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German Pages 238 [244] Year 1931
UNGARISCHE BIBLIOTHEK Für das Ungarische Institut an der Universität Berlin herausgegeben von J U L I U S V O N FARKAS = = = = = = = = = = = = = = Erste Reihe =-=
15.
Die ungarische Romantik Von
Julius von Farkas
1931
Walter de Gruyter & Co. vormals G. J. GSschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp.
Berlin und Leipzig
Druck von Walter de Gruyter & Co.. Berlin W. 10
Inhaltsverzeichnis. Vorwort Einleitung I. L a n d s c h a f t , R a s s e u n d B e k e n n t n i s 1. D a s l i t e r a r i s c h e L e b e n um die Wende des 18. und 19. J h d t s Die geistige Entwicklung des ungar. Protestantismus S. 14. Der Wiener Dichterkieis S. 17. Das deutsche Bürgertum der ungar. Städte S. 19. Franz Kazinczys geistesgeschichtliche Bedeutung S. 20. Die katholische Barockliteratur S. 21. Die transdanubische literar. Strömung S. 23. Die soziale Stellung der Dichter S. 25. 2. Der B i l d u n g s g e g e n s a t z im l i t e r a r i s c h e n B e w u ß t s e i n der J a h r h u n d e r t w e n d e Földis Äußerung über die reformierte und katholische Literatur S. 29. Kazinczy über die Lutheraner und die deutsche Bildung S. 33. Transtisien und Transdanubien S. 35. Die katholischen Schriftsteller von Transdanubien, ihr katholisches Selbstbewußtsein S. 38. Berzsenyi über die transdanubische Kultur S. 41. 3. Der Z u s a m m e n s t o ß Der Sprachreformkampf S. 45. Kazinczys Niederlage S. 47. Die Versöhnung S. 49. 4. W e l t a n s c h a u u n g und K o n f e s s i o n Der Einfluß der Aufklärung S. 51. Religiöse Toleranz, deistische Weltanschauung S. 53. Pläne einer nationalen Kirche S. 55. Rassengegensätze S. 56. 5. Die H e i m a t Die isolierte Lage und Erdgebundenheit der Dichter S. 59. Die Heimatsliebe der Transdanubier S. 60. Sehnsucht der Transtisier nach dem großstädtischen Leben S. 62. Kazinczys Prophezeiung S. 63. 6. Die H e e r s c h a u der neuen G e n e r a t i o n Neue Zeitschriften S. 66. Karl Kisfaludys Auftreten S. 67. Sein Kreis S. 69. Das Verstummen der alten Generation S. 73. 7. D a s V e r h ä l t n i s der neuen G e n e r a t i o n zur ä l t e r e n und zum P u b l i k u m Kazinczy und die Jungen S. 76. Alexander Kisfaludys Verhältnis zu seinem Bruder Karl S. 79. Der Wandel in der sozialen Lage der Dichter S. 81. Die neue Leserschaft S. 83. 8. L a n d s c h a f t s b e t r a c h t u n g und W e l t a n s c h a u u n g der Romantik Die endgültige Abkehr vom Landleben S. 86. Toleranz unc? religiöse Gleichgültigkeit S. 87. Kirchenfeindlichkeit Vörösmartys S. 89. Kölcseys Weltanschauung S. 91. Sein Verständnis für den Katholizismus S. 92. Der Ausgleich S. 94. II. D a s N a t i o n a l g e f ü h l 1. D i e E n t w i c k l u n g des N a t i o n a l g e f ü h l s am E n d e des 18. J a h r h u n d e r t s Der Magyarisierungsprozeß des Katholizismus S. 98. Die Aufklärung und der Nationalismus der Kalvinisten S. 100.
Seite
v—vn 1—9 n 13—26
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JV
Inhaltsverzeichnis
2. Die n a t i o n a l e Sendung der L i t e r a t u r Assimilation der Katholiken S. 105. Kulturbestrebungen der Kalvinisten S. 106. Literarischer Kosmopolitismus S. 107. Die Wirkung nach außen S. 109. 3. Der zweifache I n h a l t des N a t i o n a l g e f ü h l s Optimismus und Pessimismus S. i n . Nationale Selbsterkenntnis S. 114. Die Antithese des Nationalen und Internationalen S. 117 4. Die h i s t o r i s c h e n Anschauungen Die Geschichtsschreiber der Zeit S. 120. Historische Fiktion S.123. Idealistische und realistische Geschichtsauffassung. S.125 5. S t a a t , V a t e r l a n d , Volk, N a t i o n a l i t ä t und N a t i o n . . . Vaterlandsbegriff S. 127. Die tragische Lage des Ungartums S. 129. Das Erwachen der Nationalitäten S. 130. Ungar und Magyare S. 133 6. Das r o m a n t i s c h e N a t i o n a l g e f ü h l Assimilierungsprozeß S. 135. Neue nationale Sendung S. 138. Synthese von Nationalismus und Europäertum S. 140. Die ungar. Tragik S. 142. Tatendrang S. 144. Historische Dichtung S. 146. Adelige Einstellung S. 150. Klassenunterschiede S. 151. Das Verhältnis zum ungarländischen Deutschtum S. 152.
III. U n g a r n und E u r o p a 1. Wiens V e r m i t t l e r r o l l e Aufklärung S. 160. Wiener Barock und Bardendichtung S. 163. A. Kisfaludy in Wien S. 164. Wien und die deutsche Klassik S. 165 2. Das u n g a r l ä n d i s c h e d e u t s c h e B ü r g e r t u m Die deutsche Kultur der Städte S. 168. Ihr Einfluß auf die ungar. Dichter S. 169. 3. E i n f l u ß der deutschen K l a s s i k in Ungarn Kazinczys Vermittlerrolle S. 172. Der griechische Geist S. 175. Kazinczys Schüler S. 176. Die Gestaltung des literar. Lebens nach dem Muster der deutschen Klassik S. 178. 4. Die ö s t e r r e i c h i s c h e R o m a n t i k Das historische Interesse für Ungarn S. 182. Körners Zriny. S. 183. Volksdichtung S. 184. 5. Die r o m a n t i s c h e G e n e r a t i o n und die W e l t l i t e r a t u r . . Einflüsse der deutschen Romantik S. 189. Italienische und englische Einwirkungen S. 191. 6. Die u n m i t t e l b a r e n geistigen Beziehungen zum Ausland Die Isolierung des ungar. geistigen Lebens S. 193. Toldys Deutschlandreise S. 197 7. R o m a n t i s c h e l i t e r a r i s c h e T h e o r i e und d i c h t e r i s c h e Praxis Ansichten über die Antithese Klassik-Romantik S. 199. Kölcseys Theorie S. 205. Toldys Auffassung S. 207.
IV. D i e V o l l e n d u n g
Seite
103—109
110—119
120—125 126—133
134—155
157 159—166
167—170 171—180
181—187 188—192 193—x98
199—210
210
1. K ö l c s e y und V ö r ö s m a r t y
213—221
2. Dämmerung der R o m a n t i k Ortschaftenregister Namen- und Sachregister K?urtenbeilage,
222—225 226 227—231
Vorwort, Die ungarische Romantik ist ein noch wenig erforschtes Gebiet der ungarischen Literaturgeschichte. Ihre einzige zusammenfassende Darstellung wurde vor fünfzig Jahren von Joseph B ä n o c z i (A magyar romanticizmus. Budapest, 1882) gegeben, dessen Untersuchungen sich größtenteils auf den Vergleich der gleichzeitigen deutschen und ungarischen literarischen Erscheinungen beschränkten. Seitdem beschäftigte sich niemand eingehender mit diesem Problem. Die Gründe dieses scheinbaren Versagens liegen in der Eigenart der Tingarischen Literarhistorie. Die positivistische Richtimg der Literaturwissenschaft, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, z. T. durch deutsche Vermittlung, auch in Ungarn zur Vorherrschaft gelangte, förderte die — übrigens verdienstvolle und äußerst notwendige — Einzelforschung, die indes zum Selbstzweck wurde und den Blick für die synthetische Schau verschleierte. Andererseits stand die ungarische Literaturwissenschaft seit ihren Anfängen viel zu sehr unter dem Einfluß der deutschen, um die Eigengesetzlichkeit der imgarischen Entwicklung recht zu erkennen. Die deutschen Methoden wurden manchmal sklavisch übernommen und angewandt, ja sogar die Periodeneinteilung der deutschen literarischen Entwicklung vielfach kopiert. So finden wir in den ungarischen literarhistorischen Werken die deutsche Antithese Klassik-Romantik wieder, obwohl die ungarische Literatur in diesem Sinne weder eine klassische noch eine romantische Periode erlebt hat. Man versuchte künstlich eine ungarische Romantik zu konstruieren, nach dem Vorbild der deutschen, später nach dem der französischen, indem man fremde Einflüsse überschätzte und als das Wesentliche darstellte. In der Zwangsjacke des fremden Schemas ging dann die Eigenart der ungarischen Entwicklung verloren, die ersten heroischen Kämpfer der ungarischen geistigen Erneuerung wurden mißverstanden oder blieben unbe-
Vorwort
VI
griffen. So entstand vielfach ein entstelltes Bild, das den immanenten Gesetzen der imgarischen geistigen Entwicklung nicht gerecht wurde. In den letzten Jahren ist nun die Forderung — zuerst von dem Literarhistoriker
der Budapester
Universität
J.
Horväth
auf-
gestellt — immer lauter geworden, die ungarische Literaturwissenschaft von der fremden Betrachtungsweise, von der fremden Methodik zu befreien. Das erste Beispiel für dieses Bestreben lieferte J . Horväth selbst in seinem grundlegenden Werk über die Geschichte der ungarischen literarischen Volkstümlichkeit von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Auftreten Petöfis, in dem er eine eigene Methodik zu schaffen vermochte. Diesem Bestreben nach einem von außen unbeeinflußten Verständnis der ungarischen geistigen Entwicklung verdankt auch dieses Buch seine Entstehung.
Nach gründlicher Durcharbeitung der gesamten
einschlägigen ungarischen und ausländischen Literatur
versuchte
ich mich von dem Einfluß aller vorgefaßten Urteile und Wertungen zu befreien, und — auf die Quellen zurückgreifend — auf Grund der literarischen Tatsachen Entwicklung festzustellen.
die eigenen Gesetze der ungarischen So gelangte ich zu der Einsicht in die
Zwiespältigkeit des ungarischen Geistes, die, konfessionell und landschaftlich bedingt, das Ungartum Jahrhunderte lang in zwei Lager schied und für seine geistige Entwicklung von ausschlaggebender Bedeutung war. Romantik.
Die Synthese der beiden Kräfte erfolgte in der
Wenn auch diese, auf induktivem Wege erreichte Art
der Literaturbetrachtung viel Ähnlichkeit mit der Sauer-Nadlerschen Landschaftstheorie aufweist, darf ich doch behaupten, daß diese Ähnlichkeit mehr auf der Identität der literarischen als auf einer methodologischen Beeinflussung beruht.
Tatsachen Der Gegen-
satz — Katholizismus und Protestantismus, kulturhistorisch, rassenmäßig verankert — war in Ungarn seit der Reformation ebenso wirksam wie in Deutschland und ist vielleicht in ganz Europa nur bei diesen zwei Völkern aufzufinden.
Ich verdanke zwar dem
Werke N a d l e r s manche wertvollen Anregungen, noch viel mehr aber vielleicht dem Buche J u l i u s
P e t e r s e n s (Die Wesensbestim-
mungen der Romantik), das mit seiner kritischen Einstellung zur Vorsicht mahnte und mich der Klärung mancher Probleme näher brachte. reichische
In diesem Zusammenhang muß ich auch auf die österLiteraturgeschichte
Zeidler-Nagl-Castles
hinweisen,
die sich auch mit den österreichisch-ungarischen geistigen Beziehungen
VII
Vorwort
eingehend beschäftigt. Die ungarische geistige Entwicklung weist eine große Ähnlichkeit mit der österreichischen auf, sie ist ohne die Kenntnis der letzteren wohl gar nicht zu verstehen. Auf die Zusammenhänge der österreichischen und ungarischen Romantik hat als erster J o h a n n e s K o s z o hingewiesen in einem Aufsatz über die ungarische Romantik (erschienen in dem von mir herausgegebenen Gragger-Gedenkbuch). Die Abkehr von den in der ungarischen Literarhistorie bisher angewandten Methoden zwang zu einer gründlichen Beweisführung (die das Buch mit viel Rohstoff belastete), aber auch zu einem Verzicht auf rein ästhetische Untersuchungen. Das Buch ist auch nur als Grundlage für weitere Forschungen zu betrachten. Die speziellen ästhetisch-literarischen Ergebnisse der Forschung werden erst in dem bald folgenden zweiten Band ausgewertet, der das Zeitalter Petöfis behandelt. Der vorliegende Band ist zu gleicher Zeit in der Ausgabe der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in imgarischer Sprache erschienen. Die deutsche Ausgabe scheint dadurch gerechtfertigt zu sein, daß das Zeitalter der ungarischen Romantik gleichzeitig das Zeitalter der Auseinandersetzung des ungarischen Geistes mit dem deutschen ist. So stellt ihre Behandlung ein Kapitel aus der Geschichte der deutschen geistigen Expansion dar und mag vielleicht auch das Interesse der deutschen Literarhistoriker in Anspruch nehmen1). B e r l i n , Dezember 1930.
Dr. Julius von Farkas Prof. d. ungar. Sprache u. Literaturgeschichte a. d. Berliner Universität
') Ich möchte auch an dieser Stelle Herrn Dr. Hanns Jobst, dem deutschen Lektor
der
Budapester
Universität,
der mir bei der deutschen Hedaktion des
Buches mit viel Liebe und Verständnis behilflich war, für seine wertvolle Mitarbeit meinen besten Dank aussprechen.
Einleitung. Die zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts stellen eines der bedeutendsten Kapitel in der Entwicklungsgeschichte der ungarischen Literatur dar. Die geistigen Bestrebungen eines halben Jahrhunderts brachten ihre Früchte und fanden ihren Abschluß. Zugleich gestalteten sich der sprachliche und formale Ausdruck, der Stoffkreis und die geistige Richtung der ungarischen Literatur sowie die gesellschaftlichen Grundlagen des literarischen Lebens um: es bildete sich eine ungarische Nationalliteratur aus. Dieser Entwicklungsgang war nicht etwa ein Ergebnis geistiger Einflüsse des Auslands. Er bedeutete vielmehr die Wirkung von Kräften, die aus der Tiefe der ungarischen Seele kamen. Man kann dies Zeitalter der Erfüllung nur verstehen, wenn man diejenigen geistigen Mächte untersucht, die die Entstehung der ungarischen Literatur bedingten und wenn man die Geschichte dieser Literatur von der sog. Erneuerungszeit an, also von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zu den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts, überblickt. Nach dem Szatmarer Frieden (1711) wurde die Entwicklung der ungarischen Literatur unterbrochen. Die ungarisch-sprachliche Literatur verdankte ihre Entstehung der Reformation. Zwei Jahrhunderte hindurch war das literarische Leben Ungarns mit religiösen Kämpfen erfüllt. Die sog. schöne Literatur (die die Literarhistorie der religiösen Literatur gegenüber später allzusehr in den Vordergrund gestellt hat) gehörte größtenteils der verpönten niederen Dichtung an (wie z. B. das Märchen über Argirus und die Werke von Gyöngyösi). Anderes blieb unbekannt (wie Zrinyis Epos, die »Obsidio Sigetiana«), Die Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts war vorwiegend religiös bestimmt. So lebte sie auch noch im Bewußtsein des 18. Jahrhunderts fort und der erste literargeschichtliche Versuch, Peter Bods »Magyar Athenas« (1765) war im wesentlichen ein biographisches Lexikon der protestantischen Erbauungsliteratur. F a r k a s , Romantik in Ungarn.
1
2
Einleitung.
Nach der Niederlage Franz Rakoczis (1711) setzte die Rekatholisierung in dem unter der Herrschaft der Habsburger vereinigten Lande mit Macht ein. Sie richtete sich hauptsächlich gegen die ungarischen Reformierten, die in dem von Türken besetzten Tiefland und dem unabhängigen Siebenbürgen ihre Religion und ungarisch-sprachliche Kultur fast zwei Jahrhunderte lang ungehindert gepflegt hatten. Natürlicherweise waren sie der Habsburgerherrschaft, die ihre Religion ebenso wie ihre Nationalität zu treffen versuchte, abgeneigt. Allein sie hatten keine Waffen in Händen. Ihre Druckereien wurden ihnen genommen oder der Zensur der Jesuiten unterstellt (sie verhinderten auch die Neuauflage der protestantischen Bibelübersetzung), ihre Schulen aufgehoben oder verstümmelt, die Studienreisen ins Ausland erschwert und später völlig verboten. Der ungarische Protestantismus •—• abgeschnitten von den Quellen geistiger Entwicklung — war so zur Untätigkeit verurteilt, ja zum Rückgang verdammt. Vor allem war man bestrebt die ungarischen Kalvinisten aus Transdanubien zu verdrängen. Die deutschen Ansiedlungen des Bakony-Gebirges bevölkerten nicht nur unbewohnte oder verwüstete Gebiete, sie verdrängten auch die Einwohnerschaft kernungarischer kalvinischer Dörfer. Zu gleicher Zeit wurden die Schulen der Kalvinisten in Györ (Raab) und Papa aufgehoben. Die Erziehung des katholischen Ungartums lag größtenteils in den Händen des Jesuitenordens, der (zumal in der ersten Hälfte des Jahrhunderts) in seinen Schulen der lateinischen Sprache zur ausschließlichen Herrschaft verhalf. Der ungarisch gesinnte Katholizismus suchte tastend nach neuen Entwicklungsmöglichkeiten. Der geistige Kampf der Gegenreformation aber •— der der ungarischen Literatur im XVII. Jahrhundert Meisterwerke geschenkt hatte — war überflüssig geworden: statt seiner war Gewalt am Werk. Jene Kräfte, die der Reformation innegewohnt hatten, ermatteten: auch das literarische Leben erlosch. Es begann der Abschnitt ungarischer Geschichte, der in der Literatur als die Zeit des Unnationalen, des Niedergangs bezeichnet wird. Die Spuren des Verfalls zeigten sich auf allen Gebieten des nationalen Lebens. Mikes, der kunstvolle Prosaiker der Zeit, schrieb seine literarischen Briefe einsam, verlassen in seiner Verbannung, in Rodosto (Türkei). Der Lyriker Franz Faludi wurde erst nach seinem Tode bekannt, die großen wissenschaftlichen Werke des Jahrhunderts erschienen in lateinischer Sprache. Latein war nicht nur die Amtssprache, sondern
3
Einleitung.
auch die Umgangssprache des niederen Adels. Der hohe Adel redete französisch und deutsch. Die nach großzügigen Plänen vorgenommenen Ansiedlungen veränderten die Rassenverhältnisse der Landbevölkerung. Zu Anfang des Jahrhunderts bildete das Ungartum noch fast 50 % der Gesamtbevölkerung, in der Konskription Josefs II. während der Jahre 1785—87 betrug es nur mehr 29%. Dies war das Zeitalter, da das Ausland im Ungartum eine Nation der Vergangenheit sah. Ein deutscher Literarhistoriker, Jakob Reimmann, hielt es am Anfang des 18. Jahrhunderts der Bildung für unfähig') und Herder sagte sein baldiges Ende voraus 2 ). Als in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die ungarischsprachliche Literatur wieder anhob, stand sie vor der Lösung großer nationaler Aufgaben. Die neue Literatur unterschied sich von der früheren von Grund aus. Der Begriff des Literarischen hatte sich umgestaltet, die Struktur des geistigen Lebens wandelte sich und ein neues literarisches Bewußtsein begann sich auszubilden. Innerste Triebkraft der Literatur war auch damals der Kampf der Weltanschauungen: der Gedankengehalt der französischen Aufklärung. Die literarischen Forderungen waren aber nicht mehr von weltanschaulichem, sondern von nationalem, nicht mehr von stofflichem sondern von künstlerischem Charakter. Durch die Behauptung, die ungarisch-sprachliche Literatur habe im 16. Jahrhundert von der Reformation, im 18. Jahrhundert vom französischen Rationalismus ihren eigentlichen Anstoß empfangen, ist ein kompliziertes geistiges Geschehen auf eine einfache Formel zurückgeführt. Denn die ungarisch-sprachliche Literatur hatte in den städtischen Klöstern schon vor der Reformation eingesetzt und ehe noch die Geistesströmung des Rationalismus nach Ungarn gekommen war, hatte sich schon eine literarische Erneuerung in verschiedenen Landesteilen unter verschiedenen geistigen Bedingungen entwickelt. Dieser Vorgang spielte sich nicht nur in Ungarn, sondern auch bei den Nachbarvölkern Ungarns mit ähnlicher Gesetzmäßigkeit und in ähnlicher Richtung ab. Man kann ihn nicht einfach damit erklären, daß man von einer Wirkung des Auslands
J)
JAKOB FRIEDRICH REIMMANN : Versuch einer Einleitung in die historiam Ins-
gemein und derer Teutschen insonderheit. Halle 2)
JOHANN
GOTTFRIED
HERDER:
Ideen
zur
1713.
VI.
Philosophie
der
Geschichte
Menschheit. Carlsruhe 1792. I V . 20.
1*
der
4
Einleitung.
spricht: die Erneuerung wuchs vielmehr aus dem Zwang der geschichtlichen Entwicklung hervor. Die ungarische Literaturgeschichte gliedert die Literatur vom Ende des 18. Jahrhunderts in mehrere Schulen und unterscheidet eine französisch, eine lateinisch, eine magyarisch und eine deutsch bestimmte Strömung innerhalb der damaligen Dichtung. Diese Einteilung ist das Ergebnis einer äußerlichen Literaturbetrachtung und läßt sich nur mit der Notwendigkeit wissenschaftlicher Schematisierung begründen. Der Begriff der literarischen Schule setzt Meister und Schüler als geschlossenen Kreis, eine gemeinsame Literaturbetrachtung und Zielsetzung sowie die nämliche literarische Praxis voraus. In solchem Sinne aber kann man höchstens von der Schule Bessenyeis sprechen, die tatsächlich einheitlich auftrat. Die übrigen Schriftsteller indes begannen ihre Wirksamkeit zerstreut über das ganze Land hin, kannten einander kaum und fochten, statt sich zusammenzutun, auch später in heftigen Fehden gegeneinander. Der Gesichtspunkt, nach dem diese Vierteilung vorgenommen ist, ist die Frage nach dem Einfluß ausländischer Literaturen. Dieser Einfluß zieht jedoch keine scharfen Grenzen zwischen den Mitgliedern der einzelnen »Schulen«. Die französisch bestimmten Dichter etwa schrieben ihre Werke im überlieferten ungarischen Versmaß, die ungarisierenden entlehnten ihren Stoff der deutschen Literatur,, die deutschgerichteten hinwiederum (mit Kazinczy an der Spitze) besaßen eine allgemein-europäische Bildung. Befreit man die ungarische Literarhistorie von dem Dogma solcher künstlich konstruierter Schulen und faßt man die literarischen Tatsachen selber ins Auge, so sieht man in der 2. Hälfte des 18. Jahrh. zwei mächtige Strömungen nebeneinander anheben. Die eine bewahrte und entwickelte die hundertjährigen Traditionen des ungarischen Geistes weiter, die andere empfing westeuropäische Bildung und versuchte (da sie die ungarischen Überlieferungen nicht kannte oder aufgab) den ungarischen Geist ins Europäische umzugestalten. Die geistigen Überlieferungen, die die damalige Zeit aus den vergangenen Jahrhunderten geerbt hatte, hatten gleichsam zwei Schichten. Die eine, ältere, war' die mittelalterliche lateinische Kultur des Ungartums. Sie war in den Klöstern entstanden, hatte aber später das Lateinische zur alleinigen Sprache des Schulwesens,
Einleitung.
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des Staatslebens und der Wissenschaft gemacht und ihre Blütezeit in der Renaissance erreicht. Im 18. Jahrh. gewann die lateinische Sprache durch den Einfluß der Jesuiten ihre Bedeutung zurück und die RenaissanceDichtung fand ihre Fortsetzung im Barock. Die Jesuiten bildeten in Tyrnau (Nagyszombat) eine ganze Dichterschule und ließen ihre Gedichtbände nacheinander erscheinen. In klassischer Form schrieben sie Oden, Gelegenheitsgedichte und Episteln, pflegten das Schuldrama, bearbeiteten gerne Stoffe aus der imgarischen Geschichte und schmückten ihre trockenen Verse mit Bildern der antiken Mythologie aus. Die sog. lateinisierenden Dichter schufen diese modische lateinische Poesie (die aber tief in der ungarischen Tradition wurzelte) zu einer ungarisch-sprachlichen Literatur um. Die zweite Schicht der geistigen Überlieferungen war die jüngere, auch der Sprache nach ungarische: die ungarische Gesangspoesie und Epik in ungarischen Rhythmen, deren Anfänge ebenfalls in das Mittelalter fielen, die aber den eigentlichen Höhepunkt ihrer Entwicklung erst in der Reformationszeit erreichten. B a l i n t B a l a s s a erhob die Gesangspoesie zu einem hohen Grade der Vollendung. Doch er fand keine Anhänger, deren Begabung ähnlich stark gewesen wäre wie seine eigne. Das literarische Bewußtsein der Zeit nahm nur die religiöse Gesangspoesie auf, die weltliche Dichtkunst dagegen, zumal die lyrische, führte meist ein unliterarisches Leben und fand sich nur in handschriftlichen Gesangbüchern fortgesetzt. In der Epik schuf Graf N i k o l a u s Z r i n y i ein Meisterwerk, blieb aber seiner Zeit imbekannt, während sich die Werke S t e f a n G y ö n g y ö s i s auf das 18. Jahrh. vererbten. Auch Gesangspoesie und Epik fanden in der Periode der Erneuerung bedeutende Förderer. Die Hüter bzw. Fortsetzer der zwei Überlieferungsschichten wichen voneinander kaum mehr ab, als sich in anderer Beziehung die lateinische Barockpoesie der Jesuiten von der ungarisch-sprachlichen etwa eines Gyöngyösi unterschied. Sie blieben voneinander nur durch die Versform getrennt, durch die Sprache lediglich insoweit, als der Zwang der Versform auch auf den sprachlichen Ausdruck gestaltend einwirkt. Nicht nur die Kunstgattungen waxen bei ihnen gleich (Epistel, Ode, Epos und vor allem das Gelegenheitsgedicht), sondern besonders auch der Stoff und der nationale Geist ihrer Dichtung.
6
Einleitung.
Die andere große literarische Bewegung, die ausländische, bestand ebenfalls aus zwei Richtungen: einer französisch-italienischen und einer deutschen, die aber im Laufe der Entwicklung verschmolzen. Sie gelangten nicht nebeneinander, sondern nacheinander zur Geltung. Ihre Ziele waren die nämlichen: die geistige Entwicklung Ungarns, unabhängig von den Überlieferungen, der großen Strömung westlicher Bildung zu verbinden. Da sie nicht im nationalen Boden wurzelten, waren diese Richtungen bewußt aristokratisch und wendeten sich bloß an wenige. Ihre Literatur war nur der Sprache nach ungarisch, ihr Stoff wie ihr Geist trugen fremdes Gepräge und diese Fremdartigkeit machte im Lauf der Entwicklung ihren Einfluß sogar auf die Sprache geltend. Die beiden großen literarischen Bewegungen wichen streng voneinander ab, wenn auch das Leben nie so feste Grenzen zieht, wie es die wissenschaftliche Theorie tun muß. Und doch: ihre Träger machten sich von verschiedenen Richtungen aus nach der Lösung der großen gemeinsamen Aufgabe auf den Weg. Sie unterschieden sich voneinander nach Herkommen, Bildung, Geschichtsauffassung, ausländischen Verbindungen, literarischen Prinzipien und literarischer Praxis weitgehend. Ihr letztes Ziel aber war das gleiche: die Erneuerung des ungarischen nationalen Lebens. Es ist ein besonderes ungarisches Schicksal, daß diese Aufgabe um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts fast ausschließlich der Literatur zufiel. In glücklicheren Ländern arbeiteten Regierung und Volksvertretung, Gesellschaft und amtliche Organisation, Schulen, Universitäten und wissenschaftliche Gesellschaften, Theater und bildende Künste, Zeitschriften und Tagespresse im Wettstreit miteinander an der Verfolgung jenes großen Zieles. In Ungarn aber hatte die Regierung ihren Sitz außer Landes und blieb fremd gegen die Forderungen der Nation. Ihre Verwirklichung wurde von ihr nicht gefördert, zuweilen sogar behindert. Die nationale Vertretung, der ungarische Landtag, kam nicht zur Geltung. Die großangelegten Reformbestrebungen der 90er Jahre des 18. Jahrhunderts versuchten zwar zum ersten Male auf politischem Wege das nationale Leben zu erneuern, allein infolge der nach der französischen Revolution einsetzenden Reaktion legte man die Reformentwürfe bald zu den Akten und die Politik blieb ein weiteres halbes Jahrhundert lang zur Untätigkeit verdammt. Eine ungarische Gesellschaft gab es nicht. Der Hochadel lebte im Ausland, die ungarischen Städte waren größten-
Einleitung.
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teils deutsch. Jeder Versuch, der zur Gründung einer literarischen Gesellschaft unternommen wurde, scheiterte. Die literarischen Zeitschriften erlebten kaum einige Jahrgänge. Von ungarischer bildender Kunst konnte nicht die Rede sein und die erste ungarische Theatergesellschaft löste sich am Ende des 18. Jahrh. nach kurzem Bestehen auf. Schulsprache war das Latein. Von der Geschichte, der Sprache und der Dichtung der Heimat lehrte man wenig. Der Literatur fiel die Riesenaufgabe zu, dieses zum Tode verurteilte Volk zu einer Nation zu gestalten, die ihren Platz unter den europäischen Nationen zu fordern berechtigt war. Die Aufgabe war vielfältig und umfaßte das ganze Gebiet des nationalen Lebens. Arm und ungelenk war die Literatursprache: man mußte sie erneuern, biegsam machen und ihr die Fähigkeit geben die moderne Psyche auszudrücken. Eintönig und ungehobelt waren die überkommenen Rhythmen: man mußte die verwandelte Sprache in die klassischen und westeuropäischen Formen gießen. Fremd war der Stoff der Dichtung: man mußte ihn mit nationalem Geiste durchdringen. Und auch all das war noch keine Literatur. Denn Literatur setzt ein lebendiges Verhältnis voraus zwischen Schriftstellern und Lesern. Die ungarischen Schriftsteller aber bildeten nur eine dünne Oberschicht, während der Hauptteil der Lesenden — höherer und niederer Adel, Klerus und städtisches Bürgertum — sich fremden Kulturen verschrieben hatte oder jeder Kultur gegenüber gleichgültig blieb. Zuerst mußte man dies, dem Blute nach ungarische Publikum für die ungarische Literatur erobern bzw. zurückerobern, ehe später die Angleichung der Schichten von fremder Rasse zu beginnen vermochte. Der Ungar war noch fremd in der eigenen Heimat. Vor allem galt es das Bauerntum, diese eigentliche Quelle jedes Volkstums, das noch ein unliterarisches Leben führte, zu entdecken, ehe die Literatur in Geist und Sprache kernungarisch zu werden vermochte. Diese Zielsetzung, zu der in der Literatur anderer Völker kein ähnliches Beispiel zu finden ist, war ein bewußtes Programm der damaligen ungarischen Dichtung. Zur Verwirklichung ihres Programms aber brach die sich erneuernde ungarische Literatur, wie wir sahen, getrennt auf. Erst aus dem Kampfe, später aus der Verschmelzung der beiden literarischen Bewegungen entstand die ungarische Nationalliteratur und führte die nationale Reformarbeit zum Sieg. Die Entwicklung verlief überraschend schnell. Es be-
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Einleitung.
durfte kaum eines halben Jahrhunderts und die Synthese war, in den zwanziger Jahren des ig. Jahrh., vollzogen. Diese Zeit der literarischen und nationalen Synthese nun ist es, die wir als »ungarische Romantik« bezeichnen. Der Begriff der Romantik ist durchsetzt mit fremden Elementen. Die ungarische Romantik hat aber mit der deutschen sowohl wie mit der französischen Romantik nur sehr wenig zu tun. Hier ist unter Romantik der aus der Tiefe des nationalen Wesens herrührende Prozeß verstanden, der zur Erneuerung des gesamten nationalen Lebens führte und der sich hierbei des Mittels bediente, indem allein der nationale Geist sich damals auszudrücken vermochte: der Literatur. Die literarische Romantik erlosch in dem Augenblick, als die nationale Rolle der Literatur von der Politik übernommen wurde. Im folgenden ist dieser von außen entlehnte Begriff nur aus dem Grunde beibehalten, um dadurch die ungarische Entwicklung in den Rahmen der gleichzeitigen westlichen Geistesgeschichte leichter einfügen zu können. Um die ungarische Romantik zu begreifen, muß man die Entwicklung der zwei oben erwähnten Strömungen überblicken und den Weg ihrer Synthese bezeichnen. Der innerste und zutiefstdringende Gegensatz zwischen den beiden literarischen Richtungen war der kulturelle, der ein Ergebnis mehrhundertjähriger Entwicklung darstellte und sich in großen Zügen an Landschaft und Religion knüpfte. Die an die alten Traditionen gebundene Bewegung ging von westlichen, katholischen Gegenden aus, die dem Ausland zugeneigte von östlichen und reformierten Gebieten. Die eigentliche Nationalität der Literatur begann mit der Zeit, da ihr landschaftliches und konfessionelles Gepräge aufhörte, die kulturellen Verschiedenheiten sich glätteten und die Dichtung zur gesamten Nation zu sprechen anhub. In dieser Ausgleichung der Bildungsgegensätze spielte das Nationalgefühl, das das ganze Ungartum durchdringt und für die ungarische Dichtung die reichste Quelle der Inspiration bedeutet, die Hauptrolle. Allein eine Untersuchung über die Entfaltung des Nationalgefühls führt also zum Verständnis der ungarischen Romantik. Die Literatur diente wohl von Anfang an nationalen Zwecken,
Einleitung.
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war aber der literarischen Theorie und Praxis nach lange von äußeren Einflüssen abhängig. Ein vollkommenes Ausdrucksmittel des nationalen Geistes wurde sie erst, als sie auch in Gehalt und Gestalt ungarisch wurde und die Geistesströmungen des Westens sich anglich. Damals auch trat sie in die Weltliteratur ein. Die Ausgleichung der Bildimgsunterschiede, die Entfaltung •des Nationalgefühls, die Aufnahme westlichen Geistes: dies sind die drei Entwicklungsstufen der imgarischen Romantik. Durch sie gelangte sie zu ihrer Vollendung, die sich in zwei Dichtern symbolisiert : in dem Kalvinisten des Teißgebietes Franz K ö l c s e y und Michael Vörösmarty, dem Katholiken Transdanubiens. Durch ihre Freundschaft und die Gemeinsamkeit ihrer Inspiration wird die Erfüllung gekennzeichnet.
I. LANDSCHAFT, RASSE UND BEKENNTNIS
i. Das literarische Leben um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts. Die Reformation hat die Einheit des ungarischen Geisteslebens vernichtet.
Aber im Kampf der Bekenntnisse gegeneinander hat
sich die Dichtung in ungarischer Sprache entfaltet. An der Entfremdung der Konfessionen wirkten nicht nur weltanschauliche, sondern auch geschichtliche Kräfte mit: die Herrschaft der katholischen Habsburger im Westen und Norden, die Türkenbesetzung in der ungarischen Tiefebene und die mehrhundertjährige Sonderstellung Siebenbürgens.
Die Unterschiede im Schul-
wesen, die ungleich starken Einwirkungen des Auslands, das innerste Wesen der Konfession, die das Leben des einzelnen und der Familie auf gleiche Weise umgestaltete wie das der Gesellschaft — dies alles waren trennende Mächte.
Die Freiheitskämpfe und Religionskriege
der östlichen Ungarn, die Zwietracht von Kurutzen und Labanzen vertieften die Gegensätze noch mehr. Das reformierte Bekenntnis wurde zur eigentlich ungarischen, das katholische aber zur »deutschen« Konfession. Verbindend wirkten nur die gemeinsame geschichtliche Überlieferung und die gemeinsame Sprache, beide aber in eigentümlicher und besonderer Färbung. Die konfessionelle Gliederung knüpfte sich im Laufe der Entwicklung im wesentlichen an Landschaften.
Das Gebiet Trans-
danubiens unter der Herrschaft der Habsburger war überwiegend katholisch, sein katholisches Gepräge wurde durch die Rekatholisierung im 18. Jahrh. nur vertieft.
Das Alföld (die Tiefebene) und
Siebenbürgen waren zumeist reformiert, das deutsche Bürgertum der Städte fast ausschließlich lutherisch. Diese kulturelle Zwiespältigkeit
des Ungartums
vermochten
auch die Türkenvertreibung und die Vereinigung des Landes unter den Habsburgern nicht mit einem Schlage zu beseitigen. Die Gegensätze waren schon zu tief gedrungen, hatten schon zu sehr Rassen-
14
Das literarische Leben.
gepräge angenommen, als daß sie durch die administrative Zusammenfassung des Landes hätten überbrückt werden können. Zudem bot die Wiener Regierung alles auf sie zu verschärfen und das Ungartum dadurch lebensunfähig zu machen. So nimmt es keineswegs wunder, daß in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh., als der Strom der ungarischen Literatur nach einer Pause von einigen Jahrzehnten wiederum aufbrach, katholische und protestantische Literaturen sich gegenüberstanden, obgleich das Trennende zwischen ihnen nicht mehr weltanschaulichen, sondern kulturellen Charakter trug. Die ausländische Strömung war überwiegend östlich und protestantisch, die traditionerhaltende hauptsächlich transdanubisch und katholisch. Zwei Jahrhunderte hindurch hatte der Kalvinismus Siebenbürgens und Transtisiens1) in der Geschichte der ungarischen Bildung eine führende Rolle gespielt. Die reformierten Schulen von Debrecen, Särospatak, Kolozsvär (Klausenburg), Nagyenyed, Gyulafehervar (Karlsburg) waren Kulturmittelpunkte mit reichem geistigen Leben und bedeutenden Buchdruckereien gewesen. Diese Umgebung hatte die nachhaltigste Schöpfung der Reformationszeit hervorgebracht: K A S P A R K Ä R O L Y I S Bibelübersetzung, die zur Entfaltung der ungarischen Literatursprache in so hohem Maße beitrug. Von diesen Gebieten gingen aber auch die katholischen Kämpfer der Gegenreformation aus: M I C H A E L T E L E G D I und vor allem P E T E R PÄZMÄNY. Transtisien und Siebenbürgen hatten die ungarische Sprache in ursprünglicher Klarheit bewahrt. Sie war dort den fremden Einflüssen am wenigsten ausgesetzt, wenn auch das reformierte Ungartum (durch seine Studenten, die ausländische Universitäten bezogen) mit dem Geistesleben des Westens lebendigste Verbindungen angeknüpft hatte. Die kulturfördernde Kraft des reinen Kalvinismus war indes am Anfang des 18. Jahrh. teils ermattet, teils vermochte sie (aus den dargelegten Gründen) nicht zur Geltung zu kommen. Die literarischen Überlieferungen der vergangenen Jahrhunderte, religiöse wie weltliche, lebten zwar fort, Schöpferisches ließen sie aber nicht werden. Sie waren schon zu tief eingewurzelt und besaßen eine erneuernde Wirkung nicht mehr. Und doch hätte der Kalvinismus Transtisiens
') Unter Transtisien ist im folgenden das Gebiet jenseits der Teiß (lat. Tisia) verstanden, wie anderseits Transdanubien die Gebiete östlich der Donau (lat. Danubius) bezeichnet.
Der ungar. Kalvinismus.
15
nach dem Hinsiechen langer Jahre eine Wiederbelebung mehr denn je benötigt. Die Nachahmer der alten Überlieferungen nahmen an dem Werk der nationalen Erneuerung kaum Teil. Ihre Dichtungen waren unbegabte Schöpfungen, durch die auch die Sprache selbst nicht fortentwickelt wurde. Sie besangen die geschichtlichen Ereignisse in der Art und Weise der alten Chronisten. Meist waren sie reformierte Geistliche oder Lehrer wie Stephan Gati, Franz Väly Nagy, Martin Etedi oder Andreas Poots. Wo sie wirklich eine neue Form versuchten, wurden sie von ihrem Geschmack irregeleitet, gleich Johann Gyöngyösy oder Gregor £des. Wie die einst berühmten reformierten Kollegien in ihrer Entwicklung stehen blieben und zu Zufluchtsstätten des Konservatismus wurden, so waren auch diese reformierten Schriftsteller Transtisiens eher Hemmnisse als Wegbereiter des Fortschritts. Sie bildeten den extrem-konservativen Flügel des literarischen Lebens, waren jeder Neuerung entgegen und wenn sie überhaupt literarische Bedeutung besitzen, so ist es die, daß sie das spärliche Lesepublikum an sich hefteten und den Kommenden auf diese Weise luftleeren Raum schufen. Der Protestantismus des Teißgebiets mußte eine andere Möglichkeit der Erneuerung eröffnen. Es war dies jene Quelle, die den ungarischen Protestantismus zwei Jahrhunderte lang belebt hatte und die durch die Wiener Herrschaft verschlossen wurde: die des ausländischen Einflusses. Man hat schon auf die Besonderheit jener Erscheinung wiederholt hingewiesen, daß diese geistige Erneuerung der ungarischen kalvinistischen Literatur im selben Wien anfing, wo man den ungarischen Kalvinisten den Todesschlag zu versetzen versucht hatte: im Kreise der imgarischen Leibgardisten Maria Theresias. Das Wesentliche an diesem Vorgang war indes, daß der östliche Ungar in eine von Grund aus fremde Umgebung geraten mußte, mit der er in keiner traditionellen Verbindung stand, um den kraftvollen Schwung der Erneuerung in sich aufzunehmen. Die Erneuerung brach tatsächlich schon früher an, ehe noch die Leibgarde Maria Theresias gestiftet wurde. Wir glauben daran, daß die historische Entwicklung durch innere Mächte bewegt wird und nicht durch Zufälligkeiten. Nun war die Stiftung der Leibgarde aber ebenso eine Zufälligkeit wie die andere Tatsache, daß man fast
16
Das literarische Leben.
ausschließlich reformierte adelige Jünglinge der westlichen Komitate in sie entsandte. Es war aber kein Zufall, daß die Wirkung französischer Literatur und französischen Geistes in der Literatur des ungarischen Kalvinismus schon vor Bessenyei, dem Führer der Leibgardisten-Dichter, Wurzel zu fassen begann. Die Jugend Transtisiens und Siebenbürgens bezog häutig die Universität in Genf oder die Hochschulen der Niederlande, die von französischen reformierten Emigranten besonders gerne besucht wurden. In Amsterdam lehrte Bayle, dort auch erschien die erste französische literarische Zeitschrift. Wie die Ideen des Descartes durch J O H A N N E S A P Ä C Z A I C S E R E aus den Niederlanden vermittelt wurden, brachten später die reformierten Studenten auch die Gedanken der französischen Aufklärung nach Ungarn. Die Träger dieser neuen Literatur stammten aus aristokratischen Kreisen. In früheren Jahrhunderten hatten die Kirche und der hohe Adel begabte Studenten (wenn sie auch den Familien ihrer Fronbauern entstammten) an ausländische Universitäten geschickt. Die verarmten Kirchen des 18. Jahrhunderts vermochten die Kosten ausländischer Schulung nicht mehr zu bestreiten. Infolge des strengen Paßzwangs konnten sich zudem nur die Söhne adeliger Familien, denen entsprechende Verbindungen zur Verfügung standen, die Erlaubnis zur Ausreise verschaffen. Es ist auffallend, in welcher Anzahl sich Träger großer historischer Namen unter den damaligen reformierten Schriftstellern finden und wie andererseits die einfachen Pastoren verschwanden, die zwei Jahrhunderte lang die Hauptvertreter der Literatur gewesen waren. Schon vor Bessenyei wurden Fenelon und Marmontel durch den Grafen L A D I S L A U S VON H A L L E R , den Baron S T E F A N VON D A N I E L und J O S E F Z O L T A N ins Ungarische übertragen. Die Übersetzer stammten aus Siebenbürgen und waren, außer Haller, reformierter Konfession. Im Jahre 1766 erschien die Florinda des Grafen J O H A N N L Ä Z Ä R , 1781 die Caraccioli-Übertragung des Barons A L E X A N D E R VON J Ö S I N T Z I . In der Buchdruckerei des reformierten Kollegiums von Kolozsvär kamen im Laufe des Jahres 1781 neun Bücher heraus, fünf darunter rührten vom Französischen her. Zufolge seiner Religion und der geschichtlichen Überlieferung seiner Familie gehörte auch Graf G I D E O N VON R Ä D A Y , der Übersetzer Lafontaines, zum reformierten Hochadel Siebenbürgens.
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D i e W i e n e r Gardisten.
Die jungen kalvinischen Gardisten kamen eben zu der Zeit nach Wien, als der Einfluß des Französischen dort seinen Höhepunkt erreichte. Ihre eigenen Anlagen und Neigungen flössen mit der herrschenden Richtung des kaiserlichen Hofes zusammen. In der Gesellschaft G E O R G V O N B E S S E N Y E I S fanden sich die jungen reformierten Adeligen Siebenbürgens zusammen, sein jüngerer Bruder Alexander, dann A L E X A N D E R V O N B Á R Ó C Z Y , A B R A H A M V O N B A R C S A Y , Graf J O S E F V O N T E L E K I , Baron J O S E F V O N NALÁCZY. Zu ihnen gehörte auch, trotz seiner transdanubischen Abstammung, J O S E F P É C Z E L I , der in Verbindung mit dem reformierten Geistlichen von Debrecen S A M U E L S Z I L Á G Y I Voltaire ins Ungarische übertrug. Schließlich hat auch F R A N Z V O N K A Z I N C Z Y die Fackel seines Geistes an dem Feuer des BessenyeiKreises entzündet. Kazinczy lenkte den ausländischen Strom in eine andere Richtung. Der Bessenyei-Kreis aber rief in Wien — trotz des Übertritts seines Führers zur katholischen Kirche — eine bleibende Überlieferung ins Leben. Die Gardisten verstummten zwar bald, Bessenyei zog sich in seine Biharer Einsamkeit zurück und schrieb nur mehr für die Zukunft. Báróczi vergrub sich hinter alchimistischen Versuchen. Und dennoch bildete sich in Wien immer wieder nach ihrem Beispiel ein kleiner Kreis, der sich, aus der reformierten Gegend des Ostens stammend, die Erneuerung der ungarischen Literatur zum Ziele setzte. D E M E T E R G Ö R Ö G und S A M U E L K E R E K E S aus dem Szabolcser Komitat verlegten zusammen die »Hadi és más nevezetes torténetek«, »Kriegsgeschichten und andere merkwürdige Erzählungen«, die sich 1793 unter dem Titel »Magyar hirmondo«, »Ungarischer Bote« fortsetzten. Görög und Kerekes empfingen die ungarischen Schriftsteller gerne in ihrem Wiener Heim. Von dort ging auch der Plan eines grammatischen Preisausschreibens aus, dessen Ergebnis die »Debreceni grammatica« war. Sie selbst waren die Herausgeber des Werks »Jámbor Szándék«, »Frommes Vorhaben« von Bessenyei. ALEXANDER SZACSVAY, ein reformierter Adeliger aus dem Széklerland, begann im Jahre 1786 den »Bécsi magyar kurir« (»Wiener ungarischer Kurier«), Die Leitung der Zeitung wurde indes 1793 wegen aufklärerischer Tendenz des Blattes von der Wiener Regierung in die Hände S A M U E L D E C S Y S , ebenfalls eines Reformierten, gelegt. Der Hilfschriftleiter Samuel Decsys und sein Nachfolger wurde D Á N I E L P Á N C Z É L , ein Siebenbürger P a r k a s , Romantik in Ungarn.
2
18
Das literarische Leben.
Reformierter.
Pänczels Mitredakteur war
eines Mitschülers von Kazinczy in
SAMUEL
der Sohn
IGAZ,
Särospatak.
Diese Wiener Zeitungen hatten ständige belletristische
Bei-
lagen, deren Mitarbeiter größtenteils aus den kalvinischen Gebieten Transtisiens stammten und die im Geiste der französischen A u f klärung noch weiterschufen, als die katholisch eingestellte Romantik in Wien schon zum Siege gelangte.
Ihr letzter wirkungsvoller Ver-
such war das Taschenbuch von Samuel Igaz, die »Hebe«, die in den zwanziger Jahren des ig. gab der zu Wien studierende
Jahrh., 1822—26, erschien.
ALEXANDER ARANYOSRAKOSI
Darin SZEKELY
sein in Hexametern geschriebenes Epos heraus. Unter der Wirkung der reformierten Schriftsteller des Teißgebietes, die sich in Wien zusammengetan hatten, stand VON
KAZINCZY.
FRANZ
In seinem Geiste begegneten sich indes die Er-
neuerungsbestrebungen
Ostungarns
mit
dem anderen
Zweig
der
ausländischen Strömung, der vom lutherischen Bürgertum der deutschen Städte Transdanubiens und Oberungarns ausging. Das städtische Bürgertum war während des 18. Jahrhunderts imstande, seinen geistigen Neigungen verhältnismäßig ungehindert nachzugehen. Der Wiener Hof wurde durch das Bürgertum in seinen Germanisierungstendenzen nicht gestört, wenngleich Verfolgungen wegen des Bekenntnisses städtischer Bürger nicht zu vermeiden waren — es genügt hier an die Exulanten zu erinnern. Das Bürgertum besaß auch die materielle Möglichkeit, seine Söhne an deutschen Universitäten schulen zu lassen und die hundertjährige Beziehung zur deutschen Kultur weiter zu entwickeln.
Seine
Lyzeen blieben nicht zurück wie die reformierten Kollegien, machten sich vielmehr die neuesten Errungenschaften der deutschen pädagogischen Wissenschaft zunutze. Damals war der Ausstrahlungspunkt deutscher Kultur nicht mehr die Universität zu Wittenberg, sondern die Hochschulen von Göttingen und Jena, die Hauptstätten des deutschen Neuhumanismus.
Dort studierten
MARTIN
SCHWARTNER,
LADISLAUS GEORG
NEMETH,
RUMY.
CHRISTIAN
GENERSICH,
MATTHIAS JOHANN
KIS,
RATH, DAVID
LUDWIG
MARTIN
SCHEDIUS,
LIEDERMANN,
BARCZAFALVI,
KARL
Diese Jünglinge — als Schüler Schillers, Fichtes,
Reinholds und Heynes — brachten die Begeisterung des deutschen Neuhumanismus, die Liebe zu den Klassikern der deutschen Literatur mit.
Diejenigen von
ihnen,
deren
Muttersprache
deutsch
war.
Das deutsche Bürgertum.
19
stifteten zu Hause deutsche Zeitschriften und schrieben deutsch oder lateinisch, dienten aber doch mittelbar auch der ungarischen Kultur. Ihre Angleichung an das Ungartum vollzog sich freilich langsamer, als es bei ihren katholischen Rassegenossen der Fall war. Sie waren durch die uralten Wurzeln ihrer Kultur, durch ihre städtische Umgebung und durch ihr Bekenntnis an das Deutschtum gebunden 1 ). Die ungarische Literatur beeinflußten sie nach zwei Richtungen hin. Sie verbreiteten einerseits die Kenntnis der deutschen und riefen andererseits die Aufmerksamkeit für die griechische Dichtung wach. Durch sie kamen Homer, Pindar, Anakreon und die griechischen Dramatiker auch in Ungarn in Mode. Diese neuklassische Strömung hatte mit der in klassischer Versform geschriebenen sog. antikisierenden Dichtung kaum irgendwelche Berührungspunkte. Die Vermittlung des deutschen geistigen Einflusses war im großen und ganzen ebenso das Verdienst einer einzigen Generation, wie die des französischen. Dieser Umstand erklärt die Stärke und Dauerhaftigkeit ihrer Wirkung, denn die jüngere Generation übernahm das Bildungsgut ihrer Vorgänger, ohne etwas zuzulernen. Lessing, Wieland, Herder, Goethe, Schiller, ja Matthisson waren Jahrzehnte lang lebendige Stoff- und Ideenquellen der ungarischen Literatur. Die Gedankenwelt der deutschen Romantik dagegen vermochte in Ungarn nicht zur Geltung zu kommen. Es wird später von den Gründen dieser Erscheinung wie auch von der Bedeutung des einheimischen Deutschtums für die Entwicklung der ungarischen Literatur noch ausführlicher zu reden sein. Die Vermittlung und Nutzbarmachung des deutschen Bildungsgutes wurde durch diejenigen Lutheraner ungarischer Herkunft erleichtert, die sich im Kulturmilieu der deutschen Städte entfalteten, wie etwa durch Johann Kis, der im Lyzeum von Ödenburg (Sopron) den ersten ungarischen Selbstbildungsverein stiftete. Die anregende, mitreißende Wirkung fremder Kulturzentren läßt sich hier ähnlich wie bei den Wiener Gardisten oder später bei den Klerikern Preßburgs beobachten. Kazinczys Ideenwelt wurde durch die französische Aufklärung bestimmt, die Grundgedanken seiner Ästhetik aber und seinen literarischen Geschmack übernahm er aus der deutschen Literatur. Die deutsche Strömung kam auch zu ihm durch einheimische lutherische ') Vgl.
Julius Kornis:
Ungarische Kulturideale. 1777—1848. Leipzig 19302*
20
Das literarische L e b e n .
Vermittlung. Und auch ihn führte die deutsche Literatur zur Begeisterung für griechische Dichtung, wenngleich er den französischen Vorbildern darum nicht untreu wurde. Er vereinte somit zwei Zweige der ausländischen Strömung: den französischen und den deutsch-griechischen. Freilich kamen auch seine Kenntnisse der ungarischen Literatur und vor allem seine lateinische Schulbildung zur Geltung. Die Hauptsorge und Hauptfreude seines letzten Lebensjahrzehnts waren die Übertragungen Ciceros und Sallusts. Der nächste Kreis seiner Schüler setzte sich aus den charakteristischen Vertretern beider Richtungen zusammen. Westliche Kalviner waren L A D I S L A U S S Z E N T J O B I S Z A B O , P A U L S Z E M E R E , F R A N Z K Ö L C S E Y , A N D R E A S F Ä Y , Lutheraner mit städtischer Bildung J O H A N N K I S , G A B R I E L D Ö B R E N T E I , K A R L G E O R G R U M Y . Sie förderten die Verbreitung seiner Gedanken und seiner literarischen Prinzipien. Und zwar wirkten Johann Kis und anfangs Berzsenyi in Transdanubien, Szemere und Kölcsey in Pest und Transtisien, Döbrentei in Siebenbürgen. Rumy aber machte seinen Namen im deutschen Ausland bekannt. Kazinczys Bedeutung als geistiger Führer hätte nur ein einziger Schriftsteller streitig machen können, wäre er nicht an der Verwirklichung seiner Pläne durch einen frühen Tod verhindert worden: JOSEF KÄRMAN. Er brachte aus Wien die Gedankenwelt der Aufklärung nach Ungarn und wie in Kazinczy vereinigte sich auch in ihm das Erneuerungsstreben der östlichen Reformierten mit dem Einfluß des kulturellen Aufschwungs der einheimischen Deutschen. Bezeichnenderweise gab er seine Zeitschrift in Verbindung mit einem deutschen lutherischen Schriftsteller, Ludwig Schedius, heraus. Die U r a n i a hatte aber bloß literargeschichtlichen Wert, ihre Wirkung war, da sie nur ein Jahr lang bestand, beschränkt. Karmäns Beruf wäre es gewesen neben Kazinczy und Kazinczy ergänzend Führer der ausländischen Richtung zu sein. Sein früher Tod hat die Synthese verzögert. Als durch die Reformation in der ersten Hälfte des 16. Jahrh. die ungarische Literatur ungarisch-sprachlich wurde, nahm der ungarische Katholizismus an diesem Vorgang kaum teil. Er griff erst in der Zeit der Religionskämpfe ein, da das sich entfaltende literarische Bewußtsein bereits begann die ungarische Sprache als mit der lateinischen gleichberechtigt anzusehn. Von den zwei größten Geistern der
21
Die Katholiken.
Gegenreformation stammte P É T E R P X Z M X N Y aus den reformierten Gebieten Transtisiens. N I K O L A U S Z R I N Y I assimilierte sich aus fremder Rasse. Die Gegenreformation erweckte langsam das Bewußtsein des katholischen Ungartums und regte es an sich über seine nationalen Pflichten klar zu werden. Noch immer lastete die lateinische Sprache, die internationale Kirchensprache der Katholiken, auf ihm. Allein schon bereitete sich die Befreiung von ihr vor. Das katholische Ungartum hatte ein hundertjähriges Versäumnis nachzuholen. Ehe es aber auf dem weiteren Weg der Entwicklung fortschritt, mußte es seine lateinisierende Kultur magyarisieren und sich die vorwiegend von Reformierten geschaffene ungarisch-sprachliche Bildung assimilieren. Auf diese Weise entstanden zwei Zweige der Traditionsbewegung: der sog. antikisierende und der ungarische. Beide kamen in der Hauptsache aus transdanubischer, katholischer Gegend und hingen innerlich miteinander zusammen. Es war schon die Rede davon, daß die lateinische Barockdichtung der Jesuiten eine Fortsetzung der ungarischen Renaissance-Dichtung darstellte und tief in der ungarischen Bildung wurzelte. Ihre Ungarisierung war eine revolutionäre Erscheinung nur der Form nach, wennschon auch die ungarischen Überlieferungen der klassischen Versform bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts zurückreichten. Die magyarisierende Bestrebung zeigte sich im 18. Jahrh. zum ersten Male in einem Buch J O H A N N M O L N À R S , eines Geistlichen aus dem Györer Komitat: »A régi jeles épûletekrôl«, »Von den alten berühmten Gebäuden«, Nagyszombat 1760. Dem Verfasser gelang es eine ganze Reihe transdanubischer Geistlicher, F R A N Z B I R S I , W O L F G A N G TÖTH,
CHRISTIAN
BERENCS,
JOSEF MÄRTONFY,
MARTIN
zum Dichten ungarischer Verse in klassischen Massen anzuregen, obwohl keiner von ihnen durch eine besondere Anlage hervorragte. Sein größtes Verdienst besteht darin, daß der aus dem Gebiete Transtisiens stammende N I K O L A U S R Ê V A I von ihm zur Dichtung geführt wurde. Rêvai stattete den Dank dafür in einer Ode »Molnâr Jânos urnak«, »An Johann Molnar«, ab: BOLLA, EMIL KRESKAY
»Wisse es immer die Heimat, ich will es fortan nicht verschweigen, Über die Erde durch mich breite dein Name sich aus! Denn nach dem Helikon wiesest du, Ungarns erneutem, den Pfad mir, Schrittst mir voraus, daß ich sah, wie ich gelangte hinan!«
22
D a s literarische L e b e n .
Unabhängig von Johann Molnâr und von Rêvai begannen J O S E F R A J N I S und D A V I D B A R Ö T I S Z A B O , zwei Jesuiten, ihre dichterische Wirksamkeit. Die Tatsache, daß die Magyarisierung der lateinischen Dichtung von mehreren Seiten her gleichzeitig ausging, ist ein Beweis für die durchdringende Kraft der klassischen Überlieferung. Der Umstand aber, daß ihre Anhänger ausschließlich katholische Geistliche waren (die Reformierten Gregor Édes und Johann Gyöngyösy schrieben Leoninen), macht es klar, daß es sich hier um eine Leistung des ungarischen überwiegend transdanubischen Katholizismus handelte. Es wird noch von den Beziehungen Österreichs zu dieser Bewegung die Rede sein. Um ihr transdanubisches Gepräge zu beweisen bedarf es keiner willkürlichen Konstruktionen, wenn auch Baröti Szabô und Rêvai selbst nicht von transdanubischer Herkunft waren. Wie die Barockdichtung der Jesuiten transdanubisch war, so kam auch die magyarisierende Bestrebung Johann Molnârs und seiner Anhängervon dort her. Rêvai kann man nicht nur darum hierzurechnen, weil er ein Mitglied des Molnar-Kreises war, sondern vor allem weil er den größten Teil seines Lebens im transdanubischen Bildungsmilieu verbrachte. David Baröti Szabo wurde aber von Transdanubien umgeformt, wurde selber völlig zum Transdanubier. Er fand in Virt, in einem transdanubischem Dorf eine zweite Heimat, besang es in mehreren Oden und war der erste Dichter der Naturschönheiten Transdanubiens. Als erster besang er den Plattensee und die Überschwemmung der Donau und erzählte in seinem umfangreichsten Werk das Erdbeben von Komärom. Seine Székler Heimat dagegen hinterließ keine Spuren in seiner Dichtung. Unter seinen Schülern und Freunden stand ihm J O H A N N B A C S Ä N Y I aus Transdanubien am nächsten. In dieser transdanubischen Umgebung entfaltete sich die Dichtkunst im klassischen Versmaß weiter. B E N E D I K T V I R A G vom Zalaer Komitat vermochte sich schon auf ungarische Überlieferung zu stützen. Anderseits bezeichnete D A N I E L B E R Z S E N Y I aus dem Eisenburger Komitat, der einzige Protestant dieser Richtung, Virag als seinen Meister. Den Höhepunkt der Entwicklung bezeichnen drei transdanubische Schriftsteller: A N D R E A S P Ä Z M Ä N D I H O R V Ä T H , der katholische Pfarrer, G R E G O R C Z U C Z O R , der gelehrteBenediktinerundMicHAEL V Ö R Ö S M A R T Y . Johann Garay von Szekszârd, ein Epigone, schloß diese Reihe ab.
D i e traditionelle Richtung.
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Die andere Schicht der traditiongebundenen literarischen Strömung, die magyarisierende, kam im selben Milieu zum Durchbruch wie die antikisierende. Es wurde schon erwähnt, daß man in der Dichtung beider Bewegungen, was ihre geistige Haltung betrifft, einen Unterschied kaum feststellen kann. Ihre Träger stammten aus der gleichen Gesellschaftsklasse, waren meist von transdanubischer Herkunft und katholischer Religion, zählten zu den Geistlichen, standen in beständiger Verbindung miteinander und gehörten oftmals beiden Schichten an wie z. B. Rêvai. Ihr Meister war der Jesuit F R A N Z F A L U D I aus dem Eisenburger Komitat, der die Überlieferungen der Gesangspoesie auffrischte und zugleich die von Pâzmâny und Zrinyi geschaffenen sprachlichen Traditionen fortsetzte. Unter Faludis Anhängern finden sich lauter katholische Geistliche aus Transdanubien. Die Berühmtesten unter ihnen waren : der bereits in Johann Molnârs Kreis erwähnte Paulinermönch von Székesfehervâr (Stuhlweißenburg), E M E R I C H K R E S K A Y , der Piarist aus dem Fejérer Komitat, J O H A N N E N D R Ö D Y , der Pfarrer aus dem Rabaköz, J O H A N N N A G Y , und P A U L Â N Y O S , der Paulinermönch aus dem Komitat von Veszprem. Zu ihnen zählte auch J O S E F P É T E R I T A K Ä C S von Raab (Györ) ein ehemaliger Priester, der Advokat geworden war und von dem noch die Rede sein wird. Faludi war in Preßburg der Schuldirektor von Rajnis, der ihn für den größten ungarischen Dichter hielt. »Wunder Du unter den Dichtern Ungarns« schrieb er in einer Ode an Faludi. Das Seminar der Geistlichen in Preßburg hatte schon eine ungarische literarische Überlieferung, als Georg Fejér aus Keszthely dort die erste ungarische literarische Gesellschaft stiftete und seine Theaterstücke aufführen ließ. Aus diesem Kreis ging K A R L D Ö M E hervor und zwischen den Klerikern Preßburgs ward A L E X A N D E R V O N K I S F A L U D Y zum ungarischen Schriftsteller. Die ungarische Literarhistorie hielt nicht diese katholischen Geistlichen (auf deren Bedeutung als erster J O H A N N H O R V Ä T H hinwies)1) für die Hauptvertreter der sog. romantischen Schule, sondern A N D R E A S D U G O N I C S und J O S E F GVADXNYI. Beide waren zwar katholisch, nicht aber transdanubisch. Gvadânyi, als Soldat, verbrachte sein ganzes Leben schweifend und wandernd, bis er sich endlich in Szakolca in Westungarn niederließ. Dugonics verbrachte sein Leben hauptsächlich in Szeged, Vâc, Tyrnau (Nagyszombat) und ') HORVATH JÄNOS : A magyar irodalmi népiesség Faluditôl Petöfiig. literarische Volkshaftigkeit von F. bis P.) Bp. 1927. S. Ungar. Jahrb. VIII.
(Die ungar. 171—173.
24
D a s literarische L e b e n .
Ofen (Buda). Er sowohl wie Gvadanyi waren fremder Herkunft, hatten sich erst vor kurzem magyarisiert und gehörten entwicklungsgeschichtlich zum Kreis der transdanubischen katholischen Schriftsteller. Die Gesangspoesie wurde nicht nur von Katholiken, sondern auch von Reformierten gepflegt. Ihre hervorragendsten Vertreter waren M I C H A E L C S O K O N A I und A D A M P A L Ö C Z I H O R V Ä T H . Letzterer stammte aus Transdanubien. Csokonais Familie siedelte von Csokona im Somogyer Komitat nach Debrecen über. Es muß indes bei aller Abneigung gegen gekünstelte Konstruktionen festgestellt werden, daß er die eigentliche Anregung zu seiner Gesangspoesie an den transdanubischen Adelshöfen und den dortigen Pfarren empfing. Seine Zeitschrift gab er in Preßburg heraus. In seinem komischen Epos »Dorottya« besang er den Somogyer Fasching. Obschon sich ein Schriftstellerkreis unter Csokonais Einfluß auch in Debrecen bildete ( M I C H A E L F A Z E K A S , S A M U E L T E R H E S ) , so wird der transdanubische Charakter der traditionellen Richtung doch durch die Tatsache bewiesen, daß sie sich in der nächsten Generation wiederum auf das Gebiet jenseits der Donau beschränkte. Auch diese Strömung hatte feste Beziehungen zu Wien und Graz, deren Einfluß Csokonais Dichtung ebenfalls fühlen läßt. Der hervorragendste Vertreter der neuen Generation war A L E X A N D E R VON K I S F A L U D Y . Um ihn scharten sich in bewußtem Gegensatz zu Kazinczys Richtung die katholischen Dichter Transdanubiens, J O S E F T A K Ä C S , A N D R E A S P Ä Z M A N D I H O R V Ä T H und J O S E F R U S Z E K , der Abt von Keszthely. Zu ihnen gehörten ferner S T E P H A N K U L T S Ä R von Komarom, ehemaliger Benediktiner, der die erste Zeitung katholischer Richtung in Pest herausgab, der Literarhistoriker S A M U E L P Ä P A Y sowie J O H A N N B A C S Ä N Y I aus dem Zalaer Komitat, der seine Beziehung zu Kisfaludy noch in der Verbannung aufrechterhielt. Der Kreis selbst zählte auch den nicht aus Transdanubien stammenden Dichter, F R A N Z V E R S E G H Y ZU denSeinen, ja sogar dessen größten Gegner, S T E F A N H O R V Ä T von Szekesfehervär. Von dieser Bildungsmitte ging später die dritte Generation mit K A R L VON K I S F A L U D Y an der Spitze aus. Überblickt man die Vertreter der traditionellen Strömungen nach einheitlichem Gesichtspunkt, so werden die Unterschiede klar und man begreift die geistesgeschichtliche Bedeutung des Vorgangs. Der transdanubische Katholizismus erneuerte die literarischen Überlieferungen nicht nur, sondern bildete sie auch weiter und bereitete
Die soziale Stellung der Dichter.
25
die Synthese auf diese Weise von einer Seite her vor. Wie bewußt das Suchen nach Überlieferung war, zeigt besonders deutlich die Tatsache, daß die alten Literaturdenkmäler größtenteils von den Vertretern der traditionellen Strömung durchsucht und in neuen Ausgaben zum Druck gebracht wurden. Pray gab die Margitlegende heraus (1770), Johann Sajnovics die altungarische Leichenrede, das älteste ungarische Sprachdenkmal (1763), Nikolaus Rêvai 1787—89 die Werke von Faludi, Orczy und Barcsai. Stefan Kultsâr veröffentlichte die Briefe von Mikes (1794), Johann Letenyei, ein katholischer Geistlicher aus Fünfkirchen (Pécs) die Übertragung des Anonymus, des Chronisten aus dem XII. Jahrh. (1790), der in Györ (Raab) tätige Stefan Sândor die Werke von Heltai aus dem XVI. Jahrh. (1796). Dugonics machte Gyöngyösi (1796) neuerdings zugänglich, Bacsânyi die Werke von Änyos und Faludi (1798 u. 1824), Benedikt Virâg (1804) Telegdi und die »Ungarischen Dichtungen in lateinischem Versmaß, 1540—1780«. Döbrentei gedachte Zrinyis Epos neu erscheinen lassen, doch kam ihm Kazinczy 1815 zuvor. Überhaupt nahm Zrinyi in der ungarischen Tradition eine besondere Stellung ein. Beide Strömungen sahn in ihm ihren Ahnherrn. Bei der Behandlung der ausländischen Bewegung war davon die Rede, daß der größte Teil der dorthin zu zählenden Schriftsteller uralten adeligen Familien entstammte, die meisten historische Namen trugen und etliche Magnaten waren. Demgegenüber fällt es auf, daß die Anhänger der traditionellen Strömung vorwiegend Geistliche waren und soweit sie weltliche Berufe hatten außer einigen adeligen Gutsbesitzern dem vierten Stande angehörten wie Bacsânyi, Stefan Horvât und andere. Die Geistlichen waren im allgemeinen Söhne von Fronbauern oder Kleinadeligen. Damals machte noch allein der Adel die Nation aus. Dem Bauerntum blieb, wollte es selber schon ein Glied der Nation werden, nur der Weg über das Priestertum dazu frei. Als sich der transdanubische Katholizismus durch die Literatur seines Ungarntums bewußt wurde, wandelte er sich zugleich in seiner sozialen Struktur. An Stelle des völlig entfremdeten Hochadels und hohen Klerus wie der wenigstens teilweise fernstehenden Kleinadeligen war er es nämlich, der zuerst den Sturm der Erneuerung verspürte. Und während sich die ausländische Richtung im Laufe der Entwicklung vom Volkstümlichen und der ungarischen Geschichte immer mehr losriß, schöpfte die traditionsgebundene Bewegung gerade im Gegenteil aus den reichen Quellen der Vergangenheit und des Volkstums.
26
Das literarische L e b e n .
Die beiden literarischen Strömungen brachen unabhängig voneinander auf, wußten voneinander kaum. Die Bücher wurden langsam verfertigt und hatten sie einmal die Zensur überstanden und waren gedruckt, so bewegten sie sich gleichwohl nur in kleinem Kreise fort. Buchhändler gab es wenige, die meisten waren deutscher Herkunft. Man verbreitete die Bücher auf Märkten. Transdanubien war für Siebenbürgen wie eine andre Welt. Die geographische Entfernung und die Schwierigkeiten des Verkehrs trugen dazu bei den Bildungsunterschied beträchtlich zu vertiefen. P E T E R B O D erwähnte in seinem »Athenas« den Nemes ember, den »Edelmann« von Franz Faludi, der aus dem Werke Dorels übertragen wurde, unter dem Namen »Dorel«, setzte aber bezeichnender Weise hinzu: »Vielleicht sind beide Namen, Dorel so gut wie Faludi, erdichtet«. K Ö L C S E Y schrieb in seiner Rezension über Csokonai, daß Râjnis, Rêvai und David Baröti Szabö in seinen Studentenjahren in Debrecen noch kaum bekannt waren. C S O K O N A I wiederum bat in einem Briefe vom 19. März 1801 aus Debrecen, Josef Märton möge ihn über die literarischen Verhältnisse in Wien unterrichten, »die wir isolierten Dacier hier noch so wenig kennen«1). Vörösmarty hörte den Namen Kazinczys zum ersten Male in Pest, als er da die Universität besuchte und in Transdanubien war man lange Zeit der Meinung, »Kölcsey« müsse ein Deckname sein. Der Ausgleich konnte erst beginnen, als die Vertreter der beiden Richtungen zusammentrafen und sich der Bildungsunterschiede, die zwischen ihnen bestanden, bewußt wurden. Diese Begegnung vollzog sich in den Städten fremder Zunge : in Wien, in Preßburg (die Kleriker, die Kazinczy besuchte!), in Pest-Ofen (die Trias und der Kreis um Kultsâr), in Kassa (Kassaer Ungarische Gesellschaft) usw. Von diesen Städten ging das eigentliche literarische Leben Ungarns aus, in ihnen begann sich das bewußte literarische Programm zu gestalten. Mit dem Gefühl der Berufung nahm Kazinczy die Führung der Literatur in seine Hände. Er war der erste, der über Sinn und Zusammenhang der Erscheinungen innerhalb der ungarischen Literatur nachdachte und seine Freunde anregte, auch ihrerseits darüber nachzudenken. Sein reicher Briefwechsel ist ein vollendetes Spiegelbild des sich entfaltenden und langsam wandelnden literarischen Bewußtseins 2 ). ') Csokonai Vitéz Mihâly Összes Müvei. Kiadtâk Harsânyi Istvân es dr. Gulyâs Jözsef. II. 2. 675. ') Kazinczy
Ferenc Levelezése.
Kôzzéteszi VACZY JANOS.
(Der Briefwechsel
von F. v. K. Veröffentlicht von J. V.) Hgb. von der Ungar. Akademie. 22 Bde. folgenden abgekürzt: K. L.)
(Im
2.
Der Bildungsgegensatz im literarischen Bewußtsein der Jahrhundertwende.
Kazinczy begann seine literarische Tätigkeit unter dem Einfluß Bessenyeis und Baröczis. Obwohl er die Verbindimg mit David Baröti Szabô noch in den Studentenjahren aufnahm, vermochte er die Gesamtheit der literarischen Erscheinungen am Anfang seiner Laufbahn nicht zu überblicken. E r sah nur die eigene Umgebung. So bildete sich ihm die Überzeugung, daß die Pflege der ungarischen Literatur ein Privileg der Kalvinisten sei. 1789 schrieb er an Georg Aranka: »Ich bin kein Fanatiker in religiösen Fragen, mich nennt die Weisheit ihren Sohn: dennoch muß ich bekennen, daß nach meiner Meinung allein die Kalvinisten berufen sind die ungarische Literatur weiterzuführen. Die Katholiken sind bemüht, allein vergeblich. Wie oft verstößt Faludi, er, der begeistert Verehrte, gegen unsere Sprache.' Sehn wir auf Szabô, Râjnis, Rêvai, Batsânyi. — Die Lutheraner aber sind dazu verdammt, niemals die ungarische Sprache sich aneignen zu können. Ich finde die Erklärung dieser Tatsache im Betrieb der Schulen. Die Universalsprache des Kalvinisten ist das Ungarische, die des Katholiken das Lateinische, die des Lutheraners das Slovakische und das Deutsche').« — Dies war nun freilich eine Äußerung weniger des Kalvinisten als des selbstbewußten Ungarn, der den Katholiken für entfremdet, den Lutheraner aber für völlig fremd hielt. An einer anderen Stelle äußerte sich Kazinczy noch entschiedener : »Die Katholiken lasse ich unerwähnt, denn wenn sie uns aus dem Himmelreich ausschlössen, wir ihnen hingegen die Fähigkeit abstritten imgarisch zu reden . . . Die Dichter des ungarischen Himmels denken derart, wie der Kalvinist imgarisch spricht.« — Und wieder anderswo: »Er (d.h. der Primas Barköczy) hat die Nation geliebt, obwohl er Priester war, als andere in tiefem Schlafe lagen . . Wer über jenen Stand (nämlich den geistlichen) mit blindem Eifer zürnt, ist ungerecht. Doch sahn wir allerdings, daß die Priester vor der ') K. L. I. 396.
28
Der Bildungsgegensatz.
Einführung der ungarischen Sprache am meisten zitterten, weil sie glaubten, die ungarische Sprache werde auch den Katholiken zum Kalvinisten machen1).« — Kazinczy nahm damals die Beziehung zum geistigen Leben des ganzen Landes noch nicht auf und kannte also die literarische Strömung nicht, die eben aus dem Kreis der transdanubischen katholischen Geistüchen herkam. Sein Urteil ist um so charakteristischer, als es treffend beweist, wie sehr die Richtungen der ungarischen Literatur am Anfang der Erneuerungszeit voneinander getrennt und wie sie nach Konfessionen geschieden waren. Kazinczy war der ersten einer, der diese Kluft zu überbrücken strebte. Mit einer für die Aufklärungszeit charakteristischen naiven Selbsttäuschung glaubte er, daß der Ausgleich ohne jeden Übergang erfolgen werde. Obwohl er klar fühlte, wie sehr das Trennende im Kulturellen begründet war, hoffte er doch, die Toleranz des Josefinismus werde auch diesen Unterschied aufheben, wie sie die Gegensätze der Weltanschauungen ebenfalls auszusöhnen versuchte. Daß er als Schüler von Patak mit Baroti einen Briefwechsel anknüpfte, wurde schon erwähnt. In Kassa führte sein erster Weg wieder zu ihm. Dort gründete er mit ihm und dem gleichfalls katholischen Bacsanyi 1787 die Kassaer Ungarische Gesellschaft und gab die erste ungarische literarische Zeitschrift, das Kassaer Ungarische Museum heraus. Die Zusammenarbeit währte nicht lange. Kazinczy schied bald aus der Gesellschaft aus und gründete eine neue Zeitschrift, den »Orpheus«. Die Literarhistorie sucht die Gründe dieser Trennung in Meinungsverschiedenheiten zwischen Kazinczy und Bacsanyi. Sie liegen indes tiefer. Das Kassaer Ungarische Museum bedeutete die Verbindung der transdanubisch-katholischen mit der transtisisch-kalvinischen Strömung in einem Augenblick, in dem die Zeit dazu noch längst nicht reif war. Kazinczy erkannte denn auch den Mißerfolg und seine Ursachen klar. Er teilte Johann Földi mit, daß er die Mitarbeiter des Orpheus nur unter den Kalvinisten auswählen wird. Földi antwortete auf diesen verlorengegangenen Brief Kazinczys folgendes: »Es gefällt mir, daß Sie ihn (d. h. den Orpheus) mit Kalvinisten aufbauen wollen. Möchten sie nur an Zahl und Verdienst alle andern übertreffen. Bisher wurde unsere Sprache ja von Kalvinisten bewahrt und ich wünschte, sie solle auch ferner durch sie erhalten, bereichert und verwandelt werden«2). >) Ebda. I X . 399. ») Ebda. I. 266.
Földis Urteil.
29
Die geistesgeschichtliche Bedeutung des Ungarischen Museums und des Orpheus bestand darin, daß sie den geistigen Dualismus Ungarns breiteren Kreisen fühlbar machten, daß sie über das Problem und seine Lösung nachzudenken zwangen und so am Zustandekommen der Synthese mitwirkten. Die klarste Formulierung findet sich bei Földi. Sie ist ihrer Wichtigkeit wegen im folgenden wörtlich wiedergegeben : »Was aber Ihre eben dargelegte Absicht die Einleitung eines neuen periodischen Werkes betrifft, nehme ich wirklich an und sehe es ein, daß Sie hinreichenden Grund haben, sich von ihnen (d. h. von den Katholiken) zu trennen. — Es ist wahr, ich habe an der Gesellschaft von Leuten, die beiden Religionen angehörten, meine Freude gehabt und ich habe auch gehofft sie lange erhalten zu sehn. Ich wünschte nämlich sehr, daß die Sprache beider Religionen, die sich jetzt nach Schrift und Diktion so beträchtlich unterscheiden, eins würden. Dies nun wäre nur in einer derartigen Gesellschaft, durch die Hinneigung und Hingabe der einen an die andere, durch die Befolgung des Guten in der Sprache eines jeden möglich, wenn die Mitglieder ohne Selbstsucht und Starrsinn wären und die Wahrheit erkennten. Beobachten wir die beiden Sprachen im einzelnen, so bemerken wir jetzt zwei besondere Fehler in jeder. Die Reformierten besitzen eine sehr gute Syntax, verbinden die Worte geschickt, passen sie gut aneinander, sind aber zurückhaltend in der Benennung des Neuen mit neuen Worten und kennen die rechte Knappheit nicht. Die weitschweifigen Verbindungen, die gehäuften lateinischen Ausdrücke wurden bei ihnen beibehalten und sind erstarrt. Auf diese Weise bleibt ihre Sprache immer im gleichen Zustand, ohne schmuckvoller und reicher zu werden. Die Katholiken sind dagegen in dieser Beziehung weit kühner, mutiger und dadurch wirksamer. Doch ist ihre Syntax meist unerträglich, ihre Neuerungssucht allzu groß. Fast überall spannen sie unsere eigentümlich dahinfließende ungarische Sprache in die lateinische oder eine andere fremde Syntax ein. Auch gebrauchen sie zumeist eine andere Aussprache usw. Infolge dieser Abweichung fiel es auch den Herren Szentgyörgyi und Öry auf, daß sie zu Szabo und Bacsänyi nicht passen. Dies kann ich selbst bestätigen. Vorigen Herbst ging ich im Kiskunsäg mit dem »Museum« herum, konnte aber nicht mehr als ein einziges Exemplar verkaufen. Gefielen die Werke auch einigen, so gefielen Ihre Werke, die Zielsetzung und die Einleitung wie auch die Verse von Änyos, das übrige aber wurde für
30
Der Bildungsgegensatz.
verwickelt, unverständlich und allzu illusorisch gehalten. Besonders das Paradies, nur das verlorene Paradies! — Lasen dagegen Katholiken dasselbe Werk, so sagte es ihnen auf andere Weise zu und beurteilten sie es auch in anderer Weise. Nun nehmen wir an, die Gesellschaft zerfalle in zwei Teile: so wird jener Nationalfehler der Ungarn zunehmen, der jetzt schon groß genug ist und unser Werk wird nur wenige Leser und Käufer haben, denn was von uns geschrieben ist wird nur von den Unsrigen (von wie wenigen!), was von den Katholiken verfaßt ist aber nur von den Katholiken gekauft werden... Damit wird auch das Übel unserer Sprache weiterwachsen, das jetzt schon besteht, daß sie eben bei den zwei Teilen der Bevölkerung zweierlei Sprache ist. Es wird sich jeder Teil in seiner Verschiedenheit weiterentwickeln und was den Fortschritt der Sprache angeht, so wird dies immer ein Fehler, ein Hemmnis und ein Verlust für ihn sein. Zwar etliche in unserm Kreis, die schärferes Auge und klarere Urteilskraft besitzen, konnten wohl dafür Sorge tragen, daß wir den Katholiken im Guten folgen; wann wird aber die Welt diese Werke lesen, wenn ein solcher Gegensatz vorliegt ? Wann wird sie sie kennenlernen und sich zum Vorbild nehmen ? Können wir hoffen, daß wir jene an Zahl und Eifer unserer Schriftsteller übertreffen werden? Jetzt zumindest sieht es nicht so aus. Weit mehr Schriftsteller auf allen Gebieten des Wissens gehen aus ihren Reihen hervor. In viel größerer Anzahl mühn sie sich um die Dichtimg und zwar um die neue und echte Poesie, die ein Besitz unserer Sprache vor fast allen anderen Sprachen ist« 1 ). Bei diesen Darlegungen Földis lohnt es sich zu verweilen, denn er schildert in ihnen den geistesgeschichtlichen Hintergrund der literarischen Strömungen mit einem damals ungewohnten, selbst Kazinczy übertreffenden Scharfblick. Er bemerkte, was Kazinczy in seinem Optimismus damals noch nicht sah, daß nämlich die Bahnbrecher der ungarisch-sprachlichen Richtung zwar Kalvinisten waren, daß aber im 18. Jahrh. die Entwicklung abbrach und die Führung mit einem einstweilen fremdartigen Schwung von den Katholiken übernommen wurde. Auch der Hinweis Földis auf Szentgyörgyi und Öry ist von Bedeutung: es spricht sich darin nicht nur die Meinung eines einzelnen, sondern einer Gemeinschaft aus. — Földi war der erste, der eine andere wichtige Komponente des literarischen ') Ebda. I. 264.
Kazinczys Besinnung.
31
Lebens, den Kreis der Leser, ins Auge faßte. Der Kazinczy-Kreis arbeitete in der deutschen und slovakischen Umgebung von Kassa gewissermaßen in luftleerem Raum ohne unmittelbare Beziehung zum Publikum. Földi lebte in der Umgebung der transtisier kalvinischen Ungarn. Und dies in seiner Bildung konservative Kiskunsäg vermochte zwischen kalvinischer und katholischer, zwischen transdanubischer und transtisischer Literatur mit der Empfindlichkeit des Rassenbewußtseins zu unterscheiden. Es ist dies ein Beweis für die Tatsache, wie stark und gegensätzlich die hundertjährigen Kräfte der Geschichte den Geist gestaltet haben. Földi erhob sich über diesen literarischen Zwiespalt als einer derer, die ein »schärferes Auge und eine klarere Urteilskraft« besaßen und bestimmte zugleich das Programm der künftigen Entwicklung in der Forderung nach Vereinigung beider Strömungen. Andernfalls, meinte er, würde das Ungartum endgültig in zwei Teile auseinanderfallen und den Untergang seiner Bildung dadurch besiegeln. Nur Kärmän sah damals die treibenden Kräfte des ungarischen Geistes und den Konservatismus des reformierten Ungartums ähnlich klar. Bei ihm wird die Bewegung der Katholiken nicht bewußt und als er den geistigen Hintergrund der Zeit schildert, schreibt er über das reformierte Ungartum folgendes: »Mir wurden die reichen und glänzenden Kenntnisse der Jünglinge, die ausländische Schulen besucht hatten, gerühmt •— kaum aber kommen sie auf ihre Scholle nach Hause, so wird eine unerklärliche Ohnmacht über sie Herr. "Waffen verdrängen die Bücher, Jagden die Wissenschaft. Kaum sind sie wieder in ihren Pfarreien, so verwildern sie wie die Tiere. Ihr Verstand wird träge, ihr Gehabe gleicht sich dem ihrer Hörigen an, ihre Kleidung ist noch das einzige, wodurch sie sich von ihnen unterscheiden«1). Kazinczys Besinnung wurde durch seine Verbindung mit David Baroti Szabo und Bacsänyi gefördert. Die neue, von Földi formulierte Erkenntnis kam als treibende Kraft in seiner gesamten schriftstellerischen Tätigkeit zur Geltung, erst offen, später verhüllt, sogar ihm selbst vielleicht nicht immer deutlich. Daß er seine Mitarbeiter bei der Gründung des »Orpheus« bewußt aus der Reihe der Kalvinisten zu wählen bestrebt war, wurde schon erwähnt. Die Mehrzahl seiner Freunde ging bis zu seiner Gefangenschaft aus den reformierten Gebieten Transtisiens und Siebenbürgens hervor. ') Kärmän Jözsef: A nemzet csinosodäsa.
(Die Bildung der Nation.)
32
Der Bildungsgegensatz.
Diese nähere Bekanntschaft mit dem Milieu, zu dem er seiner Geburt nach selber gehörte, brachte eine Enttäuschung mit sich. Wie Földi und Kärmän wurde er sich der Tatsache bewußt, daß die geistige Entfaltung des ungarischen Kalvinismus auf einem toten Punkt angelangt war, und daß dieser seine vorschrittliche Tendenz in Sprache und Geist ebenso ablehnte, wie die Erneuerungsbestrebungen der Katholiken. Diese Erkenntnis bedeutete eine entscheidende Wendung in Kazinczys Leben. Karmän verlangte ungarische Originalwerke, die die Nation aus ihrer Ohnmacht erweckten. Kazinczy aber löste sich von den alten Wurzeln und verlor den Boden unter seinen Füßen. Er übertrieb die ausländische Richtung und versuchte die westliche Bildung mit einem Schlag nach Ungarn zu verpflanzen. Seit damals richtete sich sein Blick nach dem Ausland und während das katholische Ungartum Transdanubiens langsam und bedacht fortschritt und die literarischen Überlieferungen inzwischen weiterpflegte, schüttelte Kazinczy die Last solcher Traditionen von sich ab und stieß in Geist und Sprache gleichmäßig vor. Auf diese Weise stellte er sich nach kurzer Zeit nicht nur den Konservativen des Teißgebietes, sondern auch dem Fortschritt Transdanubiens gegenüber. Diese Entwicklungsstufe Kazinczys fand ihren Höhepunkt und ihren literarischen Ausdruck nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft. Der Wandel seiner Auffassung aber zeigte sich schon früher an. Hierbei spielte seine Freundschaft mit Johann Kis sowie seine Kassaer Wirksamkeit, die ihm die kulturelle Bedeutung der lutherischen deutschen Städte klarmachte, eine große Rolle. 1789 sprach er den Lutheranern die Kenntnis der ungarischen Sprache noch ab. 1793 schrieb er schon an Johann Kis: »Tatsächlich, lieber Freund, Ihr und in weiterem Sinne die Ödenburger Gesellschaft seid es, von denen ich alles erwarte. Es ist kein Zweifel, daß diejenigen Jünglinge, die sich der Ästhetik rühmen können, aus den Schulen der Lutheraner kommen. Infolge ihrer städtischen Erziehung vermögen sie sich Musik und eine gewisse Fertigkeit im Malen sowie dank ihrer Gewandtheit in der deutschen Sprache die Kenntnis der deutschen Literatur anzueignen, ohne die man die Dichtung seiner Heimat nicht bereichern kann. Die katholische Jugend wäre imstande, deutsche Schriftsteller zu lesen, liest sie aber nicht, kennt auch die griechischen und römischen Klassiker nur aus elenden Chrestomatien. Der Kalvinist aber liest
Kazinczy über die Lutheraner.
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die deutschen Schriftsteller nicht, denn er versteht sie nicht, lernt auch die alten Klassiker nicht kennen, weil man ihn Vitringa, Witsius und Pictet studieren läßt. Er wird an Orten ohne Musik erzogen und bleibt unmusikalisch. Ihr Lutheraner lest schon in eurer Kindheit Geliert, Rabener, Wieland lind Hagedorn. Ihr wißt, daß ein gereimter Namenstagsgruß mit Poesie nichts zu tun hat. Ihr lernt Musik und Malerei, euer Geschmack wird durch das städtische Leben gebildet. . ., es bleibt nichts anderes übrig, als daß ihr ohne soloecismus ungarisch redet«1). Kazinczy hatte inzwischen in Kassa die Bücher einiger deutscher Schriftsteller kennengelernt und ihren Geist aufgenommen. Schon entfaltete sich sein klassischer Sinn, der das Wesen der Dichtung im Schönen sah und aus ihm die innere Gesetzmäßigkeit künstlerischen Schaffens ableitete. In seiner Transtisier Umgebung stand er mit diesem neuen Geschmack allein. So suchte er geistige Beziehungen und fand sie auch: in der lutherischen Jugend der ungarischdeutschen Städte. Seit dieser Zeit sah er in Johann Kis den größten und gebildetsten ungarischen Schriftsteller. Sein zur Übersteigerung neigendes Wesen übertrieb die kulturelle Wichtigkeit der Städte und vergaß darüber die Verdienste der transdanubischen und transtisischen literarischen Richtung. Schließlich war aber eine Einsicht in ihre Bedeutung zugleich mit dem Einfluß der deutschen Literatur doch von hohem Wert. Bald las er Goethe und Schiller. Und fortan war es die deutsche Literatur, die Gehalt und Gestalt seiner Dichtung entscheidend bestimmte. Die Reaktion, die nach der mißlungenen Verschwörung von Martinovics (1794) einsetzte, bedeutete eine Zäsur in der Entwicklung des ungarischen Geisteslebens. Mit Kazinczy kam eine ganze Reihe von Schriftstellern ins Gefängnis. Die Anhänger der Aufklärung waren eingeschüchtert und verstummten. Der Transtiser Kalvinismus geriet noch mehr unter den Einfluß des Konservatismus, Baroczi verfolgt das Phantom der Alchemie, Peczeli war tot. Das Stadtleben war mehr deutsch als je. Für das deutsche Bürgertum kam die Glanzzeit seiner Bildung. Es entstanden rasch nacheinander deutsche Zeitschriften, überall blühte das deutsche Theater auf. Csokonai charakterisierte die Zeit in einem Briefe vom 23. Januar 1798 an Franz Szechenyi folgendermaßen: »Kaum waren wir aus jenem trägen Schlaf erwacht, in dem ') K . L. II. 296. Farkas,
Romantik in Ungarn.
3
Der Bildungsgegensatz.
34
wir Jahrhunderte hindurch gelegen hatten, so schlummerten wir von neuem ein. All unser Streben ist dahin, all unser Eifer zu Ende. Kaum, daß jährlich etliche wertvollere Bücher erscheinen. Die Drucke sind wieder auf Gebetbücher und Kalender beschränkt. Unser Theater ist in den ersten Anfängen zugrunde gegangen. Die Lust zuwiesen nimmt im Publikum ab. Unsere besten Schriftsteller sind gestorben oder irgend ein Unheil (er versteht darunter das Gefängnis) ist ihnen widerfahren. Die übrigen verstummten, niemand rüttelt sie auf. Es ist ein gefährlicher Zustand« 1 ). Nur die transdanubische Literatur entfaltete sich unverändert fort. Noch lebten Râjnis, Rêvai, Baröti Szabô. Bacsânyi gab Benedikt Virâgs poetische Werke heraus (1799) und in das Morgenrot des neuen Jahrhunderts ertönte die Stimme Himfys-), des ersten ungarischen Dichters, der in beiden Landschaften zugleich berühmt wurde. Als Kazinczy aus der Gefangenschaft zurückkehrte (1801), fand er das literarische Leben verändert. Doch seine Tatkraft war ungebrochen. Der ihm zunächst stehende Schriftstellerkreis war jetzt die sogenannte Pester Trias, die (ohne literarisches Organ) Földis Wunsch nach Vereinigung der literarischen Richtungen zu erfüllen schien. Seine Mitglieder waren der transdanubisch-katholische Stefan Horvât, der transtisisch-kalvinische Paul Szemere, zu dem sich bald der ebenfalls tisisch-kalvinische Kölcsey gesellte, und endlich Michael Vitkovics, der von serbischer Abstammung war und dessen gastfreundliches Haus neben dem Kultsârs als Versammlungsort der Pester Dichter und der aus der Provinz heraufkommenden Schriftsteller diente. Die Trias war indes für die Entwicklung der ungarischen Literatur kaum von Bedeutung. Es war eine zufällige Kameradschaft, ihre Mitglieder wurden durch den Ypsilonistenkampf3) zusammengebracht, sie zerfiel bald. Kölcsey schrieb in seiner späteren Erinnerung: »Horvat und Vitkovits haben zu mir keine engere Beziehung gefunden. Keiner hat mich verstanden. In Dir aber, lieber Pali, habe ich seit dem ersten Augenblick unserer Begegnung ein >) A . a. O. II. 646. -) Der Dichtername Alexander v. Kisfaludys. 3) Der »Ypsilonistenkampf« war die erste ungar. literarische Fehde, rein orthographischer Natur.
E s handelte sich dabei darum,
mit j oder mit y bezeichnet werde. schaft ausgefochten.
eigentlich
ob die Palatalisation
Dieser Kampf wurde aber mit großer Leiden-
35
Die Trias.
verwandtes Herz gefühlt und ich entsinne mich gut, wie wir beide einander gleich zu Anfang verstanden. Wir bemerkten Absonderlichkeiten bei jenen beiden und nach der Festigung unserer Freundschaft lebte die Trias nur mehr dem Namen nach. Wir beide aber haben eine von jenem getrennte, keines Namens bedürftige Gemeinschaft gebildet. Unsere schriftstellerische Überzeugung, unsere Haltung und alles, was in uns war, wich von dem Ihrigen wesentlich ab« 1 ). Man kann den verbindenden Einfluß des gemeinsamen Bildungsmilieus sowie den trennenden des verschiedenartigen kaum klarer charakterisieren. Die Trias bedeutete auch für Kazinczy nicht viel mehr als einen Freundschaftsbund während seines Pester Aufenthalts. Durch seine literarischen Pläne wurde er bald vom Horvat-Kreis getrennt, seine eigentlichen Schüler waren Szemere, Kölcsey, Helmeczy und Johann Kis. Er überblickte die Entwicklung des ungarischen Geistes wiederum nur vom Standpunkt Transtisiens aus. Doch hatte sich sein literarischer Gesichtskreis immerhin erweitert, hatte sich ihm auch die Bedeutung des transdanubisch-katholischen Ungartums erschlossen. Die Gelegenheit zur Äußerung über die katholische Literatur bot eine Mitteiliung von Johann Kis. Damals begann sich das Gefühl der Zusammengehörigkeit auch bei den Dichtern Transdanubiens zu regen. 1807 unternahm Johann Kis eine kleinere Reise in Transdanubien und bemerkte mit Staunen die äußeren Zeichen dieser neuen Gemeinschaft. »Das Komitat Zala« schrieb er unter anderem, »wünscht die Errichtung eines staatlichen Gelehrtenbundes und schlägt in einem gedruckten Brief Miglieder vor, unter denen Adam Horväth der einzige Protestant ist. Kisfaludy fragte vorige Woche Döbrentey, der ihn mit liebenswürdiger jugendlicher Begeisterung besuchte, ob er ein Lutheraner sei? Dies allein hätte mich nicht befremdet, wenn mich nicht andere Kleinigkeiten nachdenklich gemacht hätten«2). Auf diesen Brief hin sandte Kazinczy folgende Antwort: »Es ist lachhaft danach zu forschen, welche Religionsgemeinschaft sich um unsere Literatur am meisten verdient gemacht habe. Und noch lächerlicher ist es demzufolge Ränke zu schmieden. Mir wäre es ') Kölcsey Ferenc Minden Munkäi (K. F. M. M. — F . K.-s sämtliche Werke) Bp. 1887. I X . 471. •) K. L. V. 172. 3*
36
Der
Bildungsgegensatz.
nimmer eingefallen, danach zu spüren. Da aber schon einmal davon gesprochen wird, sage ich es denn heraus, daß ich es mit denjenigen halte, die den Katholiken den Vorzug geben. Deine Konfession hat hier außer Dir kaum etliche Namen aufzuweisen. Wen erwähnen wir, wenn sie auf Viräg und Dayka, Rajnis und Rêvai deuten ? Und auf Rêvai nicht nur als einen Grammatiker, sondern als auf einen Dichter ? . . . Wen hätten wir in den einzelnen Gattungen der Literatur anzuführen? Bessenyei ist katholisch geworden. Péczeli war ein ehrwürdiger Mann, aber ehrwürdig war auch sein deutsches Vorbild, Gottsched, der fadeste, geschmackloseste und wäßrigste unter allen Dichtern. Oder Adam Horvâth ? Ich bewundere, ja ich beneide ihn wegen seiner Diarrhöe, bin aber schon lange dem Irrtum entwachsen, gereimte Sprache für Dichtung zu halten. Außer Bâroczy kann ich kaum einen Kalvinisten nennen. Denn auch Csokonai ist nicht so, daß sein Name neben dem Deinen und denen Deiner Genossen zu bestehen vermöchte ! Und sieh, was in den Wissenschaften geschrieben wird! Sieh die Bewohner der sola salvifica Debrecen, Budai und Szent-Györgyi, deren Schriften uns gewiß in gleichem Maße verfehlt scheinen wie ihnen die Deinigen. So wenigstens haben sie es mir deutlich erklärt. Wir sollten also nicht staunen, wenn die Katholiken sich rühmen, ob wir auch darüber entrüstet sind. Superbia quesita meritis. Wir müssen gestehn, daß sie recht haben. Doch sollen wir uns vom esprit du corps abwenden und die zu sich kommen lassen, die noch nicht unverbesserlich sind«1). Der augenscheinliche Widerspruch, der sich in den verschiedenen Äußerungen Kazinczys offenbart, darf nicht befremden. Sie wurden hier in ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge überblickt und die Gesetzmäßigkeit der geschichtlichen Entwicklung hebt den Widerspruch auf. Die Wandlungen des Literaturbewußtseins spiegeln sich treu in seiner Seele. Inzwischen brach der sog. arkadische Streit2) aus, in dem Kazinczy seinen konservativen Glaubensgenossen in Debrecen offen entgegenstand. Seit dieser Zeit wurde ihm Debrecen zum Inbegriff des Konservatismus. Er verspottete den blindkonservativen Dichter in der 1) E b d a . V . 2)
154.
D e r arkadische Streit entstand dadurch, d a ß K . auf den Grabstein
Csokonais
in Debrecen die folg. W o r t e meißeln lassen w o l l t e : E t ego in Arcadia. — Die
guten
Debreciner schlugen in einem L e x i k o n nach, was »Arcadia« hieß und fanden, d a ß eine Eselweide sei.
Darauf griffen sie K . entrüstet an.
es
Kazinczy Uber die Katholiken.
37
Person von Mattäus Högyeszi Högyesz, von dem er in einer Epistel an Vitkovics ein außerordentlich charakteristisches Bild entwarf. Högyesz erscheint bei ihm und stellt sich als Dichter vor. Der Dichter empfängt ihn mit verborgenem Hohn. Dann fragt er ihn, ob er sich Rajnis, Szabo oder Viräg zum Vorbild gewählt habe.
Högyesz ist
entrüstet, als er diese katholischen Namen hört. Kazinczy bemerkte wahrscheinlich nicht, wieviel Selbstspott sich in dem Wort verbarg, das er durch Hölgyesz sagen läßt und das mit seiner eigenen Äußerung über die Bestimmung des transtisischen Kalvinismus übereinstimmt: »Ich erkenne als einen Ungarn jenen allein und sonst niemand, dessen Sprache noch ungemischt ist, der des Stechapfels der Gäste nicht bedarf . . . mit einem Wort: der bei uns geboren wurde, bei uns wuchs, bei uns weiterlebte. Daß Päzman der ungarischen Sprache kundig war, Geburtsort
wird kein Wunder mehr sein, denkt. Wäre er in Eger,
wenn man an seinen
Györ, Sopron, Pees, Buda
geboren würde sein Wort so lauten, wie der Dudelsack im Vergleich zu der Pfeife«. Vergleicht man dies Gedicht Kazinczys mit den früheren Äußerungen Földis, so erkennt man, daß im Bewußtsein des transtisischen Kalvinismus der Donau-Theiß
Gegensatz auch am Anfang des
19. Jahrh. tief Wurzel gefaßt hatte, obwohl er damals nur ironisch zum Ausdruck kam. Das offene Hervortreten der Gegensätze wurde durch die übertriebenen Sprachreformen Kazinczys gefördert.
Die Dichter Trans-
danubiens verehrten ihn lange als ihren Meister.
Als er indes die
Überlieferungen endgültig verließ, vermochten sie ihm nicht weiter zu folgen. *
Ehe der Sprachreformkampf behandelt wird, gilt es die Frage zu untersuchen, ob der Gegensatz der Donau-Theiß
Richtungen
auch der transdanubischen Literatur zum Bewußtsein kam?
Und
ob er dort mit gleicher Klarheit wie bei Földi, Kazinczy und Johann Kis zum Bewußtsein kam? Diese Frage muß verneint werden.
Das literarische Bewußt-
sein Transtisiens ging auf zwei Jahrhunderte zurück. Das der Katholiken entfaltete sich erst jetzt.
Anzeichen einer beginnenden Ein-
sicht lassen sich nur im Ypsilonistenkampf bemerken.
Auch hier
38
Der Bildungsgegensatz.
kann man sich nur auf Kazinczys Zeugnis berufen. Nach ihm war z. B . Baroti ein Jottist und wurde unter Bacsanyis Einfluß, der Jottistentum und Kalvinismus für gleichbedeutend hielt, zum Ypsilonisten. Es muß etwas Wahres hieran sein, denn auch Stettner berichtete später, daß Benedikt Viräg Vörösmarty einmal aufgefordert habe, mit y zu schreiben, da er doch ein Katholik sei. Endlich ist es auch Tatsache, daß die Katholiken Transdanubiens, den einzigen Stefan Horvat ausgenommen, Ypsilonisten waren. Nur Michael Vörösmarty wurde infolge der wütenden und höchst einseitigen Angriffe Franz Czinkes, des Professors für Ungarisch an der Pester Universität, gegen die Jottisten aus einem Ypsilonisten zu einem Jottisten. Die Protestanten Transdanubiens, Johann Kis, Daniel Berzsenyi, Adam Horvath waren dagegen Jottisten. Man darf den Einfluß der Orthographie auf die Einsicht in jene Gegensätze am wenigsten in einer Zeit unterschätzen, in deren dichterischer Erlebnismitte Form und Sprache standen. Das konfessionelle Gepräge des literarischen Zwiespalts wurde aber bei den Katholiken Transdanubiens nicht zum vielbetonten Prinzip wie bei den Transtisier Protestanten. Auch die politische Entwicklung zeigte, daß das Selbstbewußtsein des kalvinischen Ungartums immer kräftiger war als das der Katholiken. Es ist dies eine Tatsache, die sich aus der staatsrechtlichen Lage beider Konfessionen hinreichend erklärt. Die zum Kampf gezwungene Minderheit ist immer bewußter als die vom Staat gestützte Mehrheit. Das katholische Gepräge der transdanubischen Literatur fällt also nur von außen auf. 1807 schrieb Johann Kis an Kazinczy: »Was ich von einem Freunde über Kisfaludy hörte, hat mich gänzlich überzeugt, daß unsere katholischen Autoren auch auf dem Parnaß herrschen, ja den alleinseligmachenden Glauben auch dorthin tragen wollen. Einige haben anscheinend sogar einen Bund geschlossen, wenigstens sind sie sich t a c i t e einig geworden.« »Tacite einig geworden« — diese Stelle ist charakteristisch. Die Schriftsteller Transdanubiens wurden zumeist durch unbewußte Kräfte, durch ein gemeinsames Bildungsmilieu, durch gemeinsame geschichtliche Überlieferungen, durch den Gedanken der gemeinsamen nationalen Sendung miteinander verbunden. F R A N Z V E R S E G H Y verkündete mündlich und schriftlich, die Kalvinisten versammelten sich um Kazinczy und es sei notwendig, daß die Katholiken ihren Machtbestrebungen gegenüber zusammen-
Das kath. Selbstbewußtsein.
39
hielten. Noch in den zwanziger Jahren unterschied er katholische und kalvinische Sprache1). Bei Alexander Kisfaludy meldete sich der katholisch-reformierte Zwiespalt in der Form des Gegensatzes zwischen Ungarischem und Ungarischfeindlichem. Nur die auswärts Stehenden bemerken das katholische Gepräge seiner Richtung. Die Äußerung, die Johann Kis tat und das Gerede, das die Frage Kisfaludys nach Döbrenteis Luthertum veranlaßte, wurden schon erwähnt. 1810 schrieb Kazinczy an Johann Kis überdies, Alexander Kisfaludy sei auch bei einem Mittagessen des Palatins über die Protestanten losgezogen, doch habe ihn ein Hauptmann, ein Freund der Wahrheit, zum Schweigen gebracht. »Es ist nicht ungewöhnlich«, fügt Kazinczy hinzu, »daß Verstand und Unverstand in einem Kopfe beisammenwohnen. Von einem Dichter oder einem Mathematiker wollte ich derartiges nicht erwarten, von Kisfaludy aber wohl*).« — Auch der Herausgeber von Kisfaludys Werken, D A V I D A N G Y A L , bemerkte von ihm, daß er das Umsichgreifen des Protestantismus mit einem gewissen Mißtrauen betrachtet habe, und zwar weniger aus religiöser Intoleranz, als vielmehr deshalb, weil, wie er meinte, »die Fahne des Protestantismus zugleich das Banner des Liberalismus« sei3). Diese seine Abneigung kommt in seinen Briefen und Werken nicht zum Ausdruck, obwohl er seinen Kreis aus der katholischen Landschaft Transdanubiens zusammenholte. Es wurde schon erwähnt, daß sein nationales Gefühl in der Gemeinschaft der Preßburger Kleriker entflammte. Er stand auch späterhin zum transdanubischen Klerus, so zum Abt Ruszek, zu Andreas Horväth und anderen in inniger Beziehung. Die literarische Rolle, die das niedere Priestertum spielte, schätzte er außerordentlich hoch ein. So schrieb er in einem Brief an Ruszek: »Unser Vaterland und unsre Nation wären glücklich, wenn so viele wohlwollende, für das Gemeinwohl (die Literatur und alle anderen Gebiete des Staatslebens) besorgte Patrioten, wie ich sie in Veszprem und zumal dem dortigen Domkapitel kenne und verehre, noch an zwei oder drei anderen Stellen unseres Vaterlands beisammen wärem).« ') Vgl. Csäszär Elemir: Verseghy Ferenc elete es müvei (Leben u. Werke F. V.-s). Bp. 1903. 335—338. ») K. L . V I I I . 96. 3) Kisfaludy Sändor Minden Munkäi. Bp. 1892. V I I I . 737. 4) Ebda. V I I I . 349.
(K. S. M. M.)
Kiadja ANGYAL DAVID.
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Der Bildungsgegensatz.
Für die stille schweigende Hinneigung Kisfaludys zu den Katholiken ist seine innige Freundschaft mit Bacsanyi am bezeichnendsten. Es ist bekannt, daß er seine lyrischen Dichtungen, die Himfy szerelmei (Himfys-Liebe) durch Bacsanyi durchsehen und eine zweite Auflage des Werkes auf Grund von Bacsänyis Änderungen erscheinen ließ. Bacsanyi, der revolutionäre Fronbauernsohn, der im Zuchthaus gewesene Verbannte, war von Kisfaludy, dem typischen Vertreter des ungarischen Feudalismus, dem echten Vorbild eines loyalen Staatsbürgers, durch Welten geschieden. Und doch trug über alle diese trennenden Mächte die verbindende Kraft der Landschaft und des Glaubens den Sieg davon. Und während der liberale, aufgeklärte, die Adelsvorrechte so gern verspottende Kazinczy Bacsanyi bis zum Ende seines Lebens mit leidenschaftlichem Haß verfolgte, gedachten gerade die katholischen Geistlichen Transdanubiens noch des alternden Verbannten aus Linz. Ladislaus Juranits, Pfarrer von Erteny, bat im Jahre 1824 Vörösmarty, er möge Bacsanyi in der Ausgabe seiner Werke unterstützen: »Man kann es glauben, daß von einem solchen Mann ein tüchtiges Werk erscheinen wird1),« schrieb er ihm. Das transdanubische literarische Bewußtsein weist indes Züge auf, die sich über die konfessionelle Spaltung erheben. Es lebten und wirkten dort Adam Paloczi Horvath, Johann Kis und Daniel Berzsenyi. Sie gehörten nicht zum Kreise Alexander Kisfaludys, sondern zu dem Kazinczys und ihr konfessioneller Instinkt war stärker als ihr Gefühl für ihre Landschaft. Daß sich aber neben dem Konfessionellen doch auch dies Landschaftliche durchzusetzen vermochte, geht aus der Antwort hervor, in der sich Berzsenyis transdanubisches Selbstbewußtsein zum Ausdruck brachte, als Kazinczy das transdanubische Gepräge seiner Sprache tadelte und behauptete, nur die transtisische Sprache sei echte Literatursprache. Berzsenyis Äußerung kann als wissenschaftliche Abhandlung gelten, wenn auch Berzsenyi selbst sie als eine halbgelehrte rohe Klügelei bezeichnet hat. Es ist dies (trotz aller ihrer Irrtümer) die erste bedeutende grundsätzliche Offenbarung des literarischen Transdanubiertums: »Ich meine, wer der ungarischen Sprache kundig werden will, der soll das eine Auge auf die Donau, das andere auf die Theiß richten und soll die große Donau nicht, aber auch nicht den kleinen Gyöngyös ) Vörösmarty Emlökkönyve. Szerk.: (V. E.)
J 171.
CZAPÄRY
LASZLÖ.
Szekesfehörvär,
1900.
Berzsenyis Brief.
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übersehen. Der soll von jedem lernen und soll alles einzelne als zerstreute Glieder eines Ganzen betrachten. Seine Kenntnisse würden andernfalls einseitig sein. Wer aber die Sprache nicht nur beherrschen, sondern auch weiterbilden will, soll diese Teile nur um so eifriger suchen, sammeln und ordnen.« Hier also trat die Forderung nach Synthese auf sprachlichem Gebiet wieder auf, die schließlich aus Transdanubien hervorkam. Berzsenyi setzte seinen Brief folgendermaßen fort: »Die ungarische Sprache ist so eng, daß wir uns alle Mühe geben müssen, sie zu erweitern. Sie auf ihre ldeinste Landschaft zu beschränken, hieße die Quellen ihres natürlichen Wachstums verschließen.« Weiterhin verurteile er den ungarischen Fehler, der darin bestehe, daß man nicht frage, ob etwas gut oder schlecht, sondern ob es transtisisch oder transdanubisch sei und verteidigte die Wörter der transdanubischen Mundart. Hierauf ging er wieder zur Theorie über: »Daß die Sprache Transdanubiens reicher ist, schließe und glaube ich nach folgendem. Hier waren und hier sind noch unsere bedeutendsten Städte, hier wohnten alle unsere Könige, hier blühte und blüht der Handel vor allem, hier lebte die große Welt, hier ruhte und ruht noch immer der Kern des Volkes. Die Theißebene hingegen war von Anfang an nur die Heimat der Hirten, und der Öde der Landschaft entsprach die Öde der Seelen, die sie bildete. Aber wäre auch die Theißebene reicher, folgte dann etwa daraus, daß sie alles, Transdanubien nichts sei ? . . . Ich bin weder Tisier noch Danubier, sondern Ungar, ich lerne mit Freuden von diesem und jenem und will dies wie jenes weiterlehren. Doch — vielleicht wäre es so, daß die Reinheit der transtisischen Sprache ihren Vorrang begründete? Darauf sage ich nur so viel: »Jede Sprache ist Mischsprache, die der Griechen so gut wie die der Zigeuner. Wir sind von deutschen Nachbarn, Ihr seid von Slovaken und Walachen umgeben. Es bleibt nur die Frage, zu welchem Volke der Ungar stärker hinneigt1).« Ausführlich erörterte er noch die Eigentümlichkeiten der transdanubischen Sprache und behauptete, nur die Kalvinisten Transdanubiens sprächen wirklich rein und richtig ungarisch. »Die Katholiken dehnen die Laute, sie wohnen in den Bergen, ihr Geist ist schwerfälliger als der Geist von Leuten, die eine schnelle Zunge haben. Mehrere ihrer Dörfer haben slowakische Namen.« ') K . L . V I I I . 326.
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Der Bildungsgegensatz.
Damit genug der Äußerungen des Dichters (ihm zufolge sind auch die Ungarn des Somogyer Komitats slowakischen Ursprungs!). Charakteristisch bleibt, daß sich der kalvinisch-katholische Gegensatz bei ihm auch innerhalb des Transdanubiertums kundgibt. Das Wertvollste an seinen Bemerkungen aber ist der Hinweis auf die geschichtliche Vergangenheit, die geographische und gesellschaftliche Struktur Transdanubiens. Umsonst freilich versicherte Berzsenyi, er sei weder Tisier noch Danubier. Dem war erst später so. (Der Brief stammt aus dem Jahre 1811.) Auch er wurde erst später zum Dichter der ganzen Nation.
3- Der Zusammenstoß. Alle offenen Einigungsversuche der beiden literarischen Richtungen (und es fehlte auf keiner Seite daran) wurden durch den Sprachreformkampf 1 ) für Jahre unterbrochen. Die Forderung nach Ausgleich und Versöhnung wurde seit Ende des letzten Jahrhunderts von den besten ungarischen Schriftstellern erhoben, die Enge und Einseitigkeit des ungarischen literarischen Lebens schmerzlich empfunden. Unter ihrem Einfluß begann denn auch der Aufschwung des literarischen Lebens. Es erschienen Werke, die sich über das ganze Land verbreiteten, wie die Gesänge und Romanzen Alexander Kisfaludys, die Oden Berzsenyis, der nachgelassene Band Csokonais. Durch sie wurde die ungarische Leserschaft unmerklich erzogen. 1814 gab Döbrentei in Siebenbürgen d a s E r d e l y i M u s e u m (Siebenbürger Museum) heraus und begann dies in kultureller Hinsicht brachliegende Gebiet für die ungarische Literatur zurückzuerobern. Seine Zeitschrift war im ganzen Land bekannt, in ihrer Glanzzeit besaß sie mehr als 1000 regelmäßige Bezieher. Auch Kazinczy umfaßte in seinen Briefen das gesamte ungarische Bildungsgebiet, von der westlichen bis zur östlichen Grenze. Obwohl Kisfaludy die Verbindung mit ihm seit seiner Himfykritik abgebrochen hatte, verkehrte er durch Johann Kis, Adam Horvath, Andreas Horvath, Samuel Päpay auch weiterhin mit Transdanubien. — In Pest versammelte Stefan Kultsär die Schriftsteller in seinem gastfreundlichen Hause. Er machte keinen Unterschied zwischen Katholiken und Reformierten und hieß Benedikt Viräg, Stefan Horvät, Franz Verseghy, Georg Fejer so gut wie Andreas Fäy, Szemere, Kölcsey oder Vitkovics willkommen. Seine Zeitung war lange das einzige Forum des literarischen Lebens und umsonst verdächtigte ihn Kazinczy der Parteilichkeit, indem er an Rumy schrieb: »Es ist ') Der Sprachreformkampf Werk W . TOLNAIS hingewiesen:
hat eine
reiche Literatur.
Hier sei nur auf das
A nyelvujitas (Die Sprachreform) Budapest, 192g,
das die Geschichte der Sprachreform ausführlich behandelt.
44
Der Zusammenstoß.
freilich mein Unglück, sogar bei Kultsär, daß ich Kalviner bin1).« Kultsar arbeitete selbstlos am Aufschwung der Literatur. 1814 kamen die gesammelten Übertragungen Kazinczys in neun Bänden heraus. Es erschienen in seiner Ausgabe die Werke von Dayka und von Bäroczi mit Vorworten von grundsätzlicher Bedeutung. Der Führer in Szephalom (so hieß der Landsitz Kazinczys) entfaltete bewußt das Banner des Sprachkampfes. Mit leidenschaftlicher Kraft traten die Gegensätze hervor. Das literarische Leben zerfiel in offene Parteien. Und scheinbar hemmte dieser Streit die langsame Entwicklung zur Synthese hin. Scheinbar. In Wirklichkeit nämlich brachte er sie schnell zum Abschluß. Johann Földi glaubte schon einige Jahrzehnte früher das Wesen der transdanubisch-katholischen Literatur in der ihr eigenen willkürlichen Sprachreform, das der reformierten in ihrem Konservatismus zu sehen. Tatsächlich waren Alexander Kisfaludy und sein Kreis bewußte Erneuerer der ungarischen Sprache, sie rissen sich aber von den traditionellen Wurzeln ihrer Sprache nie los. Kisfaludy hat es immer offen gestanden, daß er durch die ersten Werke Kazinczys zum Schreiben angeregt und im Schreiben belehrt wurde. Kazinczy aber machte sich von allem Überlieferten frei und faßte, rationalistisch, die Sprache nur als Stoff des Künstlerisch-Schönen auf. Auf die Gesetze des Stoffes achtete er nicht, obwohl doch auch ein Bildhauer oder Maler auf sie Rücksicht nehmen muß. Die Katholiken Transdanubiens hingegen glaubten an den Genius der Sprache, an eine geheime metaphysische Kraft, die ihre Gesetze bestimme. Höhnisch fragte Kazinczy, was denn dieser Genius der Sprache eigentlich sei, er verstehe es nicht. Nach ihm war Schönheit das einzige Maß der Sprache. Und Schönheit wurde durch Vernunft bestimmt. Auf diesem Wege konnten ihm die Danubier nicht mehr folgen, auch Johann Kis, Döbrentei und Berzsenyi nicht, obwohl sie zu seiner Partei gehörten. Sie trennten sich — außer Johann Kis — eben wegen seiner Sprachreform von ihm. Döbrentei wies Kazinczy noch als Redakteur des Erdelyi Museums auf seine Übertreibungen hin, später griff er ihn offen an. Berzsenyi trat zwar nicht gegen ihn auf, als aber Kazinczy in späteren Jahren >) K . L . X I I I .
284.
Der Sprachkampf.
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die Werke seines ehemaligen Schülers zur Drucklegung bringen wollte, lehnte er folgendermaßen ab: »Ich schätze Deinen Vorschlag bezüglich der Ausgabe meiner Werke sehr und danke Dir für ihn. Da aber meine Schriften mehreren Deiner Grundsätze widersprechen, fühle ich mich gezwungen Deine Güte zurückzuweisen. Es möchte sonst in den Augen der Welt nicht anders als Affektation erscheinen1).« Neben Kazinczy standen Szemere, Kölcsey und der aus einer deutschen Familie Oberungarns stammende katholische HelmeczyBierbrauer. Für Kazinczy war nur ihre Meinung maßgebend. Seine ersten Gegner kamen bezeichnenderweise nicht aus dem Lager der transdanubischen Katholiken, sondern aus dem konservativen Kreis der Kalviner. Das M o n d o l a t , die erste Streitschrift gegen die Sprachreform, war ein Werk dieses Milieus, obwohl Kazinczy es für ein Elaborat transdanubisch-katholischer Schriftsteller hielt. Das Pamphlet stammte eigentlich von Szentgyörgyi aus Debrecen. Auch Gideon Somogyi, der das Werk (von seinen reformierten Freunden getrieben) erweiterte, war ein Reformierter. Schrieb doch Samuel Papay an Kazinczy: »Wegen der Ausgabe des Mondolat versichere ich Dir auch weiterhin, daß Gideon Somogyi zu ihr durch die Zwinglianer bestimmt wurde. Sie grollen Dir, weil Du kein Märtyrer des Kalvinismus sein willst und nicht zusammen mit ihnen bestrebt bist, diese Konfession zur herrschenden Religion unserer Heimat zu machen. Und weil Du in der Erneuerung unserer Sprache vor ihnen nach der Palme greifen willst2).« — Kölcsey schrieb an Szemere: »In Debrecen und in Älmosd ist man des Antimondolats wegen ebenso erzürnt, wie man ihn bei den Varadern mit Freude gelesen hat. Jener freche kalvinische Haufe wäre vielleicht nie befeuert und aus seiner Trägheit aufgerüttelt worden, wenn die Anhänger Roms ihre Freude nicht so deutlich zum Ausdruck gebracht hätten3).« Umsonst verbreitete Kazinczy bei allen seinen Freunden gehässig das Gerücht, daß Alexander Kisfaludy hinter dieser ganzen Bewegung stehe. Es ist kein Grund die übereinstimmenden Äußerungen der transdanubischen Katholiken zu bezweifeln, zumal sie ja auch durch literarische Tatsachen gestützt werden. Der Kreis Kisfaludys hat ohne Zweifel Kazinczys Übertreibungen verurteilt. Weil er aber •) Ebda. X X I . 64. ») Ebda. X I . 400. 3) M.M. I X . 247,
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Der Zusammenstoß.
im Grunde mit ihm nach gleichem strebte, wäre er nie offen gegen ihn aufgetreten. Kisfaludy schrieb, als er das Mondolat in der Hand hielt, habe er das Gefühl gehabt, als sei es auch gegen ihn selber gerichtet. Szemere notierte aus Kisfaludys Drama H u n y a d i die neuen Wörter, schickte das Verzeichnis an Kölcsey und fragte triumphierend: »Will der Takätskreis noch eine Antwort ?« Ebenso richtete sich das Mondolat gegen Berzsenyi. Papay aber schrieb: »In der Tat, ich halte die Vernichtung der Exemplare für wünschenswert. Denn ich bedaure es, daß das Ansehen, das wir durch unsere Sprache für Veszprem erworben haben, jetzt durch das Mondolat auf solche Weise geschmälert wird2).« Auch andere katholische Schriftsteller Transdanubuiens wandten sich mit Briefen an Kazinczy und bewiesen ihm ihre Teilnahme. So meinte Johann Horväth, der Veszpremer Domherr: »Wie immer brüllt auch das plumpe Mondolat. Wenn indes der Neid jetzt sich scheut, Deine schönen Werke kennen zu lernen, so wird Dir doch eine spätere gerechtere Zeit ein Denkmal errichten und wenigstens um die Stirn Deiner Büste Dir den Kranz winden, den Du im Leben verdient hast3).« Kazinczy aber hörte in seinen Briefen nicht auf von einem »Somogyisch-Kisfaludysch-transdanubischen Satyr« zu schreiben und gegen Kisfaludy zu hetzen. Unterdessen war die von Szemere und Kölcsey redigierte Antwort erschienen, die durch ihre Übertreibungen dem Führer noch seine nächsten Freunde entfremdete und viel zunf Sieg der gemäßigtfortschreitenden Richtung der transdanubisch-katholischen Schriftsteller beitrug. Denn nun brach der Gegensatz zwischen Transdanubien und Kazinczy offen aus. Als dieser im Jahre 1815 auf seiner Reise nach Wien in Pest anhielt, zogen Georg Fejer und sein Kreis im Hause Kultsärs Auge in Auge gegen ihn los, wenn sie auch (so berichtet es wenigstens Kazinczy) schließlich mit Schimpf und Schande verstummen mußten. Auf seiner weiteren Fahrt ließ Kazinczy den ursprünglichen Plan fallen und mied Transdanubien, denn er hörte, »was für Niedrigkeiten, was für Gottlosigkeiten gegen mich in dem sog. Pannonien geschehen«, wo sich die Katholiken *) Szemerei Szemere Päl Munkäi (Sz. P. Bp. 1890. III. 198. ») K. L. X I . 401. 3) Ebda. X I I I . 27.
M ).
Kiadja
SZVOR£NYI
JOZSEF.
3 Bde.
Kazinczys Niederlage.
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zusammentaten um zu zeigen, »daß der verfluchte Kalviner bei ihnen nicht zum Diktator werde«1). Die zu Maßlosigkeit neigende Seele Kazinczys hat damals unter der Schwere der Angriffe und durch die fortwährenden Schmeicheleien seiner Freunde ihre charakteristische Harmonie und ihr Gleichgewicht verloren. Seine Sprachreform überschritt endgültig die Grenzen des Sprachbaus. Man verbreitete seine Briefe gegen Kisfaludy in Transdanubien und sie erbitterten die transdanubischen Schriftsteller, die Kisfaludy schwärmerisch verehrten, von neuem. Daraufhin schrieb Kisfaludy seine an Ruszek gerichteten Briefe, in denen er seine schriftstellerischen und sprachreformatorischen Grundsätze darlegte und die gleichsam eine Abrechnung mit Kazinczy gaben. Auch diese Briefe wurden in Abschriften verbreitet. Rumy schickte sie an Kazinczy. Die Einheit der Schriftsteller Transdanubiens zeigte sich (wie bei ihrer Stellungnahme in der Frage der Orthographie) auch nach außen hin. Kazinczy sah richtig, daß in diesem Streit der »Katholizismus, der Katholizismus literarius« am Werk war. »Andreas Horväth, der Herr Pfarrer von Tet, ist ein gewaltiger Gegner philologischer Gewissensfreiheit. Er mahnt mich, ich solle keine Schismata verursachen, er warnt mich, ich solle die Einheit der Konfessionen nicht zerreißen. Das ist formaler Katholizismus2).« Kazinczy wünschte den Kampf. Die Transdanubier wollten die Einheit. Die Entwicklung der ungarischen Literatur bedurfte beider Kräfte. Der Kampf förderte die Entfaltung, die Einheitsbestrebung brachte die Ergebnisse ins Reine und wertete sie aus. Alexander Kisfaludy wandte sich mit einem rührenden Brief an den Grafen Josef von Dessewffy, dem er, als einem Katholiken, vertraute und von dessen Einfluß er, da er Kazinczys nächster Freund war, viel erwartete. Er bat ihn, sich gegen die literarischen Kämpfe zu wenden und im Sinne der Einigung aufzutreten. Die Leserschaft stellte sich einmütig auf Kisfaludys Seite. Kazinczy verlor in Transdanubien allen Einfluß. Die neun Bände seiner Übersetzungen fanden 367 Subskribenten, nur 46 davon waren Transdanubier. Selbst die Komitate wollten gegen ihn vorgehen und sein alter Freund, Adam Horväth, schrieb ihm: »Hier hast Du oder besser gesagt Dein Werk und Deine literarische Bemühung ») E b d a . X I I . 503. ') E b d a . X I V . 383.
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Der Zusammenstoß.
selbst unter denen keinen Anhänger, die mit Kisfaludy gar nicht befreundet sind. Es ist ihnen eingeredet worden, daß Du und alle, die es mit Dir halten, die ungarische Literatur verderben und verschleudern1).« Päpay drückte diese Meinung noch schärfer aus: »Trattner (der Verleger Kazinczys) konnte für Deinen Klopstock keinen Subskribenten finden. Auch ich vermag keinen einzigen zu werden. Etliche Besteller lassen sogar die letzten Bände Deiner Werke bei mir liegen. Dein Publikum, lieber Freund, nimmt sehr ab und man muß Dir, allein Dir die Schuld daran geben«2). Auch in Siebenbürgen war die Lage nicht besser. Döbrentei teilte mit, daß seine Subskribenten drohten, die Zeitschrift zurückzuschicken, wenn er Kazinczys Werke weiterhin veröffentlichte. Der schwerste Schlag aber traf Kazinczy von Kölcseys Seite; »Daß man die Wandlungen, die sonst, wie sie gekommen waren, auch wieder gegangen wären, allzu sehr bekannt gemacht hat, daß man es zu eilig mit ihnen gehabt hat und ihnen durchaus Namen gab — das hat die Sache verdorben. Jetzt steht schon eine an Zahl und Mitteln mächtige Gemeinde in Transdanubien, die kein Buch mehr kauft, wenn sich ein Jota in ihm findet. . . . Es ist schon soweit gekommen, daß ich über die Apologie des Neologismus wie über die unbesonnenen Angriffe gegen Schwartner lachen oder besser gesagt mich ärgern muß, weil die Literatur durch sie leidet und belastet wird3).« Kölcseys Meinung war auch die Szemeres (auch den Brief hatten, sie gemeinsam geschrieben). Bei Kazinczy blieb allein Helmeczy. Und der sprach schlecht ungarisch. Kazinczy erschrak. Schon 1817 schrieb er an Johann Kis: . »Jetzt lasse ich keine Neuerung mehr zu, die der Sprache nicht Gewinn bringt und während ich schreibe, sehe ich bei jedem Wort die Peitsche des Somogyisch-Kisfaludyschtransdanubischen Satyrs über mir-t).« Er wollte auch die Bezeichnung »Neologismus« aufgegeben wissen, um die eigene Richtimg Synkretismus zu heißen. Seine Überlegungen führten ihn zu der Einsicht, daß sein sprachreformatorischer Grundsatz zwar richtig war, daß er aber in seiner 1) Ebda. XIV. 459. >) Ebda. X V . 6 8 - 6 9 . 3) Ebda. X V . 232. Der Historiker Schwartner wurde von St. Horvät angegriffen, weil er behauptete, Ludwig der Große und Matthias Corvinus hätten die ungar. Sprache nicht beherrscht. 4) Ebda. XV. 396.
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Die Versöhnung.
Befolgung die notwendigen Grenzen nicht eingehalten hatte. So sagten es auch die Transdanubier. Kisfaludy durfte mit Kazinczy vollständig übereinstimmen, als er in seinem Briefe las: »Daß ich gegen die Sprache viel gefehlt habe, kann niemand lauter versichern, als ich es selbst gestehe. Ein Bahnbrecher bleibt nie bei der rechten Mitte stehen 1 ).« Dies Geständnis war großmütig und Kazinczys würdig. Die Nachwelt kann ihm den Ruhm nicht versagen, daß er das Prinzip der Sprachreform, das (auch nach Földi) von den Transdanubiern herkam, zum Sieg geführt hat, als er sich dem von den Transdanubiern geforderten Maß unterwarf. Auch die Tatsache ehrt ihn, daß er den ersten Schritt zur Versöhnung tat. Mit seinem Brief an Kisfaludy war der Kampf formell beendet. Die Gegensätze selbst hörten damit freilich nicht auf. Sie entsprangen ja viel tieferen Quellen. Kazinczy selbst schrieb an Rumy, als er Kisfaludys aufrichtige und offene Antwort in Händen hatte: »Kisfaludys Antwort hat ihn viel gekostet, das zeigt das Geschraubte und Wilde, aber auch das Übertünchte seines Briefes. Ich übersah all das und hielt mich an das nackte Wort, womit er mir seine Rechte reichte. So hab ich Frieden. Es ist Zeit, daß ich einmal Frieden habe. Gesiegt hat causa mea nun doch 3 ).« Kisfaludy bezeichnete das Verhältnis zwischen ihnen noch treffender: »Ich bezweifle, daß ich jemals Kazinczys Hände werde fassen dürfen. Denn wir beide sind, ich bin überzeugt davon, zwei sehr verschiedene Zeugen ungarischen Geistes 3).« Und doch: da die Frage der Sprache im Mittelpunkt des literarischen Interesses stand, wirkte die grundsätzliche Annäherung auf die weitere Gestaltung des literarischen Lebens bedeutsam ein. Die neue Generation übernahm schon feste Überlieferungen. Der sprachliche Gegensatz war in der weiteren Entwicklung kein hindernder Faktor mehr. >) Ebda. XVIII. 35. ») Ebda. XVIII. 15. 3) M. M. VIII. 340.
Farkas,
Romantik in U n g a r n .
4
4. Weltanschauung und Konfession. Ehe der Gang der literarischen Entwicklung weiterverfolgt wird, ist die Frage zu beantworten, ob der Gegensatz zwischen Katholiken und Reformierten, der im literarischen Bewußtsein der Jahrhundertwende erschien, Weltanschauungscharakter trug wie zur Zeit der Glaubenskämpfe. In diesem Fall nämlich würde das Prinzip des konfessionellen Zwiespalts aus dem Rahmen der literarischen Behandlung ausscheiden und es müßten jene Literaturhistoriker, die etwa in Verbindung mit dem Sprachreformkampf tadelnd von »konfessioneller Befangenheit« schreiben, recht behalten. Allein schon bisher mochte es auffallen, daß aus den Äußerungen der Zeitgenossen niemals religiöse Intoleranz, Weltanschauungsgegensätze herausklangen. Auch Johann Kis spricht mit dem Ausdruck des Bedauerns nur von »konfessioneller Fremdheit«. Der transdanubisch-transtisische bzw. katholisch-reformierte Gegensatz nahm im literarischen Bewußtsein der Zeit immer sprachliche oder literarische Färbung an. Bei seiner Begründung sprach man von kulturellen (Kazinczy etwa erwähnte die Wirkung der Schule), von geschichtlichen oder landschaftlichen Faktoren (wie z. B. Berzsenyi). Untersucht man die Weltanschauung des Zeitraumes, so kommt man zu dem auffallenden Ergebnis, daß am Ende des 18. Jahrhunderts die Schriftsteller der einzelnen Bekenntnisse, was ihre Weltanschauung betrifft, einen Gegensatz kaum aufweisen. Der Gedankengehalt der französischen Aufklärung verbreitete sich rasch und ergriff die geistigen Führer der Nation. Die liberale Regierung Josefs II. schuf den neuen Ideen mit Gewalt Raum und der konfessionelle Indifferentismus wurde zum Staatsglauben. Weltanschauliche Gegensätze meldeten sich weniger unter den Konfessionen, als unter den Generationen. Die ältere Generation übernahm den religiösen Glauben der vorhergehenden Jahrhunderte noch unversehrt. Kazinczy etwa schrieb über seinen Vater, er habe einen religiöseren Menschen als ihn nie gesehn. Kazinczys erstes Lesebuch war die deutsche lutherische
51
Der Einfluß der Aufklärung.
Bibel seiner Mutter, sein Vater las überhaupt nur Bücher religiösen Inhalts. Ebenfalls Kazinczy war es, der von Gideon Râday berichtete, er habe vor und nach dem Mittagessen gebetet. Die Äußerlichkeiten des religiösen Lebens erhielten sich bei den Katholiken infolge der größeren Gewalt der Formen noch stärker. Faludis Religiosität bedarf keines Beweises. Aber auch Râjnis (von dem Kazinczy später behauptete, nur sein Kleid sei religiös gewesen) richtete ein scharfes Epigramm gegen die Gottesleugner. Der großen Bedeutung der Jesuiten widmete er ein umfassendes Gedicht. David Baröti Szabô schrieb ein zur Marienverehrung mahnendes Gedicht, griff in einem Werk mit dem Titel »Verkehrte Welt« die Verderbnis der Aufklärung an und bat Gott um die Wiederherstellung der Religiosität. Auch er pries die Jesuiten. Nikolaus Rêvai vollends stimmte einen Lobgesang an, als er hörte, daß Bessenyei zum Katholizismus übergetreten und so von der »Ketzerei« gerettet sei. Die jüngere Generation dagegen war schon in die josefinische Periode hineingewachsen, die der Religion den Krieg erklärte.
Die
Auflösung des Jesuitenordens beraubte die katholische Kirche ihrer besten Kämpfer. Kaiser Josef II. hob die übrigen Orden auf, deren Mitglieder teilweise zu Weltpriestern wurden, teilweise ganz verweltlichten. Der Hochklerus war vorwiegend fremd, mehrere von den Bischöfen wohnten im Auslande. Die Aufklärung breitete sich vom Hofe aus, wie es einige Jahrhunderte früher die Lehren des Erasmus getan hatten.
Die konfessionelle Toleranz wurde zum modischen Wahl-
spruch.
An die katholische, von Péter Pâzmâny gegründete Uni-
versität wurden protestantische Professoren ernannt, es entstanden gemischte Schulen, die Spitze der Schulverwaltung bildeten in gleicher Weise Katholiken wie Protestanten. Die französische Revolution oder vielleicht noch mehr die nationale Reformbewegung, die nach dem Tode Josefs begann und ihren ersten Ausdruck in der Landesversammlung von 1790 fand, vollendete den Sieg der Aufklärung in Ungarn. vor allem politischen Charakter.
Die eintretende Reaktion trug
Die Ideen der Aufklärung hatten
schon zu sehr Wurzel gefaßt, als daß man sie hätte ausrotten können. Die geistige Bewegung richtete sich vor allem gegen den Dogmatismus und das hierarchische System der katholischen Kirche.
So ist es
natürlich, daß sie im Protestantismus, der sich von seiner langen Unterdrückung befreit hatte, lebhaften Widerhall fand.
Aus seinen
Kreisen gingen die ersten Kämpfer der Aufklärung, Bessenyei und 4*
52
Weltanschauung u. Konfession.
seine Genossen, hervor. Blickt man aber tiefer in die Geisteswelt der Führer dieses Zeitalters, so ist ein Unterschied zwischen Katholiken und Protestanten kaum zu finden. In den Augen Bacsânyis waren die Pfaffen schelmische Heuchler, Fanatiker, die sich zur Fahne der Torheit schlugen. Verseghy, selbst Priester, warnte die Stände in einem Aufruf: »Mütterlicher Mahnruf der Heimat an die auf dem Landtag sich vorbereitenden Ungarn« 1790 vor religiösem Schwulst und Pfaffenstand. Gabriel Dayka sah sich gezwungen vor seiner Ordination 1790 seinen Stand zu verlassen, weil er wegen einer protestantisch gesinnten Rede der Ketzerei beschuldigt worden war. Der Glaube vermochte Paul Änyos ebenso wenig vor inneren Stürmen zu bewahren wie Nikolaus Rêvai oder Râjnis. Sie alle drei gerieten in Widerspruch zu Zucht und System der Kirche. An Martinovics und Feßler braucht in diesem Zusammenhang nur erinnert zu werden1). Die evangelischen Studenten, die auf den deutschen Universitäten lernten, waren erfüllt von den heidnischen Ideen des Neuhumanismus, als sie zurückkehrten. Johann Kis schrieb in seinen Erinnerungen: »Jeder Kirchturm erinnert mich an religiösen Fanatismus, jedes Schloß an Tyrannei.« Allein die Aufklärung erzeugte in Ungarn doch keine Glaubenslosigkeit, sondern friedlichen Deismus, der die religiösen Gegensätze zu überbrücken imstande gewesen wäre, wenn sie weltanschaulichen Charakter gehabt hätten. Denn wohl zählte die neue Geistesströmung auf protestantischer Seite ebenso Feinde wie auf katholischer, z. B. Leo Szaicz. Die führenden Persönlichkeiten der Periode aber dienten bewußt der religiösen Toleranz. Dieser Tatsache ist es zuzuschreiben, daß sich die religiöse Duldsamkeit ebenso auf das nächste Jahrhundert übertrug wie die Weltanschauung des Deismus. Die Gedankenwelt der Aufklärung wurde zur geistigen Tradition und blieb auch weiterhin ein charakteristisches Merkmal der ungarischen Literatur. Dem katholischen Grafen Dessewffy war noch nach Jahrzehnten Voltaire der liebste Schriftsteller. Er hielt ihn hoch über Goethe. Seinen Söhnen gab er trotz des Verbotes der Statthaltern einen evangelischen Erzieher, damit sie von ihm die griechische Sprache erlernten. Döbrentei forderte, der Pfarrer solle Astronomie lernen. Sein eigenes Glaubensbekenntnis faßte er in folgende Worte : »Meine Gebete gelten nur der Achtung und Wahrung der heiligen J) Vgl. E C K H A R D T SANDOR : A francia forradalom eszméi Magyarorszâgon (Die Ideen der französischen Revolution in Ungarn). Bp. o. J .
Religiöse Toleranz.
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Rechte der Vernunft und Menschlichkeit, damit sie von Hinfälligkeit und Verschrobenheit nicht zertreten werden«1). Der Grundsatz der Toleranz siegte anscheinend bei den Katholiken so sehr wie bei den Protestanten. Als die Preßburger Kleriker 1790 Kazinczy sahn, »zerflossen sie in unaussprechlicher Freude«. Mit einem von ihnen, Karl Dome, stand Kazinczy bis zu seiner Gefangennahme in regem Briefwechsel. Esterhäzy, Bischof von Eger, ließ nicht zu, daß die protestantenfeindlichen Bücher von Leo Szaicz in der bischöflichen Druckerei verlegt wurden, da er ein Gegner aller konfessionellen Reibungen war. Mit deutlich betonter Duldsamkeit zog er protestantische Prediger an seinen Tisch. Johann Horväth, der die erste ungarische religiöse Zeitschrift herausgab, lud auch protestantische Pfarrer zur Mitarbeit ein. Noch 1830 erweckte die edle Geste des Tornaer Komitats im ganzen Lande Begeisterung. Trotz einer reformierten Mehrheit hatte man von dort zwei katholische Gesandte auf den Landtag geschickt. Der Bischof von Rozsnyo erklärte hierauf, er werde es mit Freuden begrüßen, wenn bei der nächsten Gesandtenwahl zwei Reformierte an die Reihe kämen. Ein reformierter Adeliger aber antwortete ihm, das Komitat lasse sich ja nicht im Himmelreich, sondern in der ungarischen Landesversammlung vertreten und so wäre es wohl gleichgültig, wenn die Gesandten auch Heiden wären. Diese Beispiele ließen sich ohne Mühe ergänzen. Doch sie zeigen zur Genüge, wie sehr dies Zeitalter auf Duldsamkeit bedacht war. Die Angleichung und Aussöhnung der Konfessionen blieb freilich eine Forderung. Sie war eine der größten Illusionen dieser Zeit. Ihre Verwirklichung scheiterte an Kräften, die tiefer wirkten als die weltanschaulichen. Die Wahrheit dieser Behauptung beweist der Lebensweg Kazinczys und die Entwicklung seiner Geisteswelt charakteristisch für die ganze Periode. Er ging von der französischen Aufklärung aus, Rousseau, Voltaire und Friedrich der Große gaben ihm, wie er selber sagte, den Schild in die Hand. Er war ein begeisterter Freimaurer, der mit naivem Idealismus die Wahrheit suchte. Seine freimaurerische Weltanschauung bewahrte er mit einer Beständigkeit, die bei ihm wundernimmt, bis zu seinem Lebensende und blieb sogar (sein unklarer Briefwechsel mit Sarközy bezeugt es) Mitglied der Freimaurerloge. ') K . L . X V I I . 476.
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Weltanschauung u. Konfession.
Er nahm eine Katholikin zur Frau und war stolz darauf, daß er die katholische Erziehung seiner Töchter nicht beeinflußte. Dem Bischof Esterhazy küßte er die Hand, dem Erzbischof Pyrker später ebenfalls, seine älteste Tochter führte er selbst zur Firmung. Innerhalb seiner eigenen Kirche bekleidete er eine leitende Stelle. Im letzten Jahrzehnt seines Lebens schloß er mit dem Benediktiner Guzmics eine innige Freundschaft und besuchte ihn einige Monate vor seinem Tode in Pannonhalma, in dem transdanubischen Kloster des Benediktinerordens. Schließlich hielt er sein ganzes Leben dem katholischen Dessewffy die Treue, der ihm auch in seinen materiellen Sorgen oft genug beistand. Über Weltanschauung äußerte er sich oft. Er war ein überzeugter Deist, der im Glauben den Gott der Wahrheit und der Schönheit suchte. Darum verurteilte er auch den reformierten Unterricht, der sich mit der Unterweisung in den Mysterien und Dogmen und dem Einlernen der lateinischen theologischen Bücher erschöpfte. Denn »eben dies führt zu der wahrlich entsetzlichen Irreligiosität«. Den Schüler müsse man auf das Schöne lenken, die Erkenntnis des Schönen werde auch seinen Glauben vertiefen. Das Schöne und Wahre lasse sich in jedem Glauben finden. »Lieber Freund« schreibt er an Guzmics »wie schön ist es das Wahre zu lieben, denn es ist wahr, ob es nun der Papst sagt oder Zwingli, Kalvin oder ein Mann der hospodi pomiluj, Blandrata oder Socin1).« Die Schönheit aber habe im reformierten Glauben am wenigsten Raum. »Wäre er (gemeint ist Goethe) nur in Patak zu meiner Zeit erzogen worden! Bei uns wird auch Goethes, Schillers, Herders und Wielands Genie zu nichts. Besonders bei Calvins Schülern, die keine Malerei sehen und keine Musik hören. Dieser Glaube ist der Feind aller Schönheit2).« Seine Liebe zur Schönheit führte ihn schon früher zum Lob der Lutheraner und zu einer Hinneigung zum Katholizismus. Mit Toth, einem Päpaer Theologen, polemisierte er über den reformierten Glauben. Auch Kölcsey verständigte er von dieser Polemik. »Ich ging gegen Luther los und erkannte an, daß er ein Heros war. Doch sagte ich auch, er habe mehr Schaden angerichtet, als Nutzen gestiftet. Ohne ihn hätte die damalige Religion sich gereinigt, Luther hat Anstoß erregt und beide Parteien unnachgiebig gemacht. . . Der protestantische Glaube ist religio examinis et obsequii, der katho0 Ebda. X I X . 182. ') Ebda. X I V . 22.
Kazinczys Weltanschauung.
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lische religio obsequii et examinis. Der Unterschied ist weit geringer, als unser Stolz es zugeben will. Muß man nicht dem den Vorrang zugestehn, der noch Musik, Malerei und Baukunst als Beigabe bringt, vor dem, der nichts bringt ? Ohne Luther (sagte ich) wäre auch der christliche Glaube der schöne Glaube des Herzens und der Imagination geworden1).« Auf Kölcsey machten diese Worte, wie sich noch zeigen wird, außerordentlichen Eindruck. Für Kazinczy bedeuteten sie nur ein geistreiches Spiel. Er war zu sehr vom Geiste des ungarischen Kalvinismus durchdrungen, als daß er sich von ihm noch hätte lösen können. Im nämlichen Jahre wurde er von der Ujhelyer reformierten Kirchenversammlung zum Kurator gewählt. Er trat seine Stelle mit einer schönen Rede an. Als ihn Guzmics für die vereinte nationale Kirche gewinnen wollte, wies er sein Ansinnen mit dem Selbstbewußtsein des Reformierten zurück. Guzmics nämlich stellte sich diese Vereinigung so vor, (er hat das in verschiedenen Briefen wiederholt auseinandergesetzt), daß sich die Protestanten zur katholischen Kirche »zurückbekehren« sollten. Kazinczy aber, der sich übrigens nur gezwungen mit diesen Fragen beschäftigte, da er sich Guzmics nicht entfremden wollte, kam in die ungewöhnliche Lage, ganz im Gegensatz zu den an Kölcsey geschriebenen Worten zum eifrigsten Verteidiger der geschichtlichen Leistung und Bestimmung des Protestantismus zu werden. Er ehre den Katholizismus, — schrieb er an Guzmics — aber er lebe und sterbe für den Protestantismus. Eine Vereinigung beider Bekenntnisse halte er weder für gut noch für nützlich. Der Katholizismus sei der Glaube des Irrtums, der Protestantismus der der Wahrheit. Und wenn auch dieser Irrtum beglückend ist, er sei glücklicher mit der Wahrheit. Zweifellos war Kazinczy diesmal aufrichtiger, wie ja auch seine Toleranz gleich der seines ganzen Zeitalters nur eine Selbsttäuschung bedeutete. Vom Standpunkt Földis aus war der katholisch-reformierte Gegensatz noch durchaus natürlich und bedurfte weder eine Rechtfertigung noch einer Entschuldigung im allgemeinen Bewußtsein. Auch Kazinczy entschuldigte sich nicht, als er zur Mitarbeit am »Orpheus« nur Reformierte einlud. Niemand sah hierin religiöse Unduldsamkeit, sondern eben nur die Folge einer geschichtlichen und ') Ebda. X I . 7 1 .
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Weltanschauung u. Konfession.
eigentümlichen Entwicklung. Der Gedanke der Aufklärung, die Idee der Toleranz verwischten dies Bewußtsein, ohne daß sie den Gegensatz selbst, der im wesentlichen schon lange keinen Weltanschauungscharakter trug, ganz hätten aufheben können. So entstand die verkehrte Lage, daß unbewußt der konfessionelle Zwiespalt als treibende Kraft fortdauerte und im Leben wie in der Literatur zur Geltung kam, während nach der Theorie und im allgemeinen Bewußtsein das Prinzip der Duldsamkeit siegte. Dieser Widerspruch läßt sich ebenfalls am besten bei Kazinczy beobachten, der über die Zwiespältigkeit des ungarischen Geistes und der ungarischen Literatur am schärfsten nachdachte. Alle seine Erörterungen in dieser Richtung beginnen mit Entschuldigungen : »Ich bin kein Fanatiker in religiösen Fragen. . . aber, . . .« »Unglückliche Kinder des Prometheus, die in allem auf den Glauben blicken müssen, aber . . .« »Ich könnte nicht sagen, daß ich ein großer Gegner des Materialismus bin, aber . . .« »In mir ist kein religiöser Haß und Wahn, längst bin ich über sie hinaus, aber . . .« Und auf dies »aber« folgt immer die Widerlegung des einleitenden Satzes. Es ist nicht selten, daß er von einer angenommenen Unduldsamkeit der Gegenpartei ausgeht, um damit die eigene Stellungnahme zu begründen. Er war z. B. entrüstet darüber, daß Alexander Kisfaludy Döbrentei fragte, ob er evangelisch sei. Aber auch seine eigene Frage, sooft er einen jungen Schriftsteller kennenlernte, betraf fast immer die Religion. Freilich, nachdem er Kisfaludy darum in seinen Briefen verhöhnt hatte, hielt er es später für nötig, sein eigenes Vorgehn zu rechtfertigen. So schrieb er etwa an Stettner: »Wo wurdest Du geboren ? Und wann ? Und zu welcher Konfession gehörst Du ?... Ich selbst zwar wäre des Bekenntnisses wegen ja unbesorgt, aber da sich andere ganz anders verhalten, so laß mich auch darnach fragen und mach es mich wissen! Übrigens kannst Du sicher sein, daß ich Dich, wenn Du zu dem meinen gehörst, nicht mehr lieben werde, als wenn Du nicht zu ihm gehörst. Ich betrachte den Dichter und den Menschen in Dir, nichts sonst1).« Wie durchsichtig ist auch hier die Selbsttäuschung, mag die Illusion eines allgemein Menschlichen noch so ideal sein. Wie die Toleranz bei Kazinczy eine Illusion war, so war sie es ') Ebda. X V I I I . 398.
Rassengegensätze.
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auch bei Kisfaludy. Kisfaludy schrieb an Kazinczy: »Ich halte die Gemeinde der Schriftsteller für eine freie Republik, deshalb kenne ich keinen religiösen Unterschied, keine Diktatur und keinen Despotismus unter ihnen1)-« In den Briefen und Schriften Kisfaludys begegnen keine weltanschaulichen Betrachtungen. Kisfaludy war kein Philosoph, wahrscheinlich dachte er über den Glauben nicht allzusehr nach. Aber seine schriftstellerische Praxis zog ihn gleichwohl zu den Katholiken. Nicht anders war es bei seinen Dichterfreunden, auch den katholischen Priestern unter ihnen. Nicht ihr Glaube hielt sie vor allem zusammen, da sie ja mit Kisfaludy bekannten: »Vaterlandsliebe ist der stärkste Antrieb meines Wesens«, sondern ihre Herkunft. Die Konfession war nur Symbol der kulturellen Gegensätze, die sich im Bewußtsein des Zeitalters als das eigentlich Trennende erwiesen. Konfession und Nationalität waren fast identische Begriffe. In Siebenbürgen nannte man Döbrentei seines evangelischen Glaubens wegen einen Sachsen. Kazinczy schrieb ebenfalls: »Der evangelische Ungar ist selten ein guter Ungar, er schielt zu den Deutschen hinüber.« Baron Ladislaus Pronay ergriff zitternd die Feder, als er an Kazinczy schrieb, weil er zu dem »geheiligten Ungarn« ungarisch sprechen müsse. »Was können Sie von einem Menschen slowakischer Herkunft und slowakischen Glaubens erwarten?« Döbrentei schilderte einen Abend bei Vitkovics, wo darüber geklagt wurde, daß die ungarische Nation zugrunde gehe. Thaisz warf die Frage auf, ob es denn jemals einen großen Ungarn gegeben habe ? Vitkovics führte Hunyadi und Bethlen an. Darauf Thaisz: »Hunyadi hatte eher walachisches, Bethlen französisches Blut.« Helmeczi schrie ihn an: »So seid Ihr Lutheraner!« Döbrentei wandte ein: »Auch ich bin hier!« Helmeczi: »Du bist aus Transdanubien, die sollen leben, Kis, Berzsenyi, aber die Oberungarn. . . diese lutheranischen Slowaken und Giskren2).« Wie tief die Rassengegensätze im Bewußtsein der Zeit lebten, geht auch aus dem ungarischen Volkslied hervor, in dem der Transdanubier als »Schwabe« und »Slave« verhöhnt, der Tisier aber als Kernmagyare gepriesen wird. !) Ebda. X V I I . 552. 2)
Berzsenyi Müvei (B. M.) I V .
137.
5. Die Heimat. E s war bisher die Rede davon, welche Rolle der Dualismus des ungarischen Geistes in der Ausbildung des literarischen Lebens spielte und wie weit er sich im literarischen Bewußtsein offenbarte.
Und
es wurde gezeigt, daß jener weltanschauliche Gegensatz, der die ungarisch-sprachliche Literatur überhaupt erst hervorrief, im Laufe des 18. Jahrh. infolge der geschichtlichen Entwicklung und unter dem Einfluß der Aufklärung einem kulturellen Gegensatz wich, der an Landschaft und Konfession geknüpft war.
Katholizismus und
Protestantismus bedeuteten nun nicht mehr allein zwei verschiedene Konfessionen, sondern zwei verschiedene seelische Dispositionen als Ergebnis der Erziehung, des Milieus und der Traditionen. Solange die geistigen Führer der Nation im Lande zerstreut,, kaum einander kennend und jeder an seine Umgebung gebunden, wirkten, war ein Ausgleich der verschiedenen Kräfte fast unmöglich. Der ungarischen Literarhistorie zufolge gelang es Kazinczy durch seinen stetigen Briefwechsel das literarische Leben zu schaffen. Doch die Wirkung Kazinczys war in Transdanubien gering. Dort entwickelte sich die Literatur ohne ihn und unabhängig von ihm. Die Leser seiner Werke setzten sich zumeist aus Siebenbürgern und Transtisiern zusammen. Dagegen war er in Transdanubien, im Westen des Landes, unbekannt.
E s ist auf die g e i s t i g e n Ursachen dieser Erscheinung
hingewiesen worden.
Zweifellos genügt diese Erklärung aber nicht.
Zu der wechselseitigen Isoliertheit trugen die Verhaftetheit der Dichter mit ihrer Scholle, die Schwierigkeit des Verkehrs, der überaus schlechte Zustand der Straßen außerordentlich bei. Csokonai nannte sich mit treffendem Humor einen »isolierten Dacus«.
Briefe aus
Transtisien waren oft monatelang nach Transdanubien unterwegs. Kazinczy reiste zehn Tage lang von Szephalom nach Pest.
Bei der
Theißüberschwemmung war Kölcsey Monate hindurch in einer wahren Gefangenschaft, die es ihm weder erlaubte Post zu bekommen noch Gäste zu empfangen.
Die Umgebung.
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Diese Umgebung, in der die Schriftsteller zu leben gezwungen waren, konnte weder ihre innere Entwicklung noch ihre Annäherung aneinander fördern. Schon Kärmän sah das eine Haupthemmnis der nationalen Bildung im Landleben: »Es ermattet auch den strebsamsten und arbeitsamsten, wenn er ewig in Staub getreten wird. Wo man die bezaubernde Süße des menschlichen Lautes nicht hört, zieht sich die willigste Kunst zurück um entweder in öden Klüften zu heulen oder mit den Raben zu schrein oder, was am schmerzlichsten ist, im Verborgnen zu stöhnen. Und solch ein Stöhnen, glaubt es mir, ist fürchterlich. Unsere Bauern, die auf ihren Grundstücken ihr Leben fristen, fühlen den Wert solcher Bestrebung nicht. In vielen ländlichen Siedelungen besteht oft genug die ganze Bibliothek aus einem Haus- und Wegkalender. Daß das Landleben bei der Verbreitung der Wissenschaften ein besonderes Hindernis ist, ist durchaus klar. Das einsame Dasein, die Verschlossenheit vor der Welt hält auch Gedanken fern. Jenes kleine Stück Feld, auf dem der ländliche Mensch wohnt, ist sein Reich. Er weiß nicht, was außerhalb seines Dorfes geschieht und glaubt, daß jenseits der Grenzhügel seines Komitats schon das Schwarze Meer beginne1).« Ein ähnlich düstres Bild entwirft Kölcsey von den wirtschaftenden Adeligen. »Der ungarische Adelige müht sich mit Verböczi (dem ungar. Corpus juris), bekleidet Ämter, wendet seine Aufmerksamkeit auf die Staatsangelegenheiten und wenn er sich in den Landes- und Komitatssitzungen müde geplagt hat, eilt er in sein Dorf zurück um unter seinen Schäfern und Knechten Ordnung zu schaffen. Seine wie unsres ganzen Vaterlandes einzige Lebensquelle ist die Wirtschaft. Und saget: wie betreibt er sie? Antwort: wie der Fronbauer2).« Diese Umgebung war gewiß nicht darnach angetan, ein literarisches Leben sich entfalten zu lassen. Die Synthese war nur dann möglich, wenn der ungarische Schriftsteller die Scholle verließ, an die er gebunden war. »Ein großes und übermenschliches Verdienst ist es«, schreibt Kärmän weiter, »das einsam auf weitem Gebiet herrlich aufragt wie ein hoher Fels inmitten des Meeres. Ein seltenes Verdienst, das in sich selbst seinen Lohn findet. Democrit ist in Abdera keine alltägliche Erscheinung. Groß aber, ungewöhnlich groß ') A. a. O. ') M. M. V. 265.
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Die Heimat.
ist der Gelehrte, der sich wie eine Nachtigall in das einsame Tal verbirgt, um dort zu singen bis zum Bluten der Kehle.« Kazinczy und Alexander Kisfaludy waren solche großen und seltenen »Gelehrten«, die ein doppeltes Leben führten. Alexander Kisfaludy verbrachte mehr Zeit mit seiner Wirtschaft, als mit der Dichtung und Kazinczy verursachten die Kämpfe um seinen Besitz mindestens soviel Sorgen wie seine literarischen Fehden. Die jüngere Generation hätte eine solche Zersplitterung der Kräfte — bei den angespannten geistigen Forderungen — nicht mehr ertragen. Von der Periode der Erneuerung an hörte das Streben nach Zentralisation des literarischen Lebens in einer Stadt nicht mehr auf. Diese Bemühungen waren indes nicht von bleibendem Erfolg. Den ungarischen Städten fehlte der ungarische Hintergrund ebenso gut, wie er z. B. Wien fehlte. Das städtische Leben sicherte — außer den Advokaten und Professoren — niemandem die Existenz. Der ungarische Adelige und der ungarische Pfarrer waren der Scholle verhaftet. Die Entwicklung der ungarischen Literatur konnte nur mit der Magyarisierung der Städte und einem Wandel in der sozialen Lage des ungarischen Dichters vorwärtsschreiten. Dies war der Weg der Synthese. Eine selbständige und eingehende Forschung wäre berufen nachzuweisen, inwiefern die landschaftlichen Elemente in der Dichtung der beiden Strömungen zum Ausdruck kamen. Indes schon ein flüchtiger Überblick lehrt, daß die Dichter der Jahrhundertwende (obwohl mehrere von ihnen nicht nur in der Heimat reisten, sondern auch ferne Länder kannten) ihre Naturmalereien und die der Natur entnommenen Gleichnisse in den meisten Fällen aus ihrer nächsten Umgebung schöpften. Auf die transdanubischen Elemente in den Werken David Baroti Szabos und Michael Csokonäis wurde schon kurz verwiesen. Alexander Kisfaludy, der als Soldat nach Siebenbürgen, Deutschland, Italien und Frankreich gekommen war, fand die eigentliche Anregung zur Dichtung in seiner Umgebung: »Solche Inspiration förderte . . . diese meine Romane zutage (schreibt er in der Vorrede zu seinen Romanzen), nachdem ich mich aus dem Kampf und Lärm der von vielen Kriegen zerstörten Welt in mein Erbgut, an die Brust der Natur, in die wohltuende Stille des Landlebens zurückgezogen hatte. Hier liegt mein Haus in romantischer Landschaft, wie ich sie während
Die Heimatsliebe.
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meiner Wanderungen durch viele ob ihrer Schönheit berühmte Gegenden nicht sah. Täglich habe ich hier die alten Burgen vor mir, die Blick und Phantasie des Reisenden auf sich ziehn und sein Gefühl naturgemäß in vergangene Zeiten schweifen lassen.« Es ist interessant diese Äußerung mit Kärmäns angeführtem Urteil über die kulturzerstörende Wirkung des Landlebens zu vergleichen. Beide Bemerkungen drücken sehr gegensätzliche Gefühle aus. Alexander Kisfaludy beharrte ebenso sehr an seiner Heimat und dem Leben auf der Scholle wie der andere große zeitgenössische Dichter Transdanubiens, Daniel Berzsenyi1): Weit dunkelt schon der Gipfel des Sag Berges Von nun an bedeckt der Wald des Bakonys Mein Heimatsort, dein Bild: Noch einmal bleibe ich stehen und blicke auf dich zurück. Ihr blauen Hügel! wunderbare Gegenden! Nehmet meine traurigen Tränen. Ihr sähet das Schaukeln meiner Wiege Und das erste Lächeln meines geschwätzigen Mundes An der warmen Brust meiner Mutter. Ihr sähet die Spiele des frohen Kindes Die Freuden und Sorgen des heranwachsenden Jünglings Am freudigen Morgen meines Lebens. (Abschied von Kemenesalja) Aber Berzsenyi besang, als einer der ersten, auch schon die Stadt: »Da alle Dichter Von Vater Homer bis heute Das Dorf lobten, — erlaube mir, Daß ich von Ofen singe und Pest.« So beginnt er in seiner an Michael Vitkovics gerichteten Epistel das Lied der neuen Zeit. Er schildert die Schönheit Pests und seine Freuden freundschaftlicher Geselligkeit und fährt fort: »Ruhen, essen, trinken und schlafen Kann man auch auf dem Land: aber wie soll ich Mit Bäumen, Kräutern, Ochsen mich lange freuen? Es sind diese nur Dinge für meine Augen. Mein Herz braucht Menschen und verwandte Seele, Mit denen es seine Gefühle austausche, Meine Vernunft Vernünfte, die sie verstehen In welchen ihre Strahlen spiegeln können. x ) Da von den angeführten Versen meist keine dichterischen Übersetzungen vorliegen, bringen wir sie in Prosaübersetzung. Es kommt ja dabei hauptsächlich auf den Inhalt und nicht auf die Form an.
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Die Heimat.
Mein Freund! Der Weise ist selig überall, In Hortobägy, in Pest, in Ofen, Denn er trägt seine Schätze bei sich Aber doch ist er seliger dort wo um ihn Das freundliche Leben seinen Reiz bietet, Und sein Herz, sein Verstand seinen Gegenstand findet, Als wo er verschlossen für sich selbst lebt Und nur nach dem Feenbild seines Traumes jagt Als ein in Wildnis irrender Fakier . . . Dieses Gedicht Berzsenyis weist schon auf die neue Richtung, die die Entwicklung nahm, hin und es ist bezeichnend, daß der junge Vörösmarty gerade sie in seinen ersten Versuchen zweimal variierte, wobei er einzelne Zeilen Berzsenyis fast wörtlich übernahm. Berzsenyis Sehnsucht nach dem Stadtleben zeigt sich bei den Dichtern Transtisiens in ähnlicher Weise. Die dortige Dichtimg weist kaum die charakteristischen Zeichen der Landschaft auf, aber auch die schwärmerische Liebe zur Heimat sucht man in ihr vergebens. Die Ursache dieser Erscheinung ist ohne Zweifel in der verschiedenen gesellschaftlichen und geographischen Struktur beider Provinzen zu finden. In Transtisien lagen nicht nur die wenigen Städte, sondern auch die adeligen Höfe weit auseinander. Die Transdanubier hingegen wohnten dichter beisammen und vermochten sich in den näher aneinander gerückten Städten, Ödenburg, Raab und Stuhlweißenburg, öfter zu treffen. InKeszthely wurde die Helikon-Gesellschaft gegründet. Die Schriftsteller kannten sich gegenseitig und die Leserschaft sah sie selbst vor sich. Kazinczy dagegen lernte erst am Ende seines Lebens Alexander Kisfaludy kennen, mit dem er fast drei Jahrzehnte hindurch im Kampf gestanden hatte. Transdanubien war kultivierter als das Gebiet Transtisiens, das unter den Türken größere Verheerungen erlitten hatte. In den Städten waren die Spuren der alten ungarischen Kultur, Kirchen, Gräber und die Trümmer der alten Burgen noch vorhanden. Hier übte die Heimat stärkere Gewalt aus, als in Transtisien. »Die fremde Nationalität Transdanubiens war die deutsche, die Transtisiens die slowakische und walachische«, sagte Berzsenyi. Man kann die Bedeutung auch dieser Tatsache nicht leugnen. Die walachische und slowakische Nationalität war mit dem Ungartum kulturell kaum verbunden. Fast ebenso wenig, wie die ungarischen Hörigen. Weniger durch ihre Sprache als vielmehr durch ihre gesellschaftliche Lage waren sie von ihnen geschieden. Die einheimische deutsche Kultur aber, die ohnehin höher stand
Die Sehnsucht nach der Stadt.
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als die gleichzeitige ungarische, wirkte durch das städtische Bürgertum. So braucht man sich nicht zu verwundern, daß der Dichter Transtisiens von seiner Umgebung, die seine Dichtung kaum anregte, ja ihn in seinem dichterischen Wirken eher hinderte, loszukommen suchte. »Wo ist es besser zu leben«, fragte auch Kazinczy verzweifelt, »bei Weimar, wo auch der Schweinehirte neben seiner Herde liest, oder bei Skutari, wo selbst der Pascha nicht l i e s t ? « In der jüngeren Generation war diese Sehnsucht noch stärker. Kölcsey beschrieb seinen Wohnort Kailay, seinem Jugendfreunde: »Die Gegend, in der ich lebe, ist dem Auge verborgen, schön, aber verwildert und überaus einsam. Auf der einen Seite fließt die Theiß, auf der andern die Tur, die hier in die Theiß mündet und in ihrer Mündung uns wohnen läßt. Auf der einen Seite umgeben uns mächtige Waldungen, auf der andern begrenzen die Märamaroser Schneegebirge unseren Blick. Ist dies nicht ein dichterischer Ort, Freund ? Der Fehler ist nur, daß ich Menschen brauche und nicht seellose Schönheit2).« Kölcsey sehnte sich nach Menschen wie Berzsenyi. Natur war ihm »seellose Schönheit«. Im folgenden Jahre 1816 schon schrieb er seinem Freunde Szemere: »Seit 2 Jahren bin ich bemüht mein Gut jemandem in einer Weise zu verpachten, die mich mit der jährlich einfließenden Summe selbständig leben läßt. Jetzt mache ich den letzten Versuch. Gelingt er, so bin ich nächsten Januar in Pest. Mißlingt er aber, so bin ich für das literarische Leben tot und die Nachwelt wird von meinem Namen nichts wissen3).« Die jüngere Generation Transdanubiens und Transtisiens trachtete schon darnach sich von der Scholle zu trennen und richtete ihren Blick sehnsuchtsvoll nach dem Herzen des Landes, der sich aufschwingenden Hauptstadt. Wie der Strom der Aufklärung die weltanschaulichen Gegensätze zwischen den Konfessionen in der Literatur ausglich, so verwischte die zentralisierende Kraft Pests die unterscheidenden Merkmale der Landschaft. Der Weg zu weiterer Entwicklung stand offen. Die Prophezeiung Kazinczys verwirklichte sich: •) K . L . X X I . 637. ») M . M . X . 24. 3) E b d a . I X . 257.
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Die Heimat
»Schon ist die Zeit nahe, da Gottessöhne auf die Bahn treten und dem Namen Ungarns Glanz verschaffen werden, wie er uns selbst nicht zukam und nicht zukommen konnte. Aber unser ist der Ruhm, ihnen den Weg gebahnt zu haben. Hätten wir nicht langsam begonnen, so kämen sie nun nicht schnell zum Ende. Und auch unsere Irrtümer werden ihnen von Nutzen sein. Denn sie werden aus ihnen ersehn, was sie zu meiden haben1).« ') filet ¿s L i t e r a t u r a I. 259.
6. Die Heerschau der neuen Generation. Das neue literarische Leben begann mit der Zeitschrift »Tudomänyos Gyüjtemeny«, »Wissenschaftliches Archiv«, die das erste gemeinsame Forum beider literarischer Richtungen war. Ihr Herausgeber war Trattner, ihr erster Redakteur Georg Fej6r. Die Redaktionsbesprechungen fanden im Hause Trattners und Kultsärs statt. Die transdanubischen Verbindungen sind auf den ersten Blick offenbar. Georg Fejer gab seine transdanubische Einstellung immer offen zu. Übrigens wurde sie durch seine Keszthelyer Abstammung und sein Amt als katholischer Pfarrer ohnehin genügend bezeugt. Trattner war aus dem Eisenburger Komitat nach Pest gekommen. Die Redaktion weigerte sich indes der Zeitschrift eine einseitige Färbung zu geben und zog von Anfang an die transtisischen reformierten Vertreter der jüngeren Generation, Kölcsey und Ladislaus Ungvärnemeti Toth zur Redaktionsarbeit heran. Trotzdem gab der transtisische Protestantismus, überempfindlich wie er war, das Notsignal. Die Anklage, die er erhob, war eine zweifache : übertriebener Patriotismus und katholische Befangenheit. Kazinczy schrieb an Samuel Päpay: »Die Tendenz des Pester Journals ist, wie ich aus seiner arg lächerlichen Vignette entnehme1), der Nationalismus. Ein heiliges Ziel. Nur graut mir vor einem Nationalismus, der sich von dem Guten und Schönen im Ausland abkehrt, bloß weil es ausländisch ist 3 ).« Kazinczy bemängelte noch andres an der Zeitschrift: »Die religiöse Wut hat unsere Sache ergriffen. Sie läßt nicht nach, sondern wächst weiter. Ich habe den Lesern des Blattes Szilägyi gezeichnet. Kaum war diese Charakteristik erschienen, so folgte ihr die Biographie von Rajnis. Sie mußte uns, die wir Rajnis doch sahen und kannten, zum Lachen bringen. Auch seine Religiosität wird dort hervorgehoben, bei einem Manne hervorDie von K. beanstandete Vignette zeigte das ungar. Wappen. >) K. L. X V . 107. Farkas,
Romantik in Ungarn.
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Die neue Generation.
gehoben, bei dem nur das Kleid religiös war. Aber wir sind schon zu sehr an die Lüge gewöhnt. Natio comoeda est1).« Johann Kis vereinte zugleich bei Erscheinen des Blattes beide Anklagen. 1817 schrieb er an Kazinczy: »Ich kann nicht sagen, was für ein Gefühl von Bedauern, Liebe, Ärger, Furcht und Sehnsucht mein Herz ergreift, sooft ich das Produkt eines solchen nationalen Fanatismus sehe, wie er die einzelnen Artikel dieser Zeitschrift beherrscht. Wäre es nicht viel besser, unsere tatsächlichen Fehler einzugestehn und um den Ruhm, den wir noch nicht besitzen, uns eifrig zu bemühn? Auch kann ich nicht verschweigen, daß ich, hiervon abgesehn, im Wissenschaftlichen Archiv einen Geist vermute, wie ich ihn eben nicht liebe2).« Dieser Geist, den Kis »vermutete«, war selbstverständlich die katholische Tendenz der Zeitschrift. — Kölcsey, der nach kurzem Aufenthalt die Redaktion verließ und auf sein Gut zurückkehrte, bemerkte zum letzten Satz dieses Briefes: »Es gibt nichts Wahreres, als das, was Kis über die Redaktion des Wissenschaftlichen Archivs schreibt3).« Wer das Wissenschaftliche Archiv von objektivem Gesichtspunkt aus betrachtet, kann in ihm keine Parteilichkeit finden. Sie zu vermeiden war der Herausgeber aus wohlerwogenem eigenen Interesse bestrebt. Gleichmäßig teilte er die Werke protestantischer und katholischer Schriftsteller mit und veröffentlichte Artikel für und gegen die Sprachreform. — Er schloß sich keiner Richtung an, sondern bemühte sich um die Einigung, den »katholicismus literarius«, den Kazinczy so sehr tadelte. Deshalb brachte er gleich nach der Biographie Szilägyis,'des reformierten Pastors, die von Räjnis, dem katholischen Geistlichen, was Kazinczy für Parteilichkeit hielt, obgleich es gewiß das Gegenteil davon war. Das Wissenschaftliche Archiv richtete sein Augenmerk auf jene neue literarische Macht, die Kazinczy und seine Freunde bisher vernachlässigt hatten, auf das Publikum, und strebte danach das Blatt des ganzen Landes zu sein. Nach Fejer übernahm der Lutheraner Thaiß aus Oberungarn die Redaktion. Vitkovics zufolge »fängt er es gut an, würde es auch gut weiterführen, aber der Köche, die den Brei verderben, sind zu viele. Auch das ist ein lapis offensionis, daß er ein Lutheraner ist4).« Thaisz ') 2) 3) 4)
Ebda. Ebda. Ebda. Ebda.
X I X . 141. X V . 220. X V . 232. XVII. 356.
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Karl Kisfaludys Kreis.
war der geborene neutrale Redakteur, seiner Abstammung wie seinem Glauben nach. Nach ihm kam die Leitung der Zeitschrift in Vörösmartys, später in Stefan Horvats Hände. Erst damals verschwand von ihrer Titelseite die Vignette, die Kazinczys Entrüstung so lang erregt hatte. Das Wissenschaftliche Archiv erlangte mit seinem vielseitigen Inhalt alsbald große Popularität. Sie war die erste wissenschaftliche Zeitschrift, die allein durch ihre Abonnenten bestehen konnte. Doch verlor sie ihre bisherige ausschließliche Bedeutung, als K A R L K I S F A L U D Y mit Unterstützung seines Bruders 1822 den Almanach »Aurora« gründete. Zunächst standen um Karl Kisfaludy meist nur Schriftsteller Transdanubiens, so vor allem Stefan Kultsär. Aber da Kisfaludy bei der Auswahl der Mitarbeiter anfangs keine freie Hand hatte, zeigte der erste Band kaum Spuren des neuen Geistes. Die beteiligten Schriftsteller setzten sich aus den besten Vertretern der letzten Generation zusammen. Kazinczy, Vitkovics, Döbrentei, Johann Kis und Schedius spielten die nämliche Rolle wie Stefan Horvät, Stefan Kultsär, Alexander Kisfaludy und Andreas Horväth. Im folgenden Jahre übernahm der Redakteur auch materiell seinen Almanach und fing an ihn nach seinen eigenen Grundsätzen zu leiten. Karl Kisfaludy hatte damals schon einen großen Namen. Er war der erste ungarische Dichter, der im Glänze dichterischen Ruhmes stand, der durch seine Dramen den Weg zum Herzen des Publikums fand und der sich die Bildung und Erziehung einer ungarischen Leserschaft bewußt zum Ziele setzte. Er trennte sich von der älteren Generation und wählte seinen dichterischen Kreis unter der Jugend. Die alten, verdienten Dichter nahmen den neuen Geist bestürzt wahr. Vitkovics meldete an Kazinczy: »Karl Kisfaludy leitet die Aurora ganz willkürlich. Es ist schade, daß er es nicht mit Eingeweihten halten mag. . . . Kisfaludy möchte mit uns, die wir in Pest wohnen, monopolium treiben. Das konnte ich nie leiden«1). Die Zeitschrift »Felsömagyarorszagi Minerva«, (Oberungarische Minerva), wandte sich gleich in ihrem ersten Jahrgang gegen die Eigenwilligkeit Kisfaludys. »Es scheint, als habe jene Gewalttätigkeit, die vor 10—20 Jahren die Schule von Szephalom gegen die Dichter, ') Ebda. X V I I . 355. 5*
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Die neue Generation.
soweit sie sich in anderen Teilen des Landes zeigten, ausübte, jetzt die Pester ungarische Schule ergriffen«1). Der Bruch mit der alten Generation wurde noch dadurch verschärft, daß Samuel Igaz in Wien die »Hebe« begann. Es war nur eine Folge der eigenartigen ungarischen Entwicklung, daß dieser Bruch wieder die Färbung des katholisch-protestantischen Gegensatzes annahm. Um Samuel Igaz waren lauter protestantische Dichter versammelt: Ladislaus Ungvarnemeti Toth, Alexander Aranyosräkosi Szekely, Alexander Bölöni Farkas, Gabriel Döbrentei, Daniel Pänczel und Ludwig Kis, der Sohn von Johann Kis, der ebenfalls Gedichte schrieb. Mit diesem protestantischen Dichterkreis verkehrten die ungarischen katholischen Schriftsteller, die in Wien lebten, Mednyanszky, Mailäth und Georg Gaal, von denen noch die Rede sein wird, kaum. So braucht man sich nicht zu wundern, daß der Almanach von Samuel Igaz im Bewußtsein der Allgemeinheit als eine reformierte, der von Kisfaludy dagegen als eine katholische Gründung erschien. Dies Bewußtsein freilich kam nur in der Form von Vorwürfen zum Ausdruck. Döbrentei schrieb an Kazinczy: »Du hättest auch Karl Kisfaludy für seine »Aurora« mehr zur Verfügung stellen sollen. Was ich gestern bei ihm sah, wollte er nicht nehmen. Er glaubt, wir Protestanten hielten unsere besseren Sachen für Igaz zurück. Es ist ein unglückseliger religiöser Gegensatz, der jetzt wieder auflebt. Auch darum hätte ich gewünscht, Du hättest mehr geschickt, um nicht ohne Grund verdächtigt zu werden*).« Kazinczy wußte sich nicht genug gegen diesen Verdacht zu verteidigen: er habe aus dem Grund mehr an Igaz gesendet, weil Kisfaludy ohnehin von vielen unterstützt werde, weil der Vater von Igaz in Patak sein Schulkamerad war usw. Auch das kann in seiner Parteilichkeit keine geringe Rolle gespielt haben, daß Igaz 1825 sein 50jähriges schriftstellerisches Jubiläum mit einem Kupferstich feierte, das erste Jubiläum in der ungarischen Literatur. — Übrigens protestierte auch Igaz gegen den Verdacht einer einseitigen Stellungnahme und war bestrebt, Toldy anläßlich, seines Wiener Besuches davon zu überzeugen, daß er die Hebe nicht wegen »religiöser Anfeuerung«, sondern nur aus Vaterlandsliebe begonnen habe und weiterhin fortsetze. »Mit dieser die andere zu verheimlichen, ist für den ') F. M. M. 1825. XI. 429. ») K. L. X V I I I . 117.
Konfessionelle Gegensätze.
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Ungarn kein großes Ding, der doch die patriotischen Aufgaben unaufhörlich im Munde führt . . ,1).« — setzte der achtzehnjährige Schedel-Toldy, der Sohn einer neuen liberalen Generation verächtlich hinzu. Aber selbst Karl Kisfaludy beargwöhnte die Protestanten, als boykottierten sie ihn und wenn er von Bajza kein Gedicht für die Aurora bekam, sagte er zu ihm: Lutheraner! Kazinczy hatte als Mitarbeiter des Orpheus nur Reformierte aufnehmen wollen. Kisfaludy aber wandte sich schon gegen die Protestanten, die sich von seinem Blatt zurückhielten. So veränderte sich das literarische Bewußtsein der Konfessionen in wenigen Jahrzehnten. Der Gegensatz der Bekenntnisse hatte zwar seine Wirkungskraft als kultureller Faktor behalten, aber schon begann der Kampf gegen ihn und gegen alles Trennende, das durch ihn bedingt war. Karl Kisfaludy nahm auf die konfessionelle, rassische und landschaftliche Zugehörigkeit seiner Mitarbeiter keine Rücksicht. Da aber seine Richtung in ihrer literarischen Gestaltung (wie sich noch zeigen wird) die Fortsetzung der transdanubischen Strömung auf einer höheren Ebene bedeutete, kann es nicht wundernehmen, daß die charakterischsten Dichter der Aurora aus Transdanubien hervorkamen. Kisfaludys enger Freundeskreis, der sich im geheimen Revai-Kreis nannte (die Literaturgeschichte erwähnt ihn unter dem Namen Aurora-Kreis), bestand außer Kisfaludy aus fünf Dichtern. Dies waren: Michael Vörösmarty, ein Katholik aus Transdanubien, Georg Stettner-Zädor, ein Reformierter aus Transdanubien, Joseph Bajza, ein Lutheraner aus dem Komitat Heves, der aber von den Pester Piaristen erzogen worden war, Michael Bierbrauer-Helmeczy, ein Katholik aus Oberungarn, Franz Schedel-Toldy, ein Ofner Katholik. — Zu dem Kreise gehörten ferner zwei junge Deutsche: Georg Tretter-Jary, ein Pester Katholik und Michael Paziazi, der zwar seiner Abstammung nach Walache, seiner Kultur nach aber Deutscher war. Die beiden letzteren konnten kaum ungarisch. Sie waren die deutschen Übersetzer des Kreises und schrieben für die Aurora im Notfalle Novellen, die die anderen dann ins Ungarische übertrugen. — Kisfaludys getreuester Ratgeber, Freund und Wegweiser war Georg Gaäl, der von Preßburg nach Wien übergesiedelt war. Auch er war Katholik und hatte seine Muttersprache schon fast völlig vergessen. Seine schriftstellerische Tätigkeit hatte er mit einer Gvadänyi*) Toldys unveröffentlichter Briefwechsel im Archiv der Ungar. Akademie der Wissenschaften. Im folgenden unter A. K. angeführt.
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D i e neue Generation.
Nachahmung begonnen. — Die übrigen Mitarbeiter der Aurora kamen fast ausnahmslos aus katholischem Pest-Ofner oder transdanubischem Gebiet hervor. In Pest wurde Graf Johann Mailath. geboren, dessen deutsch geschriebene Werke auf die dichterische Praxis des Aurora-Kreises Einfluß gewannen. An der Donau wurde Gregor Czuczor erzogen, den Karl Kisfaludy zum Dichter weihte. In Ofen war Karl Kiss, den seine Novellen bekannt machten, geboren. Der katholische Gabriel Fabian aus Transdanubien, der Ossian-Übersetzer, war ein inniger Freund Vörösmartys. — Aus Preßburg bzw. aus Visegräd kamen Joseph Kvicsola-Szenvey, aus Gödöllö Michael Kovacsoczy, aus Tolna Johann Garay und aus dem Vesprimer Komitat Paul Koväcs nach Pest. — Koväcs gesellte sich erst am Ende der Periode zu den Freunden, Garay trat erst in den dreißiger Jahren vor die literarische Öffentlichkeit. Entwicklungsgeschichtlich aber gehörten beide in die Richtung des Kreises. In den ersten Jahren der Aurora war der gefeierte große Dichter der alten Generation ein transdanubischer Katholik: Andreas Päzmandi Horväth, von dem der Kreis die Erfüllung des fünfzigjährigen ungarischen Traumes, die Schaffung des nationalen Epos erwartete. Vörösmarty indes kam ihm zuvor und war von da an der Stern der ungarischen Dichtung. Schon am 15. Juli 1825 schrieb Toldy an Bajza: »Wir beginnen zu glauben, ja wir glauben schon, daß Vörösmarty Horvath sehr übertreffen wird 1 ).« Neben Vörösmarty wuchs — auf anderem Gebiet •— ein zweiter katholischer Ungar Transdanubiens immer höher empor: Graf Stephan Szechenyi. An den Aurora-Kreis knüpfte ihn ideelle Gemeinschaft, warme Freundschaft verband ihn mit Karl Kisfaludy. Seine epochemachende Wirksamkeit setzte am Anfang des folgenden Jahrzehnts ein. Es ist interessant zu beobachten, welche Elemente sich unter den Mitarbeitern der Aurora begegneten. Die Katholiken Transdanubiens überwogen, und zwar fanden sich unter ihnen Abkömmlinge adeliger Familien wie Kisfaludy, Vörösmarty, Fabian, Gaäl und Geistliche wie Andreas Horvath oder Gregor Czuczor. Mit ihnen verschmolzen die fremdsprachigen Assimilierten Toldy, Helmeczy, Szenvey, Stettner, Tretter, Paziazi und die »zurückmagyarisierten« Magnaten wie Mailath und Mednyänszky. Sie waren größtenteils ') A . K .
Neue Zeitschriften.
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Städter. Und endlich stand in der Aurora zum ersten Male Franz Kölcsey vor der Öffentlichkeit und vertrat zusammen mit Fay und Szemere die jüngere Generation des reformierten transtisischen Ungartums. Durch sie mündeten die getrennten Ströme der ungarischen Dichtung wieder ineinander. Nur einen Namen sucht man hier vergebens, den J O S E P H K A T O N A S , des berufenen Dramatikers dieser Periode. Die Tragik seines Schicksals bestand vielleicht gerade darin, daß er als Katholik aus der Tiefebene keiner literarischen Richtung angehorte, mit keiner sich verbinden konnte. Seine Bank-Tragödie, das Meisterwerk der ungarischen dramatischen Literatur, mißfiel in Transdanubien, in Siebenbürgen achtete man ihren Wert nicht. Ihm wurde das nämliche Los zuteil, das seinen Alfölder Gefährten traf: Csokonai. Auch er kam zu früh und schuf für Geschlechter, die erst erstehen sollten.
Ein Jahrzehnt hindurch bedeutete die Aurora für die ungarische Literatur alles. Infolge des frühen Todes des Redakteurs Igaz stellte die H6be schon 1826 ihr Erscheinen ein. Kazinczy versuchte sie weiterzuführen, hatte aber kein Geld und fand auch die nötige Leserschaft nicht. 1825 begann die Oberungarische Minerva, zwar mit Unterstützung des Grafen Joseph Dessewfy, doch als Organ der transtisischen Literatur. Kazinczy veröffentlichte nunmehr in ihr seine wichtigeren Werke und Rezensionen. Die Zeitschrift drang kaum in die Öffentlichkeit. Michael Dulhazy, ihr Redakteur, entwarf im Juli 1826 in einem an Kazinczy gerichteten Brief ein trauriges Bild von der Lage des Blattes. Anfangs hatte Samuel Igaz fünfzig Subskribenten geworben, von ihnen bezog 1826 keiner mehr. In Debrecen und in Patak waren je ein Pränumerant: das reformierte Kollegium, in ganz Zemplen nur zwei, in Bereg nicht einmal einer. In Preßburg hatte sich der Beauftragte der Zeitschrift genötigt gesehen, die ihm anvertrauten Nummern unentgeltlich zu verteilen. In Esztergom gab ein Benediktiner, Fabian Szeder, 1828 ein Taschenbuch heraus, die Urania. Sie bestand zwar elf Jahre lang, blieb aber auf ein enges Gebiet beschränkt, obgleich sie größtenteils die nämlichen Mitarbeiter aufwies wie die Aurora. Kovacsoczys Aspasia hatte ihre ganze Bedeutung darin, daß
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Die neue Generation.
Vörösmarty einen Abschnitt vom Zalan, seinem Heldenepos in ihr veröffentlichte. Es ist nur ein Band von ihr erschienen. Der eigentliche Boden der Literatur war damals die Hauptstadt. Kisfaludy drohte zwar von Jahr zu Jahr mit der Einstellung seines Blattes, daß er es aber bis zum Ende seines Lebens aufrecht erhielt und seinen hervorragenden Mitarbeitern sogar Honorar zahlte, beweist doch, daß sich das Jahrbuch entsprechend verbreitete. Seine Wirkung ließ auch nicht nach, als Szemere und Kölcsey 1826 den ersten Band der Zeitschrift »Elet es Literatura« (Leben und Literatur) erscheinen ließen. Diese Zeitschrift arbeitete von der anderen Seite her an der Synthese, die Kisfaludy mit der Aurora so erfolgreich begonnen hatte. Ihre Mitarbeiter waren die gleichen wie die der Aurora. Während aber die Aurora nur Dichtungen veröffentlichte, schuf die Szemere-Kölcseysche Zeitschrift die theoretische Literatur der Zeit und brachte so den geistigen Verlauf der Synthese zum Bewußtsein. Die neue Generation eroberte mit einem Ansturm den Platz der alten, die noch im Bewußtsein der inneren Spaltung lebte. Bajza schrieb aus Preßburg 1824 an Toldy: »Jüngst hielt die Jugend im evangelischen Lyzeum eine Trauerrede für einen verstorbenen Professor und ich konnte nur staunen über die neue Sprache, die sie — wie ich es sofort erkannte — aus der Aurora und der Hebe gelernt hatte. Etliche alte Herren, die sich mit dem Geiste der Zeit vorwärts zu schreiten scheuen, sterben langsam aus und dann ist Triumph1).« Und die Alten beeilten sich, der Jugend »diesen Gefallen« zu erweisen. Um die zwanziger Jahre herum starben nacheinander Baroti Szabo, Päloczi Horväth, Valyi Nagy, Verseghy, Takats, Papay, Viräg, Kultsar, Vitkovics, Trattner. Nur die zwei mächtigsten Säulen der vergangenen Bewegung standen noch: Franz Kazinczy und Alexander Kisfaludy. In ihren unermüdlichen Händen ruhte die Feder noch nicht. Ihre Stimme aber weckte keinen Widerhall mehr. Das Verhältnis der neuen Generation zu ihnen bedarf einer eingehenden Untersuchung. Zunächst aber gilt den überlebenden Mitgliedern der alten Generation noch ein flüchtiger Blick. Die Gesetzmäßigkeit der Entwicklung traf den Kazinczy-Kreis am stärksten. In den zwanziger Jahren vertrat nur noch der Meister selbst die ausländische Strömung. Szemere und Kölcsey hatten ')• B . J . Ö . M . V I .
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Das Verstummen der alten Generation.
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sich schon 1817 von ihm getrennt und zusammen mit Fäy der neuen Literatur angeschlossen. Johann Kis beendete seine literarische Tätigkeit mit dem Jahre 1815, als Kazinczy seine gesammelten Werke herausgab und damit seinen getreusten Freund öffentlich aus dem literarischen Leben scheiden ließ. Auch Berzsenyi verstummte, Trübsinn ergriff ihn. Er schrieb nur noch theoretische Aufsätze, um mit ihnen Kölcsey gegenüber, der eine harte Kritik über seine Dichtung veröffentlichte, sein dichterisches Recht zu wahren. Da er der Meinung war, daß Kazinczy auf Kölcseys Seite stehe, riß er sich auch von diesem selbst los, der ihn doch einst in die Literatur eingeführt hatte. Was Döbrentei betrifft, so war Kazinczys Verhältnis zu ihm nie ganz aufrichtig gewesen. In den zwanziger Jahren verschlimmerte es sich endgültig. Dieser Streit stellt einen der traurigsten Abschnitte innerhalb der ungarischen Literaturgeschichte wie auch in Kazinczys eigenem Leben dar. Auch mit Szemere und Kölcsey geriet Döbrentei in Streit. Die Trias war längst tot. 1825 schrieb Szemere an Kölcsey: »Ich habe außer Dir, lieber Franz, niemanden mehr. Döbrentei hat mir die Briefe, die ich ihm zwischen 1801 und 1821 geschrieben habe, zurückgeschickt und erwartet nun die seinigen. Vitkovics ist Advokat geworden. Horvat habe ich seit fast einem Jahre nicht gesehenJ).« Neue Schüler tauchten innerhalb des transtisischen Kalvinismus nicht auf. Ladislaus Ungvarn6meti Toth und Samuel Igaz starben früh, Alexander Szekely und Alexander Farkas, zwei Sekler, die Döbrentei entdeckt hatte, verstummten bald. Kazinczys treueste Korrespondenten waren damals die beiden Cserey, die indes keine Dichter waren, Dessewffy, der Deutsche Rumy und andere, die das literarische Leben nur mehr von außen betrachteten. Siebenbürgen war stumm, wenn auch schon zwei Magnatensöhne den ungarischen Roman der Zukunft träumten. In Debrecen war das Leben tot, wenn auch schon zwei Hörigenkinder aus dem Alföld lallend die ungarische Sprache erlernten, um später statt des übernommenen Klassizismus die ungarische klassische Literatur zu schaffen. Die ausländische Bewegung war in sich selbst zerfallen. Unter den Schriftstellern Transdanubiens hielt der Tod seine ') S z . P . M . I I I .
222.
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Die neue Generation.
Ernte. Außer Alexander Kisfaludy lebte nur noch Stefan Horvat. Er jagte, unter seinen alten Urkunden vergraben, phantastischen Träumen nach und schrieb die »Rajzolatok« (Schilderungen), sein historisches Hauptwerk1). Bacsanyi war schon vergessen. Außer der Aurora war von einem literarischen Leben nirgends die Rede. •) In diesem Werk suchte H. durch phantastische Etymologien zu beweisen, daß die Ungarn das älteste Kulturvolk der Welt seien.
7. Das Verhältnis der neuen Generation zur älteren und zum Publikum. Die neue Dichtung suchte wie alle neuen geistigen Bewegungen nach Ahnen, wenn sie sich auch ohne Widerspruch durchgesetzt hatte. Da die literarische Theorie noch immer formal bestimmt war, und da die Dichter der Aurora sich die von Kazinczy aufgestellten dichterischen Grundsätze zu eigen gemacht hatten (allerdings ohne sie je praktisch anzuwenden), so meinte Kazinczy, daß seine Richtung durchgedrungen sei, ja anfangs teilte auch der Aurora-Kreis diese Überzeugung. Vielleicht erleichterte gerade dieser Umstand Szemeres, Fäys und Kölcseys Anschluß an den Kreis. Kazinczy selbst jubelte, glaubte endlich gesiegt zu haben und nicht mehr allein zu sein. Die jungen Dichter beeilten sich, ihm ihre Huldigung darzubringen. Karl Kisfaludy sandte ihm sein erstes Buch mit den Worten: »Es gibt niemand in meinem Vaterland, den ich getroster zu meinem Richter wählen könnte als Sie, an dessen Brust die Pfeile des Hasses und der Verleumdung wirkungslos abgeprallt sind; niemand, der, von den Wissenschaften ausgehend, einen tieferen Blick in den Tempel der Kunst geworfen hätte 1 ).« In demselben Brief bat er den Meister ihm sein nächstes Werk als Zeichen seiner Verehrung widmen zu dürfen. Aber dieser erste Briefwechsel fand keine Fortsetzung: die Huldigung Kisfaludys bedeutete nur eine höfliche Geste. Franz Toldy war kaum 17 Jahre alt, als er sich dem Meister in Szephalom vorstellte. Er hielt am längsten bei ihm aus und lernte von ihm am meisten. Mit Recht konnte er ihm später schreiben: »Allem, was ich bisher versuchte, gabst Du das Vorbild ab und alle meine literarischen Leistungen, wenn es überhaupt Leistungen waren, verdanke ich Dir2).« Und doch war Toldy der erste, der den »heiligen Alten« vor der Öffentlichkeit angriff. Stettner sandte an Kazinczy die Sonette, deren Veröffent•) K. L. XVII. 112. ») Ebda. X X . 541.
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Die Beziehungen der neuen Generation.
lichung in der Aurora Kisfaludy abgelehnt hatte: »An wen könnte ich mich in dieser Angelegenheit mit mehr Vertrauen und mit stärkerem Glauben wenden, als an einen der ersten glänzenden Dichter meines Vaterlandes, als an Sie, da Ihr Großmut, wie jeder weiß, ein besonderer Zug Ihres Geistes ist, nach welchem Sie es nicht für eine Erniedrigung Ihrer selbst halten, wenn Sie sich zu den allergeringsten herablassen, und sich freuen, den jungen Anfängern in der Dichtkunst Ansporn, Beispiel und väterlicher Ratgeber zu sein1).« Den Briefwechsel mit Bajza begann Kazinczy selbst, was Bajza zu den schwärmerischen Worten veranlaßte: »Meine Seele ist mit Hochachtung und Liebe zu Ihnen erfüllt und brannte schon lange auf Ihre Bekanntschaft. Ich wage (gestatten Sie mir die Kühnheit es Ihnen zu sagen) mir zu schmeicheln, Sie möchten das nicht für maßlosen Eigendünkel, sondern für eine wirkliche Offenheit meines Herzens halten*).« Der Zurückhaltendeste und Aufrichtigste war Michael Vörösmarty, der sich nur auf wiederholtes Anfragen Kazinczys zu einem Briefwechsel entschloß: »Die zum Wohle der Sprache des Vaterlandes arbeiteten, achte ich ohnehin besonders hoch. Um so mehr Sie, als ich Sie unter den Vortrefflichen finde, die dem Fortschritt unserer Zeit freie Bahn schufen «3). Diese zurückhaltenden Worte konnten Kazinczy nicht sonderlich gefallen, zumal er gerade damals voller Stolz von sich verkündete, er habe eine neue Schule in der Entwicklung der ungarischen Literatur eröffnet und er kenne keinen ungarischen Dichter, dessen Werke so klassisch seien wie die seinen. Vörösmarty verlangte keine Parteinahme für sich selbst, er nannte Kazinczy nicht seinen Meister und wertete ihn nur historisch, indem er ihn als Bahnbrecher in der Geistesgeschichte Ungarns bezeichnete. Wie aber stand es mit der Aufrichtigkeit der anderen Mitglieder des Aurorakreises bei ihrer Einstellung zu Kazinczy? War ihr Gefühlsüberschwang wirkliche Offenheit ihres Herzens, wie Bajza schrieb ? Kisfaludy stand bis zuletzt gegen Kazinczy. Und zwar nicht nur, weil Kazinczy für Igaz eintrat, sondern weil er im Grunde ein anderer Mensch war als er selbst. 1824 schrieb Toldy an Bajza: J) Ebda. X V I I I . 386. *) Ebda. X I X . 486. 3) Ebda. X I X . 44.
Das Verhältnis zu Kazinczy.
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»Kisfaludy hat zwei große Fehler: erstens liest er zu wenig; zweitens ist er Kazinczy gegenüber so voreingenommen, daß er ihm jedes Verdienst unbedingt abspricht1).« Und mit welcher Überlegenheit äußerte sich der 19jährige Bajza über Kazinczy eben zu der Zeit, da er ihm seine Huldigung zu Füßen legte! »Ich hebe Kazinczy grenzenlos«, schrieb er an Toldy, »und liebe ihn noch mehr seit Du mir seine Briefe an Dich mitteiltest. Er ist nicht mehr Herakles, der stark genug war, den Stall des Augias zu säubern; er ist jetzt ein zahmer Greis, der sich dem zweiten Kindesalter nähert. Es macht mir Spaß zu sehen, wie der gute Alte bestrebt ist im Stil der 40er Jahre zu handeln und zu reden. Dieser Stil stand ihm sehr gut zu dieser Zeit, die so ganz seine Zeit war. Aber die entkräfteten Sehnen geben schon nach und der alte Kämpe strauchelt zuweilen wie ein Kind, das gehen lernt. Glaubst Du mir, daß ich auch dies Straucheln an ihm liebe2)?« Vörösmarty urteilte ein wenig später ebenso, nur drückte er sich kürzer aus. Als er Stettner 1825 über die erste Nummer der Felsomagyarorszagi Minerva berichtete, sagte er: »Auch Kazinczy schreibt noch. Doch schon spürt man ihm sein hohes Alter sehr an3).« Auch die von Verehrung überströmenden Worte Toldys, der doch fast noch ein Kind war, verbergen schlecht den überlegenen Hochmut einer eingebildeten Jugend. Auch Gabriel Fabian entrüstete sich über seinen spöttischen Ton: »Ich glaube«, schrieb er an Vörösmarty, »wir dürfen den Alten gegenüber, die uns den Weg bahnten, auch wenn wir sie überflügelt haben, die Achtung nicht verlieren4).« Der arme Kazinczy muß viel hinnehmen. Und er entrüstet sich nur, wenn Toldy in einem Artikel über seine »Paradoxe« schreibt und ihm zuruft: »Sei wieder der Alte!« Das rieten ihm auch die Transdanubier immer mit Alexander Kisfaludy an ihrer Spitze und so reißt der Mahnruf Toldys nur alte Wunden auf. Diese Zitate stammen zumeist aus einer Zeit, da die literarischen Gegensätze noch nicht offenkundig geworden waren, da das Epos »Zalän futasa« noch nicht erschienen war, da die Mitglieder des Aurorakreises den Dichter noch mit ihren Treuegelübden aufsuchten *) A. K. ») B. J. Ö. M. VI. 92. 3) V. E. 183. 4) E b d a . 255.
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Die Beziehungen der neuen Generation.
und Kazinczy in der Selbsttäuschung leben konnte, daß die neue Literatur seine Richtung fortsetzen werde. Von Kazinczy gibt es aus dieser Zeit zwei sehr bezeichnende Äußerungen. Die eine lautete: es gäbe Menschen, die er lieben wolle, aber Szemere sei der einzige, den er lieben würde, auch wenn er es nicht wolle. — Kazinczy bot alles auf, die Mitglieder des Aurorakreises an sich zu fesseln. Er zwang sich, auch sie zu lieben, denn er war auf sie angewiesen. Aber es gelang ihm nicht. Die andere Äußerung tat er, als ihm der Widerspruch zum Bewußtsein kam, .den seine Rezensionen hervorriefen: er werde nur noch jene Werke besprechen, über die er Gutes sagen könne. Von Karl Kisfaludy lobte er nur die Jamben, für die Beurteilung seiner Dramen fühlte er sich nicht zuständig. ÜberVörösmarty, den er folgerichtig mit Kovacsoczy gleichsetzte, schwieg er sich vor der Öffentlichkeit aus. In seinen Briefen an Toldy überhäufte er ihn mit Lobpreisungen; aber den vertrauten Freunden, Guzmics und Rumy, gestand er, daß er die neue Literatur nicht verstehe. Kazinczy behauptete wiederholt vergebens, er wolle gerne noch von Kindern lernen. Trotz seines Liberalismus und seiner einstigen revolutionären literarischen Gesinnung war er einer der konservativsten Dichter: sein Geschmack und seine literarische Praxis erstarrten verhältnismäßig früh. Zu den Jüngsten wandte er sich nur, um sie zu führen. Sobald sie auf eigenen Füßen zu gehen begannen, vermochte er mit ihnen nicht mehr Schritt zu halten. So bietet sich das traurige Schauspiel, daß der Meister von seinem eifrigsten Schüler angegriffen wurde, während er selbst über die einstigen »Gottessöhne« mit den Worten loszog: »Eine Bande, eine ekelhafte scheußliche Bande ist das . . . Diese frechen Bastarde sollte man zum Schweigen bringen1).« Kazinczys Vertrauter in Pest war damals nicht mehr Toldy, sondern der 18jährige Ladislaus Szalay, den Bajza und seine Freunde seiner Jugend wegen nicht leiden mochten, und das Kind Baron Josef Eötvös, dem er sein letztes Buch, die »Pannonhalmer Reise« widmete. Das Verhältnis der jungen Generation zu den transdanubischen Dichtern war nicht besser. Karl Kisfaludy schrieb zwar an Georg Gaal, mit dem er deutsch korrespondierte, ihn habe das Beispiel seines Bruders zum Schreiben ermuntert: »Empfänglich für das Schöne, beseelte mich zuerst mein ältester Bruder Alexander; hätte er (Himfy) ') K . L . X X I , 5 3 8 . 560.
Das Verhältnis zu Kisfaludy.
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nicht geschrieben, schwerlich hätte ich je daran gedacht1),« Seine patriotischen Dramen waren größtenteils schon fertig, als er nach Pest kam und mit dem Namen Kazinczys bekannt wurde. Die erste Lektüre Vörösmartys, ebenso wie Czuczors waren Alexander Kisfaludy, Virag und Berzsenyi. Die dichterische Laufbahn dieser drei transdanubischen Katholiken begann in der Literatur Transdanubiens. Aber ihnen allen war die Dichtung Himfys, wie die Kazinczys, abgeschlossene Überlieferung, ohne lebendige schöpferische Kraft, war nur noch Vergangenheit, die ihnen, den Zukünftigen, die Tore geöffnet hatte. »Mein Bruder und ich«, schrieb Karl Kisfaludy später an Georg Gaal, »sind rücksichtlich der Sprache ewig uneins, er ist ein Feind der Neuerungen und ich behaupte, daß wir noch eine Dichtersprache bilden müssen, wenn wir nicht immer stehenbleiben wollen. Er behauptet, ich kann nicht ungarisch und bin ein Sprachverderber; und ich sage, daß bloße rhythmische Arbeiten ohne Metrum sich nie zum bleibenden Kunstwerk erheben2).« — Ganz als hörte man Kazinczy! Die beiden Brüder folgten verschiedenen Theorien. Auch Alexander bestätigte in seinen biographischen Anmerkungen, daß er sich von seinem Bruder nicht nur menschlich, sondern auch seiner Dichtung nach gründlich unterschieden habe. Es bestand nie ein näheres Verhältnis zwischen ihnen. Alexander zog sich auch bald völlig von der Aurora zurück. Angeblich hörte er es nicht gerne, wenn in seiner Anwesenheit von seinem Bruder als von einem Dichter gesprochen wurde. Vörösmarty äußerte sich über Alexander Kisfaludy nur zurückhaltend. Gegen sein übertriebenes vaterländisches Pathos aber brach er los: »Sein bis zum Ekel gepredigtes Ungartum langweilt mich,« schrieb er an Stettner. Er besuchte ihn zwar persönlich, doch kamen sie einander nicht näher. Später, bei der Verteilung des Großen Preises der Akademie, wurden sie gegen ihren Willen einander gegenüber gestellt. Die übrigen Angehörigen der neuen Generation hatten mit den transdanubischen Dichtern noch weniger Verbindung. Andreas Horväth zog sich nach dem Erscheinen des »Zalän Futäsa« immer mehr zurück; daran war freilich auch seine Krankheit schuld. Berzsenyi ») K. K. M. M. VI. 293. *) Ebda. VI. 344.
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Die Beziehungen der jungen Generation.
stand ebenso wie Johann Kis der neuen Literatur fremd gegenüber, Döbrentei war von Anfang an ihr geschworener Gegner. Die transtisische reformierte Richtung der neuen Literatur stand zu der vorausgehenden transdanubischen Strömung niemals in näheren Beziehungen. Szemere und Kölcsey waren in Transdanubien durch ihre »Felelet a Mondolatra« und Kölcseys Rezensionen bei der älteren Generation, Katholiken so gut wie Protestanten, verhaßt geworden. Auch die Trias ging bekanntlich bald auseinander. Mit der voraufgehenden ausländischen Strömung brachen sie in dem Augenblick, da Kölcsey seinem Meister Kazinczy die Gefolgschaft kündigte. Kölcsey wurde sich 1817 in Pest mit Erstaunen darüber klar, daß die ungarische Literatur eine ganz andere Richtung einschlug, als er sie bei Kazinczy gesehen hatte. Als ihm die Forderungen der neuen literarischen Entwicklung in Ungarn zum Bewußtsein kamen, zog er sich ernüchtert auf sein Gut zu Cseke zurück und schrieb nahezu fünf Jahre lang nichts. Als er darauf in der Aurora wiederum die literarische Kampfbahn betrat, kam er durch eigene Überlegung zu den gleichen Ansichten, wie sie auch die neue Literatur zur Grundlage hatte. Szemeres elastischer Geist nahm eine ähnliche Entwicklung. Auch seine Beziehungen zu Kazinczy erkalteten, ihr Briefwechsel erlosch. — Andreas Fay widmete Kazinczy noch sein erstes Werk. Später aber entfernte er sich immer mehr von ihm. Von 1820 bis zum Tode Kazinczys schrieb er ihm nur einmal und nur um ihn von Vitkovics' Ableben zu verständigen. Was die junge Generation der Transdanubianer dazu bewog, sich Kazinczy zu nähern, war nur die anfängliche Gleichheit der literarischen Prinzipien. Als Menschen haben sie sich niemals verstanden. Was die Transtisier dem einstigen Meister entfremdete, war nur der Gegensatz der literarischen Meinungen. Den Menschen haben sie auch weiterhin verehrt. Als Toldy und seine Genossen Kazinczy als Dichter und als Menschen angriffen, nahm Kölcsey ihn in Schutz: »Mahne Bajza«, schrieb er an Bartfay, »sie sollen den heiligen Alten schonen. Jeder Mensch hat seine Schwäche; dieser aber, und wenn er tausendmal mehr Schwächen hätte, hat Anspruch nicht nur auf unsere Achtung, sondern im höchsten Maße auch auf unseren Dank I1)«
1) K. F. M. M. X. 222—223.
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Die soziale Lage der Dichter.
Durch die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der neuen Generation wurde das literarische Leben alsbald der Wirklichkeit nähergebracht und um viele Werte bereichert. Die Träger der neuen Literatur lebten und wirkten alle — mit kürzeren Unterbrechungen — in Pest. Sie machten Pest zum literarischen Zentrum des Landes, standen in ständiger Berührung miteinander, beeinflußten sich gegenseitig und regten sich zur Arbeit an. Im Anfang des Jahrhunderts lagen noch Berzsenyis Schriften jahrelang in seiner Schublade verborgen, bis Johann Kis sein Dichtertum entdeckte. Und daraufhin dauerte es fast weitere zehn Jahre, bis sein Buch erscheinen konnte. In Pest wurde aber jeder dichterische Einfall fast noch im Augenblick seines Entstehens Allgemeingut und Gegenstand der öffentlichen Kritik. Früher schrieben die Dichter nur, wenn eine Eingebung sie antrieb; dann waren sie gezwungen zuweilen jahrelang nach einem Verleger zu suchen. Jetzt aber mußten sie schreiben, für die Aurora, für die belletristische Beilage der Tudomänyos Gyüjtemeny und den Musarion, die zu bestimmten Terminen zu füllen waren. Auf diese Weise entstanden die Novellen Kisfaludys und die großen Epen von Vörösmarty. Es ist bezeichnend, daß Vörösmartys fruchtbarste lyrische Jahre die Jahre von 1828 bis 1833 waren, als er die Tudomanyos Gyüjtemeny und deren Beilage, die Koszoru (Kranz), redigierte. Sie schrieben damals um Verdienst, denn Dichtung war ihnen nicht mehr Zeitvertreib leerer Abendstunden, sondern Broterwerb. Karl Kisfaludy und Vörösmarty waren nur noch Dichter. Und Toldy verließ um der Dichtung willen seine ärztliche Laufbahn, Bajza den Beruf des Advokaten. Die gesellschaftliche Stellung der Dichter wandelte sich, es änderte sich auch ihr Verhältnis zueinander. Ein dichterischer Stand bildete sich aus, der eifersüchtig über seine Ehre wachte und die Zudringlichen, Gewissenlosen und Unbegabten fernhielt. Echte Freundschaft verknüpfte die Angehörigen dieses Standes. — Die literarischen Freundschaften der vorigen Periode waren eigentlich nur Schreibfreundschaften gewesen. Kazinczy hatte Adam Horväth, mit dem er empfindsame Briefe wechselte, Johann Kis, den er für den größten ungarischen Dichter und seinen besten Freund hielt, kaum etliche Male in seinem Leben gesehen. Ihrem literarischen Briefwechsel merkt man an, daß er bewußt für spätere Zeiten abgefaßt war. — Die Angehörigen der neuen Generation dagegen hatten gemeinsame Erlebnisse, ihre Freundschaft galt dem einzelnen und verwischte die kulturellen und konfessionellen Unterschiede, die P a r k a s , Romantik in Ungarn.
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Die Beziehungen der jungen Generation.
in der vorigen Periode noch eine so große Rolle gespielt hatten. Sie trafen sich in Bartfay's Haus; im Mittelpunkt stand Karl Kisfaludy: seine bewegte Vergangenheit, seine glänzenden Erfolge, seine bezwingende Persönlichkeit. Er war eine Autorität. Toldy schrieb an Bajza, seine glücklichsten Stunden seien jene, die er in seiner Gesellschaft verbringe und er sei froh nur seine Werke abschreiben zu dürfen. Ebenso fühlten die übrigen. Konfession und Herkunft wirkten nicht mehr als trennende Gegensätze. Vörösmarty und Stettner verband innige Freundschaft für ihr ganzes Leben, ebenso Toldy und Bajza. Sie ordneten einander ihre Werke für den Druck und veröffentlichten sie unter dem Titel: »herausgegeben von seinem Freunde . . .« Kölcsey war Kisfaludy und Vörösmarty sehr zugetan, für Toldy und Bajza indes hatte er nicht allzuviel übrig. Vörösmarty hielt er für den größten ungarischen Dichter. Als später ein Sekretär für die Akademie gewählt werden sollte, machte Vörösmarty seinen ganzen Einfluß zugunsten Kölcseys geltend gegen Toldy, der sich später auch um Kölcseys willen zurückzog. Aber nicht nur in der Literatur standen sie einander bei, sondern auch im privaten Leben des einzelnen. Wie sehr unterschied sich der Ton ihrer Briefe von dem der vorigen Periode! Bei Vörösmarty begegnet zum erstenmal jener unmittelbare Humor, der später den Briefwechsel Petöfis und Aranys zu einer so erfrischenden Lektüre machte. Das Zusammenleben der Dichter innerhalb einer Stadt und die Möglichkeit des unmittelbaren Gedankenaustausches veränderten den Rhythmus der literarischen Entwicklung. Fieberhaft schnell folgten Bücher und Zeitschriften aufeinander. Das Verhältnis der Dichter zur Gemeinschaft wandelte sich in gleichem Maße. Die neue Literatur hatte sich, wie gesagt, die Erziehung der Leserschaft zum Ziel gesetzt. Karl Kisfaludy schmeichelte nach seinem eigenen Geständnis den Schwächen des Publikums, um es ins Theater zu locken. Was schon in Transdanubien von Vorteil war, daß nämlich der Leser seine Dichter kannte und sah, traf noch viel stärker in der Hauptstadt zu. Dort sah dem Aufzug der Dichter bei der Verteilung des MarczibanyiPreises eine Menschenmenge zu wie etwa dem Aufzug der Landtagsabgeordneten in Preßburg. Kazinczy fand es lächerlich, wenn Aranka sagte, man müsse so schreiben, daß es ein jeder Mensch verstehe, selbst die Kutscher!!! »Leider«, fügte Kazinczy hinzu, »schreiben die meisten so1).« Das betonte Bestreben der neuen Generation dagegen ') K . L . XX. 475.
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Die Leserschaft.
war, allgemein verstanden zu werden und möglichst viele Leser zu gewinnen. Das Publikum wurde zu einem wichtigen Faktor des literarischen Lebens. »Alles Glück«, schrieb Kölcsey an Szemere, »hängt vom Publikum ab. Die Dichter führen es zwar, aber nur wenn es freiwillig dem Zügel folgt. Gegen seinen Willen würden sie vergebens versuchen es anzuspornen1).« Nun fanden sich auch schon Verleger, die den Dichtern ihre Werke honorierten. Sie waren alle deutscher Herkunft. Pest-Ofen stellte, obgleich das Bürgertum der zwanziger Jahre bis zu 9 0 % deutsch sprach, doch einen bedeutenden Teil der Leserschaft. Schon 1816 stammten von den 367 Subscribenten Kazinczys 127 aus Pest. Pest entwickelte sich nach und nach zum Treffpunkt des gesamten Ungartums. Die große Masse der Leserschaft aber rührte noch immer aus Transdanubien her. Es war das die Folge davon, daß die vom Ausland bestimmte Literaturströmung Transtisiens auf das Publikum keine Rücksicht genommen, sondern es in seiner Rückständigkeit belassen hatte, während man in Trandanubien von vornherein auch an die Leser dachte. Die Dramen Karl Kisfaludys wurden in Szekesfehervär, Pest, Ofen, Fünfkirchen, Balatonfüred, Veszprem und Preßburg gespielt und kamen — abgesehen von je einer Aufführung in Arad und Szeged — erst am Ende der 20er und in den 30er Jahren nach Transtisien und Siebenbürgen. — Die Aurora fand die meisten Abnehmer in Transdanubien und zwar innerhalb des katholischen Klerus. Ebenso VörösmartysZalän. Guzmics warb 10, Czuczor 11 Abonnenten. Unter diesen 21 Beziehern waren 20 Geistliche. Die transdanubischen geistlichen Freunde Vörösmartys: Klivenyi, Tesler und Egyed warben mit. Für den »Zalan« fanden sich nur 88 Subscribenten. Andreas Horväths »Ärpäd« hatte größeren Erfolg: 382 bestellten ihn. Die Subscribentenwerber waren fast durchwegs katholische Priester. In 16 Städten wurde geworben, aber nur in Transdanubien. Horväths Erfolg mag darin seine Erklärung finden, daß er selbst Geistlicher war und aus Transdanubien stammte. Aber auch unter den 4Ötransdanubischen Subscribenten Kazinczys waren 31 katholische Geistliche. Auch der Kalvinist G Y U L A I stellte in seiner epochemachenden VörösmartyBiographie fest, es sei ergreifend, welche ruhmreiche Rolle der katholische niedere Klerus Ungarns in der Periode der Neubelebung der ungarischen Nationalliteratur gespielt habe, weit rühmlicher als die pro') K . F . M. M. I X . 295. 6*
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Die Beziehungen der jungen Generation.
testantische Geistlichkeit I ). Und so war es kein Wunder, daß 1830 bei der Gründung der Akademie unter den zwölf dichtenden Mitgliedern zehn Transdanubier waren und die Geistlichen die Mehrzahl bildeten. Der liberale Toldy warf denn auch in der ersten Sitzung den Grafen Teleki und Széchenyi vor: »Aber meine Herren, 11 Priester! Da wird ja die Akademie zum Kloster 2 )!« Und doch — wie in der neuen Dichtung die Katholiken Transdanubiens und die Protestanten Transtisiens sich zusammenfanden, so gelang es in der zweiten Hälfte der Periode auch ein geschlossenes Publikum zu schaffen. Gabriel Fabian teilte Vörösmarty von Arad aus mit, »Zalän Futasa« werde in der Theißgegend viel gelesen; und er setzte hinzu: »Besonders unser Geistlicher ist sein andächtiger Verehrer; überall rezitiert er die Stellen, die ihm am liebsten sind3).« — Kölcsey schrieb an Toldy, die Szatmârer kannten das Epos Zalân sehr gut: »Vörösmarty hat hier viele Verehren).« Und ebenso verbreitete sich der Ruf Kölcseys in Transdanubien, wo man seinen Namen noch wenige Jahre vorher für erdichtet gehalten hatte. 1827 teilte Szemere Kölcsey mit: »Du hast am anderen Ufer der Donau aufrichtige Freunde; wie etwa die Sümeger, Téter, Panonhalmer Schriftsteller, die ich im Sommer besucht habe.5)« Eine ähnliche Mitteilung machte 1829 auch Bajza aus dem Alföld:» Ich war in Tura, einem kleinen Dorfe zwischen Hatvan und Bag; was für eifrige Leser gibt es hier! Die Namen Kisfaludy, Kölcsey, Vörösmarty verehrt man dort bis zur Verblendung 6 ).« So entwickelte sich aus den wechselseitigen Beziehungen zwischen Schriftstellern und Publikum das Bild eines neuen literarischen Lebens, das die früher auseinanderstrebenden nationalen Kräfte in einer Richtung zusammenfaßte. ") GYULAI P X L : Vörösmarty életrajza. *) K . L. X X I .
483.
3) V . E. 255. 4) K . F. M. M. X . 342.
5)
Sz. P. M.
III.
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') B. J. Ö. M. V I . 280.
Bp. 19005.
S. 25.
8. Landschaftsbetrachtung und Weltanschauung der Romantik. Ehe die synthetische Betrachtung weitergeführt wird, verdient die Frage untersucht zu werden, wie weit sich das landschaftliche und konfessionelle Element im Bewußtsein der Hauptvertreter der neuen Literatur offenbarte, und wie sich — abgesehen von den äußeren Einflüssen des literarischen Lebens — der Kalvinismus Transtisiens und der Katholizismus Transdanubiens in der Seele der Dichter einander näherten. Man braucht nicht darauf zu verweisen, daß die neue Generation sich der Scholle nicht mehr so stark verbunden fühlte, wie es die vorhergehende getan hatte. Karl Kisfaludy zog schon als Kind vom Lande weg. Er durchstreifte die Welt und wäre — hätte er eine Einwanderungserlaubnis bekommen — leichten Herzens auch in Rußland ansässig geworden. Sein Vater enterbte ihn und so blieb ihm kein Recht mehr auf das Gut seiner Ahnen. Sein Mannesalter verbrachte er in Pest, der aufstrebenden Hauptstadt, und verdiente sein Brot mit Feder und Pinsel. Seine transdanubische Abstammung wirkte nur noch unbewußt in ihm nach: einige seiner Lustspielfiguren erinnern an Typen aus Transdanubien; auch das Leben der Adelsgüter, das er beschrieb, war transdanubisch. — Über seine Weltanschauung ist wenig Sicheres bekannt, aber gerade das ist bezeichnend. Er war bald Soldat, bald dichtender Bohemien, liberal wie seine Zeit. So dachte er auch daran ein jüdisches Mädchen zu heiraten. — Als eines seiner Dramen von der geistlichen Zensur stark gekürzt wurde, schrieb er spottend an Gaal: »Der neue Primas ist gar ein vigilanter Herr — wenn's so dauert, so schreibe ich ein Gebetbuch 1 ).« Vörösmarty fand sich besser in die transdanubische Umgebung ein als Karl Kisfaludy. Er hatte dort seine Kindheit verbracht, seine nächsten Freunde waren Transdanubier, nicht nur die drei Priester, mit denen er über seine Jugend hinaus allerdings keine Verbindung ') Kisfaludy Käroly Minden Munkäi. Budapest 1893. V I . 324.
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mehr aufrecht erhielt, sondern auch Gabriel Fabian, Georg Stettner und endlich Franz Deäk, der ungarische Staatsmann, zu denen er sein Leben lang in innigster Beziehung stand. Menschen und Landschaft hielten ihn dort gefangen. Wie seine Phantasie, als er noch ein Kind war, auf dem Meleghegy am Velenzer See (von wo man weit auf das Donauland hinaussah), zum erstenmal geweckt worden war, so erhielt auch seine dichterische Einbildungskraft ihre ersten Anregungen auf einer Reise nach Transdanubien, die er mit den PerczelKnaben, deren Erzieher er war, im Herbst 1821 unternahm. Die Besichtigung der Burg von Siklös bewog ihn zu einer dramatischen Trilogie, vor Szigetvar erinnerte er sich Zrinyis. In »Szeplak« beschrieb er die Gegend von Bonyhäd. Seine erste größere Reise war eine Fahrt durch Transdanubien, auf der er von Georg Stettner begleitet wurde. Bei dieser Gelegenheit besuchte er die transdanubischen Dichter Alexander Kisfaludy und Andreas Horväth, nahm auch am Begräbnis Papays teil. Die übrigen Teile des Landes lernte er erst während der 30er Jahre kennen. Eine eingehende Motivforschung vermöchte die transdanubischen Elemente der Dichtung seiner ersten Periode leicht nachzuweisen. Für das transdanübische Gepräge seiner Landschaftsbetrachtung ist auch kennzeichnend, was er nicht sah. Als er später das Alföld durchreiste, berichtete er folgendermaßen von seinen Erlebnissen: »Über die Gegend kann ich nicht viel schreiben, denn sie ist — abgesehen von den Randgebieten — eben und gleichförmig, wie die Langeweile. — Ich sah die schmale Theiß in ihrem tiefen Bett träg hinfließen, ich sah die fast ausgetrocknete Körös in ihrem breiten steinigen Graben vorwärtsgleiten, und all diese Neuigkeiten haben mich weder begeistert noch haben sie die ewige Gleichförmigkeit unterbrochen1).« Petöfi war noch nicht, der die Schönheit des Alföld und der Theiß entdecken sollte! Wenn Vörösmarty nach Ruhe verlangte, ging er nach Transdanubien. Dort war er zu Hause. Aber ein tätiges Leben konnte er sich nur im Zentrum, in Pest, denken. Daß er als Anfänger nach dem Vorbild Berzsenyis in zwei Gedichten das hauptstädtische Leben besang, ward schon erwähnt. Obgleich diese Gedichte nur Nachahmung waren, waren sie doch kennzeichnend für seine geistige Haltung: » . . . erlaube mir, Freund! Daß ich das Lob der Riesenstadt ') V . E . 3 1 7 .
Religiöse Gleichgültigkeit.
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Singe, wo alle Dichter Den Zauber des stillen Lebens schätzen Und die lachende Ruhe des Landes. Wie Karl Kisfaludy löste sich auch Vörösmarty von der Scholle; er war nicht mehr adeliger Grundbesitzer, wie die Dichter der vorigen Periode, sondern nur noch Dichter. Auch für Vörösmarty war die Natur, wie für Kölcsey, ohne Menschen seellos. Aber ihn fesselten doch geheime Bande an den Heimatsort und als sein Einkommen aus seiner Dichtung groß genug war, kaufte er sich Feld und Weinberg. — Vörösmarty wurde zwangsläufig zum Städter. Aber seine Seele blieb zum andern Teil doch transdanubisch. Toldy und Mailath waren von Geburt Städter. Bajza und Stettner zwar noch adelige Grundbesitzer, trieben aber nicht mehr Landwirtschaft. Sie lebten in der Stadt ohne rechte Verbindung mit der Erde. »Es sind kaum fünf Wochen «, schrieb Bajza aus Oroszi an Toldy, »daß ich nach zweijähriger Abwesenheit zu Hause bin, und schon bin ich des Landlebens müde. Ich müßte ewig tätig, ewig in Bewegimg sein, damit meine Seele Nahrung findet; sonst werde ich im Wirbel der Untätigkeit verlorengehen. Hier habe ich keine Beschäftigung. Zur Arbeit fehlt mir die Kraft, mit einem Menschen von ähnlichem Gefühl und Denken kann ich nicht sprechen. Nach Pest sollte ich gehen, nach Pest1).« Das landschaftliche Element war im Bewußtsein der neuen Generation kein trennender Faktor mehr. Noch weniger war es der Gegensatz der Konfessionen. Ihn strebte man zu unterdrücken, wo er sich zeigte. Die Jugend hatte von der voraufgehenden Periode das Gedankengut, die religiöse Gleichgültigkeit und die Duldsamkeit der Aufklärung übernommen. Bowring, der 1830 eine Anthologie der ungarischen Poesie in englischer Sprache herausgab, schrieb, offenbar von Döbrentei unterrichtet: »The odium Theologicium — some times breaks very offensively through the writings of Hungarian divines.« Aber gerade Döbrentei war ein gern gesehener Gast der transdanubischen Ordenshäuser und Andreas Horväth hatte den schönsten Baum in seinem Pannonhalmer Weingarten Gabors-Baum getauft. Das Zeitalter übte die Toleranz aufrichtig und aus Überzeugung. Weltanschauungsprobleme quälten die neue Generation nicht mehr. Der Katholisierungsprozeß, wie er in der deutschen Romantik zu beob') B . J . Ö. M . V I .
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Landschaftsbetrachtung u. Weltanschauung.
achten ist, gewann in Ungarn nicht Boden. Daß Ladislaus Ungvarnemeti Toth und Georg K. Rumy zum katholischen Glauben übertraten, hatte kaum tiefere seelische Gründe als etwa der Glaubenswechsel Bessenyeis sie gehabt hatte. Von der Weltanschauung Karl Kisfaludys war schon die Rede. Bajza und Toldy gehörten trotz ihrer religiösen katholischen Erziehung (auch Bajza war bei den Piaristen zur Schule gegangen) zur liberalen Generation, die in Glaubenssachen keine Autorität mehr anerkannte. Bajzas Priester- und Kirchenfeindlichkeit, die später in seinen Schriften zum Ausdruck kam, wirkte wahrscheinlich auch auf Toldy. Mit zwanzig Jahren plante Toldy ein Werk über den Pantheismus, den er als die poetischste Religion bezeichnete. Am kennzeichnendsten für diese Zeit aber war die geistige Entwicklung Vörösmartys. Seine gläubigen Eltern, seine religiöse Umgebung, seine Erziehung in katholischen geistlichen Schulen hatten den Geist des Katholizismus tief in seine Seele gesenkt. In den dichterischen Versuchen seiner Jugend zeigte sich seine innere Religiosität noch in ihrer ganzen Unberührtheit. Noch 1822 schrieb er an Anton Egyed: »Nur selten erfüllt mein Herz Unwille und Zweifel. Denn ich setze meine Hoffnung auf Gott und solange dies währt, fürchte ich nichts1).« Es wäre schwer, eingehend zu erweisen, was Vörösmarty in seinem kindlichen Glauben erschütterte und wie er zu einer religiösen Gleichgültigkeit kam, die sich mit Abneigung gegen den geistlichen Stand der Kirche vereinte. Bei dieser Wandlung mögen verschiedene Faktoren mitgewirkt haben. Seine freidenkerische Umgebung in Pest vermittelte ihm das Gedankengut der Aufklärung. Sein Freund Klivenyi war es vielleicht, der zum ersten Male seine Antipathie gegen die Kirche als System erweckte. Klivenyi sandte nämlich seinem Freunde aus dem geistlichen Seminar, in dem er sich auf seinen Beruf vorbereitete, verzweifelte Briefe: »Wessen Herz ungarisch fühlt, d. h. gerade, empfindsam und stolz ist, der gehört nicht hierher . . . Der Orden, in dem ich lebe, ist zwar heilig und wohltätig, aber verflucht sollen seine Mitglieder sein, die unter dem Mantel der Heiligkeit Unheil stiften2).« — Seine transdanubischen Freunde machten ihn mit Feßler und Byron bekannt. Feßler entnahm er den Stoff eines deutschsprachigen Epenfragments3), in dem ein junges ') v. E.
167.
*) Ebda. 284. 3) S. Ungar. Jahrb. I X . 25.
Vörösmartys Katholizismus.
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Mädchen von Nonnen eingeschlossen gehalten wird und das ein teuflischer Priester zu verführen sucht. Im Stil Feßlers und Byrons zog der Dichter hier wider den Klerus los. Dabei gab er seinem reinen Deismus folgenden Ausdruck: Gott, gerecht, den alle Welten preisen, Warum hast du mich versperrt ins Kloster, Dort verwelkend könnt' ich dir nicht danken, Fluchen könnt' ich Dir und Deinen Werken, Doch nun selig, glücklich über alles, Bet ich an im Sturme Deine Macht, Deine Güte in dem heitern Himmel. Daß der historische Stoff nicht die einzige Anregung zu diesem Einfall war, beweist ein früheres Gedicht mit dem Titel: »Templomba zäratasomkor« (Gefangenschaft in der Kirche). In humoristischer Form erzählt der Dichter darin eine möglicherweise wahre Begebenheit: er sei in der Kirche eingesperrt worden, die gemalten Heiligenbilder hätten ihn schrecklich angestarrt, Gott aber habe er vergebens gesucht: »O, fort von hier, weit fort, wo plätschernd Das Wasser niederrinnt, die Bäume blühn Und schön der reine Himmel steht; Dort bete ich ihn an in meinem Herzen, Dort wirft er seine bösen Augen nicht auf mich.« Im Jahre 1830 ließ er in der Koszoru sein Epigramm unter dem Titel »Pazmän« erscheinen: »Pazmän, Hörer der reinen Wirklichkeit in den Himmeln, Bekehrter Bekehrer stehe ich vor Gott Und künde neue Lehre, höre und nimm sie in dein Herz auf o Ungarnvolk: Brüder seid ihr, ein Sünder, der haßt.« In den späteren Ausgaben änderte er die letzte Zeile: »Der heiligste Glaube ist Vaterland und Menschheit.« Beide Variationen sind bezeichnend für Vörösmarty, der sich früh über die konfessionellen Gegensätze hinwegsetzte und der die Liebe zum Vaterland und den Dienst an der Menschheit später zu seinem Glaubensbekenntnis erhob. Wenn man unter Katholizismus das Resultat hundertjähriger Traditionen, das Ergebnis von Milieu, Erziehung und seelischer Anlage versteht, so war kaum ein Dichter katholischer als Vörösmarty. Man braucht nur an seine mythologische
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Phantasie, an ihre Irrationalität oder an Gedichte wie »Hedwig« zu denken! Aber den Katholizismus als positive Weltanschauung, als das Bewußtsein einer besonderen konfessionellen Gemeinschaft hat Vörösmarty verleugnet. Stettner schrieb an Kazinczy über ihn: »Einmal sagte Virag zu ihm: Bruder, wir sind Papisten, schreiben wir deshalb mit y, wie es Papisten ziemt — seitdem besuchte er Viräg nicht mehr so häufig1).« Unter den Mitarbeitern der Aurora fand sich nur einer, der seinen Katholizismus offen betonte: Graf Johann Mailäth. Von einem seiner Gedichte schrieb er selbst an Kazinczy, daß die Romantik des Katholizismus es durchdringe. In seinem deutschsprachigen literarhistorischen Überblick, mit dem er seine 1825 herausgegebene Anthologie »Magyarische Gedichte« einleitete, gab er der Reformation die Schuld am Verfall der ungarischen Literatur. Den Protestanten gegenüber voreingenommen zu sein, bestritt er freilich von vornherein! »Ich bin katholisch, hoffe aber, daß meine protestantischen Landsleute in dem hier ausgesprochenen Urteil keine einseitige Ansicht suchen oder aufspüren werden.« Seiner Meinung nach fing die Literatur in Ungarn erst an aufzublühen, als die Protestanten die Katholiken nicht mehr mit Haß betrachteten. Dieser literarische Katholizismus Mailäths hatte seine Wurzeln in Österreich. Davon wird später noch zu reden sein.
Die Vertreter des transtisischen Kalvinismus, die sich der neuen Literatur anschlössen, Fäy, Szemere und vor allem Kölcsey, machten eine ähnliche Entwicklung wie die transdanubischen Mitglieder der neuen Generation durch. Alle drei waren adelige Grundbesitzer; Szemere hatte sein Gut in Pecel, lebte aber fast immer in der Hauptstadt. Andreas Fäy verließ 1823 seinen Besitz zu Gomba und zog endgültig nach Pest. Kölcsey sah den Hauptwunsch seines Lebens, wie schon gesagt, darin, sich von der Landwirtschaft loszumachen und in Pest leben zu können. 1823 schrieb er wiederum an Szemere: »Könnte ich nur Cseke verlassen, könnte ich nur bei Dir sein!.. .« Auch später klagte er: »Für jemanden, der wissenschaftlich arbeiten will, paßt nur die Stadt und zwar die Hauptstadt2).« Seine Ver') K . L . X I X . 392. ») K . F . M. M. I X . 303. 360.
Kölcseys Fragmente.
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hältnisse, der Tod seines Bruders verhinderten die Erfüllung seines Wunsches. Aber zu einer Hälfte war sein Geist immer in Pest. Die Entwicklung der Weltanschauung Kölcseys war charakteristisch für die kalvinistische Generation, der er angehörte. Aber die individuellen Gaben seines Geistes ließen ihn die geheimnisvollen Kräfte des Katholizismus begreifen. Unter den zeitgenössischen Dichtern war er zweifellos der belesenste, er dachte am unablässigsten und tiefsten. Der liberalen Auffassung getreu äußerte er sich über seinen Glauben nicht: »Die Zeit, von meiner Religion zu sprechen, wird erst kommen, wenn ich nicht mehr sein werde oder wenn ich selbst den Späteren einen Rückblick über meine dichterische und menschliche Laufbahn geben will1)« schrieb er in seinem biographischen Brief an Szemere. Kölcsey hatte also eine Religion. Es war schon davon die Rede, daß die Kontroverse Kazinczys mit dem Pápaer Theologen Tóth ihn erstmals zum Nachdenken über Fragen der Weltanschauung anregte. Der 17jährige Jüngling, der nach Schönheit und Wärme begehrte und den die Kälte des Debrecener Kalvinismus zur inneren Einsamkeit verurteilte, schrieb begeistert an Kazinczy: »Das schönste Jahr meiner Jugend habe ich unter den Blüten der griechischen Philosophie verbracht. . . . Ich kenne den Glauben der Christen allein aus dem Evangelium und aus Klopstocks Messias. Er ist ganz, wie die Eleusinischen Mysterien oder die Höhle der Sibylle, voll von Ahnung, Staunen und Geheimnis. Wenn ich unter den Sekten zu wählen hätte, würde wohl auch ich der die Palme reichen, die sich nach Rom nennt*).« Diese Gedanken gärten in ihm während seiner Csekeer Einsamkeit weiter. Wahrscheinlich las er auch einschlägige Bücher von Villers, Bayle, Herder und vielleicht, obgleich er ihn nicht erwähnt, Novalis. Daraus erwuchs der Ideengehalt seines philosophischen Abrisses, der die verschiedenen Einflüsse zu einem individuellen Ganzen verschmilzt. Der Aufsatz erschien stark verstümmelt unter dem Titel »Toredékek« (Fragmente) 1826 in der Zeitschrift »Élet és Literatura« (»Literatur und Leben«). Er verglich darin Katholizismus und Protestantismus; die Reformation faßte er historisch auf und erklärte sie vom Gesichtspunkte der menschlichen Entwicklung aus — ebenso wie Mailáth — für schädlich. Die geistige Aufklärung hätte sich auch ohne die kirchliche Revolution ') Ebda. I X . 396. í) K . L . X I . 91.
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vollzogen, da sie ja schon vor der Reformation begonnen habe, und zwar eben in Rom. Der großartige Aufschwung der Künste und Wissenschaften sei gerade der römischen Kirche zu verdanken. Wiederholt habe sie Europa vor dem Untergange gerettet. Dagegen sei der wilde Aufruhr der Reformation nichts anderes als ein Beutezug der deutschen Fürsten gewesen. »Und das Volk, das seit den ersten Anfängen eines gesellschaftlichen Lebens nur ein Werkzeug in den Händen der Größeren und Klügeren war, vergoß verblendet sein Blut, wie es meinte, für Wahrheit und Recht, tatsächlich aber für den Nutzen seiner Fürsten. Die Kultur wurde zurückgedrängt und das Volk gewann nichts, als eine andere Form der Hierarchie.« Der Glaube sei nicht Sache der Vernunft, sondern des Gefühls. Seine tiefsten Geheimnisse könne man nicht verstandesmäßig erfassen, man müsse sie eben glauben. Der Protestantismus gründe sich ebenso auf ihn wie der Katholizismus, es bestünde kaum ein Unterschied zwischen beiden. So kam Kölcsey zu der Forderung nach einer einzigen Kirche. Es ist bezeichnend, daß die Zeitgenossen in dieser Abhandlung eine Verteidigung des Katholizismus und einen Angriff auf die Gedanken der Aufklärung sahen. Der Benediktiner Guzmics begrüßte Kölcsey mit begeisterter Freude und feierte seine Ausführungen in seiner Kritik als den Sieg seiner eigenen zentralisierenden Ideen. Zum Schluß rief er aus: »Dies in unserer Zeit zu verkünden, lieber Freund, ist Heroismus1).« — Und tatsächlich griffen die Liberalen Kölcsey an: Bajza fertigte ihn kurz ab und nannte die Kritik, die Guzmics geschrieben hatte, eine kunstlose Predigt. Gustav Szontägh widerlegte sie im Rahmen einer wissenschaftlichen Abhandlung 3 ). Er fand für die Weltanschauung der Zeit einen ungewöhnlich treffenden Ausdruck. Seiner Meinung nach war Kölcsey ein Opfer der deutschen Wissenschaft, für die der Glaube in erster Linie eine ästhetische Frage war. »Wer die neuere Entwicklung der deutschen Literatur mit kritischen Augen betrachtet, kennt dieses innige Verlangen nach dem Paradies und der Wiege der Künste, nach Rom und der römischen Kirche, das bei den größten neueren Künstlern begegnet und dessen Abglanz auch in dieser Abhandlung von Kölcsey zu erkennen ist.« Mit sicherer Logik nahm er die Vernunft dem Gefühl gegenüber und die Reformation vor der geschichtlichen Be') ß l e t 6s Literatura. 1826. I I . 218. ») E b d a . 1827. IV. 95.
Kölcsey u. Szontagh.
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trachtung Kölcseys in Schutz. Er meinte, beide Kirchen seien notwendig; die eine diene der Kunst, die andere der Philosophie, und so arbeiteten sie mit vereinten Kräften am Fortschritt der Menschheit. Szontagh irrte jedoch, wenn er von Kölcsey behauptete, er habe seine Abhandlung unter dem Einfluß der deutschen Romantik geschrieben. Er verkannte damit die rationalen Wurzeln in Kölcseys Denken. Der Ideengang der »Töredekek« zeigte zwar viele Ähnlichkeit mit Hardenbergs Schrift: »Die Christenheit oder Europa«. Aber die Keime dieser Gedanken waren längst in der Seele Kölcseys vorhanden. Kazinczy hatte sie ihm bekanntlich zum Bewußtsein gebracht. Für Kölcsey war eine seelische Veranlagung wie die Kleists völlig fremd, der gerührt durch die Musik der Dresdener katholischen Kirche ausrief: »Ein Tropfen Vergessenheit' und mit Wollust würde ich katholisch werden.« Kölcsey kam auf rein gedanklichem Wege zu seinen Resultaten. Sie enthielten nicht sein Glaubensbekenntnis, sondern seine wissenschaftliche Überzeugung. Als die geistliche Zensur einen großen Teil seines Aufsatzes strich, schrieb er entrüstet an Szemere: »Auch wenn ich für sie spreche, argwöhnen sie, ich möchte heimlich einen Hieb gegen sie führen; und ob es nun paßt oder nicht, sie schreien immer wie der Trojanische Priester: »Timeo Danaos et dona ferentes.« Ich wollte nichts schenken, sondern allein der Wahrheit dienen. Das Religiöse auch einmal bei uns unter der Richtschnur der Geschichte und Philosophie zu untersuchen, war mein Ziel. Eitles Ziel! Dich erreicht in der Welt der Liturgien niemand1).« In seiner Abhandlung aber liest man folgendes: »Glaubt ihr vielleicht, ich sei auf den Schauplatz getreten, um die Rolle eines Bellarmini oder Päzmäny zu spielen? Nein! Die Kontroversen sind, Gott sei Dank, vorbei. Wissenschaft, Aufklärung und Kultur haben mit frischen Kräften neue Wege eingeschlagen. In unserer Zeit kann mich niemand verdächtigen, daß ich die Jahrhunderte der Finsternis verteidigen wolle.« In solchen Anschauungen begegnete sich Kölcsey mit Vörösmarty, dem Dichter des Päzmän. Der Rationalismus führte Vörösmarty zur religiösen Indifferenz, Kölcsey aber zum Verständnis des katholischen Geistes. Aus dieser Begegnung entstand die ungarische Romantik. Die neue Generation ging von verschiedenen Ufern des ungarischen Lebens aus, belastet mit dem Erbe der ungarischen Zwiespältigkeit. ') K . F . M. M. I X . 301.
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In der ausgleichenden Umgebung der Hauptstadt verflachten die konfessionellen Gegensätze, die freilich damals so wenig weltanschaulich begründet waren wie in der vorhergehenden Periode. Die traditionellen Kräfte, die den Dichter in ihrer landschaftlichen Begrenztheit an die Scholle gefesselt und bisher den Aufschwung des literarischen Lebens gehindert hatten, erloschen. »Wer wollte leugnen«, schrieb Kölcsey in seinen »Fragmenten«, »daß die Vaterlandsliebe durch den einheitlichen Gottesdienst außerordentlich gestärkt wurde, während die Verschiedenheit der Kulte Millionen in ihrem Patriotismus wankend machte? Bewohner derselben Scholle haßten einander, weil sie auf verschiedenen Altären opferten, und fühlten sich mehr zu denen hingezogen, die zwar den gleichen Glauben hatten, aber doch im Ausland wohnten, getrennt von ihnen durch Berge, Flüsse und Meere! Wilder Fanatismus und kaltes Weltbürgertum erstickten die heiße Liebe zum Vaterland.« —• Und tatsächlich, es war nicht anders im 16. und 17. Jahrhundert, als der protestantische Ungar zu Hause von den Katholiken um seines Glaubens willen blutig bekämpft, in Deutschland und Holland aber als Bruder empfangen wurde. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Landschaftliche Herkunft und Konfession machten sich zwar in der Literatur noch geltend, doch nur mehr in unbewußter Färbung. Die kulturellen Gegensätze hingegen, die auch weiterhin bestanden und bis heute bestehen, wurden beseitigt durch eine neue, seit dem Ende des 18. Jahrhunderts immer mehr erstarkende Kraft: durch das Nationalgefühl, das das ganze Ungartum erfaßte.
II. DAS NATIONALGEFÜHL.
i. Die Entwicklung des Nationalgefühls am Ende des XVIII. Jahrhunderts. Das ungarische Nationalbewußtsein, das sich im Laufe des 18. Jahrhunderts immer mehr stärkte, hatte zwei mächtige Quellen: die eine war die mehrhundertjährige Tradition des Ungartums, die sich von Generation zu Generation vererbte, die andere war die französische Aufklärung, die zum größten Teil über Wien nach Ungarn kam. Obwohl die nationale Tradition Gemeingut des ganzen Ungartums war, und die besten geistigen Führer Ungarns, gleichgültig welcher Konfession sie angehörten, von der Aufklärung ergriffen wurden, teilte sich doch die Entwicklung des Nationalgefühls entsprechend den beiden Quellen, aus denen es floß. Der kulturelle Gegensatz der zwei Schichten des Ungartums, der transdanubischen katholischen und der reformierten in Transtisien, wurde dadurch noch deutlicher. Die traditionelle wie die ausländische Strömung begannen mit nationalen Zielsetzungen und stellten sich in den Dienst der nationalen Erneuerung. Es läßt sich daher das Geistesleben der Erneuerung ohne eine Untersuchung des Inhalts, der Ausdrucksformen und der Wandlungen des Nationalgefühls nicht völlig begreifen. — Die Literatur der Erneuerung war nicht nur der Ausdruck des neuen Nationalbewußtseins, sondern auch sein Ergebnis. So führt seine Erforschung zu den lebendigsten Kräften der Literatur hin. Der die nationalen Traditionen erneuernde Katholizismus erlebte eine allmähliche Assimilation, die während der Gegenreformation begann, zur Zeit der Erneuerung sich fortsetzte, und in der Romantik ihren Höhepunkt erreichte. Diese Entwicklung zeigte sich nicht nur in Ungarn. Sie vollzog sich vielmehr mit gleicher Gesetzmäßigkeit in dem Transdanubien benachbarten katholischen Österreich. Während das reformierte Ungartum schon im 16. Jahrhundert die Herrschaft des Lateinischen abgetan, das Ungarische zur Literatursprache erhoben und seinen Glauben zu einem charakteristisch ungarischen Glauben entwickelt hatte, waren dem ungarischen F a r k a s , Romantik in Ungarn.
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Die Entwicklung des Nationalgefühls.
Katholizismus durch das internationale Gepräge seiner Kirche und die Herrschaft der lateinischen Sprache in der Entfaltung seines nationalen Gefühls Schranken gesetzt. Die Nationalisierung begann, als der Katholizismus es für nötig erachtete, seine verlorenen Positionen zurückzuerobern und die breiteren Volksschichten für sich zu gewinnen. Die ersten Vorkämpfer der Gegenreformation entstammten bezeichnenderweise dem reformierten Transtisien: Telegdi und Päzmäny. Ersterer war ein geborener Höriger. Die Hauptträger der Magyarisierung waren überhaupt zumeist Prediger, die aus dem Hörigenstande kamen. An ausländischen Universitäten erwarben sie sich westeuropäische Bildung, verloren aber darüber nicht den Zusammenhang mit dem Volke. Diese Verbindung der reformierten Prediger mit dem Volk wurde (es sei an die Worte Karmäns erinnert) im Laufe des 18. Jahrhunderts immer enger. Die westliche Bildung ihrer Vorfahren vermochten sie sich aber nicht mehr zu verschaffen. — So endete ihre Bedeutung: sie verloren die geistige Führung. — Auch das katholische niedere Priestertum ergänzte sich hauptsächlich aus dem Volk. Während es seinem Berufe nach dem Adel der Nation zugehörte, brachte es doch infolge seiner Abstammung die ursprünglichen Kräfte des Volkstums mit. Diesem katholischen niederen Klerus ist es zu danken, daß der transdanubische Katholizismus sich nicht nur nicht selbst entfremdete, sondern Wahrer und Pfleger der nationalen Traditionen zur Zeit des Unnationalen wurde. — Seine literarische Selbstbesinnung war sein völkischer Selbstschutz. Der katholische Kaiserhof hatte dem Volke seine natürlichen Führer, die Magnaten und den höheren Klerus abwendig gemacht, die katholischen deutschen Siedlungen hatten seine völkische Einheit aufgelöst, während die lateinischen Schulen der Jesuiten das internationale Gepräge seiner Bildungsanstalten verstärkten und die nationalen Überlieferungen in Vergessenheit brachten. Man kann fast sagen, der transdanubische Katholizismus sei sich erst im letzten Augenblick seines Ungartums bewußt geworden. Vor allem war das der Schicht des katholischen Klerus zu danken, der sich seit zwei Jahrhunderten folgerichtig magyarisiert hatte. Diese Magyarisierung — wahrscheinlich unter dem Einfluß der Umgebung der geistlichen Seminare — riß auch die Fremdstämmigen mit sich. So begann gleichzeitig mit der kulturellen Assimilation die völkische. Auch dieser Vorgang weist eine Parallele in der Reformation auf: die Magyarisierung der Sachsen Kasper Heltai und Franz David.
Katholische Assimilation.
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Die Magyarisierung des Katholizismus begann mit dem Kroaten Nikolaus Zrinyi, der dem Ungartum das erhabene Epos der nationalen Aufopferung schenkte. Im 18. Jahrhundert begegnen unter den Assimilierten meist Geistliche: der Serbe Dugonics, der Kroate Fabchich, die Deutschen Räjnis und Szaicz und endlich der Italiener Gvadanyi. Diese Magyarisierung des Klerus erfaßte nach und nach auch den niederen Adel, dessen Nationalgefühl in den Glaubens- und Freiheitskriegen, die er unter deutscher Leitung mit den protestantischen Volksgenossen führte, erlosch und dessen Kultur immer lateinisch oder deutsch gewesen war. Dieser katholische niedere Adel Transdanubiens, dessen kennzeichnender Vertreter Alexander Kisfaludy war, war auf Grund seiner älteren Kultur und seiner Rassereinheit dazu berufen, den Assimilationsprozeß, nachdem der niedere katholische Klerus ihn einmal begonnen hatte, zu vollenden. Das Nationalgefühl des ungarischen Katholizismus war das Ergebnis dieses Vorgangs. Das Nationalbewußtsein des transtisischen reformierten Ungartums war mit dem Ende der Glaubens- und Freiheitskriege in dem allgemeinen kulturellen Stillstand ermattet. Sein Ungartum war ohne Schöpferkraft und ohne jede Fähigkeit, sich zu behaupten. Erst die französische Revolution vermochte es aufzurütteln aus seiner Schwäche. Die Gedankenwelt der fremden Bewegimg erfaßte zunächst die Oberschicht des transtisischen und siebenbürgischen Ungartums, den höheren Adel. Er nahm die neuen Ideen begeistert in sich auf. Diese Schicht hatte freilich keine Beziehung zum Volk. Die Aufklärung wurzelte überhaupt zu sehr im Geistigen, als daß sie volkstümlich hätte werden können. Wie früher Renaissance und Humanismus ging sie von dem volksfremden Milieu des Hofes aus. Es ist höchst überraschend und ganz ungewöhnlich, daß diese fremde Geistesströmung, die im Westen eine Schwächung des nationalen Gedankens und den Sieg des internationalen Bewußtseins zur Folge hatte, in Ungarn gerade zur reichsten Quelle des erwachenden Nationalgefühls wurde. Allein auch diese Erscheinung ist nicht auf Ungarn allein beschränkt: sie läßt sich bei allen Donauvölkern beobachten, die unter der Herrschaft der Habsburger standen. Der Ideengehalt der Aufklärung war vor allem ein kultureller. Das Glück eines Volkes hänge ab von seiner Kultur. Die Unwissenheit sei die Ursache des Elends und der Sittenlosigkeit. Kultur aber
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Die Entwicklung des Nationalgefühls.
könne man in jedem Volke nur in seiner Muttersprache verbreiten, denn nur so vermöge sie immer weitere Schichten zu erfassen. Deshalb sei die Ausbildung seiner Muttersprache nicht nur das Recht, sondern die Pflicht jeden Volks. Die größte Barbarei sei es — sagte Friedrich Schlegel —, die Sprache eines Volkes zu unterdrücken und es damit von aller höheren Bildung auszuschließen. So wurde die Pflege der Muttersprache zum Kernpunkt des nationalen Gedankens und so erklärt sich auch die naive Überschätzung der Bedeutung der Literatur, wie sie in den Worten Kärmäns zum Ausdruck kommt: »Wie ein zweiter Prometheus bringt der echte Dichter die Welt der Weisheit vom Himmel herab; er verbreitet unter den Völkern Ruhm, Blüte und allgemeines Glück; er macht die Untertanen zu Untertanen aus Überzeugung, die Herrscher zu Herrschern über die Herzen, den Menschen erst zum Menschen. Mit Hilfe des nüchternen Verstandes endlich führt er das Volk zu seinen Pflichten und an den sanften Banden der Seele zu seinem Glück1).« Dieser Gedanke veranlaßte Josef II. statt der toten lateinischen und der schwerfälligen ungarischen die deutsche Sprache einzuführen, die ihm für die Vermittlung der neuzeitlichen Kultur geeigneter schien. Die gleiche Auffassung begeisterte Bessenyei und seine Genossen und vor allem Kazinczy dazu, ihr ganzes Leben der Ausbildung der imgarischen Sprache zu widmen. Es ist kennzeichnend, daß die Vorkämpfer der ungarischen Aufklärung Anhänger Josefs II. waren. Kazinczy z. B. konnte seine ihm vom Kaiser übertragene Stellung als Schulinspektor sehr gut mit seinen literarischen Bestrebungen in Einklang bringen. Als Schulaufseher sorgte er für die Einführung der deutschen Sprache an den nationalen Schulen, als ungarischer Dichter arbeitete er daran, die ungarische Sprache auf die kulturelle Höhe der westlichen Sprachen zu heben. Die Reformbestrebungen Josefs II. riefen den Widerstand des Adels hervor, der um seine Verfassung und seine Vorrechte besorgt war. Die Folge davon war das Erwachen des politischen Lebens, das das Nationalgefühl zwar nicht schuf, seine Entstehung aber immerhin förderte. Die Begeisterung des Reformlandtages erlosch bald, das politische Leben erstickte im Keim. Während in Deutschland die napoleonischen Kriege das Nationalgefühl mächtig entfachten, führten sie in Ungarn zum Zusammenbruch der letzten ') A. a. O. Schlußwort.
Aufklärung und Nationalismus.
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Adelserhebung und hatten die ungünstigsten wirtschaftlichen Zustände im Gefolge. So fiel der Literatur die Aufgabe zu, das Nationalgefühl zu wecken und ihm Ausdruck zu verleihn. Die Forderung nach Pflege der Sprache wirkte als Ergebnis der Aufklärung noch nach Jahrzehnten und förderte das Nationalgefühl. Für Kazinczy und seine Anhänger waren Sprache und Nationalismus identische Begriffe. Unter fremdsprachiger Herrschaft, im Umkreis fremder Kulturen galt schon der einfache Gebrauch der Muttersprache als patriotische Tat. Die Hebung der Sprache auf europäisches Niveau war eine nationale Aufgabe. Mit ihrem rein kulturellen Programm hat sie den politischen Widerstand gestärkt, ohne sich mit ihm zu verbinden. An der Spitze der Bewegung standen Ungarn aus uralten Familien. Zu einer ähnlichen Entwicklung führte die Aufklärung in Böhmen, wo die gleichen Bedingungen vorlagen: volksfremde Regierung, fremder Kulturumkreis, vernachlässigte und unterdrückte Sprache. Haupt der Bewegung war der Begründer der Slavistik, Johann Dobrowsky, ein Slowake aus Oberungarn1). Dagegen nahm die Aufklärung in Österreich, wo Regierungs-, Volks- und Literatursprache eines waren, internationale Färbung an. Die Literatur wurde mit politischem Gehalt erfüllt. Ihr Führer war der Jude Sonnenfels. — Das Nationalgefühl der Transdanubier wie der Transtisier floß also aus zwei Quellen, die allerdings nicht auf den ersten Blick sichtbar sind. Die einheitliche Erziehung der Jugend lebte zunächst nur in der Einbildung kühner Träumer. Aber die lateinische Schule bereitete schon unbewußt hier wie dort die neue Generation zur Aufnahme der nationalen Ideen vor. Kölcsey berichtete von seiner Jugend: »In der Schule lernten wir griechische und römische Geschichte; das ist der Keim unseres vaterländischen Gefühls! Dieser Keim begann sich zuerst in der Liebe zur Sprache zu regen: beide Gedanken hängen untrennbar zusammen«2). Die Reformierten jenseits der Theiß wurden durch die griechische und römische Geschichte an ihre Sprache erinnert. Die Katholiken Transdanubiens hingegen — wie es die ganze lateinische Dichtung Ungarns bezeugt — ließen sich durch die Taten griechischer und römischer Helden be*) Vgl. DR. MATTHIAS MURKO : Deutsche Einflüsse auf die Anfänge der böhmischen Romantik.
Graz, 1897.
») K . F . M . M . I X .
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Die Entwicklung des Nationalgefühls.
geistern, ungarische Heldentaten zu besingen und Ähnliches nach Ungarn zu übertragen. So war in ihrer Wirkung auch die einzige gemeinsame Quelle zwiespältig. Wollte man den doppelten Ursprung des Nationalgefühls jener Zeit und sein Verhältnis zur Literatur auf eine kurze Formel bringen, so könnte man sagen: Die katholischen Dichter Transdanubiens gaben ihrem im Lauf der geschichtlichen Entwicklung geformten nationalen Bewußtsein in der Literatur seinen notwendigen Ausdruck, während in den Dichtern Transtisiens das Nationalgefühl durch die Pflege der Sprache und Literatur, zu der die Ideen der Aufklärung sie veranlaßten, eben erst erwachte.
2. Die nationale Sendung der Literatur. Das nationale Ziel der transdanubischen literarischen Strömung war, gemäß ihrem Bemühen nach Ausgleich, die Magyarisierung. Dies Streben erstreckte sich auf das gesamte Gebiet des nationalen Lebens. Die wenigen Dichter, die diese Sendung bewußt übernahmen, kamen bestürzt zu der Erkenntnis, wie beschränkt an Zahl das Ungartum war. Es wurde schon erwähnt, daß es zur Zeit Josefs II. nur 29 Prozent der Bewohnerschaft des Landes bildete. Und von diesen 2300000 Ungarn war zudem der größte Teil der gebildeten Schicht schon entfremdet; der Rest führte ein nicht nur unliterarisches, sondern geradezu kulturloses Leben. Auf den geistigen Gehalt des Magyarisierungsprozesses ist schon verwiesen worden: der ungarische Katholizismus erneuerte die literarischen Traditionen und magyarisierte seine lateinische Bildung. Aus dem transdanubischen Katholizismus ging auch die Bewegung hervor, die nach protestantischem Muster das Ungarische zur Kirchensprache machen wollte. Joseph Fabchich, Pfarrer zu Raab, beabsichtigte die Sprache der Messe und des Breviers zu magyarisieren, Johann Horväth, Domherr zu Veszprem, gab eine kirchliche Zeitschrift in ungarischer Sprache heraus, Isidor Guzmics träumte von einer nationalen Kirche, deren Verfassung nicht durch Rom, sondern durch den ungarischen Landtag festgestellt werden sollte. Diese Bestrebungen scheiterten zwar an einem tausendjährigen System, als Symptome der Assimilation waren sie gleichwohl bedeutend. Wie die literarischen Traditionen hätte man gerne auch die alten Sitten und Gebräuche ins Leben zurückgerufen, die ungarische »Mode«, die ungarische Tracht. Der klarste Ausdruck dieser Bestrebungen war Gvadanyis »Peleskei notärius«. Allein die fremde Mode, die ungarische Tracht gab z. B. auch den lateinisierenden Dichtern den Stoff ab. Rajnis griff nicht nur in seinen Gedichten die fremden Sitten an und trat für die alten Traditionen ein, er war vielmehr bestrebt, auch in seinem Leben seine ungarischen Bestrebungen zu Wirklichkeit werden zu lassen. Ungeachtet des Spottes
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Die nationale Sendung.
und des kirchlichen Verbotes ging er stets in ungarischer Tracht. Dugonics stellte seine ganze literarische und wissenschaftliche Tätigkeit in den Dienst der Magyarisierung. Seine Romane sind unerschöpflich im Lob des ungarischen Volkstums und seiner Überlieferungen. Selbst Gott magyarisierte er. In seinem Roman »Etelka« begegnet zuerst der Gott der Ungarn, über den sich Kazinczy so sehr entrüstete, weil »alle Menschen einen Gott haben«. Dugonics unternahm als erster den Versuch, das Ungarische zur Sprache auch der Mathematik zu machen und seinem Beispiel folgten mehrere Gelehrte in anderen Wissenschaften. Mit der Erneuerung der alten Traditionen und der Magyarisierung fremder Sitten ging Hand in Hand das Streben, auch die fremden Nationalitäten in Ungarn zu assimilieren. So schrieb Joseph Fabchich, zu dessen Schülern viele transdanubische Dichter gehörten : »Den zu uns hereingeschneiten Schwaben muß man mit Gewalt ungarische Namen geben; sie sollen imgarisch lernen oder untergehen. « Das ist vielleicht das erste Anzeichen einer Forderung nach Magyarisierung der Namen, die sich am Ende des 18. Jahrhunderts immer schärfer wiederholte. — Nikolaus Rêvai führte seine Nationalisierungspläne in einem langen Gedichte aus: Nationale Schule1) ! lärmten sie, Verfluchte Erfindung, Ursache alles Schlimmen Durch sie werden die Ungarn zu Deutschen, Werden ein grausames Volk, das unser Land schluckt. Ich weiß nicht, ob es das ersehnte Ziel war oder nicht. Doch wenn es so war, der böse Wind hat sich gewendet. Wir wissen es, die wir es sahn und Gott lobten, Und mit Freude sagten, er wird Wunder tun. Aber sieh, da lernt der Ungar deutsch, Und es nützt ihm, wenn er nicht zu Hause sitzt Und Handel treibt, oder ein Handwerk lernt, Oder Lust bekommt zu einem kriegerischen oder andern Amt. Aber freilich lernt auch der Deutsche ungarisch, Der Slovake, der Raise, Walache, und die übrigen Völker: Und weil er mehr Blut und Feuer im Ungarn spürt, Den er liebt auch seiner Tracht wegen und ihn preist. Locke ihn nur zu dir, er ist von selbst geneigt, ') »National« nannte man die von Joseph II. eingeführten nichtkonfessionellen, gemischten Schulen, in denen deutsch unterrichtet wurde.
Magy aris ierung.
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Zum Wohl deines Vaterlandes werden sie alle zu Ungarn. (Die ungarische Tracht und Sprache) Es ist lehrreich, den Unterschied in den Auffassungen des Kernmagyaren Rêvai und des magyarisierten Kroaten Fabchich zu beobachten. Fabchich war ein radikaler Magyare und schreckte auch vor Gewalttat nicht zurück. Rêvai dagegen erkannte die Vorteile der deutschen Sprache an und vertraute darauf, daß die Vorzüge des ungarischen Volkes von selber würden wirksam werden. Dieser Unterschied der Auffassungen samt seiner eigentümlichen Färbung zieht durch die ganze geschichtliche Entwicklung Ungarns. Schon Rêvai schrieb in dem gleichen Gedicht: Der »neue« Ungar ist der eifrigste : So geht es ihm: da er schon Knechtschaft litt, Kann er die heilige Freiheit desto besser ehren. Wenn deine Heimat öde ist, so fülle sie Mit solchen Bürgern, neu erstandenen Ungarn, Damit du leichter das ersehnte Ziel erreichst, Den treuen Sinn wahrst, der ein Volk erhält. Die eifrigsten Ungarn waren damals tatsächlich die »neuen« Ungarn, wie Fabchich, Râjnis (Reinisch), Dugonics, Gvadânyi (Guadagni) und Leo Szaicz (Seitz), der Dichter des »Igaz magyar« (Der wahre Ungar), der seinen Brief an den reformierten Freimaurer Kazinczy unterschrieb: »Ihr in der Glückseligkeit der ungarischen Sprache mit Ihnen vereinter Freund.« Die Überfremdung des Landes erweckte das nationale Bewußtsein Alexander Kisfaludys. Von seiner siebenbürgischen Reise schrieb er 1792 an seinen Freund Emerich Skublich: »Gleich in der ersten Gemeinde Siebenbürgens, wo ich Ungarn zu begegnen hoffte, fand ich keine einzige Seele, die ungarisch verstanden hätte. Die Einwohner waren Walachen. Aus lauter Kummer konnte ich nicht schlafen. Im allgemeinen habe ich auf meiner Reise durch Ungarn mehr Slovaken, Schwaben, Walachen und Deutsche angetroffen als Ungarn. Als ich die gleichen Verhältnisse in Siebenbürgen sah, schrie ich auf in dem Gedanken : Verloren ist das ungarische Volk. — Und in diesem Augenblick, der mein Herz zerriß, habe ich mich entschlossen, daß ich armer Edelknabe (der aber doch ein Sproß jener alten Ungarn ist, die den Ungarn ein Vaterland eroberten), — daß ich aus meinem Herzblut und meinem Vaterlandsgefühl (wie der Seidenwurm aus seinem Innersten den Faden spinnt) die Kraft erwecke, mit der ich
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Die nationale Sendung.
unsere untergehende ungarische Nation durch ungarische Sprache, Gefühl und Schrift weiter am Leben erhalte. Ich werde ungarisch schreiben und nur zu den Herzen reden.« Kisfaludys dichterische Laufbahn zeugt von dem Bewußtsein dieser übernommenen Sendung. Gegen Ende seines Lebens konnte er mit berechtigtem Selbstgefühl an seine Gattin schreiben, als die ungarische Sprache zur Staatssprache geworden war: »Die Folge werden in einem Vierteljahrhundert 12 Millionen Ungarn sein . . . Von dieser großen und schönen Ernte ist, ich kann es mit Stolz behaupten, wenigstens eine Garbe mein Verdienst1).« Im Jahre 1790, nach dem Tod Josefs II., als die Nation vom Landtag die Verwirklichung ihrer kühnsten Träume erwartete, befaßten sich viele Flugschriften mit dem Problem der Magyarisierung. Sie gebrauchten nicht nur die Terminologie des französischen Rationalismus, sondern hatten ihr Entstehen überhaupt dem Geist der Aufklärung zu verdanken. Das bezeichnendste Erzeugnis dieser Strömung war der »Pannöniai Féniksz« von Samuel Decsy, dessen Gedankengänge noch in späteren Jahren vielfach wirksam waren. Doch beschränkte sich die Magyarisierungstendenz im Kreise des reformierten Ungartums einzig auf das Jahr 1790, da die nationale Begeisterung das ganze Ungartum erfüllt hatte. Schon allein diese Tatsache bezeugt, daß es sich hierbei um wesentlich anderes handelte als bei dem Nationalisierungsprozeß des ungarischen Katholizismus. Die Richtigkeit dieser Behauptung erweist sich an dem Beispiel Franz Kazinczys. Kazinczy diente unter Josef II. mit Begeisterung der Sache der sog. nationalen Schulen, die Rêvai so sehr verdammte. Und doch war er einer der ersten, der nach dem Tode Josefs II. der Redaktion des Blattes »Hadi és mas nevezetes tôrténetek« (Kriegsgeschichten und andere berühmte Erzählungen) einen Artikel über die Verbreitung der ungarischen Sprache sandte. Er schlug darin den gleichen Ton an wie Fabchich: »Wenn die ungarische Sprache eingeführt wird . . . wird unsere Nation erst zu einer selbständigen Nation. Die Sprache wird zu einer ewigen Mauer, die zwischen dem Ungarn und dem Nichtungarn aufgerichtet ist, der Fremde wird unter uns entweder Ungar werden oder (er mag untergehn).« Die in Klammer gesetzten Worte hat der reformierte Redakteur des Wiener Blattes bezeichnender Weise gestrichen. Kazinczy ') K . S. M. M. V I I . 386. 403.
Literar. Kosmopolitismus.
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ließ diesen Artikel später in seinem vollen Wortlaut im Orpheus wieder drucken mit dem Zusatz: »In Nagy-Varad hat ein Fremder mit dem Namen Brückner seine Kinder Hidasi, anderswo ein Italiener mit dem Namen Novacasa seine Kinder Ujhäzi genannt und sie wurden Ungarn. Oder wage es nur einer die Einwohner von Rakamaz bei Tokaj Schwaben zu nennen, er müßte Prügel gewärtigen1).« — Daß diese Ansicht nur das Ergebnis einer augenblicklichen Aufwallung war, bezeugt Kazinczys ganze dichterische Laufbahn und sein menschliches Wesen. Als er viele Jahre später seine Erinnerungen für die »Tudomänyos Gyüjtemeny« schrieb, gedachte er der Freude und Begeisterung, die ihn erfüllten, als Josef II. die deutsche Sprache zur Staatssprache machte. Die nationale Sendung der vom Ausland bestimmten literarischen Strömung war nicht die Magyarisierung, sondern die Verbreitung der Kultur. Kisfaludy und seine Anhänger hatten die große Masse der Nichtungarn vor Augen, Kazinczys Anhänger die der Ungebildeten. Kazinczy und seine Anhänger wollten soweit magyarisieren, wie Josef II. germanisieren wollte, denn sie waren davon überzeugt, daß die ungarische Sprache zur Aufnahme der westlichen Kultur geeigneter sei als die literatur- und traditionslose slovakische oder walachische. Die Katholiken Transdanubiens schauten nur nach innen, Assimilation und Nationalisierung erfüllten sie völlig. Der Blick der Reformierten Transtisiens hingegen war nach dem Westen gerichtet, ihr Horizont war europäisch, sie sahen in Ungarn nur einen Teil Europas, nicht ein selbständiges Ganzes. Indem sie das ungarische Volk zu bilden suchten, dachten sie zugleich der europäischen Kultur zu dienen. Die Quelle dieses internationalen Bewußtseins so gut wie die des Nationalgefühls war die französische Revolution: die transtisischen reformierten Dichter vermochten beides sehr wohl zu vereinen. Kazinczy schrieb an den Baron Retzer, einen österreichischen Dichter, über die Bildung seines dichterischen Programms während seiner Gefangenschaft: »Ich sah, daß unsere Sprache u. Literatur, wenn sie glücklich fortschreiten soll, eben den Weg zu gehen hat, den die der übrigen Nationen vor uns gegangen sind . . . daß jede Sprache ihr Eigentümliches hat. Aber da die Literatur der Alten und der Neuen die Literatur jedes gebildeten Menschen ist, diese Gemeinschaft uns aus dem engen Raum des Patriotismus in die höheren >) K . L . I I .
45-47.
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Die nationale Sendung.
Regionen des literarischen Kosmopolitismus hinzieht : wir dieses Einheimische mit dem Fremden zu vereinigen, diesem color patrius durch diese ausländische ideale Physiognomie einen höhern Reiz zu ertheilen haben1).« — Der Kosmopolitismus der Anhänger Kazinczys war rein literarisch. Auch an einer anderen Stelle betonte er: »daß in der Gelehrtenrepublik kein engherziger übertriebener Patriotismus, sondern vielmehr Kosmopolitismus herrschen muß.« — Von diesem Kosmopolitismus ging auch Kölcsey aus : »Es gab Zeiten (am Ende meiner Schuljahre und während meiner Juristenzeit), wo mich der Kosmopolitismus gefangen hielt ; und damals hatte ich kein Gefühl für mein ungarisches Vaterland. Die Ursache war, glaube ich, die weichliche französische Dichtung und jene dem Geist so verderbliche Kälte, die die neueren französischen Philosophen über alles hauchten, was heilig ist, dieses système de nature und anderes2).« Kölcsey deutete damit klar und bewußt auf die Quelle jener Internationalität in der Literatur hin. Aber dieser literarische Kosmopolitismus wurde bei den ungarischen Dichtern nicht zu einer politischen Internationalität, weil sie sich mit Politik nicht befaßten. Da Gregor Berzeviczy, als ein früher Vorläufer der Paneuropa-Idee, von volkswirtschaftlichem Gesichtspunkt aus gegen die Selbständigkeit des Landes und die ungarische Sprache schrieb, war es eben Kazinczy, der dieser Internationalität gegenüber die Berechtigung der nationalen Selbständigkeit behauptete, und zwar in der patriotischsten Zeitschrift Österreichs, dem Archiv des Baron Hormayr. Kazinczy und seine Anhänger hielten die Ausbildung der ungarischen Sprache vom Gesichtspunkt der Menschheit aus für wichtig und glaubten an sie. »Denn weil ein philosophischer Geist die Dinge in Europa lenkt — schreibt Kazinczy — verschwindet das ungarische Volk nur deshalb nicht, da mit ihm eine sonst nirgends zu findende, eigentümliche und schöne Sprache verschwinden würde3).« Ihr europäisches Denken gab dem Bewußtsein ihrer nationalen Sendung den Inhalt. Bei den Transdanubiern war die Literatur eine patriotische Tat, bei den Transtisiern Dienst an der Menschheit. So lebte die Mission im Bewußtsein der Dichter und ohne daß sie sich dessen bewußt gewesen wären, dienten sie entgegengesetzten Zielen. Kazinczys Übersetzungsliteratur — der er sein ganzes Talent opferte — war die ») Ebda. X I V . 76. ») K. F. M.M. I X , 4 1 1 . 3) K. L. VIII. 35.
Die Wirkung.
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nationalste Tat, weil er außerhalb seines Vaterlandes nicht hätte zur Geltung gelangen können. Das Ausland suchte in der Literatur fremder Länder das charakteristisch Nationale. Darüber sagte Hormayr zu Döbrentei: »Europa schätzt von allen seinen Literaturen die ungarische am geringsten; aber sollte es doch einmal aus Langeweile auf Euch Ungarn sehn und fände es dann dort nur das gewohnte Bild der eigenen Literaturen, so würde es sich abwenden. Bewahrt Euch Euere östlichen Eigentümlichkeiten, und ihre Neuheit wird die Aufmerksamkeit Europas erregen1).« — Aus diesem Grunde wurde Alexander Kisfaludy mit seiner originalen Dichtung als einziger unter den ungarischen Dichtern der Zeit im Ausland bekannt. Aus seinen Werken lernte Friedrich Schlegel ungarisch. ') Berzsenyi Munkai.
Döbrentei Kiadäsa. IV. 127.
3- Der zweifache Inhalt des Nationalgefühls. »Der ,neu erstandene' Ungar« — schrieb Rêvai — ist eifrig aus Freude über seine Freiheit.« Ebenso freute sich der transdanubische Katholizismus seines neuentdeckten Ungartums. Sein Nationalgefühl war vorwiegend optimistisch. Von Dugonics bis Alexander Kisfaludy sind die Gestalten der traditionellen ungarischen Literatur alles hervorragende Charaktere, kühne, ritterliche, feurige, selbstaufopfernde Patrioten. Die nichtswürdigen Gestalten, die Intriganten, die in den Erzählungen und Dramen nicht fehlen können, werden gewöhnlich durch Fremde vertreten, wie bei Dugonics durch den Slovaken Roka. Die ungarische Welt ist die beste, die ungarische Erde die mannigfaltigste ; sie wetteifert an Schönheit mit der Schweiz, wie der Plattensee mit dem Genfer See. So kann man es lesen in dem an Matthisson gerichteten Gedicht Berzsenyis: Komm, sieh den Plattensee, wenn das Feuer der Morgensonne Auf seinem Spiegel zittert oder er unter dem Mondlicht brennt. Sieh die blauen Berge, wie sie ihn rings umstehen, An denen der Nektar fließt und das Freudenlied klingt. Hier auf den Gipfeln der Felsen sieh die Burgen, An ihren Mauern haftet das Bild der Vergangenheit Und die Vernunft schwindet hin von der glänzenden Und wie das Volk des glücklichen Helvetien mit Freude [Vorzeit... Ein freies Land bebaut: auch hier ist frei und froh der Ungar, Hier bewohnt königliche Freiheit das herrliche Schloß Und die Hüttenbewohner schützt das Recht des heiligen Gesetzes. Dies Gedicht aus einer Zeit, da das Ungartum unter dem Joch zügelloser Unterdrückung litt, die Adeligen nichts zu sagen hatten, der Hörigenstand aber infolge der Last der Napoleonischen Kriege zusammenbrach, läßt sich getrost eine bezeichnende Äußerung der nationalen Illusionen nennen. Aber nicht nur das Land selbst gilt als das schönste und freiste ! Auch die ungarische Tracht hat nicht ihresgleichen in der Welt. Die
Optimismus u. Pessimismus.
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fremden Nationalitäten werden allein der Tracht wegen gern zu Ungarn. Die ungarische Sprache vollends ist die wunderbarste Sprache, die mit der Müde der italienischen, mit der Tiefe der deutschen und der Leichtigkeit der französischen wetteifert, »die gleicherweise geeignet ist mit dem Sturm zu heulen, mit dem Gewitter zu donnern und zu schlagen, mit dem Adler in die Höhe zu fliegen, mit der Taube zu seufzen, mit der Nachtigall zu singen1).« Dem ungarischen Dichter steht nichts gleich. »Die ungarischen Dichter« — schreibt Alexander Kisfaludy — »die zumeist in besseren Betten geboren, Männer von edlerer Erziehung sind als viele Dichter anderer Nationen, die sich mit Schreiben ihr Brot verdienen müssen, ihnen ziemt es in vornehmerer Lage zu sein2).« Dieser optimistischen Selbsttäuschung gegenüber war das Nationalgefühl der Dichter Transtisiens überwiegend pessimistisch. Die Ursache dieses Pessimismus pflegt man in der Äußerung Herders zu sehn, die den baldigen Untergang des ungarischen Volkes voraussagte3). Diese Prophezeiung machte das Ungartum zweifellos betroffen und spornte es zur Selbstbesinnung an. Der ungarische Pessimismus bestand indes schon seit Jahrhunderten. Herder selbst hatte sein Urteil aus einer ungarischen Quelle geschöpft, aus dem 1763 herausgegebenen Geschichtswerke Nikolaus Olähs. Doch hat er es einige Jahre später in einem anderen Werke, als er die kulturellen Bestrebungen der Ungarn kennengelernt hatte, gründlich geändert1»). Der ungarische nationale Pessimismus nahm seinen Anfang bei der Katastrophe von Moha.cs (1526), als die ungarische Heeresmacht von der türkischen vernichtet wurde, und zog sich durch die ganze ungarische Literatur hin. Das von Türken und Habsburgern gleichermaßen verfolgte Ungartum, das überdies noch durch die Glaubenskämpfe gespalten war, hat sein Schicksal früh mit dem des jüdischen Volkes verglichen, das Gott seiner Sünden wegen zerstreute. Sein Pessimismus hat auch eine besondere Kunstgattung geschaffen: die Jer^miaden. — Im 18. Jahrhundert endeten die verheerenden Kriege, doch wie das religiöse Prinzip von dem nationalen und kulturellen abgelöst wurde, meldete sich nun als neue Quelle des Pessi') Aus dem Vorwort der Romanzen Kisfaludys. ») K. L. X V I I . 549. 3) Herder: A. a. O. 4) Vgl. PUKANSZKY BELA: Herder intelme a magyarsaghoz (H.s Mahnung an das Ungartum). E. Ph. K. 1923.
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Das zweifache Nationalgefühl.
mismus der Schmerz über die kulturelle Rückständigkeit Ungarns. Dieser Pessimismus offenbarte sich sogar bei Kazinczy, dessen persönliche Geisteswelt im allgemeinen optimistisch war. Noch am Ende seines Lebens, als er schon am Rande des materiellen Ruins stand, während ihn in der Literatur, die heftigsten und schmerzlichsten Angriffe trafen, schrieb er im »Weg nach Pannonhalma«, seinem letzten Werke: »Ist das die beste Welt ? . . . Ich weiß es nicht. Nicht vielen Menschen wurde das Schicksal zuteil, ihre eigene Not so zu erkennen, wie ich es vermag. Aber daß diese Welt eine sehr gute Welt ist, das wissen auch nur sehr wenige Menschen so gut wie ich. Unglücklich ist nur, wer das nicht glauben kann.« Er selbst glaubte daran, das ein philosophischer Geist Europa durchdringe und daß die ungarische Sprache nicht untergehen werde. Doch packte auch ihn Bitterkeit, wenn er den kulturellen Zustand seines Volkes sah: »Gewiß ist unser Volk heldenmütig und besitzt herrliche Eigenschaften. Aber in der Kultur der Seele sind wir weit zurück und das Schlimmste ist, daß wir Lernen, Denken, Sehen als Neigung zu gefährlicher Neuerung betrachten und den für einen guten Patrioten halten, der blind bleibt1).« Trotz all seiner Liebe zum Vaterland ergriff ihn oft Sehnsucht nach glücklicheren Ländern, die einen Schiller, einen Goethe hervorgebracht hatten; denn in Ungarn vermöchten sich die goetheschen und schillerschen Talente nicht zu entfalten, sie seien zum Schweigen verdammt. »Wer hier Gedichte schreibt, ist begraben.« In seinen letzten Lebenstagen schrie er verzweifelt auf: »Aber, lieber Freund, wann werden die Menschen bei uns glauben, daß es besser sei, in Weimar zu leben als in Algier, und daß die Bildung der Seele nützlich und nicht schädlich ist ?2)« Das gleiche schmerzliche Gefühl ergriff auch Kölcsey, wenn er um sich sah. Schon 1813 schrieb er an Paul Szemere: »Wenn meiner Seele, ehe sie vom Hades heraufgeführt und hieher gerufen wurde, die Wahl erlaubt gewesen wäre, sie hätte sich wohl kaum dieses Vaterland gewählt, indem ich geboren wurde3).« Bei dem Pessimismus Kazinczys ist es gewiß, daß Herder ihn nicht bestimmt hat. Auch bei den übrigen protestantischen Schriftstellern erschöpfte sich sein Einfluß im rednerischen Ausdruck. Von den eigentlichen tiefer liegenden Gründen war schon die Rede. Csokonai schrieb 1797 an Kohäry, also kaum einige Jahre nach dem Er1) K . L . V I I . 75. *) Ebda. X X I . 648. 3) K . F . M. M. I X . 224.
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Herders Prophezeiung.
scheinen des Herderschen Werkes: »Ich fürchte, wenn wir unsere einfältige Sprache (die, nachdem sie aus Asien gekommen ist, hier in Europa ohne Vater, Mutter, Geschwister und Verwandtschaft lebt wie die Melchisedekiten) so sehr verloren gehen lassen, so werden ihr keine hundert Jahre bleiben und sie wird unter dem Gemisch dieser vielerlei Nationen dasselbe Schicksal erleiden wie unlängst die althergebrachte Sprache der Rumänen1).« Der Hinweis auf Melchisedek beschwört die Erinnerung an den Gedanken der jüdisch-ungarischen Verwandtschaft herauf und stellt die Verbindung her zu dem Pessimismus der früheren Jahrhunderte. Die kulturelle Bedingtheit dieser Auffassung bei Csokonai bezeugt seine Klage darüber, daß seine Dichtung in seinem Vaterlande kein Verständnis finde: »Ich schreibe, da ich nun einmal ohne zu schreiben nicht leben kann, für eine glücklichere Nachkommenschaft, für das 20. und 21. Jahrhundert, wenn der Ungar ein echter Ungar geworden oder überhaupt nicht mehr ist1).« Kärmän betrachtete diesen Pessimismus von europäischem Gesichtspunkt aus. Nach ihm geht die Sehnsucht des Dichters dahin, die Welt zu durchdringen. Das Wirkungsfeld des ungarischen Dichters aber können nur Ungarn und Siebenbürgen sein. Welch enger Raum für einen unersättlichen Ehrgeiz! Der ungarische Dichter vermag sich kaum größeren Ruhm erwerben, als einer, der seinen Namen auf eine Fensterscheibe kritzelt. »Oder wird je aus Pannonien einmal Albion ? Entstehen auch unter uns ein Newton, Locke, Shakespeare, ein Milton ? — Weg, verwegener Traum, der du mich mit deinen täuschenden Bildern verlockst!« Diese Träumerei überließ er späteren Zeiten. Er aber blieb wach und überließ sich der Trauert). Johann Kis wurde durch den Vergleich mit den westlichen Kulturen zum Pessimisten. Er wollte nicht, daß das Ungarische unterginge, denn als Anhänger der Aufklärung war er davon überzeugt, daß »ein Volk der auf Erden erreichbaren Glückseligkeit nur teilhaftig wird, wenn es mit Hilfe seiner Muttersprache gebildet wird.« Und doch konnte er sich nicht verheimlichen, daß auch er gezwungen sei, der ungarischen Sprache und Nation den Tod zu prophezeien, »denn auch der philosophische Geist, der die Dinge Europas leitet, •) Cs. V . M. ö . M. I I . 2. 638.
Ebda. II. 2. 674. 3) A. a. O. F a r k a s , Romantik in Ungarn.
8
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Das zweifache Nationalgefühl.
sieht nur auf seinen eigenen Nutzen 1 )«. Die erste dichterische Probe seines Sohnes, Ludwig Kis, stimmte den gleichen düsteren Ton an: Verschmäht ist schon die Tracht, es schwindet Die Sprache schon, es wird am Donauufer In ein, zwei tausend Jahren keine Ungarn Mehr geben. Oh, daß ich nicht die Wahrheit sagte!
(1813)
Herder war auch den Katholiken bekannt, seine Prophezeiungen zitierten auch sie, aber nur um die Nation aufzurütteln.
So heißt
es bei Kultsar: »Müßte man sich wundern, wenn eine Nation, die ihren Eigenschaften gegenüber so kalt, so gefühllos ist, bald aus der Reihe der Nationen verschwände?«
Dieser Frage folgt die Bemerkung,
daß Ungarn erst anfangen müsse, eine nationale Kultur zu entwickeln*) Bei den Protestanten war der literarische Pessimismus die Offenbarung eines hundertjährigen inneren Gefühls. Die Katholiken aber, wenn sie auch pessimistische Töne anschlugen, glaubten nicht selbst an sie, versuchten vielmehr nur die Nation mit ihnen zu wecken. Als Csehy Dugonics erzählte, was Herder dem ungarischen Volke prophezeite, meinte Dugonics verächtlich: »Glaub ihm nicht, er lügt, der dumme Deutsches).« E s gehört zur Psychologie des Assimilationsprozesses, daß er nicht nur keinen Pessimismus duldete, sondern auch die wahre Selbsterkenntnis ausschloß, soweit sie das Ungartum in ungünstiger Beleuchtung
hätte
magyarisieren:
erscheinen
lassen.
Die Transdanubier
wollten
so mußten sie das Ungartum notwendigerweise als
ein wünschenswertes Ziel darstellen.
Die Schriftsteller Transtisiens
waren Anhänger des kulturellen Fortschritts: so mußten sie ihrerseits auf die kulturelle Rückständigkeit Ungarns verweisen. Die Transdanubier waren darüber entrüstet, daß Kazinczy in den deutschen Zeitschriften mit aufrichtiger Sachlichkeit über die Fehler der ungarischen Dichtung schrieb. Sie nannten sein Verhalten Verrat am Vaterland, denn vor dem Ausland dürfe man sich nur mit seinen Tugenden zeigen. Kazinczy betrachtete die ungarische Kultur in europäischem Zusammenhang, sie aber sahen nur Ungarn.
»Aber
Ihr« — schrieb Kazinczy an Adam Horväth — »haltet Euch darüber auf, daß ich ungarische Mängel den Deutschen zeige und Du klagst auch Kölcsey jetzt deswegen an.
Die Deutschen wissen, daß wir
1) K . L. V I I I . 83. 2 ) Hazai es Külföldi Tudösitäsok, 1820. 4. 3) K . L. V I I I . 449.
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Nationale Selbsterkenntnis.
erst jetzt beginnen und nicht die Mittel besitzen wie sie, — die Deutschen wissen, daß auch sie ihre Mängel haben, auch jetzt noch, und sie haben Ursache zu erröten wie wir. Aber es handelt sich doch schließlich darum, ob Kölcsey und ich die Wahrheit sagten?1)« — Diese Forderung nach nationaler Selbsterkenntnis war bei den protestantischen Dichtern Ungarns ziemlich allgemein. Ihr tiefeingewurzeltes Ungartum, das ihnen ihre Sicherheit verlieh, ihr realer Sinn und europäischer Weitblick machten sie gleicherweise dazu berufen, dem aufflammenden Chauvinismus der Transdanubier gegenüber die Nüchternheit zu betonen. Als Schwartner und Stefan Horvât sich darüber stritten2), ob Ludwig der Große und Matthias Corvinus ungarisch konnten oder nicht, sah das ganze transdanubische Ungarn darin den Kampf der nationalen Ehre und in Horvât seinen Helden. Aber Kölcsey schrieb an Kazinczy, er könne bei dem ganzen Streit nur lachen. Auch Szemere äußerte sich ähnlich: »Es ist die Frage, ob es etwas nützt der Nation den Spiegel wegzunehmen? Und wäre es nicht ratsamer, wäre es nicht wirksamer für uns alle, wenn wir unseren Dichtern, ausländischen wie inländischen, zuriefen : Rede von mir so, wie ich bin?3)« Einen ähnlichen Meinungskampf erregte Kölcseys Rezension über Berzsenyi, in der er u.a. schrieb, daß die ungarischen Liederdichter hinter den Serben stünden. Diese Behauptung veranlaßte große Entrüstung unter den Transdanubiern. Stefan Horvât forderte Kölcsey öffentlich auf, er möge diese Schmähung streichen. Kazinczy aber schrieb an Johann Kis : »Mein verehrter Freund Horvât, hongrais enragé, wollte uns noch Falsches anhängen, sofern wir nur dadurch glänzten. Ich glaube von mir, daß auch ich bis zur Wut Ungar sein kann; bis zur Lüge aber nicht. In meinem .Poetischen Hain' steht ein Gedicht über Azzan Aga. Goethe hat es aus der Morlach-Sprache übersetzt und Vitkovics trägt es auswendig vor. Finden wir bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts in der gesamten ungarischen Literatur, ausgenommen Zrinyi, soviel poetischen Wert wie in diesem einen Gedicht ? Gewiß nicht4).« Kazinczy ersann für den Begriff des Chauvinismus ein neues Wort: »Vaterlandismus« (Hazafizmus) und konnte nicht genug über ihn spotten. *) Ebda. XV. 521. STEPHAN V. HORVÂT; Vertheidigung der berühmten Könige Ungarns, Ludwig
2)
des Großen und Matthias Corvinus. Pesth, 1815. 3) Sz. P . M. III. 205. 4) K. L. XV. 175. 8*
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Das zweifache Nationalgefühl.
Die richtige nationale Selbsterkenntnis war nur eine Forderung dieser Übergangsperiode und erschöpfte sich im großen ganzen in ihrer Betonung. Ihre volkserzieherische Bedeutung machte erst die folgende Periode klar. Aber schon damals bildete sich zwischen den Schriftstellern Transdanubiens und Transtisiens, zwischen den Katholiken und den Protestanten jenes paradoxe Verhältnis aus, daß sie sich gegenseitig als Chauvinisten ansahn oder als Kosmopoliten verdächtigten. Das traditionelle Ungartum der transtisischen Literaten konnte sich mit Recht die Freiheit nehmen, Fürsprecher des Allgemeinmenschlichen zu sein; das junge Nationalgefühl der Assimilierten wäre von der Internationalität im Keim erstickt worden. So wurde das Wesen der transdanubischen Literatur die objektive Nationalität, wobei die Ansprüche an die Form zurücktraten. Kazinczy dagegen sah nur die Form. In einem Briefe von Andreas Päzmändi Horväth heißt es: »Was Kisfaludy als schaffender Dichter sündigte, das macht die Glut seines patriotischen Geistes und die Kraft seiner Sprache wieder gut. Denn ich betrachte die Liebe zum Vaterland als das Fundament der Dichtkunst1).« Kisfaludy selbst klagte Dessewffy, daß Kazinczy seine Romanzen (Rege), »wie es nur für einen groben Handwerker passe, ahnungslos als Märchen herabsetze, oder doch das Patriotische in ihnen schmähe, das sich unter die Gefühle der Liebe mischt2)«. Kisfaludy verkündete stolz, daß er weder Gelehrter noch Literat sei, sondern allein Patriot. In der Vorrede seines Dramas »Hunyadi« betont er: »Mein Drama habe ich nicht als Poet geschrieben, sondern als Patriot.« Dazu bemerkte Kazinczy: »Ein Drama muß man als Dichter schreiben, sonst darf man es nicht, d. h. ein Patriot, der kein Dichter ist, darf es nicht.« Der Gegensatz zwischen ihnen schien unüberbrückbar. Sie selbst fühlten es auch, und deshalb war dieser Zwiespalt ihr schwerstes Problem, vielleicht das einzige literarische Problem Kisfaludys. In einem seiner Briefe verglich er, vom Gesichtspunkt des Nationalgefühls aus, die deutschen Dichter mit den ungarischen. Die Deutschen sind seiner Meinung nach Kosmopoliten, das Vaterland ist ihnen nur eine abstrakte Idee, der Gelehrte, der Dichter arbeitet allein aus Liebe zur Wissenschaft, um des Verdienstes willen oder des Berufes wegen, in Ungarn aber sei »das Schriftstellertum nur Patriotismus«. — Kazinczy teilte diesen Brief ') Ebda. X V . 102. ») K . S. M. M. V I I I . 327.
National — International.
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Johann Kis mit und begleitete ihn mit bezeichnenden Randbemerkungen in deutscher Sprache: »Das. ist das Unglück der Sprache, daß ungelehrte Ungern über die Sprache schalten wollen1).« Diese von Kisfaludy verschmähten »deutschen Kosmopoliten« waren Kazinczys Vorbilder, auch er stellte das Allgemein-menschliche über dasNationale. Dies war der Grund, warum er den Roman»Etelka« von Dugonics nur mit Schmerz betrachtete, warum er die Märchen Kisfaludys nicht genießen konnte und warum er sich später von der Aurora abkehrte. Seine Haltung war die seines ganzen Kreises. Das war eine geistige Gegebenheit, keine Wirkung. Die Äußerung Johann Kis' über die »Tudomänyos Gyüjtemeny«, deren Patriotismus er mit Schmerz und Ärger sah, wurde schon zitiert. Aber auch Berzsenyi, der hinsichtlich des nationalen Charakters seiner Dichtung eher zur transdanubischen Richtung, seiner Bildung und literarischen Grundlage nach aber zu Kazinczy gehörte, nahm an Versuchen Anstoß, die die Schöpfung einer ungarischen Mythologie zum Ziele hatten; »Es gibt und kann gar keine anderen dichterischen Mythologien mehr geben als allein die griechische, die zugleich ungarisch ist, denn das höchste dichterische oder menschliche Schöne ist zugleich Besitz jeder Nation2).« Diese Antithese des Nationalen und Internationalen findet sich auch in der Stellungnahme der Dichter den Nationalitäten gegenüber. Das Ungartum Transdanubiens sah mit Erbitterung, daß so viele entfremdete Ungarn und fremdsprachige Nationalitäten im Lande lebten, die trotz der Vortrefflichkeit desUngartums in Seele und Sprache nicht Ungarn werden wollten. Wenn sie die Magyarisierten mit begeisterter Freude empfingen — in allem feierten sie den Sieg der ungarischen Stammeskraft — blickten sie mit Haß auf die andern. 1806 schrieb Döbrentei aus Wittenberg an Kazinczy: »In Prag habe ich das italienische Theater angesehen. Es gibt auch ein böhmisches. Diese Stadt ist in Böhmen was Pest in unserem Vaterland ist. Aber bald möchte ich sie glücklicher heißen. In Prag spricht man mehr böhmisch als deutsch. In Pest aber wird größtenteils deutsch gelärmt. Und in Prag ein böhmisches Theater! Wo, wo ist in Pest das ungarische? Sicher werden uns die Fremden überschwemmen, wenn wir uns nicht Mühe geben. — Den ansässigen Deutschen ehre ich sehr, aber wer des Bodens meines Vaterlandes unwert ist und nur auf ihm schwelgt und ») K . L . X I V . 385. ») B . M. III. 229.
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Das zweifache Nationalgefühl.
die ungarische Kultur unterdrückt, den vermag ich nicht zu lieben1).« Döbrentei hatte in der Schule Kazinczys noch nicht ausgelernt und stand in seinem Nationalgefühl noch unter dem Einfluß seiner transdanubischen Umgebung. Der wirkungsvollste Ausdruck der transdanubischen Gesinnung begegnet wieder bei Alexander Kisfaludy: »Wegen der Tübinger Frage3) wurde auch ich zornig und ich wäre bereit, zum Heil der ungarischen Sprache ein Häscher zu werden und alle jene aus meinem Vaterlande zu vertreiben, die freudig vom ungarischen Brote und der ungarischen Luft leben und doch nicht ungarisch lernen wollen. Und wenn es wahr ist, was ich hörte, daß diese Fragen durch die gestellt wurden, von deren Pflichtgefühl die Nation ihr Wohl erwarten sollte, würde ich mich nicht wundern, wenn jedes Herz zur Hyäne seinen Unterdrückern gegenüber würde . . . Es ist bitter zu beklagen, daß es so schwer, so unglückselig ist, in Ungarn ein Ungar zu sein! — Ein Ausländer kann es nicht glauben, und auch ich wäre manchmal geneigt, an meinem Verstände zu zweifeln, wenn ich nicht den Schmerz in mir fühlte3).« Die reformierten Schriftsteller kümmerten sich nicht viel um das Völkergemisch des Landes. Sie betrachteten die Assimilierten mit größerem Argwohn als die Fremdsprachigen. Kazinczy schrieb dies offen an Johann Földi: »Ich liebe den deutschen Deutschen mehr als den magyarisierten Deutschen-!).« In seinen Lebenserinnerungen: »Pälyam emlekezete« zeichnete er auf, wie man daran Anstoß nahm, daß Matthias Rath, obwohl er doch Deutscher war, eine ungarische Zeitung zu gründen wagte. Als er später in der Person des Matthäus Högyeszi den konservativen Kalvinismus verspottete, schrieb er, Matthäus HögySszi erkenne Vitkovics, der serbischer Abstammung war, nicht als imgarischen Dichter an: Dir verwehrt Matthäus Högyeszi Die Spitzen des doppelten Berges Umsonst! Du wardst nicht unter uns. Es wurde schon erwähnt, daß sich die Worte Matthäus Högyeszis nicht nur mit den Grundsätzen Kazinczys in seiner Jugend decken, ') K. L. IV. 143. ') In der Tübinger »Allgemeinen Zeitung« wurde 1808 die Preisfrage gestellt: »Über die Erhebung der ungar. Sprache zur Sprache des öffentlichen Geschäftes •und der Schulen in Ungarn«. 3) K. L. IV. 85. 4) Ebda. II. 34.
Die Nationalitäten.
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sondern ganz allgemein die Auffassungen des transtisischen Ungartunis widerspiegeln. Auf die Fremden, die sich um die Hebung ihrer eigenen Kultur oder die Verbreitung der ungarischen im Ausland bemühten, sahen sie mit Sympathie. Kazinczy unterstützte die deutschen Zeitschriften und pflegte innige Freundschaft mit Karl Georg Rumy. An Lucian Musiczky, einen serbischen Dichter, schrieb er: »Mein Patriotismus steht nicht im Gegensatz zum Kosmopolitismus und wenn ich das Wohl der ungarischen Sprache wünsche und soweit ich kann es zu fördern bestrebt bin, so bitte ich den Himmel doch nicht, daß meine Sprache aufblühe zum Schaden a n d r e r . . . Die Wahrheit ist allen Nationen, allen Konfessionen gemeinsam, und Edle und Weise finden sich auf verschiedenen Seiten. Wehe dem Elenden, der an Tracht und Aussprache Anstoß nimmt1)!« Diese Äußerung charakterisiert den aufgeklärten Schriftsteller wie den kalvinistischen Rasse-Ungarn. Zweifellos entspricht sie seinem wahren Charakter weit mehr als sein früher erwähnter Plan einer Magyarisierung der Nationalitäten. Während die transdanubischen Schriftsteller stolz darauf waren, daß sie keine fremde Sprache lernten, wie Adam Horväth und Stefan Horvät, war für die Schriftsteller Transtisiens nicht nur die Kenntnis der deutschen Sprache eine natürliche Forderung, sondern sie legten ebenso hohen Wert auf die Kenntnis der Sprachen der übrigen Nationalitäten. Kazinczys Kinder lernten deutsch und slovakisch und als er seine Tochter Iphigenia nach Siebenbürgen sandte, schrieb er ihr: »Es würde mich freuen, wenn Du auch rumänisch und deutsch lerntest.« In seinem nächsten Briefe fragte er aufs neue: »Kannst Du schon rumänisch? Alles muß man lernen, was möglich ist2).« Auch Johann Kis schickte seinen Sohn nach Preßburg, damit er dort slovakisch lerne. Das kulturelle Prinzip siegte immer über das nationale. In dieser Polarität des Nationalgefühls drückte sich die Polarität des Ungartums am schärfsten aus. Wie in der Elektrizität der positive oder negative Strom für sich allein genommen wertlos sind, während sie zusammen Turbinen zu treiben vermögen, so kam auch das ungarische Nationalgefühl erst dann zu bleibenden Schöpfungen, als der nationale Pessimismus und der nationale Optimismus, quälende Selbsterkenntnis und zuversichtliches Selbstvertrauen, europäischer Weitblick und heiße Liebe zur heimischen Scholle sich in der ungarischen Seele vereinten. i) Ebda. I X . 276. >) Ebda. X X I . 147. 209.
4. Die historischen Anschauungen. Als Kazinczy 1798 seinen Roman »Bäcsmegyei« herausgab, richtete Anton Szirmay einen tadelnden Brief an ihn: »Ich bitte Sie, Freund, wollen Sie keine Romane, sondern Wirklichkeiten schreiben... Richten Sie Ihren Blick nicht auf fremde Völker! Die sind schon aller Wirklichkeit bar geworden, darum schreiben sie Romane . . . Aber unser armes Volk hat noch nicht einmal eine Geschichte, die in seiner eigenen Sprache abgefaßt ist1).« In der Tat ist es ein Symptom der Aufklärung, daß sie die geschichtliche Vergangenheit verachtete und sich um Traditionen nicht kümmerte. Ihre ungarischen Anhänger schrieben Romane, Dramen, besangen ihre eigene Zeit, übersetzten aus fremden Sprachen, lebten ganz in der Gegenwart und arbeiteten bewußt für die Zukunft. Hierbei spielte neben der Aufklärung zweifellos auch die seelische Haltung des ungarischen Kalvinismus eine wichtige Rolle. Sie betrachtete die ungarische Geschichte viel zu sehr als ihr Eigentum, als daß sie darüber nachgesonnen hätte. Wir sahen, daß die Erneuerer der ungarischen literarischen Traditionen meist aus katholischer Umgebung hervorkamen. Ähnlich waren alle Historiker des 18. Jahrhunderts, die ungarischer Herkunft waren, katholisch; die protestantischen waren Nichtungarn. Es ist eine bekannte Tatsache, daß der fremde Reisende die Sehenswürdigkeiten einer Stadt besser kennt als der Eingeborene. Das historische Interesse des ungarischen Katholizismus und der fremden Nationalitäten, das im 18. Jahrhundert einen starken Antrieb erfuhr, war die erste sichtbare Erscheinung jenes Assimilationsprozesses, von dem schon etliche charakteristische Kennzeichen im literarischen Leben aufgezeigt worden sind. Im 18. Jahrhundert erschienen die großen Geschichtswerke der beiden ungarischen Jesuiten Pray und Katona. Ein deutscher Schriftsteller, Schwandtner, gab 1746 die Chroniken des Anonymus und des Turoczi heraus. Der Anonymus erreichte bis zum Ende des Jahr") Ebda. II. 7.
Die Historiker der Zeit.
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hunderts noch sechs Auflagen neben zwei ungarischen Übertragungen. Die Übersetzer waren katholische Geistüche aus Transdanubien. Um den Preßburger Matthias Bèi sammelte sich eine ganze Schar von Historikern, deren Mitglieder meist dem oberungarischen Deutschtum entstammten. Die bekanntesten von ihnen waren Martin Schwartner, Martin Georg Kovachich, Jakob Ferdinand Miller. Schwartner war Universitätsprofessor in Pest, Kovachich Direktor der Universitätsbibliothek, Miller Direktor des Nationalmuseums. Alle drei besaßen deutsche Bildung, schrieben lateinisch und deutsch und sprachen ungarisch nur gebrochen. Mit ihren historischen Werken wollten sie nicht der Nation dienen, sondern die Wißbegier des Auslands befriedigen. Johann Christian Engel und Ignaz Feßler schrieben nicht mehr lateinisch wie sie, sondern deutsch. Ihre historische Arbeit war von großem Einfluß auf die ungarische Literatur. Die ungarische Geschichte eines österreichischen Historikers, Gebhardis, erschien auch in ungarischer Sprache. Die Übersetzung unternahm erst der Piarist Josef Hegyi, Stefan Kultsär beendete sie. — Die ungarisch-sprachige Geschichtsschreibung begann ein Franziskaner, Joachim Szekér, im Jahre 1791. Sein Werk hatte keine besondere Wirkung; desto volkstümlicher war das große historische Werk (in 5 Bänden) des katholischen Geistlichen Benedikt Viräg, das den Titel »Magyar Szäzadok« (Ungar. Jahrhunderte) führte (1808—16). Neben der beträchtlichen Anzahl katholisch-ungarischer und fremder Geschichtsschreiber standen nur zwei reformierte Historiker: die beiden Brüder Budai. Eine parallele Erscheinung zeigt sich anfangs bei der ungarischen Literaturgeschichte. Außer dem Reformierten Peter Bod waren die ersten Vertreter der Literarhistorie die fremden Lutheraner Czvittinger, Rotarides, Wallaszky und die Katholiken Horänyi und Samuel Päpay. Offenbar handelt es sich hier um keine Zufälligkeit, sondern um eine Gesetzmäßigkeit der Entwicklung. Dem Aufschwung der Geschichtswissenschaft gab die Gründung des Nationalmuseums, die dem Transdanubier Grafen Franz Széchenyi zu danken war und das dem Prager Böhmischen Museum als Muster diente, starken Antrieb. Der erste Direktor des Ungarischen Nationalmuseums war der Deutsche Miller, sein Gehilfe Stefan Horvät. Mit der Entwicklung der Geschichtswissenschaft stand die Verbreitung der Kenntnis ungarischer Geschichte in keinem Verhältnis. Die vielbändigen Werke Prays und Katonas waren unzugänglich, die Werke fremder Gelehrter übten keine Anziehungskraft aus, riefen
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Die historischen Anschauungen.
sogar — wie im Falle Schwartners — Widerwillen hervor. Die ungarisch-sprachige Geschichtsschreibung begann erst am Ende des 18. Jahrhunderts. In der Schule wurde keine ungarische Geschichte gelehrt. Lebendiger lebte im Bewußtsein der Allgemeinheit nur die Gestalt Ärpäds, des ersten ungarischen Fürsten, über den die Schriftsteller bei Anonymus nachlesen konnten. Schon Gideon Räday wollte ein Epos über Ärpäd schreiben, Csokonai betrachtete es als seinen Hauptlebenszweck, der Nation ein Epos über Ärpad zu schenken. Außer Ärpad wirken stärker noch die Gestalten der beiden Hunyadi, die auch von den Gelehrten des Auslands anerkannt wurden. Schwartner behauptete allerdings von Matthias Corvinus, er habe nicht ungarisch gekonnt. Ädäm Päloczi Horvath schrieb über Hunyadi ein Epos mit dem Titel »Hunniasz«. — Endlich lebten auch die Türkenkämpfe noch frisch in der Erinnerung des 18. Jahrhunderts, deren verheerende Spuren es noch unmittelbar vor Augen hatte. Von den Helden der Türkenkämpfe wurde Nikolaus Zrinyi am meisten besungen. Dies alles aber bot den Schriftstellern der traditionellen Richtung, die das Nationalgefühl ihrer Zeit durch den Hinweis auf die ruhmvolle Vergangenheit wecken wollten, wenig genug. So wird es begreiflich, daß sie für ihre geschichtlichen Romane, Dramen und Epen sich den Stoff aus der Fremde entliehn. Sie gössen ihn in ungarische Form, verlegten die Handlung in frühe Jahrhunderte der ungarischen Geschichte, ohne aber den Versuch einer genauen Zeitschilderung zu unternehmen. Das Lesepublikum kannte die ungarische Vergangenheit noch weniger als die Schriftsteller; so fanden ihre Werke begeisterte Aufnahme, da sie dem Geschmack der Zeit entsprachen. Diese Einstellung war ziemlich allgemein und hatte kaum kulturelle Grenzen. So kam es, daß schon bei den Schriftstellern der Aufklärung Magyarisierungsversuche begegnen. Bäroczi machte in seiner Kassandraübersetzung den Helden zu einem altungarischen Helden. Auch Kazinczy war genötigt, seinen Bäcsmegyei in ungarische Umgebung zu stellen. Als er aber eine Novelle aus Veit Webers »Sagen der Vorzeit« übersetzte, suchte er aus alten Urkunden ungarische Namen für die Hauptpersonen und führte die Namen Csongor und Csaba in die Literatur ein, denen Vörösmarty später Unsterblichkeit verlieh. Bei Kazinczy gehörte diese Magyarisierung anfangs zur Übersetzung; später aber — als er sich vom Geschmack des Publikums unabhängig gemacht hatte — behielt er die fremden Namen in seinen Übertragungen sogar in ihrer fremdsprachigen Form bei. Dadurch entfernte er sich immer
Historische Fiktion.
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mehr von den Transdanubiern und dem Geschmack der niederen und breiteren Schichten der Leserschaft. In der Entwicklung der historischen Dichtung spielte die Teilnahme des Auslands an der ungarischen Vergangenheit eine große Rolle. Diesem Interesse hatte in Deutschland, mehr noch in Österreich eine große Anzahl von Dramen und Romanen ungarischen Inhalts ihr Entstehen zu verdanken. Diese Dichtungen, meist Erzeugnisse der populären Literatur, kamen auch nach Ungarn und kein geringerer Dichter als etwa Franz Verseghy bemühte sich um ihre Übersetzung. Von Dugonics ging die Entwicklung über diese Ritterromane zu den Romanzen Alexander Kisfaludys. Schon Kazinczy stellte den inneren Zusammenhang in einer seiner Wiener Besprechungen fest: »Der bey weitem größte Teil des ungarischen Publikums empfing diese Romanzen mit einem Beyfall, der denjenigen, mit welchem es seine Liebeslieder empfangen hatte, zu verdunkeln schien. Ree. kann sich dies nicht anders, als aus dem verderbten Geschmack an Ritter- und Feengeschichten, womit Deutschlands Messen auch über Ungarn ihre Sintflut ergossen haben, erklären, wozu noch der Umstand kommt, daß auf den Ungarn das Andenken seiner Vorfahren, welche ihm hier in ihrem Costüme und ihren verschwundenen Sitten vorbeygeführt werden, mächtig wirkt1).« Die Romanzen Kisfaludys bezeugen am besten den Mangel an Gefühl für geschichtliche Überlieferung. Die »romantische« Umgebung seiner Wohnung, von der aus er fast täglich die Trümmer der alten Burgen betrachten konnte, hatten ihn zum Dichten angeregt. Über die Geschichte dieser stumm gegen den Himmel ragenden Ruinen aber wußte weder er noch das Volk ringsum etwas. Das Volk besaß keine überkommenen Sagen, denn Türkenkämpfe und Ansiedlungen hatten jahrhundertelangen Wechsel der Bewohner zur Folge gehabt, unter dem sich nichts weiter vererbte. Der Schriftsteller aber kannte die Geschichte nicht. — Nicht nur Kisfaludy, auch Petöfi, Tompa und Arany schrieben später erdichtete Sagen um die alten Burgen. Die Geschichtsbetrachtung jener Zeit bestand in nichts anderem als einer trüben, ahnungsvollen Sehnsucht nach der Vergangenheit, die sie für besser hielt als die Gegenwart. Der kleinste historische Beleg gab Anlaß zu dichterischer Begeisterung. Die Denkmäler z)
Ebda. V I I . 247. Vgl. LUDWIG GYÖRGY: Die Übersetzungen deutscher Romane
und Erzählungen in der ungar. Literatur (1772 — 1836).
Ungar. Jahrb. V I I I . 52 — 86.
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Die historischen Anschauungen.
der Vorzeit, zumal die Reste der Burgen, regten zu gegenstandslosen Träumen an. Die literarische Offenbarung dieser Liebe zu den alten Burgen läßt sich in der traditionellen Strömung von Dugonics und Baroti Szabo bis zur Romantik verfolgen. Baroti schrieb in seinem an Benedikt Virag gerichteten Gedicht: Wievielmal hat er schon Stuhlweißenburgs Ruinen beweint. — Auch in mir wohnt diese Trauer Klagend betrachte auch ich die alten Burgen des in wilde Öde verwandelten Vaterlands. Aus ihren mit Gesträuch bewachsenen mit Moos bedeckten, Früher hellglänzenden Fenstern Blicken nun Füchse. Ihr hehren Ahnen, Welch Finsternis, welch Dunkelheit bedeckt eure Würde! In der Theißgegend gab es keine Ruinen, keine historischen Denkmäler. Um die oberungarischen Burgen wohnten fremdsprachige Völker. Der siebenbürgische historische Roman entstand erst einige Jahre später, die Sekler Balladen harrten noch ihrer Entdeckung. Die Transdanubier, die ihre Sendung in der Nationalisierung sahen, blickten auf die Vergangenheit als auf die Glanzzeit des ungarischen Ruhms. Für die transtisischen Schriftsteller, die die Kultur verbreiten wollten, bedeuteten die verflossenen Jahrhunderte Dunkelheit und Barbarei. Die geschichtliche Auffassung der Aufklärung drückte ein transdanubischer katholischer Schriftsteller, der weder zur einen noch zur anderen Richtung gehörte, Paul Änyos, am deutlichsten aus: Und doch, wenn wir die vergangenen Jahrhunderte betrachten, Da wir unsere Häuser auf den Wagen mit uns führten, Aus Pferdefleisch unsere wilden Mahle bereiteten Und ewig mit Raub unsere Tage verbrachten, So schaudert uns! — Und wir umarmen die Schwestern Apolls, Da Hemus und Athenas ihre Mauern verließen Und hierher kamen, die Donaufer zu bewohnen Und unsres Volkes zügellose Sitte zu wandeln. Von den ungarischen Schriftstellern hatten wenige so eingehende geschichtliche Studien getrieben wie Franz Kazinczy, der das Archiv seines Komitats mit großem Fleiß ordnete. Er ließ eine ganze Reihe historischer Biographien erscheinen. Seine Stellung zur geschichtlichen Vergangenheit blieb dennoch zurückhaltend und kühl. »Es
Ungarische Tragik.
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ist eine Pein, die Geschichte unseres Vaterlandes zu lesen« — schrieb er 1823 a n den Grafen Josef Dessewffy. — »Wo ist hier ein großer Charakter ? Und wieviel Abstoßendes1)!« Die Freiheitskämpfe. der ungarischen Reformation betrachtete er mit kalter Obkjetivität, ebenso wie später Franz Kölcsey: »Nicht für den Glauben floß das Blut, sondern wegen des Meum und Tuum.« Ärpäd aber, den mythischen Helden der Transdanubier, nannte er ironisch einen »ehrlichen Menschen«, den man nicht in seinem Grabe stören dürfe. Der pessimistischen und optimistischen Richtung des Nationalgefühls entsprechend, war die Geschichtsbetrachtung des transdanubischen Katholizismus idealistisch, die des transtisischen Kalvinismus realistisch. Ein Merkmal war ihnen indes gemeinsam: hier wie dort war das Bewußtsein von der Tragik des ungarischen Schicksals wach. Bei den Schriftstellern Transtisiens ergab sich dieser Pessimismus von selbst aus ihrem Nationalgefühl, bei den Transdanubiern aber erwuchs er aus der Erkenntnis, daß ungarischer Heldenmut und Ruhm im Laufe der geschichtlichen Entwicklung, zumal seit den Hunyadis nicht belohnt wurde und daß der Ungar immer fiel und zugrunde ging. Da die Transdanubier nationale Fehler, die schon Stefan Magyari (1602) als Ursachen des ungarischen Verfalls bezeichnete, nicht sahen oder nicht sehen wollten, nahmen sie eine übernatürliche Macht an, die Ungarn zugrunde richte. Auf die Tragik des ungarischen Schicksals wies als erster Csokonai hin: »Jenes widrige Fatum (denn anders kann man es nicht nennen), das von dem Ufer der Kaspis her unser ungarisches Volk begleitete, hört noch immer nicht auf gegen seine Nachkommen zu kämpfen. . .« Der Ursprung dieses tragischen Bewußtseins ist vermutlich biblisch, wie der des nationalen Pessimismus der Reformierten. Alexander Kisfaludy erwähnte in der Vorrede zu seinen Romanzen, daß sie im allgemeinen traurig seien: »Vielleicht deshalb, weil der Ungar von Natur traurig ist ? Oder darum, weil seit langem, seit den vielen großen Plagen Hunnias, davon ich nur die Niederlage zu Mohäcs erwähne, alle Freude, alles Heil und aller Ruhm von der trüben Last ewigen Kummers bedeckt wird?« — Das ungarische Fatum, der ungarische Fluch war von da an die bequeme Erklärung jeder nationalen Katastrophe. •) K . L . X V I I I . 272.
5- Staat, Vaterland, Volk, Nationalität und Nation. So gering die geschichtlichen Kenntnisse des Zeitalters waren, so unsicher waren seine Begriffe von Vaterland und Nation. Diese Tatsache ist um so weniger verwunderlich, als das Ungartum im Laufe der historischen Entwicklung in eine paradoxe Lage gekommen war. Es blieb dem westlichen Fortschritt gegenüber zurück, weil es kein Bürgertum im Sinne des Westens hatte, das Träger der neuen Entwicklung hätte sein können. Der kleine Haufe ungarischen Adels hielt an seiner feudalen Staatsauffassung fest, deren konservative Grundlagen freilich von den liberalen Ideen und den absolutistischen reaktionären Bestrebungen der zentralen Macht stark erschüttert wurden. Die neuen Ansiedlungen, die die Germanisierung des Donaubeckens nach dem Muster Ostpreußens zum Ziele hatten1), drückten den Anteil des Ungartums beträchtlich herab. An eine Befreiung der ungarischen Hörigen aber konnte der Adel nicht denken: sie hätte zu seinem eigenen völligen Verfall geführt, wie es später tatsächlich geschah. So war der ungarische Adel, in sich selbst kulturell gespalten, am Ende des 18. Jahrhunderts seinem König und seinem Volkstum entfremdet. Die drei geschichtlichen Faktoren, die zur Zeit Stefans des Heiligen den ungarischen Nationalstaat geschaffen hatten, waren endgültig auseinandergefallen. Für das Ungartum war das Vaterland kein geographischer, sondern ein juristischer Begriff. Geographie wurde in den ungarischen Schulen so wenig gelehrt wie Geschichte. Der durchschnittliche Adlige kannte nach dem Zeugnis Kärmäns außer seinem eigenen Komitate kaum andere Gegenden. Kisfaludy lernte erst auf seiner Soldatenreise das Land kennen und sah in Siebenbürgen mit Schrecken und Überraschung, daß dort nicht nur Ungarn, sondern auch Walachen wohnten. Auch für Kazinczy war seine Fahrt nach Siebenbürgen eine Entdeckungsreise, von deren Ergebnissen er das ganze Land unterrichten wollte. Siebenbürgen war eine Welt für sich, *) Vgl. J O S E F N A D L E R : Die Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften. Regensburg, 1928. IV. 861 — 878. Die Karpathendeutschen.
Adelige Einstellung.
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unbekannte Ferne. Auch von Oberungarn wußte man nur wenig. Der Adel dort wurde im 18. Jahrhundert slowakisch, die Städte dagegen waren rein deutsch. Schon im Laufe der bisherigen Betrachtung mochte es auffallen, daß Oberungarn, abgesehen von seinen deutschen Schriftstellern, in der Literatur der Erneuerungszeit fast keine Rolle spielte. Alte ungarische Magnaten wie Ladislaus Pronay nannten sich Slowaken und wagten kaum ungarisch zu schreiben. Besangen die Dichter der Zeit das Vaterland, so dachten sie an ihren Geburtsort oder an ihre unmittelbare Umgebung. Die bekannten Phrasen der patriotischen Literatur von dem Land der vier Flüsse zwischen Adria und Karpathen wurden erst später allgemein. Berzsenyi war einer der ersten Dichter, der von dem ganzen Lande schrieb: Hier, wo die Donau ihr blondes Wasser wiegt, An den reichen goldenen Schollen, o Vaterland! Duftet die bekränzte Stirne der Ceres Und lächelt das glänzende Füllhorn über dir . . . (Ungarn). Die Geographie des Vaterlandes war bei den transdanubischen Dichtern bestimmt nur durch die Donau. Da sie aber stärker an ihrem Geburtsort festhielten als die Transtisier, lebte auch der territoriale Begriff Vaterland lebendiger in ihnen, obgleich ihre geographischen Kenntnisse schwach genug waren. Erinnert sei nur an das dichterische Glaubensbekenntnis Kisfaludys! Die Vorstellung von dem durch Ärpäd eroberten Boden verschmolz in ihrer Seele mit der Idee der verfassungsmäßigen Nation, deren Grundpfeiler die vor Jahrhunderten aufgestellten Gesetze und die althergebrachte Sprache sind. Wenn die Verfassung stürzt, geht das Vaterland zugrunde und wird eins mit Österreich. Wenn die Sprache ausstirbt, hört auch die Nation auf. Der Träger der ungarischen Verfassung war aber der ungarische Adel. Aus ihm ging der feudale Konservativismus Alexander Kisfaludys hervor, der nicht ein Ergebnis des Klassenstolzes, sondern instinktive nationale Selbstwehr war. Ihm war jeder willkommen, ob er nun ein Sohn von Hörigen war wie Bacsänyi, oder fremder Herkunft, wie Ruszek, wenn er nur die ungarische Sprache weiterbildete und die Verfassung nicht zu verletzen versuchte. Die Schriftsteller Transtisiens hatten die gleiche Ansicht von der Verfassung des Vaterlands. Die Ideen der Aufklärung machten sie
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Staat und Volk.
zwar zu Liberalen, aber ihr Liberalismus überschritt nicht die Schranken adeligen Denkens. Kazinczy war bis zum Ende seines Lebens ein großer Verehrer der Autorität. Kölcsey, der im späteren Landtag unter den Liberalen kämpfte, schrieb in seiner Selbstbiographie, daß die Tradition seines Geschlechtes in den nicht entarteten Nachkommen Vaterlandsliebe und aristokratischen Stolz nähre. »Im Dichter ist vielleicht kein Adelsstolz, aber nationaler Stolz (der aus der Freiheit und dem Selbstgefühl stammt, das die Verfassung verleiht), besitzt er wohl und ganz natürlich verschmilzt er mit der Liebe zum Vaterland. Ungarn hat viel gelitten, aber trotz all seiner Leiden besitzt es nicht nur eine gute universelle, sondern auch eine munizipale Verfassung. . . . Die Munizipalverfassung ist es, die die ungarische Nation aufrecht erhält«1). Allein während die transdanubischen Konservativen bei der kleinsten Verfassungsänderung um die Nation besorgt waren, wollten die transtisischen Liberalen sie der Zeit entsprechend weiter entwickeln. So gerieten sie später im Politischen ebenso wieder in Gegensatz zueinander, wie im Literarischen von Anfang an. J U L I U S S Z E K F Ü schriebdarüber: »Eine eigene Untersuchung beansprucht ein Problem unserer politischen Geschichtschreibung, die Frage nämlich, inwiefern die beiden so verschiedenen Temperamente, der transdanubische und der transtisische Charakter, die man infolge jahrhundertelang fortdauernder Blutvermischung für zwei verschiedene Rassen halten kann, zur Geltung kamen2).« Da im Mittelpunkt des Vaterlandsbegriffes der Transtisier die Sprache stand, war ihnen die danubische Auffassung vom Wesen des Vaterlandes fremd. In ihrer Dichtung spielten Erinnerungen an den Geburtsort nur selten eine Rolle. Kölcsey schrieb: »Die Menschen machen das wahre Vaterland aus, nicht Hügel und Orte. Die sind ohne Leben und können tausenderlei Völkern, ewig gefühllos wie sie bleiben, Wohnung geben3).« Es war der tragische innere Zwiespalt seiner Lage, daß das Ungartum weder durch die unveränderte Aufrechterhaltung der Verfassung, noch durch ihre zeitgemäße Weiterentwicklung, weder durch die Anhänglichkeit an das räumliche Vaterland, noch durch die Betonung des sprachlichen Prinzips sich vor der Katastrophe ») K. F. M. M. I X . 385. SZEKFÜ GYULA: Härom nemzedök. 3) K. F. M. M. III. 167. >)
(Drei Generationen.)
Bp. 1927 1 . 163.
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Der Begriff des Vaterlandes.
bewahren konnte. Die Konservativen standen im Gegensatz zu den absolutistischen und annexionistischen Bestrebungen der HabsburgRegierung, während sich die Liberalen der Reaktion des Wiener Hofes widersetzten. Der Weiterbestand der Verfassung schloß das Land gegen den Fortschritt des Westens ab und richtete es wirtschaftlich zugrunde. Die Entwicklung der Verfassung aber erschütterte den ungarischen Adel und hetzte die volkreichen Nationalitäten gegen das Ungartum. Das Bekenntnis zum Raumprinzip zwang zum Ausgleich mit den Nationalitäten, den doch das Verlangen nach der Ausbreitung der ungarischen Sprache von vornherein unmöglich machte. Das Ungartum, wohin es sich auch wendete um seine nationalen Probleme zu lösen, stieß schroff ans Hoffnungslose. Die Dichter der Erneuerungszeit erkannten in ihren Träumen diese verzweifelte Lage noch nicht; sie wurde ihnen erst später allmählich bewußt und bildete dann bei Szechenyi und Vörösmarty eine der Hauptquellen des nationalen Pessimismus. Wäre das Ungartum am Ende des 18. Jahrhunderts Herr seines Schicksals gewesen, wären die großangelegten Reformbestrebungen der 90er Jahre Wirklichkeit geworden, so hätte sich vielleicht aus der feudalen Staatsnation eine einheitliche Kulturnation gebildet. Die fremden Nationalitäten und die Bestrebungen der fremden Regierung haben den Lauf dieser Entwicklung gehemmt und das Ungartum mit unaufhaltsamer Folgerichtigkeit in die Katastrophe von 1849 getrieben. Die Kluft zwischen dem Ungartum und den fremden Nationalitäten offenbarte sich am stärksten in der Verschiedenheit der Auffassung über das Vaterland. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gab es keine Nationalitätenfrage. Der ungarische Adel bildete den Staat; Mitglieder dieses Adels konnten — wenn sie sich Verdienste erwarben — auch Deutsche, Rumänen, Serben, Slovaken werden; die verbindende Sprache war Latein. In Siebenbürgen nahmen Ungarn, Sekler und Sachsen gleichberechtigt an der Regierung teil. Mit dem Erwachen der ungarischen Nation aber ging Hand in Hand das Erwachen der Serben, Slovaken und Rumänen. Die ungarische Bewegung stärkte sie, da indes ihr völkisches Zentrum außerhalb der Landesgrenzen lag, war ihre Bewegung von Anfang an gegen den ungarischen Staat gerichtet. Ein scharfsinniger siebenbürgischer Politiker, Nikolaus Cserei, erkannte schon 1 8 1 3 die Gefahr: »Wenn diese beiden Länder (nämlich Ungarn und Siebenbürgen) aufhörten, zum ungarischen Vaterland zu zählen, so würde selbstverständlich F a r k a s , Romantik in Ungarn.
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Staat und Volk.
das eine slovakisch, das andere walachisch werden und mit Völkern sich verschmelzen, mit denen vereint es unabhängig und furchtbar wäre1).« — Die slovakischen und walachischen Bewegungen wirkten zunächst noch nicht auf das literarische Leben Ungarns ein, denn sie nahmen erst in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts größeren Umfang an. Wegen der Primitivität ihrer Kultur und der Unbekanntheit ihrer Sprache fehlt ihnen auch die Verbindung mit dem Ungartum. Ganz anders war das Verhältnis zu den ungarländischen Deutschen. Die neuangesiedelten meist katholischen Deutschen nahmen am nationalen Leben noch nicht teil. Das Bürgertum der ungarischen Städte jedoch verschmolz seit Jahrhunderten mit dem ungarischen Staat, dessen Kultur es durch Vermittlung der westlichen Kulturströmungen wesentlich bereicherte. Diese Deutschen in den Städten hatten kein Volksbewußtsein; sie fühlten sich vor allem als Glieder des ungarischen Staates und nannten sich im Ausland mit Stolz »hungarus«. Die Sprache war für sie Zufälligkeit, nicht Hauptsache. Die Bezeichnung »hungarus« war kein Volksname, sondern der Kollektivbegriff für die Bewohner des gemeinsamen Staates. Diese Auffassung spiegeln die ersten literarhistorischen Versuche von Czvittinger bis Wallaszky wider, in denen jeder als Ungar gilt, in welcher Sprache er auch schrieb, wenn er nur eben aus Ungarn stammte. Die nämliche Ansicht bildete die Grundlage der zeitgenössischen Geschichtswerke und auf gleiche Weise formulierte die theoretische Literatur den Begriff des Vaterlandes. Sonnenfels z. B. bezeichnete als höchstes Merkmal des Vaterlandes das gemeinsame Land, die gemeinsamen Gesetze und die Bewohner des Landes. Die Sprache spielte bei ihm nur eine nebensächliche Rolle2). Die während der Aufklärungszeit zur Blüte gekommene ungarländische deutsche Literatur begann bewußt mit einem nationalen Programm. Ihre Zeitschriften betonten gern das Wort Vaterland, dem sie mit nicht geringerer Schwärmerei zugetan waren als die transdanubischen Dichter. Die ungarische Geschichte behandelten sie wie die ihrige, die ungarische ethnographische Forschung und die geographische Erkundung des Landes nahm mit ihnen ihren Anfang. Ein selbständiges magyarisches Volk, das mehr Recht auf das Land gehabt hätte als sie selbst, kannten sie nicht. Sie fühlten \ ') K . L. XX. 4. J ) Sonnenfels: Über die Liebe des Vaterlandes.
Wien, 1 7 7 1 .
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Die ungarländischen Deutschen.
sich ebenbürtig, nicht nur den Magyaren, sondern auch den anderen Nationalitäten gegenüber. Beim Bau des deutschen Theaters zu Pest kostete es keine kleine Mühe, zu verhindern, daß das Theater die Aufschrift »Ungarisches Nationaltheater« erhalte. Es wäre aber ein Irrtum, in diesen Tendenzen des ungarländischen Deutschtums Feindseligkeit dem Magyarentum gegenüber oder Germanisierungsbestrebungen zu sehen. Die natürliche Ursache seiner Stellungnahme war die Tatsache, daß es die Entwicklung nicht erkannte, die im Magyarentum anhob. Als Schedius, der noch 1794 mit Kärmaneine ungarische Zeitschrift, die »Urania« redigierte, 1802 seine deutsche Zeitschrift unter dem Titel »Von und für Ungarn« begründete, hielt er es für notwendig, sich in der Einleitung zu rechtfertigen, warum er für seine Zeitschrift die deutsche Sprache gewählt habe: »Daß ich zu einer Zeitschrift von und für Ungarn die deutsche Sprache genommen habe, geschah aus denselben Gründen, wodurch vermutlich auch meine Vorgänger dazu bestimmt wurden. . . . Niemand wird hoffentlich so kleinlich denken, es für eine Verachtung der anderen zu halten. Man bedenke nur, daß . . . diese Sprache für die unserem Zeitalter angemessenen Begriffe, Vorstellungen, Empfindungen schon mehr bearbeitet und gebildet ist, als jede andere bei uns anwendbare. . . .« Schedius wehrte sich also durchaus nicht etwa dagegen, daß er seine Zeitschrift nicht magyarisch herausgab. Es ist bei ihm nur immer von den im Lande gebrauchten Sprachen die Rede. Die Formulierung seiner Motive entnahm er dem Wörterbuch der Aufklärung. In einem noch weiteren Sinne als die ungarländischen Deutschen es taten faßte den Begriff des Vaterlandes Baron Hormayr, der in seinem in Wien erscheinenden Archiv alle Bürger des Habsbürgerreiches in einem Lande vereinigt wissen wollte. Das aufkeimende Nationalgefühl des Magyarentums wandte sich ebenso gegen Hormayrs dynastischen Patriotismus wie gegen den Volksbegriff der ungarländischen Deutschen. Mit Argwohn erkannte man, daß die ungarländischen Deutschen sich das Recht aneignen wollten, die ungarische Nationalkultur auszubilden, während sie doch die ungarische Sprache verachteten, wie das aus der Vorrede von Schedius zu erkennen war. Über Schedius empörte sich sogar der liberale Kazinczy und als Johannes von Müller einen ungarnfreundlichen Brief schrieb, wollte er ihn veröffentlichen: »Es ist gut so etwas bekannt zu machen, damit unser Volk sieht, daß uns nur Österreich 9*
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Staat und V o l k .
und die unter uns wohnenden Deutschen für Barbaren halten1).« Die Transdanubier erwarteten von den Deutschen, sie sollten sich magyarisieren; die Transtisier hingegen hätten es lieber gesehen, wenn eine rein deutsche Kultur entstanden wäre. Die Deutschen wurden sich nur langsam der Abneigung bewußt, die das Ungartum wider sie erfüllte. Sie wohnten in Städten, die rein deutsch waren. Die Ungarn selbst kamen zum größten Teil nur zur Erledigung ihrer amtlichen Angelegenheiten, zu Komitats- oder Landesversammlungen von ihren ländlichen Besitzungen in die Stadt. In deutschen Händen waren Theater, Buchhandel und Presse. Die Wiener Regierung unterstützte sie. Erst betrachteten sie mit Wohlwollen den Aufschwung der ungarischen Literatur, hielten die magyarischen Dichter ebenso für die ihrigen wie die deutschen oder serbischen, berichteten mit Begeisterung in der deutschen Presse etwa über Kisfaludy und übernahmen bewußt die Aufgabe, die neuen Werke deutschen Geistes nach Ungarn zu vermitteln. Schedius erwähnte unter den Gründen, die ihn für den Gebrauch der deutschen Sprache in seiner Zeitschrift bestimmt hatten, noch diesen: »Daß endlich nur dadurch die Verbindung mit Deutschland, welche für unsere Kultur und Literatur die vorteilhafteste ist, erhalten werden kann.« Der Ausgleich der inneren Gegensätze des Ungartums begann, als sich die Vertreter der ungarischen Literatur in der Hauptstadt trafen. Zur selben Zeit vollzog sich auch der Zusammenstoß mit dem ungarländischen Deutschtum, das sich zu dem neu entstandenen ungarischen Nationalgefühl und der selbständigen ungarischen Literatur, die das »deutsche Joch« von sich abzuschütteln versuchte, im Gegensatz fand. Noch 1816 schrieb Kisfaludy in der »Tudomänyos Gyüjtemeny«: »Es gibt sehr verdiente Landsleute, die, obwohl sie Ungarn sind, doch deutsch geschrieben und dadurch unserem Vaterlande Ehre, der deutschen Literatur aber Namen und Ruhm erworben haben. Feßler, Engel, Glatz, Schedius, Schwartner, Rösler, Genersich, Halitzky und andere sind solche Männer, auf die die ungarische Nation mit Stolz blicken kann. Zwar haben sie mit ihrer ausgezeichneten Begabung unseren Nachbarn mehr Glanz und Nutzen gebracht, als ihrem Vaterlande, aber wir erkennen es doch dankbar an, daß sie mit ihren deutschen Schriften Ungarn besser in der Welt bekannt gemacht haben, als sie es in der Sprache ihres •) K . L . V I I I . 66.
Ungar — Magyare.
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Vaterlandes vermocht hätten1).« In dieser charakteristischen Äußerung zeigt sich der Zwiespalt der Meinungen. Kisfaludy hielt die deutschen Dichter für Ungarn, da sie sich selbst Ungarn nannten, ihre Werke aber für fremd, obwohl sie ungarische Stoffe behandelten. Der Vaterlandsbegriff war auch bei ihm mit der Vorstellung der Sprache aufs engste verknüpft. Diese Auffassung wich nur mäßig von der nationalen Stellungnahme der ungarländischen Deutschen ab. Kaum verstärkte sich aber das literarische Leben in Pest, so erfolgte sofort die endgültige Trennung. Die »Tudomänyos Gyüjtemeny« brachte im Jahrgang 1821 eine Kritik von Georg Fejer über einen Pester deutschen Almanach. Mit Schmerz beklagte er darin, daß sich die deutsche Sprache seit dem Schwinden des Lateinischen (das, wie das Ungarische, mit dem Patriotismus eins war) auf Kosten der imgarischen verbreite: »Jetzt wollen wir mit deutsch geschriebenen Büchern den Ruhm unserer Nation erhöhen, während wir doch durch diese Verachtung unserer Muttersprache vor der Welt eine Satire spielen und unserem Vaterland gegenüber die größte Undankbarkeitbegehen3).« Im Bewußtsein des Ungartums deckte sich so endgültig der Begriff »hungarus« mit dem Begriff »magyar«, der Begriff des Volkes mit dem der Nation. Es war nur mehr bereit den als Ungarn anzuerkennen, der auch in seiner Sprache Ungar war. Das städtische Deutschtum hat sich in seinen breiten Schichten dieser Forderung unterworfen. Das Bewußtsein der staatlichen und geschichtlichen Einheit erwies sich stärker als das Gefühl der völkischen Zusammengehörigkeit, die assimilierende Kraft des Ungartums (eines Ungartums, dem in politischer Hinsicht Hände und Füße gebunden waren), stärker als die Germanisierungstendenzen des Wiener Hofes, dem alle politische Gewalt zu Gebote stand. Ein Ofener deutscher Postmeister, der selbst noch nicht ungarisch konnte, schickte seinen zehnjährigen Sohn nach Kecskemet, damit er dort ungarisch lerne. Dies geschah zur Zeit des Wiener Kongresses, im Jahre 1815! Aus diesem Knaben wurde der Begründer der ungarischen nationalen Literaturgeschichte und der Kritiker der ungarischen Romantik. Nicht nur deshalb ist dieser Fall charakteristisch, weil er in seinen Folgen wichtig wurde, sondern auch darum, weil er Symptom eines nationalen Prozesses ist, dem, frei von aller Politik, die Literatur den Anstoß gegeben hatte und der sich dem Siege näherte. ') T u d . G y ü j t . 1818. VI. *) E b d a . 1821. IV. 8g.
22.
6. Das romantische Nationalgefühl. Das Nationalgefühl der romantischen Generation war das Ergebnis jener Kräfte, deren Gegensatz bisher dargestellt worden ist. Die Kulturassimilation des transdanubischen Katholizismus vollendete sich in Alexander Kisfaludy. Karl Kisfaludy und Michael Vörösmarty schöpften ihre vaterländischen Gedanken und Gefühle aus den Werken Alexander Kisfaludys, Benedikt Virägs und Daniel Berzsenyis. Dem früh in die Fremde geratenen Karl Kisfaludy gab das Beispiel des Bruders die entscheidende Richtung für sein Werk und sein eigenes Empfinden. Während seines Wiener Aufenthaltes schwand seine Liebe zum Vaterland nicht; sie gewann vielmehr neue Nahrung in der Umgebung der österreichischen Romantik. In einem an Gaal gerichteten deutschen Brief vom 17. Februar 1820 legte er die verschiedenen Wurzeln seiner dichterischen Wirksamkeit bloß: ». . . meine Tendenz und ganzes Wesen umschließt nur das Vaterland. Alles, was ich sah und hörte, suchte ich ins Ungarische einzukleiden und früher als die Kunst, studierte ich den Charakter meiner Nation; darum schrieb ich auch für Ungarn, nicht für die Welt. . . . Nie wollte ich um Dichterruhm ringen, nur dem Vaterland die kräftigere Vorwelt zeigen; und so hat mich der Patriotismus zum Dichter gemacht 1 ).« Es ist nicht schwer, in dieser Begründung den Gedankengang des älteren Kisfaludy wieder zu erkennen, freilich mit einem wesentlichen Unterschied: Alexander behauptete von sich, er sei kein Dichter, sondern nur Patriot; Karl aber sagte, ihn habe seine Liebe zum Vaterland zum Dichter gemacht. So löste der patriotische Dichter den dichtenden Patrioten ab. Die jugendlichen Versuche Vörösmartys weisen klar auf die Quelle seines Nationalgefühls hin. Indem er Baroti Szabo, Virag und Berzsenyi folgte, schrieb er Gedichte gegen die neue Mode, mahnte einen seiner Freunde, ungarisch zu dichten, rühmte in mehreren Oden Czinke, den von dem Kreise Kazinczys so sehr ver') K. K. M. M. VI. 288.
Fortsetzung der Assimilierung.
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achteten Pester Professor, weil er seine Schüler echt ungarische Gefühle lehrte, und geißelte an einer anderen Stelle die entarteten Ungarn. Dieses starke Nationalgefühl war das Ergebnis des transdanubischen Kulturmilieus. Karl Kisfaludy und Michael Vörösmartv übernahmen von den Transdanubiern eine ausgebildete nationale Tradition. Die Assimilation der Fremdsprachigen setzte sich indes auch in der jüngeren Generation fort, war dort aber nicht mehr zufällig, sondern breitete sich einheitlich auf das städtische deutsche Bürgertum und den entfremdeten hohen Adel aus. Als Franz Schedel-Toldy seine literarische Tätigkeit begann, war seine Kenntnis des Ungarischen noch lückenhaft. Und doch wurde er in'einigen Jahren ein angesehener Kritiker der neuen Generation und das jüngste Mitglied der neugegründeten Akademie, die Szemere noch nicht aufnahm. Der Magyarisierungstendenz der vorhergehenden Periode entsprechend nahmen die Schriftsteller fremder Abstammung nun ungarische Namen an, um ihre Verschmelzung mit dem Ungartum auch äußerlich zum Ausdruck zu bringen. Räjnis, Dugonics, Gvadänyi begnügten sich damit ihren Namen ungarisch zu schreiben. Die neuen ungarischen Namen waren erst Pseudonyme, später wurden sie als Familiennamen gebraucht. Aus Bierbrauer wurde Serfözö, aber weil der harte Klang des Worts den feinen Geschmack Kazinczys verletzte, änderte man es in Helmeczy. Schedel besann sich lange, schließlich blieb er bei dem Namen Toldy. Bajza begrüßte seinen Entschluß mit Freude und bemängelte nur, daß der Name Toldy so »kalvinistisch« sei. Im übrigen war das wohl das erste Mal, daß man zu historischen ungarischen Namen griff 1 ), Stettner — Sohn einer schon lange assimilierten Adelsfamilie Transdanubiens — gebrauchte zuerst den seltsam klingenden Namen Fenyery, später magyarisierte er ihn in Zädor. Im allgemeinen haften diesen neuen Dichternamen Spuren der Pedanterie der Sprachreform an. Neben Helmeczy, Zerffy tauchte auch der Name Szenvey auf. Der Familienname seines Trägers war Kvicsola, aber er trat in der Dichtung zuerst mit dem deutschen Namen seiner Mutter auf. Aus Tretter — einem Deutschen des Aurora-Kreises, der die ungarische Sprache nicht beherrschte — wurde erst später Jary. Die beiden Aristokraten der ungarischen Romantik, Mailäth ' ) Miklös Toldi war eine vielbesungene historische 14. Jhdt.
Heldengestalt aus dem
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Das romantische Nationalgefühl.
und Mednyánszky, waren zu Beginn ihrer Laufbahn die ungarischen Vertreter des dynastischen Patriotismus, den Hormayr in die Literatur einführte. Sie waren deutsch gebildet, konnten kaum ungarisch, wurden aber infolge des Gleichlaufs der österreichischen und ungarischen Entwicklung alsbald mit der ungarischen Literatur verknüpft. Mailáth schrieb schon 1821 an Kazinczy: »Ich habe meine Gedichte selbst übersetzt ins Ungarische, wie ich denn überhaupt zur magyarischen Schriftstellerei übergehen will. . ., ich finde aber, daß ich der magyarischen Sprache bei weitem nicht so Herr bin wie der deutschen1).« Die angegebenen Übersetzungen sind voll von elementaren grammatischen Fehlern. Mailáth ging zwar nicht ganz zur ungarischen Literatur über, nahm aber von nun an ein Jahrzehnt hindurch an dem literarischen Leben Ungarns teil. Mednyánszky wirkte hauptsächlich durch seinen zusammen mit Hormayr redigierten österreichischen Almanach. Aus diesem Grund wird von ihm im nächsten Kapitel noch die Rede sein. — Der größte sich remagyarisierende Magnat war Stefan Széchenyi, der erst in seiner späten Jugend ungarisch lernte und noch 1814 in seinen Briefen von »uns Österreichern« schrieb. 1825 trat er mit der Gründung der Akademie vor die Öffentlichkeit. Seine reformierende Tätigkeit begann aber erst in den 30er Jahren, wenn er auch schon früher als treibende Kraft im Hintergrunde der literarischen Bewegungen stand. — Zu diesem Kreis von Magnaten gehörte noch Georg Gaál, der Wiener Bibliothekar des Fürsten Esterházy, nicht durch seine Herkunft, sondern infolge seiner Umgebung und seiner dichterischen Entwicklung. In der »Aurora« erschien nur eines seiner ungarisch verfaßten Werke; auch er wirkte eher von außen wie Mednyánszky. Alle diese Remagyarisierten verband Freundschaft mit Karl Kisfaludy. Sie entstammten der nämlichen Umgebung, der Wiener Schule, und nahmen dieselbe Entwicklung. Auch Karl Kisfaludy mußte sich erst remagyarisieren um ein ungarischer Dichter zu werden. »Was die Sprache betrifft« — schrieb er am 15. März 1820 an Kazinczy — »so gestehe ich: ich fange an, sie nun zu lernen. Ich war acht Jahre lang fortwährend im Ausland, ohne dort ungarische Bücher zu sehen. Jetzt aber beginne ich zu wählen und die kürzeren und lieblicheren Wendungen der Sprache zu erfassen2).« Das war
1) K . L . X V I I I . 220. •) Ebda. X V I I .
112.
Die Quellen.
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nicht nur Bescheidenheit: die ersten Werke Kisfaludys weisen tatsächlich ein noch unentwickeltes Sprachgefühl auf. Endlich fand die neue Generation durch den niederen Klerus auch den Weg zu der literaturfremden Masse. Seine charakteristischsten Vertreter waren die aus dem Hörigenstande hervorgegangenen Gregor Czuczor, Isidor Guzmics und Fabian Szeder. Diese romantische Generation brachte die nationalen Traditionen ihrer Vorgänger in die neue Zeit und die hauptstädtische Umgebung; zugleich aber erlebte sie das Europäertum Kazinczys. Der verschiedene Gehalt ihres nationalen Sendungsbewußtseins und ihres Nationalgefühls beweist ihren zwiefachen Ursprung. Der Kreis Kölcseys, die reformierten Mitglieder der romantischen Generation, kamen von der anderen Seite des ungarischen Lebens her. Kölcsey ging in seiner Jugend vom Kosmopolitischen aus und gelangte von da zum nationalen Selbstbewußtsein und dem Glauben an die nationale Sendung. Eben darum wurde das Nationalgefühl für ihn zum ständigen Problem. Niemand hat sich gedanklich so viel mit ihm beschäftigt wie er und Szemere. Seine Abhandlung über die nationalen Traditionen (A nemzeti hagyomanyokrol) hat eine Novelle Szemeres angeregt, die im ersten Bande der »Aurora« erschien (1822). Kölcsey bezeichnete als Quelle seines Nationalgefühls seine seelische Haltung und das Beispiel der klassischen Dichter. Er schrieb: »Für mich war es immer ein Bedürfnis zu lieben, heiß zu lieben; so konnte mir die kosmopolitische Kälte nur ein vorübergehender Paroxismus sein.« Geht man aber seiner geistigen Entwicklung nach, so kann man feststellen, daß sein Nationalgefühl in Pest, in dem patriotischen Kreise der Redaktion der »Tudomänyos Gyüjtemeny«, erwachte. Damals mißfiel ihm noch der Patriotismus der Transdanubier, der sich über sich selbst hinwegtäuschte. Aber seine in der Csekeer Zurückgezogenheit sich bildende Geisteswelt verschmolz die Wirkung des Neuen mit seinen ursprünglichen Neigungen. So läßt sich bei ihm wie bei Szemere eine doppelte Quelle des Nationalgefühls erkennen. Szemere schrieb bald: »Das Vaterlands- oder Nationalgefühl halte ich für den Maßstab des dichterischen Empfindens. Es ist das wahrste1).« Ganz ebenso haben früher Alexander Kisfaludy und Andreas Horväth die literarische Bedeutung des Nationalgefühls betont. !) Sz. P. M. I I I . 250.
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D a s romantische Nationalgefühl.
In der Pester literarischen Umgebung bildete sich also die Einheit des Nationalgefühls als tiefster Sinn und Antrieb der ungarischen romantischen Literatur aus. Die alte Generation stand diesem neuen Nationalgefühl so fremd gegenüber wie den neuen Formen des literarischen Lebens. Sie erkannte ihren eigenen Anteil an ihm nicht. Kazinczy klagte über den »lostobenden Nationalismus« der Aurora und hätte es lieber gesehen, wenn auch das »rein Menschliche« zur Geltung gekommen wäre. Alexander Kisfaludy glaubte von dem jüngeren Bruder, er könne kein gutes Ungarisch und verderbe die ungarische Sprache. Auch mag ihm mißfallen haben, daß die Literatur in Ungarn nicht mehr reiner Patriotismus war, sondern Broterwerb und Amt wurde wie in Deutschland. Mit dieser Entwicklung des literarischen Lebens hing eine Wandlung im Glauben an die nationale Sendung der Literatur zusammen. Alexander Kisfaludy konnte noch mit Recht annehmen, daß die Pflege der Literatur das Land magyarisiere. Kazinczy hoffte, die Ausbildung der Sprache werde das Ungartum in die Reihe der europäischen Nationen heben. Seit 1820 aber war die Literatur nicht mehr der einzige Faktor im nationalen Leben. Die schlechtgestellte ungarische Schauspielkunst fing langsam an sich durchzusetzen. In Pest und auf dem Lande spielte man mit großem Erfolg die patriotischen Stücke Karl Kisfaludys; das deutsche Theater in "Pest nahm die Stücke »Ilka«, »Stibor«, »Die Tataren« schon 1820 in sein Repertoire auf. Die nationalisierende Wirkung des Theaters war weit größer als die der Bücher, weil es zum Gefühl der Menge sprach. Karl Kisfaludy schrieb 1820 an Gaäl: »Durch den kleinen Applaus,, den meine Stücke erhielten, aufgemuntert, schreiben nun auch alle ungarische Literaten Theaterstücke. So haben wir die Hoffnung, daß auch wir nach so langem Schlummer erwachen und in die Reihe der kultivierten Nationen treten1).« Das Feld der literarischen Wirkung verschob sich; bei der schnellen Magyarisierung Pests spielte das Theater bereits eine größere Rolle als die Literatur. — Vom Beginn des 19. Jahrhunderts an erfüllten sich auch die Schulen immer mehr mit nationalem Geiste. Besonders galt dies von dem Pester Gymnasium der Piaristen, an dem Vörösmarty, Toldy, Bajza studierten. Die Universität besaß schon einen ungarischen Lehrstuhl und der vielverspottete Czinke hatte wenigstens das Verdienst, *) K . K . M. M . V I .
290.
Die neue Sendung.
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daß er das Nationalgefühl seiner Hörerschaft zu wecken suchte. 1823 zog Stephan Horvät in die Universität ein. Die ganze junge Generation, an ihrer Spitze Baron Joseph Eötvös und Ladislaus Szalay, bezeugten dankbar, daß sie ihm ihren heißen Patriotismus zu danken hatten. Schließlich entstand noch das Ungarische Nationalmuseum als Wahrer der ungarischen Traditionen und Erinnerungsmal der großen Vergangenheit. Daneben war die Ungarische Akademie der Wissenschaften, ein Mittelpunkt des Geisteslebens der Gegenwart, im Werden begriffen. In Preßburg versammelte sich wieder der ungarische Landtag und zog die Aufmerksamkeit der ganzen Nation auf sich. Der Einfluß der Literatur begrenzte sich auf ein engeres Gebiet. Gleichzeitig aber vertiefte er sich. Karl Kisfaludy begründete die »Aurora« noch mit Magyarisierungstendenzen. Aber er wollte auch die entfremdeten ungarischen Frauen, um die sich die bisherige Literatur wenig kümmerte, für das Ungartum zurückgewinnen. Nun wurde die Rolle der Mutter in der nationalen Erziehung immer deutlicher. Kisfaludy gab seinen Almanach heraus, damit »unsere gebildeten Frauen nicht genötigt sind, an fremden Sprachen festzuhalten«. Die Motive der danubischen Richtung kehrten noch öfters in der neuen Dichtung wieder. Karl Kisfaludy verspottete in seinen Lustspielen, Fäy in seinen Märchen den Ungarn, der das Fremde nachäfft. In seinen Dramen stellte er die glorreiche Vergangenheit dar. Michael Vörösmarty sang Epen vom alten Ruhm. Aber all diese Erscheinungen waren nur noch Ausläufer eines großen Wellenschlags. Die neue Generation erkannte ihren dichterischen Beruf darin, den Volksgeist in künstlerischer Form auszudrücken und die Nation dadurch in die Reihe der europäischen Nationen zu stellen. So trafen sich die nationalen Tendenzen der transtisischen und danubischen Strömung in der neuen Literatur. Alexander Kisfaludy und sein Kreis mühten sich um die Pflege einer eigenartigen nationalen Literatur, kümmerten sich aber nicht um die Form und sahen nur nach innen. Kazinczy und seine Anhänger versuchten die europäische Literatur zu fördern, brachten indes nur Übersetzungen. Synthese von Nationalismus und Europäertum war die Losung der neuen Literatur. Sie war aber nur mit originellen Werken zu erreichen, die auf einer hohen Stufe künstlerischer Vollendung standen. Kölcsey warnte schon 1817 Kazinczy, er solle seine Übersetzungen
140
Das romantische Nationalg-efühl.
nicht noch einmal herausgeben, denn das Publikum liebe jetzt nur noch »Originales«. Karl Kisfaludy schrieb an Gaal: »Meine Tendenz war, den Wunsch, ein vaterländisches Thaeter zu besitzen, rege zu machen, dies konnte nur durch Originalwerke geschehen1).« Diese »Originalwerke« mußten indes auf europäischem Niveau stehen. Toldy war darüber entrüstet, daß Mailäth Berzsenyi den größten ungarischen Dichter nannte, weil er ganz ungarisch sei. »Ist das Volkstum der größte Besitz des Dichters« — fragte er — »und kann das Nichtnationale nicht größer sein als alles? Wenn Shakespeare seine Dramen ungarisch geschrieben hätte, wäre Berzsenyi auch dann ein größerer Genius gewesen als er ?« Er sprach es offen aus: »Das Volkstum ist ein Bestandteil des Charakters, aber nicht der einzige. Der homo sapiens ist nicht nur ein Mitglied der Nation, sondern auch einer Konfession, hauptsächlich aber Mensch2).« Und das sagte der assimilierte Toldy, der Begründer der nationalen Literaturgegeschichte! Aber auch Karl Kisfaludy gab seinen Dramen nur deshalb eine übertrieben patriotische Färbung, um durch sie das Publikum ins Theater zu locken und um dann — wenn das Publikum einmal gewonnen war — der höheren Literatur dienen zu können. »Ich habe es getan« — so sucht er Gaal gegenüber seine patriotischen Dramen zu entschuldigen — »um das Publikum in das Theater zu locken. Sie kennen ja diese Nation, sie will sich überall gelobt sehen; aber das soll das Ausland nicht erfahren3).« Die Wandlung des Sendungsbewußtseins wird durch nichts besser bezeugt als durch eine gleichzeitige Äußerung Döbrenteis: »Das Publikum liest nicht aus Patriotismus (und es wäre wahrhaftig ein quälender Patriotismus, ein schlechtes ungarisches Buch nur darum zu lesen, weil es ungarisch ist), sondern um zu lernen oder um sich zu unterhalten^.« Dies war ohne Zweifel mehr als eine Wandlung des Geschmacks: die Bedeutung der Literatur wurde eine andere, obwohl es auch in Zukunft nicht an Dichtern fehlte, die die Geringfügigkeit ihrer Werke mit ihrem Patriotismus decken wollten. Die wertvolle Literatur aber strebte doch seit den zwanziger Jahren nach Vereinigung von Volkstum und Europäertum in der Kunst. Wie die Literatur der ungarischen Romantik keine patriotische i) *) 3) 4)
Ebda. Tud. Gyüjt. 1826. X. K. K. M. M. VI. 305—306. ¿let es Literatura. I. 255.
Der Wandel des Literaturbegriffes.
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Literatur war, so waren auch die Dichter der Romantik keine Patrioten im eigentlichen Sinne des Worts. Ihr Nationalgefühl war höchst kompliziert und läßt sich nicht auf einfache Formeln zurückführen. Außer dem optimistischen, idealistischen Patriotismus Kisfaludys und der rationalen Staatsauffassung des Kreises um Kazinczy standen sie alle unter dem Einfluß der schweren politischen Lage des Ungartums, an der auch die Eröffnung des Landtags nicht viel änderte. Die großangelegten Reformbestrebungen der neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts waren längst vergessen. Die Nation als Ganzes bot auf dem Landtag in Preßburg das traurige Bild einer hundertjährigen Rückständigkeit. — Es genügt ein Beispiel anzuführen. Nach der Statistik des Jahres 1829 waren von den 62461 Einwohnern Pests, also der Hauptstadt, insgesamt 1200 Magyaren. Die Lage des Ungartums regte immer mehr zum Nachdenken an, der Nebel der Illusionen zerrann. So braucht man sich nicht darüber zu wundern, daß das Nationalgefühl der ungarischen Romantiker pessimistisch war, wenn auch ihre Dichtung als patriotische Nationalliteratur im allgemeinen literarischen Bewußtsein lebt. Dieser Patriotismus war bei ihnen zum Teil übernommene literarische Tradition, die sie langsam abtaten, zum Teil Nachgiebigkeit gegenüber einer allgemeinen Strömung, nicht aber innerstes Bedürfnis. Wie früher Kazinczy und Franz Kölcsey, so trug jetzt auch Karl Kisfaludy nur schwer die Last des ungarischen Schicksals. Während er die ersten ungarischen Lustspiele schrieb, die Frohsinn und Heiterkeit verbreiteten, fühlte er sich wie ein Priester des Comus, »der mit gewohnter Tändelei auf den Brettern tanzt, während sein Inneres vor geheimen Schmerzen blutet1).« Oft genug packte ihn die Sehnsucht nach Freiheit: »Bei allem meinem Patriotismus kommt mir doch oft die Klage aus der Brust: Wäre ich nur hier nicht geboren! — schreibt er an Gaäl. — Man findet hier so selten Menschen, die sich aus dem rohen Magyarismus emporgearbeitet hätten und mein Verhängnis hat mich mitten unter solche gestellt. Ich denke mir oft, wie herrlich läßt es sich dichten im Kreise aufgeklärter mitfühlender Menschen, in Gesellschaft gebildeter Freunde, die nicht alles fanatisch verehren oder blindlings verwerfen*).« Dieser Pessimismus trug das gleiche kulturelle Gepräge wie der Kazinczys und zeigte den anhaltenden Einfluß der Aufklärung. Der erschreckende Gegensatz ') K . K . M. M. V I . 4 3 1 . >) Ebda. V I . 298.
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Das romantische Nationalgeflihl.
zwischen dem europäischen Kulturniveau des Dichters und der Rückständigkeit der Zeitgenossen gebar das Bewußtsein von der Tragik des ungarischen Dichterschicksals, das sich schon bei Karmän meldete. Karl Kisfaludy schrieb: »Hier ist die Welt arm an Geld und Geist und flach wie die Puszten sind auch die Gemüter, eingehüllt in den Dunst ihrer Niedrigkeit. Die große Frage sollte wohl die Menschheit an jeden Dichter tun: wo und wann er geboren1)?«. Wieder ist es, als hörte man die Klage Kazinczys, daß die ungarische Erde keinen Goethe und keinen Schiller hervorbringe oder als vernehme man den Aufschrei Kärmäns, daß das ungarische Klima den Wissenschaften abhold sei. Der Pessimismus Karl Kisfaludys war nicht individuell, sondern bedingt durch die Zeit. Vörösmarty schrieb damals seinen »Ungarischen Dichter« (A magyar költö): »Mein Junge, der Heimat begabtere Zeit — Für immer sie schwand — nicht besinge: Der Jüngling ist fühllos, das Mädchen versteht Dich nimmer, dein liebendes Herz es verschmäht; Laß ruhen die leidige Schwinge. Und singst du, so sei es dir selbst, freudelos, Wo Aare sich wiegen in heimischem Schoß, Und Sangs Heidenpreis Wind ums Waisenhaupt das verwaisende Reis.« So flieht denn verzichtend der Jüngling die Welt, Nicht wissend, wo Tag ihn und Nacht überfällt, Und dem er entsprungen, dem Volk unbewußt, Erstirbt sein Gesang in erstarrender Brust 2 ). Zur gleichen Zeit klagte Toldy: »Wenn der Ungar sein Auge nicht auftun will und das Licht von sich fernhält, so bedecke ihn ewige Nacht, damit er es einst, wenn kein Licht mehr sein wird, vergebens öffne. Ich fürchte, es wird noch so kommen3)!« Dieser düstere Pessimismus flößte dem Denken der Dichter Verzicht und Entsagung ein: Ungarn ist eine zum Tode verurteilte ') Ebda. V I . 365.
Ähnlich
äußerte
Dichter sollte höher gehalten werden,
sich
Grillparzer:
»Ein
österreichischer
als jeder andere. Wer unter solchen Umständen
den Mut nicht verliert, ist wahrlich eine Art Held.« ') M. Vörösmartys
Ausgewählte
Wien, Pest, Leipzig 1895. S. 13. 3) A. K .
Gedichte.
Deutsch
von
PAUL
HOFFMANN.
Romantischer Pessimismus.
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Nation; jede Anstrengung hat ihr Ziel verfehlt; nur Gottes Mitleid kann helfen; weise ist wer alles verachtet, Tugend, Größe und Wissenschaft, Ruhm und Leben, denn auf der Erde ist alles umsonst. Das ungarische Volk geht zugrunde, ein nagender Wurm frißt an seinem Mark (Kölcsey). Vörösjnarty schrieb 1822: O, so naht schon der Untergang ! Und löscht die Heldentaten dieses Volkes aus Es stürzen die Gräber der entarteten Helden Bei den Namen ihrer heldenhaften Vorfahren. Und am Ende der Periode, im Jahre 1830 ertönte »Zrinyis Lied«: Die da leben, sind im Blut verdorben, Schwach an Kopf, verderbt in Herz und Sinn. Jenes Volk, das Heldenlohnes Ernte Auf des Schweißes Bahn gewinnen lernte, Lebt im Namen nur — es ist dahin1). Und noch später schrieb Kölcsey »Das zweite Lied Zrinyis« mit der Vision des endgültigen Verderbens; Vörösmarty dichtete den »Aufruf« (Szozat) mit der schrecklichen Prophezeiung des Todes der Nation, Bajza aber seufzte auf: Dein Ehmals freudenleer, Dein Künftig trostverbannt, Dir schlägt mein blutend Herz Verwaistes Vaterland2). Dieser Pessimismus war nicht der Ausbruch einer augenblicklichen Verzweiflung. Er war in das Blut der romantischen Dichter übergegangen und so sehr ihr eigen geworden, daß sie die Melancholie für das eigentliche Merkmal des ungarischen Geistes hielten. »Die Melancholie ist Nationalfirniß«, schrieb Karl Kisfaludy, »in allen Handlungen, bei jedem Wechsel des Lebens ist der Ungar diesen unterworfen3).« Nach Szemere war Trauer der Hauptwesenszug des Ungarn; ihretwegen war er untauglich für die Dichtung. Döbrentei und Kölcsey schrieben sich Briefe über das ungarische Fatum: »Warum ließ mich der Schöpfer das Unglück meines Volkes so tief empfinden,« fragte Döbrentei, »daß es mir solche Schmerzen bereitet?«, worauf Kölcsey antwortete: »Dies fragen wir alle. Ich bin der schwächste unter Euch; ich gestehe, ich verzweifle am ') G. S t i e r : 36 ungar. Lieder und Gedichte. Halle 1850. S. 20.
2
) Gustav Steinacker: Pannonia. Leipzig 1840. S. 103.
3) K . K . M. M. V I .
292-293.
144
Das romantische Nationalgefühl.
leichtesten und ermatte am schnellsten1).« — Und in der Tat, Kölcsey war der pessimistischste ungarische Dichter, der der nationalen Verzweiflung einen erschütternden Ausdruck gab. Alexander Kisfaludy und sein Kreis hatten die Nation mit den Bildern des Verderbens nur geschreckt, sie selber waren erfüllt von gläubigem Optimismus. Kazinczy und seine Anhänger hatten die traurige Lage der Nation gesehen, aber sie glaubten an jenen philosophischen Geist, der das Schicksal der Welt lenkt. Für die romantische Generation gab es keine Hoffnung. Dennoch gebar diese vollendete Verzweiflung in Ungarn keinen Oblomover Nihilismus. Das Bewußtsein des Todes wurde vom Trieb zum Leben in die Schranken gefordert. Trotz erfaßte die Geister, Tatenlosigkeit wurde immer wieder von Tatendrang abgelöst. Handeln, handeln, handeln! rief die romantische Generation, sonst gehen wir unter. An zwei Fronten kämpften sie gleichzeitig, gegen das hoffnungslose Todesbewußtsein ihrer eigenen Seele und gegen den großen ungarischen Gleichmut. Sie waren Propheten, deren Stimme in der Wüste ertönte; aber sie schrien, um den Vernichtungsschrei des eigenen Zweifels zu überhören. Karl Kisfaludy lag tagelang untätig, hatte für nichts, selbst nicht für die »Aurora«, Interesse. Jedes Jahr kündigte er an, er stelle ihr Erscheinen ein; und doch begann sie jedes Jahr von neuem, bis zu seinem Tode. Kölcsey sang das entmutigende Lied der »Vanitatum vanitas« und bedrängte inzwischen Szemere ständig, er möge doch die Zeitschrift »Literatur und Leben« begründen. » . . . siehst du nicht, wie ich unsere Namen gedruckt sehen will. Das Autorenfieber ist ein gefährliches Fieber; wenn es den Menschen befällt, gibt es keine Hilfe außer dem Knarren der Presse2).« — F ä y hielt in seinem Märchen Tat für das Heilmittel wider alle nationale Not. Vörösmarty schrie in der Pein seiner tödlichen Visionen: »Besser als Haß ist Tat, laßt uns ein besseres Leben beginnen!« Und über ihnen allen stand mit seinen fieberhaften Schöpfungen und seiner selbstquälerischen Seele Stephan Szechenyi. Alle haßten sie jenen Patriotismus, der seine eigenen Fehler in glänzende Farben hüllte und in seiner Vorstellung von der Größe der Vergangenheit tatenlos schwärmte. Sie haßten den Patriotismus der Phrase, der sich in Worten erschöpfte. Toldy schrieb verächtlich £let es Literatura. II. 104. K. F . M. M. I X . 274.
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Tatendrang.
von den Ungarn, die ihren Patriotismus auf den Lippen trügen wie das Wirtshaus sein Schild. Vörösmarty zürnte: Was sucht das heilige Wort auf euren unheiligen Lippen? In eurem Herzen sei das Vaterland und wenn Ihr von ihm redenmüßt, So mögen Eure Taten seinen großen ruhmvollen Namen singen. (A hazafiak = Die Patrioten.) Deshalb war ihm das betonte Ungartum in den späteren Werken Alexander Kisf aludys zuwider : » . . . der übertriebene Patriotismus behagt nicht einmal dem inbrünstigsten Ungarn. Weißt Du, er ist ein heiliges Gefühl, aber wir müssen es nicht auf den Markt bringen und auf Schritt und Tritt ausschrein, sondern nur dort, wo es starke Ursachen und richtige Folgen hat 1 )!« Die romantische Generation trug das Vaterland in ihrem Herzen als verzehrenden Schmerz, als loderndes Feuer, das sie verbrannte. Dies war der innerste Grund des tragischen Schicksals Vörösmartys, Széchenyis, Bajzas2). »Licht und Finsternis sind es« — sagte Kölcsey — »die sich in unserem Nationalgefühl schmerzlich vereinen. « Vernichtender Pessimismus und quälender Schaffensdrang bildeten die Elemente des romantischen Nationalgefühls, eine Verbindung, die eigenartig und durchaus ungarisch war. *
Dieses Nationalgefühl spiegelte die ungarische romantische Literatur wider, die in die Vergangenheit nur zurückblickte, um ihre Taten zu besingen und das völkische Bewußtsein zu heben. Die Vergangenheit war keine Fiktion mehr. Die Dichter betrieben gründliche Studien. Sie lasen die »Magyar szazadok« (Ungarische Jahrhunderte) Benedikt Virâgs, die Geschichte Feßlers, das Lexikon Budais und das Taschenbuch Hormayrs. Kovacsôczy schrieb 1826 an Kazinczy: »Ich blättere fortwährend in der ungarischen Geschichte von dem anonymen Schreiber Bêlas an bis zu Feßler. Und ich zeichne jeden Stoff, den man verwenden kann, auf3).« Ebenso lasen Karl Kisfaludy und Vörösmarty Feßler. Es ist eine eigenartige Erscheinung, daß der ungarische Dichter aus fremdsprachigen Werken ') V. E. 213. 2) Alle drei starben in geistiger Umnachtung. 3) K . L. X I X . 502. F a r k a s , Romantik in Ungarn.
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Das romantische Nationalgeftthl.
die Taten seiner Ahnen erfuhr und daß die Wiener Romantik — durch die Vermittlung Gaäls, Mailäths und Mednyänszkys — die ungarische Literatur mit nationalem Stoffe versah. Mit Recht stellte Kölcsey fest, daß der Ungar seinen eigenen geschichtlichen Überlieferungen unbeteiligt gegenüberstehe. Die neue Generation wollte dies Versäumnis nachholen und die Vergangenheit mit der Gegenwart verbinden. Im Mittelpunkt des geschichtlichen Interesses stand noch immer die Zeit der Landnahme. Stephan Horvät forderte Andreas Horvath öffentlich auf, das Heldenepos Ärpäds zu schreiben. Andreas Horvath verlangte in seiner Antwort Stoff von ihm. Tatsächlich machte sich denn auch Stephan Horvät an das Sammeln des Stoffes, veröffentlichte schon im ersten Band der »Aurora« eine kurze Skizze über Ärpäd und gab 1825 das berüchtigte urgeschichtliche Werk »Rajzolatok« (Geschichtsbilder) heraus. Ein transdanubischer katholischer Geistlicher, Josef Alexius Horvath, sann in der »Tudomänyos Gyüjtemeny« über die nationale Bildung nach und klagte dabei: »Wenn sich doch ein Freund des Vaterlands fände, der die Nation mit einem Ärpäd-Epos beschenkte!« Döbrentei und Karl Kisfaludy planten 1823 unter dem Titel »Ärpädiäs« eine Wochenschrift herauszugeben. Die Erlaubnis hierzu hatten sie bereits erhalten. Johann Szep, ein schon vergessener Dichter, ließ 1812 sein in Hexametern verfaßtes Heldengedicht vom Konstantinopler Feldzug des Fürsten Zoltän erscheinen, zu dem ihm Csokonai das Motto lieh: »Halte Ärpäd und Hunyadi in Deinem Sinn Sei ein Ungar und ein Mann des Mars wie sie. — Du siegst!« Der erste Band der »Hebe« brachte von Alexander Aranyosräkosi Szekely das kleine Epos über die Abstammung der Sekler, das zum ersten Male eine ungarisch gefärbte, aber doch den Fremden entlehnte Mythologie enthielt. Czuczor begann seine Laufbahn mit der »Schlacht bei Augsburg« (1824). 1825 erschien »Zalän futäsa« (Die Flucht Zaläns) von Vörösmarty, das ersehnte nationale Heldenepos, das eine eigentlich ungarische Mythologie schuf. Czuczor besang außerdem den Botond, den Helden fürstlicher Abenteurer. Andreas Horvath aber vollendete seinen Ärpäd, den viele zwar kauften, aber nur wenige lasen. Damit endete die Reihe der in Hexametern verfaßten Heldenepen, um in wenigen Jahrzehnten in neuer Form abermals anzuheben. Die Sagen von den Königen des Hauses Ärpäd wurden allmählich
Historische Dichtung.
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bekannter; besonders beliebte Heldengestalten waren Salomon und Ladislaus. Die Tragödie des Banus Bank wurde von drei Dichtern bearbeitet. Die nationalen Gestalten der beiden Hunyadi hatten schon früher Alexander Kisfaludy und Benedikt Viräg zu dramatischer Behandlung begeistert. Nun schuf Czuczor das Hauptwerk seines Lebens über die Hunyadi. Mohäcs, »das Grab von Ungarns nationaler Größe«, war der Gegenstand einer der schönsten Reden Kölcseys und der bekanntesten Elegie Karl Kisfaludys. Im allgemeinen lieferten die Türkenkämpfe der dichterischen Phantasie breiten Stoff. Vörösmarty schrieb sein Epos »Eger« in wenigen Wochen, allerdings nicht aus innerem Antrieb, sondern auf das Drängen Karl Kisfaludys hin. Toldy wollte 1824 die Wiedereroberung Ofens in vier Büchern beschreiben, »ganz in der Sprache der Mädchen, d. h. in feinem Geschmack, mit edler, aber leicht verständlicher Romantik«. Dobozi, Szondy, Dugovics und vor allem Nikolaus Zrinyi waren die oft besungenen Helden der Türkenzeit, der Dichter Nikolaus Zrinyi aber war die größte Gestalt der ungarischen Literatur überhaupt, der Held der ungarischen Romantik. Ihm gewidmet gab Vörösmarty seinen »Zalan« heraus, seine Gestalt stellte Kölcsey in den »Nationalen Traditionen« (Nemzeti hagyomänyok) dar. Die Dichter der neuen Generation setzten die Überlieferungen der transdanubischen Richtung in der historischen Literatur fort. Aber ihre Werke unterschieden sich nicht nur hinsichtlich der künstlerischen Form und dichterischen Sprache von den primitiven Versuchen der voraufgehenden Periode, sondern auch in ihrer Stellung zur Geschichte. Die Magyarisierten und magyarisierenden Transdanubier suchten Ahnen, und freuten sich der ruhmvollen Vergangenheit Ungarns, die sie zu ihrem Eigentum machten. Daher stammte ihre idealistische Geschichtsbetrachtung. Die neue Generation, die in der Gegenwart nach nationaler Selbsterkenntnis strebte, betrachtete auch die Vergangenheit sachlich. Die Neubelebung der Vergangenheit war für sie keine Flucht aus der Gegenwart, sondern Dienst an der Zukunft. Nach Kölcsey war die nationale Tradition ein unsäglicher Schatz, nicht nur darum, weil sie der Geschichtswissenschaft die Richtung wies, »sondern vielmehr deshalb, weil sie der Leitstern der nationalen Begeisterung und damit der Vaterlandsliebe ist«. Die nationale Begeisterung gibt Kraft zu großen Taten. »Die tausend Schiffe, die zehn Jahre lang vor Troja lagen« — schrieb Kölcsey — »waren elende Boote, der Fürst der Ithaker ein kleiner Abenteurer 10*
148
Das romantische Nationalgefühl.
und doch, wie unübersehbar ist die Wirkung, die diese an sich so geringen Bilder durch die Verklärung der Überlieferung verursacht haben. Ähnliche Sagen begründeten die ungeheuere Größe Roms.« Die neue Generation pflegte in ebenso bewußter Absicht die historische Dichtung, wie Karl Kisfaludy seinen Schauspielen patriotisches Gepräge gegeben hatte. Der Patriotismus versuchte das Publikum zu gewinnen, die geschichtlichen Überlieferungen neu zu beleben und das Nationalbewußtsein auszubilden. »Jeder Stein, der am Schauplatz alter Taten errichtet, jeder Busch, der über frommen Toten gepflanzt wurde, jedes Lied, das von frühen Helden sang, jede geschichtliche Untersuchung vergangener Jahrhunderte: alles waren Stufen der Erhebung im gegenwärtigen Tag. . . Die Nation, die die Erinnerung an die Vergangenheit vernichtet, mordet ihr eigenes nationales Leben.« Kölcsey erklärte hier mit auffallender Klarheit die historische Betrachtungsweise seiner Zeit. So läßt sich begreifen, warum die neue Generation Stephan Horvät mit Liebe und Verständnis umgab, als er mit dem Chauvinismus der Assimilationszeit die ungarische Urzeit erweckte und warum sie sich später gegen ihn wandte, als die historische Dichtung ihre Sendung bereits erfüllt hatte und die Dichter Ungarns von den großen Sorgen der Gegenwart in Anspruch genommen waren. Diese Wendung trat noch im Lauf der zwanziger Jahre ein. Karl Kisfaludy begann bald statt historischer Dramen Lustspiele zu schreiben, die das gesellschaftliche Leben Ungarns schilderten. Er verfaßte zwar eine historische Novelle, seine übrigen Erzählungen aber spielen wie Fäys Märchen und Novellen in der Gegenwart. Vörösmarty schrieb nach dem Zalän noch »Cserhalom«, später notgedrungen »Eger«, in seinen übrigen Epen bedeutete das Historische nicht mehr als dichterische Äußerlichkeit. »Tündervölgy« bearbeitet einen phantastischen Märchenstoff gleich »Delsziget«. »Szeplak« war das Ergebnis eines dichterischen Wettstreits und ging auf ein Märchen Pfeffels zurück. »Rom« ist ein philosophisches Gedicht, »Magyarvär« blieb Bruchstück, während »A ket szomszedvär« (Die zwei Nachbarschlösser), ein Werk dichterischer Phantasie, mit tragischer Realität die Stimmung der vergangenen Zeit vorführt. Kisfaludy, Vörösmarty und Czuczor fingen an, Volkslieder zu schreiben. Auch Szemere wurde diesen Unterschied zwischen der alten und neuen Nationalliteratur gewahr: »Auch Änyos . . . wie Alexander Kisfaludy und Berzsenyi gab meist Bilder der Vergangenheit. Das Vaterland, und zwar nicht nur seine
Abkehr von der Vergangenheit.
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Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart, spiegelt sich mir am meisten in Deinen Werken wider,« schrieb er an Kölcsey. Die Wandlung und die neue dichterische Zielsetzung zeigte Kölcsey am Ende der Periode (1831) in seinem Gedichte »Huszt«: Und sage, o Patriot, was nützt ein sehnsüchtiges Herz in diesen Was nützt es den Schatten alter Zeiten zurückzuträumen [Ruinen ? Vergleiche mit der weiten Zukunft die Gegenwart: Wirke, schöpfe, mehre: und das Vaterland heitert sich zum Licht auf. Die historische Dichtung wurde von der politischen abgelöst, durch die sich eine neue Stufe der literarischen Entwicklung auf tat. Wie das Nationalgefühl das Ergebnis verschiedener Kräfte war, wie die romantische Geschichtsbetrachtung Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in die Einheit der Entwicklung fügte, so vereinte auch das neue Nationalbewußtsein die gesamte Nation und kannte weder Kalvinisten noch Katholiken, weder Transdanubier noch Transtisier, sondern nur noch Ungarn. Die Betrachtung nach Landschaften wurde von der Gesamtbetrachtung des Landes abgelöst, des Landes, das nicht so sehr ein geographischer als ein völkischer Begriff war. So schrieb Vörösmarty: Schön bist du, o Vaterland, Berg und Tal wechseln in deinem [reichen Schoß, Deine Gebiete durchschneidet der Strom von vier Reichsflüssen. All dies ist aber von der Natur ein seelenloses Geschenk. Groß kann dich nur der heilige Wille deiner Söhne machen. Kölcsey hat bekanntlich den Begriff des Vaterlandes ebenso bestimmt. Das Vaterland war auch nach dem neuen Nationalbewußtsein das Vaterland des Adels und der Adel war die Nation. In den Komödien Kisfaludys spielte der Bauer nur eine humoristische Rolle und in das Drama »Stibor« vermochte erst eine spätere literarische Betrachtung demokratische Ideen hineinzuinterpretieren. Die Gesellschaft, die Karl Kisfaludy und Andreas Fäy schilderten, ist die adelige. Kisfaludy schrieb Volkslieder, spielerhaft, um seine dichterische Vielseitigkeit zu zeigen, Kölcsey aus theoretischen Erwägungen. Die nationale Tradition der Epen Vörösmartys war adelig. Charakteristisch für das aristokratische Selbstbewußtsein Vörösmartys ist eine kleine Posse, die er nach dem Erscheinen des »Zalan« schrieb, aber nicht herausgab. Der Stuhlrichter ruft den Dorfrichter zu sich und befiehlt
150
Das romantische Nationalgefühl,
ihm, den »Zalän« für fünf Gulden zu erstehen, widrigenfalls er ihn schlagen lasse. Aber der Dorfrichter will lieber sterben, als das Buch kaufen. Mit ihm empört sich das ganze Dorf gegen den Stuhlrichter. — Kölcseys Auffassung wurde schon früher charakterisiert. Die Literatur der ungarischen Romantik war in ihren größten Vertretern die Vollendung der ungarischen adeligen Literatur. Allmählich aber wurde ihr aristokratischer Charakter von den Dichtern höriger Abkunft, die durch ihren Beruf in die adelige Klasse kamen, und dem fremdsprachigen Bürgertum der Städte aufgelöst. Schon Czuczor schrieb seine Volkslieder nicht mehr weil es Mode war, sondern weil ihn seine Herkunft dazu führte. Guzmics besuchte 1823 seine Eltern und schrieb darauf an Kazinczy: »Hier ist alles still und die Menschen gehn mit gesenktem Kopf und niedergeschlagenen Augen einher. Die heurige gute Ernte, die auf eine schlechte im vorigen Jahre folgte, muß man als einen Segen des Himmels betrachten. Weiß Gott, was mit dem armen Bauernvolk noch geschieht . . . Kaum hält es Weinlese und Ernte, so sind die schon da, die sie ihnen wegnehmen: Komitat, Herrschaft, Pfarrer, Lehrer, Jude usw. Wie traurig, lieber Freund, ist das Bild der Menschheit! . . .« Viel später schrieb Vörösmarty über das Vaterland der Hörigen: »Sein Name: diene und erhalte keinen Lohn. Sein Name: gib Geld und wisse nicht wofür. Sein Name: sterbe für das Gut anderer. Sein Name ist Schande und Fluch. Dazu wurde euer Ungarland.« Zwischen der Äußerung von Guzmics und dem Gedicht Vörösmartys liegen mehr als zwei Jahrzehnte. In dieser Zeit aber erfuhr der nationale Gedanke in Ungarn eine bedeutende Wandlung. Die ersten Keime dieser Entwicklung zeigten sich schon in der Romantik, als die katholischen Geistlichen eine stärkere Teilnahme des Volkes an der Literatur hervorriefen. Ebenfalls zur Zeit der Romantik begannen die westlichen katholischen Magnaten in der Einheit der Nation aufzugehen. Während der Hochadel Siebenbürgens schon seit Jahrhunderten lebhaft am nationalen Leben Anteil genommen hatte, stand der des Westens ganz unter dem Einfluß Wiens, war ausländisch gesinnt und brachte der ungarischen Kultur keine Opfer. In der großartigen Bibliothek der Fürsten Esterhäzy waren die Perlen der Weltliteratur zu finden, die ersten Shakespeare-Ausgaben, spanische, französische, deutsche, italienische Bücher — nur ungarische hätte man vergebens suchen müs-
151
Klassenunterschiede.
sen. In den Schlössern zu Eszterhäza und Eisenstadt spielte man deutsche und französische Dramen, dirigierte Haydn die italienische Oper, aber die heimatlos umherirrende ungarische Schauspielkunst hoffte vergebens auf Unterstützung. Mailäth war einer der ersten Magnaten, der sich zum Ungartum bekannte und dem deutschen Gelehrten Laßberg, da dieser ihn als seinen Landsmann ansprach, stolz erklärte: »Die beste Landsmannschaft ist das Herz, sagst Du mit Recht und so sind wir Landsleute; sonst aber auf keine Weise, ich bin der deutschen Nation durchaus fremd, das Geschlecht, dem ich angehöre, ist Uralt-Magyarisch, war nie deutsch 1 ).« — Aber Mailäth war vorläufig noch eine Ausnahme und wurde auch von seinen Zeitgenossen als Ausnahme betrachtet: »(Mailäth) ist sehr ein guter Mann« — schrieb Karl Kisfaludy an Gaäl — »an dem könnten sich wohl manche unserer elenden Magnaten spiegeln, die nichts kennen als H . . . und Pferde, keine Patrioten und schlechte Affen sind, Schleppen anderer kultivierter Nationen2).« — Doch neben Mailäth tauchte schon Baron Mednyänsky auf, Graf Szechenyi folgte und am Anfang des neuen Jahrzehnts erschien auf dem Titelblatt von Kazinczys letztem Buch der Name des Barons Joseph Eötvös! So begannen in den zwanziger Jahren die drei Klassen des Ungartums durch die Literatur zu verschmelzen. Der Begriff der Nation umfaßt aber alle Bürger des Staates, auch die Nationalitäten3). Die romantischen Dichter konnten im Vorwort der Geschichte Feßlers lesen: »Im ganzen und allgemeinen ward das Ungrische Volk unter der Herrschaft des Arpadischen Geschlechts geboren und erzogen . . . unter der Herrschaft der Regierung der Könige aus dem Habsburgischen Hause schritt es allmählich von Volkschaft zur Nationalität, in des Wortes höherer Bedeutung, fort und es hat dieses höhere Ziel glücklich erreicht, wenn mit den Ungern alle Eingeborenen des Landes: Deutsche, Slaven, Croaten, Serbjer, Walachen. . . nur ein ungrisches Volk ausmachen4).« Vor Feßler stand hier freilich der Begriff des Nationalitätenstaates. Er dachte bei weitem nicht daran, *) Briefe M.s an L. im Besitz des Ungar. Instituts der Univ. Berlin. von mir Ungar. Jahrb. X. 2—3.
Hrsgeb.
*) K. K. M. M. VI. 339—340.
3) V g l . F R . MEINECKE: W e l t b ü r g e r t u m
und
Nationalstaat.
1922. —
SZEKFÜ: Der Staat Ungarn. 1917. 4) FESSLER: a. a. O. Vorwort. — Vgl. Koszô JANOS: Fessier Aurél Budapest, 1923. (Mit deutschem Auszug.)
JULIUS
Ignâc.
152
Das romantische Nationalgefühl.
daß aus dem ungarischen Volk erst dann eine Nation werde, wenn es die fremden Nationalitäten aufgesaugt habe. Für die romantische Generation waren indes Nation und Sprache untrennbare Begriffe, sie eignete sich das von Feßler aufgestellte nationale Ziel in dieser Auslegung an. Aus ihrer aristokratischen Anschauung ergab sich von selbst, daß sie sich um die Nationalitäten im Hörigenstande nicht kümmerte. Gleichwohl gaben die ungarischen Slovaken ihre Volksliedersammlung schon 1823 heraus, schrieb Kollar in Pest das Heldenepos der Slaven, bereitete Safarik die serbische Erneuerung in Neusatz vor und arbeitet Palacky in Preßburg an der böhmisch-slovakischen Geschichte. Die Mitarbeiter der Pester Universitätsdruckerei gründeten die rumänische Literatur. Und dies waren nur einige wenige auffallende Erscheinungen ; in der Tiefe gärte die Seele des Volkes und wartete auf ihre Stunde. Die ungarischen Dichter wurden davon nichts gewahr. Nur Stephan Horvät kämpfte mit Kollär, der ein ebenso phantastischer Etymologe war wie er selbst. Die romantische Generation sah das Fremde nur im städtischen deutschen Bürgertum. Ihre Stellungnahme diesem gegenüber ist eigentümlich und bedarf einer breiteren Behandlung. Die romantischen Dichter Ungarns hatten zum größten Teil deutsche Bildung 1 ). Karl Kisfaludys Briefwechsel mit seinem besten Freunde Gaäl war deutsch, er selbst übersetzte seine Dramen ins Deutsche. Auch Kölcsey konnte so gut deutsch, daß er sein Gedicht »Schwärmer« selber verdeutschte. Bajza lernte in Preßburg mit größtem Fleiß deutsch und las die deutschen Dichter und Ästhetiker im Urtext. Vörösmartys Kenntnis des Deutschen war so gründlich, daß er ein deutsches Epenfragment dichtete. Mailath, Gaäl, Mednyänszky, Schedel-Toldy, Stettner wurden zuerst durch ihre deutsch geschriebenen Werke bekannt. — Zu dem Kreise der Aurora gehörten auch zwei Deutsche, Tretter und Paziazi, die aus dem Ungarischen ins Deutsche übersetzten und die Werke des Kreises dem deutschen Publikum zugänglich machten. — Das Bewußtsein einer Einheit von Nation und Sprache war ihnen jedoch so eingewurzelt, daß sie sich die Nationalliteratur nur ungarisch-sprachig vorstellen konnten. Diese Auffassung zeigte sich schon in der Anthologie Mailaths 1825, deren Einführung in die ungarische Literatur über Janus Pannonius, den Vgl.
Hermann Oncken:
Deutsche geistige Einflüsse
Nationalitätenbewegung des 19. Jahrhunderts.
Paris, o. J.
in
der
europäischen
Das Deutschtum.
153
bedeutendsten Humanisten Ungarns aus dem XV. Jahrh., sagte: »Wären doch die Ergüsse dieses wahrhaft poetischen Mannes in heimischer Sprache auf uns gekommen, sie würden weit schätzenswerter sein als seine übrigens gelungenen lateinischen Gedichte.« Wer in fremder Sprache dichtete, schloß sich selbst aus der Nation aus, ohne Mitglied einer anderen Nation zu werden; denn Staat und Nation sind untrennbare Begriffe. So schrieb Vörösmarty seine Epigramme »Von dem berühmten ungarisch-deutschen Dichter«: Wo ist dein Vaterland, Dichter, in der Sprache der Fremden? Ist dein Opfer denn lieb, und was sind deine Götter? Du irrst umher und wirst, Unglücklicher, kein Vaterland finden: Den du anbetest, ist ein Götze, dein Opfer wird zu Rauch. Als 1820 Zerffy Karl Kisfaludy aufforderte, an dem von ihm gegründeten und in Pest herausgegebenen Vaterländischen Almanach mitzuarbeiten, fügte der Dichter seiner Einladung folgende deutsch geschriebene Bemerkung bei: »Was würde der edle Deutsche sagen, wenn ein hergelaufener Franzose gallische Phrasen als Früchte des regen Strebens der edlen Germanen darbiethen würde . . . Sind wir Ungarn ? Ist Ungarn unser Vaterland ? Wie kann also die Literatur anders als ungarisch bestehen1) ? « Als Quelle dieser Auffassung von der Nation wurde bereits die Aufklärung bezeichnet, deren Ideen sich auch die deutsche Romantik angeeignet hatte. Die suggestive Kraft dieser Gedanken beschleunigte unter den besonderen ungarischen Verhältnissen den Magyarisierungsprozeß der deutschen Städte, ohne daß die romantische Generation ausgesprochen magyarisierende Bestrebungen gehabt hätte. Nun noch deutsch zu schreiben war nur mehr dann eine nationale Aufgabe, wenn der Dichter die Schöpfungen des ungarischen Geistes dem Auslande bekannt machen wollte. Das Handbuch2) Toldyswurde mit jubelnder Freude aufgenommen; alsaber Toldy sein deutsches Gedicht an Bajza sandte, fragte dieser ihn empört: »Ich wäre neugierig von Dir zu erfahren, warum Du dies Stück deutsch schriebst ? . . . Was würdest Du zu dem sagen, der in die Steingrube zu Räkos von Pest eine Fuhre Steine brächte ?« Nach wenigen Jahren schon griff Toldy den Erzbischof von Erlau, Ladislaus Pyrker, an, der deutsch dichtete und wandte sich gegen Kazinczy, weil er das deutsche Epos Pyrkers ins Ungarische übersetzte. Auf Seiten Toldys stand der ganze Aurora-Kreis. Kazinczy hielt zwar schon ') K . K . M. M . V I . 4 4 9 - 4 5 1 . ) Handbuch der ungrischen Literatur. Pest, 1828.
2
154
Das romantische Nationalgefühl.
bisher die ungarischen Gefühle der neuen Generation für übertrieben, aber der eigentliche Unterschied zwischen seiner Auffassung und dem Nationalbewußtsein der Romantiker wurde erst jetzt ganz deutlich. Kazinczy schrieb an Rumy: »Hätte er (Pyrker) einen Ärpäd besungen und in ebenso schlechten ungarischen Hexametern besungen als seine deutschen bewunderungswürdig sind, dann würde ihm der Pseudonyme G 1 )- Weihrauch bis zum Ersticken gespendet haben. Sehe ich diese Besessenen, so wandelt mich die Lust an, mich zu schämen, daß ich ein Magyare bin und magyarisch schreibe2).« Diese Äußerung Kazinczys veröffentlichte Rumy wenig verändert in einer Pester deutschen Zeitschrift unter seinem eigenen Namen. — Dessewffy schrieb über den Artikel, ohne daß er von seiner Entstehung etwas geahnt hätte, an Kazinczy: »Rumy zürnt, daß jemand das Epos eines reichen ungarischen Erzbischofs lieber in einheimischer Sprache geschrieben sähe. Was für eine Beleidigung steckt denn in diesem Wunsch? Es sei ja nur ein Wunsch. Zweihunderttausend Gulden Einkommen aus Ungarn verdiente doch, daß wir statt in deutschen in ungarischen Hexametern dichteten, denn der schlechteste ungarische Hexameter ist besser als der künstlichste und tadelloseste deutsches).« Die Romantiker hätten diese Äußerung nicht unterschrieben, wie auch die Invektive Kazinczys und Rumys nicht recht war. Das Kunstgefühl der neuen Dichtergeneration war viel zu sehr entwickelt, als daß sie irgend ein literarisches Werk nur deshalb für gut befunden hätte, weil es ungarisch war. Wahrscheinlich hätten sie auch Pyrker nicht angegriffen, wenn er ein schlechter deutscher Dichter und nicht — als ungarischer Bischof — ein Glied der ungarischen Nation gewesen wäre. Nicht der veraltete Chauvinismus wandte sich wider ihn, sondern das neugedeutete europäische Denken. Denn was würde Europa zur Literatur Ungarns, was würde es zur ungarischen Nation sagen, wenn ihre vortrefflichsten Geister die Sprache der Heimat verachten ?! Zum Segen der Zukunft mußte man verkünden, daß es eine unpatriotische Tat sei — schrieb Bajza an Kazinczy — wenn die ungarischen Schriftsteller deutsch dichten und »welch Gewinn, wenn wir dem Vaterland nur ein hervorragendes Talent vor ähnlichen Irrungen bewahren können!« Wir sind wenige, wir gehen zugrunde, man muß die Nation für Europa retten, auch dem Vatermörder muß verziehen ') T o l d y veröffentlichte seinen Angriff unter diesem Zeichen. -) K . L. X X I . 508. 3) Ebda. X X I . 552.
Europäisches Denken.
155
werden, jeder Ungar ist ein Wert. Deshalb bat Karl Kisfaludy Gaäl, er möge seinen Sohn Guszti nicht deutsch erziehen: ». . . entreißen Sie ihn nicht Ihrem Vaterlande. Sie sind ihn uns schuldig!« Es ist ein sonderbarer Anblick, wenn Toldy das Prinzip der Nationalliteratur und den nationalen Gedanken Kazinczy gegenüber in Schutz nahm, der kaum magyarisch gewordene SchedelToldy dem Urungarn Kazinczy gegenüber. Neben Toldy stand Vörösmarty. »Ich war bei Vörösmarty« — schrieb Kazinczy bitter. »Nicht nur, daß er nichts dagegen hat, er hält es auch für richtig, daß der deutsch Dichtende angegriffen wurde. Ich sagte, was ich für notwendig hielt, gab es aber auf. — Es ist eine entsetzliche Sache, wenn der Dichter kein Herz h a t . . .« Nach kaum zwei Jahrzehnten riß Petöfi, der größte ungarische Lyriker, der sich auch aus einem fremden Volkstum assimiliert hatte, den Kranz von Vörösmartys Haupt, als Vörösmarty für die Beibehaltung der deutschen Militärsprache eintrat. Ewige ungarische Gesetzmäßigkeiten, die sich immer wiederholen . . .
III.
UNGARN UND EUROPA
i. Wiens Vennittlerrolle Bisher wurde nach den inneren Gesetzen der ungarischen Geistesentwicklung gefragt und wenn auch hier und da ein Hinweis auf die ausländischen Beziehungen nicht vermieden werden konnte, so war doch in erster Linie von den eigentümlich ungarischen Wurzeln der ungarischen Romantik die Rede. Indes hatten freilich die politischen und geographischen Grenzen nicht auch "für das geistige Leben Geltung. Das Ungartum hatte seit Stefan dem Heiligen an der westlichen Kultur teilgehabt, die europäischen Geistesbewegungen hatten es immer mit betroffen, um erst an den östlichen und südlichen Grenzen des Landes zu verebben. Das Ungartum antwortete nicht gleichmäßig auf jeden geistigen Einfluß, die Gesetze der inneren Verwandtschaft behielten auch hier ihre Kraft: der ungarische Geist öffnete sich nur Bewegungen, die ihm verwandt waren. Man kann sich darum nicht mit einer einfachen Darstellung der ausländischen Einflüsse begnügen, sondern muß auch der eigentümlichen Struktur des ungarischen Geistes seine Aufmerksamkeit schenken. Betrachtet man die geistige Entwicklung der Nationen im Habsburgerreich vom europäischen Gesichtspunkt aus, so überrascht die Ähnlichkeit, die das Geistesleben der unter denselben politischen, kulturellen, geographischen und klimatischen Verhältnissen stehenden ungarischen, österreichisch-deutschen und westslavischen Völker in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeigte. Maria Theresia hatte es verstanden Wien zu einem Kulturzentrum zu machen, von dem, wie von einem mächtigen Brennpunkt aus, die euro*) Vgl. BLEYER JAKOB: NAGL-ZEIDLER:
a. a. O .
—
Gottsched
hazänkban (G. in Ungarn) Bp. 1911.
JOSEF N A D L E R :
a. a. O .
—
KARL DIETERICH:
europäischen Literaturen in ihren Hauptströmungen vergleichend dargestellt.
Die
— ost-
Tübin-
gen 1911. — CSXSZXR ELEMER: A n i m e t k ö l t & z e t h a t ä s a a m a g y a r r a A X V I I I . szäzadban (Der Einfluß der deutschen Literatur auf die ungarische im X V I I I . Jahrh.) Bp. 1913. — PUKANSZKY BELA: A
magyarorszagi
nimet
irodalom
ungarländischen deutschen Literatur), B p . 1926. — ungarische geistige Beziehungen matsblätter. 1930. S. 265.
törtenete
(Geschichte
der
JULIUS VON FARKAS: Deutsch-
zur Zeit der Romantik.
Deutsch-ungarische Hei-
160
Wiens Vermittlerrolle.
päische Kultur auf die Donauvölker strahlte. Hier versammelten sich die besten Söhne des ungarischen, böhmischen, slowakischen, serbischen, slovenischen und griechischen Volks, um die Bildung ihrer nationalen Kultur ins Werk zu setzen. Natürlich nahm ihr Geistesleben anfangs gleiche Formen an. Sobald sie aber das Joch der fremden Führung von sich abtaten, schlug ihre Entwicklung entgegengesetzte Bahnen ein. Sie lebten alle in der Gedankenwelt der Aufklärung. Ihre romantische Dichtung jedoch war sehr verschieden. Dem Ungartum kam unter den Donauvölkern eine besondere Stellung zu. Außer der deutschen gibt es nämlich keine europäische Nation, in der die kulturellen Unterschiede so sehr durch Stammesgegensätze bedingt wären, wie bei der ungarischen. Die Zweiheit der ungarischen Seele bestimmte das Wirkungsgebiet der europäischen Geistesströmung und die ungleiche Bedeutung Wiens als Tor nach dem Westen. Das katholische Transdanubien bildete seit der Niederlage von Mohacs (1526) mit dem katholischen Deutsch-Österreich ein einheitliches Kulturgebiet. Für das katholische Ungartum bedeutete Wien das Sammelbecken der westlichen Bildung, die jungen Katholiken Ungarns gingen nur hin und wieder auf ausländische Universitäten,, die Jesuiten lernten in Graz, Leoben und Rom. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts stand Österreich unter dem Einfluß des italienischen Barock, Wien selbst war eine Stadt italienischer Bildung, Metastasio lebte und wirkte dort. — Zrinyi nahm sich Tasso und Marino zum Muster. Franz Faludy und Ladislaus Amade besuchten zu gleicher Zeit die Universität Graz, an ihren Werken war der Einfluß des italienischen Barock deutlich fühlbar. Amades Nachfolger war Emmerich Kreskay, der gut italienisch sprach, vier Jahre in Rom verbrachte und aus Metastasio übersetzte. Österreich war mit Italien nicht nur durch die Politik, sondern in religiöser Hinsicht auch durch den Katholizismus verbunden. Die österreichische deutsche Literatur wurde bis zum Ende des 18. Jahrhunderts meist von katholischen Geistlichen gepflegt, die eine lateinisch-italienische Bildung besaßen'und deutsch wie lateinisch dichteten. Da diese Geistlichen zum größten Teile aus dem Volk stammten, vereinigten sie die völkische Tradition mit der Barockkultur1). Diese Entwicklung glich der geistigen Entwicklung des transdanubischen Ungartums, wo Zrinyi, Faludi und Amade eine ständige italienische Tradition schufen, vollständig. ') Vgl. Nagl-Zeidler: a. a. O. II. 1. 87.
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D i e Aufklärung.
Für das transtisische und siebenbürgische Ungartum hingegen war Wien seit dem 16. Jahrhundert die verhaßte feindliche Hauptstadt, die Quelle alles über Ungarn hereinbrechenden Bösen. Dies Ungartum stand vom Ende des 16. Jahrhunderts an in unmittelbarer, diplomatischer und kultureller Beziehung zu Frankreich, Holland und der Schweiz. Als Maria Theresia aus politischen Erwägungen die ungarischen reformierten Magnaten und den Adel an ihren Hof zog, erlebte die französische Mode in Wien ihre Glanzzeit. Das erleichterte dem reformierten Ungartum die Anpassung an das Wiener Geistesleben wesentlich. Wenn auch etliche Dichter, wie z. B. Georg Bessenyei, mit der französischen Literatur erst in Wien bekannt wurden, so war es doch nicht so, daß die ungarische Erneuerung von Wien ausgegangen wäre. Die französische Aufklärung hatte ihre traditionellen Wurzeln in Transtisien und Siebenbürgen. Die Begegnung mit Wien hat diese Kräfte wohl verstärkt, nicht aber verursacht. Der Geist der französischen Aufklärung vermochte übrigens in der katholischen Umgebung Wiens nie so durchzudringen wie das italienische Barock. Er war am Hof Mode, die breiten Schichten des Volkes wurden nie von ihm erfaßt. Sein hervorragendster Vertreter war Baron Sonnenfels, ein Jude, der die »Annalen«, die Zeitschrift der Aufklärung begründete. Das Blatt hielt sich zwei Jahrzehnte lang; seine Redakteure stammten indes meist aus fremder Umgebung, wie etwa der Zipser Protestant Jacob Glatz. Der Wiener Musenalmanach zeigte schon 1782, daß der französische Einfluß in Wien dem englischen gegenüber zurücktrat. Die französische Revolution, deren Ideen Dynastie und höheren Adel gleicherweise bedrohten, machte der französischen Mode unter den Aristokraten ein gründliches Ende. Die Gesellschaft um Bessenyei zerfiel, die Niederwerfung der Martinovicschen Verschwörung brachte die ungarischen Anhänger der Aufklärung zum Schweigen. Das französische Buch wurde zur verbotenen Ware. Die napoleonischen Kriege vollends richteten eine geistige Scheidelinie zwischen Frankreich und Österreich auf. Der englische Einfluß gewann an Boden, aber auch er beschränkte sich zunächst auf eine dünne Schicht der Aristokraten. Baron Retzer, der begeisterte Verbreiter der englischen Gedanken, gab eine englische Anthologie in sechs Bänden heraus. Auch eine englische Verlagsanstalt entstand in Wien. Die Verbindung des reformierten Ungartums mit England war F a r k a s , Romantik in Ungarn.
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Wiens Vermittlerrolle.
fast so alt wie die mit Frankreich1). Abgesehen von den unmittelbaren diplomatischen Beziehungen Siebenbürgens besuchten schon seit Anfang des 17. Jahrhunderts die auf holländischen Hochschulen sich bildenden ungarischen Studenten scharenweise auch die englischen Universitäten. Die reisenden Magnaten Siebenbürgens im 18. Jahrhundert, an ihrer Spitze die drei Teleki, versäumten nicht auch England zu betreten. Die lutherische Jugend Ungarns lernte auf der Universität Göttingen, die 1737 durch Georg III. von England gegründet worden war und an der englischer Geist herrschte. Gregorius Berzeviczy z. B. reiste von dort nach England. Durch die englische Mode in Wien wurde diese Neigung befördert, literarisch angeregt und verallgemeinert. In Transdanubien breitete Graf Franz Szechenyi, der die Schwärmerei für den englischen Geist später seinem Sohn vererbte, den englischen Einfluß aus. Der Führer der ausländischen Bewegung, Franz Kazinczy, wurde mit dem Wiener Geistesleben zu einer Zeit bekannt, als der französische Einfluß dort noch in seiner Blüte stand. Er hatte persönliche Beziehung zu Sonnenfels, den auch Karmän mehrmals als große literarische Autorität zitierte. Das Beispiel Bessenyeis und seiner Anhänger begeisterte ihn zur Pflege der Literatur. Doch seine Entwicklung nahm noch vor seiner Gefangennahme eine andere Richtung. Mit dem reaktionären Wien fühlte er kaum mehr eine Gemeinschaft. Mit den reformierten ungarischen Schriftstellern, die in Wien die Tradition der Leibwachendichter fortsetzten, blieb er zwar in Berührung. Aber sie bildeten selbst eine fremde Insel im literarischen Leben Wiens. Die »Annalen« las er weiterhin begeistert, arbeitete auch an ihnen mit; doch am Beginn des 19. Jahrhunderts lebte auch dieses Blatt nur noch von der Erinnerung an die Vergangenheit. Nach seiner Gefangenschaft besuchte er Wien mehrmals, ohne indes mit den Wiener Schriftstellern irgend eine Verbindung zu suchen. »Ich brauche dort sonst nichts« — schrieb er an Guzmics — »als den Belvedere, die Akademie der bildenden Künste, die Zimmer der Maler und die Gärten. Abends die Bühne*).« In der Tiefe des Wiener literarischen Lebens wurde die traditionelle Barockdichtung fortgesetzt, ebenso wie in Transdanubien. Ihre Hüter waren die Jesuiten, die mit den ungarischen Jesuiten 1 Vgl. Fest Sandor: Angol irodalmi hatäsok hazänkban SzSchenyi Istvän fell) K. F. M. M. X . 33.
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Deutsche Klassik,
schätzte ihn aber nicht. Mailath empfand die »ewige Malerei« als langweilig. Berzsenyi hingegen begann seine Dichterlaufbahn mit Matthisson, Von ihm lernte er den dichterischen Ausdruck seiner Naturliebe. Eines seiner wirkungsvollsten Gedichte, das »Gebet« (Fohäszkodäs), ist die Umarbeitung des Gedichtes »Heiliges Lied« Matthissons. Auch ein Gedicht an Matthisson schrieb er. — Den deutschen Dichter übersetzte Johann Kis; Kölcsey und Szemere verfaßten mehrere Jugendgedichte in seinem Stil. Döbrentei schenkte die Gedichte Matthissons seinem kleinen Schüler Ludwig Kelemen, mit dem auch Kazinczy in Briefwechsel stand, damit er aus ihnen deutsch lerne. Sein Einfluß ging so weit, daß Petöfi noch nach Jahrzehnten eines seiner Gedichte übertrug. Dagegen hinterließ er in der katholischen Literatur kaum eine Spur. Auf katholischer Seite wurden nur Schüler und Kotzebue volkstümlich. Fast ein halbes Jahrhundert hindurch stammte jedes fünfte Theaterstück, das auf ungarländischen Bühnen aufgeführt wurde, von Kotzebue. Es ist kein Wunder, daß er auf Csokonai ebenso wirkte wie auf Alexander Kisfaludy. Kazinczy erkannte mit sicherem Gefühl seinen tatsächlichen Wert: »Ein Mensch nicht ohne Talent, aber ein schrecklicher Schmierer«, schrieb er von ihm. In seinen Augen war die Lektüre der Werke Kotzebues eine Geschmacklosigkeit. Worin äußerte sich also der Einfluß der deutsch-griechischen Klassik? Wie Johann Horväth sagte, war sie eine Illusion des Zeitalters; zu einer epochalen Wirkung kam sie nie1). Ihre ungarischen Vertreter waren keine schöpferischen Dichter; sie erschöpften sich in Nachahmungen und Übersetzung. Kazinczy hielt Johann Kis für den bedeutendsten ungarischen Dichter, in ihm sah er den treuesten und kunstvollsten Vollender der klassischen Idee. Bei Berzsenyi glaubte er denselben Geist zu finden wie bei Kis — ein zweifelhafteres Lob hätte er nicht aussprechen können. Kis hat kaum ein selbständiges Gedicht hervorgebracht, seine Werke waren nachlässige Übersetzung2). Als Mailath für eine Anthologie seine bekanntesten Verse ins Deutsche übertragen wollte, erkannte er ') HorvAth Jänos :
E g y fejezet a magyar irodalmi izlis tört^netebol (Ein A b -
schnitt aus der Geschichte des ungar. literar. Geschmacks) Kisf. Tärs. ß v k . 1923 — 1924.
2
S. 140.
) Galos Rezsö :
E. Ph. K.
1911.
Kis Jänos es a nömet költeszet
(J. K. u. die deutsche
Dichtung)
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Ungarische Klassik.
überrascht die deutschen Vorbilder. Selbst Kazinczy ragte als Übersetzer hervor und machte aus dieser Tätigkeit ein Prinzip. Wenn er originale Gedichte schrieb, hatte er deutsche Muster vor Augen. Die »Tövisek es Virägok« (Blumen und Dornen) waren im Stil Goethes und Schillers verfaßt. — Kölcsey äußerte sich 1813 zu Döbrentei über seine Jugendgedichte: »Meine ältesten Gedichte wurden im Stil Höltys und Salis' geschrieben, die mir damals noch fremd waren. Später war die Farbe Matthissons an ihnen zu sehen, den ich auswendig kannte. Meine neuesten Lieder sind der »Dichter« (Költö) und die »Verlobung« (Jegyvälto). . . . Kazinczy und Johann Kis sagten, in ihnen lebe der Geist Schillers1).« Szemere schrieb nur wenige Gedichte, Kazinczy pries hauptsächlich seine in griechischem Geschmack verfaßten Sonette. Auch Döbrentei war kein Dichter; seine ersten Proben waren talentlose Nachahmungen. Es ist ihnen kein einziges Werk gelungen, das bleibenden Wert gehabt hätte. Johann Kis fühlte wohl, wie bescheiden seine Begabung war; schon 1815 nahm er endgültig von der Poesie Abschied. Döbrentei suchte auf dem Gebiet der Kritik und Jugendliteratur den Lorbeer zu erringen, den die Poesie ihm versagte. Szemere vergrub sich in die theoretische Literatur. Kölcsey brach seit 1817 gründlich mit seiner bisherigen Dichtung und studierte in seiner Csekeer Einsamkeit die Seele des Volksliedes. Berzsenyi konnte Kazinczy nur deshalb zu seinem Kreise zählen, weil er bei einer Dichtung nicht den Geist, sondern nur die äußere Gestalt beachtete. Freilich war Berzsenyi in seinem dichterischen Schaffen nicht so sehr Kazinczys als Baroti Szabos und Benedikt Virägs Schüler; er war Stilromantiker wie sie. 1816 erschienen seine Werke in neuer Auflage; seitdem schrieb er kaum mehr Gedichte. — Im allgemeinen bedeuteten die Jahre 1816—17 das Ende der kraftlosen dichterischen Praxis des Klassiszimus. Selbst Kazinczy entschloß sich notgedrungen in ungarischem Versmaß zu dichten, als er 1817 Georg Festetich in einer Ode begrüßen wollte: »da unsere Leser anfangen den fremden Geschmack zu verabscheuen.« Die Dichtung des ungarischen Klassizismus hatte nur Neuerungen der äußeren Gestalt nach deutschem Vorbild zur Folge. Sie setzte die reimisch-metrische Form durch, mit der schon Raday begonnen hatte und die Kisfaludy und sein Kreis ebenso verachteten wie ') K. F . M . M . X . 3 3 - 3 4 F a r k a s , Romantik in Ungarn.
12
178
Deutsche Klassik.
Berzsenyi, der in ihr eine den Leoninern ähnliche Geschmacklosigkeit erblickte. — Kazinczy führte das Sonett ein, auf seinen Spuren folgten Szemere und Kölcsey, daneben erhob er das Epigramm zur künstlerischen Vollendung und schuf mit seinen Reisebriefen nach deutschem Muster eine neue Kunstgattung. Die Sprachreform bedeutete für Ungarn eine Notwendigkeit; aber auch ihre Methoden waren von deutschen Vorbildern übernommen. Kazinczy selbst sagte: »Ich denke ebenso über die ungarische Sprache wie Klopstock und Voß über die deutsche.« Das fremde Beispiel war denn auch gewiß an seinen gewaltsamen Übertreibungen nicht zuletzt mit schuld. Die starke Betonung des Formalen und des sprachlichen Prinzips löste ihn von aller Tradition und versagte seiner Dichtung jedweden Einfluß. Es ist kennzeichnend für seine ganze Art, daß er seine ungarische La RochefoucauldÜbersetzung samt dem französischen Original und der Verdeutschung herausgab, damit »der gelehrte Leser beurteilen könne, wie sehr diese wohlklingende Sprache die Leichtigkeit und Eleganz der französischen und die Kraft und den Reichtum der deutschen Sprache wiedergibt«. Das Publikum aber suchte in der Literatur nicht wissenschaftliche Theorien, sondern Unterhaltung. So wurde schon im ersten Jahrzehnt der Wunsch nach selbständigen ungarischen Werken immer lauter. Die bleibende Wirkung der deutschen Dichtung — die die Wandlungen der literarischen Bewegungen überdauerte — meldete sich in der Entwicklung des literarischen Lebens und in der literarischen Theorie. Das ungarische literarische Leben war ohne alle Tradition. So braucht man sich nicht zu wundern, wenn der große Organisator des ungarischen literarischen Lebens, Kazinczy, deutschem Vorbild folgte. Die eigentlichen Vermittler des literarischen Lebens, die Zeitschriften und literarischen Gesellschaften entstanden in Ungarn zumeist nach deutschem Muster. In allem, auch seinem eigenen Leben, hatte Kazinczy das Beispiel der deutschen Titanen Goethe und Schiller vor Augen. Seinen Dichterkreis verglich er wie seine Schüler gern mit dem Göttinger Hain. Die Blätter vom Kaschauer Museum bis zum Athenaeum, also in einem Zeitraum von mehr als 50 Jahren, ahmten in Titel, Einteilung und Stoffwahl die deutschen Zeitschriften nach. Dieser Einfluß erstreckte sich auf das ganze Gebiet der ungarischen Literatur. Als die transdanubischen Dichter
Literarische Theorie.
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sich im Keszthelyer Helikon zum ersten Male zusammentaten, gestalteten sie ihre neue Lebensform nach dem Hain, setzten Bäume und deklamierten Gedichte. — Als Guzmics 1827 die Einteilung der Zeitschrift »Elet es Literatura« (Literatur und Leben) bemängelte, antwortete Szemere: »Du schriebst, es würde nicht schaden unsere Sammlung... in gewisse Klassen einzuteilen und die verschiedenen Gegenstände deutlicher zu trennen. . . . Die Hören und die Thalia unter der Redaktion Schillers, wie auch Goethes Propyläen hatten keine engen Schranken1).« — Die innere Bedeutung des literarischen Lebens hatte sich längst geändert, als die äußeren Formen noch die alten waren. Die ungarische Romantik drückte den nationalen Geist aus, aber ihre Organe hießen Aurora, Musarion, Athenaeum. Das Vorbild des Aurorakreises waren die deutschen literarischen Gesellschaften. — Jahrzehnte später wollte Petöfi die »Gesellschaft der Zehn« (Tizek Tärsasäga) nach dem jungen Deutschland Jungungarn nennen. Wie die meisten ungarischen Blätter in fremden Formen entstanden, entwickelte sich auch die ungarische Wissenschaft hauptsächlich nach deutschem Beispiel. Die ungarische literarische Kritik hatte so wenig Tradition hinter sich wie das literarische Leben. Kazinczy und seine Genossen waren die ersten Theoretiker und die ersten Kritiker und da die Transdanubier über die literarischen Erscheinungen nicht eben viel nachsannen, beherrschte die durch den Kreis Kazinczys vertretene Gedankenwelt des Klassizismus Jahrzehnte hindurch die ungarische Dichtung. Sie wollte sie sogar noch bestimmen, als sich die literarische Praxis von dem fremden Einfluß bereits losgelöst hatte. Kazinczy maß jedes literarische Werk an Goethe und Schiller: »In Dingen der schönen Wissenschaften und des Geschmackes ist ein Werk desto vollkommener« — schrieb er 1807 an Cserey — »je näher es dem Beispiel der Klassiker steht: desto unausstehlicher aber, je weiter es von ihm abweicht2).« Kölcsey aber versicherte Szemere gegenüber, als Döbrentei seine Sonette für dunkel hielt: »Wenn sie auch dunkel sind, sind nicht viele Gedichte der Meister Goethe, Schiller und Matthisson ebenfalls dunkel und ist nicht auch Klopstock ganz dunkel?3).« Bekanntlich schrieb er seine berühmte Kritik über Csokonai nach Schillers Bürger-Rezension; ') Sz. P. M. IV. 3 1 5 . =) K . L. V. 7. 3) K. F. M. M. I X . 227. 12*
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Deutsche Klassik.
die unmittelbare Quelle seiner Bewertung findet sich aber in seinem Briefwechsel mit Kazinczy. Der junge Kölcsey folgte dem Meister in seinen Urteilen ziemlich unselbständig. Kazinczy und seine Anhänger studierten neben der deutschen Dichtung nicht minder fleißig die deutsche Ästhetik. Szemere gab von Pest aus Kazinczy langwierig Rechenschaft über seine Lektüre und schrieb für ihn ganze Teile aus den Werken Eberhards, Bouterwecks, Schlegels, Krugs und Sulzers ab. Ihre Werke lieh er auch an Kölcsey aus, der später nach den deutschen Ästhetikern — schon zur Zeit der Romantik — seine theoretischen Abhandlungen über die Komödie, die Tragödie und die nationalen Traditionen schrieb. Sein theoretisches Wissen war groß und tief. Kazinczy hielt es für zu umfassend und schrieb über ihn: »Mich deucht, Kölcsey las die deutschen Ästhetiker mehr als notwendig.« Doch war Kölcsey der erste ungarische Theoretiker, der den Versuch machte, die deutschen kritischen Gesichtspunkte mit der ungarischen literarischen Praxis in Übereinstimmung zu bringen und so eine eigenartige ungarische literarische Theorie auszubilden. Dies hatte deshalb keinen Erfolg, weil die ungarische Romantik — wie sich noch zeigen wird — in ihrer literarischen Theorie ebenso unselbständig war wie in ihrer literarischen Organisation. Und da die romantischen Theoretiker (Mailäth und Toldy) die wahren Begründer der imgarischen Literarhistorie waren, schufen sie der Wirkung des deutschen Geistes fast für ein Jahrhundert hin in ihr Bestand und Dauer. Während das literarische Leben und die literarische Theorie unter dem Einfluß des deutschen Klassizismus standen, blieb seine Wirkung auf die ungarische Dichtung freilich eine Illusion, die keine Überlieferung hervorbrachte und in sich selbst zerfiel. Die ungarische Romantik war nicht die Fortsetzung dieses Klassizismus, noch weniger seine Gegenwirkung. Ihre Wurzeln griffen in die transdanubische traditionelle Literatur zurück, der die verwandte österreichische Romantik am Anfang des 19. Jahrhunderts neue Entwicklungsmöglichkeiten eröffnete.
4- Die österreichische Romantik. Eben damals als Wien unter Stadion den deutschen Klassikern Gastrecht verlieh, betraten die deutschen Romantiker selbst die österreichische Hauptstadt. Die alte geschichtliche Luft zog sie an, ihr Haß wider Napoleon, nicht zuletzt der Glanz und katholische Geist des Habsburger Hofes. Zacharias Werner, der unlängst die Stola genommen hatte, hielt in den Wiener Kirchen flammende Predigten. Friedrich Schlegel, der mit seiner Gattin erschien — beide waren in Köln zum katholischen Glauben übergetreten •—• verbreitete in literarischen Vorträgen den Geist der Romantik. Wilhelm von Humboldt vertrat den preußischen König, war aber auch in den literarischen Salons ein gern gesehener Gast. Theodor Körner errang hier seine ersten großen literarischen Erfolge, ehe er für sein Vaterland in den Tod ging. Tieck hielt sich nur vorübergehend in Wien auf, machte indes auch in dieser kurzen Zeit seinen Namen bekannt. Wien wurde für kurze Zeit das Zentrum der deutschen Literatur. Dieser Einbruch der deutschen Romantik stärkte die eigenartige österreichische Barockromantik, deren führender Geist Baron Hormayr und deren bedeutendste Dramatiker die beiden Collin waren. Das verbindende Element war ihr Nationalgefühl, durch die Kämpfe gegen Napoleon geweckt und genährt, und ihr Katholizismus, den Pater Hubermann, der spiritus rector der österreichischen Romantik, entfachte. Als Napoleon 1809 gegen Wien rückte, floh zusammen mit dem Hof auch ein Teil der Schriftsteller nach Pest, wie Schlegel, Hormayr, Heinrich Collin, Gentz u. a. Die Pester deutschen Schriftsteller, zumal Schedius und Kovachich, nahmen sie mit Liebe auf. In der Pester Umgebung erwachte ihre Teilnahme für das Ungartum; Schlegel etwa begann bei Stephan Horvät ungarisch zu lernen r). Dabei war ihr Interesse verschieden. Schlegel sah in den Ungarn J)
Vgl. BLEYER JAKOB: Hazänk 6S a nimet philologia
a X I X . szäzad elejen
(Ungarn und die deutsche Philologie im Anfang des X I X . Jahrhunderts) Budapest 1910.
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Österreichische Romantik.
ein exotisches asiatisches Volk, das seine Phantasie reizte. Hormayr begeisterte sich vor allem für die Geschichte des Ungartums und hier erst erwachte vielleicht in ihm das Bewußtsein von der österreichischen und ungarischen Schicksalsgemeinschaft. Die Anteilnahme Schlegels ermattete bald, Hormayrs Interesse hielt jahrzehntelang an. Als Schlegel nach Wien zurückkehrte, machte er Stephan Horvät mit Humboldt bekannt, der ebenfalls ungarisch lernte, erwähnte in seinen Vorträgen gern die ungarische Literatur, deren wichtigsten Vertreter er in Alexander Kisfaludy sah. Später bekümmerte er sich um das Ungartum nicht mehr. — Hormayr räumte in seinem Plutarch der ungarischen Geschichte breiten Platz ein, forderte 1816 auch Kazinczy zu gemeinsamer Tätigkeit auf und gründete 1820 zusammen mit Alois Mednyänsky sein Taschenbuch, das lange Zeit hindurch der ungarischen und der österreichischen Literatur, ebenso wie die ungarische Geschichte Feßlers, Anregungen gab. Das Interesse für die ungarische Geschichte war einer der kennzeichnendsten Züge der österreichischen Romantik. Während in Ungarn Alexander Kisfaludy in seinen Romanzen noch erdichtete Vorgänge um die alten Burgen schrieb, machten sich die österreichischen Dichter die Kenntnis der historischen Tatsachen zu eigen und bearbeiteten die Heldenzeit der ungarischen Geschichte. Pyrker gab 1810 seine drei historischen Dramen unter dem Titel »Die Korwinen« — »Karl der Kleine, König von Ungarn« — »Zrinis Tod« heraus. 1812 wurde Körners »Zriny« in Wien mit riesigem Beifall aufgeführt. — Auch Kotzebue dramatisierte gelegentlich der Eröffnung des Pester deutschen Theaters einen geschichtlichen ungarischen Stoff unter dem Titel »Belas Flucht«. Über Béla schrieb ferner M. Collin ein Drama: »Belas Krieg mit dem Vater.« — Auch die Hunyadi kamen in Mode : 1817 erschien u. a. das Schauspiel Kalchbergs »Ulrich Graf von Cilli«. Später bearbeitete der größte österreichische Dichter, Grillparzer, die Tragödie des Banus Bank (»Ein treuer Diener seines Herrn«). Diese Schauspiele gingen natürlich auch über die ungarländischen deutschen Bühnen und erregten ungeheure Begeisterung. Die ungarische Vergangenheit wurde bei den Deutschen zur Mode; bald folgten nun auch Romane mit ungarisch-geschichtlichem Stoff. Es braucht nur an Feßlers Romane erinnert zu werden, die in Breslau
Historisches Interesse.
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erschienen oder an jene anonymen populären Werke, aus denen Verseghy ins Ungarische übersetzte. So blieb die österreichische Romantik nicht an der Leitha stehen, sondern griff auch auf ungarisches Gebiet über. Sie wurde dort um so freudiger empfangen, als das Lob der ungarischen Geschichte gleichermaßen das städtische Bürgertum wie den Adel erfreute — das Bürgertum, weil es schon bisher an der Geschichte hervorragenden Anteil genommen hatte, — den Adel, weil er in den Helden der Vergangenheit die eigenen Ahnen erkannte. Es kennzeichnet die Entwicklung des ungarischen Geistes, daß die ersten wissenschaftlichen und die ersten dichterischen Bearbeitungen historischer Stoffe größtenteils fremden Ursprungs waren. An der Wiener Premiere von Körners Zriny nahm auch Karl Kisfaludy teil, der den deutschen Dichter persönlich kannte 1 ). Der Ruf Körners verbreitete sich, Alexander Kisfaludy verehrte ihn begeistert und sammelte für ihn Stoffe zu neuen Dramen aus der Geschichte Ungarns. Szemere machte sich an seine Übersetzung und das Drama des deutschen Dichters wurde bald zum Festspiel der ungarischen Bühne. Es ist kein Wunder, daß Körners wachsende Berühmtheit auf die ehrgeizige Seele Karl Kisfaludys wirkte. In Wien begann er denn auch seine historischen Stücke zu schreiben, mit denen er etliche Jahre später so große Erfolge haben sollte. Während sich aber Karl Kisfaludy zu einem ungarischen Dichter entwickelte, wurden in Wien aus Gaäl, Mailäth und Mednyanszky österreichische Dichter, die sich nur insofern von Hormayr unterschieden, als neben ihrem literarischen Interesse auch ihre Herkunft ihnen die Bearbeitung der ungarischen Geschichte nahelegte. In Ungarn traf sich diese monarchische historische Literatur mit den altertümlicheren Tendenzen der transdanubischen Richtung, deren literarische Zeugnisse von Dugonics bis Alexander Kisfaludy bereits verfolgt wurden, und wurde zu einer Quelle der ungarischen Romantik. — Auch hier — wie früher — kann nicht von einem Einfluß, sondern nur von einem gleichen Entwicklungsgesetz gesprochen werden. Als Georg Gaäl das »Tätika« Alexander Kisfaludys und drei geschichtliche Dramen Karl Kisfaludys übersetzte, diente er ebenso sehr der österreichischen wie der ungarischen Literatur. Auch war es kein Zufall, daß ein Drama Karl Kisfaludys, »Die Tataren ') S. ARTHUR WEBER : Theodor Körner und seine Beziehungen zu Ungarn. Rundschau. I I . 223.
Ung.
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Österreichische Romantik.
in Ungarn« (A tatarok Magyarorszägon), als erstes ungarisches Stück in Wien aufgeführt wurde. Dieses Drama paßte wohl in das Wiener Milieu und wenn es trotzdem keinen Beifall fand, so war vor allem die geringe Kunst der Schauspieler daran schuld. Die österreichische Romantik hatte indes noch eine andere traditionelle Richtung, die mit einer Strömung der Weltliteratur zusammenhing: das Interesse für die Volksdichtung. Die Dichter des österreichischen Barock brachten diese Neigung infolge ihrer Herkunft aus dem Volke schon mit sich. Dadurch erleichterten sie die schnelle Verbreitung des Einflusses Ossians und bereiteten den Boden für die Ideen Herders1). — Herder erweckte auch die übrigen Donauvölker, deren völlig traditionslose Literatur aus der Volksdichtung hervorging, zu nationalem Selbstbewußtsein. Die serbische Volksliedersammlung des Vuk Karadzicz wurde weltberühmt, selbst Goethe übersetzte aus ihr. Schon am Anfang des Jahrhunderts sammelte man auch die slowenischen, böhmischen und slovakischen Volkslieder. Die erste deutsch-österreichische Volksliedersammlung erschien 1819 in P e s t , die erste slowakische Sammlung 1823 in der Ausgabe der aus Oberungarn gebürtigen Kollar und Safarik in Ofen. Das allgemeine Interesse am Volkstum regte sich also auch in Ungarn, ließ aber die ungarischen Dichter zunächst noch unberührt. Wie die Geschichte des Ungartums von Fremden geschrieben, seine historischen Sagen von Fremden bearbeitet wurden, suchten damals Nicht-Ungarn auch nach den Schätzen der ungarischen Volkspoesie. Die erste Anregung gaben die ungarländischen deutschen Zeitschriften, die sich begeistert in den Dienst der Herderschen Bestrebungen stellten. Jakob Grimm warf die Frage nach der Hunnensage auf und erbat sich von dem Prager Slawisten Dobrovsky Aufschluß über die ungarischen Volkssagen. Dem Namen nach kannte er nur die Argirussage. In seinem 1813 erschienenen Buch über die deutschen Heldensagen schrieb er: »Mögte doch jemand in Ungarn nachspüren, ob von diesen alten historischen Liedern sich nichts mehr erhalten hat, sei es in den Gebirgen noch lebendig . . . oder in Bruchstücken. . . .« Der Eifer der deutschen Gelehrtenkreise flammte noch stärker auf, als Kovachich den mittelhochdeutschen Kalocsaer Kodex und die Karlsburger Handschriften fand, darunter *)
Pukanszky Bela:
Herder hazänkban (H. in Ungarn).
Budapest, 1918.
Volksdichtung.
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ein Bruchstück des Nibelungenliedes. Büsching, Laßberg und von der Hagen mahnten die ungarische Wissenschaft, nach den alten ungarischen Liedern zu forschen. Den Kaloczaer Kodex gab Mailâth im Verein mit einem Pester Arzt, Köffinger, heraus und widmete ihn bezeichnenderweise Fouqué, dem deutschen romantischen Dichter. Das Interesse der Deutschen für die Volksdichtung war universal. Schon Herder gab die »Stimmen der Völker in Liedern« heraus, unter denen es aber an ungarischen fehlte. Dieser Mangel wurde um so fühlbarer, je inniger sich die unmittelbare Beziehung zwischen deutschem und ungarischem Geistesleben gestaltete. Damals kannten indes die Ungarn ihre Volksdichtung noch selber nicht und so blieb der Anstoß von außen unerwidert und ohne Ergebnis. Auch Goethe vermochte aus Ungarn keine Antwort zu bekommen. Johann Kollar zeichnete in seiner Selbstbiographie folgendes auf: »Herr Goethe "bat mich vertraulich, ich möge ihm einige slovakische Volkslieder besorgen, weil er von ihrer großen Zahl und Schönheit viel gehört habe. Um die magyarischen habe er schon viel gebeten und geschrieben, aber bisher habe er keine erhalten können1).« An ungarischer Unternehmungslust fehlte es zwar seit der Aufforderung Révais nicht, doch war alles vergeblich. So entstanden die ungarischen Volksliedersammlungen wiederum auf österreichischem Boden, wo die Volksdichtung noch alte Tradition besaß. 1822 gab Georg Gaâl 17 ungarische Märchen unter dem Titel »Märchen der Magyaren« heraus, von denen ihm Karl Kisfaludy vier geschickt hatte. 1825 erschien in Brünn die Sammlung Mailâths: »Ungarische Sagen und Märchen. « Schedel-Toldy veröffentlichte in seinem »Handbuch« ungarische Volkslieder, bemerkte aber: »Man hat bis jetzt noch keine Sammlung ungarischer Volkslieder. Wir ließen an mehrere Gelehrte Ungarns die Bitte ergehen, uns welche einzusenden, doch sie scheinen diesem Gegenstande keine Aufmerksamkeit gewidmet zu haben und wir selbst hatten keine Gelegenheit dazu2).« Es war eine Weltströmung, die auf dem ganzen ungarischen Gebiet um sich griff, die sogar ins Herz des Landes drang. Auf die ungarische Literatur aber hatte sie noch keinen Einfluß. Darin unterschied sich die ungarisch-literarische Entwicklung am stärksten von der der übrigen Donauvölker. Die ungarische Literatur war Angeführt bei MURKO: a . a . O . S. 317. -) SCHEDEL-FENYÉRY : Handbuch der ungrischen Literatur. Pest, 1828. II. 356.
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Österreichische Romantik.
noch eine Literatur des Adels, die mit dem Volke ohne Verbindung war. Bei den Serben verhielt es sich wesentlich anders. Dort war das Volk die Nation, in Ungarn der Adel. Eine andere Ursache ihres gleichgültigen Verhaltens war der Umstand, daß ein großer Teil der ungarischen Schriftsteller in fremder Umgebung lebte. Den Dichtern, die selbst aus dem Volke stammten, wären die Bauernlieder wohl nicht gleichgültig gewesen. Aber der in Ofen lebende Benedikt Viräg etwa hätte weit gehen müssen, um ungarisches Volk zu finden. Er bat Kazinczy, der unter Slovaken lebte, Volkslieder für ihn zu suchen. Diese Umgebung aus fremdem Volkstum, mit dem die ungarischen Dichter sich weder gesellschaftlich noch völkisch eins fühlten, wirkte lähmend auf jeden Versuch von Sammlung und Forschung. Vörösmarty schrieb in seinem an Egyed gerichteten poetischen Brief, als er von Bonyhäd Abschied nahm: . . . mit trauriger Stimme nach dir jetzt ruft Der ungarische Geist, der in deinen Liedern erstand. Wer würde hier Freude finden am fremdsprachigen Volke, Wir vergaßen, solang du warst, seine rauhen Klänge. Derweilen lebten die österreichischen Dichter in deutscher, die böhmischen und slovakischen Dichter in böhmischer Umgebung und fühlten sich eins mit ihrem Volke. Die ungarische Volksdichtung wurde erst in dem Augenblick zum Jungbrunnen der Literatur, als diese aufhörte, adelige Literatur zu sein und als der Magyarisierungsprozeß von Pest begann. Zunächst aber kam die Kenntnis der ungarischen Volksdichtung noch auf Umwegen und in entstellter Form nach Ungarn, wenn auch die Sammlungen Gaals und Mailäths, später Mednyänskys, die der deutschen Literatur dienen wollten, in den zwanziger Jahren der ungarischen Literatur mancherlei Anregungen gaben. Der Anstoß von außen förderte die Sammlung alter Volkslieder wie auch die Abfassung neuer Gedichte im Volkston. Vörösmarty schrieb 1828 klagend: ». . . Wo wären unsere alten Volkslieder wohl, wenn die Fremden sie nicht zusammentrügen1) ?« Es ist lehrreich zu beobachten, wie die volkstümliche Dichtung in ihrer ausländischen, entstellten Form auch auf Kazinczy wirkte, dessen aristokratischer Geschmack die heimatlichen Bauernlieder und -märchen verschmähte (er verachtete auch Csokonai, der in ihrer Art dichtete). Kazinczy ') VÖRÖSMARTY MIHALY:
Külföldön a magyar literaturänak terjesztfee (Die
Verbreitung der ungar. Literatur im Auslande).
Tud. G y ü j t . 1828 u. ö . M. V I . 202.
Volksdichtung.
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war der erste, der den Stil der serbischen Volkspoesie in die ungarische Literatur einführte. Auch übersetzte er die Romanzen Mailaths ins Ungarische. — Die danubische Richtung glich sich diesem äußeren Einfluß leichter an, denn die Tradition des nationalen Versmaßes war in ihr von Anfang an lebendig. Einer der ersten Volksliedsammler war Adam Paloczi Horvat. Die ersten Forscher erstanden unter dem dem Volk entstammenden katholischen geistlichen Dichter. Der erste ungarische Dichter, dessen Kunstvolkslieder sich auch im Volk verbreiteten, war Gregor Czuczor, ein Sohn von Hörigen. So kam, wenngleich um etliches verspätet, die volkstümliche Dichtung auch in Ungarn selbst zur Geltung. Da aber das Interesse für sie zunächst weniger das Ergebnis innerer Entwicklung als vielmehr die Folge äußerer Einflüsse war, wurde sie in Ungarn nicht zu einem so kennzeichnenden Merkmal der Romantik wie die historische Dichtung.
5- Die romantische Generation und die Weltliteratur. Die romantische Generation entwickelte die in der voraufgehenden Periode entstandenen Traditionen weiter. Ihre westliche Bildung war das Ergebnis verschiedener Kräfte. Herkunft und Umgebung der einzelnen Dichter beeinflußte indes ihren Anteil an der Weltliteratur auch künftig. Allen war von der Schule her die lateinische Bildung gemeinsam. Kölcsey sagte von sich, er sei als zehnjähriger Knabe im lateinischen Aufsatz besser gewesen als im ungarischen. Vörösmarty schrieb in seiner Jugendzeit mit großer Fertigkeit lateinische Verse. Für alle war die erste westliche Sprache, die sie sich aneigneten, die deutsche. Sie lasen nicht nur die deutschen Dichter in der Ursprache, sondern konnten selber deutsch schreiben, vermochten deutsche Dichtungen zu übertragen und sogar selbst zu verfassen. Aber die deutsche Literatur bewerteten sie verschieden. Für Kölcsey und Szemere war der größte deutsche Dichter Goethe. Bei dieser Auffassung blieben sie als getreue Schüler Kazinczys bis zum Ende ihres Lebens, obwohl Goethe auf ihre eigene Dichtung nur wenig Einfluß hatte. Auch Bajza und Toldy — die in ihrer literarischen Theorie ebenfalls Kazinczy folgten — sahen in Goethe den Höhepunkt der deutschen Literatur. Sie erlebten in ihrem Verhältnis zur deutschen Dichtung fast die nämliche Entwicklung wie Kazinczy und seine Anhänger. Dabei gingen sie vom Göttinger Hain aus. So schrieb Bajza 1824 an Toldy: »Ich habe Matthisson ganz gelesen, ebenso einen Teil von Salis, Hölty und Kind. Zwar verstand ich nicht alle Stellen, doch kann ich sagen, daß ich an dichterischem Ausdruck, an Formen und Wendungen viel von ihnen gelernt habe. Ich freue mich dessen sehr und empfinde es keineswegs als Schande1).« Kölcsey machte ihn während seines Pester Aufenthalts auf Goethe aufmerksam. Schon 1827 schrieb Bajza an Toldy: »Die erste Lieferung von Goethes Werken — der neuen Stuttgarter Auflage — ist bereits ') B. J. ö. M. VI. 87.
Deutsche Romantik.
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erschienen. Mein Herz tut mir weh, daß ich sie nicht kaufen kann. . . . Ich danke es Kölcsey, daß er mich auf die Dichtungen dieses großen Mannes aufmerksam gemacht hat, ich danke es aber auch meinem Genius, daß er sie mir zur Verehrung gab. Nichts kenne ich, das mich so befriedigte, wie diese von Wunderhänden geschaffenen Schöpfungen. Ich zittere um sie und ruhe nicht, ehe ich sie zu meinem Eigentum gemacht habe 1 )-« Karl Kisfaludy wurde wie sein Bruder in Wien mit der deutschen Literatur bekannt, Kotzebue, Schiller und die Wiener Dramatiker waren seine Lieblingslektüre. Für Goethe hatte er so wenig Verständnis wie Alexander. Nach der Art seiner ausländischen Bildung war er der typische Transdanubier. Ähnliches läßt sich bei Vörösmarty beobachten. Er lernte schon als Stuhlweißenburger Schüler die deutsche Sprache und vervollkommnete seine Sprachkenntnisse in Pest; mit der deutschen Literatur wurde er erst in Bonyhäd durch Anregung seines Freundes Teslers bekannt, der mit Kazinczy in Briefwechsel stand. Von ihm erhielt er dann die Werke Kazinczys, Schillers und Goethes. Keiner von diesen Dichtern hat irgendwelche Spuren in seinen Werken hinterlassen und es fehlt zudem jede Angabe darüber, ob er die deutschen Dichter später überhaupt noch je gelesen hat. Mit den deutschen Romantikern beschäftigte sich die ungarische romantische Generation seltsamerweise nicht. Die unmittelbare Verbindung der ungarischen Literatur mit dem deutschen Geistesleben war damals unterbrochen. Die vorhergehende Generation, die die deutsche Romantik aus unmittelbarer Anschauung wohl hätte kennen lernen können, beachtete sie nicht. Stefan Horvät fand an Schlegel nichts weiter bemerkenswert, als daß er gerne starke Weine trank und sehr viel aß. Von seiner Kunst hielt er nichts. Kazinczy verstand Novalis nicht. Die Möglichkeit gleichzeitiger Wirkung wurde versäumt; statt dessen faßte der deutsche Klassizismus Fuß. Toldys Aufmerksamkeit erstreckte sich zwar auf alle Erscheinungen der deutschen Literatur, doch war er kein Dichter. Er abonnierte die Kabinettsbibliothek, sandte daraus an Bajza 1825 die Novellen Tiecks und Kleists Dramen. Doch Bajza fing zu eben der Zeit an, sich für Goethe zu begeistern. Nur Tieck erweckte sein Interesse. — G Y U L A I zeichnete zwar auf, daß Karl Kisfaludy ') E b d a
V I . 252.
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Weltliterarische Einflüsse.
»viel über die Romantik, auch im Sinne der deutschen Literatur, sprach«1), indes ist diese Behauptung durch nichts belegt. Gleichzeitig klagte Toldy über Kisfaludy, daß er immer male; er fing zehn Bilder an, beendete keines und las jährlich nicht mehr als zwölf Druckbogen. — Nach Gyulai hörte Vörösmarty das Wort Romantik erstmals durch Kisfaludy. Von den neueren deutschen Dichtern las er der Aufzeichnung Stettners zufolge nur die Dramen Houwalds und Müllners. Müllner wurde in Ungarn durch Döbrentei bekannt, der unter dem Titel »Vetek sülya« »Die Schuld« übersetzte und veröffentlichte. — Vörösmarty wollte wohl die Kunst des Dramenschreibens von ihnen lernen, wie man denn auch die Spuren dieser berüchtigten deutschen Schicksalstragödien bei ihm nachweisen kann. Grillparzer wurde in Ungarn zuerst mit seiner »Ahnfrau« bekannt, die früh übersetzt und oft aufgeführt wurde; auch Schiller war bei den ungarischen Romantikern besonders als Dramatiker geschätzt. Mit der Übersetzung der »Räuber« begann Toldys ungarische belletristische Laufbahn. Außer Tasso war Schiller der einzige fremde Dichter, von dem Kisfaludy einige Verse in seine Aurora aufnahm, die doch mit dem Bestreben der Originalität gegründet worden war. Unter anderem fanden »Die Glocke« und »Der Taucher« in der Übertragung Szenveys dort Platz. Der Einfluß der deutschen Literatur beschränkte sich auf einen immer enger werdenden Kreis. Die romantische Generation zog es vor, nur mehr die Theorie von den Deutschen zu lernen. Kölcsey vertiefte sich noch 1828 in Krug, Sulzer, Herder und Bouterweck. Kisfaludy und Vörösmarty befaßten sich wenig mit literarischer Theorie, auch darin waren sie charakteristische Transdanubier und Katholiken. Kisfaludy schrieb keine einzige Kritik, Vörösmarty studierte nur die Theorie des Dramas, weil das Drama zwar sein größter dichterischer Ehrgeiz, zugleich aber seine schwächste dichterische Leistung war. Aus diesem Grunde las er Lessings und A. W. Schlegels Dramaturgie. — Toldy, Stettner und Bajza waren vor allem Theoretiker. Durch sie kam die theoretische Literatur der deutschen Romantik in Ungarn zur Geltung. Nicht nur Toldy las Jean Paul, Schlegel, Tieck, sondern auch Szemere und Kölcsey. Kölcsey schrieb 1827 an Szemere: »Krug und Schlegel habe ich gelesen und bei beiden, zumal bei Schlegel, fand ich viel Gutes. ') GYULAI P A L :
Vörösmarty ¿letrajza
(V.s Leben).
Budapest,
19005, S. 95.
Italienische u. englische Einflasse.
191
Aus Schlegels Vorlesung entnahm ich nur oder doch zum größten Teil nur dieselben Prinzipien, die ich schon in Peczel bei Tieck kennengelernt hatte1).« Kölcsey fühlte in diesen Werken die Liebe zur griechischen Dichtung, die auch ihn ganz durchdrang. In demselben Briefe, in dem er Schlegel lobte, schrieb er: »Von Euripides habe ich schon viel gelesen und ich warte nur auf Aeschylos mit den übrigen, damit ich meine eigenen Bemerkungen mit denen der Deutschen vergleichen kann.« Kölcsey und Szemere standen mit ihrer Griechenverehrung in der romantischen Generation allein. Sie war das dauerndste Erbe, das Kazinczy ihnen hinterlassen hatte, wenn es auch auf ihre eigenen Schöpfungen nicht den mindesten Einfluß übte. Karl Kisfaludy, Vörösmarty und Mailäth konnten Griechisch nicht, Vörösmarty las Homer nur in der Übersetzung Välyi Nagys. Dagegen brachten sie aus dem Wiener-transdanubischen Kulturkreis umfassenderes Interesse für die Literatur der westlichen Nationen mit. Wie erinnerlich, kannte Kölcsey 1813 weder die italienische noch die englische Literatur. Der Einfluß des Auslands kam für die Transtisier allein von Deutschland und Frankreich. Karl Kisfaludy hielt aber die französische Literatur für keine Dichtung und Vörösmarty lernte nie französisch. Karl Kisfaludy bereiste Italien; kaum hielt Vörösmarty Tasso in der Übersetzung Tanarkis in den Händen, als er sich daran machte italienisch zu lernen, um den großen Epiker im Urtext lesen zu können. Stettner berichtete 1826 an Kazinczy über die Lektüre Vörösmartys: »1824 waren Tasso, Ariosto, Petrarca, Valyi Nagys Homer, Lord Byron, Walter Scott, Houwald, Müllner, im Jahre 1825 die Dramaturgie Schlegels, die Schauspiele Calderons und in neuester Zeit Shakespeare seine Lektüre2).« Dieses Verzeichnis ist bezeichnend für den Anteil, den die romantische Generation an der Weltliteratur nahm. Ein französischer Dichter begegnet unter den Büchern Vörösmartys nicht, von den deutschen finden sich darunter nur Schlegel (mit seinem theoretischen Werk) und die Verfasser der Schicksalstragödien. Von den Engländern studierte Vörösmarty am meisten Shakespeare, dessen Kenntnis sich seit Kazinczy auf das ungarische Kulturgebiet erstreckte. Alexander Kisfaludy las ihn wie sein Bruder. Doch während ihn Kazinczy und die beiden Kisfaludy nur aus Übersetzungen kannten, war er für Vörösmarty schon im ') K. F. M. M. IX. 319. Pecel war der Landsitz Sz.s, wo K. oft zu Besuch weilte. *) K. L. X I X . 493-494.
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Weltliterarische Einflüsse.
Original zugänglich. Neben Shakespeare meldete sich ganz allgemein der Einfluß Ossians. Er konnte fast schon als ungarisches Erbe bezeichnet werden. Es gab damals überhaupt kaum einen ungarischen Dichter, der nicht von ihm beeinflußt war. Zugleich begann aber die Gegenwirkung und Karl Kisfaludy verspottete in zwei parodistischen Novellen die Ossian-Nachahmer. Vörösmarty entlehnte ihm noch in seinem Zalän und Habador Farbe und Stimmimg. Mit Pope, auf den sich Kölcsey und Alexander Kisfaludy gern beriefen, befaßte er sich nicht mehr, auch las er Milton nicht, da ihm ja schon Klopstocks Messias Kopfschmerz bereitete. Desto stärker wirkte die moderne englische Literatur auf ihn, Walter Scott, und vor allem Byron, dessen grenzenlose Phantasie der seinen verwandt war. Kölcsey begann beide erst 1836 gegen Ende seines Lebens zu lesen, ohne besondre Begeisterung. Scotts Gedichte schätzte er höher als seine Romane. — Tasso und Petrarca waren die Lieblingsdichter der transdanubischen Schriftsteller seit Zrinyi, — die Transtisier hingegen beschäftigten sich mit ihnen nicht. Von nun an war Tasso in den Augen des ungarischen Schriftstellers die Verkörperung der Romantik. Desewffy stieß in Hormayrs Taschenbuch auf Gedichte »von Tassoschem Glanz«. Toldy meinte, Vörösmarty werde erst dann zu einem Romantiker, wenn er sich immer mehr die Manier Tassos anzueignen verstehe. Kölcsey stellte in seinen »Nationalen Traditionen« den italienischen Epiker in den Mittelpunkt der neueren Dichtung. •— Endlich begann Vörösmarty, vielleicht als erster, sich mit den Spaniern zu befassen, die von den Wiener Romantikern entdeckt worden waren. Gaäl schrieb an Toldy, wer die echte Romantik kennenlernen wolle, müsse Calderon lesen. Auch Kölcsey bat Szemere um die Werke Calderons. So zeigte sich denn die Zwiespältigkeit des ungarischen Geisteslebens auch in dem verschiedenen Anteil, den die ungarischen Dichter an der Weltliteratur nahmen. Aber dieser Gegensatz glich sich in der Pester literarischen Umgebung ebenso aus wie der landschaftliche und erschien fürderhin nur noch als charakteristische Färbung.
6. Die unmittelbaren geistigen Beziehungen zum Ausland. Nicht nur die Richtung der weltliterarischen Interessen der romantischen Generation wandelte sich, sondern auch ihre innere Bedeutung. Viele Dichter der Erneuerungszeit hielten eine unmittelbare Verbindung mit dem ausländischen Geistesleben aufrecht. Johann Kis und Döbrentei besuchten deutsche Universitäten. Alexander Kisfaludy verkehrte in vier Ländern, Kultsar durchreiste mit seinem Schüler, dem jungen Grafen Festetich, halb Europa. Es gab nur wenige, die nicht mindestens bis Wien gelangt wären. Von den Mitgliedern des Aurora-Kreises sah bis zum Ende der zwanziger Jahre nur Karl Kisfaludy das Ausland. Vörösmarty, Kölcsey, Szemere, Bajza, Stettner kamen nicht über die Landesgrenze hinaus. Sie hatten keine Verbindung mit ausländischen Dichtern; das literarische Leben Ungarns, wie sie selbst es geschaffen hatten, befriedigte sie ganz. Wiens Vermittler-Bedeutung hörte jedoch nicht auf: nicht nur der Einfluß der österreichischen Romantik, sondern auch die Popularisierung der italienischen, spanischen und englischen Literatur ging von dort aus. Die Vermittler selbst aber waren nun schon Wiener Schriftsteller ungarischer Herkunft, wie Mailäth, Mednyänszki und Gaal. — Auch das deutsche Bürgertum in den Städten Ungarns geriet damals ganz unter den Einfluß der Wiener Literatur. Seine literarischen Zeitschriften — von denen die »Pannonia« durch einen ungarischen Magnaten, den Grafen Karl Albert Festetich, redigiert wurde — erreichten ein hohes Niveau und veröffentlichten die Werke der hervorragendsten Wiener Schriftsteller, Anastasius Grüns, Seidls, Vogls und Grillparzers, die der milderen Zensur wegen in Pest leichter erscheinen konnten als in Wien. An diesen Zeitschriften arbeiteten auch Mailäth, Gaäl und Toldy mit und machten hauptsächlich die ungarische Literatur bekannt. Die Pester deutsche Schaubühne führte verschiedene Wiener Schriftsteller ebenso auf wie die Dramen Karl Kisfaludys. So glich sich das literarische Leben Wiens und Pests aus, doch blieb Wien noch immer der gebende Teil und das F a r k a s , Romantik in Ungarn.
13
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Unmittelbare Beziehungen.
eigentliche Vorbild. Kultsär schrieb 1820: »Man muß auch deshalb beginnen, weil in Wien ein so schönes Beispiel vor uns steht, wo seit fünfzehn Jahren . . . immer mehr Kalender und Taschenbücher auftauchen1).« Diese Aufforderung Kultsars gab den ersten Anstoß zur Gründung der Hebe und der Aurora. Beide nahmen sich die Wiener Almanache zum Muster. Samuel Igaz berief sich auch »auf das Beispiel unserer gelehrten Nachbarn« in dem Vorwort seines Taschenbuchs. Während aber Igaz nur nachahmte, strebte Kisfaludy nach Originalität. Das erkannte auch einer der bedeutendsten Kritiker, Thaiß, an und stellte fest, daß die Aurora im Grunde ungarischer sei. Die Bedeutung der deutschen Zeitschriften wurde neben den ungarischen Almanachen zurückgedrängt. Kazinczy konnte sich ohne die deutschen Zeitschriften kein literarisches Leben denken und suchte Verbindung mit ihnen um von ihnen zu lernen. Von den Mitgliedern der romantischen Generation verfolgte hauptsächlich Schedel-Toldy die ausländischen literarischen Ereignisse mit Aufmerksamkeit und berichtete seinen Freunden über sie. — Vörösmarty las während seiner Redakteurszeit das »Ausland« (München 1828—93), nur um seinen Lesern mit ausländischen Nachrichten zu dienen. — Kazinczy und Rumy entfalteten eine fieberhafte Tätigkeit, um die Entwicklung der ungarischen Literatur dem Ausland bekannt zu machen. Dies Bestreben lebte auch in der jüngeren Generation, verstärkt freilich durch das Bewußtsein, daß die ungarische Literatur dem Ausland tatsächlich etwas zu bieten habe. Alexander Kisfaludy und die ungarischen Romantiker waren die ersten ungarischen Dichter, die im Ausland bekannt wurden. Die »Liebeslieder« (Himfy Szerelmei) Alexander Kisfaludys übertrug Mailäth ins Deutsche1), Gaäl hatte das Tätika sowie drei Dramen Karl Kisfaludys schon früher veröffentlicht. Franz Schedel-Toldy gab zu gleicher Zeit mit seinem Handbuch die »Blütenlese« heraus, eine Anthologie in deutscher Sprache, in der auch jüngere Dichter zu Worte kamen. Außer Mailäth, Tbldy und Gaäl waren die Grafen Franz Teleki, Karl Albert Festetich und die zwei Deutschen des Aurorakreises bemüht, die neue ungarische Literatur der europäischen einzufügen. Die Dichter des Aurorakreises machten sich Tretter und Paziazi zunutze, wie sich die ungarischen Herren im Mittelalter slawische Spielleute, später italienische Gelehrte gehalten ') H i m f y s auserlesene Liebeslieder.
Übersetzt von
JOHANN
GRAF
MAILÄTH.
Pest, 1827. — Ein Jahr vorher lieferte Graf Sannazari eine italienische Übersetzung.
195
Übersetzungen.
hatten. Sie ließen ihre Werke durch sie übersetzen und wenn es der Aurora etwa an Manuskripten fehlte, veranlaßten sie sie Novellen im Wiener Stil zu schreiben, die dann irgendeiner von ihnen ins Ungarische übertrug. Sie sprachen von ihnen als von »unseren zwei Knaben, den deutschen Kindern«. Die Verdeutschung ihrer Werke war für die ungarischen Schriftsteller nicht mehr so wichtig, wie sie es noch für Kazinczy und seine Freunde gewesen war. Sie glaubten nun schon, es sei die Pflicht Europas, Ungarn kennen zu lernen. Mit Recht fühlten sie, daß die ungarische Literatur einen neuen eigenartigen Ton in der Weltliteratur bedeute und daß ihre Ganzheit ohne sie lückenhaft sei. — Karl Kisfaludy zwar übersetzte seine Dramen noch selbst für Gaäl, der die rohen Übertragungen nur mehr glättete. Vörösmarty indes wehrte sich schon gegen die Übersetzung. Als ihm Paziazi einen Teil des Zalän in Mailaths Übertragung zeigte, war er entsetzt und zweifelte an seiner dichterischen Begabung. Nur der Umstand tröstete ihn, daß nach Paziazis Angabe Mailäth die Übersetzung übereilt habe und man sie weit besser machen könne. Auch später, als ein Deutscher mit dem Namen Ufer sich am Zalän versuchte, war er verärgert. So schrieb Bajza an Toldy: »Stell Dir vor, Dr. Ufer, der (wie Kisfaludy sagt) nicht einmal gut ungarisch versteht, hat die Hälfte von Vörösmartys Zalän ins Deutsche übersetzt und will sie in einer Zeitschrift veröffentlichen. Karl meint, die Übersetzung sei sehr schlecht und Vörösmarty ist sehr böse1).« Seit Jahrhunderten hatten die Deutschen Ungarn so völlig verkannt und so wenig an eine ungarische Kultur geglaubt, daß die Furcht der ungarischen Dichter vor schlechten Übersetzungen, die von dem mächtigen Aufschwung der ungarischen Literatur nur ein Zerrbild geben könnten, verständlich ist. Das Gefühl des eigenen Wertes und das mißverständliche, absprechende Urteil der Deutschen bildeten für das ungarische Geistesleben noch immer eine gewaltige Triebkraft. Zwar lebte dieses Bewußtsein schon stärker in den Assimilierten als in den alten Ungarn, die damit zufrieden waren, die Dichter ihrer Nation zu sein. Die Anthologie Mailaths und das Handbuch Toldys hatten diesem doppelten Bewußtsein ihre Entstehung zu verdanken. Eine außerordentliche Stärkung erfuhr das ungarische Selbstbewußtsein durch die Antho1) B . J . Ö. M. V I . 301.
13*
196
Unmittelbare Beziehungen.
logie Bowrings, die 1830 in englischer Sprache, nach dem Muster der Anthologie Mailaths, mit einem kurzen literarhistorischen Überblick erschien. Auf dieses Buch hatten die ersten Namen des englischen Geisteslebens subskribiert und so konnten die ungarischen Dichter mit Recht das Gefühl haben in die Weltliteratur eingezogen zu sein. Doch die Anthologie Bowrings war entwicklungsgeschichtlich wesentlich anders bedingt sprechungen,
als die deutschen Übersetzungen
die das Ergebnis hundertjähriger
und
Be-
Schicksals-
und
Kulturgemeinschaft darstellten.
Die Ausgabe Bowrings war das
persönliche
Schriftstellers,
Unternehmen
eines
der zuvor
schon
russische, spanische, holländische, serbische und polnische Sammlungen veröffentlicht hatte.
Zugleich mit der ungarischen bereitete
er eine böhmische Anthologie vor.
E r war nur ein Agent der Welt-
literatur, wenn auch von großer Gelehrsamkeit und weitem Horizont. Aber diesen Unterschied fühlten die ungarischen Schriftsteller nicht. Begeistert unterstützten sie seine Sammlung, sie bedeutete ja gewissermaßen auch die Befreiung von dem deutschen Einfluß und Übergewicht, die das nachdrückliche Streben jener Zeit war. Der Wandel des Bewußtseins wird durch nichts besser gekennzeichnet als durch die Europareise, die Schedel-Toldy 1829 unternahm.
In ihm war keine Spur mehr von der Unterwürfigkeit der
Studenten der Reformationszeit, aber auch nichts von dem Fleiß und Wissenseifer, der Johann Kis und seine Genossen erfüllt hatte. E r war der Nachfolger Czvittingers und Rotarides.
Während aber
jene sich bescheiden damit begnügt hatten, auf die Ergebnisse der ungarischen Bildung hinzuweisen, war Toldy durchdrungen von dem Glauben an die Gleichberechtigung der ungarischen Kultur.
Auch
er beugte sich vor den großen Denkmälern deutschen Geistes.
Er
suchte Schillers, Herders, Wielands Wohnhäuser auf, stand an dem Grab Müllners, verbrachte eine halbe Stunde bei Goethe, dem er schon früher sein Handbuch zugesandt hatte und aß mit Tieck zu Mittag.
Stolz berichtete er an Kazinczy: »Ich muß gestehn, daß
ich, wo ich im Auslande erschien, überall freundlich empfangen wurde, ja ich fand sogar, wenn ich dies Wort gebrauchen darf, allerorts unverdiente Aufmerksamkeit.«
Verschiedene deutsche gelehrte
Gesellschaften wählten ihn zum Mitglied; und der vierundzwanzigj ährige Jüngling geriet in Berlin mit Hegel, dem Rektor der Universität, der ihm den Besuch der Vorlesungen erst nach seiner Einschreibung als Hörer erlauben wollte, in Streit. Mit mächtigem Stolz
Toldys Europareise.
197
schrieb er seinen Eltern: »Die meiste Freude macht mir, daß ich wenigstens in einer Hinsicht Kollege des Rector Magnificus Hegel, der mich mit Gewalt zum Studenten machen wollte, geworden bin. Er ist nämlich auch Mitglied der Sozietät für wissenschaftliche Kritik wie ich1).« In Berlin hielt er im Januar 1830 vor geladenen Gelehrten im Englischen Haus eine Rede über die ungarische Sprache und Literatur, den ersten wissenschaftlichen Vortrag überhaupt, den das Ausland über das ungarische Geistesleben zu hören bekam. Es ist bezeichnend, wie Toldys Berichte zu Hause aufgenommen wurden. Kazinczy jubelte laut auf, als er las, daß er bei Goethe eine halbe Stunde habe verweilen können. Vörösmarty scherzte mit ihm über seinen Besuch bei Tieck und fragte ihn: »Wußte denn jener vortreffliche Mann, was sein Name imgarisch bedeutet ?*) Und wenn er es wußte und doch den Mut hatte mit Ihnen, einem so Gefräßigen wie Sie es sind, zu Mittag zu essen, so kannte er Sie gewiß nicht; doch wenden wir uns von diesen schrecklichen Gedanken ab und andern Dingen zu3).« Übrigens hatte Toldy während seiner deutschen Reise doch eine gewisse Enttäuschung erlebt. Er mußte gewahr werden, daß man im Deutschen Reiche an der Literatur Ungarns nicht den gleichen Anteil nahm wie in Wien. An Vörösmarty schrieb er mit unverstellter Bitterkeit: »Ob es unserer Sprache gegenüber Aufmerksamkeit gibt ? Auf diese Frage kann ich nur traurigen Bescheid geben. Überall denkt man, unsere Sprache sei eine armselige Tochter der slowakischen — und begnügt sich, so scheint es, damit. Goethe nahm sich offenbar nicht die Zeit, das Handbuch durchzuschauen und Tieck hatte wenigstens während meines Dresdener Aufenthaltes die Anthologie noch nicht gelesen, obgleich ich ihn auf »Cserhalonv»)« besonders hingewiesen habe5).« — August Wilhelm Schlegel empfing ihn unfreundlich und wünschte die Töne der ungarischen Sprache nicht zu hören. Um so glücklicher schrieb Toldy aus London an Kazinczy: »Hier, wo es keinem Menschen einfällt, daß es Ungarn auf der Welt gibt, breitet sich die Kenntnis unserer Bemühungen durch Bowring 1) ') 3) 4) 5)
A. K . Ung. t i k = H ü h n c h e n , Küchlein. V. E . 298. E i n episches Gedicht V.s. V. E . 299.
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Unmittelbare Beziehungen.
aus. Sein Werk ist schon in etwa fünfzehn englischen Zeitungen, deren Leser ungezählte Tausende sind, besprochen worden1).« Diese Reise Toldys ist charakteristisch für die weitere Entwicklung der Beziehungen des ungarischen Geisteslebens zum Ausland. Von damals an nämlich machte es sich mehr und mehr selbständig und wurde zum getreuen Ausdruck des nationalen Wesens, schloß sich aber zugleich ab und verlor seine expansive Kraft. Wenig später wurden die ungarischen Städte magyarisch, Wien aber wandelte sich von neuem zur feindlichen Hauptstadt und die Tore Europas taten sich vor den großen Werken und Werten der ungarischen Dichtung zu. Vörösmarty fand keinen ebenbürtigen Übersetzer, Petöfi war nur als romantischer Freiheitsheld bekannt, Aranys Namen nannte man kaum. Zu dem wachsenden Selbstbewußtsein der Nation stand die Gleichgültigkeit des Auslands im schroffsten Gegensatz. Es war dies ein tragischer Widerspruch, der den Kern späterer schwerer Verhängnisse in sich barg. ») K . L . X X I . 249.
7- Romantische literarische Theorie und dichterische Praxis1). Es war davon die Rede, daß auch die romantische Generation die literarische Theorie von den Deutschen übernahm, während ihre literarische Praxis den deutschen Einfluß immer mehr abtat. Die Forderung nach einer selbständigen Dichtung wurde gegen Ende des zweiten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts immer lauter. Kölcsey warnte Kazinczy 1817 vor einer Neuausgabe seiner Übersetzungen, da das Publikum nun Originalwerke zu lesen wünsche. Gabriel Döbrentei wandte sich in den Spalten der Tudomänyos Gyüjtemeny gegen das Übergewicht des deutschen Einflusses. Mailäth hielt Berzsenyi für den bedeutendsten ungarischen Dichter, da er ihm von der Einwirkung des Auslands am wenigsten berührt schien. Alexander Kisfaludy wurde auch außerhalb der ungarischen Grenzen bekannt, weil er selbständige Schöpfungen hervorbrachte. Dessewffy aber schrieb auf Alexander Kisfaludy, Berzsenyi und Vörösmarty eine Ode: Euch und Vitez, den in seinen Glanz der Himmel emporhob, schulmeistern einige. O verzeiht der feindseligen Hand, die gekünstelt in ihrem Stolz fortgleitet. Durchaus führte euch nicht das enge Nachahmen wie Nachahmer auf den Weg Helikons, sondern das glückliche Auffassen der schönen Natur. Feuerherz und Feuergeist brachte euch in Besitz der Leier. Es ist bezeichnend, daß bei den von Dessewffy gepriesenen Dichtern der geistige Führer der romantischen Generation, Karl Kisfaludy, keine Rolle spielt. Gleichwohl gründete Kisfaludy die Aurora mit dem Ziel einer Originalliteratur und sah in seinen Schauspielen die ersten selbständigen ungarischen Dramen. Das literarische Bewußtsein der besten Zeitgenossen, das sich an dem Studium ausländischer Kunstwerke bildete, war feiner als das Kisfaludys. Kölcsey schrieb bei der Besprechung des Lustspiels »Länyörzö« (Mädchen') Vgl. meinen Aufsatz: Romänos, »Romantischen« in der ungar. Literatur.)
romantos, Minerva,
romantikus. 1929.
(Der Begriff des
200
Theorie und Praxis.
Wächter) eine Theorie der Komödie und sprach darin unverkennbar mit Bezug auf Kisfaludy von der Schädlichkeit aller Nachahmung. Kisfaludy fühlte sich denn auch getroffen und fragte Szemere gekränkt, was denn in seinem Drama nicht selbständig sei. Aber nicht nur Kölcsey, auch Szontagh verurteilte Kisfaludys Lustspiele, indem er behauptete, sie hätten keine ungarische Färbung, malten vielmehr fremdes, deutsches Leben. Kölcsey bestimmte die Grenzen des literarischen Einflusses. »Nachahmung ist nur Sache der Starken; Schwäche ist nirgends deutlicher als in ihr zu erkennen. Zwischen Nachahmung und Studium ist ein großer Unterschied: Nachahmung bleibt am fremden Stil und Gegenstand hängen, Studium aber lehrt uns durch das Beispiel anderer unsere eigene Kraft immer besser gebrauchen1).« Die eigene Kraft gebrauchen, dies war die Hauptforderung der Zeit. Auch Fäy schrieb: »Nicht blind nachahmen, sondern angleichen müssen wir uns den Geist der benachbarten Literaturen, ihren Geist zu unserem eigenen Geist machen2).« Und Szontagh drückte denselben Gedanken folgendermaßen aus: »Nur jene Werke werden in unserer Literatur von Dauer sein, die mit der Klassizität Volkstümlichkeit vereinen3).« Kisfaludy entsprach dieser Forderung nicht. Den Stoff seiner Dramen schöpfte er aus Feßler, Mednyanszky und Hormayr, zuweilen ohne etwas an ihm zu ändern; seine Lustspiele schrieb er nach Kotzebue und Clauren; nur einzelne ungarische Typen schuf er selbst. Er arbeitete nach weltliterarischen Schemen. So wurde ein großer Teil seiner Werke zwar literarhistorisch bedeutsam, Dauer aber gewannen sie nicht. Das fremde Milieu, in dem seine Dramen spielten, verteidigte er mit dem Hinweis darauf, daß es in Ungarn noch kein gesellschaftliches Leben und keine Sprache der Gesellschaft gebe. Dadurch sei er gezwungen gewesen, zu fremden Mustern zu greifen. Ebenso habe es sich mit dem literarischen Leben verhalten. Er habe deshalb auch dieses nach dem Beispiel Wiens organisiert und die literarischen Formen der österreichischen Romantik nach Ungarn übertragen. Der Einfluß des Wiener literarischen Lebens hinterließ unverwischbare Spuren in seiner Dichtung. Auch die allertypischste Wiener Kunstgattung, die Feenkomödie, versuchte er zu übernehmen. — Die Aurora aber glich in ihrer ganzen Einteilung den ') K. F. M. M. III. *) £let 6s Literatura IV. 85. 3) Ebda. IV. 137.
Karl Kisfaludy.
201
zeitgenössischen Wiener Almanachen, unter denen sich sogar einer mit dem gleichen Titel findet. Es begegnen hier wie dort dieselben Kunstgattungen: Ballade, Romanze, kleineres Epos, Novelle, später auch Volkslied. Kisfaludy war auf höherer Ebene der Abschluß jenes Entwicklungsgangs, an dessen Anfang Dugonics stand. Aus der neuen Generation erhoben sich zwei Dichter, deren Werke nach dem Gefühl der Zeit »Klassizität mit Volkstümlichkeit vereinten«: Kölcsey und Vörösmarty, der romantische Lyriker und der romantische Epiker. Toldy schrieb über Kölcsey: »Kölcsey ist neben Dayka der subjektivste ungarische Lyriker; aber was Romantik betrifft, so ist er reicher als Dayka und überhaupt als alle unsere Lyriker1).« Dann später über Vörösmarty: »Vörösmarty wurde der Erwecker der romantischen Schule — deren Vertreter bisher Zrinyi war — . . . oder vielmehr ihr Schöpfer zu neuem und schönerem Glänze2).« Die Entfaltung dieser selbständigen nationalen Dichtung ging indes so rasch vor sich, daß ihr die vom Ausland her bestimmte Theorie nicht zu folgen vermochte. Aus dieser Tatsache ergab sich die eigenartige Lage, daß die Dichtung der ungarischen Romantik von der zeitgenössischen Kritik nach den Maßstäben der deutschen Literatur, zu der sie kaum mehr in irgend einer Beziehung stand, beurteilt wurde. Stettner, der Vörösmartys Bedeutimg als erster erkannte, schrieb unmittelbar nach dem Erscheinen des Zalän an Kazinczy: »(Vörösmartys) freier Geist hat die Bande der alten, wie die der neuen Schule zerrissen. Die zunftmäßigen Kritiker werden schwerlich mit ihm zufrieden sein; denn er hat sich, nachdem er Homer und Ossian studiert hatte, einen mit beiden verwandten und doch von beiden unabhängigen nationalen Stil geschaffen3).« Diese Voraussage Stettners erwies sich als richtig: weder die alte noch die neue Generation bewerteten Vörösmarty nach seiner genialen Schöpfungskraft, sondern maßen ihn wie Kölcsey mit dem Maß der deutschen Klassik und Romantik. Es ist bekannt, daß auch Karl Kisfaludy das erste ihm eingesandte Gedicht Vörösmartys abgelehnt hat, das Gedicht »Juhäsz es bojtar« (Schäfer und Hirtenjunge), das, wie er meinte, mit seinen Tud. Gyüjt. 1828. I. 102. ) Kritikai Lapok, 1836. VI. 152 — 174. 3) K. L. X I X . 392. J
202
Theorie und Praxis.
bäuerlichen Ausdrücken den empfindlichen Geschmack des Publikums beleidige. Er bat den noch unbekannten Dichter, griechische Elemente in sein Gedicht einzuflechten. Kisfaludy hatte sich damals noch nicht ganz von dem Einfluß der Barocktraditionen befreit, obwohl gerade er später anfing, Volkslieder zu schreiben. — Karl Kisfaludy wurde wieder von Kölcsey aufgefordert, in seinen Lustspielen nicht die Deutschen nachzuahmen, sondern die Griechen sich zum Muster zu nehmen. Man braucht sich also nicht zu wundern, wenn die ältere Generation den Erscheinungen der neuen Literatur mit noch geringerem Verständnis gegenüber stand. Kazinczy hätte gewünscht, daß Vörösmarty mehr von Homer gelernt hätte; von der Schwärmerei und Ritterwelt Kölcseys wandte er sich mit Grauen ab. In seinen Besprechungen und Kritiken fand er für keinen von beiden ein lobendes Wort. Nur zu Karl Kisfaludys Jamben machte er etliche Bemerkungen. 1827 schrieb er an Toldy: »An den Werken keines einzigen ungarischen Dichters erkenne ich soviel Klassizität wie an den meinen.« Für ihn blieb die Klassik das eigentliche Maß. Seine Urteile schrieb, wie Toldy dem greisen Dichter schonungslos sagte, die neue Generation seinem hohen Alter zu; seine ästhetische Auffassung indes teilten alle, die — gleich ihm selbst — mit ihrer ganzen Bildung im deutschen Klassizismus wurzelten. So Guzmics, der Vörösmarty verurteilte, weil er mit seinem Epos nicht noch einige Jahre gewartet habe, später aber ihn bedauerte, da er so tief in die Feenwelt versunken sei. Guzmics konnte auch die Märchen Mailäths nicht verstehen, die seiner Ansicht nach »sich mit der heutigen Denkart nicht mehr vertragen«. Landerer wollte sie auch in Kazinczys Übersetzung nicht herausgeben; vergebens beteuerte ihm Toldy, wie gerne die Deutschen sie aufnähmen und wie sehr das Ausland in letzter Zeit die Literatur der nationalen Traditionen pflegte. Am kennzeichnendsten aber ist, daß Guzmics, — der doch ein kluger und gelehrter Kopf war — im Jahre 1829, also auf dem Gipfelpunkt der Entwicklung der ungarischen Romantik, Kazinczy pries, weil er dem ungarischen literarischen Geschmack eine neue Zeit eröffnet habe, und diesem Lob hinzufügte: ». . . Ich glaube nicht, daß ihn eine neue Richtung ablösen wird und ich wünsche es auch nicht1).« Aus der älteren Generation trat noch Berzsenyi als Kritiker K . L . X X I . 42.
203
Berzsenyi.
auf. Er schrieb seine Abhandlungen, um die eigene Dichtung Kölcsey gegenüber zu verteidigen. Kölcsey, Szemere, Toldy warfen ihm Unwissenheit vor, obwohl diese theoretischen Aufsätze nicht ganz ohne Interesse waren. Schon er studierte die deutschen romantischen Ästhetiker und so verteidigte er sich gegen jene Beschuldigung Kölcseys, sein Stil sei schwulstig, bezeichnenderweise1): »Nimbus, Feuerkreis, Sternenkranz, Sonnenkrone usw. sind in der Romantik, was in der Klassik der Kranz war. . . . So müssen wir über den ganzen Stil der Romantik urteilen; denn wie die Ideen sich änderten, mußten sich auch der dichterische Geist und die Sprache selbst wandeln. . . . Mit jeder Weltanschauung entsteht eine neue Harmonie von Ideen, Geist und Sprache.« Dieser neue Geist war nach seiner Meinung individuell. Berzsenyi stellte die Romantik der »Hellenica« gegenüber, was der Herderschen Antithese von Antike und Romantik entsprach und hielt seine eigene Sprache, seinen eigenen Stil für ausgesprochen romantisch. Ein Jahrhundert mußte vergehen, ehe diese Bemerkung Berzsenyis über seine Dichtung in die ungarische Literaturgeschichte eindringen konnte. Johann Horväth sagte von Berzsenyi: »Die Form ist antik, der Geist ist im modernen Sinne klassisch, der sprachliche Ausdruck ist unverkennbar kraftvoll modern: romantisch.« Mit der Übernahme der antiken Versformen vermochte sich Berzsenyi nicht zufrieden zu geben; schon ein Jahr später richtet er einen heftigen Angriff gegen die modernen romantischen, reimischmetrischen Versformen: »Die Anordnung dieser Prinzipien (er verstand darunter die Einfachheit und Mittelmäßigkeit) machte die Romantik in Gehalt und Gestalt maßlos und führte zudem zu den reimenden Metren2).« Und später nochmals: »All das sind keine Erzeugnisse der Bildung, sondern der Maßlosigkeit und Unwissenheit und eben das gleiche gilt von aller Geschmacklosigkeit der Romantik3).« In der literarischen Theorie Berzsenyis vermischte sich also die klassische und die romantische Literaturanschauung. Er verstand den romantischen Stil, aber der romantische Geist blieb ihm fremd. Der Sprache Vörösmartys fühlte er sich verwandt, doch J
) Berzsenyi Daniel: iszrevetelek Kölcsey Recensiojära Kölcseys Rezension). Tud. Gyüjt. 1825. IX. 98—130. >) Tud. Gyüjt. 1826. IV. 85. 3) B. D. M. I. 309.
(Bemerkungen
zu
204
Theorie und Praxis.
die formalen und inhaltlichen Wandlungen seiner Dichtung vermochte er nicht zu begreifen. So schrieb er z. B. über das »Delsziget«, ein phantastisches Epos Vörösmartys: »Das Delsziget Vörösmartys ist wieder ein schauerlich-romantisches und rätselhaftes Gedicht in zwei langen Gesängen. Sein Inhalt schildert anscheinend die männliche und weibliche Natur, aber dieser Stoff ist in so unendliche und unlösbare Allegorien gehüllt, daß man ihn nur ahnen, nicht sehen kann und ich gestehe, daß der größte Teil des Werkes für mich unverständlich ist1).« Die »Zwei Nachbarschlösser« (Ket Szomszedvar) nannte er ein kannibalisches Werk und verwies Vörösmarty — im Jahre 1831 — auf das Studium von Vossens Luise und Goethes Hermann und Dorothea. Die neue Generation kannte gleicherweise die deutsche klassische und romantische Literaturanschauung. Und nur dadurch, daß sie sie mit der deutschen Romantik verglich und zu ihr in Parallele setzte, vermochte sie die eigene neue Literatur verständlich zu machen. Selbst der Begriff Romantik kam durch deutsche Vermittlung nach Ungarn und zeigte sich zuerst in der Form »romanischromantisch«. Das Wort »romantikus« führte Toldy ein. Seine literarische Erklärung versuchte erstmals Graf Joseph Teleki, der im Jahrgang 1818 der »Tudomänyos Gyüjtemeny« eine längere Abhandlung »Über die Unterschiede zwischen der alten und neuen Dichtung« veröffentlichte. Joseph Teleki war 1812—15 auf einer Studienreise im Ausland gewesen und war mit einer gründlichen Bildung nach Ungarn zurückgekehrt. Außer dieser selbständigen Abhandlung schrieb er auch Rezensionen für die Tudomänyos Gyüjtemeny. Kazinczy begrüßte ihn beim Erscheinen seines Artikels mit großer Freude und zeigte das Auftreten des neuen Schriftstellers auch seinen Freunden an. Joseph Teleki unterzog sich zuvor gründlichen Studien, las die Abhandlung Schülers über naive und sentimentale Dichtung, Jean Pauls Vorschule der Ästhetik, A. W. Schlegels Vorlesung über dramatische Kunst und Literatur und die Ästhetik Bouterwecks. Im wesentlichen folgte er, von Bouterweck ausgehend, der Schlegelschen universalpoetischen Anschauung. Der alten antiken Poesie stellte er die moderne gegenüber. »Das Hauptcharakteristikum der neueren, romantischen oder, wie Schiller irrig meint, sentimentalen Dichtung . . . ist der tiefe Ernst, der oft •) Ebda. I I . 205.
Teleki.
205
zum Trübsinn wird. Immer weiter von der Natur entfernt, verliert sie sich in die Welt der Ideen und wird erhaben.« Die romantische Dichtung sei individuell, subjektiv, nichts weniger als einfach, sie liebe alles Schreckliche, Außerordentliche, sei phantastisch und grenzenlos. Dies war auch Jean Pauls Auffassung: »Wir haben der romantischen Poesie die Unendlichkeit des Subjektes zum Spielraum gegeben1).« Nach Teleki war die ganze Poesie der Neuzeit Romantik. Doch unterschied er zwei verschiedene Formen, in denen sie begegnet: die nordische, heidnische (Ossian, Eddalieder) und die christliche Romantik. Das Symbol der letzteren war Maria, das romantische Ideal der geistigen Fraulichkeit. In den Kreis der christlichen Romantik gehörten Dante, Petrarca, Tasso, Shakespeare, Milton, Klopstock und Schiller (den er den größten romantischen Dichter nannte). Die ungarische Literatur besaß nur einen romantischen Dichter: Alexander Kisfaludy. Diese Abhandlung war der Ausgangspunkt der zeitgenössischen literarischen Theorie. Als erster wagte Teleki den Versuch, die Prinzipien der deutschen Romantik der ungarischen literarischen Entwicklung anzupassen. So gründete er eine Schule. Einige Jahre später spürte Szemere im Rahmen einer Erzählung (im ersten Bande der Aurora) den Gründen nach, warum Ungarn keine Dichtung habe. Die Hauptursache fand er darin, daß der Ungar düster von Gemüt sei und daß ihm eine eigentliche Mythologie fehle. Daß die Mythologie die Grundlage aller Poesie sei, hatte er von Schelling und Friedrich Schlegel gelernt. Die Erzählung Szemeres regte Kölcsey zu seiner hervorragendsten Abhandlung, den »Nationalen Traditionen« (Nemzeti Hagyomänyok) an. Kölcsey verwirklichte auch in der Theorie den Grundsatz, den er für die Dichtung aufgestellt hatte, daß man nämlich das AusFremde ländische zwar studieren, nicht aber nachahmen solle. Anschauungen zwangen ihn zum selbständigen Nachdenken über die Erscheinungen der literarischen Entwicklung Ungarns. So schuf er die Theorie von der ungarischen Romantik, noch ehe er Vörösmarty kannte. Er schöpfte aus den Ideen Herders, Eberhards und Bouterwecks. Ihnen entlehnte er die Ansicht, daß man im Leben der Nationen ebenso Kindheit, Jünglings- und Mannesalter unter•)
JEAN P A U L : V o r s c h u l e
und H E L E N E Berlin, 1927.
MANN
GOTTHARD:
der Ästhetik.
1804.
I.
173.
—
Vgl.
RICHARD
ULL-
Geschichte des Begriffes »Romantisch« in Deutschland.
206
Theorie und Praxis.
scheiden könne, wie im Leben des einzelnen Menschen. Seiner Meinung nach war die ganze romantische Dichtung im Mittelalter entstanden. Damals war die klassische Dichtung vergessen, die Mythen verboten, der Glaube aber gab der Poesie keine Nahrung. »Nur noch die Gegenwart war da. Exaltiertes Liebesgefühl und die Heldenzeit der Ritterschlösser gaben Stoff. Der Mangel jeder echten Mythologie hatte zur Folge, daß Feentum, Rittertum, Mystik und der Aberglaube des Volkes in höchst wunderbarer Beleuchtung erschienen. Dieser Zustand dauerte fort, als die Werke der Griechen und Römer schon zu neuem Leben erweckt waren und als würdige Vorbilder galten. Damals begann der in der Formenwelt der Griechen befangene, Geist und Haltung der Antike nachahmende romantische Geist, in Werken europäischer Dichtung spürbar zu werden.« — In Kölcseys Definition der Romantik klingt der Romantikbegriff Herders wider, demzufolge Mittelalter, Gotik, Rittertum, Liebe und Religion Elemente der Romantik sind. Diese Betrachtungsweise nun wendete Kölcsey auch auf die Entwicklung der ungarischen Literatur an. In Zrinyi sah er den ersten Vertreter der ungarischen Romantik: »Balassa und Zrinyi sind es, die sich in den frühen Tagen unserer Dichtimg wahrer Glut und Empfindung rühmen können. In Zrinyi waren Heldentum und Romantik, in Balassa Vaterlandsliebe und Heimweh wach.« Er sagte es zwar nicht ausdrücklich, aber zweifellos bemerkte er in der Dichtung Zrinyis die Mischung von Ritterlichkeit und mystischer Feenhaftigkeit. Zugleich machte er den Versuch, den Unterschied dieser ungarischen Romantik von der westeuropäischen aufzuzeigen. Licht und Schatten vermählen sich nach ihm im ungarischen Nationalgefühl aufs schmerzlichste. »Eine solche Vereinigung kann nichts als Sentimentalität zur Folge haben.« Aber die typisch ungarische Sentimentalität ist wesentlich anders geartet als die romantische. Das Merkmal der romantischen Sentimentalität ist die Liebe, der Hauptzug der ungarischen das patriotische Gefühl. Bei Bouterweck konnte Kölcsey lesen: »Die neuere Poesie ist eine Tochter der romantischen Liebe.« Dort auch fand er den Ausdruck des romantischen Sentimentalismus. So kam er darauf, einen wesentlichen Grundzug der ungarischen Poesie im Nationalgefühl zu sehen, das die ganze ungarische Dichtung durchdringt. Diese seine Feststellung wurde zum Gemeingut des ungarischen literarischen Bewußtseins. Die Abhandlung Kölcseys befaßte sich zwar nicht mit der
Kölcsey.
207
Literatur seiner Zeit; aber seine Gedanken hätten doch eine Theorie anregen können, die der zeitgenössischen dichterischen Praxis angemessen gewesen wäre. Vörösmarty trat mit seinem Zalän bewußt als Nachahmer Zrinyis auf. In der Subskriptionsaufforderung nannte er Zrinyi seinen Meister: »Einen größeren als ihn kenne ich unter unseren Vorfahren auf diesem Gebiet nicht. Jeder Ungar müßte ihn lesen.« Sein Werk sei die mächtige Stimme eines großen Geistes, es gebe kein Volk, das sich einer solchen Dichtung rühmen könnte. Vörösmarty folgte ihm nach, achtete aber mehr als Zrinyi getan hatte auf die äußere Glätte und die Schönheit der Sprache. Statt in ungarischer Versform schrieb er in Hexametern, da dieses Versmaß »bei uns so eingebürgert sei, daß es überflüssig wäre, es zu empfehlen«. — Die ungarische romantische Theorie hätte es also nicht schwer gehabt, den Zusammenhang zwischen Zrinyi und Vörösmarty zu finden und den Entwicklungsgang von Zrinyi über Faludi, Dugonics, Baroti, Viräg, Berzsenyi, Alexander Kisfaludy bis zu Vörösmarty aufzuzeigen. Doch sie geriet wieder unter deutschen Einfluß. Mailäth beurteilte die ungarische literarische Entwicklung vom Gesichtspunkt der deutschen Dichtimg aus und Toldy folgte ihm darin nach. Sie fühlten beide wohl, daß Vörösmarty Neues, Außerordentliches bedeute, vermochten ihm aber mit ihren fremden Vorstellungen nicht nahezukommen. Kölcsey befaßte sich nicht mehr, Vörösmarty überhaupt nie mit Kritik, Bajza begann seine kritische Tätigkeit erst in den dreißiger Jahren, sprach sich aber auch dann nie über seine Freunde aus. Toldy war der einzige Theoretiker der Romantik, der nach Herkunft, Umgebung und Erziehung ganz im fremden Geiste wurzelte. Sein erstes größeres theoretisches Werk behandelte die epische Dichtung Vörösmartys. Es hatte den Titel: »Ästhetische Briefe über die Epik Vörösmartys« (Aesthetikai levelek Vörösmarty epicus munkäirol, Pest 1827). Damals hatte er die Schriften der Brüder Schlegel, die Bücher Tiecks, Schellings, Hardenbergs und Jean Pauls schon durchgearbeitet. Seine Vorstellung vom Wesen der Romantik war umfassend: sie war ihm nicht nur ein formaler, sprachlicher Begriff; er wußte von der Antithese Klassik-Romantik, von der Bedeutung der Liebe innerhalb der romantischen Dichtung und kannte die Bestrebungen des Athenäums, das die höchste Stufe der Poesie in der Vereinigung von Klassik und Romantik erreichen
208
Theorie und Praxis.
wollte. Auf Grund all dieser Symptome sah er in Vörösmarty den eigentlichen Verwirklicher der ungarischen Romantik. Das Epos »Zalan futäsa« sei nur erst in einigen Anzeichen, noch nicht durchwegs romantisch. Ärpad gleiche eher den Helden der klassischen Epen. »Es ist unleugbar, daß der verliebte Ärpad eine sehr interessante Erscheinung wäre und daß er überaus viele romantische und überraschende Situationen bringen könnte« (9. Brief). Hajna wird durch ihre Liebe romantisch: »In der Beschreibung Hajnas verflicht sich die antike und romantische Poesie mit auffallender Kunst« (20. Brief). Zu den Symptomen der Romantik zählt ferner die mehrmals hervortretende Subjektivität des Dichters, während seine Gefühllosigkeit der Natur gegenüber ein klassisches Charakteristikum ist. — »Nach alledem scheint der Geist Vörösmartys noch zwischen Antike und Romantik zu schwanken, aber seine Richtung neigt sich offen Tasso zu, und ich glaube, daß wir ein rein nationales und unserer Zeit ganz entsprechendes Epos ohne diese Tendenz nie haben können« (21. Brief). Der junge Toldy wertete nach einem fremden Schema. Er verteilte auf deduktive Methode die klassischen und romantischen Charakteristika in der Dichtung Vörösmartys, ohne daß er bemüht gewesen wäre das Werk aus sich selbst zu verstehen. Bei Bouterweck hatte er gelesen, daß Tasso der Hauptvertreter der Romantik sei. Die Theorie der deutschen Romantik traf sich in diesem Punkte eigenartig mit der Vorliebe der transdanubischen Literatur für Tasso. Nach deutschem Muster schrieb Toldy auch über das »Cserhalom«, das nur durch seine Liebesepisode romantisch werde: ». . . durch diese Episode könnte Vörösmarty den Geist der Romantik über alles ergießen. — Ladislaus der Heilige ist ein echt christlicher Ritter. Er strahlt seine Romantik auf das Ungartum aus.« (27. Brief.) Mittelalter, Ritterlichkeit, Liebe, metrisch-reimische Versform — das waren die Kennzeichen der Romantik, wie schon Herder sie festgestellt hatte. Bei der Würdigung des »Feentals« (Tündervölgy) störte Toldy keine klassische Versform mehr: »Aber ungeachtet jener alten Farbe, die das Ganze charakterisiert, zeigt sich gerade in diesem anspruchslosen kleinen Werke die Eigenart Vörösmartys in ihrer ganzen Reinheit: eben die Romantik. Fabel und Personen schweben frei unter dem Himmel in einer erdichteten zauberischen Welt, die voll von phantastischen Schöpfungen ihren eigenen Gesetzen folgt. Das
209
Toldy.
läßt ihn — wenn Vörösmarty in seinem andern Werke als Plastiker glänzt — als vollkommenen Maler erscheinen.« (31. Brief.) Jean Paul schrieb über die Romantik: »Wir blicken in die schimmernden Mondländer voll Nachtblumen, Funken, Feen und Spiele hinein1).« Und A. W. Schlegel stellte den Gegensatz zwischen Klassik und Romantik folgendermaßen fest: »Die Ursache des Unterschiedes ist der plastische Geist der Antike und der pittoreske der romantischen Poesie3).« Toldy stand damals mit seinen literarischen Anschauungen allein. In das literarische Bewußtsein der Allgemeinheit drangen sie erst nach Jahrzehnten, teilweise in wesentlich veränderter Gestalt, auf dem Wege über seine literarhistorischen Handbücher. Unter den Zeitgenossen fand er kaum Widerhall. Sein nächster Mitarbeiter, Georg Stettner, hatte wesentlich andere Ansichten über die Romantik. Noch als »Zalän futäsa«, »Cserhalom«, »Tündervölgy« erschienen und Toldys Abhandlung herauskam, schrieb er über das Epos »Elte« Karl Kisfaludys: »Kisfaludy veröffentlicht eine wundersame Bildergalerie aus dem ersten Gesänge seines romantischen Gedichtes Elte. Nach der Kenntnis des Rezensenten ist dies bei uns der erste Versuch einer reinen romantischen Epik. Die Geschichte spielt zur Zeit unseres großen Hunyadi und stellt dessen Sieg über die in unser Vaterland eingefallenen Osmanen dar. Das ist der historische Hindergrund für die Feenwelt der Romantik3).« Dann in demselben Artikel: »Die romantische Poesie ist das Erzeugnis des heroischen Mittelalters und ist dem südlichen Europa eigen. Ihr Kennzeichen ist die Buntheit. Eine der schönsten Blüten der Romantik erblühte im Märchen. Kölcsey gebührt das Verdienst, diese Kunstgattung in die ungarische Dichtung eingeführt zu haben.« — Offenbar hatte Stettner dieselben deutschen Bücher gelesen wie Toldy, nur war seine Bildung nicht so umfassend, sein Blick nicht so klar. Man kann Toldy nicht bestreiten, daß er den romantischen Charakter der Poesie Vörösmartys und Kölcseys als erster erkannte, wenn er sie auch nach dem Maßstab der deutschen Romantik beurteilt hat. Nur ein einziger Schriftsteller machte damals den Versuch, Vörösmarty vom Gesichtspunkt der Entwicklung der ungarischen Literatur aus aufzufassen: der junge Ladislaus Szalay, der 1830 seine ') A. a. o. I. 66. ) A. W. Schlegel: Vorlesungen, 1809-1811. Zweite Aufl. II. 190. 3) Tud. Gyüjt. 1827. I. 69—98. 2
F a r k a s , Romantik in U n g a r n .
14
210
Theorie und Praxis.
Kritik über die zwei Bände der Zeitschrift »Musarion« herausgab, von der Kölcsey sagte, sie sei die hervorragendste literarische Abhandlung der Zeit. Unter anderem verglich Szalay hierin Alexander Kisfaludy mit Vörösmarty und schrieb über sie: »Von unseren Dichtern sind es Alexander Kisfaludy und Vörösmarty, die die erzählende Poesie mit größter Originalität und Volkstümlichkeit pflegen. Beide gingen aus der Romantik hervor, aber mit dem Unterschied, daß jener die Romantik magyarisierte, dieser das Ungartum romantisierte1).« Deutlicher hätte man die Stellung dieser beiden Dichter innerhalb der ungarischen Entwicklung und ihr Verhältnis zur ausländischen Literatur nicht bezeichnen können. Doch Szalay wandte sich bald von der Kritik ab. Und ebensowenig wie früher bei Kölcsey fand sich ein Nachfolger, der die ungarische Theorie fortgesetzt hätte. An Mahnrufen freilich fehlte es nicht. Fäy schrieb 1829: »Wieviel Schaden richten einige unserer Kritiker dadurch an, daß sie unsere Werke nach fremden Grundsätzen beurteilen . . . So werden die Ungarn in fremder Sprache, fremdem Stil und fremder Seele dichten2).« — Aber er predigte tauben Ohren; zwei Jahrzehnte später mußte Baron Joseph Eötvös seine Mahnung wiederholen: » . . . jetzt, da wir bei unseren Lyrikern allmählich größere Selbständigkeit beobachten können, da unsere Literatur nicht mehr ein künstlich hergeleiteter schwacher Arm des großen deutschen Stromes ist, jetzt, da aus der Tiefe unseres Volkstums eigene Quellen hervorsprudeln — ist denn nun die Zeit noch nicht gekommen, daß sich auch unsere Kritik zu einer selbständigeren Auffassung erhebe, um zu erkennen, wie die Theorien der Tieck und Schlegel zur Beurteilung der wirklich originalen Werke unserer Literatur nicht passen3) ?« Die Theorien Tiecks und der Brüder Schlegel hatte Toldy in Ungarn heimisch gemacht. Und da seine starke Persönlichkeit die ungarische Literaturwissenschaft fast ein halbes Jahrhundert hindurch beherrschte, trennte sich literarische Theorie und literarische Praxis. Sie verliefen von nun an, zum großen Schaden der literarischen Entwicklung Ungarns, in verschiedenen Bahnen. •) Muzärion.
Neue Folge. 1 8 3 3 . I. 85.
') A . a . O . 3) Eötvös Jözsef összes Munkäi. X I I . 249.
IV. DIE VOLLENDUNG.
14»
i . Kölcsey und Vörösmarty. Bisher ist die Entwicklung des ungarischen Geistes vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum dritten Jahrzehnt des 19. verfolgt worden in dem Bestreben, die Bedeutung der ungarischen Romantik im nationalen Leben wie im allgemeinen begreiflich zu machen. Die Dichter wurden dabei nur in Betracht gezogen, soweit sie Ausdruck des Zeitgeistes waren. Gewiß ist dies eine Methode, die leicht zu Täuschungen führt. Ganz mit Recht behauptet nämlich Johann Horväth, daß »eine literarische Abhandlung am wissenschaftlichsten verfährt, wenn sie sich bemüht den Schriftsteller als Persönlichkeit genau zu charakterisieren, nicht aber ihn als Vertreter einer Zeit, einer Klasse, eines Stammes oder einer Kultur erscheinen zu lassen 1 ).« Doch gerade in einem großen Teil der hier behandelten Periode erhebt sich die Persönlichkeit des Schriftstellers nicht über seine Zeit und Umgebung, weil seine ganze K r a f t im Kampf mit ihnen beansprucht wird. Aus diesem Grunde würden sich, nach einem Ausspruch Kazinczys, in Ungarn nicht einmal Goethe oder Schiller über die Menge erhoben haben. Kazinczy selbst war zweifellos einer der bedeutendsten Männer seiner Zeit, vermittelte doch sein ganzes Leben hindurch nur fremde Gedanken. »Aber wer sein Leben mit der Übersetzung fremder Werke hinbrachte«, sagte Kölcsey, »lernt seine eigene Kraft nicht ganz kennen 1 ).« Und was noch mehr ins Gewicht fällt: das Mittel des dichterischen Ausdrucks, die Sprache, war völlig unausgebildet; und ohne entsprechendes Material vermag selbst der größte Künstler nicht zu schaffen. Karl Kisfaludy schrieb noch 1825 an Georg Gaäl: »Es ist ein Unglück in einer Sprache schreiben zu müssen, die die halbe K r a i t zu ihrer Verbesserung verschlingt.« Von ihm rührt auch jene Feststellung her, daß man jeden Schriftsteller, ehe man über ihn urteilt, fragen müsse, wo er geboren sei, d. h. welcher Umgebung er entstamme. ')
HORVÄTH JÄNOS :
Minerva, 1922. ») K . L. X V . 245.
Faj-k6rd6s az irodalomban (Die Rassenfrage in der Literatur).
214
Kölcsey und Vörösmarty.
Die Romantik brachte die beiden ersten großen ungarischen Dichter hervor, die aus ihrer Zeit allein nicht zu erklären sind: Kölcsey und Vörösmarty. Ihre Werke förderten aus der geheimnisvollen Tiefe ihres Schöpfergeistes Schätze, die über Zeit und Raum erhaben sind. Und selbst sie können aus der Zeit nicht gelöst werden, in der sie lebten und deren künstlerischer Ausdruck ihre Dichtung ist. Beide waren Lyriker, aber ihre Subjektivität durchbrach die Schranken nicht, die die Zeit ihnen setzte. Ihre inneren Probleme, die Kämpfe ihrer Seele wurden in den Hintergrund gedrängt von den allgemeinen Gefühlen, die sie besangen. In einem seiner Epigramme schrieb Kölcsey: »Mein Opfer liegt auf dem Altar zweier Gottheiten; Träne dir, o Liebe, und dir, o Vaterland, Blut!« Dasselbe hätte der junge Vörösmarty von sich sagen können. Das innerste Erlebnis beider war das Vaterland, war die Gemeinschaft. Kölcseys Liebe war Fiktion, und Vörösmartys schmerzhafte entsagende Sehnsucht nach seiner Jugendliebe Etelka zeigte sich zumeist in allegorischen Darstellungen. Kölcsey verstummte, wenn ihn seelische Krisen bedrängten, wie während der Jahre 1817 und 1821, später zwischen 1827 und 1830. Für sein individuelles Leben fand er so wenig Ausdruck wie Vörösmarty, der selbst die beiden seiner Mutter gewidmeten Gedichte entpersönlichte. Es ist bezeichnend, daß die Romantik den Lyriker Vörösmarty zum Epiker machte. Im Augenblick der Erfüllung legte er seine epische Leier nieder. Am Anfang ihrer dichterischen Laufbahn zeigte sich ihre Persönlichkeit mehr in ihrem Ton, in ihrer formalen Geschicklichkeit, in der Kraft ihrer Sprache, als in ihrer Ideenwelt. Darum sagte Vörösmarty, als er die deutsche Übersetzung des Zalän erblickte: »Wenn die Ungarn an meinen ungarischen Gedichten Gefallen finden, verdankten sie es der Sprache, deren Zauber gewissermaßen in meiner Macht steht.« Für die Dichtung Kölcseys bedeuteten die zwanziger Jahre die höchste Vollendung, für Vörösmarty den schwungvollen Beginn der Jugend. Beide gehörten sie vor allem ihrer Zeit an und man darf deshalb in ihrer Dichtung mit Recht den tiefsten Sinn der Romantik suchen. Sie kamen von verschiedenen Seiten des ungarischen Lebens, Nachfahren alter Adelsfamilien, deren Ahnen durch den verhängnisvollen Gang der Entwicklung in zwei feindliche Lager getrennt wurden. So sagte Kölcsey von sich:
Der Aufbruch.
215
Ein stolzer Ungar bin ich, ein im Osten gewachsener Stamm meines Westlicher Himmel hat mein heißes Herz nicht abgekühlt. [Baumes, Von seinen Ahnen sagte er: Froh wohnten sie an den Ufern der stürzenden Theiß Und wo unter öden Schatten ihre braunen Wogen trägt die Tur. Vörösmarty stammte aus der Gegend der oberen Donau, dem blauhimmligen hügeligen westlichen Transdanubien, wo nach Berzsenyi allzeit die Hervorragendsten im Volke lebten. Der eine begann in Debrezin, dem kalvinischen Rom, über das ungarische Leben nachzusinnen, auf dem alten Kollegium, wo der Geist des ungarischen Reformators Melius ihn umgab. Der andere schrieb seine ersten Gedichte in Stuhlweißenburg »am ruhmvollen Sitz der heiligen Könige«, in der Krönungsstadt, wo die Asche des heiligen Stefans ruht und wo Viräg unterrichtete. Zwei verschiedene Welten, die im Laufe der Entwicklung durch das gemeinsame Nationalgefühl zusammengeführt wurden. »Das Ziel ist der Ruhm der Nation. Damit du es erreichst, sei einig, ungarisches Volk!«, schrieb Kölcsey. Dieses gemeinsame Ziel bedingte die Verwandtschaft seiner Dichtung mit der Vörösmartys. Ihre dichterischen Anfänge waren durchaus verschieden. Kölcsey verfaßte seine ersten Gedichte im Stil der deutsch-griechischen Klassik, die er mit den Bildern der griechischen Mythologie schmückte. Sein mythologisches Wissen war tiefer als das seiner Zeitgenossen. Selbst Kazinczy mußte sich einige seiner Bilder erklären lassen. Zunächst schrieb er Sonette mit abstrakter Objektivität und strebte nach formaler Vollendung. Von 1814 an änderte sich die Entwicklung seiner Dichtung. Die eigentliche Ursache dieser Wandlung wird sich wissenschaftlich schwer nachweisen lassen. Der Aufenthalt in Pest war, wie erwähnt, von entscheidendem Einfluß. Er näherte sich dort dem wahren Leben, brennende Vaterlandsliebe löste seinen kalten Kosmopolitismus ab. Noch 1 8 1 1 sang er über die Phantasie: So lebt die Sylphin in ihrer Wolke Sich wiegend auf den Heldenflügeln Zephirs. 1818 aber schrieb er eine Hymne auf die Phantasie (K6pzelet): Du gießt das Lied und sein reicher Guß wallt, wie die angeschwollenen Wogen der Theiß. Der Dichter fand zur Scholle zurück, der er entstammte. 1814 verfaßte er sein erstes Gedicht mit vaterländischem Gehalt: »Räkos nymphäjähoz« (An die Nymphe von Räkos), darin die zwei Seelen
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K ö l c s e y und Vörösmarty.
in seiner Brust noch miteinander kämpfen, dann aber siegte die Liebe zum Vaterland. In seiner Csekeer Einsamkeit von 1817—1821 vollendete sich die Form seiner Gedichte. In der »Aurora« erschien schon der neue Kölcsey, der romantische Lyriker. Vörösmarty versuchte sein dichterisches Talent an lateinischen Hexametern; auch ungarische Oden, Elegien, Episteln im Stile Barotis, Virägs, später Berzsenyis schrieb er. Kaum hatte er die Schule verlassen, als schon dramatische und epische Pläne in ihm reiften. Er fühlte seine Berufung und fand in seiner Liebe zum Vaterland die reichste Quelle der Inspiration. So treffen sich Kölcsey und Vörösmarty. Ein überraschendes Zeugnis dieser Begegnung sind zwei fast gleichzeitige, aber voneinander unabhängige Gedichte: »Räkos« von Kölcsey (1821) und »Szigetvär« von Vörösmarty (1822). In diesen beiden Gedichten ist der Keim der nationalen Dichtung Kölcseys und Vörösmartys enthalten. Ähnliche Motive ertönen hier wie dort. Zrinyi ist das gemeinsame Ideal, der Verkörperer des ungarischen Volkstums, der erste romantische Dichter Ungarns. Aus seinen Werken schöpften beide ihre Anregungen. Unter seinem Namen sang Kölcsey seine zwei berühmtesten Lieder (»Zrinyis Lied«, »Zrinyis zweiter Gesang«), seinem Andenken widmete Vörösmarty Zalan. Einen Gedanken des »Türkischen Afium« (»Török äfium«) Zrinyis variierte Vörösmarty im ersten Gesang seines »Eger«. »Himmel, Gott«, schrieb Zrinyi — »warum vertriebst du uns aus Skythien, da wir doch dort in der Wüste nicht so sehr zerrüttet wären, oder wenn wir gleich zerrüttet worden wären, hätte uns doch nicht die Welt unserer eigenen Schlechtigkeit wegen zugrunde gehen sehen«. Vörösmarty führte diesen Gedanken dichterisch aus: Warum wohnen wir hier ? Ach warum brachten uns unsere Väter aus dem Sandland ? Wenn wir dort verkrüppelt zu Holz, zu Stein geworden wären, wären wir auf ewig verborgen: jetzt würde die ganze Welt nicht in unsere Augen blicken, würde nicht sehen, wie wir von den übrigen Völkern zurückbleiben, wie wir das edle Land zur Wüste werden lassen. Und den Ort der Wollust zur Öde der Not. Die Zrinyi-Lieder Kölcseys spiegeln das nämliche tragische Bewußtsein wider. Aus der Fülle der gleichen Motive genügt es einige wenige herauszugreifen. Im Gedicht »Rakos nymphäjähoz« etwa stehen die beiden Zeilen:
Die Entwicklung.
217
Aber du mußt blühen, o Vaterland Unsere Seele würde sterben an deinem Untergang. Sie kehren später im Refrain des Gedichtes »Prophezeiung« Vörösmartys (Joslat) wieder: Aber du mußt leben, o Vaterland, Und ewig wie Frühling blühen. Die Stimmung des »Vanitatum vanitas« und des »Bordal« (Weinlied) ergießt sich über das Gedicht »Keserü Pohär« (bitteres Glas). Das dramatische Bruchstück Kölcseys »Perenyiek« schlägt das Pathos der dramatischen Sprache Vörösmartys an. Auch das ungarische literarische Bewußtsein sieht sie seit einem Jahrhundert nebeneinander: Kölcsey als den Verfasser des Hymnus, Vörösmarty als den des Aufrufes (Szozat). Der Hymnus erschien 1823, der Szozat wurde 1833 verfaßt, doch von seinem Dichter erst 1835 niedergeschrieben. So umrahmen die beiden nationalen Gebete die romantische Periode, wie alle nationalen Feiertage Ungarns seither. Aus beiden spricht tiefer christlicher Glaube und Vertrauen auf Gott. Kölcsey bittet Gott, dem vom Unglück verfolgten Ungarn ein frohes Jahr zu bringen; Vörösmarty hofft, es möge eine bessere Zeit kommen, nach der im Gebet Hunderttausende schmachten. Beide behandeln die ungarische Geschichte von Ärpäd bis zu den Türkenkämpfen in etlichen Zeilen, um sich dann der Zukunft zuzuwenden. Und doch: trotz aller Übereinstimmung der Motive gehören beide Gedichte verschiedenen Welten an. Der biblische Ton des Hymnus erinnert an die Jeremiaden der kalvinistischen Prediger der Reformationszeit. Kölcsey selbst gab ihm den Untertitel: »Aus den gewitterschweren Jahrhunderten des ungarischen Volkes« und man weiß, daß das Gebet und der Gedankengang des Hymnus schon in dem Schluß des Buches »Az orszägban valo sok romläsnak okairol«: (Über die Ursachen der vielen Verderbnisse im Lande) von dem Prediger Stephan Magyari anklang (1602). Gott schlägt das ungarische Volk wegen seiner vielen. Sünden, sendet ihm Verderben und Leiden, und nur noch seine Gnade kann ihm helfen. Dies war ein beliebter Gedanke der Reformationszeit, in katholischer Färbung auch der Inhalt der Zrinyi-Dichtung. — Im Szozat spiegelt sich das Bewußtsein der Erdgebundenheit wider, das Gefühl der ungarischen Einsamkeit, der Verlassenheit und das Selbstvertrauen: Credo quia absurdum, hinter dem der Zweifel steht: die schreckliche Vision des Volkstodes.
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Kölcsey und Vörösmarty.
Hymne und Aufruf sind die Triebe zweier Äste des einen ungarischen Stammes, das Symbol nicht nur der romantischen Periode, sondern des ungarischen nationalen Daseins überhaupt. Hier kann nicht von gegenseitiger Beeinflussung die Rede sein, sondern nur von gemeinsamer Inspiration zweier verwandter Geister. In der Dichtung Kölcseys und Vörösmartys spiegelt sich das ungarische Schicksal mit unvergänglicher Gültigkeit. Kölcsey verknüpfte mit philosophischer Vertiefung, Vörösmarty mit der dichterischen Intuition des Genies ungarische Vergangenheit und ungarische Gegenwart. In ihnen beiden, den reinrassigen Söhnen des Adels, erreichte die Sendung der adeligen Nation ihren Höhepunkt. Ahnungsvoll fühlten sie das Nahen der neuen Zeit, die das Ende des ständischen Ungarn bedeutete. Mit ihnen traten schon die deutsch-bürgerlichen Nachkommen der Assimilierten in der ungarischen Literatur auf; bald begannen die Ideen der Demokratie die Mauern des Adels zu erschüttern. Noch einmal warfen sie einen Blick in die Vergangenheit, um darauf der Zukunft den Weg zu öffnen. Sie beide waren damals die ersten und einzigen, die durch ihre Dichtung den Weg zum Volke suchten. »Die wahre nationale Dichtung« — schrieb Kölcsey in den »Nationalen Traditionen« — »kann und muß sich nur innerhalb der Nation entwickeln;« aber: »Nach der ursprünglichen Glut der wahren nationalen Poesie muß man in den Volksliedern suchen.« Deshalb fing er an, das Volkslied zu studieren, um es auf eine künstlerische Ebene zu heben. Vörösmarty gelangte intuitiv zum gleichen Ergebnis. Für Kölcsey war das Volkslied keine »Kunstgattung außerhalb der Literatur«, wie für Karl Kisfaludy und Vitkovics, sondern das Wesen der nationalen Dichtung. Beide eilten ihrer Zeit voraus und vermochten so ihr Ziel, die Synthese von Volk und Nation, nicht zu erreichen. Ihre Abstammung hinderte sie daran, ihre zeitliche Lage und die dichterische Persönlichkeit. Und doch öffneten sie beide der zukünftigen Entwicklung die Pforten, in ihnen »können wir gleichsam die Vorboten der späten mit Hilfe des Volkstums zur Klassik entwickelten Nationalliteratur erkennen1).« Sie vereinten in sich Geschichte und Gegenwart, schufen im Volkslied eine Einheit von Nation und Volkstum und suchten zugleich die ungarische Nation in einen europäischen Rahmen einzu') Horyäth JÄnos : 1927.
S. 196.
A magyar irodalmi nepiesseg Faluditöl Petöfiig.
Budapest,
Die Synthese.
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fügen. Viele haben in der Romantik über die historische Sendung Ungarns während der Türkenzeit geschrieben. Daß die westliche Kultur durch das Schwert der Ungarn vom Untergang bewahrt wurde, war eine ständig gebrauchte Wendung. Schon bei Rotarides, nach dessen Meinung die deutschen Gelehrten nicht ihrer Wissenschaft hätten leben können, wenn die Ungarn nicht zu schießen verstanden hätten, findet sich dieser Gedanke. Alexander Kisfaludy schrieb an Gaäl, wenn Dobozi nicht den Heldentod gestorben wäre, könnten jetzt die Wiener im Prater nicht zechen. Aber der europäischen Sendung Ungarns ging in der Zeit der Geistigkeit niemand nach. Das Ungartum kämpfte um sein Dasein, sein Hauptproblem war seine Selbsterhaltung, an seine europäische Mission konnte es nicht denken. Kölcsey und Vörösmarty gebührt das Verdienst, die tragische Lage Ungarns inmitten der im Fortschritt begriffenen europäischen Völker erfaßt und sein Doppelgesicht erkannt zu haben. Kölcsey schrieb in den »Nationalen Traditionen« über die ausländische Bildung der Ungarn: » . . . statt daß wir ihren Geist in uns aufgenommen und in unserer Heimat zu unserem Eigentum gemacht hätten, übersiedelten wir in ihre Welt; da wir uns dort aber nicht zurechtfinden konnten, blicken wir wieder zurück nach unserem Vaterlande und bleiben so mit ewig geteilter Phantasie hier wie dort Fremde.« Vörösmarty drückte denselben Gedanken in einem Gedicht aus: Es blickt nach dem Westen, mit trüben Augen blickt zurück nach Osten Der Ungar, ein abgetrennter geschwisterloser Ast seines Geschlechtes. Dies ist das Problem der Antithese von Osten und Westen. Der östliche Ungar steht mit seiner Sprache, seiner Rasse fremd und unverstanden unter den europäischen Nationen, er versinkt entweder in der Kultur des Westens und verleugnet so seine Rasse und Herkunft; oder er hält an seinen Traditionen fest und scheidet aus der Reihe der europäischen Völker aus. In dieser romantischen Anschauung war — zwar vorläufig noch unausgesprochen — die Forderung nach der neuen Synthese von Ost und West verborgen. Diese Synthese verwirklichte sich in Vörösmarty; nicht allerdings in seinem Zalän, der selbst von den Zeitgenossen nicht viel gelesen wurde und nur in den Schulbüchern auf die Nachwelt kam;
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Kölcsey und Vörösmarty.
auch nicht in seinen geschichtlichen Dramen, die nur noch aus Pietät aufgeführt werden, sondern in seinem Märchendrama, in »Csongor und Tünde«. Das Epos »Zalän Futäsa« schließt, wie schon erwähnt, die literarische Entwicklung von mehr als einem halben Jahrhundert ab. Es eröffnete keine neuen Möglichkeiten, sondern diente nur nationalen Ansprüchen auf künstlerischer Höhe. Zalän war ein rein ungarisches Werk, in Übersetzung nicht zu verstehen, wie es schon Vörösmarty fühlte. Neu sind seine Sprache und Phantasie. Der Inhalt ist überwiegend Dichtung, die Mythologie neu, die Form fremd. In der dichterischen Entwicklung Vörösmartys bedeutete es durchaus einen Markstein. Von seinem Erfolg ermuntert, beschrieb er noch im Erscheinungsjahr des »Zalän« den Kampf Ladislaus' im »Cserhalom«. Freilich ist dies Epos mehr eine Liebes- als eine Heldengeschichte. »Eger« verdankte seine Entstehung den Nöten eines Redakteurs. Vörösmarty begann die Volksmärchen zu studieren, denn er fühlte gleich Kölcsey, daß sie und nicht die lateinischen Chroniken oder Feßlers Geschichte die eigentliche Quelle des Volkstums sind. Er ließ sich die Argirussage, dies magyarisierte Märchen senden, und schrieb in Gemeinstrophen, also im Versmaß des Zrinyi, das »Tündervölgy«. Reminiszenzen aus dem Volksmärchen vermischten sich darin noch mit Motiven der Heldensage. Für den Dichter selbst bedeutete diese Erzählung zunächst noch einen Versuch, auf den er mit entschuldigender Überlegenheit blickte. Aber immer mehr führte ihn das Volksmärchen aus dem Nationalen zu einer allgemein-menschlichen Problematik. Das »Delsziget« blieb Bruchstück. In ihm trennte der Dichter sich von der Erde: Weit entfernt bleibt, sehr weit ihr Ungläubigen von hier, Ich habe weder Lust, noch Zeit alltägliche Dinge zu schreiben: Neues und Großes schreib ich, Liebes aber auch Schreckliches. Seine Phantasie durchschweifte Himmel und Erde. Vielleicht regten ihn die Märchen aus 1001 Nacht an, vielleicht das Beispiel Byrons und Shelleys. Ob er ein allegorisches Gedicht mit tiefer menschlicher Bedeutung schreiben wollte oder nur seine Phantasie spielen ließ, läßt sich nicht sagen. In der »Hedwig« schaffte er die lieblichste ungarische Legende, an der keine fremde Farbe mehr, die vielmehr ganz das Eigentum des Dichters ist. In »Magyarvär« machte er sich, wie es scheint, noch einmal an das ungarische Heldenepos, doch hatte er schließlich »weder Lust noch Zeit« dazu: es blieb
»Csongor und Tünde«.
221
Fragment. »Rom« war der erste Versuch in ungarischem Rahmen allgemein-menschliche Probleme darzustellen. Und so kam er 1831 zu »Csongor und Tünde«. Den Inhalt entnahm er dem Argirus-Märchen, die Form fand er im Vers des spanischen Dramas, das, wie Babits sagt 1 ), tausend Möglichkeiten der Annäherung an den ungarischen Nationalrhythmus gibt. Csongor selbst ist ein alter geschichtlicher Name, den Kazinczy zum erstenmal gebrauchte. In diesem nationalungarischen Rahmen schuf Vörösmarty das erste philosophische Drama, über das Kölcsey, nachdem er es dreimal gelesen hatte, an Bärtfay schrieb: ». . . Csongor ist ein Schatz. Glaube mir, lieber Freund, Vörösmarty ist ein großer Dichter, und nur selten ist er größer als an vielen Stellen des Csongor... Ich beglückwünsche die Nation zum Csongor2).« Der romantische Vörösmarty errang in dieser Dichtung den Gipfel seiner Schöpferkraft. Wenn sie genannt wird, taucht unwillkürlich der Name Shakespeares, Byrons, Shelleys auf; nicht als ob von ihrem Einfluß die Rede wäre, sondern weil Vörösmarty durch dieses Drama eines Platzes an ihrer Seite würdig wurde: er schuf ein weltliterarisches Kunstwerk, das. allgemein menschlich und doch eigentümlich ungarisch ist. Dabei darf nicht stören, daß die Weltliteratur den Csongor bisher nicht beachtete und seine Stellung neben den Größten nicht anerkannte. Die wunderbare Musik der Sprache wurde durch eine schlechte Übersetzung zerstört, die Farbe der Bilder verblaßte und der tiefe Sinn der Gedanken wurde entstellt. Aber wie das Csongor auch von dem literarischen Bewußtsein Ungarns erst nach einem Jahrhundert entdeckt wurde, hat es auch in weltliterarischer Hinsicht zwar keine Vergangenheit, wohl aber eine Zukunft3). Die ungarische Romantik erfüllt sich in ihm. ') B a b i t s M i h a l y : A ferfi Vörösmarty Budapest, 1917. S. 125.
(Der reife V.).
Irodalmi problimäk.
») K. F. M. M. X. 224. 3) Die ungarische Literaturgeschichte sah ein Jahrhundert lang in Vörösmarty den Dichter der »Zaläns Flucht« und des »Aufrufes«. Diesem Umstände ist es zu verdanken, daß nur diese beiden Werke im Ausland durch Übersetzungen bekannt geworden sind. »Zaläns Flucht« erschien deutsch und italienisch, ohne beachtet zu werden. Der »Aufruf« ist in alle europäischen Sprachen übersetzt worden. Von »Csongor und Tünde« gibt es nur eine Übersetzung, eine deutsche: Michael Vörösmarty: Csongor und Tünde. Schauspiel in 5 Aufzügen. Übertr. von Heinrich Gärtner. Straßburg, 1904.
2. Dämmerung der Romantik. Einige Tage nach Karl Kisfaludys Tod, am 26. November 1830, schrieb Toldy an Kazinczy: »Hin ist unser Lehrer, unser Führer und bester, getreuester Freund! Und die Literatur! Die vergangenen zwölf Jahre waren nur wie die Vorrede seiner Wirkung: das große Buch hätte jetzt begonnen«1). Toldy täuschte sich: das große Buch der ungarischen Romantik war bereits beendet, als Karl Kisfaludy starb. Zu Beginn der dreißiger Jahre änderte sich das literarische Leben von Grund aus. 1830 wurde die Akademie gegründet, Pest wurde auch offiziell zum literarischen Mittelpunkt und das literarische Leben, das bisher das Ergebnis aus der Tiefe hervorbrechender Kräfte war, nahm feste Formen an. Die romantische Generation zog von Anfang an in die Akademie ein und herrschte in ihr schrankenlos, zumal als der kaum dreißigjährige Toldy Döbrentei im Sekretariat ablöste. Die Akademie verteilte Stipendien und Preise, die gesellschaftliche Lage der Dichter hob sich, zugleich aber begann der Kampf der Interessen: die Literaturpolitik. Bajza gab die »Kritischen Blätter« heraus mit dem offen eingestandenen Ziel hervorragende Männer anzugreifen, um Lärm zu erregen. Sie richteten ihre Vorstöße zunächst gegen Pyrker, Kazinczy, Döbrentei und Dessewffy. Die Kritik wandte sich nun nicht nur wider die Werke, sondern auch wider die Dichter selbst, im Interesse des Dichterordens, in den sich allmählich auch Unberufene drängten, Nutznießer und Fremde. Die Akademie überwachte denn auch die Reinheit des literarischen Lebens als höchstes geistiges und sittliches Forum. Sie sammelte die Besten um sich und sah weder auf Konfession noch Herkunft. Sie kannte nur ein Maß: die Begabung. Wie die äußere Form des literarischen Lebens sich änderte, wandelte sich auch die innere Bedeutung der Literatur. Kazinczy folgte nach kaum einem Jahre dem vorangegangenen Kisfaludy ') K. L. XXI. 411.
Literatur und Politik.
223
ins Grab: die zwei großen Organisatoren des ungarischen literarischen Lebens überließen ihre Posten der jungen Generation. Um die »Aurora« kämpften Bajza und Szemere. Den Wandel der Zeit zeigte nichts besser als die Aurora Bajzas, die als Titelbild statt des mit einem Pantherfell bekleideten Ärpäd das Porträt Fäys, Szechenyis und Vörösmartys brachte. Die neue Generation lebte der Gegenwart. — Kölcsey und Vörösmarty fühlten, daß eine Entwicklungsstufe ihrer Dichtung zu Ende war. Kölcsey gab 1832 seine sämtlichen Werke in den Druck (nur ein Band erschien), Vörösmarty 1833. Kölcsey schrieb 1834 an Szemere: »Ich bitte Dich sehr aus meinen Werken nichts mehr in Zeitschriften, auch nicht in die »Aurora« zu setzen. Es ist mein ernster Entschluß, eine Zeitlang aus dem literarischen Leben zu verschwinden1).« Er kehrte nicht mehr zurück. Seit 1831 schrieb er Reden, die Verteidigung Wesselenyis, sein Reichstagstagebuch und nur ein oder zwei Gedichte. Vörösmarty wandte sich dem Drama zu — es war der letzte Kampf um den Ehrgeiz seiner Jugend. 1831 erschien Andreas Horväths Epos Ärpäd als später Bote einer vergangenen Zeit und erregte nicht den mindesten Widerhall mehr. Im folgenden Jahr gab Andreas Fäy den Roman »B61teky-häz« (Das Haus B.) heraus, den ersten ungarischen Gesellschaftsroman, der gleichsam eine Abrechnung mit der Vergangenheit zum Segen der Zukunft war. Das Epos wurde abgelöst durch den Roman. Bajza, der einstige Goethe-Schwärmer, verfaßte seine Angriffe gegen den Einfluß der deutschen Literatur. »Bisher hat sich schon viel, sehr viel von unseren deutschen Nachbarn an uns geheftet, was für unseren Nationalcharakter schädlich ist«, schrieb er in seiner Abhandlung über den Roman, brach so mit der Tradition eines halben Jahrhunderts und rechtfertigte damit nach Jahrzehnten die Behauptungen seines Gegners Dessewffy über die Hinneigung der ungarischen Seele zum Ausland. Den deutschen Einfluß löste der französische ab. Der Jahrgang 1831 der Tud. Gyüjt. veröffentlichte nach den Times eine Abhandlung über die französische Romantik und nannte Victor Hugo den genialsten Dichter der Zeit. Während die deutschen Romantiker in Ungarn höchstens durch ihre theoretischen Werke verspätet bekannt wurden, wurden die französischen Romantiker fast gleichzeitig in Paris und Pest gelesen. Victor Hugo K . F . M. M. I X 424.
224
Dämmerung.
fand alsbald in Josef Eötvös einen begeisterten Übersetzer. Die französische Geistesbewegung stand dem ungarischen Gefühl außerordentlich nahe und wirkte in Ungarn nicht nur formal, sondern auch durch ihren revolutionären und politischen Ideengehalt stark. Der Einfluß beider Richtungen war in der ungarischen Dramenund Romanliteratur ständig fühlbar. Mit der Verbreitung des politischen Gedankens hörte die ausschließliche Rolle der Literatur im nationalen Leben auf. Das Publikum hatte bisher nur deshalb an der Literatur Anteil genommen, weil es in ihr Politik sah. Mit dem Beginn des verfassungsmäßigen Lebens richtete sich die Aufmerksamkeit des Ungartums auf den Reichstag. 1830 nahm Szechenyis wirkungsvolle publizistische Tätigkeit mit der Herausgabe des »Hitel« (Kredit) ihren Anfang. Neben dem um den Hitel entstandenen Streit erschienen die anderen literarischen Auseinandersetzungen geringfügig. Bajza konnte dem Kampf um das Konversationslexikon nur dadurch Interesse verschaffen, daß er den Grafen Josef Dessewffy hineinzog und den Rechten des Geburtsadels gegenüber die Vorrechte der Geistigen verteidigte. Karl Kisfaludy, der literarische Führer, dachte in seinen letzten Lebensjahren daran, die Aurora eingehen zu lassen und unter dem Titel »Jelenkor« (Gegenwart) zusammen mit Szechenyi ein politisches Blatt zu gründen, wozu er die Konzession bereits erhalten hatte. Kölcsey aber, der ganz in die Politik hineingerissen wurde, schrieb 1834: »In der gegenwärtigen Lage unseres Landes wünschte ich mehr, daß in unseren Komitaten und Reichstagen vorurteilslose liberale, aufrechte Männer von kühnem Geiste als gute Dramatiker erstehen möchten.« Treffender als durch diese Worte konnte man den Gegensatz zwischen dem Geistesleben der zwanziger und dreißiger Jahre kaum bezeichnen. Das Publikum las nun lieber die Reichstagsnachrichten Kossuths als die literarischen Zeitschriften. Während die Literatur bisher allein das heilige Feuer des Nationalgefühls entfacht hatte, übernahm die Politik jetzt nicht nur ihre Rolle, sondern überholte sie auch in ihrem Gedankengehalt auf ein kurzes Jahrzehnt. Die neue liberale Generation verbreitete die Idee der Demokratie: Liberalismus bedeutete Fortschritt. Aber wie in der Literatur war das Ungartum auch im nationalen Fortschritt ohne Stetigkeit. Es ist das eigentümliche ungarische Schicksal, daß sich die Zwiespältigkeit der ungarischen Seele, die in der Literatur schon zur
Petöfi und
225
Arany.
Einheit geworden war, in der Politik wieder scharf zeigte. Bald standen der transdanubische Katholik Stephan Szechenyi, der gemäßigte fortschrittliche »größte Ungar« und der Protestant Ludwig Kossuth, der radikal vorwärts strebende Revolutionär, einander gegenüber wie einst Alexander Kisfaludy und Franz Kazinczy. »Zwei verschiedene Hauche des Gottes der Ungarn!« Die demokratische Richtung innerhalb der Politik bereitete den Weg zum Sieg des völkischen Gedankens vor und am Abend der Übergangszeit erschien Alexander Petöfi, der aus der Donau-TheißGegend kam, dem Volk entstammte und gemeinsam mit Johann Arany die klassische ungarische Literatur schuf.
F a r k a s , Romantik in Ungarn.
15
Verzeichnis der Ortschaften. (Abkürzungen: Td: Trandanubien. Tt: Transtisien. Ou: Oberungam. Theiss-Ebene. S: Siebenbürgen.)
Te: Donau'
Sdrospatak (Tt) 14, 28, 68, 71 Sätoraljaüjhely (Tt) 55 Bakony-Gebirge (Td) 2, 61 Siklös (Td) 86 Balatonfüred (Td) 83 Somogy (Td) 24, 42 Bereg (Tt) 71 Sopron s. ödenburg Bonyhäd (Td) 86, 186 Stuhlweißenburg (Td) 23, Buda s. Ofen 62, 83, 166 Märamaros 63 Cseke (Tt) 80, 90—91 Sümeg (Td) 84 Mohäcs (Td) i n Csokona (Td) 24 Szakolca (Ou) 23 Szatmdr (Tt) 84 Debrecen (Tt) 14, 17, 24, Nagyenyed (S) 14 Szeged (Tt) 23, 83 26, 71, 73 Nagyszombat s. Tyrnau Sz6kesfeh6rvär s. StuhlNagyvdrad s. Großwardein weißenburg Eger (Erlau, Ou) 37, 53 Szekszärd (Td) 22 Eisenstadt (Td) 151 Ofen (Td) 24, 61, 69, 70, 83 Sz6phalom (Tt) 44, 58, 67, 6rteny (Td) 40 Oroszi (Ou) 87 75 Eszterhäza (Td) 151 ödenburg (Td) 19, 62 Szigetvär (Td) 86 Esztergom s. Gran Kemenesalja (Td) 61 Keszthely (Td) 24, 62, 65 Kiskunsdg (Tt) 31 Klausenburg (S) 14, 16 Kolozsvär s. Klausenburg Komirom (Komorn, Td) 22, 24, 167
Arad (Tt) 83, 84
Fünfkirchen (Td) 25, Gomba (Tt) 90 Gödöllö (Te) 70 Gran 71 Graz 24, 160 Großwardein (T\) 45 Gyor s. Raab Gyulafeh6rvdr s. Karlsburg Heves 69 Karlsburg (S) 14 Kassa (Kaschau Ou) 28, 31, 33
83
Pannonhalma (Martinsberg Td) 54, 84 Päpa (Td) 2 P6cel (Tt) 90 P6cs s. Fünfkirchen Pest (Te) 24, 46—47, 61, 63, 70, 81—83, 141 Plattensee (Td) 22 Pozsony s. Preßburg Preßburg (Td) 19, 23, 24, 69, 70, 71, 164
T6t (Td) 84 Tura (Te) 84 Tyrnau (Ou) 5, 23 Väc (Td) 23 Velenzer See (Td) 86 Veszprim (Td) 23, 83, 103 Virt (Td) 22 Visegräd (Td) 70 Wien 17—18, 19, 26, 46, 60, 69, 97, 159—166
Raab (Td) 2, 23, 62, 102, 167 Zala (Td) 22, 35 Räbaköz (Td) 23 ZempUn (Tt) 71 Rozsnyö (Ou) 53 Zips (Ou) 169
Namen- und Sachregister» Akademie, Ungar. Wissenschaftliche 26, 69, 222 Akàts, Franz 165 Abdnger 164 Amadé, Ladislaus 160 Anakreon 19, 165 Angyal, David 39 »Annalen der Kunst und Literatur des österreichischen Kaiserthums 161—162 Anonymus 25, 120 Änyos, Paul 23, 25, 51, 124 Apaczai Csere, Johannes 16 Aranka, Georg 27, 82 Arany, Johann 82, 123, 198, 225 Aranyosràkosi Székely, Alexander 68, 73, 146 Argirus 1, 209 Ariosto 191 Arkadischer Streit 36 Àrpàd 146 »Àrpàdia« 146 »Aspasia« 71 »Auròra« 67—75 Auróra-Kreis 69 Azzan Aga 1 1 5 Babits, Michael 221 Bacsanyi, Johann 22, 24, 25, 27, 28, 31, 34, 38, 40, 74, 164, 165 176 Bajza, Josef 69, 70, 72, 76—84, 87—88, 92, 135, 143, 152, 154, 188—192, 194, 222—223 Balassa, Balint 5, 206 Bànóczi, Josef V Barcsay, Abraham 17, 25 Barczafalvi Szabó,. David 18
Bardendichtung 163—164 Barkóczy 27 Barock 160—161 Bàróczi, Alexander 17, 27, 33. 36. 44. I 2 2 . i 6 4 Baróti Szabó, David 22, 23, 26, 27, 28, 31, 34, 37, 51, 60, 72, 124, 134, 163 Bärtfay, Ladislaus 82, 221 Bayle 15, 91 »Bécsi Magyar Kurir« (»Wiener Ungar. Bote«) 17 Bèi, Matthias 1 2 1 Bellarmini 93 Berencs, Christian 21 Berzeviczy, Gregor 108 Berzsenyi, Daniel 22, 38, 40—4 2 . 43. 44. 46, 50, 59, 61—62, 72, 79, 81, 86, 109, 110, 1 1 5 , 1 1 7 , 127, 134, 140, 168, 176, 177, 199, 202—204 Bessenyei, Alexander 17 Bessenyei, Georg 16, 17, 2 7. 36, 5 1 , 88, 100, 161, 162 Bierbrauer s. Helmeczy Birsi, Franz 21 Bleyer, Jakob 159, 181 Blumauer 168 Bod, Peter 1, 26, 51, 121 Boje 173 Bolla, Martin 21 Bouterweck 180, 190, 204, 205 Bowling 87, 196 Bölöni Farkas, Alexander 68, 73 Buchholz 174
Budai, Esaias 36, 1 2 1 Bürger 164, 173, 179 Büsching 185 Byron 88—89, 191, 220 Calderon 192 Caraccioli 16 Cicero 20, 165 Clauren 200 Collin, Heinrich 181 Collin, Matthias 181, 182 Corneille 165 Csâszâr, Elemer 39, 159 Csehy, Josef 1 1 4 Cserey, Nikolaus 73, 129 Cserey, Wolfgang 73, 174— 175. 179 Csokonai, Michael 24, 33 36, 43, 58, 71, i i 2 — 1 1 3 , 125, 168, 176, 179, 186 Czapâry, Lâszlô 40 Czinke, Franz 38, 134, 138 Czuczor, Gregor 22, 70, 83, 137, 146, 147, 187 Czvittinger, David 1 2 1 , 130, 196 Däniel, Baron Stefan von 16 Dante 205 »Das Ausland« 194 Ddvid, Franz 98 Dayka, Gabriel 37, 44, 51, 201 Deik, Franz 86 Decsy, Samuel 17, 106 Denis, Michael 163—165 Descartes 16 Dessewffy, Graf Josef V. 47, 52, 71, 116, 154, 169, 173—174, 192, 199.
228
Namen- und Sachregister.
Deutsche Universitäten 14, F a y , Andreas 20, 45, 71, 16, 18 73. 75. 80, 90, 136, Deutsches Bürgertum 13, 144, 149, 200, 223 18—19, 32—33, 63, 130 Fazekas, Michael 24 —133, 167—170 Fejer, Georg 23, 43, 46, Dieterich, K a r l 159 65. 133 Dobrowsky, Johann 101, »Felelet a Mondolatra« 46, 184 80
Göttingen 18, 162, 167 Gragger, Robert 163 Grillparzer 142, 182, 190, 193 Grimm, J a k o b 184 Grün, Anastasius 193 Grüner s. A k á t s Gulyás, Josef 26 Guzmics, Isidor 54—55, 83, Donauvölker 160 »Felsomagyarorszdgi Mi92, 103, 136, 150, 162, Dorel 26 nerva« (Oberungarische 179, 202 Döbrentei, Gabriel 20, 25, Minerva) 67, 71 Gvadányi, Graf Josef 23, 35. 39, 44. 48. 52. 56. Fenelon 16 69, 99, 103, 105, 163 57, 68, 87, 109, 1 1 7 — FenySry s. Stettner. 118, 140, 143, 146, 168, Feßler, Aurel, Ignaz 52, Gyöngyösi, Stefan 1, 5, 25 173, 174, 177, 193, 199, 88—89, 121, '132, 145, Gyöngyösy, Johann 15, 22 György, L u d w i g 123 222 151, 182, 200 Gyulai, P a u l 83—84, 189, Döme, Karl 23, 52 Fest, Sändor 162 190 Draguignan 165 Festetich, Graf Georg 177 Dugonics, Andreas 23, 25, Festetich, Graf K a r l Albert Habsburger Herrschaft 2, 99, 104, 105, 110, 114, 193. 194 163, 201 Fichte 18, 172 99. 129 Dulhdzy, Michael 71 Fouqu6 185 »Hadi és más nevezetes Tórténetek« (»Kriegsgeschichten u. andere der Große 53 merkwürdige Erzählungen«) 17, 106 Gadl, Georg 69, 70, 79, Hagedorn 38, 164 85, 134. r 3 8 . 14°. I 4 I > Hagen, von der 185 146, 152, 163, 183, 185, Hainbund 164, 178, 188 Halitzky 132 192, 194, 213 Haller, Graf Ladislaus von Gälos, Rezsö 176 16 Garay, Johann 22, 70 Harsányi, Stefan 26 Gäti, Stefan 15 Hartleben 174 Gärtner, Heinrich 221 »Hébe« 68, 71 Gebhardi 121 Hegel 1 9 6 — 1 9 7 Geliert 33, 173 Hegyi, Josef 121 Genersich, Christian 18 Helmeczy, Michael 35, 45, Gentz, Friedrich 181 Földi, Johann 29—31, 49,
Eberhard 180, 205 Eckhardt, Sändor 52 Eddalieder 205 ¿ d e s , Gregor 15, 22, 168 Egyed, Anton 83, 88, 186 »Eipeldauer Briefe« 163 »£let 6s Literatura« (Leben u. Literatur) 72 Endrödy, Johann 23 Engel, Johann Christian 121, 132 Eötvös, Baron Josef v. 78, 139, 151, 210, 224 Erasmus 51 »Erdilyi Muzeum« (Siebenbürger Museum) 43 Eschenburg 168 Esterhizy, Graf v. 53, 54 Esterhdzy, Fürst 136, 150 E t i d i , Martin 15 Euripides 191 Exulanten 18
55 Friedrich
Georg I I I . 162 Geßner 164, 165, 168, 170, 171 Giesecke 173 Glatz, Jakob 132, 161 Gleim 164, 168 Goethe 19, 54, 112, 115 165—166, 167, 1 7 2 — , 180, 183—184, 188— Fabchich, Josef 99, 1 0 3 — 189, 196—197, 204, 213 1
190.
193, 201, 209
Graf
Villero 91 Josef
v.,
d. Viràg, B e n e d i k t 22, 25, 34,
Jüngere 84, 204—205 Terhes, Samuel 24
37. 38, 43. 72. 90, 121, 124, 134, 145, 177, 186
Stier, G u s t a v 143
Tesl6r,
Sulzer 180, 190
Thaisz, Andreas 57, 66, 194
Szacsvai, Alexander 17
Thienemann, Theodor 166 Vitringa 33
Ladislaus 83,
189 Vitkovics, Michael 34, 43, 57, 66, 67, 72, 80, 115
Szaicz, L e o 52, 53, 99, 105 Tieck 181, 189, 197, 207, Vogl 193 Szalay, Ladislaus 78, 139, 209
Voltaire
Sz£chenyi, Graf F r a n z
v.
33, 121, 163 Sz6chenyi, Graf Stefan v . 70, 84, 129, 136,
17,
52,
53,
165
V o ß 173, 178, 204
T o l d y , Franz 68, 70, 72, 75 Vörösmarty, Michael 9, 22,
Szatmarer Frieden 1
151,
210 Toldi Miklös 135
144,
224—225
— 8 4 , 87—88, 133, 135.
26, 38, 40, 62, 69, 70,
140,
76—90, 93, 129,
142,
144,
152,
134—
1 5 4 — 1 5 5 . 180, 185, 188,
155, 186, 188—198, 201
196—198, 207—210, 222
—221.
Tolnai, W . 43
Szeder, F a b i a n 71, 137
Tompa, Michael 123
Szekir, Joachim 121
T ö t h , W o l f g a n g 21
Wallaszky, P a u l 121, 130
Weber, A r t h u r 183 Trattner, Johann 48, 65, 72 Weber, V e i t 122 Szemere, Paul 21, 35, 43, Tretter, Georg 69, 135, Werböczy, Stefan 59
Szekfü, Julius 128
45. 46, 48, 63, 71, 72,
Werner, Zacharias 181 152, 1 9 4 — 1 9 5 112, Trias 26, 34, 80 Wieland ig, 33, 164, 170, 115, 137, 143, 148, 168, Tübinger Preisfrage 118 196 174—180, 188, 200, 205, T u d o m ä n y o s G y ü j t e m i n y »Wiener Musenalmanach«
80—84,
90—93,
223. Szentgyörgyi, Josef 29, 30,
65—67
161 Winckelmann 172
Ufer 195 Witsius 33 36, 45 Wittenberg (Universität) 18 Szentjöbi Szab
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