Die Ursachen der Rezeption des Römischen Rechts in Deutschland [Reprint 2019 ed.] 9783486731859, 9783486731842


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German Pages 178 [180] Year 1905

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Table of contents :
Vorwort
Inhalts-Verzeichnis
I. Die allgemeinen Theorien über dir Ursachen der Rezeption des Römischen Rechts in Deutschland.
II. Die Nachrichten der Landtagsakten von Jülich- Berg über die Ursachen der Rezeption
III. Prüfung einiger verbreiteter Anschauungen über die Ursachen der Rezeption
IV. Die nachweisbaren Ursachen der Rezeption des Römischen Rechts in Deutschland
Schlußbetrachtung
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Die Ursachen der Rezeption des Römischen Rechts in Deutschland [Reprint 2019 ed.]
 9783486731859, 9783486731842

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istorifchr Bibliothek Herausgegeben von der

Redaktion -er Historischen Zeitschrift.

Neunzehnter Band:

Dir Ursachen der Nrreption des Römischen Rechts in Deutschland. Bon

Heorg von Wetow.

München und Berlin. Druck und Verlag von R. Oldenbourg.

1905.

Rezeption des Römischen Rechts in Deutschland.

Bon

Heorg von Aetoiv.

München und Berlin. Druck und Verlag von R. Oldenbourg.

1905.

9er juristischen Fakultät der Ruprecht-Aarls-Uni versität

zu Heidelberg mit ehrerbieügem Dank für die ihm bei der

Universitäts-Jubelfeier am 8. August (903 verliehene Würde eines Doktors beider Rechte

gewidmet

vom

Verfasser.

Vorwort. Nachdem einige Jahrzehnte lang, etwa von 1860—80,

die Frage nach den Ursachen der Rezeption des Römischen Rechts in allgemeinen Erörterungen mit Eifer behandelt 'worden war, hat man weiterhin den Weg der Spezialuntersuchung betreten und die Lösung des Problems durch eine Reihe eindringender Monographien zu fördern gesucht. Es schien mir jetzt an der Zeit, deren Resultate sowie die älteren allgemeinen Theorien planmäßig zu prüfen, das Haltbare und Brauchbare herauszu­ suchen und eine neue Zusammenfassung zu wagen. Indem ich diese Aufgabe unternahm, kam mir die nähere Bekanntschaft

mit einer bisher unverwerteten Quellengruppe zustatten. Im ersten Kapitel der vorliegenden Schrift schildere ich in historischem Überblick die allgemeinen Theorien über die Ursachen der Rezeption des Römischen Rechts in Deutschland. Wenn ich diesen einleitenden, literargeschichtlichen Teil verhältnismäßig

ausführlich gehalten habe, so geschah es, um zugleich eine ge­ wisse sachliche Einführung in den Gegenstand zu geben. Das zweite Kapitel enthält eine Untersuchung der Nachrichten der Landtagsakten von Jülich-Berg, mit deren Edition ich beschäftigt

bin, über die Ursachen der Rezeption und liefert so einen Bei­ trag zur monographischen Literatur. Ich glaube der Gefahr entgangen zu sein, die bei diesem mir besonders vertrauten Quellenmaterial gemachten Beobachtungen zu sehr generalisiert

Vm

Vorwort.

zu haben. Das dritte Kapitel nimmt, um die spätere positive Darstellung zu entlasten, die Prüfung einiger besonders ver­

Ursachen der Das vierte sucht die Faktoren zu ermitteln,

breiteter und einflußreicher Theorien über die

Rezeption voraus.

die als nachweisbare Ursachen gelten können.

Diese kleine Schrift bringe ich der Heidelberger juristischen Fakultät als Dank für die mir verliehene Doktorwürde dar. Ich fühle wohl die Geringfügigkeit der Gabe; aber ich wollte

'Mit meinem Dank nicht länger zögern, und gerade die vor­ liegende Arbeit schien mir nach ihrem Inhalt geeignet, meinen Dank kundzutun. Ich habe die folgende Abhandlung als juristisch interessierter

Historiker geschrieben; nach dem Maß dessen, was ein solcher zn bieten vermag, bitte ich sie aufzunehmen. Die Erforschung des Vorgangs der Rezeptton des Römischen Rechts wird ja in erster Linie immer Aufgabe der Juristen bleiben. Indessen auch der Historiker darf innerhalb bestimmter Grenzen seine Mitarbeit zur Verfügung stellen. Denn um von anderem abzusehen, so kann man die Rezeption nicht schildern, ohne die Verfassungs­ körper, innerhalb deren sie sich vollzog, eingehend zu berück­

sichtigen, und diese in ihrem vollständigen Charakter, in ihrer ganzen Wirksamkeit zu würdigen, dahin geht eben Neigung und

Beruf des Historikers. Tübingen, den 13. Juli 1905.

G. v. Velow.

Inhalts-Verzeichnis. Seite

I. JHe affgemrtnen Hheorie« üöer die Arsache« der Aezeption des ASmischen Aechts in Peutschtand................................

1

StobbeS „äußere Einflüsse" S. 1. Seine Theorie von den Gründen, die in der „Natur deS Deutschen Rechts" lagen S. 3. Seine Abhängigkeit von Savigny S. 3. FranklinS Widerspruch gegen Stobbe S. 6. Umfassendere Opposition von Schmidt S. 7. StobbeS Entgegnung S. 9. W. Arnold S. 10. Stölzels „Ent­ wicklung des gelehrten Richtertums" S. 13. Stintzing S. 15 und 24. Gierke S- 16. Sohms erster Aufsatz S. 17. Modder­ mann-Schulz S. 22. Die „deutschrechtlichen Arbeiten" von K. A. v. Duhn S. 23. (Stintzing S. 24.) Sohms zweiter Aufsatz S. 26. Laband S. 28. Rosenthals Widerspruch gegen Stölzel S. 31. Schwäche der rein monographischen Behandlung des Themas S. 32. Die Lehrbücher von Brunner und R. Schröder S. 32.

n. JHe Nachrichten der ckarrdtagsakten von Jüttch-Nerg üver die Ursache« der Aezeption....................................................... 34 Entstehung des jülich-bergischen Landrechts S. 34. Einfluß der Rechtsprechung des ReichSkammergerichts S. 35. Arbeiten des JahreS 1537 S. 37. Neue Hinweise auf die Wirkung des ReichSkammergerichts S. 37. Landtagsverhandlungen über die Reformation von 1554 S. 39. Publikation des Landrechts im Jahre 1555 S. 43. Verhandlungen über eine Revision desselben in den Jahren 1563 und 1564 S. 43. Einzelnes S. 45. Nach­ richten der Landtagsakten betreffs der Umgehung der ordentlichen Instanzen (Beitrag zur Prüfung der Theorie Stölzels) S. 46.

TU. Arüfnng einiger veröreiteter Anschauungen ü-er die Ur­ sachen der Aezeption.................................................................52 A) Über politische Motive der Fürsten als Grund

derRezeption.....................................................................................52 Einfache Formeln der Erklärung der Rezeption S. 52. Stobbe, R. v. Jhering, Regelsberger S. 53. Die Theorie vom Zu-

X

Inhalts-Verzeichnis.

Seite sammenhang der Rezeption mit der Entwicklung des absoluten Staats S 54. Der absolute Staat ist in Deutschland viel jünger

als die Rezeption S. 55.

Die Juristen nicht unbedingte An­

wälte der landesherrlichen Rechte, treten auch für die unab­ hängigen Korporationen und Stände ein S. 59.

Tatsächliches

Verhältnis der Landesherren zu den Juristen S. 62.

Labands

Theorie von dem Zusammenhang der Rezeption mit der Ver­

besserung der Exekution S. 63. Anwälte

der

grundherrlichen

Die Juristen nicht unbedingte

Forderungen

gegenüber

den

Bauern S. 66. B) Die

Stimmung des deutschen

Volkes

gegen­

über dem Römischen Recht............................

67

Die Theorie von dem einmütigen Widerstand des Volkes gegen das Römische Recht S. 67. Kritiker dieser Theorie (Muther, Lenz) S. 68. Prüfung der Beweise S. 70. Die Mehrzahl der

Klagen über die Juristen erklärt sich aus dem Unwillen des Landadels über deren Eindringen in die vornehmeren Ämter

Das Verhalten der

(Streit um das Eingeborenenrecht) S. 78.

einzelnen Stände gegenüber dem fremden Recht S. 80. Die Bauern S. 81. Der Adel S. 81. Die Landtage, auf denen die

Ritterschaft die Hauptrolle spielt S. 81 (S. 82 Anm. 3 [©. 82

bis 86]: über die Verhältnisse in Tirol).

Schwacher Widerstand

des Adels S. 87. Die Parlamente und die Kodisskationsarbeilen S. 88. Der württembergische Landtag S. 90. Den stärksten Widerstand gegen das Römische Recht leisten die Städte,

sonders die politisch unabhängigen S. 93. sächsischen Rechtsgebiets S. 93.

Städte S. 97.

Die

be­

Die Städte des

süd- und

westdeutschen

Stvlzels Theorie von einer spontanen volkstüm­

lichen Bewegung zugunsten der Umgehung der ordentlichen Gerichte S. 101. Genauere Ermittelung der Haltung der Juristen S. 103.

IV. Ate «achweisvare« Zlrsache« der Aejepttorr des Römischen Rechts in Peutschtand............................................................... 106 A) Die mittelalterliche Tradition und das Studium des Römischen Rechts.........................................................................106

Die Vorstellung der Kaiser, daß sie die Nachfolger der alten römischen Imperatoren seien S. 107.

Durch einfach nachbarliche

Beziehungen ist das Römische Recht nur in höchst bescheidenem Maße nach Deutschland übertragen worden S. 107. Erste Spuren der Geltung des Römischen Rechts in Deutschland S. 107. Leb­

hafteres

Interesse für

dasselbe im 14. Jahrhundert S. 108.

Studium des ftemden, vorzugsweise des kanonischen Rechts auf

Jnhalls-BerzeichniS.

XI Seile

italienischen Universitäten; Gutachten gelehrter Juristen; Beein­

flussung der deutschen Rechtsliteratur durch das fremde Recht; Hilfsmittel zur Einführung in dieses S. 109.

Im Mittelaller

in Deutschland noch keine eigentlich „populäre" Literatur des

fremden Rechts S. 110. Das kanonische Recht bahnt dem Römischen den Weg S. 113.

Deutsche Universitäten S. 113.

Studium des

römischen Rechts auf ihnen S. 114 (S. 113 Anm. 3).

Worin

liegt der Grund der fortschreitenden Ausdehnung der römisch­ rechtlichen Studien auf den deutschen Universitäten? S. 115.

Das praktische Bedürfnis kein S. 115.

ausreichender Erklärungsgrund

Er ist hauptsächlich auf rein wissenschaftlichem Gebiet

zu suchen S. 120. B) Der Einfluß des Reichskammergerichts und

die entsprechenden Wirkungen der höchsten Landes­ gerichte

.....................................................................................................

122

Positive Wirkung der Rechtsprechung des Reichskammergerichts

S. 123. Bedeutung der privilegia de non appellando S. 124. Vorbildliche Stellung des Reichskammergerichts S 124. Wes­ halb hat eS das Römische Recht angenommen? S. 125. Genauere

Bestimmung seines Einflusses S. 127.

höchsten landesherrlichen Gerichte S. 128.

Parallele Wirkung der Hindernisse ihrer Be­

wegung : die Kodifikationen, die ständischen Landesgerichte mittel­ alterlicher Natur, die städtischen Oberhöfe S. 130. der Einführung der Appellation S. 132.

Wichtigkeit

Die Rezeption in den

oberen Etagen zuerst (gegen Stintzings Theorie) S. 133. Spruch­ praxis der Juristenfakultäten S. 134. 0) Die Kodifikationen........................................................

Die Anlässe der Kodifikationen S. 134. 1. Die Notwendig­ keit, die Widersprüche, die in der herrschenden Praxis hervor­ traten, auszugleichen S. 134.

Es handelt sich weniger um den

Widerspruch zwischen dem heimischen und dem fremden Recht als um den zwischen den lokalen Rechtsgewohnheiten S. 136. Der

starke Partikularismus des Deutschen Rechts S. 137.

Die For­

derung eines „gleichmäßigen" Rechts S. 137. Schwierigkeit der Herstellung eines solchen auf deutscher Grundlage S. 138. Be­ quemlichkeit des Anschlusses an das Römische Recht S. 139.

Er­

klärung des geringen Widerstandes, den die Landstände dem

Römischen Recht entgegensetzten S. 139.

Wo die Zersplitterung

deS Deutschen Rechts geringer ist, wird es auch mehr behauptet S. 140. Die Widerstandsfähigkeit des Sächsischen Rechts S. 141. 2. Das Bedürfnis nach umfasienden Aufzeichnungen des Rechts

S. 142.

Schon im Mittelalter vorhanden, wird es jetzt be­

sonders lebhaft empfunden S. 143.

Günstige Situation für daS

134

Inhalts-Verzeichnis.

XII

Seite Römische Recht von diesem Gesichtspunkt aus S. 144. Relativer Widerstand der Orte, die über bessere Aufzeichnungen des Deutschen Rechts verfügten S. 144.

Die Stellung, die die Kodifikationen

zum Römischen Recht einnehmen, ist oft von zufälligen Umständen abhängig S. 145. Die Zwecke der Kodifikationen sind nur un­

vollkommen erreicht worden S. 146.

Zusammenfassendes Urteil

über die Bedeutung der Kodifikationen für die Förderung der Rezeption S. 147.

Situation des

Deutschen Rechts in den

Territorien ohne Kodifikation S. 147.

D) Der Einfluß der Juristen..................................................148

E) Die Gründe, die „in der Natur desDeutschen RechtS" lagen...............................................................................................149

Die Behauptung eines inneren Zusammenhangs zwischen den wirtschaftlichen Verhältnissen und der Rezeption S. 149.

solcher ist im wesentlichen zu bestreiten S. 150.

aus

den Zielen der Rezeption-zeit S. 160.

den RechtSverhältniflen der Städte S. 160.

Ein

Gegenbeweis

Gegenbeweis aus

DaS Deutsche Recht

hat sich selbst, vor der Rezeption, den Forderungen eines leb­ hafteren Verkehrs angepaßt S. 151.

Kritik der Behauptung von

dem Versiegen der eigenen schöpferischen Kraft des Deutschen Rechts S. 162. (Über die Ausbildung des schriftlichen Verfahrens S. 154 Anm. 1.) Hat die Fortbildung des Deutschen Rechts die

Rezeption erleichtert? S. 155. Die Ungleichmäßigkeit der Fort­ bildung des Deutschen Rechts, der RechtspartikularismuS S. 157. Ist die Überwindung des letzteren aus wirtschaftlichen Motiven gefordert worden? S. 157. Das Römische Recht ist nicht um innerer Vorzüge willen, sondern im wesentlichen wahllos ange­

nommen worden S. 157.

E) Die Notwendigkeit der Arbeitsteilung .

.

.

160

Frage deS Zusammenhangs der Rezeption mit der Aus­

bildung einer RechtSwiffenschaft und eines besonderen Juristen­ standes S. 160. Inwiefern die Rechtsprechung auch unter diffi­ zileren Verhältnissen bei den Laien bleibt S. 161. Die Not­ wendigkeit der Arbeitsteilung als Ursache der Rezeption S. 162.

Schtrrk-etrtchtrm-...............................................................................................163 Die Rezeption vollzieht sich auffallend geräuschlos S. 163.

Zusammenfassung der Ursachen S. 163.

In letzter Linie ist die

Rezeption auf die Schwäche der deutschen Zentralgewalt zurück­

zuführen S. 164. S. 164.

Blick auf Frankreich und besonders England

Die allgemeinen Theorien über dir Ursachen der Rezeption des Römischen Rechts in Deutschland. Die erste eingehende und zusammenhängende Darstellung der Rezeption des Römischen Rechts in Deutschland mit beson­

derer Rücksicht auf ihre Ursachen hat Otto Stobbe in seiner „Geschichte der deutschen Rechtsquellen" Bd. 1 (1860), S. 609 ff.

und Bd. 2 (1864), S. 1 ff. gegeben.1) Die Gründe, welche nach ihm dem Römischen Recht die Bahn nach Deutschland eröffneten, lagen teils in äußeren Ein­

flüssen, teils in der Natur des „deutschen Rechts, welche die

Anwendung römischer Rechtsgrundsätze, sei es möglich, sei es wünschenswert machte." Als

„äußere Einflüsse"

nennt

Stobbe

drei:

1.

„Ein

besonderes Gewicht ist auf die Verbindung Deutschlands mit Italien zu legen, auf den Umstand, daß der deutsche König

zugleich

Herrscher von Italien ist und ein Anrecht auf die

Kaiserwürde besitzt."

Die deutschen Könige glaubten vollständig

in die Rechte der alten römischen Imperatoren sukzediert zu

sein

und versuchten die Grundsätze des römischen Kaiserrechts

auf ihre Herrschaft zu übertragen.

Derartige Ansichten und

Besttebungen sind namentlich bei Herrschern, die zu Rom und *) Vgl. die Angaben über die Literatur zur Geschichte der Rezeption

deS Römischen Rechts

bei H. Brunner, „Grundzüge

der

Deutschen

RechtSgeschichte", 2. Ausl., § 61, S. 240 und bei R. Schröder, „Lehr­

buch der Deutschen Rechtsgeschichtr", 4. Ausl., § 66, S. 783.

haltige, jedoch

etwas willkürliche

Literaturangaben

enthält

Reich­

auch die

„Deutsche RechtSgeschichte" von H. Siegel, 3. Ausl., § 38 ff., S. 102 ff.

HtkorNch« Sibliotbrf. XIX.

1

2

I. Die allgemeinen Theorien über die Ursachen

Italien in besonders nahe Beziehungen kamen, so bei Otto III., Friedrich I. und Friedrich II., Ludwig dem Baiern, Karl IV.

hervorgetreten.

Aber auch ein König wie Rudolf von Habsburg

betrachtete sich als Nachfolger der römischen Imperatoren und nahm auf das Römische Recht Bezug. 2. Die Intention der Kaiser wurde zugleich von anderer Seite gestützt. In Italien

war die Anwendung der Römischen Rechtsquellen nie ganz auf­ gegeben worden.

Im Anfang des 12. Jahrhunderts begann

auf italienischen Schulen ein geordnetes Studium des gesamten Corpus iuris. Bald zogen aus Deutschland wie aus allen

andern Ländern des Abendlandes viele Männer nach Italien/

um sich dem Rechtsstudium zu widmen und, nach jahrelangem Aufenthalt in der Fremde, mit einer akademischen Würde ge­ schmückt, in der Heimat eine einflußreiche und ehrfurchtgebietende

Stellung einzunehmen.

So verbreitete sich die Kenntnis des

kanonischen und des Römischen Rechts nach Deutschland. Die fremden Universitäten genossen so hohes Ansehen, daß man sich

bereits im 13. Jahrhundert in Deutschland mitunter an sie wandte, um nach ihrem Ausspruch Streitigkeiten, besonders staats­ rechtlicher Natur, zu entscheiden. Seit dem 14. Jahrhundert erhielt auch Deutschland Universitäten. Freilich beschränkte sich auf ihnen das juristische Studium bis zur Mitte des 15. Jahr­

hunderts auf das kanonische Recht; das Studium des Römi­ schen wurde bis dahin nicht weiter getrieben, als es zur Er­ klärung des kanonischen Rechts erforderlich schien. Wer also in seinem Wissensdrang das Römische Recht selbst kennen zu lernen wünschte, mußte einstweilen noch eine italienische Uni­ versität beziehen. 3. Die Aussicht auf eine hervorragende Stel­ lung im bürgerlichen und öffentlichen Leben, auf welche die akademische Würde den Rechtsgelehrten einen besonderen An­ spruch zu geben schien, führte viele ehrgeizige Gemüter zur Beschäftigung mit den fremden Rechten. Die Geistlichkeit be­ fand sich nicht mehr allein im Besitze gelehrter Kenntnisse; welt­ liche Doctores iuris

wurden ihre Rivalen.

Rechtsgelehrte

wurden im Dienste des Kaisers und der Fürsten verwendet, gelangten zur Kanzlerwürde und erhielten den größten Einfluß auf die Regierung des Reichs und der Territorien. Es konnte

der Rezeptton des Römischen Recht- in Deutschland.

nicht ausbleiben, daß die Juristen ihre im Auslande erworbene Weisheit, welcher sie ihren Einfluß und ihre Stellung zu ver­ danken hatten, auch zu verwerten und die Grundsätze des

Römischen Rechts zur Anwendung zu bringen suchten.

Sie

begannen in ihren Schriften das einheimische durch das fremde Recht zu interpretieren oder zu verdrängen (Joh. v. Buch, Stadtschreiber von Brünn usw.).

Außer durch diese „äußeren Einflüsse" läßt Stobbe, wie angedeutet, die Rezeption durch Verhältnisse, die in der „Natur des Deutschen Rechts" lagen, veranlaßt sein. an

eine Bemerkung Savignys an.

Er knüpft dabei

Ich setze dessen Worte

vollständig hierher, da sie den Ausgangspunkt für die Auf­ fassung zahlreicher angesehener Autoren bilden. Er sagt in

Bd. 3 seiner „Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter" (2. Aufl.x) S. 84) über die Ursachen der Rezeption des Römi­ schen Rechts in Italien im 12. Jahrhundert und des Aufkom­ mens der Bologneser Rechtsschule: „Diese merkwürdige Erschei­ nung ist nicht durch den Willen einer Regierung, nur durch

innere Notwendigkeit hervorgerufen worden. Die erste und wichtigste Ursache derselben lag in dem Bedürfnis der lombar­ dischen Städte, in deren Mitte die neue Schule entstand. Diese Städte waren jetzt ungemein reich, bevölkert und tätig. Das frische Leben ihres Handels und ihrer Gewerbe forderte ein ausgebildetes bürgerliches Recht; die Germanischen Volksrechte waren diesem Zustand nicht angemessen, auch die dürftige Kenntnis des Römischen Rechts, womit man sich bis jetzt be­ holfen hatte, genügte nicht mehr; allein die stets erhaltenen Quellen dieses Rechtes waren völlig ausreichend, und man brauchte nur diese Quellen recht zu benutzen, so war man durch wissenschaftliche Arbeit im Besitz eines Rechts, das dem

nen erwachten Bedürfnis gänzlich entsprach." In einer Anmer­ kung fügt Savigny hinzu: „Ich will damit nicht sagen, daß die Lombarden dieser Zeit nicht auch mit dürftigeren Rechts­ quellen hätten bestehen können: ihr praktisches Bedürfnis würde *) Die zweite Auflage erschien 1834.

In der ersten Auflage (1822),

S- 76, drückt sich Savigny schon ebenso aus; nur die Anmerkung ist in

der zweiten hinzugekommen.

4

I. Die allgemeinen Theorien über die Ursachen

sich schon von selbst seine Befriedigung verschafft haben, wofür das Beispiel von England den überzeugendsten Beweis liefert. Allein der neu belebte Verkehr mußte allerdings eine weit größere Aufmerksamkeit auf Rechtsgegenstände lenken, und da nun ohnehin die Quellen des Römischen Rechts vorhanden waren, die jenem Bedürfnis eine schon fertige Befriedigung dar­ boten, wenn man sie nur recht benutzte, so lag in dem blühen­ den städtischen Leben und Verkehr gewiß eine dringende Auf­ forderung, das Römische Recht verstehen zu lernen, und dann auch dem Lombardischen Recht, das dem Leben der neuen Republiken so wenig entsprach, vorzuziehen. In diesem Sinne behaupte ich, daß das praktische und das wissenschaftliche Be­ dürfnis gleichzeitig zu demselben Ziel hinwirkten."x) Die Anschauung Savignys von dem Wiederaufleben des Römischen Rechts in den lombardischen Städten des 12. Jahr­ hunderts übertrug Stobbe?) auf die Rezeption in Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert: alle die früher von ihm ange­ führten „Gründe und äußeren Anlässe hätten" — sagt er — „wenig oder nichts zur Aufnahme des fremden Rechts beige­ tragen, wenn derselben nicht ein tief empfundenes Bedürfnis x) H. Leo, „Geschichte der italienischen Staaten", 2. Teil (1829), S. 36 ff., trägt die gleiche Ansicht vor, offenbar durch Savigny beein­ flußt, aber doch auch mit eigenen Formulierungen.

Bgl. z. B. S. 38:

„Der reiche Handel, die neu entstandenen und entstehenden republikani­ schen Berhültniffe

erregten das

Bedürfnis

nach

einem ganz anders

gebildeten Privatrecht, als irgend eines der Germanischen BolkSrechte enthalten konnte .... DaS Bedürfnis von fast ganz Italien traf zu­

sammen , um ... JrneriuS eine unendlich höhere Wichtigkeit zu geben alS irgend einem RechtSlehrer vor dieser Zeit." ’) RechtSquellen 1, S. 636 ff. S. 638 Anm. 83 verweist Stobbe

ausdrücklich auf Savigny.

ES mag hier hervorgehoben

werden, daß

C. G. Wächter, der in seinem Werk „Geschichte, Quellen und Literatur deS Württembergischen PrivatrechtS" (1839—42) der Rezeptionsgeschichte eine- einzelnen Staates mehr Aufmerksamkeit geschenkt hat als irgend

ein anderer Jurist der älteren Zeit, sich Savignys Anschauung nicht an­ eignet.

Er nennt als Ursachen: „Unsicherheit, Unkultur und große lokale

Verschiedenheit des vaterländischen Recht-, Unzugänglichkeit desselben für diejenigen, welche nicht in und mit ihm aufgewachsen waren, Verehrung

der italienischen,

durch

die

Behandlung

eine-

ausgebildeten Rechts

5

der Rezeption bei Römischen Rechts in Deutschland.

entgegengekommen wäre.*)

das Volk im ganzen und

Wenn

die Gemeinden im einzelnen mit dem bestehenden Rechtszustande zufrieden gewesen wären und kein Verlangen noch Reformen

gehabt hätten, so würde weder der Wille des Kaisers noch der Juristen,

weder

der

Zusammenhang

mit Italien

noch

das

Studium des Corpus iuris jemals es dahin gebracht haben, daß dem Volke ein fremdes Recht aufgedrängt wurde. der Zustand

des Deutschen Rechts

und

Aber

die Veränderung der

Verhältnisse erforderten neue Rechtsaufzeichnungen und machten den Mangel

Rechtsquellen

an allgemeinen,

ganz Deutschland

empfindlich...?)

Besonders

umfassenden

fühlbar

war

der

Mangel an ausreichenden Bestimmungen in den Städten, in welchen mit dem Aufblühen des Verkehrs, Handels und Ge­ werbes

die

bisherigen

Grundsätze,

einfachen

welche

ein

den

Ackerbau treibendes Volk zur Voraussetzung hatten8), nicht mehr

genügen

konnten.

Der Handel

und

das Vertrag-leben ver­

langten neue, subtilere Rechtssätze, und es mußte das bisherige

Recht gemäß den neuen Lebensverhältnissen umgestaltet werden, berühmten Juristen, der Sitz der sich entwickelnden Kultur und dejuristischen Studium- in Italien, da- Bestreben derer, welche dort da­

fremde Recht erlernt hatten,

diese- auch in ihrem Kreise geltend zu

machen, die Errichtung Deutscher Universitäten, auf welchen bloß die

fremden Rechte gelehrt wurden, und die Aufnahme der Doctores iuris

in den Rat der Fürsten." Man wird au- dem Wort „Unkultur" wohl nicht die ganze Theorie Savignys herau-lesen dürfen. Übrigens ent­ halten Wächter- Worte vieles, was später in der Literatur wiederkehrt,

waS freilich auch schon Eichhorn, „Deutsche Staat-- und RechtSgeschichte" Bd. 3, § 440 ff., zum größeren Teil gesagt hatte. Abhängig von Savigny ist wohl Sttntzing, Ulrich Zasiu- (1657), S. 93.

x) Bgl. auch Stobbe 1, S. 624, Anm. 48. ’) Bgl. auch Stobbe 2, S. 7: „Bei dem steigenden Verkehr, bei der Zunahme der Kultur, der Veränderung der wirtschaftlichen Zustände,

der Ausbildung größerer Territorien bedurfte e- einer festeren und ein­

heitlicheren Gesetzgebung." 3) Man beachte, daß Stobbe hiermit die bedeutende Entwicklung des Deutschen Stadttecht- ignoriert.

Nachdem er diesen Satz nieder­

geschrieben, ist ihm wohl selbst eingefallen, daß er nicht zutreffe, und er

hat ihn durch den zweitnächsten erheblich eingeschränkt.

Jedenfalls ist

e- ganz unzulässig, den Städten im Beginn der Rezeptton-zeit ein über­

wiegend agrarische- Recht zuzuschreiben.

Diese Umgestaltung erfolgte auch zum Teil durch die Gesetz­ gebung und das Gewohnheitsrecht und steuerte in mancher Beziehung auf ähnliche Rechtssätze hin, wie sie im Corpus iuris enthalten sind. Vielleicht wäre das Deutsche Recht auf dem Wege ruhiger Entwicklung auch ohne fremde Einwirkung an dasselbe Ziel gelangt, welches das römische Recht erreicht hatte, vielleicht hätten sich mit den ausgcbildeteren Lebensverhältnissen auch die ihnen entsprechenden Rechtssätze selbständig entwickelt, — aber das Römische Recht war bereits in einem sehr aus­ führlichen, auf viele Fragen Auskunft erteilenden Werke zusam­ mengefaßt, und man glaubte durch Aufnahme des ausgebildeteren Rechts die Reformaüon um sehr viel schneller vollziehen und zu einem sicheren einheitlichen Abschlüsse führen zu können; die organische Kontinuität wurde unterbrochen und mit Überspringung der Zwischenstadien auf das Ziel unmittelbar losgesteuert." Indem Stobbe so die Auffassung des Romanisten Savigny übernimmt, erklärt er sich (S. 638 Anm.) gegen die Meinung des Germanisten Beseler, daß es der Rezeption des Römischen Rechts gar nicht bedurft hätte, da mit den neu entstandenen Lebensverhältnissen sich auch die Rechtsnormen entwickelten und entwickelt haben würden. Er bestreitet, daß das Recht jedes Volkes und jeder Zeit gleich vollendet und den LebenSverhältniffen entsprechend sei. „Es gibt Völker, wie z. B. das Römische, welche in der Ausbildung des Rechts anderen voranstehen. Auf der anderen Seite sehen wir aber auch nicht, daß das Deutsche Recht überall den neuen Lebensverhältnissen sich anbequemt habe." In seinen im Jahre 1863 erschienenen „Beiträgen zur Geschichte der Rezeption des Römischen Rechts in Deutschland" machte O. Franklin, jedoch nur nebenbei, einen Widerspruch gegen StobbeS Auffassung geltend, indem er (®. 120 f.) kurz bestritt, daß „der Zustand des Deutschen Rechts, das Bedürfnis der Gerichte nach einem geschriebenen, in sich abgeschlossenen Rechtsbuche die Hauptveranlassung für die Aufnahme des Römi­ schen Rechts in Deutschland gewesen sei", und hrrvorhob, daß das Volk nichts von der Vollkommenheit des ftemden Recht­ wußte oder wissen wollte, sondern fest an seinem alten Rechte

Rezeption des Römischen Recht- in Deutschland.

7

hielt Nicht das Bolt habe das fremde Recht angenommen, sondern die Wertschätzung des letzteren habe die gelehrten Juristen veranlaßt, leidenschaftlich für das fremde und gegen daS ein­ heimische Recht tätig zu werden. Eine lautere und umfassendere Opposition erhob sich gegen Stobbe von anderer Seite. Im Jahre 1868 veröffentlichte C. A. Schmidt sein Buch über „Die Rezeption des Römischen Rechts in Deutschland". Er weist (S. V) aus die allgemein verbreitete Annahme hin, „daß schon in der Tatsache der Rezeption selbst der beste Be­ weis für ihre Notwendigkeit liege". „Wir gehen... von der Voraussetzung aus, daß eine weltgeschichtliche Tatsache von solcher Bedeutung sich unmöglich ohne eine entsprechende geschichtliche Notwendigkeit vollzogen haben könne; wir halten es ferner für ganz undenkbar, daß einem Volke ein ihm fremdes, seinen Zu­ ständen und Bedürfnissen nicht entsprechendes Recht wider seinen Willen hätte aufgedrängt werden können, und schließen nun einfach weiter, daß. da das Römische Recht in Deutschland rezipiert ist, das Volk diese Rezeption auch gewollt, und daß das Römische Recht, sowie die Besetzung der Gerichte mit ge­ lehrten Richtern, wodurch seine Rezeption vermittelt worden, den damaligen Zuständen und Bedürfnissen des praktischen Lebens entsprochen haben müsse." Gegen „solches Argumen­ tieren aus unbewiesenen Voraussetzungen" will Schmidt sich wenden. Er bestreitet nicht, daß die Rezeption „ihre Ursachen gehabt und der Besetzung der Gerichte mit gelehrten Juristen ein praktisches Bedürfnis zugrunde gelegen haben muß. Allein so lange wir jene Ursachen und die Natur dieses praktischen Bedürfnisses nicht kennen, sind alle Schlüsse, die wir daraus ziehen, nichts als unbewiesene Hypothesen, mit denen sich über­ dies eine Reihe von Erscheinungen, welche der Verlauf des Rezeptionsprozesses uns bietet, schlechterdings nicht in Einklang bringen läßt." Schmidt bestreitet nun aufs entschiedenste die Existenz eines inneren Bedürfnisses für die Rezeption des Römischen Rechts. „Die neuentstandenen Lebensverhältnisse, denen das Römische Recht angemessen gewesen sein soll, sind in der Wirklichkeit nicht nachweisbar; und ebenso steht es mit dem tief empfundenen Bedürfnisse, von dem Stobbe spricht. Wäre

8

I. Dir allgemeinen Theorien über die Ursachen

ein solches wirklich empfunden worden, so müßte es doch irgend­ wie einen Ausdruck gefunden haben. Von einem Verlangen

des Volkes nach dem Römischen Rechte und nach der Berufung der Juristen in die Gerichte findet sich aber keine Spur; die Stimmung des Volkes trägt im Gegenteil das Gepräge nicht der Freude über die Befriedigung eines tief empfundenen Be­

dürfnisses, sondern der Erbitterung und schmerzlichen Resignation, mit der man sich in ein als unabwendlich erkanntes Übel findet" (S. 175 f.).

„Das Volk setzte dem Eindringen des Römischen

Rechts in die Praxis einen unüberwindlichen und in der Welt­

geschichte vielleicht beispiellosen Widerstand entgegen" (S. 161). „Wenn man aus der Berufimg der Romanisten in die Gerichte

den Schluß zieht, daß das einheimische Recht und die Schöffen den Bedürfnissen des praktischen Lebens nicht mehr genügt

hätten, so werden dabei Ursache und Wirkung miteinander ver­ wechselt" (©. 177). „Der Grund des Übels lag nur in der Erschütterung der staatlichen Ordnung, nicht aber in der Be­

schaffenheit des geltenden Rechts und der bisherigen Richter.... Über das Reichsjustizwesen war allgemeine Klage; ebenso über -ie Rechtspflege in den einzelnen Territorien, wo eben die In­ haber der Jurisdiktion ihre Schuldigkeit nicht taten, 'und hier

kam es ebenso wie bei der Reichsjustizpflege natürlich auch nicht selten vor, daß, wenn einmal Gericht gehalten ward, dasselbe mit unerfahrenen und unbrauchbaren Leuten besetzt wurde, wes­ halb denn auch durch die Reichsgesetze wiederholt die Besetzung mit ehrbaren, redlichen Leuten eingeschärst wurde. In den Städten dagegen, welche sich allerdings nach außen hin eben­ falls ihrer Haut wehren mußten, durch die Auflösung, in der das Reich sich befand, aber nicht verhindert wurden, innerhalb ihres Weichbildes Recht und Gerechtigkeit zu handhaben, hören wir derartige Klagen wenig oder gar nicht, und die Rechts­ zustände in denselben tragen durchaus nicht das Gepräge des inneren Zerfalls. Was wir von den Sprüchen der Lübecker und Magdeburger Schöffen kennen, beweist, daß die Schöffen

wenigstens in den Städten die Fähigkeit zur . Anwendung des geltenden Rechts noch nicht verloren hatten." Rach Schmidt ist die Rezeption nur aus äußeren Gründen zu erklären.

9

der Rezeption des Römischen Recht- in Deutschland.

Es ist begreiflich, daß sich Stobbe zu einer ausführlichen Entgegnung auf Schmidts Darstellung veranlaßt fühlte.

Sie

erschien in der „Kritischen Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung

und Rechtswissenschaft" Bd. 11 (1869), S. 1—331). In einem Punkt gibt Stobbe (S. 15) bis zu einem gewissen Grade einen Irrtum zu.

„Der gewöhnlichen Behauptung, daß die neuen

Lebensverhältnisse in den Städten neue Normen verlangt und die Städte daher ein besonderes Interesse an der Rezeption

gehabt hätten, totrb von dem Verfasser mit Recht entgegnet,

daß wir in den Städten keine Spuren einer besonders eifrigen Benutzung des Römischen Rechts finden und daher dieser Grund für die Rezeption nicht stichhaltig sein könne.

Aber cs ist des

Verfassers Ausfühmng auch nur für die Zeit bis zum 15. Jahr­

hundert richtig, und wenn er sie auch auf die spätere Zeit aus­ dehnt und von den Reichsstädten sagt, daß sie sich länger als die Territorien gegen das Römische Recht gewehrt hätten, so ist

dies ein Irrtum.

Beruft er sich in dieser Beziehung auf das

revidierte Stadttecht von Lübeck, so halten wir ihm die revi­

dierten Stadtrechte von Nürnberg, Worms, Freiburg, Frank­ furt a. M. üsw. entgegen und bemerken, daß die Klagen über

das Römische Recht wesentlich von Rittern und Bauern aus­

gehen, wogegen man in den Städten wohl mehr mit ihm zu­ frieden

war.

Vollkommenen Widerspruch

setzt

aber

Stobbe

Schmidts Auffassung von den lediglich äußeren Gründen der Rezeption entgegen.

„Das wird uns" — ruft er aus (S. 17) —

„ewig unwahrscheinlich bleiben, und selbst wenn die historischen

Forschungen kein Material zum Nachweise bieten sollten, daß

noch andere, tiefer liegende Momente mit im Spiele waren, so werden wir, wenn wir in der Geschichte mehr als ein bloßes

Spiel von Willkür und Laune finden, immer bestrebt sein, ein Ereignis von solcher weltgeschichtlicher Bedeutung tiefer zu be­ gründen und selbst vor Hypothesen nicht zurückschrecken."

Stobbe

(S. 18) sieht hierin „das punctum saliens der ganzen Frage".

Er versichert, niemals behauptet zu haben, „daß das Volk ein

*) Auf Franklins „Beiträge" nimmt Stobbe darin gleichfalls Bezug

(s. S. 17, Anm. 10.)

I. Die allgemeinen Theorien über die Ursachen

10

besonderes Verlangen nach dem Römischen Recht hegte" **), son­ dern nur, „daß die vorhandenen Rechtsquellen für das Recht­ sprechen nicht genügten, und daß sich der Mangel an allgemeinen,

ganz Deutschland umfassenden Rechtsquellen empfindlich geltend

machte".

Er präzisiert jetzt seine Ansicht dahin, „daß im großen

Ganzen der Rechtszustand im 15. Jahrhundert in jeder Richtung

weniger befriedigte als im 13. und 14. Jahrhundert. die historische Untersuchung

Wenn

uns zu einem solchen Urteil be­

rechtigt, wäre es doch ein Wunder gewesen, wenn nicht auch

das Volk dies mehr oder minder deutlich empfunden und nach Besserung gestrebt hätte... eigene Anstrengungen

Man besaß nicht die Kraft, durch

sich zu einem

gesunden Rechtszustande

durchzuarbeiten, sondern verfiel auf das einer fremden Nation

und einer

Justinians."

verschollenen Kulturperiode

angehörige Gesetzbuch

Stobbe geht dann dazu über, nachzuweisen, daß

sein Urteil über den Rechtszustand des 15. Jahrhunderts den geschichtlichen Tatsachen entspreche.

Seine Erörtenmgen sind wohl das gründlichste, was über diesen Punkt gesagt worden ist, sind jedenfalls für später schreibende Autoren maßgebend gewesen. Den Widerstand des

Volke- gegen das Römische Recht bestreitet er nicht; nur ist er

der Meinung (S. 9), daß Schmidt übertreibe. In seinem Aufsatz „Die Rezeption des Römischen Rechts

und ihre Folgen" vom Jahre 18722) wiederholt Arnold im wesentlichen die Savigny-Stobbesche Auffassung unter besonderer

Betonung des wirtschaftlichen Moments und mit einer Reihe eigenartiger, bemerkenswerter Reflexionen.

Er war es ja, der

innerhalb der historischen Rechtsschule wohl als erster mit Energie

den Zusammenhang zwischen Recht und Wirtschaft betont hat?),

und so begegnen denn bei ihm Wendungen, die bald darauf in *) Man muß hier doch wohl zugunsten Schmidts geltend mache»,

daß StobbeS Worte (f. oben S. 6) wenigstens die Möglichkeit zu einer

solchen Deutung offen lasten. *) In der Zeitschrift „Deutschland", herauSg. von W. Hoffmann;

wieder abgedruckt in Arnolds „Studien zur deutschen Kulturgeschichte"

(Stuttgart 1882).

Mir ist nur der letztere Druck zugänglich.

’) Vgl. „Histor. Zeitschr." 81, S. 259.

der Rezeption des Römischen Recht- in Deutschland.

11

der Literatur modisch wurden. Wie Stobbe weist auch Arnold ans den „mangelhaften Zustand unseres einheimischen Rechts und das Bedürfnis nach dessen durchgreifender Ergänzung und Um­ gestaltung hin, das gerade zu der Zeit lebhafter hervortrat, als die Kenntnis des römischen allgemeiner wurde" (S. 309). „Die Geldwirtschaft wurde mit der Zeit allgemeiner und machte schließlich für unser ganzes Recht eine Änderung notwendig. Gleichwohl blieb dasselbe im ganzen auf der Stufe stehen, der es seinen Ursprung verdankte .... Nicht als ob man seine Fort­ bildung versäumt oder vernachlässigt hätte; denn eine Menge von Instituten schließen sich an diese neuen Verhältnisse an; aber es war mehr eine Fortbildung im einzelnen nnd kleinen, als daß man das gesamte Recht erneuert und seinen Wider­ spruch mit dem Leben ausgeglichen hätte.... Von den einheimischen Quellen allein konnte bei dem unendlichen Partikularismuunseres Rechts und der Zersplitterung des Reichs eine solche Reform nicht mehr ausgehen. Es gab weder eine gesetzgebende Gewalt noch eine Rechtswissenschaft.... Das Recht strebte da­ nach, die engen Bande, die es an den Grundbesitz knüpften, zu sprengen, das Kapital dem Eigentum am Grund und Boden als gleichberechtigt zur Seite zu stellen und freiere Formen für den Verkehr, den beschleunigten Umlauf der Güter zu schaffen" (S. 315 ff.). Roch von einer anderen Seite her entsprach das Römische Recht den Fortschritten unseres Lebens. Denn im Laufe der Zeit geht die Ausdrucksweise eines Volks zum Begriff­ lichen und Abstrakten über, und eben diesen Charakter, hat das Römische Recht, während das mittelalterliche Deutsche Recht auf einen bildlichen, sinnlichen, konkreten Ausdruck beschränkt bleibt. „Jedes Recht erscheint nur in dem Maße ausgebildet, als es in der Entwicklung der Begriffe vorgeschritten ist" Freilich war „das Bewußtsein von der Vorttefflichkeit des Römischen und der Unvollkommenheit des Deutschen Rechts" keineswegs im ganzen Volk, vielmehr „nur in einem sehr kleinen Teil der Ratton verbreitet", nämlich bei den wissenschaftlich geschulten Juristen. „Es geht ja bei den meisten geschichtlichen Bewegungen so, daß der größte Teil der Zeitgenossen nicht einmal weiß, um was es sich handelt, bis endlich die Resultate der Bewegung

12

I. Die allgemeinen Theorien über die Ursachen

jedem handgreiflich nahe treten" (S. 319).

Arnold schränkt dann

seine Bemerkung hinsichtlich des „Fortschritts der Lebensverhältnisse" dahin ein, daß der Nutzen der Rezeption in dieser Hin­

sicht int ganzen erst viel später, vor allem in der Gegenwart

zutage getreten sei, „seitdem ein abermaliger Umschwung des wirt­ schaftlichen Lebens stattgefunden hat, während für die Zeit der

Rezeption... zur Not noch das ältere Recht ausgereicht hätte. Daß dem so ist, sehen wir daran, daß Länder, die in der wirt­ schaftlichen Entwicklung gewiß nicht hinter Deutschland zurück­

geblieben sind, wie die Schweiz, England und Nordamerika, bis

auf den heutigen Tag keine Rezeption des Römischen Rechts

kennen.

Sie haben freilich auch keine Rechtswissenschaft in dem

Sinne, wie wir eine solche haben, aber sie Habensich immerhin

für ihr unendlich gesteigertes Berkehrslcben mit einer Fortbildung ihres Rechts behelfen können."

Die weiteren Umstände, welche

hinzukommen mußten, „um die Rezeption zur Tat werden zu

lassen", sieht Arnold in den von Stobbe hervorgehobenen äußeren Einflüssen.

Bemerkenswert ist in seinen Ausführungen über diese

die starke Betonung des Interesses,

das die Fürsten an der

Rezeption gehabt hätten (S. 336): dies sei das „politisch ent­ scheidende Moment,

ohne das die allgemeine Einführung nie

hätte gelingen können und das zugleich

die überaus wichtigen

Folgen aufdeckt, die sich für die Ausbildung des modernen Staats

daran knüpfen."

Ohne Hilfe des Römischen Rechts „hätte der

moderne Staat nicht zum Durchbruch kommen können".

Die

Juristen, machten den Landesherrn zum Prinzeps im römischen

Sinn und haben tätig und eifrig zur Erweiterung der landes­ herrlichen Rechte mitgewirkt (S. 338).

„Mit Hilfe der Juristen

und des Römischen Rechts blldete sich die Landesherrschast zu einer Landeshoheit um....

Charakteristisch genug wird der neue

Ausdruck Landeshoheit zuerst unter jenem Kurfürsten von der Pfalz gebraucht, der zuerst Doktoren in sein Hofgericht ausge­ nommen hatte" (S. 340). Übrigens schränkt Arnold in seinen

Erörterungen über die äußeren Einflüsse seine Bemerkung hin­ sichtlich des Zustandes des Deutschen Rechts als einer Ursache

der Rezeption noch weiter ein.

So, wenn er erwähnt, daß

unter den Stadtrechtsreformationen die Lübecker sich am wenigsten

der Rezeption des Römischen Recht- in Deutschland.

13

an das Römische Recht anschließt, „da das dortige Recht sich bereits früher auf Grund des deutschen selbständig entwickelt hatte, wie es

die hohe Blüte der Stadt im 14. und 15. Jahrhundert mit sich brachte" (S. 329), und wenn er ferner sagt: „den Städten war die allgemeine Einführung des Römischen Rechts lästig und unbequem, vor allem den Landstädten, die schon damals Mühe und Not hatten, ihre Privilegien den Fürsten gegenüber zu behaupten" (S. 336). In der Abwägung der guten und schlechten

Folgen der Rezeption wendet sich Arnold namentlich gegen den Vorwurf (S. 344), daß seit ihr das Recht aufgehört habe, ein

Gemeingut des ganzen Volkes zu sein.

„Es wird immer eine

Zeit geben, wo das Recht aufhört als Gemeingut im Glauben und Bewußtsein des ganzen Volkes lebendig zu bleiben, weil eS mit der Zeit umfangreicher, verwickelter und künstlicher wird, schon weil sich mit fortschreitender nationaler Arbeitsteilung ver­ schiedene Berufsstände bilden, die alle zum Teil wenigstens ein besonderes Recht erzeugen, wo also auch das Recht, um einen Ausdruck der Schule zu brauchen, gleichsam als Depositum in die Hände eines besonderen Standes, der Juristen, übergeht, die nun die Aufgabe haben, aus seiner Kenntnis und Anwendung eine eigene Wissenschaft, einen eigenen Beruf zu machen und es

Hand in Hand mit der Gesetzgebung im Gnklang mit dem Leben und der Zeit zu erhalten.... Auch ohne Rezeption des Römischen Rechts hätte sich bei uns ein besonderer Juristenstand bilden müssen, und wir würden der gelehrten Richter, Anwälte und Notare so wenig enttaten können wie andre Länder" (S. 345 f.).

Eine beträchtliche Erweiterung erfuhren die Studien zur Geschichte der Rezeption durch Stölzels Werk „Die Entwicklung des gelehrten Richtertums in deutschen Territorien" (2 Bände, 1872)?) Die Rubenow-Stiftung der Universität Greifswald hatte eine Darstellung der Geschichte der Umwandlung der älteren

deutschen Gerichte in gelehrte Gerichte als Preisaufgabe aus­ geschrieben. 2) Stölzel löste die Aufgabe, änderte aber den Titel, *) Vgl. das Referat von Franklin in GrünhutS „Zeitschrift" I, S. 236 ff.

*) Die Preisaufgabe war von Beseler gestellt, dann von Franklin

in etwas anderer Form wiederholt worden.

14

I. Die allgemeinen Theorien über die Ursachen

indem er die Ansicht vertrat und in seinem Werke bewies, daß weniger eine Umwandlung der ungelehrten Gerichte in gelehrte als eine Heranziehung der Gelehrten zur Rechtsprechung außer­ halb und zur Seite der alten Gerichte stattgefunden habe. Er

behandelt zunächst eingehend das Rechtsstudium bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts. Weiter schildert er das Aufkommen

„vermittelnder Elemente", der Appellation, des schriftlichen Pro­ zesses und der Aktenversendung an Juristenfakultäten, durch welche, ohne daß sie die mittelalterliche Unterscheidung des Richters von dem urteilfindenden Gerichtsvolk antasteten, doch den Übergang

der Rechtsprechung auf die gelehrten Kreise anbahnten.

Das

eigentlich Neue in dem Stölzelschen Werk bildet aber die Dar­ stellung der teils formellen, namentlich jedoch faktischen Ver­

drängung der urteilfindenden Laien aus der Rechtsprechung.

Bei

einer Reihe von Stadtgerichten und landesherrlichen Hofgerichten

werden die Laien vollständig oder wenigstens zu einem erheb­ lichen Teil durch geschulte, d. h. römisch-rechtlich geschulte Juristen ersetzt. Im übrigen und vorzugsweise besteht nach Stölzel die Entwicklung darin, daß die (geschulten) Beamten an der Urteil­

findung neben den Laien Anteil erhalten und vor allem statt derselben vom Volke um die Gewährung von Recht angegangen

werden. Die lokalen Beamten wie die der zenttalen Stelle fungieren immer häufiger als Bergleichsinstanz, als Schieds­ gericht bzw. als delegierte Richter. Das Volk bringt ihnen mehr Vertrauen als dem alten „Gericht" entgegen. „Den meisten älteren deutschen Gerichten entzog das Volk selbst ihre Tätigkeit, indem es statt ihrer ohne äußeren Zwang mehr und mehr die rechtsgelehrten Beamten um Entscheidung seiner Rechtshändel

anging" (Bd. 1, S. 607). Der Austrag der Rechtshändel vor der Verwaltungsinstanz war wegen des rascheren und billigeren Verfahrens beliebter als der vor dem ordentlichen Gerichte. Die Laiengerichte mußten sich aber auch selber außerstande erklären, mit dem andringenden fiemden Rechte zu operieren, und ver­ wiesen deshalb die Parteien an die geschulten Juristen, d. h. an die Beamten der Obrigkeit (S. 241). — Wie man sieht, erörtert Stölzel nicht die ersten Ursachen der Rezeption. Er

^setzt vielmehr das Eindringen, sogar eine gewisse Herrschaft des.

der Rezeption deS Römischen Rechts in Deutschland.

15

Römischen Rechts bereits voraus und schildert nur die Vollendung seines Siegeszugs. Wenn er hervorhebt, daß die Laiengerichte mit dem fremden Recht nicht operieren konnten, so ist doch dafür die Voraussetzung, daß dessen Geltung schon anerkannt war.

Er schildert in dieser Beziehung nicht die Anfänge, sondern die

spätere Zeit der Rezeption.

Kurz deutet er seine allgemeine

Anschauung in folgenden Worten (©. 595 f.) an: „Mochte auch objektiv, wie niemand heutzutage leugnen wird, das deutsche Rechtswesen wegen seiner mangelhaften Durch- und Fortbildung

einer Belebung und Umgestaltung noch so sehr bedürfens, so

war es doch keineswegs die klare Erkenntnis dieses Bedürfnisses oder das bestimmte Verlangen nach wissenschaftlicher Schulung auf dem Gebiete der Rechtsprechung, was die juristischen Studien in Deutschland anregte, sondern es war die infolge des Huma­ nismus allgemein zur Modesache gewordene Sitte, auf möglichst viele Gebiete des praktischen Lebens die Gelehrsamkeit altklas­ sischer Zeit zu übertragen." Die Lücke, welche Stölzels Darstellung zurückläßt, bezeichnet Stintzing in einem dieser gewidmeten Aufsatze „zur Geschichte des Römischen Rechts in Deutschland", Histor. Ztschr. Bd. 29 (1873), S. 408 ff. scharf: „Es ist ihm gelungen, durch seine Forschungen die eine Seite der Rezeptionsgeschichte zum Ab­ schluß zu bringen und ihren Verlauf in die neueste Zeit hinein nachzuweisen. Die nächste Aufgabe... wird ... diese sein, zu ermitteln, wie und in welchem Maße die Umgestaltung der sozialen und nationalökonomischen Verhältnisse seit dem 15. Jahr­ hundert die Aufnahme des Römischen Rechts begünstigte und rechtfertigte, in neuester Zeit dagegen seine Anwendbarkeit und

Autorität vermindert und zurückgedrängt hat" (S. 433). Im übrigen zieht Stintzing aus Stölzels Darstellungen folgenden Schluß (S. 422): „Durch alle (von Stölzel geschilderten) Wand­ lungen hindurch geht ein und derselbe Trieb und Zug: es ist

das Ersterben der altgermanischen Autonomie vor der erstarkenden Staatsgewalt." Bemerkenswert ist ferner folgendes Urteil (S. 409): „Wenn man das Eindringen des Römischen Rechts *) Hiermit schließt Stölzel sich offenbar Stobbe an.

16

I. Die allgemeinen Theorien über die Ursachen

vom nationalen Gesichtspunkt aus glaubt beklagen zu müssen,

so pflegt man zu vergessen, daß der Sieg schwerlich dem Römi­ schen Rechte zugefallen wäre, wenn ihm wirklich ein einheitliches Deutsches Recht gegenüber gestanden hätte.* Die kurzen, eindrucksvollen Sätze, mit denen Gierke im

zweiten Bande seines „Deutschen Genossenschaftsrechts" S. 21 ff.

im Jahre 1873x) die Rezeption des Römischen Rechts charak­ terisiert, können als der klassische Ausdruck der Auffassung und

Stimmung des Germanisten gelten.

„Richt das Volk nahm

das Fremde auf und verlernte sein nationales Denken.

Ein

römisch geschulter Berufsstand vielmehr, dessen Vorstellungsweise

dem Volke ebenso fremd blieb wie ihm selber die fortlebende

Vorstellungsweise des Volkes, importierte die fremden Begriffe, eroberte langsam Gericht,

Gesetzgebung und Verwaltung und

zwang nach errungener Herrschaft das Leben, sich diesem buch­

gelehrten Begriffssystem zu fügen."

Schon in dem ersten, 1868

erschienenen Bande seines Werkes hatte Gierke in einzelnen Be­

merkungen (f. S. 647) diese Ansicht vertreten und die äußeren Einflüsse, die Bedeutung des politischen Moments (welche Arnold

eingehender geltend machte) betont.

In dem nachfolgenden dritten

Band, vom Jahre 1881, welcher eine umfassende Darstellung der Theorien des Verbandsrechts in der Rezeptionszeit enthält,

bot sich ihm beständig Gelegenheit, den Gegensatz römischer und

germanischer Gedanken darzulegen.

Freilich kam er hier auch

dazu, die Einwirkung germanischer Rechtsgedanken auf die Ge­

staltung der in

Deutschland zunächst rezipierten italienischen

Doktrin nachzuweisen.

„Die Rezeption

wurde nur

dadurch

möglich, daß nicht das Römische Recht, sondern die in langer

Arbeit den Zeitverhältnissen angepaßte italienische Doktrin Auf­ nahme fand.

Die italienische Doktrin aber war von mittel­

alterlich-germanischen Elementen durchsetzt. ?)

Sie konnte daher

*) Gierke hat, wenigstens bei der Ausarbeitung deS ersten Teiles

deS zweiten Bandes, EtölzelS Buch offenbar noch nicht gekannt.

DaS

Borwort GierkeS ist vom Januar 1873 datiert. ’) Über di« Frage, inwieweit die Ansicht Gierkes betreffs jener Ein­

wirkung germanischer RechtSgedanken zutrifft, vgl. RegelSberger, Pan­

dekten 1, S. 11.

der Rezeption des Römischen Rechts in Deutschland.

17

zu einer Zeit, in welcher die Anwendung des reinen Römischen

Rechts auf die deutschen Verhältnisse schlechthin undenkbar ge­ wesen wäre, langsam ein- und vordringen" (©. 646). Gierke

hebt jedoch hervor, daß „trotz ihrer mittelalterlich-germanischen Elemente diese Doktrin ein nach Form und Gehalt dem deutschen Geist fremdes Gedankensystem war. Denn ihre begrifflichen Grundlagen und ihre formulierten Regeln entstammten den römischen Rechtsquellen, und immer arbeiteten sich in ihr durch

alle Umdeutungen und Verhüllungen die römischen Gedanken

hindurch." In dem Aufsatz von R. Sohm, „Die Deutsche Rechtsent­ wicklung und die Kodifikationsfrage", in Grünhuts Zeitschrift Bd. 1 (1874) S. 245 ff. kommt wiederum die Stimmung des Germanisten, der die Vorzüge des Deutschen Rechts hervorhebt, und ferner der Einfluß der Forschungen Stölzels zum Ausdruck. „Es war in dem Zustand des Deutschen Rechts selber keines­

wegs ein Bedürfnis nach Rezeption gegeben." dem Gebiet des Obligattonenrechts mag das Deutsche Recht an feiner Aus­ führung der Rechtsgedanken dem Römischen Recht nicht gewachsen

sein. . . . Aber trotzdem ist das Deutsche Obligattonenrecht ein präzises, den Anforderungen des Verkehrs entsprechendes Recht gewesen." „Das mittelalterliche Deutsche Sachenrecht war dem Römischen Recht zweifellos bei weitem überlegen." „Wie wenig eine vermeintliche Unentwickeltheit des Deutschen Rechts Anlaß der Rezeption gewesen ist, vermag am unzweideutigsten die Re­ zeption des Italienischen Lehnrechts zu zeigen. Das Deutsche Lehnrecht stellt in dem Reichtum des Deutschen Sachenrechts den reichsten Teil dar. . . . Trotzdem es zweifellos ein voll entwickeltes, reiches, lückenloses Lehnrecht war, ist dennoch im 16. Jahrhundert das Italienische Lehnrecht rezipiert worden." „Erscheint insoweit die Rezeption des Römischen Rechts nur als nicht motiviert, so erscheint sie von anderer Seite geradezu als unmöglich und deshalb um so mehr befremdlich. Das Römische

Recht hat trotz seiner großartigen Entwicklung, welche es aus einem Stadtrecht zum Weltrecht des Römischen Kaiserrechts gemacht hatte, dennoch niemals aufgehört. Römisches Recht zu sein. . . . Das Römische Recht war zur Zeit der Rezeptton Hiltorische Bibliothek XIX.

2

18

L Die allgemeinen Theorien über die Ursachen

ein den noch in voller Blüte stehenden nationalen Anschaunngen direkt widersprechendes Recht.

Obgleich also das Deutsche

Recht eine Ergänzung durch das römische Recht nicht forderte, das Deutsche Recht

ferner

obgleich

den

Anschauungen

des

Römischen Rechts widerstrebte, ist das Römische Recht den­ noch rezipiert worden, und zwar rezipiert worden nicht durch einen Akt der Gesetzgebung, nicht durch äußere Gewalt, sondern durch die spontanx) und unwiderstehlich sich entwickelnde Macht

der Deutschen Rechtsüberzeugung." Dem im Mittelalter herrschen­ den Gedanken von dem Römischen Reich als dem noch fortbe-

stehenden Weltreich und dem Römischen Recht als dem deshalb noch fortdauernd gültigen Weltrecht „kann nur vorbereitende,

nicht eigentlich entscheidende Kraft beigemessen werden."

„Die

Erklärung des wunderbaren Vorgangs .... ist nur durch die Geschichte der Deutschen Gerichtsverfas­

sung möglich" (S. 250).

Der Grundsatz derselben ist,

daß

das Urteil nicht von dem Richter, sondern dem Gerichts voll gefunden

wird.

„Diese

Deutsche Gerichtsverfassung

war

im

15. Jahrhundert innerlich schon längst zum Untergang bestimmt. Das 13.2) kann

als die

letzte Zeit chrer vollen Lebens- und

Leistungsfähigkeit bezeichnet werden."

„In Italien, Frankreich,

England wird im 11. und 12. Jahrhundert das Volksgericht durch den königlichen Einzelrichter ersetzt,... im Wege der Praxis des Königsgerichtes."

Das Deutsche Königtum hat in dieser

Hinsicht seine Regierungsaufgabe vernachlässigt. Rechtsprechung

ist

volksgerichtliche

„Die Deutsche

Rechtsprechung

geblieben."

„Der Einzelrichter, den das Italienische, Französische, Englische Königsgericht in die Provinz entsendet, ist seinem Begriff nach, wenn nicht ein gelehrter, so doch ein gelernter Richter. An die

Stelle des Bolksgerichts, dessen Urteilssprüche Ausdruck des in«

stinktiven nationalen Rechtsgewissens sind, tritt der Einzelrichter

mit seinem durch

logische Arbeit

gewonnenen Wissen

vom Recht. In die gleiche Zeit mit dem Auftreten des Einzel­ richters fällt deshalb in den genannten Ländern die Ausbildung

*) Stötze» Theorie!

*) Bgl. Stobbes Anschauung, oben S. 10.

einer nationalen Jurisprudenz."x) „Jetzt erhellt die Bedeutung der Ohnmacht des Deutschen Königsgerichtes, die Bedeutung des Fortbestandes der alten Bolksgerichtsverfassung bis zum Ausgang des Mittelalters. Weil das Volksgericht das Gericht der Deutschen Gerichtsverfassung blieb, hat sich im Deutschen Mittelalter eine Deutsche Rechtswissenschaft nicht entwickelt. Das Bolksgericht will die ungelehrte Rechtsprechung, will die Gerichtsgemeinde als das lebendige Buch, aus welchem der Richter die Entscheidung über Recht und Unrecht zu schöpfen hat. Die natürliche, naive Reaktion des nattonalen RechtSgewissenS soll die einzige Quelle des Urteilsspruches bilden. Das Urteil soll aus einer Willenstättgkeit, nicht aus einer Verstandestättgkeit hervorgehen, uiib der Wille, welcher daS Urteil schafft, kann selbstverständlich nicht der Wille eines Ein­ zelnen, sondern nur der Wille der Gesamtheit sein. Das Bolks­ gericht ist der geborene Feind der Jurisprudenz. Weil das Deutsche Königsgericht das Bolksgericht nicht auflöste, weil eS dem urteilenden Richter den Weg nicht bahnte, hat es seine Aufgabe nicht gelöst: einer einheimischen Deutschen Rechtswissen­ schaft den Weg frei zu machen. Das mittelalterliche Deutsche Recht ist ein Recht ohne Rechtswissenschaft. Wenn wir von der einen Leistung des genialen Mannes Eike von Repkow absehen, welche zwar keine theoretische, aber eine juristische Leistung im eminenten Sinn ist, so haben wir aus der gesamten RechtsquellenLiteratur des Mittelalters nichts, was wir auch nur von ferne den gleichzeiügen Leistungen der italienischen, französischen, englischen Juristen an die Seite setzen können. Nichtsdestoweniger war das Deutsche Volksgericht dennoch zum Untergang und der gelehtte Einzelrichter zum Ersatz desselben bestimmt. Nur daß dieser Vor­ gang infolge der Ohnmacht des Deutschen Königsgerichts nicht zugunsten einer einheimischen, sondern zugunsten einer ftemden Rechtswissenschaft erfolgte" ( Sohm führt nun einige *) Sohm spricht hier (S. 251 f.) von dem anfänglichen Rebenein-

andrrbestehen der RechtSschnle de» deutschen (langobardischrn) Recht» z« Pavia (der RechtSschule der „Königsjuristen") und der

romanisttschen

RechtSschule zu Rom und Ravenna, bzw. der Glossatorenschule zu Bologna.

Darauf einzugehen ist für unsern Zweck nicht erforderlich.

20

I. Die allgemeinen Theorien über die Ursachen

besondere Umstände an, welche „das Deutsche Volksgericht seit den

Zeiten des Interregnums einem inneren Auflösungsprozeß" ent­ gegenführten.

So z. B. „schied auf dem platten Lande seit dem

14. Jahrhundert **) der gutsbesitzende Ritterstand, welcher zu den Zeiten des Eike von Repkow gerade als der eigentliche Träger

der alten volksgerichtlichen

Einrichtungen erscheint,

aus den

Centgerichten aus und erwarb einen privilegierten Gerichtsstand am Hofe des Landesherrn. Die BolkSgerichte verwandelten sich auf dem platten Lande in ausschließlich bäuerliche Gerichte, d. h. aus den Landgerichten waren Standesgerichte geworden." Ferner

schreibt Sohm der Herrschaft des Schöffengerichts eine sehr un­ günstige Wirkung zu. Er behauptet (S. 254) — mit Unrecht?)

—, daß in den bäuerlichen und städtischen Gerichten „im Aus­ gang des Mittelalters die Gerichtsbarkeit so gut wie ausschließ­ lich durch den Schultheiß mit seinen Schöffen ausgeübt" wurde.

„Das Schöffengericht, d. h. das Volksgericht in dieser seiner

Entartung, war selbstverständlich seinen Aufgaben nicht gewachsen. Ihm fehlt die stete Berührung mit der Gerichtsgemeinde?) und dadurch

Volkes. naiven

mit

dem

lebendigen Rechtsbewußtsein

Seine Rechtsprechung

zu

einer reflektierenden,

wird

des

unwillkürlich

gesamten

aus

einer

aus einer innerlich als not­

wendig empfundenen zu einer nach Gründen suchenden."

„Das

objettive Recht war den Anforderungen des Lebens zuwider, *) Tatsächlich schon erheblich früher! Jülich und Berg 1, Sinnt. 87.

Bgl. m. landstd. Vers, in

*) Bekanntlich gibt es Schöffen im wesentlichen nur im fränkischen und sächsischen Stammesgebiet, und selbst hier finden sie sich nicht einmal überall. — Ich berichtige sogleich an dieser Stelle einige unzutreffende Angaben, weil ich später nicht mehr Gelegenheit habe, auf sie einzugehen.

*) Diese Auffassung trifft, wenigstens allgemein, nicht zu. Denn sehr oft ist z. B. der Schöffendienst Reihendienst, d. h. die Schöffen rekrutieren sich dauernd auS der Gerichtsgemeinde. Auch auf andere Weise, etwa durch Wahl, findet eine solche Rekrutierung statt. Wir dürfen aber im Widerspruch gegen Sohm weitergehen und sogar behaupten, daß «in ständiges Schöffenttim ein geeignetes Organ für die Fortbildung des Rechts sein kann. Gerade der Umstand, daß es an der entscheidenden Stelle — am Königshof — im Mittelalter gefehlt hat, ist für Deutsch­ land verhängnisvoll gewesen.

der Rezeption des Römischen Recht- in Deutschland.

aber außerstande, seinen Inhalt umzubilden.

21

Das Schöffen-

recht war ein unproduktives Recht, das Schöffengericht, weil re­

flektierend, ein unproduktives Gericht. Ein reflektierendes Schöffengericht, ein Schöffenurteil mit Gründen ist ein Wider­

spruch in sich selbst." „Die Unfähigkeit der Schöffengerichte hat die Rezeption zur notwendigen Folge gehabt."

Die Theorie

Stölzels noch steigernd, behauptet Sohm (S. 256): Die alten Schöffengerichte „sind durch die Parteien selber, durch die spon­ tane Bewegung des Deutschen Rechtslebens, ihrer Rechtsprechung entkleidet und faktisch abgesetzt worden. Ganz regelmäßig,

wie auf Grund einer stillschweigenden Verabredung, ziehen die

Parteien seit dem 16. Jahrhundert es vor, ihren Prozeß in erster Instanz, statt an das Schöffenkollegium, durch Kompromiß an den Amtmann, d. h. an den höchsten lokalen Verwaltungs­

beamten des Landesherrn, zu bringen. Statt des Schöffenkol­ legiums ist ein Einzelrichter gewollt. . . . Das Deutsche Volk wollte die Schöffengerichte, d. h. es wollte die ungelehrten Gerichte nicht mehr. Es wollte den Einzelrichter, weil es den gelehrten Richter wollte. . . . Die Kraft der naiven Recht­ sprechung war gebrochen und die Zeit der Rechtswissenschaft heraufgekommen. . . . Weil wir der ftemden Rechtswissenschaft bedurften, haben wir das ftcmde Recht rezipiert. Aus diesen Motiven der Rezeption ergeben sich ihre Wirkungen. Richt das Corpus iuris Justinians ist rezipiert worden, sondern das Recht der Italienischen Rechtswissenschaft des 15. Jahrhunderts, nicht die Pandekten, sondern der usus modernus paridectarum der italienischen Juristen." „Weil das Deutsche Rxcht von sich aus weder zu einer Rechtswissenschaft noch auch zu einem gemeinen Recht gelangt ist, hat die Ausbildung eines wissenschaftlichen einheitlichen Deutschen Rechts auf Kosten des Deutschen Recht­

erfolgen müssen"

(@. 261).

Indem Sohm konstatiert, daß

jener Mangel die Rezeption notwendig gemacht habe, gelangt

er auf diesem Wege doch wieder im wesentlichen zu der von ihm anfänglich, wie es schien, bekämpften Anschauung Stobbes

von der Minderwertigkeit des Deutschen Rechts im ausgehenden Mittelalter. Im großen und ganzen siegt nach ihm das Römische Recht da, wo es dem Deutschen „geistig überlegen" ist (S. 263),

22

I. Die allgemeinen Theorien über die Ursachen

während das deutsche da erhalten bleibt, wo es seine „Stärke" hat (©. 264). Die Schrift von W. Moddermann, „Die Rezeption des Römischen Rechts", autorisierte Übersetzung (aus dem Hollän­ dischen) mit Zusätzen herausgegeben von Karl Schulz (1875),

hat ihren Wert hauptsächlich durch die Zusammenfassung der bisherigen Literatur, besonders auch durch die Heranziehung der holländischen.

Im wesentlichen schließt der Verfasser sich, ob­

wohl er auf alle Ansichten Rücksicht nimmt, an die Savigny«

Stobbesche Theorie an.

„Den letzten und tiefsten Grund der

Rezeption muß man in den Bedürfnissen des gesellschaftlichen

Lebens und in dem mangelhaften Zustand des einheimischen Recht­

suchen" (S. 61; vgl. auch S. 26). Demgemäß tadelt Modder­ mann Schmidt, weil er dies leugne, und schildert die neuen Be­ dürfnisse des gesellschaftlichen Lebens mit Behagen, unter Hin­

weis auf die Erfindung des Schießpulvers, „den Untergang der

entarteten Ritterschaft" x), „die beständige Berührung und Ver­ schmelzung des Adels mit reichen und ansehnlichen Geschlechtern bürgerlicher Abkunft"2), die Erfindung des Kompasses, die Ent­

deckung

von Amerika usw.

„Der

blühende Handel der an

Macht und Ansehen stetig zunehmenden Städte verlangte neue, feste Regeln für Obligationenrecht und den Realkredit und eine

möglichst große Freiheit der Verfügung sowohl unter Lebenden als für den Fall des TodeS; für alle diese Fälle fand man die

Regeln, im Corpus iuris bereit" (S. 64). Interessant ist es nun, daß der Übersetzer, K. Schulz, durch Sohm beeinflußt, Stobbe und Moddermann widerspricht: „Die .gesellschaftlichen Bedürf­ nisse' scheinen mir, zum Teil wenigstens, ein Ergebnis hinter dem

eigentlichen Anstoß

hergehender Reflexion zu sein ...

Ich

möchte sie doch mehr als Begleiter der Rezeption auffassen, *) Über die beliebte Formel von dem „Untergang" oder dem „Ver­ fall" der Ritterschaft, bzw. deS Adels f. m. Bemerkungen in den „Jahr­

büchern für Nattonalökonomie" 76, S. 37 f. *) Man hat bekanntlich diese Zeit oft in ganz entgegengesetztem Sinne charakterisiert. Schüffle z. B. sagt: „Die kastenhaft« Abschließung der Stünde beginnt erst mit dem Zerfall deS Mittelalter» oder vielmehr

dieser durch jene."

der Rezeption bei Römischen Rechts in Deutschland.

welche dann allerdings die Rezepüon beschleunigen. hat

der Schöffe,

der Vertreter

kaum anerkannt."

dürfnis

JedenfallS

des alten Zustands,

das Be­

Er erklärt sich gegen den gar zu

ungerechten Maßstab,

mit dem man

messe (©. 70 A. 1).

Gegen Stobbe bemerkt er (S. 71 A. 1):

das Deutsche Recht

oft

„Ein wirklicher Stillstand des Deuffchen Rechts dürste vor der Rezepüon, so daß jener ein Motiv für den Beginn dieser hätte

abgeben können, doch wohl nicht anzunehmen sein."

Gedanken

von Stölzel und Sohm verwertend, aber selbständig fortbildend gelangt er dazu, die Hauptursache der Rezeption in politischen

Verhältnissen

zu

sehen

(©. 68, Anm. 1), in anderer Weise

übrigens als Arnold (s. vorhin S. 12).

Seine Anschauung ist

nachher von Laband schärfer formuliert worden.

Die Schrift „Deutschrechtliche Arbeiten" von K. A. v. Duhn (1877)

laßt,

ist durch eine praktische Frage der Gegenwart veran­

enthält

aber überwiegend

historische Ausführungen und

interessiert uns insbesondere in ihrem zweiten Teil: „Zur Ge­

schichte der Rezeption des Römischen Rechts in Lübeck und Ham­ burg" (S. 57 ff.).

Gegenüber

Stobbes Darstellung von dem

Bedürfnis gerade der Städte nach der Rezeption (s. oben S. 5)

macht er

Verhältnis

geltend:

„Wäre das in diesen Worten angedeutete

zwischen der Rezepüon des römischen Rechts und

dem Aufblühen des städtischen Handelsverkehrs in der Natur der Sache mit innerer Notwendigkeit begründet, so könnte nicht in

Lübeck

das Verhältnis ein völlig

umgekehrtes fein."1)

Die

Blüte des lübischen Handels fällt in das Mittelalter, vom 13. bis

zum 16. Jahrhundert,

hunderten

geringer ist.

In

während er in den neueren Jahr­ jener Zeit der Blüte nahm die

Stadt mehrfach des fremden Rechts kundige Jurfften in ihren Dienst, gestattete aber dem Inhalt desselben nur sehr vereinzelt

und

nur

in

unbedeutendem Maße

einen

Einfluß

auf

den

*) Auch Stobbe (Rechtsquellen 1, S. 646 ; 2, S. 4 ff. und S. 68

Anm. 21) war schon der größere Widerstand, den daS sächsisch« Rechts­ gebiet dem Römischen Recht leistete, nicht unbekannt geblieben. Aber zu

rechter Würdigung gelangt« diese Tatsache (besonders im Hinblick auf

die Städte) doch erst seit DuhnS Arbeit.

I. Die allgemeinen Theorien über die Ursachen

24

heimischen Verkehrs. „Trotz größter Lebhaftigkeit des städtischen Handelsverkehrs bedurfte man des fremden Rechts zu dessen rechtlicher Regelung nicht" (S. 74). Für Lübeck ist die Recht­ sprechung des Reichskammergerichts (für welche früh das Römische Recht maßgebend wurde) als Quelle der Rezeption anzusehen, und in die Rechtsgebiete, auf die sich dessen Einfluß nicht er­ streckte, drang das fremde Recht auch nicht ein. Das letztere gilt für Hamburg ebenso wie für Lübeck. In anderer Beziehung stellten sich die beiden Städte zum Römischen Recht verschieden. Während Hamburg sich ihm zugänglicher zeigte, erließ Lübeck im Jahre 1555 an das Reichskammergericht einen Protests, weil an diesem gegen das Stadtrecht nach kaiserlichen geschriebenen Rechten geurteilt würde. Das revidierte Lübecker Stadtrecht von 1586 gönnt dem Römischen Recht nur geringen Einfluß.8) Stintzing schließt sich in seiner „Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft" (1. Bd.,1880), soweit er darin die Ursachen der Rezeption schildert, in der Hauptsache Stobbe und Stölzel an. „Die Überlegenheit, welche durch dieses Produkt juristischer Technik (die Römischen Aktionen) dem Römischen Rechte ge­ geben ward, mußte dem deutschen Praktiker unmittelbar ent­ gegentreten" (S. 43). „Die Lebenskraft des Schöffentums ver­ siegte. Der schöpferische Teil pflegt in allen Gebieten schnell zu erlöschen, sobald er einmal Muster vorfindet, durch deren *) ES sei hier angemerkt, daß nicht alles, waS Dühn anführt, be­

weiskräftig

ist.

Wenn er z. B. die Klagen, daß die-Städte von den

kaiserlichen Gerichten wider die Stadtrecht« beschwert würden, heranzieht

(S- 74 oben), so braucht eS sich hier gar nicht um den Gegensatz deS

Römischen und Deutschen Rechts zu handeln.

Bgl. m. LandtagSakten

von Jülich und Bxrg 1, ©. 120 ff. *) Angeführt in Krauts Grundriß zu Vorlesungen über daS Deutsche

Privatrecht, 6. Ausl., S. 64 Nr. 28. a) Vgl. über das lübische Stadtrecht von 1586 außer der Arbeit

von Duhn auch Bühlau, Mecklenburgisches Landrecht 1, S. 146 ff. und neuerdings Joh. Chr. Schwartz, „Vierhundert Jahre deutscher Zivil-

prozeßgefetzgebung" (Berlin 1898), S. 307 ff.

Ich knüpfe sogleich hier

den Hinweis auf «ine jüngere Arbeit über eine andere Hansestadt an.

Kühtmann, „Die Romanisierung deS ZivilprozeffeS in der Stadt Bremen", 36. Heft von GierkeS Untersuchungen (1891), legt dar, daß Bremen be­

treffs der Rezeption eine Mittelstellung zwischen Lübeck und Hamburg

der Rezeptton des Römischen Rechts in Deutschland.

Nachahmung

er seine Bedürfnisse decken kann:

25

und mit ihm

erstarb auch die Kraft, welche zum Wesen des Schöffentüms ge­

hört.

Die deutschen Rechtsaufzeichnungen waren zu solcher Be­

deutung

daß selbst den Schöffen eine gewisse Buch­

gelangt,

gelehrsamkeit zugemutet werden

mußte; daneben standen die

fremden Rechte, aus denen man sich Rats erholen konnte. Und anderseits stellten die weiter entwickelten Lebensverhältnisse dem Urteiler Aufgaben,

durch

deren Bewältigung dem Schöffentum nur

gesteigerte Kraft der Produktion möglich gewesen wäre.

Allein nach dem natürlichen Lauf der Dinge war es hier an die Grenze seiner geschichtlichen Aufgabe gelangt.

nun

einmal so,

Denn es ist

daß eine fortgeschrittene Kultur komplizierte

Lebensverhältnisse in sich trägt, zu deren rechtlicher Auffassung,

Ergründung und Beurteilung das Wissen und Meinen des un­ geschulten Denkens nicht ausreicht; Fragen hervorbringt,

die

das subjektive Rechtsgefühl gar nicht oder nur in einseitiger Be­ fangenheit zu beantwotten weiß."

(S. 47.)

Bei den Schöffen

„tritt int 15. Jahrhundert die Unfähigkeit zutage, den wirtschaft­

lichen Bedürfnissen der aufstrebenden Entwicklung zu genügen." (S. 47.)

Von dem durch v. Duhn für Lübeck erbrachten Nach­

weis erklärt Stintzing, daß er sich nur auf einen „einzelnen"

Ort beziehe. wie Stölzel

Die Aufnahme der stemden Rechte ist ihm ebenso

„zum

guten Teil eine spontane" (©. 48).

Parteien wenden den Schöffen den Rücken (S. 53).

Die

Den Ge­

danken, daß im Laufe der Zeit das ungeschulte Denken in der Rechtsprechung nicht mehr

ausreicht,

führt er in folgender

einnimmt. Als 1606 eine Stadtrechtsreformation, welche das Römische Recht, übrigen- in sehr schonender Weise, zur Geltung zu bringen suchte, unternommen wurde, „lehnte die Bürgerschaft die Vorlage ab und be­ schloß bei dem alten Rechte zu bleiben, war ihr aber wenig half. Die Über­

zeugung der Juristen von der subsidiären Verbindlichkeit und in complexu

Rezeption des Römischen Rechts war durch die Universitätslehrer eine so allgemeine geworden, daß der Rat, nachdem der Weg der Gesetzgebung sich als nicht gangbar erwiesen, dasselbe als auf dem Wege des Gewohnheits­

rechts rezipiert ansah."

Für das Mittelalter zeigt Kühtmann, wie der Rat

„gar manche Fortbildung zum Ausdruck brachte, ohne römisch-kanonischeProzeßrecht zu kennen oder zu berücksichtigen" (®. 6).

die Rezeptton sieht er in äußeren Einflüssen.

Die Gründe für

I. Die allgemeinen Theorien über dir Ursachen

26

Formulierung weiter aus (S. 50): „An die Stelle des nach sub­ jektiver Überzeugung gefundenen Rechts tritt die formale Auto­ rität

des

Dieser Prozeß wiederholt sich

geschriebenen Rechts.

analog in der Rechtsentwicklung aller Völker und ruft überall dieselben teils berechtigten teils unberechtigten Klagen hervor."

Auch auf das politische Moment weist Süntzing hin, einmal im

Sinne Arnolds, jedoch mit schwächerer Betonung dieses Gesichts­ punktes (S. 57 f.), sodann mit der Erinnerung, daß die tech­

nische Vollendung des Römischen Rechts mit der politischen Ein­

heit, die die römische Nation gehabt hat, zusammenhängt (S. 41). In seinem Aufsatz „Fränkisches Recht und Römisches Recht",

in der

„Zeitschrift der Savigny-Stistung für Rechtsgeschichte",

German. Abt. Bd. 1 (1880), (S. 1 ff. **) wiederholt Sohrn seine Ansicht, daß „der Zustand der Deutschen Gerichtsverfassung und

des Deutschen Prozeßrechts der eigentliche Grund" der Rezep­ „Die Rezeption war ein großartiges

tion gewesen ist (S. 76).

Mißtrauensvotum, welche- die Deutsche Nation den bestehenden

Sie erfolgte auf

Gerichten und chrem Rechtsgang ausstellte."

der einen Seite durch die wissenschaftliche, auf der andern durch die populäre Bewegung (in der von Stölzel geschilderten Weise). Sohm erläutert diese beiden Seiten der Rezeption durch einen Vergleich der ftanzösischen und der deuffchen Geschichte.

Frankreich

sehen

wir unter

Donellus eine Renaissance uns. . . .

Deutschland

der Führung reinen

des

hat,

„In

von Cujacius und

Römischen Rechts

trotz der Verdienste

vor

des Ulrich

Zasius, in derselben Zeit keinen einzigen Juristen, welcher an

dauernder wissenschaftlicher Bedeutung mit Cujacius oder Donellus sich vergleichen könnte" (S. 75).

„In Frankreich, dem Lande

des Cujacius und Donell, blieb das Römische Recht ohne tief-

greifende Wirkung,

während

in Deuffchland,

dem Land

der

Halbgelehrten und handwerksmäßigen Juristen^), das Römische *) Die dem Jahre 1880 angehörenden Arbeiten von Stintzing,

Sohm und Laband (s. unten) stehen ohne Zweifel unabhängig nebenein­ ander; bei keiner ist eine Benutzung einer anderen anzunehmen. *) Sohm beruft sich hier auf Stintzing» „Geschichte der populären Literatur de» Römisch-kanonischen Recht» in Deutschland" (1867). Bgl.

dazu meine weiter unten gegebenen Ausführungen.

der Rezeption des Römischen Recht- in Deutschland.

27

Recht rezipiert wurde" (