Die Teilaktualisierung des Verbalgeschehens (Subjonctif) im Mittelfranzösischen: Eine syntaktisch-stilistische Studie 9783111328508, 3484520264, 9783484520264


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German Pages 670 [672] Year 1970

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INHALT
EINLEITUNG
1. DER SUBJONCTIF IM UNABHÄNGIGEN SATZ IN KORRELATION MIT EINEM KUMULIERTEN ELEMENT
2. DER KONJUNKTIV IM UNABHÄNGIGEN SATZ IN DOPPELKORRELATION MIT EINEMKUMULIERTEN UND EINEM AFFIGIERTEN ELEMENT
3. DER KONJUNKTIV IN DER COMPLÉTIVE
4. DER KONJUNKTIV IMINDIREKTEN FRAGESATZ
5. DER KONJUNKTIV IM RELATIVSATZ
6. DER KONJUNKTIV IM ADVERBIALSATZ
7. KONKORDANZPROBLEME
8. SCHLUSSBETRACHTUNG
BIBLIOGRAPHIE
INDEX 1
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Die Teilaktualisierung des Verbalgeschehens (Subjonctif) im Mittelfranzösischen: Eine syntaktisch-stilistische Studie
 9783111328508, 3484520264, 9783484520264

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BEIHEFTE ZUR Z E I T S C H R I F T FÜR R O M A N I S C H E B E G R Ü N D E T VON GUSTAV

PHILOLOGIE

GRÖBER

F O R T G E F Ü H R T V O N WALTHER VON WARTBURG HERAUSGEGEBEN VON KURT

123. Heft

BALDINGER

PETER W U N D E R L I

Die Teilaktualisierung des Verbalgeschehens (Subjonctif) im Mittelfranzösischen Eine syntaktisch-stilistische Studie

MAX NIEMEYER VERLAG 1970

TÜBINGEN

ISBN 3 4 8 4

52026

4

Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1970 Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany Herstellung durch Bücherdruck Helms K G Tübingen Einband von Heinr. Koch Tübingen

VORWORT

Die vorliegende Arbeit entstand in den Jahren 1 9 6 3 - 1 9 6 7 als Habilitationsschrift an der Universität Zürich und wurde im Mai 1967 der Philosophischen Fakultät I zur Begutachtung eingereicht. Die Fertigstellung der Untersuchung fällt somit mehr oder weniger mit dem Erscheinen der K o n junktivstudien von Wolfgang Rothe und Peter Schifko zusammen, was mich später dazu zwang, die wichtigsten Resultate dieser Arbeiten - soweit sie f ü r unsere Betrachtungen von Bedeutung sind - einzuarbeiten; auch andere, das Konjunktivproblem oder mit diesem zusammenhängende Fragen betreffende Beiträge wurden bis und mit 1969 noch verwertet. Die relativ lange, durch Finanzierungsprobleme und Terminbindungen des Verlags bedingte Zeitspanne zwischen dem Abschluß der Arbeit und ihrer Publikation sollte sich deshalb nicht allzu nachteilig bemerkbar machen. Es ist mir ein Bedürfnis, an dieser Stelle all die Einzelpersonen und Institutionen, die zur Entstehung und zum glücklichen Abschluß dieser Studie beigetragen haben, meines aufrichtigen Dankes zu versichern. Dies gilt in erster Linie für meinen Lehrer Gerold H i l t y , der in zahlreichen Gesprächen und Diskussionen immer regen Anteil an meinen Sorgen und Problemen genommen hat und durch seine eigenen Arbeiten und die zahlreichen Einwände und Ratschläge maßgeblich auf Inhalt und Form dieser Untersuchung eingewirkt hat. D a n k gebührt auch meinem Freund und Marburger Kollegen M a x Pfister, der die Fahnenkorrekturen mitgelesen hat, sowie meinen Assisteten Hubert Bausch, der die Umbruchkorrekturen überprüfte, und Helmut Genaust, der an der Erstellung des Registers mitarbeitete. Zutiefst verpflichtet bin ich auch K u r t Baldinger f ü r die spontane Aufnahme der Arbeit in die Beihefte zur Zeitschrift f ü r Romanische Philologie und dem Verlag M a x Niemeyer f ü r die sorgfältige und umsichtige Betreuung der Publikation. Daß die Arbeit überhaupt abgeschlossen werden konnte, verdanke ich nicht zuletzt dem Kanton Zürich, der es mir durch einen Beitrag aus dem Kredit zur Förderung des akademischen Nachwuchses ermöglichte, mich intensiver mit der Redaktionsarbeit zu befassen; der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung hat einen namhaften Beitrag an die Druckkosten geleistet.

Freiburg i. Br., A u f f a h r t 1970

Peter Wunderli

INHALT

0 EINLEITUNG

R

o.i Zielsetzung und Anlage

i

0.2 Grundwert und Nutzwerte des Konjunktivs

10

1 DER SUBJONCTIF IM UNABHÄNGIGEN SATZ IN KORRELATION MIT EINEM KUMULIERTEN ELEMENT

56

1 . 1 Der Subjonctif in zielgerichteten Sätzen

66

1 . 1 . 1 Subjonctif als R e f l e x eines Befehls oder einer befehlsähnlichen Äußerung

71

1 . 1 . 1 . 1 Befehl, Verbot 1 . 1 . 1 . 2 Aufforderung, Ermahnung, R a t I.I. 1.3 Entrüstete Ablehnung

72 80 84

1 . 1 . 2 Subjonctif als R e f l e x eines Ausdrucks des Wunsches 1.1.2.1 1.1.2.2 1.1.2.3 1.1.2.4 1.1.2.5

86

Bitte Wunsch Schwur Bedauern Resignierte Zustimmung

88 91 102 104 105

1 . 1 . 3 Die Konkurrenzformen des Subjonctif bei kumuliertem zielgerichtetem Modalitätsausdruck

107

1 . 1 . 3 . 1 Indikativischer Imperativ 1.1.3.2 Konjunktivischer Imperativ und Konkurrenz des Subjonctif 1.1.3.3 Konkurrenzierung des indikativischen Imperativs durch den Konjunktiv

108 109 113

1.2 Der Subjonctif in nicht-zielgerichteten Sätzen

115

1.2.1 Annahme

117

1 . 2 . 1 . 1 Eigentliche Annahme

117

1.2.1.2 Abgeschwächte Affirmation

119

1 . 2 . 1 . 2 . 1 savoir 1.2.1.2.2 chaloir 1.2.1.2.3 Andere Verben

120 122 124

1.2.2 Eventualität 1.2.2.1 Die Eventualität und ihr Ausdruck 1.2.2.2 Der »Nutzwert« der Eventualkonstruktionen

126 126 144

VII

2 D E R K O N J U N K T I V IM U N A B H Ä N G I G E N S A T Z IN

DOPPELKORRELATION

MIT EINEM AFFIGIERTEN E L E M E N T

JJ!

2.1 Bedingte Eventualität

152

2.1.1 Konjunktiv 2.1.2 Indikativ

153 162

2.2 Expressive Unterordnung

173

2.2.1 Bedingende Eventualität

175

2.2.2 Einräumung

176

2.2.2.1 2.2.2.2 2.2.2.3 2.2.2.4

176 183 190 194

Konzedierte Realität Konzedierte Annahme Konzedierte Eventualität Annahme oder Eventualität?

3 D E R K O N J U N K T I V IN DER C O M L E T I V E

198

3.1 Der Modus nach Verben der Existenz und des Geschehens 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6

3.2 Der Modus nach Verben der Wahrnehmung und der Kenntnis 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6

Indikativ nach affirmativem Obersatz Negation des Obersatzprozesses Erfragter Obersatzprozeß Bedingter und eventualer Obersatzprozeß Zielgerichtete Vorstellung Annahme und Eventualität

3.3 Der Modus nach Verben der Aussage 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7

Indikativ nach affirmativem Obersatz Negation des Obersatzprozesses Erfragter Obersatzprozeß Bedingter und eventualer Obersatzprozeß Zielgerichtete Vorstellung Annahme und Eventualität Reliefgebung

3.4 Der Modus nach Verben der Meinung und des Denkens 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5 3.4.6 3.4.7

VIII

200

Indikativ nach affirmativem Obersatz Negation des Obersatzprozesses Erfragter Obersatzprozeß Bedingter und eventualer Obersatzprozeß Zielgerichtete Vorstellung Annahme und Eventualität

Indikativ nach affirmativem Obersatz Negation des Obersatzprozesses Erfragter Obersatzprozeß Bedingter und eventualer Obersatzprozeß Zielgerichtete Vorstellung Annahme und Eventualität Reliefgebung

200 203 206 208 211 212 . . . .

213 214 216 218 220 222 223 226 226 228 230 230 234 235 239 241 241 252 255 257 260 261 282

3.5 Der Modus nach Verben der Beurteilung 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.5.5 3.5.6 3.5.7

284

Indikativ nach affirmativem Obersatz Negation des Obersatzprozesses Erfragter Obersatzprozeß Bedingter und eventualer Obersatzprozeß Zielgerichtete Vorstellung Annahme und Eventualität Reliefgebung

28$ 289 293 293 296 298 302

3.6 Der Modus nach faktitiven Verben 3.6.1 3.6.2 3.6.3 3.6.4 3.6.5

303

Indikativ nach affirmativem Obersatz Zielgerichtete Vorstellung Negation des Obersatzprozesses Erfragter Obersatzprozeß Bedingter und eventualer Obersatzprozeß

304 305 309 311 311

3.7 Der Modus nach volitiven Verben

313

3.7.1 Versprechen

314

3.7.2 Entschluß

319

3.7.3 Wunsch und Wollen

323

3.7.3.1 3.7.3.2 3.7.3.3 3.7.3.4 3.7.3.5 3.7.3.6 3.7.3.7

Teilaktualisierung nach affirmativem Obersatz Vollaktualisierung nach affirmativem Obersatz Obersatz unter zielgerichteter Modalität Negation des Obersatzprozesses Erfragter Obersatzprozeß Bedingter und eventualer Obersatzprozeß Eventualcharakter des Objektsatzprozesses

323 326 329 329 330 331 332

3.7.4 Befehl, Begehren und Bitte 3.7.4.1 3.7.4.2 3.7.4.3 3.7.4.4 3.7.4.5

333

Teilaktualisierung nach affirmativem Obersatz Vollaktualisierung nach affirmativem Obersatz Obersatz unter zielgerichteter Modalität Eventualität Inkongruenz

334 340 346 347 348

3.7.5 Schicklichkeit und Notwendigkeit 3.7.5.1 3.7.5.2 3.7.5.3 3.7.5.4 3.7.5.5

349

Konjunktiv nach affirmativem Obersatz Vollaktualisierung nach affirmativem Obersatz Negation des Obersatzprozesses Erfragter Obersatzprozeß Bedingung und Eventualität

350 352 353 354 355

3.7.6 Der Modus nach Verben des Rates 3.7.6.1 Teilaktualisierung nach affirmativem Obersatz 3.7.6.2 Vollaktualisierung nach affirmativem Obersatz 3.7.6.3 Eventualität

356 356 358 359

3.7.7 Der Modus nach Verben des Erlaubens 3.7.7.1 3.7.7.2 3.7.7.3 3.7.7.4 3.7.7.5

360

Die Modusverwendung nach affirmativem Obersatz . . . 360 Negation des Obersatzprozesses 361 Erfragter Obersatzprozeß 362 Bedingter und eventualer Obersatzprozeß 363 Obersatz unter zielgerichteter Modalität 364

IX

3.8 Verben mit negativem Semantem

364

3.9 Verben mit negativoidem Semantem

371

3.9.1 3.9.2 3.9.3 3.9.4

Aussage Faktitivität Verbot Furcht

37i 374 377 379

3.10 Verben der Annahme

384

3 . 1 1 Prolepsis des Objektsatzes

386

4 D E R KONJUNKTIV IM INDIREKTEN FRAGESATZ

392

4.1 Ergänzungsfragen

395

4 . 1 . 1 Indikativ nach rein affirmativem Frageausdruck 4.1.2 Konjunktiv zum Ausdruck der zielgerichteten Vorstellung

395 . . .

4.1.3 Konjunktiv zum Ausdruck der nicht-zielgerichteten Vorstellung 4.1.3.1 4.1.3.2 4.1.3.3 4.1.3.4

.

Annahme Unentschlossenheit Indifferenz Eventualität

4.2 Entscheidungsfragen

5 D E R KONJUNKTIV IM RELATIVSATZ J.I Der explikative (prädikative) Relativsatz

402 404 409 411 412

420 421

J . I . I Der Indikativ

42j

5.1.2 Der Konjunktiv

425

5.1.2.1 Zielgerichtete Vorstellung 5.1.2.2 Nicht-zielgerichtete Vorstellung 5.2 Der determinative (attributive) Relativsatz

425 429 431

5.2.1 Der Indikativ

433

5.2.2 Konjunktiv bedingt durch Vorstellungscharakter des Nebensatzgeschehens

434

t .2.2.1 Zielgerichtete Vorstellung 5.2.2.2 Nicht-zielgerichtete Vorstellung 5.2.3 Konjunktiv bedingt durch Nicht-Aktualität des Komplexes »Bezugselement-Relativsatz« 5.2.3.1 5.2.3.2 5.2.3.3 5.2.3.4 5.2.3.5 5.2.3.6 5.2.3.7

X

398 402

Zielgerichteter Hauptsatz Nicht-zielgerichteter Hauptsatz Negation des Bezugselements Isoliertes Bezugselement Frage Unbestimmter Charakter des Bezugselements Unentschlossenheit und Indifferenz

434 435 443 444 448 452 459 470 473 491

6 D E R K O N J U N K T I V IM A D V E R B I A L S A T Z

6.1 Temporalsätze

493

494

6.1.1 Nebensatzgeschehen vorzeitig oder gleichzeitig 494 6.1.2 Das Nebensatzgeschehen markiert den Endpunkt des Hauptsatzprozesses joo 6.1.3 Nebensatzgeschehen nachzeitig 505 6.1.4 Konkomitierende Temporalsätze 509 6.1.J Eventualität 511 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9

Kausalsätze Folgesatz Finalsatz Komparativsatz Bedingungssatz Restriktive Bedingung Ausnehmende und ausschließende Nebensätze Konzessivsätze

512 519 530 539 547 564 573 $81

7 KONKORDANZPROBLEME

7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7

Subjonctif I in toncalem Kontext Subjonctif I zum Ausdruck der Oberzeitlichkeit Subjonctif II nach Passé composé Subjonctif II zum »Ausdruck der Vergangenheit« Subjonctif II in zielgerichteten Sätzen in präsentischem Kontext . . . . Der Subjonctif I I zum Ausdruck der Eventualität Die Inkongruenz Annahme-Eventualität

59-

592 J96 598 599 601 603 604

8 SCHLUSSBETRACHTUNG

611

BIBLIOGRAPHIE

¿39

INDEX

647

XI

EINLEITUNG

o.i

Zielsetzung und Anlage

A n Arbeiten über den Konjunktiv besteht zweifellos kein Mangel. Wenn ich dieses schon eingehend bearbeitete Thema nochmals aufnehme, so deshalb, weil ich mich keiner der bisherigen Gesamtdarstellungen anschließen kann, auch den letzten großen Versuchen, denjenigen von Gérard Moignet, Wolfgang Rothe und Peter Schifko nicht 1 . Es geht also darum, eine eigene Sicht von Funktion und Verwendung dieses Modus an einer großen Zahl von Beispielen zu erläutern. Gleichzeitig möchte ich aber auch einmal ein ausreichendes Belegmaterial für eine Epoche der französischen Sprachgeschichte zusammenstellen, die bis heute — nicht nur in bezug auf den Konjunktiv, sondern ganz allgemein - meist arg vernachlässigt wurde: das Mittelfranzösische. So schließt denn meine Arbeit einerseits an diejenige von Moignet an, der die Verwendung des Konjunktivs im nachklassischen Latein und im Altfranzösischen untersucht hat, und schlägt andererseits die Brücke zu den zahlreichen Studien über die Modusverwendung bei einzelnen Autoren, thematischen Detailuntersuchungen und syntaktischen Gesamtdarstellungen, die der Gesamtheit oder einem Teil der Epoche zwischen Renaissance und Gegenwart gelten. Auch in den historischen Gesamtdarstellungen von N y r o p (Bände 5 und 6 der Grammaire historique), Sneyders de Vogel, Ettmayer und Gamillscheg wird das Mittelfranzösische meist einfach übersprungen oder nur am Rande berücksichtigt, und man geht mehr oder weniger direkt vom Altfranzösischen zur Sprache des 16./17. Jahrhunderts über2, was um so bedauerlicher ist, als - wie wir sehen werden - das Mittelfranzösische für

1

Damit soll keineswegs geleugnet werden, daß ich zahlreichen Autoren, die sich bisher mit dem Konjunktivproblem befaßt haben, aufs tiefste verpflichtet bin. In ganz besonderem Maße gilt dies für Moignet, und damit auch für Gustave Guillaume; nichtsdestoweniger teile ich aber die Auffassung dieser beiden Forscher in vielen - entscheidenden - Punkten eben nicht. - Die einzige sich mit meiner Sicht des Konjunktivs weitgehend deckende Konzeption stammt von meinem Lehrer Gerold H i l t y . O b w o h l nur in einer kurzen Skizze niedergelegt (cf. Tempus, Aspekt, Modus, V R o m . 24 [1965], 269-301, vor allem p. 282-286), verdanke ich seiner Konzeption und seinen in zahlreichen Gesprächen und Diskussionen vorgebrachten Anregungen und Ergänzungen Entscheidendes.

1

Eine löbliche Ausnahme bildet hier die Historische französische Syntax von Lerch, der das Mittelfranzösische - soweit ihm Material zur Verfügung stand berücksichtigt hat; allerdings ist die Zahl der Vorarbeiten, auf die er sich stützen konnte, ungenügend. 1

gewisse Erscheinungen eine Epoche des Übergangs und der Neuorientierung darstellt; diese Entwicklungen im Detail zu verfolgen, ist zum Teil von größtem Interesse. Auch die in ihrer Anlage reichlich primitive und jeder Wertung und historischen Eingliederung entbehrende Brief Description of Middle French Syntax von Rosalyn Gardner und Marion A. Greene vermag diese Lücke - vor allem was den Konjunktiv anbelangt - nicht zu schließen3. Unsere doppelte Zielsetzung - Darstellung des essentiellen Wesens des französischen Konjunktivs und der spezifischen Eigenheiten der mittelfranzösischen Modussetzung - ist allerdings nur unter einer Voraussetzung möglich: nämlich dann, wenn der Konjunktiv in seinem Grundwert vom Alt- bis zum Neufranzösischen gleichgeblieben ist und nicht eine grundlegende Umwertung erfahren hat. Daß dem tatsächlich so ist, kann unserer Ansicht nach nicht ernsthaft in Frage gestellt werden und dürfte auch aus Moignets Arbeit mit aller Deutlichkeit hervorgehen: was sich geändert hat, ist nicht die Grundfunktion des Konjunktivs 4 , sondern die Anwendungen, der Nutzen und die Effekte, die im durch den Grundwert abgesteckten Rahmen erzielt werden. Diesen Rahmen haben wir uns als weites Feld vorzustellen, das alle durch die Grundfunktion ermöglichten Aussagewerte und Effekte umschließt; einzelne Teile dieses Feldes liegen aber je nach Epoche brach: die von ihnen repräsentierte Wirkungsmöglichkeit wird nicht genutzt, weil die sprachliche Norm, der bon usage einer bestimmten Epoche ein anderes Ausdrucksmittel, die Betonung eines andern Aussageaspekts bevorzugt. Auf Grund einer Serie von Einzelinitiativen und dadurch eingeleiteter neuer Akzentsetzungen unter den sich zur Mitteilung anbietenden Aspekten kann aber auch oft eine während längerer Zeit nicht genutzte Ausdrucksund Effektmöglichkeit im Sprachgebrauch einer bestimmten Epoche Fuß fassen und schließlich sogar die Oberhand gewinnen5. Unter diesen Voraussetzungen und bei sich im skizzierten Spielraum bewegenden Veränderungen in der Modusverwendung dürfte unser doppeltes Ziel erreichbar sein. xBevor wir näher auf unser Thema eintreten können, bleibt jedoch noch ein prinzipieller Punkt zu klären: welche Zeitspanne umfaßt das Mittelfranzösische überhaupt? Die Meinungen hierüber gehen beträchtlich auseinander. 3

4

5

Das gleiche gilt auch für die zweifellos wertvolle, heute aber überholte Arbeit von Edmond Huguet, Etude sur la syntaxe de Rabelais comparée à celle des autres prosateurs de 1450 à 1550, Paris 1894 (Nachdruck Genève 1967), die sich zudem nur mit einem Teil der mittelfranzösischen Epoche beschäftigt (cf. unten). Obwohl in vielen Punkten ähnlich, sehen wir diese Grundfunktion auf einer andern Ebene als Moignet und Guillaume: nämlich auf derjenigen der Aktualisierung (Übergang langue > discours), und nicht auf derjenigen des temps opératif. C f . hierzu auch L. Hjelmslev, La structure fondamentale du langage, in : Hjelmslev, Prolégomènes, p. 204/0J; zu diesem Aspekt in bezug auf die Gefühlsausdrücke vgl. auch Schifko, Subjonctif, p. 37.

2

Gardner - Greene setzen unsere Epoche ohne weitere Diskussion dem 14. und 1 5 . J h . gleich 6 ;Ch. Bruneau läßt das français »fluent« sich von 1328 (Tod des letzten Kapetingers) bis 1 6 0 J (Ubersiedlung Malherbes nach Paris) erstrecken, wobei er allerdings um 1460 ( 1 4 6 1 T o d Karls V I I . ) nochmals eine Zäsur ansetzt 7 ; W. von Wartburg betrachtet als Epoche des Mittelfranzösischen den Zeitraum von ca. 1 3 5 0 bis 1600 8 ; etc. Wir selbst bezeichnen die Periode von 1 3 5 0 bis 1500 als mittelfranzösisch, und z w a r aus folgenden Gründen. Das 16. Jahrhundert möchten wir deshalb nicht mehr zum Mittelfranzösischen zählen, weil die bewußte Anlehnung an das Lateinische und Italienische die Sprachentwicklung zumindest in gewissen Bereichen in ganz andere Bahnen lenkte; es handelt sich dabei um Entwicklungen, die im Rahmen der weitgehend unbewußten Beeinflussungen des 14. und 1 5 . Jahrhunderts kaum möglich gewesen wären. Dazu kommt noch, daß das 16. Jh. erstmals Ansätze zu einer Normalisierung und Fixierung der Sprache durch die Grammatiker kennt. Wenn auch die Wirkung von Leuten wie Meigret, R a mus und Henri Estienne nicht allzu hoch veranschlagt werden darf, so ist es doch weitgehend den von ihnen ergriffenen Initiativen zuzuschreiben, daß man sich ernsthaft um die Sprache zu bemühen beginnt, versucht - allerdings meist noch ohne E r f o l g - , ihren Geheimnissen auf die Spur zu kommen und die früher weitgehend »wilden« Entwicklungen in durch die Logik und den guten Geschmack bestimmte Bahnen zu lenken. H a n d in H a n d mit diesen Ansätzen zu einer vielfach noch auf das Lateinische zurückgreifenden »Dogmatisierung« des Sprachgebrauchs geht das Eindringen der Volkssprache in neue Lebenssphären, die vorher der klassischen Kultur- und Wissenschaftssprache, dem Latein, vorbehalten geblieben waren: das Französische faßt Fuß in den Gerichten, in der Medizin, in den Schulen und auch in der Kirche. Dieses Fußfassen ist aber nicht möglich ohne eine - wenn auch nur vorläufige - Anpassung an die Eigenheiten des »Vorgängers«. So schaffen denn die Versuche zur Grammatikalisierung und die Anlehnungstendenz ans Latein und auch ans Italienische, das wie dieses bereits weitgehend grammatikalisiert ist oder sich zumindest - unter unendlichen Diskussionen auf dem Wege dazu befindet, eine Atmosphäre f ü r die Sprachentwicklung, die sich von derjenigen der vorhergehenden Jahrhunderte ganz grundlegend unterscheidet. Ob dieses neue Sprachklima sich auf die Modusverwendung bereits auf tiefgreifende A r t und Weise auswirkt oder ob die Folgen der neuen Gegebenheiten überhaupt erst im 1 7 . Jahrhundert spürbar werden, ist beim heutigen Forschungsstand noch nicht genau ersichtlich. Die Gegebenheiten, die auf die Sprachentwicklung einen Einfluß haben können, sind aber auf alle Fälle derart verschieden von denen im 1 4 . / 1 5 . Jh., daß sich 6 7

8

C f . Gardner-Greene, p. V I I I . C f . Charles Bruneau, Petite histoire de la langue française I, Paris ' 1 9 6 2 , p. 94 bis 1 9 3 . C f . Waither v . Wartburg, Evolution et structure de la langue française, Berne " 1 9 6 2 , p. 1 2 2 , sowie F E W Beiheft, Tübingen 1 9 5 0 , p. 3 5 .

3

uns eine Loslösung des 16. Jh. vom Mittelfranzösischen aufzudrängen scheint; würden wir sie nicht vornehmen, liefen wir Gefahr, die Resultate unserer Untersuchung in wesentlichen Punkten verfälscht zu sehen. Natürlich bestände die Möglichkeit, das 16. Jh. in einer gesonderten Betrachtung in unsere Arbeit einzubauen. Dies müssen wir uns jedoch aus Zeit- und Raumgründen versagen, weshalb wir auf die bestehenden Arbeiten über die Sprache der Renaissance und speziell über die Modusverwendung in dieser Epoche verweisen (cf. v. a. Bement, Syntax, etc.). In der Frage des Beginns der mittelfranzösischen Epoche schließen wir uns der Meinung v. Wartburgs an. Natürlich kann man die Sprache in einzelne Jahrhunderte (ev. auch mehrere) umfassenden Tranchen betrachten und kommt dabei - wenn man nur ein Minimum an Vorsicht walten läßt - zu richtigen Resultaten: man muß eigentlich nur beachten, daß Entwicklungen auch über die Jahrhundertwende hinweg fortlaufen können. Für die Abgrenzung organisch gewachsener Phasen der Sprachentwicklung sind diese Tranchen jedoch ungeeignet: wesentliche Zäsuren gehen an sich auf der Sprachentwicklung inhärente Faktoren zurück, die jedoch - allerdings auf recht lockere Art - von Umweltgegebenheiten abhängig sind, insofern nämlich, als diese Umweltgegebenheiten den Rahmen für neue geistige Entwicklungen bilden (die ihrerseits wieder zu neuen Umweltsituationen führen können). So entsteht ein Band zwischen zwei Polen, eine Art Wechselwirkung, die jedoch nicht starr und zwingend ist und deren zwei Phasen meist auch mit einer gewissen Verzögerung von der ersten zur zweiten ablaufen. Eine äußere Zäsur von großer Bedeutung und schwerwiegenden Konsequenzen im geistesgeschichtlichen Bereich ist zweifellos der Tod des letzten Repräsentanten der direkten Linie der Kapetinger (1328) und die Thronbesteigung der Valois, die den hundertjährigen Krieg (1339—1453) nach sich zog9. Die übrigens durch zahlreiche Detailentwicklungen seit dem 13. Jh. vorbereitete - neue Sprachsituation wird jedoch weder sofort nach der Thronbesteigung der Valois noch gleich nach Ausbruch des hundertjährigen Krieges in den auf uns gekommenen Zeugnissen sichtbar. Die einmal erworbenen Sprechgewohnheiten der einzelnen Individuen wirken sich hier verzögernd aus, so daß wir eine den neuen Umweltgegebenheiten entsprechende Sprachsituation erst in um ca. 1 3 J 0 entstandenen Dokumenten erwarten können 10 . • F ü r einen ausgezeichneten A b r i ß der historischen Entwicklungen in der mittelfranzösischen Epoche cf. Vossler, Frankreich, p. 1 0 9 - 1 2 5 (zuerst G R M 4 [ 1 9 1 2 ] ,

29-42).

10

Dies gilt natürlich nicht nur f ü r den A n f a n g der durch die Wirren und die innere Zerrissenheit während des 100jährigen Kriegs maßgeblich beeinflußten mittelfranzösischen Sprachsituation, sondern ebenso f ü r ihr Ende. Die neue Stabilität und die sich nur langsam vollziehende Erholung von den Entbehrungen eines über hundert Jahre dauernden Krieges unter Charles V I I I . und François I e r konnten auch im geistesgeschichtlichen Bereich erst mit einiger Verzögerung zu einer neuen Blüte führen: die im eigentlichen Sinne einer Renaissance angehörenden Faktoren, die uns oben dazu veranlaßt haben, das 16. J h . v o m Mittelfranzö-

4

Bei dieser Abgrenzung der mittelfranzösischen Epoche ( 1 3 5 0 - 1 joo) kann uns allerdings der Vorwurf nicht erspart bleiben, daß wir den Anschluß an die von Moignet untersuchten Epochen (nachklassisches Latein, A l t f r a n zösisch bis und mit 12. Jh., 1 3 . Jh.) nicht sauber vollziehen. Diese Unzulänglichkeit ist aber eher scheinbarer als wirklich ernsthafter Natur. In den ersten 50 Jahren des 14. Jh. entspricht die Modusverwendung noch weitgehend derjenigen im 1 3 . Jh., was ja auch nicht weiter erstaunen kann, vollziehen sich sprachliche Wechsel doch nicht als eine eigentliche Zäsur bildende brüske Revolutionen, sondern in langsamer, kontinuierlicher Evolution, die meist einen relativ langen Nachhall der früheren Situation zuläßt. Umgekehrt ist die nicht berücksichtigte Zeitspanne von 50 Jahren zu kurz, als daß eine sich nicht schon v o r 1300 abzeichnende Entwicklung bereits um 1 3 5 0 als fest etabliert gelten könnte, und wir so die Übergangsphase aus den Augen verlieren würden. Zudem werden wir uns erlauben, dort, w o es notwendig erscheint, auch Beispiele f ü r die erste H ä l f t e des 14. Jh., die wir der Sekundärliteratur entnehmen, heranzuziehen. Ganz ähnlich liegen die Dinge im 16. Jh., in dem einerseits die im Mittelfranzösischen begonnenen Entwicklungen weitergeführt und akzentuiert werden und zum Teil bereits einer gewissen Grammatikalisierung anheimfallen, die dann meist durch das 1 7 . J h . sanktioniert w i r d ; andererseits ist diese Zeitspanne durch gewisse persönliche Initiativen gekennzeichnet (vor allem Kopie lateinischer und italienischer syntaktischer Schemen), die jedoch nicht von Dauer sind und von der Klassik nicht übernommen werden. Wie für die erste H ä l f t e des 14. Jh., so werden wir uns auch gestatten, Beispiele aus den Anfängen des 16. J h . dort heranzuziehen, w o uns dies nützlich und vorteilhaft erscheint. Bleibt noch ein weiteres Problem: nämlich die Frage, ob das Mittelfranzösische nicht auch so eine zu breite Tranche f ü r die synchronische Beschreibung eines Sprachzustandes darstellt. Eine Epoche von 1 5 0 Jahren stellt vielleicht die obere Grenze des Erlaubten dar, doch hätte umgekehrt eine Unterteilung dieser Zeitspanne derart geringe Resultate zutage gefördert, daß sie sich nicht rechtfertigen ließe; vielleicht würde sie sogar verschiedentlich zu einer gewissen Sterilität führen 1 1 . Im übrigen können wir uns nur auf F. de Saussure berufen: »En pratique, un état de langue n'est pas un point, mais un espace de temps plus ou moins long pendant lequel la somme des modifications survenues est minime. Cela peut être dix ans, une génération, un siècle, davantage même. . . . Un état absolu se définit par l'ab-

sischen zu isolieren, konnten so erst gegen 1 5 0 0 wirksam werden, w a s unsern Entschluß, in diesem Falle die Zäsur um die Jahrhundertwende anzusetzen, auch aus dieser Perspektive rechtfertigt. - Vossler rechnet auch noch das 1 3 . Jh. zum Mittelfranzösischen, das er jedoch in zwei recht verschiedene H ä l f t e n unterteilt; die zweite ( 1 3 3 9 [Ausbruch des 100jährigen Krieges] - 1 4 8 3 [ T o d L u d w i g X I . ] ) deckt sich weitgehend mit unserer Abgrenzung des Mittelfranzösischen, cf. Vossler, Frankreich, p. 1 1 7 (zuerst G R M 4 [ 1 9 1 2 ] , 3 5 ) . 11

C f . hierzu auch Moignet, p. 1 1 .

S

sence de changements, et comme malgré tout la langue se transforme, si peu que ce soit, étudier un état de langue revient pratiquement à négliger les changements peu importants, de même que les mathématiciens négligent les quantités infinitésimales dans certaines opérations, telles que le calcul des logarithmes« 12 . Nachdem wir uns so dazu entschlossen hatten, die Zeitspanne von ca. 1350 bis i j o o als eigentliche Epoche des Mittelfranzösischen zu betrachten, haben wir 35 Texte von sehr unterschiedlicher Länge (sie gehen von der kurzen Farce bis zu den monumentalen Ethiques von Oresme) ausgewählt, die uns ein möglichst vielseitiges und umfassendes Bild der mittelfranzösischen Literatursprache vermitteln sollen. Zu diesem Zweck haben wir sowohl Werke in Prosa wie in Versen berücksichtigt, sowohl Romane, Theaterstücke und Gedichte wie philosophische, didaktische, religiöse und polemische Schriften; zudem erstrecken sie sich in ihrer Entstehung relativ gleichmäßig über die ganzen 150 Jahre, von den Ethiques von Nicole Oresme (1370) bis zu den um 1500 entstandenen Farcen 13 . Diese wurden in dem Sinne vollständig exzerpiert, als wir alle Fälle berücksichtigt haben, wo eindeutig ein Subjonctif vorlag, resp. wo ein eindeutiger Indikativ besonderes Interesse erheischte. Nun unterscheidet sich aber bei zahlreichen Verben die Form des Konjunktivs nicht von derjenigen des Indikativs, und ebenso ist oft infolge des Verlustes von s vor okklusivem Konsonant wie auch wegen seines parasitären Eintretens in entsprechender Stellung nicht mit Sicherheit auszumachen, ob wir es mit einer 3. Pers. sg. des Subjonctif I I oder mit einer 3. Pers. sg. des Passé simple zu tun haben. In diesen Fällen haben wir uns an das von Moignet folgendermaßen formulierte Prinzip gehalten: »L'observateur se trouve obligé, en bonne méthode, de négliger toutes les phrases où la forme verbale ne dénonce pas clairement le mode employé, ou, tout au moins, de ne conclure qu'avec réserve« 14 . Natürlich kann in der Arbeit selbst nicht das ganze angefallene Material dargeboten werden, was weder interessant noch finanziell und platzmäßig möglich wäre; wen würden auch schon mehrere hundert Beispiele für den Konjunktiv nach vouloir, ordonner, prier etc. interessieren? Überall dort, wo uns ein reichhaltiges Material zur Verfügung stand, mußte deshalb eine Auswahl getroffen werden, wobei wir uns immer bemüht haben, soweit wie möglich verschiedene und über die ganze mittelfranzösische Periode verteilte Texte zu berücksichtigen. Umgekehrt kann man natürlich die Frage stellen, ob die doch relativ kleine Zahl von ausgezogenen Werken (vor allem bei selteneren syntaktischen Erscheinungen) genügend sei. Dem ist entgegenzuhalten, daß die 12 13

14

C f . Saussure, C L G , p. 1 4 2 . F ü r die Liste der exzerpierten Werke und ihre Entstehungsdaten, die w i r nach R . L e v y , Chronologie approximative de la littérature française du moyen âge, Z R P h . Beih. 98, Tübingen 1 9 5 7 , ansetzen, cf. p. 644 s. C f . Moignet, p. 2 8 7 .

6

Epoche des Mittelfranzösischen relativ kurz und die sich in ihr anbahnenden oder vollziehenden Veränderungen nicht allzu zahlreich sind. War unser Material einmal trotzdem im einen oder andern Punkt zu dürftig, so stand uns immer noch die Möglichkeit offen, auf eine nicht zu verachtende Sammlung von Spezialstudien - vor allem zwischen 1880 und 1920 entstandene deutsche Dissertationen - zurückzugreifen. Diese Sekundärliteratur gliedert sich in zwei Typen: einerseits haben wir Studien über die Sprache einzelner mittelfranzösischer Autoren (cf. Biedermann, De la Sale; Bode, Deschamps; Ebering, Froissart; Eder, Chartier; Humpers, Lemaire de Beiges; Schmidt, Nouvelles; Schröter, Untersuchungen; Shepard, De la Sale; Stimming, Commines; Toennies, Commines; Waldmann, Monstrelet), andererseits solche über einzelne syntaktische Teilgebiete während einer kleineren oder größeren Zeitspanne (cf. Brüss, Konzessivverhältnis; Busse, Finales Satzverhältnis; Hartmann, Temporale Konjunktionen; Heinrichs, Modalsätze; Helmer, Vertretung; Kiene, Bedingungssätze; Müller, Vergleichungssätze; Schreinecke, Fragesatz; Sechehaye, Imparfait du subjonctif; Simon, Gemütsbewegung; Wagner, Hypothétiques). Mit Ausnahme der Arbeiten von Sechehaye und Wagner können die in diesen Studien vorgelegten Interpretationsversuche kaum mehr Gültigkeit haben, ganz abgesehen davon, daß die Interpretationen in der Regel nur marginalen Charakter haben und das Hauptgewicht auf der Materialsammlung liegt. Und als Materialsammlungen haben diese Arbeiten ihren Wert weitgehend bewahrt, wenn sie auch o f t an einer nicht mehr zeitgemäßen Klassierung der Beispiele leiden, was einen o f t zu langwierigen Sucharbeiten zwingt. Wenn dies auch unangenehm ist, so wiegt doch ein anderer Mangel viel schwerer: nämlich die Tatsache, daß die zitierten Stellen meist viel zu kurz sind, o f t sogar nur ein Bruchstück eines Satzes umfassen. Vielfach ist eine zuverlässige Interpretation der so aus ihrem Zusammenhang losgelösten Teile nicht möglich und es muß auf ihre Benutzung verzichtet werden, es sei denn, man habe die vom Verfasser benützte Ausgabe gerade zur Verfügung 1 5 . Allerdings darf nicht übersehen werden, daß die Literatursprache nur einen Teil des Französischen darstellt: über die Modusverhältnisse in der gesprochenen Sprache kann sie uns nicht orientieren. Unterschiede zwischen den beiden Sprachbereichen existieren ohne jeden Zweifel, und zwar nicht nur in phonetischer und lexikalischer Hinsicht, sondern auch - und vielleicht in besonderem Maße - in syntaktischer Beziehung. Was die Modusverwendung anbelangt, so ist gerade die Situation im Modernfranzösischen äußerst aufschlußreich, zeigt sie uns doch, daß in der geschriebenen Sprache im all15

Eine gewisse Verminderung des Wertes dieser Studien ergibt sich auch daraus, daß ihre Autoren o f t Ausgaben benützen, die dem heutigen Stand der Forschung kaum mehr gerecht werden. Allerdings darf man diesen Mangel nicht zu schwer bewerten, denn eine sich in einer schlechten Handschrift findende, von einem der älteren Herausgeber übernommene syntaktische Variante bleibt eben trotzdem ein Zeugnis f ü r die mittelfranzösische Sprachsituation.

7

gemeinen die Setzung des Konjunktivs nicht nur viel häufiger ist, sondern auch nach viel differenzierteren Gesichtspunkten erfolgt; die verschiedenen »Empfindlichkeitsstufen« in dieser Beziehung können sogar dazu dienen, die einzelnen Sprachniveaus zu charakterisieren. So fehlt uns denn Material für einen ganz wesentlichen Sprachbereich, Material, das unmöglich zu beschaffen ist. Allerdings sind auch innerhalb der geschriebenen Sprache deutliche Stufen zu erkennen: der der gesprochenen Sprache stark angenäherte Ton der Farcen ist grundverschieden vom trotz vielen Unzulänglichkeiten bereits hochentwickelten und differenzierten Ausdrucksinstrument eines Oresme. Wenn uns so nur die in der Verwendung des Konjunktivs am wenigsten subtilen Sprachschichten entgehen, verlieren wir wohl kaum sehr viel: da wir das Bild der nuanciertesten und bis ins letzte Detail durchgebildeten Modussetzung einer Epoche, das Maximum dessen, was der Konjunktiv zu einem bestimmten Moment der Sprachentwicklung überhaupt zu leisten imstande ist, nur in der gehobenen Sprache der Literatur finden, können wir die erzwungene Beschränkung auf diesen Bereich leicht hinnehmen. Allerdings besteht gerade im literarischen Bereich die Gefahr einer Beeinflussung durch die Modussetzung in andern Sprachen, in der uns interessierenden Epoche vor allem des Lateinischen, in weit geringerem Maße des Italienischen. Wie Moignet besonders am Beispiel der Quatre livres des rois immer wieder zeigen kann, besteht eine gewisse Reserve vor allem gegenüber Übersetzungstexten zu Recht, und auch bei des Lateins kundigen gebildeten Autoren kann die Möglichkeit einer Beeinflussung nicht ausgeschlossen werden. Wir sind aber der Überzeugung, daß selbst in diesem Falle die Texte Vertrauen verdienen, denn eine Konjunktivsetzung unter Einfluß einer fremden Sprache, die nicht im durch den Grundwert gegebenen Rahmen liegt, scheint uns schlechthin unmöglich16. Eine unter Einfluß des Lateinischen (oder Italienischen) eingeführte oder auch nur versuchte Neuerung kann deshalb nie in eigentlichem Sinne unfranzösisch sein: sie kann überhaupt nur dann von einem Autor französischer Muttersprache als sein Sprachempfinden nicht störend und deshalb möglich empfunden werden, wenn sie einen der brachliegenden Anwendungsbereiche innerhalb des primär gegebenen Rahmens betrifft. Unter diesem Blickwinkel verliert die Frage, ob der Anstoß zu einer Neuerung oder einem mehr oder weniger erfolgreichen Neuerungsversuch von einer andern Sprache her erfolgte oder seine Wurzeln allein im Französischen hat, weitgehend ihre Bedeutung und bekommt für eine in erster Linie synchronische Beschreibung sekundären Charakter. Selbst wenn eine Konstruktion unter fremden Einfluß entstanden ist, selbst wenn es sich 16

Gleiches gilt unserer Ansicht nach auch für die sogenannten Archaismen: es gibt keine versteinerten Formen, die dem G r u n d w e r t des Konjunktivs widersprechen (cf. hierzu auch Cledat, R P F L 35 [ 1 9 2 2 / 2 3 ] , 82). Jeweils »zeitgemäßer« und »alter« Gebrauch sind nichts anderes als verschiedene Akzentsetzungen auf gleicher Basis, verschiedene Moden, die aber jederzeit innerhalb des Rahmens der Grundbedeutung liegen. 8

nicht um eine dem bon usage der Epoche entsprechende Modussetzung, ja vielleicht sogar nur um eine einmalige Initiative eines einzelnen Subjekts handelt, darf wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, d a ß diese Setzung im durch den Grundwert gegebenen Rahmen erfolgte und deshalb den Gesetzlichkeiten der langue nicht widerspricht. Solche Fälle können uns vielmehr zeigen, wie gut und wie deutlich dieser Grundwert im Sprachgefühl (nicht im Bewußtsein) des sprechenden Individuums verankert ist; nur wenn dem so ist, kann der usage von Zeit zu Zeit durch eine organisch ins Gesamtbild der Konjunktivverwendung passende Neuerung gleichgültig welcher Provenienz überspielt werden; andernfalls haben wir ein Fossil, ein unproduktives Relikt, das nur noch unter gewissen Kontextgegebenheiten auftretende kombinatorische Variante der einen oder andern Form ist und keinen eigenen Bedeutungskern mehr hat. Gerade dieser homogene, auf der Ebene der langue gegebene Grundwert, der beim Übergang zum discours zu den verschiedensten, mit der Basisbedeutung jedoch in organischer Verbindung stehenden Nutzwerten abschattiert werden kann, ist es, der nach unserer Ansicht das lebendige sprachliche Zeichen - sei es nun lexikalischer, morphologischer oder syntaktischer Art - charakterisiert. Unser sich aus den erwähnten Komponenten zusammensetzendes Material stellen wir in durchaus traditioneller Art und Weise dar und beschreiten in diesem P u n k t den gleichen Weg wie Moignet: wir besprechen nacheinander die Verwendung des Konjunktivs im Hauptsatz, in der Completive, im indirekten Fragesatz, im Relativ- und im Adverbialsatz, um mit einigen Betrachtungen zum Konkordanzproblem und einer Zusammenstellung der wichtigsten Neuerungen im Mittelfranzösischen zu schließen. Diese Anlage drängte sich einerseits schon deshalb auf, weil nur sie eine leichte Vergleichbarkeit mit den von Moignet erarbeiteten Resultaten 17 und der Mehrzahl der übrigen sich mit dem Thema des Konjunktivs befassenden Studien gewährleistet. Andererseits hätten wir wohl auch auf sie zurückgegriffen, wenn nicht schon andere auf die gleiche Art konzipierte bedeutende Studien bestanden hätten, denn eine Darstellung des Materials nach den drei H a u p t kategorien der Konjunktivverwendung (zielgerichtete Vorstellung, nichtzielgerichtete Vorstellung, ökonomische und reliefgeberische Verwendung; cf. unten) ist deshalb schon unvorteilhaft, weil diese Kategorien einerseits viel zu weit sind und andererseits quer durch die erwähnten Satztypen hindurch verlaufen. Zudem würde eine solche Anlage die Benutzung der Studie f ü r den mit unserer Konzeption der Konjunktivfunktion nicht vertrauten oder diese ablehnenden Leser unnütz erschweren. Wir glauben, bei einer von rein traditionellen Gesichtspunkten ausgehenden Klassifikation des Mate17

F ü r Moignets Motivierung der V e r w e n d u n g traditioneller Kategorien zur M a t e rialpräsentation cf. p. 2 8 7 seiner Arbeit.

9

rials unsern Prinzipien und Erkenntnissen nicht untreu zu werden, denn eine solche Präsentation präjudiziert die Interpretation nicht 18 . Allerdings muß derjenige Leser, der die Arbeit nicht als Nachschlagewerk benützt, die gerade für diesen letzten Fall angestrebte Übersichtlichkeit und bessere Orientierungsmöglichkeit mit zahlreichen Wiederholungen bei der Interpretation der Fakten bezahlen, was jedoch auch bei anderer Anlage nicht restlos zu vermeiden gewesen wäre. Wir waren der Ansicht, diese Schwäche unserer Arbeit schon deshalb auf uns nehmen zu können, weil Studien dieser Art (vielleicht) einmal zu Anfang vollständig durchgelesen werden, später aber in erster Linie als Nachschlagewerke dienen. Es muß aber nochmals mit aller Deutlichkeit darauf verwiesen werden, daß wir der traditionellen grammatikalischen Klassierung kein anderes Verdienst zuerkennen als dasjenige, praktisch und übersichtlich zu sein. Sie bleibt nichtsdestoweniger willkürlich, reißt oft in bezug auf den Sprachmechanismus Zusammengehörendes auseinander und verwischt umgekehrt verschiedentlich wesentliche Grenzen; wir werden versuchen, diesen Mängeln durch Verweise und besondere Herausstellung meist nicht beachteter Unterschiede zu steuern.

0.2

Grundwert und Nutzwerte des Konjunktivs

Bevor wir nach dem Grundwert des Konjunktivs im Französischen fragen, muß Klarheit darüber geschaffen werden, ob das, was man als Konjunktiv zu bezeichnen gewohnt ist, auch eine eigene morphologische Persönlichkeit hat. Immer wieder erlebt man es, daß eine sich auch in andern Verwendungen findende Form für einen bestimmten Teil des Anwendungsbereichs isoliert, mit einem eigenen Namen und einem speziellen (Schein-)Wert versehen wird und so als unabhängige »Persönlichkeit« durch Studien, Grammatiken und Handbücher spukt, obwohl es sich in Tat und Wahrheit nur um eine besondere Anwendung, um einen der »Nutzwerte« eines bestimmten sprachlichen Zeichens handelt (cf. z. B. die häufig herausgestellte Opposition zwischen Konditional und Futur II, Imparfait du subjonctif und Conditionnel 2e forme, etc.). Wir sind überzeugt, daß nur einer eigenen Form ein eigener Wert entsprechen kann (und umgekehrt), wobei allerdings gewisse durch die phonetische Entwicklung entstehende Homonymiefälle auszuklammern sind. Die Frage nach der morphologischen Eigenständigkeit des Konjunktivs wird nun - soweit man sie überhaupt stellt - nicht immer gleich beantwortet. So meint Moignet: »Du point de vue morphologique, le subjonctif est bien 18

Mit diesem Verzicht auf ein eigenes Klassierungsschema sind wir uns wohl bewußt, in den Augen Klaus Hegers die Unbrauchbarkeit unseres Systems einzugestehen (cf. seine Kritik an Moignet, Z R P h . 77 [ 1 9 6 1 ] , 1 4 8 - 1 5 8 ; vor allem p. 153); aber heißt das nicht das Kind mit dem Bade ausschütten?

10

c a r a c t é r i s é . . . O n peut poser en f a i t qu'il n ' y a pas de syncrétisme de l'indicatif et du subjonctif. L'opposition des deux modes est une loi de structure du système du verbe français« 1 9 . Weit weniger optimistisch äußert sich M e y e r - L ü b k e zu diesem P u n k t : » E n e f f e t , en français aussi, la grande majorité des verbes, ceux de la première classe et un certain nombre de la deuxième comme offrir

etc., confondent aux deux modes leurs formes du sin-

gulier et de la troisième personne du pluriel; . . .« 20 . Wenn w i r uns einstweilen auf den K o n j u n k t i v Präsens, den w i r als morphologische F o r m lieber als Subjonctif

I bezeichnen möchten 2 1 , beschränken, so ergibt sich folgendes Bild

f ü r das Mittelfranzösische 2 2 . I n der i . Konjugation haben w i r ein weitgehendes Zusammenfallen v o n I n d i k a t i v und K o n j u n k t i v . Dieses ist vollständig f ü r die 3. Pers. pl. I n den drei Personen des Singulars besteht die Opposition des Altfranzösischen (Ind. dur, dures, dure(t); durt)

K o n j . dur,

kaum mehr - das analogische, von Verben wie entrer

durs,

ausgehende

e [ e ] hat sich sowohl bei der 1 . Pers. des Indikativs wie bei den singularischen K o n j u n k t i v f o r m e n durchgesetzt, so daß w i r hier einen weitgehenden Z u s a m m e n f a l l v o n I n d i k a t i v und K o n j u n k t i v haben. Reste des alten K o n junktivs finden sich nur noch vereinzelt, v o r allem in formelhaften Wendungen mit garder

(cf. z. B. Dieu vous gard!

etc.). So hat hier die Analogie

zu den Verben mit S t ü t z v o k a l in der Auslautsilbe die f o r m a l e Opposition zwischen den beiden Reihen weitgehend zerstört. Umgekehrt ist die neue Opposition, die seit dem 1 7 . J h . f ü r die 1 . und 2. Pers. pl. aller Verben gilt (Ind. -ons, -ez; K o n j . -ions, -iez) im Mittelfranzösischen noch nicht richtig durchgebildet. Normalerweise finden w i r f ü r den K o n j u n k t i v

-ons,

-ez

(nach Palatal -iez), während die regionale Endung -iens in unserm Material kaum vertreten ist; -ions und -iez (nach N i c h t - P a l a t a l ) finden sich nur sporadisch, so daß das Bestehen einer formalen Opposition zwischen Indikativ und K o n j u n k t i v in der 1 . Konjugation ( 1 . / 2 . Pers. pl.) erst akzidentellen C h a r a k t e r hat, aber noch nicht als Element der langue gelten kann. In der 2. Konjugation liegen die Dinge bei den Verben v o m T y p gleich wie in der 1 . Konjugation. Bei partir

ouvrir

etc. haben w i r eine deutliche

Scheidung f ü r den Singular, während im Plural I n d i k a t i v und K o n j u n k t i v normalerweise zusammenfallen, außer in den vereinzelten Fällen natürlich, w o bereits -ions und -iez verwendet w i r d . Gleiches gilt auch f ü r die Verben v o m T y p finir,

18 20 21

22

sowie f ü r die 3. und 4. Konjugation (rendre;

recevoir).

Bei

Cf. Moignet, p. 5/6. Cf. M.-L., R G 3 (frz. Übersetzung), p. 146. Ebenso ziehen wir es vor, das, was man allgemein als Konjunktiv Imperfekt bezeichnet, als morphologische Form Subjonctif II zu nennen. Für eine Inventarisierung der morphologischen Strukturen des Konjunktivs im Neufranzösischen, im klassischen Latein und im Altfranzösischen cf. Rothe, Strukturen, p. 48-59, 240-248 und 305-312. Ein Abriß der Morphologie des Subjonctif I im Mittelfranzösischen findet sich z. B. bei Vossler, Frankreich, p. 1 5 1 / 1 5 2 (zuerst G R M 4 [ 1 9 1 2 ] , 155-157).

11

all diesen Verben besteht eine formale Opposition nur für die H ä l f t e des Präsensparadigmas. Eine vollständige Opposition in formaler Hinsicht haben wir normalerweise nur bei den unregelmäßigen Verben (avoir, être,

aller,

pouvoir, savoir, vouloir etc.) 23 . In seiner morphologischen Persönlichkeit eindeutiger charakterisiert ist der Subjonctif II. Durch die v o m graphischen Gesichtspunkt aus auf alle Fälle als Infix 2 4 zu betrachtende JS-Gruppe [5] hebt sich dieser Konjunktiv eindeutig sowohl v o m Imperfekt, v o m Konditional wie v o m Passé simple ab. Allerdings zeigen sich für die 3. Pers. gerade im Mittelfranzösischen gewisse Störungen in den Beziehungen zwischen Subjonctif II und dem Passé simple. D a sowohl -t wie -st verstummt waren (letzteres allerdings unter Längung des vorangehenden Vokals), lagen die Aussprachen der 3. Pers. sg. der beiden Formen sehr nahe beieinander. O b w o h l Moignet infolge der erwähnten Längung eine Verwechslung der beiden Formen ausschließt (fut = fü; fust = fü)25, scheint diese Opposition im Sprachbewußtsein nur sehr mangelhaft verankert gewesen zu sein; wie anders ließen sich sonst Graphien wie feut, peut, eut, seut etc. für den Subjonctif II, feust, peust, eust, seust etc. für das Passé simple erklären? Ja es sind uns sogar Fälle v o n gardast p. s. begegnet 28 ! Die Verhältnisse im graphischen Bereich scheinen uns doch darauf hinzuweisen, daß auch in bezug auf die Aussprache Kollisionsgefahr bestand, in der 3. Pers. sg. somit die formale Opposition zwischen Subjonctif II und Passé simple kaum existierte 27 .

23

Die Frage einer Charakterisierung des Konjunktivs durch ein P r ä f i x (que) stellt sich im Mittelfranzösischen noch nicht, da diese Partikel im unabhängigen Satz erst sporadisch auftritt (cf. unten). Zudem werden wir zu einer ganz andern Interpretation der Funktion dieses que kommen (cf. p. 62 ss.).

In phonetischer Hinsicht dürfte ss [s] wohl ebenfalls noch überall als Infix zu betrachten sein, da im Mittelfranzösischen auslautendes f in -e, -es, -ent (1.-3., 6. Person) noch nicht vollständig verstummt w a r (cf. Pope, § 273, 275). 25 Bei den -are-Verben käme nach ihm noch eine Abweichung in der Vokalqualität dazu: chanta (a) - chantât (a). 26 Die chaotischen Verhältnisse im graphischen Bereich zwangen uns in zahlreichen Fällen, w o der Wert der Form nicht durch andere Faktoren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben war, auf unter diesen Umständen nicht beweiskräftige Beispiele zu verzichten. 27 Die neuesten phonetischen Untersuchungen stehen übrigens in krassem Widerspruch zu Moignets Behauptungen; für eine Zusammenfassung dieser Resultate cf. H . - W . Klein, Phonetik und Phonologie des heutigen Französisch, München 2 i966. So weist Klein p. 50 darauf hin, daß beim Verlust von s vor Konsonant der vorhergehende V o k a l ursprünglich wohl gelängt wurde, daß diese Längung aber später wieder geschwunden ist. Eine Opposition fü (p. s.) - fü (subj. impf.), wie sie von Moignet angenommen wird, ist für das Neufranzösische somit auf alle Fälle abzulehnen; sie hat vielleicht im Altfranzösischen noch bestanden, doch dürfte sie bereits im Mittelfranzösischen - cf. die graphische Unsicherheit! nicht mehr wirksam gewesen sein. Gleiches scheint auch für die Opposition a:a zu gelten (cf. das erwähnte Beispiel von gardast p. s.), reiht doch Klein qu'il parlât ausdrücklich unter den Formen mit a (hell) ein (cf. op.cit., p. 80). 84

12

So ergibt sich denn, daß sowohl der Subjonctif I wie der Subjonctif II in ihrer morphologischen Persönlichkeit nicht nach allen Seiten hin gleich gut abgegrenzt sind. Beim Subjonctif I besteht in erster Linie Koinzidenz mit gewissen Formen des Präsens Indikativ (darin sind auch die Formen des Imperativs eingeschlossen, der nur eine spezielle Verwendung des Indikativs im discours darstellt), bei der 2. und 3. Person pl. auch mit dem Imperfekt, sofern die Endungen -ions, -iez zur Verwendung gelangen; graphisch ergibt dies folgendes Bild 2 8 : Fut. Präs. Ind. (Imp.) —*

Kond.

Subj. I

Impf.

Subj. I I

p. s.

Beim Subjonctif I I besteht die Kollisionsgefahr nur in bezug auf ein einziges Tempus (und nur in einer einzigen Person): Fut.

Kond.

Präs. Ind. (Imp.)



Subj. I I

Impf. N

Subj. I

p. s.

Dürfen wir unter diesen Voraussetzungen dem Konjunktiv eine eigene morphologische Persönlichkeit zuerkennen? Wir glauben ja. Einmal gibt es eine Reihe von Verben - und es kann nicht übersehen werden, daß gerade die am häufigsten gebrauchten zu ihnen gehören bei denen der Subjonctif I sich in jeder Person deutlich vom Indikativ abhebt; dies ist auch beim Subjonctif I I so, allerdings mit Ausnahme der 3. Pers. sg., w o im Mittelfranzösischen durch die phonetische Entwicklung die Lautung in bedrohliche Nähe des Passe simple gerückt ist und leicht verwechselt wird. D a diese Erscheinung jedoch zufälligen Charakter hat, kann sie nicht gegen das eigene morphologische Gesicht des Konjunktivs sprechen. V o r diesem Hintergrund müssen wir nun wohl auch die übrigen Fälle sehen, in denen Kollisionsformen mit dem Indikativ größeren oder kleineren Raum einnehmen. D a f ü r jede Person (vielleicht mit Ausnahme der 3. sg. des Subj. I I ; aber auch ' Die zusammengesetzten Formen klammern wir bewußt aus (cf. unten). Der ausgezogene P f e i l bezeichnet die vollständige Opposition, der gestrichelte P f e i l die nur teilweise intakte Opposition.

13

hier im Altfranzösischen) eindeutige und unverwechselbare Konjunktivformen existieren und da bei der Verwendung eines Konjunktivs nicht nur gerade die Form des betreffenden Verbums im Spiel ist, sondern die Kategorie als solche und damit implizit auch alle übrigen Formen29, verleihen die so affizierten Formen mit eindeutiger Gestalt auch den nichteindeutigen Formen in der Mehrzahl der Fälle unverkennbaren Konjunktivwert, zumindest für den betreffenden Sprecher: wir haben eine Art Spiegel- oder Reflexwirkung innerhalb der Kategorie 30 . Für die eigene morphologische Persönlichkeit des Konjunktivs spricht ferner auch die Tatsache, daß in gewissen Fällen, wo der Subjonctif I besonders häufig mit dem Indikativ Präsens zusammenfällt ( i . und 2. Pers. pl.), Nebenformen existieren (-iens,

-ions,

-iez), die wohl mit einer andern Form des Indikativs, mit dem Imperfekt, zusammenfallen, die jedoch nicht auch gleichzeitig Nebenformen des Präsens sind. Solche Erscheinungen sind nur möglich, wenn der Konjunktiv tatsächlich eine eigene morphologische Kategorie darstellt. Wenn so auch Fälle von Homonymie bestehen, die vor allem durch die phonetische Entwicklung zu erklären sind, so will uns doch scheinen, daß deshalb die Existenz des Konjunktivs als morphologische Kategorie nicht in Frage gestellt sei: der Hintergrund der eindeutigen Formen, die Affizierung der gesamten Kategorie bei jeder Konjunktivverwendung bewahrt ihn davor und hat ihn vom Alt- bis zum Neufranzösischen davor bewahrt 31 . Der kate29

30

31

Es sind insofern alle übrigen Formen impliziert, als bei Vertauschung eines bestimmten Verbums mit einem andern eine Form der gleichen Kategorie eintreten müßte, bei Ersatz eines Verbums mit nicht eindeutiger Konjunktivform durch ein solches mit eindeutiger also ein Rückschluß auf den Wert der ersten Form möglich ist; für die Auflösung von Synkretismen durch Kommutation cf. auch Hjelmslev, Prolégomènes, p. 125/26. - Unsere Konzeption deckt sich in dieser Beziehung auch weitgehend mit derjenigen von Rothe, der zu diesem Punkt bemerkt: »In den meisten Fällen ist dieser Mangel an besonderer Kennzeichnung für den Sinn der Äußerung unerheblich, da die Regeln der Automatik entscheiden, ob wir eine bestimmte Form als B-Form (d. h. Konjunktiv) ansprechen sollen oder n i c h t . . . « (Strukturen, p. 245). Vgl. hierzu auch Damourette et Pichon, E G L F , § 1930. - Nicht unwesentlich sind in diesem Zusammenhang (vor allem in neuerer Zeit) gewisse graphische Unterschiede zwischen Konjunktiv und Indikativ, wenn auch hinter ihnen keine lautliche Opposition steht (cf. z . B . croit - croie; eut - eust [e»î]); auch sie tragen zu einer Stärkung des sekundären »Konjunktivbewußtseins« bei (cf. hierzu auch Rothe, Strukturen, p. 207). Wenn Meyer-Lübke sagt, bei den meisten Verben hätten wir einen Zusammenfall von Indikativ und Konjunktiv für die 1 . - 3 . Pers. sg. und die 3. pl., so hat er insofern zweifellos recht, als die Gruppe der regelmäßigen -er-Verben die weitaus größte bildet innerhalb der frz. Verbalflexion; die Situation wird im Modernfranzösischen noch dadurch verschärft, weil die 1. und 2. Pers. pl., die einzigen Formen, die sich vom Indikativ Präsens abheben, in der gesprochenen Sprache sehr selten verwendet werden (cf. Bally, L G L F , § 417). Umgekehrt darf aber nicht übersehen werden, daß bei Berücksichtigung der Anwendungsfrequenz die eindeutigen Konjunktivformen noch unverkennbar vorherrschen: die Kulisse der für den Spiegeleffekt notwendigen Formen ist somit durchaus gewichtig und

14

gorielle Spiegeleffekt hat es wahrscheinlich auch ermöglicht, daß die phonetische Entwicklung relativ ungestört ablaufen konnte: ohne ihn hätte die Sprache eine Homonymie gewisser Formen des Indikativs und des Konjunktivs nicht hinnehmen können und sicher auch Mittel und Wege gefunden, eine Scheidung der beiden Kategorien aufrecht zu erhalten 32 . So kommen wir denn zum Schluß, der Konjunktiv habe im Mittelfranzösischen (wie auch im Alt- und Neufranzösischen) durchaus sein eigenes morphologisches Gesicht und werde trotz zahlreicher Homonymiefälle zurecht als besondere Kategorie betrachtet. Schwierigkeiten ergeben sich infolge des erwähnten Spiegeleffekts nicht f ü r den Sprecher, sondern höchstens f ü r den Mitteilungsempfänger (nämlich dort, w o je nach dem angestrebten E f f e k t ein Indikativ oder ein Konjunktiv zur Verwendung gelangen kann). Aber auch f ü r den letzteren wird die Frage nach Konjunktiv oder Indikativ in den meisten Fällen durch Intonation, Situation und Kontext geklärt und damit die Gruppe der eindeutigen Konjunktivformen auch aus seiner Perspektive affiziert. Darf so die Existenz einer traditionsgemäß mit »Konjunktiv (Subjonctif)« 3 3 bezeichneten Gruppe von Verbalformen als sprachliche Realität angesehen werden, stellt sich gleich die Frage, was f ü r ein sprachlicher Wert, was f ü r eine Funktion innerhalb der Verbalflexion dieser Kategorie eignet, was f ü r ein Band die vielfältigen Verwendungen zusammenhält. Ein solcher gemeinsamer Nenner ist in der T a t äußerst schwierig zu finden. Der Konjunktiv be-

32

33

in der Lage, im Sprachbewußtsein die morphologische Physiognomie des K o n junktivs lebendig zu erhalten. - Z u den Oppositionen, die nur in einem Teil eines Systems sichtbar werden cf. auch R . Godei, Les sources manuscrites du Cours de linguistique générale de F. de Saussure, Genève 2 i 9 6 9 , p. 199/200. Anderer Ansicht ist in diesem Punkt B a l l y , L G L F , § 4 1 6 ss.; er glaubt, an Fehlverwendungen im Bereich Subjonctif I l / P a s s é simple eine erschütterte Stellung des Konjunktivs überhaupt ablesen zu können. Dies scheint mir nicht statthaft: Einmal finden sich beim Subjonctif I keine ähnlichen Fehl Verwendungen; dann handelt es sich beim Subjonctif I I meist um eine rein graphische Unsicherheit. Die Fälle, w o der Irrtum beim Subjonctif I l / P a s s é simple außerhalb der 3. Pers. sg. zu finden ist, sind wohl nicht aus einer allgemein erschütterten Stellung des Konjunktivs zu erklären, sondern aus dem Untergang des Subjonctif I I im neuesten Französisch. Wir übernehmen die traditionellen Bezeichnungen Konjunktiv, Subjonctif (Subjonctif présent, passé, imparfait, plusqueparfait) ebenso wie wir Conditionnel (Konditional), Passé simple etc. übernehmen. Wir sehen in diesen Bezeichnungen jedoch nichts anderes als eine praktische, unmißverständliche Etikette, die über Wert und Funktion der betreffenden Form überhaupt nichts aussagt; falsch werden alle diese Bezeichnungen erst in dem Moment, w o man in der Bezeichnung gleichzeitig auch eine Definition sehen w i l l : der K o n j u n k t i v hat p r i m ä r weder etwas mit grammatischer oder psychologischer Unterordnung zu tun, noch läßt er sich mit den immer in bezug auf eine bestimmte Origo relativen sprachlichen Zeitkategorien Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft in Beziehung bringen (cf. unten).

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gegnet in fast allen Satzkategorien: Hauptsatz 34 , Objektsatz, Relativsatz, indirekter Fragesatz, in den meisten Typen von Adverbialsätzen. O f t scheint seine Verwendung obligatorisch zu sein, in andern Fällen konkurriert er mit dem Indikativ, dem Imperativ, dem Konditional. Dieses Bild läßt schon beachtliche Schwierigkeiten für die Definition des Wertes erwarten. In der Tat sind denn dem Konjunktiv auch schon die verschiedensten Werte zugewiesen worden. »On a pu parler de subjonctif désideratif, de jussif, d'injonctif, de prohibitif, de volitif, volontif ou volontatif, d'optatif, de dubitatif, de concessif, de suppositif, de potentiel, d'aperceptif . . . Mais il apparaît qu'on n'a guère progressé dans la connaissance de ce mode-Protée quand on a épingle sur chaque cas d'emploi une étiquette en -tif« 3 5 . Alle diese Bezeichnungen sind - versteht man sie recht - durchaus in Ordnung, und trotzdem besteht Moignets Kritik zu Recht. Was hier mit einer -fj/-Etikette bezeichnet wird, ist nie der Grundwert des Konjunktivs, sondern seine jeweiligen Nutzwerte, die effets de sens in den einzelnen Anwendungen 36 . Der Fehler der traditionellen Forschung lag darin, diesen auf der Ebene des discours gegebenen Nutzwerten nicht einen sie alle transzendierenden Grundwert auf der Ebene der langue gegenüberzustellen. Vielmehr wurde versucht, die Nutzwerte hierarchisch zu ordnen, sie in primäre, sekundäre, tertiäre etc. Werte zu gliedern und so eine Reduktion der nicht annehmbaren Vielfalt auf einen oder zwei Basiswerte zu erreichen. Daß einem solchen Unterfangen kein Erfolg beschieden sein konnte, liegt auf der Hand: mehrere, dem discours angehörende Nutzwerte sind eben - beachtet man die Saussureschen Definitionen von langue und parole (discours) - nicht auf der gleichen Ebene reduzierbar. So kann es denn auch nicht erstaunen, daß kaum je zwei Forscher sich über die Rangordnung der einzelnen Werte (Nutzwerte!) einigen konnten 37 . Wir haben nicht die Absicht, hier alle bis heute geäußerten Ansichten über Wesen und Funktion des französischen Konjunktivs kritisch zu beleuchten und einen Forschungsbericht zu geben; Moignet, Rothe und Schifko haben dies schon ausführlich getan38, und eine Wiederholung nach so kurzer Zeit 34

Auch die Bezeichnungen Hauptsatz/Nebensatz, Obersatz/ Untersatz etc. übernehmen wir als praktische, jedermann verständliche Etiketten; mehr in ihnen zu sehen verbietet die durchaus berechtigte Kritik Kalepkys (cf. Z F S L 50 [1927], 453 N 4). 35 Cf. Moignet, p. 7. 36 Cf. hierzu auch Regula, BRPh. 5 (1966), 144, der im Zusammenhang mit der Anwendung dieser Etiketten auf den Konjunktiv im Freisatz bemerkt: »In Wirklichkeit wird aber die Sonderbedeutung nur durch die psychologische Umgebung (Sinnverknüpfung) und Tonbeseelung bewirkt, . . . « . 37 Für den Gegensatz Grundwert - Nutzwert cf. z. B. auch Guiraud, Grammaire, p. 71 und Guiraud, Sémantique, p. 30 ss. Was dort über das Lexem gesagt wird, gilt auch für die morpho-syntaktische Einheit. 38 Cf. Moignet, p. 1 5 - 7 4 ; Rothe, Strukturen, p. 3 - 3 1 ; Schifko, Subjonctif, p. 141-182.

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ließe sich kaum rechtfertigen. Zwar sind alle drei Zusammenstellungen nicht vollständig, aber die wesentlichen Stellungnahmen und Theorien werden berücksichtigt. Vor allem Moignets Kritik ist recht ausführlich und intelligent, und wenn wir sie auch nicht in allen Punkten unterschreiben können, so t r i f f t sie doch meist Wesentliches und läßt mit viel Geschick die Schwächen der einzelnen Theorien in den Blick treten. In Rothes Forschungsbericht werden die Arbeiten nicht wie bei Moignet und Schifko nach Interpretationstypen, sondern mehr oder weniger chronologisch klassiert; außer einigen Ergänzungen und der beißenden Kritik an Guillaume und Moignet (auf die wir noch zurückkommen werden) bietet er aber wenig Neues 39 . Trotz gewisser Vorbehalte erlauben es uns die beiden Zusammenstellungen, nur auf einige wenige Punkte einzutreten. Die bisherigen Konjunktivtheorien lassen sich nach zwei verschiedenen Gesichtspunkten ordnen: nämlich einerseits darnach, ob dem Konjunktiv in seinem Grundwert modale Bedeutung zuerkannt wird oder ob er amodal konzipiert ist, andererseits darnach, ob man ihm eine einheitliche Grundbedeutung zuweist oder mehr als einen Basiswert annimmt, wobei diese Werte nicht mehr reduzierbar sind. Bei dieser letzten Gruppe ist es auch möglich, daß eine Grundfunktion modal, die andere amodal gesehen wird. Die Frage, ob dem (oder den) Grundwert(en) des Konjunktivs modaler oder amodaler Charakter zuzuweisen ist, soll einstweilen hintan gestellt und erst später behandelt werden; was uns im Moment interessiert, ist vielmehr die Frage, ob eine Polysemie der Konjunktivform auf der Ebene der langue überhaupt konzipierbar ist, oder ob wir prinzipiell einen einheitlichen Grundwert fordern müssen. Sind die Anhänger einer unitarischen Theorie wie Soltmann, Vossler, Foulet, Haas, Tanase, Van der Molen, G. und R. le Bidois, Sneyders de Vogel, Galichet etc. (modaler Konjunktiv), Field, Cledat, Kalepky, Damourette et Pichon, De Poerck, Guillaume, Moignet etc. (amodaler Konjunktiv) oder die Dualisten wie De Boer, Lerch, Regula, Ettmayer, Meyer-Lübke, v. Wartburg - Zumthor etc. (zumindest was diesen Punkt anbelangt) auf dem richtigen Weg? Wir haben bereits früher angedeutet, daß wir uns selbst zu einer unitarischen Konzeption bekennen: es scheint uns unmöglich, daß eine seit den Anfängen einer Sprache in dieser existierende homogene morphologische Kategorie (eine morphologische Kategorie, die also nicht einfach durch den - z. B. phonetischen Entwicklungen entspringenden - formalen Zusammenfall zweier ursprünglich auch in ihrer äußeren Gestalt verschiedenen Kategorien entstanden ist) dieser formalen Homogenität 4 0 nicht eine ebenso homogene Struktur im konzeptuel39

S c h i f k o folgt in seinem Forschungsbericht im A u f b a u weitgehend Moignet; das t r i f f t auch oft für den Inhalt zu, doch fehlen eigene Stellungnahmen keineswegs. Die Auseinandersetzung mit Guillaume und Moignet (p. 1 7 0 ss.) fällt weit gemäßigter aus als bei Rothe, ist aber leider durch eine Reihe v o n Mißverständnissen gekennzeichnet.

40

D e r Begriff der formalen Homogenität ist hier natürlich genügend weit zu fas-

17

len Bereich entgegensetzt. N u r ein einheitlicher konstanter Grundwert auf der Ebene der langue kann unserer Ansicht nach die Tatsache erklären, daß jede Epoche der Sprachentwicklung zum Teil neue, zum Teil aber auch traditionelle Verwendungen des Konjunktivs kennt, daß der Nutzen, der im discours

aus dieser Form gezogen wird, zum Teil wechselt, zum Teil

gleich bleibt, und daß trotz diesem ständigen Nebeneinander von Konstanz und Bewegung sich nirgends ein eigentlicher Bruch, eine die gesamte Verwendung des Konjunktivs betreffende Zäsur findet. Mit dieser Ansicht stehen wir nicht allein. So meint z . B . G . Guillaume: »La tendance du langage est d'obtenir à partir d'une seule et même forme psycho-phonétique, qui en soi ne change pas, sa position mentale en système étant déterminée une fois pour toutes, la diversité d'effets de sens dont elle se montre capable sans abandon de sa nature essentielle, invariante. Si nombreuses que puissent être les conséquences du signe linguistique, elles trouvent leur limite dans l'unité, maintenue au fond de la pensée, de sa condition. C'est comme condition

une que le signe linguistique existe dans la langue, et comme véhi-

cule de conséquences

variées

qu'il se manifeste dans le langage (dans le dis-

cours) 41 .« Ähnlich G. Moignet: »Quoi qu'il en soit, nous considérons comme subjonctif tout ce qui a la forme d'un subjonctif, et nous estimons a

priori

qu'il faut qu'il y ait entre tous les emplois du mode, quels qu'ils soient, un lien actuel,

à la base de toutes les valeurs, un principe commun existant

dans l'esprit« 42 .

sen und will nichts anderes besagen, als daß bei gleichem Numerus, gleicher Person, gleichem Verbum und gleicher Zeitstufe in allen bestehenden Anwendungsbereichen des Konjunktivs das genau gleiche Zeichen (evtl. seine Nebenformen) zur Verwendung gelangt. 41 Cf. Guillaume, Architectonique, p. 37 N 1. 42 Cf. Moignet, p. 57. - Eine »monistische« Definition des Konjunktivs fordert u.a. auch Th. Kalepky, cf. z . B . ZRPh. 48 (1928), 53-74, bes. p. 66; immer wieder wird nach ihm »zur Kern- und Grundbedeutung eines gewissen Tempus oder Modus gestempelt..., was in Wirklichkeit nur eine von mehreren Verwendungsweisen, also nicht essentielle Eigenart, sondern nur akzidentelle Funktion darstellt« (p. 55). - Cf. auch die Kritik Clédats am Dualismus von De Boer, R P F L 36 (1924), 55. In seiner Introduction dagegen scheint De Boer ebenfalls eine einheitliche Grundbedeutung der sprachlichen Zeichen zu fordern: »Tout élément syntaxique a une fonction primaire, à savoir celle qu'il exprime toujours dans n'importe quel contexte; celle donc qu'il a partout dans une langue à une époque déterminée« (p. 31); »Nous appellerons donc >fonction primaire< d'un signe syntaxique le sens qu'il exprime réellement, c'est-à-dire le sens qu'il a toujours et partout à une époque déterminée« (p. 38; cf. hierzu auch Wagner, Hypothétiques, p. 76 N 2). - Vgl. ferner Weinrich, Tempus, p. 107: »Die Tempora haben jeweils auch nur eine Funktion - von gelegentlicher Homonymie einzelner Formen abgesehen.« - Obwohl es im Französischen nicht an Fällen von Homonymie und Polysemie mangelt, warnt Paul Imbs, Subjonctif, p. 22 vor der leichtfertigen Aufstellung heterogener Paradigmen, vor allem dann, wenn sie Elemente enthalten würden, die wie im Falle des Subjonctif auch noch in andern grammatikalischen Bereichen verwendet werden. 18

Wenn wir auch in diesem Punkt mit Guillaume und Moignet übereinstimmen, so bedeutet das noch lange nicht, daß wir die Konjunktivtheorie der beiden Forscher in globo übernehmen, obwohl sie zweifellos einen großen Fortschritt gegenüber den früheren Theorien darstellt und wir ihr zahlreiche Anregungen verdanken. Guillaume (und mit ihm auch Moignet)43 geht davon aus, daß die Ausgestaltung des sprachlichen Zeitausdrucks als psychischer Vorgang immer eine wenn auch noch so kleine Zeitspanne erfordere, die er temps opératif nennt; die Ausbildung des Zeitbegriffs wird als chronogénèse bezeichnet. Diese chronogénèse kann nun an drei Stellen unterbrochen werden (chronothèses): gleich zu Beginn, in der Mitte und am Schluß. Der ersten chronothèse entspricht der mode nominalin dem nur nach Infinitiv und Partizipien geschieden wird, wobei die drei in Frage stehenden Formen in bezug auf eine Linie, die ligne d'incidence, differenziert werden: im Infinitiv erscheint das Verbalgeschehen als reine Inzidenz, im Partizip Präsens als sowohl inzident wie dekadent, im Partizip Perfekt als reine Dekadenz. Interessant ist für uns die zweite chronothèse, entspricht sie doch dem mode subjonctif. »A ce stade, le verbe a acquis la personnalisation, d'une part, et, d'autre part, l'orientation cinétique. Le subjonctif... ne représente pas le temps différencié en passé-présent-futur. Mais, par l'opposition de ses deux formes, il oppose deux représentations du présent, l'une orientée vers l'avenir, qu'on appellera de cinétisme ascendant: c'est le >subjonctif présent< de la grammaire classique; l'autre orientée vers le passé, qu'on appellera de cinétisme descendant: c'est le >subjonctif imparf a i t de la grammaire classique«45. Bei der dritten chronothèse, die dem mode indicatif entspricht, gesellt sich zu der in der ersten chronothèse erworbenen Scheidung der Inzidenz- und der Dekadenzebene, der im zweiten Abschnitt dazugekommenen Scheidung nach Person und kinetischer Orientierung noch diejenige nach den drei Epochen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Graphisch ergibt dieses System folgendes Bild46:

43

C f . G . Guillaume, Temps et verbe; théorie des aspects, des modes et des temps, Paris 1 9 2 9 . Die hier dargelegten Ansichten werden weiter entwickelt v o r allem in L a représentation du temps dans la langue française, in: Langage, p. 1 8 4 - 2 0 7 , sowie in andern Studien; das Exposé bei Moignet, p. 74 ss. basiert in erster Linie auf dieser späteren Stufe der Guillaumeschen Konzeption.

44

» [Le mode] apparaît, tout bien considéré, avoir pour fonction exclusive de dater, et par là d'individuer, dans la chronogénèse, les chronothèses successivement produites en elle. O n serait fondé ainsi à définir le mode, la catégorie grammaticale chargée d'indiquer pour chacune des chronothèses sa position de f o r mation dans le temps opératif de la chronogénèse (Guillaume, Architectonique, p. 2 4 / 2 5 ) .

45

C f . Moignet, p. 90.

46

Das Schema übernehmen w i r von Moignet (p. 9 2 ) ; es findet sich in etwas anderer Form schon bei Guillaume, Epoques et niveaux temporels dans le système de la langue française, cf. Langage, p. 269.

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I. MODE QUASI-NOMINAL marcher

NIVEAU A

marchant marché

NIVEAU Q (différencie les deux niveaux)

II. MODE SUBJONCTIF que je marche NIVEAU A NIVEAU Q que je marchasse (différencie en sus les personnes et les deux cinétismes)

III. MODE INDICATIF NIVEAU A

marche

marchai

N I V E A U £2

marchais .

a invulnerable< theories, since they depend entirely on the analyst's intuition. They are thus all but useless, since they cannot be proved true or false»48. Solche Worte sind hart, hart deshalb, weil unserer Ansicht nach die Schwäche von Guillaumes System vor allem in einem Punkt liegt. Dieser Punkt steht nun derart im Vordergrund, daß er den ganzen übrigen Rest, der - wenn auch nicht vollkommen - doch weit mehr als nur interessante oder nützliche Ansätze bietet, als unhaltbar erscheinen läßt: Guillaumes Systeme und Formeln, die von ihm beschriebenen Vorgänge situieren sich im psychologischen Bereich, in der causation obverse, die zum causé construit (der langue) führt. So faßt Guillaume die Wiedergabe der Zeitmarke, die jedem aktuellen Prozeß eignet (cf. auch unten), als eine in jedem einzelnen Falle wieder neue Entstehung des Zeitbildes, als einen sich für jeden im discours stehenden Verbalausdruck gewissermaßen ab ovo vollziehenden Vorgang auf". Hier ist ihm unserer Ansicht nach ein entscheidender methodischer Fehler unterlaufen: er vermischt die Entstehung eines Systems mit der Anwendung dieses Systems50. Als dynamisch im Guillaumeschen Sinne können wir nur die Erschaffung der sprachlichen Systeme, ihre ständige Modifikation, Perfektion und Adaptation in der Geschichte der Menschheit betrachten51; dieser Dynamismus ist philosophisch-psychologischer Art, und für ihn spielt die Zeit eine große Rolle. Er nimmt jedoch in einem bestimmten Moment ein Ende: nämlich dann, wenn das System (hier das System zum Ausdruck der 48

Heles Contreras, '''Roch Valin, La méthode comparative en linguistique historique et en psychomécanique du langage, Québec 1964; Language 42 (1966),

49

50 51

I0 7C f . auch René Gsell in: Lingvistica traditionalä fi lingvistica structurais, Bucureçti 1966 (Cursurile de vara 51 colocviile çtiinçifice, Limba j), p. 2 6 / 2 7 . C f . hierzu auch Pollak, Studien, p. 7 3 - 7 6 . Dabei dürfte unserer Ansicht nach die Entwicklung des Systems allerdings gerade in der umgekehrten Richtung verlaufen sein, als Guillaume seine chronogénèse ansetzt, nämlich von der aktualisierten Form (Ind.) zur nicht aktualisierten. - Zu all diesen Punkten cf. jetzt auch H . Bonnard, Guillaume, il y a vingt ans, Langue française 1 (1969), 2 1 - 3 5 , bes. p. 2 7 / 2 8 .

21

zeitlichen Komponente der zu versprachlichenden Prozesse) einmal geschaffen ist. Dieses System wird im Moment des Abschlusses seiner Entwicklung als solches Element der langue und hat damit auch am statischen Charakter derselben teil52; es wird in diesem Moment zu einer Art Raster, der zur Erfassung und Versprachlichung der Umwelt und der Beziehungen des Menschen zur Umwelt dient. Diese Anwendung des Systems zur Wiedergabe eines Geschehens ist zweifellos wiederum dynamisch, aber von einem ganz andern Dynamismus als im ersten Fall: dort betrifft er das System als solches, hier nur dessen Anwendung; dort durchdringt er es gewissermaßen, hier bleibt er rein äußerlich; dort spielt die Zeit eine Rolle, da es sich um eine Entwicklung handelt, hier spielt sie keine Rolle mehr, da die für die Anwendung des Systems erforderliche Zeit praktisch ~ 0 gesetzt werden kann. Wie wir weiter unten sehen werden, hat unser eigener Vorschlag zur Interpretation und zur Gliederung des Verbalsystems einige Ähnlichkeit mit dem Guillaumeschen, nur mit dem Unterschied, daß wir das ganze System nicht als der causation observe angehörend (und damit als dynamisch) betrachten, sondern es der langue zuweisen und als statisch beurteilen: seine einzelnen Stufen markieren unserer Ansicht nach den Übergang von der Virtualität zur Aktualität im Rahmen der Anwendung der Elemente der langue im discours. Diese Stufen der Aktualisierung gehören als Stufen der langue an, ebenso wie die Ebene des discours als Ebene Bestandteil der langue ist. Eigentlicher discours ist nur der realisierte Sprechakt. - So müssen wir denn Guillaumes Begriff der chronogénèse (und damit auch denjenigen der chronothèse) ablehnen, da er zwei Dinge, nämlich die psychologische Entstehung eines Systems zum Ausdruck der Zeitlichkeit der Prozesse und die Aktualisierung, d. h. die Überführung des Verbums von der langue in den discours, vermischt. Der zweite Punkt in Guillaumes System, den wir nicht übernehmen können, ist die Frage der entgegengesetzten kinetischen Orientierung von Subjontif I und Subjonctif II. Die Definition dieser beiden cinétismes enthält schon einen Widerspruch: »Le subjonctif, nous l'avons dit, ne représente pas le temps différencié en passé-présent-futur. Mais par l'opposition de ses deux formes, il oppose deux représentations du présent, l'une, orientée vers l'aven i r . . . ; l'autre, orientée vers le passé...« 5 3 . Wie wir weiter unten sehen werden, ist der Konjunktiv tatsächlich dadurch gekennzeichnet, daß er eine Aufgliederung der Zeit in Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft nicht kennt, daß die zeitliche Relation in bezug auf die Origo des Sprechers gar nicht näher definiert wird. In diesem Falle ist es aber widersinnig zu behaupten, die beiden Formen des Konjunktivs böten zwei verschiedene Darstellungen des Präsens: ein Präsens gibt es ja auf dieser Stufe überhaupt nicht! Und ebensowenig können die beiden Darstellungen der Gegenwart nach der Zu52

53

Statisch insofern, als zu einem bestimmten Zeitpunkt die langue sich geschlossenes System darstellt. C f . Moignet, p. 90.

22

immer ein in

kunft oder Vergangenheit hin orientiert sein: wenn die beiden Bereiche auf dieser Modusstufe nicht existieren, ist auch eine Orientierung nach ihnen unmöglich. Wenn man schon f ü r den Subjonctif die fehlende Gliederung in Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft postuliert - und wir werden es auch tun - , dann muß dieses Postulat auch konsequent durchgehalten werden: was der Konjunktiv in diesem Falle in bezug auf die Zeitlichkeit eines Geschehens noch zum Ausdruck bringen kann, ist allerhöchstens eine vollkommen amorphe Zeitsicht, besser aber wohl eine vollkommene Desinteressiertheit an der zeitlichen Gestalt des Prozesses. N o c h in einem weiteren Punkt muß die Opposition der beiden kinetischen Orientierungen auf Anhieb verdächtig erscheinen. In der Sicht Guillaumes und Moignets soll sie vom Alt- bis zum Neufranzösischen Gültigkeit haben; nun ist sich aber die modernere Forschung darüber weitgehend einig, daß der Subjonctif I I in der gesprochenen Sprache überhaupt nicht mehr existiert und auch in der geschriebenen Sprache heute kaum mehr etwas anders als ein literarisches Fossil ist. K ä m e ihm aber tatsächlich die essentielle Bedeutung im System zu, wie sie ihm im Guillaumeschen Konzept zugewiesen wird, wäre dann eine solche Entwicklung überhaupt möglich? Wir glauben nein, denn sein Untergang müßte das ganze System ins Wanken bringen und eine vollkommene Umschichtung zur Folge haben. Eine solche Umschichtung hat nun aber offensichtlich nicht stattgefunden, was wohl zum Schluß zwingt, die Rolle des Subjonctif I I könne im System nicht derart entscheidend gewesen sein, sondern müsse eher accessoirehaften Charakter gehabt haben; in unserer Sicht ist das Mehr, das er gegenüber dem Subjonctif I zum Ausdruck bringt, in der Mehrzahl der Fälle reiner Pleonasmus (cf. p. 54). Der dritte Punkt, der uns in Guillaumes Theorie nicht haltbar scheint, ist die Gliederung der ersten chronothese in reine Inzidenz (Inf.), InzidenzDekadenz (P. Pr.) und Dekadenz (P. Perf.) 54 . N u r schon die Tatsache, daß wir hier plötzlich eine dreigliedrige Opposition haben, während sonst sprachliche Oppositionen zweigliedrig sind (auch bei Guillaume), muß mißtrauisch stimmen, ein Mißtrauen, das noch wächst, wenn man die Definitionen der drei Elemente betrachtet. Könnte man eine Opposition Inzidenz ( I n f . ) - D e k a d e n z (P. Perf.) noch hinnehmen, so fragt es sich doch, was das Partizip Präsens hier zu suchen hat. Seiner Definition entsprechend müßte man es eigentlich als eine neutralisierte Form, als ein das gesamte Oppositionspaar um- und einschließendes Element betrachten, was uns wohl in letzter Konsequenz dazu führen würde, im Partizip Präsens die eigentliche Grundform des Verbums zu sehen. D a v o n kann natürlich keine Rede sein; die Schwierigkeiten in Guillaumes System dürften vielmehr daher rühren, daß er den Infinitiv auf die gleiche Ebene stellt wie die Partizipien. Unserer Ansicht nach ist er jedoch gesondert zu betrachten, als isolierte und alleinstehende Grundform des Verbums. »Inzidenz« als von ihm ausge54

Cf. die Zusammenfassung bei Moignet, p. 89.

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drückter Wert mag als Definition angehen - wir würden aber eher Virtualität vorziehen, Virtualität, die alle möglichen aktuellen Erscheinungsformen des Geschehens beinhaltet. Ein Aspekt dieser Erscheinungsformen ist nun die Scheidung nach den Gesichtspunkten, wie sie im Partizip Präsens und im Partizip Perfekt gewissermaßen in Reinkultur zum Ausdruck kommen: nach accomplissement (Ablauf; P. Pr.) und nach accompli ( Abgeschlossenheit; P. Perf.). So würden wir denn Infinitiv und Partizipien auf zwei verschiedenen Ebenen anordnen: den Infinitiv gesondert, als das Verbalgeschehen in rein virtueller Gestalt ausdrückend, in einer Gestalt, wie sie der Ebene der langue in geradezu idealer Art und Weise entspricht, die Partizipien dagegen auf einer Ebene, die das Verbalgeschehen bereits von der reinen Virtualität ausschließt und durch die Scheidung zwischen accomplissement und accompli einen ersten Schritt auf die Aktualität, auf den discours hin vollzieht. Mit der Gliederung der ersten chronothese steht Guillaumes Aspekttheorie in engstem Zusammenhang. Guillaume scheidet zwischen einem aspect immament, einem aspect transcendant und einem aspect bi-transcendant55; den drei Stufen würden beispielsweise parler, avoir parlé und avoir eu parlé entsprechen. Diese Aspekttheorie ist bereits von Wolfgang Pollak einer ausführlichen Kritik unterzogen worden 56 , und es hat keinen Zweck, das dort Gesagte hier wieder aufzurollen. Nichtsdestoweniger müssen wir uns fragen, was denn die Opposition zwischen parler - avoir parlé (- avoir eu parlé) eigentlich ausdrückt. Handelt es sich um Aspekt? Wir glauben nicht, denn mit Gerold Hilty halten wir dafür, daß man unter Aspekt (oder besser Perspektive) die »verschiedene[n] Gesichtswinkel, unter denen man die Vorgänge betrachtet« 57 , zu verstehen hat, daß der Aspekt also ein vollkommen von außen an den Prozeß herangetragenes Element ist, das dessen Sein an sich gar nicht betrifft, sondern nur das Bild, das ich mir von diesem Sein mache: es geht nur um die komplexive oder kursive Schau. Dies ist nun bei den Oppositionen parler — avoir parlé (— avoir eu parlé) keineswegs der Fall, denn ihre Elemente markieren verschiedene Phasen des Prozeßablaufs. Dies ist zweifellos eine dem Prozeß im Moment der Betrachtung eignende Qualität, und nicht nur ein durch die Perspektive bedingter Aspekt, und es stellt sich die Frage, ob wir deshalb die Opposition parler - avoir parlé als Aktionsartopposition auffassen dürfen. Aber auch dies scheint uns nicht statthaft, denn bei den Aktionsarten handelt es sich um die Gestaltqualitäten des Vorgangs, also z. B. darum, ob der zum Ausdruck gebrachte Prozeß perfektive oder imperfektive Tendenz hat. In diesen Rahmen paßt die Opposition parler — avoir parlé nicht hinein: wohl ist ein avoir parlé, avoir dormi, avoir tué von Natur aus imperfektiv, das einfache Verbum kann jedoch perfektiven (tuer) oder imperfektiven (dormir) Charakter haben. Das, 55 56 57

C f . die Zusammenfassung bei Moignet, p. 88-90. C f . Pollak, Studien, p. 62-77. C f . G. Hilty, VRom. 24 (1965), 274.

24

was von Guillaume und Moignet als Aspekt bezeichnet wird, das, was die meisten Forscher als Tempus betrachten, muß unserer Ansicht nach im Rahmen des A k t i o n s s t a n d e s 5 8 gesehen werden: der Aktionsstand des accompli kann seinerseits wieder als eigentlicher Prozeß aufgefaßt werden und verfügt demzufolge über eine virtuelle Ausdrucksform, den Infinitiv avoir parlé: es handelt sich um ein Verbum zweiten Grades, um eine spezielle Art der Verbalableitung, die den gleichen Gesetzlichkeiten unterliegt wie das Basisverbum. Damit wollen wir unsere Auseinandersetzung mit Guillaume und Moignet abschließen, nicht etwa, weil es zu zahlreichen andern Punkten ihres Systems nicht noch verschiedenes zu sagen gäbe, sondern weil diese Punkte für das Konjunktivproblem nicht mehr von Bedeutung sind. Vieles, was wir nur skizziert haben, hoffen wir im Rahmen der Darstellung unserer eigenen Sicht des Konjunktivproblems noch deutlicher machen zu können. Bevor wir jedoch zu diesem Punkt übergehen, müssen wir uns noch kurz mit der Arbeit von Wolfgang Rothe befassen59. Rothe untersucht die Konjunktivverwendung zu drei verschiedenen Zeitpunkten der sprachlichen Entwicklung: im Neufranzösischen, im klassischen Latein und im Altfranzösischen. Es sind aber weniger die historischen Resultate, die uns hier interessieren60, als vielmehr sein Vorgehen zur Darstel58

59

00

F ü r den Begriff des A k t i o n s s t a n d e s cf. G . H i l t y , V R o m . 24 (1965), 292/93 (H. H . Christmann, R F 7 1 [ 1 9 5 9 ] , 3 - 1 0 spricht von Stadien, T. B . W. Reid, R L i R 19 [ 1 9 5 5 ] , 27 von stages). Unter Aktionsstand verstehe ich die Angabe, ob eine H a n d l u n g als im A b l a u f begriffen (accomplissement) oder als abgeschlossen (accompli) zu betrachten ist. Es handelt sich um eine dichotomische Gliederung definitorischer N a t u r . A u f Schifkos Arbeit brauchen w i r hier nicht näher einzugehen, da sie - trotz einer großen Z a h l von klugen Einzelbeobachtungen - methodisch kaum etwas Neues bringt. Seine Definition des Konjunktivs als »Modus des nicht in seiner Konkretheit E r f a ß t e n « (cf. Subjonctif, v . a. p. 174 ss.) steht sehr nahe bei den Definitionen von K a l e p k y (Ignorierung der Realitätsfrage) und Regula (Modus der vorstellungsmäßigen Erfassung). Es sind somit auch weitgehend dieselben Vorbehalte zu machen: auch S c h i f k o versucht, die effets de sens mehr oder weniger hierarchisch zu gliedern und durch eine A r t Sublimierung zu einem G r u n d wert zu gelangen. Seine Abstraktion geht relativ weit, aber eben doch nicht weit genug: sie bleibt im Semantischen stecken und stößt nicht bis zum Funktionellen vor. E r übersieht, daß nur Lexeme auf der Ebene der langue semantische Bedeutung haben, daß den Morphemen dagegen f u n k t i o n e l l e Bedeutung (Ausdruck von Beziehungen, cf. unten) zukommt (wobei dieser funktionelle Wert im K o n t e x t allerdings semantisch abschattiert werden kann). C f . hierzu auch P . Wunderli, D e r K o n j u n k t i v in »langue« und »discours«, V R o m . 28 (1969), 89 u. N 66, 90. - Für zwei - allerdings nicht sehr objektive - Besprechungen von Schifkos zweifellos zahlreiche Wünsche offenlassender Arbeit cf. W. Rothe, R F 79 (1967), 6 2 4 - 6 2 8 ; H . Meier, A S N S 204 (1968), 468-470. C f . Rothe, Strukturen, p. 402 ss. - Die historischen Resultate sind im allgemeinen richtig, wenn die Dinge auch allzu o f t vergröbert und simplifiziert werden; über das schon längst Bekannte hinausgehende Erkenntnisse finden sich jedoch kaum. 2J

lung der Konjunktivverwendung in einer bestimmten Epoche. Rothe unternimmt den Versuch, »dem Phänomen des Konjunktivs von seinem Platz innerhalb der Struktur des Französischen her näherzukommen«61, und zwar will er dieses Ziel durch Anwendung der phonologischen Methoden auf die Syntax erreichen: Kommutationsproben (je nachdem in bezug auf das, was er »auslösendes« Element nennt oder auf die Konjunktivform selbst) sollen zeigen, ob zwischen konjunktivischer und indikativischer Konstruktion eine Opposition besteht, ob eine fakultative Variante vorliegt (evtl. eine virtuelle Opposition), oder ob die Modusverwendung einer Automatik unterworfen ist62. Wie sehen nun die Resultate dieser Untersuchungen aus? Die Feststellung, daß es Fälle gebe, wo der Konjunktiv praktisch regelmäßig auftrete (Automatik), daß er manchmal den Indikativ konkurrenzieren könne, ohne daß ein bedeutender Sinnunterschied zwischen den beiden Konstruktionen bestehe (fakultative Variante), und daß es schließlich Fälle gebe, wo eine eindeutige Bedeutungsopposition vorliege (cf. il dit qu'il vient — il dit qu'il vienne; il vient - qu'il vienne!), kann nicht gerade als großartige Neuentdeckung gefeiert werden63. Auch in bezug auf die Funktion der Konjunktivformen sind die Resultate kaum überzeugender64. In gewissen Fällen soll der Konjunktiv Merkmal der eingeschränkten Gültigkeit sein. Dies gilt vor allem für den Ausdruck des Wunsches im Hauptsatz und bei Relativsätzen mit finaler Bedeutung. In einer zweiten Gruppe von Fällen soll er Merkmal einer semantischen Opposition sein (dire que etc.), doch hat diese Oppositionsfähigkeit nach Rothe oft nur noch virtuellen Charakter (admettre/supposer que) und wird durch die Grammatiker künstlich am Leben erhalten. Der Konjunktiv soll ferner Merkmal bestimmter Translationstypen65 sein (z. B. veuille ou non etc. 66 ; au lieu que + Konj.). Im weiteren ist er manchmal automatisches Redundanzmerkmal für die Bedeutung eines Verballexems (vor allem Wunschausdrücke u. ä.); dies ist auch bei Verneinung, Frage und Superlativ (im Obersatz) der Fall, sofern diese Automatismen nicht durch die Realitätstheorie der Grammatiker gestört werden. In den meisten Fällen hat man aber im Konjunktiv nur ein diskontinuierliches Morphem zum »auslösenden« Element zu sehen, das keinerlei Information mehr vermittelt (z. B. nach douter que, avant que, etc.)67. Die ganze Untersuchung gipfelt wohl in den folgenden Worten Rothes: »Wir kommen daher . . . zu dem Schluß, daß wir jedes Monem in seinem Verhältnis zu der von ihm ausgelösten B-Form mehr oder weniger isoliert betrachten müssen.

61 62 83 84 65

61 67

C f . Rothe, Strukturen, p. 3 1 . C f . Rothe, Strukturen, p. 4 2 - 4 4 und vor allem p. 86-206. C f . hierzu Rothe, Strukturen, p. 2 3 6 - 2 3 8 . Cf. Rothe, Strukturen, p. 407-409. Unter Translation ist die Umwertung eines bestimmten Redeteils in einen andern

Redeteil zu verstehen, z. B. Verb > Adj. bei il parle - l'homme qui parle. C f . Rothe, Strukturen, p. 3 7 2 / 3 7 3 . C f . Rothe, Strukturen, p. 233.

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O b ein L e x e m oder Morphem eine B - oder eine A - F o r m auslöst 68 , ob die Auslösung der B - F o r m automatisch oder nicht automatisch erfolgt, ist in jedem Monem potentiell angelegt als ein integrierender Bestandteil des M o nems selbst« 69 . Diese Resultate sind nun recht enttäuschend, und neu d ü r f t e w o h l nur die Terminologie sein (zumindest w a s den Bereich der K o n j u n k t i v f o r s c h u n g anbelangt); was sich aber hinter ihr verbirgt, sind meist Dinge, die schon längst irgendwo einmal vertreten wurden, ja die zuletzt zitierte Stelle w i r f t uns geradezu auf das N i v e a u der primitivsten und phantasielosesten Schulgrammatik zurück. Ü b e r Funktion und Wesen des K o n j u n k t i v s an sich hat uns Rothe so gut w i e nichts gesagt. Anstatt diesem Modus seine schon längst gesuchte Einheit zurückzugeben, hat er ihn (z. T . nach neuen Gesichtspunkten) weiter aufgesplittert und uns nur einige (eher spärliche) Angaben über verschiedene konkrete Verwendungssituationen gemacht. U n d hier scheint mir die entscheidende Ursache f ü r den M i ß e r f o l g seines Versuchs z u liegen, »dem Phänomen des K o n j u n k t i v s . . . näherzukommen«: er sucht die Position des K o n j u n k t i v s innerhalb der französischen Verbalstruktur auf der Ebene des konkreten Sprachgebrauchs, in der Rede (parole,

discours);

die

unserer Ansicht nach f ü r jede strukturelle Sprachbetrachtung unerläßliche Scheidung zwischen langue

und parole

läßt er dagegen vollkommen unbe-

rücksichtigt. N u n ist aber leicht einzusehen, daß sprachliche überhaupt nur auf der Ebene der langue

Strukturen

festgestellt werden können, denn

nur hier kann die Sprache als strukturiertes Ganzes erfaßt werden. In der R e d e werden w o h l gewisse Elemente der Sprache aktualisiert, aber es handelt sich immer um eine situationsbedingte

A u s w a h l innerhalb der zur V e r -

fügung stehenden Elemente. Situationsbedingt bedeutet aber nichts anderes als bedingt

durch

außersprachliche

Elemente:

w a s w i r bei der Betrachtung

der Rede gewinnen können, sind w o h l gewisse Grundgegebenheiten f ü r die A n w e n d u n g sprachlicher Strukturen, nicht aber diese Strukturen selbst: diese können nur durch die A n a l y s e des Zeichensystems der Sprache an sich erfaßt werden. Rothes M i ß e r f o l g muß uns deshalb Warnung sein, Warnung d a f ü r , daß der strukturelle Wert des K o n j u n k t i v s zuerst auf der Ebene der

langue

gewonnen werden muß, und daß w i r erst nachher nach den Modalitäten der V e r w e n d u n g in der R e d e fragen dürfen. Wir wollen hier nicht weiter auf die verschiedenen Fehlleistungen eingehen, die sich aus der fehlenden Scheidung zwischen langue

und parole

f ü r zahl-

reiche Detailprobleme ergeben; nur eine abschließende Bemerkung sei uns noch erlaubt. T r o t z heftiger Polemik gegen Lerch und die ganze »psychologisierende« Schule kommt Rothe selbst auch nicht richtig v o n der Psychologie los, wenn er sagt, der K o n j u n k t i v im H a u p t s a t z bezeichne eine A u f forderung, einen B e f e h l (p. 87), der K o n j u n k t i v im Relativsatz trete bei 68 69

Rothe nennt den Indikativ A-Form, den Konjunktiv B-Form. C f . Rothe, Strukturen, p. 233.

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finalem Sinn auf (p. 104 ss.)70, der Konjunktiv nach Superlativ erkläre sich daraus, daß implizit negiert werde, die betreffende Eigenschaft eigne noch einer andern Person (einem andern Gegenstand) in gleichem Maße 71 , etc. Wir wollen ihm diese Psychologisierungen keineswegs zum Vorwurf machen, ganz im Gegenteil: sie beweisen uns nur, daß man, solange oder sobald man sich mit Rede beschäftigt, einfach nicht um die Psychologie herumkommt: sie spielt eine entscheidende Rolle bei der Aktualisierung von Sprache zu Rede (cf. auch unten)72. Kehren wir für den Moment zu Guillaumes und Moignets System zurück. Was für uns hier von Bedeutung ist und bleibt, das ist zweifellos die Erkenntnis, der Indikativ bringe gegenüber dem Konjunktiv ein Mehr zum Ausdruck. Diese Erkenntnis findet sich nicht nur bei diesen beiden Forschern. Sie ist implizit z. B. schon bei Theodor Kalepky vorhanden, wenn er sagt, »daß der Indikativ den betr. Sachverhalt ausdrücklich als real hinstellt, seine Realität nachdrücklich >konstatiereignoriere