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German Pages 200 Year 1982
DIETMAR FRANZKI
Die Beweisregeln im Arzthaftungsprozeß
Schriften zum Prozessrecht
Band 72
Die Beweisregeln im Arzthaftungsprozefi Eine prozeßrechtliche Studie unter Berücksichtigung des amerikanischen Rechts
Von
Dietmar Franzki, LL. M.
DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN
Alle Rechte vorbehalten
© 1982 Duncker & Humblot, Berlln 41
Gedruckt 1982 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlln 61 Printed in Germany ISBN 3 428 05127 0
Meiner lieben Frau
Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ist weit mehr als eine juristische Vertragsbeziehung, ist verankert in den sittlichen Beziehungen der Menschen untereinander und entfaltet sich nur da in einer gerade auch für die gesundheitliche Betreuung des Patienten förderlichen Weise, wo eben diese sittlichen Momente von Mensch zu Mensch es tragen und seinen Gehalt bestimmen. EBERHARD SCHMIDT
Der Arzt im Strafrecht
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Herbst 1981 von der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen als Dissertation angenommen. Sie berücksichtigt die Literatur und Rechtsprechung bis Ende 1981. Die Anregung zum Thema gab Herr Professor Dr. Erwin Deutsch, dem ich dafür ebenso wie für die Betreuung der Arbeit an dieser Stelle besonders danken möchte. Auch dem Korreferenten, Herrn Professor Dr. Wolfram Henckel, bin ich für wertvolle Hinweise dankbar. Schließlich sage ich Herrn Ministerialrat a. D. Professor Dr. J. Broermann für die Aufnahme der Arbeit in die "Schriften zum Prozeßrecht" sowie der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen für den gewährten Druckkostenzuschuß meinen verbindlichen Dank. Göttingen, im Januar 1982
Dietmar Franzki
Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................
15
Erster Teil Entwicklung der Arzthaftung und gegenwärtige Situation A.USA
17
B. Bundesrepublik Deutschland ........................................
22
Zweiter Teil Beweislast im Arzthaftungsprozeß nach deutschem Recht A. Verteilung der Beweislast .......................................... I. Allgemeiner Grundsatz
........................................
11. Mögliche Anspruchsgrundlagen 1. Vertragliche Haftung. ... ... . ..... .... .... .. .. . . .. . . .. . . .. . ..
25 25 26
a) Vertrag mit dem freipraktizierenden Arzt ................ b) Totaler Krankenhausaufnahmevertrag .................... c) Gespaltener Arzt-Krankenhaus-Vertrag ..................
26 27 27 28
2. Deliktische Haftung ........................................ a) Ansprüche gegen den freipraktizierenden Arzt ............ b) Ansprüche gegen den Krankenhausträger ................
29 29 29
3. Haftung aufgrund weiterer Anspruchsgrundlagen
30
111. Beweisschwierigkeiten des Patienten ..........................
31
Inhaltsverzeichnis
10
B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung und Beweiswürdigung I. Beweislastumkehr bei vertraglichen Ansprüchen analog §§ 282,
285 BGB
......................................................
1. Anwendbarkeit der §§ 282, 285 BGB bei positiver Vertrags-
36
36
verletzung ..................................................
36
2. Anwendbarkeit der §§ 282, 285 BGB im Arzthaftungsprozeß ..
38
3. Tatsächliche Bedeutung der §§ 282, 285 BGB im Arzthaftungsprozeß ...................................................... 44 11. Beweiserleichterung durch Anscheinsbeweis ....................
46
1. Bedeutung und Wirkungsweise ..............................
46
2. Entkräftung oder Widerlegung durch den Gegner ............
48
3. Anwendungsbereich im Arzthaftungsprozeß ..................
50
4. Stellungnahme zum Anwendungsbereich im Arzthaftungsprozeß ........................................................
54
111. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler ..............
56
1. Entwicklung der Voraussetzungen für diese Beweislastumkehr
57
2. Begründung dieser Beweislastumkehr durch die Rechtsprechung ...................................................... 61 3. Anwendungsbereich
63
4. Umfang dieser Beweislastumkehr ............................
65
5. Kritische Stellungnahmen und Versuche einer dogmatischen Begründung im Schrifttum .................................. a) Verzicht auf diese Beweislastumkehr .................... aa) Ersetzung durch den Anscheinsbeweis ................ bb) Haftung für mögliche Kausalität ...................... ce) Lehre von der Gefahrerhöhung ...................... b) Versuche einer dogmatischen Begründung der Beweislastumkehr .................................................. aa) Anwendbarkeit der für den Beweis der hypothetischen Kausalität geltenden Grundsätze .................... bb) Analogie zur Beweisvereitelung ...................... ce) Abstellen auf den Normzweck ........................ dd) Anwendbarkeit der bei Verletzung von Schutzvorschriften und Verhaltenspflichten geltenden Grundsätze ................................................
70 71 71 72 73 75 75 78 80 81
6. Beweislastumkehr unter dem Gesichtspunkt des .. Gefahrenbereichs" .................................................... 87
Inhaltsverzeichnis
11
IV. Beweislastumkehr oder freie Beweiswürdigung bei Beweisvereitelung durch den Arzt ........................................
93
1. Allgemeine Voraussetzungen ................................
93
2. Anwendungsbereich im Arzthaftungsprozeß
94
V. Beweiswürdigung nach § 287 ZPO
103
1. Wirkungsweise der Vorschrift
103
2. Allgemeiner Anwendungsbereich des § 287 ZPO nach der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 105 3. Anwendungsbereich im Arzthaftungsprozeß .................. 108 4. Abgrenzung der §§ 286, 287 ZPO im Schrifttum und eigene Stellungnahme .............................................. 111 VI. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Beweislastverteilung im Arzthaftungsprozeß ................................ 116
C. Beweisfragen bei Aufklärung und Einwilligung des Patienten ...... 120 1. Verteilung der Beweislast ...................................... 120
II. Beweisführungsmöglichkeiten für den Arzt .................... 130
Dritter Teil Beweislast im Arzthaftungsprozeß nach amerikanischem Recht A. Verteilung der Beweislast .......................................... 137 I. Allgemeiner Grundsatz ........................................ 137
I!. Mögliche Anspruchsgrundlagen ................................ 137 1. Vertragliche Haftung
137
a) Express Contract
138
b) Implied Contract
138
2. Deliktische Haftung
140
III. Beweismaß
.................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 142
Inhaltsverzeichnis
12
IV. Rolle der Geschworenen im Prozeß
143
V. Beweisschwierigkeiten des Patienten
146
B. Doctrine of Res Ipsa Loquitur ...................................... 151 I. Entwicklung der Voraussetzungen .............................. 151
11. Rechtsnatur und prozessuale Auswirkungen .................... 152 1. Rechtsnatur
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 152
2. Begründung eines Prima Facie-Falles ........................ 153 3. Entkräftung durch den Gegner .............................. 155 111. Anwendungsbereich im Arzthaftungsprozeß .................... 159 IV. Rechtsvergleichende Betrachtung ................................ 171
C. Beweisfragen bei Aufklärung und Einwilligung des Patienten
175
I. Verteilung der Beweislast ...................................... 175
11. Rechtsvergleichende Betrachtung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 182
Vierter Teil Zusammenfassung Literaturverzeichnis
184
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 187
Fallverzeichnis ........................................................ 197
Abkürzungsverzeichnis A. (2d) ABA ALR (2d, 3d) AMA App.D.C. App.Div. Cal. (2d, 3d) Cal. App. (2d, 3d) Cal. Code Civ. Proe. Cal. Rptr. Cir. C.J.S. Clev.-Marsh. Colo. Corp. D.C. Eng. Rep. F. (2d) Fed. Ins. Couns. Quart. Fla. Fla. B. J. F. Supp. H.&C. HEW Ill. (2d) Ine. Ind. Kan. Ky. La. L.Ed. L. J.
L.Rev. Mass. Md.
Atlantie Reporter (Seeond Series) Ameriean Bar Association Ameriean Law Reports (Seeond, Third Series) American Medical Association Appeals, Distriet of Columbia Appellate Division (New York) California (Reports) (Seeond, Third Series) California Appellate Reports (Seeond, Third Series) California Code of Civil Proeedure California Reporter Cireuit Corpus Juris Seeundum (+ Stichwort) Cleveland - Marshall Colorado (Reports) Corporation Distriet of Columbia English Reports Federal Reporter (Second Series) Federal Insurance Counsel Quarterly Florida Florida Bar Journal Federal Supplement Hurlst & Company Department of Health, Edueation, and Welfare Illinois (Reports) (Second Series) Ineorporated Indiana Kansas (Reports) Kentucky Louisiana (Reports) United States Supreme Court Reports, Lawyers Edition Law Journal Law Review Massachusetts (Reports) Maryland (Reports)
Abkürzungsverzeichnis
14
Mich. Mich. App. Minn. Mo. N.C. N. E. (2d) N.H. N.J. N. J. Super. N. W. (2d) Nw.U. N.Y. N. Y. S. (2d) Okla. Ore. P. (2d) Pa. Pa. Super. S. C. S. Ct.
S.D. S. E. (2d) So. (2d) S. W. (2d) Tex.
U.
U.S.
U. S.F.
v.
Va. Wash. (2d)
Michigan (Reports) Michigan Appellate Reports Minnesota (Reports) Missouri (Reports) North Carolina (Reports) North Eastern Reporter (Second Series) New Hampshire NewJersey New Jersey Superior Courts Reports North Western Reporter (Second Series) Northwestern University New York (Reports) New York Supplement (Second Series) Oklahoma Oregon (Reports) Pacific Reporter (Second Series) Pennsylvania (Reports) Pennsylvania Superior Court Reports South Carolina Supreme Court (Reporter) South Dakota South Eastern Reporter (Second Series) Southern Reporter (Second Series) South Western Reporter (Second Series) Texas University (of) United States (Supreme Court Reports) University of San Francisco versus Virginia (Reports) Washington (Reports) (Second Series)
Hinsichtlich der deutschen Abkürzungen wird, soweit sie nicht allgemein gebräuchlich und verständlich sind, verwiesen auf: Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 2. Aufl.,
Berlin 1968.
Einleitung Die vorliegende Untersuchung hat sich zum Ziel gesetzt, die Besonderheiten der Beweislastverteilung und der Beweisführungsmöglichkeiten im Arzthaftungsprozeß darzustellen und diese mit insbesondere zwei grundsätzlich abweichenden Beweisregeln des amerikanischen Rechts zu vergleichen. Denn es hat sich herausgestellt, daß diese Fragen wegen der besonderen Beweisschwierigkeiten, denen sich der klagende Patient im Prozeß gegenübergestellt sieht, sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in den USA in sehr vielen Fällen von prozeßentscheidender Bedeutung sind1 • Im einzelnen soll untersucht werden, -
wer im Arzthaftungsprozeß grundsätzlich die Beweislast trägt,
-
unter welchen Umständen gewisse Beweiserleichterungen für den Beweisbelasteten eingreifen,
-
in welchen Fällen es zu einer Beweislastumkehr kommen kann,
-
welche Folgen es hat, wenn der Arzt Beweismittel, auf die der Patient angewiesen ist, diesem vorenthält oder beiseiteschafft und ihm dadurch die Beweisführung erschwert oder gar vereitelt,
-
inwieweit dem Gericht bei der Würdigung erhobener Beweise die überzeugungsbildung vom Gesetz erleichtert wird
-
und welche Möglichkeiten sich für den Arzt ergeben, die ordnungsgemäße Aufklärung des Patienten und die daraufhin erteilte Einwilligung zu beweisen.
Insbesondere von der Beurteilung dieser Fragen durch die Gerichte ist es abhängig, wie groß das Prozeßrisiko für den klagenden Patienten ist. In gewissem Umfang ist damit auch die Zahl der Arzthaftungsprozesse insgesamt steuerbar. Während eine den Patienten begünstigende Beweislastverteilung dessen Prozeßfreudigkeit erhöht, wirkt eine restriktive Handhabung von Beweislastumkehr und Beweiserleichterungen eher hemmend. Wie im Bereich des gesamten Arzthaftungsrechts können sich die Gerichte auch bei der Lösung dieses Fragenkomplexes auf keine spe1 So für Deutschland: Gaupp, S. 2; Uhlenbruck, NJW 1965, 1057; Baumgärtel / Wittmann, JA 1979, 114.
Einleitung
16
ziell arztrechtlichen Normen, sondern nur auf die allgemeinen Vorschriften des Prozeßrechts stützen. Infolgedessen hat sich im Laufe der Zeit ein weitgehend kasuistisches Richterrecht entwickelt2 • Schon diese Gemeinsamkeit mit dem "case law" des anglo-amerikanischen Rechtssystems läßt es reizvoll erscheinen, die Beweislastverteilung im deutschen Arzthaftungsprozeß rechtsvergleichend vor dem Hintergrund der davon abweichenden Beweisregeln des amerikanischen Rechts zu betrachten. Darüber hinaus ist eine solche rechtsvergleichende Untersuchung, die - soweit ersichtlich - bisher noch nicht vorgenommen worden ist, auch deshalb gerechtfertigt, weil der Arzthaftungsprozeß in den USA eine wesentlich größere Bedeutung als in Deutschland hat. Die Darstellung der vom deutschen Recht abweichenden Beweisregeln wird zeigen, ob die von den dortigen Gerichten entwickelten Grundsätze auch Anregungen für neue Lösungsansätze in Deutschland liefern können oder ob sie so sehr auf die Besonderheiten des amerikanischen Prozesses zugeschnitten sind, daß sie sich nicht auf die hiesigen Verhältnisse übertragen lassen. Es erscheint angebracht, zunächst die Entwicklung und gegenwärtige Situation der Arzthaftung in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland darzustellen. Denn erst vor diesem Hintergrund läßt sich verstehen, welchen Phänomenen, die gerade der Arzthaftung eigen sind, die jeweiligen Beweisregeln im amerikanischen und im deutschen Recht Rechnung tragen müssen.
2
Vgl. Uhlenbruck, NJW 1965, 1057; Isele, S. 12; Laufs, NJW 1974,2025.
Erster Teil
Entwicklung der Arzthaftung und gegenwärtige Situation l
A. USA In den Vereinigten Staaten von Amerika hat die Zahl der Arzthaftungsprozesse zu Beginn der siebziger Jahre sprunghaft zugenommen. Dies veranlaßte Präsident Nixon schon 1971, eine Enquete in Auftrag zu geben, die sämtliche forensisch relevanten Malpractice-Fälle untersuchen und Alternativen zu dem herkömmlichen System aufzeigen sollte. Obwohl die daraufhin eingesetzte Medical-Malpractice-Commission 1973 einen ca. 1000 Seiten umfassenden Bericht2 vorlegte, wurde von staatlicher Seite zunächst nichts zur Eindämmung der Prozeßflut getan. So konnte sich die Situation in den Jahren 1975/76 so zuspitzen, daß allgemein von einer "medical malpractice crisis" die Rede wars. Es bestand die akute Gefahr, daß das gesamte amerikanische Gesundheitswesen von dieser Prozeßlawine zugrunde gerichtet werden würde. 1975 wurden mehr als 40 000 Ansprüche bei den amerikanischen Arzthaftpflichtversicherern angemeldet, von denen etwa die Hälfte zu Prozessen führte. Damit sahen sich im Landesdurchschnitt gut 10 % aller Ärzte einem Schadensersatzanspruch ausgesetzt4 • Insbesondere in den Staaten Kalifornien, Florida und New York lag der Prozentsatz jedoch noch erheblich höher 5 • Die Prämien für die Haftpflichtversicherungen der Ärzte sind infolgedessen allein zwischen 1965 und 1975 um bis zu 800 Ofo gestiegen'. Während der praktische Arzt in Kalifornien z. B. für eine Deckungssumme von 1 Million Dollar 1975 eine jährliche Prämie von 8000 Dollar bezahlen mußte 7 , belief sich die Versicherungsprämie für Vgl. hierzu auch H. u. D. Franzki, NJW 1975, 2025 f.; Weyers, S. 67 ff. Sog. HEW-Report (Report of the Secretary's Commission on Medical Malpractice, Department of Health, Education and Welfare, Washington D. C. 1
2
1973).
Vgl. Shapo, S. 302; desgl. aus der dt. Lit.: Gerdes, VW 1976, 62. Vgl. HEW-Report, S. 8 ff.; American Medical Association (AMA) , S. 12 f. 5 So wurden nach Angaben der AMA, S. 13, 1975 in New York 12,3 Ufo, in Florida 18 Ufo und in Kalifornien sogar 25 Ufo der in diesen Staaten ansässigen Arzte verklagt. 6 AMA, S. 21; desgl. für einen etwas weiter zurückliegenden Zeitraum auch HEW-Report, S. 13; Shear, Appendix zum HEW-Report, S. 643. 7 VgI. San Francisco Examiner v. 7.7.1975. 3
4
2 Franzki
18
1. Teil. Entwicklung der Arzthaftung und gegenwärtige Situation
Disziplinen mit hoher Fehlerdichte, d. h. insbesondere für Anästhesisten, Chirurgen und Orthopäden, auf bis zu 36000 Dollar im Jahrs. Einige Versicherungsgesellschaften zogen sich schließlich ganz aus diesem Geschäftszweig zurück9 • Nachdem die Ärzteschaft die Öffentlichkeit auf die sich ständig verschärfende Lage aufmerksam gemacht hatte, wobei sie in einigen Teilen der USA auch vor Streikmaßnahmen nicht zurückscheute 10 , wurde in fast allen Staaten der Gesetzgeber tätig, um die Haftung des Arztes zu begrenzen und den Weg zum Gericht zu erschwerenl l . Neben den noch in anderem Zusammenhang zu erörternden Einzelrnaßnahmen wurde zu diesem Zweck beispielsweise die Verjährungsfrist verkürzt und/oder dem Arzthaftungsprozeß ein obligatorisches Schlichtungsverfahren vorgeschaltet12 • Auch wenn infolgedessen ein Stillstand oder sogar ein leichter Rückgang der jährlichen Zahl der Arzthaftungsprozesse und der Haftpflichtversicherungsprämien zu verzeichnen ist13 , so hat die Krise doch ihre Spuren hinterlassen. Viele Ärzte in den USA sind heute bei der Behandlung ihrer Patienten übermäßig vorsichtig; sie betreiben eine "defensive medicine"14. Um einem Haftungsprozeß vorzubeugen, ziehen sie die stationäre Behandlung der ambulanten vor, vermeiden risikobehaftete oder gar neue Therapien und verschreiben immer mehr objektiv nicht indizierte Medikamente. Darüber hinaus werden sehr kostspielige, medizinisch aber nicht erforderliche Labortests und Röntgenuntersuchungen vorgenommen und mehr Konsiliarärzte als nötig hinzugezogen. Gerade die zuletzt genannten Maßnahmen dienen vornehmlich dem Zweck, bereits während der Behandlung Beweise für den etwaigen späteren Prozeß zu sichern15 ; die Ärzte sehen sie als die ge8 Vgl. Time v. 19.1.1976, S. 48. Die AMA, S. 21, berichtet für New York sogar von Prämien bis zu 45 000 DOllar/Jahr. 9 Vgl. New York Times v. 15.3.1975; FAZ v. 24.5.1976; Deutsche Zeitung vom 5. 11.1976. 10 Vgl. Shapo, S. 579; Newsweek v. 9.6. 1975, S. 58; Time v. 19. 1. 1976, S. 48; Gerdes, VW 1976, 62. 11 Vgl. Newsweek v. 9. 6. 1975, S. 59; AMA, S. 30 f. 12 Die in den einzelnen Staaten ergriffenen Maßnahmen faßt die AMA, S. 30 f., zusammen. Eine ausführliche Erörterung der Alternativen zum Arzthaftungsprozeß enthalten der HEW-Report, S. 89 ff. sowie die Untersuchungen von Baird u. a., Appendix zum HEW-Report, S. 214 - 423. Vgl. aus der dt. Lit.: Gerdes, VW 1976, 65 ff.; Weyers, S. 72 f. 13 Vgl. Schweisheimer, Nds. Ärztebl. 1977,465; Deutsch, NJW 1978, 1658. 14 HEW-Report, S. 14 f.; Bernzweig, Appendix zum HEW-Report, S. 38 ff.; Franklin, S. 79 f.; Gerdes, VW 1976, 65; Weyers, S. 71. 15 Der HEW-Report, S. 14, und Bernzweig, Appendix zum HEW-Report, S. 39 f., berichten von einer Untersuchung, wonach 50 - 70 0/0 der amerikanischen Ärzte "defensive medicine" betreiben. Allerdings äußert Bernzweig selbst Zweifel an der Richtigkeit dieser Zahl.
A.USA
19
wissermaßen "juristisch indizierten" an. Auch sind allein wegen des großen Haftungsrisikos immer weniger Ärzte bereit, sich noch in freier Praxis niederzulassen16 • Sie drängen in den öffentlichen Gesundheitsdienst, in die Wissenschaft und zu Pharmakonzernen. Die Entwicklung in den USA ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Der Mensch, und insbesondere der Amerikaner, ist heute weniger als früher bereit, seine Krankheit als schicksalsbedingt hinzunehmen. Populärwissenschaftliche Berichte über Ergebnisse der medizinischen Forschung erwecken in ihm Erwartungen und Hoffnungen, die die erzielten Fortschritte übertreffen17 • Daher ist die Auffassung weit verbreitet, daß die Ursache für ein Versagen der ärztlichen Therapie - jedenfalls zunächst - in einem schuldhaften Fehlverhalten des Arztes zu suchen seps. Je unpersönlicher das Arzt-Patienten-Verhältnis in der Massengesellschaft wird, desto eher ist der Patient zudem auch geneigt, seine vermeintlichen Ansprüche gegen den Arzt gerichtlich durchzusetzen. Der medizinische Fortschritt hat aber auch objektiv die Möglichkeit von Behandlungsfehlern vergrößert; denn infolge der Fülle neu entwickelter diagnostischer und therapeutischer Methoden wächst auch die Gefahr eines Fehlgriffs bei der Auswahl der richtigen Maßnahme und bei ihrer kunstgerechten Durchführung 19 • Auch die ständigen Presse berichte über erfolgreiche Prozesse gegen Ärzte 20 und die sehr hohen Beträge als Ersatz für materielle und immaterielle Schäden, die die amerikanischen Gerichte den geschädigten Patienten zusprechen, fördern die Prozeßbereitschaft erheblich21 • Der HEW-Report 22 gibt an, daß 1970 30 0J0 aller Arzthaftungsprozesse zu einem - sei es auch nur teilweisen - Erfolg für den Patienten oder seine Hinterbliebenen führte, während die Arzthaftpflichtversicherungen - bezogen auf alle angemeldeten Ansprüche - in insgesamt ca. 45 Ofo der 1970 abgeschlossenen Fälle eine Zahlung leisteten. In Kalifornien wurden allein im Jahre 1974 30 Ärzte zur Zahlung von mehr als 300000 Dollar verurteilt, wobei sich die Summe in der Hälfte der Fälle sogar auf über 1 Million Dollar belief 23 • Aber auch nachdem in einer 16
F AZ v. 24.3. 1975.
Vgl. Hirsh, Case & Comment, July - August 1975, 3. Vgl. HEW-Report, S. 70; desgl. Laufs, NJW 1976, 1121; Carstensen / Kuhlendahl, Med Sach 72,76; Janssen, Nds. Ärztebl. 1976,482. 19 Vgl. Shapo, S. 302; desgl. Wachsmuth, FAZ v. 4. 9. 1976, S. 10. 20 HEW-Report, S. 18; Byrnes, Appendix zum HEW-Report, S. 653 ff.; Shapo, S. 302 u. 577. 21 Shapo, S. 525. 22 a.a.O., S. 10. 23 AMA, S. 14; vgl. auch FAZ v. 30.4.1975, S. 7. 17
18
20
1. Teil. Entwicklung der Arzthaftung und gegenwärtige Situation
Reihe von Staaten als Reaktion auf diesen Mißstand Höchstsummen festgesetzt worden sind (zwischen 100 000 und 500 000 Dollar)24, ist die Durchschnittssumme des in Arzthaftungsprozessen zugesprochenen Schadensersatzes nicht unter 26 000 Dollar gesunken25 . Ferner hat das in den USA zulässige und übliche anwaltliche Erfolgshonorar (contingent fee) wesentlich zu der Entwicklung beigetragen. Aufgrund dieser Gebührenregelung werden die für die klagenden Patienten siegreichen Anwälte, von denen sich eine beträchtliche Anzahl ganz auf Arzthaftungsprozesse spezialisiert hat26 , in der Regel zu einem Drittel, teilweise sogar bis zur Hälfte am Prozeßerfolg beteiligt27 . Da der Kläger andererseits im Falle des Prozeßverlustes seinem Anwalt nichts schuldet und eine Kostenerstattung an den obsiegenden Gegner nicht stattfindet, ist das Prozeßrisiko für den Patienten äußerst gering. Nur wenige Staaten haben bisher Höchstgrenzen für das Erfolgshonorar festgesetzt, und diese bewegen sich immer noch zwischen 15 und 40 % der zugesprochenen Entschädigungssumme 28 . Mehr als durch diese Begrenzung dürfte die Klagebereitschaft der Anwälte daher durch die Tatsache verringert werden, daß einzelne Ärzte inzwischen zum Gegenangriff übergegangen sind und nach der Abweisung der Malpractice-Klage ihrerseits Klage gegen den Rechtsanwalt des ehemaligen Patienten erhoben haben, und zwar wegen der durch die unbegründete Malpractice-Klage angeblich verursachten Rufschädigung 29 . Ein weiterer Grund für die große Zahl der Arzthaftungsprozesse und insbesondere die hohen Schmerzensgelder ergibt sich endlich aus dem Umstand, daß Haftpflichtprozesse in den USA vor Geschworenengerichten ausgetragen werden; denn Laienrichter neigen im allgemeinen dazu, das Verhalten des Schädigers allein schon deshalb als sorgfaltswidrig zu qualifizieren, weil sie Verständnis und Mitleid für den Geschädigten haben30 • Das geschieht um so eher, wenn ersichtlich ist, daß der Schadensfall durch eine Haftpflichtversicherung auf seiten des 24 Vgl. AMA, S. 30 f.; Shapo, S. 579; Schweisheimer, Nds. ÄrztebI. 1977, 464; VVeyers, S.72. 25 Vgl. FAZ v. 24.5.1977. 28 HEVV-Report, S. 3; Die VVelt v. 24. 1. 1975, S. 18. 27 HEVV-Report, S. 32; Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEVV-Report, S. 114. Substrahiert man auch die sonstigen Kosten (z. B. für Privatgutachten), so verbleiben dem Kläger nach verschiedenen amerikanischen Untersuchungen nur zwischen 15 und 38 % vom Prozeßerfolg (vgl. AMA, S. 15). 26 Vgl. AMA, S. 30 f.; VVeyers, S. 72; Deutsche Zeitung v. 5. 11. 1976, S. 13. 28 Vgl. Schweisheimer, Nds. Ärztebl. 1977,465. 30 Vgl. Harper / James, S. 1081 u. 1099; Shapo, S. 525; Fleming, S. 296; Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEVV-Report, S. 112; vgl. aus der dt. Lit.: Zweigert / Kötz, S. 375; Stoll, AcP 176, 167; Maassen, S. 51; VVeyers, Unfallschäden, S. 223. a. A. Renswick, 9 Clev.-Marsh. L. Rev. (2) 206.
A.USA
21
Schädigers gedeckt istS1 • Die Frage, ob auch die Besonderheiten der Beweislastverteilung im amerikanischen Arzthaftungsprozeß als Ursache für das Anschwellen der Zahl der Prozesse in Betracht kommen, soll an dieser Stelle noch nicht untersucht werden.
31 Vgl. Fleming, S. 296 (m. w. N.); Binder, 17 Clev.-Marsh. L. Rev. (2) 225; Zweigert / Kötz, S. 376.
22
1. Teil. Entwicklung der Arzthaftung und gegenwärtige Situation
B. Bundesrepublik Deutschland Deutsche Beobachter dieser Szene und namentlich die betroffenen medizinischen Fachkreise fragen sich besorgt, ob die Entwicklung in den USA auch auf Deutschland übergreifen kann. Zwar sind viele der Voraussetzungen, die die Prozeßbereitschaft der amerikanischen Patienten stimulieren, hier nicht gegeben. So fehlt es insbesondere an der Laiengerichtsbarkeit, der spezialisierten Anwaltschaft und der Zulässigkeit des Erfolgshonorars. Abgesehen von den Fällen, in denen Prozeßkostenhilfe bewilligt wird oder eine Rechtsschutzversicherung eintritt, trägt der klagende Patient hier außerdem das volle Prozeßkostenrisiko. Jedoch hat auch in der Bundesrepublik Deutschland in der Nachkriegszeit die Zahl der Entscheidungen, die die zivilrechtliche Haftung des Arztes zum Gegenstand haben, ständig zugenommen. Wie schon ein Blick in die regelmäßig erscheinenden NJW-Hefte mit vorwiegend medizinisch-juristischen Beiträgen zeigt, hat sich diese Tendenz gerade in den letzten Jahren noch verstärkt. Sowohl von seiten der Juristen als auch von seiten der Mediziner begegnet man dem Arztrecht heute mit besonderem Interesse. Dies wird auch daran deutlich, daß sich der 52. Deutsche Juristentag 1978 in Wiesbaden mit der Frage befaßt hat, ob sich ergänzende Regelungen des Arztrechts empfehlen. Trotz dieser Entwicklung liegen hierzulande anders als in den USA jedoch keine umfassenden Zahlenangaben und statistischen Auswertungen vor. Weyers 1 hat in seinem Gutachten für den 52. Deutschen Juristentag die Zahl der jährlich gegen Ärzte und Krankenhausträger aus Behandlungsfehlern erhobenen Ansprüche auf mindestens 5500 geschätzt. Davon würden etwa 300 vor Landgerichten prozessual geltend gemacht. Beide Zahlen, vor allem aber die der jährlich anhängig werdenden Arzthaftungsprozesse, erscheinen jedenfalls für die jüngere Vergangenheit zu gering 2 • Da es - wie dargelegt - an offiziellen Statistiken fehlt, können nur die Angaben der Arzthaftpflichtversicherer ein einigermaßen verläßliches Bild von dem Schadensaufkommen in diesem Bereich bieten. Auch wenn sich die Versicherungen über absolute Zahlen ausschweigen, so hat doch der HUK-Verband erst vor kurzem auf das weitere Anwachsen der Schadensfälle auf dem Arzthaftungssektor hingewiesen3 • Nach Auskunft einer Arzthaftpflichtversicherung führten 11,3 Ofo der bei dieser Versicherungsgesellschaft zwischen a.a.O., S.39; ähnlich Künnell, VersR 1980,503. Der Verband der Haftpflicht-, Unfall- und Kraftverkehrsversicherer e. V. (HUK-Verband) hat die Zahl der gegenüber den Arzthaftpflichtversicherern erhobenen Ansprüche bereits für 1973 mit 7627 angegeben (vgl. Deutsche Zeitung v. 12. 11. 1976, S. 21). 3 Vgl. Laufs, NJW 1979, 1231. 1
2
B. Bundesrepublik Deutschland
23
1970 und 1979 angemeldeten und abgeschlossenen Versicherungsfälle zum Prozeß. In 36,6 % dieser zum Prozeß gelangten Fälle wurde eine Zahlung geleistet, während die Versicherung - bezogen auf alle angemeldeten Ansprüche - in insgesamt 42 Ofo der Fälle eine zumindest teilweise Schadensregulierung vornahm4 • An den zuletzt genannten Zahlen ist vor allem auffällig, daß sie weitgehend den Prozentsätzen entsprechen, die die Medical-Malpractice-Commission für die USA ermittelt hat. Aber nicht nur die Zahl der Schadensfälle, sondern auch der auf den einzelnen Haftpflichtfall entfallende Schadensumfang hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen5 • Bei den von Weyers 6 untersuchten Urteilen beliefen sich die zuerkannten Beträge im Durchschnitt auf 35000 DM7. Jedoch dürften die in den anerkannten Schadensfällen von den Versicherungen ohne Prozeß geleisteten Abfindungen im Durchschnitt erheblich niedriger liegen. Daß auch beim Schadensumfang unabhängig von den inflationsbedingten Aufschlägen noch kein Stillstand eingetreten ist, ergibt sich allein schon aus der drastischen Erhöhung der Haftpflichtversicherungsprämien für Ärzte und Krankenhäuser im Jahre 1978. Nachdem die Prämien von 1968 bis 1974 bereits um bis zu 375 Ofo gestiegen waren, wurden sie 1978 erneut mehr als verdoppelt 8 • Dennoch sind die absoluten Beträge im Vergleich zu den USA immer noch niedrig. So bezahlt ein praktischer Arzt nach den Tarif-Empfehlungen des HUK-Verbandes für eine Deckungssumme von 1 Million DM heute eine jährliche Prämie von 930 DM, während sich der Beitrag von Chefärzten, die Disziplinen mit hohem Haftungsrisiko ausüben, auf 10 335 DM beläuft.
4 Diese Angaben der Allianz-Versicherung (vgl. Reichenbach, VersR 1981, 809) stimmen nach eigenen Erkundigungen im großen und ganzen mit denen
der Winterthur-Versicherung, dem Branchenführer unter den Arzthaftpflichtversicherern in der Bundesrepublik, überein. Der Aufsatz von Reichenbach, VersR 1981, 807 ff., enthält auch weitere interessante statistische Angaben, auf die hier jedoch nicht im einzelnen eingegangen werden kann. 5 Vgl. Deutsch, NJW 1978, 1658; Laufs, NJW 1979, 1231; Künnell, VersR 1980, 503. Letzterer berichtet von einer Erhöhung des Schadensaufwandes von 1974 bis 1977 um 82 %, während die Zahl der regulierten Schadensfälle in demselben Zeitraum "nur" um 40 % gestiegen sein soll. Ähnlich auch Reichenbach, VersR 1981, 808. 6 a.a.O., S. 44. Vgl. zur Höhe der im einzelnen von den Versicherungen geleisteten Schadensbeträge auch Weyers, S. 39; Deutsch, NJW 1978, 1658; Reichenbach, VersR 1981,808. 7 Aus dieser Zahl wird bereits deutlich, daß die deutschen Gerichte gerade bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nach wie vor erheblich zurückhaltender sind als die amerikanischen. 8 Das zeigt ein Vergleich der Tarif-Empfehlungen des HUK-Verbandes aus den Jahren 1968, 1974 und 1978.
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1. Teil. Entwicklung der Arzthaftung und gegenwärtige Situation
Aufgrund der gesamten Entwicklung des Arzthaftungsrechts, von der hier nur der in Zahlen erfaßbare Teil dargestellt werden sollte, besteht auch in der Bundesrepublik Deutschland die Gefahr eines "unheilvollen Weges in die defensive Medizin"9. Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß diese bereits tatsächlich praktiziert wird. Sicherlich nicht unbeeinflußt von der Berichterstattung in den Massenmedien beschäftigt sich auch die deutsche Öffentlichkeit in zunehmendem Maße mit der Arzthaftung. Reißerisch aufgemachte und emotionsgeladene Berichte gehen so weit, von dem nach wie vor ungetrübten Glauben der Gerichte an die "Unfehlbarkeit der Halbgötter in Weiß" zu sprechen10 • Infolgedessen ist der Eindruck weit verbreitet, daß es für den geschädigten Patienten so gut wie aussichtslos ist, einen Arzthaftungsprozeß anzustrengen. Auch die Tatsache, daß seit 1975 in allen Bundesländern von den zuständigen Ärztekammern Gutachterund Schlichtungsstellen zur außergerichtlichen Beilegung von Haftpflichtstreitigkeiten zwischen Ärzten und Patienten eingerichtet worden sindll , hat bisher in der Öffentlichkeit zu keiner ausgewogeneren Betrachtung der zivilrechtlichen Haftung des Arztes geführt. Dabei zeigen die veröffentlichten Entscheidungen und die Auskünfte der Arzthaftpflichtversicherer, daß ein Unterliegen des Arztes durchaus nicht so selten ist, wie vielfach angenommen wird.
U So Wachsmuth / Schreiber, FAZ v. 3.10.1980, S. 11; vgl. auch BVerfG NJW 1979, 1925, 1930. 10 So z. B. in einer Hörfunksendung von NDR III v. 25. 1. 1976 mit dem Titel "Wenn Ärzte Fehler machen. Patienten suchen ihr Recht". 11 Vgl. dazu eingehend die Untersuchung von Henschel; vgl. ferner Weyers, S. 49 ff.; Bodenburg, VersR 1980, 996 ff.; Doms, NJW 1981, 2489 ff.; H. u. D. Franzki, in: Jung / Schreiber, Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, S. 177 ff.
Zweiter Teil
Beweislast im Arzthaftungsprozeß nach deutschem Recht A. Verteilung der Beweislast I. Allgemeiner Grundsatz Die Frage, welche Partei die Beweislast trägt, ist dann von Bedeutung, wenn die erhobenen Beweise nicht zur Überzeugungsbildung des Gerichts ausreichen, wenn also ein "non liquet" bestehtl. Denn der Richter muß auch dann eine Sachentscheidung treffen, wenn Unklarheit über eine oder mehrere entscheidungs erhebliche Tatsachen verbleibt. In diesem Fall hat das Gericht zu Lasten der Partei zu entscheiden, die das Risiko der Unaufklärbarkeit trägt; es trifft seine Entscheidung dann "nach der Beweislast" . Sowohl das Bürgerliche Gesetzbuch als auch die Zivilprozeßordnung setzen eine Beweislast der Parteien voraus, ohne diese jedoch generell zu regeln2 • Nur ausnahmsweise finden sich ausdrückliche Beweislastnormen3 • Nach der sog. Normentheorie Rosenbergs richtet sich die Verteilung der Behauptungs- und Beweislast nach der Fassung des im konkreten Fall anzuwendenden materiellen Rechtssatzes. Danach hat der Kläger die Voraussetzungen desjenigen Satzes als im tatsächlichen Geschehen verwirklicht zu beweisen, auf welchen er seinen Klageantrag stützt, also die Voraussetzungen der rechtsbegründenden Norm, der Beklagte dagegen die Voraussetzungen derjenigen Norm, mit deren Hilfe er die Abweisung der Klage zu erreichen sucht; das sind die Voraussetzungen einer rechtshindernden, einer rechtsvernichtenden oder einer rechtshemmenden Norm4 • Vgl. BGH NJW 1973,2207,2208. Zwar hatte der erste Entwurf des BGB in den §§ 193 - 198 eine Regelung der Beweislastverteilung vorgesehen (Materialien z. BGB, Bd. I, CVIII f.). Jedoch wurde dieser Abschnitt bei den Beratungen ersatzlos gestrichen (Protokolle z. BGB, Bd. I, 258 ff.). a z. B. in §§ 282, 363, 542 Abs. 3, 636 Abs. 2 BGB. 4 Rosenberg, S. 12, 98 ff., insb. 105 f.; Rosenberg / Schwab, § 118 I 2; vgl. auch BGHZ 53, 245, 250. 1 2
2. Teil. A. Verteilung der Beweislast
26
Diese Lehre ist heute nicht mehr unbestritten. So hat Leipold den Nachweis erbracht, daß sich die rechtshindernden Tatsachen nach der materiellrechtlichen Wirkung nicht von den rechtsbegründenden Tatsachen unterscheiden lassen und daß die Beweislastgrundregel daher auch nicht an diese Unterscheidung anknüpfen kann5 • Die von ihm herausgearbeitete und inzwischen weitgehend anerkannte - korrigierte - Grundregel lautet wie folgt: "Wer eine Rechtsfolge geltend macht, trägt die Beweislast für die rechtsfolgebegründenden Tatsachen, soweit nicht die Beweislast für das Fehlen von Voraussetzungen aufgrund besonderer Normen den Gegner trifft. Wer die nachträgliche Beseitigung oder Hemmung eines Anspruchs geltend macht, muß die anspruchsvernichtenden oder anspruchshemmenden Tatsachen beweisen, soweit nicht der Gegner aufgrund besonderer Beweislastregeln deren Nichtvorhandensein beweisen muße." Eines weiteren Eingehens auf die umfangreiche und großenteils kontroverse Literatur zu dem inneren Prinzip, auf dem die Beweislastverteilung beruhF, bedarf es im Rahmen dieser arztrechtlichen Abhandlung nicht. Festzuhalten bleibt, daß die Beweislast nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip verteilt ist: Verkürzt gesagt trägt der Kläger das Risiko der Unaufklärbarkeit klagebegründender Tatsachen, während der Beklagte das Risiko der Unaufklärbarkeit der einwendungsoder einredebegründenden Tatsachen trägt 8 •
11. Mögliclte Ansprucbsgrundlagen Da unterschiedliche Anspruchsgrundlagen auch eine verschiedene Beweislastverteilung bedingen können, sind zunächst die im Arzthaftungsprozeß in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen darzulegen9 • Im Normalfall nimmt der klagende Patient den Arzt aus positiver Verletzung des Behandlungsvertrages und/oder aus unerlaubter Handlung in Anspruch10 • 1. Vertragliche Haftung Bei der Haftung aus Vertrag ist an folgende Fallkonstellationen zu denken, die hier - auch zum besseren Verständnis der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Prozeßsituationen - kurz dargestellt werden sollen. a.a.O., S. 35 ff., insb. 42. Leipold, S. 43. 7 s. dazu eingehend Leipold, S. 17 ff. (m. w. N.). 8 Vgl. Stürner, S. 4. 9 Vgl. dazu eingehend Weyers, S. 13 ff., 20 ff. u. 27 ff.; Laufs, Rdnr. 18 ff.; Uhlenbruck, NJW 1973, 1401; Westermann, NJW 1974, 578 f. 10 So bereits RG JW 1911, 449, 450; RGZ 68, 431, 433; 88, 433, 438. 5
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11. Mögliche Anspruchsgrundlagen
27
a) Vertrag mit dem freipraktizierenden Arzt Begibt sich der Patient in die Behandlung eines freipraktizierenden (niedergelassenen) Arztes, so hat er grundsätzlich direkte Ansprüche aus dem zwischen ihm und dem Arzt abgeschlossenen Vertrag. Nach heute völlig herrschender Meinung handelt es sich hierbei in aller Regel um einen Dienstvertrag gemäß §§ 611 ff. BGB, nur ausnahmsweise etwa bei zahnprothetischenl l oder kosmetischen Maßnahmen - um einen Werkvertrag12 . Ist der Patient sozialversichert, so ergeben sich seine vertraglichen Ansprüche aus dem zwischen dem Arzt und dem Sozialversicherungsträger abgeschlossenen berechtigenden Vertrag zugunsten Dritter, d. h. zugunsten des Patienten (§ 611 BGB i. V. m. § 328 BGB)13. In bei den Fällen haftet der Arzt für eigenes Verschulden nach § 276 BGB und für das seiner Mitarbeiter nach § 278 BGB.
b) Totaler Krankenhausaufnahmevertrag Begibt sich der Patient in die Behandlung eines Krankenhauses und ist er dabei sozialversichert, so schließt der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung einen sog. totalen Krankenhausaufnahmevertrag mit dem Krankenhausträger. Aufgrund dieses Vertrages, bei dem es sich ebenfalls um einen berechtigenden Vertrag zugunsten Dritter handelt, schuldet das Krankenhaus dem Patienten sowohl Unterbringung, Verpflegung und Betreuung als auch die erforderliche ärztliche Behandlung 14 , die in diesem Fall neben dem allgemeinen Pflegesatz nicht gesondert berechnet wird. Hier haftet der Träger des Krankenhauses (z. B. Land, Gemeinde, Zweckverband oder Kirche) für sämtliche Krankenhausbedienstete nach § 278 BGB15. Vgl. zuletzt LG Hannover, NJW 1980, 1340 (m. w. N.). Vgl. statt aller Deutsch / Brandenburg, S. 557; Palandt / Putzo, Einf. v. § 611 Anm. 2 a bb (m. w. N.). 13 Vgl. BGHZ 1, 383, 385 f.; BGH NJW 1956, 1106; VersR 1956, 224, 225; NJW 1959, 816; OLG Bremen, VersR 1954, 63. Gegen die Annahme eines privatrechtlichen Vertrages zugunsten Dritter wendet sich Eberhardt, AcP 171, 296 ff., nach dessen Ansicht diese Lösung dem überwiegend öffentlichrechtlichen Charakter des Vierecksystems: Kassenarzt - Kassenärztliche Vereinigung - Krankenkasse - Kassenpatient widerspricht (a.a.O., S. 299 u. 306 f.). Mit der übernahme der Behandlung erwürbe der Kassenpatient vielmehr kraft Gesetzes (§ 368 d Abs. 4 RVO) einen bürgerlichrechtlichen Anspruch auf sorgfältige Behandlung gegen den Kassenarzt, wie er ihn als Berechtigter aus einem Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 328 BGB erworben hätte (a.a.O., S. 308). Der letzte Halbsatz zeigt jedoch, daß die praktischen Auswirkungen dieser von dem herkömmlichen Ansatz abweichenden Meinung gering sein dürften. 14 Vgl. BGHZ 5, 321, 323. 15 BGH NJW 1956, 1106; 1959, 816. 11
12
2. Teil. A. Verteilung der Beweislast
28
Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze vom 29. Juni 1972 (KHG)16 sowie der darauf gestützten Verordnung zur Regelung der Krankenhauspflegesätze vom 25. April 1973 (BPflSV0)17 ist auch für Privatpatienten ("Selbstzahler") der totale Krankenhausaufnahmevertrag der normalerweise mit dem Krankenhausträger zustandekommende Vertragstyp18. Entgegen dem vorher herrschenden Rechtszustand gibt es keine besonderen vertraglichen Beziehungen mehr zwischen dem behandelnden Arzt und dem Privatpatienten, wenn dieser nicht durch den Abschluß eines Arztzusatzvertrages ärztliche Sonderleistungen wünscht (vgl. § 6 BPflSV0)19. c) Gespaltener Arzt-Krankenhaus-Vertrag
Anders war die Situation bis zum Inkrafttreten der Bundespflegesatzverordnung beim Privatpatienten. Sie ist es auch heute noch bei dem Patienten, der sich in einer sog. Belegstation eines freipraktizierenden Arztes behandeln läßt. Hier kommen sog. gespaltene ArztKrankenhaus-Verträge zustande. Vertragliche Beziehungen zum Krankenhaus bestehen nur hinsichtlich der allgemeinen Pflege durch den sog. nachgeordneten medizinischen Dienst, d. h. vor allem durch Krankenschwestern und Assistenzärzte. Die eigentliche Arztbehandlung dagegen schuldet der Arzt, der insoweit in ein besonderes zusätzliches Vertragsverhältnis zum Patienten tritt und seine Leistungen auch gesondert in Rechnung stellt. Insoweit kann der Arzt für Behandlungsfehler also unmittelbar aus dem (gespaltenen Arzt-Krankenhaus-)Vertrag in Anspruch genommen werden. Ähnlich ist die Situation, wenn es neben dem totalen Krankenhausaufnahmevertrag durch ausdrückliche Erklärung des Patienten zum Abschluß eines Arztzusatzvertrages kommt20 , wodurch nach § 6 BPflSVO vertragliche Beziehungen mit allen zur Erbringung zusätzlicher Leistungen befugten Ärzten des Krankenhauses zustandekommen. BGBL I, 1009. BGBL I, 333. Die Bundespflegesatzverordnung ist am 1. April 1974 in Kraft getreten. 18 Vgl. Uhlenbruck, NJW 1973, 1401; Westermann, NJW 1974, 578; Weyers, S. 29; a. A. Diederichsen, S. 71 ff., der auch nach dem Inkrafttreten von KHG und BPfISVO verschiedene Formen des Krankenhausaufnahmevertrages für rechtlich zulässig hält, ohne daß sich die eine oder andere als Regelfall statuieren ließe. Vgl. zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten der BPfISVO Anm. Pagendarm zu BGH LM BGB § 278 Nr. 4; Daniels, NJW 1972, 305 ff. 18 Vgl. auch LG Saarbrücken, NJW 1977, 1496 f. zo Vgl. BGH NJW 1981, 2002, 2003; Uhlenbruck, NJW 1973, 1400; West ermann, NJW 1974, 578. 18 17
11. Mögliche Anspruchsgrundlagen
29
Beim Vorliegen eines gespaltenen Arzt-Krankenhaus-Vertrages oder eines Arztzusatzvertrages ist bei der heute notwendigen arbeitsteiligen Behandlung im Krankenhaus für den klagenden Patienten gerade für die Wahl des richtigen Passivlegitimierten häufig die Frage von großer Bedeutung, ob der nachgeordnete Dienst mit einer bestimmten Maßnahme pflegend im Auftrag des Krankenhauses oder aber behandelnd im Auftrag des Arztes tätig geworden ist. Auf die dabei auftretenden Abgrenzungsschwierigkeiten kann im Rahmen dieser Betrachtung jedoch nicht weiter eingegangen werden2!. 2. Deliktische Haftung
Auch bei einer Inanspruchnahme des Arztes aus unerlaubter Handlung muß man unterscheiden:
a) Anspruche gegen den freipraktizierenden Arzt Der freipraktizierende Arzt haftet zunächst unmittelbar aus § 823 Abs. 1 BGB. Bei der Verletzung eines den Schutz des Patienten bezweckenden Gesetzes besteht ferner eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB. Als Schutzgesetze kommen dabei insbesondere die §§ 223 ff. StGB22, aber z. B. auch die Strahlenschutzvorschriften (§§ 22 bis 28) der Röntgenverordnung vom 1. 3. 1973 und § 4 Bundesseuchengesetz (Meldepflicht)23 in Betracht. In beiden Fällen hat der Arzt für sein Personal nach § 831 BGB mit der Möglichkeit der Exkulpation einzustehen. Hier ist jedoch von Bedeutung, daß dieser Entlastungsbeweis für den Verrichtungsgehilfen immer seltener gelingt, so daß dem Wortlaut des § 831 BGB entsprechend der Prinzipal wieder im Zweifel haftet 24 .
b) Ansprüche gegen den Krankenhausträger Wird der Krankenhausträger im Falle einer Krankenhausbehandlung in Anspruch genommen, so haftet er für das medizinische Personal auch nach § 831 BGB25, und zwar wiederum mit der Möglichkeit des 21 Vgl. dazu ausführlich Daniels, NJW 1972, 306 f.; Westermann, NJW 1974, 577 ff.; Carstensen / Schreiber, in: Jung / Schreiber, Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, S. 167 ff.; OLG Köln, VersR 1978, 1025, 1026.
22 Dabei wird hier der für die Praxis maßgebende Ansatz der Rechtsprechung zugrundegelegt, daß es sich bei der eigenmächtigen Heilbehandlung um eine Körperverletzung handelt; a. A. ein Teil der Lit., der diese als Verletzung des Persönlichkeitsrechts ansieht. Vgl. dazu eingehender Weyers, S. 20 ff. (m. w. N.) sowie unten 2. Teil C. I. 23 Deutsch / Brandenburg, S. 558 u. 568. 24 Vgl. Deutsch, NJW 1976,2290. 2S z. B. RGZ 112, 290, 295.
2. Teil. A. Verteilung der Beweislast
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Entlastungsbeweises. Soweit es sich um das Einstehen für ärztliche Mitarbeiter handelt, kann sich der Krankenhausträger dabei nicht etwa allein durch den Hinweis auf die Approbation entlasten26 • Nur wenn der Patient ein Verschulden eines verfassungsmäßigen Vertreters des Krankenhausträgers nachweisen kann, haftet der Krankenhausträger nach §§ 89, 31 BGB, ohne sich exkulpieren zu können. Solche Organe sind jedoch in der Regel nur die Klinikdirektoren und Chefärzte mit selbständiger Entscheidungsbefugnis 27 • Die Entlastungsmöglichkeit für das übrige Personal läßt sich nur dann umgehen, wenn es dem Patienten gelingt, dem Organ des Krankenhausträgers eine nicht ausreichende Anleitung oder überwachung seines Personals oder eine fehlerhafte Organisation zu beweisen, also ein Verschulden in seiner Person nachzuweisen. 3. Haftung aufgrund weiterer Anspruchsgrundlagen
Neben diesen praktisch wichtigsten Anspruchsgrundlagen seien hier noch zwei weitere - allerdings relativ selten eingreifende - Haftungsgründe genannt. Dabei handelt es sich zum einen um die Ansprüche des Patienten gegen den Arzt aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB). Der Arzt handelt beispielsweise dann als Geschäftsführer ohne Auftrag, wenn er einen bewußtlosen Unfallverletzten versorgt, der seinen Willen zum Vertragsabschluß mit dem Arzt infolge seiner Bewußtlosigkeit nicht äußern konnte; denn der Kreis der "Geschäfte" i. S. d. §§ 677 ff. BGB ist weit zu ziehen2B • Er umfaßt nicht nur rechtsgeschäftliches Handeln für einen anderen. Der öffentlich-rechtliche Krankenhausträger haftet dem Patienten zum anderen u. U. für Fehler des von ihm angestellten Krankenhauspersonals nach Amtshaftungsgrundsätzen29 • § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG ist allerdings nur dort anzuwenden, wo der Arzt hoheitlich tätig wird, z. B. bei der Unterbringung eines psychisch Kranken, bei Röntgenreihenuntersuchungen, bei gesetzlich vorgeschriebenen Schutzimpfungen, bei Zwangsbehandlungen nach dem Bundesseuchengesetz und bei Zwangsernährungen3o • BGH NJW 1979, 1933, 1934. BGH NJW 1972, 334; 1975, 1463, 1465; 1979, 1933, 1934; 1980, 1901, 1902; OLG München, VersR 1960, 568, 569; OLG Köln, VersR 1978, 1025, 1026; Weyers, S. 28 (m. w. N.). 28 Vgl. Palandt / Thomas, § 677 Anm. 2 a. 29 Vgl. Z. B. BGH NJW 1974, 1424. 30 Vgl. RG DR 1943, 854; BGH VersR 1965, 91; OLG Bremen, VersR 1954, 63; Anm. Pagendarm zu BGH LM BGB § 278 Nr. 4; Daniels, NJW 1972, 309; 26
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IH. Beweisschwierigkeiten des Patienten
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Allein die Tatsache, daß der behandelnde Arzt z. B. als Hochschullehrer Beamter ist, reicht für die übernahme der Haftung durch die Anstellungskörperschaft aufgrund Art. 34 GG nicht aus 31 • Haftet der beamtete Arzt somit grundsätzlich unmittelbar und selbst nach § 839 BGB, so führt die Subsidiarität dieser Haftung gemäß § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB nach bisherigem Recht doch regelmäßig zu einer Befreiung, weil der beamtete Arzt als anderweitige Ersatzmöglichkeit auf die Haftung der Anstellungskörperschaft nach §§ 31, 89, 831, 278 BGB verweisen kann 32 • Die zuletzt genannten Anspruchsgrundlagen werfen für die Beweislast keine besonderen Probleme auf.
III. Beweisschwierigkeiten des Patienten Nach den oben dargelegten allgemeinen Verfahrensgrundsätzen muß der Patient, der gegen den Arzt auf Schadensersatz klagt, bei den praktisch wichtigsten Anspruchsgrundlagen Vertrag und Delikt gleichermaßen sämtliche tatsächlichen Voraussetzungen seines Schadensersatzanspruches beweisen, soweit diese bestritten werden. Er muß grundsätzlich also nicht nur das Vorliegen und den Umfang seines Schadens beweisen, sondern auch den Behandlungsfehler des Arztes, dessen Fahrlässigkeit und die Verursachung des Schadens durch dieses fahrlässige ärztliche Fehlverhalten33 • Diesen prozessualen Anforderungen kann der Patient häufig nicht entsprechen. Denn die Verteilung der Beweisführungs- wie der Beweislast im Arzthaftungsprozeß begegnet besonderen praktischen Schwierigkeiten, die der typischen Situation des Patienten eines solchen Verfahrens entspringen s4 • So weiß der Patient, wenn er nach der Behandlung durch den Arzt eine Schädigung feststellt, in der Regel nicht, was im einzelnen mit ihm geschehen ist, da ihm die erforderliche medizinische Sachkunde fehlt, um die Zusammenhänge richtig beurteilen zu können 35 • Oft war er zum Zeitpunkt des möglicherweise schädigenden Künnell, VersR 1980, 509. Vgl. hierzu und zum folgenden im Hinblick auf den Rechtszustand ab dem 1. 1. 1982 auch die Neuregelung im Staatshaftungsgesetz (StHG) vom 26. Juni 1981 (BGBL I, 553). Die Vorschriften dieses Gesetzes sind nach § 36 StHG allerdings nicht anzuwenden, wenn der Tatbestand, aus dem ein Anspruch hergeleitet wird, vor dem 1. 1. 1982 entstanden ist. Insoweit bleibt das bisher geltende Recht anwendbar. 31 Vgl. BGH LM BGB § 276 (Ca) Nr. 4. 32 Vgl. Weyers, S. 28 f.; H. Franzki, DRiZ 1978,259. 33 Vgl. Soergel/ Zeuner, § 823 Rdnr. 357; Palandt / Heinrichs, Vorbem. 8 vor § 249; Isele, S. 20. 34 BVerfG NJW 1979, 1925; Baumgärtel / Wittmann, JA 1979, 114. 35 Vgl. RGZ 78, 432, 435; Isele, S. 20; Weimar, JR 1977,8.
2. Teil. A. Verteilung der Beweislast
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Ereignisses nicht einmal bei Bewußtsein. Bei seinem Versuch, sich Gewißheit darüber zu verschaffen, was mit ihm geschehen ist, stößt er nicht ganz selten auf eine Mauer des Schweigens36 • Nur gelegentlich erfährt der Patient vielleicht durch Andeutungen von Krankenschwestern, manchmal auch durch kritische Bemerkungen eines später behandelnden Arztes, welche Fehler bei der Operation vorgekommen sein könnten. Aber eine zuverlässige Grundlage, um selbst beurteilen zu können, was nun tatsächlich geschehen ist, hat er dadurch nicht37 • Selbst Privatgutachten zur Prozeßvorbereitung sind mitunter nur schwer zu erlangen und jedenfalls mit erheblichem Kostenaufwand verbunden, für den es keine Prozeßkostenhilfe gibt38 • Der Patient ist daher weitgehend auf das nach Klageerhebung angefertigte Gutachten des gerichtlich bestellten medizinischen Sachverständigen angewiesen. Jedoch wird er auch mit dessen Hilfe nicht immer Herr der oben geschilderten Beweisschwierigkeiten. Denn es ist nicht selten zu beobachten, daß der Sachverständige den beklagten Arzt in seinem Gutachten in einem nicht zu rechtfertigenden Maße deckt 39 • Aus diesem Grunde hat auch die Rechtsprechung in jüngster Zeit mehrfach auf die Versuchungen hingewiesen, die gerade für medizinische Gutachter aus einer unterschwelligen Standessolidarität mitunter erwachsen können4o , und zu kritischer Distanz gegenüber Sachverständigen in Arzthaftungsprozessen aufgerufen41 • Die größte Unruhe innerhalb der Ärzteschaft hat wohl das Urteil des BGH vom 22.4.1975 42 ausgelöst, in dem es heißt, der Tatrichter dürfe nicht übersehen, daß auch heute noch eine nicht geringe Zahl medizinischer Gutachter Schwierigkeiten habe, sich bei der Ausübung ihres Amtes von überholten und in diesem Zusammenhang der Rechtsordnung widersprechenden Standesregeln freizumachen. Der Richter habe sorgfältig auf Anzeichen einer hieraus möglicherweise entspringenden - gewiß häufig nicht bewußten Voreingenommenheit des Gutachters zu achten. Diese pointierten Sätze hat der BGH später wesentlich entschärft: In seinem Urteil vom 27.9. Vgl. Mertens, VersR 1974, 513. Vgl. Dunz, S. 25. 38 H. U. D. Franzki, NJW 1975, 2227. 39 a. A. ein Großteil der med. Lit.; vgl. z. B. Janssen, Nds. Ärztebl. 1976, 483; Wawersik, in: Jung / Schreiber, Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, S. 96; Vgl. eingehend zu dieser Problematik auch Dunz, Med Sach 72, 74 ff.; Carstensen / Kuhlendahl, Med Sach 72, 76 ff., Hoffmann, Med Sach 72, 78 ff. und H. u. D. Franzki, in: Jung / Schreiber, Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, S. 185 f. 40 BGH VersR 1971, 227, 230. 41 OLG Celle, VersR 1976, 1178; ähnlich BGH NJW 1978, 1683, 1684 ("kritische Würdigung"); VersR 1979, 939, 941; NJW 1980, 2751 ("kritische Vernehmung des Sachverständigen"). 42 NJW 1975, 1463, 1464. 38 37
III. Beweisschwierigkeiten des Patienten
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1977 43 spricht er nur noch davon, daß bei Gutachtern im Arztfehlerprozeß Formulierungen verbreitet seien, die zwar zurückhaltend, im Grunde aber nicht irreführend seien, und auf deren richtiges Verständnis durch den Richter der Gutachter vertraue. In der Tat fühlten sich viele medizinische Sachverständige sowie die assistierenden und nachbehandelnden Ärzte, die im Prozeß als sachverständige Zeugen vernommen wurden, bisher oft schon durch ihre Berufsordnungen zu einer zurückhaltenden Beurteilung des Verhaltens ihres beklagten Kollegen aufgefordert 44 • Die entsprechenden - zumindest mißverständlichen - Bestimmungen der (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärzte, der die Berufsordnungen der Landesärztekammern ausnahmslos nachgebildet sind, sind jedoch inzwischen geändert worden. So heißt es jetzt in § 15 der vom 82. Deutschen Ärztetag 1979 beschlossenen Fassung der (Muster-)Berufsordnung 45 ausdrücklich (wenn auch sprachlich wenig glücklich): "Die Verpflichtung des Arztes ... , in einem Gutachten, auch soweit es die Behandlungsweise eines anderen Arztes betrifft, nach bestem Wissen seine ärztliche überzeugung auszusprechen, bleibt unberührt." Ferner wird nur noch unsachliche Kritik an der Behandlungsweise oder dem beruflichen Wissen eines Arztes für berufsunwürdig erklärt. Diese Änderung bzw. KlarsteIlung ist nicht zuletzt auf die Diskussion zurückzuführen, die die erwähnten kritischen Anmerkungen in der Rechtsprechung und der 52. Deutsche Juristentag 1978 entfacht haben. Die arztrechtliche Abteilung dieses Juristentages hatte der Ärzteschaft nämlich ausdrücklich nahegelegt, standesrechtlich klarzustellen, daß für den Arzt bei jeder Befassung mit den Folgen ärztlicher Behandlung ausnahmslos Objektivität vor Kollegialität gehen müsse 46 • Es bleibt zu hoffen, daß nun auch der medizinische Sachverständige seiner entscheidenden Rolle bei der Mitwirkung an der Rechtsprechung 47 häufiger gerecht wird und die in der medizinischen Literatur mitunter anzutreffende Meinung an Boden verliert, daß dem Gutachter in erster Linie die Entlastung des inkriminierten Arztes am Herzen liegen müsse 48 • Erst dann wird der medizinische Sachverständige, ohne NJW 1978, 587, 588. Nach Dunz, S. 16, fällt es den Tatrichtern vielleicht etwas zu schwer, Zeugen aus dem ärztlichen Team gelegentlich auch nicht zu glauben. 45 Text z. B. im Dt. Ärztebl. 1979, 2442 ff.; vgl. für die bisher geltende Fassung von § 15 der Berufsordnung z. B. Dt. Ärztebl. 1976, 1545 f. 48 Verhandlungen des 52. Dt. Juristentages, Band II, S. 1203. 47 Vgl. Jessnitzer, S. 167. 48 Vgl. Dunz, S. 27 f., m. w. N. auf die med. Lit. 43 44
3 Franzkl
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2. Teil. A. Verteilung der Beweislast
den der Arzthaftungsprozeß in aller Regel nicht auskommt, die besonderen, in diesem Prozeß auftauchenden Beweisschwierigkeiten beheben helfen und sie nicht noch vergrößern, wie dies - sicherlich meist unbeabsichtigt - bisher recht häufig geschehen ist. Ob sich diese Hoffnung in naher Zukunft allein aufgrund der Änderung der Berufsordnung erfüllen wird, ist jedoch durchaus zweifelhaft. Denn es waren nicht nur die vielfach mißverstandenen Bestimmungen der Berufsordnungen, die den medizinischen Sachverständigen zu einer zurückhaltenden Beurteilung des Verhaltens seines beklagten Kollegen veranlaßten. Vielen Gutachtern war auch bisher schon durchaus bewußt, daß ärztliche Standesregeln und Satzungen ihre Pflicht zur unparteiischen Erstattung des von ihnen geforderten Gutachtens weder einschränken wollten noch konnten (vgl. insb. § 410 Abs. 1 Satz 2 ZPO und § 79 Abs. 2 StPO)49. Gründe für die Hemmungen, die sie vor Gericht befallen, liegen in Wahrheit tiefer. Und zwar zeigen sie vor allem deshalb ein übermaß an kollegialer Rücksichtnahme, weil sie sich ihrer eigenen Unzulänglichkeit und der Tatsache bewußt sind, daß ihnen selbst schon morgen derselbe Fehler unterlaufen kann, den sie heute dem beklagten Kollegen zum Vorwurf machen müßten50 • Daher bedarf es zur Bejahung eines Behandlungsfehlers bei vielen Gutachtern eines so groben Fehlverhaltens, daß jeder Fachmann den Kopf darüber schütteln würde 51 • Eine weitere Beweisschwierigkeit ergibt sich daraus, daß es nicht selten erst Jahre nach dem von dem klagenden Patienten behaupteten Behandlungsfehler zum Prozeß kommt. Bis dahin hat das Erinnerungsvermögen der Beteiligten aber derart nachgelassen, daß sich weder Zeugen, z. B. Krankenschwestern oder assistierende Ärzte, noch der beklagte Arzt selbst an Einzelheiten des angeblichen Vorfalls erinnern können52 ; dies nicht zuletzt deshalb, weil es sich aus der Sicht ex ante um einen "ganz normalen Fall" gehandelt hat, bei dem sich die nachteiligen Auswirkungen der Behandlung erst wesentlich später gezeigt haben. In derartigen Fällen wird regelmäßig auch die Herbeiziehung der Krankenpapiere nichts Wesentliches ergeben, eben weil wegen der scheinbaren Alltäglichkeit des Falles gerade die - wie sich nachträglich zeigt - rechtlich erheblichen Einzelheiten nicht aufgezeichnet worden sind53 • Dazu ausführlicher Laufs, NJW 1976, 1124. Vgl. Carstensen / Kuhlendahl, Med Sach 72, 77; Laufs, Med Sach 73, 3; Wachsmuth, FAZ v. 4.9.1976, S. 10. 51 Vgl. Deutsch, NJW 1976, 2292. 52 Vgl. BGH VersR 1971,229. 53 Vgl. Gaupp, S. 10. 49
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III. :Beweisschwierigkeiten des Patienten
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Schließlich liegt ein wesentlicher Grund für die besonders großen Schwierigkeiten auf dem Gebiet des Kausalitätsnachweises in der Unberechenbarkeit organisch-physiologischer Geschehensabläufe, die sich einer Gesetzmäßigkeit im Sinne exakter Naturwissenschaft weithin entziehen54 • Der Arzt wirkt durch therapeutische und nicht selten auch schon durch diagnostische Maßnahmen auf einen lebenden Organismus ein, dessen Reaktionen nur bedingt vorhersehbar und beeinflußbar sind55 • Darüber hinaus ist der Gesundheitszustand des Patienten zumeist bereits beeinträchtigt, wenn er den Arzt aufsucht 56 • Schließlich beruht nicht jede Verschlechterung im Befinden des Patienten auf einem Behandlungsfehler des Arztes. Ein solcher wird im Gegenteil nur in den seltensten Fällen die Ursache für die Gesundheitseinbuße sein. Daher ist auch ein prima-facie-Schluß vom Mißerfolg der Behandlung auf ein Fehlverhalten des Arztes nicht ohne weiteres zulässig51 • All diese in der "Natur der Sache" begründeten Schwierigkeiten bei der Tatsachenfeststellung führen dazu, daß sich die Beweislastverteilung im Arzthaftungsprozeß mehr als in anderen Verfahren häufig prozeßentscheidend auswirkt 58 •
Vgl. Gaupp, S. 1l. Vgl. BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 25; BGH JR 1978, 61, 62 m. Anm. Baumgärtel / Wittmann; Laufs, Rdnr. 68 u. Med Sach 73, 3; Stall, Festschrift für F. v. Hippel, S. 554 u. AcP 176, 156; Janssen, Nds. Ärztebl. 1976,482. 58 Vgl. Baumgärtel / Wittmann, JA 1979, 114. 57 Vgl. Deutsch, NJW 1976, 2289 (m. w. N.) u. Nds. Ärztebl. 1976, 551; Laufs, NJW 1977, 1082. 58 Vgl. Uhlenbruck, NJW 1965, 1057; Baumgärtel / Wittmann, JA 1979, 114; Schwalm, Festschrift für P. Bockelmann, S. 554. 54
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung und Beweiswürdigung I. Beweislastumkehr bei vertraglichen Ansprüchen analog §§ 282, 285 BGB Werden innerhalb von vertraglichen Beziehungen Schadensersatzansprüche gegen den Arzt oder den Krankenhausträger geltend gemacht, so sind dies in aller Regel Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung 1 • Dieser Anspruch setzt voraus, daß eine Schlechterfüllung des zwischen dem Arzt und seinem Patienten abgeschlossenen Dienstvertrages vorliegt, die weder Unmöglichkeit noch Verzug ist. 1. Anwendbarkeit der §§ 282, 285 BGB bei positiver Vertragsverletzung
Bei Unmöglichkeit der Leistung legt § 282 BGB dem Schuldner die Beweislast dafür auf, daß er die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat. Entsprechendes gilt gern. § 285 BGB für den Fall, daß der Schuldner mit seiner Leistung in Verzug gerät. Dieser Entlastungsbeweis wird zumeist als ein Fall der "Umkehr" der Beweislast angesehen 2 • Denn die §§ 282, 285 BGB weichen von dem Grundsatz ab, daß der Gläubiger alle anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs beweisen muß. Vielmehr wird ihm innerhalb eines bestehenden Schuldverhältnisses der Nachweis des Verschuldens abgenommen3 • Im Anschluß an die grundlegende Abhandlung von Raape 4 nimmt das Schrifttum überwiegend an, daß die §§ 282, 285 BGB sinngemäß auch bei der positiven Vertragsverletzung anzuwenden sind5 • Nach dieser Nach §§ 280, 286, 325, 326, 242 BGB analog (vgl. BGHZ 11,80,84). Vgl. z. B. Palandt / Heinrichs, § 282 Anm. 2; Fikentscher, § 4711; Baumgärtel / Wittmann, JA 1979, 114 u. 118. 3 Andererseits weist StolI, Festschrift für F. v. Hippel, S. 531 f., mit ausführlicher Begründung zu Recht darauf hin, daß es sich bei diesen Regelungen dogmatisch nicht um Fälle einer echten Beweislast"umkehr" handelt. Denn der von den §§ 282, 285 BGB dem Schuldner auferlegte Entlastungsbeweis entspricht durchaus der Grundregel, wonach dem Schuldner der Nachweis obliegt, daß und warum er aus einem Schuldverhältnis befreit worden ist, dessen Existenz der Gläubiger dargetan hat. - Trotz dieser terminologischen Ungenauigkeit soll jedoch im folgenden auch hier - wie fast allgemein üblich - im Zusammenhang mit §§ 282, 285 BGB von einer "Umkehr" der Beweislast gesprochen werden. 4 AcP 147, 218. 5 Vgl. statt aller Rosenberg, S. 350 ff., insbes. S. 367; Prölss, VersR 1964, 903; Staudinger / Werner, Vorbem. 59 vor § 275 (jeweils m. w. N.). Einschränkend Stall, Festschrift für F. v. Hippel, S. 523 ff. (nur bei Verletzung von Leistungspflichten, nicht von Schutzpflichten - zum Begriff: a.a.O., S. 526 oben); ebenso Gaupp, S. 61. a. A. Fikentscher, § 47 11, wonach es bei der Regel verbleiben soll, daß dem Schuldner ein Verschulden nachgewiesen werden 1
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I. Beweislastumkehr bei vertraglichen Ansprüchen analog § 282 BGB
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Ansicht hat der Gläubiger nur die objektive Pflichtwidrigkeit des dem Schuldner zur Last gelegten Verhaltens und die Kausalität zwischen diesem Leistungsmangel und dem eingetretenen Schaden zu beweisen, während der Schuldner dartun muß, daß er die festgestellte Pflichtwidrigkeit nicht zu vertreten hat 6 • Die Rechtsprechung hat sich dagegen nicht allgemein, sondern nur in bestimmten Fällen für eine analoge Anwendung der §§ 282, 285 BGB auf die positive Vertragsverletzung ausgesprochen. So nahm das RG nur bei bestimmten Vertragstypen - nämlich bei Beförderungs-, Dienst-, Werk- und Gastaufnahmeverträgen - eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Verschuldens an, "wenn sich aus der Sachlage zunächst der Schluß rechtfertigt, der Unternehmer (oder Dienstverpflichtete) habe die ihm aus dem Vertrag obliegende Sorgfaltspflicht verletzt" 7. Der Schuldner habe den gegen ihn sprechenden Anschein eines Verschuldens durch den vollen Beweis des Gegenteils zu widerlegenB. Der Anschein der Nachlässigkeit sollte hier - anders als sonst beim Anscheinsbeweis - also nicht nur zu einer Erleichterung der Beweisführung des Geschädigten führen. Der BGH hat diese unglückliche Verquickung von Anscheinsbeweis und Umkehr der Beweislast aufgegeben. Nach seiner Rechtsprechung findet eine Beweislastverteilung nach Verantwortungsbereichen (= Sphären) statt, so daß sich die Beweislast dann analog § 282 BGB umkehrt, wenn die Schadensursache aus dem Gefahrenkreis des Schuldners hervorgegangen ist 9• Diese Auffassung begründet der BGH damit, daß der Gläubiger die Vorgänge im Organisations- und Gefahrenbereich des Schuldners nicht wie dieser überblicken könne und daß er sich im allgemeinen darauf verlasse, daß der Schuldner alles tun werde, um die mit einer solchen Leistung typischerweise verbundenen Gefahren fernzuhalten 1o • Dem Berechtigten sei es im Schadensfalle nicht zuzumuten, einen Beweis über Vorgänge zu führen, die seinem muß. Allerdings werde dieser Grundsatz weitgehend eingeschränkt, wenn der Mangel aus der Sphäre des Schuldners hervorgegangen sei, deren Kontrolle sich dem Gläubiger entziehe. 8 Vgl. Stoll, Festschrift für F. v. Hippel, S. 517; Palandt / Heinrichs, § 282 Anm.2. 7 RG Warn Rspr. 1935 Nr. 4 (= JW 1935, 115); RGZ 148, 148, 150; ("Wasserwellen-Fall"); RG JW 1938, 2976; RGZ 160, 153, 155; 169, 84, 97; RG DR 1944, 184 m. Anm. Schönke. 8 Vgl. RG JW 1935, 122, 123 m. Anm. Ermisch. 9 BGHZ 8, 239, 241; 23, 288, 290; Palandt / Heinrichs, § 282 Anm. 2 (m. w. N.); dazu krit. Musielak, AcP 176, 465 ff. Der Gefahrenkreis-Gedanke ist vom RG - allerdings nur ergänzend - erstmals in RGZ 148, 148, 150 ausgesprochen worden. 10 BGH NJW 1968, 2240.
2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
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Gefahrenbereich und in der Regel auch seiner Sachkenntnis entzogen seien l l • Ausdrücklich bejaht hat der BGH die analoge Anwendung des § 282 BGB bei Vorliegen eines sog. Betreuungsverhältnisses (z. B. beim Werkvertrag 12 , beim Dienstvertrag13 sowie bei ähnlichen Verträgen14 ). 2. Anwendbarkeit der §§ 282, 285 BGB im Arzthaftungsprozeß
Ob § 282 BGB auch bei Schadensersatzansprüchen aus positiver Vertragsverletzung gegen den Arzt Anwendung findet, ist zwischen der Rechtsprechung und der überwiegenden Meinung in der Literatur in besonderem Maße umstritten. Die Rechtsprechung hat diese Frage abgesehen von einer Konstellation, auf die zurückzukommen sein wird, bisher fast durchweg verneint 15 • Die Gründe, die im allgemeinen Dienstvertragsrecht dazu geführt haben, den Schuldner zu verpflichten, das aufzuklären, was in seinem Bereich geschehen ist, treffen nach Meinung des BGH für die ärztliche Behandlung nicht in gleichem Maße ZU 16 • Diese Ansicht begründet das Gericht in erster Linie nicht mit Überlegungen der Gefahrenkreistheorie, sondern mit der spezifischen Art ärztlicher Leistungen, die nicht wie normale Dienstleistungen behandelt werden könnten17 • Es gehe nicht an, den Arzt schon deshalb haften zu lassen, weil dessen Behandlung mit einem Mißerfolg geendet habe 1B • Der BGH hat damit die Rechtsprechung des RG fortgeführt, das in seiner grundlegenden Entscheidung eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Verschuldens mit der berühmt gewordenen Begründung ablehnte, "daß auch der geschickteste Arzt nicht mit der Sicherheit einer Maschine" arbeite; trotz aller Sorgfalt könne "ein Griff, ein Schnitt oder Stich mißlingen", der sonst stets gelänge 19 • Außerdem sei 11
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BGH NJW 1964, 33, 35 (m. w. N.). BGHZ 23, 288, 290. BGHZ 28, 251. Vgl. z. B. die Aufzählung (mit d. entspr. Nachw.) bei Palandt / Heinrichs,
§ 282 Anm. 2.
15 Vgl. RGZ 78, 432, 435; RG JW 1933, 2701; HRR 1935 Nr. 1009; RGZ 165, 336, 338; BGHZ 4, 138, 144; BGH NJW 1956, 1835 (nur Leitsatz) = LM ZPO § 286 (C) Nr. 25; VersR 1956, 449, 450; 1967, 663, 664; NJW 1969, 553, 554; 1980, 1333. Offengelassen von RGZ 128, 121, 123. - a. A. OLG Stuttgart VersR 1958, 791 (nur Leitsatz), das sich allerdings durchweg auf Entscheidungen des
RG stützt, die seiner Auffassung keineswegs zur Seite stehen, und OLG Saarbrücken, JB1. Saar 1967, 183, 184. 10 Vgl. BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 25 (= NJW 1956, 1835). 17 Vgl. Uhlenbruck, NJW 1965, 1064 unter Hinweis auf die nicht veröffentlichte Entscheidung des BGH v. 27.2.1952. 18 BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 25; BGH VersR 1967, 663, 664; NJW 1978, 1681.
19 RGZ 78, 432, 435; desgl. BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 25. Diese Formulierung ist jedoch wenig geeignet, eine beweis rechtliche Sonderstellung für den
1. Beweislastumkehr bei vertraglichen Ansprüchen analog § 282 BGB
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der Ablauf biologischer und physiologischer Vorgänge im menschlichen Körper trotz aller Fortschritte der medizinischen Wissenschaft mit menschlichen Erkenntnismitteln nicht voll zu rekonstruieren 20 • Alle nachteiligen Folgen, die sich im Einzelfall ohne jedes Verschulden des Arztes an die Operation knüpfen könnten, wären im Falle einer generellen Beweislastumkehr nach Ansicht der Rechtsprechung vom Arzt zu verantworten, wenn ihm nicht der positive Beweis eines Nichtverschuldens gelänge 2!. Nur ausnahmsweise erkennt der BGH inzwischen eine analoge Anwendung des § 282 BGB im Arzthaftungsprozeß an22 • Und zwar kehrt sich die Beweislast zuungunsten des Arztes oder des Krankenhausträgers um, wenn feststeht, daß die Schädigung aus dem Bereich voll beherrschbarer Nebenpflichten, insbesondere der Gewährleistung der technischen Voraussetzungen für eine sachgemäße und gefahrlose Behandlung hervorgegangen ist 23 . § 282 BGB greift also ein, wenn der Mißerfolg einer ärztlichen Behandlung auf der Mangelhaftigkeit eines bei der Behandlung eingesetzten technischen Gerätes beruht24 . Das ist z. B. der Fall beim Einsatz eines Narkosegerätes, bei dem die Sauerstoffzufuhr zum Patienten infolge eines abgeklemmten Schlauches nicht gewährleistet ist 25 , oder bei der Verwendung eines schadhaften Tubus bei der Intubationsnarkose mit der Folge einer Tubushernie (einer die Durchgängigkeit des Tubus beeinträchtigenden Verformung)26. Das Arzt zu begründen. Denn sie bringt gerade zum Ausdruck, daß auch dem erfahrenen Arzt - wie jedem anderen Berufsstand auch - selbst und erst recht bei Routinehandlungen doch einmal eine Unachtsamkeit (= leichte Fahrlässigkeit) unterlaufen kann (vgl. OLG Celle VersR 1976, 1178, 1179). 20 RG HRR 1937 Nr. 130l. 21 RGZ 78, 432, 435; 165, 336, 338. 22 Daß den Arzt nach allgemeinen Grundsätzen die Beweislast dafür trifft, daß er den vertraglich vereinbarten Eingriff überhaupt vorgenommen hat bzw. daß ihm seine Versäumung nicht zum Verschulden gereicht (BGH NJW 1981, 2002, 2004), bedarf insoweit keiner besonderen Erörterung. 23 BGH VersR 1975, 952, 954 li. Sp. unten (ohne Begründung); NJW 1978, 584 f. (grundlegend) = VersR 1978, 82 (ausführlicher); NJW 1978, 1683 re. Sp. oben (ohne Hinweis auf § 282 BGB); 1981, 2002, 2004; vgl. ferner OLG Hamm, VersR 1980, 585; so auch bereits das nicht veröffentlichte Urteil des LG Rottweil v. 15.1.1975. Deutsch, Anm. JZ 1978, 277, ist der Ansicht, daß die Betrachtung nach Sphären zu sehr ex post angestellt ist. 24 Zutreffend weist Baumgärtei, JR 1978, 373, 374 in einer Anm. zu BGH NJW 1978, 584 darauf hin, daß beweisrechtlich klar zwischen der Haftung des Herstellers eines schadhaften Gerätes und der des Arztes für den Einsatz einer solchen Apparatur getrennt werden muß. Vgl. zur Anwendung der Grundsätze über die Produzentenhaftung in diesem Bereich auch OLG DüsseI dorf, NJW 1978, 1693 f. (Bruch eines Septummeißels während der Operation). 25 BGH NJW 1978, 584. 28 BGH VersR 1975, 952 (ein ähnlicher Narkosezwischenfall lag auch d. Urteil d. LG Rottweil v. 15.1. 1975 - s. o. FN. 23 - zugrunde).
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
gleiche gilt, wenn die Haut eines Patienten vor der Operation mit verunreinigtem Alkohol desinfiziert worden ist2 7 • Steht fest, daß die Verunreinigung im Klinikbereich stattgefunden haben muß, so ist es Sache des Krankenhausträgers, zu seiner Entlastung das fehlende Verschulden seiner Organe oder Erfüllungsgehilfen am Eintritt der Verunreinigung nachzuweisen. Auch mit dieser Rechtsprechung hat der BGH - wenn auch offenbar unbewußt - Gedanken übernommen und weiterentwickelt, die sich bereits in zwei älteren Urteilen des OLG Hamburg 28 und des RG29 finden. In beiden Fällen hatten die Patienten infolge von zu naher Röntgenbestrahlung erhebliche Verbrennungen erlitten. Beide Entscheidungen verlangen hier vom Arzt den Beweis, daß bei der Röntgenaufnahme alles Erforderliche geschehen sei, um eine Verbrennung auszuschließen30 , oder daß die Schäden in gleicher Weise auch bei Einhaltung des vorschriftsmäßigen Abstandes entstanden wären31 • Die Gerichte rechtfertigen diese Beweislastumkehr, die sie übrigens nicht ausdrücklich mit einer analogen Anwendung von § 282 BGB begründen, damit, daß eine Röntgenaufnahme nach jahrzehntelangen Erfahrungen mit diesen Strahlen nicht mit einer schwierigen Operation zu vergleichen sei, die auch dem geschicktesten Arzt mißglücken könne 32 • Außerdem handele es sich nicht so sehr um Vorgänge physiologischer, als vielmehr physikalischer Art, deren Beurteilung von Natur aus keinen ähnlich großen Schwierigkeiten begegne 33 • Die Rechtsprechung hat sich aber auch nach der teil weisen Anerkennung einer Beweislastumkehr in analoger Anwendung des § 282 BGB nicht entschließen können, die Beweislast für das Verschulden über diese Fallgruppe hinaus generell umzukehren. Der BGH betont vielmehr weiterhin, daß für die Anwendung des § 282 BGB im Arzthaftungsprozeß nur beschränkt Raum sei; denn der Arzt könne regelmäßig nur kunstgerechtes Bemühen, nicht aber den Heilerfolg und häufig nicht einmal eine objektiv zutreffende Diagnose zusagen34 • Erst in jüngster Zeit hat er erneut darauf hingewiesen, daß Zwischenfälle, die in der Regel auf ärztliches Fehlverhalten hindeuteten, ausnahmsweise BGH NJW 1978, 1683. LZ 1920, Sp. 664 f. 29 HRR 1937 Nr. 1301. 30 OLG Hamburg, LZ 1920, Sp. 665. 31 RG HRR 1937 Nr. 1301 unter Hinweis auf RGZ 148, 148 und RG Warn Rspr. 1935 Nr. 4 (s. o. 2. Teil B. I. 1., insbes. FN. 7). 32 OLG Hamburg, LZ 1920, Sp. 664. 33 RG HRR 1937 Nr. 1301. 34 BGH NJW 1978, 584; 1978, 1681; JR 1978, 61, 62; vgl. auch OLG Hamm, VersR 1979, 1012; LG Hannover, NJW 1981, 1320, 1321. 27
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I. Beweislastumkehr bei vertraglichen Ansprüchen analog § 282 BGB
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auch infolge der Unberechenbarkeit des lebenden Organismus schicksalhaft eintreten könnten35 • Im Bereich des typischen ärztlichen Handelns könne § 282 BGB deshalb keine Anwendung finden 36 • Nur ein Teil der Literatur stimmt mit dieser Rechtsprechung in ihrer grundsätzlichen Ablehnung einer analogen Anwendung der §§ 282, 285 BGB in Arzthaftungsprozessen überein37 • Dabei macht sie sich weitgehend die von der Rechtsprechung für diese Haltung gegebene Begründung zu eigen. Gleichzeitig findet die inzwischen vom BGH anerkannte Beweislastumkehr bei der Verwendung defekter medizinischer Geräte Zustimmung38 • Die im Schrifttum - gerade neuerdings - vorherrschende Meinung lehnt die beweisrechtliche Privilegierung des Arztes dagegen ab und spricht sich für eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Verschuldens analog §§ 282, 285 BGB auch im Rahmen des Arzthaftungsprozesses aus 39 • Die für diese Haltung maßgeblichen Gründe überzeugen. So ist es zunächst systematisch nur schwer zu rechtfertigen, warum in diesem Bereich von der wenigstens in der Literatur überwiegend befürworteten generellen Analogie zu §§ 282, 285 BGB eine Ausnahme gemacht werden so1l40. Dabei soll nicht verkannt werden, daß die Heilbehandlung trotz aller Fortschritte in der Medizin mit unvermeidbaren Risiken belastet bleibt, die auch der gewissenhafteste Arzt oft nicht zu beherrschen vermag. Diesem Umstand wird jedoch bereits dadurch ausreichend Rechnung getragen, daß der Arzt nach allgemeiner Ansicht nicht für den glücklichen Verlauf eines Eingriffs einzustehen hat und generell keinen Heilungserfolg schuldet4 1 . Vielmehr handelt es sich beim BGH NJW 1980, 1333; 1980,2751,2752; 1981,2002,2004. Der BGH beruft sich in diesem Zusammenhang auch auf den entspr. Beschluß VIF des 52. Dt. Juristentages 1978 (Verhandlungen, Band II, S. I 35
38
204).
37 Vgl. insbes. RGRK-Nastelski, § 282 Anm. 4; Petersen, DRiZ 1962, 266; Anm. Baumgärtei, JR 1978, 373 u. Gedächtnisschr. f. Bruns, S. 95; Baumgärtel / Wittmann, JA 1979, 114 u. 118; Weyers / Mirtsching, JuS 1980, 319. Mißverständlich Uhlenbruck, NJW 1965, 1062 u. 1064. 38 Vgl. Weyers, S. 119; Anm. Deutsch, JZ 1978, 277 und Anm. Baumgärtei, JR 1978, 373. 38 Vgl. Stoll, Festschrift für F. v. Hippel, S. 554 u. AcP 176, 155; Giesen, Jura 1981, 20 f. u. 24; Gaupp, S. 66 f.; Rosenberg, S. 358 ff., insbes. S. 367; Musielak, S. 171; Kleinewefers / Wilts, S. 56 f. u. VersR 1967,624; Anm. Prölss, ZZP 82, 471 f.; Jäckel, S. 167; Husmann, S. 214 f. FN. 109; Schmidt, JuS 1975, 434; Laufs, Rdnr. 200 u. Med Sach 73, 4; Weimar, JR 1977, 9; Weyers, S .118; Soergel / R. Schmidt, § 276 Rdnr. 36; Palandt / Heinrichs, § 282 Anm. 2 e; Fikentscher, § 47 II; eingeschränkt (nur bei Verletzung unselbständiger Schutzpflichten) Anm. Deutsch, JZ 1978,277. 40 Vgl. Gaupp, S. 65. 41 Vgl. Stoll, AcP 176, 156; Stürner, S. 149.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
Arztvertrag in aller Regel um einen Dienstvertrag42 , in dem der Arzt das an den Regeln der ärztlichen Kunst ausgerichtete Bemühen um eine objektiv richtige Diagnose und eine sorgfältige, ebenfalls lege artis ausgeführte Behandlung verspricht43 • Das Fehlschlagen der Operation trotz ärztlicher Bemühungen bedeutet daher nicht, daß der Arztvertrag schlecht erfüllt worden ist44 • Das gleiche gilt für die weitere Verschlimmerung der Krankheit 45 • Bei einer so vorgenommenen Beschreibung und Abgrenzung der vom Arzt geschuldeten Leistung besteht auch nicht die Gefahr, daß die vertragliche Ersatzpflicht des Arztes praktisch schon mit dem Eintritt eines Schadens beim Patienten begründet erscheint46 . Denn der Arzt braucht sich als Schuldner erst zu entlasten, wenn der Patient als Gläubiger einen objektiven Leistungsmangel, d. h. einen Behandlungsfehler des Arztes, sowie den Ursachenzusammenhang zwischen diesem und dem Gesundheitsschaden bewiesen hat. Zwar obliegt dem Arzt damit der Beweis eines Negativums (Nachweis seiner Schuldlosigkeit), der erfahrungsgemäß schwieriger zu führen ist als der Beweis einer positiven Tatsache; jedoch zeigen gerade die §§ 282, 285 BGB, daß ein solcher Entlastungsbeweis der Rechtsordnung nicht fremd ist. Eine derartige Beweislastverteilung nimmt dem Patienten einerseits einen Teil seiner oben im einzelnen dargelegten Beweisschwierigkeiten, verhindert aber andererseits, daß der Arzt mit dem Risiko der Aufklärung unklarer Krankheitsverläufe belastet wird 47 • Eine analoge Anwendung der §§ 282, 285 BGB erscheint deshalb auch im Arzthaftungsprozeß interessengerecht. Wegen der reellen Entlastungsmöglichkeit des Arztes kommt sie übrigens keineswegs der Einführung der Gefährdungshaftung in diesem Bereich gleich, wie dies vereinzelt behauptet wird 48 • Auch die neuere schweizerische Rechtsprechung sieht keinen triftigen Grund, die Beweislast entgegen dem das gesamte Vertragsrecht beherrschenden Art. 97 des schweizerischen Obligationenrechts im Arzthaftungsprozeß anders zu verteilen49 • Nach dieser Vorschrift, die den s. 0.2. Teil A. II. 1. a), insbes. FN. 12. Vgl. BGH NJW 1978, 584; Gaupp, S. 65 f.; Baumgärtel / Wittmann, JA 1979,114. 44 Vgl. Stoll, Festschrift für F. v. Hippel, S. 553; Stürner, S. 149. 45 Vgl. Deutsch, Festschrift für E. v. Caemmerer, S. 330. 4& Vgl. Musielak, S. 171; Laufs, Rdnr. 200. 47 Vgl. Musielak, S. 171. 48 Vgl. z. B. Janssen, Nds. Ärztebl. 1976, 482. Manche Ärzte stehen dem Gedanken einer reinen (versicherbaren) Gefährdungshaftung nicht einmal so ablehnend gegenüber, da ihnen dann der weithin als Makel empfundene Schuldvorwurf erspart bliebe. Ein "ausgefeiltes System der Gefährdungshaftung" auch in diesem Bereich befürwortet neuerdings Giesen, Arzthaftungsrecht, S. 132. 42
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I. Beweislastumkehr bei vertraglichen Ansprüchen analog § 282 BGB
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§§ 282, 285 BGB entspricht, obliegt dem Schuldner bei nicht gehöriger Vertragserfüllung der Nachweis des Nichtverschuldens. Gleichzeitig wendet sich diese Rechtsprechung gegen die Behauptung, daß damit die Kausalhaftung des Arztes eingeführt werde, und weist im übrigen zu Recht darauf hin, daß beim Arzt die Gefahr des Beweisnotstandes wesentlich geringer sei, als sie es beim Patienten wäre, falls dieser die Beweislast für ein Verschulden des Arztes tragen müßte.
Die hier vertretene Ansicht steht außerdem im Einklang mit der von der Rechtsprechung entwickelten Gefahrenkreistheorie 50 . Zwar hat der BGH gerade in jüngster Zeit erklärt, daß das krankheitsbedingte Eingriffs risiko zunächst aus der Sphäre des Patienten komme 5!. Jedoch ist diese Behauptung m. E. als der mißlungene Versuch anzusehen, die Rechtsprechung zur Anwendbarkeit von § 282 BGB im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrages mit dem in diesem Bereich entwickelten Sphärengedanken zu begründen52 • Denn die. Gründe, auf die diese Theorie gestützt wird, treffen auf ärztliche Pflichtverstöße besonders ZU 53 . SO hat gerade in Arzthaftungsfällen der Patient als Gläubiger aus den im Zusammenhang mit seinen Beweisschwierigkeiten erörterten Gründen 54 nur einen sehr begrenzten Einblick in die Sphäre des Schuldners. Daß der Arzt in Wahrheit "näher am Schaden" und damit auch näher an der Aufklärung für die Gründe des Schadenseintritts ist, ergibt sich auch aus einer früheren Entscheidung des BGH55 und aus einer Stellungnahme von Dunz56 • Schließlich erfordert auch der Präventiv49 Obergericht Zürich, SJZ 1980, 383 f.; dazu krit. Steyert, SJZ 1981, 109 f., der davor warnt, durch eine Gleichsetzung von Verschulden und ärztlichem Behandlungsfehler zukünftig auch die Beweislast hinsichtlich der objektiven Pflichtwidrigkeit des ärztlichen Verhaltens zu Lasten des Arztes umzukehren. 50 So ausdrücklich OLG Saarbrücken, JBl. Saar 1967, 183, 184; vgl. auch Uhlenbruck, NJW 1965, 1062; Jäckel, S. 167; Laufs, Rdnr. 200 u. Med Sach 73, 4. Nach Westermann, NJW 1974, 583 führt dieser Gedanke auch im Fall eines gespalteten Arzt-Krankenhaus-Vertrages bei Unsicherheiten über die Zuordnung eines haftungsbegründenden Tatbestandes zum Verantwortungsbereich des Arztes oder des Krankenhausträgers zu einer überwälzung der Beweislast auf den Arzt (ebenso Uhlenbruck, a.a.O.). 51 BGH NJW 1980, 1333. 52 Der BGH dürfte sich dessen auch durchaus bewußt sein, nachdem er erst kurz zuvor betont hatte, daß die Beweislastverteilung nach "Gefahrenkreisen" auf den ärztlichen Bereich .regelmäßig nicht übertragen werden könne (so BGH JR 1978,61, 62 - Tierarztfall). 53 Vgl. OLG Saarbrücken, JBl. Saar 1967, 183, 184; Musielak, S. 171. 54 s. O. 2. Teil A. IH. 55 BGH NJW 1967, 1508 f. (aber beschränkt auf das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers; s. u. 2. Teil B. IH. 6.). 58 a.a.O., S. 26. Allerdings warnt Dunz an dieser Stelle vor der Anwendung von "Zaubersprüchen aus dem bedenklichen Formelkreis des ,näher dran"'. Seine Bedenken sind zwar (insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit)
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
zweck der Haftungsnormen diese Beweislastumkehr57 • Denn andernfalls würde der Arzt - obwohl schuldhaft handelnd - wegen der Beweisschwierigkeiten des Patienten allzu oft der Haftung entgehen. So aber wird er veranlaßt, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um zu verhindern, daß überhaupt ein Schaden entsteht. Wenn sich die Rechtsprechung zu einer generellen Beweislastumkehr analog §§ 282, 285 BGB entschließen könnte, so löste sich damit auch ein weiteres Problem gewissermaßen von selbst, das sich erst durch die Anerkennung einer Beweislastumkehr bei der Verwendung defekter medizinischer Geräte ergeben hat: nämlich das der Abgrenzung zwischen dem ärztlichen Behandlungsfehler und der Verwendung funktionsunfähiger Apparate. Baumgärtel weist zu Recht auf diesen neugeschaffenen Konfliktstoff hin 58 • 3. Tatsächliche Bedeutung der §§ 282, 285 BGB im Arztbaftungsprozeß
Die praktischen Auswirkungen einer generellen Beweislastumkehr für das Verschulden dürfen jedoch nicht überbewertet werden. Denn das Schwergewicht der Beweisschwierigkeiten, die überwunden werden sollen, liegt nicht im Nachweis des Verschuldens, sondern in der Feststellung, ob dem Arzt überhaupt ein objektiver Behandlungsfehler zur Last fällt und ob dieser ggf. für den eingetretenen Schaden kausal geworden ist 59 • Zwar legen einige Entscheidungen dem Schuldner den alternativen Entlastungsbeweis auf, daß er entweder seiner Sorgfaltspflicht genügt habe oder aber die feststehende Sorgfaltspflichtverletzung für den Schaden nicht ursächlich war (d. h., der ungünstige Erfolg auch ohne sein Verschulden eingetreten wäre)6o. Dies ändert jedoch nichts daran, daß der viel wichtigere Kausalzusammenhang zwischen der objektiven Pflichtverletzung und dem Schaden weiterhin vom geschädigten Patienten (Gläubiger) zu beweisen ist 61 • nicht völlig von der Hand zu weisen. Jedoch muß die Rechtsprechung dann auf so dehnbare Begriffe wie den Sphärengedanken konsequenterweise ganz verzichten. 57 Vgl. Prölss, VersR 1964, 904. 58 Anm. JR 1978, 373. 5D Vgl. Dunz, S. 21; H. Franzki, DRiZ 1978, 260; vgl. auch (allg.) Stoll, Festschrift für F. v. Hippel, S. 522; Hanau, S. 118. -So So im Bereich der Arzthaftung RGZ 78, 432, 436; RG HRR 1937 Nr. 1301 (a. E.); vgl. auch (allg.) Rosenberg, S. 367; Hanau, S. 118; Stoll, Festschrift für F. v. Hippel, S. 522 (m. w. N.); Diederichsen, Karlsruher Forum 1966, 22 (m.w.N.). 81 Vgl. RGZ 128, 121, 123 f.; BGH NJW 1969, 553, 554 (jeweils m. w. N.); Palandt / Heinrichs, § 282 Anm. 2 c; Hanau, S. 118; Larenz, § 24 I b a. E. (anders noch die Vorauflage); Baumgärtel / Wittmann, JA 1979. 117; unent-
1. Beweislastumkehr bei vertraglichen Ansprüchen analog § 282 BGB
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Bei der Untersuchung von 15000 Arzthaftpflichtansprüchen, die gegenüber Versicherungen geltend gemacht wurden, hat Stolz 62 ermittelt, daß die Auseinandersetzungen über die Frage, ob ein objektives Fehlverhalten des Arztes vorliegt, mit 79010 bei weitem im Vordergrund stehen, während Kausalitätsprobleme in 20010 der Fälle auftreten. Die Zahl der Fälle, in denen nur streitig ist, ob ein Behandlungsfehler vom Arzt auch zu vertreten ist, liegt nach dieser Untersuchung unter 101063 • Das kann nicht überraschen. Denn steht erst einmal die objektive Pflichtverletzung des Arztes fest, so ist angesichts des im Zivilrecht anders als im Strafrecht - objektivierten Fahrlässigkeitsbegriffes auch stark indiziert, daß der Arzt die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat. In der Terminologie der Fahrlässigkeitslehre gesprochen findet also häufig ein Schluß von der festgestellten Verletzung der äußeren Sorgfalt auf die der inneren Sorgfalt statt. Aber selbst wenn anzunehmen wäre, daß die Verschuldensfrage in einem höheren Prozentsatz der Fälle, in denen es schließlich zur Klageerhebung kommt, eine Rolle spielt, so ergeben diese Zahlen doch auch rein statistisch, daß die §§ 282, 285 BGB nicht die Bedeutung haben, die sie auf den ersten Blick zu haben scheinen. Dies ist auch noch aus einem anderen Grund der Fall. Neben den vertraglichen Ansprüchen auf Ersatz des materiellen Schadens sind in aller Regel auch Schmerzensgeldansprüche (§ 847 BGB) und - im Falle des tödlichen Ausgangs der Behandlung - Ansprüche der Hinterbliebenen aus den §§ 844, 845 BGB Gegenstand des Arzthaftungsprozesses. Diese können nur aus unerlaubter Handlung, nicht aber aus dem Arztvertrag hergeleitet werden. Für die weitergehenden deliktischen Ansprüche kommt die Beweislastumkehr in analoger Anwendung der §§ 282, 285 BGB jedoch nicht in Betracht, so daß es dort grundsätzlich weiterhin Sache des Klägers ist, dem Arzt ein Verschulden nachzuweisen64 • Hinsichtlich der deliktischen Haftung für medizinische Geräte schlägt Deutsch65 eine Beweislastumkehr in der Verschuldensfrage über § 831 schieden Stoll, Festschrift für F. v. Hippel, S. 522; a. A. Hainmüller, S. 152 f.; Schmidt, JuS 1975, 434; so offenbar auch Kleinewefers / Wilts, VersR 1967, 624 f. 62 VersR 1978, 797. 63 Wie sich aus dem Wort "nur" ergibt, bedeutet diese Angabe jedoch nicht, daß nicht auch in anderen Fällen der Nachweis des Verschuldens neben dem Beweis des Behandlungsfehlers oder der Kausalität von Bedeutung war. M Vgl. RGZ 128, 121, 123; BGH NJW 1969, 553, 554; Hainmüller, S. 161 FN. 538; Deutsch, NJW 1978, 1658; a. A. PröIss, S. 72 ff. u. VersR 1964, 905 sowie Giesen, Arzthaftungsrecht, S. 140 (beide allerdings nicht gestützt auf die §§ 282, 285 BGB). 85 Anm. JZ 1978, 278 u. NJW 1978, 1658; vgl. auch OLG Hamm, VersR 1980, 585,586.
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2. Teil.E. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
Abs. 1 Satz 2 BGB vor. Danach kann der Krankenhausträger im Falle des Fehlfunktionierens einer solchen Maschine der vermuteten Haftung für widerrechtliches Handeln des Verrichtungsgehilfen neben der Exkulpation für diesen nur durch den weiteren Nachweis entgehen, daß er - der Krankenhausträger - bei der Beschaffung des Gerätes die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat. Insoweit dürfte es zutreffend sein, die medizinischen Geräte als "Vorrichtungen oder Gerätschaften" im Sinne dieser Bestimmung anzusehen. In der Mehrzahl der Fälle sind auch Verrichtungsgehilfen mit der Bedienung dieser Maschinen beauftragt. Es ist bei der Heranziehung dieser Vorschrift jedoch darauf zu achten, daß die Entlastungsnotweridigkeit für den Geschäftsherrn erst besteht, wenn das Fehlfunktionieren der Maschine vom Patienten bewiesen ist. Darauf weist auch Deutsch ausdrücklich hin. Den Krankenhausträger trifft nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB nämlich keineswegs auch die Beweislast für die Funktionstüchtigkeit des Gerätes. 11. Beweiserleichterung durch Anscheinsbeweis Unabhängig davon, ob man die §§ 282, 285 BGB im Arzthaftungsprozeß für anwendbar hält, können dem Patienten gewisse Beweiserleichterungen zu Hilfe kommen. Die wichtigste Beweiserleichterung ist der Grundsatz des Anscheinsbeweises (Beweis des ersten Anscheins, prima-facie-Beweis), der im Gesetz nicht erwähnt, sondern von der Rechtsprechung entwickelt worden ist!. Seine allgemeinen Grundlagen sollen hier jedoch nur insoweit erörtert werden, als dies zu seinem Verständnis und für die Anwendbarkeit im Arzthaftungsprozeß von Bedeutung ist. Für die Erörterung weiterer, insbesondere dogmatischer Gesichtspunkte ist dagegen im Rahmen dieser Arbeit kein Raum. Insofern muß hier auf die zahlreichen Abhandlungen, die sich speziell mit dem Anscheinsbeweis befassen, verwiesen werden 2 • 1. Bedeutung und Wirkungsweise
Der Beweis des ersten Anscheins greift ein bei typischen (formelhaften) Geschehensabläufen, d. h. in Fällen, in denen ein Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Geschehensablauf hinweist3. Vgl. statt aller RGZ 130,357,359; BGHZ 2, 1, 5. Vgl. z. B. die Untersuchungen von Hainmüller und Pawlowski (und die dort jeweils zit. Lit.) sowie Prölss, S. 5 ff.; Musielak, S. 83 ff.; Wahrendorf, S. 31 ff.; Diederichsen, VersR 1966, 211 ff. und Karlsruher Forum 1966, 21 ff. a Vgl. Soergel / Zeuner, § 823 Rdnr. 362; Jauernig, § 50 V; Wieczorek, § 282 D II a 1; Baumbach / Hartmann, Anh. § 286 Anm. 3 B; Diederichsen, Karlsruher Forum 1966, 22 (jeweils m. zahlr. w. N.). 1
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11. Beweiserleichterung durch Anscheinsbeweis
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Dieser regelmäßige Verlauf ist im Wege des Anscheinsbeweises als bewiesen anzusehen, wenn der Fall im übrigen das Gepräge des Üblichen und Typischen trägt und sich der Schluß auf die Richtigkeit der streitigen Behauptung daher ohne weiteres aufdrängt4 • Von Bedeutung ist der Anscheinsbeweis vor allem bei den Fragen des Kausalzusammenhangs und des Verschuldens5 • Bezogen auf den Fall der Arzthaftung besagt diese Beweisregel, daß der Patient den Kausalzusammenhang zwischen einem Behandlungsfehler des Arztes und dem eingetretenen Schaden dann (zunächst) nicht zu beweisen braucht, wenn der eingetretene Schaden nach der allgemeinen Lebenserfahrung oder nach Erfahrungssätzen der medizinischen Wissenschaft die typische Folge dieses Behandlungsfehlers ist 6 • Desgleichen braucht der Patient das Verschulden des Arztes (d. h. genauer: die Tatsachen, auf denen das Fahrlässigkeitsurteil beruhF) nicht nachzuweisen, wenn die ärztliche Behandlung einen Schaden zur Folge hat, der typischerweise auf einen schuldhaften Behandlungsfehler zurückzuführen ist. Aufgrund des Anscheinsbeweises kann also nicht nur von einem feststehenden Ereignis (sc. Behandlungsfehler) auf den Zusammenhang mit dem eingetretenen Erfolg (sc. Schaden), sondern auch - umgekehrt - von einem eingetretenen Erfolg (sc. Schaden) auf ein bestimmtes Ereignis (sc. schuldhafter Behandlungsfehler) als Ursache geschlossen werdens. Der prima-facie-Beweis reicht immer dann zum Nachweis von Kausalität oder Verschulden aus, wenn sich dem Richter aufgrund eines medizinischen Erfahrungssatzes die Vorstellung von einem bestimmten Geschehensablauf aufdrängt. Wie jeder Beweis muß allerdings auch der Anscheinsbeweis zur vollen richterlichen Überzeugung vom Vorliegen des zu beweisenden Tatumstandes führen. Zwar kann eine prima facie bewiesene Tatsache niemals zur Gewißheit im naturwissenschaftlichen Sinne feststehenD. Dies ergibt sich bereits aus der Natur des Anscheinsbeweises als Rückschluß aufgrund eines Erfahrungssatzes. Vielmehr kann das Vorliegen eines nach dieser Beweisregel bewiesenen Sachver4 Vgl. z. B. Palandt / Heinrichs, Vorbem. 8 a aa vor § 249; Diederichsen, VersR 1966, 212; Kleinewefers / Wilts, VersR 1967,619 (jeweils m. zahlr. w. N.). 5 Jauernig, § 50 V; Diederichsen, Karlsruher Forum 1966, 22. 6 Vgl. hierzu und zum folgenden statt aller BGH NJW 1956, 1835 (= voll abgedruckt in LM ZPO § 286 (C) Nr. 25); VersR 1965, 792; Soergel/ Zeuner, § 823 Rdnr. 370; Uhlenbruck, NJW 1965, 1058. 7 Mit Hilfe des Anscheinsbeweises kann nämlich nur auf Tatbestandsmerkmale geschlossen werden, die den Rechtsbegriff "Fahrlässigkeit" ausfüllen. 8 Vgl. BGH LM ZPO § 286 Nr. 25 u. Nr. 26; OLG Celle, VersR 1976, 1178; OLG Stuttgart, VersR 1979, 630; Uhlenbruck, NJW 1965, 1058; Diederichsen, VersR 1966,213 (jeweils m. w. N.). 9 Vgl. hierzu und zum folgenden Prölss, S. 23 f.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
haltes immer nur wahrscheinlich sein. Diese (objektive) Wahrscheinlichkeit kann aber dem Richter ausreichen, um daraus im Wege freier Beweiswürdigung eine subjektive Gewißheit zu schöpfen, sich also von dem Vorliegen eines Tatumstandes zu überzeugen. Ist ein Sachverhalt nach Ansicht des Richters nur wahrscheinlich gegeben, ist er von dessen Vorliegen jedoch nicht voll überzeugt, so ist der Anscheinsbeweis als nicht geführt anzusehen 10, und es obliegt dem Beweisbelasteten, nunmehr vollen Beweis für die zu beweisenden Tatsachen zu erbringen. Demnach versteht es sich fast von selbst, daß sich kein Grad der Wahrscheinlichkeit nennen läßt, von dem ab eine Tatsache als prima facie bewiesen angesehen werden darfl l • Eine bloße, wenn auch hohe Wahrscheinlichkeit, z. B. des ursächlichen Zusammenhangs, kann die richterliche Feststellung der Kausalität nicht ersetzen12 • Erst recht reicht es nicht aus, wenn bei mehreren möglichen Ursachen die eine nur wahrscheinlicher ist als die andere 13 • Während sich die Beweislastumkehr analog §§ 282, 285 BGB nur im Vertragsrecht auswirkt, finden die Regeln des Anscheinsbeweises nach allgemeiner Ansicht sowohl bei Ansprüchen aus Vertrag als auch solchen aus unerlaubter Handlung Anwendung 14 • Allerdings erfährt seine Anwendbarkeit insoweit eine Einschränkung, als er grundsätzlich nur für den Beweis der haftungsbegründenden Kausalität im Rahmen von § 286 ZPO, nicht aber für den der haftungsausfüllenden Kausalität in Betracht kommt 15 • Für dessen Nachweis gilt vielmehr § 287 ZPO, der den Richter in der Überzeugungsbildung ohnehin freier stellt. 2. Entkräftung oder Widerlegung durch den Gegner
Es wäre allerdings unzutreffend, den prima-facie-Beweis als einen Fall der Beweislastumkehr anzusehen16 , denn tatsächlich unterscheidet er sich davon 17 • Als eine Form der freien richterlichen Beweiswürdi10
Vgl. RGZ 95, 249; OLG München, VersR 1962, 1114; Palandt / Heinrichs,
Vorbem. 8 a aa vor § 249.
Vgl. Kröning, S. 106. Vgl. BGH VersR 1957,248. 13 Vgl. BGHZ 24, 308, 313; BGH VersR 1954, 224; 1964, 1063; NJW 1978, 2032,2033; RGRK-Nastelski, vor §§ 249 - 255 Anm. 51. 14 Vgl. Baumbach / Hartmann, Anh. § 286 Anm. 3 B; Prölss, S. 29. Aus diesem Grunde hat der Anscheinsbeweis des Verschuldens im Rahmen der deliktischen Haftung auch dann noch eine eigenständige Bedeutung, wenn man für die Vertragshaftung insoweit zu einer Beweislastumkehr in analoger Anwendung der §§ 282, 285 BGB gelangt. 15 Vgl. Kröning, S. 104 f.; Gaupp, S. 48 f. (jeweils m. w. N.). 18 Jedoch ist Diederichsen, VersR 1966, 214 u. Karlsruher Forum 1966, 22 f. der Ansicht, daß sich beide Institute - jedenfalls im Ergebnis - weitgehend entsprechen; ähnlich Diskussionsbeitrag Larenz, Karlsruher Forum 1966, 40. 11
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11. Beweiserleichterung durch Anscheinsbeweis
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gung 18 ist er nur eine Beweiserleichterung. Der Beweisbelastete ist nämlich nur so lange von der Beweisführung befreit, bis der Gegner dartut, daß hier ein atypischer Geschehensablauf vorliegen könnte 19 • Der Anscheinsbeweis kann also durch den Nachweis von Tatsachen entkräftet werden, aus denen sich im konkreten Einzelfall die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Verlaufs als des nach der allgemeinen Lebenserfahrung (hier meist: medizinischen Erfahrung) zu erwartenden ergibt20 • Deutet z. B. der erste Anschein auf ein Verschulden des operierenden Arztes hin, so beim Zurücklassen eines größeren Fremdkörpers in der Operationswunde21 , dann ist zur Entkräftung des Anscheinsbeweises erforderlich und genügend, daß der beklagte Arzt einen Sachverhalt dartut und im Falle des Bestreitens beweist, der die ernsthafte Möglichkeit eines Geschehensablaufes ergibt, bei dem das Zurücklassen des Fremdkörpers auch ohne sein Verschulden erklärlich ist 22 • Zur Erschütterung des prima-facie-Beweises genügt es jedoch nicht, daß der Arzt bloß eine fernliegende theoretische Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufes dartut. Er muß vielmehr beweisen, daß diese Möglichkeit gerade im konkreten Einzelfall nach Konstitution und Krankheitsbild des betreffenden Patienten ernsthaft in Betracht kommt 23 • Diesen Beweis braucht der Arzt ebenfalls nur prima facie zu erbringen24 , wobei die Tatsachen, aus denen er die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufes herleitet, allerdings des vollen Beweises bedürfen25 • Gelingt ihm das, so wird damit dem Anscheinsbeweis die Grundlage entzogen. Die beweisbelastete Partei, hier also der geschä17 Vgl. RGZ 159, 235, 239; BGHZ 2, 1, 5; 39, 103, 107 f.; BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 6; Baumbach / Hartmann, Anh. § 286 Anm. 3 B; Rosenberg / Schwab, § 1143 u. § 118 III 6 c; Jauernig, § 50 V (a. E.); Blomeyer, AcP 158, 97; Deutsch, Festschrift für E. v. Caemmerer, S. 333. 18 Allg. M.; vgl. statt aller Baumbach / Hartmann, Anh. § 286 Anm. 3 B; Petersen, DRiZ 1962, 266. 19 BGHZ 6, 169. 20 Vgl. z. B. RGZ 159, 235, 239; BGHZ 2, 1, 5; 6, 169; BGH VersR 1957, 252; 1971, 80, 82; BAG NJW 1967, 269; RGRK-Nastelski, vor §§ 249 - 255 Anm. 49; Soergel/ Zeuner, § 823 Rdnr. 362 (jeweils m. w. N.). 21 BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 15. 22 Vgl. RGRK-Nastelski, vor §§ 249 - 255 Anm. 49; Petersen, DRiZ 1966, 267. 23 BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 15 u. Nr. 25; BGH VersR 1955, 573, 574; 1957, 252; NJW 1976, 897 (m. w. N.); 1978, 2032, 2033; OLG Celle, VersR 1976, 1178, 1179. 24 Vgl. BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 6; NJW 1969, 277; Weyers / Mirtsching, JuS 1980, 322. 25 BGHZ 6, 169; 8, 239, 240; BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 15; NJW 1969, 277; Jauernig, § 50 V (a. E.); Wieczorek, § 282 D II a 3.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
digte Patient, muß nun - wie bereits erwähnt 26 - für die zunächst nur prima facie bewiesenen Behauptungen den vollen Beweis erbringen27 • Sind typischerweise mehrere schuldhafte Verursachungen möglich, so ist der Anscheinsbeweis erst dann entkräftet, wenn der Arzt alle unterstellten Ursachen - wenigstens prima facie - widerlegt oder eine weitere Möglichkeit des Geschehensablaufes nachgewiesen hat, für die er nicht haften würde 28 • Kommen für eine Schädigung dagegen mehrere Ursachen in gleicher Weise in Betracht, würde der beklagte Arzt aber nur für eine der möglichen Ursachen haften, so können die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins nicht angewandt werden, solange nicht die Kausalreihen ausgeschlossen werden können, für die er nicht einzustehen hätte29 • Ob die eine oder andere Möglichkeit nach der Lebenserfahrung eine größere Wahrscheinlichkeit für sich hat, ist unerheblich3o • In diesem Fall verbleibt es bei dem Grundsatz, daß die bestehenden Zweifel zu Lasten des beweisbelasteten Geschädigten gehen, er also für die eine mögliche schuldhafte Verursachung die volle Beweislast trägt. Neben der Entkräftung des Anscheinsbeweises durch die Darlegung eines Sachverhalts, der die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufes ergibt, kann der Beweisgegner den prima-facieBeweis auch widerlegen, indem er den vollen Beweis erbringt, daß die aufgrund des Anscheinsbeweises als bewiesen angesehene Ursache im konkreten Einzelfall nicht vorliegt 31 • 3. Anwendungsbereich im Arzthaftungsprozeß
Nachdem die Grundsätze des Anscheinsbeweises und die Möglichkeit seiner Entkräftung oder Widerlegung bisher weitgehend abstrakt dargestellt worden sind, sollen die folgenden Fälle verdeutlichen, unter welchen Voraussetzungen die Rechtsprechung diese Beweisregel im Arzthaftungsprozeß angewandt hat. Zunächst einige Beispiele für den Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen einem schuldhaften ärztlichen Behandlungsfehler und s. o. 2. Teil B. 11. I. Vgl. BGHZ 6, 169; 39, 103, 108; OLG München, VersR 1962, 1114 (a. E.); RGRK-Nastelski, vor §§ 249 - 255 Anm. 49; Diederichsen, VersR 1966,213. 28 BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 20; VersR 1962,60; OLG Hamm, VersR 1978, 332,333 (a. E.); Uhlenbruck, NJW 1965, 106I. 29 BGH VersR 1954, 224; 1959, 365, 366; 1961, 725, 726; 1961, 421, 422; 1965, 91, 93; OLG München, VersR 1962, 1114; OLG Düsseldorf, VersR 1977, 970; RGRK-Nastelski, vor §§ 249 - 255 Anm. 5I. 30 BGH VersR 1954,224; Kleinewefers / Wilts, VersR 1967, 619. 31 BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 20; RGRK-Nastelski, vor §§ 249 - 255 Anm. 50. 26 27
11. Beweiserleichterung durch Anscheinsbeweis
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dem eingetretenen Schaden. So hat das RG die Kausalität zwischen der Unterbringung eines Patienten im Krankenzimmer eines Scharlachkranken und der Scharlacherkrankung des später eingelieferten Patienten nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises bejaht 32 • Desgleichen hat der BGH die Tuberkuloseerkrankung eines infolge jugendlichen Alters und krankheitsbedingter Schwächung für Tuberkulose besonders anfälligen Patienten prima facie darauf zurückgeführt, daß er mit einem tuberkulosekranken ansteckungsfähigen Mitpatienten ständig in Berührung gekommen war 33 • Mehrfach hat der BGH prima facie die Kausalität zwischen dem Unterlassen einer bestimmten ärztlichen Maßnahme und der eingetretenen Schädigung angenommen: so z. B., wenn ein Gipsverband, der zur Heilung eines Beinbruchs angelegt ist, auch nach Auftreten von Durchblutungsstörungen nicht alsbald gespalten wird 34 • Der hierin liegende ärztliche Behandlungsfehler ist nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises für eine später eintretende Nekrose und daran anschließend notwendige Amputation als ursächlich anzusehen 35 . Das gleiche gilt, wenn die Hebamme beim Vorliegen einer Schulterdystolie (= erschwerte Entwicklung der Schulter durch ein Verhaken der vorderen Schulter des Kindes hinter dem Schambein der Mutter während der Geburt) allein mit verstärkter Kraftanwendung bei den üblichen Dreh- und Ziehbewegungen vorgeht, ohne den hier medizinisch gebotenen entlastenden Dammschnitt durch einen Arzt vornehmen zu lassen. Wird das Kind mit einer Plexusschädigung gerade an der Schulter geboren, die hinter dem Schambein der Mutter hängengeblieben war, so ist nach den Regeln des Anscheinsbeweises die Schlußfolgerung gerechtfertigt, daß die Schädigung durch diese fehlerhafte Art der Schulterentwicklung verursacht worden ist3 6 • Der typische Geschehensablauf setzt nicht voraus, daß er sich zahlenmäßig häufig ereignet. Bei der übertragung des Blutes eines LueskranRGZ 165, 336, 339. BGH VersR 1960, 416, 417; anders, wenn die ernsthafte Möglichkeit besteht, daß der Patient die Tuberkulose bereits von zu Hause mitgebracht hat (vgl. BGH VersR 1965,91, 93; NJW 1969, 553 f.). 34 BGH VersR 1961, 613 f. 35 BGH, a.a.O. (FN. 34); vgl. auch das BGH-Urt. v. 10.11. 1952 (mitgeteilt bei Petersen, DRiZ 1962, 267 i. V. m. S. 194), wonach eine Scheuerwunde an der großen Zehe nach dem natürlichen Lauf der Dinge nicht zur Amputation des Beines führt; daher wäre bei sofortiger Zuziehung eines Arztes prima facie eine Amputation nicht erforderlich gewesen. 38 OLG Bremen, VersR 1979, 1060, 1062. Der Anscheinsbeweis ist ferner zum Kausalitätsnachweis u. a. in Betracht gezogen worden in BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 25 (Verkrüppelung beider Hände aufgrund unsachgemäßer Operation sog. schnellender Finger); VersR 1959, 314, 316 (Tetanusschock als Ursache für einen Schlaganfall des an Arteriosklerose leidenden Patienten); VersR 1967, 663, 664 (mißlungene Staroperation). 32
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
ken auf einen anderen Patienten hat der BGH deshalb in zwei Fällen prima facie auf eine Infektion durch die Transfusion geschlossen, obwohl diese Infektionsursache relativ selten (also gerade nicht "typisch"?) ist. In diesen Fällen lagen aber keine konkreten Anhaltspunkte für eine andere mögliche Ursache der Syphilis-Infektion vor 37 • Dagegen hat der BGH es abgelehnt, diesen Grundsatz auch für die Frage der Ursächlichkeit einer Augeninfektion nach der Operation eines Auges anzuwenden 38 • Zwar war der klagende Patient im Krankenhaus neben einem Kranken untergebracht, der eiternde Wunden an den Füßen hatte. Jedoch war der Anscheinsbeweis, daß dies die Infektion verursacht hatte, durch die ernsthafte Möglichkeit erschüttert worden, daß Keime durch den Kläger selbst in das Auge gelangt waren oder sich schon vor der Operation im Bindehautsack des Auges befunden hatten. In einem ähnlichen Fall hat der BGH die Regeln des Anscheinsbeweises für unanwendbar erklärt, wenn sich nicht feststellen läßt, ob die Erblindung eines Patienten schicksalsmäßig eingetreten oder durch ein in der Augenheilkunde allgemein gebräuchliches Verfahren verursacht worden ist, gegen dessen erst vereinzelt beschriebene Gefahren (Keimübertragung) noch kein Schutz durch eine anerkannt bessere Methode gefunden worden war 3D • Hier war allerdings für die Anwendung dieser Beweisregel schon deshalb kein Raum, weil der Arzt für keine der beiden möglichen Ursachen der Erblindung einzustehen hatte. Im folgenden sollen einige Fälle dargestellt werden, bei denen die Grundsätze des Anscheinsbeweises in der Weise Anwendung gefunden haben, daß von einem festgestellten Schaden der Rückschluß auf ein ärztliches Verschulden gezogen wurde: So kann nach Ansicht des RG beispielsweise unter bestimmten Umständen auf ein Verschulden des Arztes geschlossen werden, wenn nach der Behandlung einer Hautkrankheit mit Röntgenstrahlen Verbrennungserscheinungen auftreten40 • Mehrere Entscheidungen des BGH nehmen prima facie einen schuldhaften Behandlungsfehler an, wenn es sofort nach einer intramuskulären Injektion zu Lähmungserscheinungen kommt 4!. Jedoch scheidet hier 31 BGHZ 11, 227 u. BGH VersR 1957, 252; diese Rechtsprechung bejahen Anm. Johannsen, LM ZPO § 286 (C) Nr. 16 u. Stein / Jonas / Schumann / Leipold, § 282 IV 7 a aa FN. 118; sie wird abgelehnt von Anm. Wassermeyer, NJW 1954, 1119, Uhlenbruck, NJW 1965, 1059 f. u. Diederichsen, VersR 1966, 220. 38 BGH VersR 1961, 725, 726. 39 BGH NJW 1965, 345. 40 RG HRR 1935 Nr. 1009; vgl. auch BGH VersR 1958, 512. 41 BGH VersR 1957, 336, 337; 1961, 1118, 1119; vgl. auch LG Lübeck, VersR 1967,69,70 (Auftreten einer Nekrose nach Tomanol-Injektion).
11. Beweiserleichterung durch Anscheinsbeweis
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die Anwendung des Anscheinsbeweises ebenfalls aus, wenn die eingetretenen Schäden auch bei kunstgerecht durchgeführter Injektion entstanden sein können42 • Verschluckt der Patient eine ungesicherte Nervennadel während der zahnärztlichen Behandlung, so spricht der erste Anschein für ein Verschulden des Arztes 43 . Das gleiche gilt, wenn es bei einer perkutanen Leberbiopsie (Leberblindpunktion) zur Perforation der Gallenblase kommt 44 . Führt die Verwendung eines Thermokauters (Hochfrequenzchirurgiegerät) zu Hautverbrennungen, so läßt dieser Umstand den prima-fade-Schluß auf eine schuldhafte Nichtbeachtung der Gebrauchsvorschriften ZU 45 . Werden nach einer Operation von einem anderen Arzt aus der Operationswunde Tamponreste entfernt und steht fest, daß in der Zwischenzeit kein dritter Arzt die Wunde behandelt hat, so hat nach Ansicht des BGH der operierende Arzt dem ersten Anschein nach Tampons verwandt und die Tamponreste in der Wunde zurückgelassen 46 . Zwar ist diese Entscheidung im Ergebnis richtig. Jedoch bedurfte es hier nicht eines Zurückgreifens auf den Anscheinsbeweis, da unter den gegebenen Voraussetzungen nach den Gesetzen der Logik bereits der volle Beweis erbracht war, daß der Erstoperateur die Tamponreste zurückgelassen hatte 47 . Das Zurücklassen eines Fremdkörpers in einer Operationswunde braucht aber nicht immer ein schuldhafter Behandlungsfehler zu sein; es kommt vielmehr auf die besonderen Umstände des Einzelfalls an, wie Art und Größe des zurückgelassenen Fremdkörpers und den Operationsverlauf (z. B. starke Blutungen oder Herzschwäche des Patienten, Orts- und Lichtverhältnisse oder Überbeanspruchung des operierenden Arztes)48. Beim Zurücklassen großer und fester Gegenstände ist im allgemeinen prima fade von einer schuldhaften Unachtsamkeit des Operateurs auszugehen 49 . Bleibt jedoch nur ein Wattetupfer, eine GazeBGH VersR 1961,421,422 (Novocainblockade). OLG Nürnberg, MDR 1953, 483, 484; vgl. auch den ähnlich gelagerten Fall BGHZ 8, 138, 140 ff. 44 OLG Celle, VersR 1976, 1178. 45 BGH VersR 1955, 573, 574; OLG Köln, VersR 1978, 1025. 48 BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 26 (= VersR 1956, 577). 47 Vgl. Kröning, S. 106 FN. 5; Uhlenbruck, NJW 1965, 1060. 48 BGHZ 4, 138; BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 15; BGH VersR 1955, 344 (m. zahlr. w. N.). 49 BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 15 (16 cm lange und 8 cm breite Arterienklemme); BGHZ 4, 138, 144 (sog. Klemme nach Pean, vergleichbar einer 10 cm langen Schere); vgl. auch OLG Hamm, VersR 1978, 332 f. (Zurückbleiben eines etwa 10 cm langen Trennstückes eines Katheterschlauches nach 42
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
serviette oder ein Tampon in der Wunde zurück, so besteht nach Ansicht der Rechtsprechung kein auf ein generelles Verschulden des Arztes hinweisender Erfahrungssatz, da ein Zurückbleiben solch kleiner Gegenstände, insbesondere bei schwierigen und komplikationsreichen Operationen, auch dem erfahrenen und vorsichtig operierenden Chirurgen unterlaufen kann 50 • Demzufolge können in diesen Fällen die Grundsätze des Anscheinsbeweises keine Anwendung finden, so daß dem Patienten im Einzelfall der volle Beweis des Verschuldens beim Zurücklassen solch kleiner Gegenstände obliegt51 • 4. Stellungnahme zum Anwendungsbereich im Arzthaftungsprozeß
Die Anwendung des Anscheinsbeweises im Arzthaftungsprozeß verfolgt den Zweck, den oben 52 im einzelnen geschilderten Beweisnotstand des Patienten zu lindern 53 • Dieses Ziel wird nach Ansicht von Dunz nur selten erreicht, da die zur Entscheidung anstehenden Eingriffszwischenfälle auch typisch als schicksalhafte Folge eintreten könnten, selbst wenn sie überwiegend verschuldet seien54 • Zwar hat das RG die Grundsätze des Anscheinsbeweises im Arzthaftungsprozeß tatsächlich nur zögernd angewendet 55 • In der Rechtsprechung der Nachkriegszeit hat diese Beweisregel bei Ersatzansprüchen wegen fehlgeschlagener ärztlicher Behandlung jedoch eine bedeutsamere Rolle gespielt 56 , wie allein schon die recht umfangreiche Kasuistik in diesem Bereich belegt. Auch wenn die Behauptung von Dunz als übertrieben pessimistisch anzusehen ist, so läßt sich doch nicht bestreiten, daß es für den Arzt im Gegensatz zu anderen Beklagten verhältnismäßig einfach ist, die einer Infusionsbehandlung). Der Arzt muß alle möglichen und zumutbaren Sicherungsvorkehrungen gegen ein Verbleiben von Fremdkörpern im Operationsgebiet treffen. Im Einzelfall kann in der Außerachtlassung der gebotenen Maßnahmen auch ein grober Behandlungsfehler liegen (BGH VersR 1981, 462, 463), so daß sich die Beweislast in der Kausalitätsfrage zu Lasten des Arztes umkehrt (vgl. dazu ausführlich unten 2. Teil B. 111.). 50 RGZ 97, 4, 5; BGH LM BGB § 276 (Ca) Nr. 7; LG Köln, VersR 1964, 392; vgl. auch Anm. Pagendarm, LM BGB § 278 Nr. 4. 51 Weitere Beispiele für die Entkräftung des für ein ärztliches Verschulden sprechenden Anscheinsbeweises: BGH VersR 1962, 528, 529 (Eine ischämische Muskelkontraktur [Muskelschrumpfung] ist trotz ihrer Seltenheit eine typische Folge des Oberarmbruchs eines Kindes, ohne daß sie auf einem schuldhaften Behandlungsfehler beruhen muß.); vgl. auch die bei Petersen, DRiZ 1962, 267 (F 11 b) genannten Fälle. 52 2. Teil A. 111. 53 Vgl. Uhlenbruck, NJW 1965, 1058. 54 Dunz, S. 31; ähnlich Gaupp, S. 54; Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S. 298 (FN. 53) u. 301; vgl. auch BGH NJW 1978, 1681, 1682. 55 Vgl. Gaupp, S. 49 u. 51. 56 Vgl. Stein / Jonas / Schumann / Leipold, § 282 IV 7 a bb; Petersen, DRiZ 1962,266; Schwalm, Festschrift für P. Bockelmann, S. 555; Weyers, S. 45.
ILBeweiserleichterung durch Anscheinsbeweis
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ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufes nachzuweisen und dadurch den Erfahrungssatz, auf dem der Anscheinsbeweis beruht, zu erschüttern. Wie sich gerade aus der zuletzt dargestellten Fallgruppe ("Fremdkörper-Fälle") ergibt, ist die Rechtsprechung auch nicht bereit, auf diesem Sektor - etwa aus Billigkeitsgründen57 leichtfertig einen typischen Sachverhalt und eine allgemeine Lebenserfahrung anzunehmen, nur um dem klagenden Patienten zu helfen. Vielmehr betont sie immer wieder zu Recht, daß das Mißlingen eines Eingriffs oder auch nur die Verschlechterung des Gesundheitszustandes allein noch keinen Behandlungsfehler oder gar ein schuldhaftes Fehlverhalten des Arztes indiziert58 • Daher ist gerade beim Rückschluß von der eingetretenen Schädigung auf ein ärztliches Verschulden besondere Vorsicht geboten. Um die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts nicht in ungerechtfertigter Weise zu Lasten des Arztes gehen zu lassen, ist dieser prima-facie-Schluß zur bei typischen Schädigungen im Einzelfall zulässig. Trotzdem ist auffällig, daß die Rechtsprechung - jedenfalls soweit die veröffentlichten Entscheidungen ein repräsentatives Bild abgebenden Anscheinsbeweis in letzter Zeit fast nur noch zum Nachweis eines schuldhaften Pflichtverstoßes des Arztes herangezogen hat 59 • Zum Beweis der Kausalität zwischen dem (festgestellten) schuldhaften Behandlungsfehler und dem eingetretenen Schaden ist er dagegen heute weitgehend in den Hintergrund getreten60 . Dies dürfte vor allem daran liegen, daß die Gerichte inzwischen eher geneigt sind, einen groben Behandlungsfehler des Arztes anzunehmen und infolgedessen die Beweislast in der Kausalitätsfrage zu Lasten des Arztes umzukehren61 . So würde auch der BGH heute z. B. in den Lues-Fällen62 anstelle der Anwendung der Anscheinsregeln höchstwahrscheinlich zu einer Beweislastumkehr gelangen, weil das Krankenhaus bei der Transfusion des luetisch infizierten Blutes einen so groben Behandlungsfehler begangen hat, daß die Unaufklärbarkeit zu seinen Lasten gehen muß63. 57 Vgl. dazu allg. Prölss, S. 24 ff., der der h. M. folgend Billigkeitsgesichtspunkte bei der Anwendung des Anscheinsbeweises ablehnt. 58 s. o. 2. Teil A. III. (a. E.) u. B. I. 2. Sg Vgl. z. B. OLG Celle, VersR 1976, 1178; OLG Hamm, VersR 1978, 332; OLG Köln, VersR 1978, 1025; vgl. auch OLG Düsseldorf, VersR 1977, 970 (Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises im konkreten Fall allerdings verneint). 60 Vgl. aber OLG Bremen, VersR 1979, 1060, 1062. 61 Vgl. dazu ausführlich unten 2. Teil B. IU. 62 s. o. 2. Teil B. II. 3., insbes. FN. 37. 63 Obwohl die Abgrenzung zwischen Anscheinsbeweis und Beweislastumkehr im Einzelfall flüssig ist, sind sie jedoch keine austauschbaren Beweisfiguren (5. dazu eingehend unten 2. Teil B. III. 5. a) aal).
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
Auch bei einer heute reduzierten Anwendung der Grundsätze des prima-facie-Beweises soll jedoch nicht übersehen werden, daß dem Richter damit ein Instrumentarium in die Hand gegeben ist, mit dem er verhindern kann, daß die Klage des Patienten an bloßen Schutzbehauptungen des Arztes scheitert. Denn es dürfte kaum zweifelhaft sein, daß es Fälle gibt, in denen die Darlegungen des Arztes zu möglichen Ursachen einer Schädigung nur als solche realitätsfernen Schutzbehauptungen anzusehen sind. Dabei findet der Arzt bisweilen sogar die Unterstützung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen64 • Da aber gerade im Arzthaftungsprozeß die Bereitschaft des Tatrichters mangels ausreichender Fachkenntnisse gering ist, bloße Schutzbehauptungen des beklagten Arztes als unglaubhaft zurückzuweisen 65 , dürfte der Anscheinsbeweis auch im Arzthaftungsprozeß weiterhin von Bedeutung sein.
111. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler Unter bestimmten Voraussetzungen nimmt die Rechtsprechung allerdings über die Beweiserleichterungen des Anscheinsbeweises hinaus und unabhängig von §§ 282, 285 BGB eine echte Beweislastumkehr zuungunsten des Arztes an. Begeht dieser nämlich einen groben Behandlungsfehler, der geeignet ist, einen Schaden der Art herbeizuführen, der tatsächlich eingetreten ist, so muß er beweisen, daß die Schädigung nicht auf sein Verhalten zurückzuführen ist. Diese Beweislastumkehr ist eine Durchbrechung des Grundsatzes der uneingeschränkten Beweislast des Geschädigten durch Richterrecht und findet in keiner Gesetzesbestimmung unmittelbaren Rückhalt. Anders als bei der umstrittenen Beweislastumkehr analog §§ 282, 285 BGB handelt es sich hier nicht um eine Verschuldensvermutung zu Lasten des Arztes. Vielmehr trifft ihn die Beweislast, daß sein Behandlungsfehler für den eingetretenen Schaden nicht kausal geworden ist. Er wird infolgedessen auch (und gerade) dann zum Schadensersatz verurteilt, wenn sich die Kausalitätsfrage im Prozeß nicht klären läßt. Zur Linderung der als unbillig empfundenen Beweisnot des Patienten wird also die Beweisnot des Arztes bewußt in Kauf genommen!.
84 So z. B. in dem der Entscheidung des OLG Celle, VersR 1978, 1178 zugrundeliegenden Fall. 85 Vgl. dazu Diederichsen, Karlsruher Forum 1966, 26 u. 47, der den Zivilrichter generell zu einer größeren Bereitschaft auffordert, "hergeholte" und lebensfremde Partei behauptungen als unwahr zurückzuweisen. 1 Vgl. Dunz, S. 30.
III. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler
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1. Entwicklung der Voraussetzungen für diese Beweislastumkehr
Diese Beweislastumkehr findet ihren Ursprung in der späten Rechtsprechung des RG. So erklärte das RG in einer Entscheidung aus dem Jahre 1940 2 , daß der Arzt, der seinen Patienten "bewußt oder in leichtfertiger Gleichgültigkeit einer Gefahr aus(ge)setzt" habe, die Beweislast für die Nichtursächlichkeit dieser Gefährdung für den eingetretenen Schaden trage. Für diese Einschränkung der Beweislast des geschädigten Patienten beruft sich der erkennende Senat auf das in einem ähnlich liegenden Fall ergangene Urteil vom 23. März 1937, das offenbar nicht veröffentlicht worden ist. Dieses Datum kann deshalb als die Geburtsstunde der Beweislastumkehr wegen eines groben Behandlungsfehlers des Arztes gelten. Auch in einer weiteren Entscheidung vom 21. Mai 1937 3 hat das RG betont, der Grundsatz, daß die Unmöglichkeit einer Aufklärung des Ursachenzusammenhangs nicht zu Lasten des Arztes gehen könne, sei nicht starr anzuwenden, so daß es sich immer nach den obwaltenden Umständen richte, ob er Platz greife. In seinem Urteil vom 17. Mai 1943 4 hat das RG schließlich darauf hingewiesen, daß eine Beweislastumkehr insbesondere in Fällen der geschilderten Art anzunehmen sei. Zwar legt diese Formulierung die Vermutung nahe, daß das RG die bewußte oder leichtfertige Gefährdung des Kranken hier nur als einen Beispielsfall für eine Beweislastumkehr verstanden wissen wollte 5 • Jedoch läßt sie keineswegs den allgemeinen Schluß zu, das RG habe die Beweislastumkehr nirgends auf diese Fallgruppen beschränkt, wie Kleinewefers und Wilts behaupten 6 • Denn bis auf die Entscheidung vom 21. Mai 1937 hat das RG in allen Fällen, in denen es diese Beweislastumkehr angenommen hat, zuvor ausdrücklich einen groben Behandlungsfehler oder eine leichtfertige Gefährdung festgestellt7. Der BGH hat die Rechtsprechung des RG fortgeführt 8 . Dabei haben die Voraussetzungen, an die der BGH die Beweislastumkehr geknüpft hat, im Laufe der Zeit leichten Schwankungen unterlegen, ohne daß diese sich allerdings im Kern wesentlich verändert hätten. So hat der BGH für die Beweislastumkehr zunächst ein "vorsätzliches oder grob RG Warn Rspr. 1941 Nr. 14 (S. 29, 33). RG HRR 1937 Nr. 1301; ähnlich RG Warn Rspr. 1926 Nr. 155 (S. 230). 4 RGZ 171, 168, 171. 5 Vgl. Gaupp, S. 69. 6 Kleinewefers / Wilts, VersR 1967, 620. 1 Vgl. auch RG DR 1944, 182, 184. 8 So ausdrücklich BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 25 u. § 287 Nr. 15 (= VersR 1958, 849). 2
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
leichtfertiges Verhalten" des Arztes verlangt 9 und später auf ein "leichtfertiges Verhalten oder einen schuldhaften groben Behandlungsfehler" abgestellt 10. Auch der BGH hat in mindestens zwei Fällen den Eindruck erweckt, als handele es sich hierbei nur um Beispielsfälle für die Voraussetzungen der Beweislastumkehr im Arzthaftungsrecht l1 . Jedoch hat er eine echte Beweislastumkehr bisher ausschließlich beim Vorliegen derartiger schwerer Verstöße bejaht. Dabei fällt auf, daß der BGH etwa seit Anfang der sechziger Jahre die Beweislastumkehr zunehmend nur noch an den "groben Behandlungsfehler"12 oder - wie es auch heißt - den "schweren Behandlungsfehler"13 anknüpft. Es hat also eine Entwicklung vom anfänglichen Abstellen auf subjektive Kriterien ("leichtfertig" = qualifiziertes Verschulden im Sinne einer groben Fahrlässigkeit) zur heute üblichen Anknüpfung an objektive Gesichtspunkte ("schwerer Behandlungsfehler" = gesteigerte objektive Pflichtwidrigkeit) stattgefunden H . In aller Regel wird aber bei einem schweren Behandlungsfehler des Arztes auch grobe Fahrlässigkeit vorliegen. Diese ist jedoch keine conditio sine qua non mehr für die Beweislastumkehr l5 • Theoretisch reicht bereits leichte Fahrlässigkeit aus l6 • Hier sei noch einmal ausdrücklich betont, daß der grobe Behandlungsfehler nicht etwa Voraussetzung für die Haftung des Arztes isV 7, wie dies die französische und italienische Rechtsprechung bisweilen annimmt l8 , sondern ausschließlich über die Zurechnung des Beweiso BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 25; so auch noch BGH VersR 1965, 91, 92: "vorsätzlich oder grob fahrlässig". 10 BGH NJW 1959, 1583; VersR 1962, 528, 529; 1967, 663, 664; 1970, 839, 840; so auch OLG Düsseldorf, NJW 1975, 595. 11 So in BGH LM ZPO § 287 Nr. 15 unter Berufung auf RGZ 171, 168 (s. o. FN. 4). In BGH VersR 1965, 792 heißt es, eine derartige Beweislastumkehr komme nur unter besonderen Umständen in Frage, "etwa bei leichtfertiger Gefährdung des Patienten oder bei einem groben Behandlungsfehler" . 12 Vgl. BGH VersR 1962, 960; NJW 1965, 345, 346; 1967, 1508; VersR 1968, 498; 1968, 849, 851; NJW 1969, 553, 554; 1970, 1230, 1231; 1974, 1424, 1426; 1975, 1463, 1464; 1978, 1683; 1978, 2337, 2338; vgl. auch OLG Frankfurt, VersR 1979,
39.
13 Vgl. BGH VersR 1970, 544; 1979, 630; NJW 1979, 1933, 1935. Vgl. auch OLG Köln, VersR 1968, 283, 284, das einen "schwerwiegenden Fehler" des Arztes voraussetzt. 14 Allerdings wird in BGH VersR 1981,462 f. erneut der "leichtfertig begangene Fehler" neben dem "groben Behandlungsfehler" als alternative Voraussetzung für die Beweislastumkehr erwähnt. 15 So ausdrücklich BGH NJW 1959, 1583 und VersR 1968,849,851. 18 Vgl. d. Beschl. d. OLG Celle vom 12.7.1974 (Az. 9 W 32/74, nicht veröffentlicht); a. A. Dunz, S. 30, der "im Zweifel das Erfordernis der Schwere auch auf das subjektive Verschulden beziehen" will. 17 Vgl. BGH NJW 1978, 2337, 2338; Deutsch, NJW 1978, 1659.
III. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler
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risikos entscheidet. Dabei trägt der Patient - dem allgemeinen Grundsatz folgend - die Beweislast für das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers. Einen solchen nimmt die Rechtsprechung an, wenn der Arzt bei der Behandlung "eindeutig"19 oder "in schwerer Weise"20 gegen die anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst verstößt, wenn er "allgemein bekannte und übliche Vorkehrungen"21 oder eine "elementare Verhaltensregel"22 außer acht läßt oder wenn er sonst seine ärztlichen Sorgfaltspflichten erheblich verletzt 23 . In vielen Entscheidungen hat der BGH jedoch eine Definition des Merkmals "grob" unterlassen und einen - näher dargelegten - Behandlungsfehler ohne zusätzliche Begründung - auch ohne Hinweis auf das Sachverständigengutachten - kurzerhand als einen groben oder schweren bezeichnet. Ob eine Abweichung von den Regeln seines Faches vorliegt (die sich nach dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft zur Zeit der Behandlung richtet24 ) und ob diese als grob zu qualifizieren ist, hat im Prozeß allerdings nicht der Gutachter, sondern - da es sich hierbei um Rechtsfragen handelt - letzten Endes der Richter zu entscheiden, der sich nötigenfalls sachverständig beraten lassen muß25. Daher sollte dem Gutachter im Prozeß auch niemals die allgemeine Frage nach dem Kunstfehler oder dem groben Behandlungsfehler gestellt werden26 . Außerdem ist bei einer derart pauschalen Fragestellung die Gefahr gegeben, daß der Gutachter nicht hinreichend deutlich zwischen Pflichtverstoß und Verschulden unterscheidet. Neben dem groben Behandlungsfehler muß der Patient nach der Rechtsprechung als weitere Voraussetzung der Beweislastumkehr ein (nicht notwendig gesteigertes) Verschulden des Arztes beweisen27 . Dieser Beweis bereitet ihm in der Regel keine Schwierigkeiten, da der Arzt, der einen schweren Behandlungsfehler begangen hat, zumeist auch die erforderliche innere Sorgfalt hat vermissen lassen 28 • Darauf 18 Vgl. Deutsch, S. 294 f. (m. w. N.) u. Nds. Ärztebl. 1976, 551 sowie Deutsch / Brandenburg,S.561. 19 BGH VersR 1968, 849, 851. 20 Beschl. d. OLG Celle v. 12.7.1974 (Az. 9 W 32/74); ähnlich RGZ 171, 168, 170; BGH NJW 1981,2513. 21 BGH VersR 1968, 498, 499. 22 BGH NJW 1978, 1683, 1684. 23 BGH NJW 1974, 1424, 1426. !4 Vgl. BGH NJW 1969, 553, 554; Musielak, S. 154. 25 Vgl. BGH NJW 1978, 2337, 2338; VersR 1979, 939, 941; vgl. auch Deutsch, Nds. Ärztebl. 1976, 550, 552. 28 Vgl. dazu eingehender H. u. D. Franzki, NJW 1975,2228. 27 a. A. offenbar Laufs, Med Sach 73, 2; danach erstreckt sich die Beweislastumkehr auch auf das Verschulden. 28 Vgl. BGH VersR 1967, 663, 664; Baumgärtel / Wittmann, JA 1979, 117; s. dazu auch oben 2. Teil B. I. 3.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
wurde in anderem Zusammenhang bereits hingewiesen. Soweit vertragliche Ansprüche geltend gemacht werden, kehrt sich nach der hier vertretenen Ansicht 29 die Beweislast in diesem Punkt jedoch ohnehin analog den §§ 282, 285 BGB zu Lasten des Arztes um. Insgesamt läßt sich feststellen, daß sich die Beweislastumkehr in der Kausalitätsfrage beim Vorliegen eines groben Behhandlungsfehlers längst zu einer ständigen Rechtsprechung entwickelt hat. Auch der BGH bezeichnet sie selbst so30. Diese Rechtsprechung hat sich inzwischen so weit gefestigt, daß man von einer tatbestandsmäßig umschriebenen Beweislastsonderregel sprechen kann 3 !. Sie gilt sowohl im Rahmen der Haftung aus Vertrag als auch aus unerlaubter Handlung 32 . Im Rahmen der deliktischen Haftung findet sie auch Anwendung bei Ansprüchen, die auf § 831 BGB gestützt werden. Denn auch bei der Inanspruchnahme des Geschäftsherrn (hier in der Regel des Krankenhausträgers) hängt dessen Haftung ebenso wie die des Arztes selbst von der Feststellung ab, ob der grobe Fehler zu dem schädigenden Erfolg geführt hat. Wie der BGH33 zutreffend ausführt, begründet auch der Umstand, daß das zu vertretende Verschulden bei § 823 BGB und § 831 BGB unterschiedlich ist, keine abweichende Beurteilung der Beweislastverteilung hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs. Der grobe Behandlungsfehler stelle gegenüber dem Geschäftsherrn keinen Schuldvorwurf, sondern nur die rechtswidrige Handlungsweise des Verrichtungsgehilfen dar, deren Eigenart eine Erleichterung der Beweislage des Geschädigten gebiete, gleichviel ob er den Schädiger oder dessen Geschäftsherrn in Anspruch nehme. Inzwischen nimmt die Rechtsprechung die Beweislastumkehr zu Lasten des Krankenhausträgers nicht mehr nur beim Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers eines ärztlichen Verrichtungsgehilfen an. Sie hat sie vielmehr auch auf die Haftung des Krankenhausträgers für ein Fehlverhalten des Krankenhauspflegepersonals ausgedehnt. Sieht sich z. B. ein Patient bei stationärer Pflege durch Mißstände und Versäumnisse außerhalb des engeren Bereiches der ärztlichen Behandlung einer Infektionsgefahr ausgesetzt, die das Maß des Unvermeidlichen erheblich überschreitet, dann ist seine Lage derjenigen vergleichbar, in der sich ein Patient als Opfer eines groben ärztlichen Behandlungsfehlers befindet3 4 • Dabei ist nach Ansicht des BGH als Voraussetzung 29
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s. o. 2. Teil B. 1. 2. Vgl. z. B. BGH VersR 1967, 663, 664; 1968, 498, 499; 1971, 227, 229; NJW
1978,2337,2338. 3! 32
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Vgl. Gaupp, S. 71; Baumgärtel / Wittmann, JA 1979, 115. Vgl. BGH VersR 1971,227, 229. VersR 1962,960, 962. BGH VersR 1971,227,229.
III. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler
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für die Beweislastumkehr nicht einmal erforderlich, daß einzelne, gerade den klagenden Patienten betreffende Fehlleistungen bestimmter für die Pflege verantwortlicher Personen festgestellt werden. Für die Umkehr der Beweislast soll bereits eine zusammenfassende Betrachtung aller dem Krankenhausträger anzulastenden Umstände, die die Infektionsgefahr erheblich erhöht haben, ausreichen. Der Vergleich dieser beiden Entscheidungen zu § 831 BGB ergibt, daß der BGH die Beweislastumkehr in dem ersten Fall ausschließlich an die gesteigerte objektive Pflichtwidrigkeit eines bestimmten ärztlichen Verrichtungsgehilfen geknüpft hat. Im zweiten Fall findet die Umkehr der Beweislast dagegen in Wahrheit nicht als Folge eines schweren Fehlverhaltens des Krankenhauspflegepersonals, sondern wie es an anderer Stelle in der Entscheidung selbst zum Ausdruck kommt - darin ihre Rechtfertigung, daß die Anstalt insgesamt unzulänglich ausgestattet, organisiert und geleitet war. Das kann sowohl dem medizinischen als auch dem Verwaltungspersonal, u. U. aber auch dem Organ anzulasten sein, das für die Bereitstellung der Haushaltsmittel verantwortlich ist. Damit wird die von der Regel abweichende Beweislastverteilung aber im Grunde mit dem groben Organisationsverschulden des Krankenhausträgers selbst gerechtfertigt. 2. Begründung dieser Beweislastumkehr durch die Rechtsprechung
Die Rechtsprechung begründet die Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler überwiegend mit Billigkeitserwägungen. Dabei differieren die Begründungen nur in Nuancen. So befand das RG, im Einzelfall könne es eine gerechte Interessenabwägung erfordern, daß der Arzt sich wegen der Ursächlichkeit oder Mitursächlichkeit eines von ihm schuldhaft begangenen Fehlers entlasten müsse 35 . Auch in anderen Entscheidungen stellte es bei der Frage der Beweislastverteilung auf einen "gerechten Interessenausgleich"36 und die "Regeln der Billigkeit"37 ab. Der BGH führt die Rechtsprechung des RG auch in diesem Punkt fort und führt für die Verschiebung des Beweisrisikos zu Lasten des Arztes Gesichtspunkte wie "Billigkeit"38, "gerechte Interessenabwägung"39, "Angemessenheit"40 oder "Zumutbarkeit"41 an. Bei einem gro35 36 37
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HGZ 171, 168, 171. HG HRR 1937 Nr. 1301; Warn Hspr. 1941 Nr. 14 (S. 33). HG HRR 1937 Nr. 1301. BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 25; VersH 1971, 227, 229; NJW 1981, 2513,
2514. 39 40
BGH LM ZPO § 287 Nr. 15; VersR 1962, 960, 961. BGH VersR 1968,498,499.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
ben Behandlungsfehler sei es gerechterweise geboten, den Grundsatz zu durchbrechen, daß der Arzt die Gefahr der Unaufklärbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht trage 42 • In vielen Fällen fehlt - gerade in jüngster Zeit - jedoch jegliche Begründung für diese Beweislastumkehr43 • Dieser Umstand unterstreicht, daß auch die Rechtsprechung hier von einer inzwischen gefestigten Beweislastsonderregel ausgeht. Um so überraschender wirkt es, daß der BGH sie in neueren Entscheidungen44 selbst wieder aufzuweichen scheint. Dort heißt es nämlich, daß ein grober Behandlungsfehler in geeigneten Fällen zu Beweiserleichterungen für den Patienten bis zur Umkehr der Beweislast in der Kausalitätsfrage führen könne. Erst wenn ein solcher feststehe, könne darüber entschieden werden, ob unter den gegebenen Umständen die Billigkeit eine nach der Rechtsprechung in Betracht zu ziehende Umkehr der Beweislast zugunsten des Patienten erfordere. Der BGH wendet sich damit zwar von der starren Regel (Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler) ab. An der Absicht, dem Patienten in seiner Beweisnot zu helfen, ändert sich damit aber nichts. Vielmehr fordert der BGH den Tatrichter auf, auch beim Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers noch zu prüfen, ob der Einsatz der schärfsten Waffe (Beweislastumkehr) im Einzelfall notwendig ist oder ob nicht eine andere Beweiserleichterung den erstrebten Zweck erreicht. Die Beweislastumkehr soll als Sonderregel folglich nur als ultima ratio eingesetzt werden45 • Freilich bleibt leider im Dunkeln, an welche Beweiserleichterungen der BGH eigentlich denkt (Anscheinsbeweis unter erleichterten Voraussetzungen? Parteivernehmung unabhängig von der Beweislast nach § 448 ZPO?). Soweit Walter 46 der vom BGH gewählten Formel entnehmen will, sie könne auch eine Senkung des Beweismaßes auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit als eine anders geartete Beweiserleichterung beinhalten, fehlt es in den Entscheidungen ebenfalls an ausreichenden Anhaltspunkten. Davon abgesehen ist es gerade im Arzthaftungsprozeß oft schon schwer, auch nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit zu beweisen 47 • Zu der Formel ist ferner kritisch anzumerken, daß sie wieder auf einzelfall bezogene BilligkeitserwäBGH VersR 1971, 227, 229. BGH VersR 1962,960,961. 43 Vgl. z. B. BGH VersR 1970, 544, 545; NJW 1974, 1424, 1426; 1975, 1463 f.; 1979, 1933, 1935. 44 BGH NJW 1978,2337,2338; 1981,2513. 45 Diederichsen, Diskussionsbeitrag Karlsruher Forum 1966, 47, spricht insoweit von einer "gleitenden Betrachtungsweise des BGH". 48 Anm. JZ 1978, 806, 808. 47 Vgl. Stürner, NJW 1979, 1229. 41
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IU. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler
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gungen hinsteuert 48 , die gerade überwunden zu sein schienen. Damit wird die Vorhersagbarkeit der Beweislastverteilung, also die Rechtssicherheit, gefährdet, die gerade auf dem Gebiet des Beweisrechts von besonderer Bedeutung ist. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH aus dieser Formulierung langfristig überhaupt Konsequenzen zieht. Denn er hat sie vor einiger Zeit bei der Frage der Rechtsfolge einer fehlenden, aber gebotenen Krankenblatteintragung schon einmal benutzt 49 , ohne im Anschluß daran Folgerungen für das Maß der Beweiserleichterung bei einem groben Behandlungsfehler zu ziehen. Auch in der oben erwähnten Entscheidung aus dem Jahre 1978 standen die beweisrechtlichen Konsequenzen bei unzulänglicher ärztlicher Dokumentation im Vordergrund 50 • Es ist daher durchaus möglich, daß die Formulierung auf dem Bemühen beruht, die Rechtsfolgen bei unzulänglicher Dokumentation und bei grobem Behandlungsfehler einander anzugleichen, auch wenn der BGH betont, daß beide unterschiedlichen Grundsätzen folgen müßten. 3. Anwendungsbereiclt
Die folgenden Fälle sollen zeigen, unter welchen Umständen die Rechtsprechung einen schweren Behandlungsfehler angenommen hat. Dabei kann man grob unterscheiden in eigentliche Fehlbehandlung und in Nichtbehandlung5 t, wobei die Übergänge allerdings fließend sind. Hier zunäch~t einige Beisplele zu der ersten Fallgruppe: Ein grober Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Augenarzt mehrfach Augenoperationen an einem ohnehin schon einäugigen Patienten in ambulanter Behandlung vornimmt, obwohl stationäre Behandlung unbedingt erforderlich gewesen wäre 52 • Erblindet der Patient anschließend völlig, so muß der Arzt beweisen, daß dies auch bei stationärer Behandlung geschehen wäre. - Desgleichen findet eine Beweislastumkehr statt, wenn der Arzt einem Patienten hochwirksame Morphine In kurzen zeitlichen Abständen injiziert, ohne daß er den ihm bis dahin unbekannten Patienten vorher ausreichend untersucht hat 53 • Stirbt der Patient unmittelbar danach, so hat der Arzt zu beweisen, daß zwischen seinen Injektionen und dem Tod des Patienten kein Ursachenzusam48 So früher z. B. RGZ 171, 168, 171: "gerechte Interessenabwägung im Einzelfall"; BGH VersR 1962, 960, 961, wo ebenfalls ausdrücklich auf die "Fallgestaltung" abgestellt wird. 49 BGH NJW 1972, 1520. 50 Siehe dazu eingehend unten 2. Teil B. IV. 2. 51 Vgl. zu den "Typen des Arztverschuldens" Deutsch, VersR 1977, 101 ff. 52 RGZ 171, 168, 171. 53 BGH NJW 1959, 1583, 1584.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
menhang besteht. - Das gleiche gilt, wenn der Arzt eine Spritze benutzt, die er bereits tags zuvor aufgezogen und nur mit einem Wattebausch bedeckt auf dem Tisch des Krankenzimmers liegen gelassen hat, und der Patient daraufhin infolge einer bakteriellen Infektion stirbt54 • - Ein schwerer Behandlungsfehler liegt auch vor, wenn der Hals-Nasen-Ohren-Arzt eine Kieferhöhlenpunktion bei einem Kind vornimmt, ohne daß die für die Verhinderung einer Fehlpunktion dringend gebotene Fixation des Kopfes gewährleistet ist. Durchsticht er dabei mit der Injektionsnadel die Augenhöhlenwand (mit der Folge der fast völligen Erblindung des Auges), so obliegt ihm der Beweis, daß dies nicht auf der fehlenden Fixation des Kopfes beruht55 • In den folgenden Fällen hat die Rechtsprechung in der - jedenfalls partiellen - Nichtbehandlung einen groben Behandlungsfehler gesehen: So, wenn der Orthopäde als Belegarzt nach der Operation einer Fingerkontraktur dem Krankenhaus für 32 Stunden fernbleibt und infolgedessen Nachblutungen im Operationsgebiet nicht behandelt werden, die schließlich zum Absterben des Fingers führen 56 • - Der Chirurg, der bei dem Blutdruckabfall nach einer Blinddarmoperation nicht an eine innere Blutung denkt, muß beweisen, daß der infolgedessen eingetretene Tod des Patienten auch bei sofortigem Eingreifen nicht zu verhindern gewesen wäre 57 • - Einen groben Behandlungsfehler stellt es auch dar, wenn der Gynäkologe bei der Gelbfärbung der Haut eines Säuglings am Tage nach der Geburt eine Unverträglichkeit der RhesusFaktoren nicht in Betracht zieht und deshalb der möglicherweise lebensrettende Blutaustausch unterbleibt 5B • - Ebenso muß sich schließlich der Anästhesist entlasten, der den Patienten nach der Intubationsnarkose in einem kritischen Fall einem Medizinalassistenten überläßt, um in einem anderen Operationssaal eine Parallelnarkose durchzuführen 59 • Er begibt sich dadurch der Möglichkeit sofortigen Eingreifens bei einem Zwischenfall und muß beweisen, daß der vorübergehend eingetretene Herzstillstand (mit der Dauerfolge einer Hirnleistungsminderung) auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre. Gerade in diesen Unterlassungsfällen wird deutlich, warum die Rechtsprechung das Beweisrisiko dem Arzt überbürdet. Hätte er die BGH VersR 1968,498,499. OLG Köln, VersR 1968,283,284. 56 BGH NJW 1967, 1508, 1509. 57 BGH VersR 1968, 849, 850. Die Feststellung eines groben Behandlungsfehlers in diesem Fall kritisieren Hanau, Anm. NJW 1968, 2291, Dunz, S. 31, u. Laufs, Med Sach 73, 3, weil Blutungen nach einer Blinddarmoperation laut Sachverständigengutachten "extrem selten" seien. 58 BGH VersR 1970, 544, 545. 59 BGH NJW 1974, 1424, 1426. 54
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lII. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler
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(richtige) Behandlung nämlich wenigstens versucht, so bestünden keine Zweifel, ob dem Patienten wirklich nicht zu helfen war 60 • Insgesamt erscheint die Annahme gerechtfertigt, daß die Rechtsprechung bei der Feststellung des Merkmals "grob" keine allzu hohen Anforderungen stellt. Denn es gibt nur wenige Fälle, in denen sie zwar eine Fehlbehandlung bejaht, die Feststellung einer derart gesteigerten Pflichtwidrigkeit aber ablehnt61 • Dieser Umstand dürfte allerdings ebenso auf der auch bei Richtern weit verbreiteten Meinung beruhen, daß leichte oder "normale" Behandlungsfehler in Anbetracht der Mauern des Schweigens, mit denen sich Ärzte, Krankenhäuser und Sachverständige umgeben, dem Patienten ohnehin nicht bekannt werden 62 und daher nur die schweren Pflichtverstöße, die man gewissermaßen als die Spitze eines Eisbergs bezeichnen könnte, Gegenstand von Prozessen sind und mit Sachverständigenhilfe festgestellt werden können. In manchen der Urteile heißt es freilich auch, es könne dahingestellt bleiben, ob es sich noch um ein im Rahmen der Methodenfreiheit liegendes vertretbares Verhalten des Arztes oder schon um einen Behandlungsfehler handele; jedenfalls lasse sich aber kein grober Behandlungsfehler feststellen, und der Patient könne nicht beweisen, daß der Schaden bei einer anderen Therapie nicht eingetreten wäre. 4. Umfang dieser Beweislastumkehr
Die sachliche Reichweite der Beweislastumkehr wird dadurch eingeschränkt, daß der (festgestellte) Behandlungsfehler geeignet gewesen sein muß, einen Schaden der Art herbeizuführen, der tatsächlich eingetreten ist. Diese Begrenzung ist in sämtlichen Entscheidungen einschließlich derer des RG - enthalten63 • Dabei braucht der Behandlungsfehler nach dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft im Zeitpunkt der Fehlbehandlung nur generell als geeignete Ursache für den eingetretenen Schaden in Betracht zu kommen. Zwar reicht dafür die nur fernliegende Möglichkeit nicht aus 64 • Jedoch ist auch Vgl. Stoll, Festschrift für F. v. Hippel, S. 552; Hofmann, NJW 1974, 1641. Vgl. Z. B. BGH VersR 1965, 91, 92 (dazu krit. Stoll, Festschrift für F. v. Hippel, S. 552 FN. 143); NJW 1965, 345, 346; 1969, 553, 554; 1981, 2513 f.; vgl. auch BGH VersR 1962, 528, 529; 1967, 663, 664; OLG Düsseldorf, NJW 1975, 595; OLG Stuttgart, VersR 1979, 849 (Ablehnung eines groben Behandlungsfehlers insgesamt). 62 Auch Deutsch, S. 294 f., ist der Ansicht, daß aus diesen Gründen der Sache nach erst "manifeste Fahrlässigkeit" die Ersatzpflicht auslöst. 63 Vgl. Z. B. RG Warn Rspr. 1941 Nr. 14 (S. 33); RGZ 171, 168, 171; BGH LM ZPO § 286 (e) Nr. 25; NJW 1959, 1583; 1967, 1508; 1974, 1424, 1426. Nach BGH NJW 1981, 2513 muß sich außerdem gerade das Risiko verwirklicht haben, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen läßt. 84 Vgl. OLG Frankfurt, VersR 1979, 39. fIO
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5 Franzki
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswiirdigung
keine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Kausalität erforderlich65 • Aus dem konkreten Geschehensablauf hergeleitete Zweifel an der Ursächlichkeit können die allgemeine Schadensgeeignetheit des festgestellten Behandlungsfehlers ebenfalls nicht in Frage stellen. Sie haben bei der Erwägung ihren Platz, ob der dem Arzt obliegende Beweis für die Nichtursächlichkeit erbracht ist. Andernfalls würde die Beweislastumkehr nur selten zu der erstrebten Verteilung der Beweislast in dem Bereich führen, der infolge eines schwerwiegenden Behandlungsfehlers unaufklärbar ist 66 • Hier stellt der BGH auch auf den Gedanken ab, daß sich der Arzt bei pflichtmäßiger Prüfung hätte sagen müssen, die von ihm verursachte Gefahr könne gerade eine solche Schädigung des Patienten herbeiführen, wie sie später eingetreten ist 67 • Zwar knüpft er die Beweislastumkehr auch sonst an den schuldhaft begangenen groben Behandlungsfehler. Jedoch wird hier besonders deutlich, daß der BGH die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der Schädigung prüft und damit im Rahmen der Beweislastverteilung auch dem materiell-rechtlichen Verschuldensprinzip Rechnung trägt 68 • Im Zusammenhang mit dem dem Patienten obliegenden Beweis der Schadensgeeignetheit des ärztlichen Fehlverhaltens ist noch eine Entscheidung des OLG Frankfurt69 von Interesse. Dieser lag ein Fall zugrunde, in dem eine Hautärztin durch einen schweren Diagnosefehler die - im Ergebnis erfolgreiche - Operation eines bösartigen Hauttumors um ca. neun Monate verzögert hatte. Nach Überzeugung des sachverständig beratenen Gerichts vermochte die klagende Patientin hier nicht den Beweis zu erbringen, daß die verspätete Diagnose geeignet war, einen ungünstigeren und schmerzhafteren Heilverlauf als bei sofortiger, d. h. neun Monate früherer Diagnostizierung des Tumors herbeizuführen. Es lehnte daher eine Beweislastumkehr in der Kausalitätsfrage zu Lasten der Ärztin ab. Der BGH hat in dem in dieser Sache ergangenen RevisionsurteiFO demgegenüber zutreffend darauf hingewiesen, daß sich die Frage nach der Beweislast hier in Wahrheit nicht mehr gestellt habe, weil das Berufungsgericht positiv davon überzeugt gewesen sei, daß der grobe Fehler der Beklagten keinen Einfluß auf die Schwere der Behandlung gehabt habe. Damit gehört dieser Fall zu den wenigen, in denen das Gericht trotz der Fest65 Vgl. dazu eingehend Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S. 295 ff.; ebenso Dunz, S. 30; a. A. Musielak, S. 148; Maassen, S. 114. 68 BGH VersR 1968,498,499; 1970,839,840. 87 BGH LM BGB § 823 (Aa) Nr. 21; VersR 1968, 498, 499; vgl. auch Uhlenbruck, NJW 1965, 1062 f. 68 Vgl. Anm. Hanau, NJW 1968,2291; Baumgärtel / Wittmann, JA 1979, 117. 69 VersR 1979,39 f. 70 VersR 1979, 939, 940.
111. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler
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stellung eines groben Behandlungsfehlers zu der Überzeugung gelangt ist, daß dieser für den späteren Gesundheitsschaden nicht kausal geworden ist. Kommt es dagegen zu einer Beweislastentscheidung, so erstreckt sich die Beweislastumkehr auch auf die Frage, ob bei dem Patienten Vorschädigungen vorgelegen haben, die einer erfolgreichen Behandlung in jedem Falle, also auch bei Vermeidung des groben Behandlungsfehlers, entgegengestanden hätten 71 • Ebenso bezieht sie sich auf Späterkrankungen, die mit dem Pflichtverstoß in unmittelbarem Zusammenhang stehen können 72. Jedoch findet diese Beweislastumkehr nach der Rechtsprechung des BGH zu Recht nur hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität Anwendung73 • Stehen neben dem durch den groben Behandlungsfehler unmittelbar verursachten Gesundheitsschädigungen weitere Folgen der haftungsbegründenden Primärverletzungen in Frage, so ergeben sich nämlich im allgemeinen keine zusätzlichen Beweisschwierigkeiten, die im Hinblick auf die besondere Schwere des Versehens billigerweise dem Verantwortlichen angelastet werden müßten 74 • In diesem Fall besteht kein Anlaß, ärztliche Behandlungsfehler in bezug auf die Beweislastverteilung anders zu behandeln als sonstige Körperverletzungen, bei denen der Eintritt von Folge- (Sekundär-)Schäden streitig isF5. Es fehlt daher im allgemeinen an einem Grund, den Patienten durch eine Umkehrung der Beweislast auch von diesem Beweisrisiko zu entlasten. Eine Ausnahme hiervon soll nur dann gelten, wenn die Interessenabwägung die Einbeziehung auch von Sekundärschäden in die Beweislastumkehr als billig erscheinen läßt, weil das besondere Beweisrisiko, das das grobe Versehen geschaffen hat, auch sie betriffF6. Hat beispielsweise ein Zahnarzt beim Herausziehen eines Zahns einen Wurzel rest im Kiefer stecken lassen (= grober Behandlungsfehler), so findet eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs nur in bezug auf die Primärschäden Kieferhöhlenentzündung und schmierig belegte Zahnfleischwunden statt. Sie erstreckt sich aber nicht auf Sekundärschäden wie eine Trigeminusneuralgie, eine chronische Mandelentzündung, Leber- und Gallenleiden, eine entzündliche Nierenerkrankung und eine angebliche Fehlsichtigkeit - alles BeschwerBGH VersR 1970,839, 840. Vgl. BGH VersR 1979, 939, 940. 73 Vgl. z. B. BGH VersR 1981, 462 f. Zu dieser Rechtsprechung des BGH insgesamt krit. Baumgärtel / Wittmann, JA 1979, 116 f. 74 BGH NJW 1978, 1683; ähnlich BGH NJW 1970, 1230, 1231. 75 BGH NJW 1970, 1230, 1231. 76 BGH NJW 1978, 1683 f. 71
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
den, die in den der fehlerhaften Zahnbehandlung folgenden Jahren aufgetreten und von dem klagenden Patienten darauf zurückgeführt worden sind 77 • Der BGH übersieht nicht, daß die Abgrenzung zwischen Primärund Sekundärschäden im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten kann. Sie soll in erster Linie, nicht aber ausschließlich nach den Erkenntnissen der Medizin erfolgen. Dabei habe auch eine rechtliche Wertung einzufließen, die sich an den Grundsätzen zur Beweislastumkehr orientieren müsse 78 • Aus dieser Äußerung wird besonders deutlich, daß es sich bei der vom BGH vorgenommenen Unterscheidung im Grunde um eine Prüfung des "Schutzbereiches" der Beweislastumkehr handelt. Es werden nämlich die Schadensfolgen von der Beweislastumkehr nicht erfaßt, die von deren Normzweck (Ausgleich der dem Arzthaftungsprozeß innewohnenden Beweisnot des Patienten) nicht gedeckt sind. Allerdings stellt der BGH selbst fest, daß ein Zurückgehen auf die Beweislast in diesem Punkt weitgehend entbehrlich ist, weil schon die Beweiserleichterung des § 287 ZPO den Tatrichter bei der Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen Primär- und Sekundärschaden freier stelW9 • Während die Rechtsprechung stets nur von einer Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität spricht, ergibt eine nähere Betrachtung der Entscheidungen, daß sie die Beweislastumkehr auch auf den Normverletzungs- (Rechtswidrigkeits-)zusammenhang erstreckt. Die Feststellung des Normverletzungszusammenhangs ist im Arzthaftungsrecht für die Frage von Bedeutung, ob sich der eingetretene Gesundheitsschaden, den die Befolgung der Kunstregel generell hintanhalten sollte, auch im konkreten Fall bei korrekter Behandlung hätte vermeiden lassen. Denn es ist durchaus möglich, daß der Schaden trotz pflichtgemäßen Verhaltens 80 des Arztes ebenso eingetreten wäre 81 • Bei der Feststellung des Zusammenhangs zwischen Normverletzung und Schadenseintritt handelt es sich nicht etwa um eine ergänzende Prüfung der Kausalität, sondern vielmehr um eine Frage der Schadenszurechnung82 • Deshalb BGH NJW 1970, 1230 f. BGH NJW 1978, 1683, 1684. 79 Siehe dazu eingehender unten 2. Teil B. V. 2. (a. E.) u. 3. (a. E.). 80 Hier sollte der Begriff "rechtmäßiges Alternativverhalten" , der bisweilen auch in diesem Zusammenhang verwendet wird (vgl. z. B. Larenz, § 30 I), vermieden werden. Davon kann im eigentlichen Sinne nur gesprochen werden, wenn ein kunstgerechtes, "nur" nicht gerechtfertigtes Handeln des Arztes zu beurteilen ist. 81 Vgl. z. B. den oben geschilderten Fall, der den Entscheidungen OLG Frankfurt, VersR 1979, 39 f. und BGH VersR 1979, 939 ff. zugrunde lag, sowie BGH NJW 1981,2513 f. 82 Vgl. Larenz, § 30 I; ähnlich Fikentscher, § 49111 3 d u. 4 a. 77
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III. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler
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hat sie - jedenfalls bei den hier zu beurteilenden Verstößen gegen ärztliche Kunstregeln - ihren Platz bei der Raftungsbegründung 83 • Nach dem Grundsatz, daß der klagende Patient die Beweislast für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen trägt, obliegt ihm auch der Beweis, daß der Schaden, dessen Ersatz er fordert, bei Einhaltung der Kunstregel nicht entstanden wäre 84 • Davon geht auch die Rechtsprechung aus, die allerdings nicht scharf zwischen Ursachen- und Normverletzungszusammenhang trennt. Vielmehr ist die Annahme gerechtfertigt, daß sie die vom Patienten zu beweisende Kausalität des (nicht groben) Behandlungsfehlers für den eingetretenen Schaden erst dann bejaht, wenn sie auch vom Normverletzungszusammenhang überzeugt ist85 • Zwar ist Hanau86 der Ansicht, daß der Rechtsgüterschutz höchst unvollkommen sei, wenn der Kläger auch beweisen müsse, daß er ohne die Pflichtverletzung unversehrt geblieben wäre. Daher spricht sich Ranau für eine generelle Beweislastumkehr hinsichtlich des Normverletzungszusammenhangs aus 87 • Dies würde jedoch bedeuten, daß der Normverletzungszusammenhang stets vermutet wird, wenn einerseits ein sorgfaltswidriges Verhalten des Beklagten feststeht und sich andererseits die Gefahr verwirklicht hat, die die Norm hintanhalten sollte88 • Eine solche Vermutung, daß die Normbefolgung den Schaden im konkreten Fall verhindert hätte, ist um so fragwürdiger, je geringer der Schutzeffekt im allgemeinen ist. Gerade bei den ärztlichen Kunstregeln kann man wegen der nur begrenzt vorhersehbaren und beeinflußbaren Reaktionen des menschlichen Organismus ein Umstand, der von allen Seiten immer wieder hervorgehoben wirdnicht ohne weiteres davon ausgehen, daß die bekämpfte Krankheit durch Einhaltung der Kunstregel generell beherrscht werden kann. Wo aber ein solcher Zusammenhang zwischen der Verletzung der Kunstregel und der Gesundheitsbeeinträchtigung prima facie besteht, hat die Rechtsprechung zur Beweiserleichterung für den Patienten den Anscheinsbeweis herangezogen89 • 83 Vgl. Stoll, AcP 176, 174; a. A. Deutsch, S. 246, der die Verkehrspflichten den Schutzgesetzen gleichstellt und den Normwidrigkeitszusammenhang deshalb erst bei der Haftungsausfüllung prüft (vgl. dazu auch unten 2. Teil B. III. 5. b) dd». 84 Vgl. Deutsch, S. 247 u. Festschrift für E. von Caemmerer, S. 334. 85 Dies wird besonders deutlich in BGH NJW 1981, 2513, 2514. 86 a.a.O., S. 137 f. 87 Ahnlich die frühe Rechtsprechung des RG bei Schutzgesetzverletzungen: vgl. z. B. RG JW 1909, 135 f.; Recht 1919 Nr. 1092; LZ 1921, Sp. 303 f. (= Recht 1921 Nr. 2584); vgl. auch Deutsch, Festschrift für E. von Caemmerer, S. 334; Fischer, S. 87 (m. w. N.). 88 Vgl. hierzu und zum folgenden Stoll, AcP 176, 175 (m. w. N.). Sg Dazu krit. Deutsch, Festschrift für E. von Caemmerer, S. 334, insbes. FN.27.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
Erst wenn dem Arzt ein grober Behandlungsfehler nachgewiesen ist, kehrt die Rechtsprechung die Beweislast dahin um, daß nunmehr dem Arzt der Beweis obliegt, daß es auch bei pflichtgemäßem Verhalten im konkreten Fall zu dem Gesundheitsschaden gekommen wäre. Bei dem Verstoß gegen eine elementare Verhaltenspflicht besteht nämlich auch im Arzthaftungsrecht die berechtigte Vermutung, daß die Befolgung der Kunstregel den eingetretenen Schaden verhindert hätte, zumal die Rechtsprechung die Beweislastumkehr erst dann anordnet, wenn feststeht, daß der eingetretene Schaden im Behandlungsfehlerbereich liegt. Da sich der beklagte Arzt wegen der zuletztgenannten Voraussetzung nicht mehr darauf berufen kann, daß die verletzte Kunstregel schon generell nicht geeignet war, den Schadenseintritt zu vermeiden, verbleibt ihm nur die Möglichkeit, sich durch den Nachweis zu entlasten, daß jedenfalls im konkreten Fall die Gesundheitsbeeinträchtigung auch unabhängig von der Verletzung der Kunstregel eingetreten wäre. Da dem Beklagten der Beweis der Nichtursächlichkeit seines Handelns nur höchst selten gelingen wird, ist dieser Nachweis - wie auch die oben90 dargestellten Beispiele zeigen - praktisch die einzige Möglichkeit, der Haftung zu entgehen91 • Dabei macht besonders die Beschränkung der Beweislastumkehr auf die im Behandlungsfehlerbereich liegenden Folgen deutlich, daß die eingangs getroffene Feststellung berechtigt ist; die von der Rechtsprechung entwickelte Beweislastumkehr betrifft also auch den Zusammenhang zwischen der Normverletzung und dem Schadenseintritt. Wegen der engen Verknüpfung von Kausalität und Normverletzungszusammenhang in diesem Bereich soll jedoch aus Vereinfachungsgründen auch im folgenden nur von der "Beweislastumkehr in der Kausalitätsfrage" gesprochen werden. 5. Kritische Stellungnahmen und Versuclte einer dogmatisclten Begründung im Schrifttum
Die von der Rechtsprechung zunächst ausschließlich 92 für den Arzthaftungsprozeß entwickelte Beweislastumkehr hat im Schrifttum weitgehende Zustimmung erfahren93 • Uneingeschränkter Beifall ist ihr 2. Teil B. III. 3. Außer auf die Krankheit kann sich der Arzt dabei allerdings auch noch auf die Verwirklichung einer ganz anderen Gefahr als "Reserveursache" berufen. Vgl. dazu unten 2. Teil B. 111. 5 b) aal. 92 Die Rechtsprechung hat diese Grundsätze inzwischen ausgedehnt auf die grobe Verletzung von Berufspflichten, "die, ähnlich wie beim Arztberuf, gerade auf die Bewahrung anderer vor Gefahren für Körper und Gesundheit gerichtet" sind (BGH NJW 1962, 959, 960 [Bademeister], OLG Köln VersR 1970, 229, 230 [Würstchenverkäufer]; vgl. auch BGH NJW 1973, 1688). 93 Vgl. Blomeyer, AcP 158, 105; Uhlenbruck, NJW 1965, 1062; Diederichsen, VersR 1966, 220; Hainmüller, S. 160; Gaupp, S. 102; Kröning, S. 118 ff.; Anm. 90
D!
II!. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler
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allerdings nicht in allen Fällen zuteil geworden. So wird vor allem kritisiert, daß die Rechtsprechung die Beweislast erst bei einem groben Behandlungsfehler, also nicht schon bei einfachem Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst, umkehrt 94 und daß sie noch keine dogmatische Begründung für diese Beweislastsonderregel gefunden hat 95 • Nur wenige Autoren halten sie dagegen aus dogmatischen Erwägungen insgesamt für entbehrlich und lehnen sie deshalb ab 96 • a) Verzicht auf diese Beweislastumkehr
aal Ersetzung durch den Anscheinsbeweis So ist Musielak 97 der Ansicht, daß in den Fällen, in denen die Rechtsprechung eine Beweislastumkehr vornimmt, in Wahrheit die Voraussetzungen des Anscheinsbeweises vorliegen und deshalb kein Grund für eine Beweislastentscheidung besteht. Zur Begründung verweist er darauf, daß auch der BGH eine Beweislastumkehr nur dann eingreifen lasse, wenn der Behandlungsfehler als "geeignete und naheliegende" Ursache der Gesundheitsschädigung in Betracht komme. Damit sei aber ebenso wie für den Anscheinsbeweis bei der Beweislastumkehr eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für den Kausalzusammenhang zwischen Kunstfehler und Schaden erforderlich. Zwar ist die Abgrenzung zwischen prima-facie-Beweis und Beweislastumkehr im Einzelfall flüssig 98 ; darauf wurde oben9s insbesondere unter Hinweis auf die Lues-Fälle, die auch Musielak zur Stützung seiner Ansicht besonders eingehend behandelt, bereits hingewiesen. Jedoch sind Beweislastumkehr und Anscheinsbeweis keine austauschEmmerich, JuS 1974, 51; Gaisbauer, VersR 1976, 224; Schwalm, Festschrift für P. Bockelmann, S. 554; Soergel / Zeuner, § 823 Rdnr. 359; Geigel / Schlegelmilch, § 28 Rdnr. 76 u. § 37 Rdnr. 26; Schönke / Kuchinke, § 57 V!. Vgl. ferner Fischer, S. 85 f., der sich für eine Beweislastumkehr auch bei groben Verstößen gegen die Regeln der klinischen Forschung ausspricht. Mit Vorbehalten Westermann, NJW 1974, 584. 84 Vgl. Kleinewefers / Wilts, VersR 1967, 619 u. 625; Diskussionsbeitrag Kleinewefers, Karlsruher Forum 1966, 39; Hanau, S. 133 u. Anm. NJW 1968, 2291; Hofmann, S. 22 ff. (insbes. S. 28) u. NJW 1974, 1644; Schmidt, JuS 1975, 434; Weimar, JR 1977,9; Musielak, S.154; Wahrendorf. S. 94. 95 Vgl. Bydlinski, S. 82 f.; Stoll, Festschrift für F. v. Hippel, S. 552, insbes. FN. 143; Prölss, S. 97 f. u. Anm. ZZP 82, 473. gs Vgl. Hanau, S. 143; Musielak, S. 155. 97 a.a.O., S. 145 ff., insbes. S. 150 ff. Ebenso jedoch ohne Begründung Rosenberg / Schwab, § 118 III 6 b, in der 11. Aufl. 1974. Diese Auffassung hat Schwab in der 12. Auf!. jedoch nicht aufrechterhalten. Zu der von Musielak vertretenen Meinung krit. Stoll, AcP 176, 148. 98 So Stein / Jonas / Schumann / Leipold, § 282 IV 7 b (a. E.). 99 2. Teil B. II. 4., insbes. FN. 63.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
baren Beweisfiguren1oo . Anders als bei den zum Anscheinsbeweis entwickelten Grundsätzen genügt es bei der Beweislastumkehr nicht, daß der Arzt dartut und im Falle des Bestreitens beweist, daß der Schaden möglicherweise auf anderen Ursachen beruhtl°1. Selbst der Beweis, daß eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen anderen Kausalverlauf spricht, reicht noch nicht aus. Vielmehr trägt der Arzt die volle Beweislast für die Nichtursächlichkeit des Behandlungsfehlers. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß der Behandlungsfehler generell geeignet gewesen sein muß, einen Schaden der eingetretenen Art herbeizuführen102 . Diese Einschränkung der Beweislastumkehr bedeutet entgegen der Aufassung von Musielak keineswegs, daß sie nur eingreift, wenn die Ursächlichkeit überwiegend wahrscheinlich istl° 3 • bb) Haftung für mögliche Kausalität Auch Bydlinskpo4 ist der Meinung, daß auf die Beweislastumkehr in diesem Bereich verzichtet werden kann. Dabei geht er von der Überlegung aus, daß die Beweislast immer erst in der non-liquet-Situation bedeutsam wird. Folglich habe der Schädiger, der aufgrund einer Beweislastentscheidung verurteilt werde, im Ergebnis für ein nur möglicherweise schädigendes Verhalten einzustehen. Diese Rechtsprechung bedeute daher in Wahrheit eine Abschwächung des materiellrechtlichen Kausalitätserfordernisses und damit eine Haftung für nur mögliche Kausalität. Dieses Prinzip findet nach Ansicht von Bydlinski in § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB seinen Rückhalt. Zwar sei der Gedanke, daß schon die mögliche Schadensverursachung ein wesentliches Haftungselement sein könne, dort nur bruchstückhaft erfaßt; jedoch sei seine Begrenzung auf den Fall der Konkurrenz mehrerer möglicherweise haftungsbegründender Ereignisse nicht gerechtfertigt. Der in dieser Bestimmung zum Ausdruck gekommene Grundsatz gelte vielmehr ganz allgemein, und zwar auch wenn ein schuldhaftes Handeln als mögliche Schadensursache mit einem zufälligen Ereignis konkurriere. Dabei erfordere die Haftung für bloß potentielle Kausalität eine "gesteigerte Adäquität", d. h. eine große konkrete Gefährlichkeit des als mögliche Schadensursache in Frage kommenden Ereignisses. Vgl. Baumgärtel / Wittmann, JA 1979, 116. Vgl. Palandt / Heinrichs, Vorbem. vor § 249 Anm. 8 c cc. 102 Insoweit stellt Musielak zu Unrecht darauf ab, daß der Behandlungsfehler auch eine "naheliegende" Ursache gewesen sein müsse. Denn diese Formulierung findet sich - soweit ersichtlich - nur in der Entscheidung BGH NJW 1970, 1230, 1231, die sich ausschließlich mit den Beweisanforderungen für Sekundärschäden befaßt. Wie hier Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S. 296. 103 Vgl. Dunz, S. 30, u. oben 2. Teil B. III. 4. 104 a.a.O., S. 65 ff. (passim). 100 101
IH. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler
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Allerdings soll nach dieser Ansicht der mit dem Zufall konkurrierende Schädiger in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 254 BGB nur mit dem Schadensteil belastet werden, der seiner Verursachungswahrscheinlichkeit entspricht. Bezogen auf den Arzthaftungsprozeß ist der Schaden danach grundsätzlich zu teilen, wenn sich nicht feststellen läßt, ob die Gesundheitsschädigung auf dem ärztlichen Kunstfehler oder die davon unbeeinflußte Krankheitsentwicklung zurückzuführen ist 105 • Der Lehre Bydlinskis kann jedoch nicht zugestimmt werden. Es dürfte bereits äußerst zweifelhaft sein, ob das Prinzip einer Haftung für bloße mögliche Kausalität mit dem deutschen Haftungssystem überhaupt vereinbar ispo6. Denn dieses kennt nur entweder einen Beweis zur vollen überzeugung des Gerichtes oder - im Falle des non liquet eine Beweislastentscheidung. Jedenfalls fehlt es diesem Grundsatz aber an einer ausreichenden Grundlage im Gesetz. § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB kommt dafür nämlich nicht in Betracht, weil es sich hierbei um eine Ausnahmevorschrift handelt, bei der sich - wie bei allen Sonderregeln - eine Verallgemeinerung grundsätzlich verbietett0 7 • Darüber hinaus ist § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB aber in der hier interessierenden Konstellation, daß Zufall und Haftungsgrund konkurrieren (um in der Terminologie Bydlinskis zu bleiben), auch seinem Rechtsgedanken nach nicht anwendbar. Denn nach fast einhelliger Meinung findet diese Vorschrift keine Anwendung, wenn der Geschädigte, der nach dieser Lehre durch die mögliche Kausalität des Zufalls mitbelastet sein soll, selbst an der gefährlichen Handlung beteiligt war und nicht auszuschließen ist, daß er selbst als potentieller Schadensurheber in Betracht kommtlOS. ce) Lehre von der Gefahrerhöhung Ähnliche Gesichtspunkte wie bei Bydlinskis Schadensteilung nach der Verursachungswahrscheinlichkeit finden sich auch bei der maßgeblich von Deutsch 109 entwickelten Lehre von der Gefahrerhöhung. Danach ist der Verletzer nach dem Maß des erhöhten Risikos zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er das Risiko des Schadens durch die VerBydlinski, S. 89. Verneinend Gaupp, S. 78 f. 107 Vgl. Hanau, S. 129. Diese Lehre lehnen ohne nähere Begründung auch ab Diederichsen, VersR 1966, 220 (insbes. FN. 107), Deutsch, JZ 1966, 557 (eingeschränkt) sowie Prölss, S. 98 u. Anm. ZZP 82, 475. 108 Vgl. statt aller BGH NJW 1973, 1283; Palandt / Thomas, § 830 Anm. 3 d (m. w. N.); a. A. OLG Celle, NJW 1950, 951. 109 a.a.O., S. 248 f., Festschrift für K. Larenz, S. 902, Festschrift für E. v. Caemmerer, S. 335 u. NJW 1976, 2292; ähnlich Roxin, ZStW 74, 431 ff. Dieser Lehre widerspricht Hanau, S. 130 ff. 105
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
letzung einer Verhaltensnorm erhöht hat, die gerade den Eintritt dieses Schadens verhindern sollte. Dabei soll sich der Anspruch dann bei sicher feststellbaren Gefahrerhöhungssätzen auf einen Prozentsatz des Schadens belaufen. Zwar betrifft diese Lehre nur den Normverletzungszusammenhang; jedoch ist oben 110 deutlich geworden, daß die Rechtsprechung beim Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers die Beweislast auch insoweit umkehrt. Folglich könnte die Lehre von der Gefahrerhöhung die Beweislastumkehr im Arzthaftungsprozeß wenigstens in diesem Punkt entbehrlich machen. Für den Bereich der Arzthaftung bedeutet sie, daß z. B. das Zuwarten trotz des Blutdrucksabfalls nach der Blinddarmoperation die Gefahr des Todes, die an sich schon bestand, erhöht hat 111 • Nimmt man die ursprüngliche Überlebenschance einmal mit 80 Prozent an, so hätten die Hinterbliebenen des Patienten danach nur einen Anspruch auf Ersatz von 4/5 des Schadens. Die Beweislast für die Höhe der Rettungschance trifft dabei den Patienten 112 • Mit diesem Lösungsvorschlag übernimmt Deutsch Gedanken, die bereits in der französischen Rechtsprechung zum Ausdruck gekommen sind. Diese hilft dem Patienten dadurch aus der Beweisnot, daß sie den Nachweis einer Heilungschance genügen läßt und schon für die Vereitelung einer solchen Chance Schadensersatz zuspricht (Entschädigung für "perte d'une chance")113. Bei der Bemessung des Ausgleichsbetrages wird dann die Größe der Chance berücksichtigt. Auch das RG hat soweit ersichtlich in nur einer Entscheidung aus dem Jahre 1939 114 die "besseren Aussichten der Heilung" hervorgehoben, wenn der nachgewiesene Kunstfehler unterblieben wäre. Es hat daraus jedoch weder beweisrechtliche Konsequenzen noch eine Schadensquotelung hergeleitet. Einer umfassenden Würdigung dieser Lehre bedarf es hier nicht. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß Deutsch selbst die Festsetzung des Schadensersatzes nach dem Grad der Gefahrerhöhung für eine Maßnahme de lege ferenda hält 11s • Dabei kann hier dahingestellt bleiben, ob diese Lehre nach geltendem Recht bereits dort Anwendung finden 110
2. Teil B. III. 4.
Vgl. Deutsch, Festschrift für E. v. Caemmerer, S. 335 unter Hinweis auf den BGH VersR 1968, 849 zugrundeliegenden Fall (s. auch oben 2. Teil 111
B. III. 3.).
Vgl. Deutsch, Festschrift für E. v. Caemmerer, S. 342. Vgl. Stall, AcP 176, 157; Kleinewefers / Wilts, VersR 1967, 617 u. 622 (jeweils m. Hinw. auf die franz. Rspr.); ähnlich Maassen, S. 183. 114 RG Seuff. Arch. 93 Nr. 97 (S. 262). 115 Festschrift für E. v. Caemmerer, S. 335. Gegen eine solche Gesetzesänderung Hanau, S. 132; unentschieden offenbar Stoll, AcP 176, 177. 112
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kann, wo eine Abwägung stattfindet, nämlich beim Schmerzensgeld und im Falle des Mitverschuldens 116 • Denn mit dem unser Rechtssystem im übrigen beherrschenden Alles-oder-Nichts-Prinzip ist sie jedenfalls nicht vereinbar. Darüber hinaus erhebt sie die Rettungschance eines Menschen zu einem Vermögensbestandteil und macht diese damit zu einem geschützten Rechtsgut, das dem geltenden Recht ebenfalls fremd ist 117 • Speziell im Arzthaftungsprozeß - und darauf darf sich die Untersuchung hier beschränken - dürfte diese Lehre kaum zur Linderung der Beweisnot führen. Denn der medizinische Sachverständige wird nur höchst selten zu "sicher feststellbaren Gefahrerhöhungssätzen"118 gelangen können. Wo sich aber exakte Prozentsätze auch nicht annähernd feststellen lassen, will auch Deutsch notgedrungen bei der Umkehrung der Beweislast bleiben 119 •
b) Versuche einer dogmatischen Begründung der Beweislastumkehr Nachdem die bisherige Untersuchung ergeben hat, daß sich die Beweislastumkehr bei einem groben Behandlungsfehler des Arztes nicht durch andere Rechtsfiguren ersetzen läßt, die es bei der grundsätzlichen Beweislast des Patienten belassen, ist zu überlegen, ob sich diese Beweislastsonderregel wenigstens durch eine Parallele zu anderen Fällen einer anerkannten Beweislastumkehr oder durch ein über das Arzthaftungsrecht hinausgreifendes Prinzip erklären läßt. aal Anwendbarkeit der für den Beweis der hypothetischen Kausalität geltenden Grundsätze Hanau 120 weist - insoweit zu Recht - darauf hin, daß es die Rechtsprechung zur Arzthaftung häufig nicht mit dem Beweis des realen Ursachenzusammenhangs zwischen Handlung und Erfolg zu tun hat, sondern daß es meist um die Kausalität pflichtwidriger Unterlassungen, d. h. um den hypothetischen Ausgang des gebotenen Verhaltens geht. Er ist ferner der Auffassung, daß diese Fälle denjenigen verwandt seien, in denen der reale Kausalzusammenhang zwischen der pflichtwidrigen Handlung und dem Erfolg feststeht und nur zweifelhaft ist, ob der Erfolg bei Vornahme der gebotenen anderen Handlung ausgeblieben wäre. Aus dem Grundsatz, daß bei derartigen Konstellationen der Schädiger die Beweislast für hypothetische Reserveursachen trägt, 118 So Deutsch, S. 248 f. und Festschrift für E. v. Caemmerer, S. 335 und 342; a. A. Stall, AcP 176, 177 FN. 100. 117 Vgl. Kleinewefers I Wilts, VersR 1967, 622; Stall, AcP 176, 157 f. 118 Vgl. Deutsch, Festschrift für E. v. Caemmerer, S. 335. 119 a.a.O., S. 249 und Festschrift für E. v. Caemmerer, S. 335. 120 Anm. NJW 1968, 2291 f.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
zieht Hanau den Schluß, daß dies auch für den Beweis des hypothetischen Ausgangs der unterlassenen ärztlichen Maßnahme gelte. Danach soll sich die Beweislast - jedenfalls soweit es sich um die Kausalität pflichtwidriger Unterlassungen handelt - also entsprechend der für den Beweis der hypothetischen Kausalität geltenden Grundsätze zu Lasten des Arztes umkehren. Gleichzeitig will Hanau auf die Feststellung eines groben Behandlungsfehlers als Voraussetzung für die Beweislastumkehr verzichten. Hieran ist zunächst auszusetzen, daß die von Hanau für die Beweislastumkehr gegebene Begründung die Beschränkung auf Unterlassensfälle nicht trägt. Denn auch bei einer falschen Behandlungsmaßnahme im Sinne positiven Tuns ist der hypothetische Ausgang des gebotenen regelgerechten Verhaltens häufig unsicher. Aber auch unabhängig davon kann dem Arzt die Beweislast für die fehlende Ursächlichkeit der Unterlassung nicht nach den für den Beweis der hypothetischen (= überholenden) Kausalität geltenden Grundsätzen auferlegt werden l2l • Soweit der Einwand der hypothetischen Kausalität überhaupt anerkannt wird 122 , unterliegt es zwar keinem Zweifel, daß der Verletzer die Beweislast dafür trägt, daß der geltend gemachte Schaden infolge des hypothetischen Eingreifens einer Reserveursache auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre 123 • Zu dieser Beweislastumkehr kommt es jedoch erst dann, wenn der Geschädigte den Kausalzusammenhang zwischen der realen Schädigungshandlung und dem realen Schadensereignis bewiesen hat. Daraus wird gleichzeitig deutlich, daß es sich bei der Prüfung der hypothetischen Kausalität in Wahrheit nicht um eine Frage der Ursächlichkeit, sondern der Schadenszurechnung handelt 124 ; denn an der realen Verursachung ändert der Schädiger nichts mehr, wenn er einwendet, daß der Schaden aufgrund einer anderen Ursache ebenfalls eingetreten wäre. Bezogen auf den Arzthaftungsprozeß bedeutet dies, daß der Arzt den Einwand der hypothetischen Kausalität erst dann vorzubringen und die diesen stützenden Tatsachen zu beweisen braucht, wenn er als Schädiger feststeht. So lag einer Entscheidung des BGH125 ein Fall zugrunde, in dem infolge der Operation eines Auges, dessen SehverVgl. Kleinewefers I Wilts, VersR 1967,619. Vgl. dazu die übersichten über Rechtsprechung und Lehre bei Deutsch, S. 168 f., und Larenz, § 30 I. 123 Vgl. Deutsch, S. 173; Kleinewefers I Wilts, VersR 1967, 619; Stoll, AcP 176, 175; a. A. wohl Bydlinski, S. 102 f. 124 Vgl. Larenz, § 30 I; Stoll, AcP 176, 174 f. Vielfach wird auch angenommen, daß es sich hierbei um eine Frage der Schadensberechnung handelt: vgl. Deutsch, S. 169 (m. w. N.); Hanau, S. 141. 121
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m NJW 1959, 2299 f.
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mögen sich nach einem Unfall verschlechtert hatte, Eitererreger in das Augeninnere gedrungen waren und dort eine intraoculare Infektion hervorgerufen hatten, die zur Erblindung des Auges führte. Dabei stand außer Frage, daß es zu der so herbeigeführten Erblindung ohne die Operationsinfektion und damit ohne den Eingriff, dem es hier an der Rechtfertigung durch eine wirksame Einwilligung mangelte, nicht gekommen wäre. Demgegenüber machte der beklagte Arzt geltend, daß der Krankheitsprozeß auch ohne die Operation alsbald ebenfalls zur Blindheit geführt hätte. Entsprechend dem oben dargelegten Grundsatz führt der BGH aus, die Beweislast für den Einwand eines solchen hypothetischen Geschehensablaufs falle dem Beklagten zu 126 • Er habe zunächst in verantwortlicher Weise jenen Zustand herbeigeführt, aus dem der Kläger die Schadensersatzforderung herleite und ihm sei es daher zuzumuten, nunmehr darzulegen und zu beweisen, daß die Krankheit, in deren Ablauf er eigenmächtig eingegriffen habe, zu dem gleichen Schaden geführt hätte 127 • Eine andere Beweislastverteilung würde - worauf der BGH zu Recht ergänzend hinweist - zu dem befremdenden Ergebnis führen, daß eine Person, die in einer lebensgefährlichen Krankheit mit völlig unsicherem Ausgang körperlich verletzt wird, überhaupt keine Schadensersatzansprüche oder allenfalls solche für nur einen sehr kurzen Zeitraum mit Erfolg geltend machen könnte. Dieses Beispiel macht auch deutlich, worin der Unterschied zu den Fällen liegt, in denen sich der Arzt auf das Fehlen des Normverletzungszusammenhangs beruft. Dort bringt er nämlich vor, die Krankheit hätte auch bei regelgerechtem Verhalten denselben Verlauf genommen, weil die Befolgung der Norm im konkreten Fall ohnehin nicht geeignet gewesen wäre, die Verwirklichung der von der Krankheit ausgehenden Gefahr zu verhindern. Bei der Frage der hypothetischen Kausalität bestreitet der Arzt dagegen nicht, daß die verletzte Kunstregel im konkreten Fall tauglich war, die Gefahr, die sie abwenden sollte, tatsächlich hintanzuhalten. Er wendet aber ein, daß sich bei kunstgerechter Behandlung eine ganz andere Gefahr verwirklicht und denselben Schaden herbeigeführt hätte 128 • Die bisherigen Ausführungen dürften bereits genügend gezeigt haben, warum sich die Beweislast für die fehlende UrsächIichkeit der ärztlichen Unterlassung nicht nach dem für den Beweis der hypothetischen Kausalität geltenden Grundsatz zu Lasten des Arztes umkehrt, wie Hanau dies vorschlägt. Denn bei den Fällen der Ursächlichkeit des 128 127 128
Ebenso BGH NJW 1981, 628, 630 (weiterer Arzthaftungsfall). Zustimmend Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S. 289. VgI. Stall, AcP 176, 174 f.; Larenz, § 301.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
ärztlichen Unterlassens geht es wie bei der Prüfung der Kausalität jeglichen Unterlassens gerade um die Frage, ob die Vornahme der gebotenen ärztlichen Maßnahme den eingetretenen Schaden verhindert hätte. Es soll also erst geklärt werden, ob der Arzt überhaupt als Schädiger anzusehen ist12D • Dieser Beweis aber obliegt in jedem Fall zunächst einmal dem klagenden Patienten. Hanau übersieht also offenbar, daß die bei dem Einwand der hypothetischen Kausalität anerkannte Beweislastumkehr zu Lasten des unmittelbaren Schadensverursachers erst dann eingreift, wenn dieser zweifels frei feststeht. Folglich läßt sich die Beweislastsonderregel im Arzthaftungsrecht auch soweit sie die Kausalität pflichtwidrigen Unterlassens betrifft nicht mit der Beweislastumkehr gleichsetzen, die bei der Berufung auf eine hypothetische Reserveursache angenommen wird. Daß allerdings auch diese im Arzthaftungsrecht gelegentlich eine Rolle spielt, wenn der als Schädiger feststehende Arzt sich auf einen hypothetischen Kausalverlauf beruft, haben die oben gemachten Ausführungen gezeigt. Da diese Beweislastumkehr jedoch im Arzthaftungsrecht keine besondere Ausgestaltung erfahren hat und jedenfalls bei Behandlungsfehlern auch nicht sehr häufig eingreift, bedarf sie an dieser Stelle keiner eingehenderen Erörterung. bb) Analogie zur Beweisvereitelung In zwei Entscheidungen des BGH heißt es, es sei billig, den Arzt dafür einstehen zu lassen, daß er durch einen leichtfertig begangenen Fehler die Lage herbeigeführt habe, die nicht mehr erkennen lasse, ob sein Versagen oder eine andere Ursache den schädigenden Erfolg herbeigeführt habe 130 • Noch deutlicher wird in einem anderen Urteil ausgeführt, der Arzt habe die Gefahr der Unaufklärbarkeit des Ursachenzusammenhangs jedenfalls dann zu tragen, wenn er sie durch einen groben Verstoß gegen seine ärztlichen Pflichten selbst heraufbeschworen habe l3l • Diese Formulierungen erwecken den Eindruck, als wolle der BGH die Beweislastumkehr mit den Grundsätzen begründen, die bei der Beweisvereitelung zu einer Umkehrung der Beweislast geführt haben 132 • Ähnlich Kleinewefers / Wilts, VersR 1967,619. BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 25; VersR 1981, 462. 131 BGH VersR 1962, 960; ähnlich Larenz (zuletzt in der 9. Auf!. 1968), § 14 III f. (a. E.), der den inneren Grund für die Beweislastumkehr darin erblickt, daß das Risiko der nicht vollständigen Aufklärbarkeit demjenigen zur Last fallen solle, der durch sein pflichtwidriges Verhalten gerade auch dieses Risiko geschaffen habe. Vgl. auch Schneider, MDR 1975, 446; Stoll, AcP 176, 184; Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S. 299. 132 Vgl. zur Beweisvereitelung im Arzthaftungsprozeß eingehend unten 2. Teil B. IV. 129
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Gegen eine derartige Gleichsetzung der Unaufklärbarkeit wegen eines Behandlungsfehlers und derjenigen infolge einer schuldhaften Beweisvereitelung hat sich bereits das RG gewandt. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall war einer Patientin durch eine unsachgemäße Chlorzinkstäbchenbehandlung der Gebärmutter gleichzeitig der Beweis unmöglich gemacht worden, daß sie vor dem Eingriff im Gegensatz zu dem danach festgestellten Zustand fruchtbar war133 • Das RG führt dazu aus, daß der Patient beweispflichtig bleibe, wenn gerade die fehlerhafte Behandlung selbst die Unaufklärbarkeit herbeigeführt habe. Demgegenüber hätten die der beweispflichtigen Partei durch Verschulden der Gegenseite entzogenen Beweismittel bei der Beweisvereitelung mit der schadenstiftenden Handlung an sich unmittelbar nichts zu tun134 • Auch der BGH hat in jüngster Zeit betont, daß die beweisrechtlichen Konsequenzen von Beweisvereitelung und grobem Behandlungsfehler "eigenen Grundsätzen" folgen müßten l35 • Dieser Ansicht stimmen die Stellungnahmen im Schrifttum - wenn auch mit unterschiedlicher Begründung - mit Recht zu. So meinen Blomeyer 136 und Prölss 137 weitgehend übereinstimmend, der die Umkehr der Beweislast bei der Beweisvereitelung rechtfertigende Verschuldensvorwurf müsse sich stets auf die Pflicht zur Beweismittelerhaltung beziehen. Bei der fehlerhaften Behandlung beziehe sich das Verschulden dagegen nicht auf die Herbeiführung der Unaufklärbarkeit und könne daher auch nicht zur Rechtfertigung einer Beweislastumkehr herangezogen werden 138 • Die Beweislosigkeit sei vielmehr eine rein zufällige Folge des pflichtwidrigen Verhaltens. Entscheidender als dieses Argument ist jedoch, daß es in den Fällen der vorliegenden Art am erforderlichen Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und der dadurch verursachten Unaufklärbarkeit des Sachverhalts fehlt. Denn man wird kaum sagen können, daß die Pflicht zu sorgfältiger Behandlung - zumindest auch - den Zweck verfolgt, den Patienten vor der andernfalls eintretenden Beweislosigkeit zu bewahren139 • RG JW 1938, 2152; zust. Blomeyer, AcP 158, 102. Ahnlich Anm. Prölss, ZZP 82, 474; vgl. auch RGZ 76, 295, 297. 135 NJW 1978,2337, 2339 (s. auch oben 2. Teil B. IH. 2. (a. E.)). 138 AcP 158, 101 u. 106; ähnlich auch BGH VersR 1965, 91, 92; 1975, 952, 954; vgl. ferner Uhlenbruck, NJW 1972, 2206. 137 a.a.O., S. 97; vgl. auch Anm. Prölss, ZZP 82, 473 f.; dazu ebenso wie zu Blomeyer, a.a.O. (FN. 136), krit. Kleinewefers / Wilts, VersR 1967, 621. 138 AhnIich Stürner, S. 171 ff. lSU Vgl. Kleinewefers / Wilts, VersR 1967, 621 u. Anm. Prölss, ZZP 82, 473, die diese Frage jedoch offenlassen. Wie hier Gaupp, S. 86. 133
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
Schließlich würde die Ableitung der Beweislastumkehr aus dem Beweisvereitelungsprinzip im Ergebnis dazu führen, daß der Arzt für schädigende Auswirkungen seiner Behandlung stets haftet, sofern er einen schuldhaften Behandlungsfehler begangen hat und ihm der Beweis der Nichtursächlichkeit seines Fehlverhaltens nicht gelingt 140. Denn jeder Behandlungsfehler beinhaltete dann gleichzeitig eine beweisvereitelnde Handlung, die zur Beweislastumkehr nach den für die Beweisvereitelung entwickelten Grundsätzen führen würde. Eine mit dieser überlegung begründete Beweislastumkehr ließe sich auch schwerlich auf das Arzthaftungsrecht begrenzen. Sie griffe vielmehr in allen Schadensersatzprozessen ein, bei denen die hypothetische Entwicklung des Sachverhalts ohne die schädigende Handlung von Bedeutung ist. Aus all diesen Gründen vermag der Gedanke einer schuldhaften Beweisvereitelung die Beweislastumkehr beim Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers nicht überzeugend zu rechtfertigen 141 • ce) Abstellen auf den Normzweck Einen weiteren Vorschlag für eine dogmatische Begründung der Beweislastumkehr in der Kausalitätsfrage hat Stoll 142 gemacht. Er will hierfür die Normzwecklehre heranziehen. Danach ist eine Umkehrung der Beweislast hinsichtlich des haftungsbegründenden Kausalzusammenhangs anzunehmen, sofern die verletzte Verhaltenspflicht nicht allein den Schutz des Verletzten vor einer bestimmten physischen Gefahr, sondern zugleich die Abwendung einer regelmäßig damit verbundenen Beweisnot bezweckt. Allein der Normzweck solle über die Umkehr der Beweislast entscheiden; auf die Schwere der Pflichtverletzung könne es demgegenüber nicht ankommen. Stoll begründet mit dieser Lehre auch ausdrücklich die hier allein interessierende Beweislastumkehr im Arzthaftungsprozeß und will dabei gleichzeitig auf das Merkmal der gesteigerten Pflichtwidrigkeit des Arztes verzichten. Wie sich bereits aus den Ausführungen zur Ableitung der Beweislastumkehr aus dem Beweisvereitelungsprinzip ergibt, überzeugt diese Argumentation nicht. Zwar kann der Normzweck auch im Arzthaftungsrecht im Einzelfall darin liegen, die Beweislosigkeit des Patienten zu verhindern. Dies wird insbesondere der Fall sein, wenn der Arzt die sich für ihn aus dem Dienstvertrag mit dem Patienten ergebende 140 Vgl. hierzu und zum folgenden Kleinewefers / Wilts, VersR 1967, 621; Gaupp, S. 86 f. 141 Ebenso wenn auch ohne Begründung - Baumgärtel / Wittmann, JA 1979,118. 142 Festschrift für F. v. Hippel, S. 550 ff., 558 f.; zustimmend Hofmann, NJW 1974, 1641.
III. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler
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Nebenpflicht verletzt, Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung zu machen. Jedoch läßt sich damit nicht die Umkehrung der Beweislast erklären, wenn der Arzt z. B. den erforderlichen Krankenbesuch oder eine nach den Regeln der ärztlichen Kunst gebotene Behandlungsmaßnahme unterläßt1 43 • Denn die Sorgfaltspflichten des Arztes haben vor allem den Zweck, den Patienten vor Schaden an Leben, Körper und Gesundheit zu schützen (vgl. § 823 Abs. 1 BGB). Dagegen läßt sich nicht der generelle Satz aufstellen, daß sie zugleich beabsichtigen, den Patienten vor Beweisnot zu bewahren144 • Somit vermag auch die Normzwecklehre die Beweislastumkehr im Arzthaftungsprozeß nicht zu begründen145 • dd) Anwendbarkeit der bei Verletzung von Schutzvorschriften und Verhaltenspflichten geltenden Grundsätze Schließlich ist zu überlegen, ob sich die Beweislastumkehr mit den Erwägungen rechtfertigen läßt, die - teils von der Rechtsprechung, teils von Autoren im Schrifttum - zur Begründung einer Beweislastumkehr beim Verstoß gegen Schutzvorschriften und Verhaltenspflichten herangezogen werden. So schlägt insbesondere Deutsch146 vor, den "Kunstfehler" begrifflich auf das Zuwiderhandeln gegen allgemein anerkannte Einzelregeln der Wissenschaft einzuschränken und die so ermittelten elementaren Kunstregeln147 in Parallele zu den Schutzgesetzen i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB und den Verkehrspflichten zu behandeln, die ein Verhalten vorschreiben. Denn ebenso wie die Schutzgesetze und Verkehrspflichten seien sie vom Konsens der Beteiligten getragen, nähmen den Schutz der einzelnen wahr und stellten Mindestanforderungen für den Umgang mit fremden Rechtsgütern148 • Zwar will Deutsch mit dieser Gleichsetzung nur eine Beweislastumkehr hinsichtlich der inneren Sorgfalt begründen149 • Es ist jedoch zu prüfen, ob sich dieser Gedanke nicht auch für die für den Patienten viel wichtigere 150 So aber ausdrücklich Stoll, Festschrift für F. v. Hippel, S. 551 f. Vgl. Kröning, S. 123; Baumgärtel / Wittmann, JA 1979, 117. 145 So im Ergebnis auch Hanau, S. 130. 148 NJW 1976, 2291 f. u. NJW 1978, 1658. 147 Auch BGH NJW 1978, 1683, 1684 spricht im Zusammenhang mit der Beweislastumkehr von der Außerachtlassung einer "elementaren Verhaltensregel" (s. o. 2. Teil B. IH. 1.). 148 So Deutsch, NJW 1976, 2292. 1'8 Vgl. NJW 1976, 2292 u. NJW 1978, 1658. Ebenso allerdings beschränkt auf den Entlastungsbeweis beim Nichtfunktionieren eines medizinischen Gerätes - Anm. Deutsch, JZ 1978, 278. 150 Vgl. oben 2. Teil B.1. 3. Unabhängig von den dort genannten Gründen dürfte dem Patienten bei der Definition des "Kunstfehlers" als der Verletzung der elementaren Kunstregeln der Beweis des Verschuldens ohnehin keine besonderen Schwierigkeiten bereiten (vgl. oben 2. Teil B. IH. 1.). 143
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6 Franzki
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
Beweislastumkehr in der Kausalitätsfrage fruchtbar machen läßt1 51 . Sollte sich dies als möglich herausstellen, so könnte gleichzeitig auch die Anknüpfung der Beweislastumkehr an den groben Behandlungsfehler (= "Kunstfehler" im Sinne von Deutsch) systematisch erfaßt sein. Nach der Rechtsprechung muß sich derjenige, der objektiv ein Schutzgesetz übertreten hat, in der Regel entlasten, wenn er dartun will, daß ihn aus besonderen Gründen kein Verschulden an der Verletzung des durch das Gesetz geschützten Interesses trifft, weil er alles getan habe, um die Ausführung des Schutzgesetzes zu sichern152 • Dabei geht die Rechtsprechung offenbar von einer Beweislastumkehr aus l53 , auch wenn dies nicht in allen Entscheidungen deutlich zum Ausdruck kommt154 • Was dagegen den Beweis des Ursachenzusammenhangs anlangt, so hat nur das RG155 in einigen Entscheidungen angenommen, der Beklagte habe zu beweisen, daß seine Zuwiderhandlung den Schaden nicht herbeigeführt habe. Demgegenüber lehnt die heute herrschende Rechtsprechung156 eine Beweislastumkehr im Einklang mit den meisten Stimmen in der Literatur157 ausdrücklich ab und verweist den Geschädigten auf die Möglichkeit des Anscheinsbeweises, wenn ein Verstoß gegen ein Schutzgesetz feststeht 158. Danach gilt hier allgemein der Satz: Wenn bei einem Verstoß gegen ein Schutzgesetz Schäden eintreten, deren Verhinderung oder möglichst weitgehende Ausschaltung von dem Vgl. auch Kleinewefers / Wilts, VersR 1967,623; Gaupp, S. 90 f. Vgl. RGZ 145, 107, 116; BGH VersR 1956, 190, 191; 1959, 277, 278; 1961, 231, 232; NJW 1968, 1279, 1281; 1969, 269, 274 (m. Anm. Diederichsen); 1973, 2207,2208. 153 So verstehen diese Rechtsprechung auch Staudinger / Schäfer, Vorbem. vor § 823 Rdnr. 136; Palandt / Thomas, § 823 Anm. 13 c; Geigel / Schlegelmilch, § 15 Rdnr. 11; Prölss, S. 101; Maassen, S. 83 f.; Stoll, Festschrift für F. v. Hippel, S. 557 f. Dieser Beweislastumkehr widersprechen Prölss, S. 101 ff. u. Wahrendorf, S. 80. Demgegenüber sind Rosenberg, S. 356 f. u. Musielak, S. 156 ff. (insbes. S. 161 f.) der Meinung, daß die Rechtsprechung hier in Wahrheit von einem Anscheinsbeweis ausgeht. 154 Vgl. z. B. BGH VersR 1961, 231, 232; NJW 1968, 1279, 1281; 1969, 269, 274; vgl. ferner die Nachweise - insbes. auch zur Rspr. des RG - bei Maassen, S. 83 f. 155 Vgl. RGZ 10, 11, 14; 21, 104, 109; 31, 62, 64; 97, 13, 14 f.; RG JW 1909, 135, 136; so auch noch BGH VRS 12, 258, 259 f. 156 Vgl. RGZ 52, 119, 126; RG JW 1931, 3327, 3329; BGH VersR 1955, 760, 761; 1957, 429, 430; 1959, 277, 278; 1964, 296, 621, 622 u. 1082, 1083; 1969, 181, 182; 1974, 158, 159. 167 Vgl. Staudinger / Schäfer, Vorbem. vor § 823 Rdnr. 135 u. § 823 Rdnr. 535; Soergel / Zeuner, § 823 Rdnr. 374; RGRK-Haager, § 823 Anm. 113; Palandt / Thomas, § 823 Anm. 13 c; Geigel / Schlegelmilch, § 15 Rdnr. 11; Hainmüller, S. 150 f.; Prölss, S. 101 ff.; Musielak, S. 156 u. S. 162. 158 Das gleiche gilt auch für den Beweis der Kausalität zwischen einer nachgewiesenen Amtspflichtverletzung und dem darauf zurückgeführten Schaden (vgl. den Arzthaftungsfall BGH VersR 1965, 91, 92 m. w. N.). 151 152
111. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler
83
Zweck des Schutzgesetzes umfaßt wird, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für die ursächliche Verbindung zwischen der Verletzung des Schutzgesetzes und dem Eintritt des Schadens 159• Ähnlich wie die Schutzgesetze haben die von den Berufsgenossenschaften aufgestellten Unfallverhütungsvorschriften den Präventivzweck, eine erhöhte Sicherheit gegen bestimmte Betriebsgefahren zu bieten. In ihnen haben sich die in dem betreffenden Gewerbe gemachten Betriebs- bzw. Berufserfahrungen niedergeschlagen l6o • Auch wenn die Unfallverhütungsvorschriften keine Schutzgesetze i. S. v. § 823 Abs.2 BGB sind l61 , so enthalten sie doch für den Unternehmer bindende Weisungen, von denen er sich Kenntnis verschaffen und die er ausführen muß. Insoweit könnte sich eine Übertragung der Beweislastverteilung bei einem Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften - ebenso wie bei der Verletzung eines Schutzgesetzes - auf Verstöße gegen die Regeln der ärztlichen Kunst anbieten162 • Bei der feststehenden Verletzung von Unfallverhütungsvorschriften spricht die Rechtsprechung von einer "Vermutung", daß der Unfall bei Beachtung der Vorschrift vermieden worden wäre; es sei dann Sache des Unternehmers, diese Vermutung zu entkräften163 • Dabei bleibt in vielen Entscheidungen unklar, ob mit dieser "Vermutung" eine Beweislastumkehr oder ein Anscheinsbeweis gemeint ist. Während die Rechtsprechung des RG, aber auch einige Entscheidungen des BGH, es nahelegen, die Kausalitätsvermutung als Beweislastregel aufzufassen 164 , bringt gerade die neue re Rechtsprechung deutlich zum Ausdruck, daß in diesen Fällen nur ein Anscheinsbeweis zugunsten des Geschädigten eingreift l65 • Dieser Rechtsprechung, die auch Rückhalt in der Literatur gefunden hat l66 , ist zuzustimmen, da bei der Zuwiderhandlung gegen 159 Vgl. BGH VersR 1961, 828; 1964, 621 u. 1082; so auch Staudinger / Schäfer, Vorbem. vor § 823 Rdnr. 135; Diederichsen, VersR 1966,218 FN. 91. 180 Vgl. hierzu und zum folgenden statt aller RGZ 95, 238, 240; BGH VersR 1961, 160, 161 (ständ. Rspr.). IGI a. A. Hainmüller, S. 114. 182 So offenbar Stoll, Festschrift für F. v. Hippel, S. 558; vgl. auch Gaupp, S. 93 ff. Dies erwägen auch - allerdings im Ergebnis ablehnend - Kleinewefers / WHts, VersR 1967, 623 u. Prölss, Anm. ZZP 82, 474. 163 Vgl. RGZ 95, 238, 240; 128, 320, 329; BGH VersR 1955, 105 f.; 1961, 160, 161; 1963,835,836; 1964,942,944. 1M Vgl. die in FN. 163 zit. Rspr. u. die weiteren Nachweise bei Maassen, S. 111. Ebenso Gaupp, S. 91; Hofmann, S. 34 f.; Wahrendorf, S. 84. 185 Vgl. BGH VersR 1965, 1055, 1056; 1972, 149, 150; 1972, 767, 768; 1974, 263, 264; NJW 1978, 2032, 2033; OLG Frankfurt, VersR 1972, 105, 106; vgl. auch OLG Bremen, VersR 1979, 1060, 1062 (Arzthaftungsfall). 118 Vgl. Soergel / Zeuner, § 823 Rdnr. 374; Palandt / Thomas, § 823 Anm. 13 a; Prölss, S. 104; Diederichsen, VersR 1966, 219; Musielak, S. 164; Stoll, AcP 176, 164.
84
2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
Unfallverhütungsvorschriften regelmäßig ein Erfahrungssatz besteht, der die Grundlage für einen Anscheinsbeweis der Kausalität bildet und die Beweisnot des Geschädigten in ausreichendem Maße lindert. Damit steht fest, daß nach der heute herrschenden Rechtsprechung und dem überwiegenden Teil des Schrifttums sowohl bei der Verletzung eines Schutzgesetzes als auch beim Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften hinsichtlich des Kausalitätsbeweises zugunsten des Verletzten nur die Anwendung des prima-facie-Beweises, nicht aber eine generelle Beweislastumkehr in Betracht kommt. Schon aus diesem Grunde scheidet eine dogmatische Erklärung der Beweislastumkehr im Arzthaftungsprozeß durch die Grundsätze aus, die bei der Verletzung von Schutzvorschriften gelten. Auch die unmittelbare Einordnung der Verkehrspflichten, d. h. hier der elementaren Kunstregeln in § 823 Abs. 2 BGB änderte - wohlgemerkt nur, was den Kausalitätsbeweis anlangt - an diesem Ergebnis nichts. Denn auch bei einer Gleichsetzung der Verkehrspflichten mit den Schutzgesetzen i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB stünde dem geschädigten Patienten bei der Verletzung der Kunstregeln nur der Anscheinsbeweis zur Seite. Es erübrigt sich daher, auf die umstrittene Frage näher einzugehen, ob eine solche Einordnung der Verkehrspflichten überhaupt angängig ist 167 • Andererseits ist es aus Gründen der Waffengleichheit auch nicht möglich, die ärztlichen Kunstregeln allein aufgrund von systematischen Erwägungen den oben genannten Schutzvorschriften an die Seite zu stellen und konsequenterweise auf die Beweislastumkehr im Arzthaftungsprozeß völlig zu verzichten. Zugunsten des klagenden Patienten griffe dann nämlich nur noch der Anscheinsbeweis ein. Im Gegensatz zum Bereich der Unfallverhütungsvorschriften sind aber in der Medizin Erfahrungssätze, aufgrund derer sich der Schluß förmlich aufdrängt, daß die Schädigung auf dem normwidrigen Verhalten beruht, relativ selten1G8 • Daher läßt sich der Anscheinsbeweis - worauf oben169 bereits hingewiesen wurde - im Arzthaftungsrecht auch besonders leicht durch den Nachweis· der ernsthaften Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufes erschüttern. Aber selbst wenn man bei der Verletzung von Schutzvorschriften eine Beweislastumkehr in der Kausalitätsfrage annähme, wie dies die 187 So eingehend Deutsch, S. 130 u. JuS 1967, 157 (jeweils m. w. N.). Demgegenüber ist die h. M. der Ansicht, daß die Verkehrspflichten (als Garantenpflichten) die Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB gegen Verletzungen durch Unterlassen schützen (vgl. Staudinger / Schäfer, § 823 Rdnr. 272; Fikentscher,
§ 103 III 1 d).
168 Vgl. Kleinewefers / Wilts, VersR 1967, 623; Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S. 298 u. 30l. 169 s. o. 2. Teil B. II. 4.; so auch Blomeyer, AcP 158, 105.
IH. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler
85
frühere Rechtsprechung getan hat und wofür sich auch heute noch eine Mindermeinung in der Literatur ausspricht, ließe sich die Beweislastumkehr im Arzthaftungsrecht damit nicht rechtfertigen. Denn eine generelle Gleichsetzung der ärztlichen Kunstregeln mit den genannten Schutzvorschriften begegnet erheblichen Bedenken. Während die Schutzvorschriften ein genau umrissenes Verhalten normieren, dessen Befolgung eine erhöhte Sicherheit gegen bestimmte Gefahren bietet, geben die Regeln der ärztlichen Wissenschaft zumeist keine derartig konkreten Verhaltensanweisungen l7o • Da sie dies in Anbetracht der Individualität und Kompliziertheit des zu behandelnden menschlichen Organismus auch nicht tun können, ist es nicht möglich, jeden Behandlungsschritt in eine Regel zu gießen l71 • Darüber hinaus ist der Stand der medizinischen Wissenschaft - wie Kriele 172 es treffend ausdrückt gerade dadurch gekennzeichnet, daß er kontrovers ist. Zwar wird in zahlreichen Fällen, in denen der Arzt allgemein anerkannte Regeln der Wissenschaft verletzt hat, der Schluß naheliegen, daß der eingetretene Schaden auf dem pflichtwidrigen ärztlichen Verhalten beruht1 73 • Jedoch begegnet es auch Bedenken, diese elementaren Regeln den Schutzvorschriften an die Seite zu stellen174 • Denn eine zu starre Bindung des Arztes an allgemein anerkannte Regeln beinhaltet die Gefahr einer Kanonisierung des gegenwärtigen Standes ärztlichen Wissens 175 und wird den oft raschen Entwicklungen in der heutigen Medizin nicht gerecht 176 • Darüber hinaus würde eine solche Festlegung der ärztlichen Kurier- oder Methodenfreiheit widersprechen. Danach gibt es keine Verpflichtung des Arztes, ausschließlich die allgemein anerkannten Regeln der ärztlichen Wissenschaft anzuwenden 177 • Würde man die Beweislastumkehr aber in jedem Fall an deren Verletzung knüpfen, so würde diese prozessuale Folge das Abweichen von der allgemein anerkannten Methode in unzulässiger Weise sanktionieren. Auch das mit der Entwicklung neuer Behandlungsmethoden verbundene Risiko ginge dann allein zu Lasten des Arztes. Aus denselben Gründen scheidet auch eine dogmatische Begründung der Beweislastumkehr im Arzthaftungsprozeß mit den zu § 618 BGB 170
171 172
Vgl. Anm. Prölss, ZZP 82, 474. Vgl. Deutsch, NJW 1976, 2291. NJW 1976, 356.
Vgl. Gaupp, S. 93. 174 So Deutsch, NJW 1976, 2291 und NJW 1978, 1638. 175 Vgl. Schreiber, Med Sach 72, 72 (m. w. N.); Hoffmann, Med Sach 72,78. 176 Vgl. Isele, S. 13. 177 Vgl. RGSt 64, 263 ff.; 67, 12, 21; BGH NJW 1962, 1780; vgl. auch die in FN. 175 Zitierten. Ein weiteres Eingehen auf den Kunstfehlerbegriff ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. 173
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
entwickelten Beweisgrundsätzen aus. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um einen gesetzlich geregelten Spezialfall der positiven Vertragsverletzung178 • Zwar nimmt die inzwischen gefestigte Rechtsprechung bei der Verletzung der dem Dienstberechtigten obliegenden Fürsorgepflichten hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden eine Beweislastumkehr an179 • Jedoch läßt sich die Beweislastumkehr im Arzthaftungsrecht nicht allein mit den hinter § 618 BGB stehenden Schutzerwägungen rechtfertigen l80 , auch wenn das RG - allerdings ohne nähere Begründung - auf den angeblichen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen der Beweislastumkehr hingewiesen hati 8l . Denn der fehlerhaft behandelnde Arzt verletzt keine Vorschrift mit derartig ausgeprägtem Schutzcharakter wie § 618 BGBl82. Auch hier gilt, daß die Kunstregeln das Verhalten des Arztes nicht so stark normieren, daß man sie den aus § 618 BGB konkret ermittelbaren Fürsorgemaßnahmen des Dienstherrn an die Seite stellen könnte. Schließlich ist hier noch auf die Regel einzugehen, die nach Ansicht von Diederichsenl83 der Rechtsprechung zu all diesen Fällen einer Verletzung von Schutzvorschriften zugrunde liegt. Die Regel besagt: Wer objektiv gegen eine konkrete Verhaltenspflicht verstoßen hat, deren Verletzung generell geeignet ist, einen bestimmten Schaden herbeizuführen, trägt die Beweislast dafür, daß sein Verstoß nicht ursächlich war, wenn ein solcher Schaden eingetreten ist. Mit diesem Prinzip erklärt sich nach Diederichsen auch die Beweislastumkehr im Arzthaftungsprozeß. Unabhängig davon, daß diese Regel zu allgemein sein dürfte, um das Schadensrisiko von dem Rechtsinhaber auf einen Dritten zu übertragen l8 4, knüpft auch sie an die Verletzung einer "konkreten Verhaltenspflicht" an. Damit scheidet sie aber aus den dargelegten Gründen ebenfalls zur Rechtfertigung der Beweislastumkehr im Arzthaftungsprozeß aus l8S . Vgl. Hainmüller, S. 156 (m. w. N.). Vgl. RGZ 95, 103, 104; 38, 37, 38 f. (m. w. N.); RG DR 1939, 1584, 1585; BGHZ 27, 79, 84; BAG BB 1955, 637. Manchmal nahm das RG auch hier nur einen Anscheinsbeweis an: vgl. RG JW 1922, 485; DR 1943, 1067. Der Annahme einer Beweislastumkehr stimmt das Schrifttum überwiegend zu: vgl. Palandt / Putzo, § 618 Anm. 3 c; Hainmüller, S. 156 f.; Wahrendorf, S. 71 ff.; Diederichsen, Karlsruher Forum 1966, 24; a. A. Prölss, S. 105. 180 So aber Hofmann, S. 19 ff. 181 RG HRR 1937 Nr. 1301. 182 Vgl. Gaupp, S. 92. 183 Karlsruher Forum 1966, 25 u. VersR 1966, 220. 18i Vgl. Hanau, S. 128. 18S Nicht anders verhält es sich mit der von Wilts, MDR 1973, 355 allerdings in anderem Zusammenhang - zur Diskussion gestellten Überlegung, 178 179
III. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler
87
6. Beweislastumkehr unter dem Gesichtspunkt
des "Gefahrenbereicl1s"
Somit läßt sich die von der Rechtsprechung entwickelte Beweislastumkehr weder durch andere Rechtsinstitute ersetzen noch auf andere fest umrissene Beweislastfiguren zurückführen. Vielmehr ist sie als durch richterliche Rechtsfortbildung extra legern entstandene Beweislastsonderregel anzuerkennen. Daß es sich hierbei nicht um einen Einzelfall richterlicher Rechtsfortbildung auf dem Gebiet der Beweislastverteilung handelt, zeigt z. B. die vom BGH im Bereich der Produzentenhaftung entwickelte Beweislastumkehr hinsichtlich des Verschuldens l86 , die auch im Schrifttum allgemeine Zustimmung erfahren hat l87 • Auch wenn die Rechtsprechung die hier zu beurteilende Beweislastumkehr - soweit überhaupt - fast durchweg mit Billigkeitserwägungen begründet hat, so ist doch noch zu untersuchen, ob dahinter nicht andere diese Sonderregel tragende Gesichtspunkte erkennbar werden. Einen derartigen Ansatzpunkt hat der BGH in einer Entscheidung188 selbst erwähnt. Dort hat er die Beweislastumkehr damit begründet, daß der Arzt durch den groben Behandlungsfehler die Lage selbst geschaffen habe, die nicht erkennen lasse, wie der Verlauf bei ordnungsmäßiger ärztlicher Betreuung gewesen wäre. Er sei deshalb "näher dran", mit dem Beweisrisiko belastet zu werden, als der Patientt 89 • Auch Diederichsen190 will das Risiko voller Sachaufklärung dem zufallen lassen, der näher am Schaden ist. Von der Beweislastverteilung, die auf die Schadensnähe abstellt, zu derjenigen nach Gefahrenbereichen ist es nur ein kleiner Schritt. Denn die Nähe zum Schaden wird jedenfalls in all den Fällen vorliegen, in denen der Schaden im Verantwortungsbereich des Schuldners entstanden ist. Daß aber die Gründe, auf die die im Rahmen von § 282 BGB entwickelte Gefahrenkreistheorie gestützt wird - nämlich die Beweisnot des Geschädigten, die Schadensnähe des potentiellen Schädigers und der Präventivzweck der Haftungsnorm - auf ärztliche Pflichtverstöße die ärztlichen Kunstregeln als Konkretisierung des vom Gesetz allgemein gebotenen sorgfältigen Verhaltens und damit als Inhalt der Rechtsordnung anzusehen. 188 Vgl. BGH NJW 1969,269 ff. ("Hühnerpestfall"); st. Rspr. IB7 Vgl. statt aller Musielak, S. 184 (m. w. N.). Trotz der auf das Beweisrecht abstellenden Lösung hat diese Rechtsprechung zu einer erheblichen materiellrechtlichen Ausweitung der Haftung des Warenherstellers geführt (vgl. von Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, S. 14 u. 25 m. w. N.). IBB NJW 1967, 1508 f. IB9 Ähnlich BGH VersR 1971, 80, 82 (kein Arzthaftungsfall) unter ausdrücklichem Hinweis auf den Sphärengedanken. 190 VersR 1966, 218 u. Karlsruher Forum 1966, 25; dagegen Anm. Prölss, ZZP 82, 475.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
besonders zutreffen, ist bereits oben191 bei der Befürwortung der analogen Anwendung der §§ 282, 285 BGB im Arzthaftungsrecht eingehend dargelegt worden. Auf diese Ausführungen kann daher hier verwiesen werden. Somit ist die Annahme gerechtfertigt, daß sich die Rechtsprechung zur Beweislastumkehr im Arzthaftungsrecht in die allgemeinen Grundsätze der Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen einordnen läßt1 92 • Einem möglichen Mißverständnis sei jedoch gleich vorgebeugt: Hier soll keineswegs einer analogen Anwendung der §§ 282, 285 BGB auf das Deliktsrecht das Wort geredet werden. Denn eine solche ließe sich aus methodischen Gründen nicht rechtfertigen. Es ist jedoch das Verdienst von Prölss 193 , diesen Grundsatz als ein allgemeines Rechtsprinzip aus einer Reihe gesetzlicher Vorschriften entwickelt und nachgewiesen zu haben, daß alle Überlegungen, die für eine Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen im vertraglichen Schadensersatzrecht sprechen, auch für das Deliktsrecht gelten. Denn eine derartige Beweislastverteilung beruht weder auf dem Vertrauensprinzip, noch findet sie ihre Grundlage in einem Vertrag. Daß auch die Rechtsprechung im Bereich der unerlaubten Handlung eine Beweislastverteilung nach diesem Gesichtspunkt vornimmt - und zwar ebenfalls ohne jeglichen Bezug auf § 282 BGB - zeigt wiederum das Beispiel der Produzentenhaftung. Auch dort muß sich der Hersteller hinsichtlich der in seinem Organisations- und Gefahrenbereich ausgelösten Mängel entlasten194 • Ebenso wie im Arzthaftungsprozeß begründet der BGH diese Beweislastregel mit den schutzwürdigen Interessen des Geschädigten und fügt hinzu, diese würden es gebieten, daß der Produzent die in seiner Einflußsphäre liegenden und dem Einblick des Geschädigten weitgehend entzogenen Vorgänge aufklärt. Auch dieser Teil der Argumentation läßt sich - mutatis mut an dis - zur Rechtfertigung der Beweislastumkehr im Arzthaftungsprozeß heranziehen. Während das Schwergewicht der Beweisnot des Geschädigten bei der Produzentenhaftung in der Regel im Verschuldensbereich liegt, betrefs. o. 2. Teil B. 1. 2. (a. E.). So auch Kleinewefers / Wilts, VersR 1967, 625; desgl. offenbar auch Kröning, S. 116; vgl. ferner Hainmüller, S. 160 f. (Beschränkung auf vertragliche Ansprüche). 193 a.a.O., S. 65 ff., insbes. S. 72 ff. u. VersR 1964, 904 f. (Auf diese Ausführungen wird verwiesen, da im Rahmen dieser Arbeit auf Einzelheiten der Begründung und Reichweite dieser Lehre nicht eingegangen werden kann.) Prölss ausdrücklich folgend Hübner, S. 97 ff. und Westermann, NJW 1974, 583; desgl. Larenz, § 24 I b, bis zur 11. Aufl. 1976 (a. A. unter ausdrücklicher Abkehr von der Vorauflage in der 12. Aufl. 1979); vgl. ferner Fikentscher, § 47 11 u. § 103 IV 11 a; Palandt / Heinrichs, § 282 Anm. 2; a. A. auch Rosenberg / Schwab, § 118 111 3. 184 Vgl. hierzu und zum folgenden BGH NJW 1969, 275. 191
192
IH. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler
89
fen die Beweisschwierigkeiten des Patienten nach der Feststellung eines Behandlungsfehlers vor allem den Ursachenzusammenhang. Folglich widerspricht auch der Umstand, daß es im Arzthaftungsprozeß zu einer Beweislastumkehr in der Kausalitätsfrage kommt, nicht der Annahme, daß sich diese Beweislastregel auf die Grundsätze der BeweislastverteiIung nach Gefahrenbereichen zurückführen läßV 9s . Anderer Ansicht ist Prölss 19S • Danach sollen sich gerade die Arzthaftungsfälle nicht mit der Gefahrenbereichstheorie lösen lassen, da sich hier der Nachweis, daß die Schadensursache aus dem Gefahrenbereich des Arztes hervorgegangen sei, zumeist nicht führen lasse. Auch Gaupp 197 weist darauf hin, daß im Arzthaftungsprozeß oft gerade strittig und unaufklärbar sei, ob nicht ein von außen hinzutretender Umstand - z. B. die Konstitution des Patienten oder ein mitgebrachtes Leiden - die eigentliche Ursache der Schädigung gewesen sei. Demgegenüber wollen Kleinewefers und Wilts 19S den Schuldner auch dann mit dem Risiko der Unaufklärbarkeit belasten, wenn möglicherweise eine außerhalb des Gefahrenbereiches ausgelöste Kausalreihe schädigend in diesen hineingewirkt hat. Allerdings läßt sich nach ihrer Ansicht das Erfordernis eines qualifizierten Verschuldens für die Beweislastumkehr im Arzthaftungsrecht auch aus dem Prinzip der Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen nicht herleiten 199 . Auch andere Autoren sprechen sich - wenn auch unabhängig von der Sphärentheorie - für einen Verzicht auf diese Voraussetzung aus 200 • Da die Haftung in unserem Rechtssystem nur in Ausnahmefällen vom Grad des Verschuldens abhängig ist, sind die Verschuldensstufen als Kriterien für die BeweislastverteiIung in der Tat wenig geeignet 201 • Außerdem sind beim Abstellen auf das Maß des Verschuldens auch die Umstände des 195 So (allg.) Larenz, § 24 I b bis zur 11. Aufl. 1976 (anders in der 12. Aufl. 1979); vgl. auch Westermann, NJW 1974, 583; a. A. Musielak, AcP 176, 477 ff. Ausdrücklich weist ferner Giesen, S. 123 FN. 126 (m. w. N.) u. Jura 1981, 13 u. 24, auf die Parallelität der Beweislastverteilung bei der Produzenten- und Arzthaftung hin. Vgl. auch Giesen, Arzthaftungsrecht, S. 131. 196 a.a.O., S. 97; ebenso eher ablehnend Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S.300. 191 a.a.O., S. 89. 198 VersR 1967, 624. Dieser Ansicht widerspricht ausdrücklich Musielak, S.175. 199 VersR 1967, 625. 200 Vgl. die in FN. 94 Zitierten. Dabei vertritt Hanau, Anm. NJW 1968, 2291, die Ansicht, daß die Beschränkung auf grobe Fahrlässigkeit nicht einmal im Interesse der Ärzte liege, da ihnen der schwere Schuldvorwurf unangenehmer sein dürfte als die (in der Regel versicherte) Haftung für mögliche Folgen jeder Fahrlässigkeit (vgl. dazu auch oben 2. Teil B. 1. 2. FN.48). 201 Vgl. Hanau, S. 133 u. Anm. NJW 1968,2291.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
Einzelfalls besonders zu berücksichtigen202 • Der erwähnten Forderung nach einem Verzicht auf ein qualifiziertes Verschulden wäre daher zuzustimmen, wenn sie nicht ins Leere ginge. Denn wie bereits dargestellt 203 , hat der BGH die Beweislastumkehr schon zu Beginn der sechziger Jahre nur noch vereinzelt an ein qualifiziertes Verschulden geknüpft. Immer häufiger hat er seitdem auf den groben Behandlungsfehler (bei einfachem Verschulden) abgestellt. Heute ist diese gesteigerte Pflichtwidrigkeit die einzige Bedingung für die Beweislastumkehr. Damit wird aber gerade kein gesteigerter Schuldvorwurf vorausgesetzt oder ausgesprochen204 • Nicht gefolgt werden kann dagegen der Auffassung, die auch auf diese Voraussetzung verzichten will 205 • So fordern auch Kleinewefers und Wilts206 keine gesteigerte (objektive) Pflichtwidrigkeit als Voraussetzung der Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen im Arzthaftungsrecht. Damit würde dem Arzt aber stets das Risiko der Unaufklärbarkeit des Ursachenzusammenhanges überbürdet, das - wie zu Recht immer wieder betont wird - wegen der Kompliziertheit des menschlichen Organismus besonders groß ist. Gerade um dies zu verhindern, knüpft die Rechtsprechung die Beweislastumkehr an das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers. Damit wird neben der Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen das zweite Prinzip erkennbar, das hinter dieser Beweislastumkehr steht: nämlich die regelmäßig hohe Wahrscheinlichkeit, daß der vom Patienten bewiesene schwere ärztliche Pflichtverstoß auch tatsächlich die Ursache der festgestellten Schädigung war, wenn er generell geeignet ist, einen Schaden der eingetretenen Art herbeizuführen207 • In dieser Situation hat die Beweislastumkehr nur noch die Funktion, dem geschädigten Patienten den - oft praktisch unmöglichen - Nachweis einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zu erlassen208 • Dieses hohe Maß an Wahrscheinlichkeit besteht selbst in den Fällen, in denen der grobe Behandlungsfehler theoretisch nur relativ selten zu einem Gesundheitsschaden der eingetretenen Art führt. Denn liegen sowohl der schwere Pflichtverstoß als auch die Schädigung, die darauf beruhen Vgl. Kröning, S. 118. s. o. 2. Teil B. 111. 1. 204 So ausdrücklich BGH VersR 1962,960, 962; Deutsch, VersR 1977, 105. 205 Vgl. z. B. Hofmann, NJW 1974, 1644. Häufig wird auch nicht zwischen einem groben Behandlungsfehler und grober Fahrlässigkeit unterschieden: so z. B. Schmidt, JuS 1975, 434. 208 VersR 1967, 625; vgl. auch Diskussionsbeitrag Kleinewefers, Karlsruher Forum 1966, 39. 207 Vgl. Gaupp, S. 94; Wahrendorf, S. 9l. 208 Vgl. Maassen, S. 114. 202 203
IH. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler
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kann, in concreto tatsächlich vor, so ist in den meisten Fällen auch der Ursachenzusammenhang zwischen beiden sehr wahrscheinlich209 • Dadurch, daß die Rechtsprechung für die Beweislastumkehr einen groben Behandlungsfehler verlangt, nimmt sie hier eine Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen im Ergebnis erst dann vor, wenn durch den nachgewiesenen schweren Pflichtverstoß des Arztes ein "Bereich erhöhter Gefahr" entstanden ist. Mit dieser Voraussetzung vermeidet sie eine einseitige Benachteiligung des Arztes, wie Prölss und Gaupp sie bei der Anwendung des Sphärengedankens im Arzthaftungsrecht befürchten; andererseits geht die Rechtsprechung aber auch nicht so weit wie Kleinewefers und Wilts, die eine Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen ohne die einschränkende Voraussetzung des groben Behandlungsfehlers auch dann befürworten, wenn möglicherweise eine außerhalb des Gefahrenbereiches des Arztes ausgelöste Kausalreihe schädigend in diesen hineingewirkt hat210 • Es ist jedoch nicht zu bestreiten, daß der beklagte Arzt im Einzelfall auch für den fernliegenden Fall haftet, daß der Schaden nicht auf seiner groben Pflichtverletzung beruht211 • Dies ist jedoch die mögliche Folge einer jeden von der Regel abweichenden Beweislastverteilung: Um zu vermeiden, daß viele Schuldige der Haftung entgehen, wird bewußt in Kauf genommen, daß manchmal ein möglicherweise Unschuldiger haftet212 • Aber auch hier bemüht sich die Rechtsprechung, dem Schuldgedanken Geltung zu verschaffen. Denn sie rechnet die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts dem Arzt nur dann zu, wenn dieser das Beweisrisiko durch einen groben Behandlungsfehler verschuldet hat. Damit stellt sie - worauf oben213 bereits hingewiesen wurde letztlich auch hier auf das das materielle Recht beherrschende Verschuldensprinzip ab. Das erscheint auch in besonderem Maße gerechtfertigt, da gerade im Arzthaftungsprozeß die Zurechnung des Beweisrisikos zumeist auch die endgültige Schadenszurechnung zur Folge hat. Denn dem Arzt gelingt der negative Kausalitätsbeweis nur selten214 , so daß a. A. Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S. 298. Dagegen läßt sich die Beweislastumkehr nicht allein damit rechtfertigen, daß eine eindeutige Verletzung einer konkreten Schutzpflicht vorliegt. Dies ist oben (2. Teil B. 111. 5. b) dd» bereits eingehend dargelegt worden. 211 Vgl. Diederichsen, VersR 1966, 220, der dieses Ergebnis ebenfalls wegen der Schadensnähe in Verbindung mit dem (hier selbständig hinzutretenden) bewiesenen Pflichtverstoß, der als Ursache der eingetretenen Schädigung nicht ausscheidet, für erträglich hält. 211 Vgl. Stoll, Festschrift für F. v. Hippel, S. 558. 213 2. Teil B. 111. 4. !14 H. Franzki, DRiZ 1978, 260. Zu den wenigen Fällen, in denen dem Arzt der Beweis der fehlenden Ursächlichkeit gelungen ist, gehören: BGH VersR 1965, 583, 584; 1979, 630; 1979, 939, 940 (zu letzterem s. o. 2. Teil B. 111. 4.). 20G
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
die Beweislastumkehr wegen eines groben Behandlungsfehlers für ihn in aller Regel den Prozeßverlust, d. h. die Verurteilung zum Schadensersatz bedeutet. Wollte man dagegen stets dem Patienten das Risiko der Unaufklärbarkeit auferlegen, so könnte er seine Schadensersatzansprüche nicht realisieren und müßte rechtlos bleiben215 • Wegen dieser Auswirkungen der Zurechnung des Beweisrisikos ist es unbedingt erforderlich, daß die Beweislastverteilung auch den Grundsätzen der materiellen Schadenszurechnung entspricht. Allerdings geht es entgegen der Ansicht von Gaupp 216 nicht an, die Beweislastumkehr im Arzthaftungsprozeß in erster Linie als "Teil gerechter Schadenszurechnung" zu begreifen und mit diesem Gedanken zu begründen. Denn dafür ist er zu allgemein und kaum aussagekräftiger als die von der Rechtsprechung angeführten Billigkeitserwägungen. Die hier vertretene Ansicht, daß die Beweislastumkehr im Arzthaftungsprozeß letztlich auf den Grundsätzen der Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen beruht, steht auch nicht im Widerspruch zu der oben217 getroffenen Feststellung, daß sich die Beweislastumkehr in Analogie zu §§ 282, 285 BGB auch nach der herrschenden Literaturmeinung nur auf das Verschulden, nicht aber auf die Kausalität bezieht. Denn zum einen handelt es sich - wie bereits betont - hier nicht um eine entsprechende Anwendung der §§ 282, 285 BGB. Zum anderen knüpft die Rechtsprechung die Beweislastumkehr im Arzthaftungsprozeß aber bei vertraglichen ebenso wie bei deliktischen Ansprüchen an die Feststellung eines schweren Pflichtverstoßes. Dieser Voraussetzung bedarf es dagegen bei der Beweislastumkehr in der Verschuldensfrage in Analogie zu §§ 282, 285 BGB gerade nicht 218 • Aus den vorstehenden Erörterungen wird deutlich, daß die Rechtsprechung die Beweislastsonderregel im Arzthaftungsrecht keineswegs contra legern entwickelt hat. Vielmehr beruht sie, um dies noch einmal zusammenfassend zu wiederholen, auf den Grundsätzen der Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen, die in verschiedenen Gesetzesbestimmungen ihren Rückhalt findet, auf der besonders hohen Verursachungswahrscheinlichkeit beim Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers und auf dem Verschuldensprinzip, dem auch hier bei der Vgl. (allg.) Prölss, S. 75; Diederichsen, VersR 1966,218. a.a.O., S. 96 ff., insbes. 101 f.; ebenso Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S.300. 217 2. Teil B. I. 3. 218 Auch Hainmüller, der sich im Rahmen vertraglicher Ansprüche grundsätzlich für eine analoge Anwendung der §§ 282, 285 BGB auch auf den Kausalitätsbeweis ausspricht, macht die Einschränkung, daß dies in Arzthaftungsfällen erst beim Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers gelten soll (vgl. a.a.O., S. 160 f.). 215
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IV. Beweiserleichterungen bei Beweisvereitelung durch den Arzt
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Frage der gerechten Zuordnung des Beweisrisikos Rechnung getragen wird. Damit ist aber die Feststellung gerechtfertigt, daß sich diese Beweislastregel auf das Gesetz selbst gründet, als deren Bestandteil sie anzusehen ist 219 •
IV. Beweislastumkehr oder freie Beweiswürdigung bei Beweisvereitelung durch den Arzt 1. Allgemeine Voraussetzungen
Erschwert oder vereitelt der Gegner der beweisbelasteten Partei die Beweisführung durch eine Handlung oder pflichtwidrige Unterlassung, so besteht Einigkeit darüber, daß dieses Verhalten zu einer Beweiserleichterung für die beweisbelastete Partei führt. Voraussetzung dafür ist, daß der Gegner entweder aus Gesetz oder Vertrag oder aus allgemeinen Grundsätzen (insbesondere Treu und Glauben) verpflichtet ist, Beweismittel aufzubewahren bzw. deren Beeinträchtigung zu unterlassen1 • Bei der Frage, welcher Art die Beweiserleichterung sein soll, ist freilich umstritten, ob in diesen Fällen eine echte Beweislastumkehr anzunehmen ist oder ob das Gericht im Wege freier Beweiswürdigung die tatsächliche Behauptung der beweisbelasteten Partei als bewiesen ansehen kann. Der überwiegende Teil der Rechtsprechung 2 und eine starke Mindermeinung im Schrifttum3 spricht sich für eine Umkehrung der Beweislast als Folge der schuldhaften Beweisvereitelung aus. Diese Ansicht wird vor allem mit Zumutbarkeits-4 und Billigkeitserwägungen5 , aber auch mit dem Grundsatz von Treu und Glauben 6 sowie dem Strafprinzip 7 begründet.
m So allg. zur Anwendung "neuer" Beweislastnormen durch den Richter Musielak, S. 320. 1 Vgl. statt aller RGZ 60, 147, 152; OLG Frankfurt, NJW 1980, 2758; Stein / J onas / Schumann / Leipold, § 282 IV 7 b. 2 Vgl. RGZ 60, 147, 152; 87, 434, 440; 105, 255, 259; RG HRR 1935 Nr. 1009; BGHZ 6, 224, 227; BGH LM ZPO § 282 Nr. 2; VersR 1962, 528, 529; NJW 1972, 1131; VersR 1975, 952, 954; NJW 1976, 1315. Offenlassend: RG Seuff. Arch. 93 Nr. 97 (S. 262). 3 Vgl. Stein / Jonas / Schumann / Leipold, § 282 IV 7 b; Wahrendorf, S. 129; Blomeyer, AcP 158, 103 u. 106; Kleinewefers / Wilts, VersR 1967, 621; Schneider, MDR 1975, 445; Stürner, S. 249 u. NJW 1979, 1229; Wasserburg, NJW 1980,623. 4 Vgl. Blomeyer, AcP 158, 103. 5 Vgl. BGH VersR 1975, 952, 954; Stein / Jonas / Schumann / Leipold, § 282 IV7b. & Vgl. RGZ 147, 152; Schneider, MDR 1975,445. 7 Vgl. Wahrendorf, S. 129.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
Demgegenüber folgt ein Teil der RechtsprechungS und die wohl herrschende Meinung in der Literatur9 der "Beweiswürdigungstheorie" . Die meisten Vertreter dieser Auffassung berufen sich auf den allgemeinen Rechtsgedanken, der ihrer Ansicht nach den §§ 427, 441 Abs. 3, §§ 444, 446, 453 Abs. 2 ZPO entfließt. Danach kann das Gericht also aus dem beweiserschwerenden oder -vereitelnden Verhalten des Gegners in freier Beweiswürdigung auf die Wahrheit des Vorbringens der beweisbelasteten Partei schließen. Als besonderer Vorteil dieser Lösung wird hervorgehoben, daß die freie Beweiswürdigung die Möglichkeit gibt, die Nuancen des Einzelfalls, d. h. insbesondere die Umstände der Beweisvereitelung, angemessen zu berücksichtigen 1o • Während einige Stimmen im Schrifttuml l nicht eindeutig zwischen Beweislastumkehr und Beweiswürdigung trennen, ist es jedenfalls allgemein anerkannt, daß sich beide Lösungsvorschläge nicht auf die Schadenskausalität der Beweisvereitelung, sondern unmittelbar auf die tatsächlichen Behauptungen beziehen, deren Beweis der Gegner vereitelt hat12 • Insgesamt läßt sich feststellen, daß sich die verschiedenen dogmatischen Ansätze im Ergebnis nicht nennenswert voneinander unterscheiden. Daher bedarf es im Rahmen dieser arztrechtlichen Abhandlung auch keiner abschließenden Stellungnahme zu diesem allgemein zivilprozessualen Problem. Darüber hinaus ist dies auch deshalb nicht erforderlich, weil der BGH gerade im Arzthaftungsrecht eine differenzierende Lösung entwickelt hat, auf die noch zurückzukommen sein wird. 2. Anwendungsbereich im Arztbaftungsprozeß
Gerade im Arzthaftungsprozeß hat die Beweisvereitelung besondere Bedeutung erlangt1 3 • Als einer der ersten und wichtigsten vom BGH entschiedenen Fälle ist hier der sog. TupferfalP' zu nennen. Bei einer Nachoperation hatte der beklagte Arzt ein Tupferstück, das er bei der ersten Operation versehentlich in der Wunde zurückgelassen hatte, aus 8 Vgl. RGZ 128, 121, 125; BGH NJW 1960, 821; 1963, 389, 390; VersR 1965, 91, 92; ausdrücklich offenlassend OLG Frankfurt, NJW 1980, 2258 = VersR 1981, 42, 43. g Vgl. Rosenberg, S. 191; Rosenberg / Schwab, § 118111 6 a; Jauernig, § 55 VI; Baumbach / Hartmann, § 444 Anm. 2; Gaupp, S. 56; Weyers, S. 34; Musielak, S. 138; Jäckel, S. 167; Dunz, S. 34; Uhlenbruck, NJW 1965, 1063 u. NJW 1972, 2206; Lepa, DRiZ 1966, 113; Gerhardt, AcP 169, 315; Schmidt, JuS 1975, 435; Daniels, NJW 1976, 349. 10 Vgl. Musielak, S. 139. 11 Vgl. Laufs, Rdnr. 198 u. Med Sach 73, 3; Schlund, JR 1978, 316 (FN. 37 a). 12 Vgl. Maassen, S. 175 u. 177. 13 Vgl. Stein / Jonas / Schumann / Leipold, § 282 IV 7 b. 14 BGH LM ZPO § 282 Nr. 2 = VersR 1955, 344.
IV. Beweiserleichterungen bei Beweisvereitelung durch den Arzt
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dem Körper entfernt und anschließend weggeworfen. Im nachfolgenden Prozeß gegen den Arzt kam es im Rahmen der Verschuldensfrage gerade auf die Art und Größe des bei der ersten Operation zurückgelassenen Tupfers an l5 • Der BGH sieht in der Beweismittelvernichtung nach der zweiten Operation einen Fall schuldhafter Beweisvereitelung, da der beklagte Arzt damit hätte rechnen müssen, daß der Kläger ihn wegen des zurückgebliebenen Tupfers in Anspruch nehmen würde. Er habe auch erkennen können, daß in einem eventuellen Prozeß Art und Größe eine Rolle spielen würden, und wäre daher verpflichtet gewesen, für die Aufbewahrung des Tupfers zu sorgen. Da er dies nicht getan habe, wirke sich die diesbezügliche Unaufklärbarkeit zu seinem Nachteil aus l6 • Diese Entscheidung ist verschiedentlich kritisiert worden, weil für den Arzt keine gesetzlich normierte Pflicht zur Vorlegung des Tupferstückes bestanden habe l7 • Dabei wird jedoch die vom BGH gegebene Begründung nicht ausreichend gewürdigt und außerdem der auch im Prozeßrecht geltende Grundsatz von Treu und Glauben18 übersehen, der jeder Partei Beweiserhaltungspflichten auch als soziale Pflichten gegenüber ihrem Prozeßgegner auferlegt. Ferner hat es nach der Rechtsprechung für den Arzt nachteilige beweis rechtliche Folgen, wenn er pflichtwidrig Röntgenbilder nicht angefertigt hat, die über die Schwere der ursprünglichen Erkrankung hätten Aufschluß geben können l9 , oder wenn er Röntgenaufnahmen, auf die sich der Patient zu Beweiszwecken bezieht, im Prozeß nicht vorlegt 20 • Gleiches gilt, wenn der Arzt dem Patienten den Beweis erlittener Röntgenverbrennungen dadurch unmöglich macht, daß er es entgegen der ihm obliegenden Verpflichtung unterlassen hat, über die vorgenommenen Bestrahlungen mit der erforderlichen Genauigkeit Buch zu führen 21 • Dabei geht die Rechtsprechung offenbar davon aus, daß sich die entsprechenden Pflichten aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag ergeben 22 • Nur in der zweiten der genannten Entscheidungen s. o. 2. Teil B. 11. 3. (a. E.). Vgl. auch BGH VersR 1975, 952, 954 (zur Beweisvereitelung durch Wegwerfen eines möglicherweise schadhaften Tubus). 17 Vgl. Gaupp, S. 58 (m. w. N.). 18 Vgl. z. B. BGH NJW 1960, 821; OLG Frankfurt, NJW 1980,2758. 19 RGZ 128, 121, 125; vgl. auch RG Seuff. Arch. 93 Nr. 97 (S. 262). 20 BGH NJW 1963, 389, 390. 21 RG HRR 1935 Nr. 1009. 2% Vgl. Blomeyer, AcP 158, 100; Lenkaitis, S. 88 f.; dazu krit. Stürner, S. 154 f., nach dessen Ansicht die vorprozessualen Pflichten zur Beweismittelschaffung und Beweiserhaltung unabhängig von einem materiellrechtlichen Rechtsverhältnis bestehen (a.a.O., S. 173). In dem zuletzt genannten 15
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
betont der BGH die Unabhängigkeit der prozessualen Vorlagepflicht von dem Bestehen eines sachlichrechtlichen Herausgabe- oder Vorlegungsanspruches 23 • In all diesen Fällen besteht nach der Rechtsprechung die Möglichkeit, die Behauptungen des Patienten als bewiesen anzusehen oder die Beweislast zuungunsten des Arztes umzukehren. Es ist jedoch zweifelhaft, ob das Beweisvereitelungsprinzip auch bei der pflichtwidrigen Unterlassung einer bakteriologischen Untersuchung und ähnlicher ärztlicher Feststellungen herangezogen werden kann24 • Denn in dem vom BGH so gelösten Fall lag das Schwergewicht des dem Arzt gemachten Vorwurfs keineswegs in der objektiv dadurch gleichzeitig herbeigeführten "Beweisvereitelung" , sondern in der Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflichten, die in dieser Unterlassung zum Ausdruck kam25 • So hatte denn auch das Berufungsgericht die von ihm ebenfalls angenommene Beweislastumkehr nicht mit den bei der Beweisvereitelung geltenden Grundsätzen, sondern mit einer "gerechten Interessenabwägung" begründet, allerdings ohne gleichzeitig eine bewußte oder leichtfertige Gefährdung des Patienten durch den Arzt festzustellen 26 • Auch den klagenden Patienten können Nachteile treffen, wenn er den Beweis vereitelt. Entbindet er die von dem beklagten Arzt als Zeugen benannten Ärzte und Schwestern (Krankenhauspersonal) im Prozeß nicht oder erst verspätet von ihrer Verschwiegenheitspflicht und nimmt er dem Beklagten damit die Möglichkeit, beispielsweise den ihm obliegenden Beweis des Inhalts eines beratenden Gesprächs mit dem Patienten zu führen, so ist dies als Beweisvereitelung anzusehen27 • Die Schweigepflicht dieser Personen dient ausschließlich dem Schutz der Persönlichkeitssphäre des Patienten und darf von ihm nicht prozeßtaktisch mißbraucht werden. Gerade in jüngerer Zeit hat die ärztliche Dokumentation, also die Karteikarte des frei praktizierenden Arztes und die Krankenblätter der Krankenanstalten mit Anamnese, Diagnose, Fieberkurve, Operationsbericht, Narkoseprotokoll, Medikamentierung und dergleichen, an beweisrechtlicher Bedeutung im Arzthaftungsprozeß gewonnen. Zwar Fall ergibt sich die Aufzeichnungspflicht heute auch aus § 29 Abs. 2 der Röntgenverordnung v. 1. März 1973 (BGBl. I, 173). 23 Vgl. BGH NJW 1963,389,390; vgl. auch Stürner, NJW 1979, 1227. 24 So aber BGH LM ZPO § 287 Nr. 15 = VersR 1958, 849. 25 Ahnlich BGH VersR 1965,91, 92. 28 Vgl. zur unzulässigen Gleichsetzung der Unaufklärbarkeit wegen eines Behandlungsfehlers und derjenigen infolge einer schuldhaften Beweisvereitelung auch oben 2. Teil B. IH. 5. b) bb). 27 OLG Frankfurt, NJW 1980, 2758 = VersR 1981, 42 f. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Klägers hat der BGH nicht angenommen (BGH VersR 1981, 42, 43).
IV. Beweiserleichterungen bei Beweisvereitelung durch den Arzt
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hatte der BGH schon früher in mehreren Entscheidungen28 zu erkennen gegeben, daß die unvollständige oder unrichtige Führung des Krankenblattes oder sein gänzliches Fehlen unter dem Gesichtspunkt der Beweisvereitelung zu beweisrechtlichen Nachteilen zu Lasten des Arztes führen könnte. In all diesen Fällen fehlt es aber an einer eingehenden Auseinandersetzung mit dieser Frage, weil die jeweils zu beurteilenden Krankenblätter nach Ansicht des BGH jedenfalls in den entscheidungserheblichen Passagen keine wesentlichen Mängel aufwiesen29 • Dadurch erübrigte sich zunächst auch ein Eingehen auf die eigentlich vorher zu klärende Frage, ob und ggf. aufgrund welcher Vorschriften der Arzt dem Patienten gegenüber überhaupt zur (vollständigen) Anfertigung von Krankenblättern verpflichtet ist. Denn erst nach der Bej ahung dieser Frage lassen sich an und für sich auch eine Vorlagepflicht im Prozeß statuieren und beweisrechtliche Nachteile an die Nichtvorlage oder die Vorlage mangelhaft geführter Krankenblätter knüpfen. Schließlich setzte sich in der früheren Rechtsprechung in diesem Punkt die Ansicht durch, daß es sich bei den Krankenpapieren ausschließlich um (private) Gedächtnisstützen des Arztes handele und daß gegenüber dem Patienten keine Verpflichtung des Arztes zu sorgfältiger und vollständiger Führung der Aufzeichnungen bestehe30 • Damit folgte die Rechtsprechung in vollem Umfang der in den Berufsordnungen der Landesärztekammern niedergelegten Auffassung 31 • Jedoch läßt sich bei einer derartigen Qualifizierung des Krankenblattes eine Vorlagepflicht im Prozeß nicht überzeugend begründen32 • Sie ist in Wahrheit nur zu rechtfertigen, wenn man aus dem Behandlungsvertrag die Nebenpflicht des Arztes gegenüber dem Patienten herleitet, die erforderlichen Aufzeichnungen in sorgfältiger und so verständlicher Form zu machen, daß sie jedem Sachverständigen Aufschluß über Anamnese, Diagnose und Therapie geben 33 • BGH VersR 1956,449,450; 1956, 577; 1961,421,422; 1962, 528, 529. Ist das Krankenblatt nur in nebensächlichen und für die Entscheidung unerheblichen Punkten nachlässig geführt worden, so hat dies keinen Einfluß auf die Beweislast (vgI. BGH VersR 1961,421,422; NJW 1972, 1520). 30 VgI. BGH VersR 1963, 168; NJW 1963, 389 m. abI. Anm. Pentz, NJW 1963, 1670 f. u. zust. Anm. Steindorff, JZ 1963, 370; OLG Stuttgart, NJW 1958, 2118, 2119; 1958, 2120; OLG München, MDR 1960, 501, 502; LG Hannover, NJW 1956, 348; desgI. Uhlenbruck, NJW 1965, 1063; Laufs, NJW 1975, 1435; dagegen mit Recht Husmann, S. 198 ff.; Daniels, NJW 1976, 348; teilweise revidiert Laufs, NJW 1976, 1125. 31 So auch noch § 11 der auf dem 79. Dt. Ärztetag 1976 beschlossenen (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärzte (Dt. ÄrztebI. 1976, 1543 ff.). 32 So aber ausdrücklich BGH VersR 1963, 168, 169; vgI. auch BGH NJW 1963. 389, 390. Dazu mit Recht krit. Husmann. S. 198 ff. 33 VgI. Dunz. S. 32 f.; H. u. D. Franzki. NJW 1975, 2227. 28
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7 Franzkl
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
Einen ersten Sinneswandel des BGH in dieser Richtung läßt die Entscheidung vom 16.5.1972 34 erkennen. Auch wenn sich dieses Urteil nicht ausdrücklich mit der Qualifizierung des Krankenblattes befaßt, so wird darin doch eine Abkehr von der früheren Rechtsprechung deutlich35 • Der BGH erkennt nämlich an, daß Mängel des Krankenblattes den Patienten von der ihn sonst treffenden Beweislast befreien können. Im Gegensatz zu den oben erwähnten Fällen36 wies das hier vorliegende Krankenblatt gerade in den entscheidungserheblichen Teilen Lücken auf. Daraus schloß der BGH, daß eine Beweiserleichterung bis hin zur Umkehr der Beweislast gerechtfertigt sei, wenn die gewählte Behandlungsart wegen der damit verbundenen Gefahren für den Patienten eine genaue und gewissenhafte Diagnose erfordere, das Krankenblatt aber weder diese genaue Diagnose noch die für deren Beurteilung erforderlichen Angaben enthalte, obwohl dies ärztlichen Gepflogenheiten entsprochen hätte. Wenn auch noch unausgesprochen, so gibt der BGH damit doch zu erkennen, daß die ärztlichen Aufzeichnungen - zumindest auch - im Interesse des Patienten geführt werden. Erst in letzter Zeit hat der BGH seine frühere Rechtsprechung auch ausdrücklich aufgegeben und von einer sich aus dem Behandlungsvertrag ergebenden selbstverständlichen therapeutischen Pflicht gegenüber dem Patienten zu angemessener Dokumentation gesprochen37 • Diese geänderte Auffassung hat nach einem entsprechenden Appell des 52. Deutschen Juristentages 1978 38 inzwischen auch Eingang in die ärztlichen Berufsordnungen gefunden 39 • Es bleibt allerdings abzuwarten, ob sich dadurch die Bereitschaft der Ärzte zur vorprozessualen Offenlegung der Krankenpapiere erhöht. Jedenfalls ist in der Rechtsprechung40 und dem juristischen Schrifttum41 heute weitgehend anerkannt, daß dem Patienten zumindest bei Darlegung eines berechtigten Interesses ein Anspruch auf Einsicht in die ärztliche Dokumentation zusteht42 • NJW 1972, 1520. So auch Dunz, S. 33; BGH NJW 1978,2337,2339. 36 s. o. FN. 28. 37 BGH NJW 1978, 2337, 2339. 38 Verhandlungen des 52. Dt. Juristentages, Band H, S. 1205. 39 Vgl. die auf dem 82. Dt. Ärztetag 1979 beschlossene Neufassung von § 11 der (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärzte (Dt. Ärztebl. 1979, 2442 ff.). 40 Vgl. OLG Köln, OLGZ 1975, 16; OLG Bremen, NJW 1980, 644 m. Anm. Uhlenbruck, NJW 1980, 1339 f.; LG Göttingen, NJW 1979, 601 m. Anm. Ahrens; LG Limburg, NJW 1979, 607. 41 Vgl. insbes. die neueren Untersuchungen von Lenkaitis, S. 83 ff., 132 ff., und Lilie, S. 118 ff.; vgl. ferner Daniels, NJW 1975, 347 ff.; Anm. Ahrens, NJW 1979, 602; a. A. offenbar Laufs, NJW 1979, 1232. 42 Nach KG NJW 1981, 2521, 2522 (psychiatrische Krankenunterlagen betreffend) bedarf es nicht einmal der Darlegung eines besonderen rechtlichen 34
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IV. Beweiserleichterungen bei Beweisvereitelung durch den Arzt
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Daher dürfte in Zukunft in vielen Fällen auch die Erstattung einer Strafanzeige entbehrlich sein, nur um im Wege der Beschlagnahme (§ 98 StPO) durch die Staatsanwaltschaft an die Dokumentation heranzukommen43 • Ob der Patient auch Anspruch auf die Herausgabe der Originalkrankenpapiere hat 44 und jederzeit berechtigt ist, Einsicht zu nehmen45 oder aufgrund von § 26 Abs. 2 BDSG Auskunft aus ihnen zu verlangen46 , bedarf hier keiner abschließenden Erärterung47 • Als prozessuale Konsequenz der Anerkennung der ärztlichen Dokumentation als einer gegenüber dem Patienten bestehenden Pflicht verlangt der BGH, daß der Arzt dem klagenden Patienten Aufschluß über sein Vorgehen in dem Umfange gibt, in dem ihm dies ohne weiteres möglich ist, und insoweit auch zumutbare Beweise erbringt 48 • Dieser Beweispflicht49 genüge der Arzt weithin durch Vorlage einer ordnungsgemäßen Dokumentation im Operationsbericht, Krankenblatt oder Patientenkarte, wie sie auch gutem ärztlichen Brauch entspreche. Bei dieser Mitwirkungspflicht des Arztes handelt es sich jedoch keineswegs um eine nur im Arzthaftungsprozeß geltende Sonderregel. Sie beruht vielmehr auf dem von der Praxis entwickelten allgemeinen Grundsatz, daß die nicht beweisbelastete Partei im Rahmen des Zumutbaren bei der Aufklärung begründeter Behauptungen der beweisbelasteten Partei mitzuwirken hat 50 • Neben der reinen Vorlagepflicht erfordert die "Waffengleichheit" im Arzthaftungsprozeß nach Ansicht des BGH auch, daß der beklagte Arzt gleichzeitig in zumutbarem Umfang Umstände darlegt und unter Beweis stellt, aus denen sich die allgemeine Vertrauenswürdigkeit der Aufzeichnungen ergibt51 • Dazu gehöre insbesondere auch, daß sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der Operation abgefaßt und vor allem nicht etwa nach Erkennbarwerden des im Streit befindlichen Zwischenfalls abgewandelt worden seien. Interesses. Das die Einsicht rechtfertigende Interesse ergebe sich vielmehr aus dem Interesse jedes Patienten an sich selbst. 43 VgI. Deutsch, NJW 1980, 1308. 44 Verneinend OLG Celle, NJW 1978, 1200; a. A. allerdings Röntgenaufnahmen betreffend - AG Ludwigsburg, NJW 1974, 1431; dazu abI. Rieger, NJW 1975, 2239. 45 Verneinend Weyers, S. 117. 46 VgI. dazu Anm. Ahrens, NJW 1979,602. 47 Insoweit sei auf die oben FN. 41 zit. Untersuchungen von Lenkaitis und Lilie sowie die zahlr. dort zu findenden Nachweise verwiesen. VgI. dazu auch die Verlautbarung des Arbeitskreises Arzte und Juristen, NJW 1980, 630. 48 BGH NJW 1978, 1681, 1682; vgl. auch Weyers, S. 117. 49 Statt von "Beweispflicht" sollte der BGH korrekter von "Beweislast" sprechen und damit zum Ausdruck bringen, daß es sich hierbei um eine beweisrechtliche Obliegenheit handelt; vgI. Lenkaitis, S. 99 f. 50 Vgl. Stürner, S. 162 ff. u. NJW 1979, 1226 f. 51 BGH NJW 1978, 1681, 1682. 7'
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
Von größerer Bedeutung als die prozessuale Vorlagepflicht sind jedoch die beweisrechtlichen Konsequenzen, die der BGH an die unzulängliche oder unrichtige Führung der Aufzeichnungen knüpft. Zwar lehnt der BGH es ab, in diesen Fällen nach einer starren Regel stets eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes anzunehmen. Er hält vielmehr Beweiserleichterungen, die bis zur Beweislastumkehr gehen können, immer dann und soweit für geboten, als nach tatrichterlichem Ermessen dem Patienten die (volle) Beweislast für einen Behandlungsfehler angesichts der vom Arzt verschuldeten Aufklärungshindernisse billigerweise nicht mehr zugemutet werden kann52 • Diese Beweiserleichterungen will der BGH nicht auf den Bereich einer gezielten Beweisvereitelung beschränken; sie sollen vielmehr unabhängig davon eingreifen, ob der Arzt schon gleich damit hätte rechnen müssen, daß er veranlaßt sein würde, sein Vorgehen in einem Rechtsstreit näher zu belegen. Konkrete Hinweise darauf, an welche Beweiserleichterungen der BGH neben der Beweislastumkehr denkt, fehlen bisher. In Betracht zu ziehen sein dürfte hier jedoch vor allem eine dahingehende Beweiswürdigungsregel, daß die Behauptungen des beweis belasteten Patienten bei in diesem Punkt unzureichenden Aufzeichnungen als bewiesen angesehen werden können53 • Dafür, daß der BGH auch eine Senkung des Beweismaßes auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit ins Auge faßt 54 , fehlt es in seiner bisherigen Rechtsprechung an ausreichenden Anhal tspunkten. Während Weyers und Mirtsching 55 an der erwähnten Entscheidung kritisieren, daß der BGH einer modernen, unguten übung folge, eine scheinbare Regel aufzustellen, die es ihm in Wirklichkeit ermögliche, jeden Fall nach neuen Kriterien zu beurteilen, ist sie im übrigen Schrifttum56 überwiegend positiv aufgenommen worden. Dort wird vor allem zu Recht hervorgehoben, daß gerade (und nur) die Offenheit dieser Regel eine Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles ermöglicht57 • Zwar wird die Grenze, ab der eine Beweislastumkehr an52 BGH NJW 1978, 2337, 2339; desgl. OLG Bremen, VersR 1979, 1060, 1062; vgl. auch BVerfG NJW 1979, 1925, 1928 f. 53 Vgl. Baumgärtel / Wittmann, JA 1979, 119. Mit dieser Folge dürfte jedoch keine strengere Sanktion eingeführt werden als eine Beweislastumkehr. Dem Arzt muß die Möglichkeit des Gegenbeweises bleiben. 54 So aber Anm. WaIter, JZ 1978, 807 f.; dagegen Stürner, NJW 1979, 1229, mit der Begründung, daß schon überwiegende Wahrscheinlichkeit schwer zu beweisen sei. 55 JuS 1980, 322. 58 Vgl. Anm. Walter, JZ 1978, 807 f.; Baumgärtel / Wittmann, JA 1979, 119; Wasserburg, NJW 1980, 623; krit. auch Stürner, NJW 1979, 1229. 57 Vgl. Baumgärtel / Wittmann, a.a.O.; Anm. WaIter, a.a.O.
IV. Beweiserleichterungen bei Beweisvereitelung durch den Arzt
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zunehmen ist, nicht immer leicht bestimmbar sein58 • Jedoch sollte sich die Entscheidung der Frage, ob der Beweis des beweisbelasteten Patienten im Wege freier Beweiswürdigung als geführt angesehen wird oder ob eine echte Umkehr der Beweislast gerechtfertigt ist, insbesondere an dem Ausmaß und den Auswirkungen der Mängel orientieren, die der ärztlichen Dokumentation anhaften. Dabei muß auch berücksichtigt werden, zu welchem Zeitpunkt der Arzt die Aufzeichnungen angefertigt hat, d. h. vor allem, ob der nachfolgende Prozeß bei ihrer Abfassung oder Ergänzung bereits absehbar war. Freilich darf die praktische Bedeutung dieser Differenzierung nicht überbewertet werden. Darauf ist auch an anderer Stelle 59 bereits hingewiesen worden. Denn für den Arzt wird es kaum einen Unterschied machen, ob er bei einer Verletzung seiner Dokumentationspflicht verurteilt wird, weil die Behauptungen des Patienten als bewiesen angesehen werden oder weil er deshalb das Risiko der Beweislosigkeit zu tragen hat. Er kann nämlich in den meisten Fällen den Gegenbeweis ebensowenig führen wie den Beweis des Gegenteils. Letztlich dürfte die Formulierung des BGH "Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr" ebenso wie bei der Anordnung der entsprechenden Rechtsfolge beim Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers60 auch hier mit auf dem Bemühen beruhen, den Einsatz der Beweislastumkehr als Sonderregel auf solche Fälle zu begrenzen, bei denen dies zur Linderung der Beweisnot des Patienten unumgänglich ist. Dennoch ist zu vermuten, daß sich langfristig die Beweislastumkehr als Regelfall der Beweiserleichterung bei einer Verletzung der ärztlichen Dokumentationspflicht durchsetzen wird 61 • Denn die Rechtsprechung hat sich bei der rechtlichen Würdigung medizinischer Sachverhalte bisher stets schwergetan. Jedoch sollten sich die Gerichte davor hüten, die Verletzung der Dokumentationspflicht zu einem ähnlichen Auffangtatbestand werden zu lassen, wie er sich bei der Nichterfüllung der Aufklärungspflicht82 herausgebildet hat 63 • Eine überspannung der Dokumentationspflicht könnte darüber hinaus zu dem sicher nicht erstrebenswerten Ergebnis führen, daß der Arzt einen wesentlichen Teil seiner Zeit am Schreibtisch verbringen müßte 84 • relevant erweisen, die der Arzt aber zur Zeit der Behandlung als bedeutungslos ansehen durfte (vgl. MünchKomm-Mertens, § 823 Rdnr. 418). 6B Vgl. Wasserburg, NJW 1980,623. 59 s. o. 2. Teil B. IV. 1. (a. E.). 80 s. o. 2. Teil B. III. 2. 81 So auch Stürner, NJW 1979, 1229; Wasserburg, NJW 1980, 623. ft2 s. dazu unten 2. Teil C. I. 83 Vgl. hierzu eingehender H. u. D. Franzki, in: Jung / Schreiber, Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, S. 184; ähnlich Stürner, NJW 1979, 1228.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
Abschließend sei noch bemerkt, daß der vom BGH eingeschlagene Lösungsweg in dieselbe Richtung geht wie der 1977 vorgelegte Reformvorschlag der vom Bundesminister der Justiz berufenen Kommission für das Zivilprozeßrecht; Ob dies bewußt oder unbewußt geschehen ist, kann hier dahinstehen. Die Kommission schlägt vor, die Vorschriften der §§ 427, 441 Abs. 3 Satz 3, §§ 444, 446 und 453 Abs. 2 ZPO aufzuheben und die Rechtsfolgen der Beweisvereitelung umfassend und allgemein dadurch zu regeln, daß anstelle der genannten Bestimmungen an § 286 Abs. 1 ZPO folgende Absätze angefügt werden65 : ,,(2) Absatz 1 gilt auch, wenn eine Partei den Beweis nicht führen kann, weil der Gegner das Beweismittel vorenthalten, entzogen oder unbrauchbar gemacht hat. (3) Hat der Gegner schuldhaft seine Pflicht verletzt, das Beweismittel zur Verfügung zu stellen, zu erhalten oder sonst seine Benutzbarkeit nicht zu beeinträchtigen, so kann das Gericht auch von einer Umkehrung der Beweislast ausgehen." An diesem Entwurf fällt zunächst auf, daß sich beweisrechtliche Nachteile zu Lasten des Beweisgegners nach Absatz 2 auch im Falle einer nicht schuldhaften . Beweisvereitelung ergeben können. Die Erfüllung des objektiven Tatbestandes würde danach für die Sanktionierung bereits ausreichen. Demgegenüber soll eine echte Beweislastumkehr. ausschließlich bei einem vorwerfbaren Verhalten der nicht beweisbelasteten Partei möglich sein (Absatz 3). Zwar hat die Rechtsprechung - wenigstens im Arzthaftungsprozeß - bisher stets betont, daß nur eine schuldhafte Beweisvereitelung von beweisrechtlicher Bedeutung sei66 • Jedoch hat der BGH gerade in der Entscheidung zur ärztlichen Dokumentationspflicht zu erkennen gegeben, daß sich die nicht ordnungsgemäße Führung der Krankenpapiere auch dann zum Nachteil des Arztes auswirken kann, wenn zum Zeitpunkt der nachlässigen (oder unterlassenen) Abfassung ein Rechtsstreit noch nicht absehbar war 67 .Der BGH verzichtet also in diesen Fällen darauf, daß der Arzt bei seinem objektiv beweisvereitelnden Verhalten damit rechnete oder hätte rechnen müssen, dem Patienten werde dadurch eine spätere Beweisführung erschwert68 • Nicht nur in diesem Punkt stimmt die. neuere Rechtsprechung zur Beweisvereitelung im Arzthaftungsprozeß mit dem Kommissionsent6' So erstreckt sich die Dokumentationspflicht beispielsweise nicht auf solche Behandlungsdetails, die sich zwar bei nachträglicher Betrachtung als 65 Bericht der Kommission, S. 123 u.332. 66 Vgl. BGH VersR 1965, 91, 92; 1975, 952, 954. 67 BGH NJW 1978, 2337, 2339. 68 So aber ausdrücklich (in einem allerdings nicht die ärztliche Dokumentation betreffenden Arzthaftungsfall) BGH VersR 1965, 91, 92.
V. Beweiswürdigung nach § 287 ZPO
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wurf überein. Die vom BGH angeordnete Abstufung der Beweiserleichterungen zeigt ebenfalls eine auffällige Parallele zu diesem Reformvorschlag, auch wenn der BGH auf eine so deutliche Abgrenzung der Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr (bisher?) verzichtet hat. Schließlich ist zu dem Kommissionsentwurf noch zu bemerken, daß er eine Mitwirkungspflicht des Beweisgegners voraussetzt, ohne sie im einzelnen im Gesetz zu definieren. Er bestimmt also nur die Rechtsfolge, ohne zunächst die Rechtsverpflichtung gesetzlich zu regeln. Die Kommission hat aber von einer Umschreibung und Abgrenzung der Pflicht zur Beweismittelbeschaffung und Beweismittelerhaltung bewußt abgesehen, weil ihr dies kaum erreichbar erschien, ohne die Rechtsprechung zur Beweisvereitelung entgegen den Zielvorstellungen der Kommission einzuengen69 • Dafür, daß die Entwicklung der Rechtsprechung in diesem Bereich keineswegs abgeschlossen ist, ist der Arzthaftungsprozeß ein gutes Beispiel. Denn der BGH hat - wie dargelegt - die prozessuale Mitwirkungspflicht des Arztes hier gerade in jüngster Zeit durch die Anerkennung der Dokumentationspflicht und der Verpflichtung zur Vorlage der (vollständigen) Aufzeichnungen wesentlich erweitert.
v.
Beweiswürdigung nach § 287 ZPO 1. Wirkungsweise der Vorschrift
Jeder Beweis erfordert eine Würdigung durch das Gericht, d. h. die Prüfung, ob das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme von der Wahrheit oder Unwahrheit einer tatsächlichen Behauptung überzeugt ist oder nicht. Auch wenn § 286 ZPO den Grundsatz der "freien" Beweiswürdigung enthält, so ist damit doch nichts anderes gemeint als die "volle" Überzeugung des Gerichts von dem Vorliegen der klagebegründenden Tatsachen. Beweismaß ist hier die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit1• Diese ist gegeben bei einem Grad der Wahrscheinlichkeit, der jeden vernünftigen Zweifel ausschließt 2 • Demgegenüber wird die richterliche Würdigung durch § 287 ZPO bei Schadensersatzansprüchen, gleichgültig ob sie auf Gesetz oder Vertrag beruhen3 , über die Grenzen des § 286 ZPO hinaus erweitert. Nach § 287 ZPO ist dem GesetzeswortIaut nach zu beurteilen, ob durch eine wider89 1 2
a
Vgl. Bericht der Kommission, S. 121. Vgl. statt aller BGH JZ 1971,228,229; Maassen, S. 87 (m. w. N.). Vgl. BGHZ 18,311,318. Vgl. RGZ 89, 190, 191; Rosenberg / Schwab, § 115 II 1.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
rechtliche Handlung überhaupt ein Schaden entstanden ist und wie hoch sich dieser ggf. beläuft. Hierfür ist nicht erforderlich, daß der Kläger letzte Zweifel ausgeräumt und dadurch die Beweiskette vollständig geschlossen hat; der Richter kann diese Frage vielmehr schon aufgrund einer von ihm bejahten "erheblichen Wahrscheinlichkeit" zugunsten des Klägers entscheiden 4 • Auch wenn der geforderte Grad der Wahrscheinlichkeit nicht in allen Entscheidungen übereinstimmend und eindeutig angegeben wird s, so ändert dies doch nichts an dem Ergebnis, daß der Richter sowohl bei der Gestaltung des Verfahrens als auch in der Würdigung des Verhandlungsergebnisses wesentlich freier gestellt ist als im Rahmen von § 286 ZP06. Er kann nach freiem Ermessen entscheiden und dabei, wenn es nicht an allen Unterlagen hierfür fehlt, sogar zu einer Schätzung greifen7 • § 287 ZPO entspringt dem Bemühen, es dem Geschädigten zu ersparen, die Entstehung und die genaue Höhe des geltendgemachten Schadens im einzelnen zu beziffern und zu beweisen8 • Denn ohne diese Beweiserleichterung befände er sich in diesem Punkt häufig in einem kaum behebbaren Beweisnotstand. Das hat schon das frühe RG bei der Auslegung der entsprechenden Vorschrift des § 260 der CPO von 1877 zum Ausdruck gebracht 9 • Durch seine pflichtwidrige Handlung hat der Beklagte nicht nur möglicherweise einen Schaden herbeigeführt, sondern gleichzeitig ein Beweisrisiko des Geschädigten verschuldet. Es ist deshalb billig und zumutbar, ihn dieses Risiko durch die Ausnahmeregelung des § 287 ZPO mittragen zu lassen1o . Auch der BGH hat ausgeführt, § 287 ZPO sei dazu bestimmt, Unbilligkeiten zu mildern, die sich aus der Beweislast des Geschädigten ergeben könnten l1 • Trotzdem handelt es sich um keine beweis rechtliche Billigkeitsregel, die es dem Richter etwa ermöglicht, ähnlich wie bei § 242 BGB auch materielle Gerechtigkeitsgesichtspunkte bei der Überzeugungsbildung im Einzelfall zu berücksichtigen12 • Vielmehr hat der Gesetzgeber aus den dargestellten Gründen die Beweisanforderungen generell gesenkt. 4 Vgl. BGH VersR 1963, 67, 69; 1963, 872, 873; 1964, 844, 845; 1966, 595, 596; NJW 1973, 1413, 1414; Baumbach / Hartmann, § 287 Anm. 1 A. 5 Vgl. dazu im einzelnen Maassen, S. 89 f.; Arens, ZZP 88, 28 (jeweils m.w.N.). e Vgl. BGH VersR 1963,67,69. 7 Vgl. BGH VersR 1963, 872, 873; 1964, 844, 845; 1969, 160; Baumbach / Hartmann, § 287 Anm. 2 C; Anm. Prölss, ZZP 82, 469. 8 Vgl. (auch zur Entstehungsgeschichte) Stoll, AcP 176, 183; Arens, ZZP
88, 1.
Vgl. RGZ 6, 356, 357. Vgl. Arens, ZZP 88, 20; Stoll, AcP 176, 184; Hanau, S. 121. 11 Vgl. BGH JZ 1971,228,229 m. Anm. Klauser. 12 Ähnlich Hanau, S. 136; Wahrendorf, S. 44. 9
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V. Beweiswürdigung nach § 287 ZPO
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Die Verteilung der Beweislast wird von § 287 ZPO nicht berührt. Auch wenn es im Anwendungsbereich dieser Bestimmung zu weniger non-liquet-Situationen kommt, so sind Beweislastentscheidungen dennoch nicht ausgeschlossen. Fehlt es dem Gericht nämlich an jeglichem Anhaltspunkt für die Ausübung des Ermessens, so kommt es wieder auf die Beweislastverteilung an; die Klage muß also im allgemeinen abgewiesen werden13 . Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, wie wichtig für den Kläger im einzelnen die Frage ist, welche seiner tatsächlichen Behauptungen vom Gericht nach § 286 ZPO beurteilt werden müssen und wann ihm die wesentliche Beweiserleichterung des § 287 ZPO zugute kommt. 2. Allgemeiner Anwendungsbereich des § 287 ZPO nach der Rechtsprechung
Nach dem Wortlaut der Vorschrift kann zunächst die Feststellung der in Geld zu beziffernden Höhe des Schadens nach § 287 ZPO vorgenommen werden. Dies gilt beispielsweise für die Schätzung des Verdienstausfalls 14 und der durch die Schädigung entstandenen Unkosten (Krankenhauskosten, Fahrtkosten, Aufwendungen zur Heilung, etc.). Bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung unterliegen auch die Höhe der nach §§ 843 ff. BGB festzusetzenden Geldrenten sowie die Bemessung des Schmerzensgeldes (§ 847 BGB) und seiner Art (Kapitalbetrag oder Rente) der Beweiserleichterung des § 287 ZP015. Dieser Anwendungsbereich der Vorschrift ist nicht umstritten16 und bedarf daher keiner weiteren Erörterung. Noch nicht endgültig geklärt ist dagegen, in welchem Umfang § 287 ZPO für die Frage herangezogen werden kann, ob überhaupt ein Schaden entstanden ist. Es ist mit anderen Worten zweifelhaft, ob auch der Beweis der Kausalität zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten des Beklagten und dem beim Kläger eingetretenen Schaden nach § 287 ZPO zu würdigen ist. Denn erst wenn dieser Ursachenzusammenhang festgestellt ist, steht auch das "Ob" eines Schadens fest. Mit dem Wortlaut der Bestimmung wäre eine Beurteilung des Kausalitätsbeweises nach 13 Vgl. BGH VersR 1961, 610, 611; 1961, 183, 184; 1965,489; JZ 1971,228, 229; NJW 1973, 1283, 1284; Rosenberg / Schwab, § 115 I (insbes. FN. 1); Larenz, § 29 IV (a. E.); Arens, ZZP 88, 35; Wahrendorf, S. 45; vgl. ferner Rosenberg,
S. 71 f.
14 Demgegenüber gilt für die Schätzung des entgangenen Gewinns (als weitere Ausgestaltung von § 287 ZPO) die Beweiserleichterung des § 252 Satz 2 BGB (vgl. BGHZ 29, 393, 398 f.; Palandt / Heinrichs, § 252 Anm. 3 a). 15 Vgl. die detaillierte Aufzählung bei Baumbach / Hartmann, § 287 Anm. 2 A b (m. Nachw. d. Rspr.). 16 Vgl. Rosenberg / Schwab, § 115 II 2.
lOG
2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
§ 287 ZPO daher durchaus zu vereinbaren17 • So hat denn auch das RG § 287 ZPO in zahlreichen Entscheidungen auf den gesamten Kausalitätsbeweis angewandt1 8 und damit die Beweisanforderungen in diesem Punkt erheblich gesenkt. Der BGH hat demgegenüber sehr bald zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität unterschieden19 • Nach dieser Rechtsprechung betrifft die Frage, ob eine Person von einem bestimmten Ereignis, auf das sie den eingetretenen Schaden zurückführt, rein tatsächlich betroffen ist, den Kausalzusammenhang innerhalb des konkreten Haftungsgrundes (= sog. haftungsbegründende Kausalität) und ist zur vollen überzeugung des Gerichts nach § 286 ZPO zu beweisen. Nach § 287 ZPO ist nur über den Kausalzusammenhang zwischen dem konkreten Haftungsgrund und dessen (weiteren) schädigenden Auswirkungen (= sog. haftungsausfüllende Kausalität) zu entscheiden. Der Kausalverlauf ist daher in aller Regel rechtlich in zwei Teile zu zerlegen, von denen der eine nach § 286 ZPO und der andere nach § 287 ZPO zu würdigen ist20 • Auch wenn der BGH eine materielle Begründung für diese Differenzierung bisher vermissen läßt21 , so ist sie doch inzwischen als feste Grundlage seiner Rechtsprechung anzusehen22 • Dadurch, daß der BGH die in der Praxis häufig prozeßentscheidende Kausalbeziehung zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten und dem ersten Verletzungserfolg der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO unterstellt, entsteht der Eindruck, als habe er den Anwendungsbereich der Beweiserleichterung des § 287 ZPO gegenüber der Rechtsprechung des RG stark eingeschränkt. Das mag auch die ursprüngliche Absicht des BGH gewesen sein. So hat er zunächst - wenigstens in der überwiegenden Zahl der Fälle - bei Schadensersatzansprüchen wegen der Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechte, d. h. vor allem bei Gesundheitsschäden, einen konkreten Haftungsgrund erst mit der Rechtsgutverletzung als gegeben angesehen, und zwar unabhängig davon, ob der Ersatzanspruch auf Vertragsverletzung, auf § 823 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB oder auf Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB) gestützt wurde23 • Vgl. auch Maassen, S. 91. Vgl. z. B. RGZ 6, 356, 357; 10, 64, 65; 21, 90, 92; 97, 13, 16; 128, 121, 124; so auch noch BGHZ 2, 138, 140. Differenzierend dagegen ausnahmsweise RGZ 95,103,104; 98,58, 59. 19 Grundlegend BGHZ 4, 192, 196. 20 BGH VersR 1968, 849, 851; NJW 1969, 1708, 1709 (jeweils m. w. N.). 21 Vgl. Wahrendorf, S. 93. 22 Vgl. Arens, ZZP 88, 8 m. umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen. 23 Vgl. z. B. BGH NJW 1963, 1828, 1829; VersR 1965, 91, 92; MDR 1969, 379; vgl. auch Stall, AcP 176, 182. 17 18
V. Beweiswürdigung nach § 287 ZPO
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Auch die neuere Rechtsprechung verlangt nach wie vor als Haftungsgrund, der nach § 286 ZPO zu beweisen ist, daß der Geschädigte durch das schadenstiftende Ereignis betroffen worden ist24 • Jedoch hat sie die Grenze des konkreten Haftungsgrundes in einzelnen Entscheidungen immer weiter vorverlegt 25 und dadurch gleichzeitig den Anwendungsbereich der Vergünstigung des § 287 ZPO wieder stetig erweitert. So soll nach einer Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1975 bei Schadensersatzansprüchen wegen Amtspflichtverletzung oder der Verletzung vertraglicher Pflichten der Schadenseintritt im allgemeinen nicht zum Haftungsgrund gehören 26 • Die Prüfung der Frage, welchen Schaden die Pflichtverletzungen verursacht hätten, sei deshalb in beiden Fällen regelmäßig dem nach § 287 ZPO zu beurteilenden Bereich zuzuordnen. Hieraus ergibt sich, daß dem BGH die Pflichtverletzung als Haftungsgrund genügt. Inwieweit hier noch das Merkmal des "Betroffenseins" als Teil des Haftungsgrundes aufrechterhalten wird, ist nicht ersichtlich. Andere Entscheidungen 27 weisen darauf hin, daß der BGH bei Schadensersatzbegehren, die auf § 823 Abs. 1 BGB gestützt werden, letztlich schon die konkrete Gefährdung eines der in dieser Vorschrift geschützten Rechtsgüter als Haftungsgrund ausreichen läßt28 , auch wenn er dies bisher nicht offen ausgesprochen hat. Auch dadurch erweitert sich der nach § 287 ZPO zu würdigende Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität erheblich. Zusammenfassend ist zu bemerken, daß die Rechtsprechung bei der Abgrenzung der haftungsbegründenden und -ausfüllenden Kausalität alles andere als einheitlich ist29 • Diese Feststellung trifft auf eine andere Fallgruppe, auf die die Rechtsprechung § 287 ZPO anwendet, nicht zu. Hierbei handelt es sich um die Beurteilung der sog. Folgeschäden. Davon spricht man, wenn der Kläger weitere Schäden, die einige Zeit nach der Erstschädigung aufgetreten sind, auf die ursprüngliche Verletzung zurückführt. In den 24 BGH JZ 1971, 228, 229; 1972, 363, 365 m. Anm. Stall; NJW 1973, 1283, 1284; 1973, 1413, 1414. 25 So auch Stall, AcP 176, 182. 28 BGH VersR 1975, 540, 541. Im Ergebnis ebenso BGHZ 29, 393, 398; BGH VersR 1961, 610, 611; 1963, 856, 857 (zu § 839 BGB); OLG Frankfurt, OLGZ 1968, 436, 439 (bei Vertragsverletzung); a. A., d. h. Schadenseintritt zum Haftungsgrund gehörig, BGH NJW 1963, 1828, 1829 (zu § 839 BGB); NJW 1969, 1708, 1709 (bei Vertragsverletzung). Vgl. auch die Rechtsprechungsübersicht bei Arens, ZZP 88, 7 ff. 27 Vgl. BGH Betrieb 1959, 170; BGH JZ 1972, 363, 365. 28 So zutreffend Anm. Stall zu BGH JZ 1972, 363, 368; vgl. ferner Arens, ZZP 88, 16. 29 Vgl. Rosenberg / Schwab, § 115 II 3; Arens, ZZP 88, 16 f.; Stall, AcP 176, 182.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
meisten Fällen handelt es sich dabei um Gesundheitseinbußen, die im Anschluß an eine Körperverletzung aufgetreten sind. Die Frage, ob sich diese Folgeschäden aus der Erstverletzung entwickelt haben, faßt die ständige und insoweit einheitliche Rechtsprechung als eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität auf und unterwirft ihre Beurteilung daher der Beweiswürdigung nach § 287 ZPOso. 3. Anwendungsbereich im Arztbaftungsprozeß
Die folgende Auswahl von Fällen, in denen diese Beweiserleichterung eine Rolle im Arzthaftungsprozeß gespielt hat, soll die bisher überwiegend theoretischen Ausführungen veranschaulichen. Gleichzeitig wird sich dabei zeigen, daß die Rechtsprechung zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche von § 286 ZPO und § 287 ZPO auch auf diesem Rechtsgebiet nicht frei von Widersprüchen ist. In einem vom RG entschiedenen und oben31 bereits in anderem Zusammenhang erwähnten Fall war der Ursachenzusammenhang zwischen der unsachgemäßen Einlegung eines Chlorzinkstäbchens in die Gebärmutter der Patientin durch den beklagten Arzt und deren im Anschluß daran festgestellten Unfruchtbarkeit fraglich 32 • Unter Hinweis auf § 287 ZPO führt das RG aus, ein völlig sicherer Beweis lasse sich nicht mehr erbringen, daß die inzwischen jedenfalls unfruchtbare Patientin ohne den Eingriff noch gebärfähig wäre. Damit könnten selbstverständlich nicht alle diesbezüglichen Schadensersatzansprüche abgeschnitten sein. Der Richter müsse sich in derartigen Fällen damit begnügen, daß ein für die Bildung seiner Überzeugung ausreichender Grad von Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang nachgewiesen werde. Diese Entscheidung zeigt ebenso wie zwei weitere in Arzthaftungssachen ergangene Urteile s3 , die sich mit § 287 ZPO befassen, daß das RG den gesamten Kausalzusammenhang nach dieser Vorschrift beurteilte, ohne zwischen haftungsbegründender und -ausfüllender Kausalität zu unterscheiden. Obwohl der BGH diese Trennung in seiner grundlegenden Entscheidung BGHZ 4, 192 (196) klar herausgearbeitet hatte, wandte er sie schon kurze Zeit später in einem Arzthaftungsfa1l 34 selbst nicht konsequent an. Hier hatte der beklagte Arzt in der Wohnung der Patientin 80 VgI. BGH VersR 1963, 67; 1963, 872, 873; 1964, 844, 845; 1965, 91, 92; 1969, 160; NJW 1973, 1413, 1414 (m. w. N.). 31 2. Teil B. 111. 5. b) bb). 32 RG JW 1938, 2152. 33 RGZ 128, 121, 124; Warn Rspr. 1941 Nr. 14. 34 BGHZ 7, 198 ff. = VersR 1952,430.
V. Beweiswürdigung nach § 287 ZPO
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einen verbotenen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen und dabei einen Riß der Gebärmutterarterie verursacht, allerdings ohne daß ihm insoweit ein Behandlungsfehler nachzuweisen war. Dem Arzt war jedoch zum Vorwurf zu machen, daß er die Patientin trotz des Auftretens von Blutungen und starken Unterleibsschmerzen nicht sofort in ein Krankenhaus eingewiesen hatte. Das Berufungsgericht hatte die Kausalität zwischen diesem Unterlassen und dem später eingetretenen Tod der Patientin verneint, weil nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen sei, daß der Beklagte durch pflichtgemäßes Verhalten nach dem Eingriff das Leben der Patientin hätte erhalten können. Der BGH hielt es für möglich, daß sich das Berufungsgericht die Erfordernisse nicht hinreichend vergegenwärtigt habe, die an den Beweis der Ursächlichkeit zu stellen seien. Nach ständiger Rechtsprechung gelte hierfür nicht die strenge Beweisregel des § 286 ZPO, sondern diejenige des § 287 ZPO. Damit hat auch der BGH diese Vorschrift undifferenziert für den Beweis der gesamten Ursächlichkeit herangezogen3S • Denn ob der Fehler des Arztes (hier die verspätete Einweisung ins Krankenhaus) ein geschütztes Rechtsgut des Patienten verletzt hat, wäre zutreffenderweise und nach den vom BGH selbst entwickelten Grundsätzen nach § 286 ZPO zu beurteilen gewesen36 • Diese Entscheidung läßt sich auch nicht damit rechtfertigen, der BGH habe den konkreten Haftungsgrund bereits in der Körperverletzung der Patientin durch die Vornahme des Eingriffs gesehen, in den diese nicht rechtswirksam einwilligen und damit auch seine Widerrechtlichkeit nicht ausschalten konnte 37 • Insoweit fehlt es nämlich an einem entsprechenden Hinweis in dem Urteil. Der erkennende Senat stellt ausschließlich auf das Verhalten des Beklagten nach dem Eingriff ab. In einer späteren Entscheidung hat der BGH die Ausführungen zu § 287 ZPO auch selbst für "mißverständlich" erklärt38 • In dieser Entscheidung hat der BGH auch in einem Arzthaftungsfall eine scharfe Trennungslinie zwischen dem Anwendungsbereich des 35 Ebenso unter Berufung auf diese BGH-Entscheidung OLG München, VersR 1960, 568, 569. Durch eine irreführende Formulierung erweckt das OLG außerdem den falschen Eindruck, als wirke sich § 287 ZPO auch auf die Beweislastverteilung aus: "Bei einer verspäteten, zur Erblindung führenden Augenoperation ist es nicht Aufgabe des Patienten, den Beweis dafür zu führen, daß er bei früherer Vornahme der Operation mit Sicherheit nicht erblindet wäre; vielmehr obliegt dem ... [Beklagten] der Nachweis, daß die Erblindung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch bei einer früheren Vornahme der Operation eingetreten wäre." (dazu krit. auch Kleinewefers I Wilts, VersR 1967,618). 36 VgI. Kleinewefers I Wilts, VersR 1967, 618. 37 So freilich Arens, ZZP 88, 8. 38 BGH VersR 1968, 849, 851 m. Anm. Hanau, NJW 1968, 2291, 2292.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
§ 286 ZPO und dem des § 287 ZPO gezogen39 • Dem Urteil lag ein Zwischenfall nach einer Blinddarmoperation zugrunde 40 • Der Chirurg hatte bei dem danach festgestellten Blutdruckabfall nicht an eine innere Blutung gedacht. Nach Ansicht des Berufungsgerichts war nicht mehr mit letzter Sicherheit zu klären, ob der infolgedessen eingetretene Tod des Patienten bei sofortigem Eingreifen noch zu verhindern gewesen wäre. Es hatte den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Beklagten und dem Tod des Patienten jedoch auf grund von § 287 ZPO bejaht. Dies rügt der BGH, da die haftungsbegründende Kausalität, d. h. der Zusammenhang zwischen dem Tun und Lassen des Schädigers und dem ersten Verletzungserfolg nach § 286 ZPO zu beweisen sei. § 287 ZPO sei dagegen nur für die haftungsausfüllende Kausalität heranzuziehen, also für den Zusammenhang zwischen dem schuldhaft verursachten Tod des Patienten und den daraus entstandenen Schäden wie Beerdigungskosten, Unterhaltsverlust usw. Wie oben dargestellt, berücksichtigte der BGH die Beweisschwierigkeiten der Kläger in diesem Fall jedoch dadurch, daß er die Beweislast wegen des Vorliegens eines groben Behandlungsfehlers mit Recht umkehrte. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1964 hat der BGH seine Ansicht bekräftigt, daß auch bei einer Amtspflichtverletzung das Betroffensein zum Haftungsgrund gehört 41 • Hier war zweifelhaft, ob die Tuberkuloseerkrankung eines Untersuchungshäftlings auf ein altes Grundleiden zurückging oder auf die Ansteckung durch einen tuberkulosekranken Mithäftling, dessen Zelle, die eigentlich als Einzelzelle vorgesehen war, er acht Tage lang teilen mußte. Der Kläger stützte seine Schadensersatzansprüche auf § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG. Zwar sieht der BGH in der gemeinsamen Verwahrung eine Amtspflichtverletzung der Gefängnisärzte. Im Hinblick auf die Anwendbarkeit von § 286 ZPO oder § 287 ZPO führt er aber aus, der konkrete Haftungsgrund sei dadurch nicht bereits bewiesen. Hierzu bedürfte es noch des nach § 286 ZPO zu erbringenden Nachweises, daß der Kläger von dieser Amtspflichtverletzung auch tatsächlich betroffen, d. h. hier infolgedessen mit Tuberkulose angesteckt worden sei. Diese Begründung überzeugt42 und stimmt auch mit der wohl herrschenden Rechtsprechung überein, die bei einer Inanspruchnahme aus § 823 Abs. 1 BGB die Rechtsgutverletzung ebenfalls zum konkreten Haftungsgrund zählt. Allerdings dürfte nach der Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1975 43 , Vgl. auch BGH VersR 1965,583, 584. s. zu diesem Fall auch oben 2. Teil B. III. 3. 41 BGH VersR 1965,91,92. 42 Wie hier Hofmann, S. 16 f.; a. A. Hanau, S. 123 f.; Stoll, Festschrift für F. v. Hippe!, S. 552 FN. 143. 43 BGH VersR 1975, 540 (s. o. 2. Teil B. V. 2.). 39
40
V. Beweiswürdigung nach § 287 ZPO
111
wonach der Schadenseintritt beim Vorliegen einer Vertrags- oder Amtspflichtverletzung nicht zum Haftungsgrund gehören soll, zweifelhaft sein, ob die Rechtsprechung diese und ähnliche Fälle heute noch genauso entscheiden würde. Täte sie das nicht, so hätte dies das eigenartig anmutende Ergebnis zur Folge, daß dem Patienten beim Nachweis einer durch einen Behandlungsfehler verursachten Gesundheitsschädigung die Erleichterung des § 287 ZPO zustatten käme, wenn er seine Ansprüche auf eine Vertrags- oder Amtspflichtverletzung stützen kann, nicht dagegen, wenn nur § 823 Abs. 1 BGB als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt 44 • Abschließend mag das folgende Beispiel 45 verdeutlichen, unter welchen Umständen die Rechtsprechung § 287 ZPO im Arzthaftungsrecht beim Nachweis sog. Folgeschäden anwendet: Kommt es bei der Behandlung einer Hautkrankheit durch den Arzt zu einem schweren Allergieanfall des Patienten, dann ist zunächst zur vollen Überzeugung des Gerichts nach § 286 ZPO zu beweisen, daß dieser auf einem Behandlungsfehler des Arztes beruht. Demgegenüber ist die Behauptung, in folge der Allergie sei eine Blut- und Knochenmarkserkrankung aufgetreten, die schließlich nach Jahren zum Tode des Patienten geführt habe, eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität. Zum Beweis dieser weiteren schädigenden Auswirkungen braucht daher nur ein erheblicher Wahrscheinlichkeitsgrad gemäß § 287 ZPO vorzuliegen 46 • Für die Anwendung dieser Vorschrift - so führt der BGH aus 41 - sei gerade dann Raum, wenn über den Ablauf und den Zusammenhang komplizierter physiologischer Vorgänge im menschlichen Organismus zu befinden sei, weil hier trotz aller Fortschritte der medizinischen Wissenschaft eine nachträgliche Aufhellung mit naturwissenschaftlicher Sicherheit meist nicht gelinge. 4. Abgrenzung der §§ 286, 287 ZPO im Schrifttum und eigene Stellungnahme
Im medizinisch-juristischen Schrifttum findet die von der Rechtsprechung vorgenommene Trennung in haftungsbegründende und -ausfüllende Kausalität, soweit hierzu überhaupt Stellung genommen wird, uneingeschränkte 48 bis weitgehende 49 Zustimmung. Ebenso wie in den Vgl. Stall, AcP 176, 188. BGH VersR 1963, 67. 46 Desgl. die Arzthaftungsfälle BGH VersR 1955, 573, 575; NJW 1978, 1683, 1684; VersR 1981, 462 f. (vgl. zu den beiden letztgenannten auch oben 2. Teil 44 45
B. III. 4.). 48
BGH VersR 1963, 67, 69; 1963,872,873; 1964,844,845; 1969, 160. Vgl. Gaupp, S. 18 ff., S. 42; Weyers, S. 35; Weyers / Mirtsching, JuS 1980,
49
Vgl. Kröning, S. 97 ff.; Laufs, Rdnr. 201 u. Med Sach 73, 4.
47
322.
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
Standardwerken der allgemein-juristischen Literatur50 wird dabei überwiegend das Abgrenzungskriterium des Betroffenseins übernommen oder auf ähnliche Merkmale abgestellt. Ausführliche Stellungnahmen finden sich dagegen in der Spezialliteratur. Dabei bilden Prölss51 und Hanau52 die Antipoden kritischer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung, während ansonsten Kritik an einzelnen Entscheidungen und Detailfragen vorherrscht 53 • Prölss spricht sich für eine starke Einschränkung des Anwendungsbereiches von § 287 ZPO aus. Die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität will er dieser Vorschrift ganz entziehen und ebenfalls der strengen Beweiswürdigung nach § 286 ZPO unterstellen. Prölss sieht in § 287 ZPO nach dessen Sinn und Zweck ausschließlich ein prozessuales Hilfsmittel zur Beseitigung rein quantitativer Unbestimmtheiten54 • Die Möglichkeit, im Rahmen dieser Bestimmung Feststellungen ex aequo et bono zu treffen, sei nur berechtigt, soweit es um die genaue Bestimmung der Schadenshöhe, nicht aber um das "Entweder-Oder" eines Kausalzusammenhanges gehe 55 • Dieser Auffassung widerspricht jedoch schon der Wortlaut und die Entstehungsgeschichte56 des § 287 ZPO; denn danach kann das Gericht nach freier Überzeugung ausdrücklich auch über die Frage entscheiden, ob ein Schaden entstanden ist 57 • Darüber hinaus verfolgt diese Vorschrift den erklärten Zweck, die im Schadensersatzprozeß erfahrungsgemäß auftretenden Beweisschwierigkeiten zu mildern 58• Diese betreffen jedoch nicht nur die Schadenshöhe, sondern ebenso den Kausalzusammenhang. Deshalb ist es angemessen, dem Kläger, der den Haftungsgrund nach § 286 ZPO voll bewiesen hat, das Beweisrisiko im Rahmen der haftungs ausfüllenden Kausalität teilweise abzunehmen59 • Andernfalls entginge eine große Zahl von Schädigern der Haftung. Im Gegensatz zu Prölss will Hanau60 den Anwendungsbereich des § 287 ZPO wesentlich erweitern. Nach seiner Ansicht läßt die Recht50 Vgl. z. B. Stein / Jonas / ScllUmann / Leipold, § 287 Anm. 12 c ß; Baumbacl1 / Hartmann, § 287 Anm. 2 A; Jauernig, § 49 V 2; vgl. aucl1 Hofmann, NJW
1974,1642.
a.a.O., S. 47 ff. u. Anm. ZZP 82, 469 ff.; ähnlicl1 Wahrendorf, S. 47 ff. a.a.O., S. 119 ff. u. Anm. NJW 1968,2291; ebenso Maassen, S. 98 f. 53 Vgl. aus der neueren Lit. insbes. Arens, ZZP 88, 1 ff., und Stoll, AcP 176, 181 ff. 54 a.a.O., S. 59 u. Anm. ZZP 82, 470. 55 a.a.O., S. 56. 56 Vgl. dazu Hanau, S. 120 (m. w. N.). 57 Ebenso Maassen, S. 97. SB s. 0.2. Teil B. V. 1. 59 Vgl. Hanau, S. 120 f. 60 S. o. FN. 52. 51
52
V. Beweiswürdigung nach § 287 ZPO
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sprechung bei ihrer Abgrenzung des Haftungsgrundes den differenzierten Aufbau der Haftungstatbestände außer acht. Der Verletzungserfolg gehöre nur bei Eingriffstatbeständen, wie vor allem bei § 823 Abs. 1 BGB, zum Haftungsgrund, während die Vertragsverletzungen, § 823 Abs. 2 und § 839 BGB um die Verletzung der Verhaltensnorm gruppiert seien. Bei diesen könne es aber überhaupt keine haftungsbegründende Kausalität geben, da schon die Verletzung der Verhaltenspflicht, und nicht erst die Verursachung eines bestimmten Erfolges die Haftung begründeten. Schließlich erblickt Hanau auch im Fall des § 823 Abs. 1 BGB die haftungsbegründende Rechtsverletzung nicht erst in dem Eingriff in das Rechtsgut, sondern bereits in dessen unmittelbarer Gefährdung. Er beschränkt also den Haftungsgrund im allgemeinen auf das pflichtwidrige Verhalten und kommt damit zur Anwendung des § 287 ZPO auf praktisch den gesamten Kausalitätsbeweis 61 • Für den Arzthaftungsprozeß bedeutet die Auffassung Hanaus, daß der Patient nur den Behandlungsfehler nach § 286 ZPO voll beweisen muß, während ihm der Nachweis der Ursächlichkeit durch § 287 ZPO erleichtert wird, weil seiner Ansicht nach der Kausalzusammenhang zwischen ärztlichem Behandlungsfehler und späterem Körperschaden des Patienten stets zur haftungsausfüllenden Kausalität gehört62 • Hanau meint weiter, die im Arzthaftungsprozeß typischen Beweisschwierigkeiten damit bereits im Rahmen der Beweiswürdigung beheben und auf die von der Rechtsprechung entwickelte Beweislastumkehr beim Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers insgesamt verzichten zu können. Eine derartig extensive Anwendung von § 287 ZPO, die für die haftungsbegründende Kausalität kaum mehr Raum läßt und - wie oben63 dargelegt - auch von einem Teil der Rechtsprechung praktiziert wird, begegnet erheblichen Bedenken. Zutreffend weist Sto1l64 darauf hin, daß die Unterscheidung in Eingriffs- und Verhaltensnormtatbestände bereits deshalb unbegründet ist, weil das materielle Recht die Schadensersatzpflicht in keinem Fall schon an die Verletzung einer Verhaltenspflicht knüpft; ausnahmslos begründet erst die Verletzung des von der Verhaltensnorm geschützten Rechtsgutes die Haftung. Deshalb gehört auch bei § 839 und § 823 Abs. 2 BGB (soweit das Schutzgesetz ein Verhalten normiert) sowie bei der positiven Vertragsverletzung die Rechtsgutverletzung, d. h. der schädigende Ersterfolg, zum Haftungs61 6!
os 64
So die zutreffende Würdigung von Maassen, S. 96. Vgl. Hanau, S. 134. 2. Teil B. V. 2. AcP 176, 187.
8 Franzki
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
grund, der nach § 286 ZPO zu beweisen ist65 • Noch bedenklicher erscheint es, bei § 823 Abs. 1 BGB den Haftungsgrund bereits im Falle einer konkreten Gefährdung zu bejahen; denn nach dieser Vorschrift wird die Haftung gerade nicht schon durch die Gefährdung, sondern ausdrücklich erst durch die Verletzung eines der in ihr genannten Rechtsgüter ausgelöst 66 • Trotz der Ermunterung durch einen Teil der Literatur sollte die Rechtsprechung daher der Versuchung widerstehen, den Anwendungsbereich des § 287 ZPO durch eine Verkürzung des Haftungsgrundes weiter auszudehnen. Unabhängig von der Anspruchsgrundlage ist die (erste) Rechtsgutverletzung zum Haftungsgrund zu zählen. Wo die Rechtsprechung diese Linie aber bereits verlassen hat, kann man nur hoffen, daß sie auf diesen Weg zurückfindet. Bezogen auf den Arzthaftungsprozeß bedeutet dies, daß der Arzt nicht bereits für solche Schäden haftet, deren Verursachung durch seinen Behandlungsfehler überwiegend wahrscheinlich ist. Vielmehr muß der Patient sowohl die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes als auch den Kausalzusammenhang zwischen ihr und dem Behandlungsfehler nach § 286 ZPO voll beweisen67 • Wollte man hier geringere Beweisanforderungen stellen, so käme dies einer starken Einschränkung des materiellrechtlichen Verschuldensprinzips gleich, auf dem - wie ausgeführt 6S - auch die Haftung des Arztes beruht6u • Gerade in neuerer Zeit ist von verschiedenen Autoren70 kritisiert worden, daß die ständige Rechtsprechung den Beweis von Folgeschäden uneingeschränkt nach § 287 ZPO würdigt. So führt beispielsweise Stoll 71 aus, diese Vorschrift gelte ausschließlich für die Bemessung des Schadens, nicht dagegen bei der Feststellung des Schadensereignisses. Schadensereignis sei aber nicht nur die haftungsbegründende Rechtsgutverletzung, sondern ebenso jede durch sie kausal vermittelte Folgeverletzung desselben oder eines anderen Rechtsgutes. Diese Ansicht will mithin sogar die Beurteilung von Folgeschäden der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO unterwerfen.
Ebenso Gaupp, S. 41. Vgl. Stall, AcP 176, 185; Rosenberg / Schwab, § 115 II 3. 67 Vgl. Stall, AcP 176, 187. 88 s. o. 2. Teil B. III. 4. u. 6. 69 Vgl. Baumgärtel / Wittmann, JA 1979, 116. 70 Vgl. Rosenberg / Schwab, § 115 II 4 b; Arens, ZZP 88, 38 ff.; Stall, AcP 176, 193 ff.; in der med.-jur. Lit. unter Berufung auf Stall: Laufs, Rdnr. 201 u. Med Sach 73, 4; Kröning, S. 100 f. 71 AcP 176, 193. 65
66
V. Beweiswürdigung nach § 287 ZPO
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Ein näheres Eingehen auf diese allgemeine prozessuale Frage erübrigt sich hier. Was aber den Arzthaftungsprozeß anbelangt, so fällt auf, daß es sich bei den hier zu beurteilenden Folgeschäden in aller Regel um Weiterentwicklungen der (haftungsbegründenden) Erstschädigung handelt: der ärztliche Behandlungsfehler verursacht z. B. zunächst nur eine leichte Beeinträchtigung des Hörvermögens; später wird bei dem Patienten eine völlige Taubheit festgestellt. Da der Haftungsgrund mit der Erstverletzung abgeschlossen ist, gehören jedenfalls derartige Folgeschäden zur Haftungsausfüllung und unterliegen daher der Beweiswürdigung nach § 287 ZP072. Unabhängig davon, ob sich das Verschulden des Schädigers auch auf diese Schäden bezieht, haftet er also, wenn eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für einen Kausalzusammenhang zwischen Erstverletzung und Folgeschaden spricht. Dabei können sich allerdings Adäquanz und Normzweck haftungsbegrenzend auswirken. Die gegenteilige Ansicht schränkt den Anwendungsbereich der Vergünstigung des § 287 ZPO demgegenüber zu sehr ein. Zum Schluß sei noch kurz auf die heutige Bedeutung dieser Beweiserleichterung eingegangen. Während Gaupp73 noch 1969 davon gesprochen hat, § 287 ZPO werde gerade in Arzthaftungsfällen sehr häufig angewandt - eine m. E. schon damals leicht übertreibende Feststellung - , hat seine Bedeutung auf diesem Rechtsgebiet, soweit man sich auf die veröffentlichten Entscheidungen als Gradmesser verlassen darf, jedenfalls im Laufe des letzten Jahrzehnts erheblich abgenommen. Schon deshalb mußte die vorstehende Erörterung in manchen Punkten sehr allgemein bleiben. Die Zurückhaltung der Gerichte, § 287 ZPO im Arzthaftungsprozeß anzuwenden, dürfte insbesondere auf zwei Umständen beruhen, die bereits in anderem Zusammenhang zur Sprache gekommen sind: Zum einen ist im Arzthaftungsprozeß schon eine überwiegende oder gar erhebliche Wahrscheinlichkeit nur schwer zu beweisen74 . Zum anderen läßt sich der Verdacht nicht von der Hand weisen, daß die Rechtsprechung - vielleicht deshalb - schneller einen groben Behandlungsfehler annimmt, um zu der schärferen Waffe der Beweislastumkehr greifen zu können 75 .
72 Ebenso Gaupp, S. 35, und selbst Arens, ZZP 88, 41, der sich grundsätzlich für eine Beurteilung der Folgeschäden nach § 286 ZPO ausspricht; a. A. ausdrücklich Stoll, AcP 176, 195. 73 a.a.O., S. 18. 74 s. o. 2. Teil B. III. 2. 75 s. o. 2. Teil B. II. 4. So auch schon BGH VersR 1968, 849, 851 (s. o. 2. Teil B. V. 3.).
8'
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
VI. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Beweislastverteilung im Arzthaftungsprozeß Aufgrund einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des OLG Stuttgart hat sich auch der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluß vom 25.7.1979 1 mit der Frage befaßt, ob die Verteilung der Beweislast und die Anforderungen an die Beweisführung des Patienten im Arzthaftungsprozeß unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit der Parteien gegen das Grundgesetz verstoßen könnten. Im Ergebnis hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde bei Stimmengleichheit im Senat nach § 15 Abs. 2 Satz 4 BVerfGG als unbegründet zurückgewiesen. In den tragenden Gründen seines Beschlusses stellt das Gericht fest, daß das auf die Arzthaftung anzuwendende Beweisrecht in Rücksicht auf die vielschichtige Interessenlage, die erhebliche Gefahrneigung der ärztlichen Tätigkeit und die besondere, oft schwierige prozessuale Situation der geschädigten Patienten sachgerechte, dem Interessen- und Härteausgleich dienende Beweisregeln enthalte2 • Jedoch hat die Hälfte der Senatsmitglieder, nämlich die Richter Zeidler, Hirsch, Niebler und Steinberger, die Meinung vertreten, die Verfassungsbeschwerde hätte Erfolg haben müssen. Nach der Ansicht dieser vier Richter, die die Entscheidung nicht trägt, hat das OLG Stuttgart in seinem Urteil das verfassungsrechtliche Erfordernis eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens, insbesondere den Grundsatz der Waffengleichheit im Prozeß (Art. 3 Abs. 1 GG), nicht hinreichend beachtet und hierdurch - insgesamt betrachtet - gegen Art. 3 Abs. 1 GG sowie gegen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 2 und 3 GG) verstoßen. Zunächst prüfen diese vier Richter, ob das OLG die von der Rechtsprechung speziell für den Arzthaftungsprozeß entwickelten Beweisregeln, die dem Berufungsgericht offensichtlich bekannt gewesen sind, im Einzelfall richtig angewandt hat, ob es nicht einen Antrag auf Sachverständigenbeweis in einen Zeugenbeweisantrag hätte umdeuten und den Antrag auf eine zusätzliche Beweiserhebung hätte anregen müssen. Ob es sich bei Fehlern, die dem OLG dabei im einzelnen etwa unterlaufen sein könnten, nach Ansicht der vier Richter wirklich schon um Verfassungsverstöße oder nicht doch nur um Verletzungen einfachen Rechts handeln kann und wo die Grenze zwischen diesen und jenen zu ziehen wäre, läßt sich den Ausführungen in der Entscheidung nicht eindeutig entnehmen. Einen Verfassungsverstoß scheinen die vier 1 2
NJW 1979, 1925 ff. NJW 1979, 1927 (m. w. N.).
VI. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
117
Richter jedenfalls darin zu sehen, daß das OLG es unterlassen hat, nach der Anwendung der einzelnen Beweisregeln eine Gesamtschau vorzunehmen. Wörtlich heißt es dazu in dem Beschluß3: "Das OLG hat damit nicht nur insgesamt und im Ergebnis, sondern auch in zahlreichen beweis rechtlichen Einzelerkenntnissen die Last stets gegen den Kläger gewendet. Diese jeweiligen Einzelerkenntnisse mögen - was dahingestellt bleiben kann - je für sich allein betrachtet sachlich gerecht und vertretbar gewesen sein. In dem angegriffenen Urteil werden jedoch die einzelnen Punkte sachlich getrennt nacheinander abgehandelt, ohne daß zur beweisrechtlichen Grundproblematik, zu den Auswirkungen der einzelnen Teilerkenntnisse aufeinander oder auf die Gesamtentscheidung ein Wort verloren wird; insbesondere fehlt jede Begründung, die erkennen ließe, warum das OLG die beweisrechtlichen Anforderungen, die es an den Kläger gestellt hat, in ihrer Gesamtheit! für gerechtfertigt angesehen hat. Es ist nicht ersichtlich, daß es zu diesem Punkt überhaupt überlegungen angestellt hat ein Mangel, der nicht durch die Tatsache ausgeglichen wird, daß das OLG innerhalb der Einzelpunkte zum Teil auf die Rechtsprechung des BGH zu den betreffenden Einzelfragen Bezug genommen hat. Eine derartige Begründung wäre aber im vorliegenden Fall angesichts der generellen Beweisrechtsproblematik, der Häufung der zu Lasten des Klägers gewendeten beweisrechtlichen Teilergebnisse sowie der auf den ersten Blick sich aufdrängenden Nachteile des Klägers in beweisrechtlicher Hinsicht auch bei einer knappen Urteilsbegründung erforderlich gewesen. Ohne eine derartige Begründung muß unter den vorliegenden Umständen davon ausgegangen werden, daß das OLG sich im konkreten Fall seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung, für ein faires Verfahren Sorge zu tragen, nicht oder nur unzureichend bewußt gewesen ist." Man kann es im Interesse der Ärzte, aber auch im Interesse des Gesundheitswesens insgesamt und wohl auch im Interesse der Rechtspflege nur begrüßen, daß sich die Auffassung dieser vier Richter nicht durchgesetzt hat5 • Es erscheint auch fraglich, ob sie sich wirklich der Tragweite ihrer Ansicht voll bewußt gewesen sind und ob sie eigentlich eine Vorstellung davon hatten, wie sich eine solche - doch offenbar an allgemeinen Billigkeitsgesichtspunkten orientierte - "Gesamtschau" in das strenge System unserer zivilprozessualen Beweisregeln einordnen lassen sollte. Die Rechtsprechung, namentlich des RG und des BGH, hat - wie bereits dargelegt - eine Reihe von speziellen Beweisregeln und Beweiserleichterungen für den Kläger im Arzthaftungsprozeß entwickelt, die zwar ebenfalls nicht frei von Billigkeitserwägungen sind, jedoch im Einzelfall stets an konkrete Voraussetzungen geknüpft werden und deshalb den allgemeinen Grundsatz, daß auch im ArzthafNJW 1979, 1926 f. unter B. I. 1 c (5). Hervorhebung vom Verfasser. S a. A. wohl Giesen, Arzthaftungsrecht, S. 137 f. u. Jura 1981, 21. Vor einer weitergehenden Beweislastverschiebung zu Lasten des Arztes im Anschluß an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts warnen auch Wachsmuth / Schreiber, NJW 1981, 1986 f. 3 4
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2. Teil. B. Beweislastumkehr, Beweiserleichterung, Beweiswürdigung
tungsprozeß der Kläger die klage begründenden Tatsachen zu beweisen hat, unberührt lassen. Der hier bisher entwickelte Katalog ist nach den Erfahrungen der letzten Jahre gewiß kein geschlossener. Vielmehr ist anzunehmen, daß die Rechtsprechung auch künftig behutsam und unter Herausarbeitung klarer und konkreter Voraussetzungen weitere Beweiserleichterungen dem klagenden Patienten gewähren wird, wo immer sie den Eindruck hat, er könne den Beweisanforderungen nach der allgemeinen Beweislastverteilung nicht genügen, während der Arzt infolge seines Informationsvorsprungs und seiner größeren Sachnähe dazu aufgerufen werden könne, seinerseits einen Beitrag zur Aufklärung zu leisten. Gefährlich wäre es hingegen, an die Stelle solcher allmählichen Fortentwicklung der Beweisregeln durch die Fachgerichte den angeblich von Verfassungs wegen gebotenen Grundsatz der "Gesamtschau" zu setzen. Damit wäre der Prozeßausgang noch weit mehr als bisher jeder Berechenbarkeit entzogen. Soll wirklich der Richter dort, wo die hergebrachten Beweiserleichterungen im Arzthaftungsprozeß bei richtiger Anwendung von vornherein nicht eingreifen oder wo sie nicht ausreichen, ihm die Gewißheit von den Haftungsvoraussetzungen des Arztes zu verschaffen, jedoch ein unbehagliches Gefühl am Ergebnis verbleibt, aufgrund einer "Gesamtschau" berechtigt sein, dieses Ergebnis zu korrigieren und doch zu einer Verurteilung zu gelangen? Würde das nicht im Grunde bedeuten, daß zu der Verurteilung hier schon ein mehr oder minder großer Grad von Wahrscheinlichkeit ausreichte? Oder soll damit etwa für den Arzthaftungsprozeß der oben im einzelnen dargelegte und vom BGH besonders betonte Unterschied zwischen § 286 und § 287 ZPO wieder aufgegeben werden und der Richter hier auch bei der Überzeugungsbildung in Bezug auf die haftungsbegründende Kausalität freier gestellt werden? Die Folgen einer solchen Rechtsprechung wären unabsehbar, und zwar sowohl in ihren Auswirkungen auf das gesamte Gesundheitswesen als auch auf die Kalkulierbarkeit des Beweisrisikos für den einzelnen Patienten. Mit Recht hat auch Stürner6 , der sich kritisch mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und der dissentierenden Meinung der vier Richter auseinandersetzt, vor übertriebenen und verfrühten verfassungsrechtlichen Konkretisierungen gewarnt und das Bundesverfassungsgericht zur Zurückhaltung ermahnt. Er hat dazu ausgeführt, es sei nicht ratsam, in das dogmatisch hoch entwickelte und filigrane System des Zivil- und Zivilprozeßrechts allzu oft mit dem groben Raster der Verfassung einzugreifen7 • In der Tat sollte die Ausbildung neuer Beweisgrundsätze in aller Regel den Fachgerichten überlassen 6
7
NJW 1979, 2334 ff. NJW 1979, 2338.
VI. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
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bleiben, die eine größere Anschauungsbreite als das Bundesverfassungsgericht besitzen und die eher die Folgen solcher Rechtsfortentwicklung abzuschätzen wissen. Schließlich muß auch bedacht werden, daß eine korrigierende Gesamtschau bei zutreffend angewandten Beweisregeln mit unbefriedigendem Ergebnis ebenso wie eine Summe fehlerhafter Beweisrechtsanwendungen, die offenbar den Rang einer Verfassungsverletzung erhalten soll, schwerlich auf das Gebiet der Arzthaftung zu beschränken wäre. Das Bundesverfassungsgericht hätte bei anderer Entscheidung wahrscheinlich eine Flut neuer Verfassungsbeschwerden ausgelöst, deren es schwerlich hätte Herr werden können. Unter dem Vorwand der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit wäre es auch in Zukunft als eine Art "Superrevisionsinstanz" mit Fragen des einfachen Rechts befaßt worden. Besonders schwer verständlich ist im übrigen, wie aus einer Reihe von Einzelerkenntnissen auf dem Gebiet des Beweisrechts, die "für sich allein betrachtet sachgerecht und vertretbar gewesen sein" mögen, in ihrer Summierung eine Rechtsverletzung sogar von Verfassungsrang soll werden können. Allenfalls eine Häufung von Verletzungen des einfachen Rechts könnte doch wohl dazu führen, daß die "Quantität in die Qualität umschlägt" und in der Summe dieser Verletzungen nun auch ein Verfassungsverstoß zu erblicken ist.
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2. Teil. C. Beweisfragen bei Aufklärung und Einwilligung
C. Beweisfragen bei Aufklärung und Einwilligung des Patienten Meist ist nur von den Beweisschwierigkeiten des Patienten die Rede, wenn es darum geht, den Behandlungsfehler des Arztes und seine Kausalität für den Schaden zu beweisen. Doch kaum minder groß ist die Beweisnot des Arztes bei der Frage, ob er den Patienten vor der Behandlung hinreichend aufgeklärt hat und deshalb die Einwilligung des Patienten wirksam ist1 •
I. Verteilung der Beweislast Nach ständiger Rechtsprechung, die auf bereits Anfang dieses Jahrhunderts ergangenen Entscheidungen des RG beruht 2 , trifft den beklagten Arzt die Beweislast, wenn der Patient behauptet, er habe ohne seine Einwilligung einen Eingriff vorgenommen, der zu einem (vom Patienten zu beweisenden) Schaden geführt hat 3 • Da eine Einwilligung, der keine Aufklärung in dem erforderlichen Umfang vorausgegangen ist, unwirksam ist4, muß der Arzt nicht nur die Einwilligung als solche, sondern auch beweisen, daß der Patient vor dem Eingriff über dessen Art, Bedeutung und mögliche Folgen belehrt worden ist 5 oder auf eine Aufklärung ausdrücklich verzichtet hat 6 • Im Deliktsrecht folgt diese dem Arzt obliegende Beweislast aus dem Charakter der Einwilligung als Rechtfertigungsgrund. Denn im Ein1 a. A. Gaupp, S. 3, der diese Fallgestaltung mit der unzutreffenden Begründung außer Betracht läßt, daß hier nur selten Beweisschwierigkeiten bestünden. 2 Vgl. RGZ 68, 431, 438; RG Warn Rspr. 1911 Nr. 431; Recht 1913 Nr. 1972; a. A. Ebermayer, S. 103. 3 Aus den meisten veröffentlichten Entscheidungen des BGH ergibt sich dies nur mittelbar: vgl. BGHZ 29, 176, 187; BGH NJW 1959,2299; VersR 1971, 227, 228; NJW 1976, 363; 1980, 1333, 1334. So aber ausdrücklich BGH VersR 1957, 408, 409; OLG Celle, NJW 1979, 1251, 1252; OLG Stuttgart, Urteil v. 7.6.1972 (Az. 1 U 2/72; nicht veröffentlicht); NJW 1979, 2355, 2356; LG Hannover, NJW 1981, 1320, 1321. Ebenso Kleinewefers, VersR 1963, 302; Uhlenbruck, NJW 1965, 1063; Wilts, MDR 1973, 356; Deutsch / Brandenburg, S. 564; Deutsch, NJW 1979, 1905; Laufs, Med Sach 73, 2; Weyers, S. 22 u. 27. Zweifelnd Dunz, S. 15. 4 Vgl. BGHZ 29, 176, 179; BGH NJW 1959, 2299; 1974, 604; BVerfG NJW 1979, 1925, 1929; OLG Bremen, VersR 1965, 63, 64; OLG Celle, NJW 1978, 593; Uhlenbruck, NJW 1965, 1063 f. (m. w. N.); Tempel, NJW 1980, 609; Deutsch, NJW 1980, 1306. 5 Vgl. OLG Köln, VersR 1978, 551; OLG Stuttgart, NJW 1979, 2355, 2356; Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S. 289; Fischer, S. 85 (m. w. N.). I Vgl. zum Aufklärungsverzicht des Patienten MünchKomm-Mertens, § 823 Rdnr. 447 (m. w. N.).
1. Verteilung der Beweislast
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klang mit einem Teil des Schrifttums 7 sieht die RechtsprechungS den ärztlichen Eingriff dogmatisch als eine tatbestandsmäßige Körperverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB an, deren Rechtswidrigkeit nur dann ausgeschlossen ist, wenn der Patient wirksam in den Eingriff eingewilligt hat. Da die Widerrechtlichkeit bei einem abgegrenzten Tatbestand wie der Körperverletzung jedoch indiziert wird, trifft den Schädiger nach allgemeinen Grundsätzen die Beweislast für den Ausschluß der Rechtswidrigkeit seines Handelns 9 , den Arzt also die Beweislast für die Einwilligung des Patienten. Infolge dieser rechtlichen Konstruktion ist der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ohne wirksame Einwilligung auch dann rechtswidrig, wenn er medizinisch indiziert war und lege artis ausgeführt worden ist lO • Gelingt dem Arzt der Beweis ausreichender Aufklärung und der davon abhängigen wirksamen Einwilligung nicht, haftet er somit auch für die Folgen eines zwar kunstgerecht ausgeführten, im Ergebnis aber doch schuldlos mißlungenen Eingriffs. Selbst wenn der Heileingriff erfolgreich ist und keinerlei nachteilige Auswirkungen zurückläßt, haftet er in diesem Fall u. U. auf Schmerzensgeld allein schon deshalb, weil er sich über das Selbstbestimmungsrecht des Patienten hinweggesetzt und dadurch dessen Persönlichkeitsrecht verletzt hat l1 . Ebenso wie im Deliktsrecht trägt der Arzt auch im Vertragsrecht die Beweislast für die ordnungsgemäße Aufklärung. Denn diese gehört zu der vom Arzt nach § 666 BGB geschuldeten Leistung l2 . Nimmt der Patient den Arzt auf Erfüllung dieser Vertragspflicht - also auf ärztliche Aufklärung - in Anspruch, so muß der Arzt seine Behauptung beweisen, er habe bereits erfüllt. Da der Patient neben dem Ersatz des materiellen Schadens in aller Regel auch ein Schmerzensgeld verlangt, das er nur bei einer Inanspruchnahme des Arztes aus unerlaubter Handlung erhalten kann, hat der vertragliche Anspruch auf Aufklärung einmal abgesehen von der längeren Verjährungsfrist - jedoch keine eigenständige Bedeutung l3 • 7 Vgl. z. B. Deutsch, NJW 1965, 1989 (m. w. N.) u. NJW 1980, 1306; Wilts, MDR 1973, 354. 8 RG Warn Rspr. 1911 Nr. 431; RGZ 88, 433, 436; 168, 206, 210; BGHZ 29, 176, 179 f.; BGH VersR 1957,408,409; NJW 1959, 2299, 2300; 1973, 1688, 1689; 1976,1790; OLG Stuttgart, NJW 1979, 2355, 2356 (st. Rspr.). 9 Vgl. BGHZ 24, 21, 28; BGH VersR 1971, 1020, 1021; Soergel/ Zeuner, § 823 Rdnr. 357; RGRK-Haager, § 823 Anm. 44; Deutsch, S. 209. 10 Vgl. RGZ 168, 206, 210; BGH NJW 1959, 2299; OLG Stuttgart, NJW 1979, 2355, 2356; LG Hannover, NJW 1981, 1320; Staudinger / Schäfer, § 823 Rdnr. 398; Wilts, MDR 1973,354; Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S. 289. 11 Vgl. OLG Köln, VersR 1978, 551 f.; Dunz, S. 18; Weyers, S. 22. 12 Vgl. Kleinewefers / Wilts, S. 60. 13 Vgl. Kleinewefers, VersR 1963,302.
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2. Teil. C. Beweisfragen bei Aufklärung und Einwilligung
Wegen der in diesem Punkt für den Arzt ungünstigen Beweislastverteilung hat sich im Laufe der Zeit, verstärkt aber in den letzten Jahren der Vorwurf der Aufklärungspflichtverletzung zu einer Art Auffangtatbestand entwickelt: Der Patient stützt seinen Schadensersatzanspruch zunächst ausschließlich oder zumindest in seiner Hauptbegründung auf einen schuldhaften Behandlungsfehler des Arztes. Zeichnet sich dann aber im Verlauf des Prozesses ab, daß er den ihm hierfür obliegenden Beweis nicht führen kann, so kommt es zum "Aufklärungsknick" . Der Patient zieht sich darauf zurück, in den Eingriff überhaupt nicht eingewilligt zu haben oder vorher jedenfalls nicht genügend aufgeklärt worden zu sein14 • Infolge der dadurch erheblich verschlechterten Beweissituation des Arztes gelangt der Patient auf diesem Umweg häufig doch noch zu der angestrebten Verurteilung des Arztes, allerdings wegen einer Aufklärungspflichtverletzung und nicht wegen des ursprünglich erhobenen Vorwurfs eines Behandlungsfehlers. Das Ausweichen auf den "Nebenkriegsschauplatz" der Aufklärungspflichtverletzung beruht auf mehreren Gründen. An erster Stelle ist dabei die immer noch oft anzutreffende Zurückhaltung der Gutachter bei der Beurteilung des Fehlverhaltens eines ärztlichen Kollegen zu nennen 15 • Die Aufklärungspflichtverletzung übernimmt daher die Haftungsfunktion in den Fällen des nicht nachweisbaren, aber vermuteten Behandlungsfehlers16 • Außerdem ist auch die Versuchung des Tatrichters nicht zu unterschätzen, wegen der Komplexität medizinischer Sachverhalte auf irrevisible Feststellungen eines Aufklärungsversäumnisses auszuweichen17 • Schließlich gibt es immer noch Ärzte, die die Verletzung der Aufklärungspflicht als ein Kavaliersdelikt ansehen oder diesen Vorwurf jedenfalls leichter nehmen als den eines Behandlungsfehlers. Ihnen tut die Rechtsprechung - wenn auch wohl unbewußt - durch den übergang zur Aufklärungspflichtverletzung sogar einen Gefallen 18 • Im Schrifttum ist diese Entwicklung der Rechtsprechung mit Recht beklagt worden 19 • In der Tat ist es so, daß der Anspruch des Patienten 16 So lt. Weyers, S. 43, in 40 010 aller Fälle. Vgl. als typische Beispiele BGHZ 29,176,179; BGH NJW 1976,363; OLG Hamm, NJW 1976, 1157. 1S Siehe dazu im einzelnen oben 2. Teil A. 111. Auch Laufs, in: Jung I Schreiber, Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, S. 77, hat jüngst darauf hingewiesen, daß Versäumnisse der Ärzteschaft beim Umgang mit den Gutachterpflichten in Gestalt der Aufklärungshaftpflicht auf den Stand zurückfallen. 18 Vgl. Deutsch, Nds. Ärztebl. 1976, 551 u. NJW 1979, 1907; Weyers, S. 112 f. 17 Vgl. Dunz, Med Sach 72, 75. 18 Vgl. Deutsch, Nds. Ärztebl. 1976, 551 u. Deutsch I Brandenburg, S. 564.
1. Verteilung der Beweislast
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auf eine angemessene Aufklärung als Ausfluß des Selbstbestimmungsrechts über seine Person dadurch seines eigentlichen Sinnes entkleidet wird. Dieser Anspruch soll ihn vor einer dem Arzt nicht zustehenden Bevormundung schützen und auch das Recht des Patienten gewährleisten, sogar Entscheidungen über seinen Körper zu treffen, die nach ärztlicher Ansicht verfehlt sind 20 • Er ist dagegen nicht zu dem Zweck geschaffen worden, den Patienten mit einem Schadensersatzanspruch für den Fall auszustatten, daß sich seine Heilungserwartungen nicht erfüllt haben. Von einem Teil der Literatur 21 wird daher die Ansicht vertreten, daß der lege artis, aber ohne die Einwilligung des Patienten durchgeführte ärztliche Heileingriff entgegen der Auffassung der Rechtsprechung nicht als widerrechtliche Körperverletzung anzusehen sei. Vielmehr sei dem eigenmächtig handelnden Arzt die Mißachtung der Selbstbestimmung des Patienten und damit die Verletzung seines Persönlichkeitsrechts vorzuwerfen. Nur weil er dieses Recht mißachtet habe, dürfe dem Arzt nicht auch der negative Ausgang seiner Therapie insgesamt zugerechnet werden. Deshalb kommt nach dieser Meinung für den unaufgeklärten Patienten ausschließlich die Zubilligung eines Schmerzensgeldes in Betracht, wenn die Schwere der Verletzung oder das Verschulden des Arztes eine Genugtuung erfordert. Ein Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens scheidet daneben beim lege artis ausgeführten eigenmächtigen Heileingriff aus. Hier sind vor allem die beweisrechtlichen Konsequenzen dieser Ansicht von Interesse. Qualifiziert man den ohne Einwilligung vorgenommenen Eingriff nämlich als Persönlichkeitsrechtsverletzung, so hat der Patient die Eigenmächtigkeit der Behandlung zu beweisen22 • Dies liegt daran, daß es sich bei dem Persönlichkeitsrecht um einen unabgegrenzten Tatbestand handelt, bei dessen Verwirklichung die Rechtswidrigkeit nicht indiziert wird23 • Folglich müßte der Patient den Nachweis erbringen, daß er nicht in die Behandlung eingewilligt oder daß der Arzt ihn vorher jedenfalls nicht in dem erforderlichen Umfang aufge19 Vgl. Laufs, NJW 1974, 2026 f., Med Sach 73, 2 f. u. in: Jung / Schreiber, Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, S. 76 f.; Dunz, Med Sach 72, 75; Baumgärtei, Gedächtnisschrift für R. Bruns, S. 103; Wachsmuth / Schreiber, FAZ v. 3.10. 1980, S. 10 u. NJW 1981, 1985. 20 So bereits RGZ 163, 129, 137 f.; vgl. zuletzt BGH NJW 1980, 1333, 1334; 1980,2751,2752 f.; vgl. ferner OLG Stuttgart, NJW 1973, 560, 562. 21 Vgl. insbes. Laufs, Rdnr. 171 ff., VersR 1972, 6, NJW 1974, 2028 f. u. in: Jung / Schreiber, Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, S. 85 ff. (jeweils m. w. N.); vgl. ferner Weitnauer, Betrieb 1961, Beil. 21, 8; Weyers,
S.21.
22 Vgl. Laufs, VersR 1972, 6; Weyers, S. 21; Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S. 291; a. A. Weitnauer, Betrieb 1961, Beil. 21, 7. 23 Vgl. Deutsch, S. 209.
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2. Teil. C. Beweisfragen bei Aufklärung und Einwilligung
klärt hat 24 • Zwar ließe sich die unliebsame Schadenszurechnungsfunktion der Aufklärungspflichtverletzung durch diesen Tatbestandswechsel ausschalten. Er ist aber dennoch abzulehnen. Denn man wird der Tragweite der eigenmächtigen Heilbehandlung nicht in vollem Umfang gerecht, wenn man darin nur eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Patienten sieht. Die Selbstbestimmung ist - worauf insbesondere Deutsch 25 zutreffend hinweist - kein Rechtsgut an sich, sondern dient gleichzeitig dem Schutz der übrigen in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter. Sie ist gewissermaßen jedem disponiblen Rechtsgut vorgeschaltet. Da der Schutz der Entschließungsfreiheit damit auch den Zweck verfolgt, Schäden an Leben und Gesundheit zu verhindern, ist es nicht angängig, den eigenmächtigen Heileingriff aus dem Tatbestand der Körperverletzung herauszunehmen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat diese Einordnung jüngst gebilligt 26 • Zwar faßt Baumgärte127 den eigenmächtigen Heileingriff mit der herrschenden Meinung als Körperverletzung auf. Im Gegensatz zu ihr ist er aber der Ansicht, daß der ärztliche Eingriff als solcher nicht die Rechtswidrigkeit indiziere. Diese Auffassung begründet Baumgärtel damit, daß die Ärzte die Patienten erfahrungsgemäß nicht gegen ihren Willen zu behandeln pflegten. Die Regel sei vielmehr, daß der ärztliche Eingriff mit Einwilligung des Patienten geschehe und daher rechtmäßig sei. Folglich trage der Patient, der sich auf die Ausnahme von der Regel berufe, die Beweislast für die fehlende Einwilligung und damit auch für das Fehlen der Aufklärung. Dieser Ansicht kann nur im ersten Ansatz, nicht aber im Ergebnis zugestimmt werden. Richtig ist, daß die Ärzte in den meisten Fällen vor der Operation eine Einwilligung des Patienten einholen. Damit ist aber noch nichts über deren Wirksamkeit gesagt. Diese hängt - wie dargelegt - von einer hinreichenden Aufklärung durch den Arzt ab. Eine Erfahrung, daß die Ärzte auch ihrer Aufklärungspflicht in der Regel nachkommen, besteht aber gerade nicht 28 • Die Praxis legt vielmehr eine gegenteilige Vermutung nahe. 24 Dieser Beweis eines Negativums durch den Patienten dürfte in der Praxis so gut wie unmöglich sein (vgl. Deutsch / Brandenburg, S. 564). Vgl. zu den praktischen Schwierigkeiten ferner Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S. 291 FN. 20. Auch Laufs hat eine derartige Beweislastverteilung inzwischen selbst als eine "schwer praktikable Regel" bezeichnet (in: Jung / Schreiber, Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, S. 86). 25 a.a.O., S. 245, NJW 1965, 1989, Nds. Ärztebl. 1976, 551 u. NJW 1979, 1906; ebenso Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S. 291; Tempel, NJW 1980, 616. 26 NJW 1979, 1929 f. 27 Gedächtnisschrift für R. Bruns, S. 105 f. 28 Ähnlich Anm. G. Fischer, JR 1981, 501 f.
1. Verteilung der Beweislast
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Aus diesem Grunde ist an dem Grundsatz festzuhalten, daß der ärztliche Eingriff wie jede andere Körperverletzung die Rechtswidrigkeit indiziert. Folglich muß es auch bei der durch die rechtliche Konstruktion bedingten Beweislast des Arztes für die wirksame Einwilligung bleiben. Das bedeutet jedoch nicht, daß hier die Haftungsfunktion der versäumten Aufklärung gutgeheißen werden soll. Das Ausweichen auf dieses Nebengleis muß unbedingt eingegrenzt werden. Dazu kann zunächst die Ärzteschaft selbst einen wesentlichen Beitrag leisten, indem sie die ihr obliegende Aufklärungspflicht genauer nimmt und deren Verletzung nicht nur als ein "technisches Foul" betrachtet. Aber auch die Rechtsprechung kann zu einer Einengung dadurch beitragen, daß sie die Anforderungen an die Aufklärungspflicht nicht überspannt und den Ärzten klare Richtlinien für ihre Erfüllung an die Hand gibt. Hier liegt noch vieles im argen. Darüber hinaus sollten die Gerichte auch nicht davor zurückschrecken, die Haftung des Arztes aus diesem Rechtsgrund in besonders eklatanten Fällen mangels Rechtswidrigkeitszusammenhangs zu verneinen oder die Berufung auf eine mangelhafte Aufklärung schlichtweg als rechtsmißbräuchlich zurückzuweisen. Der BGH hat bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß er sich der gesamten Problematik bewußt und grundsätzlich auch zu einem solchen Schritt bereit ist 29 • Freilich erübrigte sich - soweit ersichtlich - eine derartige Maßnahme in den bisher zur Entscheidung anstehenden Fällen aus anderen Gründen. Schließlich ließe sich der Anreiz, auf den Klagegrund der Aufklärungspflichtverletzung auszuweichen, durch eine stärkere Berücksichtigung von Gesichtspunkten des Vorteilsausgleichs verringern. Diese kommt nicht nur bei eigenmächtigen Heileingriffen in Betracht, die in vollem Umfang gelungen sind30 , sondern auch dann, wenn sich mögliche oder sogar notwendige schädliche Nebenwirkungen während der Behandlung realisieren, über die der Arzt den Patienten nicht aufgeklärt hat. Zu denken ist hier beispielsweise an die nicht durch eine wirksame Einwilligung gerechtfertigte Strahlenbehandlung eines krebskranken Patienten, die zwar den lebens bedrohenden Krebs heilt, aber zu anderen bleibenden Gesundheitsschäden führt 31 • Läßt sich in derartigen Fällen ein Behandlungsfehler nicht feststellen, so muß im Gegensatz zur Rechtsprechung des BGH bei der Bewertung der Folgen der Aufklärungspflichtverletzung im Wege des Vorteilsausgleichs auch berücksichtigt werden, daß das größere Übel gleichsam gegen ein kleineres ausgetauscht wurde 32 • 29 30
31 32
Vgl. BGH NJW 1976,363,364; 1978, 587, 588; 1980, 633, 634. So offenbar Deutsch, NJW 1965, 1989. Vgl. den Fall BGHZ 29, 176 ff. Vgl. Laufs, NJW 1974, 2030.
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2. Teil. C. Beweisfragen bei Aufklärung und Einwilligung
Gelingt dem Arzt der Beweis einer wirksamen Einwilligung des Patienten nicht oder ist unstreitig, daß er ihn nicht sachgerecht aufgeklärt hat, so wendet er häufig zur Entlastung von seiner Schadensersatzpflicht ein, daß die fehlende Aufklärung und Einwilligung unschädlich seien, weil der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte. Der Arzt macht damit geltend, daß es an dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der versäumten Aufklärung und der Gesundheitsbeschädigung fehlt. Hierbei handelt es sich keineswegs um ein Problem der hypothetischen Kausalität33 ; denn der Arzt wendet damit nicht ein, daß sich bei Erfüllung der Aufklärungspflicht eine ganz andere Gefahr (= Reserveursache) verwirklicht und denselben Schaden herbeigeführt hätte 34 • Vielmehr stellt der Arzt den Rechtswidrigkeitszusammenhang dadurch in Frage, daß er sich darauf beruft, er habe den Schaden unter dem Schutz des Rechtfertigungsgrundes der Einwilligung ebenso erlaubtermaßen zufügen können35 • Hierbei macht er also den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens geltend. Ob dieser Einwand seitens des Arztes überhaupt zulässig ist, ist umstritten. Die herrschende Lehre 36 verneint diese Frage. Dabei hat sich insbesondere von Caemmerer eingehend mit der Problematik auseinandergesetzt. Er weist darauf hin, daß es der Sinn der Befragung des Patienten sei, sein Selbstbestimmungsrecht zu schützen und seine persönliche Entscheidungsfreiheit zu respektieren. Der Patient müsse die Möglichkeit haben, sich nach der Aussprache mit dem Arzt zu entscheiden und auch noch andere Ärzte seines Vertrauens um ihr Urteil zu bitten. Da dies eine Frage der persönlichen Entschließung des Patienten sei, könne das Gericht sie nicht nachträglich an seiner Statt treffen. Auch die übrigen Stimmen in der Literatur, die den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens jedenfalls hier für unzulässig halten, stellen letztlich auf diese oder ähnliche Gesichtspunkte ab. Demgegenüber hat die Rechtsprechung den Nachweis, daß der Patient sich auch bei ordnungsmäßiger Aufklärung zur Behandlung entschlossen hätte, im Grundsatz stets für möglich erachtet37 • Ebenso wie So aber Kleinewefers, VersR 1963,303. Siehe zur hypothetischen Kausalität im Arzthaftungsprozeß eingehend oben 2. Teil B. III. 5. b) aal. 3S Vgl. Deutsch, S. 174. 36 Vgl. von Caemmerer, S. 449 f.; Zeuner, AcP 162, 516, 523 (Buchbespr. zu von Caemmerer); Deutsch, S. 175, NJW 1965, 1989 u. NJW 1979, 1906; Hofmann, NJW 1974, 1643; Wahrendorf, S. 95; Staudinger / Schäfer, § 823 Rdnr.414. 37 Vgl. RGZ 163, 129, 139; BGHZ 29, 176, 187; BGH VersR 1971, 227, 228; NJW 1973, 1688, 1689; 1976, 363; 1980, 1333, 1334; OLG Bremen, VersR 1954, 63, 64; KG VersR 1979, 260, 261; OLG Celle, NJW 1979, 1251, 1252; dagegen 33
34
1. Verteilung der Beweislast
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beim Einwand der hypothetischen Kausalität ist es danach Sache des Arztes, den vollen Beweis für die hypothetische Einwilligung zu erbringen. Dafür reicht allerdings noch nicht die Behauptung aus, daß der Patient bei richtiger Aufklärung möglicherweise seine Einwilligung erklärt hätte 38 • Obwohl es sicherlich zutrifft, daß die wenigsten der aus diesem Rechtsgrund klagenden Patienten bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung vor dem Eingriff ihre Einwilligung verweigert hätten 39 , kann dem Arzt hier auch nicht der Anscheinsbeweis zur Seite stehen. Denn hier ist der Willensentschluß eines Menschen festzustellen, der erfahrungsgemäß von jedem Menschen nach individuell verschiedenen Gesichtspunkten gefaßt wird und für den daher gerade keine allgemeinen Erfahrungssätze bestehen40 • Zwar hat der BGH den prima-facie-Beweis hier in einem Fall grundsätzlich für anwendbar erklärt41 • Indessen kann diese Rechtsprechung als durch spätere Entscheidungen überholt angesehen werden. Denn der BGH hat inzwischen mehrfach erklärt, daß im Interesse der Selbstbestimmung des Patienten strengste Anforderungen an den Nachweis der hypothetischen Einwilligung zu stellen seien42 und daß es zu Lasten des eigenmächtig handelnden Arztes gehen müsse, wenn ungewiß bleibe, ob der Patient die Einwilligung zu einem Eingriff erteilt hätte oder nicht 43 • Insbesondere könne sich der Tatrichter seine überzeugung von der hypothetischen Einwilligung noch offenlassend OLG Celle, NJW 1978, 593, 594. - Für den Fall, daß sich ein Operationsrisiko erst während des Eingriffs ergibt, hat diese Rechtsansicht inzwischen auch die Billigung des BVerfG erfahren (vgl. BVerfG NJW 1979, 1925, 1929). 38 Vgl. OLG Bremen, VersR 1954, 63, 64; Uhlenbruck, NJW 1965, 1064. 39 Vgl. Kuhlendahl, Dt. Ärztebl. 1978,2005. 40 Vgl. BGH LM ZPO § 286 (C) Nr. 11; VersR 1961, 610, 611; a. A. Münch Komm-Mertens, § 823 Rdnr. 460; Jauernig, § 50 V, der in der 15. Aufl. 1970 noch die hier vertretene Auffassung teilte. 41 BGH VersR 1957, 408, 409; ebenso Weitnauer, Betrieb 1961, Beil. 21, 7; vgl. auch Dunz, S. 15 u. 17. 42 Vgl. BGH NJW 1976, 365; ebenso Dunz, S. 17; Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S. 294; Stürner, NJW 1979,2335. 43 Vgl. BGHZ 29, 176, 187; BGH NJW 1973, 1688, 1689. Dies gilt nach Ansicht des BGH jedoch nicht bei einer fehlgeschlagenen Sterilisation (Rekanalisation nach beiderseitiger Tubenligatur), vor deren Durchführung der Arzt nicht deutlich genug oder überhaupt nicht auf die Versagerquote hingewiesen hat, weil es in diesem Fall nicht um den prävalenten Grundsatz der Selbstbestimmung gehe. Nach Auffassung des BGH obliegt hier vielmehr den klagenden Eheleuten der Beweis, daß eine ordnungsmäßige Beratung sie zu einem Verhalten veranlaßt hätte, das die erneute Empfängnis verhindert hätte (BGH NJW 1981, 630, 632; 1981, 2002, 2004 = JR 1981, 499 ff. mit insoweit zust. Anm. G. Fischer). Diese Rechtsprechung unterstellt jedoch stillschweigend und ohne in den konkreten Fällen ausreichende Anhaltspunkte dafür besessen zu haben, daß die Patientin sich auch dann zu einer Sterilisation entschlossen und in den Eingriff eingewilligt hätte, wenn sie ordnungsgemäß über die Versagerquote belehrt worden wäre. Insoweit trägt aber gerade der Arzt die Beweislast.
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2. Teil. C. Beweisfragen bei Aufklärung und Einwilligung
nicht aufgrund der Erwägung bilden, daß die große Mehrzahl der Patienten oder daß alle "verständigen Patienten" so gehandelt hätten44 • Zwar hat die Rechtsprechung bei der Frage, wo die Aufklärungspflicht des Arztes ihre Grenzen findet, auf die Sicht des verständigen Patienten abgestellt 45 • War danach aber eine Aufklärung geboten, die der Arzt pflichtwidrig unterlassen hat, so kann er sich nach Ansicht des BGH nicht auf die Erfahrungen mit dem gesamten Patientengut auch dafür berufen, daß sich der Patient ebenso bei sachgemäßer Aufklärung zur Operation entschlossen hätte 46 • Denn dadurch würde die Entscheidungsfreiheit des Patienten rechtswidrig unterlaufen. Dabei nimmt die Rechtsprechung um der Selbstbestimmung des Patienten willen bewußt in Kauf, daß der Arzt, der seiner Aufklärungspflicht nicht nachgekommen ist, in der Regel in eine fast aussichtslose Beweislage gerät. Gerade der zuletzt genannte Gesichtspunkt verdeutlicht, daß der praktische Unterschied zwischen der Auffassung der Rechtsprechung und der der herrschenden Lehre gering ist. Bei einer vorsichtigen Handhabung dieses Beweises ist jedoch nicht einzusehen, warum er insgesamt unzulässig sein so1l47. Allerdings kann man im Rahmen der Beweiswürdigung nicht schon davon ausgehen, daß der geschädigte Patient dem Rat des aufklärungspflichtigen Arztes gefolgt wäre, wenn es keine Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme gibt 48 • Ebensowenig ist eine nach § 287 ZPO festgestellte erhebliche Wahrscheinlichkeit zum Beweis der hypothetischen Einwilligung ausreichend 49 • Vielmehr muß das in Art. 2 Abs. 2 GG verbürgte Selbstbestimmungsrecht des Patienten unangetastet bleiben. Mit Recht lehnt der BGH es daher ab, diese Frage an dem objektiven Maßstab des verständigen Patienten zu messen. Denn es wäre mit der Entscheidungsfreiheit des Patienten unvereinbar, wenn er nach den Maßstäben Dritter "vernünftig" sein müßte 50 • Aus diesem Grund kann auch einer Entscheidung des OLG Vgl. BGH NJW 1980, 1333, 1334; ähnlich BGH NJW 1980, 2751, 2753. Vgl. BGHZ 29, 46, 60; BGH NJW 1972, 335, 337. 46 Vgl. hierzu und zum folgenden BGH NJW 1980, 1333, 1334. 47 Ebenso für die Zulässigkeit dieses Einwandes: MünchKomm-Mertens, § 823 Rdnr. 457; Weitnauer, Betrieb 1961, Beil. 21, 8; Kleinewefers, VersR 1963, 303; Dunz, S. 17; StolI, AcP 176, 159 FN. 43; Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S. 292 ff.; Laufs, NJW 1979, 1233 u. in: Jung / Schreiber, Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, S. 86 f.; Stürner, NJW 1979, 2335; vgl. ferner Esser / Schmidt, § 33 III 2. 2. 48 So aber allgemein formuliert - Musielak, S. 180 (krit. zu BGH NJW 1973, 1688 f.). 49 So aber Hanau, S. 138, 142 u. 145. Danach kann der Schädiger, der die Beweislast für einen hypothetischen Kausalverlauf trägt, diesen Beweis gemäß § 287 ZPO führen. Dagegen zutreffend Wahrendorf, S. 50. 50 Vgl. die abweichende Meinung der Richter Hirsch, Niebier und Steinberger zu BVerfG NJW 1979, 1925, 1932. 44
45
I. Verteilung der Beweislast
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Karlsruhe 51 nicht zugestimmt werden, wonach eine Aufklärungspflicht des Arztes dann nicht bestehen soll, "wenn der Patient ZUr Behebung eines lebensbedrohenden Zustandes mit der Vornahme einer Operation einverstanden ist, da jeder vernünftige Mensch in einer derartigen Lage auch bei Kenntnis der Gefahr einer Schädigung seine Einwilligung erteilen würde". Hier hatte sich die Notwendigkeit zu dem angeblich lebensrettenden Eingriff (Abszeßinzision ZUr Beseitigung einer Schwellung an der rechten Halsseite, bei der - wie das Gericht unterstellt der nervUS accessorius durchtrennt wurde) nämlich keineswegs unvorhergesehen herausgestellt52 • Vielmehr wäre noch genügend Zeit für ein Aufklärungsgespräch verblieben. Daher liefe eine Einschränkung der Aufklärungspflicht, wie sie diese Entscheidung vornimmt, auf das unhaltbare Ergebnis hinaus, daß das Selbstbestimmungsrecht des Patienten unabhängig von der zeitlichen Dringlichkeit des Eingriffs um so stärker eingeschränkt werden darf, je ernstlicher er erkrankt ist 53 • Das Urteil des OLG Karlsruhe steht jedoch - wie dargelegt - nicht mit der Rechtsprechung des BGH in Einklang. Für die Zulässigkeit des Einwandes des rechtmäßigen Alternativverhaltens spricht VOr allem der Gedanke von Treu und Glauben: Der Arzt soll nicht unter allen Umständen und selbst dann zum Ersatz verpflichtet sein, wenn der Patient auch ohne die Aufklärungspflichtverletzung denselben Schaden erlitten hätte 54 • Ähnliche Gesichtspunkte spielen auch bei der Berücksichtigung des Vorteilsausgleichs eine Rolle. Läßt sich seitens des Arztes der Beweis der hypothetischen Einwilligung aufgrund der Gestaltung des Einzelfalles ausnahmsweise einmal führen, so wäre es unbillig, ihm diese Möglichkeit von vornherein abzuschneiden. Der BGH hat diesen Einwand - soweit ersichtlich überhaupt erst in zwei Fällen als bewiesen angesehen 55 • In dem im Jahre 1965 entschiedenen Fall hatte sich der Kläger von dem beklagten Augenarzt wegen des Einwärtsschielens eines Auges operieren lassen. Vor dem Eingriff hatte es der Arzt unterlassen, den Kläger darüber aufzuklären, daß ein erneutes Einwärtsschielen des Auges nicht auszu51 VersR 1978, 769, 770 (zu Unrecht unter Berufung auf BGH VersR 1959, 319, 320). 52 Nur wenn die sofortige Operation zur Abwendung einer unmittelbaren Lebensgefahr erforderlich ist, braucht der Arzt mit der Aufklärung und Einwilligung nicht viel Umstände zu machen (vgl. BGH VersR 1959, 319, 320; NJW 1966, 1855, 1856; st. Rspr.). 53 Vgl. die abweichende Meinung der Richter Hirsch, Niebier und Steinberger zu BVerfG NJW 1979, 1925, 1931. 54 Vgl. Kleinewefers, VersR 1963, 303; Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S.293. 55 BGH NJW 1965, 2005, 2007; VersR 1979, 1012, 1013. Der von den Gerichten theoretisch zugelassene Beweis wird also praktisch kaum wirksam (ähnlich MünchKomm-Mertens, § 823 Rdnr. 423; Deutsch, VersR 1981,293).
9 Franzki
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2. Teil. C. Beweisfragen bei Aufklärung und Einwilligung
schließen sei. Nachdem das Auge nach der Operation in die ursprüngliche Schielstellung zurückgefallen war, behauptete der Kläger im Prozeß, daß er bei sachgerechter Aufklärung auf den Eingriff verzichtet hätte. Diese Behauptung sah der BGH angesichts der Tatsache als widerlegt an, daß der Kläger das Auge erneut hatte operieren lassen, nachdem es nach dem ersten Eingriff wieder in Schielstellung gegangen war. Der Umstand, daß der BGH bewußt vorsichtig in der Annahme einer hypothetischen Einwilligung ist, zeigt ebenso wie dieses Beispiel, daß das Selbstbestimmungsrecht des Patienten allein durch die Zulassung dieses Einwandes noch nicht ausgehöhlt wird. Allerdings sollte der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens nur in den - sicherlich auch in Zukunft wenigen - Fällen durchgreifen, in denen das Gericht zu der vollen überzeugung gelangt, daß dieser Patient im damaligen Zeitpunkt auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung mit Sicherheit in die Behandlung eingewilligt hätte 56 . Außerdem ist er nur gegenüber dem auf die Gesundheitsbeschädigung gestützten Schadensersatzanspruch zu beachten, nicht dagegen, soweit der Patient eine Entschädigung für die Mißachtung seiner Entscheidungsfreiheit verlangt57 • Schließlich wird bei einem behutsamen Umgang mit diesem Einwand auch die Garantieund Sanktionierungsfunktion der Schadenszuweisung trotz möglich gewesenen rechtmäßigen Alternativverhaltens58 nicht auf unerträgliche Weise untergraben.
11. Beweisführungsmöglichkeiten für den Arzt Als Ausgangspunkt ist festzuhalten, daß weder die Aufklärung noch die Einwilligung oder ihr etwaiger Widerruf an eine bestimmte Form gebunden sind. Wie der BGH59 betont, darf das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht von Rechts wegen durch rechtsgeschäftliche Formen belastet werden. Die Schriftform sei auch nicht etwa erforderlich, um die Patienten vor übereilten Entschlüssen zu bewahren. Die Rechtsprechung hat zwar die Anforderungen an die Aufklärungspflicht in den letzten drei Jahrzehnten - abgesehen von einigen Entscheidungen aus der letzten Zeit - immer höher geschraubt60 . Sie hat den Ärzten jedoch bisher keinen praktikablen Weg 56 So bereits OLG Bremen, VersR 1954, 63, 64 (m. w. N.); vgl. auch Kleinewefers, VersR 1963, 303; Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S. 293; Münch Komm-Mertens, § 823 Rdnr. 457. 61 Vgl. Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S. 292; Laufs, in: Jung / Schreiber, Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, S. 87. 58 Diese betont Deutsch, S. 175. 59 NJW 1976, 1790, 1791.
11. Beweisführungsmöglichkeiten für den Arzt
131
gewiesen, wie sie den Inhalt solcher Aufklärungsgespräche, die nach den heutigen Anforderungen oft sehr ins einzelne gehen müssen, noch nach Jahren beweisen können, wenn der Patient das Aufklärungsgespräch entweder insgesamt oder in den Details bestreitet. Dieses Bestreiten von seiten des Patienten wird oft in gutem Glauben geschehen, auch wenn es objektiv der Wahrheit nicht entspricht. Denn häufig wird sich auch der Patient nach Jahren nicht mehr an die Einzelheiten erinnern. Aber selbst wo keine so hohen Anforderungen an das Gedächtnis gestellt werden, haben Versuche, bei denen - mit Zustimmung der Patienten - der Inhalt des Aufklärungsgesprächs vollständig auf Tonband aufgezeichnet war und der Patient nur wenige Wochen später nach diesem Gespräch befragt worden ist, erstaunliche Ergebnisse gezeitigt61 • Eine Reihe von Patienten konnte sich schon jetzt an ein solches Gespräch überhaupt nicht mehr erinnern. Andere bestritten zwar das Gespräch als solches nicht, gaben aber - objektiv wahrheitswidrig - dem Gespräch einen völlig anderen Inhalt, indem sie vor allem leugneten, Hinweise auf Risiken und mögliche Komplikationen oder geringe Erfolgsaussichten erhalten zu haben. Um so mehr erinnerten sie sich an die Gesprächspassagen, in denen ihnen der Arzt Mut gemacht hatte, sich der Behandlung zu unterziehen, und es gab dabei Patienten, die sogar eine - tatsächlich eindeutig nicht gegebene - Erfolgsgarantie für die in Aussicht genommene Behandlung aus den Worten des Arztes entnommen haben wollten. Das zeigt, daß viele Patienten einfach nicht in der Lage sind, solche Gespräche wirklich aufzunehmen, von deren Inhalt ihre Entscheidung abhängig zu machen und diese Vorgänge längere Zeit im Gedächtnis zu bewahren. Vermutlich spielt dabei nicht einmal die intellektuelle Komponente die ausschlaggebende Rolle. Je schwerer die Krankheit und je tiefer der vom Arzt empfohlene Eingriff ist, desto weniger sind auch intellektuell überdurchschnittliche Patienten oft wirklich in der Lage, von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch zu machen, Behandlungsalternativen abzuwägen, Risiken richtig einzuschätzen und eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. In Wahrheit wünschen sie in diesem Zeitpunkt, in dem sie noch Vertrauen zu ihrem Arzt haben, daß der Arzt ihnen diese Entscheidung abnimmt. Aus diesen Gründen verdrängen sie in ihrer Hoffnung auf Heilung oft Hinweise auf Risiken und Komplikationen, ja selbst die Kenntnis von dem erhobenen Befund, und unterlassen es ängstlich, weiterführende Fragen zu stellen, deren Beantwortung ihr Hoffen auf Genesung beeinVgl. dazu die eingehende Darstellung von Tempel, NJW 1980, 609 ff. Die folgenden Angaben beruhen auf einer Information der ZDF-Sendung "Gesundheitsmagazin Praxis" v. 2. 6. 1980. 80
81
9'
132
2. Teil. C. Beweisfragen bei Aufklärung und Einwilligung
trächtigen könnte. Selbst erfahrene Ärzte verhalten sich als Patienten in der Regel nicht anders 62 • Es ist schwer für den Arzt, sich auf diese Situation einzustellen und gleichwohl ein Aufklärungsgespräch zu führen, das den Anforderungen der Rechtsprechung genügt, sich zugleich aber auch die Möglichkeit zu sichern, den Inhalt des Gesprächs noch nach Jahren in allen Einzelheiten beweisen zu können. Schon der Arzt selbst ist ohne schriftliche Gedächtnisstützen oft nicht in der Lage, sich zuverlässig an den Gesprächsinhalt und die Gesprächssituation zu erinnern, war es doch für ihn vor dem Eingriff, vor den eingetretenen Komplikationen, vor dem Vertrauensverlust bei dem Patienten, der schließlich zum Rechtsstreit geführt hat, meist nur ein Fall unter vielen, an den er sich kaum noch erinnern kann63 • Er weiß deshalb oft nur zu sagen, wie er üblicherweise in solchen Fällen seiner Aufklärungspflicht genügt hat, worin die Gerichte mitunter nicht einmal eine genügende tatsächliche Behauptung, die dem Beweise zugänglich ist, erblicken. Ähnlich verhält es sich mit Personen, die als Dritte das Aufklärungsgespräch mit angehört haben, gleichgültig, ob sie vom Arzt bewußt zugezogen worden sind oder zufällig zugegen waren. Auch sie sind erfahrungsgemäß meist nicht in der Lage, als Zeugen noch nach Jahren aus zuverlässiger Erinnerung Einzelheiten des Gesprächs zu bekunden. Nachgeordnete Medizinalpersonen wie Stationsärzte, Schwestern, Pfleger oder Arzthelferinnen wissen deshalb ohne Erinnerung an den Einzelfall oft ebenfalls nur zu bekunden, wie sich der beklagte Arzt üblicherweise verhalten und mit welchem Inhalt er gewöhnlich solche Gespräche geführt hat. Auf solche Beweismittel kann sich der Arzt mithin nicht verlassen, ganz abgesehen von der Gefahr, daß das Gericht ihnen keinen Glauben schenkt, weil sich diese Personen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem Arzt befinden oder befunden haben 64 • Der zweifellos zuverlässigste Weg, sich für später den Beweis zu sichern, wäre ohne Frage die Tonbandaufzeichnung des Gesprächs 65 , die selbstverständlich nur mit Zustimmung des Patienten zulässig wäre (vgl. § 201 StGB). Dies insbesondere auch deshalb, weil das aufklärende Gespräch zwischen Arzt und Patient in der Regel unter vier Augen, 52
63
Vgl. Wachsmuth / Schreiber, FAZ v. 3. 10. 1980, S. 1l.
s. o. 2. Teil A. 111.
64 Dunz, S. 16, fordert die Gerichte ausdrücklich auf, "Zeugen aus dem ärztlichen Team gelegentlich auch nicht zu glauben" (s. o. 2. Teil A. IH., FN. 44). Vgl. auch BGH NJW 1976, 1790, 1791 f. es Diese empfiehlt uneingeschränkt Kohlhaas, S. 125 f., "in besonderen Fällen" auch Laufs, Rdnr. 73 u. NJW 1976,1123.
Ir. Beweisführungsmöglichkeiten für den Arzt
133
also ohne Zeugen, stattfindet. Indessen zeigt allein die Vorstellung, der Arzt könne am Vorabend einer Operation mit dem Tonbandgerät an das Krankenbett des Patienten treten und müßte ihm zunächst einmal sein Verhalten erklären, wie indiskutabel dieser Weg ist. Er würde in aller Regel gerade in dem entscheidenden Zeitpunkt zu einer schweren Belastung des Vertrauensverhältnisses zwischen Patient und Arzt führen 66 • Die Rechtsprechung sollte sich davor hüten, die Ärzteschaft auf solche (Ab-)Wege zu drängen. So bleibt am Ende nur noch die schriftliche Aufzeichnung des wesentlichen Gesprächsinhalts, sei es, daß sie vom Arzt oder Krankenhausträger vorformuliert und durch die Unterschrift des Patienten unter seine Einwilligungserklärung mitabgedeckt wird, sei es, daß der Arzt ohne Gegenzeichnung durch den Patienten eine entsprechende Eintragung in den Krankenpapieren vornimmt 67 • Die seit Jahren in vielen Krankenanstalten gebräuchlichen Formulare, in denen der Patient nach einem Standardtext ohne Bezug auf den Einzelfall bestätigt, über Art, Tragweite und Risiken des gar nicht näher bezeichneten Eingriffs aufgeklärt worden zu sein, und seine Einwilligung in jegliche medizinisch indizierte Art der Behandlung erklärt, ist schlechterdings wertlos 68 • Aber auch wenn der Patient bestätigt, er sei über die möglichen Auswirkungen des bei ihm vorgesehenen bestimmten Eingriffs aufgeklärt worden, so kann sich das mangels eigener Sachkenntnis nur auf die beziehen, die ihm der Arzt als möglich hingestellt hat 69 • Daher bleibt der Nachweis, welche das gewesen sind, weiterhin Sache des Arztes. Soweit die Aufnahmebestimmungen einzelner Krankenhäuser die Haftung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler beschränken oder gar ausschließen, bedarf es keiner weiteren Begründung, daß diese Klauseln unwirksam sind; denn sie verstoßen gegen die guten Sitten und den Grundsatz von Treu und Glauben (§§ 138, 242BGB)1° . . Bedenken bestehen aber auch gegen eine Art der Aufklärung, bei der dem Patienten Broschüren oder umfangreiche Merkblätter ausge68 Ebenso ablehnend Tempel, NJW 1980, 616; MünchKomm-Mertens, § 823 Rdnr.460. 67 Einen überblick über die verschiedenen derzeit verwendeten Formulare und Merkblätter gibt Wawersik, in: Jung / Schreiber, Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, S. 98 ff. 88 Vgl. Kohlhaas, S. 84; Dunz, S. 17; Deutsch / Brandenburg, S. 564; vgl. auch BGH NJW 1971, 1887, 1888. 69 Vgl. OLG Celle, NJW 1979, 1251, 1252; Laufs, Rdnr. 71 f. u. NJW 1976, 1123. 70 Vgl. OLG Stuttgart, NJW 1979, 2355, 2356 (m. w. N.); a. A. Giesen, Arzthaftungsrecht, S. 140.
134
2. Teil. C. Beweisfragen bei Aufklärung und Einwilligung
händigt werden, aus denen er sich (zunächst) selbst über sein Leiden, die Art des empfohlenen Eingriffs, dessen Notwendigkeit, Tragweite und Risiken sowie die Folgen einer unterlassenen oder möglichen anderen Behandlung unterrichten soll. Derartige Dokumentenbücher werden in amerikanischen Krankenhäusern seit ca. zehn Jahren verwendet 71 • Nachdem Weissauer als Referent auf dem 52. Deutschen Juristentag 1978 in Wiesbaden eine solche "Basisaufklärung" vorgeschlagen hatte 72 , die einem anschließenden Aufklärungsgespräch des Arztes mit dem Patienten vorangehen sollte, hat auch ein deutscher medizinischer Verlag 73 unter Mitwirkung von Ärzten und Juristen eine große Zahl solcher Merkblätter zur Basisaufklärung entwickelt. Allein für die Patientenaufklärung in der allgemeinen Chirurgie liegen ca. 60 Merkblätter von jeweils vier Seiten im Format DIN A 4 vor. Es ist durchaus anzuerkennen, daß man sich hier um einen verständlichen Text, der oft durch zusätzliche graphische Darstellungen erläutert und in sechs Fremdsprachen angeboten wird, bemüht hat. Dennoch bestehen erhebliche Zweifel, ob diese Merkblätter ihren Zweck wirklich erfüllen können und geeignet sind, die Situation der Ärzte wesentlich zu verbessern. Gerade weil sich die Merkblätter um eine nahezu perfekte Information bemühen, besteht die Gefahr, daß sie manchen Patienten doch mehr verwirren als unterrichten und daß sie die Aufnahmefähigkeit vieler Patienten gerade in der besonderen Situation des klinischen Aufenthalts vor einer Operation überschätzen74 • Es läßt sich nicht ausschließen, daß sie bei den Patienten ein generelles Mißtrauen wecken, und es wird sicherlich auch Patienten geben, die diese Blätter als "Horrorkatalog" auffassen und deshalb die Einwilligung in den ärztlich gebotenen Eingriff aus irrationalen Gründen ablehnen75 • Auch KuhlendahF6 wendet sich zu Recht dagegen, nach dem Motto "lieber zuviel Aufklärung als zuwenig" ständig "den Teufel an die Wand zu malen". Außerdem muß sich die Rechtsprechung überlegen, ob es wirklich wünschenswert ist, daß das "Kleingedruckte" in Formularen und Broschüren infolge der hohen Anforderungen an die Aufklärung gerade in diesem Bereich wieder an Boden gewinnt, während es anderenorts zur selben Zeit durch Gesetz zurückgedrängt wird 77 • 71 Vgl. dazu eingehend Kuhlmann, NJW 1973,2239 f. (zustimmend); Deutsch / Brandenburg, S. 566 (teilweise krit.). 7Z Verhandlungen des 52. Dt. Juristentages, Band 11, S. 143 f.; ebenso Schlund, JR 1978, 315 FN. 23 a; Laufs, Rdnr. 72 u. NJW 1976, 1123. 73 perimed-Verlag Erlangen. 74 Ebenso krit. Stürner, NJW 1979, 2336; Tempel, NJW 1980, 616. 75 Vgl. Deutsch, NJW 1978, 1660 u. VersR 1981,295. 78 Dt. Ärztebl. 1978, 2006. 77 Vgl. Weyers, S. 113; Wachsmuth / Schreiber, FAZ v. 3. 10. 1980, S. 11.
11. Beweisführungsmöglichkeiten für den Arzt
135
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß einige Kliniken inzwischen damit begonnen haben, in Kleingruppen eine audio-visuelle Aufklärung mit Filmkassetten durchzuführen78 • Daß hierbei der Abschreckungseffekt noch größer ist als bei der Verteilung von Broschüren, dürfte offensichtlich sein. Bei einer derartigen Brutalaufklärung wird das Kind endgültig mit dem Bade ausgeschüttet. Hier bewahrheitet sich wieder einmal der Satz, daß nicht alles, was technisch möglich ist, auch von Nutzen ist. Aber selbst wenn die Aufklärung durch Merkblätter und filmische Darstellung Zug um Zug gegen ein vom Patienten unterzeichnetes Revers dazu führte, die rechtliche Position der Ärzte zu verbessern, bleiben doch große Zweifel, ob mit ihnen aus ärztlich-ethischer Sicht der richtige Weg beschritten wird79 • Entscheidend wird in jedem Falle doch das individuelle Aufklärungsgespräch bleiben80 , das keinen standardisierten Inhalt haben kann. In ihm muß der Arzt auf die besondere psychosomatische Situation und Konstitution des einzelnen Patienten, auf seinen Bildungsgrad sowie seine Aufnahmefähigkeit und Belastbarkeit, auf das gerade hier vorliegende Erscheinungsbild der Krankheit, ihre Folgen bei vorgenommener und unterlassener Behandlung und die gerade im Einzelfall drohenden Risiken eingehen. Hierüber sollte der Arzt wenigstens in Stichworten einen Vermerk machen. Es dürfte sich kaum generell sagen lassen, ob solche Vermerke von dem Patienten zusammen mit seiner Einwilligungserklärung unterzeichnet werden sollten oder nicht. Auch in der ambulanten Behandlung des niedergelassenen Arztes sind Aufklärungsgespräche nötig, schriftliche Einwilligungserklärungen des Patienten aber weitgehend unüblich. Wo der Arzt auf eine Unterschrift des Patienten verzichtet, sollte er gleichwohl den Inhalt des Aufklärungsgesprächs in den Krankenpapieren stichwortartig vermerken81 • Es dürfte sich empfehlen, hierfür im Krankenblatt eine besondere Spalte "Zeitpunkt und Inhalt des Aufklärungsgesprächs" einzurichten. Ein solcher Vermerk, der zur unverdächtigen Zeit, also beispielsweise noch vor dem Eingriff, in 78 So die Information der ZDF-Sendung "Gesundheitsmagazin Praxis" v. 2. 6. 1980. 79 Ähnlich krit. Wachsmuth / Schreiber, FAZ v. 3.10.1980, S. 11 u. NJW 1981, 1985. Zu den ethischen Grundlagen der Aufklärungspflicht des Arztes vgl. insb. Deutsch, VersR 1981,294 ff. 80 Ebenso MünchKomm-Mertens, § 823 Rdnr. 444; Tempel, NJW 1980, 615 f.; Baumgärtel, Gedächtnisschrift für R. Bruns, S. 104; Linzbach, S. 137; Wawersik, in: Jung / Schreiber, Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, S. 97 u. 99; Wachsmuth / Schreiber, NJW 1981, 1985. 81 Vgl. d. Urt. d. OLG Stuttgart v. 7.6.1972 (Az. 1 U 2/72; nicht veröffentlicht); MünchKomm-Mertens, § 823 Rdnr. 460 (m. w. N.); Kohlhaas, S. 85; Laufs, Rdnr. 73 u. NJW 1976, 1123; Dunz, S. 16; Tempel, NJW 1980, 616.
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2. Teil. C. Beweisfragenbei Aufklärung und Einwilligung
einem auch allgemein sorgfältig geführten Krankenblatt vorgenommen worden ist, kann die Beweisposition des Arztes erheblich verbessern. Auch wenn er sich dies nicht unterschreiben läßt, ist nämlich keineswegs ohne weiteres anzunehmen, daß er diese Aufzeichnungen im Hinblick auf einen eventuellen späteren Prozeß wahrheitswidrig angefertigt hat. Obwohl der Arzt die Beweislast für die Aufklärung trägt, kann er hierdurch vielmehr einen solchen Grad von Wahrscheinlichkeit für seine Behauptung erreichen, daß er nach § 448 ZPO selbst als Partei über das Aufklärungsgespräch vernommen wird82 • Dem Arzt, der einigen Beweis für ein gewissenhaftes Aufklärungsgespräch erbracht hat, sollte im Zweifel geglaubt werden, daß die Aufklärung auch in der im Einzelfall gebotenen Weise geschehen ist83 •
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Vgl. Dunz, S. 16; BaumgärteI, Gedächtnisschrift für R. Bruns, S. 108. BGH NJW 1981, 2002, 2003; ähnlich Giesen, Arzthaftungsrecht, S. 133.
Dritter Teil
Beweislast im Arzthaftungsprozeß nach amerikanischem Recht Das Schwergewicht der Erörterung der Beweislastverteilung im amerikanischen Arzthaftungsprozeß soll - wie eingangs erwähnt auf den beiden Beweisregeln liegen, die in besonderem Maße von den im deutschen Arzthaftungsprozeß geltenden abweichen. Dabei ist es wegen der weitgehenden Übereinstimmung des Rechts der einzelnen Bundesstaaten der USA gerechtfertigt, das amerikanische Recht im Rahmen dieser Betrachtung als geschlossene Einheit zu behandeln. Einzelstaatliche Regelungen werden jedoch überall dort berücksichtigt, wo sie wesentlich von denen der übrigen Staaten abweichen.
A. Verteilung der Beweislast I. Allgemeiner Grundsatz Ebenso wie jeder Kläger im amerikanischen Zivilprozeß trägt auch der Patient im Arzthaftungsprozeß die Beweislast für das Vorliegen aller anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale 1 • Auf welche Umstände sich die Beweislast im einzelnen erstreckt, hängt daher auch im amerikanischen Recht von der Anspruchsgrundlage ab, auf die der Patient seine Klage stützt.
11. Mögliche Anspruchsgrundlagen 1. Vertraglidle Haftung
Der zwischen Patient und Arzt zustandekommende Vertrag ist ein Vertragstyp, der Elemente sowohl des deutschen Dienst- als auch des deutschen Werkvertragsrechts enthält (contract for work and labor). Dabei unterscheidet man zwei Vertragsarten, nämlich den ausdrücklichen Vertrag (express conttact) und den konkludent geschlossenen 1 Vgl. statt aller Prosser, S. 208 f. u. 241 f.; Morris / Moritz, S. 401 (jeweils m. w. N.); vgl. ferner aus der dt. Lit. Eisner, ZZP 80, 85.
138
3. Teil. A. USA: Verteilung der Beweislast
Vertrag (implied contractF. Allerdings liegt der Unterschied, wie sogleich darzulegen ist, nicht nur in der Abschlußform, sondern auch im Vertragsinhalt. Beide Ausgestaltungen - dies sei bereits vorausgeschickt - spielen im Zusammenhang mit der Arzthaftung nur eine untergeordnete Rolle. a) Express Contract
Ein ausdrücklicher Arztvertrag kommt zustande, wenn der Arzt dem Patienten mündlich oder schriftlich eine feste Zusage macht, sei es, daß er dem Kranken ganz allgemein Heilung verspricht, sei es, daß er einen bestimmten Behandlungserfolg zusichert3. Zu Vereinbarungen im zuletzt genannten Sinn kommt es vor allem mit Patienten, die sich einer kosmetischen Operation unterziehen wollen4 • Die Rechtsprechung nimmt einen express contract aber auch an, wenn der Arzt dem Patienten verspricht, er werde innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach der Operation aus dem Krankenhaus entlassen werden·. Für den klagenden Patienten bedeutet die Bejahung eines ausdrücklichen Vertrages durch das Gericht eine erhebliche Beweiserleichterung. Denn in diesem Fall ist er des Nachweises enthoben, daß der Arzt schuldhaft gegen die Regeln der ärztlichen Kunst verstoßen hat 6 • Er braucht lediglich zu beweisen, daß der versprochene Erfolg nicht eingetreten ist. Schon wegen des Vertragsgegenstandes - Garantie des Behandlungserfolges - , aber auch wegen der daraus resultierenden ungünstigen Beweislage kommt es nur recht selten zum Abschluß einer derartigen ausdrücklichen Vereinbarung. Hinzu kommt ferner, daß die meisten Arzthaftpflichtversicherungen bei einer Inanspruchnahme des Arztes wegen einer Vertragsverletzung (breach of contract) bei diesem Vertragstyp die Deckung versagen 7 •
b) Implied Contract Bei der Annahme eines konkludent geschlossenen Arztvertrages gehen die Gerichte davon aus, daß der Arzt gleichzeitig mit der über2 Vgl. Gruber, 6 Willamette L. J. 275; Bonebrake, 24 De Paul L. Rev. 213 f.; Birnbaum, 50 Ind. L. J. 362. 3 Vgl. Guilmet v. Campbell, 385 Mich. 57, 188 N. W. 2d 601 (1971); Dietz I Baird I Berul, Appendix zum HEW-Report, S. 127; Gruber, 6 Willamette L. J. 275; Birnbaum, 50 Ind. L. J. 362. 4 Vgl. z. B. Sullivan v. O'Connor, 296 N. E. 2d 183 (Mass. 1973). 5 Robins v. Finestone, 308 N. Y. 543, 127 N. E. 2d 330 (1955): Aufenthaltsdauer im Krankenhaus ein Monat statt - wie versprochen - zwei Tage. ft Vgl. Bonebrake, 24 De Paul L. Rev. 217. 7 Vgl. Birnbaum, 50 Ind. L. J. 367.
11. Mögliche Anspruchsgrundlagen
139
nahme der Behandlung stillschweigend garantiert, bei deren Durchführung die allgemein übliche ärztliche Sorgfalt anzuwendens. In der Beweislastfrage bringt ein solcher implied contract dem Patienten jedoch keine Vorteile; denn anders als beim express contract kann er Schadensersatz nur erhalten, wenn er u. a. nachweist, daß der Arzt gerade gegen diese Sorgfaltspflicht verstoßen hat. Außerdem ist hier bei einem auf eine Vertragsverletzung gestützten Anspruch sowohl die Gewährung eines Schmerzensgeldes (payment for pain and suffering) als auch die Verurteilung zu einer dem anglo-amerikanischen Recht eigentümlichen zivil rechtlichen "Strafe" (punitive damages) ausgeschlossen9 • Daß der Patient dennoch sehr wohl daran interessiert sein kann, seine Klage auf einen implied contract zu stützen, liegt vor allem daran, daß vertragliche Ansprüche in den meisten Bundesstaaten (teilweise erheblich) später verjähren als deliktische 1o . Während im 19. Jahrhundert die vertragliche Haftung des Arztes für eine schuldhafte Fehlbehandlung (malpractice) noch ganz im Vordergrund standi!, ist diese mit der Zeit von der Rechtsprechung immer stärker zugunsten der delikt ischen Haftung zurückgedrängt worden. Heute kann sich der Patient zur Begründung seiner malpractice-Klage nur noch in wenigen, überwiegend südlichen Staaten auf einen implied contract stützen12 , und es wird vorhergesagt, daß es nur eine Frage der Zeit sei, bis sich auch diese Staaten der Mehrheitsmeinung anschlössen13 • Die Gerichte der meisten Bundesstaaten verweigern dem klagenden Patienten inzwischen eine Berufung auf eine vertragliche Haftung des Arztes mit der Begründung, daß das Schwergewicht des Vorwurfs bei einer malpractice-Klage eindeutig in dem angeblichen Verstoß gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht und nicht in einer Vertragsverletzung liege l4 • Daraus folgt, daß auch der implied contract bei der Arzthaftung nur selten von Bedeutung ist.
Vgl. Bonebrake, 24 De Paul L. Rev. 214 (m. Rspr. Nachw.). Vgl. Colvin v. Smith, 276 App. Div. 9, 92 N. Y. S. 2d 794 (1949); Gruber, 6 Willamette L. J. 283; Armstrong, 22 S. C. L. Rev. 819. 10 Vgl. Gruber, 6 Willamette L. J. 280; Bonebrake, 24 De Paul L. Rev. 220; Birnbaum, 50 1nd. L. J. 364. 11 Vgl. Gruber, 6 Willamette L. J. 277. 12 Vgl. Gruber, 6 Willamette L. J. 279; Bonebrake, 24 De Paul L. Rev. 214 (jew. m. Rspr. Nachw.). 13 So Gruber, 6 Willamette L. J. 284. 14 Vgl. Harding v. Liberty Hospital Corp., 177 Ca!. 520, 171 P. 98 (1918); Barnhoff v. Aldridge, 327 Mo. 767, 38 S. W. 2d 1029 (1931); Colvin v. Smith, 276 App. Div. 9, 92 N. Y. S. 2d 794 (1949). 8
9
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3. Teil. A. USA: Verteilung der Beweislast 2. Deliktische Haftung
Aufgrund der bisherigen Ausführungen ist bereits deutlich geworden, daß die gesamte Arzthaftung bis auf wenige Ausnahmen dem Recht der unerlaubten Handlung (law of torts) unterstellt ist. Da dieses nur in einem sehr geringen Teil kodifiziert ist, beruht das Arzthaftungsrecht weitestgehend auf den aus England übernommenen Regeln des common law, also des Fallrechts (case law), dessen Weiterentwicklung in den Händen der Rechtsprechung liegt. Mit dieser Qualifizierung ist jedoch noch nichts darüber ausgesagt, welche Anspruchsgrundlagen im Arzthaftungsprozeß im einzelnen Anwendung finden können. So wird beispielsweise eine Operation, die der Arzt ohne wirksame Einwilligung des Patienten vornimmt, von einem Teil der Rechtsprechung als Körperverletzung (technical battery) angesehen15 • Demgegenüber kann das bewußte Verschweigen wesentlicher Auswirkungen der beabsichtigten Behandlung den Haftungsgrund des Betruges (fraud) erfüllen16 • In all den Fällen, in denen dem Arzt eine Behandlung contra legern artis vorgeworfen wird, kommt jedoch ausschließlich eine Haftung aus dem Rechtsgrund der Fahrlässigkeit (action for negligence) in Betracht17 • Dieser Haftungstatbestand steht bei der Arzthaftung derart im Vordergrund, daß die Begriffe negligence und malpractice häufig als Synonyme benutzt werden18 , obwohl die professional negligence in Wahrheit nur ein Unterfall der malpractice ist. Dabei ist negligence mit "Fahrlässigkeit" nur sehr unvollkommen übersetzt; denn dieser Begriff bezeichnet nicht nur eine Verschuldensform, sondern umfaßt u. a. gleichzeitig die Feststellung der objektiven Pflichtwidrigkeit eines bestimmten Verhaltens. Der Sorgfaltsmaßstab, an dem sich der Arzt messen lassen muß, wird dabei wie folgt definiert: "A doctor is required to use that degree of skill and diligence employed by the ordinary, prudent practitioner in his field and community, or in similar communities at the timei'." 15 Vgl. Berkey v. Anderson, 1 Cal. App. 3d 790, 82 Ca!. Rptr. 67 (1970); Cobbs v. Grant, 8 Cal. 3d 299, 104 Ca!. Rptr. 505, 502 P. 2d 1 (1972); Shapo, S. 316; Kopple, 16 De Paul L. Rev. 432; vgl. hierzu eingehend unten 3. Teil
C.I.
Vgl. Carp v. Cooley, 349 F. Supp. 827 (1972); Shapo, S. 316. Vgl. statt aller Johnston v. Rodis, 151 F. Supp. 345 (D. C. 1957); Mayor v. Dowsett, 240 Ore. 196,400 P. 2d 234 (1965); Shapo, S. 316; 70 C. J. S. § 62 b Physicians and Surgeons (m. w. N.). 18 Vgl. Rhodes v. De Haan, 184 Kan. 473, 337 P. 2d 1043 (1959); Sagall / Reed, S. 141; Bonebrake, 24 De Paul L. Rev. 212; Shapo, S. 316. 111 Clark v. United States, 402 F. 2d 950 (4th Cir. 1968) m. w. N.; vgl. ferner Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEW-Report, S. 123; Vidrine, 33 La. L. Rev. 431 f. 18
17
11. Mögliche Anspruchsgrundlagen
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Neben einem Verstoß gegen die so umschriebene übliche ärztliche Sorgfalt ist zur Bejahung des Haftungstatbestandes negligence weiterhin erforderlich, daß der Patient auch tatsächlich einen Schaden erlitten hat und daß dieser Schaden auf dem Pflichtverstoß beruht (direct or proximate cause)2°. Da der Patient - wie eingangs erwähnt - die Beweislast für alle anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale trägt, bestimmen die Voraussetzungen dieses Haftungsgrundes gleichzeitig auch den grundsätzlichen Umfang der Beweislast bei der Erhebung einer malpracticeKlage. Danach obliegt dem klagenden Patienten der Beweis, (1) welchem Sorgfaltsmaßstab der beklagte Arzt bei der Behandlung unterworfen war, (2) daß er diesen Anforderungen nicht entsprochen hat, (3) daß bei ihm - dem Kläger - ein Schaden eingetreten ist und (4) daß das sorgfaltswidrige Verhalten des Beklagten diesen Schaden verursacht hat 21 • Hat nicht der Arzt selbst, sondern einer seiner Verrichtungsgehilfen, z. B. eine Sprechstundenhilfe oder ein Assistent, die Gesundheitsschädigung schuldhaft verursacht, so muß der Patient in dem Prozeß gegen den Arzt beweisen, daß diese den Haftungsgrund der negligence erfüllt haben; denn nach der "doctrine of respondeat superior" haftet der Arzt ohne Entlastungsmöglichkeit für Pflichtverstöße seiner Verrichtungsgehilfen22 • Deren eigene Verantwortlichkeit für ihr Tun bleibt davon allerdings unberührt 23 • Dieses Prinzip findet ebenso Anwendung in dem Verhältnis zwischen dem Krankenhausträger und seinen weisungsgebundenen Angestellten wie Krankenschwestern und Medizinalpraktikanten24 • Ob der Krankenhausträger danach auch für Behandlungsfehler seiner angestellten Ärzte einzustehen hat, ist jedoch umstritten25 • Die wohl überwiegende Ansicht stellt auch hier auf die Kontrollmöglichkeit der Klinikverwaltung ab 26 und verneint die Frage für den Fall, daß der Krankenhausarzt bei seiner ärztlichen Tätigkeit nicht an Weisungen des Krankenhausträgers gebunden ist. Vgl. Prosser, S. 143; Zweigert / Kötz, S. 329 f. Vgl. Ewing v. Goode, 78 F. 442, 228 U. S. 233 (1897); Johnston v. Rodis, 151 F. Supp. 345 (D. C. 1957) m. w. N.; Sagall / Reed, S. 141 f.; Morris / Moritz, S. 401; Vidrine, 33 La. L. Rev. 431; Floyd, 21 Okla. L. Rev. 177; Salvagio, 8 Wake Forest L. Rev. 475. 22 Vgl. Delaney v. RosenthaI, 347 Mass. 143, 196 N. E. 2d 878 (1964); Curran / Shapiro, S. 552; Note, 60 Nw. U. L. Rev. 867 f.; Newman, 16 Wayne L. Rev. 1142; Vidrine, 33 La. L. Rev. 431 (jeweils m. w. N.). 23 Vgl. Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEW-Report, S. 125. 24 Vgl. Bernardi v. Community Hospital Association, 443 P. 2d 708 (Colo. 1968) m. w. N. 25 Vgl. Bernardi v. Community Hospital Association, 443 P. 2d 708 (Colo. 1968). 26 Vgl. Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEW-Report, S. 125. 20
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3. Teil. A. USA: Verteilung der Beweislast
Ein Sonderfall der Haftung für Krankenhausbedienstete ergibt sich, wenn es bei einer Operation zu einem Zwischenfall kommt, die unter der Leitung eines von dem Krankenhausträger unabhängigen Arztes steht. Hier haftet der verantwortliche Operateur auch für Pflichtverstöße des Klinikpersonals 27 • Die Gerichte begründen diese Abweichung von der Grundregel damit, daß der leitende Arzt in dieser Situation die alleinige Kontroll- und Weisungsbefugnis im Operationssaal ausübe. Die Sonderregel bezeichnet man recht anschaulich als die "captain of the ship" doctrine 28 • Sie findet allerdings keine Anwendung in dem Verhältnis zwischen dem Chirurgen und dem Anästhesisten, weil letzterer selbstverantwortlich an der Operation teilnimmt 29 .
III. Beweismaß Im anglo-amerikanischen Recht ist das Beweismaß, das der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit des deutschen Rechts entspricht, auf den Strafprozeß beschränkt. Nur hier bedarf es eines überzeugungsgrades, bei dem jeder vernünftige Zweifel ausgeschlossen ist (proof beyond a reasonable doubt)30. Im Zivilprozeß - und damit auch im Arzthaftungsprozeß - gilt dagegen das Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (preponderance of the evidence)31. Auch wenn einzelne Gerichte einen höheren überzeugungs grad verlangen (z. B. clear and convincing evidence, substantial evidence oder showing of strong probability)32, so reicht es doch in der Regel aus, wenn der klagende Patient das Vorliegen der von ihm zu beweisenden Tatsachen "nach den gegebenen Wahrscheinlichkeiten" (on a balance of probabilities) beweist33 • Ebenso häufig findet sich in amerikanischen Entscheidungen die "more probable than not"-FormeP4, die nichts anderes be21 Vgl. Ybarra v. Spangard, 25 Cal. 2d 486, 154 P. 2d 687, 162 ALR 1258 (1944); Curran / Shapiro, S. 552; Newman, 16 Wayne L. Rev. 1142 f.; Vidrine, 33 La. L. Rev. 431 (jeweils m. w. N.). 28 Vgl. McConell v. Williams, 361 Pa. 355, 65 A. 2d 243 (1949). Sie ist auch als "borrowed servant" doctrine bekannt (vgl. Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEW-Report, S. 126). 29 Vgl. Dohr v. Smith, 104 So. 2d 29 (Fla. 1958); Curran / Shapiro, S. 552 f.; Vidrine, 33 La. L. Rev. 431; Note, 60 Nw. U. L. Rev. 868. 30 Vgl. statt aller Commonwealth v. Radford, 428 Pa. 279, 236 A. 2d 802 (1968); vgl. ferner Maassen, S. 39. 31 Vgl. Johnston v. Rodis, 151 F. Supp. 345 (1957); Farnsworth, S. 105; Wigmore, § 2498; Curran / Shapiro, S. 477; Prosser, S. 208 u. 34 Cal. L. Rev. 194; Vidrine, 33 La. L. Rev. 431; Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEWReport, S. 123. 32 Vgl. 70 C. J. S. Physicians and Surgeons § 62 d (1) m. zahlr. Rspr. Nachw. 33 Vgl. statt aller Seneris v. Haas, 45 Cal. 2d 811, 291 P. 2d 915 (1955) m. w. N.; Prosser, 37 Ca!. L. Rev. 195; vg!. ferner Stoll, AcP 176, 179.
IV. Rolle der Geschworenen im Prozeß
143
sagt. Für ein obsiegendes Urteil genügt es also, wenn der Patient den Beweis erbringt, daß der bei ihm eingetretene Gesundheitsschaden wahrscheinlich auf einem Pflichtverstoß des beklagten Arztes beruht und nicht auf einer anderen Ursache, die dieser nicht zu vertreten hat. Theoretisch reicht insoweit eine Wahrscheinlichkeit von lediglich 51 Prozent aus 35 • Erst wenn der Patient diesen Überzeugungsgrad nicht vermitteln kann und ihm bestenfalls der Beweis gelingt, daß seine Schädigung gleichermaßen durch einen Behandlungsfehler wie durch einen anderen vom Beklagten nicht zu verantwortenden Umstand verursacht sein kann, kommt es zur non-liquet-Situation mit der Folge der Klagabweisung 36 •
IV. Rolle der Geschworenen im Prozeß Zu Beginn dieser Untersuchung wurde bereits kurz darauf hingewiesen, daß die Mehrzahl der Arzthaftungsprozesse in den USA vor Geschworenengerichten verhandelt wird 37 • Dabei wurde vor allem deren Klägerfreundlichkeit herausgestellt, die in Prozessen dieser Art besonders augenscheinlich wird. Die Beteiligung der Laienrichter (jury) am Zivilverfahren ist im siebten Amendment zur Verfassung der Vereinigten Staaten garantiert, das im Rahmen der "Bill of Rights" angefügt wurde. Zum besseren Verständnis der Situation, der sich auch der klagende Patient gegenübergestellt sieht, soll im folgenden kurz auf die Aufgabenverteilung zwischen Richter und Geschworenenbank im amerikanischen Zivilprozeß eingegangen werden. Die theoretische Abgrenzung ist einfach. Danach entscheidet das Gericht alle Rechtsfragen (matters of law), während die Beurteilung der Tatfragen (matters of fact) der jury überlassen bleibt. So stellen die Geschworenen im Arzthaftungsprozeß z. B. fest, ob der Arzt einen bestimmten Behandlungserfolg garantiert hatte, ob er bei der Behandlung gegen die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten verstoßen hat, ob dies ggf. zu dem eingetretenen Gesundheitsschaden geführt hat und ob der 34 Vg!. Boucher v. Larochelle, 68 A. 870 (N. H. 1908); Rose v. Melody Lane of Wilshire, 39 Ca!. 2d 481, 247 P. 2d 335 (1952); Seneris v. Haas, 45 Ca!. 2d 811, 291 P. 2d 915 (1955); Farnsworth, S. 105; Prosser, 37 Ca!. L. Rev. 194; vg!. ferner Maassen, S. 44; StolI, AcP 176, 179. 35 Vg!. Prosser, 37 Ca!. L. Rev. 194. 30 Vg!. Curran / Shapiro, S. 477; Prosser, 37 Ca!. L. Rev. 194 (jeweils m. w. N.); a. A. offenbar American General Insurance Company v. Barrett, 300 S. W. 2d 358 (Tex. 1957), wonach bereits der Beweis ausreichen soll, daß ein bestimmter Umstand neben vielleicht mehreren möglichen anderen schadensursächlich gewesen sein könnte (kein Arzthaftungsfall). 37 s. o. 1. Teil A. (a. E.).
144
3. Teil. A. USA: Verteilung der Beweislast
Patient wirksam in den vorgenommenen Eingriff eingewilligt hat 38 • Außerdem ist es Aufgabe der jury, den Schadensumfang und die Höhe der Entschädigung (inc!. Schmerzensgeld etc.) zu bestimmen. Demgegenüber entscheidet das Gericht beispielsweise darüber, ob überhaupt ein Behandlungsverhältnis zwischen den Parteien zustandegekommen ist, welchem generellen Pflichtenmaßstab der beklagte Arzt bei der Behandlung entsprechen mußte 39 und ob die von den Parteien benannten Beweismittel einschließlich der von ihnen in den Prozeß eingeführten Sachverständigengutachten zuzulassen sind 40 • Die Aufgabenverteilung zwischen Gericht und Geschworenenbank zeigt, daß in der Regel umfangreiche Instruktionen durch den Richter erforderlich sind, um die jury erst einmal darüber zu unterrichten, auf welche Tatsachenfeststellungen es überhaupt ankommt. Denn die Würdigung der Beweise und die Subsumtion des Sachverhalts unter die vom Richter dargelegten Rechtsregeln sind allein Sache der Geschworenen41 • Dabei besteht die nicht von der Hand zu weisende Gefahr, daß die Juroren (oder jedenfalls ein Teil von ihnen) im Arzthaftungsprozeß gleich in zweifacher Hinsicht überfordert werden: sowohl der medizinische Sachverhalt und die Ausführungen der Sachverständigen dazu als auch die juristischen Unterweisungen am Ende der Beweisaufnahme können ihre intellektuellen Fähigkeiten im Einzelfall beträchtlich übersteigen42 • Da sich in den jury instructions, die um der angestrebten Allgemeinverständlichkeit willen oft sehr ausführlich gehalten sind43 , die Rechtsansicht des Gerichts manifestiert, bieten sie zudem in vielen Fällen einen willkommenen Angriffspunkt für die unterlegene Partei in der Rechtsmi ttelinstanz u . Auch wenn Rechts- und Tatfragen theoretisch klar voneinander abgegrenzt sind, so sind die übergänge in der Praxis doch fließend und geben nicht selten Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten. Dies wird be38 Vgl. hierzu und zum folgenden 70 C. J. S. Physicians and Surgeons § 63 (m. zahlr. Rspr. Nachw.). 39 Vgl. (allg.) Prosser, S. 206 ff. 40 Vgl. Huffman v. Lindquist, 37 Cal. 2d 465, 234 P. 2d 34 (1951). 41 Vgl. aus der dt. Lit. Zweigert / Kötz, S. 375. 42 Vgl. Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEW-Report, S. 110 f. 43 Vgl. z. B. die umfangreiche Instruktion zur Anwendbarkeit der "doctrine of res ipsa loquitur" (s. dazu unten 3. Teil B.) in Salgo v. Leland Stanford Junior University Board of Trustees, 154 Cal. App. 2d 560, 317 P. 2d 170 (1957). Sie ist abgedruckt bei LouiseIl / Williams, 48 Cal. L. Rev. 259 f. Wie sich aus der Entscheidung ergibt, handelt es sich hierbei um die 27. der in diesem Fall in erster Instanz gegebenen Anweisungen. Nach Brophy, S. 344, bringen die Geschworenen den Instruktionen ohnehin nur wenig Interesse entgegen. Vgl. z. B. ZeBarth v. Swedish Hospital Medical Center, 499 P. 2d 1 (Wash. 1972); Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEW-Report, S. 127.
4.
IV. Rolle der Geschworenen im Prozeß
145
sonders deutlich, wenn man bedenkt, daß der Richter darüber entscheidet, bei welchen Fragen es sich um jury questions hande1t45 . An dieser Stelle sei angemerkt, daß der amerikanische Zivilprozeß in seinem äußeren Ablauf stark gegliedert ist46 . Am auffälligsten ist die Unterteilung in Kläger- und Beklagtenstation. In der erstgenannten muß der Kläger alle Beweismittel präsentieren (burden of presenting evidence), mit denen er die anspruchsbegründenden Tatsachen beweisen will. Dies schließt auch die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen im Kreuzverhör ein. Nur wenn der Kläger ausreichende Beweismittel (sufficient evidence) vorgebracht hat, ist der Fall von der jury zu entscheiden. Ob der Kläger seiner Beweisvorbringungslast gewissermaßen abstrakt genügt hat, wird jedoch als eine question of law verstanden und unterliegt deshalb der Beurteilung des Richters. Letztlich handelt es sich hierbei um eine Art Schlüssigkeitsprüfung am Ende der Klägerstation, die auf Antrag des Beklagten stattfindet. Kommt der Richter dabei zu dem Ergebnis, daß die Beweismittel des Klägers das Klagebegehren nicht ausreichend begründen, und ist er außerdem davon überzeugt, daß kein vernünftiger Mensch (reasonable man) zu einer anderen Einschätzung gelangen könnte, so kann er die Klage ohne Beteiligung der jury abweisen (non suit)47. Andernfalls obliegt es nunmehr dem Beklagten, seine Beweismittel in derselben Weise vorzubringen, wie der Kläger dies getan hat, sei es gegenbeweislich, sei es zum Beweis von Einwendungen und Einreden. Am Ende der gesamten Beweisaufnahme kann jede Partei nochmals eine selbständige Entscheidung des Richters zu ihren Gunsten beantragen (directed verdict). Einem solchen Antrag darf das Gericht jedoch nur stattgeben, wenn die anspruchsbegründenden Tatsachen unstreitig sind oder wenn man aufgrund des gesamten Beweismaterials vernünftigerweise zu keiner anderen Beurteilung des Sachverhalts kommen kann48 • In all den Fällen, in denen eine vernünftige jury bei der Subsumtion aber zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen kann, muß der Richter die Entscheidung den Geschworenen überlassen, selbst wenn er sich persönlich in der einen oder anderen Richtung eine Meinung gebildet hat49 • Gelangt der zu entscheidende Fall auf diese Weise vor die jury, so spricht man unabhängig von der Schlußentscheidung von "prima Vgl. Wigmore, § 2487; vgl. aus der dt. Lit. auch Eisner, ZZP 80, 82 f. Vgl. hierzu und zum folgenden Farnsworth, S. 102 ff. 47 Vgl. Leonard v. Watsonville Community Hospital, 47 Cal. 2d 509, 305 P. 2d 36 (1956); Speiser, § 3:6; vgl. auch Ewing v. Goode, 78 F. 442, 228 U. S. 233 (1897). 48 Vgl. Speiser, § 3:7 (m. w. N.). 49 Vg!. Seneris v. Haas, 45 Ca!. 2d 811, 291 P. 2d 915 (1955); Prosser, 37 Ca!. L. Rev. 194 f. 45 46
10 Franzki
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3. Teil. A. USA: Verteilung der Beweislast
fa eie evidence" des Klägers oder - bezogen auf den gesamten Sachverhalt - von einem "prima faeie case"50. Diese Begriffe dürfen jedoch nicht mit dem deutschen Anscheinsbeweis verwechselt werden, denn sie haben nichts mit ihm zu tun.
v.
Beweisschwierigkeiten des Patienten
Ebenso wie in der Bundesrepublik Deutschland sind auch in den USA die Beweisschwierigkeiten des Patienten das Hauptproblem des Arzthaftungsprozesses. Da die Gründe für die schlechte Beweislage des klagenden Patienten in beiden Ländern weitgehend identisch sind, kann hier zu einem großen Teil auf die entsprechenden Ausführungen zum deutschen Recht verwiesen werden 51 . Ein Aspekt soll jedoch noch einmal herausgegriffen werden, der sich in den Vereinigten Staaten noch mehr zum Angelpunkt der Arzthaftung entwickelt hat als in Deutschland, nämlich die Schwierigkeit des Patienten und seines Anwalts, einen medizinischen Sachverständigen zu finden, der bereit ist, im Prozeß ein unabhängiges Gutachten zu erstatten. Auch in den USA scheitern viele gegen Ärzte erhobene Ansprüche daran, daß der Patient nicht in der Lage ist, den Vorwurf eines Behandlungsfehlers substantiiert darzulegen und zu beweisen52 . Dies liegt - worauf immer wieder hingewiesen wird - vor allem an dem mangelnden medizinischen Sachverstand des Laien und an dem Umstand, daß der Patient bei der Behandlung häufig bewußtlos ist und schon daher aus eigener Anschauung nichts zur Aufklärung dessen beitragen kann, was während des Eingriffs im einzelnen mit ihm geschehen ist53 . Auf der anderen Seite hat die Rechtsprechung von jeher betont, daß allein der Mißerfolg der Behandlung noch keinen Rückschluß auf einen ärztlichen Pflichtverstoß zulasse, weil der Arzt kein Garant der Heilung seiM. Der Patient bedarf deshalb in der Regel des Sachverständigen nicht nur zur Sachverhaltsaufklärung, sondern auch, um im Prozeß seiner Beweisvorbringungslast genügen zu können, 50
VgI. z. B. Bruce v. United States, 167 F. Supp. 579 (CaI. 1958); Wigmore,
§ 2494; Speiser, § 3:7; vgI. ferner Maassen, S. 48. 51 s. o. 2. Teil A. 111.
52 VgI. Kopple, 16 De Paul L. Rev. 434; Broder, 18 De Paul L. Rev. 421; Armstrong, 22 S. C. L. Rev. 820. 53 VgI. statt vieler Salgo v. Leland Stanford Junior University Board of Trustees, 154 CaI. App. 2d 560, 317 P. 2d 170 (1957); LouiselljWilliams, 48 CaI. L. Rev. 252; Friedmann, 10 S. D. L. Rev. 141. 54 VgI. Brown v. Shortlidge, 98 CaI. App. 352, 277 P. 134 (1929); Ales v. Ryan, 8 CaI. 2d 82, 64 P. 2d 409 (1936); Bruce v. United States, 167 F. Supp. 579 (CaI. 1958); Rhodes v. De Haan, 184 Kan. 473, 337 P. 2d 1043 (1959); vgI. auch Broder, 18 De Paul L. Rev. 421.
V. Beweisschwierigkeiten des Patienten
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d. h. insbesondere, um darzulegen, an welchem Sorgfaltsmaßstab sich der beklagte Arzt messen lassen muß und in welchem Ausmaß er davon abgewichen ist 55 • In den USA sind die Schwierigkeiten, einen medizinischen Sachverständigen (expert) für eine objektive Begutachtung zu gewinnen, so groß, daß man landläufig von einer "Verschwörung des Schweigens" (conspiracy of silence) der Ärzteschaft spricht 56 • Dabei darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, daß diese Situation zum Teil unmittelbar durch das amerikanische Zivilprozeßrecht begünstigt wird. Anders als nach deutschem Recht (vgl. § 404 ZPO) ist die Auswahl der Sachverständigen in den USA nämlich nicht Sache des Gerichts. Vielmehr obliegt es den Parteien, d. h. hier insbesondere dem Kläger, einen Gutachter zu benennen und dessen Stellungnahme in den Prozeß einzuführen. Unter diesen Umständen ist es für einen um die Erstattung eines Gutachtens gebetenen Arzt erheblich leichter, einen Auftrag abzulehnen, als dies nach deutschem Recht zulässig ist (vgl. §§ 407, 408 ZPO); denn eine Pflicht zur Erstellung eines Gutachtens gibt es nicht. Hat der Patient aber einen aussagewilligen Arzt gefunden, so ist es immer noch möglich, daß das Gericht diesen ablehnt, weil es seine Qualifikation bezweifel t 57 • Die Gründe für die Zurückhaltung der medizinischen Sachverständigen sind vielfältig. Auch in den USA sind sich die Ärzte ihrer eigenen Fehlerhaftigkeit und der Tatsache sehr wohl bewußt, daß sie selbst jederzeit in der Rolle des Beklagten auf das Wohlwollen ihrer Kollegen angewiesen sein können 58• Dies dürfte um so mehr der Fall sein, je größer die Zahl der Arzthaftungsprozesse wird. Außerdem fürchten viele Mediziner das Kreuzverhör (cross-examination), weil darin vom Anwalt der Gegenpartei nicht selten versucht wird, ihre fachliche Kompetenz in Zweifel zu ziehen59 • Manche Ärzte verweigern sich auch schlicht wegen des mit der Gutachtenerstattung verbundenen Verlustes an Zeit und Geld60 • Die ärztlichen Standesorganisationen und die Arzthaftpflichtversicherer spielen in diesem Zusammenhang ebenfalls 55 Vgl. L'Orange v. Medical Protective Company, 394 F. 2d 57 (6th Cir. 1968); HEW-Report, S. 36; Broder, 18 De Paul L. Rev. 421 f. 56 Vgl. Salgo v. Leland Stanford Junior University Board of Trustees, 154 Cal. App. 2d 560, 317 P. 2d 170 (1957); Kapuschinsky v. United States, 248 F. Supp. 732 (S. C. 1966); Kopple, 16 De Paul L. Rev. 433; Armstrong, 22 S. C. L. Rev. 817 ff.; Gibbons, 20 Cleveland State L. Rev. 43. 57 SO Z. B. in Huffman v. Lindquist, 37 Cal. 2d 465, 234 P. 2d 34 (1951); vgl. auch Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEW-Report, S. 123 f. 58 Vgl. Friedmann, 10 S. D. L. Rev. 140 (m. w. N.). 59 Vgl. HEW-Report, S. 36; Broder, 18 De Paul L. Rev. 423. GO Vgl. HEW-Report, S. 36; Friedmann, 10 S. D. L. Rev. 139 f.
10'
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3. Teil. A. USA: Verteilung der Beweislast
eine wenig rühmliche Rolle 61 • Während regionale Ärztekammern (medical associations) einzelnen Mitgliedern für den Fall mit dem Ausschluß aus der Kammer gedroht haben, daß sie sich als Sachverständige zur Verfügung stellen sollten62 , ist anderen Ärzten ihre Haftpflichtversicherung gekündigt worden, nachdem sie ein Gutachten erstattet hatten, das zuungunsten eines bei derselben Gesellschaft versicherten Kollegen ausgefallen war 63 • Auch die "locality rule" in ihrer früheren strengen Form dürfte zu den Beweisschwierigkeiten des Patienten beigetragen haben64 • Nach dieser Regel mußte der Patient beweisen, daß der beklagte Arzt den Sorgfaltsstandard verletzt hatte, der in seinem Praxisbereich (locality, community) galt. Dahinter stand die gerade in einem Flächenstaat wie den USA sicherlich zutreffende Erwägung, daß an einen Landarzt nicht dieselben Anforderungen gestellt werden können wie an einen in einer größeren Stadt praktizierenden Mediziner 65 • Neben der Berücksichtigung geographischer Besonderheiten bewirkte die Regel aber gleichzeitig, daß der klagende Patient stets auch auf einen Sachverständigen aus derselben Gemeinde angewiesen war, in der der Beklagte ansässig war. Daß es unter diesen Umständen schwierig war, überhaupt einen Gutachter zu finden 66 , ist wohl verständlich. Heute gilt die locality rule, die auch zur Bestimmung der Sorgfaltsstandards von Krankenhäusern herangezogen worden ist 67 , in dieser engen Fassung nur noch in wenigen Bundesstaaten. Nach der Recht61 Vgl. Broder, 18 De Paul L. Rev. 423. In seiner abweichenden Meinung zu Huffman v. Lindquist, 37 Cal. 2d 465, 234 P. 2d 34 (1951) beschreibt Judge Carter vom Supreme Court of California die Situation wie folgt: "But regardless of the merits of the plaintiff's case, physicians who are members of medical societies flock to the defense of their fellow member charged with malpractice and the plaintiff is relegated, for his expert testimony, to the occasional lone wolf or heroic soul, who for the sake of truth and justice has the courage to run the risk of ostracism by his fellow practitioners and the canceUation of his public liability insurance policy." Diese Ausführungen dürften auch heute noch nichts an Aktualität verloren haben, auch wenn der HEW-Report, S. 37, insoweit ein wenig optimistischer ist. 62 Vgl. Agnew v. Parks, 172 Cal. App. 2d 756, 343 P. 2d 118 (1959); Gibbons, 20 Cleveland State L. Rev. 44. 63 Vgl. L'Orange v. Medical Protective Company, 394 F. 2d 57 (6th Cir. 1968); Friedmann, 10 S. D. L. Rev. 141. 84 Vgl. hierzu und zum folgenden Small v. Howard, 128 Mass. 131 (1880). So auch noch Naccarato v. Grob, 12 Mich. App. 130, 162 N. W. 2d 305 (1968). Vgl. ferner Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEW-Report, S. 108 u. 124. 65 Vgl. Small v. Howard, 128 Mass. 131 (1880); Prosser, S. 164. 66 So zutreffend Naccarato v. Grob, 12 Mich. App. 130, 162 N. W. 2d 305 (1968); HEW-Report, S. 37; Binder, 17 Clev.-Marsh. L. Rev. (2) 227. 67 Vgl. Curran / Shapiro, S. 615.
V. Beweisschwierigkeiten des Patienten
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sprechung der meisten anderen genügt der Patient dagegen seiner Beweislast in diesem Punkt schon dadurch, daß er nachweist, welches Maß an ärztlicher Sorgfalt in vergleichbaren Gemeinden (similar communities) üblich ist 68 • Diese liberalisierte Form der locality rule erleichtert nicht nur die Auswahl des Sachverständigen, sondern trägt zugleich der Tatsache Rechnung, daß die Sorgfaltsstandards auf grund besserer Ausbildung und Kommunikation heute nicht mehr in demselben Maße von Ort zu Ort voneinander abweichen wie früher 69 • Einige Gerichte lassen inzwischen auch den Beweis der bundesweit üblichen Sorgfalt (evidence of a uniform national practice) zu 70 , während wieder andere in Einzelfällen nicht mehr auf die allgemein übliche, sondern auf die erforderliche Sorgfalt abstellen, deren Umfang der sachverständig beratene Richter bestimmt71 • Neben der Abkehr von der strikten locality rule hat die Rechtsprechung auch durch andere Maßnahmen versucht, die Beweisnot des Patienten zu lindern. So hat sie in mehreren Fällen beispielsweise Nicht-Ärzte wie Chiropraktiker und Heilpraktiker als Sachverständige in Arzthaftungsprozessen zugelassen 72 oder dem Patienten die Berufung auf medizinische Standardlehrbücher und -abhandlungen gestattet7 3 • Auch hat sie das Kreuzverhör des beklagten Arztes selbst als Sachverständigen erlaubt7 4 - eine Maßnahme, deren Nutzen für den klagenden Patienten allerdings zweifelhaft scheint. Eine echte Beweislastumkehr, die dem Beklagten den Nachweis auferlegt, daß er die notwendigen ärztlichen Kenntnisse besitzt und im konkreten Fall auch angewendet hat, haben die Gerichte dagegen nur in wenigen Entscheidungen angenommen 75 • Das mag auch darauf zurückzuführen sein, daß 68 Vgl. Kapuschinsky v. United States, 248 F. Supp. 732 (S. C. 1966); Clark v. United States, 402 F. 2d 950 (4th Cir. 1968); Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEW-Report, S. 124; Armstrong, 22 S. C. L. Rev. 816 f.; Curran / Shapiro, S.550. 69 Mit dieser Begründung hat sich die Rechtsprechung Massachusetts' unter ausdrücklicher Aufgabe (overruling) von Small v. Howard, 128 Mass. 131 (1880), inzwischen völlig von der locality rule abgewandt (vgl. Brune v. BeHnkoff, 354 Mass. 102, 235 N. E. 2d 793 (1968) - zugleich eingehende Erörterung der verschiedenen Ausformungen der locality rule). 70 Vgl. Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEW-Report, S. 108; Curran / Shapiro, S. 615 (m. w. N.); Louisell / Williams, S. 183 f. 71 Vgl. Darling v. Charleston Community Memorial Hospital, 33 Ill. 2d 326, 211 N. E. 2d 253 (1965); Helling v. Carey, 83 Wash. 2d 514, 519 P. 2d 981 (1974); Shapo, S. 316 (m. w. N.). 72 Vgl. Friedmann, 10 S. D. L. Rev. 145 (m. w. N.). 73 Vgl. Broder, 18 De Paul L. Rev. 424. Teilweise ist dies auch durch Gesetz geschehen (vgl. Gibbons, 20 Cleveland State L. Rev. 49 f. - m. w. N.). 74 Vgl. Gibbons, 20 Cleveland State L. Rev. 50 f. 75 Vgl. Vidrine, 33 La. L. Rev. 434 (m. w. N.).
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3. Teil. A. USA: Verteilung der B~weislast
bereits die Anwendung der "doctrine of res ipsa loquitur" häufig zu demselben Ergebnis führt. Diese Beweiserleichterung ist im Arzthaftungsprozeß von erheblicher Bedeutung. Ihre Voraussetzungen und Auswirkungen bedürfen daher einer eingehenden Erörterung.
I. Entwicklung der Voraussetzungen
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B. Doctrine of Res Ipsa Loquitur I. Entwicklung der Voraussetzungen Der Ausdruck "res ipsa loquitur" wurde im Jahre 1863 in einer haftungsrechtlichen Entscheidung des englischen Court of Exchequer geprägt1 • Der Kläger war als unbeteiligter Fußgänger von einem Faß Mehl verletzt worden, das aus einem Fenster des dem Beklagten gehörenden Lagerhauses gefallen war. In dem nachfolgenden Schadensersatzprozeß war es ihm jedoch nicht möglich, den Unfallhergang im einzelnen zu beweisen. Insbesondere gelang ihm nicht der Nachweis, welcher spezifische Pflichtverstoß des Beklagten oder seiner Verrichtungsgehilfen zu dem Herabfallen des Fasses geführt hatte. Aus diesem Grunde wurde die Klage in erster Instanz abgewiesen. Der Court of Exchequer hob das Urteil dagegen mit der lapidaren Begründung auf, daß der Unfallhergang für sich selbst spreche ("res ipsa loquitur Hier lasse allein die Tatsache des Unfalls einen Schluß auf einen von dem Beklagten zu vertretenden Pflichtverstoß zu; denn ein Faß falle normalerweise nicht unerwartet aus dem Fenster eines Lagerhauses, ohne daß sich jemand sorgfaltswidrig verhalten habe. Sei dies aber ausnahmsweise doch der Fall, so müsse der Beklagte es beweisen. Damit war die doctrine of res ipsa loquitur geboren. U
).
In einem ähnlich gelagerten Fall formulierte der Court of Exchequer die Voraussetzungen dieser Beweisregel kurze Zeit später erstmals als Rechtssatz: "There must be reasonable evidence of negligence. But where the thing is shown to be under the management of the defendant or his servants, and the accident is such as in the ordinary course of things does not happen if those who have the management use proper care, it affords reasonable evidence, in the absence of explanation by the defendant that the accident arose from want of care 2 ." In den USA wurde die doctrine of res ipsa loquitur von der Rechtsprechung fast aller Bundesstaaten übernommen 3 • Dabei haben sich die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Regel nicht grundsätzlich verändert. Nach heute herrschender Auffassung müssen dafür drei Bedingungen erfüllt sein: Zunächst muß es sich um eine Schädigung handeln, die normalerweise nicht eintritt, ohne daß sich jemand fahrByrne v. BoadIe, 2 H. & C. 722, 159 Eng. Rep. 299 (1863). Scott v. London & St. Katherine Docks Company, 3 H. & C. 596, 159 Eng. Rep. 665 (1865). 3 Vgl. Speis er, § 1:1. Die wenigen Ausnahmen sind danach Michigan, Pennsylvania und South Carolina. Jedoch führt in diesen Staaten die Anwendung der allgemeinen Regeln des Indizienbeweises weitgehend zu demselben Ergebnis (vgl. Morris / Moritz, S. 404; Newman, 16 Wayne L. Rev. 1151 ff.). 1
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3. Teil. B. USA: Doctrine of Res Ipsa Loquitur
lässig verhalten hat. Zweitens muß der Schaden von einer Person oder einem Gerät unter der ausschließlichen Kontrolle (excIusive control) des Beklagten verursacht worden sein. Und schließlich darf der Kläger weder auf eigene Gefahr gehandelt haben, noch darf ihn ein mitwirkendes Verschulden (contributory negligence) treffen4 • Eine Reihe von Entscheidungen verlangt darüber hinaus, daß der Beklagte auf grund seiner besseren Aufklärungsmöglichkeiten (superior knowledge) eher in der Lage sein müsse, die Schadensursache zu benennen, als der Kläger 5• Dieses zusätzliche Element ist jedoch umstritten. Nach Ansicht von Prosser6 handelt es sich hierbei nur um ein bekräftigendes Argument, das erst und ausschließlich dann in die Waagschale geworfen werde, wenn das Gericht bereits zur Anwendung der Beweisregel entschlossen sei; wirklich entscheidungserheblich sei dieses Merkmal dagegen nie 7 • In engem Zusammenhang mit dieser teilweise geforderten weiteren Voraussetzung steht auch der Streit darüber, ob der Kläger sich noch auf die doctrine of res ipsa loquitur berufen kann, wenn er erst einmal spezifische Pflichtverstöße des Beklagten behauptet und zu beweisen versucht hat. Einige Gerichte lehnen dies mit der Begründung ab, der Kläger habe durch seine gezielten Behauptungen gezeigt, daß es ihm nicht an Aufklärungsmöglichkeiten fehle 8 • Doch gerade die Mehrzahl der neueren Entscheidungen verwehrt dem Kläger in dieser Situation nicht die Berufung auf die doctrine of res ipsa loquitur 9 •
11. Rechtsnatur und prozessuale Auswirkungen 1. Rechtsnatur
Weitgehend einig ist man sich darüber, daß res ipsa loquitur keine Regel des materiellen Rechts istlO , sondern einen fest umschriebenen Fall eines Indizienbeweises (circumstantial evidence) darsteI1tll. Ebenso 4 Vgl. Seneris v. Haas, 45 Cal. 2d 811, 291 P. 2d 915 (1955); Bruce v. United States, 167 F. Supp. 579 (Cal. 1958); Wigmore, § 2509; Harper / James, S. 1081; Prosser, S. 214; Speiser, § 1:1 (m. w. N.); Sagall / Reed, S. 143 f.; vgl. auch Restatement (Second) of Torts (1965) § 328 D. 5 Vgl. Seneris v. Haas, 45 Cal. 2d 811, 291 P. 2d 915 (1955) m. zahlr. Rspr. Nachw.; vgl. auch Wigmore, § 2509; Speiser, § 2:26 (m. w. N.); Prosser, 37 Ca!. L. Rev. 187; Note, 26 Alabama L. Rev. 443. 8 37 Cal. L. Rev. 202 ff., insbes. S. 204; ähnlich Harper / James, S. 1094 f. 7 Vgl. aber St. Luke's Hospital Association v. Long, 125 Colo. 25, 240 P. 2d 917, 31 ALR 2d 1120 (1952). 8 Vgl. Speiser, § 5:9 ff. und § 5:7 (m. w. N.). D Vgl. Speiser, § 5:13 (m. w. N.); a. A. Morris / Moritz, S. 404. 10 a. A. aber offenbar Armstrong, 22 S. C. L. Rev. 819, der res ipsa loquitur als eigenständige tort theory auffaßt.
II. Rechtsnatur und prozessuale Auswirkungen
153
wie der mittelbare Beweis anderer Tatbestandsmerkmale durch Indizien zulässig ist, kann auch das Verschulden auf diese Weise nachgewiesen werden l2 . In der Sache bedeutete die Einführung der Beweisregel daher ursprünglich keine Veränderung des herrschenden Rechtszustandes. Deswegen hat sie teilweise auch scharfe Kritik erfahren. Diese hat Prosserl 3 so artikuliert: "The LaHn catchword is an obstacle to all clear thinking. It is the illegitimate offspring of a chance remark of an English judge.... There is no case in which it has been anything but a hindrance14 ." Den Gegenpol dazu bildet folgende Stellungnahme: "The doctrine of res ipsa loquitur is a rather complicated concept, but under proper circumstances, highly useful in the law of torts. The utility of the doctrine, where it is invoked, depends entirely upon proper application by the juryl5." 2. Begründung eines Prima Facie-Falles
Der letzte Satz dieser Äußerung leitet zu der Hauptbedeutung der Beweisregel über. Sie besteht darin, daß durch Anwendung von res ipsa loquitur ein prima facie case l6 entsteht, der den Richter zwingt, den Fall der jury zur Entscheidung zu überlassen l7 . Er kann den Fall nicht mehr selbständig mit der Begründung abweisen, der Kläger sei hinsichtlich eines schuldhaften Pflichtverstoßes des Beklagten beweisfällig geblieben (non suit)18; denn die Anwendung von res ipsa loquitur bedeutet gerade, daß aufgrund des gesamten in der Klägerstation vorgebrachten Beweises ein Schluß auf ein fahrlässiges Verhalten des Beklagten möglich ist l9 . Der Fall gelangt also vor die jury, ohne daß der Kläger eine bestimmte Pflichtwidrigkeit zu beweisen braucht. 11 Vgl. Sweeney v. Erving, 228 U. S. 233, 57 Ed. 815, 33 S. Ct. 416 (1913); Speiser, § 1:4 und § 1:7 (jew. m. zahlr. Rspr. Nachw.); Prosser, S. 228 u. 37 Cal. L. Rev. 189; Louisell / Williams, S. 266; Kimball, 34 Albany L. Rev. 107. 12 Vgl. Prosser, 37 Cal. L. Rev. 189 (m. w. N.). 13 37 Cal. L. Rev. 234. 14 Ahnlich Chief Justice Bond in seiner abweichenden Meinung zu Po tom ac Edison Company v. Johnson, 160 Md. 33, 142 A. 633 (1930): "It adds nothing to the law, has no meaning which is not more clearly expressed for us in English, and brings confusion to our legal discussions. It does not represent a doctrine, is not a legal maxime, and is not a rule. It is merely a common argumentative expression of ancient Latin brought into the language of the law by men who were accustomed to its use in Latin writings." 15 Speiser, § 1:3 (unter Hinweis auf eine Gerichtsentscheidung). 18 s. dazu oben 3. Teil A. IV. (a. E.). 17 Vgl. Seneris v. Haas, 45 Cal. 2d 811, 291 P. 2d 915 (1955); Bruce v. Uni ted States, 167 F. Supp. 579 (Cal. 1958); Harper / James, S. 1099; Jaffe, 1 Buffalo L. Rev. 6; Cushing / Melcher, 6 Willamette L. J. 262; Speis er, § 1:4. 18 Vgl. Perdue, 11 Houston L. Rev. 594; Speiser, § 3:6. 19 Vgl. Speiser, § 3:1.
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3. Teil. B. USA: Doctrine of Res 1psa Loquitur
Verschiedentlich wird die Ansicht vertreten, die Maxime erlaube ausschließlich eine negligence-Vermutung und erstrecke sich nicht auf die Kausalitätsfrage20 • Diese Behauptung trifft so allgemein jedoch nicht zu. Liegen ihre Voraussetzungen nämlich vor, so ist gleichzeitig gewissermaßen automatisch - auch die Vermutung begründet, daß der angenommene Pflichtverstoß für den eingetretenen Schaden kausal geworden ist. Das ergibt sich beispielsweise aus den in § 646 (c) (1) des California Evidence Code vorgesehenen jury instructions zur Anwendbarkeit von res ipsa loquitur: "If the facts which would give rise to ares ipsa loquitur presumption are found or otherwise established, the jury may draw the inference from such facts that proximate cause of the occurrence was some negligent conduct on the part of the defendantzt ." Der Kläger ist insoweit also auch des Kausalitätsnachweises enthoben. Ebensowenig braucht er alle anderen Ursachen auszuschließen, die neben einem Sorgfaltspflichtverstoß des Beklagten zu dem geltend gemachten Schaden geführt haben können22 • Um eine Entscheidung der Geschworenen herbeizuführen, reicht vielmehr bereits der Beweis von Umständen aus, aufgrund derer ein pflichtwidriges Verhalten des Beklagten als eine von mehreren Ursachen ernsthaft in Betracht kommt23 . Der Kläger braucht den Richter nur davon zu überzeugen, daß eine vernünftige (reasonable) jury zu der Schlußfolgerung gelangen kann, der geltend gemachte Schaden beruhe wahrscheinlich auf einem Pflichtverstoß des Beklagten und nicht auf einer anderen Ursache, die dieser nicht zu vertreten habe (more probable than not-Formel)24. Gelingt ihm dies, so hat er mit Hilfe von res ipsa loquitur einen prima facie case begründet. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, daß die Geschworenenbank der Klage auch wirklich stattgibt25 • Vielmehr hängt der Ausgang des Prozesses - wenigstens theoretisch - vor allem noch davon ab, zu welchem Ergebnis die jury bei der Würdigung des gesamten Beweismaterials, also auch in Anbetracht der vom Beklagten präsentierten Beweismittel gelangt26 • Vgl. Note, 26 Alabama L. Rev. 442 (m. w. N.); Speiser, § 3:1. Vgl. auch Mayor v. Dowsett, 240 Ore. 196, 400 P. 2 d 234 (1965): "The proof of causation ... need not always be direct and positive; it may be circumstantial"; Perdue, 11 Heuston L. Rev. 586 f.; Cassibry, 34 La. L. Rev. 147 (jew. m. w. N.). 22 Vgl. Seneris v. Haas, 45 Cal. 2 d 811, 291 P. 2 d 915 (1955); Prosser, 37 Cal. L. Rev. 198; Sagall / Reed, S. 145; Speiser, § 2:5. 23 Vgl. Prosser, 37 Cal. L. Rev. 196; Speiser, § 2:5. 24 Vgl. Bauer v. Otis, 133 Cal. App. 2 d 439, 284 P. 2 d 133 (1955); Seneris v. Haas, 45 Cal. 2 d 811, 291 P. 2 d 915 (1955) m. w. N.; Prosser, 37 Cal. L. Rev. 194; Jaffe, 1 Buffalo L. Rev. 6; Speiser, § 2:5 und § 6:8. 25 Vgl. Speiser, § 1:4. 26 s. dazu jedoch unten 3. Teil B. 11. 3. 20
21
11. Rechtsnatur und prozessuale Auswirkungen
155
Zwar stellt der Richter stets fest, unter welchen Umständen res ipsa loquitur generell eingreift. Jedoch entscheidet er über ihre Anwendbarkeit als matter of law im konkreten Fall nur dann endgültig, wenn keine Zweifel bestehen, ob ihre Voraussetzungen erfüllt sind oder nicht. Kann man dagegen in diesem Punkt aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme geteilter Ansicht sein (reasonable men-Test), so muß die jury - gewissermaßen als Vorfrage - auch darüber entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Anwendung der Beweisregel tatsächlich vorliegen; hierbei handelt es sich dann nämlich um eine Tatfrage 27 • In dem Fall muß der Richter den Geschworenen - wie man sagt - "conditional" oder "qualified instructions" geben28 • Die jury muß dann zunächst entscheiden, ob es sich vorliegend um eine res ipsa loquiturSituation handelt. Erst wenn sie diese Frage bejaht hat, muß sie außerdem die vom Beklagten zu seiner Entlastung vorgebrachten Beweismittel in ihre Beweiswürdigung einbeziehen29 • 3. Entkräftung durch den Gegner
Während es allgemeiner Ansicht entspricht, daß die doctrine of res ipsa loquitur zugunsten des Klägers einen prima facie-Fall begründet, bestehen über ihre genauen Auswirkungen beträchtliche Meinungsverschiedenheiten. Von den spezifischen Folgen hängt es aber ab, wie der Beklagte sich verhalten muß, um einer Verurteilung aufgrund dieser Maxime zu entgehen. Es werden drei verschiedene Ansichten vertreten. Die Rechtsprechung der meisten Bundesstaaten ist der Auffassung, daß die juryaufgrund von res ipsa loquitur den Schluß ziehen kann, ein Pflichtverstoß des Beklagten sei die wahrscheinlichste Ursache für die Schädigung des Klägers; sie muß es aber nicht30 • Letzteres gilt selbst dann, wenn der Beklagte - was nur selten vorkommen wird - überhaupt keine Beweise zur Entkräftung der möglichen Schlußfolgerung vorbringt31 • Ein directed verdict 32 zugunsten des Klägers ist in den 27 Vgl. Seneris v. Haas, 45 Cal. 2 d 811, 291 P. 2 d 915 (1955); Salgo v. Leland Stanford Junior University Board of Trustees, 154 Ca!. App. 2 d 560, 317 P. 2d 170 (1957); Inouye v. Black, 238 Cal. App. 2d 31, 47 Cal. Rptr. 313, 14 ALR 3 d 961; Speiser, § 5:25 und § 2:6; Morris / Moritz, S. 404. 28 Vgl. Inouye v. Black, 238 Ca!. App. 2d 31, 47 Cal. Rptr. 313, 14 ALR 3d 961; Speiser, § 5:25; Arns, 8 U. S. F. L. Rev. 350 FN. 29. 29 Vg!. Speiser, § 6:9 (a. E.). 30 Vgl. Sweeney v. Erving, 228 U. S. 233, 57 L. Ed. 815, 33 S. Ct. 416 (1913); O'Connor v. Mennie, 169 Ca!. 217; Prosser, 37 Ca!. L. Rev. 217; Newman. 16 Wayne L. Rev. 1146 f.; Mords / Moritz, S. 404; Speiser, § 3:4. 31 Vg!. Speiser, § 3:4 (m. Rspr. Nachw.); Note, 60 Nw. U. L. Rev. 854; Perdue, 11 Houston L. Rev. 594; Newman, 16 Wayne L. Rev. 1147; Kimball, 34 Albany L. Rev. 108. 32 s. dazu oben 3. Teil A. IV. Ca. E.).
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3. Teil. B. USA: Doctrine of Res Ipsa Loquitur
Bundesstaaten, die dieser sog. permissible inference theory 33 folgen, grundsätzlich nicht möglich; denn der Fall muß stets an die jury gehen, um ihr die Entscheidung zu überlassen, ob die generell zulässige Schlußfolgerung auch im konkreten Fall gerechtfertigt ist34 • Sie wird die Schlußfolgerung jedoch grundsätzlich nur dann verweigern, wenn ihr die vom Beklagten zu seiner Entlastung vorgebrachten Beweise insgesamt ausreichend erscheinen35 • Dafür ist erforderlich, daß er Umstände beweist, die es mindestens ebenso wahrscheinlich, wenn nicht gar wahrscheinlicher erscheinen lassen, daß der Schaden unabhängig von einem Sorgfaltspflichtverstoß auf seiner Seite eingetreten ist (present evidence sufficient to balance or offset the inference of negligence)36. Der Kläger muß den Nachweis einer Pflichtwidrigkeit des Beklagten dann durch unmittelbaren Beweis erbringen37 • Anders als die Mehrzahl der Gerichte vertritt die Rechtsprechung einiger weniger Bundesstaaten38 die Ansicht, res ipsa loquitur begründe nicht nur eine permissible inference, sondern eine widerlegbare Vermutung. Diese sog. rebuttable presumption theory 39 hat zur Folge, daß der Beklagte zu seiner Entlastung in jedem Fall Beweise präsentieren muß, um "einem directed verdict zugunsten des Klägers zu entgehen40 • Tut er dies nämlich nicht, so greift die von Rechts wegen bestehende negligence-Vermutung ein. Für eine Ermessensentscheidung der Geschworenen ist kein Raum mehr. Ebenso wie die permissible inference theory läßt auch diese Theorie die Verteilung der Beweislast als solche unberührt. Im Gegensatz zu jener kehrt sie aber die Beweisvorbrin33 Cal. Code Civ. Proc. § 1958 definiert den Begriff "inference" wie folgt: "An inference is adeduction which the reason of the jury makes from the facts proved, without express direction of law to that effect." (zit. nach Prosser, 37 Ca!. L. Rev. 217); ähnlich Speiser, § 3:3. 34 Vg!. Prosser, 37 Ca!. L. Rev. 217; Harper I James, S. 1100; Speiser, § 3:4. 35 Vg!. Morris I Moritz, S. 403. 38 Vgl. Ales v. Ryan, 8 Ca!. 2d 82, 64 P. 2d 409 (1936); Burr v. Sherwin WiIIiams Company, 42 Ca!. 2d 682, 268 P. 2d 1041 (1954); Speiser, § 3:15; Breen I Sylva, 3 Santa Clara Lawyer 176. 37 Vg!. Morris I Moritz, S. 403 f. 38 Diese sollen sein Alabama, Arkansas, Colorado, Kentucky und Pennsylvania (vgl. Kimball, 34 Albany L. Rev. 108). In vielen Fällen kommt die Auffassung der Gerichte jedoch nicht deutlich zum Ausdruck, da "inference" und "presumption" häufig als Synonyme verwendet werden (vg!. Prosser, 37 Ca!. L. Rev. 218 f.; Speiser, § 3:3). Seit 1970 gehört auch Kalifornien zu dieser Staaten gruppe (vgl. Ca!. Evidence Code § 646 (b); vg!. ferner Arns, 8 U. S. F. L. Rev. 356). Bis dahin hatte sich die Rechtsprechung nicht eindeutig festgelegt (vg!. Breen I Sylva, 3 Santa Cl ara Lawyer 176; Speiser, § 6:9). 39 Cal. Code Civ. Proc. § 1959 definiert den Begriff "presumption" so: "A presumption is adeduction which the law expressly directs to be made from particular facts." (zit. nach Prosser, 37 Ca!. L. Rev. 218); ähnlich Speiser, § 3:3. 40 Vgl. Franklin, S. 67; Harper I James, S. 1101; Kimb all , 34 Albany L. Rev. 108; Perdue, 11 Houston L. Rev. 595.
11. Rechtsnatur und prozessuale Auswirkungen
157
gungslast zuungunsten des Beklagten um. Man spricht von einem "shifting of the burden of going forward with the evidence"41. Die praktische Bedeutung dieser Unterscheidung ist freilich gering; denn der Beklagte wird in aller Regel - und zumal im Arzthaftungsprozeß - ohnehin versuchen, für ihn sprechende Beweismittel zu präsentieren 42 • Die dritte Meinung geht schließlich dahin, die doctrine of res ipsa loquitur führe zu einer echten Beweislastumkehr zu Lasten des Beklagten 43 . Anders als nach den obengenannten Theorien reicht es hiernach nicht aus, daß der Beklagte Beweise vorbringt, die die mögliche Schlußfolgerung verhindern oder die entstandene Vermutung ausgleichen (explanation that counterbalances the assumption of negligence)44. Vielmehr muß der Beklagte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (by a preponderance of the evidence) entweder beweisen, daß er sich nicht sorgfaltswidrig verhalten hat, oder aber, daß die Schädigung auf eine bestimmte andere Ursache zurückzuführen ist, die er nicht zu vertreten hat45 • In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, daß der Beklagte aufgrund des allgemein niedrigen Beweismaßes im anglo-amerikanischen Zivilprozeß46 eine Wahrscheinlichkeit von mindestens 51 % für seine Falldarstellung erbringen muß, um der Haftung zu entgehen. In den Staaten, die einer der beiden ersten Theorien folgen, ist demgegenüber regelmäßig eine "Wahrscheinlichkeit" von 50 % (counterbalance) erforderlich. Dies macht bereits deutlich, daß die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ansatzpunkten eher theoretischer Natur sind 47 • Hinzu kommt noch die bekannte Klägerfreundlichkeit der Juroren, die in Arzthaftungsprozessen besonders offen zutage tritt. Daher erwirkt der Beklagte nur selten ein klagabweisendes Urteil, wenn der Fall erst einmal vor die jury gelangt ist48 . Gelingt ihm der Entlastungs41 Vg!. Ca!. Evidence Code § 646 (b); Prosser, 37 Ca!. L. Rev. 218; Speiser, 3:14. 42 Vg!. Harper / James, S. 1102; Note, 60 Nw. L. Rev. 855; Perdue, 11 Hauston L. Rev. 595. 43 Vg!. Bruce v. United States, 167 F. Supp. 579 (Ca!. 1958); Meyer v. St. Paul-Mercury Idemnity Company, 225 La. 618, 73 So. 2d 781 (1953); Harper / James, S. 1103. Auch hier herrscht keine Einigkeit, in welchen Staaten diese Theorie gilt. Kimball, 34 Albany L. Rev. 108, führt Louisiana und Mississippi an, während LouiseIl / Williams, 48 Ca!. L. Rev. 263, insgesamt fünf Staaten nennen. 44 Vg!. LouiseIl / Williams, S. 267. 45 Vg!. Bruce v. United States, 167 F. Supp. 579 (Ca!. 1958); Jones v. Shell Petroleum Corporation, 185 La. 1067, 171 So. 447 (1936); Prosser, 37 Ca!. L. Rev. 218; Newman, 16 Wayne L. Rev. 1149; Perdue, 11 Houston L. Rev. 594. 46 s. dazu oben 3. Teil A. 111. 47 Vg!. LouiseIl / Williams, 48 Ca!. L. Rev. 263 f.; Jaffe, 1 Buffalo L. Rev. 9 f. 48 Vg!. Harper / James, S. 1081 u. 1099.
§
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3. Teil. B. USA: Doctrine of Res Ipsa Loquitur
beweis aber ohnehin nicht, so ist auch dieser Theorienstreit praktisch weniger wichtig. Man hat ihn deshalb schon als "Sturm im Wasserglas" bezeichnet49 • Eine gewisse Bedeutung kann er allenfalls in der Rechtsmittelinstanz entwickeln, wenn es darum geht, ob der Vorderrichter die jury entsprechend der im jeweiligen Staat geltenden Theorie unterwiesen hat50• Letztlich ist für den Ausgang des Haftungsprozesses in erster Linie entscheidend, ob der Fall überhaupt vor die Geschworenen kommt 51 • Dafür sorgt aber gerade die Anwendung von res ipsa loquitur. Zusammenfassend erscheint die Annahme gerechtfertigt, daß diese Beweisregel im Ergebnis zumindest zu einer echten Umkehr der Beweislast führt 52 • Deshalb sprechen sich gewichtige Stimmen dafür aus, diese Folge auch von Rechts wegen stets an ihre Anwendung zu knüpfen 53 • Gleichzeitig würde damit eine erhebliche Vereinfachung der jury instructions bewirkt. Teilweise wird sogar die Ansicht vertreten, res ipsa loquitur setze das Verschuldensprinzip außer Kraft und führe zu einer Quasi-Gefährdungshaftung54 • Um die Auswirkungen der Beweisregel auf den Arzthaftungsprozeß beurteilen zu können, ist daher von entscheidender Bedeutung, unter welchen Umständen die Gerichte das Vorliegen ihrer Voraussetzungen auf diesem Rechtsgebiet bejahen.
49 Harper / James, S. 1104: "This particular tempest seems to be one in a teapot." 50 Vgl. Harper / James, S. 1104. 51 Vgl. Harper / James, S. 1099; vgl. ferner aus der dt. Lit. Weyers, Unfallschäden, S. 221. 52 Vgl. Jaffe, 1 Buffalo L. Rev.n f.; Harper / James, S. 1081. So gerade auch im Hinblick auf den Arzthaftungsprozeß HEW-Report, S. 28; Louisell / Williams, S. 266 f. u. 283 sowie 48 Cal. L. Rev. 258; Binder, 17 Clev.-Marsh. L. Rev. (2) 224; vgl. ferner aus der dt. Lit. Maassen, S. 140 f.; Gerdes, VW 1976, 64; a. A. (den Kfz.-Haftpflichtprozeß betreffend) Weyers, Unfall schäden, S.222. 53 Vgl. Harper / James, S. 1104; Louisell / Williams, S. 283 sowie 48 Cal. L. Rev. 269 f.; a. A. Note, 60 Nw. U. L. Rev. 856; Newman, 16 Wayne L. Rev. 1151. Wegen der besonderen Beweisschwierigkeiten des Patienten ist selbst Prosser für den Bereich der Arzthaftung dieser Auffassung (vgl. 37 Cal. L. Rev. 223), obwohl er im übrigen ein vehementer Verfechter der herrschenden permissible inference theory ist (vgl. 37 Cal. L. Rev. 225). Ähnlich auch Seavey, 63 Harvard L. Rev. 646. 54 So (bezogen auf den Arzthaftungsprozeß) Justice Tobriner in seinem Sondervotum (concurring opinion) zu Clark v. Gibbons, 66 Cal. 2d 399, 58 Cal. Rptr. 125, 426 P. 2d 525 (1967); ebenso Adamson, 46 Minn. L. Rev. 1057; Morris, 1958 Insurance Counsel Journal 113 u. 116 und große Teile des medizinischen Schrifttums (vgl. Sagall / Reed, S. 145). In der dt. Lit. gelangt (allg.) Maassen, S. 140, zu diesem Ergebnis.
III. Anwendungsbereich im Arzthaftungsprozeß
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ill. Anwendungsbereicb im Arzthaftungsprozeß Die doctrine of res ipsa loquitur fand erstmals Anfang dieses Jahrhunderts im Arzthaftungsprozeß Anwendung. Bis dahin war ihre Anwendbarkeit generell mit der Begründung verneint worden, daß der Arzt andernfalls für jeden Mißerfolg seiner Behandlung einstehen müßte. Dies wiederum gefährde die Handlungsbereitschaft der Mediziner in unerträglichem Maße 55 • Boucher v. Larochelle 56 gehört zu den ersten Entscheidungen, die diesen Grundsatz durchbrochen haben51 • Hier hatte der beklagte Arzt den gebrochenen Arm eines Kindes unter Narkose richten wollen. Das Kind des Klägers starb während der Operation. Der Kläger führte den Tod darauf zurück, daß der Beklagte die Narkose nicht ordnungsgemäß durchgeführt habe, konnte den ihm obliegenden Nachweis jedoch nicht durch unmittelbare Beweise erbringen. Ohne die Worte "res ipsa loquitur" zu verwenden, stellte der Superior Court of New Hampshire fest, es gehöre zum Allgemeinwissen (common knowledge), daß der Tod normalerweise weder aufgrund einer fachgerecht eingeleiteten Narkose noch als unmittelbare Folge eines Oberarmbruchs eintrete. Mit dieser Begründung hielt er die Entscheidung des Vorderrichters aufrecht, der die Abwägung des Für und Wider in der negligence-Frage der jury überlassen hatte, während der Beklagte eine Klagabweisung durch den Richter (non suit) beantragt hatte. Dieses Urteil ist bereits in zweierlei Hinsicht typisch für die Anwendung von res ipsa loquitur im Arzthaftungsprozeß. Zum einen ist hier nämlich wie in den meisten Arzthaftungsfällen das Vorliegen der ersten Voraussetzung der Regel fraglich 58 • An der zweiten Bedingung (exclusive control) scheitert die Anwendung im Arzthaftungsprozeß dagegen nur verhältnismäßig selten, während die dritte (fehlendes Mitverschulden) regelmäßig keine Rolle spielt. Zum anderen hat das Gericht die Anwendung der Beweisregel davon abhängig gemacht, daß die Sorgfaltswidrigkeit so geartet sein muß, daß sie auch ein medizinischer Laie aufgrund seines Allgemeinwissens beurteilen kann59 • Dieses Erfordernis stellt nur zum Teil eine Einschränkung der Anwendbarkeit von res ipsa loquitur dar. Denn ursprünglich mußte der klagende Patient den Sorgfaltsmaßstab und die Abweichung davon in jedem Fall durch das Gutachten eines medizinischen Sachverständigen beweisen. 55 56
Vgl. Ewing v. Goode, 78 F. 442, 228 U. S. 233 (1897).
68 A. 870 (N. H. 1908).
57 Vgl. ferner HeIland v. Bridenstein, 104 P. 626 (1909): Infektion der Klägerin, einer Witwe, mit Gonorrhoe durch einen nicht sterilisierten Scheidenspiegel. 58 Vgl. LouiseIl / Williams, S. 265; Perdue, 11 Houston L. Rev. 585. 59 Vgl. dazu eingehend Speiser, § 24:8.
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3. Teil. B. USA: Doctrine of Res Ipsa Loquitur
Insoweit bedeutet die Anwendung von res ipsa loquitur aufgrund des common knowlegde, daß der Patient der Schwierigkeit enthoben ist, einen aussagebereiten Gutachter zu gewinnen 60 • So haben die Gerichte die Beweisregel im Arzthaftungsprozeß auch ausdrücklich zu dem Zweck angewandt, die "Verschwörung des Schweigens" zwischen den Ärzten zu durchbrechen 61 • An der Verurteilung des Arztes bestehe auch über den einzelnen Haftungsfall hinaus ein Interesse, weil verhindert werden müsse, daß er seine fehlerhafte Behandlung wiederhole. Die Häufigkeit, mit der res ipsa loquitur im Arzthaftungsprozeß angewandt wird 62 , ist von Staat zu Staat sehr unterschiedlich63 • Es gibt bestimmte typische Situationen, in denen die Rechtsprechung praktisch aller Bundesstaaten auf die Regel zurückgreift, auch wenn manchmal die Bezeichnung "res ipsa loquitur" fehlt oder absichtlich vermieden wird 64 • Hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit in anderen Fallgruppen bestehen dagegen erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Kalifornien ist der Bundesstaat, in dem sie bei weitem am extensivsten angewendet wird 65 . Zu dem allgemein anerkannten Anwendungsbereich der Maxime gehören die sog. Fremdkörper-Fälle (foreign object cases). Die Zahl dieser Fälle ist groß66. So waren Gegenstand von Prozessen beispielsweise Schwämme 67 , Gaze 68 , Glasreste, Nadeln, Kanülen, chirurgische 80 s. dazu oben 3. Teil A. V. Ein Teil des Schrifttums differenziert zwischen der doctrine of res ipsa loquitur und der sog. doctrine of common knowledge (vgl. z. B. Morris / Moritz, S. 404; Friedmann, 10 S. D. L. Rev. 143). Die in Rechtsprechung und Literatur herrschende Auffassung vollzieht diese Unterscheidung jedoch nicht nach (vgl. statt vieler Rubsamen, 14 Stanford L. Rev. 254 f.; Note, 60 Nw. U. L. Rev. 857 [mo Rspr. Nachw.]; Perdue, 11 Houston L. Rev. 590). 61 Vgl. hierzu und zum folgenden Salgo V. Leland Stanford Junior University Board of Trustees, 154 Cal. App. 2d 560, 317 P. 2d 170; Prosser, S. 223; Speiser, § 24:2 (m. W. N.); LouiseIl / Williams, S. 269 ff.; Floyd, 21 Okla. L. Rev. 182; vgl. auch HEW-Report, S. 28 f. Aus der von Dietz / Baird / Berul (Appendix zum HEW-Report, S. 129) erstellten Statistik ergibt sich, daß die Notwendigkeit eines Sachverständigen in der Nachkriegszeit in etwa demselben Maße gesunken ist, wie die Anwendung von res ipsa loquitur zugenommen hat. 62 Vgl. dazu im einzelnen Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEW-Report, S. 128 f.; vgl. ferner Speiser, § 24:1 (a. E.). 63 Vgl. Sagall / Reed, S. 145. 64 Vgl. Speiser, § 24:3. 65 Vgl. HEW-Report, S. 28 f.; Brophy, S. 343; Sagall / Reed, S. 145; Perdue, 11 Houston L. Rev. 595. Gß Vgl. Askew, 3 N. C. Central L. J. 185. 67 Vgl. Ales V. Ryan, 8 Cal. 2d 82, 64 P. 2d 409 (1936): ca. 35 cm x 35 cm großer Schwamm. 88 Vgl. Landsberg V. Kolodny, 145 Cul. App. 2d 158,302 P. 2d 86 (1956).
III. Anwendungsbereich im Arzthaftungsprozeß
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Instrumente 69 oder Teile davon sowie Stücke abgestorbener Knochen 70 , die der Operateur oder ein Mitglied seines Teams während der Operation unbeabsichtigt in der Wunde zurückgelassen hatte. Ein besonders illustratives Beispiel für diese Gruppe ist Jefferson v. United States71 • Hier war ein ca. 75 cm mal 45 cm messendes Handtuch im Bauch des Patienten zurückgeblieben. Da es die Aufschrift "Medical Department U. S. Army" trug, dürfte dem Kläger wenigstens die Frage der Passivlegitimation, d. h. des richtigen Beklagten, keine besonderen Schwierigkeiten bereitet haben. In all diesen Fällen sind die Gerichte durch Anwendung von res ipsa loquitur zu einer negligence-Vermutung gelangt. Danach gehört es zum Allgemeinwissen, daß derartige Fremdkörper normalerweise nicht in der Operationswunde verbleiben, ohne daß sich jemand pflichtwidrig verhalten hat7 2 • Zwar ist es für den beklagten Arzt unter derartigen Umständen schwierig, die gegen ihn sprechende Vermutung erfolgreich zu entkräften oder zu widerlegen. Jedoch hat es gerade in dieser Fallgruppe auch Situationen gegeben, in denen ihm dies gelungen ist. Das kann zum Beispiel durch den Nachweis geschehen, daß er persönlich während der Operation kein Instrument von der Art verwendet hat, wie es später im Inneren des Patienten gefunden worden ist7 3 • Das gleiche gilt, wenn der Chirurg bei einer ohnehin äußerst schwierigen Operation in schneller Folge eine Reihe von Gazetampons verwenden muß, um eine unerwartet starke Blutung zu stillen74 • Schließlich ist der Operateur auch entlastet, wenn er die intensive Suche nach einem vermißten Schwamm aufgibt, weil der plötzliche Blutdruckabfall des Patienten und die damit verbundene Lebensgefahr eine sofortige Beendigung des Eingriffs erfordern 75 • Unter diesen Umständen muß der Arzt den Patienten aber nach der Operation davon unterrichten, daß (eventuell) ein Fremdkörper in der Wunde verblieben ist. Tut er das nicht, so liegt darin ein Verstoß gegen die ärztliche SorgfaltspflichF6. 89 Vgl. Leonard v. Watsonville Community Hospital, 47 Cal. 2d 509, 305 P. 2d 36 (1956): ca 15 cm lange scherenartige Klemme. 70 Vgl. zu dieser Aufzählung Morris / Moritz, S. 405 f.; Speiser, § 24:22 (jeweils m. zahlr. Rspr. Nachw.). 71 178 F. 2d 518, 77 F. Supp. 706 (1948). 72 Vgl. Ales v. Ryan, 8 Cal. 2d 82, 64 P. 2d 409 (1936); Leonard v. Watsonville Community Hospital, 47 Cal. 2d 509, 305 P. 2d 36 (1956); Speiser, § 24:21. 73 Leonard v. Watsonville Community Hospital, 47 Cal. 2d 509, 305 P. 2d 36 (1956). 74 Landsberg v. Kolodny, 145 Cal. App. 2d 158, 302 P. 2d 86 (1956). 75 Dietz v. King, 184 F. Supp. 944 (Va. 1960); ähnlich die Situation in McLennan v. Holder, 36 P. 2d 448 (Cal. 1934); Sagall / Reed, S. 154 f. (m. w. N.); Morris / Moritz, S. 338. 76 Dietz v. King, 184 F. Supp. 944 (Va. 1960); vgl. auch Askew, 3 N. C. Central L. J. 186 f. (m. w. N.).
11 Franzki
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3. Teil. B. USA: Doetrine of Res Ipsa Loquitur
Res ipsa loquitur findet nach allgemeiner Ansicht auch Anwendung, wenn der Arzt den Eingriff irrtümlich am falschen Patienten vornimmt, anstelle des kranken ein gesundes Organ operiert oder die Gliedmaßen verwechse1t7 7 • Wacht der Patient mit Verletzungen außerhalb des eigentlichen Operationsgebietes 78 aus der Narkose auf, so ist die Regel ebenso anwendbar 79 • Am häufigsten sind hier die Fälle, in denen der Patient während der Behandlung Verbrennungen erleidet 80 • Andere Verletzungen, in deren Folge res ipsa loquitur Anwendung gefunden hat, sind: Kieferbruch und Verlust eines Zahns während der Vorbereitungen für eine Mandeloperation81 , Augenverletzung während einer Blinddarmoperation, Fingerbruch während einer Zahnoperation, Beinbruch während einer Entbindung, Gangränbildung infolge des Festbindens der Füße während des Eingriffs82 • Treten nach der Anästhesie Lähmungserscheinungen auf, so ist die Haltung zur Anwendbarkeit der Maxime jedoch von Staat zu Staat verschieden. Während einige Gerichte sie auch hier bejahen83 , ist sie nach dem Recht anderer Staaten in derartigen Fällen ausgeschlossen 84 • Diese Ansicht wird vor allem damit begründet, daß die Medizin keine exakte Wissenschaft und der Arzt kein Garant der Heilung sei; allein der ungünstige Verlauf der Krankheit oder der Mißerfolg der Behandlung rechtfertigten noch keine negligence-Vermutung. Am Rande sei hier vermerkt, daß diese oder ähnliche Bemerkungen praktisch in allen Fällen die tragende Begründung darstellen, in denen die Gerichte die Anwendbarkeit der doctrine of res ipsa loquitur verneinen 85 • Häufig fügen sie gewissermaßen zur 71 Vgl. Steinke v. Bell, 32 N. J. Super. 67, 107 A. 2d 825 (1954): versehentliche Entfernung eines gesunden Zahnes; vgl. auch Sagall / Reed, S. 146. 78 "Remote area" im Gegensatz zum "field of operation". Vgl. zu dieser Unterscheidung im einzelnen Speiser, § 24:24. 79 Vgl. Salgo v. Leland Stanford Junior University Board of Trustees, 154 Cal. App. 2d 560, 317 P. 2d 170 (1957); Speiser, § 24:23 ff.; Morris / Moritz, S.406. 80 Vgl. z. B. Meyer v. MeNutt Hospital, 173 Cal. 156, 159 P. 436 (1916); Morris / Moritz, S. 406. 81 Brown v. Shortlidge, 98 Cal. App. 352, 277 P. 134 (1929). 82 Vgl. zu den zuletztgenannten Beispielen Morris / Moritz, S. 406 (m. Rspr. Nachw.). 83 So z. B. in Kalifornien (vgl. Ybarra v. Spangard, 25 Cal. 2d 486, 154 P. 2d 687, 162 ALR 1258 [1944]; Seneris v. Haas, 45 Cal. 2d 811, 291 P. 2d 915 [1955]), Washington (vgl. Horner v. Northern Paeific Beneficial Association Hospitals, Ine., 62 Wash. 2d 351, 382 P. 2d 518 [1963]) und Oregon (vgl. Mayor v. Dowsett, 240 Ore. 196, 400 P. 2d 234 [1965]). Nach Note, 60 Nw. U. L. Rev. 860 f. ebenso in Idaho (m. w. N.). 84 So z. B. in Maryland (vgl. Bettigole v. Diener, 210 Md. 537, 124 A. 2d 265 [1956]), New Jersey (vgl. Ayers v. Perry, 192 F. 2d 181 [3rd Cir. 1951]) und Kansas (vgl. Rhodes v. De Haan, 184 Kan. 473, 337 P. 2d 1043 [1959]). 85 Vgl. Ewing v. Goode, 78 F. 442, 228 U. S. 233 (1897); WadeIl v. Woods, 158 Kan. 469, 148 P. 2d 1016 (1944); Huffman v. Lindquist, 37 Cal. 2d 465, 234
III. Anwendungsbereich im Arzthaftungsprozeß
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Untermauerung noch hinzu, es gehöre jedenfalls nicht zum Allgemeinwissen der Geschworenen, daß die Gesundheitsschädigung wahrscheinlich auf einem Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst beruhe86 • Da dem klagenden Patienten auf diese Weise ein prima facie-Fall verwehrt wird, braucht sich der Arzt auch nicht zu entlasten. Zwar ist es allgemein anerkannt, daß ein Irrtum bei der Diagnose und die Wahl einer falschen Behandlungsmethode allein ebenfalls noch keine negligence-Vermutung begründen87 . Auch das dürfte vor allem daran liegen, daß diese Fragen außerhalb des Beurteilungsvermögens des medizinischen Laien liegen, wenngleich es zumeist an einer ausdrücklichen Begründung für die Feststellung fehIt88. Beruht der Diagnose- oder Behandlungsfehler jedoch darauf, daß der Arzt zur richtigen Zeit eine Röntgenaufnahme unterlassen hat, so findet res ipsa loquitur sehr wohl Anwendung 89 . Denn das Röntgen ist eine so weit verbreitete diagnostische Maßnahme, daß auch dem Laien eine negligence-Vermutung möglich ist, wenn der Arzt es versäumt hat Do • Die Regel ist beispielsweise anwendbar, wenn der Zahnarzt nach einer nur unvollständigen Zahnextraktion keine Röntgenaufnahme macht, obwohl der Patient über erhebliche Schmerzen klagt 91 , oder wenn der Chirurg es unterläßt, auf diese Weise nach einem möglicherweise in der Operationswunde verbliebenen Schwamm zu suchen 92 • Dies ist die dritte und letzte Fallgruppe, bei der hinsichtlich der Anwendbarkeit der Maxime - von Einzelfragen abgesehen - weitgehende Übereinstimmung besteht93 • Streitig ist die Anwendbarkeit der Regel hingegen, wenn infolge von Injektionen Gesundheitsschäden auftreten. Nach der insbesondere von kalifornischen Gerichten vertretenen Auffassung gehört es zum AllP. 2d 34 (1951); Bettigole v. Diener, 210 Md. 537, 124 A. 2d 265 (1956); Johnston v. Rodis, 151 F. Supp. 345 (D. C. 1957); Demchuk v. Bralow, 404 Pa. 100, 170 A. 2d 868 (1961); Louisell / Williams, S. 274 u. 277 f.; Morris / Moritz, S. 405; vgl. auch Salgo v. Leland Stanford Junior University Board of Trustees, 154 Cal. App. 2d 560, 317 P. 2d 170 (1957). 88 Vgl. Nelson v. Murphy, 42 Wash. 2d 737, 258 P. 2d 472 (1953); Johnston v. Rodis, 151 F. Supp. 345 (D. C. 1957); Note, 60 Nw. U. L. Rev. 862 f. (m. w. N.). 87 Vgl. Brown v. Shortlidge, 98 Cal. App. 352, 277 P. 2d 134 (1929); Ales v. Ryan,8 Cal. 2d 82, 64 P. 2d 409 (1936); Curran / Shapiro, S. 578 f.; Morris / Moritz, S. 405; Speiser, § 24:18 und § 24:20 (jeweils m. zahlr. Rspr. Nachw.); Louisell / Williams, S. 274. 88 Vgl. Note, 60 Nw. U. L. Rev. 861. 89 Vgl. Sagall / Reed, S. 146; Perdue, 11 Houston L. Rev. 593; Speiser, § 24:19. 90 Vgl. Note, 60 Nw. U. L. Rev. 861; Perdue, 11 Houston L. Rev. 593. 91 Butts v. Watts, 290 S. W. 2d 777 (Ky. 1956). 92 Dietz v. King, 184 F. Supp. 944 (Va. 1960). 93 Vgl. Perdue, 11 Houston L. Rev. 590. 11·
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3. Teil. B. USA: Doctrine of Res Ipsa Loquitur
gemeinwissen, daß Injektionen normalerweise keine Schwierigkeiten verursachen, wenn sie fachgerecht durchgeführt werden und das Serum in Ordnung ist 94 • Nach herrschender Meinung ist jedoch ein Sachverständigengutachten erforderlich, um die Abweichung vom anerkannten Sorgfaltsmaßstab beurteilen zu können, die den Schaden voraussichtlich verursacht hat. Res ipsa loquitur ist danach in diesen Fällen nicht anwendbar 95 • Kommt es im Operationsgebiet in zeitlichem Zusammenhang mit dem Eingriff zu einer Infektion, so besteht nach allgemeiner Ansicht ebenfalls keine Vermutung, daß diese auf einem Pflichtverstoß des Operateurs beruht96 • Nicht einig sind sich die Gerichte dagegen in der Frage der Anwendbarkeit der Regel, wenn der Patient zusätzlich beweisen kann, daß der Arzt es unterlassen hat, die verwendeten Instrumente oder das Operationsgebiet vor dem Eingriff zu sterilisieren. Die Mehrzahl der Gerichte wendet res ipsa loquitur unter diesen Umständen an 97 , es sei denn, daß andere Ursachen für die Infektion mit dem gleichen Maß an Wahrscheinlichkeit in Betracht kommen 98 • Eine genaue Betrachtung dieser Fallgruppe ergibt, daß die Anwendung der Maxime hier im Grunde systemwidrig ist. Denn für eine negligence-Vermutung, die res ipsa loquitur in erster Linie darstellt, ist kein Raum mehr, wenn der Patient erst einmal bewiesen hat, daß der Arzt die notwendige Sterilisierung unterlassen hat. Damit hat er den Pflichtverstoß als solchen nachgewiesen. Fraglich bleibt nur, ob dieser für die Infektion auch kausal geworden ist. Indem die Rechtsprechung einiger Staaten die Beweisregel auch hier heranzieht, nimmt sie also in Wahrheit die unter der Bezeichnung "res ipsa loquitur" bekannte Vermutung ausschließlich im Kausalitätsbereich an. Hier haben sich vor allem die kalifornischen Gerichte hervorgetan. Sie wenden res ipsa loquitur regelmäßig an, wenn ausreichende Anhaltspunkte für einen Pflichtverstoß vorliegen und wenn dieser die Verletzung verursacht haben kann. Dies geschieht selbst dann, wenn die Möglichkeit besteht, daß sich eine Gefahr verwirklicht hat, die der Krankheit oder der Behandlung stets - also auch unabhängig von einer Sorgfaltswidrigkeit - innewohnt (inherent risk plus specific causative negligence 94 Vgl. Bauer v. Dtis, 133 Cal. App. 2d 439, 284 P. 2d 133 (1955); Wolfsmith v. Marsh, 51 Cal. 2d 832, 337 P. 2d 70, 82 ALR 2d 1257 (1959). Dazu krit. Rubsamen, 14 Stanford L. Rev. 274 und 15 Stanford L. Rev. 79. 95 Vgl. SagaIl! Reed, S. 147 (m. w. N.). 96 Vgl. Speiser, § 24:11 (m. w. N.); Morris! Moritz, S. 405. 97 Vgl. HeIland v. Bridenstein, 104 P. 626 (1909) s. zu dieser Entscheidung auch oben FN. 57; SagaIl! Reed, S. 146; Morris! Moritz, S. 406; Speiser, § 24:32 (m. w. N.). 98 Vgl. Quick v. Thurston, 110 App. D. C. 169,290 F. 2d 360 (1961).
IH. Anwendungsbereich im Arzthaftungsprozeß
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cases)D9. Damit wendet die Rechtsprechung dieses Staates die Beweisregel im Ergebnis auch dann an, wenn der Patient das Vorliegen ihrer ersten Voraussetzung nicht bewiesen hat 100 • Denn man kann nicht davon sprechen, das gesamte Geschehen weise auf einen Pflichtverstoß des Arztes hin, wenn nicht auszuschließen ist, daß sich eine - wenn vielleicht auch nur seltene - Gefahr verwirklicht hat, für die der Arzt nicht einzustehen braucht. In Kalifornien ist die Anwendbarkeit der doctrine of res ipsa loquitur auch noch in anderer Weise ausgedehnt worden. Dort ist es seit geraumer Zeit nicht mehr erforderlich, daß die Geschworenen den negligence-Schluß ausschließlich auf grund ihres Allgemeinwissens ziehen können. Vielmehr ist die Beweisregel auch dann anwendbar, wenn man erst nach Anhörung eines Sachverständigen zu der Annahme gelangen kann, daß der Gesundheitsschaden ohne einen Pflichtverstoß des beklagten Arztes nicht eingetreten wäre 101 • Eine negligence-Vermutung ist in Kalifornien also zulässig, wenn entweder der Laie oder der medizinische Sachverständige oder beide der Ansicht sind, daß die Voraussetzungen von res ipsa loquitur erfüllt sind. Einige Staaten haben sich dieser Entwicklung inzwischen angeschlossen 102 , andere halten dagegen an dem hergebrachten Rechtszustand fespo3. Diese Ausdehnung der Regel ermöglicht es vor allem, die negligence-Vermutung auch auf außergewöhnliche Zwischenfälle innerhalb des Operationsgebietes zu erstrecken 104 • Hier ist das Allgemeinwissen des Laien in aller Regel überfordert. Er kann in diesen Fällen nicht beurteilen, ob irgendein Pflichtverstoß des Arztes den Schaden verursacht hat oder aber ob sich eine Gefahr verwirklicht hat, die mit der Behandlung stets verbunden ist. Vielmehr ist res ipsa loquitur hier erst anwendbar, wenn der medizinische Sachverständige erklärt, daß der Gesundheitsschaden 09 Vgl. Quintal v. Laurel Grove Hospital, 62 Cal. 2d 154, 41 Cal. Rptr. 577, 397 P. 2d 161 (1964); Clark v. Gibbons, 66 Cal. 2d 399, 58 Cal. Rptr. 125, 426 P. 2d 525 (1967); Binder, 17 Clev.-Marsh. L. Rev. (2) 224; Arns, 8 U. S. F. L. Rev. 349 u. 352 ff.; krit. Rubsamen, 14 Stanford L. Rev. 270 ff.; HEW-Report, S. 28; vgl. auch Siverson v. Weber, 57 Cal. 2d 834, 22 Cal. Rptr. 337, 372 P. 2d 97 (1962). 100 Vgl. Naraghi, 18 The Hastings L. J. 700. 101 Vgl. Seneris v. Haas, 45 Cal. 2d 811, 291 P. 2d 915 (1955) m. w. N.; Salgo v. Leland Stanford Junior University Board of Trustees, 154 Cal. App. 2d 560,317 P. 2d 170 (1957); Louisell / Williams, S. 268; Speis er, § 24:8. 102 So z. B. Oregon (vgl. Mayor v. Dowsett, 240 Ore. 196, 400 P. 2d 234 [1965]) und Washington (ZeBarth v. Swedish Hospital Medical Center, 81 Wash. 12, 499 P. 2d 1 [1972]). Vgl. auch Note, 60 Nw. U. L. Rev. 864 f.; Schwemer, 47 Marquette L. Rev. 239 f. (jew. m. w. N.). 103 So z. B. Louisiana (vgl. Vidrine, 33 La. L. Rev. 437) und Kansas (vgl. Rupe, 13 Washburn L. J. 242 f. m. w. N.). Vgl. auch Sagall / Reed, S. 144
(m.
w. N.).
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Vgl. Speiser, § 24:24 und § 24:27; Perdue, 11 Houston L. Rev. 593.
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3. Teil. B. USA: Doctrine of Res Ipsa Loquitur
normalerweise nicht eintritt, ohne daß sich jemand fahrlässig verhalten hat. Für den Kläger bedeutet dies immer noch eine Beweiserleichterung, weil er bei einem dahingehenden Gutachten keinen bestimmten Pflichtverstoß des beklagten Arztes zu beweisen braucht, um einen prima facie-Fall darzulegen 105 • Außerdem wird die Vermutung geäußert, Mediziner seien eher zur Aussage in einem Arzthaftungsprozeß bereit, wenn sie dem beklagten Kollegen keinen spezifischen Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst vorzuwerfen brauchten 106 • Die Zulassung von Sachverständigengutachten zur Begründung einer res ipsa loquitur-Situation ist teilweise als eine "gefährliche Entwicklung" bezeichnet worden107 • Demgegenüber scheint die Commission on Medical Malpractice gerade zu beklagen, daß die negligence-Frage normalerweise ohne Anhörung eines Gutachters von der jury zu beurteilen ist, wenn die Beweisregel Anwendung findetl° 8 . Diese Haltung dürfte auf der Annahme beruhen, daß das Urteil einer sachverständig beratenen jury dem beklagten Arzt gegenüber immer noch fairer ausfällt, als wenn sie die Entscheidung ganz auf ihr Allgemeinwissen stützt. Schließlich stammt noch eine weitere Modifikation der doctrine of res ipsa loquitur aus Kalifornien. Sie betrifft die zweite Voraussetzung der Regel (exclusive control) und wurde im Jahre 1944 vom Supreme Court of California in Ybarra v. Spangard 109 entwickelt. Die Feststellung ist nicht übertrieben, daß es sich hierbei um die wichtigste Entscheidung zu res ipsa loquitur im allgemeinen und zu ihrer Anwendbarkeit im Arzthaftungsprozeß im besonderen handelt llO • Der Kläger hatte sich für eine Blinddarmoperation ins Krankenhaus begeben. Als er aus der Narkose erwachte, stellte er eine Verletzung im Bereich der rechten Schulter fest, die in der Folgezeit zu einer irreversiblen Lähmung von Schulter und Arm führte. Da sich der Kläger infolge der Betäubung nicht erklären konnte, wie es zu der Verletzung gekommen war, verklagte er (1) den Arzt, der die Operation vorbereitet hatte, (2) den Chirurgen, (3) den Anästhesisten, (4) den Eigentümer und Manager des Krankenhauses, (5) die Krankenschwester, die ihn in den Operationssaal gefahren hatte und (6) die Krankenschwester, in deren Gegenwart er aufgewacht war. Dabei berief er sich auf die doctrine of Vgl. Perdue, 11 Houston L. Rev. 593 f. Vgl. Note, 60 Nw. U. L. Rev. 865. 107 Vgl. z. B. Morris / Moritz, S. 407. 108 Vgl. HEW-Report, S. 28. 109 25 Cal. 2d 486, 154 P. 2d 687, 162 ALR 1258. 110 Vgl. Burstein, 21 Loyola L. Rev. 202: "leading decision in the United States"; Note, 60 Nw. U. L. Rev. 871: "landmark case". 105 106
III. Anwendungsbereich im Arzthaftungsprozeß
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res ipsa loquitur. Der Supreme Court of California hob das klagabweisende Urteil des Vorderrichters auf und erklärte die Regel für anwendbar, obwohl es an jeglichem Beweis dafür fehlte, wer von den sechs Beklagten die Verletzung verursacht haben konnte. Zu diesem Punkt stellte er zusammenfassend fest: "... (W)here a plaintiff receives unusal injuries while unconscious and in the course of medical treatment, all those defendants who had any control over his body or the instrumentalities which might have caused the injuries may properly be called upon to meet the inference of negligence by giving an explanation of their conduct ll1 ." Dies bedeutet praktisch die Aufgabe der zweiten Voraussetzung von res ipsa 10quitur112 , auch wenn sich das Gericht bemüht, formal daran festzuhalten. Statt wie bisher eine tatsächliche Herrschaft (actual exclusive control) über das Geschehen durch den bzw. jeden einzelnen Beklagten zu verlangen, soll nunmehr schon die Möglichkeit zur Kontrolle für die Anwendbarkeit der Regel ausreichen (right of control and opportunity to exercise it)113. Andernfalls würde die mit res ipsa loquitur beabsichtigte Wirkung nicht erreicht. Es ist offenkundig, daß es sich hierbei um eine Argumentation vom Ergebnis her handelt. In der Sache begründet das Gericht die Abkehr von dem exclusive control-Erfordernis mit den "besonderen Umständen", die in Arzthaftungsfällen vorlägen. Hier nennt es zum einen die Tatsache, daß der Patient sich ganz in die Obhut und Fürsorge der Ärzte und Krankenschwestern begibt, und zum anderen seine Bewußtlosigkeit zum Zeitpunkt der Gesundheitsschädigung l14 • Seit der Ybarra-Entscheidung haben nicht nur die kalifornischen Gerichte den darin eingeschlagenen Weg konsequent weiterverfolgt 115 . Auch die Rechtsprechung mehrerer anderer Staaten hat sich dem im Laufe der Zeit angeschlossen1l 6 • Dabei unterscheiden sich die Begrün111 In der erneuten Verhandlung gab jeder der Beklagten an, er habe sich sorgfältig verhalten und die anderen Beklagten seines Wissens auch. Trotzdem wurden alle Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt. Der California District Court of Appeal (2d District) bestätigte dieses Urteil (vgl. Ybarra v. Spangard, 93 Cal. App. 2d 43, 208 P. 2d 445 [1949]). 112 Vgl. Morris / Moritz, S. 406 f.; Prasser, S. 223. 113 Ähnlich Jaffe, 1 Buffalo L. Rev. 6 FN. 13: "But ,control' should not be a condition for applying the doctrine. The determining factor should be the defendant's power - if not in the very case, at least in the class of ca se in question - to rebut the adverse inference." Vgl. auch Speiser, § 2:13. 114 Vgl. dazu im einzelnen auch Renswick, 9 Clev.-Marsh. L. Rev. (2) 202 f.; Koren, 26 U. Fla. L. Rev. 318 ff. 115 Vgl. Seneris v. Haas, 45 Cal. 2d 811, 291 P. 2d 915 (1955); vgl. ferner Renswick, 9 Clev.-Marsh. L. Rev. (2) 202; Kimball, 34 Albany L. Rev. 116; Thode, 1969 Utah L. Rev. 2; Speiser, § 24:6 (jew. m. w. N.). 116 Morris / Moritz, S. 407, nennen insgesamt 11 Staaten, darunter New York. Vgl. ferner Adamson, 46 Minn. L. Rev. 1055 f.; Broder, 18 De Paul L.
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3. Teil. B. USA: Doctrine of Res Ipsa Loquitur
dungen für die Ausdehnung der Regel kaum von der im Ausgangsfall gegebenen. Eine Reihe von Gerichten hat sich diesem Trend jedoch eindeutig widersetzt l17 • Ohne auf die Problematik bei der Behandlung durch mehrere Personen unmittelbar einzugehen, greifen sie zur Rechtfertigung ihrer restriktiven Haltung auf das bekannte Argument zurück, eine Verletzung oder der Mißerfolg der Behandlung allein führten noch nicht zur Anwendbarkeit von res ipsa loquitur. Auch im Schrifttum ist die Lockerung der zweiten Voraussetzung der Regel nicht nur auf Zustimmung gestoßen. Die schärfste Kritik stammt von SeaveyllB. Er versteht die Ybarra-Entscheidung als "reversal of the common law theories of burden of proof". Es sei ungerecht, mehrere Beklagte gesamtschuldnerisch haften zu lassen, obwohl die meisten von ihnen wahrscheinlich unschuldig seien 119 • Ein anderer Autor spricht wegen der aus Kalifornien kommenden Ausdehnung der Regel ironisch von "California res ipsa"120. Seiner Ansicht nach handelt es sich hierbei um einen Fall von Gefährdungshaftung, der als Beweisregel verkleidet wird 121 . Der Haupteinwand aller Kritiker geht jedoch dahin, daß res ipsa loquitur hier in Wahrheit keine negligence-Vermutung darstelle, sondern ausschließlich zum Beweis der Kausalität herangezogen werde 122 . Soweit die Entscheidung Zustimmung erfahren hat, wird ebenfalls nicht verkannt, daß die dadurch eingeleitete Entwicklung kaum noch etwas mit dem ursprünglichen Zweck der doctrine of res ipsa loquitur zu tun hat 123 . Harper und James 124 billigen sie aber dennoch, weil es wünschenswert sei, den eingetretenen Schaden nach dem Versicherungsprinzip zu verteilen. Diese Art von Beklagten sei regelmäßig haftpflichtversichert. Daher sei es im Ergebnis ohnehin gleichgültig, ob die Versicherungsgemeinschaft den Schaden trage, weil sich ein bestimmtes Rev. 427; Cassibry, 34 La. L. Rev. 146; Burstein, 21 Loyola L. Rev. 206 (jew. m.w.N.). 117 Vgl. z. B. Rhodes v. De Haan, 184 Kan. 473, 337 P. 2d 1043 (1959): Klagabweisung, obwohl dieser Entscheidung ein auffallend ähnlicher Fall wie in Ybarra v. Spangard zugrundelag. Vgl. auch Thode, 1969 Utah L. Rev. 3 f. (m. w. N.). 118 63 Harvard L. Rev. 643. 119 Seavey, 63 Harvard L. Rev. 648. 120 Adamson, 46 Minn. L. Rev. 1049. 121 Adamson, 46 Minn. L. Rev. 1054. 122 Vgl. Thode, 1969 Utah L. Rev. 2. 123 So Prosser, 37 Cal. L. Rev. 223 f.; a. A. offenbar Jaffe, 1 Buffalo L. Rev. 9 ff. Prosser, Torts, S. 223, bringt das Ergebnis der Entscheidung auf die Formel, die Beklagten müßten ihr Verhalten erklären oder zahlen (explain or pay). 124 a.a.O., S. 1089.
III. Anwendungsbereich im Arzthaftungsprozeß
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Mitglied haftpflichtig gemacht habe oder weil ein nicht näher bestimmbarer Versicherungsnehmer aus einer Gruppe von Versicherten den Haftpflichtfall herbeigeführt habe. Für andere Befürworter steht dagegen als positive Folge der Ybarra-Entscheidung im Vordergrund, daß der Mediziner veranlaßt wird, über alle Vorkommnisse Auskunft zu geben, die das Arzt-Patienten-Verhältnis betreffen (duty to communicate)125. Ebenso wie speziell diese Ausdehnung der Regel umstritten ist, wird auch ihre Anwendung im Arzthaftungsprozeß insgesamt unterschiedlich bewertet. Allerdings stehen dabei ebenfalls die Liberalisierungstendenzen, die allesamt von Kalifornien ausgegangen sind, im Mittelpunkt der Kritik und nicht etwa die Anwendung in den Fremdkörperfällen und ähnlichen Situationen. Schon im Jahre 1958 hat Morris 126 die Ansicht vertreten, daß die gesamte Entwicklung auf eine liability without fault für Ärzte hinauslaufe. Er hat die doctrine of res ipsa loquitur daher als "rule of sympathy" bezeichnet. Sie dränge die Mediziner in die Rolle von Versicherern und behindere dadurch den medizinischen Fortschritt, vor allem aber die Entwicklung neuer Operationstechniken. Ein anderer Autor vergleicht die Regel mit der "Büchse der Pandora"127. Wenn man ihren Anwendungsbereich zu weit ausdehne, öffne sich der Deckel der Büchse und lasse alle Nachteile der Regel in Erscheinung treten. Gleichzeitig erkennt er jedoch auch ihre nützliche Funktion in bestimmten Situationen an. So werde der Patient, dessen offensichtlich begründete Klage andernfalls abgewiesen werden müßte, mit Hilfe von res ipsa loquitur in die Lage versetzt, die "conspiracy of silence" der Ärzte zu durchbrechen und einen prima facie-Fall zu begründen. Auf diesen Vorteil weisen auch die anderen Befürworter einer vorsichtigen Anwendung der Regel hin 128 . Selbst die Commission on Medical Malpractice hat sich nicht generell gegen eine Anwendung von res ipsa loquitur im Arzthaftungsprozeß ausgesprochen. Sie hat die Rechtsprechung nur dazu aufgefordert, die Maxime in diesem Bereich nicht eher und nicht häufiger als im übrigen Haftungsrecht anzuwenden l29 . Damit zeigt sich auch hier die Schwierigkeit, einen Weg zu finden, der weder den Patienten noch den Arzt zu sehr bevorzugt oder benachteiligt, der also einer Waffengleichheit im 125 So Louisell / Williams, 48 Cal. L. Rev. 266; ähnlich Thode, 1969 Utah L. Rev. 10. Ebenfalls zustimmend Burstein, 21 Loyola L. Rev. 204 und - eingeschränkt - Jaffe, 1 Buffalo L. Rev. 8 ff. 128 1958 Insurance Counsel Journal 113. 127 Schwemer, 47 Marquette L. Rev. 254. 128 Vgl. Note, 60 Nw. U. L. Rev. 874; Cushing / Melcher, 6 Willamette L. J. 262; Gibbons, 20 Cleveland State L. Rev. 5l. 129 Vgl. HEW-Report, S. 29.
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3. Teil. B. USA: Doctrine of Res Ipsa Loquitur
Arzthaftungsprozeß möglichst nahekommt. Der Supreme Court of California hat diese Schwierigkeit zwar durchaus anerkannt 130 • In seinem achtenswerten Bemühen, die Beweisnot des Patienten zu lindern, ist er aber über das Ziel hinausgeschossen und hat mit Hilfe von res ipsa loquitur die prozessuale Situation entscheidend zu Lasten des Arztes verändert. Nicht in allen Staaten hat der Gesetzgeber der Entwicklung der doctrine of res ipsa loquitur durch die Rechtsprechung tatenlos zugesehen. Im Jahr 1967 hat Alaska als erster Staat die Beweisregel per Gesetz für im Arzthaftungsprozeß unanwendbar erklärt l3l . Man sagt, dies sei die Reaktion auf die Entscheidung des Supreme Court of Alaska in Patrick v. Sedwick 132 gewesen. In diesem Fall hatte das Gericht res ipsa loquitur angewendet, obwohl der geltend gemachte Schaden statistisch gesehen auch in fünf Prozent der lege artis durchgeführten Behandlungen eintritt. Als sich herausstellte, daß die Gerichte res ipsa loquitur in den 60er und Anfang der 70er Jahre häufiger im Arzthaftungsprozeß angewendet hatten als vorher 133 , wurde auch die Mitte des letzten Jahrzehnts aufgetretene malpractice crisis 134 mit auf diesen Umstand zurückgeführt. Daraufhin wurde - insbesondere von medizinischer Seite - der generelle Ausschluß der Beweisregel aus dem Arzthaftungsprozeß durch Gesetz verlangt1 35 • Zwar hat sich diese Forderung nicht durchgesetzt. Jedoch haben einige Staaten in ihren Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung der Krise auch eine Modifikation von res ipsa loquitur aufgenommen 136 • Diese gesetzlichen Regelungen sehen vor, daß entweder auch in res ipsa loquitur-Situationen stets ein medizinischer Sachverständiger gehört werden muß oder daß die Regel im Arzthaftungsprozeß nur noch in fest umschriebenen Fallkonstellationen anwendbar ist. Da aber Kalifornien nicht zu dieser Staatengruppe gehört, ist kurzfristig kaum mit einer wesentlichen Einschränkung des Anwendungsbereiches der doctrine of res ipsa loquitur in malpractice-Fällen zu rechnen. 130 Vgl. Salgo v. Leland Stanford Junior University Board of Trustees, 154 Cal. App. 2d 560, 317 P. 2d 170 (1957): "The great difficulty in the application of the doctrine is to determine where to draw the line." 131 Alaska Statute § 05.55.540 (3) (b): "In malpractice actions there shall be no presumption of negligence on the part of the defendant." 132 391 P. 2d 453 (1964). 133 Vgl. Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEW-Report, S. 129; Speiser, § 24:1 (a. E.). 134 s. dazu oben 1. Teil A. 135 Vgl. AMA, S. 27; Hirsh, Case & Comment, July-August 1975, S. 6. 136 Vgl. hierzu und zum folgenden AMA, S. 30 f. Die AMA zählt insgesamt sieben Staaten auf, darunter New York.
IV. Rechtsvergleichende Betrachtung
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IV. Rechtsvergleichende Betrachtung Auf den ersten Blick scheinen sich res ipsa loquitur und der deutsche Anscheinsbeweis zu entsprechen. Auch ein Teil der deutschen Literatur, die sich mit dem Vergleich der beiden Rechtsinstitute befaßt hat, gelangt zu dem Ergebnis, daß sie praktisch gleichzusetzen sind 137 . An einer eingehenden Begründung für diese Auffassung fehlt es jedoch zumeist. Richtig ist, daß sich die Voraussetzungen für beide Formen der Beweiserleichterung ähneln. Sie gehen gleichermaßen von einem typischen Geschehensablauf (ordinary instance, ordinary course of things)138 aus. Dabei ist es nur eine Frage der Formulierung, ob man - wie der Anscheinsbeweis - positiv verlangt, daß der gewöhnliche Verlauf der Dinge für das Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen spricht, oder aber ob man - wie res ipsa loquitur - negativ davon ausgeht, daß der Schaden normalerweise nicht eingetreten wäre, wenn sich nicht jemand pflichtwidrig verhalten hätte. Hiermit erschöpfen sich jedoch bereits die Gemeinsamkeiten. Im übrigen unterscheiden sich die Rechtsinstitute erheblich voneinander. Das trifft vor allem für ihre Rechtsfolgen zu. Res ipsa loquitur ist im einzelnen nur aus der Rollenverteilung zwischen Richter und jury zu erklären und entfaltet ihre wesentliche Wirkung in diesem Bereich. Aber auch unabhängig davon zeigen sich deutliche Unterschiede, wenn man die Anforderungen vergleicht, die an die Entkräftung bzw. Widerlegung der beiden Beweiserleichterungen gestellt werden. Dabei ist allerdings gleichzeitig das in den Ländern verschiedene Beweismaß mit in Betracht zu ziehen. Zur Entkräftung des Anscheinsbeweises reicht es für den Beklagten aus, die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes darzulegen und zu beweisen, für den er nicht haftet. Da auch beim Anscheinsbeweis das Beweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit gilt, ist damit die volle Überzeugung des Gerichts vom typischen Verlauf der Dinge erschüttert. Dies gilt selbst dann, wenn der andere Geschehensablauf erheblich unwahrscheinlicher ist als der gewöhnliche. Demgegenüber muß der Beklagte nach amerikanischem Recht zur Entkräftung der negligence-Vermutung Umstände beweisen, die es mindestens ebenso wahrscheinlich, wenn nicht gar wahrscheinlicher erscheinen lassen, daß der Schaden unabhängig von einem Sorgfaltspflichtverstoß auf seiner Seite eingetreten ist (balance of probabilities). Denn nach dem im dortigen Zivilprozeßrecht geltenden Beweismaß muß die jury der Klage stattgeben, solange sie aufgrund der negligence-Vermutung der Ansicht ist, daß 137 So z. B. Eisner, ZZP 80, 90; Stock, S. 103; Giesen, Arzthaftungsrecht, S. 125 f. u. 128; desgl. wohl auch Zweigert / Kötz, S. 375. 138 Vgl. Harper / James, S. 1077.
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3. Teil. B. USA: Doctrine of Res Ipsa Loquitur
ein Pflichtverstoß des Beklagten die wahrscheinliche Ursache des geltend gemachten Schadens ist. Oben ist deutlich geworden, daß die Anwendung von res ipsa loquitur daher letztlich - und zumal im Arzthaftungsprozeß - eine echte Beweislastumkehr zu Lasten des Beklagten bedeutet. Zu diesem Ergebnis ist bei einem Vergleich von Anscheinsbeweis und res ipsa loquitur auch ein Teil der deutschen Literatur gelangt1 39 • Betrachtet man speziell den Anwendungsbereich von res ipsa loquitur im Arzthaftungsprozeß, so gewinnt man - kurz und vereinfacht gesagt - den Eindruck, daß hier beim Vorliegen der Voraussetzungen des Anscheinsbeweises die Rechtsfolge eintritt, die die deutsche Rechtsprechung nur bei einem groben Behandlungsfehler des Arztes annimmt, nämlich eine Beweislastumkehr. Zwar begründet res ipsa 10quitur auch im Arzthaftungsprozeß in erster Linie eine negligenceVermutung. Jedoch wenden insbesondere die kalifornischen Gerichte die Regel - wie dargelegt - auch dort an, wo es ausschließlich um die Kausalität geht. Dafür ist nicht erforderlich, daß der Patient zuvor einen groben Behandlungsfehler des Arztes beweist. Nach dem allgemeinen Beweismaß genügt es vielmehr, daß der Arzt sich wahrscheinlich pflichtwidrig verhalten hat, um daran die Kausalitätsvermutung mit der Folge der Beweislastumkehr zu knüpfen. Die Ausdehnung, die res ipsa loquitur in der Ybarra-Entscheidung erfahren hat, scheint auf den ersten Blick der Beweiserleichterung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB zu ähneln. Das ist jedoch nicht der Fall. Denn diese Vorschrift erleichtert nur den Beweis alternativer Kausalität. Sie ist erst anwendbar, wenn feststeht, daß sich alle Beteiligten rechtswidrig und schuldhaft verhalten haben 140 • Schon dieser Nachweis war dem Kläger aber in Ybarra v. Spangard nicht möglich. Vielmehr lag hier ein Fall alternativer Fahrlässigkeit vor. Durch die Anwendung von res ipsa loquitur in dieser Situation hat das Gericht bewußt eine Haftung für nur mögliche Fahrlässigkeit angeordnet1 41 • Auch insoweit ist das amerikanische Recht also "klägerfreundlicher" als das deutsche. Eine Parallele der beiden Rechtssysteme, die gerade den Arzthaftungsprozeß betrifft, fällt jedoch auf: So begründen die kalifornischen Gerichte die häufige und ausdehnende Anwendung von res ipsa loquitur im Arzthaftungsprozeß vor allem damit, daß die Hauptbeweismittel 139 So z. B. Diederichsen, Karlsruher Forum 1966, 24; Maassen, S. 140 f., 142 f. Nach Weyers, S. 69, schwankt die Rechtsfolge von res ipsa loquitur im
Ergebnis zwischen der Funktion des Anscheinsbeweises und der Beweislastumkehr. 140 Vgl. Palandt / Thomas, § 830 Anm. 3 c ce. 141 Ebenso Maassen, S. 149.
IV. Rechtsvergleichende Betrachtung
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für die wahre Ursache der Schädigung praktisch nur dem Arzt zugänglich seien, und zwar unabhängig davon, ob er diese zu vertreten habe oder nicht; der - zumeist bewußtlose - Patient habe dagegen keinen Zugang zu ihnen l42 • Damit stellen sie auf den Sphärengedanken ab, der nach der hier vertretenen Auffassung auch hinter der Beweislastumkehr steht, die die deutsche Rechtsprechung - allerdings erst beim Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers - in der Kausalitätsfrage annimmt. Daß die amerikanischen Gerichte eher bereit sind, eine Beweiserleichterung zugunsten des klagenden Patienten eingreifen zu lassen, dürfte in der "conspiracy of silence" begründet sein, die sich in den Vereinigten Staaten noch erheblich stärker bemerkbar macht als in der Bundesrepublik Deutschland. Außerdem neigt die dortige Rechtsprechung dazu, den Schaden zu sozialisieren, wenn der Beklagte haftpflichtversichert ist oder zu sein pflegt. Es liegt auf der Hand, daß auch die doctrine of res ipsa loquitur verbunden mit dem generell niedrigeren Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit - mit zu der malpractice-Krise in den 70er Jahren beigetragen hat. Zwar waren dafür noch eine Reihe von anderen Umständen maßgeblich l43 , die hier weder vorliegen noch zu erwarten sind. Jedoch sollte man sich auch hierzulande die Erfahrungen zunutze machen, die sich aus einer zu weitgehenden Begünstigung des Patienten durch die Ausgestaltung der Beweisregeln ergeben. So ist zunächst vor einer allgemeinen Senkung des Beweismaßes auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit zu warnen, wie sie vereinzelt auch im deutschen Schrifttum gefordert wird l44 . Dies wird auch von der Rechtsprechung und Literatur fast einhellig abgelehnt l45 • Stürner 146 weist mit Recht darauf hin, daß ein Abstellen auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit ein Bruch mit der deutschen prozessualen Tradition wäre, die grundsätzlich vollen Beweis verlangt. Erst recht ginge es nicht an, die Senkung des Beweismaßes auf den Arzthaftungsprozeß zu beschränken. Denn dies würde bewirken, daß der Arzthaftungsprozeß noch stärker beweis rechtlichen Sonderregeln unterworfen wäre, als es schon jetzt der Fall ist. 142 Vgl. Ybarra v. Spangard, 25 Cal. 2d 486, 154 P. 2d 687, 162 ALR 1258 (1944) m. w. N.; (allg.) Wigmore, § 2509. 143 s. dazu oben 1. Teil A. 144 So insbes. Kegel, Festgabe für H. Kronstein, S. 335 ff. Stoll, AcP 176, 196, ist der Ansicht, daß die Gerichte beim Anscheinsbeweis ohnehin nur auf die größere Wahrscheinlichkeit abstellen. Musielak, S. 150, vertritt diese Auffassung für den Arzthaftungsprozeß (s. dazu oben 2. Teil B. IH. 5. a) aa)). 145 Vgl. z. B. RGZ 95, 249 f.; Lepa, DRiZ 1966, 112; Arens, ZZP 88, 30 ff. (ausdrücklich gegen Kegel, a.a.O.). 146 NJW 1979,2337.
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3. Teil. B. USA: Doctrine of Res Ipsa Loquitur
Schließlich kann auch eine weitergehende Beweislastumkehr, wie sie die doctrine of res ipsa loquitur im Ergebnis mit sich bringt, für den deutschen Arzthaftungsprozeß nicht befürwortet werden. Das Risiko der Unaufklärbarkeit von Behandlungsmißerfolgen darf nicht einseitig auf den Arzt verlagert werden. Andernfalls bestünde in Deutschland ebenfalls die Gefahr, daß sich die Ärzte zu einer defensiven Medizin entschließen und ihre Bereitschaft abnimmt, auch in schwierigen oder nahezu aussichtslosen Fällen helfend tätig zu werden. Auf dem 5. Kolloquium des Europarates, das sich im Jahre 1975 mit der zivilrechtlichen Arzthaftung befaßte, machte Sluyters 147 den Vorschlag, die Beweislast wenigstens generell zu Lasten des Krankenhauses umzukehren, wenn der Patient nachweisen könne, daß sich sein Gesundheitszustand im Krankenhaus verschlechtert habe. Allein das Krankenhaus besitze alle Aufzeichnungen und Informationen über die innerbetrieblichen Vorgänge. Dieser Vorschlag würde jedoch eine noch weitergehende Schuldvermutung begründen, als res ipsa loquitur sie bewirkt; denn er knüpft die Beweislastumkehr nicht erst an eine ungewöhnliche Krankheitsentwicklung oder Schädigung, geschweige denn an den Nachweis eines (qualifizierten) Pflichtverstoßes, wie er nach deutschem Recht erforderlich ist. Der Vorschlag ist daher auch in dem Kolloquium gerade seitens der deutschen Teilnehmer auf einhelligen Widerspruch gestoßen 148. Was den Beweis des Behandlungsfehlers und dessen Kausalität für den eingetretenen Schaden angeht, haben sich die geltenden Beweisregeln des deutschen Rechts im großen und ganzen bewährt. Sie verteilen das Prozeßrisiko im allgemeinen so, daß weder der Patient noch der Arzt zu stark begünstigt oder in einen unzumutbaren Beweisnotstand gedrängt wird. Auch geben sie keinen unerwünschten Anreiz zu leichtfertigem Prozessieren. Zwar sind die deutschen Beweisregeln wie dargelegt - in Detailfragen noch verbesserungsfähig; jedoch bietet die amerikanische doctrine of res ipsa loquitur keine neuen Gesichtspunkte, die sich auch für die Beweislastverteilung im deutschen Arzthaftungsprozeß nutzbar machen ließen.
(Rechtsanwalt in Den Haag) Referat, S. 15. Vgl. die Berichte über die Veranstaltung von Deutsch, NJW 1975, 1452 und von Griess, JZ 1975, 581 f. 147
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1. Verteilung der Beweislast
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C. Beweisfragen bei Aufklärung und Einwilligung des Patienten I. Verteilung der Beweislast Auch in den Vereinigten Staaten darf der Arzt grundsätzlich nur solche Behandlungsmaßnahmen durchführen, zu denen der Patient seine Einwilligung gegeben hat. Diese ist - wie in Deutschland - nur dann wirksam, wenn der Patient vorher über Art, Bedeutung und mögliche Folgen des beabsichtigten Eingriffs aufgeklärt worden ist. Man spricht von der "doctrine of informed consent". Seit Anfang der 60er Jahre spielt sie eine ständig wachsende Rolle im Arzthaftungsprozeßl. Während der Umfang der Aufklärungspflicht nach amerikanischem und deutschem Recht einige Parallelen aufweisF, finden sich bei der Beweislastverteilung in diesem Bereich interessante Unterschiede. Hierfür ist zunächst von Bedeutung, ob das Gericht als Anspruchsgrundlage bei der eigenmächtigen Heilbehandlung den Haftungsgrund der battery oder den der negligence heranzieht. Während das Schwergewicht des Vorwurfs nach der battery-Theorie in der ohne Einwilligung des Patienten vorgenommenen Körperverletzung liegt, sieht die negligence-Theorie in der vollkommen oder teilweise unterlassenen Aufklärung in erster Linie eine Sorgfaltspflichtverletzung des Arztes bei der Berufsausübung. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts wurde die eigenmächtige Heilbehandlung ausschließlich unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der battery betrachtet3 • Hierbei handelte es sich jedoch überwiegend um Fälle, bei denen der Patient weder ausdrücklich noch konkludent in den vorgenommenen Eingriff eingewilligt hatte und bei denen für die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung (implied consent) ebenfalls kein Raum war. Unter diesen Voraussetzungen findet die batteryTheorie auch heute noch Anwendung4 • Das gleiche gilt, wenn der Arzt eine Einwilligung für eine bestimmte Behandlung erhalten hat, anschließend aber eine grundlegend andere Behandlung durchführt. Verschiedentlich haben die Gerichte diese Anspruchsgrundlage früher freilich auch dann herangezogen, wenn zwar eine Einwilligung als solche vorlag, der Arzt den Patienten aber vorher nicht ausreichend Vgl. Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEW-Report, S. 129. Vgl. dazu eingehend die rechtsvergleichende Untersuchung von Linzbach. 3 Vgl. Mohr v. Williams, 95 Minn. 261, 104 N. W. 12 (1905); Prosser, S. 165; Jacobson, 23 Fed. Ins. Couns. Quart. 11. 4 Vgl. hierzu und zum folgenden Cobbs v. Grant, 8 Cal. 3d 229, 104 Cal. Rptr. 505, 502 P. 2d 1 (1972) m. w. N. 1
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3. Teil. C. USA: Beweisfragen bei Aufklärung und Einwilligung
aufgeklärt hattes. Nach der grundlegenden Entscheidung Natanson v. Kline 6 ist diese Rechtsprechung jedoch inzwischen von den meisten Bundesstaaten zugunsten der negligence-Theorie aufgegeben worden7 • Dahinter steht die übereinstimmende Erwägung, daß es dem Arzt bei einer Aufklärungspflichtverletzung an dem für eine Körperverletzung erforderlichen Vorsatz (intent, malice) fehle 8 • Vielmehr verstoße der Arzt damit in Wahrheit gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, die auch eine angemessene Information des Patienten umfasse. Die Unterscheidung in battery und negligence als Haftungsgrund ist nicht nur von theoretischem Interesse. Sie wirkt sich auch praktisch aus. So ist die Verjährungsfrist für eine auf battery gestützte Klage in einigen Staaten kürzer als bei einer Inanspruchnahme aus negligence 9 • Außerdem besteht die Gefahr, daß die Haftpflichtversicherung dem Arzt bei einer Verurteilung aus battery die Deckung versagt. Demgegenüber besteht für den Patienten nur bei einer battery-Klage die Möglichkeit, auch punitive damages lO zu erhalten. Wesentlich ist die Differenzierung auch für den Umfang der Beweislast. Nach der battery-Theorie macht sich der Arzt allein schon durch die Berührung des Patienten ohne dessen Einwilligung schadensersatzpflichtig (mere touching absent consent)l1. Anders als im deutschen Recht obliegt dabei dem Patienten allerdings der Beweis der fehlenden Einwilligung 12 • Gelingt ihm dieser, so haftet der Arzt theoretisch selbst dann, wenn er den Eingriff lege artis ausgeführt und damit eine Verbesserung des Gesundheitszustandes des Patienten erreicht hat 13 • Bei Vgl. Prosser, S. 106; Kessenick / Mankin, 8 U. S. F. L. Rev. 263. 186 Kan. 393, 350 P. 2d 1093; rehearing denied but decision explained: 187 Kan. 186,354 P. 2d 670 (1960). 7 Vgl. Cobbs v. Grant, 8 Cal. 3d 229, 104 Cal. Rptr. 505, 502 P. 2d 1 (1972); Canterbury v. Spence, 464 F. 2d 772 (D. C. Cir. 1972); ZeBarth v. Swedish Hospital Medical Center, 499 P. 2d 1 (Wash. 1972); Prosser, S. 106 u. 165; Edwards, 23 Vanderbilt L. Rev. 774; Jacobson, 23 Fed. Ins. Couns. Quart. 11. Die Rechtsprechung von Pennsylvania hält nach wie vor an der batteryTheorie fest (vgl. Fala, 36 U. Pittsburgh L. Rev. 247 f.). 8 Vgl. Natanson v. Kline, 186 Kan. 393, 350 P. 2d 1093; 187 Kan. 186, 354 P. 2d 670 (1960); Cobbs v. Grant, 8 Cal. 3d 229, 104 Cal. Rptr. 505, 502 P. 2d 1 (1972); Prosser, S. 106. 9 Vgl. hierzu und zum folgenden Cobbs v. Grant, 8 Cal. 3d 229, 104 Cal. Rptr. 505, 502 P. 2d 1 (1972); Kessenick / Mankin, 8 U. S. F. L. Rev. 264. 10 s. dazu oben 3. Teil A. 11. 1. b). 11 Vgl. Cobbs v. Grant, 8 Cal. 3d 229, 104 Cal. Rptr. 505, 502 P. 2d 1 (1972). 12 Vgl. Cobbs v. Grant, 8 Cal. 3d 229, 104 Cal. Rptr. 505, 502 P. 2d 1 (1972); Morris, S. 401 (m. w. Rspr. Nachw.). Mißverständlich insoweit HEW-Report, S.29. 13 Vgl. HEW-Report, S. 29; Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEW-Report, S. 126. Hier kommt freilich nur die Zuerkennung von nominal oder punitive damages in Betracht (vgl. auch Kopple, 16 De Paul L. Rev. 451). 5
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I. Verteilung der Beweislast
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einer Klage, auf die entsprechend den oben dargelegten Abgrenzungskriterien die negligence-Theorie Anwendung findet, muß der Patient dagegen sämtliche Tatbestandsmerkmale der negligence beweisen. Er ist also mit dem Beweis einer Aufklärungspflichtverletzung, eines Schadens und des Ursachenzusammenhangs zwischen beiden belastet14 • Hier zeigt sich bereits, daß eine auf battery gestützte Klage allein schon deshalb größere Erfolgsaussichten hat als eine aus negligence, weil die Anforderungen für den Beweis des Haftungsgrundes battery erheblich niedriger sind 15 • Dieser Umstand ändert jedoch nichts daran, daß die Mehrzahl der Fälle unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der negligence zu beurteilen sind. Denn der Patient bestreitet zumeist nicht die Einwilligung als solche. Er macht vielmehr in der Regel ihre Unwirksamkeit geltend, weil ihr keine ausreichende Aufklärung vorangegangen seP6. Daher soll im folgenden eingehender untersucht werden, welchen Beweisanforderungen der Patient bei einer auf negligence gestützten Klage wegen einer Aufklärungspflichtverletzung genügen muß. Umstritten ist zunächst, ob der Patient den Aufklärungsstandard, von dem der Arzt abgewichen sein soll, durch ein Sachverständigengutachten beweisen muß oder ob es sich hierbei um eine Rechtsfrage handelt, die das Gericht ohne Anhörung eines Gutachters entscheidet. Nach der früher herrschenden und auch heute noch von einigen Staaten 17 vertretenen Auffassung bedarf es zur Beurteilung dieser Frage stets der Aussage eines medizinischen Sachverständigen18 • Denn danach muß der Patient beweisen, in welchem Umfang ein vernünftiger und guter Arzt derselben Schule (reasonable physician, doctor in good standing) seinen Patienten unter denselben oder ähnlichen Umständen aufgeklärt hätte. Es ist offensichtlich, daß es sich hier um eine Abwandlung der locality rule 19 handelt. Zwar haben die Gerichte auch hier einen gewissen Mindeststandard formuliert, dem der Arzt bei der Aufklärung entsprechen muß. So ist er verpflichtet, den Patienten über all das aufzuklären, was dieser für eine verständige Einwilligung benötigt; dabei darf er die Risiken weder beschönigen noch dramatisieren20 • Jedoch ist nicht zu übersehen, daß der Umfang der Aufklärungspflicht nach dieser Ansicht Vgl. Perdue, 11 Houston L. Rev. 1085 f. Vgl. Linzbach, S. 39. 1G Vgl. HEW-Report, S. 29. 17 Jacobson, 23 Fed. Ins. Couns. Quart. 15, zählt insgesamt 15 Staaten auf. 18 Vg!. Kessenick / Mankin, 8 U. S. F. L. Rev. 268 ff.; Perdue, 11 Houston L. Rev. 1086; Burstein, 21 Loyola L. Rev. 196; Jacobson, 23 Fed. Ins. Couns. Quart. 13 (jeweils m. w. N.). 19 s. dazu oben 3. Teil A. V. 20 Vgl. Salgo v. Leland Stanford Junior University Board of Trustees, 154 Ca!. App. 2d 560, 317 P. 2d 170 (1957). 14
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3. Teil. C. USA: Beweisfragen bei Aufklärung und Einwilligung
weitgehend in das Ermessen der Ärzte gestellt ist 21 • Wohl nicht zu Unrecht ist darauf hingewiesen worden, daß der Sachverständige den Aufklärungsmaßstab in aller Regel so formuliert, wie er ihn persönlich versteht 22 oder wie ihn der beklagte Arzt während der Behandlung erfüllt hat23 • Aufgrund dieser und ähnlich lautender Kritik haben sich eine Reihe von Gerichten Anfang der 70er Jahre von dem medizinischen Aufklärungsmaßstab abgewandt und den Umfang der erforderlichen Aufklärung als eine Rechtsfrage betrachtet, die von der ärztlichen Übung unabhängig sei 24 • Diese Qualifizierung, die ihren Ursprung in Kalifornien hat, hat sich seitdem mehr und mehr durchgesetzt 25 • Dahinter steht die Überlegung, daß die Ärzteschaft den von ihr zu erfüllenden Sorgfaltsmaßstab nicht als einzige Berufsgruppe selbst festsetzen dürfe. Vielmehr verlange die Achtung vor dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten eine Festlegung des Aufklärungsstandards von Rechts wegen26 • Die von den Gerichten gewählte allgemeine Formulierung des Umfangs der Aufklärungspflicht hat sich dadurch jedoch nicht wesentlich geändert. Danach muß der Arzt über all diejenigen Umstände, Risiken und Behandlungsalternativen aufklären, die ein verständiger Patient (reasanable man in the patient's position) für bedeutsam hält, um sich für oder gegen die empfohlene Behandlung entscheiden zu können 27 • In der Praxis wirkt sich der übergang vom medizinischen zum juristischen Aufklärungsmaßstab vor allem dadurch aus, daß der Patient keines Sachverständigen bedarf, um den üblichen Standard zu beweisen. Sein Fall gelangt ohne ein derartiges Gutachten vor die j ury 28. Daher ist die Entwicklung als ein weiterer Schritt im Kampf gegen die Vgl. Cobbs v. Grant, 8 Cal. 3d 229, 104 Cal. Rptr. 505, 502 P. 2d 1 (1972). Vgl. Curran / Shapiro, S. 574. 23 Vgl. Stewart, 48 Fla. B. J. 617. Linzbach, S. 53, hat nur einen Fall ausfindig gemacht, in dem eine auf die doctrine of informed consent gestützte Klage Erfolg hatte, weil die Gutachter den Aufklärungsstandard höher angesetzt hatten. 24 Vgl. Berkey v. Anderson, 1 Cal. App. 3d 790, 82 Cal. Rptr. 67 (1970); Canterbury v. Spence, 464 F. 2d 772 (0. C. Cir. 1972); Cobbs v. Grant, 8 Cal. 3d 229, 104 Cal. Rptr. 505, 502 P. 2d 1 (1972); Cooper v. Roberts, 220 Pa. Super. 260,286 A. 2d 647 (1971); Fala, 36 U. Pittsburgh L. Rev. 250 f. 25 Vgl. Kessenick / Mankin, 8 U. S. F. L. Rev. 270. 28 Vgl. die in FN. 24 zitierten Entscheidungen. 21 Cooper v. Roberts, 220 Pa. Super. 260, 286 A. 2d 647 (1971); Canterbury v. Spence, 464 F. 2d 772 (0. C. Cir. 1972); Stewart, 48 Fla. B. J. 618. 28 Vgl. Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEW-Report, S. 126; Fala, 36 U. Pittsburgh L. Rev. 251. Ist zwischen den Parteien nur streitig, ob der Arzt dem Patienten ein bestimmtes Risiko auch tatsächlich genannt hat, so hängt die Entscheidung der jury häufig allein von der Glaubwürdigkeit der Parteien ab (v gl. Edwards, 23 Vanderbilt L. Rev. 773). 21 22
I. Verteilung der Beweislast
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"conspiracy of silence" bezeichnet worden29 • Diese Behauptung trifft jedoch nur bedingt zu. Denn auch bei der Festlegung des Aufklärungsstandards von Rechts wegen kann der Patient auf den Sachverständigen in zahlreichen Fällen nicht verzichten. Da er die Beweislast für die Aufklärungspflichtverletzung trägt, benötigt er den Gutachter beispielsweise zur Aufzählung der bekannten Behandlungsrisiken und -alternativen sowie zum Beweis der Häufigkeit, mit der sich ein bestimmtes Risiko verwirklicht 30 . Hat der angestellte Arzt eines Krankenhauses keine wirksame Einwilligung eingeholt, so haftet das Krankenhaus neben dem Arzt nach der "doctrine of respondeat superior"31, wenn dem Patienten der Beweis der unzulänglichen Aufklärung gelingtS2 • Gerade von den amerikanischen Krankenhäusern werden dem Patienten häufig vorgedruckte Einwi11igungsformulare zur Unterzeichnung vorgelegt. Eine derartige Erklärung ist jedoch unwirksam, wenn sie zu allgemein gehalten ist und vorher keine ausreichende Aufklärung stattgefunden hat 33 . Verwendet das beklagte Krankenhaus regelmäßig (rechtlich einwandfreie) Einwi11igungsformulare, kann es im Prozeß aber kein solches vom klagenden Patienten unterschriebenes Formblatt vorlegen, so wird dies als Beweis dafür angesehen, daß der Patient nicht in die Behandlung eingewilligt hat 34 • In einem gewissen Widerspruch hierzu steht eine Entscheidung aus Virginia 35 . Danach spricht keine Vermutung dafür, daß der Patient ausschließlich über die in dem Formular aufgezählten Behandlungs risiken aufgeklärt worden ist. Verwirklicht sich ein nicht in dem Formblatt genanntes Risiko, so bleibt der Patient dafür beweispflichtig, daß ihn der Arzt auch nicht mündlich darauf hingewiesen hat. Nach einhelliger Ansicht kehrt sich die Beweisvorbringungslast (burden of going forward with the evidence) zu Lasten des Arztes um, wenn der Patient bewiesen hat, daß er über einen wesentlichen Umstand nicht aufgeklärt worden ist3 6 • Dies bedeutet, daß nunmehr dem Arzt der Beweis von Umständen obliegt, die das völlige oder teilweise Un29 Vgl. Kessenick IMankin, 8 U. S. F. L. Rev. 270; Fala, 36 U. Pittsburgh L. Rev. 251. 30 Vgl. Kessenick IMankin, 8 U. S. F. L. Rev. 275 f.; Stewart, 48 Fla. B. J. 618. 31 s. dazu oben 3. Teil A. 11. 2. 32 Vgl. Jacobson, 23 Fed. Ins. Couns. Quart. 19 u. 26 (m. w. N.). 33 Vgl. Fala, 36 U. Pittsburgh L. Rev. 248; Kopple, 16 De Paul L. Rev. 452 (jew. m. w. N.). 34 Vgl. Perdue, 11 Houston L. Rev. 1086 f. 35 Bly v. Rhoads, 216 Va. 645, 222 S. E. 2d 783 (1976). 38 Vgl. Z. B. Cobbs v. Grant, 8 Cal. 3d 229, 104 Cal. Rptr. 505, 502 P. 2d 1 (1972); Perdue, 11 Houston L. Rev. 1086 (m. w. N.); Stewart,48 Fla. B. J. 618.
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3. Teil. C. USA: Beweisfragen bei Aufklärung und Einwilligung
terlassen der Aufklärung rechtfertigen. Hier kommt insbesondere der Nachweis in Betracht, daß dem Patienten das Risiko bereits bekannt war, daß eine Notfallsituation vorlag oder daß eine Aufklärung aus therapeutischen Gründen contraindiziert war (sog. therapeutisches Privileg)37. Wie bereits erwähnt, trägt der Patient auch die Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen der Aufklärungspflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden38 . Dafür muß er zunächst beweisen, daß sich gerade das Behandlungsrisiko verwirklicht hat, über das ihn der Arzt nicht aufgeklärt hatte 30 . Größere Schwierigkeiten als dieser Nachweis bereitet dem Patienten in der Regel jedoch der weitere ihm obliegende Beweis, daß er bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht in die Behandlung eingewilligt hätte 40 . Nur wenige Gerichte lassen dafür allein die entsprechende Aussage des Patienten ausreichen, vorausgesetzt, daß diese nach Ansicht der Geschworenen glaubwürdig ist 41 • Nach herrschender Auffassung benachteiligt ein solcher rein subjektiver Test dagegen den Arzt zu stark, weil er ihn der Gefahr aussetze, daß der Patient auf diese Weise seine ganze Verbitterung und Enttäuschung über die mißglückte Behandlung abreagiere 42 . Auch der Patient könne nur Mutmaßungen darüber anstellen, wie er sich bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung verhalten hätte. Deshalb bevorzugen die meisten Gerichte einen objektiven Test. Danach muß der Kläger beweisen, daß ein verständiger Patient (reasonable oder prudent patient) die Einwilligung verweigert hätte, wenn er über das Risiko, das sich verwirklicht hat, aufgeklärt worden wäre43 . Letztlich entscheidet daher nicht der Patient, sondern die jury die hypothetische Frage der Einwilligung trotz ausreichender Aufklärung 44 . Dabei wägt sie die Vorteile und 37 Vgl. Cobbs v. Grant, 8 Cal. 3d 229, 104 Cal. Rptr. 505, 502 P. 2d 1 (1972); Stewart,48 Fla. B. J. 618. 3B Vgl. Kessenick / Mankin, 8 U. S. F. L. Rev. 265 f.; Edwards, 23 Vanderbilt L. Rev. 772. 39 Vgl. Canterbury v. Spence, 464 F. 2d 772 (D. C. Cir. 1972); Perdue, 11 Houston L. Rev. 1090. 40 Vg!. dazu Cobbs v. Grant, 8 Cal. 3d 229, 104 Cal. Rptr. 505, 502 P. 2d 1 (1972); Burstein, 21 Loyola L. Rev. 196. 41 Vgl. Kessenick / Mankin, 8 U. S. F. L. Rev. 266; Perdue, 11 Houston L. Rev. 1091; Burstein, 21 Loyola L. Rev. 198 (jew. m. w. N.). 42 Vgl. Cobbs v. Grant, 8 Cal. 3d 229, 104 Cal. Rptr. 505, 502 P. 2d 1 (1972); Canterbury v. Spence, 464 F. 2d 772 (D. C. Cir. 1972); vgl. ferner Watson v. Clutts, 262 N. C. 153, 136 S. E. 2d 617 (1964); ZeBarth v. Swedish Hospital Medical Center, 499 P. 2d 1 (Wash. 1972). 43 Vgl. Cobbs v. Grant, 8 Cal. 3d 229, 104 Ca!. Rptr. 505, 502 P. 2d 1 (1972); Canterbury v. Spence, 464 F. 2d 772 (D. C. Cir. 1972); Fogal v. Genese Hospital, 41 App. Div. 2d 468, 344 N. Y. S. 2d 552 (1973); Dietz / Baird / Berul, Appendix zum HEW-Report, S. 126.
I. Verteilung der Beweislast
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Dringlichkeit der Behandlung gegen die möglicherweise damit verbundenen Risiken ab. Der objektive Test ist im Schrifttum vereinzelt kritisiert worden. Dabei ist vor allem hervorgehoben worden, daß es sich bei der Einwilligung zu einer Operation um einen individuellen Entschluß handele, bei der auch höchstpersönliche Sorgen und Ängste eine Rolle spielten. Diese Entscheidung könne die jury nicht anstelle des Patienten treffen 45 • Im Ergebnis führe diese Rechtsprechung dazu, daß man dem Patienten das Recht verwehre, einen "unvernünftigen" Entschluß zu fassen 46 • Die Befürworter des reasonable patient-Test sind dagegen der Ansicht, daß dem Patienten dadurch nur die Möglichkeit genommen werde, nachträglich eine unvernünftige Entscheidung zu treffen 47 • Dies sei aber aus Gründen der Fairness gegenüber dem Arzt von Rechts wegen geboten. Zur Bekräftigung dieser Auffassung hat ein Gericht einmal darauf verwiesen, daß vielleicht auch der Arzt rückblickend die Operation nicht durchgeführt hätte, wenn er gewußt hätte, daß sich das mögliche Risiko verwirklichen würde 48 • Trotz der hohen Anforderungen an den Kausalitätsbeweis dient die Aufklärungspflichtverletzung zum Teil als Auffangtatbestand, wenn dem Patienten der Beweis eines Behandlungsfehlers nicht gelingt49 • Denn auch in den USA haftet der Arzt bei einer Aufklärungspflichtverletzung für den Mißerfolg der Behandlung selbst dann, wenn er sie lege artis durchgeführt hat 50 • Es wird berichtet, daß deshalb fast in jedem Arzthaftungsprozeß auch der Vorwurf einer Aufklärungspflichtverletzung erhoben wird 51 • Das dürfte vor allem daran liegen, daß der Patient bei diesem Haftungsgrund in weniger starkem Maße auf einen Sachverständigen angewiesen ist als beim Vorwurf eines Behandlungsfehlers 52 • Infolgedessen ist es für ihn auch einfacher, seinen Fall vor die bekanntermaßen klägerfreundliche jury zu bekommen53 • Dennoch ist insgesamt die Feststellung berechtigt, daß nur verhältnismäßig wenige 44 Vgl. Kessenick / Mankin, 8 U. S. F. L. Rev. 266; Burstein, 21 Loyola L. Rev.197. 45 Vgl. Perdue, 11 Houston L. Rev. 1091. 46 Vgl. Kessenick / Mankin, 8 U. S. F. L. Rev. 267. 47 SO Z. B. Edwards, 23 Vanderbilt L. Rev. 773. 48 Watson v. Clutts, 262 N. C. 153, 136 S. E. 2d 617 (1964). 49 Vgl. HEW-Report, S. 29; Burstein, 21 Loyola L. Rev. 195. 50 Vgl. Edwards, 23 Vanderbilt L. Rev. 773 f.; Kopple, 16 De Paul L. Rev. 451. 51 Vgl. Jacobson, 23 Fed. Ins. Couns. Quart. 9. 52 Vgl. Friedmann, 10 S. D. L. Rev. 144. 53 Vgl. Kopple, 16 De Paul L. Rev. 449 u. 451.
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3. Teil. C. USA: Beweisfragen bei Aufklärung und Einwilligung
Klagen, die auf die doctrine of informed consent gestützt werden, zum Erfolg führen.
11. Rechtsvergleichende Betrachtung Anders als in den Vereinigten Staaten trägt nach deutschem Rechtum es noch einmal zu wiederholen - der Arzt die Beweislast für die Aufklärung und die Einwilligung des Patienten. Dies gilt auch für die hypothetische Einwilligung im Falle der Aufklärungspflichtverletzung. Die unterschiedliche Beweislastverteilung in den beiden Rechtssystemen beruht vor allem auf der voneinander abweichenden dogmatischen Einordnung von Aufklärung und Einwilligung. Die in Deutschland herrschende Meinung faßt die Einwilligung, deren Wirksamkeit von einer ausreichenden Aufklärung abhängt, als Rechtfertigungsgrund auf. Demgegenüber wird die Aufklärungspflichtverletzung im amerikanischen Recht wie jeder andere Pflichtverstoß des Arztes (negligence) behandelt. Das deutsche Recht sieht nur in der Verletzung der sog. Sicherungsaufklärung einen Behandlungsfehler54 • Da diese jedoch die Heilung des Patienten nach einem Eingriff oder bei medikamentöser Behandlung sicherstellen soll, hat sie mit der Aufklärung in dem hier erörterten Sinne (sog. Selbstbestimmungsaufklärung) nichts zu tun. Es soll nicht bestritten werden, daß die Beweislastverteilung nach amerikanischem Recht in diesem Bereich teilweise zu Ergebnissen führt, die auch für das deutsche Recht wünschenswert erscheinen. So ist der Mißbrauch des Vorwurfs der Aufklärungspflichtverletzung als Auffangtatbestand keineswegs so weit verbreitet wie im deutschen Arzthaftungsprozeß. Auch die Frage der Beweisführungsmöglichkeiten für den Arzt stellt sich in den USA nicht mit derselben Schärfe wie hier, weil er nicht die Beweislast für Aufklärung und Einwilligung trägt. Wenn in amerikanischen Krankenhäusern dennoch Einwilligungsformulare verwendet werden, so ist dies als eine Vorsichtsmaßnahme anzusehen, die jedenfalls nicht von der Beweislast diktiert ist. Diesen Vorzügen steht jedoch ein ausschlaggebender Nachteil gegenüber. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, dessen Sicherung gerade das Ziel einer jeden ärztlichen Aufklärung ist, wird nicht in demselben Umfang geschützt wie im deutschen Recht. Das zeigt vor allem die Beweislastverteilung im Kausalitätsbereich. Hat der Arzt die Aufklärungspflicht verletzt, so muß sich der Patient am reasonable patient messen lassen. Diese Regelung hat - wie dargelegt - auch innerhalb der USA berechtigte Kritik erfahren. Sie bedeutet im Extremfall, daß der Arzt den Patienten überhaupt nicht mehr aufzuklären 54
Vgl. Nüßgens, Festschrift für F. Hauß, S. 288.
II. Rechtsvergleichende Betrachtung
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braucht, wenn er sich sicher sein kann, daß ein vernünftiger Patient in die Behandlung einwilligen würde. Auch in der amerikanischen Literatur wird die Ansicht vertreten, daß die Aufklärungspflicht durch den reasonable patient-Test praktisch auf kosmetische Operationen und solche Eingriffe beschränkt werde, zu denen es klare Behandlungsalternativen gebe 55 • Daß die amerikanischen Gerichte der Entschließungsfreiheit des einzelnen in diesem Punkt keine größere Beachtung schenken, ist um so erstaunlicher, als es sich hierbei um ein verfassungsmäßig garantiertes Recht handelt. Es wird aus dem vierten Amendment zur Verfassung der Vereinigten Staaten ("right of privacy") abgeleitet 56 • Zusammenfassend ist festzustellen, daß eine Beweislastverteilung, wie sie das amerikanische Recht in diesem Bereich vornimmt, für den deutschen Arzthaftungsprozeß aus dogmatischen und verfassungsrechtlichen Gründen nicht in Betracht kommt.
Vgl. Kessenick / Mankin, 8 U. S. F. L. Rev. 267. Vgl. Linzbach, S. 15 f. Auch Mertens (in MünchKomm, § 823 Rdnr. 457) weist - unabhängig von der Regelung in den USA - zu Recht darauf hin, daß die Rechtsfigur des "vernünftigen Patienten" verfassungsrechtlich bedenklich ist, wenn es um den Schutz der Selbstbestimmung geht. 55
58
Vierter Teil
Zusammenfassung Die von der Rechtsprechung entwickelten und vom Schrifttum überwiegend anerkannten Beweisregeln des deutschen Rechts für den Arzthaftungsprozeß haben sich im großen und ganzen bewährt. Sie bedürfen, auch unter Berücksichtigung der abweichenden Beweisregeln des amerikanischen Rechts, keiner grundlegenden Korrektur. 1.
Die Beweisregeln, die im Prozeß um den Behandlungsfehler gelten, verteilen das Prozeßrisiko so, daß keine der Parteien zu stark begünstigt oder in einen unzumutbaren Beweisnotstand gedrängt wird. An dem Grundsatz, daß der Patient die Beweislast für die klagebegründenden Tatsachen trägt, ist festzuhalten. Jedoch kommt den Beweisregeln, die ihm die Beweisführung erleichtern oder eine Umkehr der Beweislast vorsehen, erhebliche Bedeutung zu. 1. Die Zurückhaltung, die die Rechtsprechung bisher bei der entsprechenden Anwendung der §§ 282, 285 BGB im Rahmen der Vertragshaftung zeigt, sollte aufgegeben werden. Dieselben Argumente, die nach der Rechtsprechung im übrigen Dienstvertragsrecht für eine entsprechende Anwendung dieser Vorschriften sprechen, gelten auch für den Dienstvertrag zwischen Patient und Arzt. Die vom Patienten zu beweisende Leistungsstörung ist nicht das Ausbleiben des Heilerfolges, sondern die Verletzung der Pflicht, sich unter Beobachtung der anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft um den Heilerfolg zu bemühen. Wo dieser Beweis geführt ist, sollte dem Arzt die Beweislast dafür aufgebürdet werden, daß er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
2. Der Beweis des ersten Anscheins kann in vielen Fällen, bei denen ein typischer Geschehensablauf in Betracht kommt, eine große Beweiserleichterung für den Patienten bedeuten. Die Rechtsprechung sollte von dieser Beweisregel häufiger Gebrauch machen und dabei beachten, daß der Anscheinsbeweis nicht schon bei rein theoretischen Möglichkeiten eines atypischen Geschehensablaufes, sondern erst dann entkräf-
Zusammenfassung
185
tet ist, wenn der Arzt eine im Einzelfall ernstzunehmende andere Möglichkeit bewiesen hat. 3. Die Beweiserleichterung, die die Rechtsprechung dem Patienten bei einem schuldhaft begangenen groben Behandlungsfehler zugesteht und die beim Nachweis der Kausalität bis zur Umkehr der Beweislast reichen kann, ist keine contra legern und allein aus Billigkeitsgründen entwickelte Sonderregel. Sie beruht auf den Grundsätzen der Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen, auf der erhöhten Verursachungswahrscheinlichkeit beim Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers und auf dem Verschuldensprinzip, dem auch hier bei der gerechten Zuordnung des Beweisrisikos Rechnung getragen wird. Es ist jedoch nicht gerechtfertigt, diese Beweisregel auch bereits unterhalb der Schwelle des groben Behandlungsfehlers anzuwenden. 4. Eine ähnliche Beweiserleichterung kommt dem Patienten zugute, wenn der Arzt seine nebenvertragliche Pflicht zur ordnungsgemäßen Führung und Aufbewahrung von Krankenpapieren verletzt. Gleiches gilt, wenn er gebotene Röntgenaufnahmen schuldhaft unterläßt oder wenn er sonstige Beweismittel, auf deren Benutzung der Patient angewiesen ist, beseitigt, unbrauchbar macht oder im Prozeß nicht vorlegt. 5. An der klaren Unterscheidung zwischen § 286 und § 287 ZPO ist auch im Arzthaftungsprozeß festzuhalten. Neben den Beweiserleichterungen, die die Rechtsprechung dem Patienten zubilligt, besteht kein Bedürfnis dafür, geringere Anforderungen an die überzeugungsbildung des Gerichts bei der Feststellung der haftungsbegründenden Kausalität zu stellen. Der Anwendungsbereich des § 287 ZPO ist auf die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität und des Schadensumfangs zu begrenzen. Es ist nicht gerechtfertigt, in Verkürzung des Haftungsgrundes allein die Gefährdung des Rechtsguts nach § 286 ZPO festzustellen, dagegen den Eintritt des (Primär-)Schadens bereits dem Anwendungsbereich des § 287 ZPO zuzuordnen. 6. Die doctrine of res ipsa loquitur des amerikanischen Rechts hat zwar in ihren Voraussetzungen eine gewisse Ähnlichkeit mit dem deutschen Anscheinsbeweis, unterscheidet sich aber in den Rechtsfolgen erheblich von ihm und führt zu einer ungleich stärkeren Benachteiligung des Arztes. Denn sie läuft praktisch auf eine Beweislastumkehr auch in solchen Fällen hinaus, in denen zunächst offen ist, ob überhaupt ein Behandlungsfehler vorliegt. Diese Beweisregel hat wesentlich zu der Arzthaftungskrise des letzten Jahrzehnts in den USA beigetragen. Ihre Übernahme ließe auch für das deutsche Gesundheitswesen erhebliche Nachteile und die Gefahr einer defensiven Medizin befürchten. Im übrigen steht die Maxime in unlösbarem Zusammenhang mit den
186
4. Teil. Zusammenfassung
Besonderheiten des amerikanischen Prozeß- und Gerichtsverfassungsrechts und läßt sich schon deshalb nicht isoliert rezipieren.
11. Insbesondere aufgrund der häufig zu beobachtenden Zurückhaltung des medizinischen Sachverständigen im Arzthaftungsprozeß besteht die Tendenz, Aufklärungspflichtverletzungen zum Auffangtatbestand für unbeweisbare Behandlungsfehler zu machen. Sie verdient keine Förderung. Dennoch ist an der Beweisregel festzuhalten, daß der Arzt die Beweislast für die Einwilligung des Patienten und eine erforderliche vorausgegangene Aufklärung trägt. Die gegenteilige Beweisregel des amerikanischen Rechts verschafft dem mit Verfassungsrang ausgestatteten Selbstbestimmungsrecht des Patienten keine hinreichende Geltung. Den berechtigten Bedenken der Ärzteschaft gegen übertriebene und unpraktikable Anforderungen ist nicht durch eine Umgestaltung der Beweisregeln, sondern dadurch zu entsprechen, daß die Gerichte die Grenzen der Aufklärungspflicht klarer abstecken und dabei auch von einem realistischeren Patientenbild ausgehen. Allerdings dürfen auch an die Beweisführung des Arztes, daß er seine Aufklärungspflicht erfüllt hat, keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Die Folge ist ein sich schon heute ausbreitendes, unerwünschtes Formularwesen im Klinikbetrieb, das vielfach als Fremdkörper im Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient empfunden werden muß und mehr dem Freizeichnungsbedürfnis des Arztes als dem wahren Informationsbedürfnis des Patienten dient.
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