Der Inquisitionsprozess im Laienspiegel des Ulrich Tengler: Rezeption des gelehrten Rechts in der städtischen Rechtspraxis 9783412216290, 9783412206338


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Der Inquisitionsprozess im Laienspiegel des Ulrich Tengler: Rezeption des gelehrten Rechts in der städtischen Rechtspraxis
 9783412216290, 9783412206338

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Forschungen zur deutschen rechtsgeschichte Herausgegeben von Karin Nehlsen-von Stryk, Jan Schröder und Dietmar Willoweit 27. Band

Gianna Burret

Der Inquisitionsprozess im Laienspiegel des Ulrich Tengler Rezeption des gelehrten Rechts in der städtischen Rechtspraxis

2010 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20633-8

Vorwort

Die vorliegende Schrift wurde im Sommersemester 2009 von der Juristischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Frühjahr 2009 abgeschlossen. Mein besonderer Dank gilt Frau Professorin Dr. Karin Nehlsen-von Stryk, die diese Arbeit als Doktormutter begleitet und auf vielfache Weise zu ihrem Gelingen beigetragen hat. Ihr verdanke ich das notwendige Rüstzeug für ein wissenschaftliches Arbeiten im Bereich der Rechtsgeschichte. Die Möglichkeit, eigenständig und frei forschen zu können, war eine unschätzbare Erfahrung. Die Unterstützung durch wertvolle Gespräche und Ratschläge gab mir wichtige Anregungen und die Sicherheit, auf dem richtigen Weg zu sein. Danken möchte ich weiterhin Herrn Professor Dr. Bernd Kannowski und Herrn Professor Dr. Wolfgang Kaiser dafür, dass ihre Türen mir jederzeit offen standen und sie stets bereit waren, Probleme gemeinsam zu durchdenken und mir die von Zeit zu Zeit notwendige Ermutigung zuzusprechen. Herrn Professor Dr. Bernd Kannowski danke ich darüber hinaus für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens. Neben den bereits Genannten verdanke ich die schöne Dissertations- und Assistentenzeit am Institut für Rechtsgeschichte nicht zuletzt meinen lieben Kollegen Werner Amelsberg, Denis Keil, Sven Tjarks, Nils Wurch und Maike Huneke und natürlich der guten Seele des Instituts, Frau Kornelia Blum. Schließlich danke ich Herrn Dr. Andreas Deutsch, dem Leiter der Forschungsstelle Deutsches Rechtswörterbuch der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, für die Einladung zur Tagung „500 Jahre Tenglers ‚Laienspiegel‘ (1509)“, die die Akademie im März 2009 veranstaltete. Es war eine großartige Erfahrung, dort über mein Dissertationsthema sprechen zu dürfen. Zu Dank verpflichtet bin ich ferner den Herausgebern Professorin Dr. Karin Nehlsen-von Stryk, Professor Dr. Dr. h.c. Jan Schröder und Professor Dr. Dietmar Willoweit für die Aufnahme dieser Arbeit in die vorliegende Reihe. Dem Förderungs- und Beihilfefonds der Verwertungsgesellschaft WORT danke ich für die großzügige Übernahme der Druckkosten.

Für ihre Unterstützung in jeder Hinsicht danke ich meinen lieben Eltern, meiner Großmutter und meinem unvergessenen Großvater, mit dem ich den Abschluss dieser Arbeit so gerne noch gefeiert hätte, und schließlich dem Menschen, der alle Höhen und Tiefen der Promotionszeit mit mir durchlebt hat. Ihm, meinem über alles geliebten Mann, sei diese Arbeit gewidmet. Freiburg, im Mai 2010 Gianna Burret

Inhalt

A. Einleitung I. DER UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND.................................................................... 1 1. Der Laienspiegel.......................................................................................................... 1 a. Der Verfasser Ulrich Tengler................................................................................ 4 Stadtschreiber von Nördlingen/ Kastner von Heidenheim/ Landvogt von Höchstädt/ Ulrich Tengler und die Gelehrten

b. Das Werk: Konzeption, Inhalt und Bedeutung .............................................. 11 2. Der Klagspiegel als Vergleichswerk ....................................................................... 17 3. Der Inquisitionsprozess ........................................................................................... 20 a. Kennzeichen, Wurzeln und Entwicklung ......................................................... 20 b. Die Darstellung des Inquisitionsprozesses im Laienspiegel .......................... 31 4. Die Quellen des Laienspiegels zum Inquisitionsprozess ................................... 34 a. Die allegierten Quellen des Laienspiegels ......................................................... 34 Die Sammlungen des römischen und des kanonischen Rechts (Corpus Iuris Civilis; Corpus Iuris Canonici)/ Die Schriften der gelehrten Juristen (Guilelmus Durantis, Speculum Iudiciale – Bartolus de Saxoferrato, Commentaria zum Corpus Iuris Civilis und die Traktate Super Constitutione „Ad reprimendum“ und Super Constitutione „Qui sint rebelles“ – Baldus de Ubaldis, Commentaria zum Corpus Iuris Civilis – Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis – Weitere zitierte Juristen)

b. Weitere Vorlagen des Laienspiegels .................................................................. 41 Albertus Gandinus, Tractatus de maleficiis/ Die Wormser Reformation (1498)/ Die Bamberger Halsgerichtsordnung („Bambergensis“, 1507).

II. FRAGESTELLUNG UND METHODIK ...................................................................... 46

Inhalt

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B. Hauptteil I. ZULÄSSIGKEIT UND ABLAUF DES INQUISITIONSVERFAHRENS NACH DEM LAIENSPIEGEL ...................................................................................... 48 1. Rechtfertigung des Offizialprinzips ....................................................................... 48 a. Tenglers Appell an die Richter ........................................................................... 48 b. Der kanonistische und der legistische Ansatz zur Rechtfertigung der Offizialmaxime............................................................ 50 c. Die Übernahme des legistischen Ansatzes im Laienspiegel .......................... 51 d. Die deliktsspezifische Beschränkung des Inquisitionsverfahrens und ihre Durchbrechung .................................... 53 2. Das Inquisitionsverfahren als Mittel zur Durchsetzung des Landfriedens ...................................................................... 57 a. Die gemeinrechtlichen Parallelen des Verfahrens gegen die landschädlichen Leute ........................................... 59 Die landschädlichen Leute als abgrenzbare Personengruppe/ Die mali homines bei Ulpian und Paulus/ Die mali homines bei den italienischen Juristen/ Das Vorgehen gegen die landschädlichen Leute nach römischem und gemeinem Recht und nach den deutschen Landfrieden (Inquisitio generalis und Landfrage – Das Verfahren gegen die landschädlichen Leute).

b. Landschädliche Leute und Landfriedensbrecher zu Tenglers Zeit ................................................................................................... 69 c. Zusammenfassung ................................................................................................ 73 3. Die verfahrenseinleitende Anzeige im Laienspiegel ............................................ 73 a. Forschungsstand ................................................................................................... 74 b. Die Darstellung der Denunziation als eigenständige Verfahrensart ......................................................................... 80 Die Darstellung der denunciatio evangelica im Laienspiegel/ Die Verknüpfung der denunciatio evangelica mit dem Inquisitionsverfahren/ Die Darstellung der denunciatio iudicialis privata im Laienspiegel

c. Die Darstellung der Denunziation als Einleitungsmodus des Inquisitionsverfahrens........................................... 86 Die Anzeige eines Privaten (denunciatio canonica)/ Die Anzeige durch Amtsleute (denunciatio iudicialis publica)

d. Zusammenfassung................................................................................................ 97

Inhalt

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4. Zum Ablauf des Inquisitionsverfahrens................................................................ 97 a. Die zwei Abschnitte des Ermittlungsverfahrens ............................................. 98 Vor- und Hauptverfahren im Laienspiegel/ Vor- und Hauptverfahren im Klagspiegel/ Bewertung/ Die Entwicklung des Inquisitionsverfahrens im gemeinen Recht (Die ursprüngliche Bedeutung von inquisitio generalis und inquisitio specialis im kirchlichen Recht; Die ursprüngliche Bedeutung von Vor- und Hauptverfahren im kirchlichen Recht; Die Entwicklung des Vorverfahrens bei den italienischen Juristen)

b. Das Vorverfahren ............................................................................................... 124 Laienspiegel (Der Ortstermin; Die Zeugenvernehmung)/ Klagspiegel/ Bewertung

c. Das Hauptverfahren ........................................................................................... 135 Laienspiegel/ Klagspiegel/ Bewertung

II. DIE FOLTER IM LAIENSPIEGEL............................................................................ 139 1. Voraussetzungen der Folter .................................................................................. 142 a. Person des Verdächtigen ................................................................................... 143 Absolute Folterverbote (Vorübergehende Immunität der schwangeren Frauen; Die Frage der Immunität angesehener Personen)/ Relative Folterverbote und Beschränkung auf leichtere Folter (Das Kriterium der Erfolgsaussichten der Folter; Alter und körperliche Verfassung)

b. Schwere der Tat .................................................................................................. 152 c. Ultima ratio-Regel ............................................................................................... 153 d. Gefangennahme des Verdächtigen als formale Voraussetzung? .............................................................................. 154 e. Verdacht ............................................................................................................... 156 Corpus delicti-Erfordernis/ Indizienlehre (Begrifflichkeit; Beispiele anstelle abstrakter Regelung; Die Indizien im Einzelnen; Verdacht bei Handhaftigkeit und Notorietät; Beweis der Indizien durch Zeugen)

2. Durchführung der Folter ....................................................................................... 177 a. Maß der Folter ..................................................................................................... 177 b. Verhalten des Inquisiten bei der Aussage....................................................... 178 c. Dauer, Fortsetzung und Wiederholung der Folter........................................ 179 d. Fragen an den Gefolterten ................................................................................ 181

Inhalt

X

3. Absicherung des erfolterten Geständnisses........................................................ 182 a. Ratifizierung ......................................................................................................... 182 b. Verifizierung ........................................................................................................ 187 4. Zusammenfassung .................................................................................................... 194

III. DIE NOTORIETÄTSLEHRE IM LAIENSPIEGEL .................................................. 195 1. Forschungsstand ..................................................................................................... 197 a. Wurzeln und Entwicklung der Notorietätslehre im kanonischen Recht und in der Kanonistik ............................................... 197 b. Die Bedeutung der Notorietätslehre für den Strafprozess .......................... 200 2. Die Darstellung der Notorietätslehre im Laienspiegel ..................................... 202 a. Die notorietätsbegründenden Umstände ........................................................ 202 vermutenlich kundt – Notorietät kraft gesetzlicher Vermutung/ rechtlichen kundt – Notorietät kraft Geständnis oder Urteil. geystlich kundt – Notorietät aufgrund tatsächlicher Offensichtlichkeit

b. Prozessuale Konsequenzen der Notorietät .................................................... 211 Völlige Entbindung vom ordo iudiciarius?/ Entbehrlichkeit der mala fama/ Der Notorietätsbeweis/ Festhalten am Erfordernis des Geständnisses

c. Exkurs: Notorietät und strenge Beweislehre.................................................. 219 d. Tenglers Abkehr vom strengen Notorietätsbegriff – Handhafte Tat, Fehde und amtliche Rüge ................................................. 222 3. Abgrenzung der Notorietät von geringeren Gewissheitsgraden..................... 226 a. Beweisbare und nicht beweisbare Taten ......................................................... 227 b. Beweiswert des schlechten Leumunds und des „Geredes“......................... 229 4. Ergebnis .................................................................................................................... 234

Inhalt

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IV. ACHT UND SUMMARISCHER INQUISITIONSPROZESS IM LAIENSPIEGEL ................................................................................................... 235 1. Die Constitutiones Pisanae Heinrichs VII. und ihre Bedeutung für die gemeinrechtliche Lehre ............................................................................. 237 2. Die Constitutio Ad reprimendum und ihre Wiedergabe im Laienspiegel .................................................................. 238 3. Die Declaratio Qui sint rebelles und ihre Wiedergabe im Laienspiegel .................................................................. 242 4. Die Bedeutung der Constitutiones Pisanae im Laienspiegel ................................. 244 a. Anwendungsbereich von Achtverfahren und summarischem Prozess ............................................................................. 245 Constitutiones Pisanae und gemeinrechtliche Lehre/ Laienspiegel

b. Die Declaratio Qui sint rebelles und das Achtverfahren der spätmittelalterlichen Landfrieden ............................................................. 248 Funktion und Konsequenzen der Acht/ Ipso iure-Acht/ Verkündung in die Acht

c. Die Constitutio Ad reprimendum und das Verfahren vor dem städtischen Einungsgericht............................................................... 254 Einung/ Funktion der Einung/ Verfahren vor der Einung/ Bedeutung der Constitutio Ad reprimendum

d. Die Constitutio Ad reprimendum und der summarische Inquisitionsprozess gegen Landfriedensbrecher........................................... 259 Gemeinrechtliche Grundlage des summarischen Inquisitionsprozesses gegen Landfriedensbrecher/ Besonderheiten des summarischen Inquisitionsprozesses gegen Landfriedensbrecher

5. Zusammenfassung .................................................................................................. 263

Inhalt

XII

V. DIE URTEILSVORAUSSETZUNGEN ...................................................................... 265 1. Doppelte Urteilsgrundlage .................................................................................... 265 2. „Wissentliche Tat“ .................................................................................................. 266 3. Geständnis................................................................................................................ 266 a. Besondere Bedeutung des Geständnisses im gelehrten Inquisitionsprozess ..................................................................... 270 b. Besondere Bedeutung des Geständnisses im Laienspiegel.......................... 275 4. Zusammenfassung .................................................................................................... 282

VI. DER REINIGUNGSEID ALS HILFSWEISER VERFAHRENSABSCHLUSS ............. 284 1. Voraussetzungen des Reinigungsverfahrens ...................................................... 286 2. Ablauf des Reinigungsverfahrens und Wirkung des Reinigungseides ...................................................................... 289 3. Ergebnis .................................................................................................................... 294

VII. DER ENDLICHE RECHTSTAG IM LAIENSPIEGEL............................................. 296 1. Formale Ordnung des endlichen Rechtstages.................................................... 298 2. Präsentation des Geständnisses ............................................................................ 302 3. Urteilsfindung und Urteilsverkündung................................................................ 303 4. Schließung des endlichen Rechtstags................................................................... 305 5. Zusammenfassung und Bewertung...................................................................... 306

Inhalt

XIII

C. Schlussbetrachtung I. DER RECHTSPOLITISCHE AUFTRAG DES LAIENSPIEGELS .............................. 308 1. Die Legitimation der einheimischen Praxis ........................................................ 309 a. Offizialmaxime .................................................................................................... 309 b. Acht und kurzer Prozess gegen Landfriedensbrecher ................................. 310 c. Verfahren der Städte gegen die landschädlichen Leute und sonstige Landfriedensbrecher .................................................................. 314 d. Verfahren vor der Einung ................................................................................. 317 2. Das gelehrte Recht als Motor der Rechtsfortbildung ....................................... 320 a. Aufklärung der Tat ............................................................................................. 320 b. Rechtliche Regelung der Folter ........................................................................ 322 3. Bewertung vor dem Hintergrund des Forschungsstandes ............................... 322

II. KLAGSPIEGEL UND LAIENSPIEGEL ODER DIE ENTWICKLUNG VOM KANONISCHEN ZUM GEMEINRECHTLICHEN INQUISITIONSPROZESS ............................................. 325

1. Veränderungen des Inquisitionsprozesses durch die italienische Jurisprudenz ...................................................................... 326 2. Veränderungen des Inquisitionsprozesses durch die Aufnahme in die deutsche Rechtspraxis ........................................... 330

III. ABSCHLIEßENDE BEWERTUNG ........................................................................... 332

D. ANHANG I. SYNOPSE DER ZITIERTEN TITEL IN DEN LAIENSPIEGELAUSGABEN STRAßBURG 1536 UND AUGSBURG 1511 ............................................................ 339 II. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ................................................................................. 345

Inhalt

XIV

III. QUELLEN UND LITERATUR ................................................................................. 348 1. Quellenverzeichnis.................................................................................................. 348 2. Literaturverzeichnis ................................................................................................ 352 a. Lexika und Sammelwerke .................................................................................. 352 b. Aufsätze und Monographien ............................................................................ 353 IV. REGISTER ................................................................................................................ 368 1. Personen- und Quellenverzeichnis ...................................................................... 368 2. Stichwortverzeichnis ............................................................................................. 372

A. Einleitung

I. Der Untersuchungsgegenstand

1. Der Laienspiegel

Überschwänglich lobt der Humanistenjurist Sebastian Brant die newgeborn frücht, den Leyenspiegel genent. Als dessen Herausgeber1 leitet Sebastian Brant den Laienspiegel mit einer Vorrede ein. Er stellt darin das Rechtsbuch seines Freundes Ulrich Tengler, des Landvogtes von Höchstädt2, in eine Reihe mit der Entdeckung des Buchdrucks und der Neuen Welt, Tengler habe durch mittel des tieffen und grundlosen möres der rechte, sich gewaget3. Diese Begeisterungsstürme Sebastian Brants sind heute genau 500 Jahre her. Im Jahre 1509 erscheint in Augsburg die erste Ausgabe des „Layenspiegel. Von rechtmässigen ordnungen inn Burgerlichenn und Peinlichen Regimenten“4, es folgen zwei Nachdrucke in Straßburg 1510 und 15115. Der Laienspiegel entsteht damit in einer – auch rechtshistorisch – bewegten Zeit6. Das Rechtsverständnis befindet sich im Umbruch; Tradition und

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Stintzing, Populäre Literatur, S. 427; ferner Kaspers, Vom Sachsenspiegel zum Code Napoléon, S. 123. Nach Ansicht Stobbes hingegen gibt Brant erst die späteren Straßburger Ausgaben heraus, Rechtsquellen II, S. 171. Laienspiegel, Vorreden, Doctor Sebastiani Brand Vorreden in disen Leyenspiegel: (...) mein besonder günstiger unn gebietender herre unn freund, Udalricus Tengler, Landtvogte zu Hochstet (...). Laienspiegel, Vorreden, Doctor Sebastiani Brand Vorreden in disen Leyenspiegel. Verleger: Johann Rynnmann, Drucker: Hans Othmar; Stintzing, Populäre Literatur, S. 4; Schmitz, Der Teufelsprozess, S. 17. Lange Zeit war umstritten, ob eine frühere Ausgabe des Laienspiegels existierte, Koehler, Bernhard, Art. Laienspiegel, HRG II 11978, Sp. 13571361, 1357. Stintzing schafft hier Klarheit, Populäre Literatur, S. 425ff. Vor Stintzing erklären aber schon Schorch, Über Ullrich Tennglers Layenspiegel, S. 4ff., und Malblanc, Geschichte der Carolina, S. 108, die Ausgabe von 1509 sei die erste. Bei Matthias Hupfuff, vgl. Kleinschmidt, Das ‘Epitaphium Ulrici Tenngler’, S. 41, Anm. 2. Von einer „Rechtskrise“ bzw. „Rechtskrisis“ sprechen z. B. Sellert, Die Krise des Strafund Strafprozessrechts, S. 27ff., 29; Diestelkamp, Zur Krise des Reichsrechts, S. 47 und Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 114.

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Untersuchungsgegenstand

Gewohnheit als Legitimation des Rechts7 müssen zunehmend der Autorität des gelehrten Rechts weichen8, alte Gebräuche treten in Konkurrenz mit dem gemeinen Recht, das durch die Gelehrten an den Universitäten9 und zunehmend durch die Rechtsetzung auf Reichs- oder Territorialebene10 Anwendung findet. In der Rechtspraxis indes setzt sich nur langsam der gelehrte Juristenstand durch11. Die Konfrontation der ungelehrten Rechtsanwender, der Amtsträger in Gericht und Verwaltung, mit dem gelehrten Recht bildet den Ausgangspunkt für Tenglers Werk; diesen Layen ist sein Buch gewidmet12. In einem Brief an den Augsburger Verleger Johann Rynnman macht Tengler auf seine Erfahrungen in der Praxis aufmerksam. Er betont die Missstände, die aus Unwissenheit und Verwirrung resultieren, und nimmt sich dabei selbst nicht aus: und so ich darinn offt mängel, irrung unn zweifel, bey mir selbs und andern befunden (...). Allerdings habe er sich nun einiges Wissen angeeignet und komme mit dem Laienspiegel nun der Bitte nach, dieses Wissen anderen mitzuteilen: und die weil ich von etwo mänigen (...) offt ermant und gebeeten, in die selben auch zu mittailen13. Von seinen Adressaten wird der Laienspiegel tatsächlich geschätzt; in süddeutschen Städten gehörte das Werk nachweislich zum Handapparat der

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Vgl. dazu Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 274ff., mit zahlreichen Literaturangaben. Zur Rezeption als Vorgang der „Verwissenschaftlichung des deutschen Rechtswesens“ vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 131. Namentlich durch deren Gutachtertätigkeit, Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 181. Zur Aktenversendung und Konsilienpraxis in der frühen Neuzeit vgl. Falk, Consilia; Lorenz, Aktenversendung und Hexenprozess; Schnabel-Schüle, Überwachen und Strafen, S. 54ff. Vgl. z. B. die Landfrieden, die Tengler in sein Werk aufnimmt, die Reichskammergerichtsordnung von 1495 und die Wormser Reformation. Vgl. auch Sellert, Die Krise des Strafund Strafprozeßrechts, S. 29; Diestelkamp, Zur Krise des Reichsrechts, S. 49ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 189ff. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 152ff.; Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 218f. Laienspiegel, Vorreden, Vorrede, Irf.; vgl. auch Kleinschmidt, Art. Tenngler, Ulrich, VL IX, Sp. 689ff., 691f. Stintzing sieht im Laienspiegel den Abschluss der Gattung der „populären Literatur“; weil sich bald die gelehrten Juristen in Justiz und Verwaltung durchsetzen, verschwindet die Notwendigkeit für derartige Schriften, an ihre Stelle tritt – ausgehend von Zasius – Deutschlands gelehrte juristische Literatur, S. 447; Pahlmann, Bernhard, Art. Ulrich Tengler, Deutsche und Europäische Juristen, S. 418-420, 418. Der Brief findet sich in der Ausgabe Augsburg 1511 abgedruckt (Laienspiegel 1511, Argument), in der von 1536 indes nicht mehr.

Untersuchungsgegenstand

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Verwaltung14. Zeugen seiner praktischen Bedeutung sind auch die Anzahl der Drucke; auf die drei genannten folgen – nach einer Verbesserung und Erweiterung des Textes – 12 weitere Ausgaben15. Schon 1511, also im selben Jahr, in dem die letzte Ausgabe der alten Fassung erscheint, druckt Hans Othmar in Augsburg eine neue Auflage des Laienspiegels; es handelt sich dabei um eine von Ulrich Tengler selbst, allerdings mit Unterstützung seines Sohnes Christoph Tengler, seines Zeichens Professor an der Universität Ingolstadt16, überarbeitete Fassung, die unter dem Titel „Der neü Layenspiegel. Von rechtmässigen ordnungen in Burgerlichen und peinlich[e]n Regimenten“ erscheint. Diese Version ist es, die in den folgenden 50 Jahren elf weitere Male gedruckt wird17 – wenngleich keineswegs zwingend unter dem Titel des „Neuen Laienspiegels“18. Sie ist daher die maßgebliche Fassung19. Zitiert wird im Folgenden die Ausgabe Straßburg 153620. Es sind gerade die 14

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Schmitz, Der Teufelsprozess, S. 17; Kleinschmidt, Art. Tenngler, Ulrich, VL IX, Sp. 689ff., 692. Zu den Druckausgaben im Einzelnen: Panzer, Annalen II, S. 307ff.; Stintzing, Populäre Literatur, S. 425ff.; Schmitz, Der Teufelsprozess, S. 17ff. Christoph Tengler schreibt die Forschung heute den in der zweiten Fassung des Laienspiegels neu auftauchenden Abschnitt über das Vorgehen gegen Hexen zu, Jerouschek/Behringer, Hexenhammer, S. 16; Behringer, Hexenverfolgung in Bayern, S. 80ff. In den Ausgaben der zweiten Fassung findet sich in den Vorreden (nach dem „Argument“) ein Brief Ulrich Tenglers an seinen Sohn vom 9. April 1510, in dem er ihn und seine Kollegen um Mithilfe bei der Verbesserung seines Werkes bittet: Unnd nach dem der bemelten Truckerei verleget, dasselb büchlin anderwaid zutrucken in willen, wäre ich des gemüts, etliche Additiones, auff sein begeren darzu colligieren lassen. Das hab ich euch nit verhalten, ob ir icht mangel darinnfünden, oder mit hilff unn rath ander unser Herren, der geleerten bei euch zu Ingoldstat, sovil euch der geystlicheyt halben gezimmet, deßgleichen so die Legisten eynigerley zusatz gesinnen wolten, die mögt ir mit auffs fürderlichst zufügen, wann ich will sunst mehr an andern enden auch colligieren (...). Zur Mitwirkung Christoph Tenglers am Neuen Laienspiegel allgemein Stobbe, Rechtsquellen II, S. 171; Stintzing, Populäre Literatur, S. 432. Ein weiteres Mal in Augsburg (1512), dann nur noch in Straßburg, Koehler, Bernhard, Art. Laienspiegel, HRG II 11978, Sp. 1357-1361, 1358. Die von mir untersuchten Straßburger Ausgaben von 1536 und 1544 tragen beide den Titel Layenspiegel ohne den Zusatz „Neü“, sind aber durch die sonstigen Zusätze (Mit Additionen (…). Newlich getruckt) zum Titel und den erweiterten Inhalt zweifellos als Nachdrucke der neuen Fassung zu identifizieren. Koehler, Bernhard, Art. Laienspiegel, HRG II 11978, Sp. 1357-1361, 1361; Stintzing, Populäre Literatur, S. 436. Diese stand zunächst als einzige Ausgabe des neuen Layenspiegels dauerhaft digital und als pdf-Datei zur Verfügung (http://diglit.ub.uni-heidelberg.de/diglit/drwtengler1536/). Was die für diese Arbeit entscheidenden Stellen angeht, konnten kaum inhaltliche Abweichungen von der Ausgabe von 1511 festgestellt werden. Soweit relevant, wird auf die Eigenhei-

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Untersuchungsgegenstand

Straßburger Drucke, die in den nächsten Jahrzehnten zur Verbreitung des Werkes führten21. Die Ausgabe Straßburg 1536 ist schließlich auch jene, in der der Laienspiegel offenbar regelmäßig mit dem Klagspiegel zusammengebunden erschienen ist22.

a. Der Verfasser Ulrich Tengler Was wir über Tenglers Person wissen, verdanken wir im Wesentlichen der Archivarbeit Roderich von Stintzings23 und einem Tengler gewidmeten anonymen24 Nachruf, dem Epitaphium Ulrici Tenngler25. Geboren wurde Tengler demnach um 1447 in Rottenacker bei Ehingen an der Donau26. Nach bisherigem Forschungstand fällt sein Tod ins Frühjahr 1511 und damit in die Zeit unmittelbar nach Fertigstellung der erweiterten Fassung seines Laienspiegels27; gewichtige Gründe lassen jedoch ein späteres Todesjahr vermuten28.

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ten der Ausgabe von 1511 hingewiesen. Im Übrigen findet sich im Anhang eine synoptische Gegenüberstellung der maßgeblichen Kapitel in den Ausgaben Straßburg 1536 und Augsburg 1511. Zum mengenmäßigen Verhältnis der Straßburger zu den Augsburger Auflagen vgl. Koehler, Bernhard, Art. Laienspiegel, HRG II 11978, Sp. 1357-1361, 1358. Deutsch, Klagspiegel, S. 25. Stintzing, Populäre Literatur, S. 411ff. Neue Erkenntnisse und weitere Literatur zu Ulrich Tengler liefert jetzt auch der voraussichtlich im Jahr 2010 erscheinende Beitrag von Seitz, Zur Biographie Ulrich Tennglers. Insbesondere trägt Seitz nun Anhaltspunkte vor, die vermuten lassen, dass Tengler dem Adelsstand angehörte, a. a. O., S. 13ff. Seitz bevorzugt für den Namen des Laienspiegelverfassers die Schreibweise mit zwei „n“, da der Autor sich selbst „Tenngler“ schrieb. Später indes setzte sich in der Familie die Schreibweise „Tengler“ durch, Seitz, a. a. O., S. 5. Da dies der bis heute üblichen Schreibweise entspricht, hält diese Arbeit an der Version „Tengler“ fest. Kleinschmidt vermutet Tenglers Sohn Christoph Tengler als Verfasser, Das ‘Epitaphium Ulrici Tenngler’, S. 51ff. Kleinschmidt, Das ‘Epitaphium Ulrici Tenngler’, S. 41ff.; zu dem Epitaphium jetzt kritisch Seitz, Zur Biographie Ulrich Tennglers, S. 8ff., 12ff. Zum Geburtsort Rottenacker s. Epitaphium Ulrici Tenngler, 1, 3, zit. nach Kleinschmidt, Das ‘Epitaphium Ulrici Tenngler’, S. 41ff., 61. Damit ist die Ansicht widerlegt, Tengler stamme aus Heidenheim, Kleinschmidt, a. a. O., S. 54, Anm. 48, 50. Kleinschmidt, Das ‘Epitaphium Ulrici Tenngler’, S. 41ff., 44. Bislang ging die Forschung davon aus, bei dem in den Jahren nach 1511 in den Quellen auftauchenden Ulrich Tengler handele es sich um den Sohn des Laienspiegelverfassers. Seitz trägt gegen diese Annahme begründete Zweifel vor, Seitz, Zur Biographie Ulrich Tennglers, S. 20.

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Tengler besuchte zunächst das städtische Lateingymnasium mit dem Ziel, Kleriker zu werden29, zog dann als bettelnder Scholar umher30, bis er mit 22 Jahren Aufnahme in der Blaubeurer Stiftsschule fand31. Die Schulausbildung Tenglers – sowohl in Ehingen als auch in Blaubeuren – wird angesichts der Qualität der Schulen sehr gut gewesen sein32; er war zudem ein fleißiger Schüler33. Von soliden Lateinkenntnissen Tenglers darf daher ausgegangen werden34. Ein Studium absolvierte er indes nicht, er war also nicht „gelehrt“, dafür aber überaus rechtskundig35. Mit der städtischen Rechtspraxis, den Problemen, die bei Gericht und in der städtischen Verwaltung auftraten, war Tengler aus eigener Erfahrung bestens vertraut. So war er zunächst Gerichtsschreiber (1467/1469), dann Kastenschreiber in Heidenheim a. d. Brenz (1475-1479)36. Anschließend hatte er in Nördlingen das Rats- und Stadtschreiberamt (1479-1483 bzw. 148437) inne, war zwischenzeitlich abermals Kastner in Heidenheim a. d. Brenz (1485-1496)38 und wurde schließlich erst

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Epitaphium Ulrici Tenngler, 2, 1, zit. nach Kleinschmidt, Das ‘Epitaphium Ulrici Tenngler’, S. 41ff., 61; Kleinschmidt, a. a. O., S. 55. Epitaphium Ulrici Tenngler, 3, 1, zit. nach Kleinschmidt, Das ‘Epitaphium Ulrici Tenngler’, S. 41ff., 61; Kleinschmidt, a. a. O., S. 55. Epitaphium Ulrici Tenngler, 4, 1, zit. nach Kleinschmidt, Das ‘Epitaphium Ulrici Tenngler’, S. 41ff., 61; Kleinschmidt, a. a. O., S. 55. Kleinschmidt, Das ‘Epitaphium Ulrici Tenngler’, S. 55f. Epitaphium Ulrici Tenngler, 2, 2-3, zit. nach Kleinschmidt, Das ‘Epitaphium Ulrici Tenngler’, S. 41ff., 61; Kleinschmidt, a. a. O., S. 55. Kleinschmidt, Das ‘Epitaphium Ulrici Tenngler’, S. 51. Pahlmann, Bernhard, Art. Ulrich Tengler, Deutsche und Europäische Juristen, S. 418420, 419. Kleinschmidt, Art. Tenngler, Ulrich, VL IX, Sp. 690; Seitz, Zur Biographie Ulrich Tennglers, S. 2ff. Kleinschmidt, Art. Tenngler, Ulrich, VL IX, Sp. 690; ders., Das ‘Epitaphium Ulrici Tenngler’, S. 41ff.; Stinzing, Populäre Literatur, S. 413f., er belegt die Jahreszahlen mit entsprechendlautenden Anstellungs- und Entlassungsurkunden, S. 417ff., und stellt fest, dass Tengler genau genommen die Position eines oberen Ratsschreibers innehatte, dem zwei weitere Schreiber untergeordnet waren; Kleinschmidt erwähnt, dass Tengler 1484 noch einmal versuchte in den Dienst der Stadt Nördlingen zurückzukehren. Der Versuch sei am Einspruch des bayerischen Herzogs gescheitert, der ihn für das Kastneramt in Heidenheim vorsah, Art. Tenngler, Ulrich, VL IX, Sp. 690 und Epitaphium Ulrici Tenngler’, S. 43. Müller dagegen weist Tenglers Handschrift noch in Satzungen der Stadt Nördlingen aus dem Jahre 1484 nach, z. B. im Nördlinger Ordnungsbuch I, Art. 65, Nördlinger Stadtrechte, S. 182, 200, 260. Vgl. den Brief der Stadt Nördlingen von 1486 an Uolrichen Tengler, castner zu Haidenhaim, Müller, Nördlinger Stadtrechte, S. 332. Das Amt des „Kastners“ leitet sich von dem „Kas-

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Landvogt von Graisbach, dann im Jahre 1500 pfalz-bayrischer Landvogt von Höchstädt an der Donau39. Nach dem besagten Epitaphium wurde Tengler von Friedrich III. sogar zum Pfalzgrafen erhoben40; diese Angabe kann indes nicht als gesichert gelten41. aa. Stadtschreiber von Nördlingen Für Tenglers Tätigkeit in Nördlingen, wo er auch das Bürgerrecht erwarb42, finden sich zahlreiche Belege43; darunter gerade auch solche, die seine Erfahrung in Rechtssachen nachweisen. In den nur vier Jahren, während denen Tengler das Amt des Stadtschreibers innehatte, entfaltete der städtische Rat eine erhebliche Rechtssetzungsaktivität. In den erlassenen Ordnungen stammen einige Vorschriften nachweislich aus Tenglers Hand44. Wie üblich geht die Mitwirkung des Schreibers an der Gesetzgebung über die bloße Schreibarbeit weit hinaus; Tengler wird auch als Rechtsberater geschätzt: In seiner Entlassungsurkunde verpflichtet er sich, der Stadt weiter zu dienen, als wär ich nochmals Ir zuverwanndter; jederzeit soll Nördlingen ihn umb Ratte dienste oder beystand bieten45. Tatsächlich hat die Stadt dies auch getan. Als Anhang zu einer Appellationsordnung von 1486 findet sich ein Brief an den Heidenheimer Kastner Ulrich Tengler, in dem dieser gebeten wird, eben jene Ordnung durchzusehen und zu verbessern, wo es ihm nötig erscheint46. Es liegt also nahe, dass Tengler als Stadtschreiber die Satzungen und Ordnungen auch inhaltlich geprägt hat, teilweise sogar als Mitverfasser der Nördlinger Stadtrechte anzusehen ist.

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ten“ als Aufbewahrungsort der Abgaben an den Stadtherrn ab, DRW VII, Kastner, Sp. 545-546; dazu jetzt auch Seitz, Zur Biographie Ulrich Tennglers, S. 6f. Layer (Hg.), Höchstädt, S. 53; Kleinschmidt, Art. Tenngler, Ulrich, VL IX, Sp. 690; Pahlmann, Bernhard, Art. Ulrich Tengler, Deutsche und Europäische Juristen, S. 418-420, 418; Stintzing, Populäre Literatur, S. 423. S. Epitaphium Ulrici Tenngler, 10, 3, zit. nach Kleinschmidt, Das ‘Epitaphium Ulrici Tenngler’, S. 41ff., 63; a. a. O., S. 57f. Unter Friedrich III. erfolgt wohl die Ernennung zum stellvertretenden Pfalzgrafen, erst Maximilian I. erhebt Tengler in die volle Pfalzgrafenwürde, Kleinschmidt a. a. O., S. 57, Anm. 62. Kleinschmidt, Art. Tenngler, Ulrich, VL IX, Sp. 691. Stintzing, Populäre Literatur, S. 413. Sorgfältige Archivarbeit bei Stintzing, Populäre Literatur, S. 413ff. Im Einzelnen dazu unten Kap. A.I.1.b.: Das Werk: Konzeption, Inhalt und Bedeutung, S. 11ff. Diese graphologischen Nachweise für die Tätigkeit Tenglers und allgemein die Auswertung der Nördlinger Stadtrechte fehlen bei Stintzing noch. Entlassungsurkunde von 1483, abgedruckt bei Stintzing, S. 423f., 424. Müller, Nördlinger Stadtrechte, S. 332.

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Dieses Ergebnis deckt sich mit den Erkenntnissen über das Stadtschreiberamt in den süddeutschen Reichsstädten und über die Anfänge des Juristenstandes. In den süddeutschen Reichsstädten hatte der Stadtschreiber die Position des höchsten städtischen Beamten inne, der regelmäßig die Stadt diplomatisch und gerichtlich nach außen vertrat47. Er musste daher nicht nur schreiben können, sondern politisches Geschick haben und über gute Lateinund vor allem Rechtskenntnisse verfügen48. Zu seinen typischen Aufgabenfeldern gehörte daher auch die Beratung der Stadt in Rechtsfragen49 und namentlich die Ausarbeitung städtischer Satzungen50. Auch Conrad Heyden, des Autors des Klagspiegels kann als Verfasser städtischen Rechts nachgewiesen werden51. Die für das Stadtschreiberamt erforderlichen Kenntnisse wurden teilweise in Klosterschulen, teilweise auch in speziellen Stadtschreiberschulen erworben52. Da die Ars dictandi aus dem gemeinen Recht stammte, kamen die Stadtschreiber dabei unweigerlich mit dem gelehrten Recht in Kontakt53. Sie gehörten daher zu den frühen Vertretern eines Juristenstandes, der die Rezeption in der Praxis vorantrieb54. bb. Kastner von Heidenheim Als Kastner war Ulrich Tengler in erster Linie für die Verwaltung der an die Stadtherrn zu zahlenden Abgaben zuständig55. In dieser Position wird er Kenntnisse über das Abgabenrecht erworben haben; darüber hinaus mögen mit diesem Amt aber auch weitere Aufgaben verbunden gewesen sein, in denen er rechtlich relevante Erfahrungen sammeln konnte. So konnte der Kastner durchaus auch die Niedergerichtsbarkeit innehaben56; in Höchstadt

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Überblick über die Aufgaben der Stadtschreiber im Mittelalter bei Burger, Die südwestdeutschen Stadtschreiber, S. 147ff.; ferner Thiele, Die Freiburger Stadtschreiber, S. 62ff. Deutsch, Klagspiegel, S. 113ff.; Thiele, Die Freiburger Stadtschreiber, S. 29ff., 37ff. Zur rechtsberatenden Funktion der Stadtschreiber Burger, Die südwestdeutschen Stadtschreiber, S. 168ff. Deutsch, Klagspiegel, S. 115; Thiele, Die Freiburger Stadtschreiber, S. 75. Deutsch, Klagspiegel, S. 139. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 960; Deutsch, Klagspiegel, S. 132f. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 117f. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 960. Vgl. DRW VII, Kastner, Sp. 545-546, Bedeutungsalternative I; Fried, Ländliche Rechtsquellen, S. 39; Oberbaierisches Landrecht 1346, Art. 267; zu Tengler als Kastner jetzt auch Seitz, Zur Biographie Ulrich Tennglers, S. 6f. Vgl. DRW VII, Kastner, Sp. 545-546, Bedeutungsalternative I.

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war der Kastner zeitweise auch Verweser des Landvogtamts57 bzw. arbeitete mit dem Landvogt eng zusammen58. In der Bambergensis kann der Kastner, wie der Amtmann oder Richter, die Vernehmung des Verdächtigen führen59. Auch in diesem Amt konnte sich Tengler also Kenntnisse in der Rechtspraxis aneignen. cc. Landvogt von Höchstädt Die Belege, die über Tenglers Tätigkeit als Landvogt von Höchstädt existieren, liefern weitere Nachweise für Tenglers politische Bedeutung und sein Ansehen als Rechtskundiger60. Die Landvogtei Höchstädt war ein bedeutendes Amt61. Seit Mitte des 13. Jahrhunderts war Höchstädt wittelsbachisches Herrschaftszentrum, im 15. Jahrhundert eine blühende Stadt62. Das Landvogtsamt Höchstädt umfasste ein beachtliches Gebiet, nahezu das gesamte sog. Brenzgau63. Im bayerisch-pfälzischen Erbfolgekrieg wird die Stadt Objekt der Gebietsstreitigkeiten zwischen Ruprecht von der Pfalz und König Maximilian I., der auf der Seite Herzog Albrechts IV. von MünchenOberbayern kämpfte. Am 6. Mai 1504 steht der König vor den Toren und stellt der Stadt ein Ultimatum mit der Forderung, die neuen Herren anzuerkennen. Die Stadt beugt sich und wird dadurch für kurze Zeit der Herrschaft Herzog Albrechts IV., dann 1505 dem neuen Fürstentum Pfalz-Neuburg unterstellt64. Der Landvogt Ulrich Tengler bleibt trotz des Herrschaftswechsels im Amt; er ist es, der, als die Landherren im Jahre 1506 eine Bürgschaft der Stadt benötigen, diese gegen die Zusicherung der völligen Schadloshaltung der Stadt aushandelt65. Neben dieser Begebenheit kann auch die Tätigkeit Tenglers als Richter nachgewiesen werden66. Spätestens seit 1447 hatte in Höchstädt nicht mehr der Pfleger, sondern der Landvogt den Vorsitz im Land- und Stadtgericht

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Fried, Ländliche Rechtsquellen, S. 39. Fried, Ländliche Rechtsquellen, S. 43: Der Landvogt Ulrich Tengler und der Kastner von Höchstädt besiegeln gemeinsam einen Vertrag. Art. 176 CCB. Oblinger, Ulrich Tengler, S. 128ff., 129; Fried, Ländliche Rechtsquellen, S. 26, 28; dazu jetzt auch Seitz, Zur Biographie Ulrich Tennglers, S. 17ff. Stintzing, Populäre Literatur, S. 415. Layer (Hg.), Höchstädt, S. 50ff., 90ff. Layer (Hg.), Höchstädt, S. 98. Layer (Hg.), Höchstädt, S. 75ff. Layer (Hg.), Höchstädt, S. 77. Layer (Hg.), Höchstädt, S. 314; Fried, Ländliche Rechtsquellen, S. 38.

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inne67. Das Stadtgericht war zwar nur Niedergericht68, als Landrichter oblag Tengler dagegen auch die hohe Gerichtsbarkeit69. Darüber hinaus ist Ulrich Tengler für dieselbe Zeit als Urteiler im Hofgericht Neuburg bezeugt70, seit 1505 war dies die Appellationsinstanz für das Landgericht Höchstädt71. Im Hofgericht beriet er zusammen mit Adligen und studierten Juristen72. dd. Ulrich Tengler und die Gelehrten Hat Tengler selbst auch nie studiert und sein juristisches Wissen wohl im Wesentlichen seiner praktischen Erfahrung zu verdanken, so bestanden doch „berufliche“ und persönliche Verbindungen zu den Gelehrten. In dem besagten Brief an seinen Augsburger Verleger erklärt Tengler, er sei bei seiner Tätigkeit häufig auf die Ratssuche bei den Rechtsgelehrten angewiesen gewesen und habe auf diese Weise jenes Wissen angehäuft, dass er im Laienspiegel zu Papier bringt: (...) und so ich darinn offt mängel, irrung unn zweifel, bey mir selbs und andern befunden, zu zeiten geursacht worden, von meinen obern, auch andern hochgeübten, geleerten und rechtweysen, ferrer radt underricht und gut leer zu ersuchen (...)73. Namentlich der Kontakt zur Universität Ingolstadt lag für Tengler aus persönlichen Gründen nahe. Seit 1491 erscheint sein Sohn Christoph Tengler – Ulrich Tengler hatte insgesamt 24 Kinder von drei Frauen74 – in den Immatrikulationsregistern der Universität75. 1511 wird dieser sogar Rektor76. In seinem Brief an den Sohn bezeichnet ihn Ulrich Tengler als Artium & Iurispontificii Doctori77; ganz offensichtlich galt das wissenschaftliche Interesse Christoph Tenglers dem kanonischen Recht. Im Universitätsarchiv findet er sich 1510 als Dr. iur. can. erwähnt78 und als Kenner des kanonischen Rechts bittet ihn sein Vater um Mithilfe am Laienspiegel79. In seinem Antwortbrief

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Layer (Hg.), Höchstadt, S. 51; Fried, Ländliche Rechtsquellen, S. 38. Fried, Ländliche Rechtsquellen, S. 38. Layer (Hg.), Höchstadt, S. 90. Cramer-Fürtig, Landesherr und Landstände, S. 92f. Fried, Ländliche Rechtsquellen, S. 38. Cramer-Fürtig, Landesherr und Landstände, S. 75ff., 77. Der Brief findet sich, wie oben erwähnt, in der Erstausgabe des Neuen Laienspiegels Augsburg 1511 (Argument), in der von 1536 indes fehlt er. Kleinschmidt, Art. Tenngler, Ulrich, VL IX, Sp. 690. Kleinschmidt, Das ‘Epitaphium Ulrici Tenngler’, S. 41ff., 50, Anm. 33. Kleinschmidt, Das ‘Epitaphium Ulrici Tenngler’, S. 41ff., 50, Anm. 34. Laienspiegel, Ausgabe Augsburg 1511, Vorreden, Brief an Christoph Tengler von 1510. Wolff, Geschichte der Ingolstädter Juristenfakultät, S. 311f. Laienspiegel Ausgabe Augsburg 1511, Vorreden, Brief an Christoph Tengler von 1510: (...) sovil euch der geystlicheyt halben gezimmet (...).

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stellt Christoph Tengler sich selbst als dem Geystlichen stand zugehörig dar80. Wie weit die Neuauflage des Laienspiegels aus dem Jahre 1511 tatsächlich von den Ratschlägen und Ergänzungen der Rechtsgelehrten geprägt war, kann hier nicht abschließend beantwortet werden. Fest steht heute aber, dass der Abschnitt über den Hexenprozess durch Christoph Tengler eingefügt wurde81. Neben der familiären Verbindung Tenglers zur Universität Ingolstadt bestand spätestens seit 1499 eine Freundschaft Ulrich Tenglers mit Jakob Locher, einem Ingolstädter Poesieprofessor82, der denn auch dem Laienspiegel eine lateinische Vorrede voranstellt83. Über diesen Kontakt mag auch die Verbindung zu Sebastian Brant entstanden sein; Locher war es, der 1497 Brants Narrenschiff in lateinische Verse übersetzte84. Eine persönliche Bekanntschaft Ulrich Tenglers mit Schwarzenberg, dem Verfasser der Bambergensis, kann indes in keiner Weise belegt werden85. Die Verbindung zu Sebastian Brant vor allem aber zu Jakob Locher mag auch auf gemeinsamen musischen Interessen beruht haben. Der Laienspiegel ist nicht nur mit einer Vielzahl herausragender Holzschnitte versehen – die meisten vom Monogrammisten H.F., fünf von dem berühmten Augsburger Meister, Hans Schäufelin, der Tengler wohl persönlich bekannt war86 – sondern auch mit literarischen Beigaben, zum einen einer deutschen Form des Teufelsprozesses, der auf Bartolus de Saxoferratos Processus Sathanae und den 1382 entstandenen „Belial“-Prozess des Jacobus de Theramo zurückgeht87, zum anderen mit einem alemannischen Weltgerichtsspiel aus dem 14. Jahr-

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Laienspiegel, Ausgabe Augsburg 1511, Vorreden, Brief Christoph Tenglers von 1510. Jerouschek/Behringer, Hexenhammer, S. 16. Die ursprüngliche Version des Laienspiegels enthielt zunächst nur vage und unsystematische Ausführungen zum Problem des Hexenunwesens, Behringer, Hexenverfolgung in Bayern, S. 80, 82. Kleinschmidt, Art. Tenngler, Ulrich, VL IX, Sp. 690ff., 691; ders., Das ‘Epitaphium Ulrici Tenngler’, S. 41ff., 49. Laienspiegel, Vorreden, Iacobus Locher Philomusus, Poeta et Orator Laureatus, Lectoribus selicitatem optat. Stintzing, Populäre Literatur, S. 416. Stintzing, Populäre Literatur, S. 417. Schmitz, Der Teufelsprozess, S. 21 und 24. Kleinschmidt, Art. Tenngler, Ulrich, VL IX, Sp. 690ff., 694; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 172f.; zum Belialprozess Müller, Jörg, Art. Belial, HRG I 22005, Sp. 519-520; Ott, Rechtspraxis und Heilsgeschichte; Hagemann, Processus Belial; Burdach, Der Dichter des Ackermann aus Böhmen II, S. 460ff.; Stintzing, Populäre Literatur, S. 271ff.; zum Teufelsprozess im Laienspiegel, Schmitz, Der Teufelsprozess, S. 49ff.

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hundert88. Die Anzahl und Qualität der Holzschnitte lässt allerdings in den Straßburger Drucken nach; ab 1527, wohl unter dem Eindruck der Reformation, verschwinden schließlich jene auf die Parallelität von irdischem und göttlichem Gericht hinweisenden literarischen Beigaben89.

b. Das Werk: Konzeption, Inhalt und Bedeutung Eine vertiefte inhaltliche Untersuchung des Laienspiegels fehlt bislang. Das Wissen über den Laienspiegel beschränkt sich im Wesentlichen auch heute noch auf die Erkenntnisse der Rechtshistoriker des 19. Jahrhunderts90, namentlich die Studie Johann August Roderich von Stintzings91. Stinzing gibt einen groben Überblick über Aufbau, Inhalt und mögliche Quellen des Laienspiegels. Von den drei Teilen, in die Tengler sein Werk gliedert, ist der zweite dem Zivilprozess gewidmet. An dessen Ende stellt Tengler die Reformation Kaiser Friedrichs III. von 1442, den Ewigen Landfrieden von 1495 und den Augsburger Landfrieden von 1500. Ein weiteres Reichsgesetz, die Goldene Bulle von 1356, schließt den ersten Teil ab92. Im dritten Teil finden wir Straf- und Strafprozessrecht. Der erste Teil behandelt derart unterschiedliche Materien, dass sie sich schwerlich unter einen Titel fassen lassen93; Tengler selbst erklärt in seiner Vorrede die Rechtsstellung städtischer Amtsträger in ihrer Funktion als Regierungs- oder Gerichtspersonen zum Gegenstand des ersten Teils94. Tatsächlich handelt ein erster Abschnitt über die persönlichen Anforderungen und die Aufgaben der Gerichtspersonen, Richter, Ratgeber, Beisitzer, Urteiler, Schreiber, Unteramtleute und Fronboten, sowie – ein besonders aufschlussreicher Teil – über die „Vorsprechen“, aber auch den Kläger und die Vertreter bzw. Vormünder. Es folgt ohne klaren Zusammenhang ein Kapitel über den Schadensersatz, das Interesse. Ein zweiter Abschnitt behandelt die Stadt88

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Kleinschmidt, Art. Tenngler, Ulrich, VL IX, Sp. 690ff., 694; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 172f. Kleinschmidt, Art. Tenngler, Ulrich, VL IX, Sp. 690ff., 692, 695. Vgl. auch Koehler, Bernhard, Art. Laienspiegel, HRG II 11978, Sp. 1357-1361, 1361. Stintzing, Populäre Literatur, S. 411ff. Zur Herkunft der deutschen Übersetzung der Goldenen Bulle, Schmitz, Der Teufelsprozess, S. 36f. Stintzing, Populäre Literatur, S. 439; auch Stobbe beschränkt sich auf eine Aufzählung der behandelten Materien, Rechtsquellen II, S. 171f. Laienspiegel, Vorreden, Layenspiegels Vorrede: (...) Im Ersten buch, Von etlichen personen so zu weltlicher regierung inner und ausserthalb rechtens in Stetten, Märckten, und anderen enden, gewonlich gebraucht werden, wie sie zu orden, welliche darzu tüglich, unn was ire handlung sein sollen, fol. Iv.

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verfassung oder städtische Regierung, die Aufgaben von Bürgermeister und Rat, den städtischen Frieden und den Bürgereid. Es folgen Ausführungen über die Verwaltung der städtischen Steuereinnahmen und – ausgehend vom Grundeigentum in der Stadt – zu Eigentum, Grunddienstbarkeiten und Lehen. Offenbar noch im Zusammenhang mit den Ausführungen zum Eigentum widmet sich der Laienspiegel dann den Regalien und den Rechten an gefundenen Schätzen, am Jagdwild, den Fischen, am Wasser und am Weidegrund. Einen weiteren Sinnabschnitt bilden die polizeilichen Regelungen, der Laienspiegel leitet sie ein mit Ausführungen zum Satzungsrecht der Stadt, nennt dann Vorgaben für die verschiedenen Berufe, sehr ausführlich für die Müller, dann für die Bäcker, Metzger und Schankwirte, später für die Apotheker. Außerdem finden sich Regeln gegen Glücks- und Trinkspiele und zum Markt- und Zollrecht. Unklar ist der Zusammenhang zu den folgenden Abhandlungen über das Eigentum an Aluvien, also angeschwemmtem Land, und schließlich zum Erbrecht, dessen zentralen Bestandteil die Ausführungen zu den Verwandtschaftsverhältnissen darstellen95, und zum Ehegüterrecht. Den Abschluss bilden die Regeln über Gewohnheiten, Freiheiten, Verjährung, den Fiskus, den Wucher und schließlich über die Juden. Ganz offensichtlich beabsichtigt Tengler in diesem ersten Teil die ganze Vielfalt der rechtlichen Probleme zu behandeln, die nach seiner Erfahrung in einer Stadt typischerweise auftreten. Diverse Materien, die er hier bearbeitet, kennt Tengler bestens aus seiner Stadtschreibertätigkeit in Nördlingen – er selbst hat die entsprechenden Teile der städtischen Ordnungen verfasst. So rührt das Nördlinger Eidbuch von 1480 im Wesentlichen von ihm96, ebenso die Fleischordnung von 1481, welche sich im 2. Ordnungsbuch der Stadt findet. Auch im Stadtrecht C97 findet sich seine Hand, und zwar in Art. 206 zur städtischen Steuer98, ebenso in der Ratsordnung B99, in den Artikeln 42-

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Hier nahm Tengler die Arbor consanguinitatis et affinitatis des Johannes Andreae zum Vorbild, Koehler, Bernhard, Art. Laienspiegel, HRG II 11978, Sp. 1357-1361, 1359. Müller, Nördlinger Stadtrechte, S. 437. Als Stadtrecht C bezeichnet der Herausgeber K. O. Müller die Stadtrechtserneuerung entstanden 1370-1375 mit den zugehörigen Nachtragsartikeln aus den Jahren 1380-1520, Müller, Nördlinger Stadtrechte, S. 4*. Vgl. dazu das Kapitel zur Steuer im ersten Teil des Laienspiegels (Von enderung ligender güter in der Burgerschafft), das ausdrücklich die Aufgabe des Stadtschreibers beschreibt, Verträge über städtischen Grund und Boden nach gewonlichem stilum auszufertigen, fol. XVIIv. Der stilus, den die Stadt Nördlingen ihrem Schreiber Ulrich Tengler 1482 an die Hand gibt, zeigt, dass der Schreiber gerade auch von Privatleuten in der Funktion eines Notars aufgesucht wird, abgedruckt bei Stintzing, Populäre Literatur, S. 421ff.

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44100, die unter anderem das Amt des Rathgeben behandeln101. Das 1. Ordnungsbuch (1423-1522) weist in zwei Artikeln Tenglers Handschrift auf, zu den Webern und den Bäckern102. Auch im 2. Ordnungsbuch (1481-1523) scheint die Bäckerordnung (Art. VI) ursprünglich von Tengler zu stammen103. Auch an weiteren Stellen in seinem Werk scheint Ulrich Tengler seine eigene praktische Erfahrung zu verarbeiten, zumindest aber mag diese die Auswahl der behandelten Probleme beeinflusst haben. Was den strafrechtlichen Teil des Laienspiegels angeht, so mag insbesondere zur vertieften Behandlung der Acht als Strafe für Landfriedensbrecher Tenglers praktische Erfahrung den Anstoß gegeben haben. Im Zusammenhang mit dem bayerisch-pfälzischen Erbfolgekrieg, den Tengler als Landvogt von Höchstädt aus nächster Nähe miterlebte, verhängte König Maximilian I. über seine Widersacher die Reichsacht wegen Landfriedensbruchs104. Auch die Aufnahme des Hexenprozesses in den neuen Laienspiegel mag – zumindest sofern man von einem entsprechenden Auftrag an seinen Sohn ausgeht – Tenglers praktischer Erfahrung mit der Hexenverfolgung in seiner Heimat geschuldet sein. Sicher hätte ihm das Bewusstsein für die Notwendigkeit solcher Prozesse gefehlt, wäre nicht Nördlingen mit der Inquisitionstätigkeit des Heinrich Kramer unmittelbar konfrontiert worden. Nicht zufällig hat Heinrich Kramer in der Formel für das "Abschwören" von der Hexerei, wie er sie in seinem Nürnberger Hexenhammer vorgibt, das Beispiel eines Prozesses vor dem Rat der Stadt Nördlingen gewählt: auch vor euch richter und ersamen herren und rat der stat nörlingen umb sach willen der zauberey auff die ich swerlich verargkwont bin so swer ich mit auffgerecktem ayd daß ich glaub als aim cristlichen men-

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Als Ratsordnung B bezeichnet der Herausgeber K. O. Müller die maßgebliche Handschrift der in den Jahren 1450-1510 entstandenen Ratsordnungen der Stadt Nördlingen, Müller, Nördlinger Stadtrechte, S. 4*, 149ff. Müller, Nördlinger Stadtrechte, S. 150. Vgl. zum Eid der Rathgeben das entsprechende Kapitel im Laienspiegel, fol. IIIIv, ferner die Ausführungen zu den Rathgeben im Kapitel Von vorsprechen und Rathgeben, fol. VIr. Müller, Nördlinger Stadtrechte, S. 182 für die Artikel 13 und 65, letzteres verwundert, weil der Artikel nach Müller aus dem Jahre 1484 stammt, in dem nach Stintzing Tengler nicht mehr im Amt war. Zu den Bäckern äußert sich Tengler zwar auch im Laienspiegel, Übereinstimmungen mit den Stadtrechtsbestimmungen finden sich indes nicht, vielmehr verweist das Stadtrecht auf das Recht der Bäckerszunft, der Laienspiegel dagegen betont die Zugehörigkeit zur städtischen Polizei, Von Beckenwerk, fol. XXIIIr. Müller, Nördlinger Stadtrechte, S. 560. Möglicherweise erklärt die vertiefte Beschäftigung des Stadtschreiber Tenglers mit dem Bäckerhandwerk auch seine ausführlichen Bestimmungen zum Recht der Müller im Laienspiegel. Layer (Hg.), Höchstädt, S. 75.

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schen gebürt zuo glauben (...)105. Für das Jahr 1478 ist ein Prozess belegt, den Kramer von Schlettstatt aus gegen eine Nördlinger Hebamme, die Els Schwäbin, führte, die von – später selbst als Hexen verbrannten – Hebammen aus dem elsässischen Kestenholz denunziert wurde, wo sie einige Jahre zuvor tätig gewesen war. Kramer beauftragt den Nördlinger Rat mit der strengen Befragung der besagten städtischen Hebamme. Diese errät gleich wessen Missgunst die Denunziationen entsprungen waren. Nach einer daraufhin erfolgten Rückfrage des Nürnberger Rats an Schlettstatt findet sich ausgerechnet in einer vermeintlich durch die Els Schwäbin geschädigten Frau eine Entlastungszeugin. Die Els Schwäbin wird nicht mehr weiter behelligt106. Kramer scheint der Prozess dennoch in Erinnerung geblieben zu sein. Auch im Malleus maleficarum nimmt er in seinen Ausführungen über hexende Hebammen Bezug auf den Nördlinger Prozess107. Zwar begann Ulrich Tengler erst ein Jahr später seine Tätigkeit als Stadtschreiber von Nördlingen – die außergewöhnlichen Vorgänge in der Stadt können ihm dennoch nicht verborgen geblieben sein108. Schließlich erwähnt Tengler die Praxis, die dem Henker die Art der Todesstrafe anheim stellt109. Dabei handelt es sich um einen typisch bayerischen Gebrauch110, der an verschiedenen Stellen Eingang in das Oberbayerische Landrecht von 1346 gefunden hatte111. Nach eben diesem Gesetz urteilte das Hofgericht Neuburg112, an dem auch Tengler seine Erfahrungen sammelte. Es ist Tenglers Zielsetzung, sich hinsichtlich des Inhalts des Laienspiegels an den Bedürfnissen der städtischen Praxis zu orientieren. Er beabsichtigt, den Gerichts- und Regierungspersonen ein Handbuch zu erstellen, das ihnen bei der Bewältigung der täglichen Rechtsfragen hilft113: (...) alleyn schlechten Leyen, es seien weltlich richter, (...) und ander gerichts oder rathsperson, so es inen notthät,

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Kramer, Nürnberger Hexenhammer, fol. 15r, Z. 34ff., Ed. Jerouschek, S. 133. Jerouschek/Behringer, Hexenhammer, S. 44 und S. 439 (Anm. 227); Behringer, Hexenverfolgung in Bayern, S. 83f. Jerouschek/Behringer, Hexenhammer, S. 44 und S. 439 (Anm. 227). Stinzing, Populäre Literatur, S. 413, 417. Laienspiegel, Von urteylen, fol. CXVIIIr. Schlosser/Schwab, Oberbayerisches Landrecht, Kommentar zu Art. 35; Wüstendörfer, Das baierische Strafrecht, S. 130, 220. Art. 35 (3), 36 (13), 37 (3) , 39 (2), 48 (2) des Oberbayerischen Landrechts (1346). Cramer-Fürtig, Landesherr und Landstände, S. 75. Als Werk eines Ungelehrten für Ungelehrte wurde der Laienspiegel von Stintzing als „populäre Literatur“ eingeordnet, Populäre Literatur, S. 425ff., und von Planitz/Eckhardt als „Vulgärliteratur“ bezeichnet, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 254. Diese Begrifflichkeit wird heute überwiegend abgelehnt, vgl. Deutsch, Klagspiegel, S. 1.

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darinn ersehen (...)114. Dabei geht es ihm insbesondere darum, für die Anwendung des neuen Rechts zu sorgen, einerseits der unter Maximilian I. entstandenen Reichsgesetze115, andererseits des gelehrten Rechts116: Aber so die gemeynen recht (...) ferrer mit neüwen satzungen und edicten erklärt, gemeert unn verendert, durch die rechtweisen unn gelerten manigfaltigklich geleütert (...)117. Das deutsche Gewohnheitsrecht will er zwar in seiner Darstellung berücksichtigen118, wo es aber dem neuen Recht widerspricht, sollen die überkommenen Gebräuche abgeschafft werden119. Tengler macht es sich nicht schlicht zur Aufgabe, die für den ungelehrten Laien unverständlichen lateinischen gelehrten Schriften in die deutsche Sprache zu übersetzen120, er bemüht sich vielmehr auch um Vereinfachung121 und nimmt damit bewusst in Kauf, dass nicht jedes Rechtsproblem allein mit Hilfe seines Werkes zu lösen ist, sondern der Rat der Gelehrten eingeholt werden muss: unn mißlich ist, dasselb latin in verfängklichem teütsch für zulegen, das eyn schlechter Ley in yeder sach gründtlich nach geschriben rechten zu Rathen und urteylen, sonder müssen sich alleyn auß der rechtweisen rath (...) dem rechten vergleichen122. Zu diesem Zwecke will er sein Werk mit Allegationen versehen; er stellt ausdrücklich klar, dass diese nicht schlicht als Autoritätsbeweise dienen sollen, sondern der vertieften Information: (...) mit der Rechtgelerten Allegation bezeychnet, doch nit gar in bestätigung oder bewörung weiß, sonder ob yemandt den grund nit lauter 114 115

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Laienspiegel, Vorreden, Layenspiegels Vorrede, fol. Ir. Laienspiegel, Vorreden, Layenspiegels Argument: (...) Herr Maximilian Römischer Keyser (...) zu etwo manchen Reichsstagen, mennigerley guter notturfftiger ordnung, constitution und gesatz (...) auffgericht (...). Vgl. Kleinschmidt, Art. Tenngler, Ulrich, VL IX, Sp. 693. Laienspiegel, Vorreden, Layenspiegels Vorrede, fol. Ir. Laienspiegel, Vorreden, Layenspiegels Argument: (...) ein Teutsch büchlin (...) auß obberürten (...) ordnungen, satzungen, unn gewonlichen übungen gezogen (...). Tengler verurteilt das Festhalten an alten Gewohnheiten als Hindernis für die Durchsetzung des neuen Rechts und als Ungehorsam gegenüber dem Kaiser, Laienspiegel, Vorreden, Layenspiegels Argument. Laienspiegel, Vorreden, Layenspiegels Vorrede: (...) durch die rechtweisen (...) alles in scharpffem Latin dermassen beschriben, das sie den ungelerten Leyen (damit das weltlich recht an mer enden im heyligen Reich geübt) unverstendig (...), fol. Ir. Sebastian Brant lobt die darin zum Ausdruck kommende Bescheidenheit Tenglers; nicht den Ruhm suche er, vielmehr stelle er seine Arbeit ganz in den Dienst der Ratsuchenden: in welchem er doch (...) mehr die verstentnüs des lernenden, dann auß manigfaltigung zierlicher und schaumenden worten im selbs glori und rhum der leere gesucht, Laienspiegel, Vorreden, Doctor Sebastiani Brand Vorreden in disen Leyenspiegel. Laienspiegel, Vorreden, Layenspiegels Vorrede, fol. Ir; vgl. auch Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 350.

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verstünd, d[a]z er dardurch mög ursach unn anzeygens haben, ferrer underricht bei den rechtweisen zusuchen (...)123. Allerdings legt Tengler ausdrücklich die Betonung auf seinen deutschen Text: Den Leser soll nicht interessieren, auf wessen Meinung die Rechtsregeln basieren, ob sie dem weltlichen oder geistlichen Recht entstammen. Tengler erklärt es als seine bewusste Entscheidung, die Allegationen nur am Rande vermerkt und Verweise im Text vermieden zu haben124. Auch hinsichtlich der Allegationen gibt Tengler explizit der Verständlichkeit den Vorzug gegenüber der Vollständigkeit125. Die Allegationen weisen denn auch nur auf einen Teil der verwendeten Vorlagen hin, nämlich auf die des gelehrten Rechts; die ebenfalls als Quellen angegebenen (...) ordnungen, durch die hochgelerten im latin unn teütsch bewärlich beschriben und auß ergangenen processen im heyligen Reich (...) zusamen in disen gemeynen Leyenspiegel gezogen (...)126 werden indes nicht näher benannt, an keiner Stelle verweist Tengler ausdrücklich auf diese Vorlagen. Roderich von Stintzing hat versucht, die Quellen des Laienspiegels zu ermitteln127. Als Quellen des ersten Buches vermutet er die Magdeburger Fragen und den Schwabenspiegel, ohne dies überzeugend zu begründen, außerdem das "Speculum Iudiciale" des Durantis und die zugehörigen Additonen des Johannes Andreae sowie Bartolus und verschiedene Schriften der Prozesspraxis. Die Allegationen zeigen indes, dass Tengler auch Azo und Accursius, ferner Panormitanus und den Tractatus de servitutibus des Bartholomäus Caepolla verwendete. Für den zweiten zivilrechtlichen Teil hält Stintzing – was die Ausführungen zu den Einreden betrifft – das Defensorium juris des Gerhardus Monachus cisterciensis für maßgeblich, außerdem, für den Abschnitt über den Teufelsprozess den Belial, des Jacobus von Theramo. Daneben mag der Laienspiegel hier für die Klagformeln auch den Klagspiegel als

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Laienspiegel, Beschlusz des Leyenspiegels, fol. CXXIIIr. Vgl. dazu auch Brant in seiner gereimten Vorrede zum Laienspiegel: Was du nit weyst das solt du fragen, Laß dir das eyn geleerten sagen. Oder der meer recht hab erfarn; Pahlmann, Bernhard, Art. Ulrich Tengler, Deutsche und Europäische Juristen, S. 418-420, 419. Laienspiegel, Vorreden, Vorrede, Iv. Laienspiegel, Beschlusz des Leyenspiegels: (...) wann den schlechten Leyen, etwo durch weitleüffig lang schrifften zulesen, ihr gemüt vil ehe zerstrewt werden, weder das sie den rechten grund selbs möchten erfünden oder erkennen, fol. CXXIIIr. Gerade auch aufgrund dieser Anlage rechnet Stintzing den Laienspiegel zur Gattung der „populären Rechtsliteratur“, Stintzing, Populäre Literatur, S. 446. Laienspiegel, Vorreden, Vorrede, fol. Ir. Stintzing, Populäre Literatur, S. 436ff., zuvor in Ansätzen schon Stobbe, Rechtsquellen II, S. 172; neuere Forschungsergebnisse zu den Quellen des Laienspiegels sind kaum vorhanden vgl. Koehler, Bernhard, Art. Laienspiegel, HRG II 11978, Sp. 1357-1361.

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Vorlage verwendet haben128. Diesen sieht Stintzing in jedem Fall als Quelle des dritten, strafrechtlichen Teils an; ebenso die Bambergensis und für den Hexenprozess Kramers Malleus maleficarum. Wie die Untersuchung der Ausführungen zum Inquisitionsprozess zeigen wird, hat Tengler für den dritten Teil auf viele weitere Quellen zurückgegriffen, der Klagspiegel spielte wohl eine eher untergeordnete Rolle. Nicht nur wegen der Aufnahme wichtiger zeitgenössischer Werke, sondern vor allem durch die Darstellung des gemeinen Rechts, ohne dabei die Gegebenheiten im Deutschland des ausgehenden Mittelalters und die Bedürfnisse seiner Zeit aus den Augen zu verlieren, kann die Bedeutung des Laienspiegels für seine Zeit gar nicht hoch genug eingeschätzt werden129. Jacobus Locher bescheinigt dem Werk in seinem Epigramm dauerhafte Relevanz, weil er „den deutschen Männern stets nutzen wird“: Hoc opus, hicque labor longum venturus in aevum, Teutonicis siquidem proderit usque viris130. Die tatsächliche zeitgenössische Wertschätzung zeigt sich nicht nur in den zahlreichen Drucklegungen; es finden sich Belege für die Nutzung des Werkes in der Praxis und offenbar auch durch gelehrte Juristen. So erwirbt 1572 der Kölner Jurist Hermann von Weinsberg ein Exemplar des Laienspiegels131. Der gelehrte Pforzheimer Stadtschreiber Alexander Hugen hat den Laienspiegel nachweislich für seine 1528 erstmals gedruckte Formularsammlung „Rethorica und Formulare teütsch“ verwendet132.

2. Der Klagspiegel als Vergleichswerk

Ab 1516 gibt Sebastian Brant auch den Klagspiegel heraus. Er leitet seine Vorrede zum Klagspiegel mit einer Lobrede auf den Laienspiegel ein und stellt ihn in dessen Dienst: Der Leyen spiegel hoher acht, den mein freündt Tengler hat

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Koehler, Bernhard, Art. Laienspiegel, HRG II 11978, Sp. 1357-1361, 1360. Stintzing, Populäre Literatur, S. 447, Schmitz, Der Teufelsprozess, S. 24; und andere, z. B. auch Schwerhoff, Köln im Kreuzverhör, S. 85. Laienspiegel, Vorreden, Iacobus Locher Philomusus, Poeta et Orator Laureatus, Lectoribus selicitatem optat, Epigramma. Nachweis bei Schwerhoff, Köln im Kreuzverhör, S. 85. Deutsch konnte die enge Anlehnung Hugens an Tenglers Ausführungen zu verschiedenen gerichtsverfassungsrechtlichen Fragen nachweisen, Deutsch, „Rhetorica und Formulare teütsch“, S. 60ff. An die mir vorliegende Straßburger Ausgabe des Laienspiegels ist Hugens „Rhetorica“ angebunden.

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gemacht (...) Darneben ich zu disen stunden, dis wolgeschickt wercklin befunden. (...) das ich mit fleiß hab wöllen schauwen. Und nach dem besten corrigieren, damit es desterbaß hofieren. Und dienen mög dem Spiegel klor den ich bestimmet hab hievor133. Das Buch, das Sebastian Brant hier „gefunden“ und in Anlehnung an den Titel des Laienspiegels „Klagspiegel“ genannt hat, wird tatsächlich erst durch Brants Entdeckung und im Zusammenhang mit dem Laienspiegel populär134; Entstehungszeit und Verfasser waren lange Zeit unbekannt. Nach den Erkenntnissen von Andreas Deutsch muss die erste Handschrift in der Zeit zwischen 1436 und der Mitte der siebziger Jahre des 15. Jahrhunderts entstanden sein135. Als Verfasser wird heute Conrad Heyden vermutet136, der wie Ulrich Tengler Stadtschreiber im schwäbisch-fränkischen Raum war, genau gesagt in Schwäbisch Hall137. Wie Ulrich Tengler verfügte auch Conrad Heyden über gute Lateinkenntnisse138 und war durch seine praktische Erfahrung rechtskundig139, sieht sich aber – obgleich er wohl einige Zeit in Erfurt studierte140 – selbst nicht als Rechtsgelehrter; auf die doctores verweist er mit einer gewissen Ehrfurcht141. Der Klagspiegel ist in nur zwei Bücher aufgeteilt; das erste Buch des Laienspiegels zu den Fragen der städtischen Praxis findet bezeichnenderweise im Klagspiegel keine Entsprechung142; „öffentlich-rechtliche“ Fragen werden aber teilweise im ersten Teil behandelt143. Vornehmlich stellt dieser jedoch Zivil- und Zivilprozessrecht dar, der zweite Teil entsprechend Straf- und Strafprozessrecht. Dabei zeichnet sich der Klagspiegel durch eine enge Anlehnung an das gemeine Recht aus – schon die lateinischen Überschriften 133

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Klagspiegel, Vorreden, Vorred dis klagspiegels. Bei der hier verwendeten und zitierten Ausgabe des Klagspiegels handelt es sich um jene Getruckt zu Straszburg durch Johannem Albrecht im Jahre 1536 (vgl. ebenda fol. CXXXVr), einem Nachdruck der Urausgabe Sebastian Brants von 1516 aus demselben Jahr und derselben Druckwerkstatt wie die verwendete Laienspiegelausgabe. Zu den Ausgaben des Klagspiegels, Deutsch, Klagspiegel, S. 13f. Die zitierte Ausgabe von 1536 steht, wie die verwendete Laienspiegelausgabe, in digitaler Version zur Verfügung, (http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/drwbrant1536). Deutsch, Klagspiegel, S. 18ff., 23. Deutsch, Klagspiegel, S. 26ff. Zum Leben von Conrad Heyden ausführlich, Deutsch, Klagspiegel, S. 199ff. Deutsch, Klagspiegel, S. 79ff., 123, 74. Deutsch, Klagspiegel, S. 75. Wie bereits erwähnt, lässt sich auch Conrad Heyden als Verfasser städtischer Satzungen nachweisen, Deutsch, Klagspiegel, S. 139f. Deutsch, Klagspiegel, S. 128ff., 166. Deutsch, Klagspiegel, S. 78. Deutsch, Klagspiegel, S. 431. Deutsch, Klagspiegel, S. 223.

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weisen auf die Wiedergabe römisch-italienischen Rechts hin144. Tatsächlich schöpft der Klagspiegelverfasser im Wesentlichen aus gelehrten Quellen – insbesondere Roffredus, Azo, aber auch Guilelmus Durantis und Albertus Gandinus145. Es wird als sein Verdienst gewertet, wichtige Rechtsgrundsätze, wie in dubio pro reo und ne bis in idem, erstmals in deutscher Sprache dargestellt zu haben146. Für den zivilrechtlichen Teil gilt der Klagspiegel als eine der wichtigsten Quellen des Laienspiegels147; für die strafrechtlichen Ausführungen konnten indes bislang nur „ähnliche Formulierungen“ festgestellt werden148. Die folgende Untersuchung wird zeigen, dass die Themenauswahl und Schwerpunktsetzung Tenglers von der des Klagspiegelverfassers stark abweicht und die Darstellung des Inquisitionsprozesses in den beiden Werken völlig unterschiedlich konzipiert ist. Die nur „ähnlichen“ Formulierungen können letztlich als Argumente gerade gegen die Verwendung des Klagspiegels angeführt werden: In einer Zeit, in der das Kopieren fremder Texte nicht als unanständig empfunden wird149, spricht nichts gegen die Verwendung von Vorlagen im Wege wörtlicher Übernahmen – solche finden sich im Laienspiegel aus der Bambergensis, nicht aber aus dem Klagspiegel. „Ähnliche Formulierungen“ indes sprechen eher für gemeinsame Quellen – bei Klagspiegel und Laienspiegel sind das vor allem Durantis und Gandinus.

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Deutsch, Klagspiegel, S. 223ff., 439f. Deutsch, Klagspiegel, S. 225ff., 440ff. Dazu ausführlich Deutsch, Klagspiegel, S. 338ff., 523ff. Deutsch, Klagspiegel, S. 430ff. Deutsch, Klagspiegel, S. 608. Selbst der unberechtigte Nachdruck von Büchern wurde zu Tenglers Zeit noch nicht als Verletzung des geistigen Eigentums empfunden: Der Vermerk eines Nachdruckprivilegs in den späteren von Rynmann verlegten Ausgaben des Laienspiegels stellt eine Besonderheit dar, Schmitz, Der Teufelsprozess, S. 21. Erst Ende des 17. Jahrhunderts prangert Nicolaus H. Gundling den „Schändlichen Nachdruck andern gehöriger Bücher“ an und gilt damit als einer der Mitbegründer der Lehre vom Geistigen Eigentum, Lück, Nicolaus H. Gundling, S. 9ff. Noch im 19. Jahrhundert herrscht die Privilegienpraxis anstelle eines generellen Schutz des geistigen Eigentums Wadle, Württembergische Nachdruckprivilegien, S. 523ff.

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3. Der Inquisitionsprozess a. Kennzeichen, Wurzeln und Entwicklung Untersucht man den Laienspiegel in seiner Eigenschaft als Rezeptionsquelle, liegt es nahe, besonderes Augenmerk auf den Inquisitionsprozess zu legen; handelt es sich hierbei doch – heute unbestritten – um einen im gemeinen Recht entwickelten Prozesstypus, an dessen Eindringen in das deutsche Recht sich die Phasen und Wege der Rezeption bestens zeigen150. Ist in der aktuellen rechtshistorischen Forschung vom „Inquisitionsprozess“ die Rede, so ist jenes Strafverfahren gemeint, das wesentliche Merkmale des modernen Strafprozesses verwirklicht und insofern als dessen Ursprung anzusehen ist151. Diese Merkmale sind zum einen die Offizialmaxime, zum anderen die amtliche Ermittlung der materiellen Wahrheit mittels rationaler Beweismittel (Instruktionsmaxime)152. Der Inquisitionsprozess wird damit einerseits in Abgrenzung zum Akkusationsverfahren definiert, das die ursprüngliche Form der Strafverfolgung im deutschen wie im gelehrten Recht darstellt und von den Parteien eingeleitet und betrieben wird153. Andererseits unterscheidet sich der Inquisitionsprozess von dem – vom formalen Beweisverfahren mit Ordal und Zweikampf geprägten – alten Verfahren154. Bis zum 4. Laterankonzil lag – nach der zeitgenössischen Vorstellung – die Entscheidung über die Verurteilung in der kirchlichen wie in der weltlichen Gerichtsbarkeit nicht in der Hand des Richters bzw. der Urteiler; vielmehr offenbarte sich im Gelingen oder Misslingen der Ordale und des Reinigungseides der göttliche Richterspruch. Das 4. lateranische Konzil verbot 1215 den Geistli-

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Ignor, Geschichte, S. 47. Kantorowicz, Altitalienischer Strafprozess, S. 311. Zur unberechtigten Diskreditierung des Inquisitionsprozesses hat zuletzt Arnd Koch umfassend Stellung genommen, Denunciatio, S. 38; zuvor ausführlich dazu Sellert, Inquisitionsprinzip, S. 161ff. Eb. Schmidt, Einführung, S. 87; ders., Inquisitionsprozeß und Rezeption, S. 3ff.; Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 171; Schlosser, Hans, Art. Inquisitionsprozeß, HRG II 11978, Sp. 378-382, 381; Sellert, Quellen I, S. 110. Zur Bedeutung von Offizial- und Untersuchungsprinzip im Strafprozess vgl. Ignor, Geschichte, S. 17. Ausdrücklich warnen Zechbauer und Trusen davor, den Inquisitionsprozess überall zu vermuten, wo von einer inquisitio die Rede ist; bis in das 13. Jahrhundert wurde dieser Begriff vielfältig und völlig untechnisch verwendet, Zechbauer, Strafrecht Siziliens, S. 180; Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 170, dem schließt sich auch Jerouschek an, Herausbildung, S. 340. Zur Abgrenzung des Inquisitionsverfahrens vom Strafverfahren des Sachsenspiegels Überblick bei Ignor, Geschichte, S. 56f. Eb. Schmidt, Inquisitionsprozeß und Rezeption, S. 3ff.

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chen jede Mitwirkung an Gottesurteilen155. In dem auf demselben Konzil kirchenrechtlich verankerten Inquisitionsverfahren tritt deshalb der Zeugenbeweis an die Stelle der alten Beweismittel156. Es obliegt jetzt dem Richter die Wahrheit herauszufinden157. Inwiefern damit tatsächlich die Abkehr von einem formalen Beweisverständnis vollzogen und das Postulat der Ermittlung der materiellen Wahrheit eingelöst wird, darf allerdings, wie die folgende Untersuchung zeigen wird, bezweifelt werden. Schon im 19., verstärkt aber im 20. Jahrhundert widmete sich die strafrechtsgeschichtliche Forschung der Frage nach den Wurzeln des Inquisitionsverfahrens158. Es wurden zwei gegensätzliche Erklärungsansätze entwickelt. Die von Eberhard Schmidt159 aufgestellte und unter anderem von Mitteis und Lieberich160 übernommene These von der autonomen Entstehung des Inquisitionsverfahrens im deutschen Recht, gilt heute als widerlegt161. Trusen konnte den bereits im 19. Jahrhundert vertretenen Ansatz162, der Inquisitionsprozess stamme aus dem kanonischen Recht163 und sei schließlich in das deutsche Recht übernommen worden, in einer überzeugenden Quellenstudie belegen164. Die Erkenntnisse Eberhard Schmidts relativiert Trusen, indem er auf eine der gesamten Untersuchung zugrunde liegende Fehlvorstellung Schmidts hinweist: Der Forscher ging, entsprechend einer lange Zeit herrschenden Ansicht, davon aus, dass die Rezeption des römischen und 155

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Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 289; Van Caenegem, Legal history, S. 83ff.; zum Verbot von Zweikampf und Gottesurteil im Liber Extra, Kéry, Aspekte kirchlichen Strafrechts, S. 271ff. In der deutschen Gerichtspraxis indes vollzieht sich die Veränderung des Beweisrechts über Jahrhunderte hinweg, Nehlsen-von Stryk, Krise. Brundage, Medieval Canon Law, S. 120f. Überblick bei Sellert, Quellen I, S. 109ff., Anm. 166; ders., Inquisitionsprinzip, S. 163ff. Eb. Schmidt, Inquisitionsprozeß und Rezeption; ferner ders., Strafrechtspflege und Rezeption, S. 253 und ders., Einführung, S. 86ff. Mitteis/Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 280. Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 222; Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 130; Ignor, Geschichte, S. 47; Oehler, Entstehung, S. 847. Dagegen offenbar Buschmann, Inquisition und Prozeß, S. 68ff. So z. B. von Biener, Beiträge. S. 145, 149ff., und R. Schmidt, Herkunft, aber auch Zechbauer, Strafrecht Siziliens, 168ff.; Ignor, Geschichte, S. 47; Sellert, Quellen I, S. 109, Anm. 166. Zu den kanonischen Wurzeln des Inquisitionsprozesses vgl. Trusen, Der Inquisitionsprozeß; guter Überblick bei Ignor, Geschichte, S. 47ff. Auf die vielfach augenscheinlichen Parallelen zwischen der gemeinrechtlichen und der „deutschen“ Prozessrechtsentwicklung weisen ausdrücklich und umfassend hin: Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 32ff. und Jerouschek, Herausbildung, S. 333ff.

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kanonischen Rechts erst im ausgehenden 15. Jahrhundert eingesetzt habe. Soweit er den Inquisitionsprozess also in früheren deutschen Quellen zu finden glaubte, musste er von einem deutschen Ursprung ausgehen. Heute steht dagegen fest, dass jene früheren Quellen, in denen Schmidt das „deutsche“ Inquisitionsverfahren nachzuweisen versuchte, bereits Übernahmen aus dem gemeinen Recht aufweisen. Die Rezeption hatte bereits im 13. Jahrhundert begonnen165. Das ursprüngliche Inquisitionsverfahren, wie wir es bei Innozenz III. finden166, stellt sich zunächst als innerkirchliches Disziplinarverfahren dar. Es entwickelt sich aus dem sog. Infamations- oder Purgationsverfahren167, in dem auf ein Gerücht (mala fama oder infamia) hin der Kleriker von Amts wegen zum Reinigungseid (purgatio) geladen wurde168. Untersuchungen fanden in diesem Verfahren nur hinsichtlich der Existenz und der Glaubhaftigkeit des Gerüchts statt (inquisitio famae), nicht jedoch zur Aufklärung des vorgeworfenen Delikts169. Das Inquisitionsverfahren übernimmt die Prozessvoraussetzung der mala fama, verlangt nun aber im Anschluss an die inquisitio famae die Aufklärung der Tat, derentwegen der Kleriker berüchtigt ist (inquisitio veritatis)170. Das Verfah-

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Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 218. Namentlich in X 5.3.31 (Licet heli) (1199); X 5.1.17 (Qualiter et quando) (1206); X 5.1.24 (Qualiter et quando). Übersetzung bei Oehler, Entstehung, S. 848ff. Ausführlich zu diesen Dekretalen Kéry, Inquisitio – denunciatio – exceptio; Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 206ff.; ders., Anfänge, S. 45f.; Biener, Beiträge, S. 47ff.; ferner Koch, Denunciatio, S. 43ff. Innozenz III. beruft sich zur Rechtfertigung des Verfahrens auf Bibelstellen, namentlich auf das Vorgehen Gottes gegen Sodom und Gomorra, Gen. 18.20-21, ferner Lk. 16.1-8, Mt. 18.23-25 und Mt. 25.14-30, vgl. Ignor, Geschichte, S. 49. Zu Innozenz III. jetzt auch Hirte, Innozenz III., S. 21ff. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 210; ders., Anfänge, S. 42; Biener, Beiträge, S. 38ff., 54; anders Hirte, Innozenz III., S. 135ff., 165ff. und Oehler, der erklärt, der Inquisitionsprozess sei „wie ein deus ex machina ohne jegliche Vorbereitung“ aufgetreten, Entstehung, S. 853. Ausführlich zum Infamations- oder Purgationsverfahren, München, Kanonisches Gerichtsverfahren und Strafrecht, S. 462ff.; Molitor, Kanonisches Gerichtsverfahren, S. 107ff. Nach Rüping/Jerouschek indes entbehrt dieses Verfahren der Quellenbelege, Grundriss, Rz. 33. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 179ff.; Jacobi, Der Prozeß im Decretum Gratiani, S. 320ff. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 184. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 211; Brundage, Medieval Canon Law, S. 147ff.; München, Kanonisches Gerichtsverfahren und Strafrecht, S. 483f.

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ren gliedert sich damit in zwei Abschnitte, das – summarisch ablaufende171 – Vorverfahren zur Feststellung der mala fama und das Hauptverfahren, das die Ermittlungen über die Tat zum Gegenstand hat172. Der Reinigungseid behält nur eine subsidiäre Funktion; auf die purgatio greift man zurück, wenn das Delikt nicht nachgewiesen werden kann173. Wie schon das auf Reinigung gerichtete Infamationsverfahren ist auch das Inquisitionsverfahren ein Instrument der Kirche, mit dem sie dem zunehmenden Sittenverfall unter den Klerikern Einhalt zu gebieten versucht174. Indem der Kleriker sich von den im Volk bestehenden Vorwürfen reinigt, sollte das Gerücht im Infamationsverfahren zum Schweigen gebracht und ein scandalum, ein öffentliches Ärgernis, das dem Ansehen der Kirche schadet, verhindert werden. Besser als durch die Reinigung schien dies für Innozenz III. durch die Aufklärung und Bestrafung der Verfehlungen gewährleistet, die er deshalb im Inquisitionsverfahren an die Stelle des Reinigungseides treten ließ175. Überführung und Bestrafung wurden damit zugleich vom Erfordernis eines Anklägers losgelöst, an dem es angesichts des Risikos der Talionsstrafe oftmals mangelte176. Kommt dem kirchlichen Richter ein Gerücht über einen ihm untergebenen Kleriker zu Gehör, obliegt es ihm, Untersuchungen einzuleiten und, ist die Verfehlung bewiesen, den Kleriker zu strafen. Darüber hinaus sollen – um den sittlichen Lebenswandel der Kleriker sicherzustellen, gegebenenfalls ein solches Gerücht im Keim zu ersticken und damit ein scandalum frühzeitig zu verhindern – die kirchlichen Richter nicht warten, bis ihnen ein Gerücht zugetragen wird, sondern dieses Gerede in sog. 171

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Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 218, mit Verweis auf Glossa ordinaria, X 5.1.19 (cum oporteat). Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 211; München, Kanonisches Gerichtsverfahren und Strafrecht, S. 483f. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 208. Zur Rolle des Reinigungseides im Inquisitionsverfahren s. u. Kap. VI.: Der Reinigungseid als hilfsweiser Verfahrensabschluss, S. 284ff. Buschmann, Inquisition und Prozeß, S. 72; Ignor, Geschichte, S. 47f.; Molitor, Kanonisches Gerichtverfahren, S. 173. Zur fehlenden Verlässlichkeit des Reinigungseides, Koch, Denunciatio, S. 41; Jerouschek, Herausbildung, S. 335; Ignor, Geschichte, S. 48; ferner Hinschius, System V, S. 350. Bezeichnenderweise ist es Innozenz III., der die Maxime ne crimina remaneant impunita, die ursprünglich im römischen Recht wurzelt, in das Bewusstsein der mittelalterlichen Juristen rückt und damit den Programmsatz der obrigkeitlichen Strafverfolgung formuliert, Pennington, Innocent III, S. 352ff. Während im römischen Recht noch der Begriff maleficium zu finden ist, stellt Innozenz mit dem Terminus crimen klar, dass es um die nach heutigen Maßstäben öffentlichrechtliche Dimension der Tat geht, Pennington, a. a. O., S. 354. Ignor, Geschichte, S. 48. Zur Ineffektivität der vorhandenen Verfahrensformen, Hirte, Innozenz III., S. 44ff.

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Generalinquisitionen gezielt aufspüren. Das Instrumentarium hierfür bildet das – später als inquisitio generalis bezeichnete177 – Vorgehen der Sendgerichte, das schon lange vor der Herausbildung des Inquisitionsprozesses zur gezielten Information des Bischofs über die Verfehlungen von Laien und Klerikern in seinem Bezirk eingesetzt wurde178. Das 4. Laterankonzil 1215 sieht neben der Einleitung des Inquisitionsverfahrens ex officio i.e.S. auch die Einleitung per promoventem oder per denuntiationem vor179. Es sollen Personen beauftragt werden, die in den Diözesen nachforschen, welche Gerüchte kursieren, um diese dann bei den regelmäßig abzuhaltenden Provinzsynoden dem Metropoliten vorzutragen180. Damit erhält die alte Form des Sendgerichtsverfahren – mit den testes synodales als Rügeinstanz und bald auch als vorgeschaltete Ermittlungsbehörde – eine wichtige Funktion im Zusammenhang mit dem Inquisitionsverfahren181. Insbesondere im Ketzerprozess, aber auch, wie wir sehen werden, in der städtischen Gerichtsbarkeit wird die Denunziation bzw. Rüge zur üblichen Einleitungsform des Inquisitionsprozesses182. Dieser Umstand ist es wohl, der zu der lange Zeit vertretenen Annahme führte, der Inquisitionsprozess wurzele im Sendgerichtsverfahren183. Dessen Ursprung wiederum liegt nach verbreiteter Auffassung im fränkischen Rügeverfahren – damit schien die Entwicklung des Inquisitionsverfahrens im germanischen Recht bewiesen184. Die Ermittlungen und die Befragung der Denunzianten stehen indes außerhalb des eigentlichen Inquisitionsverfahrens. Sie können sich wie die inquisitio famae als Vorverfahren des Inquisitionsprozesses darstellen, das dazu dient, die Prozessvoraussetzungen desselben festzustellen. Für die Generalinquisition, das Aufspüren von Verfehlungen eines Klerikers, ist aber wie für das

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Zechbauer, Strafrecht Siziliens, S. 181ff. Dazu im Einzelnen unten Kap. B.I.4.a.dd.: Die Entwicklung des Inquisitionsverfahrens im gemeinen Recht, S. 101ff. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 173, 214f. Dazu insbesondere Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation und Koch, Denunciatio. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 215. Zur Anordnung des 4. Laterankonzils, Ketzer im Wege der visitatio aufzuspüren, auch Niskikawa, Die inquisitio, S. 380. Zechbauer, Strafrecht Siziliens, S. 179; Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 173ff., 211ff. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 211ff.; Buschmann, Inquisition und Prozeß, S. 72, 76; Hinschius, Kirchenrecht V, S. 350. Auf die Zusammenhänge namentlich für England weist auch heute noch Kéry hin, Inquisitio – denunciatio – exceptio, S. 228. Buschmann, Inquisition und Prozeß, S. 70f.

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Vorverfahren in Form der inquisitio famae185 keine strenge Ordnung vorgesehen, sie erfolgt summarisch186. Dagegen entwickelt Innozenz III. für das eigentliche Inquisitionsverfahren, die sog. Spezialinquisition, also die Untersuchung gegen eine bestimmte Person zur Ermittlung der Wahrheit über ein Verbrechen, einen strikten ordo, der, was die formalen Anforderungen angeht, dem des Akkusationsverfahrens kaum nachsteht187. Die Position des Inquisiten im Prozess wird zum einen durch die Schriftlichkeit des Verfahrens, zum andern durch sein Recht zur Verteidigung gesichert; rechtmäßige „Exceptionen“ und „Replicationen“ sind zuzulassen188. Das Inquisitionsverfahren war, wie gesagt, ursprünglich ein kirchliches Disziplinarverfahren; wir haben es zunächst keineswegs mit einem peinlichen Strafprozess zu tun. Soweit Strafen verhängt werden, sind es in erster Linie Kirchenstrafen, der Verlust von Ämtern und Pfründen189. Zum peinlichen Strafprozess entwickelt sich das Inquisitionsverfahren vor allem im Rahmen der Ketzerverfolgung190. Hier begegnet es uns nicht in der beschriebenen Form, sondern als summarischer Prozess191. Die Entbindung vom üblichen 185

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Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 218 mit Verweis auf Glossa ordinaria zu X 5.1.19 (cum oporteat). Vgl. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 215 mit Verweis auf X 5.1.11. Zur Ordnung des Inquisitionsprozesses nach Innozenz III. Biener, Beiträge, S. 42ff.; Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 214. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 214. Das Vorbringen von Zeugen zum Gegenbeweis ist nach Gandinus dagegen nur im Verfahren per denunciationem/promoventem gestattet, Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (…) per inquisitionem, n. 11. Die Begriffe exceptio und replicatio stammen aus dem römischen Zivilprozess; die exceptio bezeichnet daneben im kanonischen Recht einen eigenen modus procedendi. Welche Bedeutung den Begriffen im Inquisitionsverfahren zukommt, ist bislang nicht erforscht. Nach der Darstellung des Klagspiegels stellen die „Exceptionen“ Einwendungen gegen das Gericht und die von diesem vorgebrachten Beweise dar, Exceptiones contra inquisitionem, fol. CXIIIv; unter den Replikationen wird entsprechend das Vorbringen von Gegenbeweisen und Entschuldigungsgründen zu verstehen sein. Glossa ordinaria X 5.3.30 (dilectus), X 5.3.35 (secure ministret); Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 217. Im Falle von Mord und Simonie drohten allerdings immer auch peinliche Strafen, Trusen, Vom Inquisitionsverfahren, S. 435. Buschmann, Inquisition und Prozeß, S. 93. Ausdrücklich ordnet das kanonische Recht für den Fall der Häresie das summarische Vorgehen an: VI 1.6.43; VI 5.2.20; Clem. 2.1.2.; Brundage, Medieval Canon Law, S. 140; Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 213; ders., Vom Inquisitionsverfahren, S. 435ff.; Ignor, Geschichte des Strafprozesses, S. 53. Zum summarischen Strafverfahren vgl. Müller, Die Entstehung, S. 299ff.; dies., Frauen vor der Inquisition, S. 339ff.; 348f., 355ff.; Hinschius, Kirchenrecht V, S. 481ff.; Hansen, Zauberwahn, S. 217ff.; Lea, Die Inquisition, S. 209ff.;

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ordo wird, wie bald auch die Anwendung der Folter, durch die Qualifizierung der Häresie als crimen laesae maiestatis divinae gerechtfertigt – für das Majestätsverbrechen erlaubt das römische Recht ein summarisches Verfahren und weitet den Anwendungsbereich der Folter aus192. Kennzeichen des summarischen Inquisitionsverfahrens gegen Ketzer sind der Verzicht auf den Vollbeweis, also die Zulässigkeit der Verdachtsstrafe193 und die Übernahme der Anzeigepflicht, der Folter und der Todesstrafe durch Verbrennung aus der spätrömischen Ketzergesetzgebung194.

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Patschovsky, Ketzerverfolgung, S. 641ff.; Trusen, Anfänge, S. 69ff.; ders., Vom Inquisitionsverfahren, S. 437ff. Schon das römische Recht entbindet für das Majestätsverbrechen von den üblichen Prozessregeln, vgl. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 57, 73. Zum römisch-rechtlichen summarischen Verfahren gegen Majestätsverbrechen Müller, Frauen vor der Inquisition, S. 340f. Zur Verdachtsstrafe als wesentlichem Merkmal des summarischen Prozesses dies. a. a. O., S. 343. Zum Eindringen des summarischen Verfahrens in den Ketzerprozess dies. a. a. O., S. 346. Der Terminus "Verdachtsstrafe" ist kein Quellenbegriff; er taucht erst in der Gesetzgebung des 18. Jahrhunderts auf, Balogh, Verdachtsstrafe, S. 10, Anm. 6. Als "Verdachtsstrafe" wird in der Literatur ein Phänomen bezeichnet, das sich als ein Anwendungsfall der poena extraordinaria darstellt. Eine "außerordentliche Strafe", die in der Regel milder als die gesetzliche ausfiel, sollte in erster Linie dann verhängt werden, wenn eine Handlung keinen gesetzlichen Tatbestand erfüllte, aber dennoch strafwürdig erschien. Eine poena extraordinaria war aber auch für den Fall vorgesehen, dass die Erfüllung eines Tatbestandes nur nicht voll bewiesen werden konnte. Für diese Konstellation wurde später der Begriff der "Verdachtsstrafe" geprägt. Die Bezeichnung ist insofern irreführend, als die "Verdachtsstrafe" nach heutigem Verständnis nicht aufgrund eines "Verdachts", sondern in der Regel doch aufgrund von "Beweisen" und der Gewissheit des Richters hinsichtlich der Schuld des Inquisiten verhängt wurde. Der Terminus ist dagegen treffend, wenn man die rein formale Definition des "Beweises", wie sie im Ius Commune galt, zugrunde legt. Aufgrund eines "Beweises" wird nach dem gemeinen Recht nur in dem Fall verurteilt, in dem die übereinstimmende Aussage zweier Augenzeugen oder ein Geständnis vorliegen; fehlen diese "Vollbeweise", stellt sich die Verurteilung als "Verdachtsstrafe" dar, vgl. Fraher, Conviction According to Conscience, S. 23f.; Balogh, Verdachtsstrafe, S. 9ff.; 19ff.; Roth, Andreas, Art. Verdachtsstrafe, HRG V 11998, Sp. 681-684; Müller, Die Entstehung, S. 306. Die Besonderheit der "Verdachtsstrafe" im Ketzerprozess ist nun, dass hier trotz fehlenden Vollbeweises nicht lediglich eine "außerordentliche" oder, wie Gandinus fordert (vgl. Fraher a. a. O., S. 42f.), nur eine Geldstrafe, sondern wie im Falle der voll bewiesenen Tat die Todestrafe verhängt werden darf, Tractatus de maleficiis, De presumptionibus et indiciis indubitatis (...), n. 12. Trusen, Vom Inquisitionsverfahren, S. 437, 439; ausführlich auch Müller, Frauen vor der Inquisition, S. 314 und dies., Die Entstehung, S. 299ff. Hier schildert Müller, welchen Bruch mit grundlegenden Prozessregeln die Einführung des summarischen Verfahrens in den Strafprozess darstellt. Johannes Fasolus fordert um 1275 für die Verurteilung in allen

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Das schließlich in der Carolina rezipierte gemeinrechtliche Inquisitionsverfahren hat, soviel steht heute fest, mit dem ursprünglichen kanonischen Inquisitionsprozess nicht viel mehr als die Grundzüge gemein195. Das Inquisitionsverfahren hatte sich über die Jahrhunderte weiter entwickelt. Eine umfassende Untersuchung dieser Entwicklung fehlt bislang196. Allerdings finden sich in der Literatur verschiedene Ansätze zur Erklärung jener Veränderungen, die zur Herausbildung des mit der Carolina rezipierten Inquisitionsverfahrens führten. Brunnenmeisters Untersuchung zu den Quellen der Bambergensis lieferte Erkenntnisse über die Modifikationen, denen das Inquisitionsverfahren durch die Übernahme aus dem kirchlichen ins weltliche Recht und anschließend durch die Bearbeitung seitens der weltlichen Jurisprudenz ausgesetzt war197. Auch Trusen und Jerouschek haben auf verschiedene Impulse hingewiesen, die für die Entwicklung des Verfahrens von Bedeutung gewesen sein mögen. Beide schließen ihre Untersuchungen jedoch mit der Erkenntnis, dass die Entwicklungs- und Rezeptionswege des Inquisitionsverfahrens nicht monokausal zu erklären sind und hier weiterhin Forschungsbedarf besteht198. Der folgende Abriss über die Entwicklung des Inquisitionsprozesses fasst den bisherigen Forschungsstand zusammen und soll den Ausgangspunkt bilden für die Untersuchung des Inquisitionsverfahrens im Laienspiegel. Die weltliche Gerichtsbarkeit lernt den Inquisitionsprozess früh in seiner summarischen Form als Ketzerprozess kennen199. Daneben wird aber auch

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Kriminalfällen die plenissima cognitio, die vollständigste Aufklärung, die den vollen Beweis verlangt und dem Beschuldigten alle Möglichkeiten der Verteidigung zur Verfügung stellt, Müller, a. a. O., S. 302, 201. Selbst für die zivilrechtlichen Verfahren, in denen das summatim cognoscere genügt, hält Fasolus, wenn dem Beklagten erheblicher Nachteil droht, neben dem Eid des Klägers zumindest eine Zeugenaussage oder einen Urkundenbeweis für erforderlich, Müller, a. a. O., S. 301. Auch Patschovsky betont, wie sehr das vereinfachte Verfahren in einer Gesellschaft auf Ablehnung gestoßen sein muss, für die das "Recht" primär prozessualen Charakter hatte, sich also in Form eines ordentlichen Verfahrens offenbarte, Ketzerverfolgung, S. 678f., Anm. 112; ebenso Fraher, Conviction According to Conscience, S. 29; vgl. ferner Fowler-Magerl, Ordo iudiciorum vel ordo iudiciarius, S. 9ff. Langbein stellt fest: „Not the detail of the canon Inquisitionsprozess, but its broad outline, seems likely to have derived from the church“, Prosecuting crime in the Renaissance, S. 155. Überblicksartig bei Ignor, Geschichte, S. 44. Brunnenmeister, Quellen, S. 214. Jerouschek, Herausbildung, S. 360; Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 118. Jerouschek, Herausbildung, S. 348; Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 220; Ignor, Geschichte, S. 51ff.

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der ordentliche Inquisitionsprozess bald rezipiert200: Auf Sizilien vollzieht sich bereits im Jahre 1231 die Übernahme des Inquisitionsprozesses vom kirchlichen ins weltliche Recht in Form eines bewussten autoritativen Aktes. Mit der Rezeption des Verfahrens durch Friedrich II. in seinen Konstitutionen von Melfi, kommt es zu einer Vermischung mit Elementen des römischen Prozessrechts201 und die Einleitung durch sog. Generalinquisitionen wird zum Regelfall erklärt202. Diese Aufnahme in das weltliche Recht steht in engstem Zusammenhang mit der Weiterentwicklung des kanonischen Inquisitionsverfahrens durch die Legistik: Roffredus von Benevent, der sich selbst als Legist verstand, setzte sich als Hofjurist Friedrichs II. mit dem neuen kirchlichen Verfahren auseinander und versuchte es für die weltliche Gerichtsbarkeit fruchtbar zu machen. Dafür suchte er Anknüpfungspunkte im römischen Recht203. Mit seinem Werk Libellus de iure pontificio liefert er die Grundlage für die kanonistische, vor allem aber legistische Bearbeitung des Inquisitionsprozesses. In den folgenden Jahrhunderten nehmen große Juristen – Kanonisten wie Durantis in seinem Speculum Iudiciale und Legisten wie Albertus Gandinus oder schließlich im 15. Jahrhundert Angelus Aretinus in ihren Traktaten – zum Inquisitionsprozess Stellung. Indes wird der Strafprozess generell von den Glossatoren stiefmütterlich behandelt; das Inquisitionsverfahren findet sich bei Azo und Accursius überhaupt nicht berücksichtigt204. Dagegen widmen sich die Kommentatoren durchaus dem Inquisitionsprozess, obwohl die enge formale Anlehnung an das Corpus Iuris Civilis die Verortung des ursprünglich kanonistischen Instituts erschwert205. Die Aufbereitung des Inquisitionsverfahrens für das weltliche Recht führt zu einigen Modifizierungen der Lehre vom Inquisitionsprozess. Brunnenmeister hat in seiner Studie zu den Quellen der Bambergensis die zentralen Neuerungen benannt. Dazu gehört die Vermischung des Inquisitionsverfahrens mit zwei ursprünglich eigenständigen kanonischen modi procedendi, der 200

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Zur Diskussion um die Existenz eines regulären neben dem irregulären Inquisitionsprozess vgl. Schulz, Normiertes Misstrauen, S. 49, Anm. 74; Kolmer, Ad capiendas vulpes, S. 112f.; Trusen, Das Verbot der Gottesurteile, S. 244ff. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 220; Ignor, Geschichte, S. 50; Nishikawa, Die inquisitio, S. 375; ausführlich „Über die Herkunft des sizilischen Inquisitionsverfahrens“, Zechbauer, Strafrecht Siziliens, S. 168ff. Zechbauer lehnt ausdrücklich die Gegenauffassung ab, Innozenz III. und Friedrich II. hätten beide aus dem normannischen Recht geschöpft, a. a. O., S. 171. Ignor, Geschichte, S. 51. Ignor, Geschichte, S. 50; Biener, Beiträge, S. 82ff. Ignor, Geschichte, S. 55, 86. Biener, Beiträge, S. 99ff., 102ff.; Ignor, Geschichte, S. 86.

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denunciatio und dem Verfahren bei notorischer Tat. Auf dem römischen Recht basiert nach Brunnenmeister das von den Legisten eingeführte Erfordernis des corpus delicti, der Feststellung, dass überhaupt ein Verbrechen geschehen ist. Als weitere Modifikation qualifiziert Brunnenmeister die Regelung der Folter im Inquisitionsprozess und namentlich die Lehre über deren Voraussetzungen, die sog. Indizienlehre206. Gegenstand der sog. Vollrezeption207, die sich in Deutschland im ausgehenden Mittelalter vollzieht und zu der auch der Laienspiegel seinen Teil beiträgt, ist nicht mehr der kanonische Inquisitionsprozess in seiner ursprünglichen Form, sondern jener gemeinrechtliche Inquisitionsprozess, wie er sich über die Jahrhunderte – teils unter dem Einfluss des römischen Rechts, teils aus der Verfahrenspraxis heraus – in der italienischen Rechtswissenschaft herausgebildet hat208. Der Inquisitionsprozess der Bambergensis und der Carolina weicht in wesentlichen Punkten von der kanonistischen Konzeption ab: Ein Vorverfahren zur Ermittlung eines Gerüchts, einer mala fama, kennen die deutschen Gesetze nicht. Dafür aber verlangt die Carolina zunächst Ermittlungen hinsichtlich des Verbrechens an sich. Außerdem stellt sich nun die Folter als zentrales Element des Verfahrens dar. Deren Voraussetzungen und Ablauf ist ein wesentlicher Teil der Regelungen gewidmet209. Mit der Vollrezeption etabliert sich der gelehrte Inquisitionsprozess. Gleichwohl bleibt er auch in der Carolina ein processus extraordinarius. Der Akkusationsprozess behält dagegen bis ins 18. Jahrhundert formal die Stellung des „ordentlichen Verfahrens“210. Wie der Begriff der „Vollrezeption“ schon nahe legt, ging der gezielten Übernahme des gemeinrechtlichen Inquisitionsverfahrens in das deutsche Recht unter Verwendung der gelehrten Quellen eine andere Form der Rezeption voraus. Das Eindringen des Inquisitionsverfahrens auf gleichsam informellen Wegen, das, wie bereits erwähnt, schon im 13. Jahrhundert einsetzt,

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Brunnenmeister, Quellen, S. 214. Zum Begriff der „Vollrezeption“, Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 114f. Brunnenmeister spricht vom „romanisierten“ kanonischen Inquisitionsprozess, Quellen, S. 214; Kantorowicz, Altitalienischer Strafprozess, S. 311. Zum Gegenstand der Vollrezeption grundlegend Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 133ff., speziell zur strafrechtlichen Rezeption stellt Wieacker fest, es werde die „Strafrechtswissenschaft des italienischen Spätmittelalters“ rezipiert, a. a. O. S. 137. Ignor, Geschichte, S. 60ff., 94ff. Koch, Denunciatio, S. 67ff. Zur tatsächlichen Bedeutung des Privatklageverfahrens neben dem Inquisitionsprozess in der städtischen Strafrechtspflege Nehlsen-von Stryk, Reinigungseid, S. 623ff., 634.

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wird heute als „Frührezeption“ bezeichnet211. Zum Zeitpunkt der Vollrezeption ist das Inquisitionsverfahren auch in Deutschland daher kein völliges novum; das kanonische Verfahren wird von den geistlichen Offizialatsgerichten212 praktiziert und ist daher bekannt213. Im Zusammenhang mit der Landfriedensbewegung haben sich außerdem vor allem in den süddeutschen Städten Vorgehensweisen zur Strafverfolgung, namentlich gegen die sog. landschädlichen Leute, entwickelt, die Anleihen beim gemeinrechtlichen Inquisitionsverfahren nehmen214. Was sich in diesem Zusammenhang in den Städten herausbildet, ist ein Strafverfahren von Amts wegen, in dessen Zentrum das Geständnis des Inquisiten steht und das der förmlichen Ordnung des gelehrten Inquisitionsprozesses, der Schriftlichkeit und der Kautelen zugunsten des Inquisiten weitgehend entbehrt. Inwiefern dieses Verfahren als Inquisitionsprozess zu qualifizieren ist, wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Trusen lehnt dies ab und spricht stattdessen von einem „Geständnisprozess“215. Die Forschung zum Inquisitionsverfahren zeigt: Es gibt nicht den Inquisitionsprozess. Das Verfahren war über die Jahrhunderte und durch die verschiedenen Rezeptionsvorgänge Veränderungen ausgesetzt. Zur Entstehungszeit des Laienspiegels sind daher verschiedene Erscheinungsformen des Inquisitionsverfahrens zu beobachten. Nur vor diesem Hintergrund lässt sich erklären, weshalb der Inquisitionsprozess, wie ihn Tengler beschreibt, so wenig mit jenem zu tun hat, den wir im Klagspiegel finden.

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Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 116 ff. Die Offiziale sind delegierte Richter, die anstelle des Bischofs dessen Gerichtsbarkeit ausführen und sich regelmäßig durch fundierte Rechtskenntnis auszeichnen, Brundage, Medieval Canon Law, S. 121. Die Rolle der kirchlichen Gerichte für das Eindringen des gelehrten Rechts in das Bewusstsein auch der Laien betonen Brundage, Medieval Canon Law, S. 120 und Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 76ff., 116f. Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 221; Nehlsenvon Stryk, Reinigungseid, S. 622. Dazu eingehend unten Kap. B.IV.: Acht und summarischer Inquisitionsprozess im Laienspiegel, S. 235ff., hier insbesondere 4.d.: Die Constitutio Ad reprimendum und der summarische Inquisitionsprozess gegen Landfriedensbrecher, S. 259ff. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 85; Fehr, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 173; dagegen Jerouschek, Herausbildung, S. 354.

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b. Die Darstellung des Inquisitionsprozesses im Laienspiegel Tenglers ausführliche Darstellung des Inquisitionsprozesses findet sich am Ende seines strafrechtlichen dritten Teils und damit nach seinen Ausführungen zum materiellen Strafrecht, Hexenprozess und Akkusationsverfahren. Obgleich Tengler selbst auf eine entsprechende Kennzeichnung verzichtet, bilden die folgenden 23 Kapitel einen eigenen Abschnitt, der im Wesentlichen dem Inquisitionsprozess gewidmet ist: Von denunciern und ansagen. Von inquirieren und erfarungen. Von übelthaten in einreden zugemessen. Von abtilgen der übelthat. Von purgation und rechtlicher entschuldigung. Forma purgation eyd. Von offenbaren thaten. Von heymlichen sachen. Von kundtlich wissen. Forma der mitpurgierer eyd. Von wissentlichen missethaten. Von unleümbden. Von gemürmblen. Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten. Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen. Von erfarung der that und bekennen des thäters. Ordnung in solcher kurtzer rechtvertigung. Forma peinlicher verkündung. Vom Gerichtstag. Vom verlesen des übelthäters urgicht. Von erzeügen der urgicht. Von urteylen. Forma der Endurteylen. Im Kapitel von denunciern und ansagen spricht Tengler bereits die Einleitung des Inquisitionsverfahrens aufgrund einer Anzeige an. Die eigentliche Darstellung

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des Inquisitionsverfahrens beginnt im Kapitel Von inquirieren und erfarung bzw. erfarungen216. Zu Beginn dieses Kapitels erklärt Tengler die Strafverfolgung von Amts wegen für dringend notwendig und führt einen Katalog von Fällen auf, in denen die Bestrafung eines Verbrechers nicht von einer Anklage abhängig gemacht werden darf. Noch im selben Kapitel stellt er sehr knapp den Ablauf des Inquisitionsverfahrens dar. Er erwähnt die peinliche Befragung, womit er auf das im Abschnitt über das Akkusationsverfahren zu findende Kapitel Von gestrengem fragen verweist217, das ausführlich zur Zulässigkeit der Folter im Einzelfall Stellung nimmt. Es folgen zwei Kapitel, die für den Inquisitionsprozess von geringer Bedeutung sind und daher in der folgenden Untersuchung nicht weiter behandelt werden. Der Laienspiegel beschreibt hier die kanonische Verfahrensform der exceptio, eine Art Gegenklage des Beschuldigten218 (Von übelthaten in einreden zu gemessen219) und dessen Begnadigung (Von abtilgen der übelthat)220. Die nächsten Kapitel sind dem Unschuldsbeweis durch den Reinigungseid gewidmet (Von purgation und rechtlicher entschuldigung und Forma purgation Eyd221). Das zugehörige Kapitel Forma der mitpurgierer eyd222, das neben der Schwurformel der Eidhelfer weitere Aussagen über die Voraussetzungen und Wirkungen des Reinigungseides enthält, steht in der ursprünglichen Ausgabe von 1511 noch an der richtigen Stelle, unmittelbar hinter dem Kapitel Von purgation und rechtlicher entschuldigung. Darauf lässt der Laienspiegel in einem isoliert stehenden Abschnitt eine abstrakte Abhandlung über die verschiedenen Grade der Gewissheit über ein Verbrechen folgen. Er behandelt die „heimlichen“ Verbrechen, das Wissen aus „unleümbden“ und „gemürmblen“ bis hin zur „Kundlichkeit“, dem zweifellosen Wissen über Tat und Täterschaft223. Die Allegationen führen hier zur kanonistischen Notorietätslehre224. Offenbar geht es Tengler hier um die

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Hier weicht die Titelangabe im Register von jener im Text ab; im Text ist, wie auch in der Ausgabe von 1511, von erfarungen die Rede. Eine interessante Abweichung weist schließlich auch die Ausgabe von 1544 auf, diese nennt das Kapitel: Von inquirieren und erfragen. Laienspiegel, fol. CVIIIv. Vgl. dazu Kéry, Inquisitio – denunciatio – exceptio; ferner Jerouschek, Herausbildung, S. 343. Laienspiegel, fol. CXIIIv. Laienspiegel, fol. CXIIIv. Laienspiegel, fol. CXIIIIr. Laienspiegel, fol. CXVr. Laienspiegel, fol. CXIIIIr-CXVv. Zur Notorietätslehre im Laienspiegel eingehend Kap. B.III., S. 195ff.

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Legitimation eines kurzen oder summarischen Inquisitionsprozesses – dem widmet er sich dann in den folgenden Kapiteln. Im Kapitel Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten225 folgt eine Übersetzung zweier Edikte Heinrichs VII. aus dem Jahre 1313, der Constitutio Ad Reprimendum und der Declaratio Quis sit rebellis, die der Laienspiegel als Aussage über das Vorgehen gegen notorische Majestätsverbrecher qualifiziert. Es schließt sich ein Abschnitt an, in dem der Laienspiegel scheinbar zum zweiten Mal das Inquisitionsverfahren beschreibt. Er leitet diesen Teil mit dem Kapitel Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen ein226. Es geht hier um Taten, durch die der Key. Maie. des heyligen Reichs, oder seiner Oberkeyt satzungen, oder gemeyner nutz beleydigt werden. Der Laienspiegel beschreibt an dieser Stelle die Konstellation, dass die fürsten und herrn hochgericht haben und deshalb die Ermittlungsergebnisse diesen zugeleitet werden müssen227. Das Urteil fällt in dieser Konstellation eine höhere Instanz, die „Ermittlungsinstanz“ ist wiederum für die Vollstreckung zuständig. Im Übrigen unterscheidet sich das Verfahren, was die Anforderungen an die Ermittlungen und den Beweis angeht, nicht erkennbar von jenem im ersten Kapitel beschriebenen. Schließlich stellt der Laienspiegel im Kapitel Von erfarung der that und bekennen des thäters ausdrücklich klar, dass auch im summarischen Verfahren auf freyheyten die Wahrheit herausgefunden werden muss und daher, insbesondere beim Einsatz der Folter, nicht anders gehandelt werden darf als im Akkusationsverfahren228. Das Kapitel Ordnung in sölcher kurtzer rechtvertigung229 leitet schließlich die Darstellung des endlichen Rechtstags ein. An einige Vorschriften zu den Formalitäten der Verkündung und Eröffnung des Gerichtstags schließen sich zwei Kapitel über das „Verlesen“ und „Bezeugen“ der urgicht an230. Es folgen formale und inhaltliche Vorgaben für das peinliche Urteil und – nach der Beschreibung der den einzelnen Delikten zugeordneten peinlichen Strafen – die Schließung des Gerichtstags. Durch Verweise bezieht Tengler weitere Kapitel in seine Ausführungenzum Inquisitionsverfahren ein. Das gilt zum einen für das Kapitel Von gestrengem fragen231, zum anderen für die Ausführungen zur formalen Ordnung des 225 226 227 228 229 230 231

Laienspiegel, fol. CXVv. Laienspiegel, fol. CXVIr. Laienspiegel, fol. CXVIv. Laienspiegel, fol. CXVIr. Laienspiegel, fol. CXVIr. Laienspiegel, fol. CXVIIr/v. Laienspiegel, fol. CVIIIv.

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endlichen Rechtstages232. Beides behandelt Tengler ausführlich im Abschnitt über das Akkusationsverfahren und kannt sich daher für das Inquisitionsverfahren auf den entsprechenden Verweis beschränken233.

4. Die Quellen des Laienspiegels zum Inquisitionsprozess a. Die allegierten Quellen des Laienspiegels Einige seiner Quellen gibt Ulrich Tengler seinem Leser durch Allegationen am Rande seines Textes bekannt234. Die Aussagekraft dieser Verweise ist allerdings insofern gering, als sie nicht als Referenzen in unserem heutigen Sinne zu verstehen sind; Tengler weist selbst darauf hin, dass er diese Quellen nit gar in bestätigung oder bewörung weiß235, sondern zu weiterführender Information angibt236. Darüber hinaus beziehen sich die meisten Allegationen auf das Corpus Iuris Civilis und auf das kanonische Recht; in den seltensten Fällen dienten diese Rechtssammlungen dem Laienspiegel aber direkt als Vorlage, in aller Regel übernimmt Tengler diese Allegationen aus den Schriften der italienischen Juristen. Diese gelehrten Vorlagen gibt er an den meisten Stellen an; teilweise verschweigt er sie aber. Ausdrücklich erklärt Ulrich Tengler, dass es für den Verwender des Laienspiegels nicht von Bedeutung sein soll, auf wessen Meinung die Ausführungen basieren und ob sie dem weltlichen oder geistlichen Recht entstammen237. Auch hält er es für nicht gewinnbringend, wenn der ungelehrte Leser seine gelehrten Vorlagen konsultiert: (...) wann den schlechten Leyen, etwo durch weitleüffig lang schrifften zulesen, ihr gemüt vil ehe zerstrewt werden, weder das sie den rechten grund selbs möchten erfünden oder erkennen238.

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Laienspiegel, Von peinlichen gerichts tagen, fol. CIXv bzw. Von besitzen und beleüten peinlichs Gerichts, fol. CXr. Laienspiegel, Ordnung in sölcher kurtzer rechtvertigung, fol. CXVIv. Dahinter steht eine bewusste Entscheidung; ausdrücklich weist der Laienspiegel darauf hin, Verweise im Text vermieden zu haben, Laienspiegel, Vorreden, Vorrede, fol. Iv. Laienspiegel, Beschlusz des Leyenspiegels, fol. CXXIIIr. Laienspiegel, Beschlusz des Leyenspiegels, fol. CXXIIIr. Laienspiegel, Vorreden, Vorrede, fol. Iv. Laienspiegel, Beschlusz des Leyenspiegels, fol. CXXIIIr.

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aa. Die Sammlungen des römischen und des kanonischen Rechts (1) Corpus Iuris Civilis Das Corpus Iuris Justinians (528-534 n. Chr.), um die Mitte des 11. Jahrhunderts wiederentdeckt239, stand zur Entstehungszeit des Laienspiegels nicht mehr nur einem kleinen Kreis von Gelehrten an den Universitäten zur Verfügung; spätestens mit dem Einsetzen des Buchdrucks in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nahm der Bestand erheblich zu240. Auch Tengler wird Zugang zu einem Exemplar gehabt haben. Er allegiert in seinen Ausführungen zum Inquisitionsprozess zu ungefähr gleichen Teilen Codex- und Digestenstellen, nur einmal verweist er auf die Institutionen. Die Regelungen zur Folter übernimmt er indes ganz überwiegend aus den Digesten241. Dabei beschränken sich die Verweise keineswegs auf die spezifisch strafrechtlichen Teile des justinianischen Rechts, die sog. libri terribiles der Digesten (die Bücher 47 und 48) und das 9. Buch des Codex. Obgleich zu vermuten ist, dass Tengler auch selbst das Corpus Iuris Civilis konsultierte, konnte er in der Regel die entsprechenden Verweise auf das römische Recht aus den Werken der italienischen Juristen übernehmen. Auch sie stützen ihre strafrechtlichen Lehren nicht allein auf die wenigen Aussagen des römischen Rechts zum Straf- und Strafprozessrecht242. Vielmehr werden Bestimmungen und Grundsätze aus dem zivilrechtlichen Zusammenhang ohne weiteres auf das Strafrecht übertragen. Der Umgang mit dem römischen Recht ist insofern nicht nur im Laienspiegel, sondern auch in dessen Vorlagen überaus frei243. (2) Corpus Iuris Canonici Neben den Digesten und dem Codex allegiert der Laienspiegel – wenn auch nicht im gleichen Umfang – die entsprechende Rechtssammlung des kanonischen Rechts, die seit der Druckausgabe Papst Gregors XIII. 1580 als Corpus Iuris Canonici bekannt ist. Sie setzt sich aus insgesamt sechs Teilen zusammen, 239

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Diese Zeitangabe bezieht sich auf das Auffinden der Digestenhandschrift, die den Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Bearbeitung des römischen Rechts in Bologna bildet, Manthe, Ulrich, Art. Corpus Iuris Civilis, HRG I 22006, Sp. 901-907, 904. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 963. Vgl. auch zur Bedeutung der einzelnen Teile des Corpus Iuris Civilis in der italienischen Rechtwissenschaft Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 179ff. Vgl. diese Bewertung auch bei Sellert, Die Krise des Straf- und Strafprozessrechts, S. 30. Dazu beispielsweise Fiorelli, La tortura giudiziaria II, S. 119. Was aus unbedeutenden Sätzen des römischen Rechts durch die Bearbeitung der Juristen des Mittelalters werden kann, zeigt anschaulich auch Pennington, Innocent III, S. 351ff.

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die zwischen dem 12. und dem 14. Jahrhundert entstanden sind244. Der Laienspiegel zitiert vornehmlich den ersten und zugleich umfangreichsten und ältesten Teil, das Decretum Gratiani245, und die Dekretalen Gregors IX., den sog. Liber Extra246. Dass er dabei den Liber Extra in wesentlich größerem Umfang allegiert, kann nicht verwundern: Während die Rechtssammlung Gratians aus dem Jahre 1145 teilweise noch Quellen aus spätantiker Zeit zusammenstellt247, berücksichtigt der Liber Extra aus dem Jahre 1234 die wesentlichen Neuerungen des kirchlichen Strafrechts durch die Herausbildung des Inquisitionsverfahrens und das 4. Laterankonzil (1215)248. Als Kernstück des Kirchenrechts (bis 1917) war das Corpus Iuris Canonici auch im Mittelalter omnipräsent; spätestens mit dem Einsetzen des Buchdrucks – die erste Ausgabe erscheint 1471 in Straßburg249 – wird auch diese Quelle gut zugänglich gewesen sein250. So ist durchaus wahrscheinlich, dass Tengler auch die allegierten Stellen des kanonischen Rechts selbst eingesehen hat. bb. Die Schriften der gelehrten Juristen Weitaus wichtiger als die Rechtssammlungen des römischen und kanonischen Rechts waren als Vorlage für Tenglers Darstellung des Inquisitionsverfahrens die Schriften der italienischen Gelehrten. Namentlich für das Strafrecht war das antike römische Recht nicht ergiebig; die wesentlichen Lehren wurden daher von den Legisten eigenständig entwickelt. Das kanonische Recht bot zwar mehr strafrechtlich relevante Aussagen, hatte dabei aber in erster Linie das innerkirchliche Disziplinarverfahren gegen Kleriker vor Augen oder zumindest das Verfahren vor kirchlichen Gerichten. Es war deshalb nicht ohne weiteres auf die weltliche Gerichtspraxis, um die es Tengler geht, zu übertragen. Die Harmonisierung von kirchlichem und weltlichem Recht, die Frucht244

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Thier, Andreas, Art. Corpus Iuris Canonici, HRG I 22006, Sp. 894-901; umfassend Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 2ff. mit zahlreichen Literaturangaben; Schulte, Quellen I, S. 39ff. Auch concordantia discordantium canonum, Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 2. Eigentlich Liber decretalium extra Decretum vagantium, Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 3. Thier, Andreas, Art. Corpus Iuris Canonici, HRG I 22006, Sp. 894-901, 895. Zur Bedeutung des Liber Extra für die Entwicklung des Strafrechts Kéry, Aspekte kirchlichen Strafrechts, S. 241ff.; Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 2f. Schulte, Quellen I, S. 71. Vgl. auch Kaspers, Vom Sachsenspiegel zum Code Napoléon, S. 108.

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barmachung der kirchlichen Lehren für die weltliche Rechtspraxis und damit die Entwicklung eines gemeinrechtlichen Strafprozesses ist das Verdienst der italienischen Jurisprudenz des Mittelalters251. (1) Guilelmus Durantis, Speculum Iudiciale Mit seinem Speculum Iudiciale schuf Guilelmus Durantis ein monumentales Werk: In den siebziger Jahren des 13. Jahrhunderts geschrieben, nimmt es einen großen Teil der kanonistischen Prozessliteratur seiner Zeit auf und führt diese damit gleichsam zu einem Abschluss252. Vierhundert Jahre lang behielt es die Bedeutung eines Standardwerks; Legisten wie Kanonisten bauten darauf auf, soweit der gemeinrechtliche Prozess angewendet wurde, war das Speculum Iudiciale das maßgebliche Nachschlagewerk für Legisten und Kanonisten253. Durantis war in erster Linie Kanonist. Geboren in den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts, studierte er unter anderem in Bologna und erhielt dort als doctor decretorum auch die Lehrbefugnis254. Neben den wissenschaftlichen Kenntnissen, die er in diesen Jahren erwarb, ging in sein Werk auch die praktische Erfahrung ein, die er in seiner folgenden kirchlichen Laufbahn als Richter und in anderen Ämtern, die ihn mit rechtlichen Problemen konfrontierten, gesammelt hatte255. Da Durantis aber offenbar auch im ius civile ausgebildet war256, gelang es ihm, ein Werk zu schaffen, dass auch von den Legisten und weltlichen Rechtspraktikern geschätzt wurde; nicht nur Johannes Andreae, sondern auch Baldus de Ubaldis versahen es mit wichtigen Additionen. Neben den kanonischen Rechtsquellen berücksichtigte Durantis auch das Corpus Iuris Civilis und die Schriften einiger Glossatoren257. Das Werk ist in vier Teile gegliedert, von denen der strafprozessuale – neben dem über die Gerichtspersonen, dem ordo iudiciorum des Zivilprozesses und einer Sammlung von Klageformen und Formularen für Rechtsgeschäfte – den mit Abstand kleinsten Raum einnimmt. Für den Laienspiegel sind indes diese Ausführungen die wichtigste Vorlage; kein anderes Werk zitiert er zum 251 252

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Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 932ff. Zapp, Hartmut, Art. Duranti(s) 1. D. Guillelmus, LexMA III, Sp. 1469f. Zu den frühesten selbständigen Darstellungen des Prozessrechts Fowler-Magerl, Ordo iudiciorum vel ordo iudiciarius. Brundage qualifiziert Durantis als „the preeminent procedural authority among thirteenth-century canonists“, Medieval Canon Law, S. 149. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 477ff., 481, 486. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, 477ff., 478f. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, 477f., 479f., 486. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, 468ff., 485. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, 468ff., 486f.

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Inquisitionsprozess so häufig wie das Speculum Iudiciale des Durantis. Die Kapitel über die Notorietätslehre258 und den Reinigungseid259 entstammen weitgehend dieser kanonistischen Vorlage; dabei sind wörtlich übersetzte Passagen nachzuweisen. Selbst was die einzelnen Ermittlungsschritte im Vorverfahren angeht, das im Laienspiegel konzeptionell stark vom kanonistischen Vorbild abweicht, hat Durantis offenbar als Quelle gedient260. (2) Bartolus de Saxoferrato, Commentaria zum Corpus Iuris Civilis und die Traktate Super Constitutione „Ad reprimendum“ und Super Constitutione „Qui sint rebelles“ Bartolus ist der berühmteste Repräsentant der Kommentatoren261; seine Auslegung des römischen Rechts gehörte lange zum Grundwissen eines jeden Juristen (nemo bonus iurista nisi bartolista) und galt in Spanien und Portugal als unbedingt vorzugswürdige Lehrmeinung262. Im Jahre 1313 oder 1314 bei Sassoferrato geboren, studierte er ab seinem 14. Lebensjahr in Perugia und Bologna und wurde zum doctor iuris civilis promoviert. Ab 1339 lehrte er Zivilrecht in Pisa, dann in Perugia263. Daneben sammelte er Erfahrungen in der gerichtlichen Praxis264 und im diplomatischen Dienst der Stadt Perugia265. Seine Bedeutung verdankt er schon allein dem Umfang seines Werkes, namentlich den Schriften im Bereich des Zivilrechts, des internationalen Privatrechts sowie des öffentlichen Rechts und des Völkerrechts266. Für sein Schaffen auf strafprozessualem Gebiet ist Bartolus indes weniger bekannt, obgleich er auch die strafrechtlich relevanten letzten Bücher der Digesten kommentierte267 und bemerkenswerte strafrechtliche 258 259

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S. u. Kap. B.III.: Die Notorietätslehre im Laienspiegel, S. 195ff. S. u. Kap. B.VI.: Der Reinigungseid als hilfsweiser Verfahrensabschluss im Laienspiegel, S. 284ff. Zum Ablauf des Vorverfahrens im Laienspiegel s. u. Kap. B.I.4.b.aa., S. 124ff. Krauß, Axel, Art. Bartolus de Saxoferrato, Deutsche und Europäische Juristen, S. 4347, 44. Lepsius, Susanne, Art. Bartolus de Saxoferrato, HRG I 22005, Sp. 450-453, 452. Teilweise wird in diesem Zusammenhang davon gesprochen, Bartolus’ Lehrmeinung habe Gesetzeskraft gehabt, Krauß, Axel, Art. Bartolus de Saxoferrato, Deutsche und Europäische Juristen, S. 43-47, S. 46. Krauß, Axel, Art. Bartolus de Saxoferrato, Deutsche und Europäische Juristen, S. 43-47, 43; Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 682ff., 685f. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 682ff., 686. Lepsius, Susanne, Art. Bartolus de Saxoferrato, HRG I 22005, Sp. 450-453, 452, 451. Krauß, Axel, Art. Bartolus de Saxoferrato, Deutsche und Europäische Juristen, S. 43-47. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 682ff., 723ff. Gerade das Digestum novum war auch Gegenstand seiner Lehrtätigkeit in Pisa, Lepsius, Susanne, Art. Bartolus de Saxoferrato, HRG I 22005, Sp. 450-453, 452, 450.

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Traktate verfasste268. Der Laienspiegel verwendet zwei dieser Traktate, den Tractatus de constitutione „Ad reprimendum“ und den Tractatus de constitutione „Qui sint rebelles“269. Sie kommentieren zwei Konstitutionen Heinrichs VII., die wesentliche Aussagen über den Begriff des Majestätsverbrechers, die Acht und das summarische Verfahren treffen270. Im Übrigen verweist der Laienspiegel in seinen Ausführungen zur Folterlehre in großem Umfang auf die Kommentare des Bartolus271. (3) Baldus de Ubaldis, Commentaria zum Corpus Iuris Civilis Baldus de Ubaldis steht in seiner Bekanntheit und Bedeutung als Kommentator seinem Lehrer Bartolus kaum nach272. Er wurde 1327 in Perugia geboren und studierte in seiner Heimatstadt nicht nur das Zivilrecht, sondern auch das kanonische Recht; er wurde zum doctor iuris utriusque promoviert273. Während sich seine anschließende Lehrtätigkeit in Perugia, Pisa, Florenz, Padua und Pavia im Wesentlichen auf das Zivilrecht beschränkte274, umfasst sein wissenschaftliches Wirken auch Kommentare zu den Dekretalen Gregors IX.275 und Additionen zu Durantis’ Speculum Iudiciale276. Auch Baldus war in der Praxis tätig, namentlich als Rechtsberater der Zünfte von Perugia, außerdem verknüpfte er Wissenschaft und Praxis in seiner Gutachtertätigkeit – 2500 Gutachten sind heute noch erhalten277. Da aber eine Kommentierung der letzten drei Digestenbücher in den Opera Omnia des Baldus fehlt278, findet sich im

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Gründlich erforscht ist heute nur der Tractatus testimoniorum, Lepsius, Der Richter und die Zeugen; dies., Von Zweifeln zur Überzeugung. Daneben sind die Traktate zu zwei Konstitutionen Heinrichs VII (Tractatus de constitutione „Ad reprimendum“ und Tractatus de constitutione „Qui sint rebelles“) zu nennen. Zu diesen Traktaten vgl. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 728; Lepsius, Susanne, Art. Bartolus de Saxoferrato, HRG I 22005, Sp. 450-453, 452, 451. S. u. Kap. B.IV.1.: Die Constitutiones Pisanae Heinrichs VII. und ihre Bedeutung für die gemeinrechtliche Lehre, S. 237ff. S. u. Kap. B.II.: Die Folter im Laienspiegel, S. 139ff. Weimar, Peter, Art. Baldus de Ubaldis, HRG 22005, Sp. 410-412, 411. Weimar, Peter, Art. Baldus de Ubaldis, HRG 22005, Sp. 410-412, 411; Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 753. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 755. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 791. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 765, 792. Weimar, Peter, Art. Baldus de Ubaldis, HRG 22005, Sp. 410-412, 411; Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 765f.; Zu den consilia des Mittelalters Ascheri, Il consilium. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 788.

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Laienspiegel hinsichtlich des Inquisitionsverfahrens und der Folter nur ein einziger Verweis auf Baldus279. (4) Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis Angelus Aretinus, oder auch Angelus de Gambiglionibus, wurde Ende des 14. Jahrhunderts als Sohn einer Kaufmannsfamilie in Arezzo (daher: Aretinus) geboren280. Er war Schüler namhafter Juristen, darunter Paulus de Castro und Johannes von Imola, die in Padua lehrten. Über seine Studienzeit in Padua, Bologna, Perugia, möglicherweise auch Siena gibt es keine sicheren Belege281. Offenbar hat er aber 1418 die Lehrlizenz erhalten und ist 1422 Doktor des Zivilrechts geworden282; hinter dem namensgleichen Lehrer, der 1413 in Florenz die Institutionen gelesen hat, mag sich, obgleich dies ungewöhnlich früh wäre, der bewusste Angelus Aretinus verbergen. Zumindest Notarkunde las er in Florenz283. Schon bevor er Doktor wurde, hatte er eine steile Karriere in der städtischen Verwaltung absolviert. Er gehörte zu den priores von Arezzo und war schließlich Vertreter und Beisitzer des Podestà von Perugia. Er konnte hier Erfahrung als Richter sammeln284. Der von Tengler verwendete Tractatus de maleficiis ist das Hauptwerk des Angelus Aretinus, ihm hat der Jurist seinen Ruhm zu verdanken. Erstmals 1438 in Bologna veröffentlicht, erfuhr das Werk ständige Nachdrucke bis zum Ende des 16. Jahrhunderts; neben 18 Handschriften sind weitere 18 Wiegedrucke und 31 Drucke des 16. Jahrhunderts nachweisbar, bemerkenswerterweise erfolgte der letzte 1599 in Köln285. Die Schrift wurde von zahlreichen Juristen mit Additionen versehen, vor allen ist hier Augustinus Bonfranciscus zu nennen, den auch der Laienspiegel erwähnt286, und mit dem 150 Jahre älteren aber nach wie vor zentralen gleichnamigen Werk des Albertus Gandinus zusammen gebunden287. Das Ansehen sowohl als Handbuch für Praktiker als auch in der universitären Welt verdankt die Schrift der Kombination von praktischer Erfahrung288 und fundierten gelehrten Kenntnissen289. 279 280 281 282 283 284 285 286 287 288

S. unten Kap. B.II.: Die Folter im Laienspiegel, S. 139ff. D Maffei, Angelo Gambiglioni, S. 9. D Maffei, Angelo Gambiglioni, S. 11f. D Maffei, Angelo Gambiglioni, S. 10. D Maffei, Angelo Gambiglioni, S. 12, 14. D. Maffei, Angelo Gambiglioni, S. 15, Anm. 15. P. Maffei, Angelo Gambiglioni, S. 39f. Laienspiegel, Von mancherley übelthaten, fol. CIr. P. Maffei, Angelo Gambiglioni, S. 43f. Zur anschaulichen Darstellungsweise des Angelus Aretinus vgl. Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 44.

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Von Angelus Aretinus übernimmt der Laienspiegel vor allem seine Ausführungen zur Folterlehre, im Übrigen verweist er nur an zwei Stellen auf ihn290. (5) Weitere zitierte Juristen Einige Juristen erwähnt Tengler nur derart sporadisch, dass sie kaum zu jenen Vorlagen gezählt haben werden, die er seinem Werk zugrunde legte; möglicherweise hat er sie gar nicht selbst eingesehen, sondern lediglich die Verweise, die er bei anderen Juristen fand, übernommen. Es handelt sich bei diesen Gelehrten zum einen um den Bologneser Juristen Jacobus Butrigarius (1273-1348), dessen Codexkommentar Tengler zur Folter zitiert291, zum anderen um den berühmten Dichter und Juristen Cinus de Pistoia (1270-1336). Ihn allegiert Tengler an derselben Stelle zur Folterlehre und ebenfalls mit seinem Codexkommentar292. Schließlich findet sich an dieser Stelle und an einer weiteren, ebenfalls im Kapitel zur Folter, der Verweis auf Bartholomäus Salicetus (1330/1340-1412). Damit berücksichtigt Tengler einen weiteren berühmten Bologneser Juristen und dessen bedeutenden Kommentar zum Codex Justinians293. Außerdem findet Panormitanus Erwähnung; dahinter verbirgt sich Nicolaus de Tudeschis (1386-1445), einer der wichtigsten nachklassischen Kanonisten, der als Legat beim Konzil von Basel auftrat und im Übrigen durch seinen umfassenden Kommentar zu den Dekretalen Gregors IX. berühmt wurde294; mit eben diesem Kommentar findet Panormitanus im Laienspiegel Erwähnung295.

b. Weitere Vorlagen des Laienspiegels Tengler selbst legt mit zwei Aussagen nahe, dass er in seinen Allegationen nicht auf alle seine verwendeten Quellen hinweist. Seine Angaben bezeichnet er als der Rechtgelerten Allegation296, deutsche Quellen können wir daher grund289 290

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P. Maffei, Angelo Gambiglioni, S. 42. S. u. Kap. B.II.: Die Folter im Laienspiegel, S. 139ff. und Kap. B.I.4.b.: Das Vorverfahren, S. 124ff. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CIXr.; zu Jacobus Butrigarius eingehend Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 621ff. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 632ff. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, S. 795ff. Zapp, Hartmut, Art. Nicolaus de Tudeschis, LexMA VI, Sp. 1135. Laienspiegel, Von denunciern und ansagen, fol. CXIIv. Laienspiegel, Beschlusz des Leyenspiegels, fol. CXXIIIr.

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sätzlich nicht allegiert finden. Dass er sie aber verwendet hat, teilt uns Tengler ausdrücklich mit: Er habe das gelehrte Recht mit (...) ordnungen, durch die hochgelerten im latin unn teütsch bewärlich beschriben (...) und auß ergangenen processen im heyligen Reich (...) zusamen in disen gemeynen Leyenspiegel gezogen (...)297. Neben den Landfrieden hat Tengler mit Sicherheit die Bambergensis verwendet. Vieles weist darauf hin, dass er auch auch die Wormser Reformation und den Klagspiegel kannte und konsultierte. Darüber hinaus misst Tengler der Angabe seiner Vorlagen einen derart geringen Wert bei, dass auch hinsichtlich der gelehrten Schriften keineswegs mit Vollständigkeit zu rechnen ist298. Namentlich der große italienische Strafrechtler Albertus Gandinus, der sich so detailliert über jene Problemfelder des Strafverfahrens äußert, die auch der Laienspiegel vertieft behandelt, darf, obgleich er in den Allegationen nicht genannt ist, stellenweise als Vorlage vermutet werden. aa. Albertus Gandinus, Tractatus de maleficiis Zentral für den gemeinrechtlichen Strafprozess und namentlich für den Inquisitionsprozess ist das Ende des 13. Jahrhunderts verfasste Hauptwerk des Albertus Gandinus, der Tractatus de maleficiis. Er ist die erste umfassende Abhandlung zum Strafrecht und enthält die früheste Darstellung des Inquisitionsverfahrens, wie es die oberitalienischen Städte im ausgehenden 13. Jahrhundert in ihre weltliche Gerichtspraxis übernahmen299. Albertus Gandinus, geboren 1245 im lombardischen Crema, stammte aus einer adligen Familie, aus der etliche Richter und Podestà hervorgegangen sind. So hat auch Gandinus in Padua Jurisprudenz studiert und war sein Leben lang im Dienste verschiedener Podestà in Bologna, Perugia und Florenz als Richter, vornehmlich für Strafsachen, tätig300. Er verbindet daher in seinem Werk eigene praktische Erfahrungen – Johannes Andreae bezeichnet Gandinus als magnus practicus301 – und die Statuten der oberitalienischen Städte302 mit dem kanonischen, vor allem aber dem römischen Recht303. Die Ein297 298

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Laienspiegel, Vorreden, Vorrede, fol. Ir. Laienspiegel, Vorreden, Vorrede, fol. Iv. S. dazu auch oben Kap. A.I.4.a.: Die allegierten Quellen des Laienspiegels, S. 34ff. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, 468ff., 471; Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 304f.; Kéry wertet Gandinus’ Traktat als „Markstein in der Geschichte des Strafrechts“, Albertus Gandinus, S. 185; Vallerani, Il giudice, S. 40ff, 44. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, 468ff., 469ff. Kéry, Albertus Gandinus, S. 186. Zu Gandinus praktischer Tätigkeit Kantorowicz, Albertus Gandinus I.

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teilung des strafprozessualen Teils nach den Verfahrensarten accusatio, denunciatio, inquisitio und dem Prozess auf notorische Tat stammt aus der Kanonistik304, ebenso die Ausführungen zur Notorietät, die er von Durantis übernommen haben mag305. Gerade seine Darstellung des Inquisitionsprozesses ist aber durch jene Modifikationen gekennzeichnet, die den weltlichen vom ursprünglichen kirchlichen Inquisitionsprozess unterscheiden306. Was die Folterlehre angeht, übernimmt Gandinus legistische Literatur, namentlich den Tractatus de tormentis, den er dem Odofredus zuschreibt, die Forschung dagegen einem nicht weiter bekannten Ambertus de Antramonia307. Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung des deutschen Strafrechts sind Gandinus’ Ausführungen zur Indizienlehre, also den Anforderungen an den die Folter legitimierenden Verdacht308. Nicht nur was die Folterlehre betrifft, mag Tengler Gandinus’ Werk verwendet haben. Verschiedene Probleme, für deren Darstellung Tengler auf Durantis verweist, werden ebenfalls von Gandinus behandelt, dabei sind dessen Ausführungen oft klarer und vor allem stärker auf die Bedürfnisse der weltlichen und namentlich der städtischen Rechtspraxis ausgerichtet309. Wenngleich keine wörtlichen Übernahmen nachgewiesen werden können, wird die folgende Untersuchung doch zumindest die Vermutung bestärken, dass Tengler auch Gandinus als Vorlage verwendet hat310. bb. Wormser Reformation (1498) Im August 1499 veröffentlicht der Rat der Stadt Worms das neue Stadtrecht, „Der Statt Wormbs Reformation“, das mit dem Ziel erstellt wurde, das gemeine Recht in die städtische Rechtspraxis einzuführen311. Anstoß dafür mag nicht nur die entsprechende Gesetzgebungsinitiative der Stadt Nürnberg gewesen sein, sondern auch die Verlegung des Reichskammergerichts nach 303 304

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Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, 468ff., 473. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, 468ff., 472; zur Berücksichtigung der kanonistischen Prozesstheorie in Gandinus’ Werk ausführlich Kéry, Albertus Gandinus, S. 183ff. Dazu s. u. Kap. B.III.: Die Notorietätslehre im Laienspiegel, S. 195ff. Auch Kéry wertet Durantis’ Speculum Iudiciale als Gandinus’ „wichtigste(s) kanonistische(s) Referenzwerk“, Albertus Gandinus, S. 186. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, 468ff., 473. Lange/Kriechbaum, Kommentatoren, 468ff., 474. Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 293. Vgl. auch Vallerani, Il giudice, S. 40ff. Vgl. z. B. Gandinus’ Ablehnung einer deliktspezifischen Beschränkung des Inquisitionsverfahrens, S. 58ff., und der Verschonung hochgestellter Personen von der Folter, S. 155ff. Köbler, Einleitung, S. XXff.

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Worms (1497-1499)312. Mit dem Gericht kamen gelehrte Juristen in die Stadt, die auf die Redaktion des neuen Stadtrechts nicht unerheblich Einfluss genommen haben mögen; die Satzung zeichnet sich durch weitgehende Übernahmen aus dem gemeinen Recht aus313, sie ist nach heutigem Forschungsstand „mehr ein Werk der Rechtsgelehrsamkeit als der Gesetzgebung“314. Von den insgesamt sechs Büchern des Stadtrechts ist nur das letzte dem Strafrecht gewidmet und dessen zweiter Teil speziell dem Strafprozessrecht; hier wird insbesondere die Indizienlehre315 berücksichtigt. Als Quellen dieses Teils werden Gandinus, Angelus Aretinus und der Klagspiegel vermutet316. Die Wormser Reformation erlangt als Vorlage für weitere Rezeptionsgesetze größte Bedeutung, was sich nicht zuletzt an den acht weiteren Druckausgaben, davon die letzte aus dem Jahre 1564, zeigt. Es erscheint insofern naheliegend, dass auch Tengler das Stadtrecht verwendete. Übereinstimmungen finden sich insbesondere, soweit die Wormser Reformation – wie Tengler – die städtische Praxis berücksichtigt317. cc. Bamberger Halsgerichtsordnung („Bambergensis“, 1507) Die Bamberger Halsgerichtsordnung von 1507 hat heute als „Mutter“ der Carolina (mater Carolinae318), der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V. aus dem Jahre 1532, ihren Platz in der Strafrechtsgeschichte gefunden. Tatsächlich lassen sich in großen Teilen der Carolina wörtliche Übernahmen aus der Bambergensis nachweisen; auf die Bamberger Halsgerichtsordnung gehen die wesentlichen prozessualen Neuerungen zurück, mit denen man auf die Kritik am Zustand des deutschen Strafverfahrens reagiert und die in der in den folgenden Jahren sich entwickelnden deutschen Strafrechtswissenschaft eine zentrale Rolle spielen319. Die Bambergensis zeichnet sich durch die Übernahme gemeinrechtlicher Lehren aus; sie ist in erster Linie eine Rezeptionsquelle, obgleich auch deutsche Besonderheiten durchaus berücksichtigt werden320. Als ihr Schöpfer gilt der fränkische Freiherr Hans von Schwarzenberg, 312 313 314 315 316 317 318

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Köbler, Einleitung, S. XXff. Köbler, Einleitung, S. XXff. Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 293. Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 293. Köbler, Einleitung, S. XXV. Vgl. z. B. die Gefangennahme des Inquisiten zu Beginn des Hauptverfahrens, S. 165. Schorch, Über Ullrich Tennglers Layenspiegel, S. 8; Malblanc, Geschichte der Carolina, S. 108. Zur Wirkung der Bambergensis, Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 294, 296; Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 106ff. Dazu im Einzelnen Brunnenmeister, Quellen, S. 206ff.

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seines Zeichens Hofmeister des Bischofs von Bamberg321. Zweifel an seiner alleinigen Autorenschaft gründen sich auf seine fehlende juristische Ausbildung und seine mangelnden Lateinkenntnisse, die eine eigenständige Arbeit mit den Schriften der italienischen Juristen ausschließen. Auch konnte Schwarzenberg in seiner Tätigkeit als Hofmeister zwar politische, weniger aber gerichtliche Erfahrungen sammeln322. Als mögliche Mitverfasser der Bambergensis gelten heute die Juristen Leonhard von Egloffstein und Sebastian von Rotenhan323. Die Bambergensis widmet sich der Beschreibung des Inquisitionsverfahrens. Dabei führt sie insbesondere die Indizienlehre ein; eben diese übernimmt auch Tengler aus der Halsgerichtsordnung. Daneben berücksichtigt das Gesetz aber auch die deutsche Praxis, die für das Strafverfahren einen öffentlichen Gerichtstermin vorsieht: Die Verkündung und Vollstreckung des Urteils erfolgt auf dem endlichen Rechtstag – auch diesbezüglich dient die Halsgerichtsordnung dem Laienspiegel als Vorlage324.

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Ausführlich zu Schwarzenberg Scheel, Schwarzenberg; kritisch zu dessen Erkenntnissen Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 93ff. Zur Diskussion um die Schöpfer der Bambergensis Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 94ff. Schon Brunnenmeister vertritt die Ansicht, dass Juristen maßgeblich an der Entstehung der Bambergensis beteiligt waren, Quellen, S. 291f. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 100f. Zum Zusammenhang zwischen Bambergensis, Laienspiegel und Carolina Schorch, Über Ullrich Tennglers Layenspiegel; Malblanc, Geschichte der Carolina, S. 103ff.

II. Fragestellung und Methodik

Die Untersuchung eines bestimmten Gegenstandes, hier des Inquisitionsprozesses, anhand einer bestimmten Quelle, in diesem Fall des Laienspiegels, verlangt notwendig die Berücksichtigung zweier Perspektiven1: einer institutionengeschichtlichen und einer quellengeschichtlichen. Der institutionengeschichtliche Aspekt stellt die Frage nach den Wurzeln und der Entwicklung des Inquisitionsverfahrens; der quellengeschichtliche verlangt die Untersuchung des Laienspiegels als Rechtsquelle. Die beiden Aspekte treffen in diesem Fall in einer dritten, der wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive aufeinander: Inquisitionsprozess und Laienspiegel sind Zeugen der Rezeption. Dieser die anderen beiden verbindende und überwölbende Aspekt verbietet schließlich eine getrennte Bearbeitung der erstgenannten Perspektiven. Untersucht werden soll in dieser Arbeit der Inquisitionsprozess als Gegenstand der Rezeption und zugleich der Laienspiegel als Rezeptionsquelle. Den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet der Text des Laienspiegels. Er gibt grundsätzlich auch den Aufbau der Arbeit vor. Zur Interpretation des Laienspiegeltextes werden die zugehörigen Allegationen herangezogen. Das Zusammenspiel von Text und Allegation liefert zugleich eine Aussage über den Umgang Tenglers mit dem gelehrten Recht. Fehlen Allegationen oder verweisen sie offenbar nicht auf die tatsächliche Vorlage des Laienspiegels, so werden, soweit dies sinnvoll erscheint, die anderen von Tengler verwendeten Werke gesichtet und auf ihre Tauglichkeit als Quelle überprüft2; dabei bilden bei den Kommentaren des Bartolus und des Baldus regelmäßig deren Sachregister, d. h. der Index bzw. die loci communes, den Ausgangspunkt. Im Übrigen wird das Fehlen von Allegationen als Indiz dafür gewertet, dass Tengler hier eigene, von seiner Erfahrung mit der deutschen Rechtspraxis geprägte Vorstellungen äußert3. Von zentraler Bedeutung wird der Vergleich des Laienspiegels mit dem Klagspiegel sein. Interessant erscheinen hier die Übereinstimmungen und 1 2

3

Vgl. auch Nehlsen-von Stryk, Andreas Gaill und die „Friedlosigkeit“, S. 153. So z. B. hinsichtlich der Rechtfertigung der Offizialmaxime, für die Tengler nur auf „Primärquellen“ verweist, nämlich auf Corpus Iuris Civilis und Corpus Iuris Canonici, vgl. Kap. B.I.1.: Rechtfertigung des Offizialprinzips, S. 48ff. So insbesondere seine Ausführungen zum kurzen Inquisitionsprozess s. u. Kap. B.IV.: Acht und summarischer Inquisitionsprozess im Laienspiegel, S. 235ff. und zum endlichen Rechtstag s. u. Kap. B.VII., S. 296ff.

Fragestellung und Methodik

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Unterschiede in der Darstellung des Inquisitionsverfahrens. Soweit hier Abweichungen in Konzeption und Inhalt auffallen, gilt es, diese vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Intention der beiden Verfasser und der verschiedenen Entwicklungsstadien des Inquisitionsverfahrens zu erklären. Die Untersuchung geht daher zugleich der Frage nach, auf welchen Wegen sich der schließlich in der Carolina rezipierte gemeine Inquisitionsprozess herausbildete, und überprüft, inwiefern Tengler seine eigene erklärte Intention verfolgt, den Landfrieden seiner Zeit mit Hilfe des gemeinen Rechts zu mehr Autorität zu verhelfen.

B. Hauptteil

I. Zulässigkeit und Ablauf des Inquisitionsverfahrens nach dem Laienspiegel

1. Rechtfertigung des Offizialprinzips a. Tenglers Appell an die Richter Seine Ausführungen zum Inquisitionsverfahren leitet Tengler mit deutlicher Kritik an der unter den Richtern verbreiteten Nachlässigkeit in Sachen amtlicher Strafverfolgung ein1. Er verkündet seine Absicht, diese Richter davon zu überzeugen, dass ein "Inquirieren" in bestimmten Fällen notwendig und nach gemeinem Recht geboten ist: Wiewol die inquisition unnd erfarung der missethaten, durch die weltlichen Richter, an mehr enden, wenig oder hinlässig übung hat, so mag doch auß etlichen nachvolgenden übelthaten verstanden, auch in gemeynen rechten erfunden werden, das die zu zeiten notdürfftig unn gut wer2. Der Laienspiegel greift damit gleich zu Beginn seiner Darstellung das Anliegen der Landfrieden und der Reichsreform auf: die Durchsetzung des Friedens im Wege der Strafverfolgung von Amts wegen3, zu deren Zweck 1495 das Reichskammergericht eingerichtet wurde4, den Schutz der öffentlichen Ordnung und die Förderung des Gemeinwohls durch staatliche Initiativen5. Wie die wiederholten Bemühungen der Reichstage zeigen, lässt die Umsetzung dieser Ziele zu wünschen übrig. Im Augsburger Landfrieden von 1500 zeigt sich, dass die Errungenschaften des Wormser Reichstags (1495) in der Praxis nur unzureichend Beachtung fanden6. Die Bevölkerung schien die 1 2 3 4 5

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Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CXIIIr. Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CXIIIr. Angermeier, Reichsreform, S. 24f.; Schnabel-Schüle, Überwachen und Strafen, S. 108, 27ff. Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtgeschichte II, S. 277f. Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 69. Mit dem Wormser Reichstag 1495 wird die „gute Polizei“, die staatliche Initiative zur Förderung des Gemeinwohls, zum gesetzgeberischen Programm, ders., a. a. O., S. 69. Ausdrücklich weist der Augsburger Landfrieden auf seinen primären Zweck hin: Er soll der wirkungsvollen Durchsetzung des Ewigen Landfriedens und der Beschlüsse des Frei-

Zulässigkeit und Ablauf des Inquisitionsverfahrens

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Vorladung Verdächtiger durch die Richter auß eygner bewegnüs, und von ampts wegen7 nicht zu respektieren: das die verdachten (...) nit haben wollen erscheinen, vermeynt des vor inen als sachwältern nit schuldig zu sein8; der Strafverfolgung von Amts wegen stand der im deutschen Rechtsverständnis fest verankerte Grundsatz der Privatklage entgegen9. Offenbar waren aber auch die Stände ihrer Verpflichtung zur Vollziehung der Landfrieden nicht in ausreichendem Maße nachgekommen10; jetzt sollten sie noch einmal beeiden und sich vertraglich verpflichten11, dass sie den Friedbrechern keine Unterstützung angedeihen lassen, sonder wo unser eyner des andern beschädiger innen oder gewar würd, oder die ankommen oder betretten mag, gegen in unverzogenlich mit ernst unnd fleiß handlen unnd fürnemen, und auch ihren Amtsleuten, wohl insbesondere solchen mit gerichtlichen Aufgaben, einen entsprechenden Eid abnehmen werden12. Um den Forderungen der Landfrieden mehr Autorität zu verleihen, will Ulrich Tengler nun nachweisen, dass auch das gemeine Recht das Strafverfahren ohne Ankläger kennt.

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burger Reichstags aus dem Jahre 1498 dienen, die der vergangen kriegßleüff unn ander mercklicher verhinderung halben, keynen endtlichen oder fruchtbarn fürgang erlangt haben, Augsburger Landfrieden (1500), Laienspiegel, fol. XCVr: Einleitung; vgl. Freiburger Reichstag 1498, RTA, Mittlere Reihe VI (Verhandlungen 18.VI-6.IX 1498), S. 718ff. Augsburger Landfrieden (1500), Laienspiegel, fol. XCVv: Ob yemands den fridbrechern heymlicher zuschüb, verdacht wer; vgl. Freiburger Reichstag 1498, RTA, Mittlere Reihe VI (Verhandlungen 18.VI-6.IX 1498), S. 718ff. Augsburger Landfrieden (1500), Laienspiegel, fol. XCVv: Ob yemands den fridbrechern heymlicher zuschüb, verdacht wer; Freiburger Reichstag 1498, RTA, Mittlere Reihe VI (Verhandlungen 18.VI-6.IX 1498), S. 718ff. Sellert, Inquisitionsprinzip, S. 164. Zu dieser Verpflichtung der Stände Holzhauer, Heinz, Art. Landfrieden II, HRG II 11978, Sp. 1465-1485, 1470. Augsburger Landfrieden (1500), Laienspiegel, fol. XCVr: Einleitung; vgl. Freiburger Reichstag 1498, RTA, Mittlere Reihe VI (Verhandlungen 18.VI-6.IX 1498), S. 718ff. Augsburger Landfrieden (1500), Laienspiegel, fol. XCVr: Von auffgerichtem Landtfridt; vgl. Freiburger Reichstag 1498, RTA, Mittlere Reihe VI (Verhandlungen 18.VI-6.IX 1498), S. 718ff.

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b. Der kanonistische und der legistische Ansatz zur Rechtfertigung der Offizialmaxime13 Der Verfasser des Laienspiegels ist nicht der erste, der sich der Aufgabe widmet, der Strafverfolgung ohne Ankläger eine dogmatische Stütze zu verschaffen. Die Rechtfertigung der Offizialmaxime war von Anfang an zentraler Bestandteil der gemeinrechtlichen Lehre vom Inquisitionsverfahren. Die Widerstände, die es für die von den Landfrieden geforderte Strafverfolgung von Amts wegen im Deutschland des ausgehenden Mittelalters zu überwinden gilt, bestanden in ähnlicher Weise bereits zur Entstehungszeit des Inquisitionsverfahrens in der Kanonistik und bei seiner Rezeption durch die Legistik im 13. Jahrhundert14. Der Privatklagegrundsatz war im kirchlichen Recht fest verankert; für Gandinus ergibt er sich bereits aus der Bibel: In Joh. 8.10.11 findet er das Jesuszitat: Si nemo te accusat, nec ego te condemno15. Die Kanonistik behilft sich mit einer dogmatischen Hilfskonstruktion. Die mala fama, das Gerücht, das dem Richter zu Ohren kommt, nimmt in der Dogmatik der Kanonisten die Rolle der Anklägerin ein, theoretisch existiert also gar keine Durchbrechung des Akkusationsprinzips16.

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Die Gegenüberstellung dieser beiden Lehren entspricht der zeitgenössischen Wahrnehmung, vgl. die Darstellung bei Gandinus, Tractatus des maleficiis, Quomodo (...) per inquisitionem, n. 3; ferner Durantis, lib. III, Part. I, Speculum Iudiciale, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, pr.; vgl. auch Kéry, Albertus Gandinus, S. 197. Allerdings will Durantis das Inquisitionsverfahren zumindest nur für schwere Verbrechen zulassen. Er empfiehlt dem Inquisiten gegebenfalls eine entsprechende Einreden gegen die Verfahrenseröffnung zu erheben: Domine, non potestis contra me de iure inquirere, (...). (...) Item quod crimina, super quibus inquirere vultis, levia & dissimulanda sunt. non enim inquirendum est, nisi de maioribus: puta de homicidio, simonia, adulterio, fornicatione, periurio, incestu, & similibus, (...), Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 1: Impugnatur, n. 1. Noch im Klagspiegel lässt sich diese kanonistische Lehre von der Beschränkung des Inquisitionsverfahrens auf schwere Taten finden: Item, es sol umb groß sünd und übelthat, als umb simonei, ehebrecherei, dilapidation, solch inquisitio geschehen (...) und nit umb klein sünd. Klagspiegel, Que ad inquisitionem requirantur, fol. CXIIIIr. Zur Situation in Italien im 13. Jahrhundert, namentlich zur Rezeption des kanonischen Inquisitionsverfahrens durch Friedrich II. in Sizilien Zechbauer, Strafrecht Siziliens, S. 172ff. Gandinus, Tractatus des maleficiis, Quid sit accusatio, n. 2; vgl. ders. a. a. O., Quomodo (...) per inquisitionem: Iudex autem super quolibet crimine non potest nec debet inquirere, quia legitur, quod sine accusatore criminis cognitio et pene impositio non procedunt, n. 3; Nörr findet diese biblische Begründung auch bei Bulgarus, Nörr, Die Stellung des Richters, S. 18, Anm. 10. X 5.1.24; Koch, Denunciatio, S. 45.

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Den weltlichen Juristen gilt es, das Verfahren von Amts wegen vor dem Hintergrund des römischen Rechts zu rechtfertigen. Auch das römische Recht basiert auf dem Prinzip der Privatklage17, Gandinus sieht dieses in D. 50.4.6.2 verankert18. Die Legisten suchen im Corpus Iuris Civilis nach Durchbrechungen dieses Grundsatzes und wählen damit einen kasuistischen Ansatz. Der Hofjurist Friedrichs II., Roffredus von Benevent19, stellt, wohl um dem Stauferkaiser die Anwendung des Inquisitionsverfahrens im weltlichen Recht zu ermöglichen20, einen Katalog von Straftaten und Begehungsweisen zusammen21, für die das römische Recht das Vorgehen von Amts wegen vorsieht22.

c. Die Übernahme des legistischen Ansatzes im Laienspiegel Mit der angekündigten Aufzählung der nachvolgenden übelthaten knüpft der Laienspiegel an den kasuistischen Ansatz der Legisten an. Weder die Zusammenstellung des Katalogs, noch das Auffinden der zugehörigen Digesten- und Codexstellen, die Tengler jeweils als Referenz angibt, sind sein Verdienst. Es handelt sich um den Katalog des Roffredus, den Tengler in nahezu jeder seiner italienischen Quellen finden konnte. Durantis23, Gandinus24, Baldus25 und in veränderter Gestalt auch Angelus Aretinus26 haben ihn übernommen, Bartolus verzichtet auf die Darstellung mit dem

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Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 59ff. Gandinus, Tractatus des maleficiis, Quid sit accusatio, n. 2 und Quomodo (…) per inquisitionem, n. 3. Zu diesem Deutsch, Klagspiegel, S. 226. Trusen, Anfänge, S. 48; Koch, Denunciatio, S. 60f. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 220ff. Roffredus, Libelli Iuris Canonici, Qualiter sit inquisitio, Ed. Mario Viora, S. 422, n. (s). Obgleich die angegebenen leges es selten ausdrücklich anordnen, handelt es sich bei den Delikten größtenteils tatsächlich um solche, die in Rom im Wege der cognitio von Amts wegen geahndet wurden, Mommsen, Strafrecht, S. 350f., 646ff. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III., Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, pr.: Quando autem sit ad inquisitionem procedendum, facile pertranseamus: & quidem secundum leges potest in inquisitione procedi (...) quod patet in quibusdam casibus. Zur intensiven Verwendung des römischen Rechts auch durch die Kirchenrechtsgelehrten Kéry, Albertus Gandinus, S. 183ff. Gandinus, Tractatus des maleficiis, Quomodo (…) per inquisitionem, n. 3. Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus et inquisitionibus, Ea quidem) n. 37. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Haec est quaedam inquisitio, n. 12-48.

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Hinweis, der Katalog sei bei allen Gelehrten zu finden27. Vom Klagspiegel wird er schließlich ins Deutsche übersetzt28. Der Laienspiegel konnte also auf zahlreiche Vorlagen zurückgreifen. Dabei sind aber die Abweichungen vom Klagspiegel so groß, dass dieser als alleinige Quelle auszuschließen ist29. Welche Tatbestände sind es nun, für die der Laienspiegel im Anschluss an das römische Recht und die Legisten das Verfahren von Amts wegen zulassen will? Bei den aufgezählten Taten handelt es sich durchweg um Delikte, deren Verfolgung im öffentlichen oder zumindest im Interesse der Obrigkeit steht, weil sie generell geeignet sind, die bestehende Ordnung ins Wanken zu bringen. Dazu gehören nicht nur das crimen laesae maiestatis, sondern auch Delikte gegen die Kirche und die Rechtspflege, außerdem auch schwere Delikte gegen private Rechtsgüter, sofern wegen deren Eigenart mit einer Anklage nicht zu rechnen ist. Im Einzelnen handelt es sich um Kirchenraub und Störung des Gottesdienstes (C. 1.3.10), Tötung des Hausherrn (D. 29.5.1.17 und 23), Klagrücknahme wegen Bestechung (Prävarikation) (C. 9.42.2), unberechtigte Entnahme aus der Erbschaft (C. 6.30.22.10), Plünderung in Katastrophenfällen (C. 11.6.3), Kuppelei (D. 48.5.2.), von Vormündern begangene Delikte (D. 26.10.3.4), Verwendung falscher Urkunden und die Falschaussage (C. 4.19.24), außerdem Ketzerei und Apostasie (C. 1.7.4), natürlich das Majestätsverbrechen (C. 9.8.2 und 3) und schließlich die falsche Anklage (C. 9.46.1)30.

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Bartolus, Commentaria, D. 48.5.2.5 (Ad legem Iuliam de adulteriis, Ex lege Iulia, § Si publico), n. 3. Klagspiegel, Quando iudex inquirere potest, fol. CXIIr. Die Wormser Reformation wie auch die Bambergensis und die Carolina kennen diese Kasuistik nicht mehr. Zunächst sind die Fälle im Klagspiegel anders geordnet als im Laienspiegel. Für keinen der Fälle übernimmt Tengler außerdem die Formulierung des Klagspiegels, sondern wählt eigene Übersetzungen, die oftmals auch inhaltlich vom Klagspiegel abweichen, so erwähnt er gestützt auf C. 1.3.10 zwar den Kirchendiebstahl, nicht aber, wie der Klagspiegel, die Beleidigung oder Verletzung von Geistlichen. Was die Prävarikation angeht, lässt Tengler offen, worauf das amtliche Strafverfahren gerichtet sein soll – auf die Verurteilung desjenigen, der bestochen hat, desjenigen, der wegen der Bestechung die Klage fallen lässt oder des Angeklagten, wie es die Codexstelle nahelegt; der Klagspiegel dagegen verlangt ausdrücklich die amtliche Strafverfolgung gegen den bestechlichen Ankläger. Vgl. zu diesen Tatbeständen im Katalog des Roffredus Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 220ff.

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d. Die deliktsspezifische Beschränkung des Inquisitionsverfahrens und ihre Durchbrechung Der Laienspiegel versteht den Katalog nicht als abschließende Definition des Anwendungsbereiches des Inquisitionsverfahrens; er lässt den Richter in obberürten oder andern übelthaten inquirieren31. Auch Roffredus beabsichtigte nicht, den Anwendungsbereich des Inquisitionsverfahrens in der weltlichen Gerichtsbarkeit auf bestimmte Fälle zu beschränken; seine Aufzählung ist beispielhaft, sie soll zeigen, dass das römische Recht ein Verfahren von Amts wegen kennt32. Nach den gelehrten Vorlagen des Laienspiegels scheint indes ein strenges Enumerationsprinzip zu gelten; im weltlichen Bereich, so die italienischen Juristen, sei das Verfahren ohne Anklage nur in bestimmten Fällen zulässig. Durantis beschreibt die kasuistische Beschränkung als Besonderheit des weltlichen Rechts in Abgrenzung zur kanonistischen Lehre: (...) & quidem secundum leges potest in inquisitione procedi (...) quod patet in quibusdam casibus33. Im Gegensatz zu Roffredus bemüht sich Durantis um Vollständigkeit; er erweitert den von Roffredus zusammengestellten Katalog um weitere Fälle, für die das römische Recht das Inquirieren zulassen soll34. Auch Gandinus stellt fest, dass das Inquisitionsverfahren nach römischem Recht nur in bestimmten Fällen erlaubt sei: Hoc tamen quod dictum est, neminem sine accusatore damnari nec criminis cognotionem procedere, fallit in casibus specialibus, in quibus officio iudicis per inquisitionem proceditur. Qui casus sunt hi: (...) und Qui autem sint casus, in quibus de iure civili possit inquiri, notatur supra in prima rubrica. Et qui sunt hi: (...)35. Wie Gandinus lehnt auch Bartolus das Verfahren von Amts wegen grundsätzlich ab, weil es gegen den Privatklagegrundsatz verstößt: Et videtur quod inquisitio, de qua hic dicitur, sit prohibita: quia nemo sine accusatore punitur36. Eine Ausnahme gelte nur für be31

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Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CXIIIv. Allerdings begrenzt er die andern übelthaten auf solche, die die recht anzeygen. Er scheint damit an das römisch-rechtliche Prinzip der Beschränkung des iudicium publicum auf Delikte, die in positiven Strafgesetzen sanktioniert werden, anzuknüpfen, dazu Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 192. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 222. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III., Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, pr. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III., Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 1. Gandinus, Tractatus des maleficiis, Quid sit accusatio, n. 3 und Quomodo (…) per inquisitionem, n. 3. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.13 (De officio praesidi, congruit) n. 3; ähnlich auch im Kommentar zu D. 48.5.2.5 (Ad legem Iuliam de adulteriis, ex lege Iulia, § Si publico) n. 3. Wie Gandinus verweist auch Bartolus auf D. 50.4.6.

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stimmte Fälle: nemo sine accusatore punitur (...) nisi in casibus not.37 und (...) ista regulariter est prohibita: (quia nemo sine accusatore punitur) (...) nisi in casibus not. (...)38. Anders nur Baldus; er erklärt ausdrücklich den Katalog für nicht abschließend. Es gäbe weitere Delikte, für die das römische Recht das Strafverfahren von Amts wegen vorsehe: Visa diffinitione videndum in quibus casibus permittatur inquisitio. Et primo dicunt quidam, quod inquisitio non permittitur nisi in certis casibus, ut in laenocinio (...) Sed ista non videtur vera, quia video alios casus, in quibus inquiritur39. Ob er damit allerdings tatsächlich den numerus clausus ablehnt, erscheint zweifelhaft; möglicherweise geht es ihm nur um eine Erweiterung des Katalogs. Schließlich finden wir auch noch bei Angelus Aretinus explizit den Hinweis auf das Enumerationsprinzip: (...) inquisitio non potest formari. Fallit in casibus supra enumeratis (...)40. Im Ergebnis stellt sich der Laienspiegel trotzdem nicht in Widerspruch zu seinen Quellen. Auch die italienischen Juristen lassen – wenn auch auf Umwegen – das Inquisitionsverfahren letztlich unabhängig von der Art des Delikts zu. Zunächst, wenn die Tat notorisch ist, also sicheres Wissen darüber besteht41, und bei Besagung als Mittäter, schließlich aber bei jedem Delikt. Wie wird diese Kehrtwende begründet? Es ist eine Digestenstelle, die für die unbeschränkte Anwendbarkeit des Inquisitionsverfahrens spricht42. Sie ist von Anfang an Teil des Katalogs der Legisten, obgleich ihre Aussage die Kasuistik gerade in Frage stellt. In den Schriften der italienischen Juristen findet sie sich an dritter Stelle. Der Laienspiegel hat sie bezeichnenderweise an den Beginn seiner Aufzählung gestellt. 37 38

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Bartolus, Commentaria, D. 1.18.13 (De officio praesidi, congruit) n. 3. Bartolus, Commentaria, D. 1.18.13 (De officio praesidi, congruit), n. 3; vgl. auch Kommentar zu D. 48.5.2.5 (Ad legem Iuliam de adulteriis, ex lege Iulia, § Si publico) n. 3: Fallit in casibus no. hic. (...) communiter omnes doctores. Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus et inquisitionibus, Ea quidem), n. 37. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Haec est quaedam inquisitio, n. 48. Seit Gandinus ist der Katalog um den Fall der notorischen Tat erweitert, für den das kanonische Recht die Verfolgung ohne Ankläger erlaubt, zur Notorietät, s. u. Kap. B.III., S. 195ff. Die Legisten versuchen auch diesen Fall im römischen Recht zu verankern. Sie finden eine Codexstelle (C. 9.2.7), die von den notoria spricht, auf welche das Kognitionsverfahren, mithin ein Verfahren ohne Anklage, erfolgen soll, Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 815. Unter notoria sind allerdings nach römischem Recht Offizialanzeigen zu verstehen; die Legisten vermengen hier die kanonische Notorietätslehre mit den notoria des römischen Rechts Biener, Beiträge, S. 79. Gandinus weist die unbeschränkte Zulässigkeit des Inquisitionsverfahrens zunächst in der Lombarda (Lomb. 2.52.15) nach, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per inquisitionem, n. 4 a. E.

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Mit Verweis auf D. 1.18.13pr. (Ulpian) und D. 1.18.3 (Paulus) erklärt er, der Richter solle, in seiner Provintz, die mörder, rauber, kirchenbrecher, dieb unnd ander übelthäter (...) ersuchen, vertreiben, straffen, unnd sein gebiet reynigen43. Offenbar obliegt es dem Richter also im Wege des Inquisitionsverfahrens für Frieden und Ordnung in seiner Gegend zu sorgen, unabhängig von der Art des Delikts44. Die italienischen Juristen haben erkannt, dass diese Aussage des römischen Rechts ihrem kasuistischen Ansatz völlig zuwiderläuft. Sie vollziehen, gestützt auf die Ulpianstelle, überwiegend die Abkehr vom strengen Enumerationsprinzip. Am deutlichsten ist dies bei Gandinus zu finden, ihm scheint die unbeschränkte Inquisitionsbefugnis hinsichtlich seiner kriminalpolitischen Ziele äußerst gelegen zu kommen. Die Strafverfolgung steht nach Gandinus’ Überzeugung – unabhängig vom konkreten Delikt – nicht nur im Interesse des Geschädigten, sondern im Interesse der Gesellschaft und der Obrigkeit. Sie darf daher nicht von einer privaten Anklage abhängig gemacht werden, das Inquisitionsverfahren muss in jedem Fall anwendbar sein45. Gandinus verweist auf den kanonischen Ne crimina-Grundsatz; er stützt ihn auf das römische Recht: quia expedit rei publice, ne maleficia remaneant sine pena46. Er beschreibt einen Fall, der die Notwendigkeit einer unbeschränkten Inquisitionsbefugnis vor Augen führen soll: Sed pone, quod Titius interfecit aliquem; heredes illius mortui timebant hunc Titium accusare propter eius potentiam. (...) quod potestas de illo maleficio non possit inquirere ex eo, quod hic casus non est de casibus, in quibus possit inquiri47. Gandinus zeigt, dass nur das Inquisitionsverfahren eine effektive Strafverfolgung ermöglicht, denn wenn die Geschädigten vor einer Anklage zurückschrecken, bleibt der Verdächtige unbehelligt. Den dogmatischen Un-

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Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CXIIIr. Zu der Aussage der Digestenstelle und ihrer Interpretation durch die italienischen Juristen, vgl. auch Kap. B.I.2.: Das Inquisitionsverfahren als Mittel zur Durchsetzung des Landfriedens, S. 57ff. Vgl. Gandinus, Tractatus des maleficiis, Quomodo (…) per inquisitionem, n. 4. Gandinus findet diesen Gedanken in D. 9.2.51; D. 16.3.31; D. 5.1.18 und D. 46.1.70; Tractatus des maleficiis, Quid sit accusatio, n. 4; vgl. zu den römischen und kanonischen Wurzeln des Ne crimina-Satzes Pennington, Innocent III, S. 349ff., und Jerouschek, „Ne crimina remaneant impunita“, 323ff. Die Überlegung, die nach Gandinus hinter diesem Grundsatz steht, íst zum einen, dass Tumult und Aufruhr vermieden werden müssen (er zitiert hierzu D. 48.8.16), zum anderen bedeute jede ungesühnte Tat ein schlechtes Beispiel (hierfür zitiert er D. 46.1.70; D. 5.1.47; D. 42.1.33; D. 48.19.30; C. 1.19.1), Tractatus des maleficiis, Quid sit accusatio, n. 4. Gandinus, Tractatus des maleficiis, Quid sit accusatio, n. 4.

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terbau für diese pragmatische Entscheidung findet Gandinus bei Ulpian48: Sed hodie de iure civili iudices potestatum de quolibet maleficio cognoscunt per inquisitionem ex officio suo, quod videntur posse facere per hec iura: ff. de officio presidis l. congruit (...)49. Auch Bartolus, Baldus und Angelus Aretinus vollziehen aufgrund der Digestenstelle die Abkehr vom Enumerationsprinzip. Statt an die Deliktsqualität knüpfen sie die Zulässigkeit des Inquisitionsverfahren gegen eine Person an das Vorliegen bestimmter Prozessvoraussetzungen, namentlich einen hinreichenden Verdacht gegen den Inquisiten. Bei Bartolus ist am besten nachzuvollziehen, wie sich diese neue Lehre entwickelt. Um den Widerspruch zwischen dem kasuistischen Ansatz und der Digestenstelle aufzulösen, legt Bartolus die Ulpianaussage einschränkend aus: Seiner Ansicht nach hat Ulpian nur das Aufspüren von Übeltaten vor Augen bzw. die Untersuchung, ob ein Verbrechen geschehen ist und wer als Täter in Betracht kommt, also die sog. Generalinquisition50. Nur diese Stufe des Verfahrens sei nach Ulpian unbeschränkt zulässig: (...) quaedam est inquisitio facti, quae fit generaliter: Ista est permissa (...) Nam praeses debet generaliter inquirere ut malis hominibus provincia purgetur51. Die Generalinquisition wird zu einem Zeitpunkt eingeleitet, in dem noch kein Tatverdacht gegen eine bestimmte Person besteht. Eine Anklage kommt in diesem Moment also noch gar nicht in Betracht. Eine Kollision mit dem Akkusationsgrundsatz ist ausgeschlossen; sie tritt erst mit der Einleitung der Spezialinquisition ein: Quaedam est inquisitio specialis contra certam personam: et ista regulariter est prohibta: quia nemo sine accusatore punitur52. Wenn nach der Generalinquisition aber die Prozessvoraussetzungen des Inquisitionsverfahrens, also insbesondere ein Verdacht gegen eine bestimmte Person, vorliegen, dann darf der Richter die Spezialinquisition und das Hauptverfahren einleiten, auch wenn es sich nicht um eine Katalogtat handelt: (...) propter generalem inquisitio-

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Gandinus, Tractatus des maleficiis, Quid sit accusatio, n. 4: Item, quia iudex debet curare, ut provincia, quam regit, malis hominibus sit purgata, ut. ff. de officio presidis l. congruit; vgl. zu dieser Aussage des Gandinus auch Vallerani, Il giudice, S. 40ff, 45. Gandinus, Tractatus des maleficiis, Quomodo (…) per inquisitionem, n. 4. Zur Unterscheidung von General- und Spezialinquisition s. u. Kap. B.I.4.a.dd.: Die Entwicklung des Inquisitionsverfahrens im gemeinen Recht, S. 101ff. Bartolus, Commentaria, D. 1.18.13 (De officio praesidi, congruit), n. 3. An anderer Stelle unterscheidet Bartolus entsprechend die inquisitio ad crimen inveniendum von der inquisitio ad crimen puniendum und erklärt, die erstere solle jederzeit zulässig sein; erst, wenn es tatsächlich um die Bestrafung eines bestimmten Täters wegen eines konkreten Verbrechens (ad puniendum) geht, bedarf es der Einschränkung, D. 48.5.2.5 (Ad legem Iuliam de adulteriis, ex lege Iulia, § Si publico) n. 6. Bartolus, Commentaria, D. 1.18.13 (De officio praesidi, congruit), n. 3.

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nem, potest inquirere, et decendere ad specialem inquisitionem53. Auch Baldus54 und Angelus Aretinus55 folgen dieser Lehre: Ergibt sich bei der Generalinquisition ein konkreter Tatverdacht, darf gegen die Person ermittelt werden, unabhängig von der Art des Delikts. Der Laienspiegel entspricht also der gemeinrechtlichen Lehre, in dem er eine deliktspezifische Beschränkung des Inquisitionsverfahrens ablehnt. Es nimmt insofern auch nicht Wunder, dass wir weder in der Wormser Reformation56 noch in der Bambergensis oder der Carolina eine derartige Beschränkung der richterlichen Inquisitionsbefugnis finden. Bemerkenswerterweise scheint der Klagspiegel sie aber noch zu kennen. Er führt in seiner Darstellung zum Inquisitionsverfahren eingangs die Kasuistik der Legisten an und hält den Katalog offenbar auch für eine abschließende Beschreibung des Anwendungsbereichs des Inquisitionsverfahrens in der weltlichen Gerichtsbarkeit: Nun merck, die casus, in denen der richter von ampts wegen in weltlichen rechten procedieren mag57.

2. Das Inquisitionsverfahren als Mittel zur Durchsetzung des Landfriedens

Es ist kein Zufall, dass Ulrich Tengler gerade diese Digestenstelle, die die Beschränkung des Inquisitionsverfahrens auf bestimmte Tatbestände zu Fall 53

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Bartolus, Commentaria, D. 48.5.2.5 (Ad legem Iuliam de adulteriis, ex lege Iulia, § Si publico) n. 8. Auch als Umkehrschluss aus der Formulierung: Et adverte: quia etiam in casibus premissis iudex non debet inquirere nisi indiciis praecedentibus, aut fama publica referente (...); Bartolus, Commentaria, D. 1.18.13 (De officio praesidi, congruit), n. 3. Baldus, Commentaria, D. 1.18.13 (De officio praesidi, congruit), n. 1 und C. 9.2.7 (De accusationibus et inquisitionibus, Ea quidem), n. 36. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Haec est quaedam inquisitio, n. 27. Die Wormser Reformation ordnet die Einleitung des Inquisitionsverfahren ausdrücklich für jede Straftat an: So in unser Stat Wormbs Zwingen und Benden malefitz oder straffliech verhandlung geschehen (VI.2.1). Die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens gegen eine bestimmte Person ist zulässig, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen, nämlich ein verbreitetes Gerücht oder sonstige Indizien, also wenn malefitz oder straffliech verhandlung geschehen und doch nit wissentlich wer solichs gethan hett. aber offenbar oder gemeiner lymunt oder strenge vermutung oder glaublich anzeig were uff einen oder mee die solicher that schuldig syn solten. so söllen mögen unn wöllen wir Burgermeister und Rat des flyssig und ernstlich erforschung haben (...) (VI.2.1); vgl. auch Brunnenmeister, Quellen, S. 218. Klagspiegel, Quando iudex inquirere potest, fol. CXIIr.

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bringt, an den Beginn seiner Aufzählung stellt. Sie folgt damit unmittelbar auf den Appell an die Richter, mehr Engagement bei der inquisition unnd erfarung der missethaten zu zeigen58. Tengler verwendet die Digestenstelle, um zu belegen, dass dem Richter auch nach gemeinem Recht eine umfassende Friedenssicherungspflicht obliegt, der er im Wege der Strafverfolgung von Amts wegen nachkommen soll. Tengler stellt damit die Aussage Ulpians in den Dienst der deutschen Landfrieden. In dieser Funktion erwähnt er sie an weiteren Stellen in seinem Werk. In der Einleitung zum strafrechtlichen dritten Teil redet Tengler den mit richterlicher Gewalt ausgestatteten Personen ins Gewissen, die peinliche Strafverfolgung als christliche und soziale Aufgabe ernst zu nehmen. Als Beleg für die allgemeine Pflicht aller gerichtlich Oberkeyt (...) sein gegend und Provintz vor den übelthetigen zu reynigen allegiert der Laienspiegel Ulpian59. Darüber hinaus aber leitet er das Kapitel über das kraft Privilegien zugelassene kurze Inquisitionsverfahren (Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen60), das bei Verletzung der „Kaiserlichen Majestät“, der Satzungen der Obrigkeit oder des „gemeinen Nutzes“ angewendet werden soll, mit einer wörtlichen Bezugnahme und dem Randverweis auf die Ulpianstelle ein: Dieweil hievor an mehr enden angezeygt, wes eyn yeder Weltlicher Richter, seiner Oberkeyt verpflicht, auch sein Provintz vor den bösen schirmen, reynigen, den gmeynen nutz fürdern und handthaben sol61. In die Übersetzung der Ulpianstelle lässt Tengler dabei Wendungen einfließen, die weder aus der Digestenstelle noch von den italienischen Juristen stammen, sondern typischerweise in den Landfrieden zu finden sind, so spricht er vom enthalten, hilff, rath, fürschub geben62 und vom gemeynen nutz fürdern und handthaben63. 58 59 60 61

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Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CXIIIr. Laienspiegel, Einleitung zum Dritten Teil, fol. Cv. Laienspiegel, fol. CXVIr. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIr. Die Allegation fehlt in der Ausgabe Straßburg 1536, findet sich aber sowohl in der Augsburger Ausgabe von 1511, als auch in der Straßburger Ausgabe aus dem Jahre 1544. Ulpian spricht nur von den receptores, denen er insbesondere vorwirft, den Räubern Unterschlupf zu gewähren. Augsburger Landfrieden (1500): Ob yemands den fridbrechern heymlicher zuschüb, verdacht wer: (...) hilff, rath, beistand, fürschüb (...) geben oder gethon, oder sie gehaußt, geherbergt oder enthalten hetten (...), Laienspiegel, fol. XCVv-XCVIr; ganz ähnlich im Ewigen Landfrieden (1495) in mehreren Titeln: Fridbott, Laienspiegel, fol. XCIIIv; Fridbrecher und solch thäter nit zu hausen und Von der überfarer disz fridens enthaltung, Laienspiegel fol. XCIIIIv. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIr.; vgl. ähnliche Formulierungen jeweils in der Einleitung der Reformation Kaiser Friedrichs III., des Ewigen Landfriedens und des Augsburger Landfriedens.

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Wie wir gleich sehen werden, kannte Ulrich Tengler aus seinem Erfahrungsbereich landfriedensrechtliche Bestimmungen und städtische Privilegien zur Umsetzung derselben, die ein strenges Verfahren von Amts wegen gegen „schädliche“ Leute bzw. Landfriedensbrecher zulassen und verlangen. Tengler wertet das Verfahren gegen sie offenbar als Inquisitionsprozess und zwar in seiner summarischen Form64. In der Digestenstelle sieht er die gemeinrechtliche Grundlage für die Anwendung des kurzen Inquisitionsverfahrens gegen die Friedbrecher65.

a. Die gemeinrechtlichen Parallelen des Verfahrens gegen die landschädlichen Leute Mit jenen Digestenstellen von Ulpian (D. 1.18.13pr.) und Paulus (D. 1.18.3) liefert uns der Laienspiegel einen wichtigen Hinweis auf Parallelen des Verfahrens gegen die sog. „landschädlichen Leute“ im gemeinen Recht. In zahlreichen Quellen ab dem 13. Jahrhundert, hauptsächlich Landfriedenstexten, finden sich Anweisungen zum Vorgehen gegen „schädliche Leute“. Es scheint sich dabei um ein Phänomen früher Massenkriminalität und Devianz zu handeln, das die öffentliche Ordnung derart gefährdete, dass sich die Obrigkeit – sowohl die städtische wie auch König und Territorialherren – gezwungen sah, Initiativen dagegen zu ergreifen66.

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Zum Streitstand hinsichtlich der Einordnung des städtischen Strafverfahrens als Inquisitionsverfahren, s. u. Kap. B.I.2.dd.(2): Das Verfahren gegen die landschädlichen Leute, S. 65ff. Der Klagspiegel führt die Ulpianstelle wie die italienischen Gelehrten an dritter Stelle des Katalogs an. Er hält sich mit seiner Formulierung eng an Roffredus: Item der landrichter, sol von ampts wegen procedieren, das er erfar und erforsch die übelthättigen menschen die in seim gerichtszwang und in der provincien seindt, und sol das landt reynigen von bösen leütten. Item, alle sacrilegos, schächer, latrones in Latin, Plagiarios die den leuten ir weib oder kind hinfüren oder verfüren, dieb und die sie behalten (...), fol. CXIIv; vgl. Roffredus, Libelli Iuris Canonici, Qualiter sit inquisitio, Ed. Mario Viora, S. 422, n. (s). Die Trennung der einzelnen – ursprünglich beispielhaft aufgezählten – Straftaten einerseits und der Befugnis des Richters gegen die übelthätigen menschen und bösen leute(n) vorzugehen andererseits vermittelt den Eindruck, der Klagspiegel sehe diese bösen leute(n) als eigenständige Personengruppe. Im Übrigen scheint er der Ulpianstelle keine besondere Bedeutung zuzumessen; auch beschreibt er an keiner Stelle explizit das Verfahren gegen „schädliche Leute“. Er war für den Laienspiegel an dieser Stelle als Vorlage somit uninteressant. Zur Verbreitung der „landschädlichen Leuten“ als Anlass für die Landfriedensbewegung, Kaufmann, Ekkehard, Art. Landfrieden I, HRG II 11978, Sp. 1451-1465, 1456.

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Offenbar kannte auch das gemeine Recht das Phänomen solcher „schädlichen Leute“ und hielt Vorgehensweisen bereit, um dieses Problems Herr zu werden. Möglicherweise standen diese den deutschen Landfrieden Modell für das Vorgehen gegen jene Gefährder des Friedens und der Ordnung. aa. Die landschädlichen Leute als abgrenzbare Personengruppe Den Begriff der „landschädlichen Leute“ im Sinne einer abgrenzbaren Personengruppe, gegen die in den spätmittelalterlichen deutschen Quellen ein besonderes strafrechtliches Vorgehen vorgesehen war, prägte Otto von Zallinger67. Waren seine Erkenntnisse zunächst einigen Angriffen ausgesetzt, besteht heute weitgehend Einigkeit über die Tatsache, dass in den ländlichen Rechtsquellen des 13. Jahrhunderts der Begriff der schädlichen Leute eine bestimmte Personengruppe – man mag von Gewohnheitsverbrechern sprechen – bezeichnet, gegen die ein vom üblichen Vorgehen abweichendes Verfahren zulässig war, die teilweise im sog. Leumundsverfahren sogar allein aufgrund ihrer „Schädlichkeit“ verurteilt wurden68. Die gegensätzlichen Ergebnisse der Studien von Hermann Knapp, der den Begriff der schädlichen Leute schlicht für den todeswürdigen Verbrecher verwendet fand69, weisen indes auf eine Entwicklung und regionale Unterschiede hin. Hans Hirsch verdanken wir den Hinweis auf die unterschiedlichen Ausgangspunkte Zallingers einerseits und Knapps andererseits70. Tatsächlich mag in den städtischen Quellen des 14. und 15. Jahrhunderts, die Knapp vorwiegend heranzog, der Begriff der landschädlichen Leute schlicht alle todeswürdigen Verbrecher bezeichnen. Vogt indes belegt in Frankfurter Quellen des 14. Jahrhundert noch die alte Begriffsbedeutung; die Schädlichkeit erfordert auch hier noch ein habituelles Moment71. Wer allerdings im Einzelnen zu den „schädlichen Leuten“ gehörte, ist heute – insbesondere für die frühe Zeit, also die Landfrieden des 13. Jahrhunderts – immer noch umstritten72. Sicherlich handelte es sich nicht um eine homogene Gruppe; auf dem Land mögen der verarmte Adel und Räuberbanden, in den Städten vor allem das umherziehende Gesindel, Gaukler und 67 68

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Von Zallinger, Landschädliche Leute, S. 1ff.; vgl. auch Sellert, Quellen I, S. 108. Sellert, Wolfgang, Art. Landschädliche Leute, HRG II 11978, Sp. 1555-1559, 1556; Eb. Schmidt, Einführung, S. 83. Knapp, Das Übersiebnen der schädlichen Leute in Süddeutschland; ders., Das Übersiebnen der schädlichen Leute, S. 379ff. Hirsch, Hohe Gerichtsbarkeit, S. 90ff. Vogt, Die Anfänge, S. 262ff. Sellert, Wolfgang, Art. Landschädliche Leute, HRG II 11978, Sp. 1555-1559.

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Musikanten, als potentielle Diebe eine erhebliche Gefahr dargestellt haben73. Zallinger spricht von „Gewohnheitsverbrechern“74, vorzugswürdig erscheint indes der Begriff des „potentiellen Verbrechers“: Kennzeichen der schädlichen Leute ist nicht die wiederholte Begehung von Verbrechen, sondern die aus ihrem schlechten Lebenswandel resultierende generelle Gefährlichkeit. bb. Die mali homines bei Ulpian und Paulus Die römischen Juristen Ulpian (D. 1.18.13pr.)75 und Paulus (D. 1.18.3) fordern in den besagten Digestenstellen ein Vorgehen von Amts wegen gegen die sog. mali homines. Bei genauerer Betrachtung fallen eindeutige Parallelen zwischen den mali homines des römischen Rechts und den landschädlichen Leuten auf. Ulpian (D. 1.18.13pr.) erklärt es zur Aufgabe des Provinzstatthalters, seine Gegend friedlich und ruhig zu halten (pacata atque quieta provincia). Dafür sei es notwendig, sie von mali homines zu befreien, diese aufzuspüren bzw. zu verfolgen76: ut malis hominibus provincia careat eosque conquirat (...). Es folgt eine Aufzählung bestimmter Verbrecher, nämlich der Tempelräuber, Wegelagerer, Fälscher und Diebe sowie der (sie verbergenden) Hehler: nam et sacrilegos latrones plagiarios fures conquirere (...) receptoresque eorum coercere, sine quibus latro diutius latere non potest. Im dritten Gesetz desselben Digestentitels (D. 1.18.3) stellt Paulus klar, dass die Aufgabe des Provinzstatthalters, seine Gegend von mali homines zu reinigen (ut curet is, qui provinciae praeest, malis hominibus provinciam purgare,....), auch die Verfolgung provinzfremder Personen umfasst, wenn diese in seinem Zuständigkeitsbereich eine Straftat verübt haben. Worum geht es nun in diesen Digestenstellen? Wer sind diese mali homines? Bezeichnen auch sie eine nach bestimmten Merkmalen zu definierende Personengruppe77? Dem römischen Statthalter wird die Pflicht auferlegt, in seiner Provinz für Ruhe und Ordnung zu sorgen. In Abweichung vom Grundsatz der Privatklage erhält der Statthalter den Auftrag, in bestimmten Fällen die Verfolgung ohne Veranlassung durch einen privaten Ankläger, mithin von Amts wegen, 73 74 75

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Isenmann, Deutsche Stadt, S. 162. Von Zallinger, Landschädliche Leute, S. 1ff. Grundlegende Ausführungen zu dieser Ulpianstelle bei Nogrady, Römisches Strafrecht bei Ulpian, S. 24ff. Nach Nogrady steht der Begriff „conquirere“ hier für das gesamte Strafverfahren von Amts wegen, beginnend mit dem Aufspüren der Täter bis hin zu deren Verurteilung, Römisches Strafrecht bei Ulpian, S. 25. Nogrady, Römisches Strafrecht bei Ulpian, S. 30ff.

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zu betreiben78. Er ist dabei nicht auf die einzeln genannten Straftaten beschränkt (sacrilegos latrones plagiarios fures conquirere (...) receptoresque). Der Kontext der Ulpianschrift79 lässt erkennen, dass hier nur Beispiele gegeben werden sollten; maßgeblich mag die aktuelle Virulenz der erwähnten Verbrechergruppen gewesen sein. Die Entstehungsgeschichte der von Ulpian beschriebenen Anordnung lässt eine Entwicklung von zunächst einzelnen Verbrechern auf alle mali homines vermuten80. Wer sich hinter diesen mali homines verbirgt, ergibt sich aus dem kriminalpolitischen Kontext der Digestenstelle. Offenbar geht es hier um „Säuberung“. Ulpian und Paulus verstehen unter den mali homines Personen, die als Verletzer oder Gefährder der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit anzusehen sind. Dazu gehörten in ihrer Zeit insbesondere die Räuberbanden und die beispielhaft aufgezählten Übeltäter, aber auch die Christen. Im Einzelfall konnten auch Geisteskranke als mali homines in Gewahrsam genommen werden81. Die mali homines sind also die störenden Elemente in der Gesellschaft, sie müssen nicht zwingend Straftäter sein. Die kennzeichenden Merkmale der mali homines stimmen damit mit jenen der landschädlichen Leute, wie sie Zallinger herausarbeitet, im Wesentlichen überein: Es handelt sich um Menschen, die aufgrund ihnen auf Dauer anhaftender Eigenheiten die öffentliche Ordnung gefährden82. cc. Die mali homines bei den italienischen Juristen Auch die italienischen Juristen des Mittelalters sahen sich, insbesondere in den oberitalienischen Kommunen, mit einer akuten Gefährdung der öffentli-

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Der Verzicht auf einen privaten Ankläger ist bereits im Terminus conquirere ausgedrückt; im Übrigen ergibt sich diese Aussage aus dem Kontext, in dem sie sich bei Ulpian findet, vgl. Nogrady, Römisches Strafrecht bei Ulpian, S. 27 m.w. N. in Anm. 57; ferner Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 313, 310. Nogrady betont aber, dass die Notwendigkeit einer förmlichen Anklage auch in diesem Fall bestand – ein öffentlicher Ankläger musste den Prozess formal einleiten. Als Inquisitionsverfahren stellt sich im Mittelalter aber auch der durch einen öffentlichen Denunzianten eingeleitete Prozess dar (dazu s. u. Kap. B.I.3.c.bb. Die Anzeige durch Amtsleute, S. 93ff.), entscheidend ist lediglich der Verzicht auf die Privatklage. Die Stelle stammt aus Ulpians Werk De officio proconsulis, mit dem der Jurist „zumindest im Bereich des Strafrechts, eine allgemeine Rechtsgrundlage für die Vorsteher aller Provinzen schaffen wollte“, Nogrady, Römsches Strafrecht bei Ulpian, S. 21. Nogrady, Römisches Strafrecht bei Ulpian, S. 26, 30f. Vgl. dazu Nogrady, Römsches Strafrecht bei Ulpian, S. 30ff. Von Zallinger, Landschädliche Leute, S. 1ff.

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chen Ordnung durch „Banden von Berufsverbrechern“ konfrontiert83. Sie setzen sich daher ausführlich mit der Digestenstelle auseinander. Dabei präzisieren sie den Begriff der mali homines und stellen – zumindest überwiegend84 – klar, dass es sich hier um eine bestimmte Personengruppe handelt. So spricht Durantis, soweit er Bezug auf die Ulpianstelle nimmt, von malis hominibus et aliis malis85. Auch für Bartolus und Angelus Aretinus gehört nicht jeder Straftäter zu den mali homines: Bartolus spricht von homines malae conditionis et vitae86, also von Menschen mit allgemein schlechten Eigenschaften und unehrenhaftem Lebenswandel. Angelus Aretinus ersetzt die mali homines durch die homines malae conditionis et famae – für ihn spielt also der schlechte Ruf eine Rolle, es geht ihm um die bescholtenen Leute87. Allein die Begehung eines, wenn auch schweren Delikts macht demnach niemanden zu einem „schlechten Menschen“. Was Zallinger für die landschädlichen Leute festgestellt hat, gilt nach der gemeinrechtlichen Lehre auch für die mali homines: Maßgeblich für die Qualifizierung als „schädlicher Mensch“ ist ein habituelles Moment. Indiz dafür wiederum ist der schlechte Ruf (malae (...) famae) – im Leumundsverfahren gegen die landschädlichen Leute wird eben dieser zur Grundlage für die Verurteilung. dd. Das Vorgehen gegen die landschädlichen Leute nach römischem und gemeinem Recht und nach den deutschen Landfrieden Zwischen den deutschen Quellen – namentlich den frühen Landfrieden – und den Digestenstellen fallen sprachliche Parallelen auf, die vermuten lassen, dass Ulpians und Paulus’ Aussagen über das Vorgehen gegen die mali homines der Bekämpfung der landschädlichen Leute im deutschen Mittelalter Modell gestanden haben. 83

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Rüping/Jerouschek Grundriss, Rz. 40ff.; ferner Kantorowicz, Altitalienischer Strafprozess, S. 313. Gandinus spricht schlicht von den mali homines, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per inquisitionem, n. 3. Baldus übernimmt nicht die Formulierung seines Lehrers Bartolus (homines malae conditionis et vitae), sondern will nach Ulpian das Inquirieren contra omnes malos homines zulassen; wen er darunter fasst, bleibt offen, Commentaria, D. 1.18.13 (De officio prasidis, congruit), n. 2. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III., Part. I, De inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 7: (...) procedit enim iudex ex suo officio, quo tenetur provinciam suam purgare malis hominibus, & aliis malis. Bartolus, Commentaria, D. 1.18.13 (De officio prasidis, congruit), n. 3. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Haec est quaedam inquisitio, n. 27. Die gleiche Begrifflichkeit findet sich auch schon bei Bartolus, Commentaria, D. 48.5.2.5 (Ad legem Iuliam de adulteriis, Ex lege Iulia, § Si publico), n. 4.

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Der Begriff der mali homines findet sich in Landfriedenstexten des 13. Jahrhunderts. Zallinger sieht den Begriff der mali homines hier im Sinne der „schädlichen Leute“ verwendet; kennzeichnend für die mali homines bzw. „bösen Menschen“ sei gerade das habituelle Moment88. Eine weitere sprachliche Übereinstimmung besteht auch hinsichtlich des Vorgehens gegen die mali homines bzw. die landschädlichen Leute. So ordnet Art. 15 des aus verschiedenen Landfriedenstexten zusammengestellten89 Österreichischen Landrechts (von 123790) die „Landfrage“ gegen schädliche Leute an, „damit das Land davon gereiniget werde“91. Diese Formulierung entspricht in auffälliger Weise dem provinciam purgare der Digesten. Die Landfriedensbewegung steht für die beginnende Wahrnehmung der Friedenssicherung als obrigkeitlicher Aufgabe92; für jene Idee also, die das römische Recht in der besagten Ulpianstelle formuliert. Die Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und die daraus resultierenden kriminalpolitischen Bedürfnisse zu Ulpians Zeit93 entsprechen jenen, die in Deutschland zur Verfolgung der „landschädlichen Leute“ führten94. (1) Inquisitio generalis und Landfrage Auf der Grundlage der Digestenstelle entwickeln die Legisten Vorgaben für das Vorgehen gegen jene sozial unverträglichen Personen. Die italienischen Quellen ordnen hier das Inquisitionsverfahren an – allerdings zunächst nur in Form der sog. Generalinquisition. Es sollen Befragungen der Bevölkerung stattfinden, ob homines malae conditionis et famae in der Gegend anwesend sind95. Das sizilische Recht sieht zur „Säuberung“ des Landes von solchen Personen ein Rügeverfahren vor, das es als inquisitio generalis bezeichnet96. Das deutsche 88 89 90 91 92 93 94

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Von Zallinger, Landschädliche Leute, S. 50. Hasenöhrl, Österreichisches Landesrecht, S. 13ff. Von Zallinger zweifelt diese Datierung an, Landschädliche Leute, S. 86, Anm. 2. Zitiert nach von Zallinger, Landschädliche Leute, S. 91. Gernhuber, Landfriedensbewegung, S. 20. Dazu s. o. Kap. B.I.2.a.bb.: Die mali homines bei Ulpian und Paulus, S. 61ff. Von Zallinger, Landschädliche Leute, S. 1ff.; Sellert, Wolfgang, Art. Landschädliche Leute, HRG II 11978, Sp. 1555-1559. S. o. Kap. B.I.1.d.: Die deliktspezifische Beschränkung des Inquisitionsverfahrens und ihre Durchbrechung, S. 53ff. Bartolus unterscheidet explizit drei verschiedene Arten der Generalinquisition, darunter die hinsichtlich des Verbrechens und der Person unbestimmte: generalis quo ad personas, & quo ad delicta, ut quia iudex inquirit a testibus, si est in civitate ista aliquis homo malae conditionis (...), Bartolus, D. 48.5.2.5 (Commentaria, Ad legem Iuliam de adulteriis), n. 5. Konstitutionen von Melfi, lib. I, tit. 53 (1); vgl. Zechbauer, Strafrecht Siziliens, S. 181ff., 193.

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Recht kennt entsprechend die sog. Landfrage97, ebenfalls eine Art Rügeverfahren, zum Aufspüren der landschädlichen Leute. Tatsächlich wird diese Landfrage auch als inquisitio (terrae) generalis bezeichnet98 und es ist in diesem Zusammenhang, wie wir oben gesehen haben, vom „Reinigen“ des Landes die Rede99, was dem provinciam purgare des römischen Rechts entspricht. Es liegt insofern durchaus nahe, dass sich die Landfrage in Übernahme der – aus der kirchlichen Gerichtsbarkeit ja durchaus bekannten – Generalinquisition entwickelt hat100. (2) Das Verfahren gegen die landschädlichen Leute Den mali homines, die in der sog. Generalinquisition angezeigt werden, droht nach gemeinem Recht die Überführung und Bestrafung im Wege der inquisitio specialis – vorausgesetzt, ihnen wird eine konkrete Tat vorgeworfen101, so auch das Ergebnis eines Briefwechsels zwischen Friedrich II. und den Bologneser Juristen102. Das Verfahren, das auf die Bezichtigung eines „schädlichen Mannes“ folgt, hat mit dem gemeinrechtlichen Inquisitionsverfahren zunächst nur wenig gemeinsam103. Zwar ist heute unbestritten, dass das Inquisitionsverfahren im Zusammenhang mit der Bekämpfung landschädlicher Leute durch die Städte Eingang in die weltliche Rechtspraxis des deutschen Rechtskreises fand104. Das Verfahren jedoch, das den Städten – genauer dem städtischen Rat – seit dem 14. Jahrhundert in Form von Privilegien für das Vorgehen 97

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Dazu von Zallinger, Landschädliche Leute, S. 85ff.; Zechbauer vermutet, dass das fränkische Rügeverfahren schon im Frühmittelalter gerade auch zur „Säuberung des Landes von Verbrechern und sonstigen schädlichen Elementen“ diente, Strafrecht Siziliens, S. 193. Vgl. die Nachweise bei von Zallinger, Landschädliche Leute, S. 94 und Hasenöhrl, Österreichisches Landesrecht, S. 208f. Zitiert nach von Zallinger, Landschädliche Leute, S. 91. Vgl. Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 130; ferner, Hirsch, Hohe Gerichtsbarkeit, S. 90. S. o. Kap. B.I.1.d.: Die deliktspezifische Beschränkung des Inquisitionsverfahrens und ihre Durchbrechung, S. 53ff. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per inquisitionem, n. 5; Oehler, Entstehung, S. 857. Dass es sich aber um ein spezifisch deutsches Verfahren handelt, darf nach den Erkenntnissen Zechbauers über das Strafrecht Siziliens bezweifelt werden. Er stellt fest, dass, wenn in Rügeverfahren, die in den Konstitutionen von Melfi als inquisitiones generales bezeichnet werden, keine konkrete Tat, sondern der allgemeine schlechte Leumund einer Person angezeigt wird, „Maßregeln rein polizeilicher Natur zu ergreifen waren“, Strafrecht Siziliens, S. 187. Schlosser, Hans, Art. Inquisitionsprozess, HRG II 11978, Sp. 378-382, 379; Isenmann, Deutsche Stadt, S. 163.

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gegen die sog. landschädlichen Leute erlaubt wird, gleicht zunächst dem Verfahren bei handhafter Tat105. Handelt es sich um einen schädlichen Mann, müssen die Voraussetzungen der handhaften Tat nicht vorliegen, um ihn auf einen Tatvorwurf hin zu verhaften, ihm den Reinigungseid zu verlegen und ihn, wenn er „übersiebnet“ wird, peinlich zu bestrafen106. Das wesentliche Kriterium des Inquisitionsverfahrens, das Ziel, mit „rationalen“ Beweismitteln die materielle Wahrheit zu ermitteln, ist hier keineswegs erfüllt. An dieser Stelle von einem Inquisitionsverfahren zu sprechen, wäre verfehlt. Erst recht muss dies für die nächste Entwicklungsstufe des Verfahrens gegen die landschädlichen Leute gelten. Mit dem Übergang zum sog. Leumundsverfahren, ungefähr in der Regierungszeit Karls IV. (1346-1378), verliert die konkrete Tat an Bedeutung, die Schädlichkeit an sich wird zum eigentlichen Gegenstand des Verfahrens. Der Siebnereid bezieht sich nur auf die Feststellung der „Schädlichkeit“ bzw. des schlechten Leumunds107. Einzig, dass im Mittelpunkt des Verfahrens jetzt der „Leumund“ steht, weist auf eine Verbindung zum gelehrten Inquisitionsverfahren hin108. Die Vermutung, mit dem „Leumund“ habe man die infamia des kanonischen Verfahrens aufgegriffen, wird von der Formulierung der Treuga Heinrici gestützt: infamia que loimunt dicitur109. Auch soweit unklar bleibt, ob mit dem „Leumund“ ein konkreter Tatvorwurf verlangt wird oder schon ein allgemeiner schlechter Ruf zur Verurteilung führen kann, sind diese Zweifel nicht nur in der deutschen, sondern auch in der lateinischen Begrifflichkeit angelegt: Auch der lateinische Begriff infamia oder mala fama ist doppeldeutig und kann sowohl den allgemeinen schlechten Ruf aufgrund eines unsteten Lebenswandels als auch das konkrete

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Isenman, Deutsche Stadt, S. 162; Werkmüller, Dieter, Art. Handhafte Tat, HRG I 11971, Sp. 1965-1973, 1972. Knapp, Übersiebnen der schädlichen Leute, S. 379ff.; Jerouschek, Herausbildung, S. 357; Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 74; Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 220. Isenmann, Deutsche Stadt, S. 162; Sellert, Wolfgang, Art. Landschädliche Leute, HRG II 11978, Sp. 1555-1559; Jerouschek, Herausbildung, S. 357. Auf die Parallele zur inquisitio famae weist schon Trusen hin, Strafprozeß und Rezeption, S. 72; ebenso von Kries, Beweis, S. 20; Löning, Reinigungseid, S. 230, Anm. 278. Jerouschek, Herausbildung, S. 352, Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 85; vgl. ferner Zallinger, Landschädliche Leute, S. 34 mit Verweis auf u. a. von Kries, Beweis, S. 205, Löning, Reinigungseid, S. 230, Anm. 278. Zallinger bestreitet, dass im Leumundsverfahren die Rezeption des kanonischen Prozesses zu sehen ist. Er hat hier offenbar das „ordentliche“ kanonische Inquisitionsverfahren vor Augen, von dem der Leumundsprozess freilich weit entfernt ist, a. a. O., S. 34.

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Gerücht, den konkreten Tatvorwurf, bezeichnen110. Tatsächlich hatte die Doppeldeutigkeit der lateinischen Begrifflichkeit schon Friedrich II. zu einer entsprechenden Klarstellung veranlasst: Die Inquisition dürfe nicht auf die Behauptung hin vorgenommen werden, jemand sei ein verrufener oder schlechter Mensch; sondern nur, wenn jemand eines bestimmten Verbrechens bezichtigt würde111. Soweit also im deutschen Vorgehen gegen die landschädlichen Leute, wie Zallinger vermutet, der Ruf, ein schädlicher Mann zu sein, Anlass und Gegenstand des Verfahrens ist112, entspricht dieses Verfahren gerade nicht dem gelehrten Inquisitionsprozess. Von einer frühen Form des Inquisitionsverfahrens mag aber in dem Moment gesprochen werden, in dem das Verfahren gegen die landschädlichen Leute die Form eines sog. „Geständnisprozesses“113 annimmt. Schon im 14. Jahrhundert tritt das Übersiebnungsverfahren in den Hintergrund; die Privilegien erlauben dem Rat jetzt, die landschädlichen Leute von Amts wegen aufzugreifen, zu foltern und auf ihr Geständnis hin zu bestrafen114. Das Ersetzen des Übersiebnens durch Folter und Geständnis markiert die Wende zur rationalen Wahrheitsermittlung von Amts wegen115 und das Ende der Verurteilung allein aufgrund schlechten Leumunds. Dennoch ist heute umstritten, inwieweit dieses Verfahren als „städtischer Inquisitionsprozess“ bezeichnet werden kann. Zweifel begründet die Ausrichtung des gesamten Verfahrens auf das Geständnis116. Trusen spricht dem städtischen Vorgehen den Charakter eines Inquisitionsprozesses ab, weil es auf dem endlichen Rechtstag nur noch um die Präsentation des Geständnisses geht. Aus diesem Grund verwendet Trusen den Begriff des „Geständnisprozesses“117. Alles, was vor diesem Gerichtstag geschieht, bezeichnet er indes als „Vorverfah110

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Die Zweideutigkeit des „Leumundsbegriff“ spricht auch Zallinger an, Landschädliche Leute, S. 32. Hagemann stellt die doppeldeutige Verwendung des Begriffs in den Quellen zum Strafverfahren der Stadt Basel im Spätmittelter fest, Basler Rechtsleben, S. 177, Anm. 176. Diese Aussage Friedrichs II. gibt Gandinus wieder, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per inquisitionem, n. 5; Oehler, Entstehung, S. 857. Zallinger, Landschädliche Leute, S. 35, 176. Jerouschek vermutet eine regional unterschiedliche Handhabung, Herausbildung, S. 357, Anm. 101. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 85; Fehr, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 173. Zallinger, Landschädliche Leute, S. 199ff.; Eb. Schmidt, Inquisitionsprozeß und Rezeption, S. 44; Schröder/Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 865; Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 221; Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 75. Eb. Schmidt, Inquisitionsprozeß und Rezeption, S. 24, 38. So auch Eb. Schmidt, Inquisitionsprozeß und Rezeption, S. 53. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 85, Fehr, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 173.

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ren“. Dass der wesentliche Teil des Verfahrens außergerichtlich und weitgehend ungeordnet abläuft118, führt ihn zu der Bewertung, es handele sich um eine polizeiliche Maßnahme119. Dieser Eindruck mag dadurch verstärkt werden, dass das beschriebene Verfahren nicht vom Stadtgericht, sondern vom Rat als städtischer Ordnungsbehörde durchgeführt wurde120. Günter Jerouschek lehnt die strenge Trennung von „Prozess“ einerseits und außergerichtlichem oder polizeilichem Verfahren andererseits als ahistorisch ab121. Jerouschek weist ausdrücklich darauf hin, dass gerade das, was Trusen als „Vorverfahren“ bezeichnet, den eigentlichen Erkenntnisprozess darstellt, und bezweifelt darüber hinaus die völlige Formlosigkeit dieses Ermittlungsverfahrens122. Der Laienspiegel wertet den „Geständnisprozess“, der nach dem derzeitigen Forschungsstand zu seiner Zeit bereits bei allen todeswürdigen Verbrechen und gegen alle Personengruppen angewendet wird123, wie wir im Folgenden sehen werden, sehr wohl als Inquisitionsprozess und zwar in seiner summarischen Form. ee. Ergebnis Massenkriminalität und Devianz sind keine spezifischen Probleme des deutschen Spätmittelalters; in gleicher Weise sahen sich das römische Reich und die oberitalienischen Kommunen mit der Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch „schlechte“ oder „schädliche“ Menschen konfrontiert. Tengler weist auf Digestenstellen hin, die zum Vorgehen gegen die mali homines Stellung nehmen. Die Aussagen der römischen Juristen Ulpian und Paulus werden von den italienischen Gelehrten herangezogen, um die Verfolgung solcher störender Elemente von Amts wegen zu legitimieren. Tengler wiederum zeigt nun anhand dieser Digestenstellen, dass die Bestimmungen der deutschen Landfrieden zum Vorgehen gegen die landschädlichen Leute Parallelen im gelehrten Recht haben.

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Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 85. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 84. Nehlsen-von Stryk, Reinigungseid, S. 622f.; Jerouschek, Herausbildung, S. 354. Jerouschek, Herausbildung, S. 354 Jerouschek, Herausbildung, S. 354. Eb. Schmidt, Inquisitionsprozeß und Rezeption S. 17, 47. Zunächst bleiben eingesessene Bürger noch verschont, Isenmann, Deutsche Stadt, S. 163.

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b. Landschädliche Leute und Landfriedensbrecher zu Tenglers Zeit Der Begriff der „schädlichen Leute“ oder ähnliche Formulierungen finden sich im Laienspiegel nicht. Die Digestenstellen zu den mali homines versteht er, wie wir gesehen haben, als Aussage über eine umfassende Friedenssicherungspflicht des Richters, der dieser im Wege der Strafverfolgung von Amts wegen nachkommen soll. Der Laienspiegel sagt nicht, dass der Richter seine Gegend von schädlichen Menschen reinigen soll, sondern von allen Übeltätern. Die Formulierungen zeigen, wie bereits dargestellt, dass es Tengler hier allgemein um die Umsetzung des Landfriedens geht. Im „kurzen Prozess“, der kraft Privilegien124 – ursprünglich gegen die landschädlichen Leute – zugelassen ist125, sollen die Städte jetzt gegen Menschen vorgehen, die den Frieden nicht achten oder, wie der Laienspiegel sagt, gegen denjenigen, der durch seine Tat Key. Maie. des heyligen Reichs, oder seiner Oberkeyt satzungen, oder gemeyner nutz beleydigt126. In erster Linie hat er hier wohl den Landfriedensbrecher vor Augen127. Ausgangspunkt ist die konkrete Tat (eynich beschehen übelthat128), die es aufzuklären gilt. Mit der Ausweitung des zunächst gegen die schädlichen Leute angewandten Geständnisprozesses auf alle Landfriedensbrecher entspricht Tengler dem Zeitgeist. Die Unterscheidung zwischen dem Landfriedensbruch durch Fehde und die Kriminalität der landschädlichen Leute verschwimmt. Das Phänomen der landschädlichen Leute und die Kategorie der Schädlichkeit bestehen indes auch zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch; nach wie vor knüpfen sich an die Einordnung als „schädlicher Mann“ prozessuale Konsequenzen. Das Problem der Massenkriminalität hat sich Ende des 15. Jahrhunderts keineswegs gelöst, es ist vielmehr gerade ein Phänomen des 16. Jahrhunderts129; so klagt Karl V. über die auf dem Lande herrschende Gewalt130. Sie geht einerseits von Adligen aus, andererseits von teilweise eidgenossenschaftlich organisierten131 Räuberbanden132, die sich im Wesentlichen aus herrenlo124 125 126

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Dazu im Einzelnen unten Kap. B.IV.4.c., S. 254ff. und d., S. 259ff. Holzhauer, Heinz, Art. Landfrieden II, HRG II 11978, Sp. 1465-1485, 1477. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIr. Vgl. ähnliche Formulierungen jeweils in der Einleitung der Reformation Kaiser Friedrichs III., des Ewigen Landfriedens und des Augsburger Landfriedens. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIr. Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 227. Spicker-Beck, Räuber, S. 25. Schubert, Räuber, Henker, S. 250, 257; Spicker-Beck, Räuber, S. 95ff.

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sen Knechten rekrutieren133. Im Gegensatz zu den einzelnen Vaganten und zum "professionellen Gaunertum" der Städte134, das sich mit kleineren Diebstählen begnügt, wird auf dem Land in großem Stile geraubt, gebrandschatzt und gemordet135. Der Adel spielt dabei in zweierlei Hinsicht eine entscheidende Rolle: Zum einen werden Räuberbanden von Adligen geschützt, ihnen wird in den Burgen Unterschlupf gewährt. Dafür erhalten die Burgherren Anteile an der Beute136. Zum anderen finden sich Belege dafür, dass die Banden von den Adligen gezielt eingesetzt wurden, um in ihrem Auftrag zu morden und zu brandschatzen. Oft standen diese Aufträge im Zusammenhang mit einer Fehde; die gewohnheitsmäßigen Räuber und Mordbrenner wurden eingesetzt, um die Fehdehandlungen auszuführen137. Zwischen jenen der adligen Fehde zuzurechnenden Verbrechen und den Taten der in Banden organisierten Knechte lässt sich damit keine scharfe Trennlinie mehr ziehen138, sie alle erfüllen den Tatbestand des Landfriedensbruchs. Aus dem Jahre 1373 existiert ein Landfrieden Karls IV. für einige schwäbische Städte, unter anderem Tenglers Heimat Nördlingen, der Raub, Mord, Brand und die „unrechte(r) Kriegserklärung“ sanktioniert. Hier wird derjenige als „schädlich“ bezeichnet, der gegen diesen Landfrieden verstößt139. Darüber hinaus soll aber aber auch derjenige als „schädlicher Mann betrachtet“ werden, der „gewaffnet (raisig)“140 ist und keinen Herrn hat und auch keinen „ehrbaren Mann im LF [=Landfrieden] hat, der für ihn spricht“141. Diese Leute sollen nach dem Willen Karls IV. sozial isoliert werden142. Der Begriff der schädlichen Leute erfasst damit alle tatsächlichen und potentiellen Landfriedensbrecher.

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Spicker-Beck nennt hier insbesondere die „Mordbrennerbanden“, Räuber, S. 95ff. Zur Zusammensetzung der „Mordbrenner“-Banden nach diversen Quellen des 16. Jahrhundert in süddeutschen Archiven Spicker-Beck, Räuber, S. 68. Von Zallinger, Landschädliche Leute, S. 6; Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 221. Von Zallinger, Landschädliche Leute, S. 6ff. Schubert, Räuber, Henker, S. 259ff.; Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 227. Schubert, Räuber, Henker, S. 259ff., 261; Spicker-Beck, Räuber, 114ff. Schubert, Räuber, Henker, S. 252, 262. Urkunden Nördlingen II, Nr. 2484, S. 212. Die Bearbeiter Vock/Wulz setzen den Quellenbegriff in Klammer, sofern sie selbst einen anderen Begriff wählen. Urkunden Nördlingen II, Nr. 2484, S. 214. Urkunden Nördlingen II, Nr. 2484, S. 214.

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Die Nördlinger Privilegien, die Landfrieden und auch die Bambergensis messen jedoch der Kategorie der „Schädlichkeit“ nach wie vor eine eigenständige Bedeutung bei. In den Privilegien der Stadt Nördlingen folgt aus der Qualifizierung einer Person als „schädlicher Mann“ die Befugnis des städtischen Rates, über diese Person zu urteilen und sie zu strafen. Das Privileg König Ruprechts I. aus dem Jahre 1401 räumt Nördlingen folgendes Recht ein: „alle schädlichen Leute, Mordbrenner (mortprenner) und Diebe, die die Mehrheit des Rates für ‘verlumbde lute’ hält (duncket) und unter Eid erklärt, daß sie es für Stadt, Land und Leute sind, darf die Stadt richten und urteilen.“143. König Sigmund erklärt 1418 noch einmal: „die Stadt hat Gewalt, schädliche Leute wie Mörder, Mordbrenner, Räuber und andere, die in schlechtem Ruf stehen (verleumte) inner- und außerhalb der Stadt festzusetzen (haimen) und ihnen nachzustellen (gevaren), sie zu büßen und zu verurteilen“144. Die Stadt soll alle Landfriedensbrecher und Gefährder des Landfriedens aufgreifen und verurteilen145. Schädlich ist hier im Sinne von „dem Landfrieden schädlich“ zu verstehen. Diese Schädlichkeit ist Voraussetzung für die Zuständigkeit des Rates und muss deshalb durch eine Art Leumundsbeweis nachgewiesen werden. Schon das eben zitierte Nördlinger Privileg aus dem Jahre 1418 scheint der Stadt zu gestatten, die schädlichen oder verrufenen Leute, wenn es ihr möglich ist, festzusetzen (haimen), ihnen nachzustellen (gevaren)146. Die gleiche Aussage findet sich in den Landfrieden, die Tengler in sein Werk aufnimmt; offenbar erlaubt nach wie vor die Einordnung einer Person als „schädlicher Mann“ ein besonderes Vorgehen: Zwar werden mit der generellen Kriminalisierung der Fehde, also dem Ende der „gerechten Fehde“ durch den Ewigen Landfrieden von 1495 alle Fehdehandlungen als Landfriedensbruch geahndet. Dennoch unterscheiden die Landfrieden des ausgehenden Mittelalters zwischen dem fehdeführenden Adligen und den „reisigen Knechten“. Nur Letzteren droht weiterhin – auch außerhalb der Ermittlungen hinsichtlich einer bestimmten Tat – die Gefangennahme und das peinliche Verhör. Die Landfrieden, die dem Laienspiegel vor Augen standen, verwenden den Begriff der „schädlichen Leute“ nicht mehr, kennen aber eine abgrenzbare Personengruppe, die sie offenbar generell für gefährlich halten. Sie verlangen das Vorgehen gegen umherziehende Personen: „einspennige“, „reisige Knechte“, „Dienstknechte“ und „Bauernknechte“ ohne Herren. 143 144 145

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Urkunden Nördlingen I, Nr. 962, S. 22. Urkunden Nördlingen I, Nr. 1382, S. 161. Zum genauen Verfahren äußern sich die Privilegien nicht vgl. auch von Zallinger, Landschädliche Leute, S. 230 Urkunden Nördlingen I, Nr. 1382, S. 161.

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Die Reformation Kaiser Friedrichs III. beschreibt die Angehörigen dieser Gruppe folgendermaßen: mit mercklicher kranckheyt seins leibs nit beladen, und eyn müssiggendiger sei, auch nit erberer, redlicher, unnd genüglicher leibsnarung für sich selber hab147. Es handelt sich also um Personen, die nicht – auf rechtschaffene Weise – für ihren Lebensunterhalt sorgen können und zugleich nicht zur Gruppe der „ehrenwerten“ Bettler angehören, die aufgrund ihrer Krankheit auf Almosen angewiesen sind und diese auch bekommen (mit mercklicher kranckheyt seins leibs nit beladen). Zwar resultiert die Schädlichkeit der „reisigen Knechte“ offenbar aus deren Gefährlichkeit für den Landfrieden. Es muss aber nicht zum Landfriedensbruch gekommen sein, es genügt vielmehr die Gefährdung des Landfriedens. Die genannten Personengruppen stellen grundsätzlich eine solche Gefährdung dar und werden deshalb verfolgt. Die Reformation Kaiser Friedrichs III. verlangt, dass diese Personen verschmächt und außgetriben werden148. Erst der Ewige Landfrieden verlangt schließlich nicht mehr die Vertreibung, sondern die Gefangennahme und Bestrafung solcher Personen: Sie sollen angenommen, hertigklich gefragt, unn umb ir mißhandlung mit ernst gestrafft(...)149. Im Unterschied zu den fehdeführenden Adligen droht den Knechten offenbar die Festnahme unabhängig von einem konkreten Tatverdacht. Erst im Verhör muss dann eine bestimmte Tat gestanden werden, wegen der im Folgenden die Bestrafung erfolgt (umb ir mißhandlung mit ernst gestrafft(...)). Auch die Bambergensis knüpft an die Zugehörigkeit zur Gruppe der Reisig oder fussknecht bestimmte prozessuale Konsequenzen. Sie behandelt indes – wie der Laienspiegel – nur noch das gerichtliche Vorgehen auf eine konkrete Tat hin. Die Halsgerichtsordnung nimmt die Bestimmung des Ewigen Landfriedens über die „einspennigen Knechte“ auf150, präzisiert die Merkmale dieser Personengruppe und bindet die Aussagen des Landfriedens in ihr System des Strafprozesses ein151. Der Lebenswandel der Reisig oder fussknecht, namentlich die mangelnde Anstellung, die es unwahrscheinlich macht, dass sie das Geld, das sie in den Wirtshäusern lassen (bei den wirtten ligen und zeren) auf redliche Weise erworben haben (Und nit sölich redlich dinst, hantyrung oder gult, die sie haben, anzeigen können, davon sie sölich zerung zymlich thun mogen), wird in der Bambergensis als Indiz gewertet, das – insbesondere beim Vorwurf des Raubes (verdechtlich zu vil bösen 147 148 149

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Reformation Kaiser Friedrichs III. (1442), Laienspiegel, fol. XCIv: Von Reysigen knechten. Reformation Kaiser Friedrichs III. (1442), Laienspiegel, fol. XCIv: Von Reysigen knechten. Ewiger Landfrieden (1495), Laienspiegel, fol. XCIIIIr: Von der einspennigen knecht wegen, vgl. RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1 (III.C. Ewiger Landfriede). Ewiger Landfrieden (1495), Laienspiegel, fol. XCIIIIr: Von der einspennigen knecht wegen, vgl. RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1 (III.C. Ewiger Landfriede). Art. 46, 47 CCB, vgl. Art. 39 CCC.

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sachen, und allermeyst zu Rauberey) – für sich genommen die Folter erlaubt (Gnugsam anzeygung152). Die Bambergensis beruft sich dafür auf den Ewigen Landfrieden: Als sünderlich auss dem königlichen und des reichs gemeinen Landtfriden zu mercken, darinnen gesaczt ist, das man sölche puben nit leiden, Sunder annemen, hertiglich fragen und umb ir mysshendel mit ernst straffen sol153.

c. Zusammenfassung Dass der Laienspiegel keine speziellen Ausführungen zum Vorgehen gegen die landschädlichen Leute enthält, ist der Tatsache geschuldet, dass der Geständnisprozess nicht mehr länger nur auf diese Personengruppe, sondern schlicht auf alle Landfriedensbrecher angewendet wird. Die in der Bambergensis zu findende Einordnung der „Schädlichkeit“ als Indiz übernimmt er zwar, jedoch erklärt er sie nicht per se als zur Folter genügendes Verdachtsmoment154.

3. Die verfahrenseinleitende Anzeige im Laienspiegel

Die umfassende Friedenssicherungspflicht des Richters fordert das Offizialprinzip im weitesten Sinne: Die Strafverfolgung darf nicht abhängig sein von formalen Verfahrensvoraussetzungen, insbesondere kann nicht eine Anzeige zwingende Vorbedingung der Verfahrenseröffnung sein. Nur als eine Möglichkeit für die Einleitung des Inquisitionsverfahrens beschreibt der Laienspiegel deshalb die Anzeige oder „Denunziation“; die Strafverfolgung von Amts wegen werde offt nach berürtem ansagen und denuncieren, durch die weltlichen Richter (...) fürgenommen (...)155. Seiner Darstellung des Inquisitionsverfahrens im Kapitel Von inquirieren und erfarungen stellt Tengler das Kapitel Von denunciern und ansagen voran156. Hier macht er nähere Ausführungen zur Strafanzeige157. Dabei wird deutlich, 152 153 154 155 156 157

Art. 47 CCB, vgl. Art. 39 CCC. Art. 47 CCB, vgl. Art. 39 CCC. Dazu eingehend Kap. B.II.1.e.bb.: Indizienlehre, S. 157ff. Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CXIIIr. Laienspiegel, Von denuncieren und ansagen, fol. CXIIv. Eine allgemeingültige Definition der Denunziation vermeidet Tengler. Bei Durantis und Gandinus findet sich eine weite Definition der Denunziation, unter die sich deren ver-

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dass die Denunziation ursprünglich nach kirchlichem Recht ein Verfahren eigener Art einleitete. Dies erklärt, weshalb der Laienspiegel die Denunziation in einem eigenen Kapitel behandelt, das systematisch gleichberechtigt neben dem Kapitel über das Inquisitionsverfahren steht. In seinen Ausführungen zum Hexenprozess bezeichnet er das Denunziationsverfahren explizit als eigenständige Prozessform: Nun seind aber nach gemeynen rechten drei maß, dardurch man solch und ander übel unnd missethaten gewonlich rechtvertigen und straffen, als durch verklagen, Accusation genant, oder mit anzeygen oder angeben, das ist, Denunciation, oder auß erfarung, so man heyßt, Inquisition, darinn hat yeder weg sein rechtmässig ordnung, als hienach in disem Dritten Teyl underschiden158.

Die Wurzeln der das Inquisitionsverfahren einleitenden Anzeige liegen also in der denunciatio als eigenständigem modus procedendi des kirchlichen Rechts.

a. Forschungsstand Der Denunziation als kirchlichem Verfahrenstypus und ihrer Entwicklung zur modernen Strafanzeige haben sich in jüngster Zeit insbesondere Arnd Koch, Günter Jerouschek und Daniela Müller sowie Lotte Kéry gewidmet. Übereinstimmend qualifizieren sie die denunciatio evangelica als Urform der Denunziation. Aus Matthäus 18, 15-17 leiteten die Kirchenrechtsgelehrten die Pflicht des Christen ab, seinen sündigen Bruder zur Besserung zu ermahnen und, bleibt die Ermahnung erfolglos, beim Bischof anzuzeigen, damit dieser den Sünder zur Buße aufrufe. Aus dieser Pflicht entsteht ein eigenes Verfahren, dass gleichberechtigt neben der accusatio und mit deren Herausbildung durch Innozenz III. auch der inquisitio steht. Wie beim Infamations- und später beim Inquisitionsverfahren handelt es sich auch bei der denunciatio evangelica zunächst um ein disziplinarisches Verfahren gegen Kleriker159. Kennzeichen dieser Urform der Denunziation ist der karitative Zweck der Anzeige. Die Ermahnung des Bruders, die sog. fraterna correctio, wird als Akt der Nächsten-

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schiedene Erscheinungsformen fassen lassen. Auf die Frage Quid sit denuntiatio antwortet Durantis: Denunciare est alicuius crimen ad praesentiam deferre, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Denunciatione, § 1: Quid sit denuntiatio; Gandinus definiert: Denuntiare autem nihil aliud est, quam deferre aliquem reum criminis, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per denuntiationem, n. 1. Laienspiegel, Von kätzerey, warsagen, schwartzer kunst (...), fol. CVv; vgl. ferner Laienspiegel, Einleitung zum Dritten Teil, fol. Cv. Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation, S. 11; Koch, Denunciatio, S. 45.

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liebe verstanden; sie dient der Rettung seines Seelenheils160. Ziel des Verfahrens ist nicht die Bestrafung, sondern die Besserung des Delinquenten161. Die denunciatio evangelica stößt an ihre Grenzen, wenn der Delinquent die Ermahnung nicht ernst nimmt, sich nicht bessert oder seine Verfehlung gar nicht eingesteht und damit auch nicht bereut162. Vor der Einführung des Inquisitionsverfahrens stand in diesem Fall der Reinigungseid und notfalls das Mittel der Exkommunikation zur Verfügung163. Mit dem neuen Verfahrensziel, der Ermittlung der Wahrheit, scheiden Reinigungseid und sofortige Exkommunikation aus. Man strebt nun zuerst die Aufklärung des im Wege der Denunziation vorgetragenen Vorwurfs an – mit dem Inquisitionsverfahren steht nun ein prozessuales Mittel dafür zur Verfügung164. Von Anfang an bestand daher ein Zusammenhang zwischen Denunziationsverfahren und Inquisitionsverfahren. Dieser Zusammenhang stellt sich zunächst als Stufenverhältnis dar: Erst, wenn das Verfahren im Wege der denunciatio evangelica nicht zum gewünschten Erfolg, der Buße oder Besserung des Delinquenten, geführt hatte, wurde das Verfahren in einen Inquisitionsprozess übergeleitet165. Innozenz IV. und Durantis weisen auf diese Möglichkeit der Verfahrensüberleitung ausdrücklich hin und machen sie so zu einem festen Bestand-

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Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation, S. 12f.; Kéry, Inquisitio – denunciatio – exceptio, S. 231. Koch spricht von einem "therapeutischen" Zweck der denunciatio evangelica, Denunciatio, S. 57. Zur Unzulänglichkeit der denunciatio evangelica ausführlich, Koch, Denunciatio, S. 40f., 43. Kolmer betont diesen Missstand im Zusammenhang mit dem Vorgehen gegen Ketzer, Die denunciatio canonica, S. 34ff., vgl. zur Denunziation in der Ketzerbekämpfung auch Fößel, Denunziation im Verfahren gegen Ketzer, S. 48ff. Zunächst gab es wohl auch im Denunziationsverfahren die Möglichkeit des Reinigungseides, Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation, S. 18. Panormitanus, den der Laienspiegel später ebenfalls allegiert, droht der persona incorribilis die Exkommunikation an, Panormitanus, Commentaria, X 2.1.13 (Novit), n. 46 (fol. 49r); vgl. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 197. Koch sieht im Inquisitionsverfahren die „Entstehungsvoraussetzung“ der denunciatio als „Prozessrechtsinstitut“, Denunciatio, S. 37. Nach Jerouschek legt der Wortlaut der Dekretale „Licet Heli“ (X 5.3.31) von Innozenz III. nahe, dass das Inquisitionsverfahren tatsächlich die Unzulänglichkeit der denunciatio evangelica kompensieren sollte: Wenn die Denunziation dem Richter ein Gerücht, eine fama über die Verfehlung, zu Gehör bringt und damit die Voraussetzungen des Inquisitionsverfahrens gegeben sind, gibt es keinen Grund, es bei einer bloßen Ermahnung zur Besserung zu belassen. Die denunzierte Tat soll vielmehr im Wege des Inquisitionsverfahrens aufgeklärt und der Denunzierte bestraft werden, Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation, S. 15ff. Koch, Denunciatio, S. 45ff.; Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation, S. 16.

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teil der kanonistischen Lehre166. Inwiefern ein vorausgegangenes Denunziationsverfahren den darauf folgenden Inquisitionsprozess modifizierte ist bis heute umstritten. Während Koch davon ausgeht, dass auch bei vorangegangener denunciatio evangelica am Erfordernis der mala fama festgehalten wurde167, vertritt Hinschius die Auffassung, die Denunziation ersetze gerade die inquisitio famae168. Schließlich bilden sich weitere Formen der Denunziation heraus, die sich von der ursprünglichen denunciatio evangelica zunächst insofern entfernen, als der karitative Zweck der Anzeige keine Rolle mehr spielt. So eröffnet die sog. denunciatio iudicialis privata Privatpersonen die Möglichkeit, im Wege der Anzeige eigene Interessen zu verfolgen, namentlich die Wiedergutmachung eines erlittenen Schadens169. Weitere Spielarten der Denunziation markieren die Entwicklung hin zur Strafanzeige im modernen Sinne. Mit der Herausbildung des Inquisitionsverfahrens entwickelt sich im kanonischen Recht eine neue Form der Denunziation, die sich nun dadurch auszeichnet, dass sie direkt, also nicht nur subsidiär, die Einleitung des Inquisitionsprozesses veranlasst. Sie wird in der Regel als denunciatio canonica bezeichnet, daneben auch als denunciatio iudicialis170. Sie stellt nun keine eigene Verfahrensform mehr dar, sondern ist nurmehr Einleitungsmodus des Inquisitionsverfahrens. Der therapeutische Zweck der Anzeigen ist völlig untergegangen, es geht nun um die Bestrafung des Delinquenten171. Als Einleitungsform des Inquisitionsverfahrens hat die Denunziation zunächst vor allem im Zusammenhang mit der Ketzerverfolgung Bedeutung gewonnen172; hier war jedermann zur Anzeige verpflichtet173. Schon früh fand 166 167

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Koch, Denunciatio, S. 58f. Koch, Denunciatio, S. 45f. Gestützt wird diese Auffassung durch die Aussagen Bernhard von Parmas, die Kéry in diesem Zusammenhang untersuchte, Inquisitio – denunciatio – exceptio, S. 231; ferner zum Zusammenhang von Denunziation und Beweis der mala fama im Inquisitionsverfahren Friedrichs II., Zechbauer, Strafrecht Siziliens, S. 192. Hinschius, Kirchenrecht V, S. 351, 357. Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation, S. 18f. Dazu ausführlich, Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation, S. 14ff. Die begriffliche Unterscheidung von denunciatio iudicialis (privata) und denunciatio canonica lässt sich nicht in allen Quellen am bestehenden bzw. fehlenden eigenen Interesse des Denunzianten festmachen. Zur unklaren Begrifflichkeit vgl. Koch, Denunciatio, S. 57f. Der überwiegende Teil der Legisten übernimmt diese Form der Denunziation, also die private Anzeige zur Einleitung eines Inquisitionsverfahrens, nicht, Biener, Beiträge, S. 110; Koch, Denunciatio, S. 63. Koch, Denunciatio, S. 57. Koch, Denunciatio, S. 49ff.; Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation, S. 20ff.

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die Denunziation zur Einleitung eines Inquisitionsverfahrens auch in jenem weltlichen Rügeverfahren Anwendung, wie es die Konstitutionen von Melfi vorsahen174. Für die Gelehrten, nun vornehmlich die weltlichen Juristen, stellten sich unterschiedliche Probleme für den Fall der privaten Anzeigen einerseits und der Denunziation durch Amtspersonen andererseits. Die entsprechenden Diskussionen haben bislang in der Literatur wenig Beachtung gefunden. Was die privaten Anzeigen angeht, so beschränkt sich Koch auf die Feststellung, Gandinus und Angelus Aretinus hätten eine private Denunziation, „die keine weiteren Verpflichtungen nach sich zog“, nicht gekannt und weist darauf hin, dass noch Farinacius auch im Falle einer privaten Anzeige am Erfordernis der mala fama festhalte175. Erst Julius Clarus (1525-1575) erkläre schließlich die mala fama in diesem Fall für entbehrlich und führe damit die deutsche Strafrechtswissenschaft in Richtung moderner Strafanzeige176. Hinsichtlich der Anzeige durch Amtspersonen weist Koch auf die bei Gandinus und Angelus Aretinus zu findende Diskussion hin, ob allein aufgrund einer amtlichen Strafanzeige – wegen der aufgrund seines Amtseides erhöhten Glaubwürdigkeit des Denunzianten – der Angezeigte verurteilt werden dürfe177. Durch seinen Verweis auf C. 9.2.7 weist nun aber Tengler den Weg zu den Wurzeln dieser Diskussion. Koch untersucht schließlich auch den Zusammenhang zwischen der Lehre von der denunciatio und der deutschen Rügegerichtsbarkeit. Er stellt fest, dass das gemeinrechtliche Schrifttum in der „Rüge“ das deutsche Pendant der denunciatio sieht178, wobei das Rügeverfahren sich nicht als hochgerichtliches 173

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Koch, Denunciatio, S. 49ff., 96; Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 211ff.; Hinschius, Kirchenrecht V, S. 481. Die Denunziationspflicht mag auf die für die denunciatio evangelica festgestellte christliche Verpflichtung zur Rettung des Seelenheils des Bruders zurückzuführen sein, Kéry, Inquisitio – denuntiatio – exceptio, S. 231, 234, oder aber auf römischrechtliche Bestimmungen, Trusen, Anfänge, S. 62. Für die Ketzer- oder Hexenverfolgung sieht auch der Laienspiegel Generalinquisitionen vor, die auf Denunziationen abzielen, in denen sogar Denunziationspflicht besteht, Laienspiegel, Forma Citation wider Unholden, fol. CVv. Neben der Anzeigepflicht galten für die Denunziation im Ketzerverfahren weitere Besonderheiten, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll, vgl. dazu ausführlich Koch, Denunciatio, S. 50ff. Koch, Denunciatio, S. 52ff.; Zechbauer, Strafrecht Siziliens, S. 181ff., 187, 189, das sizilische Recht spricht vom delator, zu diesem Begriff Koch, a. a. O., S. 73ff. Koch, Denunciatio, S. 63. Koch, Denunciatio, S. 64f. Koch, Denunciatio, S. 63. Koch, Denunciatio, S. 78f.

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Verfahren darstellte, sondern nur die Aburteilung geringfügiger Delikte betraf179. Nach Auffassung der deutschen Strafrechtswissenschaft der frühen Neuzeit leitet die Rüge bzw. Denunziation ein summarisches Verfahren ein180. Koch weist zudem darauf hin, dass im deutschen Rügeverfahren ausnahmsweise die Anzeige einer Amtsperson als alleiniger, zur Verurteilung genügender Beweis gewertet wurde181. Erst die Untersuchung des Laienspiegels und seiner Quellen wird aber zeigen, inwiefern diese Beobachtung der deutschen Praxis bemerkenswerte Parallelen zum gelehrten Recht aufweist. Der Bedeutung der Rüge oder Anzeige in der Stadt widmeten sich in jüngster Zeit diverse städtespezifische Untersuchungen182. Übereinstimmend geht daraus hervor: Die Einleitung eines amtlichen Verfahrens durch Rüge bzw. Denunziation wird in den deutschen Städten im ausgehenden Mittelalter und insbesondere mit der zunehmenden Ausbildung der städtischen Polizei zu Beginn der frühen Neuzeit zum Regelfall183. Die geringeren Delikte werden von der Rügeinstanz im Rügeverfahren abgeurteilt, die schwereren werden an die höheren Gerichte weitergeleitet184. Wie Koch für das gelehrte Recht feststellt, scheint auch in der städtischen Praxis die private Denunziation den Anzeigenden zum Verfahrensbeteiligten zu machen185. Dem Denunzianten obliegt es, sein Vorbringen zu beweisen, andernfalls droht ihm die Bestrafung wegen Falschaussage186. Die Studien zeigen, dass eben dieses Risiko eine Hemmnis für die Anzeigefreudigkeit der Bevölkerung darstellte. Der im Bürgereid verankerten Rügepflicht187 kamen die Bürger keineswegs in dem erwünschten Maße nach. Die Städte versuchten hier mit dem Aussetzen von Belohnungen für erfolgte

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Zur Bedeutung der Denunziation in den frühneuzeitlichen Polizeiordnungen, Weber, „Anzeige“ und „Denunciation“, S. 583ff. Koch, Denunciatio, S. 188. Koch, Denunciatio, S. 192. Schwerhoff, Köln im Kreuzverhör; Bendlage, Henkers Hetzbruder; Hagemann, Basler Rechtsleben; Schorer, Strafgerichtsbarkeit Augsburgs; Henselmeyer, Ratsherren; Schuster, Stadt vor Gericht. Schwerhoff, Köln im Kreuzverhör, S. 90ff. Koch, Denunciatio, S. 184f. Zum Zusammenhang zwischen mittelalterlichem Rügeverfahren, der kanonischen denunciatio und der frühneuzeitlichen Anzeigepflicht vgl. auch Weber, „Anzeige“ und „Denunciation“, S. 593. Bendlage, Henkers Hetzbruder, S. 123ff.,129; Schuster, Stadt vor Gericht, S. 182. Bendlage, Henkers Hetzbruder, S. 123; Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 44; Schorer, Strafgerichtsbarkeit Augsburgs, S.173f.

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Anzeigen nachzuhelfen188. Offenbar scheiterte die Instrumentalisierung der Bürger als Strafverfolgungsorgane aber letztlich auch an der mangelnden Akzeptanz gegenüber dem städtischen Satzungsrecht, namentlich den polizeilichen Bestimmungen und an sozialen Loyalitäten189. Einen Ausweg bot die Einsetzung von städtischen Beamten, die als Rügeinstanz fungierten190. Die Anzeige durch Amtsleute spielte in der städtischen Strafpraxis des 15. und 16. Jahrhunderts eine große Rolle191. In den süddeutschen Städten bediente sich der Rat spezieller Amtspersonen mit Überwachungsaufgaben192, außerdem bezahlter „Kundschafter“ oder „Rüger“, die alle Delikte und Verstöße gegen das städtische Satzungsrecht zu melden verpflichtet waren193. Im Wesentlichen ging es dabei um die Ahndung von Freveltaten, insbesondere Verstößen gegen Ordnungsvorschriften194, wenngleich sich auch Belege dafür finden, dass der Totschlag Gegenstand der Rüge war195. In den süddeutschen Stadtrechtsquellen des ausgehenden Mittelalters stellt sich die Anzeige oder Rüge als Mittel des Rates dar, das Willkür- oder Satzungsrecht durchzusetzen196. Inwiefern aber nun – wie es die Juristen diskutieren – die amtliche Anzeige auch in den deutschen Städten allein, ohne weiteren Beweis zur Bestrafung 188

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Bendlage, Henkers Hetzbruder, S. 128; Henselmeyer, Ratsherren, S. 105; Schorer, Strafgerichtsbarkeit Augsburgs, S. 173f. Übersicht zur Bedeutung der privaten Denunziationen für die städtische Strafverfolgung, Bendlage, Henkers Hetzbruder, S. 132; Schuster, Stadt vor Gericht, S. 182ff.; Schorer, Strafgerichtsbarkeit Augsburgs, S. 175. Bendlage, Henkers Hetzbruder, S. 127ff.; Schuster, Stadt vor Gericht, S. 184ff.; Schorer, Strafgerichtsbarkeit Augsburgs, S. 175ff. Zum Verfahren in den italienischen Städten vgl. Kantorowicz, Altitalienischer Strafprozess, S. 314. An keiner Stelle erwähnt die Bambergensis die Anzeige einer Tat durch Amtsleute. Es wird vermutet, dieser Fall sei als öffentliche Anklage gesehen worden und gehöre daher dem Bereich des Akkusationsverfahrens an, Eb. Schmidt, Einführung, S. 126, § 108; Brunnenmeister, Quellen, S. 221. In jedem Fall führt die Einführung öffentlicher Ankläger letztlich zur Verschmelzung von Inquisitions- und Akkusationsverfahren, Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 104. Zum öffentlichen Ankläger in Frankfurt am Main und Goslar s. auch die Quellen 61 a-c bei Sellert, Quellen I, S. 169f. Koch, Denunciatio, S. 184ff.; Spieß, Rüge und Einung, S. 9ff., 19; Bendlage, Henkers Hetzbruder, S. 127ff.; Schorer, Strafgerichtsbarkeit Augsburgs, S. 175; Schuster, Stadt vor Gericht, 185ff. Bendlage, Henkers Hetzbruder, S. 127ff.; zu den „Rügern“ in Augsburg, Schorer, Strafgerichtsbarkeit Augsburgs, S. 174; zu den „Lüsnern“ in Basel Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 45; vom „Spitzel“ spricht in diesem Zusammenhang Schuster, Stadt vor Gericht, S. 184. Spieß, Rüge und Einung, S. 24ff.; Bendlage, Henkers Hetzbruder, S. 127ff.; Schorer, Strafgerichtsbarkeit Augsburgs, S. 175f; Schuster, Stadt vor Gericht, S. 185ff. Spieß, Rüge und Einung, S. 107ff. Spieß, Rüge und Einung, S. 78ff.

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des Delinquenten führen konnte, lässt sich aus den Studien nicht allgemein beantworten. Festzustellen ist aber, dass die bezahlten Kundschafter nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch vor dem Rat wenig Ansehen und damit Vertrauen genossen197. Dagegen wird den Anzeigen der durch ihren Amtseid verpflichteten ehrwürdigen Beamten eine hohe Glaubwürdigkeit beigemessen worden sein. Zumindest lässt sich nachweisen, dass deren Augenzeugenaussage wie zwei gewertet wurde und damit einen zur Verurteilung genügenden Beweis darstellte198. Zudem weist nicht nur Koch darauf hin, dass auf die amtliche Rüge hin ein vereinfachtes Verfahren folgte199. Eine eingehende Untersuchung etwaiger Parallelen zwischen der Anzeige der städtischen Beamten und der im gelehrten Recht vorgesehenen denunciatio iudicialis publica fehlt bislang. Der Laienspiegel und seine Quellen liefern hier gewichtige Anhaltspunkte für solche Parallelen.

b. Die Darstellung der Denunziation als eigenständige Verfahrensart Die Darstellung der Denunziation als eigener Prozessform scheint auf den ersten Blick Tenglers Versprechen, seine Darstellung an den Bedürfnissen der Laienrichter auszurichten, zu widersprechen. In den deutschen Gerichten des ausgehenden Mittelalters wird dieses aus dem kirchlichen Recht stammende Verfahren keine Rolle gespielt haben. Angelus Aretinus, dessen Kapitel Necnon ad denunciationem der Laienspiegel zur Denunziation im Sinne der Strafanzeige allegiert, misst dem Denunziationsverfahren in der weltlichen Gerichtsbarkeit offenbar überhaupt keine Bedeutung mehr zu200. Auch der Klagspiegel behandelt die Denunziation an keiner Stelle in ihrer Erscheinungsform als eigene Verfahrensart; sie ist nur noch als Einleitungsmodus des In197 198

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Bendlage, Henkers Hetzbruder, S. 131. So für Basel Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 174f. Im Magdeburgischen Recht kam dagegen dem Zeugnis des Amtswalters keine erhöhte Beweiskraft zu. Ein Kläger macht 1460 vor dem Breslauer Schöffengericht dennoch geltend, das Zeugnis des Schultheißen hätte den gleichen Wert wie die Aussagen zweier Zeugen, Nehlsen-von Stryk, Reinigungseid, S. 630. So wohl auch die Bewertung von Spieß: „Es bedarf allenfalls des Beweises, daß der Betreffende auch tatsächlich die Tat begangen hat.“, Einung, S. 86. Genügen könne neben dem Zweizeugenbeweis auch der „Überführungsbeweis durch den Rüger bei offenkundiger oder gerichtskundiger Tat...“, a. a. O., S. 92. Angelus Aretinus erwähnt die Denunziation als eigenen modus procedendi zwar als eine der verschiedenen Erscheinungsformen der Denunziation, sieht dann aber ausdrücklich davon ab, sie im Einzelnen zu erläutern; er widmet sich nur noch der denunciatio iudiciaria, Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Necnon ad denunciationem, n. 2.

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quisitionsverfahrens von Bedeutung201. Ebenso wenig findet das Denunziationsverfahren freilich Erwähnung in der Bambergensis oder der Carolina. aa. Die Darstellung der kanonischen denunciatio evangelica im Laienspiegel Zu Beginn seiner Ausführungen im Kapitel Von denunciern und ansagen erklärt der Laienspiegel: Es werden offt etlich übelthaten der Obernhand denunciert202, verkündt und angesagt, damit sie die selben zu besserung, buß oder rechtfertigung ermanen203. Was Tengler hier beschreibt ist das ursprüngliche Denunziationsverfahren, die sog. denunciatio evangelica204. Dabei lehnt er sich eng an die Ausführungen des Kanonisten Durantis an. Seine Allegationen verweisen auf dessen gesamten Titel De Denunciatione. Von Durantis übernimmt er auch die Angaben der entsprechenden Stellen aus dem Decretum Gratiani und dem Liber Extra. In Dist.86 c.23205 und C.2 q.1 c.20 wird der Richter aufgefordert, Denunziationen nachzugehen. X 5.1.7 äußert sich zu der Frage, wer als Ankläger zuzulassen ist. Die Bedeutung dieser Allegation ergibt sich, wie später deutlich wird, aus der teilweise parallelen Behandlung von Denunziant und Ankläger. Ausdrücklich erklärt Tengler, dass die Denunziation nicht auf eine Strafe gerichtet ist206. Sie geschehe vielmehr, damit sie die selben zu besserung, buß oder

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Als Gegenstände der strafrechtlichen Abschnitts führt der Klagspiegel nur an: De accusationibus et inquisitionibus, et quotiens crimina in modum exceptionum opponuntur, fol. CIIIr. Dennoch kündigt er in seiner folgenden Inhaltsangabe zum Andern Teyl an, neben der Akkusation, der Inquisition und der Exception auch zu behandeln, wie man dem Richter die sünd verkünden mag, das er die straff in Latin Denunciare, fol. CIIIr. Ein entsprechendes Kapitel sucht man vergeblich. Nur die das Inquisitionsverfahren einleitende Denunziation wird später kurz angesprochen. Vgl. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Denunciatione, Rubrica: Saepe aliquorum crimina superioribus denuntiantur (...). Laienspiegel, Von denuncieren und ansagen, fol. CXIIv. Dazu oben Kap. B.I.3.a. Forschungsstand, S. 74ff, und ausführlich: Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation, S. 11ff.; ferner Brundage, Medieval Canon Law, S. 143; Jacobi, Der Prozeß im Decretum Gratiani, S. 328ff.; Kéry, Inquisitio – denunciatio – exceptio. Kolmer bezeichnet die hier als denunciatio evangelica beschriebene Form der Denunziation als denunciatio canonica, Die denunciatio canonica, S. 26ff. In der mir vorliegenden Ausgabe des Speculum Iudiciale (Frankfurt 1592) gibt Durantis fälschlicherweise Dist.36 an. Er entspricht damit ganz seinen gelehrten Vorlagen. Baldus beschreibt die denunciatio evangelica in Anlehnung an Durantis folgendermaßen: Evangelica fit ad emendationem et in ea de iuris aspicibus non est disputandum, sed de bono animae, Add. zu Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Denuntiatione; Durantis formuliert: (…) quia ubi de bona fide agitur, non est de iuris as-

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rechtfertigung ermanen. Unter „Besserung“, „Buße“ und „Rechtfertigung“ kann ein Unterlassen oder allenfalls eine Wiedergutmachung des Schadens im Sinne eines privatrechtlichen Ausgleichs verstanden werden. Im Folgenden formuliert der Laienspiegel, es werde (...) alleyn darumb denunciert, d[a]z er mit brüderlicher straff zu widerkerung unn besserung seins lebens bewegt würde207. Bei Durantis findet er entsprechend: Ad solam enim correctionem agitur, cum per modum denuntiationis proceditur208. Die Reaktion der „Oberhand“ auf die Denunziation erschöpft sich in der Aufforderung an den Denunzierten, sich zu bessern: so möcht die Oberhand oder Richter dem selben od[er] andern schreiben, wo er solch übel begangen hett, solt er mit besserung und buß füran davon stehn. Auch Durantis erklärt: Wenn der Denunziant sagt, Domine & ego vobis denuncio, ut saltem ei scribatis, quod se corrigat, dann soll der Richter dem Denunzierten eine solche Ermahnung schicken209. Auch den karitativen Zweck betont der Laienspiegel in Übereinstimmung mit Durantis210: Mit der Denunziation soll der Denunziant keine eigenen Interessen verfolgen, von seins vermeynten interesse, neids oder rach wegen handeln – dafür steht nach Tengler vorrangig das Akkusationsverfahren zur Verfügung211 – sondern nur von lieb wegen der gerechtigkeyt212. Der Laienspiegel verweist auch auf jene Stelle im Matthäusevangelium (Mt. 18.15-17), auf die das Denunziationsverfahren bekanntermaßen gestützt wurde213. Sie verlangt, dass vor der Anzeige eine Ermahnung zunächst unter vier Augen und dann noch einmal im Beisein von Zeugen geschieht. Erst wenn das alles erfolglos bleibt, darf die Verfehlung den Kirchenoberen vorgetragen werden, die dann, unter Androhung der Exkommunikation, ihrerseits zur Besserung mahnen214. Aus dieser Bibelstelle werden, wie bereits im Über-

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picibus disputandum (...), Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Denuntiatione, § 2: Quis denunciare possit?, n. 9. Offen lässt der Laienspiegel, was er unter der „brüderlichen Strafe“ versteht; hierfür soll die Bibel konsultiert werden: Aber mit welcher ordnung, eyn brüderliche straff sol beschehen, werden wir durch die heyligen leer underwisen im Evangelio. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III., Part. I, De Denunciatione, § 3: Nunc, n.1. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III., Part. I, De Denunciatione, § 3: Nunc, n.1. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III., Part. I, De Denunciatione, § 2: Quis denunciare possit?, n. 5 a. E. Laienspiegel, Von denuncieren und ansagen, fol. CXIIv. Vgl. noch die ganz ähnliche Formulierung hinsichtlich der Motive der den Inquisitionsprozess einleitenden Denunzianten in der Ordnung Kurfürst Johann Wilhelms für die Kurpfalz aus dem Jahre 1695 bei Schnabel-Schüle, Überwachen und Strafen, S. 108f. Zur biblischen Bezugsstelle ausführlich Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation, S. 5ff.; ferner Kéry, Inquisitio – denunciatio – exceptio, S. 231. Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation, S. 11ff.

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blick über den Forschungsstand erwähnt, Prozessvoraussetzungen für die gerichtliche Denunziation hergeleitet: Das Denunziationsverfahren ist nur zulässig, wenn zuvor die sog. correctio fraterna215 oder, wie Durantis sagt, eine charitativa monitio216 erfolgt ist. Es bedarf insofern also eines „Vorverfahrens“. Obgleich Tengler die Matthäusstelle allegiert, erwähnt er dieses Erfordernis aber im Text mit keinem Wort217. Möglicherweise ist die Bedeutung dieses Vorverfahrens zu seiner Zeit bereits in den Hintergrund getreten218, wahrscheinlicher aber ist, dass es für die weltliche Gerichtsbarkeit nie übernommen wurde. Es stellt sich vielmehr die Frage, in welcher Form die denunciatio evangelica überhaupt rezipiert wurde. Schon Innozenz III. hat das ursprünglich rein innerkirchliche Disziplinarverfahren in der Dekretale „Novit“ (X 2.1.13) auf die Ahndung von durch Laien begangene Straftaten ausgeweitet219. Gandinus, den Tengler hier konsultiert haben mag, erwähnt das Denunziationsverfahren als modus procedendi auch des weltlichen Rechts. Er stellt es dem Akkusationsverfahren gleichberechtigt an die Seite: Non solum de maleficiis cognoscitur per accusationem (...) verum etiam de eis cognoscitur per denuntiationem220. Seinen ursprünglichen Charakter aber hat das Denunziationsverfahren mit der Übernahme ins weltliche Recht offenbar weitgehend verloren: Gandinus beschreibt die vorausgehende Mahnung als Besonderheit des kanonischen Denunziationsverfahrens; in der weltlichen Gerichtsbarkeit hat sie indes offenbar keine Bedeutung221. Gandinus spricht darüber hinaus ganz selbstverständlich von der Bestrafung des Denunzierten222; im weltlichen Verfahren beließ man es offenbar nicht bei der bloßen Ermahnung zur Besserung. Obgleich im Wege der denunciatio evangelica gerade keine persönlichen Interessen verfolgt werden dürfen, gelten nach kanonistischer Lehre für den Denunzianten die gleichen persönlichen Voraussetzungen wie für den Ankläger. Ausdrücklich verweist Durantis auf die Anforderungen des kanonischen 215

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Vgl. Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation, S. 11; Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 168ff.,197. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Denuntiatione, § 1: Quis denunciare possit?, n. 3. Allenfalls soweit der Laienspiegel von der „brüderlichen Strafe“ spricht, mag er noch die correctio fraterna vor Augen haben. Jerouschek und Müller können nur für die frühere Zeit belegen, dass es mit der vorangehenden dreimaligen Mahnung zur Besserung ernst genommen wurde, Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation, S. 11f. Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation, S. 16, 9f. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per denuntiationem, pr. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per denuntiationem, n. 3; vgl. auch Panormitanus, Commentaria, X 2.1.13 (Novit), n. 48, fol. 49r. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per denuntiationem, n. 4ff.

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Rechts an die Person des Anklägers (X 5.1.7), wenn er fordert, dass der Denunziant bonae famae, vitae et conversationis est (: & et qui ad hoc ex charitate procedit:) & non criminosus, nec excommunicatus223. Der Laienspiegel übernimmt dies in wörtlicher Übersetzung, auch er will nur integre Persönlichkeiten als Denunzianten zulassen, solche die eyns guten leümands, lebens unnd wandels, weder bännig, oder dem übelthätigen feind, noch selbs eyn übelthäter (...) sind. bb. Die Verknüpfung der denunciatio evangelica mit dem Inquisitionsverfahren Die Verknüpfung der denunciatio evangelica mit dem Inquisitionsverfahren konnte Tengler bei Durantis beschrieben finden. Ausdrücklich verweist dieser für den Fall, dass der Denunziant seinen Fehler nicht eingesteht und deshalb eine Besserung nicht zu erwarten ist, auf das Inquisitionsverfahren: et si confitebitur, bene est; sin autem non, procedatur sicut in inquisitionem224. Entsprechend droht auch der Laienspiegel dem unverbesserlichen Denunzierten die Einleitung des Inquisitionsverfahren an: auff das nit ursach geben würd mit (...) inquisition (...) dawider zu procediern225. Mit der Darstellung des Denunziationsverfahrens in Form der denunciatio evangelica, die allein auf die Ermahnung des Delinquenten zur Besserung gerichtet ist, bewegt sich der Laienspiegel fernab der städtischen Praxis. Die beschriebene Verknüpfung mit dem Inquisitionsverfahren weist aber auf die Bedeutung dieses kirchlichen modus procedendi für die den Inquisitionsprozess einleitende Anzeige hin. Darüber hinaus scheint es durchaus denkbar, dass Tengler beabsichtigt, die Denunziation durch die Rückführung auf das Institut der denunciatio evangelica mit einem gewissen moralischen Wert zu versehen, der sie weniger anrüchig erscheinen lässt. cc. Die Darstellung der denunciatio iudicialis privata im Laienspiegel Neben der denunciatio evangelica beschreibt der Laienspiegel eine weitere Erscheinungsform der Denunziation, die er aber ebenfalls als eigenständigen modus procedendi einordnet. Er spricht hier von einer „besonderen rechtlichen Denunziation“, die von Privatpersonen betrieben wird. Es liegt nahe, dass er 223 224

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Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Denunciatione, § 1: Quis denunciare possit?, n. 1. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Denuntiatione, § 3 Nunc, n. 1; entsprechend formuliert Baldus in den zugehörigen Additionen: Item ex processu denunciationis transitur ad inquisitionem, Add. zu Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Denuntiatione. Beide können sich auf die höchste Autorität des kanonischen Rechts berufen: Papst Innozenz IV. sieht in seinen Anmerkungen zur Dekretale Licet Heli (X 5.3.31) eine Überleitung des Denunziationsin Inquisitionsverfahren ausdrücklich vor: (...) transitur in modum inquisitionem (...), Innozenz IV., Apparatus in quinque libros decretalium, fol. 180va; dazu näher Koch, Denunciatio, S. 59. Laienspiegel, Von denuncieren und ansagen, fol. CXIIv.

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dabei die ebenfalls in der Kanonistik entwickelte Form der denunciatio iudicialis privata vor Augen hat. Im Gegensatz zur denunciatio evangelica dient dieses Verfahren nun, wie im Überblick über den Forschungsstand erwähnt, gerade der Verfolgung persönlicher Interessen des Denunzianten und zwar solchen, die wir heute im zivilrechtlichen Verfahren durchsetzen würden226. Der Laienspiegel beschreibt jene Denunziation, mit der der Private eigene Interessen verfolgen darf, wie folgt: Es seind auch zweierley rechtlicher denunciation, (...). Wann die besonder denunciation, gebürt eynem beschädigten umb sein Interesse, unnd mag schrifftlich oder mündtlich also beschehen burgerlich. Herr Richter. N. hat mein buch, oder anders, das mir zugehört, wider sein gewissen, unnd zu schaden seiner seel, in seinem gewalt. Darumb bitt ich eüch, von ampts wegen, in zwingen, unnd darzu halten, das er solchs berew unnd widergeb. etc.

Die zugehörigen Allegationen und der Textvergleich zeigen: Auch hier schöpft der Laienspiegel aus kanonistischen Werken, namentlich aus Durantis’ Speculum Iudiciale und dem Kommentar des Panormitanus zur Dekretale „Novit“ (X 2.1.13). Durantis definiert die denunciatio iudicialis privata folgendermaßen: Privata vero iudicialis potest illa dici, quae ratione interesse competit227, Panormitanus’ Formulierung liegt noch näher an der des Laienspiegels: Iudicialis vero privata, competit laeso propter suum interesse228. Als Beispiel nennt der Laienspiegel die Ermahnung des Richters an den unberechtigten Besitzer eines Buches, selbiges dem Eigentümer zurückzugeben. Das Beispiel der Vindikation konnte Tengler bei Durantis finden, der schreibt: ut si quis mihi iniurietur, vel rem meam auferrat (...)229. Was besagt nun aber der Hinweis des Laienspiegels, dieses Interesse solle „bürgerlich“ verfolgt werden (unnd mag schrifftlich oder mündtlich also beschehen burgerlich)? Weist er das Verfahren der Zivilgerichtsbarkeit zu? Stellt er klar, dass es um private Wiedergutmachung geht? Während dies unserer heutigen Vorstellung der Trennung von Zivil- und Strafgerichtsbarkeit entspräche, liegt nach dem Vergleich mit Durantis und Panormitanus eine andere Erklärung nahe: Auch Durantis und Panormitanus sprechen hier von einem Prozess in foro civili. Sie weisen das Verfahren damit

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Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation, S. 18f. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Denuntiatione, § 2: Quis denunciare possit, n. 12. Panormitanus, Commentaria, X 2.1.13 (Novit), n. 48, fol. 49r. Zumindest formelhaft hält der Laienspiegel auch für diesen Fall an den karitativen Motiven der Denunziation fest. So soll der Denunziant darauf hinweisen, dass das Delikt wider sein [des Straftäters] gewissen, unnd zu schaden seiner seel sei und er deshalb (auch) zur Reue verurteilt werden müsse (das er solchs berew unnd widergeb), Laienspiegel, Von denuncieren und ansagen, fol. CXIIIr. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Denunciatione, § 2: Quis denunciare possit, n. 12.

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aber nicht der zivilen anstelle der Strafgerichtsbarkeit zu; es geht hier vielmehr um die Abgrenzung von weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit hinsichtlich der Anforderungen an das Verfahren. Panormitanus unterscheidet explizit die Voraussetzungen der denunciatio iudicialis privata vor weltlichen und vor geistlichen Gerichten: in foro civili muss der Anzeige keine Ermahnung vorausgehen. Dem stellt er später gegenüber: In foro autem canonico requiritur monitio230. Der Laienspiegel weist mit dem Begriff „bürgerlich“ also nur darauf hin, dass er hier das Verfahren vor weltlichen Gerichten beschreibt. Für die denunciatio iudicialis privata stellt sich das Problem der Abgrenzung zum Akkusationsverfahren in besonderem Maße, kann doch mit beiden Formen das private Interesse verfolgt werden. Durantis verweist das Denunziationsverfahren in eine subsidiäre Rolle; mit der Denunziation dürfe nur derjenige sein Interesse verfolgen, der von der Akkusation ausgeschlossen ist: habet locum, cum oppressus nequit agere: puta quia est servus, vel alterius potestati subditus: ut libertus vel filius, vel uxor, & similes231. Der Laienspiegel ignoriert diese Einschränkung. Auch die denunciatio iudicialis privata konnte Tengler in keiner seiner zeitgenössischen Vorlagen beschrieben finden, die die weltliche Gerichtsbarkeit vor Augen haben. Auch hier darf die Nähe zur Praxis bezweifelt werden. Allerdings, so erklärt Durantis, ist auch für diese Art der Denunziation die Überleitung vom Denunziations- zum Inquisitionsverfahren vorgesehen: Hoc etiam not. quod licet processus coeptus sit per modum denunciationis, (...) transitur ad modum inquisitionis232. Obgleich Tengler diesen Hinweis nicht übernimmt, mag wiederum diese Überleitungsmöglichkeit der Grund sein, der ihn dazu bewogen hat, auch diese Verfahrensform in seinem Laienspiegel zu erwähnen.

c. Die Darstellung der Denunziation als Einleitungsmodus des Inquisitionsverfahrens In seinem Kapitel Von denunciern und ansagen beschreibt der Laienspiegel zwei weitere Erscheinungsformen der Denunziation, die sich nun schlicht als Einleitungsmodi des Inquisitionsverfahrens darstellen. Die eine kann auch von Privaten, die andere nur von Amtsleuten betrieben werden. Ein Blick in die kirchliche Rechtslehre zeigt, dass auch diese Erscheinungsformen der denunciatio sich in der Kanonistik herausbildeten. Schon Hostiensis beschreibt jene Art der Denunziation, die keine eigenständige Verfahrensform mehr darstellt: non est modus agendi, sed habet praecedere accusatio230 231 232

Panormitanus, Commentaria, X 2.1.13 (Novit), n. 48, fol. 49v. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Denunciatione, § 2: Quis denunciare possit?, n. 12. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Denuntiatione, § 2: Quis denunciare possit?, n. 16.

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nem vel inquisitionem (...)233. Sie wird, wie im Überblick über den Forschungsstand erwähnt, als denunciatio canonica bzw., wenn von Amtsleuten betrieben, als denunciatio iudicialis publica bezeichnet234. aa. Die Anzeige eines Privaten (denunciatio canonica)235 Die Denunziation in Form der privaten Anzeige zur Einleitung eines Inquisitionsverfahrens beschreibt der Laienspiegel folgendermaßen: Ob aber yemands begert, man solt umb eynig übelthat wider etlich person von straff wegen inquiriern und erfarn, so sol dem selben die angeben übelthat insinuiert, zuwissen gethon, unn darzu citiert werden. Tengler verweist hier auf Angelus Aretinus’ Kapitel Necnon ad denunciationem. Unter den italienischen Juristen besteht, wie Koch schon festgestellt hat, Uneinigkeit über die Einordnung des auf die private Anzeige hin folgenden Verfahrens236. Die Qualifizierung als Denunziations-, Akkusations- oder Inquisitionsverfahren hat Auswirkungen auf die Rolle des Denunzianten im Verfahren und auf die Prozessvoraussetzungen237. Ein Überblick über diese gelehrte Diskussion fehlt bislang. Für die Entwicklung hin zur modernen Strafanzeige ist sie indes, wie auch Koch feststellt, ein zentraler Aspekt238. Sie soll deshalb im Folgenden anhand der Quellen des Laienspiegels nachvollzogen werden, um dann Tenglers Umgang mit der Diskussion zu bewerten. Die Kirchenrechtsgelehrten sehen in dem durch private Anzeige eingeleiteten Inquisitionsverfahren überwiegend eine eigene, neben dem Inquisitionsverfahren ex officio i.e.S. stehende Form des Inquisitionsprozesses, die sie als inquisitio per denunciationem oder inquisitio per promoventem bezeichnen239. Entsprechend verlangen sie auch für diesen Fall ein vorausgehendes Gerücht, eine mala fama, deren Beweis dem Denunzianten obliegt240. Daneben wird 233 234 235 236 237

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Hostiensis, Lectura, X 2.1.13 (Novit). Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation, S. 81. Zur Bewertung der privaten Strafanzeige aus heutiger Sicht, Koch, Denunciatio, S. 1ff. Koch, Denunciatio, S. 63. Zur denunciatio als Ausgangspunkt der Verschmelzung von Anklage- und Inquisitionsprozess und der Diskussion um die Einordnung des auf die Denunziation folgenden Prozesses vgl. Schnabel-Schüle, Überwachen und Strafen, S. 112ff., 117. Koch, Denunciatio, S. 64. So Johannes Teutonicus, Glossa ordinaria, X 5.1.24 (Qualiter et Quando), vgl. Trusen, Anfänge, S. 52; ders., Der Inquisitionsprozeß, S. 215; Kéry, Inquisitio – denunciatio – exceptio, S. 268; Jerouschek/Müller, Ursprünge der Denunziation, S. 20. Glossa ordinaria, X 5.1.19 (cum oporteat), vgl. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 216; Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 3: In inquisitione qualiter sit procedendum, n. 31: Hoc autem scias, quod licet, ubi aliquis promovet inquisitionem, & reus se negat infamatum,

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diskutiert, ob nicht zusätzlich die Voraussetzung des Denunziationsverfahrens, die vorangehende Mahnung des Delinquenten, erforderlich bleibt241. Das Inquisitionsverfahren aufgrund einer Anzeige wird dann in vielerlei Hinsicht dem Akkusationsverfahren angeglichen242. Auch bei Angelus Aretinus zeigen sich trotz der grundsätzlichen Einordnung als Inquisitionsverfahren diese Parallelen zum Akkusationsverfahren. Zunächst gilt dies für die persönlichen Voraussetzungen der Denunziation243. Angelus Aretinus verlangt, der private Denunziant solle, weil er aus eigenem

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non debeat iudex procedere in inquisitione, nisi promotor infamiam probet (...)., Gandinus: unde promotor inquisitionis debet probare, quod ille, contra quem inquiritur, sit de illo crimine infamatus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (…) per inquisitionem, n. 7. Erst Mitte des 16. Jahrhunderts weist Clarus auf die Praxis hin, auf die mala fama zu verzichten, sofern das Inquisitionsverfahren durch einen Denunzianten eingeleitet wird: Nam denunciatio nihil aliud operatur, nisi quod succedit loco diffamationis (...) sic aperit viam Iudici ad inquirendum ex officio contra aliquem, quod alias de iure non poßet, non praecedente querela, vel diffamatione (...), Practica Criminalis, lib. V, § fin, q. VII, n. 1, vgl. Koch, Denunciatio, S. 64. Zum Streit, inwiefern bei dem durch die Denunziation eingeleiteten Verfahren die Voraussetzungen des kanonischen Denunziationsverfahrens vorliegen müssen, äußern sich insbesondere Durantis und Baldus. Durantis erwähnt die unterschiedlichen Antworten auf diese Frage und stellt dann seine Ansicht dar Speculum Iudiciale, lib. III, Part.I, De Inquisitione, § 1 Impugnatur, n. 12: (...) quod cum Papa ad denuniationem alicuius, inquisitionem committit, tunc inquisitor non procedit per modum inquisitionis, sed per modum denunciationis (...); entsprechend vermerkt Baldus in den zugehörigen Additionen: Cum ad denuntiationem alicuius inquiritur, iste non est processus inquisitionis, sed denunciationis, Add. zu Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part.I, De Inquisitione. Vor diesem Hintergrund halten Durantis und Baldus, zumindest für die kirchliche Gerichtsbarkeit zunächst auch bei der denunciatio canonica an den Voraussetzungen der denunciatio evangelica fest: Der Richter soll das Inquisitionsverfahren auf die Denunziation hin nur einleiten, wenn eine wiederholte Ermahnung des Denunzierten – unter vier Augen bzw. unter Zeugen – nachgewiesen ist, Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 1 Impugnatur, n. 12 und De Denuntiatione, § 2 Quis denunciare possit?, n. 14; Baldus, Add. zu Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione: (...) Unde si non valet denunciatio, nec inquisitio, quae est eius accessoria, quod est not. dignum, nec enim possunt cumulari duae species procedendi (...). Dennoch behandeln Durantis, wie im Übrigen auch Gandinus, den Fall in ihrem Kapitel über das Inquisitionsverfahren und halten am Erfordernis der mala fama fest. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 216. Bernhard von Pavia erklärt deshalb ausdrücklich die Denunziation zu einer Art der Einleitung des Akkusationsverfahrens, Kéry, Inquisitio – denunciatio – exceptio, S. 235. Die entsprechende Diskussion der italienischen Gelehrten über die Einordnung des Verfahrens aufgrund einer Denunziation als Akkusations- oder Inquisitionsverfahren greift auch die deutsche Strafrechtswissenschaft der frühen Neuzeit auf, Koch, Denunciatio, S. 84ff. Zur entsprechenden Diskussion der Strafrechtswissenschaftler der frühen Neuzeit, Koch, Denunciatio, S. 85f.

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Antrieb (motu proprio) handelt, denselben Anforderungen unterliegen wie der Akkusator244. Es werden damit die Regeln der denunciatio evangelica übernommen. Für die denunciatio evangelica hat auch Tengler diejenigen von der Denunziation ausgeschlossen, die nicht zur Anklage im Akkusationsverfahren zugelassen sind245. Die Rolle des Denunzianten erschöpft sich – bei den Kanonisten wie auch bei Angelus Aretinus – nicht in der bloßen Information des Richters246. Wie schon Durantis, Gandinus und Baldus definiert auch Angelus Aretinus die Rolle des Denunzianten in Abgrenzung zu der des Anklägers247. Die Annäherung an das Akkusationsverfahren soll auf keinen Fall so weit gehen, dass der Denunziant die inscriptio leisten und sich damit der Talionsstrafe unterwerfen muss für den Fall, dass er seinen Tatvorwurf nicht beweisen kann. Eine Bestrafung wegen Verleumdung bleibt aber möglich248. Angelus Aretinus erklärt die Beweispflicht des Denunzianten entgegen dem römischen Recht für gewohnheitsrechtlich eingeschränkt; der Denunziant trage nicht die Last des vollen Tatbeweises. Angelus Aretinus verlangt aber, wie die wohl herrschende Meinung der italienischen Juristen, dass der Denunziant zumindest die Prozessvoraussetzungen des Inquisitionsverfahrens liefert. Während dies für die ursprüngliche Form des Inquisitionsverfahrens bedeutet, dass der Denunziant den Beweis eines bestehenden Gerüchts, einer mala fama über den angezeigten Vorwurf erbringen muss, fordert Angelus Aretinus nun einen Anfangsverdacht: Der Denunziant muss Hinweise 244 245

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Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Necnon ad denunciationem, n. 4. Kap. B.I.3.b.aa: Die Darstellung der kanonischen denunciatio evangelica im Laienspiegel, S. 81ff. Zur entsprechenden Diskussion der Strafrechtswissenschaftler der frühen Neuzeit Koch, Denunciatio, S. 87f. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per denuntiationem, n. 2: Et nota, quod sicut accusator debet persistere et prosequi accusationem per eum factam, ita et denuntiator debet assistere sue denuntiationi (...). (...) nisi ille denuntiator esset officialis ad denuntiandum maleficia (...). Auch Durantis deutet eine Annäherung der Rolle des Denunzianten an die des Akkusators an. Zumindest darf die bewusst falsche Denunziation nicht ungestraft bleiben. Wie der "Calumniator" muss auch der böswillig verleumdende Denunziant zur Rechenschaft gezogen werden, Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Denuntiatione, § 2: Quis denunciare possit?, n. 16. Auch nach Baldus muss der Denunziant das Inquisitionsverfahren als Promotor weiter betreiben; auf eine private Anzeige hin, die sich auf die bloße Mitteilung an den Richter beschränkt, lässt Baldus dagegen kein Inquisitionsverfahren folgen, damit nicht die Regeln des Akkusationsverfahren umgangen werden: (...) non est inquisitio, nec promovere debet quis, sed accusare extraordinario iure (...), Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus et inscriptionibus, Ea quidem), n. 39. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Necnon ad denunciationem, n. 12 und 20.

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liefern, die die Tat beweisbar erscheinen lassen, er muss Tatzeugen nennen249, dabei kann auch er selbst als Zeuge im Inquisitionsverfahren auftreten250. Für den Laienspiegel indes scheint nun die Funktion des Denunzianten allein in der Information des Richters über einen Tatverdacht zu bestehen; an keiner Stelle qualifiziert er den Denunzianten als Verfahrensbeteiligten des darauf folgenden Inquisitionsverfahrens. Den Begriff des Promotors, den, wie wir gleich sehen werden, der Klagspiegel erwähnt, kennt er nicht. Obgleich der Denunziant nicht den vollen Tatbeweis erbringen muss, diskutiert Angelus Aretinus die Frage, inwiefern der Richter auf die Denunziation hin überhaupt noch eigene Ermittlungen vornehmen muss, inwieweit das Vorbringen des Anzeigenden unmittelbar die Verurteilung rechtfertigt251. Soweit der Denunziant nicht selbst Augenzeuge ist, will Angelus Aretinus dessen Anzeige zwar ausreichen lassen, um die Inquisition einzuleiten, nicht aber, um den Denunzierten zu bestrafen: tunc ei non creditur ad puniendum, sed ad inquirendum. Worauf er hier verzichtet, ist offenbar das Vorverfahren zur Feststellung eines Verdachts; diesen liefert, wie gesagt, der Denunziant. Die Überführung mittels Zeugenbeweis oder Geständnis, das Inquirieren im engeren Sinne, bleibt indes erforderlich. Der Laienspiegel mag diese Wertung übernommen haben, wenn er anordnet, der Angezeigte solle auf die Denunziation hin unmittelbar geladen werden: Es sol dem selben die angeben übelthat insinuiert, zu wissen gethon, unn darzu citiert werden252. Nur für die Denunziation von behördlicher Seite wird, wie wir gleich sehen werden, ernsthaft erwogen, ohne weitere Ermittlungen zu strafen. Indem der Laienspiegel den Denunzianten nicht zum Verfahrensbeteiligten macht, stellt sich bei ihm die private Denunziation als Vorläufer der modernen Strafanzeige dar253. 249 250

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Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Necnon ad denunciationem, n. 20. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Necnon ad denunciationem, n. 21, für den Fall der inquisitio propter denunciationem. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Necnon ad denunciationem, n. 14. Laienspiegel, Von denuncieren und ansagen, fol. CXIIv. Mit „demselben“ könnte auch der Denunziant gemeint sein. Allerdings macht die Mitteilung über den Tatvorwurf nur gegenüber dem Denunzierten Sinn (zu wissen gethon). Nach Gandinus steht dem Denunzierten im Falle der Einleitung aufgrund einer Anzeige der Gegenbeweis hinsichtlich der mala fama offen, Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per inquisitionem, n. 11. Zur Frage, inwiefern die Denunziation als Vorläuferin der modernen Strafanzeige zu bewerten ist, vgl. Koch, Denunciatio, S. 45ff., 64; zu den Rügeordnungen der Frühen Neuzeit und ihrer Bedeutung im Rahmen des Inquisitionsprozesses, Schnabel-Schüle, Überwachen und Strafen, S. 107ff., 113ff.

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In dieser Funktion kannte Tengler sie möglicherweise aus den Hexenprozessen. Hier galt, wie gesagt, die Pflicht zur Denunziation, die Anzeigenden sollten aber nicht mit dem – naturgemäß äußerst schwierigen – Beweis der Hexerei belastet werden. Man beabsichtigt vielmehr die "Anzeigefreudigkeit" der Bevölkerung gezielt zu fördern, indem der Denunziant von jeglicher weiteren Beteiligung am Prozess entbunden wird. Kramer fordert in seinem Malleus maleficarum den Richter auf, in der citatio generalis, der Aufforderung zur Denunziation, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Anzeigen in keinem Fall als Anklagen gewertet werden, sondern als bloße Denunziationen, und dass diese nicht zur Beteiligung am Verfahren führen254. Er stellt damit klar, das jene erzwungenen Denunziationen nicht – wie sonst offenbar üblich – ein Inquisitionsverfahren per denunciationem einleiten, in dem der Anzeigende als Promotor zumindest das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen beweisen muss. Dem Denunzianten wird der formelhafte Hinweis angeraten, er denunziere nur, um seiner Anzeigepflicht nachzukommen255. Vergisst er das oder verwendet gar den Begriff "Anklage" anstelle von "Anzeige", soll der Richter ihn darauf hinweisen. Das Argument, das im Hexenprozess für die Entbindung des Denunzianten von der weiteren Mitwirkung am Verfahren spricht, ist das Ziel einer effektiven Strafverfolgung durch die aktive Einbindung der gesamten Bevölkerung. Es liegt nahe, dass der Laienspiegel mit demselben Ziel generell auf Beweispflichten des Denunzianten verzichtet256; es entspräche den Bedürfnissen seiner Zeit257. Die Durchsetzung der Strafanzeige im heutigen Sinne ist als wichtiger Schritt zur „Effektivierung der Herrschaftsausübung“ und zu

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Ideo secularis iudex hoc debet in sua citatione generali aut praemissa monitione specificare, quod nemo estimet se penalem fieri etiam si in probatione defecerit quia non offert se ut accusans sed ut denuncians, Kramer, Malleus maleficarum, fol. 98ra/b, vgl. Kramer, Hexenhammer, übers. von Behringer/Jerouschek/Tschacher, S. 629f. Dass der Denunziant im Hexenprozess stets nur das gewöhnliche Inquisitionsverfahren einleiten, keinesfalls selbst als Promotor Beteiligter des Verfahrens sein will, stellt der Hexenhammer bereits fest, als er die drei Modi des Vorgehens gegen Hexen beschreibt: Et secundus modus quando aliquis denunciat aliquem ita tamen quod non offert se probaturum nec vult facere partem (...), Kramer, Malleus maleficarum, fol. 97vb, vgl. Kramer, Hexenhammer, übers. von Behringer/Jerouschek/Tschacher, S. 628. (...) per modum denunciationis. ubi denuncians non offert se probaturus. nec vult facere partem. sed dicit quod denunciat ratione sententie excommunicationis late (...), Kramer, Malleus maleficarum, fol. 98ra, vgl. Kramer, Hexenhammer, übers. von Behringer/Jerouschek/Tschacher, S. 629. Vgl. zu entsprechenden Überlegungen der deutschen Gemeinrechtler der frühen Neuzeit, Koch, Denunciatio, S. 88. Zur mangelnden Anzeigefreudigkeit als Hindernis städtischer Strafverfolgung, Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 318.

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moderner Staatlichkeit zu werten258. In der Strafrechtswissenschaft wird dieser Schritt, wie eingangs erwähnt, erst durch Julius Clarus (1525-1575) vollzogen259. Tengler ist insofern seiner Zeit voraus. Der Klagspiegel ist dagegen noch ganz der kanonischen Lehre verhaftet, die den Denunzianten weitgehend dem Ankläger gleichstellt. Soweit der Klagspiegel von der Denunziation spricht, hat er die private Anzeige mit dem Ziel der Bestrafung vor Augen, also den Fall der denunciatio canonica. Ausdrücklich beschreibt er das Denunzieren als Möglichkeit für jedermann, eine Straftat vor Gericht zu bringen: und wie man dem Richter die sünd verkünden mag, das er die straff, in Latin Denunciare260. Ausführlich widmet sich der Klagspiegel den persönlichen Voraussetzungen der Denunziation; er gibt dem Inquisiten Exceptionsformeln vor, mittels derer er die Denunziation zurückweisen kann. Darin finden sich dieselben Ausschlussgründe, die auch der Laienspiegel und die italienischen Quellen nennen261. Während der Klagspiegel anonyme Denunziationen als sträfliche Verräterei ausdrücklich ablehnt262, bewertet er die Denunziation, in der sich der Anzeigende für das weitere Verfahren als Promotor anbietet, als vorzugswürdige Eröffnung des Inquisitionsverfahrens263. Den fürderer oder Promotor beschreibt der Klagspiegel als Verfahrensbeteiligten, als denjenigen, der das ampt des erfarens treibt und erfordert264. Ihm obliegt es zumindest, Zeugen vorzubringen265. Der Klagspiegelverfasser erwähnt auch für das Verfahren aufgrund einer Denunziation ausdrücklich das Erfordernis der inquisitio famae. Wie die Kano258

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Weber, „Anzeige“ und „Denunciation“, S. 585, 589; zur Politik Friedrich II. auf Sizilien, Koch, Denunciatio, S. 55ff. Koch, Denunciatio, S. 64 und 87ff.; zum Schweigen der Carolina zur Denunziation, ders, a. a. O., S. 67ff. Klagspiegel, fol. CIIIr. Dies gilt namentlich für das Anzeigen aus boßheit und nicht aus liebe der gerechtigkeit sowie für die Feindschaft zwischen den Denunzianten und dem Denunziertem, Klagspiegel, Exceptiones contra inquisitionem, fol. CXIIIv. Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo: (...) und sol nimmer von ampts wegen procediert werden auff heymlich verräterei, fol. CXIIIIv. Nur wenn sich kein fürbringer findet, also hilfsweise, soll der Richter das Inquisitionsverfahren von Amts wegen einleiten, Klagspiegel, Quomodo in accusatione procedatur: Item, es würt under weilen boßheit gethon, und steet kein verklager oder fürbringer auff etc. alßdann soll der richter oder regierer der selben statt von seins ampts wegen darnach forschen (...), fol. CIXr. Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv. Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo: Unnd ist dann einer der das ampt des erfarens treibt und fordert, so sol in der richter hören, und sol sein gezeügen hören die der fürderer, (…) dem richter benennt hat (…), fol. CXIIIIv.

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nistik scheint er es gerade als Aufgabe des Promotors anzusehen, das Vorliegen einer mala fama zu beweisen266. Der Klagspiegelverfasser beschreibt damit zugleich jene Form der privaten Anzeige, die er möglicherweise aus seiner Erfahrung mit der städtischen Strafverfolgung kannte. Wie die Studien zum städtischen Rügewesen zeigen, obliegt es auch hier dem Denunzianten sein Vorbringen zu beweisen, andernfalls droht ihm die Bestrafung wegen Falschaussage267. bb. Die Anzeige durch Amtsleute (denunciatio iudicialis publica) Neben der privaten Anzeige erwähnt der Laienspiegel auch die amtliche: Es seind auch zweierley rechtlicher denunciation, Als eyn gemeyne in offenbaren übeln, die gebürt eynem Richter, durch seine Amptleüt, an in zubringen, doch das der selb Richter, vollen gewalt hab darüber zurichten268. Der Laienspiegel allegiert dazu eine Codexstelle (C. 9.2.7), die die Anzeige durch Amtsleute behandelt, und eine Digestenstelle (D. 1.12.1.12), die besagt, es obliege der städtischen Obrigkeit in der Stadt für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Dafür sollen, so die Digestenstelle, Leute beauftragt werden, die entsprechende Geschehnisse gegebenenfalls melden. Außerdem verweist er auf die Kommentierung Innozenz’ IV. zur Dekretale „Novit“ (X 2.1.13). Darin stellt Innozenz IV. fest, dass diese Art der Denunziation kein eigener modus agendi sei. Letztlich aber bleibt unklar, zu welchem Zweck bzw. hinsichtlich welcher Aussage Tengler hier auf den besagten Kommentar Innozenz IV. verweist; jedenfalls ordnet Innozenz IV. auf diese Denunziation hin gerade nicht das Inquisitionsverfahren an269. Der Laienspiegel wird diese Verweise auf das römische und das kanonische Recht kaum selbst erarbeitet haben, es liegt näher, dass er – obgleich er dies nicht angibt – hier die italienischen Juristen konsultierte270. Die Denunziation durch Amtsleute findet sich bei Durantis als denunciatio iudicialis publica271 und bei Angelus Aretinus unter dem Begriff denunciatio iudiciaria272 beschrieben. Es handelt sich dabei um jene Erscheinungsform der 266 267 268 269

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Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv. Bendlage, Henkers Hetzbruder, S. 123ff.,129; Schuster, Stadt vor Gericht, S. 182. Laienspiegel, Von denuncieren und ansagen, fol. CXIIIv. Innozenz IV., Apparatus in quinque libros decretalium, zu X 2.1.13, fol. 71r.: De alia (…) denunciatione mentionem faciunt canones et leges que non est modus agendi. Sed precedit actionem vel denunciationem. Die Digestenstelle konnte er beispielsweise bei Gandinus finden, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per denuntiationem, n. 4 a. E. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Denuntiatione, § 2: Quis denunciare possit?, n. 10. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Necnon ad denunciationem, n. 2.

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Denunziation, die auch den Legisten Gandinus, Bartolus und Angelus Aretinus vor Augen steht273. Deren Ausführungen zur Denunziation gelten im Wesentlichen der Anzeige durch Amtsleute, die anderen Arten der Denunziation treten indes in den Hintergrund. Dies mag mit dem Umstand zu erklären sein, dass die Legisten allein die amtliche Denunziation auch im römischen Recht finden konnten274. Die entsprechende, auch vom Laienspiegel zitierte Codexstelle C. 9.2.7 behandelt die Anzeigen von Beamten und das darauf folgende Verfahren, in dem auf eine förmliche Anklage verzichtet wird. Aus dem Verzicht auf die förmliche Anklage in C. 9.2.7 schließen die Legisten, dass das durch solche Denunziationen eingeleitete Verfahren ein inquisitorisches ist: Bartolus275, Baldus276 und Angelus Aretinus277 qualifizieren die Denunziation durch Amtsleute als eine mögliche Veranlassung des Inquisitionsverfahrens. Ebenso äußert sich im Übrigen auch Durantis: Et ad hanc denunciationem episcopus inquirere tenetur278. Der Laienspiegel äußert sich nicht explizit zu der Art des Verfahrens, das auf die amtliche Anzeige hin folgen soll; er bemerkt nur, der Richter solle vollen gewalt hab darüber zurichten279. Gemeint sein könnte die Befugnis von Amts wegen zu prozessieren und zu verurteilen, gestützt auf die volle Strafgewalt, das merum imperium280; auf die amtliche Denunziation soll offenbar auch nach dem Laienspiegel ein Inquisitionsverfahren folgen. 273

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Gandinus qualifiziert die Anzeige durch Amtsleute als die Denunziation des ius civilis, ihr stellt er die Denunziation des ius canonicum gegenüber, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per denuntiationem, n. 3. Bartolus nimmt zur Denunziation in seinem Kommentar zu C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem) Stellung; er behandelt hier nur die Anzeige durch Amtsleute (denuntiatio(nem) officialis). In seinem Tractatus super Constitutione Ad reprimendum (Denunciationem, pr.) äußert er ausdrücklich: De iure antiquo non admittitur denunciatio, nisi per officialem. Angelus Aretinus erklärt: Tamen hic solum tractatur de denunciatione iudiciaria, seine folgenden Ausführungen sprechen im Wesentlichen von der Anzeige durch officiales oder syndici, Tractatus de maleficiis, Necnon ad denunciationem, n. 1ff. C. 9.2.7. Bartolus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem). Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 39. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Necnon ad denunciationem, n. 1: (…) iudex format inquisitionem (...) ad denunciationem officialis. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Denuntiatione, § 2: Quis denunciare possit?, n. 10. Laienspiegel, Von denuncieren und ansagen, fol. CXIIIv Zum Begriff des merum imperium Hoke, Rudolf, Art. Imperium merum et mixtum, HRG II 11978, Sp. 333-335. Das merum imperium i. S. d. höchsten Strafgewalt ist nach Roffredus Voraussetzung der Inquisitionsbefugnis, vgl. Roffredus von Benevent in seiner Abhandlung „Libelli iuris canonici“: Inquisitionem enim facere est meri imperii unde bene dico quicumque habet merum

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Der Vergleich mit der gemeinrechtlichen Lehre zur denunciatio iudicialis publica legt indes ein anderes Verständnis nahe: Mit der vollen gewalt (...) zurichten mag Tengler auf die Befugnis des Richters hinweisen, allein auf die Anzeige hin bzw. aufgrund der Anzeige zu verurteilen. Diese Lehre von der Verurteilung allein aufgrund einer offiziellen Anzeige entsteht durch eine Verbindung der genannten Codexstelle (C. 9.2.7) mit der Notorietätslehre des kanonischen Rechts, die auf einer zufälligen begrifflichen Parallele basiert: Die Codexstelle bezeichnet die Anzeigen von Amtsleuten als notoria. Die Legisten kennen das notorium aus dem kanonischen Recht. Als notorium bzw. manifestum delictum wird in der Notorietätslehre das bekannte Verbrechen bezeichnet, das keiner weiteren Aufklärung bedarf281. Es stellt sich daher für die Legisten die Frage, inwiefern das römische Recht mit der besagten Codexstelle solche öffentlich angezeigten Verbrechen generell für „notorisch“ erklärt und damit zugleich auf ein Ermittlungs- oder Beweisverfahren verzichtet. Teilweise vertreten die Juristen die Ansicht, auf die amtliche Anzeige hin könne ohne weiteres verurteilt werden282. Es erscheint durchaus naheliegend, dass auch der Laienspiegel – der italienischen Lehre folgend – in den öffentlichen Anzeigen, gestützt auf die Notorietätslehre die Legitimation für ein summarisches Verfahren sieht: Auch der Laienspiegel spricht im Zusammenhang mit der amtlichen Denunziation von offenbaren übel283. Die Notorietätslehre kennt Tengler gut; ihr widmet er, wie wir sehen werden, einen erheblichen Anteil seiner Ausführungen im strafrechtlichen Teil seines Werks284. Außerdem wird Tengler einen solchen Umgang mit der amtlichen Anzeige aus seinem eigenen Erfahrungskreis gekannt haben285. Schließlich konnte er entsprechende Ausführungen im Klagspiegel und der Wormser Reformation finden. Der Klagspiegel behandelt die amtliche Anzeige nicht im Zusammenhang mit dem Inquisitionsverfahren, sondern im Rahmen des Akkusationsverfah-

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imperium potest facere inquisitionem, Ed. Mario Viora, S. 433, n. (v); vgl. ferner auch Laienspiegel, Einleitung zum Dritten Teil und Von Peinlichen oder malefitz richtern, fol. CIr. Dazu im Einzelnen im Kap. B.III: Die Notorietätslehre im Laienspiegel, S. 195ff. Vgl. zu dieser Ansicht Gandinus Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per denuntiationem. Ausführlicher zur Diskussion der Juristen s. u. Kap. B.III.2.d.: Tenglers Abkehr vom strengen Notorietätsbegriff, S. 222ff.. Laienspiegel, Von denuncieren und ansagen, fol. CXIIIv. In diesem Rahmen werden wir uns noch einmal dem Zusammenhang zwischen amtlicher Denunziation und Notorietät widmen, Kap. B.III.: Die Notorietätslehre im Laienspiegel, S. 195ff. Vgl. oben Kap. B.I.3.a.: Forschungsstand, S. 74ff.; insbesondere für Basel Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 175.

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rens. Hier stellt sie einen Sonderfall dar, in dem auf das Erfordernis der förmlichen (privaten) Anklage zur Einleitung des Strafverfahrens verzichtet wird. Statt des privaten Anklägers treten sogenannte fürbringer auf, die den verklager ersetzen286. Der Klagspiegel bemerkt, das in solchem verklagen macht es sich in etlichen weg anders, dann wie obgeschriben steht287. Diese Modifikation beschränkt sich, wie wir gleich sehen werden, nicht auf den Verzicht auf die inscriptio. Die fürbringer sind Amtsleute mit polizeilichen Aufgaben. Der Klagspiegel nennt im Einzelnen den Nachtwächter sowie den mit dem Schutz von Wegen und Äckern betrauten Beamten. Er übernimmt damit Gandinus, der eben diese Beispiele zur Beschreibung der Denunziation im weltlichen Bereich anführt. Gandinus spricht von nocturni custodes (...), custodes ad custodiam alicuius passus (...) und custodes ad agrorum custodiam288. Wie Gandinus knüpft auch der Klagspiegel an die amtliche Denunziation weitgehende prozessuale Folgen. Die Anzeigen bzw. Anklagen dieser Amtsleute entbinden den Richter von weiteren Ermittlungen zum Beweis der Tat; der Klagspiegel lässt darüber hinaus dem Denunzierten nur beschränkte Verteidigungsmöglichkeiten289. Er folgt ausdrücklich jener – von Gandinus abgelehnten – Ansicht, die Denunziationen von Amtsleuten erbrächten aufgrund deren Amtseides per se den vollen Beweis: und sollicher irer verkündung würt geglaubt auff den eydt den sie geschworen haben, da man sie an das ampt name290. Auch im Kreise der deutschen Rezeptionsquellen steht der Klagspiegel mit dieser Lehre zu den amtlichen Denunzianten nicht allein. Die Wormser Reformation erwähnt ebenfalls jene Amtsleute mit polizeilichen Aufgaben, die Übeltäter gefangen nehmen und dem Richter zur Bestrafung übergeben291. Die durch Amtsleute beobachtete Tat wird offenbar formlos abgeurteilt: (...) die mogen one wyter fragen oder bewerung nach gestalt der verhandlung gestrafft werden292.

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Klagspiegel, Quomodo in accusatione procedatur, fol. CIXr. Klagspiegel, Quomodo in accusatione procedatur, fol. CIXr. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per denuntiationem, n. 4. Klagspiegel: Quomodo in accusatione procedatur: (...) unnd auß sollicher verkündung on ander beweisung, der also fürbracht were, er wöret sich dann sunst rechtlich, und bewise sein unschuld, er würt gestrafft, wann ir sünd würt gehalten für eyn gantze beweisung, fol. CIXr. Klagspiegel, Quomodo in accusatione procedatur, fol. CIXr. VI.2.10 Wormser Reformation. Die von jenen Amtsleuten zu verfolgenden Übeltaten sind jetzt vielfältig: (...) oder die anders theten oder trügen das wider unser und gemeiner unnser Stat gebot oder uberkommen were und anders derglychen. Es kann tatsächlich von einer städtischen Polizei gesprochen werden. VI.2.1 Wormser Reformation.

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Schließlich ist festzustellen, dass auch Tengler, soweit er das Verfahren vor der städtischen Rügeinstanz, der aus mehreren Ratsherren bestehenden „Einung“, beschreibt, von einem „kurzen“ Verfahren spricht293. d. Zusammenfassung Im Gegensatz zum Klagspiegel widmet sich Tengler vertieft dem dogmatischen Hintergrund der das Inquisitionsverfahren einleitenden Anzeige. Seine Darstellung entpricht dabei ganz dem aktuellen Forschungsstand zur Entwicklung der Denunziation im kanonischen Recht und durch die italienische Jurisprudenz. Er erwähnt die Denunziation durch Privatpersonen und durch Amtspersonen als Einleitungsmodus des Inquisitionsverfahrens. Dabei ist er dem gelehrten Recht auf dem Weg zur modernen Strafanzeige einen Schritt voraus, indem er den privaten Denunzianten nicht mehr als Verfahrensbeteiligten des auf seine Anzeige hin eingeleiteten Inquisitionsverfahrens einordnet. Mit der Darstellung der Strafanzeige im modernen Sinne entspricht er dem Ziel von Landfrieden und Reichsreform, durch eine effektive obrigkeitliche Strafverfolgung und die Einbindung der Bevölkerung Frieden und Ordnung zu schaffen. Für die Anzeige durch Amtsleute verweist er auf C. 9.2.7 und liefert damit einen wichtigen Hinweis auf ein folgenschweres Missverständnis bei den italienischen Juristen. Aus der Codexstelle leiten die Gelehrten die Möglichkeit ab, auf eine amtliche Denunziation hin ohne weiteres Verfahren zu verurteilen. Eine ähnliche Praxis zeigt sich im Rügewesen der deutschen Städte und wird im Klagspiegel und der Wormser Reformation beschrieben. Tengler vermag auch hier die Brücke zu schlagen zwischen der Praxis der deutschen Städte und dem gelehrten Recht.

4. Zum Ablauf des Inquisitionsverfahrens

Im zweiten Teil des Kapitels Von inquirieren und erfarungen geht der Laienspiegel auf den Ablauf des Inquisitionsverfahrens ein; dabei zeichnen sich zwei Abschnitte des Ermittlungsverfahrens ab – formale Trennlinie zwischen den beiden Abschnitten ist die Einbeziehung des Inquisiten in das Verfahren:

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S. u. Kap. B.IV.4.c.: Die Constitutio Ad reprimendum und das Verfahren vor dem städtischen Einungsgericht, S. 254ff.

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Zulässigkeit und Ablauf des Inquisitionsverfahrens Wenn nun eyn richter (...) inquiriern will, so soll er sich personlich fügen an die ende, da die übelthat beschehen, oder die argkwönigen wonhafft seind. Den allmechtigen Gott, das recht, und die wahrheyt, auch keyn mensch für das ander vor augen haben, unnd in beisein etlicher wolgeleumbter, unparteischer person, mit sampt eynem geschwornen schreiber, die zeugen, an den er sich erfaren soll, nöten unnd zwingen eyn warheyt zusagen. Und so die übelthat wider yemands also erfunden würd, so mag er den oder die selben, gefängklich annemen, mit peinlicher frag beurgichten, auff eynen anklager oder freiheyten umb die straff, rechtvertigen.294.

a. Die zwei Abschnitte des Ermittlungsverfahrens aa. Vor- und Hauptverfahren im Laienspiegel Ausgangspunkt der richterlichen Initiative ist für Tengler das Verbrechen. Der erste Abschnitt des Verfahrens widmet sich deshalb der Untersuchung der Tat und der Ermittlung, wer als Täter in Betracht kommt bzw. gegen wen ein Tatverdacht besteht. In diese ersten Ermittlungen ist kein Beschuldigter einbezogen. Die Konfrontation mit dem Vorwurf und zugleich die Festnahme des Verdächtigen beenden vielmehr diesen ersten Verfahrensabschnitt295. Er dient also zur Vorbereitung des eigentlichen Verfahrens und stellt sich insofern als „Vorverfahren“ dar. Das „Hauptverfahren“ besteht im Wesentlichen in der peinlichen Vernehmung des Inquisiten, anderweitige Ermittlungen scheinen hier allenfalls noch zur Verifizierung des Geständnisses stattzufinden296. Der Indizienbeweis, der, wie wir sehen werden, Voraussetzung für die Folter ist, muss also schon im Vorverfahren erbracht werden. Nur im Vorverfahren finden Zeugenvernehmungen statt. Der Schwerpunkt der Ermittlungen liegt damit eindeutig in jenem ersten Ermittlungsabschnitt, in die der Inquisit nicht einbezogen ist. Als Tatverdächtiger wird erst jemand behelligt, so die übelthat wider yemands also erfunden würd297. Tengler beruft sich für diese Darstellung des Ermittlungsverfahrens auf zwei Vorlagen: Durantis’ Speculum Iudiciale und den Tractatus de maleficiis des Angelus Aretinus. Tatsächlich lassen sich wörtliche Übernahmen aus Durantis’ Werk nachweisen; was aber die Gliederung des Ermittlungsverfahrens 294 295

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Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CXIIIv. Zur Gefangennahme als formalem Akt des Übergangs von Vor- zu Hauptverfahren bzw. General- und Spezialinquisition vgl. Oestmann, Hexenprozesse, S. 176. Kritisch zur Bezeichnung des endlichen Rechtstags als das „Hauptverfahren“ und des gesamten Ermittlungsverfahrens als „Vorverfahren“ Jerouschek, Herausbildung, S. 354, Anm. 89. Er wendet sich damit insbesondere gegen Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 79. Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CXIIIv.

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und namentlich die Rolle des Vorverfahrens angeht, ist Tenglers Darstellung weit vom Speculum Iudiciale entfernt; hierfür scheint Angelus Aretinus als Vorlage gedient zu haben. Im Klagspiegel indes entspricht die Gliederung des Verfahrens dem Speculum Iudiciale. bb. Vor- und Hauptverfahren im Klagpiegel Auch der Klagspiegel unterteilt das Ermittlungsverfahren in zwei Verfahrensabschnitte. Auch hier liefert der erste die Prozessvoraussetzungen des zweiten, sodass von Vor- und Hauptverfahren gesprochen werden kann. Ausgangspunkt der Untersuchungen bildet bei ihm allerdings nicht wie im Laienspiegel die Tat, sondern das Gerücht, der „Leumund“. Dieses ersetzt den Ankläger bzw. die inscriptio und ist insofern unentbehrlich: wann wo der leümut nit vorgeht, so gebricht auch des inquirierens verklager, wann der leümut ist an des verklagers statt, wann on den selben mag niemandt verdampt werden. Wann im verklagen soll die verbindung vorgehn, und im inquirieren leümut, und auß solchem wider recht procedieren, mag nichts ordenlichs nachvolgen298.

Das Gerücht gibt auch verbindlich den Gegenstand des Verfahrens vor. Wegen Delikten hinsichtlich derer jemand nit verleümut ist, darf er, selbst, wenn sie in dem Verfahren bewiesen werden, nit gestrafft werden299. Ein rechtlich relevantes Gerücht ist unabdingbare Voraussetzung für die Aufklärung der vorgeworfenen Tat: (...) sollen die inquisitores umb die sünd nit procedieren, sie erfaren dann vor das sein leümut verseert sei gewesen300. Entsprechend verlangt der Klagspiegel, soweit er ein Vorverfahren beschreibt, mit Verweis auf das kanonische Recht, zunächst die Ermittlungen hinsichtlich des „Leumunds“: (...) das das geystlich recht gibt eyn forme, unnd spricht, das alleyn soll umb die artickel erfarn werden, ob eyn gemeyner leümut sei bei frommen und schwern menschen301. Erst das Hauptverfahren dient dann der Aufklärung der Tat. Das Gerücht muss eine bestimmte Qualität haben, um die Einleitung von Ermittlungen zur Aufklärung der Tat zu rechtfertigen: Zunächst muss es tatsächlich in der Bevölkerung verbreitet sein; es genügt daher nicht, dass es dem Richter einmal zu Ohren kommt. Vielmehr darf der Richter erst inquirieren, wenn er mehrmals von dem Gerücht gehört hat und – sofern der Beschuldigte das Bestehen eines solchen Gerüchts leugnet – dessen Existenz mit Zeugen bewiesen ist. Die Urheber des Gerüchts müssen glaubwürdig

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Klagspiegel, Defensio inquisiti et appellatio, fol. CXVr, ganz ähnlich noch einmal fol. CXVv. Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv. Klagspiegel, Exceptiones contra inquisitionem, fol. CXIIIv. Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo , fol. CXIIIv.

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sein, insbesondere dürfen sie nicht selbst kriminell oder mit dem Beschuldigten verfeindet sein302. Mit dem Gerücht ist das Verfahren von Anfang an gegen einen bestimmten Inquisiten gerichtet, dieser wird schon im Vorverfahren in die Untersuchungen mit einbezogen. Wenn er nicht leugnet, dass ein entsprechendes Gerücht gegen ihn vorliegt, kann die Untersuchung desselben unterbleiben; insbesondere ist der Beweis des Gerüchts durch Zeugen nur notwendig, wenn der Inquisit dasselbe bestreitet: Wann durch das laucken würt die sach zwyfelhaftig. Und sollen die inquisitores vor nit umb die warheit der sünd erfarn, eedann der leümut bewisen ist (...). Item, zu beweisen den leümut, sollen zwen oder drei zeügen genommen werden unverleümbdt. Und die selben sagen, das der verleümbt sei umb die sünd, vor fürsichtigen frommen, dapffern und ersamen menschen303.

Die Trennung der beiden Verfahrensstadien, der Untersuchung des Gerüchts und der Aufklärung der Tat, ist für den Klagspiegel von größter Bedeutung; Unsauberkeiten geben dem Inquisiten das Recht zu appellieren und die Ermittlungsergebnisse dürfen nicht verwertet werden: er mag appellieren in massen hernach geschriben, wann wo der richter vor umb die warheit erfüre, unn erst darnach die capitel gebe, solchs were krafftloß, wann er verkert die ordnung des rechten, wann wo vor erfaren ist umb die warheyt der übelthat, ehe dann die leümut bewisen ist, solchs procedieren ist untüglich (...)304.

Im Hauptverfahren, also zur Überführung des Inquisiten wegen der Tat, werden abermals Zeugen, diesmal Tatzeugen, gehört. Wird der Inquisit auf diesem Wege überführt, folgten die Verurteilung und Bestrafung. Nur wenn dies nicht gelingt, kann unter Umständen die Folter angewendet werden, um ein Geständnis zu erreichen, auf das dann die Verurteilung erfolgen kann. Erst das Hauptverfahren dient insofern der Aufklärung der Tat und der Täterschaft. cc. Bewertung Die Verfahrensabschnitte des Klagspiegels unterscheiden sich grundlegend von jenen des Laienspiegels. Während das Vorverfahren im Laienspiegel gerade die Aufklärung der Tat gewidmet ist, verbietet der Klagspiegel derartige Untersuchungen in jenem ersten Verfahrensabschnitt; zunächst muss 302

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Klagspiegel, Que ad inquisitionem requirantur, fol. CXIIIIr, ebenso in Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIr. Klagspiegel, Exceptiones contra inquisitionem, fol. CXIIIv, vgl. auch Defensio inquisiti et appellatio, fol. CXVv. Klagspiegel, Defensio inquisiti et appellatio, fol. CXVr, ganz ähnlich noch einmal fol. CXVv.

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vielmehr ein rechtlich relevantes Gerücht festgestellt werden. Ein solches Gerücht erwähnt der Laienspiegel dagegen mit keinem Wort. Ein Blick in die gemeinrechtliche Lehre zeigt, dass sich die Konzeption und damit der Aufbau des Inquisitionsverfahrens – zumindest für den weltlichen Bereich – über die Jahrhunderte verändert hat. Während der Klagspiegel noch die ursprüngliche Form des kirchlichen Inquisitionsverfahrens beschreibt, wie wir sie bei Durantis finden, entspricht die Darstellung des Laienspiegels der bei Bartolus oder Angelus Aretinus. Er übernimmt insoweit das Inquisitionsverfahren in jener Form, die es am Ende der Entwicklung in der italienischen Rechtswissenschaft des Mittelalters erhalten hat. dd. Die Entwicklung des Inquisitionsverfahrens im gemeinen Recht Die scharfe Trennung zweier Verfahrensabschnitte, der sog. General- und der Spezialinquisition305, ist ein Verdienst erst der frühneuzeitlichen Strafrechtswissenschaft306. Ziel der Generalinquisition ist hier die Feststellung, ob eine bestimmte Straftat überhaupt geschehen ist, also Untersuchungen hinsichtlich der Tat, nicht des Täters307. Erst in der Spezialinquisition geht es um die Überführung des Inquisiten. Die Generalinquisition ist der Spezialinquisition notwendig vorgeschaltet; sie liefert mit dem Beweis des Verbrechens – dem sog. corpus delicti308 – die Prozessvoraussetzung der Spezialinquisition und stellt damit ein „Vorverfahren“ dar. In dieser Funktion dient sie der Sicherung der Rechte des Beschuldigten und bedeutet insofern einen wesentlichen Fortschritt auf dem Weg hin zu modernen Prozessmaximen309. Namentlich für die Hexenverfolgung bemüht sich daher die Lehre, dieses „Asyl der Verbrecherwelt“310 durch Ausnahmeregelungen zu umgehen311. 305

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Biener, Beiträge, S. 86; Hall, Corpus Delicti, S. 1; Eb. Schmidt, Einführung, S. 195. In neuester Zeit widmete Ignor den Verfahrensabschnitten des Inquisitionsprozesses eine umfangreiche Darstellung in seiner "Geschichte des Strafprozesses", S. 94ff.; vgl. ferner Oestmann, Hexenprozesse, S. 170; Schmoeckel, Humanität, S. 258; Schulz, Normiertes Misstrauen, S. 169ff.; 172; Deppenkemper, Beweiswürdigung, S. 167. Sellert, Inquisitionsprinzip, S. 171, Anm. 51; Eb. Schmidt, Einführung, S. 195; vgl. ferner Schulz, Normiertes Misstrauen, S. 173. Ignor, Geschichte, S. 94: "Die Unterscheidung zwischen General- und Spezialinquisition besagte, daß man erst dann die Ermittlungen gegen eine bestimmte Person als möglichen Täter richten dürfe, wenn der Beweis der Tat erbracht sei."; Sellert, Inquisitionsprinzip, S. 171; Oestmann, Hexenprozesse, S. 171. Dazu s. u. in diesem Kap. unter (3)(b) Das Vorverfahren bei den Legisten, S. 116ff. Eb. Schmidt, Einführung, S. 195, 196. Schoetensack, Carolina, S. 100. Koch, Denunciatio, S. 99; zum „corpus-delicti-Problem” in Hexensachen auch Oestmann, Hexenprozesse, S. 170ff.

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Zur Entstehungszeit des Laienspiegels indes war die Abgrenzung von Vorund Hauptverfahren oder General- und Spezialinquisition äußerst unscharf. Die fehlende begriffliche und konzeptionelle Klarheit stellt sich als Folge der Rezeption kirchlicher Lehren durch die weltliche Jurisprudenz dar. Soweit von der Generalinquisition, der inquisitio generalis die Rede ist, vermischt sich das kanonische Begriffsverständnis mit einer in der Legistik entwickelten Unterscheidung von Vor- und Hauptverfahren. (1) Die ursprüngliche Bedeutung von inquisitio generalis und inquisitio specialis im kirchlichen Recht (a) Die inquisitio generalis Die erste Erwähnung einer inquisitio generalis bzw. von generales inquisitores im kanonischen Recht312 findet sich im Apparatus Innozenz' IV. zu den Dekretalen Gregors IX.313. Der Begriff der Generalinquisition erfasst hier drei Konstellationen314. Deren gemeinsames Kennzeichen ist die allgemeine Ausrichtung der Untersuchungen, sei es hinsichtlich des Kreises der von den Ermittlungen Betroffenen, sei es hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes315. Keineswegs handelt es sich bei diesen „Generalinquisitionen“ per se um Vorverfahren des eigentlichen Inquisitionsverfahrens; noch weniger ist deren Untersuchungegegenstand – wie in der frühneuzeitlichen Strafrechtswissenschaft – die Tat an sich. (aa) Das Verfahren der Sendgerichte Als inquisitio generalis bezeichnet Innozenz IV. zunächst eine kirchliche Verfahrensweise, die lange vor der Herausbildung des Inquisitionsverfahrens durch Innozenz III. in Gebrauch war: das im Rahmen der regelmäßigen oder besonders veranlassten Visitationen erfolgende Sendgerichtsverfahren316, dem

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Biener, Beiträge, S. 90. Biener, Beiträge, S. 84ff.; Zechbauer, Strafrecht Siziliens, S. 195; Trusen, Anfänge S. 49, 51. Bieners Ergebnisse wurden in neuester Zeit durch die Registeruntersuchungen Hirtes gestützt, Hirte, Innozenz III., S. 207. Vgl. Biener mit Verweis auf X 5.1.17.21 und 24 und X 1.6.23: "Sie [die Generalinquisition] findet bei ihm statt a) de omnibus criminibus, d. h. also bei den Kirchenvisitationen, b) super statu alicuius ecclesiae, wenn überhaupt Missbräuche bei einer Kirche eingerissen sind (...), c) wenn ein Verbrechen bekannt, aber der Urheber unbekannt ist.“, Beiträge, S. 85f. Vgl. Hirte, Innozenz III., S. 227. Vgl. Biener, Beiträge, S. 85f.

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das weltliche Rügeverfahren entspricht, wie es in den Konstitutionen von Melfi geregelt ist317. Die sachliche Generalität318 ergibt sich hier aus dem Umstand, dass zu Beginn der Ermittlungen nicht einmal die Tat spezifiziert ist, die Gegenstand der Untersuchung sein soll319. Zugleich richten sich in diesem Fall die Ermittlungen zunächst allgemein gegen die Bevölkerung320, nicht gegen eine konkrete Person, sind insofern also auch "persönlich-generell". Mit einem Inquisitionsverfahren hat das Verfahren der Sendgerichte indes – nach derzeitigem Forschungsstand – zunächst nichts zu tun321. Die im Rahmen der Visitationen ursprünglich durchgeführte inquisitio bezeichnet lediglich die formlose322 Befragung der Sendzeugen323. Die Verbindung des Sendgerichtsverfahrens mit dem Inquisitionsprozess vollzieht sich im Rahmen der Ketzerverfolgung. Zunächst wird das Sendgerichtsverfahren in seiner ursprünglichen Form durch die Dekretale Ad abolendam Lucius' III. (1184)324 zum offiziellen Verfahren gegen Häretiker325 317 318 319

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Zechbauer, Strafrecht Siziliens, S. 181ff., 195. München, Kanonisches Gerichtsverfahren und Strafrecht, S. 478. Zur Unterscheidung von General- und Spezialinquisition nach dem Kriterium der Bestimmtheit des Verbrechens in der Gesetzgebung Friedrichs II. vgl. Kantorowicz, Altitalienischer Strafprozess, S. 313. Vgl. Kantorowicz, Altitalienischer Strafprozess, S. 314. Zur Bedeutung des Sendgerichtsverfahrens für die Entwicklung des Inquisitionsverfahrens vgl. die neueren Stellungnahmen von Buschmann, Inquisition und Prozeß, S. 70f.; ferner Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 173, 212ff. Kantorowicz unterscheidet wegen dieser Formlosigkeit die inquisitio generalis der Visitationen und "die ordentliche Inquisitio des kanonischen Rechts", Altitalienischer Strafprozess. S. 311. Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Buschmann, Inquisition und Prozeß, S. 74ff. Als "ordentliches Verfahren" stellt sich für Kantorowicz die Spezialinquisition dar, weil sie unter Einhaltung des ordo iuris ablaufen muss, wohingegen die Generalinquisition nicht den üblichen prozessualen Vorschriften unterliegt, vgl. Trusen, Anfänge, S. 51. Für die Ketzerinquisition finden sich eigene Verfahrensordnungen teils in Einsetzungsschreiben, teils – wie der Ordo processus Narbonniensis – mit Geltung für einzelne Regionen; eine umfassende Regelung im Dekretalenrecht fehlt vgl. Buschmann, Inquisition und Prozeß, S. 76ff. Kèry bezeichnet gerade das Verfahren im Rahmen der regelmäßigen Visitationen als inquisitio ordinaria, die Verfahren sei es gegen eine Personenmehrheit (inquisitio generalis), sei es gegen eine Einzelperson (inquisitio specialis) aufgrund einer infamia als inquisitio extraordinaria. Unterscheidungskriterium ist bei ihr nicht die Bindung an einen ordo iuris, sondern die Regelmäßigkeit i. S. v. Turnusmäßigkeit der Ermittlungen, Inquisitio-denunciatio-exceptio, S. 245f. Ebenso im fränkischen Rügeverfahren, dem weltlichen Vorbild des Sendgerichtsverfahrens vgl. Hinschius, Kirchenrecht V, S. 427f.; Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 212ff. Vgl. Trusen, Anfänge, S. 57ff.; zur Rolle des Sendgerichtsverfahrens zum Vorgehen gegen Ketzer vgl. insbesondere Hinschius, Kirchenrecht V, S. 449ff. (Anm. 4, S. 449).

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erklärt. Die Merkmale des Inquisitionsverfahrens indes fehlen diesem Verfahren noch326: Weder bedarf es eines einleitenden Gerüchts327, noch wird die inquisitio veritatis zum Ziel der Visitation328. Zwar kommt seit der 6. Konstitution des IV. Laterankonzils den Synodalzeugen eine Ermittlerrolle zu329. An die Anzeige einer Tat durch die testes synodales schloss sich ursprünglich aber in der Regel ein Verfahren an, dass einem Akkusationsprozess glich, in dem der Synodalzeuge als öffentlicher Ankläger auftrat330. Mit der Einführung des Inquisitionsverfahrens wird auf die Denunziation hin statt des Akkusationsverfahrens ein Inquisitionsprozess per promoventem bzw. per denuntiationem eingeleitet331. Aus den Sendzeugen werden die Inquisitoren332, sie gehen den Anzeigen aus der Bevölkerung nach333 – anstelle ver-

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Vgl. Buschmann, Inquisition und Prozeß, S. 76. Buschmann weist darauf hin, dass auch die iudices delegati, parallel zu den bischöfflichen Sendgerichten gegen Ketzer agierende Inquisitoren, "wie im sendgerichtlichen Verfahren" zunächst Befragungen der Bevölkerung durchführen. Trusen, Anfänge, S. 59, 61; ders., Vom Inquisitionsverfahren, S. 436; Kolmer, Ad capiendas vulpes, S. 123; Kurze, Inquisition in Deutschland, S. 136. Hirte wies jüngst darauf hin, dass die Einleitung der Sendgerichtsverfahren auch nach der Einführung des Inquisitionsverfahrens in die kirchliche Gerichtsbarkeit ohne clamor, die typische Prozessvoraussetzung des Inquisitionsprozesses, erfolgen konnte, Innozenz III., S. 221. Trusen, Anfänge, S. 57ff.; Kurze, Inquisition in Deutschland, S. 133; Kolmer, Ad capiendas vulpes, S. 111. Trusen, Anfänge, S. 59; Kolmer, Ad capiendas vulpes, S. 108; ders., Inquisition in Frankreich, S. 67ff., 88f. Hier weist Kolmer darauf hin, dass schon ein Statut des Konzils von Avignon im Jahre 1209 aus den Sendzeugen ein "aktives Organ" macht. Entsprechende Bestimmungen finden sich demnach in den Statuten der Konzile von Montpellier (1214), Narbonne (1227) und Toulouse (1229). Zu den möglichen Verfahren, die sich an die Generalinquisition gegen Ketzer anschließen können vgl. Buschmann, Inquisition und Prozeß, S. 87f.; Hinschius, Kirchenrecht V, S. 426, 431; Trusen, Anfänge, S. 56.; zur inquisitio generalis beim Akkusationsverfahren als "Geschäft des Anklägers" vgl. auch München, Kanonisches Gerichtsverfahren und Strafrecht, S. 438ff., 439. Kéry stellt bei Bernhard von Pavia fest, dass das Verfahren aufgrund von Anzeigen kirchlicher Amtsträger nicht als Verfahren ex officio angesehen wurde; die Sendzeugen werden wie die öffentlichen Ankläger des römischen Rechts als officiales bezeichnet, Inquisitio – denunciatio – exceptio, S. 236f. Trusen, Anfänge, S. 60f.; ferner zur Praxis in den oberitalienischen Städten S. 53; Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 215. Trusen sieht in den Synodalzeugen die späteren Promotoren. Mit einem Hinweis auf die ursprüngliche Funktion Konrad von Marburgs als bloßer Sendzeuge (vgl. Anm. 38) stellt Kurze klar, dass das Vorgehen gegen Ketzer zum Inquisitions-

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eidigter Synodalzeugen ist nun die gesamte Bevölkerung verpflichtet, über ketzerische Umtriebe in der Gemeinde auszusagen und Häretiker, gegebenfalls auch sich selbst, zu denunzieren334 – und laden dann den Denunzierten zu einem förmlichen Inquisitionsverfahren. Die Ketzerinquisition335 kennt damit früh eine inquisitio generalis336, die sich als Vorverfahren der Spezialinquisition präsentiert. Durantis ordnet schließlich ausdrücklich das Verfahren der Sendgerichte als inquisitio praeparatoria ein, als eine den eigentlichen Inquisitionsprozess gegen eine bestimmte Person vorbereitende Untersuchung. (bb) Das Inquisitionsverfahren gegen eine Personenmehrheit Innozenz IV. bezeichnet als "Generalinquisition" desweiteren das (ordentliche) Inquisitionsverfahren, das gegen eine Gemeinde gerichtet ist. "Generell" ist die Untersuchung in diesem Fall, weil sie sich nicht gegen eine Person, sondern gegen eine Personenmehrheit richtet, mit dem Ziel, die Gemein-

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prozess geworden ist, indem bestimmte Sendzeugen mit richterlichen Befugnissen ausgestattet wurden, Kurze, Inquisition in Deutschland, S. 149. Kolmer, Ad capiendas vulpes, S. 149. Müller, Frauen vor der Inquisition, S. 363; Kolmer, Ad capiendas vulpes, S. 149. Müller stellt fest, dass Innozenz IV. mit der sog. "Gnadenfrist" (tempus gratiae) eine bereits bestehende Praxis normierte: Innerhalb einer bestimmten Frist konnten Denunziationen vorgetragen werden; die Selbstbezichtigung, also ein rechtzeitiges freiwilliges Geständnis, bewirkte eine Strafmilderung, Müller, Frauen vor der Inquisition, S. 356f.; vgl. Kolmer, Ad capiendas vulpes, S. 149, 160, 168f. Bereits im 13. Jahrhundert wird die Ketzerinquisition auch auf Hexen ausgeweitet. So bescheibt Bernard Gui in seinem Handbuch der Inquisition das Vorgehen gegen "Zauberer, Wahrsager und Geisterbeschwörer" neben der Inquisition zur Ausrottung von Katharern und Waldensern, Kap. 6 und 7, Titel 12, Ed. Seifert, Das Buch der Inquisition, S. 206, 223. Auch Sachsenspiegel und Schwabenspiegel bestrafen die Zauberei als Ketzerei, Kunstmann, Zauberwahn, S. 13; vgl. auch Trusen, Vom Inquisitionsverfahren, S. 442; Kolmer, Inquisition in Frankreich, S. 97 Anm. 90; Kunstmann, Zauberwahn, S. 8ff. Der Beginn der weltlichen Hexeninquisition wird hingegen auf das Spätmittelalter datiert, Trusen, Vom Inquisitionsverfahren, S. 436ff., 439. Das Verfahren entspricht dem kirchlichen Ketzerinquisitionsprozess, S. 444, 446. Besondere Bedeutung für die Übernahme des Ketzerverfahrens für die Hexeninquisition erlangt Kramers Hexenhammer. Kramer wirkte zunächst selbst als Ketzerinquisitor und übernimmt die wesentlichen Verfahrensregelungen für das Vorgehen gegen Hexen aus Nikolaus Eymericus' Directorium Inquisitorum, einem "Handbuch für Ketzerrichter", Jerouschek/Behringer, Hexenhammer, S. 75. Auch Müller bezeichnet jene "generellen Zitationen" der Inquisitoren als „Generalinquisition“, Frauen vor der Inquisition, S. 356f.; vgl. ferner zu jenen Inquisitionen gegen Ketzer nach den Konstitutionen von Melfi Nishikawa, Die inquisitio, S. 379.

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schaft insgesamt zu bessern, d. h. zu reformieren337. Wie für das Vorgehen gegen eine bestimmte Person wegen eines konkreten Verbrechens gelten hier aber die Prozessvoraussetzung der infamia338 und im Wesentlichen auch die gleichen Verfahrensregeln339. Allerdings hat diese Erscheinungsform für das weltliche Strafverfahren wenig Relevanz. Sprechen die Legisten von "Generalinquisition", wird in den seltensten Fällen diese Konstellation gemeint sein. Entstand während der Untersuchungen ein Verdacht gegen eine Einzelperson340, konnte zwar eine Inquisition gegen diese geführt werden, eine scharfe Trennung der generellen und der speziellen Ermittlungen oder gar die förmliche Einleitung einer Spezialinquisition war aber offenbar nicht erforderlich341. Diese Art der Generalinquisition konnte allenfalls zufällig zu einem "Vorverfahren" werden, beschreibt aber grundsätzlich eine eigenständige Erscheinungsform des Inquisitionsverfahrens. (cc) Die Suche nach dem Täter eines bestimmten Verbrechens Als Generalinquisition wird bei Innozenz IV. schließlich aber auch die Untersuchung bezeichnet, die eingeleitet wird, wenn "ein Verbrechen bekannt, aber der Urheber unbekannt ist"342. Hier steht der Gegenstand der Ermittlungen fest, sie sind daher nicht "sachlich generell". Auch sind sie nicht wie im Falle der oben beschriebenen inquisitio super statu ecclesiae auf die Besserung einer Personenmehrheit gerichtet. Die "Generalität" der Untersuchungen folgt hier allein aus dem Kreis der durch sie Betroffenen343: Solange nämlich gegen Unbekannt ermittelt wird, befindet sich die gesamte Bevölkerung im Visier

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In den Dekretalen findet sich dieses Verfahren als inquisitio super statu (monasterii seu) ecclesiae bzw als Inquisition super reformatione tam in capite tam in membris bezeichnet vgl. Biener, Beiträge, S. 85; Trusen, Anfänge, S. 49; Hinschius, Kirchenrecht V, S. 355. Hirte bezeichnet diese Untersuchungen gegen eine Personenmehrheit als "Korporalinquisition" und weist ausdrücklich auf den Zusammenhang von "Strafverfolgung und Reform" hin, S. 221; vgl. ferner München, Kanonisches Gerichtsverfahren und Strafrecht, S. 478, 504. Vgl. Hinschius, Kirchenrecht V, S. 355. Biener, Beiträge, S. 53f. Zur Einleitung dieser "Generalinquisition" allein aufgrund eines Gerüchts gegen das "Haupt" der Gemeinschaft vgl. Hinschius, Kirchenrecht V, S. 355; Biener, Beiträge, 52f. Biener, Beiträge, S. 52f. Biener, Beiträge, S. 85f. Diese Art der Inquisition beschreiben auch die Konstitutionen von Melfi, Nishikawa, Die inquisitio, S. 376. In der Gesetzgebung Friedrichs II. findet Kantorowicz diese Art der Inquisition bereits – wegen der Bestimmtheit des Verbrechens – als inquisitio specialis beschrieben, Altitalienischer Strafprozess, S. 312.

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der Inquisitoren344. Ziel dieser Generalinquisition ist von Anfang an die Vorbereitung der Spezialinquisition. Diese Art der Generalinquisition ist es, die von der Legistik aufgegriffen schließlich zum Vorverfahren des Inquisitionsprozesses wird. (b) Die inquisitio specialis Mit der Herausbildung des Inquisitionsprozesses entsteht dann die inquisitio specialis345, die Ermittlung gegen eine bestimmte Person wegen eines konkreten Vorwurfs346. Diese Spezialinquisition läuft nun – im Gegensatz zu Generalinquisition der Sendgerichte und der Suche nach dem Täter eines Verbrechens347 – nach einer strengen Prozessordnung, dem von Innozenz III. entwickelten ordo iuris, ab348. Sie stellt nun einen eigenen, neben Akkusationsund Denunziationsverfahren stehenden modus procedendi dar. Die inquisitio specialis ist also das, was heute allgemein unter dem Inquisitionsverfahren verstanden wird. Die Vorschaltung einer Generalinquisition im beschriebenen Sinne ist zunächst keineswegs vorgesehen; ein Stufenverhältnis zwischen den beiden Verfahrensarten wie in der frühneuzeitlichen Strafrechtswissenschaft, also die Rolle der inquisitio generalis als Vorverfahren der inquisitio specialis mit fest um-

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Ein weiterer Fall der Generalinquisition entwickelt sich schließlich im weltlichen Bereich. Friedrich II. fragt die Bologneser Juristen, wie der Fall zu beurteilen sei, dass Gerüchte über eine bestimmte Person kursieren, ihr aber keine konkrete Tat vorgeworfen wird. Die Legisten halten auch in diesem Fall die Einleitung einer Generalinquisition für legitim, weil ja das Verbrechen noch unbestimmt ist vgl. nur Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per inquisitionem, n. 5: Sed dominus Fredericus imperator, interrogatus a doctoribus, Bononie dixit, quod iudex per se de maleficio inquirere poterat absque parte, si fama publica et multi de terra dicerent aliquem male fame vel malefactorem (...). Secus, si quidam diceret, eum commisisse aliquod speciale et singulare maleficium. Zechbauer, Strafrecht Siziliens, S. 195f. Kantorowicz, Altitalienischer Strafprozess, S. 311; zur parallelen Anwendung von Generalinquisition und Spezialinquisition in den italienischen Städten vgl. ders., a. a. O., S. 314 und Kantorowicz’ Untersuchungen der Urkunden des Albertus Gandinus', Albertus Gandinus I. Buschmann weist darauf hin, dass vor der Einführung des Inquisitionsverfahrens durch Innozenz III. auch das Disziplinarverfahren gegen Priester nur als Sendgerichtsverfahren erfolgen konnte, Inquisition und Prozeß, S. 72. Kantorowicz zur Formlosigkeit der inquisitio generalis, Altitalienischer Strafprozess, S. 311. Kantorowicz bezeichnet deshalb die Spezialinquisition als "die ordentliche Inquisitio des kanonischen Rechts", Altitalienischer Strafprozess, S. 311, vgl. auch Buschmann, Inquisition und Prozeß, S. 74ff. und Trusen, Anfänge, S. 51, 74ff.

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rissenem Ermittlungsprogramm, besteht zunächst nicht349. Zwar können auf die allgemeinen Untersuchungen – insbesondere soweit diese auf die Suche nach dem Täter eines bekannten Verbrechens gerichtet sind – gegebenenfalls konkrete Ermittlungen gegen eine bestimmte Person folgen. Es muss nach der Generalinquisition aber nicht im Wege der Spezialinquisition weiter verfahren werden350 und vor allem muss umgekehrt der Spezialinquisition keine Generalinquisition vorausgehen351. Keineswegs kommt der Generalinquisition ursprünglich – wir später in der frühneuzeitlichen Rechtswissenschaft – die Funktion zu, den Beweis zu erbringen, dass ein Verbrechen geschehen ist. (2) Die ursprüngliche Bedeutung von Vor- und Hauptverfahren im kirchlichen Recht Das von Innozenz III. entwickelte Inquisitionsverfahren des kirchlichen Rechts – nach obiger Darstellung also die inquisitio specialis – kennt von Anfang an zwei getrennte Verfahrensabschnitte, die sich als Vor- und Hauptverfahren darstellen, deren erster also die Prozessvoraussetzungen des zweiten liefert. Folgt man der herrschenden Ansicht, die das Inquisitionsverfahrens als Weiterentwicklung des Infamationsverfahrens ansieht352, ergibt sich diese Zweiteilung bereits aus der Entstehungsgeschichte des Verfahrens: Das Erkenntnisverfahren des Infamationsprozesses, die inquisitio famae, wird für das 349

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So aber Biener, Beiträge, S. 86. Auch Ignor scheint von einer Kontinuität der Begrifflichkeit auszugehen. Er schreibt die Lehre von der Generalinquisition wie sie im gemeinen Recht entwickelt wurde, Innozenz IV. als Verdienst zu, Geschichte, S. 94. Zumindest unpräzise auch Trusen, Anfänge, S. 49ff., auf den sich Ignor beruft. Dasselbe stellt Zechbauer ausdrücklich auch für die Generalinquisition nach der Gesetzgebung Friedrichs II. fest; allerdings weist er daraufhin, dass es doch vorrangiger Zweck der Generalinquisition (der "Rügeversammlung") war, "die Grundlage für eine Offizialuntersuchung seitens der staatlichen Gerichtsorgane zu schaffen.", Strafrecht Siziliens, S. 186f.; vgl. dazu auch Biener, Beiträge, S. 90. Der Hinweis auf die ursprüngliche Abstraktheit von General- und Spezialinquisition ist ein Verdienst Hermann Kantorowicz'. Kantorowicz unterscheidet die Ketzerinquisition, die gewöhnlich zunächst als inquisitio generalis in Form einer Visitation eingeleitet wird, und "die ordentliche Inquisitio des kanonischen Rechts", Kantorowicz, Altitalienischer Strafprozess, S. 311; vgl. zu dieser Unterscheidung auch Buschmann, Inquisition und Prozeß, S. 74ff. Während jene inquisitio generalis letztlich nur ein neuer Begriff für das seit Jahrhunderten erfolgende Verfahren der Sendgerichte ist, versteht Kantorowicz unter der "ordentlichen Inquisitio" die von Innozenz III. ursprünglich als Disziplinarverfahrens gegen Kleriker entwickelte Form der Inquisition. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 210; ders., Anfänge, S. 42; Biener, Beiträge, S. 38ff., 54; anders Hirte, Innozenz III., S. 135ff., 165ff. und Oehler, der erklärt, der Inquisitionsprozess sei „wie ein deus ex machina ohne jegliche Vorbereitung“ aufgetreten, Entstehung, S. 853.

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Inquisitionsverfahren übernommen und lediglich um einen zweiten Teil, die inquisitio veritatis ergänzt353. Es gilt dabei die Regel, dass eine inquisitio veritatis ohne vorangegangene inquisitio famae unzulässig ist354. Es bedarf also einer "praejudicielle(n) Cognition"355 zur Feststellung eines strafrechtlich relevanten Gerüchts356. Bereits bei Hinkmar von Reims, Sicardus von Cremona und Stephanus finden sich die Bedingungen für die Glaubwürdigkeit eines Gerüchts357; sie geben bereits für das Infamationsverfahren das Ermittlungsprogramm der inquisitio famae vor und bleiben mit der Entwicklung des Gerüchts zur Prozessvoraussetzung des Inquisitionsverfahrens auch dort die maßgeblichen Kriterien zur Überprüfung dessen strafrechtlicher Relevanz. Ein Vorverfahren war also von Anfang an Merkmal des neuen Verfahrenstypus. (3) Die Entwicklung des Vorverfahrens bei den italienischen Juristen (a) Das Vorverfahren bei Durantis (aa) Der Regelfall: Die mala fama als Ausgangspunkt der richterlichen Initiative Durantis hat das ursprüngliche kanonische Inquisitionsverfahren vor Augen. Dieses verlangt als Prozessvoraussetzung die infamia oder mala fama. Für Durantis ist damit das Gerücht der Ausgangspunkt jeder richterlichen Initiative im Inquisitionsverfahren: Si autem infamia non praecedat, non inquiret358. Er fordert grundsätzlich eine fama praecedens359. Im Regelfall gibt es also von Anfang an einen Tatverdächtigen. Das Vorverfahren, Durantis spricht von der inquisitio praeparatoria360, dient der Überprüfung, ob die gegen jenen vorge353

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Hirtes Hinweis, in den Registern Papst Innozenz' III. lasse sich ein "Vorverfahren", insbesondere als inquisitio famae, nicht nachweisen, beschränkt sich auf die Frage der "begrifflichen Ausdifferenzierung", Innozenz III., S. 207f. Trusen, Der Inquisitionprozess, S. 211, 229; vgl. auch München, Kanonisches Gerichtsverfahren und Strafrecht, S. 484. Biener, Beiträge, S. 49 (Anm. 24). Kéry, Inquisitio – denunciatio – exceptio, S. 233. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 181ff. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 4. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 6: Licet autem non debeat regulariter (...) procedi, nisi infamia praecedente. Durantis fasst unter diesen Begriff ausdrücklich sowohl das Verfahren, das auf das Aufspüren einer infamia über eine Tat und einen Tatverdächtigen gerichtet ist, Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 9ff., als auch die Untersuchung, die – im Falle des Bestreitens des Gerüchts – den Beweis über das Vorliegen einer rechtlich relevanten infamia erbringt, also einen hinreichenden An-

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brachte mala fama die Einleitung einer Untersuchung des Vorwurfs rechtfertigt. (α) Praktische und dogmatische Bedeutung der mala fama Die Voraussetzung der mala fama resultiert zunächst aus dem ursprünglichen Sinn und Zweck des Inquisitionsverfahrens. Als Disziplinarverfahren gegen Kleriker, diente es der Verhinderung eines öffentlichen Ärgernisses, eines scandalum, das das Ansehen und damit die Autorität der Kirche gefährden konnte. Die Gefahr eines scandalum besteht aber nur dann, wenn die Verfehlungen eines Klerikers der Öffentlichkeit bekannt sind oder sich zumindest ein Gerücht, eine infamia, darüber verbreitet hat. Ohne ein solches Gerücht besteht kein Bedürfnis zur Sanktionierung, vielmehr würden Ermittlungen erst die unerwünschte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf den Vorfall lenken361. Die infamia dient darüber hinaus nach der kirchlichen Lehre der dogmatischen Rechtfertigung des Verfahrens von Amts wegen. Dieses verstößt gegen den Grundsatz, dass Ankläger und Richter nicht in einer Person vereinigt sein dürfen; ausdrücklich verbietet dies Gratian362. In der Dekretale Qualiter et quando wird das Verfahren ex officio mittels einer dogmatischen Hilfskonstruktion legitimiert: Es wird formal nicht auf die Anklage verzichtet, sondern diese durch die mala fama ersetzt363. Die mala fama übernimmt also die Rolle

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fangsverdacht begründet, Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 14: Item haec praeparatoria potest locum habere, (…). Item locum habet, cum contra aliquem commissa sit inquisitio iudicialis, & ipse negat se esse infamatum (...) und n. 13; vgl. Biener, Beiträge, S. 89. Rufinus unterscheidet die im Volk bestehende mala fama von der nur unter Klerikern verbreiteten und dort die den ranghohen von der nur einfachen Geistlichen bekannten mala fama und ordnet entsprechend geheime Ermittlungen an, wenn diese sonst zu einer weiteren Verbreitung des Gerüchts führen würden, Summa Decretorum, Dist. XXIII, c. 5, Ed. Singer, S. 53; vgl. auch Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 165ff., 183. Dict. Gratiani zu C.2 q.1 c.17. Das kanonische Recht behandelt die mala fama konsequent als Surrogat der Anklage: Der Gegenstand des Inquisitionsverfahrens wird auf den Inhalt der mala fama beschränkt (X 5.1.21). Der Klagspiegel stellt, gestützt auf diese Dekretalenstelle, ausdrücklich fest, dass der Täter wegen anderer Delikte, davon er nit verleumbt auch wenn sie in dem Verfahren bewiesen werden, darumb nit gestrafft werden darf, Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv.

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des Anklägers364; darauf weist auch Durantis explizit hin: fama habetur loco accusatoris365. In dieser Funktion muss die fama schon vor der Einleitung des Ermittlungsverfahrens hinsichtlich der Tat vorliegen, sie ist Prozessvoraussetzung der inquisitio veritatis. Zwischen den beiden Ermittlungsabschnitten besteht ein strenges Stufenverhältnis: Im Vorverfahren darf nur hinsichtlich des Gerüchts ermittelt werden; diese Untersuchungen sind streng von der Aufklärung der Tat zu trennen. Ausdrücklich verbietet Durantis jede Vermischung: Quid si inquisitor permistim inquirit de infamia, & de criminibus? Respondeo, non servatur ordo iuris. nam infamiae inquisitio praecedere debet veritatis cognitionem, nec debet processus tali permistione confundi, seu intricari366. Vom Erfordernis der mala fama kennt nun Durantis allerdings eine Ausnahme, die der Umgehung dieser Voraussetzung letztlich Tür und Tor geöffnet haben wird367: Dient es der Vermeidung eines scandalum, einzuschreiten, bevor eine infamia entsteht oder droht der Kirche eine besondere Gefahr, muss auf die Prozessvoraussetzung des Gerüchts verzichtet werden: propter scandalum alicuius tollendum, vel etiam propter periculum vitandum, puta in haeresi, possit sine infamia in inquisitione procedi368. (β) Begriff der mala fama Durantis selbst widmet sich der Definition der fama oder infamia. In Anlehnung an die römischrechtliche existimatio beschreibt er die (bona) fama als guten Ruf; die mala fama oder infamia entsprechend im Sinne eines allgemeinen schlechten Rufes, als illese dignitatis status. Masstab für das Ansehen einer Person sind nach Durantis deren Lebenswandel, Sitten (vita ac moribus comprobatus)369 und Gottesfurcht (vel quod non timet Deum). 364

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X 5.1.24: Qualiter et Quando: (...) non tanquam idem sit accusator et iudex, sed quasi denunciante fama vel deferente clamore officii sui debitum exsequatur. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 1: Impugnatur, n. 33. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 3: In inquisitione qualiter sit procedendum, n. 13. Anhand der Aussagen von Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Haec est quaedam inquisitio, n. 12ff. und Prosper Farinacius, Praxis et Theoretica Criminalis, lib. I, tit. I, q. IX, n. 11ff. lässt sich belegen, dass schließlich die Erweiterungen dieser Ausnahmen das Institut der mala fama weitgehend ausgehöhlt haben, vgl. Koch, Denunciatio, S. 60. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 5. Dieselbe Feststellung trifft bereits Papst Innozenz IV. in seinem "Apparatus" zur Dekretale Licet Heli (X 5.3.31), Innozenz IV., Apparatus in quinque libros decretalium, fol. 180va. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 3: Fama quid sit, n. 1.

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Verlangt Durantis als Prozessvoraussetzung des Inquisitionsverfahrens also schlicht die generelle Verrufenheit einer Person? Soll der schlechte Ruf den Ankläger ersetzen? Die Begriffe infamia und fama sind doppeldeutig; sie bezeichnen sowohl den unbestimmten üblen Ruf, als auch das konkrete Gerücht. Handelt es sich dabei aus heutiger Sicht – gerade für die Einleitung eines Strafverfahrens – um einen erheblichen Unterschied, mag diese Doppeldeutigkeit für den ursprünglichen Anwendungsbereich des Inquisitionsverfahren als innerkirchliches Disziplinarverfahren keine Rolle gespielt haben: Zur Vermeidung eines scandalum mag es auf die Unterscheidung von allgemeinem schlechten Ruf und konkretem Gerücht, zwischen dem Vorwurf eines unsittlichen Lebenswandels und einer konkreten Tat nicht angekommen sein. In beiden Fällen bestand die Gefahr eines scandalum und war ein Einschreiten der Kirche gegen den Kleriker notwendig und gerechtfertigt. Dennoch findet sich schon bei Hostiensis und schließlich bei Bartolus und Baldus die Feststellung, dass der Begriff der fama doppeldeutig ist; unterschieden wird die fama inter homines von der fama in hominis: Pro declaratione ergo debetis scire quod duplex est fama. Una est fama hominis, alia est fama inter homines370. 370

Hostiensis, Summa, X 3.2.6 (Quid sit notorium), fol. 136v; Bartolus, Commentaria, D. 48.18.10.5 (De quaestionibus, De minore, § Plurimum) n. 5. Gandinus dagegen definiert die infamia wie Durantis nur als Gegenbegriff zur fama (Verum, quia in superioribus tractatum est, quid sit fama, nunc est videndum, quid sit et dicatur talis oppositum, Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quid sit fama, n. 2.) als: lese dignitatis status, moribus et legibus reprobatus et in omnibus diminutus, Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quid sit fama, n. 2. Ohne eigens darauf hinzuweisen, verwendet Gandinus in diesem Titel den Begriff der fama aber auch in seiner zweiten Bedeutung: Anstelle des allgemeinen inlese dignitatis status kann offenbar der Terminus fama auch das Gerücht bezeichnen, das eine bestimmte Person einer konkreten Tat bezichtigt: Sed quid, si super crimine (...) testes (...) testificantur, quod est communis opinio in civitate contra Titium, quod ipse tale maleficium commisit, alii duo [testes] deponunt, quod de hoc est publica vox et fama, alii duo [testes] dicunt, quod hominis civitatis idem estimant contra eum. (...) fama, opinio et estimatio sunt synonima, Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quid sit fama, n. 3. Im Kommentar zum Digestentitel De quaestionibus, D. 48.18.10.5 (De quaestionibus, De minore, § Plurimum) nimmt Bartolus nur Stellung zur fama inter homines. Was die fama hominis angeht, verweist er auf seine Kommentierung zum Digestentitel De iis qui notantur infamia (D. 3.2.1). Dort definiert Bartolus die fama oder auch bona fama und als deren Gegenbegriff die infamia. Dabei übernimmt auch er im Wesentlichen die Ausführungen Ulpians zur existimatio (D. 50.13.5). Während die bona fama den Status ungeminderter Ehre bezeichnet, steht die infamia für den Ehrverlust; Kriterien sind die Gesetze und die Sitten (Bartolus, Commentaria, D. 3.2.1 (De his qui notantur infamia, Praetoris): Fama bona dicitur illaesae dignitatis status, legibus et moribus comprobatus. Infamia vero est eius contrarium, scilicet laesae dignitatis status legibus et moribus improbatus (...), n. 1). Die fama hominis ist also das Ansehen, das einer Person aufgrund ihres rechtstreuen oder rechtwidrigen, sittlichen oder unsittlichen Verhaltens in der Gesellschaft zukommt. Im Gegensatz zur fa-

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Obgleich Durantis nicht ausdrücklich zur Doppeldeutigkeit des Begriffs Stellung nimmt und an keiner Stelle die infamia oder mala fama ausdrücklich im Sinne eines Gerüchts definiert, hat er, soweit er über die infamia als Prozessvoraussetzung des Inquisitionsverfahrens spricht371, ein im Volk verbreitetes Gerücht über ein konkretes Fehlverhalten vor Augen. Dass der allgemeine Vorwurf eines unsittlichen Lebenswandels, die infamia im Sinne eines schlechten Rufes, nicht genügt, ergibt sich aus der prozesslenkenden Funktion, die der infamia bei Durantis zukommt: Die infamia gibt den Gegenstand des Verfahrens vor. Nur wegen des "berüchtigten" Fehlverhaltens darf der Richter im Folgenden inquirieren, nur dieses darf er sanktionieren. Gleich zu Beginn seiner Ausführungen über das Inquisitionsverfahren belehrt Durantis den Inquisiten deshalb, sich gegen die Ermittlungen zur Wehr zu setzen, wenn er nicht des konkret in Frage stehenden Fehlverhaltens bezichtigt wird: Domine, non potestis contra me de iure inquirere, quia non sum de his criminibus infamatus372. γ) Die inquisitio famae: Feststellung einer rechtlich relevanten mala fama Nicht jedes dem Richter einmal zu Ohren gekommene Gerücht soll ihn zur inquisitio veritatis veranlassen; an die mala fama sind gewisse Anforderungen zu stellen. Durantis nennt verschiedene Bedingungen, die das Gerücht erfüllen muss, um die Einleitung der Inquisition zu rechtfertigen373. Dazu gehört zum einen, dass dem Richter, der die Jurisdiktion über den Inquisiten innehat, das

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ma inter homines haftet die fama hominis dem Menschen an, vielleicht nicht ein Leben lang, aber doch dauerhaft; sie ist zumindest nicht, wie das Gerede unter den Menschen, unmittelbar von aktuellen Vorfällen abhängig. Was die fama inter homines angeht, unterscheidet Bartolus abermals zwei Erscheinungsformen, denen gemeinsam ist, dass sie sich auf das verbrecherische Verhalten einer Person beziehen. Die "generelle" fama inter homines bezeichnet die Behauptung, jemand sei ein guter bzw. schlechter Mensch, wobei der "schlechte Mensch" hier wohl den Übeltäter bezeichnet, Bartolus formuliert nämlich: Nam quaedam est fama de uno homine in genere (...) quod est bonus vel malus, quod est fur vel latro (...). Die andere, gewissermaßen spezielle fama inter homines bezeichnet die Ansicht der Bevölkerung über einen bestimmten Vorfall, insbesondere darüber, ob jemand eine bestimmte Tat begangen hat oder nicht: Quaedam est fama de aliquo facto particulari, ut quod tale quid fit vel non, Bartolus, Commentaria, zu D. 48.18.10.5 (De quaestionibus, De minore, § Plurimum), n. 6. Ganz ähnlich Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 1 und 2. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 6. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 1: Impugnatur, n. 1. Nach Trusen übernimmt das Inquisitionsverfahren mit diesen Untersuchungen das Ermittlungsverfahren des Infamationsprozesses, die inquisitio famae. Sie wird zur Voraussetzung der – neu eingeführten – inquisitio veritatis, Trusen, Der Inquisitionprozeß, S. 211, 229.

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Gerücht mehrmals zu Ohren kommt374. Allerdings vertritt Durantis hier die Ansicht375, es stehe im Ermessen des Richters, ob er schon auf die einmalige Anzeige des Gerüchts hin das Verfahren einleitet oder wiederholte Beschwerden abwartet376. Das Gerücht muss außerdem bei ehrenwerten und damit glaubwürdigen Menschen (apud bonos et graves377) bestehen, die dem Inquisiten nicht feindlich gesonnen oder kriminell sind: Gegebenenfalls kann der Verrufene geltend machen, quod illi A. & B. sunt eius inimici, & malevoli, & criminosi. Item quod non zelo iustitiae, sed typo malitiae summo pontifici talia fuggasserunt378. Wie schon diese Formulierung zeigt, ist die positive Feststellung dieser Bedingungen nicht in jedem Fall gefordert; sie müssen offenbar vom Inquisiten einredeweise geltend gemacht werden, entsprechend gibt Durantis diesem die Formel vor: Domine, non potestis contra me de iure inquirere, quia non sum de his criminibus infamatus379. (bb) Die Ausnahme: Die Tat als Ausgangspunkt der richterlichen Initiative Der Fall, den Durantis in erster Linie vor Augen hat, ist die Veranlassung richterlicher Untersuchungen durch ein Gerücht, eine fama praecedens380. Lediglich in zwei Fällen darf der Richter ohne vorangehende fama aktiv werden, seine Ermittlungen müssen dann aber zunächst auf die Feststellung eben dieser fama gerichtet sein. Der erste Fall betrifft zunächst nur innerkirchliche 374

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Durantis empfiehlt als Einrede: Item quia non sum de iurisdictione vestra (...) und Item quod tantum semel, & non saepe, vel frequenter id, de quo vultis inquirere, audivistis (...); Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 1: Impugnatur, n. 1 und 2. Später stellt Durantis noch einmal fest: Scias ergo, quod tunc superior ad inquisitionem procedit, cum clamor validus ad eum pervenit, Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 4 und: & hec infamia ad superiorem frequentibus pervenit clamoribus, Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 3: In inquisitione qualiter sit procedendum, n. 3. Zunächst stellt Durantis die gegensätzlichen Meinungen dar, Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 1: Impugnatur, n. 3. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 1: Impugnatur, n. 3: Sed dico hoc iudicis arbitrio committi. Allerdings fordert er für Leute, die allgemein einen guten Ruf haben, das mehrmalige Vorbringen: Si vero sit bonae famae, tunc non sufficit semel audire, Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 1: Impugnatur, n. 3. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 1: Impugnatur, n. 11. An anderer Stelle spricht er von personis honestis & non suspectis, vel malevolis, Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 4. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 1: Impugnatur, n. 10. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 1: Impugnatur, n. 1. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 6: Licet autem non debeat regulariter ad inquisitionem ordinariam procedi, nisi infamia praecedente.

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Konstellationen: Es soll dem ordinarius möglich sein, sich über den Ruf seiner Untergebenen zu erkundigen, zu untersuchen, ob Gerüchte im Volk bestehen, um der Entstehung eines scandalum vorzubeugen: quaeret enim a populo, quomodo se clerici habeant (...) potest enim quilibet ordinarius, sicut praedixi, de fama inquirere subditorum381. Der zweite Fall, in dem Durantis auf die infamia praecedens verzichten will, ist – für den weltlichen Inquisitionsprozess – dagegen von größter Bedeutung: Der Richter soll ein Verbrechen, über dessen Begehung Gewissheit besteht (si certum sit aliquod crimen esse in parochia commissum) und dessen eine konkrete Person verdächtigt wird (si sit contra aliquem suspicio), aufklären und den Täter bestrafen, auch wenn zunächst keine mala fama besteht (licet infamia non praecedat)382. Besteht nicht einmal ein Verdacht gegen eine konkrete Person, ist aber die Tat sicher geschehen, kann im Rahmen der inquisitio praeparatoria die Suche nach dem Täter eingeleitet werden383. Durantis beschreibt damit die Generalinquisition – in zwei verschiedenen Erscheinungsformen – als Vorverfahren des eigentlichen Inquisitionsverfahrens; ausdrücklich bezeichnet er sie als inquisitio praeparatoria. Er mag den Legisten damit die Grundlage für ihre Form des Vorverfahrens geliefert haben. Aus seiner Forderung, es müsse sich – wenn nicht eine mala fama, sondern eine Tat den Richter zu Untersuchungen veranlasst – um ein sicher geschehenes Verbrechen handeln, mag das corpus delicti-Erfordernis entstanden sein384.

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Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 6. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 7. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 14. In seinen Ausführungen zum notorischen Verbrechen (Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 1: Scias, n. 12) stellt Durantis entsprechend klar, dass, wenn Notorietät nur hinsichtlich des "Ob" der Tat, nicht aber hinsichtlich der Täterschaft besteht (Item in maleficio flagranti, quod sic notorie commissum est (...)) zur Ermittlung des Täters inquiriert werden muss: procedit haec inquisitio illius maleficii, s. quis commiserit, nullo vocato, si non certum sit, quis fecerit, sive sit certum de aliquibus, & incertum de aliquibus (...). Zum corpus delicti-Erfordernis s. u. in diesem Kap. unter (b) Das Vorverfahren bei den Legisten, S. 116ff.

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(cc) Formlosigkeit der inquisitio praeparatoria Als inquisitio praeparatoria385 bezeichnet Durantis alle Ermittlungen, die der inquisitio specialis vorangehen. Zum einen das gezielt auf die Prozessvoraussetzungen der Spezialinquisition gerichtete Vorverfahren: die inquisitio famae386. Zum anderen aber auch das richterliche Vorgehen, dass Innozenz IV. als Generalinquisition bezeichnet: das Verfahren im Rahmen der Visitationen387 und die Suche nach dem Urheber eines bekannten Verbrechens388. Von der inquisitio praeparatoria grenzt Durantis die inquisitio sollenis oder iudicialis ab389. Förmlich und unter Einhaltung des ordo iuris muss nur die Spezialinquisition ablaufen390, die vorbereitende Untersuchung kann indes – wie für die Generalinquisitionen in Form von Visitationen von jeher anerkannt – de plano und sine strepitu, d. h. weitgehend formlos391, erfolgen392. Durantis eröffnet damit die Möglichkeit für das Vorverfahren – wie auch immer es ausgestaltet ist – auf die üblichen Prozessformen zu verzichten. (b) Das Vorverfahren bei den Legisten Bei den Juristen, die die weltliche Gerichtsbarkeit vor Augen haben, verschmelzen schließlich Generalinquisition und inquisitio famae zu einem Vorverfahren des Inquisitionsprozesses. Im Gegensatz zu den Kanonisten, für die das Gerücht, die mala fama, den Ausgangspunkt der richterlichen Ermittlungen bildet, veranlasst im weltlichen Bereich das Verbrechen die Untersuchungen: Ausgehend von der Tat sucht der weltliche Richter nach einem Verdächtigen und widmet sich dessen Überführung. Zwar wird die mala fama und 385

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Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 9ff. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, , § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 14: Item haec praeparatoria potest locum habere, (…). Item locum habet, cum contra aliquem commissa sit inquisitio iudicialis, & ipse negat se esse infamatum (...), und n. 13. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 9. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 14. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 14. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 3: In inquisitione qualiter sit procedendum, n. 5. Zur Bedeutung dieser Wendungen im Einzelnen unten Kap. B.IV.: Acht und summarischer Inquisitionsprozess im Laienspiegel, S. 235ff. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 3: In inquisitione qualiter sit procedendum, n. 4 und 1, ferner § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 14.

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damit die inquisitio famae als Prozessvoraussetzung des Hauptverfahrens zunächst auch für die weltliche Gerichtsbarkeit übernommen. Ihr vorgeschaltet ist aber die Untersuchung der Tat und die Suche nach einem Tatverdächtigen. Für diese Untersuchung greifen die Legisten auf die Generalinquisition in der oben beschriebenen Variante zurück: Schon Innozenz IV. empfiehlt die inquisitio generalis für den Fall, dass „ein Verbrechen bekannt, aber der Urheber unbekannt ist"393, ebenso Durantis394. Aus dem Erfordernis der „Bekanntheit“ des Verbrechens wird dabei ein eigener Ermittlungsschritt, die Feststellung des sog. corpus delicti. Schließlich verändert sich auch die inquisitio famae. Das Gerücht, die mala fama, wird nicht mehr in ihrer Funktion als Anklägerin, sondern als ein den Tatverdacht begründendes Indiz angesehen; sie wird damit austauschbar. An die Stelle der inquisitio famae tritt die Ermittlung eines indiziengestützten Verdachts. (aa) Gandinus Gandinus beschreibt zwei Stufen des Inquisitionsverfahrens; die erste bezeichnet er als generalis inquisitio 395. Sie ist zum einen der Untersuchung der Tat gewidmet (de maleficio), der Feststellung des Verbrechens an sich (veritas criminis396), zum anderen der Suche nach dem Täter (quis illud maleficium fecerit)397. Mit der Forderung, es müsse zuerst die veritas criminis festgestellt werden, legt Gandinus den Grundstein für die corpus delicti-Lehre 398, die später die Gestalt des Vorverfahrens in der frühneuzeitlichen Strafrechtswissenschaft prägen wird399. In seinem Kapitel De presumptionibus et indiciis dubitatis präzisiert er, was er mit der Feststellung der veritas criminis meint: debet constare iudici, illud maleficium fore commissum bzw. Nam debet constare, hominem a quocumque fuisse occisum und zwar antequam inquirant. Der Nachweis über das Vorliegen eines 393 394 395 396 397 398

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Biener, Beiträge, S. 85f S. o., S. 122ff. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (…) per inquisitionem, n. 6. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (…) per inquisitionem, n. 2. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (…) per inquisitionem, n. 5. Der Begriff corpus delicti findet sich in Prosper Farinacius, Operum Criminalium Pars Prima, Hall, Corpus delicti, S. 1. Daraus entwickelt Karl Alfred Hall den Terminus der corpus delictiLehre, vgl. aber Biener, Beiträge, S. 117. Zur corpus delicti-Lehre in der frühneuzeitlichen Strafrechtswissenschaft vgl. den Überblick bei Ignor, Geschichte, S. 94ff. Zur Entwicklung der Lehre durch die italienischen Juristen fehlen neuere Studien. Brunnenmeister, Quellen, S. 219; Hall, Corpus delicti, S. 13. Erst Bartolus wählt aber jene Digestenstellen als Ausgangspunkt des corpus delicti-Erfordernisses, auf die sich schließlich auch die frühneuzeitliche Lehre stützt (D. 29.5.1.24 und D. 9.2.23.11).

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Verbrechens soll erbracht werden, per testes, medicum vel alias evidentias facti bzw. per aspectum400. Der zweite Teil des Vorverfahrens, die Suche nach dem Täter, ist abgeschlossen, wenn eine rechtlich relevante mala fama gegen eine bestimmte Person ermittelt werden konnte: Sed hac generali inquisitione completa, si ipse inquisitor invenerit aliquem de ipso crimine infamatum, faciet illum ad se citari (...)401. Dann beginnt die Spezialinquisition contra aliquam singularem et specialem et nominatam personam402. (bb) Bartolus Bartolus unterscheidet die inquisitio ad crimen inveniendum, die ohne besondere Voraussetzungen eingeleitet werden kann, von der inquisitio ad crimen puniendum, deren Zulässigkeit Bartolus an gewisse Vorbedingungen knüpft403. Erstere ist nahezu deckungsgleich mit der inquisitio generalis404, letztere entspricht offenbar der inquisitio specialis405. Die beiden Verfahrensabschnitte stehen in einem Stufenverhältnis: Erst auf die inquisitio ad crimen inveniendum hin darf die Spezialinquisition, die inquisitio ad puniendum, folgen406. In dieser Funktion ist die Generalinquisition auf zwei Ziele gerichtet. Zum einen muss auch nach Bartolus in der Generalinquisition festgestellt werden, dass ein Verbrechen geschehen ist: antequam ad investigationem aliquam procedat, debet constare de maleficio407. Insofern steht Bartolus ganz in Tradition des Gandinus. Zum anderen muss die Generalinquisition dem Richter den Täter, zumindest aber einen qualifizierten Tatverdacht liefern: Ubicumque enim iudex in generali inquisitione compererit aliquem deliquisse, in eodem casu potest ad inquisitionem specialem descendere, et illum reum condemnare408. Dafür ist allerdings nach Bartolus’

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Gandinus, Tractatus de maleficiis, De presumptionibus et indiciis dubitatis, n. 4. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (…) per inquisitionem, n. 6 ; zur mala fama bei Gandinus auch Vallerani, Il giudice, S. 48ff. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (…) per inquisitionem, n. 5. Bartolus, Commentaria, D. 48.5.2.5 (Ad legem Iuliam, Ex lege Iulia, § Si publico), n. 3. Bartolus, Commentaria, D. 48.5.2.5 (Ad legem Iuliam, Ex lege Iulia, § Si publico), n. 5. Bartolus, Commentaria, D. 48.5.2.5 (Ad legem Iuliam, Ex lege Iulia, § Si publico), n. 9 und 10. Bartolus listet fünf Konstellationen auf, in denen die Einleitung der inquisitio ad puniendum zulässig ist. Eine davon ist der Fall der vorausgegangenen Generalinquisition: Tertia regula est, quod iudex potest procedere per inquisitionem, propter praecedentem generalem inquisitionem, Bartolus, Commentaria, D. 48.5.2.5 (Ad legem Iuliam, Ex lege Iulia, § Si publico), n. 9. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 2, vgl. auch Kommentierung zu D. 29.5.1.24 (Ad Senatusconsultum Syl., Cum aliter, § Item illud). Bartolus, Commentaria, D. 48.5.2.5 (Ad legem Iuliam, Ex lege Iulia, § Si publico), n. 9.

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Auffassung nun aber nicht mehr unbedingt ein Gerücht, eine mala fama notwendig. Bartolus liefert der corpus delicti-Lehre nun die theoretische Unterfütterung. Er verankert, wie später auch die frühneuzeitliche Lehre, das corpus delictiErfordernis im römischen Recht409. In D. 29.5.1.24 verlangt Ulpian für den Fall, dass ein Hausherr tot aufgefunden wird, vor der Befragung des Gesindes die Feststellung, das der Herr überhaupt einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist410. Aus einer weiteren Ulpianstelle (D. 9.2.23.11), die Bartolus in diesem Zusammenhang ebenfalls allegiert, ergibt sich, dass das Geständnis des Verdächtigen wohl als Beweis für dessen Täterschaft, nicht aber für die Tat an sich ist; diese müsse eigens festgestellt werden: ceterum occisum esse hominem a quocumque oportet. Die corpus delicti-Lehre ist mithin die Lehre von der Trennung des Beweises der Tat vom Beweis der Täterschaft411. Mit dem Vordringen dieser Lehre im 16. Jahrhundert wird, wie wir gesehen haben, der Generalinquisition schließlich allein die Funktion beigemessen, den Beweis der Tat zu erbringen412. Dabei sieht schon Bartolus für die unterschiedlichen Beweisgegenstände auch verschiedene Beweismittel vor; auch hier kann er an Gandinus anknüpfen. Den Beweis der Tat erbringt in erster Linie der Augenschein. Ausdrücklich erklärt Bartolus, wie der Beweis über das Verbrechen erhoben werden soll: Besteht von Anfang an Gewissheit, dass ein Verbrechen geschehen ist, soll der Richter im Rahmen der Generalinquisition den Augenscheinsbeweis darüber erheben: Er soll Amtsleute schicken, die Leiche oder die Wunden zu beschauen und zu protokollieren413. Besteht hingegen nur das Gerücht, es sei ein Verbrechen geschehen, soll der Richter „in die Nachbarschaft“ schicken,

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Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 2, vgl. auch Kommentierung zu D. 29.5.1.24 (Ad Senatusconsultum Syl., Cum aliter, § Item illud). D. 29.5.1.24 lautet: Item illud sciendum est, nisi constet aliquem esse occisum, non haberi de familia quaestionem: liquere igitur debet scelere interemptum, ut senatus consulto locus est. D. 29.5.1.25 präzisiert: Quaestionem autem sic accipimus non tormenta tantum, sed omnem inquisitionem et defensionem mortis. Bei der Bearbeitung des Inquisitionsverfahrens durch die legistische Rechtswissenschaft stellt sich verstärkt die Frage nach dem Beweis der Tat, weil diese den Ausgangspunkt des richterlichen Tätigwerdens bildet. Dagegen wird im Akkusationsverfahren dem Richter durch den Kläger sogleich ein Tatverdächtiger präsentiert, vgl. Hall, Corpus delicti, S. 2ff. Im kanonischen Inquisitionsverfahren übernimmt das Gerücht diese Funktion. Oestmann, Hexenprozesse, S. 171; Ignor, Geschichte, S. 94. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 2: rectores mittunt militem, vel alium officialem ad videndum hominem mortum, & videndum vulnera, & hoc faciunt scribi.

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um – wohl im Wege von Zeugenbefragungen – Gewissheit über die Tat zu erlangen414. Bartolus kennt indes noch einen zweiten Abschnitt der Generalinquisition; dieser ist der Suche nach einem Tatverdächtigen gewidmet. Der Tatverdacht ergibt sich dabei nicht mehr, wie noch bei Gandinus, aus einem Gerücht; Bartolus spricht nicht von fama, sondern von suspicio415. Bartolus ordnet die fama nicht mehr als zwingende Voraussetzung des Inquisitionsverfahrens ein: In seinem Kommentar zu C. 9.9.2 behandelt er ausführlich die Zulässigkeit des Inquisitionsprozesses – die fama erwähnt er hier mit keinem Wort416. Das Gerücht ist für ihn aber hinsichtlich der Zulässigkeit der Folter beachtlich: Hier wirkt die fama als Indiz, das unter Umständen zur Rechtfertigung der Tortur beiträgt417. Aus der Einordnung der fama als Indiz folgt deren Gleichstellung mit anderen Indizien; als Prozessvoraussetzung des Inquisitionsverfahrens verlangt Bartolus deshalb indiciis praecedentibus, aut fama publica referente (...)418. Der Tatverdacht, den es im Vorverfahren zu ermitteln gilt, ergibt sich nicht mehr zwangsläufig aus einem Gerücht419. Die Prozessvoraussetzungen des Inquisitionsverfahrens mischen sich dabei mit den Voraussetzungen der Folter. (cc) Baldus Baldus misst der infamia wieder größere Bedeutung zu als Bartolus. Er hält ausdrücklich an der kanonistischen Dogmatik fest, die der mala fama die Rolle der Anklägerin zuweist und sie damit grundsätzlich zur unentbehrlichen Voraussetzung des Inquisitionsverfahrens macht: (...) fama tenet locum accusatoris et totus populus reum deferre420. Er kennt deshalb auch noch die inquisitio famae als eine Form des Vorverfahrens: inquisitio famae: Alio modo sumitur inquisitio praepa-

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Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 2 (Leitsatz): Vel quando fama procedit de aliquo magno delicto, & mittitur pro vicinis. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 2. Bartolus, Commentaria, D. 48.5.2.5 (Ad legem Iuliam, Ex lege Iulia, § Si publico). Nur ihre Funktion als Indiz erklärt die ausführliche Darstellung der fama inter homines im Kommentar zur Folter. Daneben stellt Bartolus aber klar: fama alicuius est indicium ad torturam, Bartolus, Commentaria, D. 48.18.10.3 (De quaestionibus, § Plurimum), n. 4. Die Formulierung (fama alicuius anstelle von fama de aliquo) legt nahe, dass es hier um die fama hominis geht. Auch der allgemeine schlechte Ruf ist für Bartolus also ein Indiz. Bartolus Commentaria, D. 1.18.13 (De officio praesidi, Congruit), n. 3. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 2. Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 39.

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ratoria pro sola inquisitione famae (...)421. Baldus scheint aber alternativ das Hauptverfahren auch dann zu erlauben, wenn die Generalinquisition einen indiziengestützten Verdacht gegen eine bestimmte Person erbracht hat: inquisitio generalis (...) valet ad hoc, ut repertus suspectus, vel culpabilis de crimine potest capi422. Baldus übernimmt – wohl von Durantis – den Terminus der inquisitio praeparatoria423. Auch bei Baldus bildet er den Oberbegriff für alle Ermittlungen mit "vorbereitender Funktion" (ad inveniendum)424. Als inquisitio praeparatoria kann nach Baldus deshalb zum einen die Generalinquisition fungieren, zum andern aber auch die inquisitio famae: (...) alio modo sumitur inquisitio praeparatoria pro sola inquisitione famae (...)425. An späterer Stelle bestätigt Baldus dies noch einmal: nam inquisitio prima generale tantum valet, quantum fama ad specialiter postea inquirendum, ut hic. est enim praeparatoria426. Wie bei Durantis können die Ermittlungen im Rahmen der inquisitio praeparatoria formlos erfolgen; insbesondere ordnet er die Zeugenvernehmungen im Vorverfahren als informatorische ein (ad curiae informationem)427. Die bei Gandinus und besonders deutlich bei Bartolus als Teil der Generalinquisition erwähnte Untersuchung, ob ein Verbrechen geschehen ist, fehlt indes bei Baldus. Seine Darstellung scheint vielmehr im kanonischen Modell verhaftet zu sein. (dd) Angelus Aretinus Angelus Aretinus markiert schließlich das Ende der Entwicklung: Er ersetzt nun ausdrücklich die mala fama durch die Indizien: Sed quid si contra Titium non laborat diffamatio, tamen sunt indicia contra eum, licet communiter reputetur bonus. Credo si sunt indicia contra eum, potest inquiri contra eum: quia indicia sunt loco diffamationis428. Augustinus Bonfranciscus liefert in den zugehörigen Additionen den dogmatischen Unterbau: quia fortiora sunt indicia super veritate quam ipsa diffamatio: 421 422 423 424

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Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 37. Baldus, Commentaria, D. 1.18.13 (De officio praesidi, Congruit), n. 2. Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 36. Baldus, Commentaria, D. 1.18.13 (De officio praesidi, Congruit), n. 2. und C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 37. Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 37. Baldus, Commentaria, D. 1.18.13 (De officio praesidi, Congruit), n. 2, stellt die Generalinquisition, welche bei ihm auf die Feststellung eines Anfangsverdachts gerichtet ist, hinsichtlich ihrer vorbereitenden Funktion bezüglich der Spezialinquisition der infamia gleich. Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 36. Noch im 18. Jahrhundert spricht der Geheime Rat Ludwig Christoph Vischer hinsichtlich der Vorverfahrens von einem processus informativus, zit. nach Schnabel-Schüle, Überwachen und Strafen, S. 120. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 2.

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quia per indicia devenitur ad torturam429. Das Vorverfahren ist damit auf einen Anfangsverdacht im modernen Sinne gerichtet, das Gerücht verliert an Bedeutung. Wir finden hier also jenes Vorverfahren, das der Laienspiegel beschreibt. Wie Gandinus und Bartolus fordert auch Angelus Aretinus die Feststellung, dass ein Verbrechen geschehen ist. Allerdings erst als Voraussetzung der peinlichen Befragung430. In den zugehörigen Additionen weist Augustinus Bonfranciscus ausdrücklich auf die abweichende Ansicht von Bartolus hin; dieser spreche nicht von den Voraussetzungen der Tortur, sondern des Prozesses an sich: (...) ibi nihil dicit de tortura magis quam de processu. Auch Augustinus verlangt die Feststellung der Tat vor der Einleitung zumindest der Spezialinquisition: Sed dico, quod imo iudex non debet procedere, quod fortius est ad inquisitionem specialem, nisi primo constet de delicto431. ee. Zusammenfassung und Bewertung Weder der Laienspiegel noch der Klagspiegel sprechen ausdrücklich von zwei Verfahrensabschnitten des Inquisitionsverfahrens; die Begriffe Vor- und Hauptverfahren bzw. General- und Spezialinquisition sucht man in beiden Werken vergeblich. Ein Blick in die Schriften der italienischen Gelehrten zeigt, dass man sich zwar über die formale Einteilung des Ermittlungsverfahrens in zwei Verfahrensabschnitte einig ist, keineswegs aber über den Inhalt der beiden Untersuchungen. Es zeichnet sich hier eine Entwicklung ab; Klagund Laienspiegel rezipieren unterschiedliche Stufen dieser Entwicklung. Der Klagspiegel unterscheidet, entsprechend der ursprünglichen kanonistische Lehre, wie sie bei Durantis zu finden ist, die Untersuchung des Gerüchts von der Aufklärung der Tat. Der Laienspiegel dagegen folgt der „modernen“ Lehre der italienischen Legisten: An die Stelle des Gerüchts ist, spätestens bei Angelus Aretinus, der indiziengestützte Verdacht getreten – diesen gilt es im Vorverfahren festzustellen; im Hauptverfahren ist dann der Überführungsbeweis zu erbringen. Weiterer Bestandteil des Vorverfahrens ist seit Bartolus die Feststellung des corpus delicti, der Augenscheinsbeweis über das Verbrechen als solches; auch dies übernimmt Tengler.

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Augustinus Bonfranciscus, Add. zu Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 2 und 3. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 108: (...) tu iudex sis bene cautus, ne aliquem ad torturam pro maleficio ponas priusquam constet curiae tuae, id maleficium fuisse commissum (...). Augustinus Bonfranciscus, Add. zu Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 108.

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Die Vermeidung der Bezeichnung des Vorverfahrens als Generalinquisition erklärt sich vor dem Hintergrund der unklaren Begrifflichkeit in den gelehrten Vorlagen. Hatten die inquisitiones generales der kirchlichen Sendgerichte zunächst überhaupt nicht die Funktion eines Vorverfahrens des eigentlichen Inquisitionsprozesses, so entwickelte sich die Generalinquisition zunächst zu einer alternativen Möglichkeit der Verfahrenseinleitung: Statt auf die Mitteilung eines Gerüchts, einer mala fama, zu warten, kann der Richter diese in Generalinquisitionen auch gezielt aufspüren. Erst die kanonistische Lehre, die im Wege der Generalinquisition auch die Suche nach dem Täter eines „sicher geschehenen“ Verbrechens erlaubt, lässt sie für die weltlichen Juristen, für die nicht das Gerücht, sondern die Tat den Ausgangspunkt der Ermittlungen bildet, zum „Vorverfahren“ werden. Die Unterscheidung von General- und Spezialinquisition in der frühneuzeitlichen Rechtswissenschaft wird heute als wesentlicher Fortschritt auf dem Weg hin zu modernen Prozessmaximen gewertet432. Die vorgeschaltete Generalinquisition, in der festgestellt werden muss, dass überhaupt ein Verbrechen begangen wurde, dient dem Schutz des Inquisiten433 und stellt den Richter – namentlich bei Taten, die sich kaum nach außen manifestieren – vor erhebliche Hürden. So windet sich denn die Lehre, um jenes Erfordernis für das Inquisitionsverfahren gegen Hexen für entbehrlich zu erklären434. Auch das Vorverfahren des ursprünglichen kanonischen Inquisitionsprozesses, wie es Durantis und ihm folgend der Klagspiegel beschreiben, kann als Kautel zugunsten des Inquisiten gewertet werden, macht es doch die peinliche Befragung und schließlich die Verurteilung von einer zusätzlichen Voraussetzung abhängig. Zu einer Belastung des Inquisiten wird die Abspaltung des Vorverfahrens an dem Punkt, an dem es statt eines klar abgrenzbaren Gegenstandes schlicht die Aufklärung des Verbrechens zum Inhalt hat, dabei aber die prozessualen Besonderheiten der ursprünglichen inquisitio generalis beibehält: Diese zeichnet sich, wie wir gesehen haben, durch die fehlende Bindung an den ordo iuris, mithin durch eine gewisse Formlosigkeit aus. Eine besondere Gefahr stellt das Vorverfahren, wie der Laienspiegel es beschreibt, schließlich dar, wenn der Inquisit nicht daran beteiligt wird, die Ermittlungen geradezu heimlich

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Eb. Schmidt, Einführung, S. 195, 196. Schoetensack spricht im Hinblick auf die spätere Ausformung dieses Erfordernisses von einem „Asyl der Verbrecherwelt“, Carolina, S. 100. Ignor, Geschichte, S. 102ff.

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erfolgen und wenn darüber hinaus – zeitgleich mit der Konfrontation mit dem Vorwurf – auch schon die Festnahme erfolgt435.

b. Das Vorverfahren aa. Laienspiegel Der Laienspiegel gibt dem Richter genaue Anweisungen, wie er im Vorverfahren vorgehen soll: Wenn nun eyn richter (...) inquiriern will, so soll er sich personlich fügen an die ende, da die übelthat beschehen, oder die argkwönigen wonhafft seind. Den allmechtigen Gott, das recht und die warheyt, auch keyn mensch für das ander vor augen haben, unnd in beisein etlicher wolgeleumbter, unparteischer person, mit sampt eynem geschwornen schreiber, die zeugen, an den er sich erfaren soll, nöten unnd zwingen eyn warheyt zusagen436.

Als ersten Ermittlungsschritt verlangt Tengler einen Ortstermin, den der Richter persönlich wahrnehmen muss. Dieser Ortstermin soll am Tatort (da die übelthat beschehen) oder am Wohnort des Verdächtigen (da (...) die argkwönigen wonhafft seind) stattfinden. Letzteres kommt freilich erst ab dem Moment in Betracht, von dem an ein bestimmter Tatverdächtiger bekannt ist. Der Laienspiegel ordnet außerdem eine Zeugenvernehmung an (die zeugen, an den er sich erfaren soll, nöten unnd zwingen eyn warheyt zusagen), die der Richter zusammen mit einem Schreiber und im Beisein weiterer angesehener Personen vornehmen soll. Die zugehörigen Allegationen des Laienspiegels verweisen hier auf das römische und das kanonische Recht und – ganz allgemein – auf die Ausführungen zum Inquisitionsverfahren in Durantis’ Speculum Iudiciale und im Tractatus de maleficiis des Angelus Aretinus. Der Laienspiegel lässt offen, welche Stellen aus den beiden Werken er herangezogen hat. Obgleich Durantis unter dem Vorverfahren, wie wir gesehen haben, grundsätzlich etwas völlig anderes versteht als der Laienspiegel, lassen sich tatsächlich wörtliche Übernahmen aus Durantis’ Speculum Iudiciale nachweisen. Angelus Aretinus mag hinsichtlich der Untersuchung am Tatort und der Zeugenvernehmung als Vorlage gedient haben.

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Vgl. die Bewertung von Patschovsky, Ketzerverfolgung, S. 669. Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CXIIIv.

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(1) Der Ortstermin Tengler weist den Richter an, die Ermittlungen zur Aufklärung eines Verbrechens mit einem Ortstermin einzuleiten. Auch Durantis fordert als ersten Ermittlungsschritt einen Ortstermin, den der Richter persönlich wahrnehmen muss. Tengler hat die entsprechende Passage wörtlich übernommen: Volens igitur inquirere in quocunque de praemissis casibus, debet personaliter ad locum accedere, ubi inquisitio fieri debet...437. Auch die Forderung des Laienspiegels, der Richter solle hier neutral und unvoreingenommen ermitteln – Den allmechtigen Gott, das recht und die warheyt, auch keyn mensch für das ander vor augen haben – ist schon bei Durantis zu finden: solum Deum habentes prae oculis, & sine personarum acceptione (...)438. Das Speculum Iudiciale liefert dem Laienspiegel auch die entsprechenden Referenzstellen; die Dekretale Cum dilecta (X 1.3.22) verlangt explizit die persönliche Untersuchung durch den Richter (vgl. im Laienspiegel: soll er sich personlich fügen) und dessen Begleitung durch personae idoneae (vgl. im Laienspiegel: in beisein etlicher wolgeleumbter, unparteischer person). In der Dekretale X 5.1.17439 findet sich zudem jene Aussage zur inneren Einstellung, die den Richter bei der Untersuchung leiten soll: Deum solum habentes prae oculis, via regia incedentes, sine personarum acceptione in hoc negotio procedatis iuxta formam(...)440. (a) Der Ortstermin am Wohnort des Verdächtigen Der Laienspiegel schickt den Richter an den Wohnort des Verdächtigen (da (...) die argkwönigen wonhafft seind). In der zitierten Passage des Speculum Iudiciale indes fehlt ein ausdrücklicher Hinweis auf den Ort der Untersuchung; die Ortsangabe ubi inquisitio fieri debet wirkt auf den ersten Blick wie eine Tautologie. Sie erklärt sich aber im Zusammenhang mit der zugehörigen Allegation C. 3.15.2; Durantis nimmt damit Bezug auf die justinianischen Regelungen zum Gerichtsstand und zwar den Gerichtsstand am Wohnort des Beschuldigten441. Wenige Zeilen später ver437

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Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 3: In inquisitione qualiter sit procedendum, n. 1. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part.I, De Inquisitione, § 3: In inquisitione qualiter sit procedendum, n. 3. Der Beginn dieser Dekretale lautet auch Qualiter et quando; die berühmte Dekretale dieses Titels findet sich indes in X 5.1.24. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 3: In inquisitione qualiter sit procedendum, n. 3. Der Richter darf nur dann in einer Sache ermitteln, wenn der Angeklagte in seinem Zuständigkeitsbereich wohnt (das Gesetz bietet für die Ortsangabe "ibi" keinen Bezugspunkt; nur als Bezeichnung des Gerichtssprengels des angegangenen Richters ergibt die Aussage

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langt Durantis dann auch ausdrücklich, dass die Ermittlungen im Vorverfahren am Wohnort des Verdächtigen erfolgen sollen. Er erläutert dabei zugleich, welcher Zweck hinter der Untersuchung am Wohnort steht: alibi enim non potest de vita & conversatione alicuius melius inquiri, quam in loco, ubi infamatus degit442. Für Durantis dient der Ortstermin also der Information über den Lebenswandel des „Infamierten“443. In seinen weiteren Ausführungen wird deutlich, dass es am Wohnort zu klären gilt, inwiefern das Gerücht, der „Infamierte“ habe ein Verbrechen begangen, glaubhaft ist444. Am Wohnort vermutet Durantis offenbar auch die Urheber des Gerüchts, er verweist nämlich auf die Dekretalen Cum dilecta (X 1.3.22) und Qualiter et quando (X 5.1.24), die die Überprüfung von Gerüchten an jenem Ort anordnen, an dem diese entstanden sind. Außerdem allegiert er X 5.1.20; in der Dekretale Cum dilectus fordert Papst Gregor IX. eine sorgfältige Überprüfung der Glaubwürdigkeit der Denunzianten445. Was Durantis mit dem Ortstermin verlangt, ist also die Untersuchung der Glaubhaftigkeit des Gerüchts und der Glaubwürdigkeit seiner Urheber am Wohnort des Infamierten. Welche Untersuchungen verlangt nun Tengler am Wohnort des Verdächtigen? Tengler erklärt nicht, welche Ermittlungsziele der Richter am Wohnort des Verdächtigen verfolgen soll. Obgleich es ihm nicht mehr um die Feststellung eines rechtlich relevanten Gerüchts als Prozessvoraussetzung geht, wird er doch ähnliche Ermittlungen vor Augen haben wie Durantis: Die Lebensumstände und das Ansehen des Verdächtigen sind auch für ihn relevante Kriterien für die Frage, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt; ausdrück-

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aber einen Sinn): (...) aditus competens iudex, si is, quem (...) proponis, ibi degit, causam cognoscet (C. 3.15.2). Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 3: In inquisitione qualiter sit procedendum, n. 1. Mit der gleichen Begründung findet man auch bei Gandinus das Erfordernis der Untersuchung am Herkunftsort des Verdächtigen: Et debet fieri hec inquisitio in loco originis (...) bzw. an dem Ort, wo der Verdächtige Umgang pflegt: Item in loco, ubi inculpatus de crimine conversabatur, weil dort am besten de condicione et qualitate persone ermittelt werden kann, Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per inquisitionem, n. 2. Vgl. zu einer entsprechenden Aussage des Johannes Teutonicus Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 216. X 5.1.20. Die Dekretale behandelt die Zurückweisung von Denunzianten durch den Denunzierten. Diese Zurückweisung soll nur zugelassen werden, wenn die Denunzianten öffentlich im Konkubinat leben, Exkommunizierte sind, sich gegen den Denunzierten verschworen oder die vorherige Mahnung des Denunzierten unterlassen haben. Ob eine dieser Voraussetzungen vorliegt, hat der Richter zu ermitteln.

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lich erklärt Tengler, dass bei der Entscheidung über die Folter Status und Ansehen (stand, leumand)446, die „Leichtfertigkeit“447 und der schlechte Umgang des Verdächtigen (Item, ob der gefangen, zu zeiten bei solchen leüten, die gewonlichen dergleich missethaten zu üben gewont, oder mit in geselschafft gehabt hab)448 berücksichtigt werden449. Außerdem stellt Tengler, sofern das Inquisitionsverfahren durch eine Anzeige veranlasst wird, Anforderungen an die Glaubwürdigkeit der Denunzianten450. Gestützt auf die allegierte Dekretale Cum dilectus (X 5.1.20) mag er also – während Durantis die Glaubwürdigkeit der Urheber des Gerüchts überprüfen will – dieselbe Untersuchung im Hinblick auf die Denunzianten vorsehen. Auch für Tengler geht es beim Ortstermin am Wohnort des Verdächtigen also um die Untersuchung der persönlichen Verhältnisse des Inquisiten und derjenigen, die ihn bezichtigen, mit dem Ziel, einen Tatverdacht zu erhalten, der ein Vorgehen gegen den Tatverdächtigen erlaubt. (b) Der Ortstermin am Tatort Abweichend von Durantis fordert der Laienspiegel neben den Ermittlungen am Wohnort des Verdächtigen Untersuchungen am Tatort (da die übelthat beschehen). Worum geht es ihm hier? Während Durantis den Fall vor Augen hat, dass dem Richter mit dem Gerücht zugleich ein bestimmter Tatverdächtiger geliefert wird, ist für den Laienspiegel die Tat der Ausgangspunkt der Ermittlungen. Regelmäßig müssen die Untersuchungen deshalb zunächst auf die Suche nach einem möglichen Tatverdächtigen gerichtet sein. Es erscheint schon insofern naheliegend, dass diese Suche am Tatort beginnt. Sowohl Durantis – soweit dieser auf die infamia praecedens verzichtet – als auch Bartolus und Angelus Aretinus verlangen aber, wie wir gesehen haben, zunächst die Gewissheit, dass ein Verbrechen geschehen ist. Die Legisten entwickeln daraus jenen ersten Untersuchungsschritt, der allein der Tat an sich, der Feststellung des Verbrechens gewidmet ist. Gandinus verlangt für diese Feststellung ausdrücklich Ermittlungen am Tatort: (...) in loco, in quo maleficium est commissum, melius potest indagari veritas criminis et melius sciri de circumstantiis ipsius criminis (...)451. Besser als an irgendeiner anderen Stelle, können das wahre Geschehen, das Vorliegen eines Delikts (veritas criminis) und die 446 447 448 449 450 451

Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIVr. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Dazu s. u. Kap. B.II.: Die Folter im Laienspiegel, S. 139ff. Dazu s. o. Kap. B.I.3.: Die verfahrenseinleitende Anzeige im Laienspiegel, S. 73ff. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per inquisitionem, n. 2.

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Umstände des Verbrechens (circumstantiis ipsius criminis) am Tatort untersucht werden. Tengler mag mit der Ermittlung am Tatort diese Lehre vom corpus delicti übernommen haben. Dafür sprechen weitere Anhaltspunkte. So äußert er sich ausgerechnet im Abschnitt über das summarische Inquisitionsverfahren (Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten...)452 detaillierter zu den Ermittlungen im Vorverfahren: Die Richter sollen gründlich untersuchen, ob und wie, auch zu wölchen zeyten unn enden sölchs beschehen453. Ausdrücklich verlangt Tengler hier also die Feststellung, dass ein Verbrechen geschehen ist. Seine Allegationen zum Ortstermin am Tatort verweisen auf eine Digestenstelle (D. 10.1.8)454, die den Augenscheinsbeweis thematisiert. In D. 10.1.8 erlegt Ulpian dem für die Entscheidung von Grenzstreitigkeiten zuständigen Richter die persönliche Augenscheinnahme vor Ort auf, sofern die Angelegenheit dies erfordert: Ad officium de finibus cognoscentis pertinet (...) si ita res exigit, oculisque suis subiectis locis. Was Tengler also am Tatort fordert, ist die Augenscheinnahme. Diese ist – nicht nur nach Gandinus und Bartolus, sondern auch in der frühneuzeitlichen Lehre – das spezifische Beweismittel des corpus delicti455. Schließlich erklärt Tengler ausdrücklich die „wahre Tat“ zur Anklägerin im Inquisitionsverfahren: (...) alleyn die warlich missethat thut in verklagen (...)456. Er misst ihr damit die Funktion bei, die im kanonischen Inquisitionsprozess der fama zukam. Wie Durantis ersetzt er die fama (praecedens) durch das sicher geschehene Verbrechen. Dabei mag die „wahre Tat“ eine Nachbildung des bei Gandinus für das corpus delicti gefundenen Begriffs der veritas criminis457 sein.

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Laienspiegel, fol. CXVIr. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIv. Laienspiegel, fol. CXIIIv, Von inquirieren und erfarungen, die Laienspiegelausgaben Straßburg 1536 und 1544 drucken hier fälschlicherweise C. fini. regun. l. si irruptione, in der Ausgabe von 1511 findet sich die korrekte Allegation: ff. fini. regun. l. si irruptione, fol. CCVII; Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 3: In inquisitione qualiter sit procedendum, n. 1: ff. finium regun. l. si irruptione. Hall, Corpus Delicti, S. 11; vgl. auch Gandinus, Tractatus de maleficiis, De presumptionibus et indiciis dubitatis: Unde discreti assessores, (…), faciunt per aspectum hominem videri mortuum vel vulneratum etc., n. 4. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIv. Brunnenmeister, Quellen, S. 219, und Hall, Corpus Delicti, S. 13, gehen davon aus, dass Gandinus damit bereits das constare de delicto-Erfordernis beschreibt, das Bartolus schließlich genauer definiert.

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Ausdrücklich fordert Tengler die Gewissheit über das Verbrechen schließlich als Voraussetzung der Folter. Diese will er nur dann zulassen, wenn eyn übelthat beschehen, das wissenlich is, aber man kann sonst nit gründtlich erfaren, das der gefangen die selben gethon hab458. Dazu allegiert der Laienspiegel die von der Lehre üblicherweise herangezogene Ulpianstelle D. 29.5.1.24459, außerdem Bartolus’ oben erörterten Kommentar zu dieser Digestenstelle und zu D. 48.18.22. Tengler mag hier den Tractatus de maleficiis des Angelus Aretinus als Vorlage verwendet haben, den er zu den Untersuchungen vor Ort auch allegiert. Auch Angelus Aretinus fordert die Feststellung, dass ein Verbrechen geschehen ist, erst als Voraussetzung der peinlichen Befragung460. Wie wir gesehen haben, ist diese Abweichung von Bartolus, der das corpus delicti zur Vorbedingung jeglicher Untersuchungen hinsichtlich der Täterschaft erklärt, Augustinus Bonfranciscus einen eigenen Hinweis in den zugehörigen Additionen wert461. Für den Laienspiegel indes spielt diese Abgrenzung wohl kaum eine Rolle: Die Voraussetzungen der Tortur werden offenbar ohnehin im Vorverfahren zusammengetragen. Mit der Rezeption des corpus delicti-Erfordernisses ist der Laienspiegel seiner Zeit voraus. In Deutschland fasst die Lehre vom corpus delicti erst Fuß infolge ihrer Berücksichtigung in der Carolina462; erst Gilhausen und schließlich Carpzov erklären den Beweis der Tat zum Ziel der Generalinquisition und übernehmen damit die Lehre von Gandinus und Bartolus463. In der Bambergensis findet diese dagegen noch keine Beachtung464; auch die Wormser Reformation konnte dem Laienspiegel hier nicht als Vorlage dienen. Der Klagspiegel erwähnt nur im Kapitel über die Strafen die Leichenbeschau zum Nachweis des Kausalitäts- oder Zurechnungszusammenhangs zwischen Tat und Erfolg465. Die Aufnahme des corpus delicti458 459

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Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Der Laienspiegel allegiert: l.1 § illud ff. ad sil.; damit kann nichts anderes als die Ulpianstelle Ad Senatus Consultum Silianum, also D. 29.5.1.24 gemeint sein, Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 108: (...) tu iudex sis bene cautus, ne aliquem ad torturam pro maleficio ponas priusquam constet curiae tuae, id maleficium fuisse commissum (...). Augustinus Bonfranciscus, Add. zu Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 108. Art. 6 CCC; auch hier zunächst als Voraussetzung speziell der Folter, nicht jeder täterbezogenen Ermittlung, Hall, Corpus Delicti, S. 41ff.; Koch, Denunciatio, S. 99. Hall, Corpus Delicti, S. 45f. Vgl. auch Brunnenmeister, Quellen, S. 220; Hall, Corpus Delicti, S. 42. Klagspiegel, De penis, fol. CXXXIIv.

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Erfordernisses in die Carolina stellt sich als gezielte Erweiterung der Bambergensis dar. Der Art. 6 CCC ergänzt den Art. 10 der Bambergensis um die Forderung, der Richter solle – neben der Ermittlung von Indizien gegen den Täter – sich erkundigen, und fleissig nachfragens haben ob die missethat darumb der angenommen berüchtiget unnd verdacht, auch beschehen sei oder nit (...)466. Ob die Redaktoren der Carolina hinsichtlich der corpus delictiErfordernisses möglicherweise den Laienspiegel vor Augen hatten, muss offen bleiben. (2) Die Zeugenvernehmung Für das Vorverfahren verlangt der Laienspiegel neben die Augescheinnahme vor Ort auch Zeugenvernehmungen: (...) und in beisein etlicher wolgeleumbter, unparteischer person, mit sampt eynem geschwornen schreiber, die zeugen, an den er sich erfaren soll, nöten unnd zwingen eyn warheyt zusagen467. Das Zeugenverhör im Vorverfahren konnte Tengler sowohl bei Durantis als auch bei Angelus Aretinus finden468. Bei beiden zeichnet sich – wie im Laienspiegel – diese Zeugenvernehmung im Vorverfahren durch den Verzicht auf die Anwesenheit des Inquisiten aus469; sie erfolgt in erster Linie zur Information des Richters470.

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Welche Beweismittel die Carolina für den Nachweis der Tat verlangt, bleibt offen, ebenso, wie weit der Nachweis gehen muss. Bezieht man die Verweisung in Art. 6 CCC – wie hiernach inn diser unser ordnung ferner erfunden wirdet – auf die Art. 149 und 147, so verlangt die Carolina, wie Bartolus, den Augenscheinsbeweis hinsichtlich der Wunden (Art. 149 CCC): (...) soll der Richter, sampt zweyen schöffen dem gerichtschreiber (...) den selben todten körper (...) besichtigen (...). Die Carolina fordert allerdings zusätzlich einen Sachverständigen: und eynem oder mer wundtärtzen. Darüber hinaus fordert sie den Nachweis des Kausalnexus (Art. 147 CCC). Hierfür genügen Zeugen, deren Aussagen nahe legen, dass die Verwundung ursächlich für den Tod und dieser dem Täter zurechenbar ist. Vgl. Hall, Corpus Delicti, S. 42f.; Schoetensack, Carolina, S. 99. Zur Frage der „Lethalität“ als deutscher Erweiterung des corpus delicti-Erfordernisses vgl. Hall, a. a. O., S. 43. Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CXIIIv. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 11; Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 3: In inquisitione qualiter sit procedendum, n. 3. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 6, 10ff.; Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 3: In inquisitione qualiter sit procedendum, n. 3. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 11: (...) recipiunt informationem a testibus; vgl. Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 36: ad informartionem curiae.

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(a) Das Ermittlungsziel der Zeugenverhöre Tengler lässt offen, ob er die Zeugen am Tatort oder am Wohnort des Verdächtigen zu finden gedenkt und welche Fragen Gegenstand des Verhörs sein sollen. Es kann sich also ebenso gut um Tatzeugen wie um Leumundszeugen handeln, vor allem aber um Indizien- oder Augenzeugen der Tat. Durantis dagegen stellt klar, dass die Zeugen über die fama befragt werden sollen471. Bei Angelus Aretinus geht es – wie er ausdrücklich klarstellt – entsprechend um den Beweis der Indizien, der dann Voraussetzung für die Folter ist. Der Zeugenbeweis der Indizien ist indes von jenem Zweizeugenbeweis, der den Täter zu überführen vermag, nicht zu trennen: die Aussage eines Augenzeugen der Tat genügt nicht zur Verurteilung, ist aber als Indiz zu werten. Die Zeugenvernehmung im Vorverfahren ist damit bei Angelus Aretinus inhaltlich nicht von jener im Hauptverfahren zu unterscheiden. Der Jurist erkennt das Problem und verbietet die Verwertung dieser in Abwesenheit des Inquisiten erfolgten Zeugenaussagen im Hauptverfahren472. Der Laienspiegel erwähnt für das Hauptverfahren keine Zeugenaussagen mehr; sie spielen für ihn nur im Vorverfahren eine Rolle – ebenso wie bei Angelus Aretinus wird die Zeugenvernehmung im Vorverfahren deshalb auch im Laienspiegel umfassend auf die Tataufklärung und Überführung des Täters gerichtet sein. (b) Zeugenfolter Zu diesem Zweck erlaubt der Laienspiegel dem Richter offenbar auch, die Zeugen zu foltern; er soll sie zur Aussage nöten unnd zwingen473. Die Zeugenfolter kennt sowohl das römische474 als auch das kanonische Recht475. Tengler konnte die Folter der Zeugen ausdrücklich bei Angelus Aretinus beschrieben finden, der das Problem diskutiert: Testes quando pro indiciis habendis torquendi sunt, an sit servanda forma476. Auf diese Frage geht Tengler indes nicht weiter ein.

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Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 3: In inquisitione qualiter sit procedendum, n. 11 und 12 und § 1: Impugnatur, n. 16. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 10ff. Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CXIIIv. Peters, Folter, S. 77. X 2.21; vgl. auch Nehlsen-von Stryk, Krise, S. 13, 31. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 49. Auch die Wormser Reformation kennt die Zeugenfolter vgl. VI.2.4.

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bb. Klagspiegel Wie für Durantis ist auch für den Klagspiegel die Untersuchung des Gerüchts Gegenstand der ersten Ermittlungen. Anders als das Speculum Iudiciale erwähnt der Klagspiegel für die Feststellung des Gerüchts aber keinen Ortstermin. Kommt dem Richter ein Gerücht zu Ohren, soll er zuerst den Inquisiten laden477. Diese erste Ladung garantiert die Anhörung des Beschuldigten bereits zu Beginn des Verfahrens und damit die Möglichkeit einer effektiven Verteidigung478. Zunächst kann er den Richter wegen Befangenheit ablehnen479 oder, wenn er an dessen Inquisitionsbefugnis zweifelt, sich den entsprechenden Auftrag vorlegen lassen480. Zu Beginn der Verhandlung ist ihm ein „Rescript“ auszuhändigen, das den gerüchteweise vorgebrachten Vorwurf präzisiert und gegebenenfalls die Namen der Denunzianten oder Promotoren nennt481. Die Nennung der Denunzianten oder Promotoren soll dem Inquisiten ermöglichen, Einwendungen gegen sie vorzubringen; anonyme Anzeigen werden nicht nur als moralisch verwerflich – der Klagspiegel spricht von heymlich verräterei – sondern auch als verbotten bezeichnet482. Die Formulierung des Vorwurfs dient zunächst der Information des Inquisiten (das er wiß warumb er geladen sei483), die schriftliche Fixierung484 schützt den Inquisiten vor einer unzulässigen Änderung oder Erweiterung des Verfahrensgegenstandes: Item, der also geladen, sol wissen die übelthat und malefitz, darumb dann der Richter wider in

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Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo: Item, der richter sol am ersten den verleümbten laden (...), fol. CXIIIIv. Ausdrücklich erklärt der Klagspiegel den Schutz des Inquisiten zum vorrangigen Zweck dieses frühen Termins, Iudicis officium in procedendo: (...) kompt dann der geladen, so sol er im geben abgeschrifft unnd Copei, das er wiß warumb er geladen sei, auff das, d[a]z er macht unn weil hab sich zu beschirmen (...), fol. CXIIIIv. Klagspiegel, Defensio inquisiti et appellatio, fol. CXIIIIv. Klagspiegel, Exceptiones contra inquisitionem, fol. CXIIIr. Klagspiegel, Exceptiones contra inquisitionem. Hier gibt der Klagspiegel eine Formel für das Rescript vor: es seind für uns kommen. G. und B. und haben uns vil schwärer und grosser übelthat (...) gesagt und verkündt (...); Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIv. Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv, vgl. auch Defensio inquisiti et appellatio, fol. CXVr. Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv. Wird das Inquisitionsverfahren aufgrund einer Denunziation eingeleitet oder von einem „Promotor“ betrieben, spricht der Klagspiegel wie im Akkusationsverfahren auch von libel. Leitet der Richter das Verfahren – im engeren Sinne – von Amts wegen ein, soll der Inquisit abgeschrifft der capitel von der wegen ir über mich procedieren wolt fordern, Klagspiegel, Defensio inquisiti et appellatio, fol. CXVr.

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procediert, wann würde etwas wider in bewisen, davon er nit verleümut wer, so sol er darumb nit gestrafft werden485 . Schließlich kann der Inquisit in diesem frühen Termin die Existenz des vorgetragenen Gerüchts – wohlgemerkt nicht seine Schuld – bestreiten. Leugnet er, „verleumdet“ zu sein, muss die Existenz des Gerüchts durch zwei oder drei Zeugen486 bewiesen werden – Wann durch das laucken würt die sach zwyfelhaftig487. Betreibt von Anfang an ein Promotor das Verfahren wird dieser in der Regel die Zeugen bereits zu diesem frühen Termin mitgebracht haben488. In den übrigen Fällen wird das Beweisverfahren erst in einem zweiten Termin stattgefunden haben – zumindest wird dem Inquisiten nach der Aushändigung der Schriftstücke eine Frist („Zeit und Zug“) gewährt um sich gegebenenfalls Rat zu holen und seine weitere Verteidigung vorzubereiten489. Zwar scheint bei der Zeugenvernehmung die Anwesenheit des Inquisiten nicht vorgesehen zu sein. Er soll aber ein Protokoll erhalten, das die Namen und die Aussagen der Zeugen enthält, damit er auch gegen sie Einwendungen vorbringen und ihnen widersprechen kann490. Außerdem kann er dem verhörenden Richter einen Fragenkatalog, ein sog. Interrogatorium vorgeben und damit die Befragung in seinem Interesse lenken491. Werden diese Voraussetzungen einer effektiven Verteidigung nicht gewährt, soll der Inquisit mit den Worten appellieren: (...) und habt mir solliches wider recht versagt, unnd damit die macht mich zu beschirmen, mir genommen unnd entwört, darumb so appellier ich in diser schrifft (...)492. Ist das Gerücht schließlich durch taugliche Zeugenaussagen bewiesen, bleibt dennoch eine Art Gegenbeweis möglich: Der Inquisit kann seinerseits beweisen, dass ihn ein „guter Leumund“ auszeichnet; diesem Beweis sei dann eher zu glauben493. Wie der Beweis des „guten Leumunds“ genau aussehen 485 486 487 488 489

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Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv. Klagspiegel, Exceptiones contra inquisitionem, fol. CXIIIv. Klagspiegel, Exceptiones contra inquisitionem, fol. CXIIIv. Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv. Klagspiegel, Defensio inquisiti et appellatio: (...) zug mich darüber zu beraten (...) zeit und zug das ich mich mag beschirmen, fol. CXVr. Klagspiegel, Defensio inquisiti et appellatio, fol. CXVv, ferner Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv. Klagspiegel, Defensio inquisiti et appellatio, fol. CXVv und Exceptiones contra inquisitionem, fol. CXIIIv. Klagspiegel, Defensio inquisiti et appellatio, fol. CXVr oben und ganz ähnlich noch einmal unten auf der gleichen Seite, sowie auf fol. CXVv. Klagspiegel, Defensio inquisiti et appellatio, fol. CXVv und Que ad inquisitionem requirantur, fol. CXIIIIr; vgl. auch Deutsch, Klagspiegel, S. 557.

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soll, ob die Zeugen des Inquisiten das Bestehen des Gerüchts bestreiten oder nur den allgemeinen guten Ruf des Inquisiten bestätigen müssen, bleibt offen494. Gelingt es dem Inquisiten nicht, das Gerücht zu bestreiten, ist also die mala fama bewiesen, liegt die Voraussetzung des Hauptverfahrens vor, das Vorverfahren ist damit abgeschlossen. cc. Bewertung Das Vorverfahren des Klagspiegels hat eine völlig andere Gestalt als das des Laienpiegels: Es läuft in Form eines öffentlichen Gerichtstermins ab, während der Laienspiegel mehr oder minder „heimliche“ Ermittlungen des Richters beschreibt, und beginnt mit der Anhörung des Inquisiten, der im Laienspiegel erst mit der Eröffnung des Hauptverfahrens am Prozess beteiligt wird. Schon die Form als Gerichtstermin schließt die von Tengler geforderte Untersuchung vor Ort aus. Zwar sieht auch der Klagspiegel im Vorverfahren Zeugenvernehmungen vor – jedoch mit einem klar von jenen Verhören im Hauptverfahren abgrenzbaren Gegenstand: Es geht um Leumundszeugen, die das gegen den Inquisiten kursierende Gerücht beweisen. Schließlich steht der relativen Formlosigkeit des Vorverfahrens im Laienspiegel ein dem ordo des Akkusationsverfahren stark angeglichener, strikt geregelter Ablauf der inquisitio famae im Klagspiegel gegenüber. Der Vergleich mit den gelehrten Quellen, namentlich mit Durantis zeigt aber, dass das Vorverfahren des Laienspiegels den gemeinrechtlichen Vorgaben eher entspricht als das des Klagspiegels: Der Ortstermin spielt hier eine wichtige Rolle, sei es um sich ein Bild vom Lebensumfeld der Denunzianten oder des Inquisiten zu machen, sei es um im Wege der Augenscheinnahme am Tatort das Vorliegen eines Verbrechens festzustellen. Auch die gemeinrechtliche Lehre sieht Untersuchungen vor dem ersten Gerichtstermin vor, also vor der Einbeziehung des Inquisiten. Diese Untersuchungen sollen – als inquisitio generalis bzw. inquisitio praeparatoria – auch nach den italienischen Juristen summarisch erfolgen495.

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Klagspiegel, Defensio inquisiti et appellatio, fol. CXVv. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione, § 3: In inquisitione qualiter sit procedendum, n. 4 und 5, ebenso auch § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, n. 14; Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 36. Noch im 18. Jahrhundert spricht der Geheime Rat Ludwig Christoph Vischer hinsichtlich der Vorverfahrens von einem processus informativus, zit. nach Schnabel-Schüle, Überwachen und Strafen, S. 120.

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c. Das Hauptverfahren aa. Laienspiegel Den Ablauf des Hauptverfahrens skizziert der Laienspiegel denkbar kurz: Und so die übelthat wider yemands also erfunden würd, so mag er den, oder die selben, gefängklich annemen, mit peinlicher frag beurgichten, auff eynen anklager, oder freiheyten, umb die straff, rechtvertigen (...)496. Liegt also nach dem Vorverfahren ein Tatverdacht vor, soll der Inquisit damit konfrontiert und sogleich in Haft genommen werden497. Sicherlich wird er in einer ersten gütlichen Vernehmung angehört, zumindest ist im Kapitel Von gestrengem fragen die Folter ausdrücklich an ein vorheriges Bestreiten gekoppelt: Wo yemands umb übelthat gefangen, unn würde der selben (als vorstehet) laugnen (...)498; den Fall, dass der Inquisit freiwillig gesteht, erwähnt der Laienspiegel allerdings nicht499. Ebenso wenig spricht Tengler die Möglichkeit des Inquisiten an, sich durch das Vorbringen von entlastenden Beweisen zu verteidigen. Den Reinigungseid verweist er ausdrücklich in eine subsidiäre Rolle: Er kommt erst in Betracht, wenn das zur Verurteilung erforderliche Geständnis nicht erreicht werden konnte500. Auch die Voraussetzungen einer Verteidigung finden im Laienspiegel keine Berücksichtigung: Tengler erwähnt kein Recht des Inquisiten auf Information über die Tat, die ihm vorgeworfen wird, geschweige denn einen Fürsprecher. Im Wesentlichen besteht das Hauptverfahren damit im peinlichen Verhör des Inquisiten. Der Laienspiegel beschreibt keine Zeugenvernehmung zur Überführung des Inquisiten; das Geständnis ist indes zwingende Voraussetzung für die Verurteilung. Es ist das einzige Ziel des Hauptverfahrens.

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Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CXIIIv. Die sofortige Gefangennahme fordert auch Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 4 und 7. Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CVIIIv. Der Fall klingt nur an im Kapitel Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen: Hier verlangt der Laienspiegel die Unterrichtung der Obrigkeit ob die thäter der selben bekentlich, genugsam indicia und anzeigen, darumb vorhanden seind, oder nit (...) als Grundlage für deren Entscheidung über das weitere Vorgehen, insbesondere die Anwendung der Folter, Laienspiegel, fol. CXVIv. S. dazu unten Kap. B.VI.: Der Reinigungseid als hilfsweiser Verfahrensabschluss, S. 284ff.

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bb. Klagspiegel Im Klagspiegel ist Ziel des Hauptverfahrens dagegen zunächst die Überführung des Inquisiten mit dem Zeugenbeweis; wesentlicher Bestandteil des Hauptverfahrens ist deshalb – anders als im Laienspiegel – die Zeugenvernehmung. Wie sieht nun dieses Zeugenverhör aus? Mangels eigener Regelungen für das Hauptverfahren müssen hier teilweise die gleichen Regeln gelten und insbesondere die gleichen Rechte des Inquisiten bestehen wie beim Zeugenverhör im Vorverfahren501. Hat der Inquisit hier schon die Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Zeugenvernehmung, namentlich durch das sog. Interrogatorium, muss ihm dieses Recht im Hauptverfahren erst recht zustehen. Inwiefern darüber hinaus die Regeln für den Zeugenbeweis im Akkusationsverfahren – diese finden sich im Klagspiegel im Kapitel Quomodo in accusatione procedatur502 beschrieben – zu beachten sind503, muss offen bleiben. Da die Zeugen im Hauptverfahren allerdings nicht mehr über den Leumund, sondern über die Tat befragt werden, liegt es nahe, dass hier andere Anforderungen an die Qualität der Zeugen gestellt werden. Der Klagspiegel äußert nicht ausdrücklich, ob als Tatzeugen nur Augenzeugen in Betracht kommen. Dafür spricht aber, dass die Zeugen im Hauptverfahren gefragt werden sollen, ob sie dabei gewesen seind, und ob sie es gesehen haben504. Besonders wichtig ist dem Klagspiegel die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen sicherzustellen: er verlangt, die Zeugen einzeln nach den genauen Umständen der Tat zu fragen, um ihre Aussage dann miteinander zu vergleichen505. Auch wenn der Zeugenbeweis erbracht ist, soll dem Inquisiten noch die Möglichkeit gegeben werden, sich gegen deren Aussagen zu verteidigen506. Im Übrigen kann aber auf den Zeugenbeweis hin der Inquisit gestraft werden: Item, ist das also die sünd wider in bewisen ist, so sol er gestrafft werden (...)507. An keiner Stelle verlangt der Klagspiegel das Geständnis des Inquisiten; in den Kapiteln, die den Ablauf des Inquisitionsverfahrens beschreiben, findet die peinliche Befragung des Beschuldigten keine Erwähnung. Dass der Klagspiegel die Folter als prozessuales Mittel gegen den Inquisiten vorsieht, kann 501 502 503 504 505 506

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S. oben unter B I.4.b.bb Der Ablauf des Vorverfahrens im Klagspiegel, S. 140ff. Klagspiegel, fol. CVIIr. Vgl. dazu Deutsch, Klagspiegel, S. 561ff. Klagspiegel, Exceptiones contra inquisitionem, fol. CXIIIv. Klagspiegel, Exceptiones contra inquisitionem, fol. CXIIIv. Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo: (…) man sol im auch geben zeit und ziel sich zu beschirmen, fol. CXIIIIv. Vorgesehen sind Einwendungen sowohl gegen die Person des Zeugen als auch wider ir sagen, a. a. O. und Exceptiones contra inquisitionem, fol. CXIIIv. Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv.

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allenfalls aus dem später folgenden Kapitel De questionibus geschlossen werden508. An welcher Stelle aber die Folter im Inquisitionsverfahren zur Anwendung kommen soll, wird dadurch besonders rätselhaft, dass der Klagspiegel nach dem misslungenen Zeugenbeweis dem Inquisiten den Reinigungseid eröffnet509. Die Formulierungen im genannten Kapitel De questionibus legen aber nahe, dass der Klagspiegelverfasser sich Fälle vorstellen kann, in denen der Täter zwar nicht überführt werden kann (wo die warheyt anders nit erfarn mag werden), das Leugnen der Tat und der Freispruch nach erfolgreichem Reinigungseid aber nicht hingenommen werden dürfen, weil man sich der Schuld des Täters gewiss ist; in diesen Fällen soll dann das Geständnis erfoltert werden: Darumb das offt der übelthäter laugknet, er hab das malefitz nit gethon, so ist notdurfft, das er gepeiniget werd (...)510. Der Verteidigung des Inquisiten räumt der Klagspiegel einen erheblich höheren Stellenwert ein als der Laienspiegel. Das zeigt sich schon im Aufbau seiner Darstellung: Die Kapitel Exceptiones contra inquisitionem und Defensio inquisiti et appellatio machen einen großen Teil seiner Ausführungen aus511. Das Recht, sich vor Gericht zu verteidigen, begegnet uns im Klagspiegel als wichtige Verfahrensgarantie512; es steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Appellationsrecht513. Wohl in Anlehnung an Clem. 2.11.2 versteht der Klagspiegelverfasser das Recht auf Verteidigung als ein Naturrecht (Wann das wören im rechten kompt von natürlichen rechten), er erklärt: Wann käme der Teüffel in gericht, man soll im günnen das er sich wöre514. Diese Metapher verwenden später auch Carpzov und der Kameralist Andreas Gaill515. Im Wesentlichen konkretisiert sich das Recht, sich vor Gericht zu verteidigen, für den Klagspiegelverfasser in drei Forderungen: einem ausreichenden und – durch schriftliche Fixierung – präzisierten und auf Dauer verfügbaren 508 509

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Klagspiegel, fol. CXXVIIIv. Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo: Item, würt er aber nit mit den gezeügen überwunden (...) so sol der richter den geladen sich heyssen mit seim eydt entschuldigen (...), fol. CXIIIIv. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXVIIIv. Der Darstellung des Inquisitionsverfahren widmet der Klagspiegel insgesamt sieben Seiten, davon 3,5 Seiten den Kapiteln Exceptiones contra inquisitionem (fol. CXIIIr/v) und Defensio inquisiti et appellatio (fol. CXIIIIv-CXVv). Vgl. auch die Bewertung von Deutsch, Klagspiegel, S. 529f. Vgl. schon die Wahl des Titels Defensio inquisiti et appellatio, fol. CXIIIIv. Klagspiegel, Ad legem corneliam de siccariis, fol. CXXIIIIr. Carpzov, Practica nova, Pars 3, q. 115, n. 1: (...) certius est, defensionem esse juris naturalis, adeo ut ne bestiis quidem, nedum homini, imo nec Diabolo auferri debeat; vgl. Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 117; zu Andreas Gaill vgl. Nehlsen-von Stryk, Andreas Gaill und die „Friedlosigkeit“, S. 147.

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Wissen, ausreichender Zeit und rechtlichem Gehör516; von der Hilfe eines professionellen Verteidigers ist indes auch im Klagspiegel an keiner Stelle die Rede. Das Verteidigungsrecht ist vom Beginn bis zum Ende des Verfahrens zu beachten, es konkretisiert sich in den verschiedenen Phasen des Verfahrens in unterschiedlichen prozessualen Möglichkeiten. Im Gegensatz zum Laienspiegel tritt der Inquisit im Klagspiegel insofern als echte Verfahrenspartei auf. cc. Bewertung Wie das Vorverfahren weicht auch das Hauptverfahren des Laienspiegels von dem des Klagspiegels grundlegend ab. Während es für Tengler im Wesentlichen um das Geständnis des Inquisiten geht, ist im Klagspiegel die Zeugenvernehmung das zentrale Element des Hauptverfahrens. Ist im Laienspiegel der Inquisit das „Erkenntnismittel“ des Hauptverfahrens und damit mehr Objekt als Subjekt des Verfahrens517, verlangt der Klagspiegel ein ordentliches Beweisverfahren, das mit der Überführung des Inquisiten enden kann, aber auch die Möglichkeit offen lässt, dass der Inquisit mittels Einreden und Gegenbeweisen seine Überführung verhindert und dann das im Vorverfahren festgestellte Gerücht durch einen Reinigungseid beseitigt.

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Zum „Grundsatz des rechtlichen Gehörs“ im Klagspiegel vgl. auch Deutsch, Klagspiegel, S. 528f. Zur Gefährdung des „Subjektstatus des Beschuldigten“ und des nemo-teneturGrundsatzes durch das Streben nach einem Geständnis und der Funktion des Angeklagten als „Ausforschungsobjekt“ im modernen Strafprozess, Jerouschek, Das Geständnis im Strafrecht, S. 795ff.

II. Die Folter im Laienspiegel

Das Kapitel Von gestrengem fragen1 findet sich im Laienspiegel nicht im Abschnitt über das Inquisitionsverfahren, sondern in jenem zum Akkusationsverfahren. Die Folter wird also – zumindest formal oder theoretisch – keineswegs als spezifisches Merkmal des Verfahrens von Amts wegen angesehen. Diese Einordnung der Folter in das Anklageverfahren entspricht dem römischen Recht2, das, wie wir sehen werden, den gesamten Ausführungen des Laienspiegels zur Ordnung der peinlichen Befragung zugrunde liegt. Die Wiederbelebung3 der Tortur als eines geregelten prozessualen Instruments steht dennoch in engem Zusammenhang mit dem Inquisitionsprozess4. Es waren die besonderen Bedürfnisse der Ketzerverfolgung, die im Jahre 1252 die Kirche zur Anerkennung der Folter in der Bulle Ad Exstirpanda veranlassten5 und damit dem Eindringen der peinlichen Befragung auch in den weltlichen Strafprozess den Weg bereiteten6. Ohne Zweifel wurde die

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Laienspiegel, fol. CVIIIv. Für die Folter im Verfahren von Amts wegen verlangt Paulus sogar einen besonders starken Anfangsverdacht, D. 48.18.22. Wie im Mittelalter zu beobachten ist, zeichnet sich aber auch schon für das römische Recht ab, dass der Einsatz der Folter eines Freien zunächst nicht im Privatklageverfahren in Betracht kommt, sondern in engstem Zusammenhang mit dem obrigkeitlichen Strafverfolgungsinteresse steht; die Digesten lassen die Folter des Freien nur zu, wenn er eines Majestätsverbrechens verdächtig ist, Peters, Folter, S. 42ff., 47ff. Zur Geschichte der Folter grundlegend Fiorelli, La tortura giudiziaria I.; zur Frage der Kontinuität Schmoeckel, Die Tradition der Folter; dazu kritisch Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 79f.; zur Folter im Schwabenspiegel (Art. 375 III) Schünke, Folter im deutschen Strafverfahren, S. 19ff. Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 84; Sellert, Quellen I, S. 111. Rüping/Jerouschek weisen darauf hin, dass Innozenz IV. sich dabei nicht auf die Parallele zwischen der Ketzerei als crimen laesae maiestatis divinae und dem crimen laesae maiestatis stützt, sondern auf die bestehende Praxis der italienischen Städte, die die Folter im Vorgehen gegen die Räuberbanden anwenden, Grundriss, Rz. 82. Die herausragende Bedeutung dieser Papstbulle wird nicht durch die Erkenntnis geschmälert, dass Friedrich II. in seinen Konstitutionen von Melfi schon 1231 die Folter in den Inquisitionsprozess einführte, Koch, Denunciatio, S. 52ff., 54; Buschmann, Inquisition und Prozeß, S. 78; Rüping/Jerouschek weisen darauf hin, dass die frühesten Belege der Folter in Deutschland aus Bischofsstädten stammen, Grundriss, Rz. 53, 81; Schubert, Räuber, Henker, S. 160.

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Folter hier auch im Anklageverfahren angewandt7, nachweislich taucht sie im weltlichen Bereich aber zunächst im Zusammenhang mit der städtischen Strafverfolgung von Amts wegen auf: Sowohl in den oberitalienischen Städten, als auch – ab Mitte des 14. Jahrhunderts – in den deutschen etabliert sich die Folter im Vorgehen gegen die sog. schädlichen Leute8. Die in besonderer Weise die Tortur begünstigende Konzeption des Inquisitionsprozesses ist kaum zu übersehen: hier obliegt es dem Richter, die materielle Wahrheit herauszufinden und jeden Verbrecher seiner gerechten Strafe zuzuführen9; das Geständnis erhält hier eine überragende Bedeutung10. Es ist daher das Inquisitionsverfahren, in dem die Folter eine zentrale Stellung einnimmt11. Auch der Laienspiegel liefert dafür Anhaltspunkte: Entgegen seiner formalen Einordnung scheint er die Folter in erster Linie als Element des Inquisitionsprozesses zu beschreiben; nur in den Ausführungen zum Inquisitionsverfahren erhält die Folter einen festen Platz. Diejenigen Regeln des römischen Rechts, die an die Situation im Akkusationsverfahren anknüpfen, lässt er unberücksichtigt12. Das Ziel der im Laienspiegel beschriebenen Folter ist das Geständnis des Beschuldigten; ein entsprechender Hinweis leitet das Kapitel Von gestrengem fragen ein: Wo yemands umb übelthat gefangen, unn würde der selben (...) laugnen, d[er]weil dann in peinlichen sachen, die beweisung klar unn lauterer, weder die mittägig Sonn scheint13, unnd nun die bekantnüs im rechten nit für die minsten beweisung zuachten 7 8

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Nehlsen-von Stryk, Reinigungseid, S. 639; Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 53. Lieberwirth, Rolf, Art. Folter, HRG I 22008, Sp. 1610-1614, 1611; Nehlsen-von Stryk, Reinigungseid, S. 622; Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 43, 81; Fiorelli, La tortura giudiziaria I, S. 85ff. Die deutschen Städte bedurften dafür entsprechender königlicher Privilegien, Rüping/Jerouschek, a. a. O., Rz. 79, 81. Schünke sieht auch Art. 375 III des Schwabenspiegels, der die Geständniserpressung durch Schläge, Haft, Hunger und Kälte erlaubt, im Zusammenhang mit der Verfolgung der landschädlichen Leute, Folter im deutschen Strafverfahren, S. 19ff., 28. Lieberwirth, Rolf, Art. Folter, HRG I 22008, Sp. 1610-1614, 1612. Dazu eingehend unten Kap. B.V.3.: Geständnis, S. 266ff. Zum Zusammenhang zwischen der Unentbehrlichkeit des Geständnisses und der Etablierung der Folter im Strafprozess vgl. Schmoeckel, Die Tradition der Folter, S. 437; Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 207f. Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 84. So zum Beispiel die römischrechtliche Regel, das Maß der Folter solle sich nicht nach dem Begehren des Klägers richten (D. 48.18.10.3). Der Klagspiegel indes erwähnt diese Bestimmung. Die Stelle ist etwas missverständlich formuliert; auf den ersten Blick liegt eine andere als die gewählte Interpretation nahe: Der Laienspiegel könnte hier die Folter zur Erlangung eines Geständnisses für den Fall empfehlen, dass der Inquisit leugnet, obwohl seine Schuld bereits augenscheinlich ist (d[er]weil dann in peinlichen sachen, die beweisung klar unn lauterer, weder

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(…)14. Die Vorschriften, die Tengler aber im römischen Recht finden konnte, behandeln größtenteils die Zeugenfolter15. Auch insofern emanzipiert er sich von seiner Vorlage, passt seine Ausführungen den Bedürfnissen seiner Zeit und den eigenen praktischen Erfahrungen an; jene römischrechtlichen Folterregeln, die sich allein auf die Zeugenfolter beziehen, bleiben in der Darstellung des Laienspiegels außen vor16. Damit unterscheidet sich Tenglers Werk grundlegend vom Klagspiegel. Wie der Laienspiegel widmet auch der Klagspiegel der Folterlehre – außerhalb seiner Darstellung zum Inquisitionsverfahren – ein eigenes Kapitel17. Wesentlich enger als Tengler hält sich der Klagspiegelverfasser in seinen Ausführungen aber an das römische Recht. Es finden sich bei ihm Aussagen, die nur für die Anwendung der Folter im Akkusationsprozess relevant sind – so übernimmt er die römischrechtliche Regel, das Maß der Folter solle sich nicht nach dem Begehren des Klägers richten18 – und vor allem solche, die sich auf die Folter von Zeugen beziehen. Er erwähnt die Regel, der Ankläger solle als Zeugen keine Personen aus seinem Haus peinlich befragen lassen19 sowie das relative Folterverbot in Anknüpfung an ein Zeugnisverweigerungsrecht: Item, es soll keyner gepeniget werden wider eynen, wider den er über seinen willen nit zeügknüs

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die mittägig Sonn scheint). Gegen diese Interpretation spricht aber nicht zuletzt die abstrakte Formulierung "in peinlichen sachen", die die Aussage – obgleich im Indikativ stehend – als Programmsatz erscheinen lässt. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Es geht Tengler hier weniger um Besagungen, die nominatio socii, die vor allem im Hexenprozess eine entscheidende Rolle spielte, in Nürnberg dagegen auch im gewöhnlichen Inquisitionsprozess Knapp, Nürnberger Kriminalverfahren, S. 474. Die Zeugenfolter im Rahmen des Vorverfahrens erwähnt Tengler zwar, s. o. Kap. B.I.4.b.aa(2)(b), S. 131, im hier untersuchten Kapitel geht es ihm aber nur um den Inquisiten und dessen „Bekenntnis“. Zu den anderen möglichen Zwecken der Tortur vgl. Fiorelli, La tortura giudiziaria, S. 223ff. D. 48.18. In D. 48.18 wird breit erörtert, wer als Zeuge gefoltert werden darf und wer, aufgrund seines Verhältnisses zu einer Prozesspartei, davon ausgeschlossen ist. Insbesondere geht es hier um die Unzulässigkeit der Folter gegen den eigenen Herrn D. 48.18.1.3ff. Diese Frage behandelt der Laienspiegel nicht; der Klagspiegel dagegen schon. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXVIIIv. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXVIIIv: Es sollen auch die pein nit zu groß sein, unn auch nit solch pein sein, die der verklager begert, man soll mässigklich auß vernunfft peinigen. Der Klagspiegel verweist hierfür zutreffend auf D. 48.18.10.3. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXVIIIv: Item, es sollen die nit wider yemandt gepeiniget werden, die der klager auß seim hauß produciert und furbracht hat, mit Verweis auf D. 48.18.1.3

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geben muß20. Außerdem nennt er als Beispiel für verbotene Suggestivfragen, der Gefolterte solle nicht gefragt werden, ob ein bestimmter Hans oder Cuntz die Tat begangen habe21. Obgleich auch der Klagspiegelverfasser – wohl aus eigener Erfahrung – die Folter des Verdächtigen vor Augen hat und den Zweck der Folter in der Herbeiführung eines Geständnisses sieht – er überschreibt sein Kapitel Wann, und wie der übelthäter umb die warheyt zu erfaren, gepeiniget mag werden und leitet seine Ausführungen mit dem Satz ein: Darumb das offt der übelthäter laugknet, er hab das malefitz nit gethon, so ist notdurfft, das er gepeiniget wird, d[a]z heyßt in Latin Questio22 – übernimmt er offenbar unreflektiert die Aussagen des römischen Rechts zur Zeugenfolter. Nur an einer Stelle weist er auf die Kollision des römischen Rechts mit den deutschen Zuständen hin, und zwar im Zusammenhang mit der Zulässigkeit der Folter des freigeboren mensch bzw. des eygen mensch. Mit Verweis auf Dig 48.18.5 erklärt der Klagspiegel zunächst, der freigeborene wie der „eigene“ Mensch unterlägen grundsätzlich der Folter, bemerkt dann aber die fehlende Übertragbarkeit der römischrechtlichen Regeln auf die Situation in Deutschland: Er stellt fest, dass es den eygen mensch – wohl im Sinne des römischen Rechts, also den Sklaven – in Teutschen landen nicht gibt23.

1. Voraussetzungen der Folter

Zu Beginn seines Kapitels Von gestrengem fragen weist der Laienspiegel auf die hohen Beweisanforderungen im peinlichen Strafprozess hin und schließt daraus auf die Notwendigkeit des Geständnisses; leugnet der Inquisit, stellt sich deshalb die Frage nach der Zulässigkeit der Folter: Wo yemands umb übelthat gefangen, unn würde der selben (...) laugnen, d[er]weil dann in peinlichen sachen, die beweisung klar unn lauterer, weder die mittägig Sonn scheint, unnd nun die bekantnüs im rechten nit für die minsten beweisung zuachten, so ist zubedencken die gestalt und

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Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXVIIIv. Die hierzu angegebene Digestenstelle D. 48.18.1.24 ist nicht einschlägig, auf das Zeugnisverweigerungsrecht verweist vielmehr § 10. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXVIIIv. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXVIIIv. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXVIIIv.

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grösse d[er] übelthat, auch des beklagten stand, leumand, unn was die ursach des argkwons, anzeygen, oder indicia wider in, ob der selben zu peinlicher frag genug sei oder nit24.

Die Zulässigkeit der Folter hängt also einerseits von der Qualität der Tat (gestalt und grösse d[er] übelthat) und der Person des Verdächtigen (des beklagten stand, leumand) ab, andererseits von der Verdachtslage (ursach des argkwons, anzeygen, oder indicia). Die Entscheidung über die Anwendung der Folter stellt Tengler in das Ermessen des Richters25. Er gibt lediglich Kriterien vor, die der Richter in die Abwägung einbeziehen muss, absolute Ausschlussgründe bzw. zwingende Voraussetzungen für die Folter sind dagegen die Ausnahme. Allerdings soll der Richter die Entscheidung über die Anwendung der Folter nicht allein treffen, sondern sich zuvor Rat holen: Darinn sol eyn yeder Richter zuvor mit fleiß ansehen sein eygen gewissen, unn berhätenlich damit umbgehn (...)26. Ein interlokutorisches Urteil über die Anwendung der Folter sieht Tengler grundsätzlich nicht vor27. Hinter den Ausführungen des Laienspiegels, den Kautelen und Warnungen, steht nicht in jedem Fall die Absicht, den Inquisiten zu schützen; Tengler geht es, wie er ausdrücklich sagt, um die Vermeidung falscher Geständnisse (damit die wahrheyt nit betrogen)28.

a. Person des Verdächtigen Die persönlichen Eigenschaften des Verdächtigen, namentlich seinen stand und leumand, soll der Richter nach Tenglers Aussage bei seiner Entscheidung über die Anwendung der Folter berücksichtigen. Mag in der Praxis die Ver24 25

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Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Der Verweis auf das richterliche Ermessen im Rahmen der Folteranwendung findet sich schon im römischen Recht (Ulpian) D. 48.18.7, vgl. Schmoeckel, Humanität, S. 254. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Lediglich für jenen städtischen Strafprozess, in dem Ermittlung und Urteil unterschiedlichen Instanzen zugewiesen sind, verlangt Tengler vor der Anwendung der Folter eine Entscheidung der Instanz, der die Hochgerichtsbarkeit zusteht, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIv. Zur Forderung eines solchen Urteils bei Hinkmar von Reims Schmoeckel, Die Tradition der Folter, S. 455 und in der gemeinrechtlichen Lehre, ders., Humanität, S. 259. Zum Torturinterlokut in den Halsgerichtsordnungen Maximilians I. für Tirol (1499) und Radolfzell (1506) Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 96 und dies. zum Torturinterlokut in der frühneuzeitlichen deutschen Strafrechtswissenschaft, a. a. O., Rz. 129. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv.

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schonung bestimmter Personengruppen durchaus üblich gewesen sein29, werden generelle Immunitäten im Laienspiegel nicht mehr erwähnt. Tengler stützt seine Ausführungen auf das gemeine Recht. Hier ist, im Vergleich zum klassischen römischen Recht, eine Umkehrung des Regel-AusnahmeVerhältnisses zu beobachten: Unterfiel man im antiken römischen Recht – insbesondere als freier Bürger – grundsätzlich nicht der Folter, so ist die Immunität im gemeinen Recht des Mittelalters die Ausnahme30; auf die Frage quae personae possint torqueri antwortet Angelus Aretinus: regulariter omnes31. aa. Absolute Folterverbote Absolute Folterverbote spielen für Tengler kaum eine Rolle. Soweit er im gemeinen Recht persönliche Beschränkungen der Folter findet32, gibt er sie lediglich als Ermessenskriterien für die Entscheidung über die Anwendung der Folter, teilweise auch nur für das Maß der Folter wieder. Im Klagspiegel sieht das anders aus. (1) Vorübergehende Immunität der schwangeren Frauen Nur für die schwangere Frau sieht der Laienspiegel ein absolutes Folterverbot vor: (...) so seind doch die geschwangerten weder mit schwärer gefängknüß, noch inn ander weg zu peinigen biß sie irer frucht entledigt worden seind33. Die zugehörige Allegation verweist auf Ulpian im Digestentitel De poenis (D. 48.19.334), der verlangt, dass die schwangere Frau vor der Entbindung nicht nur von der Todesstrafe, sondern auch von der peinlichen Befragung zu verschonen ist. Der Schutz der Schwangeren vor der Folter ist fester Bestandteil der gemeinrechtlichen Lehre35. Es verwundert insofern, dass der Klagspiegel diese Regel nicht erwähnt. Bei dieser persönlichen Ausnahme von der Folter handelt es sich aber keineswegs um den Ausschluss einer bestimmten Personengruppe: Der Zustand der Schwangerschaft ist seiner Natur nach ein vorübergehender; es ist 29 30 31 32 33 34

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Vgl. zu dieser Einschätzung Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 129. Fiorelli, La tortura giudiziaria I, S. 277ff. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 102. Zu diesen im Einzelnen Fiorelli, La tortura giudiziaria I, S. 284ff. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CIXr. Zwar allegiert der Laienspiegel hier l. pregnans. Es muss sich aber um einen Fehler handeln, zweifellos ist l. 3 (praegnantis) gemeint. Dieses Folterverbot der schwangeren Frau konnte der Laienspiegel auch bei Gandinus zitiert finden, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 7; ebenso bei Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 102; Fiorelli, La tortura giudiziaria I, S. 295ff.

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durchaus denkbar, dass das Verfahren mit der Folter nach der Entbindung fortgesetzt wird. (2) Die Frage der Immunität angesehener Personen36 Ein weiteres Folterverbot des römischen Rechts nimmt der Laienspiegel nur mittelbar auf, d. h. in Form eines Verweises auf den zugehörigen Kommentar von Baldus. In C. 9.41.16 werden die decuriones, also die Mitglieder der curia, die Ratsherren37, von der Folter freigestellt. Baldus erklärt darüber hinaus diejenigen von der Folter ausgeschlossen, die zu den Priores einer Stadt gehören, solange sie ihr Amt innehaben38. Eine Ausnahme gilt nach Baldus für den Fall des Majestätsverbrechens; bei einem entsprechenden Verdacht werden auch diese Personen der Folter ausgesetzt. Tengler scheint diesem absoluten Folterverbot zugunsten bestimmter hochgestellter Personen keine große Bedeutung mehr beizumessen, außer dem Hinweis auf Baldus am Rande, erwähnt er den Status oder das Ansehen (stand, leumand) des Verdächtigen nur als Ermessenskriterium39 bzw. unter Umständen als Indiz40. Dagegen widmet sich der Klagspiegel ausführlich dem Folterverbot zugunsten besonders angesehener Personen. Mit dem Hinweis auf die römischrechtlichen Ausnahmen zugunsten der Decurionen, der Soldaten und der höchsten Beamten41 und offenbar in Anlehnung an Gandinus42 verbietet der Klagspiegel, Decuriones unn milites, Hofleüt und Ritter (...) und auch die richter der Hofleüt43 peinlich zu befragen, es sei denn die Soldaten sind schändlich aus dem Heer entlassen worden oder die Personen haben sich bereits etwas zu schulden kommen lassen (es were dann, das der eyner vorhin mit

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Zur Immunität von Adel, Militär, Politikern, Klerikern und Gelehrten im Einzelnen Fiorelli, La tortura giudiziaria I, S. 299ff. Heumann/Seckel, Handlexikon, „decurio“. Baldus, Commentaria, C. 9.41.16 (De quaestionibus, Decuriones): (…) durante officio (...); vgl. weiterhin Baldus’ Kommentar zu C. 9.41.17, C. 9.41.11, C. 10.32.33 und D. 22.3.7. Angelus Aretinus begründet den Schutz der Priores und Anciani mit dem Verbot zugunsten der decuriones: (...) qui sunt de loco decurionum, Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 102. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. C. 9.41.8.11 und 16. Das Gesetz spricht von Perfectissimi und Eminentissimi. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 9; vgl. Deutsch, Klagspiegel, S. 456f. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXVIIIv. Bei dem Wort "richter" mag es sich um einen Druckfehler handeln, richtig wäre wohl „töchter", Deutsch, Klagspiegel, S. 560.

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eyner boßheyt gemerckt were). Im Gegensatz zu Gandinus44 beschäftigt sich der Klagspiegelverfasser nicht mit der Frage, welche Ämter zu seiner Zeit den römischen Decurionen entsprechen. Er klärt nicht, welche Bedeutung die römischrechtliche Regel für die zeitgenössische Rechtspraxis hat, insbesondere lässt er offen, ob etwa die Mitglieder des städtischen Rates vor der Folter geschützt sein sollen. Für die Entscheidung des Laienspiegels, auf ein Folterverbot zugunsten besonders angesehener Personen zu verzichten, mögen kriminalpolitische Erwägungen und die Erfahrung mit der städtischen Rechtspraxis eine Rolle gespielt haben. Eben solche Gründe haben schon die italienischen Gelehrten zu Einschränkungen der Immunitätsregeln des römischen Rechts veranlasst45. Im antiken römischen Recht waren die Bürger von hohem Stand grundsätzlich nicht der Folter unterworfen46. War die Tortur zunächst ohnehin nur gegen Sklaven gebräuchlich, gegen Freie indes allenfalls beim Verdacht eines Majestätsverbrechens47, so erstreckte man die Folter zunächst auf die Personen niederen Standes48. Die im 4. Jahrhundert zunehmende Anzahl von kaiserlichen Erlassen, zum Schutze bestimmter hochgestellter Personen49 spiegelt schließlich die wachsende Bedrohung auch der Nobilität durch die Folter wider50. Es geht dabei nicht nur um die Verschonung der Personen in ihrer Funktion als Amtsträger und wegen ihrer Bedeutung für die Regierung der Stadt51, sondern zugleich um eine Privilegierung aufgrund des Standes oder Ansehens; so werden durch C. 9.41.17 auch die ehemaligen Dekurionen und

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Gandinus erwägt, ob das römischrechtliche Folterverbot zugunsten der decuriones die consiliarii der italienischen Städte schütze: Numquid consiliarii civitatum nostri temporis possint torqueri queritur. Dic de iure, quod non, quia cuiusque civitatis consiliarii decuriones sunt (...), Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 35. Vgl. Auch Angelus Aretinus, der in seiner Zeit die Priores und Anciani entsprechend der decuriones schützten will: (...) qui sunt de loco decurionum, Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 102. Fiorelli, La tortura giudiziaria I, S. 312. Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 407 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 405ff.; Schmoeckel, Humanität, S. 256; Schünke stellt fest, dass die Folter, als Verfahrensmittel oder Strafe, auch bei den germanischen Stämmen nur gegen Unfreie gebräuchlich war, Folter im deutschen Strafverfahren, S. 12; vgl. auch Rolf Lieberwirth zur Folter als „Knechtsordal“, Art. Folter, HRG I 22008, Sp. 1610-1614, Sp. 1611. Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 406. Außer den Decurionen werden auch die milites (C. 9.1.8) und die geistlichen Priester (C. 1.3.8, vgl. dazu Langbein, Torture, S. 58) ausdrücklich von der Folter ausgenommen. Peters, Folter, S. 59f. Fiorelli, La tortura giudiziaria I, S. 311ff.

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durch C. 9.41.11 auch die Kinder von Dekurionen von der Folter ausgeschlossen. Für die gelehrten Juristen des Mittelalters gewinnt das Geständnis und im Zuge dessen die Folter mit den beweisrechtlichen Neuerungen des 12. und 13. Jahrhunderts, die den Überführungsbeweis erschweren, und den Unruhen in den oberitalienischen Städte derart an Bedeutung52, dass diese Ausnahmen in Frage gestellt werden53. Intensiv setzen sich die italienischen Juristen nun mit den statusbedingten Einschränkungen der Folter auseinander54. Dabei schwanken sie zwischen den praktischen Bedürfnissen der städtischen Rechtspflege55 und dem Schutz der angesehenen Bürger, der nicht zuletzt ihnen selbst zugute kam56. Baldus droht dem Potestà, der einen der Priores foltert, die Todesstrafe an57 und Angelus Aretinus erweitert den Schutz vor der Folter auf alle hoch angesehenen Mitglieder der Gesellschaft (magistratus, doctor & similes)58. Dagegen überlegt Gandinus, ob das römischrechtliche Folterverbot zugunsten der decuriones die consiliarii der italienischen Städte schütze: Numquid consiliarii civitatum nostri temporis possint torqueri queritur. Dic de iure, quod non, quia cuiusque civitatis consiliarii decuriones sunt (...). Er lehnt die Verschonung der consi-

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Vgl. Peters, Folter, S. 68ff.; Fiorelli, La tortura giudiziaria I, S. 312. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der dogmatischen Begründung der Verschonung. Auch mit dieser Frage beschäftigen sich die gemeinrechtlichen Quellen des Laienspiegels. Bartolus erwähnt mit Verweis auf C. 22.5 die fehlende Glaubwürdigkeit von Unfreien als Grund für deren Folter. Die Folter soll die Wahrhaftigkeit der Aussage garantieren; sie muss deshalb bei denen entfallen, die kraft ihres Standes für glaubwürdig zu erachten sind, Bartolus, Commentaria, D. 48.18.15. (De quaestionibus, Ex libero); bei Baldus findet sich indes die Überlegung, die Folter sei gegen angesehene Personen deshalb ausgeschlossen, weil deren respektabler Lebenswandel alle Indizien entkräfte und damit die Voraussetzungen der Folter regelmäßig fehlten, Baldus, Commentaria, C. 4.19.15 (De probationibus, Sciant cuncti) n. 16; vgl. auch die entsprechenden Stellen im römischen Recht: C. 22.5.21.2, ferner D. 48.18.15pr.: Widerspricht sich der Freie oder schwankt in seiner Aussage, ist also nicht glaubwürdig, soll und darf auch er gefoltert werden. Vgl. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 7; zu dieser Diskussion der mittelalterlichen Gelehrten vgl. Fiorelli, La tortura giudiziaria I, S. 314. Van Caenegem, Legal history, S. 103f. Langbein, Torture, S. 13. Gandinus erweitert ausgehend von C. 2.7.14 und in Anlehnung an die Verschonung der milites nach C. 9.41.8 den Schutz vor der Folter auf die Advokaten, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 34, Angelus Aretinus auf die doctores, Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 102. Baldus, Commentaria, C. 9.41.16 (De quaestionibus, decuriones). Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 102.

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liarii aber letztlich mit dem Hinweis auf das Gewohnheitsrecht Bolognas ab59. Gandinus stellt damit die Lehre in den Dienst der städtischen Praxis. Schließlich liefern die italienischen Juristen auch die dogmatische Legitimation für die weitgehende Missachtung des römischrechtlichen Folterverbots zugunsten der angesehenen Bürger: Sie entwickeln zwei Ausnahmefälle, die letztlich zur Aufweichung des standesbedingten Folterverbots geführt haben werden: Gefoltert werden darf – schon nach römischem Recht – jedermann im Falle des crimen laesae maiestatis60, außerdem darf auch der Hochgestellte der peinlichen Frage unterzogen werden, wenn er „infam“ ist61. Die Ausweitung des Tatbestandes des Majestätsverbrechens auf die Kategorie der crimina excepta einerseits und die Vermischung der römischrechtlichen Infamie mit der kanonistischen infamia, die als Prozessvoraussetzung jedes Inquisitionsverfahren einleitete, bilden – zumindest für den Inquisitionsprozess – den dogmatischen Hintergrund für die Ausweitung der Folter auf angesehene Bürger62. In den deutschen Städten vollzieht sich eine ganz ähnliche Entwicklung: Die Folter richtet sich zunächst nicht, dann aber immer mehr auch gegen den angesehenen Bürger. Der Laienspiegel steht am Ende dieser Entwicklung63. Im weltlichen Strafverfahren taucht die Folter, wie bereits erwähnt, zunächst im Zusammenhang mit dem Vorgehen gegen landschädliche Leute auf. In Privilegien wird den Städten gestattet, gegen schädliche oder „verleumdete“ Leute mittels der Folter ein Geständnis zu erzwingen64. Die Abkehr von den Gottesurteilen hinterließ eine Lücke im prozessualen Instrumentarium – gerade im Prozess gegen Personen von niederem Stand65: Dem unbescholtenen Bürger verblieb zunächst, wenn Zeugen fehlten, noch die Möglichkeit des Reinigungseides, der den bescholtenen Personen aber verwehrt war66. Sie musste man daher zum Geständnis bewegen. Mit dem zunehmenden Misstrauen gegenüber dem Reinigungseid und der verstärkten Ausrichtung des Verfahrens auf die „Wahrheitsermittlung“ wird ab dem 14. 59 60 61 62 63 64

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Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 35. Baldus, Commentaria, C. 9.41.16 (De quaestionibus, Decuriones). Baldus, Commentaria, C. 9.41.11 (De quaestionibus, divo) und C. 9.41.8 (De quaestionibus, milites). Peters, Folter, S. 94. Brunnenmeister, Quellen, S. 28f. Jerouschek, Überlegungen zur Folter, S. 368ff.; Schünke, Folter im deutschen Strafverfahren, S, 21f., 36f. u. ö.; s. auch oben Einleitung zu Kap. B.II. Die Folter im Laienspiegel, S. 139ff. Langbein, Torture, S. 77, 93. Vgl. Beispiele aus der Rechtspraxis bei Nehlsen-von Stryk, Krise, S. 21; dies., Reinigungseid, S. 637; Jerouschek, Überlegungen zur Folter, S. 372f.

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Jahrhundert das Vorgehen mit Folter und Geständnis vermehrt auch auf die gewöhnlichen Bürger angewendet67. Während der Klagspiegel und die Wormser Reformation noch am römischrechtlichen Folterverbot zugunsten besonders ehrenwerter Personen festhalten68, ordnen die Bambergensis wie der Laienspiegel das fehlende Ansehen und den schlechten Ruf allenfalls noch als ein Indiz ein, das zusammen mit anderen Verdachtsmomenten die Folter legitimeren kann69. Der Verzicht Tenglers auf ein generelles Folterverbot zugunsten der hochgestellten Personen ist insofern zeitgemäß; er entspricht wenngleich nicht dem römischen Recht, so doch einer Tendenz in der italienischen Rechtslehre und vor allem den Bedürfnissen der städtischen Rechtspraxis. bb. Relative Folterverbote und Beschränkung auf leichtere Folter Ausführlich nimmt der Laienspiegel zu der Frage Stellung, welche Person unter mehreren Verdächtigen zuerst gefoltert werden soll. Damit äußert er sich zugleich zu den Kriterien, nach denen die Tortur als mehr oder weniger erfolgversprechend zu bewerten ist. Für das Maß der Folter sollen nach Tengler das Alter und die körperliche Verfassung des Inquisiten berücksichtigt werden. Seine gelehrten Vorlagen indes ordnen diese Merkmale als Kriterien ein, die die Folter gegebenfalls ausschließen. Der Klagspiegel übernimmt – mit Verweis auf die Digestenstellen D. 48.18.10.1 und D. 48.10.15.1 – zumindest die römischrechtliche Regel, dass Minderjährige unter vierzehn Jahren grundsätzlich von der Folter verschont bleiben sollen70. (1) Das Kriterium der Erfolgsaussichten der Folter Der Laienspiegel äußert sich zu der Konstellation, dass mehrere Personen derselben Tat verdächtig sind71. Er nennt Kriterien für die Entscheidung, welche Person zuerst der Folter unterzogen werden soll. Dies sind zum einen die Stärke des Tatverdachts, zum anderen aber auch die Furchtsamkeit und 67 68

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Eb. Schmidt, Inquisition und Rezeption, S. 15ff.; Nehlsen-von Stryk, Krise, S. 23. Zum Klagspiegel s. o. Kap. B.II.1.a.aa(2), S. 145ff. Nach der Wormser Reformation werden aufgrund ihres Standes und Ansehens die "erlauchten Personen" privilegiert. Daneben sollen auch Doktoren des Rechts und der Medizin sowie deren Ehefrauen verschont bleiben – vorausgesetzt die Herren üben ihr Amt öffentlich aus oder lehren an Schulen. Auch Ritter werden privilegiert, soweit sie in einem Amt der Gesellschaft dienen, VI.2.5 Wormser Reformation. Art. 32 CCB; entsprechend zur CCC Langbein, Torture, S. 13. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXVIIIv. Hierüber schweigt indes der Klagspiegel.

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Weichmütigkeit einer Person; letztlich soll aber offenbar derjenige zuerst gefoltert werden, bei dem die Folter am erfolgversprechendsten erscheint: Item wenn man umb eyn beschehen übelthat meer dann eyn person peinlich fragen, so soll man acht haben, welche am meysten argkwönig, forchtsam, weychmütig oder zuversichtlich sei die warheyt gründtlich zu erlernen und erfinden, die sol man des ersten fragen72. Diese mehrdeutige Äußerung Tenglers ist auf eine ebenso unklare Aussage seiner Vorlage zurückzuführen. Der Laienspiegel verweist hier auf Bartolus’ Kommentar zu D. 48.18.173. Der Jurist setzt sich mit dem Problem auseinander, in welchem Verhältnis die verschiedenen Kriterien stehen, die das römische Recht für die Reihenfolge der Folter vorgibt; das römische Recht erscheint hier widersprüchlich. In D. 48.18.1.2 legt Ulpian fest, es solle mit dem Verdächtigsten begonnen werden bzw. mit demjenigen, von dem die Wahrheit am leichtesten zu erfahren ist. Paulus, den Bartolus vergleichend heranzieht, will mit dem Furchtsamsten oder dem Jüngsten beginnen (D. 48.18.18pr.). Bartolus bemüht sich um eine Harmonisierung dieser Aussagen: Es solle mit demjenigen begonnen werden, auf dem der stärkste Verdacht liegt (incipere a suspectissimo), sind alle gleichermaßen verdächtig, mit dem Schwächeren (incipere a debiliori). Alternativ bietet er folgende Lösung an: Zunächst soll der gefoltert werden, der wahrscheinlich die bessere Aussage liefert (verisimiliter melius dicit veritatem)74; ist dies bei allen gleich wahrscheinlich, beginnt man mit dem Verdächtigeren. Bartolus liefert also zwei alternative Lösungen und spiegelt damit die Uneinigkeit wider, die bei den italienischen Juristen hinsichtlich dieser Frage herrscht. Gandinus verzichtet auf eine Gewichtung der Kriterien; er zählt sie nur auf75. Angelus Aretinus liest aus Bartolus einen dreistufigen Aufbau, beginnend mit demjenigen, dessen Befragung besser, vor allem aber schneller (citius) zum Erfolg führt, hilfsweise mit dem Verdächtigsten und, taugt auch dies nicht als Unterscheidungskriterium, mit dem Schwächsten76. Ganz offensichtlich ist Tengler hier bei Bartolus auf eine theoretische Diskussion gestoßen, anhand derer der Jurist die scholastische Methode geradezu beispielhaft exerziert. Es entspricht Tenglers Intention, ein Praxishandbuch zu schaffen, wenn er diese Diskussion nicht als solche übernimmt und auf eine generelle Bewertung der verschiedenen Kriterien verzichtet.

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Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CIXr. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.1pr.(De quaestionibus,Iin criminibus), n. 2. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.1pr. (De quaestionibus, in criminibus), n. 2. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 11. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 93.

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Insbesondere was das Kriterium der „Schwäche“ des Inquisiten angeht, sah sich Tengler mit widersprüchlichen Aussagen des römischen Rechts und der italienischen Lehre konfrontiert. In enger Anlehnung an die Digesten stellt er zu Beginn des Kapitels Von gestrengem fragen klar: Die Schwäche einer Person spricht nicht unbedingt dafür, dass von ihr mittels der Folter auch besser die Wahrheit zu erfahren ist, vielmehr mag die fehlende Widerstandskraft zu falschen Geständnissen führen. Andererseits ist aber aus dem Abgehärteten in der Regel nichts heraus zu bekommen: Darinn sol eyn yeder Richter zuvor mit fleiß ansehen sein eygen gewissen, unn berhätenlich damit umbgehn, damit die warheyt nit betrogen, wann etlich seind solcher hertigkeyt und leidlich, das sie der peen oder marter wenig achten. So seind auch etlich an in selbs unleidlich, weych, und so zart, das sie vil ehe liegen, weder marter leiden77.

Der Laienspiegel allegiert hierzu ganz allgemein die Codex- und Digestentitel De quaestionibus (D. 48.18 und C. 9.41). In D. 48.18.1.23 findet sich Ulpians berühmte Bewertung der Tortur als res fragilis78; im Folgenden erklärt Ulpian, dass die Folter wegen der unterschiedlichen Konstitution der Menschen nicht immer als Wahrheitserforschungsmittel taugt: Nam plerique patientia sive duritia tormentorum ita tormenta contemnunt, ut exprimi eis veritas nullo modo possit: alii tanta sunt impatientia, ut quodvis mentiri quam pati tormenta velint (...). Andererseits stellt Tengler fest: Schwach und deshalb besonders geeignete Folteropfer sind vor allem die Frauen. Entsprechend leitet auch der Laienspiegel zum oben erläuterten Folterverbot zugunsten der schwangeren Frau ein: Und wiewol die weiber weychs gemüts, so seind doch die geschwangerten (...)79. Als Vorlage scheinen ihm hier weniger der zitierte Bartolus, als vielmehr Gandinus80 oder Angelus Aretinus81 gedient zu haben. Tengler übernimmt aus dem gemeinen Recht zwar die Kriterien, nach denen die Erfolgsaussichten der Folter bei einer bestimmten Person zu bewerten sind. Auf eine generelle Bewertung dieser Kriterien, die Festlegung eines Stufenverhältnisses verzichtet er indes. Dem zieht er die Ermessensentscheidung des Richters im Einzelfall vor.

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Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Fraher bezeichnet diese Bewertung als „juristic commonplace“, Conviction According to Conscience, Anm. 193. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CIXr: Und wiewol die weiber weychs gemüts, so seind doch die geschwangerten weder mit schwärer gefängknüß, noch inn ander weg zu peinigen biß sie irer frucht entledigt worden seind. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormenta, n. 11. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 93.

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(2) Alter und körperliche Verfassung Die Jugendlichkeit bzw. das hohe Alter und die körperliche Konstitution sind nach dem Laienspiegel nur für das Maß der Folter beachtlich. Eine generelle Verschonung von Alten, Kranken oder Kindern erwähnt er – obgleich er auf die entsprechenden Aussagen des römischen Rechts verweist – nicht: Wann eynem verständigen richter zymmet, das er damit gute rechtmässige bescheydenheyt halten, (...) besonder auch ansehen (...) der gefangen jugent, alter, stercke, oder blödigkeyt (...)82. Er liefert zu diesen Ausführungen ein ganzes Bündel von Allegationen. Weiterführend ist dabei insbesondere der Verweis auf Angelus Aretinus; von diesem scheint Tengler auch die Digestenstellen übernommen zu haben. Wie der Laienspiegel verweist schon Angelus Aretinus auf D. 48.18.10.3 und D. 29.5.1.32 – sie bilden die üblichen Referenzstellen, für die gängigen in der gemeinrechtlichen Lehre überwiegend anerkannten Folterverbote zugunsten der Minderjährigen und Greisen83. So erklärt auch Angelus Aretinus, dass Kinder unter vierzehn Jahren und der decrepitus von der Tortur verschont bleiben sollen84. Im Übrigen wertet er das Alter und die körperliche Verfassung als Kriterien für die Härte der Folter. Er mag dem Laienspiegel damit als direkte Vorlage gedient haben; hier konnte Tengler folgende Formulierung finden, die der seinen stark ähnelt: (...) hoc totum residet in pectore boni iudicis, qui considerabit, cuius fortitudinis (...) cuius aetatis, valetudinis (...)85. Auch hier entscheidet sich Tengler entgegen der gemeinrechtlichen Vorlagen bewusst für ein weites Ermessen des Richters und gegen starre Regeln. In Angelus Aretinus findet er eine Autorität, die Alter und körperliche Verfassung zumindest auch als Ermessenskriterien anführt.

b. Schwere der Tat Auch die Art oder Schwere des Verbrechens (gestalt und grösse d[er] übelthat) erwähnt der Laienspiegel als Kriterien, die der Richter bei der Entscheidung, ob gefoltert wird und in welchem Maße, berücksichtigen soll86. Auch Angelus 82 83 84

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Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CIXr. Fiorelli, La tortura giudiziaria I, S. 284ff., 290ff. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 102 mit Verweis auf D. 29.5.1.32 und D. 29.5.3.7; vgl. auch Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 9, der zum Schutz der Minderjährigen zusätzlich D. 48.18.10 und 15 als Belegstellen nennt. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 103. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv und CIXr. Der Klagspiegel nimmt dazu nicht Stellung.

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Aretinus, den er zum Maß der Folter umfänglich allegiert, beschreibt die qualitatem (...) delictorum als Kriterium für die Härte der Folter87. Indes findet sich im römischen Recht die Regel, dass die Folter überhaupt nur bei schweren Delikten angewendet werden dürfe; auf die entsprechende Digestenstelle (D. 48.18.8) verweist auch der Laienspiegel, allerdings in anderem Zusammenhang88. Ebenso wenig wie Angelus Aretinus will sich der Laienspiegel auf ein generelles Folterverbot bei leichteren Taten festlegen89.

c. Ultima ratio-Regel Der Laienspiegel erklärt die Folter zur ultima ratio; nur wenn die Wahrheit in anderer Weise nicht herausgefunden werden kann, kommt die peinliche Befragung in Betracht: Zum ersten, wenn eyn übelthat beschehen, das wissenlich ist, aber man kan sonst nit gründtlich erfaren, das der gefangen die selben gethon hab, so mag man d[er] warheyt zu hilff sein bekentlich urgicht, mit strenger frag, unn peinlicher marter von im erlangen (...)90. Er verweist dazu auf D. 48.18.8. Diese Stellungnahme des Paulus (non aliter explorari et investigari possunt quam per servorum quaestiones) wird auch von den italienischen Juristen regelmäßig angeführt, um zu belegen, dass der Folter umfangreiche Ermittlungen vorausgehen müssen91. Auch der Klagspiegel kennt die ultima ratio-Regel, stützt sie aber nicht auf D. 48.18.8, sondern auf die ungeeignetere Stelle D. 48.18.9pr., die genau genommen nur die Zulässigkeit der Folter in pekuniären Angelegenheiten regelt. Welche Bedeutung allerdings Tengler der gemeinrechtlichen ultima ratioRegel tatsächlich beimisst, erscheint zweifelhaft. Für die italienischen Juristen geht es um den Vorrang anderer Beweismittel, namentlich des Zweizeugenbeweises, gegenüber dem erfolterten Geständnis. Die Folter kommt erst in Betracht, wenn die anderen Beweismittel versagen. Wie wir später sehen wer87 88

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Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 103. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Die Allegation bezieht sich wohl auf die ultima ratio-Regel, dazu unten. Vgl. auch Bartolus, Commentaria, D. 48.18.8 (De quaestionibus, Edictum) und D. 48.18.9 (De quaestionibus, Statuliber), dagegen Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 2, 12. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 1; Bartolus bezeichnet die Folter als subsidiäres Wahrheitserforschungsmittel, Commentaria, D. 48.18.8 (De quaestionibus, Edictum): Tortura subsidiaria est. Angelus Aretinus stellt fest: Iudex non debet ad torturam devenire nisi in subsidium später erläutert er, was er mit der Subsidiarität meint: (...) quando verisimiliter veritas alias haberi non potest, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 94

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den, lässt Tengler aber die Erfolterung eines Geständnisses auch dann noch zu, wenn bereits höchste Gewissheit über die Schuld des Inquisiten besteht. Obgleich nach unserem Verständnis in diesen Fällen die Täterschaft durchaus gründtlich erfaren ist, bleibt für Tengler dennoch das Geständnis und mit ihm die Folter notwendig: Ohne Geständnis wird nicht verurteilt. Angesichts der Unentbehrlichkeit des Geständnisses muss Tengler die ultima ratio-Regel so verstehen, dass die Folter immer dann zur Anwendung kommen soll, wenn kein anderer Weg ersichtlich ist, den Inquisiten zum Geständnis zu bewegen.

d. Gefangennahme des Verdächtigen als formale Voraussetzung? Der Laienspiegel setzt voraus, dass es sich bei dem zu folternden Inquisiten um einen „Gefangenen“ handelt; das Kapitel Von gestrengem fragen beginnt mit dem Hinweis auf diesen Umstand: Wo yemands umb übelthat gefangen (...). Wie wir bereits gesehen haben, sieht der Laienspiegel, sofern das Vorverfahren zu einem Tatverdächtigen geführt hat, nicht – wie der Klagspiegel92 – dessen Ladung, sondern gleich seine Festsetzung vor. Im zweiten Teil des Ermittlungsverfahrens befindet sich der Inquisit also in Haft93. In seinen Ausführungen zum Gefänknüs erklärt der Laienspiegel den Zweck der Kerkerhaft. In erster Linie dient sie demnach nicht der Bestrafung, sondern der Verwahrung; vornehmlich im Sinne einer Untersuchungshaft: Item, so auch yemands umb erfarung beschehener übelthat, oder auff anzeygen ander missethäter behalten würdet94. Die Untersuchungshaft soll sicherlich verhindern, dass sich der Verdächtige dem Prozess entzieht. Angesichts der überragenden Bedeutung des Geständnisses wird aber ein anderer Aspekt die Inhaftierung des Inquisiten zwingend erforderlich gemacht haben: Im Kerker stand der Verdächtige als Beweismittel zur Verfügung. Die Haft konnte im Sinne einer Beugehaft zu einem „freiwilligen“ Geständnis führen und ermöglichte – rein tatsächlich – die Folter, um das Geständnis zu erzwingen95.

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Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv. Vgl. die entsprechende Feststellung für die Praxis der Hexenprozesse bei Oestmann, Hexenprozesse, S. 176. Laienspiegel, Von Gefängknüs, fol. CVIIIr. Diesen Zweck der Haft betont auch Hagemann hinsichtlich der städtischen Verfahrenspraxis, Basler Rechtsleben, S. 180; ferner Schwerhoff, Köln im Kreuzverhör, S. 125ff. Zu den verschiedenen Zwecken der Haft in Nürnberg Henselmeyer, Ratsherren, S. 33. Diese Vermutung äußern auch Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 180 und Eb. Schmidt, Einführung, S. 90.

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Mit Angelus Aretinus kannte der Laienspiegel einen italienischen Juristen, der die Gefangenschaft des Inquisiten ebenso selbstverständlich voraussetzt. Captura bzw. arrestatio gehen der tortura auch bei ihm offenbar zwangsläufig voraus96. Es ist aber die deutschrechtliche Tradition, die der Festnahme und dem „Gebundenen-Sein“ eine über die rein praktischen Vorteile hinausgehende Bedeutung beimisst. Der unbescholtene Bürger durfte noch im 13. und 14. Jahrhundert nur im Falle der handhaften Tat „gebunden“ werden; das „Binden“ wurde im Übrigen als Kränkung gewertet, die gebüßt werden musste97. Auch das Verhaftungsrecht der städtischen Obrigkeit, Kennzeichen der beginnenden Strafverfolgung von Amts wegen im Mittelalter, ist – außer im Falle der handhaften Tat – zunächst auf Nicht-Bürger beschränkt98, später werden auch eingesessene Bürger festgenommen und gefangen vor Gericht gebracht99. War das „Gebunden-Sein“ ursprünglich Kennzeichen des bescholtenen oder handhaften Täters, dem der Unschuldsbeweis verwehrt war und der sich in einer ausgenommen schlechten prozessualen Stellung befand, so knüpften sich eben diese prozessualen Nachteile später allein an die Tatsache des „Gebunden-Seins“100: Wer gefesselt vor Gericht gebracht wird, ist gleich einem handhaften Täter zu behandeln101. Auch die Folter mag insofern unter der formalen Voraussetzung stehen, dass es sich bei dem Inquisiten um einen Gefangenen handelt. Ob Tengler die Gefangennahme tatsächlich als eigenständige Voraussetzung für die Folter verlangt, darf dennoch bezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist, dass er hier schlicht seine Erfahrung mit der städtischen Praxis wie-

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Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 4 und 7. Schild, Wolfgang, Art. Binden, HRG I 22005, Sp. 592-594, 592f.; His, Strafrecht II, S. 140f.; vgl. Lex Salica 32; Lex Ribuaria 41,1; Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 632f. Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 179; Eb. Schmidt, Inquisition und Rezeption, S. 15, 17; Schünke, Folter im deutschen Strafverfahren, S. 21f. Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 179; Eb. Schmidt, Inquisition und Rezeption, S. 25. Zum Widerstand der Bürger gegen Verhaftungen vgl. Bendlage, Henkers Hetzbruder, S. 151ff. Vgl. auch Nehlsen-von Stryk, Reinigungseid, S. 634f.; dies., Prozessuale Verteidigung, S. 159. Von Kries, Beweis, S. 211, 232ff., 234, 235; Von Zallinger, Landschädliche Leute, S. 142, 156; ferner Hirsch, Hohe Gerichtsbarkeit, S. 107; Schröder/Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 855; Jerouschek, Herausbildung, S. 356.

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dergibt102; auch das reformierte Wormser Stadtrecht setzt die GefangenenEigenschaft des Inquisiten als selbstverständlich voraus103.

e. Verdacht aa. corpus delicti- Erfordernis Bevor er auf die Indizien eingeht, die einen ausreichenden Tatverdacht gegen den zu folternden Inquisiten liefern sollen, verlangt Tengler, dass eyn übelthat beschehen, das wissenlich ist104. Hinsichtlich der Frage, ob überhaupt ein Verbrechen geschehen ist, muss vor der Folter eines Verdächtigen, Gewissheit bestehen. Was Tengler hier erwähnt, ist das sog. corpus delicti-Erfordernis105. Wie schon die Untersuchung der Entwicklung des Vorverfahrens gezeigt hat, gewinnt dieses Erfordernis der Feststellung des Verbrechens als solchem erst bei den deutschen Strafrechtswissenschaftlern der frühen Neuzeit eine zentrale Bedeutung. Hier nimmt die Feststellung der Tat als „Generalinquisition“ die Funktion eines Vorverfahrens ein, das jeder Untersuchung hinsichtlich des Täters vorausgehen muss106. Tengler konnte diese Forderung indes bereits bei Bartolus finden. Dieser stützt das constare de maleficio auf das römische Recht (D. 29.5.1.24107 und D. 48.18.22). Der Laienspiegel verweist hier sowohl auf Bartolus als auch auf die Digestenstellen108. Mit dem corpus delicti-Erfordernis übernimmt der Laienspiegel eine wichtige Kautel, die den unschuldigen Inquisiten vor der Folter schützen konnte. Tengler konnte diesen Vorbehalt in keiner seiner deutschen Vorlagen finden. Erst die Carolina erwähnt das corpus delicti-Erfordernis, nicht dagegen die Bambergensis und der Klagspiegel. Der Laienspiegel ist also mit der Berücksichtigung dieser Lehre des Bartolus seiner Zeit voraus109. 102

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Zur Gefangennahme des Verdächtigen in der städtischen Praxis Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 180; van Dülmen, Theater des Schreckens, S. 20ff. VI.2.2 Wormser Reformation. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Vgl. zur entsprechenden gemeinrechtlichen Regel Fiorelli, La tortura giudiziaria II, S. 3ff. Vgl. dazu oben Kap. B.I.4.a.dd.: Die Entwicklung des Inquisitionsverfahrens im gemeinen Recht, S. 101ff. Der Laienspiegel allegiert: l.1 § illud ff. ad sil.; damit kann nichts anderes als die Ulpianstelle Ad Senatus Consultum Silianum, also D. 29.5.1.24 gemeint sein, Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Vgl. dazu oben Kap. B.I.4.b.aa(1): Ortstermin, S. 125ff. Vgl. dazu oben Kap. B.I.4.b.aa(1): Ortstermin, S. 125ff. In der Carolina taucht das corpus delicti-Erfordernis als Foltervoraussetzung auf. Im Laienspiegel ebenfalls, zugleich scheint

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bb. Indizienlehre Neben dem Beweis der Tat verlangt Tengler als Voraussetzung für die Folter Indizien bzw. „Vermutungen“ oder „Halbbeweisungen“, die einen Verdacht für die Täterschaft des Inquisiten begründen: Zum andern, das man umb die selben übelthat, zuvor etlich vermutungen und indicia, oder halb beweisungen, wider den gefangen empfangen hab, sonst soll man in nit martern110. Die Forderung, der Folter müssten Verdachtsmomente vorausgehen, lässt sich auf das römische Recht zurückführen111; erst die italienischen Juristen entwickeln daraus eine eigenständige Indizienlehre, die fester Bestandteil der gemeinrechtlichen Folterlehre wird112. Der Laienspiegel verweist hier auf Angelus Aretinus113 und Bartolus zu D. 48.18.22114. Ausführlich widmet sich Angelus Aretinus unter der Fragestellung Quaero, quid sit indicium115 dem Beweiswert von Indizien. Bei Bartolus konnte Tengler an der angegebenen Stelle die zentrale Regel finden, dass die Folter im Inquisitionsprozess ohne vorangehende Indizien unzulässig sei: Pone casum contra aliquem proceditur per inquisitionem, utrum possit torqueri? Respondetur, quod non, nisi precedentibus legitimis indiciis116. Was aber die einzelnen Indizien angeht, hat Tengler, wie die folgende Untersuchung zeigen wird, ganz offensichtlich die Bambergensis übernommen117. Die parallele Erwähnung von vermutungen und indicia, oder halb beweisungen wirft die Frage auf, inwiefern es sich hierbei um Synonyme handelt bzw. ob die Begriffe unterschiedliche Qualitäten von Verdachtsmomenten bezeichnen. Entsprechende lateinische Termini konnte Tengler bei Angelus Aretinus

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er aber die Feststellung der Tat, wie oben deutlich wurde, schon als Bestandteil des Vorverfahrens anzusehen. Es wurde allerdings bereits darauf hingewiesen, dass Tengler im Hauptverfahren keine weiteren Ermittlungen mehr vorsieht, so dass die Foltervoraussetzungen bereits im Vorverfahren beizubringen sind. Zum corpus delicti-Erfordernis als Gegenstand der Generalinquisition bzw. als Foltervoraussetzung vgl. auch Oestmann, Hexenprozesse, S. 173. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. D. 48.18.1.1; D. 48.18.2; C. 9.41.8.1; Fiorelli, La tortura giudiziaria II, S. 14. Fiorelli, La tortura giudiziaria II, S. 10ff. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 93, 9, 10. In D. 48.18.22 verbietet Paulus die Folter derjenigen, die ohne Ankläger gefangen genommen wurden, sofern kein dringender Verdacht vorliegt: nisi si aliquibus suspicionibus urgueantur. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 9. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 pr. (De quaestionibus, Qui sine). Art. 32 CCB.

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finden, auf den er auch verweist118. Da er dessen detaillierte Unterscheidung der Begriffe aber nicht ansatzweise übernimmt, liegt die Vermutung nahe, dass er mit Indizien, Vermutungen und Halbbeweisen schlicht jene Verdachtsmomente umschreibt, die nur einen Verdacht, aber keinen vollen Beweis erbringen und daher nicht zur Verurteilung genügen. In seinen gemeinrechtlichen Quellen und in den deutschen Rezeptionsgesetzen und dem Klagspiegel ist die Begrifflichkeit völlig uneinheitlich; auch die Beweiskraft der Verdachtsmomente wird sehr unterschiedlich bewertet – es scheint nur eine negative allgemeingültige Definition erlaubt: Die Termini können offenbar alle „Beweise“ umfassen, die nicht Geständnis oder Zweizeugenbeweis sind. (1) Begrifflichkeit Schon im römischen Recht findet sich der Begriff des indicium in der Bedeutung des Anscheinsbeweises119. Soweit aber die italienischen Juristen zu der Verdachtslage Stellung nehmen, die der Anwendung der Folter vorausgehen muss, liegt ihren Ausführungen insbesondere die entsprechende Forderung Ulpians in D. 48.18.1.1 zugrunde – hier ist nicht von indicia, sondern von argumenta die Rede120. Dennoch setzt sich in der italienischen Lehre der Begriff der indicia durch – er steht allerdings in engstem Zusammenhang mit weiteren Termini121: Der Begriff des Halbbeweises, der semiplena probatio, bezeichnet in der italienischen Lehre wie im Laienspiegel jene unter dem Vollbeweis stehende Beweislage. Durantis zählt sechs Arten von semiplenae probationes auf, darunter den Beweis durch nur einen Zeugen. Auf diesen Fall mag der Begriff des „Halb“-Beweises zurückgehen; in der Bambergensis wird überhaupt nur dieser Fall als halbe beweisung bezeichnet122. Außerdem gehören nach Durantis zur Kategorie der Halbbeweise die Flucht und die mala fama123. Beides wird in anderen Quellen als Indiz (indicium) bezeichnet124.

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Angelus Aretinus ordnet die praesumptio als indicium semiplenum ein, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 9. D. 29.7.5; C. 3.32.19; C. 5.12.15; C. 5.4.13; C.4.19.21; C. 9.8.3; C. 6.22.8. vgl. Heumann/Seckel, Handlexikon, „indicium“. Ebenso in D. 48.18.18.2; C. 9.41.8.1. Vgl. dazu Fiorelli, La tortura giudiziaria II, S. 23ff. Art. 37 CCB. Dieser Halbbeweis stellt zugleich ein Indiz dar. Durantis, Speculum Iudiciale, II, II, De probationibus, § 3: Probationum species quot sunt, n. 28. So z. B. bei Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica, n. 41 und n. 46.

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Den Indizien (indicia) und Vermutungen (praesumptiones) – die Begriffe werden teilweise synonym gebraucht125 – wird allerdings nicht allgemein der Beweiswert eines Halbbeweises zugestanden, man unterscheidet vielmehr stärkere und schwächere, unzweifelhafte und zweifelhafte Indizien bzw. Vermutungen126. Baldus und ihn zitierend Angelus Aretinus definieren das indicium dubitatum bzw. semiplenum als presumptio fortiter movens animum ad aliquid credendum und das indicium indubitatum bzw. plenum als demonstratio rei per signa sufficientia127. Gandinus lässt auf bestimmte Vermutungen und Indizien hin die Verurteilung zu; er unterscheidet die Kapitel De presumptionibus et indiciis dubitatis, quibus proceditur ad tormenta und De presumptionibus et indiciis indubitatis, ex quibus condemnatio potest sequi. Die praesumptio iuris et de iure indes kann sogar die fragliche Sache notorisch machen128. Nur teilweise unterscheiden die italienischen Juristen klar zwischen Haupt- und Hilfstatsachen129; Gandinus zählt indes zu den indicia indubitata auch das Geständnis und den Zeugenbeweis. In den deutschen Rezeptionsquellen, aus denen der Laienspiegel geschöpft haben mag, spiegelt sich diese uneinheitliche Begrifflichkeit des gelehrten Rechts wider. Der Klagspiegel behilft sich wie der Laienspiegel damit, drei verschiedene Begriffe nebeneinander zu stellen, indicia, worttzeichen und argument130. Während die etymologische Herkunft der worttzeichen nicht ersichtlich ist, entspricht der Klagspiegel mit dem argument der Begriffswahl Ulpians131. Als Indizien erwähnt er nur Hilfstatsachen132; sie können nur die Folter, niemals aber die Verurteilung legitimieren. Die Wormser Reformation verwendet ebenfalls mehrere verschiedene Begriffe ohne klare Abgrenzung, sie spricht von ursachen, vermutung und anzeig133. Bei der ursach handelt es sich offenbar um eine Anlehnung an das argumentum, die anzeig mag die deutsche Übersetzung des indicium sein: Auf die Herleitung des Terminus indicium vom Verb indicare weisen auch Gandinus und Angelus

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Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 8; Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 9. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De presumptionibus et indiciis dubitatis, n. 1. Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 8; Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 9, statt demonstratio findet sich bei Angelus Aretinus fälschlicherweise dinumeratio. Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 14. Brunnenmeister, Quellen, S. 108; Schoetensack, Carolina, S. 50. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXIXr. Ulpian, D. 48.18.1.1. Insbesondere den „Leumund“ und die Flucht, Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXIXr. VI.2.1 und VI.2.2 Wormser Reformation.

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Aretinus hin. Gandinus erklärt: dicitur indicium ab indicando134. Angelus Aretinus formuliert ähnlich: indicium dicitur ab indico indicas135. Als „unzweifelhafte Vermutungen und Anzeigen“ bezeichnet die Wormser Reformation schließlich alle Beweiskonstellationen, auf die die Verurteilung folgen darf. Dazu zählen das Geständnis und der Zeugenbeweis, ebenso wie die Ausgleichszahlung an den Geschädigten, die erfolgt um die strafrechtliche Verfolgung oder zumindest die peinliche Bestrafung zu verhindern. Das Stadtrecht übernimmt damit die Ausführungen des Gandinus zu den indicia indubitata136; ebenso wenig wie der italienische Jurist unterscheiden die Redaktoren begrifflich zwischen Haupt- und Hilfstatsachen. Freilich verlangt aber auch die Wormser Reformation als Voraussetzung der Folter nur Indizien im Sinne von Hilfstatsachen. Erst die Bambergensis widmet sich schließlich explizit der Aufgabe, begriffliche Klarheit zu schaffen. In Art. 27 gibt das Gesetz eine Legaldefinition der „anzeigung“: Item wo wir nachmals redlich anzeigung melden, da wöllen wir alwegen redliche warzeichen, argkwan und verdacht auch gemeint haben und damit übrige wörtter abschneiden137. Der Begriff der „anzeigung“ bleibt damit insofern doppeldeutig, als er sowohl das einzelne Indiz, die einzelne verdachtsbegründende Tatsache (redliche warzeichen), als auch den daraus sich ergebenden Tatverdacht (argkwan und verdacht) bezeichnet138. Klar festgelegt ist in der Bambergensis indes, in Übereinstimmung mit Angelus Aretinus, dass unter solche „Anzeigen“ nur Hilfstatsachen fallen, sowie die prozessuale Wirkung der „anzeigen“: Sie können die Tortur, nicht aber die Verurteilung legitimieren139. Die Halsgerichtsordnung hält dennoch daran fest, den Indizien einen unterschiedlich hohen Beweiswert beizumessen; sie kennt Indizien, die allein einen zur Folter genügenden Verdacht begründen und solche, die das nur kumulativ bewirken140. (2) Beispiele anstelle abstrakter Regelung Der Laienspiegel stellt fest: Aber von solchen indicia, ist mißlich gewisse regeln zusetzen, sonder eynem gerechten Richter gezimpt eygentlich zuermessen, der gefangen person, und übelthat wesentlichheyt141. Auch für diese Aussage gilt wohl die Allegation der

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Gandinus, Tractatus de maleficiis, De presumptionibus et indiciis dubitatis, n. 13. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 9. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De presumptionibus et indiciis indubitatis, n. 4, 5, 2a. Art. 27 CCB. Dieser Artikel wird später als Art. 19 in die Carolina übernommen Vgl. auch die Verwendung des Begriffs in den folgenden Artikeln. Brunnenmeister, Quellen, S. 110. Art. 32-55 CCB. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv

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besagten Stellen bei Bartolus und Angelus Aretinus142. Hier finden wir übereinstimmend die Wendung: (…) non potest dari certa doctrina143. Offen bleibt, wofür genau keine sicheren Regeln gegeben werden können. Angelus Aretinus erklärt, es sei unmöglich, eine allgemein gültige Antwort auf die Frage Quid sit indicium zu geben, also einen festen Katalog von Indizien aufzustellen144. Bartolus indes bezieht sich eher auf den Beweiswert der Indizien, also auf die Frage, welche Indizien für die Folter genügen (possunt esse sufficientia ad torturam)145. Beide verweisen auf D. 22.5.3.2, ein Reskript Kaiser Hadrians. Der Kaiser erklärt darin die abstrakte Zuordnung eines bestimmten Beweiswerts zu einem Beweismittel generell für unmöglich und verlangt deshalb die freie Beweiswürdigung durch den Richter. Die Juristen – der non potest dari certa doctrina-Grundsatz gehört zu den Gemeinplätzen der italienischen Beweislehre146 – benutzen damit eine Digestenstelle, die ihr gesamtes strenges Beweissystem147 in Frage stellt, um an einer bestimmten Stelle eine Durchbrechung eben dieses Systems zu rechtfertigen148. Für die Frage worin ein zur Folter genügendes Indiz zu sehen ist, soll ausnahmsweise das Ermessen des Richters entscheidend sein: sed totum hoc relinquitur arbitrio boni viri iudicis (...)149. Entsprechend formuliert der Laienspiegel: sonder eynem gerechten Richter gezimpt eygentlich zuermessen. Konsequent beschränkt sich der Laienspiegel im Folgenden darauf, Beispiele für Indizien aufzuzählen; ob diese für die Folter genugsam sind (ob der selben [Indizien] zu peinlicher frag genug sey oder nit150), soll der Richter im Einzelfall nach der gefangen person, und übelthat wesenlichheyt151 entscheiden.

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Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 93, 9, 10; Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine). Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 9; Bartolus, Commentaria, zu D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 4. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 9. Auch die Carolina bezieht den gemeinrechtlichen „Unregelbarkeitsgrundsatz“ auf die Frage, welche Umstände überhaupt ein Indiz darstellen, Art. 18 CCC. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 4. Brunnenmeister, Quellen, S. 111; Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormenta, n. 13, 14. Dazu unten Kap. B.III.5.: Exkurs: Notorietät und strenge Beweislehre, S. 219ff. Eine weitere Durchbrechung stellt die Würdigung der Zeugenaussage dar, siehe auch D. 22.5.3.2. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 9; ganz ähnlich Bartolus, Commentaria, zu D. 48.18.22, n. 4. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv.

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Seine gelehrten Quellen versuchen indes, doch gewisse Regeln über die zur Folter genügenden Indizien aufzustellen. Bartolus kündigt – im bewussten Widerspruch zur non potest dari certa doctrina-Lehre – an: Sed ego dabo doctrina, quam potero152. Er zählt spezielle, im Sinne von tatbestandsspezifischen Indizien auf (indicia specialia)153, namentlich für den Diebstahl, und nimmt Stellung zu der Frage, ob ein Indiz zur Folter genügt. Zwar anerkennt er, dass dies grundsätzlich im Ermessen des Richters steht (hoc stat in arbitrio iudicis154), allerdings unterscheidet er indicia generalia et remota, die er in jedem Fall, für sich alleine stehend, für unzureichend erklärt (non sufficere ad torturam sine aliis indiciis), vom indicium non remotum et propinquum, das für sich genommen genügen kann155. Auch Angelus Aretinus und – in den zugehörigen Additionen – Augustinus Bonfranciscus nennen konkrete Umstände, die (für sich genommen) ausreichende oder eben nicht ausreichende Indizien ergeben, darunter spezielle und allgemeine, allerdings ohne diese begrifflich oder systematisch zu unterscheiden156; grundsätzlich soll gelten: regulariter non sufficit unum indicium, sed plura157. Der Laienspiegel hält sich, wie gesagt, mit Vorgaben für die Bewertung von Indizien völlig zurück; die entsprechenden Aussagen seiner gelehrten Vorlagen lässt er unberücksichtigt. Es stellt sich daher die Frage, ob er hier die Darstellung der Indizienlehre in den deutschen Rezeptionsquellen jener seiner gelehrten Vorlagen vorzieht. Zwar kennt der Klagspiegel ebenso wenig wie der Laienspiegel die Unterscheidung von speziellen und gemeinen oder von hinreichenden und ungenügenden Indizien. Der Klagspiegelverfasser verlangt in jedem Fall aber, abweichend vom Laienspiegel, das Vorliegen von mindestens zwei Indizien, wobei er darauf hinweist, dass der „Leumund“, den er ja noch als Prozessvoraussetzung des Inquisitionsprozesses fordert, bereits ein Indiz liefert158. Den gemeinrechtlichen non potest dari certa doctrina-Grundsatz erwähnt er in keiner Weise, ebenso wenig den Verweis auf das richterliche Ermessen. Erst die Wormser Reformation erklärt in Anlehnung an das gemeine Recht: Was aber oder wie sölich ursachen und anzeige syen. da ist kein gewissheit oder 152 153 154 155 156

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Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 4. Brunnenmeister findet diese Begrifflichkeit in keinem früheren Werk, Quellen, S. 227. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 6. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 6. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 13ff. und Augustus Bonfranciscus, Add. zu Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 19ff. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 6, ferner n. 13. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXIXr.

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Regel von zusetzen. sonder es steet zu bescheidenheit eins yeden Richters159. Die Indizien, die das Gesetz im Folgenden aufzählt, werden als strenge vermutung un glaublich anzeig bezeichnet; als solche legitimieren sie jeweils für sich genommen die Anwendung der Folter160. Die Bambergensis zeichnet sich schließlich durch jene ausgefeilte Indizienlehre aus, die später auch Eingang in die Carolina findet. Zwar erwähnt auch sie noch die prinzipielle Unmöglichkeit einer vollständigen Regelung des Indizienbeweises (Art. 26), bezieht dies aber in erster Linie auf die Aufzählung der zulässigen Indizien überhaupt: die Umstände, darauss man Redlich anzeygung einer misshandlung Nemen mage (...) sein nit moglich alle zü beschreiben. Der folgende Katalog soll daher nur Beispielcharakter haben (gleichnus)161. Die Anzahl der genannten Indizien ist überaus groß und, soweit irgendwie möglich, legt die Bambergensis den Beweiswert der Indizien fest. Dem richterlichen Ermessen soll offenbar nicht mehr Spielraum bleiben als unvermeidbar162: Die Bambergensis zählt in Art. 32 acht Indizien auf, die nur kumulativ zur Folter berechtigen; es folgen zwanzig Artikel, die alternativ genügende Indizien beschreiben, und zwar unterschieden in allgemeine (Art. 35-40 CCB) und tatbestandsspezifische Indizien (Art. 40-55 CCB). Wie im Folgenden zu sehen sein wird, hat der Laienspiegel wohl die allgemeinen, für sich genommen ungenügenden Indizien aus der Bambergensis übernommen. Indes hat er sich offenbar bewusst gegen die umfassende Aufzählung von Indizien und die strikten Vorgaben hinsichtlich ihres Beweiswerts entschieden. Welche Erwägungen hinter dieser Entscheidung stehen, muss offen bleiben. Nimmt Tengler im Gegensatz zu seinen Vorlagen den gemeinrechtlichen Grundsatz der freien Beweiswürdigung beim Indizienbeweis tatsächlich ernst oder geht es ihm schlicht um ein praktikables Verfahren? (3) Die Indizien im Einzelnen Für die einzelnen Indizien enthält der Laienspiegel keine eigenen Allegationen; allein die genannten Stellen bei Bartolus163 und Angelus Aretinus164 mögen auch hier noch als Quelle gedient haben. Näherliegend indes erscheint, 159 160 161 162

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VI.2.2 Wormser Reformation. VI.2.2 Wormser Reformation. Art. 26, 31 CCB. Eine Ermessensentscheidung bleibt die Bewertung, ob im Einzelfall zwei oder mehr für sich genommen ungenügende Indizien kumulativ einen ausreichenden Verdacht begründen, Art. 33 CCB. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine). Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 93, 9, 10.

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wie wir sehen werden, dass der Laienspiegel hier aus den deutschen Rezeptionsquellen geschöpft hat, namentlich der Bambergensis. Im Klagspiegel sind dagegen nur wenige Indizien einzeln benannt. (a) Ein Augenzeuge der Tat Der erste Umstand, den der Laienspiegel als Indiz qualifiziert, ist die Aussage eines Zeugen: Und wie wol man die wahrheyt mit zweyen zeügen beweisen, so aber eyn glaubwirdiger gezeug sagt, eyn anzeygen auff den gefangen, der selb argkwon möcht eyn indicium sein zu strenger frag165. Hinsichtlich dieses Indizes konnten tatsächlich die allegierten Stellen bei Bartolus und Angelus Aretinus als Vorlage dienen: Bartolus erklärt, dass die Aussage eines Augenzeugen des Verbrechens – mithin die „Hälfte“ der Überführungesbeweises – ein Indiz darstellt166. In gleicher Weise äußert sich auch Angelus Aretinus167. Während seine gelehrten Quellen aber ausdrücklich hervorheben, dass es sich um einen Augenzeugen der Tat handeln muss, dass also weder Zeugen vom Hörensagen ausreichen, noch solche, die ihrerseits nur Hilfstatsachen bezeugen können, bleibt die Aussage des Laienspiegels hier undifferenziert. Unter den deutschen Rezeptionsquellen steht er damit aber nicht allein. Der Klagspiegel erklärt ebenso allgemein alleyn das sagen eyns zeügen zum Indiz168. Auch die Wormser Reformation scheint das gelehrte Recht an diesem Punkt nicht recht verstanden zu haben, sie verlangt die Aussage eines oder zweyer gezügen, die glaubwürdig aber offenbar nicht unbedingt Augenzeugen sein müssen169. In der Bambergensis findet sich die Zeugenaussage als Gemein gnugsam anzeygung in einem eigenen Artikel beschrieben (Art. 37); hier konnte der Laienspiegel die italienische Lehre in deutscher Sprache und verständlich aufbereitet finden. Die Bambergensis enthält denn auch den Hinweis, dass es sich um einen Tatzeugen, keinen Indizienzeugen, handeln muss170; Tengler ignoriert dies jedoch.

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Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 7. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 10. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXIXr. VI.2.2 Wormser Reformation, 1. Indiz. Nur mittelbar, durch einen Verweis auf die allgemeinen Regeln zum Zeugenbeweis (hier: Art. 78), stellt die Bambergensis klar, dass der Zeuge Augenzeuge sein muss, Art. 37 CCB.

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(b) Qualifizierter schlechter Leumund Als Indiz erwähnt der Laienspiegel den Leumund nicht im Sinne des konkreten Gerüchts, sondern in der Bedeutung des schlechten Rufes171: Item, ob der gefangen eyn solche leichtfertige oder verwegen person, von bösem geruch, oder unleumand wer, das man sich eyner missethat zu im versehen, dergleich boßheyten vormals mehr geübt, understanden, oder getzigen, auff ihr het von dapffern leüten172. Die Stelle wirft einige Fragen auf. Geht es dem Laienspiegel darum, dass dem Verdächtigen generell Übeltaten zuzutrauen sind oder verlangt er mit der Formulierung das man sich eyner missethat zu im versehen einen qualifizierten schlechten Ruf, der gerade auf die Täterschaft bei dem in Frage stehenden Delikt schließen lässt? Muss der Inquisit hinsichtlich dieses Delikts von ehrenwerten Leuten beschuldigt werden (oder getzigen, auff ihr het von dapffern leüten) oder geht es nur darum, dass er einschlägig bekannt ist (dergleich boßheyten vormals mehr geübt, understanden, oder getzigen)? Aufschlussreich ist hier ein Blick in Tenglers gelehrte Vorlagen. Auch Bartolus erklärt den schlechten Ruf (est homo malae conditionis et famae) zum Indiz173. Er unterscheidet das allgemeine schlechte Ansehen174 von einem qualifizierten schlechten Ruf, der gerade auf die Täterschaft bei dem konkreten Delikt schließen lässt – mit anderen Worten eine einschlägige Bekanntheit des Verdächtigen (consuetus facere similia). Nur diese qualifiziert er als indicium specialium und nur diese kann grundsätzlich allein die Folter legitimieren175. Angelus Aretinus erklärt zum einen den allgemeinen schlechten Ruf zum Indiz (Item investiget cuius famae & opinionis est in civitate: quia secundum famam iudicabo), zum andern das bisherige Leben, insbesondere die einschlägige Vorgeschichte: Item quaeret cuius vitae fuerat prius, & an talia vel similia, de quibus inculpatur, facere consueverit176. Der schlechte Ruf allein soll grundsätzlich nicht ausreichendes Indiz sein177, außer – wie Angelus Aretinus in Übereinstimmung mit Bartolus an späterer Stelle erklärt – wenn er den Inquisiten gerade hin-

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Zur Mehrdeutigkeit des Begriffs des Leumunds wie der fama s. o. Kap. B.I.4.a.dd(3)(a): Das Vorverfahren bei Durantis, S. 109ff. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 6. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 6, a. E. als Beispiel für ein indicium remota. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 6. Zum Beweiswert der fama äußert sich Bartolus umfassend in seinem Kommentar zu D. 48.18.10 (De quaestionibus, Qui sine). Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 19. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 15.

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sichtlich des in Frage stehenden Verbrechens verdächtig macht: puta in furto quando est fama, quod sit fur178. Der Laienspiegel könnte seine Formulierung dieses Indizes also tatsächlich aus seinen gelehrten Quellen zusammengesetzt haben; hier fand er den verbrecherischen Charakter (leichtfertige oder verwegen person – malae conditionis), ebenso wie den schlechten Ruf (von bösem geruch, oder unleumand – malae (...) famae) als relevante Hilfstatsachen genannt. Einiges spricht dafür, dass auch er einen qualifizierten schlechten Ruf fordert (das man sich eyner missethat zu im versehen) bzw. die einschlägige Bekanntheit des Verdächtigen (dergleich boßheyten vormals mehr geübt, understanden). Unklar bleibt, was sich hinter der Alternative getzigen, auff ihr het von dapffern leüten verbirgt. Möglicherweise ist damit das Gerücht gemeint, das dem Richter vorgetragen wird, also die fama, in jener Bedeutung, in der die Kanonistik sie als Prozessvoraussetzung des Inquisitionsverfahrens fordert; auch in dieser Bedeutung wird der Wert der fama als Indiz diskutiert179. Von größerem Einfluss als die gelehrten Quellen könnten für Tengler auch hier die deutschen Vorlagen gewesen zu sein. Der Klagspiegel erklärt zunächst, der leümunt im Sinne des prozesseinleitenden Gerüchts sei ein Indiz, aber allein nicht zur Folter genügend. Als weiteres Indiz erwähnt er den Umstand, dass er [der Verdächtige] ist ein sollich person das wol zu glauben ist er hab sollichs gethon180; auch dieses rechtfertigt aber nicht für sich genommen die Folter. In der Wormser Reformation findet sich deutlicher jener qualifizierte schlechte Ruf beschrieben, den wir im Laienspiegel finden. Der lymut soll dann ausreichendes Indiz sein, wenn der Verleumdete bösen wesens ist und der Leumund mit der konkreten Tat im Zusammenhang steht (besonder des bösen oder der ubeln missethat) und von glaubwürdigen Menschen ausgeht181. In der Bambergensis finden wir schließlich Tenglers Vorlage; die Formulierung der Halsgerichtsordnung entspricht weitgehend wörtlich der des Laienspiegels: Erstlich, ob der verdacht ein soliche verwegne oder leichtvertige person von pösem leümat und gerucht sey, das man sich der missetat zu ir versehen möge, oder ob dieselbig person dergleichen missetat vormals mer geubt, unterstanden habe oder gezigen worden sey; doch sol sölcher boser

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Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), Adnotatio zu n. 41. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 2ff., und insbesondere Augustinus Bonfranciscus, zu n. 2 ; vgl. auch Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXIXr. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXIXr. VI.2.2. Wormser Reformation.

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lewmat nit von veinhden oder leichtvertigen leüten, sunder von unparteilichen, redlichen leuten komen182.

Soweit der Laienspiegel von der Bambergensis abweicht, geht dies zu Lasten der Klarheit der Aussage. Inwiefern er bewusst die Aussage der Halsgerichtsordnung verändert – indem er zum Beispiel nicht wie die Bambergensis verlangt, dass man sich der missethat zu ir [der beschuldigten Person] versehen möge, sondern eyner missethat – muss offen bleiben. Die Bambergensis formuliert die einschlägige Bekanntheit als Alternative zum schlechten Charakter des Inquisiten; das klarstellende oder fehlt im Laienspiegel. Auch geht aus dem Gesetz klar hervor, dass die Bezichtigung (gezigen) sich auf die verbrecherische Vergangenheit, nicht den konkreten Fall bezieht. Über die Anforderungen an den Leumund als Indiz konnte Tengler in seinen Quellen keine einheitlichen Aussagen finden. In jedem Fall kommt es aber offenbar darauf an, ob die Bevölkerung dem Verdächtigen eine solche Tat zutraut. Das niedere Ansehen erhöhte in jedem Fall das Risiko der Folter – das zeigen auch die Belege aus der städtischen Praxis183. (c) Verdächtiger Aufenthalt des Inquisiten Das an dritter Stelle genannte Indiz gibt weitere Rätsel auf: Item, ob der gefangen etwo an den enden auch zu zeiten gevärlich vermerckt worden, darauß zu gedencken, oder ursach der übelthat möcht angenommen werden184. Auch bei Angelus Aretinus findet sich der Hinweis, der Aufenthaltsort des Verdächtigen sei geeignet, Vermutungen zu begründen185. Dieses Indiz scheint in engem Zusammenhang zu stehen mit dem schlechten Umgang des Inquisiten, den Tengler später als eigenes Indiz erwähnt. Bei Angelus Aretinus gehören diese beiden Verdachtsmomente zusammen (cum quibus, & per quae loca conversantur)186. Auch hier mögen die deutschen Quellen entscheidenden Einfluss auf den Laienspiegel gehabt haben. Während der Klagspiegel und die Wormser Reformation die Beobachtung des Verdächtigen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort nur insofern als Indiz werten, als der Inquisit vom Tatort in zeitlicher Nähe zur Tatbegehung flieht187, findet

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Art. 32 CCB. Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 203; Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 43, 81; Fiorelli, La tortura giudiziaria I, S. 85ff. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 19: Item considerat loca, in quibus conversatur, quia secundum loci varietatem, collige coniecturam (...). Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 19. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXIXr; VI.2.2 Wormser Reformation.

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man in der Bambergensis die wörtliche Entsprechung des Laienspiegels. Wie im Laienspiegel werden auch in der Bambergensis die Beobachtung des Verdächtigen in Tatortnähe und der schlechte Umgang als eigenständige Indizien genannt188. Möglicherweise schöpfen die Bambergensis und der Laienspiegel hier aus Gandinus’ Tractatus de maleficiis. Soweit sie von der Beobachtung an geferlichen orten (...) zu geverlicher zeit189 sprechen, liegt eine Übernahme von dessen Formulierung in loco suspecto aut hora supecta nahe190. Gandinus geht es hier um die Beobachtung am Tatort: quo loco aut hora crimen aliquod factum est191. Da auch diese aber für die Bambergensis und den Laienspiegel ein eigenes Indiz darstellen, bleibt letztlich offen, welche Fälle unter das Indiz des „verdächtigen Aufenthalts“ zu fassen sind. (d) Beobachtung am Tatort Beim nächsten Indiz entscheidet sich Tengler abermals für eine verkürzte Wiedergabe der Bambergensis, die sich auch hier zu Lasten der Verständlichkeit auswirkt. Zumindest der erste Teil des folgenden Indizes bleibt völlig unklar; sein Sinn ergibt sich erst aus dem Vergleich mit den Vorlagen. Der Laienspiegel formuliert: Item, ob der gefangen eyn solche gestalt kleyder, waffen, pferd oder anders, unnd das man in gewonlich hab an den selben enden gesehen, da die übelthat beschehen sei192. Tengler mag hier das in seinen gelehrten Quellen, namentlich an der allegierten Stelle bei Angelus Aretinus, angeführte Indiz vor Augen haben, das jenen, der mit gezücktem, blutigem Schwert und bleichem Gesicht am Tatort – besser noch aus dem Haus, in dem der Tote liegt, kommend – gesehen wird, der Tat für überaus verdächtig erklärt193. Wahrscheinlicher aber ist auch hier die Übernahme aus den deutschen Vorlagen. Der Klagspiegel scheidet auch für dieses Indiz als Vorlage aus. In der Wormser Reformation findet sich indes die Übernahme des genannten Verdachtsmoments aus dem gelehrten Recht. Das Stadtrecht stellt dem allerdings ein weiteres Indiz an die Seite, das letztlich die Anforderungen des gemeinen Rechts konterkariert: es genügt 188 189 190 191 192 193

Art. 32 CCB, 2. Indiz. Art. 32 CCB, 2. Indiz. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De presumptionibus et indiciis dubitatis, n. 9. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De presumptionibus et indiciis dubitatis, n. 9. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 18. Dieses Indiz oder eher Indizbündel ordnet auch Gandinus in die Kategorie der indicia indubitata ein, Gandinus, Tractatus de maleficiis, De presumptionibus et indiciis indubitatis, n. 9. Er verweist ausdrücklich auf Thomas de Piperata, Gandinus, Tractatus de maleficiis, De presumptionibus et indiciis indubitatis, n. 12; zu diesem ausführlich Fraher, Conviction According to Conscience.

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demnach, wenn jemand mit blutigem Messer am Tatort gesehen wird194. Möglicherweise spielen hier die deutschen Vorstellungen von der handhaften Tat eine Rolle195. Die beste Vorlage bietet dem Laienspiegel abermals die Bambergensis, die besagt: Zum dritten, ob ein Tetter in der tat oder, d[er]weil er auf dem weg darczu oder davon gewest, besichtigt worden ist, Man sol aufmerckung haben, ob die verdacht person ein solche gestalt, kleider, waffen, pferdt oder anders habe, als der tetter obgemelter massen geseen wardt196. Es geht also um die Beobachtung des Verdächtigen am Tatort – Gestalt, Kleider, Waffen und Pferd dienen als Identifizierungsmittel. (e) Schlechter Umgang Auch den schlechten Umgang erklärt der Laienspiegel zu einer relevanten Hilfstatsache: Item, ob der gefangen, zu zeiten bei solchen leüten, die gewonlichen dergleich missethaten zu üben gewont, oder mit in geselschafft gehabt hab197. Der schlechte Umgang findet sich auch bei Angelus Aretinus als Indiz beschrieben198, im Klagspiegel und der Wormser Reformation wird dieser Fall nicht erwähnt. Abermals war hier offensichtlich die Bambergensis die maßgebliche Quelle des Laienspiegels, sie formuliert: Zum vierdten, ob die verdacht person bey solchen leuten wonung oder geselschaft habe, die dergleichen mysstat uben199. (f) Motive des Verdächtigen für die Übeltat Schließlich kann die Motivlage des Verdächtigen seine Täterschaft wahrscheinlich machen. Der Laienspiegel fragt, ob der Verdächtige auß neid, feindtschafft, oder eygens nutz wegen, zu solcher übelthat kommen sein möcht200. Sowohl die bestehende Feindschaft zwischen dem Opfer und dem Verdächtigen als auch die Tatsache, dass der Beschuldigte aus dem Verbrechen einen Vorteil erlangte, werden auch von den italienischen Juristen als Indizien anerkannt201. Bartolus und Angelus Aretinus erwähnen beides getrennt, fas-

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VI.2.2, Wormser Reformation, 3. und 4. Indiz. Das 3. Indiz entspricht nahezu wörtlich dem gemeinen Recht: Item so uss einem huse oder ort da yemant ertötet lege oder verwundet. einer gesehen were lauffende mit ußgezugtem Messer oder blutigen waffen mit verbleichtem angesicht das were genügsam ursach ernstlich zufragen. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 627. Art. 32 CCB, 3. Indiz. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 19. Art. 32 CCB, 4. Indiz. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Brunnenmeister, Quellen, S. 114.

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sen aber Feindschaft und Vorteile nicht in einer Gruppe von Motiven zusammen202. Im Klagspiegel findet sich unter den aufgezählten Indizien weder die Feindschaft, noch der Vorteil für den Verdächtigen – mögliche Motive werden nicht als Indizien berücksichtigt. Die Wormser Reformation erwähnt nur die Feindschaft, allerdings nicht als eigenes Indiz, sondern als Bestandteil eines Indizbündels. Die Feindschaft ergänzt die Beobachtung des Verdächtigen, der mit gezücktem Messer vom Tatort flieht, zu einem zur Folter ausreichenden Verdacht203. Abermals diente hier die Bambergensis als Quelle; es ist ein Verdienst Schwarzenbergs und seiner gelehrten Helfer, die Motivlage als eine Kategorie von Indizien erkannt zu haben: Zum funfften sol man in beschedigungen oder verleczungen warnemen, ob die verdacht person auss neyde, veindtschafft oder gewartung eynicherley nucz zu der gedachten mysstat ursach nemen mocht204. (g) Eidliche Bezichtigung durch das Opfer auf dem Totenbett Als Indiz wertet der Laienspiegel weiterhin den Umstand, dass der Verletzte, bevor er stirbt, den Verdächtigen als Täter benennt und diesen Vorwurf eidlich bekräftigt: Item, ob der beschädigt, so in des gezigen, darauff gestorben sei, solchs mit dem eyd beteüwert hab205. In den allegierten Stellen erwähnen weder Bartolus, noch Angelus Aretinus die Aussage des Opfers als Indiz. Letzterer bezeichnet aber an anderem Ort die eidliche Bezichtigung generell als ein allein nicht genügendes Indiz206. Ebenso erklärt der Klagspiegel mit Verweis auf D. 29.5.3.1, dass die Aussage des Verletzten auf dem Totenbett für sich genommen dem Bezichtigten nicht

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Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 5, erwähnt zunächst für den Fall des Diebstahls als Indiz: res substracta cedebat ad comodum suum, später dann: erat suus inimicus; Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 19 widmet sich ausführlich der Bedeutung der Feindschaft als Motiv, ebenso Augustinus Bonfranciscus in den zugehörigen Additionen, n. 29, die Vorteile des Täters spielen dabei keine Rolle. VI.2.2 Wormser Reformation. Das Gesetz mag hier Angelus Aretinus übernehmen, vgl. Tractatus de maleficiis, Quod fama publica, n. 18. Ein ganz ähnliches Indizienbündel findet sich bei Gandinus als Beispiel für indicia indubitata beschrieben. Besteht gegen jemanden das Gerücht, er habe das Verbrechen begangen und ist er zudem Todfeind des Opfers kann er verurteilt werden, wenn er entweder selbst mit gezogenem Schwert vom Tatort geflohen ist bzw. sich zur Tatzeit nahe des Tatorts aufgehalten oder später den unmittelbaren Täter bei sich aufgenommen hat, Tractatus de maleficiis, De presumptionibus et indiciis indubitatis, n. 10 und 11. Art. 32 CCB, 5. Indiz. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 35.

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schaden soll207. Wiederum kommt nur die Bambergensis als Quelle in Betracht, die Halsgerichtsordnung formuliert: So ein verleczter oder beschedigter auss etlichen ursachen yemant der mysstat selbst zeyhet, darauf stirbt oder bey seinem Eydt betewert208. Die Übereinstimmung mit dem Laienspiegel ist augenscheinlich. Auch hier verändert der Laienspiegel aber eigenständig die Aussage des Gesetzes. Die Bambergensis sieht in der Bezichtigung durch das Opfer in zwei Fällen ein Indiz: wenn sie eidlich bekräftigt wird und wenn sie auf dem Totenbett erfolgt. Der Laienspiegel fordert beides kumulativ. (h) Flucht Tengler erklärt die Flucht des Verdächtigen zum Indiz: Item, ob der verdacht gefangen, sich in die flucht geben hett209. Mit der Bezeichnung des Verdächtigen als gefangen stellt der Laienspiegel klar, dass es um die Flucht aus der Haft geht, nicht etwa die Flucht vom Tatort, die im Laienspiegel somit gar nicht eigens als Indiz erwähnt wird. Die Bedeutung der Flucht als Indiz ist Gegenstand der gelehrten Diskussion210. Bartolus erklärt an der allegierten Stelle die Flucht bzw. das Untertauchen nach der begangenen Tat, unabhängig vom zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zum Verbrechen, zum Indiz211. Angelus Aretinus erwähnt die Flucht vom Tatort nur als ein Element eines Indizienbündels212; im Übrigen wird die Flucht als Indiz nicht in der allegierten, sondern an einer späteren Stelle diskutiert213. Hier erklärt dann auch Angelus Aretinus das Fliehen des Beschuldigten vor der Eröffnung des Verfahrens gegen ihn zum Indiz. Er erwägt sogar, ob darin nicht ein voller Beweis zu sehen sei. Flieht der Beschuldigte indes nachdem die Anklage erhoben ist bzw. das Inquisitionsverfahren begonnen hat, sei dies nicht weiter verdächtig, sondern nur Ausdruck einer legitimen Furcht des Beschuldigten: sed si postquam ipse accusatus vel inquisitus est aufugit (...) tunc non est praesumptio propter hoc contra eum, quia iuste debuit et potuit timere214. Der Laienspiegel lässt diese gelehrte Diskussion unberücksichtigt und ebenso die Flucht vom Tatort. Hierin unterscheidet er sich von seinen deutschen Vorlagen. 207 208 209 210 211 212 213 214

Vgl. dazu Brunnenmeister, Quellen, S. 228f. Art. 32 CCB, 6. Indiz. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Brunnenmeister, Quellen, S. 115. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 5. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 18. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 46. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 46.

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Der Klagspiegel erwähnt nur die Flucht vom Tatort als Indiz: Oder so der verklagt wolt geflohen sein von dem end da das malefitz geschehen ist, zu der zeit als die übelthat geschehen ist, wann eyn sölliche flucht macht ein warzeichen215; er mag hier aus Gandinus geschöpft haben216. Die Wormser Reformation misst der Flucht vom Tatort allein nicht die Bedeutung eines Indizes bei; sie kommt, wie bei Angelus Aretinus, nur als Element eines Indizienbündels zum Tragen217. Auch im Übrigen übernimmt das Stadtrecht genau die Lehre des Juristen zur Flucht: Es beschreibt die Flucht des Verdächtigen (in Clöster, kirchen oder uss unser Stat) und wie daraufhin weiter zu verfahren sei als gängiges Problem der Stadt218 und erklärt, die Flucht vor der Anklage und der Gefangensetzung (zuvor und ee dann sie vor uns oder unserm Bürgermeister beclagt) zu einem ausreichenden Indiz, um den Geflohenen, wird man seiner habhaft, zu foltern. Dagegen soll die Flucht nach der Anklage und der Festnahme, also wenn der Verdächtige verclagt, wid[er] ine erforschet und derselb in syn gewarsam oder sicherheit komen were (...), kein Indiz darstellen, weil der Verdächtige in diesem Fall nit unbillich forcht gehabt219. Der Laienspiegel ignoriert diese Überlegungen. Er konnte sie indes auch in der Bambergensis nicht finden. Diese äußert sich noch unpräziser als der Laienspiegel zur Flucht als Indiz; sie liefert überhaupt keine Anhaltspunkte hinsichtlich der Frage, um welchen Zeitpunkt der Flucht es ihr geht: Zum Sibenten, so einer, einer mysstat halb, fluchtig wurdt220. (i) Besagung durch einen Mittäter Als Indiz möchte Tengler unter bestimmten Umständen auch die Besagung durch einen vermeintlichen Mittäter gewertet wissen: Item, ob eyn ander mißthäter solchs in seiner urgicht (...) in von im selbs für seinen helffer, unnd das alle gelegenheyt gleüblich angezeygt, auch keynerley feindtschafft gegen eynander gehabt, unnd darauff verharret hab, oder nit221. Weder bei Bartolus noch bei Angelus Aretinus finden sich an den allegierten Stellen Aussagen zur Denunziation durch Mittäter. Die Wirkung solcher Besagungen als Indiz behandelt Angelus Aretinus aber etwas später und nimmt dabei Bezug auf die Aussagen des römischen Rechts zu dem Problem, 215 216 217

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Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXIXr. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 14. Der Täter muss beobachtet werden wie er mit gezücktem Messer vom Tatort flieht und zudem Feind des Ermordeten sein, VI.2.2. Wormser Reformation, 5. Indiz. Vgl. auch Brunnenmeister, Quellen, S 115. VI.2.2. Wormser Reformation. Art. 32 CCB, 7. Indiz. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv.

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wann ein Geständiger überhaupt nach Mittätern befragt werden darf. Von diesen Vorgaben des römischen Rechts macht Angelus Aretinus die Bewertung der Besagung als Indiz abhängig222. C. 9.2.17 stellt die Regel auf, es solle grundsätzlich keiner, der unter Folter seine Schuld eingeräumt hat, nach Mittätern gefragt werden. Als Begründung wird die Befürchtung angeführt, dass solche Besagungen oft unwahr seien und nur in der Hoffnung abgegeben würden, dadurch die eigene Schuld zu mindern oder eine geringere Bestrafung zu erlangen oder möglicherweise auch, um seinen Feind mit in den Tod zu nehmen223. Davon ausgehend erklärt Angelus Aretinus, die Befragung nach Mittätern sei nur in sechs Fällen zulässig und auch nur in diesen Fällen als Indiz zu werten. Die sechs Fälle nennt er allerdings nicht ausdrücklich; wir finden sie indes bei Gandinus: Es handelt sich dabei tatsächlich um deliktsspezifische Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot der Befragung nach Mittätern224. Gandinus fordert darüber hinaus, dass die Befragung nach Mittätern nur dann stattfindet, wenn gegen bestimmte Personen bereits ein entsprechender Verdacht besteht225. Der Klagspiegel übernimmt diese Lehre, die er bei Odofredus findet, und nennt als Begründung für die – bei ihm nur fünf – tatbestandsspezifischen Ausnahmen die Schwere dieser Delikte. Wie Gandinus erklärt er die Befragung des Geständigen nur dann für zulässig, wenn bereits Verdachtsmomente gegen potentielle Mittäter vorliegen (wo anders eyner vor verargkwont ist)226. Die Wormser Reformation erwähnt die Denunziation durch Mittäter nicht als Indiz. Die Bambergensis hingegen kann auch hier die Ausführungen des Laienspiegels erklären. Das Gesetz führt als achtes und letztes der für sich genommen ungenügenden Indizien den Fall an, dass ein erfundener mysstetter yemant in peynlicher frage besaget, und die recht ordnung, als hernach in dem Achtunddreissigsten artickel gesaczt ist, in derselben frage nit gehalten wurdet227. Art. 38 CCB erklärt die Denunziation unter bestimmten Voraussetzungen zu einem allein hinreichenden Indiz; sind diese Bedingungen nicht erfüllt, ist die Besagung, nach der zitierten Passage, nur als ungenügendes Indiz zu bewerten (Art. 32 CCB). Die in Art. 38 CCB genannten Voraussetzungen sollen die Glaubhaftigkeit

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Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 106. C. 9.2.17 und ebenso D. 48.18.1.26 und D. 48.18.16. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 16. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 16. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXIXr/v. Art. 32 CCB, 8. Indiz.

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der Besagung sichern228; darunter findet sich das Verbot von Suggestivfragen, aber auch die – bereits bei Gandinus zu findende – Forderung, es müssten Indizien gegen den Besagten vorausgehen, sowie die zwei Bedingungen, die auch der Laienspiegel erwähnt: und zwar, dass der Denunziant auf seiner Bezichtigung beharrt und keine Feindschaft zwischen dem Denunzianten und dem Besagten besteht. Die Übernahme der Bambergensis vermag schließlich auch jene absurd anmutende Formulierung des Laienspiegels zu erklären unnd darauff verharret hab, oder nit. Da der Laienspiegel sich nicht festlegt, ob die genannten Indizien zur Folter genügen oder nicht, kann er sowohl die Aussagen der Bambergensis zu den genügenden als auch zu den ungenügenden Indizien berücksichtigen. Als ein Indiz wertet er die Besagung in jedem Fall: Die Frage, ob der Denunziant darauff verharret hab, oder nit hat der Richter lediglich in seiner Ermessensentscheidung über den Beweiswert dieser Indizien im Einzelfall zu berücksichtigen. (4) Verdacht bei Handhaftigkeit und Notorietät Es fällt auf, dass der Laienspiegel einige Indizien nicht erwähnt, die er aber sowohl in seinen gelehrten als auch in den deutschen Vorlagen gefunden haben muss. Dazu gehören insbesondere das Sich-Berühmen mit der Tat und das Auffinden der Beute bei dem Beschuldigten. Letzteres wird in den gemeinrechtlichen Quellen als besonders starkes Indiz gewertet229. Im SichBerühmen mit der Tat wird teilweise ein außergerichtliches Geständnis gesehen230, das ebenfalls die Wirkung eines Indizes hat231. Der Klagspiegel erklärt die außergerichtliche Behauptung, man habe die Tat begangen, zumindest dann zum Indiz, wenn die Tat der Person ihrem Charakter nach zuzutrauen ist232. Die Wormser Reformation verzichtet im Falle des Rühmens mit der Tat auf dieses Korrektiv. Das Stadtrecht sieht dafür aber im Auffinden der Beute bei dem Beschuldigten nur dann ein genügendes Indiz, wenn dieser eins

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Brunnenmeister vermutet hier eine Übernahme von Franciscus Brunus, bei dem er aber auch nicht alle Bedingungen finden konnte, Quellen, S. 169ff. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 5; Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 15. Brunnenmeister, Quellen, S. 231. So ausdrücklich Augustinus Bonfranciscus in Add. zu Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 20. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXIXr.

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lychtfertigen wesens ist233. Dem Rühmen nach der Tat stellt das Stadtrecht die Drohung vor der Tat gleich234. Diese Indizien, die der Laienspiegel unberücksichtigt lässt, wertet die Bambergensis als genugsam anzeygung. Sie tauchen also nicht in jenem Katalog auf, den der Laienspiegel weitgehend übernimmt, sondern in späteren Artikeln des Gesetzes235. Hat der Laienspiegel also möglicherweise bewusst jene allein zur Folter genügenden Hilfstatsachen aus seiner Darstellung der Indizienlehre ausgenommen? Zumindest was das Auffinden der Beute bei dem Beschuldigten angeht, finden wir dies tatsächlich an anderer Stelle im Laienspiegel berücksichtigt. Der Fall bildet entsprechend der deutschen Rechtstradition zusammen mit der handhaften Tat im engeren Sinne und mit dem notorischen Delikt nach gemeinrechtlichem Vorbild eine eigene Kategorie, die sich durch die mittels Augenschein erlangte hohe Gewissheit hinsichtlich der Täterschaft auszeichnet. Die gesonderte Behandlung solcher Verdachtsmomente, die die Tat handhaft oder notorisch machen, mag auch erklären, warum der Laienspiegel die Flucht vom Tatort nicht erwähnt: Nach altem deutschen Recht gehört auch sie in den Bereich der handhaften Tat236. Die im Kapitel Von gestrengem fragen verortete Indizienlehre ist deshalb im Zusammenhang mit der Aussage des Kapitels Von des gefangen laugnen zu sehen237. Die Umstände, die die Bambergensis als solche Indizien wertet, die für sich genommen die Folter rechtfertigen, sind für Tengler nicht Teil der Indizienlehre, sondern der Lehre von der Notorietät bzw. der handhaften Tat238. (5) Beweis der Indizien durch Zeugen Es genügt nicht, dass der Richter bei seinen Ermittlungen im Vorverfahren auf Indizien stößt, sie müssen vielmehr durch Zeugen bewiesen werden239; der Laienspiegel formuliert etwas unklar: Und wie wol man die warheyt mit zweyen 233 234

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VI.2.2 Wormser Reformation, 6. Indiz. VI.2.2 Wormser Reformation, 7. Indiz. Zur Drohung als Indiz Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 39. Art. 39 und 52 CCB. Ssp. LdR. II, 36 § 2. Dazu näher unten Kap. B.III.2.d: Tenglers Abkehr vom strengen Notorietätsbegriff, S. 222ff. Dazu gleich im Einzelnen im Kap. B.III.: Die Notorietätslehre im Laienspiegel, S. 195ff. Möglicherweise ist dies Ausfluss der gemeinrechtlichen Parömie Iudex secundum allegata non secundem conscientiam iudicat, sofern diese dem Richter verbot, eigenes Wissen bzw. solches, das nicht formal in den Prozess eingeführt wurde, zu berücksichtigen, dazu unten Kap. B.III.2.c: Exkurs: Notorietät und strenge Beweislehre, S. 219ff.

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zeügen beweisen, so aber eyn glaubwirdiger gezeug sagt, eyn anzeygen auff den gefangen, der selb argkwon möcht eyn indicium sein zu strenger frag240. Wir kennen diese Stelle bereits als Aussage über die Zeugenaussage als Indiz. Erst der Verweis auf Bartolus und Angelus Aretinus stellt klar: Dem Laienspiegel geht es hier nicht allein um die Qualifizierung der Aussage eines Zeugen als Indiz, sondern zugleich um den Beweis von Indizien durch Zeugen241. Angelus Aretinus widmet sich an der zitierten Stelle der Frage qualiter probetur indicium242. Er verlangt den Zeugenbeweis entweder durch zwei Zeugen, die aber nicht das Verbrechen selbst beobachtet haben, die also nicht dieses selbst, sondern nur bestimmte Umstände bezeugen (qui tamen directe non probant maleficium, sed viderunt eum prope domum de nocte ibi stantem), oder aber durch einen Augenzeugen des Verbrechens243. Ebenso erklärt auch Bartolus, dass zwar die Aussage eines Augenzeugen des Verbrechens – mithin die „Hälfte“ des Überführungsbeweises – ein Indiz darstellt, dass aber ein Indiz im Übrigen nicht durch einen, sondern nur durch zwei Zeugen, die den Umstand beschwören können, bewiesen wird244. Ob Tengler die Ausführungen von Bartolus und Angelus Aretinus wirklich verstanden hat, lässt seine unklare Formulierung bezweifeln. Möglicherweise hat er auch hier aus seinen deutschen Quellen geschöpft. Auch hier kommt letztlich nur die Bambergensis in Frage. Der Klagspiegel verlangt mit keinem Wort den Beweis der Indizien durch Zeugen. Die Wormser Reformation hält zwar nur solche Indizien für ausreichend, die offenbar oder bewyst syn und spricht in diesem Zusammenhang auch von Zeugen, äußert sich damit aber weniger explizit zum Beweis von Indizien als der Laienspiegel245. In der Bambergensis konnte Tengler schließlich die gemeinrechtliche Regel aufbereitet finden: Art. 30 verlangt den Zweizeugenbeweis, erklärt aber einen Zeugen, der die hawbtsach der missetat beweist, zum ausreichenden Indiz.

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Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 10; Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 7. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 10. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 10. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 7. VI.2.1 und VI.2.2 Wormser Reformation.

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2. Durchführung der Folter a. Maß der Folter

Zu den verschiedenen Mitteln und Graden der Folter äußert sich der Laienspiegel nicht. Insbesondere erwähnt er keine territio, die Bedrohung mit den Folterinstrumenten als erste Stufe der Folter. Dagegen stellt der Klagspiegel – wie Ulpian in D. 47.10.15.41 – klar, dass „Folter“ erst ab einer gewissen Intensität der Qual beginnt: Seinen Ausführungen zur Tortur stellt er voran: eyn schlecht frag oder eyn leichte schreckung gehört in disen Titel nit246. Das Maß der Folter stellt der Laienspiegel ganz ins Ermessen des Richters. Dieser muss die Entscheidung darüber zum einen vor seinem Gewissen, zum anderen vor der Obrigkeit verantworten, die ihn für etwaige Exzesse bestrafen kann. Der Laienspiegel mahnt den Richter daher eindringlich zur Zurückhaltung und gibt Kriterien vor, die er bei der Bemessung der Tortur beachten soll: Wann eynem verständigen richter zymmet, das er damit gute rechtmässige bescheydenheyt halten, nit eylents, oder unerfaren über die menschen mit peinlicher marter fallen sol, besonder auch ansehen die übelthat kleyn oder groß, der gefangen jugent, alter, stercke oder blödigkeyt, unnd nit zu bald mit der schwären marter auß unwissenheyt oder gevärlicher grimmigkeyt anfahen den unschuldigen ire glider oder leben abbrechen, sonst möcht er damit sein gewissen beschwären, oder in der Obern straff fallen247.

Der Laienspiegel beruft sich hier umfassend auf das römische Recht und auf Angelus Aretinus248. Er verweist auf eine Digestestenstelle (D. 48.18.10.3), die besagt, dass die Foltermittel moderat eingesetzt werden müssen. Die Regel, das Begehren des Klägers solle hier nicht massgeblich sein, erwähnt der Laienspiegel im Gegensatz zum Klagspiegel249 nicht. Er versteht die Digestenstelle schlicht als Anordnung einer Ermessensentscheidung des Richters. Insofern stimmt seine Aussage mit der ebenfalls allegierten Interpretation dieser Stelle durch Angelus Aretinus überein, der feststellt: hoc totum residet in pectore boni iudicis250. Bei Angelus Aretinus findet Tengler auch die Kriterien, die der Richter bei dieser Entscheidung berücksichtigen soll: cuius fortitudinis (...) aetatis, valetudinis, 246 247 248 249

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Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXVIIIv. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CIXr. Es fehlt aber der Verweis auf die einschlägige Ulpian-Aussage D. 48.18.7. Klagspiegel, De questionibus: Es sollen auch die pein nit zu groß sein, unn auch nit solch pein sein, die der verklager begert, man soll mässigklich auß vernunfft peinigen, fol. CXXVIIIv. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 103.

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& secundum qualitatem personae, & delictorum. Ferner liefert ihm Angelus Aretinus die zugehörigen Belegstellen in den Digesten251. Die nächstliegende Auflösung dieser Allegationen führt uns zu Digestenstellen, die zumindest dem Wortlaut nach kaum als Stütze für das Gesagte taugen (D. 49.16.3.22; D. 29.5.3; D. 29.5.1.32). Nach Kantorowicz, der dieselben Allegationen auch bei Gandinus findet, waren ursprünglich andere Stellen gemeint, nämlich D. 49.16.12 statt D. 49.16.3 und D. 29.5.1.33 statt D. 29.5.1.32252. Zumindest im zweiten Fall führt dies zu einer tauglichen Belegstelle: In D. 29.5.1.33 ist von einer milderen Form der Folter die Rede, nämlich von der Züchtigung Minderjähriger mit Ruten und Riemen. Ausführlich äußert sich Angelus Aretinus zu der Frage, inwiefern der Richter zu bestrafen ist, wenn der Beschuldigte unter der Folter stirbt253. Er bezieht sich dabei auf D. 48.8.1 oder 4254 und D. 48.19.8pr. Tengler übernimmt diese Verweise, obgleich D. 48.8.1 und 4 nur allgemein von der Pflicht sprechen, für den Tod eines Menschen einzustehen. Die Bedeutung von D. 48.19.8pr. für das diskutierte Problem erschließt sich überhaupt nicht. In der Gesamtschau ergibt sich aus dem Text und den Allegationen des Laienspiegels lediglich eine allgemeine eindringliche Warnung des Richters vor Exzessen bei der Folter.

b. Verhalten des Inquisiten bei der Aussage Im Text äußert sich der Laienspiegel nicht zur Bedeutung des Verhaltens des Inquisiten während der Aussage, obgleich die gemeinrechtliche Lehre dem eine wichtige Bedeutung beimisst. In seinen Allegationen verweist Tengler aber auf Bartolus’ Ausführungen zu D. 48.18.10.5. Das römische Recht erklärt die Stimme, die Standhaftigkeit oder Verzagtheit des Inquisiten für mindestens ebenso aussagekräftig wie dessen Worte255. Bartolus erklärt deshalb, dass – was aus heutiger Sicht wenig verwundert – derjenige, der zur Aussage

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Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 103. Kantorowicz, Albertus Gandinus II, S. 158, Anm. d und Anm. 2 und 3 zu Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 10. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 104. Die Allegation kann nicht eindeutig aufgelöst werden: Beide Gesetze beginnen mit den gleichen Worten, beide sind inhaltlich mehr oder minder einschlägig; Bartolus, auf den Angelus Aretinus sich beruft, versteht beide Gesetze als Aussage über die unberechtigte Folter und den Fall des Todes unter der Folter, Commentaria, D. 48.8.1 und 4 (Ad leg. Corn., Lege Cornelia). D. 48.18.10.5.

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geladen wird, keinen Vertreter schicken dürfe und dass das Zittern und sonstige auffällige Verhaltensweisen des Aussagenden in das Protokoll aufgenommen werden sollen256.

c. Dauer, Fortsetzung und Wiederholung der Folter Der Laienspiegel kennt keine zeitliche Begrenzung der peinlichen Befragung. Sie kann also grundsätzlich so lange fortgesetzt werden bis der Gefolterte gesteht. Bestenfalls wird ihm eine kurze Ruhepause gewährt: Ist der Befragte in seinen Antworten unbestendig und wanckelmütig, das er heüt etwas, unnd morgen anders sagen, so soll die Folter unterbrochen werden, der Inquisit soll sich ye eyn zeit ausruhen, um dann abermals der Folter unterzogen zu werden, biß er auff der bekantnüß unnd wissentlichen übelthat belibe257. Andererseits erklärt Tengler die Wiederholung der Folter nur dann für zulässig, wenn neue Indizien auftauchen: So auch yemandts umb eyn übelthat also gepeinigt und geurgicht worden, so ist er ausserhalb neüw anzeygen, oder ferrer indicia nicht zymlich widerumb zu peinigen, sonder vil besser das man zuvor an der new genugsam anzeygen erlangen bevelch258. Die entscheidende Frage ist damit, wie die Wiederholung von der bloßen Fortsetzung der Folter abzugrenzen ist. Den Abschluss der Folter bildet das Geständnis, das zu Protokoll genommen wird, die sog. „urgicht“. Ist der Inquisit geurgicht worden, ist jede weitere Folter als eine erneute oder wiederholte zu werten, nicht als Fortsetzung der ersten Tortur259. In der zitierten Passage hat der Laienspiegel den Fall vor Augen, dass der Inquisit unter Folter gesteht, die notwendige freiwillige Wiederholung des Geständnisses aber verweigert bzw. das Geständnis widerruft260. Der Inquisit soll in diesem Fall nicht ohne weiteres wieder in die Folterkammer geführt werden; vielmehr bedarf es nun neuer Indizien, um eine erneute Folter zu legitimieren.

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Bartolus, Commentaria, D. 48.18.10.5 (De quaestionibus, De minore, § Plurimum), n. 1. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CIXr. Die Beschränkung der Folter auf eine bestimmte Dauer wird zu Tenglers Zeit unüblich gewesen sein; erst im 16. Jahrhundert kommt überhaupt die Diskussion über die zeitliche Dimension der Folter auf. 1548 erlässt Papst Paul III. eine Bulle, die die Beendigung der Folter nach einer Stunde verlangt, Dohrn-van Rossum, Geschichte der Stunde, S. 255. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CIXr. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CIXr. Dazu unten Kap. B.II.3. Absicherung des erfolterten Geständnisses, S. 182ff.

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Der Laienspiegel allegiert hinsichtlich der Forderung neuer Indizien Bartolus und Salicetus261. Auf beide verweist schon Angelus Aretinus in seinen Ausführungen zur Folter262. Auch die italienischen Juristen diskutieren, unter welchen Voraussetzungen die Folter wiederholt werden darf. Unter „Wiederholung“ fassen die Gelehrten allerdings nicht nur die erneute Tortur nach erfolgtem Geständnis; ihnen geht es vielmehr auch um den Fall, dass der Inquisit unter der Folter hartnäckig schweigt263. Eine klare, formale Trennlinie zwischen Fortsetzung und Wiederholung lässt sich hier also nicht ziehen. Die Antwort auf die Frage, wann die weitere Folter nicht mehr Fortsetzung, sondern Wiederholung ist, bleiben die Juristen schuldig. Dafür widmen sie sich umfassend den Voraussetzungen für die erneute Folter. In seinem Kommentar zu D. 48.18.18 verlangt Bartolus für die Wiederholung der Folter nicht nur neue Indizien, sondern besonders starke, dringende (manifesta, multum urgentia) und vor allem klarere (evidentiora) als die ersten. Er kann dies nicht direkt auf das römische Recht stützen; Paulus lässt in der entsprechenden Digestenstelle vielmehr die wiederholte Folter besonders widerstandsfähiger Inquisiten ohne weiteres zu (D. 48.18.18.1)264. Nach Gandinus geht das Erfordernis neuer Indizien auf Odofredus zurück, es ist also erst in der italienischen Lehre entwickelt worden265. Angelus Aretinus interpretiert Bartolus differenziert; die Forderung besonders überzeugender Indizien bezieht sich seiner Ansicht nach nur auf den Fall, dass die Folter nach Eröffnung des Prozesses (post publicationem processus) noch einmal wiederholt werden soll266. Davor genügen schlicht neue Indizien. Angelus Aretinus setzt sich ausführlich mit den Anforderungen an die „Neuheit“ der Indizien, ihrer Unterschiedlichkeit im Vergleich zu den ersten Indizien, auseinander. Die deutschen Vorlagen äußern sich indes kaum zu den Fragen der Dauer und der Wiederholbarkeit der Folter. Die Bambergensis sieht offenbar überhaupt kein Problem darin, den zunächst geständigen dann aber widerrufenden Inquisiten abermals zu foltern; zwar soll der Richter den Verdacht noch einmal überprüfen, keineswegs werden aber neue Indizien verlangt267. Diese 261 262 263

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Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CIXr. Angelus Aretinus, Quod fama publica (…), n. 95, 96. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 20: quia tortus nihil dixerit; Bartolus, Commentaria, D. 48.18.18.1 (De quaestioninus, Unius facinoris, § Reus), n. 2; Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 96. Vgl. auch D. 48.18.16. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 20. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 96. Art. 70 CCB.

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Forderung findet sich lediglich im Klagspiegel268. An dieser Stelle lieferte er dem Laienspiegel also eine taugliche Vorlage.

d. Fragen an den Gefolterten In seinen Ausführungen zum Hexenprozess gibt Tengler für das Verhör der Verdächtigen einen detaillierten Fragenkatalog vor269; im Kapitel Von gestrengem fragen, also für den „gewöhnlichen Inquisitionsprozess“, äußert der Laienspiegel dagegen nicht, welcher Art die Fragen sein sollen, die dem Verdächtigen unter der Folter gestellt werden. Der ordentliche Inquisitionsprozess, wie wir ihn in der Bambergensis und der Carolina finden, zeichnet sich durch das artikulierte Verhör aus270: Für die Vernehmung des Inquisiten gibt die Bamberger Halsgerichtsordnung einzelne, in allgemeine und tatbestandsspezifische unterteilte Fragen vor271. Im Klagspiegel findet sich dagegen ebenso wenig wie im Laienspiegel die Beschreibung eines artikulierten Verhörs des Inquisiten272 – insoweit zeigen sich hier beide Werke wenig fortschrittlich. Die Idee, die hinter dem artikelweise vorgenommenen Verhör der Bambergensis steht, nämlich die gezielte Vorbereitung der späteren Überprüfung des Geständnisses273, berücksichtigt der Laienspiegel jedoch. Aus Tenglers Ausführungen wird deutlich, dass sich der Richter mit einem schlichten Geständnis nicht zufrieden geben soll. Um die Aussage später auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen zu können, muss der Verdächtige nach den „Umständen“ der Tat gefragt werden; im Idealfall macht er dabei Ausführungen, die Täterwissen beweisen274. An späterer Stelle – im Kapitel Von erzeügen der urgicht, das die Verwendung des Geständnisses auf dem endlichen Rechtstag behandelt – spricht der Laienspiegel indes von einer „rechtlichen Ordnung“ der Befragung. Insbesondere verbietet er den Verhörspersonen, Suggestivfragen zu stellen: doch im

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Klagspiegel, De questionibus: (…) ob sölliche peinigung wider geschehen möge, sprich nein, on neüwe wortzeichen (...), fol. CXXIXv. Laienspiegel, Forma Citation wider Unholden, fol. CVIr. Sellert, Inquisitionsprinzip, S. 172. Art. 60-65 CCB. Das artikulierte Verhör der Zeugen indes kennt der Klagspiegel, Exceptiones contra inquisitionem: (...) wie die zeügen geforscht sollen werden auff die artickel, fol. CXIIIv. Vgl. Art. 60, 65, 66, 67 CCB. Laienspiegel, Von gestrengem fragen: Aber nichtsminder die umbstend, so er in seiner urgicht anzeygt, daneben mit fleiß erkundet (…), (...) das nit zuvermuten, eyn unschuldiger sovil wissen (…), fol. CIXr.

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nit vorsagen, wie, wo oder wenn, solch übelthat beschehen275. Allegationen fehlen hier. Das Verbot von Suggestivfragen findet sich aber bereits bei Ulpian (D. 48.18.1.21); wenn auch nur im Hinblick auf die Zeugenfolter276. Entsprechend finden wir die Regel auch im Klagspiegel wiedergegeben; auch er hat nur die Zeugenbefragung vor Augen, wenn er fordert, der Befragte soll nach dem Täter befragt werden, ohne dass ihm die Namen potentieller Schuldiger vorgegeben werden: der Richter sol nit in sunderheyt fragen, ob Hans oder Cuntz den todtschlag gethon hab277. Angelus Aretinus bezieht das Verbot schließlich ausdrücklich auf die Befragung des Verdächtigen278; es wird Teil der gemeinrechtlichen Folterordnung279.

3. Absicherung des erfolterten Geständnisses a. Ratifizierung280 Nachdem der Inquisit unter der Folter ein Geständnis abgelegt hat, gilt es, dieses als Grundlage für die Verurteilung auf dem endlichen Rechtstag zu sichern. Als solche taugt nur das freiwillige Geständnis. Der Inquisit muss deshalb seine Aussage noch einmal ohne Folter wiederholen281. Auf dem endlichen Rechtstag soll schließlich der Richter nicht mehr auf eine abermalige Wiederholung des Geständnisses durch den Inquisiten angewiesen sein; auch ein Widerruf des Geständnisses soll nun die Verurteilung nicht mehr verhindern können. Deshalb wird auf dem endlichen Rechtstag nur noch Beweis darüber erhoben, dass der Inquisit ein Geständnis abgelegt hat. Der Laienspiegel sieht für diesen Beweis Geständniszeugen vor. Um die Freiwilligkeit des wiederholten Geständnisses formal zu sichern, verlangt der Laienspiegel einen gewissen zeitlichen und räumlichen Abstand

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Laienspiegel, Von erzeügen der urgicht, fol. CXVIIv. Zur anfänglichen Bedeutung des Verbots im gemeinen Recht, vgl. Nörr, Die Stellung des Richters, S. 21ff. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXIXr. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 118. Schmoeckel, Humanität, S. 262. Den Begriff des Ratifizierens verwendet z. B. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 36, 112. Laienspiegel, Von gestrengem fragen: Zum dritten, so der gefangen auff genugsam indicia (…) gefragt oder verurgicht worden, ist not das er darinn verharre (…), fol. CVIIIv.

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zwischen der Folter und der erneuten Befragung des Inquisiten. Nach Abschluss des peinlichen Verhörs soll der Gefolterte eine Zeit lang in Ruhe gelassen werden. Eine bestimmte Dauer gibt der Laienspiegel dafür zunächst nicht an: es solle so lange sein, dass die Schmerzen der Folter zumindest teilweise abgeklungen sind282. Später legt sich Tengler auf 24 Stunden fest283. Dann soll man den Inquisiten an einen anderen Ort führen, an dem er die Folterknechte und -instrumente nicht sieht, um ihn dort ein zweites Mal nach seinem Geständnis zu befragen. Wenn er nun seine Aussage unbezwungen und unbetrewt (…) bekrefftigt284, liegt – formal – ein freiwilliges Geständnis vor. Diese Freiheit von Zwang und Drohung soll sich nach außen manifestieren, indem der Inquisit ungebunden, d. h. ohne Fesseln, vor den Richter tritt285. Mit dem Erfordernis der Freiwilligkeit des Geständnisses oder hilfsweise des freiwilligen „Beharrens“ auf dem erfolterten Geständnis übernimmt Tengler die kanonistische Lehre, nicht das römische Recht, das der Folterlehre im Übrigen zugrunde liegt286. Durantis verweist für die Feststellung non valet confessio facta metu mortis (...) vel tormentorum, nisi perseveret quis in confessione auf die pseudoisidorische Dekretale C.15 q.6 c.1287, die in § 2 besagt: Confessio ergo in talibus non debet extorqueri, sed sponte profiteri. Dennoch allegiert Tengler zu dieser Passage nur weltliche Juristen; er stützt sich auf die Kommentierung von C. 2.19.2 durch Jacobus Butrigarius, Cinus de Pistoia und Bartholomäus Salicetus, weiterhin auf den Kommentar eines gewissen Ange. zu C. 9.4.2288. Schließlich allegiert Tengler Bartolus’ Kommentar zu D. 48.18.1.17. Keine der Bezugsstellen im römischen Recht verlangt ausdrücklich die Wiederholung des erfolterten Geständnisses289. Die Juristen versuchen dennoch, die kanonistische Lehre an den besagten Stellen

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Laienspiegel, Von gestrengem fragen: so er über eyn zeit des schmertzens eyns teyls nit mercklich empfind (…), fol. CVIIIv/CIXr. Später wiederholt der Laienspiegel das Erfordernis noch einmal, diesmal formuliert er: (…) und so im der schmertz auß der marter eyns teyls vergangen (…); vgl. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 112. Laienspiegel, Von erzeügen der urgicht, fol. CXVIIv. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CIXr. Dies äußert Tengler an späterer Stelle, Laienspiegel, Von erzeügen der urgicht, fol. CXVIIv. Vgl. auch Fiorelli, La totura giudiziaria II, S. 117; Schmoeckel, Humanität, S. 263; Inger, Geständnis, S. 30, Anm. 55; Lévy, La Hiérarchie, S. 55. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. II, Part. II, De Confessionibus, § 2: Sequitur, n. 1. Um Angelus Aretinus kann es sich dabei nicht handeln; von ihm ist kein Codexkommentar bekannt. Möglicherweise ist Angelus de Ubaldis, der Bruder des Baldus, gemeint. Es werden allenfalls generelle Zweifel an durch Furcht veranlassten Handlungen offenbar, an nicht öffentlich abgelegten Geständnissen und an solchen, die nicht durch weitere Beweise gestützt werden.

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im römischen Recht zu verankern290. Jacobus Butrigarius stellt in seinem Kommentar zu C. 2.19 bzw. C. 20.2 fest: Confessio facta in tormentis non valet nisi perseveret confessus in loco remoto a loco torture (...)291. Ganz ähnlich äußert sich auch Bartolus zu D. 48.18.1.17292. Bartolus nimmt in der allegierten Passage auch zu der Frage Stellung, wie viel Zeit zwischen der Folter und der „freiwilligen“ Wiederholung des Geständnisses vergehen muss. Er erklärt, diese Entscheidung stünde im Ermessen des Richters293. Er mag damit dem Laienspiegel als Vorlage gedient haben. Mangels einer Regelung im römischen Recht wurde diese Frage von anderen Legisten abweichend beantwortet. Überwiegend zog man, wie auch der rätselhafte Ange., C. 9.4.2 heran, in dem sich aber keinerlei Zeitangabe findet294. Teilweise wurde die Meinung vertreten, bis zur Ratifizierung sollte mindestens ein Tag vergehen295. Diese Ansicht greift auch der Klagspiegel auf; er verlangt, dass der Inquisit am anderen tag zur Wiederholung seines Geständnisses aufgefordert werden soll296. Auch Tengler kennt diese Meinung: Im Kapitel Von erzeügen der urgicht, in dem er den gesamten Vorgang von Verhör und Ratifizierung noch einmal beschreibt, gibt auch er einen zeitlichen Abstand von 24 Stunden als Richtwert an297. In der Bambergensis hätte er die ausdrückliche Harmonisierung zwischen der festen zeitlichen Vorgabe und dem Ermessen des Richters finden können. Art. 69 erklärt, bis zur Ratifizierung müsste mindestens ein Tag vergehen, die Gewährung einer längeren Pause stehe aber im Ermessen des Richters. Für die Frage, wie weiter zu verfahren ist, wenn der Inquisit die Bestätigung verweigert, ist auf die Aussage Tenglers zur Wiederholung der Folter zu verweisen: Die erneute Folter kommt, wie wir oben gesehen haben, nur in Betracht, wenn neue Indizien vorliegen. Der Klagspiegel ordnet bei Verweigerung der Bestätigung – vorausgesetzt es liegen neue Indizien vor – ebenfalls

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Vgl. schon Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 15; zu diesen Anstrengungen der Legisten auch Fiorelli, La tortura giudiziaria II, S. 117ff. Jacobus Butrigarius, Lectura super Codice, C. 2.19.2 (De his que vi metus (...), Cum te), fol. LXXvb. Cinus de Pistoia geht indes an der allegierten Stelle nicht auf das erfolterte Geständnis ein, Cinus de Pistoia, Commentaria, C. 2.19.2 (De his que vi metus (...), Cum te), fol. 90r/v. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.1.17 (De quaestionibus, In criminibus, § Divus severus), n. 4. Fiorelli, La tortura giudiziaria II, S. 119ff. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 112; vgl. auch Fiorelli, La tortura giudiziaria II, S. 121ff.; Schmoeckel, Humanität, S. 263; Langbein, Torture, S. 15. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXIXr. Laienspiegel, Von erzeügen der urgicht, fol. CXVIIv.

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die Wiederholung der Folter an298. Die Bambergensis erlaubt, wie bereits erwähnt, in diesem Fall die Folter ohne weitere Indizien299. Um auf dem endlichen Rechtstag zu beweisen, dass der Inquisit ein freiwilliges Geständnis abgelegt hat, verlangt Tengler, wie gesagt, Geständniszeugen300. Bei der Wiederholung des Geständnisses ohne Folter sollen ehrbare Personen aus dem Kreis der Urteiler zugegen sein, die später auf dem endlichen Rechtstag als Zeugen auftreten301. In seinem Kapitel Von erzeügen der urgicht setzt Tengler sich mit den Anforderungen an diesen Zeugenbeweis auseinander. Als Zeugen taugen gerade nicht diejenigen, die bei der Folter zugegen waren: Wer von der Erzwingung des Geständnisses weiß, belastet sein Gewissen, wenn er die Existenz eines freiwilligen Geständnisses bezeugt bzw. darauf gestützt ein Urteil fällt: wann wenn dieselben sehen, hören und wissen, das die urgicht mit marter außgedruckt, das möcht sie inn irer zeügnüs, auch die urteyler im gewissen beschweren, unnd nit für eyn rechtmässige bekantnüs zuachten302. Als Lösung bietet der Laienspiegel an, zur peinlichen Befragung etlich geheym person, die verschwigen wären, zu schicken, die Ratifizierung aber von anderen vornehmen zu lassen. Das Problem, dass freilich auch diese Personen, die dann das freiwillige Geständnis bezeugen sollen, von der vorangegangenen Folter wissen – schließlich wird dem Inquisiten bei der Ratifizierung seine erfolterte Aussage vorgehalten und das Procedere war sicher bekannt – sieht auch der Laienspiegel: er wertet dieses Vorgehen lediglich als geringeres Übel: es möcht etwas leidlicher sein303. Soweit Tengler vom Bezeugen des Geständnisses spricht und vor dem Gericht letztlich nicht mehr das unmittelbare Geständnis, sondern nur noch das Gerichtszeugnis darüber verlangt, verweist er nicht auf gelehrtes Recht. Offenbar beschreibt er hier die deutsche Praxis304; auch die Bambergensis 298 299 300

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Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXIXv. Art. 70 CCB. Laienspiegel, Von erzeügen der urgicht, fol. CXVIIv; Vom verlesen des übelthäters urgicht, fol. CXVIIr. Dazu im Einzelnen unten zum Kap. B.VII.: Der endliche Rechtstag im Laienspiegel, S. 296ff. Vgl. zur Basler Verfahrenspraxis Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 205ff. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CIXr: mit erbern leüten bezeügt werden und Von erzeügen der urgicht, fol. CXVIIv: für den Richter und erber leut des gerichts (...) oder wo es der gebrauch wär, all urteyler (...). So er dann darauff bestehen würd, sollichs bezeügen (...). Laienspiegel, Von erzeügen der urgicht, fol. CXVIIv. Laienspiegel, Von erzeügen der urgicht, fol. CXVIIv. Schünke, Folter im deutschen Strafverfahren, S. 60, 69 u. ö.; Kleinheyer, Die Rolle des Geständnisses, S. 377; zur Bezeugung des Geständnisses in Basel, Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 206; Eb. Schmidt, Einführung, S. 100ff. In den früheren Quellen wird indes teilweise noch die Wiederholung des Geständnisses verlangt, das Gerichtszeugnis darüber genügt hier nicht, Sellert, Inquisitionsprinzip, S. 168f.

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(Art. 107 CCB) und die Carolina (Art. 91 CCC) regeln die Einbringung des Geständnisses in den Prozess mittels Gerichtszeugnis305. Das gelehrte Recht kennt zwar die Möglichkeit, dass das außergerichtliche Geständnis bewiesen und damit dem gerichtlichen gleichgestellt wird306. Es verlangt aber vorrangig die Wiederholung des Geständnisses vor Gericht307: Grundsätzlich kann nur die confessio in iure den zur Verurteilung genügenden Beweis erbringen308. Offenbar in strenger Anlehnung an das gemeine Recht verzichtet deshalb der Klagspiegel auf Ausführungen zum Bezeugen des freiwilligen Geständnisses. Den Beweis des Geständnisses übernimmt im gelehrten Recht, soweit nötig, anstelle der Geständniszeugen, die schriftliche Fixierung der Aussage. Zwar fordert auch der Laienspiegel im Kapitel Von gestrengem fragen, es solle alles mit fleiß beschriben werden. Im besagten Kapitel Von erzeügen der urgicht stellt Tengler aber klar: Protokolliert wird das Geständnis in der Folterkammer. Dieses (sein urgicht mit kurtzen worten auffgeschriben) wird dann zum Zwecke der Bestätigung dem Inquisiten vorgehalten mit der Frage, ob er sich dazu bekenne309. Dem Aufschreiben dieser freiwilligen Bestätigung misst Tengler nun offenbar weniger Bedeutung bei als dem Folterprotokoll: Nur für gewichtige Sachen (wo so groß daran gelegen) verlangt er die schriftliche Fixierung des „freiwilligen“ Geständnisses mit des Richters einsigel, unnd des gerichtschreibers underschrifft310. Dieses Schriftstück soll, soweit die „Oberhand“ berufen ist, über das weitere Verfahren zu entscheiden bzw. das Urteil zu fällen, dieser als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung gestellt werden: Der übergeordneten Instanz wird eine Abschrift zu underricht gesendet, damit die dest gründtlicher irs willen mögen berätig werden311. In seinen Vorlagen konnte Tengler indes eine ganz andere Wertung der Protokollierung des Geständnisses finden. Ebenso wie die gelehrten Quellen – er allegiert hier Bartolus’ Kommentar zu D. 48.18.1.27 – verlangen auch der Klagspiegel und die Bambergensis nachdrücklich die schriftliche Fixierung gerade des freiwilligen Geständnisses. Laut Bartolus soll nach der Ratifizierung in den Akten vermerkt werden, es liege ein freiwilliges Geständnis vor: Notarius, qui in actis dixit, talis confeßus est sponte, licet sit confeßus in tortura, non est

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Inger, Geständnis, S. 130. Inger, Geständnis, S. 29, 41 Verweigerte der Verdächtige die Wiederholung bzw. widerrief er sein Geständnis konnte ihm erneut die Folter drohen, Schmoeckel, Humanität, S. 263ff. Lévy, La Hiérarchie, S. 55ff.,79ff.; Inger, Geständnis, S. 41. Laienspiegel, Von erzeügen der urgicht, fol. CXVIIv. Laienspiegel, Von erzeügen der urgicht, fol. CXVIIv. Laienspiegel, Von erzeügen der urgicht, fol. CXVIIv.

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falsarius312. Die Bambergensis kennt wie der Laienspiegel das Folterprotokoll313, darüber hinaus verlangt das Gesetz aber ausdrücklich, dass auch die „freiwillige“ Bestätigung des Geständnisses protokolliert wird314. Im Klagspiegel finden wir überhaupt nur in dieser Funktion die Anordnung eines Protokolls315. Die abweichende Darstellung im Laienspiegel mag aus Tenglers praktischer Erfahrung resultieren: In der Praxis der deutschen Städte spielten das Folterprotokoll und dessen Verwendung auf dem endlichen Rechtstag eine entscheidende Rolle316, die freiwillige Bestätigung und deren Fixierung indes hatten sich zu Tenglers Zeit noch nicht durchgesetzt317; den Beweis des freiwilligen Geständnisses auf dem endlichen Rechtstag erbrachten, wie wir gesehen haben, die Geständniszeugen.

b. Verifizierung Die freiwillige Wiederholung des Geständnisses kann für Tengler noch nicht alle Zweifel an der Wahrheit des erfolterten Geständnisses beseitigen; er ermahnt deshalb den Richter zur Verifizierung der Aussage des Beschuldigten: Aber nichtsminder die umbstend, so er in seiner urgicht anzeygt, daneben mit fleiß erkundet, damit die bekantnüß unnd waren geschicht eynander geleich (...)318. Auch an dieser Stelle verweist Tengler nicht auf das gelehrte Recht. Einiges spricht dafür, dass er hier Art. 66 CCB übernimmt319, in dem die Bambergensis fordert, dass den umbstenden, so der gefragt (...) erzelt hat (...) mit allem vleyss nachgegangen wird. Die Befragung des Inquisiten gliedert sich in der Bambergensis wie später auch in der Carolina in zwei Abschnitte: Der erste ist auf das schlichte Bekennen des Inquisiten gerichtet; er endet mit der Ratifizierung des Geständnisses, um dieses für das restliche Verfahren zu sichern320. Im zweiten Teil des Verhörs soll dann der Inquisit – in der Carolina ohne Folter – umfassend 312 313 314 315 316

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Bartolus, Commentaria, D. 48.18.1.27 (De quaestionibus, In criminibus, § Si quis in ultro), n. 7. Art. 57 CCB; der Klagspiegel erwähnt das Folterprotokoll nicht. Art. 69 CCB. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXIXr. Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 205f.; zur Bedeutung der „Turmbuchprotokolle“ Schwerhoff, Köln im Kreuzverhör, S. 119, 42ff. Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 205f.; Schünke, Folter im deutschen Strafverfahren, S. 60, 62 u. ö. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CIXr. Vgl. auch Art. 54, 60 CCC. Art. 59, 60 CCB; vgl. 47,48 CCC.

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über den Tathergang (umb unterricht) befragt werden321. Die Bambergensis gibt konkrete Fragen vor, deren Beantwortung Täterwissen beweist322. Die Aussagen, die der Inquisit in diesem zweiten Teil der Befragung macht, bilden dann den Ausgangspunkt für eine Überprüfung seines Geständnisses323. Deutlicher als der Laienspiegel erklärt die Bambergensis, dass ein Widerspruch zwischen den Angaben des Inquisiten und den Ermittlungserkenntnissen einer Verurteilung entgegensteht; der Inquisit soll in diesem Fall aber erneut gefoltert werden324. Ein solches Verifizierungserfordernis ist keineswegs fester Bestandteil der gemeinrechtlichen Folterlehre325; entsprechend fehlt es auch im Klagspiegel. Nur für den Fall der erfolterten Zeugenaussage gegen einen Feind fordert der Klagspiegel die Überprüfung der Beschuldigung326. Im Übrigen nimmt er die Verurteilung aufgrund eines falschen Geständnisses in Kauf, lapidar stellt er fest: Wenn hernach erfunden unn offenbar würt ir unschuld, sie sollen von Fürsten erlößt werden327. Nach der gemeinrechtlichen Lehre genügt grundsätzlich ein wirksames (also insbesondere freiwilliges bzw. ratifiziertes) Geständnis zur Verurteilung. Dogmatisch wird ein solches Geständnis teilweise als „Selbst-Verurteilung“ gewertet328, im Codex finden die italienischen Juristen die Formulierung: Confessus habetur pro iudicato329 – das Geständnis entbindet den Richter von der Entscheidung über Schuld und Unschuld. Dennoch finden sich im gelehrten

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Art. 60 CCB; vgl. Art. 48 CCC. Art. 60-64 CCB; vgl. Carolina Art. 48-52 CCC. Art. 65 CCB; vgl. Art. 54 CCC. Art. 67 CCB; vgl. Art. 55 CCC. Langbein, Torture, S. 15. Als Quelle der Bambergensis wurden hier Ciceros rhetorische Schriften in Erwägung gezogen, vgl. Brunnenmeister, Quellen, S. 237. Klagspiegel, De questionibus: (...) wann in der erfarung der sach prüfft man, ob in der peinigung zu glauben sei oder nit, fol. CXXVIIIv. Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXIXr. Bartolus lehnt dies ab, vgl. den Leitsatz in den Loci Communes: confessus in criminalibus non habetur pro condemnato. Als Begründung weist Bartolus auf das Verbot hin, in der eigenen Sache das Urteil zu sprechen, Commentaria, D. 42.2.1 (De confessis, Confessus), n. 2. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. II, Part. II, De Confessionibus, § 1: Quis sit confessionis effectus, n. 1, 4, 5 und lib. IIII, Part. II, De Confessis, n. 1 mit Verweis auf D. 42.2.1 und C. 7.59 (De confessis); vgl. auch Inger, Geständnis, S. 29, Anm. 52. Matthias Antonius, ein Vertreter der gemeinen Strafprozeßrechtswissenschaft der frühen Neuzeit, wird später spitzfindig feststellen: Wenn der Geständige nur für überführt zu halten sei, dann überführe ihn das Geständnis also nicht; neben dem Geständnis bedürfe es also noch des Beweises, Sellert, Inquisitionsprinzip, S. 173.

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Recht drei unterschiedliche Überlegungen, die das Geständnis nicht ohne weiteres zur Verurteilung genügend erscheinen lassen. Auch unter den italienischen Juristen wird vertreten, neben das Geständnis müsse ein weiterer Beweis treten, damit verurteilt werden dürfe. Dem liegt in erster Linie die – wie wir bereits im Zusammenhang mit der corpus delictiLehre gesehen haben – verbreitete Auffassung zugrunde, der Beweis eines Verbrechens bestehe aus zwei Teilen: Dem Beweis der Tat und dem Beweis der Täterschaft. Das Geständnis, so wird vertreten, sei nur taugliches Beweismittel hinsichtlich der Täterschaft, nicht aber der Tat. Anhaltspunkte für diese Auffassung finden die Juristen bereits bei Ulpian. Der erklärt für den Fall des Parteienprozesses: Ein Geständnis entbinde den Kläger nur vom Beweis der Täterschaft, nicht vom Nachweis, dass die Tat überhaupt geschehen ist: hoc enim solum remittere actori confessoriam actionem, ne necesse habeat docere eum occidisse330. Gandinus setzt sich mit einer kanonistischen331 Ansicht auseinander, die besagt, es bedürfe für die Verurteilung neben dem Geständnis eines weiteren Beweises, nämlich hinsichtlich der Tatsache, dass das eingestandene Verbrechen überhaupt begangen wurde332. Durantis erklärt: confessus non sit condemnandus, nisi aliter contra eum probetur: quia non habetur pro explorato facinore333. Allerdings beschränkt er das Erfordernis des Tatbeweises auf den Fall des erfolterten und widerrufenen Geständnisses. Andere Juristen verlangen den zusätzlichen Tatbeweis nur, wenn das Geständnis allgemein gehalten ist, also keine Aussage über Ort, Zeit und Tatopfer macht334. So sieht Baldus in der confessio generalis – beispielsweise hinsichtlich eines Diebstahls – nur in Kombination mit der Sicherstellung der Beute (res substracta) einen zur Verurteilung genügenden Beweis335. Zumindest was die Täterschaft angeht, liefert aber das – erfolterte und „freiwillig“ wiederholte – Geständnis nach dem gemeinen Recht den vollen, zur Verurteilung genügenden Beweis; einer Verifizierung bedarf es nicht. Die Aussage des Beschuldigten wird als wahr angesehen (habetur pro veritate336), solange nicht der Gegenbeweis erbracht ist. 330 331 332

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D. 9.2.23.11. Vgl. Kantorowicz, Albertus Gandinus II, S. 100, Anm. 5. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) quando crimen est notorium, n. 3 und De presumptionibus et indiciis dubitatis, n. 4. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. II, Part. II, De Confessionibus, § 1: Quis sit confessionis confessus, n. 4. Baldus, Commentaria, C. 6.1.3 (De servis fugitivis, Authentica, Sed novo iure), n. 9. Baldus, Commentaria, C. 6.1.3, (De servis fugitivis, Authentica, Sed novo iure), n. 9; Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Etiam vestem coelestem (…), n. 25; Augustinus Bonfranciscus, Add. zu Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 115. Baldus, Commentaria, C. 7.59 (De confessis), n. 10.

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Auch unter den italienischen Juristen wird aber die Möglichkeit unwahrer Geständnisse erkannt und berücksichtigt. Die Kanonisten erklären das Geständnis, das der Wahrheit widerspricht, für ungültig337. Bei den Legisten finden sich ähnliche Äußerungen: Augustinus Bonfranciscus möchte ein Geständnis nicht beachtet wissen, dessen Falschheit bewiesen ist338. Mit Verweis auf eine Aussage, die Angelus Aretinus in einem consilium getroffen haben soll, stellt Augustinus fest: Confeßio non est tantae potentiae, ut poßit facere verum ex non vero339. Auch Baldus erklärt, wenn bewiesen bzw. dem Richter bekannt sei, dass das eingestandene Verbrechen überhaupt nicht geschehen ist, dürfe er den Geständigen nicht bestrafen340. Im Gegensatz zum Laienspiegel und der Bambergensis haben die Gelehrten dabei aber den Fall vor Augen, dass sich die Unwahrheit ohne gezielte Ermittlungen des Richters offenbart341. Nachforschungen muss dieser offenbar nicht aus eigenem Antrieb anstellen342. Es steht vielmehr in der Verantwortung des Geständigen, die Unwahrheit seiner Aussage durch die Verweigerung der freiwilligen Wiederholung oder spätestens im Wege der Appellation geltend zu machen und gegebenenfalls zu beweisen. Durantis gesteht dem unter Folter Geständigen zu, die Verweigerung der Ratifikation seiner Aussage mit dem Anbieten eines Gegenbeweises zu verbinden: in confessione per torturam extorta, in qua confitens non perseveravit; sed forte vult contrarium ostendere343. Soweit Gandinus Zweifel hegt an der Glaubwürdigkeit des erfolterten Geständnisses, genügt auch ihm die Wiederholung bzw. Bestätigung vor dem Richter, um diese Zweifel zu beseitigen344. Auch er legt die Verantwortung, ein falsches Geständnis aufzudecken, ganz in die Hand des Geständigen. Gegen das irrtümlich abgegebene Geständnis kann der 337

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Tancredus, Ordo Iudiciarius, III.4.2; Hostiensis, Summa, X 2.18 (De confessis), n. 1; zu der Formel nec natura vgl. Inger, Geständnis, S. 32; Lévy, La Hiérarchie, S. 58. Augustinus Bonfranciscus, Add. zu Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 113. Augustinus Bonfranciscus, Add. zu Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Comparverunt dicti inquisiti (…), n. 15 mit Verweis auf Angelus Aretinus, Consilium 22. Baldus, Commentaria, D. 9.25 (Ad legem Aquiliam, Proinde), n. 2. Hostiensis, Summa, X 2.18 (De confessis), n. 4; Inger, Geständnis, S. 32; Lévy, La Hiérarchie, S. 59. Baldus, Commentaria, D. 9.2.25 (Ad legem Aquiliam, Proinde), n. 2. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. II, Part. II, De Confessionibus, § 1: Quis sit confessionis effectus, n. 4. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 15, ferner Quomodo (...) quando crimen est notorium, n. 3. Die Untersuchungen von Kantorowicz zeigen aber, dass Gandinus in der Praxis das Geständnis durchaus überprüfte Kantorowicz, Albertus Gandinus I, S. 144, Urkunde 21 VI, S. 214.

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Geständige noch im Verfahren oder nach dem Urteil vorgehen, die Beweislast hinsichtlich des Irrtums liegt bei ihm345. Skepsis gegenüber der Glaubwürdigkeit des erfolterten Geständnisses zeigt auch Bartolus: quod tormentis non est usquequaque credendum346. Die Möglichkeit, dass aus Angst vor Folter (metu tormentorum) oder irrtümlich (confessio erronea) ein falsches Geständnis abgelegt wird, erkennt Bartolus durchaus347. Die Lösung dieses Problems sieht er aber wie Durantis und Gandinus im Erfordernis der Wiederholung vor dem Richter348. Auch er stellt es in die Verantwortung des Geständigen, seine wahrheitswidrige Aussage nicht zu wiederholen349 bzw. sie zu widerrufen350. Baldus verweist schließlich ausdrücklich auf die Appellation als Möglichkeit für den aufgrund eines falschen (erfolterten) Geständnisses Verurteilten, die Unwahrheit seiner Aussage zu beweisen351. Namentlich die Appellation dient also als Garantie zur Vermeidung einer Bestrafung aufgrund eines unwahren Geständnisses. Aus dem römischen Recht und der kanonistischen Notorietätslehre352 folgern die Juristen jedoch, dass das Geständnis die Appellation gerade ausschließt. Konsequenterweise beschränken sie diese über den Beweis hinausgehende prozessuale Wirkung des Geständnisses aber auf solche Fälle, in denen das Geständnis durch andere Beweise verifiziert ist: Mit Verweis auf C. 7.65.2 – das Gesetz begrenzt das Appellationsverbot auf den Fall, dass der Betroffene geständig (confessus) und überführt (convictus) sei353 – verlangen Bartolus und Baldus für das Appellationsverbot das gleichzeitige Vorliegen von klaren Beweisen (probationes sunt luce

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Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 23. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.1. (De quaestionibus, In criminibus), n. 1 Vgl. Bartolus, Loci Communes, "Confessio". Bartolus, Commentaria, D. 48.18.1.17 (De quaestionibus, In criminibus, § Divus Severus), n. 1, vgl. auch Bartolus, Commentaria, D. 48.3.1 (De custo. reo., De custodia). Das aus Furcht vor der Folter abgegebene Geständnis bedarf der Wiederholung. Es wird insofern dem sponte abgelegten Geständnis gegenüber gestellt, Bartolus, Commentaria, D. 48.3.1 (De custo. reo., De custodia). Offenbar ist die Abgrenzung allein nach der inneren Motivationslage des Geständigen vorzunehmen, der Zeitpunkt der Abgabe ist dagegen nicht entscheidend. Auch das unter Folter abgegebene Geständnis kann später als sponte bewertet werden, wenn der Geständige es nach Beendigung der Folter bestätigt, Bartolus, Commentaria, D. 48.18.1.17 (De quaestionibus, In criminibus, § Divus Severus). Bartolus, Commentaria, D. 42.2.2 (De confessis, Non fatetur); C. 1.18.7 (De iuris et facti ignorantia, Error facti). Baldus, Commentaria, C. 2.9.3 (De errore advocatorum, sententiis), n. 3: ex hoc habes quod confessus appelat: quia in causa appellationis potest revocare errorem, et probare contrarium (...). Zur notorietätsbegründenden Wirkung des Geständnisses Innozenz III. in X 5.40.24. Inger, Geständnis, S. 38, 43; Lévy, La Hiérarchie, S. 57.

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clariores)354: Die Appellation soll nur für den confessus et convictus355 ausgeschlossen sein. Baldus erklärt die dahinter stehende Überlegung. Das Geständnis könne nicht mehr bestritten werden, wenn es nachweislich der Wahrheit entspreche: confessionem suam revocare non potest, quia veritas cum confessione consonat356. Die Ähnlichkeit dieser Formulierung mit dem Erfordernis im Laienspiegel, dass die die bekantnüß unnd waren geschicht eynander geleich (...)357 sein müssen, ist augenscheinlich. Der Laienspiegel indes beschreibt für das Inquisitionsverfahren ein Vorgehen, das keine Appellation vorsieht. Auf die Verkündung des Urteils auf dem endlichen Rechtstag folgt grundsätzlich sogleich die Vollstreckung der Strafe. Auch im Übrigen, insbesondere was die fehlenden Verteidigungsmöglichkeiten des Inquisiten angeht, beschreibt er hier ein Verfahren, das dem auf eine notorische Tat entspricht. Seine Forderung, das Geständnis müsse verifiziert werden, um ein solches Vorgehen zu erlauben, harmoniert insofern mit dem gelehrten Recht. Daneben ist zu beachten, dass nach Ansicht der italienischen Juristen der Erzwingung des Geständnisses ein Indizienbeweis vorausgehen muss. Den Indizien könnte dabei nicht nur die Funktion zukommen, einen Verdacht zu begründen, der die Folter legitimiert. Vielmehr mag den Verdachtsmomenten, auch nachdem das Geständnis erlangt wurde, noch eine Bedeutung beizumessen sein: Jetzt könnten sie die Funktion haben, das Geständnis zu bestärken. Die gemeinrechtliche Beweismittelarithmetik legt nahe, dass die Indizien als Halbbeweise, um das erfolterte Geständnis, ergänzt den Vollbeweis erbringen und eben umgekehrt, der Beweiswert des erfolterten Geständnisses durch den Indizienbeweis verstärkt wird358. Einige Legisten äußern, das erfolterte Geständnis sei, selbst wenn es ratifiziert wurde, unwirksam, wenn zuvor keine ausreichenden Indizien vorlagen359. Es sind aber Zweifel angebracht, inwiefern in dieser Regelung ein Verifizierungserfordernis zu sehen ist. Wahr354

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Baldus, Commentaria, C. 7.65.2 (Quorum appelatione, observare), n. 2. In seinen Ausführungen zur Notorietät äußert sich Baldus nicht eindeutig zu den Folgen eines Geständnisses als Form des Notorium Iuris. Er erwähnt aber auch hier, dass das Geständnis zumindest dann nicht zur Notorietät führt bzw. für wahr gehalten werden darf, wenn das Gegenteil bewiesen ist (pro veritate habenda, nisi constet contratrium), Baldus, Commentaria, C. 9.2, Ea quidem, n. 14. Bartolus, Commentaria, D. 49.1.16 (De appellationibus et relegationibus, Constitutiones), n. 3. Baldus, Commentaria, C. 7.65.2 (Quorum appelatione, observare), n. 2. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CIXr. Peters, Folter, S. 89; Jerouschek, Überlegungen zu Folter, S. 352ff., 363; vgl. auch die Formulierung in D. 48.18.1.1. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.21 (De quaestionibus, Quaestionis), n. 1; Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 36.

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scheinlicher ist, dass es sich hier um ein Beweisverwertungsverbot handelt, das den vorschnellen Einsatz von Foltermitteln verhindern soll. In diesem Sinne scheint auch der Klagspiegel die gemeinrechtliche Regel zu verstehen; er erklärt: Unnd darumb das sölliches geschehen ist wider die ordenung des rechten (...) und darumb was hernach und darwider geschicht ist krafftloß und vernichten360. Schließlich finden wir in einer der italienischen Quellen des Laienspiegels tatsächlich ein Verifizierungserfordernis als Voraussetzung für die Verurteilung aufgrund eines Geständnisses und zwar im Tractatus de maleficiis von Angelus Aretinus361. Angelus Aretinus selbst spricht vom „Verifizieren“ allein im Falle des allgemeinen Geständnisses, das sich nicht auf eine konkrete Tat bezieht362. Die Notwendigkeit weiterer Verdachtsmomente zur Bestätigung des erfolterten Geständnisses ist allenfalls einem Umkehrschluss zu entnehmen: Hinsichtlich des freiwilligen Geständnisses stellt Angelus Aretinus fest, dass es zur Verurteilung keiner weiteren Verdachtsmomente bedarf363. Deutlicher sind dagegen die Aussagen des Augustinus Bonfranciscus, der Angelus’ Ausführungen ergänzt364. Er verlangt ausdrücklich die Bewertung des Geständnisses: si talis confessio est verisimilis. Selbst das freiwillige Geständnis dürfe zumindest dann nicht für gültig erachtet werden, wenn das eingestandene Verbrechen den Umständen nach unwahrscheinlich oder dem Geständigen nicht zuzutrauen sei365. Obgleich Tengler im gemeinen Recht Anhaltspunkte finden konnte, die Zweifel an der Verurteilung allein aufgrund eines Geständnisses aufkommen lassen, wird er das Verifizierungserfordernis als festen „Programmpunkt“ im Ablauf des Inquisitionsprozesses aus der Bambergensis übernommen haben. Möglicherweise kannte er die Überprüfung des Geständnisses auch aus der Praxis; entsprechende Anordnungen lassen sich zumindest für den Nürnberger Rat belegen366.

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Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXIXv. Vgl. Brunnenmeister, Quellen, S. 237ff. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Etiam vestem coelestem (…), n. 25, 26. Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 36. Die Additionen werden Tengler bekannt gewesen sein, schon in den frühen Druckausgaben, die noch unter anderem Titel erschienen, sind Angelus Aretinus’ Aussagen mit den Ergänzungen des Augustinus Bonfranciscus Ariminensis versehen, P. Maffei, Angelo Gambiglioni, S. 43. Augustinus Bonfranciscus, Add. zu Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (...), n. 114. Schünke, Folter im deutschen Strafverfahren, S. 39.

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4. Zusammenfassung

Die Folter ist für Tengler von zentraler Bedeutung: Ohne ein Geständnis darf der Richter im Inquisitionsprozess nicht verurteilen. Die Folter ist das Mittel um dieses Geständnis zu erreichen. Dabei ist sich Tengler der Gefahr, dass Unschuldige gefoltert und falsche Geständnisse erpresst werden, wohl bewusst. In seinem Kapitel über die Folter gibt Tengler daher die Folterlehre der italienischen Juristen wieder, die im Wesentlichen aus dem römischen Recht hergeleitet ist. Dabei trifft er eigene Wertungen, setzt eigene Schwerpunkte und passt damit die gemeine Folterlehre den Bedürfnissen seiner Zeit und der Situation in den deutschen Städten an. Dadurch hebt sich seine Darstellung von der des Klagspiegels ab. So vermeidet Tengler nicht nur die Übernahme jener römischrechtlichen Quellenstellen, die die Sklavenfolter und den Akkusationsprozess vor Augen haben, sondern interpretiert zudem strikte Folterverbote des gemeinen Rechts in bloße Ermessenskriterien um: Das Ansehen einer Person kann zwar im Einzelfall zu deren Verschonung führen, schließt sie aber keineswegs generell von der Folter aus. Es entspricht einer allgemein in diesem Kapitel zu beobachtenden Tendenz, dass Tengler dem Richter einen erheblichen Ermessensspielraum hinsichtlich des Ob und des Wie der Folter zugesteht. Statt starre Regeln vorzugeben, appelliert Tengler an das Gewissen der Richter. Von laxen Folterregelungen im Laienspiegel kann indes nicht gesprochen werden. Er enthält wichtige Kautelen, die teilweise nicht einmal von allen italienischen Gelehrten gefordert werden, wie das corpus delicti-Erfordernis und die Verifizierung. Schließlich übernimmt Tengler die Indizienlehre der Bambergensis, wenngleich nicht vollständig – auch hier zieht er der Vorgabe vieler Indizien und der Festlegung deren Beweiswerts eine Ermessensentscheidung des Richters vor.

III. Die Notorietätslehre im Laienspiegel1

In großem Umfang widmet sich der Laienspiegel der Frage, woraus das Gericht – jenseits der üblichen Beweismittel – Wissen über eine Tat ziehen kann und wie dieses zu bewerten ist. In einem eigenen Abschnitt beschreibt der Laienspiegel verschiedene Gewissheitsgrade bis hin zum unzweifelhaften Wissen über Tat und Täterschaft, dem kundtlich wissen, zu Latin genant Notorium2. Was der Laienspiegel in diesem Abschnitt beschreibt, ist, wie wir gleich sehen werden, die gemeinrechtliche Notorietätslehre, wie er sie bei Durantis findet. Diese Lehre beschäftigt sich mit der Frage, unter welchen Umständen eine Tatsache derart offenkundig ist, dass von den üblichen Beweisanforderungen abgesehen werden kann. In seinem Kapitel Von kundtlich wissen versucht Tengler die verschiedenen, im gelehrten Recht entwickelten Kategorien der notorietätsbegründenen Umstände darzustellen. Während er zu den übrigen Kapiteln des Abschnitts durchgängig Durantis mit dessen Speculum-Titel De notoriis criminibus zitiert, fehlt ausgerechnet zu diesen Ausführungen ein entsprechender Verweis auf den Kanonisten. An dessen Verwendung können allerdings keine Zweifel bestehen; Tengler übernimmt den Aufbau des Speculum-Titels, teilweise finden sich sogar wörtlich übersetzte Passagen. Zu den prozessualen Konsequenzen der Notorietät äußert sich der Laienspiegel indes nur in Ansätzen. Keineswegs erklärt Tengler hier den Beweis für vollständig entbehrlich, vielmehr fordert er auch bei notorischen Taten das – gegebenenfalls erfolterte – Geständnis. Wie seine gelehrten Vorlagen stellt Tengler im Anschluss an die Notorietät und in Abgrenzung zu dieser diverse Konstellationen dar, in denen gerade nicht Notorietät, sondern ein geringerer Gewissheitsgrad gegeben ist. Neben Durantis allegiert Tengler diverse Digestenstellen, die Institutionen und das kanonische Recht. Außer diesen angegebenen Quellen, mag er Gandinus3 herangezogen haben. Baldus’ komplizierte und oft abweichende Ausführungen zur Notorietät4 lässt er dagegen weitgehend unbeachtet. Seine anderen

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Laienspiegel, fol. CXIVv-CXVv. Laienspiegel, Von kundtlich wissen, fol. CXIVv. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) quando crimen est notorium. Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem).

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Notorietätslehre

gelehrten Vorlagen, namentlich Bartolus5 und Angelus Aretinus6, werden sich für das Problem der Notorietät als ungeeignet erwiesen haben, ihre wenig ergiebigen Aussagen können unberücksichtigt bleiben. Die deutschen Quellen übernehmen die Notorietätslehre, wie sie Durantis darstellt, nicht. Insbesondere der Klagspiegel konnte Tengler hier keine taugliche Vorlage bieten. Am Ende des Kapitels Quomodo crimen in modum exceptionis opponitur, also der Darstellung, inwiefern ein Delikt im Verfahren per exeptionem vorgebracht werden kann, finden sich im Klagspiegel Aussagen zur offentlichen und kündtlichen Tat. Für diesen Fall beschreibt er – wenngleich nur in seinen Grundsätzen – ein besonderes, vereinfachtes Verfahren7. Eine Erklärung des Begriffs der Notorietät, bzw. der "Kundlichkeit" – synonym verwendet er die Termini „öffentlich“, „offenbar“ und „kündlich“8 – fehlt ganz. Der Klagspiegelverfasser verweist hier pauschal auf den Speculum-Titel De notoriis criminibus, in dem der Begriff des notorium mit seinen zahlreichen Unterscheidungen und Abgrenzungen dargestellt wird und der den Ausführungen des Laienspiegels zugrunde liegt. Er begründet seinen Verzicht auf die Darstellung mit einer Schwierigkeit, die sich als Grundproblem jeder, zumindest aber jeder deutschen Ausführung zum Notorietätsbegriff erweist: die Durchdringung und geeignete Übersetzung der lateinischen Terminologie (ich kan solhs nit in teutsch machen9). Tengler hat sich indes dieser Aufgabe gestellt. Die folgende Untersuchung seiner Ausführungen widmet sich daher einerseits dem Problem, inwiefern Tenglers Darstellung tatsächlich die Notorietätslehre wiedergibt, wie sie aus dem gelehrten Recht bekannt ist, andererseits der Frage, welche Bedeutung der Notorietätslehre für die Rezeption des Inquisitionsprozesses zukommt.

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Bartolus Commentaria, D. 2.8.5.1 (Qui satisdare cogantur, Si vero, § Qui pro rei) und D. 48.16.6.3 (Ad senatuscons. Turp., Ab accu., § nunciatores). Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…). Vgl. Brunnenmeister, Quellen, S. 156. Es soll in diesem Fall keine "Verklagung" zur Einleitung des Verfahrens erforderlich sein, Zeugenverhör und andere Beweise werden nicht nur als überflüssig, sondern als unzulässig beschrieben. Die Allegationen des Klagspiegels zu diesen Ausführungen entsprechen weitgehend denen des Laienspiegels zu Von wissentlichen missethaten. Der Klagspiegel beschreibt das Verfahren für die offentlichen und kündtlichen Taten und beschließt die Beschreibung mit dem Hinweis, dass, werden diese Regeln nicht eingehalten, das urteyl in offenbaren thaten (...) krafftloß sei, Quomodo crimen in modum exceptionis opponitur, fol. CXVIv. In seinem Verweis auf das Speculum Iudiciale spricht er abermals von „offenbaren“ Taten, meint damit aber nicht Durantis’ Ausführungen zu den manifesten, sondern zu den notorischen Taten: es ist dreierley offenbar, fol. CXVIv. Klagspiegel, Quomodo crimen in modum exceptionis opponitur, fol. CXVIv.

Notorietätslehre

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1. Forschungsstand a. Wurzeln und Entwicklung der Notorietätslehre im kanonischen Recht und in der Kanonistik Zu den Ursprüngen der Notorietätslehre im kirchlichen Recht liegen umfangreiche Studien vor, zu nennen sind hier insbesondere die Untersuchungen von Rinaldo Bertolino, Jean-Phillipe Lévy, Carlo Ghisalberti und Göran Inger10. Im Folgenden soll daher nur ein kurzer Überblick gegeben werden. Die Wurzeln der Notorietätslehre liegen im Decretum Gratiani11. In seinen dicta entwickelt Gratian die Idee von den Verbrechen, die derart offenkundig sind, dass sie nicht bestritten werden können: nec tergiversatione crimen celatur12. In diesen Fällen soll die Verfahrenseinleitung unabhängig von einer Anklage möglich sein13 und auf die Einhaltung des üblichen ordo iudiciarius, insbesondere auf das Beweisverfahren, verzichtet werden können14. An eine derartige Offenkundigkeit stellt Gratian hohe Anforderungen. Nicht zu leugnen ist die Tat nach Gratian nur dann, wenn die Augenscheinlichkeit des Vergehens selbst den Angeklagten überführt (evidentia operis reum testatur) und er sein Delikt durch die öffentliche Begehung der Tat gesteht (opere publico crimen suum confitetur)15 bzw. wenn sich die Schuld des Angeklagten den Augen aller dermaßen aufdrängt, dass ein Leugnen nicht mehr überzeugen kann (nec tergiversatione propria crimen celatur, cum culpa sua sponte se oculis omnium ingerat)16. Gratian verlangt also kumulativ17 die überführende evidentia und das fingierte Geständnis durch die (bewusst) öffentliche Begehung18. Der Fall, den er dabei vor Augen hat, ist der des Gemeindemitglieds, das öffentlich im 10

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Bertolino, Il notorio; Lévy, La Hiérarchie; Ghisalberti, La teoria del notorio; Inger, Geständnis. C.2 q.1 c.14-21, insb. die zugehörigen Dicta Gratiani; Inger, Geständnis, S. 25; Lévy, La Hiérarchie, S. 33; Ghisalberti, La teoria del notorio, S. 404; Bertolino, Il notorio, S. 120; Erler, Mittelalterliche Rechtsgutachten, S. 21. Dict. Grat. C.2 q.1 c.16; ähnlich auch X 5.40.24. C.2 q.1 c.15 und Dict. Grat. C.2 q.1 c.16. C.2 q.1 c.17. Dict. Grat. C.2 q.1 c.20. Dict. Grat. C.2 q.1 c.16. Vgl. Lévy, La Hiérarchie, S. 40f. Nach Erler verlangt Gratian damit "Fälle, in denen der Täter seine Schuld öffentlich zur Schau trägt". Nach Erlers Ansicht muss es "sich um ein in Auflehnung gegen Gesetz und richterliches Amt begangenes Fortsetzungsverbrechen handeln", Erler, Mittelalterliche Rechtsgutachten, S. 22.

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Konkubinat lebt19. C.2 q.1 c.17 nimmt Bezug auf 1. Kor. 5, 1-5. Diese Bibelstelle wird schließlich zum allgemeinen Anknüpfungpunkt für die Notorietätslehre20. Darüber hinaus erklärt Gratian eine Tat nur dann für notorisch, wenn sie sowohl für die Bevölkerung als auch für den Richter offenkundig ist. Im Falle bloßer Gerichtskundigkeit lehnt er das Vorliegen von Notorietät bzw. die Entbehrlichkeit des Beweisverfahrens21 mit der Begründung ab, der Richter fungiere in diesem Fall zugleich als Ankläger und Richter22. Im zweiten Fall, der bloßen Allgemeinkundigkeit, verneint er die Notorietät, weil der Richter nicht in einer Sache urteilen dürfe, über die er kein ausreichendes Wissen hat23. Durch Innozenz III., Tancredus und Johannes Teutonicus wird die Notorietätslehre fortentwickelt; der Begriff des notorium erfährt dabei eine erhebliche Bedeutungserweiterung24. Innozenz III. erklärt neben der evidentia rei auch das Geständnis und den Beweis zu notorietätsbegründenden Umständen25. Tancredus lässt Notorietät zudem kraft eines gerichtlichen Urteils entstehen26. In seinem ordo iudiciarius unterscheidet er zwei Kategorien der Notorietät, notorium facti und notorium iuris. Die aus dem Augenschein, der rei evidentia, sich ergebende, mithin die „gratianische“ Notorietät, geht in der Kategorie des notorium facti auf, das gerichtliche Urteil begründet dagegen das notorium iuris27.

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Lévy, La Hiérarchie, S. 33. Vom Kleriker, der öffentlich im Konkubinat lebt, spricht in diesem Zusammenhang auch Innozenz III. in X 3.2.8; Inger, Geständnis, S. 24ff.; Lévy, La Hiérarchie, S. 33; Ghisalberti, La teoria del notorio, S. 421, Anm. 55. Gratian sagt nicht ausdrücklich, dass in diesen Fällen keine "Notorietät" vorliegt, sondern stellt lediglich klar, dass hier nicht auf die Ermittlung (examinatio) verzichtet werden darf. Von der Kanonistik werden diese Unterscheidungen Gratians aber als Abgrenzungen des Notorischen vom Nicht-Notorischen verstanden, Durantis, Speculum Iudiciale, III, I, De crim. not., § 8, n. 12. Dict. Grat. C.2 q.1 c.17; Bertolino, Il notorio, S. 121. Dict. Grat. C.2 q.1 c.19. Lévy, La Hiérarchie, S. 37ff.; Inger, Geständnis, S. 26ff. X 5.40.24: manifestum dicitur, quod per confessionem vel probationem legitimam vel evidentiam rei constat. Tancredus, Ordo Iudiciarius, II.7.1 Tancredus, Ordo Iudiciarius, II.7.1: Notorium iuris est illud crimen, de quo quis canonice condemnatus est; Inger, Geständnis, S. 28.

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Die Dreiteilung der Notorietät (notorium facti, notorium iuris und notorium praesumptionis) entwickelt schließlich Johannes Teutonicus28. In seiner glossa ordinaria zum Decretum Gratiani bringt er Tancredus’ Kategorie des notorium iuris in Einklang mit den Aussagen Innozenz’ III. zu Beweis und Geständnis: Das Urteil führt seiner Auffassung nach dann nicht zur Notorietät, wenn der Verdächtige die Tat leugnet und er nicht mittels Beweisen überführt ist29. Außerdem ergänzt er die dritte Kategorie der Notorietät, das notorium praesumptum. Zu deren Definition führt er lediglich ein Beispiel an, das aus dem Zivilrecht stammt und die Vermutung der Vaterschaft betrifft: ut si aliquis publice habitus est pro filio alicuius, ibi non requiritur aliquis ordo iuris30. Bei Johannes Teutonicus findet sich auch in Ansätzen bereits die Unterscheidung von drei Unterformen des notorium facti: Est autem quoddam factum continuum, sive permanens, quoddam interpolatum, quoddam statim transiens31. Außerdem erweitert der Kanonist die gratianische Notorietät, indem er für das notorium facti nicht mehr verlangt, dass die Sache „allen“ bekannt sein muss32, sondern die Kenntnis „der meisten“ genügen lässt: Nec requiritur hic scientia omnium, sed plurimum33. Erst mit der kanonistischen und der legistischen Bearbeitung beginnt aber eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen der Notorietät. Gegenstand der Diskussion ist insbesondere die gratianische Form der Notorietät, das notorium facti. Hinsichtlich der bereits bei Johannes Teutonicus erwähnten drei Arten des notorium facti, nämlich factum continuum, sive permanens, factum interpolatum und factum transiens wird nun ausgiebig erörtert, inwiefern die letzten beiden Fälle überhaupt Notorietät begründen bzw. den Beweis entbehrlich machen34. Die Notorietät im Sinne höchster Gewissheit wird jetzt in Abgrenzung zu verschiedenen darunter liegenden Gewissheitsstufen definiert. Während bei Gratian und im Liber Extra die Begrifflichkeit noch verschwommen erscheint, weil verschiedene Termini scheinbar synonym verwendet werden – anstelle

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Inger, Geständnis, S. 28; Ghisalberti, La teoria del notorio, S. 420. Glossa ordinaria, C.2 q.1 c.15 (Manifesta). Glossa ordinaria, C.2 q.1 c.15 (Manifesta). Glossa ordinaria, C.2 q. 1 c.15 (Manifesta). So Gratian in Dict. Grat. C.2 q.1 c.16: In manifestis (...) cum culpa sua sponte se oculis omnium ingerat; Dict. Grat. C.2 q.1 c.20: publice coram omnibus novercam suam pro uxore habebat. Glossa ordinaria, C.2 q.1 c.15 (Manifesta). Lévy, La Hiérarchie, S. 49ff. Bartolus anerkennt einzig den Fall des notorium facti permanentis, Commentaria, D. 2.8.5.1 (Qui satisdare cogantur, Si vero, § Qui pro rei) n. 4; vgl. auch Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) quando crimen est notorium, n. 6-8.

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von notorium sprechen die Dekretalen überwiegend von manifestum35 – prangert schon Johannes Teutonicus die fehlende Präzisierung des Notorietätsbegriffs an36. Er verlangt die Abgrenzung des notorium von fama und manifestum. Dieser Abgrenzung widmen sich sowohl die Kanonisten als auch die Legisten ausführlich. Bei der Abgrenzung von notorium und manifestum geht es um die Verbreitung des Wissens; bei jener zwischen notorium und fama ist Unterscheidungskriterium die Quelle des Wissens37. Jene Abgrenzungen, die Unterscheidung verschiedener Gewissheitsgrade, wird zum Kernbestand der Notorietätslehre; Durantis gliedert sein Kapitel De notoriis criminibus in die Titel Fama quid sit, Manifestum quid sit, Quid sit omnino occultum, Quid sit pene occultum und Notorium quid sit38. Mit den entsprechenden Kapiteln ergänzt auch der Laienspiegel seine Darstellung der Notorietätslehre39.

b. Die Bedeutung der Notorietätslehre für den Strafprozess Für die Entwicklung des Strafprozesses wird der Notorietätslehre größte Bedeutung beigemessen. Vor der Einführung des Inquisitionsverfahrens ist es die gratianische Lehre von der Notorietät, die im kirchlichen Bereich ein Verfahren von Amts wegen für zulässig erklärt, in dem – im Gegensatz zum Infamationsverfahren – der Reinigungseid ausgeschlossen und die Verurteilung und Bestrafung ohne die Einhaltung der üblichen Förmlichkeiten erlaubt ist40. Seitdem der Inquisitionsprozess zur Verfügung steht, genügt die mala fama zur Einleitung eines Verfahrens von Amts wegen, der Reinigungseid wird in eine subsidiäre Rolle verwiesen. Mit der Frage, inwiefern nun die Notorietätslehre auch mit dem Vordringen des Inquisitionsverfahrens noch eigenständige Bedeutung behält, beschäftigen sich vornehmlich die Studien von Göran Inger und Richard Fraher41.

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Vgl. C.2 q.1, c.14 -17 und Dict. Grat. C.2 q.1, c.17 sowie X 5.40.24; Inger, Geständnis, S. 25; Lévy, La Hiérarchie, S. 36. Glossa ordinaria, C.2 q.1 c.15 (Manifesta); vgl. zu dieser Kritik auch Ghisalberti, La teoria del notorio, S. 412. Vgl. dazu unten Kap. B.III.3.a.: Beweisbare und nicht beweisbare Taten, S. 227ff., und 3.b.: Der Beweiswert des schlechten Leumunds, S. 229ff. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus. Vgl. dazu unten Kap. B.III.3.a.: Beweisbare und nicht beweisbare Taten, S. 227ff., und 3.b.: Der Beweiswert des schlechten Leumunds, S. 229ff. Inger, Geständnis, S. 21. Inger, Geständnis; Fraher, Conviction According to Conscience.

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Demnach spielt die Notorietätslehre im Inquisitionsverfahren insofern eine entscheidende Rolle, als allein im Falle einer „notorischen“ Tat auf die Anforderungen des ordentlichen Inquisitionsprozesses verzichtet werden darf, unter Umständen der Richter überhaupt keine Ermittlungen mehr vornehmen muss, es keiner Beweise bedarf, sondern gleich verurteilt werden kann. Die Notorietät legitimiert damit eine summarische Form des Inquisitionsverfahrens42. Die Untersuchung des Laienspiegels und seiner Quellen wird zu den prozessualen Auswirkungen der Notorietät im Einzelnen interessante neue Erkenntnisse liefern, insbesondere hinsichtlich der Ersetzung des Tatbeweises durch den Notorietätsbeweis. Der Verzicht auf den formalen Tatbeweis ist es schließlich, dem die Notorietätslehre auch in der weltlichen Rechtswissenschaft ihre überragende – theoretische – Bedeutung verdankt. Zwar erteilt Bartolus der Notorietätslehre für die weltliche Jurisprudenz eine klare Absage und verweist insoweit auf die Kanonistik (Tractatum de notoriis criminibus non habemus in iure nostro, sed Canoniste habent tractatum longum)43. Gandinus indes übernimmt in großem Umfang die Ausführungen von Durantis zur Notorietät44, Baldus betreibt mit eigenen Ansätzen eine Weiterentwicklung der Notorietätslehre45, die bislang in der Forschung unbeachtet geblieben ist. Die Idee der Notorietät eröffnet, wie Richard Fraher eindrücklich darlegt, einen Weg aus dem Dilemma, das aus der strikten Begrenzung des Überführungsbeweises (auf den Zweizeugenbeweis und das Geständnis) einerseits und dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung andererseits erwachsen war. Inwiefern indes dieser Weg tatsächlich gegangen wurde, ist bislang nicht abschließend untersucht. Wie wir in der folgenden Untersuchung des Laienspiegels und seiner gelehrten Quellen sehen werden, führte die Notorietätslehre weder zur Anerkennung eines Prozesses, der auf ein Beweisverfahren gänzlich verzichtete, noch zur Durchsetzung der freien Beweiswürdigung. Im Laienspiegel jedoch stellt sich die grundsätzliche Idee von der Offenkundigkeit eines Verbrechens als wichtige Legitimationsgrundlage für die Modifikation des üblichen Inquisitionsverfahrens dar. Obgleich Tengler zunächst noch den engen Notorietätsbegriff der kanonistischen Lehre darstellt, scheint die Kategorie der Notorietät zu seiner Zeit längst nicht mehr so strikt begrenzt zu sein.

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Inger, Geständnis, S. 42, 46. Bartolus, Commentaria, D. 48.16.6.3 (Ad senatuscons. Turp., Ab accu., § nunciatores), n. 3. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) quando crimen est notorium. Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem).

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2. Die Darstellung der Notorietätslehre im Laienspiegel a. Die notorietätsbegründenden Umstände In seinem Kapitel Von kundtlich wissen46 beschreibt der Laienspiegel drei Kategorien der Notorietät. Unterscheidungskriterium sind die Umstände, aus denen die Gewissheit resultiert; Notorietät kann demnach auf drei Arten entstehen. Tengler leitet seine Darstellung dieser drei Erscheinungsformen der Notorietät mit den Worten ein: Kundtlich wissen, zu Latin genant Notorium, mag in dreierley weiß entstehen, nämlich (...)47 und beschreibt dann die drei Kategorien, nämlich vermutenlich kundt, rechtlichen kundt und geystlich kundt. Es liegt nahe, dass er damit die bereits erwähnten drei Formen der Notorietät meint, die er in seinen gelehrten Vorlagen finden konnte, also notorium praesumptionis, notorium iuris und notorium facti. aa. vermutenlich kundt – Notorietät kraft gesetzlicher Vermutung Die erste Kategorie der Notorietät vermag der Laienspiegel nur in Form eines Beispiels aus dem Zivilrecht zu beschreiben: Was vermutenlich kundt oder wissend ist, kompt auß sichtbarlichem augenschein, als so mann und weib eyn kind erziehen, unn das selb für ir beder kind nemen, das würt für ir wissentlich kind kündtlichen vermut (...)48. Notorisch ist also die Elternschaft derjenigen Paare, die ein Kind gemeinsam aufziehen und es offiziell als ihr Kind behandeln. Der Laienspiegel verweist dafür auf die Digesten (Paulus, D. 2.4.5 und Ulpian, D. 1.6.6). Tatsächlich findet sich an den angegebenen Stellen im römischen Recht die aus der Ehe resultierende Vermutung der Vaterschaft49. Es handelt sich hierbei aber um eine widerlegliche Vermutung; Ulpian erklärt die Krankheit oder Abwesenheit des Ehemannes zur Zeit der Empfängnis zum tauglichen Gegenbeweis50. Was der Laienspiegel hier als vermutenlich kundt bezeichnet, entspricht der gemeinrechtlichen Kategorie des notorium praesumptionis, wie sie Durantis und Gandinus beschreiben51. In beiden gelehrten Vorlagen kann der Laienspiegel

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Laienspiegel, Von kundtlich wissen, fol. CXIVv. Laienspiegel, Von kundtlich wissen, fol. CXIVv. Laienspiegel, Von kundtlich wissen, fol. CXVr. Paulus, D. 2.4.5: (...) pater vero is est, quem nuptiae demonstrant; Ulpian, D. 1.6.6: Filium eum definimus, qui ex viro et uxore eius nascitur. Ulpian, D. 1.6.6. Vgl. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 1; Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (…) quando crimen est noto-

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das Beispiel der vermuteten Vaterschaft finden, ebenso die zugehörigen Digestenstellen52. Tenglers Feststellung, die Notorietät ergebe sich hier auß sichtbarlichem augenschein, widerspricht indes auf den ersten Blick der gemeinrechtlichen Lehre: Die visuelle Wahrnehmbarkeit, die evidentia, ist, wie wir gleich sehen werden, gerade Merkmal der Kategorie des notorium facti. Auch hier hat sich Tengler aber offenbar um die Wiedergabe seiner gelehrten Quellen bemüht. Durantis und Gandinus sprechen in ihrer Definition des Notorium praesumptionis ebenfalls von der evidentia, sie erklären: Notorium praesumptionis est evidentia iuris vehementer praesumpta53. Gemeint ist hier gerade nicht der sichtbarliche(m) augenschein, sondern ein „rechtlicher“ (evidentia iuris). Nicht die tatsächliche, sondern eine Art normative Evidenz – dies hat Tengler offenbar missverstanden. Unklar bleibt außerdem, weswegen im Laienspiegel ein weiteres Beispiel, das Tengler bei Durantis hätte finden können, unberücksichtigt bleibt, obgleich es insofern tauglicher gewesen wäre, als es gerade die Notorietät eines Verbrechens behandelt: Für Durantis resultiert aus dem Scheitern des Reinigungeides die Vermutung der Schuld. Durch die missglückte Reinigung wird die Schuld notorisch54. Das Beispiel der vermuteten Vaterschaft scheint schließlich auch deshalb schlecht gewählt, weil es einen Fall beschreibt, in dem durchaus noch Aufklärungsbedarf besteht, insbesondere der Gegenbeweis noch möglich ist. Weder Durantis noch Gandinus sehen darin aber einen Widerspruch zum Wesen der Notorietät. Nur Baldus unterscheidet an dieser Stelle die widerlegliche praesumptio – als Beispiel hierfür führt er das genannte an – von der unwiderleglichen praesumptio iuris et de iure55.

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rium, n. 2 ; vgl. zur Kategorie des notorium praesumptionis Ghisalberti, La teoria del notorio, S. 432ff. Wie wir gesehen haben, findet sich dieses Beispiel schon bei Johannes Teutonicus, Glossa ordinaria, C.2 q.1 c.15 (Manifesta). Allerdings verweisen sowohl Durantis als auch Gandinus vorrangig auf das kanonische Recht und zwar auf X 2.19.10 (Leitsatz: Si qui nominent aliquem filium, et ita communiter reputatur, non creditur postea alteri eorum iuranti contrarium) und X 4.17.3 (Leitsatz: Statur verbo viri mulieris, qui negant aliquem filium, nisi indiciis et testibus probetur contrarium). Die erste Allegation ignoriert der Laienspiegel aus nicht ersichtlichen Gründen; die zweite findet zwar noch in der Ausgabe Augsburg 1511 Erwähnung (fol. CCICv), in der Ausgabe Straßburg 1536 dagegen fehlt sie. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) quando crimen est notorium, n. 2, vgl. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 1: Notorium praesumptum est iuris evidentia vehementer praesumpta (...). Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 1. Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 14.

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bb. rechtlichen kundt – Notorietät kraft Geständnis oder Urteil Von Rechts wegen notorisch sind für den Laienspiegel Tatsachen, die vor Gericht eingestanden oder in einem Urteil festgestellt wurden: (...) so eyn sach rechtlichen kundt, das muß im rechten bekennt, oder auß lauter gezeügknüß oder beweisung mit gerechtem und unverendertem urteyl, dafür also erkennt worden sein56. Tengler übernimmt hier die gemeinrechtliche Kategorie des notorium iuris57; die zugehörigen Allegationen aus den Digesten (D.1.5.25, D. 50.17.20758) und dem Liber Extra (X 5.40.24)59 konnte er bei Durantis und Gandinus finden60. Auch die gelehrten Vorlagen fassen unter die Kategorie des notorium iuris zum einen das Geständnis und zwar das im Prozess vor Gericht abgegebene, also was im rechten bekennt ist61, zum anderen das Urteil. Dieses muss nach Durantis eine iusta & irretractabilis diffinitio sein62; der Laienspiegel verlangt ein Urteil, das „gerecht“ und „unverändert“ ist. Versteht man "unverändert" als "unveränderlich", so haben wir es hier mit einer wörtlichen Übersetzung des Speculum Iudiciale zu tun. Das Urteil soll außerdem auf lauter gezeügknüß oder beweisung basieren63. Mit diesen Ausführungen bezieht der Laienspiegel indirekt Stellung zu einem Problem, das in der italienischen Lehre ausgiebig diskutiert wird. Tengler lässt das gerichtliche Geständnis an sich genügen, um „rechtliche“ Notorietät, also Notorietät im Sinne des notorium iuris zu begründen, den Zeugenbeweis 56 57

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Laienspiegel, Von kundtlich wissen, fol. CXVr. Zur Kategorie des notorium iuris ausführlich Ghisalberti, La teoria del notorio, S. 427ff.; speziell zum Geständnis, Inger, Geständnis, S. 29ff. Diese Digestenstellen belegen nur die Vermutung zugunsten des rechtskräftigen Urteils. In D. 1.5.25 stellt Ulpian fest, der Freienstatus einer Person dürfe nicht mehr bezweifelt werden, wenn er einmal durch rechtskräftiges Urteil festgestellt worden sei. Er wendet damit die allgemeine Regel an, die besagt, ein rechtskräftiges Urteil sei als Wahrheit zu werten; dieser Grundsatz ist in D. 50.17.207 zu finden. Entsprechend fasst Tancredus gestützt auf diese Digestenstellen unter die Kategorie des notorium iuris nur das Gerichtsurteil. An anderer Stelle, die Tengler hier nicht erwähnt, stellt indes das römische Recht das Geständnis dem Urteil gleich, vgl. C. 7.59 und D. 42.2.1. Hier findet sich das Geständnis, aber auch der Beweis, als notorietätsbegründender Umstand beschrieben. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 2; Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) quando crimen est notorium, n. 3. Zum Geständnis als notorietätsbegründendem Umstand ausführlich Inger, Geständnis, S. 29ff.; Lévy, La Hiérarchie, S. 54ff. Durantis, Speculum Iudiciale, III, I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 2. Vgl. Glossa Ordinaria, C.2 q.1 c.15 (Manifesta).

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indes nicht: Erst die Autorität des Gerichtsurteils, das auf den Beweis folgt, macht die Sache rechtlich notorisch. Unter den Juristen ist diese Wertung nicht unumstritten; Tenglers gelehrte Vorlagen vertreten hier ein andere Ansicht, die auf durchaus nachvollziehbaren Argumenten fußt. Wie das Geständnis kann nach der gemeinrechtlichen Lehre auch die Aussage zweier Augenzeugen die Verurteilung rechtfertigen64. Wenn das Geständnis zur Begründung von Notorietät genügt, warum soll dann der grundsätzlich gleichwertige Zeugenbeweis nicht zur Notorietät führen, sondern erst die Verurteilung aufgrund des Beweises? Durantis und Gandinus erklären mit Verweis auf weitere Juristen65, dass schon allein der zur Verurteilung genügende Beweis Notorietät begründe, das entsprechende Urteil also nicht maßgeblich sei66. Baldus geht auch hier seinen eigenen Weg. Er unterscheidet innerhalb des notorium iuris die absolute (notorium quo ad omnes) von der relativen Notorietät (notorium quo ad partes). Absolut, also für jedermann notorisch sei nur, was durch ein gerichtliches Urteil festgestellt wird; dagegen begründe das Geständnis ebenso wie der Zeugenbeweis (und andere Beweismittel) nur eine relative Notorietät (sunt inter partes pro veritate habenda, nisi constet contrarium)67. Tenglers spätere Ausführungen zur Notorietät aufgrund tatsächlicher Offenkundigkeit lassen schließlich vermuten, dass er den Zweizeugenbeweis durchaus als notorietätsbegründenden Umstand ansieht, aber eben nicht in die Kategorie des notorium iuris, sondern in die des notorium facti einordnet. Die gelehrten Quellen stellen strenge Regeln auf, unter welchen Voraussetzungen das Geständnis Notorietät begründen kann, dazu gehört insbesondere die Freiwilligkeit68. Tengler übernimmt diese Regeln nicht. Wie wir aber bereits im Zusammenhang mit der Folter gesehen haben, hegt Tengler hinsichtlich der Beweiskraft des ursprünglich erfolterten Geständnisses – auch wenn es „freiwillig“ wiederholt wird – mehr Zweifel als die italienischen Juristen. Wie für die Kategorie des notorium praesumptionis stellt sich auch für die des notorium iuris die Frage, welche Relevanz dieser Aspekt der Notorietätslehre im strafrechtlichen Bereich hatte. War ein Delikt bereits abgeurteilt worden,

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Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 84. Auch in X 5.40.24 wird der Beweis ebenso wie das Geständnis als notorietätsbegründender Umstand eingeordnet. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) quando crimen est notorium, n. 3; Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 2; weitere Nachweise dieser Ansicht bei Lévy, La Hiérarchie, S. 53, Anm. 1. Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 12f. Inger, Geständnis, S. 29ff.; Ghisalberti, La teoria del notorio, S. 429ff.

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wurde in der Regel wohl kein Verfahren mehr eröffnet69. War das Urteil allerdings in Abwesenheit des Verurteilten gesprochen worden70, so war es die Theorie des notorium iuris, die beim Aufgreifen des Verurteilten die Vollstreckung der Strafe ohne Prozess erlaubte. Im Übrigen konnte die Notorietät aufgrund eines Gerichtsurteils praktische Bedeutung gewinnen, wenn in einem Verfahren inzident die Begehung einer Vortat geprüft wurde. Die Qualifizierung des Geständnisses bzw. des Überführungsbeweises als notorietätsbegründende Umstände erscheint auf den ersten Blick insofern ohne Relevanz, als doch auf diese beiden Arten des Beweises ohnehin ohne weiteres das Urteil gesprochen werden konnte. Eine eigenständige Bedeutung mag die Kategorie des notorium iuris aber hinsichtlich des Ausschlusses der Appellation erlangen, einer typischen prozessualen Folge der Notorietät71. cc. geystlich kundt – Notorietät aufgrund tatsächlicher Offensichtlichkeit Zuletzt beschreibt der Laienspiegel den Fall der "geistlichen Kundlichkeit"72. „Geistlich kund“ kann eine Tat demnach aus drei Gründen sein: aufgrund des Ortes, an dem sie geschieht, der Anzahl der anwesenden Personen oder der Tatzeit. Offenbar beschreibt der Laienspiegel hier die dritte Kategorie der gemeinrechtlichen Notorietätslehre, das notorium facti73. Nicht nur die Kriterien der Öffentlichkeit, nämlich Tatort, anwesende Personen und Tatzeit stimmen mit der Darstellung des notorium facti bei Durantis und Gandinus überein, auch die Allegationen, die der Laienspiegel dazu angibt, entsprechen den von den Gelehrten zur Kategorie des notorium facti angeführten Verweisen74. Allein, es verwundert der im Laienspiegel gewählte Oberbegriff "geystlich kundt". Als Übersetzung des notorium facti kann dieser wohl kaum angesehen werden. Beachtet man allerdings, dass allein diese Kategorie dem ursprünglichen kanonistischen Begriffsverständnis entspricht, mithin also die "Notorietät im geistlichen Sinne" darstellt, macht die Bezeichnung Sinn und offenbart zugleich Tenglers Kenntnis von der Entstehung der Notorietätslehre75. 69 70

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Zum ne bis in idem-Grundsatz im Laienspiegel, Forma der mitpurgierer eyd, fol. CXVr. Zur Zulässigkeit der Verurteilung in Abwesenheit s. auch Kap. B.IV.: Acht und summarischer Inquisitionsprozess im Laienspiegel, S. 235ff. Zu den prozessualen Folgen der Notorietät im Einzelnen gleich unter Kap. B.III.2.b., S. 211ff. Laienspiegel, Von kundtlich wissen, fol. CXVr. Dazu ausführlich Ghisalberti, La teoria del notorio, S. 420ff. Inst. 4.4.9; Decr. Grat., De Penitencia, Dist.1 c.19; C.18 q.2 c.25; X 1.29.24. Zur Entstehung des notorium facti aus der evidentia facti bzw. rei evidentia s. oben Kap. B.III.1.a.: Wurzeln und Entwicklung der Notorietätslehre, S. 197ff.

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Die Anforderungen des Laienspiegels hinsichtlich Tatort, Tatzeit und anwesenden Personen zeigen, dass es beim notorium facti auf die öffentliche Tatbegehung ankommt; ausdrücklich erklärt Durantis für das Tatort-Kriterium: nam si in occulto fieret, non esset publicum76. Der Laienspiegel lässt offen, ob die drei Voraussetzungen nur kumulativ zur Öffentlichkeit der Tat führen oder alternativ die Publizität begründen; seine Formulierung spricht für eine Alternativität: Aber geystlich kundt, mag auch in drei weg erfunden werden, nämlich (...)77. Die Formulierung ist offensichtlich von Durantis übernommen, der schreibt: Et hoc notorium facti tribus modis deprehenditur78. Der Kanonist stellt am Ende seiner Ausführungen zu den drei Kriterien klar, dass Öffentlichkeit sich ebenso gut aus anderen Umständen ergeben kann, es daher im Ermessen des Richters liege, wann er von einer öffentlichen Tatbegehung ausgehe: et ex aliis circumstantiis, quas discretus iudex considerabit79. Allein die Beobachtung durch mehrere Personen ist unverzichtbares Merkmal des notorium facti, wie sich bei Durantis und Tengler aus der Abgrenzung zur „heimlichen“ Tat ergibt80. Welche Anforderungen stellt der Laienspiegel nun im Einzelnen an die öffentliche Begehung? Inwiefern stimmt er hier mit seinen Quellen überein? Hinsichtlich des Tatorts fordert Tengler, dass das Verbrechen an eyner offen oder gmeynen statt beschehen. Auch Durantis und Gandinus verlangen die Begehung (in) loco publico81. Die Allegationen, die der Laienspiegel hierzu angibt, können seine Aussagen kaum stützen; auch sie sind aber von Durantis und Gandinus übernommen. Zur Bedeutsamkeit des Tatorts verweisen der Laienspiegel und seine Quellen auf die Institutionen (Inst. 4.4.9). Danach folgt aus der Tatbegehung an öffenlicher Stätte aber nicht deren Gewissheit, sondern ihr besonderer Unwert82. Außerdem übernimmt der Laienspiegel den Verweis auf Gratians Tractatus de Penitentia (C.33 q.3 Dist.1 c.19). Auch hier geht es aber nur um die

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Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 5. Laienspiegel, Von kundtlich wissen, fol. CXVr. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 5. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 7. Vgl. dazu unten Kap.B.III.3.a.: Beweisbare und nicht beweisbare Taten, S. 227ff. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 5; Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) quando crimen est notorium, n. 5. Inst. 4.4.9: Atrox iniuria aestimatur vel ex facto (...) vel ex loco (...).

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Qualität des Verbrechens; Gratian unterscheidet nach dem Ort der Begehung das sacrilegium, also den Kirchendiebstahl, vom einfachen furtum. Was die Tatzeit angeht, hat der Laienspiegel die Begehung am Tage vor Augen. Es geht ihm dabei um die rein tatsächliche Möglichkeit der Beobachtung, dass das Verbrechen beim tag beschehen, das es die leüt warlich haben sehen mögen. Nahezu übereinstimmend erklären auch Durantis und Gandinus: quia si de nocte fiat, non possunt homines bene videre, ubi lumen deest83. Der Laienspiegel übernimmt hierzu zwei auch von Durantis angeführte Allegationen (C.18 q.2 c.25 und X 1.29.24). Sie belegen zwar nicht ausdrücklich die fehlende Öffentlichkeit der nächtlichen Tat, stellen aber beide sentenzartig fest: qui male agit, odit lucem. Gandinus allegiert anstelle des Decretum Gratiani eine Digestenstelle (D. 48.19.16.5); wie bei den Allegationen zum Tatort geht es auch hier nicht um das Wissen über die Tat, sondern um die Qualität der Tat, und zwar um die verschärfte Bestrafung des nächtlichen Diebstahls. Wichtigstes Merkmal der Öffentlichkeit ist indes die Beobachtung durch eine gewisse Anzahl von Personen: Auß menige der leüt, so bei der that gewesen. Wie viele Anwesende genau erforderlich sind, lässt der Laienspiegel offen: als zweyer, dreier, fünff oder mehr. Seine gelehrten Quellen erörtern ausgiebig die Öffentlichkeit einer Tat ex multitudine praesentium84, auch sie geben aber keine bestimmte Personenzahl vor, sondern stellen diese Entscheidung in das Ermessen des Richters85. Das hindert sie indes nicht daran, strenge Ermessensgrenzen festzulegen; in der gelehrten Literatur finden sie eine Vielzahl von Argumenten für die eine oder andere Mindestpersonenzahl. Die Frage, wie viele Personen das Verbrechen beobachtet haben müssen, ist für die Notorietätslehre insofern zentral, als die ursprüngliche Definition der Notorietät das Wissen „aller“ bzw. die optische Wahrnehmung „aller“ erforderte86. Zwar hat die Lehre dieses Erfordernis zunehmend reduzierend interpretiert, dennoch blieb die Verbreitung des Wissens das maßgebliche Abgrenzungskriterium des notorischen vom nur „manifesten“ und vom heimlichen Delikt87.

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Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 7; ganz ähnlich Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) quando crimen est notorium, n. 5. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 5 und 6; Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) quando crimen est notorium, n. 5. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 6; Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) quando crimen est notorium, n. 5; vgl. Ghisalberti, La teoria del notorio, S. 422. Vgl. oben Kap. B.III.1.a.: Wurzeln und Entwicklung der Notorietätslehre, S. 197ff. Vgl. dazu unten Kap. B.III.3.a.: Beweisbare und nicht beweisbare Taten, S. 227ff.

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Dabei erklären Durantis und Gandinus gerade die vom Laienspiegel vorgeschlagenen zwei, drei oder fünf Personen für ungenügend: nec paucorum praesentia, puta duorum, vel trium, vel quinque sufficit ad aliquid notorium faciendum88. Dazu verweisen sie jeweils auf ihr Kapitel zu den „fast heimlichen Delikten“; darin nämlich erklären sie, dass ein Delikt selbst wenn es von fünf Personen beobachtet wurde, noch ein "nahezu heimliches" sein kann89. Mit seinem Vorschlag hinsichtlich der erforderlichen Augenzeugen widerspricht der Laienspiegel also seinen gelehrten Vorlagen; darüber hinaus widerspricht er aber auch sich selbst, weil er die Ausführungen Durantis' zu den „fast heimlichen“ Delikten in seinem Kapitel Von heymlichen sachen in nahezu wörtlicher Übersetzung übernimmt90. Hier erklärt auch er, dass ein Verbrechen, das von zwo, drei, oder fünff Personen beobachtet wurde, dennoch als nahend heymlich bewertet werden kann. Mit seinen Allegationen – anstelle der Verweise, die Durantis und Gandinus für die notwendige Personenzahl liefern, wählt der Laienspiegel gerade jene Allegationen, die die Juristen zum „fast heimlichen“ Delikt nennen (C. 33 q.3 Dist.1 c.87 § 7 und § 12) – verweist er zudem auf die heimlichen Delikte91 und macht damit den Leser auf den Widerspruch aufmerksam. Indem Tengler schon zwei Augenzeugen genügen lassen will, um die Tat faktisch notorisch92 zu machen, erklärt er schließlich den gewöhnlichen Überführungsbeweis zu einem notorietätsbegründenden Umstand. Dasselbe gilt indes auch für die Einordnung des Geständnisses in die Kategorie der „rechtlichen Notorietät“. Naheliegend erscheint, dass Tengler, wie auch die Worm88

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Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 6; Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) quando crimen est notorium, n. 5. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 7: Quid sit pene occultum; Gandinus, Tractatus de maleficiis, De rumore, manifesto et occulto, n. 3a. Der Laienspiegel beschreibt unter dem Titel Von heymlichen sachen, fol. CXIIIIv, zunächst kurz das gar heymlich[e] Delikt, das nicht bewiesen und daher nur von Gott beurteilt werden kann. Damit übersetzt er den Beginn des § 6: Quid sit omnino occultum in Durantis' Speculum Iudiciale (lib. III, Part. I, De notoriis criminibus) der lautet: Est autem omnino occultum, quod nulla ratione probari potest (...). Occulta enim soli Deo reservantur (...). Dazu allegiert er wie Durantis X 3.12; C.2 q.5 c.20. Im Anschluss beschreibt er das nahend heymlich[e] in nahezu wörtlicher Übersetzung von Durantis § 7: Quid sit pene occultum; vgl. dazu unten Kap. B.III.3.a.: Beweisbare und nicht beweisbare Taten, S. 227ff. Gratian wiederholt hier den Hinweis, dass die Bestrafung des heimlichen Verbrechens Gott vorbehalten sei. Wie wir oben gesehen haben, führt für Tengler der Zweizeugenbeweis nur vermittelt durch das auf ihn ergehende Urteil zu einer „rechtlichen“ Notorietät.

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ser Reformation, als notorietätsbegründend schlicht jene Tatbestände ansieht, die zur Verurteilung ausreichende Gewissheit bieten; für die beiden Modalitäten des Überführungsbeweises musste dies in jedem Fall gelten93. Von weitaus größerer Bedeutung als die Kriterien für die Öffentlichkeit scheint für Durantis indes der Zeitpunkt bzw. der Zeitraum der Wahrnehmbarkeit des Verbrechens zu sein. Er unterscheidet hier abermals drei Formen des Notorium facti: notorium facti permanentis, transeuntis und interpolati; dieser Differenzierung widmet er eine ausführliche Darstellung. Der Laienspiegel ignoriert diese Ausführungen. Was hat es mit der Unterscheidung auf sich94? Es geht hier um die Frage, inwiefern das notorium facti die gegenwärtige Wahrnehmbarkeit erfordert. Stehen die fraglichen Tatsachen der Öffentlichkeit dauerhaft vor Augen, so dass sich jedermann zu jeder Zeit ihrer Existenz versichern kann, spricht Durantis von notorium facti permanentis sive continui95. Diese Gruppe stellt den unproblematischsten Fall des notorium facti dar, er löst die weitestreichenden prozessualen Folgen aus. Schwieriger dagegen ist die Tat zu bewerten, die nur für einen kurzen Zeitraum wahrnehmbar war, die aber jetzt nicht mehr dem Augenschein zugänglich ist. Diesen Fall bezeichnet Durantis als notorium facti actu transeuntis seu montanei96. Notorisch mit allen verfahrensrechtlichen Konsequenzen sind solche Verbrechen nur, wenn noch eine ausreichende Anzahl von Augenzeugen verfügbar ist. Die bloße kollektive überlieferte Erinnerung ist hingegen als fama und damit nicht als Fall der Notorietät zu bewerten97. Die letzte Gruppe bilden solche Tatsachen, die zwar nicht andauern, sondern für sich genommen vergangen sind, die aber wiederholt augenscheinlich wurden. Durantis spricht von notorium facti interpolati98. Der typische Anwendungsfall im Strafprozessrecht ist hier wohl der Gewohnheitsverbrecher. Durantis verlangt für die jeweiligen Delikte des Gewohnheitsverbrechers aber zumindest einen halben Beweis99. Die vollen 93

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Vgl. die Darstellung der Wormser Reformation VI.2.10: Von unzwyfelhafftigen vermutungen und anzeigen daruff geurteilt mag werden. Ghisalberti, La teoria del notorio, S. 424ff. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 10, 11, 12 ud 19; vgl. auch Lévy, La Hiérarchie, S. 45ff., 47. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 8 und 11. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 8. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 9 und 11. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 11.

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prozessualen Konsequenzen der Notorietät misst Durantis damit nur den noch andauernden öffentlichen Verbrechen zu100. Dass der Laienspiegel diese Untergliederung des notorium facti aus seiner Darstellung ausklammert und die jeweiligen verfahrensrechtlichen Folgen nicht unterscheidet, entspricht seiner Intention, dem schlechten leien101 nur die für die praktische Anwendung elementaren Regeln an die Hand zu geben. Ob nämlich in der Praxis insbesondere der deutschen Gerichte die komplexe Unterscheidung von notorium facti permanentis, transeuntis und interpolati tatsächlich nachvollzogen wurde, erscheint mehr als fraglich. Im Übrigen erhebt der Laienspiegel, was die Darstellung der Notorietätslehre betrifft, keinen Anspruch auf Vollständigkeit; er verweist die Richter am Ende seiner Ausführungen an die Rechtsgelehrten: (...) mag eyn yeder Richter nach rath der mehrverstendigen zu erfinden haben, wenn eyn übelthat, so kundtlich wissend, das mit gutem gewissen darinn peinlich zu richten, oder zu fragen sei (...)102 und erklärt damit die aktuelle Lehre ausdrücklich zur entscheidenden Instanz über das Vorliegen von Notorietät und die prozessualen Konsequenzen im Einzelfall.

b. Prozessuale Konsequenzen der Notorietät In seinem Kapitel Von wissentlichen missethaten103 äußert sich Tengler zu den verfahrensrechtlichen Konsequenzen der Notorietät. Er nimmt Bezug auf die zuvor dargestellte Verfahrensordnung und kündigt für die Fälle der notorischen Tat die spätere Darstellung einer anderen Ordnung an: Als hievor angezeygt, wie nach rechter ordnung, umb die übelthaten procediert mög werden. Dieweil aber sonst auch etlich maß, dardurch man ausserhalben der selben ordnungen dawider procediert. Als so ein übelthat kuntlich, darinn ist nit allweg gerichts ordnung zuhalten, auch weder anklager denunciern, inquiriern, zeügnüß oder andrer beweisung not, sonder es würd ander ordnung gwonlich damit gebraucht, als eyns teyls hernach volgt104.

Der Laienspiegel übernimmt damit nahezu wörtlich Durantis’ Einleitung zur Notorietätslehre105; auf die entsprechende Speculum-Stelle verweist er in seinen 100

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Nahezu übereinstimmend äußert sich auch Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) quando crimen est notorium, n. 6-8. Laienspiegel, Vorreden, Vorrede, fol. Ir. Laienspiegel, Von kundtlich wissen, fol. CXVr. Laienspiegel, Von wissentlichen missethaten, fol. CXVr. Laienspiegel, Von wissentlichen missethaten, fol. CXVr. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, Rubrica: In praecedentibus de modo cognoscendi de criminibus secundum iuris ordinem diximus: & quoniam est & alius modus, in quo extraordinarie proceditur, scilicet cum crimen est notorium, in quo iuris ordinem non servare est secundum

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Allegationen. Durantis liefert dem Laienspiegel auch die Verweise auf das kanonische Recht sowie auf den Codex106. aa. Völlige Entbindung vom ordo iudiciarius? Die allegierten Stellen aus dem Liber Extra und dem Decretum Gratiani sowie die zugehörigen Dicta Gratiani belegen in erster Linie, dass im Falle der notorischen (bzw. manifesten) Tat der übliche ordo iudiciarius nicht eingehalten werden muss107. Der Laienspiegel erklärt entsprechend, dass bei Notorietät ausserhalben der selben ordnungen verfahren werden darf, dass nit allweg gerichts ordnung zuhalten ist108. Die Dekretalen präzisieren diese Abweichungen von der gewöhnlichen Verfahrensordnung: Sie beschränken die Modifikationen des Verfahrens auf die Entbehrlichkeit einer förmlichen Anklage109 und des Zeugenbeweises110. Diese Konkretisierungen übernimmt auch der Laienspiegel, er erklärt, es sei weder anklager denunciern, inquiriern, zeügnüß oder andrer beweisung not111. Dagegen ignoriert Tengler die Ausführungen Durantis’ zu jenen Verfahrensregeln, die auch im Falle der Notorietät einzuhalten sind. Dazu gehören für den Kanonisten grundsätzlich die Ladung112 und das Recht auf Verteidi-

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iuris ordinem procedere (...). und § 1: Scias, n. 1: Scias ergo, quod in notoriis non est necessaria accusatio, vel denunciatio, vel inquisitio, vel exceptio, nec testes etiam, vel aliae probationes (...). X 2.24.21; X 5.3.31 (Licet Heli); X 5.1.24 (Qualiter et quando); X 5.1.9; X 3.2.8; (Dict. Grat.) C.2, q.1 c.15/c.16/c.17.; C. 9.2.7. X 2.24.21; X 5.1.9; X 3.2.8; (Dict. Grat.) C.2, q.1 c.15/c.16/c.17. Laienspiegel, Von wissentlichen missethaten, fol. CXVr. X 5.1.9; X 3.2.8; (Dict. Grat.) C.2, q.1 c.15/c.16/c.17. X 3.2.8. Hierzu finden sich im Liber Extra weitere ebenso treffende Stellen: X 1.6.23; X 1.7.10; X 2.21.3; X 4.13.2. Laienspiegel, Von wissentlichen missethaten, fol. CXVr. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 1: Scias, n. 1. Dabei stützt Durantis die Notwendigkeit der Ladung auf die kanonischen Anforderungen an ein wirksames Urteil: Quod si non citetur, sententia non valebit (...). Durantis und seinen Allegationen ist an dieser Stelle wörtlich nur das Erfordernis der Ladung zur Urteilsverkündung zu entnehmen; an anderer Stelle hingegen scheint die Ladung zugleich rechtliches Gehör zu garantieren: Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 1: Scias, n. 8: (...) ei venienti exponatur factum, propter quod citatur: & eius defensio audiatur (...); mit Verweis auf die Dekretale Qualiter et Quando, X 5.1.24 (§ Debet), die ebenfalls die Ladung zur Verteidigung verlangt: Debet igitur esse praesens is, contra quem facienda est inquisitio, nisi se per contumaciam absentaverit, et exponenda sunt ei illa capitula, de quibus fuerit inquirendum, ut facultatem habeat defendendi se ipsum; Gandinus verlangt hingegen ausdrücklich nur die Verkündung des Urteils in Anwesenheit des Angeklagten, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) quando crimen est notorium: (...) citabitur tamen criminosus ad sententiam audiendam, n. 9.

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gung113 – wenngleich insofern eingeschränkt, als die purgatio, der kanonische Reinigungseid114, und die Erbringung von Gegenbeweisen begriffsnotwendig ausgeschlossen sind, weil die notorische Tat unbestreitbar ist115. Leistet der notorische Täter der ersten Ladung nicht Folge, darf er ohne weiteres in Abwesenheit verurteilt werden116. Im Laienspiegel fehlt außerdem die von den italienischen Gelehrten entwickelte Differenzierung zwischen den einzelnen Kategorien der Notorietät hinsichtlich der Verfahrensmodifikationen. Wie wir gesehen haben, wird der Verzicht auf jeglichen Beweis überwiegend nur für den Fall zugelassen, dass das Verbrechen noch immer für jedermann und damit auch für den Richter optisch wahrnehmbar ist (notorium facti permanentis)117. Die einzige Abweichung vom ordentlichen Prozess, die für alle Arten der Notorietät allgemein anerkannt wird, ist der Verzicht auf den Ankläger. Die Möglichkeit, das Verfahren ex officio einzuleiten und zu führen, stellt zwar, wie gesagt, zur Entstehungszeit der Notorietätslehre in den Dekretalen eine wichtige Vereinfachung des Verfahrens dar118. Zur Zeit Durantis', vor allem aber zur Entstehungszeit des Laienspiegels war mit der Etablierung des Inquisitionsverfahrens die Verbrechensverfolgung von Amts wegen unabhängig von der Notorietät der Tat möglich. Für Durantis und Tengler ist der Verzicht auf einen Ankläger jetzt das Merkmal des Inquisitionsprozesses; sie verweisen deshalb hinsichtlich der Verfahrensmodifikationen bei notorischen Verbrechen auf die Dekretalen Licet Heli (X 5.3.31) und Qualiter et quando (X 5.1.24). Diese sagen gerade nichts über den Fall der Notorietät aus (de notoriis excessibus taceatur), treffen aber die zentralen Aussagen über den Inquisitionsprozess. Damit gelangen wir zu der bereits im Überblick über den Forschungsstand aufgeworfenen Frage, inwiefern die Notorietät hinsichtlich der Ermittlung von Amts wegen neben dem Inquisitionsverfahren im Laienspiegel und seinen Quellen eine eigenständige Bedeutung behält.

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Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, Rubrica und § 1: Scias, n. 1, 13. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 12. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 3. In diesem Fall kann auch der Richter nicht abgelehnt werden, Durantis, a. a. O., n. 12: iudex non recusatur. Zur Verurteilung des notorischen Täters in Abwesenheit vgl. Durantis, Speculum Iudiciale, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 4ff. Vgl. Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusatione, Ea quidem) n. 43; Schmoeckel, Humanität, S. 201. Lévy, La Hiérarchie, S. 35.

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bb. Entbehrlichkeit der mala fama Nach der gemeinrechtlichen Lehre rechtfertigt die Notorietät für sich genommen das Inquisitionsverfahren. Soweit die Quellen grundsätzlich noch das Gerücht, die mala fama, als Prozessvoraussetzung des Inquisitionsverfahrens verlangen, entfällt dieses Erfordernis, wenn die Tat notorisch ist. So erklärt Baldus: (...) notorium et fama, inquisitionem provocant119. Nicht nur Baldus sieht das notorium an die Stelle der fama treten, auch bei Durantis stehen Notorietät und Gerücht im Alternativitätsverhältnis120. Dass neben der Notorietät auch die Existenz einer mala fama überprüft werden muss, erscheint deshalb ausgeschlossen, weil die Notorietät wie die mala fama eine Veranlassung des Verfahrens von außen bietet und insofern nicht weniger tauglich ist, den Ankläger zu ersetzen. Darüber hinaus steht die Notorietät – hinsichtlich ihres Beweiswerts – weit über der mala fama 121. Für den Laienspiegel spielt die mala fama keine Rolle mehr; er äußert sich daher nicht zu einer entsprechenden Auswirkung der Notorietät. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang aber die Formulierung des Laienspiegels, die der „wahrlichen Tat“ eben die Rolle zuweist, die nach der kanonischen Dogmatik der mala fama zukommt: (...) dieweil dann keyn ander anklagen vorhanden, sonder alleyn die warlich missethat thut in verklagen (...)122. cc. Der Notorietätsbeweis Das Verfahren, das im Falle der notorischen Tat eingeleitet wird, ist – wie nach der gemeinrechtlichen Theorie auch nach dem Laienspiegel – nicht das gewöhnliche Inquisitionsverfahren. Ausdrücklich weisen Durantis und Tengler darauf hin, dass es sich bei dem Verfahren auf notorische Tat nicht um ein (ordentliches) Inquisitionsverfahren handelt; es wird nicht nur auf den Ankläger verzichtet, sondern auch auf das Inquirieren (weder anklager denunciern, inquiriern) 123. Für den Fall der Notorietät ist der Richter gerade auch von der Verfahrensordnung des Inquisitionsprozesses entbunden; der Laienspiegel stellt das Verfahren bei notorischer Tat deshalb – Durantis folgend124 – in 119 120

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Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 35. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 20. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 3: Fama quid sit, n. 2, 3 und § 5: Manifestum quid sit. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIv. Laienspiegel, Von wissentlichen missethaten, fol. CXVr Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, Rubrica: In praecedentibus de modo cognoscendi de criminibus secundum iuris ordinem diximus (…).

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Abgrenzung zu allen zuvor beschriebenen ordentlichen modi procedendi, mithin auch in Abgrenzung zum Inquisitionsprozess dar: Als hievor angezeygt, wie nach rechter ordnung, umb die übelthaten procediert mög werden. Soweit tatsächlich auf jeglichen Beweis verzichtet wird und damit jedes Ermittlungsverfahren entfällt, hat das Verfahren wegen notorischer Tat mit dem Inquisitionsprozess wenig gemeinsam. Der Verzicht auf den Beweis ist, wie gesagt, der zentrale Aspekt der Notorietätslehre, den der Laienspiegel (auch weder (…) zeügnüß oder andrer beweisung125), Durantis (nec testes etiam, vel aliae probationes126) und die allegierten Dekretalen127 betonen. Die Entbehrlichkeit des Beweisverfahrens wird, wie bereits erwähnt, gerade mit der Erschwerung des Überführungsbeweises durch die Neuerungen des 4. Laterankonzils 1215 und die Einführung des Inquisitionsverfahrens zum zentralen Aspekt der Notorietätslehre128; ihr verdankt die ursprünglich kanonistische Theorie ihre Beachtung durch die Legistik129. Dabei berücksichtigen die Juristen, dass die Aussagen der Dekretalen sich in erster Linie auf das notorium facti beziehen, das der Allgemeinheit und insbesondere auch dem Richter bekannt ist; die weitgehenden prozessualen Konsequenzen, insbesondere der Verzicht auf jeglichen Beweis, werden deshalb nur für die Kategorie des allgemein- und zugleich gerichtskundigen notorium facti permanentis ohne weiteres anerkannt130. Das Verfahren bei notorischer Tat nimmt indes immer dann die Form eines Inquisitionsverfahrens an, wenn auf den Beweis nicht völlig verzichtet wird. Eben deshalb stellt der Laienspiegel das Verfahren bei notorischer Tat im Zusammenhang mit dem Inquisitionsprozess dar. Auch die gemeinrechtliche Lehre verlangt außer im genannten Fall des notorium facti trotz Notorietät eine inquirierende Tätigkeit des Richters. Im Falle der fehlenden Gerichtskundigkeit – dies dürfte der Regelfall gewesen sein – fordern die gelehrten Vorlagen des Laienspiegels, namentlich Durantis und Gandinus, auch im Verfahren bei notorischer Tat Zeugenvernehmungen.

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Laienspiegel, Von wissentlichen missethaten, fol. CXVr. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, Rubrica. C.2 q.1 c.17: (…) in manifesta et nota plurimis causa non sunt querendi testes; X 3.2.8: (…) si crimen eorum ita publicum est, ut merito debeat appellari notorium, in eo casu nec testis nec accusator est necessarius; hierzu finden sich im Liber Extra weitere ebenso treffende Stellen: X 1.6.23; X 1.7.10; X 2.21.3; X 4.13.2. Lévy, La Hiérarchie, S. 33ff. Fraher, Conviction According to Conscience, S. 40ff. Vgl. Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 43; Schmoeckel, Humanität, S. 201.

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Bereits Gratian erklärt das Beweisverfahren nur dann für entbehrlich, wenn die Sache auch dem Richter offenkundig ist, weil der Richter nicht in einer Sache urteilen darf, über die er kein ausreichendes Wissen hat131. Durantis erklärt: Unde iudex non potest sententiare, nisi ei probetur: quia nescit132; er verlangt in diesem Fall ein Beweisverfahren: & tale notorium probatur per testes coram iudice, cui factum non est notorium, quia non vidit133. Ist dem Richter selbst das Verbrechen nicht offenkundig, bedarf es, wie im gewöhnlichen Inquisitionsprozess, eines Ermittlungsverfahrens von Amts wegen: iudex ex officio suo inquirit, an crimen sit notorium134. Ganz ähnlich äußert sich Gandinus; auch er verweist für den Fall der fehlenden Gerichtskundigkeit des Verbrechens ausdrücklich auf das Inquisitionsverfahren135. Gegenstand der Ermittlungen und des Beweises muss aber in diesem Fall – zumindest theoretisch – nicht das Verbrechen sein, sondern dessen Notorietät136. Ausdrücklich erklärt Durantis die Notorietät zum Bezugspunkt des Beweises137: probare at hoc (...) quod viderunt crimen, de quo testificantur, committi: & quod tot alii praesentes erant, qui videre similiter potuerunt, quod crimen notorium factum fuit (...)138. Genauer als Durantis formuliert Gandinus die Anforderungen an den Notorietätsbeweis: (...) probare (...) quod viderant crimen, de quo testificantur, committi de die et in loco publico, et quod tot homines erant presentes, qui viderunt similiter, quod crimen notorium factum fuit (...)139. Wie für den ordentlichen Inquisitionsprozess fordern die gelehrten Quellen des Laienspiegels also auch für den summarischen bei notorischen Verbrechen ein formloses Vorverfahren, in 131 132

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Dict. Grat. C.2 q.1 c.19. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 12. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 8. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 17 vgl. auch n. 14. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (…) quando crimen est notorium, n. 11. Zumindest im Inquisitionsprozess genügt einer von beiden Beweisen, Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) quando crimen est notorium, n. 11 mit Verweis auf Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 17; Schmoeckel, Humanität, S. 201. Durantis geht sogar auf das Problem ein, dass die Zeugen möglichweise die Anforderungen an die Notorietät nicht kennen und deshalb zunächt die Definition derselben besprochen werden muss, Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 16. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 17, vgl. auch n. 14. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (…) quando crimen est notorium, n. 11.

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dem Zeugen die Voraussetzungen für das weitere Verfahren liefern. So erklärt Gandinus: quando iudex ex suo officio procedit, querendo, an crimen sit notorium; tunc lite non contestata possunt recipi testes, de qua materia notavi supra quomodo de maleficiis cognoscitur per inquisitionem140. Tengler selbst spricht nicht vom Notorietätsbeweis; die Aussagen seiner Quellen zum entsprechenden Zeugenbeweis ignoriert er. Für ihn bleibt aber, wie wir gleich sehen werden, das Geständnis auch im Falle der Notorietät unentbehrlich. dd. Festhalten am Erfordernis des Geständnisses Entgegen seiner Aussage, im Fall der Notorietät könne auf zeügnüß oder andrer beweisung141 verzichtet werden, hält Tengler am Geständnis als zwingender Voraussetzung für die Verurteilung fest. Zwar stellt er fest, bei notorischer Tat solle man alle verlengerung abschneiden142. Bestreitet der derart Verdächtige aber seine Schuld (Widersprech er aber die wissentlich that), bedarf es des Geständnisses, das mit der Folter erzwungen werden kann: so mag in der Richter mit peinlicher frag zu warlicher bekantnüs zwingen lassen143. Der Laienspiegel stimmt hier ganz mit den zeitgenössischen deutschen Rezeptionsquellen überein. Auch die Bambergensis fordert trotz der „Unzweifelhaftigkeit“ der Tat die Erzwingung des Geständnisses mit der Folter. Ebenso verlangt der Klagspiegel im Falle der notorischen Tat (wann das malefitz offenlich fürbracht würd und geschehen ist) die Erfolterung eines Geständnisses (zwingt er, das sie die wahrheyt sagen)144. Schließlich belegt die Wormser Reformation: Die Gewissheit hinsichtlich der Täterschaft spricht nicht gegen die Folter, sondern legitimiert sie gerade145. Das Stadtrecht fordert als Voraussetzung für die Folter das zuvor syen mergklich ursach offenbar oder frische that darüber einer

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Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (…) quando crimen est notorium, n. 11. Laienspiegel, Von wissentlichen missethaten, fol. CXVr. Laienspiegel, Von des gefangen laugnen, fol. CVIIv. Laienspiegel, Von des gefangen laugnen, fol. CVIIv. Klagspiegel, Quomodo crimen in modum exceptionis opponitur, fol. CXVIv. VI.2.2 Wormser Reformation, 1. Absatz; so später auch Martin Luther, Wider den Bischof zu Magdeburg, S. 414 zit. nach Schmoeckel, Humanität, S. 109; Schubert, Räuber, Henker, S. 160. Vgl. auch die Erwähnung der Folter im Schwabenspiegel für den Fall, dass der Verdächtige leugnet, obwohl Augenzeugen sein Verbrechen bezeugen können, Art. 375 III, Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 83, und in den Magdeburger Fragen, die die Folter nur in dem Fall erlauben, dass der zu Folternde bereits vor gerichte vorwunden wurde, Nehlsen-von Stryk, Reinigungseid, S. 624.

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begriffen od[er] bezügt sy146. Die Notorietät übernimmt allenfalls die Aufgabe der Indizien: Sie legitimiert die Anwendung der Folter. Auch unter den gelehrten Juristen wird diskutiert, inwiefern das hartnäckige Leugnen des notorischen Verbrechers dessen Verurteilung verbietet, mithin – neben der Notorietät – ein Geständnis notwendig ist. Dies steht auf den ersten Blick im Widerspruch zur gratianischen Notorietätslehre. An der im Laienspiegel allegierten Stelle erklärt Gratian die Unbestreitbarkeit gerade zum Wesensmerkmal der Notorietät (nec tergiversatione crimen celatur147) bzw. wertet die öffentliche Begehung der Tat zugleich als Geständnis: opere publico crimen suum confitetur148. Unter Notorietät versteht Gratian allerdings, wie gesagt, nur den Fall des allgemein- und zugleich gerichtskundigen notorium facti permanentis, die für alle und den Richter gegenwärtig augenscheinliche Tat. Entsprechend erklärt auch Durantis nur die gerichtskundige facti evidentia149 für unbestreitbar. Für alle anderen Fälle gilt: Wenn das Verbrechen bzw. dessen Notorietät geleugnet wird150, bedarf es des Beweises: Et no. quod si aliquid negetur esse notorium, semper probandum est notorium esse151. Auch Baldus empfiehlt, wenn das Verbrechen nicht gerichtskundig oder bestreitbar ist, das Geständnis des Verdächtigen152. Tengler und seine deutschen Vorlagen stehen insofern mit dem gelehrten Recht durchaus im Einklang. ee. Ergebnis Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Notorietät eines Verbrechens sich – nach der gemeinrechtlichen Lehre wie dem Laienspiegel – nur sehr begrenzt auf den Ablauf des Verfahrens auswirkt. Zentral war zunächst der Verzicht auf einen Ankläger in Fällen der notorischen Tat. Dieser Vorteil ist aber mit der Etablierung des Inquisitionsverfahrens in den Hintergrund getreten. Die Aussage, es bedürfe bei notorischen Taten keiner Beweise, entpuppt sich als viel zu pauschale Behauptung. Sie gilt letztlich, so ist sich die gemeinrechtliche Lehre weitgehend einig, nur, wenn das Verbrechen (auch) gerichts146

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VI.2.2. Wormser Reformation. Allerdings anerkennt die Wormser Reformation unter bestimmten Voraussetzungen die Verurteilung allein aufgrund von Notorietät, also ohne Geständnis, VI.2.10 Wormser Reformation. Dict. Grat. C.2 q.1 c.16; ähnlich auch X 5.40.24. Dict. Grat. C.2 q.1 c.20; vgl. dazu Lévy, La Hiérarchie, S. 41. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 1: Scias: (…) per facti evidentiam (...), n. 9. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 1: Scias: Sed qualiter sciet iudex crimen alicuius notorium, forte si id negatur?, n. 9. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 1: Scias, n. 9. Baldus, Commentaria, C. 2.9.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 43.

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kundig ist, also in den seltensten Fällen. Im Übrigen bedarf es entweder eines Geständnisses oder des Zeugenbeweises über die Tatsache der Notorietät. Vor diesem Hintergrund kann schließlich nicht verwundern, dass auch der Laienspiegel, soweit er in den folgenden Kapiteln den summarischen Inquisitionsprozess aufgrund einer notorischen Tat beschreibt, den Richter keineswegs von allen Ermittlungen entbindet.

c. Exkurs: Notorietät und strenge Beweislehre Die gemeinrechtliche Notorietätslehre ist vor dem Hintergrund der strengen Beweislehre des gelehrten Rechts zu sehen. Die Figur der notorischen Tat muss sich in deren striktes System der Beweise eingliedern. In der gemeinrechtlichen Lehre ist den einzelnen Beweismitteln jeweils ein bestimmter Beweiswert zugeordnet153, eine freie Beweiswürdigung kennt das gemeine Recht grundsätzlich nicht154. Das feste Rangverhältnis der Beweise lässt im Akkusationsverfahren keinen Raum für die richterliche Bewertung der von den Parteien vorgebrachten Beweismittel. Im Inquisitionsverfahren sind dagegen die einzelnen Beweismittel den verschiedenen Verfahrensstufen zugeordnet155: Indizien können zur Folter berechtigen, nicht aber zu Verurteilung, hierfür genügt nur der Vollbeweis in Form des Zweizeugenbeweises oder des Geständnisses156. Wie passt nun die Notorietät in dieses System? Zunächst ist festzustellen, dass die Kategorie der Notorietät nicht als weitere Form des Vollbeweises gewertet wird. Formal bleibt es vielmehr bei der Festlegung des Überführungsbeweises: den zur Verurteilung genügenden Beweis vermögen nach wie vor nur das Geständnis und der Zweizeugenbeweis zu erbringen. Die Notorietät macht diesen Überführungsbeweis nur entbehrlich157. Durch die detaillierte Regelung, in welchen Fällen Notorietät vorliegt und inwiefern deshalb auf den üblichen Überführungsbeweis verzichtet werden 153 154

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Lévy, La Hiérarchie, S. 1ff.; Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 38; Langbein, Torture, S. 7. Schmoeckel, Humanität, S. 285. Schmoeckel sieht die Freiheit des Richters anstatt bei der Beweiswürdigung bei der Rechtsfolge, namentlicher der Möglichkeit der poena extraordinaria; Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 37. Eine Ausnahme bildet die Bewertung von Zeugenaussagen im Einzelfall und die Bewertung von Indizien, vgl. Bartolus, Commentaria, D. 22.5.3 (De testibus, Testium), vgl. auch Fraher, Conviction According to Conscience, S. 52; Lepsius, Der Richter und die Zeugen, S. 25, 126ff. Schulz, Normiertes Misstrauen, S. 173ff.; so später auch die deutsche Strafrechtswissenschaft, namentlich Carpzov vgl. Koch, Denunciatio, S. 97ff. Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 84. Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 31ff.

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kann, suchen die Juristen auch hinsichtlich der Notorietät jede Form der freien richterlichen Beweiswürdigung zu vermeiden. Soweit die Entbehrlichkeit des üblichen Überführungsbeweises den Weg zur freien Beweiswürdigung hätte bahnen können158, bleibt diese Möglichkeit ungenutzt. Die Zeit war hierfür offenbar noch nicht reif. Nur in Ansätzen wurde in der italienischen Jurisprudenz die freie Beweiswürdigung als Modell erwogen. Hinter der grundsätzlichen Ablehnung derselben stand ein kanonischer Lehrsatz: iudex secundum allegata, non secundum conscientiam iudicat159. Als Grundsatz des ordentlichen Prozesses – also des Zivil- und Strafprozesses in Form des Parteienverfahrens – legt die Regel primär die Dispositionsmaxime fest160: Die richterliche Entscheidung soll allein auf dem von den Parteien eingeführten Stoff basieren; nicht auf außerhalb des Prozesses erworbenem individuellen Wissen des Richters. Bereits die Dekretisten sahen – wie später Gandinus161 in dieser Parömie allerdings nicht nur eine Regel für die Beweiserhebung, sondern auch für die Beweiswürdigung. Der Begriff conscientia ist für die Dekretisten doppeldeutig: Zum einen bezeichnet er das "Wissen", zum andern das "Gewissen". Die Parömie erklärt damit nicht nur das individuelle Wissen des Richters für unbeachtlich, sondern zugleich dessen subjektive Überzeugung, sein Gewissen162. Er muss sich nicht nur mit den von den Parteien eingebrachten Beweisen begnügen, sondern ist darüber hinaus verpflichtet unabhängig von seiner Überzeugung nach Maßgabe der strengen Beweislehre zu verurteilen oder freizusprechen163. In dieser Bedeutung ist der Lehrsatz denn auch für das Inquisitionsverfahren relevant; wenngleich seine Anwendung hier – möglicherweise aus kriminalpolitischen Erwägungen – kontrovers diskutiert wird164. Aus eben solchen Erwägungen werden, wie Gandinus mitteilt, die Richter der oberitalienischen Städte durch die Statuten mit dem arbitrium ausgestattet. Den Richtern kann also das Recht zur freien Beweiswürdigung – zur Ent-

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Vgl. die Bewertung der Notorietät bei Fraher, Conviction According to Conscience, S. 23ff., 61; Schmoeckel, Humanität, S. 202. Nörr, Die Stellung des Richters. Nörr, Die Stellung des Richters, S. 12; vgl. auch Lepsius, Der Richter und die Zeugen, S. 27; Fraher, Conviction According to Conscience, S. 53. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 38. Nörr, Die Stellung des Richters, S. 13. Nörr, Die Stellung des Richters, S. 62ff.; vgl. auch Lepsius, Der Richter und die Zeugen, S. 27. Nörr, Die Stellung des Richters, S. 66ff.

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scheidung allein nach ihrem Gewissen (bona conscientia) – verliehen werden165. Bartolus scheint auf den ersten Blick den inquirierenden Richter stets als zur freien Beweiswürdigung berechtigt anzusehen; er beschreibt die Rolle des Richters im Inquisitionsverfahren mit denselben Worten, die Gandinus für die mit dem arbitrium ausgestatteten Richter der italienischen Städte wählt: iudex inquirendo, habet magis largas habenas quam credatis166. Eine Kollision mit dem Grundsatz iudex secundum allegata non secundum conscientiam iudicat schließt Bartolus aus: Die Parömie versteht er nur als Ausdruck der Dispositionsmaxime167, deren Geltung bestreitet er indes für den Strafprozess unabhängig vom modus procedendi168. Von einer freien Beweiswürdigung im heutigen Sinne kann dennoch nicht gesprochen werden; auch soweit die italienischen Juristen die subjektive Überzeugung des Richters für maßgeblich erklären, bleibt dieser doch an die strengen Beweisregeln gebunden169. Es wird argumentiert, das Gewissen des Richters könne zu keiner anderen Bewertung der Beweislage kommen als die Rechtsregeln vorgeben – was objektiv gerecht ist, kann nicht subjektiv als ungerecht empfunden werden170. Ausdrücklich erklärt Bartolus die Beweisregeln für den Maßstab, an dem der Richter seine Überzeugung messen muss: Hoc praemisso videndum est qualiter iudex ad istam fidem seu credulitatem adducatur171. Bartolus unterscheidet vier Stufen der Überzeugung (fides et credulitas): Zweifel (dubietas)172, Verdacht (suspicio), Ansicht (opinio) und die volle Überzeugung (plena/perfecta credulitas) und ordnet ihnen bestimmte Beweismittel zu173. Demnach können Indizien grundsätzlich nur zum Verdacht, bestenfalls zur opinio 165

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Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 38; vgl. Fraher, Conviction According to Conscience, S. 45. Bartolus, Commentaria, D. 48.5.2.5 (Ad legem Iuliam de adulteriis, Ex lege Iulia, § Si publico), n. 11; Gandinus formuliert: Nam arbitrium dat potestatibus largas habenas (...), Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 38. Fraher, Conviction According to Conscience, S. 52f.; Lepsius, Der Richter und die Zeugen, S. 29. Nörr, Die Stellung des Richters, S. 93f. Schmoeckel, Humanität, S. 194. Nörr spricht hier von "moraltheologisch verbrämte(m) Rechtspositivismus", Die Stellung des Richters, S. 52f. Bartolus, Commentaria, D. 12.2.31 (De iureiurando, Admonendi), n. 15. Bartolus weist darauf hin, dass der Zweifel genau genommen noch nicht als eine Erscheinungsform der Überzeugung bezeichnet werden kann, vielmehr erst der Verdacht, der als erste Stufe des Beweises, zugleich auch den ersten Grad der Überzeugung darstellt: hic est primus gradus probationis, seu credulitatis (...), Bartolus, Commentaria, D. 12.2.31 (De iureiurando, Admonendi), n. 21. Bartolus, Commentaria, D. 12.2.31 (De iureiurando, Admonendi), n. 19ff.

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führen – abhängig von ihrer Bewertung als schwache (ex aliquo levi indicio, vel ex aliquo levi argumento) oder stärkere (argumenta fortiora) Indizien – nur der Vollbeweis kann die völlige Überzeugung herstellen und damit die Verurteilung legitimieren. Ausdrücklich stellt schließlich Bartolus die Überzeugung dem Vollbeweis gleich: Et iste tertius gradus probationis, hoc est, credulitas (...)174. Die Juristen fanden schließlich einen anderen Weg, dem ne crimina remaneant impunita-Grundsatz gerecht zu werden ohne die formale Beweislehre aufzugeben: die poena extraordinaria175. Ohne formalen Überführungsbeweis sollte zwar die übliche Strafe, die poena ordinaria, verboten sein, nicht aber eine mildere Strafe, die der Richter nach seinem Ermessen verhängen konnte176.

d. Tenglers Abkehr vom strengen Notorietätsbegriff – Handhafte Tat, Fehde und amtliche Rüge Im Kapitel Von des gefangen laugnen177 stellt Tengler der notorischen Tat (wo eyn missethat offentlich und unzweiflich beschehen) weitere Fälle an die Seite. Diesen ist überwiegend gemeinsam, dass sich eine hohe Gewissheit über das Verbrechen aus dem Augenschein, der optischen Wahrnehmung, ergibt. Auch in diesen Fällen, soll ein vereinfachtes Verfahren erfolgen, soll man alle verlengerung abschneiden178. Zum einen erwähnt Tengler hier die handhafte Tat (da man in an der waren that begriffen), die im deutschen Recht von jeher in einem Verfahren eigener Art abgeurteilt wurde179; außerdem den Fall, den wir bei den Indizien vermissten, dass man nämlich die Beute, den nom, raub oder diebstal wissentlich bei im gefunden. Auch dieser Fall wird nach dem alten deutschen Recht als handhafter Diebstahl im weiteren Sinne behandelt180: Kann der Täter nicht bei der Tat 174

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Bartolus, Commentaria, D. 12.2.31 (De iureiurando, Admonendi), n. 23, vgl auch schon n. 21 a. E. Der Begriff der Verdachtsstrafe weckt falsche Konnotationen und ist als ahistorisch zu verwerfen: Die Strafe erfolgte nicht auf bloßen Verdacht, sondern aufgrund der richterlichen Überzeugung, verzichtet wurde nur auf den formalen Überführungsbeweis, Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 106; Jerouschek, Überlegungen zu Folter, S. 363. Schmoeckel, Humanität, S. 295ff. Laienspiegel, Von des gefangen laugnen, fol. CVIIv. Laienspiegel, Von des gefangen laugnen, fol. CVIIv. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 626f. Ssp. LdR. II, 35. Auch in diesem Fall ist der für die Handhaftigkeit entscheidende „blickende Schein“ gegeben, vgl. dazu Scheele, Friedrich, Art. Blickender Schein, HRG I 22005, Sp. 616-617; Werkmüller, Dieter, Art. Handhafte Tat, HRG I 11971, Sp. 1965-1973, 1965f.; Brunnenmeister, Quellen, S. 159.

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gestellt werden, findet sich aber später die Beute bei ihm, muss er im sog. „Anefangverfahren“ den Beweis erbringen, dass er die Sache nicht gestohlen hat. Dafür genügt nicht der Reinigungseid, er muss vielmehr einen Gewährsmann vorbringen, andernfalls wird er als handhafter Täter behandelt181. Die Gleichstellung von notorischer und handhafter Tat hat Tengler aus der Bambergensis übernommen182. Sein Kapitel Von des gefangen laugnen183 ist eine nahezu wörtliche Übernahme des Artikels 23 der Bambergensis, der mit dem Titel Von unzweiffenlichen Missetaten versehen ist. Übereinstimmend mit der Bambergensis erwähnt Tengler im Zusammenhang mit der notorischen Tat einen weiteren Fall, nämlich den, dass eyner on redliche ursachen, durch eyn mutwillige feindtschafft, yemands beschädigt184; die Bambergensis formuliert: als einer on Rechtmessig und gedrungen ursach ein offenlicher mutwilliger veindth oder beschediger ist (...). Einen Anhaltspunkt für die Einordnung dieses Falles liefert die Carolina (Art. 16), die an dieser Stelle die Bambergensis übernimmt, aber statt vom „Beschädiger“ vom „Friedbrecher“ spricht. Offenbar handelt es sich um eine Berücksichtigung des Landfriedensrechts. In III, § 12 der Ausführungsordnung zum Ewigen Landfrieden185 findet sich die Anordnung der Reichsacht ohne vorheriges Urteil, also ipso facto bzw. ipso iure für den Fall des „offenbaren“ Friedbruchs. Auch die Landfrieden, die Tengler in sein Werk aufnimmt, sanktionieren in erster Linie den offenkundigen Friedbruch. Die Bambergensis und der Laienspiegel sprechen hier also von Taten, die im Rahmen einer (unrechtmäßigen186) Fehde erfolgen. Regelmäßig werden sich Fehdehandlungen als notorische Taten dargestellt haben. Die Verknüpfung des Landfriedensrechts mit der Notorietätslehre ist den kriminalpolitischen Bedürfnissen der Zeit geschuldet; zur Durchsetzung des Landfriedens bedarf es eines schlagkräftigen Verfahrens, die Notorietätslehre hält ein solches bereit187.

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Ssp. LdR. II, 36; Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 645ff., 626ff.; Holdefleiß, Der Augenscheinsbeweis, S. 74ff. Während in der Ausgabe des Laienspiegels von 1511 noch ein Verweis auf den Digestentitel De quaestionibus (D. 48.18) zu finden ist, fehlt dieser in der Ausgabe von 1536. Möglicherweise wurde erkannt, dass das Kapitel Von des gefangen laugnen nicht auf den Digesten basiert und sich Tenglers Ausführungen keineswegs auf das römische Recht zurückführen lassen. Laienspiegel, Von des gefangen laugnen, fol. CVIIv. Laienspiegel, Von des gefangen laugnen, fol. CVIIv. RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1. Mit dem Ewigen Landfrieden gibt es keine rechtmäßige Fehde mehr, Art. 2 Ewiger Landfrieden (1495), Laienspiegel, fol. XCIIII: Auffhebung aller Vhede, vgl. RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1 (III.C. Ewiger Landfriede). Brunnenmeister, Quellen, S. 160.

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Auch in der gemeinrechtlichen Lehre erfährt der Notorietätsbegriff eine Erweiterung und zwar durch die Verbindung der kanonischen Notorietätslehre mit dem römischen Recht. Dieses spricht in C. 9.2.7 von den notoria. Als solche bezeichnet es die Anzeigen von Verbrechen, die dem Richter durch Beamte zugetragen werden. Die Denunziation von Amts wegen ist, wie wir gesehen haben, in der gemeinrechtlichen Lehre auch als denunciatio iudicialis publica bekannt188. Die Aussage der besagten Codexstelle, es handele sich bei solchen Anzeigen von Amtsleuten um notoria, veranlasst die Legisten zu einer Diskussion über den Zusammenhang zwischen amtlicher Denunziation und Notorietät. Bartolus und Angelus Aretinus erwägen lediglich, inwiefern die von amtlichen Denunzianten vorgebrachten Verbrechen notorische sein müssen189. Zu einer Erweiterung des Notorietätsbegriffs führen dagegen die von Gandinus190 und Baldus vertretenen Thesen. Baldus vertritt die Auffassung, die 188 189

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S. dazu oben Kap. B.I.3.c.bb.: Die Anzeige durch Amtsleute, S. 93ff. Bartolus erklärt explizit die Auslegung der Codexstelle für umstritten. Er lehnt wie Gandinus die später von Baldus vertretene Auffassung ab, dass die Notorietät gerade durch die Denunziation hergestellt werden könnte: Item potest intelligi notorium, ut dicatur notorium ipsa denunciatio, quae inducit crimen in notorium (...), Commentaria, D. 48.16.6.3 (Ad senatusconsultum Turpillianum, Ab accusatione, § Nunciatores), n. 3. Ist das Verbrechen nicht originär notorisch, so müsse es im Akkusationsverfahren verfolgt werden: In notoriis, potest per inquisitionem procedi (...). (…) in non notoriis, non proceditur per inquisitionem, sed per accusationem, Bartolus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem). Ausdrücklich weist er auch die Auffassung zurück, auf jede durch eine Amtsperson denunzierte Tat könne das Inquisitionsverfahren folgen: Nicol. Mat. intelligit quando officialis denunciat causam, potest procedi per inquisitionem, Bartolus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem). Aretinus relativiert schließlich das Notorietätserfordernis auf ganz andere Weise. Er behauptet, die Codexstelle verlange nur die Notorietät des Verbrechens als solchem, der Tatsache, dass die Tat geschehen ist, nicht dagegen hinsichtlich der Täterschaft. Die amtlichen Denunzianten dürften dem Richter nur solche Taten vortragen, die unzweifelhaft geschehen sind; dem Richter obliegt es dann im Wege des Inquisitionsverfahrens den Denunzierten als Täter zu überführen: non est necesse malefactorem hoc notorie fecisse, vel notorium esse: ideo iudex inquirit, an persona denunciata illud crimen fecerit necne (...), Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Necnon ad denunciationem, n. 13. Ausdrücklich lehnt Gandinus die Ansicht ab, die Mitteilungsbefugnis der amtlichen Denunzianten beschränke sich auf „offenbare“ Taten; dies stünde im Widerspruch zu seiner Erfahrung mit der Praxis in den oberitalienischen Städten: Hier seien die Beamten verpflichtet, Verbrechen anzuzeigen, auch wenn durchaus noch Aufklärungsbedarf bestehe, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per denunciationem, n. 5. In den Urkunden des Gandinus finden sich nicht nur Mitteilungen über Taten, die der Beamte selbst beobachtet hat, sondern auch solche, von deren Begehung er nur gehört hat. Die amtliche Anzeige, die erst Ermittlungen veranlasst, ist Gandinus also tatsächlich aus seiner Praxis bekannt, Kantorowicz, Albertus Gandinus I, S. 123; vgl. auch Trusen, Anfänge, S. 53.

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Mitteilung durch die Beamten mache die Tat für den Richter notorisch; er ordnet diesen Fall in die Kategorie des notorium praesumptionis ein191. Schon Gandinus erwähnt die Ansicht, wegen des Amtseids der Beamten seien deren Aussagen ohne weiteres für wahr zu halten, mit der Anzeige werde daher die Tat notorisch. Er selbst lehnt diese Meinung aber ab; er unterscheidet danach, ob die Beamten bereits Ermittlungen durchführen, bevor sie die Tat melden oder nicht. Er kennt den Denunziator, der zugleich mit der Inquisition betraut ist (officium talium officialium non solum consistit in denuntiando, verum etiam in inquirendo et cognoscendo (...)) und den bloßen Denunzianten (cum officialis officium solum in denuntiando et non in inquirendo et cognoscendo consistit (...)). Nur der mit der Inquisition betraute Denunziant kann dem Richter ein völlig aufgeklärtes und damit notorisches Verbrechen präsentieren, nur nach dessen Anzeige beschränkt sich das weitere Verfahren auf ein richterliches Urteil192. Im zweiten Fall muss dagegen der Richter hinsichtlich weiterer Beweise inquirieren193. Sowohl Gandinus als auch Baldus liefern damit Belege für die Aufweichung des strengen Notorietätsbegriffs durch die Legistik. Bei Baldus zeigt sich die Kategorie des notorium praesumptionis als Einbruchstelle für eine Ausweitung des Notorietätsbegriffs. Gandinus stellt klar, dass die Tat nicht – wie in der ursprünglichen Kategorie des notorium facti – originär notorisch sein muss, die Notorietät sich also nicht aus den Umständen der Tatbegehung ergeben muss, sondern auch durch nicht näher bestimmte Ermittlungen hergestellt werden kann. Die Behandlung der von Amtsleuten angezeigten Taten als notorische findet sich schließlich, wie bereits oben erwähnt194, auch im deutschen Rechtskreis. Während die Formulierung des Laienspiegels, der Richter habe aufgrund von amtlichen Anzeigen vollen gewalt (...) darüber zurichten195, nur vermuten lässt, dass auf die amtliche Rüge ein vereinfachtes Verfahren folgen kann und weitere Beweise entfallen, äußern sich der Klagspiegel und die

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Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 39: (...) qui facit praesumptionem, quantum ad inquirendum und Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), pr.: De notorio ad denuntiationem officialis iudex procedit citra solennitatem accusationis. Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per denuntiationem, n. 5: Nam tunc et eo casu satis dici potest, ut videtur, istud fore talem indicium indubitatum, quod ex eo solo possit potestas vel iudex sententiam diffinitivam proferre, nulla alia super eo excessu probatione reperta, quoniam tale factum dicitur esse iudici notorium (...). Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (…) per denuntiationem, n. 5. Vgl. Kap. B.I.3.a.: Forschungsstand, S. 74ff. und Kap. B.I.3.c.bb.: Die Anzeige durch Amtsleute, S. 93ff. Laienspiegel, Von denuncieren und ansagen, fol. CXIIIv.

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Wormser Reformation ausdrücklich im Sinne von Gandinus und Baldus196. Der Klagspiegel erklärt wie Gandinus: und sollicher irer verkündung würt geglaubt auff den eydt den sie geschworen haben, da man sie an das ampt name197, die Wormser Reformation ordnet auf die amtliche Denunziation an, dass die Verbrechen (...) one wyter fragen oder bewerung nach gestalt der verhandlung gestrafft werden198. Das Stadtrecht versteht, wie Baldus, die Denunziation durch Amtsleute als einen Fall des notorium praesumptionis: Sie gehört zu den unzwyffelhafftigen vermutungen, die eine Verurteilung rechtfertigen199.

3. Abgrenzung der Notorietät von geringeren Gewissheitsgraden

Wie seine gelehrten Quellen, namentlich Durantis’ Speculum Iudiciale, erläutert auch Tengler im Zusammenhang mit der Darstellung der Notorietät verschiedene Konstellationen, in denen ein geringerer Grad an Gewissheit über eine Tat besteht200. Diese Darstellung dient zum einen der Präzisierung der Anforderungen, die an die Notorietät einer Tat zu stellen sind. Zum anderen gibt sie dem Richter Anhaltspunkte für die Entscheidung, inwieweit sein Wissen über die Tat ihm ein Vorgehen gegen den Inquisiten erlaubt. Dabei fällt auf, dass Tengler dem Richter mehr Ermessen hinsichtlich der Bewertung seines Wissens einräumt als die italienischen Vorlagen. Das verwundert insofern nicht, als es für Tengler dabei, wie wir gesehen haben, nur um die Frage der Zulässigkeit der Folter geht, da das Geständnis nach dem Laienspiegel in jedem Fall erforderlich bleibt. Die Entscheidung, ob ein hinreichender Verdacht, d. h. genügende Indizien vorliegen, um die Folter zu rechtfertigen, liegt aber nach dem Laienspiegel wie dem gemeinen Recht letztlich im Ermessen des Richters. Zunächst unterscheidet der Laienspiegel die durch Augenzeugen beweisbaren – er spricht von offenbaren Taten – von den nicht beweisbaren, den heym196

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Zu den Ausführungen des Klagspiegels und der Wormser Reformation ausführlich oben Kap. B.I.3.c.bb.: Die Anzeige durch Amtsleute, S. 93ff. Klagspiegel, Quomodo in accusatione procedatur, fol. CIXr. VI.2.1 Wormser Reformation. VI.2.1 Wormser Reformation. In der Laienspiegelausgabe Augsburg 1511 sind die verschiedenen Gewissheitsgrade aufsteigend dargestellt, die Notorietät wird daher im letzten Kapitel des Abschnitts beschrieben, fol. CCVIIIvff., in der Ausgabe Straßburg 1536 ist diese Anordnung verloren gegangen, fol. CXIIIIvff.

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lichen Verbrechen, dann behandelt Tengler den Beweiswert des schlechten Leumunds und des „Geredes“.

a. Beweisbare und nicht beweisbare Taten In Abgrenzung zu den „kundlichen“, also notorischen Delikten, definiert Tengler zunächst die offenbaren thaten: Die offenbaren, zu Latin genant Manifestum, heyssen eyn gemeyn gerüff, so auß manchen erhebern, und waren wissen entstanden, doch nit sovil, das es allerding kündtlich wissend, oder darauff peinlich zurichten sei, sond[er] eyn Richter soll darinn rechtlich ordnung halten201. Wenn die Tat nicht notorisch, sondern nur manifest ist, muss also ein ordentliches Verfahren erfolgen. Der Laienspiegel bemängelt, dass oft fälschlicherweise nur manifeste Taten als notorische behandelt werden: Doch so würt zu zeiten das offenbar gleich als kund, doch nit so eygentlich (...). Er übernimmt hier – mit dem entsprechenden Hinweis – Durantis’ Ausführungen, der feststellt: (...) iudex tamen debet ordinem iuris servare (...) Quandoque etiam manifestum ponitur pro notorio: impropie tamen (...)202. Die angeprangerte Vermischung von Notorium und Manifestum nimmt kaum Wunder, werden die Begriffe doch, wie wir gesehen haben, im kanonischen Recht zunächst synonym gebraucht203. Durantis ist nicht der erste, der eine begriffliche Unterscheidung verlangt, diese Forderung geht schon auf Johannes Teutonicus zurück, der in seiner glossa ordinaria zu C.2 q.1 c.15 klarstellt: quid sit notorium, ignoramus scias ergo, quod aliud est fama, aliud manifestum (...). Tengler mag zudem die fehlende begriffliche Unterscheidung in den deutschen Quellen seiner Zeit, namentlich dem Klagspiegel, vor Augen haben204. Wie sind nun die offenbaren von den notorischen Taten abzugrenzen, was rechtfertigt bei diesen das summarische Vorgehen und den Verzicht auf Beweise, bei jenen dagegen nicht? Gemeinsames Kennzeichen der manifesten und der notorischen Tat ist ihre Beweisbarkeit durch Zeugen. Der Laienspiegel unterscheidet hier nach der Verbreitung des Wissens bzw. der Anzahl potentieller Zeugen: Offenbar wird die Tat durch eyn gemeyn gerüff, so auß manchen erhebern, und waren wissen entstanden, doch nit sovil, das es allerding kündtlich wissend205. Er findet diese Unter201 202

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Laienspiegel, Von offenbaren thaten, fol. CXIIIIv. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 5: Manifestum quid sit, pr. und n. 1. Zu Wurzeln und Entwicklung der Notorietätslehre vgl. oben Kap. B.III.1.a, S. 197ff. Vgl. dazu oben Kap. B.III.: Die Notorietätslehre im Laienspiegel, S. 195ff. Laienspiegel, Von offenbaren thaten, fol. CXIIIIv.

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scheidung bei Durantis: potest manifestum probari per multos auctores: non tamen per tot, quod fiat notorium206. Die beobachtete Tat ist also nicht zwangsläufig auch eine notorische. Wie wir gesehen haben, wurde für die Qualifizierung als notorium zunächst das Wissen „aller“ gefordert207; erst Johannes Teutonicus erklärt die Kenntnis „der meisten“ für genügend208. Im Rahmen der Kategorie des notorium facti wurde dann die Frage diskutiert, wie viele Personen das Verbrechen beobachtet haben müssen – Durantis forderte hier mindestens zehn, der Laienspiegel stellt es in das richterliche Ermessen, auch zwei genügen zu lassen209. Vor diesem Hintergrund muss Durantis’ Abgrenzung so verstanden werden, dass ein Verbrechen, das von bis zu neun Personen beobachtet wurde, durch diese Augenzeugen in einem ordentlichen Verfahren bewiesen werden muss. Im Laienspiegel fehlt indes eine klare Grenze, ob die Tat im Einzelfall als notorische oder offenbare zu behandeln ist, stellt er damit dem Richter anheim. Unter dem Begriff der offenbaren Taten diskutiert der Laienspiegel zudem – ebenso wie Durantis – die Abgrenzung der Notorietät von der gemeyne[n] verwenung, oder opinion. Auch hier geht es um die Frage der Beweisbarkeit der Tat durch Augenzeugen. Abgrenzungskriterium ist dabei aber nicht die Anzahl der potentiellen Augenzeugen, vielmehr zeichnet sich eine Tatsache, über die nur eine gemeyne verwenung besteht, dadurch aus, dass sie langvergangen ist und daher aktuell keine Zeugen dafür mehr vorhanden sind. Der Laienspiegel übersetzt auch hier wortwörtlich die Ausführungen von Durantis210. Das Gegenstück zur notorischen, aber auch zur offenbaren Tat bildet die heimliche211; sie kann nicht bewiesen werden, ihre Aburteilung liegt daher bei Gott: So heyßt das gar heymlich, zu Latin Omnino occultum, das mit keynerley sachen mag bewisen werden, solchs alleyn Gott vorbehalten ist212. Obgleich der Laienspiegel Durantis hierzu nicht als Quelle angibt, bestehen keine Zweifel, dass dieser ihm auch hier als Vorlage diente. Die Definition stellt eine wörtliche Übersetzung von Durantis dar, ebenso übernimmt der Laienspiegel die zugehörigen 206

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Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 5: Manifestum quid sit, pr.; vgl. auch Bartolus: Notorium dicitur, quod est omnibus notum: manifestum, quod multis, non omnibus, est notum, Bartolus, Commentaria, D. 2.8.5.1 (Qui satisdare cogantur, Si vero, § Qui pro rei), n. 4, Leitsatz. So Dict. Grat. C.2 q.1 c.16: In manifestis (...) cum culpa sua sponte se oculis omnium ingerat (...); Dict. Grat. C.2 q.1 c.20: (...) publice coram omnibus novercam suam pro uxore habebat. Glossa ordinaria C. 2 q.1 c.15 (Manifesta). S. dazu oben Kap. B.III.2.a.cc.: geystlich kundt – Notorietät aufgrund tatsächlicher Offensichtlichkeit, S. 206ff. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 5: Manifestum quid sit, n. 2. Ghisalberti, La teoria del notorio, S. 417f. Laienspiegel, Von heymlichen sachen, fol. CXIIIIv.

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Allegationen aus dem Speculum Iudiciale (X 3.12; C.2 q.5 c.20). Sie enthalten die Regel, dass das nicht Beweisbare Gott über lassen bleibt. In X 3.12 stellt Innozenz III. klar: (...) etsi locum die teneamus in terris, non tamen de occultis potuimus divinare213, im Decretum Gratiani findet sich der Satz: Occulta vero et incognita sunt illi relinquenda, qui solus novit corda filiorum hominum214. Im Anschluss beschreibt der Laienspiegel das „nahezu heimliche“ Delikt, eine durch wenige Augenzeugen beweisbare Tat: Aber was nahend heymlich, zu Latin Pene occultum ist, das mag durch wenig person, also zwo, drei oder fünff, die es gesehen, bewisen werden215, wann es werden offt sachen für heymlich, oder Secreta gehalten, die in beisein fünff person gehandelt seind216. Auch hier übernimmt er – allerdings ohne entsprechende Angabe – Durantis und dessen Verweise auf das kanonische Recht (C.33 q.3 Dist.1 c.87 § 7 und § 12217). Auch Durantis erklärt die von bis zu fünf Personen beobachtete Tat als pene occultum; der Laienspiegel stellt sich aber, wie oben festgestellt, mit dieser Angabe in Widerspruch zu seinen Ausführungen hinsichtlich des notorium facti. Dort erklärt er die Beobachtung durch zwei, drei oder fünf Personen für notorietätsbegründend, während Durantis mindestens zehn fordert. Offensichtlich strebt Tengler eine strenge Abgrenzung zwischen dem notorischen und dem „fast heimlichen“ Delikt nicht an. In beiden Fälle handelt es sich um durch Augenzeugen beweisbare Taten218; ob ihm seine Gewissheit über das Verbrechen im Einzelfall zur Anwendung der Folter genügt, stellt Tengler dem Ermessen des Richters anheim.

b. Beweiswert des schlechten Leumunds und des „Geredes“ In Übereinstimmung mit Durantis widmet sich Tengler abschließend dem Wissen, dass sich allein aus der Meinung des Volkes über eine Person ergibt. In Abgrenzung zur Notorietät geht es auch hinsichtlich des Leumunds und des Geredes um deren Beweiswert, um den Grad der Gewissheit, den der Richter daraus ziehen mag219.

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X. 3.12, in der Friedberg’schen Ausgabe Sp. 512. C.2 q.5 c.20. In der Laienspiegelausgabe Augsburg 1511 fehlt der Satzteil bewisen werden, fol. CCIXv. Laienspiegel, Von heymlichen sachen, fol. CXIIIIv. Gratian wiederholt hier den Hinweis, dass die Bestrafung des heimlichen Verbrechens Gott vorbehalten sei. Gandinus, Tractatus de malficiis, De rumore, n. 3a. Laienspiegel, Von unleümbden, fol. CXVr.

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Die Notwendigkeit dieser Abgrenzung resultiert – insbesondere für den Kanonisten Durantis – aus der vergleichbaren prozessualen Bedeutung, die namentlich im kanonischen Recht der fama und der Notorietät beigemessen werden220. Wir haben gesehen, dass die Notorietät ein Verfahren von Amts wegen erlaubt, ein Ankläger ist für die Verfolgung notorischer Taten nicht erforderlich. Dieselbe Wirkung misst das kanonische Recht im Inquisitionsprozess auch der fama zu; wir haben sie als Prozessvoraussetzung des Inquisitionsverfahrens kennengelernt. Ausdrücklich erklärt Innozenz III. in X 3.2.8 die Parallele zwischen der fama und der Notorietät im Sinne der evidentia rei. Er unterscheidet das Verbrechen publicum (...) ex evidentia, d. h. das notorische, von jenem publicum (...) ex fama. Notorietät wie fama sind Ausdruck der öffentlichen Bekanntheit, der Allgemeinkundigkeit eines Verbrechens. Diese wiederum ist im kirchlichen Disziplinarverfahren Grund und Voraussetzung für das Einschreiten des Richters gegen die Verfehlungen eines Klerikers. Erst die Bekanntheit der Missstände birgt die Gefahr eines scandalum und macht das Vorgehen gegen den Kleriker notwendig, um das Ansehen und damit die Autorität der Kirche zu bewahren. Zugleich nimmt die Allgemeinkundigkeit die Stelle des Anklägers ein und legitimiert damit das Verfahren von Amts wegen: Gratian weist in seinem dictum zu C. 2 q.1 c.17 der "Allgemeinkundigkeit" die Rolle des Anklägers zu221. Der Unterschied zwischen notorium und manifestum einerseits und fama andererseits liegt indes für Durantis in dem Entstehungstatbestand der Allgemeinkundigkeit. Während bei notorium und manifestum die zahlreichen Augenzeugen die Allgemeinkundigkeit begründen, die Bekanntheit mithin ex certa scientia222 entsteht, ergibt sie sich bei der fama ex incerto auctore (...) & ex sola suspicione223. Die fama hat deshalb einen geringeren Beweiswert. Durantis stellt fest: Fama autem per se non probat, sicut nec supicio224.

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Dazu ausführlich Ghisalberti, La teoria del notorio, S. 415ff.; vgl. auch Gandinus, Tractatus de maleficiis, Quomodo (…) quando crimen est notorium, n. 13; zum Beweiswert der fama ausführlich, Bartolus, Commentaria, D. 48.18.10 (De quaestionibus, De minore, § tormenta), n. 5ff.; zu Gandinus‘ Ausführungen über die mala fama s. auch Vallerani, Il giudice, S. 48ff. Dict. Grat. C.2 q.1 c.17: Sed sciendum est, quod eorum, que manifesta sunt, alia sunt nota iudici, et incognita aliis; alia sunt occulta iudici et manifesta aliis; quedam vero sunt nota iudici, et aliis. Que iudici tantum nota sunt, sine examinatione feriri non possunt, quia, dum accusatoris persona assumitur, iudicaria potestas amittitur. In una enim eademque causa nullus simul potest esse accusator et iudex; vgl. zur Interpretation dieser Gratian-Aussage auch Jacobi, Der Prozeß im Decretum Gratiani, S. 318. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 5 Manifestum quid sit, pr. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 3 Fama quid sit, n. 2. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 3: Fama quid sit, n. 3.

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Der Laienspiegel will sich indes hinsichtlich des Beweiswerts des Leumunds nicht festlegen; er verweist dafür auf die Rechtsgelehrten: (...) und wie der selb unleümand zu recht genug, in peinlichen, etlichen oder andern sachen zu beweisen, ist hierinn nit so kurtz anzuzeygen, sonder bei den rechtgeübten und geleerten zu ersuchen, wann es sich in ungleichen fällen begeben mag225. Allerdings nimmt Tengler im Rahmen der Indizienlehre durchaus eine Bewertung des Leumunds vor. Wie die Bambergensis ordnet er den qualifizierten schlechten Leumund, d. h. die einschlägige Bekanntheit des Täters bzw. dessen Ruf, der ihn gerade hinsichtlich des in Frage stehenden Verbrechens verdächtig erscheinen lässt, als Indiz ein. Das allgemeine gute oder schlechte Ansehen erwähnt Tengler hier zumindest als Ermessenskriterium für die Entscheidung über die Folter. Dass er sich nun an dieser Stelle nicht auf einen Beweiswert des Leumunds festlegen möchte, mag sich aus der Unsicherheit ergeben, um welche Art des Leumunds es in den von Durantis übernommen Ausführungen geht. Die fama, die Durantis hier beschreibt, versteht dieser – wie wir gleich sehen werden – sowohl als allgemeines Ansehen einer Person in der Bevölkerung, als auch im Sinne eines konkreten Vorwurfs: quod habet concubinam et similia226. Der Laienspiegel beschreibt im Kapitel Von unleümbden den allgemeinen Ruf einer Person, ihr Ansehen in der Gesellschaft. Er definiert sowohl den schlechten, als auch den guten Ruf. Letzteren bezeichnet er als „guten Leumund“ oder mit dem lateinischen Begriff fama: Als eyn guter leümant, zu Latin genant fama, eyn unvermeyligter stand, auß guten sitten und wesen verstanden. Den schlechten Ruf beschreibt der Laienspiegel als dessen negatives Gegenstück: Also mag auch eyn unleümand wider den, der eyns zerstrewten, verruchten unnd unordenlichen lebens, nicht Gotsförchtig, sonder eyns vermeyligten stands, unnd guter sitten, wesens unnd wandels verworffen227. Während der gute Leumund bzw. die fama das Ansehen aufgrund eines ehrenhaften Lebenswandels bezeichnet, steht umgekehrt der „Unleumund“ für den sozialen Unwert einer Person aufgrund ihres unsittlichen Lebenswandels. Entsprechend definiert auch Durantis, auf den Tengler verweist, die fama, in seinem Titel Fama quid sit, der sich auch bei ihm im Abschnitt über die Notorietät findet. Zunächst beschreibt Durantis die (bona) fama. Er liefert dem Laienspiegel ganz offensichtlich die Vorlage für die Definition des guten Leumunds, wenn er formuliert: Fama est illese dignitatis status, vita ac moribus comprobatus. Als mala fama oder infamia bezeichnet er das Gegenstück, den schlechten Ruf, dessen Beschreibung sich ebenfalls als wörtliche Übersetzung 225 226 227

Laienspiegel, Von unleümbden, fol. CXVr. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 3: Fama quid sit, n. 1. Laienspiegel, Von unleümbden, fol. CXVr.

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im Laienspiegel findet228. Mit der Formulierung unleumand bzw. unleümbden bemüht Tengler sich ganz offenbar um eine deutsche Entsprechung des Begriffs infamia. Sowohl Durantis als auch der Laienspiegel verweisen für ihre Ausführungen auf Ulpians Definition der existimatio in D. 50.13.5.1. Die existimatio, als Zustand unverletzter Würde (dignitatis inlaesae status), wird Ulpian zufolge am Maßstab der Gesetze und Sitten gemessen (legibus ac moribus comprobatus) und kann durch Verbrechen gemindert oder vernichtet werden (ex delicto nostro autoritate legum aut minuitur aut consumitur). Für die Definition des guten Leumunds übernehmen Durantis (illese dignitatis status) und der Laienspiegel (unvermeyligter stand) Ulpians Beschreibung der existimatio als dignitatis inlaesae status. Unberücksichtigt bleibt indes die Aussage Ulpians, dass die existimatio durch den Verstoß gegen Gesetze, namentlich durch die Begehung von Straftaten (ex delicto) beschädigt werden kann; Durantis formuliert sogar in offenbar bewußter Abweichung zu Ulpian anstelle von legibus ac moribus comprobatus nun vita ac moribus comprobatus229. Es ist bezeichnend, dass Durantis und der Laienspiegel die Aussage des römischen Rechts zur existimatio zitieren und nicht dessen Ausführungen zur infamia; auch diesen Begriff kennt nämlich das römische Recht. Darin mag – wie möglicherweise auch in der Modifikation der Ulpianaussage – ein Hinweis auf die unterschiedliche Vorstellung vom Ehrverlust im mittelalterlichen und im römischen Rechtsdenken zu sehen sein. Zwar bezeichnet die infamia auch im römischen Recht einen Zustand verminderten gesellschaftlichen Ansehens230, bis hin zur völligen Ehrlosigkeit. Dieser Ehrverlust ist aber nicht – wie bei Durantis und im Laienspiegel – Folge einer Missachtung durch die Bevölkerung, sondern tritt durch ein Gerichtsurteil ein: Das römische Recht kennt die Infamie nur als Strafe für ein begangenes Delikt231. Die infamia – wie der Laienspiegel sie versteht – ist dagegen eine Schöpfung des kanonischen Rechts. Der römischrechtlichen Infamie – sie firmiert in der Kanonis-

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Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 3: Fama quid sit: (…) quod vitam ducit enormiter dissolutam, vel quod non timet Deum (...), Fama est laesae dignitatis status, vita & moribus reprobatus, n. 1. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 3: Fama quid sit, pr.. Rufinus formuliert: infamia nichil est aliud quam diminutio vel consumptio fame, Summa Decretorum, C. II, q. 3, c. 7, Ed. Singer, S. 246. Landau vermutet, diese Definition sei aus der römischrechtlichen Glossenliteratur übernommen, Die Entstehung des kanonischen Infamiebegriffs, S. 3; Merzbacher, Friedrich, Art. Infamie, HRG II 11978, Sp. 358-360, 358. Näher hierzu Migliorino, Fama e Infamia, S. 85ff.

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tik als infamia iuris232 – stellen die Kanonisten eine zweite Erscheinungsform der infamia an die Seite: die infamia facti, den tatsächlich in der Gesellschaft eingetretenen Ehrverlust233. Um diese infamia facti geht es Durantis an dieser Stelle, wie er mit einem zweiten Definitionsversuch klarstellt: Fama est vehemens vulgi, seu maioris partis eius, opinio rei, de qua quaeritur, consentiens234. Auch Tengler kennt nur diese Art des Leumunds aus dem deutschen Strafprozess; im Verfahren gegen die landschädlichen Leute, spielte sie, wie wir oben gesehen haben, eine entscheidende Rolle235. In Abgrenzung zum Leumund definiert der Laienspiegel schließlich das Gerede; Tengler spricht von mär oder gemürmbel und gibt damit, wie er selbst sagt, das lateinische Rumor wieder236. Ausdrücklich stellt er klar, dass dieses Gerede im Beweiswert unter dem Leumund steht: und der ist minder weder eyn unleümbde. Auch für diese Ausführungen verweist Tengler auf Durantis und zwar auf dessen Kapitel Quid sit rumor237; von Durantis übernimmt er auch die zugehörigen Allegationen238. Wie Tengler misst auch Durantis dem rumor einen geringeren Beweiswert bei als der fama: hoc minus probat, quam fama. Er liefert Tengler die Erklärung hierfür und damit auch gleich das Abgrenzungskriterium: Das Gerede ist weniger verbreitet als die fama und nicht derart öffentlich: Nam fama est communis viciniae acclamatio (…): Rumor vero est, cum pauci aliquid, non tamen publice dicunt (…)239. Entsprechend formuliert Tengler: Wann der unleümbde entsteht von gemeyner nachbaurschafft gerüff. Aber die mär oder gemürmbel von wenigen, unnd nit offentlich noch gemeynlich240. Besonders deutlich kann Tengler dies in der Dekretale X 4.13.5 finden, die er hier allegiert. Papst Coelestin III. erklärt das Gerede der Nachbarschaft für unzureichend im Hinblick auf ein

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Nach Landau erfolgte hinsichtlich der infamia iuris eine Rezeption des römischen Rechts durch die Kirche, Die Entstehung des kanonischen Infamiebegriffs, S. 2; zur Infamie als Disziplinarstrafe gegen den Klerus auch May, Die Anfänge, S. 81. Ausführlich zur infamia facti, Landau, Die Entstehung des kanonischen Infamiebegriffs, S. 5-26; Migliorino, Fama e Infamia, S. 171ff.; Merzbacher, Friedrich, Art. Infamie, HRG II 11978, Sp. 358-360, 359. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 3: Fama quid sit: (…) Quandoque tamen sumitur fama pro infamia (...), n. 1. S. dazu oben Kap. B.I.2.a.: Die gemeinrechtlichen Parallelen des Verfahrens gegen die landschädlichen Leute, S. 59ff. Laienspiegel, Von gemürmblen: (…) zu Latin, genant Rumor, fol. CXVv. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 4: Quid sit rumor. X 1.6.2 (hier findet sich im Laienspiegel fälschlicherweise der Verweis auf den Kapitelanfang olim, anstelle von osius); X 4.13.5 und X 3.31.19. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De notoriis criminibus, § 4: Quid sit rumor. Laienspiegel, Von gemürmblen, fol. CXVv.

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Urteil (Rumor autem viciniae non adeo est iudicandus validus) und stellt ihm die rationabiles et fide dignae probationes gegenüber. Inwiefern das Gerede und der Leumund im Sinne des Gerüchts oder, wie Tengler sagt, das gerüff, in der Praxis tatsächlich unterschieden werden können, darf bezweifelt werden. Auch hier geht es dem Laienspiegel wohl mehr um abstrakte Vorgaben für die Bewertung des eigenen Wissens als um die Aufstellung fester Regeln.

4. Ergebnis

Was der Klagspiegelverfasser ausdrücklich für unmöglich erklärt, ist Tengler in seinem Laienspiegel gelungen: eine deutsche Darstellung der gemeinrechtlichen Notorietätslehre. In enger Anlehnung an Durantis erläutert er die verschiedenen Kategorien der Notorietät und grenzt die notorietätsbegründenden Umstände von solchen ab, die nur eine geringere Gewissheit über eine Tat zu begründen vermögen. Dabei versucht Tengler die verwirrende Vielzahl von Differenzierungen, gegensätzlichen Ansichten und scholastischen Argumentationsübungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Stellenweise scheint dies seinem eigenen begrenzten Verständnis geschuldet, teilweise entscheidet er sich anscheinend bewusst für ein größeres richterliches Ermessen hinsichtlich der Entscheidung, ob eine Tat notorisch ist oder nicht. Vor dem Hintergrund seiner Intention, ein Handbuch für die deutsche Rechtspraxis zu schaffen, stellt sich die Frage, was Tengler zu einer derart vertieften Auseinandersetzung mit der gelehrten Doktrin veranlasst. Wir haben gesehen, dass die Qualifizierung eines Verbrechens als „notorisch“ nach der gemeinrechtlichen Lehre die Einleitung eines summarischen Verfahrens erlaubt, das vom üblichen Überführungsbeweis entbindet. In zweierlei Hinsicht misst Tengler der Notorietätslehre in seinen weiteren Ausführungen eine eigenständige Bedeutung bei. Im folgenden Kapitel beschreibt er das Vorgehen gegen notorische Majestätsverbrecher, zu denen er insbesondere die offenkundigen Landfriedensbrecher zählt. Diesen drohen zum einen die Acht ohne vorangehendes Verfahren und zum anderen ein summarischer Inquisitionsprozess, der sich durch den Verzicht auf die formale Ordnung und die Verwehrung der Verteidigung auszeichnet. Genau genommen scheint es allerdings den Landfrieden, wenn sie von Offenkundigkeit sprechen, und so auch Tengler im folgenden Kapitel, nicht mehr um die Notorietät einer bestimmten Tat nach den gemeinrechtlichen Regeln zu gehen, sondern um den „notorischen Friedbrecher“.

IV. Acht und summarischer Inquisitionsprozess im Laienspiegel1

Das Kapitel Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten folgt unmittelbar auf den Abschnitt über die Notorietätslehre2. Diese Systematik und der Begriff der kundtliche[n] übelthaten legen nahe, dass es sich bei der hier beschriebenen samentliche(n) und kurtze(n) rechtvertigung um jenen summarischen Inquisitionsprozess handelt, der im Falle der Notorietät zulässig sein soll3. Das Kapitel löst insoweit Tenglers im Abschnitt über die Notorietät zu findende Ankündigung ein, die Verfahrensordnung für notorische Verbrechen an späterer Stelle darzustellen: Als so ein übelthat kuntlich, darinn ist nit allweg gerichts ordnung zuhalten (...) sonder es würd ander ordnung gwonlich damit gebraucht, als eyns teyls hernach volgt4. Zugleich spricht der Laienspiegel in diesem Kapitel über die Majestätsverbrecher – möglicherweise findet das hier beschriebene summarische Verfahren also nur Anwendung zur Verfolgung solcher notorischer Taten, die zugleich als Majestätsverbrechen einzuordnen sind. Schließlich fällt auf, dass der Laienspiegel hier nicht nur einen summarischen Prozess beschreibt, der wesentlich vereinfacht und beschleunigt abläuft, sondern auch die Verurteilung in Abwesenheit, und die unmittelbar mit der Tat eintretende Acht. Dabei weisen verschiedene Anhaltspunkte darauf hin, dass Tengler bei diesen Ausführungen das Vorgehen gegen Landfriedensbrecher vor Augen hat5. Auch dieses Kapitel des Laienspiegels ist nur vor dem Hintergrund der verwendeten Vorlagen zu verstehen. Der Laienspiegel allegiert hier die Constitutiones Pisanae6 Heinrichs VII. aus dem Jahre 1313, bestehend aus dem Edictum de crimine laesae maiestatis, das in die rechtswissenschaftliche Literatur – nach seinen Anfangsworten – als Constitutio Ad reprimenda bzw. Ad reprimendum einging, und die Declaratio Quis sit rebellis7 bzw. Qui sint rebelles8. Beide Gesetze

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Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVv. Laienspiegel, fol. CXVv. S. o. Kap. B.III.2.b.: Prozessuale Konsequenzen der Notorietät, S. 211ff. Laienspiegel, Von wissentlichen missethaten, fol. CXVr. Dazu eingehend unten Kap. B.IV.4.: Die Bedeutung der Constitutiones Pisanae im Laienspiegel, S. 244ff. MGH, Const. II, Nr. 929, 931. MGH, Const. II, Nr. 929, 931. Näher dazu Briegleb, Theorie der summarischen Processe, S. 32ff.

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wurden von Bartolus kommentiert9; der Laienspiegel gibt auch die entsprechenden Traktate des Bartolus als Quelle seiner Ausführungen an. Tatsächlich aber hat Tengler die Gesetze Heinrichs VII. in nahezu wörtlicher Übersetzung übernommen. Soweit Tengler über die Acht spricht, bleiben seine Ausführungen vage. Hier scheint er wenig auf Erfahrungen in der städtischen Rechtspraxis zurückgreifen zu können. Was er beschreibt, ist die Reichsacht. Diese wird nicht von den Städten, sondern aufgrund kaiserlicher Macht verhängt; die Städte sehen sich mit der Reichsacht regelmäßig nur insofern konfrontiert, als sie mit deren Vollziehung betraut sind10. Außer der nahezu wörtlichen Wiedergabe der Declaratio Qui sint rebelles11 findet die Acht bei Tengler daher keine weitere Beachtung. Dass er allerdings, wie wir sehen werden, mit dem Erlass Heinrichs VII. und dessen gelehrter Bearbeitung der Reichsacht, wie sie die spätmittelalterlichen Landfrieden vorsehen, eine Grundlage im gelehrten Recht verschafft, fügt sich trefflich in das Konzept seines Werkes und ist aus heutiger Sicht von größtem Interesse. Sollte die Acht als Sanktion der Landfrieden tatsächlich Wurzeln im gelehrten Recht haben? Von größerer Bedeutung als die Acht scheint indes für Tengler der summarische Prozess zu sein, der nach der Constitutio Ad reprimendum den Majestätsverbrechern droht. Wie er in seinem anschließenden Kapitel Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten zeigt, sieht er in der Constitutio Ad reprimendum die Grundlage für den summarischen Prozess, wie ihn einerseits das Einungsgericht gegen Aufruhr in der Stadt und andererseits das Ratsgericht gegen Landfriedensbrecher praktizieren.

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Bartolus, Tractatus Super Constitutione Ad reprimendum und Tractatus Super Constitutione Qui sint rebelles. Diese Tractatus Bartoli finden sich in der Ausgabe der Consilia, Quaestiones et Tractatus, Basel 1588 auf den S. 261ff. und S. 285ff. Poetsch, Reichsacht, S. 191. MGH, Const. II, Nr. 931.

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1. Die Constitutiones Pisanae12 Heinrichs VII. und ihre Bedeutung für die gemeinrechtliche Lehre13

Anlass für die Gesetzgebung Heinrichs VII. gegen notorische14 Majestätsverbrecher war der Streit mit Robert von Anjou, dem König von Neapel und Anführer der Guelfen, der schließlich aufgrund dieser Konstitutionen in Abwesenheit zum Tode verurteilt werden sollte15. Die Constitutiones Pisanae definieren den Tatbestand des Majestätsverbrechens und regeln das Verfahren, das gegen den notorischen Majestätsverbrecher angewendet werden soll. Aus diesem Grunde werden sie von Bartolus kommentiert und in das Corpus Iuris Civilis aufgenommen16. Entsprechend betitelt Bartolus seinen zugehörigen Kommentar: Quomodo in crimine laesae maiestatis procedatur. Dass die Pisanischen Konstitutionen von der gemeinrechtlichen Lehre zugleich als Darstellung des Verfahrens gegen notorische Verbrechen verstanden wurden, ergibt sich aus einem Hinweis in Baldus’ Ausführungen zur Notorietät: (...) est notorium facti permanentis, & tunc nullus ordo requiritur, imo nec citatio: cum citatio non fiat nisi citatus possit se defendere, & et in hoc notorio non cadit defensio, ergo (...). et super ista ratione fuit fundata sententia Imperatoris Henrici contra Regem Robertum (...)17. Die Gesetzgebung Heinrichs VII. liefert also eine – politisch brisante – Definition des Majestätsverbrechers und zugleich die rechtliche Grundlage für die Verurtei-

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MGH, Const. II, Nr. 929, 931. Pennington erklärt: “The struggle between Henry and Robert is an event of the first rank in legal history”, The Prince, S. 171. Als „notorisch“ (publica et notoria) bezeichnet Heinrich VII. das Verbrechen König Roberts nicht in den hier erwähnten Konstitutionen, sondern im Urteil über den König (Bannitio et condemnatio roberti regis siciliae, MGH, Const. II, Nr. 946, S. 987, Z. 29ff.). Hier knüpft Heinrich VII. wörtlich an die Gratianische Notorietätslehre an, wenn er sagt: quod nulla possent tergiversatione celari, Z. 30f. Nach Pennington wirft diese Auseinandersetzung grundlegende Fragen auf hinsichtlich der Autorität des Kaisers gegenüber unabhängigen Königen, The Prince, S. 165ff. Die Aufnahme erfolgt zusammen mit dem Apparat des Bartolus als Collatio XI in die Novellen, Biener, Geschichte der Novellen, S. 317ff., 322; Pennington, The Prince, S. 170. Diese Einfügung in das Corpus Iuris Civilis erfolgt erst in den Ausgaben des späten 15. Jahrhunderts (erstmals in der Ausgabe Rom 1476, die interessanterweise in Ingolstadt nachgewiesen ist, Biener, a. a. O., S. 322), Überblick über den Inhalt der einzelnen Novellenausgaben bei Biener, a. a. O., S. 317ff. Die Aufnahme der Constitutio war für den Verfasser des Laienspiegels also hochaktuell. Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem), n. 4.

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lung solcher Personen in Abwesenheit sowie für den summarischen Strafprozess vor weltlichen Gerichten18.

2. Die Constitutio Ad reprimendum und ihre Wiedergabe im Laienspiegel

Die zentrale Stelle der Constitutio, in der das verkürzte Verfahren beschrieben wird, lautet: (...) possit procedi per accusationem vel inquisitionem seu denunciationem summarie et de plano sine strepitu et figura iudicii19. Der Laienspiegel formuliert entsprechend: (...) durch anklagen, inquisition oder denunciation mit kurtzer samptlicher erkantnüs, Summarie de plano, gestracks on eynich figur oder gerichtliche ordnung (...) außzurichten, rechtfertigen und straffen lassen20. Die Wendung „summarie et de plano (sine strepitu et figura iudicii)“ ist die formelhafte Definition des summarischen Prozesses21, was aber genau darunter zu verstehen ist, war bis zur Klarstellung durch Papst Clemens V. (Clem. 5.11.2) umstritten; der Laienspiegel verzichtet wohl aus diesem Grunde auf eine Übersetzung des Summarie de plano. An anderer Stelle – im Kapitel Von andern kurtzen auszträgen22, das sich in seinem zivilrechtlichen Teil findet – erklärt Tengler genau, welche Verfahrensvereinfachungen sich im Einzelnen hinter der Wendung simpliciter23 et de plano verbergen. Er findet diese in der Clementine Saepe Contingit (Clem. 5.11.2) detailliert beschrieben24; er allegiert diese Dekretale und gibt sie in nahezu wörtlicher Übersetzung wieder: Im kurzen Verfahren kann demnach auf den Libell und das verfahen des kriegs, also auf die förmliche Einleitung des streitigen Verfahrens25 verzichtet

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Heinrich VII. selbst konnte sich bei seinem Vorgehen gegen Robert von Anjou, namentlich für dessen Verurteilung in Abwesenheit, noch nicht auf entsprechende rechtliche Grundlagen stützen, Pennington stellt fest: „ (...) Henry already knew that he was on shaky legal ground“, The Prince, S. 169f. MGH, Const. II, Nr. 929. Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVv. Vgl. Claproth, Summarische Processe, S. 2. Laienspiegel, Von andern kurtzen auszträgen, fol. XCIXr Zur „Vermengung“ von simpliciter und summarie durch Heinrich VII., Müller, Die Entstehung, S. 303. Vgl. Briegleb, Theorie der summarischen Processe, S. 32ff.; Brundage, Medieval Canon Law, S. 139ff.; Molitor, Kanonisches Gerichtsverfahren, S 193f. Gemeint ist die sog. litis contestatio.

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werden26. Die Verhandlungen müssen nicht an den zulässigen Gerichtstagen erfolgen, die üblichen Fristen nicht eingehalten werden27. Verzögernde Einwendungen, die Möglichkeit der Appellation und ander lengerung werden beschränkt bzw. ausgeschlossen28. Advokaten und Prokuratoren treten auch in diesem Verfahren auf, allerdings soll man ihre disputation unterbinden29. Zwar sollen überflüssig zeügknuß verwehrt werden, der Beweis an sich bleibt aber Element des Verfahrens30. Damit wird auch der Gegenbeweis, als Verteidigung des Angeklagten, für zulässig und notwendig erklärt. Der Laienspiegel drückt dies allenfalls indirekt aus, in dem er rechte(r) und nottürfftiger beweisung gestattet, während die lateinische Quellenstelle neben probationes necessariae ausdrücklich auch defensiones legitimae nennt. Auch auf die Ladung darf nicht verzichtet werden können31. Was Tengler hier als kurzes Verfahren beschreibt, ist nicht das Vorgehen, das Heinrich VII. mit seiner Konstitution zu legitimieren beabsichtigt; die Clementine erlaubt im Wesentlichen nur den Verzicht auf formale Anforderungen, Heinrich VII. kommt es für sein Vorgehen gegen Robert von Anjou aber gerade auf materielle Verfahrensvereinfachungen an: Er will den König ohne weiteres in Abwesenheit verurteilen. Tatsächlich ist die Clementine gerade als Reaktion auf Heinrichs Constitutio Ad reprimendum entstanden32. Clemens V. nimmt für sich das Recht in Anspruch, die Wendung simpliciter et de plano, et sine strepitu et figura iudicii verbind-

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Laienspiegel, Von andern kurtzen auszträgen, fol. XCIXr; vgl. Clem. 5.11.2: (…) necessario libellum non exigat, litis contestationem non postulet, vgl. dazu Briegleb, Theorie der summarischen Processe, S. 35ff. Laienspiegel, Von andern kurtzen auszträgen, fol. XCIXr: zu zeiten, so die recht sonst versperrt seind (...); die züg und tag, auch alle ander handlungen gekürtzt; vgl. Clem. 5.11.2: (…) tempore etiam feriarum (...) procedere valeat, vgl. dazu Briegleb, Theorie der summarischen Processe, S. 58ff. Laienspiegel, Von andern kurtzen auszträgen, fol. XCIXr; vgl. Clem. 5.11.2: (…) amputet dilationum materiam, litem, quantum poterit, faciat breviorem, exceptiones, appellationes dilatorias et frustratorias repellendo, vgl. dazu Briegleb, Theorie der summarischen Processe, S. 51ff. Laienspiegel, Von andern kurtzen auszträgen, fol. XCIXr; vgl. Clem. 5.11.2: (…) advocatorum et procuratorum contentiones et iurgia, vgl. dazu Brigleb, Theorie der summarischen Processe, S. 59ff. Laienspiegel, Von andern kurtzen auszträgen, fol. XCIXr; vgl. Clem. 5.11.2: (…) testiumque superfluam multitudinem refrenando. Non sic tamen (...) probationes necessariae (...) admittantur, vgl. dazu Briegleb, Theorie der summarischen Processe, S. 59ff. Laienspiegel, Von andern kurtzen auszträgen, fol. XCIXr; vgl. Clem. 5.11.2: Citationem (...) intellegimus non excludi. Pennington, The Prince, S. 171ff. Pennington weist aber darauf hin, dass die Entstehungszeit der Clem. Saepe contingit umstritten ist, a. a. O., S. 171, Anm. 31, 32.

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lich zu definieren33. Er verfolgt damit das Ziel, entgegen den Bestrebungen Heinrichs VII. das rechtsförmige Verfahren zu wahren34. Die nach der Clementine Saepe contingit zulässigen prozessualen Modifikationen beschränkte er bewusst auf formelle Vereinfachungen; materielle Verfahrensregeln, etwa die Anforderungen an den Beweis oder die Verteidigung, bleiben dagegen grundsätzlich unangetastet35. Es handelt sich bei diesem Verfahren damit nicht im eigentlichen Sinne um ein „summarisches“36. Heinrich VII. geht mit seinen Vorstellungen von einem „summarischen“ Verfahren gegen Majestätsverbrecher über die formellen Modifikationen, die Clemens V. später für zulässig erklärt, hinaus37; er legitimiert auch jene Verfahrensvereinfachungen, die in der gemeinrechtlichen Lehre für das notorische Verbrechen diskutiert, aber, wie wir oben bereits gesehen haben, mit Hinweis auf naturrechtliche Grundsätze letztlich überwiegend abgelehnt werden38. Zunächst fällt auf, dass die Constitutio und ihr folgend der Laienspiegel ausdrücklich auch die Anforderungen an den Beweis herabsetzen. Es soll so entschieden werden, prout illi qui iurisdictioni preest videbitur expedire39, bzw. es sei alleyn die warlichen geschicht anzusehen, wie es den Richter, so den gerichtszwang zuverwalten macht und bevelch hat, ansehen wil40. Bartolus scheint dies als Beschränkung auf den prima facie-Beweis zu verstehen41. Wir finden hier also den Verzicht auf den üblichen Überführungsbeweis, wie Tengler ihn bereits im Kapitel 33

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Es handelt sich bei der Wendung um einen Gemeinplatz des kanonischen Rechts; eine Definition indes fehlt bis zur Entstehung der Clementine. Die Notwendigkeit einer solchen führt dem Papst die aus seiner Sicht missbräuchliche Verwendung der Formel durch Heinrich VII. vor Augen, Pennington, The Prince, S. 189. Die Dekretale gehört damit in eine Trias von Clementinen, in denen sich Clemens gegen die Aufweichung des rechtsförmigen Verfahrens – Pennington spricht von „due process“ – wendet, Pennington, The Prince, S. 185ff.; ferner Molitor, Kanonisches Gerichtsverfahren, S. 194; Brundage, Medieval Canon Law, S. 140. Vgl. Briegleb, Theorie der summarischen Processe, S. 33, 80; Sedatis, Lutz, Art. Summarischer Prozeß, HRG V 11998, Sp. 79-80, 80. Briegleb, Theorie der summarischen Processe, S. 80. Statt vom „summarischen“ (summarie) spricht die Dekretale bezeichnenderweise nur vom „vereinfachten“ (simpliciter) Verfahren; sie verändert insofern die von Heinrich VII. gebrauchte Wendung, vgl. Briegleb, Theorie der summarischen Processe, S. 33, 80; Müller, Die Entstehung, S. 303. Vgl. dazu Bartolus, Tractatus Super Constitutione Ad reprimendum, Summarie, n. 13. S. o. Kap. B.III.2.b.: Prozessuale Konsequenzen der Notorietät, S. 211ff.; Pennington, The Prince, S. 173. MGH, Const. II, Nr. 929. Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVv. Vgl. Bartolus, Tractatus Super Constitutione Ad reprimendum, Summarie, n. 13.

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Von wissentlichen missethaten entsprechend der gemeinrechtlichen Lehre für die Fälle des notorischen Verbrechens anordnet42. Dennoch finden sich in den folgenden Ausführungen der Constitutio Regelungen zum Zeugenverhör43. Heinrich VII. legt nämlich weiterhin fest, dass schon nach einmaliger erfolgloser Ladung das Verfahren gegen den Majestätsverbrecher – d. h. gegebenenfalls das Zeugenverhör und die Urteilsverkündung – in dessen Abwesenheit geführt werden kann: Ad hoc si qua communitas (...) vel alia quevis persona, cuiuscunque status, dignitas vel condicionis existat, super dicto crimine per nuntium vel per litteras seu etiam per edictum publice propositum citata vel citatum neglexerit (...) contra ipsam vel ipsum proinde, acsi personaliter omnibus interesset et lis foret legitime contestata, tam ad recepcionem testium et eorum publicacionem et sequentia quam ad diffinitivam sententiam et eius executionem procedatur (...)44.

Der Laienpiegel übernimmt auch diese Passage nahezu wörtlich: Ob auch etwo eyn gemeynschafft (...) oder eynich sonder person, in welchem stand, wirden oder wesen die seind, umb solch übelthaten, durch botten, briefe oder gebott offentlich fürgeheyschen, geladen, unnd darinn auff bestimbte zeit, rechtlich zu erscheinen, seümig, das nichtsminder wider den, oder die selben zugleicher weiß als wern sie gegenwürtig, oder des rechts aller sachen ordenlich verfangen, es sei mit auffnemen, verhören, unn offnung der zeugnüs, nach volg endtlichen urteylen und volziehungen gehandelt werden (...)45.

Bartolus scheint in der Möglichkeit der Verurteilung in Abwesenheit einen wesentlichen Vorzug des summarischen Verfahrens zu sehen46. Sie stellt freilich eine erhebliche materielle Verschlechterung der Verfahrensposition des Beschuldigten dar. Die Constitutio ermöglicht hiermit ein Strafverfahren, in dem dem Beschuldigten bereits nach erstmaliger Versäumnis47, das Recht auf Verteidigung, ja jede Anhörung versagt bleibt.

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S. o. Kap. B.III.2.b.: Prozessuale Konsequenzen der Notorietät, S. 211ff. Vgl. aber oben Kap. B.III.2.b.: Prozessuale Konsequenzen der Notorietät, S. 211ff.: Es bedarf Zeugen für den Notorietätsbeweis. MGH, Const. II, Nr. 929. Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVv. Vgl. Bartolus, Tractatus Super Constitutione Ad reprimendum, Summarie, n. 13. Der Eintritt der Sanktion nach dreimaliger Säumnis ist indes für das Frühmittelalter wie das Hoch- und Spätmittelalter bezeugt, Sellert, Wolfgang, Art. Versäumnisverfahren, HRG V 11998, Sp. 198-804.

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3. Die Declaratio Qui sint rebelles und ihre Wiedergabe im Laienspiegel

Im zweiten Abschnitt des Kapitels Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten48 übernimmt der Laienspiegel in nahezu wörtlicher Übersetzung einen Ausschnitt der Declaratio Quis sit rebellis bzw. Qui sint rebelles49, die den anderen Teil der Constitutiones Pisanae50 Heinrichs VII. bildet. Diese Declaratio Qui sint rebelles behandelt das Vorgehen gegen rebelles und infideles. Sie steht im Zusammenhang mit der vorangehenden Constitutio Ad reprimendum, die das Verfahren gegen Majestätsverbrecher beschreibt. Mit rebelles und infideles sind daher die Majestätsverbrecher gemeint51. Dabei fasst Heinrich VII. den Begriff des crimen laesae maiestatis sehr weit, es genügt offenbar jede Auflehnung und jeder Ungehorsam gegen die Obrigkeit52. Für diese rebelles ordnet Heinrich VII. – in jenem vom Laienspiegel zitierten Abschnitt – an, dass sie allein aufgrund ihrer Tat strafwürdig und als infideles und rebelles anzusehen sind. Ein Urteil sei nicht erforderlich, da ein solches nicht mehr aussagen könne, als die Tat selbst: an infidelis et rebellis imperii quisquam reputari debeat, nisi prius per nostre maiestatis sententiam condempnatus appareat, nos attendentes, quod acta prava malorum potius quam verba sententiarum ipsos faciunt pena condignos (...)53. Entsprechend formuliert der Laienspiegel: Auff das aber der selben übelthäter boßheyten billicher unnd mehr dann die wort eynicher urteylen geacht, und so yemand verschuld, als bald der straff unn peen würdig und: Ob yemand zweiflen wolt, das man nit für ungetrew od[er] widersässig solt geacht, eemaln sie durch Key. Mai. urteylen dafür erkent werden54. Worum geht es hier? Was bedeutet der Verzicht auf ein Urteil im Falle des Majestätsverbrechens? Welcher Art ist die Sanktion? Bartolus erklärt den Sinn dieser Bestimmung; es geht um den ipso iureEintritt der Strafe für Majestätsverbrecher: De poena vero rebellium dic., quod

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Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVv. MGH, Const. II, Nr. 929, 931; näher dazu Briegleb, Theorie der summarischen Processe, S. 32ff. MGH, Const. II, Nr. 929, 931. So versteht die Begriffe auch Bartolus, Tractatus Super Constitutione Qui sint rebelles, Rebellando, n. 7. Vgl. auch die Interpretation des Bartolus, Tractatus Super Constitutione Qui sint rebelles, Tenore, n. 6. MGH, Const. II, Nr. 931; entsprechend die französische Version, Nr. 932: se il premierement par la sentence (...) n'est condempnez, nos consideranz, que les mauvaises heuvres des maus pluis que les paroles de les sentences les font dignes de peine (...). Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVv.

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quaedam infligitur ipso iure (...)55. Diese Strafe gliedert sich in drei Elemente: den Verlust der bürgerlichen Rechte (perdunt omnia quae iuris civilis sunt), die volle Friedlosigkeit mit der Folge der Straflosigkeit der Tötung und der Festnahme durch jedermann und der Behandlung als Unfreiem (Alia poena potest infligi eis a quolibet homine nam potest impune occidi (...) & possunt capi & detineri ut servi) und schließlich die Todesstrafe (Tertio poena imponitur: quia potest talem damnare ut capite puniatur)56. Schon das römische Recht kannte für den Fall des crimen laesae maiestatis, genauer der perduellio, also der schweren Landesfeindschaft, den Eintritt der genannten Folgen unmittelbar mit der Tat57. Diese Folgen entsprechen den Merkmalen der Acht. Dass Bartolus nicht von bannum spricht, folgt allein aus seiner Differenzierung zwischen der lösbaren oder heilbaren (medicinale) Acht – nur diese bezeichnet Bartolus als bannum – und jener unlösbaren, tödlichen (mortale), die den rebelles droht58. Erstere entspricht damit der gewöhnlichen Acht, aus der der Ächter sich innerhalb eines Jahres bzw. der Frist von „Jahr und Tag“ lösen kann59; letztere der Aberoder Oberacht, die in einigen spätmittelalterlichen Landfrieden auch als unmittelbare Konsequenz des Friedbruchs sanktioniert wird60. Damit die Strafe tatsächlich von Anfang an Wirkungen zeitigt, hält es Bartolus für sinnvoll, den Majestätsverbrecher öffentlich zum „Rebell“ zu erklären; so sei Heinrich VII. auch gegen den besagten König von Neapel vorgegangen: Imperator pronunciavit Regem Robertum esse rebellem61. Schließlich ordnet die Declaratio eine Geldstrafe für die Nichtbeachtung ihrer Regelungen an: (...) Si quis hoc attemptare presumpserit (...) penam mille librarum auri nostre camere solvendarum se noverit incursurum62. Der Laienspiegel übernimmt auch diese Passage: Und wer sich des understehn, soll damit inn ungnaden und eyn peen, nämlich tausend pfund in die Keyserlichen kammer zu bezalen erkennet und eingefallen werden63. Diese Sanktion scheint demjenigen zu drohen, der die (verkünde-

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Bartolus, Tractatus Super Constitutione Qui sint rebelles, Rebellando, n. 13. Bartolus, Tractatus Super Constitutione Qui sint rebelles, Rebellando, n. 13. Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 590, 592. Bartolus, Tractatus Super Constitutione Qui sint rebelles, Rebellis, n. 6. Bartolus, Tractatus Super Constitutione Qui sint rebelles, Rebellis, n. 3: (...) medicinale: quia cum venit intra annum, recuperat statum (...); Der Augsburger Landfrieden (1500) ordnet noch diese lösbare Acht an, Laienspiegel, fol. XCVIIr: Von den die über jar und tag in der Acht verharren. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 73. Bartolus, Tractatus Super Constitutione Qui sint rebelles, Rebellando, n. 14. MGH, Const. II, Nr. 931. Als weitere Folge wird die Ungnade des Kaisers angeordnet. Bartolus misst dem allerdings keine eigenständige Bedeutung bei, Bartolus, Tractatus Super Constitutione Qui sint rebelles, Indignationem. Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVv.

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ten) rebelles nicht als solche behandelt und damit dem Gesetz nicht Folge leistet.

4. Die Bedeutung der Constitutiones Pisanae im Laienspiegel

Tengler misst den Constitutiones Pisanae größte Relevanz für die strafprozessualen Fragen seiner Zeit bei. In den Erlassen Heinrichs VII. findet Tengler eine Legitimationsgrundlage für jene prozessualen Mittel, derer sich die Obrigkeit zur Durchsetzung von Frieden und Ordnung bedient. Mit der ausführlichen Wiedergabe der Declaratio Qui sint rebelles liefert er zunächst eine gemeinrechtliche Stütze für die Ächtung der Landfriedensbrecher. Die Constitutio Ad reprimendum vermag darüber hinaus jene Erscheinungsformen des Inquisitionsprozesses zu rechtfertigen, die Tengler aus seiner praktischen Erfahrung mit der städtischen Strafverfolgung kennt: Das Verfahren vor der Einung, einem Gremium aus mehreren Ratsherren, und der Inquisitionsprozess gegen Landfriedensbrecher. Tatsächlich bestand dieser Bezug der Constitutiones Pisanae zur deutschen Landfriedensbewegung schon zur Entstehungszeit des Bartolus-Kommentars zur Constitutio: Bartolus stellt seine Ausführungen zum Verfahren gegen Majestätsverbrecher ausdrücklich in den Dienst der Friedenspolitik Karls IV.64. Diesen Zusammenhang zwischen dem gemeinen Recht und dem deutschen Landfriedensrecht65 betont später auch der berühmte Kameralist Andreas Gaill66 in seinem Tractatus de Pace Publica, einem „Commentar zum Landfrieden“67.

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Bartolus, Tractatus Super Constitutione Ad reprimendum, pr.; Trusen geht von einem Auftrag Karls IV. an Bartolus aus, Strafprozess und Rezeption, S. 73. Auch Andreas Gaill führt die Declaratio Qui sint rebelles als Beleg dafür an, dass in bestimmten Fällen des kundlichen Friedbruchs die Acht ohne (Erklärungs-) Urteil eintreten kann. Andreas Gaill, Tractatus de Pace Publica, Vom kayserlichen Landfriden, 2. Buch, 3. Kap., n. 16ff. Zu Andreas Gaill allgemein Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I, S. 495ff.; speziell zum Problem der Acht bei Andreas Gaill vgl. Nehlsen-von Stryk, Andreas Gaill und die „Friedlosigkeit“. Gaill behandelt die Acht anhand der Reichsgesetze beginnend mit dem Ewigen Landfrieden von 1495, Nehlsen-von Stryk, a. a. O., S. 137. Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I, S. 500.

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a. Anwendungsbereich von Achtverfahren und summarischem Prozess aa. Nach den Constitutiones Pisanae und der gemeinrechtlichen Lehre Die Constitutiones behandeln nur das Vorgehen gegen Majestätsverbrecher68. Allerdings ist dieser Begriff, wie bereits erwähnt, bei Heinrich VII. weit zu verstehen69.. Zu Majestätsverbrechern erklärt er schlicht diejenigen, die ihm als Kaiser den Gehorsam verweigern, sich ihm widersetzen – namentlich den König von Neapel und die aufständischen Guelfen70. In der Declaratio Qui sint rebelles71 qualifiziert Heinrich VII. alle rebelles und infideles als Majestätsverbrecher. Bartolus weist in seinem Kommentar dazu ausdrücklich darauf hin, dass der Tatbestand des „Rebellierens“ schon dann erfüllt sei, wenn der Verrat nur im Geiste stattfindet72 und, dass nicht nur Taten, sondern auch der schlichte Ungehorsam als Rebellion zu werten ist: (...) ut dicantur rebelles, & si opera hostilia non faciant, sed solum si non obediant73. Im Übrigen verbietet Bartolus eine extensive Auslegung der Constitutio. Da es sich beim summarischen Strafprozess grundsätzlich um einen Verstoß gegen den gemeinrechtlichen Grundsatz der plena cognitio handelt, ist die Anordnung desselben für das Majestätsverbrechen als Ausnahme anzusehen und daher nicht auf andere Fälle zu übertragen74. Das in den Constitutiones beschriebene Vorgehen soll damit zumindest nicht generell zum Beispiel für notorische Taten gelten. Genau das scheint aber Baldus vorzusehen; er verweist für das summarische Verfahren gegen notorische Straftäter auf die Anordnung Heinrichs VII. gegen König Robert von Anjou75. 68

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Schon das römische Recht entbindet für das Majestätsverbrechen von den üblichen Prozessregeln, vgl. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 57, 73; Trusen, Rechtliche Grundlagen der Hexenprozesse, S. 210. Bereits in der Römischen Republik kam es zur Gleichstellung von Majestäts- und Staatsverbrechen und schließlich zur Verfolgung unterschiedlichster politischer Vorwürfe als crimen laesae maiestatis, Lieberwirth, Rolf, Art. Crimen laesae maiestatis (Majestätsverbrechen), HRG I 11978, Sp. 648-651, 649. Pennington beschreibt Robert von Anjou als „a recognized leader of the Guelf party in Florence and in the other northern citystates“, The Prince, S. 166; zur Entwicklung des Achtverfahrens im Zusammenhang mit den politischen Auseinandersetzungen in den oberitalienischen Städten, Nehlsen-von Stryk, Andreas Gaill und die „Friedlosigkeit“, S. 141. Näher dazu Briegleb, Theorie der summarischen Processe, S. 32ff. Bartolus, Tractatus super Constitutione Qui sint rebelles, Rebellis, n. 2. Bartolus, Tractatus super Constitutione Qui sint rebelles, Tenore, n. 6; vgl auch n. 1, Leitsatz: Rebellare idem est quod resistere, & resistere potest fieri faciendo, vel non faciendo, vel non obediendo. Bartolus, Tractatus super Constitutione, Ad reprimendum, Ad reprimendum, n. 16. Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus, Ea quidem). n. 4.

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Tatsächlich entspricht das Verfahren, das die Constitutiones regeln, weitgehend dem, das die Notorietätslehre vorsieht. Die Modifikationen, die das summarische Verfahren nach der Constitutio ausmachen, namentlich der Verzicht auf die üblichen Beweisanforderungen und die Zulässigkeit der Verurteilung in Abwesenheit entsprechen dem summarischen Verfahren, wie es die Kanonistik bereits für den Fall der Notorietät entwickelt hatte76. bb. Nach dem Laienspiegel Auch der Laienspiegel sieht die Acht und das summarische Strafverfahren, wie Bartolus, auf das Majestätsverbrechen beschränkt. Er erklärt dazu aber ausdrücklich, er fasse, in Übereinstimmung mit den Rechtsgelehrten, den Begriff des Majestätsverbrechens weit. Er qualifiziert als Majestätsverbrechen jede Tat, die sich gegen eine Obrigkeit und den „gemeinen Nutz“ richtet: Wiewol nun die wort inn solche vorberürten satzungen, auff beleydigung Key. Maie. lauten, so mögen sie doch nach außlegung und meynung der rechtweisen und geleerten auff alle gesatz, so inn gemeynen rechten, bei der schuld, zu Latin genant, Crimen lese Maiestatis, begriffen, auch auff alle ander Oberkeyten und gemeynen nutz (...) dermassen zuerstrecken (...)77.

Das summarische Inquisitionsverfahren soll, so stellt er später fest, für alle Taten zulässig sein, dadurch der Key. Maie. des heyligen Reichs, oder seiner Oberkeyt satzungen, oder gemeyner nutz beleydigt werden78. Das Verständnis Tenglers vom Majestätsverbrechen entspricht damit nicht nur der weiten Definition der Constitutiones und des zugehörigen Bartolus-Kommentars, sondern auch der zeitgenössischen Definition, die sich im Zuge der Landfriedensbewegung entwickelt hat. Schon die frühen deutschen Landfrieden knüpfen an das Majestätsverbrechen an79. Die Goldene Bulle Karls IV. von 1356, die der Laienspiegel im Ersten Teil abdruckt, stellt klar, dass auch der an der Maiestat ist schuldig80, der einem Kurfürsten schadet. In 76

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Vgl. oben Kap. B.III.2.b.: Prozessuale Konsequenzen der Notorietät, S. 211ff.; zur Überflüssigkeit von Beweisen vgl. Durantis, Speculum Iudiciale, De notoriis criminibus, § 1: Scias, n. 1: in notoriis non est necessaria (...) testes etiam, vel aliae probationes; zur Verurteilung des notorischen Täters in Abwesenheit vgl. Durantis, Speculum Iudiciale, De notoriis criminibus, § 8: Notorium quid sit, & quot modis dividatur, n. 4ff. Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVIr. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIr. His, Strafrecht II, S. 37. His, Strafrecht II, S. 41, Anm. 2, gibt hier das 24. Kapitel der Goldenen Bulle als Quelle an, im Laienspiegel ist es als 23. bezeichnet. Es handelt sich bei diesem Kapitel um eine nahezu wörtliche Übernahme aus dem Codex-Titel Ad legem Iuliam Maiestatis (C. 9.7.5), vgl. Lie-

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den Landfrieden des 15. Jahrhunderts setzt sich schließlich die Auffassung durch, dass jeder Friedbruch als crimen laesae maiestatis zu ahnden sei81. Auch die Städte sichern sich den Schutz des „Majestätsverbrechens“82. Die „Widersässigkeit“ und der „Aufruhr“, der die Autorität der städtischen Regierung in Frage stellt und die bestehende Ordnung ins Wanken zu bringen droht, erfüllt den Tatbestand des Majestätsverbrechens. Entsprechend definiert der Laienspiegel in seinen Ausführungen zum materiellen Strafrecht das Majestätsverbrechen als auffrurn in eyner statt wider die Oberkeyt, Magistraten und vorgeer83, ebenso der Klagspiegel und die Wormser Reformation84. Bereits die Wahl des Titels Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten85 weist auf eine weitere, offenbar kumulativ erforderliche Voraussetzung für die Acht und die Zulässigkeit des summarischen Inquisitionsverfahrens hin. Es muss sich um „kundliche“ Taten handeln: Der Laienspiegel wiederholt am Ende des Kapitels, es gehe beim summarischen Verfahren um die Verurteilung „wissentlicher Übeltäter“. In seinem Kapitel Von andern kurtzen auszträgen, in dem er die Constitutio ein weiteres Mal zitiert, spricht er ebenfalls von kundtlich übelthaten86. Für die Beschränkung auf notorische Taten spricht außerdem die systematische Einordnung des Kapitels Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten87 in die Ausführungen zum Inquisitionsverfahren. Es folgt – wie erwähnt – unmittelbar auf den Abschnitt zur Notorietät, der wiederum mit der Ankündigung schließt: Als so ein übelthat kuntlich, darinn ist nit allweg gerichts ordnung zuhalten (...), sonder es würd ander ordnung gwonlich damit gebraucht, als eyns teyls hernach volgt88. Der Laienspiegel versteht also die Constitutiones Pisanae als Regelung des Verfahrens gegen notorische Majestätsverbrecher im weitesten Sinne. Die Beschränkung auf notorische Fälle kann er weder den genannten Konstitutionen noch dem Kommentar des Bartolus entnommen haben; sie findet sich

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berwirth, Rolf, Art. Crimen laesae maiestatis [Majestätsverbrechen], HRG I 11978, Sp. 648651, 649. His, Strafrecht II, S. 37, (Anm. 7) er führt an: Nürnberger Landfrieden von 1466 und Landfrieden von Wiener Neustadt von 1467; vgl. auch Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 69ff., 72ff. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 73. Laienspiegel, Von der schuld Lese maiestatis, fol. CIv. VI.2.15 Wormser Reformation; ähnlich der Klagspiegel, Ad legem Iuliam maiestatis, fol. CXVIIIr. Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVv. Laienspiegel, Von andern kurtzen auszträgen, fol. XCIXr. Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten , fol. CXVv. Laienspiegel, Von wissentlichen missethaten, fol. CXVr.

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nur im abschließenden Urteil Heinrichs VII. über Robert von Anjou89. Hier knüpft der Kaiser wörtlich an die Gratianische Notorietätslehre an, wenn er sagt: quod nulla possent tergiversatione celari90. Die folgende Untersuchung der Landfrieden, die Tengler in seinen Laienspiegel aufnimmt, wird zeigen, dass Tengler auch an dieser Stelle das gemeine Recht mit dem deutschen Landfriedensrecht zusammenführen konnte: Auch die Landfrieden sehen die strengen Konsequenzen nur für den kundlichen oder offenbaren Landfriedensbrecher vor. Maßstab der Kundlichkeit wird aber keineswegs die strikte Notorietätslehre des gemeinen Rechts gewesen sein; es scheint vielmehr nur eine ausreichende Gewissheit über den Friedbruch gefordert.

b. Die Declaratio Qui sint rebelles und das Achtverfahren der spätmittelalterlichen Landfrieden Zwischen der Beschreibung der Acht in der Declaratio Qui sint rebelles und in den Landfrieden, die Tengler in seinen Laienspiegel aufnimmt, bestehen konzeptionelle Parallelen, die einen originären Zusammenhang nahe legen, die zumindest aber Tenglers Verwendung der Declaratio als gemeinrechtliche Stütze für das Achtverfahren der Landfrieden überzeugend erscheinen lassen. aa. Funktion und Konsequenzen der Acht Den Landfrieden, die Tengler in sein Werk aufnimmt, ist gemeinsam, dass sie als Konsequenz des Verstoßes gegen den Landfrieden die Acht anordnen. Im Gefüge der Friedbruchfolgen nimmt die Acht aufgrund ihrer Doppelrolle eine Sonderstellung ein91. Zunächst ist die Acht als Strafe zu verstehen92, gewissermaßen als Behelfsmittel, wenn man des Täters nicht habhaft werden und ihn daher weder zur Geldzahlung gerichtlich zwingen noch peinlich strafen konnte. Die Landfrieden des ausgehenden 15. Jahrhunderts ordnen die Acht in Form der Reichsacht an93, also mit örtlich unbeschränkter Geltung. 89 90 91 92

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MGH, Const. II, Nr. 946 (Bannitio et condemnatio roberti regis siciliae), S. 987, Z. 29ff. MGH, Const. II, Nr. 946 (Bannitio et condemnatio roberti regis siciliae), S. 987, Z. 30f. Poetsch, Reichsacht, S. 4. Der Ewige Landfrieden (1495) spricht ausdrücklich von peen, Laienspiegel, fol XCIIIv: Die peen der Fridbrecher, vgl. RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1 (III.C. Ewiger Landfriede), Art. 3, S. 364. Ewiger Landfrieden (1495), Laienspiegel, fol XCIIIv: Die peen der Fridbrecher: (...) in Unser und des heyligen Reichs Acht, vgl. RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1 (III.C. Ewiger Landfriede), Art. 3, S. 364; Battenberg, Friedrich, Art. Acht, HRG I 22004, Sp. 59-65.

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Die konkreten Folgen der Acht ergeben sich ausdrücklich aus den Landfrieden. Der Ewige Landfrieden wie auch die Reformation Kaiser Friedrichs III. von 1442 beschreiben als Konsequenzen der Acht, die volle Recht- und Friedlosigkeit: Leib und Gut des Geächteten werden jedermann preisgegeben (leib und gut aller menigklich erlaubt, und niemands daran fräveln (...) mag)94, der Geächtete verliert seine Lehen, Privilegien und sonstige Ansprüche95; es tritt unmittelbar die Oberacht ein96. Wird der Geächtete gefesselt vor Gericht gebracht, erwarten ihn peinliche Strafen, in der Regel wohl die Todesstrafe. Wir haben es hier also mit jener Form der Acht zu tun, die nach der Kommentierung des Bartolus auch den rebelles droht. Auch diese Acht, die Bartolus als mortale bezeichnet, zeichnet sich, wie oben dargestellt, durch den Verlust der bürgerlichen Rechte, die volle Friedlosigkeit und die drohende Todesstrafe aus97. Ihre herausragende Bedeutung verdankt die Acht jedoch ihrer Funktion als Instrument der Strafverfolgung. Der Zustand der Fried- und Rechtlosigkeit soll den Friedbrecher vor Gericht zwingen98. Die Acht beinhaltet die Verpflichtung jedermanns zur Verfolgung der Friedbrecher und das Verbot jeder Unterstützungshandlung. Sie dient damit optimal dem Ziel der Landfrieden, eine durchschlagende obrigkeitliche Ahndung von Friedbrüchen zu etablieren. bb. ipso iure-Acht Bei der Acht, die die Landfrieden anordnen, handelt es sich nicht um die gewöhnliche Kontumazialacht, sondern um eine Form der Deliktsacht. Voraussetzung der Acht ist daher nicht der Ladungsungehorsam des Friedbrüchigen. Seit dem 15. Jahrhundert finden sich in den Landfrieden vermehrt Anhaltspunkte dafür, dass die Acht unmittelbar mit der Tat eintritt99. Auch in

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Ewiger Landfrieden (1495), Laienspiegel, fol XCIIIv: Die peen der Fridbrecher, vgl. RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1 (III.C. Ewiger Landfriede), Art. 3, S. 364. Ewiger Landfrieden (1495), Laienspiegel, fol XCIIIv: Die peen der Fridbrecher: (...) auch alle verschreibung, pflicht oder bündtnüs (...) ab und tod, auch die lehen (...) den Lehenherrn verfallen (...),vgl. RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1 (III.C. Ewiger Landfriede), Art. 3, S. 364; Nehlsen-von Stryk, Andreas Gaill und die „Friedlosigkeit“, S. 139. Zum Umfang der Reichsacht im 15. Jahrhundert, Poetsch, Reichsacht, S. 44ff.; an der praktischen Umsetzung zweifelnd Battenberg, Reichsacht, 413ff. Bartolus, Tractatus Super Constitutione Qui sint rebelles, Rebellando, n. 13. Wadle, Nürnberger Friedebrief, S. 561. Poetsch, Reichsacht, S. 58; für die früheren Landfrieden vgl. die Untersuchung von Nehlsen-von Stryk, Prozessuale Verteidigung, S. 152ff.

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den Landfrieden, die der Laienspiegel aufnimmt, lässt sich der Verzicht auf Prozess und Urteil belegen100. So erklärt die Reformation Kaiser Friedrichs III. aus dem Jahre 1442 Friedbrecher, namentlich Münzfälscher und ihre Begünstiger in die Acht, gleicherweiß und in aller maß, als ob sie mit des Reichs Hoffgericht oder andern zimlichen gerichten, geystlichen, und mit rechtem urteyl verächtet, unn in die Acht und aberacht gethon weren101. Ähnlich äußert sich die Ausführungsanordnung Handhabung Frieden und Rechtens zum Ewigen Landfrieden 1495; sie fordert ausdrücklich, dass der Friedbrecher ohne ferrer furfordrung oder einich weiter erclerung oder urteil der im Frieden vorgesehenen Strafe, der Acht102, unterfällt103. Nach dem Ewigen Landfrieden soll der Fridbrecher (...) mit der that von recht (...) in Acht [ge]fallen sein104; der Augsburger Landfrieden stellt als Konsequenz des Friedbruchs fest: die selben [Friedbrecher] erkennen, erklärn wir hiemit durch sollich verachtung, in die peen des fridbruchs gefallen105. Der erwähnte Kameralist Andreas Gaill setzt sich mit den Formulierungen der Landfrieden auseinander und erklärt, welche Wendungen auf die Übernahme der ipso-iure-Acht schließen lassen. Dazu gehört zum einen die Formulierung, die Strafe solle als bald oder zur Stund eintreten106. Sie ist nach Gaill 100

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Auch als Kontumazialacht ist es dieser Strafe eigen, dass sie eintritt, bevor in der Sache entschieden ist. Ihre Legitimation basiert allein auf dem Ungehorsam an sich. Dass die Acht im Fall des Friedbruchs unmittelbar, inbesondere ohne vorherige Ermittlungen hinsichtlich des Friedbruchs und ohne Gerichtsverfahren eintreten soll, verwundert vor diesem Hintergrund kaum; schließlich sind die Gebote der Landfrieden (ebenso wie die Ladung) obrigkeitliche Befehle, deren Missachtung einen "Ungehorsam" darstellt. Besonders deutlich wird diese Parallele in den Akten des Freiburger Reichstags. Hier wird klargestellt, dass der Friedbruch durch die Stände, der vor allem in der Verletzung ihrer Verfolgungspflichten liegt und die gewöhnlichen Friedbruchsfolgen also auch die Acht nach sich zieht, einen Verstoß gegen einen königlichen Befehl darstellt, RTA, Mittlere Reihe, VI, Freiburger Reichstag, Verhandlungen 18.VI-6.IX 1498, S. 720. Im Augsburger Landfrieden wird dasselbe für den Friedbruch durch Begünstigung bestimmt: Die Begünstiger sollen in diesem Fall durch solch ir ungehorsam in die peen des Friedbruchs gefallen sein, Augsburger Landfrieden (1500), Laienspiegel, fol. XCVIv: Wider der Ganerben Schloss. Reformation Kaiser Friedrichs III. (1442), Laienspiegel, fol. XCIIv: Von der Silbrin müntz wegen. Ewiger Landfrieden (1495), Laienspiegel, fol XCIIIv: Die peen der Fridbrecher, vgl. RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1 (III.C. Ewiger Landfriede), Art. 3, S. 364. Handhabung Friedens und Rechts, RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1, (III.E Handhabung Friedens und Rechts) § 12, S. 461. Ewiger Landfrieden (1495), Laienspiegel, fol XCIIIv: Die peen der Fridbrecher, vgl. RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1 (III.C. Ewiger Landfriede), Art. 3, S. 364. Augsburger Landfrieden (1500), Laienspiegel, fol. XCVv. Andreas Gaill, Tractatus de Pace Publica, Vom kayserlichen Landfriden, 2. Buch, 3. Kap., n. 2.

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Ausdruck der zeitlichen Unmittelbarkeit. Die Wendung als bald findet sich auch in der Übersetzung der Declaratio im Laienspiegel107. Zum andern weise, so Gaill, der Gebrauch des Präteritum oder des Futur II auf die Anordnung der ipso-iure-Acht hin108. Hier werden wir in den erwähnten Landfriedenspassagen fündig: Nach dem Ewigen Landfrieden soll der Friedbrecher "in die Strafe gefallen sein"109, der Augsburger Landfrieden erklärt die Friedbrecher hiermit (...) in die peen des fridbruchs gefallen110. Was die Landfriedenstexte hier anordnen, entspricht also der ipso iureAcht111, die auch die Konstitutionen, namentlich die Declaratio Qui sint rebelles, vorsehen112. Zugleich weisen die Formulierungen Parallelen zur kanonischen excommunicatio latae sententiae auf113; auch das kanonische Recht kennt die ipso iure bzw. ipso facto eintretende Sanktion114. Vermutlich stand bereits hinter der 107

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S. o. Kap. B.IV.3.: Die Declaratio Qui sint rebelles und ihre Wiedergabe im Laienspiegel, S. 242ff. Andreas Gaill, Tractatus de Pace Publica, Vom kayserlichen Landfriden, 2. Buch, 3. Kap., n. 5. Ewiger Landfrieden (1495), Laienspiegel, fol XCIIIv: Die peen der Fridbrecher, vgl. RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1 (III.C. Ewiger Landfriede), Art. 3, S. 364. Augsburger Landfrieden (1500), Laienspiegel, fol. XCVv. Obgleich hier von der „Peen des Friedbruchs“ die Rede ist, bezieht sich der sofortige Eintritt der Sanktion wohl nur auf die Acht. So interpretiert auch Andreas Gaill diese Formulierung der Landfrieden: Nur die Acht i. e. S. (ohne Verlust der Güter etc.) soll im Falle "grober und offenbarer Misshandlungen" ohne alle Richterliche Handlung "verkündet und angeschlagen" werden, daß die Acht jederman erfahre, unnd der Aechter von jemand weder behauset noch beherbergt werde. Dagegen fordert er für die leibliche Straff, und Verliehrung oder publication der Güter zumindest ein Erklärungsurteil (sententia declaratoria), Andreas Gaill, Tractatus de Pace Publica, Vom kayserlichen Landfriden, 2. Buch, 3. Kap., n. 24 bzw. 8, vgl. dazu Nehlsen-von Stryk, Andreas Gaill und die „Friedlosigkeit“, S. 138f. Bartolus, Tractatus Super Constitutione Qui sint rebelles, Occulte, n. 13. MGH Const. II, Nr. 931; entsprechend die frz. Version, Nr. 932: se il premierement par la sentence (...) n'est condempnez, nos consideranz, que les mauvaises heuvres des maus pluis que les paroles de les sentences les font dignes de peine (...); vgl. Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVv. Der Laienspiegel wählt in seiner Übersetzung die Formulierung als bald. Nach Andreas Gaill ist das Ausdruck für den Eintritt der Strafe ohne irgendeine vorausgehende obrigkeitliche Handlung, Tractatus de Pace Publica, Vom kayserlichen Landfriden, 2. Buch, 3. Kap., n. 2. Andreas Gaill betont die Parallelen zwischen Acht und Exkommunikation und übernimmt damit einen auch in der gemeinrechtlichen Literatur üblichen Vergleich, Andreas Gaill, Tractatus de Pace Publica, Vom kayserlichen Landfriden, 2. Buch, 3. Kap., n. 7, vgl. Nehlsen-von Stryk, Andreas Gaill und die „Friedlosigkeit“, S. 143, Anm. 50. Entsprechend erwähnt auch Durantis in seinem Repertorium Aureum im Anhang zum Speculum Iudiciale: Casus in quibus aliquis est ipso iure excommunicatus , Casus totius iuris, in quibus est aliquis ipso facto suspensus.

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in der Declaratio angeordneten ipso-iure-Acht gegen Majestätsverbrecher dieses kanonische Vorbild115. Wie der Laienspiegel sehen auch die Landfrieden den sofortigen Eintritt der Acht nur für den Fall des notorischen Majestätsverbrechens bzw. des kundlichen oder offenbaren Landfriedensbruchs vor116. Im Ewigen Landfrieden von 1495, den Akten des Freiburger Reichstags von 1498, und dem Augsburger Landfrieden von 1500, findet man eine unterschiedliche Behandlung von "Friedbruchs-Verdächtigem" und "kundlichem Friedbrecher". Besonders augenscheinlich ist diese Unterscheidung im Augsburger Landfrieden. Im Titel über die peen der überfarer diser ordnung und abschids wird die sofortige Acht nur für den Fall angeordnet, dass der Friedbruch offenbar, kundtlich und unlaugenbar sein würt117. Der Ewige Landfrieden erklärt im Titel Wenn die thäter des Fridbruchs nit offenbar, und des yemands verdacht wer118, dass in diesem Fall der Verdächtige zunächst zur "Entschuldigung" geladen werden muss; erst wenn er diese verweigert oder zum angegebenen Termin nicht erscheint, soll er für friedlos erachtet werden119. Die Beschränkung der sofortigen Acht auf die Fälle, in denen keine Zweifel an der Schuld des Friedbrechers bestehen und es deshalb keines aufklärenden Verfahrens bedarf, kann kaum verwundern120 und entspricht auch der späteren Lehre zur Acht, wie wir sie bei Andreas Gaill finden121. cc. Verkündung in die Acht Voraussetzung für die tatsächliche Ächtung eines Landfriedensbrechers, seine soziale Isolation bzw. die Festnahme und Vorführung vor Gericht, ist das Wissen der Bevölkerung von der Acht. Darauf weist, wie wir bereits gesehen

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Den massgeblichen Einfluß des kanonischen Rechts vermutet bereits Poetsch, Reichsacht, S. 57. Vgl. zu den früheren Landfrieden Nehlsen-von Stryk, Prozessuale Verteidigung, S. 152ff., insbesondere S. 160. Augsburger Landfrieden (1500), Laienspiegel, fol. XCVv; vgl. Freiburger Reichstag 1498, RTA, Mittlere Reihe, VI (Verhandlungen 18.VI.-6.IX 1498), S. 720. Die Laienspiegelausgabe von 1536 druckt hier statt yemands fälschlicherweise niemands, fol. CXIIIv. Ewiger Landfrieden (1495), Laienspiegel, fol XCIIIv: Die peen der Fridbrecher, vgl. RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1 (III.C. Ewiger Landfriede), Art. 3, S. 364. Es liegt nahe, dass die Kundlichkeit insoweit an die Stelle der Handhaftigkeit getreten ist; ursprünglich war die sofortige Friedlosigkeit Folge der handhaften Tat, Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 769. So spricht auch Andreas Gaill von notorium crimen rebellionis unnd laesae maiestatis. Andreas Gaill, Tractatus De Pace Publica, Vom kayserlichen Landfriden, 2. Buch, 3. Kap., n. 18.

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haben, Bartolus in seinem Kommentar zur Declaratio Qui sint rebelles hin. Der Majestätsverbrecher soll öffentlich zum „Rebell“ erklärt werden wie der König von Neapel durch Heinrich VII.: Imperator pronunciavit Regem Robertum esse rebellem122. Um die Unterstützung der Friedbrecher zu vermeiden123 finden sich in den deutschen Städten Achtbücher124, wird die Acht öffentlich verkündet125 und werden Achtbriefe versendet126. Mit der Eintragung127 ins Achtbuch wird öffentlich festgestellt, dass der Eingetragene ein kundlicher Friedbrecher und mithin geächtet ist. Die Landfrieden verlangen teilweise ausdrücklich die Eintragung: Im Ewigen (1495) wie im Augsburger Landfrieden (1500) findet sich die Anordnung einer "Beschreibung" der Täter. Der Begriff "beschreiben" ist wohl von der lat. proscriptio abzuleiten und weist damit auf den Eintrag in ein Achtbuch, den sog. liber proscriptionum128 hin. Dem Augsburger Landfrieden sind darüber hinaus Hinweise auf eine öffentliche Verkündung der Acht zu entnehmen; er spricht vom Verbot des Geleits für verkündt fridbrecher129. An anderer Stelle verlangt er, dass der Friedbrecher denunciert un verkündt wird130. Der gezielten Bekanntmachung der Acht dienen außerdem die Achtbriefe, die zum einen dem Geächteten gesandt werden, um ihn vom Zustand der Rechtund Friedlosigkeit in Kenntnis zu setzen131, zum anderen den potentiellen Begünstigern oder den für die Verfolgung des Geächteten zuständigen Personen oder Stellen, um die Wirkung der Acht sicher zu stellen132. Der Augsburger Landfrieden sieht die Notwendigkeit, die gemeinsamen Erben (Ganerben) eines Schlosses speziell aufzufordern, friedbrüchigen Miterben den Zutritt zu ihren Schlössern zu verweigern, obgleich sie daran selbst Rechte haben beziehungsweise vor der Acht hatten. Um sicherzustellen, dass hier 122 123 124 125 126

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Bartolus, Tractatus Super Constitutione Qui sint rebelles, Rebellando, n. 14. His, Strafrecht I, S. 458. Battenberg, Friedrich, Art. Achtbuch, HRG I 22004, Sp. 65-66; His, Strafrecht I, S. 447. Zur Verkündung der Acht Nachweise bei Poetsch, Reichsacht, S. 60ff. Zahlreiche Beispiele für Achtbriefe des 15. Jahrhunderts finden sich bei Franklin, Reichshofgericht im Mittelalter II, S. 327ff., Franklin bezeichnet die Achtbriefe als eine über die Verkündung ausgefertigte Urkunde, S. 325. Allerdings verkünden diese Briefe gerichtliche Achturteile, nicht die ipso iure-Acht wegen Friedbruchs. Holzhauer, Heinz, Art. Landfrieden, HRG II 11978, Sp. 1465-1485, 1475. Franklin, Reichshofgericht im Mittelalter II, S. 324Augsburger Landfrieden (1500), Laienspiegel, fol. XCVIr: Die Fridbrecher sollen keyn geleit haben noch geben. Augsburger Landfrieden (1500), Laienspiegel, fol. XCVIIr; vgl. Freiburger Reichstag 1498, RTA, Mittlere Reihe VI (Verhandlungen 18.VI-6.IX 1498), S. 724. His, Strafrecht I, S. 448. Poetsch, Reichsacht, S. 112.

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der Ächter tatsächlich als solcher behandelt wird, soll den Ganerben dessen Friedlosigkeit offentlich geschriben unn verkündt werden133. In den Landfrieden ist außerdem die Paarformel beschreiben und (für sich) vertagen zu finden. In diesem Zusammenhang mag mit dem „Beschreiben“ die mit der Ladung vor Gericht (vertagen) einhergehende Erklärung der Acht in Form eines Achtbriefes gemeint sein.

c. Die Constitutio Ad reprimendum und das Verfahren vor dem städtischen Einungsgericht Im Kapitel Von eynung Gerichten134, das bezeichnenderweise im zivilrechtlichen Teil und dort im Abschnitt Von kurtzen auszträgen135 zu finden ist, beschreibt der Laienspiegel das Verfahren vor der städtischen Einung. Am Rande seiner Ausführungen verweist er auch hier auf die Constitutio Ad reprimendum. aa. Einung Die „Einung“ taucht vor allem im alemannischen Gebiet als gerichtliche Instanz zur Ahndung von Friedbrüchen in der Stadt auf136; Tengler wird das Beispiel der Reichsstadt Nördlingen vor Augen gehabt haben. In den Nördlinger Stadtrechten finden sich Regelungen zur Einung, teilweise sogar in eben jenen Ratsordnungen, an deren Entstehung Tengler selbst beteiligt war137. Hier besteht die „Einung“ aus zwei Angehörigen des kleinen Rats138, die auf einen Monat gewählt sind139. Der Name der „Einung“ folgt aus ihrer

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Augsburger Landfrieden (1500), Laienspiegel, fol. XCVIv: Wider der Ganerben Schloss. Laienspiegel, Von eynung Gerichten, fol. XCVIIIr. Die folgenden Kapitel bilden offenbar einen Abschnitt: Von kurtzen auszträgen, Von eynung Gerichten, Von wilkurlichen handlungen, Von andern kurtzen auszträgen. Kroeschell, Karl/Cordes, Albrecht, Art. Einung, HRG I 22007, Sp. 1306-1309, 1308. Vgl. Art. 13, 14 Ratsordnung B. Als Ratsordnung B bezeichnet der Herausgeber K. O. Müller die maßgebliche Handschrift der in den Jahren 1450-1510 entstandenen Ratsordnungen der Stadt Nördlingen, Müller, Nördlinger Stadtrechte, S. 4*, 149ff. An dieser Ratsordnung hat Ulrich Tengler selbst mitgeschrieben, Müller, Nördlinger Stadtrechte, S. 150, ferner Art. 33 Ordnungsbuch von 1423-1522; Art. 159 Stadtrecht C (1370-1520). Auch hier ist jeweils die Hand Ulrich Tenglers nachgewiesen, vgl. Müller, Nördlinger Stadtrechte, S. 182, 42. Art. 20 Stadtrecht B. Als Stadtrecht B bezeichnet der Herausgeber K. O. Müller die 13481350 entstandene Fassung des Nördlinger Stadtrechts, Nördlinger Stadtrechte, S. 4*, 14f.; vgl. auch Felber, Unzucht, S. 25. Art. 22 Stadtrecht B (1348-1350).

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Zuständigkeit: Ihre vorrangige Aufgabe ist es, die ainung zu volfüren140; unter ainung ist in diesem Zusammenhang das gesamte beschworene Stadtrecht zu verstehen141. bb. Funktion der Einung Aus den Nördlinger Stadtrechten ergeben sich drei Tätigkeitsfelder der Einung. Zunächst obliegt den Nördlinger Einungern die Kontrolle der Räte, beispielsweise über deren Anwesenheit bei den Ratssitzungen, sowie die Einziehung einer Säumnisbuße142. Vornehmlich aber treten die Einunger als Rügeinstanz auf: Den Einungern sollen Frevel und „strafbare Sachen“ angezeigt werden143. Zum Schutz des städtischen Friedens144 erlässt Nördlingen ein Ainungsbüchlin145, darin werden Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, also polizeiliche Regelungen, normiert. Das Ordnungsbuch der Stadt erwähnt Ratsknechte, die für die Anzeige solcher Verstöße bei der Einung entlohnt werden. Schließlich taucht die Einung in den Nördlinger Stadtrechten als Gerichtsinstanz auf. Im Ainungsbüchlein wird den Einungern dessen Vollziehung auferlegt146. Mag es hier auch mehr um bloße Vollstreckung gehen, so spricht die Gerichtsordnung von 1488 ausdrücklich von einer Verurteilungskompetenz der Einung in Abgrenzung zu jener des Rates und des stadtherrlichen Gerichts. Injurien und Beleidigungen sollen von den Einungern selbst abgeurteilt werden147. Sie sind außerdem aber auch für „große Sachen“ zuständig; 140

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Art. 20 Stadtrecht B (1348-1350); Müller spricht von der Einung als „kleines Ratsgericht“ und „Behörde“, Nördlinger Stadtrechte, S. 623. Kroeschell, Karl/Cordes, Albrecht, Art. Einung, HRG I 22007, Sp. 1306-1309, 1308. Art. 13, 14 Ratsordnung B; ferner Art. 27 Ratsordnung D (ca. 1500-1510) und Art. 198 Stadtrecht C. Als Stadtrecht C bezeichnet der Herausgeber K. O. Müller die Stadtrechtserneuerung, entstanden 1370-1375, mit den zugehörigen Nachtragsartikeln aus den Jahren 1380-1520, Müller, Nördlinger Stadtrechte, S. 4*; vgl. auch Felber, Unzucht, S. 31. Art. 33 Ordnungsbuch von 1423-1522; Art. 159 Stadtrecht C (1370-1520); zur Einung als Rügeinstanz vgl. Spieß, Rüge und Einung, insb. S. 28. Das Ainungsbüchlin will der Vermeidung von todschleg, aufrur, schaden und unrat dienen, Einleitung zum Ainungbüchlin von 1510, ed. Müller, Nördlinger Stadtrechte S. 86. Müller, Nördlinger Stadtrechte, druckt das Ainungbüchlin von 1510 ab, dieses erklärt sich selbst aber als bloße „Erneuerung“, S. 86. Ainungbüchlin von 1510, S 86ff., ed. Müller, Nördlinger Stadtrechte. Sanktioniert wird z. B. Würfel- und Kartenspiel, das „Zutrinken“, das nächtliche Umhergehen und Lärmen und das Waffentragen; a. E. findet sich der Hinweis: Dise ordnung ist den ainungern bevolhen (...). Art. 104 (a) Gerichtsordnung von 1488, ed. Müller, Nördlinger Stadtrechte; vgl. auch Felber, Unzucht, S. 31.

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die Nördlinger Gerichtsordnung von 1488 spricht von peinlichen Sachen (über das plüt), todschleg und übeltät, die für ainen rat oder ainung gehören148. Offen bleibt hier, inwiefern die Einung über diese großen Sachen richtet. Nach dem Stadtrecht aus dem 14. Jahrhundert dürfen die Einunger nur waz ringer ainung149 selbst aburteilen; was dagegen als heftige ainung bewertet wird, bringen sie vor den kleinen Rat150. In diesem Fall übernehmen die Einunger selbst die Anzeige, fungieren also ihrerseits als amtliche Denunzianten, möglicherweise mit einer gewissen Ermittlungskompetenz151. Was wir in Nördlingen als Einung beschrieben finden, stimmt im Wesentlichen mit den Beobachtungen in anderen süddeutschen Städten überein152. Tengler indes stellt in seinem Laienspiegel die Einung nur als Gerichtsinstanz dar: Etlich Stätt und Märckt haben freiheyten, und darauff under andern solch gebreüch, wenn sich etwo die leut mit fräveln worten, oder kundtlichen missethaten mit eyn ander zu auffrurn begeben, oder zu zeiten gebott unnd verbotte nit gehalten, so werden sie für den Richter unnd etlich beisitzer, das sie eynung gericht nennen, geheyschen (...)153.

Nach dem Laienspiegel ist die Einung also zum einen – wie in Nördlingen und anderen Städten – zur Aburteilung jener Freveltaten berufen, die ihr üblicherweise von den Rügepersonen angezeigt werden (wenn (...) zu zeiten gebott unnd verbotte nit gehalten). Zum anderen obliegt der Einung nach Tengler aber auch die Verurteilung solcher Personen, die sich etwo (...) mit fräveln worten, oder kundtlichen missethaten mit eyn ander zu auffrurn begeben. Sein Verweis auf die Constitutio Ad reprimendum erklärt, was er hier vor Augen hat: Es geht um Taten, die die städtische Ordnung ins Wanken bringen, Fälle, in denen der Rat um seine Autorität fürchten muss. Mithin um solche Taten, die, wie wir gesehen haben, den Tatbestand des Majestätsverbrechens erfüllen. Soweit Tengler nun das Verfahren vor der Einung beschreibt, ordnet er dieses, wie gesagt, den kurtzen auszträgen zu und qualifiziert es damit als abgekürztes Verfahren. Dabei unterscheidet er keineswegs zwischen der Aburteilung des einfachen Frevels einerseits und jener Taten, die er als Majestätsver148

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Art. 12 Gerichtsordnung von 1488, ed. Müller, Nördlinger Stadtrechte; zur Kompetenz des Rates und seiner Deputationen zur Verhängung peinlicher Strafen bei Verstößen gegen Stadtrecht vgl. Isenmann, Deutsche Stadt, S.160. An dieser Stelle bezeichnet ainung den Verstoß selbst, vgl. DRW II, Einung, Sp. 1477-1480, Bedeutungsalternative VI. 2. Art. 20 Stadtrecht B (1348-1350). Ebel, Bürgereid, S. 102; zu den Nördlinger Einungern als Rüge- und Ermittlungsinstanz Felber, Unzucht, S. 25ff. Vgl. Spieß, Rüge und Einung. Laienspiegel, Von eynung Gerichten, fol. XCVIIIr.

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brechen einordnet, andererseits. In beiden Fällen soll offenbar dasselbe Verfahren angewendet werden. cc. Verfahren vor der Einung Über den Ablauf des Verfahrens vor der Einung schweigen die Nördlinger Stadtrechte. Tengler nimmt sich nun dessen Darstellung an. Der Delinquent soll von Amts wegen vor das Gericht geladen und on rechtliche ordnung verhört werden. Das Verfahren beginnt also mit einer – gütlichen – Vernehmung des Beschuldigten, bei der aber die üblichen Formalitäten nicht berücksichtigt werden müssen154. Dann werden Zeugen angehört: Auch ander person, so umb solch fräveln, auffrurn oder verbrechen eyn wissen, dabei gewesen, es gesehen oder gehört haben, on, oder bei iren eyden, die sie darumb inn der partheyen gegenwürtigkeyt schwern, heymlich nach eynander gesündert, in der partheyen abwesen, gleich als wer es zum rechten, die warlich geschichten eygentlich erfragt unnd erkündet (...)155.

Ziel des Verfahrens ist also die Aufklärung der Tat, d. h. die Ermittlung der „Wahrheit“ (warlich geschichten) mittels moderner Beweismittel, den Tatzeugen. Deren getrennte Vernehmung verringert die Wahrscheinlichkeit falscher Aussagen, ebenso ihre Vereidigung. Die prozessualen Möglichkeiten der Delinquenten sind indes aufgrund ihrer Abwesenheit beim Zeugenverhör beschränkt. Ihnen wird schließlich das Ergebnis der Ermittlungen verkündet; sie werden darauff in pflicht genommen, die fräveln und straff, so sie damit nach gewonheyt der selben Stätt, oder Märckt, verwürckt haben, die man inen als bald öffnet, zu gedulden und bezalen. Das Verfahren vor dem Einungsgericht schließt also mit einem „Strafurteil“ in Form einer Geldstrafe156; der Ausgleich zwischen den Parteien wird indes ausdrücklich an die „ordentlichen Gerichte“ verwiesen: Aber umb das unrecht oder schäden, so sie gegen eynander vermeynen zufordern, werden sie bei solchen pflichten vereynigt, unnd geschafft zu gewonlichen rechten (das mögen sie nach rechtlicher ordnung mit eynander pflegen) und würt alsdann vor den gerichten gehandelt, wie recht ist157. Das Verfahren, das der Laienspiegel als Prozess vor der „Einung“ schildert, bestätigt die Beobachtungen aus der Praxis verschiedener süddeutscher Reichsstädte. Die Durchsetzung des städtischen Polizei- und Ordnungsrechts und die Sicherung des städtischen Friedens war in den 154

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Insbesondere entfallen wohl die üblichen Anforderungen an die Schriftlichkeit, Felber, Unzucht, S. 31. Laienspiegel, Von eynung Gerichten, fol. XCVIIIr. Zu den noch im 16. Jahrhundert parallel existierenden „Strategien und Techniken der Unrechtsbewältigung“ s. auch Willoweit, Entdogmatisierung, S. 14ff. Laienspiegel, Von eynung Gerichten, fol. XCVIIIr.

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spätmittelalterlichen deutschen Städten unterschiedlich organisiert; kennzeichnend ist aber die Verfolgung von Amts wegen – regelmäßig durch Ratsdeputationen – eine gewisse Formlosigkeit des Verfahrens und ein fortschrittliches Beweisrecht158. Dabei stand hier der Zeugenbeweis im Vordergrund159. Folter und Geständnis werden regelmäßig schon deshalb nicht in Betracht gekommen sein, weil es sich bei den Verfahren vor der Einung oder ähnlichen Ratsgremien nicht um peinliche Verfahren handelte; auf Frevel und andere Einungsbrüche stand in der Regel nur eine Buße160, für die Aburteilung schwererer Delikte war die Einung in der Regel nicht zuständig. Auch in Nördlingen oblag, wie wir gesehen haben, der Einung nur die Abstrafung geringerer Taten, die Bestrafung heftige[r] ainung dagegen dem kleinen Rat161. Eine peinliche Bestrafung und die Anwendung der Folter durch die Einung sieht auch der Laienspiegel nicht vor. Insofern unterscheidet Tengler das Verfahren vor der Einung einerseits und jenen Inquisitionsprozess, der auf das Geständnis des Inquisiten ausgerichtet ist, andererseits. dd. Bedeutung der Constitutio Ad reprimendum Mit dem Verweis auf die Constitutio Ad reprimendum am Rande seiner Ausführungen zum Verfahren vor der Einung stellt Tengler nicht nur klar, dass das aufrührerische Verhalten der Stadtbürger als Majestätsverbrechen zu werten ist. Mit der Allegation erklärt Tengler vielmehr, weshalb er das Verfahren vor der Einung als abgekürzten Prozess einordnet; er qualifiziert es als summarischen Prozess im Sinne der Constitutio Ad reprimendum. Von jeher war das Verfahren vor dem Einungsgericht nicht den Grundsätzen des alten deutschen Gerichtsverfahrens, das sich als Parteienprozesses darstellte, unterworfen162. So wie es nun aber Tengler beschreibt, erfüllt es auch nicht die Voraussetzungen eines „ordentlichen“ gelehrten Inquisitionsprozesses; ausdrücklich wird auf die „rechtliche Ordnung“ verzichtet und auf die Anwesenheit des Beschuldigten beim Zeugenverhör. Tengler erklärt nun dieses Verfahren aufgrund von „Freiheiten“, also Privilegien, und vor dem Hintergrund der Constitutio Ad reprimendum für zulässig. Die Notwendigkeit von Privilegien verwundert zunächst. Wie der Begriff der „Einung“ schon nahe legt, geht es hier um den Bereich des städtischen 158

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Isenmann, Deutsche Stadt, S. 160ff.; Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 174ff.; Ebel, Willkür, S. 57f.; Spieß, Rüge und Einung, S. 86ff. Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 174f.; Spieß, Rüge und Einung, S. 86ff. Spieß, Rüge und Einung, S. 62ff. Art. 20 Stadtrecht B (1348-1350). Spieß, Rüge und Einung, S. 86ff.

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Willkürrechts, dem die Bürger kraft ihres Bürgereids unterworfen sind163, mithin um einen „autochthonen Rechtsbereich“, in dem die Stadt bzw. der Rat originär zuständig ist, also keiner entsprechenden Privilegierung bedarf164. Die „Freiheiten“, von denen der Laienspiegel hier redet, sind deshalb keine Privilegien, die die gerichtliche Zuständigkeit begründen oder erweitern, sondern solche, die eine Abweichung von der üblichen Verfahrensordnung erlauben. Für Verfahrensänderungen, zumindest im Bereich der Hoch- oder Blutgerichtsbarkeit, waren generell kaiserliche Privilegien erforderlich165. Schon in jenem Kapitel, in dem Tengler die Constitutio Ad reprimendum wiedergibt, weist er darauf hin, dass dieses summarische Inquisitionsverfahren den Städten nur erlaubt ist, wenn diesen entsprechende Privilegien verliehen wurden, also in krafft der Regalien unnd freyheyten, vom heyligen Reich gegeben, die wissentlichen übelthäter, auff warliche that, und ir bekentnüs, mit den hochgerichten, peinlich zustraffen sein mög166. Gestützt auf die Constitutio in Verbindung mit entsprechenden Privilegien steht den Städten nach Tenglers Ansicht also ein summarisches Verfahren zur Verteidigung der innerstädtischen Ordnung zur Verfügung. Unschlüssig bleibt die Anknüpfung an die Constitutio Ad reprimendum aber insofern, als sich das Verfahren vor der Einung, wie wir gesehen haben, doch in erster Linie gegen den einfachen Frevel richtet und nicht gegen schwere Delikte wie Aufruhr und Rebellion in der Stadt. Inwiefern das Verfahren gegen den einfachen Frevel, der der Einung regelmäßig durch Rügepersonen zugetragen worden sein wird, deshalb ebenfalls als vereinfachtes geführt werden konnte, weil der Anzeige amtsverpflichteter Personen, wie oben beschrieben, eine erhöhte Beweiskraft zukam, kann nur vermutet werden. d. Die Constitutio Ad reprimendum und der summarische Inquisitionsprozess gegen Landfriedensbrecher aa. Gemeinrechtliche Grundlage des summarischen Inquisitionsprozesses gegen Landfriedensbrecher Im Kapitel Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen167 beschreibt Tengler das Verfahren, das die Städte zur Verfolgung von

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Ebel, Willkür, S. 52, 54. Spieß, Rüge und Einung, S. 119. Flachenecker, Eichstätt, S. 113. Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVIr. Laienspiegel, fol. CXVIr

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Landfriedensbrechern anwenden sollen168. Er allegiert dazu jene Digestenstelle, die ursprünglich die gemeinrechtliche Grundlage für das Verfahren gegen die landschädlichen Leute gebildet haben mag169. Wie oben bereits dargestellt, sieht Tengler nun in der Aussage Ulpians eine Legitimation des kurzen Prozesses gegen Landfriedensbrecher170. Dieselbe Legitimationswirkung misst er auch der Constitutio Ad reprimendum bei. Am Rande seiner Ausführungen zur Ordnung in sölcher kurtzer rechtvertigung verweist er ausdrücklich auf Bartolus’ Kommentar zur Constitutio, ebenso soweit er im Kapitel Von andern kurtzen auszträgen171 das summarische Verfahren gegen die Friedbrüchigen anspricht. Mit der Ausweitung des Begriffs des Majestätsverbrechens steht das summarische Vorgehen nach der Constitutio Ad reprimendum als Verfahrensform gegen Landfriedensbrecher allgemein zur Verfügung; Tengler zieht aus der weiten Definition des Majestätsverbrechens den Schluss, d[a]z die in krafft der Regalien unnd freyheyten, vom heyligen Reich gegeben, die wissentlichen übelthäter, auff warliche that, und ir bekentnüs, mit den hochgerichten, peinlich zustraffen sein mög172. Im Kapitel Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen173, das unmittelbar auf die Ausführungen zur Constitutio Ad reprimendum folgt, spricht er denn auch nicht ausdrücklich von Landfriedensbrechern, sondern von solchen Verbrechen, dadurch der Key. Maie. des heyligen Reichs, oder seiner Oberkeyt satzungen, oder gemeyner nutz beleydigt (...). Weist er in seinen Ausführungen zur Constitutio Ad reprimendum darauf hin, dass die Zulässigkeit des darin beschriebenen summarischen Verfahrens, namentlich für die Städte, sich nicht direkt aus der Constitutio, sondern aus entsprechenden Privilegien ergibt (Regalien unnd freyheyten, vom heyligen Reich gegeben)174, so scheint er im folgenden Kapitel Wie in kurtzer rechtvertigung, auff

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171 172 173 174

Siehe dazu schon oben Kap. B.I.2.: Das Inquisitionsverfahren als Mittel zur Durchsetzung des Landfriedens, S. 57ff. D. 1.18.13. Diese Allegation fehlt in der Straßburger Ausgabe 1536. S. o. Kap. B.I.2.: Das Inquisitionsverfahren als Mittel zur Durchsetzung des Landfriedens, S. 57ff. Laienspiegel, fol. XCIXr. Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVIr. Laienspiegel, fol. CXVIr. Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVIr. Konsequent fügt Tengler auch in seine Übersetzung der Constitutio, genauer in deren Rechtfertigung des summarischen Verfahrens eigenständig den Hinweis ein, dasselbe sei auch an mehrenden in krafft Key. und Kün. freyheyten mit gewonlichem gebrauch eingefürt (...), fol. CXVv. Dies entspricht den bisherigen Erkenntnissen über die Bedeutung von Privilegien für die Weiterentwicklung des peinlichen Strafverfahrens, Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 75;

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freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen eben dieses auf Privilegien basierende summarische Inquisitionsverfahren zu beschreiben. Neben der besagten Digestenstelle wertet Tengler also auch die Constitutio Ad reprimendum als Legitimationsgrundlage für den summarischen Inquisitionsprozess gegen Landfriedensbrecher. bb. Besonderheiten des summarischen Inquisitionsprozesses gegen Landfriedensbrecher Das Verfahren, das der Laienspiegel in seinem Kapitel Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen175 als summarisches176 beschreibt, weist keine solchen Unterschiede zu dem im ersten Kapitel beschriebenen Inquisitionsprozess auf, die es im Verhältnis zu diesem als vereinfachtes Verfahren qualifizierten. Es zeichnet sich allein durch das Zusammenwirken zweier Instanzen aus, einer Ermittlungsinstanz und einer Entscheidungsinstanz. Der Richter soll die Taten, von denen er Kenntnis erhält, untersuchen und Verdachtsmomente gegen angezeigte Personen zusammentragen. Sofern nun aber die Hochgerichtsbarkeit bei den fürsten und herrn liegt, fällt diesen die Entscheidung über das weitere Vorgehen gegen den Tatverdächtigen zu. Sie ordnen gegebenfalls die Folter an und fällen schließlich auch das Urteil177. Was Tengler hier – im wahrsten Sinne des Wortes – vor Augen steht, ist das peinliche Verfahren in solchen Städten, in denen der Vertreter des Stadtherrn die Hochgerichtsbarkeit innehat178. Er spricht also von jener Gerichtsverfassung, mit der er es als Landvogt von Höchstädt selbst zu tun hatte179. Eben diese persönliche Erfahrung mag auch erklären, weshalb Tengler derart nachdrücklich die Richter anweist, sorgfältig (fürsichtig und geflissen gründtlich) zu ermitteln, damit sie ir Oberkeyt mit zweyfelicher oder ungegrünter underricht nit verfürn (...)180. Entsprechend umfassend sind dann auch die Untersuchungen, die der Laienspiegel in diesem „summarischen“ Verfahren verlangt. Keineswegs bleibt der Ermittlungsaufwand hinter den Untersuchungen zurück, die Teng-

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178 179 180

Isenmann, Deutsche Stadt, S. 163; Jerouschek, Herausbildung, S. 353; Flachenecker, Eichstätt, S. 113. Laienspiegel, fol. CXVIr. Laienspiegel, Von erfarung der that und bekennen des thäters, fol. CXVIv. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIv. Vgl. Isenmann, Deutsche Stadt, S. 161. Dazu s. o. Kap. A.I.1.a.cc.: Landvogt von Höchstädt, S. 8. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIv.

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ler in seiner ersten Beschreibung des Inquisitionsverfahrens, also für die „ordentliche“ Form desselben fordert. Ausdrücklich lehnt er eine – in der Praxis offenbar übliche – Verkürzung dieser Untersuchungen ab. Die Gefahr einen Unschuldigen zu bestrafen erscheint ihm zu groß: Als aber damit mancherley irriger gebreüch gehalten, die am gwissen sorgklich und schwär möchten geacht. Wann über des menschen blut, mit peinlicher frag und straff zu eylen, ist nit gut zu verantwurten, sonder es sollen die übelthaten zuvor gar eygentlich erfaren (...)181. Der Richter soll nicht weniger als im ordentlichen Verfahren sich im „summarischen“ Prozess um die Erfahrung der Wahrheit bemühen; diesem Hinweis widmet Tengler das folgende Kapitel Von erfarung der that und bekennen des thäters: Wie hievor angezeygt, d[a]z die geschicht unn bekantnüß der übelthat, so man auff eynen anklagt nach gerichtlicher ordnung procediern, erfaren, also wil auch eynem richter not sein, wenn man auff bevelch in krafft eynicher freyheyten, summarie, von peinlicher frag und straff wegen handelt, sollich bescheydenheyt unn maß zugebrauchen geflissen, damit er die warheyt in allweg ergründen mög182.

Das Vorverfahren, das Tengler nun für den kurzen Prozess fordert, steht dem zuvor beschriebenen in nichts nach. Die Ermittlungsrichter müssen feststellen, dass ein Verbrechen geschehen ist, Indizien zusammentragen und diese durch Zeugen beweisen lassen. Zum corpus delicti-Erfordernis äußert sich Tengler hier sogar deutlicher, als zuvor; explizit verlangt er jetzt die Untersuchung ob (...) sölchs beschehen183. Auch im Übrigen sind seine Anforderungen an die Aufklärung des Verbrechens hier höher; die Richter sollen fürsichtig und geflissen gründtlich (...) erkunden, unn warlichs wissen zu erlangen, ob und wie, auch zu wölchen zeyten unn enden sölchs beschehen184. Was die Frage der Täterschaft angeht, soll entweder im gütlichen Verhör ein Geständnis erlangt werden, oder es sollen gnugsam indicia und anzeygen für die Folter ermittelt werden185. Die Ergebnisse der beschriebenen Ermittlungen werden dann dem Hochgericht übergeben. Sie bilden die Grundlage für dessen Entscheidung über das weitere Vorgehen (ob, unnd wie sie mit den selben übelthätern burgerlich oder peinlich handeln, oder sie begnaden), zunächst über die Folter (ob unnd wie die person

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Laienspiegel, fol. CXVIr/v. Laienspiegel, Von erfarung der that und bekennen des thäters, fol. CXVIv. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIv. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIv. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIv.

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peinlich zu fragen (...) seind186), dann über Verurteilung oder Freispruch. Ausdrücklich stellt Tengler fest, dass die Entscheidung des Hochgerichts Urteilscharakter hat und insbesondere eine Begnadigung durch die Stadt ausschließt. Es obliegt der niederen Instanz nur noch, die Strafe zu bemessen: Darumb so mag sölcher bevelch für eyn urteyl zu achten, unn also zuversteen sein, d[a]z er den thäter nit begnaden, sonder in umb sein missehandlung straffen, unnd die straff nach gestalt der waren geschicht und bekantnüß. Es soll – wie üblich – ein endlicher Rechtstag stattfinden, auf dem durch Schöffen das Urteil gefunden, dem Inquisiten verkündet und vollstreckt wird: (...) die urteyl mässigen und schöpffen, wie sie Burgerlich und peinlich beschehen. Auch in des übelthäters gegenwürtigkeyt erklären lassen, wie die selb sol volzogen werden187. Für das Hauptverfahren, d. h. das peinliche Verhör des Inquisiten im kurzen Prozess, verweist Tengler pauschal auf die Regeln, die er für das ordentliche Verfahren formuliert hat188.

5. Zusammenfassung

In seinem Kapitel Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten189 gibt Tengler zwei Gesetze Heinrichs VII. aus dem Jahre 1313 in nahezu wörtlicher Übersetzung wieder. Diese Gesetze waren von der italienischen Lehre aufgegriffen und zur gemeinrechtlichen Grundlage für die Ächtung von notorischen Majestätsverbrechern entwickelt worden und legitimierten das summarische Verfahren gegen solche Personen. Tengler belässt es nicht bei der Wiedergabe dieser Gesetze; er deutet sie vielmehr als gemeinrechtliche Grundlage für die in den Landfrieden vorgesehene Acht und auch für den – vom ordentlichen Inquisitionsverfahren abweichenden – Prozess vor dem städtischen Rat oder Ratsdeputationen, der diesen, wie Tengler sagt, kraft Privilegien erlaubt sei. Die Gesetze Heinrichs VII. konnte Tengler in keiner seiner deutschen Quellen aufbereitet finden. Diese behandeln weder die Acht noch das 186

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188 189

Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIv. Van Dülmen beschreibt diesen Ablauf als übliche Praxis seit dem 16. Jahrhundert, Theater des Schreckens, S. 38. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIv. Laienspiegel, Von erfarung der that und bekennen des thäters, fol. CXVIv. Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVIr.

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summarische Inquisitionsverfahren. Tengler hat hier offenbar eigenständig versucht, für die strafprozessuale Praxis seiner Zeit eine Stütze im gemeinen Recht zu finden. Er kommt mit dieser Darstellung in besonderem Maße seinem Anliegen nach, den Zielen von Reichsreform und Ewigem Landfrieden zur Durchsetzung zu verhelfen.

V. Die Urteilsvoraussetzungen

1. Doppelte Urteilsgrundlage

Der Laienspiegel verlangt als rechtliche Grundlage für das Urteil im Inquisitionsprozess – unabhängig davon, ob es sich um einen ordentlichen oder summarischen handelt – das kumulative Vorliegen zum einen einer "wissentlichen Tat" und zum anderen des Geständnisses des Beschuldigten. Wann immer Tengler in seinen Ausführungen die Voraussetzungen der Verurteilung erwähnt, verweist er fast formelhaft auf diese doppelte Urteilsgrundlage. So soll der Richter am endlichen Rechtstag die Urteiler auffordern, ihre Entscheidung gestützt auf die wissentlichen erfaren übelthat, unnd des gefangnen verlesen unnd bewisen urgicht zu fällen1. Die Urteilsformel lautet entsprechend: Demnach auff die wissentlichen und erfaren geschichten, auch des gefangen armen manns gichtigen übelthat, so erkennen und sprechen wir (...)2. Die gleiche Wendung findet sich an vielen weiteren Stellen3. Teilweise wird bereits aus der Formulierung deutlich, in welchem Verhältnis die beiden Urteilsvoraussetzungen zueinander stehen bzw. wie sie prozessual einzuordnen sind. So erinnert der Laienspiegel auch in seinen Ausführungen zu den richterlichen Untersuchungen an die Voraussetzungen der Verurteilung. Die Richter müssen zunächst alles daran setzen, den Sachverhalt aufzuklären, den Beweis soll dann aber das Geständnis liefern: (...) sollen die richter fürsichtig und geflissen gründtlich zu erkunden, unn warlichs wissen zu erlangen, ob und wie, auch zu wölchen zeyten unn enden sölchs beschehen (...)4, denn alleyn die warlich missethat thut in verklagen, und ist mit seiner eygen bekantnüs bewisen 5. 1 2 3

4

5

Laienspiegel, Von urteylen, fol. CXVIIv. Laienspiegel, Forma der Endurteylen, fol. CXVIIIr. Laienspiegel, Forma peinlicher verkündung, fol. CXVIv: (...) auch auff dein eygen bekantnüs und wissenlich übelthat urteyl und rechtens gewarten würdest (...); Laienspiegel, Vom verlesen des übelthäters urgicht, fol. CXVIIr: (...) wie ihn sein wissenliche übelthat, die man gründtlich erfaren, verklagt hab, der er auch durch sein eygen bekantnüs bewisen; Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kuntlicher übelthaten, fol. CXVIr: (...) d[a]z (...) die wissentlichen übelthäter, auff warliche that, und ir bekentnüs (...) peinlich zustraffen sein mög. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheiten zu handlen sey von ampts wegen, fol. CXVIv. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIv.

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Urteilsvoraussetzungen

2. „Wissentliche Tat“

Mit der Forderung der „wissentlichen Tat“ als Urteilsgrundlage verlangt Tengler eigenständige Ermittlungen des Gerichts zur Aufklärung der Tat; das Verfahren darf nicht nur auf das Geständnis des Inquisiten abzielen. Ob dieses Erfordernis der „wissentlichen Tat“ gleichbedeutend ist mit der oben als Voraussetzung der Tortur und Gegenstand des Vorverfahrens beschriebenen Feststellung, dass überhaupt ein Verbrechen geschehen ist, also mit dem corpus delicti-Erfordernis, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Wie im Rahmen der Ausführungen zur Folter deutlich wurde, ist das Geständnis aber, wenn es ohne vorangehende Indizien erfoltert worden ist, nach der gemeinrechtlichen Lehre nicht verwertbar. Tengler legt großen Wert auf die Verifizierung des Geständnisses durch dessen Abgleich mit den Ergebnisses der sonstigen Ermittlungen. Mit der „wissentlichen Tat“ kann vor diesem Hintergrund durchaus mehr verlangt sein als die bloße Feststellung, dass ein Verbrechen geschehen ist. In jedem Fall greift Tengler mit der doppelten Urteilsgrundlage den Gedanken der corpus delicti-Lehre auf. In keiner seiner deutschen Vorlagen findet sich eine ähnliche Forderung. Es handelt sich dabei um einen Beleg für Tenglers Eigenständigkeit und sein Bewusstsein für die Aufgabe des Richters im Inquisitionsprozess: Die aktive Ermittlung der materiellen Wahrheit.

3. Geständnis

Die zweite Säule des Urteils im Inquisitionsprozess ist für Tengler das Geständnis des Inquisiten. Es ist in jedem Fall erforderlich, auch wenn die übrigen Ermittlungen bereits sicheres Wissen über Tat und Täterschaft erbracht haben6. Erst das Geständnis liefert den Beweis: alleyn die warlich missethat thut in verklagen, und ist mit seiner eygen bekantnüs bewisen 7. Für den Laienspiegel spielt das Geständnis eine zentrale Rolle im Inquisitionsverfahren; eine Verurteilung ohne Geständnis scheint für Tengler undenkbar zu sein. Auch im Falle der handhaften oder notorischen Tat fordert 6

7

Vgl. oben zur Erforderlichkeit des Geständnisses auch bei Notorietät, Kap. B.III.2.c.: Exkurs: Notorietät und strenge Beweislehre, S. 219ff. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIv.

Urteilsvoraussetzungen

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der Laienspiegel, wie wir gesehen haben, das Geständnis – notfalls unter Einsatz von Foltermitteln. Selbst wenn sicheres Wissen über die Schuld besteht, kann zwar auf ein zeitraubendes Verfahren verzichtet werden, auf das Geständnis aber keinesfalls: Item wo eyn missethat offentlich und onzweiflich beschehen, (...) oder da man ihn an der waren that begriffen (...), alßdann soll man alle verlengerung abschneiden. Widersprech er aber die wissentlich that, (...) so mag in der Richter mit peinlicher frag zu warlicher bekantnüs zwingen lassen (...)8. Die herausragende Bedeutung des Geständnisses manifestiert sich schließlich im Ablauf des endlichen Rechtstages: Im Zentrum steht die Präsentation des Geständnisses in Form eines Gerichtszeugnisses. Unmittelbar darauf folgen das Urteil und dessen Vollstreckung9. Im Hinblick auf diese überragende Rolle des Geständnisses entspricht das Inquisitionsverfahren des Laienspiegels dem städtischen Strafverfahren, das auch als „Geständnisprozess“10 bezeichnet wird. Welchen Eigenschaften verdankt das Geständnis diese besondere Stellung im Inquisitionsprozess? Der Laienspiegel sieht wie die gemeinrechtliche Lehre im Geständnis ein besonders starkes Beweismittel. Ausdrücklich bezeichnet Tengler das Geständnis bzw. das „Bekenntnis“ als Beweis: das Geständnis sei im rechten nit für die minsten beweisung zuachten11 und die Tat sei mit seiner [des Täters] eygen bekantnüs bewisen12. Für das Akkusationsverfahren ordnet er das Geständnis in das System der Beweise ein, indem er auf seine Ausführungen zu Folter und Geständnis das Kapitel Von ander beweisung der übelthäter folgen lässt13. Im System der Beweise nimmt das Geständnis einen hohen Rang ein; es sei, so der Laienspiegel, im rechten nicht für die minsten beweisung zu achten14; der Kontext lässt keinen Zweifel daran bestehen, dass der Laienspiegel das Geständnis als höchsten Beweis einordnet, es sich bei der negativen Wendung also nur um ein Stilmittel handelt15. 8 9 10 11 12

13 14 15

Laienspiegel, Von des gefangen laugnen, fol. CVIIv. Dazu unten B.VII. Der endliche Rechtstag im Laienspiegel, S. 324ff. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 85; Fehr, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 173. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIv. Laienspiegel, fol. CIXr. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Der Laienspiegel weist auf die hohen Beweisanforderungen im peinlichen Strafprozess hin und schließt daraus auf die Notwendigkeit des Geständnisses: Wo yemands umb übelthat gefangen, unn würde der selben (...) laugnen, d[er]weil dann in peinlichen sachen, die beweisung klar unn lauterer, weder die mittägig Sonn scheint, unnd nun die bekantnüs im rechten nit für die minsten beweisung zuachten, so ist zu bedencken (...) ob der selben [Indizien] zu peinlicher frag genug sei oder nit, fol.

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Urteilsvoraussetzungen

Mit der Bewertung des Geständnisses als höchsten oder besten Beweis befindet sich der Laienspiegel grundsätzlich im Einklang mit den italienischen Juristen. Die strenge gemeinrechtliche Beweislehre ordnet jedem Beweismittel einen bestimmten, feststehenden Beweiswert zu16; dadurch entsteht eine „Hierarchie der Beweise“17. Das Geständnis nimmt darin den Rang der regina probationum18 oder probatio plenissima ein19. Die italienischen Juristen können diese Bewertung des Geständnisses auf das römische wie das kanonische Recht stützen. In Anlehnung an Ulpian und Paulus20 wird in der Legistik das Geständnis als Selbstverurteilung gewertet21. Nach der kanonistischen Notorietätslehre kann das Geständnis die Sache notorisch machen22. Keineswegs ist das Geständnis aber nach der Dogmatik der gemeinrechtlichen Lehre unentbehrliche Voraussetzung für die Verurteilung im Inquisitionsprozess. Die italienischen Juristen stellen vielmehr den Beweis durch zwei Augenzeugen gleichberechtigt neben das Geständnis: Soweit für die peinliche Bestrafung der sicherste Beweis, der "heller als das Tageslicht" scheint, gefordert wird23, bezeichnen die Juristen den Zeugenbeweis24 für ebenso ausrei-

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19

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CVIIIv. Die Stelle ist etwas missverständlich formuliert; auf den ersten Blick liegt eine andere als die gewählte Interpretation nahe: Der Laienspiegel könnte hier die Folter zur Erlangung eines Geständnisses für den Fall empfehlen, dass der Inquisit leugnet, obwohl seine Schuld bereits augenscheinlich ist (derweil dann in peinlichen sachen, die beweisung klar und lauterer, weder die mittägig Sonn scheint). Gegen diese Interpretation spricht aber nicht zuletzt die abstrakte Formulierung "in peinlichen sachen", die die Aussage – obgleich im Indikativ formuliert – als Programmsatz erscheinen lässt. Rüping/Jerouschek sprechen von der „Formalisierung des Überführungsbeweises“, Grundriss, Rz. 84; Langbein, Torture, S. 4f.; Van Caenegem, Legal history, S. 99. Lévy, La Hiérarchie. Die Bezeichnung des Geständnisses als regina probationum ist ein rechtshistorischer Gemeinplatz. In der Regel fehlt allerdings der Nachweis der Bezeichnung als Quellenbegriff, so z. B. bei Sellert, Inquisitionsprinzip, S. 167. In den von mir eingesehenen gemeinrechtlichen Quellen des Mittelalters konnte ich die Wendung nicht finden. Es ist daher zu vermuten, dass dieser Terminus aus späterer Zeit stammt. Mein Dank gilt an dieser Stelle Frau Prof. Dr. Susanne Lepsius, die mir auf meine Anfrage hin mitteilte, dass sie meine Einschätzung teilt. Lévy, La Hiérarchie, S. 54. Die Lehre des 16. Jahrhunderts prägt daneben den Begriff der probatio probatissima, Inger, Geständnis, S. 33; vgl. auch Lepsius, Von Zweifeln zur Überzeugung, S. 12, 32; Van Caenegem spricht vom "proof of proofs", Legal history, S. 99. Paulus, D. 42.2.1, D. 42.3.2; Ulpian D. 42.2.6.2. Schmoeckel, Humanität, S. 203. Lévy, La Hiérarchie, S. 54. Der luce meridiana clarior-Grundsatz findet sich in C. 4.19.25 (ursprünglich aus Codex Theodosianus 9.37.3), Schmoeckel, Humanität, S. 194, Anm. 42f.; vgl. auch Inger, Geständnis,

Urteilsvoraussetzungen

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chend wie das Geständnis25. Nach der kanonistischen Notorietätslehre liefert nicht etwa das Geständnis die größtmögliche Gewissheit, sondern die Gegenwärtigkeit und Augenscheinlichkeit der Tat, die evidentia rei; nicht die Kategorie des notorium iuris, in die das Geständnis fällt, sondern die des notorium facti (permanentis) steht an erster Stelle26. Ist die Tat von Anfang an notorisch, bedarf es deshalb keines Geständnisses; die Folter wird explizit verboten27. Es gehört zu den zentralen Bestimmungen der Folterlehre, dass die Tortur die ultima ratio darstellt, d. h. das Geständnis nur erfoltert werden darf, wenn der Überführungsbeweis auf andere Weise nicht zu bekommen ist28. Allein ihre umfangreichen Ausführungen zur Folter zeigen, dass auch die italienischen Juristen des Spätmittelalters dem Geständnis eine kaum zu überschätzende Bedeutung beimaßen29. Der Zusammenhang zwischen der wachsenden Bedeutung des Geständnisses und den im 13. Jahrhundert zu beobachtenden grundlegenden Veränderungen im Beweisrecht sowie dem Vordringen des Inquisitionsprozesses ist augenscheinlich30: Folter und Geständ-

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S. 39. Inger findet den Grundsatz auch von den deutschen Juristen der Frühen Neuzeit noch regelmäßig zitiert, a. a. O., S. 145, Anm. 55. Gefordert werden – gestützt auf Matt. 18, 16; Deut. 19, 15 und Kor. 13, 1 – mindestens zwei Augenzeugen des Verbrechens, an deren Glaubwürdigkeit grundsätzlich hohe Anforderungen gestellt werden, Brundage, Medieval Canon Law, S. 143. Dict. Grat. C.30 q.5 c.11; Fraher, Conviction According to Conscience, S. 24; Brundage, Medieval Canon Law, S. 143; Trusen, Das Verbot der Gottesurteile, S. 242; anders wohl Lepsius, Von Zweifeln zur Überzeugung, S. 34; Holzhauer, Heinz, Art. Geständnis, HRG I 11971, Sp. 1629-1642, 1635: „Dort [in den italienischen Quellen] war (...) das Geständnis notwendige Voraussetzung jedenfalls der poena ordinaria“. Auch Foucault geht davon aus, dass innerhalb der Kategorie der Notorietät nicht dem Geständnis der höchste Beweiswert beigemessen wurde, sondern dem notorium facti, der evidentia rei. Das Geständnis habe deshalb allein – ohne weitere Indizien – nicht zur Verurteilung genügt, Überwachen und Strafen, S. 52. Baldus, Commentaria, C. 9.41.8 (De Quaestionibus, Milites), n. 3; Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 94. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 1; Bartolus bezeichnet die Folter als subsidiäres Wahrheitserforschungsmittel, Commentaria, D. 48.18.8 (De questionibus, Edictum): Tortura subsidiaria est. Angelus Aretinus stellt fest: Iudex non debet ad torturam devenire nisi in subsidium (…), Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 94 (Leitsatz) und: (…) quando verisimiliter veritas alias haberi non potest, Tractatus de maleficiis, a. a. O., n. 94. Vgl. z. B. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis. Jerouschek spricht im Hinblick auf das „Beweisrecht des gemeinen Strafprozesses“ von der „Aufwertung des Geständnisses im Inquisitionsprozeß zur regina probationum, das im Vergleich zum herkömmlichen Akkusationsprozess in eine völlig neue Dimension rückte“, Herausbildung, S. 346f.; vgl. auch Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 84; Van Caenegem,

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nis rücken mit der Zurückdrängung der alten Beweismittel31 und der verstärkten Wahrnehmung der Strafverfolgung als einer obrigkeitlichen Aufgabe in das Zentrum des juristischen Interesses. Wie ist diese Entwicklung zu erklären?

a. Besondere Bedeutung des Geständnisses im gelehrten Inquisitionsprozess Zunächst mag das Geständnis als besonders geeignet angesehen worden sein, das Postulat der Wahrheitserforschung zu erfüllen32. Dieses Postulat ist indes kritisch zu bewerten. Soweit im gelehrten Recht von veritas die Rede ist, kann darunter ebenso gut eine formelle wie eine materielle Wahrheit verstanden werden, eine objektive wie eine subjektive33. Es finden sich Anhaltspunkte für die Vermutung, dass die Gelehrten selbst die Ermittlung einer materiellen und objektiven Wahrheit im Strafprozess für unmöglich hielten34; Bartolus äußert deutliche Zweifel35, Panormitanus sieht selbst in einem Gerichtsurteil nur eine Vermutung der Wahrheit36. Aus heutiger Sicht muss schließlich gefragt werden, inwiefern ohne die Freiheit in der Beweiswürdigung, wenn also der Richter an strenge Beweisregeln gebunden ist, überhaupt die Feststellung der materiellen Wahrheit angestrebt sein kann, man sich nicht vielmehr mit einer formalisierten Wahrheit zufrieden geben musste37. Daneben lag im Geständnis ein Weg aus dem Dilemma zwischen dem Ziel einer effektiven Strafverfolgung einerseits und den hohen Verurteilungskautelen andererseits. Der Wegfall der Gottesurteile, eingeleitet durch das

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35 36 37

Legal history, S. 99; Glaser, Beiträge, S. 279ff.; Inger, Geständnis, S. 17, 44; Fraher, Conviction According to Conscience, S. 24, 29, 62. Trusen, Das Verbot der Gottesurteile, S. 237f. Lévy, La Hiérarchie, S. 58; Schmoeckel, Humanität, S. 204. Lepsius, Von Zweifeln zur Überzeugung, S. 140ff. Lévy, La Hiérachie, S. 62; Inger, Geständnis, S. 36; Kannowski, Buch’sche Glosse, S. 229ff.: Der Glossator des Sachsenspiegels, Johann von Buch, hält nur die leibliche Beweisung für geeignet, die Gewissheit zu erlangen, Kannowski, a. a. O., S. 220ff., 243ff., im Übrigen muss es genügen, dass die Prozessregeln eingehalten werden. Das Ergebnis eines ordentlichen Verfahrens ist, wenngleich nicht zwingend die objektive, so doch des rechtes warheit (vgl. Johann von Buch, Glosse zu Ssp. Ldr. III. 8, Z. 8, Ed. Kaufmann, S. 973), mithin eine formale oder formalisierte Wahrheit im Gegensatz zu materiellen, Kannowski, Buch’sche Glosse, S. 231. Lepsius, Von Zweifeln zur Überzeugung, S. 140ff. Panormitanus, Cons. I, 89. Vgl. Jerouschek, Herausbildung, S. 344f.

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kirchliche Verdikt auf dem 4. Laterankonzil 121538, und die Beschränkung des Reinigungseides auf eine subsidiäre Funktion, zumindest im Inquisitionsprozess, bilden die Ausgangsbasis für die streng formale Beweislehre des gemeinen Rechts39. Dem Richter, der nun anstelle einer höheren Macht selbst die Verantwortung für das Urteil übernehmen musste, sollten klare Regeln an die Hand gegeben werden, in welchen Fällen er verurteilen durfte. Das waren zum einen der Zweizeugenbeweis, zum anderen das Geständnis40. Den Juristen stand durchaus das Problem vor Augen, dass durch diese hohen Verurteilungskautelen eine effektive Strafverfolgung kaum zu leisten war. Eine solche war den italienischen Gelehrten – insbesondere soweit sie aus ihrer eigenen praktischen Tätigkeit die Probleme und Bedürfnisse der Städte kannten – seit dem 13. Jahrhundert ein besonderes Anliegen. In ihren strafrechtlichen Abhandlungen nimmt der Grundsatz Ne crimina remaneant impunita eine zentrale Stellung ein41. Es wurde deshalb diskutiert, inwiefern auch der Indizienbeweis die notwendige plena probatio erbringen konnte42. Dafür sprach das formale Argument, dass „rechnerisch“ zwei Halbbeweise – dem Indiz wurde der Beweiswert einer semiplena probatio zugeordnet43 – einen Vollbeweis erbrachten44. Es bestanden keine generellen Zweifel daran, dass im Einzelfall eine klare Indizienlage ebenso zur Gewissheit über Tat und Täter führen konnte wie die Aussage zweier Zeugen oder das Geständnis45. Allein, für den Indizienbeweis 38

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Zur Auswirkung des 4. Laterankonzils auf die weltliche Gerichtsbarkeit, insbesondere durch den Wegfall der notwendigen Mitwirkung von Geistlichen bei den Gottesurteilen, vgl. Trusen, Das Verbot der Gottesurteile, S. 237f. Trusen weist auch auf den Wandel – eingeleitet durch die von Innozenz III. vorgenommene publicatio seiner Dekretalen im Jahre 1210 – hin, der Rechtsveränderung durch Rechtsetzung möglich machte. Zumindest überall „wo sich eine feste Zentralgewalt gebildet hatte und Juristen auf sie einen entscheidenden Einfluß ausüben konnten“ wurden die kirchlichen Prozessrechtsreformen übernommen. Entsprechend erfolgte die Umsetzung in Deutschland nur zögerlich, Trusen, a. a. O., S. 247. Fraher, Conviction According to Conscience, S. 24; Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 84. Fraher, Conviction According to Conscience, S. 24; Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 84. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De presumptionibus et indiciis indubitatis, n. 1; vgl. auch Fraher, Conviction According to Conscience, S. 24. So zunächst von Thomas de Piperata in seinem Tractatus de fama vgl. Fraher, Conviction According to Conscience, S. 24ff.; später auch von Gandinus, Tractatus de maleficiis, De presumptionibus et indiciis indubitatis und Bartolus, Commentaria, C. 4.19.25 (De Probationibus, Sciant cuncti), pr. Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 84. Hierfür verweist Gandinus primär auf X 2.23.12 und D. 1.6.6, Tractatus de maleficiis, De presumptionibus et indiciis indubitatis, n. 1. Fraher, Conviction According to Conscience, S. 24ff., 41.

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bzw. für den Beweiswert einzelner Indizien war es, wie die Juristen ausdrücklich feststellten46, nicht möglich, umfassende und allgemein gültige Regeln aufzustellen47. Strikte Regeln, die den Richter banden, galten jedoch als Garantie für ein faires Verfahren48, die freie Beweiswürdigung wurde deshalb abgelehnt49. Dies fand Ausdruck in der Parömie: Iudex secundum allegata non secundum conscientiam iudicat50. Überwiegend schloss man deshalb eine Verurteilung allein aufgrund von Indizien aus51. Das Geständnis bot nun – in Verbindung mit der Folter – einen Weg aus diesem Dilemma: War der Richter aufgrund der Indizienlage von der Schuld des Inquisiten überzeugt, konnte er sich mittels der Folter das Geständnis und damit den notwendigen Formalbeweis verschaffen. Baldus verweist ausdrücklich auf diesen praktischen Vorzug des Geständnisses: in quibusdam criminibus, de quibus praeclarae probationes haberi facile non possunt, facilius ad torturam pervenitur (...)52. Der Wert des Geständnisses lag für die Juristen also möglicherweise weniger in seiner materiellen Beweiskraft als vielmehr in seiner Eignung als formales Beweismittel. Als solches liefert es dem Richter eine „formale“53 oder „formalisierte“ Wahrheit und rechtfertigt damit die Verurteilung54.

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S. o. Kap. B.II.1.e.bb.: Indizienlehre, S. 157ff. Langbein, Torture, S. 8; ders., Prosecuting crime in the Rennaissance, S. 179ff. Fraher, Conviction According to Conscience, S. 29, 61; Langbein, Torture, S. 8, 9, 47, 49; Lévy, La Preuve, S. 30; ders., La Hiérarchie, S. 8; Inger, Geständnis, S. 42ff.; Foucault, Überwachen und Strafen, S. 50ff.; kritisch dazu aber Lepsius, Von Zweifeln zur Überzeugung, S. 35. Inger betont, dass in Anlehnung an das römische Recht eine freie Beweiswürdigung durchaus denkbar war und z. B. von Azo auch empfohlen wurde, Geständnis, S. 42. Außerdem zeichne sich im Spätmittelalter ein Wandel des Denkens dahingehend ab, dass die Beweisbewertung des Richters gerade als Mittel für gerechtere Urteile angesehen wurde, Geständnis, S. 126. Dazu eingehend Nörr, Die Stellung des Richters; ferner Jerouschek, Herausbildung, S. 344; vgl. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De questionibus et tormentis, n. 38. Vgl. dazu auch oben Kap. B.III.2.c.: Exkurs: Notorietät und strenge Beweislehre, S. 219ff. Fraher, Conviction According to Conscience, S. 29. Baldus, Commentaria, D. 22.3.7 (De probationibus, Cum probatio), n. 11. Lepsius, Von Zweifeln zur Überzeugung, S. 157. Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 84; Fried, Wille, Freiwilligkeit und Geständnis, S. 388ff., 392. Bartolus warnt indes eindringlich davor, das Geständnis durch maßlose Folter zu erzwingen, weil dies letztlich einer Verurteilung allein aufgrund von Indizien gleich käme: Immo dico hic, quod sunt quaedam iudices stulti, qui statim cum habent indicia contra reum, cogunt eum ad confitendum. Certe hoc non debet fieri, quia condemnarent eum ex indiciis et suspicionibus: sed debent adhibere tormenta cum moderamine, et ex istis veritatem investigare (...), D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 1.

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Dies allein mag jedoch nicht der einzige Grund für die herausragende Bedeutung des Geständnisses im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess gewesen sein. Es wird heute vermutet, das Geständnis verdanke jenen besonderen Rang unter den Beweismitteln auch seiner moraltheologischen Dimension55. Schließlich übernahm der kirchliche Inquisitionsprozess zugleich die Aufgabe der Beicht- und Bußdisziplin56, die Rettung des Seelenheils des Sünders und die Besänftigung von Gottes Zorn. Auch die Tätigkeit des weltlichen inquirierenden Richters wurde diesen transzendentalen Zielen unterstellt57. Im kirchlichen Ketzerverfahren stand dieser religiöse Aspekt zweifellos im Vordergrund. Im Vorgehen gegen die Häretiker nimmt das Geständnis erstmals eine zentrale Verfahrensstellung ein58. Hier begegnet die confessio zunächst in ihrem ursprünglichsten Sinn, als Glaubensbekenntnis: Die Häretiker sollten sich zu ihrem Irrglauben bekennen59. Ein solches Bekenntnis war genau genommen nicht nur der beste Beweis für die Häresie, ein Delikt, das sich nicht zwangsläufig nach außen manifestierte, es erfüllte vielmehr selbst den Tatbestand der Häresie. Indem der Ketzer einen falschen Glauben bekannte, machte er sich vor dem Gericht der Häresie schuldig. Mehr als jedes andere Delikt wurde die Häresie als Sünde angesehen, die Gottes Zorn erregt. Dieser konnte nur besänftigt werden, wenn der Ketzer dem falschen Glauben abschwor und seine Abtrünnigkeit bereute. Voraussetzung für Reue war aber wiederum das Bekennen des eigenen Fehlers. Hier wird die Doppelbedeutung der confessio deutlich: Der Sünder kann in Form der Beichte bekennen oder vor Gericht gestehen, in beiden Fällen legt er eine confessio ab60. Das gerichtliche Geständnis erfüllt also zugleich den Zweck, die Sünde zu tilgen. 55

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Diesen Aspekt betonen Inger, Geständnis, 19f., 44, 46; Sellert, Inquisitionsprinzip, S. 167; Müller, Schuld – Geständnis – Buße, S. 403ff., 412ff.; Schmoeckel, Humanität, S. 205; ferner Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 82; Schulz, Normiertes Misstrauen, S. 34. Jerouschek, Herausbildung, S. 343f. Inger, Geständnis, S. 45. Im Ketzerverfahren diente das Verhör des Verdächtigen allerdings zugleich auch der Informationsgewinnung für weitere Ketzerprozesse vgl. Müller, Frauen vor der Inquisition, S. 364; zur nominatio socii und ihrer Bedeutung in der Carolina vgl. auch Koch, Denunciatio, S. 77f. Müller, Schuld – Geständnis – Buße, S. 403ff., Müller beschreibt die öffentliche Kirchenbuße (confessio publica) als Bindeglied zwischen der confessio als Teil des Bußsakraments und dem Geständnis als prozessualer Erscheinung; dies., Der Einfluss der Kirche, S. 75ff.; zum gegenseitigen Durchdringen von forum internum und forum externum vgl. auch Trusen, Forum internum, S. 83ff. Entsprechend entschärft die Kirche die irdischen Folgen für den bekennenden Ketzer: Statt der Verbrennung droht ihm grundsätzlich „nur“ Kerkerhaft, Fried, Wille, Freiwillig-

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Ein weiterer Vorzug des Geständnisses mag aber aus Sicht der weltlichen Juristen entscheidender gewesen sein61. Das Geständnis stellt sich im Privatklageverfahren nicht als Beweis, sondern als formale Prozesshandlung mit weitreichenden prozessualen Folgen dar62. Auch im Inquisitionsverfahren gingen die Wirkungen des Geständnisses über die bloße Beweiserbringung hinaus63: Gestützt auf das römische Recht wurde diskutiert, ob der Geständige sein eigenes Urteil spreche64; außerdem konnte das Geständnis die Sache „notorisch“ machen65. Damit entfiel jedes Beweisverfahren und die Verteidigung des Inquisiten, allenfalls musste der Umstand, der die Tat notorisch machte, also hier das Geständnis an sich, bewiesen werden. Der Richter konnte in einem beschleunigten Verfahren verurteilen und seine Entscheidung war nicht im Wege der Appellation angreifbar66. In seinen Konsilien empfiehlt Baldus ausdrücklich, auch wenn zur Verurteilung ausreichende Beweise vorliegen, den Inquisiten zu foltern, um das Geständnis, die Notorietät und damit den Ausschluss der Appellation zu erreichen67. Die Einordnung des Geständnisses als Selbstverurteilung stellte sogar die Notwendigkeit eines Urteils in Frage, zumindest aber bedeutete das Geständnis eine Selbstunterwerfung unter das Gericht68 und hatte damit eine starke Legitimationswir-

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keit und Geständnis, S. 388ff., 392; zu Kirchenzucht und „Schlüsselgewalt“ der Kirche auch Inger, Geständnis, S. 17ff. So Inger, Geständnis, S. 17ff., 117ff.; ferner Lévy, La Hiérarchie, S. 54. Lévy, La Hiérarchie, S. 54ff. Lévy, La Hiérarchie, S. 54; Schmoeckel, Humanität, S. 203ff.; Inger, Geständnis, S. 21ff. Die Juristen der Frühen Neuzeit diskutieren, inwiefern das Geständnis überhaupt als Beweis einzuordnen ist vgl. Inger, Geständnis, S. 123, 144, 148. Besonders deutlich findet sich die Stellung des Geständnisses außerhalb des Beweissystems bei Guiseppe Mascardi beschrieben, De Probationibus, I, q. VII, n. 1: Confeßio potius est ab onere probandi relevatio, quam propie probatio. Überwiegend wird das Geständnis von den Rechtsgelehrten der Frühen Neuzeit aber als Beweis eingeordnet, so Inger mit Verweis auf Chilian König, Justinus Gobler, Joachim Mynsinger von Frundeck und Jodocus Damhouder, Geständnis, S. 144, 148. D. 42.2.1; D. 42.3.2; D. 42.2.2; C. 7.59; Schmoeckel, Humanität, S. 203; ebenso Lévy, La Hiérarchie, S. 54; Inger, Geständnis, S. 124. Inger findet Stellungnahmen zu der Frage, ob im Falle eines Geständnisses überhaupt noch ein Urteil des Richters erforderlich ist, auch noch bei den deutschen Juristen der Frühen Neuzeit, a. a. O., S. 146. S. o. Kap. B.III.2.a.bb.: rechtlichen kundt – Notorietät kraft Geständnis oder Urteil, S. 204ff. Lévy, La Hiérarchie, S. 55, 57; Inger, Geständnis, S. 19ff.; Schmoeckel, Humanität, S. 204. Vgl. dazu auch Kap. B.III.2.b.: Prozessuale Konsequenzen der Notorietät, S. 211ff. Baldus, Consilia III, 360, 3, zit. nach Lévy, La Hiérarchie, S. 58 und Inger, Geständnis, S. 44. Die Angaben beziehen sich auf die Consilien-Ausgabe Lyon 1559. In der in Freiburg vorhandenen Ausgabe Venedig 1580 konnte das gemeinte Consilium an der angegeben Stelle nicht gefunden werden. Foucault, Überwachen und Strafen, S. 53.

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kung, die gerade für das Inquisitionsverfahren besonders wichtig gewesen sein wird69, weil hier der Ankläger fehlte. Es zeigt sich, dass die herausragende Stellung des Geständnisses in der gemeinrechtlichen Lehre nicht monokausal zu erklären ist. In jedem Fall aber geht die Bedeutung des Geständnisses über die eines gewöhnlichen Beweismittels hinaus; es ist nicht allein seine Eignung die materielle Wahrheit zu offenbaren, der das Geständnis seine besondere Relevanz verdankt. Schon in der gemeinrechtlichen Lehre mögen die Gründe angelegt sein, die das Geständnis für Tengler und im deutschen Geständnisprozess schließlich unentbehrlich erscheinen lassen.

b. Besondere Bedeutung des Geständnisses im Laienspiegel Die für die gemeinrechtliche Lehre beschriebenen Hintergründe, die dem Geständnis zu seiner zentralen Bedeutung im Inquisitionsprozess verholfen haben mögen, gelten ebenso für die Situation in Deutschland zur Entstehungszeit des Laienspiegels. Die Abschaffung der Gottesurteile hatte sich auch im deutschen Prozess des ausgehenden Mittelalters weitgehend durchgesetzt; der Eid wurde als fragwürdig empfunden70. Auch der Indizienbeweis konnte nicht zur Verurteilung genügen, da dem deutschen Rechtsempfinden mehr noch als dem gelehrten Denken die freie Beweiswürdigung zuwiderlief71. Augenzeugen waren sicher in den seltensten Fällen vorhanden72, zudem spricht aus zahlreichen Quellen eine tiefe Skepsis gegenüber den Aussagen privater Wissenszeugen. Das alte deutsche Recht kannte den Zeugenbeweis nur in Form des Gerichtszeugnisses. Private konnten in der Regel nur Leumundszeugen sein. Die vom gemeinen Recht geforderten zwei Augenzeugen – typischerweise private und Zufallszeugen – entsprachen daher nicht der deutschen Vorstellung von

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Jerouschek, Herausbildung, S. 346; Schmoeckel, Humanität, S. 204f. Nehlsen-von Stryk, Krise, S. 1. Vgl. Inger, Geständnis, S. 137. Fraher hat gezeigt, dass von den italienischen Juristen des Mittelalters die Erleichterung des Überführungsbeweises als gangbarer Weg und als Alternative zur Erzwingung des Geständnisses angesehen wurde: „There was a third alternative open to medieval lawyers, and this was to develop more flexible rules of proof (...)“, Conviction According to Conscience, S. 24ff. In England gewann das Geständnis und mit ihm die Folter nach Trusen deshalb nicht dieselbe Bedeutung wie in Deutschland, weil man sich dort mit Indizienbeweis und freier Beweiswürdigung eher anfreunden konnte, Das Verbot der Gottesurteile, S. 244. Holzhauer, Heinz, Art. Geständnis, HRG I 11971, Sp. 1629-1642, 1635.

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einem glaubwürdigen Beweis73. Der Laienspiegel kennt den Zeugenbeweis im Inquisitionsprozess überhaupt nur im Rahmen des Indizienbeweises als Voraussetzung für die Folter. Zur Verurteilung genügender Beweis ist dagegen allein das Geständnis. Selbst die Handhaftigkeit oder Notorietät der Tat lässt der Laienspiegel nicht ausreichen; auch in diesen Fällen fordert er, wie gesagt, notfalls mittels der Folter das Geständnis des Inquisiten. Auf die handhafte Tat allein hatte indes nie ohne weiteres die Bestrafung des Täters folgen dürfen; stets wurde gefordert, dass der Handhafttäter zusätzlich übersiebnet wurde74. Mit den zunehmenden Zweifeln am Beweiswert der Eide und sicher auch wegen der Umständlichkeit des Siebenereides treten seit dem 14. Jahrhundert verstärkt die Folter und das Geständnis an die Stelle des Übersiebnens75. Auch der Laienspiegel lehnt den Siebnereid als Beweismittel ausdrücklich ab – zumindest in peinlichen Sachen sollen die beweisungen nit auff gering oder tunckel eyd gegründt werden76. Das Geständnis ist also insofern von zentraler Bedeutung als die anderen Beweismittel entweder nicht mehr oder noch nicht anerkannt sind, zugleich aber die Wahrnehmung der Strafverfolgung als obrigkeitlicher Aufgabe an Bedeutung gewinnt; auch auf deutschem Boden hatte

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Trusen, Das Verbot der Gottesurteile, S. 237; Kannowski, Buch’sche Glosse, S. 215, Kannowski stellt aber fest, dass Johann von Buch selbstverständlich vom Beweis durch Tatsachenzeugen ausgeht, S. 243ff. In Anlehnung an das gemeine Recht erbringen nach Johann von Buch zwei Augenzeugen den vollen Beweis, Kannowski, a. a. O., S. 237ff. Jedoch garantieren sie nicht die „Wahrheit“; dies kann nach Johann von Buch nur die leibliche Beweisung, das sinnlich Wahrnehmbare, S. 216ff; ferner Erler, Der Beweis im fränkischen Recht, S. 511; Brunnenmeister, Quellen, S. 224; Nehlsen-von Stryk, Krise, S. 11ff. Nach dieser Studie hält sich der Widerstand gegen den Zweizeugenbeweis besonders lange im Entstehungsraum des Laienspiegels, den nordostschwäbischen und fränkischen Städten, S. 17. Brunnenmeister stellt fest, dass in Franken noch lange das Übersiebnen gefordert wird, obgleich der Zweizeugenbeweis erbracht ist, Quellen, S. 224. Allerdings hebt Nehlsen-von Stryk auch hervor, dass der Widerstand gegen die Überführung mittels Zweizeugenbeweis möglicherweise weniger mit dem Zweifel an dessen Beweiskraft und dem Festhalten an tradierten Verfahrensregeln zu erklären ist, als vielmehr mit dem Widerstand gegen die Abschaffung des Beweisvorrechts des Angeklagten, a. a. O. S. 37. Ein Motiv für das Erfordernis der Übersiebnung wird wohl die Verhinderung der Lynchjustiz gewesen sein; mit der Übersiebnung war ein Verfahren gewährleistet. Daneben mag das zusätzliche Erfordernis der Übersiebnung aber auch aus einer gewissen Skepsis gegenüber der Aussagekraft der Handhaftigkeit resultieren. Schröder/Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 856; Kleinheyer für die HGO von Ellwangen und Nürnberg aus dem 15. Jahrhundert, Die Rolle des Geständnisses, S. 377, 383; zum Übersiebnen als Beweisergänzung und zur Ersetzung des Siebnereides durch das Geständnis vgl. auch Brunnenmeister, Quellen, S. 223ff. Laienspiegel, Von rechtlichem procesz in peinlichem, fol. CXIIr.

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sich das praktische Bedürfnis nach einer effektiven Strafverfolgung mit dem Zunehmen von Vaganten und kriminellen Banden verstärkt77. Dem Laienspiegel ist, wie wir gesehen haben, die wirksame Ahndung von Verbrechen ein besonderes Anliegen. Dabei scheinen die praktischen Vorzüge des Geständnisses, der Umstand, dass der Inquisit im Gegensatz zu Augenzeugen für den Richter ein verfügbares Erkenntnismittel war und unter der Folter mit größter Wahrscheinlichkeit den notwendigen Beweis lieferte, für den Laienspiegel nicht im Vordergrund gestanden zu haben. Das Geständnis stellt sich hier nicht als schnell und einfach zu erlangender Beweis dar. Die Voraussetzungen der Folter, umfassende Ermittlungen hinsichtlich der Tat und die Suche nach ausreichenden Indizien für die Täterschaft, die zudem durch Zeugen bewiesen werden mussten, erforderten unter Umständen einen hohen Ermittlungsaufwand. Insbesondere aber gibt sich der Laienspiegel keineswegs mit dem formalen Vorhandensein des Geständnisses zufrieden, sondern verlangt gezielte Untersuchungen zur Verifizierung der Aussage78. Darüber hinaus ist das Geständnis auch im deutschen Recht von entscheidender prozessualer Bedeutung, die seine besondere Stellung im deutschen Inquisitionsprozess zu erklären vermag79. Im deutschen Privatklageverfahren ist das Geständnis bzw. „Bekenntnis“80 nicht Beweismittel81, sondern

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Schmoeckel, Humanität, S. 252. Laienspiegel, Von gestrengem fragen: (...) Aber nichtsminder die umbstend, so er in seiner urgicht anzeygt, daneben mit fleiß erkundet, damit die bekantnüß unnd waren geschicht eynander geleich (...), die umbstend also erfaren, (...) und der massen erfunden, das nit zuvermuten, eyn unschuldiger sovil wissen und sagen, alßdann möcht der selben urgicht zu glauben, unn für eyn bekantnüs die im rechten für eyn beweisung anzunemen (...), fol. CIXr; s.o. Kap. B.II.3.b. Verifizierung, S. 187ff. Trusen stellt ausdrücklich in Frage, inwieweit das Geständnis in den deutschen Rezeptionsquellen als Mittel zur Erforschung der materiellen Wahrheit wahrgenommen wurde: „Entscheidend ist dabei nicht die Wahrheit des Ausgesagten, sondern die Erzwingung des formalen Geständnisses. So ganz stimmt das dann nicht mit der behaupteten Instruktionsmaxime!“, Strafprozeß und Rezeption, S. 81; ähnlich Kleinheyer, Die Rolle des Geständnisses, S. 367ff., 378, 384; ferner auch von Kries, Beweis, S. 142, 155, 158; Glaser, Beiträge, S. 283f. Eine Differenzierung zwischen Bekenntnis und Geständnis fehlt zunächst, Holzhauer, Heinz, Art. Geständnis, HRG I 11971, Sp. 1629-1642, 1632. Von Kries, Beweis, S. 155; ferner auch Planck, Deutsches Gerichtsverfahren im Mittelalter II, S. 6ff. Vgl. auch die entsprechende Einordnung des Geständnisses im heutigen Zivilprozess nach § 288 ZPO I. Zur „Zwitterexistenz“ des Geständnisses im modernen Strafprozess Jerouschek, Das Geständnis im Strafrecht, S. 793ff.

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rechtsgestaltende Prozesshandlung82 mit weitreichenden prozessualen Konsequenzen: Es wirkt als Anerkenntnis des Klägervortrags und macht damit jedes Beweisverfahren entbehrlich83, insbesondere verlegt es den Reinigungseid84. Auch im Inquisitionsprozess rechtfertigte das Geständnis das fehlende Beweisrecht des Beschuldigten, an dessen Stelle jetzt die Beweislast des Gerichts85 getreten war: Außer im Falle der handhaften Tat war dem Beschuldigten der Reinigungseid auch dann verlegt, wenn er ein Geständnis abgelegt hatte86. Damit vermochte das Geständnis eben jene Eigenheit des Inquisitionsverfahrens zu rechtfertigen, die das Misstrauen und den Widerstand der Bevölkerung hervorgerufen hatten: die Abschaffung des Beweisrechts des Verdächtigen, namentlich des Reinigungseids, der als Privileg des unbescholtenen Rechtsgenossen galt87. Die Grundstimmung, die aus dem Laienspiegel spricht, legt außerdem nahe, dass auch die moraltheologische Dimension des Geständnisses für ihn nicht unerheblich war. Die unmittelbare Verbindung von irdischem und Jüngstem Gericht ist ein zentrales Thema des Laienspiegels. Schon in der Einleitung werden die Richter als Diener Gottes bezeichnet. Sie strafen in Gottes Auftrag: so das weltlich schwerdt, zu straff des übels, auß lieb der gerechtigkeyt, zu gebrauchen verlihen, den selben ist zimlich und not, solchs mit guter, rechtmässiger ordnung zuthun, alßdann mögen sie Gottes diener genent werden (...)88. Die direkte Abhängigkeit der richterlichen Gewalt von der göttlichen Autorität führt zugleich zu einer Rechenschaftspflicht der irdischen Richter gegenüber Gott. Der Laienspiegel warnt deshalb die Richter, das dem allmechtigen Gott am jüngsten gericht, auch inn zeit darumb schwerlich antwort unn rechnung zu geben ist89. Besonders schwer wird dann der Tod oder die Verletzung eines Unschuldigen geahndet: wer einen unschuldigen menschen, den d[er] allmechtig Gott nach seiner bildung erschaffen, unnd durch das bitter leiden unnd sterben, seines eyngebornen suns unsers Herren Jesu Christi erlöset hat, unrechtlich vom leben zum tod verurteylen, richten, oder am leib zustraf82

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Trusen betont den „formalen Charakter“ des Geständnisses, Strafprozeß und Rezeption, S. 81 Holzhauer, Heinz, Art. Geständnis, HRG I 11971, Sp. 1629-1642, 1634f.; Buchda, Beweis im sächsischen Recht, S. 531; von Kries, Beweis, S. 155; ferner auch Planck, Deutsches Gerichtsverfahren II, S. 6ff Kleinheyer, Die Rolle des Geständnisses, S. 378f.; Buchda, Beweis im sächsischen Recht, S. 538; Holzhauer, Heinz, Art. Geständnis, HRG I 11971, Sp. 1629-1642, 1632. Kaufmann, Ekkehard, Art. Reinigungseid, HRG IV, 11990, Sp. 837-840, 837. Vgl. Kleinheyer, Die Rolle des Geständnisses, S. 379, 384. Nehlsen-von Stryk, Krise, S. 25, 37; Buchda, Beweis im sächsischen Recht, S. 523; Glaser, Beiträge, S. 280. Laienspiegel, Einleitung zum Dritten Teil, fol. Cr. Laienspiegel, Einleitung zum Dritten Teil, fol. Cv.

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fen lassen, den er nit mehr lebendig machen (...)90. Dem Richter droht beim Jüngsten Gericht diesselbe Strafe, die er dem Unschuldigen auferlegt hat: Wie soll oder mag eyn zeitlicher Richter eyn ander urteyl, am jüngsten gericht empfahen, dann nach dem er im zeit geurteylt unnd gericht, also würt er auch umb das unrecht in ewige peen (...)91. Der Laienspiegel warnt die Richter, dass ihre begrenzten Möglichkeiten der Wahrheitserkenntnis zu Fehlurteilen führen können92. Um ein vorschnelles Urteil zu vermeiden, soll der Richter die Gefahr des Jüngsten Gerichts stets vor Augen haben: Darumb soll eyn yeder Richter, das aller grausamlichst gericht Gottes wol bedencken, unnd vor augen haben, das ob im ist der zornige Richter93. In den beiden Augsburger Ausgaben des Neuen Laienspiegels von 1511 und 1512 findet sich noch der lobende Hinweis, dass sich zu diesem Zwecke an vielen Gerichtsstätten Abbildungen des Jüngsten Gerichts fänden94. Im Zweifel, so empfiehlt der Laienspiegel den Richtern, sollen sie von einer Verurteilung absehen und die Bestrafung Gott überlassen weder sich selbs, dem Göttlichen gericht in wagknüs zugeben95. In den genannten Augsburger Ausgaben von 1511 und 1512 veranschaulicht der Laienspiegel den Zusammenhang von irdischem und weltlichem Gericht, indem er an seine Beschreibung des weltlichen Prozesses den Teufelsprozess vor dem Weltgericht in Reimform anhängt96. 90 91 92 93 94

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Laienspiegel, Einleitung zum Dritten Teil, fol. Cv. Laienspiegel, Ermanung an die richter, und Urteiler, fol. CXXII. Laienspiegel, Ermanung an die richter, und Urteiler, fol. CXXII. Laienspiegel, Ermanung an die richter, und Urteiler, fol. CXXII. In der Ausgabe von 1511 erklärt Tengler im Kapitel Vom jungsten gericht: Als hievor, besonder im Ersten tail angetzaigt, auch an mer enden ain loblicher gebrauch ist, das man gewonlich in den radts stuben, und bey gerichts stetten, da über das blut und ander sachen geurtailt, (...), die figurn des jungsten gerichts tut fürpilden, auf das ain yeder. es sein richter. urtailer.(...) od[er] ander gerichtz person, allain die gerechtikait so am jungsten tag gebraucht unn erscheinen wirt, vor augen haben (...), fol. CCXXIIv; vgl. auch die Ausgabe von 1512 (Rynmann/Augsburg), Teil-Faksimile-Abdruck bei Schmitz, Der Teufelsprozess. Der Hinweis unter dem Titel Vom jungsten gericht fehlt nicht nur in der dieser Arbeit zugrunde liegenden Straßburger Ausgabe von Johann Albrecht aus dem Jahre 1536, sondern auch in der ebenfalls in Straßburg von Johann Knobloch d. J. gedruckten Ausgabe von 1544. Die Anbringung solcher Darstellungen an der Gerichtsstätte empfiehlt auch die Glosse zum Weichbild, vgl. Döhring, Geschichte der Rechtspflege, S. 89; zu diesen Darstellungen ferner Schild, Ikonologie des Jüngsten Gerichts; Erler, Strassburger Münster im Rechtsleben des Mittelalters; Lederle, Gerechtigkeitsdarstellungen. Laienspiegel, Vom Gottlichen gericht, fol. CXXIIr. Kleinschmidt, Art. Tenngler, Ulrich, VL IX, Sp. 690ff., 694; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 172f.; zum Belialprozess Müller, Jörg, Art. Belial, HRG I 22005, Sp. 519-520; Ott, Rechtspraxis und Heilsgeschichte; Hagemann, Processus Belial; Burdach, Der Dichter des Ackermann aus Böhmen II, S. 460ff.; Stintzing, Populäre Literatur, S. 271ff.; zum Teu-

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Abschließend stellt sich die Frage, inwiefern die Unentbehrlichkeit des Geständnisses und die relative Geringschätzung des Zeugenbeweises eine Besonderheit des Laienspiegels darstellt, inwieweit er sich damit vom Klagspiegel und von den deutschen Rezeptionsgesetzen seiner Zeit unterscheidet. Der Klagspiegel lässt ausdrücklich die Verurteilung ohne Geständnis, nur aufgrund des Zeugenbeweises, zu: Item, ist das also die sünd wider in bewisen ist, so sol er gestrafft werden97. Er stellt klar: Verurteilt wird der „Bekennende“ ebenso wie der „Überwundene“98. Verfolgt man die Darstellung des Inquisitionsverfahrens im Klagspiegel, scheint das Geständnis sogar eine untergeordnete Rolle zu spielen. Im Vordergrund steht vielmehr der Zeugenbeweis99. Zwar enthält auch der Klagspiegel zahlreiche Hinweise, die das Strafverfahren in einen moraltheologischen Kontext stellen, dabei steht aber die Angst vor der Bestrafung Unschuldiger im Vordergrund. Die Verurteilung aufgrund eines Geständnisses – auch der Klagspiegel hat vornehmlich das erfolterte vor Augen – stellt offenbar in erster Linie eine Gefahr für das Seelenheil des Richters dar100. Ebensowenig wie der Klagspiegel misst die Wormser Reformation dem Geständnis jene herausragende Bedeutung bei, die es für den Laienspiegel unentbehrlich macht. Auch in der Wormser Reformation finden wir die Verurteilung aufgrund der Aussagen zweier Tatzeugen als Alternative zum Geständnis: Item so ein ubelthat durch erbar tüglich genugsam zügen uff einen bewyst ist101.

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felsprozess im Laienspiegel, Schmitz, Der Teufelsprozess, S. 49ff. Dass dieser ‘literarische Teil“ in den späteren Ausgaben fehlt, mag zum einen auf ein gewandeltes Rechtsdenken hinweisen – mit der Carolina setzt sich das nüchtern-rationale Denken der gemeinrechtlichen Strafrechtslehre durch – zum anderen als Beleg für die praktische Bedeutung des Laienspiegels gesehen werden: Als Handbuch der Richter musste der Laienspiegel das notwendige Wissen knapp und pragmatisch vermitteln. Dazu waren – wohl auch mit zunehmend höherer Qualifikation der Richter – metaphorische Reimverse und sonstige Ausschmückungen nicht mehr dienlich; neben dem Teufelsprozess fehlen in den späteren Ausgaben auch viele der ursprünglich vorhandenen Holzschnitte, vgl. Schmitz, Der Teufelsprozess, S. 21. Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv. Klagspiegel, De penis, Umkehrschluss aus der Feststellung: Item, diser Peter hat nit bekennt, unnd ist auch nit überwunden, das er dis malefitz gethan hab, darumb soll er nit gestrafft werden, fol. CXXXIIIr. Vgl. insbesondere Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIr/v. Vgl. Deutsch, Klagspiegel, S. 559. VI.2.10 Wormser Reformation: Von unzwyfelhafftigen vermutungen und anzeigen daruff geurteilt mag werden, VI.2.1 Wormser Reformation: Wie in Pynlichen sachen von oberkeit wegen soll und mag erforschung geschehen, a. E., VI.2.2 Wormser Reformation, letzter Absatz; vgl. auch Kleinheyer, Die Rolle des Geständnisses, S. 372f.

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Für das Stadtrecht besteht kein zwingendes Bedürfnis für ein Geständnis: Der Überführungsbeweis ist nicht auf den Zweizeugenbeweis und das Geständnis beschränkt; als Urteilsgrundlage bezeichnet die Wormser Reformation diverse „unzweifelhafte Vermutungen“. Eine solche kann sich aus einer Bußleistung im Rahmen einer gütlichen Streitbeilegung ergeben: die Zahlung wird als Bekenntnis gewertet102. In Anlehnung an die gemeinrechtliche Lehre erklärt die Wormser Reformation die Verurteilung ohne jedes Beweisverfahren, offenbar sogar ohne jede Anhörung (one wyter fragen oder bewerung), für zulässig, wenn der Täter gegen polizeirechtliche Gebote der Stadt verstoßen hat und von Amtspersonen vor Gericht gebracht wird, die zur Überwachung dieser städtischen Ge- und Verbote abgeordnet sind103. Außerdem darf jemand ohne weiteres verurteilt werden, der vormals durch einen rechtspruch verurteilt und die urteil in crafft gangen were. Naheliegend erscheint, dass die Wormser Reformation hier die Kategorie des notorium Iuris in Form der rechtskräftig abgeurteilten Tat aus dem gelehrten Recht übernommen hat104. Die Erzwingung eines Geständnisses kommt nur hilfsweise in Betracht, wenn keiner dieser Fälle vorliegt und kein Zweizeugenbeweis erbracht werden kann105. Ausdrücklich stellt die Wormser Reformation klar: Wenn die Wahrheit auf anderem Wege aufklärbar ist, als mit Folter und Geständnis, ist dieser andere Weg vorzugswürdig: (...) und das die warheit in ander wyse dan durch solich frag nit offenbar mag werden106. Im Gegensatz zum Laienspiegel nimmt die Wormser Reformation die gemeinrechtliche ultima ratio-Regel offensichtlich tatsächlich ernst. Das Geständnis ist auch im Inquisitionsprozess der Bambergensis nicht zwingende Voraussetzung der Verurteilung. Nicht nur für das Akkusationsverfahren (vgl. Art 74 und 80 CCB), sondern ausdrücklich auch für das Inquisitionsverfahren erklärt die Bambergensis den Zweizeugenbeweis für ausreichend zur peinlichen Bestrafung. In Art. 15 CCB legt das Gesetz fest: Item wölt aber ein sölcher gefangner der verdachten missetat on oder durch peinliche frage nit 102

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VI.2.10 Wormser Reformation: Von unzwyfelhafftigen vermutungen und anzeigen daruff geurteilt mag werden: (...) Item so einer von etlicher ubelthat wegen gelt ußgebe unn sich vertrüge (...). VI.2.10 Wormser Reformation: Von unzwyfelhafftigen vermutungen und anzeigen daruff geurteilt mag werden: (...) Item so einer unser Burgermeister oder andere durch uns darzu verordent (...) funden unn ergriffen einen oder mee die (...) nachts (...) one brennent liecht gingen. oder die anders theten und trügen das wider unser und gemeiner unnser Stat gebot (...) were). Nach gemeinrechtlicher Lehre handelt sich hier um einen Fall der denunciatio iudicialis publica, s. o. Kap. B.I.3.c.bb, S. 93ff. VI.2.10 Wormser Reformation: Von unzwyfelhafftigen vermutungen und anzeigen daruff geurteilt mag werden: (...) Item so einer begriffen der vormals durch einen rechtspruch verurteilt und die urteil in crafft gangen were. VI.2.1 Wormser Reformation: Wie in Pynlichen sachen von oberkeit wegen soll und mag erforschung geschehen. VI.2.3 Wormser Reformation: Wie sich in pynlichen fragen zuhalten sy, 3. Absatz.

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bekentlich sein, und er doch derselbigen uberwisen werden möcht, So solt es mit derselbigen weisung und rechtvertigung darauf, der todtstraff halben, gehalten werden, wie auch clerlich hernach geseczt ist von denyhenen, die durch ancleger einbracht werden107. Dem Geständnis misst die Halsgerichtsordnung aber doch eine besondere Bedeutung bei. So wird es auch dann noch angestrebt, wenn der Täter bereits überführt ist, sei es im Fall der handhaften Tat (Art. 23 CCB) – hier finden sich die Ausführungen des Laienspiegels wieder – sei es nach dem Beweis durch zwei Zeugen (Art. 80 CCB). Außerdem fällt auf, dass der Ankläger im Akkusationsverfahren nicht dazu angehalten wird, zunächst den Zweizeugenbeweis zu versuchen, sondern ihm nach dem Beweis ausreichender Indizien sogleich offensteht, die Folter des Angeklagten zu verlangen. Erst wenn diese kein Geständnis erbringt, wird auf die Überführung mit Zeugen zurückgegriffen (Art. 26, 74, 80 CCB). Umso naheliegender erscheint, dass auch der Richter im Inquisitionsprozess – lagen ausreichende Indizien vor – sogleich zur Folter schreiten konnte, ohne sich zunächst um die Überführung durch Tatzeugen zu bemühen. In Art. 105 spricht die Bambergensis die prozessualen Erleichterungen an, die das Geständnis mit sich bringt. Nachdem er seine Schuld eingestanden hat, verbleibt dem Inquisiten nur das Gnadengesuch: Item wo dann der beclagt der missetat davor bestendiger weiss bekentlich gewest were (...), So mag er nichts anderst dann umb gnad bitten...108. Auch für die Bambergensis ist das Geständnis also mehr als ein einfach zu erreichender Überführungsbeweis.

4. Zusammenfassung

Es sind dieselben Gründe, die dem Geständnis in der gemeinrechtlichen Lehre und im Laienspiegel seine herausragende Bedeutung im Inquisitionsprozess verdankt. Das Geständnis bietet einen Ausweg aus dem Dilemma, das durch die Veränderung des Beweisrechts einerseits und das zunehmende Bestreben, die obrigkeitliche Strafverfolgung zu verbessern, andererseits entsteht. Dieses Dilemma zeigt sich aber im deutschen Rechtskreis dadurch verschärft, dass hier der Beweis durch Augenzeugen grundsätzlicher Skepsis

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Vgl. ferner Art. 80 CCB – bleibt das Geständnis nach der Überführung durch Zeugen aus, darf dennoch verurteilt werden – und Art. 29 CCB. Vgl. zur Verschlechterung der prozessualen Situation des Inquisiten durch das Geständnis auch Kleinheyer, Die Rolle des Geständnisses, S. 376.

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ausgesetzt ist und die freie richterliche Beweiswürdigung dem deutschen Rechtsdenken fremder ist als der gemeinrechtlichen Lehre. Sowohl bei den italienischen Juristen als auch im Laienspiegel hat das Geständnis über den bloßen Beweis hinausgehende Wirkungen prozessualer und „transzendentaler“ Art, die es auch wenn der Überführungsbeweis erbracht ist, erstrebenswert oder sogar unentbehrlich erscheinen lassen. Die Herausbildung des sog. Geständnisprozesses in den deutschen Städten, den offenbar auch der Laienspiegel und die Bambergensis noch vor Augen haben, lässt sich vor diesem Hintergrund leicht erklären.

VI. Der Reinigungseid als hilfsweiser Verfahrensabschluss

Im Kapitel Von purgation und rechtlicher entschuldigung1 behandelt der Laienspiegel den Reinigungseid, also die Möglichkeit des Inquisiten, sich von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf freizuschwören. Auf den ersten Blick verwundert es, den Reinigungseid, mithin ein „irrationales“ Beweismittel2, im Inquisitionsverfahren zu finden, das doch exemplarisch für die neuen Vorstellungen von Strafverfahren und Beweis steht. In Konflikt mit dem Postulat der Wahrheitsermittlung gerät der Eid indes nur, sofern er in der Funktion eines Beweismittels im Strafverfahren eingesetzt werden soll. In dieser Funktion finden wir den Eid im alten deutschen Verfahren3. Der Laienspiegel lehnt nun aber diese Rolle des Eides ausdrücklich ab: (...) besonder in peinlichen sachen (...) sollen die beweisungen nit auff gering oder tunckel eyd gegründt, oder zugelassen werden4. In welcher Funktion, an welcher Stelle des Verfahrens wird für Tengler nun der Reinigungseid relevant? Soweit er in seinem Kapitel Von inquirieren und erfarungen den Ablauf des Inquisitionsverfahrens im Überblick darstellt, verweist er den Reinigungseid in eine subsidiäre Rolle; er soll allenfalls nach erfolgter „Inquisition“ zulässig sein: unnd ob gleich der, oder die selben, sich zu eyner purgation erbieten, so sollen sie doch darinn nit gehört (...), sonder mit der inquisition zuvor procediert5. Der Laienspiegel übernimmt damit die kanonische Rechtsregel: purgatio sequitur inquisitionem, die schon Innozenz IV. formuliert6 und die Tengler auch bei Durantis finden konnte7. Mit dem Begriff „Inquisition“ scheint Tengler in erster Linie die Befragung des Inquisiten und damit das namensgebende Kernstück des Inquisitionsverfahrens zu bezeichnen8. Der Reinigungseid kommt also erst in Betracht, wenn trotz Folter kein Geständnis erlangt werden konnte; entspre1 2 3 4 5 6

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Laienspiegel, Von purgation und rechtlicher entschuldigung, fol. CXIIIIr. Nehlsen-von Stryk, Krise, S. 1, 4ff. Dazu Van Caenegem, Legal history, S. 77; ders., La Preuve, S. 701; Löning, Reinigungseid. Laienspiegel, Von rechtlichem prozeß in peinlichem, fol. CXIIr. Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CXIIIv. Innozenz IV., Apparatus in quinque libros decretalium, zur Dekretale Licet Heli (X 5.3.31), fol. 180va, vgl. Kéry, Inquisitio – denunciatio – exceptio, S. 243, 263ff. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De Inquisitione,§ 3: In inquisitione qualiter sit procedendum, n. 21. Vgl. auch zum Begriff der inquisitio: Sellert, Wolfgang, HRG IV 11990, Art. Rügegericht, Rügeverfahren, Sp. 1201-1205, 1205; Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 170.

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chend verlangt der Laienspiegel als Voraussetzung der Reinigung, dass er [der Inquisit] der selben nit überwunden bekent, und eyn böser leumand auff im verharret9. Ob der Reinigungseid auch dann relevant wird, wenn der Verdächtige leugnet, aber keine ausreichenden Indizien für die Folter vorliegen, lässt der Laienspiegel offen. Auch der Klagspiegel beschreibt den Reinigungseid nach kanonischem Vorbild in seiner Funktion als hilfsweisen Verfahrensabschluss; ausdrücklich bezeichnet er ihn als purgatio canonica10. Auch hier stellt sich die Frage nach dem Reinigungseid im Inquisitionsverfahren erst, wenn die Überführung nicht geglückt ist. Die Ausführungen zum Ablauf des Inquisitionsverfahrens11 enden mit dem Verweis auf das Kapitel De purgatione: Item, würt er aber nit mit den gezeügen überwunden, das er die sünd hab begangen, (...) so sol der richter den geladen sich heyssen mit seim eydt entschuldigen (...) als du im Titel vom entschuldigen hast12. Auch das Kapitel De purgatione knüpft an das erfolglos gebliebene Inquisitionsverfahren an13. Was der Laienspiegel und der Klagspiegel beschreiben, ist die purgatio canonica14. Die Ausführungen des Laienspiegels im Kapitel Von purgation und rechtlicher entschuldigung sind in vielen Punkten aus sich heraus kaum verständlich; sie erhellen sich nur vor dem Hintergrund einer entsprechenden Stelle in Durantis’ Speculum Iudiciale, die der Laienspiegel hier in nahezu wörtlicher Übersetzung übernommen hat, ohne allerdings in einer Allegation darauf hinzuweisen15. Auch seine Verweise auf die Dekretalen und den Liber Extra stammen aus dieser Passage des Speculum Iudiciale.

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Laienspiegel, Von purgation und rechtlicher entschuldigung, fol. CXIIIIv. Klagspiegel, De purgatione, fol. CXVIv. Hier grenzt der Klagspiegel die purgatio canonica von der purgatio vulgari, den von der Kirche verworfenen Elementordalen, ab. Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIr. Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv. Klagspiegel, De purgatione: Merck, du hast oben, wann der richter von ampts wegen procediert (...), fol. CXVIv. Vgl. dazu Jacobi, Der Prozeß im Decretum Gratiani, S. 223ff., 320ff.; Hirte, Innozenz III., S. 108ff.; zur Entwicklung des kanonischen aus dem germanischen Institut des Reinigungseides, namentlich der Übernahme der Eideshelfer vgl. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 179; Hinschius, Kirchenrecht V, S. 338ff., 342, 344. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De abolitione et purgatione, § 2: Purgatio quid sit, pr.

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1. Voraussetzungen des Reinigungsverfahrens Der Laienspiegel leitet seine Ausführungen mit dem Satz ein: Von rechtlicher entschuldigung und purgation, ist zuwissen in welcher gestalt wider yemandt umb missethat gehandelt16. Auf den ersten Blick scheint der Laienspiegel hier auf die unterschiedliche Rolle des Reinigungseides in den verschiedenen Verfahrensarten hinzuweisen: Kannte das deutsche Privatklageverfahren den Reinigungseid als Beweisvorrecht des unbescholtenen Mannes17, war es dem kanonischen Inquisitionsverfahren eigen, dass der Reinigungseid nur subsidiär als Beweismittel zulässig war18. Näherliegend erscheint indes eine fehlerhafte Übernahme der entsprechenden Passage im Speculum Iudiciale, die lautet: Et nota. quod qualitercunque de crimine contra aliquem actum sit, si non sit convictus & confessus, & mala fama perdurat, monebit eum iudex (...) ut se corrigat19. Durantis erklärt, der Reinigungseid solle gerade unabhängig vom modus procedendi als letztes Mittel zur Anwendung kommen. Der Laienspiegel hat diesen Satz sinnentfremdend auseinandergerissen; seine Aussage stimmt mit der des Durantis überein, wenn man jenen ersten im Zusammenhang mit dem zweiten Satz liest: Von rechtlicher entschuldigung und purgation, ist zu wissen in welcher gestalt [auch immer] wider yemandt umb missethat gehandelt Wo er der selben nit überwunden bekent und eyn böser leumand auff im verharret, so mag (...) der Richter (...) im gebieten, sich zu reynigen20. Auch die Voraussetzungen, unter denen es zum Reinigungseid kommen soll, finden wir im Laienspiegel verfremdet wieder. Hier handelt es sich allerdings offensichtlich um eine bewusste Modifikation. Nach Durantis soll der Verdächtige aufgefordert werden, sich zu reinigen, wenn er weder durch Zeugen überführt (convictus) noch zum Geständnis bewegt (confessus) werden konnte. Der Laienspiegel formuliert: Wo er der selben nit überwunden bekent21. Maßgeblich scheint für Tengler zu sein, dass kein Geständnis erreicht werden konnte. Dies entspricht der oben festgestellten un16 17

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Laienspiegel, Von purgation und rechtlicher entschuldigung, fol. CXIIIIv. Zur fortdauernden Relevanz des Reinigungeides als Verfahrensgarantie des gut beleumundeten Bürgers, Nehlsen-von Stryk, Krise, S. 21, 36f.; zum Reinigungeid im Sachsenspiegel, dies., a. a. O., S. 25. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 208; Nehlsen-von Stryk, Krise, S. 6; Lévy, La Hiérarchie, S. 131ff. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De abolitione et purgatione, § 2: Purgatio quid sit, pr. Laienspiegel, Von purgation und rechtlicher entschuldigung, fol. CXIIIIv. Laienspiegel, Von purgation und rechtlicher entschuldigung, fol. CXIIIIv.

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bedingten Notwendigkeit des Geständnisses; der Zeugenbeweis kann nicht die Verurteilung rechtfertigen. Die Frage nach dem Reinigungseid stellt sich für den Laienspiegel daher immer, wenn der Inquisit hartnäckig auf seiner Unschuld besteht. Der Klagspiegel äußert sich dagegen in Übereinstimmung mit Durantis: Das Geständnis ist, wie wir gesehen haben, für den Klagspiegel nicht zwingende Voraussetzung der Verurteilung. Für den Klagspiegel kommt der Reinigungseid daher nur in Betracht, wenn auch die Überführung durch Zeugen misslungen ist (aber nit mit den gezeügen überwunden)22. Der Reinigungeid soll nach Tengler allerdings nur dann verlangt werden, wenn eyn böser leumand auff im [dem Inquisiten] verharret23. Andernfalls ist der Inquisit offenbar freizusprechen: Wo er aber in nichten verunleumbdt, so ist er auch zu purgation nit zu nöten. Ähnlich äußert sich der Klagspiegel: Der Inquisit ist dann zur Reinigung zu zwingen, wenn der leümut bewisen und bleibt also der leümut24. Der Laienspiegel übernimmt auch hier Durantis, der es ausdrücklich ablehnt, den nicht Infamierten zum Reinigungseid zu zwingen: Sed si infamatus non est, in nullo casu ad purgationem cogendus25. Was Durantis hier vor Augen hat, ist die mala fama, das verfahrenseinleitende Gerücht, das für ihn also zugleich Prozessvoraussetzung des Inquisitions- wie des Reinigungsverfahrens ist26. Existiert kein Gerücht mehr im Volk, besteht auch nicht mehr die Gefahr eines scandalum; damit ist die Notwendigkeit und zugleich die Zulässigkeit eines Vorgehens gegen den Inquisiten entfallen. Der Kanonist verweist dafür auf das Decretum Gratiani27; in C.6 q.5 c.2. werden diese Zusammenhänge ausdrücklich erklärt: propter scandalum removendum, famam suam reum purgare oportet. Der Laienspiegel übernimmt diese Allegation. Im Gegensatz zum Klagspiegel kennt er aber das Gerücht als Verfahrensvoraussetzung nicht mehr28; im Kontext seiner Darstellung macht diese Beschränkung der purgatio auf den (noch) Infamierten insofern keinen Sinn. An die Stelle des Gerüchts ist im Laienspiegel der indiziengestützte Verdacht getreten; sinnvoll erschiene deshalb die Beschränkung des Purgationsverfahrens auf die Fälle, in denen auch

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Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv. Laienspiegel, Von purgation und rechtlicher entschuldigung, fol. CXIIIIv. Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De abolitione et purgatione, § 2: Purgatio quid sit, pr. S. dazu oben Kap. B.I.4.a.dd(3)(a): Das Vorverfahren bei Durantis, S. 109ff. C.6 q.5 c.2. S. dazu oben Kap. B.I.4.a.aa.: Vor- und Hauptverfahren im Laienspiegel, S. 98ff.

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nach erfolgloser inquisitio ein Verdacht fortbesteht29. Tatsächlich knüpft Tengler an späterer Stelle das Reinigungsverfahren an den andauernden Verdacht: So yemands also umb eynich übelthat vor erbern dapffern leüten verdacht, unnd in argkwon kommen, darumb im sölch purgation auffgelegt (...)30. Seine Formulierung lässt indes keinen Zweifel daran bestehen, dass der Reinigungseid auch im weltlichen Bereich notwendig ist, um den Inquisiten in der Bevölkerung zu rehabilitieren. Der Verdacht, den der Reinigungeid beseitigen soll, ist nicht der des Richters, sondern der in der Bevölkerung bestehende, deshalb spricht der Laienspiegel zunächst von leumand31 anstelle von argkwon32 und vom Verdacht vor erbern dapffern leüten. Es ist die Gesellschaft, die den Reinigungseid verlangt. Die Notwendigkeit gesellschaftlicher Rehabilitierung ist abzuwägen mit der Belastung und Gefahr, die der Reinigungseid für den Inquisiten darstellt. Nur ein rechtlich relevanter Verdacht soll den sofortigen Freispruch verhindern. Es genügt deshalb insbesondere nicht der Verdacht, der allein auf einer unbewiesenen Anklage beruht: (...) aber der selbig argkwon were darauß entstanden, das in eyner umb eyn übelthat verklagt, unnd het die selben that nit, sonder alleyn den argkwon bewisen, (...)33. Auch diese Regel findet Tengler bei Durantis. Hier verweist er nun auch ausdrücklich auf die entsprechende Passage im Speculum Iudiciale34, ebenso hinsichtlich einer weitere Einschränkung: Der Verdacht muss nicht nur von erbern dapffern leüten getragen werden, sondern darf auch nicht von Feinden des Inquisiten ausgehen35. Wir haben es hier mit eben jenen Anforderungen zu tun, die das kanonische Recht an die mala fama in ihrer Funktion als Prozessvoraussetzung des Inquisitionsverfahrens stellt36.

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In dieser Funktion sieht Bartolus den Reinigungseid, Commentaria, D. 48.18.20 (De quaestionibus, Maritus), n. 4. Laienspiegel, Forma der mitpurgierer eyd, fol. CXVr. Laienspiegel, Von purgation und rechtlicher entschuldigung, fol. CXIIIIv. Vgl. zur eindeutigen Begrifflichkeit z. B. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Laienspiegel, Forma der mitpurgierer eyd, fol. CXVr. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De abolitione et purgatione, § 2: Purgatio quid sit, n. 4. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De abolitione et purgatione, § 2: Purgatio quid sit, n. 5 und 6. S. dazu oben Kap. B.I.4.a.dd(3)(a): Das Vorverfahren bei Durantis, S. 109ff.

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2. Ablauf des Reinigungsverfahrens und Wirkung des Reinigungseides

Für das Reinigungsverfahren sieht der Laienspiegel zunächst mehrere Stufen der Ermahnung vor: Erst soll der Inquisit allein, dann unter Zeugen aufgefordert werden, den Reinigungseid zu schwören. Der Laienspiegel übersetzt auch hier nahezu wörtlich die Vorgaben des Speculum Iudiciale37. Wird der Reinigungseid auch nach der zweiten Aufforderung verweigert, läge es nun nahe, den Inquisiten als überführt zu erachten38, so auch die Bewertung im Klagspiegel: Hier führt die Verweigerung – wie der misslungene Reinigungseid – schlicht zur Bestrafung wegen der vorgeworfenen Tat: unn ist das sich die person nit entschuldiget, als du im Titel vom entschuldigen hast, so soll er nach ordenung der Rechten gestrafft werden39. Der Laienspiegel dagegen verlangt, man solle den Verdächtigen in diesem Fall biß auff zimlichen abtrag auffziehen, und im gebieten, sich zu reynigen40. Er ordnet damit die Anwendung der Folter zur Erzwingung des Reinigungseides an. Diese ungewöhnliche Forderung beruht auf einem Missverständnis. Durantis beschreibt als Konsequenz des verweigerten Reinigungseides folgende Maßnahme: quod si non fecerit, suspendat eum usque ad dignam satisfactionem41. Er verweist dazu auf den Liber Extra (X 5.34.2); an der angegebenen Stelle findet sich die Formulierung: Si vero nec sic se correxerit, ab officio suspendatur usque ad condignam satisfactionem. Worum es hier geht, ist die zeitweise Enthebung des infamierten Klerikers aus seinem Amt; verweigert der Kleriker den Reinigungseid, muss er zur Vermeidung eines scandalum42 bis auf weiteres suspendiert werden. Tengler indes missversteht den lateinischen Begriff „suspendere“; er nimmt das „Schweben-lassen“ wörtlich: Der Inquisit soll hochgezogen werden (auffziehen). Das Aufhängen an den auf den Rücken gebundenen Armen stellte eine

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Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De abolitione et purgatione, § 2: Purgatio quid sit, pr.: (...) primo seorsum, postea coram testibus (...). So für den Reinigungseid im deutschen Verfahren vgl. Löning, Reinigungseid, S. 269, für die purgatio canonica vgl. X 5.3.11, X 5.3.13. Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv. Laienspiegel, Von purgation und rechtlicher entschuldigung, fol. CXIIIIv. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De abolitione et purgatione, § 2: Purgatio quid sit, pr. Vgl. X 5.34.2: ne populus fidelium in eo scandalum patiatur; ähnlich Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De abolitione et purgatione, § 2: Purgatio quid sit, pr.

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gängige Folterpraxis dar43, die auch auf einem Holzschnitt im Laienspiegel dargestellt wird44. Hätte der Laienspiegel an dieser Stelle die besagte Dekretale45, auf die er wie Durantis verweist, tatsächlich selbst konsultiert, wäre ihm dieser Fehler nicht unterlaufen: Mit dem Zusatz ab officio ist hier das „suspendere“ kaum misszuverstehen. Erst wenn der Inquisit auch unter der Folter hartnäckig den Reinigungseid verweigert oder aber, wenn ihm der Reinigungseid misslingt, soll der Inquisit nach Tengler als überführt gelten und bestraft werden: und wo er solchs nit thut, oder im darinn bruch entstehen, so würde er für überwunden geacht und gestrafft46. Was die Bestrafung nach verweigertem oder misslungenem Reinigungseid betrifft, stimmt die Aussage des Laienspiegels mit der des Speculum Iudiciale überein; Durantis erklärt: si eam praestare noluerit, vel in purgatione facienda defecerit, tanquam convictus, de illo crimine debet puniri47. Auch hier sind die zugehörigen Allegationen des Laienspiegels48 aus dem Speculum Iudiciale übernommen. Die angegebenen Stellen im Liber Extra sanktionieren eben diese Folge der ausgebliebenen Reinigung. Erklärt sich der Inquisit indes bereit, den Reinigungseid zu schwören, so soll der Richter darzu rechtstag setzen, und im für unrechten gewalt sicherheyt halten (...)49. Die Reinigung findet also im Rahmen eines öffentlichen Gerichtstermins statt, zu dem dem Verdächtigen freies Geleit zugesichert werden soll. Dieser Termin muss öffentlich verkündet werden, damit sich melden kann, wer gegen die Reinigung etwas einzuwenden hat: (...) auch das selb den jhenen, und an die ende, da er verargkwont ist, verkünden Peremptorie, und kompt yemands der da wider icht fürwenden will, darumb soll der Richter ergehn und procediern lassen, als recht ist50. An späterer Stelle erklärt der Laienspiegel, was es mit dieser Verkündung auf sich hat: Die erfolgte Reinigung schließt jedes weitere Verfahren wegen desselben Vorwurfs aus: Wo nun yemands, als obstehet, sich purgiert, der mag darnach umb die selben übelthat, nit mehr anklagt werden51. Er allegiert auch zu dieser Regel

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Vgl. die Darstellung in der Theresiana, Baldauf, Folter, Abb. 15. Dieser Holzschnitt findet sich in der Ausgabe von 1511 unmittelbar vor dem Kapitel Von gestrengem fragen auf fol. CXCVIIr, in der Ausgabe von 1536 fehlt diese Abbildung. X 5.34.2. Laienspiegel, Von purgation und rechtlicher entschuldigung, fol. CXIIIIv. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De abolitione et purgatione, § 2: Purgatio quid sit, pr. X 5.3.11, X 5.3.13. Laienspiegel, Von purgation und rechtlicher entschuldigung, fol. CXIIIIv. Laienspiegel, Von purgation und rechtlicher entschuldigung, fol. CXIIIIv. Laienspiegel, Forma der mitpurgierer eyd, fol. CXVr.

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Durantis52. Der wiederum verweist auf Stellen aus dem kanonischen und dem römischen Recht, auf deren Grundlage die Kanonisten den ne bis in idemGrundsatz entwickelten53. Allerdings schränkt Durantis in Übereinstimmung mit Ulpian54 diesen Grundsatz dahingehend ein, dass die Anklage nur für denjenigen ausgeschlossen sein soll, der von dem Reinigungsverfahren wusste. Auch diese Einschränkung übernimmt der Laienspiegel: (...) es beweiß dann eyner den die übelthat berürt, das man im nit darzu verkünt het, und sunst nit. Aus dieser Relativierung des ne bis in idem-Grundsatzes erklärt sich denn auch, warum der Laienspiegel gerade die Verkündung gegenüber denjenigen verlangt, die den Verdacht gegen den Inquisiten hegen (den jhenen, und an die ende, da er verargkwont ist)55 und was er mit der Einfügung Peremptorie meint: Mit dem Gerichtstermin für die Reinigung läuft die Frist zur Erhebung einer Anklage ab; die Urheber des Verdachts sollen dann für immer schweigen. Erscheint also auf die öffentliche Verkündung kein Ankläger, erfolgt der Reinigungseid und zwar allein oder mit Eideshelfern: ob aber niemands erscheinen, noch dawider reden, unnd solchs offentlich berüfft, so mögen im für die übelthat die eyd (mit gebürlicher anzal etlicher mitpurgierer (...)) auffgelegt werden (...)56. Für den Eid des Verdächtigen gibt der Laienspiegel eine Formel vor: Dieser soll schwören, dass er diser angeregten übelthat, darinn ich verargkwont binn, gantz unschuldig sei, und dass er dazu auch keine Hilfe geleistet habe57. Der Laienspiegel verweist hier, wie Durantis58, auf zwei Stellen im Liber Extra59. Hier wird betont, der Eid müsse den Schwur enthalten, das Delikt nicht begangen zu haben. Damit soll dem Schwörenden die Möglichkeit genommen werden, durch eine geschickte Formulierung einen Meineid zu vermeiden. Konkret geht es hier um den Kleriker, der beeidet, hinsichtlich des fraglichen Delikts (wegen erfolgter Verbüßung) „immun“ zu sein60. Mit Verweis auf X

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Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De abolitione et purgatione, § 2: Purgatio quid sit, n. 9 (Leitsatz: Accusatio an sit admittenda post receptam purgationem). D. 9.4.6.4; X 5.22.5; C.2 q.5 c.6 (üblicherweise wird hier auf c.7 verwiesen); D. 48.2.7.2. Zu den Wurzeln und der Entwicklung des ne bis in idem-Grundsatzes ausführlich Landau, Ursprünge und Entwicklung, S. 124ff., insb. 138ff., speziell für den Fall der purgatio canonica S. 147ff. Vgl. D. 48.2.7.2. Laienspiegel, Von purgation und rechtlicher entschuldigung, fol. CXIIIIv. Laienspiegel, Von purgation und rechtlicher entschuldigung, fol. CXIIIIv. Laienspiegel, Forma purgation eyd, fol. CXIVv. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De abolitione et purgatione, § 2: Purgatio quid sit, n. 1 a. A. X 5.34.16 und X 5.34.6. Vgl. Hirte, Innozenz III., S. 142, Anm. 138.

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2.13.1561 nehmen Tengler und Durantis auch jede Hilfeleistung zur Tat in die Eidesformel auf62. Die notwendige Anzahl der Eideshelfer, der mitpurgierer, gibt der Laienspiegel nicht vor (zwen, drei, vier, fünff, oder sechs, oder mehr); die Entscheidung stellt er vielmehr ins richterliche Ermessen (nach (...) gutem ansehen der Richter)63. Maßgebliche Kriterien sollen dabei Person und Tat sein: nach gestalt der person und verargkwonten übelthat (...)64. Der Laienspiegel entspricht damit grundsätzlich seiner Vorlage. Durantis legt sich ebenso wenig auf eine bestimmte Anzahl von Eideshelfern fest. Im Speculum Iudiciale konnte Tengler allerdings keine Aussagen über das Ermessen des Richters und die zu berücksichtigenden Kriterien finden65; ebenso wenig konnte ihm hier der Klagspiegel als Vorlage dienen66. Durantis verweist für weitere Information auf die doctores67, ohne bestimmte Juristen zu nennen. Für diese Regel zur Anzahl der Eideshelfer wird Tengler indes keiner Vorlage bedurft haben; es entsprach seit Jahrhunderten der kirchlichen Rechtspraxis, dass – angesichts der uneinheitlichen Äußerungen des Decretum Gratiani68 – die Anzahl der Eideshelfer nach dem Ansehen des Beschuldigten und der Schwere der Tat bemessen wurde69. Ebenso wenig wie Durantis stellt der Laienspiegel an die Eideshelfer irgendwelche persönlichen Anforderungen, obgleich das kanonische Recht solche durchaus kennt, namentlich die Ehrenhaftigkeit und ein gewisses Näheverhältnis zum Beschuldigten70. Die Notwendigkeit des letzteren ergab sich für die Dekretisten aus dem Inhalt des Eidhelferschwurs, der die Glaubwür-

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Fehler in der Allegation des Laienspiegels: c. ad eodem, statt c. cum ad sedem. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De abolitione et purgatione, § 2: Purgatio quid sit, n. 1 a. E. Laienspiegel, Von purgation und rechtlicher entschuldigung, fol. CXIIIIv. Laienspiegel, Von purgation und rechtlicher entschuldigung, fol. CXIIIIv. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De abolitione et purgatione, § 2: Purgatio quid sit, n. 3. Klagspiegel, De purgatione: zween oder mehr, fol. CXVIv. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De abolitione et purgatione, § 2: Purgatio quid sit, pr. a. E. Vgl. nur C.2 q.5 c.12; Jacobi, Der Prozeß im Decretum Gratiani, S. 223ff., 320ff., S. 324. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 168ff., insb. zu Rufinus, S. 183; Jacobi, Der Prozeß im Decretum Gratiani, S. 223ff., 320ff., insb. zu Stephanus, S. 325; Hirte, Innozenz III., S. 142ff.; Schmoeckel, Humanität, S. 234, Anm. 327. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 168ff., zit. hier die Dekretisten Rufinus und Stephanus, S. 183; Hirte, Innozenz III., S. 142ff.

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digkeit des Hauptschwörenden bestätigte. Diese einzuschätzen war nur demjenigen möglich, der den Verdächtigen kannte71. Diesen Inhalt des Eidhelferschwurs gibt indes auch der Laienspiegel vor; sie sollen schwören, dass sie glauben, N. habe für die angeregten übelthat, nach seinem guten gewissen, recht, und eynen waren eyd geschworen (...)72. Auch hier kann Tengler aus dem Speculum Iudiciale schöpfen: Nach Durantis sollen die Helfer bezeugen, quod ipsi credunt illum verum iurasse73. Auf die Bedeutung dieser Formulierung des Eides (das sie glauben, das er recht geschworen hab74) macht der Klagspiegel aufmerksam. Mit Verweis auf D. 12.3.4 lehnt der Klagspiegelverfasser eine Eidesformel ab, die von den Eidhelfern verlangt, etwas zu bezeugen, was sie in der Regel nicht wissen. Er wendet sich damit gegen das Beschwören der Wahrheit des Eides des Inquisiten: das der eyd (...) reyn, das ist, war sei (...)75. Mit dieser Eidesformel machten sich die Helfer gewonlich ihrerseits des Meineids schuldig. Schließlich erwähnt Tengler einen Fall, in dem der Reinigungseid ausgeschlossen ist, obgleich der Überführungsbeweis fehlt: Doch in offenbaren schulden, sol man keyn purgation gebieten, noch annemen, wann es mag on gezeugen gestrafft werden76. Auch dies übernimmt der Laienspiegel von Durantis, der entsprechend erklärt: (…) in crimine vero notorio purgatio non est indicenda, nec oblata suscipienda: quoniam absque testibus potest condemnari77. Was Durantis und ihm folgend der Laienspiegel hier ansprechen, ist die kirchenrechtliche Regel, die die purgatio bei notorischen Taten für ausgeschlossen erklärt78. Durantis verweist dafür auf den Liber Extra79, der Laienspiegel übernimmt diese Allegation. Vor dem Hintergrund der kanonischen Notorietätslehre und der Funktion des Reinigungseides als hilfsweiser Beendigung des Verfahrens erscheint der Ausschluss der purgatio bei notorischen Taten konsequent: Die Notorietät erlaubt die Verurteilung. Man bedarf des Reinigungseides insofern nicht. Diese Begründung indes gilt für den Laienspiegel nicht, verlangt er doch, wie

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So argumentiert z. B. Rufinus, vgl. Jacobi, Der Prozeß im Decretum Gratiani, S. 223ff., 325. Laienspiegel, Forma der mitpurgierer eyd, fol. CXVr. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De abolitione et purgatione, § 2: Purgatio quid sit, n. 3. Klagspiegel, De purgatione, fol. CXVIv. Klagspiegel, De purgatione, fol. CXVIv. Laienspiegel, Von purgation, fol. CXIIIIv. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De abolitione et purgatione, § 2: Purgatio quid sit, pr. X 5.34.15; Hirte, Innozenz III., S. 128. X 5.34.15 (§ His igitur): (...) Si crimen notorium exsistebat, non erat utique illi indicenda purgatio, sed in eum condemnationis sententia promulganda.

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Reinigungseid

oben festgestellt80, auch im Falle der Notorietät das Geständnis. Das Vorliegen von Notorietät genügt ihm nicht zur Verurteilung. Auch wenn die Tat notorisch ist, stellt sich also, sofern das Geständnis fehlt, das Problem, dass der leugnende Inquisit trotz stärksten Verdachts nicht verurteilt werden darf81. Der Ausschluss des Reinigungseides erscheint hier dysfunktional: Der notorische Täter wird gegenüber dem nicht-notorischen besser gestellt, weil er nicht der Gefahr des Reinigungseides ausgesetzt wird. Die Regelung des Laienspiegels macht allenfalls insofern Sinn, als dem notorischen Täter damit zugleich auch die „Rehabilitierung“ durch die Reinigung verwehrt bleibt.

3. Ergebnis

Mit der Darstellung des Reinigungseides als hilfsweisem Verfahrensabschluss entspricht Tengler ganz der Lehre von der purgatio canonica. Seine Ausführungen sind eng angelehnt an die des Durantis. In der gleichen Funktion konnte Tengler den Reinigungseid indes auch im Ewigen Landfrieden beschrieben finden. Dieser ordnet an, dass derjernige, der des Landfriedensbruchs nur verdächtig ist, also kein notorischer Landfriedensbrecher und nicht mit Beweisen überführt, zur „Entschuldigung“ vorgeladen werden soll82. Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass wir den Reinigungseid als hilfsweisen Abschluss des Inquisitionsverfahrens zwar im Klagspiegel, nicht aber in der Wormser Reformation, der Bambergensis und der Carolina finden83. Tatsächlich wurde das Dilemma – bei starkem Verdacht, aber fehlendem Überführungsbeweis – von der im Anschluss an die Carolina sich entwickelnden deutschen Strafrechtswissenschaft auf andere Weise gelöst. Carpzov schlägt für diesen Fall in Übernahme der gemeinrechtlichen Lehre eine „Ver-

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S. dazu oben Kap. B.III.2.b.: Prozessuale Konsequenzen der Notorietät, S. 211ff. und Kap. B.III.2.c.: Exkurs: Notorietät und strenge Beweislehre, S. 219ff. Dass in diesem Fall dennoch der Reinigungseid ausgeschlossen ist, erscheint indes auch nach dem deutschen Rechtsdenken zwingend: Wie im Falle der Notorietät der Gegenbeweis, mithin auch die Reinigung, ausgeschlossen ist, ist nach deutschem Recht im Falle der handhaften Tat dem Täter der Reinigungseid verlegt, Jerouschek, Herausbildung, S. 356. Art. 4 Ewiger Landfrieden (1495), Laienspiegel, fol. XCIIIv; vgl. RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1 (III.C. Ewiger Landfriede). Zur Carolina Kaufmann, Ekkehard, Art. Reinigungseid, HRG IV 11990, Sp. 837-840, 837f.

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dachtsstrafe“ (poena extraordinaria)84 oder einen Freispruch unter Vorbehalt, die absolutio ab instantia, vor; hier ist – anders als beim Reinigungseid85 – bei neuen Verdachtsmomenten die Wiederaufnahme des Verfahrens erlaubt86. Die genannten deutschen Rezeptionsquellen halten indes keine dieser Lösungen bereit; der nicht überführte Straftäter muss offenbar freigesprochen werden87.

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Zur sog. „Verdachtsstrafe“ Schmoeckel, Humanität, S. 295ff.; ders., Vorgeschichte der Verdachtsstrafe, S. 191ff. Laienspiegel, Forma der mitpurgierer eyd: Wo nun yemands, als obstehet, sich purgiert, der mag darnach umb die selben übelthat, nit mehr anklagt werden, fol. CXVr. Schulz, Normiertes Misstrauen, S. 128, 188; Schmoeckel, Humanität, S. 360ff. Zur Carolina Kaufmann, Ekkehard, Art. Reinigungseid, HRG IV 11990, Sp. 837-840, 838. Die Bambergensis stellt aber klar, dass dem Nichtüberführten aus dem Verfahren keine Ansprüche erwachsen; der Verdacht rechtfertigt vielmehr das Vorgehen gegen ihn, Art. 73 CCB.

VII. Der endliche Rechtstag im Laienspiegel

Der Laienspiegel beschließt seine Ausführungen zum Strafprozess mit einer detaillierten Darstellung des letzten Abschnitts des Inquisitionsverfahrens1. Es handelt sich dabei um den sog. endlichen Rechtstag2, wie ihn auch die Bambergensis und die Carolina kennen: eine öffentliche Gerichtssitzung zur Verkündung und anschließenden Vollstreckung des Urteils3. Tengler rezipiert hier nicht das gemeine Recht, sondern hält an jenen althergebrachten Verfahrensformen fest4, die sich größtenteils auch in den zeitgenössischen Halsgerichtsordnungen finden5. Geprägt von strenger Förmlichkeit wird auf dem endlichen Rechtstag der Vorstellung der Bevölkerung von einem gerechten Verfahren Rechnung getragen6. Nach der Präsentation des Geständnisses wird im Wege der Befragung von Urteilern das Urteil „gefunden“ und verkündet7. Die Vollstreckung desselben vor den Augen des Publikums mag diesem durchaus willkommene Abwechslung, um nicht zu sagen „Unterhaltung“ gewesen sein8. Zugleich war sie wirksames Instrument der Abschre-

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Zur formalen Ordnung des endlichen Rechtstags äußert sich Tengler im Zusammenhang mit dem Akkusationsverfahren in den Kapiteln Von peinlichen gerichts tagen, fol. CIXv bzw. Von besitzen und beleüten peinlichs Gerichts, fol. CXr. Ausdrücklich verweist er aber für das Inquisitionsverfahren auf diese Ausführungen, Ordnung in sölcher kurtzer rechtvertigung, fol. CXVIv. Der Laienspiegel spricht vom entlich rechtstag bzw. von entlicher rechtvertigung und zwar auch für den Akkusationsprozess, vgl. Laienspiegel, Von peinlichen gerichts tagen, fol. CIXv bzw. Von besitzen und beleüten peinlichs Gerichts, fol. CXr. Schild, Wolfgang, Art. Endlicher Rechtstag, HRG I 22007, Sp. 1324-1327; Eb. Schmidt, Einführung, S. 99ff. Kleinheyer, Die Rolle des Geständnisses, S. 380f. Schild, Wolfgang, Art. Endlicher Rechtstag, HRG I 22007, Sp. 1324-1327, 1325; vgl. ferner van Dülmen, Theater des Schreckens, S. 38ff. Vgl. Art. 123 CCB; Schild, Wolfgang, Art. Endlicher Rechtstag, HRG I 22007, Sp. 13241327, 1325; Eb. Schmidt, Einführung, S. 100. Zum Zweck des endlichen Rechtstags als öffentlicher „Legitimationsakt“ vgl. Holzhauer, Heinz, Art. Rechtstag, endlicher, HRG IV 11990, Sp. 395-399, 396. Rüping/Jerouschek sehen den endlichen Rechtstag „vor dem Hintergrund der Kategorie des Festes“, Grundriss, Rz. 110; vgl. auch zur Beschreibung als „Theater des Rechts“ und „Schauspiel“ Schild, Wolfgang, Art. Endlicher Rechtstag, HRG I 22007, Sp. 1324-1327, 1324.

Endlicher Rechtstag

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ckung9. Die entscheidende Bedeutung der öffentlichen Vollstreckung wird aber in deren religiösem Hintergrund zu sehen sein. Carpzov beschreibt später die öffentliche Hinrichtung als Mittel, die Ordnung, die durch das Verbrechen gestört wurde, wieder herzustellen und Gottes Zorn zu besänftigen10. Der Zug zur Gerichtsstätte ähnelte daher einer Prozession, den Sünder begleitete ein Priester, der ihn zum Beten anhielt11. Die religiöse Überlagerung des Geschehens erklärt auch die Gefahr tumultartiger Ausbrüche im Publikum, derer sich namentlich der Henker ausgesetzt sah12. Teilweise beschränkte man sich darauf, dem Henker Frieden zu gebieten, teilweise erwogen die Städte die Aufhebung der Öffentlichkeit des endlichen Rechtstags13. Als „Verhandlung“ kann der endliche Rechtstag des Laienspiegels nicht bezeichnet werden. Die Ermittlungen sind vor der Anberaumung dieses öffentlichen Gerichtstermins abgeschlossen. Nur wenn das Geständnis bereits erlangt wurde und ein entsprechendes Protokoll, gegebenenfalls bestätigt durch Geständniszeugen, präsentiert werden kann, also die Verurteilung garantiert ist, kommt es überhaupt zum endlichen Rechtstag14. Im Klagspiegel, in der Wormser Reformation und den Maximilianischen Halsgerichtsordnungen wird der endliche Rechtstag nicht mehr beschrieben. Für den Klagspiegel mag dies Folge seiner engen Anbindung an das gemeine Recht sein, das den endlichen Rechtstag in der dargestellten Form nicht kennt. Zudem war die Praxis hier nicht einheitlich; mancherorts verzichtete man bereits auf den endlichen Rechtstag15. Tengler wird für die Darstellung des endlichen Rechtstags im Wesentlichen auf die Bambergensis zurückgegriffen haben. Die Halsgerichtsordnung bietet ihm in Art. 123 auch die Rechtfertigung des endlichen Rechtstags: er soll umb des gemeynen volcks und alter gewonheyt willen (...) erfolgen16. Dass es sich dabei nicht um einen Gerichtstermin handelt, wie ihn das gemeine Recht vorsieht, räumt die Bambergensis ausdrücklich ein: Der endliche Rechtstag sei unförmlich und dem gemein rechten nit gleych17. Im Unterschied zum Gerichtstermin des gelehrten Rechts findet auf dem endlichen Rechtstag kein Erkenntnisverfahren mehr statt, vielmehr sind die Ermittlung und die Entscheidung bereits im Vorfeld erfolgt. Eine öffent9 10 11 12 13 14 15 16 17

Schild, Wolfgang, Art. Endlicher Rechtstag, HRG I 22007, Sp. 1324-1327, 1325. Martschukat, Inszeniertes Töten, S. 12ff. Martschukat, Inszeniertes Töten, S. 15; Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 110. Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 110. Schild, Wolfgang, Art. Endlicher Rechtstag, HRG I 22007, Sp. 1324-1327, 1326. Eb. Schmidt, Einführung, S. 100. Eb. Schmidt, Einführung, S. 102, 104f. Art. 123 CCB. Art. 123 CCB.

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liche Verhandlung im Sinne des gemeinen Rechts trauen die Redaktoren der Halsgerichtsordnung den ungelehrten Richtern nicht zu: Diese seien darauf angewiesen, dass alle sölche gerichtliche sachen vor dem endthafften rechttag gehandelt, erfaren und auffgeschriben, auch die urteyl (...) gemacht18. Lediglich für die mündliche Ladung durch den Gerichtsboten verweist Tengler auf das gemeine Recht, namentlich auf Durantis’ Speculum Iudiciale und Bartolus’ Traktat über die Constitutio Ad reprimendum19.

1. Formale Ordnung des endlichen Rechtstages20

Was den äußeren Ablauf und die Formalitäten angeht, verlangt Tengler, der endliche Rechtstag solle auch beim summarischen Inquisitionsprozess (in sölcher kurtzer rechtvertigung21) weitgehend der Ordnung des Akkusationsverfahrens entsprechen. Tengler bezieht sich damit im Wesentlichen auf seine Kapitel Von peinlichen gerichts tagen22 und Vom besitzen und beleüten peinlichs Gerichts23, die sich im Abschnitt über das Anklageverfahren finden. Für jenes sieht der Laienspiegel die Ladung drei Tage vor dem Gerichtstermin vor; sie kann schriftlich oder durch den Gerichtsknecht erfolgen24. Eine entsprechende Bestimmung für die Ladung im Anklageverfahren findet sich auch in der Bambergensis25, wie aber die Verkündung des Gerichtstages erfolgen soll, lässt die Bambergensis offen; sie verweist auf das „Herkommen“26. Tengler wiederholt ausdrücklich noch einmal für das summarische Inquisitionsverfahren die Ladungsregelung des Anklageverfahrens: Auch dem Inquisiten muss drei Tage und zusätzlich noch einmal am Abend vor dem Gerichtstag der

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Art. 123 CCB. Laienspiegel, Ordnung in sölcher kurtzer rechtvertigung, fol. CXVIv. Laienspiegel, Ordnung in sölcher kurtzer rechtvertigung; Forma peinlicher verkündung; Vom Gerichtstag, fol. CXVIv. Laienspiegel, Ordnung in sölcher kurtzer rechtvertigung, fol. CXVIv. Laienspiegel, CIXv. Laienspiegel, CXr. Laienspiegel, Von peinlichen gerichts tagen, CIXv. Art. 92 CCB; vgl. auch Art. 79 CCC. Art. 93 CCB.

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Termin verkündet27 und die Möglichkeit gegeben werden, das Beichtsakrament zu empfangen. Für den im Gefängnis sich befindenden Inquisiten sieht der Laienspiegel allerdings ganz pragmatisch nur die Ladung durch den geschwornen gerichtsknecht28 vor. Er allegiert dazu Durantis’ Ausführungen im Titel De Citatione. Hier findet sich auch die Ladung durch den nuncius beschrieben29, ebenso im Kommentar des Bartolus zur Constitutio Ad reprimendum, den Tengler mit der Glosse per nuncium zitiert. Die Ladung muss unter Verwendung einer bestimmten Formel erfolgen, die Tengler ausdrücklich vorgibt30. Sie enthält eine dreimalige Ladung (zu dem ersten, andern und dritten, Peremptorie), die schon insofern nur formellen Charakter hat, als der Inquisit sich ohnehin in Gefangenschaft befindet und rechtzeitig vor Gericht geführt werden wird (das du (...) für peinlich gericht gefürt)31. Die dreimalige Wiederholung der Ladung erinnert an die seit dem Frühmittelalter vielfach bezeugte dreifache Fristsetzung: Erst wenn der Geladene drei Gerichtstermine verstreichen ließ, trafen ihn die Versäumnisfolgen32. Für das Inquisitionsverfahren hält der Laienspiegel an dieser Gewohnheit nur formal fest: Die Ladung zum endlichen Rechtstag soll zugleich die erste, zweite und dritte sein. Wird dieser eine Termin versäumt, was wegen der Gefangenschaft ohnehin kaum denkbar ist, kann dies unmittelbar als Versäumnis geahndet werden, was der Laienspiegel durch das eingefügte Peremptorie klarstellt. Bereits in der Ladungsformel wird auf die Funktion des endlichen Rechtstags hingewiesen: Der Inquisit soll sein Urteil hören, das auf sein eigenes Geständnis und die wissentlich übelthat gestützt wird. Die Verurteilung soll erfolgen, als diser herrschafft löblich gewonheyt und recht ist (...)33. Im Wege des Verweises auf die Regelungen zum Akkusationsprozess verlangt Tengler zur Vorbereitung des endlichen Rechtstages eine Beratung des Richters und der Urteiler, in der sie sich gegebenfalls unter Hinzuziehung von gelehrten Ratgebern vorab auf ein Urteil einigen, um Unklarheiten im öffentlichen Termin zu vermeiden: Aber ehemaln der Richter sollichen endtlichen rechtstag setzt, soll er sich mit sampt den urteylern und gerichts schreiber zuvor zusamen fügen, alle handlungen für sich nemen, und rathschlagen, 27

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Die Verkündung am Abend vor dem endlichen Rechtstag birgt die Gefahr des Selbstmordes. Über die Beibehaltung dieser Übung wurde deshalb 1461 im Straßburger Rat diskutiert, Schubert, Räuber, Henker, S. 108. Laienspiegel, Ordnung in sölcher kurtzer rechtvertigung, fol. CXVIv. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. II., Part. I, De citatione, § 4: Sequitur. Laienspiegel, Forma peinlicher verkündung, fol. CXVIv. Laienspiegel, Forma peinlicher verkündung, fol. CXVIv. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 449f.; Planck, Gerichtsverfahren I, S. 341f. Laienspiegel, Forma peinlicher verkündung, fol. CXVIv.

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Endlicher Rechtstag wie in der sachen zu procediern, urteylen, oder so es in not thut, bei andern rechtgeübten und gelerten, raths pflegen, damit in destminder irrung oder mangel am endtlichen rechtstag entstehn, sovil irs teyls müglich ist34.

Ganz ähnlich formuliert auch Art. 94 der Bambergensis die Vorbereitung des endlichen Rechtstags. Die Verlagerung der Urteilsfindung ins Vorfeld gilt heute als Kennzeichen des endlichen Rechtstags35. Die Befragung der Urteiler, die nach Tengler dennoch im Rahmen des öffentlichen Gerichtstermins stattfinden soll, stellt sich insoweit als leere Formalie dar. Allerdings geht Tengler nicht zwangsläufig von einem vorab gefassten Urteil aus: Er beschreibt auch den Fall, dass die Urteiler noch im öffentlichen Gerichtstermin um eine Unterredung bitten, wenn sie sich außer Stande sehen, ein Urteil zu fällen36. Auch für den streng rituellen Ablauf des Gerichtstags37 verweist Tengler ausdrücklich auf sein Kapitel Vom besitzen und beleüten peinlichs Gerichts38, das sich im Abschnitt über das Anklageverfahren findet. Weitestgehend scheint der Laienspiegel hier die Bambergensis übernommen zu haben39, bringt aber durchaus eigene Wertungen ein. Die Zeremonie des endlichen Rechtstags beginnt mit dem „Beläuten“ des Gerichts, das die Richter, Urteyler unn Gerichtschreiber – und zwar so sie eyn Mess gehört haben – an die Gerichtsstätte ruft40. Der Übeltäter soll gefesselt aus dem Gefängnis geholt und offentlich in den stock gesetzt und dort angebunden werden41. Der Richter kann, muss aber nicht mit einem Schwert bewaffnet zu Gericht sitzen, in jedem Fall aber soll er mit dem Stab ausgestattet sein. Der Gerichtschreiber muss die schrifften bei ime haben und alle sollen auf Geheiß des Richters Platz nehmen und bis zum Ende des Verfahrens behalten42. Dann fasst der Richter kurz zusammen, worum es im folgenden Prozess geht43. Er soll die Urteiler fragen und zwar zunächst denjenigen, der am besten beredt ist, ob das Gericht für den endlichen Rechtstag ordnungsgemäß besetzt sei. Wenn dieser unter Berufung auf die „Regalien der Herrschaft oder Stadt“, auf 34 35 36 37

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Laienspiegel, Von peinlichen gerichts tagen, fol. CIXv. Schild, Wolfgang, Art. Endlicher Rechtstag, HRG I 22007, Sp. 1324-1327, 1324. Laienspiegel, Von urteylen, fol. CXVIIv. Vgl. dazu Schild, Wolfgang, Art. Endlicher Rechtstag, HRG I 22007, Sp. 1324-1327, 1324; ferner Eb. Schmidt, Einführung, S. 100. Laienspiegel, fol. CXr. Art. 95ff. CCB. Laienspiegel Von besitzen und beleüten peinlichs Gerichts, fol. CXr, vgl. Art. 95 CCB. Laienspiegel, Von besitzen und beleüten peinlichs Gerichts, fol. CXr, vgl. Art. 98 CCB. Laienspiegel, Von besitzen und beleüten peinlichs Gerichts, fol. CXr. Laienspiegel, Vom Gerichtstag, fol. CXIr.

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die Freiheiten und das alte „löbliche Herkommen“ die ordentliche Besetzung des Gerichts auf seinen Eid erkennt, befragt der Richter auch die anderen Urteiler44. Diese urteilen entweder eigenständig oder aber tun schlicht ihre Übereinstimmung mit dem Urteil des Ersten kund. Die letztere Alternative sieht die Bambergensis nicht vor45. Anschließend verkündet der Richter den Gerichtsbann. Als Folge des Gerichtsbannes beschreibt der Laienspiegel, dass im weiteren Verfahren nur noch diejenigen zu Wort kommen sollen, den es von rechts wegen gebürt und erlaubt ist46. Weitere Bräuche und „Beiurteile“ lehnt der Laienspiegel ausdrücklich als „Überfluß“ ab, der mehr schadet als nützt47. So erwähnt er auch das „Beschreien“ des Täters nicht mehr, das sich in der Bambergensis noch mit dem Verweis auf entsprechende Gewohnheiten gehalten hat48. Vielmehr soll der Inquisit jetzt aus dem Stock geholt und vor das Gericht geführt werden49. Diese Aufgabe übernehmen nicht allein die üblichen „Gerichtsknechte“. Wie die Bambergensis will der Laienspiegel den Gefangenen vom Nachrichter, der später auch für die Vollstreckung der Strafe zuständig ist, vor den Richter bringen lassen50. Bevor der eigentliche Prozess beginnt, soll der Richter dessen störungsfreien Ablauf sicherstellen, indem er „seinen Amtsleuten, Knechten und Untertanen“ gebietet, jede vergwaltung und embörung zu unterbinden51. Bei Aufruhr, Feuer und anderen Unruhen soll man den Prozess soweit möglich unbeirrt fortsetzen, notfalls aber den Inquisiten zurück in das Gefängnis bringen bis das Verfahren weiter gehen kann52. Ab der eigentlichen Eröffnung des Prozesses beschreibt der Laienspiegel den endlichen Rechtstag eigens für den summarischen Inquisitionsprozess. Die Vorgaben für das Parteienverfahren sind für den weiteren Fortgang des Prozesses somit nicht mehr relevant, es gelten eigene Regeln. Insbesondere entfällt damit auch das Recht des Inquisiten auf die Wahl eines „Fürspre-

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An dieser Stelle spricht der Laienspiegel von den anderen „Richtern“, die der „Richter“ fragen soll, Laienspiegel, Von besitzen und beleüten peinlichs Gerichts, fol. CXr. Vgl. Art. 97 CCB. Laienspiegel, Von besitzen und beleüten peinlichs Gerichts, fol. Cxr. Den Gerichtsbann erwähnt die Bambergensis an der entsprechenden Stelle nicht. Laienspiegel, Von besitzen und beleüten peinlichs Gerichts, fol. CXr. Art. 100 CCB; vgl auch Schild, Wolfgang, Art. Endlicher Rechtstag, HRG I 22007, Sp. 1324-1327, 1324. Vgl. Art. 98, 99 CCB. Laienspiegel, Vom Gerichtstag, fol. CXVIIr; vgl. Art. 99 CCB. Zum Problem der Unruhe im Publikum des endlichen Rechtstags, Schild, Wolfgang, Art. Endlicher Rechtstag, HRG I 22007, Sp. 1324-1327, 1324f. Laienspiegel, Vom Gerichtstag, fol. CXVIIr.

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chers“, der dem Angeklagten zugestanden wird53. Angesichts der rein passiven Rolle des Inquisiten auf dem endlichen Rechtstag könnte, wie wir gleich sehen werden, ein Fürsprecher ohnehin wenig ausrichten. Ganz anders sieht das in der Bambergensis aus.

2. Präsentation des Geständnisses54

Der eigentliche Prozess beginnt mit der an den Inquisiten gerichteten Vorhaltung der Tat, die zugleich die Legitimation des Inquisitionsprozesses beinhaltet: Das aufgeklärte Verbrechen fungiert als Ankläger. Der Richter soll dem gefesselten Übeltäter mitteilen, wie ihn sein wissentlich übelthat, die man gründtlich erfaren, verklagt hab55. Das folgende Verfahren dreht sich nur noch um das Geständnis des Inquisiten, das den Beweis dieser Anklage liefert56. Dabei fordert der Richter den Inquisiten nicht etwa auf, sein Geständnis noch einmal zu wiederholen; vielmehr befiehlt er dem „Stadt- oder Gerichtsschreiber“ das angefertigte Geständnisprotokoll zu verlesen57. Der Inquisit soll nun nur noch sein eygen bekantnüs (...) verhören58. Bestreitet er jetzt vor Gericht, dieses Geständnis wie verlesen abgegeben zu haben, greift man auf die Geständniszeugen zurück59. Jene „ehrbaren Leute des Gerichts“ oder urteiler, werden vom Richter aufgefordert, das Geständnis unter Eid zu bezeugen60. Dieses Vorgehen entspricht grundsätzlich der Praxis der deutschen Städte61. Lediglich eine Feinheit beweist eine gewisse Fortschrittlichkeit des Laienspiegels: Als Geständniszeugen lässt Tengler nicht diejenigen Personen zu, die bei der Folter anwesend waren. Da ein freiwilliges Geständnis bezeugt werden soll, müssen die Zeugen der Ratifizierung, d. h. der freiwilligen Wiederholung der Aussage, den Beweis 53 54

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Laienspiegel, Von besitzen und beleüten peinlichs Gerichts, fol. CXr; vgl. Art. 101ff. CCB. Laienspiegel, Vom verlesen des übelthäters urgicht, fol. CXVIIr; Von erzeügen der urgicht, fol. CXVIIv. Laienspiegel, Vom verlesen des übelthäters urgicht, fol. CXVIIr. Laienspiegel, Vom verlesen des übelthäters urgicht: der er auch durch sein eygen bekantnüs bewisen, fol. CXVIIr. Laienspiegel, Vom verlesen des übelthäters urgicht, fol. CXVIIr. Laienspiegel, Vom verlesen des übelthäters urgicht, fol. CXVIIr. Zu deren Aufgabe s. o. Kap. B.II.3.a. Ratifizierung, S. 182ff. Laienspiegel, Von erzeügen der urgicht; Vom verlesen des übelthäters urgicht, fol. CXVIIv/r. Eb. Schmidt, Einführung, S. 100ff.

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erbringen62. Diese Personen sollen dann nicht mehr an der Urteilsfindung beteiligt werden63. Die Bambergensis greift dagegen nicht zwangsläufig auf die Geständniszeugen zurück. Der Inquisit nimmt hier eine aktivere Verfahrenstellung ein. Ihm wird ein Fürsprecher an die Seite gestellt, der, sofern der Inquisit nicht zuvor gestanden bzw. zwar die Tatbegehung, nicht aber seine Schuld eingeräumt hat, auf dem endlichen Rechtstag dessen Verteidigung vorträgt oder, gesteht der Inquisit seine Schuld, für ihn um Gnade bittet64. Nur im Fall des unbegründeten Leugnens, das allein zu verhinderung des rechten dient, wird auch nach der Halsgerichtsordnung auf den Beweis durch Geständniszeugen verwiesen65. Tengler zieht hier die städtische Praxis den fortschrittlichen Regeln der Bambergensis vor. Er gibt damit der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens den Vorzug gegenüber einer aktiven Beteiligung des Inquisiten am Verfahren66.

3. Urteilsfindung und Urteilsverkündung67

Nachdem das Geständnis bezeugt ist, fragt der Richter nach dem Urteil. Der Laienspiegel schlägt ihm hierfür eine Frageformel vor, in der bereits klargestellt wird, worauf die Urteiler ihre Entscheidung stützen sollen: Auff die wissentlichen erfaren übelthat, unnd des gefangnen verlesen unnd bewisen urgicht, frag ich euch (...)68. Die Urteiler sollen grundsätzlich – im Laienspiegel wie in der Bambergensis69 – jeder für sich nach einander befragt werden. Für komplizierte Sachen70 62 63 64 65 66

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Laienspiegel, Von erzeügen der urgicht, fol. CXVIIv. Laienspiegel, Von erzeügen der urgicht, fol. CXVIIv. Art. 103, 105 CCB. Art. 107 CCB. Sellert wertet die im Laienspiegel beschriebene und in den Städten geübte Vorgehensweise als Kennzeichen des „formlosen“ Inquisitionsprozesses, Sellert, Quellen I, S. 113; so wohl auch Eb. Schmidt, Einführung, S. 105. Laienspiegel, Von urteylen, fol. CXVIIv; Forma der Endurteylen, fol. CXVIIIr; Von Richters erklärung, fol. CXXr; Forma Richters erklärung, fol. CXXr. Laienspiegel, Von urteylen, fol. CXVIIv. Art. 108 CCB: (...) yeden in sunderheyt fragen (...). Laienspiegel, Von urteylen: (...) Wo nun die sachen so dapffer, die urteyl lang, schwär, unnd zubesorgen, das eyner oder mehr urteyler, die selben mündtlich nit außlegen, oder darinn irren, (...), fol. CXVIIv.

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empfiehlt der Laienspiegel aber, dass der erste Befragte um eine Unterredung mit den anderen bittet. Das Urteil soll in diesem Fall am Ende der Besprechung aufgeschrieben und dann vor dem Richter verlesen werden und von allen, ausdrücklich ausgenommen sind die Geständniszeugen, eidlich bestätigt werden71. Auch für das „Endurteil“ gibt der Laienspiegel eine Formel vor. Sie enthält im Wesentlichen eine Art Entschuldigung der Urteiler für die in diesem Fall nicht gewährte Barmherzigkeit und die Berufung auf ihre Pflicht, ein gerechtes Urteil zu geben, außerdem nochmals den Hinweis auf die doppelte Urteilsgrundlage (auff die wissentlichen und erfaren geschichten, auch des gefangen armen manns gichtigen übelthat, so erkennen und sprechen wir) und auf ihren Eid72. Soweit es sich um eine Tat handelt, die in den „Gerichtsordnungen oder Statuten“ mit einer bestimmten Strafe belegt ist, entscheiden die Urteiler nur über die Schuldfrage. Für das Strafmaß werden die selben bücher verlesen73. Wenn keine konkrete Strafe in solchen Büchern vorgeschrieben ist, sollen die Urteiler diese nicht allein finden, sondern ratpflegen bei den „Hochverständigen und Rechtsgelehrten“, das Urteil schriftlich abfassen und verlesen. Sieht schließlich das Urteil eine bestimmte Art der Strafvollziehung vor, beschränkt sich die Aufgabe des Richters darauf, dem Nachrichter diese Vollziehung zu befehlen74 und die gesamte Gerichtsgemeinde zur Unterstützung der Bestrafung aufzurufen75. Ist die Art der Vollziehung im Urteil nicht enthalten, soll nicht der Nachrichter, sondern der Richter darüber entscheiden (so gebürt dem Richter die peen und straff zu erklären)76. Ausdrücklich wendet sich der Laienspiegel gegen die Gewohnheit, dass der Richter schlicht zum Tode verurteilt, die Art der Todesstrafe aber dem Nachrichter anheim stellt: Nun würt an etlichen enden durch die urteyler nit weiter erkent, dann das der gefangen arm mann mit seiner übelthat das leben verwürckt hat. Auch zu zeiten an solich urteyl gehangen, das der Richter eynem freien mann, als dem nachrichter zusprechen, wie er in vom leben zum tod richten. Alßdann solt erst der nachrichter erklären, wie er in zurichten und volziehung thun bevelhen mög77.

Tengler hält es für schmälich und am gewissen beschwärlicher, wenn Richter und Urteiler die Entscheidung über die Art der Todesstrafe derart aus der Hand 71 72 73 74 75 76 77

Laienspiegel, Von urteylen, fol. CXVIIv. Laienspiegel, Forma der Endurteylen, fol. CXVIIIr. Laienspiegel, Von urteylen, fol. CXVIIIr. Laienspiegel, Von richters erklärung, fol. CXXr. Laienspiegel, Forma richters erklärung, fol. CXXv. Laienspiegel, Forma richters erklärung, fol. CXXr. Laienspiegel, Von urteylen, fol. CXVIIv.

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geben78. Er führt diese Gewohnheit auf ein Missverständnis zurück: Soweit die Statuten erklären, die Entscheidung über die Art der Todesstrafe stünde einem freien Mann zu, sei damit nicht der Nachrichter gemeint, denn dieser gleiche nicht einem freien Mann, sonder eynem verachten dienstmann, der des heyligen Reichs recht nit gelernet79. Die Gewohnheiten und Statuten, auf die Tengler hier Bezug nimmt, mögen jene des bayerischen Rechts sein, das er aus seiner Praxis kannte. Am Hofgericht von Neuburg wurde noch das Oberbayerische Landrecht von 1346 angewendet80. Dieses bezeichnet den Nachrichter als „Freimann“81. Der bayerischen Praxis entsprach es, dass dieser „Freimann“ das Urteil über die Art der Todesstrafe sprach82. In seiner entschiedenen Ablehnung dieser Praxis mag Tengler nicht zuletzt auch durch seine Vorlage, die Bambergensis, bestärkt worden sein: Die Halsgerichtsordnung stellt die Entscheidung über die Art der Tötung dem richterlichen Ermessen anheim83; eine entsprechende Befugnis des Nachrichters wird mit keinem Wort erwähnt.

4. Schließung des endlichen Rechtstags

Unmittelbar vor der Vollstreckung der Strafe soll der Richter ein weiteres Urteil erbitten, das festlegt, wie Taten, die sich gegen die Entscheidung des Gerichts und die Urteilsvollziehung richten, geahndet werden sollen84. Tengler gibt dafür eine Regel vor: Wer versucht, die rechtvertigung, od[er] volziehung, gevärlich zurechen, irren oder wenden, der soll die gleiche Strafe erleiden wie der eben Verurteilte und zudem unmittelbar in die Acht fallen (das alßdenn nyemandt an iren leiben unnd gütern, nichts fräveln noch verschulden)85. Ganz ähnlich äußert sich hierzu die Bambergensis86.

78 79 80 81 82

83 84 85 86

Laienspiegel, Von urteylen, fol. CXVIIIr. Laienspiegel, Von urteylen, fol. CXVIIIr. Cramer-Fürtig, Landesherr und Landstände, S. 75. Art. 35 (3), 36 (13), 37 (3) , 39 (2), 48 (2) Oberbayerisches Landrecht (1346). Schlosser/Schwab, Oberbayerisches Landrecht, Kommentar zu Art. 35; Wüstendörfer, Das baierische Strafrecht, S. 130, 220. Art. 125, 110 CCB. Laienspiegel, Forma richters erklärung; Forma letster urteyl, fol. CXXv. Laienspiegel, Forma letster urteyl, fol. CXXv. Art. 114, 115 CCB.

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Nach dem Laienspiegel wie der Bambergensis87 erklärt der Richter, nachdem der Nachrichter die Strafe vollzogen hat, demselben gegenüber die Richtigkeit der Vollstreckung (So du den übelthäter vom leben zum tod gericht hast, wie mit urteyl erkennt, erklärt und bevolhen ist) und die Beendigung des Prozesses (so laß ich es dabei bleiben) und legt die Verantwortung für das Seelenheil des Getöteten ausdrücklich in die Hand Gottes88. Nur als regionalen Gebrauch bezeichnet der Laienspiegel das anschließende Brechen des Gerichtsstabes zu eynem zeychen, das nichtsmehr sol dawider gehandelt werden89. Bemerkenswerterweise bricht der Richter nach der Bambergensis den Stab schon in dem Moment, in dem er das Schicksal des Verurteilten in die Hände des Nachrichters legt90.

5. Zusammenfassung und Bewertung

Mit der Darstellung des endlichen Rechtstages hält Tengler an alten deutschen Rechtstraditionen fest. Er schöpft hier nicht aus gemeinrechtlichen Quellen, sondern aus der Bambergensis. Der abschließende öffentliche Gerichtstermin, in dem das Urteil verkündet und vollstreckt wird, berücksichtigt die strengen formalen Vorgaben, die nach der tradierten Vorstellung Voraussetzung für ein gerechtes Verfahren sind. Ausführlich beschreibt Tengler deshalb die Formalien der Ladung des Inquisiten, der Eröffnung und Beschließung des Prozesses. Obwohl über die Schuldfrage bereits entschieden ist, bevor der endliche Rechtstag eröffnet wird, und in der Regel auch das Urteil bereits im Vorfeld beraten und aufgeschrieben wurde, findet im öffentlichen Gerichtstermin dennoch die übliche Befragung der Urteiler statt; zumindest formal wird also auf dem endlichen Rechtstag das Urteil gefunden. Das zentrale Element des Gerichtstermins ist die Präsentation des Geständnisses. Hier verweist Tengler den Inquisiten, stärker als die Bambergensis, in eine rein passive Rolle. Er wird nicht mehr aufgefordert, sein Geständnis zu wiederholen. Es wird vielmehr das im Vorfeld angefertigte Geständnisprotokoll verlesen. Bestreitet er, dieses Geständnis abgegeben zu haben, werden die Geständniszeugen dazu vernommen. Tengler räumt damit dem Gerichtszeugnis jene überragende Rolle ein, die es im städtischen Geständnisprozess

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Art. 119 CCB. Laienspiegel, Forma Richters antwurt nach dem richten, fol. CXXIr. Laienspiegel, Nota vom gericht stab, fol. CXXIr. Art. 117 CCB.

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hatte. Er gibt damit der Zweckmäßigkeit den Vorzug gegenüber dem Schutz des Inquisiten.

C. Schlussbetrachtung

I. Der rechtspolitische Auftrag des Laienspiegels

Ulrich Tengler stellt seinen Laienspiegel in den Dienst der Reichsreform. In seiner Vorrede bemerkt Tengler, der König und die Reichstände hätten auf manchen Reichßtagen, mennigerley guter notturfftiger ordnung, constitution und gesatz (...) gemeynem nutz, friden und rechten zu hilff (...) auffgericht1. Für die Ziele der Reichsreform ist die Strafverfolgung von Amts wegen von zentraler Bedeutung. Ist das Phänomen „Reichsreform“ im Einzelnen auch schwer zu fassen2, so stellt doch die „Forderung nach Friede, Recht, Gericht und Exekution“, die Schaffung einer rechtlich geregelten „öffentlichen Ordnung“, ihren Kernbereich dar3; die dauerhafte obrigkeitliche Friedenssicherung entspricht einem dringenden Bedürfnis der Untertanen4 und ist zugleich Mittel zur Erreichung der verfassungspolitischen Ziele der Reichsreform – ein Schritt hin zu einer „staatlichen“ Ordnung5. Die Ersetzung der Privatklage durch den Inquisitionsprozess ist notwendige Voraussetzung für die Ausbildung des staatlichen Gewaltmonopols6. Es sind diese Bestrebungen, Frieden und Ordnung zu schaffen, denen der Laienspiegel zur Umsetzung verhelfen soll7. Aus diesem Grund nimmt Tengler den Ewigen Landfrieden, die Reformation Friedrichs III. aus dem Jahre 1442 und den Augsburger Landfrieden von 1500 in sein Werk auf. Die Rezeption des gelehrten Rechts ist damit für Tengler nicht Selbstzweck. Gerade die Lehre vom Inquisitionsprozess ist vor dem Hintergrund der Ziele der Reichreform von zentraler Bedeutung. Zur Durchsetzung eines dauerhaften Friedens ist die Strafverfolgung von Amts wegen unerlässliche Vorausset1 2 3 4

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Laienspiegel, Vorreden, Argument. Ausführlich dazu Angermeier, Reichsreform, S. 13ff., 28. Angermeier, Reichsreform, S. 24f. Dieses Bedürfnis sieht Laufs als primären Anlass für die Reichsreform, Reichsstädte, S. 172ff. Angermeier, Reichsreform, S. 25, 174. Fischer, Ewiger Landfrieden, S. 240; Sellert, Inquisitionsprinzip, S. 164. Laienspiegel, Vorreden, Argument.

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zung. So verlangt auch der Ewige Landfriede, man solle auch von Ampts wegen wider Überfarer und Fridbrecher (...) procediern8. In der Rezeption des gelehrten Rechts sieht Tengler ein Instrument der Rechtspolitik. Ausgehend vom gelehrten Recht lassen sich bestehende Institute legitimieren und die rechtspolitischen Bestrebungen seiner Zeit rechtfertigen. Ein zentrales Anliegen Tenglers ist es, die strafprozessualen Ziele der Landfriedenspolitik auf eine gemeinrechtliche Grundlage zu stellen und ihnen dadurch mehr Autorität und Akzeptanz zu verschaffen. Darüber hinaus bemüht er sich um den Nachweis, dass die bestehende Strafverfolgungspraxis, insbesondere der Städte, grundsätzlich mit dem gelehrten Recht im Einklang steht. Zugleich findet Tengler in der Rezeption des gelehrten Rechts einen Weg, jene Missstände in der heimischen Strafverfolgung zu beseitigen, die im ausgehenden 15. Jahrhundert als willkürliches Vorgehen der Fürsten und Reichsstädte angeprangert werden und die Notwendigkeit einer Strafprozessordnung vor Augen führen, der 1532 mit der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V. entsprochen wird9. Ausdrücklich formuliert Tengler seine Absicht mit dem Laienspiegel diesen willkürlichen Vorgehensweisen entgegenzutreten: Und nun durch übersehen, einfalt unn unwissenheyt, vil unn mancherley ungleicheyt und mißbrauch, die man etwo für ein gewonlich recht achten will, eingefürt, und doch dem gemeynen rechten nit gemäß, sonder zu vernichten, auch zuverhindrung der gerechtigkeyt, (…) kommen. Auff das dann die übel und missethaten dest ordenlicher mögen gerechtvertigt und gestrafft, so werden in disem Letsten Teyl des gemeynen Leyenspiegels (…) beim kürtzsten angezeygt, wie man gegen übelthätern mit rechtvertigung, gefäncknüs, fragen, erfarungen und in ander weg handlen (…)10.

Wie wird der Laienspiegel nun diesem rechtspolitischen Auftrag gerecht?

1. Die Legitimation der einheimischen Praxis a. Offizialmaxime Die Darstellung des Inquisitionsverfahrens leitet Tengler mit der Rechtfertigung der Offizialmaxime ein. Er kritisiert die Zurückhaltung der Richter bei der Strafverfolgung von Amts wegen. Deren mögliche Skepsis gegenüber der Durchbrechung des Privatklagegrundsatzes will er nun zerstreuen, indem er 8 9 10

Ewiger Landfrieden (1495), Laienspiegel fol. XCIIIr: Von der überfarer disz fridens enthaltung. Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 293. Laienspiegel, Einleitung zum Dritten Teil, fol. Cv.

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zeigt, dass auch in gemeynen rechten erfunden werden, das die zu zeiten notdürfftig unn gut wer11. Im Folgenden führt er einen Straftatenkatalog an, der auf Roffredus von Benevent zurückgeht. Dieser hatte sich – vermutlich im Auftrag Friedrichs II. – schon im 13. Jahrhundert der Aufgabe gewidmet, das kanonische Inquisitionsverfahren auch für das weltliche Recht fruchtbar zu machen, indem er nachwies, dass auch das römische Recht die Offizialmaxime zumindest für bestimmte Straftaten kannte12. Dieser Nachweis wurde fester Bestandteil der Lehre vom Inquisitionsprozess, als solchen finden wir ihn bei Durantis, Gandinus und Baldus13 – Bartolus belässt es bei dem Hinweis, diese Lehre könne bei allen Juristen nachgelesen werden14. Tengler konnte den Katalog also aus seinen italienischen Vorlagen übernehmen.

b. Acht und kurzer Prozess gegen Landfriedensbrecher Inmitten seiner Ausführungen zum Inquisitionsprozess behandelt Tengler scheinbar isoliert zwei zentrale Lehre der italienischen Jurisprudenz – die kanonische Notorietätslehre und die Lehre vom Majestätsverbrechen gestützt auf die Constitutiones Pisanae Heinrichs VII.15, die von Bartolus kommentiert und in das Corpus Iuris Civilis aufgenommen worden waren. Die Bedeutung dieser Kapitel erklärt sich nur vor den rechtspolitischen Bestrebungen des Laienspiegelverfassers. Den beiden Lehren ist gemeinsam, dass sie Abweichungen von den üblichen prozessualen Regeln rechtfertigen, ja ein summarisches Verfahren erlauben. Die Notorietätslehre ordnet ein solches für Verbrechen an, über deren Begehung keine Zweifel bestehen, so dass jeder Beweis entbehrlich sein

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Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CXIIIr. Trusen, Der Inquisitionsprozeß, S. 220ff., vgl. Kap. B.I.1. Rechtfertigung des Offizialprinzips, S. 48ff. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III., Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, pr.: Quando autem sit ad inquisitionem procedendum, facile pertranseamus: & quidem secundum leges potest in inquisitione procedi (...) quod patet in quibusdam casibus; Gandinus, Tractatus des maleficiis, Quomodo (…) per inquisitionem, n. 3; Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus et inquisitionibus, Ea quidem) n. 37; Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Haec est quaedam inquisitio, n. 12-48. Bartolus, Commentaria, D. 48.5.2.5 (Ad legem Iuliam de adulteriis, Ex lege Iulia, § Si publico), n. 3. MGH, Const. II, Nr. 929, 931.

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soll16. Die Constitutiones Pisanae drohen dem Majestätsverbrecher einen summarischen Prozess an und darüber hinaus die unmittelbar mit der Tat eintretende Acht17. Der Anlass, der Heinrich VII. im Jahre 1313 zum Erlass dieser Regelungen gegen Majestätsverbrecher bewegte, war ein Streit mit Robert von Anjou, dem König von Neapel und Anführer der Guelfen. Durch Robert und die Guelfen sah der König seinen Herrschaftsanspruch in akuter Gefahr18. Um dieser Gefahr mit der größtmöglichen Härte begegnen zu können, bediente sich Heinrich VII. der römischrechtlichen Figur des crimen laesae maiestatis. Er qualifizierte Robert und die rebellischen Guelfen als Majestätsverbrecher. Dies ermöglichte ihm Robert in Abwesenheit zum Tode zu verurteilen. In seinem Urteil über Robert von Anjou stützt Heinrich VII. seine Entscheidung schließlich nicht nur auf die Qualifizierung seines Widersachers als Majestätsverbrecher, sondern zugleich darauf, dass dessen Ungehorsam notorisch sei19. Er verwendet eben jene Wendung Gratians, die den Ausgangspunkt der Notorietätslehre bildete: Die Tat sei derart offenkundig, dass sie in keiner Weise bestritten werden könne, quod nulla possent tergiversatione celari20. Zu den Konstitutionen Heinrichs VII. verfasste schließlich Bartolus einen Kommentar. Dabei handelte er im Auftrag Karls IV.21, der offenbar erkannt hatte, welche Bedeutung die Erlasse Heinrichs VII. und speziell dessen Verwendung des Majestätsverbrechens zur Stütze des königlichen Machtanspruchs nun für die deutsche Landfriedenspolitik haben konnten. Bartolus wählt nun eine derart weite Definition des Majestätsverbrechens, dass letztlich jeder Verstoß gegen den Landfrieden als Ungehorsam gegenüber dem König den Tatbestand erfüllt22. Wenn dieser Ungehorsam zugleich notorisch ist, drohen besondere prozessuale Konsequenzen. Das öffentlich geschehene

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Die Wurzeln der Notorietätslehre liegen im Decretum Gratiani, vgl. C.2 q.1 c.14-21, insb. den zugehörigen Dicta Gratiani; Inger, Geständnis, S. 25; Lévy, La Hiérarchie, S. 33; Ghisalberti, La teoria del notorio, S. 404; Bertolino, Il notorio, S. 120; Erler, Mittelalterliche Rechtsgutachten, S. 21. Inger, Geständnis, S. 21. Zu den Constitutiones Pisanae Pennington, The Prince, S. 170ff. Pennington, The Prince, S. 170ff. Als „notorisch“ (publica et notoria) bezeichnet Heinrich VII. das Verbrechen König Roberts nicht in den hier erwähnten Konstitutionen, sondern im Urteil über den König (Bannitio et condemnatio roberti regis siciliae, MGH, Const. II, Nr. 946, S. 987, Z. 29ff.). MGH, Const. II, Nr. 946 (Bannitio et condemnatio roberti regis siciliae), S. 987, Z. 30f. Bartolus, Tractatus Super Constitutione Ad reprimendum, pr.; Trusen geht von einem Auftrag Karls IV. an Bartolus aus, Strafprozess und Rezeption, S. 73. Bartolus, Tractatus Super Constitutione Qui sint rebelles, Tenore, n. 6.

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oder allseits bekannte Majestätsverbrechen führt zur sofortigen Ächtung des Täters23 und seiner Verurteilung in einem summarischen Verfahren24. Tengler kennt nun diese weite Auslegung des Majestätsverbrechens im gelehrten Recht: Wiewol nun die wort inn solche vorberürten satzungen, auff beleydigung Key. Maie. lauten, so mögen sie doch nach außlegung und meynung der rechtweisen und geleerten (...) auch auff (...) gemeynen nutz (...) dermassen zuerstrecken (...)25. Tengler erklärt also, dass das, was die Konstitutionen für die Verletzung der kaiserlichen Majestät anordnen, auch für die Verletzung des gemeynen nutz gelten soll. Wenn Tengler hier vom gemeynen nutz spricht, so hat er die Landfrieden vor Augen26. Er verweist also auf die parallele Behandlung von Majestätsverbrechen und Landfriedensbruch. Tatsächlich lässt sich feststellen, dass den Landfriedensbrechern ähnliche Sanktionen drohen, wie Heinrich VII. für die Majestätsverbrecher vorsieht. Die Acht ist ein zentrales Instrument der spätmittelalterlichen Landfriedenspolitik. Der Ewige Landfrieden droht dem Friedensbrecher die Reichsacht an, er soll immer und überall um sein Leib und Gut fürchten müssen27. Die Acht stellt sich insofern als Mittel der Strafverfolgung28 dar, als diese unhaltbare Lage den Landfriedensbrecher vor Gericht zwingen soll. Zu diesem Zwecke ist es unabdingbar, dass die Acht ohne vorausgehende förmliche Verurteilung, vielmehr unmittelbar mit Tatbegehung eintritt. So ordnet denn auch der Ewige Landfrieden an, der Friedensbrecher solle (...) mit der that von recht (...) in Acht [ge]fallen sein29, die zugehörige Handhabung Frieden und Rechtens

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MGH, Const. II, Nr. 931: (...) an infidelis et rebellis imperii quisquam reputari debeat, nisi prius per nostre maiestatis sententiam condempnatus appareat, nos attendentes, quod acta prava malorum potius quam verba sententiarum ipsos faciunt pena condignos (...), entsprechend die französische Version, Nr. 932: se il premierement par la sentence (...) n'est condempnez, nos consideranz, que les mauvaises heuvres des maus pluis que les paroles de les sentences les font dignes de peine (...). Die Constitutio enthält die Wendung „summarie et de plano (sine strepitu et figura iudicii)“ . Dies ist die formelhafte Definition des summarischen Prozesses, Claproth, Summarische Processe, S. 2; vgl. Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVv. Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVIr. Vgl. auch Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVIr. Ewiger Landfrieden (1495), Laienspiegel, fol XCIIIv: Die peen der Fridbrecher: leib und gut aller menigklich erlaubt, und niemands daran fräveln (...) mag, vgl. RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1 (III.C. Ewiger Landfriede), Art. 3, S. 364. Wadle, Nürnberger Friedebrief, S. 561. Ewiger Landfrieden (1495), Laienspiegel, fol XCIIIv: Die peen der Fridbrecher, vgl. RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1 (III.C. Ewiger Landfriede), Art. 3, S. 364.

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präzisiert: Die Acht tritt ohne ferrer furfordrung oder einich weiter erclerung oder urteil ein30. Diese Form der Bestrafung ohne Prozess wird durchaus als problematisch wahrgenommen. Karl V. wird in seiner Wahlkapitulation aus dem Jahre 1519 erklären, diese Praxis abschaffen zu wollen: Wir sollen und wellen auch furkomen und kains wegs gestatten, daz nu hinfuro jemants hoch oder nider stands, churfurst, furst oder ander on ursach, auch unverhort in die acht und aberacht gethan, bracht oder erclert werde, sonder in solhem ordenlicher process und des heiligen Römischen reichs vor aufgerichte satzung in dem gehalten und volzogen werden31.

Tengler hingegen versucht, die Acht ohne vorangegangenen Prozess mit der Lehre vom Majestätsverbrechen vor dem Hintergrund der italienischen Jurisprudenz zu rechtfertigen. Was Heinrich VII. Robert von Anjou und jedem anderen Majestätsverbrecher androht, ist die sog. ipso iure-Acht, die wohl auf der kanonischen excommunicatio latae sententiae basiert32. Bartolus erklärt in seinem Kommentar, mit der Tat seien unmittelbar jegliche Güter, die Freiheit und das Leben des Täters jedermann preisgegeben33. Auch eine weitere prozessuale Besonderheit, die die Landfrieden zum schlagkräftigen Vorgehen gegen die Friedbrecher vorsehen, kann Tengler in Anlehnung an das gelehrte Recht erklären. Kommt es tatsächlich zum Gerichtsverfahren gegen einen Landfriedensbrecher, droht diesem in der Regel die Todesstrafe, in jedem Fall aber kann der Geächtete nicht mit einem förmlichen Prozess rechnen. Voraussetzung für diese strengen Konsequenzen des Landfriedensbruchs ist jedoch, dass der Landfriedensbruch als solcher unzweifelhaft feststeht. Im Ewigen Landfrieden von 1495, in den Akten des Freiburger Reichstags von 1498, und im Augsburger Landfrieden von 1500 findet man eine unterschiedliche Behandlung von "Friedbruchs-Verdächtigem" und "kundlichem Friedbrecher"34. Die sofortige Acht und die Verurteilung ohne förmliches Verfahren sieht der Augsburger Landfrieden nur für den Fall vor, dass der Friedbruch offenbar,

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Handhabung Friedens und Rechts, RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1, (III.E Handhabung Friedens und Rechts) § 12, S. 461. Reichstagsakten, Jüngere Reihe I, Nr. 387, Art. 24. Andreas Gaill betont die Parallelen zwischen Acht und Exkommunikation und übernimmt damit einen auch in der gemeinrechtlichen Literatur üblichen Vergleich, Andreas Gaill, Tractatus de Pace Publica, Vom kayserlichen Landfriden, 2. Buch, 3. Kap., n. 7, vgl. Nehlsen-von Stryk, Andreas Gaill und die „Friedlosigkeit“, S. 143, Anm. 50. Bartolus, Tractatus Super Constitutione Qui sint rebelles, Rebellando, n. 13. Vgl. zu den früheren Landfrieden Nehlsen-von Stryk, Prozessuale Verteidigung, S. 152ff., insbesondere S. 160.

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kundtlich und unlaugenbar sein würt35. Die Parallele zur Notorietätslehre ist offensichtlich. Soweit also die spätmittelalterlichen Landfrieden mit der unmittelbar eintretenden Acht und der Verurteilung im summarischen Verfahren dem Landfriedensbrecher besonders harte Konsequenzen androhen, stehen sie, wie Tengler zeigt, mit dem gelehrten Recht im Einklang.

c. Verfahren der Städte gegen die landschädlichen Leute und sonstige Landfriedensbrecher Ähnliches gilt für das Verfahren, dass Ulrich Tengler aus der Praxis der süddeutschen Städte kennt. Diese sind zur Vollziehung der Landfrieden berufen, namentlich zur Verfolgung der sog. landschädlichen Leute36. Diese ist auch den spätmittelalterlichen Landfrieden – neben der Eindämmung der Fehde – ein besonderes Anliegen. Ausdrücklich verlangen sie das Vorgehen gegen umherziehende Personen, die „einspennigen“ oder „reisigen Knechte“. Es handelt sich dabei um Personen, die nicht auf rechtschaffene Weise für ihren Lebensunterhalt sorgen und zugleich nicht zur Gruppe der „ehrenwerten“ Bettler angehören, die aufgrund ihrer Krankheit auf Almosen angewiesen ist und diese auch bekommen37. Der Ewige Landfrieden verlangt die Gefangennahme und Bestrafung solcher Personen: Sie sollen angenommen, hertigklich gefragt, unn umb ir mißhandlung mit ernst gestrafft(...)38. Die Bambergensis nimmt 35

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Augsburger Landfrieden (1500), Laienspiegel, fol. XCVv; vgl. Freiburger Reichstag 1498, RTA, Mittlere Reihe, VI (Verhandlungen 18.VI.-6.IX 1498), S. 720. Holzhauer, Heinz, Art. Landfrieden II, HRG II 11978, Sp. 1465-1485, 1477. Das Privileg König Ruprechts I. aus dem Jahre 1401 räumt Nördlingen folgendes Recht ein: „alle schädlichen Leute, Mordbrenner (mortprenner) und Diebe, die die Mehrheit des Rates für ‘verlumbde lute’ hält (duncket) und unter Eid erklärt, daß sie es für Stadt, Land und Leute sind, darf die Stadt richten und urteilen.“, Urkunden Nördlingen I, Nr. 962, S. 22. König Sigmund erklärt 1418 noch einmal: „die Stadt hat Gewalt, schädliche Leute wie Mörder, Mordbrenner, Räuber und andere, die in schlechtem Ruf stehen (verleumte) inner- und außerhalb der Stadt festzusetzen (haimen) und ihnen nachzustellen (gevaren), sie zu büßen und zu verurteilen“, Urkunden Nördlingen I, Nr. 1382, S. 161. Die Reformation Kaiser Friedrichs III. beschreibt die Angehörigen dieser Gruppe folgendermaßen: mit mercklicher kranckheyt seins leibs nit beladen, und eyn müssiggendiger sei, auch nit erberer, redlicher, unnd genüglicher leibsnarung für sich selber hab. (mit mercklicher kranckheyt seins leibs nit beladen, Reformation Kaiser Friedrichs III. (1442), Laienspiegel, fol. XCIv: Von Reysigen knechten. Ewiger Landfrieden (1495), Laienspiegel, fol. XCIIIIr: Von der einspennigen knecht wegen, vgl. RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1 (III.C. Ewiger Landfriede).

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die Bestimmung des Ewigen Landfriedens über die „einspennigen Knechte“ auf: Als sünderlich auss dem königlichen und des reichs gemeinen Landtfriden zu mercken, darinnen gesaczt ist, das man sölche puben nit leiden, Sunder annemen, hertiglich fragen und umb ir mysshendel mit ernst straffen sol39 und bindet die Aussagen des Landfriedens in ihr System des Strafprozesses ein40. Der Lebenswandel der Reisig oder fussknecht, namentlich das Fehlen einer redlichen Erwerbsquelle wird in der Bambergensis als Indiz gewertet, das – insbesondere beim Vorwurf des Raubes41 – für sich genommen die Folter erlaubt42. Tengler sieht nun auch hinsichtlich dieses Vorgehens gegen die landschädlichen Leute Parallelen im gelehrten Recht. Er beschreibt dieses Verfahren der Städte in seinem Kapitel: Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen43. Tengler ordnet dieses Vorgehen als kurtze(r) rechtvertigung ein, er bewertet es damit als summarischen Prozess. Dieser sei den Städten, wie Tengler sagt, krafft der Regalien unnd freyheyten, vom heyligen Reich gegeben, also aufgrund entsprechender Privilegien erlaubt. Tengler liefert darüber hinaus in Form von Allegationen wichtige Hinweise auf mögliche gemeinrechtliche Wurzeln des Verfahrens gegen die sog. landschädlichen Leute. Er macht auf Digestenstellen aufmerksam, die Aussagen der römischen Juristen Ulpian und Paulus zum Vorgehen der Provinzstatthalter gegen die sog. mali homines enthalten44. Wie bei den landschädlichen Leuten des deutschen Mittelalters geht es hier um die Probleme der Massenkriminalität und Devianz, denen die obrigkeitliche Gewalt zum Schutz von Frieden und öffentlicher Ordnung entgegen treten muss und zwar im Wege der Verfolgung von Amts wegen45. Eben diese Digestenstellen verwenden dann die italienischen Juristen des Mittelalters, um die Anwendung des Inquisitionsverfahrens auf die homines malae conditionis et vitae zu rechtfertigen, durch die sich nun die oberitalienischen Städte bedroht sehen46. Möglicherweise hat sich der seltsam anmutende Leumundsprozess gegen die schädlichen Leute 39

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Art. 47 CCB, vgl. Art. 39 CCC vgl. Ewiger Landfrieden (1495), Laienspiegel, fol. XCIIIIr: Von der einspennigen knecht wegen, vgl. RTA, Mittlere Reihe V, 1, 1 (III.C. Ewiger Landfriede). Art. 46, 47 CCB, vgl. Art. 39 CCC. Art. 47 CCB: verdechtlich zu vil bösen sachen, und allermeyst zu Rauberey, vgl. Art. 39 CCC. Art. 47 CCB: Gnugsam anzeygung, vgl. Art. 39 CCC. Laienspiegel, fol. CXVIr Kap. B.I.2.a.: Die gemeinrechtlichen Parallelen des Verfahrens gegen die landschädlichen Leute, S. 59ff. Vgl. dazu Nogrady, Römsches Strafrecht bei Ulpian, S. 30ff. Rüping/Jerouschek Grundriss, Rz. 40ff.; ferner Kantorowicz, Altitalienischer Strafprozess, S. 313; zur politischen Dimension der Digestenstellen bei Gandinus jetzt auch Vallerani, Il giudice, S. 45.

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aus einem Missverständnis des Inquisitionsverfahrens, namentlich der Rolle der mala fama, des Gerüchts, entwickelt47. Dieses Leumundsverfahren lässt sich indes nur punktuell belegen. Es wird bald von einem Verfahren abgelöst, das auf das Geständnis des angezeigten schädlichen Mannes abzielt48. Über die Bewertung dieses Verfahrens als Inquisitionsprozess besteht heute immer noch Uneinigkeit49. Trusen wandte ein, es handle sich bei diesem Verfahren um einen weitgehend formlosen „Geständnisprozess“50, der mit dem gelehrten Vorbild wenig gemein habe51. Der Laienspiegel legt indes eine andere Bewertung nahe. Soweit Tengler diesen städtischen Strafprozess beschreibt, verweist er nicht nur auf die besagten Digestenstellen, sondern auch auf die Constitutiones Pisanae Heinrichs VII. und das summarische Verfahren gegen Majestätsverbrecher. Offenbar sieht Tengler in diesem städtischen Verfahren den gelehrten Inquisitionsprozess in seiner summarischen Erscheinungsform. Tatsächlich stand die städtische Praxis zumindest insofern mit dem gelehrten Recht im Einklang, als es sich um ein Verfahren gegen Landfriedensbrecher und damit Majestätsverbrecher handelte, die auch nach dem gelehrten Recht ohne Berücksichtigung der üblichen Formen verurteilt werden durften.

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Kap. B.I.2.a.dd.: Das Vorgehen gegen landschädlichen Leute nach römischem und gemeinem Recht und nach den deutschen Landfrieden, S. 63ff. Zallinger, Landschädliche Leute, S. 199ff.; Eb. Schmidt, Inquisitionsprozeß und Rezeption, S. 44; Schröder/Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 865; Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 221; Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 75. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 85; Jerouschek, Herausbildung, S. 354. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 85; Fehr, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 173. So auch Eb. Schmidt, Inquisitionsprozeß und Rezeption, S. 53.

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d. Verfahren vor der Einung Dass Tengler die Lehre vom Majestätsverbrechen allgemein als Rechtfertigung solcher Verfahren versteht, die der üblichen Formen entbehren, zeigt sich auch an einer weiteren Stelle im Laienspiegel. Im Kapitel Von eynung Gerichten52, das bezeichnenderweise im Abschnitt Von kurtzen auszträgen53 zu finden ist, stellt Tengler das Verfahren vor der städtischen Einung dar. Dieses Gremium54 ist in erster Linie zuständig für die Aburteilung geringerer Taten, insbesondere von Verstößen gegen die polizeilichen Regelungen des Stadtrechts55. Nach Aussage des Laienspiegels schreitet die Einung aber auch ein bei Aufruhr in der Stadt, wenn sich etwo die leut mit fräveln worten, oder kundtlichen missethaten mit eyn ander zu auffrurn begeben,(...)56. Es geht um Taten, die die städtische Ordnung ins Wanken bringen, Fälle, in denen der Rat um seine Autorität fürchten muss. Die Aufrührer sollen von Amts wegen vor die Einung geladen und on rechtliche ordnung verhört werden. Ihnen droht ein Verfahren, bei dem die üblichen Formalitäten nicht berücksichtigt werden müssen57. Im Gegensatz zum Verfahren gegen die Landfriedensbrecher handelt es sich allerdings bei diesem abgekürzten Prozess nicht um einen peinlichen58; von Folter oder peinlicher Bestrafung spricht Tengler in diesem Zusammenhang nicht59. Am Rande seiner Ausführungen verweist Tengler auch hier auf die bekannten Constitutiones Heinrichs VII. Offensichtlich sieht Tengler auch in jedem Verhalten, dass die Autorität des städtischen Rates angreift, den Tatbestand des Majestätsverbrechens verwirklicht. Zu seiner Zeit hatten längst auch die Städte sich den Schutz des „Majestätsverbrechens“ gesichert60. So definiert nicht nur der Laienspiegel in seinen Ausführungen zum materiellen Strafrecht das Majestätsverbrechen als auffrurn in eyner statt wider die Oberkeyt, 52 53

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Laienspiegel, Von eynung Gerichten, fol. XCVIIIr. Die folgenden Kapitel bilden offenbar einen Abschnitt: Von kurtzen auszträgen, Von eynung Gerichten, Von wilkurlichen handlungen, Von andern kurtzen auszträgen. In Nördlingen besteht die „Einung“ aus zwei Angehörigen des kleinen Rats, die auf einen Monat gewählt sind, Art. 20 Stadtrecht B, Art. 22 Stadtrecht B (1348-1350). Als Stadtrecht B bezeichnet der Herausgeber K. O. Müller die 1348-1350 entstandene Fassung des Nördlinger Stadtrechts, Nördlinger Stadtrechte, S. 4*, 14f.; vgl. auch Felber, Unzucht, S. 25. Kroeschell, Karl/Cordes, Albrecht, Art. Einung, HRG I 22007, Sp. 1306-1309, 1308. Laienspiegel, Von eynung Gerichten, fol. XCVIIIr. Insbesondere entfallen wohl die üblichen Anforderungen an die Schriftlichkeit, Felber, Unzucht, S. 31. Spieß, Rüge und Einung, S. 62ff. Laienspiegel, Von eynung Gerichten, fol. XCVIIIr. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 73.

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Magistraten und vorgeer61, sondern ebenso der Klagspiegel und die Wormser Reformation62. Die Lehre vom Majestätsverbrechen auch auf das Verfahren vor der städtischen Einung zu beziehen und diesem so eine gemeinrechtliche Grundlage zu verschaffen, liegt für Tengler somit durchaus nahe. Der Laienspiegel weist noch auf eine weitere Möglichkeit hin, die städtische Praxis in Anlehnung an das gelehrte Recht zu erklären, insbesondere soweit hier ein formloses Verfahren praktiziert wird, obwohl – selbst bei weitester Auslegung des Begriffs – kaum von einem Majestätsverbrechen gesprochen werden kann. Das Verfahren vor der Einung, wie Tengler es darstellt, soll nicht nur in den besagten Fällen des Aufruhrs in der Stadt zur Anwendung kommen, sondern stets, wenn zu zeiten gebott unnd verbotte nit gehalten63. Entscheidend für die Vereinbarkeit dieses Vorgehens mit dem gelehrten Recht ist die Funktion der Einung als Rügeinstanz. Aus den Regelungen des Nördlinger Stadtrechts geht hervor, dass den Einungern Verstöße gegen die städtische Ordnung angezeigt werden64. In enger Anlehnung an seine italienischen Vorlagen beschreibt Tengler die Anzeige bzw. Denunziation als mögliche Einleitung des Inquisitionsverfahrens65. Wie seine gelehrten Quellen unterscheidet er die Anzeige durch Private von der, die dem Richter durch beamtete Rügepersonen zugetragen wird. Besonders interessant ist nun der zweite Fall: Auf eine amtliche Anzeige hin, soll der Richter „volle Gewalt“ haben, über die vorgetragene Tat zu urteilen66. Tengler übernimmt damit eine Doktrin des gelehrten Rechts, die auf die An61 62

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Laienspiegel, Von der schuld Lese maiestatis, fol. CIv. VI.2.15 Wormser Reformation; ähnlich der Klagspiegel, Ad legem Iuliam maiestatis, fol. CXVIIIr. Laienspiegel, Von eynung Gerichten, fol. XCVIIIr. Art. 33 Ordnungsbuch von 1423-1522; Art. 159 Stadtrecht C (1370-1520). Hier ist jeweils die Hand Ulrich Tenglers nachgewiesen, vgl. Müller, Nördlinger Stadtrechte, S. 182, 42; zur Einung als Rügeinstanz vgl. Spieß, Rüge und Einung, insbesondere S. 28. Zur Denunziation als Einleitung eines Inquisitionsverfahrens im gelehrten Recht vgl. Koch, Denunciatio. Die Forschung misst der Rüge bzw. Denunziation eine zentrale Bedeutung für die Durchsetzung des Inquisitionsverfahrens in der städtischen Strafpraxis bei, Jerouschek, Herausbildung, S. 359. Die Anzeige privater oder öffentlicher Rüger tritt demnach an die Stelle der Anklage. Was folgt, ist kein Parteienprozess, sondern ein Verfahren von Amts wegen. Die Denunziation habe damit dem Inquisitionsverfahren in der städtischen Strafverfolgung zum Durchbruch verholfen, Jerouschek, Herausbildung, S. 359. Dies legen jetzt auch die Untersuchungsergebnisse von Koch nahe, Denunciatio, S. 60ff., 84ff., 184ff. Laienspiegel, Von denuncieren und ansagen, fol. CXIIIv.

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zeige einer beamteten Rügeperson ohne weiteres die Verurteilung zulassen will. Zur Begründung führen die Juristen den Amtseid des Rügers an: Dieser garantiere die Wahrheit seiner Anzeige; auf Beweise könne daher verzichtet werden67. Tengler verweist in der zugehörigen Allegation auf eine Codexstelle, auf die auch die italienischen Juristen ihre Lehre stützen. Diese Codexstelle bezeichnet die Anzeigen von Amtsleuten als notoria68. Die Legisten kennen das notorium aus dem kanonischen Recht als Bezeichnung des bekannten Verbrechens, das keiner weiteren Aufklärung bedarf69. Diese zufällige begriffliche Parallele führte bei den Legisten zu einem Missverständnis: Sie schlossen aus der Bezeichnung der offiziellen Anzeigen als notoria, dass solche öffentlich angezeigten Verbrechen generell als „notorisch“ zu bewerten seien und deshalb auf ein Ermittlungs- oder Beweisverfahren verzichtet werden könne. Der Vergleich mit dem Klagspiegel, der Wormser Reformation und den Untersuchungen zur Strafverfolgungspraxis der deutsche Städte70 legt nahe, dass eben diese Doktrin des gelehrten Rechts zu Tenglers Zeit bereits Eingang in die deutsche Rechtspraxis gefunden hatte. Der Klagspiegel erwähnt die fürbringer, Amtsleute mit polizeilichen Aufgaben71. Als Beispiele nennt er wie Gandinus die Nachtwächter und Beamten, die mit dem Schutz von Wegen und Äckern betraut sind. Die Anzeigen bzw. Anklagen dieser Amtsleute entbinden den Richter von weiteren Ermittlungen zum Beweis der Tat72. Die Wormser Reformation beschreibt ebenfalls jene Amtsleute mit polizeilichen Aufgaben, die Übeltäter gefangen nehmen und dem Richter zur sofortigen Bestrafung übergeben73. Die Untersuchungen zum städtischen Inquisitionsprozess des 15. Jahrhunderts zeigen, dass die süddeutschen Städte spezielle Dienstleute mit Überwachungsaufgaben kannten74. Ob deren Anzeige allein, ohne weiteren Beweis zur Bestrafung des Delinquenten führen konnte, kann nicht allgemein beantwortet werden. Nachweislich wurde aber die Augenzeugenaussage eines amtlichen Rügers wie zwei

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Vgl. zu dieser Ansicht Gandinus Tractatus de maleficiis, Quomodo (...) per denuntiationem. C. 9.2.7. Dazu im Einzelnen im Kap. B.III.: Die Notorietätslehre im Laienspiegel, S. 195ff. Vgl. für Basel Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 175. Klagspiegel, Quomodo in accusatione procedatur, fol. CIXr. Klagspiegel, Quomodo in accusatione procedatur, fol. CIXr. VI.2.10 Wormser Reformation. Die von jenen Amtsleuten zu verfolgenden Übeltaten sind jetzt vielfältig: (...) oder die anders theten oder trügen das wider unser und gemeiner unnser Stat gebot oder uberkommen were und anders derglychen. Bendlage, Henkers Hetzbruder, S. 27ff.; Schorer, Strafgerichtsbarkeit Augsburgs, S. 175; Schuster, Stadt vor Gericht, 185ff.

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gewertet und konnte insofern einen zur Verurteilung genügenden Beweis erbringen75.

2. Das gelehrte Recht als Motor der Rechtsfortbildung

Bei allen Rechtfertigungsbemühungen sieht Tengler die Verfahrenspraxis, namentlich der Städte, doch keineswegs unkritisch. Er will vielmehr den Missständen, die im ausgehenden 15. Jahrhundert als willkürliches Vorgehen angeprangert werden und die Notwendigkeit einer Strafprozessordnung vor Augen führen76, mit seinem Werk entgegentreten: Und nun durch übersehen, einfalt unn unwissenheyt, vil unn mancherley ungleicheyt und mißbrauch, die man etwo für ein gewonlich recht achten will, eingefürt, und doch dem gemeynen rechten nit gemäß, sonder zu vernichten, auch zuverhindrung der gerechtigkeyt, (…) kommen. Auff das dann die übel und missethaten dest ordenlicher mögen gerechtvertigt und gestrafft, so werden in disem Letsten Teyl des gemeynen Leyenspiegels (…) beim kürtzsten angezeygt, wie man gegen übelthätern mit rechtvertigung, gefäncknüs, fragen, erfarungen und in ander weg handlen (…)77.

Zu diesem Zwecke nun verwendet Tengler die Rezeption des gelehrten Rechts nicht mehr zur Legitimation bestehender Institute, sondern als Instrument der Rechtsveränderung.

a. Aufklärung der Tat Es ist Tengler ein zentrales Anliegen, die Richter zur Aufklärung der Tat anzuhalten. Obgleich das Geständnis, anders als im gelehrten Recht und der Bambergensis für Tengler zwingende Voraussetzung der Verurteilung im Inquisitionsprozess bleibt, soll es doch nicht hinreichende Bedingung der Verurteilung sein. Tengler wendet sich damit gegen die in den Städte übliche Praxis des „Geständnisprozesses“; er verlangt ausdrücklich eine doppelte 75

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So für Basel Hagemann, Basler Rechtsleben, S. 174f. Im Magdeburgischen Recht kam dagegen dem Zeugnis des Amtswalters keine erhöhte Beweiskraft zu. Ein Kläger macht 1460 vor dem Breslauer Schöffengericht dennoch geltend, das Zeugnis des Schultheißen hätte den gleichen Wert wie die Aussagen zweier Zeugen, Nehlsen-von Stryk, Reinigungseid, S. 630. Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 293. Laienspiegel, Einleitung zum Dritten Teil, fol. Cv.

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Urteilsgrundlage: Neben das Geständnis, muss die wissentlichen erfaren übelthat treten78. Die Urteilsformel lautet entsprechend: Demnach auff die wissentlichen und erfaren geschichten, auch des gefangen armen manns gichtigen übelthat, so erkennen und sprechen wir (...)79. Diese Forderung wiederholt Tengler fast formelhaft an verschiedenen Stellen in seinem Laienspiegel80. Mit der „wissentlichen“ Tat verlangt Tengler die Feststellung, dass überhaupt ein Verbrechen geschehen ist. In keiner seiner deutschen Vorlagen konnte Tengler eine derartige Forderung finden. Das gelehrte Recht indes kannte das sog. corpus delictiErfordernis81: Bevor der Richter zur Aufklärung der Täterschaft ermittelt, muss festgestellt werden, dass überhaupt ein Verbrechen geschehen ist82. Aus einer Ulpianstelle (D. 9.2.23.11) folgert Bartolus, dass zur Verurteilung sowohl die Tat, als auch die Täterschaft bewiesen sein müsse83. Diese Beweise seien zu trennen: Das Geständnis sei nur taugliches Beweismittel hinsichtlich der Täterschaft, die Tat jedoch könne durch das Geständnis nicht bewiesen werden. Zum Nachweis der Tat, des corpus delicti, schlägt Bartolus vornehmlich den Augenscheinsbeweis vor84. Das corpus delicti-Erfordernis stellt sich insofern als wichtiger Schutzmechanismus zugunsten des Inquisiten dar, als die Legisten es zur Voraussetzung täterbezogener Ermittlungen, insbesondere aber zur Voraussetzung der Folter erklären85. In eben dieser Funktion übernimmt Tengler diese Doktrin des gelehrten Rechts und tritt damit der Praxis des sog. Geständnisprozesses entgegen: Die Erlangung eines Geständnisses 78 79 80

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Laienspiegel, Von urteylen, fol. CXVIIv. Laienspiegel, Forma der Endurteylen, fol. CXVIIIr. Laienspiegel, Von urteylen, fol. CXVIIv: die wissentlichen erfaren übelthat, unnd des gefangnen verlesen unnd bewisen urgicht; Laienspiegel, Forma peinlicher verkündung, fol. CXVIv: (...) auch auff dein eygen bekantnüs und wissenlich übelthat urteyl und rechtens gewarten würdest (...); Laienspiegel, Vom verlesen des übelthäters urgicht, fol. CXVIIr: (...) wie ihn sein wissenliche übelthat, die man gründtlich erfaren, verklagt hab, der er auch durch sein eygen bekantnüs bewisen; Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kuntlicher übelthaten, fol. CXVIr: (...) d[a]z (...) die wissentlichen übelthäter, auff warliche that, und ir bekentnüs (...) peinlich zustraffen sein mög. Brunnenmeister, Quellen, S. 214ff.; Hall, Corpus Delicti, S. 12ff. Die Legisten stützen diese Forderung auf D. 29.5.1.24. Tengler allegiert diese Digestenstelle und Bartolus’ Aussagen zum corpus delicti-Erfordernis. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine). Der Richter soll Amtsleute schicken, die Leiche oder die Wunden zu beschauen und zu protokollieren, Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine), n. 2: rectores mittunt militem, vel alium officialem ad videndum hominem mortum, & videndum vulnera, & hoc faciunt scribi. Ignor, Geschichte, S. 102ff. Schoetensack spricht im Hinblick auf die spätere Ausformung dieses Erfordernisses von einem „Asyl der Verbrecherwelt“, Carolina, S. 100;

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darf nicht mehr alleiniges Ziel des Verfahrens sein, zuerst muss festgestellt werden, dass ein Verbrechen vorliegt.

b. Rechtliche Regelung der Folter Tenglers Ziel, die Misstände in der städtischen Strafpraxis zu beseitigen, wird schließlich auch die Übernahme der gemeinrechtlichen Folterordnung, insbesondere der Indizienlehre, geschuldet sein. Nach dem Laienspiegel dürfen die Richter erst dann zur Folter schreiten, wenn ein hinreichender Verdacht gegen den Inquisiten besteht86. Schließlich verlangt Tengler die Überprüfung des Geständnisses87. Bevor man zur Verurteilung gelangt, soll untersucht werden, ob das Geständnis mit den sonstigen Ermittlungsergebnissen im Einklang steht. In seinen gelehrten Quellen findet Tengler die eindringliche Warnung vor falschen Geständnissen und der Gefahr einen Unschuldigen zu bestrafen88. Diese Warnung gibt nun Tengler an die deutschen Richter weiter. Sie könnte der verbreiteten Kritik seiner Zeit an der Willkür der Strafverfolgung abhelfen.

3. Bewertung vor dem Hintergrund des Forschungsstandes

Ulrich Tengler verwendet das gelehrte Recht also um einerseits bestehende Institute zu legitimieren, andererseits das heimische Recht zu verbessern, zu reformieren. Der zweite Aspekt, die Rezeption zum Zwecke der Rechtsfortbildung, entspricht der Beobachtung hinsichtlich der Land- und Stadtrechtsreformationen: Hier stellt sich Rezeption als gezielte „Romanisierung“ des einheimischen Rechts dar89. Auch ist bekannt, dass die Legitimationswirkung des römischen Rechts immer ein wesentlicher Aspekt der Rezeption war: Zur Begründung und Behauptung des kaiserlichen Herrschaftsanspruchs wurde regelmäßig das römische Recht bemüht90. 86 87 88

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Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CIXr. Ausgangspunkt bildet hier die Digestensstelle D. 48.19.5: satius enim esse impunitum relinqui facinus nocentis quam innocentem damnari. Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Rechtsgeschichte II, S. 247ff.; Giesen, Art. Rezeption fremder Rechte, HRG IV 11990, Sp. 995-1003, 999. Giesen, Art. Rezeption fremder Rechte, HRG IV 11990, Sp. 995-1003, 998.

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Ein wirkliches Vorbild mögen für Tengler indes die Juristen des städtischen Rates gewesen sein, die sich im 15. Jahrhundert bereits der Aufgabe widmeten, die städtischen Rechtsgewohnheiten auf ihre Vereinbarkeit mit dem gelehrten Recht zu überprüfen91. Offen ist, nach derzeitigem Forschungstand, nach wie vor die Frage, inwieweit bei der Verschmelzung von gelehrtem und deutschem Recht, sei es in den Stadtrechtsreformationen oder den Gutachten der Juristen, tatsächlich gelehrte Rechtssätze erstmals Eingang in das heimische Recht fanden. Hatten sich bestimmte Institute in der deutschen Rechtspraxis vielleicht ganz parallel und doch selbständig entwickelt oder sind sie Produkt viel früherer Einflüsse des römisch-kanonischen Rechts92? Auch an den Laienspiegel ist daher die Frage zu richten: Sucht Tengler im gelehrten Recht nach Aussagen und Lehren, die er den deutschrechtlichen Instituten und Phänomenen gleichsam „überstülpen“ kann oder weist er auf tatsächlich existierende Wurzeln dieser Institute im gelehrten Recht hin? Da eine abschließende Beantwortung dieser Frage den Umfang der Arbeit sprengen würde, sei nur darauf hingewiesen, dass nach dem derzeitigen Forschungsstand zur sog. Frührezeption des gelehrten Rechts eher Letzteres zu vermuten ist. Für Tengler selbst wird diese Frage indes keine Rolle gespielt haben: Sein Anliegen war allein die Legitimation einheimischer Institute. Inwiefern diese tatsächlich auf das gelehrte Recht zurückgeführt werden können, entzog sich sicherlich weitgehend seiner Kenntnis und wird zu Tenglers Zeit für die Legitimationswirkung des gelehrten Rechts unerheblich gewesen sein. Aus heutiger Sicht bleibt dennoch festzustellen: Soweit Tengler auf Übereinstimmungen des deutschen mit dem gelehrten Recht hinweist, befindet er sich überwiegend im Einklang mit bestehenden Forschungsthesen und liefert zugleich neue Belege für frühe Rezeptionsvorgänge. Dies gilt zunächst für die Bewertung des städtischen Verfahrens zur Verfolgung der landschädlichen Leute als Zeugnis der Frührezeption. Gestützt wird diese Bewertung auf die Beobachtung, dass bei der Verfolgung der landschädlichen Leute der Beweis des schlechten Leumunds eine entscheidende Rolle spielt93. Trusen stellt übereinstimmend mit der älteren Literatur fest: 91

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Isenmann untersucht insbesondere die Tätigkeit der Juristen des Nürnberger Rates, Gelehrte Juristen, S. 326ff. Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Rechtsgeschichte II, S. 248f. Jerouschek, Herausbildung, S. 352; Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 85; vgl. ferner Zallinger, Landschädliche Leute, S. 34; von Kries, Beweis, S. 20; Löning, Reinigungseid, S. 230, Anm. 278; Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 72.

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„Das Vorbild der kanonistischen ‚inquisitio famae’ liegt auf der Hand“94. Es erscheint insofern durchaus naheliegend, dass die italienische Lehre von der Verfolgung der mali homines, auf die nun Tengler hinweist, dem Vorgehen gegen die landschädlichen Leute tatsächlich Modell gestanden hat. Auch soweit Tengler die Lehre von der Notorietät und vom Majestätsverbrechen heranzieht, um die deutsche Rechtspraxis zu legitimieren, bestätigt er die Forschung. Bereits Trusen stellte fest, dass die Landfrieden auf die Lehre vom crimen laesae maiestatis und die kanonistische Notorietätslehre Bezug nehmen95 und dass diese Lehren für das Strafprozessrecht insofern von Bedeutung sind, als sie ein summarisches Verfahren erlauben96. Erst Tengler macht nun aber auf die Parallele zwischen der Acht, wie wir sie in den spätmittelalterlichen Landfrieden finden, und dem gelehrten Recht aufmerksam. Ausdrücklich und in Abgrenzung zu den Anleihen aus dem gelehrten Recht wertete noch Brunnenmeister den „Achtprocess“ als Phänomen des „germanische(n)“ Rechts97. Tengler führt die Acht der Landfrieden jetzt auf die Constitutiones Pisanae Heinrichs VII. und deren gelehrte Bearbeitung zurück. Zwar ist an dieser Stelle keineswegs auszuschließen, dass Tengler hier das gelehrte Recht nur verwendet, um ein originär deutschrechtliches Institut zu rechtfertigen. Es bleibt aber festzustellen, dass auch der berühmte Kameralist Andreas Gaill noch im 17. Jahrhundert in seinem Kommentar zum Landfrieden die Konstitutionen Heinrich VII. heranzieht. Auch er verwendet sie als Beleg dafür, dass in bestimmten Fällen des kundlichen Friedbruchs nach dem gelehrten Recht die Acht ohne Urteil eintreten soll98. In jedem Fall verlangen die Erkenntnisse über die rechtspolitische Dimension des Laienspiegels eine neue Bewertung Ulrich Tenglers und seines Werkes. Das Anliegen, das Tengler mit seinem Laienspiegel verfolgte, ging über die Schaffung eines Handbuches für Laienrichter weit hinaus: Er sah sich selbst und sein Werk als Teil der Reformbewegung seiner Zeit.

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Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 72. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 65, 71, 72f. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 64f., 72f. Brunnenmeister, Quellen, S. 214. Andreas Gaill, Tractatus de Pace Publica, Vom kayserlichen Landfriden, 2. Buch, 3. Kap., n. 16ff.

II. Klagspiegel und Laienspiegel oder die Entwicklung vom kanonischen zum gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess

Tenglers Intention, zwischen deutschen Rechtsgewohnheiten und dem gelehrten Recht zu „vermitteln“, erklärt schließlich auch die vollkommen unterschiedliche Darstellungsweise des Inquisitionsprozesses im Laienspiegel und im Klagspiegel. Während die Darstellung im Klagspiegel einem stringenten und geschlossenen Aufbau folgt, stellt Tengler den Inquisitionsprozess in drei verschiedenen Erscheinungsformen dar. Eine davon kann nach der Konzeption seiner Darstellung als „ordentliches“ Inquisitionsverfahren bezeichnet werden1. Daneben behandelt der Laienspiegel zwei Formen, die Tengler als „kurze“ oder summarische Prozesse qualifiziert2 und deren Zulässigkeit er auf entsprechende Privilegien stützt. Dies sind, wie bereits erwähnt, zum einen der städtische Prozess gegen Landfriedensbrecher3, zum anderen das Verfahren vor einem Gremium von mehreren Ratsherren, der sog. Einung, zur Wahrung des städtischen Friedens. Tengler nimmt also jene Verfahren in seinen Laienspiegel auf, die er aus der Rechtspraxis, namentlich der deutschen Städte, kennt4. Sie finden im Klagspiegel überhaupt keine Berücksichtigung. Was Tengler dagegen als „ordentliches“ Inquisitionsverfahren darstellt, entspricht im Wesentlichen dem gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess, wie wir ihn auch in der Bambergensis und der Carolina finden. Er ist damit abzugrenzen von der ursprünglichen kanonischen Form des Inquisitionsverfahrens. Dieses wiederum legt der Klagspiegelverfasser seiner Darstellung des Inquisitionsprozesses zugrunde; die Untersuchung des Klagspiegels konnte insofern Trusens Hinweis bestätigen, dass der Inquisitionsprozess des Klagspiegels „ganz auf den kanonischen Grundsätzen basiert“5.

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Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CXIIIr. Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVv, bzw. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIr und Laienspiegel, Von eynung Gerichten, fol. XCVIIIr. Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVv, bzw. Laienspiegel, Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen, fol. CXVIr. Laienspiegel, Von eynung Gerichten, fol. XCVIIIr.

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Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 88.

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Vom kanonischen zum gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess

Mit der Rezeption des gemeinrechtlichen anstelle des kanonischen Inquisitionsprozesses entspricht Tengler seinem erklärten Anliegen, ein Handbuch für die weltliche Rechtspraxis zu verfassen und erweist sich zugleich als zeitgemäß: Seine Konzeption des Inquisitionsverfahrens berücksichtigt die Veränderungen, denen das Institut über die Jahrhunderte ausgesetzt war. Er stellt das Inquisitionsverfahren in jener Form dar, die schließlich den Ausgangspunkt der frühneuzeitlichen Strafrechtswissenschaft bildete.

1. Veränderungen des Inquisitionsprozesses durch die italienische Jurisprudenz

Der Frage, welchen Veränderungen im Einzelnen das Inquisitionsverfahren, insbesondere durch die Bearbeitung seitens der weltlichen Jurisprudenz ausgesetzt war, hat sich, wie eingangs dargestellt, bislang nur Brunnenmeister vertieft gewidmet6. Durch die hier vorgenommene vergleichende Untersuchung des Laienspiegels und des Klagspiegels konnten Brunnenmeisters Ergebnisse in wichtigen Punkten bestätigt und ergänzt werden. Anhand der Allegationen des Laienspiegels ließ sich darüber hinaus nachvollziehen, in welchen Schritten und durch welche Impulse sich die Entwicklung des Inquisitionsverfahrens vollzog. Soweit Tengler vom Klagspiegel abweicht, berücksichtigt er in erster Linie jene Modifikationen, die der Inquisitionsprozess durch die italienische Jurisprudenz erfahren hat7. Dies gilt zunächst hinsichtlich der unterschiedlichen Bewertung der mala fama, also des Gerüchts, das eine bestimmte Person einer bestimmten Tat bezichtigt. Sie ist im Inquisitionsprozess des Klagspiegels von zentraler Bedeutung, im Laienspiegel dagegen ist sie völlig in den Hintergrund getreten. Wie lässt sich dies erklären? Der mala fama kommt im innerkirchlichen Bereich eine zentrale Bedeutung zu: Das Gerücht über die Verfehlung eines Klerikers birgt die Gefahr eines scandalum, das dem Ansehen der Kirche schadet. Im kirchlichen Inquisitionsprozess übernimmt die mala fama dogmatisch die Rolle des Anklägers, sodass formal kein Verstoß gegen das Akkusationsprinzip vorliegt8. Das Ge6 7 8

Brunnenmeister, Quellen, S. 214, s.o. S. 28. Brunnenmeister, Quellen, S. 214. Kap. B.I.4.a.bb.: Vor- und Hauptverfahren im Klagspiegel, S. 99ff. und B.I.4.a.dd(3)(a): Das Vorverfahren bei Durantis, S. 109ff.

Vom kanonischen zum gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess

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rücht ist insofern Ausgangspunkt und Prozessvoraussetzung des ex officio eingeleiteten Verfahrens. Der Aufklärung der Tat müssen zwingend Ermittlungen hinsichtlich des Gerüchts vorausgehen. In eben dieser Funktion taucht es auch im Inquisitionsprozess des Klagspiegels auf9. Der Laienspiegel dagegen misst dem Gerücht nicht mehr diese Bedeutung bei. Ausgangspunkt des Inquisitionsverfahrens ist für ihn die Tat. Prozessvoraussetzung bzw. Voraussetzung des Vorgehens gegen einen Verdächtigen, für dessen Gefangennahme und Befragung, ist ein indiziengestützter Verdacht. Das im Volk bestehende Gerücht, der Verdächtige habe die Tat begangen, kann unter Umständen ein solches Indiz liefern, erbringt aber für sich genommen keinen hinreichenden Verdacht10. Diese Modifikation ist Kennzeichen des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses, der schließlich auch Gegenstand der Vollrezeption ist. Auch für die Bambergensis und die Carolina ist Ausgangspunkt des Verfahrens die Tat, das Gerücht findet nur noch als eines unter vielen Indizien Berücksichtigung11. Richard Schmidt wertet diese Veränderung als wesentlichen Schritt hin zum modernen Strafprozess12. Anhand der gelehrten Quellen des Laienspiegels lässt sich diese Modifikation des kanonischen Inquisitionsprozesses nachvollziehen. Keineswegs stellt sie sich schlicht als Ergebnis der Übernahme des kirchlichen Verfahrens in das weltliche Recht dar; die Legisten hielten zunächst durchaus an der Prozessvoraussetzung der mala fama fest13. Es ist vielmehr ein dogmatischer Fortschritt, der zum Bedeutungsverlust der mala fama führt. Die Legisten widmen sich der mala fama im Rahmen der Indizienlehre. Hier nimmt diese allerdings keine Sonderstellung ein, sondern ist einer unter vielen Aspekten, die einen die Folter legitimierenden Verdacht begründen können. Mala fama und Indizien erscheinen insofern austauschbar. Angelus Aretinus und Augustinus Bonfranciscus ziehen daraus den entscheidenden Schluss: Wenn neben der mala fama auch andere Indizien zur Rechtfertigung der Tortur genügen, so müssen sie erst recht, ebenso wie die mala fama, die Einleitung des Verfahrens erlauben14.

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Klagspiegel, Defensio inquisiti et appellatio, fol. CXVr, ganz ähnlich noch einmal fol. CXVv., vgl. Kap. B.I.4.a.bb.: Vor- und Hauptverfahren im Klagspiegel, S. 99ff. Kap. B.I.4.a.aa.: Vor und Hauptverfahren im Laienspiegel, S. 98f. Kap. B.I.4.a.dd.: Die Entwicklung des Inquisitionsverfahrens im gemeinen Recht, S. 101ff. R. Schmidt, Aufbau des Inquisitionsprozesses, S. 51. Kap. B.I.4.a.dd(3)(b): Das Vorverfahren bei den Legisten, S. 116ff. Augustinus Bonfranciscus, Add. zu Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Quod fama publica (…), n. 2 und 3.

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Vom kanonischen zum gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess

Die verfahrenseinleitenden Untersuchungen, die der Laienspiegel und der Klagspiegel fordern, sind grundverschieden. Auch hier hält der Klagspiegel am ursprünglichen kanonischen Inquisitionsprozess fest, während der Laienspiegel aus der gemeinrechtlichen Verfahrensform schöpft. Die ersten Ermittlungen, die der inquirierende Richter nach der Aussage des Laienspiegels vornehmen soll, sind auf ein völlig anderes Ziel gerichtet als jene, die der Klagspiegel verlangt15. Zunächst stellt sich dies als Folge der unterschiedlichen Ausgangspunkte dar: Da der Klagspiegel die mala fama, das Gerücht, als Prozessvoraussetzung fordert, haben die ersten Ermittlungen die Untersuchung dieses Gerüchts zum Gegenstand. Wie das kanonische Recht und Durantis verbietet der Klagspiegel ausdrücklich jegliche Untersuchung der Tat bzw. die inquisitio veritatis, bevor nicht in der inquisitio famae das Gerücht festgestellt worden ist. Dem Laienspiegel geht es dagegen von Anfang an um Tataufklärung. Er verlangt in einem Vorverfahren das Zusammentragen von Indizien, die einen zur Folter ausreichenden Tatverdacht gegen eine bestimmte Person erbringen. Darüber hinaus verlangt der Laienspiegel aber, wie bereits oben erwähnt, die Feststellung, dass überhaupt ein Verbrechen geschehen ist. Dieses Erfordernis findet sich nicht in der Bambergensis, wohl aber in der Carolina16. In der frühneuzeitlichen Strafrechtswissenschaft wird das sog. corpus delictiErfordernis zu einem zentralen Element des Inquisitionsprozesses; es ist schließlich (alleiniger) Gegenstand des jetzt als „Generalinquisition“ bezeichneten Vorverfahrens17. Auch hier haben wir es mit einer Modifikation zu tun, die das ursprüngliche kanonische Inquisitionsverfahren bereits durch die legistische Bearbeitung erfuhr. Schon Brunnenmeister und Hall haben auf die Entwicklung der corpus delicti-Lehre in der italienischen Rechtswissenschaft hingewiesen18. Ihre Feststellung, die Doktrin sei – nach Ansätzen bei Gandinus19 – maßgeblich durch Bartolus ausgehend von der Digestenstelle D. 29.5.1.24 entwickelt worden20, wird durch den Laienspiegel und den Vergleich mit dem Klagspiegel bestätigt: Tengler verweist für diese Lehre auf die besagte Digestenstelle und Bartolus’ Ausführungen. Diese offenbaren, aus welchen Überlegungen heraus das corpus delicti-Erfordernis von den Legisten 15 16 17

18 19 20

Kap. B.I.4.b. Das Vorverfahren, S. 124ff. Art. 6 CCC. Hall, Corpus Delicti, S. 4; Ignor, der aber fälschlicherweise den frühneuzeitlichen Begriff der Generalinquisition nicht von jenem der kanonischen inquisitio generalis unterscheidet, Geschichte, S. 94; Sellert, Inquisitionsprinzip, S. 171; Oestmann, Hexenprozesse, S. 171. Brunnenmeister, Quellen, S. 214ff.; Hall, Corpus Delicti, S. 12ff. Gandinus, Tractatus de maleficiis, De presumptionibus et indiciis dubitatis, n. 4. Bartolus, Commentaria, D. 48.18.22 (De quaestionibus, Qui sine).

Vom kanonischen zum gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess

329

in das Inquisitionsverfahren eingeführt wurde. Entscheidend ist auch hier, dass im weltlichen Strafprozess die Tat den Ausgangspunkt des Verfahrens bildet; das Verbrechen an sich verlangt das Tätigwerden des Gerichts. Es liegt damit auf der Hand, dass zunächst festgestellt werden muss, ob überhaupt ein Verbrechen geschehen ist, bevor man sich der aufwendigen Suche nach dem Täter zuwendet21. Im kirchlichen Inquisitionsprozess indes lieferte das prozesseinleitende Gerücht sogleich einen Tatverdächtigen. Ebenso wenig wie Durantis verlangt daher der Klagspiegel eine gesonderte Untersuchung der Tat als solcher. Schließlich bildet im Laienspiegel die peinliche Befragung einen festen Bestandteil im Ablauf des Inquisitionsverfahrens. Ausführlich widmet Tengler sich den Voraussetzungen und dem Ablauf der Folter sowie dem Umgang mit dem erfolterten Geständnis22. In der Forschung ist seit langem unbestritten, dass die rechtliche Regelung der Folter, namentlich die Indizienlehre, ein Verdienst der italienischen Rechtswissenschaft ist23. Der ursprüngliche kanonische Inquisitionsprozess, insbesondere soweit er uns als innerkirchliches Disziplinarverfahren begegnet, sieht zunächst keine Folter vor. Sie ist vielmehr Kennzeichen der besonderen Ausprägung des Inquisitionsverfahrens als Ketzerprozess. Abermals finden wir im Klagspiegel die Urform des Inquisitionsprozesses wieder. Zwar nimmt auch der Klagspiegel Stellung zu den Regeln des peinlichen Verhörs. Keineswegs stellt er dasselbe aber als Element des Inquisitionsverfahrens dar; soweit er den Ablauf des Prozesses darstellt, erwähnt er die Folter mit keinem Wort. Im Inquisitionsprozess des Klagspiegels scheinen weniger der Inquisit selbst, als vielmehr Leumunds- und Tatzeugen als Beweismittel zu fungieren.

21 22 23

Vgl. auch Brunnenmeister, Quellen, S. 219. Laienspiegel, Von gestrengem fragen, fol. CVIIIv. Brunnenmeister, Quellen, S. 214; Fiorelli, La tortura giudiziaria II, S. 10ff.

330

Vom kanonischen zum gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess

2. Veränderungen des Inquisitionsprozesses durch die Aufnahme in die deutsche Rechtspraxis

Weitere Abweichungen des Inquisitionsprozesses des Laienspiegels von jenem des Klagspiegels beruhen nicht auf Veränderungen des Verfahrens durch die italienische Rechtswissenschaft, sondern auf der Harmonisierung des gelehrten Inquisitionsprozesses mit den deutschen Rechtsgewohnheiten. Tengler erklärt es ausdrücklich zu seiner Absicht, nicht starr das gelehrte Recht zu übernehmen, sondern die Gegebenheiten der deutschen Rechtspraxis durchaus zu berücksichtigen, sein Werk sei: auß obberürten (...) ordnungen, satzungen, unn gewonlichen übungen gezogen (...)24. Dass sich der Inquisitionsprozess durch die Rezeption in das deutsche Recht veränderte, der Prozess der Bambergensis und der Carolina daher nicht in allen Punkten mit dem gelehrten Inquisitionsprozess übereinstimmt, ist seit langem bekannt. Vornehmlich Trusen und Jerouschek haben sich, wie eingangs erwähnt, hinsichtlich der einzelnen Veränderungen um Erklärungsansätze bemüht25. Trusen führt als Beleg für die These, dass auch die sog. Frührezeption den Inquisitionsprozess veränderte und neue Formen desselben hervorbrachte, zunächst den „Geständnisprozess“ an, der sich in den deutschen Städten herausbildete26. Zwar war das Geständnis schon im gelehrten Inquisitionsprozess von zentraler Bedeutung. Erst in der Strafpraxis der deutschen Städte, so die Forschungsergebnisse Trusens und Kleinheyers27, wird das Geständnis aber zur unabdingbaren Voraussetzung der Verurteilung im Verfahren von Amts wegen. Erst hier ist schließlich der ganze Prozess auf die Erlangung eines Geständnisses ausgerichtet. Die vergleichende Untersuchung des Laienspiegels und des Klagspiegels bestätigt diese These: Obgleich keine seiner gelehrten Vorlagen das Geständnis als notwendige Voraussetzung der Verurteilung beschreibt, verlangt Tengler es unbedingt. Der Zeugenbeweis tritt dagegen, abweichend von der italienischen Lehre, bei Tengler in den Hintergrund. Der Klagspiegel dagegen lässt in Übereinstimmung mit dem gelehrten Recht die Verurteilung alternativ aufgrund eines Geständnisses oder der übereinstimmenden Aussage zweier Augenzeugen zu28. Nur Tengler berücksichtigt hier 24 25 26 27

28

Laienspiegel, Vorreden, Layenspiegels Argument. Jerouschek, Herausbildung; Trusen, Strafprozeß und Rezeption. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 77ff., 85. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 81ff.; Kleinheyer, Die Rolle des Geständnisses, S. 367ff. Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv.

Vom kanonischen zum gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess

331

also jene Entwicklungen, die sich mit dem frühen Eindringen des Inquisitionsverfahrens in die deutsche Rechtspraxis vollzogen haben. Das Gleiche gilt für den endlichen Rechtstag. Auch dieser gilt heute unbestritten als spezifisch deutschrechtliches Phänomen29. Während Tengler seine Ausführungen zum Inquisitionsverfahren mit der Darstellung eines solchen öffentlichen Gerichtstermins abschließt, erwähnt der Klagspiegel den endlichen Rechtstag nicht. Bezeichnenderweise fehlen im Laienspiegel am Rande der Ausführungen zum endlichen Rechtstag Verweise auf das gelehrte Recht. Auch hier hat Tengler aus seiner praktischen Erfahrung geschöpft.

29

Kleinheyer, Die Rolle des Geständnisses, S. 380f.; Schild, Wolfgang, Art. Endlicher Rechtstag, HRG I 22007, Sp. 1324-1327, 1325; Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 81ff.

III. Abschließende Bewertung

Die Berücksichtigung der einheimischen Rechtspraxis führt beim Laienspiegel zu gewissen Unübersichtlichkeiten im Aufbau. An den meisten Stellen fehlt indes nur auf den ersten Blick die Systematik; bei genauerer Betrachtung erschließen sich Tenglers Beweggründe für den gewählten Aufbau. So ist zunächst nicht erkennbar, weshalb Tengler, nachdem er den Ablauf der Inquisitionsverfahrens bereits einmal in seinem Kapitel Von inquirieren und erfarungen1 beschrieben hat, später im Kapitel Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen2 scheinbar dasselbe noch ein zweites Mal darstellt. Nur der Hinweis auf die Abkürzung des Verfahrens, die „Freiheiten“, d. h. Privilegien, und die entsprechenden Allegationen stellen schließlich klar, dass Tengler nun eine summarische Form des Inquisitionsverfahrens zu behandeln gedenkt, die er aus der städtischen Praxis zur Verfolgung von Landfriedensbrechern kennt. Keineswegs weichen nun aber die Verfahrensregeln für diesen kurzen Prozess von jenen ab, die er bereits für den „ordentlichen“ aufgestellt hat. Die Kautelen, die er für jenes Verfahren verlangt, fordert er auch für dieses. Die „kurze Rechtfertigung“ stellt sich um nichts mehr als summarischer Inquisitionsprozess dar, als jenes „ordentliche“ – oder umgekehrt: Das ordentliche Verfahren ist nicht weniger ein summarisches als jenes, das Tengler als solches ausweist. Vor dem Hintergrund der italienischen Strafrechtswissenschaft kann diese Erkenntnis indes kaum verwundern: Ein summarisches Verfahren, dass in seinem Ablauf und seinen Unterschieden zum „ordentlichen“ Verfahren festgelegt ist, findet sich auch in der gemeinrechtlichen Literatur nicht beschrieben. Soweit die Juristen – im Zusammenhang mit der Notorietät oder dem Majestätsverbrechen – von einem summarischen Verfahren sprechen, wählen sie in der Regel nur eine negative Definition desselben: Sie sprechen von einem Verfahren, bei dem die üblichen Regeln nicht (alle) eingehalten werden müssen3. Welche Grundsätze indes auch für dieses Verfahren gelten müssen und welche Regeln nur unter weiteren Voraussetzungen verzichtbar 1 2 3

Laienspiegel, fol. CXIIIr. Laienspiegel, fol. CXVIr So schon: X 2.24.21, X 5.1.9, X 3.2.8; (Dict. Grat.) C.2, q.1 c.15/c.16/c.17 und noch genauso Augustinus Bonfranciscus in seinen Additionen zu Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Non quidem, n. 1 mit Verweisen auf Durantis, Gandinus und Baldus; vgl. auch Kap. B.III.2.b.: Prozessuale Konsequenzen der Notorietät, S. 211ff.

Abschließende Bewertung

333

sind, ist Gegenstand von Diskussionen4. Letztlich sind es nur formale Vorschriften, auf deren Entfallen man sich allgemein einigen kann. Materielle Vereinfachungen, wie der Verzicht auf den Überführungsbeweis, werden nur hypothetisch diskutiert. Im Ergebnis muss man die Existenz eines konkreten summarischen Verfahrens in der gemeinrechtlichen Lehre bezweifeln; greifbar wird nur die Idee, dass in bestimmten Fällen das Gericht das Verfahren freier handhaben kann. Das Verfahren vor der Einung verortet Tengler schließlich im zivilrechtlichen Teil seines Werkes5, obwohl die Darstellung dieses Verfahrens vor der städtischen Rügeinstanz im Zusammenhang mit den Ausführungen zur Denunziation naheliegender erschiene. Im Unterschied zu jenen Verfahrensformen, die Tengler im strafrechtlichen Teil seines Werkes beschreibt, ist aber das Verfahren vor der Einung in der Regel nur auf eine Bußzahlung gerichtet, Folter und peinliche Bestrafung sind nicht vorgesehen. Indem Tengler dieses Verfahren vor der Einung nicht als Inquisitionsverfahren einordnet, offenbart er keineswegs fehlende Systematik, vielmehr eine sehr sensible Unterscheidung: Allein die beiden eingangs genannten Kriterien, das Ziel der materiellen Wahrheitsermittlung und der Einsatz rationaler Beweismittel, machen für Tengler noch nicht das Inquisitionsverfahren aus. Für Tengler ist das Inquisitionsverfahren ein peinliches Verfahren, gekennzeichnet durch die Anwendung der Folter zur Erlangung eines Geständnisses und die peinliche Bestrafung. Die Gemeinsamkeit mit dem summarischen Inquisitionsprozess gegen Landfriedensbrecher verdeutlicht er indes durch die Allegation der Constitutio Ad Reprimendum: Beide Verfahren weisen durch die Einleitung von Amts wegen und eine gewisse Formlosigkeit dieselbe Irregularität auf. Wenig stringent wirkt Tenglers Aufbau schließlich auch durch die Unterbrechung seiner Ausführungen zum Inquisitionsverfahren für die Darstellung der Notorietätslehre6 und die Wiedergabe der Constitutiones Pisanae7. Es fehlt jede erklärende Einleitung zu diesen Abschnitten; ebenso wenig folgt

4

5 6 7

Die Wendung simpliciter et de plano, et sine strepitu et figura iudicii wird unterschiedlich verstanden. Während Heinrich VII. sie als Grundlage für ein schlagkräftiges Vorgehen gegen Majestätsverbrecher verwendet und auf sie die Regel stützt, der offenkundige Majestätsverbrecher dürfe schon nach einmaliger erfolgloser Ladung in Abwesenheit zum Tode verurteilt werden, beschränkt Papst Clemens V. die Modifikationen auf formelle Vereinfachungen des Verfahrens, vgl. Kap. IV.2.: Die Constitutio Ad reprimendum und ihre Wiedergabe im Laienspiegel, S. 238ff. Laienspiegel, Von eynung Gerichten, fol. XCVIIIr. Laienspiegel, fol. CXIVv-CXVv. Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVv.

334

Abschließende Bewertung

eine abschließende Erklärung, welche Bedeutung diese Ausführungen für den Inquisitionsprozess haben sollen. Erst auf den zweiten Blick wird für den Leser der Zweck dieses Einschubs erkennbar: Tengler will damit die gemeinrechtliche Grundlage für jenes kurze Verfahren gegen Landfriedensbrecher liefern, das er dann im Folgenden als summarische Form des Inquisitionsverfahrens darstellt. Grundsätzlich zeichnet sich Tengler durch einen sehr freien und eigenständigen Umgang mit seinen Quellen aus; wörtliche Übernahmen größerer Passagen sind die Ausnahme. Das gilt zunächst für die deutschen Quellen. Namentlich die Bambergensis diente Tengler in weit geringerem Maße als Vorlage, als nach Stintzings Einschätzung zu vermuten wäre8. Lediglich das Kapitel Von des gefangen laugnen9 ist nahezu wörtlich dem Artikel 23 der Bambergensis (Von unzweiffenlichen Missetaten) entnommen; den endlichen Rechtstag stellt Tengler in enger Anlehnung an die Bambergensis dar. Obwohl er die Bambergensis also zweifelsohne kannte und verwendete, trifft Tengler aber eigene Wertungen. Er scheut sich nicht, von den Aussagen der Halsgerichtsordnung abzuweichen. So lässt er bei der Würdigung der Indizien dem Richter wesentlich mehr Ermessensspielraum als die Bambergensis und lehnt deren strikte Vorgaben ausdrücklich ab10. Auch seine gelehrten Quellen kopiert Tengler in den seltensten Fällen. Lediglich die erwähnten Constitutiones Pisanae gibt er in nahezu wörtlicher Übersetzung wieder11. Der Abschnitt über die Notorietätslehre12 und das Kapitel über den Reinigungseid13 sind im Aufbau sehr eng an Durantis‘ Speculum angelehnt. Im Übrigen zieht Tengler seine Aussagen aus verschiedenen Vorlagen zusammen und zeigt sich dabei durchaus kritisch. So berücksichtigt er Durantis‘ Ausführungen, die ja die kanonische Form des Verfahrens zum Inhalt haben, stets nur, soweit sie mit seiner Darstellung des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses kompatibel sind14.

8 9 10

11 12 13 14

Stintzing, Populäre Literatur, S. 444. Laienspiegel, Von des gefangen laugnen, fol. CVIIv. Laienspiegel, Von gestrengem fragen: Aber von solchen indicia, ist mißlich gewisse regeln zusetzen, sonder eynem gerechten Richter gezimpt eygentlich zuermessen, der gefangen person, und übelthat wesentlichheyt, fol. CVIIIv . Laienspiegel, Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten, fol. CXVv. Laienspiegel, fol. CXIVv-CXVv. Laienspiegel, Von purgation und rechtlicher entschuldigung, fol. CXIIIIr. So zum Beispiel hinsichtlich der Beschreibung der Ermittlungen im Vorverfahren vgl. Kap. B.I.4.b.aa., S. 124ff.

Abschließende Bewertung

335

Ganz offensichtlich fällt Tengler der Umgang mit den lateinischen Texten im Allgemeinen nicht schwer. Nur in wenigen Fällen scheint er seine Quellen missverstanden zu haben, lediglich in einem Fall ist das evident. Tenglers Ausführungen zum Reinigungseid sind, wie gesagt, eng an Durantis angelehnt. Während aber dieser für den Fall, dass ein Kleriker den Reinigungseid verweigert, dessen vorläufige Suspendierung aus dem Amt anordnet, gelangt Tengler, weil er das lateinische suspendere mit „aufziehen“ übersetzt, zur Erzwingung des Reinigungseides mittels der Folter15. Entgegen seiner Äußerung, der Leser solle den Allegationen nicht unbedingt nachgehen16, verkürzt Tengler die Aussagen seiner Quellen teilweise so stark, dass der Sinn verloren geht. So ist das Kapitel über die Notorietät ohne Zuhilfenahme der Ausführungen von Durantis nicht zu verstehen. Tenglers Beispiele für Indizien, die zumindest kumulativ zur Anwendung der Folter berechtigen, sind ebenso wenig aus sich heraus verständlich; hier muss die Bambergensis vergleichend herangezogen werden. Nicht nur an dieser Stelle fällt auf, dass die Allegationen keineswegs zwangsläufig auf diejenigen Quellen hinweisen, die Tengler für die entsprechende Passage verwendet hat17. So übernimmt er oft Allegationenbündel aus seinen gelehrten Vorlagen, die auf Stellen im Corpus Iuris Civilis oder im Corpus Iuris Canonici hinweisen, erwähnt aber die entsprechende Vorlage nicht. Das gilt zum Beispiel für den Straftatenkatalog des Roffredus, den Tengler in nahezu jeder seiner italienischen Quellen finden konnte18. Dennoch verweist er am Rande nur auf die zugehörigen Digesten- und Codexstellen, stellt aber 15 16

17

18

Kap. B.VI.2.: Ablauf des Reinigungsverfahrens und Wirkung des Reinigungseides, S. 289ff. Tengler glaubt, die gelehrten Texte würden unter den Laien mehr Verwirrung stiften denn Erhellung bringen: (...) wann den schlechten Leyen, etwo durch weitleüffig lang schrifften zulesen, ihr gemüt vil ehe zerstrewt werden, weder das sie den rechten grund selbs möchten erfünden oder erkennen, Beschlusz des Leyenspiegels, fol. CXXIIIr. Darauf weist Tengler aber hin: (...) mit der Rechtgelerten Allegation bezeychnet, doch nit gar in bestätigung oder bewörung weiß, sonder ob yemandt den grund nit lauter verstünd, d[a]z er dardurch mög ursach unn anzeygens haben, ferrer underricht bei den rechtweisen zusuchen (...), Laienspiegel, Beschlusz des Leyenspiegels, fol. CXXIIIr; vgl. dazu auch Brand in seiner gereimten Vorrede zum Laienspiegel: Was du nit weyst das solt du fragen, Laß dir das eyn geleerten sagen. Oder der meer recht hab erfarn; Pahlmann, Bernhard, Art. Ulrich Tengler, Deutsche und Europäische Juristen, S. 418-420, 419. Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III., Part. I, De Inquisitione, § 2: Ad inquisitionem quando sit procedendum, pr.: Quando autem sit ad inquisitionem procedendum, facile pertranseamus: & quidem secundum leges potest in inquisitione procedi (...) quod patet in quibusdam casibus; Gandinus, Tractatus des maleficiis, Quomodo (…) per inquisitionem, n. 3; Baldus, Commentaria, C. 9.2.7 (De accusationibus et inquisitionibus, Ea quidem) n. 37; Angelus Aretinus, Tractatus de maleficiis, Haec est quaedam inquisitio, n. 12-48.

336

Abschließende Bewertung

nicht klar, dass deren Zusammenstellung nicht sein Verdienst ist19. Ebenso wenig legt Tengler hinsichtlich seiner Ausführungen zum Reinigungseid die Verwendung von Durantis‘ Speculum Iudiciale offen20. Im Vergleich zum Klagspiegel erscheint der Laienspiegel insofern fortschrittlicher, als er anstelle der alten kanonischen Form des Inquisitionsverfahrens den gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess darstellt, der schließlich auch Eingang in die Carolina und damit in die frühneuzeitliche Strafrechtswissenschaft findet. Dieser Fortschrittlichkeit steht indes die Beobachtung entgegen, dass Tengler einige gelehrte Grundsätze zum Schutz des Inquisiten außer Acht lässt. Zwar übernimmt er mit der Indizienlehre und dem corpus delictiErfordernis jene gelehrten Anforderungen, die zur Aufklärung des Verbrechens zwingen und das bloße Geständnis nicht ausreichen lassen. Im Gegensatz zum Klagspiegel verliert er aber kein Wort über die Verteidigung des Inquisiten. Schon der von ihm dargestellte Ablauf des Verfahrens lässt dafür wenig Raum. Der Inquisit wird überhaupt erst dann mit dem Tatvorwurf konfrontiert und in den Prozess eingebunden, wenn bereits die Voraussetzungen vorliegen, die gegebenenfalls seine Folter erlauben21. Der Klagspiegel räumt indes der Verteidigung des Inquisiten einen erheblich höheren Stellenwert ein22. Er sieht von Anfang an die Beteiligung des Inquisiten vor. Das Verfahren verläuft durchgehend in Form eines ordentlichen Gerichtstermins ab, in dem der Inquisit gehört wird. Es werden Zeugen vernommen, wobei der Inquisit auf deren Befragung im Wege sog. interrogatoria Einfluss nimmt23. Außerdem steht es ihm offen, Einwendungen und Gegenbeweise vorzubringen24. Die Voraussetzungen einer wirksamen Verteidigung, ausreichende 19 20

21 22

23 24

Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CXIIIr. Hier übernimmt Tengler, ohne dies offen zu legen, Durantis, Speculum Iudiciale, lib. III, Part. I, De abolitione et purgatione, § 2: Purgatio quid sit, pr. Auch seine Verweise auf die Dekretalen und den Liber Extra stammen von Durantis. Laienspiegel, Von inquirieren und erfarungen, fol. CXIIIv. Wohl in Anlehnung an Clem. 2.11.2 versteht der Klagspiegelverfasser das Recht auf Verteidigung als ein Naturrecht (Wann das wören im rechten kompt von natürlichen rechten), er erklärt: Wann käme der Teüffel in gericht, man soll im günnen das er sich wöre, Klagspiegel, Ad legem corneliam de siccariis, fol. CXXIIIIr. Diese Metapher verwenden später auch Carpzov und der Kameralist Andreas Gaill, Carpzov, Practica nova, Pars 3, q. 115, n. 1: (...) certius est, defensionem esse juris naturalis, adeo ut ne bestiis quidem, nedum homini, imo nec Diabolo auferri debeat; zu Andreas Gaill vgl. Nehlsen-von Stryk, Andreas Gaill und die „Friedlosigkeit“, S. 147. Klagspiegel, Exceptiones contra inquisitionem, fol. CXIIIv. Klagspiegel, Exceptiones contra inquisitionem, fol. CXIIIv, Defensio inquisiti et appellatio, fol. CXIIIIv.

Abschließende Bewertung

337

Information und Zeit, werden ihm ausdrücklich gewährt. Die peinliche Befragung25 scheint nur subsidiär, bei missglückter Überführung durch Zeugen und einer hinreichenden Gewissheit über die Schuld in Betracht zu kommen26. Dagegen ist im Laienspiegel die peinliche Befragung des Inquisiten das zentrale Element des Hauptverfahrens27. Zeugenvernehmungen erwähnt Tengler hier überhaupt nicht mehr. Das Hauptverfahren scheint sich – gesteht der Inquisit nicht freiwillig – in der Regel in der Folterkammer abzuspielen. Auch im Vergleich zur Bambergensis, macht sich Tenglers Tendenz bemerkbar, gerade jene Regelungen seiner Vorlagen, die dem Schutz des Inquisiten dienen, zu ignorieren. So soll nach der Bambergensis der Inquisit in einem gütlichen Verhör ausdrücklich nach einem Alibi gefragt werden (Art. 58 i.V.m. Art. 15 CCB) und, wenn er selbst keine Zeugen vorbringt, obliegt es dem Gericht, seine Verteidigung zu überprüfen bzw. zu stützen, Art. 58 CCB28. Was die Erhebung des Indizienbeweises für die Frage der Zulässigkeit der Folter angeht, sieht die Bambergensis eine weitere bemerkenswerte Kautel vor: Sie verlangt vom Richter die Abwägung zwischen den belastenden Tatsachen mit solchen Umständen, die gegen eine Schuld des Täters sprechen; solche entlastenden Umstände muss der Richter ebenso erkunden wie die belastenden, Art. 34 CCB, vgl. Art. 28 CCC29. Vor diesem Hintergrund kann Tenglers Darstellung des Inquisitionsprozesses nur eingeschränkt als fortschrittlich bezeichnet werden. Inwiefern vermögen nun diese Ergebnisse der Untersuchung des Laienspiegels jene Begeisterungsstürme Sebastian Brants zu erklären, die ich dieser Arbeit voranstellte?

25 26

27 28

29

Klagspiegel, De questionibus, fol. CXXVIIIv. Wann die Folter im Inquisitionsverfahren zur Anwendung kommen soll, wird dadurch besonders rätselhaft, dass der Klagspiegel nach dem misslungenen Zeugenbeweis dem Inquisiten den Reinigungseid eröffnet, Klagspiegel, Iudicis officium in procedendo, fol. CXIIIIv. Kap. B.I.4.c.: Das Hauptverfahren, S. 135ff. Vgl. zu der entsprechenden Vorschrift der Carolina (Art. 47 CCC) Ignor, Geschichte, S. 79ff. Vgl. dazu Rüping/Jerouschek, Grundriss, Rz. 106, 129.

338

Abschließende Bewertung

Tatsächlich hat Tengler wie die Seefahrer neue Entdeckungen gemacht. Sein Meer waren die Schriften der gelehrten Juristen, seine Inseln deren Theorien, die Antworten auf die rechtlichen Fragen seiner Zeit bereithielten. Mag der Ruhm seiner Entdeckungen auch bald von der Carolina als Reichsgesetz und von der entstehenden deutschen Strafrechtswissenschaft überlagert worden sein, so hält Sebastian Brants Lobeshymne fest, dass der Laienspiegel zu seiner Zeit einen Meilenstein der Rechtsgeschichte darstellte.

D. Anhang

I. Synopse der zitierten Titel in den Laienspiegelausgaben Straßburg 1536 und Augsburg 1511 (Ende des Ander Teyl und der Dritt Teyl) Kapitel (Ausgabe Straßburg 1536)

Straßburg 1536

Augsburg 1511

Der Ander Teyl (Ende) Keyser Friderichs Reformation.

XCv

XCIr

CLr (Fehler in der Blattzählung, richtig wäre: CXLIXr) CLr

XCIr XCIr XCIv

CLr CLr CLIr

XCIv XCIIr XCIIr XCIIv XCIIv XCIIIr

CLIv CLIIr CLIIr CLIIv CLIIIr CLIIIv

XCIIIv XCIIIv XCIIIv XCIIIv

CLIIIIr CLIIIIv CLIIIIv CLIIIIv

XCIIIIr

CLVr

XCIIIIr

CLVv

Das niemands den andern beschädig. Umb kundtliche schuld. Wie man pfenden sol Wer in offen Vheden gefreit sein sol Von Reysigen knechten Wie man geleyten soll. Von dem heymlichen gericht. Von der Guldin müntz wegen. Von der Silbrin müntz wegen. Der künigklich Landtfrid zu Wormbs auffgericht Fridbott. Auffhebung aller Vhede. Die peen der Fridbrecher. Wenn die thäter des Fridbruchs nit offenbar, und des niemands (in der Ausgabe Augsburg 1511: yemands) verdacht wer. Fridbrecher und solch thäter nit zu hausen. Von der überfarer disz fridens enthaltung.

340

Von der eynspennigen knecht wegen. Ob Geystlich person wider disen frid handleten. Welche umb Fridbruchs willen in Acht kommen. Auffhebung aller freiheyt, so wider disen Landtfriden seien. Diser Landtfrid, sol den andern rechten nit abbruch thun. Landtfrids erklärung zu Augspurg Von auffgerichtem Landtfrid. Von der peen der überfarer diser ordnung und abschids. Ob yemandts der handthabung halben des friden, schaden empfienge. Ob yemands den fridbrechern heymlicher zuschüb, verdacht wer. Die Fridbrecher sollen keyn geleyt haben noch geben. Wie wider der ächter, ausserhalb fridbruchs, leib und gut procediert warden soll. Wie dem klager, wider des ächters Schloss oder bevestigung geholffen werden soll. Wider der Ganerben Schloss. Von den die über jar und tag in der Acht verharren. Von den ächtern, die ir gut gevärlich verwenden, oder in schirm geben. Von kurtzen auszträgen. Von eynung Gerichten. Von wilkurlichen handlungen. Von andern kurtzen auszträgen. Von kundtschafftrechten, marckung und undergehn.

Anhang

XCIIIIr

CLVv

XCIIIIv

CLVIr

XCIIIIv

CLVIr

XCIIIIv

CLVIv

XCIIIIv

CLVIv

XCVr XCVr XCVv

CLVIIr CLVIIv CLVIIIr

XCVv

CLVIIIr

XCVv

CLVIIIr

XCVIr

CLIXr

XCVIv

CLIXv

XCVIv

CLIXv

XCVIv XCVIIr

CLIXv CLXr

XCVIIr

CLXr

XCVIIv XCVIIIr XCVIIIr XCVIIIv XCIXr

CLXIv CLXIIv CLXIIv CLXIIIv CLXIIIIv

Anhang

341

(In der Ausgabe Augsburg 1511 folgt an dieser Stelle der Teufelsprozess, auf dessen Übernahme in der Straßburger Ausgabe verzichtet wird) Leyenspiegels Dritter Teyl

Cr

CLXXXIIr

Von Peinlichen oder Malefitz richtern. Von mancherley übelthaten. Von der schuld Lese maiestatis. Von Gotslesterung. Von Meyneydigen. Vom Falsch. Vom Eebruch und ander unkeüsch. Von Todtschlagen und andern entleibungen. Von diebstal in mancherley weisz. Von kätzerey, warsagen, schwartzer kunst, zauberey, unholden. etc. Forma Citation wider Unholden. Wie die Unholden peinlich zu fragen sein mögen. Von rechtvertigung und verklagung der übelthäter Von des gefangen laugnen. Von Gefängknüs. Von gestrengem fragen. Von ander beweisung der übelthäter. Von peinlichen gerichts tagen. Vom besitzen und beleüten peinlichs Gerichts.

CIr

CLXXXIIIv

CIr CIv CIv CIv CIv CIIr

CLXXXIIIv CLXXXIIIIr CLXXXIIIIv CLXXXIIIIv CLXXXIIIIv CLXXXVr

CIIv

CLXXXVIr

CIIIr CIIIIv

CLXXXVIIr CXCv

CVv CVIv

CXCIIr CXCIIIIr

CVIIr

CXCVv

CVIIv CVIIv CVIIIv CIXr

CXCVv CXCVIv CXCVIIv CXCIXr

CIXv CXr

CCr CCIII (Fehler in der Blattzählung, es fehlen hier die CCI und CCII) CCIIIv CCIIIIr

Forma anklagers ersten begerens. Von beruffen und fürfüren der gefangen.

CXv CXv

342

Anhang

Forma klagers redner fürtrag vom fürfüren. Klagforma Peinlich. Von des gefangen begeren.

CXIr

CCIIIIr

CXIr CXIv

Antwurt Forma. Von rechtlichem procesz in peinlichem. Von peen und straffen. Von deportation und lands ewig verstossen. Von Regalien und des lands eyn zeit verstossen. Von andern interdiction oder verbieten. Von denunciern und ansagen. Von inquirieren und erfarungen. Von übelthaten in einreden zugemessen. Von abtilgen der übelthat. Von purgation und rechtlicher entschuldigung. Forma purgation eyd. (Die Titel “Von offenbaren thaten” bis ”Von gemürmblen” erscheinen in der Ausgabe Augsburg 1511 in abweichender Reihenfolge) Von offenbaren thaten. Von heymlichen sachen. Von kundtlich wissen. Forma der mitpurgierer eyd. Von wissentlichen missethaten. Von unleümbden. Von gemürmblen. Von samentlicher und kurtzer rechtvertigung kundtlicher übelthaten.

CXIv CXIv

CCIIIIr CCIIIr (Fehler in der Blattzählung) CCIIIr CCIIIv

CXIIr CXIIv

CCVv CCVIr

CXIIv

CCVIr

CXIIv

CCVIr

CXIIv CXIIIr CXIIIv

CCVIr CCVIv CCVIIv

CXIIIv CXIIIIr

CCVIIv CCVIIIr

CXIIIIv

CCVIIIv

CXIIIIv CXIIIIv CXIIIIv CXVr CXVr CXVr CXVv CXVv

CCIXr CCIXv CCIXv CCVIIIv CCVIIIv CCIXr CCIXr CCXr

Anhang

Wie in kurtzer rechtvertigung, auff freiheyten zu handlen sey, von ampts wegen. Von erfarung der that und bekennen des thäters. Ordnung in solcher kurtzer rechtvertigung. Forma peinlicher verkündung. Vom Gerichtstag. Vom verlesen des übelthäters urgicht. Von erzeügen der urgicht. Von urteylen. Forma der Endurteylen. Von Geltstraff. Umb schlechten diebstal peinlich. Oder also auch umb schlechten diebstal. Umb grossen diebstal, oder gewaltige nom. Von Juden straff. Umb straszraub, todtschlag, notzwang. Vom mord, und radbrechen. Vom Mordtbrennen. Vom ertrencken. Vom Vierteylen. Peen die ir nächst freünd ertödten. Vom notzwang. Weibs person zu richten. Umb Gotts lösterung. Umb fridbrieff, eyd, oder gelübd brechen. Von Richters erklärung. Forma Richters erklärung. Forma letster urteyl. Forma Richters antwurt nach dem richten. Nota vom gerichtstab.

343

CXVIr

CCXIv

CXVIv

CCXIIr

CXVIv

CCXIIr

CXVIv CXVIv CXVIIr

CCXIIr CCXIIv CCXIIIr

CXVIIv CXVIIv CXVIIIr CXVIIIr CXVIIIr CXVIIIv

CCXIIIr CCXIIIr CCXVr CCXVr CCXVr CCXVv

CXVIIIv

CCXVv

CXVIIIv CXIXr

CCXVIr CCXVIv

CXIXr CXIXr CXIXr CXIXv CXIXv CXIXv CXIXv CXIXv CXXr

CCXVIv CCXVIv CCXVIIr CCXVIIr CCXVIIr CCXVIIv CCXVIIv CCXVIIv CCXVIIv

CXXr CXXr CXXv CXXIr

CCXVIIIv CCXVIIIv CCXIXr CCXIXr

CXXIr

CCXXr

344

Von der abgetödten übelthäter Cörper Von der verurteylten übelthäter gut wegen. Von der verurteylten übelthäter appellation. Vom Göttlichen gericht. (In der Ausgabe Augsburg 1511 folgt an dieser Stelle das Weltgerichtsspiel, auf dessen Übernahme in der Straßburger Ausgabe verzichtet wird) Ermanung an die Richter, und Urteyler. (In der Ausgabe Augsburg 1511 lautet der Titel noch: “Das des jungsten gerichts einbildungen nützlich sein”) Beschlusz des Leyenspiegels. Leyenspiegels spruch. Beschluszred zu allen stenden. Epitaphion Uldarici Tengler.

Anhang

CXXIr

CCXXr

CXXIr

CCXXr

CXXIv

CCXXv

CXXIIr

CCXXIv

CXXIIr

CCXXXIIIIv

CXXIIIr CXXIIIv CXXVr CXXVIIIv

CCXXXVr CCXXXVv CCLIIIIr CCXLIv

Anhang

345

II. Abkürzungsverzeichnis

a

linke Spalte

a. A.

am Anfang

a. a. O.

am angegebenen Ort

Add.

Additio(nes)

a. E.

am Ende

Anm.

Anmerkung

Art.

Artikel

b

rechte Spalte

Bd.

Band

C.

Causa/Codex

c.

capitulum/canon

CCB

Constitutio Criminalis Bambergensis

CCC

Constitutio Criminalis Carolinae

Clem.

Clementine(n)

Const.

Constitutio

D.

Digesten

Dict.

Dictum

Dies.

Dieselbe(n)

Dist.

Distinctio(nes)

DRW

Deutsches Rechtswörterbuch

fol.

folio/folii

Gen.

Genesis

Grat.

Gratiani

346

Anhang

HRG

Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte

i. e. S.

im engeren Sinne

Inst.

Institutionen

i. S. d.

im Sinne des/der

i. S. v.

im Sinne von

Kap.

Kapitel

Kor.

Korinther

l.

lex

LdR.

Landrecht

LexMA

Lexikon des Mittelalters

lib.

Liber

Lk.

Lukas-Evangelium

Lomb.

Lombarda

m. E.

meines Erachtens

MGH

Monumenta Germaniae Historica

Mt.

Matthäus-Evangelium

n.

nota/notae

N.F.

Neue Folge

Nr.

Nummer

Part.

Particulum

pr.

principium

q.

quaestio

RTA

Reichstagsakten

Rz.

Randzeichen

Ssp.

Sachsenspiegel

übers.

übersetzt

Anhang

347

u. ö.

und öfter

VL

Verfasserlexikon

X

Liber Extra

Z.

Zeile

ZRG GA

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtgeschichte. Germanistische Abteilung

ZRG KA

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtgeschichte. Kanonistische Abteilung

348

Anhang

III. Quellen und Literatur

1. Quellenverzeichnis

ARETINUS, Angelus: Tractatus de maleficiis, cum additionibus optimi practici D. Augustini Bonfrancisci Ariminensis ac D. Hieronymi Cuchalon…, Köln 1599. Nachdruck Goldbach 1998. [Bambergensis] Die Bambergische Halsgerichtsordnung unter Heranziehung der revidierten Fassung von 1580 und der Brandenburgischen Halsgerichtsordnung zusammen mit dem sogenannten Correctorium, einer romanistischen Glosse und einer Probe der niederdeutschen Übersetzung, hg. v. Joseph Kohler und Willi Scheel (Reihe: Kohler, Joseph (Hg.): Die Carolina und ihre Vorgängerinnen, Bd. 2)), Halle 1902. BALDUS DE UBALDIS, - In primam Digesti Veteris partem Commentaria, Venedig 1577 - In secundam Digesti Veteris partem Commentaria, Venedig 1577 - In Digestum Novum Commentaria, Venedig 1577 - In I-XI Codicis Libros Commentaria, Venedig 1577, Digitalisierte Ausgabe, hg. v. A. J .B. Sirks, Frankfurt am Main 2005, nach der Ausgabe der Bibliotheek Universiteit Limbirg, Maastricht, Kat. Nr. MU RAA 126134. BARTOLUS DE SAXOFERRATO, - In primam Digesti Veteris partem Commentaria. Quibus praeter Alex. Barb. Seissel. Pom. Nicelli & aliorum Adnotationes et contrarietatum Conciliationes, ..., Turin 1574 - In secundam Digesti Veteris partem Commentaria. Quibus praeter Alex. Barb. Seissel. Pom. Nicelli & aliorum Adnotationes et contrarietatum Conciliationes, ..., Turin 1574 - In primam Infortiati partem Commentaria. Quibus praeter Alex. Barb. Seissel. Pom. Nicelli & aliorum Adnotationes et contrarietatum Conciliationes, ..., Turin 1574 - In primam Digesti Novi partem Commentaria. Quibus praeter Alex. Barb. Seissel. Pom. Nicelli & aliorum Adnotationes et contrarietatum Conciliationes, ..., Turin 1574 - In secundam Digesti Novi partem Commentaria. Quibus praeter Alex. Barb. Seissel. Pom. Nicelli & aliorum Adnotationes et contrarietatum Conciliationes, ..., Turin 1574

Anhang

349

- In primam Codicis partem Commentaria. Quibus praeter Alex. Barb. Seissel. Pom. Nicelli & aliorum Adnotationes et contrarietatum Conciliationes, Turin 1574 - In secundam Codicis partem Commentaria. Quibus praeter Alex. Barb. Seissel. Pom. Nicelli & aliorum Adnotationes et contrarietatum Conciliationes, Turin 1574 - Tractatus Super Constitutione Ad reprimendum und Tractatus Super Constitutione Qui sint rebelles in: Consilia, Quaestiones et Tractatus: Cum adnotationibus doctissimorum plerorumque, qui in eundem sunt commentati, Basel 1588, Digitalisierte Ausgabe, hg. v. A.J.B. Sirks, Frankfurt am Main 2004. BUCH, Johann von: Glossen zum Sachsenspiegel-Landrecht, Buch’sche Glosse, Teil 2 (MGH Fontes Iuris Germanici Antiqui, Nova series VII.), hg. v. Frank-Michael Kaufmann, Hannover 2002. BUTRIGARIUS, Iacobus: Lectura super Codice, Paris 1516, Nachdruck Bologna 1973. CARPZOV, Benedikt: Practicae novae imperialis saxonicae rerum criminalium, Frankfurt 1677. [Carolina] Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 (Carolina), hg. und erläutert von Gustav Radbruch, 4. verbesserte und ergänzte Auflage, Stuttgart 1975. CINUS DE PISTOIA: In Codicem et aliquot titulos primi pandectorum tomi, id est, digesti veteris doctissima commentaria, Frankfurt am Main 1578, Neudruck Turin 1964. CLARUS, Julius: Practica Criminalis, Venedig 1640, Nachdruck Goldbach 1996. Corpus Iuris Canonici, hg. v. Aemilius Friedberg, 2. Auflage, - Teil 1: Decretum Magistri Gratiani, Leipzig 1879 - Teil 2: Decretalium Collectiones, Leipzig 1881. Glossa ordinaria des Johannes Teutonicus - Decretum Gratiani. Emendatum, et notationibus illustratum: Una cum Glossis. Ad exemplar Romanum diligenter recognitum, Lyon 1613 - Decretales D. Gregorii Papae IX. Suae integritati una cum glossis restitutae. Ad exemplar Romanum diligenter recognitae, Lyon 1613. Corpus Iuris Civilis, 16. Auflage, Berlin 1954 - Teil 1: Institutionen und Digesten, hg. v. Paul Krüger und Theodor Mommsen - Teil 2: Codex, hg. v. Paul Krüger.

350

Anhang

DURANTIS, Guilelmus: Speculum Iuris, Cum Ioannae Andreae, Baldi,... Nunc supra omnes alias editiones ... Additionibus & Quaestionibus illustratum..., Frankfurt 15921. FARINACIUS, Prosper: Praxis et Theoretica Criminalis, Band: 1: Operum Criminalium Pars Prima In Quinque Titulos Divisa Quorum I. Inquisitionis, II. Accusationis, III. Delictorum & Poenarum, IV. Carcerum nec non Carceratorum, V. Indiciorum ac Torturae, 4. Auflage, Frankfurt/Nürnberg 1728. [Friedrich II.] Die Konstitutionen Friedrichs II. von Hohenstaufen für sein Königreich Sizilien, nach einer Handschrift des 13. Jahrhunderts, hg. und übers. v. Hermann Conrad, Thea von der Lieck-Buyken und Wolfgang Wagner, Köln/Wien 1973. GAILL, Andreas: Tractatus de Pace Publica, Vom kayserlichen Landfriden, enthalten in: Andreas Gaill, Practicarum Observationum Deß Hochlöblichen CammerGerichts Speyr etc., Zwey Bücher, München 1673 (Ausgabe der Bayerischen Staatsbibliothek München, Signatur: 2.J.publ.g.176a). GANDINUS, Albertus: Tractatus de maleficiis, hg. v. Hermann Kantorowicz, in: Kantorowicz, Hermann: Albertus Gandinus und das Strafrecht der Scholastik, Bd. 2, Berlin/Leipzig 1926. GUI, Bernard: Practica officii inquisitionis. Das Buch der Inquisition: das Originalhandbuch des Inquisitors Bernard Gui, eingeführt und hg. v. Petra Seifert, übers. v. Manfred Pawlik, Augsburg 1999. [Heinrich VII.] Konstitutionen Heinrichs VII. in: MGH, Constitutiones II, Nr. 929, 931, 946. HENRICUS DE SEGUSIO (HOSTIENSIS): Summa una cum summariis at adnotationibus Nicolai Superantii, Lyon 1537, Neudruck Aalen 1962. INNOZENZ IV.: Apparatus Innocentii pape quarti super quinque libris decretalium. Cum additionibus noviter impressis, Mailand 1505. [Klagspiegel] Der Richterlich Clagspiegel, Straßburg 1536. (dauerhafte URL: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/drwbrant1536). KRAMER, Heinrich (Institoris): Malleus Maleficarum 1487. Nachdruck des Erstdruckes von 1487 mit Bulle und Approbatio, hg. und eingeleitet von Günter Jerouschek, Hildesheim/Zürich/New York 1992. KRAMER, Heinrich (Institoris): Der Hexenhammer. Malleus Maleficarum. Kommentierte Neuübersetzung. Neu aus dem Lateinischen übertragen von Behringer, Wolfgang/Jerouschek, Günter/Tschacher, Werner; hg. und eingeleitet von Behringer, Wolfgang/Jerouschek, Günter, 4. Auflage, München 2004. KRAMER, Heinrich (Institoris), Der Nürnberger Hexenhammer (1491), Faksimile der Handschrift von 1491 aus dem Staatsarchiv Nürnberg, Nr. D 251, hg. v. 1

Zur eindeutigen Identifizierbarkeit wird Durantis Werk unter dem üblichen Titel „Speculum Iudiciale“ zitiert.

Anhang

351

Günter Jerouschek mit Vorwort, Transkription des deutschen Textes und Glossar, Hildesheim/Zürich/New York 1992. [Oberbayerisches Landrecht], Oberbayerisches Landrecht Kaiser Ludwigs des Bayern von 1346, hg. v. Hans Schlosser und Ingo Schwab, Köln/Weimar/Berlin 2000. MASCARDI, Guiseppe: De Probationibus, A Mendis Repurgata Et Alligationibus à textu, characterum varietate distinctis..., 3. Auflage, Frankfurt 1607. [Nördlingen] Nördlinger Stadtrechte des Mittelalters, bearb. v. Karl Otto Müller, (Reihe: Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften (Hg.): Bayerische Rechtsquellen, Bd. 2), München 1933. [Nördlingen] Die Urkunden der Stadt Nördlingen, bearb. v. Walther E. Vock und Gustav Wulz, - Band 1: 1400-1435, Augsburg 1965 - Band 2: 1436-1449, Augsburg 1968. PANORMITANUS (Nicolai Tudeschii Catinensis Siculi, Panormi Archiepiscopi, vulgò): Consilia Iuris, Quaestiones, & Praxis: Omnibus cum Iudicantibus tum Consulentibus apprimè conducentia. Tomus Octavus, Venedig 1588. Digitalisierte Ausgabe, hg. v. A.J.B. Sirks, Frankfurt am Main 2005. [Reichstagsakten] Deutsche Reichstagsakten, hg. durch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, - Mittlere Reihe, Bd. 5: Reichstag von Worms 1495, Bd. 1, Teil 1: Akten, Urkunden und Korrespondenzen, bearb. v. Heinz Angemeier, Göttingen 1981. - Mittlere Reihe, Bd. 6: Reichstage von Lindau, Worms und Freiburg 1496-1498, bearb. v. Heinz Gollwitzer, Göttingen 1979. ROFFREDUS BENEVENTANUS: Libelli iuris canonici, in: Roffredi Beneventani Libelli iuris civilis, libelli iuris canonici, quaestiones sabbatinae, Turin 1968. RUFINUS: Summa decretorum, hg. v. Heinrich Singer, Paderborn 1902. [Sachsenspiegel] Eike von Repgow: Sachsenspiegel, hg. v. Karl August Eckhardt (Reihe: Monumenta Germaniae Historica : Leges. Fontes iuris Germanici antiqui in usum scholarum separatim editi; 8), Hannover 1933. TANCREDUS BONONIENSIS: Ordo iudiciarius, in: Bergmann, Friedrich Christian (Hg.): Pillius de Medicina/Tancredus Bononiensis/Gratia Aretinus. Libri de iudiciorum ordine, Göttingen 1842, Neudruck Aalen 1965. TENGLER, Ulrich: [Layenspiegel], verwendete Ausgaben: Layenspiegel. Von rechtmässigen ordnungen inn Burgerlichenn und Peinlichen Regimenten; Mit Additionen ursprüngklicher rechtsprüchen. Auch der Guldin Bulla, Künigklicher Reformation, Landtfriden. [et]c. Sampt bewärungen gemeyner rechten, und anderm anzeygen. Newlich getruckt, Straßburg 1536 (dauerhafte URL: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/drwtengler1536).

352

Anhang

Layenspiegel. Von rechtmässigen ordnungen inn Burgerlichen und Peinlichen Regimenten, Mit Addition ursprünglicher rechtsprüchen. Auch der Guldin Bulla, Küniglicher Reformation, Landtfrieden.[et]c. Sampt bewärungen gemeiner rechten, und anderm anzeygen Newlich getruckt, Straßburg 1544. Der neü Layenspiegel. Von rechtmässigen ordnungen in Burgerlichen und peinlichen Regimenten. Mit Addit[i]on. Auch der guldin Bulla, Köniklich reformation landfrieden. auch bewärung gemainer recht und anderm antzaigen, Augsburg 1511. [Wormser Reformation] Der Statt Wormbs Reformation, hg. v. Gerhard Köbler. Mit Einleitung, bibliographischen Hinweisen und Sachregister in fotomechanischer Verkleinerung von ca. DIN A 4 auf DIN A 5, nach einem Exemplar der Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums, ergänzt nach einem Exemplar der Stadt- und Universitäts-Bibliothek Frankfurt und überprüft nach einem Exemplar des Stadtarchivs Worms, (Reihe: Arbeiten zur Rechts- und Sprachwissenschaft; 27), Gießen 1985.

2. Literaturverzeichnis

a. Lexika und Sammelwerke Deutsches Rechtswörterbuch (DRW): Wörterbuch der älteren deutschen Rechtsprache, Bde. 1-5 hg. von der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften, Weimar 1914ff., ab Bd. 6 hg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, unveränderter photomechanischer Nachdruck, Weimar, 1998. Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (HRG), 1. Auflage, hg. v. Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann, Berlin 1971ff., 2. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, hg. v. Albrecht Cordes, Heiner Lück, Dieter Werkmüller und Christa Bertelsmeier-Kierst, Berlin 2004ff. HEUMANN, Hermann Gottlieb/SECKEL, Emil: Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts, 10. Auflage, unveränderter Abdruck der Ausgabe Jena 1907, Graz 1958. Lexikon des Mittelalters (LexMa). Studienausgabe, hg. v. Robert-Henri Bautier, Robert Auty und Norbert Angermann, Stuttgart/Weimar 1999. KLEINHEYER, Gerd/SCHRÖDER, Jan (Hg.), Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten. Eine biographische Einführung in die Geschichte der Rechtswissenschaft, 4. neubearbeitete und erweiterte Auflage, Heidelberg 1996, S. 43ff.

Anhang

353

[Verfasserlexikon] Stammler, Wolfgang/Langosch, Karl (Hg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. Auflage, Berlin 1978ff.

b. Aufsätze und Monographien ANGERMEIER, Heinz: Die Reichsreform (1410-1555). Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart, München 1984. ASCHERI, Mario: Il consilium dei giuristi medievali, in: Casagrande, Carla/Crisciani, Chiara/Vecchio, Silvana (Hg.): Consilium.Teorie e pratiche del consigliare nella cultura medievale, Florenz 2004. BALDAUF, Dieter: Die Folter. Eine deutsche Rechtsgeschichte, Köln/Weimar/Wien 2004. BALOGH, Elemer: Die Verdachtsstrafe als Erscheinungsform der Schuldvermutung: das Problem der Verdachtsstrafe nach der Abschaffung der Folter bis zur Einführung der freien Beweiswürdigung (Reihe: Acta juridica et politica, 44,2), Szeged 1993. BATTENBERG, Friedrich: Reichsacht und Anleite im Spätmittelalter. Ein Betrag zur Geschichte der höchsten königlichen Gerichtsbarkeit im Alten Reich, besonders im 14. und 15. Jahrhundert (Reihe: Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 18), Köln/Wien 1986. BENDLAGE, Andrea: Henkers Hetzbruder. Strafverfolgungspersonal der Reichsstadt Nürnberg im 15. und 16. Jahrhundert (Reihe: Blauert, Andreas/Dinges, Martin/Häberlein, Mark/Rublack, Ulinka/Schwerhoff, Gerd (Hg.): Konflikte und Kultur. Historische Perspektiven, Bd. 8), Konstanz 2003. BEHRINGER, Wolfgang: Hexenverfolgung in Bayern. Volksmagie, Glaubenseifer und Staatsräson in der Frühen Neuzeit, 3. verbesserte und um einen Nachweis ergänzte Auflage, München 1997. BERTOLINO, Rinaldo: Il notorio nell’ordinamento giuridico della Chiesa (Reihe: Memorie dell'Istituto Giuridico, Serie 2, Bd. 120), Turin 1965. BIENER, Friedrich August: Beiträge zu der Geschichte des Inquisitions-Processes und der Geschwornen-Gerichte, Leipzig 1827. DERS.: Geschichte der Novellen Justinians, Berlin 1824, Neudruck Aalen 1970. BRIEGLEB, Hans Karl: Einleitung in die Theorie der summarischen Processe, Leipzig 1859. BRUNNENMEISTER, Emil: Die Quellen der Bambergensis. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Strafrechts, Leipzig 1879. BUCHDA, Gerhard: Der Beweis im mittelalterlichen sächsischen Recht, in: Recueils de la Société Jean Bodin pour l'Histoire Comparative des Institutions, Bd. 17, La Preuve 2: Moyen âge et temps modernes, Brüssel 1965, S. 519-546.

354

Anhang

BURDACH, Konrad: Der Dichter des Ackermann aus Böhmen und seine Zeit, Bd. 2, (Reihe: Ders. (Hg.) im Auftrage der Preußischen Akademie der Wissenschaften: Vom Mittelalter zur Reformation, Bd. 3, Teil 2,2), Berlin 1932. BURGER, Gerhart: Die südwestdeutschen Stadtschreiber im Mittelalter, Böblingen 1960. BUSCHMANN, Arno: Inquisition und Prozeß. Inquisitionsgerichtsbarkeit und Inquisitionsverfahren bei der Ketzerverfolgung im Hoch- und Spätmittelalter, in: Schröder, Jan/Dorn, Franz: Festschrift für Gerd Kleinheyer zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2001, S. 67-93. CAENEGEM, Raoul Charles van: Legal history. A European perspective, London/Rio Grande 1991. DERS.: La Preuve dans le droit du moyen age occidental – Raports de synthèse, in: Recueils de la Societe Jean Bodin pour L’histoire Comparative des Institutions, Bd. XVII, La Preuve, Deuxieme partie: Moyen age et temps modernes, Brüssel, 1965, S. 691-749. CLAPROTH, Justus: Einleitung in sämtliche summarische Processe. Zum Gebrauch der practischen Vorlesungen, 2. vermehrte Auflage, Göttingen 1785. CONRAD, Hermann: Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2: Neuzeit bis 1806, Karlsruhe 1966. CRAMER-FÜRTIG, Michael: Landesherr und Landstände im Fürstentum PfalzNeuburg. Staatsbildung und Ständeorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Reihe: Schriftenreihe zur Bayerischen Landesgeschichte, Bd. 100), München 1995. DEPPENKEMPER, Gunter: Beweiswürdigung als Mittel prozessualer Wahrheitserkenntnis. Eine dogmengeschichtliche Studie zu Freiheit, Grenzen und revisionsgerichtlicher Kontrolle tatrichterlicher Überzeugungsbildung (§ 261 StPO, § 286 ZPO) (Reihe: Osnabrücker Schriften zur Rechtsgeschichte, Bd. 12), Göttingen 2004. DEUTSCH, Andreas: Der Klagspiegel und sein Autor Conrad Heyden. Ein Rechtsbuch des 15. Jahrhunderts als Wegbereiter der Rezeption (Reihe: Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte, hg. v. Karin Nehlsen-von Stryk, Jan Schröder und Dietmar Willoweit, Bd. 23), Köln/Weimar/Wien 2004. DERS.: Die „Rethorica und Formulare teütsch“ des Pforzheimer Stadtschreibers Alexander Hugen – ein juristischer Bestseller des 16. Jahrhunderts (Reihe: Groh, Christian (Hg.): Neue Beiträge zur Pforzheimer Stadtgeschichte, Bd. 2), Heidelberg 2008, S. 31-75. DIESTELKAMP, Bernhard: Zur Krise des Reichsrechts im 16. Jahrhundert, in: Angermeier, Heinz unter Mitarb. von Seyboth, Reinhard: Säkulare Aspekte der Reformationszeit (Reihe: Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien, Bd. 5), München/Wien 1983, S. 49-64.

Anhang

355

DOHRN-VAN ROSSUM, Gerhard: Die Geschichte der Stunde. Uhren und moderne Zeitrechnung, München/Wien 1992. DÖHRING, Erich: Geschichte der deutschen Rechtspflege seit 1500, Berlin 1953. DÜLMEN, Richard van: Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit. Mit 13 Tabellen, 4. durchgesehene Auflage, München 1995. EBEL, Wilhelm: Der Bürgereid als Geltungsgrund und Gestaltungsprinzip des deutschen mittelalterlichen Stadtrechts, Weimar 1958. DERS.: Die Willkür. Eine Studie zu den Denkformen des älteren deutschen Rechts (Reihe: Göttinger rechtswissenschaftliche Studien, Bd. 6), Göttingen 1953. ENDRES, Rudolf: Heinrich Institoris, sein Hexenhammer und der Nürnberger Rat, in: Segl, Peter (Hg.), Der Hexenhammer. Entstehung und Umfeld des Malleus Maleficarum von 1487 (Reihe: Birke, Adolf M./Duchhardt, Heinz/Schlumberger, Jörg A./Segl, Peter: Bayreuther Historische Kolloquien, Bd. 2), Köln/Wien 1988. ERLER, Adalbert: Das Strassburger Münster im Rechtsleben des Mittelalters, (Reihe: Frankfurter wissenschaftliche Beiträge. Rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Reihe, Bd. 9), Frankfurt am Main 1954. DERS.: Mittelalterliche Rechtsgutachten zur Mainzer Stiftsfehde 1459-1463 (Reihe: Schriften der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann-Wolfgang-GoetheUniversität Frankfurt am Main: Geisteswissenschaftliche Reihe, Bd. 4), Wiesbaden 1964. DERS.: Der Beweis im fränkischen Recht des Spätmittelalters, in: Recueils de la Société Jean Bodin pour l'Histoire Comparative des Institutions, Bd. 17, La Preuve 2: Moyen âge et temps modernes, Brüssel 1965, S. 507-518. ESDERS, Stefan/SCHARFF, Thomas (Hg.): Eid und Wahrheitssuche: Studien zu rechtlichen Befragungspraktiken in Mittelalter und früher Neuzeit (Reihe: Gesellschaft, Kultur und Schrift: Mediävistische Beiträge, Bd. 7), Frankfurt am Main u. a. 1999. FALK, Ulrich: Zur Geschichte der Strafverteidigung. Aktuelle Beobachtungen und rechtshistorische Grundlagen, in: ZRG GA 117 (2000), S. 395-449. DERS.: Consilia. Studien zur Praxis der Rechtsgutachten in der frühen Neuzeit (Reihe: Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main: Rechtsprechung, Materialien und Studien, Bd. 22), Frankfurt 2006. FEHR, Hans: Deutsche Rechtsgeschichte, 6. verbesserte Auflage, Berlin 1962. FELBER, Alfons: Unzucht und Kindsmord in der Rechtsprechung der freien Reichsstadt Nördlingen vom 15. bis 19. Jahrhundert, Wemding 1961. FIORELLI, Pièro: La tortura giudiziaria nel diritto comune, - Bd. 1, Mailand 1953 - Bd. 2, Mailand 1954 FISCHER, Mattias G.: Reichsreform und „Ewiger Landfrieden“. Über die Entwicklungen des Fehderechts im 15. Jahrhundert bis zum absoluten Fehdeverbot von

356

Anhang

1495 (Reihe: Untersuchungen zur Staats- und Rechtsgeschichte, N.F., Bd. 34), Aalen 2007. FLACHENECKER, Helmut: Eine geistliche Stadt: Eichstätt vom 13. bis zum 16. Jahrhundert (Reihe: Eichstätter Beiträge, Bd. 19), Regensburg 1988. FÖßEL, Amalie: Denunziation im Verfahren gegen Ketzer im 13. und beginnenden 14. Jahrhundert, in: Jerouschek, Günter/Marßolek, Inge/Röckelein, Hedwig (Hg.): Denunziation. Historische, juristische und psychologische Aspekte (Reihe: Forum Psychologie, Bd. 7), Tübingen 1997, S. 48-63. FOUCAULT, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, übers. von Walter Seitter. 1. Auflage, Frankfurt am Main 1977. FOWLER-MAGERL, Linda: Ordo iudiciorum vel ordo iudiciarius. Begriff und Literaturgattung (IUS COMMUNE, Sonderhefte Texte und Monographien, Bd. 19, Reihe: Repertorien zur Frühzeit des gelehrten Rechts), Frankfurt 1984. FRAHER, Richard M.: Conviction According to Conscience: The Medieval Jurists’ Debate Concerning Judicial Discretion and the Law of Proof, in: Cornell Law School Ithaca New York, Law and History Review: semi-annual publication of Cornell Law School and the American Society for Legal History 7/1, Ithaca 1989, S. 23-88. FRANKLIN, Otto: Das Reichshofgericht im Mittelalter, Bd. 2: 2. und 3. Buch: Verfassung, Verfahren, Weimar 1869. FRIED, Pankraz: Die ländlichen Rechtsquellen aus den pfalz-neuburgischen Ämtern Höchstädt, Neuburg, Monheim und Reichertshofen vom Jahre 1585 (Reihe: Rechtsquellen aus dem bayerischen Schwaben, Bd. 1), Sigmaringen 1983. FRIED, Johannes: Wille, Freiwilligkeit und Geständnis um 1300. Zur Beurteilung des letzten Templergroßmeisters Jacques de Molay, in: Historisches Jahrbuch 105/1985, S. 388-425 GERNHUBER, Joachim: Die Landfriedensbewegung in Deutschland bis zum Mainzer Reichslandfrieden von 1235 (Reihe: Bonner rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Heft 44), Bonn 1952. GHISALBERTI, Carlo: La teoria del notorio nel diritto comune, in: Annali di storia del diritto, Bd. 1, Milano 1957, S. 403-451. GLASER, Julius Anton: Beiträge zur Lehre vom Beweis im Strafprozeß, Leipzig 1883, Neudruck Aalen 1978. HAGEMANN, Hans-Rudolf: Basler Rechtsleben im Mittelalter, Bd. 1, Basel/Frankfurt am Main, 1981. DERS.: Der Processus Belial, in: Gerwig, Max/Universität Basel, Juristische Fakultät (Hg.): Festgabe zum 70. Geburtstag von Max Gerwig am 30.12.1959 (Reihe: Basler Studien zur Rechtswissenschaft, Bd. 55), Basel 1960, S. 55-83. HALL, Karl Alfred: Die Lehre vom Corpus Delicti. Eine dogmatische Quellenexegese zut Theorie des gemeinen deutschen Inquisitionsprozesses, Stuttgart 1933.

Anhang

357

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KLEINHEYER, Gerd: Zur Rolle des Geständnisses im Strafverfahren des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: Ders./Conrad, Hermann (Hg.): Beiträge zur Rechtsgeschichte. Gedächtnisschrift für Hermann Conrad (Reihe: Rechtsund staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft; N.F., 34), Paderborn 1979, S. 367-384. KLEINSCHMIDT, Erich: Das ‘Epitaphium Ulrici Tenngler’, ein unbekannter Nachruf auf den Verfasser des ‚Laienspiegels’ von 1511, in: Daphnis: Zeitschrift für mittlere deutsche Literatur und Kultur der frühen Neuzeit (1400-1750), 6,3/1977, Amsterdam, S. 313-325. KNAPP, Hermann: Das alte Nürnberger Kriminal-Verfahren bis zur Einführung der Karolina, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW) 12/1892, S. 473-552. DERS.: Das Übersiebnen der schädlichen Leute in Süddeutschland: ein rechtshistorischer Beitrag und Nachtrag, Berlin 1910. DERS.: Das Übersiebnen der schädlichen Leute, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW) 44/1924, S. 379-420. KOCH, Arnd: Denunciatio. Zur Geschichte eines strafprozessualen Instituts (Reihe: Prittwitz, Cornelius (Hg.), Juristische Abhandlungen, Bd. 48), Frankfurt 2006. KÖBLER, Gerhard (Hg.): Der Statt Wormbs Reformation. Mit Einleitung, bibliographischen Hinweisen und Sachregister in fotomechanischer Verkleinerung von ca. DIN A 4 auf DIN A 5, nach einem Exemplar der Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums, ergänzt nach einem Exemplar der Stadt- und Universitäts-Bibliothek Frankfurt und überprüft nach einem Exemplar des Stadtarchivs Worms, (Reihe: Arbeiten zur Rechts- und Sprachwissenschaft; 27), Gießen 1985. KOLMER, Lothar: Ad capiendas vulpes. Die Ketzerbekämpfung in Südfrankreich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und die Ausbildung des Inquisitionsverfahrens (Reihe: Pariser historische Studien, Bd. 19), Bonn 1982. DERS.: Die denunciatio canonica als Instrument im Kampf um den rechten Glauben, in: Jerouschek, Günter/ Marßolek, Inge/Röckelein, Hedwig (Hg.), Denunziation. Historische, juristische und psychologische Aspekte (Reihe: Forum Psychologie, Bd. 7), Tübingen 1997, S. 26-47. DERS.: Ad terrorem multorum. Die Anfänge der Inquisition in Frankreich, in: Segl, Peter (Hg.), Die Anfänge der Inquisition im Mittelalter. Mit einem Ausblick auf das 20. Jahrhundert und einem Beitrag über religiöse Intoleranz im nichtchristlichen Bereich (Reihe: Birke, Adolf M./Bosbach, Franz/Endres, Rudolf/Lindgren, Uta/Schlumberger, Jörg A./Segl, Peter: Bayreuther Historische Kolloquien, Bd. 7), Köln/Weimar/Wien 1993, S. 77-102. KRIES, August von: Der Beweis im Strafprocess des Mittelalters, Weimar 1878. KROESCHELL, Karl: Deutsche Rechtsgeschichte, 1. Bd.: Bis 1250, 13. Auflage, Köln/Weimar/Wien 2008.

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DERS. /CORDES, Albrecht/NEHLSEN-VON STRYK, Karin: Deutsche Rechtsgeschichte, 2. Bd.: 1250-1650, 9. Auflage, Köln/Weimar/Wien 2008. KUNSTMANN, Hartmut H.: Zauberwahn und Hexenprozeß in der Reichsstadt Nürnberg, Nürnberg 1970. KULLMANN, Hans Josef: Klenkok und die „articuli reprobati“ des Sachsenspiegels, Hochheim 1959. KURZE, Dietrich: Anfänge der Inquisition in Deutschland, in: Segl, Peter (Hg.), Die Anfänge der Inquisition im Mittelalter. Mit einem Ausblick auf das 20. Jahrhundert und einem Beitrag über religiöse Intoleranz im nichtchristlichen Bereich (Reihe: Birke, Adolf M./Bosbach, Franz/Endres, Rudolf/Lindgren, Uta/Schlumberger, Jörg A./Segl, Peter: Bayreuther Historische Kolloquien, Bd. 7), Köln/Weimar/Wien 1993, S. 131-193. LANDAU, Peter: Ursprünge und Entwicklung des Verbotes doppelter Strafverfolgung wegen desselben Verbrechens in der Geschichte des kanonischen Rechts, in: ZRG KA 56 (1970), S. 124-156. DERS., Die Entstehung des kanonischen Infamiebegriffs von Gratian bis zur Glossa Ordinaria (Reihe: Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht, Bd. 5), Köln/Weimar/Wien 1966. LANGBEIN, John H.: Torture and the Law of Proof. Europe and England in the Ancien Régime, Chicago 1977. DERS.: Prosecuting crime in the Renaissance: England, Germany, France (Reihe: Studies in legal history), Cambridge 1974. LANGE, Hermann/KRIECHBAUM, Maximiliane: Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2: Die Kommentatoren, München 2007. LAUFS, Adolf: Reichsstädte und Reichsreform, in: ZRG GA 84 (1967), S. 172-201. LAYER, Adolf (Hg.): Höchstädt an der Donau. Eine kleine Stadt mit großem Namen, Festbuch zur 900-Jahr-Feier der Stadt Höchstädt, mit Beiträgen von Sing, Hans und Letzing, Heinrich, Höchstädt 1981. LEA, Henry Charles: Die Inquisition, deutsch von Wieck, Heinz/Rachel, Max, revidiert und hg. v. Joseph Hansen, Nördlingen 1985. LEDERLE, Ursula: Gerechtigkeitsdarstellungen in deutschen und niederländischen Rathäusern, Heidelberg 1937. LEPSIUS, Susanne: Der Richter und die Zeugen. Eine Untersuchung anhand des Tractatus testimoniorum des Bartolus von Sassoferrato. Mit Edition (Reihe: Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 158), Frankfurt 2003. DIES.: Von Zweifeln zur Überzeugung. Der Zeugenbeweis im gelehrten Recht ausgehend von der Abhandlung des Bartolus von Sassoferrato (Reihe: Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 160), Frankfurt 2003. LÉVY, Jean-Phillipe: La hiérarchie des preuves dans le droit savant du moyen-age depuis la Renaissance du Droit Romain jusqu’à la fin du XIVe siècle (Annales de L’Université de Lyon, Troisième Série, Droit, Fascicule 5), Paris 1939.

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SCHORER, Reinhold: Die Strafgerichtsbarkeit der Reichsstadt Augsburg 1156-1548 (Reihe: Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas, Fallstudien, Bd. 3), Köln/Weimar/Wien 2001. SCHRÖDER, Richard/KÜNßBERG, Eberhard Frh. von: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 7. Auflage, Berlin/Leipzig 1932. SCHUBERT, Ernst: Räuber, Henker, arme Sünder. Verbrechen und Strafe im Mittelalter, Darmstadt 2007. SCHÜNKE, Wolfgang: Die Folter im deutschen Strafverfahren des 13. bis 16. Jahrhunderts, Münster 1952. SCHULTE, Johann Friedrich von: Die Geschichte der Quellen und Literatur des canonischen Rechts, Bd. 1: Von Gratian bis auf Papst Gregor IX., unveränderter Abdruck der Ausgabe Stuttgart 1875, Graz 1956. SCHULZ, Lorenz: Normiertes Misstrauen. Der Verdacht im Strafverfahren, Frankfurt am Main 2001. SCHUSTER, Peter: Eine Stadt vor Gericht. Recht und Alltag im spätmittelalterlichen Konstanz, Paderborn/München/Wien/Zürich 2000. SCHWERHOFF, Gerd: Köln im Kreuzverhör. Kriminalität, Herrschaft und Gesellschaft in einer frühneuzeitlichen Stadt, Bonn/Berlin 1991. SEGL, Peter (Hg.): Der Hexenhammer. Entstehung und Umfeld des Malleus Maleficarum von 1487 (Reihe: Birke, Adolf M./Duchhardt, Heinz/Schlumberger, Jörg A./Segl, Peter: Bayreuther Historische Kolloquien, Bd. 2), Köln/Wien 1988. DERS.: Heinrich Institoris. Persönlichkeit und Literarisches Werk, in: Ders. (Hg.): Der Hexenhammer. Entstehung und Umfeld des Malleus Maleficarum von 1487 (Reihe: Birke, Adolf M./Duchhardt, Heinz/Schlumberger, Jörg A./Segl, Peter: Bayreuther Historische Kolloquien, Bd. 2), Köln/Wien 1988, S. 103-126. SEITZ, Reinhard H.: Zur Biographie von Ulrich Tenngler, Landvogt zu Höchstädt a. d. Donau und Verfasser des „Laienspiegels“ von 1509 (Beitrag zur Tagung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften zum 500. Jubiläum des Rechtsbuchs im März 2009), wird erscheinen in: Deutsch, Andreas (Hg.): Ulrich Tenglers Laienspiegel (1509) – ein Rechtsbuch zwischen Humanismus und Hexenwahn, voraussichtlich Heidelberg 2010. SELLERT, Wolfgang: Die Krise des Straf- und Strafprozessrechts und ihre Überwindung im 16. Jahrhundert durch Rezeption und Säkularisation, in: Angermeier, Heinz unter Mitarb. von Seyboth, Reinhard: Säkulare Aspekte der Reformationszeit (Reihe: Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien Bd. 5), München/Wien 1983, S. 27-48. DERS.: Das Inquisitionsprinzip aus rechthistorischer Sicht, in: Achterberg, Norbert/Krawietz, Werner/Wyduckel, Dieter (Hg.): Recht und Staat im sozialen Wandel. Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, Berlin 1982, S. 161-182.

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Anhang

367

DERS.: Rechtliche Grundlagen der Hexenprozesse und ihrer Beendigung, in: Lorenz, Sönke/Bauer, Dieter R.: Das Ende der Hexenverfolgung (Reihe: Hexenforschung, Bd. 1), Stuttgart 1995, S. 203-226. VALLERANI, Massimo: Il giudice e le sue fonti, in: Stolleis (Hg.): Rechtsgeschichte. Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte, Bd. 14, Frankfurt 2009, S. 14-39. VOGT, Alfons: Die Anfänge des Inquisitionsprozesses in Frankfurt am Main, in: ZRG GA 68 (1951), S. 234-307. WADLE, Elmar: Nürnberger Friedebrief Kaiser Friedrich Barbarossas und das gelehrte Recht, in: Köbler, Gerhard/Kroeschell, Karl (Hg.): Wege europäischer Rechtsgeschichte. Karl Kroeschell zum 60. Geburtstag dargelegt von Freunden, Schülern und Kollegen (Rechtshistorische Reihe, Bd. 60), Frankfurt am Main u. a. 1987, S. 548-572. DERS.: Württembergische Nachdruckprivilegien für einen Berliner Verlag. Eine Fallstudie zur Privilegienpraxis im 19. Jahrhundert, in: Schröder, Jan/Dorn, Franz: Festschrift für Gerd Kleinheyer zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2001, S. 523-536. WALTER, Gerhard: Freie Beweiswürdigung. Eine Untersuchung zu Bedeutung, Bedingungen und Grenzen der freien richterlichen Überzeugung, Tübingen 1979. WEBER, Matthias: „Anzeige“ und „Denunciation“ in der frühneuzeitlichen Policeygesetzgebung, in: Härter (Hg.): Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft (Reihe: IUS COMMUNE, Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 129), Frankfurt am Main 2000, S. 583-609. WIEACKER, Franz: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. Unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2. neubearbeitete Auflage, Göttingen 1967. WILLOWEIT, Dietmar: Entdogmatisierung der mittelalterlichen Strafrechtsgeschichte, in: Stolleis (Hg.): Rechtsgeschichte. Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte, Bd. 14, Frankfurt 2009, S. 14-39. WOLFF, Helmut: Geschichte der Ingolstädter Juristenfakultät 1472-1625, Berlin 1973. WÜSTENDÖRFER, Maria Theresia: Das baierische Strafrecht des 13. und 14. Jahrhunderts, München 1942. ZALLINGER, Otto von: Das Verfahren gegen die landschädlichen Leute in Süddeutschland. Ein Beitrag zur mittelalterlich-deutschen Strafrechts-Geschichte, Innsbruck 1895. ZECHBAUER, Fritz: Das mittelalterliche Strafrecht Siziliens. Nach Friedrichs II. Constitutiones Regni Siciliae und den Sizilischen Stadtrechten mit einem Excurse über Herkunft und Wesen des Sizilischen Inquisitionsverfahrens, Berlin 1908.

IV. Register

1. Personen- und Quellenverzeichnis

A Accursius 16, 28 Andreae, Johannes 12, 16, 37, 42 Aretinus, Angelus (auch: Angelus de Gambiglionibus) 28, 40, 44, 51, 54, 56f., 63, 77, 80, 87ff., 93f., 98, 101, 111, 121f., 124, 127, 129ff., 135, 144ff., 150ff., 155, 157ff., 180, 182ff., 189f., 192f., 196, 224, 269, 310, 327, 332, 335 s. auch Tractatus de maleficiis Augsburger Landfrieden 11, 48f., 58, 69, 246, 250ff., 308, 313f. Augustinus Bonfranciscus 40, 121f., 129, 162, 166, 170, 174, 189f., 193, 327, 332 Azo Porcius 16, 19, 28, 272

300ff., 305f., 314f., 320, 325, 327f., 330, 334f., 337, 345, 348 Bartolus de Saxoferrato 10, 16, 38f., 46, 51ff., 56f., 63f, 94, 101, 112, 117ff., 127ff., 147, 150f., 153, 156f., 161ff., 169ff., 174, 176, 178ff., 183f., 186ff., 191f., 196, 199, 201, 219, 221f., 224, 228, 230, 236f., 240ff., 249, 251, 253, 260, 269ff., 288, 298f., 310f., 313, 321, 328 Bibel 22 (Gen.18.20-21; Lk.16.1-8; Mt.18.23-25; Mt.25.14-30), 50 (Joh.8.10.11), 82 (Mt.18.15-17), 198 (1.Kor.5 1-5) Brant, Sebastian 1, 10, 15ff., 337f. Butrigarius, Iacobus 41, 183, 184

B C Baldus de Ubaldis 37, 39, 46, 51, 54, 56f., 63, 81, 84, 88f., 94, 112f., 120f., 130, 134, 145, 147f., 159, 183, 189ff., 195, 201, 203, 205, 213ff., 218, 224ff., 237, 245, 269, 272, 274, 310, 332, 335 Bambergensis (Bamberger Halsgerichtsordnung) 8, 10, 17, 19, 27ff., 42, 44f., 52, 57, 71ff., 79, 81, 129f., 149, 156ff., 160, 163f., 166ff., 180f., 184ff., 193f., 217, 223, 231, 281ff., 294ff.,

Carolina (Peinliche Gerichtsordnung Karls V.) 1, 27, 29, 44f., 47, 52, 57, 72f., 81, 92, 101, 123, 129, 130, 149, 156, 159, 160f., 163, 181, 186ff., 223, 273, 280, 294ff., 315, 321, 325, 327f., 330, 336ff., 345 Carpzov, Benedikt 129, 137, 219, 294, 297, 336 Cinus de Pistoia 41, 183, 184 Clarus, Julius 77, 92

Anhang Clemens V. 238ff., 333 Clementinen 25, 137ff., 336, 345 Codex 35, 41, 51f., 54f., 57, 72, 77, 89, 93ff., 97, 113, 120f., 125f., 128, 130, 134, 145ff., 151, 157ff., 173, 183f., 188f., 191f., 195, 201, 203ff., 209, 212ff., 218, 223ff., 228, 230, 232, 237, 245f., 248ff., 255, 268f., 271, 274, 294, 310, 312, 314f., 319, 335, 345 Constitutio Ad reprimendum 30, 33, 97, 236, 238f., 242, 244, 254, 256, 258ff., 298f., 333 s. auch Constitutiones Pisanae Constitutiones Pisanae Heinrichs VII. 39, 192, 235, 237, 242, 244ff., 310f., 316f., 324, 333f. Corpus Iuris Canonici 35f., 46, 310, 335 s. auch Clementinen, Decretum Gratiani. Liber Extra Corpus Iuris Civilis 28, 34f., 37ff., 46, 51, 237, 335 s. auch Codex, Digesten, Institutionen

369 s. auch Paulus und Ulpian Durantis, Guilelmus 16, 19, 28, 37ff., 43, 50f., 53, 63, 73, 75, 81ff., 93f., 98, 101, 105, 109, 111ff., 121ff., 130ff., 134, 158, 165, 183, 188ff., 195f., 198, 200ff., 218, 226ff., 246, 251, 284ff., 298f., 310, 326, 328f., 332, 334ff. s. auch Speculum Iudiciale

E Ewiger Landfrieden (1495) 11, 48, 58, 69, 71ff., 223, 244, 250ff., 294, 308, 313, 315

F Friedrich II. s. Konstitutionen von Melfi

G Gaill, Andreas 46, 137, 244f., 249ff., 313, 324, 336

s. auch Tractatus de Pace Publica

D Declaratio Qui sint rebelles 33, 235f., 242ff., 248, 251 s. auch Constitutiones Pisanae Decretum Gratiani 110, 197ff., 206, 208f., 216, 218, 229f. s. auch Gratian Digesten 35, 38, 40, 51ff., 59, 61ff., 93, 112f., 117ff., 128f., 139ff., 147, 149ff., 156ff., 161ff., 170f., 173f., 176ff., 182ff., 186ff., 196, 199, 201f., 204, 208, 219, 221ff., 228, 230, 232, 260f., 268f., 271f., 274, 288, 291, 293, 310, 321f., 328, 335, 339, 345

Gandinus, Albertus 19, 25f., 28, 40, 42ff., 50f., 53ff., 63, 65, 67, 73, 77, 83, 88ff., 93ff., 107, 112, 117ff., 126ff., 144ff., 150ff., 159ff., 168, 170, 172ff., 178, 180, 184, 189, 190f., 195, 199, 201ff., 211f., 215ff., 220f., 224ff., 229f., 269, 271f., 310, 315, 319, 328, 332, 335 Glossa ordinaria des Joh. Teutonicus 23, 25, 87, 199f., 203, 227f. Goldene Bulle 11, 246 Gratian, Dicta Gratiani 22, 36, 81, 197, 198f., 207f., 212, 217f., 220, 229f., 234f., 239, 241, 252, 255, 285, 292f., 297, 311 s. auch Decretum Gratiani

370 Gregor IX. 36, 39, 41, 102, 126

H Handhabung Friedens und Rechtens (Ausführungsanordnung zum Ewigen Landfrieden) 250, 312 Heinrich VII. 13, 33, 39, 235ff., 248, 253, 263, 310ff., 316f., 324, 333 Henricus de Segusio (Hostiensis) 86, 87, 112, 190 Hexenhammer s. Malleus Maleficarum Hexenhammer, Nürnberger s. Nürnberger Hexenhammer Heyden, Conrad 7, 18 s. auch Klagspiegel Hostiensis s. Henricus de Segusio Hugen, Alexander 17

I/J Innozenz III. 22f., 25, 28, 74f., 83, 102, 104, 107ff., 191, 198, 229f., 271, 285, 291ff. Innozenz IV. 75, 84, 93, 102, 105f., 108, 111, 116f., 139, 284 Institutionen 35, 40, 195, 206f., 346 Johannes Teutonicus 87, 126, 198ff., 203, 227f.

Anhang 64f., 67, 77, 92, 103, 105ff., 139 Kramer, Heinrich (Institoris) 13f., 91, 105 s. auch Malleus Maleficarum und Nürnberger Hexenhammer Liber Extra 22f., 25, 50, 75, 81, 83ff., 93, 102, 110ff., 125ff., 131, 190f., 197f., 200, 203ff., 208f., 212f., 215, 218, 229f., 233, 271, 284, 289ff., 293, 332, 347 Locher, Jakob 10, 17

M Malleus maleficarum 14, 17, 91, 105

N Nördlinger Stadtrechte 5f., 12f., 71, 254ff., 317f. Nürnberger Hexenhammer 13f. Nicolaus de Tudeschis (Panormitanus) 16, 41, 75, 83, 85f., 270

O Oberbayerisches Landrecht 14, 305 Odofredus 43, 173, 180

K

P

Klagspiegel 4, 7, 14, 16ff. 25, 30, 42, 44, 46, 50ff., 57, 59, 80f., 90, 92f., 95ff., 99ff., 110, 122f., 129, 132ff., 136ff., 140ff., 144f., 149, 152ff., 156, 158f., 162, 164, 166ff., 172ff., 176f., 181f., 184ff., 193f., 196, 217, 225ff., 247, 280, 285, 287, 289, 292ff., 297, 318f., 325ff., 336f. Konstitutionen von Melfi 28, 50,

Panormitanus s. Nicolaus de Tudeschis Paulus 40, 55, 59, 61ff., 68, 139, 150, 153, 157, 180, 202, 268, 315 s. auch Digesten

R Reformation Kaiser Friedrichs III. 11, 58, 69, 72, 249f., 314

Anhang Robert von Anjou (König von Neapel) 237ff., 245, 248, 311, 313 Roffredus von Benevent 19, 28, 51ff., 59, 94, 310, 335

S Salicetus 41, 180, 183 Schwarzenberg, Hans von 10, 44f., 363 s. auch Bambergensis Speculum Iudiciale 16, 28, 37ff., 43, 50f., 53, 63, 74, 81ff., 93f., 98f., 109, 111, 113ff., 124ff., 128, 130ff., 134, 158, 183, 188ff., 195f., 198, 200, 202ff., 207ff., 218, 226ff., 246, 251, 284ff., 298f., 310, 334ff. s. auch Durantis

371 Aretinus) 25f., 40, 42, 51, 54, 57, 63, 65, 67, 74, 80, 83, 88ff., 93ff., 98, 107, 111f., 117f., 121f., 124, 126ff., 135, 144ff., 150ff., 155, 157ff., 182ff., 189ff., 195f., 199, 201ff., 207ff., 211f., 216f., 220f., 224f., 230, 269, 271f., 310, 319, 327f., 332, 335, 348 Tractatus de Pace Publica 244, 250f., 313, 324 s. auch Gaill, Andreas

U Ulpian 55f., 58f., 61ff., 68, 112, 119, 128, 143f., 150f., 158f., 177, 182, 189, 202, 204, 232, 260, 268, 291, 315 s. auch Digesten

T

W

Tancredus Bononiensis 190, 198f., 204, 351 Tengler, Christoph 3f., 9f. Tractatus de maleficiis (des Angelus

Wormser Reformation 2, 42ff., 52, 57, 95ff., 129, 131, 149, 156, 159, 162ff., 166ff., 172ff., 210, 217f., 226, 247, 280f., 294, 297, 318f.

372

Anhang

2. Stichwortverzeichnis

A accusatio 43, 50f., 53, 55f., 74, 212 Acht 13, 30, 39, 46, 116, 206, 234ff., 243f., 246ff., 263, 305, 310ff., 324, 336, 340 Akkusationsprinzip/-grundsatz 50, 56, 326 Akkusationsverfahren/-prozess s. Anklageverfahren Allgemeinkundigkeit 198, 230 s. auch Notorietät Anklage 32, 52, 53f., 62, 79, 87, 89, 91, 94, 96, 110, 171f., 197, 212, 288, 291, 302, 318 Anklageverfahren 20, 25, 31ff., 79, 82f., 86, 88f., 96, 99, 104, 119, 132, 134, 136, 139ff., 177, 219, 224, 267, 281, 296, 298, 300 Ankläger, Akkusator 23, 49f., 52, 54, 61f., 79, 81, 83f., 89, 92, 96, 99, 104, 110ff., 141, 157, 177, 198, 213f., 218, 230, 275, 282, 291, 302, 326 Anzeige 31, 62, 73f., 76, 77ff., 82, 84, 86f., 89ff., 104, 114, 127, 132, 160, 224ff., 255f., 259, 318f. s. auch Denunziation Anzeigepflicht 26, 77f., 91 Augenschein, Augenscheinsbeweis 119, 122, 128, 130, 134, 175, 198, 210, 222f., 321 Augenzeugen 26, 131, 136, 164, 176, 205, 209f., 217, 226, 228ff., 268f., 275ff., 282

B Beweislehre 161, 175, 219f., 222, 266, 268, 271f., 294 Beweiswürdigung 101, 161, 163, 201, 219ff., 270, 272, 275, 283

C corpus delicti, corpus delicti-Lehre 29, 101, 115, 117, 119, 122, 128ff., 156, 189, 194, 262, 266, 321, 328, 336 crimen laesae maiestatis s. Majestätsverbrechen

D denunciatio s. Denunziation denunciatio canonica 75f., 81, 87 denunciatio evangelica 74f., 81, 84f., 88f. Denunziation 14, 22, 24, 29, 32, 43, 73ff., 103ff., 109, 132, 172f., 212, 224, 226, 281, 284, 318, 333 Denunziationsverfahren 74f., 80ff., 86, 107

E Eideshelfer 32, 285, 291f. Einung, Einungsgericht 79f., 97, 236, 244, 254ff., 317f., 325, 333 Endlicher Rechtstag 33, 45f., 67, 98, 181f., 185, 187, 192, 265, 296f., 299ff., 303, 305f., 331, 334

Anhang Folter 26, 29, 32f., 35, 39ff., 43, 67, 73, 98, 100, 120, 122, 127, 129, 131, 135f., 139ff., 165ff., 170, 173ff., 177ff., 190ff., 205, 217, 219, 222, 226, 229, 231, 258, 261f., 266ff., 272, 275ff., 281f., 284, 289f., 302, 315, 317, 321f., 327ff., 333, 335ff. Folterlehre 39, 41, 43, 141, 157, 183, 188, 194, 269 Friedbrecher, Friedbrüchiger 13, 30, 59, 69ff., 73, 234ff., 244, 248, 252, 259ff., 294, 310, 312ff., 316f., 325, 333f. Friedbruch 13, 69ff., 223, 243, 247f., 250ff., 294, 312f., 324 Frührezeption 30, 323, 330

G Gefangennahme 44, 71f., 98, 135, 140, 154ff., 171, 314, 327 Generalinquisition 24, 28, 56, 64f., 77, 101ff., 115ff., 123, 129, 134 156f., 328 Gerichtskundigkeit, gerichtskundig 198, 215f., 218 Gerücht 22f., 29, 50, 57, 67, 75, 87, 89, 99ff., 109ff., 116, 119f., 122f., 126f., 132ff., 138, 165f., 170, 214, 234, 287, 316, 326ff.

s. auch mala fama Geständnis 26, 30, 67, 90, 98, 100, 105, 119, 135f., 138, 140, 142, 147f., 153f., 158ff., 174, 179ff., 197ff., 204ff., 209, 217ff., 226, 258, 262, 265ff., 270, 272ff., 280ff., 287, 294, 296, 299, 302f., 306, 311, 316, 320f.f., 329ff., 333, 336 Geständnisprozess 30, 67ff., 73, 267, 275, 283, 306, 316, 320f., 330

373 Geständniszeugen 182, 185ff., 297, 302ff., 306

H Haft s. Gefangennahme Handhafte Tat, handhaft 66, 155, 169, 175, 222, 252, 266, 276, 278, 282, 294 Hexenprozess, Hexenverfolgung 2f., 10, 13f., 17, 31, 74, 77, 91, 98, 101, 119, 141, 154, 157, 181, 254, 328

I Indiz 46, 57, 63, 72f., 117, 120f., 130f., 145, 147, 149, 156ff., 179f., 184, 192, 194, 218f., 221f., 226, 231, 271, 315, 327f., 334f. Indizienbeweis 98, 163, 192, 271, 275 Indizienlehre 29, 43ff., 73, 157, 162f., 175, 194, 231, 272, 322, 327, 329, 336 infamia 22, 66, 103, 106, 109ff., 120f., 127, 148, 231ff., 361 s. auch mala fama inquisitio famae 22, 24, 66, 76, 92, 108f., 113, 116, 120f., 134, 324, 328 inquisitio generalis s. Generalinquisition inquisitio per denunciationem 24f., 87, 91, 104 inquisitio per promoventem 24, 87, 104 inquisitio specialis s. Spezialinquisition inquisitio veritatis 22, 104, 109, 111, 113, 328

K Ketzerprozess 24, 26f., 273, 329

374 Ketzerverfolgung 25ff., 76, 103, 124, 139 Kundlichkeit, kundlich 32, 196, 206, 227, 244, 248, 252, 324 s. auch Notorische Tat, notorisch Kurzer Prozess 69, 260, 262f., 310, 332 s. auch summarischer Prozess

L Landfrage 64f. Landfrieden, Landfriedensbewegung 2, 30, 42, 47ff., 55, 57ff., 63f., 68ff., 97, 223, 234, 236, 243f., 246ff., 260, 263f., 294, 309, 311ff., 324 Landfriedensbrecher s. Friedbrecher Landfriedensbruch s. Friedbruch (Land)schädliche Leute 30, 59ff., 64ff., 68ff., 140, 148, 233, 260, 314ff., 323 Leumund 65f., 99, 133, 136, 159, 162, 165ff., 227, 229, 231, 233f., 323, 329 s. auch mala fama Leumundsverfahren 60, 63, 66, 316 Leumundszeugen 131, 134, 275

Anhang mali homines 61ff., 68f., 315, 324 Nachrichter 301, 304ff. Notorietät, Notorietätslehre 32, 38, 43, 54, 95, 115, 161, 174f., 191f., 195ff., 208ff., 223ff., 234f., 237, 240f., 246ff., 266, 268f., 272, 274, 276, 293f., 310f. 314, 319, 324, 332ff. Notorische Tat, notorisch 33, 43, 54, 95, 115, 159, 175, 192, 195, 198, 201, 203ff., 208f, 211ff., 216ff., 222ff., 227ff., 234f., 237, 240f., 245ff., 252, 263, 266, 268f., 274, 293f., 311, 319 notorium 95, 112, 189f., 192, 195f., 198ff., 224ff., 237, 246, 252, 269, 281, 293, 319 notorium facti 198f., 202, 205ff., 210f., 215, 225, 228, 269 notorium iuris 198f., 202, 204f. notorium praesumptionis 199, 203

O Offizialmaxime, Offizialprinzip 20, 46, 48, 50, 73, 309, 310 Ortstermin 124ff., 132, 134, 156

M

P

Majestätsverbrechen 26, 52, 139, 145f., 148, 235, 237, 242f., 245ff., 252, 256ff., 260, 310ff., 317f., 324, 332 Majestätsverbrecher 33, 234f., 237, 240ff., 247, 252f., 311ff., 316, 333 mala fama 22, 29, 50, 66, 76f., 87ff., 93, 109ff., 113, 115f., 118ff., 123, 134, 158, 200, 214, 230f., 286ff., 316, 326ff. s. auch infamia

Peinliche Befragung 32, 123, 136, 153, 329, 337 s. auch Folter Privatklage, Privatklagegrundsatz 49ff., 53, 61f., 308 Promotor 89, 90ff., 132f. purgatio canonica s. Reinigungseid Purgationsverfahren s. Reinigungsverfahren

Anhang

375 116, 134, 216, 219, 234ff., 238ff., 245ff., 258ff., 265, 298, 301, 310ff., 314ff., 324, 332f.

R Reinigungseid 20, 22f., 29f., 32, 38, 66, 68, 75, 80, 135, 137f., 140, 148, 155, 200, 213, 217, 223, 271, 278, 284ff., 293ff., 320, 323, 334ff. Reinigungsverfahren 22, 286ff., 291 Rüge, Rügewesen 24, 77ff., 93, 97, 222, 225, 255f., 258f., 317f. s. auch Anzeige, Denunziation Rügeinstanz 24, 78f., 97, 255, 318, 333 s. auch Einung Rügeverfahren 24, 64f., 77f., 103, 284

S scandalum 23, 110ff., 115, 230, 287, 289, 326 Sendgericht, Sendgerichtsverfahren 24, 102ff., 107f., 123 Spezialinquisition, inquisitio specialis 25, 56, 65, 98, 101ff., 105ff., 116, 118, 121ff. Strafanzeige 73f., 76f., 80, 87, 90f., 97 Summarischer Prozess, summarisch 23, 25ff., 30, 33, 46, 59, 68, 78, 95,

T Tatzeugen 90, 100, 131, 136, 164, 257, 280, 282, 329 Tortur s. Folter

V Verklager s. Ankläger Verteidigung 25, 27, 132f., 135, 137, 155, 212f., 234, 239ff., 249, 252, 259, 274, 303, 313, 336f. Vollrezeption 29, 327

Z Zeugenbeweis 21, 90, 131, 136f., 159f., 164, 176, 185, 204, 217, 258, 268, 275, 280, 287, 330, 337 Zeugenfolter 131, 141f., 182 Zeugenvernehmung 98, 121, 124, 130f., 133ff., 138, 215, 337 Zweizeugenbeweis 80, 131, 158, 176, 201, 205, 209, 219, 271, 276, 281