Die unternehmerische Freiheit im Unionsrecht [1 ed.] 9783428533329, 9783428133321

Die in Artikel 16 der Grundrechtecharta der Europäischen Union kodifizierte unternehmerische Freiheit scheint eine grund

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German Pages 246 Year 2010

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Die unternehmerische Freiheit im Unionsrecht [1 ed.]
 9783428533329, 9783428133321

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Rechtsfragen der Globalisierung Band 18

Die unternehmerische Freiheit im Unionsrecht Von

Frederik Schmidt

Duncker & Humblot · Berlin

FREDERIK SCHMIDT

Die unternehmerische Freiheit im Unionsrecht

Rechtsfragen der Globalisierung Herausgegeben von Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider, Erlangen-Nürnberg

Band 18

Die unternehmerische Freiheit im Unionsrecht

Von

Frederik Schmidt

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2010 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1619-0890 ISBN 978-3-428-13332-1 (Print) ISBN 978-3-428-53332-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-83332-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner lieben Friederike

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 2009 von der Juristischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommen. Einschlägige Literatur, Rechtsprechung und primärrechtliche Entwicklungen des Unionsrechts wurden bis zum Abschluss des Manuskripts im Juli 2009 berücksichtigt. Mein ganz besonderer und herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Professor Karl Albrecht Schachtschneider, der durch seine hervorragende Betreuung und durch seine zahlreichen wertvollen Hinweise dieses Projekt maßgeblich gefördert hat. Ihm verdanke ich das Gelingen der Arbeit in der heutigen Form und es ist mir eine große Ehre, dass er sie in seine Schriftenreihe Rechtsfragen der Globalisierung aufgenommen hat. Herrn Professor Bernhard Wegener danke ich sehr für die äußerst rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Dr. Susanne Gleißner und Kathrin Melsheimer danke ich für das Korrekturlesen. Den Grundstein für meine Doktorarbeit haben meine lieben Eltern gelegt. Sie haben es mir ermöglicht meine Ausbildung mit einem Doktortitel abzurunden. Ihr wichtigster Beitrag war hierbei sicherlich die Erziehung zu einem weltoffenen und dennoch kritischen Menschen, der sich der Wahrheit verpflichtet fühlt. Meiner lieben Ehefrau Friederike gebührt tiefer und inniger Dank. Sie hat mir mit ihrer fortwährenden Unterstützung und Zuneigung die notwendige Kraft gegeben, diese Arbeit erfolgreich abzuschließen. Böblingen, im März 2010

Frederik Schmidt

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Lösungsweg der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 15 15 16

B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die geschichtliche Entwicklung der Grundrechte im europäischen Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Grundrechtsverpflichteten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Bindung an die Gemeinschaftsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . a) Die Bindung der Gemeinschaftsorgane an die Gemeinschaftsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bindungswirkung gemäß Art. 51 Abs. 1 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der räumliche und der zeitliche Geltungsbereich der Gemeinschaftsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Grundrechte und die Grundfreiheiten im europäischen Gemeinschaftsrecht – Unterscheidung, Überschneidung oder Ergänzung . . . . . . . . V. Juristische Auslegungsmethoden im Europäischen Gemeinschaftsrecht . . . 1. Die allgemeine Methodik des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die wörtlich-grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die historisch-subjektive Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die systematisch-kontextuelle Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Anmerkungen zu den Auslegungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entwicklung der Gemeinschaftsgrundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erweiterte Grundrechtsinterpretation durch die Grundrechtecharta . . . . 4. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Unternehmerische Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Wirtschaftsrahmen der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die unternehmerische Freiheit als Kernelement der Marktwirtschaft . . . . .

57 57 61

17 26 26 27 28 32 35 36 41 41 42 43 44 45 47 48 53 56

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Inhaltsverzeichnis III. Die unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die unternehmerische Freiheit in den Rechtserkenntnisquellen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die völkerrechtlichen Verträge zum Menschenrechtsschutz – insbesondere die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die unternehmerische Freiheit in den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die unternehmerische Freiheit in Deutschland . . . . . . . . . . . . . (a) Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Bundesgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die unternehmerische Freiheit in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die unternehmerische Freiheit in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die unternehmerische Freiheit in Großbritannien . . . . . . . . . . . (5) Die unternehmerische Freiheit in Bulgarien . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Die unternehmerische Freiheit in Estland . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Die unternehmerische Freiheit in Litauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (8) Die unternehmerische Freiheit in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (9) Die unternehmerische Freiheit in Ungarn . . . . . . . . . . . . . . . . . . (10) Die unternehmerische Freiheit in Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . (11) Die unternehmerische Freiheit in Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . (12) Die unternehmerische Freiheit in Finnland . . . . . . . . . . . . . . . . . (13) Die unternehmerische Freiheit in Griechenland . . . . . . . . . . . . . (14) Die unternehmerische Freiheit in Irland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (15) Die unternehmerische Freiheit in Lettland . . . . . . . . . . . . . . . . . (16) Die unternehmerische Freiheit in Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . (17) Die unternehmerische Freiheit in Malta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (18) Die unternehmerische Freiheit in den Niederlanden . . . . . . . . . (19) Die unternehmerische Freiheit in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . (20) Die unternehmerische Freiheit in Portugal . . . . . . . . . . . . . . . . . (21) Die unternehmerische Freiheit in Rumänien . . . . . . . . . . . . . . . (22) Die unternehmerische Freiheit in Schweden . . . . . . . . . . . . . . . (23) Die unternehmerische Freiheit in der Slowakei . . . . . . . . . . . . . (24) Die unternehmerische Freiheit in Slowenien . . . . . . . . . . . . . . . (25) Die unternehmerische Freiheit in Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . (26) Die unternehmerische Freiheit in Tschechien . . . . . . . . . . . . . . (27) Die unternehmerische Freiheit in Zypern . . . . . . . . . . . . . . . . . . (28) Die unternehmerische Freiheit in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63 64

65 70 74 75 81 83 86 88 90 93 96 99 102 105 106 106 107 107 108 108 108 109 109 110 110 111 111 112 113 113 114 115 116

Inhaltsverzeichnis

11

2. Die Ausgestaltung des Schutzbereichs der unternehmerischen Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit auszuüben, sowie zur wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit . . . . . . . . 119 b) Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Handels- und Gewerbefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 c) Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Vertragsfreiheit als Erscheinungsform der Privat- und Parteiautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 d) Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur freien Wahl des Vertrags- und Geschäftspartners . . . . . 134 e) Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur unternehmerischen Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 f) Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Anerkennung des freien Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . 139 g) Der persönliche Schutzbereich der unternehmerischen Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 h) Definitionen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu grundrechtsrelevanten Begriffen der unternehmerischen Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3. Die Eingriffsdogmatik nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 4. Die Schrankenausgestaltung zur unternehmerischen Freiheit durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Dem Allgemeinwohl dienende Ziele der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . 154 b) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 c) Wesensgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta . . 162 1. Die Entstehung der Grundrechtecharta und die Konventsberatungen zu Art. 16 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Die Ausgestaltung der unternehmerischen Freiheit in Art. 16 GRCh . . 170 a) Der persönliche Schutzbereich der unternehmerischen Freiheit . . . . 170 b) Der sachliche Schutzbereich der unternehmerischen Freiheit . . . . . . 178 (1) (2)

Die unternehmerische Freiheit wird „anerkannt“ . . . . . . . . . . . . 179 Gewährleistungsinhalte gemäß den Erläuterungen des Grundrechtekonvents . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (a) Freiheit, eine Wirtschafts- und Geschäftstätigkeit auszuüben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

12

Inhaltsverzeichnis (aa) Das Verhältnis von Art. 15 GRCh zu Art. 16 GRCh . . (bb) Das Verhältnis von Art. 17 GRCh zu Art. 16 GRCh . . (b) Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Wettbewerbsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Werbefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Spezialfall: Art. 14 Abs. 3 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Schrankenausgestaltung der Charta zu Art. 16 GRCh . . . . . . . . . (1) Die Literaturansichten zur Schrankensystematik . . . . . . . . . . . . (2) Die Schrankensystematik unter Berücksichtigung allgemeiner Auslegungsmethoden sowie der bisherigen Rechtsprechung . . (a) Die Formulierung in Art. 16 GRCh „nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Anwendbarkeit der Schrankenbestimmungen aus Art. 52 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

184 188 192 194 197 198 199 200 204

204 212

D. Endergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 E. Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union – ein Blick in die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Anhang: Hinweise in der Tagespresse auf die unternehmerische Freiheit . . . .

227

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

230

Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Einleitung Dass die Grundrechte auf europäischer Ebene lange Zeit wenig Beachtung fanden und erst im Jahre 2000 mit der Grundrechtecharta1 ein umfassender Grundrechtskatalog veröffentlicht wurde, hängt mit der Entstehungsgeschichte der Europäischen Gemeinschaft als Wirtschaftsgemeinschaft zur nachhaltigen Sicherung des innereuropäischen Friedens zusammen. Mit der am 18. April 1951 gegründeten Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl sowie den am 25. März 1957 gegründeten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) wollte man Deutschland als gleichberechtigten Partner aufnehmen und zugleich die für die Rüstungsindustrie zentralen Wirtschaftszweige überwachen.2 So verwundert es nicht, dass in diesen Gründungsverträgen Grundrechte keine Erwähnung finden. Erst nach und nach erlangten die Grundrechte auf europäischer Ebene eine größere Bedeutung, insbesondere durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften.3 In den primärrechtlichen Vertragstexten findet sich eine Erwähnung der Grundrechte erstmals in der Präambel der Einheitlichen Europäischen Akte4 aus dem Jahre 1986, anschließend dann im Jahre 1992 in Art. F Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union5. Der nächste größere Schritt, ein verbindlicher europäischer Grundrechtskatalog, blieb auf Grund der seit dem Vertrag von Nizza ins Stocken geratenen primärrechtlichen Weiterentwicklung der Europäischen Union 1 GRCh: Charta der Grundrechte der Europäischen Union, durch den Europäischen Rat am 7. Dezember 2000 feierlich in Nizza proklamiert (ABl. 2000 C 364/1), letztmalig modifiziert und veröffentlicht am 14. Dezember 2007 im Amtsblatt der Europäischen Union, ABl. 2007 C 303/1. 2 U. Ostermann, Entwicklung und gegenwärtiger Stand der europäischen Grundrechte, S. 19. 3 M. Kober, Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, S. 8. 4 Einheitliche Europäische Akte, in Kraft getreten am 1. Juli 1987, Präambel: „(. . .) entschlossen, gemeinsam für die Demokratie einzutreten, wobei sie sich auf die in den Verfassungen und Gesetzen der Mitgliedstaaten, in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Europäischen Sozialcharta anerkannten Grundrechte, insbesondere Freiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit, stützen, (. . .)“. 5 Art F Abs. 2 (heute Art. 6 Abs. 2) EUV: „Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.“

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A. Einleitung

und der damit fehlenden völkerrechtlichen Ratifizierung der Grundrechtecharta aus. Die Charta stellt zwar erstmals einen umfassenden Grundrechtskatalog auf, ist aber kein primäres Gemeinschaftsrecht und deshalb für den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seiner derzeitigen Fassung nicht bindend. Wann und wie die Grundrechtecharta zukünftig zu verbindlichem Primärrecht wird, ist derzeit noch offen. Der ursprüngliche politische Wille – die Vereinbarung eines Verfassungsvertrages für Europa mit integrierter und modifizierter Grundrechtecharta in Kapitel II – wurde durch die negativen Referenden der französischen Bürger am 29. Mai 2005 sowie der niederländischen Bürger am 1. Juni 2005 verhindert. Nach einer darauf folgenden Konsolidierungsphase wurde im Jahre 2007 unter der Ratspräsidentschaft von Deutschland ein zweiter Vorstoß zur Anpassung des Primärrechts betrieben. Das Ergebnis der Bemühungen war eine leicht modifizierte Fassung des Verfassungsvertrages mit der Bezeichnung „Vertrag von Lissabon“, der durch die Regierungsvertreter der 27 Mitgliedstaaten hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wurde. Hier findet sich ein bindender Verweis auf die Grundrechtecharta.6 Die notwendige Ratifizierung des Vertrages von Lissabon7 ist aber durch ein negatives Referendum der Iren am 12. Juni 2008 ins Stocken geraten. Ein zweites Referendum der irischen Bevölkerung ist am 2. Oktober 2009 geplant. Hierfür musste die Europäische Union gegenüber den Iren politische Zugeständnisse akzeptieren.8 In Deutschland ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das sich aufgrund von Verfassungsbeschwerden9 und Organstreitverfahren10 mehrerer Antragsteller und Beschwerdeführer mit den zahlreichen Neuregelungen durch den Vertrag von Lissabon auseinandersetzt hat, zu Gunsten einer weiteren Integration gefallen. Die am 30. Juni 2009 veröffentlichte Entscheidung zum Vertrag von Lissabon sieht aber vor, dass die Ratifikationsurkunde der Bundesrepublik Deutschland erst hinterlegt werden darf, wenn die Beteiligungsrechte von Bun6 Art. 6 Abs. 1 EUV-LV: „Die Union erkennt die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7. Dezember 2000 in der am 12. Dezember 2007 in Straßburg angepassten Fassung niedergelegt sind; die Charta der Grundrechte und die Verträge sind rechtlich gleichrangig.“ 7 Online verfügbar unter: http://europa.eu/lisbon_treaty/full_text/index_de.htm (geprüft am 11.07.2009). 8 Jedes Mitgliedsland soll weiterhin einen Kommissar behalten dürfen. Auch sollen die Iren durch rechtsverbindliche Zusatzerklärungen bestimmte Garantien erhalten. So garantiert die Europäische Union die Wahrung der traditionellen Neutralitätspolitik Irlands sowie die Nichteinmischung in die nationale Steuer- und Abtreibungspolitik. (siehe hierzu die Schlussfolgerungen des Vorsitzes zur Tagung des Europäischen Rates in Brüssel vom 18./19. Juni 2009, Dok. 11225/2/09 REV 2, online abrufbar unter http://register.consilium.europa.eu, geprüft am 11.07.2009). 9 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09. 10 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08.

II. Problemstellung

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destag und Bundesrat im „Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union“ 11 im erforderlichen Umfang ausgestaltet worden sind. Sollte der Vertrag von Lissabon mangels umfassender Ratifizierungen aller Mitgliedstaaten nicht in Kraft treten und damit der europäische Vertragsreformprozess für längere Zeit ins Stocken geraten, so wäre denkbar, dass die Grundrechtecharta eigenständig in das europäische Primärrecht aufgenommen wird.12

I. Zielsetzung Diese Arbeit befasst sich vornehmlich mit dem europäischen Grundrecht der unternehmerischen Freiheit, welches in Artikel 16 GRCh13 erstmals niedergeschrieben wurde. In diesen Erörterungen wird versucht, den Gehalt des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit auf europäischer Ebene darzustellen. Hierfür werden die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, dessen Erkenntnisgrundlage und die Ausgestaltung des Wirtschaftsgrundrechts in der Grundrechtecharta eingehend untersucht.

II. Problemstellung Eine fundierte Übersicht über Schutzbereich und Rechtfertigung des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit hat der Gerichtshof bisher nicht erarbeitet.14 Meist sind es nur kurze Passagen in den Urteilen des Gerichtshofs, die sich mit Teilaspekten der unternehmerischen Freiheit beschäftigen.15 Dabei wird zwar regelmäßig auf die Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten verwiesen, im Urteilstext sucht man aber vergeblich nach einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den nationalstaatlichen Grundrechtsbestimmungen aus mittlerweile 27 Verfassungsgesetzen.16 Ob die Einzelfallrechtsprechung des Gerichtshofs eine 11

Bundestagsdrucksache 16/8489. M. Kober, Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, S. 17. 13 Art. 16 GRCh: „Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.“ 14 C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 31, Rdn. 28. 15 Beispielhaft hierzu EuGH v. 19.09.1985 – verb. RS 63 und 147/84 (Finsider/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1985, S. 2857 (Rdn. 22–24), wo die Grundrechtsprüfung zur wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit gerade mal in fünf Sätzen abgehandelt wird. 16 Der Gerichtshof verwendet für seinen Verweis auf die Rechtserkenntnisquellen der Gemeinschaftsgrundrechte eine nahezu identische Formulierung, die sich in zahlreichen Urteilen wiederfindet: EuGH v. 3.09.2008 – RS C-402/05 P und C-415/05 P (Yassin Abdullah Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 2008, S. I-06351 (Rdn. 283: 12

16

A. Einleitung

schlüssige Dogmatik enthält17 und inwieweit die Grundrechtecharta diese insbesondere in Art. 16 GRCh sowie Art. 52 GRCh widerspiegelt, wird daher nachfolgend untersucht werden.

III. Lösungsweg der Arbeit Eine umfassende Analyse der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft und auch der Grundrechtecharta hinsichtlich der unternehmerischen Freiheit soll es ermöglichen, nicht nur den Status Quo des derzeitigen Grundrechtsschutzes unternehmerischer Freiheit aufzuzeigen, sondern auch einen Ausblick geben zu können, welche Konsequenzen sich bei einer (zu erwartenden) Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta ergeben müssten.18

„Zudem sind nach ständiger Rechtsprechung die Grundrechte integraler Bestandteil der allgemeinen Rechtsgrundsätze, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. Der Gerichtshof lässt sich dabei von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind. Hier kommt der EMRK besondere Bedeutung zu.“); EuGH v. 12.09.2006 – RS C-479/04 (Laserdisken ApS/Kulturministeriet), Slg. 2006, S. I-8089 (Rdn. 61: „Zunächst ist daran zu erinnern, dass die Grundrechte nach ständiger Rechtsprechung zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat; dabei lässt er sich von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Anschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind. Hierbei kommt der EMRK besondere Bedeutung zu.“); EuGH v. 27.06.2006 – RS C-540/03 (Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union), Slg. 2006, S. I-5769 (Rdn. 35); EuGH v. 02.05.2006 – RS C-341/04 (Eurofood IFSC Ltd.), Slg. 2006, S. I-3813 (Rdn. 65); EuGH v. 15.10.1987 – RS 222/86 (UNECTEF/Georges Heylens), Slg. 1987, 4097 (Rdn. 14). 17 Ablehnend: P. Quasdorf, Dogmatik der Grundrechte der Europäischen Union, S. 22. 18 Vgl. hierzu EUV-LV in der konsolidierten Fassung vom 9.5.2008 (ABl. C 115/13), Art. 6 Abs. 1: „(. . .) die Charta der Grundrechte und die Verträge sind rechtlich gleichrangig. (. . .) Die in der Charta niedergelegten Rechte, Freiheiten und Grundsätze werden gemäß den allgemeinen Bestimmungen des Titels VII der Charta, der ihre Auslegung und Anwendung regelt, und unter gebührender Berücksichtigung der in der Charta angeführten Erläuterungen, in denen die Quellen dieser Bestimmungen angegeben sind, ausgelegt.“ sowie Art. 52 Abs. 7 GRCh: „Die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung dieser Charta verfasst wurden, sind von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen.“

B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft Die Wichtigkeit der Grundrechte im Europäischen Gemeinschaftsrecht und somit auch des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit wird wegen der zunehmenden Machtfülle der Europäischen Union stetig wachsen.1 Rengeling geht zu Recht davon aus, dass die europäischen Verordnungen sowie die nationalen Vorschriften, welche aufgrund europarechtlicher Richtlinien erlassen wurden und somit an den Gemeinschaftsgrundrechten zu messen sind, stetig zunehmen werden. Alleine hieraus ergibt sich schon die dringende Notwendigkeit, größtmögliche Klarheit hinsichtlich der europäischen Grundrechtsdogmatik zu erreichen und den Stand des europäischen Grundrechtsschutzes zu durchleuchten. Denkt man daran, dass 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine besondere, durch die jeweilige historische Geschichte stark geprägte Grundrechtsentwicklung in ihren nationalen Staaten durchgemacht haben und sich 27 unterschiedliche, aber auch teilweise ähnelnde Grundrechtsniveaus mit abweichender Systematik und Dogmatik entwickelt haben, so verwundert es nicht, dass auch die Gemeinschaftsgrundrechte eine eigenständige Ausprägung erhalten haben.

I. Die geschichtliche Entwicklung der Grundrechte im europäischen Gemeinschaftsrecht Die Untersuchung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zeigt auf, wie sich der Grundrechtsschutz der Europäischen Union Schritt für Schritt etabliert hat. Im Urteil Stork2 aus dem Jahr 1959 lehnte es der Gerichtshof noch kategorisch ab, auf (nationale) Grundrechte einzugehen. Hierzu führte der Gerichtshof aus: „(. . .) Wie sich aus Artikel 8 ergibt, ist die hohe Behörde nur berufen, das Recht der Gemeinschaft anzuwenden; für die Anwendung innerstaatlicher Vorschriften der Mitgliedstaaten fehlt ihr die Zuständigkeit. Auch der Gerichtshof hat, gemäß Artikel 31 des Vertrages, lediglich die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages und seiner Durchführungsvorschriften zu sichern, im Regelfall aber sich nicht über nationale Rechtsvorschriften auszusprechen. Infolgedessen kann auch

1 H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte, DVBl. 2004, S. 454; M. Kober, Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, S. 8. 2 EuGH v. 04.02.1959 – RS 1/58 (Friedrich Stork und Co./Hohe Behörde der Gemeinschaft für Kohle und Stahl) Slg. 1958–1959, S. 45 (S. 63).

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft auf den Vorwurf, die hohe Behörde habe mit ihrer Entscheidung Grundsätze des deutschen Verfassungsrechts (insbesondere Art. 2 und 12 des Grundgesetzes) verletzt, im Verfahren vor diesem Gerichtshof nicht eingegangen werden. (. . .)“

Ein Jahr später in der Rechtssache Ruhrkohlen-Verkaufsgesellschaft 3 wiederholte er seine ablehnende Haltung gegenüber den (nationalen) Grundrechten und begründete dies mit seiner fehlenden Befugnis: „(. . .) Der Gerichtshof ist jedoch bei der Nachprüfung der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen der hohen Behörde und somit auch von den im vorliegenden Fall nach Artikel 65 des Vertrages erlassenen Entscheidungen nicht befugt, für die Beachtung solcher innerstaatlichen Vorschriften Sorge zu tragen, die in dem einen oder anderen Mitgliedstaat gelten, mag es sich hierbei auch um Verfassungsrechtssätze handeln. Der Gerichtshof kann daher bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung der Hohen Behörde weder zur Auslegung noch zur Anwendung von Art. 14 des deutschen Grundgesetzes schreiten. (. . .)“

In der Folgezeit kam es dann zu zwei grundlegenden Entscheidungen des Gerichtshofs, die den Ausgangspunkt für die Notwendigkeit eines eigenen Grundrechtsschutzes der Gemeinschaft bildeten. Mit seinem Urteil van Gend & Loos4 aus dem Jahr 1963 dezidierte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die „unmittelbare Anwendbarkeit von Gemeinschaftsrecht“. „Aus alledem ist zu schließen, dass die Gemeinschaft eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts darstellt, zu deren Gunsten die Staaten, wenn auch in begrenztem Rahmen, ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben, eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind. Das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Gemeinschaftsrecht soll daher den Einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen. Solche Rechte entstehen nicht nur, wenn der Vertrag dies ausdrücklich bestimmt, sondern auch auf Grund von eindeutigen Verpflichtungen, die der Vertrag den Einzelnen wie auch den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft auferlegt. (. . .) Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass nach dem Geist, der Systematik und dem Wortlaut des Vertrages Artikel 12 [EWG]5 dahin auszulegen ist, dass er unmittelbare Wirkungen erzeugt und individuelle Rechte begründet, welche die staatlichen Gerichte zu beachten haben.“

Durch das ein Jahr später folgende Urteil Costa/ENEL6 beanspruchte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zudem den „Vorrang des Gemein-

3 EuGH v. 15.7.1960 – verb. RS 36/59, 37/59, 38/59 und 40/59 (Präsident Ruhrkohlen Verkaufsgesellschaft u. a./Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Slg. 1960, S. 887 (S. 920). 4 EuGH v. 05.02.1963 – RS 26/62 (van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, S. 3 (S. 25, 27). 5 Art. 12 EWG (in der Fassung vom 01.01.1958): „Die Mitgliedstaaten werden untereinander weder neue Einfuhr- oder Ausfuhrzölle oder Abgaben gleicher Wirkung einführen, noch die in ihren gegenseitigen Handelsbeziehungen angewandten erhöhen.“ 6 EuGH v. 7.3.1964 – RS 6/64 (Costa/ENEL), Slg. 1964, S. 1251 (S. 1269 f.).

I. Entwicklung der Grundrechte im europäischen Gemeinschaftsrecht

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schaftsrechts“.7 Er führte darin aus, dass zum verbindlichen Gemeinschaftsrecht widersprüchliche nationale Rechtsetzungsakte keine Geltung beanspruchen können.8 „Zum Unterschied von gewöhnlichen Internationalen Verträgen hat der EWG-Vertrag eine eigene Rechtsordnung geschaffen, die bei seinem Inkrafttreten in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden und von ihren Gerichten anzuwenden ist. (. . .) Wortlaut und Geist des Vertrages haben zur Folge, dass es den Staaten unmöglich ist, gegen eine von ihnen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit angenommenen Rechtsordnung nachträgliche einseitige Maßnahme ins Feld zu führen. (. . .) Die Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten im Vertrag zur Gründung der Gemeinschaft eingegangen sind, wären keine unbedingten mehr, sondern nur noch eventuelle, wenn sie durch spätere Gesetzgebungsakte der Signaturstaaten in Frage gestellt werden könnten. (. . .) Die Staaten haben somit (. . .) eine endgültige Beschränkung ihrer Hoheitsrechte bewirkt, die durch spätere einseitige, mit dem Gemeinschaftsbegriff unvereinbare Maßnahmen nicht rückgängig gemacht werden kann.“

Diese beiden Urteile des Gerichtshofs sollten verhindern, dass nationale Grundrechte gegen Einschränkungen durch das Gemeinschaftsrecht geltend gemacht werden können und es ergab sich so die zwingende Notwendigkeit eines Grundrechtsschutzes auf europäischer Ebene. Nur so konnte gewährleistet werden, dass Prozessbeteiligte bei der Anwendung von Gemeinschaftsrecht sich nicht in einem grundrechtsfreien Raum wiederfinden würden.9 Erstmals berief sich der Gerichtshof dann im Jahre 1969 auf ein europäisches Grundrecht. Im Rahmen des Urteils Stauder10 erläuterte er, dass auch die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehörten. In diesem Verfahren empfand es ein Leistungsempfänger von Kriegsopferfürsorge als Verletzung seiner Menschenwürde und des Gleichheitsgrundsatzes, seinen Namen für eine Registrierung zum Bezug von Weihnachtsbutter preisgeben zu müssen. In einem obiter dictum stellte der Gerichtshof in seinem Urteil fest, dass die Beachtung der Grundrechte zu den allgemeinen Grundsätzen der Gemeinschaftsordnung gehöre, deren Wahrung durch den Gerichtshof zu sichern sei. Hiermit wurde erstmals die Grundrechtsebene im Recht der Europäischen Gemeinschaft durch die Judikative anerkannt. Ein Jahr später – im Urteil Internationale Handelsgesellschaft 11 – führte der Gerichtshof ergänzend zu seinen Ausführungen12 zum „Vorrang des Gemein7 So auch später in EuGH v. 17.12.1970 – Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel), Slg. 1970, S. 1125. 8 EuGH v. 7.3.1964 – RS 6/64 (Costa/ENEL), Slg. 1964, S. 1251 (S. 1269–1270). 9 J. Kühling, Die Kommunikationsfreiheit, S. 44; H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der Europäischen Union, § 1, Rn. 79. 10 EuGH v. 12.11.1969 – RS 29/69 (Erich Stauder/Stadt Ulm, Sozialamt), Slg. 1969, S. 419 (S. 424 f.). 11 EuGH v. 17.12.1970 – RS 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft), Slg. 1970, S. 1125 (Rdn. 4).

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft

schaftsrechts“ aus, dass die Gemeinschaftsgrundrechte von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten getragen sein müssen: „Es ist jedoch zu prüfen, ob nicht eine entsprechende gemeinschaftsrechtliche Garantie verkannt worden ist; denn die Beachtung der Grundrechte gehört zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. Die Gewährleistung dieser Rechte muss zwar von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten getragen sein, sie muss sich aber auch in die Struktur und die Ziele der Gemeinschaft einfügen. Hiernach ist im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht geäußerten Bedenken zu prüfen, ob die [gemeinschaftsrechtliche] 13 Kautionsregelung Grundrechte verletzt hat, deren Beachtung die Gemeinschaftsrechtsordnung gewährleisten muss.“

Somit schloss sich der Gerichtshof im wesentlichen den Ausführungen des Generalanwaltes Römer an, der bereits in seinem Schlussantrag zur Rechtssache Stauder14 vorschlug, durch wertende Rechtsvergleichung die gemeinsamen Wertvorstellungen der nationalen Grundrechte zu ermitteln, um diese Wertvorstellungen dann als ungeschriebenen Bestandteil des Gemeinschaftsrechts zu beachten. Mit dem Urteil Nold 15 aus dem Jahr 1974 kam zur Entwicklung der Gemeinschaftsgrundrechte eine weitere Rechtserkenntnisquelle hinzu. Der Gerichtshof entschied, dass internationale Verträge über den Schutz der Menschenrechte, bei denen die Mitgliedstaaten Vertragsparteien sind, ebenfalls Berücksichtigung finden müssten.16 Hierzu führte er aus: „(. . .) Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, die er zu wahren hat, und dass er bei der Gewährleistung dieser Rechte von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten auszugehen hat. Hiernach kann er keine Maßnahmen als rechtens anerkennen, die unverzichtbar sind mit den von den Verfassungen dieser Staaten anerkannten und geschützten Grundrechten. Auch die internationalen Verträge über den Schutz der Menschenrechte, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind, können Hinweise geben, die im Rahmen des Ge12 EuGH v. 17.12.1970 – RS 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft), Slg. 1970, S. 1125 (Rdn. 3: „Die einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrechts würde beeinträchtigt, wenn bei der Entscheidung über die Gültigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane Normen oder Grundsätze des nationalen Rechts herangezogen würden. (. . .) Daher kann es die Gültigkeit einer Gemeinschaftshandlung oder deren Geltung in einem Mitgliedstaat nicht berühren, wenn geltend gemacht wird, die Grundrechte in der ihnen von der Verfassung dieses Staates gegebenen Gestalt oder die Strukturprinzipien der nationalen Verfassung seien verletzt.“). 13 Vom Verfasser eingefügt. 14 GA Römer, Schlussantrag zu EuGH v. 12.11.1969 – RS 29/69 (Stauder/Stadt Ulm), Slg. 1969, 419 (427 f.). 15 EuGH v. 14.5.1974 – RS 4/73 (J. Nold, Kohlen- und Baustoffgroßhandlung/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1974, 491 (Rdn. 13). 16 Hierzu zählen unter Anderem: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte v. 10.12.1948; Europäische Sozialcharta des Europarates v. 18.9.1961; Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966.

I. Entwicklung der Grundrechte im europäischen Gemeinschaftsrecht

21

meinschaftsrechts zu berücksichtigen sind. Anhand dieser Grundsätze ist über die von der Klägerin geltend gemachten Rügen zu entscheiden. (. . .)“

Durch diese Vorgabe erlangte in der Folgezeit vor allem die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten17 eine besondere Bedeutung für die Grundrechtsentwicklung des Gerichtshofs.18 Mit der Entwicklung eines europäischen Grundrechtsschutzes stärkte der Gerichtshof die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft.19 So konnte er das durch ihn festgelegte Rangverhältnis des Gemeinschaftsrechts über den nationalen Rechtsvorschriften wahren und eine ansonsten drohende uneinheitliche Anwendung des europäischen Gemeinschaftsrechts durch die Judikative der Mitgliedstaaten abwenden.20 Die übrigen Organe der Europäischen Gemeinschaft begrüßten daher die Rechtsprechung des Gerichtshofs und stärkten sein Vorgehen mit unterstützenden Deklarationen, die nachfolgend erwähnt werden. So wurde in der Gemeinsamen Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission zur Achtung der Grundrechte in der Gemeinschaft vom 5. April 1977 die Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Grundrechtsrechtsprechung ausdrücklich anerkannt.21 17 Die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) wurde am 4. November 1950 in Rom unterzeichnet und trat am 3. September 1953 in Kraft. 18 Die Bedeutung der EMRK findet sich in zahlreichen Urteilsformulierungen des EUGH wieder, so z. B. in: EuGH v. 26. Juni 2007 – RS C-305/05 (Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a./Ministerrat), Slg. 2007, S. I-5305 (Rdn. 29: „Auch ist daran zu erinnern, dass die Grundrechte integraler Bestandteil der allgemeinen Rechtsgrundsätze sind, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. Der Gerichtshof lässt sich dabei von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind. Hierbei kommt der EMRK besondere Bedeutung zu.“); EuGH v. 17.10.1989 – RS 97-99/87 (Dow Chemical Iberica, SA, u. a./Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1989, S. 3165 (Rdn. 14 f.); EuGH v. 18.06.1991 – RS C260/89 (Elliniki Radiophonia Tileorassi u. a./Dimotiki Etairia Pliroforissis u. a.), Slg. 1991, S. I-2925 (Rdn. 41); EuGH v. 29.05.1997 – RS C-299/95 (Friedrich Kremzow/ Republik Österreich), Slg. 1997, S. I-2629 (Rdn. 14); EuGH v. 18.12.1997 – RS C-309/ 96 (Daniele Annibaldi/Sindaco del Comune di Guidonia und Präsident Regione Lazio), Slg. 1997, S. I-7493 (Rdn. 12). 19 R. Streinz, Europarecht, S. 140, Rdn. 413; T. Kingreen, in: Callies/Ruffert, EUV/ EGV, Art. 6, Rdn. 36. 20 U. Ostermann, Entwicklung und gegenwärtiger Stand der europäischen Grundrechte, S. 20; C. Stumpf (in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 6 EUV, Rdn. 12) weist darauf hin, dass insbesondere die Bemühungen des Bundesverfassungsgerichts und des italienischen Corte Costituzionale zur Entwicklung eines europäischen Grundrechtsschutzes geführt haben. 21 Streinz (in: R. Streinz, Europarecht, S. 140, Rdn. 415) wertet die „Gemeinsame Erklärung“ nach Völkerrecht gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. b WVRK als eine für die Vertragsauslegung erhebliche, spätere Übung bei der Anwendung des Vertrages. Das BVerfG hat zur „Gemeinsamen Erklärung“ in seinem Urteil Solange II (BVerfGE 73,

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft

Dieser Grundrechtserklärung schlossen sich dann die Staats- und Regierungschefs der damaligen Mitgliedstaaten am 8. April 1978 auf ihrem Gipfeltreffen in Kopenhagen an. Jener Schritt führte auf Gemeinschaftsebene zu einer weiteren (politischen) Stärkung der Grundrechte. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nahm daraufhin diese politische Erklärung in seine Grundrechtsrechtsprechung auf, indem er sie in Urteilsbegründungen mit zitierte:22 „(. . .) Auch die internationalen Verträge über den Schutz der Menschenrechte, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind, können Hinweise geben, die im Rahmen des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen sind. Diese Auffassung ist später in der gemeinsamen Erklärung der Versammlung, des Rates und der Kommission vom 5. April 1977 anerkannt worden, die – nach einer Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs – zum einen auf die durch die Verfassungen der Mitgliedstaaten garantierten Rechte und zum anderen auf die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 verweist.“

Im Vertrag von Maastricht vom 7. Februar 1992 wurde schließlich mit Art. F II23 folgender Absatz aufgenommen: „Art. F II: Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.“

Darüber hinaus gab es noch eine weitere grundrechtsrelevante Änderung im europäischen Primärrecht. Durch Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam am 2. Oktober 1997 wurde die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Grundrechtsrechtsprechung nach Art. 6 Abs. 2 EUV gemäß Art. 46 lit. d EUV24 auch im Vertragstext ausdrücklich festgehalten. 339, 383, Rdn. 128) wie folgt Stellung bezogen: „(. . .) Wenngleich die genannten Erklärungen der Organe der Europäischen Gemeinschaft und des Europäischen Rates der förmlichen Natur als Vertragsrecht entbehren mögen und die Gemeinschaft als solche nicht Mitglied der Europäischen Menschenrechtskonvention ist, so sind diese Akte sowohl gemeinschaftsintern als auch im Verhältnis der Gemeinschaft zu ihren Mitgliedstaaten von rechtserheblicher Bedeutung. Sie bekunden in förmlicher Weise die übereinstimmende Rechtsauffassung der Vertragsstaaten und der Gemeinschaftsorgane hinsichtlich der Gebundenheit der Gemeinschaft an die Grundrechtsverbürgungen, wie sie sich aus den mitgliedstaatlichen Verfassungen ergeben und als allgemeine Rechtsgrundsätze Geltung als primäres Gemeinschaftsrecht entfalten; als einhellige Bekundung einer Absicht zur Handhabung der Gemeinschaftsverträge sind sie auch völkerrechtlich für die Bestimmung des Inhalts dieser Verträge rechtserheblich.“ 22 So z. B. in EuGH v. 13.12.1979 – RS 44/79 (Liselotte Hauer/Land RheinlandPfalz), Slg. 1979, S. 3727 (Rdn. 15). 23 Heute ist dies Art. 6 II EUV. 24 Art. 46 EUV: „Die Bestimmungen des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (. . .) betreffend die Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und die Ausübung dieser Zuständigkeiten gelten nur für folgende Bestim-

I. Entwicklung der Grundrechte im europäischen Gemeinschaftsrecht

23

Die zuvor skizzierte Entwicklung der Grundrechte im Europäischen Gemeinschaftsrecht durch den Gerichtshof wurde insbesondere durch das deutsche Bundesverfassungsgericht mit seiner Rechtsprechung forciert. Im ersten hierzu ergangenen Beschluss „Solange I“ 25 vom 29. Mai 1974 findet sich folgende Passage: BVerfGE 37, 271 (285), Rdn. 56: „Solange der Integrationsprozess der Gemeinschaft nicht so weit fortgeschritten ist, dass das Gemeinschaftsrecht auch einen von einem Parlament beschlossenen und in Geltung stehenden formulierten Katalog von Grundrechten enthält, der dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes adäquat ist, ist nach Einholung der in Art. 177 EWGV geforderten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes die Vorlage eines Gerichts der Bundesrepublik Deutschland an das Bundesverfassungsgericht im Normenkontrollverfahren zulässig und geboten, wenn das Gericht die für die entscheidungserhebliche Vorschrift des Gemeinschaftsrechts in der vom Europäischen Gerichtshof gegebenen Auslegung für unanwendbar hält, weil und soweit sie mit einem der Grundrechte des Grundgesetzes kollidiert.“

Zwölf Jahre später, am 22. Oktober 1986, führte der erkennende Senat des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss „Solange II“ 26 aus, dass im Hoheitsbereich der Europäischen Gemeinschaft ein Maß an Grundrechtsschutz etabliert sei, der nach Konzeption, Inhalt und Wirkungsweise dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes im wesentlichen gleichzuachten sei. Daher sei ein nationales Normenkontrollverfahren zur Überprüfung von Gemeinschaftsrecht, wie es noch durch die Rechtsprechung „Solange I“ 27 eingeräumt wurde, unzulässig: BVerfGE 73, 339 (387): „Angesichts dieser Entwicklung ist festzustellen: Solange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleichzuachten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt, wird das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht, das als Rechtsgrundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, nicht mehr ausüben und dieses Recht mithin nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen; entsprechende Vorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG sind somit unzulässig.“

Die Entscheidung „Solange II“ 28 brachte zum Ausdruck, dass das Bundesverfassungsgericht Grundrechtsrechtsprechung des Gerichtshofs als verfassungsge-

mungen dieses Vertrags: (. . .) d) Artikel 6 Absatz 2 in Bezug auf Handlungen der Organe, soweit der Gerichtshof im Rahmen der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und im Rahmen dieses Vertrags zuständig ist.“ 25 BVerfGE 37, 271. 26 BVerfGE 73, 339 (378). 27 BVerfGE 37, 271. 28 BVerfGE 73, 339.

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft

mäß erachtete und die ursprünglich erachtete Notwendigkeit eines eigenen Prüfungsvorbehalts aufgab. Im „Maastricht-Urteil“ 29 aus dem Jahr 1992 findet sich zum Verhältnis des Bundesverfassungsgerichts und dem Gerichtshof folgender Abschnitt: BVerfGE 89, 155 (174–175): „Das Bundesverfassungsgericht gewährleistet durch seine Zuständigkeit (vgl. BVerfGE 37, 271 [280 ff.]; 73, 339 [376 f.]), dass ein wirksamer Schutz der Grundrechte für die Einwohner Deutschlands auch gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell sichergestellt und dieser dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleich zu achten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt. Das Bundesverfassungsgericht sichert so diesen Wesensgehalt auch gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft (vgl. BVerfGE 73, 339 [386]). Auch Akte einer besonderen, von der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten geschiedenen öffentlichen Gewalt einer supranationalen Organisation betreffen die Grundrechtsberechtigten in Deutschland. Sie berühren damit die Gewährleistungen des Grundgesetzes und die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, die den Grundrechtsschutz in Deutschland und insoweit nicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen zum Gegenstand haben (Abweichung von BVerfGE 58, 1 [27]). Allerdings übt das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht in Deutschland in einem ,Kooperationsverhältnis‘ zum Europäischen Gerichtshof aus, in dem der Europäische Gerichtshof den Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der Europäischen Gemeinschaften garantiert, das Bundesverfassungsgericht sich deshalb auf eine generelle Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards (vgl. BVerfGE 73, 339 [387]) beschränken kann.“

Mit diesem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht seine Ansicht aus dem „Solange II“ 30 Beschluss insoweit relativiert, dass es seine Funktion im Rahmen des Grundrechtsschutzes gegenüber belastendem Sekundärrecht in einem Kooperationsverhältnis mit dem Gerichtshof sieht. Dies ermögliche ihm zumindest dann einzuschreiten, wenn die in Deutschland anerkannten Grundrechtsstandards im Europäischen Gemeinschaftsrecht nicht mehr gewährleistet werden. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Bananenmarkt-Verfahren aus dem Jahr 2000 knüpft an die Solange-Rechtsprechung und das Maastricht-Urteil an und unterstreicht nochmals die Erfordernisse, die für eine zulässige Verfassungsbeschwerde oder Normenkontrolle gegen europäisches Sekundärrecht notwendig sind. BVerfGE 102, 147 (164): „Sonach sind auch nach der Entscheidung des Senats in BVerfGE 89,155 Verfassungsbeschwerden und Vorlagen von Gerichten von vornherein unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlegt, dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nach Ergehen der Solange-II Entscheidung (BVerfGE 73, 339 [378 bis 381]) unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken sei. Deshalb muss die Begründung der 29 30

BVerfGE 89, 155. BVerfGE 73, 339.

I. Entwicklung der Grundrechte im europäischen Gemeinschaftsrecht

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Vorlage eines nationalen Gerichts oder einer Verfassungsbeschwerde, die eine Verletzung in Grundrechten des Grundgesetzes durch sekundäres Gemeinschaftsrecht geltend macht, im Einzelnen darlegen, dass der jeweils als unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz generell nicht gewährleistet ist. Dies erfordert eine Gegenüberstellung des Grundrechtsschutzes auf nationaler und auf Gemeinschaftsebene in der Art und Weise, wie das Bundesverfassungsgericht sie in BVerfGE 73, 339 (378 bis 381) geleistet hat.“

Auch im „Lissabon-Urteil“31 vom 30. Juni 2009 bleibt das Gericht bei dieser Rechtsprechung. Hier führte das Bundesverfassungsgericht auf das Vorbringen eines Beschwerdeführers, dass „die deutschen Staatsorgane im Anwendungsbereich der nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EUV-Lissabon rechtsverbindlichen Grundrechtscharta weitgehend von der Verpflichtung zur Beachtung der Grundrechte des Grundgesetzes entbunden werden“, wie folgt aus: Rdn. 191: „Unabhängig von der Reichweite des Anwendungsbereichs der Grundrechtecharta nach Art. 51 GRCh gehören die Grundrechte des Grundgesetzes zu den Verfassungskerngehalten, die die Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG auf die Europäische Union begrenzen (vgl. BVerfGE 37, 271 [279 f.; 73, 339 [376]). Das Bundesverfassungsgericht übt seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von sekundärem Unionsrecht und sonstigem Handeln der Europäischen Union, das die Rechtsgrundlage für ein Handeln deutscher Gerichte und Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland ist, lediglich solange nicht mehr aus, wie die Europäische Union eine Grundrechtsgeltung gewährleistet die nach Inhalt und Wirksamkeit dem Grundrechtsschutz, wie er nach dem Grundgesetz unabdingbar ist, im Wesentlichen gleichkommt (vgl. BVerfGE 73, 339 [376, 387]; 102, 147 [164]).“

Die Hürden zur grundrechtlichen Überprüfung von sekundärem Gemeinschaftsrecht vor dem Bundesverfassungsgericht sind damit so hoch gesetzt, dass der nationale Rechtsweg faktisch ausgeschlossen ist. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch seine Rechtsprechung eine eigene gemeinschaftsrechtliche Grundrechtsordnung entwickelt hat und hierdurch den ursprünglich fehlenden Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene in die Hand genommen hat.32 Seit nun vierzig Jahren hat der Gerichtshof dabei auf der Grundlage seiner beiden Rechtserkenntnisquellen eine beachtliche Anzahl an ungeschriebenen Gemeinschaftsgrundrechten entwickelt. Ein Großteil dieser vom Gerichtshof anerkannten Grundrechte finden sich in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union33 wieder, die vom Europäischen Rat in Nizza am 7. Dezember 2000 proklamiert wurde und im Rahmen der Verhandlungen zum Vertrag von Lissabon in 31 BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009 (bisher nur online veröffentlicht, http:// www.bundesverfassungsgericht.de). 32 R. Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, S. 22. 33 Die Entwicklung der Charta wurde vom Europäischen Rat auf seiner Tagung in Köln am 3. und 4. Juni 1999 beschlossen, die Umsetzung erfolgte durch einen eigens

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft

einer konsolidierten Fassung am 14. Dezember 2007 im Amtsblatt veröffentlicht wurde.34 Die Charta wird, wie bereits einleitend erwähnt, erst verbindliches Primärrecht, wenn der Vertrag von Lissabon in Kraft getreten ist.35 Jedoch eröffnet die Charta neben der Rechtsprechung eine zweite, erstmals kodifizierte Rechtsquelle, anhand der das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit hinsichtlich seiner Materie untersucht werden kann.

II. Die Grundrechtsverpflichteten In diesem Kapitel wird dargestellt, wer die Grundrechtsadressaten der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte und somit auch des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit sind. Auch wenn sich hierzu schon zahlreiche Literatur findet,36 so konnten bisher noch nicht alle Fragen abschließend beantwortet werden. Insbesondere die Bindungswirkung der Mitgliedstaaten wird in der Literatur unterschiedlich gesehen. Nachfolgend wird der aktuelle Stand der Rechtsprechung des Gerichtshofs untersucht und es wird auf die derzeitige Ausgestaltung in Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh37 betreffend die Grundrechtsadressaten eingegangen. 1. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Bindung an die Gemeinschaftsgrundrechte Die Bindung der Gemeinschaftsorgane und die Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte finden ihre primärrechtliche Verankerung in Art. 6 Abs. 2 EUV: ins Leben gerufenen Konvent in nur eineinhalb Jahren. Nähere Ausführungen zur Entstehungsgeschichte und Bedeutung finden sich unter C. 34 ABl. C 303 vom 14.12.2007, S. 1–16. 35 C. Callies, Die Charta der Grundrechte, EuZW 2001, S. 267; H.-W. Arndt/ K. Fischer, Europarecht, S. 111; C. Stumpf, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 6 EUV, Rdn. 12. 36 Ein Auszug hiervon: W. Schaller, Die EU-Mitgliedstaaten als Verpflichtungsadressaten der Gemeinschaftsgrundrechte; A. Wallrab, Die Verpflichteten der Gemeinschaftsgrundrechte; C.-P. Bienert, Die Kontrolle mitgliedstaatlichen Handelns, S. 78–222; J. Cirkel, Die Bindungen der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte; H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 137–206; A. Bleckmann/S. Pieper, in: Dauses, Handbuch des Wirtschaftsrechts, B I, Rdn. 129–135; P. Quasdorf, Dogmatik der Grundrechte, S. 146–169; C. Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 51, Rdn. 5–16; C. Callies, Die Charta der Grundrechte, EuZW 2001, S. 266–267; J. Petersen, Der Schutz sozialer Grundrechte, S. 26–28; J. Kühling, Die Kommunikationsfreiheit, S. 66–81; H. D. Jarass, EU-Grundrechte, § 4 Rdn. 1–20; M. Strunz, Strukturen des Grundrechtsschutzes, S. 114–135. 37 Art. 51 Abs. 1 GRCh: „Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. (. . .)“.

II. Die Grundrechtsverpflichteten

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„Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.“

Der Unionsbegriff wird in dieser Vorschrift weit ausgelegt und umfasst neben den Gemeinschaftsorganen auch die derzeit 27 Mitgliedstaaten.38 Welche Fälle der Bindungswirkung durch den Gerichtshof bereits angenommen wurden, ergibt sich aus den folgenden Ausführungen. a) Die Bindung der Gemeinschaftsorgane an die Gemeinschaftsgrundrechte Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften prüft die Rechtmäßigkeit sekundärer Rechtsakte39 und sonstiger Ausübungen von Hoheitsgewalt der Gemeinschaftsorgane an den Gemeinschaftsgrundrechten.40 Aus der Rechtsprechung ergibt sich damit eine Grundrechtsbindung der Organe bei dem Erlass von Sekundärrecht.41 Die hieran beteiligten Organe, namentlich das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und der Rat sind somit an die Gemeinschaftsgrundrechte gebunden. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Erklärungen42, durch die sich das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und der Rat ebenfalls eine Selbstbindung auferlegt haben.43

38 C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 6, Rdn. 27; W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 71, Rdn. 215, 223. 39 Penski merkt an, dass eine grundrechtskonforme Auslegung des Primärrechts, obwohl es als Willenseinigung und Zustimmungsakt der Mitgliedstaaten allein dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten unterliege, gem. Art. 6 Abs. 2 EUV geboten sei (U. Penski/B. Elsner, Eigentumsgewährleistung und Berufsfreiheit, DÖV 2001, S. 266). 40 Beispielhaft für die Grundrechtskontrolle einer Verordnung: EuGH v. 17.12.1970 – Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel), Slg. 1970, S. 1125 (Rdn. 3–4 und 14–16) sowie für die Grundrechtskontrolle einer Kommissionsentscheidung EuGH v. 14.5.1974 – RS 4/73 (J. Nold, Kohlen und Baustoffgroßhandel/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1974, S. 491 (Rdn. 12–16). 41 A. Bleckmann/S. Pieper, in: Dauses, Handbuch des Wirtschaftsrechts, B I, Rdn. 129; J. F. Lindner, Grundrechtsschutz gegen gemeinschaftsrechtliche Öffnungsklauseln, in: EuZW 2007, S. 72; C. Stumpf, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 6 EUV, Rdn. 13. 42 Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vom 5. April 1977 (ABl. v. 27. April 1977, C 103, S. 1); Erklärung des Europäischen Parlaments über die Grundrechte und Grundfreiheiten vom 12. April 1989 (ABl. v. 16. Mai 1989, C 120, S. 51). 43 C. Bobbert, Interinstitutionelle Vereinbarungen, S. 19.

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft

Auch sind die europäischen Organe an die Grundrechte gebunden im Rahmen des direkten Vollzugs von Gemeinschaftsrecht, wie beispielsweise im Rahmen der Intendatur (interne Personal- und Materialverwaltung) oder beim gemeinschaftsexternen Vollzug des Wettbewerbsrechts.44 Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat entsprechend in zahlreichen Urteilen45 nicht nur seine eigene Grundrechtsbindung klar zum Ausdruck gebracht, sondern auch die der handelnden Organe. Hierzu führte er im Urteil Osman Ocalan46 aus: Rdn. 109: „Die Europäische Gemeinschaft ist eine Rechtsgemeinschaft, in der die Handlungen ihrer Organe darauf hin kontrolliert werden, ob sie mit dem EG-Vertrag und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, zu denen auch die Gemeinschaftsgrundrechte gehören, vereinbar sind. (. . .)“

b) Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte Inwieweit die Mitgliedstaaten47 durch die Gemeinschaftsgrundrechte gebunden werden, bedarf einer differenzierten Betrachtung der Rechtsprechung. Unstrittig sind die Mitgliedstaaten nach ständiger Rechtsprechung bei der Ausübung ihrer Hoheitsgewalt außerhalb des Bereichs des Gemeinschaftsrechts nicht an gemeinschaftsrechtliche Grundrechte gebunden.48 In diesem Bereich müssen 44 A. Wallrab, Die Verpflichteten der Gemeinschaftsgrundrechte, S. 30–31; M. Kober, Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, S. 161. 45 Beispielhaft EuGH v. 27.06.2006 – RS C-540/03 (Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union), Slg. 2006, S. I-5769 (Rdn. 35: „Die Grundrechte sind integraler Bestandteil der allgemeinen Rechtsgrundsätze, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat.“); EuGH v. 17.12.1979 – RS 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel), Slg. 1970, S. 1125 (Rdn. 4): „(. . .) die Beachtung der Grundrechte gehört zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat.“ 46 EuGH v. 18.01.2007 – RS C-229/05P (Osman Ocalan im Namen der PKK u. a./ Rat der Europäischen Union), Slg. 2007, S. I-439 (Rdn. 109). 47 Hierunter fallen nicht nur die zentralen Behörden, sondern auch alle regionale und lokale staatliche Einrichtungen sowie öffentliche Einrichtungen bei der Anwendung von Gemeinschaftsrecht. (C. Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Europäische GRCh, S. 759). 48 EuG v. 18.12.1997 – RS C-309/96 (Daniele Annibaldi/Sindaco del Comune di Guidonia und Presidente Regione Lazio), Slg. 1997, S. I-7493, Leitsatz: „Der Gerichtshof kann im Vorabentscheidungsverfahren dem vorlegenden Gericht nicht die Auslegungshinweise geben, die es benötigt, um die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit den Grundrechten beurteilen zu können, deren Wahrung der Gerichtshof sichert und die sich insbesondere aus der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergeben, wenn diese Regelung einen Fall betrifft, der nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt.“; EuGH v. 11.07.1985 – verb. RS 60/84 und 61/84 (Cinéthèque SA u. a./Fédération nationale des cinémas francais), Slg. 1985, 2605 (Rdn. 26); EuGH v. 30.09.1987 – RS 12/86 (Meryem Demirel/Stadt Schwäbisch Gmünd), Slg. 1987, S. 3719 (Rdn. 28); EuGH v. 4.10.1991 – RS C-159/90 (Society for the Protection of Unborn Children Ireland Ltd./Stephen Grogan u. a.), Slg. 1991, S. I4685 (Rdn. 31); EuGH v. 29.5.1997 – RS C-299/95 (Kremzow/Republik Österreich),

II. Die Grundrechtsverpflichteten

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die Mitgliedstaaten ihr Handeln nicht an den Gemeinschaftsgrundrechten, sondern an ihren nationalen Grundrechten messen.49 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Mitgliedstaaten nur an die Gemeinschaftsgrundrechte gebunden, wenn der Sachverhalt dem Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts unterliegt.50 EuGH v. 11.07.2006 – RS C-13/05, Rdn. 56: „Zwar gehört zu den Grundrechten als integraler Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts u. a. das allgemeine Diskriminierungsverbot. Dieses ist für die Mitgliedstaaten somit verbindlich, wenn die im Ausgangsverfahren in Rede stehende innerstaatliche Situation in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt.“

Der Gerichtshof stützt seine Rechtsprechung zur Bindung der Mitgliedstaaten dabei auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie auf Art. 220 Absatz 1 EG51 und hat hierfür zwei Rechtsprechungslinien entwickelt.52 Zum einen geht es um Slg. 1997, S. I-2629 (Rdn. 15 f.); EuGH v. 13.6.1996 – RS C-144/95 (Jean-Luis Maurin), Slg. 1996, S. I-2909 (Rdn. 12); R. Streinz, Europarecht, S. 289, Rdn. 768; zu bedenken ist, dass wohl jeder mitgliedstaatliche Rechtsakt eine gemeinschaftsrechtliche Dimension hat, weil er weder in seinem Inhalt noch in seiner Anwendung den Vorgaben des EG-Rechts widersprechen darf. J. F. Lindner (ders., Grundrechtsschutz in Europa – System einer Kollisionsdogmatik, in: EuR 2007, S. 175) fragt daher, ob die Gemeinschaftsgrundrechte nicht eine vollumfängliche Bindungswirkung entfalten. 49 F. Brosius-Gersdorf, Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte, S. 14; K. von Rapp, Die Integrationswirkung von Grundrechten, S. 46; M. Strunz, Strukturen des Grundrechtsschutzes, S. 119–120; M. Kober, Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, S. 159. 50 EuGH v. 11.07.2006 – RS C-13/05 (Sonia Chacón Navas/Eurest Colectividades SA), Slg. 2006, S. I-6467 (Rdn. 56: „Zwar gehört zu den Grundrechten als integraler Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts u. a. das allgemeine Diskriminierungsverbot. Dieses ist für die Mitgliedstaaten somit verbindlich, wenn die im Ausgangsverfahren in Rede stehende innerstaatliche Situation in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt. (. . .)“); EuGH v. 7.09.2006 – RS C-81/05 (Anacleto Cordero Alonso/Fondo de Garantía Salarial), Slg. 2006, S. I-7569 (Rdn. 35: „Fällt eine nationale Regelung in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts, so muss sie mit den Grundrechten vereinbar sein, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat.“); EuGH v. 12.12.2002 – RS C-442/00 (Rodríguez Caballero), Slg. 2002, I-11915, (Rdn. 30 und 32); EuGH v. 12.06.2003 RS – C-112/00 (Schmidberger), Slg. 2003, I5659 (Rdn. 75). 51 Art. 220 Abs. 1 EG: „Der Gerichtshof und das Gericht erster Instanz sichern im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrags.“ Kritisch hierzu K. A. Schachtschneider (Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, in: Brink (Hrsg.), FS für Hans Herbert von Arnim, S. 793), der die umfassende Jurisdiktionsgewalt nebst Grundrechteverantwortung vom EuGH als einen Vorgriff auf den existentiellen Staat Europa wertet. A. Wallrab (dies., Die Verpflichteten der Gemeinschaftsgrundrechte, S. 73) führt aus, dass es für die Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte bei einem Handeln im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts keine spezifische dogmatische Grundlage gibt. 52 J. Kühling, Die Kommunikationsfreiheit, S. 69, 73; C. Ladenburger, in: Tettinger/ Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 51, Rdn. 20; W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 72, Rdn. 224.

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft

die Umsetzung sekundären Gemeinschaftsrechts und den Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht,53 zum anderen um von den Mitgliedstaaten vorgenommene Einschränkungen der durch den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften gewährleisteten Grundfreiheiten durch eine Berufung auf die Schrankenklauseln.54 Die erste Rechtsprechungslinie betrifft Fälle, in denen nationale Behörden und nationale Gerichte in Ausführung von Gemeinschaftsrecht oder hierauf basierendem nationalen Recht handeln, beispielsweise durch eine unmittelbare Anwendung von europäischen Rechtsverordnungen55 und Entscheidungen56 oder mittelbar durch die Anwendung Richtlinien umsetzenden nationalen Rechts.57 Hier sind die Gemeinschaftsgrundrechte und rechtsstaatlichen europäischen Verfahrensgarantien als Mindeststandard bei der Umsetzung58 oder Ausführung59 des Gemeinschaftsrechts zu beachten.60 53 EuGH v. 13.07.1989 – RS 5/88 (Hubert Wachauf/Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft), Slg. 1989, 2609; EuGH v. 24.03.1994 – RS C-2/92 (The Queen/Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, ex parte Dennis Clifford Bostock), Slg. 1994, I-955; EuGH v. 13.04.2000 – RS C-292/97 (Kjell Karlsson u. a.), Slg. 2000, I-2737; EuGH v. 10.07.2003 – RS C-20/00 und C-64/00 (Booker Aquacultur Ltd und Hydro Seafood GSP Ltd/The Scottish Ministers), Slg. 2003, I-7411; EuGH v. 30.09.1987 – RS 12/86 (Meryem Demirel/Stadt Schwäbisch Gmünd), Slg. 1987, 3719 (Rdn. 28). 54 EuGH v. 18.06.1991 – RS C-260/89 (E.R.T.), Slg. 1991, S. I-2925 (Rdn. 43); EuGH v. 25.07.1991 – Rs. 288/89 (Stichting Collective Antennenvoorzening Gouda u. a./Commissariaat van dem Media)), Slg. 1991, S. I-4007, Rdn. 23; EuGH v. 25.07. 1991 – Rs. 353/89 (Kommission der Europäischen Gemeinschaft/Königreich der Niederlande), Slg. 1991, S. I-4069 (Rdn. 30); EuGH v. 11.07.2002 – RS 60/00 (Mary Carpenter/Secretary of State fort he Home Department), Slg. 2002, S. I-6279 (Rdn. 40– 41); EuGH v. 26.06.1997 – RS C-368/95 (Vereinigte Familiapress Zeitungsverlags- und Vertriebs GmbH/Heinrich Bauer Verlag), Slg. 1997, S. I-3689 (Rdn. 24–25); EuGH v. 12.06.2003 – RS C-112/00 (Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und Planzüge/Republik Österreich), Slg. 2003, S. I-5659 (Rdn. 74); EuGH v. 14.10.2004 – RS C-36/02 (Omega Spielhallen- und Automatenaufstellungs-GmbH/Oberbürgermeisterin der Bundesstadt Bonn), Slg. 2004, S. I-9609 (Rdn. 35). 55 EuGH v. 13.07.1989 – RS 5/88 (Hubert Wachauf/Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft), Slg. 1989, S. 2609 (Rdn. 19); EuGH v. 25.11.1986 – verb RS 201/85 und 202/85 (Marthe Klensch/Staatssekretär für Landwirtschaft und Weinbau), Slg. 1986, S. 3477 (3507, Rdn. 8); EuGH v. 24.03.1994 – RS C-2/92 (The Queen/Dennis Cliffar Bostock), Slg. 1994, S. I-955 (Rdn. 16); EuGH v. 14.07.1994 – RS C-351/92 (Manfred Graff/Hauptzollamt Köln-Rheingau), Slg. 1994, S. I-3361 (Rdn. 17). 56 A. Wallrab, Die Verpflichteten der Gemeinschaftsgrundrechte, S. 206; D. Ehlers, in: ders., Europäische Grundrechte, § 14, S. 399, Rdn. 34; H.-W. Rengeling/ P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, § 4, Rdn. 318; C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 6, Rdn. 39. 57 EuGH v. 12.12.1996 – verb. RS C-74/95 und C-129/95 (Strafverfahren gegen X), Slg. 1996, S. I-6609 (Rdn. 22–26); EuGH v. 08.10.1987 – RS 80/86 (Strafverfahren gegen Kolpinghuis Nijmegen BV), Slg. 1987, S. 3969 (Rdn. 13); F. Brosius-Gersdorf, Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte, S. 20; M. Kober, Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, S. 159. 58 Ausführungen zu einer Richtlinie, die gemeinschaftsgrundrechtskonform umzusetzen, auszulegen und anzuwenden ist, finden sich beispielsweise im Urteil des EuGH v.

II. Die Grundrechtsverpflichteten

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In der zweiten Rechtsprechungslinie geht es um die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, sich auf die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften garantierten Schrankenklauseln der Grundfreiheiten zu berufen.61 Im Urteil Omega Spielhallen62 führte der Gerichtshof hierzu aus:

20.05.2003 – verb. RS C-465/00, C-138/01 u. C-139/01 (Rechnungshof/ORF u. a.), Slg. 2003, S. I-4989 (Leitsatz 2/Rdn. 68): „Die Bestimmungen der Richtlinie 95/46 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr sind, soweit sie die Verarbeitung personenbezogener Daten betreffen, die zu Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten und insbesondere des Rechts auf Achtung des Privatlebens führen kann, im Licht der Grundrechte auszulegen, die zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat.“ 59 Beispielhaft für eine mitgliedstaatliche Behörde, die an die Gemeinschaftsgrundrechte sowie Grundsätze während des gemeinschaftsrechtlichen Verwaltungsvollzugs gebunden ist: EuGH v. 21.09.1989 – verb. RS 46/87 u. 227/88 (Hoechst AG/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1989, S. 2859 (Rdn. 33: „Aus Art. 14 Abs. 6 ergibt sich, dass es Sache des einzelnen Mitgliedstaats ist, die Bedingungen zu regeln, unter denen die nationalen Stellen den Bediensteten der Kommission Unterstützung gewähren. Insoweit haben die Mitgliedstaaten unter Beachtung der oben genannten allgemeinen Grundsätze [insbesondere mit den Grundrechten, Rdn. 12] die Wirksamkeit des Vorgehens der Kommission sicherzustellen. Daraus folgt, dass sich die für die Gewährleistung der Rechte der Unternehmen geeigneten Verfahrensmodalitäten innerhalb der genannten Grenzen nach nationalem Recht bestimmen.“). 60 Große Probleme bereitet die Auflösung der doppelten Grundrechtsbindung von nationalen Stellen, die nicht nur die Gemeinschaftsgrundrechte, sondern auch den nationalen Grundrechte zu beachten haben. A. Wallrab (dies., Die Verpflichteten der Gemeinschaftsgrundrechte) präsentiert auf den Seiten 205–208 ihrer Dissertation folgendes Ergebnis: Handelt ein Mitgliedstaat in Anwendung von sekundärem Gemeinschaftsrecht, so soll er grundsätzlich auch an die nationalen Grundrechte gebunden sein. Die „Doppelverpflichtung“ mit teilweise unterschiedlichen Schutzniveaus der Grundrechte könnte dann wie folgt gelöst werden: Ist das nationale Schutzniveau niedriger oder identisch mit dem europäischen Schutzniveau, so sollen beide Verpflichtungen nebeneinander gelten. Hat man hingegen eine Konstellation mit einem höheren nationalen Schutzniveau, könne sich dieses nur durchsetzen, wenn den Mitgliedstaaten bei ihrem Handeln diesbezüglich ein Ermessen verbleibt oder wenn der gemeinschaftliche Grundrechtsschutz lediglich als Mindeststandard ausgestaltet wurde. In allen anderen Fällen, wo das nationale Schutzniveau höher als das europäische Schutzniveau ist, soll das nationale Schutzniveau wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts und der Notwendigkeit seiner einheitlichen Auslegung zurücktreten. Zum Verhältnis von nationalen Grundrechten und Gemeinschaftsgrundrechten siehe zudem die bereits zitierten Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen Solange I (BVerfGE 37, 271 (285)), Solange II (BVerfGE 73, 339 (387)), Maastricht (BVerfGE 89, 155 (174–175)), Bananenmarktordnung (BVerfGE 102, 147 (164)) und Lissabon (BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009, Rdn. 191, online unter http://www.bundesverfassungsgericht.de). Ausführungen zum grundrechtlichen Kollisionsfall unter Berücksichtigung von Art. 53 GRCh finden sich bei M. Strunz, Strukturen des Grundrechtsschutzes, S. 88–89 oder auch bei T. Kingreen, in: Callies/ Ruffert, EUV/EGV, Art. 53 GRCh, Rdn. 9 ff. 61 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 146; C. Stumpf, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 6 EUV, Rdn. 13; M. Kober, Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, S. 160; C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 6, Rdn. 40 f.

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft Rdn. 35: „Da die Grundrechte sowohl von der Gemeinschaft als auch von ihren Mitgliedstaaten zu beachten sind, stellt der Schutz dieser Pflichten ein berechtigtes Interesse dar, das grundsätzlich geeignet ist, eine Beschränkung von Verpflichtungen zu rechtfertigen, die nach dem Gemeinschaftsrecht, auch kraft einer durch den EG-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit wie des freien Dienstleistungsverkehrs, bestehen.“

Erfolgt eine Berufung eines Mitgliedstaates auf eine Ausnahmeklausel einer Grundfreiheit63, so muss die Rechtfertigung im Lichte der Gemeinschaftsgrundrechte ausgelegt werden.64 EuGH v. 18.6.1991 – RS C-260/89 (Ellinike Radiophonia u. a./Dimotiki Etairia u. a.), Rdn. 43: „(. . .) wenn ein Mitgliedstaat sich auf Artikel 66 in Verbindung mit Artikel 56 beruft, um eine Regelung zu rechtfertigen, die geeignet ist, die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit zu behindern, ist diese im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Rechtfertigung im Lichte der allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere der Grundrechte auszulegen. Die in Artikel 66 in Verbindung mit Art. 56 vorgesehenen Ausnahmen können daher für die betreffende nationale Regelung nur dann gelten, wenn sie im Einklang mit den Grundrechten steht, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat.“

In seiner weiteren Rechtsprechung65 hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Grundrechtsprüfung nicht nur für die expliziten Schranken der Grundfreiheiten im EG-Vertrag angenommen, sondern auch unterschiedslos für die immanenten Schranken66 der Grundfreiheiten.67 2. Die Bindungswirkung gemäß Art. 51 Abs. 1 GRCh68 In Artikel 51 Abs. 1 GRCh wird der Anwendungsbereich der Charta geregelt: Die Organe, Einrichtungen und Mitgliedstaaten sind dem Wortlaut nach „aus62 EuGH v. 14.10.2004 – RS C-36/02 (Omega Spielhallen- und Automatenaufstellungs-GmbH/Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn), Slg. 2004, S. 9609 (Rdn. 35). 63 Z. B. Art. 30, 39 III, 46, 55 i.V. m. 46, 58 EG. 64 EuGH v. 8.4.1992 – RS C-62/90 (Kommission/Deutschland), Slg. 1992, S. I-2575, Rdn. 23: „Wie der Gerichtshof entschieden hat, ist, wenn ein Mitgliedstaat sich auf die Vertragsbestimmungen beruft, um eine nationale Regelung zu rechtfertigen, die geeignet ist, die Ausübung einer vom Vertrag garantierten Freiheit zu behindern, diese im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Rechtfertigung im Lichte der allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere der Grundrechte auszulegen (. . .).“ 65 EuGH v. 05.10.1994 – RS C23-93 (TV 10 SA/Commissariaat voor de Media), Slg. 1994, S. I-4795 (Rdn. 23 ff.); EuGH v. 26.06.1997 – RS C-368/95 (Vereinigte Familiapress Zeitungsverlags- und Vertriebs GmbH/Heinrich Bauer Verlag), Slg. 1997, S. I-3689 (Rdn. 24). 66 So zum Beispiel für die „zwingenden Erfordernisse“ im Rahmen von Art. 28 EG oder für die „überwiegenden Allgemeininteressen“ im Rahmen von Art. 49 EG. 67 Diese Rechtsprechungspraxis wird in der Literatur teilweise kritisch bewertet: Siehe hierzu T. Kingreen, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 51, Rdn. 16; J. Kühling, Grundrechtskontrolle, EuGRZ 1997, S. 299; P. Huber, Recht der Europäischen Integration, § 8, Rdn. 61; M. Kober, Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, S. 161, 167 (m.w. N.).

II. Die Grundrechtsverpflichteten

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schließlich bei der D u r c h f ü h r u n g d e s R e c h t s d e r U n i o n“ 69 an die Charta gebunden. Dies ist nicht deckungsgleich mit der vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften entwickelten Formel, „im A n w e n d u n g s b e r e i c h des G e m e i n s c h a f t s r e c h t s“ eine Bindungswirkung anzunehmen.70 Fraglich ist somit, ob die Rechtsprechungspraxis aufgrund des abweichenden, engeren Wortlauts der Charta mit deren Rechtsverbindlichkeit eine Änderung erfahren muß.71 Zum einen ist die Begrifflichkeit „Recht der Union“ abweichend zum Begriff „Gemeinschaftsrecht“ gewählt worden. Zu der grundsätzlich die zweite und dritte Säule umfassenden Wortwahl „Recht der Union“ ist anzumerken, dass im Rahmen der primärrechtlichen Vertragsneugestaltung72 eine Vereinfachung eingeführt werden soll.73 Bis es soweit ist, sollte nach einem Vorschlag aus der Literatur der Begriff „Unionsrecht“ in Art. 16 GRCh weiter als „Gemeinschaftsrecht“ gelesen werden.74 Zum anderen scheint die beschränkende Formulierung der Grundrechtecharta – „bei der Durchführung des Rechts der Union“ – nicht die vom Gerichtshof dogmatisierte Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten bei einer Berufung auf eine Ausnahmeklausel der Grundfreiheiten zu umfassen. So finden sich Stimmen in der Literatur, die vertreten, dass die Berufung eines Mitgliedstaates auf eine Ausnahmeklausel nicht mehr unter „Durchführung“ von Gemeinschaftsrecht subsumiert werden kann, sondern dies vielmehr einen Fall im „Anwendungsbereich“ 68 In Titel VII, Allgemeine Bestimmungen über die Auslegung und Anwendung der Charta, findet sich folgender Wortlaut von Art. 51 GRCh: „Anwendungsbereich: (1) Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend achten sie die Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten und unter Achtung der Grenzen der Zuständigkeiten, die der Union in den Verträgen übertragen werden. (2) Diese Charta dehnt den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus aus und begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union, noch ändert sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben.“ 69 Hervorhebungen durch Sperrung wurden vom Verfasser dieser Arbeit vorgenommen. 70 R. Streinz, Europarecht, S. 285, Rdn. 757; C. Callies, Die Charta der Grundrechte, EuZW 2001, S. 266. 71 C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 6, Rdn. 30, 44; W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 82, Rdn. 262 f. 72 M. Borowsky, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte, Artikel 51, Rdn. 17, 19a. 73 C. Callies, Die Charta der Grundrechte, EuZW 2001, S. 266. 74 B. Schöbener, Die unternehmerische Freiheit, in: Ennuschat (Hrsg.), FS für Peter J. Tettinger, S. 176.

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft

des Gemeinschaftsrechts darstellt.75 Hieraus wird gefolgert, dass durch die Charta die bisherige Rechtsprechungspraxis des Gerichtshofs – soweit die Entstehungsgeschichte76 der Charta Beachtung findet – hinsichtlich der Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten eingeschränkt werden wird.77 Als Argument, dass die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs sich nicht ändern muss, werden die als Auslegungshilfe fungierenden Erläuterungen des Konvents78 zu Art. 51 Abs. 1 GRCh angeführt.79 Hier findet sich ein direkter Verweis auf die ERT-Rechtsprechung80 des Gerichtshofs.81 Rdn. 43: „Insbesondere wenn ein Mitgliedstaat sich auf Artikel 66 in Verbindung mit Artikel 56 beruft, um eine Regelung zu rechtfertigen, die geeignet ist, die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit zu behindern, ist diese im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Rechtfertigung im Lichte der allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere der Grundrechte auszulegen. Die in Artikel 66 in Verbindung mit Artikel 56 vorgesehenen Ausnahmen können daher für die betreffende nationale Regelung nur dann gelten, wenn sie im Einklang mit den Grundrechten steht, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat.“

75 C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 6, Rdn. 44 f.; W. Schaller, Die EU-Mitgliedstaaten als Verpflichtungsadressaten der Grundrechte, S. 213. 76 T. Kingreen (ders., Theorie und Dogmatik, EuGRZ 2004, S. 576) geht davon aus, dass die Restriktion bewusst vorgenommen wurde. Siehe hierzu auch A. Weber, Die Europäische Grundrechtecharta, NJW 2000, 537 (542). 77 T. Kingreen, Theorie und Dogmatik, EuGRZ 2004, S. 576; M. Borowsky, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte, Artikel 51, Rdn. 24, 29; J. Petersen, Der Schutz sozialer Grundrechte, S. 28; a. A.: C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 6, Rdn. 48; W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 87, Rdn. 277. 78 Dokument CHARTE 4473/00, Konvent 49 vom 11. Oktober 2000, S. 46; Die aktuelle Fassung der Erläuterungen vom 14. Dezember 2007 finden sich im Dokument 2007/C 303/01. Einleitend wird hier zu den Erläuterungen festgestellt: „Sie wurden unter der Verantwortung des Präsidiums des Europäischen Konvents aufgrund der von diesem Konvent vorgenommenen Anpassungen des Wortlauts der Charta (insbesondere der Artikel 51 und 52) und der Fortentwicklung des Unionsrechts aktualisiert. Diese Erläuterungen haben als solche keinen rechtlichen Status, stellen jedoch eine nützliche Interpretationshilfe dar, die dazu dient, die Bestimmungen der Charta zu verdeutlichen.“ 79 C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 6, Rdn. 48. 80 EuGH v. 18.06.1991 – RS C-260/89 (E.R.T.), Slg. 1991, S. I-2925 (Rdn. 43): Hier wird eine Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten angenommen, wenn sie im Rahmen von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorbehalten Regelungen erlassen, die Grundfreiheiten des EG-Vertrags einschränken. 81 C. Grabenwarter, Grundrechtsgemeinschaft, EuGRZ 2004, 564; H.-W. Rengeling/ P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 135–136; eine abweichende, unter anderem auf den Wortlaut von Art. 51 I GRCh sowie dessen Entstehungsgeschichte stützende Auffassung findet sich bei T. Kingreen, Theorie und Dogmatik, EuGRZ 2004, S. 576 sowie bei M. Borowsky, in: Meyer, Charta der Grundrechte, Art. 51, Rdn. 2 f. und 29 f.

III. Räumlicher/zeitlicher Geltungsbereich der Gemeinschaftsgrundrechte

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Es scheint im Ergebnis fraglich, ob die „Durchführung von Recht“ enger zu fassen ist als der „Anwendungsbereich von Recht“. Beide Formulierungen können vielmehr sinngleich gebraucht werden, ohne einen Unterschied auszudrücken. Zudem findet sich in den Erläuterungen zu Art. 51 GRCh folgende Passage, die für eine Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung spricht:82 „Was die Mitgliedstaaten betrifft, so ist der Rechtsprechung des Gerichtshofs eindeutig zu entnehmen, dass die Verpflichtungen zur Einhaltung der im Rahmen der Union definierten Grundrechte für die Mitgliedstaaten nur dann gilt, wenn sie im Anwendungsbereich des Unionsrechts handeln.“

Würde man die Ansicht vertreten, dass mitgliedstaatliche Beschränkungen der Grundfreiheiten aufgrund der Formulierung „Durchführung des Rechts“ nun nicht mehr an den Unionsgrundrechten gemessen werden, so müsste man auf die jeweiligen nationalen Grundrechte zurückgreifen. Dies würde der Einheit des Gemeinschaftsrechts aber entgegenstehen. Auch ist zu bedenken, dass die Einengung mitgliedstaatlicher Handlungsräume für die Einschränkung von Grundfreiheiten im Verhältnis zur Umsetzung und Vollzug von Unionsrecht als geringer einzustufen ist.83 Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass der Gerichtshof seine bisherige Rechtsprechung beibehalten wird.84

III. Der räumliche und der zeitliche Geltungsbereich der Gemeinschaftsgrundrechte In Art. 299 EG85 ist der räumlich-territoriale Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts und damit auch seiner Grundrechte festgelegt. Es wird nach völkerrechtlichen Grundsätzen an das Staatsgebiet der Mitgliedstaaten als solches angeknüpft.86 Verändert sich das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates, wirkt sich das automatisch auf den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts aus. Um den Besonderheiten von Mitgliedstaaten mit überseeischen Hoheitsgebieten sowie einigen Zwergstaaten gerecht zu werden, sind in Art. 299 Abs. 2–6 EG zahlreiche Ausnahmeregelungen getroffen. In Einzelfällen kann der Grundrechtsschutz auch über die Grenzen des Staatsgebiets hinausreichen. Zu denken ist beispielsweise an Kartellrechtsverfahren gegen Unternehmen mit ihrem Sitz außerhalb der 82 So auch unter Berücksichtigung der Erläuterungen der GRCh: C. Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 51, Rdn. 23; C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 6, Rdn. 46; W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 86; D. Scheuing, Zur Grundrechtsbindung der EU-Mitgliedstaaten, EuR 2005, S. 186. 83 D. Scheuing, Zur Grundrechtsbindung der EU-Mitgliedstaaten, EuR 2005, S. 183. 84 W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 87; C. Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 51, Rdn. 23. 85 In der Fassung des Vertrages von Lissabon wären die Art. 52 EUV-LV i.V. m. Art. 355 AEUV einschlägig. 86 D. Ehlers, in: ders., Europäische Grundrechte, § 7 V, Rdn. 48 (S. 201).

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft

Union – auch diesen sollte beispielsweise ein Anhörungsrecht im Sinne von Art. 41 Abs. 2 a) der Charta zur Verfügung stehen.87 Mit dem formellen Beitritt zur Europäischen Union gemäß Art. 49 EUV88 sind die europäischen Vorschriften des Primär- und Sekundärrechts für die Mitgliedstaaten rechtlich verbindlich geworden, wozu auch die Gemeinschaftsgrundrechte als Teil der allgemeinen Rechtsgrundsätze gehören. Beitrittsländer sind entsprechend mit dem Zeitpunkt des in Kraft tretens des Beitrittsvertrages über Art. 6 Abs. 2 EUV89 an die Gemeinschaftsgrundrechte im Rahmen des Geltungs- und Anwendungsbereichs gebunden.

IV. Die Grundrechte und die Grundfreiheiten im europäischen Gemeinschaftsrecht – Unterscheidung, Überschneidung oder Ergänzung In diesem Abschnitt soll festgestellt werden, ob es eine Möglichkeit gibt, das Verhältnis der Gemeinschaftsgrundrechte zu den Grundfreiheiten des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften näher zu definieren. Das Ergebnis könnte Aufschluss darüber geben, ob die Schutz- und Anwendungsbereiche klar voneinander abgegrenzt werden können oder ob es Überschneidungen gibt. Sollte eine Abgrenzung möglich sein, würde dies insbesondere bei der Bestimmung des Schutzbereichs der unternehmerischen Freiheit helfen können. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften findet auf weiten Strecken keine klare Abgrenzung zwischen den Begrifflichkeiten Grundfreiheit und Grundrecht statt, vielmehr werden dort Grundfreiheiten teilweise als Grundrechte bezeichnet. So findet sich eine unklare Begriffsbezeichnung in der Rechtssache Unectef 90, in welcher der freie Zugang zu einer Beschäftigung (Arbeitnehmerfreizügigkeit) als Grundrecht bezeichnet wird. 87

M. Kober, Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, S. 139. Art. 49 EUV: „Jeder europäische Staat, der die in Artikel 6 Absatz 1 genannten Grundsätze achtet, kann beantragen, Mitglied der Union zu werden. Er richtet seinen Antrag an den Rat; dieser beschließt einstimmig nach Anhörung der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments, das mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder beschließt. Die Aufnahmebedingungen und die durch eine Aufnahme erforderlich werdenden Anpassungen der Verträge, auf denen die Union beruht, werden durch ein Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten und dem antragstellenden Staat geregelt. Das Abkommen bedarf der Ratifikation durch alle Vertragsstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften.“ 89 Art. 6 Abs. 2 EUV: „Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.“ 90 EuGH v. 15.10.87 – RS 222/86 (Unectef/Georges Heylens), Slg. 1987, 4097 (Rdn. 14). 88

IV. Grundrechte und Grundfreiheiten im europäischen Gemeinschaftsrecht

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Rdn. 14: „Der freie Zugang zur Beschäftigung ist ein Grundrecht, das jedem Arbeitnehmer der Gemeinschaft individuell vom Vertrag verliehen ist; die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes hängt wesentlich davon ab, dass Entscheidungen einer innerstaatlichen Behörde, durch die die Gewährung dieses Rechts verweigert wird, vor Gericht angefochten werden kann.“

Auch in den Rechtssachen Nour Eddline El-Yassini 91 sowie Bosman92 sind Formulierungen vom „Grundrecht (. . .) der Freizügigkeit“93 anstelle der Arbeitnehmerfreizügigkeit enthalten.94 Eine Unterscheidung zwischen Grundrechten und Grundfreiheiten hat der Gerichtshof aber im Urteil Schmidberger95 gemacht,96 wo zudem auch eine Aussage über deren Rangverhältniss erfolgte. So hat der Gerichtshof festgestellt, dass Grundrechte und Grundfreiheiten auf einer Stufe stehen und im Kollisionsfall eine Interessenabwägung durchzuführen sei, womit geprüft werden solle, ob ein Gleichgewicht zwischen den Interessen gewahrt werde.97 Im Urteilstext98 hat der Gerichtshof hierzu ausgeführt: Rdn. 77–94: „Die vorliegende Rechtssache wirft somit die Frage auf, wie die Erfordernisse des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaft mit den aus einer im Vertrag verankerten Grundfreiheit fließenden Erfordernissen in Einklang gebracht werden 91 EuGH v. 2.3.1999 – RS C-416/96 (Nour Eddline El-Yassini/Secretary of State for Home Department), Slg. 1999, S. I-1209 (Rdn. 45). 92 EuGH v. 15.12.1995 – RS C-415/93 (UEFA u. a./Jean Marc Bosman), Slg. 1995, S. I-4921, Rdn. 129. 93 Rdn. 45 in der Deutschen Fassung: „Selbst im Rahmen der Anwendung des Grundrechts der Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft . . .“; Rdn. 45 in der Englischen Fassung: „Even as regards the application of the fundamental right of persons to move freely withi the Community . . .“; Rdn. 45 in der Französischen Fassung: „Force est de constater tout d’abord que, même dans le cadre de l’application du droit fondamental de libre circulation des personnes à l’intérieur de la Communauté, il est de jurisprudence que la réserve, . . .“. 94 In Art. 15 Abs. 2 GRCh („Alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die Freiheit, in jedem Mitgliedstaat Arbeit zu suchen, zu arbeiten, sich niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen.“) ist ebenfalls eine Grundfreiheit zu finden, eingerahmt von Grundrechten in Abs. 1 und Abs. 3. Hier wird wohl Art. 52 Abs. 2 GRCh („Die Ausübung der durch diese Charta anerkannten Rechte, die in den Verträgen geregelt sind, erfolgt im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Bedingungen und Grenzen.“) als Konkurrenzklausel Beachtung finden müssen. 95 EuGH v. 12.06.2003 – RS C-112/00 (Eugen Schmidberger Int. Transporte/Republik Österreich), Slg. 2003, S. I-5659. 96 Siehe hierzu auch das Urteil EuGH v. 14.10.2004 – RS C-36/02 (Omega Spielhallen und Automatenaufstellungs-GmbH/Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn), Slg. 2004, S. I-9609 (Rdn. 35: „Da die Grundrechte sowohl von der Gemeinschaft als auch von ihren Mitgliedstaaten zu beachten sind, stellt der Schutz dieser Rechte ein berechtigtes Interesse dar, das grundsätzlich geeignet ist, eine Beschränkung von Verpflichtungen zu rechtfertigen, die nach dem Gemeinschaftsrecht, auch kraft einer durch den EG-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit wie des freien Dienstleistungsverkehrs, bestehen.“). 97 M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, S. 315, Rdn. 1133. 98 Rdn. 77–94.

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft können, und insbesondere die Frage, welche Tragweite die durch die Artikel 10 und 11 EMRK gewährleistete Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit und der Grundsatz des freien Warenverkehrs jeweils haben, wenn die erstgenannten Freiheiten als Rechtfertigung für eine Beschränkung des letztgenannten Grundsatzes herangezogen werden. (. . .) Hierzu ist zum einen festzustellen, dass der freie Warenverkehr zwar eines der Grundprinzipien des Systems des EG-Vertrags darstellt (. . .). Zum anderen sind die Grundrechte, um die es im Ausgangsrechtsstreit geht, zwar ausdrücklich durch die EMRK anerkannt und stellen wesentliche Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft dar (. . .). Demgemäß sind die bestehenden Interessen abzuwägen, und es ist anhand sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls festzustellen, ob das rechte Gleichgewicht zwischen diesen Interessen gewahrt worden ist. In dieser Hinsicht verfügen die zuständigen Stellen über ein weites Ermessen. Dennoch ist zu prüfen, ob die Beschränkungen, denen der innergemeinschaftliche Handel unterworfen wurde, in einem angemessenen Verhältnis zu dem berechtigten Ziel stehen, das mit ihnen verfolgt wird, hier dem Schutz der Grundrechte. (. . .) Daher konnten die nationalen Stellen angesichts des weiten Ermessens, das ihnen auf diesem Gebiet zusteht, vernünftigerweise annehmen, dass das mit der Versammlung in legitimer Weise verfolgte Ziel im vorliegenden Fall nicht durch Maßnahmen erreicht werden konnte, die den innergemeinschaftlichen Handel weniger beschränkt hätten. Nach alledem ist daher (. . .) zu antworten, dass der Umstand, dass die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats eine Versammlung unter Umständen wie denjenigen des Ausgangsrechtsstreits nicht untersagten, nicht mit den Artikeln 30 und 34 EG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag unvereinbar ist.“

Im vier Jahre später ergangenen Urteil Viking Line99 findet sich eine Bestätigung dieser Rechtsprechung, mit Verweis auf die Urteile Schmidberger und Omega.100 Der Schutz der Grundrechte kann im Abwägungsprozess ein berechtigtes Interesse darstellen, um Beschränkungen von Grundfreiheiten zu rechtfertigen. Rdn. 45: „Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Grundrechtsschutz ein berechtigtes Interesse ist, das grundsätzlich geeignet ist, eine Beschränkung der Verpflichtungen zu rechtfertigen, die nach dem Gemeinschaftsrecht, auch kraft einer durch den EG-Vertrag gewährten Grundfreiheit wie des freien Warenverkehrs (. . .) oder der Dienstleistungsfreiheit (. . .), bestehen.“ Rdn. 77: „Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme, die den Schutz der Arbeitnehmer zum Ziel hat, ein berechtigtes Interesse darstellt, das grundsätzlich eine Beschränkung einer der vom Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten rechtfertigen kann, und das der Schutz der Arbeitnehmer zu den bereits vom Gerichtshof anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses zählt (. . .).“

99 EuGH v. 11.12.2007 – RS C-438/05 (International Transport Workers’ Federation und Finnish Seamen’s Union/Viking Line ABP und OÜ Viking Line Eesti), Slg. 2007, S. I-10779. 100 EuGH v. 14.10.2004 – RS C-36/02 (Omega Spielhallen- und Automatenaufstellungs-GmbH/Oberbürgermeisterin der Bundesstadt Bonn), Slg. 2004, S. I-9609 (Rdn. 35–36).

IV. Grundrechte und Grundfreiheiten im europäischen Gemeinschaftsrecht

39

Die teilweise uneinheitliche Verwendung der Begrifflichkeiten durch den Gerichtshof führt dazu, dass eine Abgrenzung zwischen den Grundrechten und Grundfreiheiten erschwert wird.101 Ebenso erschwert der grundrechtsähnliche Charakter der Grundfreiheiten, der sich durch die ähnliche Struktur und Verwendung ergibt,102 eine Differenzierung. Dennoch gibt es funktionale Unterschiede zwischen Grundrechten und Grundfreiheiten.103 So existiert eine grundsätzlich unterschiedliche Schutz-104 oder auch Stoßrichtung.105 Grundfreiheiten sichern die grenzüberschreitende, wirtschaftliche Betätigung, indem Beeinträchtigungen des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs möglichst unterbunden werden sollen.106 Die Aufgabe der Grundfreiheiten ist es, die grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeiten durch den Abbau von Diskriminierungen zu stärken und damit den Binnenmarkt zu sichern.107 Die Gemeinschaftsgrundrechte hingegen schützen den Unionsbürger in seinen fundamentalen Rechtsgütern innerhalb der Hoheitsgewalt der Union durch die Sicherung eigener Schutzbereiche.108 So könnten Gemeinschaftsgrundrechte einen Unionsbürger vor weitreichenden, gesetzlichen Harmonisierungsregelungen zur Erreichung eines gemeinsamen Marktes schützen, die mit intensiven Beschränkungen verbunden sein können.109 Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass Grundrechte und Grundfreiheiten voneinander abweichende, sich überschneidende Regelungsgehalte haben. Die Grundfreiheiten sind formulierter Ausdruck bestimmter allgemeiner Rechtsgrundsätze und erfüllen als solche auch Grundrechtsfunktion,110 indem sie be101 E. Pache, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 4, Rdn. 39. 102 W. Frenz (Handbuch Europarecht – Europäische Grundfreiheiten, S. 19, Rdn. 42, 46) stuft Grundrechte und Grundfreiheiten als „verwandt“ ein; E. Pache, in: Heselhaus/ Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 4, Rdn. 41; V. Skouris/ D. Kraus, in: Hirsch/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo Kartellrecht, Band 1, Einl. B., S. 126 (Rdn. 422). 103 V. Skouris/D. Kraus, in: Hirsch/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo Kartellrecht, Band 1, Einl. B., S. 129 (Rdn. 428). 104 E. Pache, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 4, Rdn. 46. 105 W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundfreiheiten, S. 28, Rdn. 61. 106 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 15, Rdn. 6. 107 E. Pache, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 4, Rdn. 57. 108 W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundfreiheiten, S. 28, Rdn. 61. 109 M. Möstl, Grenzen der Rechtsangleichung, EuR 2002, S. 332. 110 K. A. Schachtschneider, Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, in: Brink (Hrsg.), FS für Hans Herbert von Arnim, S. 781.

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft

stimmte Schutzbereiche abdecken.111 Für die Rechtsanwendung bedeutet dies, dass bei einem Widerspruch von Grundfreiheiten und Grundrechten der Konflikt im Sinne der praktischen Konkordanz zu lösen ist112 und nicht, wie teilweise vertreten wird, durch einen nicht begründbaren Vorrang des Grundfreiheiten.113 Da sich die Regelungsinhalte von Grundrechten und Grundfreiheiten teilweise überschneiden,114 führt der ursprüngliche Ansatz, mit Hilfe der Grundfreiheiten das Wirtschaftsgrundrecht der unternehmerischen Freiheit zu konkretisieren, nicht zum Ergebnis. Vielmehr bilden die Grundfreiheiten mit den wirtschaftsrelevanten Grundrechten ein Gesamtsystem wirtschaftlicher Freiheit.115

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W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundfreiheiten, S. 29, Rdn. 63. K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 2, III., 3., mit Verweis auf EuGH v. 12.06.2003 – RS C-112/00 (Eugen Schmidberger Int. Transporte/Republik Österreich), Slg. 2003, S. I-5659 (Rdn. 81–82: „Demgemäß sind die bestehenden Interessen abzuwägen, und es ist anhand sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls festzustellen, ob das rechte Gleichgewicht zwischen diesen Interessen gewahrt worden ist. In dieser Hinsicht verfügen die zuständigen Stellen über ein weites Ermessen. Dennoch ist zu prüfen, ob die Beschränkung, denen der innergemeinschaftliche Handel unterworfen wurde, in einem angemessenen Verhältnis zu dem berechtigten Ziel stehen, das mit ihnen verfolgt wird, hier dem Schutz der Grundrechte.“; W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundfreiheiten, S. 33, Rdn. 75–76; siehe Beispielhaft auch das Urteil Laval aus dem Jahr 2007, in dem die Beschränkung einer Grundfreiheit durch ein Grundrecht erst nach einer dezidierten Abwägung als ungerechtfertigt bewertet wurde, EuGH v. 18.12.2007 (Laval un Partneri/ Svenska Byggnadsarbetareförbundet), Slg. 2007, S. I-11767, Rdn. 103–111: „Die schwedische Regierung und die im Ausgangsverfahren beklagten gewerkschaftlichen Organisationen machen geltend, dass die fraglichen Beschränkungen gerechtfertigt seien, da sie erforderlich seien, um den Schutz eines vom Gemeinschaftsrecht anerkannten Grundrechts zu gewährleisten, und da sie den Arbeitnehmerschutz bezwecken, worin ein zwingender Grund des Allgemeininteresses liege. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass im Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme, die den Schutz der Arbeitnehmer des Aufnahmemitgliedstaats gegen ein etwaiges Sozialdumping zum Ziel hat, ein zwingender Grund des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Gerichthofs liegen kann, der grundsätzlich eine Beschränkung einer der vom Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten zu rechtfertigen vermag. (. . .)“. 113 N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 104; D. Ehlers, in: ders., Europäische Grundrechte, Art. 14, Rdn. 13; H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 93 (Rdn. 158); a. A.: V. Skouris/D. Kraus, in: Hirsch/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo Kartellrecht, Band 1, Einl. B., S. 127 (Rdn. 425), die der Auffassung sind, das schon gar kein Konfliktverhältnis zwischen Grundrechten und Grundfreiheiten besteht. 114 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 93 (Rdn. 157); W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundfreiheiten, S. 32, Rdn. 72–74. 115 W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundfreiheiten, S. 27, Rdn. 59 sowie S. 30, Rdn. 67 f. 112

V. Juristische Auslegungsmethoden im Europäischen Gemeinschaftsrecht

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V. Juristische Auslegungsmethoden im Europäischen Gemeinschaftsrecht Nicht nur das Gemeinschaftsrecht hat sich stetig weiterentwickelt, sondern auch dessen Methodik. Die Methodik ist dabei im Wesentlichen durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften geprägt worden, der für das Gemeinschaftsrecht gemäß Art. 220 EGV116 ein Auslegungsmonopol reklamiert.117 Im Folgenden wird auf die allgemeine Methodik des Gerichtshofs eingegangen, die er im Rahmen seiner Grundrechtsrechtsprechung verwendet. Insbesondere das Vorgehen des Gerichtshofs bei der Herausarbeitung der Gemeinschaftsgrundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze wird erörtert. Anschließend werden methodische Möglichkeiten dargestellt, die sich durch die Grundrechtskodifizierung in der Grundrechtecharta ergeben. 1. Die allgemeine Methodik des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Gemäß den vier klassischen Auslegungsmethoden118 der Rechtswissenschaft119 verwendet der Gerichtshof im Wesentlichen die wörtlich-grammatikalische, die systematisch-kontextuelle, die historisch-subjektive und die teleologische Auslegungsmethode in seiner Rechtsprechung.120 116 Art. 220 Abs. 1 EGV: „Der Gerichtshof und das Gericht erster Instanz sichern im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrages.“ 117 W. Schroeder, Die Auslegung des EU-Rechts, JuS 2004, S. 181; kritisch hierzu: K. A. Schachtschneider, Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, in: Brink (Hrsg.), FS für Hans Herbert von Arnim, S. 782 f. 118 Vgl. hierzu bspw. BVerfGE 1, 299 (312, Rdn. 53): „Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können.“; BVerfGE 11,126 (130, Rdn. 17–19): „(. . .) nach der objektiven Theorie, die in Rechtsprechung und Lehre immer stärkere Anerkennung erfahren hat, [ist] Gegenstand der Auslegung das Gesetz selbst, der im Gesetz objektivierte Wille des Gesetzgebers. (. . .) Diesem Auslegungsziel dienen die Auslegungen aus dem Wortlaut der Norm (grammatische Auslegung), aus ihrem Zusammenhang (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck (teleologische Auslegung) und aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung). Um den objektiven Willen des Gesetzgebers zu erfassen, sind alle diese Auslegungsmethoden erlaubt. Sie schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich gegenseitig.“ 119 P. Huber, Recht der Europäischen Integration, S. 157.

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft

Diese Auslegungsmethoden finden sich auch immer wieder in zahlreichen Urteilen mit direktem Grundrechtsbezug. Bei der Entwicklung der allgemeinen Rechtsgrundsätze, zu denen die Gemeinschaftsgrundrechte zählen, spielte darüber hinaus die komparative Methode eine wesentliche Rolle.121 a) Die wörtlich-grammatikalische Auslegung Der Wortlaut bildet, wie im Völkerrecht und auf nationaler Rechtsebene, auch im Gemeinschaftsrecht den Ausgangspunkt bei der richterlichen Auslegung.122 Der natürliche Sinn der Worte im Satz ist dabei zu ermitteln.123 Der Gerichtshof hat den Wortlaut als verbindlich angenommen, wenn er „eindeutig“124 oder gar „zwingend“125 war. Jedoch hat die reine Interpretation des 120 A. Weber, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechtecharta, B V, Rdn. 1, S. 220; A. Sagan, Das Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen, S. 142; C. Günther, Die Ausgestaltung des Rechts auf Bildung, S. 54–55; Exemplarische Fundstellen: Grammatikalische Auslegung, EuGH v. 11.12.2003 – RS C-127/00 (Hässle AB/ Ratiopharm GmbH), Slg. 2003, S. I-14781 (Rdn. 71); Historische Auslegung, EuGH v. 24.07.2003 – RS C-39/03 P (Kommission/Artegodan GmbH u. a.), Slg. 2003, S. I-7885 (Rdn. 41, 43); EuGH v. 31.03.1998 – verb. RS C-68/94 und C-30/95 (Französische Republik, SCPA und EMC/Europäische Kommission), Slg. 1998, S. I-1375 (Rdn. 168); Systematische Auslegung, EuGH v. 27.01.1987 – RS 275/85 (Europäische Kommission/Italienische Republik), Slg. 1987, S. 465 (Begr. 8); EuGH v. 23.10.2003 – C-245/ 01 (RTL Television GmbH/Niedersächsische Landesmedienanstalt für privaten Rundfunk), Slg. 2003, S. I-12489 (Rdn. 82); teleologische Auslegung: EuGH v. 23.10.2007 – RS C-273/04 (Republik Polen/Rat der Europäischen Union), Slg. 2007, S. I-8925 (Rdn. 52); EuGH v. 19.01.2006 – RS C-330/03 (Colegio de Ingenieros de Caminos, Canales y Puertos/Administración del Estado), Slg. 2006, S. I-801 (Rdn. 23). 121 B. Wegener, in: Callies/Ruffert: Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 220, Rdn. 15. 122 T. Oppermann, Europarecht, S. 207; C. Günther, Die Ausgestaltung des Rechts auf Bildung, S. 55; W. Schroeder, Die Auslegung des EU-Rechts, JuS 2004, S. 182; A. Weber, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, B V, Rdn. 7; P. Huber, Recht der Europäischen Integration, S. 157. 123 Vgl. EuGH v. 21.12.1954 – RS 1/54 (Französische Regierung/Hohe Behörde), Slg. 1954/55, S. 7 (27). 124 EuGH v. 21.03.1974 – RS 151-73 (Irland/Rat der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1974, S. 285 (Rdn. 16/17): „Diese Verweisung auf andere als die in Artikel 4 Abs. 2 niedergelegten Grundsätze auszudehnen, hieße den Geist und den ausdrücklichen Wortlaut des Artikels 65 Abs. 2 der Beitrittsakte missachten. Eine derartige Ausdehnung ist um so weniger zulässig, als sich die Vertragsstaaten bei der Unterzeichnung des Beitrittsabkommens der Möglichkeit bewusst waren, Anpassungskoeffizienten anzuwenden, (. . .).“ 125 EuGH v. 11.03.1965 – RS 31-64 (Gemeenschappelijke Verzekeringskas „de Sociale Voorzorg“/H. W. Bertholet), Slg. 1965, S. 112 (S. 119): „Der Wortlaut des Artikels 52 Abs. 1 ist zwingend gefasst. Die in ihm enthaltene Anordnung, dass für etwaige Ansprüche des verpflichteten Trägers gegen den Dritten folgende Regelung (gilt), verweist nur auf die Unterabsätze A und B. Die Vorschriften des genannten Absatzes sind klar; ihre unmittelbare Anwendung begegnet keinen Schierigkeiten.“; so auch zu finden in EuGH v. 11.03.1965 – RS 33-64 (Betriebskrankenkasse der Heseper Topfwerk GmbH/ Egberdina van Dijk), Slg. 1965, S. 134 (S. 142).

V. Juristische Auslegungsmethoden im Europäischen Gemeinschaftsrecht

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Wortlauts im Verhältnis zu den übrigen Auslegungsmethoden keine Vorreiterstellung erlangt. Dies ist auf eine Besonderheit des Gemeinschaftsrechts zurückzuführen – dem Prinzip der Gleichrangigkeit aller rechtsverbindlichen Sprachfassungen. Mittlerweile gibt es 23 anerkannte Amts- und Arbeitssprachen, was nicht nur zu einer immensen Fülle an Rechtstexten führt, sondern innerhalb der Rechtstexte finden sich immer wieder Abweichungen.126 Die regelmäßige Verwendung von Englisch oder Französisch als Arbeitssprache bei der Erstellung der Rechtstexte hilft hier nur beschränkt weiter.127 Der Gerichtshof hat in den Urteilen, in denen er die Besonderheiten verschiedener Sprachfassungen explizit berücksichtigt hat,128 regelmäßig noch weitere Auslegungsmethoden herangezogen, um seine Auffassung zu untermauern.129 Das geschriebene Primärrecht ist insbesondere im Verhältnis zu einfachen, nationalen Gesetzen oft sehr allgemein formuliert, daher werden die systematische und die teleologische Auslegungsmethode der Wortlautmethodik vorgezogen.130 b) Die historisch-subjektive Auslegung Mit der historisch-subjektiven Auslegung wird versucht, den wahren Willen des historischen Gesetzgebers zu ermitteln.131 In der Rechtsprechung des Gerichtshofs hat dieser Ansatz für die Interpretation des Primärrechts keine maßgebliche Rolle gespielt.132 Ausdrücklich ist er zumindest nicht herangezogen worden.133 126

B. Wegener, in: Callies/Ruffert: Kommentar zu EU-Vertrag, Art. 220, Rdn. 11. T. Oppermann, Europarecht, S. 208. 128 Beispielhaft hierfür: EuGH v. 12.11.1969 RS 29-69 (Erich Stauder/Stadt Ulm), Slg. 1969, S. 419 f.: Der EuGH hat sich für die frz./ital. Sprachfassung „individualisierter Gutschein“ anstatt auf die dt./niederl. Sprachfassung „auf den Namen ausgestellter Gutschein“ entschieden.; EuGH v. 28.03.1985 – RS 100/84 (Kommission der Europäischen Gemeinschaft/Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland), Slg. 1985, S. 1169, Leitsatz 1: „Falls die verschiedenen sprachlichen Fassungen einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts voneinander abweichen, muss die fragliche Vorschrift nach dem allgemeinen Aufbau und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört.“; EuGH v. 07.07.1987 – RS 55/87 (Alexander Moksel Import-Export GmbH & Co. Handels-KG/Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung), Slg. 1988, S. 3845 (S. 3871, Rdn. 15, 17 f.); EuGH v. 24.05.1988 – RS 122/87 (Kommission der Europäischen Gemeinschaft/Italienische Republik), Slg. 1988, S. 2685 (Rdn. 9–11); EuGH v. 07.07.1988 – RS 55/87 (Alexander Moksel Import und Export GmbH & Co. Handels KG/Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung), Slg. 1988, S. 3845 ff. 129 C. Buck, Auslegungsmethoden, S. 155, 161; W. Schroeder, Die Auslegung des EU-Rechts, JuS 2004, S. 182. 130 W. Schroeder, Die Auslegung des EU-Rechts, JuS 2004, S. 182. 131 C. Buck, Auslegungsmethoden, S. 143. 132 T. Oppermann, Europarecht, S. 209. 133 R. Stettner, in: Dauses, Handbuch des Wirtschaftsrechts, A IV, Rdn. 40. 127

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft

Hintergrund hierfür ist die Tatsache, dass keine Materialien zur Entstehungsgeschichte der Gründungsverträge vorhanden sind.134 Somit fehlt es für diesen Interpretationsansatz an geeigneten Unterlagen, den gemeinsamen Willen der ursprünglich beteiligten Vertragsparteien nachträglich zu bestimmen.135 Für das sekundäre Gemeinschaftsrecht findet sich im Gegensatz zum Primärrecht mittlerweile eine breite Fülle an Unterlagen. Insbesondere durch die Umsetzung der Verordnung „VO Nr. 1049/2001 vom 30.5.2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Parlaments, des Rates und der Kommission“ und dem damit einhergehenden einfachen Zugriff auf europäische Dokumente mittels Onlinedatenbanken136 wird die Verwendung historisch-subjektiver Auslegungsansätze erleichtert. Ob der Gerichtshof als Motor der dynamischen Gemeinschaftsentwicklung hiervon Gebrauch macht, ist fraglich.137 c) Die systematisch-kontextuelle Auslegung Mit Hilfe der systematischen Auslegung wird die Bedeutung einer Norm unter Berücksichtigung ihrer Struktur und ihres Zusammenhangs mit anderen Vorschriften ermittelt.138 In der Rechtsprechung des Gerichtshofs139 hat diese Aus134 I. Pernice/F. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Band 3, Art. 220, Rdn. 53. 135 W. Schroeder, Die Auslegung des EU-Rechts, JuS 2004, S. 183. 136 Europäische Kommission: http://ec.europa.eu/transparency/regdoc/registre.cfm? cl=de (geprüft am 11.07.2009); Europäischer Rat: http://www.consilium.europa.eu/ showpage.aspx?id=549&lang=de (geprüft am 11.07.2009); Europäisches Parlament: http://www.europarl.europa.eu/regweb/application/registre/guideaccessdoc.faces# (geprüft am 11.07.2009). 137 I. Pernice/F. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Band 3, Art. 220, Rdn. 53; P. Huber (ders., Recht der Europäischen Integration, S. 160, Rdn. 11) ist der Ansicht, das den Vorarbeiten im Normsetzungsverfahren, insbesondere den Protokollerklärungen des Rates, nur eine untergeordnete Bedeutung durch den Gerichtshof beigemessen wird. 138 W. Schroeder, Die Auslegung des EU-Rechts, JuS 2004, S. 182; P. Huber, Recht der Europäischen Integration, S. 159; C. Günther, Die Ausgestaltung des Rechts auf Bildung, S. 57–58. 139 Beispielhaft: EuGH v. 05.02.1963 – RS 26/62 (NV Algemene Transport- en Expeditie Onderneming van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, S. 3 (S. 24): „Ob die Vorschriften eines völkerrechtlichen Vertrages eine solche Tragweite haben, ist vom Geist dieser Vorschriften, von ihrer Systematik und von ihrem Wortlaut her zu entscheiden.“; EuGH v. 31.03.1971 – RS 22/70 (Kommission der Europäischen Gemeinschaft/Rat der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1971, S. 263 (Rdn. 12): „(. . .) muss auf das allgemeine System des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der Beziehungen zu dritten Staaten zurückgegriffen werden.“; EuGH v. 21.02.1973 – RS 6/72 (Euroemballage Corporation und Continental Can Company Inc./Europäische Kommission), Slg. 1973, S. 215 (Rdn. 22): „Für die Entscheidung dieser Frage muss auf Geist, Aufbau und Wortlaut von Artikel 86 sowie auf System und Ziele des

V. Juristische Auslegungsmethoden im Europäischen Gemeinschaftsrecht

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legungsmethode einen sehr hohen Stellenwert.140 So finden sich in der Mehrzahl der Urteile systematische Erwägungen, insbesondere der Normzusammenhang wird regelmäßig zur Auslegung herangezogen.141 Hintergrund hierfür ist unter anderem das Ziel des Gerichtshofs, die Rechtsbegriffe der vielfältigen europäischen Rechtsakte weitgehend zu harmonisieren.142 d) Die teleologische Auslegung Im Gemeinschaftsrecht zielt die teleologische Auslegung auf den Sinn und Zweck der einschlägigen Norm als solcher143 sowie auf die Ziele der Gemeinschaftsverträge ab.144 Diese Praxis findet sich beispielsweise in Urteilsformulierungen wieder, in denen der Gerichtshof sich bei der Auslegung des Gemein-

Vertrages zurückgegriffen werden. (. . .)“; EuGH v. 15.06.1978 – RS 149/77 (Gabrielle Defrenne/Société anonyme belge de navigation aérienne Sabena), Slg. 1978, S. 1365 (Rdn. 15): „Der Geltungsbereich des Artikels 119 ist im Rahmen des Systems der Sozialvorschriften des Vertrags zu bestimmen, die in dem aus den Artikeln 117 ff. bestehenden Kapiteln zusammengefasst sind.“; EuGH v. 28.03.1985 – RS 100/84 (Kommission der Europäischen Gemeinschaft/Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland), Slg. 1985, S. 1169 (Rdn. 17): „Deshalb muss die fragliche Vorschrift, wie der Gerichtshof mehrfach (. . .) entschieden hat, falls die sprachlichen Fassungen voneinander abweichen, nach dem allgemeinen Aufbau und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört.“ 140 C. Buck, Auslegungsmethoden, S. 201; abweichend davon W. Schroeder (in: Die Auslegung des EU-Rechts, JuS 2004, S. 183), der dies mit einer Urteilsabwägung des Europäischen Gerichtshofs in EuGH v. 14.07.1994 – RS C-91/92 (Paola Faccini Dori/ Recreb Srl.), Slg. 1994, S. I-3325, Rdn. 24, begründet. 141 A. Bleckmann/S. Pieper, in: Dauses, Handbuch des Wirtschaftsrechts, B I, Rdn. 30; T. Oppermann, Europarecht, S. 208. 142 C. Buck, Auslegungsmethoden, S. 200; dieses Ziel wird auch von der Kommission unterstützt. Damit die Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht nicht regelmäßig zu heterogenen, voneinander abweichenden Lösungen führt, hat die Kommission im Jahre 2000 einen „Leitfaden für die Umsetzung der nach dem neuen Konzept und dem Gesamtkonzept verfassten Richtlinien“ verfasst. Dieser ist zu finden unter folgender Adresse im Internet: http://ec.europa.eu/enterprise/newapproach/legislation/guide/ document/guidepublicde.pdf (geprüft am 11.07.2009). Das Dokument soll bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht durch die nationalen Gesetzgeber herangezogen werden und enthält zahlreiche Definitionen von Rechtsbegriffen. 143 EuGH v. 24.02.2000 – RS C-434/97 (Europäische Kommission/Französische Republik), Slg. 2000, S. I-1129 (Rdn. 22–23: „(. . .) Weichen die verschiedenen Sprachfassungen eines Gemeinschaftstextes voneinander ab, so muss die fragliche Vorschrift außerdem nach dem Zusammenhang und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (. . .).“); EuGH v. 3.04.2008 – RS C-187/07 (Dirk Endendijk), Slg. 2008, S I-2115 (Rdn. 24). 144 A. Weber, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, B V, Rdn. 13; die wesentlichen Ziele, auf die der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften sich bezieht, finden sich in Art. 2 EUV, Art. 2 und 3 EG sowie in den Präambeln der beiden Verträge.

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft

schaftsrechts vom „Geist der Vorschriften“ leiten lässt145 oder Begriffsbestimmungen in ihrem Kontext und „im Lichte der Ziele des Vertrages“ 146 ermittelt. Durch diese Auslegung möchte der Gerichtshof die Verwirklichung der Vertragsziele und die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft sicherstellen.147 Die teleologische Auslegung gilt „dem dynamischen Charakter der Verträge als Rahmen eines fortschreitenden Integrationsprozesses besonders angemessen“ 148 und wird oftmals als die durchgreifende Auslegungsmethode bewertet.149 Als besondere teleologische Auslegungsfigur kann der Effektivitätsgrundsatz150 („effet utile“) gewertet werden,151 mit dem im Interesse der Zielverwirklichung eine möglichst einheitliche und effektive Geltung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten sichergestellt werden soll.152 So gibt der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung der Auslegungsalternative den Vorrang, welche die Verwirklichung der Vertragsziele am besten fördert, bei der ihr praktischer Nutzen am größten ist und sich ihre Wirkung am stärksten entfaltet.153 145 EuGH v. 05.02.1963 – RS 26/62 (NV Algemene Transport- en Expeditie Onderneming van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, S. 3 (S. 27): „Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass nach dem Geist, der Systematik und dem Wortlaut des Vertrages Artikel 12 dahin auszulegen ist, dass er unmittelbare Wirkung erzeugt und individuelle Rechte begründet, welche die staatlichen Gerichte zu beachten haben.“ 146 EuGH v. 23.03.1982 – RS 53/81 (D. M. Levin/Staatssecretaris van Justitie), Slg. 1982, S. 1035 (Rdn. 9): „(. . .) Die Begriffe Arbeitnehmer und Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis werden allerdings in keiner der einschlägigen Bestimmungen ausdrücklich definiert. Ihre Bedeutung muss deshalb unter Rückgriff auf die allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätze, und zwar ausgehend vom gewöhnlichen Sinn der Begriffe in ihrem Kontext und im Lichte der Ziele des Vertrages, ermittelt werden.“ 147 I. Pernice/F. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Band 3, Art. 220, Rdn. 46. 148 T. Oppermann, Europarecht, S. 209 mit Verweis auf EuGH v. 05.02.1963 – RS 26/62 (NV Algemene Transport- en Expeditie Onderneming van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, S. 3 (S. 24). 149 W. Schroeder, Die Auslegung des EU-Rechts, JuS 2004, S. 183; I. Pernice/ F. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Band 3, Art. 220, Rdn. 42; C. Günther, Die Ausgestaltung des Rechts auf Bildung, S. 58; so auch A. Bleckmann/S. Pieper, in: Dauses, Handbuch des Wirtschaftsrechts, B I, Rdn. 15, die davon ausgehen, dass die Hälfte der EuGH Entscheidungen nur auf die Ziele des Vertragsrechts und des Sekundärrechts zurückgreifen. 150 Siehe auch im Völkerrecht: Art. 31 Nr. 1 WÜV. 151 T. Oppermann, Europarecht, S. 209; I. Pernice/F. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Band 3, Art. 220, Rdn. 46. 152 P. Huber, Recht der Europäischen Integration, S. 158. 153 EuGH v. 22.09.1988 – RS 187/87 (Saarland u. A./Minister für Industrie u. A.), Slg. 1988, S. 5013 (Rdn. 19): „(. . .) Einer solchen Auslegung, die die praktische Wirksamkeit dieser Vorschrift zu wahren geeignet ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes der Vorzug zu geben.“

V. Juristische Auslegungsmethoden im Europäischen Gemeinschaftsrecht

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e) Anmerkungen zu den Auslegungsmethoden Grundsätzlich hat der Gerichthof immer die Möglichkeit, die für den Beteiligten am wenigsten belastende Interpretation zu wählen, soweit mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen.154 Diesen Grundsatz hat er in vielen Urteilen so ausdrücklich angewendet.155 Aufgrund seiner die eigenen Kompetenzen überschreitenden Rechtsprechungspraxis musste der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften aber auch schon berechtigte Kritik hinnehmen.156 So fehlt es bei der Anwendung von Auslegungsmethoden an der Einhaltung notwendiger Grenzen, wenn Wortlaut und Systematik von Normen nach Belieben umgebogen werden, im Extremfall bis in ihr eigentliches Gegenteil.157 Dies ist eher als Verstoß des Gerichtshofs zu werten, der nach dem Prinzip der Gewaltentrennung dem objektiven Willen der Legislative unterworfen ist. Im Maastricht-Urteil158 aus dem Jahre 1993 hatte das Bundesverfassungsgericht hierzu entschieden, dass der Gerichtshof bei seiner Rechtsfindung keine Ergebnisse erzielen dürfe, die anstatt zu einer Auslegungserweiterung zu einer tatsächlichen Kompetenz- oder Vertragserweiterung führen. Rdn. 157: „(. . .) Wenn eine dynamische Erweiterung der bestehenden Verträge sich bisher auf eine großzügige Handhabung des Art. 235 EWGV im Sinne einer „Vertragsabrundungskompetenz“, auf den Gedanken der inhärenten Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaften („implied powers“) und auf eine Vertragsauslegung im Sinne einer größtmöglichen Ausschöpfung der Gemeinschaftsbefugnisse („effet utile“) gestützt hat (. . .), so wird in Zukunft bei der Auslegung von Befugnisnormen durch Einrichtungen und Organe der Gemeinschaften zu beachten sein, dass der Unions-Vertrag grundsätzlich zwischen der Wahrnehmung einer begrenzt eingeräumten Hoheitsbefugnis und der Vertragsänderung unterscheidet, seine Auslegung deshalb in ihrem Ergebnis nicht einer Vertragserweiterung gleichkommen darf; eine solche Auslegung von Befugnisnormen würde in Deutschland keine Bindungswirkung entfalten.“ 154

F. Müller/R. Christensen, Juristische Methodik, Bd. II, S. 56. EuGH v. 01.02.1978 – RS 78/77 (Firma Johann Lührs/Hauptzollamt Hamburg), Slg. 1978, S. 169 (Rdn. 13): „Demnach ist zu antworten, dass (. . .) die Billigkeit verlangt, dass für die Umrechnung der Ausfuhrabgabe in Landeswährung der Kurs angewendet wird, der seinerzeit für den Marktbürger am wenigsten belastend war.“; EuGH v. 09.09.2004 – RS C-70/03 (Kommission der Europäischen Gemeinschaft/Königreich Spanien), Slg. 2004, S. I-7999 (Rdn. 16): „(. . .) Im ersten Fall kommt dem Verbraucher eine ihm vorteilhafte Auslegung unmittelbar zugute. Im zweiten Fall darf die Klausel dagegen, um für die Gesamtheit der Verbraucher das günstigste Ergebnis zu erreichen, nicht im Zweifel als für sie vorteilhaft ausgelegt werden. (. . .)“. 156 K. A. Schachtschneider, Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, in: Brink (Hrsg.), Gemeinwohl und Verantwortung – FS für Hans Herbert von Arnim, S. 792–793. 157 T. Oppermann, Europarecht, S. 209. 158 BVerfGE 89, 155 (209). 155

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft

2. Die Entwicklung der Gemeinschaftsgrundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze Die Methode der Rechtsvergleichung, explizit erwähnt in Art. 6 Abs. 2 EUV159 und Art. 288 Abs. 2 EG160 sowie in Art. 52 Abs. 4 GRCh161, stellt eine spezifische Eigenart des Gemeinschaftsrechts dar162 und enthält Elemente der rechtsvergleichenden, systematischen und teleologischen Auslegung.163 Mit dieser Methode hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die allgemeinen Rechtsgrundsätze gewonnen. Hierzu zählen bisher das Amtshaftungsrecht, die rechtsstaatlichen Grundsätze sowie die Gemeinschaftsgrundrechte.164 Seine Befugnis zur Entwicklung dieser allgemeinen Rechtsgrundsätze im Rahmen richterlicher Rechtsfortbildung165 leitet der Gerichtshof unter anderem aus Art. 220 Abs. 1 EG sowie aus dem „Wesen der Verträge“ ab.166 Bei der wertenden Rechtsvergleichung wird von den verglichenen Vorschriften die zweckmäßigste und gerechteste angewendet, soweit das gefundene Ergebnis mit der Struktur der Europäischen Union und den Zielen der Verträge vereinbar ist.167 Das wertende Element dieser Rechtsvergleichung zielt dabei auf eine immer enger werdende Gemeinschaft.168 Zu Recht wird in der Literatur hierzu kritisch angemerkt, dass die sich hieraus ergebenden rechtlichen Gestaltungsmög159 Art. 6 Abs. 2 EUV: „Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.“ 160 Art. 288 Abs. 2 EG: „Im Bereich der außervertraglichen Haftung ersetzt die Gemeinschaft den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind.“ 161 Art. 52 Abs. 4: „Soweit in dieser Charta Grundrechte anerkannt werden, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, werden sie im Einklang mit diesen Überlieferungen ausgelegt.“ 162 C. Günther, Die Ausgestaltung des Rechts auf Bildung, S. 61, merkt an, dass die Rechtsvergleichung teilweise als fünfte Auslegungsmethode eingestuft wird. So bereits auch P. Häberle, Grundrechtsgeltung und Grundrechtsinterpretation im Verfassungsstaat, JZ 1989, S. 913 (917 f.). 163 J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S. 434. 164 A. Weber, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, B V, Rdn. 4 (S. 221); J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S. 378. 165 A. Bleckmann/S. Pieper, in: Dauses, Handbuch des Wirtschaftsrechts, B I, Rdn. 79. 166 W. Schroeder, Die Auslegung des EU-Rechts, JuS 2004, S. 183; I. Pernice/ F. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Band 3, Art. 220, Rdn. 17; M. Strunz, Strukturen des Grundrechtsschutzes, S. 50. 167 M. Maus, Der grundrechtliche Schutz des Privaten, S. 175; W. Schroeder, Die Auslegung des EU-Rechts, JuS 2004, S. 184. 168 F. Müller/R. Christensen, Juristische Methodik, Bd. II, S. 306.

V. Juristische Auslegungsmethoden im Europäischen Gemeinschaftsrecht

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lichkeiten für den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften fast grenzenlos sind.169 Entgegen den allgemein anerkannten Grundsätzen der funktionellen Gewaltenteilung maßt sich der Gerichtshof hier eine gesetzgeberähnliche Rolle an.170 Dies scheint mit Blick in das Primärrecht so gewollt – schließlich findet man in Art. 6 Abs. 2 EUV und Art. 288 Abs. 2 EG die Aufforderung an den Gerichtshof, die Gemeinschaftsgrundrechte und die Grundsätze der Staatshaftung unter Bezug auf die Traditionen der Mitgliedstaaten überhaupt erst zu schaffen, was ihn in die Position eines Gesetzgebers erster Stufe hebt.171 Die in diesem Zusammenhang aus dem demokratischen Legitimationsdefizit resultierenden Gefahren ließen sich dadurch begrenzen, dass der Europäische Gerichtshof dabei den Grundsatz der richterlichen Selbstbeschränkung172 berücksichtigt. Eine besondere Rolle hat die wertende Rechtsvergleichung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften bei der Entwicklung der Gemeinschaftsgrundrechte gespielt. So sind nach seiner ständigen Rechtsprechung173 die Grundrechte als ungeschriebene, allgemeine Rechtsgrundsätze des europäischen Primärrechts auf der Grundlage internationaler Verpflichtungen der Mitgliedstaaten174 wie der 169 So merkt W. Schroeder (JuS 2004, S. 184) an, dass die verschuldensunabhängige Staatshaftung in vielen Mitgliedstaaten nicht existiert, wohl aber vom EuGH angenommen wurde (so beispielsweise in EuGH v. 05.03.1996 – RS C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pecheure SA/Bundesrepublik Deutschland und The Queen/Secretary of State for Transport), Slg. 1996, S. I-1029, Rdn. 29). Im Urteil Hoechst, EuGH v. 21.09.1989 – verb. RS 46/87 und 227/88 (Hoechst AG/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1989, S. 2859 (LS 2), wurde der Schutz von Geschäftsräumen abgelehnt, obwohl nur drei der damals zwölf Mitgliedstaaten solch eine Interpretation vorsahen. 170 K. A. Schachtschneider, Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, in: Brink (Hrsg.), FS für Hans Herbert von Arnim, S. 782. 171 F. Müller/R. Christensen, Juristische Methodik, Bd. II, S. 306. 172 Das Bundesverfassungsgericht führte in seiner Entscheidung Grundlagenvertrag (BVerfGE 36, 1, Rdn. 75 ) wie folgt aus: „Der Grundsatz des judicial self-restraint, den sich das Bundesverfassungsgericht auferlegt, bedeutet nicht eine Verkürzung oder Abschwächung seiner eben dargelegten Kompetenz, sondern den Verzicht, Politik zu betreiben, d. h. in den von der Verfassung geschaffenen und begrenzten Raum freier politischer Gestaltung einzugreifen. Er zielt also darauf ab, den von der Verfassung für die anderen Verfassungsorgane garantierten Raum freier politischer Gestaltung offen zu halten.“ 173 EuGH v. 17.10.1989 – verb. RS 97/87, 98/87 u. 99/87 (Dow Chemical Iberica SA und Alcudia, empresa para la industria quimica, SA, u. a./Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1989, S. 3165 (Rdn. 10): „. . . Nach ständiger Rechtsprechung gehören die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die der Gerichtshof im Einklang mit den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und mit den völkerrechtlichen Verträgen, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind, zu wahren hat (. . .). Der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 kommt dabei besondere Bedeutung zu (. . .).“ 174 Eine Aufzählung von Rechtserkenntnisquellen für das Grundrecht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme einschließlich des Streikrechts findet sich beispielsweise im Urteil EuGH v. 11.12.2007 – RS C-438/05 (International Transport Workers’

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft

Europäischen Menschenrechtskonvention sowie aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten herzuleiten.175 Die Haupterkenntnisquellen bilden dabei die Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und die Europäische Menschenrechtskonvention, die beide in Art. 6 Abs. 2 EUV176 explizit genannt werden.177 Art. 6 Abs. 2 EUV wird als methodisch verbindliche Anweisung an den Gerichtshof gesehen, die nationalen Verfassungsnormen als Rechtserkenntnisquellen für den weiteren Ausbau des Grundrechtsschutzes zu benutzen.178 Insbesondere bei den Wirtschaftsgrundrechten, die nicht ausdrücklich in der Europäischen Menschenrechtskonvention zu finden sind, nehmen die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als Rechtserkenntnisquellen für eine wertende Rechtsvergleichung eine zentrale Rolle ein.179 Eine Betrach-

Federation u. a./Viking Line ABP u. a.), Slg. 2007, S. I-10779 (Rdn. 43: „Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme einschließlich des Streikrechts sowohl in unterschiedlichen internationalen Rechtsakten, bei denen die Mitgliedstaaten mitgewirkt haben oder denen sie beigetreten sind – wie der am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichneten Europäischen Sozialcharta, die überdies ausdrücklich in Art. 136 EG erwähnt wird, und dem am 9. Juli 1948 von der Internationalen Arbeitsorganisation angenommenen Übereinkommen 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts –, als auch in Rechtsakten anerkannt wird, die die Mitgliedstaaten auf Gemeinschaftsebene oder im Rahmen der Union erarbeitet haben, wie der anlässlich der Tagung des Europäischen Rates in Straßburg am 9. Dezember 1989 angenommenen und ebenfalls in Art. 136 EG erwähnten Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer und der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union.“ 175 F. Müller/R. Christensen, Juristische Methodik, Bd. II, S. 307; H.-W. Rengeling/ P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. (§ 3, Rdn. 166–167 sowie 196–198); in der Präambel der Grundrechtecharta findet sich in Absatz 5 folgende Formulierung: „Diese Charta bekräftigt unter Achtung der Zuständigkeiten und Aufgaben der Union und des Subsidiaritätsprinzips die Rechte, die sich vor allem aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen und den gemeinsamen internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, aus der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, aus den von der Union und dem Europarat beschlossenen Sozialchartas sowie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergeben.“ 176 Art. 6 Abs. 2 EUV: „Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.“ 177 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. (§ 3, Rdn. 166); V. Skouris/D. Kraus, in: Hirsch/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo Kartellrecht, Band 1, Einl. B., S. 110, Rdn. 352. 178 J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S. 362; V. Skouris/D. Kraus, in: Hirsch/ Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo Kartellrecht, Band 1, Einl. B., S. 110, Rdn. 353. 179 T. Kingreen, in: Callies/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 6, Rdn. 34 (2. Auflage); J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S. 374.

V. Juristische Auslegungsmethoden im Europäischen Gemeinschaftsrecht

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tung der nationalen Eigentumsrechte hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften beispielsweise im Urteil Liselotte Hauer180 vorgenommen. Rdn. 20: „Zur Frage des Eigentumsrechts: (. . .) Für die Beantwortung dieser Frage müssen auch die Hinweise beachtet werden, die den Verfassungsnormen und der Verfassungspraxis der neun Mitgliedstaaten zu entnehmen sind. Hierzu ist als erstes festzustellen, dass es dem Gesetzgeber nach diesen Normen und der erwähnten Praxis gestattet ist, die Benutzung des Privateigentums im Allgemeininteresse zu regeln. Zu diesem Zweck verweisen einige Verfassungen auf die immanenten Eigentumsbindungen (Art. 14 Abs. 2 S. 1 des Deutschen GG), auf die soziale Funktion des Eigentums (Art. 42 Abs. 2 der italienischen Verfassung), auf die Abhängigkeit seines Gebrauchs von den Erfordernissen des Gemeinwohls (Art. 14 Abs. 2 S. 2 des deutschen GG und Art. 43.2.2 der irischen Verfassung).“

In seinem Urteil AM & S Europe Ltd.181 betreffend die Vertraulichkeit zwischen Anwalt und Mandant findet sich auch ein systematischer Vergleich nationaler Regelungen. Rdn. 18–20: „Zur Frage, ob die Vertraulichkeit nach dem Gemeinschaftsrecht geschützt ist: (. . .) In den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten wird der Schutz des Schriftverkehrs zwischen Anwalt und Mandant zwar im Grundsatz anerkannt, es gibt jedoch Unterschiede hinsichtlich seines Geltungsbereichs und der Kriterien für seine Anwendung, was im übrigen sowohl die Klägerin als auch die Streithelfer einräumen. Während in manchen Mitgliedstaaten der Schutz der Vertraulichkeit zwischen Anwalt und Mandant in erster Linie auf die dem Anwaltsberuf zuerkannte Bedeutung eines Mitgestalters der Rechtspflege geschützt wird, findet dieser Schutz in anderen Mitgliedstaaten seine Rechtfertigung in dem mehr spezifischen – im übrigen auch in den erstgenannten Staaten anerkannte – Erfordernis, dass die Rechte der Verteidigung gewahrt werden müssen.“

Ein sehr umfangreicher, wertender Rechtsvergleich ist darüber hinaus im Schlussantrag182 des Generalanwalts Mischo zu finden. Dabei wurden insgesamt zwölf Rechtsordnungen miteinander hinsichtlich des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung und einer möglichen Anwendung auch auf Geschäftsräume verglichen. Generalanwalt Mischo führte aus, dass zur Ermittlung des Grundrechtsniveaus Hinweise aus der Europäischen Menschenrechtserklärung sowie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu ergründen seien und in diesem Zusammenhang auch die Lage in den nationalen Rechtsordnungen zu prüfen wäre.183

180 EuGH v. 13.12.1979 – RS 44/79 (Liselotte Hauer/Land Rheinland-Pfalz), Slg. 1979, S. 3727 (Rdn. 20). 181 EuGH v. 18.05.1982 – RS 155/79 (AM & S Europe Limited/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1982, S. 1575 (Rdn. 18–20). 182 GA Mischo, verb. Schlussanträge vom 21.02.1989 zu EuGH v. 21.09.1989 – verb. RS 46/87 und 227/88 (Hoechst AG/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1989, S. 2859 (Rdn. 48–97). 183 Rdn. 48–97.

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften verfolgt bei der Entwicklung der Grundrechte durch wertenden Rechtsvergleich kein Maximal- oder Minimalprinzip. Weder der höchste noch der niedrigste nationale Grundrechtsstandard wird auf die europäische Ebene übertragen.184 Auch wird der Grundrechtsstandard nicht nach dem Mehrheitsprinzip entwickelt.185 So wurden beispielsweise die Geschäftsräume vom Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung ausgenommen, obwohl dies mehrheitlich national anders geregelt war.186 Zur Entwicklung eines europäischen Grundrechts sieht es der Gerichtshof auch als nicht notwendig an, dass das Grundrecht in allen Mitgliedstaaten existiert.187 Das Resultat der wertenden Rechtsvergleichung ist eine Grundrechtsneuschöpfung aus nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht188 durch die Zusammenführung, Koordinierung und Verschmelzung von nationalen Standards und Lösungen.189 Der Intention des Gerichtshofes nach sollen die Gemeinschaftsgrundrechte im Recht mehrerer Mitgliedstaaten nachweisbar sein, den grundlegenden Prinzipien eines Mitgliedstaats nicht zuwider laufen und sich gut in die Gemeinschaftsrechtsordnung einpassen.190 Die wertende Rechtsvergleichung des Gerichtshofs zur Entwicklung der Grundrechte hat über die schon erwähnten Bedenken, dass der Gerichtshof sich zu einem Gesetzgeber erster Klasse macht, zu weiterer Kritik geführt: Ein Nachteil wird darin gesehen, dass der Gerichtshof ein Grundrecht nur dann weiterentwickeln kann, wenn er mit einem entsprechenden Fall befasst wird, der ihm Gelegenheit dazu gibt. Sein Ergebnis ist dann im Ausgangsfall nur auf einen einzelnen Sachverhalt beschränkt, was den Gerichtshof kaum in die Lage versetzt, 184 J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S. 363; K.-P. Sommermann, in: Merten/ Papier, Handbuch der Grundrechte, Band 1, S. 669. 185 K.-P. Sommermann, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band 1, S. 669; J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S. 369–373 (372). 186 EuGH v. 21.9.1989 – verb. RS 46/87 und 227/88 (Hoechst/Kommission), Slg. 1989, 2859 (Rdn. 48–97): Von 12 Mitgliedstaaten gab es einen Grundrechtsschutz für Geschäftsräume in sechs Verfassungen, drei Verfassungen hatten noch keine Meinung zu diesem Thema gefunden und lediglich drei Verfassungen sprachen sich gegen einen Schutz für gewerbliche Räume aus. Der EuGH folgte der letzten Auffassung mit der Begründung, dass es in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Regelungen gebe, vgl. hierzu LS 2: „(. . .) Ein Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung ist (. . .) anzuerkennen, nicht aber für Unternehmen, da die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in Bezug auf Art und Umfang des Schutzes von Geschäftsräumen gegen behördliche Eingriffe nicht unerhebliche Unterschiede aufweisen. Etwas anderes lässt sich auch nicht aus Art. 8 der Europäischen Menschenrechtserklärung ableiten.“ 187 J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S. 362. 188 J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S. 434. 189 K.-P. Sommermann, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band 1, S. 669. 190 K.-P. Sommermann, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band 1, S. 669.

V. Juristische Auslegungsmethoden im Europäischen Gemeinschaftsrecht

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Inhalt und Grenzen des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutzes in der nötigen Präzision und Differenziertheit herauszuarbeiten.191 In den Urteilen des Gerichtshofs fehlen zudem in der Regel Hinweise darauf, welches Vergleichsmaterial mit welcher Gewichtung zur Entscheidung beigetragen hat. Somit besteht nur eine beschränkte Nachvollziehbarkeit für den Leser. Dieses Vorgehen des Gerichtshofs mag darin begründet sein, dass er mögliche Kritik an seiner Auswahl aus mittlerweile 27 Rechtsordnungen und deren Gewichtung verhindern will. Auch ist eine umfassende, systematische Prüfung aller nationalen Rechtsordnungen angesichts des hierzu erforderlichen Aufwands in der Gerichtspraxis nicht darstellbar. Dies würde selbst den eigenen wissenschaftlichen Dienst des Gerichtshofs überfordern,192 dessen Aufgabe es unter anderem ist, in geeigneten Fällen rechtsvergleichende Untersuchungen durchzuführen. So bleibt zu vermuten, dass die jeweiligen Rechtshorizonte der mit dem Urteil befassten Richter eine wesentliche Rolle bei der Interpretation spielen.193 Die Anmerkung, dass der wertende Rechtsvergleich dem Gerichtshof die Möglichkeit gibt, neue und innovative Ansätze zu berücksichtigen, ohne dass diese bereits in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten Berücksichtigung gefunden haben,194 verkennt die Notwendigkeit von rechtsstaatlich gebotener Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit für die immer wieder um ihre wirtschaftliche Existenz ringenden Parteien vor Gericht. 3. Erweiterte Grundrechtsinterpretation durch die Grundrechtecharta Die Grundrechtecharta ist derzeit noch kein Primärrecht, aber dennoch wird vorgeschlagen, bei der Interpretation der Charta die Auslegungsregeln des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften anzuwenden.195 Insbesondere eröffnet die Grundrechtecharta die Möglichkeit, ausformulierte und kodifizierte Grundrechte zu interpretieren. Die sich hieraus ergebenden Besonderheiten sind im Folgenden dargestellt. 191

J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S. 374. Der ehemalige Präsidenten des EuGH Gil Carlos Rodríguez Iglesias führte in seinem Redebeitrag „Gedanken zum Entstehen einer Europäischen Rechtsordnung“ (abgedruckt in NJW 1999, S. 1 f. (S. 8)) aus, dass der EuGH über einen eigenen wissenschaftlichen Dienst verfügt. 193 T. Kingreen, in: Callies/Ruffert: Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 6, Rdn. 41 (2. Auflage); K.-P. Sommermann, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band 1, S. 670. 194 So bspw. K.-P. Sommermann, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band 1, S. 670; J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S. 375. 195 A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 65; so auch F. Müller/ R. Christensen (Juristische Methodik, Bd. II, S. 309), die darauf hinweisen, dass der EuGH die Charta wohl als zusätzliche Auslegungshilfe heranziehen wird. 192

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft

Die Charta mit ihren ausformulierten Gemeinschaftsgrundrechten ermöglicht die genaue Wortwahl näher zu untersuchen.196 Darüber hinaus können verschiedene Sprachfassungen des Chartatextes und insbesondere deren Bedeutungsinhalte miteinander verglichen werden.197 Zu beachten ist aber, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die verschiedenen Sprachfassungen einer Gemeinschaftsvorschrift, welche alle gemäß Art. 53 EUV198 und dem korrespondierenden Art. 314 EG verbindlich sind, einheitlich ausgelegt werden sollen. Falls es Abweichungen im Sinngehalt gibt, soll die Vorschrift an Hand von Sinn und Zweck der korrespondierenden Regelungen ausgelegt werden, zu der sie gehört.199 Im Jahre 1999 wurde beschlossen, die Grundrechtecharta durch einen Konvent erarbeiten zu lassen. Die historisch-subjektive Auslegung profitiert insoweit davon, dass während der Erarbeitungsphase eine Vielzahl von Protokollen angefertigt wurden, die teilweise auch in Buchform200 veröffentlicht sind. Neben dem Normtext stehen damit auch begleitende Texte über deren Entstehung zur Verfügung.201 Der Entstehungsprozess der Charta erscheint damit überwiegend transparent und eröffnet die Möglichkeit, bei einem Auslegungsstreit die Gedanken und Erwägungen hinter dem geschriebenen Grundrechtstext mit zu berücksichtigen. Darüber hinaus wurden vom Konvent noch Erläuterungen des Präsi196 Inwieweit dies Aussicht auf Erfolg hat, ist angesichts der strukturellen und redaktionellen Defizite der Charta mehr als fraglich. K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 12, VI, 4., weist darauf hin, dass die inkonsistente Begrifflichkeit der Charta nur zur Verwirrung bei der Auslegung führen wird. So finden sich die Begriffe Freiheit, Grundrechte, Menschenrechte, Grundfreiheiten, Freiheiten, Rechte und Ansprüche wahllos nebeneinander gestellt. Auch verwendet die Charta die unterschiedlichsten Verben im Zusammenhang mit diesen Begriffen. Es ist somit unklar, ob und inwieweit die Schutzintensitäten durch die unterschiedlichsten Verben „garantieren“, „schützen“, „einhalten“, „gewährleisten“, „anerkennen und achten“, „das Recht auf Achtung haben“, „achten“, „gewähren können“, „niemand darf . . . werden“, „verboten sein“, „das Recht haben“, „frei sein“, „die Freiheit haben“, „Freiheit anerkennen“, „Anspruch haben“, „Anspruch auf Schutz haben“, „das Recht auf Zugang haben“, „sicherstellen“, (das Wahlrecht) „besitzen“ eine Stufung erhalten haben. 197 A. Weber, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, B V, Rdn. 8. 198 Art. 53 EUV: „Dieser Vertrag ist in einer Urschrift in dänischer, deutscher, (. . .) und spanischer Sprache abgefasst, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist; (. . .)“. 199 EuGH v. 09.01.2003 – RS C 257/00 (Nani Givane u. a./Secretary of State for the Home Department), Slg. 2003, S. I-345, (Rdn. 37): „Nach ständiger Rechtsprechung müssen die verschiedenen Sprachfassungen einer Gemeinschaftsvorschrift einheitlich ausgelegt werden; falls die Fassungen voneinander abweichen, muss die Vorschrift daher anhand von Sinn und Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört. (. . .)“. 200 N. Bernsdorff/M. Borowsky, Die Charta der Grundrechte. 201 C. Günther, Die Ausgestaltung des Rechts auf Bildung, S. 60; A. Weber, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, B V, Rdn. 4.

V. Juristische Auslegungsmethoden im Europäischen Gemeinschaftsrecht

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diums202 veröffentlicht, deren Sonderstellung sich unter anderem aus dem fünften Absatz der Präambel der Grundrechtecharta203 sowie aus Art. 52 Abs. 7 GRCh204 ergeben.205 Jeder Gesetzestext verfügt über eine eigene Systematik, so auch die Grundrechtecharta, was eine systematisch-kontextuelle Auslegung ermöglicht. Neben der Präambel finden sich sieben eigenständige Kapitel, deren Aufteilung und Inhalt Aufschluss über die einzelnen Grundrechte geben können. Insbesondere die Abgrenzung einzelner Grundrechte zueinander wird durch die systematisch-kontextuelle Auslegung am abgeschlossenen Grundrechtstext erleichtert. Stellt die teleologische Auslegung in der Rechtsprechung bisher einen zentralen Ansatz der Gesetzesauslegung dar, so wird abzuwarten sein, ob sich dies angesichts nun kodifizierter Grundrechte mit eigener Präambel verändern wird. Der Chartatext entstand zumindest mit dem Ziel, den Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene zu stärken und transparenter zu machen. Weber sieht zudem noch die Einheit des Gemeinschaftsrechts und das Postulat der Grundrechtsoptimierung als weitere Anknüpfungspunkte.206 Die vergleichende Methode der Grundrechtsstandards in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft – bisher ein Schwerpunkt in der Entwicklung der Gemeinschaftsgrundrechte durch den Gerichtshof – erfährt durch die Kodifizierung in der Grundrechtecharta keine wesentlichen Änderungen. So beinhalten die häufigen Verweise207 in der Grundrechtecharta auf die nationalen Rechtsvorschriften vielmehr die Forderung, im Wege eines wertenden Rechtsvergleichs grundrechtliche Schutzstandards zu entwickeln.208 202 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, in konsolidierter Fassung veröffentlicht im ABl. C 303 vom 14.12.2007, S. 17–35. 203 Präambel der GrCH, Abs. 5: „(. . .) In diesem Zusammenhang erfolgt die Auslegung der Charta durch die Gerichte der Union und der Mitgliedstaaten unter gebührender Berücksichtigung der Erläuterungen, die unter der Leitung des Präsidiums des Konvents zur Ausarbeitung der Charta formuliert und unter der Verantwortung des Präsidiums des Europäischen Konvents aktualisiert wurden.“ 204 Art. 52 Abs. 7 GRCh: „Die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung der Charta der Grundrechte verfasst wurden, sind von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen.“ 205 Diese Quellen werden bei der Untersuchung der unternehmerischen Freiheit analysiert, unter Beachtung der Warnung von A. Weber (in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, B V, Rdn. 12) die historische Auslegung nicht über zu bewerten, insbesondere mit Blick auf die fehlende demokratische Legitimation des Konvents. 206 A. Weber, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, B V, Rdn. 13 und 22. 207 So in den Artikeln 9, 10 Abs. 2, 14 Abs. 3, 16, 27, 28, 30, 34 Abs. 1–3, 35, 36 GrCH. 208 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 12; K.-P. Sommermann (in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band 1, S. 676–677) führt zu Recht an, dass das Instrumentarium einer Rechtsvergleichung nur

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B. Die Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft

4. Schlussfolgerung Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, der wegen fehlenden Grundrechtsschutzes in seiner Rechtsprechung zu Beginn einer starken Kritik ausgesetzt war209 und folglich um sein Auslegungsmonopol bangte, hatte aufgrund mangelnder Vorgaben bei der Entwicklung von Gemeinschaftsgrundrechten weitgehend freie Hand. Lediglich die von ihm selbst bestimmten Rechtserkenntnisquellen musste er berücksichtigen. Dies wird sich durch einen verbindlichen Grundrechtskatalog ändern müssen und es bleibt zu hoffen, dass der Gerichtshof in seiner zukünftigen Grundrechtsrechtsprechung den Urteilsbegründungen mehr Gewicht beimessen wird und detaillierter auf die geschriebenen Grundrechte eingehen wird, insbesondere auf den jeweiligen Schutzbereich und die Schrankensystematik. Hierbei sollten die zuvor genannten Auslegungsmethoden eine zentrale Rolle spielen.

bedingt zur Entwicklung einer Grundrechtslehre geeignet ist. So verfüge die Europäische Grundrechtecharta als Produkt verschmolzener nationaler Grundrechtsstandards nur über eine rudimentäre Schrankenausbildung sowie unklare Normativitätsdistinktionen. 209 Vergleiche hierzu die Entwicklung in den bereits zitierten Urteilen des BVerfG: „Solange I“, BVerfGE 37, 271 (277 f.); „Solange II“, BVerfGE 73, 339 (374 f.); „Maastricht“, BVerfGE 89, 155 (174 f.); „Bananenmarktordnung“, BVerfGE 102, 147 (163 f.); „Lissabon“, BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009 (bisher nur online veröffentlicht, http://www.bundesverfassungsgericht.de); neben dem BVerfG kritisierte insbesondere das italienische Corte Costituzionale den ursprünglich fehlenden europäischen Grundrechtsschutz (Urteil Nr. 232 v. 30.10.1975).

C. Unternehmerische Freiheit Wenn in der deutschsprachigen Tagespresse die unternehmerische Freiheit erwähnt wird, so sind es meist industriefreundliche Arbeitgeberverbände und multinationale Konzerne, die eine Beschränkung ihrer unternehmerischen Freiheit beanstanden.1 Ende 2007 wurde beispielsweise im Rahmen der Diskussion um Managergehälter vorgetragen, dass „eine Führungsethik entwickelt werden soll, die unternehmerische Freiheit und das Gemeinwohl zusammen bringt“.2 Zur Einführung dieses Kapitels werden der Wirtschaftsrahmen der Europäischen Union sowie die unternehmerische Freiheit als Kernelement der Marktwirtschaft betrachtet. Danach werden unter Berücksichtigung der vom Gerichtshof als relevant angesehenen Rechtserkenntnisquellen die Teilgewährleistungen unternehmerischer Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichthofs untersucht. Hierauf folgt die Analyse von Art. 16 in der Grundrechtecharta. Die Ergebnisse der beiden letzten Abschnitte dienen anschließend als Grundlage für einen Vergleich zwischen der bisherigen Grundrechtsrechtsprechung und der Grundrechtskodifizierung, mit dem Ziel, die weitere Entwicklung des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit einschätzen zu können.

I. Der Wirtschaftsrahmen der Europäischen Union Unternehmerisches Handeln in einem marktwirtschaftlichen Wettbewerb wird als eine Mischung umschrieben, die daraus besteht, Initiative zu ergreifen, Kapital einzusetzen und Risiken einzugehen.3 Die freiheitliche wirtschaftliche Betätigung und die Marktwirtschaft stehen dabei in enger Abhängigkeit, denn das pri1 Ein exemplarischer Auszug von Presseartikeln findet sich im am Ende dieser Arbeit unter H. 2 Siehe Artikel in der Netzzeitung vom 10. Dezember 2007: „Merkel gegen neues Gesetz zu Managergehältern“, online abrufbar unter http://www.netzzeitung.de/politik/ deutschland/839933.htm (geprüft am 11.07.2009); ein weiterer Beitrag hierzu aus der Welt vom 28. April 2008: „Streit um SPD-Pläne gegen hohe Managergehälter“, online unter http://www.welt.de/welt_print/article1944256/Streit_um_SPD-Plane_gegen_hohe _Managergehaelter.html (geprüft am 11.07.2009): „Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) kritisierte die Vorschläge. Hier werde mit Kanonen auf Spatzen geschossen, sagte der Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf (. . .) und nannte die Pläne einen Angriff auf die Vertragsfreiheit. Er bezog dies auf den SPD-Vorschlag, dass sich Aufsichtsräte bei der Höhe der Vergütung am Branchendurchschnitt orientieren müssten. (. . .) Es gehe um die unternehmerische Freiheit des Aufsichtsrates.“ 3 M. Hoffmann, Staatliche Wirtschaftsregulierung, BB 1995, S. 53.

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C. Unternehmerische Freiheit

vate Unternehmertum ist die wesentliche Grundlage einer Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb.4 Als Ausgangspunkt zur Bestimmung des Schutzbereichs eines Wirtschaftsgrundrechts wie der unternehmerischen Freiheit kann die Betrachtung des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Rahmens dienen.5 Das europäische Primärrecht bietet diesbezüglich mehrere Aussagen, die nachfolgend aufgeführt werden. In Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 EG findet sich der wirtschaftspolitische „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“.6 In den Art. 98 und 105 Abs. 1 EG wird die Wirtschafts- und Währungspolitik dahingehend materialisiert, dass die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft sowie die Europäische Zentralbank und die nationalen Zentralbanken „(. . .) im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb [handeln]7, wodurch ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird.“. Dieser liberale Ansatz der Wirtschaftsverfassung wird ergänzt durch das Sozialprinzip, das sich in wesentlichen Zielen der Union in Art. 2, 1. Spiegelstrich EUV sowie in Art. 2 EG widerspiegelt.8 Unter anderem findet man als Ziel in Art. 2, 1. Spiegelstrich EUV „die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts und eines hohen Beschäftigungsniveaus (. . .), insbesondere (. . .) durch Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts (. . .)“, sowie in Art. 2 Abs. 1 EG die Vorgabe „ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Gleichstellung von Männern und Frauen, (. . .), die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt (. . .) zu fördern“. Der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb wird so zumindest dem Vertragstext nach mit dem Sozialprinzip verbunden.9

4 A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 76; A. Sagan, Das Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen, S. 144; W. Kerber/U. Schwalbe, in: Hirsch/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo Kartellrecht, Band 1, Einl. H., S. 239, Rdn. 962. 5 H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte, DVBl. 2004, S. 458; eine ausführliche Darstellung der historischen Entwicklungslinien der Unternehmensfreiheit in Europa findet sich bei Luca Di Nella (ders., Die „costituzione economica italiana“, in: Müller-Graff/Riedel (Hrsg.), Gemeinsames Verfassungsrecht in der Europäischen Union, S. 239–262). 6 T. Oppermann, Europarecht, S. 285; A. Hatje, Wirtschaftsverfassung, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 69; K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 1, VI. sowie § 3, I., 1.; ders., Das Recht am und das Recht auf Eigentum, in: Isensee/Lechler (Hrsg.), FS für Walter Leisner, S. 783. 7 Vom Verfasser eingefügt. 8 K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 4, I., 1. 9 K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 1, VI.

I. Der Wirtschaftsrahmen der Europäischen Union

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Durch den am 13. Dezember 2007 unterzeichneten Vertrag von Lissabon10 sollen wesentliche textliche Änderungen im EU-Vertrag und EG-Vertrag erfolgen – letzterer soll in „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ umbenannt werden. In der Präambel des EU-Vertrags soll der feste Wille der Vertragsparteien ergänzt werden, „den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Völker unter Berücksichtigung des Grundsatzes der nachhaltigen Entwicklung zu fördern“. Darüber hinaus will man sich in Artikel 3 Abs. 3 EU-Vertrag das Ziel setzen, „eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft [zu erreichen]11, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt. (. . .) Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes. Sie fördert den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.“ Im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union12 ist geplant, mit Artikel 9 eine neue horizontale Sozialklausel einzuführen, die garantieren soll, dass die Union „bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen (. . .) den Erfordernissen im Zusammenhang mit der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes, mit der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Gesundheitsschutzes Rechnung“ trägt. Die europäische Politik hat somit für die zukünftige Vertragsgestaltung eine „in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“13 vorgesehen und will damit das Sozialprinzip als Verfassungsprinzip14 noch deutlicher hervorheben.15 Ob es aber zu diesen Anpassungen kommen wird, ist auf Grund des bisher gescheiterten Ratifizierungsprozesses weiter offen. Ein Blick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zeigt, dass im Rahmen durchgeführter Abwägungen die soziale als auch 10 Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007, abgedruckt im Amtsblatt der Europäischen Union am 17. Dezember 2007 (2007/C 306/01 bis C 306/271). 11 Vom Verfasser eingefügt. 12 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, abgedruckt im Amtsblatt der Europäischen Union vom 9.5.2008 (Dok. C 115/47–199). 13 Art. 3 Abs. 3 EUV-LV. 14 K. A. Schachtschneider (in: ders., Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 1, III., 1.) stellt darüber hinaus auch noch klar, dass das Sozialprinzip als solches nicht zur Disposition der Politik stehen kann, da es untrennbar mit dem Freiheitsprinzip und somit auch mit der Menschheit des Menschen verbunden ist. 15 Eine Anpassung der Formulierung in Art. 119 Abs. 1, Abs. 2, Art. 120 und Art. 127 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweisen der Europäischen Union (AEUV), „im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ zu handeln, ist aber nicht erfolgt.

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C. Unternehmerische Freiheit

die wirtschaftliche Zielrichtung des Gemeinschaftsrechts bereits berücksichtigt werden.16 Rdn. 104–105: „Dem ist hinzuzufügen, dass die Tätigkeit der Gemeinschaft nach dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c und j EG nicht nur einen ,Binnenmarkt, der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist‘, sondern auch ,eine Sozialpolitik‘ umfasst. Art. 2 EG bestimmt nämlich, dass es u. a. Aufgabe der Gemeinschaft ist, ,eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens‘ sowie ,ein hohes Beschäftigungsniveau und ein hohes Maß an sozialem Schutz‘ zu fördern. Da die Gemeinschaft somit nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine soziale Zielrichtung hat, müssen die sich aus den Bestimmungen des EG-Vertrages über den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungsund Kapitalverkehr ergebenden Rechte gegen die mit der Sozialpolitik verfolgten Ziele abgewogen werden, zu denen, wie aus Art. 136 EG hervorgeht, insbesondere die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, um dadurch auf dem Weg des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen, ein angemessener sozialer Schutz und der soziale Dialog zählen.“

Die Prinzipien der (sozialen) Marktwirtschaft und des Wettbewerbs helfen zur Bestimmung des Schutzbereichs der unternehmerischen Freiheit aber nur begrenzt weiter.17 Vielmehr müssen die einschlägigen europarechtlichen Vorschriften und Normen eingehend betrachtet werden. Dies stellt kein leichtes Unterfangen dar, weil das Primärrecht bei näherer Betrachtung als das Resultat unterschiedlicher, im Verlauf der Zeit wechselnder ökonomischer und gesellschaftlicher Zielvorstellungen erscheint und ein in sich stimmiges wirtschaftspolitisches Konzept vermissen läßt.18 Das Wirtschaftsmodell der Gemeinschaft erscheint als eine Mischung von marktwirtschaftlich-liberalen bis hin zu interventionistischen Elementen.19 Folgt das Wettbewerbsrecht eher liberalen Ten16 EuGH v. 18.12.2007 – RS C-341/05 (Laval un Partneri Ltd/Svenska Byggnadsarbetareförbundet), Slg. 2007, S. I-11767 (Rdn. 104–105); ebenso EuGH v. 11.12.2007 – RS C-438/05 (International Transport Workers’ Federation und Finnish Seamen’s Union/Viking Line ABP und Viking Line Eesti), Slg. 2007, S. I-10779 (Rdn. 78–79). 17 A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 4 EG, Rdn. 10; A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 76; G. Nicolaysen (ders., Die gemeinschaftsrechtliche Begründung von Grundrechten, EuR 2003, S. 741) merkt an, dass die begriffliche Unbestimmtheit von Wirtschaftmodellen sowie die Vielzahl von wissenschaftlichen wie auch politischen, teilweise konträren Ansichten eine klare Definition (sozialer) Marktwirtschaft erschwert; J. Schwarze (Das wirtschaftsverfassungsrechtliche Konzept, in: EuZW 2004, S. 136) gibt mit Blick auf den Gemeinschaftsgesetzgeber zu bedenken, dass das „wirtschaftspolitische Leitbild der offenen Marktwirtschaft keinen gesonderten, eigenständigen rechtlichen Maßstab für die Rechtssetzung der Gemeinschaft bietet. Seine determinierende Kraft verbietet nur eine prinzipielle Abkehr von marktwirtschaftlichen Grundsätzen.“ 18 A. Hatje, Wirtschaftsverfassung, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 686–689. 19 K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 6, VII.

II. Die unternehmerische Freiheit als Kernelement der Marktwirtschaft

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denzen, so dominiert in der Agrarpolitik eine planwirtschaftliche, dirigistische Konzeption.20 Der sich darüber hinaus ergebende Eindruck einer unvollständigen europäischen Wirtschaftsverfassung erfolgt unter anderem durch die stark variierenden Kompetenzen der Gemeinschaftsgewalt in den unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen.21 So sind wesentliche Kompetenzen wie die Steuerhoheit ausschließlich in mitgliedstaatlicher Regelungsverantwortung,22 wohingegen die Festlegung europäische Zolltarife gegenüber Drittländern auf europäischer Ebene beschlossen wird. Für die Materialisierung des Schutzbereichs der unternehmerischen Freiheit bedeutet dies, dass die normative Relevanz der europäischen Wirtschaftsordnung darauf beschränkt ist, in nur allgemeiner Form auf die Kernelemente der (sozialen) Marktwirtschaft zu verweisen.23

II. Die unternehmerische Freiheit als Kernelement der Marktwirtschaft24 Marktwirtschaft im Sinne von Adam Smith25 (1723–1790) bezeichnet eine arbeitsteilig organisierte Wirtschaftsordnung, in der die Koordination von Produktion und Konsum über das regulierende Element von Angebot und Nachfrage gesteuert wird. Dabei garantiert der Staat den Schutz des Privateigentums mittels eines Rechtssystems26 und greift, im Gegensatz zur Plan- bzw. Zentralverwaltungswirtschaft27, nur über gesetzliche, meist fiskalisch ausgerichtete Steuerungsmittel in den Wirtschaftskreislauf ein. Eine starke wirtschaftliche Betätigung durch den Staat ist in der Marktwirtschaft nicht vorgesehen.28 Die wesentliche Aufgabe des 20 U. Penski und B. Elsner (dies., Eigentumsgewährleistung und Berufsfreiheit, in: DÖV 2001, S. 265), warnen beispielsweise davor, dass insbesondere für den Bereich der Agrarpolitik der grundrechtliche Schutzbereich landwirtschaftlicher Betriebe durch weite gesetzgeberisch grundrechtsresistente Freiräume bedeutungslos werden könnte. 21 T. Oppermann, Europarecht, S. 284. 22 Die Mitgliedstaaten haben beispielsweise in der Steuer-, Verkehrs-, Energie- sowie in der Sozialpolitik noch wesentliche Kompetenzen. 23 A. Hatje, Wirtschaftsverfassung, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 686–689. 24 A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 75–78. 25 A. Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776, Book I, Chapter VII, S. 72 ff., online verfügbar unter http://ibiblio.org/ml/libri/s/ SmithA_WealthNations_p.pdf (geprüft am 11.07.2009). 26 W. Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, S. 49. 27 H. Bartling/F. Luzius, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, S. 35; A. Sagan, Das Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen, S. 144. 28 W. Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, S. 50–51.

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C. Unternehmerische Freiheit

Staates ist es lediglich, die Sicherung des freien Wettbewerbs der Unternehmen29 zu gewährleisten.30 Geprägt wird die Marktwirtschaft von der wirtschaftlichen Privatautonomie des Einzelnen, mithin dem Recht eines Jeden zur freien und eigenverantwortlichen Betätigung im wirtschaftlichen Bereich. Dies geschieht unter Inkaufnahme eigenen Risikos und im freien Wettbewerb mit anderen Wirtschaftsteilnehmern.31 Auf europäischer Ebene hat das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit somit die Handlungen seiner Grundrechtsträgers zu schützen, die als notwendige Kernelemente mit subjektiv-rechtlichem Charakter32 in einer funktionierenden (sozialen) Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb geschützt werden müssen. Hierunter fällt als Grundvoraussetzung jeder privaten wirtschaftlichen Tätigkeit die Möglichkeit des Erwerbs und der Nutzung des Eigentums,33 worunter das private Eigentum an Produktionsmitteln zu subsumieren ist.34 Auch die Vertragsfreiheit ist als ein „Grundprinzip der Menschheit des Menschen“ Voraussetzung für Markt und Wettbewerb.35 Darüber hinaus sind es der freie Marktzugang sowie die freie, selbstbestimmte Disposition des Unternehmers hinsichtlich seiner Wirtschaftsgüter, die in den Schutzbereich der unternehmerischen Freiheit fallen.36 Ein Schutz vor dem unternehmerischen Risiko kann das Grundrecht aber nicht 29 Eine anerkannte und eindeutige Definition für das Unternehmen findet sich in der Rechts- und Wirtschaftswissenschaft nicht. Näheres zum Unternehmen bei W. Freitag, Unternehmen in der Republik, S. 157 f. sowie S. 171: „Im ökonomischen Verständnis stellt ein Unternehmen sich als unter einheitlicher Leitung mit dem Ziel der Erstellung von Werten unter Beachtung der Bedingungen Produktivität, Rentabilität und Wirtschaftlichkeit dar. Dabei geht es um die Deckung von fremdem Bedarf bei wirtschaftlicher Selbständigkeit und gleichzeitiger Übernahme des Marktrisikos.“; zum Unternehmensbegriff siehe auch K. Ballerstedt, Was ist Unternehmensrecht?, in: FS für Konrad Duden, S. 22: „Unternehmen im Sinne des Systembegriffs Unternehmensrecht ist eine auf Dauer angelegte Vereinigung personeller Kräfte und sachlicher Mittel zu einem wirtschaftlichen Zweck im Interesse der Erzielung einer durch Teilnahme am Marktverkehr zu realisierenden materiellen Wertschöpfung.“ 30 W. Kerber/U. Schwalbe, in: Hirsch/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo Kartellrecht, Band 1, Einl. H., S. 239, Rdn. 960, 962; siehe auch den Eintrag zur „Marktwirtschaft“ in Gabler Wirtschaftslexikon, S. 1999. 31 K. Schubert, Handwörterbuch des ökonomischen Systems, S. 425. 32 A. Hatje, Wirtschaftsverfassung, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 695. 33 K. Schubert, Handwörterbuch des ökonomischen Systems, S. 122; K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 1, III., 1.; Schachtschneider (a. a. O., § 9, V., 1.) unterstreicht zudem, dass das Privatheitsprinzip insbesondere eine möglichst effektive unternehmerische Betätigung verspricht und damit gleichzeitig Grundlage eines leistungssteigernden Wettbewerbs ist. 34 J. Basedow, Der Eigentumsschutz nach der EMRK, in: Bauer/Czybulka/Kahl/ Vosskuhle (Hrsg.), Wirtschaft im offenen Verfassungsstaat, FS für Reiner Schmidt, S. 6, 24. 35 K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 1, IV., 5.; W. Freitag, Unternehmen in der Republik, S. 134; A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 87.

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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bieten. Beispielsweise können jederzeit neue Wettbewerber auf den Markt drängen und die Marktposition eines Jeden durch Konkurrenz beeinträchtigen.

III. Die unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Zur Grundrechtsentwicklung als allgemeine Rechtsgrundsätze37 hat der Gerichtshof, wie mittlerweile in Art. 6 Abs. 2 EUV bestimmt, die von den Mitgliedstaaten abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge sowie die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten im Wege wertender Rechtsvergleichung herangezogen, ausgewertet und unter Berücksichtigung der Struktur und der Ziele der Union38 gleichsam verfassungsgebend bestimmt.39 Dabei hat der Gerichtshof keine einheitliche Grundrechtsdogmatik entwickelt.40 Für den Aufbau dieser Arbeit wird daher auf die allgemeinen entwickelten Lehren zum Grundrechtsschutz zurückgegriffen. Die Darstellung des Abwehrrechts erfolgt somit am dreistufigen Prüfungssystem mit den Elementen Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung.41 36 W. Kerber/U. Schwalbe, in: Hirsch/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo Kartellrecht, Band 1, Einl. H., S. 240, Rdn. 962. 37 In seinem Schlussantrag (SA zu EuGH v. 15.02.2007 – RS C-411/05 (Félix Palacios de la Villa/Cortefiel Servicios SA), Slg. 2007, S. I-8531, Rdn. 84–86) geht Generalanwalt Ján Mazák auf die durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften geschaffenen allgemeinen Rechtsgrundsätze ein, die seiner Ansicht nach für die Entwicklung der Gemeinschaft eine zentrale Rolle gespielt haben. Er betont zwar, dass die allgemeinen Rechtsgrundsätze wie die Grundrechte dem Stückwerk von Gemeinschaftsvorschriften erst eine eigentliche rechtliche Ordnung gegeben haben, „jedoch liegt es in der Natur allgemeiner Rechtsgrundsätze – die wohl mehr dem platonischen Rechtshimmel als den Gesetzbüchern entstammen – dass sowohl ihre Existenz als auch ihr materieller Inhalt von Unstimmigkeiten gekennzeichnet ist“. 38 EuGH v. 17.12.1970 – RS 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft mbH), Slg. 1970, 1125: „Die Gewährleistung dieser Rechte (gemeint: Grundrechte) muss zwar von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten getragen sein, sie muss sich aber auch in die Struktur und die Ziele der Gemeinschaft einfügen.“; EuGH v. 06.03.2001 – RS C-274/99 P (Bernard Connolly/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 2001, S. I-1611 (Rdn. 111): „Ferner kann die Ausübung von Grundrechten wie des Eigentumsrechts Einschränkungen unterworfen werden, sofern diese Einschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet. (. . .)“. 39 J. Schwarze, Europäisches Wirtschaftsrecht, S. 216, Rdn. 411. 40 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der Europäischen Union, § 1, Rdn. 84. 41 H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte, S. 456; H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der Europäischen Union, § 7, Rn. 506 m.w. N.; C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, Vorwort, S. VI; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 341,

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C. Unternehmerische Freiheit

Auf europäischer Ebene werden dem Grundrecht der unternehmerischen Freiheit, so wie es in Art. 16 der Grundrechtecharta gewährleistet wird, insbesondere die Freiheit der Wirtschafts- und Geschäftstätigkeit, die Vertragsfreiheit sowie der freie Wettbewerb zugeordnet.42 Die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu diesen Gewährleistungen ist sehr vielschichtig und die verwendeten Begrifflichkeiten sind ebenso zahlreich wie beliebig.43 Um dennoch einen Überblick über die Rechtsprechung zur unternehmerischen Freiheit zu erlangen, werden nicht nur die relevanten Urteile mit Blick auf Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung ausgewertet, sondern es findet zuvor noch eine nähere Untersuchung der Rechtserkenntnisquellen des Europäischen Gerichtshofes statt. 1. Die unternehmerische Freiheit in den Rechtserkenntnisquellen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft Einführend werden die Rechtserkenntnisquellen des Gerichtshofs und die dort enthaltenen Grundrechte hinsichtlich der unternehmerischen Freiheit untersucht. Insbesondere der Rückgriff auf die historisch gewachsenen Wirtschaftsverfassungen der Mitgliedstaaten wurde vom Gerichtshof als wesentliche Rechtserkenntnisquelle bei der Ermittlung des Gewährleistungsgehalts eines Grundrechts angeführt.44 Seit dem Vertrag von Maastricht findet sich dieses Vorgehen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in Art. 6 Abs. 2 EUV45 kodifiziert. Die dort ebenfalls aufgeführte Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte verweist zudem auf die Besonderheit des Gerichtshofs der Europäische Gemeinschaften, dass er (ähnlich wie im französischen Recht) in seiner Grundrechtsrechtsprechung die Gefährdung objektiver Prinzipien sowie allgemeine und typische Interessenlagen betrachtet, anstatt einen subjektiven Schutzbereich zu definieren und einen Eingriff in denselben zu prüfen. 42 Vgl. hierzu die Erläuterungen des Präsidiums zu Art. 16 GRCh. 43 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 15, Rdn. 11 und Art. 16, Rdn. 3. 44 Erstmals: EuGH v. 17.12.1970 – RS 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel), Slg. 1970, S. 1125 (Rdn. 4); weitere Bsp.: EuGH v. 13.12.1979 – RS 44/79 (Liselotte Hauer/Land Rheinland-Pfalz), Slg. 1979, 3727 (Rd. 17) und EuGH v. 28.03.1996 (Gutachten 2/94), Slg. 1996-I, S. 1759 (1762, Rdn. 5); vgl. auch Kapitel D. I.; der Rückgriff auf die nationalen Verfassungstraditionen gilt insbesondere für die nicht in der EMRK aufgenommenen Grundrechte wie das der Berufsfreiheit. Vgl. hierzu H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte, DVBl. 2004, S. 458. 45 Art. 6 Abs. 2 EUV: „Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.“

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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und Grundfreiheiten46 enthält weder die Berufsfreiheit noch die unternehmerische Freiheit als geschriebenes Grundrecht und dient somit nur beschränkt als Rechtserkenntnisquelle zur Materialisierung der unternehmerischen Freiheit. Dennoch werden zumindest die Ansätze zur unternehmerischen Freiheit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Zusammenhang mit seiner Rechtsprechung zu Artikel 1 des 1. Zusatzprotokolls untersucht. Schließlich würde die Konvention bei dem politisch gewollten Beitritt47 der Europäischen Union48 eine noch bedeutendere Rolle für die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft spielen.49 Dies spiegelt sich auch in der Bestimmung des Art. 52 Abs. 3 GRCh50 wider, durch den die Vereinbarkeit der Grundrechtspraxis nach der Grundrechtecharta mit der EMRK gesichert werden soll.51 a) Die völkerrechtlichen Verträge zum Menschenrechtsschutz – insbesondere die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) In seinem Gutachten52 aus dem Jahre 1996 verweist der Europäische Gerichtshof darauf, dass sich der Gemeinschaftsrichter bei der Wahrung der Gemeinschaftsgrundrechte „von den Hinweisen leiten lässt, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluss die Mit-

46 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 1950. 47 Betrachtet man die im Vertrag von Lissabon vorgesehenen, überaus hohen verfahrensrechtlichen Hürden für einen Beitritt der EU zur EMRK (bspw. Art. 218 Abs. 8 AEUV: „(. . .) Auch über die Übereinkunft über den Beitritt der Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten beschließt der Rat einstimmig; der Beschluss zum Abschluss dieser Übereinkunft tritt in Kraft, nachdem die Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften zugestimmt haben.“), so fragt sich ob er je stattfinden wird (siehe hierzu auch E. Pache/F. Rösch, Europäischer Grundrechtsschutz nach Lissabon, EuZW 2008, S. 521). 48 Vgl. Art. 6 Abs. 2 EUV-LV: „Die Union tritt der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei. Dieser Beitritt ändert nicht die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union.“ 49 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 99 (§ 3, Rdn. 172). 50 Art. 52 Abs. 3 GRCh: „Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.“ 51 T. Danwitz, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 52, Rdn. 51. 52 EuGH v. 28.03.1996 (Gutachten 2/94), Slg. 1996-I, S. 1759 (Rdn. 5): Wegen fehlender Kompetenz wurde die Möglichkeit der Europäischen Gemeinschaft, der EMRK beizutreten, abgelehnt.

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C. Unternehmerische Freiheit

gliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind.“ 53 Zu diesen völkerrechtlichen Menschenrechtsverträgen zählen beispielsweise die beiden internationalen Pakte der Vereinten Nationen54 und, mit gesonderter Erwähnung in Art. 6 Abs. 2 EUV, die Europäische Menschenrechtserklärung (EMRK). Inwieweit die in der Europäischen Menschenrechtserklärung verbrieften Grundrechte für den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften als Rechtsquelle oder lediglich als Rechtserkenntnisquelle dienen,55 kann offen bleiben.56 Schließlich sind die Grundrechte der unternehmerischen Freiheit wie auch der Berufsfreiheit nicht in der Europäischen Menschenrechtserklärung explizit enthalten.57 Dennoch finden sich Urteile58 mit Bezügen zur unternehmerischen Tätigkeit, in denen die Eigentumsgewährleistung aus Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls EMRK durch die Rechtsprechung auf das Recht ausgeweitet wurde, Verträge zu schließen und durchzusetzen sowie ein Unternehmen zu führen.59 Der Menschenrechtsgerichtshof hat den Begriff des Eigentums in Art. 1 des 1. Zusatzprotokoll der EMRK weit ausgelegt. So haben nach seinem Urteil Stretch gegen Großbritannien vom 24. Juni 2003 berechtigte Erwartungen („legitimate expectations“) und Chancen des Grundrechtsträgers Eigentumscharakter.60 53 T. Schilling, Bestand und allgemeine Lehren, EuGRZ 2000, S. 11; I. Pernice, Gemeinschaftsverfassung, NJW 1990, S. 2413; EuGH v. 14.05.1974 – RS 4/73 (J. Nold, Kohlen- und Baustoffgroßhandlung/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1974, S. 491 (Rdn. 12–13). 54 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgR) sowie Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwirtR) vom 19. Dezember 1966, abgedruckt in BGBl. 1973 II, S. 1553 sowie 1569. In Art. 6 Abs. 1 IPwirtR findet man das „Recht auf Arbeit“. Dieses beinhaltet „das Recht jedes Einzelnen zur Möglichkeit, den eigenen Lebensunterhalt durch frei gewählte und angenommene Arbeit zu verdienen“. 55 T. Kingreen, in: Callies/Ruffert: Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 6, Rdn. 32 f. (2. Auflage). 56 Der Vertrag von Lissabon sieht in Art. 6 Abs. 2 EUV-LV einen Beitritt der Europäischen Union zur EMRK vor („Die Union tritt der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei. Dieser Beitritt ändert nicht die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union.“). Hiermit wird sich die Fragestellung der EMRK als Rechtsquelle oder Rechtserkenntnisquelle zugunsten der ersten Alternative erledigen (so auch W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 17). 57 H. Jarass, Der grundrechtliche Eigentumsschutz, NVwZ 2006, S. 1091; A. Borrmann, Der Schutz der Berufsfreiheit, S. 151; O. Müller-Michaels, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 71; D. Richter, in: Grothe/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, 2006, Kap. 9, Rdn. 44. 58 Eine umfassende Urteilsdatenbank des EGMR findet sich im Internet unter http:// echr.coe.int/echr/en/hudoc (geprüft am 11.07.2009). 59 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 624–625; O. Müller-Michaels, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 71. 60 EuGHMR v. 24.06.2003, Case Stretch/The United Kingdom (Application nr. 44277/98); C. Grabenwarter, EMRK, S. 402; J. Meyer-Ladewig, EMRK Handkommen-

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Urteil Stretch, Rdn. 32, 35:61 „Der Gerichtshof erinnert daran, dass nach seiner ständigen Rechtssprechung der Begriff Eigentum sowohl bestehendes Eigentum, Kapitalanlagen als auch Forderungen umfasst, hinsichtlich denen der Antragsteller argumentieren kann, dass er diesbezüglich zumindest eine berechtigte Erwartung hat auf die Erlangung eines rechtskräftigen Besitzes am Eigentumsrecht. (. . .) Der Gerichtshof stellt unter Berücksichtigung der Umstände dieses Falles fest, dass der Antragsteller so angesehen werden muss, als ob er zumindest eine berechtigte Erwartung hat, die Option auf Verlängerung des bestehenden Mietvertrages auszuüben, und dies ist im Sinne des Artikel 1 des 1. Zusatzprotokolls als Annex des Eigentumsrechts zu bewerten, das ihm durch die Stadt Dorchester aufgrund des bestehenden Mietvertrags eingeräumt wird.“

In seiner Rechtsprechung findet sich auch der Schutz hinsichtlich des erworbenen Kundenstamms („goodwill“) als geschützter Vermögenswert.62 Urteil Hörner, Seite 4:63 „Der Gerichtshof erachtet den Anspruch, auf den sich die klagende Firma hier beruft, als eigentumsgleich, wie er sich aus Artikel 1 des 1. Protokolls ergibt. Durch ihre seit 150 Jahren ausgeübte geschäftliche Aktivität Erben ausfindig zu machen und Erbschaften abzuwickeln, hatte die klägerische Firma einen Kundenstamm aufgebaut. Dieser hatte in vielerlei Hinsicht eigentumsähnlichen Wert und verkörperte damit einen Vermögensgegenstand, und demzufolge ein Eigentumsrecht im Sinne des ersten Satzes von Artikels 1.“

Als durch Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK geschützt sah der Menschenrechtsgerichtshof zudem Grundrechtsträger an, deren Genehmigung zur Ausübung eines Berufes oder eines Gewerbes zurückgenommen wurde und deren wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeit damit endete.64 tar, S. 349 mit Verweis auf EuGHMR v. 27.09.2001, Case Lenz/Deutschland (Application nr. 40862/98). 61 Die nachfolgenden Urteilspassagen des EGMR wurden vom Verfasser aus dem Englischen übersetzt. Case of Stretch, No. 32, 35: „The Court recalls that, according to the established case-law of the Convention organs, „possessions“ can be „existing possessions“ or assets, including claims, in respect of which the applicant can argue that he has at least a „legitimate expectation“ of obtaining effective enjoyment of a property right. (. . .) The Court considers, in the circumstances of this case, that the applicant must be regarded as having at least a legitimate expectation of exercising the option to renew [the lease] and this may be regarded, for the purpose of Article 1 of Protocol No. 1, as attached to the property rights granted to him by Dorchester under the lease.“ 62 EuGHMR v. 20.04.1999, Case of Hörner Bank GmbH/Germany (Application nr. 33099/96); EuGHMR v. 9.11.1999, Case of Döring/Germany (Application nr. 37595/ 97); EuGHMR v. 25.5.1999, Case of Olbertz/Germany (Application nr. 37592/97); C. Grabenwarter, EMRK, S. 402. 63 Case of Hörner (Auszug aus Seite 4): „The Court considers that the right relied upon by the applicant company may be likened to the right of property embodied in Article 1 of Protocol No. 1: through its activity carried on for almost 150 years in the spheres of tracing heirs and winding up estates, the applicant company had built up a client base; this had in many respects the nature of a private right and constituted an asset and, hence, a possession within the meaning of the first sentence of Article 1.“ 64 EuGHMR v. 26.06.1986, Case van Marle and Others/The Netherlands, (Application no. 8543/79, 8674/79, 8675/79, 8685/79); EuGHMR v. 07.07.1989, Case of Tre

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C. Unternehmerische Freiheit Urteil Iatridis, Rdn. 54–55:65 „Der Gerichtshof stellt fest, dass der Begriff von Eigentumsrechten in Artikel 1 des 1. Zusatzprotokolls eine eigenständige Bedeutung hat, die gewiss nicht beschränkt ist auf Eigentum an körperlichen Sachen. Gewisse andere Rechte und Rechtsinteressen an Vermögensgegenständen können ebenso als eigentumsähnliche Rechte angesehen werden und als solche dem Gesetzeszweck dieser Vorschrift unterliegen. (. . .) Der Gerichtshof weist darauf hin, dass der Antragsteller, der eine spezielle Genehmigung hatte, das von ihm gemietete Kino zu betreiben, vom Stadtrat der Stadt Ilioupolis daran gehindert wurde. Er hat sein Geschäft nicht örtlich verlegen können. Der Gerichtshof verweist ebenfalls darauf, dass trotz einer gerichtlichen Entscheidung, welche diese Anordnung aufgehoben hat, Herr Iatridis den Besitz an dem Kino nicht zurückerlangen konnte, weil der Finanzminister es ablehnte, die Abtretung an die Stadt zu widerrufen. Unter diesen Umständen hat es einen Eingriff in eigentumsähnliche Rechte des Antragstellers gegeben. Weil er nur ein Mietrecht innehatte, sein Geschäft zu betreiben, erreicht diese obrigkeitliche Beeinträchtigung nicht das Ausmaß einer Enteignung oder einer ungerechtfertigten Nutzung. Dennoch ist diese Art der Beschränkung der Geschäftstätigkeit am ersten Satz von Absatz 1 des Artikel 1 zu messen.“

Hier wurden vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dem gesamtwirtschaftlichen Interesse des Grundrechtsträgers Eigentumscharakter („possession“) zugesprochen.66 Auch das selbst aufgebaute Unternehmen mit eigens erschlossenem Kundenstamm wird vom Gerichtshof als geschützter Vermögenswert eingestuft.67 Urteil van Marle, Rdn. 41:68 „Der Gerichtshof ist zusammen mit der Kommission der Ansicht, dass das geltend gemachte Recht der Antragsteller dem Eigentumsrecht Traktörer Aktiebolag/Sweden, (Application nr. 51728/99); EuGHMR v. 25.03.1999, Case of IATRIDIS/Greece (Application no. 31107/96). 65 Case of Iatridis, No. 54–55: „The Court reiterates that the concept of „possessions“ in Article 1 of Protocol No. 1 has an autonomous meaning which is certainly not limited to ownership of physical goods: certain other rights and interests constituting assets can also be regarded as „property rights“, and thus as „possessions“ for the purposes of this provision. (. . .) According to the Court’s case-law, Article 1 of Protocol No. 1, which in substance guarantees the right of property, comprises three distinct rules: (. . .) The Court notes that the applicant, who had a specific licence to operate the cinema he had rented, was evicted from it by Ilioupolis Town Council and has not set up his business elsewhere. It also notes that, despite a judicial decision quashing the eviction order, Mr Iatridis cannot regain possession of the cinema because the Minister of Finance refuses to revoke the assignment of it to the Council. In those circumstances, there has been interference with the applicant’s property rights. Since he holds only a lease of his business premises, this interference neither amounts to an expropriation nor is an instance of controlling the use of property but comes under the first sentence of the first paragraph of Article 1.“ 66 O. Müller-Michaels, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 67; H.-J. Cremer, in: Grothe/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, 2006, Kap. 22, Rdn. 46. 67 EuGHMR v. 26.06.1986, Case van Marle and Others/The Netherlands, (Application no. 8543/79, 8674/79, 8675/79, 8685/79). 68 Case van Marle, No. 41: „The Court agrees with the Commission that the right relied upon by the applicants may be likened to the right of property embodied in Ar-

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gleichgesetzt werden kann, wie es sich aus Artikel 1 (P1-1) ableiten lässt: Durch eigene Anstrengung haben sich die Antragsteller einen Kundenstamm aufgebaut. Dieser hat in vielerlei Hinsicht die Qualität einer eigentumsgleichen Vermögensposition im Sinne des ersten Satzes von Artikel 1 (P1-1). Die Vorschrift war somit im vorliegende Fall anwendbar.“

Mittlerweile geht der Gerichtshof so weit, dass über den Schutz der Existenz eines Unternehmens als Vermögenswert schon die wirtschaftliche Betätigung („overall economic activities“) des Grundrechtsträgers geschützt ist, einschließlich seiner wirtschaftlichen Ressourcen und seinem daraus erwirtschafteten Ertrag.69 Urteil Dogan, Rdn. 139:70 „Die sich aus diesem Zusammenhang ergebende Rechtsfrage ist, ob die umfassenden wirtschaftlichen Aktivitäten der Antragsteller Eigentumsqualität erreichten, wie sie sich aus dem Schutzbereich des Artikels 1 des 1. Zusatzprotokolls ergeben. In diesem Zusammenhang bemerkt der Gerichtshof, dass die Antragsteller unbestritten bis zum Jahr 1994 im Dorf Boydas lebten. Obwohl sie nicht über eingetragenes Grundeigentum verfügten, lebten sie entweder in selbst errichteten Häusern auf dem Land ihrer Familien, oder sie lebten in Häusern, die ihren Vorfahren gehörten und bearbeiteten das dazugehörige Land. Der Gerichtshof stellt weiterhin fest, dass den Antragstellern unwidersprochene Nutzungsrechte an diesem Gemeindeland zustanden, wie Weiderechte, Viehzucht und Holzeinschlag, wodurch sie ihren Lebensunterhalt finanzierten. Entsprechend sind nach der Ansicht des Gerichtshofs alle diese wirtschaftlichen Betriebsmittel und die damit fortlaufend erzielten Erträge, die die Antragsteller hieraus zogen, als „Eigentum“ im Sinne von Artikel 1 einzustufen.“

ticle 1 (P1-1): by dint of their own work, the applicants had built up a clientèle; this had in many respects the nature of a private right and constituted an asset and, hence, a possession within the meaning of the first sentence of Article 1 (P1-1). This provision was accordingly applicable in the present case.“ 69 EuGHMR v. 10.11.2004, Case of Dogan and Others/Turkey (Application no. 8803–8811/02, 8813/02 and 8815–8819/02); H.-J. Cremer, in: Grothe/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, 2006, Kap. 22, Rdn. 48; für Deutschland vgl. hierzu K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 1, III., sowie § 1, IV., 2.; ders., Fallstudie Glykol-Skandal, S. 200–201; ders., Fallstudie FCKW-Verbot, S. 345–346. 70 Case of Dogan, No. 139: „The question which arises under this head is whether the overall economic activities carried out by the applicants constituted „possessions“ coming within the scope of the protection afforded by Article 1 of Protocol No. 1. In this regard, the Court notes that it is undisputed that the applicants all lived in Boydas¸ village until 1994. Although they did not have registered property, they either had their own houses constructed on the lands of their ascendants or lived in the houses owned by their fathers and cultivated the land belonging to the latter. The Court further notes that the applicants had unchallenged rights over the common lands in the village, such as the pasture, grazing and the forest land, and that they earned their living from stockbreeding and tree-felling. Accordingly, in the Court’s opinion, all these economic resources and the revenue that the applicants derived from them may qualify as „possessions“ for the purposes of Article 1.“

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C. Unternehmerische Freiheit

Diese Ausweitung des Vermögensbegriffs durch den Gerichtshof hat im Ergebnis dazu geführt, dass die nicht kodifizierte berufliche und wirtschaftliche Betätigung einen beschränkten Schutz unter Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls der Menschenrechtskonvention findet.71 Ein Grund hierfür mag wohl darin liegen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf diese Weise – trotz begrenztem Grundrechtskatalog – auch im Bereich der Wirtschaft einen wenn auch lückenhaften Grundrechtsschutz gewähren möchte.72 b) Die unternehmerische Freiheit in den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union Wie bereits ausgeführt, spielen bei der Entwicklung der Gemeinschaftsgrundrechte durch den Gerichtshof die nationalen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten eine zentrale Rolle, weil diese die Grundlage für den wertenden Rechtsvergleich bilden.73 Die Gemeinschaftsgrundrechte haben zwar jeweils einen eigenständigen Gehalt, jedoch ist dieser von den ursprünglichen Werten der Mitgliedstaaten geprägt.74 Somit bietet sich zur näheren Materialisierung der unternehmerischen Freiheit auf europäischer Ebene ein Vergleich der entsprechenden mitgliedstaatlichen Verfassungsverbürgungen an.75 Weil die Verfassungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen ausreichenden Verwandtschaftsgrad haben und grundsätzliche Elemente wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie der Schutz der Grundrechte weitgehend garantiert sind, kann ein solcher Vergleich gut durchgeführt werden.76 Für eine erschöpfende Darstellung wären alle 27 Grundrechtsstandards in Europa auswerten und das bezüglich der jeweiligen Verfassungstexte, der in der Fachliteratur vertretenen Grundrechtslehren sowie der jeweiligen nationalen Grundrechtsrechtsprechung.77 Hierbei müssten unterschiedliche Definitionen für gleiche Begriffe und die Eigenheiten der jeweiligen 71 H.-J. Cremer, in: Grothe/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, 2006, Kap. 22, Rdn. 48; O. Müller-Michaels, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 67; A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 65; J. Kühling, Grundrechte, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 591. 72 B. Wegener, Wirtschaftsgrundrechte, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte, § 5 Rdn. 12. 73 B., V., 2.: Die Entwicklung der Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze. 74 C. Callies, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 6 EUV, Rdn. 6. 75 M. Notthoff, Grundrechte in der EG, RIW 1995, S. 542; M. Ruffert, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, § 16, S. 447, Rdn. 5; W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S.786 (Rdn. 2654–2657). 76 R. Stadler, Berufsfreiheit, S. 213. 77 M. Strunz, Strukturen des Grundrechtsschutzes, S. 91; P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 331; Arbeitsdokument der Generaldirektion Wissenschaft des Europäischen Parlaments vom 21.02.2000, Charte 4133/00 – CONTRIB 28, S. 14.

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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nationalen Rechtssprache beachtet werden.78 Der dafür notwendige Aufwand ist aber allenfalls innerhalb internationaler Großprojekte und nicht durch einen Einzelnen zu leisten79 und spiegelt auch nicht die tatsächliche Rechtsprechungspraxis des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften wider. In seinen Urteilen hat der Gerichtshof lediglich bei seiner erstmaligen Grundrechtsentwicklung kurze Absätze zu ausgewählten Verfassungen und deren inhaltliche Grundrechtsverbürgung aufgenommen. In Folgeurteilen hat er sich dann zur Herleitung des gefundenen Grundrechts regelmäßig nur noch auf seine frühere Grundrechtsrechtsprechung berufen, ohne sich zur Herleitung und Bekräftigung der Grundrechte erneut zu äußern.80 Dies verschaffte ihm einen größeren Spielraum für zukünftige Rechtsentwicklungen, weil dogmatische Fragen weitgehend offen gelassen wurden.81 Inwieweit beispielsweise Verfassungstraditionen von zwischenzeitlich neu hinzugekommenen Mitgliedstaaten berücksichtigt wurden, lässt sich den Urteilen nicht entnehmen. Es ist aber anzunehmen, dass auch die Verfassungstraditionen neuerer Mitgliedstaaten gerade bei einer Rechtsfortbildung oder Weiterentwicklung eines Grundrechts Beachtung finden.82 Wenn die Grundrechtecharta Rechtsverbindlichkeit erlangt haben wird, wird in den Urteilen des Gerichtshofs nur noch ein Verweis auf den einschlägigen Artikel der Grundrechtecharta zu erwarten sein. Dennoch werden auch dann die Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten als wesentliche Auslegungshilfe in den Verfahren vor dem Gerichtshof ihre Bedeutung nicht verlieren.83 Entsprechend dem modellhaften Vorgehen als Variante der wertenden Rechtsvergleichung84 und somit nahe an der Realität der Urteilsfindung des Gerichtshofs, in der Richter mit verschiedenen Verfassungshintergründen an einer Ent-

78 P. Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 498 (Fn. 194); I. Burr, Sprache und Recht, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechtecharta im wertenden Verfassungsvergleich, S. 65. 79 P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 331 und 341. 80 P. Quasdorf, Dogmatik der Grundrechte, S. 135. 81 M. Strunz, Strukturen des Grundrechtsschutzes, S. 92. 82 R. Stadler, Berufsfreiheit, S. 218; M. Strunz, Strukturen des Grundrechtsschutzes, S. 91. 83 M. Strunz, Strukturen des Grundrechtsschutzes, S. 102 und 105; die „Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten“ werden in der Grundrechtecharta explizit in der Präambel, Absatz 5 erwähnt. Zudem wird in zahlreichen Grundrechten explizit auf die nationalen Rechtsvorschriften verwiesen (vgl. Art. 16, 27, 28, 30, 34, 35, 36 GRCh) und die Schrankenregelung in Art. 52 Abs. 6 lautet wie folgt: „Den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ist, wie es in dieser Charta bestimmt ist, in vollem Umfang Rechnung zu tragen.“ 84 P. Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 495.

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C. Unternehmerische Freiheit

scheidung arbeiten, werden nachfolgend neun Mitgliedstaaten hinsichtlich der forensischen Gewährleistung der unternehmerischen Freiheit untersucht. Nachdem in den Arbeiten von Stadler, Günter, Wunderlich und Borrmann die Berufsfreiheit und dabei auch Aspekte der unternehmerischen Freiheit insbesondere in den westlichen (Gründungs)-Mitgliedstaaten beleuchtet wurden,85 werden in dieser Arbeit nicht nur die Grundrechtsgewährleistungen hinsichtlich der unternehmerischen Freiheit in Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien dargestellt, sondern auch in fünf jüngeren Mitgliedsländern86 der Europäischen Union. Obwohl die durch das „große postsozialistische Verfassungsreformprojekt“87 entstandenen neuen Verfassungen keine jahrzehntelange Grundrechtsentwicklung wie die meisten westlichen Staaten aufbieten können, ist ihr Einfluss schon alleine durch die Mitwirkung osteuropäischer Richter am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nicht zu vernachlässigen.88 Die neun ausführlicheren Darstellungen werden durch eine Vorschriftensammlung nationaler Grundrechtsverbürgungen zum Schutz der unternehmerischen Freiheit in den Mitgliedstaaten ergänzt.89 Gesucht wird dabei nach der „Freiheit der Ausübung einer Wirtschafts- und Geschäftstätigkeit“, der „Vertragsfreiheit“ sowie der „Freiheit des Wettbewerbs“ – jene Elemente der unternehmerischen Freiheit, die auch in den Erläuterungen des Grundrechtekonvents aufgeführt sind.90 Auch wenn solch ein reiner Textvergleich der nationalen Grundrechte keine Informationen über die praktische Materialisierung durch den Gesetzgeber oder die Ausgestaltung durch die Gerichte liefern kann,91 wird aus der dargestellten Rezeption des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit in den nationalen Verfassungen zumindest hervorgehen, ob der vom Gerichtshof entwickelte euro85 R. Stadler, Berufsfreiheit, 1980, S. 220–334: Belgien, Deutschland, Dänemark, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Großbritannien, Griechenland, Spanien, Portugal; J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, 1998, S. 50–202: Großbritannien, Irland, Frankreich, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Deutschland, Österreich, Italien, Portugal, Spanien, Griechenland, Dänemark, Finnland, Schweden; N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, 2000, S. 25–54: Deutschland, Großbritannien, Frankreich; A. Borrmann, Der Schutz der Berufsfreiheit, 2002, S. 109–117: Dänemark, Schweden, Finnland, Irland, Belgien, Niederlande, Frankreich, Italien, Griechenland, Spanien, Portugal, Österreich, Luxemburg. 86 Ungarn, Estland, Litauen, Polen (Beitritt am 1. Mai 2004) sowie Bulgarien (Beitritt am 1. Januar 2007). 87 H. Roggemann, Die Verfassungen Mittel- und Osteuropas, S. 98. 88 P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 348. 89 Eine Sammlung von europäischen nationalen Verfassungen findet sich zum einen in der Beckschen Textsammlung „Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten“ von Adolf und Christiane Kimmel (6. Auflage, 2005) sowie im Internet unter folgender Adresse: http://www.verfassungsvergleich.de (geprüft am 11.07.2009). 90 Dok. CHARTE 4473/00 vom 11.10.2000, S. 18 (in einer konsolidierten Fassung am 14. Dezember 2007 im Amtsblatt veröffentlicht, C 303/23). 91 P. Häberle, Grundrechtsgeltung und Grundrechtsinterpretation im Verfassungsstaat, JZ 1989, S. 913 f.

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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päische Rechtsgehalt sich auch im geschriebenen gesamtnationalstaatlichen Grundrechtsgedankengut wiederfindet. Aus den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten allgemeine, von einem breiten Konsens getragene Rechtsgedanken zu gewinnen und entsprechend den spezifischen Anforderungen des Gemeinschaftsrechts zu entfalten, entspricht in dem Sinne dem tatsächlichen Vorgehen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften.92 Wie breit der Konsens hinsichtlich des Rechtsgedankens dabei sein muss, lässt sich aus den Urteilsbegründungen des Gerichtshofs nicht ermitteln. So reichte es zur Anerkennung eines Grundrechts scheinbar aus, dass ein Grundrecht im heimischen Verfassungsrecht des vorlegenden nationalen Gerichts einen besonderen Stellenwert innehatte.93 Teilweise wurde in Urteilen zur Anerkennung eines Grundrechts nur auf drei Verfassungsordnungen insgesamt abgestellt.94 Für einen schematischen Überblick spricht gerade, dass der Gerichtshof in seiner Grundrechtsrechtsprechung die Formulierung von bloßen „Hinweisen“ aus den Verfassungstraditionen verwendet.95 Eine (lückenhafte) Übersicht findet sich auch zu den Erläuterungen des Art. 16 der Grundrechtecharta auf der Internetseite des Europäischen Parlaments.96 Bei dieser Darstellung darf aber nicht vergessen werden, dass es auch Mitgliedstaaten gibt, die trotz fehlender Verbürgung der unternehmerischen Freiheit im Grundrechtstext durch höchstrichterliche Rechtsprechung über einen sehr ausgefeilten Grundrechtsschutz der unternehmerischen Freiheit verfügen.97 Die Aufgabe der Untersuchung in den Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, Estland, Litauen, Ungarn, Polen und Bulgarien ist es, die wesentlichen Grundrechtsverbürgungen hinsichtlich der unternehmerischen Freiheit auf den jeweiligen nationalen Ebenen herauszuarbeiten. Hierbei wird auf die möglichen gesetzlichen Grundlagen und verfassungsrechtlichen Verankerungen der unternehmerischen Freiheit eingegangen. Darüber hinaus wird auch die Verfassungswirklichkeit untersucht, indem zumindest die geltende Gerichtspraxis der jeweiligen Judikative dargestellt wird.

92 C. Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 51, Rdn. 67. 93 EuGH v. 14.05.1974 – Rs. 4/73 (J. Nold, Kohlen- und Baustoffgroßhandlung/ Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1974, S. 491 (Rdn. 12). 94 EuGH v. 13.12.1979 – Rs. 44/79 (Liselotte Hauer/Land Rheinland-Pfalz), Slg. 1979, S. 3727 (Rdn. 20): Deutschland, Italien, und Irland. 95 H. D. Jarass, EU-Grundrechte, § 2 Rdn. 11; EuGH v. 28.03.2000, RS 7/98 (Dieter Krombach/André Bamberski), Slg. 2000, S. I-1935 (Rdn. 25). 96 http://www.europarl.europa.eu/comparl/libe/elsj /charter/art16/default_en.htm (geprüft am 11.07.2009). 97 Hier ist beispielsweise Deutschland anzuführen, wo sich der grundrechtliche Schutz der unternehmerischen Freiheit erst durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Art. 12, 14 GG und insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG ergibt.

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C. Unternehmerische Freiheit

(1) Die unternehmerische Freiheit in Deutschland In Deutschland gibt es durch die ständig weiterentwickelte Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof sowie der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu verschiedenen Grundrechten eine differenzierte Schutzwirkung der unternehmerischen Freiheit.98 Drei Artikel des Grundgesetzes99 sind hervorzuheben: Art. 2 GG Abs. 1: Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Art. 12 Abs. 1 GG Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 GG Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

Dass mit Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG insgesamt drei Grundrechte als Freiheitsverbürgungen wirtschaftlichen Handelns aufgelistet sind, ist auf die Bandbreite unterschiedlicher Ansichten in Rechtsprechung und Literatur zur Abgrenzung der einschlägigen Grundrechte zum Schutz der Teilaspekte der unternehmerischen Freiheit zurückzuführen. Nachfolgend werden die Ansätze des Bundesverfassungsgerichts, wie die Aspekte der unternehmerischen Freiheit den einzelnen Grundrechten zuzuordnen sind, dargestellt. Dabei wird auch ein Blick auf die abweichende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nebst der kommentierenden Literatur geworfen. Die Diskrepanz zwischen gewählter und möglicher Tiefe der Untersuchung spiegelt dabei die bereits erwähnte Schwierigkeit wider, dass es sich um die Betrachtung nur einer der 27 nationalen Rechtserkenntnisquellen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften handelt.

98 Weder eine Kodifizierung unternehmerischer Freiheit noch der Gewerbefreiheit findet sich in den Grundrechten des Grundgesetzes. In der Weimarer Reichsverfassung von 1919 waren noch folgende unternehmerischen Freiheitsrechte zu finden: „Art. 111 WRV: Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Reiche. Jeder hat das Recht, sich am beliebigen Orte aufzuhalten und niederzulassen, Grundstücke zu erwerben und jeden Nahrungszweig zu betreiben. Einschränkungen bedürfen eines Reichsgesetzes.“ sowie „Art. 151 Abs. 3 WRV: Die Freiheit des Handels und des Gewerbes wird nach Maßgabe der Reichsgesetze gewährleistet.“ 99 Grundgesetz vom 23.05.1949, abgedruckt in Bundesgesetzblatt 1949, Band I, S. 1 f. (zuletzt geändert am 29.7.2009).

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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(a) Bundesverfassungsgericht Ein zentrales Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur unternehmerischen Freiheit stammt aus dem Jahre 1979.100 In diesem Urteil bestätigte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit des Mitbestimmungsgesetzes und wies die Verfassungsbeschwerden zahlreicher Arbeitgeberverbände und Aktiengesellschaften als unbegründet zurück. Diese hatten unter anderem eine Verletzung ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit durch die erweiterte Unternehmensmitbestimmung der Arbeitnehmer geltend gemacht. Das Bundesverfassungsgericht prüfte hierauf eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG und führte hierzu wie folgt aus:101 „(. . .) Art. 12 Abs. 1 GG schützt die Freiheit des Bürgers in einem für die moderne arbeitsteilige Gesellschaft besonders wichtigen Bereich: Er gewährleistet dem Einzelnen das Recht, jede Arbeit, für die er sich geeignet glaubt, als „Beruf“ zu ergreifen, d.h. zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen. In dieser Deutung reicht Art. 12 Abs. 1 GG weiter als die – von ihm freilich umfasste – Gewerbefreiheit. Darüber hinaus unterscheidet er sich jedoch von ihr durch seinen personalen Grundzug: Der „Beruf“ wird in seiner Beziehung zur Persönlichkeit des Menschen im ganzen verstanden, die sich erst darin voll ausformt und vollendet, dass der Einzelne sich einer Tätigkeit widmet, die für ihn Lebensaufgabe und Lebensgrundlage ist und durch die er zugleich seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung erbringt. (. . .) Dieser individualrechtlich-personale Ansatz könnte es zweifelhaft erscheinen lassen, ob der Schutz des Grundrechts „seinem Wesen nach“ auch juristischen Personen zukommen kann (Art. 19 Abs. 3 GG). Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage jedoch in ständiger Rechtsprechung bejaht: Schutzgut des Art. 12 Abs. 1 GG ist bei juristischen Personen die Freiheit, eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit, insbesondere ein Gewerbe, zu betreiben, soweit diese Tätigkeit ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise von einer juristischen wie von einer natürlichen Person ausgeübt werden kann. (. . .) Sofern es sich um Tätigkeiten handelt, die den dargelegten Voraussetzungen eines „Berufs“ entsprechen, ist grundsätzlich auch die „Unternehmerfreiheit“ im Sinne freier Gründung und Führung von Unternehmen durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass das Grundrecht insoweit sehr verschiedene wirtschaftliche Sachverhalte erfasst. Wahrnehmung von Unternehmerfreiheit ist sowohl die Gründung und Führung eines Kleinbetriebes oder Mittelbetriebes als auch die Tätigkeit eines Großunternehmens. (. . .)“

Neben der hier behandelten Unternehmerfreiheit102 als besonderer Ausgestaltung der Berufsfreiheit,103 die nach Auffassung des Gerichts das Recht der freien 100

BVerfGE 50, 290 (Mitbestimmung). BVerfGE 50, 290 (362, Rdn. 194–195). 102 Die Unternehmerfreiheit bezieht sich auf die speziellen Freiheiten der natürlichen Person, die Unternehmensfreiheit hingegen schützt die juristische Person im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG. 103 Eine abweichende Meinung hierzu, die unter anderem darauf abstellt, dass die Gewerbefreiheit nach dem Willen des Verfassungsgebers gerade nicht von Art. 12 101

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C. Unternehmerische Freiheit

Gründung und Führung von Unternehmen gewährleistet, werden in weiteren Urteilen des Bundesverfassungsgerichts noch andere unternehmerische Aspekte unter Art. 12 Abs. 1 GG subsumiert.104 Hierzu zählen beispielsweise die Werbungsfreiheit105, die Investitionsfreiheit106, die Dispositionsfreiheit107 und die ProdukAbs. 1 GG geschützt werden soll und zudem nur ein Mensch einen Beruf im Sinne einer Profession als das Erlernte und Gekonnte haben kann (K. A. Schachtschneider, Fallstudie FCKW-Verbot (S. 336–339) sowie Fallstudie Konkurrentenklage (S. 460)), konnte sich gegen die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung (bisher) nicht durchsetzen. Nach dieser Auffassung wird die unternehmerische Freiheit ausreichend über die Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG und (subsidiär) über die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Schließlich umfasst die Eigentumsgewährleistung aus Art. 14 Abs. 1 GG ausweislich Abs. 2 Satz 2 GG auch den Gebrauch des Eigentums und damit die Privatnützigkeit (K. A. Schachtschneider, Fallstudie Glykol-Skandal, S. 200–201). Da ein Unternehmen in seiner Gesamtheit eine eigentumsrechtliche Position im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG darstellt, wird auch der Gebrauch des Unternehmens und somit die unternehmerische Betätigung vom grundrechtlichen Eigentumsschutz umfasst (K. A. Schachtschneider, Fallstudie FCKW-Verbot, S. 345–346; ders., Fallstudie Konkurrentenklage, S. 468–469). 104 Ausführlich hierzu R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 2006, Art. 12, Rdn. 131–133 sowie G. Manssen, in: Mangold/Klein/Starck, Grundgesetz, 5. Auflage, 2005, Art. 12, Rdn. 68. 105 BVerfGE 85, 97 (104: „Zur Berufsfreiheit, die durch Art. 12 Abs. 1 GG grundrechtlich gewährleistet ist, gehört die Möglichkeit des Bürgers, für seine beruflichen Leistungen zu werben. Die berufliche Werbung wird daher vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG umfasst. Dies gilt nach Art. 19 Abs. 3 GG auch für juristische Personen, die sich beruflich betätigen. Danach machen Lohnsteuervereine von ihrer Berufsfreiheit Gebrauch, wenn sie auf ihr spezielles Dienstleistungsangebot hinweisen.“); BVerfGE 95, 173 (181: „Die Verpflichtung zu Warnhinweisen betrifft Produzenten und Händler von Tabakerzeugnissen (. . .). Die Beschwerdeführerinnen können sich als juristische Personen des Privatrechts auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen. Ihre berufliche Außendarstellung einschließlich der Werbung für ihre Produkte fällt in den Bereich der berufsbezogenen Tätigkeiten, die Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG schützt. Staatliche Maßnahmen, die den Berufstätigen dabei beschränken, sind Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung.“); BVerfGE 106, 181 (192: „Zu den durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten berufsbezogenen Handlungen gehört die berufliche Außendarstellung der Grundrechtsträger, mit der den Nachfragern die erforderlichen Informationen für die Inanspruchnahme der Dienste vermittelt werden. An Art. 12 Abs. 1 GG zu messen ist daher das Verbot, erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten, die in rechtmäßig erlangten Titeln und Berufsbezeichnungen ihren Niederschlag gefunden haben, im Berufsleben zu benutzen. Solche Verbote stellen einen empfindlichen Eingriff dar, weil das Verschweigen von Kompetenz im selbständig ausgeübten Beruf dazu führt, dass die Leistungen nicht konkret angeboten werden können und von den Patienten nicht nachgefragt werden können.“); BVerfGE 105, 252 (265, Rdn. 42–43: „In den Schutz der Berufsausübungsfreiheit ist nämlich die auf die Förderung des berufliche Erfolgs eines Unternehmens gerichtete Außendarstellung einschließlich der Werbung für das Unternehmen oder für dessen Produkte eingeschlossen. Die Grundrechtsnorm verbürgt jedoch kein ausschließliches Recht auf eigene Außendarstellung und damit auf eine uneingeschränkte unternehmerische Selbstdarstellung am Markt. Zwar darf ein Unternehmen selbst darüber entscheiden, wie es sich und seine Produkte im Wettbewerb präsentieren möchte. Art. 12 Abs. 1 GG vermittelt aber nicht ein Recht des Unternehmens, nur so von anderen dargestellt zu werden, wie es gesehen werden möchte oder wie es sich und seine Produkte selber sieht.“).

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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tionsfreiheit,108 die Wachstums- und Niederlassungsfreiheit109, die Vertriebsfreiheit110 und die Freiheit zur Teilhabe am Wettbewerb111 nach Maßgabe seiner 106

B. Gerlitz, Umwelthaftung und Unternehmensfreiheit, S. 200. BVerfGE 50, 290 (363, Rdn. 196: „Die angegriffenen Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes führen zu einer Einschränkung der Berufsfreiheit der die Unternehmen tragenden Gesellschaften: Deren Vertretungsorgane werden durch die neue Zusammensetzung des Aufsichtsrats in der Freiheit ihrer Planung und Entscheidung eingeengt, weil sie im Umfang ihrer Abhängigkeit vom Aufsichtsrat an die Mitwirkung der nicht von den Anteilseignern der Gesellschaften gewählten Mitglieder dieses Organs gebunden sind.“). 108 BVerfGE 9, 83 (87 f.: „Ist das Herstellungsverbot [neuer Arzneimittel] mit rechtsstaatlichen Prinzipien unvereinbar, so verstößt es aus diesem Grunde gegen objektives Verfassungsrecht. Da es in die Freiheit der beruflichen Betätigungsfreiheit des Beschwerdeführers eingreift, entsteht darüber hinaus die Frage seiner Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG. (. . .) Die angefochtenen Urteile sind wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs.1 GG aufzuheben. Die Nichtigkeit der Verordnung über die Herstellung von Arzneifertigwaren (. . .) ist auszusprechen.“); BVerfGE 41, 360 (370: „Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Das Nachtbackverbot ist, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 23. Januar 1968 ausgeführt hat, eine Berufsausübungsregelung. Diese enthält auch nach den differenzierten Regelungen durch das Gesetz zur Änderungen des Gesetzes über die Arbeitszeiten in Bäckereien und Konditoreien noch einen erheblichen Eingriff in die Freiheit der beruflichen Betätigung und in die wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten der Unternehmen der Großbäckereien und der Brot- und Backwarenindustrie.“). 109 BVerfGE 25, 1 (1 f.: „Das im Mühlengesetz enthaltene Errichtungs- und Erweiterungsverbot ist jedenfalls bis zum vollständigen Abbau der überschüssigen Vermahlungskapazitäten mit dem Grundrecht der freien Berufswahl und Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) vereinbar. (. . .) Der Gesetzgeber hat sich (. . .) das Ziel gesetzt, den Kapazitätsüberhang innerhalb der Bundesrepublik planmäßig und möglichst rasch auf das volkswirtschaftliche vertretbare Maß zurückzuführen (. . .). Das Mühlengesetz ist somit als ein wirtschaftslenkendes Maßnahmegesetz anzusehen. (. . .) Diese Vorschriften greifen allerdings in das Grundrecht der freien Berufsausübung ein. (. . .) Dementsprechend wird die wirtschaftliche Aktivität der einzelnen Unternehmen bis zur Erreichung dieses Zieles gewissen, jeweils dem Stand des Sanierungsprozesses angepassten Einschränkungen unterworfen.“); BVerfGE 7, 377 (407 f., 404: „[Die beschränkte Niederlassungsfreiheit für Apotheker gem.] Art. 3 Abs. 1 ApothekenG ist, wie dargelegt, verfassungswidrig. Die auf dieser Bestimmung beruhenden Bescheide der Regierung von Ostbayern verletzten daher das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG und sind aufzuheben.“). 110 BVerfGE 30, 336 (350 f.) – Versandhandel; BVerfGE 34, 71 (78) – Einzelhandel; BVerfGE 36, 47 (62 f.) – Tierversand. 111 BVerfGE 24, 236 (251: „Ein subjektives verfassungskräftiges Recht eines Geschäftsmannes auf die Erhaltung des Geschäftsumfanges und die Sicherung weiterer Erwerbsmöglichkeiten besteht in der freien Wettbewerbswirtschaft nicht.“); BVerfGE 32, 311 (317: „Die bestehende Wirtschaftsverfassung enthält den grundsätzlich freien Wettbewerb der als Anbieter und Nachfrager auf dem Markt auftretenden Unternehmer als eines ihrer Grundprinzipien. Das Verhalten der Unternehmer in diesem Wettbewerb ist Bestandteil ihrer Berufsausübung, die, soweit sie sich in erlaubten Formen bewegt, durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt ist. Wenn das Gesetz unlauteren Wettbewerb untersagt, hält es sich im Rahmen der nach Art. 12 Abs. 1 GG zulässigen Beschränkung der freien Berufsausübung.“); BVerfGE 46, 120 (137, Rdn. 45: „Im Rahmen der bestehenden Wirtschaftsordnung ist das Verhalten der Unternehmer im Wettbewerb Bestandteil 107

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C. Unternehmerische Freiheit

Funktionsbedingungen112. Auch die im zitierten Urteil113 erwähnte Organisationsfreiheit und somit das Recht der freien Wahl der Rechtsform des Unternehmens sowie der Möglichkeit der Abänderung werden durch das Bundesverfassungsgericht geschützt. In seinem Urteil Kurzberichterstattung114 aus dem Jahre 1998 hält das Bundesverfassungsgericht an seinem Standpunkt des weiten, nicht personal gebundenen Berufsbegriffs fest, und führt entsprechend aus: Rdn. 92: „Die in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit umfasst jede Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dient. Beruf ist danach nicht nur die aufgrund einer persönlichen „Berufung“ ausgewählten und aufgenommenen Tätigkeit, sondern jede auf Erwerb gerichtete Beschäftigung, die sich nicht in einem einmaligen Erwerbsakt erschöpft. Bei diesem weiten, nicht personal gebundenen Berufsbegriff ist das Grundrecht gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch auf juristische Personen anwendbar. (. . .)“

Damit schützt das Bundesverfassungsgericht mit der Berufsausübung eine unternehmerische Betätigung. Dies geschieht aber nicht, weil die Berufsausübung unternehmerisch ist, sondern weil das Unternehmen Berufsausübung ist.115 Es geht dem Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen zu Art. 12 Abs. 1 GG mit Bezug zur unternehmerischen Freiheit regelmäßig um die Freiheit der Berufsausübung als Unternehmer, nicht um den Schutz von Unternehmen als solchen.116 Ein Unternehmen kann Berufsausübung sein.117

ihrer Berufsausübung; soweit es rechtlich normiert wird, ist ihr Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG berührt.“). 112 BVerfGE 105, 252 (265: „Art. 12 Abs. 1 GG sichert in diesem Rahmen die Teilhabe am Wettbewerb nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen. Die grundrechtliche Gewährleistung umfasst dementsprechend nicht einen Schutz vor Einflüssen auf die wettbewerbsbestimmenden Faktoren. Insbesondere umfasst das Grundrecht keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb und auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten. Vielmehr unterliegen die Wettbewerbspositionen und damit auch der Umsatz und die Erträge dem Risiko laufender Veränderung je nach den Marktverhältnissen.“); vgl. hierzu K. A. Schachtschneider, Fallstudie Glykol-Skandal, S. 153–158. 113 BVerfGE 50, 290 – Mitbestimmung. 114 BVerfGE 97, 228 (253). 115 BVerfGE 50, 290 (362); BVerfGE 97, 228 (253 f.). 116 Eine aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur unternehmerischen Freiheit: Urteil vom 3.02.2009 (2 BvL 54/06) über die Nichtigkeit der Fondsabgabe zur Absatzförderung der deutschen Land- und Forstwirtschaft, Rdn. 105: „(. . .) Diese finanzielle Inanspruchnahme für die staatliche Aufgabenwahrnehmung, die durch hoheitliche Entscheidung an die Stelle des individuellen Handelns tritt, stellt sich aus der Sicht des Abgabepflichtigen nicht nur als eine rechtfertigungsbedürftige, zur Steuer hinzutretende Sonderbelastung, sondern auch als Verkürzung seiner durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten unternehmerischen Freiheit dar und bedarf auch insoweit besonderer Rechtfertigung. Für die nach dem Absatzfondsgesetz im Schwerpunkt entfalteten Werbemaßnahmen für Produkte der Land- und Ernährungswirtschaft tritt diese freiheitsbeschränkende Qualität der Abgabe besonders augenfällig in Erscheinung, denn

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Geschützt werden durch Art. 12 Abs. 1 GG alle Deutschen und – trotz seiner individualrechtlich-personalen Prägung118 – gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch alle inländischen juristischen Personen des Privatrechts, soweit die Erwerbstätigkeit ihrem Wesen und ihrer Art nach von einer juristischen wie von einer natürlichen Person ausgeübt werden kann.119 Dies soll nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts insbesondere für das Betreiben eines Gewerbes gelten.120 Eingriffe in die sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ergebenden Teilaspekte der unternehmerischen Freiheit sind nach der Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung im Rahmen der Schranke aus Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG möglich.121 Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu eine Stufenlehre entwickelt, die weiter spezifiziert, ausgebaut und sukzessive zu einer immer umfassenderen Verhältnismäßigkeitsprüfung entwickelt wurde.122 Auch das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf wirtschaftliche Zusammenhänge angewendet und schützt dabei insbesondere die wirtschaftliche Handlungs- und Betätigungsfreiheit sowie im speziellen die Vertragsfreiheit.123 die finanzielle Inanspruchnahme für solche Werbemaßnahmen kann auch als Schmälerung des eigenen unternehmerischen Werbeetats angesehen werden.“ 117 K. A. Schachtschneider, Fallstudie Glykol-Skandal, S. 120. 118 K. A. Schachtschneider, Fallstudie FCKW-Verbot, S. 336; ders., Fallstudie Konkurrentenklage, S. 460. 119 BVerfGE 50, 290 (Mitbestimmung); T. Mann, in: Sachs, Grundgesetz, 2007, Art. 12, Rdn. 22. 120 BVerfGE 97, 228 (253). 121 A. Borrmann, Der Schutz der Berufsfreiheit, S. 82; BVerfGE 84, 133 (148: „Obwohl Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich nur Regelungen der Berufsausübung, nicht auch der Berufs- und Arbeitsplatzwahl vorsieht, gilt für die Arbeitsplatzwahl nichts anderes als für die Berufswahl. Auch sie unterliegt gesetzliche Beschränkungen, die freilich dem hohen Rang der Wahlfreiheit, wie er in Art. 12 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommt, Rechnung tragen müssen. (. . .)“); BVerfGE 85, 360 (373: „Das Grundrecht [der Berufsfreiheit] entfaltet seinen Schutz gegen alle staatlichen Maßnahmen, die diese Wahlfreiheit beschränken. Ein Eingriff liegt vor allem dann vor, wenn der Staat den Einzelnen am Erwerb eines zur Verfügung stehenden Arbeitsplatzes hindert, ihn zur Annahme eines bestimmten Arbeitsplatzes zwingt oder die Aufgabe seines Arbeitsplatzes verlangt. Ein Anspruch auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes eigener Wahl oder eine Bestandsgarantie für den einmal gewählten Arbeitsplatz folgt aus der Gewährleistung der freien Wahl des Arbeitsplatzes nicht.“). 122 BVerfGE 7, 377 (405 ff.); N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 140; T. Mann, in: Sachs, Grundgesetz, 2007, Art. 12, Rdn. 109. 123 Ständige Rechtsprechung seit 1958, siehe beispielhaft für die Freiheit wirtschaftlichen Handelns BVerfGE 8, 274 (328); BVerfGE 10, 89 (99); BVerfGE 12, 341 (347); BVerfGE 29, 260 (266 f.); BVerfGE 32, 311 (316); BVerfGE 50, 290 (366); BVerfGE 65, 196 (210); BVerfGE 75, 108 (154); BVerfGE 89, 48 (61); BVerfGE 95, 267 (303); BVerfGE 98, 218 (258: „Auch Art. 2 Abs. 1 GG ist insoweit nicht berührt. Zwar genießt danach als Ausfluß der allgemeinen Handlungsfreiheit auch die wirtschaftliche Betätigung grundrechtlichen Schutz. Doch wird die wirtschaftliche Handlungsfreiheit nur

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C. Unternehmerische Freiheit BVerfGE 95, 267 (303–304): „(. . .) Art. 2 Abs. 1 GG schützt die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Sie umfasst neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch die allgemeine Handlungsfreiheit. Teil dieser umfassenden Garantie, die jede menschliche Betätigung einschließt, welche nicht den Schutz eines speziellen Grundrechts genießt, ist die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit und in ihrem Rahmen wiederum die Vertragsfreiheit (BVerfGE 8, 274 [328]; stRspr). Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet dem Einzelnen nicht nur das Recht, Verträge grundsätzlich so abzuschließen, wie er es wünscht. Vielmehr schützt er ihn auch davor, dass die öffentliche Gewalt bereits abgeschlossene Verträge nachträglich einer Änderung unterzieht.“

Dem Unternehmer wird dabei insbesondere ein angemessener und unantastbarer Spielraum zur Entfaltung seiner Unternehmerinitiative gewährt.124 Hierzu findet sich in dem oben bereits zitierten Urteil folgende Passage zu den Schranken:125 „Wie das Bundesverfassungsgericht mehrfach ausgesprochen hat, gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG die Handlungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet; ein angemessener Spielraum zur Entfaltung der Unternehmerinitiative ist unantastbar. Allerdings ist auch die Handlungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet nur in den Schranken des zweiten Halbsatzes des Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet, vor allem denen der „verfassungsmäßigen Ordnung“. Erweist sich eine beschränkende Rechtsnorm als deren Bestandteil, so hat sie vor dem Grundrecht Bestand.“

Grundrechtsberechtigte der Unternehmerfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG sind alle Menschen ohne Einschränkungen hinsichtlich ihrer Staatsangehörigkeit.126 Soweit die Rechte ihrem Inhalt nach auch auf juristische Personen anwendbar sind, schützen sie als Unternehmensfreiheit gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch inländische juristische Personen.127 Art. 2 Abs. 1 GG greift gemäß der ständigen Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung nach dem Grundsatz des Vorrangs des speziellen Gesetzes vor dem durch Maßnahmen betroffen, die auf Beschränkung wirtschaftlicher Entfaltung sowie Gestaltung, Ordnung oder auch Lenkung des Wirtschaftslebens angelegt sind oder sich in diesem Sinne auswirken. Davon kann hier nicht die Rede sein. Die Einführung der Rechtschreibreform im Schulunterricht lässt die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit der Unternehmen, auf deren wirtschaftliche Betätigung sie zurückwirkt, unberührt.“); ebenso: K. A. Schachtschneider, Fallstudie FCKW-Verbot, S. 352–353; ders., Freiheit in der Republik, S. 287 ff., S. 293 ff.; ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 353 ff.; ders., Res publica, res populi, S. 394 ff.; C. Starck, in: Mangold/Klein/Starck, Grundgesetz, 5. Auflage, 2005, Art. 2, Rdn. 145–146; abweichend hierzu R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 2006, Art. 12, Rdn. 123, 138, der die Notwendigkeit zum Rückgriff auf das Hauptfreiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG zum Schutz wirtschaftlicher Freiheiten ausschließt. 124 BVerfGE 65, 196 (218) – Versorgungsanspruch eines Arbeitnehmers gegen eine betriebliche Unterstützungskasse; BVerfGE 29, 260 (267); BVerfGE 73, 261 (270) – Sozialplan. 125 BVerfGE 50, 290 (366, Rdn. 201) – Mitbestimmung. 126 D. Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 2, Rdn. 39. 127 M. Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 19, Rdn. 70; BVerfGE 50, 290 (319).

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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allgemeinen Gesetz aber nur ein, wenn das spezielle Freiheitsrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG128 keinen Schutz gewährt.129 BVerfGE 70, 1 (32, Rdn. 100): „Soweit Art. 2 Abs. 1 GG die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit schützt, ist für eine Prüfung am Maßstab dieses Grundrechts kein Raum. Betrifft die beanstandete Regelung die Handlungsfreiheit im Bereich des Berufsrechts, die ihre spezielle Gewährleistung in Art. 12 Abs. 1 GG gefunden hat, dann scheidet Art. 2 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab aus.“

Das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit mit seinen unterschiedlichen Teilaspekten wird in der Grundrechtsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch Art. 12 Abs. 1 GG sowie ergänzend durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.130 Einschränkungen des Grundrechtsschutzes sind zwar grundsätzlich möglich, aber nur, soweit dies im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen Schranken erfolgt. (b) Bundesgerichtshof Die Freiheit unternehmerischer Betätigung ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.131 Abweichend zur bereits dargestellten verfassungsrechtlichen Praxis erfolgt der Schutz der Unternehmer dabei nicht primär auf Grund des Art. 12 Abs. 1 GG, sondern durch die Eigentumsgewährleistung aus Art. 14 Abs. 1 GG.132 Dies geschieht, indem (berechtigterweise) der Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs und damit das Recht am Un128 M. Hoffmann, Staatliche Wirtschaftsregulierung, BB 1995, S. 58, ist der Ansicht, dass der spezielle Artikel 12 Abs. 1 GG den Art. 2 Abs. 1 GG nicht vollständig verdrängt. Vielmehr kommt es zu einer Ergänzung, da Art. 2 Abs. 1 GG Aspekte der unternehmerischen Freiheit schützt, die von Art. 12 Abs. 1 GG nicht erfasst werden. 129 BVerfGE 9, 73 (77); BVerfGE 45, 354 (359); BVerfGE 70, 1 (32); BVerfGE 77, 84 (118); BVerfGE 87, 153 (169); BVerfGE 94, 372 (389); BVerfGE 95, 173 (188); BVerfGE 108, 1 (32); D. Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 2, Rdn. 10; K. A. Schachtschneider, Fallstudie FCKW-Verbot, S. 354; U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, 2006, Art. 2 (Rdn. 80). 130 BVerfGE 37, 1 (17: „Die Verfassungsmäßigkeit der Weinwirtschaftsabgaben nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 WWiG ist an Art. 2 Abs. 1 GG und nicht – wie das vorlegende Gericht meint – an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. Zwar können Steuern und ihnen entsprechend auch sonstige Abgaben das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG berühren, wenn sie infolge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes stehen (. . .). Dies trifft für die Weinwirtschaftsabgabe nicht zu. (. . .) Damit ist nur die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG in ihrer Ausgestaltung als wirtschaftliche Betätigungsfreiheit berührt.“). 131 BGHZ 78, 41 (42 ff.); BGHZ 98, 341 (351 f.); BGH-Urteil v. 22.06.2007 (Az. V ZR 269/0; siehe auch Bundesverwaltungsgericht im Jahr 1985 in seinen zwei Entscheidungen BVerwGE 67, 84 (92) sowie BVerwGE 67, 93 (96). 132 K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 1, III., 2., sowie § 1, IV., 2.; ders., Fallstudie Glykol-Skandal, S. 200–201; ders., Fallstudie FCKW-Verbot, S. 345–346.

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C. Unternehmerische Freiheit

ternehmen unter Art. 14 Abs. 1 GG subsumiert werden.133 Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG schützt explizit den Gebrauch des Eigentums.134 Dies bedeutet in der Schlußfolgerung, weil das Unternehmen in seiner Gesamtheit Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG ist, dass der Gebrauch des Eigentums ein Gebrauch des Unternehmens, mithin unternehmerische Betätigung, darstellt.135 Neben der einen Betrieb ausmachenden Sach- und Rechtsgemeinschaft und damit dem Bestand des Unternehmens136 werden auch alle Geschäftsbeziehungen, Verbindungen sowie der Kundenstamm grundrechtlich geschützt.137 Damit steht der Inbegriff, was zusammengenommen den wirtschaftlichen Wert des Betriebs ausmacht, unter Grundrechtsschutz.138 Entsprechend sind auch hinreichend stabilisierte Erwerbsmöglichkeiten über Art. 14 GG eigentumsschutzfähig.139 Diese Ansicht deckt sich im Übrigen mit der Tatsache, dass ein erfolgreiches Unternehmen im Ganzen einen größeren Vermögenswert darstellt, als die Addition der einzelnen vermögensrechtlichen Positionen.140 Der Schutz der unternehmerischen Freiheit durch Art. 14 Abs. 1 GG geht aber nicht weiter als der durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährte Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit141 – Eigentum darf zwar genutzt werden, aber nicht zum Schaden Dritter und nur unter Berücksichtigung der gesetzlichen Schranken.142 Es muss Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG beachtet werden, wonach es Aufgabe des Gesetzgebers ist, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen.143 133 BGHZ 23, 157 (162 f.); BGHZ 45, 83 (87 ff.); BGHZ 45, 150 (154 ff.); BGHZ 48, 58 (60 ff.); BGHZ 48, 65 (66 ff.); BGHZ 78, 41 (42 ff.); BGHZ 92, 34 (37); BGHZ 98, 341 (351 f.); BGHZ 111, 349 (355 f.); BGH-Urteil v. 9.12.2004 (Az. III ZR 263/ 04), S. 12–13: „Schutzgut des enteignungsgleichen Eingriffs sind von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG umfasste Rechtspositionen (. . .) Auch der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb ist hiernach in seiner Substanz geschützt. Greift allerdings ein Akt der öffentlichen Gewalt eher in die Freiheit der individuellen Erwerbsund Leistungstätigkeit ein, so ist nicht der Schutzbereich des Art. 14 GG, sondern der des Art. 12 GG berührt.“ 134 C. Starck, in: Mangold/Klein/Starck, Grundgesetz, 5. Auflage, 2005, Art. 2, Rdn. 75. 135 So auch K. A. Schachtschneider, Fallstudie Glykol-Skandal, S. 200–201. 136 BGHZ 3, 270 (279); BGHZ 29, 65 (69); BGHZ 92, 34 (46); BGHZ 98, 341 (351). 137 K. A. Schachtschneider, Fallstudie Glykol-Skandal, S. 190; ders., Fallstudie FCKW-Verbot, S. 345; ders., Fallstudie Konkurrentenklage, S. 470. 138 O. Müller-Michaels, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 106. 139 K. A. Schachtschneider, Fallstudie FCKW-Verbot, S. 346; ders., Das Recht an und das Recht auf Eigentum, FS für Walter Leisner, S. 772. 140 P. Selmer, Die Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards, S. 64; K. A. Schachtschneider, Fallstudie FCKW-Verbot, S. 344; ders., Fallstudie Konkurrentenklage, S. 469; J. P. Thommen/A.-K. Achleitner, Allgemeine BWL, S. 620. 141 K. A. Schachtschneider, Fallstudie FCKW-Verbot, S. 346. 142 K. A. Schachtschneider, Fallstudie Konkurrentenklage, S. 471–472. 143 O. Müller-Michaels, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 102; K. A. Schachtschneider, Fallstudie FCKW-Verbot, S. 342.

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Grundrechtsberechtigte aus Art. 14 GG sind neben natürlichen Personen auch inländische juristische Personen gemäß Art. 19 Abs. 3 GG, soweit das Grundrecht seinem Inhalt nach auf sie anwendbar ist.144 Ausländische juristische Personen sind nach dem Wortlaut von Art. 19 Abs. 3 GG zwar von einer Berufung auf Art. 14 GG ausgeschlossen. Hier besteht aber die Möglichkeit, dass sich Anteilseigner, sofern sie natürliche Personen sind, auf eine mittelbare Verletzung Ihres Anteilseigentums berufen können.145 Soweit Aspekte der unternehmerischen Betätigung keinen Schutz unter Art. 14 Abs. 1 GG finden, wird auf die subsidiäre allgemeine Handlungsfreiheit zurückgegriffen.146 Unternehmerisches Handeln ist in Deutschland von den Schutzbereichen verschiedener Grundrechte erfasst. Für besondere Unternehmenszweige gelten zudem spezielle Grundrechte, etwa für Medienunternehmen Art. 5 Abs. 1 GG.147 Wie die Ausführungen gezeigt haben, werden die Teilaspekte unternehmerischer Freiheit durch Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich eingeordnet. Die eigentliche Bedrohung der unternehmerischen Freiheit scheint dabei nicht in der Antastung des „absoluten“ Wesenskerns durch einen staatlichen Einzelakt zu liegen, sondern in einer schleichenden Aushöhlung des Grundrechts durch einen allzu interventionistischen Staat.148 (2) Die unternehmerische Freiheit149 in Frankreich Das französische Recht hat keinen einheitlichen Grundrechtskatalog mit subjektiv einklagbaren Rechten gegenüber dem Staat.150 Die „libertés publiques“ erwachsen vielmehr aus einer Verweisung innerhalb der Präambel der Verfassung 144 BVerfGE 61, 78 (108), BVerfGE 66, 116 (130); K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 275 ff. 145 R. Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 14, Rdn. 16. 146 Siehe hierzu die ständige, höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: BVerfGE 8, 274 (328); BVerfGE 9, 73 (77); BVerfGE 9, 338 (343); BVerfGE 12, 341 (347); BVerfGE 21, 227 (243); BVerfGE 30, 292 (336); BVerfGE 50, 290 (366); BVerfGE 58, 358 (363); BVerfGE 73, 261 (270); BVerfGE 75, 108 (154) BVerfGE 89, 48 (61); BVerfGE 95, 267 (303). 147 Art. 5 Abs. 1 GG: Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. 148 So auch schon 1995, M. Hoffmann, Staatliche Wirtschaftsregulierung, BB 1995, S. 58. 149 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Französisch ist wie folgt: „Liberté d’entreprise: La liberté d’entreprise est reconnue conformément au droit de l’Union et aux législations et pratiques nationales.“ 150 N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 49; A. Borrmann, Der Schutz der Berufsfreiheit, S. 113.

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C. Unternehmerische Freiheit

vom 4. Oktober 1958151 auf die Präambel zur Verfassung von 1946 sowie auf die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789.152 Ihre Wirksamkeit entfalten die Grundrechte erst, indem diese durch Rechtsfortbildung der Judikativen zu „principes généraux du droit“ und somit allgemeinen Rechtsprinzipien erhoben werden oder indem sie als Rechtspositionen mit Verfassungsrang (valeur constitutionnelle) anerkannt werden.153 Der Schutz der unternehmerischen Freiheit beruht im Wesentlichen auf den Rechtsprechungslinien des Conseil Constitutionnel als Verfassungsrat154 sowie des Conseil d’État155 als oberstem Verwaltungsgericht.156 Dabei wird unterschieden zwischen der Unternehmensfreiheit (liberté d’entreprendre) des Conseil Constitutionnel und dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit (liberté du commerce et de l’industrie) des Conseil d’État157. Die Gewährleistungen lassen sich nicht strikt trennen, sondern verfügen über einen sich teilweise überschneidenden Anwendungsbereich.158 Nachfolgend wird die unternehmerische Freiheit des Conseil Constitutionnel, der Verfassungsrang zukommt,159 näher betrachtet.

151 Vgl. hierzu A. und C. Kimmel, in: Kimmel/Kimmel (Hrsg.), Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, S. 169: Verfassung der Republik Frankreich vom 4. Oktober 1958 (zuletzt geändert am 1. März 2005), Präambel: „Das französische Volk verkündet feierlich seine Verbundenheit mit den Menschenrechten und mit den Grundsätzen der nationalen Souveränität, wie sie in der Erklärung von 1789 niedergelegt wurden, die durch die Präambel der Verfassung von 1946 bestätigt und ergänzt wurden, sowie mit den Rechten und Pflichten, wie sie in der Umweltcharta von 2004 festgelegt wurden.“ 152 C. Milczewski, Der grundrechtliche Schutz des Eigentums, S. 158; C. Grewe, Grundrechte in Frankreich, in: Merten/Papier, Grundsatzfragen der Grundrechtsdogmatik, S. 4; M. Notthoff, Grundrechte in der EG, RIW 1995, S. 543; Court Constitutionnel vom 16.07.1971, „Louis Favoreu“, Recueil de jurispudence constitutionnele (RJC), Entscheidung Nr. 71–44 DC. 153 A. Borrmann, Der Schutz der Berufsfreiheit, S. 114. 154 Die französische Verfassungslehre geht davon aus, dass es sich nicht nur um ein Schiedsorgan zwischen Legislative und Exekutive handelt, sondern dass die Stellung und Funktion des Verfassungsrates mit der eines Verfassungsgerichts vergleichbar ist (ausführlich hierzu G. Knoll, Grundzüge eines europäischen Standards für den einstweiligen Rechtsschutz, S. 59–60). 155 W. Müller, Der Conseil d’État, AöR 1992, S. 338. 156 N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 51; J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 75. 157 In seinen Urteilen hat der Conseil d’État die Handels- und Gewerbefreiheit (Entscheidung Nr. CE 22.6.1963, Rec. Lebon 1963, S. 386) zu einem Recht des freien Zugangs der Bürger zur Ausübung jedweder Berufstätigkeit ohne gesetzliche Beschränkung ausgeweitet (Entscheidung Nr. CE 16.12.1988, Rec. Lebon 1988, S. 447–448). 158 N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 54; J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 75; A. Weber, Menschenrechte, S. 743. 159 A. Weber, Menschenrechte, S. 742; J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 78; A. Wasilewski, Wirtschaftsfreiheit als Grundrecht, S. 468.

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Die „liberté d’entreprendre“ des Conseil Constitutionnel wurde aus der allgemeinen Freiheit des Art. 4 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte160 abgeleitet161 und erhielt im Urteil „Loi de Nationalisation“162 erstmals Verfassungsrang. Dabei umfasst die in zahlreichen Entscheidungen des Court Constitutionnel zitierte unternehmerische Freiheit163 unterschiedliche Teilgewährleistungen.164 Hierzu zählen die Aufnahme und Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit,165 das Recht des Unternehmers auf freie Auswahl seiner Mitarbeiter,166 das Recht auf Werbung167 oder aber auch die Vertragsfreiheit.168 Eine allgemeingültige Konkretisierung des Anwendungsbereichs unternehmerischer Freiheit hat der Court Constitutionnel in seinen einschlägigen Urteilen aber nicht vorgenommen.169 Beschränkungen des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit sind unter Beachtung des in Art. 34 Abs. 1 der Verfassung von 1958 formulierten allgemeinen Gesetzesvorbehaltes möglich.170 Die Grenzen liegen dabei bei missbräuchlichen und willkürlichen Beschränkungen sowie bei Eingriffen in den Wesensgehalt des Grundrechts.171 Der Conseil Constitutionnel beschränkt sich daher bei Eingriffen in die unternehmerische Freiheit auf eine Minimalkontrolle und über160 Art. 4: „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet. So hat die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen nur die Grenzen, die den anderen Gliedern der Gesellschaft den Genuss der gleichen Rechte sichern. Diese Grenzen können allein durch Gesetz festgelegt werden.“ 161 A. Weber, Menschenrechte, S. 742; J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 76. 162 Court Constitutionnel vom 16.01.1982, „Loi de Nationalisation“, (Entscheidung Nr. 81-132 DC), abgedruckt im Publication Journal officiel am 17. Januar 1982, S. 299. 163 Urteilszusammenfassungen finden sich auf der offiziellen Internetseite des französischen Verfassungsrats unter http://www.conseil-constitutionnel.fr (geprüft am 11.07. 2009). 164 N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 53. 165 Court Constitutionnel vom 03.08.1994, „Loi relative à la protection sociale complémentaire des salariés“, (Entscheidung Nr. 94-348 DC), abgedruckt im Publication Journal officiel am 6. August 1994, S. 11482. 166 Court Constitutionnel vom 20.07.1988, „Loi portant amnistie“, (Entscheidung Nr. 88-244 DC), abgedruckt im Publication Journal officiel am 21. Juli 1988, S. 9448. 167 Court Constitutionnel vom 08.01.1991, „Loi relative à la lutte contre le tabagisme et l’alcoolisme“, (Entscheidung Nr. 90-283 DC), abgedruckt im Publication Journal officiel am 10. Januar 1991, S. 524. 168 Vgl. beispielhaft das Urteil des Court Constitutionnel vom 07.12.2000, „Loi relative à la solidarité et au renouvellement urbains“, (Entscheidung Nr. 2000-436 DC), abgedruckt im Publication Journal officiel am 14. Dezember 2000, S. 19840. 169 J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 77. 170 Umfangreiche Ausführungen bei N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 151–156. 171 J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 78; Court Constitutionnel vom 08.01. 1991, „Loi relative à la lutte contre le tabagisme et l’alcoolisme“, (Entscheidung Nr. 90-283 DC), abgedruckt im Publication Journal officiel am 10. Januar 1991, S. 524.

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C. Unternehmerische Freiheit

prüft lediglich, ob die absolute Grenze zulässiger Grundrechtsbeschränkungen nicht überschritten wurde.172 (3) Die unternehmerische Freiheit173 in Italien Die Verfassung der italienischen Republik174 gilt als historischer Kompromiss zwischen marxistischen, christlich-sozialen sowie liberalen Strömungen175 und spiegelt mit der hohen Regelungsdichte in Bezug zu den Grundrechten die negativen Erfahrungen der Verfassungsgesetzgeber aus den Zeiten der faschistischen Diktatur wider.176 Die Grundrechte und Grundpflichten der Staatsbürger sind in den Artikeln 13 bis 54 ausführlich behandelt. In den Artikeln 35 bis 47 des III. Titels mit der Überschrift „Wirtschaftliche Beziehungen“ finden sich die Wirtschaftsgrundrechte. Die privatwirtschaftliche Betätigung ist explizit in Artikel 41 italienische Verfassung geregelt: Art. 41 Abs. 1: Die privatwirtschaftliche Betätigung ist frei. Abs. 2: Sie darf nicht im Widerspruch zum Allgemeinwohl stehen oder eine Beeinträchtigung der Sicherheit, der Freiheit oder der Menschenwürde des Einzelnen mit sich bringen. Abs. 3: Zwecks Ausrichtung und Abstimmung der öffentlichen und privaten Wirtschaftstätigkeit auf soziale Ziele werden im Wege von Gesetzen geeignete Wirtschaftspläne und Maßnahmen der Wirtschaftskontrolle festgelegt.

Die umfassende Rechtsprechung des italienischen Verfassungsgerichts177 zur wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit („libertà di iniziativa economica privata“) hat den Schutzbereich des Grundrechts weitgehend materialisiert. Geschützt ist beispielsweise das Recht des Unternehmers Güter in beliebigem Umfang zu produzieren und anzubieten, gleich auf welche Art und Weise.178 Auch die Vertragsfreiheit, was nicht nur die freie Wahl des Vertragspartners, sondern auch die in172

N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 154. Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Italienisch ist wie folgt: „Libertà d’impresa: È riconosciuta la libertà d’impresa, conformemente al diritto dell’Unione e alle legislazioni e prassi nazionali.“ 174 Verfassung der Italienischen Republik vom 27. Dezember 1947, in Kraft getreten am 1. Januar 1948 (Änderungen berücksichtigt bis zum 30. Mai 2003). 175 O. Müller-Michaels, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 146; L. Di Nella, Die costituzione economica italiana, S. 258, mit umfassenden Informationen zu den historischen Entwicklungslinien der Unternehmensfreiheit. 176 A. Borrmann, Der Schutz der Berufsfreiheit, S. 115; J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 134. 177 Das Verfassungsgericht der italienischen Republik (Corte Costituzionale della Repubblica Italiana) verfügt über eine umfassende Urteilsdatenbank zum Grundrecht „libertà di iniziativa economica privata“, die unter der Adresse http://www.cortecostitu zionale.it (geprüft am 11.07.2009) abgerufen werden kann. 178 Corte Costituzionale, Entscheidung Nr. 420/1991 vom 18.11.1991 (hinterlegt am 22.11.1991), veröffentlicht im ital. Amtsblatt am 27.11.1991, S. 642. 173

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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haltliche Gestaltung des Vertrages einschließt, wird über Art. 41 Abs. 1 der italienischen Verfassung geschützt.179 Das Verfassungsgericht schützt im Ergebnis eine jede selbständige wirtschaftliche Tätigkeit von der Aufnahme der Tätigkeit bis zur Beendigung und schließt sämtliche gewerbliche und handwerkliche Tätigkeiten sowie den Handelsbetrieb ein.180 Nicht vom Schutzbereich umfasst sind hingegen die freien Berufe („professioni intellettuali“), die sich nicht auf Art. 41 Abs. 1 der italienischen Verfassung berufen können.181 Auch die öffentliche Hand kann sich nicht für privatwirtschaftliche Initiativen auf Art. 41 Abs. 1 der ital. Verfassung berufen.182 Die Schranken der privatwirtschaftlichen Initiative finden sich in den Absätzen 2 und 3.183 Insbesondere das Allgemeinwohl und die Sicherheit, Freiheit und Würde des Menschen dürfen durch die unternehmerische Tätigkeit nicht verletzt werden.184 Von den vier im Einzelnen genannten Einschränkungsgründen des Art. 41 Abs. 2 wurde das Gemeinwohl („utilità sociale“) am häufigsten herangezogen.185 Der weite Begriff des Gemeinwohls hat im Ergebnis dazu geführt, dass eine Verletzung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit nur in Ausnahmefällen angenommen wurde. Art. 41 Absatz 3 italienische Verfassung enthält den Begriff der sozialen Ziele („fini sociali“) und ist damit nahezu identisch mit dem Gemeinwohl aus Absatz 2. Der Wortlaut von Absatz 3 ermöglicht es dem Gesetzgeber, auf die freie wirtschaftliche Betätigung in vielfältiger Weise einzuwirken. Hier hat das Verfassungsgericht den allgemeinen Nutzen als gesetzliche Zielvorgabe für Eingriffe oder Förderungen vorgegeben, um zu verhindern, dass nur bestimmte Wirtschaftsteilnehmer zu Lasten anderer gezielt gefördert werden.186 179 Corte Costituzionale, Entscheidung Nr. 241/1990 vom 3.5.1990 (hinterlegt am 15.5.1990), veröffentlicht im ital. Amtsblatt am 23.5.1990, S. 2401. 180 J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 135; O. Müller-Michaels, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 175. 181 Corte Costituzionale, Entscheidung Nr. 17/1976 vom 15.1.1976 (hinterlegt am 22.1.1976), veröffentlicht im ital. Amtsblatt am 28.1.1976; Corte Costituzionale, Entscheidung Nr. 54/1977 D vom 24.3.1977 (hinterlegt am 30.3.1977), veröffentlicht im ital. Amtsblatt am 6.4.1977, S. 1062. 182 J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 136, mit dem Hinweis, dass der Staat bei eigenen wirtschaftlichen Initiativen dennoch die Vorgaben von Art. 41 Abs. 2 und Abs. 3 der ital. Verfassung einhalten muss; A. Weber, Menschenrechte, S. 744–745; R. Stadler, Berufsfreiheit, S. 293. 183 O. Müller-Michaels, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 175; J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 135, mit umfangreicher Darstellung der Schranken auf den Seiten 136–141. 184 A. Wasilewski, Wirtschaftsfreiheit als Grundrecht, S. 472; M. Notthoff, Grundrechte in der EG, RIW 1995, S. 543. 185 J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 138. 186 Corte Costituzionale, Entscheidung Nr. 78/1958 vom 16.12.1958 (hinterlegt am 30.12.1958), veröffentlicht im ital. Amtsblatt am 31.12.1958, S. 1782.

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C. Unternehmerische Freiheit

Die Rechtsprechung hat in zahlreichen Urteilen die Eingriffsgrenzen in die privatwirtschaftliche Betätigung materialisiert. Beschränkende Regelungen durch den Staat sollen dem Unternehmer beispielsweise einen Restgewinn lassen, damit er in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit eine vernünftige Möglichkeit der Entfaltung seiner Arbeitskraft finden kann.187 Die Grenze der Eingriffsintensität hat das Corte Costituzionale so ausgelegt, dass die Ausübung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit nicht unmöglich oder in äußerster Weise erschwert werden darf,188 was als eine Art Wesensgehaltsschutz für die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit interpretiert werden kann.189 So sind Zwangsverpflichtungen von Unternehmen wegen ihrer Eingriffsintensität grundsätzlich verfassungswidrig.190 (4) Die unternehmerische Freiheit191 in Großbritannien In Großbritannien gibt es keine geschriebene Verfassung und somit auch keine schriftlich fixierten Grundrechte wie im restlichen Kontinentaleuropa.192 Das englische Recht baut vielmehr auf seine seit Jahrhunderten praktizierte Rechtsprechung und die daraus gefundene Rechtsfindung auf („case law“). In diesem System des Common Law werden Rechtspositionen durch die Rechtsprechung entwickelt. Dem Bürger ist grundsätzlich alles erlaubt, was nicht durch Richterrecht oder parlamentarisches Recht verboten ist.193 Die sich hieraus ergebenden Freiräume werden als Bürgerfreiheiten („civil liberties“) bezeichnet194 und umschreiben die verbleibenden Freiheitssphären des Einzelnen, indem die vielfältigen Beschränkungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.195 Im Ergebnis bedeutet dies, dass die freie wirtschaftliche Initiative und das Unternehmertum in

187 Corte Costituzionale, Entscheidung Nr. 200/1975 vom 27.6.1975 (hinterlegt am 10.7.1975), veröffentlicht im ital. Amtsblatt am 16.7.1975, S. 2163. 188 Corte Costituzionale, Entscheidung Nr. 78/1970 vom 21.5.1970 (hinterlegt am 3.6.1970), veröffentlicht im ital. Amtsblatt am 10.6.1970, S. 1878; Corte Costituzionale, Entscheidung Nr. 231/1985 vom 11.10.1985 (hinterlegt am 14.10.1985), veröffentlicht im ital. Amtsblatt am 23.10.1985, S. 2829. 189 J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 141. 190 O. Müller-Michaels, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 176. 191 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Englisch ist wie folgt: „Freedom to conduct a business: The freedom to conduct a business in accordance with Union law and national laws and practices is recognised.“ 192 N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 35; A. Borrmann, Der Schutz der Berufsfreiheit, S. 107; C. Wahle, Der allgemeine Gleichheitssatz, S. 202; J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 50. 193 M. Horspool, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, A V, Rdn. 4 ff.; N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 35. 194 N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 35; J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 51. 195 A. Borrmann, Der Schutz der Berufsfreiheit, S. 108.

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Großbritannien insoweit erlaubt sind, wie diese nicht durch Gesetz oder Rechtsprechung eingeschränkt oder verboten wurden.196 Das britische System basiert auf dem Grundsatz der uneingeschränkten Souveränität des Parlaments („supremacy of parliament“), das beliebig Gesetze erlassen kann und an keinerlei höherrangiges Verfassungsrecht wie beispielsweise Grundrechte gebunden ist.197 Ein Schutz des Bürgers vor späteren Rechtsprechungs- oder Gesetzesänderungen und damit einer Einengung seiner „civil liberties“ ist somit nicht gegeben. Ein Vergleich der „civil liberties“ mit den bei uns anerkannten Grundrechten, die den Einzelnen vor ungerechtfertigten Eingriffen des Staates schützen sollen, fällt insoweit schwer. Schließlich haben Judikative und Legislative jederzeit die Möglichkeit, den Schutzbereich der „civil liberties“ zu verkleinern. Auch wenn die Meinungen in der britischen Literatur divergieren, so sind Elemente der freien wirtschaftlichen Betätigung198 wohl über das Bürgerrecht der persönlichen Entfaltungsfreiheit („the freedom of a person to behave as he pleases“) zu schützen.199 Hierzu finden sich in der Verfassungspraxis und einschlägigen Literatur aber bisher nur erste Ansätze.200 Seit Inkrafttreten des „Human Right Act“ am 2. Oktober 2000 ist es möglich, Grundrechte der EMRK, die in britisches Recht überführt wurden,201 vor den nationalen Gerichten einzuklagen.202 Hierdurch wurde die Position der Judikativen bei der Grundrechtskontrolle erheblich gestärkt.203 Weder die Berufsfreiheit noch die Freiheit wirtschaftlicher Betätigung wurden aber als Grundrecht in der EMRK kodifiziert. Lediglich ein geringer Schutzgehalt unternehmerischer Freiheit, basierend auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Eigentumsrecht aus Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK, kann geltend gemacht werden. Im Ergebnis führt der Human Rights Act daher allenfalls zu einer geringen Stärkung der nationalen Gewährleistung unternehmerischer Betätigungsfreiheit.204

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J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 55. N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 36; J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 51. 198 „Freedom to conduct a business“. 199 J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 52. 200 H. Schwier, Der Schutz der Unternehmerischen Freiheit, S. 83; N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 44. 201 Gem. Artikel 1 Abs. 1 b) des Human Right Act kann man sich auf Artikel 1 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK berufen. 202 Duff, Andrew: Das Vereinigte Königreich, S. 53. 203 N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 43. 204 A. Borrmann, Der Schutz der Berufsfreiheit, S. 108. 197

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C. Unternehmerische Freiheit

(5) Die unternehmerische Freiheit205 in Bulgarien Die bulgarische Verfassung206 von 1991 enthält in den Artikeln 1 bis 24 die Grundprinzipien des bulgarischen Staatswesens und in den Artikeln 25 bis 61 die Grundrechte und Grundpflichten seiner Bürger. Hierin enthalten sind Gewährleistungselemente der unternehmerischen Freiheit. So ist die Freiheit der wirtschaftlichen Initiative als maßgebliches Ordnungsprinzip der bulgarischen Wirtschaft in Art. 19 Absatz 1 festgeschrieben.207 In Art. 19 Absatz 2 bis Absatz 4 finden sich die Unternehmensfreiheit, das Recht auf Teilhabe am Wettbewerb sowie die wirtschaftliche Vereinigungsfreiheit. Diese Freiheiten gelten gemäß Art. 19 Absatz 2 explizit für juristische Personen und sind, entgegen dem in osteuropäischen Verfassungen häufig verwendeten Wortlaut „Bürger“,208 Gewährleistungen für Jedermann.209 Artikel 19 (1) Die Wirtschaft der Republik Bulgarien gründet sich auf die freie wirtschaftliche Initiative. (2) Das Gesetz schafft und gewährleistet jedem Bürger und jeder juristischen Person die gleichen rechtlichen Bedingungen für eine wirtschaftliche Tätigkeit, wobei es den Missbrauch einer Monopolstellung und unlauteren Wettbewerb verhindert und den Verbraucher schützt. (3) Die Investitionen und die wirtschaftliche Tätigkeit bulgarischer und ausländischer Bürger und juristischer Personen werden durch das Gesetz geschützt. (4) Das Gesetz schafft Voraussetzungen für Kooperationen und für andere Formen des Zusammenschlusses von Bürgern und juristischen Personen zur Erzielung eines wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts. ... Artikel 57. (1) Die Grundrechte der Bürger sind unabänderlich. (2) Unzulässig ist ein Missbrauch der Rechte wie auch ihrer Ausübung, wenn dadurch die Rechte oder gesetzlich geschützten Interessen anderer verletzt werden.

205 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Bulgarisch ist wie folgt: „ Свобода на стопанската инициатива: Свободата на стопанската инициатива се признава в съответствие с правото на Съюза и с националните законодателства и практики. “. 206 Veröffentlicht im Internet unter http://parliament.bg/?page=const&lng=en (geprüft am 11.07.2009), in Kraft seit dem 12. Juli 1991 (konsolidierte Fassung vom 6. Februar 2007). 207 E. Drumeva, in: Frowein/Marauhn, Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 204. 208 T. Marauhn, Wirtschaftliche und soziale Rechte, in: Frowein/Marauhn, Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 142. 209 E. Drumeva, in: Frowein/Marauhn, Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 204.

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Nachfolgend werden einige Urteile des Verfassungsgerichts210 aufgeführt, die sich insbesondere mit der Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung beschäftig haben.211 Die Unternehmensfreiheit gemäß Art. 19 Absatz 2 der Verfassung wurde beispielsweise durch Artikel 72 des Gesetzes „Arzneimittel und Apotheken für Humanmedizin, (LMPHM)“ verletzt.212 Diese Vorschrift untersagte Handelsgesellschaften sowie anderen juristischen Personen des Privatrechts im Gegensatz zu den öffentlichen Gemeinden, mehr als eine Apotheke zu betreiben. Das Verfassungsgericht erklärte die Norm für verfassungswidrig und stellte klar, dass alle Bürger und juristische Personen gleiche rechtliche Bedingungen für ihre wirtschaftliche Betätigung hätten.213 Im gleichen Jahr wurden die Art. 33 und 34 des Gesetzes „Fremdwährung und Währungskontrolle, (LTFCCC)“ wegen Unvereinbarkeit mit Art. 19 der Verfassung für verfassungswidrig erklärt.214 Die Artikel sahen vor, dass der Handel mit Edelmetallen und Edelsteinen ausschließlich von staatseigenen Unternehmen durchgeführt werden durfte. Hierin sah das Verfassungsgericht eine unberechtigte Diskriminierung und einen nicht gerechtfertigten Marktausschluss der privatwirtschaftlichen Unternehmen. Darüber hinaus bestehe die Möglichkeit zur Bestimmung staatlicher Monopole nur in den explizit in der Verfassung aufgezählten Bereichen. Ein Jahr später entschied das Verfassungsgericht auf Antrag des Generalstaatsanwalts, dass Artikel 9 des „Versicherungsgesetzes (Darzhaven Vestnik)“ verfas210 Das bulgarische Verfassungsgericht wurde am 3. Oktober 1991 konstituiert und nahm am 26. Dezember 1991 seine Geschäftsordnung an. Seine Aufgabe besteht unter anderem darin, die Kontrolle der Gesetzgebung in Bulgarien zu gewährleisten. Die Entscheidungen des Verfassungsgerichts sind endgültig und verbindlich für alle, insbesondere was auch die Interpretation der Verfassung angeht. Ein Rechtsinstitut vergleichbar der deutschen Verfassungsbeschwerde gibt es in Bulgarien nicht. Bürger und juristische Personen können aber über Art. 45 der Verfassung Vorschläge hinsichtlich verfassungswidriger Gesetze und anderweitige Petitionen an die zuständigen Organe wie Generalstaatsanwalt oder die letztinstanzlichen Gerichte richten, die daraufhin zur Prüfung das Verfassungsgericht anrufen. Ein ausführlicher Bericht auf Englisch über die Gründung sowie Aufbau und Funktionen des bulgarischen Verfassungsgerichts findet sich auf dem staatlichen Internetauftritt unter http://www.constcourt.bg/pages/aboutus/history/ default.aspx (geprüft am 11.07.2009). 211 Auf den offiziellen Internetseiten finden sich über 100 ausgesuchte Urteilszusammenfassungen des Verfassungsgerichts in Englischer Sprache, http://www.constcourt. bg/pages/practice/practicebyyear/default.aspx (geprüft am 11.07.2009), welche für die nachfolgende Urteilsdarstellung benutzt wurde. 212 Verfassungsgerichtsentscheidung Nr. 10 vom 4. Juli 1996 sowie Verfassungsgerichtsentscheidung Nr. 3 vom 27. April 2000. 213 Dieser Leitsatz findet sich wieder in der Verfassungsgerichtsentscheidung Nr. 22 vom 10. Dezember 1996, in der auch aufgrund einer verfassungswidrigen Vorschrift (LASBL-1996) die Verletzung von Artikel 19 Abs. 2 der Verfassung festgestellt wurde. 214 Verfassungsgerichtsentscheidung Nr. 15 vom 26. September 1996.

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C. Unternehmerische Freiheit

sungswidrig sei, da danach (im Gegensatz zu Staatsunternehmen und Versicherungsgesellschaften) nur privaten und juristischen Personen untersagt sei, mehr als 5% der Anteile einer Versicherungsgesellschaft im Eigentum zu haben.215 Dieser Eingriff in die unternehmerische Freiheit sei gemäß Artikel 57 Abs. 2 und 3 der Verfassung ungerechtfertigt, da die Kontrolle durch Kapitalbeteiligung nur relative Bedeutung besitzen könne. Vielmehr sei die fachliche und moralische Eignung der Person das oberste Kriterium, wie dies auch im modernen europäischen Versicherungsrecht geregelt sei. Weiterhin stellte der Verfassungsgerichtshof in einem Urteil216 klar, dass Artikel 19 Abs. 2 der Verfassung nur Anwendung finde, wenn die freie wirtschaftliche Initiative auf Privateigentum beruhe. Der Staat könne sich somit auf die Vorschrift nur berufen, wenn er als Privateigentümer unter Marktbedingungen agiere. Im selben Jahr wurde explizit die Vertragsfreiheit als garantiertes Recht aus Art. 19 der Verfassung durch einen Kläger erfolgreich geltend gemacht. Das Gericht sah eine Grundrechtsverletzung darin, dass im zugrunde liegenden Sachverhalt der Staat Kraft Gesetzes und nicht durch Einigung mit einer Partei in existierende Rechtsverhältnisse zwischen gleichgestellten Rechtssubjekten eingegriffen hatte.217 Eine unberechtigte Monopolisierung durch eine privilegierte Position und damit ein Verstoß gegen Artikel 19 Abs. 2 der Verfassung lag im Jahre 2005 vor, da per Gesetz der nationalen staatlichen Gesellschaft „Häfen“ hoheitliche Aufgaben übertragen worden waren, obwohl diese grundsätzlich staatlichen Organen vorbehalten sind.218 In seiner Entscheidung vom April 2006219 zeigte der Verfassungsgerichtshof nochmals auf, dass das Recht auf freie wirtschaftliche Initiative keinen absoluten Charakter habe und dass es die Prinzipien staatlicher Regulierung und staatlicher Kontrolle nicht ausschließe. Diese Urteilsübersicht zeugt von der Präsenz des Grundrechts der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit in der Grundrechtsrechtsprechung und deren Schutz durch den bulgarischen Verfassungsgerichtshof. Eingriffe in dieses Grundrecht bedürfen immer einer Rechtfertigung.

215 216 217 218 219

Verfassungsgerichtsentscheidung Verfassungsgerichtsentscheidung Verfassungsgerichtsentscheidung Verfassungsgerichtsentscheidung Verfassungsgerichtsentscheidung

Nr. 6 vom 25. Februar 1997. Nr. 9 vom 16. Juni 1999. Nr. 17 vom 16. Dezember 1999. Nr. 5 vom 10. Mai 2005. Nr. 3 vom 13. Juli 2006.

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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(6) Die unternehmerische Freiheit 220 in Estland 221 Die Verfassung Estlands wurde am 28. Juni 1992 durch einen Volksentscheid angenommen und ist seit dem 3. Juli 1992 in Kraft.222 Im zweiten Kapitel der estnischen Verfassung befinden sich in den §§ 8 bis 55 die estnischen Grundrechte, Freiheiten und Pflichten. Nachfolgend sind ausgewählte Grundrechte aus der estnischen Verfassung aufgelistet, die Elemente der unternehmerischen Freiheit schützen. § 29. Der estnische Bürger hat das Recht, sein Betätigungsfeld, seinen Beruf und Arbeitsplatz frei zu wählen. Durch Gesetz können Bedingungen und Verfahren für die Wahrnehmung dieses Rechtes festgesetzt werden. Wenn durch Gesetz nichts anderes bestimmt wird, steht dieses Recht sich in Estland aufhaltenden Bürgern ausländischer Staaten und Staatenlosen in gleicher Weise wie estnischen Staatsangehörigen zu. . . . § 30. . . . Durch Gesetz kann das Recht einiger Kategorien von Beamten auf eine unternehmerische Tätigkeit und Zugehörigkeit zu Ertragsgesellschaften (§ 31) oder das Recht der Mitgliedschaft in Parteien oder anderen Arten von Nichtertragsgesellschaften (§ 48) eingeschränkt werden. § 31. Estnische Staatsangehörige haben ein Recht auf unternehmerische Tätigkeit und auf Vereinigung in Ertragsgesellschaften und -verbänden. Die Bedingungen sowie das Verfahren für die Ausübung dieses Rechtes können gesetzlich geregelt werden. Wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, steht dieses Recht sich in Estland aufhaltenden Bürgern ausländischer Staaten und Staatenlosen in gleicher Weise wie estnischen Staatsangehörigen zu.

In § 11 der estnischen Verfassung findet sich die geschriebene Schranke nebst Wesensgehaltsgarantie für die Grundrechte: § 11. Rechte und Freiheiten dürfen nur in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz beschränkt werden. Diese Beschränkungen müssen in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein und dürfen das Wesen der beschränkten Rechte und Freiheiten nicht verändern.

Die Rechtsprechungskompetenz in Estland liegt bei dem für Verfassungsrecht zuständigen Spruchkörper223 des Obersten Gerichts.224 Nachfolgend werden sechs Urteile zur unternehmerischen Freiheit aus den Jahren 1999 und 2002 in Kurz220 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Estnisch ist wie folgt: „Ettevõtlusvabadus: Ettevõtlusvabadust tunnustatakse liidu õiguse ning siseriiklike õigusaktide ja tavade kohaselt.“ 221 Eine englischsprachige Version der Homepage des Obersten Gerichts von Estland nebst Volltexturteilen ist unter http://www.nc.ee/?lang=en (geprüft am 11.07.2009) zu finden. 222 Stand der konsolidierten Fassung: 21.07.2007 (25.01.2008). 223 Daneben gibt es noch drei weitere Spruchkörper für die anderen Hauptrechtsgebiete Zivilrecht, Verwaltungsrecht und Strafrecht. 224 R. Maruste, Bürgerliche und politische Rechte, in: Frowein/Marauhn, Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S.133.

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C. Unternehmerische Freiheit

fassung dargestellt, um eine Momentaufnahme des Schutzes in der Verfassungswirklichkeit zu erhalten. Gerade im Jahr 2002 erging im Rahmen von konkreten Normenkontrollen ein Großteil der bisherigen Rechtsprechung zur unternehmerischen Freiheit.225 Dass die Zahl der Verfahren konkreter Normenkontrollen im Verhältnis zu den abstrakten Normenkontrollen seit der Jahrtausendwende stark zugenommen hat, ist im Übrigen darauf zurückzuführen, dass immer mehr Bürger Klagen zur Verteidigung ihrer Grundrechte einreichen. In einem Urteil aus dem Jahre 1999 hatte das Oberste Gericht Estlands darüber zu entscheiden, ob eine „Verordnung über den Handel auf Straßen und Märkten“ aus dem Jahre 1998 mit dem enthaltenen Verbot des Verkaufs neuer Industriewaren auf Märkten die Unternehmensfreiheit einer Person gemäß § 31 der estnischen Verfassung unverhältnismäßig einschränke.226 Das Gericht stellte zuerst fest, dass der Gesetzgeber an das in § 11 der Verfassung festgelegte Prinzip gebunden sei, wonach Grundrechte und Grundfreiheiten nur eingeschränkt werden dürften, soweit dies ausdrücklich vorgesehen ist. Weiter führte er aus, dass zwar eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit gemäß § 31 Satz 2 in der Verfassung vorgesehen sei, jedoch fehlte dem Gesetzgeber zum Erlass eines Verkaufsverbots im Rahmen der Verordnung eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Hierdurch war eine ungerechtfertigte Einschränkung der unternehmerischen Freiheit gegeben, worunter alle Tätigkeiten zu subsumieren sind, deren Ziel es ist, durch die Herstellung von Gütern und/oder deren Verkauf sowie die Erbringung von Dienstleistungen einen Gewinn zu erzielen. In seinem nächsten Urteil aus dem Jahre 2000 entschied das Staatsgericht über die Rechtmäßigkeit von § 19 Abs. 1 S. 2 des estnischen Alkoholgesetzes.227 Nachdem eine Verkäuferin eines Einzelhandelgeschäfts einem Minderjährigen eine Flasche Bier verkauft hatte, wurde dem Geschäft durch die Stadtverwaltung die Genehmigung für den Einzelhandel mit Alkohol entzogen. Das Oberste Gericht verwarf im daraufhin folgenden Verfahren den Entzug der Genehmigung wegen einer teilweisen Unverhältnismäßigkeit des Alkoholgesetzes. Das Gericht führte hierzu aus, dass der Entzug einer Genehmigung einen schweren Eingriff in die unternehmerische Freiheit bedeute. Hierfür müsse das Alkoholgesetz zumindest die Möglichkeit einer Abwägungsentscheidung der Verwaltung vorsehen. Da der Gesetzgeber aber eine solche gar nicht vorgesehen hatte, stand das estnische Alkoholgesetz in Widerspruch zu den Grundrechten aus § 11 in Verbindung mit § 31 der estnischen Verfassung.

225

R. Arnold, Rechtsstaat und Grundrechtsschutz in Estland, S. IX–XXXIII. Entscheidung des Staatsgerichtskollegiums für Verfassungsaufsicht Nr. 3-4-1-199 vom 17.3.1999, RT (State Gazette) III 1999, 9, 89. 227 Entscheidung des Staatsgerichtskollegiums für Verfassungsaufsicht Nr. 3-4-1-600 vom 28.04.2000, RT (State Gazette) III 2000, 12, 125. 226

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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In einem Verfahren228 aus dem Jahr 2002 war zu entscheiden, ob eine Firma eine Steuerhinterziehung begangen hatte, weil sie bei hohen Bargeschäften die Umsatzsteuer entgegen den Vorgaben des Umsatzsteuergesetzes abgezogen hatte. Das Oberste Gericht stellte in seiner Entscheidung fest, dass sich der persönliche Schutzbereich der unternehmerischen Freiheit gemäß § 9 Abs. 2 der Verfassung auch auf juristische Personen erstrecke, worunter Handelsgesellschaften zu subsumieren seien. Im Rahmen der darauf folgenden dreistufigen Verhältnismäßigkeitsprüfung229 kam der Verfassungsgerichtshof dann zu dem Ergebnis, dass die Beschränkung des Grundrechts der Unternehmensfreiheit durch § 18 Abs. 8 des Umsatzsteuergesetzes mangels Geeignetheit der Maßnahme für die Vorbeugung einer Steuerhinterziehung materiell rechtswidrig sei. Im nächsten Verfahren hatte wieder ein Unternehmen vor dem Obersten Gericht Erfolg.230 Hier wurde durch die Richter die „Vorschrift für Markt- und Straßenhandel“ des Tallinner Stadtrates für verfassungswidrig erklärt, da den Straßenhändlern durch diese Vorschrift unberechtigt Zahlungsverpflichtungen auferlegt wurden, was einen Eingriff in ihre Unternehmensfreiheit darstellte. Grundsätzlich sei zwar solch eine Einschränkung des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit möglich – im konkreten Fall hatte der Stadtrat aber die „Vorschrift für Markt- und Straßenhandel“ ohne eine sie deckende Rechtsgrundlage erlassen, sodass der Gesetzesvorbehalt gemäß § 31 Satz 2 der Verfassung nicht erfüllt war. Einen Monat später hatte das Staatsgericht über die Rechtmäßigkeit der §§ 20 und 21 aus dem „Gesetz für die Volksoper“ zu entscheiden.231 Aufgrund dieser neuen gesetzlichen Vorschriften wurde ein alter, aber noch laufender Pachtvertrag zwischen dem Theater Estlands und dem Verpächter einseitig für vorzeitig beendet erklärt. Hiergegen wehrte sich der Verpächter wegen Verletzung seines Grundrechts auf unternehmerische Freiheit. Im Laufe des Verfahrens konnten Parlamentsvertreter dem Gericht nicht erläutern, warum insbesondere die umstrittene Bestimmung des § 20 Abs. 2 aus dem „Gesetz für die Volksoper“ erforderlich sei, die eine vorzeitige Beendigung des Vertrages vorsah. Im Ergebnis stellte das Gericht dann fest, dass ein ungerechtfertigter Eingriff in das Grund228 Entscheidung des Staatsgerichtskollegiums für Verfassungsaufsicht Nr. 3-4-1-102 vom 9.3.2002, RT (State Gazette) III 2002, 8, 74. 229 Siehe Randnummer 12 der Entscheidung: „Das Grundrecht der Verhältnismäßigkeit ist in der Verfassung § 11 Satz 2 festgelegt. Demzufolge muss jede Einschränkung der Grundrechte und Grundfreiheiten in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Ob eine Beschränkung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht, überprüft das Gericht in drei Stufen – als erste die Geeignetheit, als zweite die Erforderlichkeit und, wenn nötig, die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.“ 230 Entscheidung des Staatsgerichtskollegiums für Verfassungsaufsicht Nr. 3-4-1-402 vom 10.4.2002, RT (State Gazette) III 2002, 12, 120. 231 Entscheidung des Staatsgerichtskollegiums für Verfassungsaufsicht Nr. 3-4-1-302 vom 10.5.2002, RT (State Gazette) III 2002, 14, 157.

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C. Unternehmerische Freiheit

recht der unternehmerischen Freiheit des Vermieters vorlag, und erklärte § 20 Abs. 2 des Gesetzes zur Volksoper für ungültig. In der letzten der hier zusammengefassten Entscheidungen des Staatsgerichtshofs ging es ebenfalls um das Gesetz über die Umsatzsteuer.232 Diesmal wehrte sich wieder ein Unternehmen erfolgreich gegen die Forderungen des Steueramtes auf Zahlung von Umsatz- und Einkommenssteuer, soweit diese im Vorfeld von Rechnungen über 50.000 Kronen durch das Unternehmen abgezogen worden waren. Das Gericht folgte hier seiner zuvor schon aufgestellten Ansicht, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz durch § 18 Abs. 8 des Umsatzsteuergesetzes verletzt sei – schließlich sei diese Regelung absolut ungeeignet zur Vorbeugung von Steuerhinterziehung und verletze somit die in § 31 der Verfassung festgelegte Unternehmensfreiheit. Im Ergebnis stellt die unternehmerische Freiheit in Estland ein wichtiges Grundrecht der Bürger und Unternehmen dar, welches nur unter Beachtung des Gesetzesvorbehalts und einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung eingeschränkt werden darf. (7) Die unternehmerische Freiheit 233 in Litauen In der Verfassung der Republik von Litauen234 finden sich in Kapitel 4 mit der Überschrift „Nationale Wirtschaft und Arbeit“ folgende Artikel:235 Artikel 46: Die litauische Wirtschaft umfasst das Recht auf privates Eigentum und das Recht, seine wirtschaftlichen Privatinitiativen umzusetzen. Der Staat schützt alle wirtschaftlichen Aktivitäten, die dem Gemeinwohl förderlich sind. Staatliche Regelungen hierzu sind nur zum Wohl der Allgemeinheit möglich. Monopolstrukturen in 232 Entscheidung des Staatsgerichtskollegiums für Verfassungsaufsicht Nr. 3-4-1-602 vom 12.6.2002, RT (State Gazette) III 2002, 18, 202. 233 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Litauisch ist wie folgt: „Laisv˙ e uzˇsiimti verslu: Laisve˙ uzˇsiimti verslu pripazˇ˛istama pagal Sa˛jungos teise˛ ir nacionalinius teises ˙ aktus bei praktika˛.“ 234 Verfassung vom 25. Oktober 1992 (konsolidierte Fassung vom 13. Juli 2004, No. IX-2343, No. IX-2344). 235 Die beiden Artikel wurden vom Verfasser ins Deutsche übersetzt. Grundlage war eine Englische Übersetzung des litauischen Verfassungsgerichts, die im Internet unter http://www.lrkt.lt/Documents2_e.html (geprüft am 11.07.2009) zu finden ist: „Art. 46: Lithuania’s economy shall be based on the right to private ownership, freedom of individual economic activity, and initiative. The State shall support economic efforts and initiative which are useful to the community. The State shall regulate economic activity so that it serves the general welfare of the people. The law shall prohibit monopolization of production and the market, and shall protect freedom of fair competition. The State shall defend the interests of the consumers. (. . .) Art. 48: Every person may freely choose an occupation or business, and shall have the right to adequate, safe and healthy working conditions, adequate compensation for work, and social security in the event of unemployment.“

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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der Warenproduktion oder marktbeherrschende Strukturen sind verboten. Der Staat regelt die Wirtschaftstätigkeit, so dass sie dem allgemeinen Wohl der Menschen dient. Das Gesetz verbietet Monopolstrukturen bei der Produktion und im Warenangebot. Es schützt den freien und fairen Wettbewerb und die Verbraucherinteressen. Art. 48: Jede Person kann sich frei entscheiden, welchen Beruf oder Beschäftigung sie wählen will. Sie hat das Recht auf sichere, angemessene und gesunde Arbeitsbedingungen, ein faires Arbeitsentgelt und soziale Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit.

In Artikel 46 wird die Basis der litauischen Wirtschaftsverfassung festgelegt. Neben dem Recht auf Privateigentum sind hier die objektiv-rechtliche Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung sowie die Freiheit des Wettbewerbs verbürgt.236 Letztere umfasst gemäß Artikel 46 Abs. 1 S. 4 unter anderem das gesetzliche Verbot von Produktions- und Marktmonopolen. Ein eindeutiges und ausdrückliches Bekenntnis zur freien Marktwirtschaft findet sich in der Verfassung Litauens nicht. Dennoch ist klar, dass bei der Vorgabe von Eigentumsschutz und der Freiheit ökonomischen Handelns die Wirtschaftsordnung nur auf eine Marktwirtschaft hinauslaufen kann. In Artikel 48 Abs. 1 wird das subjektive Recht auf gewerbliche Betätigung garantiert, welches systematisch gesehen untrennbar mit der Freiheit zur wirtschaftlichen Tätigkeit aus Art. 46 Abs. 1 der Verfassung verbunden ist und nach dem Verfassungsgericht durch den Grundsatz der Rechtssicherheit abgesichert wird.237 Schon im Jahr 1996 hatte das litauische Verfassungsgericht bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes über Kreditinstitute am 18. April 1996 folgenden Beschluss238 erlassen: 236 E. Sileikis, Die unternehmerische Freiheit in der Verfassungsrechtsprechung Litauens, S. 4. 237 E. Sileikis, Die unternehmerische Freiheit in der Verfassungsrechtsprechung Litauens, S. 5. 238 Der Text wurde vom Verfasser aus dem Englischen übersetzt. Grundlage war die offizielle Englische Übersetzung auf den Seiten des Gerichts, http://www.lrkt.lt/doku mentai/1996/n6a0418a.htm (geprüft am 11.07.2009): „(. . .) The right to property is closely connected with freedom of the individual which is proclaimed in the Constitution because the main function of the right to property is to give its possessor corresponding freedom in the field of economy, too. The provision ,Lithuania’s economy shall be based on the right to private ownership, freedom of individual economic activity, and initiative‘ of Part 1 of Article 46 of the Constitution expresses the constitutional principle defining the economic basis of the country. Freedom of economic activity means the right to possess property, the right to freely choose occupation and business, as well as dwelling place. Freedom of economic activity is freedom of contracts, freedom of fair competition, equal rights of entities of economic activity. In other words, freedom of individual economic activity and initiative is the whole complex of legal opportunities which creates preconditions for an individual to adopt decisions necessary for his economic activity by himself. Freedom of economic activity is not limitless. (. . .)“.

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C. Unternehmerische Freiheit „(. . .) Das Recht auf Eigentum ist eng verbunden mit der Freiheit des Einzelnen, wie es in der Verfassung proklamiert ist, weil dessen wichtigste Funktion darin liegt, seinem Inhaber entsprechende Freiheiten im Bereich der Wirtschaft einzuräumen. Die Festlegung: „Litauens Wirtschaft stützt sich auf das Recht von garantiertem Privateigentum und die volle Gewährung von wirtschaftlicher Privatinitiative des Einzelnen“ in Teil 1 des Artikels 46 der Verfassung legt damit den verfassungsmäßigen Grundsatz als wirtschaftliche Basis des Landes fest. Die Freiheit der wirtschaftlichen Tätigkeit bedeutet das Recht zum Erwerb von Vermögen, das Recht der Berufsfreiheit, der freien wirtschaftlichen Betätigung und das Recht, sich einen beliebigen Wohnsitz zu suchen. Die Freiheit der wirtschaftlichen Tätigkeit beinhaltet die Vertragsfreiheit, die Freiheit des unbeschränkten Zugangs am lauteren Wettbewerb und die Gleichberechtigung aller Wettbewerbsteilnehmer vor dem Gesetz. Mit anderen Worten, die Freiheit der individuellen wirtschaftlichen Privatinitiative in diesem Zusammenhang beinhaltet den gesamten Komplex der gegebenen rechtlichen Möglichkeiten, welche für jede Einzelperson die Voraussetzungen zu einer umfassenden wirtschaftlichen Betätigung schaffen. Diese Freiheit der Wirtschaftstätigkeit des Einzelnen ist nicht unbegrenzt. Es muss hier berücksichtigt werden, dass bei einem Konflikt mit anerkannten öffentlichen Interessen, die gesetzlich meist umfassend geregelt sind, diese dann den Vorrang haben. Aus der Sicht der einschlägigen liberalen Wirtschaftsdoktrinen dürfen diese nur so wenig wie möglich durch staatliche Eingriffe eingeschränkt werden. Die Rechtspraxis der modernen demokratischen Staaten ist hier geprägt vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wonach zu entscheiden ist: Die Freiheit der wirtschaftlichen Privatinitiative oder die Gleichheit aller vor dem Gesetz darf nicht ohne zwingenden Grund eingeschränkt werden. Art. 46 Abs. 1 der Verfassung legt die individuelle Freiheit zur wirtschaftlichen Betätigung fest, der auch die anderen Absätze desselben gewidmet sind. Wer sich über die fraglichen Gesetzesnormen in diesem Zusammenhang informieren will, muss auf Art. 46 Abs. 3 achten, worin festgelegt ist, dass der Staat den Wirtschaftsablauf so regeln muss, dass er dem allgemeinen öffentlichen Nutzen zum Wohle des Volkes dient. (. . .)“

In diesem Beschluss wurde nicht nur der enge Zusammenhang zwischen dem Recht auf Eigentum und der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit hervorgehoben, sondern das Verfassungsgericht war auch auf die verschiedenen Elemente der unternehmerischen Freiheit eingegangen, die in Litauen geschützt werden. Hierzu zählen insbesondere die Vertragsfreiheit, die Freiheit am unbeschränkten Zugang zum Wettbewerb sowie gleiche Bedingungen für wirtschaftliche Betätigungen. Das Verfassungsgericht machte weiter deutlich, dass die unternehmerische Freiheit nicht uneingeschränkt gilt, sondern dass der Staat gemäß Artikel 46 Satz 3 zum Wohle der Allgemeinheit regulierend eingreifen kann. Hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs stellte das Gericht klar, dass die unternehmerische Freiheit wie die Eigentumsgewährleistung auch auf juristische Personen Anwendung findet. Im Jahre 1999 erläuterte das Verfassungsgericht in seinem Beschluss „Zugang zum Staatsdienst“,239 dass gemäß Art. 48 Satz 1 jeder Mensch seinen Beruf oder 239 Valstybes Zinios (lit. Staatsanzeiger), 1999, Nr. 85-2548, Beschluss vom 6. Oktober 1999, http://www.lrkt.lt/dokumentai/1999/n9a1006a.htm (geprüft am 11.07.2009).

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Gewerbe frei wählen dürfe, was die subjektiv-rechtliche Möglichkeit beinhalte, sich nach eigenem Wunsch eine Arbeit oder gewerbliche Tätigkeit in der freien Marktwirtschaft auszuwählen. Dieses Recht schützt das Grundbedürfnis des Menschen, seine Lebensgrundlage zu sichern und gibt ihm die Möglichkeit, seine Persönlichkeit zu entwickeln sowie seine Stellung in der Gesellschaft erarbeiten zu können. Es obliegt dabei dem Staat, dieses Grundrecht zu schützen, indem er die passenden Rahmenbedingungen auf sozialer, organisatorischer und rechtlicher Ebene hierfür schafft. In dem Beschluss wurde auch die enge Verbindung der Art. 48 Satz 1 und Art. 46 Satz 1 hervorgehoben. In den Jahren 2000 und 2002 hatte das Verfassungsgericht240 durch zwei weitere Beschlüsse den Schutzbereich der unternehmerischen Freiheit erneut bestätigt und ging dabei auch dezidiert auf die geschriebenen Schranken ein. Insbesondere konkretisierte es dabei Art. 46 Satz 3 und stellte fest, dass gesetzliche Verbote, die die unternehmerische Freiheit einschränken, geeignet in Hinsicht auf die zu erzielenden Zwecke sowie begründet, nicht diskriminierend und deutlich formuliert sein müssen. Im Beschluss „Kennzeichnungspflicht für alkoholische Getränke“ 241 hatte das Verfassungsgericht daher eine Verordnung der Landesregierung für verfassungswidrig erklärt, die es den litauischen Unternehmern untersagte, ab dem 14. Januar 1998 alkoholische Getränke, welche noch mit alten Etiketten ausgestattet waren, zu verkaufen, zu transportieren oder einzulagern. Zwei Jahre später im Beschluss „Pharmazeutische Tätigkeit“ 242 erklärte es wieder eine gesetzliche Vorschrift für verfassungswidrig, die vorschrieb, dass über 50% der Kapitalanteile von privaten Apotheken im Eigentum von Personen mit pharmazeutischer Ausbildung sein müssen. (8) Die unternehmerische Freiheit 243 in Polen Die jetzige Verfassung der Republik Polen244 wurde von der Nationalversammlung am 2. April 1997 verabschiedet und am 25. Mai 1997 durch eine

240 Lietuvos Respublikos Konstitucinis Teismas, http://www.lrkt.lt/index_e.html (7.2. 2008). 241 Valstybes Zinios (lit. Staatsanzeiger), 2000, Nr. 17-419, Beschluss vom 23. Februar 2000, http://www.lrkt.lt/dokumentai/2000/r000223.htm (geprüft am 11.07.2009). 242 Valstybes Zinios (lit. Staatsanzeiger), 2002, Nr. 28-1003, Beschluss vom 14. März 2002, http://www.lrkt.lt/dokumentai/2000/r020314.htm (geprüft am 11.07.2009). 243 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Polnisch ist wie folgt: „Wolnos´c´ prowadzenia działalnos´ci gospodarczej: Uznaje sie˛ wolnos´c´ prowadzenia działalnos´ci gospodarczej, zgodnie z prawem Unii oraz ustawodawstwami i praktykami krajowymi.“ 244 Im Internet auf den Seiten des Verfassungsgerichtshofs: http://www.trybunal.gov. pl/akty/tlumaczenia/de.htm (geprüft am 11.07.2009).

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C. Unternehmerische Freiheit

Volksabstimmung legitimiert.245 Mit ihren 243 Artikeln ist sie eine der umfangreichsten Verfassungen in Europa.246 In Kapitel I mit der Überschrift „Die Republik“ finden sich in den Artikeln 17 Abs. 2, 20 sowie 22 Hinweise auf den Schutz der unternehmerischen Freiheit:247 Artikel 17. . . . . . . Die Selbstverwaltungen dürfen weder die Freiheit der Berufsausübung verletzen noch die Freiheit, eine wirtschaftliche Tätigkeit aufzunehmen, einschränken. Artikel 20. Die soziale Marktwirtschaft, gestützt auf die Freiheit der wirtschaftlichen Tätigkeit, Privateigentum und Solidarität, Dialog und Zusammenarbeit der sozialen Partner, bildet die Grundlage der wirtschaftlichen Ordnung der Republik Polen. Artikel 22. Eine Einschränkung der Freiheit der wirtschaftlichen Tätigkeit ist nur auf dem Gesetzesweg und nur wegen eines wichtigen gesellschaftlichen Interesses zulässig.248

Um einen näheren Einblick in die Verfassungsrechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofs zu bekommen, insbesondere auch hinsichtlich der Ausgestaltung der garantierten Wirtschaftsfreiheit gemäß Artikel 22 der polnischen Verfassung, wurden Urteilszusammenfassungen249 sowie schriftliche Ausführungen hierzu ausgewertet.250 Schon in seiner ersten Entscheidung zu Artikel 22 der neuen Verfassung stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass die Freiheit wirtschaftlicher Betätigung individualrechtlicher Natur sei und somit auch ein Recht des Einzelnen darstelle.251 Es spiele keine Rolle, dass das Grundrecht außerhalb des Grundrechtskatalogs in Kapitel II zu finden sei. Weiter führte er aus, dass Artikel 22 der 245 Polen verfügt über eine sehr lange Verfassungstradition. Die erste polnische Verfassung vom 3. Mai 1791 ist die älteste niedergeschriebene europäische Verfassung. 246 B. Banaszak, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, A X, Rdn. 1, 3: Hier findet sich auch ein Hinweis auf die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde durch den Bürger. 247 Neben diesen Bestimmungen findet sich noch ein am 2. Juli 2004 verabschiedetes Gesetz „Das Recht wirtschaftlicher Tätigkeit“. Dieses enthält in 111 Artikeln die Prinzipien über die Aufnahme, die Durchführung sowie das Beenden von wirtschaftlichen Tätigkeiten in Polen und setzt die Verantwortlichkeiten der Öffentlichen Behörden in diesem Bereich fest. (in Englisch: http://baltic.mg.gov.pl/businessstartup/legal aspects/act/ (geprüft am 11.07.2009). 248 Einen ähnlichen Artikel 6 gab es auch schon in der polnischen Verfassung von 1952 (Stand 1989): „Die Republik Polen garantiert die freie wirtschaftliche Betätigung unabhängig von der Eigentumsform; die Beschränkung dieser Freiheit kann nur durch ein Gesetz erfolgen.“ 249 Diese finden sich auf der Internetseite des Verfassungsgerichtshof in Englischer Sprache unter http://www.trybunal.gov.pl/eng/summaries/wstep_gb.htm (geprüft am 11.07.2009) sowie in der Hochschulschrift „Die unternehmerische Freiheit in der Verfassungsrechtsprechung Polens“ von A. Szafranski (Regensburg, 2005). 250 T. Diemer-Benedict, Wirtschaftsfreiheit in Polen, S. 79–128. 251 Verfassungsgerichtsentscheidung vom 8.4.1998 (K 10/97), Amtliche Sammlung 3/1998, S. 153–166; T. Diemer-Benedict, Wirtschaftsfreiheit in Polen, S. 81.

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Verfassung das Spiegelbild zum ehemaligen Artikel 6 der vorherigen Verfassung Polens sei. Zu beachten sei ferner, dass die Freiheit wirtschaftlicher Betätigung nur durch Gesetz und nur aus wichtigem öffentlichem Interesse beschränkt werden dürfe.252 Somit gelte bei Artikel 22 ein verschärfter Gesetzesvorbehalt. Der persönliche Anwendungsbereich von Artikel 22 der Verfassung ergibt sich aus Artikel 37 der polnischen Verfassung. Somit genießt grundsätzlich jeder die Freiheit wirtschaftlichen Handelns, soweit er sich im Hoheitsgebiet Polens aufhält.253 Artikel 37 Abs. 2 der Verfassung, der die Möglichkeit gesetzlicher Einschränkungen für Ausländer vorsieht, hat in diesem Bereich nur noch eine geringe Relevanz, da das relevante Gesetz „Das Recht wirtschaftlicher Tätigkeit“ gemäß Artikel 13 Absatz 3 nur ganz begrenzt von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Neben natürlichen Personen können sich nach der Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofs auch juristische Personen auf das Grundrecht der Freiheit wirtschaftlicher Betätigung berufen. Ausgenommen sind lediglich der Staat und dessen öffentliche Einrichtungen.254 Der Wesensgehalt des Grundrechts der Freiheit wirtschaftlicher Betätigung wird garantiert durch Art. 31 Abs. 3 Satz 2 der polnischen Verfassung. Des Weiteren findet der in Art. 31 Abs. 3 Satz 1 verbürgte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Anwendung auf die gesetzliche Schranke des Art. 22 der polnischen Verfassung.255 Die Vertragsfreiheit als ein Element der unternehmerischen Freiheit auf europäischer Ebene wird nach der Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofs nicht aus der grundrechtlich garantierten Wirtschaftsfreiheit abgeleitet, sondern aus der in Art. 31 Abs. 1 der Verfassung garantierten allgemeinen Freiheit des Menschen sowie aus der Verpflichtung zur Achtung der Freiheiten Anderer.256 Die vorstehende Untersuchung der polnischen Verfassung sowie Rechtsprechung hat gezeigt, dass die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung in Polen weitgehend verfassungsrechtlich geschützt wird. Einschränkungen sind nur durch 252 In dieser Entscheidung wurde der Eingriff in die Freiheit wirtschaftlicher Betätigung durch Limitierungen von Schankerlaubnissen gerechtfertigt, da die Gesundheit der Bürger wirksam geschützt und der um sich greifende Alkoholismus dringend eingedämmt werden müsse. 253 T. Diemer-Benedict, Wirtschaftsfreiheit in Polen, S. 95. 254 Verfassungsgerichtsentscheidung vom 7.5.2001 (K 19/00); Englische Zusammenfassung unter http://www.trybunal.gov.pl/eng/summaries/wstep_gb.htm (geprüft am 11.07.2009). 255 Verfassungsgerichtsentscheidung vom 25.7.2006 (P 24/05), Englische Zusammenfassung unter http://www.trybunal.gov.pl/eng/summaries/wstep_gb.htm (geprüft am 11.07.2009). 256 Verfassungsgerichtsentscheidung vom 29.4.2003 (SK 24/02), Englische Zusammenfassung unter http://www.trybunal.gov.pl/eng/summaries/wstep_gb.htm (geprüft am 11.07.2009).

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C. Unternehmerische Freiheit

Gesetz und bei besonderem öffentlichem Interesse möglich. Dabei ist die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips sowie der Wesensgehaltsgarantie zu beachten. (9) Die unternehmerische Freiheit 257 in Ungarn258 Ungarn hatte als ehemals sozialistisches Land nach dem Fall des Ostblocks im Jahr 1989259 bis zu seinem Beitritt in die Europäische Union am 1. Mai 2004 fünfzehn Jahre Zeit, um eine demokratische Rechtsordnung und mit ihr die volle Rechtswirkung von Grundrechten einzuleiten.260 Dieser Zeitraum wurde von Ungarn für eine programmatische und zügige Rezeption der bereits existierenden (west)europäischen Verfassungstraditionen genutzt – das Bestreben war schließlich eine „Rückkehr nach Europa“.261 Inwieweit das postkommunistische Land die Grundrechtsverbürgungen der unternehmerischen Freiheit hierbei umgesetzt hat und dabei sogar einen innovativen Beitrag262 oder originäre Ansätze hervorgebracht hat, wird nachfolgend untersucht. Die Verfassung von Ungarn aus dem Jahr 1949263 hat insbesondere durch die Neubekanntmachung vom 24. August 1990264 wesentliche Änderungen erfahren und enthält in der konsolidierten Fassung265 schon in der Präambel den Verweis auf eine soziale Marktwirtschaft.266 Darüber hinaus finden sich folgende Formulierungen:

257 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh. auf Ungarisch lautet: „A vállalkozás szabadsága: A vállalkozás szabadságát, az uniós joggal és a nemzeti jogszabályokkal és gyakorlattal összhangban, el kell ismerni.“ 258 Quelle der Urteilstexte des Verfassungsgerichts von Ungarn: http://www.mkab. hu/de/depage5.htm (geprüft am 11.07.2009); Deutsche Übersetzungen finden sich bei G. Brunner/L. Sólyom, Verfassungsgerichtsbarkeit in Ungarn. Weitere deutsche Urteilszusammenfassungen von R. Arnold/O. Salát, Die unternehmerische Freiheit in der Verfassungsrechtsprechung Ungarns, in: Entwicklungen im Europäischen Recht, Band 33, Regensburg 2005. 259 I. Vörös, in: Morsey/Quaritsch/Siedentopf, FS für Roman Schnur, S. 239. 260 L. Solyom, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, A XV, Rdn. 2. 261 L. Solyom, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, A XV, Rdn. 2. 262 T. Marauhn, Wirtschaftliche und soziale Rechte, in: Frowein/Marauhn, Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S.137. 263 Gesetz XX/1949, veröffentlicht in Magyar Közlöny 1949, Nr. 174 vom 20. August 1949. 264 Neubekanntmachung vom 24. August 1990, Magyar Közlöny 1990, Nr. 84. 265 Kimmel/Kimmel (Hrsg.), Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, S. 861: Verfassung der Republik Ungarn vom 20. August 1949, zuletzt geändert am 8. Dezember 2003: Übersetzung ins Deutsche durch das ungarische Verfassungsgericht; H. Roggemann, Die Verfassungen Mittel- und Osteuropas, S. 1032: Letzte berücksichtigte Änderung und Ergänzung durch Gesetz vom 31. Oktober 1997 (Magyar Közlöny 1997, Nr. 93, S. 6446, Übersetzerin Kinga Hiller). 266 Dies, unterstützt durch den Hinweis auf die Marktwirtschaft in Art. 9 Abs. 1 der Verfassung, ist als bewusste Abkehr von der sozialistischen Planwirtschaft zu werten, so

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Artikel 9 (1) Die Wirtschaft Ungarns ist eine Marktwirtschaft, in der das Gemeineigentum und das Privateigentum einen gleichberechtigten und gleichen Schutz genießen. (2) Die Republik Ungarn erkennt das Recht auf Unternehmung und die Freiheit des wirtschaftlichen Wettbewerbs an und unterstützt dieses. Kapitel 12: Grundrechte und -pflichten ... Artikel 70/B (1) In der Republik Ungarn besitzt jeder das Recht auf Arbeit und auf die freie Wahl der Arbeit und der Beschäftigung.

Insbesondere die Rechtsprechung des ungarischen Verfassungsgerichts, welche hinsichtlich der Ausdifferenzierung der Grundrechtsdogmatik nicht nur sehr weit gediehen ist, sondern auch deutlich inhaltliche Bezüge zur Praxis des deutschen Bundesverfassungsgerichts zeigt,267 hat maßgeblich zu der konsequenten Entwicklung einer marktwirtschaftlichen und ökonomischen Gesellschaftsordnung beigetragen.268 Artikel 9 Abs. 1 der ungarischen Verfassung, der sich außerhalb des eigentlichen Grundrechtsteils (Artikel 54 bis Artikel 70/K der Verfassung) befindet, enthält die ausdrückliche Gewährleistung, eine selbständige Wirtschaftstätigkeit aufzunehmen und auszuüben.269 Seit 1991 gab es hierzu Rechtsprechung des ungarischen Verfassungsgerichts.270 In einem Urteil aus dem Jahre 1993 wurde das Recht auf freie Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit explizit anerkannt. In diesem Zusammenhang stellte das ungarische Verfassungsgericht fest, dass der Staat im Rahmen seiner Steuerhoheit die Ausgestaltungsweise des Steuersystems frei bestimmen könne.271 Im Jahre 1995 wurde dann den Arbeitgebern die Verletzung ihrer Unternehmensfreiheit bestätigt, als ihnen das ungarische „Stabilisierungsgesetz“ mit seinen verschärften arbeitsrechtlichen Bestimmungen keine ausreichenden Übergangsfristen gewährte.272 Im gleichen Jahr wurde durch das ungarische Verfassungsgericht festgelegt, dass das Recht auf Ausübung einer freien unternehmerischen Tätigkeit auch die freie Wahl einer Unternehmensform beT. Marauhn, Wirtschaftliche und soziale Rechte, in: Frowein/Marauhn, Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 145. 267 A. Zimmermann, Bürgerliche und Politische Rechte, in: Frowein/Marauhn, Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 123. 268 I. Vörös, in: Morsey/Quaritsch/Siedentopf, FS für Roman Schnur, S. 243. 269 T. Marauhn, Wirtschaftliche und soziale Rechte, in: Frowein/Marauhn, Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 141. 270 Entscheidung 59/1991 (XI.19.) AB; später: Entscheidung 21/1994 (IV. 16.) AB. 271 Entscheidung 54/1993 (X. 13.) AB. 272 Entscheidung 44/1995 (VI.30.) AB, ABH 1995, 203.

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C. Unternehmerische Freiheit

inhaltet, soweit gleichzeitig die Regeln der betreffenden Unternehmensform eingehalten werden.273 Die Aufnahme der Unternehmensfreiheit in die Verfassung von Ungarn ist vor dem Hintergrund des Systemwechsels und der Abkehr von einer staatsgelenkten Wirtschaft keine Überraschung, sondern vielmehr ein klares Zeichen für die vollständige Transformation der Wirtschaft nach westlichen Anschauungen. In Artikel 9 Absatz 2 findet sich die Freiheit des Wirtschaftswettbewerbs kodifiziert. Es handelt sich nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs aber nicht um ein Grundrecht,274 ebenso wie die daraus abgeleitete Vertragsfreiheit275 kein Grundrecht darstellen soll.276 Zu beachten ist aber, dass beide Rechte durch den Schutz einzelner Grundrechte wie dem Eigentumsrecht und der Unternehmensfreiheit geschützt277 und durch das Verfassungsgericht als Staatsziele deklariert worden sind.278 In Ungarn fehlt eine Bestimmung wie Art. 19 Abs. 3 GG, die den personalen Geltungsbereich auch auf juristische Personen erstreckt. Abhilfe hat hier das ungarische Verfassungsgericht geschaffen, indem es die einschlägigen Wirtschaftsfreiheiten nach Sinn und Zweck dahingehend ausgelegt hat, dass sie auf juristische Personen Anwendung finden.279 Die aufgeführten Grundrechtsgewährleistungen der unternehmerischen Freiheit genießen durch die ungarische Verfassung einen speziellen Schutz, indem in Artikel 8 der Wesensgehalt der verfassungsrechtlich geschützten Grundrechte für unantastbar erklärt wird. Artikel 8 (1) Die Republik Ungarn erkennt die unantastbaren und unveräußerlichen Grundrechte des Menschen an, deren Achtung und Schutz die erstrangige Pflicht des Staates ist.

273

Entscheidung 506/B/1995 AB. Entscheidung 21/1994 (IV.16.) AB, ABH 1994, 117 (120); Entscheidung 17/1998 (V. 13.) AB. 275 Zur Herleitung wurde durch das Verfassungsgericht zusätzlich der Verfassungsgrundsatz der Marktwirtschaft aus Art. 9 Abs. 1 der Verfassung herangezogen, vgl.: Entscheidung 13/90 (VI.18.) AB, ABH 1990, 54 f. (Verbot der gesetzlichen Festlegung von vertraglich vereinbarten Zinssätzen zu Lasten der Sparer); Entscheidung 4/1991 (II.16.) AB, ABH 1991, 378 (Aufhebung der Mietpreisbindung I); Entscheidung 5/1991 (II.16.) AB, ABH 1991, 381 (Aufhebung der Mietpreisbindung II); Entscheidung 32/ 1991 (VI. 6.) AB (Anwendbarkeit der „clausula rebus sic stantibus“). 276 Entscheidung 32/1991 (VI.6.) AB, ABH 1991, 146. 277 T. Marauhn, Wirtschaftliche und soziale Rechte, in: Frowein/Marauhn, Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 183. 278 L. Solyom, Anmerkungen zur Rezeption, in: Frowein/Marauhn, Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 221. 279 Beschluss 1441/B/1990/2, ABH 1991, 590 (591). 274

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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(2) In der Republik Ungarn bestimmt ein Gesetz die auf die grundlegenden Rechte und Pflichten bezogenen Regelungen, doch darf dieses den wesentlichen Inhalt eines Grundrechtes nicht einschränken.

Dies bedeutet im konkreten Fall für die unternehmerische Freiheit, dass zumindest der wesentliche Inhalt im Sinne der Verhältnismäßigkeitsprüfung geschützt ist.280 Nach Ansicht des ungarischen Verfassungsgerichts darf der Gesetzgeber die durch die Verfassung garantierten Grundrechte nicht ohne zwingenden Grund einschränken. Darüber hinaus müssen die Bedeutung des angestrebten Zwecks und das Gewicht der zu diesem Zweck hervorgerufenen Grundrechtsbeeinträchtigung in Übereinstimmung zueinander stehen. Schließlich soll der Gesetzgeber zur Erreichung des Ziels nur das mildeste, noch ausreichende Mittel anwenden.281 Die Elemente des Grundrechtsschutzes der unternehmerischen Freiheit in Ungarn sind fast alle kodifiziert in der Verfassung wieder zu finden. Darüber hinaus hat das Verfassungsgericht aus der kodifizierten Freiheit des wirtschaftlichen Wettbewerbs unter Verweis auf die in der Verfassung enthaltene (soziale) Marktwirtschaft auch die Vertragsfreiheit entwickelt. Da beide Elemente keinen direkten Grundrechtsstatus haben, können sie durch die Geltendmachung spezieller Grundrechte verwirklicht werden.282 Somit wird in Ungarn die unternehmerische Freiheit durch die Verfassung und die Grundrechtsrechtsprechung des Verfassungsgerichts umfangreich gewährleistet.283 (10) Die unternehmerische Freiheit 284 in Belgien Die Grundrechte der Belgier finden sich unter der Überschrift „Die Belgier und ihre Rechte“ im zweiten Kapitel in den Artikeln 8 bis 32 der belgischen Ver280 W. Gärtner, Die Eigentumsgarantien, ROW 1995, S. 77; A. Zimmermann, Bürgerliche und Politische Rechte, in: Frowein/Marauhn, Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 92. 281 Beispielhaft einige Entscheidungen des Verfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit: Entscheidung Nr. 20/1990 vom 4. Oktober 1990, VerfGE 1, 69 (71); Entscheidung 21/1994 (IV.16) AB (Verbot einer Kontingentierung von Taxifahrerlizenzen); Entscheidung 24/1992 (IV.21) AB, ABH 1992, 126 (128) (Unverhältnismäßigkeit einer Eigentumsbeschränkung); Entscheidung 64/1993 (XII.22) AB, ABH 1993, 373 (Kaufoption bei kommunalen Mietwohnungen). 282 Entscheidung 21/1994 (IV.16) AB. 283 Exkurs zum Rechtsweg: In Ungarn kann das Verfassungsgericht zum Grundrechtsschutz im Rahmen der abstrakten nachträglichen Normenkontrolle (Popularklage) sowie der konkreten nachträglichen Normenkontrolle Entscheidungen treffen (vgl. G. Halmai, Bürgerliche und politische Rechte, in: Frowein/Marauhn, Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 128). Die Grundrechtsträger haben somit umfangreiche Schutzmöglichkeiten zur Geltendmachung ihrer Grundrechte, aber nur soweit es um die Verfassungswidrigkeit einer Rechtsnorm geht. Haben sie Erfolg, wird die verfassungswidrige Norm ganz oder teilweise für nichtig erklärt (H. Roggemann, Die Verfassungen Mittel- und Osteuropas, S. 125).

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C. Unternehmerische Freiheit

fassung. Ein Bezug zu den Elementen der unternehmerischen Freiheit ist lediglich in Art. 23 S. 1 sowie S. 3 Nr. 1 der belgischen Verfassung vorhanden. Art. 23 S. 1 i.V. m. S. 3 Nr. 1 belgische Verfassung:285 Jeder hat das Recht, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Zu diesem Zweck gewährleistet das Gesetz, das Dekret oder die in Artikel 134 erwähnte Regel unter Berücksichtigung der entsprechenden Verpflichtungen die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte und bestimmt die Bedingungen für ihre Ausübung. Diese Rechte umfassen insbesondere: (. . .) 1. das Recht auf Arbeit und auf freie Wahl der Berufstätigkeit im Rahmen einer allgemeinen Beschäftigungspolitik, die unter anderem darauf ausgerichtet ist, einen Beschäftigungsstand zu gewährleisten, der so stabil und hoch wie möglich ist, das Recht auf gerechte Arbeitsbedingungen und gerechte Entlohnung sowie das Recht auf Information, Konsultation und kollektive Verhandlungen.

(11) Die unternehmerische Freiheit 286 in Dänemark Im Grundgesetz von Dänemark (Danmarks Riges Grundlov) vom 5. Juni 1953 (seither unverändert) findet sich folgender Wortlaut:287 § 74. Alle Beschränkungen des Rechtes auf freie und gleiche Berufsausübung, soweit sie nicht durch Erfordernisse des Gemeinwohls begründet sind, sollen durch Gesetz aufgehoben werden.

(12) Die unternehmerische Freiheit 288 in Finnland Elemente der unternehmerischen Freiheit finden sich in § 18 Abs. 1 der finnischen Verfassung289 vom 1. März 2000: § 18 – Recht auf Arbeit und Gewerbefreiheit: Jeder hat das Recht, sein Einkommen durch eine Arbeit, einen Beruf oder ein Gewerbe seiner Wahl gesetzlich zu erwerben. Die öffentliche Gewalt hat für den Schutz der Arbeitskraft Sorge zu tragen. Die öf284 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Wallonisch (neben Flämisch und Deutsch ist das die dritte Amtssprache in Belgien) ist wie folgt: „Liberté d’entreprise: La liberté d’entreprise est reconnue conformément au droit de l’Union et aux législations et pratiques nationales.“ 285 Verfassung Belgiens vom 7. Februar 1831 in der konsolidierten Fassung vom 17. Februar 1994 (Stand 7. Mai 2007). 286 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Dänisch ist wie folgt: „Frihed til at oprette og drive egen virksomhed: Friheden til at oprette og drive egen virksomhed anerkendes i overensstemmelse med EU-retten og national lovgivning og praksis.“ 287 Die Quellen der nachfolgend zitierten Grundrechts- und Verfassungspassagen finden sich in Fußnote 250. 288 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Finnisch ist wie folgt: „Elinkeinovapaus: Elinkeinovapaus tunnustetaan unionin oikeuden sekä kansallisten lainsäädäntöjen ja käytäntöjen mukaisesti.“ 289 Die inoffizielle deutsche Übersetzung des Justizministerium Finnland ist im Internet unter folgender Adresse veröffentlicht worden: http://www.finlex.fi/en/laki/kaan nokset/1999/de19990731.pdf (geprüft am 11.07.2009).

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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fentliche Gewalt hat die Beschäftigung zu fördern und soll danach streben, für jeden das Recht auf Arbeit zu sichern. Das Recht auf eine beschäftigungsfördernde Ausbildung wird durch Gesetz geregelt. Niemand darf ohne gesetzliche Grundlage aus seiner Arbeit entlassen werden.

(13) Die unternehmerische Freiheit 290 in Griechenland Die Verfassung der griechischen Republik vom 9. Juni 1975291 enthält in ihrem Grundrechtskatalog im zweiten Teil sowie im vierten Teil folgende Bestimmungen zum Schutz der unternehmerischen Freiheit: Artikel 5. (1) Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und auf die Teilnahmen am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben des Landes, soweit er nicht gegen die Rechte anderer, die Verfassung oder die guten Sitten verstößt. ... Artikel 106. (1) . . . (2) Die private wirtschaftliche Initiative darf nicht zu Lasten der Freiheit und der Menschenwürde oder zum Schaden der Volkswirtschaft entfaltet werden.

(14) Die unternehmerische Freiheit 292 in Irland Die Verfassung der Republik Irland293 enthält in den Artikeln 40 bis 45 die Grundrechte seiner Bürger. Elemente der unternehmerischen Freiheit sind enthalten in Artikel 45 der Verfassung: Leitsätze der Sozialpolitik Art. 45. . . . (2) Die Politik des Staates ist insbesondere darauf ausgerichtet zu sichern, ... c) dass insbesondere zum allgemeinen Schaden der freie Wettbewerb nicht in eine Zusammenballung des Eigentums oder der Kontrolle wesentlicher Güter in den Händen weniger ausarten darf; ... (3) 1. Der Staat begünstigt und unterstützt, sofern dies notwendig ist, die Privatinitiative in Industrie und Handel. 290 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Griechisch ist wie folgt: „EpixeirhmatikÞ eleuqerßa: H epixeirhmatikÞ eleuqerßa anagnwrßzetai sým—wna me to dßkaio thò ”nwshò kai tiò eqnikÝò nomoqesßeò kai praktikÝò.“ 291 In Kraft getreten am 11. Juni 1975 (konsolidierte Fassung vom 16. April 2001). 292 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Irisch ist wie folgt: „Saoirse chun gnó a sheoladh: Aithnítear an tsaoirse chun gnó a sheoladh i gcomhréir le dlí an Aontais agus le dlíthe agus cleachtais náisiúnta.“ 293 Verfassung der Republik Irland vom 1. Juli 1937, in Kraft getreten am 29. Dezember 1937 (verwendete, konsolidierte Fassung vom 7. November 2002).

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C. Unternehmerische Freiheit

(15) Die unternehmerische Freiheit 294 in Lettland Im Grundgesetz der Republik Lettland295 sind die Grundrechte des Menschen in Kapitel VIII296 enthalten. Zum Schutz der unternehmerischen Freiheit wird insbesondere folgende Bestimmung herangezogen: Artikel 106. Jeder hat das Recht, seine Beschäftigung und seinen Arbeitsplatz frei und entsprechend seinen Fähigkeiten und Qualifikationen auszuwählen. Zwangsarbeit ist verboten. Als Zwangsarbeit gelten nicht die Heranziehung zur Beseitigung von Katastrophen und deren Folgen sowie die Beschäftigung gemäß einer Gerichtsentscheidung.

(16) Die unternehmerische Freiheit in Luxemburg Die Verfassung des Großherzogtums Luxemburg297 garantiert in Kapitel II in den Artikeln 9 bis 31 die Grund- und Menschenrechte. Den deutlichsten Bezug zur unternehmerischen Freiheit hat hierbei folgender Artikel: Artikel 11 Abs. 6: Das Gesetz gewährleistet die Freiheit des Handelns und der Industrie sowie die Ausübung der freien Berufe und der landwirtschaftlichen Arbeit, vorbehaltlich der Einschränkungen, welche die gesetzgebende Gewalt festlegt.

(17) Die unternehmerische Freiheit 298 in Malta Die Maltesische Verfassung vom 21. September 1964299 enthält in Kapitel IV in den Artikeln 32 bis 47 die Grundrechte und Freiheiten der Bürger. In Kapitel II findet sich unter den Verfassungsprinzipien folgender Artikel mit Bezug zur unternehmerischen Freiheit: Artikel 18: Der Staat fördert die privatwirtschaftlichen Unternehmen.

294 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Lettisch ist wie folgt: „Darı¯jumdarbı¯bas brı¯vı¯ba: Darı¯jumdarbı¯bas brı¯vı¯bu atzı¯st saskan¸a¯ ar Savienı¯bas tiesı¯bu aktiem un valstu tiesı¯bu aktiem un praksi.“ 295 Das Grundgesetz vom 15. Februar 1922 ist erstmals am 7. November 1922 in Kraft getreten. Nachdem es mehrmals faktisch aufgehoben wurde, konnte es durch Zusammentritt des litauischen Parlaments Seimas am 6. Juli 1993 wieder in Kraft gesetzt werden. (Änderungen berücksichtigt bis zum 3. Mai 2007). 296 Dieses Kapitel wurde durch Gesetz am 15. Oktober 1998 eingefügt. 297 Verfassung des Großherzogtums Luxemburg vom 9. Juli 1848, in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Oktober 1868 (verwendeter Stand: 19. Dezember 2003). 298 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Maltesisch ist wie folgt: „Libertà ta’ intrapriz˙a: Il-libertà ta’ intrapriz˙a skond id-dritt ta’ l-Unjoni u l-lig˙ijiet u l-prattic˙i nazzjonali hija rikonoxxuta.“ 299 Stand: 2001.

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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(18) Die unternehmerische Freiheit 300 in den Niederlanden Die Verfassung des Königreiches der Niederlande301 schützt die Grundrechte mit ihren Artikeln 1 bis 23 der Verfassung. Einen expliziten Schutz der unternehmerischen Freiheit findet man in den Grundrechten nicht. In Artikel 19 Absatz 3 findet sich mit der Berufsfreiheit das Grundrecht mit einem engen Bezug zur unternehmerischen Freiheit: Art. 19 (3) Das Recht jeden Niederländers auf freie Wahl der Arbeit wird anerkannt, unbeschadet der Einschränkung durch Gesetz oder Kraft eines Gesetzes.

(19) Die unternehmerische Freiheit in Österreich Fast alle in Österreich garantierten Grundrechte finden sich im Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (StGG). Hintergrund ist, dass die konstituierende Nationalversammlung im Jahre 1920 sich beim Entwurf der österreichischen Verfassung nicht auf einen Grundrechtskatalog einigen konnte. Der Kompromiss war die Nutzung des Staatsgrundgesetzes. Dort finden sich zwei Artikel, die Aspekte der unternehmerischen Freiheit beinhalten. Insbesondere die in Artikel 6 garantierte Freiheit der Erwerbsbetätigung, welche nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nur beschränkt werden darf, soweit dies durch ein öffentliches Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet, adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen ist,302 verhalf Unternehmen zu weit reichenden Deregulierungsmaßnahmen in Österreich.303 Art. 6 Staatsgrundgesetz (StGG): Jeder Bürger kann an jedem Orte des Staatsgebietes seinen Aufenthalt und Wohnsitz nehmen, Liegenschaften jeder Art erwerben und über dieselben frei verfügen, sowie unter den gesetzlichen Bedingungen jeden Erwerbszweig ausüben. Für die tote Hand304 sind Beschränkungen des Rechtes, Liegenschaften zu erwerben und über sie zu verfügen, im Wege des Gesetzes aus Gründen des öffentlichen Wohles zulässig. ... 300 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Niederländisch ist wie folgt: „De vrijheid van ondernemerschap: De vrijheid van ondernemerschap wordt erkend overeenkomstig het recht van de Unie en de nationale wetgevingen en praktijken.“ 301 Verfassung des Königreiches der Niederlande vom 24. August 1815 in der Fassung der Neubekanntmachung vom 17. Februar 1983 (letzte Änderung in 2007). 302 Zahlreiche Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs hierzu unter http://www. ris2.bka.gv.at/Vfgh/ (geprüft am 11.07.2009), zum Beispiel Entscheidung des Verfassungsgerichtshof vom 4.10.1984, G70/84 (VfSlg. 10179/1984), Entscheidung des Verfassungsgerichtshof vom 23.6.1986, G 14, 25–69, 78, 95, 96, 99, 100/86 (VfSlg. 10932/1986), Entscheidung des Verfassungsgerichtshof vom 5.3.1987, G 174/86 (VfSlg. 11276/1987). 303 Beispielhaft hierfür: Entscheidung des Verfassungsgerichtshof vom 16.3.2007, G40/06. (VfSlg. 2007). 304 Anmerkung des Verfassers: „Tote Hand“ bezeichnet hier geistliche Stiftungen und sonstige kirchlichen Einrichtungen.

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C. Unternehmerische Freiheit

Art. 18 Staatsgrundgesetz (StGG): Es steht Jedermann frei, seinen Beruf zu wählen und sich für denselben auszubilden, wie und wo er will.

(20) Die unternehmerische Freiheit 305 in Portugal Die Verfassung der portugiesischen Republik vom 2. April 1976306 enthält in Teil 1 (Artikel 12 bis 79) die Grundrechte und Grundpflichten seiner Bürger. Einen Bezug zum Grundrecht der unternehmerischen Freiheit hat dabei folgender Artikel: Art. 61. (1) Innerhalb des in der Verfassung und im Gesetz festgelegten Rahmens und unter Berücksichtigung des Allgemeininteresses entfaltet sich die private Wirtschaftsinitiative frei. (2) Allen ist das Recht auf freie Bildung von Genossenschaften gewährleistet, sofern sie die Grundsätze des Genossenschaftswesens achten. (3) Genossenschaften können ihre Tätigkeiten frei entfalten und sich zu Unionen, Förderationen und Konföderationen und anderen gesetzlich zulässigen Organisationsformen zusammenschließen. (4) Bestimmte kooperative Organisationen mit Beteiligung der öffentlichen Hand werden gesetzlich bestimmt. (5) Das Recht der Arbeiterselbstverwaltung wird nach Maßgabe des Gesetzes anerkannt.

Zur Sicherung des Wettbewerbs in Portugal wurde folgende Bestimmung in Teil 2 der Verfassung, welche Regelungen zur Wirtschaftsordnung enthält, aufgenommen: Art. 81. Im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik hat der Staat vorrangig die folgenden Aufgaben: . . . e) die effiziente Funktion der Märkte sicherzustellen, indem ein ausgewogener Wettbewerb zwischen den Unternehmen gewährleistet wird, sowie die Bildung von privaten Monopolen zu beseitigen und zu verhindern und den Missbrauch wirtschaftlicher Macht und alle dem Gemeininteresse abträglichen Tätigkeiten zu unterbinden;

(21) Die unternehmerische Freiheit 307 in Rumänien Die Verfassung Rumäniens vom 21. November 1991308 garantiert in Kapitel II die fundamentalen Rechte und Freiheiten seiner Bürger. In Kapitel IV finden sich 305 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Portugiesisch ist wie folgt: „Liberdade de empresa: É reconhecida a liberdade de empresa, de acordo com o direito da União e as legislações e práticas nacionais.“ 306 Verfassung von Portugal in der Fassung des Verfassungsgesetzes vom 12. Dezember 2001. 307 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Rumänisch ist wie folgt: „Libertatea de a desfa˘s¸ura o activitate comerciala˘: Libertatea de a desfa˘s¸ura o activitate comerciala˘

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Vorschriften über die Wirtschaft und die öffentlichen Finanzen und in Bezug zur unternehmerischen Freiheit insbesondere folgende Passage: Art. 134 (1) Die Wirtschaft Rumäniens ist eine Marktwirtschaft. (2) Der Staat muss gewährleisten: a) die Handelsfreiheit, den Schutz des lauteren Wettbewerbs, die Schaffung des günstigen Rahmens für die Verwertung aller Produktionsfaktoren; . . .

(22) Die unternehmerische Freiheit 309 in Schweden In der Verfassung des Königreiches Schweden310 mit ihren dreizehn Kapiteln sind Elemente der unternehmerischen Freiheit wie folgt enthalten: Kapitel 2, § 20 Einschränkungen des Rechts, Erwerb zu treiben oder einen Beruf auszuüben, dürfen nur vorgenommen werden, um dringende öffentliche Interessen zu schützen und niemals zu dem einzigen Zweck, bestimmte Personen oder Unternehmen wirtschaftlich zu begünstigen. ... Kapitel 8, § 7 (1) . . . kann die Regierung aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung auf dem Verordnungsweg . . . Vorschriften erlassen, wenn diese einen der folgenden Gegenstände betreffen: . . . 3. Ein- und Ausfuhr von Waren, Geld oder sonstigen Vermögenswerten; Produktion, Verkehr, Kreditgewährung oder wirtschaftliche Tätigkeit; ...

(23) Die unternehmerische Freiheit 311 in der Slowakei In der Verfassung der slowakischen Republik vom 1. September 1992312 sind die Grundrechte und Grundfreiheiten im zweiten Hauptstück in den Artikeln 11 bis 54 aufgezählt. Im dritten Hauptstück finden sich Bestimmungen über die Wirtschaft der slowakischen Republik. Artikel mit einem Bezug zur unternehmerischen Freiheit sind:

este recunoscuta˘ în conformitate cu dreptul Uniunii s¸i cu legislat,iile s¸i practicile nat,ionale.“ 308 Die Verfassung wurde erweitert durch Gesetz Nr. 429/2003, veröffentlicht im rumänischen Bundesgesetzblatt Teil 1, Nr. 758 am 29. Oktober 2003. 309 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Schwedisch ist wie folgt: „Näringsfrihet: Näringsfriheten skall erkännas i enlighet med unionsrätten samt nationell lagstiftning och praxis.“ 310 Schwedische Verfassung vom 28. Februar 1974, in Kraft getreten am 1. Januar 1975 (Stand: September 2002). 311 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Slowakisch ist wie folgt: „Sloboda podnikania: Sloboda podnikania sa uznáva v súlade s právom Únie, vnútrosˇtátnymi právnymi predpismi a praxou.“ 312 Stand: 11. April 2002.

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C. Unternehmerische Freiheit

Artikel 35. (1) Jeder hat das Recht auf freie Berufswahl und Ausbildung dazu sowie das Recht, unternehmerisch tätig zu sein oder eine andere Erwerbstätigkeit auszuüben. (2) Durch Gesetz können Bedingungen und Beschränkungen für die Ausübung bestimmter Berufe oder Tätigkeiten festlegt werden. Artikel 55. (1) Die Wirtschaft der slowakischen Republik beruht auf den Prinzipien einer sozial und ökologisch orientierten Marktwirtschaft. (2) Die slowakische Republik schützt und unterstützt den wirtschaftlichen Wettbewerb. Näheres wird durch Gesetz geregelt.

(24) Die unternehmerische Freiheit 313 in Slowenien Die Verfassung der Republik Slowenien ist in zehn Abschnitte aufgeteilt. Die Menschenrechte und Grundfreiheiten finden sich in den Artikeln 14 bis 65. In den folgenden Artikeln 66 bis 79 sind Bestimmungen zu den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen aufgelistet. Insbesondere folgender Artikel ist im Zusammenhang mit dem Grundrecht der unternehmerischen Freiheit hervorzuheben:314 Artikel 74: Unternehmertum Die Gewerbefreiheit wird gewährleistet. Durch Gesetz werden die Bedingungen für die Gründung von Wirtschaftsorganisationen geregelt. Eine wirtschaftliche Tätigkeit darf dem öffentlichen Wohl nicht widersprechen. Unlauterer Wettbewerb sowie Handlungen, die gegen das Gesetz den Wettbewerb einschränken, sind verboten.

313 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Slowenisch ist wie folgt: „Svoboda gospodarske pobude: Svoboda gospodarske pobude je priznana v skladu s pravom Unije ter nacionalnimi zakonodajami in obicˇaji.“ 314 Umfangreiche Rechtsprechung (in englischer Sprache) findet sich auf der offiziellen Internetseite des Verfassungsgerichts, http://odlocitve.us-rs.si/usrs/us-odl.nsf/in dex_eng.htm (geprüft am 11.07.2009). Ausführungen zum Schutzbereich der in Art. 74 verbürgten unternehmerischen Freiheit finden sich beispielsweise im Verfassungsgerichtsurteil U-I-296/96-41 vom 19.3.1998 (der nachfolgende Urteilsauszug wurde vom Verfasser aus dem Englischen übersetzt): „Unternehmerische oder geschäftliche Freiheit gemäß Artikel 74 der Verfassung garantiert vor allem den Schutz gegen unberechtigte staatliche Eingriffe. Die unternehmerische Freiheit garantiert insbesondere das Recht zur Gründung eines Unternehmens (im Rahmen der gesetzlichen Bedingungen), dasselbe in Übereinstimmung mit den anerkannten wirtschaftlichen Prinzipien zu führen und auch, wenn dies gewünscht wird, um dasselbe zu schließen. Darüber hinaus umfasst dieses Recht die Freiheit, alle wirtschaftlichen Tätigkeiten zu entfalten und die eigenen wirtschaftlichen Partner auszusuchen. In Übereinstimmung zu diesem dritten Absatz der zitierten Verfassungsbestimmung sind insbesondere unfairer Wettbewerb und alle gegen das Gesetz verstoßenden Handlungsweisen unzulässig, die den Wettbewerb beeinträchtigen.“

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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(25) Die unternehmerische Freiheit 315 in Spanien Die Verfassung des Königreichs Spanien316 mit seinen Grundrechten und Grundpflichten in den Artikeln 10 bis 55 enthält einen eigenen Artikel zum Schutz der unternehmerischen Freiheit: Art. 38. Die Unternehmensfreiheit im Rahmen der Marktwirtschaft wird anerkannt. Die öffentliche Gewalt gewährleistet und schützt ihre Ausübung und die Erhaltung der Produktivität, in Einklang mit den Erfordernissen der allgemeinen Wirtschaft und gegebenenfalls der Planung.

(26) Die unternehmerische Freiheit 317 in Tschechien Der Staat Tschechien besteht seit dem 1. Januar 1993 in seiner heutigen Form als unabhängige Republik neben der Slowakei. Die zugrunde liegende Verfassung wurde am 16. Dezember 1992 durch das Präsidium des Tschechischen Nationalrates verabschiedet. Dabei wurde die Deklaration der Grundrechte und Grundfreiheiten, die bereits am 9. Januar 1991 von der tschechoslowakischen Bundesversammlung beschlossen worden war, unverändert übernommen318 und ist damit Bestandteil der Verfassungsordnung der Tschechischen Republik geworden. In den insgesamt 44 Artikeln findet sich auch die unternehmerische Freiheit. Kapitel IV. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Artikel 26. (1) Jedermann hat das Recht, sich frei seinen Beruf zu wählen und sich für diesen auszubilden, sowie das Recht, zu unternehmen oder eine andere Wirtschaftstätigkeit auszuüben. (2) Das Gesetz kann Bedingungen und Beschränkungen für die Ausübung bestimmter Berufe oder Tätigkeiten festlegen. ... Artikel 44. Das Gesetz kann Richtern und Staatsanwälten das Recht, kaufmännisch zu unternehmen oder eine Wirtschaftstätigkeit auszuüben, . . . beschränken;

315 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Spanisch ist wie folgt: „Libertad de empresa: Se reconoce la libertad de empresa de conformidad con el Derecho de la Unión y con las legislaciones y prácticas nacionales.“ 316 Verfassung des Königreichs Spanien vom 29. Dezember 1978, Stand: 27. August 1992. 317 Der Wortlaut von Art. 16 GRCh auf Tschechisch ist wie folgt: „Svoboda podnikání: Svoboda podnikání se uznává v souladu s právem Unie a vnitrostátními zákony a zvyklostmi.“ 318 Art. 3 und Art. 112 Abs. 1 der Verfassung der Tschechischen Republik vom 16. Dezember 1992.

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C. Unternehmerische Freiheit

(27) Die unternehmerische Freiheit in Zypern Die Verfassung der Republik Zypern319 vom 6. April 1960 enthält in den Artikeln 6 bis 35 die Grundrechte und Grundfreiheiten seiner Bürger. Ein Bezug zur unternehmerischen Freiheit findet sich dabei insbesondere in den Artikeln 25 und 26 der zypriotischen Verfassung. Artikel 25 Absatz 1 gewährleistet die Ausübung eines Berufs oder einer Erwerbstätigkeit sowie das Recht, ein Geschäft zu betreiben oder ein Gewerbe auszuüben. Die gesetzlichen Schranken finden sich in Absatz 2 und Absatz 3. Artikel 26 Absatz 1 sichert darüber hinaus die Vertragsfreiheit.320 Artikel 25. 1. Jeder Mensch hat das Recht zur Ausübung eines jeden Berufs oder jeder Beschäftigung, jedes Handelgewerbes oder Geschäfts. 2. Die Ausübung dieses Rechts kann von Formalitäten, Bedingungen oder Beschränkungen abhängig gemacht werden, die ein formales Gesetz vorsieht, um hierbei ausschließlich solche Berufsqualifikationen zu gewährleisten, die zur ordnungsgemäßen Ausübung eines solchen Berufs notwendig sind oder die im öffentlichen Interesse aus Sicherheitsgründen, aus Gründen der öffentlichen Gesundheit, sittlichen Rücksichtnahmen oder zum Schutz der Grundrechte anderer nötig sind, die ebenfalls unter dem Schutz dieser Verfassung stehen. 3. Die Rechte dieses Artikels können auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden, soweit dies im öffentliche Interesse liegt (. . .) Art. 26 Abs. 1 Jede Person hat das Recht, mit jedem Dritten in vertragliche Beziehungen zu treten, wenn nicht Rechtsbedingungen, Begrenzungen oder gesetzliche Einschränkungen, wie sie allgemein gelten, dem entgegenstehen. Ein Gesetz soll vor wirtschaftlicher Ausbeutung durch Personen mit großer wirtschaftlicher Macht schützen.

319 Die Republik Zypern trat am 1. Mai 2004 als erster asiatischer Staat der Europäischen Union bei. 320 Grundlage der durch den Verfasser angefertigten Übersetzung ist die Englische Fassung, welche unter http://kypros.org/constitution/english/ (geprüft am 11.07.2009) zu finden ist und wie folgt lautet: „Article 25. 1. Every person has the right to practice any profession or to carry on any occupation, trade or business. 2. The exercise of this right may be subject to such formalities, conditions or restrictions as are prescribed by law and relate exclusively to the qualifications usually required for the exercise of any profession or are necessary only in the interests of the security of the Republic or the constitutional order or the public safety or the public order or the public health or the public morals or for the protection of the rights and liberties guaranteed by this Constitution to any person or in the public interest. (. . .) 3. As an exception to the aforesaid provisions of this Article a law may provide, if it is in the public interest, (. . .) Article 26. 1. Every person has the right to enter freely into any contract subject to such conditions, limitations or restrictions as are laid down by the general principles of the law of contract. A law shall provide for the prevention of exploitation by persons who are commanding economic power. (. . .)“.

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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(28) Die unternehmerische Freiheit in der Schweiz Die Schweiz selber ist kein Mitglied der Europäischen Union und unterliegt damit weder der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs noch der Grundrechtecharta. Entsprechend gering wird der Einfluss des Grundrechtsniveaus in der Schweiz auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ausfallen. Gleichwohl werden die Elemente der unternehmerischen Freiheit aus der Bundesverfassung des föderalistischen Bundesstaates aufgeführt. Die geografisch zentrale Lage des demokratischen Rechtsstaats in Europa, umringt von Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sowie die seit 1963 bestehende Mitgliedschaft im Europarat und insbesondere die aktualisierte Bundesverfassung bilden ein ausreichendes Fundament für Gedankenanstöße und Interpretationsansätze für das vorliegende Projekt. Die Bürger der Schweiz gaben sich durch eine Volksabstimmung am 18. April 1999 eine neue Bundesverfassung.321 Die Grundrechte sind im 1. Kapitel des 2. Titels kodifiziert. Hier ist es insbesondere Artikel 27, der die Wirtschaftsfreiheit als subjektives Recht und damit ein Kernelement der unternehmerischen Freiheit gewährleistet. Art. 27. Wirtschaftsfreiheit (1) Die Wirtschaftsfreiheit ist gewährleistet. (2) Sie umfasst insbesondere die freie Wahl des Berufes sowie den freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit und deren freie Ausübung. ... Art. 36. Einschränkungen von Grundrechten (1) Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. (2) Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein. (3) Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismäßig sein. (4) Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar. ...

Weiter finden sich in der Bundesverfassung Bestimmungen, die die Wirtschaftsfreiheit als allgemeinen Grundsatz der Wirtschaftsordnung festlegen und das Recht auf Teilhabe am Wettbewerb stärken.

321 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, in Kraft getreten am 1. Januar 2000 (letzte Fassung: 1. Januar 2008). Online ist die aktuellste Version zu finden unter http://www.admin.ch/ch/d/sr/101.html (geprüft am 11.07.2009).

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C. Unternehmerische Freiheit

Art. 94. Grundsätze der Wirtschaftsordnung (1) Bund und Kantone halten sich an den Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit. (2) Sie wahren die Interessen der schweizerischen Gesamtwirtschaft und tragen mit der privaten Wirtschaft zur Wohlfahrt und zur wirtschaftlichen Sicherheit der Bevölkerung bei. (3) Sie sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für günstige Rahmenbedingungen für die private Wirtschaft. (4) Abweichungen vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit, insbesondere auch Maßnahmen, die sich gegen den Wettbewerb richten, sind nur zulässig, wenn sie in der Bundesverfassung vorgesehen oder durch kantonale Regalrechte begründet sind. ... Art. 96. Wettbewerbspolitik (1) Der Bund erlässt Vorschriften gegen volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und anderen Wettbewerbsbeschränkungen. (2) Er trifft Maßnahmen a. zur Verhinderung von Missbräuchen in der Preisbildung durch marktmächtige Unternehmen und Organisationen des privaten und des öffentlichen Rechts; b. gegen den unlauteren Wettbewerb. . . .

c) Zwischenergebnis Die Untersuchung des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit in den europäischen Mitgliedstaaten wurde mit zwei unterschiedlichen Vorgaben durchgeführt. Eine vertiefte Untersuchung wurde bezüglich der deutschen Grundrechtsrechtsprechung vorgenommen, die wesentlichen Einfluss auf den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und seine Grundrechtsentwicklung genommen hat.322 Auch wurden die Grundrechtsstandards unternehmerischer Freiheit eingehend in Frankreich, Italien und Großbritannien durchleuchtet sowie in fünf jüngeren Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Gerade die Staaten Mittel- und Osteuropas sind insoweit von besonderem Interesse, als dass sie den Grundrechtsstandard und die damit verbundenen Erfahrungen und Errungenschaften der westeuropäischen Rechtssysteme nicht einfach übernommen, sondern ihr Verfassungsgefüge durch Orientierung an und Rezeption von westlichen Modellen gestaltet haben.323 In den Verfassungen dieser Staaten sind deshalb regelmäßig Grundrechtsgewährleistungen kodifiziert, die in westlichen Staaten mit älteren Grundrechtskatalogen nur durch nationale Grundrechtsrechtsprechung anerkannt und gesichert werden. 322

D. Ehlers, in: ders., Europäische Grundrechte, § 14, S. 385, Rdn. 5. E. Drumeva, in: Frowein/Marauhn, Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 202. 323

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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In allen übrigen Grundrechtskatalogen der europäischen Mitgliedstaaten wurden die enthaltenen Elemente unternehmerischer Freiheit zusammengetragen, um zumindest eine europaweite Gesamtbetrachtung des nationalen Kodifizierungsstatus zu ermöglichen und die Basis für einen wertenden Verfassungsvergleich im Sinne des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu liefern. Betrachtet man die Staaten Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, Bulgarien, Estland, Litauen, Polen und Ungarn, so reicht die Bandbreite der unternehmerischen Freiheit auf nationaler Ebene von fehlender bis ausdrücklicher Kodifizierung in den nationalen Grundrechtskatalogen. Als gemeinsamer Minimalkonsens lässt sich festhalten, dass in allen Mitgliedstaaten Elemente der unternehmerischen Freiheit zumindest durch die nationale Grundrechtsrechtsprechung der Verfassungsgerichte garantiert werden.324 Die jeweiligen Grundrechtsgewährleistungen zur unternehmerischen Freiheit werden in keinem dieser Länder vorbehaltlos eingeräumt, sondern unterliegen regelmäßig Schranken. Hierbei handelt es sich sowohl um geschriebene als auch um ungeschriebene Schranken. Zu berücksichtigen sind dabei regelmäßig der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Gemeinwohlinteresse sowie die öffentliche Ordnung unter Beachtung der Wesensgehaltsgarantie. Die Vielzahl an Ausdrücken und Formulierungen für die einzelnen Elemente unternehmerischer Freiheit alleine schon in diesen neun näher untersuchten Mitgliedstaaten sowie die individuellen Gewährleistungsniveaus auf nationaler Ebene führt dazu, dass die Erarbeitung eines europaweiten Grundrechtsniveaus nahezu ausgeschlossen erscheint. Die durchgeführte nationale Betrachtung hilft aber, den Prozess des wertenden Verfassungsvergleichs, wie er durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Anwendung findet, nachzubilden und die nationale Bandbreite mit der Grundrechtsgewährleistung auf europäischer Ebene ins Verhältnis zu setzen. Die aktuelle Auswertung sämtlicher nationaler Grundrechtsmaterialisierungen von unternehmerischer Freiheit ergibt folgendes Ergebnis: Auf nationaler Ebene ist die Freiheit der wirtschaftlichen beziehungsweise unternehmerischen Betätigung325 häufig Bestandteil des nationalen Grundrechtskatalogs, zum Teil findet sich selbst ausdrücklich die unternehmerische Freiheit in den Grundrechtstexten.326 In den näher untersuchten Ländern ist die Vertragsfreiheit durch die Rechtsprechung über die Freiheit wirtschaftlicher Betätigung beziehungsweise 324 In Deutschland sind es beispielsweise die Art. 12, Art. 14 sowie Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes, welche durch die Legislative zum Schutz der unternehmerischen Freiheit Anwendung finden. 325 Entsprechende Grundrechtsmaterialisierungen sind in folgenden Ländern zu finden: Finnland, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Malta, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowenien, Spanien, Tschechien, Zypern. 326 Eine Grundrechtsmaterialisierung der unternehmerischen Freiheit ist in folgenden Ländern zu finden: Estland, Slowakei, Ungarn.

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C. Unternehmerische Freiheit

die allgemeine Handlungsfreiheit anerkannt worden, in Zypern ist sie selbst explizit kodifiziert.327 Der Gewährleistung eines ausgewogenen, freien Wettbewerbs sowie die Verhinderung unlauteren Wettbewerbs durch staatliche Aufsicht findet sich zudem in fünf Verfassungen ausdrücklich berücksichtigt.328 Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass in den nationalen Grundrechtskatalogen329 und damit in den Hauptrechtserkenntnisquellen des Europäischen Gerichtshofs für seinen wertenden Verfassungsvergleich alle Teilgewährleistungen unternehmerischer Freiheit zu finden sind. Auch ist die unternehmerische Freiheit als eigenständiges Grundrecht in einzelnen jüngeren Verfassungen, so beispielsweise in Estland, Ungarn und der Slowakei, kodifiziert worden. 2. Die Ausgestaltung des Schutzbereichs der unternehmerischen Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat in seinen 40 Jahren Grundrechtsrechtsprechung unterschiedliche Einzelgewährleistungen, welche der unternehmerischen Freiheit zugeordnet werden können, anerkannt und diesbezüglich Recht gesprochen. Auch wenn in den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften oft vergeblich nach Ausführungen zu Schutzbereich,330 Eingriff und Rechtfertigung gesucht wird und die meisten Grundrechtserläuterungen in den Urteilen äußerst knapp ausfallen, so soll zumindest die bisherige Rechtsprechungspraxis331 näher aufgezeigt werden und der aktuelle europäische 327

Vgl. Art. 26 Abs. 1 der Verfassung von Zypern. Bulgarien, Irland, Litauen, Slowenien, Ungarn. 329 Die „Grundlage der Verfassungstraditionen“ hat sich mit jeder Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft verändert. Die Gründungsmitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1957 waren Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande. Im Jahr 1973 sind Großbritannien, Irland und Dänemark beigetreten. 1981 trat Griechenland bei, im Jahr 1986 Portugal und Spanien. 1992 wurde die Europäische Union gegründet. Ihr traten im Jahr 1995 Schweden, Österreich und Finnland bei, und im Jahr 2004 Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowenien, Slowakei, Ungarn, Zypern und Malta. Die beiden letzten Beitrittskandidaten der Europäischen Union sind Bulgarien und Rumänien aus dem Jahr 2007, so dass mittlerweile 27 Verfassungstraditionen zu berücksichtigen sind. 330 V. Skouris/D. Kraus, in: Hirsch/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo Kartellrecht, Band 1, Einl. B., S. 111, Rdn. 357. 331 Gem. Art. 222 Abs. 2 EG hat der Generalanwalt öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen zu stellen, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs seine Mitwirkung erforderlich ist. Die für das Gericht nicht bindenden Schlussanträge der Generalanwälte sind für das Verständnis der Urteile häufig unverzichtbar, da sie, im Gegensatz zu den oft sehr knappen Urteilen, ausführlich begründet sind. Aus diesem Grund wurden, soweit notwendig, auch die Schlussanträge der Generalanwälte untersucht, um deren Ansichten berücksichtigen zu können. 328

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Grundrechtsstatus bezüglich der Einzelgewährleistungen zur unternehmerischen Freiheit ermittelt werden. Nachfolgend wird die Rechtsprechung zu den Einzelgewährleistungen dargestellt, indem die grundrechtsrelevanten Urteilspassagen zu den einschlägigen Einzelgewährleistungen erörtert werden. Die Auswahl der Urteile beschränkt sich dabei nicht auf die in den Erläuterungen des Präsidiums der Grundrechtecharta explizit erwähnte Rechtsprechung332 sowie auf die vom Ausschuss Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments333 zusammengetragenen Urteile zu Artikel 16 der Grundrechtecharta.334 a) Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit auszuüben, sowie zur wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit Der Gerichtshof verwendet verschiedene Bezeichnungen im Zusammenhang mit der Freiheit, eine Wirtschafts- und Geschäftstätigkeit auszuüben. So hat er als allgemeine, im Gemeinschaftsrecht anerkannte Grundsätze die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit, die wirtschaftliche Handlungsfreiheit oder auch die Wirtschaftsfreiheit in seinen Urteilen angeführt. Erstmals prüfte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seinem Urteil Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel 335 aus dem Jahre 1970 den Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main als erstinstanzliches Gericht hatte eine Verletzung des Grundsatzes der Wirtschaftsfreiheit und daraus resultierend einen Eingriff in die Grundrechte des Klägers durch die gemeinschaftsrechtlich festgesetzten Lizenzregelungen angenommen. Im Berufungsverfahren ersuchte der hessische Verwaltungsgerichtshof den Gerichtshof unter anderem zu den Grundsätzen der Wirtschaftsfreiheit und der Verhältnismäßigkeit Stellung zu beziehen, die dieser wie folgt beantwortete:

332 In den Erläuterungen ist folgende Passage zu finden: „Dieser Artikel stützt sich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, der die Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit auszuüben, (siehe die Urteile vom 14. Mai 1974, Rechtssache 4/73, Nold, Slg. 1974, S. 491, Rdn. 14; und vom 27. September 1979, Rechtssache 230-78, SPA Eridania und andere, Slg. 1979, 2749, Rdn. 20 und 31) und die Vertragsfreiheit (siehe u. a. die Urteile ,Sukkerfabriken Nykoebing‘, Rechtssache 151/78, Slg. 1979, 1, Rdn. 19; und vom 5. Oktober 1999, Königreich Spanien gegen Kommission, C-240/97, Slg. 1999, S. I-6571, Rdn. 99) anerkannt hat, (. . .)“. 333 Online unter http://www.europarl.europa.eu/activities/committees/homeCom.do? language=de&body=LIBE (geprüft am 11.07.2009). 334 http://www.europarl.europa.eu /comparl/libe/elsj/charter/art16/default_en.htm#5 (geprüft am 11.07.2009). 335 EuGH v. 17.12.1970 – RS 25-70 (Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel/Koester, Berodt und Co.), Slg. 1970, S. 1161 (Rdn. 20).

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C. Unternehmerische Freiheit

Rdn. 4: „Es ist jedoch zu prüfen, ob nicht eine entsprechende gemeinschaftsrechtliche Garantie verkannt worden ist; denn die Beachtung der Grundrechte gehört zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. (. . .) Hiernach ist im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht geäußerten Bedenken zu prüfen, ob die Kautionsregelung Grundrechte verletzt hat, deren Beachtung die Gemeinschaftsrechtsordnung gewährleisten muss.“

In seinen folgenden Ausführungen, ob die Pflicht zur Kautionsstellung den Handel des Klägers so übermäßig belaste, dass seine Grundrechte verletzt seien, kam der Gerichtshof dann zu dem Ergebnis, dass die hier angegriffene Lizenzregelung in kein Grundrecht eingreife. Bei den Ausführungen des Gerichthofs ist auffällig, dass er einer konkreten Bezeichnung seiner geprüften Grundrechte aus dem Weg geht. Diese anfängliche Zurückhaltung des Gerichthofs hinsichtlich der konkreten Bezeichnung eines Grundrechts änderte sich in seiner Urteilsrechtsprechung Nold.336 In diesem Verfahren machte die Klägerin, eine Kohlen- und Baustoffgroßhandlung, Grundrechtsverletzungen der Berufsfreiheit und der Eigentumsgewährleistung geltend. Unter anderem sah sie in der strittigen Handelsregelung eine unrechtmäßige Beeinträchtigung der freien Entfaltung der Geschäftstätigkeit ihres Unternehmens, das hierdurch in seinem Bestand gefährdet sei. Der Gerichtshof führte dazu in seinem Urteil aus: Rdn. 14: „Es trifft zwar zu, dass die Verfassungsordnung aller Mitgliedstaaten das Eigentum schützt und in ähnlicher Weise die Freiheit der Arbeit, des Handels und anderer Berufstätigkeiten gewährleistet. Die so garantierten Rechte sind aber weit davon entfernt, uneingeschränkt Vorrang zu genießen; sie müssen im Hinblick auf die soziale Funktion der geschützten Rechtsgüter und Tätigkeiten gesehen werden. Aus diesem Grunde werden Rechte dieser Art in der Regel nur unter dem Vorbehalt von Einschränkungen geschützt, die im öffentlichen Interesse liegen. In der Gemeinschaftsrechtsordnung erscheint es weiterhin auch berechtigt, für diese Rechte bestimmte Begrenzungen vorzubehalten, die durch die dem allgemeinen Wohl dienenden Ziele der Gemeinschaft gerechtfertigt sind, solange die Rechte nicht in ihrem Wesen angetastet werden. Was insbesondere den Schutz des Unternehmens angeht, so kann es keinesfalls auf bloße kaufmännische Interessen oder Aussichten ausgedehnt werden, deren Ungewissheit zum Wesen wirtschaftlicher Tätigkeit gehört.“

Im Ergebnis lehnte der Gerichtshof eine Grundrechtsverletzung der Klägerin ab, weil die geltend gemachten Nachteile mehr auf die schlechte wirtschaftliche Entwicklung hinsichtlich der Kohleerzeugung zurückzuführen wären als auf die sie behindernde Handelsregelung der angefochtenen Entscheidung. Fünf Jahre später hatte der Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens in der Sache S.P.A. Eridania Zuccerifici Nazionali 337 über eine Grundrechtsfrage eines italienischen Gerichts (Tribunale Amministrativo Regio336 EuGH v. 14.5.1974 – RS 4-73 (J. Nold, Kohlen- und Baustoffgroßhandel/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1974, S. 491 (Rdn. 14).

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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nale) zu entscheiden. Es wurde beim Gerichtshof angefragt, ob die europäische Verordnung zur gemeinsamen Agrarpolitik die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit der betreffenden italienischen Unternehmen beeinträchtige und damit eines ihrer Grundrechte verletze. Der Gerichtshof kam zum Ergebnis, dass keine Grundrechtsverletzung vorliege. Dabei vermied er es, eine nähere Bezeichnung für das Grundrecht zu verwenden, wie dies das italienische Verwaltungsgericht noch getan hatte. Im Jahre 1989 hat der Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren Hermann Schräder338 zum Grundrechtsschutz der freien Berufs- und Wirtschaftsfreiheit Stellung genommen. Die Firma Schräder sah sich durch die streitige Regelung in ihren vom Gemeinschaftsrecht garantierten Grundrechten verletzt. Sie berief sich neben der Eigentumsgewährleistung insbesondere auch auf die Berufs- und Wirtschaftsfreiheit. Der Gerichtshof machte hierzu folgende Ausführungen in seinem Urteil: Rdn. 12–19: „. . . Zum Verstoß gegen Grundrechte: Die Firma Schräder trägt weiterhin vor, die streitige Regelung verletze die vom Gemeinschaftsrecht garantierten Grundrechte, insbesondere das Eigentumsrecht und die Berufs- und Wirtschaftsfreiheit, (. . .). Nach ständiger Rechtsprechung (. . .) gehören die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die der Gerichtshof zu wahren hat. Bei der Gewährleistung dieser Rechte hat der Gerichtshof von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten auszugehen, so dass in der Gemeinschaft keine Maßnahmen als Rechtens anerkannt werden können, die unvereinbar sind mit den von den Verfassungen dieser Staaten geschützten Grundrechten. Auch die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind, können Hinweise geben, die im Rahmen des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen sind. Wie der Gerichtshof insbesondere, so in dem genannten Urteil vom 13. Dezember 1979, anerkannt hat, gehören sowohl das Eigentumsrecht als auch die freie Berufsausübung zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Diese Grundsätze können jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich können die Ausübung des Eigentumsrechts und die freie Berufsausübung namentlich im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet. (. . .) Zur freien Berufsausübung ist festzustellen, (. . .). Die sich daraus für die Getreideverarbeiter ergebende Verpflichtung, die Abgabe zu entrichten und auf ihre Lieferanten abzuwälzen, entspricht somit dem Gemeinwohl dienenden Zielen, deren Verfolgung die geringfügigen Nachteile rechtfertigt, die diese 337 EuGH v. 27.9.1979 – RS 230/78 (S.P.A. Eridiania Zuccerifici Nazionali und S.P.A. Societa Italiana per l’industria degli Zuccheri/Minister für Landwirtschaft und Forsten, Minister der Industrie, Handel und Handwerk), Slg. 1979, S. 2749. 338 EuGH v. 11.7.1989 – RS 265/87 (Hermann Schräder HS Kraftfutter GmbH & Co KG/Hauptzollamt Gronau), Slg. 1989, S. 2237.

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C. Unternehmerische Freiheit

Verpflichtung für die Gruppe der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer mit sich bringt. Eine solche Anforderung berührt die freie Berufsausübung der Abgabenschuldner zudem allenfalls am Rande und ist folglich nicht geeignet, dieses Recht in seinem Wesensgehalt anzutasten. Dem Vorbringen, die Berufs- und Wirtschaftsfreiheit sei verletzt worden, kann somit nicht gefolgt werden.“

Der Gerichtshof hatte in diesem Verfahren die Berufsfreiheit und Wirtschaftsfreiheit gemeinsam als einheitliches Grundrecht geprüft und keine Abgrenzung zwischen diesen Grundrechtsgewährleistungen durchgeführt. Im Jahre 1991 konnte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Verfahren Zuckerfabrik Süderdithmarschen AG339 auf das Grundrecht der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit eingehen. In diesem Vorabentscheidungsverfahren wurden dem Gerichtshof sechs Auslegungsfragen vorgelegt. Unter anderem wurde dabei die Grundrechtsvereinbarkeit einer Sondertilgungsabgabe durch die Zuckererzeuger für das Wirtschaftsjahr 1986/1987 angefragt. Das vorlegende Gericht wollte wissen, inwieweit insbesondere die im Gemeinschaftsrecht geltenden Grundrechte der Eigentumsgewährleistung und der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit durch die Tilgungsabgabe verletzt seien, da die Abgaben nicht mehr aus den Gewinnen der Zuckerhersteller, sondern nur noch aus deren Rücklagen finanziert werden konnten und daher eine Existenzbedrohung zu befürchten war. Hier nahm der Gerichtshof wie folgt Stellung: Rdn. 71–77: „(. . .) Zur Verletzung des Eigentums und der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit: Nach Auffassung des Finanzgerichts Düsseldorf sind das Grundrecht auf Eigentum und die Unternehmerfreiheit rechtswidrig beeinträchtigt, wenn ein Unternehmen Abgaben, die sich im Laufe eines Wirtschaftsjahres angehäuft hätten, nicht mehr aus dem im betreffenden Wirtschaftsjahr erwirtschafteten Gewinn finanzieren könne, sondern nur noch aus seinen Rücklagen, also aus seiner Substanz. Der Gerichtshof hat bereits entschieden (. . .), dass die Ausübung des Eigentumsrechts und die freie Berufsausübung namentlich im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation Beschränkungen unterworfen werden können, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet. (. . .) Was die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit anbelangt, so wurde bereits ausgeführt, dass die besondere Tilgungsabgabe Zielen des Gemeinwohls dient, da sie verhindert, dass Verluste eines Wirtschaftssektors von der Gemeinschaft getragen werden. Diese Intervention kann nicht als unverhältnismäßig angesehen werden. (. . .) Wie die Kommission zu Recht vorgetragen hat, hätte eine Verringerung der Quoten auf lange Sicht den Anteil der Zuckerhersteller der Gemeinschaft am Weltmarkt verringert und damit die Interessen der Zuckerhersteller und der Zuckerrübenerzeuger wesentlich stärker belastet. Damit ist die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit nicht verletzt. (. . .)“ 339 EuGH v. 21.2.1991 – verb. RS C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen AG gegen Hauptzollamt Itzehohe und Zuckerfabrik Soest GmbH gegen Hauptzollamt Paderborn), Slg. 1991, S. I-415.

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Der Gerichtshof hatte in diesem Urteil auf die zwei Jahre zuvor im Urteil Schräder durchgeführte Grundrechtsprüfung verwiesen und auch hier eine Verletzung der diesmal separat zitierten wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit abgelehnt.340 Auffällig ist in dem Urteil, dass der Gerichtshof in seinem Urteil die vom Finanzgericht Düsseldorf verwendete Begrifflichkeit „wirtschaftliche Betätigungsfreiheit“ (Rdn. 11) in seinem Zitat als „Unternehmerfreiheit“ (Rdn. 72) bezeichnet. Die wirtschaftliche Handlungsfreiheit als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts sowie als Grundrecht wurde im Jahre 1998 in einem Schlussantrag von Generalanwalt Tesauro näher untersucht.341 Er kam zu dem Ergebnis, dass die wirtschaftliche Handlungsfreiheit dann berechtigterweise eingeschränkt sei, wenn anderenfalls die Ausübung den Schutz der Rechte am geistigen Eigentum verletzen würde. Der Gerichtshof stellte in seinem daraufhin ergangenen Urteil Metronome Musik342 folgendes fest: Rdn. 21–26: „(. . .) Nach ständiger Rechtsprechung gehört die freie Berufsausübung wie auch das Eigentumsrecht zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Diese Grundsätze können jedoch keine allgemeine Geltung beanspruchen, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich können die freie Berufsausübung ebenso wie die Ausübung des Eigentumsrechts Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet. (. . .) Mithin kann der allgemeine Grundsatz der freien Berufsausübung nicht unabhängig von den allgemeinen Grundsätzen ausgelegt werden, die sich auf den Schutz der Rechte am geistigem Eigentum und die in diesem Bereich von der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen beziehen. Da nicht zu erkennen ist, dass die verfolgten Ziele durch Maßnahmen hätten erreicht werden können, die die freie Berufsausübung von auf die gewerbliche Vermietung von Tonträgern spezialisierten Personen oder Unternehmen stärker schützen, können die Folgen der Einführung eines ausschließlichen Vermietrechts nicht als unverhältnismäßig und nicht tragbar angesehen werden. (. . .)

340 In seinem Urteil EuGH v. 21.03.1991 – RS C-359/89 (SAFA Srl/Amministrazione delle finanze dello Stato), Slg. 1991, S. I-1677, Rdn. 14–22, prüfte der Gerichtshof die Verletzung des „Rechts auf freie wirtschaftliche Betätigung“ und verwies im Rahmen der Eingriffsprüfung ebenfalls auf das bereits zitierte Urteil Schräder. Im Ergebnis lehnte er eine Verletzung des Wesensgehalts ab, da die kontrollierte Einfuhr von nichtbehandeltem Olivenöl zur Stabilisierung des Gemeinschaftsmarktes notwendig sei. 341 Schlussantrag von GA G. Tesauro v. 22.1.1998 zum Urteil EuGH v. 28.4.1998 – RS C-200/96 (Metronome Musik GmbH/Music Point Hokamp GmbH), Slg. 1998, S. I1953 (Rdn. 32). 342 EuGH v. 28.4.1998 – RS C-200/96 (Metronome Musik GmbH/Music Point Hokamp GmbH), Slg. 1998, S. I-1953 (Rdn. 21–26).

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C. Unternehmerische Freiheit

Eine Grundrechtsverletzung lehnte der Gerichtshof somit ab. Anzumerken ist hier, dass der Gerichtshof in seinem Urteil die von Generalanwalt Tesauro benannte wirtschaftliche Handlungsfreiheit als freie Berufsausübung prüft. Im Urteil Atlanta AG343 aus dem Jahre 1999 wurde wieder auf die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts eingegangen. Die Klägerin, eine Firma spezialisiert auf die Einfuhr von Drittlandsbananen in die Europäische Union, hatte versucht, Schadensersatz von der Europäischen Gemeinschaft zu erhalten, da sie durch die Einführung der gemeinsamen Marktorganisation für Bananen einen erheblichen Schaden erlitten habe. Dieser habe daraus resultiert, dass eine ihrer Tochtergesellschaften, die Atlanta Handels- und Schifffahrtsgesellschaft mbH, die mit der Abwicklung von Kühlschifftransporten beauftragt gewesen sei, drei Schiffe gechartert gehabt hatte, die wegen der sich aus der Verordnung Nr. 404/93 ergebenden Beschränkungen der Bananeneinfuhr nicht mehr gebraucht worden seien. Das vereinbarte Entgelt sei aber aufgrund der vertraglichen Verpflichtung an den Schiffsvermieter weiter gezahlt worden. In seinem Urteil griff der Gerichtshof unter anderem auf seine Grundrechtsrechtsprechung aus den Sachen Nold 344 und Schräder345 zurück und führte eine für seine Verhältnisse umfangreiche Grundrechtsprüfung durch: Rdn. 61–64: „(. . .) In Bezug auf den Klagegrund einer Verletzung des Grundrechts der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit hat das Gericht festgestellt: Die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit gehört nach ständiger Rechtsprechung zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, sie kann jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen und muss im Hinblick auf ihre soziale Funktion gesehen werden. Dies bedeutet, dass einem Wirtschaftsteilnehmer das Recht, seine Tätigkeit auszuüben, nicht willkürlich genommen werden darf; ein bestimmtes Geschäftsvolumen oder ein bestimmter Marktanteil werden ihm damit jedoch nicht garantiert. Der Schutz der Wirtschaftsteilnehmer kann keinesfalls auf bloße kaufmännische Interessen oder Chancen ausgedehnt werden, deren Ungewissheit zum Wesen wirtschaftlicher Tätigkeit gehört (. . .). Folglich kann die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit namentlich im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und keinen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (. . .). Wie der Gerichtshof insoweit im genannten Urteil Deutschland/Rat bereits entschieden hat, entspricht der mit der Verordnung Nr. 404/93 vorgenommene Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der traditionellen Vermarkter von Drittlandsbananen dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft und tastet dieses Recht nicht in seinem Wesensgehalt an (Rdn. 87). 343 EuGH v. 14.10.1999 – RS C-104/97 P (Atlanta AG und andere gegen Kommission und Rat), Slg. 1999, S. I-6983. 344 EuGH v. 14.5.1974 – RS 4-73 (J. Nold, Kohlen- und Baustoffgroßhandel/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1974, S. 491 (Rdn. 12–15). 345 EuGH v. 11.7.1989 – RS 265/87 (Hermann Schräder HS Kraftfutter GmbH & Co KG/Hauptzollamt Gronau), Slg. 1989, S. 2237 (Rdn. 14–19).

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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(. . .) Der Klagegrund einer Verletzung des Grundrechts der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit ist daher als unbegründet zurückzuweisen.“

Hier wurde die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit wieder im engen Zusammenhang mit der Berufsausübungsfreiheit geprüft, eine Abgrenzung erfolgte nicht. Vielmehr bestätigt der Gerichtshof seine Praxis unter das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit einzuordnen. Im Jahr 2005 konnte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Urteil Alessandrini Srl 346 abermals von der Klägerseite geltend gemachte Grundrechtsverletzungen prüfen. Die Kläger sahen insbesondere Verstöße in ihren Grundrechten auf Eigentum und auf freie wirtschaftliche Betätigung, weil sie als Vermarkter von Drittlandsbananen durch die gemeinsame Marktorganisation und insbesondere durch die Verwaltung der Zollkontingente benachteiligt worden seien. Der Gerichtshof stellt in seinem Urteil wie folgt fest: Rdn. 83–91: „Die Rechtsmittelführerinnen sind der Ansicht, dass es ihnen aufgrund der Entscheidung der Kommission, die Zollkontingente für Drittlandsbananen und für AKP-Bananen gemeinsam zu verwalten, unmöglich gewesen sei, ihre Referenzmengen durch die Erlangung von Einfuhrlizenzen, die für diese Gesamtmengen tatsächlich verwertbar seien, auszuschöpfen. (. . .) Mit der Wahl der Methode der gemeinsamen Verwaltung der Zollkontingente habe die Kommission deshalb gegen das Grundrecht am Eigentum und auf freie wirtschaftliche Betätigung verstoßen. Nach ständiger Rechtsprechung gehören sowohl das Eigentumsrecht als auch die freie Berufsausübung zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Diese Grundsätze können jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich können die Ausübung des Eigentumsrechts und die freie Berufsausübung namentlich im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (. . .). Anhand dieser Kriterien ist die Vereinbarkeit der Methode der gemeinsamen Verwaltung der Zollkontingente mit den Erfordernissen des Schutzes der von den Rechtsmittelführerinnen geltend gemachten Grundrechte zu prüfen. (. . .) Diese Beschränkung beeinträchtigt folglich die freie Berufsausübung traditioneller Vermarkter von Drittlandsbananen nicht unangemessen.“347

Der Gerichtshof hat bei der Grundrechtsprüfung die Verletzung der freien wirtschaftlichen Betätigung gleich unter dem Begriff der freien Berufsausübung geprüft. Auch in diesem Urteil wird wieder deutlich, dass der Gerichtshof die freie wirtschaftliche Betätigung als Teilaspekt der freien Berufsausübung ansieht. 346 EuGH v. 30.6.2005 – RS C-295/03 P (Alessandrini Srl und andere/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 2005, S. I-5673. 347 EuGH v. 30.6.2005 – RS C-295/03 P (Alessandrini Srl und andere/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 2005, S. I-5673 (Rdn. 85–86 sowie 90–91).

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C. Unternehmerische Freiheit

Im Urteil Alliance for Natural Health348 konnte der Gerichtshof zum Grundrecht der freien Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit Stellung nehmen. Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens hatte der Gerichtshof zu entscheiden, ob die Bestimmungen der Richtlinie 2002/46 ungültig seien, welche ein Verbot enthielten, Nahrungsergänzungsmittel mit bestimmten Vitaminen oder Mineralstoffen auf den Markt zu bringen. Der Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass das Recht der Hersteller dieser Erzeugnisse auf freie Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit nicht unangemessen eingeschränkt sei und verneinte somit eine Grundrechtsverletzung. Hierzu führte er wie folgt aus: Rdn. 126–129: „Nach ständiger Rechtsprechung gehört (. . .) das Recht auf freie Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Diese Grundsätze können jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich können (. . .) das Recht auf freie Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (. . .). Hier könnte das Verbot, Nahrungsergänzungsmittel, die nicht der Richtlinie 2002/46 entsprechen, in der Gemeinschaft zu vermarkten und in den Verkehr zu bringen, zwar die freie Ausübung der beruflichen Tätigkeit der Hersteller dieser Erzeugnisse einschränken. (. . .) Wie oben ausgeführt, bezweckt das Verbot, (. . .) den Schutz der menschlichen Gesundheit, der ein dem Gemeinwohl dienendes Ziel darstellt. Es ist nicht erkennbar, dass die Verbotsmaßnahme außer Verhältnis zu diesem Ziel stünde. Daher kann nicht festgestellt werden, dass mit dem Hindernis für die freie Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit, das in einer Maßnahme dieser Art liegt, ein außer Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehender Eingriff in das Recht, von dieser Freiheit Gebrauch zu machen, oder in das Eigentumsrecht verbunden wäre.“

Das Grundrecht der freien Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit findet sich auch im Urteil ABNA Ltd.349 Der Gerichtshof prüfte die beanstandete Grundrechtsverletzung durch Art. 1 der Richtlinie 2002/2 über den Verkehr von Mischfuttermitteln aber nicht umfassend. Die Prüfung endete bereits mit der Annahme, dass die Regelung unverhältnismäßig war. Art. 1 der Richtlinie sah vor, dass die Futtermittelhersteller ihren Kunden auf Antrag die genaue Zusammensetzung des Futtermittels zu übermitteln hatten. Hinsichtlich der hierdurch möglicherweise verletzten Grundrechte führte der Gerichtshof aber dennoch wie folgt aus: Rdn. 87: „Nach ständiger Rechtsprechung gehört das Eigentumsrecht wie auch das Recht auf freie Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu den allgemeinen Grund348 EuGH v. 12.7.2005 – verb. RS C-154/04 und C-155/04 (Alliance for Natural Health/Secretary of State for Health and National Assembly for Wales), Slg. 2005, S. I6451 (Rdn. 126–129). 349 EuGH v. 6.12.2005 – verb. RS C-453/03, C-11/04, C-12/04 und C-194/04 (ABNA Ltd. u. a./Secretary of State for Health u. a.), Slg. 2005, S. I-10423 (Rdn. 87).

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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sätzen des Gemeinschaftsrechts. Diese Grundsätze können jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich können die Ausübung des Eigentumsrechts wie auch das Recht auf freie Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet.“

Wie aus den Urteilen hervorgeht, hat der Gerichtshof unterschiedliche Bezeichnung der Teilgewährleistungen in seiner Grundrechtsrechtsprechung verwendet. Hierbei hat er keine klare Abgrenzung zur allgemeinen Berufsfreiheit vorgenommen. Vielmehr hat er die bisherige Grundrechtsrechtsprechung zur Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit auszuüben, sowie zur wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit regelmäßig als Unterpunkt der allgemeinen Berufsfreiheit geprüft. b) Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Handels- und Gewerbefreiheit Als weitere Teilgewährleistung der unternehmerischen Freiheit kommt die Handels- und Gewerbefreiheit in Betracht, welche in einigen Urteilen des Gerichtshofs als Grundrechtsgewährleistung abgehandelt wurde, wie nachfolgend dargestellt wird. Der Gerichtshof hat die Freiheit des Handels erstmalig in seinem Urteil Nold 350 als ein allgemeines und zu schützendes Recht erwähnt. Zur Herleitung bezog er sich dabei ausdrücklich auf die Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten. Es dauerte dann bis zum Jahre 1985, bis der Gerichtshof in seinem Urteil ADBHU 351 zur grundrechtlichen Handelsfreiheit näher Stellung nahm. In dem Urteil hatte er die Gültigkeit der Richtlinie 75/439 zur Altölbeseitigung zu prüfen. Der Gerichtshof hatte unter anderem die Vereinbarkeit einzelner Zulassungsregeln aus der Richtlinie mit dem Grundsatz der Handelsfreiheit zu bewerten und nahm hierzu wie folgt Stellung: Rdn. 9–13: „(. . .) Die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Wettbewerbs sowie die grundrechtliche Handelsfreiheit stellen allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts dar, über deren Einhaltung der Gerichtshof wacht. Die erwähnten Vorschriften sind also anhand dieser Grundsätze zu prüfen. (. . .) Der Grundsatz 350 EuGH v. 14.5.1974 – RS 4-73 (J. Nold, Kohlen und Baustoffgroßhandel/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1974, S. 491 (Rdn. 14). 351 EuGH v 7.2.1985 – RS 240/83 (Procureur de la Republique/Association de Defense des Bruleurs d’Huiles Usagees (ADBHU)), Slg. 1985, S. 531 (Rdn. 9, 11–13).

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C. Unternehmerische Freiheit

der Handelsfreiheit gilt nicht absolut; er ist bestimmten Beschränkungen unterworfen, die durch die von der Gemeinschaft verfolgten, im Allgemeininteresse liegenden Ziele gerechtfertigt sind, sofern das Wesen dieser Rechte nicht beeinträchtigt wird. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Richtlinie diese Beschränkungen außer Acht gelassen hätte. Sie fällt nämlich in den Rahmen des Umweltschutzes, eines wesentlichen Ziels der Gemeinschaft. (. . .)“

Eine reine Erwähnung der Handelsfreiheit erfolgte dann wieder im Urteil Aragonesa.352 Der Gerichtshof prüfte in diesem Vorabentscheidungsverfahren, inwieweit eine katalanische Gesetzesvorschrift, die nahezu alle Werbung für Getränke mit einem Alkoholgehalt über 23% verbietet, mit dem europäischen Grundsatz des freien Warenverkehrs vereinbar ist. Im Ergebnis stellte er fest, dass zum Schutz der öffentlichen Gesundheit eine Beschränkung über Art. 36 EWG sowie im Rahmen der Verhältnismäßigkeit möglich ist. In Bezug zur Handelsfreiheit stellte er fest: Rdn. 17: „Eine nationale Maßnahme der im Ausgangsverfahren streitigen Art schränkt die Handelsfreiheit nur teilweise ein, da sie nur alkoholische Getränke betrifft, deren Alkoholgehalt 23% übersteigt. Dieses Kriterium ist zur Bekämpfung des Alkoholismus grundsätzlich nicht offenkundig unangemessen.“

Im Vorabentscheidungsverfahren Flughafen Hannover-Langenhagen353 beschäftigte sich der Gerichtshof damit, inwieweit der Zugang zum Markt der Bodenabfertigungsdienste auf den Flughäfen der Gemeinschaften eingeschränkt werden darf, ohne dadurch die europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie 96/67/ EG354 und insbesondere ihrem Artikel 16 Absatz 3 zu verletzen. Entgegen dem Flughafenbetreiber sah der Gerichtshof keine Verletzung der Gewerbefreiheit gegeben und führt diesbezüglich aus: Rdn. 53–59: „Einer Auslegung der Richtlinie im Sinne der Untersagung eines Zugangsentgeltes stehen auch nicht die vom Flughafen geltend gemachten gemeinschaftsrechtlichen Grundprinzipien der Nichtdiskriminierung, des Eigentumsrechts und der Gewerbefreiheit entgegen. (. . .) Der Flughafen hat geltend gemacht, dass mit dem Verbot, ein Zugangsentgelt zu erheben, willkürlich in seine Gewerbefreiheit eingegriffen werde, weil dieses Verbot in der Richtlinie nicht vorgesehen und daher rechtswidrig sei. Wie aus den vorstehenden Darlegungen hervorgeht, ergibt sich aber die Beschränkung der freien Preisfestsetzung (. . .) klar aus der Richtlinie, so dass

352 EuGH v. 25.7.1991 – RS C-1/90 und C-176/90 (Aragonesa de Publicidad Exterior SA und Publivia SAE/Departamento de Sanidad y Seguridad Social de la Generalitat de Cataluna), Slg. 1991, S. I-4151 (Rdn. 17). 353 EuGH v. 16.10.2003 – RS C-363/01 (Flughafen Hannover-Langenhagen GmbH/ Deutsche Lufthansa AG), Slg. 2003, S. I-11893 (Rdn. 53, 59). 354 Richtlinie 96/67/EG des Rates vom 15.10.1996 über den Zugang zum Markt der Bodenabfertigungsdienste auf den Flughäfen der Gemeinschaft: „Art. 16 Zugang zu den Flughafeneinrichtungen: . . . (3) Ist der Zugang zu den Flughafeneinrichtungen mit der Entrichtung eines Entgelts verbunden, so ist dessen Höhe nach sachgerechten, objektiven, transparenten und nicht diskriminierenden Kriterien festzulegen.“

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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auch diese Argumentation des Flughafens auf einer irrigen Voraussetzung beruht und daher nicht durchgreifen kann.“

Auch findet sich ein weiterer Hinweis auf die Handels- und Gewerbefreiheit im Jahre 2005. Im Urteil Fabricom SA355 ist der Gerichtshof auf den Vortrag des Klägers im Ausgangsverfahren und der daraus entwickelten Vorlagefrage, dass nationales belgisches Recht über öffentliche Ausschreibungsmodalitäten unter anderem gegen den europarechtlichen Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit verstößt, nicht explizit eingegangen.356 In den Schlussanträgen des Generalanwalts Léger357 hatte dieser aber dem Gerichtshof die Entscheidung vorgeschlagen, dass die Richtlinien 97/52/EG und 98/4/EG sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Handels- und Gewerbefreiheit und der Schutz des Eigentums den belgischen Regelungen nicht entgegenstünden. Die nationalen Bestimmungen in Belgien verböten zu Recht die gleichzeitige Mitarbeit einer Person an der Vorbereitung einer Ausschreibung und die anschließende Beteiligung dieser Person oder des mit ihr verbundenen Unternehmens an der vorbereiteten Ausschreibung. Im Urteil Unitymark Ltd 358 hatte der Gerichtshof zu prüfen, inwieweit einzelne Bestimmungen aus zwei europäischen Fischereiverordnungen359 rechtswidrig seien, weil sie „(. . .) gegen die Grundfreiheit 360, ein Gewerbe zu betreiben, verstoßen“. Der Gerichtshof stellte hierzu fest: Rdn. 52: „Was die Freiheit zur Ausübung eines Gewerbes betrifft, so hat der Gerichtshof diese Freiheit anerkannt (. . .), doch hat das vorlegende Gericht (. . .) nichts dafür angeführt (. . .), so dass auch dieser Aspekt der Frage keiner getrennten Prüfung bedarf.“

355 EuGH v. 3.3.2005 – RS C-21/03 und C-34/03 (Fabricom SA/Belgischer Staat), Slg. 2005, S. I-1559 (Rdn. 16, 20, 23, 37). 356 Der Gerichtshof stellte lediglich fest, dass Hypothesen nicht als Grundlage für eine Vorlagefrage dienen können und eine Antwort auf die Frage, ob die Handels- und Gewerbefreiheit verletzt sei, sich somit erübrigt (Rdn. 37–38). 357 GA Léger, Schlussantrag zu EuGH v. 11.11.2004 – verb. RS C-21/03 und C-34/ 03 (Fabricom SA/Belgischer Staat), Slg. 2005, S. I-1559 (Rdn. 47, 55). 358 EuGH v. 23.3.2006 – RS C-535/03 (Unitymark Ltd und North Sea Fishermen’s Organisation/Department for Environment, Food and Rural Affairs), Slg. 2006, S. I2689 (Rdn. 52). 359 Verordnung (EG) Nr. 2341/2002 v. 20.12.2002 zur Festsetzung der Fangmöglichkeiten und entsprechender Fangbedingungen für bestimmte Fischbestände und Bestandsgruppen in den Gemeinschaftsgewässern sowie für Gemeinschaftsschiffe in Gewässern mit Fangbeschränkungen und Verordnung (EG) Nr. 671/2003 v. 10.4.2003 über die Zuteilung von zusätzlichen Tagen außerhalb des Hafens. 360 Die Originalfassung des Urteils in Englisch spricht richtigerweise von einem Grundrecht und lautet in Rdn. 27: „(. . .) contrary to the fundamental freedom to persue a trade or business.“

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C. Unternehmerische Freiheit

Folgt man dem Verweis zum Urteil Fishermen’s Organisations361 findet sich dort in Randnummer 55 eine Prüfung der freien Berufsausübung als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts. Die Durchschau der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften führt zu dem Ergebnis, dass nur im Urteil ADBHU362 nähere Ausführungen zur grundrechtlichen Handelsfreiheit zu finden sind. In den übrigen Urteilen bleibt es bei einer bloßen Verwendung der Termini Handelsfreiheit beziehungsweise Gewerbefreiheit zur Beschreibung einer grundrechtlichen Gewährleistung. Eine Erklärung für die überschaubare Prüfung der grundrechtlich geschützten Handelsfreiheit könnte sich in den Schlussanträgen der Generalanwälte finden. So stellte Generalanwalt Alber im Jahre 2003 wie folgt fest:363 Rdn. 92: „Der Gerichtshof hat ein Grundrecht der Handelsfreiheit oder, wie es in jüngeren Entscheidungen heißt, ein Grundrecht auf wirtschaftliche Betätigungsfreiheit als allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anerkannt. (. . .)“

Die Generalanwältin Stix-Hackl formulierte im Folgejahr in zwei voneinander unabhängigen Schlussanträgen364 zu den unterschiedlichen Grundrechtstermini des Gerichtshofs wie folgt: Rdn. 110: „(. . .) Wenn der Gerichtshof sich auch vereinzelt des Begriffes der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit oder der grundrechtlichen Handelsfreiheit bediente, so darf darin kein vom Recht der freien Berufsausübung oder der freien wirtschaftlichen Betätigung verschiedenes Recht gesehen werden, sondern der Grund dafür liegt vielmehr in einer nicht einheitlichen Terminologie.“

Die Feststellung der Generalanwälte deckt sich mit der uneinheitlichen Terminologie in den Urteilen Unitymark Ltd 365 sowie Fishermen’s Organisations366. Der Gebrauch verschiedener Terminologien zur Bezeichnung von ähnlichen Grundrechtsgewährleistungen durch den Gerichtshof trägt jedoch nicht zur Transparenz für den Grundrechtsträger bei. 361 EuGH v. 17.10.1995 – RS C-44/94 (The Queen/Minister of Agriculture, Fisheries and Food ex parte National Federation of Fishermen’s Organizations), Slg. 1995, S. I3115 (Rdn. 55). 362 EuGH v 7.2.1985 – RS 240/83 (Procureur de la Republique/Association de Defense des Bruleurs d’Huiles Usagees (ADBHU)), Slg. 1985, S. 531. 363 GA Alber, Schlussantrag zu EuGH v. 15.5.2003 – RS C-94/02 P (Établissements Biret et Cie SA/Rat der Europäischen Union), Slg. 2003, S. I-10565 (Rdn. 92). 364 GA Stix-Hackl, Schlussanträge zu EuGH v. 20.1.2004 – verb. RS C-37/02 und C38/02 (Adriano Di Lenardo Srl/Ministero del Commercio con l’Estero), Slg. 2004, S. I6911 (Rdn. 110) sowie Schlussanträge zu EuGH v. 30.4.2004 – verb. RS C-184/02 und C-223/02 (Königreich Spanien und Republik Finnland/Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union), Slg. 2004, S. I-7789 (Rdn. 105). 365 EuGH v. 23.3.2006 – RS C-535/03 (Unitymark Ltd und North Sea Fishermen’s Organisation/Department for Environment, Food and Rural Affairs), Slg. 2006, S. I2689 (Rdn. 52). 366 EuGH v. 17.10.1995 – RS C-44/94 (The Queen/Minister of Agriculture, Fisheries and Food ex parte National Federation of Fishermen’s Organizations), Slg. 1995, S. I3115 (Rdn. 55).

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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c) Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Vertragsfreiheit als Erscheinungsform der Privat- und Parteiautonomie Erstmals findet sich im Urteil Nikolaus Meeth367 die Beachtung der Privatbeziehungsweise Parteiautonomie bei der Auslegung von Gemeinschaftsrecht. Die Vertragsfreiheit wird drei Monate später im Januar 1979 im Urteil Sukkerfabriken Nykobing368 als allgemeiner Rechtsgrundsatz erwähnt.369 In diesem Verfahren wurde es den nationalen Behörden der Mitgliedstaaten zugestanden, in die vertraglichen Beziehungen der Beteiligten des europäischen Zuckermarktes einzugreifen, soweit deren Vertragsfreiheit gewahrt werde. Hier war es somit nur ein Hinweis des Gerichtshofs auf die Vertragsfreiheit, ohne diesbezüglich weitere Ausführungen zu machen. Die Vertragsfreiheit370 als Erscheinungsform der Partei-371 und Privatautonomie372 wurde noch in weiteren Urteilen durch den Gerichtshof erwähnt. In einem Urteil konkretisiert der Gerichtshof seine Aussage

367 EuGH v. 9.11.1978 – RS 23/78 (Nikolaus Meeth/Firma Glacetal), Slg. 1978, S. 2133 (Rdn. 5 und 8). 368 EuGH v. 16.1.1979 – RS 151/78 (Sukkerfabriken Nykobing Limitered/Landwirtschaftsministerium), Slg. 1979, S. 1 (Rdn. 19). 369 In den Erläuterungen des Präsidiums zur Charta der Grundrechte (2007/C 303/ 02), abgedruckt in überarbeiteter Form im Amtsblatt vom 14.12.2007, ist folgender Satz zu finden: „Dieser Artikel stützt sich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, der (. . .) die Vertragsfreiheit (. . .) anerkannt hat.“ Darüber hinaus wird beispielhaft auf die beiden in diesem Absatz untersuchten Urteile Sukkerfabriken Nykoebing Limitered sowie Königreich Spanien/Kommission der Europäischen Gemeinschaft verwiesen. 370 EuGH v. 13.5.1981 – RS 66/80 (SPA International Chemical Corporation/Amministrazione delle Finanze dello Stato), Slg. 1981, S. 1191 (Rdn. 23); EuGH v. 25.2.1988 – RS 199/86 (Raiffeisen Hauptgenossenschaft e. G./Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung), Slg. 1988, S. 1169 (Rdn. 16); EuGH v. 21.1.1999 – RS C-215/96 und C-216/96 (Carlo Bagnasco u. a. gegen Banca Populare di Novara soc. coop. arl.), Slg. 1999, S. I-135 (Rdn. 45–46); EuGH v. 3.5.2007 – RS C-386/05 (Color Drack GmbH/Lexx International Vertriebs GmbH), Slg. 2007, S. I-3699 (Rdn. 3); EuGH v. 18.7.2007 – RS C-277/05 (Socíeté thermale d’Eugéne-les-Bains/Ministére de l’Economie, des Finances et de l’Industrie), Slg. 2007, S. I-6415 (Rdn. 21); EuGH v. 11.10.2007 – RS C-98/06 (Freeport plc/Olle Arnoldsson), Slg. 2007, S. I-8319 (Rdn. 36). 371 EuGH v. 9.11.2000 – RS C-378/98 (Coreck Maritime GmbH/Handelsveem BV u. a.), Slg. 2000, S. I-9337 (Rdn. 14); EuGH v. 24.6.1986 – RS 22/85 (Rudolf Anterist/ Crédit Lyonnais), Slg. 1986, S. 1951 (Rdn. 14): „(. . .) Da Artikel 17 des Übereinkommens eine Bestätigung des Grundsatzes der Parteiautonomie darstellt, ist sein Absatz 3 so auszulegen, dass der gemeinsame Wille der Parteien bei Abschluss des Vertrags respektiert wird. Der gemeinsame Wille, eine der Parteien zu begünstigen, muss sich daher klar aus dem Wortlaut der Gerichtsstandvereinbarung oder aus der Gesamtheit der dem Vertrag zu entnehmenden Anhaltspunkte oder der Umstände des Vertragsschlusses ergeben. (. . .)“; EuGH v. 12.5.2005 – RS C-112/03 (Société financière et industrielle du Peloux/Axa Belgium u. a.), Slg. 2005, S. I-3707 (Rdn. 31, 33). 372 EuGH v. 9.3.2006 – RS C-499/04 (Hans Werhof/Freeway Traffic Systems GmbH & Co. KG), Slg. 2006, S. I-2397 (Rdn. 23).

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C. Unternehmerische Freiheit

und spricht „von der [in der] 373 Europäischen Rechtsordnung geschützte[n] 374 Vertragsfreiheit“.375 Im Urteil Königreich Spanien gegen die Kommission der Europäischen Gemeinschaft 376 stellte der Gerichtshof im Jahre 1999 fest: Rdn. 99: „(. . .) Vorab ist festzustellen, dass das Recht der Parteien, die von ihnen geschlossenen Verträge zu ändern, auf dem Grundsatz der Vertragsfreiheit beruht und daher nicht eingeschränkt werden kann, wenn es keine Gemeinschaftsregelung gibt, die in dieser Beziehung besondere Beschränkungen festlegt. (. . .)“

Ausführungen zur Vertragsfreiheit finden sich in zahlreichen Schlussanträgen, so beispielsweise von Generalanwalt Geelhoed 377 aus dem Jahre 2002. Im Ausgangsverfahren stritten sich die Parteien unter anderem um den Gerichtsstand und das vorlegende italienische Gericht wollte wissen, ob der geltend gemachte vorvertragliche Haftungsanspruch gemäß dem Brüsseler Übereinkommen378 eher als Anspruch aus unerlaubter Handlung oder als vertraglicher Anspruch anzusehen ist. Generalanwalt Geelhoed führte wie folgt aus: Rdn. 55: „Aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit folgt, dass jedermann frei wählen kann, mit wem und worüber er in Verhandlungen treten und bis zu welchem Punkt er die Verhandlungen fortsetzen will. Daher steht es den Beteiligten grundsätzlich frei, die Verhandlungen abzubrechen, wann immer sie es wollen, ohne dafür haftbar gemacht werden zu können. Die Freiheit, die Verhandlungen abzubrechen, gilt aber nicht absolut. (. . .)“.

Neben den genannten Urteilen und dem Schlussantrag findet sich der Grundsatz der Vertragsfreiheit auch in dem bisher erfolgreichsten und umfassendsten Vorstoß unter der Leitung der Zivilrechtler Ole Lando und Hugh Beale wieder, eine gesamteuropäische Konzeption der allgemeinen Fragen des Vertragsrechts zu erstellen.379 In den von Rechtswissenschaftlern aller europäischen Mitgliedstaaten erarbeiteten Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts380 findet sich folgende Bestimmung: 373

Vom Verfasser eingefügt. Vom Verfasser eingefügt. 375 EuGH v. 22.4.1999 – RS C-161/97 P (Kernkraftwerke Lippe-Ems GmbH/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1999, S. I-2057 (Rdn. 124). 376 EuGH v. 5.10.1999 – RS C-240/97 (Königreich Spanien/Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Slg. 1999, S. I-6571 (Rdn. 99). 377 GA Geelhoed, Schlussantrag zu EuGH v. 17.09.2002 – RS C-334/00 (Fonderie Officine Meccaniche Tacconi SpA/Heinrich Wagner Sinto Maschinenfabrik GmbH), Slg. 2002, S. I-7357 (Rdn. 55). 378 Übereinkommen vom 27.09.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, EuGVÜ. Es wurde durch die Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, EuGVVO (ABl. Nr. L 12 vom 16.01.2001, S. 1), abgelöst, die am 1.3.2002 in Kraft trat. 379 Offizielle Homepage unter http://frontpage.cbs.dk/law/commission_on_euro pean_contract_law/ (geprüft am 11.07.2009). 374

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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„Art. 1:102: Vertragsfreiheit (1) Die Parteien sind frei, einen Vertrag zu schließen und seinen Inhalt zu bestimmen, vorbehaltlich der Gebote von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs sowie der zwingenden Vorschriften, die durch die vorliegenden Grundregeln festgesetzt sind. (2) Die Parteien können die Anwendung jeder dieser Grundregeln ausschließen oder von ihnen abweichen oder ihre Wirkung ändern, außer wenn in diesen Grundregeln etwas anderes bestimmt ist.

Die Arbeitsgruppe, welche maßgeblich durch die Europäische Kommission finanziert wurde, hatte unter anderem festgestellt, dass in allen europäischen Mitgliedstaaten das Prinzip der Vertragsfreiheit gilt und hieraus den einheitlichen Ansatz in Art. 1:102: formuliert. In der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen381 ist die Vertragsfreiheit selbst in die Erwägungsgründe des europäischen Rechtstextes mit aufgenommen worden. Es wird ausgeführt, dass der Gesetzgeber Regelungen zum Gerichtsstand und zur Zuständigkeit nur insoweit vorgeben darf, wie er damit keinen Verstoß gegen die Vertragsfreiheit begeht. Darüber hinaus findet man den Grundsatz der Vertragsfreiheit in weiteren Dokumenten der europäischen Institutionen.382 Insbesondere die durch die Europäische Kommission eingesetzte Expertengruppe zur Erarbeitung eines kohärenten europäischen Vertragsrechts veröffentlicht regelmäßig Arbeitsberichte mit Ausführungen zur Vertragsfreiheit.383 So findet sich im Rahmen der einheitlichen allgemeinen Geschäftsbedingungen folgender Abschnitt:384 „Der Grundsatz der Vertragsfreiheit, der in allen Mitgliedstaaten das Kernstück des Vertragsrechts bildet, ermöglicht es den Vertragsparteien, den Vertrag abzuschließen, der ihren besonderen Bedürfnissen am besten entspricht. Diese Freiheit ist durch bestimmte zwingende Vorschriften des Vertragsrechts bzw. durch Anforderungen, die sich aus anderen Gesetzen ergeben, eingeschränkt. Die zwingenden Bestimmungen sind jedoch begrenzt, und die Parteien verfügen bei der Aushandlung der von ihnen 380

C. von Bar/R. Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, S. 3. Verordnung Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000, veröffentlicht im Amtsblatt Nr. L 12 vom 16.1.2001, S. 1–23 (Rdn. 11 und 14). 382 So ist zum Beispiel in der Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zum europäischen Vertragsrecht (veröffentlicht am 11.7.2001 unter KOM (2001) 398) auf Seite 10 ausgeführt, dass die nationalen vertragsrechtlichen Regelungen auf dem Grundsatz der Vertragsfreiheit beruhen und daher die Parteien ihre Vertragsbedingungen frei aushandeln können. 383 Die Internetseite der Expertengruppe findet sich unter folgendem Link: http:// ec.europa.eu /consumers/cons_int/safe_shop/fair_bus_pract/cont_law/common_frame_ ref_de.htm (geprüft am 11.07.2009). 384 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 12.2.2003: Ein kohärentes europäisches Vertragsrecht, KOM (2003) 68, S. 25. 381

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C. Unternehmerische Freiheit

gewünschten Vertragsklauseln über ein erhebliches Maß an Freiheit. Dies ist besonders in den Fällen wichtig, in denen die Parteien einen Vertrag mit besonderen Merkmalen oder einen Vertrag zur Regelung eines komplizierten Sachverhalts abschließen möchten.“

Zusammenfassend kommt man zu dem Ergebnis, dass in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Grundsatz der Vertragsfreiheit als eine Erscheinungsform der Partei- und Privatautonomie385 ein allgemein gültiges Prinzip darstellt.386 Die Vertragsfreiheit kann beschränkt werden und gilt somit nicht schrankenlos. d) Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur freien Wahl des Vertrags- und Geschäftspartners Die freie Wahl des Geschäftspartners wurde erstmals im Urteil Jean Neu387 vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anerkannt: „Insoweit ist festzustellen, dass die freie Berufsausübung, die nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes (. . .) zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört, als einen besonderen Ausdruck die freie Wahl des Geschäftspartners umfasst. Dieses Wahlrecht wäre nicht gewährleistet, (. . .)“

Im Urteil Association Agricole Luxlait gegen Victor Hendel 388 bestätigte der Gerichtshof „den Grundsatz der freien Wahl des Geschäftspartners, der sich aus 385 Die direkte Verbindung zwischen den europäischen Grundsätzen der Parteiautonomie und der Vertragsfreiheit ergibt sich beispielsweise aus den Schlussanträgen des Generalanwalts Léger vom 11. Mai 2000 – RS C-381/98, Slg. 2000, S. I-9305, Rdn. 57 und 72: „(. . .) Ich bin ebenso wie alle Verfahrensbeteiligten der Ansicht, dass dem Grundsatz der Vertragsfreiheit und der für die Parteien daraus folgenden Möglichkeit, sich der geltenden rechtlichen Regelung zu entziehen, Rechnung zu tragen ist. Mit der Aufnahme einer Vertragsklausel, wonach der Vertrag dem Recht des Staates Kalifornien unterliegt, haben die Parteien ihren Willen klar zum Ausdruck gebracht, dass sie ihr Vertragsverhältnis nicht der Regelung der Richtlinie unterstellen wollen. (. . .) Der sich aus der Wahl eines anderen Rechts ergebende Wettbewerbsvorteil würde (. . .) jeden Unternehmer, sofern er sich gegenüber dem künftigen Vertragspartner wirtschaftlich in einer stärkeren Position befindet, veranlassen, in den Vertrag eine Klausel aufzunehmen, mit der das Recht eines Drittstaats gewählt würde, um davon zu profitieren. Das Erfordernis, dass die gemeinschaftlich angestrebte Harmonisierung nicht behindert wird, darf (. . .) nicht dazu führen, dass jede beabsichtigte Abweichung von der gemeinsamen rechtlichen Regelung, die in der Gemeinschaft gilt, von vornherein missbilligt wird. Der Grundsatz der Privatautonomie, der nach dem Übereinkommen von Rom (über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980, 80/934/EWG) gem. Art. 3 Abs. 1 S. 1 gilt, wäre gefährdet, wenn dem Prozess der gemeinsamen Harmonisierung in diesem Bereich stets der Vorrang gebühren würde vor der den Wirtschaftsteilnehmern zuerkannten Freiheit, das auf ihre Rechtsbeziehungen anzuwendende Recht zu bestimmen. (. . .)“. 386 P. J. Tettinger, in: ders./Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 11. 387 EuGH v. 10.7.1991 – verb. RS C-90/90 und C-91/90 (Jean Neu/Secrétaire d’Etat à l’Agriculture et à la Viticulture), Slg. 1991, S. I-3617 (Rdn. 13). 388 EuGH v. 16.12.1993 – RS C-307/91 (Association Agricole Luxlait/Victor Hendel), Slg. 1993, S. I-6835 (Rdn. 14, 18).

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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der vom Gemeinschaftsrecht als Teil seiner allgemeinen Grundsätze gewährleisteten freien Berufsausübung ergibt“. Beide Urteile beschäftigen sich mit den zugeteilten Referenzmengen von luxemburgischen Milcherzeugern und kamen zu dem Ergebnis, dass die Berechnung der Referenzmenge sich nicht nachteilig ändern darf, wenn ein Milcherzeuger während des Jahres die Molkerei wechselt. Inwieweit dieser Grundsatz, der vom Gerichtshof unter die freie Berufsausübung subsumiert wurde, eher der Vertragsfreiheit389 oder der Freiheit wirtschaftlicher Betätigung zuzuordnen ist, kann dahinstehen. Die Vertragsfreiheit beinhaltet das Recht des Einzelnen, nicht nur darüber zu entscheiden, ob man einen Vertrag abschließt und zu welchen Konditionen, sondern auch mit wem. Die freie Wahl des Geschäftspartners findet sich zudem wieder in der Freiheit wirtschaftlicher Betätigung, die es ermöglicht, nach freiem Ermessen mit Dritten Geschäfte zu tätigen. e) Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur unternehmerischen Freiheit Die Begrifflichkeiten „wirtschaftliche Betätigungsfreiheit“ und „Unternehmerfreiheit“ wurden Anfang 1991 im Urteil Zuckerfabrik Süderdithmarschen390 vom Gerichtshof synonym verwendet. Dies war das erste Mal, dass der Gerichtshof die Bezeichnung „Unternehmerfreiheit“ verwendete. Der Ausdruck „unternehmerische Freiheit“391 fand sich kurz darauf im Urteil des Gerichtshofs Giuseppe d’Urso.392 In dem Vorabentscheidungsverfahren hatte der Gerichtshof unter anderem darüber zu entscheiden, ob bei einem Übergang eines Unternehmens die bestehenden Arbeitsverhältnisse zwischen dem Veräußerer und den Beschäftigten des übertragenen Unternehmens automatisch auf den Erwerber übergehen. Der Veräußerer machte im Ausgangsverfahren eine unangemessene Beeinträchtigung seiner unternehmerischen Freiheit durch die Richtlinie 77/187/EWG geltend, die der Gerichtshof in seinem Urteil dahingehend kommentierte, dass „(. . .) die Beeinträchtigung [der unternehmerischen Freiheit]393 gerade zur Zweckbestimmung der Richtlinie gehört, die darauf abzielt, im Interesse der Arbeitnehmer die sich aus den Arbeitsverträgen (. . .) ergebenden Verpflichtungen auf den Erwerber zu übertragen.“394

389

So J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 16, Rdn. 3. EuGH v. 21.2.1991 – verb. RS C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen AG gegen Hauptzollamt Itzehohe und Zuckerfabrik Soest GmbH gegen Hauptzollamt Paderborn), Slg. 1991, I-415 (Rdn. 11, 72). 391 Im verbindlichen italienischen Urteilstext wird der Begriff „la libertà d’impresa“ verwendet. 392 EuGH v. 25.7.1991 – RS C-362/89 (Giuseppe d’Urso und Adriana Ventadori/Ercole Marelli Elettromeccanica Generale SPA), Slg. 1991, S. I-4105 (Rdn. 14). 393 Vom Verfasser eingefügt. 390

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C. Unternehmerische Freiheit

Dabei verwundert es nicht, dass der Beklagte im Ausgangsverfahren vor dem italienischen Gericht die Verletzung seiner unternehmerischen Freiheit vortrug. Schließlich wird die privatwirtschaftliche Betätigung in Italien in Art. 41 Abs. 1 der Verfassung geschützt. Im Übrigen ist festzustellen, dass die Bezeichnungen „unternehmerische Freiheit“ und „Unternehmerfreiheit“ bis zur Aufnahme als eigenständiger Artikel in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union keine Rolle in der Rechtsprechung des Gerichtshofs gespielt hatten.395 Im Jahre 2004 hatte der Gerichtshof in seinem Urteil Di Lenardo Adriano Srl 396 den Klägervortrag, dass der vollkommene Ausschluss der Importgesellschaften vom Bananenmarkt ein Verstoß gegen „die tragenden Grundsätze der Unternehmensfreiheit und der freien Berufsausübung“ sei, ausschließlich unter dem Grundrecht der freien Berufsausübung geprüft und im Ergebnis abgelehnt. Eine Abgrenzung durch den Gerichtshof zwischen den unterschiedlichen Begriffen fand nicht statt. Das bisher einzige Urteil397 des Gerichtshofs mit näheren Ausführungen zur unternehmerischen Freiheit ist im Jahre 2004 veröffentlicht worden. Die Kläger rügten in den Klagegründen der verbundenen Rechtssachen, dass durch die Richtlinie 2002/15/EG zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben ein Verstoß gegen die unternehmerische Freiheit sowie die Berufsausübungsfreiheit der selbständigen Kraftfahrer vorliege.398 Der Gerichtshof lehnte eine Grundrechtsverletzung ab und führte dazu in seinem Leitsatz Nr. 2 wie folgt aus: Leitsatz 2: „(. . .) Die freie Berufsausübung gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Dasselbe gilt für die unternehmerische Freiheit, die sich mit der Berufsausübungsfreiheit überschneidet. Diese Freiheiten gelten jedoch nicht 394 EuGH v. 25.7.1991 – RS C-362/89 (Giuseppe d’Urso und Adriana Ventadori/Ercole Marelli Elettromeccanica Generale SPA), Slg. 1991, S. I-4105 (Rdn. 15). 395 In den Schlussanträgen des Generalanwalts Cosmas aus dem Jahr 1997 (GA Cosmas v. 2.10.1997 – RS C-309/96 (Daniele Annibaldi/Sindaco del Comune die Giudonia), Slg. 1997, S. I-7493) findet sich noch ein Hinweis auf die unternehmerische Freiheit, jedoch ohne inhaltliche Substanz. So stellt er in Rdn. 24 fest: „(. . .) Das gleiche gilt auch für die unternehmerische Freiheit und die freie Berufsausübung im allgemeinen, die ebenfalls vom Gemeinschaftsrecht geschützt werden. (. . .)“. 396 EuGH v. 15.7.2004 – verb. RS C-37/02 und C-38/02 (Di Lenardo Adriano Srl und Dilexport Srl/Ministero del Commercio con l’Estero), Slg. 2004, S. I-6911 (Rdn. 73, 77, 82, 85). 397 EuGH v. 9.9.2004 – verb. RS C-184/02 und C-223/02 (Königreich Spanien und Republik Finnland/Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union), Slg. 2004, S. I-7789. 398 EuGH v. 9.9.2004 – verb. RS C-184/02 und C-223/02 (Königreich Spanien und Republik Finnland/Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union), Slg. 2004, S. I-7789 (Rdn. 46, 49).

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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schrankenlos, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich können sie Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die Freiheiten in ihrem Wesensgehalt antastet. Angesichts des weiten Ermessens, das dem Gemeinschaftsgesetzgeber beim Erlass zweckdienlicher Maßnahmen im Hinblick auf eine gemeinsame Verkehrspolitik zusteht, durfte dieser davon ausgehen, dass Maßnahmen wie die in der Richtlinie 2002/ 15 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben, enthaltenen, die die Zeit, die für unmittelbar mit dem Straßenverkehr in Zusammenhang stehende Tätigkeiten aufgewendet wird, begrenzen, ohne dabei die Freiheit des Fahrers, der sich für den Selbständigenstatus entschieden hat, einzuschränken, die allgemeinen, mit diesem Status verbundenen Aufgaben nach Belieben zu organisieren, im Hinblick auf das Ziel der Straßenverkehrssicherheit angemessen und sachgerecht sind.“

Hiermit folgte der Gerichtshof im Ergebnis den Schlussanträgen399 der Generalanwältin Stix-Hackl, die die Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit durch das Ziel des Gesetzgebers – die Steigerung der Straßenverkehrssicherheit – als gerechtfertigt wertete. Zu Beginn der Grundrechtsprüfung stellte die Generalanwältin ihre Ansicht hinsichtlich der Abgrenzung der geltend gemachten Grundrechtsverletzungen dar:400 Rdn. 103–105: „(. . .) Zum Grundrecht auf freie Berufsausübung: Hinsichtlich der von Spanien und Finnland behaupteten Verletzung des Grundrechts auf freie Berufsausübung ist auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes hinzuweisen, wonach dieses Grundrecht zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört. Von Spanien wird zusätzlich zum Recht auf freie Berufsausübung das Recht auf Gewerbefreiheit oder auf unternehmerische Freiheit („libertad de empresa“) angeführt. Wenn der Gerichtshof sich auch vereinzelt des Begriffes der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit (. . .) oder der grundrechtlichen Handelsfreiheit (. . .) bedient, so darf darin kein vom Recht der freien Berufsausübung oder der freien wirtschaftlichen Betätigung (. . .) verschiedenes Recht gesehen werden, sondern nur eine terminologische Abweichung.“

Weil der Gerichtshof in seinem Urteil explizit davon spricht, dass sich die unternehmerische Freiheit mit der Berufsausübungsfreiheit „überschneidet“, und man aus dieser Wortwahl schließen könnte, dass gerade keine deckungsgleichen Schutzbereiche vorliegen und es sich daher nicht nur um eine terminologische Abweichung in der Bezeichnung der Grundrechte handelt, sondern um zwei ei399 GA Stix-Hackl, Schlussanträge v. 30.4.2004 zu EuGH v. 9.9.2004 – verb. RS C184/02 und C-223/02 (Königreich Spanien und Republik Finnland/Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union), Slg. 2004, S. I-7789, Rdn. 141–142). 400 GA Stix-Hackl, Schlussanträge v. 30.4.2004 zu EuGH v. 9.9.2004 – verb. RS C184/02 und C-223/02 (Königreich Spanien und Republik Finnland/Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union), Slg. 2004, S. I-7789, Rdn. 103–105).

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C. Unternehmerische Freiheit

genständige Grundrechte mit teilweise überschneidendem Schutzbereich, ist eine nähere Betrachtung der Wortwahl notwendig. Hier hilft ein Blick auf die anderen Urteilssprachfassungen. Nur im Deutschen wird von „überschneiden“ anstatt beispielsweise von „deckungsgleich“ oder „übereinstimmen“ gesprochen. In der Englischen Fassung heißt es hingegen „which coincides with“. Und das Verb „to coincide“ wird wie folgt übersetzt: „übereinstimmen“, „kongruieren“, „sich decken“, „zusammenfallen“. In der Französischen Sprachfassung wird die Urteilspassage wie folgt gefasst: „laquelle se confond avec“ – das Verb „confondre“ kann hier mit „ineinander übergehen“ übersetzt werden. Deutlich für eine lediglich abweichende Wortlautinterpretation des Gerichtshofs und damit die Meinung von Generalanwältin Stix-Hackl stützend ist neben der englischen auch die niederländische Sprachfassung. Hier wird das Verb „samenvallen met“ verwendet – was nichts anderes heißt, als dass die beiden Grundrechte zusammenfallen und damit deckungsgleich sind. Somit ist das europäische Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit in der Rechtsprechungspraxis des Gerichtshofs das einschlägige Grundrecht, um Verletzungen der unternehmerischen Freiheit zu prüfen. Ob sich zukünftig feststehende Grundrechtsbezeichnungen mit einer verbindlichen Grundrechtecharta etablieren werden, bleibt abzuwarten. Eine erste Berücksichtigung der unternehmerischen Freiheit gemäß der Charta findet sich bereits in einem gerichtlich angefochtenen Fusionskontrollverfahren der Musikindustrie. So verwies Generalanwältin Kokott im Dezember 2007 in ihren Schlussanträgen401 explizit auf das in Art. 16 GRCh kodifizierte Grundrecht der unternehmerischen Freiheit und stellte fest: „(. . .) So beinhaltet zwar die unternehmerische Freiheit der beteiligten Unternehmen wie auch die Eigentumsrechte ihrer Anteilseigner (Art. 16 und 17 der Charta der Grundrechte) ohne Zweifel das Recht, Unternehmenszusammenschlüsse zu verwirklichen; dies gilt jedoch nur, soweit nicht zum Schutz des Wettbewerbs vor Verfälschungen bestimmte Bedingungen oder Auflagen oder gar die Untersagung des jeweiligen Zusammenschlusses gerechtfertigt sind. (. . .)“

Auch das Gericht erster Instanz, welches die Charta der Grundrechte bereits seit Anfang des Jahres 2002 in seinen Urteilen zitiert,402 hat in seinem Urteil

401 GA Juliane Kokott, Schlussanträge zu EuGH v. 13.12.2007 – RS C-413/06P (Bertelsmann AG und Sony Corporation of America/Kommission u. a.), Slg. 2008, (bisher nur online veröffentlicht, Rdn. 214). 402 EuG erster Instanz v. 30.1.2002 – RS T-54/99 (max.mobil Telekommunikation Service GmbH/Kommission), Slg. 2002, S. II-313, Leitsatz 1 sowie Rdn. 41: „(. . .) Auf die sorgfältige und unparteiische Behandlung einer Beschwerde besteht ein Anspruch im Rahmen des Rechts auf eine geordnete Verwaltung, das zu den allgemeinen Grundsätzen des Rechtsstaats gehört, die den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind. Artikel 41 Absatz 1 der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigt das: (. . .)“.

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Laurent Piau403 auf die unternehmerische Freiheit von Spielervermittlern im Profifußball Bezug genommen. Ob und wann die Begrifflichkeiten der freien Berufsausübung und der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit ausgetauscht werden und stattdessen explizit Artikel 16 GRCh und damit das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit in den Urteilspassagen des obersten europäischen Gerichtshofs einmal Einzug halten wird, ist aber derzeit noch offen. f) Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Anerkennung des freien Wettbewerbs In den Erläuterungen des Präsidiums zur Charta der Grundrechte404 findet sich zu Art. 16 auch eine Erwähnung des freien Wettbewerbs, begleitet von einem Verweis405 auf Artikel 119 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Die Absätze 1 und 2 lauten wie folgt: Die Wirtschafts- und Währungspolitik: Art. 119 AEUV Abs. 1: „Die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Union im Sinne des Artikels 3 des Vertrags über die Europäische Union umfasst nach Maßgabe der Verträge die Einführung einer Wirtschaftspolitik, die (. . .) dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist. Abs. 2: „Parallel dazu umfasst diese Tätigkeit nach Maßgabe der Verträge und der darin vorgesehenen Verfahren (. . .) die Festlegung und Durchführung einer einheitlichen Geld- sowie Wechselpolitik, die beide (. . .) die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union unter Beachtung des Grundsatzes einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb unterstützen sollen.“

Auch wenn die Erläuterungen zum Grundrecht der unternehmerischen Freiheit somit auf den primärrechtlichen Grundsatz des freien Wettbewerbs verweisen, ist fraglich ob dieser Grundsatz einen eigenständigen grundrechtlichen Schutzgehalt für den Grundrechtsträger beinhaltet. 403 EuG erster Instanz v. 26.1.2005 – RS T-913/02 (Laurent Piau/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 2005, S. II-209 (Rdn. 106). 404 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, veröffentlicht im Amtsblatt am 14.12. 2007 (2007/C 303/02). 405 Der Wortlaut in den Erläuterungen zu Art. 16 ist wie folgt: „Dieser Artikel stützt sich (. . .) auf Artikel 119 Absätze 1 und 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, in dem der freie Wettbewerb anerkannt wird.“ Nachdem in den ursprünglichen Erläuterungen zur Grundrechtecharta aus dem Jahre 2000 auf Art. 4 Abs. 1 und 2 EGV verwiesen wird (welche Art. 119 Abs. 1 und 2 AEUV entsprechen), und Art. 119 Abs. 3 AEUV damals keine Erwähnung fand sowie auch keinen Bezug zum freien Wettbewerb aufweist, handelt es sich wohl um einen Redaktionsfehler (der bei allen untersuchten Sprachfassungen der Chartaerläuterungen aus 2007 vorliegt). Daher wurden hier Art. 119 Absätze 1 und 2 AEUV näher untersucht.

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C. Unternehmerische Freiheit

Wettbewerb entsteht durch die Mehrheit des Angebots gleicher Leistung oder der Nachfrage nach gleicher Leistung, unter denen die jeweilige Marktgegenseite frei wählen kann und ist somit nicht ein Recht, sondern ein Faktum.406 Wettbewerbsfreiheit könnte man somit als eine umfassende wirtschaftliche Handlungsfreiheit umschreiben, die nach Maßgabe der allgemeinen Regeln beschränkt werden kann.407 Hierzu zählen beispielsweise die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften der Gemeinschaft. Diese sollen die in Frage kommenden Freiheits- und Schutzbelange der im Wettbewerb stehenden Unternehmen adäquat ausgleichen, so dass sich starke Wirtschaftsteilnehmer nicht durch unfaire, den Wettbewerb verfälschende Verhaltensweisen gegen schwächere Mitbewerber oder Vertragspartner durchsetzen können.408 Auf europäischer Ebene409 wird diskutiert, inwieweit der freie Wettbewerb einen objektivrechtlichen oder einen subjektivrechtlichen Charakter hat. Hierzu werden in der Literatur beide Auffassungen vertreten.410 Die Aufnahme in die Erläuterungen der Charta der Grundrechte kann zumindest als Hinweis gewertet werden, dass dem freien Wettbewerb ein subjektivrechtlicher Charakter zugedacht werden soll und dem Grundrechtsträger somit die gerichtliche Geltendmachung ermöglicht wird.

406 K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 5, II., 1. 407 B. Schöbener, Die unternehmerische Freiheit, in: Ennuschat (Hrsg.), FS für Peter J. Tettinger, S. 169. 408 W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäisches Kartellrecht, S. 46, Rdn. 119. 409 In Deutschland garantiert das Bundesverfassungsgericht ein „Recht auf Teilhabe am Wettbewerb nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen.“, vgl. BVerfGE 105, 252 (265 f.) sowie BVerfGE 106, 275 (298 f.). Siehe auch BVerfG, Beschluss v. 28.7.2004, 1 BvR 2566/95 (Rdn. 25): „In der bestehenden Wirtschaftsordnung umschließt das Freiheitsrecht des Art. 12 Abs. 1 GG das berufsbezogene Verhalten der Unternehmen am Markt nach den Grundsätzen des Wettbewerbs. Insoweit sichert Art. 12 Abs. 1 GG die zu Erwerbszwecken erfolgende Teilhabe am Wettbewerb. Der Wettbewerber hat aber keinen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass die Wettbewerbsbedingungen für sie gleich bleiben. Insbesondere gewährleistet das Grundrecht keinen Anspruch auf eine erfolgreiche Marktteilhabe oder auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten. Vielmehr unterliegen die Wettbewerbsposition und damit auch die erzielbaren Erträge dem Risiko laufender Veränderung je nach den Verhältnissen am Markt und damit nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen.“ 410 Grundrechtliche Garantie: U. Penski/B. Elsner, Eigentumsgewährleistung und Berufsfreiheit, in: DÖV 2001, S. 265 (271); W. Frenz (in: ders., Handbuch Europarecht – Europäisches Kartellrecht, S. 43, Rdn. 114) leitet die individuelle Wettbewerbsfreiheit zwar über Art. 16 GRCh her, äußert sich aber nicht näher über den subjektivrechtlichen Gehalt; Objektivrechtliche Bestimmung: H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 11; H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der Europäischen Union, § 20, Rdn. 800; V. Skouris/D. Kraus, in: Hirsch/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo Kartellrecht, Band 1, Einl. B., S. 113, Rdn. 366; C. Nowak, Grundrechtsschutz im Europäischen Wettbewerbsrecht, in: Behrens (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch, 2004, S. 29.

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Nachfolgend wird geprüft, ob sich in der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zum Grundsatz der Freiheit des Wettbewerbs Hinweise finden, die für einen subjektivrechtlichen Charakter sprechen. Die erste Erwähnung der Wettbewerbsfreiheit als europäischen Grundsatz findet sich im Jahre 1985. Im Urteil ADBHU,411 welches bereits zuvor in Verbindung mit der darin gewährleisteten Handelsfreiheit besprochen wurde,412 hatte der Gerichtshof die Gültigkeit der Richtlinie 75/439 zur Altölbeseitigung hinsichtlich bestimmter Prinzipien des Gemeinschaftsrechts zu prüfen. Er bewertete dabei die Vereinbarkeit der durch die Richtlinie gewährten Zuschüsse mit dem Grundsatz des freien Wettbewerbs und führte wie folgt aus: Rdn. 9–20: „(. . .) Die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Wettbewerbs sowie die grundrechtliche Handelsfreiheit stellen allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts dar, über deren Einhaltung der Gerichtshof wacht. Die erwähnten Vorschriften sind also anhand dieser Grundsätze zu prüfen. (. . .) Diese Artikel sehen die Möglichkeit vor, dass die Unternehmen, die Altöle sammeln und/oder beseitigen, für die erbrachte Dienstleistung Zuschüsse erhalten. Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass sich hier die Frage der Vereinbarkeit dieser Zuschüsse mit den Erfordernissen des freien Wettbewerbs und insbesondere mit den Artikeln 92 bis 94 EWG-Vertrag stellt, die die Gewährleistung von Beihilfen durch die Mitgliedstaaten verbieten. Dazu tragen die Kommission und der Rat zu Recht vor, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um Beihilfen im Sinne der Artikel 92 ff. EWG-Vertrag, sondern um die Gegenleistung für die von den Abhol- oder Beseitigungsunternehmen erbrachten Leistungen handele. Weiterhin dürfen diese Zuschüsse nach Artikel 13 Absatz 2 der Richtlinie weder zu nennenswerten Wettbewerbsverzerrungen führen noch künstliche Handelsströme schaffen. Die Artikel 13 und 14 der Richtlinie stehen daher zum Grundsatz des freien Wettbewerbs nicht in Widerspruch.“

In den Urteilsgründen hatte der Gerichtshof im Zusammenhang mit der Handelsfreiheit von einer „grundrechtlichen“ Gewährleistung gesprochen. Den freien Wettbewerb sowie den freien Warenverkehr bezeichnete er hingegen mit dem Terminus „Grundsatz“. Diese im Urteil ADBHU 413 vorgenommene Abgrenzung durch die Terminologie hilft aber nur begrenzt bei einer Einordnung für einen subjektivrechtlichen oder objektivrechtlichen Charakter weiter. Die Warenverkehrsfreiheit ist als europäische, primärrechtlich garantierte Grundfreiheit grundsätzlich an die Mitgliedstaaten gerichtet und somit objektivrechtlicher Natur, hat aber durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs subjektivrechtlichen Gehalt erhalten, die es dem Bürger gestattet, sich direkt hierauf zu

411 EuGH v 7.2.1985 – RS 240/83 (Procureur de la Republique/Association de Defense des Bruleurs d’Huiles Usagees (ADBHU)), Slg. 1985, S. 531 (Rdn. 9, 16–20). 412 Siehe C. III. 2. b). 413 EuGH v 7.2.1985 – RS 240/83 (Procureur de la Republique/Association de Defense des Bruleurs d’Huiles Usagees (ADBHU)), Slg. 1985, S. 531 (Rdn. 9, 16–20).

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C. Unternehmerische Freiheit

berufen.414 Eine gleich gelagerte allmähliche Subjektivierung der Wettbewerbsfreiheit durch den Gerichtshof ist folglich nicht auszuschließen.415 Die durch den Gerichtshof im Urteil vorgenommene Prüfung, inwieweit der Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit durch die Vorschriften der Richtlinie verletzt ist, spricht für einen objektivrechtlichen Charakter. So hätte der Gerichtshof eine Verletzung des Grundsatzes des freien Wettbewerbs erst angenommen, wenn objektive Kriterien wie künstliche Handelsströme oder wesentliche Wettbewerbsverzerrungen durch die Zuschüsse den Markt beeinträchtigt hätten. Eine mögliche subjektive Beeinträchtigung des Wettbewerbs durch die Zuschüsse, die schon bei geringerer Eingriffsqualität in den Wettbewerb angenommen werden kann, wurde nicht näher geprüft. Gut zwei Jahre später hatte der Gerichtshof im Urteil Rau416 wieder eine Verletzung des Grundsatzes der Wettbewerbsfreiheit zu prüfen. Das vorlegende italienische Gericht Tribunale Amministrativo Regionale del Lazio wollte wissen, ob Rdn. 15: „(. . .) gemeinschaftliche Maßnahmen, die die Wettbewerbsposition bestimmter Unternehmen verbessern und sich dadurch nachteilig für deren Konkurrenten auswirken, den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts, insbesondere den Grundsätzen der freien Berufsausübung, der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Wettbewerbsfreiheit zuwiderlaufen.“

Hierzu führte der Gerichtshof aus, dass eine nähere Prüfung einer Grundrechtsverletzung unterbleiben könne, weil nach der bisherigen Rechtsprechung im Urteil Eridania417 eine Änderung der Politik des Rates im Preisbereich keine Grundrechtsverletzung darstelle – und dies somit erst recht für eine Entscheidung im Vorfeld der Politikfestsetzung gelten müsse. Die im Urteilstext418 fehlende Abgrenzung zwischen Grundrechts- und Grundsatzprüfung und die damit einhergegangene unklare Terminologie des Gerichtshofs419 lässt keinen Rückschluss darauf zu, ob der Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit vom Gerichtshof als Grund414 D. Ehlers, in: ders., Europäische Grundrechte, § 7, S. 181, Rdn. 8; zum subjektivrechtlichen Charakter im EG-Recht siehe EuGH v. 05.02.1963 – RS 120/78 (N.V. Algemene Transport- en Expeditie Onderneming van Gend und Loos/Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, S. 3 (S. 27: „Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass nach dem Geist, der Systematik und dem Wortlaut des Vertrages Artikel 12 dahin auszulegen ist, dass er unmittelbare Wirkung erzeugt und individuelle Rechte begründet, welche die staatlichen Gerichte zu beachten haben.“). 415 So auch H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 626 (§ 20, Rdn. 802). 416 EuGH v. 21.5.1987 – verb. RS 133–136/85 (Walter Rau Lebensmittelwerke u .a./ Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktforschung), Slg. 1987, S. 2289 (Rdn. 15). 417 EuGH v. 27.9.1979 – RS 230/78 (S.P.A. Eridiania Zuccerifici Nazionali und S.P.A. Societa Italiana per l’industria degli Zuccheri/Minister für Landwirtschaft und Forsten, Minister der Industrie, Handel und Handwerk), Slg. 1979, S. 2749 (Rdn. 20– 23). 418 EuGH v. 21.5.1987 – verb. RS 133–136/85 (Rau), Slg. 1987, S. 2289 (Rdn. 18).

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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recht mit subjektivem Charakter angesehen wurde. Vielmehr ist die unklare Terminologie wohl auf die bereits vom Verwaltungsgericht Frankfurt entsprechend formulierte 3. Vorlagefrage zurückzuführen, die durch den Gerichtshof lediglich aufgegriffen wurde.420 Eine getrennte Prüfung des Grundsatzes des unverfälschten Wettbewerbs zu den im Verfahren auch geltend gemachten Grundrechtsverletzungen findet sich im Urteil Bundesrepublik Deutschland gegen Rat der Europäischen Union aus dem Jahre 1994.421 In dem Verfahren trägt die Bundesrepublik Deutschland vor, dass einzelne Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 404/93 vom 13. Februar 1993 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen für nichtig zu erklären seien. Der Gerichtshof nahm in seiner Urteilsbegründung hierzu wie folgt Stellung: Rdn. 57–63: „Zum Verstoß gegen den Grundsatz eines unverfälschten Wettbewerbs: Die Bundesrepublik Deutschland macht geltend, die Modalitäten der Aufteilung des Zollkontingents verstießen gegen das in Artikel 3 Buchstabe f EWG-Vertrag vorgeschriebene Ziel eines unverfälschten Wettbewerbs, da sie eine Umverteilung von Marktanteilen und Einkommen auf Kosten der traditionellen Importeure von Drittlandsbananen durch Hoheitsakt bewirkten. Dass es für diese Importeure nicht möglich sei, sich auf den Gemeinschafts- und AKP-Märkten einzudecken, und sie den Vermarktern von Gemeinschafts- und AKP-Bananen Einfuhrbescheinigungen für Drittlandsbananen abkaufen müssten, verschaffe diesen letztgenannten unverdiente finanzielle Vorteile. Dazu ist zu bemerken, dass die Errichtung eines Systems des unverfälschten Wettbewerbs nicht das einzige in Artikel 3 EWG-Vertrag genannte Ziel ist, der insbesondere auch die Einführung einer gemeinsamen Agrarpolitik vorsieht. Die Verfasser des Vertrages haben in dem Bewusstsein, dass sich die gleichzeitige Verfolgung dieser beiden Ziele zu bestimmten Zeitpunkten und unter bestimmten Umständen als schwierig erweisen könnte, in Artikel 42 Absatz 1 EWG-Vertrag folgendes vorgesehen: „Das Kapitel über die Wettbewerbsregeln findet auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit diesen nur insoweit Anwendung, als der Rat dies unter Berücksichtigung der Ziele des Artikels 39 im Rahmen des Artikels 43 Absätze 2 und 3 und gemäß dem dort vorgesehenen Verfahren bestimmt.“ Damit werden sowohl der Vorrang der Agrarpolitik vor den Zielen des Vertrages im Wettbewerbsbereich als auch die Befugnis des Rates, darüber zu entscheiden, inwieweit die Wettbewerbsregeln im Agrarsektor Anwendung finden, anerkannt. Unter diesen Umständen kann die Rüge des Verstoßes gegen den Grundsatz eines unverfälschten Wettbewerbs nicht durchgreifen. Die Argumente zur Begründung dieser Rüge, die sich auf die Benachteiligung der Importeure von Dritt419 In Rdn. 18 beispielsweise spricht der Gerichtshof einheitlich von Grundrechten, anstatt zwischen den Grundrechten der freien Berufsausübung sowie der allgemeinen Handlungsfreiheit und dem Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit zu differenzieren. 420 V. Skouris/D. Kraus, in: Hirsch/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo Kartellrecht, Band 1, Einl. B., S. 113, Rdn. 366. 421 EuGH v. 5.10.1994 – RS C-280/93 (Bundesrepublik Deutschland/Rat der Europäischen Union), Slg. 1994, S. I-4973 (Rdn. 58–63 zum Wettbewerb sowie Rdn. 64–98 zu den Grundrechten).

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C. Unternehmerische Freiheit

landsbananen beziehen, werden hiernach im Rahmen der Prüfung des Klagegrundes des Verstoßes gegen die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze untersucht. (. . .)“

Die Prüfung des Grundsatzes eines unverfälschten Wettbewerbs wurde getrennt von der nachfolgenden Grundrechtsprüfung vorgenommen. Auch hat der Gerichtshof keine Anzeichen im Urteil hinterlassen, die einen sicheren Rückschluss auf einen subjektivrechtlichen Charakter der Wettbewerbsfreiheit gestatten. Die zuvor dargestellten Urteilsbegründungen enthalten keine Hinweise, dass der Gerichtshof dem Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit422 oder auch dem Grundsatz eines unverfälschten Wettbewerbs423 einen subjektivrechtlichen Charakter zugeordnet hat. Vielmehr verkörpert die Wettbewerbsfreiheit als Schutzgut die individuelle wirtschaftliche Handlungsfreiheit.424 g) Der persönliche Schutzbereich der unternehmerischen Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Die zuvor untersuchten Einzelgewährleistungen der unternehmerischen Freiheit werden durch den Gerichtshof sowohl natürlichen Personen als auch juristischen Personen und vergleichbaren Organisationseinheiten zugestanden.425 Explizite Ausführungen zur Möglichkeit der Einbeziehung juristischer Personen in den Schutzbereich der unternehmerischen Freiheit hat der Gerichtshof in seinen Urteilstexten nicht vorgenommen, sondern einfach in seiner Rechtsprechung umgesetzt.426 422 EuGH v 7.2.1985 – RS 240/83 (Procureur de la Republique/Association de Defense des Bruleurs d’Huiles Usagees (ADBHU)), Slg. 1985, S. 531 (Rdn. 9, 16–20). 423 EuGH v. 5.10.1994 – RS C-280/93 (Bundesrepublik Deutschland/Rat der Europäischen Union), Slg. 1994, S. I-4973 (Rdn. 57–63). 424 A. Hatje, Wirtschaftsverfassung, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 744–745. 425 Die Anwendung des persönlichen Schutzbereichs auf juristische Personen findet sich für die jeweiligen Teilgewährleistungen in zahlreichen Urteilen, so zum Beispiel: Schutz der allgemeinen wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit in EuGH v. 14.5.1974 – RS 4-73 (J. Nold, Kohlen- und Baustoffgroßhandel/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1974, S. 491; Schutz der Handels- und Gewerbefreiheit in EuGH v. 16.10.2003 – RS C-363/01 (Flughafen Hannover-Langenhagen GmbH/Deutsche Lufthansa AG), Slg. 2003, S. I-11893 (Rdn. 53, 59); Schutz der Vertragsfreiheit in EuGH v. 16.1.1979 – RS 151/78 (Sukkerfabriken Nykobing Limitered/Landwirtschaftsministerium), Slg. 1979, S. 1 (Rdn. 19); Schutz der unternehmerischen Freiheit in EuGH v. 15.7.2004 – verb. RS C-37/02 und C-38/02 (Di Lenardo Adriano Srl und Dilexport Srl/ Ministero del Commercio con l’Estero), Slg. 2004, S. I-6911 (Rdn. 73, 77, 82, 85); In der Literatur hierzu: H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte, DVBL 2004, S. 455. 426 Dass der Gerichtshof differenziert und nicht alle Grundrechte auf juristische Personen anwendet, ergibt sich beispielsweise aus seiner Rechtsprechung Höchst (EuGH v. 21.9.1989 – verb. RS 46/87 und 227/88 (Höchst/Kommission), Slg. 1989, 2859). Hier

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Insbesondere zwei Fragen stellen sich zum persönlichen Anwendungsbereich des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit.427 Zum einen ist offen, ob der natürliche Personenkreis eingeschränkt wird auf Staatsangehörige der Mitgliedstaaten oder Personen mit einem Aufenthaltsrecht in der Union oder ob die unternehmerische Freiheit als Jedermannsgrundrecht für alle gilt. Entsprechend ist auch offen, ob bei juristischen Personen der satzungsmäßige Sitz innerhalb oder außerhalb der Europäischen Union von Relevanz für ihre Grundrechtsfähigkeit ist. Zum anderen ist zu klären, inwieweit der Grundrechtsschutz sich nur auf privatrechtliche oder auch auf öffentlichrechtliche Unternehmensformen erstreckt. Beide Fragenkomplexe sind in der Literatur bereits diskutiert worden, standen aber in der Grundrechtsrechtsprechung des Gerichtshofs bisher nicht zur Debatte.428 Somit ist eine Beantwortung der Fragen nicht möglich, wenn man sie ausschließlich auf die bisherige europäische Grundrechtsrechtsprechung des Gerichtshofs stützen will. Inwieweit die Charta der Grundrechte für den Gerichtshof zukünftig bindende Vorgaben hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs enthält, wird unter Berücksichtigung der divergierenden Literaturmeinungen in Abschnitt C. IV. 2. a) näher untersucht. h) Definitionen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu grundrechtsrelevanten Begriffen der unternehmerischen Freiheit Weil der Gerichtshof es in seiner Rechtssprechung zu den Wirtschaftsgrundrechten bisher unterlassen hat, allgemeinverbindliche Definitionen zu einzelnen Rechtsbegriffen aufzustellen,429 bietet es sich an, in Urteilen aus anderen Bereichen des Gemeinschaftsrechts wie dem europäischen Kartell- oder Beihilfenrecht nützliche Begriffsbestimmungen und Abgrenzungen zu ermitteln. Die Beachtung

hatte die Höchst AG sich auf das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung berufen, was durch den Gerichtshof explizit abgelehnt wurde. In Randnummer 19 des Urteils stellt er wie folgt fest: „Indessen bedürfen in allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Eingriffe der öffentlichen Gewalt in die Sphäre der privaten Betätigung jeder – natürlichen oder juristischen – Person einer Rechtsgrundlage und müssen aus den gesetzlich vorgesehenen Gründen gerechtfertigt sein; (. . .) Das Erfordernis eines solchen Schutzes ist folglich als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzuerkennen.“ 427 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 15–17; H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 188–194 (§ 4, Rdn. 356–365). 428 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 189, 192 (§ 4, Rdn. 356 sowie Rdn. 364). 429 So fehlt in der europäischen Rechtsprechung beispielsweise eine Definition des Begriffs „Beruf“, vgl. H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 15, Rdn. 25.

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anderer europäischer Rechtsbereiche findet sich schließlich auch in der Urteilssammlung zum Grundrecht der unternehmerischen Freiheit430 auf der Internetseite des Ausschusses Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments431 mit einem Schwerpunkt im Wettbewerbsrecht. Was sich zumindest ergeben könnte, ist ein Vergleich, wie auf europäischer Ebene in einzelnen Rechtsbereichen „Unternehmen“ und „wirtschaftliche Tätigkeit“ definiert werden und ob eventuell eine höchstrichterlich festgelegte Abgrenzung zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen existiert. Nachfolgend werden daher der Begriff des „Unternehmens“ aus wettbewerbsrechtlicher Sicht sowie das Verständnis des Gerichtshofs für eine „wirtschaftlichen Betätigung“ näher dargestellt.432 Mangels entsprechender Ausführungen des Gerichtshofs zur Abgrenzung von öffentlichen und privaten Unternehmen wird neben vereinzelter Rechtsprechung auch auf europäisches Sekundärrecht zurückgegriffen, wie dies Generalanwalt Van Gerven in seinen Schlussanträgen433 gemacht hat. Insbesondere dieser Ansatz könnte hilfreich sein für die noch anstehende Prüfung zum persönlichen Schutzbereich der unternehmerischen Freiheit. In seiner Rechtsprechung hat der Gerichtshof den Begriff des Unternehmens insbesondere im europäischen Wettbewerbsrecht näher umschrieben und definiert. So findet sich in seinem Urteil Höfner und Elser434 folgende Passage: Rdn. 21–22: „Im Rahmen des Wettbewerbsrechts umfasst der Begriff des Unternehmens jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Die Arbeitsvermittlung stellt eine wirtschaftliche Tätigkeit dar. Dass die Vermittlungstätigkeit normalerweise öffentlichrechtlichen Anstalten übertragen ist, spricht nicht gegen die wirtschaftliche Natur dieser Tätigkeit. Die Arbeitsvermittlung ist nicht immer von öffentlichen Einrichtungen betrieben worden und muss nicht notwendig von solchen Einrichtungen betrieben werden. Diese Feststellung gilt insbesondere für die Tätigkeit zur Vermittlung von Führungskräften der Wirtschaft.“

Im Ergebnis wurde die Einheit der öffentlich-rechtlichen Anstalt für Arbeit, die Arbeitsvermittlung betrieben hatte, als Unternehmen im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln qualifiziert.

430 http://www.europarl.europa.eu /comparl/libe/elsj/charter/art16/default_en.htm#5 (geprüft am 11.07.2009). 431 Online unter http://www.europarl.europa.eu/activities/committees/homeCom.do? language=de&body=LIBE (geprüft am 11.07.2009). 432 Ausführlich hierzu F. J. Säcker/H. Hermann, in: Hirsch/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo Kartellrecht, Band 1, Einl. J., S. 443–471. 433 GA Van Gerven, Schlussanträge zu EuGH v. 8.5.1990 – RS C-188/89 (A. Foster u. a./British Gas Plc.), Slg. 1990, S. I-3313 (Rdn. 11–15). 434 EuGH v. 23.4.1991 – RS C-41/90 (Klaus Höfner und Fritz Elsner/Macrotron GmbH), Slg. 1991, S. I-1979 (Rdn. 20–23).

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Zwei Jahre später lehnte der Gerichtshof in seinem Urteil Christian Poucet 435 die Unternehmenseigenschaft einer sozialen Einrichtung auf Grund fehlender wirtschaftlicher Tätigkeit ab und führte hierzu aus: Rdn. 17–20: „Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (. . .) umfasst der Begriff des Unternehmens im Rahmen des Wettbewerbsrechts jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Die Krankenkassen oder die Einrichtungen, die bei der Verwaltung der öffentlichen Aufgabe der sozialen Sicherheit mitwirken, erfüllen jedoch eine Aufgabe mit ausschließlich sozialem Charakter. Diese Tätigkeit beruht nämlich auf dem Grundsatz der nationalen Solidarität und wird ohne Gewinnzweck ausgeübt. Die Leistungen werden von Gesetzes wegen und unabhängig von der Höhe der Beiträge erbracht. Folglich ist diese Tätigkeit keine wirtschaftliche Tätigkeit, und die mit ihr betrauten Einrichtungen sind daher keine Unternehmen im Sinne der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag. Demgemäß ist dem nationalen Gericht zu antworten, dass der Begriff des Unternehmens im Sinne der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag mit der Verwaltung von Systemen der sozialen Sicherheit betraute Einrichtungen der in den Vorlageurteilen beschriebenen Art nicht erfasst.“

Ebenso ablehnend entschied sich der Gerichtshof bei der Einordnung der internationalen Organisation Eurocontrol zur Luftraumüberwachung.436 Hier wurde die Unternehmenseigenschaft nicht angenommen, da Eurocontrol als eine in Ausübung hoheitlicher Befugnisse handelnde Behörde eingestuft wurde. Insbesondere die Kontrolle und die Überwachung des Luftraums wurden dabei als hoheitliche Vorrechte ohne wirtschaftlichen Charakter eingeordnet. Im Urteil COAPI 437 hatte der Gerichtshof dann aber wieder die Unternehmenseigenschaft einer Einrichtung zugesprochen, die ein Rentenversicherungssystem ohne Gewinnerzielungsabsicht verwaltete. Im Urteil führte der Gerichtshof aus, dass hier ein Wettbewerb mit Lebensversicherungsgesellschaften gegeben sei und daher eine wirtschaftliche Tätigkeit trotz fehlender Gewinnerzielungsabsicht anzunehmen wäre. Diese zu Recht kritisierte438 Rechtsprechung des Gerichtshofs kommt somit zu dem Ergebnis, dass der Begriff des Unternehmens „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit 439 ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art 435 EuGH v. 17.02.1993 – verb. RS C-159/91 und C-160/91 (Christian Poucet/Assurances Generales de France), Slg. 1993, S. I-637 (Rdn. 17–20). 436 EuGH v. 19.01.1994 – RS C-364/92 (SAT Fluggesellschaft mbH/Europäische Organisation für Flugsicherung (Eurocontrol)), Slg. 1994, S. I-43 (Rdn. 18, 28–31). 437 EuGH v. 16.11.1995 – RS C-244/94 (Fédération française des sociétés d’assurance u. a. (COAPI)/Ministère de l’Agriculture et de la Pêche), Slg. 1995, S. I-4013 (Rdn. 14). 438 K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 5, VI., 2. 439 Unter einer wirtschaftlichen Tätigkeit hat der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung jede Tätigkeit eingeordnet, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten, vgl. hierzu bspw. EuGH v. 16.06.1987 – RS 118/

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C. Unternehmerische Freiheit

ihrer Finanzierung umfasst“.440 Hierdurch hat der Gerichtshof den europäischen Wettbewerbsregeln eine sehr weitgehende Wirkung verschafft.441 Er lehnt den Unternehmensbegriff lediglich ab für Tätigkeiten, die nach ihrer Art und ihrem Gegenstand keinen Bezug zum Wirtschaftsleben haben oder deren Ausübung ausschließlich442 mit hoheitlichen Befugnissen zusammenhängen.443 Ansätze zur Abgrenzung von öffentlichen und privaten Unternehmen finden sich unter anderem in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Themenkomplex der unmittelbaren Wirksamkeit von Richtlinien zwischen staatlichen Arbeitgebern und dort angestellten Arbeitnehmern.444 Auf Grund nicht umgesetzter europäischer Richtlinien, die den Zugang zur Beschäftigung und die Arbeitsbedingungen für Männer und Frauen einheitlich gestalten sollten,445 kam es zu Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften. 85 (Kommission/Italien), Slg. 1987, S. 2599 (Rdn. 7) und EuGH v. 18.06.1998 – RS C35/96 (Kommission/Italien), Slg. 1998, S. I-3851 (Rdn. 36). Somit ist die wirtschaftliche Tätigkeit eine auf den entgeltlichen Austausch von Waren und Dienstleistungen gerichtete Teilnahme am Wirtschaftsverkehr, vgl. EuGH v. 19.2.2002 – RS C-309/99 (Wouters u. a.), Slg. 2002, S. I-1653 (Rdn. 47) sowie EuGH v. 24.10.2002 – RS C-82/ 01 P (Aeroports de Paris), Slg. 2002, S. I-9334 (Rdn. 79). 440 EuGH v. 11.12.2007 – RS C-280/06 (Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato/Ente tabacchi italiani ETI SpA u. a.), bisher nur online verfügbar (Rdn. 38); EuGH v. 28.06.2005 – RS C-189/02 P, C-202/02 P, C-205/02 P u. a. (Dansk Rorindustri u. a./Kommission), Slg. 2005, S. I-5425 (Rdn. 112); EuGH v. 10.01.2006 – RS C-222/ 04 (Cassa di Risparmio di Firence), Slg. 2006, S. I-289 (Rdn. 107); EuGH v. 11.07.2006 – RS C-205/03 P (FENIN/Kommission), Slg. 2006, S. I-6295 (Rdn. 25). 441 Die weite wettbewerbsrechtliche Unternehmensdefinition wird zusätzlich gestützt aus dem Urteil Hydrotherm (EuGH v. 12.07.1984 – RS 170/83 (Hydrotherm), Slg. 1984, S. 2999 (Rdn. 11)) mit der Feststellung des EuGH, dass „unter dem Begriff des Unternehmens im Rahmen des Wettbewerbsrechts eine im Hinblick auf den jeweiligen Vertragsgegenstand bestehende wirtschaftliche Einheit zu verstehen ist, selbst wenn diese wirtschaftliche Einheit aus mehreren, natürlichen oder juristischen Personen gebildet wird.“ Diese Passage ist in vielen weiteren Urteilen des EuGH zu finden, bspw. in EuGH v. 12.1.1995 – RS T-102/95 (Viho Europe BV/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1995, S. II-17 (Rdn. 50) sowie in EuGH v. 14.12.2006 – RS C217/05 (Confederación Espanol de Empresarios de Estaciones de Servicio/Companía Espanola de Petróleos SA), Slg. 2006, S. I-11987 (Rdn. 40). 442 In dem Urteil Aéroport de Paris (EuGH v. 24.10.2002 – RS C-82/01 P (Aéroports de Paris/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 2002, S. I-9297 (Rdn. 74)) stellte der Gerichtshof fest, dass „der Einstufung einer Einrichtung als Unternehmen im Sinne von Artikel 86 EG-Vertrag die bloße Tatsache nicht entgegensteht, dass diese Einrichtung für einen Teil ihrer Tätigkeit über hoheitliche Gewalt verfügt“. 443 EuGH v. 19.2.2002 – RS C-309/99 (J. C. J. Wouters u. a./Algemene Raad van de Nederlandse Orde van Advocaten), Slg. 2002, S. I-1577 (Rdn. 57). 444 EuGH v. 26.2.1986 – RS 152/84 (M. H. Marshall/Southampton and South-West Hampshire Area Health Authority), Slg. 1986, S. 703 (Rdn. 47–49); EuGH v. 15.5.1986 – RS 222/84 (Johnston/Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary), Slg. 1986, S. 1651 (Rdn. 56). 445 So beispielsweise durch die Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EG.

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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In diesen urteilte der Gerichtshof, dass den staatlichen Arbeitgebern die Verpflichtung eines Mitgliedstaates, eine Richtlinie fristgemäß und ordnungsgemäß in das eigene Rechtssystem umsetzen zu müssen, nach Sinn und Zweck entgegen gehalten werden kann. Zur Abgrenzung nutzte der Gerichtshof lediglich eine Zweiteilung zwischen „Staat“ und „Einzelner“ und ordnete die Arbeitgeber als staatliche Einrichtungen mit Hoheitsbefugnissen dem Staat zu.446 Der Rückschluss hieraus mag begrenzt sein, zeigt aber den Ansatz des Gerichtshofs, den Begriff des Staates unabhängig von Hoheitsbefugnissen tendenziell sehr weit zu fassen. Eine Sonderstellung als juristische Personen stellen die Universitäten dar. Der Gerichtshof stuft diese als juristische Personen des öffentlichen Rechts ein.447 Inwieweit Universitäten sich in Verbindung mit Artikel 14 Abs. 3 GRCh448 auf die unternehmerische Freiheit berufen können, wird im Abschnitt C. IV. 2. a) zur Grundrechtecharta näher behandelt werden.449 Als Erkenntnisquelle kann auch das Sekundärrecht herangezogen werden, so beispielsweise aus dem europäischen Beihilfenrecht. Wie aus den Erläuterungen der Richtlinie über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen450 hervorgeht, dienen die Bestimmungen nicht nur dazu, die finanziellen Beziehungen für die Marktteilneh446 Vergleiche hierzu mit weiteren Ausführungen GA Van Gerven, Schlussanträge zu EuGH vom 8. Mai 1990 – RS C-188/89 (A. Foster u. a./British GAS Plc.), Slg. 1990, S. I-3313 (Rdn. 5–7, 10, 21). 447 EuGH v. 18.12.2007 – RS C-281/06 (Hans-Dieter Jundt und Hedwig Jundt/Finanzamt Offenburg), Slg. 2007, S. I-12231 (Leitsatz 1 und 2): „Eine Lehrtätigkeit, die ein in einem Mitgliedstaat Steuerpflichtiger im Dienst einer juristischen Person des öffentlichen Rechts wie einer Universität ausübt, (. . .). Die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit, die darin liegt, dass nach einer nationalen Regelung nur das Entgelt, das im Inland ansässige Universitäten, die juristische Personen des öffentlichen Rechts sind, als Gegenleistung für eine nebenberufliche Lehrtätigkeit zahlen, von der Einkommenssteuer befreit ist, (. . .), ist nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt.“ 448 Art. 14 Abs. 3 GRCh: „Recht auf Bildung (. . .) (3) Die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten unter Achtung der demokratischen Grundsätze sowie das Recht der Eltern, die Erziehung und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen, weltanschaulichen und erzieherischen Überzeugungen sicherzustellen, werden nach den einzelstaatlichen Gesetzen geachtet, welche ihre Ausübung regeln.“ 449 In den Erläuterungen des Präsidiums zur Grundrechtecharta (Dok. CHARTE 4487/00 CONVENT 50) findet sich zu Artikel 14 folgende Passage: „Die Freiheit zur Gründung von öffentlichen oder privaten Lehranstalten wird als einer der Aspekte der unternehmerischen Freiheit garantiert, ihre Ausübung ist jedoch durch die Achtung der demokratischen Grundsätze eingeschränkt und erfolgt entsprechend den in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegten Modalitäten.“ 450 Richtlinie 2006/111/EG der Kommission vom 16. November 2006 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen sowie über die finanzielle Transparenz innerhalb bestimmter Unternehmen, veröffentlicht im ABl. L 318 v. 17.11.2006, S. 17–25.

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C. Unternehmerische Freiheit

mer transparenter zu gestalten. Sie sollen auch ermöglichen, eindeutig zwischen dem Tätigwerden des Staates als öffentliche Hand und als Eigentümer zu unterscheiden.451 In Artikel 2 der Richtlinie findet sich diesbezüglich folgender Passus: „Im Sinne dieser Richtlinie sind: (. . .) b) öffentliches Unternehmen: jedes Unternehmen, auf das die öffentliche Hand aufgrund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Es wird vermutet, dass ein beherrschender Einfluss ausgeübt wird, wenn die öffentliche Hand unmittelbar oder mittelbar: i) die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Unternehmens besitzt oder ii) über die Mehrheit der mit den Anteilen des Unternehmens verbundenen Stimmrechte verfügt oder iii) mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Unternehmens bestellen kann.“

Auch in der Richtlinie452 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste findet sich ein ganz ähnlicher Wortlaut zur Definition des öffentlichen Unternehmens. Ziel der Richtlinie ist es unter anderen, dass die Teilnahme einer Einrichtung des öffentlichen Rechts als Bieter in einem Ausschreibungsverfahren keine Wettbewerbsverzerrungen gegenüber privatrechtlichen Bietern verursacht.453 „(. . .) Artikel 2 b) öffentliches Unternehmen: Jedes Unternehmen, auf das der Auftraggeber aufgrund von Eigentum, finanzieller Beteiligung oder der für das Unternehmen geltenden Vorschriften unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Es wird vermutet, dass ein Auftraggeber einen beherrschender Einfluss auf ein Unternehmen ausübt, wenn er unmittelbar oder mittelbar: – die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Unternehmens besitzt oder – über die Mehrheit der mit den Anteilen des Unternehmens verbundenen Stimmrechte verfügt oder – mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Unternehmens bestellen kann; (. . .)“.

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Vgl. die Begründungserwägung (8) der Richtlinie 2006/111/EG. Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3. 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, ABl. Nr. L 134/1 vom 30.4.2004. 453 ABl. Nr. L 134/16 vom 30.4.2004. 452

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Der Rückgriff auf europäisches Sekundärrecht zur Klärung, ob und wie der Gerichtshof eine Abgrenzung zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen in seiner Grundrechtsrechtsprechung vornehmen würde, ist bei näherer Betrachtung nur bedingt tauglich. Alleine schon die Tatsache, dass der Gerichtshof in Anbetracht der primärrechtlichen Vertragsziele aus Art. 2 EUV sowie Art. 2 EG seine Interpretationen und Auslegungen bisher immer sehr europarechts- und integrationsfreundlich gestaltet hat,454 lässt keine fundierten Rückschlüsse zu. 3. Die Eingriffsdogmatik nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften In der bisherigen Grundrechtsprüfung des Gerichtshofs findet man, wenn überhaupt, nur die Feststellung eines Eingriffs in ein Grundrecht. Die bisherigen Urteile zu den Teilgewährleistungen der unternehmerischen Freiheit weisen dabei keine Besonderheiten auf. Erst seit wenigen Jahren wird der Grundrechtseingriff vereinzelt im Urteilstext in einer eigenen Prüfungsstufe dargestellt.455 Weitergehende Ausführungen zum Eingriffsbegriff, so zum Beispiel, ob auch mittelbar-faktische Einwirkungen auf den Schutzbereich als Eingriff gewertet werden, hat der Gerichtshof bisher nicht gemacht.456 In einzelnen Urteilen finden sich lediglich Ausführungen zu einem „allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts“:457 EuGH v. 21.09.1989 – verb. RS 46/87 und 227/88 (Höchst AG), Rdn. 19: „Indessen bedürfen in allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Eingriffe der öffentlichen Gewalt in die Sphäre der privaten Betätigung jeder – natürlichen oder juristischen – Person einer Rechtsgrundlage und müssen aus den gesetzlich vorgesehenen Gründen gerechtfertigt sein; diese Rechtsordnungen sehen daher, wenn auch in unterschiedlicher Ausgestaltung, einen Schutz gegen willkürliche oder unverhältnismäßige Eingriffe vor. Das Erfordernis eines solchen Schutzes ist folglich als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzuerkennen. (. . .).“

454 So führten Entscheidungen des EuGH über die unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien oder die Haftung der Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen das Primärrecht dazu, dass dieser als „Integrationsmotor der Gemeinschaft“ bezeichnet wurde. Siehe hierzu auch die kritischen Anmerkungen von K. A. Schachtschneider (ders., Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, in: Brink (Hrsg.), FS für Hans Herbert von Arnim, S. 780 f. 455 Erstmals so in EuGH v. 20.5.2003 – verb. RS C-465/00, C-138/01 sowie C-139/ 01 (Rechnungshof/Österreichischer Rundfunk u. a.), Slg. 2003, S. I-4989 (Rdn. 73–75). 456 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 277 (§ 7, Rdn. 514, 515). 457 EuGH vom 21.9.1989 – verb. RS 46/87 und 227/88 (Hoechst AG/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1989, S. 2859 (Rdn. 19); EuGH v. 17.10.1989 – verb. RS 97/87, 98/87 und 99/87 (Dow Chemical Iberica SA und andere/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1989, S. 3165 (Rdn. 16).

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C. Unternehmerische Freiheit

Die Beschränkung einer Teilgewährleistung der unternehmerischen Freiheit bedarf somit immer einer gesetzlichen Grundlage.458 Kompetenz- und Grundrechtsfragen stehen hierdurch in einem engen Zusammenhang.459 4. Die Schrankenausgestaltung zur unternehmerischen Freiheit durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Im Jahre 1989 hatte der Gerichtshof in seinem Urteil Hubert Wachauf 460 zu den Grundrechtsschranken folgende Ausführungen gemacht: Rdn. 18: „Die vom Gerichtshof anerkannten Grundrechte können jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern sind im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen. Daher kann die Ausübung dieser Rechte, insbesondere im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation, Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der diese Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet.“

Diese Formulierung hat sich in der Rechtsprechung gefestigt und findet sich in zahlreichen weiteren Urteilen des Gerichtshofs.461

458 Für die Berufsfreiheit U. Penski/B. Elsner, Eigentumsgewährleistung und Berufsfreiheit, in: DÖV 2001, S. 265 (272) sowie M. Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 15, Rdn. 13. 459 H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte, DVBL 2004, S. 455. 460 EuGH v. 13.07.1989 – RS 5/88 (Hubert Wachauf/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1989, S. 2609 (Rdn. 18). 461 EuGH v. 08.04.1992 – RS C-62/90 (Kommission/Deutschland), Slg. 1992, S. I2575 (Rdn. 23); EuGH v. 05.10.1994 – RS C-404/92 P(X/Kommission), Slg. 1994, S. I-4737 (Rdn. 18); EuGH v. 13.04.2000 – RS C-292/97 (Kjell Karlsson), Slg. 2000, S. I-2737 (Rdn. 45); EuGH v. 12.06.2003 – RS C-112/00 (Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und Planzüge/Republik Österreich), Slg. 2003, S. I-5659 (Rdn. 80); EuGH v. 10.07.2003 – verb. RS C-20/00 und C-64/00 (Booker Aquacultur Ltd. und Hydro Seafood GSP Ltd./The Scottish Ministers), Slg. 2003, S. I-7411 (Rdn. 68); EuGH v. 13.12.1979 – RS 44/79 (Liselotte Hauer/Land Rheinland-Pfalz), Slg. 1979, S. 3727 (Rdn. 23); EuGH v. 05.10.1994 – RS C-280/93 (Bundesrepublik Deutschland/ Rat der Europäischen Union), Slg. 1994, S. I-4973 (Rdn. 78); EuGH v. 13.07.1989 – RS 5/88 (Hubert Wachauf/Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft), Slg. 1989, S. 2609 (Rdn. 18); EuGH v. 30.07.1996 – RS C-84/95 (Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret AS/Minister for Transport, Energy and Communications), Slg. 1996, S. I3953 (Rdn. 21); EuGH v. 17.10.1995 – RS C-44/94 (The Queen/Minister of Agricultur, Fisheries and Food, ex parte National Federation of Fishermen’s Organisations), Slg. 1995, S. I-3115 (Rdn. 55); EuGH v. 11.07.1989 – RS 265/87 (Hermann Schräder HS Kraftfutter GmbH & Co. KG/Hauptzollamt Gronau), Slg. 1989, S. 2237 (Rdn. 15); EuGH v. 08.04.1992 – RS C-62/90 (Kommission der Europäischen Gemeinschaft/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1992, S. I-2575 (Rdn. 23); EuGH v. 15.06.2006 – RS C28/05 (G.J. Dokter Maatschap Van den Top und W. Boekhout/Minister van Landbouw, Natuur en Voedselkwaliteit), Slg. 2006, S. I-5431 (Rdn. 75).

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Die unternehmerische Freiheit mit ihren verschiedenen Teilgewährleistungen kann somit grundsätzlich eingeschränkt werden.462 Die Möglichkeit der Einschränkung des Rechts auf freie Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit findet sich beispielsweise im Urteil ABNA Ltd.:463 Rdn. 87: „Nach ständiger Rechtsprechung gehört das Eigentumsrecht und auch das Recht auf freie Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Diese Grundsätze können jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich können die Ausübung des Eigentumsrechts wie auch das Recht auf freie Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet.“

Die Schranken der freien Berufsausübung und der unternehmerischen Freiheit wurden im Urteil Königreich Spanien und Republik Finnland 464 wie folgt umschrieben: Rdn. 51–52: „Die freie Berufsausübung gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts (. . .). Dasselbe gilt für die unternehmerische Freiheit, die sich mit der Berufsausübungsfreiheit überschneidet (. . .). Diese Freiheiten gelten jedoch nicht schrankenlos, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich können sie Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die Freiheiten in ihrem Wesensgehalt antastet (. . .).“

Anhand dieser Kriterien prüft der Gerichtshof die Vereinbarkeit der gerügten Regelung mit den Erfordernissen des Schutzes der geltend gemachten Grundrechte.465 462 Lediglich wenige europäische Grundrechte wie das Verbot der Folter unterliegen keinerlei Beschränkungen, vgl. EuGH v. 12.06.2003 – RS C-112/00 (Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und Planzüge/Republik Österreich), Slg. 2003, S. I-5659 (Rdn. 80). 463 EuGH v. 06.12.2005 – verb. RS C-453/03, C-11/04, C-12/04 und C-194/04 (ABNA Ltd. u. a./Secretary of State for Health u. a.), Slg. 2005, S. I-10423 (Rdn. 87); EuGH v. 12.07.2005 – verb. RS C-154/04 und C-155/04 (Alliance for Natural Health u. a./Secretary of State for Health and National Assembly of Wales), Slg. 2005, S. I6451 (Rdn. 126); EuGH v. 12.04.2005 – RS C-295/03 P (Alessandrini Srl u. a./Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 2005, S. I-5673 (Rdn. 86); EuGH v. 28.04.1998 – RS C-200/96 (Metronome Musik GmbH/Music Point Hokamp GmbH), Slg. 1998, S. I-1953 (Rdn. 21); EuGH v. 11.07.1989 – RS 265/87 (Hermann Schräder HS Kraftfutter GmbH & Co. KG/Hauptzollamt Gronau), Slg. 1989, S. 2237 (Rdn. 15). 464 EuGH v. 09.09.2004 – verb. RS C-184/02 und C-223/02 (Königreich Spanien und Republik Finnland/Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union), Slg. 2004, S. I-7789 (Rdn. 51–52). 465 EuGH v. 12.04.2005 – RS C-295/03 P (Alessandrini Srl u. a./Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 2005, S. I-5673 (Rdn. 86).

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C. Unternehmerische Freiheit

Regelmäßige Prüfungspunkte sind somit die Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs durch die dem Allgemeinwohl dienenden Ziele der Gemeinschaft, die Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs im Hinblick auf den mit ihm verfolgten Zweck und die Garantie des Wesensgehalts des geschützten Grundrechts.466 Diese drei Prüfungsschritte bestimmen somit die Rechtfertigungsebene in der Grundrechtsprüfung des Gerichtshofs, wobei die Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs und die Wesensgehaltsgarantie als Schranken-Schranke gewertet werden können.467 In den Urteilstexten sucht man häufig vergeblich nach näheren Ausführungen zu den einzelnen Prüfungspunkten, was aber nicht notwendigerweise bedeutet, dass eine differenzierte Prüfung nicht erfolgt wäre.468 Auch die Reihenfolge dieser Dreigliederung wird nicht immer eingehalten. So wird die Nichtverletzung der Wesensgehaltsgarantie teilweise vor der Prüfung vermerkt, ob ein durch Gemeinwohlbelange getragener, nicht unverhältnismäßiger Eingriff vorliege.469 a) Dem Allgemeinwohl dienende Ziele der Gemeinschaft Die bisherigen Ergebnisse des Gerichtshofs bei der Abwägung, ob ein Grundrechtseingriff noch vom Allgemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft getragen werde, gingen regelmäßig zu Gunsten der Gemeininteressen der Gemeinschaft aus.470 Insbesondere im Agrarbereich wurden dabei beispielsweise als Allgemeinwohlziel der „Kampf gegen spekulative oder künstliche Praktiken im Bereich der Erteilung von Einfuhrlizenzen“ für Bananen in die Gemeinschaft anerkannt.471 466

K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen, S. 82. Der Begriff der Schranken-Schranke bezeichnet die Beschränkungen, die für den Grundrechtsverpflichteten gelten, wenn er einem Grundrecht Schranken auferlegt. Vgl. hierzu bspw. EuGH v. 12.06.2003 – RS C-112/00 (Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und Planumzüge/Republik Österreich), Slg. 2003, S. I-5659 (Rdn. 80): „So können auch das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht, sich friedlich zu versammeln, (. . .) keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich kann die Ausübung dieser Rechte Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den mit den Beschränkungen verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die geschützten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet. (. . .)“. 468 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 247 (§ 7, Rdn. 442). 469 Vgl. hierfür bspw. EuGH v. 18.09.1986 – RS 116/82 (Kommission der Europäischen Gemeinschaft/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1986, S. 2519 (Rdn. 27–28). 470 J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 25, 28. 471 EuGH v. 15.07.2004 – Verb. RS C-37/02 und C-38/02 (Di Lenardo Adriano Srl und Dilexport Srl/Ministero del Commercio con l’Estero), Slg. 2004, S. I-6911 (Rdn. 84). 467

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Das ebenfalls zum Bananenmarkt und ein Jahr später verkündete Urteil Chiquita Brands472 des Gerichtshofs erster Instanz wertete es als dem Allgemeinwohl dienendes Ziel „die Integration der nationalen Märkte und den Absatz von Gemeinschafts- und AKP-Bananen“ zu sichern. Auch die Verwirklichung des Binnenmarktes wurde durch den Gerichtshof als auch durch das Gericht erster Instanz „als offensichtliches Ziel der Gemeinschaft“ eingeordnet.473 Im Urteil Alessandrini Srl 474 bezieht sich der Gerichtshof auf die primärrechtliche Vorschrift Art. 33 EG475, welche die Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik beinhaltet, und führt wie folgt aus: Rdn. 90–91: „Was zum anderen den angeblichen Eingriff in die freie Berufsausübung angeht, so ist darauf hinzuweisen, dass die Einführung einer Methode der gemeinsamen Verwaltung von Zollkontingenten, wie die in der Verordnung Nr. 2362/ 98 vorgesehene, in der Tat geeignet ist, die Wettbewerbsstellung der Einführer von Drittlandsbananen zu ändern, da nach dieser Methode alle Marktbeteiligten unterschiedslos Bananen gleich welchen Ursprungs einführen können. (. . .) Jedenfalls ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, dass die Beschränkung der Mög472 EuG 1. Instanz v. 03.05.2005 – RS T-19/01 (Chiquita Brands International Inc. u. a./Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 2005, S. II-315 (Rdn. 221). 473 EuGH v. 10.07.2003 – verb. RS C-20/00 und C-64/00 (Booker Aquacultur Ltd und Hydro Seafood GSP Ltd/The Scottish Ministers), Slg. 2003, S. I-7411 (Rdn. 78) bzgl. dem Binnenmarkt für Tiere und andere Erzeugnissen aus Aquakulturen; EuGH v. 8.10.1986 – RS 234/85 (Keller), Slg. 1986, S. 2897 (Rdn. 8 f.) bzgl. einer gemeinsamen Marktorganisation für Wein; EuG 1. Instanz v. 29.01.1998 – RS T-113/96 (Edouard Dubois et Fils/Rat der Europäischen Union), Slg. 1998, S. II-125 (Rdn. 75): „Im vorliegenden Fall tastet die Verwirklichung des Binnenmarktes die Existenz des Unternehmens der Klägerin oder den Wesensgehalt ihrer freien Berufswahl nicht an. Sie beeinträchtigt ein entsprechendes Recht nur mittelbar, nicht unmittelbar, da die Abschaffung bestimmter Zoll- und Steuerformalitäten, die sie mit sich bringt, sich zunächst darauf auswirkt, ob die Klägerin ihr Unternehmen betreibe kann, und nur auf diesem Wege auch auf ihre Berufsausübung. Die Verwirklichung des Binnenmarktes ist ein Ziel, das offensichtlich dem Gemeinwohl dient. In Anbetracht dessen bringt sie keine unbillige Einschränkung der Ausübung des betreffenden Grundrechts mit sich.“ 474 EuGH v. 30.06.2005 – RS C-295/03 P (Alessandrini Srl u. a./Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 2005, S. I-5673 (Rdn. 90–91). 475 Artikel 33: „(1) Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik ist es: a) die Produktivität der Landwirtschaft durch Förderung des technischen Fortschritts, Rationalisierung der landwirtschaftlichen Erzeugung und den bestmöglichen Einsatz der Produktionsfaktoren, insbesondere der Arbeitskräfte, zu steigern; b) auf diese Weise der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten; c) die Märkte zu stabilisieren; d) die Versorgung sicherzustellen; e) für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen. (2) Bei der Gestaltung der gemeinsamen Agrarpolitik und der hierfür anzuwendenden besonderen Methoden ist Folgendes zu berücksichtigen: a) die besondere Eigenart der landwirtschaftlichen Tätigkeit, die sich aus dem sozialen Aufbau der Landwirtschaft und den strukturellen und naturbedingten Unterschieden der verschiedenen landwirtschaftlichen Gebiete ergibt; b) die Notwendigkeit, die geeigneten Anpassungen stufenweise durchzuführen; c) die Tatsache, dass die Landwirtschaft in den Mitgliedstaaten einen mit der gesamten Volkswirtschaft eng verflochtenen Wirtschaftsbereich darstellt.“

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C. Unternehmerische Freiheit

lichkeit, Drittlandsbananen einzuführen, die die Einführung des Zollkontingents und des Mechanismus seiner Aufteilung mit sich bringt, naturgemäß mit der Einführung einer gemeinsamen Marktorganisation verbunden ist, die darauf abzielt, die Wahrung der Ziele des Artikels 33 EG und die Erfüllung der von der Gemeinschaft übernommenen internationalen Verpflichtungen zu sichern. Diese Beschränkung beeinträchtigt folglich die freie Berufsausübung traditioneller Vermarkter von Drittlandsbananen nicht unangemessen (. . .).“

Die Feststellung, dass der Grundrechtseingriff nicht unangemessen ist, da hierdurch die Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik aus dem Primärrecht verfolgt werden, schließt die Rechtfertigungsebene in diesem Urteil ab. Eine Hinterfragung der Primärziele durch den Gerichtshof findet dabei nicht statt, was bei den insgesamt äußerst kurzen Ausführungen zur Rechtfertigungsebene nicht verwundert. Auch der „Schutz der menschlichen Gesundheit“ stellt auf der Rechtfertigungsebene ein dem Gemeinwohl dienendes Ziel der Gemeinschaft dar.476 Ein „hohes Gesundheitsschutzniveau“ wurde im Urteil Swedish Match AB477 ebenfalls als dem Allgemeinwohl dienendes Ziel der Gemeinschaft anerkannt. In der Urteilsbegründung hat der Gerichtshof zur Rechtfertigungsebene des Grundrechtseingriffs dazu wie folgt ausgeführt: Rdn. 73–74: „Das in Artikel 8 der Richtlinie 2001/37 vorgesehene Vermarktungsverbot für Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch kann zwar die freie Berufsausübung der Hersteller dieser Erzeugnisse beschränken, falls sie eine solche Vermarktung in dem von diesem Verbot erfassten Gebiet ins Auge gefasst haben. (. . .) Wie oben festgestellt, verfolgt die Richtlinie 2001/37 ein dem Gemeinwohl dienendes Ziel, indem sie im Rahmen der Harmonisierung der für das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen geltenden Vorschriften ein hohes Gesundheitsschutzniveau gewährleistet. Es ist (. . .) nicht ersichtlich, dass die in Artikel 8 dieser Richtlinie vorgesehene Verbotsmaßnahme im Hinblick auf dieses Ziel ungeeignet wäre. Unter diesen Umständen kann das Hindernis für die freie Berufsausübung, das eine derartige Maßnahme darstellt, in Anbetracht des verfolgten Zieles nicht als unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Rechts auf freie Berufsausübung oder des Eigentumsrechts angesehen werden.“

b) Verhältnismäßigkeit Trotz angenommenen Grundrechtseingriffs in die freie Berufsausübung hat der Gerichtshof im zuvor zitierten Urteil Swedish Match AB478 lediglich die Feststellung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs erwähnt, ohne jegliche Prüfungstiefe. 476 So beispielsweise in EuGH v. 12. Juli 2005 – verb. RS C-154/04 und C-155/04 (Alliance for Natural Health und Nutri-Link Ltd/Secretary of State for Health), Slg. 2005, S. I-6451 (Rdn. 129). 477 EuGH v. 14.12.2004 – RS C-210/03 (Swedish Match AB und Swedish Match UK Ltd/Secretary of State of Health), Slg. 2004, S. I-11893 (Rdn. 72–74). 478 EuGH v. 14.12.2004 – RS C-210/03 (Swedish Match AB und Swedish Match UK Ltd/Secretary of State of Health), Slg. 2004, S. I-11893 (Rdn. 74).

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Solch eine äußerst knappe Darstellung der Rechtfertigungsebene findet sich aber nicht in allen Urteilen. Im Urteil Königreich Spanien und Republik Finnland,479 welches die Straßenverkehrssicherheit als einem dem Gemeinwohl dienenden Ziel anerkennt, findet sich beispielsweise eine ausführliche Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs im Hinblick auf den verfolgten Zweck. Der Gerichtshof führt dazu aus: Rdn. 57–60: „(. . .) Nach ständiger Rechtsprechung dürfen solche Maßnahmen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört, nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist. Dabei ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen (. . .). Im vorliegenden Fall ist aufgrund der in den Randnummern 54 bis 56 des vorliegenden Urteils dargestellten Erwägungen festzustellen, dass die Bestimmungen der angefochtenen Richtlinie über die selbständigen Kraftfahrer, die verhindern sollen, dass diese bezüglich der in direktem Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehenden Tätigkeiten einem Arbeitsrhythmus folgen, der die Sicherheit im Straßenverkehr gefährden könnte, ohne dabei ihre Freiheit einzuschränken, ihre allgemeinen administrativen Tätigkeiten so zu organisieren, wie es ihren Interessen am besten entspricht, nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Hinzuzufügen ist, dass eine verstärkte Kontrolle der in der Verordnung Nr. 3820/85 festgelegten Begrenzung der Lenkzeiten entgegen dem Vorbringen der finnischen Regierung nicht als eine ebenso wirksame, aber weniger belastende Lösung angesehen werden kann. Sie würde nämlich nicht dazu beitragen, die Arbeitszeit, die die selbständigen Kraftfahrer für andere Tätigkeiten als das Fahren aufwenden, die einen direkten Zusammenhang mit dem Straßenverkehr aufweisen und sich zu Lasten der Sicherheit im Straßenverkehr auf ihren Ermüdungszustand und ihr Fahrverhalten auswirken können, in vernünftigen Grenzen zu halten. Nach alledem kann die in der angefochtenen Richtlinie vorgesehene Regelung der Arbeitszeit der selbständigen Kraftfahrer weder als ein unverhältnismäßiger, nicht tragbarer Eingriff, der das Recht auf freie Berufsausübung und freie unternehmerische Betätigung in ihrem Wesensgehalt antastet, noch als ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesehen werden.“

Zur Verhältnismäßigkeitsprüfung des Gerichtshofs lässt sich anlehnend an die beiden letzten Urteilszitate feststellen, dass die Prüfungstiefen ganz unterschiedlich ausfallen. Auf das Ergebnis, ob ein Grundrecht verletzt ist oder nicht, hat dies aber anscheinend noch keine Auswirkungen gehabt.480

479 EuGH v. 09.09.2004 – verb. RS C-184/02 und C-223/02 (Königreich Spanien und Republik Finnland/Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union), Slg. 2004, S. I-7789 (Rdn. 53). 480 So bereits im Jahre 1998 festgestellt durch J. Günter, Berufsfreiheit und Eigentum, S. 28.

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C. Unternehmerische Freiheit

Mit Blick auf alle bisherigen Grundrechtsprüfungen betreffend die Teilgewährleistungen der unternehmerischen Freiheit ist bisher kein Fall bekannt, in dem der Gerichtshof die Unverhältnismäßigkeit eines Grundrechtseingriffs festgestellt hat.481 Dies mag wohl daran liegen, dass der Gerichtshof den Gemeinwohl dienenden Zielen aus dem Primär- und Sekundärrecht ein überragendes Gewicht verliehen hat und alle daraus resultierenden Gemeinschaftsmaßnahmen erst dann als rechtswidrig einstuft, wenn sie „offensichtlich ungeeignet“ sind zur Erreichung der Ziele.482 Dennoch springt diese einseitige Statistik ins Auge und wird in der abschließenden Zusammenfassung dieser Arbeit nicht unkommentiert bleiben können. c) Wesensgehalt Auf der Rechtfertigungsebene prüft der Gerichtshof zudem, ob das Grundrecht nicht in seinem Wesensgehalt verletzt ist.483 Beschränkungen sind dann unzuläs481

Die hohen Hürden zeigen sich beispielsweise auch an den Härtefällen des Bananenmarktes, die sich durch die Einführung der gemeinsamen Marktorganisation ergaben. Hier mussten Importeure von Drittlandsbananen oder nichttraditionellen AKPBananen zuerst unverschuldet in existentielle Schwierigkeiten geraten, bevor das weite Ermessen der Europäischen Kommission in eine Pflicht zur Anwendung von Übergangsmaßnahmen gewandelt wurde, damit die „gemeinschaftsrechtlich geschützten Grundrechte bestimmter Marktbeteiligter (nicht) beeinträchtigt werden.“ (vgl. EuGH v. 26.11.1996 – RS C-68/95 (T. Port GmbH/Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung), Slg. 1996, S. I-6065 (Rdn. 41, 43). 482 Der Gerichtshof verfügt nach seiner eigenen Rechtsprechung nur über sehr eingeschränkte Möglichkeiten, eine Maßnahme für rechtswidrig zu erklären, vgl. EuGH v. 14.12.2004 – RS C-210/03 (Swedish Match AB und Swedish Match UK Ltd/Secretary of State of Health), Slg. 2004, S. I-11893 (Rdn. 48): „Was die gerichtliche Nachprüfung der in vorstehender Randnummer genannten Voraussetzungen betrifft, so ist dem Gemeinschaftsgesetzgeber ein weites Ermessen in einem Bereich wie dem in Rede stehenden zuzuerkennen, in dem von ihm politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen verlangt werden und in dem er komplexe Beurteilungen vorzunehmen hat. Eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme kann nur dann rechtswidrig sein, wenn sie zur Erreichung des von den zuständigen Organen verfolgten Zieles offensichtlich ungeeignet ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. November 1996 in der Rechtssache C-84/94, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1996, I-5755, Randnr. 58, vom 13. Mai 1997 in der Rechtssache C-233/94, Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 1997, I-2405, Randnrn. 55 und 56, vom 5. Mai 1998 in der Rechtssache C-157/96, National Farmers’ Union u. a., Slg. 1998, I-2211, Randnr. 61, und British American Tobacco [Investments] und Imperial Tobacco, Randnr. 123).“ 483 So beispielsweise in EuGH v. 08.10.1986 – RS 234/85 (Strafverfahren gegen Franz Keller), Slg. 1986, S. 2897 (Rdn. 8); EuGH v. 11.07.1989 – RS 265/87 (Hermann Schräder HS Kraftfutter GmbH & Co. KG/Hauptzollamt Gronau), Slg. 1989, S. 2237 (Rdn. 18);EuGH v. 10.01.1992 – RS C-177/90 (Ralf-Herbert Kühn/Landwirtschaftskammer Weser-Ems), Slg. 1992, S. I-35 (Rdn. 17: „Diese Regelung tastet das Eigentum und das Recht der freien Berufsausübung nicht in ihrem Wesensgehalt an, da es den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern unbenommen bleibt, in dem fraglichen Betrieb etwas anderes zu erzeugen.“); EuGH v. 05.10.1994 – RS C-280/93 (Bundesrepublik Deutschland/Rat der Europäischen Union), Slg. 1994, S. I-4973 (Rdn. 78); EuGH v.

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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sig, wenn sie einen unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet.484 So findet sich beispielsweise im Urteil SMW Winzersekt 485 folgende Passage: Rdn. 24: „Zum Eingriff in die freie Berufsausübung ist festzustellen, dass Artikel 6 Absatz 5 Unterabsätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 2333/92 nicht in den Wesensgehalt des von der Klägerin geltend gemachten Rechts auf freie Berufsausübung eingreift, da er nur die Modalitäten der Ausübung eines solchen Rechts betrifft, ohne dessen Bestand selbst zu gefährden. Daher ist zu prüfen, ob die mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziele dem Gemeinwohl dienen, ob sie keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Situation von Erzeugern wie der Klägerin darstellen und ob also der Rat im vorliegenden Fall die Grenzen seines Ermessens nicht überschritten hat.“

Die beiden Schranken-Schranken „Wesensgehaltsgarantie“ und „Verhältnismäßigkeitsprüfung“ stellen somit zwei separate Prüfungspunkte auf der Rechtfertigungsebene dar,486 auch wenn dies aus den Urteilsbegründungen häufig nicht hervorgeht. Eine Verletzung des Wesensgehalts hat der Gerichtshof in seiner bisherigen Grundrechtsrechtsprechung noch nicht angenommen. 5. Zusammenfassung Der Blick auf die nationalen Grundrechtsverbürgungen sowie die Analyse der nationalen Grundrechtsrechtsprechung betreffend die unternehmerische Freiheit hat gezeigt, dass zahlreiche Teilgewährleistungen unternehmerischer Freiheit in den Mitgliedstaaten grundrechtlich geschützt sind. Dies spiegelt sich auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft wider. Zahlreiche Aspekte unternehmerischer Freiheit haben auf europäischer Ebene Grundrechtscharakter. Eine substantiierte Inhaltsbestim-

15.02.1996 – RS 63/93 (Fintan Duff, Liam Finlay, Thomas Julian u. a./Minister for Agriculture and Food und Attorney General), Slg. 1996, S. I-569 (Rdn. 30); EuGH v. 17.07.1997 – RS C-183/95 (Affish BV/Rijksdienst voor de keuring van Vee en Vlees), Slg. 1997, S. I-4315 (Rdn. 42). 484 EuGH v. 14.05.1974 – RS 4/73 (Nold/Kommission), Slg. 1974, S. 491 (Rdn. 14). 485 EuGH v. 13.12.1994 – RS C-306/93 (SMW Winzersekt GmbH/Land RheinlandPfalz), Slg. 1994, S. I-5555 (Rdn. 24). 486 In den Schlussanträgen der Generalanwältin Stix-Hackl vom 30. März 2004 – verb. RS C-184/02 und C-223/02 (Königreich Spanien und Republik Finnland/Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union), wird die Wesensgehaltsprüfung auch separat von der Verhältnismäßigkeitsprüfung in den Randnummern 114–116 durchgeführt: „Die Richtlinie greift aber jedenfalls nicht in den Wesensgehalt des Rechts auf freie Berufsausübung ein, da sie nur die Modalitäten der Ausübung eines solchen Rechts betrifft, ohne dessen Bestand selbst zu gefährden. Die Richtlinie führt nämlich nicht zum Ausschluss der wirtschaftlichen Tätigkeit von selbständigen Kraftfahrern. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der mit der Richtlinie vorgenommene Eingriff das Recht auf freie Berufsausübung der selbständigen Kraftfahrer nicht in seinem Wesensgehalt antastet.“

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C. Unternehmerische Freiheit

mung erweist sich aber als schwierig.487 Dies liegt zum einen an der fehlenden Ausgestaltung des Schutzbereichs in den Urteilstexten durch den Gerichtshof.488 Darüber hinaus hat der Gerichtshof in seiner Grundrechtsrechtsprechung keine abstrakten Definitionen entwickelt, die den Schutzbereich näher ausgestalten.489 Auch steht insgesamt nur eine überschaubare Einzelfallrechtsprechung zur Analyse zur Verfügung. Dennoch können hieraus einige Feststellungen getroffen werden: Eine wesentliche Teilgewährleistung unternehmerischer Freiheit ist die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung, vereinzelt auch als wirtschaftliche Handlungsfreiheit oder Wirtschaftsfreiheit bezeichnet. Daneben erkennt der Gerichtshof auch die grundrechtliche Handelsfreiheit als Teilgewährleistungen an. Nicht geschützt sind hingegen kaufmännische Interessen und Gewinnerzielungsaussichten, deren Ungewissheit zum Wesen wirtschaftlicher Tätigkeit gehört.490 All diese Teilgewährleistungen unternehmerischer Freiheit werden in der Rechtsprechungspraxis als Teilaspekte beziehungsweise Teilfreiheiten der Berufsausübungsfreiheit gewertet. Diese Einordnung findet sich so auch wieder in den Schlussanträgen der Generalanwältin Stix-Hackl.491 Als weitere Teilgewährleistung unternehmerischer Freiheit kann der Grundsatz der Vertragsfreiheit492 eingestuft werden, der bereits in zahlreichen Urteilen des 487

Ausführungen hierzu bei K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen, S. 79. So auch A. Bleckmann/S. Pieper, in: Dauses, Handbuch des Wirtschaftsrechts, B I, Rdn. 140. 489 Eine Möglichkeit wäre, dass der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung von der Entwicklung eigener Definitionen bewusst abgesehen hat, um sich einen möglichst großen Handlungsspielraum einzuräumen und beispielsweise neue Geschäftsmodelle und -formen von Anfang an unter einen offenen Unternehmensbegriff subsumieren zu können. 490 EuGH v. 09.09.2008 – verb. RS C-120/06 P und C-121/06 P (Fabbrica italiana accumulatori motocarri Montecchio SpA (FIAMM) u. a./Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 2008, S. I-0000 (Rdn. 185: „(. . .) Der Gerichtshof hat auch klargestellt, dass der durch das Eigentumsrecht oder den allgemeinen Grundsatz der freien Berufsausübung gewährleistete Schutz keinesfalls auf bloße kaufmännische Interessen oder Aussichten ausgedehnt werden kann, deren Ungewissheit zum Wesen wirtschaftlicher Tätigkeit gehört.“); ( EuGH v. 14.5.1974 – RS 4/73 (J. Nold, Kohlen- und Baustoffgroßhandlung/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1974, 491 (Rdn. 14). 491 GA Stix-Hackl, Schlussanträge zu EuGH v. 20.1.2004 – verb. RS C-37/02 und C38/02 (Adriano Di Lenardo Srl/Ministero del Commercio con l’Estero), Slg. 2004, S. I6911 (Rdn. 110); GA Stix-Hackl, Schlussanträge zu EuGH v. 30.4.2004 – verb. RS C184/02 und C-223/02 (Königreich Spanien und Republik Finnland/Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union), Slg. 2004, S. I-7789 (Rdn. 103–105); GA Tizzano verweist in seinen Schlussanträgen zu EuGH v. 06.12.2005 – RS C-453/03 (ABNA Ltd u. a./Secretary of State for Health und Food Standards Agency), Slg. 2005, S. I-10423 in Fußnote 25 auf das Grundrecht der „unternehmerischen Freiheit“. Folgt man der dort ebenfalls zitierten Entscheidung des EuGH v. 17.07.1997 – RS C-183/95 (Affish BV/Rijksdienst voor de keuring van VEE and Vlees), Slg. 1997, S. I-4315 (Rdn. 42), so findet man sich in einer Grundrechtsprüfung zur „freien Ausübung eines Berufs“ wieder. 488

III. Unternehmerische Freiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

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Gerichtshofs erwähnt wurde. Hinzu kommt die freie Wahl des Geschäftspartners. Dieser Grundsatz wird nach der Rechtsprechung des Gerichthofs explizit als besonderer Ausdruck der freien Berufsausübung gewertet.493 Keinen subjektivrechtlichen Charakter wird hingegen dem Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit zugesprochen. Der persönliche Schutzbereich unternehmerischer Freiheit, der sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, umfasst sowohl natürliche als auch juristische Personen. Aufgrund mangelnder Rechtsprechung ist die Frage, ob auch juristische Personen des öffentlichen Rechts sich erfolgreich auf das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit berufen können, noch ungeklärt.494 Auf der Rechtfertigungsebene vollzieht der Gerichtshof grundsätzlich eine dreigestufte Prüfung von Grundrechtsverletzungen, was sich in deren Aufbau aber nicht immer widerspiegelt. Zu den Prüfungsschritten gehören die Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs durch die dem Allgemeinwohl dienenden Ziele der Gemeinschaft, die Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs im Hinblick auf den mit ihm verfolgten Zweck und die Garantie des Wesensgehalts des geschützten Grundrechts. Sämtliche untersuchten Schrankenausgestaltungen zur unternehmerischen Freiheit führen zu der Erkenntnis, dass zwar die verschiedenen Teilgewährleistungen der unternehmerischen Freiheit als Grundrechte geschützt werden, diese aber durch Sekundärrecht jeglicher Art und unter Verweis auf die unterschiedlichsten Gemeinwohlgründe nahezu beliebig eingeschränkt werden können.495 Dabei gehen die Einschränkungsmöglichkeiten teilweise so weit, dass Existenzbedrohungen von Unternehmen in Kauf genommen werden.496 Lediglich der Wesensgehalt des Grundrechts muss unangetastet bleiben,497 was bisher regelmäßig ohne Begründung bestätigt wurde. Vor dem Hintergrund eines effektiven Grundrechtsschutzes stellt die forensische Praxis des Gerichtshofs bisher keine Lösung für den Grundrechtsträger dar, 492 EuGH v. 22.4.1999 – RS C-161/97 P (Kernkraftwerke Lippe-Ems GmbH/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1999, S. I-2057 (Rdn. 124) 493 EuGH v. 10.7.1991 – verb. RS C-90/90 und C-91/90 (Jean Neu/Secrétaire d’Etat à l’Agriculture et à la Viticulture), Slg. 1991, S. I-3617 (Rdn. 13). 494 Ein Blick auf bisherige Definitionen des Gerichtshofs aus seiner Rechtsprechung zum europäischen Beihilfen-, Wettbewerbs- und Kartellrecht sowie auf Definitionen aus dem europäischen Sekundärrecht hilft nur ganz begrenzt weiter bei der Schutzbereichskonkretisierung der unternehmerischen Freiheit. 495 In der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs wird eine umfangreichere Verhältnismäßigkeitsprüfung beobachtet (so zumindest J. Schwarze, in: NJW 2005, S. 3465 mit Verweis auf die Entscheidungen Schmidberger und Omega) – aber dennoch wurde bisher keinem Grundrechtsträger eine Grundrechtsverletzung als ungerechtfertigt bestätigt. 496 Vgl. EuGH v. 21.02.1991 – verb. RS C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen AG und Zuckerfabrik Soest GmbH/Hauptzollamt Itzehoe und Hauptzollamt Paderborn), Slg. 1991, S. 415 (Rdn. 72–77). 497 So auch K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen, S. 87.

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C. Unternehmerische Freiheit

insbesondere bei den interventionistischen Vorstellungen der weit reichenden europäischen Industrie- und Strukturpolitik. Als Grundrechtsträger seine Grundrechte vor dem Gerichtshof verteidigen zu können, sollte immer auch die Möglichkeit des Erfolges beinhalten. Mit nochmaligem Blick auf die Rechtserkenntnisquellen des Gerichtshofs ist die neue Rechtsprechungsentwicklung des Europäischen Gerichts für Menschenrechte beachtlich. Der Gerichtshof hat über die Eigentumsgewährleistung und im speziellen über Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls das Recht geschützt, ein Unternehmen zu führen sowie Verträge zu schließen und durchzusetzen.498 Ob der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften aufgrund dieser Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einzelne Teilgewährleistungen unternehmerischer Freiheit zukünftig unter die Eigentumsgewährleistung und nicht nur unter die Berufsausübungsfreiheit subsumieren wird, erscheint aber fraglich. Die derzeit schon gängige Praxis des Gerichtshofs, die Grundrechtecharta zu zitieren und auf einzelne Artikel Bezug zu nehmen,499 spricht dafür, dass er sich bei Teilgewährleistungen zur unternehmerischen Freiheit explizit auf den hierfür vorgesehenen Art. 16 GRCh und gegebenenfalls auf Art. 15 GRCh stützen wird.

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta Die ursprünglich als Wirtschaftsgemeinschaft angelegte Europäische Union zur Sicherung des europäischen Friedens tritt mittlerweile mit dem idealistischen 498 EuGHMR v. 10.11.2004, Case of Dogan and Others/Turkey (Application no. 8803–8811/02, 8813/02 and 8815–8819/02); H.-J. Cremer, in: Grothe/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, 2006, Kap. 22, Rdn. 48. 499 So bereits in zahlreichen Urteilen, beispielsweise in EuGH v. 16.12.2008 – RS C47/07P (Masdar Ltd (UK)/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 2008, (bisher nur online veröffentlicht, Rdn. 50: „Eine Auslegung der Art. 235 EG und 288 Abs. 2 EG, die diese Möglichkeit [der Klage] ausschlösse, würde zu einem Ergebnis führen, das dem in der Rechtsprechung des Gerichtshofs verankerten und in Art. 47 der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigen Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes widerspräche.“); EuGH v. 18.12.2007 – RS C-341/05 (Laval un Partneri Ltd/Svenska Byggnadsarbetareförbundet u. a.), Slg. 2007, S. I-11767 (Rdn. 90–91: „Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme (. . .) in Rechtsakten anerkannt wird, die die Mitgliedstaaten auf Gemeinschaftsebene oder im Rahmen der Europäischen Union erarbeitet haben, wie (. . .) der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierte Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Demnach ist zwar das Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme als Grundrecht anzuerkennen, das fester Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ist, deren Beachtung der Gerichtshof sicherstellt, doch kann seine Ausübung bestimmten Beschränkungen unterworfen werden. Denn wie in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erneut bekräftigt wird, wird es nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten geschützt.“

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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Anspruch an, eine auf demokratischen Grundsätzen sowie Rechtsstaatlichkeit fußende Wertegemeinschaft bilden zu wollen. Ein Produkt dieser Entwicklung ist die europäische Grundrechtecharta.500 Die am 7. Dezember 2000 vom Europäischen Rat feierlich proklamierte Grundrechtecharta ist der erste schriftlich fixierte Grundrechtskatalog der Europäischen Union.501 Ziel der Charta ist es, die Grundrechte besser sichtbar zu machen, zu konkretisieren und mehr in den Mittelpunkt der europäischen Rechtssetzung und Rechtsprechung zu rücken.502 Eine besondere Prägung erfuhr die Charta durch die Europäische Menschenrechtserklärung, die zum einen als Rechtserkenntnisquelle für die Gemeinschaftsgrundrechte dient. Zum anderen bindet sie als völkerrechtliche Rechtsquelle alle Mitgliedstaaten der Union auch bei der Durchführung des Unionsrechts.503 1. Die Entstehung der Grundrechtecharta und die Konventsberatungen zu Art. 16 GRCh Der Grundrechtetext wurde in einem neuartigen Verfahren504 durch den eigens konstituierten EU-Grundrechtekonvent505 unter dem Vorsitz von Roman Herzog506 erarbeitet. Beteiligte des Konvents waren unter anderem 16 Mitglieder des 500 Die im Rahmen des EU-Reformvertrages von Lissabon nochmals überarbeitete Version der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. 2007 C 303/S. 1– 16) wurde am 14.12.2007 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. 501 Eine Übersicht über die Entstehung der Charta findet sich bei J. Meyer: Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2006, S. 238–239. 502 U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat, S. 74. 503 T. Kingreen, in: Callies/Ruffert, Verfassung der EU, Art. I-9, Rdn. 14. Dieser Punkt wäre durch die Änderungen nach dem Vertrag von Lissabon manifestiert gewesen, der gem. Art. 6 Abs. 2 EUV-LV („Die Union tritt der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei. Dieser Beitritt ändert nicht die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union.“) den Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vorsieht. 504 Nach außen hin wurde versucht, die Offenheit und Transparenz des Konventsverfahrens zu unterstreichen, indem alle vom Konvent erstellten Dokumente im Internet unter http://www.consilium.europa.eu (geprüft am 11.07.2009) veröffentlicht wurden. Zudem gab es „öffentliche Anhörungen, bei denen Kirchen, Gewerkschaften, Unternehmen, Asylbewerber, Schwule und Lesben, Umweltschützer und viele andere Interessengruppen ihre Meinungen äußerten“, siehe http://ec.europa.eu/justice_home/fsj/rights/ charter/fsj_rights_charter_de.htm (geprüft am 11.07.2009). Berechtigte Kritik am Konventsverfahren übt hingegen unter anderem K. A. Schachtschneider (ders., Europäisches Wirtschaftsrecht, S. 483), der insbesondere die fehlende demokratische Legitimation anprangert und die Charta als ein „Oktroi“ bezeichnet, anstatt die „gemeinsame Erkenntnis freier Menschen von ihrem Recht“. 505 Rechtshistorisch und integrationspolitisch war auf europäischer Ebene die Konventsarbeit eine völlig neue Herangehensweise. 506 Vorsitzender Richter am Bundesverfassungsgericht a. D. sowie Bundespräsident a. D.; am 13.01.2007 hat Herzog in der Welt am Sonntag massive Kritik an der derzeiti-

164

C. Unternehmerische Freiheit

Europäischen Parlaments, 30 Abgeordnete aus den 15 nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten, 15 Vertreter aus den Regierungen der Mitgliedstaaten sowie 15 Vertreter aus der Europäischen Kommission und deren jeweilige Stellvertreter. Zudem hatte der Europäische Rat im Juni 1999 in Köln festgelegt, dass möglichst viele verschiedene Vertreter aus den unterschiedlichsten europäischen Gremien gehört werden sollen.507 Dem versuchte der Konvent insoweit gerecht zu werden, indem er in öffentlicher Anhörung vielen Interessenvertretern und Repräsentanten aus der Zivilgesellschaft Gehör schenkte. Auch setzte der Europäische Rat in seinem Beschluss508 fest, dass die in der Grundrechtecharta aufgenommenen Rechte vom Konvent nicht beliebig geschaffen werden, sondern die Rechte umfassen soll, die sich aus den bisherigen Rechtserkenntnisquellen des Gerichtshofs und seiner darauf basierenden Grundrechtsrechtsprechung ergeben.509 Der hierzu korrespondierende Absatz 5 der Präambel der Grundrechtecharta lautet wie folgt: „Diese Charta bekräftigt unter Achtung der Zuständigkeiten und Aufgaben der Union und des Subsidiaritätsprinzips die Rechte, die sich vor allem aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen und den gemeinsamen internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, aus dem Vertrag über die Europäische Union und den Gemeinschaftsverträgen, aus der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, aus den von der Gemeinschaft und dem Europarat beschlossenen Sozialchartas sowie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergeben. (. . .)“

gen Entwicklung der Europäischen Union angebracht. So sieht er die parlamentarische Demokratie in Deutschland durch erhebliche Fehlentwicklungen in der Europäischen Union ernsthaft bedroht. Von 1998 bis 2004 stammten 84% der in Deutschland verabschiedeten Gesetze aus Brüssel, nur 16% aus Berlin. Somit habe die Bundesregierung im Ministerrat als Teil der Exekutive die grundlegenden Beschlüsse getroffen. Der Deutsche Bundestag habe nur noch die Aufgabe, die gesetzlichen Vorgaben aus Brüssel in deutsches Recht umzuwandeln. Die vom Grundgesetz geforderte Stellung des nationalen Parlaments als zentraler Akteur der Gestaltung des politischen Gemeinwesens sei längst nicht mehr gegeben. Die Gewaltenteilung sei für große Teile der Gesetzgebung nicht mehr vorhanden. 507 K. A. Schachtschneider fordert hingegen, dass nur die intelligentesten Köpfe und größten Philosophen einer Epoche sich an einem solchen Projekt beteiligen sollen. (So zum Beispiel in seiner Rede „Zur politischen Finalität der Europäischen Union“ vom 21. November 2006 an der Universität Tübingen, veröffentlicht online unter http:// timms.uni-tuebingen.de/List/List01.aspx?author=Schachtschneider%2c+Karl+Albrecht (geprüft am 11.07.2009). 508 Europäischer Rat Köln, 3. und 4. Juni 1999, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anhang IV: „Beschluss des Europäischen Rates zur Erarbeitung einer Charta der Grundrechte der Europäischen Union“. (online abrufbar unter http://www.europarl. europa.eu/summits/kol2_de.htm#an4, geprüft am 11.07.2009). 509 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der Europäischen Union, § 1, Rdn. 35.

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

165

In den Erläuterungen zur Grundrechtecharta spiegelt sich das Vorgehen des Präsidiums durch insgesamt 37 zitierte Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, zwei zitierte Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und 78 Verweise auf die Europäische Menschenrechtserklärung wider. In den Erläuterungen zum Grundrecht der unternehmerischen Freiheit finden sich vier Urteile des Gerichtshofs, auf die sich das Präsidium stützt. Mit Verkündung des Beschlusses von Köln dauerte es insgesamt nur eineinhalb Jahre, bis die Grundrechtecharta feierlich proklamiert wurde. In dieser Zwischenzeit wurden zahlreiche Entwürfe veröffentlicht. Nachfolgend findet sich in chronologischer Reihenfolge eine Übersicht über die Entwicklung des Chartatextes hinsichtlich des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit nebst Anmerkungen des Verfassers dieser Arbeit:510 Datum

Charte – Convent

Wortlaut

Anmerkungen

16.5.2000

Charte 4316/00 – Convent 34

Art. 32: Berufsfreiheit: Jede Person hat das Recht, ihren Beruf und ihr Gewerbe frei zu wählen und auszuüben.

In der Begründung wird auf die Rspr. des EuGH verwiesen. (Nold, Rs. 4/73, Slg. 1974, S. 491). Ursprünglich findet sich die unternehmerische Freiheit nicht als separates Grundrecht.

3.7.2000

Charte 4383/00 – Convent 41

Art. 32: Berufsfreiheit und Recht auf Arbeit: (1) Jede Person hat das Recht zu arbeiten sowie das Recht auf freie Wahl ihrer Arbeit und auf den Schutz ihres Arbeitsplatzes. (2) Jede Person hat insbesondere das Recht, ihren Beruf oder eine gewerbliche Tätigkeit auszuüben, und das Recht auf Zugang zu einem unentgeltlichen Arbeitsvermittlungsdienst.

Auf Ersuchen des Konvents hat das Sekretariat das Dokument Charte 4383/00 erstellt; es handelt sich um eine Zusammenfassung der eingegangenen Änderungsvorschläge und der Kompromissvorschläge des Präsidiums in Bezug auf die wirtschaftlichen und sozialen Rechte und die horizontalen Bestimmungen (Art. 31–50).

28.7.2000

Charte 4422/00

Artikel 16: Die unternehmerische Freiheit wird anerkannt.

Vom Präsidium vorgeschlagener Text; die (neu hinzugekommene) unternehmerische Freiheit sollte als Gegengewicht zu den (neu hinzugekommenen) sozialen Rechten der Arbeitnehmer dienen und der Charta einen sozialpartnerschaftlich ausbalancierten Eindruck geben.511

510 Die verschiedenen Versionen können im Internet unter http://register.consilium. europa.eu (geprüft am 11.07.2009) aufgerufen werden.

166

C. Unternehmerische Freiheit

Datum 31.7.2000

Charte – Convent Charte 4423/00

Wortlaut Artikel 16: Die unternehmerische Freiheit wird anerkannt.

Anmerkungen Vom Präsidium weiterhin vorgeschlagener Text

Erläuterungen zu Art. 16: Dieser Artikel stützt sich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, der die Freiheit, eine Wirtschafts- und Geschäftstätigkeit auszuüben, (siehe die Urteile vom 14. Mai 1974, Rechtssache 4/73, Nold, Slg. 1974, S. 491, Randnr. 14; und vom 27. September 1979, Rechtssache 230-78, SPA Eridania und andere, Slg. 1979, 2749, Randnrn. 20 und 31) und die Vertragsfreiheit (siehe u. a. die Urteile „Sukkerfabriken Nykoebing“, Rechtssache 151/78, Slg. 1979, 1, Randnr. 19; und vom 5. Oktober 1999, Spanien gegen Kommission, C-240/97 (noch nicht veröffentlicht) Randnr. 99) anerkannt hat, sowie auf Artikel 4 Absätze 1 und 2 EGV, in denen der freie Wettbewerb anerkannt wird. 14.9.2000

Charte 4470/00

Artikel 16: Die unternehmerische Freiheit wird anerkannt.

Vom Präsidium weiterhin vorgeschlagener Text

20.9.2000

Convent 48 (Charte 4471/00)

Artikel 16: Die unternehmerische Freiheit wird anerkannt.

In den Erläuterungen wurden die letzten beiden Sätze hinzugefügt.

Erläuterungen zu Art. 16: Dieser Artikel stützt sich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, der die Freiheit, eine Wirtschafts- und Geschäftstätigkeit auszuüben, (siehe die Urteile vom 14. Mai 1974, Rechtssache 4/73, Nold, Slg. 1974, S. 491, Randnr. 14; und vom 27. September 1979, Rechtssache 230-78, SPA Eridania und andere, Slg. 1979, 2749, Randnrn. 20 und 31) und die Vertragsfreiheit (siehe u. a. die Urteile „Sukkerfabri-

511

S. Barriga, Die Entstehung der Charta, S. 100.

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta Datum

Charte – Convent

Wortlaut

167

Anmerkungen

ken Nykoebing“, Rechtssache 151/78, Slg. 1979, 1, Randnr. 19; und vom 5. Oktober 1999, Spanien gegen Kommission, C-240/97 (noch nicht veröffentlicht) Randnr. 99) anerkannt hat, sowie auf Artikel 4 Absätze 1 und 2 EGV, in denen der freie Wettbewerb anerkannt wird. Dieses Recht wird natürlich unter Einhaltung des Gemeinschaftsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften ausgeübt. Es kann nach Artikel 51 Absatz 1 der Charta beschränkt werden. 21.9.2000

REV 1, 4470/1/00 Artikel 16: Die unternehmeVollständiger Text nach Überrische Freiheit wird anerkannt. arbeitung durch die Rechtsund Sprachsachverständigen.

25.9.2000

REV 1, ADD 1, 4470/1/00

Artikel 16: Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.

28.9.2000

4487/00

Artikel 16: Die unternehmeri- Der damals aktuelle Entwurf der Charta sche Freiheit wird nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.

11.10.2000

Charte 4473/00 hl/ Artikel 16: Die unternehmeriBSB7rk 18 sche Freiheit wird nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt. Erläuterungen: (vgl. vom 20.09.2000)

7.12.2000

Charta der Grundrechte der Europäischen Union, feierlich proklamiert

Erweiterter Vorschlag des Präsidiums im Anschluss an die Sitzungen vom 25.9.2000; wohl als Ergebnis eines „p a c k a g e d e a l s“.

Im offiziellen Dokument „Erläuterungen zur Charta der Grundrechte“ findet sich folgender Vermerk des Präsidium als einleitende Passage: „Die vorliegenden Erläuterungen sind vom Präsidium in eigener Verantwortung formuliert worden. Sie haben keine Rechtswirkung, sondern dienen lediglich dazu, die Bestimmungen der Charta zu verdeutlichen.“

Identisch zum 11.10.2000 Artikel 16: Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.

168 Datum 14.12.2007

C. Unternehmerische Freiheit Charte – Convent

Wortlaut

Anmerkungen

(2007/C 303/01), aktuellste Fassung der Grundrechtecharta sowie (2007/C 303/02), Erläuterungen zur Charta, veröffentlicht am 14. Dezember 2007 im Amtsblatt der Europäischen Union

Artikel 16: Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.

Abgedruckt findet sich der finale Wortlaut der Charta und der Erläuterungen zur Charta. Die Verweise auf die Artikelnummerierung der Verträge wurden auf den neuesten Stand gebracht und einige Fehler wurden berichtigt. So wird beispielsweise nun einheitlich vom Unionsrecht gesprochen. Diese Änderungen wurden vorgenommen mit Blick auf die geplante Neuordnung des europäischen Primärrechts durch den Vertrag von Lissabon.

Erläuterungen zu Artikel 16 – Unternehmerische Freiheit: Dieser Artikel stützt sich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, der die Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit auszuüben, (siehe die Urteile . . .) und die Vertragsfreiheit (siehe u. a. die Urteile . . .) anerkannt hat, sowie auf Artikel 119 Absätze 1 und 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, in dem der freie Wettbewerb anerkannt wird. Dieses Recht wird natürlich unter Einhaltung des Unionsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften ausgeübt. Es kann nach Artikel 52 Absatz 1 der Charta beschränkt werden.

Die unternehmerische Freiheit als Freiheitsrecht wurde systematisch im 2. Kapitel der europäischen Grundrechtecharta eingeordnet. Sie ist mit der Berufsfreiheit und der Eigentumsgewährleistung eine der drei zentralen Wirtschaftsgrundrechten in der europäischen Grundrechtecharta.512 In den drei Artikeln 15 bis 17 GRCh wurde somit ein Kernbereich dessen geregelt, was die Tätigkeit der früheren Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ausmachte und was nach wie vor im Vordergrund der Aktivitäten der heutigen Union steht.513 Wie es zur erstmaligen Kodifizierung der unternehmerischen Freiheit kam, erschließt sich unter anderem aus den Berichten von Vertretern im Grundrechtekonvent. In einem Interview mit Jürgen Meyer514 vom 24.1.2007515 findet sich 512 J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 16, Rdn. 1 sowie Art. 17, Rdn. 1; ders., Der Grundrechtsschutz für Unternehmen, in: EuZW 2001, S. 518. 513 H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte, DVBL 2004, S. 455. 514 Mitglied des Deutschen Bundestages von 1990 bis 2002 und Vertreter des Bundestages im Grundrechtekonvent sowie im Verfassungskonvent der EU.

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

169

der Hinweis, dass heutzutage in der Politik gerne so genannte „package deals“ 516 geschlossen werden, um in schwierigen Lagen Kompromisse erzielen zu können. Solche „package deals“ wurden auch im Rahmen des Grundrechtekonvents geschlossen. Das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit war beispielsweise ein Zugeständnis der sozialdemokratischen Delegierten gegenüber den Konservativen, die dafür ihrerseits die sozialen Grundrechte akzeptiert hatten. Auch die Protokolle über die Verhandlungen im Grundrechtekonvent geben Aufschluss darüber, unter welchen Gegebenheiten die unternehmerische Freiheit als eigenständiges Grundrecht in die Charta aufgenommen wurde.517 Zu Beginn war im Diskussionsentwurf der Grundrechtecharta518 im Januar 2000 die unternehmerische Freiheit nicht als eigenständiges Grundrecht vorgesehen. Hierfür sah man im Konvent auch keine Notwendigkeit, da der Gerichtshof bisher kein eigenständiges Recht auf unternehmerische Freiheit anerkannt hatte und in seiner Rechtsprechung regelmäßig auf die von Anfang an im Chartaentwurf enthaltene Berufsfreiheit sowie das Eigentumsrecht verwies.519 Erstmals wurde die unternehmerische Freiheit dann auf Wunsch der EVP-Fraktion und ihr nahe stehender Konventsmitglieder durch das Präsidium als eigener Artikel im Dokument „Chartre 4422/00 Convent 45“520 vom 28. Juli 2000 aufgenommen. Wegen der darauf folgenden anhaltenden Kritik am Wortlaut des Art. 16521 und der daraus resultierenden Forderung einiger Konventsmitglieder, diesen Artikel wegen der einseitigen Privilegierung der Unternehmer im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen ganz zu streichen, einigte man sich schließlich, indem der Artikel unter den Vorbehalt „. . . nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten . . .“ gestellt wurde.522 515 Südwest Presse Ulm vom 24. Januar 2007, Seite 3, Interview/Konventsmitglied Jürgen Meyer hält wenig von Roman Herzogs EU-Kritik, Beifall nur von den Europagegnern: „(. . .) Package deals sind ein beliebtes Mittel, um bei schwierigen Problemlagen Kompromisse zu erreichen. Wer Politik macht, kennt das. Ich darf daran erinnern, dass Roman Herzog im Grundrechtekonvent ebenfalls solche package deals geschlossen hat. So war das Grundrecht auf unternehmerische Freiheit ein Zugeständnis der sozialdemokratischen Delegierten gegenüber den Konservativen, die dafür ihrerseits den sozialen Grundrechten zugestimmt haben. (. . .)“. 516 Ein deutscher Ausdruck hierfür wäre beispielsweise Junktim, Gesamtvereinbarung oder Paketlösung. 517 Siehe hierzu auch ausführlich: Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte, Art. 16, Rdn. 4–8. 518 Dokument Charte 4102/00 CONTRIB 2 vom 6. Januar 2000, online zu finden unter der folgenden Internetadresse: http://webarchiv.bundestag.de/archive/2006/0606/ ftp/pdf/anlage6.pdf (geprüft am 11.07.2009). 519 S. Barriga, Die Entstehung der Charta, S. 100. 520 http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/00/st04/04422d0.pdf (geprüft am 11.07. 2009). 521 „Die unternehmerische Freiheit wird anerkannt.“ 522 Der deutsche Bundestagsabgeordnete Jürgen Meyer (SPD) forderte als Konventsmitglied auf der Konventssitzung am 31. August 2000, dass als Gegengewicht zumin-

170

C. Unternehmerische Freiheit

2. Die Ausgestaltung der unternehmerischen Freiheit in Art. 16 GRCh Um einen Vergleich zwischen der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs und der jetzigen Ausgestaltung der unternehmerischen Freiheit in der Charta durchführen zu können, wird unter Berücksichtigung der bereits beschriebenen juristischen Auslegungsmethoden523 Artikel 16 GRCh näher untersucht. Ergänzt werden die Ergebnisse mit den bisher veröffentlichten Literaturmeinungen zur unternehmerischen Freiheit. Eine besondere Beachtung erfahren auch die Erläuterungen des Konvents zur Grundrechtecharta.524 a) Der persönliche Schutzbereich der unternehmerischen Freiheit Aus der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich kein geschlossenes Bild hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs der Gemeinschaftsgrundrechte. Ob die Charta der Grundrechte oder die bisher veröffentlichte Literatur eine abschließende Antwort darauf liefern, wer sich auf das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit berufen kann, wird nachfolgend untersucht. Die unternehmerische Freiheit als Grundrecht der Charta steht nicht nur den Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern525 zu.526 Vielmehr wird angenommen, dest das Streikrecht in Artikel 26 aufgenommen werden müsse, wenn die unternehmerische Freiheit nicht gestrichen werde: Nachzulesen in N. Bernsdorff/M. Borowsky, Die Charta der Grundrechte, S. 364 sowie S. Barriga, Die Entstehung der Charta, S. 100. 523 Siehe Kapitel B. VI. 524 Vgl. Absatz 5 S. 2 der Präambel der Grundrechtecharta: „In diesem Zusammenhang erfolgt die Auslegung der Charta durch die Gerichte der Union und der Mitgliedstaaten unter gebührender Berücksichtigung der Erläuterungen, die unter der Leitung des Präsidiums des Konvents zur Ausarbeitung der Charta formuliert und unter der Verantwortung des Präsidiums des Europäischen Konvents aktualisiert wurden.“, Art. 52 Abs. 7 GRCh: „Die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung der Charta der Grundrechte verfasst wurden, sind von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen.“: Sowie Art. 6 Abs. S. 3 EUV-LV: „Die in der Charta niedergelegten Rechte, Freiheiten und Grundsätze werden gemäß den allgemeinen Bestimmungen des Titels VII der Charta, der ihre Auslegung und Anwendung regelt, und unter gebührender Berücksichtigung der in der Charta angeführten Erläuterungen, in denen die Quellen dieser Bestimmungen angegeben sind, ausgelegt.“ 525 Gem. Art. 17 Abs. 1 EGV gehören hierzu alle Menschen, welche die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzen. Der Vertrag von Lissabon sieht folgende Herleitung vor: Art. 20 Abs. 2 S. 1 AEUV: „Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die in den Verträgen vorgesehenen Rechte und Pflichten.“ Hierzu zählen gem. Art. 20 Abs. 1 S. 2 AEUV sowie Art. 9 S. 2 EUV-LV: „Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt.“; die in den Verträgen vorgesehenen Rechte umfassen dabei auch die Grundrechte der Charta, auf die in Art. 6 Abs. 1 S. 1 EUV-LV verwiesen wird: „Die Union erkennt die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7. Dezember 2000 in der am 12. Dezember 2007 in Straßburg angepassten Fassung niedergelegt sind; die Charta der Grundrechte und die Verträge sind rechtlich gleichrangig.“

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

171

dass grundsätzlich auch Staatsangehörige dritter Staaten und Staatenlose in den persönlichen Schutzbereich eingeschlossen sind, der Schutz somit auf „Jedermann“ zu erstrecken ist.527 An der Einbeziehung von Drittstaatsangehörigen in den Schutzbereich der Wirtschaftsgrundrechte gibt es aber auch Kritik. So wird befürchtet, dass es hierdurch zu einer personellen Ausweitung der den Unionsbürgern vorbehaltenen Grundfreiheiten kommen könnte.528 Bei der unternehmerischen Freiheit, die gemäß Art. 16 GRCh lediglich „nach dem Unionsrecht“ anerkannt ist und somit unter Beachtung der Grundfreiheiten auszulegen ist, scheint diese Befürchtung jedoch unbegründet.529 Mittlerweile ist es einheitlicher Grundrechtsstandard, dass sich auch juristische Personen des Privatrechts auf die Unionsgrundrechte berufen können,530 soweit diese ihrem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar sind.531 Die Teilgewährleistungen der unternehmerischen Freiheit können alle ihrem Wesen nach durch juristische Personen des Privatrechts geltend gemacht werden,532 was der

526 D. Ehlers, in: ders., Europäische Grundrechte, § 14, S. 397, Rdn. 29; C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 31, Rdn. 39. 527 H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte in der Europäischen Grundrechtecharta, DVBL 2004, S. 459; N. Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, § 16, Rn. 17; J. Schwarze, Der Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents, S. 349; N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 123–125; H. D. Jarass, EU-Grundrechte, § 4 Rdn. 24; J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 16, Rdn. 4; W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 792; diese weitgehende Ansicht wird der Tatsache gerecht, dass Grundrechte die gesetzliche Form der Menschenrechte sind, die jedem Menschen von Geburt an zustehen (so K. A. Schachtschneider in seiner Verfassungsbeschwerde gegen den Vertrag von Lissabon, E., III., S. 201; ders., Res publica res populi, S. 827). 528 A. Weber, Die Europäische Grundrechtscharta, NJW 2000, S. 542; N. Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte, Artikel 16, Rdn. 17. 529 C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 31, Rdn. 40; J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 16, Rdn. 4; H. Schwier, Der Schutz der Unternehmerischen Freiheit, S. 265. 530 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. (§ 4, Rdn. 355); P. J. Tettinger, Grundrechtsschutz, in: Schwarze (Hrsg.), Wirtschaftsverfassungsrechtliche Garantien, S. 174; H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte, DVBl. 2004, S. 455; Der Umkehrschluss, Art. 16 GRCh zähle im Gegensatz zu anderen Grundrechten wie Art. 42–44 GRCh juristische Personen nicht explizit auf und sei daher nicht auf diese anwendbar, ist abwegig. Schließlich hatte der Konvent die Vorgabe des Europäischen Rats die bisherige Grundrechtsrechtsprechung in einer Charta zusammenzufassen und für jeden sichtbar zu machen. Darüber hinaus findet sich in Absatz IV der Präambel der Charta noch der ausdrückliche Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften. 531 H. D. Jarass, EU-Grundrechte, § 4, Rdn. 30; D. Ehlers, in: ders., Europäische Grundrechte, § 14, S. 397, Rdn. 30; G. Schmittmann, Rechte und Grundsätze, S. 40; M. Hilf/S. Hörmann, Der Grundrechtsschutz von Unternehmen, NJW 2003, S. 5. 532 N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 121; H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 15.

172

C. Unternehmerische Freiheit

ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs entspricht.533 Dabei erstreckt sich der Geltungsbereich auch auf ausländische juristische Personen des Privatrechts,534 wie sich aus dem Urteil Bosphorus Airways535 ableiten lässt. Hier hatte sich eine türkische Fluggesellschaft mit Tätigkeitsort in der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien unter anderem (erfolglos) auf das Grundrecht der freien wirtschaftlichen Betätigung sowie der Eigentumsgewährleistung berufen. Eine eindeutige Regelung, vergleichbar dem Artikel 19 Abs. 3 GG536, findet sich nicht in der Grundrechtecharta.537 Mehr als strittig ist hingegen, ob auch juristische Personen des öffentlichen Rechts538 sowie gemischtwirtschaftliche Unternehmen,539 an denen die öffentliche Hand eine maßgebliche Beteiligung besitzt, sich auf diese Grundrechte berufen können.540 Aus der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass zumindest bei vereinzelten Grundrechten der persönliche Anwendungsbereich sich auch auf juristische Personen des öffentlichen Rechts erstreckt.541 Im Bereich der justiziellen Rechte, welche in Art. 47 bis Art. 50 GRCh geregelt sind, wird eine Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des öffentlichen

533

Vgl. Kapitel C. III. 2. g). H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 15; ders., Die Gewährleistung der Berufsfreiheit, in: Stern/Tettinger (Hrsg.), Die Europäische Grundrechte-Charta im wertenden Verfassungsvergleich, S. 241. 535 EuGH v. 30.07.1996 – RS C-84/95 (Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret AS/Minister for Transport, Energy and Communications u. a.), Slg. 1996, S. I-3953 (Rdn. 21 f.). 536 Art. 19 Abs. 3 GG: „Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.“ 537 G. Schmittmann, Rechte und Grundsätze, S. 39. 538 Unter der deutschen Bezeichnung „juristische Personen des öffentlichen Rechts“ sind nachfolgend die europäischen Erscheinungsformen juristischer Personen mit einem engen Bezug zu einem Hoheitsträger zusammengefasst. 539 K. A. Schachtschneider (ders., in: Prinzipien des Rechtsstaates, S. 242) kritisiert die Beteiligung des Staates an privatwirtschaftlichen Unternehmen. Dies führt zu einer Entkleidung der Staatlichkeit und in der Folge handeln die privatistischen Unternehmen des Staates ohne eine demokratische Legitimation. In der Konsequenz bedeutet dies, dass der Staat sich niemals privatisieren darf (ders., in: Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 5 f., 10 f., 17 f., 253 f., 261 f.). 540 Dazu M. Strunz, Strukturen des Grundrechtsschutzes, S. 138; P. J. Tettinger, Grundrechtsschutz, in: Schwarze (Hrsg.), Wirtschaftsverfassungsrechtliche Garantien, S. 174; B. Schöbener, Die unternehmerische Freiheit, in: Ennuschat (Hrsg.), FS für Peter J. Tettinger, S. 166; C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 31, Rdn. 39. 541 N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 121; D. Ehlers, in: ders., Europäische Grundrechte, § 14, S. 398, Rdn. 30; T. Kingreen, in: Callies/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 6, Rdn. 54 (2. Auflage); J. Cirkel, Die Bindungen der Mitgliedstaaten, S. 39; siehe hierzu auch die Erläuterungen des Präsidiums zu Art. 11 und 14 der Grundrechtecharta, wo auf den öffentlich-rechtliche Rundfunk sowie auf öffentlichen Lehranstalten verwiesen wird. 534

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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Rechts angenommen.542 So konnten sich selbst die Niederlande und Deutschland als Mitgliedsstaaten vor dem Gerichtshof auf das einer jeden Gerichtspartei zustehende Grundrecht des rechtlichen Gehörs berufen.543 Ein interpretatorischer Ansatz könnte sich aus den beiden wichtigsten Rechtserkenntnisquellen des Europäischen Gerichtshofs ergeben. Untersucht man demzufolge die nationalen Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen des öffentlichen Rechts, findet sich aber ein sehr heterogenes Bild.544 Auch eine Betrachtung der Europäischen Menschenrechtserklärung unter Berücksichtigung von Art. 52 Abs. 3545 sowie Art. 53 GRCh546 führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Zum einen enthält der Menschenrechtskatalog keine mit Art. 19 Abs. 3 GG vergleichbare allgemeingültige Regelung und zum anderen enthalten die wenigen Urteile des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu den Teilgewährleistungen unternehmerischer Freiheit keine verwertbaren Hinweise für den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs. Inwieweit hilfsweise auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zurückgegriffen werden kann, in denen er sich mit dem Eigentumsrecht juristischer Personen auseinandergesetzt hatte, 542 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, § 4, Rdn. 361; C. Stumpf, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 6 EUV, Rdn. 14, mit Verweis auf die Verfahrensgrundrechte. 543 EuGH v. 12.02.1992 – verb. RS C-48/90 und C-66/90 (Niederlande/Kommission), Slg. 1992, S. I-565, I-638 ff. (Rdn. 40); EuGH v. 19.09.2002 – RS C-377/99 (Deutschland/Kommission), Slg. 2002, S. I-7421 (Rdn. 52, 72 ff., 75). 544 Folgende Fundstellen befassen sich mit dieser Problematik: M. Strunz, Strukturen des Grundrechtsschutzes, S. 142; N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 121–122; P. J. Tettinger, Grundrechtsschutz, in: Schwarze (Hrsg.), Wirtschaftsverfassungsrechtliche Garantien, S. 174; H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, § 4, Rdn. 358, Fn. 297; H. Schwier, Der Schutz der Unternehmerischen Freiheit, S. 175 und S. 183 f. mit folgendem Ergebnis: Grundrechtsschutz für juristische Personen des öffentlichen Rechts bejahend in Belgien, Dänemark, England, Griechenland und Spanien, ablehnend in Deutschland, Frankreich und Irland sowie strittig oder unklar in Finnland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schottland, Portugal. 545 Art. 52 Abs. 3 GRCh, Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze: „Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weitergehenden Schutz gewährt.“ 546 Art. 53 GRCh, Schutzniveau: „Keine Bestimmung dieser Charta ist als eine Einschränkung oder Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auszulegen, die in dem jeweiligen Anwendungsbereich durch das Recht der Union und das Völkerrecht sowie durch die internationalen Übereinkünfte, bei denen die Union oder alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien sind, darunter insbesondere die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, sowie durch die Verfassungen der Mitgliedstaaten anerkannt werden.“

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C. Unternehmerische Freiheit

ist offen. Im Urteil Islamic Republic of Iran Shipping Lines547 hatte ein iranisches Unternehmen im Staatseigentum sich erfolgreich auf sein Eigentumsrecht aus Artikel 1 des 1. Zusatzprotokolls berufen. Eine Abgrenzung zwischen juristischen Personen des öffentlichen und des privaten Rechts wurde bei der Grundrechtsprüfung aber nicht durchgeführt.548 Die divergierenden Meinungen in den Mitgliedstaaten sowie die fehlende Aussage des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bieten somit keinen Ansatz zur Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs von Art. 16 GRCh betreffend juristische Personen des öffentlichen Rechts. Der Streit über den persönlichen Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte, der sich auch darin ausdrückt, dass keine einheitliche Regelung im Grundrechtekonvent gefunden wurde, spiegelt sich ebenso in der Literatur wieder.549 Hier finden sich zum Grundrechtsschutz juristischer Personen des öffentlichen Rechts neben befürwortenden und ablehnenden Auffassungen auch differenzierende Lösungsansätze. Die Befürworter eines weiten persönlichen Anwendungsbereichs bringen vor, dass der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zum Wettbewerbsrecht auch juristische Personen des öffentlichen Rechts in den Anwendungsbereich aufgenommen habe und diese damit den gleichen Eingriffen in ihre Rechtspositionen durch die Gemeinschaft ausgesetzt seien.550 Somit sei die Ausweitung 547

EGMR vom 13.12.2007, App. No. 40998/98 (Case of Islamic Republic of Iran Shipping Lines/Turkey), Rdn. 86–87, online abrufbar unter http://echr.coe.int/echr/en/ hudoc (geprüft am 11.07.2009). 548 Lediglich zu Beginn des Urteils finden sich Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Bestimmung nichtstaatlicher Organisationen im Sinne von Art. 34 EMRK. Das Staatsunternehmen Islamic Republic of Iran Shipping Lines (EGMR vom 13.12.2007, App. No. 40998/98 (Case of Islamic Republic of Iran Shipping Lines/Turkey), Rdn. 80–82) wurde als nichtstaatliche Organisation und somit als beschwerdebefugt gewertet, da es keine hoheitliche Gewalt ausübe, nicht ausschließlich zur Staatsverwaltung gegründet wurde und unabhängig vom Staat agieren könne. Zur Begründung führte der Gerichtshof weiter aus, dass das Staatsunternehmen nach den Grundzügen des Gesellschaftsrechts geführt werde, über keine hoheitlichen Sonderrechte verfüge und dem Grundsatz nach dem Zivilrecht unterliege. 549 Befürwortend: N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 123; N. Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte, Artikel 16, Rdn. 16; H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte, DVBl. 2004, S. 455; P. J. Tettinger, Grundrechtsschutz, in: Schwarze (Hrsg.), Wirtschaftsverfassungsrechtliche Garantien, S. 176. Grundsätzlich verneinend, teilweise mit Ausnahmen: H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 16; H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 188–192, (§ 4, Rdn. 356 ff.); J. Kühling, Die Kommunikationsfreiheit, S. 378 (für die Kommunikationsfreiheit); H. D. Jarass, EU-Grundrechte, § 5 Rdn. 32–33; M. Strunz, Strukturen des Grundrechtsschutzes, S. 142–144; M. Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 16, Rdn 3. 550 N. Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte, Artikel 16, Rdn. 16; H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte, DVBl. 2004, S. 455; P. J. Tettinger, Grundrechtsschutz, in: Schwarze (Hrsg.), Wirtschaftsverfassungs-

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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des persönlichen Schutzbereichs zur Gleichbehandlung der Unternehmen im Wettbewerb und im Interesse eines umfassenden Grundrechtsschutzes auf Unionsebene zumindest für öffentliche und so genannte gemischtwirtschaftliche Betriebe notwendig.551 Zudem wird angeführt, dass eine klare Abgrenzung zwischen der europäischen Hoheitsgewalt und den mitgliedstaatlichen Hoheitsgewalten vorliegen würde und damit die Trennung zwischen Grundrechtsberechtigten und Grundrechtsverpflichteten leichter nachzuvollziehen sei.552 Schließlich wird vorgetragen, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts sich auch auf die Grundfreiheiten wie die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit der Europäischen Gemeinschaft berufen könnten.553 Die Kritiker dieser Auffassung, die einen Grundrechtsschutz für juristische Personen des öffentlichen Rechts ablehnen, wenden ein, dass es zu einer Begünstigung der Mitgliedstaaten kommen würde, wenn die von ihnen kontrollierten Unternehmen sich auf die Grundrechte wie die unternehmerische Freiheit berufen könnten.554 Auch fehle es an der Gefährdungslage für diese Unternehmen, da hinter jeder juristischen Person des öffentlichen Rechts der Staat stehe.555 Fühle sich eine juristische Person des öffentlichen Rechts durch staatliche Gewalt in rechtliche Garantien, S. 176; H. Schwier, Der Schutz der Unternehmerischen Freiheit, S. 211; J. Scharze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 16, Rdn. 4, mit Verweis auf die „grundrechtstypische Gefährdungslage“. 551 N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 123; C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 6, mit Ausführungen zu gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen in den Rdn. 25–26. 552 N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 122; M. Strunz, Strukturen des Grundrechtsschutzes, S. 143, mit folgender Einschränkung: „juristische Personen des mitgliedstaatlichen öffentlichen Rechts (. . .) als die Grundrechte ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.“. Im Ergebnis so auch M. Kober, Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, S. 149–153. 553 Vgl. die Bestimmung des Art. 48 Abs. 2 EG (Art. 55 EG als Verweisungsvorschrift für die Dienstleistungsfreiheit) zur Niederlassungsfreiheit: „Als Gesellschaften gelten die Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts einschließlich der Genossenschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen.“; L. Crones, Grundrechtlicher Schutz von jur. Personen, S. 172; N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 122; vgl. Art. 48 EG zur Niederlassungsfreiheit: „Für die Anwendung dieses Kapitels stehen die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind. Als Gesellschaften gelten die Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts einschließlich der Genossenschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen.“; dagegen K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 5, VI., 3. 554 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 16. 555 M. Strunz, Strukturen des Grundrechtsschutzes, S. 139.

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C. Unternehmerische Freiheit

ihren Rechten verletzt, sei dies auf Kompetenzkonflikte innerhalb des Staates zurückzuführen. Eine Kompensation durch speziellen Grundrechtsschutz käme hierbei nicht in Frage. Darüber hinaus beziehen sie sich auf das in Deutschland verwendete „Konfusionsargument“, wonach Grundrechtsträger und Grundrechtsverpflichtete nicht in einer Person vereint sein können.556 Im Ergebnis überzeugen die Argumente der Kritiker.557 Das Argument der Gleichbehandlung im Wettbewerb und der somit notwendigen Gleichbehandlung im Grundrechtsschutz558 übersieht die besonderen öffentlich-rechtlichen Bindungen gemischtwirtschaftlicher und öffentlicher Unternehmen.559 Der Staat hat sich an die gesamte Rechtsordnung und somit auch an das Wettbewerbsrecht zu halten. Damit sind auch alle juristischen Personen, hinter denen mitgliedstaatliche Hoheitsgewalt steht, an die gesetzlichen Regelungen gebunden. Aus dieser Bindung eine Grundrechtsberechtigung zu konstruieren, wäre jedoch widersprüchlich.560 Auch die angebliche Trennung der Hoheitsgewalt durch eine europäische und eine mitgliedstaatliche Ebene führt nicht zu einer Aufweichung des Konfusionsargumentes. Schließlich sind neben den Organen der Europäischen Union auch alle Organe und Einrichtungen der Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts Verpflichtete der Gemeinschaftsgrundrechte.561 Dabei ist zu bedenken, dass die hohe Regelungsdichte des Gemeinschaftsrechts insbe556 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. (§ 4, Rdn. 358); M. Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 16, Rdn. 3; vgl. auch die ständige Rspr. des BVerfG 21, 362 (368–377); 35, 263 (271); 39, 302 (314 f.); 45, 63 (78 f.); 61, 82 (105): „(. . .) Die Beschwerdeführerin macht geltend, die im Ausgangsverfahren angegriffene atomrechtliche Genehmigung betreffe sie in ihrem landwirtschaftlich genutzten Grundeigentum, das nicht der Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben diene; deshalb dürfe sie sich in diesem Bereich auf den Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG berufen. Die Frage, ob einer Gemeinde außerhalb des Bereichs der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zusteht, ist zu verneinen; die Gemeinde befindet sich auch bei Wahrnehmung nicht-hoheitlicher Tätigkeit in keiner grundrechtstypischen Gefährdungslage; sie wird auch in diesem Raum ihres Wirkens durch einen staatlichen Hoheitsakt nicht in gleicher Weise wie eine Privatperson gefährdet und ist mithin auch insoweit nicht grundrechtsschutzbedürftig. (. . .)“; BVerfG 62, 354 (369); 68, 163 (206); 70, 1 (15–18); 75, 192 (196); 85, 360 (385). 557 Siehe hierzu auch K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 5, VI., 3. 558 W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 94: „Stehen also öffentliche und private Unternehmen im Wettbewerb und sind sie im Ansatz denselben Wettbewerbsregeln unterworfen, so muss auch die unternehmerische Freiheit in gleicher Weise für beide gewährleistet sein.“; a. A.: K. A. Schachtschneider hat herausgearbeitet, dass die Anwendung des Wettbewerbsrechts auf den Staat das eigentliche Problem ist. Siehe hierzu ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 183 ff., 300 ff.; ders., Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 5, VI., 3. 559 M. Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 16, Rdn. 3 (Fn. 18). 560 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 16. 561 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, § 4, Rdn. 359.

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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sondere im Bereich der Wirtschaftsvorschriften eine Trennung der Hoheitsgewalten praktisch unmöglich macht.562 Dem letzten Argument der Befürworter, dass ein Gleichlauf mit den Berechtigten der Grundfreiheiten anzunehmen ist, kann entgegengesetzt werden, dass die Grundfreiheiten ursprünglich reine objektivrechtliche Vorschriften waren, in erster Linie den gemeinsamen Binnenmarkt definieren und nur auf Grund der Interpretation des Gerichtshofs eine subjektive Seite erhalten haben.563 Einen Sonderfall könnte Art. 14 Abs. 3 GRCh564 darstellen, der nach den Erläuterungen des Konvents die Freiheit zur Gründung von öffentlichen sowie privaten Lehranstalten garantieren soll. Erläuterungen des Konvents zu Art. 14 Abs. 3 GRCh: „(. . .) 2. Die Freiheit zur Gründung von öffentlichen oder privaten Lehranstalten wird als einer der Aspekte der unternehmerischen Freiheit garantiert, ihre Ausübung ist jedoch durch die Achtung der demokratischen Grundsätze eingeschränkt und erfolgt entsprechend den in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegten Modalitäten.“

In diesen Fällen scheint man eine Art sachbereichsspezifische Grundrechtsträgerschaft565 von juristischen Personen des öffentlichen Rechts für die Gründung von öffentlichen Lehranstalten konstruieren zu wollen.566 In der Literatur wird diese Auffassung der staatlich geschützten Grundrechtsträgerschaft insoweit be562 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 16. 563 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 17; H. D. Jarass, EU-Grundrechte, § 5 Rdn. 33. 564 Recht auf Bildung, Artikel 14 Abs. 3 GRCh: „Die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten unter Achtung der demokratischen Grundsätze (. . .) werden nach den einzelstaatlichen Gesetzen geachtet, welche ihre Ausübung regeln.“ 565 BVerfGE 15, 256 (262): „In der Regel können zwar weder der Staat noch seine Einrichtungen Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte in Anspruch nehmen, insofern sie nicht gleichzeitig Träger und Adressat von Grundrechten sein können. Dieser Grundsatz gilt jedoch dann nicht, wenn Einrichtungen des Staates Grundrechte in einem Bereich verteidigen, in dem sie vom Staat unabhängig sind. Das ist insbesondere bei den deutschen Universitäten der Fall, die zwar in der Regel vom Staat gegründet sind und auch von ihm unterhalten werden, aber in Wissenschaft, Forschung und Lehre frei sind. Deshalb muss auch den Universitäten wie den Fakultäten ohne Rücksicht auf ihre allgemeine oder besondere Rechtsfähigkeit die Möglichkeit gegeben sein, dieses von ihnen beanspruchte Grundrecht im Verfahren der Verfassungsbeschwerde geltend zu machen.“; BVerfGE 31, 313 (322): „Die (. . .) Rundfunkanstalten sind rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts. (. . .) Für juristische Personen des öffentlichen Rechts gelten Grundrechte nicht, soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen (. . .). Etwas anderes gilt dann, wenn ausnahmsweise die betreffende juristische Person des öffentlichen Rechts unmittelbar dem durch die Grundrechte geschützten Lebensbereich zuzuordnen ist. Aus diesem Grunde hat das Bundesverfassungsgericht die Grundrechtsfähigkeit der Universitäten und Fakultäten für das Grundrecht aus Art 5 Abs. 3 S. 1 GG anerkannt. Entsprechendes gilt für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Sie sind Einrichtungen des Staates, die Grundrechte verteidigen, in dem sie vom Staat unabhängig sind.“ 566 M. Strunz, Strukturen des Grundrechtsschutzes, S. 142.

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C. Unternehmerische Freiheit

gründet, dass es nicht entscheidend sein kann, ob eine Lehranstalt von einem Mitgliedstaat öffentlich-rechtlich ausgerichtet wurde oder ob privatrechtlichen Konstruktionen der Vorzug erteilt wurde.567 Hierzu ist kritisch anzumerken, dass der Staat keines Grundrechtsschutzes bedarf, um eine öffentliche Lehranstalt zu gründen. Vielmehr ist dies ein Bestandteil seiner staatlichen Aufgabe.568 Es bleibt festzustellen, dass ein Grundrechtsschutz für juristische Personen des öffentlichen Rechts abzulehnen ist.569 Ob der Gerichtshof diese Ansicht aufgrund fehlender Vorgaben im europäischen Grundrechtskatalog ebenfalls vertreten wird, bleibt abzuwarten. b) Der sachliche Schutzbereich der unternehmerischen Freiheit Durch die erstmalige Kodifizierung nicht nur der unternehmerischen Freiheit, sondern eines europäischen Grundrechtskataloges, ergeben sich zwangsläufig viele Fragen. Zur Erarbeitung des sachlichen Anwendungsbereichs der unternehmerischen Freiheit dient in erster Linie der originäre Grundrechtstext der Charta.570 Die Formulierung des Grundrechts, welches „nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt“ wird, bedarf im Rahmen der Schrankenanalyse einer eingehenden Prüfung. Darüber hinaus wird die Stellung der unternehmerischen Freiheit zwischen der Berufsfreiheit in Art. 15 GRCh und der Eigentumsgewährleistung in Art. 17 GRCh unter systematischen Aspekten betrachtet. Soweit sich Ansätze für eine Abgrenzung ergeben, werden diese dargestellt. Auch die Entstehungsgeschichte571 einer Rechtsvorschrift – und somit die historische Interpretation – hilft häufig, den ihr innewohnenden Sinngehalt zu ermitteln. Ob dies so auch für das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit gilt, dessen Entstehung, wie bereits dargestellt, von einer politischen Kompromisslösung geprägt ist, wird geprüft werden.

567

H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 191 (§ 4, Rdn. 362). Unter Beachtung des Grundsatzes, dass der Staat sich nicht auf einen Grundrechtsschutz berufen kann, wäre es schlüssiger, die öffentlichen Lehranstalten in den Konventserläuterungen zu Art. 14 Abs. 3 GRCh zu streichen. Ähnlich wird in Deutschland ja auch lediglich ein Grundrecht zur Errichtung von privaten Schulen gewährleistet, Art. 7 Abs. 4 GG: „Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. (. . .)“. 569 Dies würde auch der Tatsache gerecht werden, dass die Grundrechte die Freiheit der Menschen schützt. Der Staat aber ist nicht frei, sondern verwirklicht das Rechts durch Gesetzgebung und Gesetzesanwendung. 570 Art. 16 GRCh: „Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.“ 571 Die Protokolle des Konvents finden sich unter http://register.consilium.europa.eu (geprüft am 11.07.2009) sowie zum Teil bei N. Bernsdorff/M. Borowsky, in: Die Charta der Grundrechte der Europäische Union, Handreichungen und Sitzungsprotokolle. 568

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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(1) Die unternehmerische Freiheit wird „anerkannt“ Das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit wird gemäß Art. 16 GRCh „anerkannt“. Eine erste Wortlautinterpretation wirft den Gedanken auf, dass es sich bei Art. 16 GRCh gar nicht um ein eigenständiges, europäisches Grundrecht mit eigenem Regelungsgehalt handelt, sondern dass auf europäischer Ebene lediglich die nationalen Grundrechtsgewährleistungen unternehmerischer Freiheit zu beachten sind. Alleine schon das Ziel der Grundrechtecharta, einen einheitlichen, europäischen Grundrechtsschutz zu gewährleisten, spricht gegen solch eine Auslegung. Geht man davon aus, dass es sich bei Art. 16 GRCh um ein europäisches Grundrecht handelt, drängt es sich auf, dass der für die Kodifizierung zuständige Grundrechtekonvent durch das Verb „anerkannt“ eine wertende Komponente in die Formulierung und Gewährleistung des Grundrechts einbringen wollte.572 Dem Wortlaut nach scheint es sich lediglich um eine Absichtserklärung zu handeln.573 Auch könnte man den Rückschluss ziehen, dass es sich bei dem Grundrecht der unternehmerischen Freiheit nur um eine objektiv-rechtliche Garantie und nicht um ein subjektives Recht handelt.574 Schließlich weicht die Formulierung auch von den beiden angrenzenden Wirtschaftsgrundrechten ab, da ein personaler Bezug fehlt.575 Das im Rahmen von Art. 16 GRCh einschlägige Verb „anerkennen“ hat im allgemeinen Sprachgebrauch unterschiedliche Bedeutungen.576 So ist es beispielsweise möglich, einen persönlichen Einsatz lobend anzuerkennen und damit zu würdigen. Sportler sind zudem gehalten, die für sie geltenden Regeln anzuerkennen, sie zu respektieren. Das Wort anerkennen kann aber auch eine verbindlichere Bedeutung haben. So kann das Prüfungsamt eine Diplomarbeit anerkennen 572

Vgl. J. Schwarze, Der Grundrechtsschutz, in: EuZW 2001, S. 519. Ein Recht, das nach dem Wortlaut „garantiert“ oder „gewährleistet“ wird, wird vom Adressaten tendenziell als verbindlicher und stärker eingestuft und kann aus einer subjektiven Betrachtung heraus leichter eingefordert werden (so auch A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 88). 574 J. Schwarze, Der Grundrechtsschutz, in: EuZW 2001, S. 519; ders., in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 16, Rdn. 2; H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte, DVBl. 2004, S. 459; L. Crones, Grundrechtlicher Schutz von jur. Personen, S. 157 f.; allgemeine Ausführungen zu „Grundrechte als objektive Prinzipien des Gemeinschaftsrecht“ finden sich bei A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 342–346. 575 Mit Blick auf die Berufsfreiheit und das Eigentumsrecht hätte man Art. 16 GRCh besser wie folgt ausgestaltet: „Jede Person hat das Recht auf unternehmerische Freiheit.“ 576 In Onlinewörterbüchern finden sich zahlreiche Informationen zum Wort „anerkennen“, siehe hierzu beispielsweise http://de.wiktionary.org/wiki/anerkennen mit weiteren Verweisen (geprüft am 11.07.2009). 573

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C. Unternehmerische Freiheit

und damit für ordnungsgemäß und gültig erklären. Diese Verwendung findet sich so auch in der Zivilprozessordnung, wenn man von einem Anerkenntnisurteil gemäß § 307 ZPO577 spricht. Gerade die beiden letzteren Verwendungen erscheinen für Art. 16 GRCh passend, durch Anerkennung wird etwas (rechtswirksam) bestätigt, ja gewährleistet. Hierfür spricht insbesondere die Betrachtung der englischen Sprachfassung von Art. 16 GRCh: „The freedom to conduct a business (. . .) is r e c o g n i z e d.“ Das englische Wort „recognize“ wird im Deutschen mit „anerkennen“ übersetzt. Möchte man im Englischen aber lediglich seine Wertschätzung oder ein Lob zum Ausdruck bringen, erfolgt das über die Verben „appreciate“, „honour“ oder auch „respect“. Ähnliches lässt sich über die französische Sprachvariante in Art. 16 GRCh, „reconnue“ sagen. Wird auf Französisch eine Wertschätzung oder ein Lob zum Ausdruck gebracht, geschieht dies meist unter Verwendung der Verben „apprécier“, „approuver“, „avouer“, „entériner“ oder personenbezogen mit „respecter“, aber nicht mit „reconnue“. Dass das Verb „anerkennen“ auch im Zusammenhang mit Grundrechten Verwendung findet, zeigt sich beispielsweise in der niederländischen Verfassung578. Hier werden in Artikel 8 die Vereinigungsfreiheit, in Artikel 9 Abs. 1 die Versammlungsfreiheit und in Artikel 19 Abs. 3 die freie Wahl des Berufes anerkannt („Het recht . . . wordt erkend“). Eine Relativierung oder Abstufung der jeweiligen Gewährleistungsumfänge geht damit aber nicht einher.579 Der Blick auf die unterschiedlichen Sprachfassungen der Charta unter Beachtung des jeweiligen Bedeutungsgehalts sowie der Blick ins niederländische Verfassungsrecht haben gezeigt, dass „anerkennen“ im Sinne von Art. 16 GRCh eine aussagekräftigere Bedeutung hat, als dies auf den ersten Blick die deutsche Variante vermuten lässt. Diese Meinung findet sich dem Grundsatz nach auch in der Literatur wieder. So wird vertreten, dass die Verwendung von „anerkannt“ in Art. 16 GRCh keine gewollte Abstufung zu den angrenzenden Wirtschaftsgrundrechten beinhalte.580 Gegen die Annahme einer wertenden Komponente spreche vor allem die Verwendung des Verbs „anerkennen“ in Art. 52 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 GRCh.581 Dieser Artikel diene gerade dazu, die Tragweite aller Rechte und Grundsätze der 577 § 307 ZPO: „Erkennt eine Partei den gegen sie geltend gemachten Anspruch ganz oder zum Teil an, so ist sie dem Anerkenntnis gemäß zu verurteilen. Einer mündliche Verhandlung bedarf es insoweit nicht.“ 578 Verfassung des Königreiches der Niederlande vom 24. August 1815 in der Fassung der Neubekanntmachung vom 17. Februar 1983 (letzte Änderung in 2007). 579 A. K. Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 145 f., S. 226 f. 580 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 1; H. Schwier, Der Schutz der Unternehmerischen Freiheit, S. 253; siehe hierzu auch die Ausführungen von C. Günther, Die Ausgestaltung des Rechts auf Bildung, S. 257–263, in Bezug auf Art. 14 GRCh und dem Verb „achten“.

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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Charta zu regeln, was gegen eine abwertende Interpretation von Art. 16 GRCh und dessen Degradierung zu einer Absichtserklärung ohne eigenen Regelungsgehalt spreche. Die unternehmerische Freiheit enthalte daher ebenso wie die jeweils angrenzende Berufsfreiheit und das Eigentumsrecht ein subjektives Abwehrrecht.582 Im Ergebnis ist dieser Auffassung zu folgen, auch wenn die Verwendung der zahlreichen, unterschiedlichen Verben in der Grundrechtecharta vermuten lässt, dass es sich um ein – wenn auch nicht stringentes583 – (Wertungs-)System handelt, was manchen Grundrechten den subjektiven Charakter verwehrt. Kritisch ist zudem anzumerken, dass insgesamt zu viele unterschiedliche Verben zur Umschreibung von Grundrechtsgewährleistungen in der Charta zu finden sind, was zwangsläufig in der Lehre sowie in der Rechtspraxis aufgrund der inkonsistenten Verwendung zur Verwirrung führen muss.584 So findet man neben „anerkannt“585 unter anderem auch die Formulierungen „gewährleistet“586, „gewährt“587, „geachtet“588, „geschützt“589, „Anspruch haben“590, „das Recht haben“591, „besitzen“592 und „genießen“593. Wer möchte hier bei den 23 rechtsverbindlichen Sprachfassungen noch den Überblick wahren?594 581 Art. 52 GRCh: „Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze (1) Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. (. . .) (2) Die Ausübung der durch diese Charta anerkannten Rechte, die in den Verträgen geregelt sind, erfolgt im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Bedingungen und Grenzen. (. . .) (4) Soweit in dieser Charta Grundrechte anerkannt werden, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, werden sie im Einklang mit diesen Überlieferungen ausgelegt.“ 582 A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 89; H. Schwier, Der Schutz der Unternehmerischen Freiheit, S. 253; W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 134–135. 583 K. A. Schachtschneider, Verfassungsbeschwerde gegen den Vertrag von Lissabon, E., IV., S. 208–209. 584 K. A. Schachtschneider, Verfassungsbeschwerde gegen den Vertrag von Lissabon, E., IV., S. 208; C. Günther, Die Ausgestaltung des Rechts auf Bildung, S. 260–261, mit zahlreichen weiteren Verweisen. 585 Art. 10 GRCh, Art. 16 GRCh, Art. 52–54 GRCh; „anerkennt“ findet sich in Art. 25–26 GRCh, Art. 34 GRCh, Art. 36 GRCh. 586 Art. 9 GRC, Art. 18 GRCh, Art. 27 GRCh, Art. 33 GRCh, Art. 48 GRCh. 587 Art. 45 GRCh. 588 Art. 11 GRCh, Art. 13 GRCh, Art. 14 GRC; „achtet“ findet sich in Art. 22 GRCh, Art. 25–26 GRCh, Art. 34 GRCh; Art. 36 GRCh. 589 Art. 17 GRCh. 590 Art. 24 GRCh, Art. 30 GRCh, Art. 34 GRCh; Art. 41 GRCh. 591 Art. 28 GRCh, Art. 29 GRCh, Art. 31 GRCh, Art. 33 GRCh, Art. 35 GRCh, Art. 41 GRCh, Art. 42 GRCh, Art. 44 GRCh, Art. 45 GRCh, Art. 47 GRCh. 592 Art. 39 GRCh, Art. 40 GRCh. 593 Art. 46 GRCh.

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C. Unternehmerische Freiheit

(2) Gewährleistungsinhalte gemäß den Erläuterungen des Grundrechtekonvents In den Erläuterungen des Konvents zu Art. 16 GRCh sind die drei Teilgewährleistungen „Freiheit, eine Wirtschafts- und Geschäftstätigkeit auszuüben“, die „Vertragsfreiheit“ sowie der „freie Wettbewerb“ explizit aufgezählt. Die ersten beiden Teilgewährleistungen wurden dabei mit jeweils zwei beispielhaften595 Urteilen unterlegt. Zur Untermauerung der Anerkennung des freien Wettbewerbs findet sich ein Verweis auf Art. 119 Absätze 1 und 3 AEUV596. Zudem ist noch ein Sonderfall der unternehmerischen Freiheit in den Erläuterungen zu Art. 14 Abs. 3 GRCh597 enthalten. Hier wird die Gründung einer Lehranstalt als lex specialis598 der unternehmerischen Freiheit erwähnt.

594 Einheitliches Recht setzt grundsätzlich eine einheitliche Sprache voraus. Eine einheitliche Materialisierung der Grundrechte kann nur durch ein Gericht geleistet werden, dass für alle verbindlich entscheidet. Da aber nicht nur der Gerichtshof, sondern auch teilweise die nationalen Gerichte die Gemeinschaftsgrundrechte anzuwenden haben, erscheint fraglich, wie hier eine Rechtseinheit gewahrt werden soll (siehe hierzu auch K. A. Schachtschneider, Verfassungsbeschwerde gegen den Vertrag von Lissabon, F., V., S. 243 f.). 595 So der Hinweis in den Erläuterungen zu Art. 16 GRCh „siehe u. a. die Urteile (. . .)“, wonach noch weitere Urteile des EuGH diese Teilgewährleistungen zum Gegenstand haben. 596 Der Verweis soll auf Art. 119 Abs. 1 und 2 AEUV hinweisen: „(1) Die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Union im Sinne des Artikels 3 des Vertrags über die Europäische Union umfasst nach Maßgabe der Verträge die Einführung einer Wirtschaftspolitik, die auf einer engen Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, dem Binnenmarkt und der Festlegung gemeinsamer Ziele beruht und d e m G r u n d s a t z e i n e r o f f e n e n M a r k t w i r t s c h a f t m i t f r e i e m We t t b e w e r b v e r p f l i c h t e t i s t . (2) Parallel dazu umfasst diese Tätigkeit nach Maßgabe der Verträge und der darin vorgesehenen Verfahren eine einheitliche Währung, den Euro, sowie die Festlegung und Durchführung einer einheitlichen Geld- sowie Wechselpolitik, die beide vorrangig das Ziel der Preisstabilität verfolgen und unbeschadet dieses Zieles die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union u n t e r B e a c h t u n g d e s G r u n d s a t z e s e i n e r o f f e n e n M a r k t w i r t s c h a f t m i t f r e i e m We t t b e w e r b unterstützen sollen. (3) Diese Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Union setzt die Einhaltung der folgenden richtungweisenden Grundsätze voraus: stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen sowie eine dauerhafte finanzierbare Zahlungsbilanz.“ 597 Art. 14 Abs. 3 GRCh: „Die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten unter Achtung der demokratischen Grundsätze sowie das Recht der Eltern, die Erziehung und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen, weltanschaulichen und erzieherischen Überzeugungen sicherzustellen, werden nach den einzelstaatlichen Gesetzen geachtet, welche ihre Ausübung regeln.“; Erläuterungen des Konvents (Amtsblatt v. 14.12.2007, C 303/17–22) zu Artikel 14 – Recht auf Bildung: „(. . .) 2. Die Freiheit zur Gründung von öffentlichen oder privaten Lehranstalten wird als einer der Aspekte der unternehmerischen Freiheit garantiert, ihre Ausübung ist jedoch durch die Achtung der demokratischen Grundsätze eingeschränkt und erfolgt entsprechend den in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegten Einzelheiten.“ 598 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 625 (§ 20, Rdn. 800).

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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Wie in den durchgeführten Urteilsanalysen zur unternehmerischen Freiheit bereits festgestellt,599 mangelt es in den Urteilen des Gerichtshofs an allgemeinverbindlichen, systematischen und erklärenden Ausführungen zum jeweiligen Gewährleistungsumfang der etablierten Grundrechte. Die Berücksichtigung von jeweils nur zwei Urteilen pro Teilgewährleistung erlaubt es ohnehin nicht, nähere Rückschlüsse auf den Schutzbereich zu ziehen, geschweige denn einen feststehenden grundrechtlichen Schutzbereich zu etablieren, der dem Einzelnen einen bestimmten Abwehranspruch gegen die Grundrechtsverpflichteten garantieren würde. Deshalb wird nachfolgend auf die offenen Fragen eingegangen, die sich aus der erstmaligen Grundrechtskodifizierung der unternehmerischen Freiheit ergeben. Von Interesse sind dabei auch die Ausgestaltung der in Art. 14 Abs. 3 GRCh kodifizierten Freiheit zur Gründung von Lehranstalten sowie die ordnungsgemäße Einordnung des freien Wettbewerbs als subjektives Recht oder lediglich als objektiver Rechtssatz. (a) Freiheit, eine Wirtschafts- und Geschäftstätigkeit auszuüben In den Erläuterungen des Konvents wird zur Untermauerung der „Freiheit, eine Wirtschafts- und Geschäftstätigkeit auszuüben“, auf einzelne Randnummern der bereits besprochenen Urteile Nold 600 sowie SpA Eridania601 verwiesen. Dort finden sich aber keine durch den Gerichtshof genannten Teilgewährleistungen unternehmerischer Freiheit. Vielmehr sprach der Gerichtshof im Urteil Nold 602 davon, dass die Verfassungsordnung aller Mitgliedstaaten „die Freiheit der Arbeit, des Handels und anderer Berufstätigkeiten gewährleistet“. Im Urteil SpA Eridania603 findet sich in den beiden Randnummern 20 und 31 gar keine originäre Grundrechtsbezeichnung des Gerichtshofs. Er bezieht sich lediglich auf die Vorlagefrage des nationalen Gerichts und stellt in Randnummer 20 fest: „Die (. . .) Frage beruht auf der Vorstellung, dass die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit garantiert sein müsse, weil sie zu den Grundrechten gehöre, von deren Schutz auch das Gemeinschaftsrecht ausgehe.“ Somit ergeben sich auf Grund der zitierten Urteile für den sachlichen Schutzbereich keine Erkenntnisse.

599

Kapitel C. III. 2. EuGH v. 14.5.1974 – RS 4-73 (J. Nold, Kohlen- und Baustoffgroßhandel/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1974, S. 491. 601 EuGH v. 27.9.1979 – RS 230/78 (S.P.A. Eridiania Zuccerifici Nazionali und S.P.A. Societa Italiana per l’industria degli Zuccheri/Minister für Landwirtschaft und Forsten, Minister der Industrie, Handel und Handwerk), Slg. 1979, S. 2749. 602 EuGH v. 14.5.1974 – RS 4-73 (J. Nold, Kohlen- und Baustoffgroßhandel/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1974, S. 491 (Rdn. 14). 603 EuGH v. 27.9.1979 – RS 230/78 (S.P.A. Eridiania Zuccerifici Nazionali und S.P.A. Societa Italiana per l’industria degli Zuccheri/Minister für Landwirtschaft und Forsten, Minister der Industrie, Handel und Handwerk), Slg. 1979, S. 2749. 600

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C. Unternehmerische Freiheit

(aa) Das Verhältnis von Art. 15 GRCh zu Art. 16 GRCh Zur Bestimmung des grundrechtlichen Gewährleistungsumfangs der unternehmerischen Freiheit und im Speziellen der „Freiheit, eine Wirtschafts- und Geschäftstätigkeit auszuüben“ wäre es hilfreich, eine verlässliche Abgrenzungsregel in Bezug auf die direkt angrenzenden Wirtschaftsgrundrechte zu entwickeln. Dies sind die Berufsfreiheit in Art. 15 GRCh sowie das Eigentumsrecht in Art. 17 GRCh. Eine gemeinschaftsrechtliche Definition durch den Gerichtshof existiert für die Wirtschaftsgrundrechte bisher nicht, was die Erarbeitung von Abgrenzungsregeln erschwert.604 Die Grundrechtsrechtsprechung des Gerichtshofs bietet nur wenige Anknüpfungspunkte.605 Schließlich verzichtet der Gerichtshof regelmäßig auf eine Unterscheidung zwischen den Wirtschaftsgrundrechten und wendet sie einfach wahlweise oder kumulativ an.606

604 Bzgl. der fehlenden Definition der Eigentumsgewährleistung in der Rspr.: J. Günter: Berufsfreiheit und Eigentum, S. 33; J. Schwarze, Europäisches Wirtschaftsrecht, S. 227, Rdn. 436; EuGH v. 06.12.1984 – RS 59/83 (Biovilac/Europäische Wirtschaftsgemeinschaft), Slg. 1984, S. 4057 (Rdn. 21–22): „(. . .) macht die Klägerin geltend, die betreffende Regelung stelle eine Verletzung ihres Eigentumsrechts und ihres Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar. Das in der Deutschen Rechtsordnung anerkannte Grundrecht auf Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs gehöre wie das Recht auf Schutz des Eigentums, dessen Ergänzung es darstelle, zu den von der Gemeinschaftsrechtsordnung garantierten Grundrechten. (. . .) Die von der Kommission erlassenen Maßnahmen entziehen der Klägerin weder ihr Eigentum noch dessen freie Nutzung und tasten somit den Wesensgehalt dieser Rechte nicht an. (. . .)“; bzgl. der fehlenden Definition der Berufsfreiheit in der Rspr.: M. Hilf/ S. Hörmann, Der Grundrechtsschutz von Unternehmen, NJW 2003, S. 5; J. Schwarze, Europäisches Wirtschaftsrecht, S. 220, Rdn. 423; H.-J. Blanke, Die Gewährleistung der Berufsfreiheit, in: Stern/Tettinger (Hrsg.), Die Europäische Grundrechte-Charta im wertenden Verfassungsvergleich, S. 238 sowie A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 78: Eine berufliche Tätigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt vor, wenn es sich um eine auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage handelt. Hierunter fällt nach Meinung des Gerichts jede entgeltliche und somit dem Erwerb dienende Tätigkeit. 605 C. Nowak, Wirtschaftsgrundrechte, in: Bruha/Nowak/Petzold, Grundrechtsschutz für Unternehmen, S. 48; H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte in der Europäischen Grundrechtecharta, DVBL 2004, S. 461. 606 M. Hilf/S. Hörmann, Der Grundrechtsschutz von Unternehmen, NJW 2003, S. 6; C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 30, Rdn. 58; U. Penski/B. Elsner: Eigentumsgewährleistung und Berufsfreiheit, in: DÖV 2001, S. 272; H. Jarass, Der grundrechtliche Eigentumsschutz, NVwZ 2006, S. 1090; N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 126; vgl. auch Kapitel C. III. 5. sowie beispielhaft in EuGH v. 17.07.1997 – verb. RS C-248/95 und C-249/95 (SAM Schifffahrt GmbH und Heinz Stampf/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1997, S. I-4475 (Rdn. 72–75: Eigentumsrecht und freie Berufsausübung); EuGH v. 28.04.1998 – RS C-200/96 (Metronome Musik GmbH/Musik Point Hokamp GmbH), Slg. 1998, S. I-1953 (Rdn. 21–23: Eigentumsrecht und freie Berufsausübung); EuGH v. 12.07. 2005 – verb. RS C-154/04 und C-155/04 (Alliance for Natural Health und Nutri-Link Ltd u. a./Secretary of State for Health), Slg. 2005, S. I-6451 (Rdn. 126–130: Eigentumsrecht und das Recht auf freie Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit).

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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Ob es sich bei der unternehmerischen Freiheit überhaupt um ein eigenständiges Recht neben der Berufsfreiheit handelt, wäre unter alleiniger Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechungspraxis des Gerichtshofs zu verneinen.607 Diese Ansicht wird durch einige Literaturmeinungen gestützt, welche die Gewährleistungen der unternehmerischen Freiheit zumindest teilweise als Ausprägungen der umfassenderen Berufsfreiheit werten.608 Für die Annahme, dass es sich bei der unternehmerischen Freiheit doch um ein eigenständiges Grundrecht der Grundrechtecharta handelt, sprechen Hinweise in den Unterlagen und Dokumenten des Grundrechtekonvents. Im Vergleich zu der Liste, die vom Präsidium als Diskussionsgrundlage festgelegt wurde (Charte 4112/00), sind im Verlauf der Arbeiten des Konvents „ausdrücklich weitere Rechte aufgenommen worden wie (die) unternehmerische Freiheit (Art. 16)“.609 Dies geschah auf nachdrückliche Forderung der im Grundrechtekonvent vertretenen EVP-ED Mitglieder.610 Aufgrund der erstmaligen Kodifizierung in Art. 16 GRCh drängt sich eine Abgrenzung zur Berufsfreiheit und der Eigentumsgewährleistung anhand des Wortlauts auf, wie dies auch in der Lehre als die beste Lösung gefordert wird.611 Anknüpfungspunkt zur unternehmerischen Freiheit wäre demnach eine selbständige, auf Eigeninitiative und eigener Verantwortung beruhende wirtschaftliche Betätigung.612 Hinsichtlich des Schutzumfangs der unternehmerischen Freiheit sind alle Handlungen zur Ausübung einer Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit zu rechnen, beginnend mit dem Recht der Unternehmensgründung inklusive der freien Wahl der Unternehmensform und endend mit dem Recht, seine Wirtschafts- und Geschäftstätigkeit jederzeit einstellen zu dürfen, ohne durch staatliche Zwangsmaßnahmen oder belastende behördliche Auflagen daran gehindert zu werden. Weitere vom Gewährleistungsumfang möglicherweise geschützte Freiheiten sind die 607

Vgl. Abschnitt C. III. 5. H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte, DVBl. 2004, S. 459; H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 9; ders., Die Gewährleistung der Berufsfreiheit, in: Stern/Tettinger (Hrsg.), Die Europäische Grundrechte-Charta im wertenden Verfassungsvergleich, S. 239; J. Schwarze, Europäisches Wirtschaftsrecht, S. 221, Rdn. 424; A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 83; P. J. Tettinger, Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, NJW 2001, S. 1014; C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 30, Rdn. 58. 609 Charte 4477/00 CONTRIB 328: Mitteilung der Kommission vom 13.9.2000 (KOM(2000) 559 endgültig) zur Grundrechtecharta, Rdn. 20. 610 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 1. 611 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 10. 612 A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 74. 608

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C. Unternehmerische Freiheit

Organisationsfreiheit (freie Wahl der Rechtsform des Unternehmens), die Dispositionsfreiheit (freie unternehmerische Planungs- und Grundsatzentscheidungen) sowie die Produktionsfreiheit (Freiheit über Art und Umfang der Produktion). Dies würde sich nicht nur ergeben, wenn man die nationalstaatlichen Regelungen berücksichtigt,613 sondern wäre insbesondere wegen des weiten Gewährleistungsumfangs, den der Gerichtshof der Berufsfreiheit zumisst, die er als umfassende wirtschaftliche Betätigungsfreiheit ausgeformt hat, konsequent.614 Eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ist geprägt von unternehmerischem Handeln. Als Abgrenzungskriterium zwischen der Berufsfreiheit gemäß Art. 15 GRCh und der unternehmerischen Freiheit gemäß Art. 16 GRCh könnte das eigene wirtschaftliche und finanzielle Risiko des Unternehmers herangezogen werden, wie dies in ähnlicher Form auch schon in der Literatur vorgeschlagen wurde.615 Aber schon der Arbeitnehmer mit eigener Gewinnbeteiligung macht eine klare Anwendung dieser Abgrenzung hinfällig. Zudem tragen immer alle im Unternehmen Beteiligten ein eigenes Risiko – und sei es nur der potentielle Verlust des eigenen Arbeitsplatzes. Eine Abgrenzung am eigenen, wirtschaftlichen Risiko festzumachen, erscheint hiernach nicht praktikabel. Zu denken wäre an eine Abgrenzung zwischen der Berufsfreiheit und der unternehmerischen Freiheit durch Anlehnung an den wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriff.616 So hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Unternehmen „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und Finanzierung“ umfasst.617 Wer hierunter zu subsumieren wäre, würde in den persönlichen Schutzbereich der grundrechtlich gewährten unternehmerischen Freiheit fallen. Alle Übrigen müssten hingegen die Berufsfreiheit zum Grundrechtsschutz heranziehen. Eine Abgrenzung unter Zugrundelegung der Definition aus dem Wettbewerbsrecht würde jedoch nahelegen, dass auch juristische Personen des öffentlichen Rechts, die vom Gerichtshof unter den wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriff subsumiert werden, entgegen der hier zuvor vertretenen Meinung als Grundrechtsberechtigte nach Artikel 16 GRCh einzustufen wären.618 Zudem umfasst der wettbewerbsrechtliche Unternehmensbegriff 613 Vgl. hierfür die Ausarbeitungen zu Deutschland in Abschnitt C. III. 1. b), (1) mit Verweis auf G. Manssen, in: Mangold/Klein/Starck, Grundgesetz, 5. Auflage, 2005, Art. 12, Rdn. 65 f. 614 J. Schwarze, Europäisches Wirtschaftsrecht, S. 221, Rdn. 425; H.-J. Blanke, Die Gewährleistung der Berufsfreiheit, in: Stern/Tettinger (Hrsg.): Die Europäische Grundrechte-Charta im wertenden Verfassungsvergleich, S. 238. 615 M. Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 15, Rdn. 4 sowie Art. 16, Rdn. 2: Unterschieden wird zwischen einer selbständigen und einer unselbständigen beruflichen Tätigkeit. 616 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 10. 617 Umfassend hierzu: C. III. 2. h). 618 Vgl. hierzu: C. IV. 2. a).

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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auch Organisationsformen, die keine Gewinnerzielungsabsichten verfolgen,619 was für unternehmerisches Handeln abwegig erscheint.620 Die Heranziehung des vom Gerichtshof entwickelten wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriffs als Abgrenzungsmerkmal zwischen Berufsfreiheit und unternehmerischer Freiheit ist daher abzulehnen. In der Literatur ist strittig, ob die Angehörigen freier Berufe wie beispielsweise Ärzte, Architekten, Patentanwälte, Rechtsanwälte und Steuerberater sich auf das Grundrecht der Berufsfreiheit oder der unternehmerischen Freiheit berufen können.621 Aus den Erläuterungen des Grundrechtekonvents622 wird teilweise versucht, eine gesetzlich vorgeschriebene, feste Zuordnung abzuleiten. Dies erscheint aber wenig sinnvoll. Vielmehr erscheint eine feste Zuordnung fehl am Platz. Fühlt sich der Grundrechtsträger in seinem Grundrecht auf freie Berufsausübung im Sinne des Erlernten und Gekonnten verletzt,623 so ist Art. 15 GRCh 619 EuGH v. 10.01.2006 – RS C-222/04 (Ministero dell’Economia e delle Finanze/ Cassa di Risparmio di Firenze SpA u. a.), Slg. 2006, S. I-289 (Leitsatz 4): „(. . .) In diesem Fall muss eine solche Bankstiftung, ungeachtet der Tatsache, dass sie Güter und Dienstleistungen ohne die Absicht der Gewinnerzielung anbietet, aufgrund der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit als „Unternehmen“ angesehen werden, da ihr Angebot mit dem von Wirtschaftsunternehmen konkurriert, die den gleichen Zweck verfolgen, und unterliegt folglich den Gemeinschaftsvorschriften über staatliche Beihilfen.“; EuGH v. 12.09.2000 – verb. RS C-180/98 bis C-184/98 (Pavel Pavlov u. a./Pensioenfonds Medische Specialisten), Slg. 2000, S. I-6451 (Leitsatz 5): „Ein von einer Standesvertretung eines freien Berufes eingerichteter, mit der Verwaltung eines Zusatzrentensystems betrauter Rentenfonds, der die Höhe der Beiträge und der Leistungen selbst bestimmt und nach dem Kapitalisierungsprinzip arbeitet und in dem die Pflichtmitgliedschaft vom Staat für alle Angehörigen des betreffenden Berufes vorgeschrieben worden ist, ist ein Unternehmen im Sinne der Artikel 85, 86 und 90 EG-Vertrag. Weder das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht eines solchen Fonds noch das Vorliegen von Solidaritätsgesichtspunkten in seiner Funktionsweise genügt, um ihm die Eigenschaft eines Unternehmens im Sinne der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags zu nehmen. (. . .)“. 620 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 10. 621 Freie Berufe unter Art. 16 GRCh: H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 610 (§ 20, Rdn. 774); A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 74; a. A.: M. Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 16, Rdn. 1. Nach der Legaldefinition im Bürgerliche Gesetzbuch sind die Freiberufler auch als Unternehmer einzustufen, § 14 Bürgerliches Gesetzbuch: „(1) Unternehmer ist eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder s e l b s t ä n d i g e n Tätigkeit handelt. (2) Eine rechtsfähige Personengesellschaft ist eine Personengesellschaft, die mit der Fähigkeit ausgestattet ist, Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen.“ 622 In Absatz 2 der Erläuterungen zu Art. 15 Abs.1 GRCh findet sich folgende Formulierung: „Dieser Absatz lehnt sich ferner (. . .) an Nummer 4 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom 9. Dezember 1989 an.“ Nummer 4 der Gemeinschaftscharta lautet wie folgt: „Jeder hat das Recht auf freie Wahl und Ausübung eines Berufes nach den für den jeweiligen Beruf geltenden Vorschriften.“ 623 K. A. Schachtschneider (ders., Fallstudie Glykol-Skandal, S. 119; ders., Fallstudie FCKW-Verbot, S. 336) stellt darauf ab, das ein Beruf nur eine die ganze Persönlichkeit

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C. Unternehmerische Freiheit

anzuwenden. Werden hingegen die unternehmerischen Tätigkeiten des Freiberuflers unberechtigterweise beschränkt, so kann auch er sich auf die unternehmerische Freiheit gemäß Art. 16 GRCh berufen. Diese Abgrenzung zwischen Art. 15 GRCh und Art. 16 GRCh erscheint sinnvoll, und das nicht nur in Bezug auf Freiberufler. Andere Ansichten,624 die auf den personalen Bezug der jeweiligen Teilgewährleistung abzielen, finden regelmäßig kein klares Ergebnis.625 (bb) Das Verhältnis von Art. 17 GRCh zu Art. 16 GRCh Die durch den Europäischen Gerichtshof nicht vorgenommene positive Schutzbereichsdefinition zum Eigentum626 erschwert die Abgrenzung zwischen der unternehmerischen Freiheit und der Eigentumsgewährleistung. Erstmals hatte der Europäische Gerichtshof im Urteil Liselotte Hauer627 das Eigentumsrecht als Grundrecht anerkannt. Hierzu führte er in seinem Urteil wie folgt aus: Rdn. 17–30: „Das Eigentumsrecht wird in der Gemeinschaftsrechtsordnung gemäß den gemeinsamen Verfassungskonzeptionen der Mitgliedstaaten gewährleistet, die sich auch im Zusatzprotokoll zur europäischen Menschenrechtskonvention widerspiegeln. Artikel 1 dieses Protokolls bestimmt: „Jede natürliche oder juristische Person hat ein Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemand darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen. Die vorstehenden Bestimmungen beeinträchtigen jedoch in keiner Weise das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgabe oder von Geldstrafen für erforderlich hält.“ (. . .) So verstanden führt die kritisierte Maßnahme nicht zu einer Beschränkung der Ausübung des Eigentumsrechts. Denn in einer Lage, die durch eine anhaltende Überproduktion gekennzeichnet ist, hätte die Inbetriebnahme neuer Rebflächen wirtschaftlich gesehen keine andere Wirkung, als das Volumen der Überschüsse zu erhöhen. Darüber hinaus bestünde bei einer solchen Ausweitung auf dieser Stufe die Gefahr, dass die Verwirklichung einer Strukturpolitik auf Gemeinschaftsebene ererfassende Betätigung sein kann, die besondere Fähigkeiten erfordert, welche zuvor erlernt oder studiert wurden – mithin eine Profession. 624 So bspw. N. Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte, Artikel 16, Rdn. 10; W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 804, Rdn. 2727. 625 Umso mehr die Persönlichkeit des Menschen betroffen sei, umso eher sei der Grundrechtsschutz über die Berufsfreiheit zu gewähren, anderenfalls über die unternehmerische Freiheit. 626 W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 818, Rdn. 2779. 627 EuGH v. 13.12.1979 – RS 44/79 (Liselotte Hauer/Rheinland-Pfalz), Slg. 1979, S. 3727 (Rdn. 17–30).

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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schwert wird, wenn diese auf der Anwendung strengerer Kriterien für die Auswahl der zum Weinbau zugelassenen Böden beruht als die geltenden nationalen Rechtsvorschriften. Aus alledem folgt, dass die Einschränkung der Benutzung des Eigentums, die das mit der Verordnung Nr. 1162/76 für einen begrenzten Zeitraum verhängte Verbot der Neuanpflanzung von Weinreben mit sich bringt, durch die dem allgemeinen Wohl dienenden Ziele der Gemeinschaft gerechtfertigt ist und das in der Gemeinschaftsrechtsordnung anerkannte und garantierte Eigentumsrecht nicht in seinem Wesensgehalt antastet.“

Neben diesem Bekenntnis des Europäischen Gerichtshofs zum grundrechtlichen Schutz des Eigentums finden sich weitere Urteile, welche der Gerichtshof dazu genutzt hat, den Prüfungsumfang des Schutzbereichs näher zu materialisieren. So erkennt der Gerichtshof zwar grundsätzlich den Schutz des erworbenen Eigentums an,628 jedoch schließt er beispielsweise „kaufmännische Interessen“ aus dem grundrechtlichen Eigentumsschutz629 aus. Hierzu findet sich im Urteil SpA Ferriera Valsabbia630 folgende Passage: Rdn. 89: „Wie der Gerichtshof bereits in seinem Urteil vom 14. Mai 1974 in der Rechtssache 4/73 (Nold, Slg. 1974, 491) betont hat, kann die Gewährleistung des Eigentums nicht auf den Schutz kaufmännischer Interessen ausgedehnt werden, deren Ungewissheit zum Wesen wirtschaftlicher Tätigkeit gehört. Im Übrigen ist kein Fall bekannt geworden, in dem ein Unternehmen wegen Beachtung der Entscheidung Nr. 962/77 hätte stillgelegt werden müssen.“

Ebenfalls schließt er zugeteilte Referenzmengen im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation vom Eigentumsschutz aus. In seinem Urteil Bananenmarktordnung631 führte er hierzu aus: Rdn. 79–80: „(. . .) Das Eigentumsrecht der Vermarkter von Drittlandsbananen wird durch die Einführung des Gemeinschaftskontingents und die Vorschriften über dessen Aufteilung nicht in Frage gestellt. Kein Wirtschaftsteilnehmer kann nämlich ein 628

J. Schwarze, Europäisches Wirtschaftsrecht, S. 227, Rdn. 437. Bezüglich der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit findet sich eine vergleichbare Formulierung in EuGH v. 14.10.1999 – RS C-104/97P (Atlanta AG u. a./Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1999, S. I-6983 (Rdn. 62): „Die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit gehört nach ständiger Rechtsprechung zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, sie kann jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen und muss im Hinblick auf ihre soziale Funktion gesehen werden. Dies bedeutet, dass einem Wirtschaftsteilnehmer das Recht, seine Tätigkeit auszuüben, nicht willkürlich genommen werden darf; ein bestimmtes Geschäftsvolumen oder ein bestimmter Marktanteil werden ihm damit jedoch nicht garantiert. Der Schutz der Wirtschaftsteilnehmer kann keinesfalls auf bloße kaufmännische Interessen oder Chancen ausgedehnt werden, deren Ungewissheit zum Wesen wirtschaftlicher Tätigkeit gehört“ (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 14. Mai 1974 in der Rechtssache 4/73, Nold/Kommission, Slg. 1974, 491, Randnr. 14). 630 EuGH v. 18.03.1980 – verb. RS 154, 205, 206, 226 bis 228, 263, und 264/78, 39, 31, 83 und 85/79 (SpA Ferriera Valsabbia u. a./Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1980, S. 907 (Rdn. 89). 631 EuGH v. 05.10.1994 – RS C-280/93 (Bundesrepublik Deutschland/Rat der Europäische Union), Slg. 1994, S. I-4973 (Rdn. 77–81). 629

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C. Unternehmerische Freiheit

Eigentumsrecht an einem Marktanteil geltend machen, den er zu einem Zeitpunkt vor der Einführung einer gemeinsamen Marktorganisation besessen hat, da ein solcher Marktanteil nur eine augenblickliche wirtschaftliche Position darstellt, die den mit einer Änderung der Umstände verbundenen Risiken ausgesetzt ist. Ein Wirtschaftsteilnehmer kann auch kein wohlerworbenes Recht oder auch nur ein berechtigtes Vertrauen auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation, die durch Entscheidungen der Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres Ermessens verändert werden kann, geltend machen (vgl. Urteil vom 28. Oktober 1982 in der Rechtssache 52/81, Faust/Kommission, Slg. 1982, 3745, Randnr. 27), besonders dann nicht, wenn die bestehende Situation mit den Regeln des Gemeinsamen Marktes unvereinbar ist.“

Entsprechend hat der Gerichtshof in seinem Urteil Georg von Deetzen632 in Randnummer 27 festgestellt, „dass das in dieser Weise in der Rechtsprechung der Gemeinschaft gewährleistete Eigentumsrecht nicht das Recht zur kommerziellen Verwertung eines Vorteils wie der im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation zugeteilten Referenzmenge umfasst, der weder aus dem Eigentum noch aus der Berufstätigkeit des Betroffenen herrührt.“ In der Konsequenz wurde es dem Kläger verboten, die ihm zugeteilte Referenzmenge in Höhe von 190.665 kg Milch kommerziell zu verwerten. Auch die Verpflichtung eines Unternehmens, öffentliche Abgaben zu entrichten, die nur noch aus getätigten Rücklagen und nicht mehr aus den laufenden Gewinnen finanziert werden können, verstößt nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs nicht gegen die Eigentumsgewährleistung.633 Inwieweit das Unternehmen als „eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb“ 634 ein Schutzgut der Eigentumsgewährleistung auf europäischer Ebene darstellt, wurde vom Europäische Gerichtshof, trotz einer Möglichkeit in seinem Urteil Biovilac635 hierzu Stellung zu nehmen, nicht genau festgelegt.636 Vielmehr 632 EuGH v. 22.10.1991 – RS C-44/89 (Georg von Deetzen/Hauptzollamt Oldenburg), Slg. 1991, S. I-5119 (Rdn. 27). 633 EuGH v. 21.02.1991 – verb. RS C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Suederdithmarschen AG und Zuckerfabrik Soest GmbH/Hauptzollamt Itzehoe und Hauptzollamt Paderborn), Slg. 1991, S. I-415 (Rdn. 72–75): „Nach Auffassung des Finanzgerichts Düsseldorf sind das Grundrecht auf Eigentum und die Unternehmerfreiheit rechtswidrig beeinträchtigt, wenn ein Unternehmen Abgaben, die sich im Laufe eines Wirtschaftsjahres angehäuft hätten, nicht mehr aus dem im betreffenden Wirtschaftsjahr erwirtschafteten Gewinn finanzieren könne, sondern nur noch aus seinen Rücklagen, also aus seiner Substanz. (. . .) Wie das Vereinigte Königreich zu Recht hervorgehoben hat, kann die Verpflichtung, eine Abgabe zu zahlen, nicht als Verstoß gegen das Eigentumsrecht angesehen werden. Somit ist festzustellen, dass die besondere Tilgungsabgabe das Eigentum der Zuckerhersteller nicht verletzt.“ Zum eigentumsrechtlichen Schutz gegen Abgaben finden sich allgemeine Ausführungen bei K. A. Schachtschneider, Steuerverfassungsrechtliche Probleme der Betriebsaufspaltung. 634 Hierunter wird das Unternehmen als Ganzes verstanden, und nicht die Addition der einzelnen Vermögenswerte. 635 EuGH v. 06.12.1984 – RS 59/83 (S.A. Biovilac B.V./Europäische Wirtschaftsgemeinschaft), Slg. 1984, S. 4057 (Rdn. 21–22).

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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wurden die von der Klägerin geltend gemachten Grundrechtsverletzungen wie folgt zusammen geprüft. „Mit ihrer dritten Rüge macht die Klägerin geltend, die betreffende Regelung stelle eine Verletzung ihres Eigentumsrechts und ihres Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar. Das in der Deutschen Rechtsordnung anerkannte Grundrecht auf Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs gehöre wie das Recht auf Schutz des Eigentums, dessen Ergänzung es darstelle, zu den von der Gemeinschaftsordnung garantierten Grundrechten. Diese beiden Grundrechte stellten in ihrem Wesensgehalt oder Kernbereich absolute Schranken für das Handeln der Gemeinschaftsorgane dar. Die Maßnahmen der Kommission seien konfiskatorischen Eingriffen vergleichbar, da sie die Rentabilität ihres Unternehmens bis zur Existenzgefährdung beeinträchtigen. Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Die von der Kommission erlassenen Maßnahmen entziehen der Klägerin weder ihr Eigentum noch dessen freie Nutzung und tasten somit den Wesensgehalt dieser Rechte nicht an. Zwar können sich die Maßnahmen, wie die Klägerin behauptet, nachteilig auf den Absatz ihrer Erzeugnisse auswirken, doch können diese negativen Auswirkungen einer solchen Beeinträchtigung des Wesensgehalts nicht gleichgestellt werden; (. . .)“

Anhand der hier aufgeführten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist es folglich nicht möglich, einen feststehenden Schutzbereich für die Eigentumsgewährleistung zu definieren. Vielmehr eignen sich die Urteilspassagen des Gerichtshofs lediglich für Normbereichsausgrenzungen. Zur Abgrenzung der beiden Grundrechte unternehmerische Freiheit sowie Eigentumsgewährleistung finden sich jedoch Ansätze in der Literatur, die in dieser Form bereits für die Abgrenzung zwischen der Berufsfreiheit und der Eigentumsgewährleistung auf nationaler Ebene angewendet werden.637 So wird in der Lehre die Faustformel herangezogen, dass das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit den Erwerb, also die Betätigung selbst schützt, hingegen die Eigentumsgewährleistung das Erworbene, und damit das Ergebnis der Betätigung.638 Zu be636 H. Jarass, Der grundrechtliche Eigentumsschutz, NVwZ 2006, S. 1091; J. Schwarze, Europäisches Wirtschaftsrecht, S. 227, Rdn. 437; H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte, DVBl. 2004, S. 460; Im Urteil EuGH v. 29.01.1985 – RS 147/83 (Münchener Import-Weinkellerei Herold Binderer GmbH/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1985, S. 257 (Rdn. 16) berief sich die Klägerin ebenfalls auf eine Verletzung ihres „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“, was der Gerichtshof jedoch ablehnte, „da es im vorliegenden Fall an einer hinreichenden schwerwiegenden Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz der einzelnen dienenden Rechtsnorm fehle“. 637 So hat das Bundesverfassungsgericht zur Abgrenzung der beiden Grundrechte in seinem Urteil Erdölbevorratung (BVerfGE 30, 292 (335) wie folgt ausgeführt: „Daraus folgt die grundsätzliche Abgrenzung zu Art. 12 Abs. 1 GG: Art. 14 Abs. 1 GG schützt das Erworbene, das Ergebnis der Betätigung, Art. 12 Abs. 1 GG dagegen den Erwerb, die Betätigung selbst.“; so auch zu finden in BVerfGE 81, 70 (96); 84, 133 (157); 85, 360 (383); 88, 366 (377). 638 Bzgl. der Abgrenzung zwischen unternehmerischer Freiheit und der Eigentumsgewährleistung: H. Jarass, Der grundrechtliche Eigentumsschutz, NVwZ 2006, S. 1090; bzgl. der Abgrenzung zwischen der Berufsfreiheit und der Eigentumsgewährleistung:

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C. Unternehmerische Freiheit

achten ist aber, dass es sich hierbei nur um eine grobe Einteilung handelt, weil in der Praxis meist Überschneidungen vorliegen, was folglich in Idealkonkurrenz gelöst werden kann.639 Ob mit der Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta dieser in der Lehre vorherrschende Abgrenzungsvorschlag vom Europäischen Gerichtshof übernommen wird, ist noch völlig offen. Zu denken wäre auch an einen am Wortlaut ausgerichteten Ansatz zur Abgrenzung. Art. 17 Abs. 1 S. 1 GRCh lautet wie folgt: „Jede Person hat das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes E i g e n t u m zu besitzen, z u n u t z e n , d a r ü b e r z u v e r f ü g e n und es zu vererben.“ Soweit das Unternehmen in seiner Gesamtheit eine Eigentumsposition darstellt,640 genießt der Gebrauch des Eigentums, und somit die unternehmerische Betätigung, grundrechtlichen Eigentumsschutz.641 Nachdem in der Grundrechtecharta mit Art. 16 GRCh ein eigenes Grundrecht der unternehmerischen Freiheit aufgenommen wurde, wäre dieses hinsichtlich der Teilgewährleistung unternehmerischer Betätigungsfreiheit als lex specialis zu Art. 17 GRCh zu werten. Insbesondere der eindeutige Wortlaut spricht für diese Auslegung. Inwieweit hier eine Berücksichtigung durch die zukünftige Rechtsprechung erfolgt, ist aber mit Blick auf die bisher meist parallele Grundrechtsprüfung des Gerichtshofs fraglich.642 Möglicherweise wird sich aber dennoch dieser Ansatz durchsetzen, schließlich entwickelt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Freiheit wirtschaftlicher Betätigung auch über die durch Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK gewährte Eigentumsgewährleistung.643 (b) Vertragsfreiheit In den Konventserläuterungen zu Art. 16 GRCh wird die Vertragsfreiheit ausdrücklich anerkannt. Hierbei wird auf die beiden Urteile Sukkerfabriken Nykobing644 sowie Königreich Spanien gegen Kommission645 verwiesen. Diese und N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 127; H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 612, § 20, Rdn. 781/782; M. Ruffert, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte, § 16, S. 451, Rdn. 14. 639 T. Mann, in: Sachs, Grundgesetz, 2007, Art. 12, Rdn. 165. 640 EuGHMR v. 26.06.1986, Case van Marle and Others/The Netherlands, (Application no. 8543/79, 8674/79, 8675/79, 8685/79); EuGHMR v. 10.11.2004, Case of Dogan and Others/Turkey (Application no. 8803–8811/02, 8813/02 and 8815–8819/02). 641 K. A. Schachtschneider, Fallstudie Glykol-Skandal, S. 200 (lediglich auf Deutschland bezogen); ders., Marktliche Sozialwirtschaft, S. 41 f. 642 J. Scharze, in: ders., EU-Kommentar, Art. 17, Rdn. 4; H. Jarass, Der grundrechtliche Eigentumsschutz, NVwZ 2006, S. 1090. 643 Kapitel C. III. 1. a). 644 EuGH v. 16.1.1979 – RS 151/78 (Sukkerfabriken Nykobing Limitered/Landwirtschaftsministerium), Slg. 1979, S. 1 (Rdn. 19).

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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weitere Urteile des Gerichtshofs zur Vertragsfreiheit sowie zum Recht auf die freie Wahl des Geschäftspartners wurden bereits im Kapitel646 über die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erläutert. Nachdem der Gerichtshof die Vertragsfreiheit bisher dem Grundrecht der Berufsfreiheit zuordnete, stellt sich die Frage, inwieweit die Kodifizierung der unternehmerischen Freiheit in der Grundrechtecharta verbunden mit den Konventserläuterungen, dass die Vertragsfreiheit als Teilgewährleistung anerkannt werde, Auswirkungen auf das anzuwendende Grundrecht hat. Die separate Kodifizierung der beiden Grundrechte Berufsfreiheit sowie unternehmerische Freiheit und der explizite Verweis auf die Vertragsfreiheit in den Erläuterungen zu Art. 16 GRCh führen dazu, dass mit der Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta die ursprünglich alleinige Zuweisung zur Berufsfreiheit nicht mehr greifen kann. Vielmehr werden sich mit der Rechtsverbindlichkeit der Charta Unternehmer und Unternehmen für die Vertragsfreiheit explizit auf Art. 16 GRCh berufen müssen. Ob die Vertragsfreiheit des einzelnen Bürgers als regelmäßiger Geschäftspartner der Unternehmer und Unternehmen auch unter Art. 16 GRCh zu subsumieren sein wird, ist fraglich. Unter Beachtung des zuvor erarbeiteten persönlichen Anwendungsbereichs der unternehmerischen Freiheit ist dies abzulehnen.647 Nach der Systematik der Grundrechtecharta648 und dem Wortlaut des Art. 52 Abs. 3 GRCh649 ist davon auszugehen, dass die Vertragsfreiheit des Einzelnen über Art. 17 Abs. 1 GRCh in Verbindung mit Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls der Euro645 EuGH v. 5.10.1999 – RS C-240/97 (Königreich Spanien/Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Slg. 1999, S. I-6571 (Rdn. 99). 646 Kapitel C. III. 2. c) und d). 647 So auch B. Schöbener/F. Stork, Anti-Diskriminierungsregelungen, in: ZEuS 2004, S. 56. 648 In den Erläuterungen des Konvents finden sich folgende Hinweise zu Art. 52 Abs. 3 GRCh: „Mit Absatz 3 soll die notwendige Kohärenz zwischen der Charta und der EMRK geschaffen werden, indem der Grundsatz aufgestellt wird, dass in dieser Charta enthaltene Rechte, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite, einschließlich der zugelassenen Einschränkungen, besitzen, wie sie ihnen in der EMRK verliehen werden. (. . .) Die Bezugnahme auf die EMRK erstreckt sich sowohl auf die Konvention als auch auf ihre Protokolle. Die Bedeutung und Tragweite der garantierten Rechte werden nicht nur durch den Wortlaut dieser Vertragswerke, sondern auch durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaftenen bestimmt. (. . .) Artikel der Charta, die dieselbe Bedeutung und Tragweite wie die entsprechenden Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention haben: (. . .) Artikel 17 entspricht Artikel 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK.“ 649 Artikel 52, Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze, Abs. 3: „Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.“

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C. Unternehmerische Freiheit

päischen Menschenrechtserklärung geschützt werden würde. Dies entspräche der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach das Recht Verträge zu schließen, über Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK geschützt wird.650 (c) Wettbewerbsfreiheit Die Erläuterungen zur Grundrechtecharta enthalten für Art. 16 GRCh folgende Passage: „Dieser Artikel stützt sich (. . .) auf Artikel 119 Absätze 1 und 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union651, in dem der freie Wettbewerb anerkannt wird.“ Folgt man dem Verweis, findet man sich wieder im Titel VIII mit der Überschrift „Die Wirtschafts- und Währungsunion“. Art. 119 Abs. 1 AEUV enthält die Aussage, dass die Wirtschaftspolitik „dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist“. Dieser Grundsatz der Wirtschafts- und Währungsunion findet sich zudem in Art. 119 Abs. 2, Art. 120 sowie Art. 127 Abs. 1 AEUV. Dass in den Erläuterungen des Grundrechtekonvents zur Untermauerung des freien Wettbewerbs nicht auf einzelne Rechtsprechungsfälle des Europäischen Gerichtshofs verwiesen wurde, sondern lediglich auf einen Artikel des Primärrechts, ist keine Besonderheit.652 Vielmehr zeigen zahlreiche Primärrechtsverweise die „europäischen Wurzeln“ der jeweiligen Grundrechte auf. Beispielhaft können hier die Erläuterungen zu Art. 37 GRCh653 herangezogen werden: „Der in diesem Artikel enthaltene Grundsatz [Umweltschutz] stützt sich auf die Art. 2, 6 und 174 EGV. Er lehnt sich auch an die Verfassungsbestimmungen einiger Mitgliedstaaten an.“ 650 Vgl. hierzu EuGHMR v. 25.03.1999, Case of IATRIDIS/Greece (Application no. 31107/96). 651 Der ursprüngliche Verweis in den Erläuterungen des Präsidiums aus dem Jahr 2000 führt zu Artikel 4 Abs. 1 und Abs. 2 EGV: „Die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft im Sinne des Artikels 2 umfasst (. . .) die Einführung einer Wirtschaftspolitik, die (. . .) dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist.“; Abs. (2) „Parallel dazu umfasst diese Tätigkeit (. . .) die Festlegung und Durchführung einer einheitlichen Geld- sowie Wechselkurspolitik, die beide vorrangig das Ziel der Preisstabilität verfolgen und unbeschadet dieses Zieles die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft unter Beachtung des Grundsatzes einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb unterstützen sollen.“. Bei der Überarbeitung der Grundrechtecharta sowie der Erläuterungen im Jahre 2007 wurden die sich durch den Vertrag von Lissabon ergebenden Änderungen bereits berücksichtigt. 652 So finden sich Verweise auf das Primärrecht in den Erläuterungen zu Art. 15, Art. 18, Art. 21, Art. 22, Art. 23, Art. 27, Art. 31, Art. 34, Art. 35, Art. 37, Art. 38, Art. 39, Art. 40, Art. 41, Art. 42, Art. 43, Art. 44, Art. 45, Art. 46 sowie Art. 52 GRCh. 653 Art. 37 GRCh: „Ein hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität müssen in die Politiken der Union einbezogen und nach dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung sichergestellt werden.“

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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Durch die Erwähnung des freien Wettbewerbs und die Verweise auf Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 EGV haben sich bereits unterschiedliche Literaturmeinungen zum Gewährleistungsumfang der unternehmerischen Freiheit entwickelt. Zum einen wird vertreten, dass die (vermeintliche) Wettbewerbsfreiheit einen subjektivrechtlichen Gehalt hat oder haben wird.654 Eine unternehmerisch tätige Person könne somit zukünftig aus „einzelnen individualschützenden Wettbewerbsvorschriften des Gemeinschaftsrechts“ 655 einen Anspruch auf faire und gleiche Wettbewerbsbedingungen herleiten.656 Auf der anderen Seite finden sich noch unschlüssige Autoren, die der Freiheit des Wettbewerbs als ordnungspolitischem Programmsatz aus Art. 4 EGV657 bisher keinen subjektiven Charakter zubilligen,658 ohne dies jedoch für die Zukunft kategorisch auszuschließen.659 Wie hierbei zutreffend festgestellt wird, hat der Europäische Gerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung660 keine Anzeichen erkennen lassen, wonach die Freiheit des Wettbewerbs als grundrechtliche Gewährleistung einzustufen wäre.661

654 M. Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 16, Rdn. 2; U. Penski/B. Elsner, Eigentumsgewährleistung und Berufsfreiheit, in: DÖV 2001, S. 271; C. Nowak, Wirtschaftsgrundrechte, in: Bruha/Nowak/Petzold, Grundrechtsschutz für Unternehmen, S. 51–52; ders., in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 31, Rdn. 34; H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische GrundrechteCharta, Art. 16, Rdn. 11; B. Schöbener, Die unternehmerische Freiheit, in: Ennuschat (Hrsg.), FS für Peter J. Tettinger, S. 169. 655 C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 31, Rdn. 35. 656 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 11 mit Verweis auf den in seinen Grundzügen vergleichbaren Fall des EuGH v. 05.07.1977 – RS 114/76 (Bela-Mühle Josef Bergmann KG/Grows-Farm GmbH & Co. KG), Slg. 1977, S. 1211 (Rdn. 7): „Die mit der Verordnung Nr. 563/76 eingeführte Regelung war eine zeitlich beschränkte Maßnahme zur Beseitigung der Folgen eines anhaltenden Ungleichgewichts in der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse. Diese Regelung war dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht nur den Erzeugern des Milchsektors, sondern vor allem auch den Erzeugern anderer Agrarsektoren eine wirtschaftliche Belastung auferlegte (. . .). Die Verpflichtung zum Ankauf zu einem derart disproportionierten Preis stellte eine diskriminierende Verteilung der Lasten auf die einzelnen Agrarsektoren dar. (. . .) Die Verpflichtung war daher im Rahmen der Verwirklichung der Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik nicht zu rechtfertigen.“ 657 Der in den Erläuterungen angepasste Verweis auf Art. 119 AEUV wird hinfällig, wenn die Ratifizierungsbemühungen des Vertrages von Lissabon nicht erfolgreich abgeschlossen werden können. Nach derzeit geltendem Recht wird aber auch in Art. 4 EGV „eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ als verpflichtendes Ziel der Gemeinschaft angegeben. 658 N. Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte, Artikel 16, Rdn. 14; W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 801, Rdn. 2711–2715. 659 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 626 (§ 20, Rdn. 802). 660 Vgl. hierzu auch Kapitel C. III. 2. f). 661 A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 79; H.-W. Rengeling/ P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 626 (§ 20, Rdn. 802); N. Bernsdorff, in: Meyer

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C. Unternehmerische Freiheit

Die Europäische Gemeinschaft verfügt über Wettbewerbsregeln,662 zum einen in den Artikeln 81–89 EGV663, zum anderen im sekundären Gemeinschaftsrecht wie der Kartellverordnung664 sowie der EG-Fusionskontrollverordnung665. Hinzu kommt eine Fülle von Einzelfallentscheidungen der Europäischen Kommission als oberste Wettbewerbsbehörde.666 Fraglich ist, ob ein subjektiver grundrechtlicher Kerngehalt einer Wettbewerbsfreiheit besteht und gegebenenfalls welcher Schutz sich hierdurch für die Grundrechtsberechtigten der unternehmerischen Freiheit ergibt. Unternehmer auf Anbieterseite sowie Nachfragerseite haben grundsätzlich das Ziel, Verträge zu schließen, die sie gleichzeitig auch erfüllen können. Dieses Handeln ist aber kein „Wettbewerben“ an sich.667 Wettbewerb kommt erst zu Stande, wenn mindestens ein weiterer Unternehmer eine vergleichbare Leistung anbietet, um den Vertragsschluss herbeizuführen. In der Konsequenz bieten die Unternehmer ihre Leistung zu einem niedrigeren Preis oder in optimierter Form an, um den Kaufvertrag abzuschließen.668 Es ist somit das dem Menschen inne wohnende Unternehmertum, welches den Marktprozess und somit Wettbewerb entstehen lässt. Wettbewerb ist daher ein Faktum, welches durch Rivalität der Konkurrenz entsteht.669 Als Ergebnis kann festgestellt werden, dass das Wettbewerbsprinzip keinen Rechtssatz hervorbringt, der es den Unternehmern vorschreibt, Wettbewerb zu betreiben.670 Vielmehr lebt der Mensch in einer „frei-

(Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte, Artikel 16, Rdn. 14; C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 31, Rdn. 35. 662 Als Einstieg in die sehr umfangreiche Literatur eignet sich beispielsweise T. Oppermann, Europarecht, § 15 Wettbewerb (S. 310 ff.). 663 Hier finden sich unter anderem Regelungen zum Kartellverbot, dem Verbot des Missbrauchs einer den Markt beherrschenden Stellung sowie der Beschränkung staatlicher Beihilfen. 664 Verordnung Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, Abl. L 1 vom 04.01.2003, S. 1–25. 665 Verordnung Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, Abl. L 24 vom 29.01.2004, S. 1–22. 666 Aus den Statistiken der Generaldirektion Wettbewerb ergeben sich folgende Zahlen: Aufgrund von Kartellrechtsverstößen hat die Europäische Kommission in den Jahren 2003 bis 2008 mehr als 8 Milliarden Euro an Strafen verhängt (http://ec.europa.eu/ comm/competition/cartels/statistics/statistics.pdf, geprüft am 11.07.2009). Im gleichen Zeitraum gab es weit über 4.000 Entscheidungen im Rahmen der Fusionskontrolle (http://ec.europa.eu/competition/merges/statistics.pdf, geprüft am 11.07.2009). 667 K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 5, II., 1. 668 W. Kerber/U. Schwalbe, in: Hirsch/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo Kartellrecht, Band 1, Einl. H., S. 239, Rdn. 961. 669 So K. A. Schachtschneider, der Parallelen zu einem sportlichen Laufwettbewerb zieht (K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 5, II., 1.; ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 38, S. 306 f.).

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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heitlichen Privatheit“, die das Recht einschließt, im Rahmen der Gesetze „das Leben zu unternehmen“, was den Wettbewerb entstehen lässt.671 Ein Rechtssatz, der zum Wettbewerb berechtigt oder verpflichtet, ist daher „menschheitswidrig“.672 Möchte man den subjektiven Grundrechtsgehalt einer Wettbewerbsfreiheit an dem Wettbewerbsprinzip gewinnen, so könnte dies allenfalls ein „Recht auf Teilhabe am Wettbewerb“ sein.673 Wie der Europäische Gerichtshof aufgrund der Hinweise in den Erläuterungen der Grundrechtecharta judizieren wird, ist noch offen. Nachweisbar ist Wettbewerb lediglich als Faktum und Folge privaten, unternehmerischen Handelns ohne einen subjektiven Grundrechtscharakter.674 (d) Werbefreiheit Die unternehmerische Freiheit umfasst nach einhelliger Literaturansicht auch die Freiheit der Wirtschaftswerbung.675 Dieser Unterfall ist erwähnenswert, weil die Werbefreiheit auch durch die Meinungsäußerungsfreiheit in Art. 11 Abs. 1 S. 1 GRCh geschützt wird, soweit die Werbung eine Meinungsäußerung ent670 K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 5, II., 1.; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 2, Rdn. 74, S. 72. 671 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 297 ff., 449 ff.; ders., Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 5, II., 1. 672 K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 5, II., 1. 673 Zu diesem Ergebnis kommt beispielsweise das BVerfG (unter Zugrundelegung ähnlicher Gedanken zum Wettbewerbsrecht), vgl. BVerfGE 24, 236 (251); 34, 252 (256); BVerfG, 1 BvR 558/91 sowie 1 BvR 1428/91 vom 26.06.2002, Absatz-Nr. 41: „Erfolgt die unternehmerische Berufstätigkeit am Markt nach den Grundsätzen des Wettbewerbs, wird die Reichweite des Freiheitsschutzes auch durch die rechtlichen Regeln mitbestimmt, die den Wettbewerb ermöglichen und begrenzen. Art. 12 Abs. 1 GG sichert in diesem Rahmen die Teilhabe am Wettbewerb nach Maßgabe seiner Funktionsbestimmungen. Die grundrechtliche Gewährleistung umfasst dementsprechend nicht einen Schutz vor Einflüssen auf die wettbewerbsbestimmenden Faktoren. Insbesondere umfasst das Grundrecht keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb und auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten (. . .).“; BVerfG, 1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95, 1 BvL 30/ 95 vom 17.12.2002, Absatz-Nr. 109–110: „In der bestehenden Wirtschaftsordnung umschließt das Freiheitsrecht des Art. 12 Abs. 1 GG auch das berufsbezogene Verhalten der Unternehmen am Markt nach den Grundsätzen des Wettbewerbs. Die Reichweite des Freiheitsschutzes wird dabei durch die rechtlichen Regeln bestimmt, die den Wettbewerb ermöglichen und begrenzen. Insoweit sichert Art. 12 Abs. 1 GG die Teilhabe am Wettbewerb. Die Wettbewerber haben keinen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass die Wettbewerbsbedingungen für sie gleich bleiben.“ 674 K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 5, II., 1. 675 W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 801, Rdn. 2718; C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 31, Rdn. 31.

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C. Unternehmerische Freiheit

hält.676 In diesen Fällen kann man davon ausgehen, dass beide Grundrechte nebeneinander Anwendung finden.677 (e) Spezialfall: Art. 14 Abs. 3 GRCh Art. 14 Abs. 3 GRCh678 stellt einen Spezialfall der unternehmerischen Freiheit dar.679 Die grundrechtliche Teilgewährleistung umfasst als lex specialis680 die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten.681 Sie ermöglicht es „Schulunternehmern“ 682 eigene Lehranstalten und sonstige Bildungseinrichtungen683 zu errichten684 und zu betreiben,685 worunter auch die Gründung neuer Zweigstellen zu subsumieren sein wird. Die enthaltene Einschränkung „unter Achtung der demokratischen Grundsätze“ sowie der Hinweis auf die einzuhaltenden einzelstaatlichen Gesetze stellen dabei nach Literaturansicht keine Beschränkung des Schutzbereichs im Sinne eines Tatbestandsausschlusses dar,686 sondern heben lediglich die Notwendigkeit hervor, dass das Grundrecht nur unter Achtung der jeweiligen nationalen Vorschriften gewährt wird.687 Zu bedenken ist, dass „unter Achtung 676

M. Ruffert, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, § 16, S. 451, Rdn. 15. C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 31, Rdn. 31; M. Ruffert, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, § 16, S. 451, Rdn. 15; W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 804, Rdn. 2730. 678 Art. 14 Abs. 3 GRCh: „Die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten unter Achtung der demokratischen Grundsätze (. . .) [wird] nach den einzelstaatlichen Gesetzen geachtet, welche ihre Ausübung regeln.“; der explizite Hinweis auf die unternehmerische Freiheit findet sich in den Erläuterungen zu Art. 14 Abs. 3 GRCh: „Die Freiheit zur Gründung von öffentlichen oder privaten Lehranstalten wird als einer der Aspekte der unternehmerischen Freiheit garantiert, ihre Ausübung ist jedoch durch die Achtung der demokratischen Grundsätze eingeschränkt und erfolgt entsprechend den in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegten Modalitäten.“ 679 M. Kober, Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, S. 103; C. Günther, Die Ausgestaltung des Rechts auf Bildung, S. 251. 680 W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 804, Rdn. 2731; C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 31, Rdn. 46; H. D. Jarass, EU-Grundrechte, § 21, Rdn. 5. 681 H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte, DVBl. 2004, S. 459. 682 Das besagte Grundrecht umfasst laut den Konventserläuterungen nicht nur private, sondern auch öffentliche Lehranstalten. In Anlehnung an die sachbereichsspezifische Grundrechtsträgerschaft könnte man daran denken, auch juristischen Personen des öffentlichen Rechts als Grundrechtsträger von Art. 14 Abs. 3 GRCh zu werten, was aber im Ergebnis abzulehnen ist (vgl. hierzu Kapitel C. IV. 2. a)). 683 C. Günther, Die Ausgestaltung des Rechts auf Bildung, S. 257, zählt unter die außerschulischen Bildungseinrichtungen beispielsweise private Nachhilfeunterrichtung sowie juristische Repetitorien. 684 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 625 (§ 20, Rdn. 800). 685 C. Günther, Die Ausgestaltung des Rechts auf Bildung, S. 257, die den Schwerpunkt auf Schulen in privater Trägerschaft sieht. 686 C. Günther, Die Ausgestaltung des Rechts auf Bildung, S. 291. 677

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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demokratischer Grundsätze“ sicherlich Aspekte wie die Gleichheit des Zugangs zur Lehranstalt sowie die Erziehung zur Demokratie gewährleistet werden müssen. c) Die Schrankenausgestaltung der Charta zu Art. 16 GRCh Bei der Erarbeitung der Grundrechtecharta entschied sich das Präsidium schon anfänglich für eine Querschnittsklausel als einheitliche Regelung zur Ausgestaltung der Grundrechtsschranken.688 Hierdurch wollte man nicht nur den Gesamttext möglichst kurz halten, sondern auch ausufernde Diskussionen zu einzelnen Grundrechtsschranken vermeiden.689 Diese Linie konnte das Präsidium aber nicht konsequent umsetzen. So finden sich im Chartatext mehrere Grundrechte, die entweder mit einer spezifischen Schranke690 oder mit Vorbehalten691 versehen wurden. Auch das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit enthält bezüglich der Schrankensystematik solch eine Besonderheit. So wird die durch das Präsidium im Anschluss an die Sitzung vom 25.9.2000692 eingefügte Formulierung in Art. 16 GRCh, „nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“, durch zahlreiche Literaturmeinungen als vertikale Schranke für die Grundrechtsgewährleistung der unternehmerischen Freiheit gewertet. Hieraus ergeben sich zwangsläufig unterschiedliche Ansätze, ob und welche der allgemeinen Schrankenregelungen aus Art. 52 GRCh693 außerdem noch Anwendung finden könnten. 687

H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 625 (§ 20, Rdn. 800). C. Eisner, Die Schrankenregelung der Grundrechtecharta, S. 131; M. Borowsky, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte, Artikel 52, Rdn. 3. 689 N. Bernsdorff/M. Borowsky, Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, S. 231. 690 Art. 17 Abs. 1 Satz 1: „Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums.“; Art. 8 Abs. 2 GRCh: „Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden.“ 691 Art. 9 GRCh, Art. 10 Abs. 2 GRCh, Art. 14 Abs. 3 GRCh, Art. 16 GRCh, Art. 27 GRCh, Art. 28 GRCh, Art. 30 GRCh, Art. 34 Abs. 1–3 GRCh, Art. 35 GRCh, Art. 36 GRCh. 692 Entwurf der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Vorschläge des Präsidiums im Anschluss an die Sitzung vom 25. September 2000 als Addendum 1 zum vollständigen Text der Charta, online archiviert unter http://register.consilium.europa.eu (geprüft am 11.07.2009), Charte 4470/1/00, REV 1, ADD 1. 693 Art. 52 GRCh: „Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze: (1) Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten 688

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C. Unternehmerische Freiheit

Zur Klärung dieser speziellen Schrankensystematik der unternehmerischen Freiheit werden nachfolgend die in der Lehre vertretenen Ansätze dargestellt. Hierauf aufbauend wird dann versucht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Auslegungsregeln und der bisherigen Rechtsprechung des Gerichthofs die Schrankensystematik der Grundrechtecharta für die unternehmerische Freiheit zu ermitteln. (1) Die Literaturansichten zur Schrankensystematik Zum Verständnis der Schrankensystematik von Art. 16 GRCh wäre es erforderlich, die folgenden zwei Fragen zu beantworten: Welche Absätze von Art. 52 GRCh sind auf das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit anzuwenden und wie ist der in Art. 16 GRCh formulierte Vorbehalt einzustufen? Bezüglich der zweiten Frage kann die Kommentarliteratur im Wesentlichen in zwei Lager unterteilt werden. Zum einen wird vertreten, dass die Formulierung „nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ keine besondere Schrankenregelung für Art. 16 GRCh darstellt.694 Vielmehr handele es sich lediglich um eine „kompromißhafte Formel zur Ausgestaltung des Schutzbereichs“, sodass die Grundrechtsadressaten hieran den Schutzbereich bestimmen können.695 Als Argument, dass es sich nicht um eine (doppelte) Schranke handelt, wird vorgetragen, dass ansonsten ein nicht zu lösendes Spannungsverhältnis zu Art. 52 GRCh vorliegen würde.696 Zudem wäre der Grundsatz der „einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts“ verletzt. Schließlich würde die Verwenachten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. (. . .) (4) Soweit in dieser Charta Grundrechte anerkannt werden, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, werden sie im Einklang mit diesen Überlieferungen ausgelegt. (. . .) (6) Den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ist, wie es in dieser Charta bestimmt ist, in vollem Umfang Rechnung zu tragen.“ 694 H.-P. Folz, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäischer Verfassungsvertrag, Art. II-76, Rdn. 5; H.-J. Blanke, Die Gewährleistung der Berufsfreiheit, in: Stern/Tettinger (Hrsg.), Die Europäische Grundrechte-Charta im wertenden Verfassungsvergleich, S. 240; M. Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 16, Rdn. 5; A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 99–100: „Letztlich ermöglicht also auch die Formulierung, die unternehmerische Freiheit werde nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt, keine so weit reichenden Beschränkungen des Grundrechts, wie es auf den ersten Blick scheint. Es ist daher zu erwarten, dass die praktische Bedeutung dieser Konstruktion – insbesondere im Verhältnis zu Art. 52 Abs. 1 EuGRC – relativ gering sein wird.“ 695 H.-J. Blanke, Die Gewährleistung der Berufsfreiheit, in: Stern/Tettinger (Hrsg.), Die Europäische Grundrechte-Charta im wertenden Verfassungsvergleich, S. 240.

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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dung von heterogenen nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten als Schrankenklausel zu unterschiedlicher Intensität der Einschränkungen führen.697 Gestützt wird diese Auffassung durch eine ähnliche Argumentationslinie des Europäischen Gerichtshofs. In seinem Urteil Kiel/Jäger698 lehnte der Gerichtshof den eigenständigen Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung einer Definition ab, obwohl nach der einschlägigen Richtlinie zur Definitionsbestimmung ausdrücklich auf die „einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten“ verwiesen wurde.699 Im Urteil wurde hierzu wie folgt ausgeführt: Rdn. 58–59: „Jedenfalls dürfen die Begriffe Arbeitszeit und Ruhezeit im Sinne der Richtlinie 93/104 nicht nach Maßgabe der Vorschriften der Regelungen der verschiedenen Mitgliedstaaten ausgelegt werden, sondern sie stellen gemeinschaftsrechtliche Begriffe dar, die anhand objektiver Merkmale unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des Zwecks dieser Richtlinie zu bestimmen sind (. . .). Nur eine solche autonome Auslegung kann die volle Wirksamkeit dieser Richtlinie und eine einheitliche Anwendung der genannten Begriffe in sämtlichen Mitgliedstaaten sicherstellen. Der Umstand, dass die Definition des Begriffs Arbeitszeit auf die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten verweist, bedeutet daher nicht, dass die Mitgliedstaaten den Inhalt dieses Begriffs einseitig festlegen können. Die Mitgliedstaaten dürfen den Anspruch des Arbeitnehmers auf ordnungsgemäße Berücksichtigung der Arbeitszeiten und dementsprechend der Ruhezeiten somit keinerlei Bedingungen unterwerfen, da dieser Anspruch sich unmittelbar aus den Vorschriften dieser Richtlinie ergibt. Jede andere Auslegung würde dem Ziel der Richtlinie 93/ 104 zuwiderlaufen, den Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu harmonisieren.“

Die Gegenauffassung sieht in dem nachträglich eingeführten Passus „nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ für die unternehmerische Freiheit eine vertikale und somit zusätzliche Schranke zu Art. 52 Abs. 1 GRCh.700

696 C. Eisner, Die Schrankenregelung der Grundrechtecharta, S. 134; H.-J. Blanke, Die Gewährleistung der Berufsfreiheit, in: Stern/Tettinger (Hrsg.): Die Europäische Grundrechte-Charta im wertenden Verfassungsvergleich, S. 240. 697 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 13. 698 EuGH v. 09.03.2003 – RS C-151/02 (Landeshauptstadt Kiel/Norbert Jäger), Slg. 2003, S. I-8389 (Rdn. 58–59). 699 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 13. 700 N. Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte, Artikel 16, Rdn. 15; C. Grabenwarter, DVBl. 2001, S. 3; J. Schwarze, Der Grundrechtsschutz, in: EuZW 2001, S. 519; H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte, DVBl. 2004, S. 459; H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 264 (Rdn. 483, Fn. 106) sowie S. 624 (Rdn. 797); C. Callies, Die Charta der Grundrechte, EuZW 2001, S. 264; ders., in: Ehlers, Europäische Grundrechte, § 20, S. 539, Rdn. 18; S. Ibing, Die Einschränkung der europäischen Grundrechte, S. 342.

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C. Unternehmerische Freiheit

Diese Auffassung führt einige Literaturvertreter berechtigterweise zu der noch ungeklärten Frage, ob eine vertikale Schranke der unternehmerischen Freiheit mit einem Verweis auf einzelstaatliche Gepflogenheiten einen Verstoß gegen den in Art. 52 Abs. 1 GRCh enthaltenen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Vorbehalts des Gesetzes bedeuten würde.701 Schließlich stellt der formelle Gesetzesvorbehalt gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar.702 Als Lösung wird vorgeschlagen, dass der Grundsatz der „doppelten Schranke“ zu relativieren sei, indem die vertikalen „Begrenzungen“ die Vorgaben des Art. 52 Abs. 1 GRCh zu beachten haben.703 Schließlich solle man nicht unnötig das Ziel, ein einheitliches Grundrechtsschutzniveau in der Europäischen Gemeinschaft zu schaffen, gefährden.704 Die beiden Hauptlösungsansätze der Kommentarliteratur zur Einstufung der Grundrechtsformulierung „nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ führen insoweit zu einem unbefriedigenden Ergebnis, weil der Wortlaut des Grundrechts entweder ausgeblendet oder stark relativiert wird. Insbesondere unter Berücksichtigung der Ziele des Konvents, die durch die Kodifizierung der Grundrechtecharta erreicht werden sollten, kann weder der Ansicht der „doppelten Schranke“ noch einer Einstufung als „kompromißhafte Formel zur Ausgestaltung des Schutzbereichs“ gefolgt werden. Schließlich wollte der Konvent durch die Charta die Transparenz und Vorhersehbarkeit im Grundrechtsbereich steigern.705 Erhalten hat man aber unklare Schranken und damit eine anhaltende Rechtsunsicherheit.706 Neben diesen zwei Hauptansichten in der Lehre gibt es noch verschiedene Einzelmeinungen, welche Schrankenbestimmungen von Art. 52 GRCh auf die unter701 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 264 (Rdn. 483); C. Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 52, Rdn. 111; A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 92. 702 H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 264 (Rdn. 484) mit Verweis auf EuGH v. 21.09.1989 – verb. RS 46/87 und 227/88 (Hoechst AG/Kommission der Europäischen Gemeinschaft), Slg. 1989, S. 2859 (Rdn. 19): „Indessen bedürfen in allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Eingriffe der öffentlichen Gewalt in die Sphäre der privaten Betätigung jeder – natürlichen oder juristischen – Person einer Rechtsgrundlage und müssen aus den gesetzlich vorgesehenen Gründen gerechtfertigt sein; diese Rechtsordnungen sehen daher, wenn auch in unterschiedlicher Ausgestaltung, einen Schutz gegen willkürliche oder unverhältnismäßige Eingriffe vor. Das Erfordernis eines solchen Schutzes ist folglich als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzuerkennen. (. . .)“. 703 N. Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte, Artikel 16, Rdn. 15; so auch im Ergebnis H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 624 (Rdn. 797). 704 A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 100. 705 A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 100. 706 M. Knecht, Die Charta der Grundrechte, S. 206; C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 31, Rdn. 24–25.

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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nehmerische Freiheit Anwendung finden. So sind neben Art. 52 Abs. 1 GRCh insbesondere noch Abs. 4 und Abs. 6 als potentielle Schrankenbestimmungen in der engeren Auswahl.707 Wie im vorherigen Abschnitt bereits erarbeitet, ist die Mehrheit der Autoren der Auffassung, dass die allgemeine Schrankenregelung aus Art. 52 Abs. 1 GRCh auch auf die unternehmerische Freiheit Anwendung findet.708 Dies deckt sich mit den Erläuterungen des Präsidiums zu Art. 16 GRCh709 und Art. 52 GRCh710. Nur vereinzelt wurde erwogen, dass Art. 52 Abs. 6 GRCh als spezielle Schrankenregelung die allgemeine Schrankenregelung aus Art. 52 Abs. 1 GRCh komplett verdrängen könnte.711 Unter Berücksichtigung der Systematik und teleologischen Auslegung, was insbesondere „die unternehmerische Freiheit als Teilaspekt der Berufsfreiheit“ angeht, kommt Blanke zu dem Ergebnis, dass über Art. 52 Abs. 1 GRCh hinaus auch Art. 52 Abs. 4 GRCh als Schrankenregelung für die unternehmerische Freiheit Anwendung finde.712 Zwar sei gemäß dem Wortlaut die Schrankenregelung von Art. 52 Abs. 6 GRCh vorzuziehen, dies sei aber nicht mit der Systematik der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Berufsfreiheit und unternehmerischen Freiheit zu vereinbaren.713

707 M. Borowsky, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte, Artikel 52, Rdn. 13, 46d. 708 M. Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 16, Rdn. 5; H.-W. Rengeling, Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte, DVBl. 2004, S. 459; H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 624 (§ 20, Rdn. 797); C. Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 52, Rdn. 30, 111; H.-P. Folz, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, Europäischer Verfassungsvertrag, Art. II-76, Rdn. 5; H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 19; M. Bühler (in: ders., Einschränkung von Grundrechten, S. 342) stuft die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten als speziellen Anwendungsfall der unternehmerischen Freiheit ein und wendet entsprechend Art. 52 Abs. 1 GRCh auch hierauf an. 709 Erläuterungen des Präsidiums zu Art. 16 GRCh: „(. . .) Dieses Recht wird natürlich unter Einhaltung des Gemeinschaftsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften ausgeübt. Es kann nach Artikel 52 Absatz 1 der Charta beschränkt werden.“ 710 Erläuterungen des Präsidiums zu Art. 52 GRCh: „Mit Artikel 52 sollen die Tragweite der Rechte und Grundsätze der Charta und Regeln für ihre Auslegung festgelegt werden. Absatz 1 enthält die allgemeine Einschränkungsregelung. (. . .)“. 711 D. Trianafyllou, in: Common Market Law Review 2002, S. 56. 712 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 7, 19; so auch ohne Begründung N. Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte, Artikel 16, Rdn. 15. 713 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 7.

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C. Unternehmerische Freiheit

(2) Die Schrankensystematik unter Berücksichtigung allgemeiner Auslegungsmethoden sowie der bisherigen Rechtsprechung Nachdem die Kommentarliteratur bisher keinen überzeugenden Lösungsansatz zur Schrankensystematik von Art. 16 GRCh beigetragen hat, soll insbesondere ein vertiefter Blick auf die Systematik, den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte der Grundrechtsschranken zu Art. 16 GRCh geworfen werden. Insbesondere der letzte Punkt scheint erheblich dazu beigetragen zu haben, dass sich so viele unterschiedliche Meinungen bezüglich der derzeitigen Schrankensystematik zu Art. 16 GRCh herauskristallisiert haben. Auch wird die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften auf Stellungnahmen zu der im europäischen Recht häufiger zu findenden Formulierung hin untersucht „nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“. Vielleicht ergibt sich hieraus ein Rückschluss, wie der Gerichtshof in zukünftigen Urteilen diese Grundrechtsformulierung der unternehmerischen Freiheit interpretieren wird. (a) Die Formulierung in Art. 16 GRCh „nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ Geht man nach dem Wortlaut und damit der gewichtigsten Auslegungsgrundlage714, so scheint die unternehmerische Freiheit unter einem umfassenden Vorbehalt zu stehen, der die grundrechtliche Schutzwirkung außer Kraft setzen würde. So steht die unternehmerische Freiheit nicht nur unter dem Vorbehalt des „Unionsrecht[s]“ und damit des gesamten europäischen Primär- und Sekundärrechts,715 sondern es sind auch die „einzelstaatlichen Rechtsvorschriften“ sowie „Gepflogenheiten“, welche die unternehmerische Freiheit dem Wortlaut nach einschränken können. Unter die „einzelstaatlichen Rechtsvorschriften“ lassen sich grundsätzlich alle materiellen Gesetze subsumieren, die nationalen Verfassungen sowie sämtliche Bundes- und Landesgesetze oder auch Rechtsverordnungen und Satzungen in den einzelnen Mitgliedsländern.716 Die „Gepflogenheiten“ 717 sind hingegen ein 714

Vgl. hierzu B. V. 1. für die Auslegungsmethoden des Europäischen Gerichtshofs. H. Schwier, Der Schutz der Unternehmerischen Freiheit, S. 254, der richtigerweise für das Sekundärrecht eine Beschränkung auf Verordnungen und Richtlinien vorsieht. So auch A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 94. 716 A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 94–95. 717 In Art. 14 Abs. 3, 1. Alt. GRCh wird „Die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten unter Achtung der demokratischen Grundsätze (. . .) nach den einzelstaatlichen Gesetzen geachtet, welche ihre Ausübung regeln.“ Der Grundrechtekonvent hat scheinbar bewusst zwischen den Begrifflichkeiten Rechtsvorschriften sowie Gepflogenheiten als auch Gesetzen differenziert. 715

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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in der Jurisprudenz nicht näher definierter Begriff und keiner Rechtsnorm eindeutig zuzuordnen.718 Denkbar wäre, hierunter Handelsbräuche oder auch gute Sitten zu verstehen, wie sie häufig das Geschäftsgebaren oder auch die Wertvorstellungen in einzelnen Regionen oder Ländern bestimmen. Auch könnten die Gepflogenheiten dem durch die Judikative entwickelten Richterrecht zugeordnet werden.719 Diese Wortlautinterpretationen finden zudem noch Unterstützung durch die Schrankenregelung in Art. 52 Abs. 6 GRCh: „Den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ist, wie es in dieser Charta bestimmt ist, in vollem Umfang Rechnung zu tragen.“ Die Erläuterungen als Auslegungsdokument zur Charta enthalten diesbezüglich folgenden erklärenden Absatz: „Absatz 6 bezieht sich auf die verschiedenen Artikel in der Charta, in denen im Sinne der Subsidiarität auf die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten verwiesen wird.“ Dem Wortlaut und der Erklärung nach passt Art. 52 Abs. 6 GRCh auf den Vorbehalt des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit.720 Als Auslegungsregel für einzelstaatliche Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten gibt Art. 52 Abs. 6 GRCh vor, dass man den Regelungen auf mitgliedstaatlicher Ebene „im vollem Umfang Rechnung tragen muss“, sie also zu beachten hat und entsprechend berücksichtigen muss. Alleine die Praxis des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts sowie das Bestreben nach einem einheitlichen Grundrechtsschutz widersprechen aber solch einer Interpretation. Die Vorschrift spiegelt vielmehr die von einzelnen Mitgliedsstaaten vorgebrachte Skepsis gegenüber den Ge718 Zu denken ist an die Generalklausel aus § 138 Abs. 1 BGB: „Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.“ Der Privatautonomie sind hierdurch Grenzen gesetzt, soweit eine Gefahr für die Grundprinzipien der Rechts- und Sittenordnung vorliegt. 719 H.-J. Blanke, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 12; H. Schwier, Der Schutz der Unternehmerischen Freiheit, S. 256, fordert für Gepflogenheiten im Sinne von Art. 16 GRCh „eine dauerhafte und verlässliche hoheitliche Praxis (etwa in der Form ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung)“. 720 Zu Art. 16 GRCh findet sich auch eine Erläuterung des Konvents mit Bezug zu Art. 52 Abs. 1 GRCh: „Es [das Recht der unternehmerischen Freiheit] kann nach Artikel 52 Abs. 1 der Charta beschränkt werden.“ Was hier jedoch fehlt, ist eine Erwähnung von Art. 52 Abs. 6 GRCh. Man könnte hieraus folgenden Schluss ziehen: Nachdem Absatz 1 in Bezug zu Art. 16 GRCh ausdrücklich erwähnt wurde, Abs. 6 jedoch nicht, könnte man davon ausgehen, dass Abs. 6 nicht anwendbar sei. Schließlich hat der Konvent in seiner Begründung zur Charta an vielen Stellen auf einzelne anwendbare Absätze von Art. 52 GRCh verwiesen, oder aber auch auf Art. 52 GRCh komplett, wie beispielsweise in den Erläuterungen zu Art. 8 GRCh. Somit hat er grundsätzlich Differenzierungen in seinen Erläuterungen vorgenommen, welche Absätze von Art. 52 GRCh auf ein Grundrecht Anwendung finden. Ein wesentlicher Grund spricht aber gegen diesen Rückschluss: An keiner Stelle seiner Erläuterung hat der Konvent die Absätze 4, 5 oder 6 von Art. 52 GRCh erwähnt. Er beschränkte sich immer nur auf die ersten drei Absätze. Eine Erklärung hierfür könnte darin liegen, dass die Absätze 4, 5 und 6 erst im Jahre 2002 bei den Verhandlungen zum Verfassungsvertrag in die Erläuterungen zur Charta aufgenommen wurden.

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C. Unternehmerische Freiheit

meinschaftsgrundrechten wider721 und ist aufgrund der fehlenden Sinnhaftigkeit als misslungene Kompromisslösung im Rahmen der Überarbeitung der Grundrechtecharta einzustufen.722 Im Ergebnis ergäbe die Rechtsfolge eine geradezu verkehrte Welt. Das europäische Grundrecht der unternehmerischen Freiheit würde bei einer reinen Wortlautinterpretation von Art. 16 GRCh und unter Berücksichtigung der Auslegungsregel aus Art. 52 Abs. 6 GRCh durch sämtliche nationale Rechtsnormen beschränkt werden können, sogar einfaches Richterrecht oder auch lokale Handelsbräuche und gute Sitten würden Vorrang genießen. Nachdem die Wortlautinterpretation zu keinem vertretbaren Ansatz geführt hat, könnte die systematische Auslegung weiterhelfen. Als Anknüpfungspunkt kommen hier ähnliche Vorbehaltsformulierungen in anderen Grundrechten723 der Grundrechtecharta in Betracht. Bei Art. 34, Art. 35 und Art. 36 GRCh handelt es sich um soziale Grundrechte, die durch die – in diesen Fällen als Schranke fungierende – Vorbehaltsformulierung entsprechend eingeschränkt werden.724 Hier ist die Vorbehaltsklausel insoweit auch schlüssig, da sie auf die fehlenden europäischen Kompetenzen in den durch die Grundrechte betroffenen Bereichen hinweisen soll.725 Die Grundrechte und Freiheiten mit überschießender Innentendenz, für die die Europäische Union keine Hoheits- und damit Regelungsbefugnisse aufweisen kann, sollten durch den jeweiligen Passus entsprechend hervorgehoben werden. Insbesondere aber bezüglich des Wirtschaftsrechts, das die unternehmerische Freiheit am meisten reguliert, wurden der Europäischen Union zahlreiche Kompetenzen übertragen, so dass der Vorbehalt unter Berücksichtigung dieses Ansatzes überrascht.726 Somit lassen sich auch aus einer systematischen Betrachtung keine sinnvollen Schlussfolgerungen ziehen. 721 Polen und Großbritannien haben sich in einem dem Vertrag von Lissabon anhängenden Protokoll (Amtsblatt der EU, Slg. C 306/156–157 vom 17.12.2007) explizit Sonderregelungen zusichern lassen, was die Auslegung und Bindung der Gemeinschaftsgrundrechte angeht. 722 Die Arbeitsdokumente der Arbeitsgruppe II, die im Rahmen der Eingliederung der Charta in den Verfassungsvertrag wesentliche und bis heute bestehende Änderungen vorgenommen haben, können online unter http://european-convention.eu.int (geprüft am 11.07.2009) abgerufen werden. 723 Artikel 27 GRCh: Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Unternehmen; Art. 28 GRCh: Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen; Art. 30 GRCh: Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung; Art. 34 Abs. 1, 2 und 3 GRCh: Soziale Sicherheit und soziale Unterstützung; Art. 35 GRCh: Gesundheitsschutz; Art. 36 GRCh: Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. 724 W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 789, Rdn. 2664. 725 S. Röder, Der Gesetzesvorbehalt der Charta, S. 102–103. 726 C. Ladenburger (in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 52, Rdn. 12) bringt die Sache auf den Punkt, indem er den Passus in Art. 16 GRCh als systemwidrig bezeichnet.

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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Nachfolgend wird versucht, die Bedeutung des Passus von Art. 16 GRCh „nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ durch eine historische Betrachtung zu klären. In den Erläuterungen des Konvents zur unternehmerischen Freiheit findet sich bereits ein erster Ansatz: „Dieses Recht wird natürlich unter Einhaltung des Unionsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften ausgeübt.“ Auffällig dabei ist die unübliche Formulierung mit dem Einschub „natürlich“.727 Man fragt sich, warum dieser Hinweis gegeben wurde, wenn es so selbstverständlich ist. In der Literatur wird entsprechend vermutet, dass diese Formulierung „ein verbales Zugeständnis an die Gegner der unternehmerischen Freiheit“ war.728 Der Wortlaut der unternehmerischen Freiheit wurde im Rahmen der Konventsverhandlungen mehrmals angepasst.729 Der für diese Betrachtung relevante Zeitpunkt ist die Einfügung des Passus „nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“. Wie ist diese Formulierung in das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit gelangt, nachdem es hierfür keinen systematischen Ansatz gibt? Grundlage war ein so genannter „package deal“ 730 zwischen den durch die EVP-ED-Fraktion731 gebündelten Konservativen und den im Konvent vertretenen Sozialisten. Die sozialistischen Konventsmitglieder, die diesen vertikalen Vorbehalt für die meisten ihrer sozialen Rechte akzeptieren mussten, bestanden auf den Passus als Bedingung für ihre Zustimmung der Aufnahme der unternehmerischen Freiheit als Chartagrundrecht. Aus den Protokollen732 geht entsprechend hervor, dass unter dem Gesichtspunkt der Ausgeglichenheit des gemeinsam gefundenen Kompromisses der Passus im Grundrecht der unternehmerischen Freiheit Einzug gehalten hat.733 727 Zudem wurde in den Erläuterungen nicht auf die Gepflogenheiten verwiesen, die jedoch in Art. 16 GRCh explizit erwähnt sind. Ob es sich dabei um ein Redaktionsversehen handelt, bleibt offen. Eine schlüssige Erklärung hierfür lässt sich aus dem Wortlaut und der Systematik zumindest nicht herleiten. 728 M. Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 16, Rdn. 5. 729 Vgl. Kapitel C. IV. 1. 730 Diese Information beruht auf einer mündlichen Auskunft von dem Konventsmitglied der EVP-ED Fraktion Herrn MdEP Ingo Friedrich an den Verfasser. 731 Auf der Homepage (http://epp-ed.eu/policies/pkeynotes/30fundamental-rights_ de.asp, geprüft am 11.07.2009) der EVP-ED-Fraktion findet sich folgende Stellungnahme zu den Konventsverhandlungen: „Außerdem sollte auch Artikel 15 über Recht auf Arbeit und das Recht, einen frei gewählten Beruf auszuüben, aber vor allem auch Artikel 16 genannt werden, der die unternehmerische Freiheit anerkennt und der Gegenstand sehr großer Kontroversen war und nur dank der Hartnäckigkeit und dem Verhandlungsgeschick der EVP-ED in den Text der Charta mitaufgeommen werden konnte. (. . .)“. 732 Charte 4470/1/00 Rev 1 Add 1 Convent 47 (Fn. 97) mit Bezug auf die Arbeitssitzung vom 26.9.2000 (Wortprotokoll in Charte 4958/00 Convent 53). 733 In diesem Sinne vgl. auch C. Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 52, Rdn. 12; N. Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte, Artikel 16, Rdn. 8; C. Nowak, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.),

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C. Unternehmerische Freiheit

Mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der Grundrechtsformulierung und den zugrunde liegenden Diskussionen im Konvent stellt sich die Frage, welches Gewicht dem nachträglich eingefügten Vorbehalt „nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ in Artikel 16 GRCh einzuräumen ist. Die in der Literatur vorgeschlagene Lösung, den Passus in Artikel 16 GRCh als „leer laufende Kompetenzwahrungsklausel mit Klarstellungsfunktion“ einzuordnen,734 bringt zwar ein akzeptables Ergebnis hervor, jedoch ist diese Lösung unter Beachtung des klaren Grundrechtswortlautes nicht überzeugend. Insbesondere kann noch nicht gesagt werden, ob der Gerichtshof in seiner zukünftigen Rechtsprechung solch eine der Sache nach wenig überzeugende Lösung in Betracht ziehen wird. Schließlich liegt dem Passus nicht ein redaktionelles Versehen, sondern eine hart errungene Kompromissentscheidung der Konventsmitglieder zu Grunde, die den systematisch fragwürdigen Einschub zu verantworten haben. Im Ergebnis muss der missverständliche Einschub spätestens bei der nächsten Überarbeitung des Chartatextes angepasst werden, indem der Verweis auf die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten gestrichen wird. Eine andere Lösung zur Unterstreichung des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts bietet sich nicht an. Nachfolgend soll noch geprüft werden, ob sich aus der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Ansätze ergeben, wie die Rechtslage hinsichtlich des Einschubs „nach (. . .) den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ in Art. 16 GRCh zu bewerten ist. Die Lösung des Gerichtshofs hierzu aus dem Urteil Kiel/Jäger735, wonach Verweise auf einzelstaatliche Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten in einer Richtlinie zurückstehen müssen und insbesondere dann keine Geltung erlangen, wenn die Einheit des Gemeinschaftsrechts sowie die Zielerreichung der Richtlinie gefährdet sind, wurde bereits in Schlussanträgen736 der Generalanwälte KoHandbuch der Europäischen Grundrechte, § 31, Rdn. 25; H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 624 (§ 20, Rdn. 797); W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 789 (Rdn. 2661). 734 B. Schöbener, Die unternehmerische Freiheit, in: Ennuschat (Hrsg.), FS für Peter J. Tettinger, S. 175–176. 735 EuGH v. 09.03.2003 – RS C-151/02 (Landeshauptstadt Kiel/Norbert Jäger), Slg. 2003, S. I-8389. 736 GA Juliane Kokott, Schlussanträge zu EuGH v. 18.09.2007 – RS C-175/06 (Alessandro Tedesco/Tomasoni Fittings Srl und RWO Marine Equipment Ltd), Slg. 2007, S. I-7929 (Rdn. 97–98): „Beide Ablehnungstatbestände enthalten Verweisungen auf die Vorgaben des Rechts des Staates des ersuchenden Gerichts. Diese nationalen Vorschriften kann der Gerichtshof nicht auslegen, um festzustellen, welche Befugnisse nach dem Recht eines Mitgliedstaates die Gerichtsgewalt hat oder welche Formen der Beweisaufnahme mit innerstaatlichem Recht unvereinbar bzw. aus tatsächlichen Gründen nicht durchführbar sind. Diese Beurteilungen bleiben dem ersuchenden Gericht vorbehalten. Aus der Rechtsprechung folgt jedoch, dass die Mitgliedstaaten, wenn eine ge-

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kott und Tizzano umfassend behandelt und auch in weiteren Urteilen737 durch den Gerichtshof bestätigt. So finden sich hierzu im Urteil CGT 738 folgende Ausführungen: Rdn: 35: „Wie nämlich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, dürfen die Mitgliedstaaten, wenn eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift auf einzelstaatliche Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten verweist, keine Maßnahmen erlassen, die geeignet sind, die praktische Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Regelung, in die sich diese Vorschrift einfügt, zu beeinträchtigen.“

In der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften finden sich aber noch weitere Passagen, die Aufschluss darüber geben können, wie der Grundrechtseinschub „nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ durch den Gerichtshof gewertet werden wird. In dem nachfolgend zitierten Rechtsstreit739 standen sich finnische Gewerkschaftsvertreter sowie ein Fährunternehmer gegenüber. Letzterer sah sich durch Forderungen der Gewerkschaft in seiner Niederlassungsfreiheit beschränkt. Insbesondere wollten die Arbeitnehmervertreter durch einen Streik die Registrierung eines Fährschiffes unter der Flagge eines anderen Mitgliedstaates verhindern. Zur Rechtfertigung berief sich die Gewerkschaftsorganisation auf ihr meinschaftsrechtliche Vorschrift auf einzelstaatliche Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten verweist, keine Maßnahmen erlassen dürfen, die geeignet sind, die praktische Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Regelung, in die sich diese Vorschrift einfügt, zu beeinträchtigen (Urteil v. 18.01.2007 – CGT, RS C-385/05). Insoweit setzt die [europäische] Verordnung der Freiheit der nationalen Gesetzgeber äußere Grenzen, die überschritten werden, wenn das in Bezug genommene nationale Recht die praktische Wirksamkeit der [europäischen] Verordnung in Frage stellt. Aufgabe des Gerichtshofs ist in diesem Kontext, die [europäische] Verordnung im Hinblick auf die Einhaltung dieser Grenzen auszulegen.“; sehr ausführlich auch GA Tizzano, Schlussanträge zu EuGH v. 08.02.2001 – RS C-173/99 (The Queen/BECTU), Slg. 2001, S. 4881 (Rdn. 32–47): „(. . .) Von ihr [der Richtlinie] nicht zugelassen ist meiner Meinung nach, dass sich die nationalen Rechtsvorschriften und/oder Verwaltungspraktiken vollkommen (oder fast vollkommen) frei entfalten und so weit gehen können, dass in manchen Fällen schon das Entstehen des Anspruchs ausgeschlossen ist. (. . .)“. 737 EuGH v. 01.12.2005 – RS C-14/04 (Abdelkader Dellas/Premier ministre und Ministre des Affairs sociales, du Travail et de la Solidarité), Slg. 2005, S. I-10253 (Rdn. 45): „Der Gerichtshof hat daraus abgeleitet, dass die Mitgliedstaaten die Bedeutung dieser Begriffe der Richtlinie 93/104 nicht einseitig festlegen dürfen, indem sie den Anspruch der Arbeitnehmer auf ordnungsgemäße Berücksichtigung der Arbeitszeiten und dementsprechend der Ruhezeiten, der den Arbeitnehmern durch diese Richtlinien zugebilligt wird, irgendwelche Bedingungen der Beschränkungen unterwerfen. Jede andere Auslegung würde dieser Richtlinie nämlich ihre praktische Wirksamkeit nehmen und ihr Ziel verkennen, durch Mindestvorschriften einen wirksamen Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten.“ 738 EuGH v. 18.01.2007 – RS C-385/05 (Confédération générale du travail (CGT) u. a./Premier ministre und Ministre de l’Emploi, de la Cohésion sociale et du Logement), Slg. 2007, S. I-611 (Rdn. 35). 739 EuGH v. 11.12.2007 – RS C-438/05 (International Transport Worker’s Federation und Finnish Seamen’s Union/Viking Line ABP und OÜ Viking Line Eesti), Slg. 2007, S. I-10779.

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C. Unternehmerische Freiheit

Grundrecht zur Durchführung von Kollektivmaßnahmen. Im Vorabentscheidungsersuchen antwortete der Gerichtshof dann bezüglich des Anwendungsbereichs der Bestimmungen über die Freizügigkeit wie folgt:740 Rdn. 44: „Demnach ist zwar das Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme einschließlich des Streikrechts als Grundrecht anzuerkennen, (. . .) doch kann seine Ausübung bestimmten Beschränkungen unterworfen werden. Denn wie in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erneut bekräftigt wird, werden die genannten Rechte nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten geschützt. Außerdem kann das Streikrecht, wie aus Randnr. 5 des vorliegenden Urteils hervorgeht, nach finnischem Recht u. a. dann nicht ausgeübt werden, wenn der Streik gegen die guten Sitten, das innerstaatliche Recht oder das Gemeinschaftsrecht verstoßen würde.“

Im Ergebnis durfte die Niederlassungsfreiheit des Fährunternehmers nicht mit grundrechtlich geschützten Kollektivmaßnahmen behindert werden.741 Schließlich sei ein Grundrecht unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes „mit den Erfordernissen hinsichtlich der durch den Vertrag geschützten Rechte in Einklang zu bringen“.742 Das jedoch für die Schrankenbestimmung eigentlich Entscheidende an diesem Urteil ist, dass der Gerichtshof im Urteilstext nicht nur pauschal auf die Einschränkbarkeit des Grundrechts eingeht, sondern auf die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten verweist und darüber hinaus explizit nationales Recht zitiert. Auch wenn der Schwerpunkt in diesem Fall nicht auf der Schrankensystematik des Grundrechts lag, so könnte man aus der Passage herauslesen, dass die Einschränkungsmöglichkeiten aufgrund des Grundrechtswortlauts nach Auffassung des Gerichtshofs entsprechend auch auf einzelstaatliche Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ausdehnbar sei. Der im Urteil geprüfte Art. 28 GRCh743 hat einen vergleichbaren Passus wie Art. 16 GRCh. Einzig ge740 EuGH v. 11.12.2007 – RS C-438/05 (International Transport Worker’s Federation und Finnish Seamen’s Union/Viking Line ABP und OÜ Viking Line Eesti), Slg. 2007, S. I-10779 (Rdn. 44). 741 Eine vergleichbare Konstellation mit identischem Abwägungsergebnis bei der Prüfung der vom Unternehmer geltend gemachten Dienstleistungsfreiheit findet sich im Urteil EuGH v. 18.12.2007 – RS C-341/05 (Laval und Partneri Ltd/Svenska Byggnadsarbetareförbundets u. a.), Slg. 2007, S. I-11767 (Rdn. 90 ff.): „Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Grundrechtscharakter des Rechts auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme eine derartige Maßnahme, die sich gegen ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen richtet, das Arbeitnehmer im Rahmen einer länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen entsendet, nicht dem Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts entziehen vermag. Daher ist zu prüfen, ob die Tatsache, dass die gewerkschaftlichen Organisationen eines Mitgliedstaats eine kollektive Maßnahme unter den oben beschriebenen Bedingungen durchführen können, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt (. . .).“ 742 Rdn. 46. 743 Art. 28 GRCh: „Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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stützt auf den Wortlaut könnte man daher den Rückschluss ziehen, dass der Gerichtshof auch nationale Vorschriften, die dem Grundrecht aus Art. 16 GRCh entgegenstehen könnten, als Schranken anerkennen wird. Fraglich ist, ob der Gerichtshof diesen Lösungsansatz auch bei der unternehmerischen Freiheit so wählen wird. Schließlich ist Art. 28 GRCh ein Grundrecht, bei dem der Europäischen Gemeinschaft gemäß Art. 137 Abs. 5 EGV744 Kompetenzen durch Primärrecht abgesprochen werden. Sie darf keine Regelungen auf den Gebieten des Koalitionsrechts, des Streikrechts sowie des Aussperrungsrechts erlassen.745 Unter Berücksichtigung der hier untersuchten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften wird es in der Rechtsprechungspraxis wohl darauf hinauslaufen, dass zwar einzelstaatliche Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten als mögliche Einschränkungen des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit anerkannt werden, aber nur soweit der über Art. 52 Abs. 1 GRCh geschützte Wesensgehalt746 der unternehmerischen Freiheit nicht verletzt wird.747 Dieses Ergebnis wäre auch ganz im Sinne der bereits bestehenden Argumentation des Gerichtshofs, die „praktische Wirksamkeit“ gemeinschaftsrechtlicher Regelungen anzustreben.748 Im Ergebnis bedeutet der Verweis auf die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ein erhebliches Konfliktpotential. Anstatt gewünschter ihre jeweiligen Organisationen haben nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht, Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen sowie bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks, zu ergreifen.“ 744 Art. 137 Abs. 5 EGV: „Dieser Artikel gilt nicht für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht.“ 745 S. Krebber, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 28, Rdn. 3. 746 In Deutschland wird der Wesensgehalt der Grundrechte über Art. 19 bs. 2 GG geschützt: „In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.“ 747 So bspw. auch S. Breitenmoser, Praxis des Europarechts, S. 317, der trotz der einschränkenden Formulierung davon ausgeht, dass zumindest eine Institutsgarantie besteht und damit die unternehmerische Freiheit im Kern nicht zur Disposition steht. 748 Vgl. hierzu bspw. EuGH v. 01.12.2005 – RS C-14/04 (Abdelkader Dellas/Premier ministre und Ministre des Affairs sociales, du Travail et de la Solidarité), Slg. 2005, S. I-10253 (Rdn. 45): „Jede andere Auslegung würde dieser Richtlinie nämlich ihre praktische Wirksamkeit nehmen und ihr Ziel verkennen, durch Mindestvorschriften einen wirksamen Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten.“ sowie EuGH v. 18.01.2007 – RS C-385/05 (Confédération générale du travail (CGT) u. a./Premier ministre und Ministre de l’Emploi, de la Cohésion sociale et du Logement), Slg. 2007, S. I-611 (Rdn. 35): „Wie nämlich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, dürfen die Mitgliedstaaten, wenn eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift auf einzelstaatliche Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten verweist, keine Maßnahmen erlassen, die geeignet sind, die praktische Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Regelung, in die sich diese Vorschrift einfügt, zu beeinträchtigen.“

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C. Unternehmerische Freiheit

Rechtssicherheit und Rechtsklarheit durch eine geschriebene Grundrechtecharta haben sich Diskussionen über Doppelbeschränkungen und Schrankenkonkurrenzen entwickelt.749 So bleibt festzustellen, dass nur eine Streichung des Verweises auf die „einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ die Schrankendiskussionen rund um die unternehmerische Freiheit beenden würde.750 Sollte es hierzu nicht kommen, wird der Gerichtshof mit der Rechtsverbindlichkeit der Charta wohl auch erstmalig nationale Vorschriften sowie Gepflogenheiten als Einschränkungsmöglichkeiten der unternehmerischen Freiheit akzeptieren müssen,751 zumindest soweit der über Art. 52 Abs. 1 GRCh752 geschützte Wesensgehalt der unternehmerischen Freiheit nicht verletzt wird. Dies erscheint vor dem Ziel des Konvents, mit der Charta einen einheitlichen Grundrechtsstatus auf europäischer Ebene zu installieren, mehr als fraglich. Zu Recht wird daher die vertikale Schrankenformulierung auf Grund der erheblichen Rechtsunsicherheit, die sie mit sich bringt, als „missglückt“ 753 und „systemwidrig“ 754 bezeichnet. (b) Die Anwendbarkeit der Schrankenbestimmungen aus Art. 52 GRCh Weil Art. 52 Abs. 1 GRCh als Schrankenklausel zur unternehmerischen Freiheit explizit in den Erläuterungen zur Grundrechtecharta erwähnt wird, ist davon auszugehen, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit der Rechtsverbindlichkeit der Charta diese „allgemeine Einschränkungsregel“ in seiner Grundrechtsrechtsprechung zur unternehmerischen Freiheit auch zitieren und anwenden wird.755 Zudem greift der Gerichtshof in seiner bisherigen Ausgestal749

M. Knecht, Die Charta der Grundrechte, S. 206. A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 101. 751 W. Frenz (ders., Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 790, Rdn. 2666) hat eine ganz pragmatische Lösung, die leider nicht mit dem Wortlaut von Art. 16 GRCh in Einklang zu bringen ist. Er stuft den Vorbehalt des Art. 16 GRCh als rein deklaratorischer Natur ein und verweist auf die damit erzeugte Genugtuung der kritischen Stimmen des Konvents. 752 Art. 52 Abs. 1 S. 1 GRCh: „Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss (. . .) den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. (. . .).“ 753 A. Große Wentrup, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 101. 754 C. Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 52, Rdn. 12. 755 In den Schlussanträgen des Generalanwaltes Paolo Mengozzi vom 23.05.2007 in der Rechtssache C-341/05 (Laval und Partneri Ltd/Svenska Byggnadsarbetareförbundet u. a.) findet sich im Rahmen einer Grundrechtsprüfung zu Art. 28 GRCh bereits folgende Passage (Rdn. 76): „Nach Art. 52 Abs. 1 der Grundrechtecharta muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten . . . 750

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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tung der Grundrechtsschranken auf eine ähnliche Formulierung756 zurück, die den Konventsmitgliedern entsprechend auch als Formulierungsgrundlage für Art. 52 Abs. 1 GRCh diente.757 Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Schrankenklausel aus Art. 52 Abs. 1 GRCh auf die unternehmerische Freiheit Anwendung finden wird, jedoch ohne das es hierdurch zu einer Änderung der bisherigen Rechtsprechungspraxis kommen wird. Inwieweit Art. 52 Absatz 4 GRCh und Art. 52 Abs. 6 GRCh auf die unternehmerische Freiheit Anwendung finden, hat zumindest in der Literatur für Kontroversen gesorgt.758 Nachfolgend soll daher insbesondere unter Berücksichtigung der historischen Entstehungsgeschichte, der Systematik und des Wortlautes der Charta ein Lösungsvorschlag erarbeitet werden. Die drei Absätze von Art. 52 Abs. 4 bis Abs. 6 GRCh sind im Rahmen der Diskussionen um die Eingliederung der Grundrechtecharta in den Verfassungsvertrag entstanden.759 Dabei war insbesondere das den Gemeinschaftsgrundrechgesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.“ 756 Beispielhaft für zahlreiche vergleichbare Schrankenformulierungen des Gerichtshofs, EuGH v. 09.09.2008 – verb. RS C-120/06P und C-121/06P (Fabbrica italiana accumulatori motocarri Montecchio SpA u. a./Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 2008, (bisher nur online veröffentlicht, Rdn. 183: „Insbesondere hinsichtlich des Eigentumsrechts und der freien Berufsausübung hat der Gerichtshof seit Langem anerkannt, dass diese Rechte zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehören, wobei er jedoch betont, dass diese Grundsätze keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen können, sondern im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden müssen. So hat er entschieden, das zwar die Ausübung des Eigentumsrechts und die freie Berufsausübung namentlich im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation Beschränkungen unterworfen werden können, dass aber die Voraussetzung dafür ist, dass die Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet.“). 757 Vgl. hierzu die Erläuterungen des Konvents zu Art. 52 Abs. 1 GRCh: „Die verwendete Formulierung lehnt sich an die Rechtsprechung des Gerichtshofs an, die wie folgt lautet: Nach gefestigter Rechtsprechung kann jedoch die Ausübung dieser Rechte, insbesondere im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation, Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der diese Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet.“ 758 Vgl. Kapitel C. IV. 2. c), (1). 759 Die Arbeitsdokumente der Arbeitsgruppe II, die für die Eingliederung der Charta in den Verfassungsvertrag verantwortlich war, können online unter http://european-con vention.eu.int (geprüft am 11.07.2009) abgerufen werden.

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C. Unternehmerische Freiheit

ten gegenüber kritische Mitgliedsland Großbritannien an der Aufnahme interessiert,760 obwohl in den Beratungen der Arbeitsgruppe II geladene Experten die Schwierigkeiten einer solchen Kodifizierung vortrugen.761 Nachdem man sich darüber verständigt hatte, dass die Formulierungen insbesondere dazu dienen, jeweils eine politische Mehrheit in den kritischen Mitgliedsländern bei den damals noch ausstehenden nationalen Abstimmungen über den Verfassungsvertrag zu erzielen, konnte man sich auf die Aufnahme der Formulierungen einigen.762 Bezüglich Art. 52 Abs. 6 GRCh trug die britische Regierungsvertreterin Baroness Scotland of Asthal noch vor, dass es sich nur um eine symbolische Unterstreichung der bereits in den einzelnen Grundrechten vorhandenen Verweise handele. Ob der Gerichtshof diese Entstehungsgeschichte in seinen zukünftigen Grundrechtsinterpretationen berücksichtigen wird, ist aber offen.763 In Anbetracht der bisherigen Untersuchungsergebnisse scheint Art. 52 Abs. 4 GRCh auf das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit zu passen. Schließlich hat der Gerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung764 festgelegt, dass die 760 Siehe hierzu beispielsweise die eigens formulierte, drei Seiten lange Empfehlung vom 09.07.2002 von Baroness Scotland of Asthal aus der Arbeitsgruppe II unter dem Betreff: Der fehlende horizontale Artikel in der Charta mit dem Schlusszitat: „Ich bin der Auffassung, dass die Arbeitsgruppe II die Aufnahme einer zusätzlichen horizontalen Schranke in Erwägung ziehen sollte oder alternativ die Einarbeitung einer angemessene Schrankenregelung in den jeweils genannten [sozialen] Grundrechten.“ 761 Anhörung von Herr Michel Petite, Leiter der Rechtsabteilung der Europäischen Kommission, am 23.07.2002, veröffentlicht im Dokument Nr. 13 der Arbeitsgruppe II vom 05.09.2002 (WG II-WD 13, S. 47): „Können wir uns vorstellen, dass in den horizontalen Klauseln eine zusätzliche Regelung aufgenommen wird mit Bezug zu den gemeinsamen Verfassungstraditionen? Wir können darüber nachdenken. Aber solch eine Regelung wird nicht leicht zu formulieren sein. Schließlich gibt es keinen einzelnen geschriebenen Bezugstext für die gemeinsamen Verfassungstraditionen. Vielmehr gibt es eine große Anzahl an Quellen zur Inspiration. Zugegebenermaßen hat der Gerichtshof diese Quellen verwendet, aber mit einer großen Bandbreite an Besonnenheit; es ist illusorisch zu denken, dass es möglich sein wird, Rechte mit identischer Bedeutung und identischen Anwendungsbereichen der 15 Mitgliedstaaten, und später selbst der 27 Mitgliedstaaten, zu schaffen. Wenn man es versucht, wird man im besten Falle lediglich mittelmäßige und zweitklassige Normen mit einem kleinsten gemeinsamen Nenner erhalten.“ 762 C. Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 52, Rdn. 10. 763 Am 27.09.2002 wurde ein Richter des EuGH, Herr Vassilios Skouris, von der Arbeitsgruppe II als Experte angehört (vgl. WG II-WD 19, S. 8). Auf die Frage hin, ob ein Verweis auf die gemeinsamen Verfassungstraditionen auch noch bei einer rechtsverbindlichen Charta notwendig sei, führte Richter Skouris in seiner Rede wie folgt aus: „Meine Meinung ist, das ab dem Zeitpunkt, wo es einheitliche und verbindliche europäische Grundrechte gibt, es nicht mehr nötig sein wird auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze zu verweisen, und in diesem Zusammenhang auch nicht mehr auf die gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie die EMRK als parallele oder auch übereinstimmende und entsprechende Quelle für Grundrechte.“ 764 Siehe beispielhaft hierfür EuGH v. 14.05.1974 – RS 4/73 (J. Nold, Kohlen- und Baustoffgroßhandlung/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1974,

IV. Art. 16 GRCh: Die unternehmerische Freiheit in der Grundrechtecharta

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Grundrechte von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten getragen sind.765 Bei den zugrunde liegenden Grundrechtsverbürgungen der unternehmerischen Freiheit wurden bereits die nationalen Rechtserkenntnisquellen analysiert.766 Die gerichtliche Herleitungspraxis aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen folgt nicht dem Mehrheitsprinzip,767 auch müssen die Grundrechte nicht in allen Mitgliedstaaten vorhanden sein.768 Legt man diese Rechtsprechungspraxis als Maßstab für Art. 52 Abs. 4 GRCh zu Grunde, so kann man den Regelungsgehalt und damit die Auswirkung auf das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit als minimal einstufen. Eine „Auslegung im Einklang mit den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten“ wird schließlich nicht dazu führen, dass einzelne nationale Grundrechtsinterpretationen durch den Gerichtshof eine nähere Berücksichtigung finden werden.769 Dieses Ergebnis deckt sich im Übrigen mit den Erläuterungen des Präsidiums zu Art. 52 Abs. 4 der Charta: „Anstatt einem restriktiven Ansatz (. . .) zu folgen, sind die Charta-Rechte dieser Regel [Art. 52 Abs. 4 GRCh] zufolge so auszulegen, dass sie ein hohes Schutzniveau bieten, das dem Unionsrecht angemessen ist und mit den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen im Einklang steht.“ S. 491 (Rdn. 13): „Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, die er zu wahren hat, und dass er bei der Gewährleistung dieser Rechte von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten auszugehen hat. Hiernach kann er keine Maßnahmen als Rechtens anerkennen, die unvereinbar sind mit den Verfassungen dieser Staaten anerkannten und geschützten Grundrechten.“ sowie EuGH v. 03.05.2007 – RS C-303/05 (Advocaten voor de Wereld VZW/Leden van de Ministerraad), Slg. 2007, S. I-11995 (Rdn. 45): „Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Union (. . .) die Grundrechte, (. . .) wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrecht achtet.“ 765 So erstmals in EuGH v. 17.12.1970 – RS 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel), Slg. 1970, S. 1125 (Rdn. 4). 766 Vgl. C. III. 1. b). 767 K.-P. Sommermann, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band 1, S. 669; J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S. 369–373 (372); EuGH v. 21.9.1989 – verb. RS 46/87 und 227/88 (Hoechst/Kommission), Slg. 1989, S. 2859 (Rdn. 48–97): Von 12 Mitgliedstaaten gab es einen Grundrechtsschutz für Geschäftsräume in sechs Verfassungen, drei Verfassungen hatten noch keine Meinung zu diesem Thema gefunden und lediglich drei Verfassungen sprachen sich gegen einen Schutz für gewerbliche Räume aus. Der EuGH folgte der letzten Auffassung mit der Begründung, dass es in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Regelungen gebe, vgl. hierzu LS 2: „(. . .) Ein Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung ist (. . .) anzuerkennen, nicht aber für Unternehmen, da die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in Bezug auf Art und Umfang des Schutzes von Geschäftsräumen gegen behördliche Eingriffe nicht unerhebliche Unterschiede aufweisen.“ 768 J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S. 362. 769 Hierfür spricht auch schon der verwendete Plural, der auf die Gesamtheit der Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und damit auf ihren Durchschnitt hindeutet, und nicht auf jede einzelne Verfassungsüberlieferung jedes Mitgliedstaats selber.

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C. Unternehmerische Freiheit

Als Ergebnis bleibt festzustellen, dass Art. 52 Abs. 4 GRCh keinen Einfluss auf die Rechtsprechungspraxis des Gerichtshofs erwarten läßt und es sich – unter Berücksichtigung seiner Entstehungsgeschichte – um eine überflüssige Vorschrift handelt. In Art. 52 Abs. 6 GRCh findet sich der bereits in Art. 16 GRCh enthaltene Vorbehalt in ähnlicher Form wieder: „Den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ist, wie es in dieser Charta bestimmt ist, in vollem Umfang Rechnung zu tragen.“ Nach dem Wortlaut könnte Art. 52 Abs. 6 GRCh auf Art. 16 GRCh anwendbar sein, was nachfolgend untersucht wird. Für die historische Entstehungsgeschichte kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden, dass es sich gemäß den Erläuterungen des Grundrechtekonvents770 um eine Wiederholung des im Grundrecht bereits integrierten Passus handelt.771 Es stellt sich somit die Frage, welche Auswirkungen dieser deklaratorische Absatz auf die unternehmerische Freiheit haben wird.772 Wie bereits im vorherigen Abschnitt erarbeitet wurde, kann man mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung davon ausgehen, dass es zu einer Berücksichtigung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten und somit auch zu einer Anwendung von Art. 52 Abs. 6 GRCh durch den Gerichtshof kommen wird.773 Lediglich der Wesensgehalt des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit wird noch über Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GRCh geschützt werden.774 Der einzig sinnvolle und bereits zuvor präferierte Lösungsansatz ist immer noch folgender: Die Vorbehaltsklausel in Art. 16 GRCh bezüglich der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten sollte gestrichen werden. Im Ergebnis würde das bedeuten, dass Art. 52 Abs. 6 GRCh unter Berücksichtigung der Erläuterungen des Grundrechtekonvents nicht mehr anzuwenden wäre. Hierdurch würde man der bisherigen Rechtsprechungspraxis des Gerichtshofs zur unternehmerischen Freiheit gerecht werden und insbesondere einen Teil der noch offenen Fragen zur Schrankensystematik der unternehmerischen Freiheit lösen können.

770 Erläuterungen des Grundrechtekonvents zu Art. 52 Abs. 6 GRCh: „Absatz 6 bezieht sich auf die verschiedenen Artikel in der Charta, in denen im Sinne der Subsidiarität auf die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten verwiesen wird.“ 771 C. Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 52, Rdn. 11. 772 K. A. Schachtschneider weist in diesem Zusammenhang auf das vom Gerichtshof unter diesen Umständen nicht durchsetzbare, aber „legitime Interesse an der Einheit der Rechtsordnung der Union“ hin, (ders., Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 4, I., 3.); siehe hierzu auch W. Frenz, Handbuch Europarecht – Europäische Grundrechte, S. 57, Rdn. 174–175. 773 Vgl. Kapitel C. IV. 2. c). 774 Siehe hierzu auch K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union – Wirtschaftsverfassung, § 2, III., 5.

D. Endergebnis Anknüpfend an das zu Anfang gesetzte Ziel, einen Vergleich zwischen der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und der Ausgestaltung des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit in der Grundrechtecharta durchzuführen, werden nachfolgend die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst und die relevanten Unterschiede dargestellt. Im Einführungskapitel konnten grundlegende Erkenntnisse zum europäischen Grundrechtsschutz vorgestellt werden. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat durch seine Rechtsprechung eine eigene europäische Grundrechtsdogmatik entwickelt und prüft nunmehr seit über vierzig Jahren europäische Grundrechtsverletzungen. In Ermangelung primärrechtlich kodifizierter Grundrechte hat der Gerichtshof diese als ungeschriebene, allgemeine Rechtsgrundsätze entwickelt.1 Dabei dienten die Europäische Menschenrechtserklärung sowie die gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten als Rechtserkenntnisquellen.2 In seiner umfangreichen Rechtsprechungspraxis bedient sich der Gerichtshof der allgemeinen juristischen Auslegungsmethoden und gibt regelmäßig der Auslegungsalternative den Vorrang, welche die Verwirklichung der primärrechtlichen Vertragsziele am besten fördert.3 Die Bindungswirkung der Gemeinschaftsgrundrechte umfasst nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs das durch die Gemeinschaftsorgane erlassene Sekundärrecht sowie alle anderen Akte ihrer hoheitlichen Gewalt.4 Soweit die Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts handeln, sind auch diese nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs an die Gemeinschaftsgrundrechte gebunden.5 Abweichend hiervon findet sich in der Grundrechtecharta in Art. 51 Abs. 1 GRCh folgende Formulierung: „Diese Charta gilt (. . .) für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union.“ Der in der Charta damit enger gefasste Anwendungsbereich wird aber höchstwahrscheinlich zu keiner neuen Rechtsprechungspraxis des Gerichtshofs führen.6 1 2 3 4 5 6

Kapitel B. I. Kapitel B. V. 2. Kapitel B. V. Kapitel B. II. 1. a). Kapitel B. II. 1. b). Kapitel B. II. 2.

218

D. Endergebnis

Zudem wurde festgestellt, dass ein Rückgriff auf die Grundfreiheiten zur näheren Konkretisierung des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit nicht ergiebig ist, weil sich die Schutzbereiche von Grundrechten und Grundfreiheiten durch die Entwicklung der Grundfreiheiten zu grundrechtsgleichen Rechten überschneiden.7 Der Ansatz, das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit unter Berücksichtigung des primärrechtlichen Wirtschaftsrahmens der Europäischen Union zu erörtern, ergab, dass dieses Wirtschaftsgrundrecht insbesondere all die Verhaltensweisen der Unternehmer zu schützen hat, die als notwendige Kernelemente mit subjektiv-rechtlichem Charakter in einer funktionierenden, offenen und sozialen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb vorhanden sein müssen. Hierzu gehören die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit, Erwerb und Nutzen von Eigentum, die Vertragsfreiheit sowie die freie, selbstbestimmte Disposition des Unternehmers betreffend seine Wirtschaftsgüter.8 Die Untersuchung der beiden Hauptrechtserkenntnisquellen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften hat zu folgenden Ergebnissen geführt: In der Europäischen Menschenrechtserklärung findet sich weder die Kodifizierung eines Grundrechts unternehmerischer Freiheit noch der allgemeinen Berufsfreiheit. Durch eine Ausweitung des Vermögensbegriffs in Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls EMRK konnte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aber immerhin das Recht schützen, ein Unternehmen zu führen sowie Verträge zu schließen und durchzusetzen. Hierdurch wird der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit zumindest ein eingeschränkter Rechtsschutz gewährt.9 Die Analyse der nationalen Verfassungsverbürgungen zum Grundrecht der unternehmerischen Freiheit hat ergeben, dass fast überall Teilgewährleistungen unternehmerischer Freiheit grundrechtlichen Schutz genießen. In einigen Mitgliedsländern der Europäischen Union ist die unternehmerische Freiheit sogar als eigenständiges Grundrecht Bestandteil des nationalen Grundrechtskatalogs. Die Teilgewährleistungen unternehmerischer Freiheit, die wie die Vertragsfreiheit meistens nicht explizit in den Grundrechtskodifizierungen aufgezählt sind, werden regelmäßig über die nationalen Grundrechtsrechtsprechungen der Verfassungsgerichte anerkannt und geschützt. In keinem der näher untersuchten Länder wird die unternehmerische Freiheit aber vorbehaltlos eingeräumt, sondern sie unterliegt regelmäßig geschriebenen und ungeschriebenen Schranken. Zu berücksichtigen sind dabei fast durchgehend das Gemeinwohlinteresse sowie die öffentliche Ordnung und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, unter Beachtung der Wesensgehaltsgarantie. Im Ergebnis lässt sich zusammenfassen, dass die Verfas7 8 9

Kapitel B. V. Kapitel C. I. und II. Kapitel C. III. 1.

D. Endergebnis

219

sungstraditionen der Mitgliedstaaten ein europäisches Grundrecht der unternehmerischen Freiheit enthalten und somit eine taugliche Rechtserkenntnisquelle für den Gerichtshof darstellen. Unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse wurde die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den grundrechtlich garantierten Teilgewährleistungen unternehmerischer Freiheit untersucht. Insbesondere die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung, die vereinzelt in den Urteilen auch als wirtschaftliche Handlungsfreiheit oder Wirtschaftsfreiheit bezeichnet wird, stellt eine zentrale Gewährleistung unternehmerischer Freiheit dar. Zudem erkennt der Gerichtshof auch die grundrechtliche Handelsfreiheit an. Diese Teilgewährleistungen werden in der Rechtsprechung des Gerichtshofs jeweils als Unterfall der Berufsausübungsfreiheit eingestuft. Darüber hinaus wird die Vertragsfreiheit sowie die freie Wahl des Geschäftspartners in der europäischen Grundrechtsrechtsprechung gewährt und explizit als besonderer Ausdruck der freien Berufsausübung gewertet. Dem Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit wird indes kein subjektivrechtlicher Charakter zugesprochen. Der persönliche Schutzbereich unternehmerischer Freiheit, der sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, umfasst sowohl natürliche als auch juristische Personen. Mangels Rechtsprechung ist die Frage, ob auch juristische Personen des öffentlichen Rechts sich erfolgreich auf das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit berufen können, auf europäischer Ebene noch nicht abschließend entschieden worden. Die Rechtfertigungsebene des Gerichtshofs ist grundsätzlich in eine dreistufige Prüfung unterteilt, was sich im Urteilsaufbau aber nicht immer wiederfindet. Zu den Prüfungsschritten gehören die Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs durch die dem Allgemeinwohl dienenden Ziele der Gemeinschaft, die Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs im Hinblick auf den mit ihm verfolgten Zweck und die Garantie des Wesensgehalts des geschützten Grundrechts. Auf der Grundlage der umfassenden Grundrechtsjurisdiktion des Gerichtshofs entwickelte im Jahre 2000 der Grundrechtekonvent eine eigenständige Grundrechtecharta. Diese stellt nachfolgend die Vergleichsebene zur Rechtsprechungspraxis des Gerichtshofs dar. Die Kodifizierung einer unternehmerischen Freiheit als eigenständiger Artikel neben der Berufsfreiheit in Art. 15 GRCh stellt die erste wesentliche Abweichung zur bisherigen Rechtsprechung dar. Wurde in der Rechtsprechung die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit als Unterfall der Berufsausübungsfreiheit gewertet, so ist nunmehr ein eigenständiges Grundrecht hinzugekommen. Dies führt zu der Frage, wie eine sinnvolle Abgrenzung zwischen den drei Wirtschaftsgrundrechten der Grundrechtecharta erfolgen kann. Soweit ein Eingriff schwerpunktmäßig die Profession und damit das Erlernte oder Studierte sowie die berufliche Freiheit des Einzelnen betrifft, ist die Berufsfreiheit das einschlägige Grundrecht. Über-

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D. Endergebnis

wiegt hingegen die wirtschaftliche Betätigung als solche, so ist die unternehmerische Freiheit das einschlägige Grundrecht. Eine Abgrenzung zum Eigentumsrecht erfolgt im Rahmen der Spezialität der unternehmerischen Freiheit. Art. 17 Abs. 1 GRCh gewährt Bestandsschutz und enthält ein Verfügungsrecht. Soweit aber Eigentumsnutzung und damit unternehmerische Tätigkeiten zu schützen sind, ist Art. 16 als lex specialis anzuwenden. Was den Schutzbereich angeht, so ist auch die Vertragsfreiheit als Teilgewährleistung unter Art. 16 GRCh zu subsumieren. Der Verbraucher wird sich als regelmäßiger Geschäftspartner von Unternehmen aber nicht auf Art. 16 GRCh berufen können, sodass dieser seinen Schutz im Sinne von Art. 52 Abs. 3 GRCh über Art. 17 Abs. 1 GRCh in Verbindung mit Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK findet. Bisher hat der Gerichtshof solch eine Differenzierung nicht vorgenommen, sodass es mit einer rechtsverbindlichen Grundrechtecharta hier zu einer Änderung des derzeit noch einschlägigen Grundrechts der Berufsfreiheit kommen könnte. In diesem Zusammenhang ist auch die gewählte Formulierung von Art. 16 GRCh zu kritisieren – so wird das Grundrecht lediglich „anerkannt“, was in Verbindung mit dem fehlenden personalen Bezug die Ausgestaltung als subjektives Recht in Zweifel ziehen lässt. Die Rechtfertigungsebene, wie sie für das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit in der Charta vorgesehen ist, zeigt die auffälligsten Abweichungen von der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs. So enthält der Wortlaut von Art. 16 GRCh einen eigenen, zusätzlichen vertikalen Schrankenvorbehalt, der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs bisher nicht abgehandelt wurde. Die Rechtsprechung verwendet lediglich die allgemeine Schrankenklausel, wie sie sich in Art. 52 Abs. 1 der Grundrechtecharta wiederfindet. Durch diesen doppelten Schrankenvorbehalt für Art. 16 GRCh haben sich viele Fragen ergeben, die abschließend nur so beantwortet werden können, dass es hinsichtlich Art. 16 GRCh entweder einer Neufassung unter Streichung der vertikalen Schranke bedarf oder dass im Ergebnis lediglich der Wesensgehalt unternehmerischer Freiheit durch die Charta geschützt wird, womöglich nur in der objektiven Dimension als Institutsgarantie. Die Kodifizierung der unternehmerischen Freiheit in Art. 16 GRCh bedeutet keine Stärkung des europäischen Grundrechtsschutzes der Unternehmer. Insbesondere der in Art. 16 GRCh eingefügte Passus „nach (. . .) den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ stellt eine nicht hinnehmbare Einschränkungsmöglichkeit des Schutzbereichs dar. Das Ergebnis dieser Untersuchung bestätigt, dass die präzise Ausgestaltung und Formulierung einer Grundrechtecharta nicht in die Hände von Parteipolitikern, Interessenvertretern und Lobbyisten gehört.10 Zu solch einem Vorhaben 10 Auch andere Formulierungen in der Charta sind höchst fragwürdig. J. Lindner (Theorie der Grundrechtsdogmatik, S. 225–226) hat beispielsweise in seiner Habilita-

D. Endergebnis

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sollten sich allenfalls die größten Denker und Philosophen vereinen, wenn Menschenrechte entsprechend der kulturellen und geistigen Schöpfung der Menschheit in Textform zu bringen sind.11 Nur so könnte dem heterogen heranwachsenden Europa in seiner Vielfalt ein tragendes Rechtsfundament verliehen werden.12 Zudem bleibt anzumerken, dass die Bedrohung des Grundrechts der unternehmerischen Freiheit in Deutschland und Europa nicht allein in der Antastung des „absoluten“ Wesenskerns durch einen hoheitlichen Einzelakt liegt, sondern in der schleichenden Aushöhlung des Grundrechts durch einen allzu interventionistisch eingestellten Staat.13

tionsschrift auf den eklatanten Mangel hingewiesen, dass eine verbindliche Grundrechtecharta wegen der fehlenden Kodifizierung der allgemeinen Handlungsfreiheit nur einen lückenhaften Schutz bieten würde. So auch C. Günther, Die Ausgestaltung des Rechts auf Bildung, S. 53. 11 K. A. Schachtschneider, Verfassungsbeschwerde gegen den Vertrag von Lissabon, E., III., S. 202. 12 P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 330. 13 So schon 1995, M. Hoffmann, Staatliche Wirtschaftsregulierung, BB 1995, S. 58.

E. Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union – ein Blick in die Zukunft Grundrechtsschutz ist nicht nur ein umstrittenes Thema in der juristischen Literatur,1 sondern auch von elementarer Bedeutung für die Bürger der Europäischen Union.2 Erst kürzlich wurde wieder veröffentlicht, dass über 80% der deutschen Gesetze einen europäischen Ursprung haben.3 Die entsprechend fortschreitende Einflussnahme des europäischen Rechts auf alle Lebensbereiche des Bürgers erfordert es daher, die Gemeinschaftsgrundrechte zur Abwehr rechts1 Neben den zahlreichen Kommentaren zur Grundrechtecharta mit unzähligen Meinungen zur europäischen Grundrechtsdogmatik, findet man in der Tagespresse regelmäßig kritische Aufsätze und Interviews zum Europäischen Integrationsprozess. Franz Ludwig Graf Stauffenberg, Lebewohl der Lemminge (in Neue Züricher Zeitung v. 26.7.1007, S. 7): „Während einst im deutschen Grundgesetz unsere Grundrechte unantastbar waren, auch gegen alle Mehrheit in Volk und Staat, unterliegen sie nun jedwedem Eurogebot, ganz simpel durch das unscheinbare konstitutionelle Schlupfloch, aus dem Regeln des Völkerrechts allen Bundes- und Landesgesetzen vorgehen.“; Roman Herzog und Lüder Gerken fragen sich beispielsweise, ob man Deutschland überhaupt noch als parlamentarische Demokratie bezeichnen kann (Die Welt vom 13. Januar 2007, Gastkommentar). Auch sehen sie Gefahren der immer größeren Kompetenzaushöhlung der Mitgliedstaaten durch die exzessive Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Roman Herzog und Lüder Gerken, Stoppt den Europäischen Gerichtshof, FAZ vom 8. September 2008, S. 8). Hans-Jürgen Papier gibt in seinem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu bedenken, dass der Bundestag als eigentlicher Souverän in der Frage der Zuständigkeiten entweder hoffnungslos überfordert sei oder der Umweg über Brüssel gezielt zur Durchsetzung von nach deutschem Recht eher zwielichtigen Vorhaben gesucht wird (Hans-Jürgen Papier, Die Union ist kein Staat und soll es auch nicht werden, FAZ vom 24. Juli 2007). 2 Mit der Geburt empfängt jeder Mensch seine unveräußerlichen Menschenrechte zusammen mit seiner Freiheit. Grundrechte sind die gesetzliche Form hiervon, deren Wesensgehalte sich gleichermaßen in unseren Menschenrechten wieder finden, so K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 28 ff. Grundrechte stellen somit ein elementares und weltweit anerkanntes Kulturgut der Menschen dar und bilden die unverzichtbare geistige Grundlage eines jeden Rechtsstaates. Die Grundrechtsideale als das Ergebnis philosophischer Erkenntnis unserer christlich-abendländischen Kultur zu schützen, ist folglich die Pflicht eines jeden Einzelnen von uns. 3 T. Hoppe, Die Europäisierung der Gesetzgebung, in: EuZW 2009, S. 168. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung spricht Lüder Gerken, Leiter des Centrums für Europäische Politik (CEP), selbst von 84% der deutschen Gesetze, die mittlerweile aus Brüssel kommen (FAZ vom 24. April 2007, S. 19); K. A. Schachtschneider führt in seiner Verfassungsbeschwerde gegen den Vertrag von Lissabon aus, dass nicht nur wirtschaftliche Tätigkeiten, sondern so gut wie alle Lebensbereiche maßgeblich durch das Unionsrecht bestimmt werden, siehe E. II., S. 200 (online abrufbar unter http://www.kaschachtschneider.de/Schriften/Dokumente-herunterladen/Schacht schn-Lissab-Klage.pdf, geprüft am 11.07.2009).

E. Grundrechtsschutz in der Europäischen Union – Blick in die Zukunft

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widriger Hoheitsgewalt weiter in den Fokus der politischen Aufmerksamkeit zu rücken. Derzeit ist der gewährte europäische Grundrechtsschutz aber noch unzureichend,4 was in der Politik bekannt ist.5 Das Europäische Parlament hat daher am 15. März 20076 einen Entschluss gefasst, um die Achtung der Grundrechtecharta in den Legislativvorschlägen der Europäischen Kommission einzufordern. Dabei drängt das Parlament auf eine systematische und rigorose Überwachung. Aus den Erwägungsgründen und Entschlüssen wird ersichtlich, dass man sich auf Brüsseler Ebene über die großen Defizite des europäischen Grundrechtsschutzes im Klaren ist. So wurde vom Parlament vorgetragen, dass die Grundrechte bei der europäischen Legislative noch nicht ausreichend in den Mittelpunkt der Wahrnehmung gerückt seien, es fehle mithin eine „Grundrechte-Kultur“ für den optimalen Grundrechtsschutz.7 Neben diesem Vorstoß des Europäischen Parlaments gibt es noch weitere Bemühungen auf europäischer Ebene, den Grundrechtsschutz zu stärken. Hervorzu4 Am 27. April 2005 hat die Europäische Kommission eine Mitteilung unter dem Titel „Berücksichtigung der Charta der Grundrechte in den Rechtsetzungsvorschlägen der Kommission – Methodisches Vorgehen im Interesse einer systematischen und gründlichen Kontrolle“ veröffentlicht (KOM(2005) 172). Die hier gesetzten Ziele, so beispielsweise Vorschläge für Rechtsetzungsakte und Rechtsvorschriften vor ihrer Veröffentlichung einer Grundrechtskontrolle zu unterziehen und, soweit ein besonderer Bezug zu den Grundrechten besteht, eine förmliche Erklärung in die Erwägungsgründe mit aufzunehmen, haben sich in der Rechtspraxis als unzureichend herausgestellt. 5 So finden sich in dem am 29. April 2009 veröffentlichten Bericht der Kommission (KOM(2009) 205) über ihr methodisches Vorgehen bei der Grundrechtskontrolle von geplanten Rechtsetzungsakten zahlreiche weitere Verbesserungsvorschläge. Am Ende kommt die Kommission zu folgendem „schmeichelhaften“ Fazit: „Wie die Erfahrungen seit 2005 zeigen, hat sich das methodische Vorgehen bei der Grundrechtskontrolle im Hinblick auf die Zielstellung bewährt, doch ist bei der praktischen Anwendung noch Raum für Verbesserungen. (. . .) Der vielleicht wichtigste Faktor, bei dem angesetzt werden muss, ist der Mensch. In den Kommissionsdienststellen, die Vorschläge und Initiativen erarbeiten, muss für die automatische Berücksichtigung der Grundrechte geworben werden. Es muss eine Grundrechtskultur geschaffen werden, die schon im Konzeptionsstadium eines Kommissionsvorschlages greift. Letztlich müssen sich alle an der Rechtsetzung beteiligten Organe die Achtung der Grundrechte als gemeinsames Ziel zu eigen machen.“ 6 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. März 2007 zur Achtung der Grundrechte-Charta in den Legislativvorschlägen der Kommission, abgedruckt im ABl. v. 13. Dezember 2007 (C 301 E/229–233). 7 Erwägungsgründe J bis M; weitere relevante Erwägungsgründe sind: Die Erlangung der Rechtsverbindlichkeit der Charta als vornehmliches Ziel zur Stärkung der Grundrechte (Erwägungsgründe G und H sowie Entschluss 2) und die Problematik, dass derzeit eine direkte Anrufung eines europäischen Gerichts durch eine Einzelperson nahezu ausgeschlossen ist (Erwägungsgrund C, Teilstrich 1). Zudem ist man sich darüber im Klaren, dass in mehreren Bereichen aufgrund der begrenzten, beziehungsweise fehlenden Zuständigkeit des Gerichtshofs kein Grundrechtsschutz existiert (Erwägungsgrund C, Teilstrich 3.). Auch soll die Kommission zukünftig den unbedingten Vorrang der Verteidigung der Grund- und Freiheitsrechte vor jeglichen politischen Erwägungen anstreben (Entschluss 13).

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E. Grundrechtsschutz in der Europäischen Union – Blick in die Zukunft

heben ist hier die am 1. März 2007 eröffnete Agentur für Grundrechte der Europäischen Union8 mit Sitz in Wien.9 Anfang 2008 entschied der Europäische Rat über die zu bearbeitenden Themenschwerpunkte.10 Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte, insbesondere die unternehmerische Freiheit, werden aber im ersten Tätigkeitszeitraum von 2007 bis 2012 keine Rolle spielen.11 An der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, der mittlerweile die wichtigste richterliche Instanz für über 499 Millionen12 EUBürger darstellt, ist zu kritisieren, dass in über 40 Jahren Grundrechtsrechtsprechung erst letztes Jahr in einem einzigen Urteil13 ein europäischer Rechtsakt für grundrechtswidrig erklärt wurde.14 Die Erfolgsquote der Grundrechtsberechtigten 8 Siehe hierzu Verordnung Nr. 168/2007 vom 15. Februar 2007 zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, ABl. vom 22.2.2007, L53/1; zirka 100 Mitarbeiter mit einem Budget von 20 Millionen Euro stehen als unabhängiges Fachzentrum für Grundrechtsfragen den Organen und Einrichtungen der Europäischen Gemeinschaft und den 27 Mitgliedstaaten mit ihrem Fachwissen zur Seite. Hierdurch soll gerade bei der praktischen Umsetzung von Maßnahmen der Grundrechtsschutz von Anfang an berücksichtigt und somit gestärkt werden. Die Kommission verspricht sich eine stärkere institutionelle Verankerung des Grundrechtsschutzes. Die Zuständigkeit beschränkt sich auf das Gemeinschaftsrecht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Insbesondere sollen durch die Agentur die Grundrechte der GRCh überwacht werden. Eine Möglichkeit, einzelne Mitgliedsländer bei Grundrechtsverletzungen anzuprangern oder zur Verantwortung zu ziehen, hat sie allerdings nicht. 9 J. M. Schlichting/J. Pietsch, Die Europäische Grundrechteagentur, in: EuZW 2005, S. 587; I. Härtel, Die Europäische Grundrechteagentur – unnötige Bürokratie oder gesteigerter Grundrechtsschutz, in: EuR 2008, S. 489. 10 Beschluss des Rates vom 28. Februar 2008 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 168/2007 hinsichtlich der Annahme eines Mehrjahresrahmens für die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte für den Zeitraum 2007–2012, abgedruckt im ABl. vom 7.3.2008, L63/14. 11 Vielmehr sind es Themen wie Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Asyl, Visa und Grenzkontrolle oder Zuwanderung und Integration von Migranten, welche die Arbeit der Agentur in den ersten fünf Jahren bestimmen werden. 12 Die Bevölkerung der EU-27 umfasste am 1. Januar 2009 nach offiziellen Angaben des statistischen Amts der Europäischen Gemeinschaften (Eurostat) mit Sitz in Luxemburg 499.673.325 Bürger (eine umfangreiche Bevölkerungsstatistik findet sich unter http://epp.eurostat.ec.europa.eu, geprüft am 11.07.2009). 13 EuGH v. 03.09.2008 – verb. RS C-402/05 P und C-415/05 P (Yassin Abdullah Kadi u. a./Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 2008 (bisher nur online veröffentlicht unter http://eur-lex.europa.eu), Rdn. 371–372: „Demnach ist der von Herrn Kadi auf die Verletzung des Grundrechts auf Achtung des Eigentums gestützte Rechtsmittelgrund begründet. Nach alledem ist die streitige Verordnung, soweit sie die Rechtsmittelführer betrifft, für nichtig zu erklären.“ 14 K. A. Schachtschneider, Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, in: Brink (Hrsg.), FS für Hans Herbert von Arnim, S. 782; K. A. Schachtschneider (ders., Verfassungsbeschwerde gegen den Vertrag von Lissabon, E., II., S. 201) spricht daher zu Recht von einem „lauen Grundrechteklima“. Die Entscheidung des EuGH v. 16.12.2008 – RS C-47/07 P (Masdar Ltd./Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 2008 (bisher nur online veröffentlicht, Rdn. 47–50), erscheint in diesem Zusammenhang überraschend, ja kurios. So wurde einem Rechtsmittelführer der

E. Grundrechtsschutz in der Europäischen Union – Blick in die Zukunft

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vor dem Gerichtshof in Luxemburg ist damit minimal.15 Dieses Missverhältnis im Grundrechtsschutz lässt sich wohl am leichtesten mit dem bislang stets übergeordneten Ziel des Gerichtshofs erklären: Die europäische Einheit. Damit der Gerichtshof dieses Ziel trotz entgegenstehender individueller Grundrechte sowie mitgliedstaatlicher Kompetenzen und Hoheitsgewalten erreichen kann, pflegt er in seinen Urteilen eine ergebnisorientierte Prüfungstechnik ohne eine dezidierte Rechtfertigungsprüfung.16 Regelmäßig wird die Grundrechtsvereinbarkeit von europäischem Sekundärrecht angenommen, indem eine Abwägung mit den Gemeinschaftszielen erfolgt, denen ein überdurchschnittliches Wertungsgewicht eingeräumt wird.17 Solange sich an dieser Praxis des Gerichtshofs nichts ändert, Klageweg aufgrund ungerechtfertigter Bereicherung gewährt, obwohl die primärrechtlichen Voraussetzungen hierfür gem. Art. 235 EG und Art. 288 Abs. 2 EG (ein rechtswidriges Verhalten der Gemeinschaft sowie ein Kausalzusammenhang zwischen dem zu Last gelegten Verhalten und dem Schaden) nicht vorlagen. Die Begründung des Gerichtshofs war wie folgt, Rdn 50: „Jedoch kann dem Einzelnen trotz dieser [gesetzlich geforderten] Merkmale die Möglichkeit, eine auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützte Klage gegen die Gemeinschaft zu erheben, nicht allein deshalb verwehrt werden, weil der EG-Vertrag nicht ausdrücklich eine für diese Klageart bestimmte Klagemöglichkeit vorsieht. Eine Auslegung der Art. 235 EG und Art. 288 Abs. 2 EG, die diese Möglichkeit ausschlösse, würde zu einem Ergebnis führen, das dem in der Rechtsprechung des Gerichtshofs verankerten und in Art. 47 der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigten Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes widerspräche. (. . .).“ 15 P. Huber, Das Kooperationsverhältnis, EuZW 1997, S. 520; Kritik hinsichtlich mangelnden Grundrechtsschutzes findet sich auch in Deutschland (R. Lamprecht, Ist das BVerfG noch gesetzlicher Richter? in: NJW 2001, S. 419–421). So hat nach der Berechnung des ehemaligen Richters am Bundesverfassungsgerichts Professor Böckenförde ein Verfassungsrichter durch seine Gesamtbelastung im Schnitt nur 12,8 Minuten Zeit zur Bearbeitung einer Verfassungsbeschwerde – er wäre somit noch nicht einmal in der Lage alles zu lesen, was ein Beschwerdeführer vorbringt (E.-W. Böckenförde, Die Überlastung des Bundesverfassungsgerichts, in: ZRP 1996, S. 281). Ein Großteil der Arbeit wird nicht vom entscheidenden Spruchkörper und seinem sachlich zuständigen Richter erledigt, sondern von Hilfskräften. Zu Recht kommt da die von Professor Böckenförde gestellte Frage auf: Ist das Bundesverfassungsgericht hier noch gesetzlicher Richter? Schließlich findet sich auch aktuelle Kritik am Grundrechtsschutz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. So erläuterte Renate Jaeger, die deutsche Richterin am Europäischen Gericht für Menschenrechte, die drastische Überlastung des Straßburger Gerichts (FAZ Sonntagszeitung v. 18.1.2008, S. 40: „Hunderttausende offene Klagen: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist überlastet“). Ende 2008 waren annähernd 100.000 Klagen aus den 47 Mitgliedstaaten anhängig, und die Zahl wächst monatlich um zirka 600 liegen gebliebene Beschwerden. Unter den 29.064 Entscheidungen aus dem Jahre 2008 waren lediglich 1.673 Urteile, die übrigen 27.391 Verfahren wurden als unzulässig abgewiesen. Die aktuelle Statistik für 2008 findet sich unter http://www.echr.coe.int (geprüft am 11.07.2009). 16 B. Schöbener, Die unternehmerische Freiheit, in: Ennuschat (Hrsg.), FS für Peter J. Tettinger, S. 165; U. Penski/B. Elsner, Eigentumsgewährleistung und Berufsfreiheit, in: DÖV 2001, S. 275. 17 So bleibt für einen Unternehmer nur zu hoffen, dass sein Fall einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist und der zu schützende Freiheitsbereich durch eine der Grundfreiheiten gedeckt ist. Die Geltendmachung einer solchen erscheint bei den mage-

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E. Grundrechtsschutz in der Europäischen Union – Blick in die Zukunft

wird es keinen effektiven Grundrechtsschutz für die europäischen Bürger geben. Ob dieses Vorgehen des Gerichtshofs noch dem Grundrechtsanspruch eines die Freiheit des Einzelnen anstrebenden demokratischen Rechtsstaates gerecht wird, darf angezweifelt werden. Hier kommt zu Recht die Vermutung auf, dass ein effektiver Grundrechtsschutz mit Rechten des Einzelnen nicht besteht, sondern es sich vielmehr bei den Gemeinschaftsgrundrechten nur um eine formale Abrundung des bestehenden Rechtssystems handelt.18 Hatte man ursprünglich noch erhofft, dass ein geschriebener Grundrechtskatalog mehr Rechtssicherheit und -klarheit für den Bürger bringt,19 so hofft man heutzutage, dass die rechtsschöpferische Rolle des Gerichtshofs in Sachen Grundrechtsschutz durch die Grundrechtecharta eingeschränkt wird.20 Es bleibt zu wünschen, dass auf höchster politischer Ebene in Europa die zentrale Bedeutung von Grundrechten für die Bürger und Menschen nie in Vergessenheit gerät. Ob die politischen Parteien es schaffen, einen wahren Grundrechtsschutz für den europäischen Bürger zu errichten, bleibt derzeit offen.21 Es kann nur an jeden Einzelnen appelliert werden, die Dringlichkeit eines wirksamen Grundrechtsschutzes sich immer wieder bewusst vor Augen zu führen und dessen Institutionalisierung getreu dem Motto „gutta cavat lapidem“ 22 stetig anzustreben. ren Erfolgsaussichten im Grundrechtsbereich die wohl bessere Alternative, als Unternehmer seinem Grundrecht auf unternehmerische Freiheit praktische Wirkung zu verleihen. 18 J. Wolf, Vom Grundrechtsschutz, Kolloquium für Georg Ress, S. 18. 19 J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S. 375. 20 K.-P. Sommermann, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band 1, S. 669. 21 J. F. Lindner weist in seinem „Plädoyer für eine Optimierung der Europäischen Grundrechtecharta“ (ders., Fortschritte und Defizite im EU-Grundrechtsschutz, ZRP 2007, S. 54 f.) zu Recht darauf hin, dass jegliche Kritik an der Grundrechtecharta als Verstoß gegen europapolitische Korrektheit eingestuft wird. Wolle man den fragmentarischen und defizitären Grundrechtsschutz zu einem bürgerfreundlichen Grundrechtsschutz verbessern, so müsse man die Charta um das Grundrecht der Allgemeinen Handlungsfreiheit ergänzen (siehe auch ders., Theorie der Grundrechtsdogmatik, S. 225–226; ebenso K. A. Schachtschneider, Eine Charta der Grundrechte für die Europäische Union, S. 511–512) und den formellen Grundrechtsschutz durch eine spezifische Grundrechtsbeschwerde erweitern. Die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs enthält nämlich vereinzelt Hinweise auf eine allgemeine Handlungsfreiheit des Einzelnen, so bspw. in EuGH v. 19.02.2002 – RS C-309/99 (J. C. J. Wouters, J. W. Savelbergh und Price Waterhouse Belastingadviseurs BV/Algemene Raad van de Nederlandse Orde van Advocaten), Slg. 2002, S. I-1577 (Rdn. 97) oder auch in EuGH v. 21.05.1987 – RS 133 bis 136/85 (Walter Rau Lebensmittelwerke/Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung), Slg. 1987, S. 2289, Rdn. 19: „Auf die dritte Frage ist somit zu antworten, dass eine Entscheidung wie diejenige, mit der die Kommission am 25. Februar 1985 die streitige Maßnahme angeordnet hat, die Grundsätze der freien Berufsausübung, der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Wettbewerbsfreiheit nicht verletzt.“ 22 „Steter Tropfen höhlt den Stein“, Ovid.

Anhang: Hinweise in der Tagespresse auf die unternehmerische Freiheit Mit Hilfe von Google News Alert1 wurde über einen Zeitraum von drei Jahren in regelmäßigen Abständen die Tagespresse durchsucht. Das Ergebnis sind ausgewählte Textpassagen aus Pressemeldungen zur unternehmerischen Freiheit: Datum

Zeitschrift

Thema/„Zitat“

Anspruchsteller

19.09.2007

Hamburger Abendblatt

Zeitungsverleger Mindestlohn/. . . „Wir sehen das als absolut unzulässigen Eingriff in die Tarifautonomie“, sagte der BDVZ-Sprecher Hans-Joachim Fuhrmann. Nach Auffassung der Zeitungsverleger sei dieses Lohndiktat ein Eingriff in ihre unternehmerische Freiheit. . . .

30.01.2007

F.A.Z.

Regulierung des VDSL Hochgeschwin- Deutsche Telekom digkeitsnetz/„Die Telekom hat aus verständlichen Gründen stets den Eindruck erweckt, dass durch Regulierung ihre unternehmerische Freiheit beschränkt und so Innovationen im Telekommunikationsmarkt behindert würden.“

12.12.2006

Die Welt

Porsche Erhaltung des VW-Gesetz/„Ringen um Einfluss und unternehmerische Freiheit – Der Volkswagen Betriebsrat und das Land Niedersachsen wollen das VW-Gesetz erhalten. Der Hauptaktionär Porsche ist dagegen“

21.11.2006

Rhein-NeckarZeitung

Kartellbehörde Streit um Internet-Lotto/„Das Kartellfür die Lottogesellamt stellte sich mit der neuen Entscheidung direkt gegen einen Länderbeschluss schaften und untersagte es den zu den Ländern gehörenden Gesellschaften, bei ihrer „geschäftlichen Entscheidung“ über InternetAngebote zu Lotto und Sportwetten die an sie gerichteten Weisungen zu beachten. Mit der Untersagung werde die volle unternehmerische Freiheit der Lottogesellschaften zur Entscheidung über ihren Internetvertrieb wiederhergestellt, so die Kartellbehörde.

1

http://www.google.de/news (geprüft am 11.07.2009).

228 Datum

Anhang Zeitschrift

Thema/„Zitat“

Anspruchsteller

13.11.2006

Pressemeldung von Deloitte

Umfrage auf dem Deutschen Arbeitge- Unternehmer über ihr subjektives bertag am 7.11.2006 in Berlin (Beteiligung: 1.300 Personen)/„Bietet Deutsch- Empfinden land ausreichend unternehmerische Freiheit? Dazu meinten 83,33 Prozent, dass die Regulierungen in Deutschland das Unternehmertum zu sehr einschränkt und nur 16,67 Prozent konnten sich mit den aktuellen Gegebenheiten arrangieren.“

02.10.2006

Welt

Geplantes Verbot der Bundesregierung Bundeskartellamt für den Verkauf von Lebensmitteln un- für Unternehmen ter dem Einstandspreis/„Mit gutem Grund lehnt das Bundeskartellamt seit Jahren schon ein generelles Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis ab. Die Begründung: Ein solches Verbot stelle einen unzumutbaren Eingriff in die unternehmerische Freiheit dar.“

30.08.2006

http://www. tagesschau.de

30 Jahre Mitbestimmungsgesetz/„1976 Arbeitgeberwurde das Mitbestimmungsgesetz im Bun- verbände destag mit 389 Stimmen verabschiedet – lediglich 22 Abgeordnete votierten damals gegen die Verordnung, die die Mitsprache von Arbeitnehmern in Aufsichtsräten großer Unternehmen über 2000 Mitarbeitern ermöglicht. Trotz der parteiübergreifenden Zustimmung im Bundestag war das Gesetz von Anfang an ein Konfliktherd. Den Gewerkschaften ging die vereinbarte Mitbestimmung nicht weit genug. Die Arbeitgeberverbände wiederum fürchteten um die unternehmerische Freiheit.“

23.08.2006

Financial Times Deutschland

Kommentar von Peter Ehrlich: Lebens- – lügen der Marktwirtschaft/„Das Grundversprechen vor allem der Unionsparteien in den Wahlkämpfen seit 1994 lautete, dass mit der Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Unternehmen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Bürger haben aber nicht den Eindruck, dass dieses Versprechen erfüllt wurde. Die erfolgreichste Negativ-PR für mehr unternehmerische Freiheit ist und bleibt die Bekanntgabe von Rekordgewinnen bei gleichzeitigem Arbeitsplatzabbau.“

26.07.2006

Capital

Rauchverbot/„Bereits im Jahre 2008 soll die Zahl der für Nichtraucher reservierten Plätze in Restaurants bei 50 Prozent liegen. Die Gaststättenbetreiber fürchten so-

Gaststättenbetreiber

Anhang Datum

Zeitschrift

Thema/„Zitat“

229 Anspruchsteller

gar ein generelles Rauchverbot und machen dagegen vorsorglich mobil. Längst ist die Rede vom drohenden Eingriff in die unternehmerische Freiheit.“ 17.06.2006

http://www.fr-aktuell.de

Private KrankenGesundheitsreform/„Mit Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oet- kassen tinger hatte am Wochenende erstmals ein prominenter CDU-Politiker verlangt, auch Privatversicherte sollten in den künftigen Fonds ,einzahlen‘. Er hatte dabei allerdings zur Bedingung gemacht, dass die Privatkassen ihre ,unternehmerische Freiheit‘ behalten müssten.“

20.12.2005

Süddeutsche

Mannesmannprozess/„Laut Landgericht Aufsichtsratslag die Zahlung nicht im Interesse des Un- mitglieder von ternehmens und verletzte deshalb das Ak- Mannesmann tienrecht. Um die unternehmerische Freiheit aber nicht zu sehr zu beschränken, komme eine strafbare Untreue nur bei einer ,gravierenden Pflichtverletzung‘ in Betracht – die hier nicht gegeben sei.“

17.03.2005

taz Nord Nr. 7617, Tarifkonflikt/„Der Unternehmerverband UnternehmerverSeite 20 der Metall- und Elektroindustrie Nordme- band Nordmetall tall möchte die ,Strategie der betriebsnahen Tarifpolitik bei Betriebsverlagerungen‘ der IG Metall ,Küste‘ gerichtlich stoppen lassen. Nachdem Nordmetall am Dienstag mit einem Vorstoß vor dem Arbeitsgericht Frankfurt scheiterte, legte der Verband gestern Berufung vor dem Landesarbeitsgericht ein. Nordmetall-Geschäftsführer Thomas Klischan kündigte an, ,diese neue Strategie notfalls vom Bundesarbeitsgericht überprüfen zu lassen, da die unternehmerische Freiheit ausgehebelt wird.‘“

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Sachwortverzeichnis allgemeine Handlungsfreiheit 79, 83, 118, 142, 221, 226 allgemeine Rechtsgrundsätze 19, 29, 48 f. Amtshaftungsrecht 48 anerkannt 179 f. Arbeitgeber 103, 148 f., 210 Arbeitnehmer 37, 40, 46, 75, 148, 186, 201 Arbeitnehmerfreizügigkeit 36 f. Art. 15 GRCh 162, 178, 184 f., 219 Art. 16 GRCh 162 f. Art. 17 GRCh 178, 188 f., 192 Art. 51 Abs. 1 GRCh 32 f., 217

– Eigentumsrecht 51, 67 f., 89, 104, 121 f., 138, 153, 156, 169, 174, 179, 181, 184, 188, 189, 190, 191, 220 eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb 81, 190 f. Einheit des Gemeinschaftsrechts 35 Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 85 Erläuterungen des Präsidiums zur GRCh 54 f., 119, 131, 139, 149, 172, 174, 203, 215 Europäische Grundrechteagentur 224 Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten 21 f., 50, 64 f., 89, 163, 173, 193

Bananenmarkt-Verfahren 24 Berufsausübung 78, 136 f., 153, 156 Berufsfreiheit 65, 75, 78, 120 f., 168, 178, 184 f. Binnenmarkt 39, 60, 155, 177 Bundesgerichthof 74, 81 f. Bundesverfassungsgericht 14, 23 f., 74 f., 81

freie Berufe 87, 187 freie Wahl des Geschäftspartners 134 f., 161, 193, 219 Freiheit der Wirtschafts- und Geschäftstätigkeit 64, 72, 119, 166, 182, 183 f. Freiheit zur Gründung von Lehranstalten 177, 198 f. Freiheitsverbürgungen 74

Demokratie 70, 164, 199 Dienstleistungsfreiheit 32, 34, 38, 175 Dispositionsfreiheit 76, 186

Gemeinschaftsrichter 65 Gemeinwohl 57, 87, 17, 154, 157 gemischtwirtschaftliches Unternehmen 172, 175 f. Gepflogenheiten 205 Gerichtspraxis 53, 73 Geschäftsgebaren 205 geschichtliche Grundrechtsentwicklung 17 f. Gewaltenteilung 49, 164 Gewerbefreiheit 74, 84, 106, 112, 127 f.

Effektivitätsgrundsatz („effet utile“) 46 f. Eigentum 51, 61, 62, 66 f., 74, 82, 92, 97, 98, 100, 103, 120, 125, 153, 162, 168, 178, 188 f. – Eigentumsgewährleistung 66, 76, 81, 98, 120 f., 140, 152, 162, 168, 172, 178, 184, 185, 188, 190 f., 195

Sachwortverzeichnis Grundfreiheiten 30 f., 32, 36 f., 39 Grundrechtecharta 13 f., 25, 53 f., 65, 163 Grundrechtekonvent 163 f. Grundrechtsabgrenzung 184 Grundrechtsadressaten 26 f. Grundrechtsberechtigte 80, 83 Grundrechtsbindung 26 f. – der Gemeinschaftsorgane 27 f. – der Mitgliedstaaten 28 f., 33 Grundrechtsdogmatik 63 Grundrechtseingriff 126, 151 f., 155 f. Grundrechtsentwicklung 71 f. Grundrechtsverbürgung 71 f., 73 102, 159, 215 Grundrechtsverpflichtete 26 f., 175, 183

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Konkurrenz 63 Kooperationsverhältnis 24 Kundenstamm 67 f., 82 Legitimationsdefizit 49 Lehranstalt 149, 177 f., 182 f., 198 Lex specialis 182, 192, 198, 220 Lissabon-Urteil 25 Maastricht Urteil 24 Marktwirtschaft 57 f., 61 f., 139, 194 Marktzugang 62 Maximalprinzip 52 Mehrheitsprinzip 215 Minimalprinzip 52 Niederlassungsfreiheit 77, 175, 209, 210

Handelsbrauch 205, 206 Handelsfreiheit 84, 127 f., 141 f., 160 Handlungsfreiheit 79 f., 82 f. Hoheitsgewalt der Union 39, 223 Investitionsfreiheit 76 juristische Auslegungsmethoden 41 f. – historisch-subjektive Auslegung 43 f., 207 – systematisch-kontextuelle Auslegung 44 f., 206 – teleologische Auslegung 43, 45 f., 55, 203 – wörtlich-grammatikalische Auslegung 42 f., 204 f. juristische Person 78, 80, 83, 90, 95, 98, 144 – des Öffentlichen Rechts 172 f., 178, 186 – des Privatrechts 79, 144 f., 171 kaufmännische Interessen 160, 189 Kompetenz 47, 61, 152, 176, 206, 208, 211, 222, 225 Konfusionsargument 176

objektiv-rechtliche Garantie 179 öffentliches Unternehmen 150 Organisationsfreiheit 78, 186 package deal 169, 207 Partei- und Privatautonomie 62, 131, 134 Produktionsfreiheit 76, 186 Rangverhältnis des Gemeinschaftsrechts 21 räumlicher Geltungsbereich 35 f. Rechtfertigung 15, 32, 34, 38, 51, 63, 64, 92, 118, 154, 156 f., 161, 209, 219 f., 225 Rechtserkenntnisquelle 15, 20, 25, 49 f., 57, 64 f., 74, 118, 162 f., 173, 215, 217 f. Rechtsfortbildung 71, 84 – richterliche Rechtsfortbildung 48 Rechtsprechungspraxis 33, 34, 47, 71, 118, 138, 160, 185, 211, 213, 215 f. Rechtsstaatlichkeit 70, 163 Rechtsverbindlichkeit 16, 33, 71, 192 f., 212 Rechtsvergleichung 48 f., 50, 55, 117

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Sachwortverzeichnis

richterliche Selbstbeschränkung 49 Richterrecht 88, 205, 206 sachbereichsspezifische Grundrechtsträgerschaft 177, 198 Schrankenausgestaltung 152 f., 161, 199 f., 212 f. Schrankensystematik 56, 190, 199 f., 212 f., 216 Schutzbereich 56, 118 f. – persönlicher 144 f., 170 f. – sachlicher 178 f. Solange I Urteil 23 Solange II Urteil 23 Sozialprinzip 58, 59 Stufenlehre 79 überschießende Innentendenz 206 Unionsbürger 37, 39, 170 f. Universität 149, 177 unmittelbare Anwendbarkeit von Gemeinschaftsrecht 18 f. Unternehmensbegriff 146 f. Unternehmensfreiheit 75, 80, 84, 90 f., 94 f., 103 f., 113, 136 Unternehmensmitbestimmung 75 Unternehmerfreiheit 75, 80, 122 f., 135 f. 190 unternehmerische Freiheit 57 f., 135 f., 162 f. – in Belgien 105 f. – in Bulgarien 90 f. – in Dänemark 106 – in den Niederlanden 109 – in der Schweiz 115 – in der Slowakei 111 – in Deutschland 74 f. – in Estland 93 f. – in Finnland 106 – in Frankreich 83 f. – in Griechenland 107 – in Großbritannien 88 f. – in Irland 107

– in Italien 86 f. – in Lettland 108 – in Litauen 96 f. – in Luxemburg 108 – in Malta 108 – in Österreich 109 – in Polen 99 f. – in Portugal 110 – in Rumänien 110 – in Schweden 111 – in Slowenien 112 – in Spanien 113 – in Tschechien 113 – in Ungarn 102 f. – in Zypern 114 Unverletzlichkeit der Wohnung 51 f., 145, 215 Vereinigungsfreiheit 50, 90, 180 Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten 15, 20, 50, 64, 70 f., 102, 118, 138, 164, 214, 215, 217 Verfassungswirklichkeit 73, 94 Verhältnismäßigkeit 79, 94 f., 101, 102, 105, 117, 119, 128, 154, 156 f., 161, 200, 210, 213, 218 f. Vermögenswert 67 f., 82, 190 vertikale Schranke 199, 201 f. Vertrag über die Arbeitsweise der EU 59, 139 f., 168, 194 Vertrag von Amsterdam 22 Vertrag von Lissabon 14 f., 59, 65, 66, 163, 168, 170, 194, 195, 206, 222 Vertrag von Maastricht 22, 64 Vertragserweiterung 47 Vertragsfreiheit 57, 62, 64, 72, 79 f., 85, 86, 92, 98, 101, 104, 105, 114, 117, 119, 131 f., 160, 182, 192 f., 218, 219 Vertriebsfreiheit 77 Vorrang des Gemeinschaftsrechts 18 f., 40, 205 Wachstumsfreiheit 77 Werbefreiheit 197 f.

Sachwortverzeichnis Werbungsfreiheit 76, 85, 128, 197 wertende Rechtsvergleichung 20, 48 f., 52, 63, 70 f. Wesensgehalt 23, 24, 85, 88, 93, 101, 102, 104, 122 f., 126, 137, 152 f., 158 f., 161, 211 f., 216, 218, 219, 222 Wesenskern 83, 221 Wettbewerb 57 f., 62, 64, 72, 76, 77, 90, 97, 98, 107, 110, 112, 115, 116, 139 f., 142, 147, 166, 167, 168, 175, 176, 182, 186, 194 f., 218 – Wettbewerbsfreiheit 140 f., 161, 194 f., 219 – Wettbewerbsrecht 28, 60, 140, 146 f., 174, 176, 186 f.

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wirtschaftliche Betätigungsfreiheit 69, 75, 79 f., 85 f., 88, 89, 98, 119 f., 122 f., 130, 135, 153, 186, 218 wirtschaftliche Handlungsfreiheit 79, 119, 123, 124, 137, 140, 144, 160, 219 Wirtschaftsgemeinschaft 13, 118, 162, 168, 184 Wirtschaftsgrundrechte 50, 86, 168, 171, 179, 180, 184, 195, 219 Wirtschaftsrahmen der Europäischen Union 57 f., 218 zeitlicher Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts 36