlichkeit des Verwaltungsverfahrensrechts festhalten, auch über die Manövriermasse für den Verzicht auf Bundessonderrecht mit.

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der 9. BlmSchV bestehen. Aber im gewählten Beispiel würde die Frage der Zustimmung des Bundesrates in einer Situation akut, in der vielleicht die Koordination bei der versuchten Änderung der VwVfGe nicht erreichbar gewesen ist, nachdem es vielleicht zu Spannungen über die Änderung dieser Vorschriften gekommen ist71 • Jedenfalls, auch wenn dieses Szenario etwas überspitzt geschildert worden ist: daß man sich auf seiten des Bundes sehr sorgfältig und lange überlegen wird, ob man das Sonderrecht der BlmSchV aufgibt - von der atomrechtlichen Verfahrensordnung ganz zu schweigen dürfte nicht verwundern. Dabei - und darum geht es hier - würde eine solche Reserve, würden die vermuteten Hemmnisse gegenüber der Abschaffung des bestehenden Sonderrechts auch dann bestehen, wenn die VwVfGe etwa einen Abschnitt über komplexe Genehmigungsverfahren in der Art der jetzigen Regelungen der 9. BimSchV enthalten würden. Die vermutete Reserve ist oder wäre kodifikationstechnisch bedingt. Es ergibt sich: Der Verzicht auf Sonderverfahrensrecht ist für die Länder reversibel, weil er nur von ihrer eigenen Entscheidung abhängig ist. Anders beim Bund, der sich erschwerten rechtlichen und politischen Bedingungen beim Versuch der Wiedereinführung von Sonderverfahrensrecht gegenüberseben könnte. Angesichts dieser Inkongruenz der gesetzgeberischen Problemlage ergibt sich These 1 c): Aus den kodifikationsbedingten Gründen ist die Notwendigkeit oder Wahrscheinlichkeit von Sonderverfahrensrecht beim Bund größer als bei den Ländern. Die koordinierte Gesetzgebungspolitik im Bundesstaat ist sehr schwierig: deshalb kommt es hier vermu_tlich zu einem nicht unerheblichen Anteil von Bundessonderrecht. Der Sieg der Länder bei den Auseinandersetzungen über die Reichweite und den Geltungsumfang des undesverwaltungsverfahrensgesetzes (Subsidiaritätsklausel des § 1 III BVwVfG) ist nicht folgenlos; er kann auch Züge eines Pyrrhussieges annehmen. 71 Der wesentliche Unterschied zwischen der Änderung von Bundessonderrecht und der Wiedereinführung von Bundessonderrecht nach einem vorherigen Verzicht liegt darin, daß sich im ersteren Fall die möglichen Auseinandersetzungen mit dem Bundesrat auf die Notwendigkeit der zwei bis drei konkreten Änderungen beschränken, während sich im anderen Fall die zusätzliche und strittigere Frage nach dem Bedarf von Bundessonderrecht überhaupt stellt. Einige Änderungsregelungen über die Hürde der Zustimmungsbedürftigkeit zu bringen, ist eher eine Sachfrage; die Wiedereinführung von Bundessonderrecht ist dagegen häufig gesetzgebungspolitisch umstrittener.

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3. Bedarf an Sonderverfahrensrecht aus gesetzgebungspragmatischen Gründen Kurz ist noch auf gesetzgebungspragmatische und gesetzgebungstechnische Gründe einzugehen, die zur Einführung und Beibehaltung von Sonderverfahrensrecht Anlaß geben können. Wenn aus zwingenden Gründen einige verfahrensrechtliche Sonderregelungen erforderlich sind, dann kann es sich im Interesse der Wahrung des Regelungszusammenhangs empfehlen, statt eines Flickerlteppichs von isolierten Sondervorschriften diese mit den komplementären allgemeinen Verfahrensvorschriften zu einer geschlossenen Regelung zusammenzufassen72 • Der Vorteil, daß dadurch ein anschauliches Bild des Verfahrens und feste Konturen eines Verfahrenstyps entstehen, wiegt m. E. stärker als mögliche Bedenken gegen die Wiederholung von Vorschriften der VwVfGe in den Sondergesetzen. Solche Bedenken sind um so weniger berechtigt, wenn man - und dafür möchte ich generell plädieren - die wiederholten Vorschriften durch Klammerausdrücke und -verweise ausdrücklich als Bezugnahmen auf VwVfGe kennzeichnet. Auf einige gesetzgebungstechnische Fragen werde ich am Ende zurückkommen73 •

4. Ressortpolitische Interessen Als letzte, wenn auch recht wirkungskräftige tatsächliche Ursache für die Entstehung und Beibehaltung von Sonderverfahrensrecht sind ressortpolitische Interessen zu nennen, die in der Praxis auch als Ressortegoismus bezeichnet werden, wenn man vom jeweils anderen Ressort spricht. Das Motto: jedem Haus sein Verfahrensgesetz, gleichsam wie eine gut sichtbare Fahne, kann sicherlich einen objektiven Bedarf nach Sonderverfahrensrecht nicht begründen. Aber ähnlich wie im Verhältnis Bund- Länder74 geht es auch innerhalb der Regierung und der Ministerialorganisation um die Disposition über die Initiative von (Änderungs-)Vorhaben und über die Deterrninierung des Inhalts; diese Gesichtspunkte haben eine von keinem Kenner der Praxis unterschätzte Antriebs- und Durchschlagskraft in den generellen intraorganisatorischen Auseinandersetzungen um Einfluß und Prestige. Da solche ressortpolitischen und ressortegoistischen Erwägungen der Natur der Sache nach verdeckt gehalten werden, können sie kaum direkt angeganVgl. dazu oben Fn. 56. Unten VII. 74 Dazu oben 111. 2. Aus politikwissenschaftlicher und verwaltungswissenschaftlicher Sicht ist also im Problemfeld allgemeines Verwaltungsverfahrensrecht - Sonderverfahrensrecht mit zwei sich überschneidenden Interessenfeldern zu rechnen, mit dem Bund-Länder-Verhältnis und den Beziehungen Fachministerium - Innenministerium. 12

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gen werden, aber auch nur selten ausgeschlossen werden. Die Gesetzgebungspolitik muß mit solchen Motiven immer rechnen und damit umzugehen gelernt haben. Man wird deshalb vorsichtshalber an jeden geltend gemachten Bedarf nach Sonderverfahrensrecht gewisse Anforderungen an die Begründung und Plausibilität stellen müssen.

V. Die Alternative allgemeines- bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht 1. Das zugrundeliegende prinzipielle Problem Das Tagungsthema der Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts grundsätzlich zu diskutieren, heißt, es im Lichte seiner Alternativen zu diskutieren. Es bleibt dann nicht erspart zu fragen, welches prinzipielle Problem hinter der Alternative Vereinheitlichung oder nicht steht. Meine Antwort ist formuliert in These 2: Hinter der Alternative Vereinheitlichung oder Sonderverfahrensrecht (Generalisierung oder Differenzierung) stehen unterschiedliche Auffassungen über den Standort des Verwaltungsverfahrensrechts im Dreieck: sachlich-inhaltliches Verwaltungsrecht - Verwaltungsverfahrensrecht - Verwal tungsprozeßrecht. Zwischen den drei Gebieten bestehen unbestrittenermaßen (Wechsel-)Beziehungen und Abhängigkeiten, die üblicherweise unter dem Obersatz der dienenden Funktion von Verwaltungsverfahrensrecht und Prozeßrecht gegenüber dem sachlich-inhaltlichen Verwaltungsrecht75 zusammengefaßt werden76 • Die entscheidende Frage ist nun, wie die Mittelstellung des Verwaltungsverfahrensrechts zwischen dem inhaltlichen Verwaltungsrecht und dem Verwaltungsprozeßrecht genauer zu bestimmen ist, zu welcher Seite die Beziehungen enger und folgenreicher sind. Die Antwort sei zur Strukturierung der weiteren Überlegungen in Thesenform gefaßt (Thesen 3 und 4). 75 Im folgenden wird als Gegensatz zum Verwaltungsverfahrensrecht der Begriff des inhaltlich-sachlichen Verwaltungsrechts gebraucht und der Begriff des ,materiellen' Verwaltungsrechts vermieden. Die Unterscheidung von ,materiellem' und ,formellem' Verwaltungsrecht orientiert sich am gerichtlichen Rechtsschutz, so zu Recht W. Schmidt, Einführung in die Probleme des Verwaltungsrechts, 1982, Rn. 345 f.; ähnlich prinzipiell auch Badura (Fn. 41), § 36 II und schon früher Bettermann (Fn. 4), 120. 78 Es handelt sich um Wechselbeziehungen: das VerwaltungsverfahrenBrecht ,dient' nicht nur der Verwirklichung des sachlichen Verwaltungsrechts, letzteres bedarf grundsätzlich der Ergänzung durch das Verfahrensrecht, um zu seiner Verwirklichung zu kommen, dazu unten V. 3.

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2. Die alternativen Grundverständnisse These 3: Hinter dem Postulat der weitgehenden Generalisierung des Verwaltungsverfahrensrechts zu einem ,allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht' steht die Konzeption eines relativ eigenständigen Verwaltungsverfahrensrechts (im Hinblick auf das inhaltliche Verwaltungsrecht) und die Vorstellung von weitgehenden Gemeinsamkeiten mit dem Verwaltungsprozeßrecht im Sinne eines allgemeinen Verfahrensrechts. Nach dem auf umfassende- und idealiter vollkommene- Vereinheitlichung abzielenden Verständnis läßt sich ein generelles Modell des Verwaltungsverfahrensrechts konstituieren, gewissermaßen das Modell des rechtsstaatlich geordneten, fairen Verwaltungsverfahrens schlechthin. Relativ77 stark abgehoben von den unterschiedlichen Sachproblemlagen des inhaltlichen Verwaltungsrechts bildet das Verwaltungsverfahren danach ein generelles Gebäude und Gehäuse, innerhalb dessen die Verwirklichung unterschiedlichen inhaltlichen Rechts geschieht und geschehen kann. Verwaltungsverfahrensrecht ist das verfahrens- und ablaufbezogene Gehäuse, ähnlich wie das Verwaltungsprozeßrecht grundsätzlich einen einheitlichen und generalisierten Rahmen für die prozessuale Durchsetzung des materiellen Rechts bildet. Korrespondierend mit der relativen Verselbständigung gegenüber dem inhaltlichen Verwaltungsrecht werden dann bei diesem Verständnis die Gemeinsamkeiten der rechtlichen Regelungen des Verwaltungsverfahrens und der Gerichtsverfahren betont78 : Verwaltungsverfahren als zwar eigengearteter Typ, aber doch als Unterfall eines generellen Verfahrensrechts oder einer generellen Verfahrenstheorie, die sich an den Eigengesetzlichkeiteil von Verfahrensabläufen schlechthin 77 Natürlich werden die Wechselbeziehungen zwischen inhaltlichem Recht und Verfahrensrecht von niemimdem geleugnet; unterschiedlich sind aber die Einschätzungen über den Grad der Verselbständigung des Verwaltungsverfahrensrechts. 78 In der Darstellung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Verwaltungsprozeß und Verwaltungsverfahren liegen bei UZe I Laubinger (Fn. 1), § 3, insbes. § 3 111 die Akzente im Hinblick auf die rechtlichen Regelungen (nicht auf die Zwecke des Verfahrens) stark auf den Gemeinsamkeiten. Dies ist nicht zufällig, weil das Verwaltungsverfahren als im wesentlichen unter den gleichen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen wie der Verwaltungsprozeß stehend gesehen wird und überhaupt für das Verwaltungsverfahrensreclit der. aus Verfas!n.ingsgrilndsätzen deduzierende Begründungsduktus typisch ist (dazu unten VI. 1). Vgl. ausführlich UZe, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß. Zur Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrechts, VA Bd. 62 (1971), 114/124 = ders., Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1979, 517/528 ff.

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orientiert79 und diese auf die spezifischen Merkmale des Verfahrenstyps Verwaltungsverfahren80 modifiziert. Wegen dieser Orientierung an den Eigengesetzlichkeiten der Verfahrensabläufe in den Verwaltungsverfahren ist eine weitgehende Generalisierbarkeit nach diesem Verständnis möglich und auch immanent folgerichtig. Genau dieselbe Akzentuierung in Richtung auf Einheitlichkeit folgt aus dem Verständnis des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts als Konkretisierung von verfassungsrechtlichen Grundsätzen: was aus einheitlichen Verfassungsprinzipien abgeleitet ist, hat selbst den Charakter des Einheitlichen und Generalisiertens1 • Demgegenüber steht hinter dem Postulat nach bereichsspezifischem Verfahrensrecht ein grundsätzlich anderer gedanklicher Ansatz: These 4: Die Konzeption des bereichsspezifischen Verwaltungsverfahrensrechts beruht auf dem Verständnis einer engen Nähebeziehung zwischen dem Verwaltungsverfahrensrecht und dem inhaltlichen Verwaltungsrecht; beide werden als Ausdruck gemeinsamer Antworten auf einheitliche Sachprobleme gesehen. Bei diesem Verständnis besteht das Verwaltungsverfahrensrecht insgesamt häufig aus zwei Regelungsschichten, dem allgemeinen und dem bereichsspezifischen Verwaltungsverfahrensrecht. Das Verwaltungsverfahren ist danach geprägt zum einen durch die natürlich existierenden Eigengesetzlichkeiten von prozeßhaften Abläufen, die sich in der Notwendigkeit eines generalisierten verfahrensrechtlichen Grundmodells niederschlagen. Dies ist der genuine Verfahrensaspekt. Zum anderen ist meiner Ansicht nach das Verwaltungsverfahrensrecht auch determiniert durch die Problemsituation der Regelungsmaterie; die im inhaltlichen Recht geregelten Interessenstrukturen und Interessenkonflikte schlagen zum Teil auf die Regelungen des Verwaltungsverfahrensrechts durch und wirken sich als unterschiedliche Konfliktslagen und unterschiedliche Herausforderungen differenzierend auf das Verwaltungsverfahrensrecht aus.

Dazu Kopp (Fn. 62), Vorb. § 1 Rn. 37. Zum eigenständigen Rechtswahrungsauftrag des Verwaltungsverfahrens, Wahl (Fn. 41), 160 ff. 8t Diese Akzentuierung ist stark bei UZe (Fn. 78); auch bei Kopp (Fn. 62), Vorb. § 1 Rn. 18 f.; ders., Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 1970, 2 ff., 54 ff. 79

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3. Die Notwendigkeit von bereichsspezifischem Verwaltungsverfahrensrecht Die nähere Begründung des zugrunde gelegten Verständnisses des Verwaltungsverfahrensrechts und die Notwendigkeit des bereichsspezifischen Verfahrensrechts ist zusammengefaßt in These 5: Verwaltungsverfahrensrecht ist integraler und konstitutiver Bestandteil des Verwaltungsrechts. Das Verwaltungsverfahren ist der Modus der primären Verwirklichung des Verwaltungsrechts. Verwaltungsprozeßrecht ist der Modus der Durchsetzung von bestrittenem Verwaltungsrecht82. Das öffentliche Recht ist, was die konkreten Berechtigungen und Verpflichtungen des einzelnen angeht, in seinem überwiegenden Teil verfahrensabhängig, weil es vollzugsbedürftig ist. Um diesen Teil des öffentlichen Rechts geht es im folgenden allein. Das öffentliche Recht beschränkt sich dabei nicht nur darauf, primäre Verhaltensgebote oder -verbote für den einzelnen zu statuieren, wie etwa in der Straßenverkehrsordnung, sondern überwiegend sind die generellen Gesetzesvorschriften durch Vermittlungsakte der Verwaltung, durch Verfahren im einzelnen zu konkretisieren. Die dazu erforderlichen Verwaltungsverfahren sind notwendige Teile der Prozesse, in denen das Verwaltungsrecht erst zur Verwirklichung kommt. Im vollzugsbedürftigen Teil des Verwaltungsrechts existiert vor dem Durchlaufen der Verfahren die konkrete Berechtigung oder die Verpflichtung des einzelnen noch nicht, jedenfalls kann sie nicht geltend gemacht werden. Das Verwaltungsverfahren ist deshalb in diesen Teilen des öffentlichen Rechts der Modus der primären Rechtsverwirklichung in jedem einzelnen Anwendungsfall: Verwaltungsverfahren als Art und Weise der Verwirklichung des Verwaltungsrechts in jedem Einzelfall. Gerichtliche Verfahren betreffen dagegen in ihrer idealtypischen Form83 immer nur einen Teil, nämlich den streitbefangenen Ausschnitt der Rechtsanwendungsakte. Man kann sagen und begrifflich unterscheiden: Verwaltungsverfahren dienen der Rechtsverwirklichung, der Konkretisierung von vollzugsbedürftigen Normen im Einzelfall84 ; Gerichtsverfahren dienen regelmäßig der Durchsetzung streitbefangener Rechtspositionen. Gerichtsverfahren greifen als zusätzlicher Abschnitt ein, wenn die primären Rechtshandlungen zur Rechtsverwirklichung vorläufig gescheitert sind. Dazu schon Wahl (Fn. 41), 153 f. Also abgesehen von Fällen des Richtervorbehalts (präventive Verwaltungsrechtspflege), dazu grundsätzlich Bettermann (Fn. 4), 173 ff. 84 Zuweilen auch durch Rechtsetzungsakte. 82

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Aus Anlaß des Streits und des Konflikts ist ein Gerichtsverfahren notwendig. In diesen Streitfällen kommt zum materiellen Recht das Prozeßrecht hinzu. Materielles Recht und Prozeßrecht sind trennbar, was sich nicht zuletzt daraus ergibt, daß das materielle Recht sich außerhalb von Streitfällen ohne diese Verfahren, also ohne Gerichtsverfahren verwirklichen kann und dies in den weitaus überwiegenden Fällen auch tut. Anders beim Verwaltungsverfahren und beim Verwaltungsverfahrensrecht. Verwaltungsverfahren ist nicht etwas, was zu dem an sich existierenden sachlich-inhaltlichen Recht hinzukommt oder das etwa auch fehlen könnte, sondern das Verwaltungsverfahren ist beim vollzugsbedürftigen Verwaltungsrecht dessen Verwirklichungsweise. Der Verfahrensbezug ist deshalb konstitutiver Teil des Verwaltungsaktsbegriffs85, genau so wie des Vertragsbegriffs. Das Verwaltungsverfahren selbst ist konstitutiver Teil des Verwirklichungsprozesses im Verwaltungsrecht86.

VI. Der Differenzierungsbedarf im Verwaltungsverfahrensrecht 1. Die Differenzierung allgemeines- besonderes Verwaltungsrecht

im Verwaltungsverfahrensrecht

In dem geschilderten Sinne ist das Verwaltungsverfahrensrecht aber nicht nur die Verwirklichungsweise des vollzugsbedürftigen Verwaltungsrechts schlechthin, sondern es ist der Modus der Verwirklichung von konkretem und speziellem, sehr differenziertem Verwaltungsrecht. Das Verständnis des Verwaltungsverfahrensrechts als konstitutiver Bestandteil des Verwaltungsrechts, also die Konzeption vom engen inneren Zusammenhang zwischen dem inhaltlichen Recht und dem Verfahrensrecht legt den weiteren Schritt nahe: es sind grundsätzlich dieselben Herausforderungen und Problemstellungen aus der Verwaltungsaufgabe, aus dem zu regelnden Sachbereich, die für die materiellen Regelungen wie für das Verfahrensrecht von Bedeutung sind. Wie das sachliche Verwaltungsrecht erhält auch das Verwaltungsverfahrensrecht von den zu regelnden Sachproblemen her maßgebliche Herausforderungen. Die Aufnahme dieser Regelungsimpulse und ihre Ausformulierung in speziellen Regelungen bringt das besonde1·e Verwaltungsverfahrensrecht hervor. Dieses besondere Verfahrensrecht ist eine notwendige zweite Regelungsschicht mit einer spezifischen Funktion und Aufgabe: in Sonderregelungen soll das spezielle Verfahrensrecht 85 Schmidt (Fn. 75), Rn. 49. 86 Zum Verhältnis des ,materiellen' Verwaltungsrechts zum Verfahrensrecht auch W. Fiedler, AöR Bd. 105 (1980), 79/84 ff.

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der je gesonderten Interessenstruktur und differenzierten Sachproblematik der unterschiedlichen Verwaltungszweige gerecht werden. Der Bedarf nach Sonderregelungen ist im Verwaltungsverfahrensrecht größer und ganz anders als beim Verwaltungsprozeßrecht. Daß die aus dem materiellen Recht gebräuchliche Differenzierung zwischen einem allgemeinen und besonderen Verwaltungsrecht im Verwaltungsverfahrensrecht bisher nicht gebräuchlich ist, ist nicht zufällig, sondern das Ergebnis genereller Entwicklungsprozesse. Eine kurze Analyse87 dieser Prozesse erweist aber auch, daß diese Dominanz des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts Kennzeichen einer ersten Gesetzgebungsphase ist, die jetzt von einer zweiten Phase abgelöst zu werden verdient, die dem sektoralen Verwaltungsverfahrensrecht die ihm zukommende größere Beachtung und Aufmerksamkeit einräumt. Das Verwaltungsverfahrensrecht hat es in der Entwicklung des Verwaltungsrechts zumindest nach 1949 nicht leicht gehabt, aus dem Schatten der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der ihr gewidmeten wissenschaftlichen Aufmerksamkeit hervorzutreten88 • Der Schutz des einzelnen in seinen Rechten und Interessen wurde in der deutschen Tradition vornehmlich vom nachträglichen Gerichtsschutz erwartet. Die entscheidenden Entwicklungen und Fortschritte der Verwaltungsrechtsdogmatik sind in den letzten Jahrzehnten aus der Auseinandersetzung mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit und mit den durch eine umfassende Gerichtskontrolle aufgeworfenen Problemen entstanden89 • Das Verwaltungsverfahren hat sicherlich in der Gesetzgebungspraxis und Verwaltungspolitik eine nicht zu unterschätzende Bedeutung gehabt - immerhin sind in der Praxis die für den Schutz des Bürgers so wichtigen Institute wie das preußische Beschlußverfahren oder das Planfeststellungsverfahren entwickelt worden. Da aber eine geschlossene Kodifikation fehlte, war der wissenschaftliche Zugriff schwierig und das Verwaltungsverfahrensrecht verfiel der Geringschätzung, die den ,dienenden Verfahren' im Vergleich zum sachlichen Inhalt häufig begegnet ist. Die wissenschaftlichen Bemühungen um das Verwaltungsverfahren 87 Die folgenden drei Absätze sind aus Zeitgründen mündlich nicht vorgetragen worden. 88 Der in der ursprünglichen Rechtsentwicklung vorhanden gewesene enge Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahren und Verwaltungsgerichtsbarkeit ist durch die NS-Zeit zerschnitten worden (Ule, DVBI. 1957, 597 ff, = ders., Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1979, 297 ff.) und nach 1945/49 stand für die Entwicklung des Verwaltungsrechts zunächst für zehn bis fünfzehn Jahre der Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Bewältigung der damit aufgeworfenen Folgeprobleme eindeutig im Vordergrund. 89 Zu dieser typischen Verwaltungsgerichtsorientiertheit des deutschen Verwaltungsrechts Wahl (Fn. 41), 156; E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System, 1982, 58 ff.

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waren deshalb seit der Mitte der 50er Jahre auf Postulierung, Vorbereitung und Begleitung einer Kodifikation ausgerichtet. Diese Zielsetzung machte das Verwaltungsverfahrensrecht zu einem wichtigen Beispiel dessen, was man postulatives Verwaltungsrecht genannt hat90 • Damit ist ein Ansatz umschrieben, der eine Rechtsmaterie deduktiv aus den obersten Verfassungsprinzipien ableitet - Ule hatte sogar eine Pflicht zur Kodifikation aus dem Verfassungsrecht deduziert91 • Das Verwaltungsverfahrensrecht wurde als eine Summe von Vorschriften dargestellt, die aus der Menschenwürde, aus dem Rechtsstaats-, dem Demokratie- und dem Sozialstaatsprinzip abgeleitet sind92 • Das Ergebnis dieses Ansatzes, das VwVfG und das SGB X sind von P. Krause zu Recht wie folgt charakterisiert worden93: "Die Weise, ein allgemeines Recht nicht mehr - wie etwa die Rechtsgeschäftslehre im Zivilrecht - konkret aus zahlreichen speziellen Regelungen herauszuabstrahieren, sondern unvermittelt den allgemeinsten Rechtsprinzipien zu entnehmen, ist das Kennzeichen für eine Rechtskultur, die nur noch in geringem Maß aus den Erfahrungen des Alltags zu schöpfen bereit ist." Das Verwaltungsverfahrensgesetz ist typisches allgemeines Verwaltungsrecht, das in der besonderen Form der deduzierenden und postulativen Denkweise hervorgebracht worden ist. Diese Dominanz des allgemeinen Verwaltungsrechts ist für die Entwicklung des deutschen Verwaltungsrechts typisch94 • Und unzweifelhaft hat das allgemeine Verwaltungsrecht auch unersetzbare Funktionen. Das allgemeine Verwaltungsrecht nimmt eine wichtige Zwischen- und Vermittlungsposition zwischen den obersten Rechtsprinzipien des Verfassungsrechts und den sachzugewandten besonderen Verwaltungsgesetzen wahr. Über diese Vermittlungsfunktion kann ein neues Verfassungsverständnis nach einem Umbruch oder einer Neuordnung wie 1949 der Fülle der besonderen Verwaltungsgesetze weitergegeben werden; das neue Verständnis ,sickert' ein in die Fülle des Rechtsstoffs. Ebenso werden Innovationen, neue Interpretationen im Verfassungsrecht über das allgemeine Verwaltungsrecht den Spezialgebieten mitgeteilt. Hinzu kommen oo Schmidt-Aßmann (Fn. 89), 37 f.

Vgl. den programmatischen Aufsatz von UZe, Verwaltungsreform als Verfassungsvollzug, in: Recht im Wandel, FS 150 Jahre Carl Heymanns Verlag 1965, 53 ff. = ders., Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1979, 383 ff. 92 Repräsentativ dafür die Habilitationsschrift von Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 1970, in der in besonderer Weise auch Art. 1 GG herangezogen wird. 93 NJW 1981, 81/82. 94 Prinzipiell und kritisch dazu M. Bullinger, in: Gedächtnisschrift Hans Peters, 1967, 667/679 ff. - Die Diskussion um die Verhältnisbestimmung zwischen allgemeinem und besonderem Verwaltungsrecht ist neuerdings nachgezeichnet bei Heberlein (Fn. 1), 20 ff., 591 ff. 91

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die systembildenden Leistungen des allgemeinen Verwaltungsrechts, die Bereitstellung von dogmatischen ,Bausteinen', insbesondere bei den Handlungsformen, die Ordnung und Übersichtlichkeit der Rechtsformen und Rechtsfiguren in der kaum zu überblickenden Vielfalt der Einzelgesetze überhaupt erst ermöglicht95 • Genau diese wichtigen und unersetzlichen Funktionen hat auch das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht, um das es überwiegend im VwVfG geht. Wie im materiellen Verwaltungsrecht hat aber auch im Verfahrensrecht neben dem allgemeinen Verwaltungsrecht und seiner Kodifikation sektorales Verwaltungsrecht seine eigenständige und spezifische Funktion96 • Neben den Eigengesetzlichkeiten von Verwaltungsverfahren schlechthin muß das Verwaltungsverfahrensrecht auch der Sachzugewandtheit des konkreten Verwaltens gerecht werden. Die Funktion des hier geforderten und begründeten sektoralen oder bereichsspezifischen Verwaltungsverfahrensrechts sehe ich, wie schon erwähnt97 , darin, daß Sonderregelungen der je gesonderten Interessenstruktur und differenzierten Sachproblematik der unterschiedlichen Verwaltungsaufgaben gerecht werden sollen. Worin besteht nun diese besondere Interessenstruktur, welches sind die in den Gesetzesbegründungen häufig genannten zwingenden Gründe für Sonderregelungen? Wie kann dieses - häufig und leicht von ressortpolitischen Interessen vorgeschobene Argument in der Sache begründet werden? Die zweite Regelungsschicht des Sonderverfahrensrechts ist nicht etwa völlig neu zu erarbeiten oder autonom zu ,erfinden'. Das dem Sachproblem angemessene Verfahrensrecht ist deshalb nicht aus abstrakten Kennzeichnungen der verschiedenen Verwaltungsaufgaben wie Gefahrenabwehr, Leistung, Lenkung usw. zu entwickeln, sondern dieses spezielle Verwaltungsverfahrensrecht erhält seine Anregungen, seinen Argumentationshaushalt und seine Lösungsvorbilder daraus, wie das sachlich-inhaltliche Recht diese besonderen Verwaltungsaufgaben ausgestaltet hat98• Das inhaltliche besondere Verwaltungsrecht hat es ja schon mit der speziellen Sachproblematik und den konkreten 95 Dazu zuletzt grundsätzlich Schmidt-Aßmann (Fn. 89), 8 ff.; vgl. auch P. Badura, Das Planungsermessen und die rechtsstaatliche Funktion des Allge-

meinen Verwaltungsrechts, in: FS BayVerfGH, 1972, 157 ff. 98 Dies zur Ergänzung zu den Ausführungen von Schmidt-Aßmann (Fn. 89). Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System und das sachzugewandte besondere Verwaltungsrecht stehen in einem Komplementärverhältnis zueinander. Systembildung auf der Ebene der ersten Regelungsschicht und Sachzugewandtheit auf der Ebene der zweiten Regelungsschicht schließen sich nicht aus, sondern ergänzen einander notwendigerweise. 97 S. oben zu Beginn des Abschnitts VI. 1. 16 Deshalb trifft die Kritik von Heberlein (Fn. 1), 591 ff. an den Ansätzen für eine aufgabenbestimmte Verwaltungsrechtsdogmatik die hier vertretene Auffassung nicht.

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Interessenkonstellationen zu tun gehabt. Im inhaltlichen Recht geht es immer wieder um den Konflikt zwischen speziellen öffentlichen und speziellen privaten Interessen. Auch im Verfahrensrecht setzen sich diese Konflikte fort. Das inhaltliche Verwaltungsrecht hat etwa in mehrpoligen Verwaltungsverhältnissen das Gewicht der Interessen der unterschiedlichen einzelnen bewertet und es hat entschieden, was an diesen Interessen rechtlich relevant ist, welche Position subjektiv-rechtlich verfestigt ist und welches Gewicht die eine Position im Verhältnis zur anderen hat. Was zum Beispiel einem einzelnen an Mitwirkungslast zugemutet werden kann, wie stark also die Rechtsordnung in einer konkreten Fallkonstellation vom Leitbild der selbständig für sich sorgenden Person ausgeht, ist häufig schon im inhaltlichen Recht, und zwar differenzierend geregelt. Geht etwa das inhaltliche Regelungsprogramm im Sozialhilfegesetz davon aus, daß die Adressaten Hilfsbedürftige sind, die sich selbst nur schwer zu helfen wissen, dann schlägt diese Interessenbewertung durch und sie soll durchschlagen auf das Verfahrensrecht und dort Besonderheiten im Hinblick auf die Intensität der Untersuchungspflicht der Behörde bzw. der Mitwirkungslast des Bürgers begründen. Umgekehrt verhält es sich etwa dort, wo der Regelungsadressat und Verfahrensbeteiligte ein Großunternehmen ist, das für die erstrebte komplizierte Anlagengenehmigung als einziges das erforderliche technische Wissen hat. Im eben erwähnten immissionsschutzrechtlichen Beispiel gibt es übrigens im positiven Recht spezielle Regelungen über die vom Antragsteller geforderten Leistungen bei der Antragstellung99 • Aber: meine Auffassung und meine Option richtet sich nicht notwendigerweise auf Spezialgesetze in jedem Falle, sondern die Ausdifferenzierungen etwa des im VwVfG eingeräumten verfahrensleitenden Ermessens können und sollten auch durch Instrumente gesteuert werden, die auch sonst im materiellen Verwaltungsrecht gelten, nämlich durch ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften oder Einführungserlasse zur Anwendung des VwVfG für einzelne Bereiche. Vorbild könnten die Verwaltungsvorschriften zur Beschränkung der Sachverhaltsermittlungen im Steuerrecht sein1oo.

2. Differenzierung der allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen durch bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht oder durch die Anwendung allgemeiner verfassungsrechtlicher Prinzipien Nach dem grundsätzlichen Plädoyer für besonderes Verwaltungsverfahrensrecht und damit auch für Differenzierungen im Verwaltungsverfahrensrecht bleibt im nächsten Schritt die Frage, in welcher Weise Siehe§§ 3- 59. BlmSchV. Vgl. dazu J. Martens, Verwaltungsvorschriften zur Beschränkung der Sachverhaltsermittlungen im Steuerrecht, 1980. 99

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einem solchen Bedarf nach Differenzierung Genüge werden kann. Die (Kommentar-)Literatur bleibt ja keineswegs bei den generellen Vorschriften des VwVfG stehen, wenn sie Sondervorschriften ablehnt. In der Literatur ist eine andere Betrachtungsweise einflußreich, wenn sich Konfliktlösungen in den Vorschriften der VwVfGe als zu generalisiert erweisen, wenn etwa die Konflikte zwischen der Rechtswahrung und dem Rechtsschutz für die Beteiligten im Verfahren unter Schnelligkeit, Zügigkeit und Einfachheit des Verfahrens zu lösen sind 101 . Typischerweise werden dann die Regelungen der VwVfGe, insbesondere ihr Grundsatz-Ausnahme-Schema102 , mit Urteilen versehen wie ,verfassungsrechtlich bedenklich', ,sehr zweifelhaft' u. ä. Entsprechend fällt die Therapie aus: nur ,bei verfassungskonformer Auslegung' oder ,beim Eingehen auf den Einzelfall', ,mit verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar' oder ,nur bei Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zulässig' 103. Diese Argumentationsweise ist angesichts der Abstraktionslage der VwVfGe verständlich, das Ergebnis gleichwohl unbefriedigend. Die hochgradig generalisierten Regeln der VwVfGe, deren tatsächlichen Anwendungsbereich man nicht genau abschätzen kann, werden bei dieser repräsentativen Interpretation von einem unmittelbaren verfassungsrechtlichen Einzelabwägungsgebot überlagert und zurückgeschnitten104. Dieser Verfassungsvorbehalt ist der Ersatz für und die Alternative zum bereichsspezifischen Verfahrensrecht. Verfassungsrechtlich ist damit zwar alles in Ordnung, aber um welchen Preis? Um den Preis, daß die Steuerungs- und Entlastungsfunktionen der gesetzlichen Regelungen für die Rechtsanwendung in beträchtlichem Umfang verloren gehen, daß ein übergroßer Anteil der wirklichen Konfliktlösungen auf die Anwendung im Einzelfall verschoben wird - und das heißt auf den Inspektor und den Verwaltungsangestellten in der Verwaltungspraxis. 101 Vgl. dazu die Referate und Diskussionen in VVDStRL 41, 1983, 151 ff. Gerade der Teststand einer konkreten Sachproblematik, wie es der Konfliktfall zwischen Effizienz und Rechtsschutz darstellt, veranlaßt mich zur Option für mehr Rechtssicherheit durch differenzierende Regelungen (dazu der folgende Text). 102 Ausnahmen von grundsätzlich eingräumten Rechten der Beteiligten finden sich etwa in §§ 28 II, 29 Il, 72 I, 39 II Nr. 3 VwVfG. 1oa Kopp (Fn. 62), § 28 Rn. 43 f., 47 f., 55; § 29 Rn. 19; § 39 Rn. 23; § 72 Rn. 6; vgl. auch Borgs, in: Meyer I Borgs (Fn. 63), § 28 Rn. 6; UZe I Laubinger (Fn. 1), § 28 111. 1o' Eine Stufe komplizierter ist die Situation bei § 28 VwVfG: erstens: grundsätzliche Anhörungspflicht (§ 28 I) - zweitens: generalklauselartige Ausnahmevorschrift im Einzelfall (§ 28 II I) - drittens: Formulierung von gesteigerten Anforderungen für die Annahme der Ausnahme in der Literatur, so Borgs, in: Meyer I Borgs (Fn. 63), § 28 Rn. 20; Kopp (Fn. 62), § 28 Rn. 33; Stelkens I Bonk I Leonhardt (Fn. 9), § 28 Rn. 21.

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Es liegt an der schon erwähnten105 zu starken Betonung des allgemeinen Verfahrensrechts, daß die allgemeinen Generalklauseln des Verfas-

sungsrechts - das Verhältnismäßigkeitsgebot, die Abstufung nach der Bedeutung der einzelnen Grundrechte, das Prinzip des schonendsten Ausgleichs - in einem beträchtlichen Umfang als dogmatische Mittel erforderlich sind, um überhaupt Differenzierungen zwischen unterschiedlichen Sachbereichen zu erzwingen108. Aber erinnern wir uns: Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist im allgemeinen Polizeirecht entwickelt worden, später aber hat es der umfangreichen Spezialgesetzgebung Richtung und Inhalt der dort anzutreffenden Tatbestandstypisierungen gewiesen. So ist jetzt im Verfahrensrecht nach der Erarbeitung des allgemeinen Teils, der seine bleibende Bedeutung hat, die Aufmerksamkeit auf die Ausdifferenzierung von bereichsspezifischem Verfahrensrecht zu richten. Dort kann und dort sollte der Gesetzgeber Konflikte genauer und treffender lösen. Bereichsspezifische Regelungen der Mitwirkungslasten und der Untersuchungspflichtl 07 etwa bieten mehr Rechtssicherheit als der unkonturierte Verweis auf das Verhältnismäßigkeitsgebot. Ähnliche Probleme wie beim Verhältnismäßigkeitsprinzip stellen sich auf dem zweiten großen und aktuellen Feld der Überformung des Verwaltungsverfahrensrecht durch das Verfassungsrecht, bei der viel diskutierten Geltung und Einwirkung der Grundrechte auf das Verwaltungsverfahrensrecht108. Bekanntlich divergieren die Auffassungen darüber recht erheblich, welche verändernden Auswirkungen die häufig apostrophierte Aufwertung des Verwaltungsverfahrensrechts im Gefolge der Mülheim-Kärlich-Entscheidung auf die Auslegung der Vorschriften der VwVfGe hat. Mir erscheinen angesichts der völligen Normalität der Geltung der Grundrechte auch für das Verwaltungsverfahrensrecht die Auswirkungen nicht umstoßend zu sein. Soweit sie aber bestehen und falls sie erhebliches Gewicht haben sollten, ist zu beachten: die eigentliche Pointe des neueren Rückgriffes auf die Grundrechte 105

Vgl. oben VI. 1.

1os Angesprochen ist damit ein Grundsatzproblem des öffentlichen Rechts,

das weit über die Problematik der Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts hinausgeht. Es geht um die Frage: Wie gewinnt das öffentliche Recht die erforderliche Differenziertheit seiner Regelungen - durch den Vorbehalt unkonturierter allgemeiner verfassungsrechtlicher Prinzipien oder durch ausdrückliche Regelungen? 107 Zum Verhältnis zwischen Untersuchungsgrundsatz und Mitwirkungspflichten W. Berg, Die Verwaltung, Bd. 9 (1976), 161 ff.; ders., Die verwaltungsrechtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt, 1980, insbes. 245; Kopp (Fn. 62), § 24 Rn. 17 ff., § 26 Rn. 41. tos Vgl. dazu Blümel, in: ders. (Hrsg.), Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen, 1982, 23 ff.; Wahl und Pietzcker (Fn. 41), 166 ff. und 207 ff. jeweüs m.w.N.

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anstatt auf das früher bevorzugte Rechtsstaatsprinzip 109 liegt dann doch darin, daß sich diese Einwirkungen bei den einzelnen Grundrechten differenziert darstellen müßten. Auf die konkreten Verwaltungsverfahren wirken dann nämlich nicht Grundrechte als solche, sondern Art. 16 GG auf das Asylverfahren, Art. 14 III GG auf das Enteignungsverfahren, Art. 12 auf die Prüfungsverfahren - und jedesmal doch wohl mit spezifischen und damit unterschiedlichen Anforderungen. Mit anderen Worten: diejenigen Auffassungen, die von einer erheblichen Bedeutung der neueren Doktrin von der Wirkung der Grundrechte im Verfahrensrecht ausgehen, müssen einen Differenzierungsbedarf anerkennen. Für die Art und Weise des Einwirkens der Grundrechte auf das einfache Verwaltungsverfahrensrecht und für die dogmatische Verarbeitung dieser Einwirkungen gelten dieselben Überlegungen, die oben bei der Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angestellt worden sind. Schädlich für die Rechtssicherheit und für die Geltungskraft des einfachen Rechtes ist es, wenn in erheblichem Umfang über dem einfachgesetzlichen Recht der generelle Verfassungsvorbehalt und noch dazu der generelle Verfassungsvorbehalt für den Einzelfall wie ein Damoklesschwert hängt. Das einfache Recht erscheint bei einem solchen hinzugefügten Vorbehalt der Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Prinzipien sozusagen als vorläufiges Recht, das seine Bewährungsprobe erst in der verfassungskonformen Interpretation und Uminterpretation und in der durch das Verfassungsrecht erzwungenen Differenzierung und Modifizierung seiner Regeln erfährt. Demgegenüber ist rechtspolitisch zu fordern: wenn und soweit die Grundrechte spezifische Einwirkungen auf das Verwaltungsverfahrensrecht haben, dann muß diesen Einwirkungen durch entsprechende und gesonderte Regelungen im einfachgesetzlichen Recht genügt werden. Bleibt man dagegen beim Konstatieren der allgemeinen Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auf das einfache Verwaltungsverfahrensrecht stehen, dann liefert man das Gesetzesrecht und die Rechtsanwendung der Unkonturiertheit dieses Prinzips und dieses Bildes aus. Um es noch in einem weiteren Satz grundsätzlicher zu sagen: Das einfache Verwaltungsverfahrensrecht soll- wie das einfache sachlich-inhaltliche Verwaltungsrecht- selbstverständlich verfassungsabhängig und verfassungsgeprägt sein und andauernd bleiben, es soll aber grundrechtsgeprägt und grundrechtsabhängig in und durch seine Formulierungen sein, es soll verfassungsgerecht und grundrechtsgeprägt sein in und durch seine einfach-rechtliche Differenziertheit, nicht aber soll über einem stark generalisierten einfachen Recht in erheblichem Umfang das Verfassungsrecht als gene109

Dazu insbes. Laubinger, VA Bd. 73 (1982), 61 ff.

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reller Differenzierungs-Nothelfer oder genereller Weichmacher an sich klarer, aber übergeneralisierter Regeln schweben müssen. Das einfache Recht wäre dann nämlich in seinem Anspruch auf Geltung, Ernstgenommenwerden und Unverbrüchlichkeit gefährdet. Natürlich gibt es Grenzen der Ausformulierbarkeit von verfassungsrechtlichen Anforderungen im einfachen Recht, aber generell gilt die Maxime: soviel Abarbeitung der verfassungsrechtlichen Anforderungen im einfachgesetzlichen Recht wie möglich, sowenig Abstellen auf den unmittelbaren Durchgriff auf die Grundrechte wie unabweisbar. Auch aus dieser rechtspolitischen Maxime ergibt sich ein Bedarf an bereichsspezifischem Verfahrensrecht.

3. Besondere Verfahrensarten Die folgende Typisierung besonderer Verfahrensarten110 ist nicht ein Forderungskatalog für die Schaffung von bereichsspezifischem Verwaltungsverfahrensrecht, sondern eine Prüfliste. Der Überblick über verschiedene Verfahrenstypen ermöglicht eine systematische Prüfung der Frage nach dem Bedarf von bereichsspezifischen Regelungen. Wohl aber ist diese Liste nach meinem Verständnis eine Aufforderung an die wissenschaftliche Darstellung des Verwaltungsverfahrensrechts, die einschlägigen Bestimmungen aus den VwVfGen für eine Verfahrensart zusammenzustellen und damit die Konturen der betreffenden Verfahrensarten sichtbar zu machen111 • Die Profilierung von bestimmten Verfahrenstypen kann innerhalb der vorhandenen Regelungen der VwVfGe ansetzen, etwa bei der Unterscheidung zwischen Antragsverfahren und Verfahren von Amts wegen oder zwischen zweipoligen und mehrpoligen Verfahren. Ungeeignet für die hier geforderte Typen- und Profilbildung von konkreten Verfahrensarten erscheint mir dagegen die Unterscheidung zwischen förmlichen und nicht förmlichen Verfahren. Die §§ 72 ff. VwVfG haben als Generalisierung von zahlreichen früheren speziellen Vorschriften über Planfeststellungsverfahren eine deutliche Kontur für raumrelevante fachplanerische Verfahren. Die Regelungen des sogen. förmlichen Verfahrens der §§ 63 ff. VwVfG repräsentieren meiner Meinung nach jedoch nicht einen einheitlichen konkreten Verfahrenstyp. Sie sind für die Regelungsbedürfnisse von formalisierten Genehmigungsverfahren nicht aufnahmefähigm. 110 Ansätze in der Literatur finden sich bei Wolf! I Bachof, Verwaltungsrecht 111., 4. Auf!. 1978, § 156 I 10, Rn. 5; H. P. Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1982, § 8, 196 ff. und insbes. bei UZe I Laubinger, Gutachten B zum 52. DJT, 1978, 24 ff. 111 Eine allgemeine Kodifikation teilt die Regelungsmaterien auf und separiert insbesondere die einzelnen Verfahrenspositionen der Beteiligten. Eine Aufgabe der Wissenschaft ist die Zusammensetzung der einschlägigen Vorschriften für spezielle Verfahrenstypen. So entsteht etwa ein Profil des Gesamtablaufs eines Antragsverfahrens, wenn man die Vorschriften der §§ 13, 23, 39, 41 und 43 VwVfG in ihren speziellen Regelungen für das Antragsverfahren zusammenstellt. 112 Vgl. oben I. 1. und 2. Zur früheren Kritik an den §§ 63 ff. VwVfG vgl. Nachweise bei Busch (Fn. 26), vor § 63 Anm. 2.

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Typen von Verfahren: Verfahren für repressive Überwachungseingriffe (oft Eilverfahren bei Gefahr im Verzug); Verfahren der Abgabenerhebung (Verfahren der Massenverwaltung); -Verfahren zur Gewährung von Geldleistungen in der Sozialverwaltung; Verfahren zur Gewährung von Sachleistungen in der Sozialverwaltung; - Genehmigungsverfahren, und zwar - ,einfache Genehmigungsverfahren' vom Typ Personalerlaubnis (vorwiegend Gewerbe- und Berufsrecht), - Anlagengenehmigungsverfahren mit geringer Komplexität, aber dreipolig (Baugenehmigungsverfahren), -

Anlagengenehmigungsverfahren mit hoher Komplexität (mehrpolige Massenverfahren); Planfeststellungsverfahren; Planungsverfahren (Bauleitplanung, Raumordnung) 113 ; Rechtsetzungsverfahren mit raum- und umweltgestaltendem Inhalt (Naturschutzverordnungen u. ä.).

In der nicht abgeschlossenen Liste wären u. a. noch anzuführen -

Prüfungsverfahren; besondere Typen von Überwachungseingriffen: Wirtschaftsaufsichtsverfahren (z. T. justizähnliche Verfahren im Bereich der Versicherungs-, Kartell- und Kreditwesenaufsicht).

4. Beispiele für bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht Exemplarisch läßt sich die These vom Differenzierungsbedarf bzw. von der Zweckmäßigkeit von Differenzierungen an so allgemeinen und grundsätzlichen Vorschriften wie § 44 a VwGO und § 46 VwVfG zeigen. Ich wiederhole insoweit ein an anderer Stelle schon vorgetragenes ua Auf die Planungsverfahren und auf die Notwendigkeit, sie zu systematisieren, vielleicht auch zu standardisieren und nachfolgend zu vereinheitlichen, ist im vorliegenden Zusammenhang besonders zu verweisen. Das Thema darf nicht allein deshalb ausgeklammert werden, weil § 9 VwVfG soweit zufällig und ohne inneren Grund Verfahren, die auf Rechtsetzung abzielen, insbesondere Verfahren, die auf den Erlaß einer umwelt-und raumgestaltenden Satzung oder Rechtsverordnung abzielen, aus seinem Anwendungsbereich ausklammert. Es ist im übrigen dringendes Desiderat, die unterschiedlichen Planungsverfahren auf ihre Strukturen, Gemeinsamkeiten und sachbedingten Besonderheiten durchzuforsten.

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Plädoyer114 für eine Modifizierung des § 44 a VwGO bei Großvorhaben, gegenständlich gesprochen also für den Anwendungsbereich des BimSchG, des AtomG und der Planfeststellungsverfahren. a) Gemäß seiner generellen Zwecksetzung verhindert § 44 a VwGO eine isolierte gerichtliche Auseinandersetzung über verfahrensrechtliche Probleme vor der und unabhängig von der abschließenden Sachentscheidung. Was bei ,einfachen' Entscheidungen vernünftig sein mag, nämlich eine Verzögerung des Verfahrens zu vermeiden und bei beachtlichen Verfahrensfehlern eine Wiederholung des gesamten Verfahrens nach einer eventuellen gerichtlichen Aufhebung in Kauf zu nehmen, ist bei zeitlich, sachlich und kostenmäßig aufwendigen Verfahren dysfunktional. § 44 a VwGO speichert dann auch bei diesen komplexen Verfahren Verfahrensfehler bis zur Überprüfung der Sachentscheidung. Handelt es sich dann bei diesem um eine Ermessensentscheidung, wie etwa bei allen Planfeststellungen, dann schlägt jeder Verfahrensfehler auf die Rechtmäßigkeit der Sachentscheidung durch - die Klagen über diese Rechtsfolge sind dann in der Öffentlichkeit und in der Verwaltung üblicherweise sehr groß und auch Gerichte sehen sich dann der Versuchung ausgesetzt, den an sich klaren Wortlaut und Sinn des § 46 VwVfG infrage zu stellen und auchtrotzvorhandener Verfahrensfehler die Rechtswidrigkeit einer Ermessensentscheidung zu verneinen115. Die Konzentrationsmaxime des § 44 a VwGO ist bei komplexen Verfahren verfehlt. Die Maxime für Großverfahren muß demgegenüber lauten: Den Beteiligten ist möglichst viel und immer wieder Gelegenheit zu geben und sie sind verfahrensrechtlich in die Pflicht zu nehmen, bekannte Verfahrensfehler rechtzeitig zu rügen und einen darüber entstehenden Streit auch rechtzeitig zur gerichtlichen Klärung zu bringen. In den zeitlich langgestreckten Etappen dieser Verfahren ist m . E. einiger zeitlicher Spielraum vorhanden, so daß solche Klärungen keinesfalls immer verzögernd wirken müssen. b) § 46 VwVfG ist eine der umstrittensten Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts, zum einen deshalb, weil sich die dort für maßgeblich erklärte Grenze zwischen gebundenen und Ermessensakten als "eine der durchlässigsten und ungesichertsten in unserem Recht darstellt"116. Die insoweit berechtigte Kritik an der Regelung des § 46 VwVfG zielt im Zusammenhang mit unserem Thema in erster Linie auf einen Bedarf zur Änderung der VwVfGe 117 • Daß es zum anderen aber (Fn. 41), 180 f. So BayVGH, BayVBl. 1981, 401/404; zum Problem Wahl und Pietzcker (Fn. 41), 181 mit Fn. 93 bzw. 224 mit Fn. 128. 116 So zu Recht Pietzcker (Fn. 41), 223. 117 So auch Blümel, in diesem Bande, S. 18. 114

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bei den Fehlerfolgen auch um Differenzierungsbedarf und Differenzierungsmöglichkeiten geht, beweist das wichtige Beispiel des § 42 SGB X. Danach sind Anhörungsfehler ausdrücklich von der Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern bei gebundenen Entscheidungen ausgenommen118. Es spricht nichts dagegen, sondern alles dafür, daß es auch bei anderen Verwaltungsbereichen und speziellen Gesetzen Konstellationen gibt, in denen diese Lösung sachgerecht wäre. c) Regelungsvorbilder für die Besonderheit der Massenverwaltung hält das Abgabenrecht bereit. §§ 91 und 121 AO beschränken die Anhörungs- und Begründungspflichten bei den zahlenmäßig sehr häufig auftretenden Verwaltungsentscheidungen der Steuerverwaltung119. Ausführungsvorschriften, meist in Gestalt von Verwaltungsvorschriften, die natürlich auch im .Verwaltungsverfahrensrecht ihren legitimen und wichtigen Platz haben, konkretisieren und differenzieren diese generellen Relativierungen der Anhörungs- und Begründungspflicht aus, damit nicht Routineentscheidungen und besonders einschneidende Entscheidungen im Einzelfall über einen Kamm geschert werden. Die Verwaltungsvorschriften enthalten auch Typisierungen der verfahrensrechtlichen Pflichten der Verwaltungsbehörde. Sie überlassen insoweit die Konkretisierung etwa des Umfangs der Untersuchungspflicht nicht den allgemeinen Formeln von der Verhältnismäßigkeit oder der Schwere des Eingriffs120 , sondern formulieren die unterschiedlichen Konstellationen selbst aus. Exemplarisch zeigt sich an der Massenverwaltung im Steuerrecht auch das Durchschlagen von Interessenbewertungen und Konfliktlösungen des materiellen Rechts in das Verfahrensrecht hinein. Wie stark etwa im Bereich des Verwaltungsverfahrens im Hinblick auf die Untersuchungspflicht der Behörde oder die Mitwirkungslast der Beteiligten typisiert werden darf, ist unter Rückgriff auf die Wertungen des materiellen Rechts zu entscheiden; einschlägig sind die - umstrittenen - Regeln über die sogen. typisierende Betrachtungsweise. d) Umgekehrt empfiehlt es sich bei der zentralen Vorschrift des § 28 VwVfG, Erweiterungen der Anhörungspflicht bereichsspezifisch ausdrücklich festzulegen. Unabhängig von der (künftigen) generellen Entscheidung im Streit darüber, ob in Fällen der Versagung einer beantragten Leistung oder Begünstigung eine Anhörungspflicht besteht 118 Zum Problem und zu den Hintergründen P. Krause, in: Jahrbuch des Sozialrechts der Gegenwart, Bd. 2 (1980), 35/40 und Bd. 3 (1981), 49/53 sowie J. Nehls, NVwZ 1982, 494. 119 Dazu und zu flankierenden Maßnahmen Wahl (Fn. 41), 178- 180. 120 Zur Formel: je schwerwiegender die Rechtsfolge der Entscheidung, um so eingehender muß die Ermittlung sein, Stelkens I Bonk I Leonhardt (Fn. 9), § 28 Rn. 9 und Stelkens, BauR 1978, 159.

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oder nicht1 21 , erscheint es mir im Interesse der Verwaltungspraxis zweckmäßig und angezeigt, klare Fallkonstellationen, in denen jedenfalls eine Anhörung erforderlich ist, ausdrücklich zu regeln und insoweit sowohl Klarheit als auch Differenzierungen zu schaffen. Bereichsspezifische Regelungen in Gesetzen oder Verwaltungsvorschriften halte ich gerade bei der für den Bürger so wichtigen Anhörungspflicht wegen der generalklauselartigen Fassung des Obersatzes für die Ausnahmeregelungen des § 28 II VwVfG angemessen. Der Verweis auf das ,nach den Umständen des Einzelfalles' fehlende Gebotensein der Anhörung trägt potentiell in jeden Anwendungsfall Unsicherheiten über die Erforderlichkeit der Anhörung hinein. Es liegt im Interesse der Vorhersehbarkeit und Gleichmäßigkeit der Verwaltungspraxis, den Anwendungsbereich der Generalklauseln und des Verweises auf Einzelumstände so eng wie möglich zu begrenzen122• Auch im Hinblick auf die Anhörungsarten, mündliche oder schriftliche Anhörung, lassen sich typische Fallgruppen oder Gesetzesmaterien, in denen etwa eine mündliche Anhörung geboten ist, ausdrücklich festlegen. Konkretisierungen helfen grundsätzlich der Verwaltungspraxis. Sie sind ein substantieller Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung, auch wenn dadurch eine weitere Vorschrift entsteht, die beim vordergründigen Zählen der Vorschriften und Vermessen von Gesetzessammlungen als Steigerung der sogen. Normenflut zu Buche schlägt. e) Der zweite und zugleich auffälligste Anwendungsbereich des bereichsspezifischen Verfahrensrechts sind Sonderverfahrensordnungen in spezifischen Verwaltungsbereichen. Trotz der übergeordneten Maxime der Vereinheitlichung des Verfahrensrechts ist in der praktischen Gesetzgebung in Bund und Ländern unbestritten, daß es solche Sonderverfahrensordnungen auch in Zukunft in nicht unerheblicher Zahl und mit beträchtlichem Gewicht geben wird und soll. Ein weithin geschlossener Sonderregelungsbereich ist neuerdings im Asylverfahrensrecht geschaffen worden, andere historisch überkommene Sonderverfahrensordnungen mit relativ geschlossenen Regelungsbereichen, etwa beim Enteignungsverfahren oder bei wasserrechtlichen Verfahren, dürften von der Vereinheitlichungsgesetzgebung weitgehend unangetastet bleiben. Es empfiehlt sich auch nicht in den Fällen, in denen eine Sonder121 Zum Streit über die Auslegung des die Anhörungspflicht auslösenden Tatbestandsmerkmals des ,Eingriffs in Rechte eines Beteiligten' vgl. Kopp (Fn. 62), § 28 Rn. 10 (für eine ausdehnende Interpretation einerseits) und Stelkens I Bonk I Leonhardt (Fn. 9), § 28 Rn. 9 und 10 (andererseits), jeweils m.w.N. 122 Auch soweit im Hinblick auf die ausdrücklich aufgestellten Ausnahmen von der Anhörungspflicht in § 28 II Nr. 1 - 5 VwVfG in der Literatur (verfassungsrechtliche) Bedenken erhoben werden, wäre an bereichsspezifische Regelungen zur Klarstellung (insbesondere in Verwaltungsvorschriften und Einführungserlassen zu einem Gesetz) zu denken.

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verfahrensordnung grundsätzlich erhalten bleibt, einzelne Normen oder Normpartikel wegen ihrer Inhaltsgleichheit mit dem VwVfG zu streichen, sondern hier sollte im Interesse des Bachzusammenhangs eine relativ geschlossene Sonderregelung erhalten oder angestrebt werden123 • Als Sonderverfahrensordnungen werden vermutlich auch auf mittlere und längere Frist gesehen die speziellen Verfahrensordnungen im immissionsschutzrechtlichen und atomrechtlichen Verfahren erhalten bleiben. Eine kurze nähere Betrachtung verdient das Baugenehmigungsverfahren. Dabei fällt auf, daß die verfahrensrechtlichen Regelungen der

Landesbauordnungen, obwohl sie z. Z. erheblich geändert werden124, ein klares Verhältnis zu den Regelungen der VwVfGe nicht gefunden haben. Anders als bei den sogen. konnexen Materien der Widerrufsund Rücknahmeregelungen, in denen die §§ 48 und 49 VwVfGe in einigen Ländern jetzt auch für die Baugenehmigungen gelten125 , stehen meinem Eindruck nach die verfahrensrechtlichen Regelungen der LBO eher beziehungslos neben den Vorschriften der VwVfGe. Der tiefere Grund dafür liegt darin, daß die VwVfGe für das spezifische Regelungsproblern der Baugenehmigungsverfahren, für die Dreipoligkeit der Verwaltungsverhältnisse, keine oder allenfalls ungenügende Regelungen bereithalten126• Der zur Generalisierung strebende Ansatz der VwVfGe war von vornherein nicht darauf angelegt, solchen Differenzierungen der Verfahren nachzugehen, so grundsätzlich und so erheblich sie auch sein mögen. So erweist sich das Fehlen von spezifischen Regeln für drei- oder mehrpolige Verwaltungsverhältnisse als einer der gravierendsten Mängel der VwVfGe und- dies ist im vorliegenden Zusammenhang wichtig - einer der Gründe für das Entstehen und Weiterbestehen von Sonderverfahrensrecht. Was sind nun die besonderen Herausforderungen und Regelungsprobleme der dreipoligen Verwaltungsverhältnisse für das Verwaltungsverfahren? Weil mehrere Bürger mit gegenläufiVgl. oben IV. 3. Modell sollte die Musterbauordnung i. d. F. von 1981 sein. Ob deren Regelung tatsächlich prägend für die Änderungen in den einzelnen Ländern geworden ist oder wird, ist zweifelhaft; offensichtlich läßt sich eine Modellnormierung in einer Materie, in der sich die Landtagsabgeordneten selbst unmittelbar kompetent fühlen, nur schwer in elf Ländergesetzen durchsetzen. 125 Ob diese Neuregelung, insbesondere die Modifizierung des traditionellen baurechtliehen Vertrauensschutzes für den Fall, daß der Bau ,ins Werk gesetzt ist', sachgerecht ist, erscheint mir sehr zweifelhaft. Zum Problem Stelkens, BauR 1980, 7/8. 128 Zu diesem zentralen Problem des bauordnungsrechtlichen Verfahrensrechts eindringlich Ortloff, NJW 1983, 961/962; grundsätzlich zur Bedeutung des Verwaltungsverfahrens bei mehrpoligen Verhältnissen W. Schmidt, Einführung in die Probleme des Verwaltungsverfahrens, 1982, Rn. 143 ff., 163. 123

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gen Interessen beteiligt sind, besteht ein spezifischer Regelungsbedarf vor allem im Hinblick auf Interessenausgleich zwischen den verschiedenen privaten Verfahrensbeteiligten. Notwendig ist eine Definition und Abgrenzung der spezifischen Verfahrensrollen von Antragstellern einerseits, Nachbarn und Drittbetroffenen andererseits. Der Zeitfaktor ist bei diesen Verwaltungsverhältnissen von besonderer Bedeutung, deshalb müssen Zeitpunkt und Reihenfolge der Beteiligungen geklärt werden. Geschäftsgeheimnisse der Betreiber und private Umstände der Nachbarn erfordern einen gewissen Schutz des einen Privaten vor dem anderen. Generell können die Verfahrensstellungen der beiden Gruppen von Privaten nicht zugleich maximiert werden, sondern sie müssen untereinander ausgeglichen werden, d. h. gewisse Abstriche an der Verfahrensstellung des einen sind im Interesse der Verfahrensstellung des anderen Privaten notwendig. Der Ausgleich der Verfahrensrollen aber erfordert positive Regelungen; mehrpolige Verwaltungsverhältnisse schaffen den Bedarf nach ausdrücklichen Regelungen. Typische verfahrensrechtliche Regelungen in mehrpoligen Verwaltungsverhältnissen sind z. B. die Vorschriften über die materielle Präklusion127, über die Pflicht zur Vorlage von Unterlagen, die zur Einsicht für die Dritten bestimmt sind, oder etwa auch die bauordnungsrechtliche Spezialvorschrift, daß Nachbarn durch Unterschreiben des Bauantrags auf ihre Rechte verzichten. Auf der Seite der Verwaltung entstehen besondere Pflichten der verrahresleitenden Behörde vor allem dafür, daß in dem asymmetrisch beginnenden Verfahren- der Antragsteller bestimmt durch seinen Antrag Zeitpunkt und Gegenstand des Verfahrens, und zwar oft nach Vorverhandlung mit der Behörde - die Verfahrensrechte der Dritten gesichert bleiben. Umgekehrt ist es eine verfahrensrechtliche Pflicht der Behörde, durch rechtzeitige und umfassende Benachrichtigung der potentiell klagebefugten Nachbarn und Dritten den Ablauf der Verwaltungsverfahren und möglicher Gerichtsverfahren zu beschleunigen und die kurzen Anfechtungsfristen nach einer Bekanntgabe der Baugenehmigung an Dritte in Gang zu bringen. Ich sehe eines der praktischen Hauptprobleme des Baugenehmigungsverfahrens darin, daß der Kreis der später Klagebefugten mit dem Kreis der Verfahrensbeteiligtenm übereinstimmt129• Die Verwaltung leistet m. E. Bauherren einen Bärendienst, 127 Die einschlägige Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 61, 82/116) und des BVerwG (BVerwGE 60, 297/304, 306 f.) rechtfertigen die materielle Präklusion u. a. mit dem Gesichtspunkt des Schutzes des Antragstellers, also mit dem Argument des Ausgleichs zwischen Einwender und Betreiber. Den Gedanken der Präklusion erörtert im Hinblick auf eine Reform des Bauordnungsrechts R. Stich, DVBI. 1981, 354/359. 128 Bzw. der zur Stellung eines Hinzuziehungsantrags zu Informierenden. Überhaupt müssen die Begriffe der Beteiligung, des Beteiligten, der Hinzuziehung, des Einwenders für den Bereich der drei- und mehrpoligen Verfahren systematisch abgeklärt und durchsichtiger geregelt werden. Ausführlich zu den verwirrenden und defizitären Bestimmungen der Bauordnungen Ortloff, NJW 1983, 961/962 ff. . 129 Dazu Stich, DVBI. 1981, 354/359; Ortloff, NJW 1983, 961/963, 965. Im Kern liegt das Problem darin, daß das Verwaltungsverfahren nach den LBO

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wenn sie die erteilte Baugenehmigung möglichst wenigen Nachbarn zustellt, obwohl nach der einschlägigen Rechtsprechung zur Baunachbarklage eine ganze Reihe weiterer Nachbarn klagebefugt sind. Diskrepanzen zwischen den Verfahrensbeteiligten und den Klagebefugten sind allemal für den Bauherrn und sein Interesse daran, Klarheit über den Bestand oder noch fortbestehende Anfechtungsmöglichkeiten zu bekommen, abträglich130•

VII. Gesetzgebungstechnische Fragen bei der Formulierung von Sonderverfahrensrecht Gesetzgebungstechnisch stellt die Regelung von bereichsspezifischem und von Sonderverfahrensrecht einige, aber zu bewältigende Anforderungen. Die Beibehaltung von Sonderverfahrensrecht und von besonderen Verfahrensordnungen in Spezialgesetzen verlangt nach einer möglichst klaren Abgrenzung der im Spezialgesetz geregelten Sonderregelungen von den allgerneinen Vorschriften der VwVfGe, die immer ergänzend hinzutreten müssen. Die erste gesetzgebungspolitische Maxime muß deshalb auf Ausdrücklichkeit der abgrenzenden Regelung gerichtet sein. Der Gesetzgeber hat seine Aufgabe voll erfüllt, wenn er zu Formulierungen imstande ist wie: "im übrigen bleiben §§ 48, 49 unberührt", "über §§ 48, 49 hinaus ...", oder: die "Vorschriften des VwVfG sind insoweit nicht anzuwenden"; "statt §§ 48 und 49 .. ." 131 • Solche klarstellenden Regelungen setzen natürlich voraus, daß der Gesetzgeber zu voller Klarheit vorgedrungen ist und das Regelungsproblem selbst voll bewältigt hat. Diese Situation dürfte häufiger möglich sein, als sie in der Gesetzgebungspraxis tatsächlich verwirklicht ist. Sicherlich gibt es in einem nicht unbeträchtlichen Umfang Situationen, in denen der Gesetzgeber auch bei diesen Fragen nicht alles vorweg erkennen und klar entscheiden kann. Da es aber für die Verwaltungspraxis auch nicht gerade hilfreich ist, wenn das Verhältnis zwischen besonderen und allgerneinen Regelungen oder Differenzierungsnotwendigkeiten bei den allgerneinen Regelungen erst nach einigen Jahren von der dann berufenen Rechtsprechung entschieden werden, soll das beim Nachbarbegriff noch bauordnungsrechtlich eng denkt, häufig nur auf den sogen. Angrenzer abstellt, die Verwaltungsgerichte bei der anschließenden Baunachbarklage dagegen bauplanungsrechtlich weit denken; diese These ist in meinem Diskussionsbeitrag VVDStRL 41, 263 infolge eines Schreibfehlers verkehrt wiedergegeben. 130 Mit nichts kann die Behörde dem wohlverstandenen und legitimen Interesse des Bauherrn besser dienen als mit einer Zustellung der Baugenehmigung an die potentiell Klagebefugten, damit die Monatsfrist des § 70 VwGO zu laufen beginnt und nicht nach Jahr und Tag noch Anfechtungsmöglichkeiten der Nachbarn bestehen. 131 Vgl. aus der Gesetzgebungspraxis etwa Art. 3 Nr. 1 Verwaltungsverfahrensrechts-Anpassungsgesetz NW (Fn. 37); § 69 BauO NW.

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Rainer Wahl

Postulat der möglichst weitgehenden ausdrücklichen Regelung dieses Verhältnisses wiederholt und bekräftigt werden. Die zweite Maxime wendet sich gegen die Scheu vor Wiederholung von allgemeinen Regelungen der VwVfGe in den Spezialgesetzen. Sie erscheint mir dringend erforderlich, damit Spezialregelungen nicht isoliert und punktuell stehen bleiben, sondern der Zusammenhang der Regelungen in einem Gesetz sichtbar wird. Ständig Verweisen in anderen Gesetzen nachzugehen, mag das tägliche, wenn auch schwer verdauliche Brot des Rechtsanwendungs,profis' sein; als Alltagskost für den Bürger, aber auch für den Verwaltungsbeamten in der tagtäglichen Entscheidungssituation132 ist dies ungeeignet. Nichts steht entgegen, Wiederholungen der Regelungen des VwVfG im Spezialgesetz durch .Klammerausdrücke ausdrücklich zu kennzeichnen.

VIII. Srhluß Mein Plädoyer für bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht in dem angedeuteten Umfang enthält zugleich die Antwort auf die eingangs aufgeworfene Frage. Rettermann hat 1968 recht gehabt, wenn er neben der Generalisierung und Vereinheitlichung im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht auch die Spezialisierung und Differenzierung des Verwaltungsverfahrensrechts gefordert hat. Die richtige Kombination beider Methoden133 bleibt damals wie heute die entscheidende Herausforderung an eine Gesetzgebung, die nicht nur Gesetzgebungstechnik, sondern auch ein Stück Gesetzgebungskunst sein will.

132 Das ,verständliche Gesetz' ist nicht in erster Linie eine Anforderung im Hinblick auf den fiktiven Bürger, der sein Handeln von der Lektüre der Gesetzesblätter abhängig macht, sondern Gesetze müssen in erster Linie verständlich sein im Hinblick auf den sogen. Rechtsstab und Mittlerorganisationen (so der allgemeine Konsens in der Rechtstheorie, vgl. Rödig, Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1976 und den Bericht von H. Kindermann, ZRP 1983, 204). Dies gilt besonders für das Verwaltungsverfahrensrecht, weil die handlungsleitende Funktion für den Verwaltungsbeamten in der Alltagspraxis im Vordergrund steht; zur verfahrensspezifischen Sicht ex ante Wahl (Fn. 41), 156. 133 (Fn. 4), 143.

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Sammelanpassung

Generelles Außerk rafttreten

allg. Subsid.Klausel

VerweisungsG

Vollgesetz

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X

X

X

BW

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X

Bay

G.vom G.vom E 1983 BR-Drs. 4.7.1983 27.6. 1978 341/83 G.vom 10. 8. 1982

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Bund

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dyn.V.

Berlin

(aber § 2 III Nr. 5)

§ 97 I

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HB

geplant

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HH

Synopse

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NRW

Planung G.vom aufge18. 5. geben 1982 VOvom 18. 5. 1982

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Hess.

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stat. V.

Nds.

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dyn.V.

Rh.Pf.

G.vom 10.12. 1980

§ 96 II (nach 4 Jahren: 1976-80)

X

Saarl.

(nach4 Jahren: 1967-71)

§ 317 II

X

LVwG 1967 i. d . F. V . 1978

SH

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