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German Pages 373 [378] Year 2018
Alte Geschichte Franz Steiner Verlag
Die symphonischen Schwestern Narrative Konstruktion von ‚Wahrheiten‘ in der nachklassischen Geschichtsschreibung
Herausgegeben von Thomas Blank und Felix k. maier
Thomas Blank / Felix K. Maier (Hg.) Die symphonischen Schwestern
Die symphonischen Schwestern Narrative Konstruktion von ‚Wahrheiten‘ in der nachklassischen Geschichtsschreibung Herausgegeben von Thomas Blank und Felix K. Maier
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung
Umschlagabbildung: Eustache le Sueur (1616–1655): Clio, Euterpe et Thalie. Um 1655, Öl auf Leinwand, Paris, Musée du Louvre (Bild-Nr.: 70170176) © bpk / RMN – Grand Palais / Angèle Dequier
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2018 Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11838-5 (Print) ISBN 978-3-515-11840-8 (E-Book)
Vorwort Der vorliegende Band versammelt eine Reihe von Beiträgen, die anlässlich der Tagung „Rhetorik – Tragik – Mimesis. Das Wahrheitsproblem in der nachklassischen Geschichtsschreibung“ vom 19.–21. Februar 2015 an der Universität des Saarlandes präsentiert wurden, ergänzt um drei hernach auf Einladung abgefasste Texte. Ohne die großzügige finanzielle Förderung durch die Fritz-Thyssen-Stiftung wäre die Durchführung der Tagung ebenso unmöglich gewesen wie die Drucklegung des Bandes. Für substantielle Unterstützung bedanken wir uns außerdem bei der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, der Universität des Saarlandes, der Stiftung Humanismus Heute sowie den Vereinen ‚Universitätsgesellschaft des Saarlandes‘ und ‚Freunde der Antike im Saarland‘. Die Diskussionen haben von der Beteiligung der Kollegen Heinrich Schlange-Schöningen, Peter Riemer und Giuseppe Squillace erheblich profitiert. Bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung waren Samantha Hubert und Samira Scheibner, Lukas Mathieu und Jörg Groß eine unverzichtbare Hilfe. Gleiches gilt für die redaktionelle Unterstützung bei der Durchsicht der Beiträge durch Lars Lenius und Eva Pasch sowie bei der Erstellung der Indices durch Stefanie Katgely, Michael Rapp und Julia Wilm. Katharina Stüdemann, Stefanie Ernst und Sarah-Vanessa Schäfer vom Franz Steiner Verlag haben die Entstehung dieses Buches mit großer Aufgeschlossenheit, Geduld und Umsicht betreut. Allen diesen und den hier ungenannten weiteren Helferinnen und Helfern sei unser aufrichtiger Dank ausgesprochen. Freiburg und Mainz, am 27. September 2017
Inhaltsverzeichnis Einführung Thomas Blank / Felix K. Maier Einführung – die symphonischen Schwestern
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Wahrheit und Nicht-Wahrheit Cinzia Bearzot À propos du terme ψεῦδος dans l’historiographie grecque
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Melina Tamiolaki Das Problem der Wahrheit in der antiken Geschichtsschreibung. Beobachtungen zu Lukians De Historia Conscribenda
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Jonas Grethlein Truth, vividness and enactive narration in ancient Greek historiography
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Thomas Blank Alêtheia hinter den Dingen. Epistemologie und Geschichte(n) bei Plutarch von Chaironeia
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Jonglieren mit Wahrheit Thomas Schirren Historie und Fiktion im staatsphilosophischen Auftrag. Die Kyrupädie des Xenophon
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Pierre Chiron La narration chez Isocrate et dans la Rhétorique à Alexandre. Fonctions, techniques, et normes
147
Katharina Wojciech Geschichte vor Gericht: Wahrheit und Wahrscheinlichkeit als Kriterien in der Vergangenheitsdarstellung attischer Redner
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Inhaltsverzeichnis
Plausible und paradoxe Wahrheit? Emma Nicholson Assessing and Assembling True Historiography: Polybios on Probability and Patterns
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Felix K. Maier Wahrheitlichkeit im Sinne der enargeia: Geographie und Geschichte bei Agatharchides
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Mario Baumann Wunderlektüren: Paradoxa und die Aktivität des Lesers in Diodors Bibliotheke
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Alexander Free Die Faktion des Geschichtsschreibers im Widerstreit mit der Theorie. Oder: Wird die antike Historiographie ihren eigenen Ansprüchen gerecht?
241
Wahrheit in der Kritik Carlo Scardino Herodot, der vielgescholtene pater historiae. Kritik an Herodot von Thukydides bis Iulius Africanus
265
Casper C. de Jonge Geschichte, Rhetorik und Wahrheit: Dionysios von Halikarnassos über Thukydides
281
Wahrheit und Kontext Verena Schulz Exempla und species. Zur Rhetorik und Funktion von Beispielen in Suetons Flavierviten
305
Christoph Kugelmeier Tacitus und die Macht der Nerobilder
327
Kommentar Hans-Joachim Gehrke Versuch eines Kommentars
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Index locorum Index nominum et rerum
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Einführung
Einführung – die symphonischen Schwestern Thomas Blank / Felix K. Maier Ob sich der französische Maler Eustache Le Sueur im Grabe umdrehen würde – man weiß es nicht. Jedenfalls hätte er die gezielte Modifizierung seines Bildmotivs sofort erkannt. Zwischen 1652 und 1655 fertigte Le Sueur eine kunstvolle Wandtäfelung für das Hôtel Lambert (Ile Saint-Louis, Paris) an, auf der er die drei Musen Klio, Euterpe und Thalia vor einem malerischen Naturhintergrund eng beieinander sitzend abbildete. Auf den ersten Blick scheinen die drei Musen in einem durchaus geschlossenen, fast schon monolithischen Arrangement angeordnet zu sein: Die flötenspielende Euterpe lehnt sich an ihre Schwester Klio an, auf deren Oberschenkel wiederum die vor ihr sit-
Eustache le Sueur (1616-1655) : Clio, Euterpe et Thalie. Um 1655, Öl auf Leinwand, Paris, Musée du Louvre (Bild-Nr.: 70170176). © bpk / RMN - Grand Palais / Angèle Dequier
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zende Thalia ihren linken Oberarm spielerisch abgelegt hat. Diese Achsen der jeweiligen Berührungspunkte spannen ein harmonisches Feld auf, das zusätzlich durch die gesamte Disposition den Eindruck einer in sich ruhenden und geradezu unzertrennlichen Trias hervorruft: Die parallele Konturierung von Klio und Euterpe, die mit ihrer Schwester ein Dreieck bilden, ergibt mit den sich in der Höhe weitenden Baumwipfeln eine reizvolle ‚Spiegelung‘; die auffälligen und markant hervorstechenden Farben der Kleider (gelb, pink und blau) interagieren in einem reizvollen Nuancenspiel mit dem saftig-dunklen Grün des Blattwerks und dem azurhellen Blau des Himmels. Auf den zweiten Blick aber muss dem Betrachter eine geradezu frappierende Tatsache ins Auge fallen: Es scheint, als ob die drei Musen eher mit sich selbst beschäftigt sind und ihren ganz eigenen Gedanken nachhängen, anstatt in einen Dialog miteinander zu treten. In verblüffendem Kontrast zu den formstrukturierenden Linienführungen, die eine Art Resonanz zwischen den Musen untereinander sowie zwischen Musen und Natur zur Entwicklung bringt, wirken Euterpe, Thalia und Klio – Dichtung, Drama, Geschichte – fast schon wie getrennte, selbstgenügsame Entitäten, die sich nicht viel zu sagen haben: Während Euterpe ein Flötenspiel anstimmt und – so scheint es – mit ihrem Blick nach unten geradezu eine Reaktion bei ihrer Schwester Thalia einfordert, mustert jene intensiv ihre allegorische Maske, während die dritte Muse, Klio, gedankenverloren aus dem Bild ‚hinausschaut‘, als ob sie erst noch die vielen historischen Ereignisse verarbeiten müsste, die sie in ihrem Buch mit sich herumschleppt. Zwar bleibt es Spekulation, ob Le Sueur hier eine verhinderte Kommunikation der drei Musen als mögliche Aussage seines Bildes intendierte. Zumindest lässt sich aber als plausible Beobachtung festhalten, dass sich dem Betrachter eine auffallende Divergenz zwischen kompositorischem Arrangement und verhinderter Interaktion offenbart, für die man unterschiedliche Gründe anführen mag. Es wäre gewiss zu weit hergeholt und auch anachronistisch, wenn wir Le Sueur in diesem Zusammenhang die Intention unterstellen würden, eine Trennung von ‚künstlerischen‘, dramatisch-dichterischen Darstellungsweisen und Geschichtsschreibung allegorisch abzubilden. Dennoch soll es erlaubt sein, hier das rezeptionsästhetische Potential von Kunst zu nutzen und den allzu kühnen Gedanken als Behelfskonstruktion für die anschließenden Überlegungen zu verwenden: Für unsere Konferenz ‚Rhetorik – Tragik – Mimesis. Das Wahrheitsproblem in der nachklassischen Geschichtsschreibung‘, die vom 19. bis zum 21. Februar 2015 an der Universität des Saarlandes stattfand, nahmen wir das Bild von Eustache Le Sueur als heuristischen Ausgangspunkt, spitzten aber für die Grundthese den potentiellen ‚Widerspruch‘ in seinem Clio, Euterpe et Thalie insofern zu, als wir das Motiv einer kleinen, aber entscheidenden Modifikation unterzogen: In der von dem Designer Chris Blank angefertigten Variation eines Schattenspiels der drei Musen werden die – nun nur angedeuteten – Blickrichtungen der drei Schwestern perspektivisch aufeinander bezogen, so dass der Betrachter eine direkte ‚Kooperation‘ und einen intensiven Dialog zwischen den drei Protagonistinnen assoziiert. Klio ist nun mit Euterpe und Thalia ‚im Gespräch‘. Die farblich hervorgehobenen Accessoires sind nicht mehr statische Anhängsel und Zeichen einer in sich selbst gekehrten, gedankenverlorenen Ablenkung von den jeweils anderen Schwestern, sondern sie fungieren als paradig-
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matische Bindeglieder, als Instrumente der Kommunikation, die den Anspruch einer allumfassenden Kooperation, eines Zusammenspiels der Musen, versinnbildlichen. Diese Umgestaltung soll die Grundfrage und -problematik unserer Konferenz bildhaft einfangen: Ausgangspunkt ist dabei die Beobachtung, dass Le Sueurs Gemälde zwar die Geschichtsschreibung als Muse dem Bereich der Kunst zuordnet, diese Muse jedoch andererseits in nachgerade modern anmutender Weise so vorstellt, als handele es sich um eine autarke Darstellungskunst sine ira et studio – et sine ulla arte –, mithin um eine neutrale, ohne dichterische oder dramatische Techniken der Narration auskommende Form der Literatur. Demgegenüber soll sich der Blick im vorliegenden Band auf die Frage nach dem Wechselspiel zwischen Euterpe, Thalia und Klio richten und damit auf das in der nachklassischen antiken Geschichtsschreibung intensiv diskutierte Methodenproblem um ‚richtige‘ und ‚falsche‘ Verwendung dichterischer, dramatischer oder rhetorischer Darstellungsinstrumente in der Historiographie, mit dem sich der vorliegende Band befasst. In der Änderung der Bildkomposition ist zugleich die Notwendigkeit angesprochen, bei der Betrachtung dieses Problems auch die impliziten Prämissen des eigenen Sehepunktes methodisch zu reflektieren, namentlich die Prägung heutiger Sichtweisen durch eine von vormodernem Nachdenken über Geschichtsschreibung verschiedene Akzentuierung von Aufgaben und Zielsetzungen dieser ‚Kunst‘. Diese Akzentverschiebung vollzog sich im Übergang von der Aufklärung zur Romantik und führte unter anderem zu einem veränderten Begriff historischer ‚Wahrheit‘, der bis heute oftmals vorherrschend geblieben ist und die (insbesondere außerwissenschaftlichen) Auffassungen davon, was ‚richtige‘ Geschichtsschreibung sei, bestimmt.1 Welche Differenz ist hierbei gemeint? Grob gesagt2 und – allegorisch ausgedrückt – waren moderne Konzepte von Geschichtsschreibung durch einen positivistischen Anspruch auf wirklichkeitsgetreue Wiedergabe von Daten und Fakten gekennzeichnet, ein Anspruch, demgemäß jede direkte Kommunikation zwischen den drei Musen stets als methodischer Fehlgriff anzusehen ist. Friedrich Schiller, der sein frühes Wirken als Historiker scharf von dem literarischen schied, bezeichnete schon in seiner Einführung zum Verbrecher aus verlorener Ehre die Ausgestaltung der Geschichte durch Rhetorik und Drama als ‚Usurpation‘, welche das Publikum der Möglichkeit beraube, sich selbst ein Urteil über den historischen Zusammenhang zu bilden.3 Auf der anderen Seite nahm Schiller als Literat für sich in Anspruch, mit seiner Wallenstein-Trilogie näher an die ‚wahre‘ Geschichte herangekommen zu sein als in seinen historiographischen Abhandlungen über den habsburgischen 1 2 3
Evans (1998), v. a. 24–31. Uns ist der Reduktionscharakter der folgenden Zuspitzung durchaus bewusst, der sich vor allem darin konkretisiert, dass man sehr wohl auch in der Moderne den funktionalen Zusammenhang zwischen einer dramatischen und einer ‚nüchternen‘, sachlichen Geschichtsdarstellung erkannt hat. Schiller (1792), 294–295: „Ich weiß, daß von den besten Geschichtschreibern neuerer Zeit und des Alterthums manche sich an die erste Methode gehalten, und das Herz ihres Lesers durch hinreissenden Vortrag bestochen haben. Aber diese Manier ist eine Usurpation des Schriftstellers und beleidigt die republikanische Freyheit des lesenden Publikums, dem es zukömmt, selbst zu Gericht zu sitzen; sie ist zugleich eine Verletzung der Gränzengerechtigkeit, denn diese Methode gehört ausschließend und eigenthümlich dem Redner und Dichter. Dem Geschichtschreiber bleibt nur die letztere übrig“.
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General.4 In der Person Friedrich Schillers kristallisierte sich somit beispielhaft die spannungs- und bezugreiche ‚Dichotomie‘ von literarischer und dramatisch-poetischer Geschichtsdarstellung, die auch in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten eine lebhafte Diskussion entfachen und entwickeln sollte.5 Diese Debatte gewann vor allem im 19. Jh. an Dynamik. Die berühmte Formulierung Theodor Mommsens „Der Geschichtsschreiber gehört vielleicht mehr zu den Künstlern als zu den Gelehrten“6 steht symptomatisch für eine intensiv geführte Auseinandersetzung über die ‚richtige‘ Form der Historiographie: Auf welche Weise wird dem Leser eine wirklichkeitsgetreue Anschauung historischer Prozesse ermöglicht? Ist ein nüchterner, sachlicher Stil besser geeignet und ‚objektiver‘ als eine packend geschriebene, mitunter dramatisierende Darstellung der Ereignisse? Dass die Erzählung eines Historikers über die Vergangenheit „Kunst“ sei, war nicht nur Mommsens Meinung, sondern auch die von Leopold von Ranke. Dieser empfand es als wichtige Aufgabe, „Kunst und Wissenschaft, die an sich nicht zu trennenden, im Begriff, aber nicht in der Ausübung verschiedenen, in Einheit zu verbinden“7. Johann Gustav Droysen hingegen betonte, „dass damit die methodische Frage – um diese handelt es sich – […] ins Unklare geriet“.8 Er beschrieb eine Situation, vor die sich der Historiker nach wie vor gestellt sieht: Wie verhalten sich Forschung und Darstellung zueinander? Was unterscheidet wissenschaftliche von literarischer Geschichtsschreibung? Ab wann wird die narrative Darstellung von Vergangenheit zum historischen Roman?9 Die daraus entstehende Diskussion10 ebbte nach dem 19. Jh. nicht ab, sondern wurde immer wieder neu aufgegriffen, da man ihr sowohl eine immerwährende Aktualität zuerkannte als auch die damit verbundenen Fragen und Probleme weiterhin als ungelöst empfand. Sehr umfassend untersuchte beispielsweise in den 1970er und 1980er Jahren die Studiengruppe „Theorie und Erzählung“ um Reinhart Koselleck als Teil des Projektes Poetik und Hermeneutik in mehreren Bänden mögliche Formen der Geschichtsschreibung.11 Fast zeitgleich zu dieser Arbeitsgruppe problematisierte man jedoch von Seiten der Sozialgeschichte das Narrativ als geeignete Darstellung historischer Zusammenhänge. Hans-Ulrich Wehler stellte die Behauptung auf, dass man durch eine anschauliche Schilderung von „qualmenden Schloten, schwitzenden Arbeiterrücken, kühl kalkulierenden Unternehmern“ die Industrialisierung historiographisch nicht in den Griff bekomme; dafür brauche man die „Hilfe von theoretischen Instrumenten wie 4
Oellers (2011), Fulda (1999), 12. In diesem Zusammenhang betonte Schiller auch, dass der Geschichtsschreiber sich der Dichtung und der Philosophie bedienen dürfe, um komplexen historischen Phänomenen besser gerecht zu werden. Gerade der biographische ‚Widerspruchscharakter‘ von Wallenstein habe Schiller in seinen Bann gezogen und dazu geführt, dass er diese Lücken poetisch zu schließen gedachte. 5 Dazu Evans (1998), 24–50. 6 Mommsen (1905), 12. 7 Ranke (1964), 101. 8 Droysen (1967 [1868]), 419. 9 Siehe dazu sehr ausführlich die Beiträge in Fulda (2002). 10 Sehr gut zusammengefasst in Fulda (1996) und Süßann (2000). 11 Koselleck (1977), Faber/Meier (1978), Kocka/Rüsen (1979), Koselleck (1982), Meier/Rüsen (1988), Acham (1990).
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Kapitalstock, Nettoinvestitionen, Wertschöpfung“.12 Konträr zu dieser Entwicklung betonten im Zuge eines ‚narrative turn‘ die – vor allem neueren – Philologien, dass sich auch wissenschaftliche Darstellungen derselben narrativen Techniken bedienten wie die fiktionale Literatur, eine Tatsache, die zwar für die meisten Historiker nicht neu war, aber aufgrund ihrer radikalen und von außen herangetragenen Formulierung dennoch als Herausforderung an den Anspruch der historischen Disziplinen auf Wissenschaftlichkeit aufgefasst wurde.13 Dieser ‚Vorwurf ‘ geht zwar in eine andere Richtung als das von uns ausgeführte Projekt, dokumentiert jedoch die zeitübergreifende Präsenz der übergeordneten Problematik: die Unsicherheit über die Mittel, die zulässig sind, eine anschauliche Geschichte zu schreiben, da vor allem die Historische Sozialwissenschaft jede künstlerisch schildernde Geschichtsschreibung als „Ästhetisierung“ der Geschichte denunzierte, als postmoderne „Fiktionalisierung“, die nicht mehr wissenschaftlich sei.14 In jüngster Zeit hat die Frage der angemessenen Darstellung historischer Inhalte durch die Analyse medialer Umsetzungen, beispielsweise im Film, neue Impulse erfahren und dabei die Diskussion erneut entfacht. Thomas Späth bezeichnete etwa TV-Serien wie Rome als „experimentelle Geschichtsschreibung“, die sowohl einen höheren Grad an Anschaulichkeit für das Laienpublikum aufweise als auch für Wissenschaftler extrem nützlich sei, da durch ihre unmittelbare ‚Realitätsnähe‘ neue Assoziationen beim Rezipienten geweckt würden, die wiederum zu neuen Fragestellungen führen könnten.15 Diese Ansicht rekurriert auf die Forschungen von Philip Rosen, der visuellen Darstellungsmodi die Eigenschaft einer „radical historicity“ zuweist: Diese liefere in ihrer Experimentierfreudigkeit Bilder und narrative Zusammenhänge zur römischen Antike, die gängige Vorstellungen herausforderten, neue Perspektiven auf die historischen Ereignisse eröffneten und eine ‚Geschichte der Möglichkeiten‘ entwürfen.16 Schon hier wird deutlich, dass die Dichotomie von ‚wahrhafter‘ und ‚künstlerischer‘ Darstellung völlig aufgegeben wird, da man nicht mehr von der einen geschichtlichen ‚Wahrheit’ im Sinne einer Entsprechung von Darstellung und faktischer Wirklichkeit ausgeht. Stattdessen lenkt man aus solcher Warte den Blick eher auf die Erarbeitung neuer Perspektiven und Gesichtspunkte zu Ereignissen und historischen Prozessen, die durch neue Impulse stimuliert werden sollen. Im Prinzip bedeutet jedoch die Hinwendung zu visuellen Medien keine Transgression des seit jeher implizit oder explizit vorhandenen Anspruchs auf Anschaulichkeit einer (schriftlichen) Darstellung, sondern lediglich die Verlagerung der Darstellung in ein neues Medium. Damit sind jedoch die Existenzberechtigung und die Funktionalität von literarischen Schilderungen nicht in Frage gestellt, denen ebenfalls eine hohe kognitive 12 Wehler (1979), 58. Gegen Wehler vor allem Danto, Mink, Baumgartner, White, Rüsen, Ricoeur, siehe Baumgartner (1976) sowie Stieler (1979), 98. 13 White (1973), grundlegend Jauß (1982), Genette (1992), Lamarque (1994), Vogt (1998), Fludernik (2001), Zipfel (2001), Blume (2004), Bareis (2008). Vgl. Baberowski (2005), 204–214. 14 Süßmann (2000), 19; vgl. Oexle (2000); Aschmann (2003). 15 Späth (2012). 16 Rosen (2001).
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Wirksamkeit zukommt.17 Genau an diesem Punkt – dem visuellen Potential schriftlicher Berichte – setzen unsere Untersuchungen an: Bereits in der griechischen Antike entstand eine Diskussion über die angemessene Vermittlung historischer Inhalte, bei der es unter anderem auch um die Frage nach der notwendigen Anschaulichkeit, nach der Rolle fiktionaler Elemente und der Angemessenheit literarischer Lesersteuerung ging. Die Ausgangspositionen und Argumentationslinien waren jedoch nuanciert andere als in der (post)modernen Debatte. Sowohl damals als auch heute wird zum einen darüber diskutiert, welche literarischen Mittel in historiographischer Darstellung angemessen oder unangemessen sind, welche Anforderungen die Zielsetzung von Historiographie also an die narrative Technik, an die Form und Methode der Darstellung stellen. Auf dieser Ebene stehen sich etwa verschiedene ästhetische (Sachlichkeit vs. Kunst) oder rhetorische Ansprüche (Lesersteuerung vs. kritischer Leser) gegenüber. Auf einer zweiten Ebene jedoch befinden sich zum anderen die Gegenstände selbst im Mittelpunkt der Debatte. In diesem Zusammenhang stellen sich neben dem Problem der Quellengrundlage und -kritik noch grundsätzlichere Fragen: Welche Themen und Ereignisse gehören überhaupt zu den angemessenen Gegenständen historischer Darstellung, auf welchen Grundlagen basiert mithin die heurêsis des Geschichtsschreibers? In welchem Bezug sollte das Erzählte zur erlebten Wirklichkeit, zu den Phänomenen selbst stehen? Haben etwa auch fiktionale Inhalte einen legitimen Platz in der Historiographie?18 Und schließlich die fundamentalste Frage: Worin besteht eigentlich die ‚Wahrheit‘, die mit den Mitteln der Historiographie vermittelt werden soll? Die Differenzen zwischen der (post)modernen und der antiken Diskussion erschließen sich in Gänze erst, wenn auch diese letzte Frage berücksichtigt (und nicht etwa im Sinne moderner Wirklichkeitsfixiertheit präjudiziert)19 wird. Während die postmoderne Herausforderung an die moderne Geschichtswissenschaft in einer – etwa von Hayden White – durchaus polemisch vorgetragenen Infragestellung von deren szientifischem Selbstverständnis besteht, das sich unter anderem in der Gleichsetzung von historiographischer ‚Wahrhaftigkeit‘ mit faktennaher Darstellung des ‚eigentlich Gewesenen‘ äußerte, waren die Vorzeichen des antiken Ringens um die Aufgaben und Methoden der Geschichtsschreibung andere. Zwar wählten schon die ältesten Historiographen bewusst die im 5. Jh. v. Chr. technischen Lehrbüchern vorbehaltene Form der Prosa, um sich von den Funktionszusammenhängen poetischer und dramatischer Literatur zu distanzieren – und dies taten sie erklärtermaßen in der Absicht einer ‚wahrheitsgemäßeren‘ Darstellung –;20 aber dieser neue Anspruch auf ‚Wahrheit‘ bestand keineswegs in einer 17 Staffort (1999). 18 Vgl. etwa moderne Diskussionen um ‚historiographische Metafiktion‘: Hutcheon (1988); Nünning (1995); oder um den Wert kontrafaktischer Geschichtsschreibung: Demandt (2001/2011), v. a. 15–81 und (2010); Evans (2013). Vgl. allgemein zur Kritik am Festhalten an den ‚Fakten‘ Evans (1998), 98–126; Oexle (2000); Werner (2000); Aschmann (2003). 19 So etwa Paravicini (2010) 20 Hekat. FGrH 1 F1a; Hdt. 1.p; Thuk. 1.20.1–22.4. Zur Wahl der Prosaform s. Goldhill (2002), 10–43; Grethlein (2011).
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Abkehr von fiktionalen Erzählelementen, poetischer Sprache und Motivik oder Dramatisierung der Darstellung, wie besonders das Werk Herodots, aber auch etwa die Reden des thukydideischen Geschichtswerks belegen. Die Etablierung historiographischer Wahrheitskonzepte begann vielmehr unter den Bedingungen eines vorepistemischen Wahrheitsbegriffs, der seit der Mitte des 5. Jhs. und vor allem im 4. Jh. aus philosophischer Warte hinterfragt wurde.21 Die neue ‚philosophische‘ Wahrheit, die gegen die diskursive Hoheit der öffentlichen Meinung (δόξα) positioniert wurde, war jedoch ihrerseits erst im Entstehen begriffen und blieb während der gesamten hellenistischen Zeit zwischen verschiedenen philosophischen Strömungen ebenso umstritten wie die Frage nach ihrer epistemologischen Zugänglichkeit. Sie bestand indes in der Regel ebenfalls nicht in einer der modernen Vorstellung vergleichbaren Identifizierung von Wahrheit und Wirklichkeit. Für Platon etwa schloss der Abbildcharakter der weltlichen Phänomene die Verwendung der menschlichen Sinneswahrnehmung als Instrument eigentlicher Wahrheitsschau aus; literarische Darstellungen der Welt, denen unabhängig von der Faktizität oder Fiktionalität des Dargestellten ein doppelter Abbildcharakter zukommt, können unter dieser Prämisse keinen Anspruch auf epistemische ‚Wahrhaftigkeit‘ erheben, sondern allenfalls spielerisch für das eigentliche Philosophieren vorbereiten.22 Das konkurrierende Konzept des Aristoteles schreibt dagegen der empirisch beobachtbaren Welt – und damit auch ihrer literarischen Darstellung – einen höheren philosophischen Erkenntniswert zu. Demnach lassen sich nicht nur aus abstrakter Theorie, sondern auch aus Beobachtungen der Phänomene philosophische ‚Wahrheiten‘ induzieren.23 Solche konkurrierenden epistemologischen Konzepte beeinflussten auch die seit dem 4. Jh. v. Chr. einsetzende und bis in die hohe Kaiserzeit fortdauernde literaturtheoretische Debatte, deren frühester und bekanntester Ausfluss die Poetik des Aristoteles ist, und in die auch die Diskussion um die historiographische Wahrheit eingeordnet werden kann. Insbesondere die Gegenüberstellung verschiedener Orientierungen von Literatur auf entweder die ‚Wahrheit‘ (ἀλήθεια) oder das ‚Vergnügen‘ (τέρψις) in diesen Diskussion geht in wesentlichen Bestandteilen auf solche Debatten zurück. In diesem Sinne thematisiert um die Mitte des 2. Jhs. n. Chr. Lukian von Samosata, im ersten Buch seiner Verae Historiae, das Verhältnis von Wahrhaftigkeit und Darstellungsweise bei den Geschichtsschreibern. Anhand des historiographischen Werkes des Ktesias von Knidos (5./4. Jh. v. Chr.) wirft er die Frage auf, inwieweit ‚unwahre‘ Berichterstattung (τὸ ψεῦδος), die gleichzeitig aber einen ‚Genuss‘ (οὐκ ἀτερπῆ) verschaffe, eine für den Bereich der Geschichte angemessene Darstellungsweise sei.24 Die bei Lukian zu 21 Boeder (1959), 91–101 benennt als ursprünglichen Kern des Begriff ein ‚soziales Wissen‘ im Sinne der ohne Trug kommunizierten Kenntnis oder Meinung; vgl. Krischer 1965; Szaif (1996), 145–146 Anm. 92. In diesem Sinne steht der Begriff dem späteren δόξα nahe. Zur philosophischen Neudefinition s. Hösle (1984), 171–623; Wiesner (1996); Günther (1998); Heitsch (2011). Vgl. Gerhardt (2002), 29–36 und Zenkert (2002) zur postmodernen Renaissance der δόξα. 22 Szaif (1996) und (2000); Frede (2002). 23 Busche (2002). 24 Diese Thematik nimmt er im Philopseudes erneut auf und kritisiert wiederum bei Ktesias die ‚lügenhafte‘ Darstellung, ungeachtet des gleichzeitigen ästhetischen Reizes von dessen Werk, Luk. ver. hist. 1.3.10 und philopseud. 2.4–20.
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beobachtende, intensive Auseinandersetzung mit derartigen Streitgegenständen bildet indes keine zur Zeit der zweiten Sophistik neu einsetzende Debatte ab, sondern stellt einen Reflex auf eine bereits im 4. Jh. v. Chr. entstehende Diskussion dar, in deren Zuge die ‚richtige‘ Darstellungsweise in historiographischen Texten erörtert wurde. Während man sich im 5. und beginnenden 4. Jh. v. Chr. neben dem Aspekt der Wahrheit (ἀλήθεια) noch vor allem hinsichtlich der Größe des behandelten Gegenstands (τὸ μέγεθος) oder durch den Nutzen (ὠφέλιμος) der eigenen Berichterstattung von Vorgängern abzusetzen (Herodot, Thukydides) beziehungsweise daran anzuknüpfen versuchte (Xenophon),25 tritt alsbald eine Entwicklung ein, bei der die Frage nach einer im Sinne der ‚Wahrheit‘ adäquaten Darstellung immer stärker in den Mittelpunkt rückt und vor allem als Abgrenzungsargument gegenüber Schilderungen anderer Geschichtsschreiber eingesetzt wird. Der Umstand, dass sich die Kritik an den Vorgängern auch bei den fragmentarisch erhaltenen Historiographen der hellenistischen Zeit auf dieselben Kategorien und Begriffe bezieht, zeigt, dass dieses Wahrheitsproblem dauerhaft einen wesentlichen Bestandteil der historiographischen Selbstreflexion darstellte und mithin zum Kernbestand jener literaturkritischen Probleme gehörte, die zur Etablierung eines förmlichen Genus der Historiographie – und damit der Konzeptionalisierung von ‚Geschichte‘ als solcher – überhaupt erst beitrugen. Die antike Kritik richtet sich dabei vor allem gegen die Vertreter bestimmter – von der älteren Forschung als ‚tragisch‘ oder ‚mimetisch‘ benannter – Arten von Geschichtsschreibung, denen insbesondere ein Mangel an Verpflichtung auf die Wahrheit vorgeworfen wird. Besonders einprägsam lässt sich dies an der Polemik im Werk des Polybios (2. Jh. v. Chr.) nachvollziehen. Dieser tadelt an einigen Stellen verschiedene Elemente, die ihn an der Darstellung seiner Vorgänger (z. B. Theopompos oder Timaios von Tauromenion) sowohl in ästhetischer als auch in inhaltlicher Hinsicht abstoßen: die Erzeugung von Affekten beim Leser, die kausale Referenz auf das Wirken des Zufalls (tyche) im historischen Geschehen, die unangemessene Übertreibung.26 Obwohl man in diesen Passus vermeintlich den Kern einer ‚tragischen‘ Geschichtsschreibung zu fassen vermag, erweist sich die Aufgabe, die wesentlichen Prinzipien der kritisierten Historiographen zu erkennen, als äußerst schwierig; denn zu dem problematischen Umstand, charakteristische Leitlinien nur aus einer polemischen Kritik rekonstruieren zu können, kommt eine weitere Schwierigkeit hinzu: Die von Polybios im Einzelnen kritisierten Darstellungsweisen werden, wenigstens in ähnlicher Form, auch an manchen Stellen seines eigenen Werkes verwendet.27 Da jedoch kaum anzunehmen ist, dass Polybios, der immer wieder über die eigene Me25 Natürlich spielt auch bei Herodot, Thukydides und sogar bei Hekataios von Milet die Kategorie der historischen Wahrheit eine wichtige Rolle (vgl. Hekt. FGrH 1 F 1a, Hdt. 1,5,3, Thuk 1,20–22 und 97), jedoch noch nicht in demselben Maße wie bei den späteren Autoren. Allgemein dazu Marincola (1997). 26 Pol. 2.56 (Phylarch), 3.47 (anonyme Hannibalhistoriker), 7.7 (Historiker über Hieron von Syrakus), 12.24.5 (Timaios), 16.12 (Theopompos). Dazu Meister (1975). 27 So könnte beispielsweise die Beschreibung des Überfalls von Molon auf Xenoitas im fünften Buch als eine solche Stelle interpretiert werden, von der Polybios selbst sagt (5.48.9): ἐξ ὧν συνέβαινε τραγικὴν καὶ παρηλλαγμένην φαίνεσθαι τοῦ ῥεύματος τὴν φαντασίαν. Gleiches gilt für die Schilderung der römischen Pompa (6.53.2–3) und der Tränen Scipios angesichts des Untergangs von Karthago (38.21–22).
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thode seiner Darstellung der Vergangenheit reflektiert, sich an jenen Stellen nicht darüber im Klaren gewesen sein sollte, dass auch er sich z. B. Techniken der Pathoserzeugung bedient, für die er seine Vorgänger und Kollegen andernorts zu tadeln scheint,28 wird eine genaue Bestimmung des eigentlichen Kerns der Kritik an solchen Darstellungsformen zusätzlich erschwert. Wie lässt sich dieser Widerspruch auflösen? Lässt sich jene scheinbare Inkohärenz antiker Literaturkritik sinnvoll erklären? John Marincola hat in einem kürzlich erschienenen Aufsatz einen möglichen Weg aufgezeigt: Seiner Auffassung zufolge kritisiert Polybios mit der Polemik gegen die ‚tragische‘ Geschichtsschreibung nicht die Darstellung emotionsaffizierender Inhalte an sich, sondern die Erfindung unwahrer Zusammenhänge.29 ‚Tragische‘ Elemente konnten dieser Interpretation zufolge auch für Polybios sinnvoller Teil von Geschichtsschreibung sein.30 Damit konstatiert Polybios weniger die sachliche Inkompatibilität des Tragischen mit historiographischer Darstellung, vielmehr hat er dabei die metahistorische Ebene im Blick: Zu welchem didaktischen Zweck wird eine Geschichte oder Episode erzählt? Welchen Zwecken dienen und welche Effekte erzielen die dabei gewählten Darstellungsmittel? Sind die intendierten Effekte moralisch vertretbar? Werden sie durch die gewählten Darstellungsformen erreicht? Sind sie sachlogisch plausibel? Und schließlich: Welchen Bezug weist die Erzählung im Ergebnis zu dem auf, was als ‚wahr‘ gelten kann? – Dies, vielmehr als eine vermeintliche Dichotomie von Sachdarstellung und Literatur, sind die eigentlichen Fragen, mit denen sich die antike Diskussion um die Unterscheidung von ‚wahrheitsgetreuer‘ und ‚unwahrer‘ bzw. ‚falscher‘ Vergangenheitsbeschreibung befasst.31 Erkennbar wird dies auch bei Dionysios von Halikarnassos (1. Jh. v. Chr.), der für seine Tendenz zur Rhetorisierung und Dramatisierung bekannt ist. Dionysios betont in der Vorrede seines Geschichtswerks fern jeder Ironie, dass er sich in besonderem Maße der ‚Wahrhaftigkeit‘ der Darstellung verpflichtet fühle, und diese Auffassung vertritt er ausdrücklich gerade angesichts des Umstandes, dass er mit der Römischen Frühgeschichte ein Thema bearbeite, über das kaum sichere Nachrichten vorlägen.32 Die Frage, was unter historiographischer ‚Wahrheit‘ (ἀλήθεια) nach antiker Auffassung zu verstehen ist, lässt sich insofern kaum allein nach den Maßstäben einer historistischen Gleichsetzung von ‚Wahrheit‘ und ‚Wirklichkeit‘ klären. Vielmehr sind neben sachlicher Plausibilität und Quellengrundlage noch weitere Kriterien zu berücksichtigen: Ob ein Text der ‚Wahrheit‘ gerecht werde, hängt in der Beurteilung antiker Kritiker 28 Eine solche Interpretation wäre genauso oberflächlich wie die Kritik an Tacitus, dass er sich nicht an das sine ira et studio gehalten hätte, vgl. Ludwig (1929), 12: „Der Professor … redet sich ein, er betrachte die Vergangenheit sine ira et studio, und merkt gar nicht, wie dieses Selbstlob ihn vernichtet.“ 29 Marincola (2013). 30 Dieser Umstand zeigt zugleich, wie wenig angemessen der Begriff der „tragischen Geschichtsschreibung“ ist. Den im Begriff des ‚Tragischen‘ angesprochenen Aspekt der Erzeugung von Affekten wird man in historiographischen Texten weder gänzlich ausschließen noch ihn irgendeinem historiographischen Werk als Hauptzweck emblematisch zuschreiben wollen. 31 Vgl. dazu auch Schepens (1975). 32 Dion. Hal. ant. 1.1.2–3 und 1.4.1–1.5.1. Zu den literarischen Zielen der Darstellung bei Dionysios vgl. M. Fox (2001), 76–93, Keffalonitis (2009), 63–77.
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auch davon ab, ob er angemessene ästhetische und rhetorische Mittel zu deren Darstellung verwendet. Und was überhaupt die ‚Wahrheit‘ sei, die ein historiographischer Text vermitteln solle, entscheidet sich an grundlegenden, wenngleich oft impliziten, Prämissen der Weltanschauung (etwa zur Ontologie oder Epistemologie) des Verfassers oder seines kritischen Rezipienten. Es führt somit kein Weg daran vorbei, Vorstellungen von Wahrheit als sich ständig ändernde, fließende Konzeptionen zu betrachten und aus den jeweiligen Texten immer wieder neu zu bestimmen.33 Welche Tragweite ist den einzelnen Aspekten jeweils beizumessen? Welche Funktion, etwa im Rahmen der eigenen Standortbestimmung, kommt der Kritik an den jeweiligen Vorgängern in der hellenistischen Geschichtsschreibung zu? Und schließlich: Wie stark ist diese Standortbestimmung bereits von einem kategorialen Denken in ‚Textgattungen‘ geprägt? Wie scharf grenzt sich Geschichtsschreibung in formaler und inhaltlicher Hinsicht überhaupt von anderen literarischen Genres ab, und inwiefern werden bereits verschiedene Arten der Geschichtsschreibung klar unterschieden? Anhand solcher Fragen wird deutlich, dass die Einbindung neuer Bewertungskriterien und neuer Ergebnisse aus den Forschungen über den Charakter antiker Literaturkritik eine notwendige Voraussetzung darstellt, um zu einem angemesseneren Verständnis und Nachvollzug der antiken Debatte um die adäquate Darstellungstechnik für die Historiographie zu gelangen. So dürften sich in früheren Studien übliche Versuche einer Rekonstruktion möglicher Eigenschaften vermeintlicher historiographischer Genres wie der ‚tragischen‘ oder der ‚mimetischen‘ als wenig zielführend erweisen, wenn sich zeigen ließe, dass sich hinter diesen antiken Begriffen nicht mehr verbirgt als ein potentiell jedem Schriftsteller flexibel zur Verfügung stehendes Arsenal historiographischer Darstellungsformen, um dessen richtigen und falschen Einsatz gestritten wurde. Hinzu kommt ein Aspekt, der mit einem ganz spezifischen Phänomen des 4. Jhs. v. Chr. verbunden ist, in dem diese Debatte entstand und deren zentrale Kategorien geprägt wurden. Die für den modernen Leser nicht leicht zugängliche Unterscheidung zwischen ‚richtiger‘ und ‚falscher‘ Darstellung, die weniger den Inhalt, sondern vor allem die Darstellungstechnik zum Mittelpunkt hat, ist einer wichtigen Entwicklung geschuldet – der Entstehung einer rhetorischen Theorie, die auf Entstehung und Entwicklung literarischer Konzepte einwirkte: Während sich im 5. Jh. v. Chr. Verbindungen zwischen Geschichtsschreibung und Rhetorik vor allem in der historiographischen Darstellung rednerischer Praxis aufzeigen lassen – einer Darstellung, in der zudem die Funktion der Einbindung von ‚Reden‘ ganz von der metahistorischen Fundierung und von der Darstellungsmethode der jeweiligen Historiographie bestimmt ist –,34 nimmt seit dem 4. Jh. v. Chr. die neu entstandene rhetorische Theorie ihrerseits Einfluss auf 33 Bei den folgenden Aufsätzen wurde jedoch aus pragmatischen Gründen darauf verzichtet, bei jedem Autor die philosophische Frage der Wahrheit durchzuspielen. Eine solche Bestimmungsstudie wäre bei diesem Format des Sammelbandes gar nicht zu leisten und versperrte den Blick auf die oben geschilderten Hauptaspekte dieser Publikation. Den Tatbestand, dass somit manchmal ein stillschweigender Konsens über Wahrheit vorausgesetzt wird, versuchen wir dadurch etwas abzumildern, dass von der ‚Wahrheit‘ und nicht von der Wahrheit gesprochen wird. 34 S. dazu u. a. Grethlein (2010) und (2011); Zali (2014).
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diese Darstellungsformen.35 So ist es insbesondere die theoretische Erfassung der Funktion exemplarischer Darstellung in rhetorischen Texten, die erkennbaren Einfluss auf Themenwahl und Gliederungsprinzipien antiker Historiographie gewinnt. Besonderes Gewicht gewinnt dieses Problem zudem vor dem Hintergrund des Umstandes, dass die für den historiographischen Diskurs wirkungsmächtigste theoretische Erfassung rhetorischer Technik, jene des Aristoteles, aus der Perspektive des oben skizzierten philosophischen Nachdenkens über das Verhältnis von ideeller Wahrheit, lebensweltlicher Wirklichkeit und dem Abbildcharakter menschlicher Kommunikation erfolgte; innerhalb dieses gedanklichen Rahmens erscheint die (philosophisch kontrollierte) Rhetorik als Schwesterdisziplin der Dialektik und ist als Instrument der Wissenskommunikation, ja vielleicht gar der Wissenserzeugung, aufzufassen.36 Allgemein scheint mit dem Einsetzen einer theoretischen Reflexion über die Funktionalität von Argumenten37 auch eine Intensivierung des Nachdenkens über den Zusammenhang von Darstellungszwecken und Textgestaltung einzusetzen, die mittelbar zu einer Schärfung der Begriffe von ‚richtiger‘ und ‚falscher‘, ‚wahrhaftiger‘ und ‚unwahrer‘ Darstellung führt.38 Zugleich nimmt dieses Nachdenken Einfluss auf die Darstellungsformen nicht nur in der rhetorischen Textproduktion oder der Geschichtsschreibung, sondern in allen literarischen Texten der hellenistischen Epoche. Wenn die Auseinandersetzung mit dem hiermit umrissenen Themenkomplex als Phänomen vor allem der hellenistischen Geschichtsschreibung und ‚Metahistorie‘ anzusehen ist, so stellt sich einer Untersuchung der verschiedenen Standpunkte zur historiographischen ‚Wahrheit‘ das methodische Grundproblem der äußerst bruch35 Dies gilt freilich unter dem caveat, dass die Existenz einer für uns verlorenen rhetorischen Theorie des 5. Jhs. nicht mit letzter Gewissheit ausgeschlossen werden kann; vgl. Velardi (2008) zu Aristoteles’ Bemerkungen zur Entstehung der Rhetorik in Aristot. soph. el. 183b und rhet. 1403b. Da sie indes umgekehrt auch nicht belegbar ist, und da zudem rhetorischer Einfluss auf historiographische Darstellungsformen außerhalb der in Geschichtsschreibung eingebundenen Reden erst ab dem 4. Jhd. deutlich aufgezeigt werden kann, muss zunächst die Vermutung gelten, dass es einen konkreten derartigen Einfluss auch erst seit jener Zeit gegeben hat. Vgl. zum Einfluss der Rhetorik auf die Geschichtsschreibung seit dem 4. Jhd. Kessler (1982), Nickel (1991), Meißner (1992), 146 u. 550, Walker (2011), 213–284, zur Reziprozität der Einflüsse die Aufsätze in dem Sammelband Malosse/Noël/Schouler (2010). 36 Arist. Rhet. 1354a1–11; vgl. zum Verhältnis von Dialektik und Rhetorik bei Aristoteles Rapp (1999); zu Platon Szaif (2000), 125–137; 143–147. Vergleichbare Wirkung auf die Geschichtsschreibung übte lediglich die Auffassung vom Verhältnis von Rhetorik und Geschichte bei Isokrates aus, der jedoch nicht zuletzt aus epistemologischen Gründen (vgl. e. g. Isok. 13.13–18) keine Theorie der Rhetorik niedergelegt hat; dazu Papillon (1995) und (2001), 86 f.; Blank (2014), 39–55. 37 Diese kritische Reflexion bestehender Praktiken in der Wissenserzeugung und -vermittlung lässt sich in der zeitgleichen Entstehung von ethischer Philosophie und Rhetorik greifen. Dabei erfolgen die verschriftlichten und geistesgeschichtlich dominanten Formen dieser Reflexion – sei es bei Platon, bei Aristoteles oder bei gemeinhin als ‚Rhetorikern‘ bezeichneten Schriftstellern wie Isokrates oder Anaximenes von Lampsakos – insofern weitgehend aus ähnlicher Perspektive, als die theoretische Erfassung die Form einer Kritik annimmt, die gängige (vor allem moralische) Fehler und Schwächen der bestehenden Praxis aufzeigt, um darauf aufbauend eine von diesen Fehlern bereinigte Praxis zu postulieren. Vgl. dazu e. g. Kraus (2006), Walker (2006), Danblon (2010). 38 Einschlägig hierzu ist Aristoteles’ in Auseinandersetzung mit Antisthenes gewonnene Definition des λόγος ψευδῆς (Aristot. Met. 1024b27–1025a2, Aristot. Top. 104b21), vgl. aber etwa die Reflexion über die sachlogische und moralische Plausibilität mythischer Erzählungen bei Isok. 11.38–43.
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stückhaften, in vielen Fällen gar ausschließlich sekundären Überlieferung der hellenistischen Literatur:39 Es ist zu beachten, dass die verbreitete Vorgehensweise, aus erhaltenen Bruchstücken in Fragmentsammlungen unabhängig von ihrem Zitatkontext auf die Darstellungsweise von Autoren zu schließen, die Selektion im Überlieferungsstrang nicht genügend in Rechnung stellt und deshalb unsachgemäße Schlussfolgerungen riskiert. Je nach Überlieferungslage handelt es sich bei den erhaltenen Fragmenten von Historikern des 4.–2. Jh. v. Chr. nicht um ausgewogen repräsentative Auszüge zur Darstellungstechnik der betreffenden Autoren, sondern um das Ergebnis der spezifischen Interessenlage der jeweiligen Rezipienten und Kritiker, so dass signifikante Verzerrungen im dadurch bedingten ‚Darstellungsprofil‘ geradezu unvermeidlich sind. Ob etwa die historiographischen Werke des Theopompos durchweg so polemisch und affektheischend verfasst gewesen sind, wie es jene Fragmente aus Polybios und anderen späteren Kritikern nahelegen, die die falsche Anwendung eben dieser Techniken an seinem Beispiel beklagen, lässt sich auf Grundlage ausschließlich dieser Kritik nicht methodisch einwandfrei bestimmen. Die Kritik hellenistischer Autoren an ihren Vorgängern erhellt weniger eindeutig die historiographische Methode dieser Vorgänger (etwa im Sinne historiographischer ‚Schulen‘) als die eigenen Ansprüche der Kritiker, die die von ihnen abgelehnten Darstellungsweisen ihren Vorgängern zwar unterstellen, dies aber nicht zuletzt, um ihre eigene Position herauszuarbeiten – der hermeneutische Zugang zur Beantwortung der Frage, ob die jeweilige Kritik auch als gerechtfertigt gelten kann, bleibt uns zu einem gewissen Grade versperrt. Die Beiträge dieses Bandes setzen an diesen Problemen an und begreifen die skizzierte hermeneutische Ausgangslage nicht als Hindernis, sondern als Chance, einen vergleichsweise unbeachteten Zugang zu den Formen nachklassischer Geschichtsschreibung zu erschließen. Dazu gehört zum einen, dass der Blick hier auf die impliziten und expliziten Konzepte der Autoren selbst gerichtet wird, seien sie Historiographen, Rhetoren, Literaturkritiker oder Universalgelehrte. Zum anderen soll anhand der aus der Kritik an Vorgängern und Konkurrenten erschließbaren Konzeption ‚richtiger‘ und ‚falscher‘ Anwendung narrativer Techniken der Versuch unternommen werden, die Vorstellungen von den Aufgaben der Geschichtsschreibung im Sinne eines Anspruchs auf Vermittlung von ‚Wahrheit‘ selbst in den Blick zu nehmen, also auch die Frage danach zu stellen, worin diese ‚Wahrheit‘ im jeweiligen Falle eigentlich besteht. Da im Hellenismus Rhetorik- bzw. Literaturtheorie und Geschichtsschreibung eine funktionale Verbindung eingehen, stellt die Untersuchungskategorie der Darstellungstechnik das gedankliche Scharnier dar, von dem Rückschlüsse auf eben diese epistemologischen Grundkategorien möglich sind. Durch die Rekonstruktion derjenigen Maßstäbe aus der Rhetorik, die bei der Bestimmung einer – nach Ansicht der jeweiligen antiken Kritiker – ‚richtigen‘ und ‚wahrhaften‘ Erzählung eine wichtige Rolle spielten, ergibt sich ein neuer Blick auf die für den modernen Leser nur sehr schwierig zu verstehenden
39 Allgemein Dillery (2011).
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Richtlinien für die Geschichtsschreibung im antiken Diskurs, der jedoch immer wieder aufs Neue fasziniert und die Gedanken der Forschung angeregt hat. Mit dieser Orientierung an den beiden Ebenen der Darstellungsinstrumente zum einen und der Wahrheitskonzeption zum anderen soll für die Aufsätze lediglich der Horizont bedeutet sein, in den sich die einzelnen Beiträge einbetten. Dass je nach thematischer Ausrichtung und untersuchten Fallbeispielen jeweils einzelne Aspekte stärker (bisweilen ausschließlich) fokussiert werden als andere, sei ausdrücklich betont. Dies gilt angesichts des hermeneutischen Zugangs, aus den Instrumenten auf die Konzepte zu schließen, besonders für die Frage nach den Wahrheits- und Wahrhaftigkeitskonzepten selbst, die namentlich besonders bei den fragmentarisch überlieferten Autoren bisweilen kaum umfassend zu rekonstruieren sind und daher vor allem dort ausführlicher untersucht werden, wo die Breite der Überlieferung entsprechende Rückschlüsse besser erlaubt. Anspruch des vorliegenden Bandes ist es mithin nicht, die antike Debatte um die historiographische Wahrheit erschöpfend zu rekonstruieren, sondern vielmehr, Anstöße für weitere Studien zu bieten, die sich dem Problem auf Grundlage der hier vertretenen und begründeten Ansicht nähern könnten, dass sich das ‚Wahre‘ in der antiken Geschichtstheorie keineswegs in einem allgemeinen Anspruch auf faktizistische ‚Wirklichkeit‘ erschöpft, sondern dass eben die Frage danach, was das ‚Wahre‘ jeweils sei, die Wahl der zulässigen bzw. die Kritik an unzulässigen Darstellungsmitteln bestimmte. Einen ‚Vollständigkeitscharakter‘ kann dieser Band somit nicht für sich in Anspruch nehmen. Das ist aber weder seine Intention noch wäre es angesichts der eben skizzierten Komplexität ein realistisches Ziel. Vielmehr soll der Versuch unternommen werden, verschiedene Analysen und Fallstudien zu einem instruktiven Einblick in die nachklassische Geschichtsschreibung zusammenfließen zu lassen, der für wichtige Probleme sensibilisiert, scheinbare Widersprüche, die vor allem durch unsere heutige Sichtweise bei der Analyse entstehen, bespricht oder sogar auflöst, oder vielleicht auch die Grundlage für weitere Studien in der Zukunft legt. Aus der Gesamtheit dieser Überlegungen ergibt sich die Anlage dieses Bandes: In einem ersten Teil beschäftigen sich Cinzia Bearzot und Melina Tamiolaki mit der problematischen Abgrenzung von ‚Wahrheit‘ und ‚Falschheit/Lüge‘ in der nachklassischen Historiographie. Bearzot setzt anhand einer genauen sprachlichen Analyse des pseudos bei Polybios die verschiedenen Formen einer nicht-wahrheitsgemäßen Berichterstattung in historischen Narrationen zueinander in Beziehung; der Beitrag von Tamiolaki nähert sich der ‚Wahrheit‘ bei Lukian aus historiographischer und philosophischer Perspektive und zeigt, dass der kaiserzeitliche Autor vor allem die Sensibilisierung seiner Leser für jene beiden unterschiedlichen Konzepte von Wahrheit in den Mittelpunkt stellt. Jonas Grethlein kann sodann zeigen, dass die Anschaulichkeit einer historischen Erzählung zwar der ‚Wirklichkeitsnähe‘ des Dargestellten abträglich sein kann; dass aber gerade durch eine lebendige, den Leser in das Geschehen hineinziehende Erzählung eine historische Meta-‚Wahrheit‘ erreicht wird, die dem Leser einen tieferen Einblick in die Geschichte erlaubt als die reine Rekonstruktion von Fakten und Ereignissen. Die Vermittlung einer ‚Wahrheit‘ jenseits der Phänomene konnte auch den Einsatz fiktionaler und dichterischer Elemente in historischer Narration rechtfertigen, wie Thomas
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Blank am Beispiel Plutarchs zeigt: Sowohl dessen berühmte Kritik an Herodot als auch die Wahl der Exempla in den Parallelbiographien basieren auf platonisch-aristotelisch inspirierten didaktischen Vorstellungen, nach denen historische Erzählung als ein Mittel moralphilosophischer Instruktion aufzufassen ist, dessen Verhältnis zur ‚Wahrheit‘ sich von jenem fiktionaler Literatur allenfalls graduell unterscheidet. In einem zweiten Abschnitt steht das ‚Jonglieren‘ mit der Wahrheit an den Genre-Rändern historiographischer Narration im Vordergrund. Thomas Schirren lotet am Beispiel der Kyrupädie – und in engem Bezug zu den Techniken seines griechischen Vorbilds – den osmotischen Prozess eines Ausgreifens des zu vermittelnden Inhalts in die Form aus, dessen sich Xenophon in seinem Oeuvre bedient, um seinen Adressaten am Beispiel einer historischen Figur, zugleich aber einer fiktionalen Erzählung – philosophische – Wahrheiten zu vermitteln. Anschließend widmen sich Pierre Chiron und Katharina Wojciech den Texten der attischen Redner, um dabei zu zeigen, dass das Konzept der historischen ‚Wahrheit‘ in den politischen Reden und den Verhandlungen vor Gericht ein dehnbares Paradigma darstellte, das an die jeweiligen Erwartungen, Wertvorstellungen und Identitätskonstrukte angepasst wurde – ohne dabei in einen offenen Konflikt mit einer als normativ anerkannten ‚Wahrheit‘ zu geraten.40 Im nächsten größeren Abschnitt untersuchen vier Beiträge als Fallstudien, wie verschiedene literarisch-poetische Techniken in hellenistischer Zeit als Mittel zur Steigerung der ‚Wahrhaftigkeit‘ einer Erzählung konzeptualisiert wurden: Emma Nicholson analysiert zunächst den Gebrauch von patterns bei Polybios, die es dem Autor ermöglichen, die Komplexität von Geschichte im Bedarfsfall zu reduzieren, um dem Leser ‚lernbare‘ Strukturen im Sinne seines didaktischen Konzeptes aufzuzeigen. Felix Maier untersucht sodann in einer Fallstudie zu den Fragmenten des Agatharchides, wie das Konzept der Anschaulichkeit (enargeia) zu einem konstitutiven Bestandteil der Historiographie wird, weil durch eine plausible Rekonstruktion der Ereignisse, die sogar auch mit einer gewissen Emotionalität erzählt werden durfte, der Nachvollzug des Lesers dann als gewährleistet angesehen wurde, wenn man den Eindruck hat, dass sich der historische Prozess in dieser Form abgespielt haben könnte. Da an diesem Punkt auch die Darstellung paradoxer Ereignisverläufe und Phänomene immer wichtiger wird, widmet sich Mario Baumann dieser Thematik im Hinblick auf das Werk Diodors. Seine Untersuchungen zeigen, wie gerade vermeintlich ‚unwahrscheinliche‘ Erzählungen durch ein ständiges In-Beziehung-Setzen mit anderen Narrativen aus Diodors Werk vom Leser als plausible Beschreibungen der Vergangenheit erschlossen werden können; folglich kann sich eine methodisch stichhaltige Kritik der ‚Wahrhaftigkeit‘ solcher Geschichtserzählung nicht an isolierten Einzelabschnitten orientieren. Alexander Free spricht sich sodann am Beispiel Lukians dafür aus, die Kategorien Fakt und Fiktion bei antiken Geschichtsschreibern durch die Faktion zu ersetzen: einen Wahrheitsanspruch, dem der 40 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Blick auf die Studien Josiah Obers zur ‚Ideologie‘ des demokratischen Athen (1989, 2008), die auf den Bühnen der staatlichen Institutionen performativ formuliert und beständig aktualisiert wurde und so in der Lage war, den ‚Diskurs‘ (und damit auch den Wahrheitsanspruch historischer Exempla) ohne extern formulierte Urteilskategorien zu bestimmen.
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Historiograph aber – in vollem Bewusstsein der Grenzen des in seinem Werk Darstellbaren – nicht gerecht werden kann. Der vierte Abschnitt befasst sich sodann mit der Kritik an ‚Kollegen‘. Dieser Blick auf die Bewertung, Distanzierung oder den Tadel anderer Historiographen ist insofern besonders aufschlussreich, da sich dadurch Einblicke in gängige Maßstäbe, Maximen und Prinzipien ergeben, die auch dann noch wertvolle Erkenntnisse ans Licht bringen, selbst wenn man sich über das hohe Maß an Subjektivität und Polemik im Klaren sein muss. Carlo Scardino nähert sich diesen Sachverhalt anhand der Auseinandersetzung verschiedener späterer Autoren mit Herodot und kann zeigen, dass weniger Unstimmigkeiten oder einzelne ‚Sachfehler‘ in Herodots Darstellung als vielmehr seine Darstellungsmethode im Mittelpunkt der Kritik stand. Die detaillierte Bewertung des thukydideischen Werkes durch Dionysios stellt sodann Casper de Jonge in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen. Hier wird deutlich, dass Kritik an einem namhaften Vorgänger keineswegs mit vollständiger Ablehnung von dessen Werk und Methode gleichzusetzen sein muss: Indem Dionysios als Kritiker in Konkurrenz mit Thukydides tritt, stilisiert er sich als den ‚wahrheitstreueren‘ Geschichtsschreiber; seine eigene ‚Geschichte der Geschichtsschreibung‘ wende die thukydideischen Kategorien der historischen Kritik getreuer an, als dies jene täten, die Thukydides als einen ‚Hohepriester der Wahrheit‘ verehrten, ja selbst getreuer als Thukydides selbst. Der ‚wahre‘ Thukydideer verhält sich kritisch auch gegenüber Thukydides! Das letzte Kapitel setzt sich mit der Möglichkeit auseinander, die Wahrheit in verschiedenen Kontexten zu nuancieren: Verena Schulz’ Beitrag spannt erneut den Bogen in die Kaiserzeit und vermag aufzuzeigen, dass das römische exemplum (vor allem bei Sueton) als flexibles Instrument diente, das man in jeweils unterschiedlichen Kontexten einsetzen konnte, die konkrete Sinnstiftung sich aber erst durch die Rückbindung einen spezifischen historischen Kontext ergab. Umgekehrt konnte die wiederholte Zuweisung eines Erzählmotivs zu einem bestimmten Sinnzusammenhang auch die Qualität einer festen Topik entwickeln, die das Motiv vom einzelnen Kontext löste. Christoph Kugelmeier zeigt vor diesem Hintergrund auf, dass manche Anekdoten zu Nero bei Tacitus einer Tradition von ‚Wandererzählungen‘ entnommen sind, die sich als Elemente einer Tyrannentopik bis in die archaische Lyrik zurückverfolgen lassen und mit ganz verschiedenen Alleinherrschern in Verbindung gebracht wurden. Ähnlich wie in den für solche Wanderanekdoten verrufenen Kaiserbiographien Suetons können solche Erzählelemente mithin auch in der Historiographie der ‚Wahrhaftigkeit‘ – jener der Charakterzeichnung – dienen. In einem abschließenden essayistischen Ausblick öffnet Hans-Joachim Gehrke schließlich – ausgehend von zentralen Erkenntnissen der hier versammelten Aufsätze – den Blick für jene Probleme historiographischer Wahrheitskonzeption und -vermittlung, die fernab ihrer zeitgenössischen diskursiven Einbettung ihre Aktualität bis heute bewahrt haben und nicht zuletzt zu jenen Herausforderungen gehören, denen sich eine Geschichtswissenschaft zu stellen hat, die einen legitimen Anspruch auf gesellschaftliche Nützlichkeit vertritt.
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Wahrheit und Nicht-Wahrheit
À propos du terme ψεῦδος dans l’historiographie grecque Cinzia Bearzot
Une recension complète des occurrences de la terminologie du ψεῦδος va bien au-delà des objectifs de cette étude. La famille de ψεῦδος comprend en effet, outre le substantif, le verbe ψεύδεσθαι et ses composés, l’adjectif ψευδής, les nombreux composés en ψευδο-, termes rares comme l’adjectif ψεύστης et l’adverbe ψευδῶς.1 Mon article se fonde sur une recherche qui comprend les textes à caractère historiographique jusqu’à Polybe : elle couvre par conséquent les sources primaires, mais nécessite une enquête plus approfondie pour être complétée de manière adéquate. Je vais donc offrir ici une première catégorisation de termes relatifs au ψεῦδος, qui pourrait servir de base pour des réflexions plus approfondies. Sur le rapport vérité/mensonge en historiographie, il existe une importante contribution de T. Wiseman :2 entre les différentes significations du fait de ‹ mentir › chez les historiens, ce dernier se concentre essentiellement sur le caractère tendancieux et sur le divertissement, mais sans avoir de cadre purement terminologique. Mon intention consiste à contribuer à intégrer la perspective sur la base d’une reconnaissance terminologique systématique, dans les limites de la période chronologique identifiée. 1. La terminologie Le concept de ψεῦδος a été largement étudié du point de vue linguistique et littéraire, en liaison avec celui de ‹ vrai › (ἔτυμος, ἐτήτυμος, ἀληθής), par des chercheurs comme Luther3 et Levet ;4 il existe en outre des études de type philosophique et rhétorique, 1 2 3 4
Outre des termes dialectaux comme ψεῦδις, ψύθος et ψυδρός. Mon intérêt pour la terminologie du ψεῦδος est lié à la rédaction de l’article ψεῦδος dans le LHG (Lexicon Historiographicum Graecum), qui m’a été confiée. Wiseman (1993). Luther (1935), 80–90, 133–143. Luther a essentiellement considéré l’archaïsme. Levet (1976), 201–235 ; Levet (2008), 315–447. Levet a au contraire poursuivi l’évolution de la terminologie jusqu’au Ve siècle.
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Cinzia Bearzot
consacrées au thème du vrai et du faux dans le mouvement sophistique ;5 je ne connais qu’une seule contribution qui s’occupe, en partie tout au moins, de ψεῦδος en historiographie.6 De ces études, quoique les références à l’historiographie soient rares, émergent des éléments de réflexion qui présentent un certain intérêt. On a notamment mis en lumière la notion de subjectivité qui est implicite dans le concept d’origine de ψεῦδος : celui qui, n’étant pas en possession d’une connaissance claire, est obligé de formuler des conjectures et peut tomber dans l’erreur. ψεῦδος est par conséquent la déformation du réel à travers le témoignage qui le transmet, par opposition à la vérité entendue comme conformité au réel.7 Ce qui prévaut donc à l’origine dans ψεῦδος, c’est la notion d’‹ erreur › : celle de déformation volontaire d’une réalité clairement connue, de délibérément faux, qui entraîne par conséquent une faute morale, constitue un développement subséquent,8 parallèle à celui qui relie la notion de ἀλήθεια à la sincérité et à la droiture morale.9 L’histoire du mot, et l’ambiguïté qui en découle, se reflètent directement sur l’usage de la terminologie dans le domaine de l’historiographie, où le rapport entre la vérité et la fiction/le mensonge, comme l’a souligné John Moles, est particulièrement complexe.10 Traduire de manière adéquate les mots appartenant à la famille de ψεῦδος est souvent fort difficile : l’usage du terme ‹ mensonge ›,11 qui implique une fausseté délibérée, apparaît souvent comme inadéquat pour ne pas dire même trompeur. Trop souvent en effet, l’utilisateur de ce terme n’entend faire allusion qu’à une ‹ erreur ›, à une ‹ information erronée ›. Quelques exemples seront les bienvenus.12 2. ψεῦδος dans le sens de déformation involontaire L’historien coupable de ψεῦδος n’est pas nécessairement un menteur : son erreur pourrait être imputable à une mauvaise information. Lorsque Eratosthène et Artémidore affirment que les nouvelles de Hécatée13 à propos du voyage des Argonautes14 constituent un ψεῦδος, ils mettent l’accent sur sa désinformation et non sur sa volonté de mentir.
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Cassin (1986) ; Cassin (1991). On peut trouver quelque chose de plus spécifique chez Coin-Longeray (2005). Notion qui, exprimée en particulier par ἔτυμος, laisse vite sa place à ἀληθής ; Marincola (2007a). La contraposition ἀληθής/ψεῦδος est très fréquente dans les sources, dans différents contextes relatifs à la communication (comme par exemple des discours ou des comptes-rendus de témoins : Thuk. 4.27.4) ainsi bien entendu que dans le domaine de l’historiographie : cf. Ambaglio (1980), 228. Pour la variante erreur/mensonge dans la terminologie de ψεῦδος en historiographie, cf. les observations de Coin-Longeray (2005). Levet (2008), 206–210. Moles (1993). Angl. ‹ lie ›, all. ‹ Lüge ›. Pour un essai de classement, cf. Wiseman (1993). FGrHist 1 F 18a. : Αρτεμίδωρος ψεῦδός φησιν εἶναι […] τὸ αὐτὸ καὶ ᾽Ερατοσθένης φησί. Qui auraient atteint l’Océan en suivant le Phase, puis seraient revenus vers la Méditerranée en remontant le Nil.
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2.1 La déformation involontaire qui n’entraîne pas de faute Parfois, la mauvaise information est innocente, car elle découle de conditions objectives incontournables : lorsque Hérodote15 rappelle la justification présentée par Cléomène I de Sparte pour ne pas avoir pris la ville d’Argos au moment de la bataille de Sepeia,16 il précise ne pas pouvoir affirmer avec certitude si celui-ci mentait ou disait la vérité.17 Hérodote déclare ouvertement ne pas être en mesure de distinguer le vrai du faux et signale la difficulté : ψεῦδος et ἀληθής s’opposent l’un à l’autre, sans que l’historien ne dispose d’éléments pour régler la question de façon convaincante. Dans ce cas, il n’a aucune responsabilité : il a, au contraire, le mérite de signaler le problème. 2.2 La déformation involontaire qui entraîne un certain degré de responsabilité Il existe cependant des cas dans lesquels la mauvaise information entraîne un certain degré de responsabilité. Elle pourrait en effet être due soit à une erreur d’interprétation ou, pire, à une recherche mal conduite. Lorsque Porphyre de Tyr accuse l’historien et exégète Stésimbrote de Thasos de ψεῦδος à propos de l’exégèse d’un passage d’Homère,18 il fait allusion à une erreur d’interprétation : τὸ γὰρ λέγειν καθάπερ Στησίμβροτος, ὅτι οἱ βάρβαροι ἄλφιτα οὐκ ἐσθίουσιν ἀλλ’ ἄρτους κριθίνους, ψεῦδος.19 La traduction ne devrait donc pas insister sur l’idée de ‹ mensonge ›, mais sur celle d’‹ erreur › d’interprétation : « dire, comme le fait Stésimbrote, que les barbares ne mangent pas de blé mais seulement des pains d’orge, est erroné ». De la même manière, lorsque le scholiaste Tzetzès20 note que la tradition selon laquelle le nom des Amazones dériverait du fait que ces dernières se coupaient le sein droit est un ψεῦδος, il entend dire que cette tradition n’est pas digne de foi et qu’elle est qualifiée comme telle par son irrationalité,21 et rapporte comme alternative la nouvelle d’une simple cautérisation, présente chez Hellanicos22 ainsi que chez Diodore (2.3). D’une toute autre teneur est le cas de la polémique d’Éphore contre Hellanicos, dont nous fait part Ios. c. Ap. 1.16 :23 « Il serait superflu d’apprendre aux lecteurs, qui le savent mieux que moi, combien Hellanicos diffère d’Acousilaos sur les généalogies, quelles corrections Acousilaos apporte à Hésiode, comment sur presque tous les points les erreurs d’Hellanicos sont relevées par Éphore […] ». 15 Hdt. 6.82.1. 16 Bearzot (2006), 111–114 : Il s’était retiré, en considérant que la prophétie de Delphes, qui lui prédisait la conquête d’Argos, s’était accomplie avec l’incendie du bois sacré du héros Argos. 17 Hdt. 6.82 : οὔτε εἰ ψευδόμενος οὔτε εἰ ἀληθέα λέγων, ἔχω σαφηνέως εἶπαι. 18 2.21.76. 19 FGrHist 107 F 25. 20 Antehom. 23, p. 8 Schirach. 21 Dans la mesure où, ce faisant, elles se seraient infligées la mort. 22 FGrHist 4 F 107/323a F 16b. 23 περίεργος δ’ ἂν εἴην ἐγὼ τοὺς ἐμοῦ μᾶλλον ἐπισταμένους διδάσκων ὅσα μὲν Ἑλλάνικος Ἀκουσιλάῳ περὶ τῶν γενεαλογιῶν διαπεφώνηκεν, ὅσα δὲ διορθοῦται τὸν Ἡσίοδον Ἀκουσίλαος, ἢ τίνα τρόπον Ἔφορος μὲν Ἑλλάνικον ἐν τοῖς πλείστοις ψευδόμενον ἐπιδείκνυσιν […], FGrHist 4 T 18 ; FGrHist 70 F T 30a.
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Comme le note Ambaglio,24 Éphore cède ici à l’habitude de critiquer son propre modèle, étant donné que l’historiographie d’Hellanicos, composée de différentes histoires régionales reliées entre elles, représentait d’une certaine manière les prémisses de l’histoire universelle d’Éphore. La critique ne consiste cependant pas dans le fait de dire qu’Hellanicos mentait délibérément, mais plutôt qu’il n’était pas digne de foi et qu’il donnait des informations erronées ; le motif, à ce qui ressort de l’opportune réfutation présente chez FGrHist 70 F 118, serait à rechercher dans l’absence d’une documentation adéquate et, partant, dans l’insuffisance du travail de recherche critique.25 On pourrait multiplier les exemples à l’infini. ψεῦδος fait souvent allusion à l’erreur due à une mauvaise information, si l’on en croit le sens original du terme ; le sujet qui transmet la donnée, à cause de conditions objectives ou de manques personnels,26 peut déformer la réalité et ne pas réussir à atteindre la vérité, avec des degrés de responsabilité différents. Il convient d’observer que, même en l’absence de falsification délibérée, le problème du ψεῦδος met en jeu la question de la fiabilité historiographique, qui implique, avant même la bonne foi, une bonne information, une recherche scrupuleuse, une interprétation correcte. Ce n’est pas un hasard si la notion de ἔλεγχος (réfutation) se trouve mise en relation avec ψεῦδος aussi bien lorsque le terme fait référence au mensonge proprement dit que lorsqu’il fait allusion à l’erreur pure et simple, quelle qu’en soit la cause. En ce qui concerne le mensonge, il vaut la peine de revoir deux passages qui soulignent cette relation dans des situations non ‹ historiographiques › : Hérodote (1.117.2), à propos d’Harpagos qui, interrogé par Astyage, évite de mentir pour ne pas être réfuté, et Thucydide, à propos des Platéens qui, dans le discours aux Spartiates de 427, déclarent que « une réponse sincère se tourne contre nous tandis que le mensonge prête à réfutation ».27 ψεῦδος revient ici dans le contexte de discours, ou dans les mots de ceux qui le prononce ou dans le commentaire de l’historien : un usage qui est loin d’être rare chez des auteurs comme Hérodote ou Xénophon, justement, qui étudient avec une attention particulière le rôle du mensonge dans les rapports personnels et politiques.28 Pour les cas de ψεῦδος considérés comme erreur, Hérodote rappelle comment l’explication qui met en relation les inondations du Nil avec la fonte de la neige est, même si elle semble la plus raisonnable, la plus fausse :29 à l’en croire, une considération rationnelle des conditions climatiques constitue une réfutation nécessaire de cette théorie.30 Il suffit de penser au ἔλεγχος d’Hérodote et Hellanicos de la part de Ctésias31 ou d’Hellanicos de la part d’Éphore,32 comme à des porteurs de traditions peu fiables ; il est intéressant de 24 25 26 27 28 29 30 31 32
Ambaglio (1980), 56. Pour une mise au point plus récente sur Hellanicos, cf. Ottone (2010). Parker, BNJ T 30a ; Parmeggiani (2011), 631, 648–696. Difficultés d’interprétation, insuffisance de l’engagement critique. Thuk. 3.53.2 : τὰ μὲν ἀληθῆ ἀποκρίνασθαι ἐναντία γίγνεται, τὰ δὲ ψευδῆ ἔλεγχον ἔχει ; Traduction R. Weil – J. de Romilly. Sur ces passages, cf. Levet (2008), 378–379 et 356–357. Cf. par exemple Hdt. 1.117.2 ; 3.72.4 ; 7.102.1 ; Thuk. 4.27.4 ; Xen. hell. 3.1.25 ; 3.3.2 ; 7.6.15. Hdt. 2.22.1 : ἡ δὲ τρίτη τῶν ὁδῶν πολλὸν ἐπιεικεστάτη ἐοῦσα μάλιστα ἔψευσται. Hdt. 2.22.1 : ὡς ἡ ἀνάγκη ἐλέγχει. FGrHist 688 F 16 : ἐξ οὗ καὶ ἔλεγχος Ἑλλανίκου καὶ Ἡροδότου ὡς ψεύδονται ; cf. T 8. FGrHist 70 F 122a : δι’ οὗ καλῶς ἐξελέγχει ψευδομένους τοὺς φάσκοντας κτλ.
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noter dans le second passage l’opposition entre ψεῦδος, et notamment ψευδῆ δόξαν, et le verbe διακριβόω, dans lequel ἀκρίβεια est l’instrument qui permet aussi bien de dépasser l’ἀπορεῖν que de réfuter les traditions erronées.33 3. La déformation volontaire Dans l’évolution du concept de ψεῦδος élaboré par Levet, le rôle du sujet dans la transmission des données et des informations prend progressivement de l’importance. La déformation du réel peut alors assumer un caractère volontaire : dans ce cas, la déformation devient un véritable ‹ mensonge ›, conscient et délibéré, et implique une faute morale. Dans le domaine de l’historiographie, ceci a une grande influence sur la fiabilité de la reconstruction et sur la valeur de l’historien et de son œuvre : l’adhésion à l’ἀλήθεια, et donc, le refus de ψεῦδος, devient un élément fondamental d’évaluation. 3.1 La déformation liée au genre littéraire Une première observation concerne la connexion du ψεῦδος, dans le sens de faux délibéré, non pas avec l’aptitude personnelle de l’historien, mais avec un genre littéraire spécifique. Strabon écrit à propos d’Hécatée34 que les historiens antiques disaient beaucoup de choses qui n’étaient pas vraies parce que, à force de parler de mythes, ils s’étaient habitués, voire même ‹ éduqués ›, au ψεῦδος ;35 voilà comment on expliquait leur désaccord sur des nombreuses questions. On a observé le contraste apparent entre ce jugement et le ‹ rationalisme › d’Hécatée ;36 mais ce qui nous intéresse davantage ici est le fait que, si l’on en croit Strabon, c’est justement la nature du genre mythographique qui empêche une reconstruction fiable,37 à cause d’un rapport profondément enraciné avec le ψεῦδος.38 On peut d’ailleurs observer que Lucien en arrive à affirmer que l’introduction dans les œuvres historiques des mythes ne s’avère pas moins nuisible que l’introduction de louanges aux puissants ; l’histoire en effet ne saurait tolérer le ψεῦδος, dans la mesure où c’est uniquement à travers l’ἀλήθεια qu’il atteint son but spécifique, celui de l’utilité (χρήσιμον),39 et le ψεῦδος des récits fabuleux équivaut à cet égard au 33 FGrHist 70 F 122a : διακριβοῦν εἰώθαμεν, ὅταν ἦι τι τῶν πραγμάτων ἢ παντελῶς ἀπορούμενον ἢ ψευδῆ δόξαν ἔχον, cf. Pol. 3.32.6 ; 36.1.7, avec Wiseman (1993), 143–146 ; Levet (2008), 297–312. 34 FGrHist 1 T 10. 35 Strab. 8.3.9 : πολλὰ μὲν οὖν καὶ μὴ ὄντα λέγουσιν οἱ ἀρχαῖοι συγγραφεῖς, συντεθραμμένοι τῶι ψευδεῖ διὰ τὰς μυθογραφίας. 36 Pownall, BNJ 1 F 1a ; par ailleurs fort discuté. 37 Pownall, BNJ 1 F T 10. 38 Le lien entre mythe et ψεῦδος revient chez Strab. 9.3.11–12, à propos de Éphore (FGrHist 70 F 31b). Sur mythe et historiographie, cf. Saïd (2007). Sur le lien vérité/poésie, une réflexion, basée sur les « mensonges » des aèdes, nous est fournie par Philocore (FGrHist 328 F 1, avec Costa, 2007, 51–54) ; cf. à ce sujet Bearzot (2015). 39 Lukian. hist. conscr. 7–9 (sur ce traité voir l’article de Tamiolaki).
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ψεῦδος du servilisme envers le pouvoir. L’affirmation est mieux comprise si l’on se fonde sur un fragment d’Androtion : l’historien, parlant de Cadmos et des Spartes, rappelle que les Thébains racontaient à son sujet des récits prodigieux et faux.40 Il s’en prenait ainsi à la propagande thébaine : au-delà de la question des tendances politiques des historiens, que Harding considère comme sans importance aux fins de la reconstruction et de l’interprétation de leurs œuvres, on peut constater que les textes à caractère mythographique, en plus d’être fictifs, se prêtaient à des utilisations spécieuses et étaient par conséquent exposés aux falsifications intentionnelles.41 3.2 La déformation qui dérive de l’indifférence vis-à-vis de la vérité ψεῦδος, dans le sens de faux délibéré mis en place par l’historien, assume une importance particulière dans le cadre de la fiabilité de l’historien lui-même et de sa reconstruction. Ce sens de ψεῦδος représente l’un des points d’arrivée de l’évolution du concept : de l’idée de ‹ erreur ›, générée par une connaissance peu claire, on arrive à celle de déformation volontaire d’une réalité parfaitement connue. Le faux délibéré peut cependant avoir une autre origine : il peut dériver de l’indifférence pour la vérité en tant qu’objet de la reconstruction historique,42 avec pour conséquence une prévalence d’autres aspects, à caractère rhétorique, littéraire, moraliste ; il peut aussi dériver d’un parti pris qui fait que l’œuvre historique doit obéir à des intérêts précis de l’auteur ou de ses référents. L’historien peut en effet rester indifférent à la vérité : voilà comment était jugé par exemple Ctésias qui, quoique réfutant à son tour Hellanicos et Hérodote qu’il accusait d’être porteurs de fausses nouvelles,43 était à son tour réputé peu digne de foi44 à cause de l’insertion de récits qui glissaient vers le μυθῶδες.45 Antigone de Caryste affirme avoir laissé de côté le récit de Ctésias sur le seul couple de corbeaux existant à Ecbatana, comme à Crannon de Thessalie, à cause de ses nombreux mensonges ;46 Aristote reproche à Ctésias de rapporter de fausses informations47 sur la reproduction des éléphants. Dans ces cas-là, ψεῦδος semble faire allusion au faux qui dérive de la volonté d’impressionner le lecteur, fortement présente chez Ctésias,48 qui poussait Strabon à dire qu’il était plus facile de croire aux récits sur les héros d’Homère et d’Hésiode ou aux 40 FGrHist 324 F 60 b : οἱ δὲ Θηβαῖοι τὰ περὶ αὐτῶν ψευδῶς ἐτερατούργησαν. 41 Harding (1994), 186–188. Sur la question des tendances politiques des atthidographes, cf. Bearzot, Landucci, édd. (2010). 42 Cf. 1.20–22 : cette ἀλήθεια sur laquelle insistait notamment Thucydide dans sa préface méthodologique, cf. Marincola (2007a), 17–19. Il s’agit là d’une vérité de type scientifique, un produit de l’analyse de la réalité de la part d’une intelligence subjective : Levet (2008), 185–187. 43 FGrHist 688 F 16 : ὡς ψεύδονται. 44 FGrHist 688 F 16 : οὐκ ἀξιόπιστος. 45 FGrHist 688 F 11 a–h ; Lenfant (2004), CXXVII–CXXXIII. 46 Aristot. mir. 15 = FGrHist 688 F 36 : διὰ δὲ τὸ αὐτὸν πολλὰ ψεύδεσθαι. 47 FGrHist 688 F 48a : ψευδὲς δ’ ἐστὶ καὶ ὃ Κτησίας γέγραφε περὶ τῆς γονῆς τῶν ἐλεφάντων ; F 48b : Κτησίας γὰρ ὁ Κνίδιος ἃ περὶ τοῦ σπέρματος τῶν ἐλεφάντων εἴρηκε, φανερός ἐστι ἐψευσμένος. 48 Notamment dans Aristot. mir. : FGrHist 688 F 11h.
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poètes tragiques qu’à Ctésias.49 Il est évident qu’il n’est pas ici question de mensonges délibérés dus à des motifs tendancieux, mais de faux à caractère pour ainsi dire littéraire, qui s’éloignaient de l’ἀλήθεια pour satisfaire le plaisir du lecteur en introduisant le merveilleux, comme le notait Thucydide dans sa préface méthodologique.50 Ce défaut était fréquent chez des auteurs qui s’intéressaient aux pays lointains et exotiques : Bérose, par exemple, était jugé peu fiable dans ses Chaldaïka ou Babyloniaka51 par Georges le Syncelle, mais accusait à son tour de ψεῦδος les historiens grecs (Ctésias), à propos de la fondation de Babylone ;52 Syncelle toujours critiquait Manéthon qu’il appelait ψευδηγορῶν53 et ψευδόμενος54 et jugeait ses œuvres πλήρη ψεύδους ;55 Strabon, sur la base d’Eratosthène, jugeait Mégasthène et les autres auteurs de Indika peu dignes de foi.56 C’est également au faux vu sous l’angle d’introduction d’éléments de fantaisie que pense Théopompe lorsqu’il s’en prend aux dialogues de Platon qu’il juge inutiles, ψευδεῖς et pour l’essentiel comme des plagiats d’œuvres d’autres auteurs :57 dans ce cas, ψευδεῖς signifie ‹ fictifs ›, c’est-à-dire de pure fantaisie.58 Voilà un autre sens important, relié à la famille de ψεῦδος, qui a une longue histoire culturelle jusqu’à Lucien59 et qui, en historiographie, peut s’appliquer, par exemple, à l’insertion de discours. Parmi les nombreuses accusations portées par Polybe à Timée,60 on trouve celle selon laquelle ce dernier aurait introduit dans son œuvre des discours « contraires à la vérité » (παρ᾽ ἀλήθειαν),61 et l’aurait fait exprès (κατὰ πρόθεσιν), pour faire étalage de son habileté rhétorique, comme à l’école ; mais étant donné que ce qui caractérise l’histoire est la connaissance des discours effectivement prononcés, κατ᾽ ἀλήθειαν, ainsi que les causes des événements, « Si l’on néglige les discours véritables et leur causes et l’on y substitue des argumentations mensongères et des amplifications oratoires, on supprime l’objet de l’histoire : c’est justement ce que fait Timée. »62
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Ainsi qu’à Hérodote et Hellanicos, et à d’autres auteurs semblables : Strab. 11.6.3 = 688 F 11a. Thuk. 1.21.1. FGrHist 680 F 4b. FGrHist 688 F 1b. FGrHist 609 T 11b. FGrHist 609 T 11 d. FGrHist 609 T 11c ; cf. T 7a : à son tour, Manéthon τὸν ῾Ηρόδοτον ὲλέγχει … ὑπ᾽ ἀγνοίας ἐψευσμένον ; à propos de Bérose et de Manéthon, cf. Dillery (2015). Strab. 2.1.9. = Megasth. FGrHist 715 T 4 : ἅπαντες μὲν τοίνυν οἱ περὶ τῆς ᾽Ινδικῆς γράψαντες ὡς ἐπὶ τὸ πολὺ ψευδολόγοι γεγόνασι ; Roller, BNJ 715 T 4. FGrHist 115 F 259 : τοὺς πολλούς, φησί, τῶν διαλόγων αὐτοῦ ἀχρείους καὶ ψευδεῖς ἄν τις εὕροι, ἀλλοτρίους δὲ τοὺς πλείους. Morison, BNJ 115 F 259. Sur les plagiats : Stempliger (1912), (Speyer 1971), Roscalla (2006), Ambaglio (2009). Pour les intérêts de Lucien sur le thème du ψεῦδος comme technique narrative : Anderson (1982) ; Gassino (2010) ; Gassino (2011). Vattuone (2005). Le passage est corrompu : l’amendement παρ᾽ ἀλήθειαν remonte à Heyse. Pol. 12.25a–b = FGrHist 566 T 19 : ὁ δὲ καὶ τοὺς ῥηθέντας λόγους καὶ τὴν αἰτίαν παρασιωπῶν, ψευδῆ δ’ ἀντὶ τούτων ἐπιχειρήματα καὶ διεξοδικοὺς λέγων λόγους, ἀναιρεῖ τὸ τῆς ἱστορίας ἴδιον· ὃ μάλιστα ποιεῖ Τίμαιος Traduction P. Pédech. En général, sur le problème des discours cf. Pearson (1986), 350–368 ; Marincola (2007), 118–132.
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Les documents transcrits dans les ouvrages historiographiques,63 dont l’authenticité est souvent remise en question, mériteraient un discours à part : un seul exemple nous suffira. Thucydide transcrit une lettre de Thémistocle à Artaxerxès :64 « C’est Thémistocle qui vient te trouver : si j’ai fait à votre maison plus de mal qu’aucun Grec, pendant tout le temps où j’ai dû me défendre contre ton père qui m’attaquait, je lui ai fait plus de bien encore, quand son retour s’accompagnait, pour moi, de la sécurité, et pour lui des plus grands risques. J’ai un service à mon actif (le texte rappelait l’annonce de leur retraite, à Salamine, et le fait que, grâce à lui – par un mérite qu’il s’attribuait faussement – les ponts n’avaient pas été coupés) ; aujourd’hui, de même, j’ai la possibilité de te faire beaucoup de bien, et me voici, poursuivi par les Grecs, à cause de mon amitié pour toi. Je désire, après un délai d’un an, t’expliquer moi-même ce pour quoi je suis là. »65
On peut observer que, alors que le reste de la lettre est transcrite littéralement, la partie dans laquelle il est fait référence à un faux contenu est purement et simplement paraphrasée, comme pour confirmer le jugement de manque de fiabilité formulé par l’historien.66 Enfin, je voudrais noter brièvement que l’introduction dans l’histoire d’éléments émotionnels de la part de la soi-disant historiographie tragique67 est considéré comme ψεῦδος par Polybe dans sa critique à Philarque :68 dans l’historiographie tragique, comme dans la tragédie, c’est en effet « ce qui est persuasif qui a la précédence, même si c’est faux, pour l’illusion des spectateurs, alors qu’ici au contraire c’est ce qui est vrai, au bénéfice de celui qui désire apprendre. »
Il a été toutefois noté à juste titre que, dans des cas comme ceux-ci, la technique littéraire prévaut sur le faux proprement dit.69 La question revient dans la polémique contre Chéréas, Sosylos et Silénos de Kalè Actè70 à propos de la traversée des Alpes par Hannibal : ces historiens, désireux d’impressionner les lecteurs, se retrouvent dans les mêmes conditions que les tragédiens et partant comme eux de fausses prémisses, ne trouvent pas d’issue possible du ψεῦδος et finissent par ψευδολογεῖν.71
63 Sur le débat à ce propos : Biraschi/Desideri/Roda/Zecchini (2003) ; Rhodes (2007). 64 Thuk. 1.137.4 : Θεμιστοκλῆς ἥκω παρὰ σέ, ὃς κακὰ μὲν πλεῖστα Ἑλλήνων εἴργασμαι τὸν ὑμέτερον οἶκον, ὅσον χρόνον τὸν σὸν πατέρα ἐπιόντα ἐμοὶ ἀνάγκῃ ἠμυνόμην, πολὺ δ’ ἔτι πλείω ἀγαθά, ἐπειδὴ ἐν τῷ ἀσφαλεῖ μὲν ἐμοί, ἐκείνῳ δὲ ἐν ἐπικινδύνῳ πάλιν ἡ ἀποκομιδὴ ἐγίγνετο. καί μοι εὐεργεσία ὀφείλεται (γράψας τήν τε ἐκ Σαλαμῖνος προάγγελσιν τῆς ἀναχωρήσεως καὶ τὴν τῶν γεφυρῶν, ἣν ψευδῶς προσεποιήσατο, τότε δι’ αὑτὸν οὐ διάλυσιν), καὶ νῦν ἔχων σε μεγάλα ἀγαθὰ δρᾶσαι πάρειμι διωκόμενος ὑπὸ τῶν Ἑλλήνων διὰ τὴν σὴν φιλίαν. βούλομαι δ’ ἐνιαυτὸν ἐπισχὼν αὐτός σοι περὶ ὧν ἥκω δηλῶσαι. 65 Traduction J. De Romilly. 66 Bearzot (2003), 285. Cf. Levet (2008), 430–431. 67 Marincola (2003) ; Rutheford (2007). 68 Pol. 2.56.12 = FGrHist 81 T 3 : ἐπειδήπερ ἐν ἐκείνοις μὲν ἡγεῖται τὸ πιθανόν, κἂν ᾖ ψεῦδος, διὰ τὴν ἀπάτην τῶν θεωμένων, ἐν δὲ τούτοις τἀληθὲς διὰ τὴν ὠφέλειαν τῶν φιλομαθούντων. 69 Wiseman (1993), 134 ; Morgan (2007), 558–560. 70 Pol. 3.47.6–48. 71 Par μαχόμενα γράφειν : les deux choses, raconter des choses fausses et se contredire, sont totalement étrangères à l’histoire.
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Des faux de ce genre72 ne sont pas moins graves que les faux tendancieux proprement dits si le but est de déterminer la fiabilité de la reconstruction historique, mais impliquent assurément un moindre degré de responsabilité éthique. Ils ont plutôt à faire avec les autres qualités requises chez les historiens : la correction de l’information, l’enquête approfondie, la justesse de l’interprétation, la fidélité scrupuleuse. 3.3 Le faux délibéré La déontologie professionnelle de l’historien se ressent au contraire plus lourdement du poids du ψεῦδος délibéré qui obéit à des raisons d’intérêt personnel et de relations avec le pouvoir : un thème qui a particulièrement intéressé l’historiographe classique, de Thucydide à Tacite, jusqu’à l’essai de Lucien Comment il faut écrire l’histoire, dont la cible polémique est justement l’historiographie laudative. Un cas typique de ψεῦδος induit par l’interférence de questions personnelles nous est proposé par une tradition sur Hérodote, conservée par Plutarque.73 Le parti pris d’Hérodote contre les Thébains remontait, selon Aristophane le Béotien, au refus des autorités thébaines, gens grossières et incultes, de lui donner de l’argent et de lui faire rencontrer la jeunesse de la ville ; une information aucunement étayée, selon Plutarque, mais que l’animosité professée par Hérodote contre les Thébains serait en mesure de confirmer.74 Mais le plus souvent, le problème réside dans les relations de l’historien avec le pouvoir politique. C’est justement à ce type de ψεῦδος que pense Xénophon lorsque, dans la conclusion de l’Agésilas, il revendique sa propre crédibilité à propos de la représentation qu’il donne du souverain lacédémonien : « Si je mens sur ce que tous les Grecs savent, je ne loue pas Agésilas, mais je me blâme moi-même. »75 C’est sur le thème du ψεῦδος lié aux louanges et au blâme envers les puissants qu’est fondée la critique que Polybe adresse à Théopompe. Parlant de la mise à sac de la Messénie de la part de Philippe V, 213 av. J. C., Polybe rappelle l’attitude servile de certains historiens contemporains du souverain,76 qui avaient écrit non pas un ouvrage d’histoire, mais un éloge.77 Il note : « Pour ma part [… ] je ne veux ni qu’on s’en prend calomnieusement aux rois ni qu’on en fasse le panégyrique). »78 72 Insertion de matériel ayant à faire avec le μυθῶδες ou quoiqu’il en soit de fantaisie, reconstruction scholastique des discours, insertion de documents de valeur douteuse, adoption de techniques narratives trompeuses. 73 Plut. mal. 864d. Confer Scardino dans ce volume. 74 Plut. mal. 864d = FGrHist 379 F 5 : ῾Ηρόδοτος τῶι ᾽Αριστοφάνει μεμαρτύρηκε, δι᾽ ὧν τὰ μὲν ψευδῶς, τὰ δὲ δια, τὰ δὲ ὡς μισῶν καὶ διαφερόμενος τοῖς Θηβαίοις ἐγκέκληκε. 75 Xen. Ag. 5.7 : εἰ δ’ ἐγὼ ταῦτα ψεύδομαι ἀντία τῆς Ἑλλάδος ἐπισταμένης ἐκεῖνον μὲν οὐδὲν ἐπαινῶ, ἐμαυτὸν δὲ ψέγω. 76 Cf. les observations de Lehmann (1974), 154–156. 77 Pol. 8.10.7–9 = FGrHist 115 T 19, F 27, F 225a : ἐξ ὧν ἱστορίας μὲν οὐδαμῶς ἔχειν αὐτοῖς συμβαίνει διάθεσιν τὰς συντάξεις, ἐγκωμίου δὲ μᾶλλον. 78 Pol. 8.8.7 : ἐγὼ δ᾽ οὐτε λοιδορεῖν ψευδῶς φημι δεῖν τοὺς μονάρχους οὐδ᾽ ἐγκωμιάζειν Traduction R. Weil.
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Dans l’affirmation de Polybe, le faux est lié à la volonté d’attaquer ou au contraire de louer les puissants, qui rend l’histoire esclave d’intérêts contingents, en la dénaturant. L’attitude de Théopompe à l’égard de Philippe II se ressent, à en croire Polybe, de ces deux limites : elle est à la fois λοιδορεῖν ψευδῶς et ἐγκωμιάζειν ψευδῶς. En effet, au début des Philippiques, Théopompe :79 « dit que son motif principal, pour entreprendre cet ouvrage, est que l’Europe n’avait jamais produit d’homme du tout comparable à Philippe, fils d’Amyntas »
et semble ainsi en faire un grand éloge ; mais ensuite, dans le reste de la préface et de tout l’ouvrage, le roi fait l’objet de blâme, présenté comme il l’est comme l’esclave des pires vices, ainsi que le confirme une vaste citation littérale, traitée du livre XLIX et faisant référence au style de vie du souverain et de ses compagnons.80 Je n’entends pas entrer ici dans le vaste débat sur la mauvaise interprétation faite par Polybe de l’expression τοιοῦτον ἄνδρα, dont on a à juste titre souligné l’ambigüité fondamentale, ni sur ses possibles raisons ;81 selon toute probabilité, Théopompe entendait présenter le sujet qu’il avait choisi, Philippe, non pas en termes de grandeur humaine, politique et morale, mais plus simplement comme ‹ extraordinaire ›, ‹ exceptionnel ›, au point de lui faire abandonner les Helléniques pour le nouveau projet des Philippiques.82 Je voudrais plutôt souligner le fait que la principale accusation que Polybe lance à Théopompe est d’être contradictoire, dans la mesure où son jugement sur la grandeur de Philippe serait incompatible avec la présentation qui nous est ensuite offerte : d’où le reproche de rapporter « il mérite d’être critiqué […] parce que son language contredit son propre projet »83 (μαχόμενα λέγει πρὸς τὴν αὑτοῦ πρόθεσιν) et l’accusation de ἀτοπία, « bizarrerie, extravagance ». De cette façon, Théopompe, selon Polybe, ment dans un certain sens deux fois de manière délibérée, d’abord en chantant les louanges de Philippe sans véritable conviction dans la préface des Philippiques, puis en le couvrant d’accusations fausses et honteuses dans l’exposé qui suit :84 il sera inévitablement jugé menteur et adulateur (ψεύστην καὶ κόλακα), ou au contraire sot et puéril (ἀνόητον καὶ μειρακιώδη).85 Polybe attribue le ψεῦδος de Théopompe au désir de paraître plus crédible, donc à un motif pertinent avec l’activité historiographique :86 il n’est donc pas mis dans le même panier que les historiens serviles de l’époque de Philippe V. Mais cela ne l’empêche pas
79 FGrHist 115 F 27 : δι᾽ αὐτὸ μάλιστα παρορμηθῆναι φήσας πρὸς τὴν ἐπιβολὴν τῆς πραγματείας διὰ το μηδέποτε τὴν Εὐρώπην ἐνηνοχέναι τοιοῦτον ἄνδρα παράπαν οἷον τὸν ᾽Αμύντου Φίλιππον. 80 FGrHist 115 F 225 a. 81 Connor (1967) ; Shrimpton (1977) ; Shrimpton (1991), 21–25, cf. 127–129, 157–180 ; Flower (1994), 98–115 ; Vattuone (1997), 97–98 e 105–106 ; Bearzot (2005) ; Morison BNJ 115 T 19. 82 Vattuone (1997), 96–99. L’évaluation de la centralité de Philippe dans l’histoire de son époque n’implique en effet aucune admiration : cf. Connor (1967), 143 ; Flower (1994), 116–135. 83 Pol. 8.10.2 et 8.9.5. 84 Pol. 8.10.1 : κατέψευσται τοῦ τε βασιλέως καὶ τῶν φίλων, καὶ μάλιστα διότι τὸ ψεῦδος αἰσχρῶς καὶ ἀπρεπῶς διατέθειται. 85 Pol. 8.11.2. 86 Pol. 8.11.2.
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de mentir délibérément et d’exagérer dans l’éloge comme dans le blâme ;87 et du reste, c’est à l’utile (συμφέρον), opposé au beau (καλόν) que Polybe rattache le choix de Théopompe d’écrire les Philippiques. Le thème du ψεῦδος comme l’expression d’un parti pris est également au centre de la critique de Polybe contre Phylarque, comme la polémique sur l’introduction dans l’histoire d’éléments émotionnels mieux adaptés à la poésie tragique qu’à l’histoire.88 Polybe reproche à Phylarque de prendre position en faveur de Cléomène III et contre Antigone III Doson et Aratos, tente de démontrer que Phylarque est un historien qui « parle souvent à la légère et sans méthode » et déclare vouloir suivre Aratos sur la guerre cléoménique, « pour ne pas permettre à l’erreur de contrebalancer la vérité dans les ouvrages historiques ».89 Il est cependant facile d’observer que Polybe fait à son tour un choix de tendance, en faveur de la version du stratège de la Ligue achéenne, Aratos. Dominer l’εὔνοια, ses sympathies idéologiques, pour ne pas verser dans le ψεῦδος paraît cependant difficile, même pour un historien qui semble doté d’une conscience critique supérieur. Nous pourrions continuer à disserter longuement sur ce thème, vu que l’historiographie antique a connu des historiens officiels de rois et de tyrans, des historiens locaux inévitablement partisans, des historiens militants en politique,90 tous plus ou moins impliqués dans la question du ψεῦδος considéré comme mensonge délibéré induit par les rapports avec le pouvoir. Mieux vaut sans doute continuer notre analyse afin de nous focaliser sur d’autres problèmes. 4. Polybe et la catégorisation du faux : ψεῦδος κατ’ ἄγνοιαν et ψεῦδος κατὰ προαίρεσιν Nous avons souligné jusqu’ici à quel point le ψεῦδος est un concept complexe, qui recouvre diverses nuances de sens, du faux objectif au faux subjectif : il a été observé que l’utilisation d’une seule famille de mots pour exprimer cette complexité est inhabituelle dans les langues indo-européennes.91 Polybe nous a offert une tentative de sortir de l’inévitable ambigüité que tout cela implique, même si le problème avait déjà été avancé selon toute probabilité par l’historiographie du IVe siècle, et certainement par Timée, comme il ressort justement de la critique que Polybe lui adresse et qui est l’occasion de trouver différents relevés dans ce domaine.92
87 Ira et studio, pour reprendre les termes de Tacite ann. 1.1. 88 FGrHist 81 T 3 = Pol 2.56 ; Schepens (2005). 89 Pol. 2.56 : ἵνα μὴ τὸ ψεῦδος ἐν τοῖς συγγράμμασιν ἰσοδυναμοῦν ἀπολείπωμεν πρὸς τὴν ἀλήθειαν Traduction P. Pédech. 90 Sur la figure de l’historien de l’antiquité, cf. Zecchini (2010). 91 Levet (2008), 451. 92 Pol. 12.3–28 = 566 T 19 ; Sacks (1981), 21–66 ; Walbank (1962 = 1985).
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Polybe part de l’accusation à Timée d’avoir écrit sur la Lybie et sur l’île de Cyrnos, la Corse, sans s’être suffisamment renseigné.93 Ces erreurs sont inacceptables de la part de ceux qui, comme Timée, ne perdent jamais une occasion de critiquer les autres.94 Ce dernier pêche d’ailleurs par ignorance (ἀπειρία) et n’effectue pas d’enquêtes approfondies ;95 ainsi, malgré ses grands airs, il reste très loin de la vérité.96 Polybe entend démontrer que Timée, dans la partie de son ouvrage consacrée à la Sicile, ne sait pas de quoi il parle ;97 ainsi :98 « il n’y aura plus guère besoin de grands discours, du moins sur ses erreurs, si dans le lieux où il est né et où il a grandi, et dans les plus célèbres d’entre eux, on le prend en flagrant délit d’ignorance et de manquement de vérité. »
Suivent deux exemples : la source d’Aréthuse99 et l’histoire de la fondation de Locres Épizéphyrienne, à propos de laquelle Polybe soutient la version d’Aristote contre celle de Timée.100 Nous nous trouvons jusqu’ici dans le cadre des accusations qui relient le ψεῦδος à l’ignorance et au peu d’engagement dans la recherche. À ce point, une réflexion très intéressante est introduite qui ajoute quelque chose à ce que nous avons jusque-là réussi à trouver dans les sources :101 « Si Timée commet beaucoup d’erreurs en histoire, ce n’est pas parce qu’il est tout à fait incompétent dans ces matières, mais il est aveuglé par l’esprit de chicane, et, quand il s’est mis en tête une bonne fois de blâmer ou au contraire de louer quelqu’un, il oublie tout et manque gravement à son devoir. »
Une distinction est ici introduite entre le faux dû à l’ignorance et le faux de nature tendancieuse, dû à une volonté de louer ou de blâmer.102 Cette distinction est proposée de manière encore plus claire :103 « Il faut rectifier avec indulgence et excuser les historiens qui se trompent par ignorance, mais accuser sans pitié ceux qui se trompent à dessein. »
La distinction entre ψεῦδος κατ’ ἄγνοιαν et ψεῦδος κατὰ προαίρεσιν constitue une tentative, de la part de Polybe, de faire la lumière sur le thème du ψεῦδος en historiographie, en 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103
Pol. 12.3–4. Pol. 12.4a. Pol. 12.4c.1 et 4c.3 : ἀνακρίσεις. Pol. 12.4d.1 : πλεῖστον ἀπολείπεσθαί μοι δοκεῖ τῆς ἀληθείας. Pol. 12.4d.3 : τοῦτο δ᾽ ἔσται δῆλον, ἐὰν ἐν τοῖς κατὰ τὴν Σικελίαν δείξωμεν αὐτὸν ἀγνοοῦντα περὶ ὧν ἀποφαίνεται. Pol. 12.4d.4 : σχεδὸν γὰρ οὐ πολλῶν ἔτι προσδεήσει λόγων ὑπέρ γε τῆς ψευδολογίας, ἐὰν ἐν οἷς ἔφυ καὶ ἐτράφη τόποις, αὶ τούτων ἐν τοῖς ἐπιφανεστάτοις [ἐν τούτοις] ἀγνοῶν εὑρεθῇ καὶ παραπαίων τῆς ἀληθείας. Pol. 12.4d.5–7. Pol. 12.5–12a. Pol. 12.7.1 : ὅτι πολλὰ ἱστορεῖ ψευδῆ ὁ Τίμαιος, καὶ δοκεῖ τὸ παράπαν οὐκ ἄπειρος ὢν οὐδενὸς τῶν τοιούτων, ὑπὸ δὲ τῆς φιλονεικίας ἐπισκοτούμενος, ὅταν ἅπαξ ἢ ψέγειν ἢ τοὐναντίον ἐγκωμιάζειν τινὰ πρόθηται, πάντων ἐπιλανθάνεται καὶ πολύ τι τοῦ καθήκοντος παρεκβαίνει. Gell. 11.11 : mentiri est conscient, mendacium dicere relève de l’inconscience, selon Nigidius Figulus. Pol. 12.7.6 : τοῖς μὲν γὰρ κατ’ ἄγνοιαν ψευδογραφοῦσιν ἔφαμεν δεῖν διόρθωσιν εὐμενικὴν καὶ συγγνώμην ἐξακολουθεῖν, τοῖς δὲ κατὰ προαίρεσιν ἀπαραίτητον κατηγορίαν.
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tenant compte de la complexité sémantique du terme et en mettant l’accent sur l’aspect éthique et déontologique. Polybe déclare que le fait de donner des informations erronées par ignorance est une faute moins grave que le fait de mentir consciemment, avec quelques degrés intermédiaires : l’une est constituée par l’erreur qui dérive d’une recherche insuffisante, coupable mais non délibérée, une autre encore par le faux par tendance non pleinement délibéré, parce que imputable au fait de se trouver dans la même conditions que les amoureux, comme Philinos104 et Fabius Pictor à propos, respectivement, des Carthaginois et des Romains.105 Objet de la critique de Polybe, Timée, est expressément accusé de mentir par choix conscient : tout en déclarant avoir lu les documents qui confirment sa version, il omet d’indiquer toutes les données nécessaires à ce propos, au mépris de sa précision habituelle, et se révèle ainsi conscient d’avoir menti intentionnellement sur Locres.106 Cela est d’autant plus regrettable que c’est justement Timée qui dit que dans l’histoire la faute la plus grave est le faux, et qui exhorte ceux dont il montre qu’ils se sont trompés dans leurs ouvrages à chercher un autre nom pour leurs livres et à les appeler de n’importe quelle autre manière, mais pas ‹ histoire ›.107 Comme dans le cas de Théopompe, pour Timée aussi Polybe met l’accent sur un aspect contradictoire de son historiographie, sur le thème particulièrement significatif du ψεῦδος. La distinction est de nouveau reprise :108 « Nous avons dit qu’il y a deux sortes d’erreurs, l’une par ignorance, l’autre avec intention, et qu’il faut pardonner à ceux qui déforment la vérité par ignorance, mais se montrer intransigeant avec ceux qui la déforment avec intention. Ces principes posés, j’imagine qu’il y a une grande différence entre l’erreur commise par ignorance et l’erreur commise avec intention, que l’une mérite le pardon et une rectification indulgente, tandis que l’autre tombera justement sous le coup d’une accusation impitoyable, et c’est à cette dernière forme d’erreur qu’on peut voir que Timée lui-même est sujet. »
Après une parenthèse sur Callisthène,109 Polybe recommence à accuser Timée, jusqu’au 12.28a. Il n’est pas nécessaire de reprendre ces critiques point par point. Il suffit de dire 104 Philinos (Pol. 1.15 = FGrHist 174 F 2) est de toute manière considéré comme un historien peu fiable qui, partant de fausses hypothèses, ne peut dire que des choses fausses. 105 Pol. 1.14.2 : « Je ne suppose pas qu’ils ont volontairement menti, si j’en juge par leur vie et leur mentalité » – ἑκόντας μὲν οὖν ἐψεῦσθαι τοὺς ἄνδρας οὐχ ὑπολαμβάνω. 106 Pol. 12.10.6 : δῆλός ἐστι συνειδὼς αὑτῷ κατὰ πρόθεσιν ἐψευσμένῳ ; sur l’absence (mais aussi sur l’excès : cf. Pol. 3.33.17) de détails comme témoignage de ψεῦδος, cf. Wiseman (1993), 143–146 ; sur ἀκρίβεια en relation avec ἀλήθεια, cf. Levet (2008), 297–312. 107 Pol. 12.11.8 : Τίμαιός φησι μέγιστον ἁμάρτημα περὶ τὴν ἱστορίαν εἶναι τὸ ψεῦδος· διὸ καὶ παραινεῖ τούτοις, οὓς ἂν ἐξελέγξῃ διεψευσμένους ἐν τοῖς συγγράμμασιν, ἕτερόν τι ζητεῖν ὄνομα τοῖς βυβλίοις, πάντα δὲ μᾶλλον ἢ καλεῖν ἱστορίαν. 108 Pol. 12.12.4–6 : Δύο μέντοι τρόπους ἔφαμεν εἶναι ψεύδους, ἕνα μὲν τὸν κατ’ ἄγνοιαν, ἕτερον δὲ τὸν κατὰ προαίρεσιν, καὶ τούτων δεῖν τοῖς μὲν κατ’ ἄγνοιαν παραπαίουσι τῆς ἀληθείας διδόναι συγγνώμην, τοῖς δὲ κατὰ προαίρεσιν ἀκαταλλάκτως ἔχειν. Τούτων δ’ ἡμῖν ὁμολογουμένων, αὐτοῦ τούτου τοῦ ψεύδους μεγάλην ὑπολαμβάνω διαφορὰν εἶναι τοῦ κατ’ ἄγνοιαν γινομένου καὶ τοῦ κατὰ προαίρεσιν, καὶ τὸ μὲν ἐπιδέχεσθαι συγγνώμην καὶ διόρθωσιν εὐμενικήν, τὸ δ’ ἀπαραιτήτου δικαίως ἂν τυγχάνειν κατηγορίας, Cf. aussi 29.12.11– 12 : « si l’on découvre que nous écrivons des choses fausses intentionnellement ou pour en tirer un profit (κατὰ πρόθεσιν ἢ [κέρδους] τινὸς ἕνεκεν) […] pour cela, nous ne cherchons pas d’excuses, comme nous l’avons déjà précisé à plusieurs reprises dans notre ouvrage historique ». Cf. 12.7.6 ; 12.4–6 ; 16.14.7–10. 109 Pol. 12.17–22.
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que Polybe reproche à Timée de critiquer sévèrement ses collègues tout en tombant pour sa part dans toutes les erreurs du mauvais historien : indulgence devant le merveilleux, ignorance, incapacité à juger et mensonge,110 introductions de discours fictifs, méconnaissance des lieux qu’il décrit ; bref, Timée « multiplie les ignorances et les erreurs » (πολλὰ μὲν ἀγνοεῖ καὶ ψεύδεται, 12.25h.2) et révèle « son ignorance et ses mensonges volontaires » (ὑπὲρ τῆς ἀγνοίας, ἔτι δὲ τῆς ἑκουσίου ψευδογραφίας, 12.25k.1). Il n’évite aucun des types de ψεῦδος qui menace le travail de l’historien : l’erreur due à l’ignorance, l’erreur due à un manque d’engagement dans la recherche, l’erreur due à l’introduction de discours fictifs, l’erreur due au mensonge délibéré, mû par la vis polémique et par la volonté de louer ou d’attaquer les grands personnages qui ont fait l’histoire, comme, respectivement, Timoléon d’un côté111 et Agathocle de l’autre.112 5. Conclusions En réalité, Polybe propose également dans sa réflexion des précisions plus subtiles sur lesquelles il n’est pas possible de nous arrêter : il rappelle par exemple le ψεῦδος par omission,113 qui peut être à son tour déterminé comme κατὰ κρίσιν ou comme κατ’ ἄγνοιαν ;114 le ψεῦδος tendancieux, mais lié à une noble cause, comme l’amour de la patrie, et que l’on doit de toute manière éviter ;115 le ψεῦδος aggravé par le fait d’être invraisemblable (ψεῦδος ἀπίθανον), que l’historien, dans ce cas Phylarque, introduit par charlatanerie pure et simple.116 Mais, comme je l’ai dit au début, mon étude représente une contribution préliminaire, qui nécessite une enquête plus approfondie. Il suffit pour le moment de souligner la complexité du concept de ψεῦδος, dont le parcours, à partir de la notion d’erreur, arrive à celle de mensonge délibérée, à travers toute une série de stades intermédiaires dans lesquels conditions objectives et responsabilités subjectives continuent à alterner et à se mêler ; ensuite, il faudrait signaler la necessité, pour les historiens qui ont affronté des aspects théoriques de l’historiographie comme Polybe, de travailler sur la terminologie du ψεῦδος117 afin d’opérer différents distinguo, en identifiant les différentes catégo-
110 111 112 113 114 115 116 117
Il est ψεύστης. Pol. 12.23. Pol. 12.15. Pol. 12.15.11–12 : « En histoire, c’est un mensonge aussi grave de cacher ce qui est vrai que d’écrire ce qui ne l’est pas » – ἀγνοῶν ὅτι τὸ ψεῦδος οὐχ ἧττόν ἐστι περὶ τοὺς τὰ γεγονότα γράφοντας ἐν ταῖς ἱστορίαις. Pol. 6.11.7–8. Pol. 38.4.7–8 : « La transmission à la postérité des événements passés par le biais des ouvrages d’histoire doit rester pure de tout mensonge » – τὴν (δ’) ὑπὲρ τῶν γεγονότων τοῖς ἐπιγινομένοις διὰ τῶν ὑπομνημάτων παράδοσιν ἀμιγῆ παντὸς ψεύδους ἀπολείπεσθαι. Pol. 2.58.12 : τερατεία. On a pu observer que celui-ci établit un parallèle entre la continuité avec l’usage observé précédemment et une certain renouvellement, surtout dans les composés ; Coin-Longeray (2005), 24.
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Das Problem der Wahrheit in der antiken Geschichtsschreibung Beobachtungen zu Lukians De Historia Conscribenda1 Melina Tamiolaki ‚Wahrheit‘ in der antiken Geschichtsschreibung ist zugegebenermaßen ein komplexes Thema. Obgleich auf den ersten Blick alle Geschichtsschreiber wie selbstverständlich beteuern, ‚die Wahrheit‘ zu berichten oder ihr aufs engste verpflichtet zu sein, zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass die Suche nach der Wahrheit als historiographischer Grundsatz alles andere als einfach und eindeutig ist. Es gibt viele erklärungsbedürftige Probleme: Was verstand man in der Antike (in unserem Fall der griechischen) unter dem Begriff ‚Wahrheit‘? Unterschied sich das antike Verständnis von Wahrheit wesentlich von unserer heutigen Vorstellung? Welche Begriffe verwendete man, um seine Bedeutung auszudrücken, welche Nuancen lassen sich dabei beobachten? Was ist das Gegenteil von ‚Wahrheit‘? Lässt sie sich der Lüge gegenüberstellen oder eher der Fiktion? Und schließlich: In welchem Ausmaß ist die Verpflichtung auf die Wahrheit ein charakteristischer Zug der Geschichtsschreibung, mit der sie sich von anderen Genres, wie z. B. der Dichtung oder der Rhetorik, unterscheidet? Diese Themen haben bereits die Aufmerksamkeit der Forschung erregt. Die jeweiligen Untersuchungen lassen sich schematisch in zwei Gruppen unterteilen: die einen setzen sich mit der Funktion von Wahrheit und Lüge bei bestimmten Autoren auseinander;2 die anderen beschäftigen sich mit der weiter ausgreifenden Frage nach dem Verhältnis von Geschichtsschreibung zu Rhetorik oder Fiktion, und dies meistens in der Absicht zu zeigen, dass die Grenzen zwischen den Gattungen nicht allzu scharf verlaufen.3 Jedoch sind meiner Meinung nach immer noch zwei Dinge zu tun: 1
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Dieser Aufsatz basiert auf einigen Überlegungen in Tamiolaki (Tamiolaki 2016b). Ich danke Thomas Blank und Felix Maier für wertvolle Anregungen und Hinweise, die zur Verfeinerung meiner These beigetragen haben, ebenso wie Agis Marinis für die Bereitstellung von Material, zu dem ich an der Universität von Kreta keinen Zugang hatte. Für die finanzielle Förderung meiner Studien danke ich schließlich der ‚Foundation of Education and European Culture‘ (IPEP), Athen. Vgl. beispielsweise die bei Wiseman (1993) versammelten Studien. Zu dieser zweiten Kategorie gehören Studien wie die von White (1987) oder Woodman (1988), die allen, die mit Geschichte und Geschichtsschreibung befasst waren, viele Denkanstöße geliefert haben. Jüngste Überlegungen dazu von Grethlein (2010) und (2013), Marincola (2014), Nicolai (2014), Parmegianni (2014).
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Eine systematische Sammlung und Analyse all jener Begriffe, die in der antiken griechischen Literatur mit ‚Wahrheit‘, ‚Lüge‘ und ‚Fiktion‘ in Beziehung stehen, würde zeigen, dass vielfältige und häufig miteinander in Konkurrenz stehende Wahrheitskonzepte existierten, was seinerseits weitere Fragen aufwirft: Wie steht es z. B. mit dem Verhältnis von historiographischer Wahrheit und Wahrheit in der Tragödie? Gibt es einen Zusammenhang zwischen historischer und philosophischer Wahrheit? Wie gingen Autoren unterschiedlicher Genres mit dem Fiktionalen um? Eine zweite fruchtbare Forschungsrichtung wäre die Bereicherung dieses – sagen wir – linguistisch-textkritischen Ansatzes um eine theoretische Analyse. Im Hellenismus begann sich eine Theorie der Geschichtsschreibung zu entwickeln, deren vorherrschendes Thema die Auseinandersetzung mit Wahrheit darstellte.4 Es scheint deshalb aussichtsreich zu erkunden, auf welche Weise Wahrheit in diesem Diskurs konzeptualisiert und theoretisiert wurde. Lukians De Historia Conscribenda eignet sich, um beide skizzierten Ansätze zu verbinden, da diese Schrift zu den wenigen umfangreichen Texten gehört, die uns eine Theorie der Historiographie erhalten haben. Lukian lebte im zweiten Jahrhundert n. Chr. Zu dieser Zeit hatte das Genre der Geschichtsschreibung bereits einige Standards herausgebildet. So ist Lukian kein ‚Pionier‘, der die Regeln der Geschichtsschreibung erfunden oder als erster beschrieben hätte. Es sind weitere theoretische Abhandlungen über die Geschichte bezeugt, deren Inhalt allerdings nicht auf uns gekommen ist.5 Außerdem finden wir bei Autoren wie Polybios, Diodor oder Dionysios von Halikarnassos ganz ähnliche Konzeptualisierungen von Geschichte, wie sie von Lukian vertreten werden, was ihm den Vorwurf der mangelnden Originalität eingebracht hat.6 Nichtsdestotrotz verdient Lukians Traktat aus mehreren Gründen besondere Aufmerksamkeit. Zunächst wegen seiner eigentümlichen Form: Obwohl er als Brief angelegt ist, der offensichtlich an Lukians Freund Philo adressiert ist, weist er – wie von Homeyer und anderen gezeigt wurde7 – Züge einer kynischen Diatribe auf, indem er satirische Töne mit ernsthaften verbindet.8 Zweitens lässt sich schwerlich übersehen, dass Lukian auf die weit zurückreichende und vielschichtige Tradition der Geschichtsschreibung Rücksicht nimmt und auf ihr aufbaut.9 Es nimmt deshalb nicht wunder, dass sein Text auch mit Blick auf die Theorie der Geschichts-
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Dazu ausführlich vgl. Zangara (2007). So gab es z. B. eine Schrift Theophrasts mit dem Titel Περὶ ἱστορίας. Vgl. Avenarius (1956), 11; vgl. Homeyer (1965), 46 und Marincola (2014), 39 Anm. 2. Außer in Lukians De Historia Conscribenda finden sich theoretische Reflexionen über die Geschichtsschreibung auch in Plutarchs De Herodoti malignita te, in Dionysios’ von Halikarnassos Epistula ad Pompeium Geminum und in De Thucydide genau wie in Ciceros De oratore. Vgl. zu Dionysios und Cicero De Jonge (in diesem Band). Dies lässt sich vor allem in älteren Studien finden, wie z. B. in Avenarius (1956), der sämtliche Belege von Autoren zusammengetragen hat, die Lukian beeinflusst haben könnten. Bompaire (1958), 483, bezeichnet De Historia Conscribenda als ein „pastiche amusante de Thucydide“, wenngleich er die Kunstfertigkeit Lukians anerkennt. Homeyer (1965), 16–29; vgl. Porod (2009). Mit der Spannung zwischen Form und Inhalt, dem ‚Satirischen‘ und dem ‚Ernsten‘ beschäftigt sich Homeyer (1965), 29. Zu Lukians Verhältnis zu den klassischen Historikern vgl. neuerdings Porod (2013), 209–224.
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schreibung studiert wurde.10 Weiterhin sollte Lukians Traktat meiner Meinung nach in seinem Eigenwert und in Kombination mit anderen lukianischen Werken untersucht werden, genauso wie in Hinsicht auf gegenwärtige Strömungen in der Theorie der Geschichtsschreibung und der Literatur im Allgemeinen. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, zu untersuchen, auf welche Weise Lukian in seiner Abhandlung mit der Pluralität von Wahrheit umgeht, die er sowohl bei seinen Vorgängern, als auch zu seiner eigenen Zeit antrifft, und zu prüfen, ob er etwas Eigenständiges zur Definition von Wahrheit in der Geschichtsschreibung beiträgt. Der Traktat ist in zwei Abschnitte unterteilt: die pars destruens (Lukian. hist. conscr. 6–32), in welcher Lukian die Schwächen schlechter Historiker beschreibt und erklärt, welche Fehler ein guter Historiograph vermeiden sollte, und die pars construens (Lukian. hist. conscr. 33–63), in welcher die Qualitäten eines idealen Historikers diskutiert werden.11 Ein Thema, das sich durch beide Teile zieht, ist die Opposition zwischen Wahrheit und Lüge. Die auffällige Betonung dieses Gegensatzpaares ist bei Lukian im Vergleich mit klassischen Geschichtsschreibern von besonderer Signifikanz. Herodot und Thukydides zum Beispiel kritisieren ihre Vorgänger (seien es Dichter oder Prosaschriftsteller) häufig für ihre faktischen Irrtümer oder einen Mangel an akribischer Forschung, aber sie verhandeln dies nicht ausschließlich unter Verwendung der Termini ‚Wahrheit‘ und ‚Lüge‘.12 Obwohl Lukian mit den Werken der klassischen Historiker vertraut ist und sie häufig als Vorbilder anführt, scheint er ein anderes, absoluteres Konzept von Wahrheit zu vertreten. In seinem Traktat versucht er – zumindest auf den ersten Blick –, eine klare Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge in der Geschichtsschreibung vorzunehmen. Im Folgenden werde ich die Verwendung der Begriffe ‚Wahrheit‘ (ἀλήθεια) und ‚Lüge‘ (ψεῦδος) in Lukians Traktat einer genauen Betrachtung unterziehen. Obwohl ‚Wahrheit‘ für die Historiker aller Zeiten ein desideratum darstellt, wird sich zeigen, dass sich kein allgemein verbindliches Konzept ausmachen lässt. Es existieren vielmehr lediglich Definitionen, die sich im Lauf der Zeit wandeln. Überdies müssen einige Auffassungen Lukians über Wahrheit und Lüge im kulturellen Kontext der zweiten Sophistik betrachtet werden. Lukian zeigt sich von verschiedenen, vor allem philosophischen, Annahmen über Wahrheit beeinflusst, die im zweiten Jahrhundert n. Chr. im Umlauf sind. Aus diesem Grund wird es aufschlussreich sein, einige Überlegungen zur Wahrheit aus anderen Werken Lukians zu Rate zu ziehen, z. B. aus den Verae Historiae. 10 Fox (2001) liefert eindringliche Analysen zu vielen von Lukians Grundannahmen und untersucht sie aus dem Blickwinkel moderner Geschichtstheorien. Vgl. außerdem Wiseman (1979), Gabba (1981), Wheeldon (1989), Zangara (2007), Free (2015). 11 Diese Unterscheidung ist von Avenarius (1956) eingeführt worden, worin ihm Montanari (1987) folgte. 12 Vgl. z. B. die entsprechenden Ausdrücke, die Herodot (Hdt. 2.45.1: λέγουσι δὲ πολλὰ καὶ ἄλλα ἀνεπισκέπτως οἱ Ἕλληνες) und Thukydides (Thuk. 1.20.3: οὕτως ἀταλαίπωρος τοῖς πολλοῖς ἡ ζήτησις ταῆς ἀληθείας […].) verwenden. Sie implizieren nicht notwendigerweise, dass die Einbindung von Mythen oder alternativen Versionen der Einbindung von ‚Lügen‘ gleichkomme, sondern bedingen vielmehr ‚unwahre Darstellungen‘. Das Wahrheitskonzept bei Herodot und Thukydides ist grundsätzlich weniger starr. Vgl. Moles (1993). Vgl. außerdem Bearzot (in diesem Band) zum Begriff pseudos: ihr Aufsatz zeigt, dass der Begriff bei späteren Historikern in verbindlicherer Valenz erscheint als bei den ‚Klassikern‘.
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1. Ψεῦδος Einen Historiker der Lüge zu bezichtigen, ist aus moderner Perspektive ein schwerer Vorwurf. Doch auch antike Historiographen sind mit diesem Thema vertraut. T. Wiseman hat in einer interessanten Studie sieben Arten der ‚Verlogenheit‘ bei antiken Historikern unterschieden: Es sind dies enkomiastische Elemente, die Einbindung von Mythen, von Märchen aus fernen Ländern, tragische Geschichtsschreibung, rhetorische Erzählweise, Mangel an akribeia und Mangel an hinreichend genauer Darstellung.13 C. Bearzot liefert eine umfassende Untersuchung zur Verwendung des Begriffes pseudos in der griechischen Geschichtsschreibung.14 Es sind zumeist faktische Irrtümer oder die zum Genre der Paradoxographie gehörenden Beschreibungen von Wundern und exotischen Ländern, die den Vorwurf der Lüge hervorrufen. Lukian bedient sich dieser Tradition in seinen Verae Historiae, in denen er in allegorischer Betrachtungsweise das Thema von Wahrheit und Lüge in der Literatur hintersinnig parodiert. In der Vorrede dieses Werkes subsumiert Lukian Dichter, Philosophen und Historiker unter dieselbe Kategorie, indem er sie allesamt als Lügner bezeichnet. Mit dieser satirischen Form der Darstellung beseitigt er die Unterschiede zwischen den verschiedenen Wahrheitskonzeptionen, die von den unterschiedlichen Genres und Berufsständen repräsentiert werden, wenn er schreibt (Lukian. ver. hist. 1.):15 […] dass jede der unglaublichen Begebenheiten, die ich als Tatsachen erzähle, eine komische Anspielung auf diesen oder jenen unserer alten Dichter, Geschichtsschreiber und Philosophen enthält, die uns eine Menge ähnlicher Märchen und Wunderdinge (τεράστια καὶ μυθώδη) vorgelogen haben […]. Um aber doch wenigstens ein paar von ihnen zu nennen, so schrieb Ktesias, des Ktesiochus Sohn, von Knidos, in seinem Werk über Indien, Dinge, der er weder selbst gesehen noch von irgendeinem Menschen auf der Welt gehört hatte. Ebenso hat Jambulus viel Unglaubliches von dem großen Ozean geschrieben […]. Viele andere haben, in ebendiesem Geiste, ihre angeblichen Reisen und zufälligen Verirrungen in unbekannte Länder geschrieben, worin sie von ungeheuer großen Tieren, wilden Menschen und seltsamen Sitten und Lebensweisen unglaubliche Dinge erzählen. Ihr Obermeister und Anführer, in dieser kurzweiligen Art die Leute zum besten zu haben, ist der berühmte Homerische Ulysses, der dem Alkinoos und seinen einfältigen Phäaken, eine lange Erzählung vom König Äolus und den Winden, die seine Sklaven sind, von einäugigen Menschenfressern und andern dergleichen Wilden, von vielköpfigen Tieren, von Verwandlung seiner Gefährten in Tiergestalten und eine Menge andrer Albernheiten dieses Schlages aufheftet. Ich meines Ortes habe allen diesen wackeren Leuten, so viele ihrer mir vorgekommen sind, dass Lügen umso weniger übelgenommen, da ich sah, dass sogar Männer, welche bloß philosophieren zu wollen vorgeben, es um kein Haar besser machen (τοῦ
13 Wiseman (1993). 14 Bearzot (in diesem Band). Genau wie Bearzot beschäftige ich mich ebenfalls mit dem Begriff ψεῦδος und dem angrenzenden Wortfeld, und nicht mit dem weiterreichenden Konzept des Irrtums und der Täuschung. 15 Folgende Übersetzungen liegen den Zitaten zugrunde: Lukian. hist. conscr. = Homeyer (1965); Arist. Poet. = Fuhrmann (1982); Thuk. = Vretska/Rinner 1996.
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ψεύσασθαι μὲν οὐ σφόδρα τοὺς ἄνδρας ἐμεμψάμην, ὁρῶν ἤδη σύνηθες ὂν τοῦτο καὶ τοῖς φιλοσοφεῖν ὑπισχνουμένοις).16
In De Historia Conscribenda geht Lukian im Gegensatz hierzu nicht im Detail auf dieses Problem ein. Er bringt das ‚Lügen‘ (ψεύδεσθαι) lediglich an zwei Stellen mit faktischen Irrtümern in Zusammenhang (Lukian. hist. conscr. 20, Lukian. hist. conscr. 24): Der gleiche Autor, den ich eben nannte, berichtet übrigens auch über völlig unglaubhafte Verwundungen und ausgefallene Todesarten (καὶ τραύματα συνέγραψεν πάνυ ἀπίθανα καὶ θανάτους ἀλλοκότους) – z. B. dass einer an einer Wunde am großen Zehen sofort verschieden sei und dass auf einen bloßen Kriegsruf des Feldherren Priscus hin siebenundzwanzig Feinde den Geist aufgegeben hätten. Und schließlich hat er auch noch die Zahl der Toten gefälscht – im Widerspruch mit den offiziellen Angaben unserer Feldherren; danach seien in der Schlacht bei Europos 70 236 Feinde gefallen, auf römischer Seite soll es dagegen nur 2 Tote und 9 Verwundete gegeben haben. […] Doch das alles wäre noch zu ertragen – Verstöße gegen die Darstellungsweise und gegen alles, was die Anordnung angeht – wenn aber lügnerische Angaben über Entfernungen gemacht werden und es sich dabei nicht etwa nur um einige Parasangen, sondern gleich um ganze Tagesreisen handelt (τὸ δὲ καὶ παρὰ τοὺς τόπους αὐτοὺς ψεύδεσθαι οὐ παρασάγγας μόνον ἀλλὰ καὶ σταθμοὺς ὅλους) – wie läßt sich das noch verteidigen?
Lukian geht nicht näher darauf ein, was er sich unter ‚Lügen‘ vorstellt. Obwohl er zwischen ἁμάρτημα (Irrtum) und ψεῦδος (Lüge)17 zu unterscheiden scheint,1 erklärt er nicht – wie dies manche Historiographen tun –, ob hinter jenem Lügen Absicht steckt oder nicht.18 An anderer Stelle in seiner Abhandlung kommt er sogar auf faktische Irrtümer zu sprechen, jedoch ohne sie explizit als Lügen zu charakterisieren. Er verhandelt dieses Thema vielmehr unter dem Gesichtspunkt der Unkenntnis (Lukian. hist. conscr. 21): Und derselbe Autor behauptete auch noch, dass alle anderen Schriftsteller sich irrten, die glaubten, Severian sei durchs Schwert umgekommen; er sei nämlich eines freiwilligen Hungertodes gestorben, da er diese Todesart für die schmerzloseste gehalten habe; er weiß also nicht, dass sich diese Katastrophe innerhalb von drei Tagen abgespielt hat; da nun Menschen im Allgemeinen sieben Tage lang ohne Nahrungsaufnahme durchhalten können […].
Diese Auszüge erwecken den Eindruck, dass Lukians Fokus in diesem Werk ein anderer ist. Tatsächlich beharrt er in De Historia Conscribenda darauf, dass es sich bei Enkomion 16 Eine Analyse dieses Proömiums liefert Georgiadou-Larmour (1998), von Moellendorf (2009), Porod (2013), 225–228. Außerdem vgl. Gabba (1981). In dieser Einleitung wird Herodot allerdings nicht genannt. Er taucht in Luk. ver. hist. 2.31 zusammen mit Ktesias auf, wo sie beide massiv für ihre Lügen angegriffen werden (καὶ μεγίστας ἁπασῶν τιμωρίας ὑπέμενον οἱ ψευσάμενοί τι παρὰ τὸν βίον καὶ οἱ μὴ τὰ ἀληθῆ συγγεγραφότες, ἐν οἷς καὶ Κτησίας ὁ Κνίδιος ἦν καὶ Ἡρόδοτος καὶ ἄλλοι πολλοί). Für die Gründe dieses späten Auftrittes vgl. meine Überlegungen in Tamiolaki (2013). Für die Tradition, in Herodot einen Lügner zu sehen, vgl. Scardino (in diesem Band). 17 Lukian. hist. conscr. 6.7: ἁμαρτήματα, ἁμαρτάνουσιν. 18 Polybios z. B. führt eine Unterscheidung zwischen dem Lügen κατ᾽ ἄγνοιαν und dem Lügen κατὰ προαίρεσιν ein (Pol. 12.7.6, 12.12.4–6). Vgl. Porod (2013), 303 und Bearzot (in diesem Band).
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und Schmeicheleien um Formen der Lüge handele.19 Dies lässt sich womöglich darauf zurückführen, dass er diesen Traktat um 166 n. Chr. und somit nach dem Sieg der Römer über die Parther geschrieben hat.20 Jenes Ereignis hatte – wie Lukian selbst am Anfang seiner Abhandlung in humorvoller Weise erzählt – einen neuen Aufschwung der Geschichtsschreibung ausgelöst (Lukian. hist. conscr. 1);21 es ist deshalb anzunehmen, dass enkomiastische Tendenzen in der Geschichtsschreibung zu jener Zeit besonders virulent waren. Wir können nun zu einer genaueren Betrachtung von Lukians Behandlung von ψεῦδος fortschreiten. In folgenden Teil des Beitrags soll gezeigt werden, dass sich die Unnachgiebigkeit in seiner Verurteilung des ψεῦδος in der Geschichtsschreibung nach und nach abschwächt. Lukian heißt am Ende dieses Prozesses bestimmte Elemente (wie z. B. ‚Lob‘ und stilistische ‚Schönheit‘) gut, die er anfangs mit der Lüge in Zusammenhang gebracht hatte. In den Paragraphen 7–10 seines Traktates befasst er sich mit ψεῦδος in der Geschichtsschreibung. Er stellt dort folgenden Vergleich an, um zu zeigen, dass Geschichtsschreibung mit ψεῦδος vollkommen unvereinbar sei (Lukian. hist. conscr. 7): Sie dagegen, die Geschichtsschreibung, kann keine Lüge ertragen, auch die kleinste nicht, ebenso wenig wie – nach Aussage der Jünger der Heilkunde – die Luftröhre einen verschluckten Fremdkörper aufzunehmen vermöchte.
Dieser Vergleich erscheint als Höhepunkt seiner Überlegungen gegen enkomiastische Elemente (ἐγκώμιον, ἔπαινος) in der Geschichtsschreibung. Diese Argumentation wird im Weiteren mit der Unterscheidung von Geschichtsschreibung und Dichtung fortgeführt. Lukian hebt die Differenz zwischen den Vorgehensweisen der Dichter und den Maßstäben der Historiker hervor: Während die Dichter ihre Werke völlig frei komponieren und damit auch Lobpreisungen einfügen können, ist die gestalterische Freiheit der Historiker beschränkt. Die Neigung der Dichter, ihre Helden zu lobpreisen, charakterisiert Lukian als Schmeichelei.22 In einer abschließenden Betrachtung fasst er die der Geschichtsschreibung entgegengesetzten Elemente wie folgt zusammen (Lukian. hist. conscr. 8): Es wäre schlimm, ja, mehr als schlimm, wenn einer die Merkmale der Geschichtsschreibung und Dichtung nicht auseinanderzuhalten wüsste (μέγα τοίνυν – μᾶλλον δὲ ὑπέρμεγα τοῦτο κακόν – εἰ μὴ εἰδείη τις χωρίζειν τὰ ἱστορίας καὶ τὰ ποιητικῆς) und daher die Geschichtsschreibung mit poetischem Zierrat wie Mythos und Lobrede und den dazugehörigen Übertreibungen ausstattete (ἀλλ’ ἐπεισάγοι τῇ ἱστορίᾳ τὰ τῆς ἑτέρας κομμώματα – τὸν μῦθον καὶ τὸ ἐγκώμιον καὶ τὰς ἐν τούτοις ὑπερβολάς).
19 Vgl. Bearzot (in diesem Band): „la cible polémique de Lucien est justement l’historiographie laudative“. 20 Vgl. Homeyer (1965), 11–12; auch De Jonge (in diesem Band). Für die Wichtigkeit des römischen Sieges über die Parther und seinen Einfluss auf die Geschichtsschreibung vgl. Baldwin (1973), das Kapitel Clio Dethroned. Vgl. neuerdings außerdem Kemezis 2010. 21 Eine hervorragende Analyse dieser Entwicklung liefert von Moellendorf (2001). 22 Lukian. hist. conscr. 8: ἡ ἱστορία δὲ ἤν τινα κολακείαν τοιαύτην προσλάβῃ, τί ἄλλο ἢ πεζή τις ποιητικὴ γίγνεται;
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An dieser Stelle verknüpft Lukian den Begriff des Lobes (enkomion) mit jenem des mythos, indem er die Übertreibung als das beiden gleichermaßen zukommende Element bestimmt. Es sind schließlich diese Bestandteile (Mythos, Lob und Schmeichelei), die an späterer Stelle als diejenigen Komponenten wiederkehren, aus denen sich das ψεῦδος zusammensetzt, wenn Lukian den historiographischen Grundsatz verteidigt, in der Geschichtsschreibung sei die übertriebene Einbindung fiktiven Materials zu unterlassen (Lukian. hist. conscr. 10): Auch das wäre noch zu betonen, dass in einem Geschichtswerk völlig Fiktives und das in Lobreden am meisten Huldvolle keinen Gefallen finden bei den Zuhörern (ὅτι οὐδὲ τερπνὸν ἐν αὐτῇ τὸ κομιδῇ μυθῶδες καὶ τὸ τῶν ἐπαίνων μάλιστα πρόσαντες παρ’ ἑκάτερον τοῖς ἀκούουσιν), es sei denn, du spekulierst auf ein Publikum mit niedrigen Instinkten und auf den großen Haufen, statt auf Hörer, die wie Scharfrichter und – ja, beim Zeus – wie Spione horchen […]. Denkst du jedoch nicht an jene und schmückst dein Geschichtswerk über das Maß hinaus mit Fabeleien, Lobreden und anderen Schmeichelkünsten aus (ἢν δὲ ἀμελήσας ἐκείνων ἡδύνῃς πέρα τοῦ μετρίου τὴν ἱστορίαν μύθοις καὶ ἐπαίνοις καὶ τῇ ἄλλῃ θωπείᾳ), dann wirst du es gar bald dem Lydischen Herakles ähnlich machen.
An diesen Ausführungen lassen sich weitere Beobachtungen festhalten. Es ist offensichtlich, dass Lukian auf ältere Traditionen aufbaut. Aristoteles bietet in der Poetik eine theoretische Auseinandersetzung mit den Unterschieden zwischen Dichtung und Geschichtsschreibung (Aristot. poet. 1451b1–5): Denn der Geschichtsschreiber und der Dichter unterscheiden sich nicht dadurch voneinander, dass sich der eine in Versen und der andere in Prosa mitteilt […], sie unterscheiden sich vielmehr dadurch, dass der eine das wirklich Geschehene mitteilt, der andere, was geschehen könnte. Daher ist die Dichtung etwas Philosophischeres und Ernsthafteres als Geschichtsschreibung; denn die Dichtung teilt mehr das Allgemeine.
Aristoteles behauptet die Überlegenheit der Dichtung gegenüber der Geschichtsschreibung im Hinblick auf philosophische Zwecke. Er bedient sich hierzu jedoch nicht der Kategorien Wahrheit und Lüge. Auf der anderen Seite fußt Lukians Abwertung der Dichtung auf seiner Überzeugung von der Erhabenheit der Wahrheit und dementsprechend räumt er der Geschichtsschreibung den Vorrang ein. Mit seiner Zurückweisung der Dichtung folgt Lukian denjenigen Historikern, die fiktionale Elemente abgelehnt hatten: die Ächtung fiktionaler Inhalte (μυθῶδες) und die Bevorzugung des Nützlichen gegenüber dem Angenehmen findet sich bei Thukydides ebenso wie bei Polybios.23 Außerdem hat Lukians Betrachtung des Angenehmen einen philosophischen Hintergrund.24 Schließlich trifft er sich auch in seiner Behandlung des Enkomions in der Ge-
23 Thuk. 1.21.1, 1.22.4; Pol. 3.4.8, 3.31.12–13. Für Polybios’ Geschichtsverständnis vgl. Sacks (1981) und Maier (2012). Für die Rezeption von Thukydides und Polybios in Historia Conscribenda vgl. Free (2015), 33–40. 24 Das Verhältnis von terpnon/hedy und chrêsimon in der Philosophie berühren auch Schirren und Blank, (in diesem Band).
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schichtsschreibung mit den Anliegen hellenistischer Historiographen wie etwa Polybios.25 Dennoch weist Lukians Ausarbeitung einige markante Eigenheiten auf, die seinen Text über die bloße Imitation oder Reproduktion der Gedanken seiner Vorläufer hinausheben. Er scheint die Unterscheidung zwischen μῦθος (Mythos), ἔπαινος (Lobrede) und κολακεία (Schmeichelei) zu verwischen, indem er alle drei als Aspekte von ψεῦδος auffasst (später bezeichnet er die Dichtung als den exklusiven Ort für die literarische Verarbeitung des ψεῦδος).26 Diese Darstellungsweise unterscheidet ihn nicht nur von den Historiographen der klassischen Zeit, die das Thema der Schmeichelei überhaupt nicht berührten, sondern auch von anderen Autoren wie z. B. Dionysios von Halikarnassos, der in erster Linie Fiktion (und nicht Schmeichelei) der Geschichtsschreibung entgegensetzt.27 Durch den Fokus auf das ψεῦδος wird die moralische Dimension von Lukians Traktat betont, aber seine terminologische Unschärfe zwischen Lob und Schmeichelei untergräbt letztlich die Überzeugungskraft seiner Beispiele. So behauptet er etwa, Homer habe übertriebenes Lob in seine Dichtung eingebracht, was er als Schmeichelei charakterisiert (Lukian. hist. conscr. 8): […] und will der Dichter den Agamemnon loben (ἀλλὰ κἂν Ἀγαμέμνονα ἐπαινέσαι θέλωσιν), so wird es ihm niemand verwehren, wenn er des Helden Haupt und Augen mit denen des Zeus vergleicht, seine Brust mit der seines Bruders Poseidon und seine Hüften mit denen des Ares, sodass der Sohn des Atreus und der Aerope nur ein aus allen Göttern zusammengesetztes Geschöpf sein kann; denn keiner – weder Zeus noch Poseidon oder Ares – reicht allein aus, um von seiner vollkommenen Schönheit eine Vorstellung zu geben. Sobald nun aber die Geschichtsschreibung Schmeicheleien dieser Art zu Hilfe nimmt (ἡ ἱστορία δὲ ἤν τινα κολακείαν τοιαύτην προσλάβῃ), was wird aus ihr anderes als eine Art Prosadichtung […]?
Während dieses Bild als ein Beispiel für komische Verzerrungen betrachtet werden kann, scheint es einem anderen Gedanken, der sich in der Abhandlung findet, zu widersprechen (Lukian. hist. conscr. 40): Übrigens gibt es Leute, die Homers Berichte über Achilleus, die doch mehr oder weniger erdichtet sind, für wahr halten und als schlagenden Beweis dafür einzig und allein vorbringen, dass er doch nicht über ihn geschrieben habe, als er noch lebte; sie wissen keinen Grund anzugeben, warum er hätte lügen sollen (οὐ γὰρ εὑρίσκουσιν οὗτινος ἕνεκα ἐψεύδετ’ ἄν).
25 Pol. 10.21.8. Näheres dazu bei Homeyer (1965), 182–183, Porod (2013), 297–298. 26 Woodman (1988), 68, Anm. 257–258, bemerkt ebenfalls, dass Lukian die Grenze zwischen Lob und Schmeichelei verwischt. Dazu außerdem vgl. Porod (2013), 315. Tatsächlich scheint der Lobpreis sowohl ein Genre, als auch eine Motivation zu bezeichnen, während die Schmeichelei kein eigenes Genre bildet. Der Mythos auf der anderen Seite stellt ein eigenes Moment dar, das für die Zwecke des Lobpreises ebenso wie für die der Schmeichelei Verwendung findet. 27 Vgl. z. B. Dion. Hal. Thuk. 6: ἔπειτα κατὰ τὸ μηδὲν αὐτῇ μυθῶδες προσάψαι, μηδ’ εἰς ἀπάτην καὶ γοητείαν τῶν πολλῶν ἐκτρέψαι τὴν γραφήν, ὡς οἱ πρὸ αὐτοῦ πάντες ἐποίησαν. Anders hingegen de Jonge in diesem Band. Für weitere Parallelen vgl. Avenarius (1956), 13–22. Es ist außerdem bemerkenswert, dass Lukian nicht eigens auf das Thema des Schimpfs (ψόγος) als weiterer Möglichkeit der Lüge eingeht. Er gibt dazu lediglich eine Andeutung in Lukian. hist. conscr. 8: πέρα τοῦ μετρίου καταρρίπτοντες.
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Die Stelle findet sich in Rahmen von Überlegungen zum Problem der historischen Distanz vor: Lukians Fixierung auf die Schmeicheleien seiner Zeitgenossen verleitet ihn zu der Behauptung, Berichte über die entfernte Vergangenheit seien vertrauenswürdiger als solche über gegenwärtige Ereignisse, weil Menschen dazu neigten, ihren Zeitgenossen schmeicheln zu wollen. Aus dieser Perspektive erschiene Homer verlässlicher (und folglich der Schmeichelei weniger zugeneigt), da er von seinen Helden durch eine große zeitliche Distanz getrennt ist. Es ist offensichtlich, dass diese Sichtweise Lukians vorangegangene Charakterisierung von Homers Lob auf Agamemnon als Schmeichelei auf den Kopf stellt. Es ist außerdem interessant, dass Lukian zwischen vollständiger Ablehnung und bedingter Akzeptanz von Lobelementen in der Geschichtsschreibung zu schwanken scheint. Zunächst führt er eine strenge Unterscheidung zwischen Enkomion und Historiographie ein (Lukian. hist. conscr. 7) Sie ahnen gar nicht, dass die Geschichtsschreibung von der Lobrede durch keine schmale Kluft getrennt und geschieden ist – dass im Gegenteil sogar eine hohe Mauer beide scheidet und dass sie, um einen Ausdruck aus der Sprache der Musik zu gebrauchen, zwei ganze Oktaven voneinander entfernt sind (οὐ στενῷ τῷ ἰσθμῷ διώρισται καὶ διατετείχισται ἡ ἱστορία πρὸς τὸ ἐγκώμιον, ἀλλά τι μέγα τεῖχος ἐν μέσῳ ἐστὶν αὐτῶν καὶ τὸ τῶν μουσικῶν δὴ τοῦτο, δὶς διὰ πασῶν ἐστι πρὸς ἄλληλα).
Weiterhin lässt er uns glauben, Historiographen, die enkomiastische Inhalte in ihre Werke einfließen lassen, täten dies aus Unkenntnis der Unterschiede zwischen Dichtung und Geschichtsschreibung (vgl. die Formulierungen ἀγνοεῖν ἐοίκασιν, εἰ μὴ εἰδείη, Lukian. hist. conscr. 8), womit er abermals auf eine strenge Unterscheidung zwischen Geschichtsschreibung und Dichtung verweist. Unmittelbar danach jedoch macht er ein Zugeständnis bezüglich des Lobenden in der Historiographie: Indem er die Aufmerksamkeit auf das Problem des rechten Maßes lenkt, räumt er ein, dass Lobpreis in der Geschichtsschreibung seine Berechtigung haben könne, sofern man es nicht übertreibe und sich seiner nicht an unpassender Stelle bediene (Lukian. hist. consr. 9): Ich behaupte gar nicht, dass man in einem Geschichtswerk nicht auch gelegentlich loben dürfe, doch muss man zur rechten Zeit und maßvoll loben (Καὶ οὐ τοῦτό φημι, ὡς οὐχὶ καὶ ἐπαινετέον ἐν ἱστορίᾳ ἐνίοτε. ἀλλ’ ἐν καιρῷ τῷ προσήκοντι ἐπαινετέον καὶ μέτρον ἐπακτέον τῷ πράγματι), damit es auf spätere Leser nicht unangenehm wirke, wie denn überhaupt die Wirkung auf die Nachfahren den Maßstab bilden soll.
Wenngleich die Erläuterungen hinsichtlich der passenden Gelegenheit und des rechten Maßes eher vage ausfallen (als Gebote der Rücksicht auf eine zukünftige Leserschaft), ist es wichtig, festzuhalten, dass Lukian hier seine anfängliche Auffassung einzuschränken scheint.28
28 Trédé (2010) und Billault (2010) sehen für Lukians Verteidigung gelegentlichen Lobes eine zeitgenössische Ursache: sein unausgesprochenes Anliegen, die Römer für ihren Sieg über die Parther zu loben.
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Schließlich verdienen Lukians Vergleiche eine nähere Betrachtung. An zwei Stellen vergleicht Lukian die Dichtung mit einem ‚weibischen‘ Mann (Lukian. hist. conscr. 8, Lukian. hist. conscr. 10): Es wäre schlimm, ja, mehr als schlimm, wenn einer die Merkmale der Geschichtsschreibung und Dichtung auseinanderzuhalten wüsste und daher die Geschichtsschreibung mit poetischem Zierrat wie Mythos und Lobrede und den dazugehörigen Übertreibungen ausstattete; das wäre genau so, als wollte man einem Athleten – einem dieser kräftigen und baumstarken Burschen – einen Purpurmantel überwerfen und ihn mit dem übrigen Hetärentand behängen, seine Wangen rotfärben und ihn schminken, um ihn – beim Herakles – dem Gelächter preiszugeben und ihn mit solchem Putz zu erniedrigen (Ἡράκλεις ὡς καταγέλαστον αὐτὸν ἀπεργάσαιτ’ αἰσχύνας τῷ κόσμῳ ἐκείνῳ). […] schmückst du dein Geschichtswerk über das Maß hinaus mit Fabeleien, Lobreden und anderen Schmeichelkünsten aus, dann wirst du es gar bald dem Lydischen Herakles ähnlich machen; wahrscheinlich hast du ihn schon einmal irgendwo als Sklaven der Omphale abgebildet gehen, in ganz seltsamer Aufmachung, sie dagegen mit dem Löwenfell angetan und die Keule in der Rechten als sei sie Herakles, während er in safranfarbigem, purpurgeschmücktem Kleid Wolle zupft und von der Omphale mit der Sandale Schläge bekommt; ein höchst entwürdigender Anblick – das Gewand steht vom Körper ab und passt nicht und verkehrt auf unziemliche Weise die männliche Gestalt des göttlichen Helden ins Weibische (καὶ τὸ θέαμα αἴσχιστον, ἀφεστῶσα ἡ ἐσθὴς τοῦ σώματος καὶ μὴ προσιζάνουσα καὶ τοῦ θεοῦ τὸ ἀνδρῶδες ἀσχημόνως καταθηλυνόμενον).
Diese Vergleiche, die Wiseman zu seinem Buchtitel Clio’s Cosmetics inspiriert haben,29 sind bemerkenswert. Unter Verwendung traditioneller Dichotomien der griechischen Kultur (Mann-Frau, freier Mann-Sklave, etc.), wird nahegelegt, dass der Gebrauch poetischer Kunstmittel in der Geschichtsschreibung selbige als einen Mann erscheinen lasse, der sich als Frau verkleidet habe. Lukian scheint den Eindruck zu erwecken, dass diese Kunstmittel etwas Äußerliches seien, das hinzugefügt oder hinweggenommen werden kann. Der Akzent auf das Antlitz (θέαμα) legt weiterhin nahe, dass Geschichtsschreibung hier vornehmlich als ästhetisches Phänomen betrachtet wird. Lukians Vergleiche betonen, in welchem Gewand Geschichtsschreibung erscheint, wenn sie Lobpreis und Schmeicheleien integriert, aber nicht, was aus ihr tatsächlich wird. Aus dieser Perspektive ist es auch bemerkenswert, dass er keinen Verlust an Männlichkeit beschreibt. Geschichtsschreibung büßt ihr Wesen durch die Hinzufügung jener Kunstmittel nicht ein. Es scheint lediglich ihre äußere Erscheinung betroffen zu sein. Diese Ausführungen mildern erneut das negative Urteil über die Möglichkeit der Einbindung von enkomion und mythos in die Geschichtsschreibung.30
29 Wiseman (1979), 5. 30 Dazu auch Wiseman (1979), 147, Fox (2001), 84–91.
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2. Ἀλήθεια ‚Wahrheit‘ spielt in Lukians Traktat ebenfalls eine wichtige Rolle. Bemerkenswerterweise wird der Begriff negativ konzeptualisiert: a) als das mit dem Nützlichen Verbundene und dem Angenehmen Entgegengesetzte, b) als das Gegenteil von Schmeichelei, c) als das Gegenteil von rhetorischer Praxis. Im Folgenden sollen diese Befunde einer näheren Betrachtung unterzogen werden. In den Überlegungen zum Unterschied von Dichtung und Geschichtsschreibung kommt Lukian zum ersten Mal auf ‚Wahrheit‘ zu sprechen (Lukian. hist. conscr. 9): Diejenigen, die freilich meinen, gut daran zu tun, indem sie der Geschichte zwei Aufgaben zuteilen – angenehm und nützlich zu sein – und darum auch die Lobrede mit aufnehmen als etwas, das auf die Leser angenehm und erfreulich wirke – siehst du, wie weit diese von der Wahrheit entfernt sind? Erstens ist ihre Zweiteilung falsch; die Geschichte hat nämlich nur eine einzige Aufgabe und ein Ziel, nämlich zu nützen, und das erreicht sie nur mit Hilfe der Wahrheit. (Ὅσοι δὲ οἴονται καλῶς διαιρεῖν εἰς δύο τὴν ἱστορίαν, εἰς τὸ τερπνὸν καὶ χρήσιμον, καὶ διὰ τοῦτο εἰσποιοῦσι καὶ τὸ ἐγκώμιον ἐς αὐτὴν ὡς τερπνὸν καὶ εὐφραῖνον τοὺς ἐντυγχάνοντας, ὁρᾷς ὅσον τἀληθοῦς ἡμαρτήκασι; πρῶτον μὲν κιβδήλῳ τῇ διαιρέσει χρώμενοι· ἓν γὰρ ἔργον ἱστορίας καὶ τέλος, τὸ χρήσιμον, ὅπερ ἐκ τοῦ ἀληθοῦς μόνου συνάγεται). Wenn das Angenehme zu dem Nützlichen noch hinzukommt, umso besser – so wie beim Athleten die Schönheit zur Stärke; wenn aber das nicht der Fall ist, dann wird das den Nikostratos, den Sohn des Isodotos – einen Edelmann, der in beiden Kampfarten stärker als seine Gegner war – in keiner Weise hindern, ein Nachfolger des Herakles zu werden und wäre er auch noch so hässlich von Angesicht (αἴσχιστος ὀφθῆναι εἴη τὴν ὄψιν); der schöne Alkaios aus Milet, der, wie es heißt, sein Liebling war, würde doch gegen ihn zum Kampf antreten. Gewiss würde die Geschichtsschreibung, wenn sie zu allem Anderen auch noch Vergnügen gewährte, gar viele Liebhaber anziehen; so lange sie aber einzig ihr eigentliches Ziel verfolgt – nämlich die Wahrheit aufzudecken – wird sie sich wenig um die Schönheit kümmern (καὶ τοίνυν ἡ ἱστορία, εἰ μὲν ἄλλως τὸ τερπνὸν παρεμπορεύσαιτο, πολλοὺς ἂν τοὺς ἐραστὰς ἐπισπάσαιτο, ἄχρι δ’ ἂν καὶ μόνον ἔχῃ τὸ ἴδιον ἐντελές – λέγω δὲ τὴν τῆς ἀληθείας δήλωσιν –, ὀλίγον τοῦ κάλλους φροντιεῖ).
Lukian bezieht sich hier auf Thukydides’ Methodenkapitel und auf die Unterscheidung zwischen παραχρῆμα ἀγώνισμα und κτῆμα ἐς αἰεί.31 Seine Betonung der Nützlichkeit lässt ferner an Polybios denken, der ebenfalls die Nützlichkeit seines Geschichtswerkes für die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen hervorhebt.32 Allerdings passt Lukian das thukydideische Prinzip für seine eigenen Bedürfnisse an: Erstens verknüpft er den Begriff des ‚Angenehme‘ (τερπνόν) mit dem des ‚Lobes‘ und zweitens räumt er die Möglichkeit ein, dass das Angenehme in der Geschichtsschreibung vorkommen könne. Dieses Zugeständnis entspricht dem Zugeständnis an die Präsenz von Lobelementen in der Historiographie, die wir oben festgestellt haben. Genau wie in seiner 31 Thuk. 1.22.4. 32 Pol. 3.4.8. τὸ γὰρ ὠφέλιμον τῆς ἡμετέρας ἱστορίας πρός τε τὸ παρὸν καὶ πρὸς τὸ μέλλον ἐν τούτῳ πλεῖστον κείσεται τῷ μέρει.
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Behandlung des Lobes lässt sich auch hier eine Art von Antiklimax feststellen: Lukian scheint zunächst sehr strikt vorzugehen (ἓν γὰρ ἔργον ἱστορίας καὶ τέλος), macht dann Zugeständnisse und schlussfolgert zuletzt, dass sich eine Geschichtsschreibung, die sich auf die Wahrheit verpflichtet habe, nur wenig (aber nicht: überhaupt nicht) um Schönheit bemühen dürfe. Etwas später erklärt er erneut, dass Historiographie in der Tat mit dem Angenehmen verbunden werden kann, wobei er nicht dezidiert ausführt, auf welche Weise (Lukian. hist. conscr. 13): Wenn aber einer davon überzeugt ist, dass der Geschichtsschreibung durchaus auch Unterhaltsames beigemischt sein sollte, nun, da gibt es stilistische Kunstmittel, die sich mit der Wahrheit verbinden lassen (εἰ δέ τις πάντως τὸ τερπνὸν ἡγεῖται καταμεμῖχθαι δεῖν τῇ ἱστορίᾳ πάσῃ, ἄλλα ἃ σὺν ἀληθείᾳ τερπνά ἐστιν ἐν τοῖς ἄλλοις κάλλεσι τοῦ λόγου).
Es ist interessant, dass Lukians Terminologie sich vom Angenehmen (τερπνόν) zum Schönen (κάλλος) verschiebt. Die Argumentation beginnt mit der Akzentuierung des ‚Lobenden‘ als Ausdruck des Angenehmen (τερπνόν), endet aber in einer allgemeinen Reflexion über die Schönheit in der Geschichtsschreibung. Dieser Eindruck wird dadurch befördert, dass die Perspektive geweitet wird und die Erörterung alle Arten von Kunstmitteln (sprachliche ebenso wie inhaltliche) einschließt, die auf das Schöne (κάλλος) verweisen.33 Lukians Vergleiche verdienen hier abermals eine nähere Betrachtung. Er vergleicht die Geschichtsschreibung, die ohne Kunstmittel auftritt, mit einem hässlichen Athleten, der nichtsdestoweniger den Wettlauf gewinnen könne. Damit will er verdeutlichen, dass äußerliche, etwa stilistisch-rhetorische, Schönheit von untergeordnetem Belang sei. Es ist indes bemerkenswert, dass er den Ausdruck αἴσχιστος ὀφθῆναι für diesen hässlichen Athleten verwendet, eine Formulierung, die ihre direkte Entsprechung (θέαμα αἴσχιστον) im oben angesprochenen Bild der poetischen und mit Mythen und Lob überladenen Geschichtsschreibung als ‚effeminierter Herakles‘ hat. Erneut konterkariert der Vergleich Lukians scheinbare Rigidität bezüglich der Ablehnung des τερπνόν, da er nahelegt, dass eine Geschichtsschreibung, die ganz ohne Kunstmittel gestaltet ist, ebenso hässlich sei wie eine Geschichtsschreibung, die damit überladen ist. Des Weiteren wird Wahrheit als die Abwesenheit von Schmeichelei definiert (Lukian. hist. conscr. 39–40):34 Der Geschichtsschreiber hat nur eine Aufgabe: nämlich zu melden, wie ein Ereignis verlaufen ist. Das kann er aber nicht, solange er als der Leibarzt des Artaxerxes ihn entweder fürchtet oder hofft, ein Purpurgewand, eine goldene Kette und ein Nisäisches Ross als Belohnung für die Schmeicheleien in seinem Werk zu erhalten. Weder ein Xenophon, dieser unbestechliche Geschichtsschreiber, noch ein Thukydides würde das jemals tun. Auch wenn er den oder jenen 33 Zum Zusammenspiel ästhetischer und moralischer Aspekte in De Historia Conscribenda vgl. Montanari (1984). Lukians Interesse an der Schönheit könnte auch einen philosophischen (vor allem platonischen) Hintergrund haben. Zum platonischen Konzept der Schönheit vgl. zuletzt Hyland (2008), Barney (2010), Halliwell (2012), Reeve (2012), Konstan (2014), 29–30, 115–126. 34 Zu diesem historiographischen Grundsatz vgl. Luce (1989).
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hasst, wird er doch stets das Interesse der Allgemeinheit für wichtiger halten und die Wahrheit über seine persönliche Feindschaft stellen (τὴν ἀλήθειαν περὶ πλείονος ποιήσεται τῆς ἔχθρας), ebenso wie er die Fehler eines Freundes nicht verschweigen wird. […] Sobald nämlich einer dem Heute dient, wird er mit Recht unter die Schmeichler gerechnet, von denen sich die Geschichtsschreibung schon von alters her und von Anfang an ganz abgewendet hat, so wie die Leibeserziehung von der Schminkkunst. (εἰ δὲ τὸ παραυτίκα τις θεραπεύοι, τῆς τῶν κολακευόντων μερίδος εἰκότως ἂν νομισθείη, οὓς πάλαι ἡ ἱστορία καὶ ἐξ ἀρχῆς εὐθὺς ἀπέστραπτο).35
Um seine Annahme zu bestärken, rekurriert Lukian erneut auf das thukydideische Methodenkapitel (Lukian.hist. conscr. 42): […] er selbst zog es vor, wie er sagt, ein Werk von dauerndem Wert zu schaffen statt eines preisgekrönten Glanzstückes für die Gegenwart; statt Fabeleien aufzunehmen, wollte er der Nachwelt lieber die Wahrheit über das Geschehene hinterlassen (κτῆμά τε γάρ φησι μᾶλλον ἐς ἀεὶ συγγράφειν ἤπερ ἐς τὸ παρὸν ἀγώνισμα, καὶ μὴ τὸ μυθῶδες ἀσπάζεσθαι ἀλλὰ τὴν ἀλήθειαν τῶν γεγενημένων ἀπολείπειν τοῖς ὕστερον).
Die Stelle bei Thukydides lautet wie folgt (Thuk. 1.22.4.): Zum bloßen Anhören wird vielleicht durch das Fehlen des erzählerischen Elements meine Darstellung weniger erfreulich scheinen (καὶ ἐς μὲν ἀκρόασιν ἴσως τὸ μὴ μυθῶδες αὐτῶν ἀτερπέστερον φανεῖται·). Wer aber klare Erkenntnis des Vergangenen erstrebt und damit auch des Künftigen, das wieder einmal nach der menschlichen Natur so oder ähnlich eintreten wird, der wird mein Werk für nützlich halten, und das soll mir genügen (ὅσοι δὲ βουλήσονται τῶν τε γενομένων τὸ σαφὲς σκοπεῖν καὶ τῶν μελλόντων ποτὲ αὖθις κατὰ τὸ ἀνθρώπινον τοιούτων καὶ παραπλησίων ἔσεσθαι, ὠφέλιμα κρίνειν αὐτὰ ἀρκούντως ἕξει). Als ein Besitz für immer, nicht als Glanzstück für einmaliges Hören ist es aufgeschrieben (κτῆμά τε ἐς αἰεὶ μᾶλλον ἢ ἀγώνισμα ἐς τὸ παραχρῆμα ἀκούειν ξύγκειται).36
Lukian übernimmt die Darlegung des Thukydides, indem er die folgenden Punkte berücksichtigt: Thukydides handelt in diesem Kapitel, wie A. Woodman betont hat, interessanterweise nicht von ἀλήθεια, sondern von τὸ σαφές.37 Des Weiteren berührt er das Thema der Schmeichelei nicht. Schließlich scheint er nicht besonders zuversichtlich zu sein, was die Nützlichkeit seines Geschichtswerks angeht. Er scheint hinsichtlich dieses Themas eine Einschränkung zu machen: er verweist auf „diejenigen, die verstehen oder lernen wollen“ (ὅσοι δὲ βουλήσονται), was impliziert, dass es vermutlich andere geben wird, die nicht das Verlangen verspüren, von seinem Geschichtswerk zu profitieren. Es 35 In dieser Passage bezieht sich Lukian explizit auf Ktesias, der als Arzt am Hof des Artaxerxes war, aber er könnte auch an Herodot und dessen ‚Hass‘ auf Theben gedacht haben, der von Plutarch in De Malignitate Herodoti kommentiert wird (vgl. Scardino und Blank in diesem Band). 36 Zur schwierigen Frage, inwieweit Thukydides mit wiederkehrenden Ereignissen in der Zukunft rechnet vgl. Hornblower (1991), ad loc., der richtigerweise festhält, dass Thukydides eher an die Wiederholung von Mustern denkt und nicht an konkrete Ereignisse. 37 Vgl. Woodman (1998), 23–28. Vgl. Porod (2013), 522–526. Free (2015), 37–40, behauptet τὸ σαφὲς sei hier mit ‚Wahrheit‘ gleichzusetzen, jedoch ist die terminologische Differenz meiner Meinung nach schlagend.
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ist offensichtlich, dass Lukian in anachronistischer Weise Konzepte auf Thukydides projiziert, die nicht in das fünfte Jahrhundert v. Chr. gehören, sondern sich erst viel später entwickelt haben – womöglich erst im Hellenismus.38 Dass Lukian für den idealen Historiker die Sorge um die Zukunft gegenüber der Sorge um die Gegenwart hervorhebt, wirft weitere Fragen auf: Was soll mit der Maßgabe, „nicht der Gegenwart zu dienen“, ausgesagt werden? Nicht über zeitgenössische Ereignisse zu schreiben, sondern eher über Geschehnisse der fernen Vergangenheit, wie es in Kapitel 40 – wie wir oben gesehen haben – ausgeführt wird? Soll über gegenwärtige Ereignisse mit Blick auf die Zukunft und die Nützlichkeit geschrieben werden? Und wie lässt sich dies in der Praxis erreichen? Thukydides anzuführen, den Verfechter der zeitgenössischen Geschichtsschreibung, um nahezulegen, dass der Historiker nicht der Gegenwart zu Diensten sein soll, ist in jedem Fall ein wenig zweifelhaft. Es ist ebenfalls nicht ohne Ironie, dass Lukian zugibt, dass es ein zeitgenössisches Ereignis war, welches die Ausbreitung der Geschichtsschreibung angeregt und letztlich auch ihn selbst zum Schreiben seines Traktates gebracht hat. Diese Spannungen belegen abermals die Schwierigkeit, eine klare Demarkationslinie zwischen dem Schreiben für die Gegenwart und dem Schreiben für die Zukunft in der Geschichtsschreibung zu ziehen.39 Schließlich wird Wahrheit der rhetorischen Praxis gegenübergestellt (Lukian. hist. conscr. 51):40 Vor allem aber soll seine Aufnahmebereitschaft einem klaren, glänzenden und ein Bild scharf zurückwerfenden Spiegel gleichen (Μάλιστα δὲ κατόπτρῳ ἐοικυῖαν παρασχέσθω τὴν γνώμην): so wie er die Geschehnisse aufnimmt, genau so soll er sie zeigen, in keiner Weise entstellt, verblaßt oder verzerrt; denn anders als die Rhetoren verfahren die Geschichtsschreiber; was sie berichten, ist Wirklichkeit, die ausgesagt wird; sie hat sich sogar bereits ereignet; die Geschehnisse brauchen nur noch geordnet und dargestellt zu werden; daher kommt es den Historiographen auch nicht auf das was, sondern auf das wie an (οὐ γὰρ ὥσπερ οἱ ῥήτορες γράφουσιν, ἀλλὰ τὰ μὲν λεχθησόμενα ἔστιν καὶ εἰρήσεται· πέπρακται γὰρ ἤδη· δεῖ δὲ τάξαι καὶ εἰπεῖν αὐτά. ὥστε οὐ τί εἴπωσι ζητητέον αὐτοῖς ἀλλ’ ὅπως εἴπωσιν). Überhaupt muß man sich vorstellen, der Geschichtsschreiber gleiche einem Phidias, Praxiteles, Alkamenes oder einem anderen Bildhauer; sie haben auch nicht selbst das Gold, Silber, Elfenbein oder sonst ein Material produziert; es war bereits vorhanden und wurde ihnen geliefert von den Eleern, Athenern oder Argivern; sie brauchten es nur zu bearbeiten; sie zersägten das Elfenbein, schliffen und montierten es und brachten es in die richtigen Proportionen und verzierten es mit Gold; ihre ganze Kunst bestand darin, das Material kunstgerecht zu behandeln. Ähnlich ist die Aufgabe des Geschichtsschreibers; er muss die Ereignisse gut anordnen und möglichst klar darstellen.
Lukian benutzt das Wort ἀλήθεια in diesem Kapitel nicht, aber es ist offensichtlich, dass er von faktischer Wahrheit spricht, von der Schilderung der Ereignisse. Hier bestreitet er die Wichtigkeit der rhetorischen Kunst der inventio: Historiographen haben es nicht 38 Hierzu ausführlich Zangara (2007). 39 Zur Vorstellung von der Nachwelt in Lukians De Historia Conscribenda vgl. Tamiolaki 2016a. 40 Siehe dazu auch den Beitrag von Free in diesem Band.
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nötig, sich Geschichten auszudenken; ihre Aufgabe ist die Beschreibung der Fakten, die sich bereits ereignet haben. Dieses Kapitel hat bereits die Aufmerksamkeit der Forschung erregt.41 Wie bereits oben gezeigt, begreift Lukian Geschichte als ein ‚transzendentales Objekt‘, als etwas, das eine wahre und objektive Natur hat. Wie M. Fox korrekt bemerkt hat, könnte dies Lukian zu einem ersten Vertreter der ‚objektiven‘ Geschichte machen.42 Aber es ist erstaunlich, dass Lukian die Frage nach dem Inhalt vollends herunterspielt (ὥστε οὐ τί εἴπωσι ζητητέον αὐτοῖς ἀλλ’ ὅπως εἴπωσιν).43 Dass er die Form gegenüber dem Inhalt privilegiert, bedeutet nicht, dass die Form wichtiger wäre, sondern – was noch beunruhigender ist –, dass der Inhalt für ihn überhaupt nicht zum Aufgabengebiet des Geschichtsschreibers gehört. Die Fakten sind schlicht da. Auf diese Weise verwirft er mit einem Satz das Hauptproblem der modernen Historiographie, das in der Verbindung zwischen der Auswahl des Materials und der Verlässlichkeit eines Berichts besteht. Tatsächlich ist es kein Zufall, dass er dieses Thema nur im Vorbeigehen streift und es auch nicht explizit mit der Suche nach der Wahrheit verbindet (Lukian. hist. conscr. 47): „Das historische Material darf nicht aufs Geratewohl zusammengetragen werden; der Geschichtsschreiber muss es immer wieder sorgfältig und unermüdlich prüfen und sich möglichst in eigener Person als Augenzeuge von der Zuverlässigkeit überzeugen.“44
Lukian stellt keinerlei systematische Überlegungen zur Auswahl und Einordnung der Ereignisse an. Seine Auffassung unterscheidet sich grundlegend von modernen Ansätzen zur Historiographie. So bemerkt etwa H. White: „[…] no given set of casually recorded historical events can in itself constitute a story; the most it might offer to the historian are story elements. The events are made into a story. […] historical structures and processes are not like the original; we cannot go and look at them in order to see if the historian has adequately reproduced them in his narrative“.45
White rechnet mit fiktionalen Elementen in historischen Narrativen, während Lukian sie ablehnt, weil er den Fakten und der ‚Realität‘ einen höheren (quasi-metaphysischen) Sinn zumisst. Aber es wäre anachronistisch, von Lukian moderne Gedanken über das Schreiben von Geschichte zu erwarten. Für unsere Zwecke ist es wichtig, die Grenzen seiner Theorie in ihrem eigenen Kontext zu verorten.
41 Zangara (2007), 10–13. 42 Fox (2001). 43 Es wäre verlockend, die hier von Lukian beschriebene Arbeitsweise der Historiker mit der von Aristoteles beschriebenen Arbeitsweise der Tragödiendichter zu vergleichen. Nach Aristoteles (Aristot. poet. 1453b23–27) sollten Tragödiendichter nicht an dem ‚Was‘, sondern vielmehr an dem ‚Wie‘ und ‚Warum‘ tragischer Mythen interessiert sein. 44 Vgl. Marincola (2014), 52. Dieses Kapitel wird hier als „hardly enlightening or encouraging“ für das Problem des historischen Forschens charakterisiert. 45 White (1978), 88. Vgl. Wheeldon (1989), 50. Vgl. Zangara (2007), 39: „Dans la perspective rhétorique de la dissociation entre le contenu et la forme, l’idée d’un récit qui, en ‚informant‘ les faits, les ‚performe‘, est totalement inconcevable.“
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Lukians Konzeption von Wahrheit liegen Mehrdeutigkeiten zugrunde, die bei einer näheren Betrachtung der Argumentation sichtbar werden. Zu allererst ist der Vergleich von der Denkweise des Historikers mit einem Spiegel heikel: Wenn wir in einen Spiegel schauen, sind es hauptsächlich unsere Gesichter, die wir sehen. Dies bringt zum Ausdruck, dass Geschichtsschreibung in der Tat der Bewertung des Historikers unterliegt, aber es folgt hieraus nicht notwendig, dass diese Bewertung eine unverfälschte Darstellung der Ereignisse ist.46 Hinsichtlich des Vergleichs des Historikers mit dem Bildhauer wurde zweitens bereits von M. Fox bemerkt, dass diese Analogie fehlerhaft ist: „The argument should run: the sculptor sticks as closely as possible to the model that is before him. […] only two stages are envisaged […], the raw material and the polished final product. We would expect three: the model, the raw material and the technical rendition one into the other“.47
Gleichwohl hat die Analogie in der Weise, wie sie hier zur Sprache gebracht wird, eine weitere Konnotation: Der Umstand, dass es mehrere Bildhauer gibt, die mit demselben oder mit unterschiedlichem Material arbeiten, führt notwendig zu verschiedenen Bearbeitungen des Materials. Diese Schlussfolgerung trifft ebenso auf den Historiker zu. Daraus erwächst die Frage: Sind alle historischen Darstellungen gleichermaßen ‚wahr‘? Und anhand welches Kriteriums lässt sich dies entscheiden? Lukians Untersuchung berührt diese entscheidenden Fragen, lässt sie jedoch unbeantwortet. Der Vergleich eines Historikers mit einem Künstler stellt noch grundlegender die vorherige Unterscheidung zwischen Geschichtsschreibung und Dichtung in Frage: Ein Künstler ist zunächst an Schönheit interessiert, während sich ein Historiker darum wenig kümmern sollte. Schließlich ist es meiner Meinung nach bemerkenswert, dass Lukian hier im Vorübergehen auf die Redner zu sprechen kommt: „Denn anders als die Rhetoren verfahren die Geschichtsschreiber; was sie berichten, ist Wirklichkeit, die ausgesagt wird; sie hat sich sogar bereits ereignet.“48 Er hätte sie bereits früher nennen können, als er über Lobpreis und Schmeicheleien sprach. Interessanterweise wertet er die Redner nicht ab: im Gegenteil erscheinen sie als Träger einer doppelten Aufgabe – der inventio und der dispositio –, wohingegen der Historiograph die inventio nicht wirklich zu leisten brauche. Lukians Widerwille, näher auf die Unterschiede zwischen Historikern und Rednern einzugehen, ist aufschlussreich. Er strebt die Abgrenzung der Historiographie von der Rhetorik an, ohne dass er damit besonders erfolgreich wäre; der ideale Historiker erweist sich am Ende als so etwas wie ein halber Redner.49 46 Für eine Variante des Spiegel-Vergleiches vgl. Polybius (1.4.4, 6–11), der allerdings die Erzählung der Ereignisse mit einem Spiegelbild der vorliegenden Fakten vergleicht. Die Spiegel-Metapher hat auch platonische Konnotationen. Vgl. zu Verwendung in Plutarchs Poetologie Blank (in diesem Band). 47 Fox (2001), 84. 48 Lukian. hist. conscr. 51. 49 Vgl. Mattioli (1985), 97: „Sul modello del retore viene così costruita l’immagine dello storico; si potrebbe dire che lo storico è un retore di tipo particolare che non ha problemi di inventio“. Für das Verhältnis von Geschichtsschreibung und Rhetorik in De Historia Conscribenda vgl. Von Moellendorf (2001), 137–138 (mit weiterführender Literatur), Zangara (2007), 56 und Tamiolaki (2015).
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Es scheint so, als zeichnete sich Lukians Argumentationsweise durch eine allmähliche Abschwächung seiner zuerst genannten Meinungen aus: Dies trifft für seine Behandlung des Lobes genauso zu, wie auch für die Frage nach der Schönheit in der Geschichtsschreibung und letztlich für die Abgrenzung der Historiographie von der Dichtung. Der Gegensatz zwischen Maß (μέτρον) und Übermaß (ὑπερβολή) wird zum entscheidenden Faktor für die Transformation von Lukians These: Er scheint zunächst Lobpreis und Schönheit aus der Geschichtsschreibung herauszuhalten, bevor er später konstatiert, dass sie unter bestimmten Umständen durchaus einen Platz in ihr finden können. Möglicherweise geht Lukian auf diese Weise vor, um die didaktische Wirkung seines Traktats zur vollen Entfaltung zu bringen: Er konfrontiert seine Leser zunächst mit strengen Unterscheidungen und nach der Einführung seiner Hauptthemen zögert er nicht, Einschränkungen anzufügen. Des Weiteren sind die Themen, die Lukian behandelt, auch von grundsätzlicher Relevanz für das Genre der Geschichtsschreibung: Die Historiker der klassischen Zeit hatten ebenfalls versucht, sich selbst von den Dichtern abzugrenzen; dabei konnten sich jedoch nicht gänzlich von deren ‚Techniken‘ distanzieren, insofern sie sich stets im Wettkampf mit ihnen sahen.50 Lukians Abhandlung übernimmt diese Spannung und reflektiert zugleich die Entwicklungen seiner eigenen Zeit im Hinblick auf die Theorie und zeitgenössische Standardisierungen. Die herausragende Bedeutung der Rhetorik im Kontext der zweiten Sophistik spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Lukian scheint hier wieder zwei Traditionen zusammen zu führen: eine ältere, die Geschichtsschreibung mit der Suche nach Wahrheit verbindet, und eine neue und zeitgenössische, die der Rhetorik eine vorherrschende Rolle zugemessen hat. Aus diesem Grund kommt sein Traktat (vielleicht eher zaghaft) auf die Zusammenhänge zwischen dem Historiker und dem Rhetoriker zu sprechen. Schließlich wäre es nicht zu weit gegriffen, zu behaupten, dass Lukian einen Beitrag zur Frage nach der Pluralität von Wahrheit leiste. In seiner Beschreibung des idealen Historikers verknüpft er Wahrheit mit ‚Freiheit der Rede‘ (παρρησία) (Lukian. hist. conscr. 41): So soll also unser Geschichtsschreiber beschaffen sein: Furchtlos, unbestechlich, unabhängig, ein Freund der freimütigen Rede und der Wahrheit, der, wie der Komödiendichter sagt, eine ‚Feige‘ eine ‚Feige‘ und einen ‚Kahn‘ einen ‚Kahn‘ nennt.
Die Verbindung von παρρησία mit ἀλήθεια ist auch in anderen lukianischen Werken festgestellt worden, die nicht mit Geschichtsschreibung befasst sind. Παρρησία ist für Lukian ein wichtiger Bestandteil von ἀλήθεια, was auf einen rhetorischen Kontext verweist.51 50 Woodman (1988), Marincola (1997). 51 Vgl. z. B. die folgenden Stellen: Lukian. Charid.. 13: Οὐ φέρει ὁ Λυδός͵ ὦ Χάρων͵ τὴν παρρησίαν καὶ τὴν ἀλήθειαν τῶν λόγων͵ ἀλλὰ ξένον αὐτῷ δοκεῖ τὸ πρᾶγμα; Lukian. vit. auct. 8: Ἐλευθερωτής εἰμι τῶν ἀνθρώπων καὶ ἰατρὸς τῶν παθῶν· τὸ δὲ ὅλον ἀληθείας καὶ παρρησίας προφήτης εἶναι βούλομαι; Lukian. merc. cond. 4.15: ἐξευρίσκῃ͵ τούτου τὴν αἰτίαν μάλιστα μὲν οἱ ποιοῦντες αὐτοί͵ ἔπειτα δὲ οἱ ὑπομένοντες αὐτὰ δίκαιοι ἔχειν· ἐγὼ δὲ ἀναίτιος͵ εἰ μὴ ἀληθείας καὶ παρρησίας ἐπιτίμιόν τί ἐστιν; Lukian. Iupp. conf. 5.4: Ἐκεῖνο͵ ὦ Ζεῦ· καὶ πρὸς τῶν Μοιρῶν καὶ τῆς Εἱμαρμένης μὴ τραχέως μηδὲ πρὸς ὀργὴν ἀκούσῃς μου τἀληθῆ μετὰ παρρησίας
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Wie Robert Porod kürzlich gezeigt hat, lässt sich dies mit kynischen Überzeugungen in Zusammenhang bringen.52 Des Weiteren wird ‚Wahrheit‘ in Lukians Werk vielfach als ein allumfassendes Konzept aufgefasst: Es ist mit Dichtung, Rhetorik, Philosophie und Kunst verbunden und erscheint sogar als Personifikation.53 Diese außerordentliche Akzentierung von Wahrheit könnte für Lukians Anliegen verantwortlich sein, das rigide Wahrheitspostulat in seinem Traktat über die Geschichtsschreibung herausstellen zu wollen: Vielleicht versucht Lukian damit der philosophischen Dimension der Frage nach der Wahrheit in der Geschichtsschreibung gerecht zu werden. Auf diese Weise führt er eine zusätzliche, neue Wahrheit ein, die mit den bereits existierenden Wahrheiten der klassischen Historiker Hand in Hand geht. Unsere Untersuchung hat zahlreiche Probleme bei der Suche nach der Wahrheit in der Geschichtsschreibung berührt. Diese Probleme ergeben sich vor allem aus den Schwierigkeiten, Wahrheit als historisches Prinzip zu definieren oder zumindest aufrecht zu erhalten. Obwohl Lukian das Enkomion zunächst als ein poetisches Element, das der Wahrheit entgegengesetzt sei, verwirft, heißt er sie später unter bestimmten Umständen gut; obwohl er als das Ziel der Geschichtsschreibung ihre Nützlichkeit gegenüber ihrer Annehmlichkeit hervorhebt und er dies zu einer Voraussetzung für die Wahrheit macht, verbannt er die Schönheit doch nicht vollständig aus der Geschichtsschreibung. Lukians Begriff von der Wahrheit ist mit dem charakteristischen Wesen des Genres der Geschichtsschreibung genauso verknüpft, wie mit den virulenten Themen seiner eigenen Zeit. Tatsächlich enthält Lukians Traktat zwei unterschiedliche Konzepte von der Wahrheit, die er zusammenzuführen versucht: eine flexiblere Variante, die hauptsächlich von den klassischen Historikern, die sich nicht als Förderer einer absoluten Wahrheit verstanden haben, repräsentiert wird, und einer strengeren, philosophisch und rhetorisch ausgerichteten Auffassung, die in Lukians Zeit ein desideratum darstellte. Auf diese Weise stellt sich Lukians Abhandlung als ein Amalgam aus verschiedenen Wahrheiten dar und dient letztendlich dazu, unsere Aufmerksamkeit für die Probleme, die sich beim Schreiben von Geschichte stellen, zu schärfen.
λέγοντος; Lukian. Alex. 47: καὶ καθαῖρον ὡς ἀληθῶς τὰς γνώμας͵ οὐχ ὑπὸ δᾳδὶ καὶ σκίλλῃ καὶ ταῖς τοιαύταις φλυαρίαις͵ ἀλλὰ λόγῳ ὀρθῷ καὶ ἀληθείᾳ καὶ παρρησίᾳ. 52 Porod (2009). 53 Zum allumfassenden Charakter der Wahrheit bei Lukian vgl. Lukian. Phal. 1.12: δεῖξον ἡμῖν αὐτὸς εἰσελθὼν τὴν ἀλήθειαν τῆς τέχνης καὶ μίμησαι τοὺς βοῶντας; Lukian. Demon 4.1: ἀνεπιλήπτῳ βίῳ χρώμενος καὶ τοῖς ὁρῶσι καὶ ἀκούουσι παράδειγμα παρέχων τὴν ἑαυτοῦ γνώμην καὶ τὴν ἐν τῷ φιλοσοφεῖν ἀλήθειαν; Gall. 18: Τὸ μὲν ὅλον͵ ὦ Μίκυλλε͵ σοφιστὴς ἄνθρωπος ἦν· χρὴ γάρ͵ οἶμαι, τἀληθῆ λέγειν· ἄλλως δὲ οὐκ ἀπαίδευτος οὐδὲ ἀμελέτητος τῶν καλλίστων μαθημάτων·; Lukian. pisc. 16: ἐκείνη καὶ Δικαιοσύνη ἡ παρ’ αὐτήν. ἡ προη γουμένη δὲ Παιδεία, ἡ ἀμυδρὰ δὲ καὶ ἀσαφὴς τὸ χρῶμα ἡ Ἀλήθειά ἐστιν; Lukian. rh. pr. 8: οὐ γὰρ ἑώρων νέος ὢν ἔτι τὸ βέλτιον͵ ἀλλὰ τὸν ποιητὴν ἐκεῖνον ἀληθεύειν ᾤμην λέγοντα ἐκ τῶν πόνων φύεσθαι τὰ ἀγαθά.
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Truth, vividness and enactive narration in ancient Greek historiography Jonas Grethlein
1. Truth in ancient historiography Do ancient historians mean the same as today’s historians when they lay claim to the truth? The “classical foundations of modern historiography”1 seem to suggest that Herodotus and his ancient successors coined the notion of truth that is now so dear to historians. Opposing this view, Tony Woodman has made a case for crucial differences between ancient and modern practice. In his opinion, ancient historiography, being a province of rhetoric, was primarily concerned with impartiality and plausibility.2 Rhetoric in Classical Historiography features close readings of Thucydides and Cicero which successfully challenge established and widely-held convictions, but both ancient comments on historiography and the works of ancient historians themselves make it ultimately hard to maintain Woodman’s radical assertion that a positivist sense of truth is merely a retro-projection of modern readers. Take for example one of the earliest theoretical reflections on historiography, to be found in chapter 9 of the Poetics. Even the most positivist historians today would be happy with Aristotle’s definition of historiography as describing ‘what happened’ and dealing with ‘the particular’ instead of the universal.3 Turning to ancient historiography itself, Christopher Pelling trenchantly notes:4 “It is hard to see why, for instance, the loss of records in the Gallic sack (Livy 6.1, cf. De fort. Rom. 326A) or the confusion of the early fasti (Livy 2.21.4) or the secrecy of imperial records (Dio 53.19) should be a hindrance to recovering truth, if truth be interpreted in terms of impartiality and plausibility.”
While a positivist notion of truth is by no means alien to ancient historians, it seems that it was flanked by other concepts which seem to conflict with it and are not shared by the majority of modern historians. A case in point is the ideal of narratorial vividness. In a 1 2 3 4
Momigliano (1990). Woodman (1988). Arist. Poet. 1451b4–7. Pelling (1990) 42 n. 65.
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much-quoted passage, Plutarch touches on Thucydides to illustrate Simonides’ apophthegm that poetry is a speaking painting:5 “Thucydides is always striving for this vividness in his writing, since it is his desire to make the reader a spectator, as it were, and to instil into readers the emotions of amazement and consternation felt by eyewitnesses.”
Plutarch continues by adducing the Pylos episode and the Syracusan harbour battle as two exemplary instances of Thucydidean vividness. His comment not only illustrates that a vivid style was deemed crucial in ancient historiography, it also drives home that the practice of historians preceded the emergence of enargeia as a critical concept. The scanty transmission of ancient literature makes it difficult, if not impossible, to prove such assertions, but it seems that the use of enargeia for the vivid quality of narrative emerged only in the Hellenistic period.6 At the same time, the responses that songs and stories elicit from audiences in the Odyssey demonstrate the appreciation of gripping narrations right from the beginning of Greek literature. In this paper, I shall take a fresh look at the vividness of ancient historiography. Elsewhere I argued that, together with such linguistic features as tense and deixis, the three fundamental narratological categories of time, voice and focus are keys to the historians’ efforts of restoring presence to the past. While focalization and speeches give the reader access to the minds of the historical agents, the alignment of narrative time with narrated time makes her re-experience the action in the frame of ‘as-if ’.7 Here, I wish to consider another aspect. Recent cognitive theory shows that enactive narration is an important means of enabling readers to imagine the narrated world. After sketching the main tenets of enactivism (2.), I will use the two passages singled out by Plutarch to see what role enactive elements play in Thucydides’ history. An example from the Lives will show that Plutarch himself, actually more than Thucydides, employs enactive narration (3.). In a final step, I will return to the relation between narratorial vividness and historical truth. While there is evidence that ancient historians did distinguish between the two, they seem to have sensed an affinity between them. This may be at odds with our ideas, but I will argue that an experiential presentation, even if it relies on fictional means, can have referential value (4.).
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Plut. de glor. Ath. 347a: ὁ γοῦν Θουκυδίδης ἀεὶ τῷ λόγῳ πρὸς ταύτην ἁμιλλᾶται τὴν ἐνάργειαν, οἷον θεατὴν ποιῆσαι τὸν ἀκροατὴν καὶ τὰ γινόμενα περὶ τοὺς ὁρῶντας ἐκπληκτικὰ καὶ ταρακτικὰ πάθη τοῖς ἀναγινώσκουσιν ἐνεργάσασθαι λιχνευόμενος. See Zanker (1981) for the influential argument that in the Hellenistic era enargeia enters the language of criticism from philosophy. More recently, see Manieri (1998); Otto (2009); Bussels (2012), 61–71. Even if it is doubtful that critics borrowed the term of enargeia from philosophers, it seems that the term did not gain currency as a terminus technicus for the vividness of narrative until the Hellenistic Era. See also Maier and Baumann in this volume. Grethlein (2013).
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2. Enactive narration8 Classicists as indeed many other literary scholars tend to assume that narratorial vividness hinges on detailed descriptions. Graham Zanker, for instance, lists “verisimilitude, the attention to precise, minute and even significant detail”9 as core aspects of realism across ages, championed in exemplary fashion by Hellenistic poetry. The more detailed an account is, the easier, it seems, it is for the reader to imagine the scene. This view is indebted to a pictorialist understanding of perception that corresponds to our intuition and has been elaborated on in science especially in the 1980s and 1990s. Such scholars as Stephen Kosslyn argued that seeing is a computational process, that we form internal mental images of the world.10 If we transfer this model from perception to imagination, it is natural to believe that accumulative descriptive details allow a reader to form a picture of the narrated world and feel absorbed by it. However, recent research on perception has forcefully undermined this “jigsaw model”11 of the readerly imagination. Confirming in many regards older phenomenological theory, scientists have proved that the perceived world is not a gap-free photograph. Perception rather tends to be selective and attention-dependent.12 Instead of forming a photographic image of our surroundings, we concentrate on aspects that relate to our potential actions. The feeling that we fully picture our surrounding results from the possibility that we can attend to all of its aspects. By no means, however, do we actually collect pieces of information to form a photo-like representation. We rather concentrate on the features that presently matter. Perception, to quote one of the most influential advocates of the enactive model, takes place ‘in action’.13 Literary scholars have just begun to realize the consequences this shift from a pictorialist to an enactive model has for our understanding of narratorial vividness.14 Contradicting the economy and selectivity of our perception, lengthy and detailed descriptions are not cognitively realist and therefore impede the vividness of narrative. The enactivist approach in literary scholarship is still in its infancy, but the following aspects seem to contribute to the ‘imageability’ of the narrated world: (1) ‘Just in time’: We may pause to contemplate a landscape or object, but in general we experience the world differently. New aspects come to our attention as and when they become relevant. Consequently, such narratives are cognitively realist that, instead of furnishing meticulous descriptions for their own sake, describe features which pertain to the action.15 8 9 10 11 12
For a fuller introduction to enactive theory and its application to narrative, see Grethlein/Huitink (2017). Zanker (1987), 5. E. g. Kosslyn (1980); Kosslyn et al. (2006); Marr (1982). Jajdelska et al. (2010), 440–441. See, for example, Noë (2004); (2009); Gallagher/Zahavi (2008) on the importance of the phenomenological tradition, among others Husserl and Merleau-Ponty. 13 Noë (2004) 14 Pioneering studies include Grünbaum (2007); Troscianko (2014); Kuzmičová (2012); Caracciolo (2014). 15 Cf. Kuzmičová (2012), 13; Troscianko (2014), 125–126.
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(2) ‘Simple bodily actions’: While the principle of ‘just in time’ ties together description and action, we can further specify what kind of action is perceived as most vivid. “Simple bodily actions”,16 in particular “volitional transitive movements”17 seem to be suited best to enthrall readers. Analogous to our perception of the world through bodily movements, such narration has strong motor resonance in the reader’s mind. (3) ‘Dynamic veracity’: In order to stimulate the reader’s imagination, the narration of actions should be dynamically veracious; that means, the time it takes to read a text ought to be commensurate with the duration of the action performed in the narrated world. While it is notoriously difficult to measure exactly the relation between narrated and narrative time, it is obvious that an alignment of both renders narrative experiential.18 (4) ‘Affordances’: It is not only the quantity of descriptive details which matters but also their quality. We tend to perceive our environment in terms of its affordances for embodied action: when we look at, say, a hammer, we do not so much perceive it in all its details as how we could use it, how, for instance, it would fit into our hands and what we could do with it. In corresponding to the logic of our perception, narratives that focus on the affordances of objects are felt to be particularly vivid.19 Before I try to make this model fruitful for our understanding of vividness in ancient historiography, two modern sample texts may help to give flesh to these claims. First a paragraph from Fontane’s Irrungen, Wirrungen:20 “At the intersection of the Kurfürstendamm and Kurfürstenstrasse, diagonally across from the Zoological Garden, there was still, in the middle of the ‘70s, a large market garden, which stretched out in the direction of the fields; the house belonging to this, small and with three windows, situated some hundred paces back in a little front garden, could still, despite the fact that it was so small and secluded, be readily spotted from the street that led past it. Yet another part of the market-garden as a whole, what in fact amounted to its real core, was hidden by precisely this little residence, as if by a stage-curtain, and only a little wooden tower, painted red and green, with a clock-face, half broken off, below the tower’s top (no question of an actual clock being there) suggested that behind this curtain something else must be hidden – a suspicion which came to be confirmed by a flock of doves that flew up from time to time, swarming around the turret, and even more so by the occasional barking of a dog. Where this dog was actually to be found was, however, beyond the powers of perception, although the front door, hard by the left corner of the tower, always ajar from dawn till dusk, permitted a glance into a little piece of courtyard.” 16 17 18 19 20
Grünbaum (2007), 300, 303. Kuzmičová (2012), 28. Kuzmičová (2012), 28–29. On the concept of ‘affordance’, see especially Gibson (1979). Fontane (1971) [1888], 319, cited and transl. by Troscianko (2013), 188.
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Compare this with the following passage taken from Jacobsen’s short story Mogens:21 “When Camilla had entered her room, she pulled up the blind, leaned her brow against the cool pane, and hummed Elisabeth’s song from ‘The Fairy-hill.’ At sunset a light breeze had begun to blow and a few tiny, white clouds, illuminated by the moon, were driven towards Camilla. For a long while she stood regarding them; she followed them from a far distance, and she sang louder and louder as they drew nearer, kept silent a few seconds while they disappeared above her, then sought others, and followed them too. With a little sigh she pulled down the blind. She walked to the dressing table, leaned her elbows against it, rested her head in her clasped hands and regarded her own picture in the mirror without really seeing it.”
From a pictorialist perspective, Fontane’s description would appear to be fully geared to stimulate the reader’s imagination. The rich details, a pictorialist would argue, make it easy to form a mental image of the scene. And yet, while some readers may be able to imagine a holistic picture of the location, for many readers the quantity of detail provided will detract from, rather than add to, the vividness of their impression. The separation of the description from the action in particular makes it hard to keep track of all the details. Jacobsen’s account of the room is far scantier, and yet most readers will find it more vivid. We learn about features of the room as they become part of the action. The blinds, for example, are mentioned when Camilla draws them up. The account features numerous simple bodily movements, besides the drawing of the blinds also the walking into the room and the leaning against various objects. The qualification of the windowpane as ‘cool’ highlights precisely the aspect which is experienced by Camilla when she leans her brow against it. It would be impossible to draw the room on the basis of the information given, and yet, in conforming to how we experience the world, the enactive narration stimulates our imagination far more strongly than meticulous pictorialist descriptions. 3. Vividness and enactive narration in Thucydides and Plutarch Now let us see whether or not enactive elements contribute to the vividness of the Thucydides passages singled out by Plutarch. The first passage stems from the Pylos episode in book 4, in Plutarch’s summary:22 “For he tells how Demosthenes is drawing up the Athenians at the very edge of the breakwater at Pylos, and Brasidas is urging on his pilot to beach the ship, and is hurrying to the landing-plank, and is wounded and falls fainting on the forward-deck; and the Spartans are fighting an infantry engagement from the sea, while the Athenians wage a naval battle from the land.”
21 Jacobsen (1979), 29–30, cited by Grünbaum (2007), 307. 22 Plut. de glor. Ath. 347b: ὁ γὰρ παρὰ τὴν ῥαχίαν αὐτὴν τῆς Πύλου παρατάττων τοὺς Ἀθηναίους Δημοσθένης, καὶ ὁ τὸν κυβερνήτην ἐπισπέρχων Βρασίδας ἐξοκέλλειν καὶ χωρῶν ἐπὶ τὴν βάθραν καὶ τραυματιζόμενος καὶ λιποψυχῶν καὶ ἀποκλίνων εἰς τὴν παρεξειρεσίαν, καὶ οἱ πεζομαχοῦντες μὲν ἐκ θαλάττης Λακεδαιμόνιοι ναυμαχοῦντες δ’ ἀπὸ γῆς Ἀθηναῖοι.
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Thucydides first narrates the action in panoramic fashion:23 the Athenians “went down and took up their position right by the sea” (ἐπικαταβάντες ἐτάξαντο παρ’ αὐτὴν τὴν θάλασσαν). The Spartans “set out” (ἄραντες) and “attacked” (προσέβαλλον) the fort from land and sea, here “making their attacks a few ships at a time” (κατ’ ὀλίγας ναῦς διελόμενοι […] τοὺς ἐπίπλους ἐποιοῦντο) due to the narrow space. Then Thucydides zooms in on Brasidas, who “was especially prominent” (φανερώτατος).24 He focalizes the scene through his eyes and deploys indirect speech to render Brasidas’ appeal to the Spartans and their allies not to save their ships. Here, the orchestration of voice and focus helps to bring the reader close to the action. She is made to see the action through the lens of a character. This is an important aspect of the vividness of Thucydides, who sometimes seems to focus more on the perception, thoughts and motives of the characters than the action itself. We will return to this point in due course. And yet, the part to which Plutarch assigns most space in his summary shows that Thucydides also knows how to draw on the devices of enactive narrative:25 “In this way he urged everyone else on and advanced to the gangway after compelling his own helmsmen to run the ship ashore. In the attempt to land, he was beaten back by the Athenians and fainted after receiving many wounds, and when he fell into the outrigger his shield slipped off into the sea […].”
The summarizing verbs of 4.11.2–3 have been replaced by verbs denoting individual actions, several of which consist of simple bodily movements. The movements are carefully charted: Brasidas goes to the gangway and, after receiving his injury, falls into the outrigger while his shield slips off into the sea. The directional terms applied to the movements endow the scene with a high degree of imageability. Objects are mentioned ‘just in time’, that is as and when they play a role in the action. The gangway is referred to when Brasidas wants to step on it in order to leave the ship. Historians of ancient seafare have feasted on the outrigger;26 Thucydides, however, does not mention it with the purpose of supplying technical information, he brings it in as part of the action. The outrigger appears when Brasidas falls into it while the shield gets mentioned as it slides into the sea. On a pictorialist account, the narration of Brasidas’ injury would score poorly. We are far from being able to picture the scene, there is not even a description of the location. And yet, the enactive approach helps us understand Plutarch’s appraisal of the scene. We do not take in our surroundings in the form of a gap-free photo. Instead we attend selectively to the features that pertain to our potential interaction with the environment. Seen from this perspective, Thucydides’ narration is cognitively realist: it concentrates on simple actions and qualifies the movements in spatial terms. Objects are referred to as and when they are relevant to the action. In 23 Thuk. 4.11.1–3. Allan (2013), 378 analyses this account as an example of his descriptive mode. 24 Thuk. 4.11.4. 25 Thuk. 4.12.1: καὶ ὁ μὲν τούς τε ἄλλους τοιαῦτα ἐπέσπερχε καὶ τὸν ἑαυτοῦ κυβερνήτην ἀναγκάσας ὀκεῖλαι τὴν ναῦν ἐχώρει ἐπὶ τὴν ἀποβάθραν· καὶ πειρώμενος ἀποβαίνειν ἀνεκόπη ὑπὸ τῶν Ἀθηναίων, καὶ τραυματισθεὶς πολλὰ ἐλιποψύχησέ τε καὶ πεσόντος αὐτοῦ ἐς τὴν παρεξειρεσίαν ἡ ἀσπὶς περιερρύη ἐς τὴν θάλασσαν […]. 26 Morrison/Coates (1986), 163–164.
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conforming to the enactive nature of our perception, the narration allows the reader to imagine the scene. Furthermore, the slowing down of the narrative pace makes narrative time approximate narrated time. The immediacy of the narration is linguistically enhanced. There are no discourse particles, no negations, no temporal and modal adverbs all of which would highlight the presence of the author.27 The preference of parataxis over subordination further conveys the impression of having unfiltered access to the event. The connective particle καί used by Thucydides here seems to be more conducive to an immediate mode of presentation than δέ, which establishes a stronger boundary in the discourse.28 There is one feature, though, which does not enhance the enactive nature of the narration. This is the passive voice: Brasidas is beaten back and is wounded. That being said, the passive voice serves the same purpose as the enactive presentation: to put the spotlight on Brasidas whose feat is cast in heroic light through the word ἐπισπέρχειν, deployed by Homer and Aeschylus, but rare in Attic prose. As Simon Hornblower notes, “the description is unusually detailed and lively, but this was not the shield of an ordinary soldier […] where Brasidas is concerned, Th. enjoys using the whole paintbox”.29 This draws our attention to an important general point, namely that enactive narration derives its power from being embedded in less enactive parts of the narrative. Speaking of a “periodic diet”, Kuzmičová argues that “presence cues become effective only if moderately dosed. Not only should they appear periodically, once in a while, for a continuous sense of presence to arise. They should appear just once in a while, if presence is to be instantaneously elicited at all”.30
This is nowhere more obvious than in Thucydides who is as economic as he is efficient in his use of narratorial vividness. He marshals enargeia, to use the ancient term, very selectively to flag crucial events.31 It is not incidental that Lucian, when he warns against too detailed accounts in historiography, references Brasidas’ aristeia as a case in which detail is warranted.32 The second passage evoked by Plutarch corroborates this claim that vividness is a means of highlighting important events.33 For Thucydides, the Syracusan harbour battle is a pivotal point in the Peloponnesian War. The defeat of the Athenians defines the failure of a hybristic endeavor that would ultimately lead to Athens’ fall. It is noteworthy that Plutarch selects two passages which correspond with each other. Thucydides himself compares explicitly the Syracusan harbour battle with the Pylos affair34 and schol27 28 29 30 31 32 33
Cf. Allan (2013), 375. Allan (2013), 375. Hornblower (1996) ad 4.12.1. Kuzmičová (2012), 43, see also 33. On the various modes of discourse employed by Thucydides, see Connor (1985). Luk. hist. conscr. 49. For an analysis of the Syracusan harbour scene in terms of collective experience, see Grethlein (2015), 125–129. 34 Thuk. 7.71.7.
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ars have teased out the manifold parallels.35 Most importantly, perhaps, the unexpected land victory of the Athenians at Pylos mirrors their unexpected defeat in Syracuse. The text of Plutarch’s verbatim quote is corrupt and seems to be beyond redemption, but it stems from arguably the most striking part of the battle narrative, the long description of the soldiers at land and their response to the battle on sea. This description does not add anything noteworthy to the action and offers merely a rehash of the preceding account through the lens of an internal audience. In an author famous for his economy, the considerable amount of narrative space and rhetorical fervour devoted to mere bystanders is remarkable. Plutarch has, it seems, identified a salient aspect of the narration’s vividness: the internal audience grants the reader a viewing point on the scene and thereby renders the account experiential. Thucydides here deftly wields a device that would loom large in the later history of ancient historiography when authors such as Polybius, Livy and Tacitus make frequent use of embedded recipients.36 However, the account of the battle which precedes the description of the bystanders is also in itself vivid. The use of verbs in the imperfect gives the impression of immediacy. Take for example the beginning:37 “When the Athenians drew close to the barrier, they sailed against it and in their first charge overpowered the ships stationed next to it and tried to break the chains; but after this, when the Syracusans and their allies bore down on them from all directions, the sea battle was no longer fought only by the barrier but throughout the harbor […].”
The durative aspect of the imperfect makes it the default tense for describing the backdrop of actions. When the imperfect is used to report action as it is here, the durative aspect creates immediacy: it presents the action as ongoing and thus puts the reader into the shoes of an eyewitness who is following the scene as it is progressing.38 The stylistic presentation of the action, geared to drive home the special nature of the battle, is different from the account of Brasidas’ aristeia. Thucydides avoids finite verbs, gives preference to nouns and repeatedly uses the copula γίγνεσθαι. The language is thus less enactive, but simultaneously it expresses formally the situation which gave little room for action: in the narrowness of the harbour, the battle just ‘happened’. Consider for example the following sentence:39 35 Finley (1967), 145–149; Rawlings (1981); Macleod (1983), 142–143; Flory (1993), 119–120. 36 On Polybius, see Davidson (1991); on Livy, Feldherr (1998); on Tacitus, Grethlein (2013), 140–167. 37 Thuk. 7.70.2: ἐπειδὴ δὲ οἱ ἄλλοι Ἀθηναῖοι προσέμισγον τῷ ζεύγματι, τῇ μὲν πρώτῃ ῥύμῃ ἐπιπλέοντες ἐκράτουν τῶν τεταγμένων νεῶν πρὸς αὐτῷ καὶ ἐπειρῶντο λύειν τὰς κλῄσεις· μετὰ δὲ τοῦτο πανταχόθεν σφίσι τῶν Συρακοσίων καὶ ξυμμάχων ἐπιφερομένων οὐ πρὸς τῷ ζεύγματι ἔτι μόνον ἡ ναυμαχία, ἀλλὰ καὶ κατὰ τὸν λιμένα ἐγίγνετο […]. 38 For different approaches to the imperfect’s mimetic capacity, see Bakker (1997); (2005), 154–176; (2007); Rijksbaron (2012). 39 Thuk. 7.70.6: ξυνετύγχανέ τε πολλαχοῦ διὰ τὴν στενοχωρίαν τὰ μὲν ἄλλοις ἐμβεβληκέναι, τὰ δὲ αὐτοὺς ἐμβεβλῆσθαι, δύο τε περὶ μίαν καὶ ἔστιν ᾗ καὶ πλείους ναῦς κατ’ ἀνάγκην ξυνηρτῆσθαι, καὶ τοῖς κυβερνήταις τῶν μὲν φυλακήν, τῶν δ’ ἐπιβουλήν, μὴ καθ’ ἓν ἕκαστον, κατὰ πολλὰ δὲ πανταχόθεν, περιεστάναι, καὶ τὸν κτύπον μέγαν ἀπὸ πολλῶν νεῶν ξυμπιπτουσῶν ἔκπληξίν τε ἅμα καὶ ἀποστέρησιν τῆς ἀκοῆς ὧν οἱ κελευσταὶ φθέγγοιντο παρέχειν.
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“It so happened that, because of the restricted space, in many places ships had rammed others but were rammed themselves, so around one ship, two, in some places even more, were fused together, and it fell to the helmsmen to ward off some while aiming at others, not one at a time but many and from all over, and the great din from many ships colliding caused consternation and at the same time inability to hear the voices of the coxswains.”
Here, it is not γίγνεσθαι but ξυντυγχάνειν that expresses the automatism of the battle. The perfect tense of the infinitives depending on the impersonal verb freezes the sequential action into one scene. The staccato effect of the prose makes the confusion felt by the participants tangible: the series of short clauses juxtaposed in sharp antithesis linguistically mimics the disarray of the scene as perceived by the soldiers. Scholars have complained about the insufficiency of Thucydides’ report of the battle: He “fails even to suggest the factors that determined the outcome. Instead, he dwells on certain typical incidents in the confused fighting that followed […]”.40 It is true that we learn little about the course of fighting, but this may be due to its chaotic character which impedes a step-by-step analysis. What is more, it is part of Thucydides’ strategy to make the experience of the battle palpable. He exposes the reader to the same confusion as the soldiers fighting. If the narration of the Syracusan harbour battle is not very enactive, then this does not disprove the value of an enactivist approach for our understanding of Thucydidean vividness. An enactive narration is obviously less appropriate to the rendering of a battle in which the possibility of action was severely curtailed. Thucydides here relies on other means of bringing the reader close to the scene, in particular internal focalization, but also stylistic mimesis. At the same time, the analysis of Brasidas’ aristeia has revealed that Thucydides knows how to narrate enactively. Nonetheless, we have to ask how prominent enactive elements are in the History of the Peloponnesian War. Thucydides now and then intersperses enactive passages in his work, but on the whole, I think, he prefers to engage the reader intellectually. As already said, the perception and minds of the historical agents receive an equal, if not larger, amount of attention as the action. In the absence of prolepses (by and large), the reader is prompted to conjecture herself about what will happen and what would be best to do. As I argue elsewhere, this process is an important part of the usefulness that Thucydides ascribes to his work. The History of the Peloponnesian War can be viewed as an exercise in the art of assessing situations that is at the core of politics.41 The intellectual challenge that Thucydides wishes to pose seems to be more prominent than the desire to trigger strong motor resonances in the readers. Enactive narration is certainly an arrow in Thucydides’ quiver, but it is in the midst of other arrows and is pulled out very selectively. To complement this discussion of vividness and enactive narration in ancient historiography let us use Plutarch as more than a stepping-stone and briefly consider his
40 Ferguson (1935), 308. 41 Grethlein (2010a), 277–279; (2013), 48–49.
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Lives.42 Plutarch is not only appreciative of enargeia in other authors, he is himself a master of vividness. As argued elsewhere, Plutarch downplays temporal sequence: he is often vague about time and tends to link episodes thematically.43 While the episodic structure of the Lives foregoes the experiential appeal inherent in an alignment of narrative and narrated time, Plutarch lavishly describes individual scenes. Here, one such scene, the taming of Bucephalas from the Life of Alexander, will illustrate the salience of an enactive style in Plutarch’s vignettes.44 Plutarch sets the stage narrating the annoyance of Philipp at the failure of his entourage to break the horse bought at a truly royal price. He then reports a dialogue between Philipp and Alexander in which the latter bets the price of the horse that he will be able to break him. The taming is rendered as follows:45 “There was laughter at this, and then an agreement between father and son as to the forfeiture, and at once Alexander ran to the horse, took up the reins, and turned him towards the sun; for he had noticed, as it would seem, that the horse was greatly disturbed by the sight of his own shadow falling in front of him and dancing about. And after he had trotted a little besides him, and had stroked him with his hand, when he saw that he was full of spirit and courage, he quietly threw away his mantle and with a light spring safely bestrode him. Then, drawing the bit a little with the reins on the left and the right side, without striking him or tearing his mouth, he held him in; but when he saw that the horse was rid of the fear that had beset him, and was impatient for the course, he gave him his head, and at last urged him on with sterner tone and thrust of foot.”
It is first noteworthy that Plutarch does not provide the reader with a precise description of the place,46 which would be a prerequisite for a vivid account on a pictorialist understanding. Instead, Plutarch concentrates on the action which is rendered in great detail. His narration brims with simple action verbs which are spatially qualified through prefixes: Alexander “runs to” the horse (προσδραμών), “takes up” the reins (παραλαβών) and “turns” the horse “towards” the sun (ἐπέστρεψε), since he has noticed that Bucephalas is disturbed by his “shadow falling in front of him” (σκιὰν προπίπτουσαν, 6.5). Alexander then “trots besides” Bucephalas (παρακαλπάσας) and caresses him, literally, “strokes down” (καταψήσας), before he “throws away” his mantle (ἀπορρίψας) and mounts the 42 Strictly speaking, the Lives are biographies. However as scholars have demonstrated, the boundary between biography and historiography was less firm in antiquity. See, for example, Gentili/Cerri (1988); Duff (1999), 17–22; Schepens (2007). 43 Grethlein (2013), 116–125. 44 On the scene, see Frazier (1992), 4496–4499; Stadter (1996), 291–296; Whitmarsh (2002), 180–181; Grethlein (2013), 122–125. 45 Plut. Alex. 6.5–8: γενομένου δὲ γέλωτος, εἶθ’ ὁρισμοῦ πρὸς ἀλλήλους εἰς τὸ ἀργύριον, εὐθὺς προσδραμὼν τῷ ἵππῳ καὶ παραλαβὼν τὴν ἡνίαν, ἐπέστρεψε πρὸς τὸν ἥλιον, ὡς ἔοικεν ἐννοήσας ὅτι τὴν σκιὰν προπίπτουσαν καὶ σαλευομένην ὁρῶν πρὸ αὑτοῦ διαταράττοιτο. μικρὰ δ’ αὐτῷ παρακαλπάσας καὶ καταψήσας, ὡς ἑώρα πληρούμενον θυμοῦ καὶ πνεύματος, ἀπορρίψας ἡσυχῇ τὴν χλαμύδα καὶ μετεωρίσας αὑτόν, ἀσφαλῶς περιέβη. καὶ μικρὰ μὲν περιλαβὼν ταῖς ἡνίαις τὸν χαλινόν, ἄνευ πληγῆς καὶ σπαραγμοῦ προσανέστειλεν· ὡς δ’ ἑώρα τὸν ἵππον ἀφεικότα τὴν ἀπειλήν, ὀργῶντα δὲ πρὸς τὸν δρόμον, ἀφεὶς ἐδίωκεν, ἤδη φωνῇ θρασυτέρᾳ καὶ ποδὸς κρούσει χρώμενος. 46 Cf. Frazier (1992), 4497.
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horse, literally, “encircles” him (περιέβη, 6.6). “Drawing” the reins both “on the left and the right side” (περιλαβών),47 Alexander “holds in” Bucephalas (προσανέστειλεν, 6.7). The sequence of verbs meticulously designing and spatially charting Alexander’s individual moves triggers a high motor resonance in the reader’s imagination. As noted above, it is difficult to measure exactly the relation between narrated and narrative time. I am inclined to surmise that ‘dynamic veracity’ is the reader’s basic assumption: following a narration, she implicitly assumes that it takes a character so long to perform an action as it takes her to peruse the account of it. The reader only gives up the expectation of ‘dynamic veracity’ when she cannot sustain it anymore, for example in panoramic narrative or in pauses. Whether or not this idea is correct, the account of Bucephalas’ taming is certainly one that qualifies as ‘dynamically veracious’. After Plutarch has summarily referred to previous attempts at breaking the horse, the dialogue between Alexander and his father assimilates narrative time to narrated time. In representing words, direct speech closes the gap between narrated and narrative time. The detailed description of individual movements that follow makes it easy to maintain the impression that narrated time proceeds in conjunction with narrative time. Mimicking the flow of the action, the narrative becomes vivid. Plutarch’s narration also champions the principle of ‘just-in-time’. Objects crop only up as a part of the action. We learn about Alexander’s cloak when he throws it away in order to be better able to mount the horse. The reins and bridle are mentioned when Alexander uses them. The reference to objects as and when they matter to actions corresponds to our perception which takes in our environment in terms of actual and possible interaction. Besides the description of simple actions and the dynamic veracity, the cognitively realist engagement with place and objects helps the reader imagine the scene. Plutarch uses the enactive narration to highlight an anecdote that carries significance far beyond the event it purports. Placed prominently at the beginning of the biography, the breaking of Bucephalas establishes major features of Alexander’s character, notably his wit, ambition and brashness. It also foreshadows Alexander’s later achievements. When he manages to tame Bucephalas, Philipp comments: “My son, seek out a kingdom equal to yourself; Macedonia has not room for you.”48 Just as Alexander tames Bucephalas, he will subjugate entire countries. The direction of his conquests is even adumbrated by the sun towards which he leads the horse. Other interpreters envisage Bucephalas as an “equine counterpart of Alexander”49 and emphasize the similarities between horse and rider.50 Seen from this perspective, the taming of Bucephalas mirrors Alexander’s own education by Aristotle, “a task for many bits and rudder-handles”, as
47 On this meaning of περιλαμβάνειν see Ziegler (1935), 369–370, who defends the transmitted form against the various conjectures. 48 Plut. Alex. 6.8. 49 Anderson (1930). 50 Stadter (1996), 293–294 who, like Duff (1999), 85, identifies a Platonic background.
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Plutarch states with a quotation from Sophocles.51 Whether as a cipher for Alexander’s conquests or for his education, the taming of Bucephalas is a highly charged story. There is no lack of similar episodes in the Lives of Plutarch. In the proem to the Alexander and Caesar, Plutarch expounds on the value of anecdotes for “a phrase or a jest often make a greater revelation of character than battles where thousands fall, or the greatest armaments, or sieges of cities”.52 Many anecdotes are narrated enactively. The enactive presentation helps Plutarch to engage his readers and thereby to reach the moral goal of his biographies, namely that his readers learn from the model of the great men whose lives he is dissecting. Vividly narrated anecdotes are a powerful means of conveying moral messages, arguably more so than ethical reasoning would be. My inquiry here can offer no more than selective spotlights. It has become clear though that enactive narration is part of the ancient historian’s and biographer’s toolbox. At the same time, we have seen that an enactive style is not the only means by which ancient historians engage their readers. The Syracusan harbor scene for example, where the possibility of action is seriously constricted, is made tangible through an embedded audience and stylistic mimesis. Highly invested in the minds of his characters, Thucydides tends in general to engage the reader more intellectually than through motor resonances. That being said, the injury of Brasidas illustrates that Thucydides is capable of wielding the means of enactive narrative in order to draw his audience’s attention to a scene or character. Nonetheless, enactive narration is more prominent in the Lives of Plutarch, who relies on captivating anecdotes to drive home his moral messages. 4. Truth and vividness In his paper Enargeia and the Spectator in Greek Historiography, Andrew Walker quotes approvingly Emilio Gabba: “For the ancient historian, Gabba stresses, ‘the search for an effective style and a lively presentation was never regarded as an alternative to the truth.’ ”53 ‘Likeness to reality’ seems to have been the central category for the evaluation of historical works. However, the works of ancient historians feature explicit comments that sit uneasily with the claim that the idea of truth was indistinct from a compelling presentation. Take for example Polybius’ polemic against Phylarchus:54 “In his eagerness to arouse the pity and attention of his readers he treats us to a picture of clinging women with their hair disheveled and their breast bare, or again of crowds of both sexes
51 52 53 54
Plut. Alex. 7.1. Plut. Alex. 1.2. See Blank in this volume. Walker (1993), 374 quoting Gabba (1991), 74. Pol. 2.56.7–8: σπουδάζων δ’ εἰς ἔλεον ἐκκαλεῖσθαι τοὺς ἀναγινώσκοντας καὶ συμπαθεῖς ποιεῖν τοῖς λεγομένοις, εἰσάγει περιπλοκὰς γυναικῶν καὶ κόμας διερριμμένας καὶ μαστῶν ἐκβολάς, πρὸς δὲ τούτοις δάκρυα καὶ θρήνους ἀνδρῶν καὶ γυναικῶν ἀναμὶξ τέκνοις καὶ γονεῦσι γηραιοῖς ἀπαγομένων. ποιεῖ δὲ τοῦτο παρ’ ὅλην τὴν ἱστορίαν, πειρώμενος ἐν ἑκάστοις ἀεὶ πρὸ ὀφθαλμῶν τιθέναι τὰ δεινά.
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together with their children and aged parents weeping and lamenting as they are led to slavery. This sort of thing he keeps up throughout his history, always trying to bring horrors vividly before our eyes.”
Visual appeal, emotional effect and attention to details are all crucial aspects of what ancient critics, arguably since the Hellenistic era, theorized in their evaluative judgements as enargeia. Against the inappropriate adorning of minor events, Polybius pits the following ideal of the historian:55 “A historical author should not try to thrill his readers by such exaggerated pictures, nor should he, like a tragic poet, try to imagine the probable utterances of his characters or reckon up all the consequences probably incidental to the occurrences with which he deals, but simply record what really happened and what really was said, however commonplace.”
That Polybius takes Phylarchus to task for factual inaccuracy is crystal clear when he accuses him of spreading lies.56 Polybius’ polemic shows that for ancient readers lively presentation did not necessarily map onto factual truth and could even be seen as detracting from it. Enargeia did not exhaust the issue of truth.57 Ancient historians may have had more leeway to flesh out their evidence in order to provide a compelling account, but they nonetheless had a sense of factual truth independent of narratorial vividness. While vivid presentation and factual truth were not deemed to be identical, ancient historians seem to have sensed an affinity. It is striking that for example Thucydides couches his claims to truth in imagery that is also used by critics defining enargeia. Notably saphēneia has visual connotations that evoke the idea of words making the audience nearly see something.58 Akribeia is another term prominent in Thucydides’ reflections that figures in discussions of enargeia, denoting fullness as well as accuracy.59 I do not
55 Pol. 2.56.10: δεῖ τοιγαροῦν οὐκ ἐπιπλήττειν τὸν συγγραφέα τερατευόμενον διὰ τῆς ἱστορίας τοὺς ἐντυγχάνοντας οὐδὲ τοὺς ἐνδεχομένους λόγους ζητεῖν καὶ τὰ παρεπόμενα τοῖς ὑποκειμένοις ἐξαριθμεῖσθαι, καθάπερ οἱ τραγῳδιογράφοι, τῶν δὲ πραχθέντων καὶ ῥηθέντων κατ’ ἀλήθειαν αὐτῶν μνημονεύειν πάμπαν, κἂν πάνυ μέτρια τυγχάνωσιν ὄντα. 56 Pol. 2.58.10–12; Marincola (2013) emphasizes that Polybius is primarily concerned with factual inaccuracy in his critique of Phylarchus. 57 See Maier in this volume. 58 See, above all, Thuk. 1.22.4: ὅσοι δὲ βουλήσονται τῶν τε γενομένων τὸ σαφὲς σκοπεῖν καὶ τῶν μελλόντων ποτὲ αὖθις κατὰ τὸ ἀνθρώπινον τοιούτων καὶ παραπλησίων ἔσεσθαι, ὠφέλιμα κρίνειν αὐτὰ ἀρκούντως ἕξει. –“Yet if they are judged useful by any who wish to look at the plain truth about both past events and those that at some future time, in accordance with human nature, will recur in similar or comparable ways, that will suffice.” Cf. Edmunds (1975), 155–163; Woodman (1988), 23–28; Kallet (2006), 360–363; Greenwood (2006), 40–41. 59 See, for example, Thuk. 1.22.2: τὰ δ’ ἔργα τῶν πραχθέντων ἐν τῷ πολέμῳ οὐκ ἐκ τοῦ παρατυχόντος πυνθανόμενος ἠξίωσα γράφειν, οὐδ’ ὡς ἐμοὶ ἐδόκει, ἀλλ’ οἷς τε αὐτὸς παρῆν καὶ παρὰ τῶν ἄλλων ὅσον δυνατὸν ἀκριβείᾳ περὶ ἑκάστου ἐπεξελθών. – “About the actions of the war, however, I considered it my responsibility to write neither as I learned from the chance informant nor according to my own opinion, but after examining what I witnessed myself and what I learned from others, with the utmost possible accuracy in each case.” For akribeia as an aspect of enargeia, see, for example, Ps.-Dem. 209–210. Cf. Walker (1993), 366–367. On akribeia in Thucydides, see Swain (1993), 39–41 and the literature cited in 39 n. 17.
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think that Thucydides envisages truth only in the sense of lively presentation,60 but the vocabulary he uses suggests that an experiential narration can be an important aspect of presenting the truth. In the same vein, Polybius, while opposing accounts that are gripping at the expense of factual truth, considers vivid narrative as an essential task of the historian.61 Not to be forgotten, his own history features highly experiential accounts.62 This affinity between factual truth and narratorial vividness will strike most historians today as odd. Whereas the former will be seen in terms of research, the latter seems to be merely a matter of presentation. Against this discomfort with the ancient view, I wish to sketch how a lively presentation can contribute to the historian’s striving for truth. Even the use of fictional elements, anathema to most contemporary historians,63 can, I contend, have a referential value. My argument is premised on the temporal dynamics of history that I have labeled “future past”.64 History is written in retrospect. This gives the historian a significant advantage over the historical agents: she can view their experiences and deeds in light of the outcome. What is still future to the characters is already past to the historian and allows her to form historical explanations that the characters could not yet see. “Future past” thus describes an asymmetry between historian and historical protagonists that is at the heart of historiography. Hindsight privileges the historian and endows her with a sovereignty she is lacking in her own life, but it also comes at a considerable price. The more a historian cashes in on hindsight, the more her reconstruction will be removed from the experiences of the historical agents. Retrospect cues the historian to envisage the past as it was not experienced. Now narrative has the capacity to make the reader re-experience its plot.65 A narrator can suppress the retrospect that is tangible in the preterite as the default tense of narrative and endeavour to put his audience into the shoes of the characters. The reader’s experience is of course only an indirect one and takes place in the frame of ‘as-if ’, but still the narrator can subject the reader to the very tension between expectation and experience that defines the temporal structure of her consciousness in the everyday world. If the narrator tries to restore presence to an actual past, fictional elements may be crucial, perhaps even indispensable, to his endeavour. In most cases, the evidence preserved will not suffice to yield a narrative in whose world the reader can immerse herself. Ancient historians, for example, had in general no evidence of speeches, and yet the speeches in their works are a powerful means of making the past present again.66 Fictional though they are, the speeches not only inform the reader about the perspectives of the charac-
60 Here, I part company with Woodman (1988), 23–28. See, for example, Hornblower (1991) ad Thuk. 1.22.2 for the idea that akribeia means “in conformity with reality”. 61 Pol. 12.25. 62 Cf. Grethlein (2013), 245–263. On Polybius’ appreciation of enargeia, see also Schepens (1975); (2005), 162–163; on vivid narration in Polybius, see also McGing (2010), 72–74; Miltsios (2013). 63 See, however, Grethlein (2013), 355–364 for a discussion of recent works of history that readily embrace fictional elements. See also Nicholson in this volume. 64 Besides Grethlein (2013), see also Grethlein (2014). 65 Cf. Grethlein (2010b). 66 Grethlein (2013), 36–39; 64–69.
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ters, but make her re-experience them. Thucydides’ comment in 1.22.1 reveals that the composition of the speeches, fictional as it is, is not beyond methodological control.67 Enactive narration will in many cases also require fictionalizing. There may have been testimonies for Brasidas’ fall into the outrigger, but the precise movements of Alexander are likely to have been filled in by Plutarch. Often the detail necessary to create a strong motor resonance in readers will be lacking in the historical record; if the historian wants to make his account experiential, he has to fictionalize. The elements he invents may deviate from what actually happened, but in helping to restore presence to the past, they have a referential significance: they prevent readers from envisaging the past only in light of later events and let them experience what the past felt like when it was still present. Through their capacity of grasping and conveying the experiential aspect of the past, fictional elements have the power to supply an important aspect to the reconstruction of the past. I say that fictional elements prevent readers from envisaging the past only in light of later events, because retrospect is undeniably an important aspect of historiography which, however, needs to be balanced off by the effort to view the past in its own right. As Golo Mann puts it with inimitable elegance:68 “The historian has always to try to do two things simultaneously. He must swim with the stream of events, allowing himself to be carried along as though he had been present. He must from outside converge on his subject from various directions, a later, better-informed observer, and catechize it, yet never quite have it in the hollow of his hand.”
While enactive narration shows the historian, as it were, swimming with the stream, in analytical passages he steps forward as a better-informed observer ready to draw out the lines still hidden in the past. Hayden White made a strong case that the emplotment of narrative is pivotal to establishing historical meaning.69 Historians rely on the same kind of plots as authors of fiction to render the past tellable and comprehensible. The ‘narrative references’ for which I argue here suggests that narrative is formative to historiography in yet another way: besides allowing us to make sense of what happened, narrative is a powerful means of encountering the past in its own right. Vivid narration jolts the reader to the scene of the action and, to quote Plutarch a last time, this time in an appraisal of Xenophon, “makes the listener much affected by the events, not as they have happened, but as they are happening, and sharing their dangers”.70 Narratorial vividness may seem to be unrelated, potentially detrimental, to the historian’s search for the truth. However, ancient historiography alerts us to the value that an account made experiential through enactive narration or other devices can have for the reconstruction of the past. 67 68 69 70
Cf. Moles (2001), 207–209; Grethlein (2010a), 277–278. Mann (1976), 7. White (1973). Plut. Art. 8.1: […] Ξενοφοφῶντος δὲ μονονουχὶ δεικνύοντος ὄψει καὶ τοῖς πράγμασιν ὡς οὐ γεγενημένοις, ἀλλὰ γινομένοις ἐφιστάντος ἀεὶ τὸν ἀκροατὴν ἐμπαθῆ καὶ συγκινδυνεύοντα διὰ τὴν ἐνάργειαν […].
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Alêtheia hinter den Dingen Epistemologie und Geschichte(n) bei Plutarch von Chaironeia Thomas Blank
1. Einführung Herodot steht als Archeget der historiographischen Tradition der griechischen Antike, wie mehrere Beiträge dieses Bandes betonen, im Fokus der methodischen Reflexionen zahlreicher mit historischen Themen befasster antiker Autoren.1 Jene drei, von denen Werke überliefert sind, die sich metahistorische Theorie zum Hauptthema machen, setzen sich mit der Differenz der historiographischen Methode bei Herodot und Thukydides auseinander, wobei stets der eine zum Vorbild erhoben, die Historiographie des anderen als schlechtes Beispiel abgelehnt wird: Während Dionysios von Halikarnassos (de Thucydide / epistula ad Pompeium) sich als Gegner des Thukydides an Herodot orientiert, kritisieren Lukian (de historia conscribenda) und Plutarch (de Herodoti malignitate) den pater historiae dafür, dass seine Geschichtsschreibung allein auf Lesevergnügen (hêdonê) ziele und viele Unwahrheiten (pseudê) enthalte.2 Worin aber besteht eben jene Wahrheit (alêtheia), die im Zuge dieser Kritik als Anspruch an die richtige Form der Geschichtsschreibung erhoben wird? Der vorliegende Beitrag will dieser Frage hinsichtlich der Wahrheitskonzeption bei Plutarch von Chaironeia nachgehen, dessen spezielle Form der Herodotkritik in der Schrift Über den üblen Charakter Herodots (Περὶ τῆς Ἡροδότου κακοηθείας / de Herodoti malignitate) auf die darin enthaltenen Vorstellungen über historiographische alêtheia hin befragt werden soll. Dabei soll der Blick stärker als in bisherigen Untersuchungen über diesen Einzeltext hinaus geöffnet und die Herodotkritik in Plutarchs allgemeine literaturtheoretische Vorstellungen eingeordnet werden.3 Es soll gezeigt werden, dass die immer wieder 1 2 3
S. die Beiträge von Casper de Jonge, Carlo Scardino und Melina Tamiolaki in diesem Band; vgl. Boake (1975), 6–47 sowie v. a. Dognini (2007) zur imitatio Herodoti gerade der Kritiker. Casper de Jonge und Carlo Scardino sei für hilfreiche Hinweise zur Verbesserung dieses Beitrages gedankt. Dion. Hal. Thuc.; ep. Pomp.; Luk. hist. conscr.; Plut. mal.; vgl. Marincola (1994), 191; Hershbell (1997), 225; Ragogna (2002), 30–31; Grimaldi (2004), 9–12; vgl. die Beiträge von Casper De Jonge und Melina Tamiolaki im vorliegenden Band. Vgl. Hohmeyer (1967); Seavey (1991); Bowen (1992); Hershbell (1993); Marincola (1994); Ramón Palerm (2000); Ragogna (2002); Grimaldi (2004); Dognini (2007); Pelling (2007). Im Mittelpunkt dieser
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konstatierte Verwunderung der modernen Interpreten4 über den scharfen Ton und die vermeintlich mangelnde Plausibilität der plutarchischen Herodotkritik zu einem Gutteil auf einem Missverständnis darüber basiert, was Plutarch unter funktionaler und wahrheitsgetreuer Historiographie versteht, insofern sich dieses Wahrheitsverständnis gerade nicht in einer szientifischen Faktentreue erschöpft, sondern darüber hinaus die richtige Verwendung notwendiger poetischer Darstellungs- und Kompositionsmittel, mithin die im Hinblick auf die Darstellungsabsichten zweckmäßige ästhetische Gestaltung der Narration beinhaltet. Für eine solche Untersuchung ist der Verlust zweier im Lampriaskatalog aufgeführter kleinerer Schriften Plutarchs besonders schmerzlich, die sich mit der Frage befassten, nach welchen Kriterien man einen (historischen) Text als ‚wahrheitsgemäß‘ (alêthês) bewerten könne.5 Jedoch finden sich in den erhaltenen Teilen des gewaltigen plutarchischen Œuvres an zahlreichen Stellen Reflexionen über die Unterschiede zwischen Dichtung, Geschichtsschreibung und Biographie sowie die Funktionen solcher Literatur im Allgemeinen, und dabei spielen die Kategorien von Fiktionalität, Faktizität und Wahrheit eine wichtige Rolle. Besonders zentral ist in diesem Zusammenhang die schon erwähnte Schrift de Herodoti malignitate, in der Plutarch eine Reihe konkreter Kriterien benennt, nach denen man ein historiographisches Werk bewerten könne. Plutarchs Aussagen zur Wahrheit in der biographischen und der historiographischen Narration sind wiederholt Gegenstand der Forschung gewesen. An erster Stelle sind hier Arnaldo Momiglianos Arbeiten zur antiken Biographie sowie Christopher Pellings Plutarchstudien zu nennen. Pelling insbesondere hat sich mit der Frage befasst, welche Methoden der Quellenkritik und, damit zusammenhängend, welchen Anspruch auf ‚Wahrhaftigkeit‘ Plutarch in seinem biographischen Werk verfolge.6 Dabei wandte er sich gegen Momiglianos ältere These, dass sich die antike Biographie trotz früherer Ansätze im 5. Jhd. v. Chr. vom literarischen Enkomion (Isokrates, Xenophon) und dem biographischen Roman (namentlich der Kyrou paideia Xenophons) des 4. Jhs. v. Chr. herleite und ihre narrativen Inhalte aufgrund unterschiedlichen Leserinteresses als Mischung aus Fakten und Fiktionen zu betrachten seien, dass es sich mithin um eine von der Geschichtsschreibung scharf zu unterscheidende Gattung handle.7 Demgegenüber kam Pelling auf Grundlage der kritischen Methode Plutarchs in den bioi zu dem Schluss,
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Studien stehen jeweils die Fragen nach der (seit langem nicht mehr bestrittenen; vgl. Teodorsson (1997), 439) Echtheit und dem literarischen Genus der Herodotschrift sowie, damit verbunden, nach Plutarchs Kenntnis des Herodottextes und der Plausibilität der gegen Herodot vorgebrachten Kritik. Umfassender befasst sich allein Boake (1975) daneben auch mit der Einbettung der Schrift in das Denken Plutarchs. Z. B. Seavey (1991), 33–34; Hershbell (1993), 143–144; Ramón Palerm (2000), 387; Ragogna (2002), 23–27. Cat. Lampr. Nr. 124 (Πῶς κρινοῦμεν τὴν ἀληθῆ ἱστορίαν;) und Nr. 225 (Πῶς κρινοῦμεν τῆν ἀλήθειαν;). Möglicherweise handelt es sich dabei um ein und dieselbe Schrift; vgl. dazu Boake (1975), 181; Pelling (1990), 20–21; Hershbell (1997), 225; Nikolaidis (1997), 329. Pelling (1990); daneben v. a. Buckler (1992), 4788–4799; Hershbell (1997), der zurecht die philosophische Perspektive der plutarchischen Geschichtssicht betont. Momigliano (1971), 43–57, 77–104, v. a. 56–57, 101–104 (Unterscheidung der Gattungen; Mischung von Faktischem und Fiktionalem in der Biographie); vgl. Cooper (2004), 24–45 sowie zur Kyrou paideia den Beitrag von Thomas C. Schirren in diesem Band.
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dass diese zwar nicht überall heutigen Ansprüchen der Quellenkritik genügten, in summa aber erwiesen sie sich als „unexpectedly truthful, a closer cousin to historiography than the formally more similar encomium or biographical novel.“8 Weitgehend ausgeklammert blieb bei Pelling indes die Frage, was unter „truthfulness“ bzw. alêtheia bei Plutarch eigentlich zu verstehen sei. Stattdessen setzte er a priori voraus, dass es sich dabei um den Anspruch handele, aus einem teilweise widersprüchlichen Quellenmaterial mithilfe externen Wissens und rationaler Überlegung die plausibelste und möglichst faktennahe der möglichen Erzählungen zu entwickeln.9 Plutarchs Anspruch an die alêtheia sei der eines „true enough“: So seien innerhalb gewisser Grenzen von Wahrscheinlichkeit und Plausibilität zur Ergänzung von Überlieferungslücken auch hypothetische Rekonstruktionen erlaubt – eine Haltung, die Pelling ganz zurecht auch weiten Teilen der antiken Historiographie attestiert.10 Festzuhalten ist jedoch, dass dabei dennoch im Grundsatz ein Wahrheitskonzept postuliert ist, das von der ‚einen‘ alêtheia ausgeht, die sich primär in der Übereinstimmung von Narration und zugrundeliegenden Realia konstituiere. Diese implizite Prämisse bisheriger Studien zu Plutarchs Wahrheitsanspruch soll im Folgenden einer Überprüfung unterzogen werden. Zu diesem Zweck sollen neben Texten mit unmittelbarem Bezug zu Biographie und Historiographie auch Plutarchs ontologische und epistemologische Vorstellungen berücksichtigt werden, die in einigen moralphilosophischen Schriften im Zusammenhang mit poetologischen Fragen erörtert werden. Deshalb sollen zunächst eben diese allgemeineren Auffassungen zur alêtheia überblicksartig vorgestellt werden, bevor die Kategorien der Kritik in Plutarchs Herodotschrift analysiert werden. Abschließend wird ein exemplarischer Blick auch auf das biographische Werk geworfen, um die Differenz zwischen Biographie und Historiographie bei Plutarch im Hinblick auf die Kategorie der alêtheia zu beleuchten. 2. Ontologie, Epistemologie, Poetologie 1. Dualismus von Welt und Seele Plutarchs Haltung zur Wahrheit in der Narration ist vor dem Hintergrund seiner allgemeinen philosophischen Positionen zu betrachten, da sie von seinen Vorstellungen über die Welt, die menschliche psychê und die Frage der Tugend beeinflusst wird.11 Die8 9
Pelling (1990), 27–29 (Zitat: 27); vgl. Kaesser (2004), 362–363. Pelling (1990), 42 mit Anm. 65 gegen Woodman (1988), 73–74, 82–83; Vgl. auch Nikolaidis (1997), 329. Wenig überzeugend ist die modernistische Bemerkung bei Teodorsson (1997), 440, wonach Plutarch überhaupt keinen ernsthaften Wahrheitsbegriff verfolge. 10 Pelling (1990), 35–43, 51. 11 Der philosophische Standpunkt Plutarchs wird im Folgenden vor allem werkimmanent herausgearbeitet. Damit soll keineswegs impliziert werden, dass Plutarchs Auffassungen auf einen besonders speziellen Standpunkt hinausliefen – vielmehr erscheint Plutarchs wohlinformierter Eklektizismus als Ausdruck einer weitverbreiteten Bildungstradition. Während es jedoch den Rahmen dieses Beitrags gesprengt hätte, näher auf die klassischen Wurzeln des plutarchischen Denkens und auf mögliche Abweichungen von
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sen Vorstellungen liegt Plutarchs spezifische Rezeption eines vor allem von Platon und Aristoteles beeinflussten ontologischen Dualismus von Wesen/Idee/Form (ousia) auf der einen und ungeformter Materie (hylê) auf der anderen Seite zugrunde.12 Ousia und hylê stehen dabei in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, insofern die abstrakten Ideen der Welt der Materie vorgeben, in welchen Formen sie sich realisiert. Die dingliche Realität erscheint in diesem ontologischen Konzept als durch die Ideenwelt bestimmte konkrete Ausformung von Materie.13 Wie tritt nun der Mensch dem weltlichen Dualismus gegenüber? Vereinfacht dargestellt betont Plutarch gegen die stoische Auffassung, der Philosoph könne sich durch reine Geistestätigkeit von den Fesseln der sinnlichen Welt ganz befreien, dass der absolute logos weder erstrebenswert noch möglich sei.14 Bei Plutarch folgt stattdessen auch die menschliche Seele der dualen Ordnung der Welt: Der rationale Seelenteil (logos), von Plutarch als ‚denkend und berechnend‘ (τὸ νοερὸν καὶ λογιστικόν) beschrieben, strebt aktiv nach Erkenntnis über die ousiai. Diese Denkseele zielt, wie Plutarch in Über die charakterliche Tugend (Περὶ τῆς ἠθικῆς ἀρετῆς / de virtute morali) sagt, auf die Wahrheit: Daher neigt sich die Berechnung erfreut dem Wahren zu, wenn es sichtbar wird, und lässt das Unwahre fahren. Denn in diesem – und nicht in dem anderen – liegt das Potential zur Überzeugung und Überzeugungsänderung. Aber die auf das Handeln gerichteten Ratschläge, Urteile, und Entscheide der Menge sind voller Leidenschaft/Erfahrung und stellen sich der Ratio unzugänglich und schwierig dar, da sie beim Irrationalen festgehalten und erschüttert wird, das sich mit einer gewissen Lust und Furcht und Begierde gegen sie erhebt.15
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seinen Vorlagen einzugehen, soll lediglich der literaturkritische Wahrheitsbegriff bei Plutarch mithilfe seiner sonstigen philosophischen Anschauungen kontextualisiert werden. Für einen Überblick zum Dualismus Plutarchs: Castelnérac (2007); Dillon (2014); Karamanolis (2014), Kap. 4.1, 5, 6; zur Seelenlehre: Baltes (2000); zur Positionierung Plutarchs als Platoniker im philosophischen Ambiente der hohen Kaiserzeit zuletzt Opsomer (2007); Bonazzi (2012). In allegorischer Weise tritt der weltliche Dualismus in Plutarchs Deutung des Isis-Osiris-Mythos hervor; vgl. Hirsch-Luipold (2002), 188–203 (Osiris = männliches, prägendes Prinzip = ousia / Isis = weibliches, empfangendes Prinzip = hylê / Horus als weltliche Realisierung bzw. Ausfluss = aporrhoê). Vgl. hierzu Hirsch-Luipold (2002), 36–38, 158–165, 188–203, 284–286; Castelnérac (2007), 155; Dillon (2014), 64–65. Plut. virt. mor. 447e–448b; vgl. de aud. poet. 16a–17 f., de gen. Socr. 580b–f, quaest. conv. VII 1, 700b. Plut. virt. mor. 447 f.–448b: διὸ πρὸς τἀληθὲς ὁ λογισμός, ὅταν φανῇ, προέμενος τὸ ψεῦδος ἀσμένως ἀπέκλινεν· ἐν αὐτῷ γὰρ ἔστιν οὐκ ἐν θατέρῳ τὸ πειθόμενον και μεταπειθόμενον. αἱ δὲ πραγματικαὶ βουλαὶ καὶ κρίσεις καὶ δίαιται τῶν πολλῶν ἐμπαθεῖς οὖσαι δυσοδίαν τῷ λόγῳ παρέχουσι καὶ δυσκολίαν, ἐνισχομένῳ καὶ ταραττομένῳ περὶ τὸ ἄλογον, ἀνταῖρον αὐτῷ μεθ’ ἡδονῆς τινος ἢ δέους ἢ λύπης ἢ ἐπιθυμίας (alle verwendeten griechischen Originaltexte sind den verschiedenen Bänden der Plutarch-Ausgabe der Loeb Classical Library entnommen; sämtliche Übersetzungen stammen vom Verfasser). Vgl. Plut. adv. Col. 1118b; vgl. Duff (1999), 72–75; Castelnérac (2007), 156, 159–160. Den Zusammenhang des seelischen Erkenntnisdrangs mit Plutarchs platonischer Vorstellung von der Seelenwanderung veranschaulicht die Sammlung von Belegen für die Idee der Anamnesislehre in Plut. fr. 217 (Sandbach) mit dem Wortspiel: […] ἡ ἀλήθεια κατ’ ἀφαίρεσιν τῆς λήθης ἔντευξις τοῦ ὄντος ἐστί.
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Der andere Seelenteil, jener der Erfahrung und Leidenschaft (pathos), steht dagegen rein passiv unter dem Einfluss der realen Erscheinungen (phainomena, tychê).16 Er ist leidend, irrational, orientierungslos und ungeordnet‘ (παθητικὸν καὶ ἄλογον καὶ πολυπλανὲς καὶ ἄτακτον).17 Die Prozesse, denen dieser Seelenteil unterworfen ist, sind jene der sinnlichen Wahrnehmung (aisthêsis): Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen. Die Passivität dieser Wahrnehmung bedeutet zugleich, dass der pathetische Seelenteil von der Wahrnehmung geprägt wird (typousthai), die äußeren Einflüsse also dauerhafte Spuren auf der Seele hinterlassen.18 Wichtig ist nun, dass der logos für die Erkenntnis der ousiai auf die Wahrnehmungsfähigkeit des pathos angewiesen ist. Da alle menschliche Weltwahrnehmung auf realen Erscheinungen beruht, muss das Erkenntnisstreben des logos den Umweg über die Betrachtung der pragmata nehmen. Der plutarchische Philosoph kann sich deshalb nicht auf ‚reine‘ Kontemplation zurückziehen, kann nicht Theorie um der Theorie willen betreiben, wenn er auf Wahrheit abzielt. Stattdessen muss er anerkennen, dass es keine Erkenntnis der ousia ohne Anschauung der pragmata geben kann.19 Hier stellt sich aber zugleich sein größtes Problem: Denn da die Sinneswahrnehmungen des pathos rein passiv sind und nicht frei entscheiden können, was sie auf welche Weise wahrnehmen, sind sie‚ „im Hinblick auf ihre Glaubwürdigkeit weder zuverlässig noch untrügerisch“/οὐκ ἀκριβεῖς οὐδὲ ἀσφαλεῖς πρὸς πίστιν οὖσας.20 Wie aber kann der Philosoph unter diesen Bedingungen zur Erkenntnis der ousiai vordringen, und was ist in diesem Zusammenhang unter alêtheia zu verstehen? Hinweise auf eine Antwort finden sich in zwei Abschnitten in den Symposiaka (Συμποσιακά / Quaestiones convivales) sowie der Schrift Über das E in Delphi (Περὶ τοῦ ΕΙ ἐν τοῖς Δελφοῖς / De E apud Delphos). Im Siebten Buch der Symposiaka wird die Frage diskutiert, ob der Konsum von Wein in philosophischen Diskussionen erkenntnisfördernd sei. Die siegreiche Antwort auf diese Frage besteht in der Feststellung, dass der Wein der Erkenntnis der alêtheia dienlich sei, weil die Worte alkoholisierter Redner zu erkennen gäben, in welchem Maße sie jeweils von pathos und êthos (etwa: ‚charakterliche Disposition‘) geprägt seien.21 Die alêtheia solcher Reden scheint also mit der korrekten Abbildung der verschiedenen sinnlichen und moralischen Einflüsse auf das menschliche Handeln zu tun zu haben. Letztlich geht es bei dem Zielen auf alêtheia um die 16 Plut. fort. Rom. 319d–320b; 326a; fort. Alex. II 341f–342a; Nic. 11,7; Van der Stockt (2005), 139. Zur Rolle der tychê bei Plutarch s. Titchener (2014), die jedoch (vgl. 481) den Stellenwert der göttlichen Vorsehung (z. B. Plut. Brut. 47,1) überbewertet. 17 Plut. virt. mor. 442a; suav. viv. 1092e–f; vgl. Castelnérac (2007), 142, 145–149, 155–156. Anklänge an diesen Dualismus der Seele fnden sich auch in Plut. superst. 164e–f; glor. Ath. 345e–f. 18 Plut. adv. Col. 1118b; vgl. Plat. Tim. 191c; Dillon (2014), 64–65; vgl. auch Boake (1975), 124–129. Zur Unterscheidung von aisthêsis und Tätigkeit des logos vgl. Plut. Demetr. 1,1–6; Hirsch-Luipold (2002), 111–112. 19 Castelnérac (2007), 142–145. Prägnant wird dieser Gedanke im Proömium des Demosthenes-bios zum Ausdruck gebracht: Nicht anhand der Bezeichungen (onomata) könne man die pragmata erkennen, sondern infolge der Erfahrung (empeiria) in den pragmata sei es möglich, aus den Bezeichnungen seine Schlüsse zu ziehen (Plut. Dem. 2.3). 20 Plut. adv. Col. 1118b, 1123d–1124a; vgl. dazu Karamanolis (2014), Kap. 3 mit zahlreichen weiteren Belegen. 21 Plut. quaest. conv. VII 10, 715e–f.
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Erkenntnis über die einem phainomenon (hier: die Rede) zugrundeliegenden Ursachen (aitia). Ähnliches zeigt auch der Passus aus Über das E in Delphi: Dass aber ‚Wenn Tag, dann Licht‘ ist, das erkennt kein Lebewesen außer dem Menschen, der allein die Gabe der Reflexion hat über die Bedeutung von Ursache und Wirkung, über den Zusammenhang dabei, Stellung zueinander und Unterscheidung; und daraus beziehen Induktionen ihre entscheidende Schlagkraft. Wenn aber nun die Philosophie von der Wahrheit handelt, und ‚Licht‘ die Induktion der Wahrheit, und der Anfang der Induktion der Syllogismus ist, dann wurde die Kraft, die den Syllogismus herstellt, mit gutem Grund von weisen Männern als Gott geheiligt, der die Wahrheit liebt.22
Von Bedeutung ist, dass das Verstehen der Ursache (Licht) auf Grundlage der Wirkung (Tag) als Folge eines noetischen Induktionsverfahrens (apodeixis) nicht nur explizit mit dem Begriff der alêtheia in Verbindung gebracht, sondern zugleich als spezifisch menschliche Erkenntnisfähigkeit bezeichnet wird. Das genuin menschliche Erkenntnisorgan ist aber nach allgemeiner griechischer Vorstellung eben der logos, den Plutarch wie gesehen anderorts als wahrheitsbezogenen Seelenteil beschreibt. Folglich besteht wahrhaftige Erkenntnis in der richtigen Erkenntnis über Ursachen und Wirkungen, die Wahrheit selbst mithin in der Erkenntnis der ousia als prägender Ursache eines pragma.23 2. Poiêsis und historiê als Mittel philosophischer Wahrheitsschau Dieses epistemologische Grundkonzept bestimmt auch Plutarchs Vorstellung von der Funktion literarischer Narration. Diese erscheint nämlich in den theoretischen Schriften stets als Mittel zum Zweck moralphilosophischer Schulung und Erkenntnisförderung.24 Das Handeln der Menschen (praxis) gehört zum Bereich der pragmata und wird wie alle sich realisierenden Dinge von äußeren Einflüssen bestimmt:25 durch die rezeptiven Erfahrungen des pathos sowie aktive Prägung von Seiten des ideenaffinen logos. Nur letzteres aber kann der Mensch eigenständig gestalten und dadurch die pathê zu kontrollieren versuchen.26 Grad und Qualität des Einflusses, den der logos ausübt, hän22 Plut. E ap. Delph. 378a: ὅτι δ’ εἰ ἡμέρα, φῶς ἐστιν, οὐδὲν ἄλλο συνίησι πλὴν ἄνθρωπος, ἡγουμένου καὶ λήγοντος ἐμφάσεώς τε καὶ συναρτήσεως τούτων πρὸς ἄλληλα καὶ σχήσεως καὶ διαφορᾶς μόνος ἔχων ἔννοιαν, ἐξ ὧν αἱ ἀποδείξεις τὴν κυριωτάτην ἀρχὴν λαμβάνουσιν. ἐπεὶ τοίνυν φιλοσοφία μέν ἐστι περὶ ἀλήθειαν, ἀληθείας δὲ φῶς ἀποδείξις, ἀποδείξεως δ’ ἀρχὴ τὸ συννημένον, εἰκότως ἡ τοῦτο συνέχουσα καὶ ποιοῦσα δύναμις ὑπὸ σοφῶν ἀνδρῶν τῷ μάλιστα τὴν ἀλήθειαν ἠγαπηκότι θεῷ καθιερώθη. 23 Vgl. auch Plut. suav. viv. 1092e–1093d mit der markanten Aussage, die Suche nach der Wahrheit sei mit dem (menschlichen) Leben selbst gleichzusetzen. Vgl. außerdem Karamanolis (2014), Kap. 3 zur Differenzierung der aitia in innerweltliche Einflüsse und metaphysische Ursachen. 24 Hershbell (1993), 155; Kraus (2005), 333–334; Saïd (2005), 147–150. 25 Vgl. Becchi (2014), 78–83. 26 Plut. virt. mor. 442c; 451b–452c; Konstan (2004), der die Schrift als eine Art proto-narratologische Theorie interpretiert; Van der Stockt (2005), 141; Castélnerac (2007), 145–149; Becchi (2014), 78–83; Dillon (2014), 62.
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gen dabei wiederum von der mehr oder minder vorhandenen Erkenntnis über die ousia oder genauer: über die aretai (die dem richtigen Verhalten zugrundliegenden Ideen) ab, die den Dingen/Handlungen ihre Gestalt geben und so die wahren Ursachen hinter den Realia sind, denen sich der Mensch im Leben ausgesetzt sieht. Das Streben des logos nach Wahrheitsschau ist somit zugleich ein Streben des Menschen nach Handlungsorientierung, nach Befreiung des Handelns aus der Unfreiheit der pathê, nach eigentlicher Willensfreiheit. Mithin wird in diesem Verständnis jede Philosophie – auch Naturbeobachtung – zur Moralphilosophie. Fast alle poetologischen Aussagen in Plutarchs Werk knüpfen nun an diese Grundvorstellungen an. Man könnte sogar sagen, bei Plutarchs Poetologie handele es sich um nichts anderes als um eine moralphilosophische Didaktik der Literatur. Dies zeigt sich besonders in Wie ein junger Mann Dichtung rezipieren sollte (Πῶς δεῖ τὸν νέον ποιημάτων ἀκούειν / de audiendis poetis): In dieser Schrift fordert Plutarch, wohl gegen den Standpunkt der Epikureer, aber auch abweichend von Platon, dass auch fiktionale Mythendichtung Bestandteil des Curriculums moralphilosophischer Erziehung sein müsse.27 Denn einerseits könne Dichtung durchaus philosophische Erkenntnis fördern, andererseits sei dazu die Fähigkeit erforderlich, das Vergnügliche (terpon) an ihr maßvoll zu genießen,28 da die Dichtung durch Fiktionalität (plasmata), Trug (apatê) und emotionale Wirkung (tarachê) auch falsche Erkenntnis (pseudos) bewirken könne.29 Weshalb aber darf auf Dichtung nicht ganz verzichtet werden, wenn sie doch trügerisch ist? Wohl deshalb, weil der plutarchische Philosoph in der realen Welt tätig und der Dichtung und ihrem Trug daher notwendigerweise ausgesetzt ist, so dass er seine rezeptiven Wahrnehmungen für den Umgang mit ihr schulen muss. Nicht mit wachsverstopften Ohren wie die Ruderer des Odysseus, sondern wie der Heros selbst am Mast festgebunden durch die Fesseln kritischer Verfahren und der Anleitung durch den Lehrer müssten junge Leute daran gewöhnt werden, aus der trügerischen Dichtung das für das Leben Nützliche zu abstrahieren.30 Wer umgekehrt nicht gelernt habe, mit den Mitteln 27 Plut. aud. poet. 15d; 16a–b; zum philosophischen Diskurs Saïd (2005), 150; Blank, D. (2011), 237–240, 244–249; Hunter/Russell (2011), 2–9; sowie allgemein zu dieser Schrift Bowie (2014). Zum Zusammenhang von mythos und Fiktionalität bei Plutarch s. Hardie (1992), 2744; Hirsch-Luipold (2002), 21–22, 70–72, 138–144. 28 Plut. aud. poet. 14e–f: […] ὥσπερ ὄψῳ χρωμένους μετρίως τῷ τέρποντι, τὸ χρήσιμον ἀπ’ αὐτοῦ καὶ τὸ σωτήριον διώκειν […]. („[…] indem sie vom Vergnüglichen maßvoll wie von einem Würzmittel Gebrauch machen, [sc. sollen sie] das Brauchbare und Heilsame an ihr verfolgen […].“); Hirsch-Luipold (2002), 73–77, 283–284; Saïd (2005), 157. Die Verbindung des Begriffs des terpon mit dem Bild der Speise verweist die terpsis unmissverständlich in den Bereich der pathê. Vgl. Plut. aud. poet. 42c; mult. virt. 242e–243e. 29 Plut. aud. poet. 15c–d; 16a–17f; vgl. Hershbell (1993), 156–157; Saïd (2005), 150–151, 159; Blank, D. (2011), 240–244; Hunter/Russell (2011), 6; Karamanolis (2014), Kap. 7. Die Fiktionalität der Dichtung wird dabei als ἀπατηλόν, ταρακτικόν, παραφορόν bezeichnet; vgl. Gehrke (2014), 85, 89, 95–96 zur Grundlegung dieser Bewertung sowie der Instrumente des kritischen Urteils in der sophistischen Rhetorik (v. a. Diss. Log. 3.10; Gorg. Hel. 1–2, 10–13 = VS 82 B11.1–2, 10–13). Vgl. außerdem Plut. aud. poet. 41a–b, 41f–42a (alêtheia als nützlich / pseudos als unnütz); die Aussage des ‚Betrügers‘ Lysander in Plut. ap. Lac. 229a (auch das pseudos kann bei richtiger Anwendung nützlich sein) findet evtl. ihre Erklärung in Plut. cap. util. 89f–90a. 30 Plut. aud. poet. 15d; vgl. Hirsch-Luipold (2002), 70–77; Hunter/Russel (2011), 79; vgl. Blank, D. (2011) zum in der Schrift präsentierten Katalog kritischer Methoden (u. a. Vergleich mit Parallelstellen, Kom-
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umzugehen, die die Dichtung zur Erzeugung von Falschaussagen (pseudê) verwende, könne auch die Wahrheit (alêtheia) nicht erkennen. Das Verhältnis zwischen formalen und sachlichen Aspekten der Narration geht aus dem folgenden Passus hervor: […] indem man ihnen anzeigt, dass die Dichtung, die ihre Grundlage in der Imitation hat, bezüglich der zugrundeliegenden Tatsachen und Charaktere Schmuck und Glanz verwendet, die Ähnlichkeit mit der Wahrheit aber nicht außenvorlässt, da ja die Imitation ihr Leitbild in der Plausibilität hat. Deswegen bringt die Imitation, vermischt mit den Tatsachen sowohl für Schlechtheit als auch für Tugend Belege zum Ausdruck, sofern sie die Wahrheit nicht gänzlich vernachlässigt. […] Am meisten aber verwendet die Dichtkunst Buntheit und Vielfalt, wenn sie ohne das Wahrhaftige daherkommt. Denn die Umwälzungen verschaffen den mythoi31 das Leidenschaftliche, Paralogische und Unvorhersehbare, das die meiste Eindrücklichkeit und den größten Liebreiz zur Folge hat. Schlichte Darlegung aber ist ohne Leidenschaft und Muse.32
Hier taucht im Zusammenhang mit literarischer Narration der für Plutarchs Poetologie zentrale Begriff der Imitation (mimêsis) auf.33 Imitation, so heißt es, sei auf Plausibilität (pithanotês)34 angewiesen, die wiederum ihrerseits in Ähnlichkeit (homoiotês)35 zur alêtheia bestehe. Diese liegt nun aber erklärtermaßen in der vermischten Darstellung, die sowohl positive als auch negative Aspekte der Personen und ihrer Handlungen abbildet (sêmeia memigmena). Unter der Maßgabe dieser Erfordernisse der pithanotês staffiert nun die mimetische Dichtung Taten und Charaktere, die sie darstellt, mit Schmuck (kosmos) und Glanz (lamprotês) aus, also mit formalen Mitteln der sprachlichen Äs-
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mentaren und Anweisungen des Lehrers). Zum Lehreffekt der dichterischen mimêsis vgl. Arist. poet. 1484b4–23; noch näher zu Plutarch wohl Plat. Pol. 401d–402a über die mousikê. Vgl. zu gänzlich anderer Betrachtung mythologischer Dichtung bei Dionysios von Halikarnassos, Diodor von Syrakus und v. a. Polybios Cooper (2007), 219–228. Auf die komplexe Valenz des Begriffes (aufgrund derer der Begriff hier im Sinne der Deutungsoffenheit unübersetzt bleibt) hat mich Carlo Scardino aufmerksam gemacht. Einerseits zeigt der Sprachgebrauch von mythos bei Plutarch (s. Anm. 27 und 39), dass darunter durchaus fiktionale Erzählstoffe zu verstehen sind. Andererseits geht es an der vorliegenden Stelle sowie in Plut. glor. Ath. 348a–b (s. dazu u. Anm. 41 f.) zumindest auch um die spezielle Komposition der pragmata im erzählten Text, was im Begriff des mythos ausgedrückt ist (ähnlich auch Arist. poet. 1450a8–38). Zugleich wäre eine Übersetzung im Sinne eines narratologischen ‚plot‘ hier insofern nicht treffend, da jeder erzählte Sachverhalt eine Plotstruktur aufweist (so verstanden würde zu jedem logos ein mythos gehören, was Plutarch aber gerade nicht sagt; vgl. auch Arist. poet. 1451b28–33). Gemeint sind hier also offenbar artifizielle Plotstrukturen, die auf die Erzielung von Affekten abzielen; eben diese machen das terpon des dichterischen Textes aus. Plut. aud. poet. 25b–d: […] ἐνδεικνυμένους αὐτοῖς ὅτι μιμητικὴν ἡ ποίησις ὑπόθεσιν ἔχουσα κόσμῳ μὲν λαμπρότητι χρῆται περὶ τὰς ὑποκειμένας πράξεις καὶ τὰ ἤθη, τὴν δ’ ὁμοιότητα τοῦ ἀληθοῦς οὐ προλείπει, τῆς μιμήσεως ἐν τῷ πιθανῷ τὸ ἀγωγὸν ἐχούσης. διὸ καὶ κακίας καὶ ἀρετῆς σημεῖα μεμιγμένα ταῖς πράξεσιν ἡ μὴ παντάπασι τῆς ἀληθεῖας ὀλιγωροῦσα συνεκφέρει μίμησις. […] ἄνευ δὲ τοῦ ἀληθοῦς μάλιστα μὲν ἡ ποιητικὴ τῷ ποικίλῳ χρῆται καὶ πολυτρόπῳ. τὸ γὰρ ἐμπαθὲς καὶ παράλογον καὶ ἀπροσδόκητον, ᾧ πλείστη μὲν ἔκπληξις ἕπεται πλείστη δὲ χάρις, αἱ μεταβολαὶ παρέχουσι τοῖς μύθοις. τὸ δ’ ἁπλοῦν ἀπαθὲς καὶ ἄμουσον. Boake (1975), 124–137; Van der Stockt (1990) passim, v. a. 25–27 ad loc.; Hershbell (1997), 237–238; Hirsch-Luipold (2002), 70–72. Vgl. zur mimêsis Arist. poet. 1448a1–28 (der aber für die Dichtung gerade nicht die mîxis hervorhebt, sondern die Entscheidung für gute oder schlechte Paradigmata). Vgl. aber auch Plut. aud. poet. 27e–f; quaest. conv. I 9, 627c–e; stoic. rep. 1040b; suav. viv. 1092e–1093d zur problematischen Ambivalenz der pithanotês, die auch durch rein formale Beeindruckung erzeugt werden kann. Vgl. Plut. aud. poet. 18a; Hirsch-Luipold (2002), 33, 80–83, 120–122; Hunter/Russell (2011), 7–8.
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thetik sowie der kompositionellen Gestaltung.36 Gerade diese auf die pathê wirkenden Mittel, die der Dichtung ihre ästhetische Attraktivität verleihen, sind jedoch zugleich die Instrumente, mit denen der Dichter sein Publikum buchstäblich beeindrucken und so auch mit Trug und Falschaussage prägend wirken kann. Für die richtige Rezeption dieser ästhetischen Kunst ist also kritische Schulung vonnöten.37 Für den kritischen Leser ist Dichtung, die auf homoiôsis alêtheiai, auf Wahrheitsangleichung, verzichtet, zwar formal beeindruckend (er kann und wird ihre Kunstfertigkeit bewundern), aber nicht plausibel und damit nicht überzeugend – sie bleibt offensichtliche Fantasterei im Inhaltlichen oder Dadaismus im Formalen. Plausible, überzeugende Dichtung besteht in der Vermischtheit (mîxis), die allein eine homoiôsis alêtheiai bewirkt.38 An alêtheia reicht folglich jene Narration heran, die dem Umstand gerecht wird, dass in der Realität nichts unvermischt vorkommt, und die deshalb auch die Vermischtheit von Widersprüchlichem und Komplexem (gut und böse; praxis und êthê etc.) zum Ausdruck bringt. Auch die poetologische Bestimmung der mimêsis fügt sich in das oben skizzierte epistemologische Konzept.39 Diese poetologischen Leitsätze gelten auch und gerade für die fiktionale Narration in der Dichtung. Wie aber verhält es sich mit der Geschichtsschreibung (historiê)?40 Ist auch dort alêtheia potentiell in fiktionaler Narration erreichbar? Jedenfalls graduell unterscheidet sich die historiê insofern von der Dichtung, als sie den Sachverhalten epistemologisch nähersteht:
36 Zu diesen Mitteln, deren Bewertung von der Zweckmäßigkeit ihrer jeweiligen Verwendung abhängt, gehört unter anderem die enargeia, vgl. Plut. glor. Ath. 346e–347c; adv. Col. 1122 f.–1124b; Artax. 8,1; vgl. Duris FGrH 76 F1; Woodman (1988), 25–26. Zur enargeia bei Plutarch vgl. Van der Stockt (1990), 25–26; Hirsch-Luipold (2002), 20, 44–47, 62–63; vgl. auch die Beiträge von Felix K. Maier und Mario Baumann zur enargeia in diesem Band. 37 Plut. aud. poet. 15a; 16a–e; 41f–42a; Kraus (2005), 335, 337–338; zur Grundlegung in der sophistischen Rhetorik Gehrke (2014), 89–90, 95–96; Van der Stockt (2005), 141. Zur Differenzierung geschulter und ungeschulter Leser vgl. Plut. aud. poet. 30c–d (vgl. Saïd (2005), 158, die darin einen Ausschluss der histo riê von der Philosophie erkennen will); gen. Socr. 575b–d; s. u. S. 96 f. mit Anm. 47. 38 Vgl. Hirsch-Luipold (2002), 76–79, 85; Saïd (2005), 151–152, 158. Vgl. Bowersock (1994), 1–27 zur im 2. Jhd. n. Chr. weiten Verbreitung der Vorstellung von Wahrheit in der Fiktion. Das Konzept der homoiôsis steht im Zusammenhang mit der von Plutarch auch anderweitig rezipierten platonischen homoiôsis theôi (Plat. Tim. 47a–c) als Ziel der philosophischen Erkenntnissuche; vgl. Bonazzi (2012), 149–150; Dillon (2014), 62; Karamanolis (2014), Kap. 4.1, 5. 39 Dies wird in den Moralia auch in Plutarchs zahlreichen Erläuterungen zu mythischen Erzählungen deutlich, so z. B. in Plut. cons. ad Apoll. 120e–121e, wo die Wahrhaftigkeit des platonischen Mythos von den Seelenrichtern (Plat. Gorg. 523a) darin gesehen wird, dass man aus diesem Mythos Erkenntnisse über das wahre Wesen des Todes gewinnen könne, das in einer Lösung der Verbindung von Körper und Geist bestehe; vgl. daneben Plut. Is. et Os. 351c–e; de num. vind. 563b; de gen. Socr. 578 f.–579d; quaest. conv. I 6, 624a–b; fac. orb. Lun. 942d–f. Allgemein besteht bei Plutarch eine Tendenz zur Rationalisierung von Mythen als Aitiologien religiöser Realien (Riten, Glaubenssätze etc.), so vor allem in Über Isis und Osiris (Plut. Is. et Os. 354e–f, 358e–359b, 365d–e); vgl. Hardie (1992), 4746–4751, 4777–4781; Hirsch-Luipold (2002), 22–24, 138–144. Nichtsdestoweniger distanziert sich Plutarch von übertrieben-abwegiger Allegorese in Plut. aud. poet. 19e–20b; Konstan (2004), 13–14. 40 Plut. glor. Ath. 345e–f; de tranq. an. 473d–e attestiert auch der historiê die Funktion philosophischer Schulung; Boake (1975), 130–134; Hirsch-Luipold (2002), 57–59. Zur begrifflichen Valenz von historiê bei Plutarch s. Hershbell (1997), 227–232.
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Thomas Blank Dass aber die Dichtkunst sich um Mythendichtung dreht, hat schon Platon gesagt. Der mythos41 aber will ein unwahrer Text sein, der einem wahrhaften gleicht. Deswegen ist er auch weit von den Fakten entfernt, wenn der Text einerseits vom Faktum, der ‚Mythos‘ aber vom Text Bild und Abbildung ist. Und im gleichen Maße stehen auch jene, die Handlungen erfinden,42 hinter denen, die historiê betreiben, zurück, wie die, die etwas in Worte fassen, hinter denen zurückbleiben, die es tun.43
Plutarch sagt wohlweislich nicht explizit, dass das historiê wahrhaftiger sei als die Dichtung.44 Er kennzeichnet lediglich die Dichtung als weiter von jenen Dingen entfernt, deren richtige Darstellung wahrhaftig sein kann. Wahrheit ist insofern in der Geschichtsschreibung unmittelbarer zu erzielen als in der Dichtung.45 Die Unmittelbarkeit des Zugangs zu den pragmata ist von Bedeutung für die Plausibilität verschiedener Stoffe innerhalb der historiê und bestimmt so auch den quellenkritischen Standpunkt Plutarchs, demzufolge Erzählungen, die auf eigenem Erleben oder auf Augenzeugenschaft beruhen, die größte Glaubwürdigkeit beanspruchen können.46 Sieht man von diesem Unterschied ab, so gelten jedoch für Dichtung und historiê weitgehend gleiche Regeln, was im Umkehrschluss bedeutet: Sie bedienen sich derselben formalen Instrumente. Folglich ist auch in der historiê jene Narration wahrheitsgetreu, die die Forderung nach mîxis guter und schlechter Aspekte erfüllt: Ich erinnere mich, Kaphisias, dass ich einmal eines gewissen Malers Aussage über die Betrachter von Bildtafeln hörte, die auf nicht unnütze Weise in Bildform gesprochen war. Er sagte nämlich, dass einerseits die laienhaften und kunstfernen Betrachter denen glichen, die eine große Menschenansammlung auf einmal begrüßen, während andererseits die gewitzten und kunstnahen jeden von denen, die ihnen begegnen, mit einem eigenen Gruß ansprechen. Denn bei Ersteren stellt sich kein exakter Überblick über die vollendeten Bilder ein, sondern lediglich ein allgemeiner Eindruck; den Letzteren dagegen, die mit ihrem Urteil das Werk Teil für Teil 41 Auch hier scheint die o. Anm. 31 angedeutete Bedeutung von mythos als ‚dichterische Plotstruktur‘ denkbar. 42 Im Sinne der Anm. 31 angedeuteten offenen Valenz des Begriffs mythos fällt unter die ‚Erfindung von Handlungen‘ sowohl die Erfindung fiktionaler Erzählelemente als auch die Erschaffung besonderer Handlungsabläufe (‚plots‘). 43 Plut. glor. Ath. 348a–b: ἀλλ’ ὅτι μὲν ἡ ποιητικὴ περὶ μυθοποιΐαν ἐστὶ καὶ Πλάτων εἴρηκεν. ὁ δὲ μῦθος εἶναι βούλεται λόγος ψευδὴς ἐοικὼς ἀληθίνῳ· διὸ καὶ πολὺ τῶν ἔργων ἀφέστηκεν, εἰ λόγος μὲν ἔργου, καὶ λόγου δὲ μῦθος εἰκὼν καὶ εἴδωλόν ἐστι. καὶ τοσοῦτον τῶν ἱστοροῦντων οἱ πλάττοντες τὰς πράξεις ὑστεροῦσιν, ὅσον ἀπολείπονται τῶν πραττόντων οἱ λέγοντες; vgl. Plut. aud. poet. 17 f.; gen. Socr. 589 f.; die wichtigste Vorlage bietet wohl Arist. poet. 1450b37–b11. Zur Stelle s. Hirsch-Luipold (2002), 64–65, 138–144; Kraus (2005), 334. 44 Vgl. Boake (1975), 132–134. Das sagt formal übrigens auch Sext. Emp. 1.263 nicht, der üblicherweise als Gewährsmann für eine antike Trennung von Geschichtsschreibung und Dichtung im Sinne einer strikten Trennung von Faktizität und Fiktion zitiert wird; vgl. dazu Gehrke (2014), 71–72. 45 Saïd (2005), 151–152. Nichtsdestoweniger ist sich auch Plutarch bewusst, dass der Historiker in der Regel nicht auf die Dinge selbst, sondern auf Berichte darüber zurückgreift: Plut. glor. Ath. 345e–f; Hirsch-Luipold (2002), 57–59. In Plut. Cic. 41.1 werden mythoi und logoi ganz selbstverständlich nebeneinander als Inhalte der (geplanten) Geschichtsschreibung Ciceros aufgeführt. Zu weit geht Hershbell (1993), 154–155, wenn er Plut. glor. Ath. 345c–347d als Indiz für eine grundsätzliche Aversion Plutarchs gegen die Geschichtsschreibung auffasst. 46 Plut. quaest. conv. I 9.627c–e; vgl. Plut. Alex. 60.1–6.
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erfassen, entgeht nichts ungesehen oder unkommentiert von dem, was schön oder gegenteilig geworden ist. Nun glaube ich, dass auch bei wahrhaftigen Taten dem allzu Untätigen schon jener Gedanke bezüglich der Geschichte ausreicht, wenn er nur die Hauptsache selbst und den Ausgang des Ereignisses erfährt, dass dagegen der Freund des Wertvollen und Schönen größeren Gefallen daran findet, Betrachter der Dinge, die wie von einer großartigen Kunst von der Tugend bewirkt wurden, je im Einzelnen zu sein, da er (obwohl zwar das Ergebnis im Hinblick auf den Zufall viel Gemeinsames hat) dennoch bei den Ursachen und den Fakten selbst im Einzelnen auf den Widerstreit der Tugend mit den Zufallserscheinungen und den waghalsigen Ideen im Angesicht des Schreckens blickt †und darauf, dass das Berechenbare mit Situation und Pathos vermischt ist†.47
Hier präsentiert Plutarch seine Poetologie der Geschichtsschreibung in konzentrierter, bildhafter Form, und dieses Bild besagt: Geschichtsschreibung ist selbst wie ein Gemälde.48 Plutarch differenziert zwischen verschiedenen potentiellen Rezipientengruppen: der unverständige Rezipient stellt keine Fragen an das Gemälde (die historische Erzählung), prüft nicht, und gewinnt letztlich nicht mehr als einen summarischen Gesamteindruck von dem, was er sieht. Seine Rezipientenhaltung ist vollständig passiv: er konsumiert das Bild der pragmata um der pragmata willen. Ganz anders der formal geschulte philotechnos, den Plutarch eigentlich adressiert. Dieser prüft und kommentiert jeden Einzelaspekt im Hinblick auf das darin enthaltene Gute und Schlechte (beides ist also Teil der Geschichtsschreibung). Seine Rezeption zielt mithin auf Abstraktion der dem Gemälde inhärenten Aussagen über die Vermischung von Ursache, Wirkung, Zufall und Ergebnis, von gut und schlecht, von äußeren Umständen, menschlichem pathos und – das letzte Ziel seiner Analyse – dem Wirken der moralischen Ideen (aretai).49
47 Plut. gen. Socr. 575b–d: Ζωγράφου τινός, ὦ Καφισία, μέμνημαί ποτε περὶ τῶν θεωμένων τοὺς γεγραμμένους πίνακας λόγον οὐ φαῦλον ἀκοῦσας ἐν εἰκόνι λελεγμένον. ἔφη γὰρ ἐοικέναι τοὺς μὲν ἰδιώτας καὶ ἀτέχνους θεατὰς ὄχλον ὁμοῦ πολὺν ἀσπαζομένοις, τοὺς δὲ κομψοὺς καὶ φιλοτέχνους, καθ’ ἕκαστον ἰδίᾳ τῶν ἐντυγχανόντων προσαγορεύουσι. τοῖς μὲν γὰρ οὐκ ἀκριβής, ἀλλὰ τύπῳ τινὶ γίνεται μόνον, ἡ τῶν ἀποτελεσμάτων σύνοψις, τοὺς δὲ, τῇ κρίσει κατὰ μέρος τὸ ἔργον διαλαμβάνοντας, οὐδὲν ἀθέατον οὐδὲ ἀπροσφώνητον ἐκφεύγει τῶν καλῶς ἢ τοὐναντίον γεγονότων. οἶμαι δὴ καὶ περὶ τὰς ἀληθινὰς πράξεις ὁμοίως τῷ μὲν ἀργοτέρῳ τὴν διάνοιαν ἐξαρκεῖν πρὸς ἱστορίαν εἰ τὸ κεφάλαιον αὐτὸ καὶ τὸ πέρας πύθοιτο τοῦ πράγματος, τὸν δὲ φιλότιμον καὶ φιλόκαλον τῶν ὑπ’ ἀρετῆς ὥσπερ τέχνης μεγάλης ἀπειργασμένων θεατὴν τὰ καθ’ ἕκαστα μᾶλλον εὐφραίνειν, ὡς τοὺ μὲν τέλους πολλὰ κοινὰ πρὸς τὴν τύχην ἔχοντος, τοὺς δ’ ἐν ταῖς αἰτίαις καὶ τοῖς ἔργοις αὐτοῖς ἐπὶ μέρους ἀγῶνας ἀρετῆς πρὸς τὰ συντυγχάνοντα καὶ τόλμας ἔμφρονας παρὰ τὰ δεινὰ καθορῶντα †καιρῷ καὶ πάθει μεμιγμένου λογισμοῦ†. 48 Vgl. Plut. aud. poet. 18a; glor. Ath. 345e–f. Zu Plutarchs Auffassung von der opsis als jenem Sinnesorgan, das dem Denken am ähnlichsten sei vgl. Plut. Is. et Os. 351c–d; ser. num. vind. 550d; Per. 1.2–4; Hirsch-Luipold (2002), 103–111; Van der Stockt (2005), 142–143; Dillon (2014), 62, 68. In Plut. Flamin. 1.1 wird auf eine Beschreibung der äußeren Erscheinung des T. Flamininus verzichtet, da jedermann dessen Statue am Circus Flamininus sehen könne. Zur Bildmetaphorik und Bedeutung der opsis im Allgemeinen bei Plutarch v. a. Nikolaidis (1997), 332–333 (Augenzeugenschaft); Hirsch-Luipold (2002) passim, 1–4 (ad loc.), 25–38 (Definition des Bildhaften); vgl. auch Van der Stockt (1990), 24–26; Geiger (2014), 293–294. Allgemein zum Stellenwert der opsis in der Geschichtsschreibung Gehrke (2014), 75–77 sowie die Beiträge von Felix K. Maier und Mario Baumann im vorliegenden Band. 49 Boake (1975), 134; Hirsch-Luipold (2002), 1–9, 25–38; vgl. Konstan (2004), 23–24; Saïd (2005), 160, 171–172.
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Die moralphilosophische Funktion historiographischer Narration bei Plutarch lässt sich demnach wie folgt zusammenfassen: • Geschichtsschreibung hat im Wesentlichen didaktische Funktion und dient der Vermittlung moralphilosophischer Erkenntnis mit dem Ziel der philosophischen Charakterbildung. • Diese Erkenntnis ist Folge einer Abstraktionsleistung: Die Narration eines Phänomens oder Ereignisses verweist als Zeichen auf die diesen zugrundeliegenden Einflüsse. Wichtigstes Erkenntnisziel sind die der Ideenwelt zuzurechnenden aretai, die der Rezipient von den in den Ereignissen enthaltenen Einflüssen der materiellen Realität oder der historischen Kontingenz (tychê) zu abstrahieren hat. • Voraussetzung für die Erkenntnis der Wirkung der Ideen, ist die alêtheia der Darstellung, die in der zuverlässigen Abbildung der verschiedenen Einflüsse und Ursachen (aitia) liegt, die die pragmata bestimmen. • Formale Gestaltung kann die Zugänglichkeit der alêtheia sowohl positiv als auch negativ beeinflussen, weshalb der Rezipient sie zu berücksichtigen hat. • Geschichtsschreibung und (auf Wahrscheinlichkeit zielende) dichterische Narration unterliegen im Wesentlichen denselben Regeln und können so im Erkenntnisprozess dieselbe Funktion erfüllen. Es besteht jedoch eine graduell höhere Plausibilität der historischen Erzählgegenstände, die unmittelbarer auf die realen pragmata verweisen. Das oben skizzierte Wahrheitskonzept soll nun an jener Schrift einer Überprüfung unterzogen werden, in der sich Plutarch am intensivsten mit der Geschichtsschreibung auseinandersetzt. 3. Plutarchs Antiherodot, oder sine ira et studio Eigentliches Ziel der Schrift Über den üblen Charakter Herodots ist weniger die Formulierung verbindlicher Regeln für die historiographische Narration als die Beschreibung jener Merkmale eines Textes, die die böse Gesinnung seines Autors zu erkennen geben.50 Im Folgenden geht es nicht darum, zu ermitteln, ob Plutarchs Kritik an Herodots Intentionen aus heutiger Warte als gerechtfertigt anzusehen sei oder nicht.51 Wichtig ist allerdings Seaveys Hinweis, dass Plutarch selbst keineswegs sine ira et studio über Herodot 50 Zur Definition der kakoêtheia vgl. Arist. Rhet. 1389b20; EE 1237b27; Boake (1975), 52–56, 109–113; Lachenaud (1981), 126–127; Hershbell (1993), 162; Ragogna (2002), 29–30. Die Kritik an Herodots ka koêtheia scheint in Manchem als Antwort auf den in Dion. Hal. Thuc. sowie ep. Pomp. 3 gegen Thukydides erhobenen Vorwurf des phthonos formuliert zu sein; Woodman (1988), 40–43 mit Anm. 252; Marincola (1994), 201–202 sowie De Jonge im vorliegenden Band. Vgl. zur Methode und Plausibilität kritischer Urteile und Entscheidungen bei Plutarch Boake (1975), 179–211; Pelling (1990), 22–35; Nikolaidis (1997). Vgl. für eine andere Deutung von de malignitate Scardino im vorliegenden Band. 51 Dieses Thema hat bisherige Studien zu de Herodoti malignitate bestimmt; vgl. Hohmeyer (1967); Boake (1975), 179–268; Lachenaud (1981), 117–126; Seavey (1991); Hershbell (1993), 151–161; Marincola (1994), 197–200; Teodorsson (1997), 440–443; Ramón Palem (2000), 391–398; Ragogna (2002), 31–41; Bello-
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schreibe. Jedoch ist aus dieser fraglos zutreffenden Beobachtung nicht der Schluss zu ziehen, dass sich Plutarch lediglich in rhetorisch-deklamatorischer Manier des Mittels der Invektive bediene, oder dass es sich bei der Schrift um einen wenig ernstgemeinten privaten Zeitvertreib handele.52 Vielmehr scheint es naheliegend, dass Plutarch, der auch sonst häufig Form und Inhalt miteinander verschmelzen lässt, hier das Problem der kakoêtheia auch dadurch anschaulich macht, dass er selbst gegen Herodot gezielt bösartig und damit die Tatsachen verzerrend argumentiert.53 Indem der Leser nicht nur am Werk Herodots, sondern zugleich am Beispiel von Plutarchs eigener Herodotkritik die problematische Wirkung einer von kakoêtheia geleiteten Darstellung vorgeführt bekommt, gewinnt er jenseits ausdrücklicher Explikation auch auf einer praktisch-anschaulichen Ebene ein Verständnis für das eigentliche Anliegen Plutarchs: die kritische Schulung des Lesers, die ihn die Lage versetzen soll, einen von kakoêtheia bestimmten Text als solchen zu erkennen und so den Blick nur auf das dennoch enthaltene ‚Wahre‘ zur richten.54 Kritisiert wird schon im Eingang der Schrift eine trügerische Qualität der herodoteischen Narration, die einen falschen Eindruck sowohl von der sprachlichen Qualität als auch von der Gesinnung ihres Verfassers bewirkt habe. Mit einem Zitat aus Platons Politeia bringt Plutarch zum Ausdruck, dass Herodots Vergehen nicht lediglich in seiner Gesinnung als Autor, sondern insbesondere in der Verschleierung dieser Gesinnung bestehe: Schon viele, Alexandros, hat Herodots [Lücke ca. 12 Zeichen] Stil getäuscht, glatt, wie er ist, und unbemüht und unmittelbar auf die Handlungen eingehend; aber noch mehr Leute haben diese Erfahrung in Bezug auf seinen Charakter gemacht. Denn nicht nur „ist es Zeichen schlimmsten Unrechts, gerecht zu scheinen ohne es zu sein“, wie Platon sagt, sondern es ist das Werk des Gipfels an übler Gesinnung, durch Imitation von Umgänglichkeit und Schlichtheit schwer zu erkennen zu sein. [Lücke ca. 160 Zeichen].55
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musto (2011); nur als Ausgangspunkt für eine Untersuchung zu Herodots literarischen Methoden bei Legrand (1932) und Casevitz (1995). Seavey (1991), 41–43; Hershbell (1993), 158–159; Ramón Palerm (2000); Ragogna (2002), 23–24, 28–29; dagegen weist Marincola (1994), 194–195, 198 mit Anm. 44 zurecht darauf hin, dass die von Seavey vorgebrachten Indizien für die rhetorische Natur der Schrift nicht den Schluss erlauben, dass es sich um eine wenig ernstgemeinte Deklamation handele, zumal eben die rhetorische Form des elenchos der antiken Literaturkritik im Allgemeinen eignet; vgl. schon Hohmeyer (1967), 186. So stimmen die ‚rhetorischen‘ Kategorien, die Ramón Palerm (2000), 391–398 Plutarch nachweisen will, im Wesentlichen mit den Kategorien überein, die Plutarch selbst auf Herodot anwendet; vgl. Pelling (2007), 155–162. Zur Verschmelzung von Form und Inhalt bei Plutarch im Allgemeinen vgl. Hirsch-Luipold (2002) passim. S. im Weiteren zu den Kategorien der Herodotkritik sowie zum Problem der Verzerrung der alêtheia infolge von kakoêtheia. Zu diesem Anliegen vgl. Marincola (1994), 191–194, mit dem Hinweis, dass Plutarch sich des Umstandes wohl bewusst sei, dass er gegen die communis opinio zu Herodot anschreibe. Stimmt man dieser Annahme zu, so ist es naheliegend, auch in Erwägung zu ziehen, dass Plutarch den Effekt bewusst kalkuliert haben könnte, dass man seine Herodotkritik als böswillig auffassen werde. Diese These kann an dieser Stelle nicht weiterverfolgt werden; eingehender zu überprüfen wäre insbesondere, inwiefern jene ‚Ungerechtigkeit‘, die man Plutarchs Herodotkritik üblicherweise vorzuwerfen pflegt, den von Plutarch selbst aufgestellten Kriterien zur Identifizierung von kakoêtheia entspricht. Plut. mal. 854e–f: Τοῦ Ἡροδότου [lac. 12] πολλοὺς μὲν, ὦ Ἀλέξανδρε, ἡ λέξις ὡς ἀφελὴς καὶ δίχα πόνου καὶ ῥᾳδίως ἐπιτρέχουσα τοῖς πράγμασιν ἐξηπάτηκε· πλείονες δὲ τοῦτο πρὸς τὸ ἦθος αὐτοῦ πεπόνθασιν. οὐ γὰρ μό-
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Dieses Zitat verwendet Plutarch in nahezu identischem Kontext – die Verschleierung eines Fehlers sei die schlimmste Ausprägung desselben – auch in der Schrift Wie man den Schmeichler vom Freund unterscheidet (Πῶς ἂν διακρίνειε τὸν κόλακα τοῦ φίλου / de adulatione), die der Herodotschrift in vielerlei Hinsicht eng verwandt ist.56 Der Schmeichelei (kolakeia) der einen Schrift steht der Begriff der Verleumdung (diabolê) in der anderen gegenüber.57 Unterschieden werden diese beiden Formen des Trugs, die Folge einer eigennützigen Haltung des Sprechers/Autors seien, von auf wohlmeinender Haltung (eumeneia) beruhendem Lob bzw. Tadel. Wie sehr sich die charakterliche Disposition des Schmeichlers und des kakoêthês gleichen, zeigt eine spätere Stelle der Schrift: Wie es aber scheint, besteht die eine einzige Art der Abwehr [sc. solcher Schmeichelei] im Erkennen und beständig Erinnern, dass, da die Seele einerseits Wahrhaftiges und dem Schönen Affines und Rationales an sich hat, andererseits Irrationales und dem Unwahren Affines und Leidenschaftliches, der Freund stets als Berater und Anwalt der besseren Sache beisteht, indem er sie wie ein Arzt das Gesunde fördert und bewahrt; dass zum anderen der Schmeichler dem Leidenschaftlichen und Irrationalen zur Seite steht, dass er es kratzt und kitzelt und verführt, dass er es rationaler Überlegung abspenstig macht, indem er ihm allerlei nutzlose vergnügliche Erfahrungen ersinnt […]. Auf diese Weise hat das Wort des Schmeichlers keinen Einfluss auf den, der Vernunft und Rationalität übt; jedoch wird den Aufmerksamen nicht entgehen, dass es ein gewisses erotisches Vergnügen kultiviert oder geistlose Leidenschaft anstachelt oder Neid provoziert oder einen widerlichen und eitlen Pomp verursacht oder im Leid mitjammert oder durch beständige Verleumdungen das Bösartige, Unfreie und Misstrauische stechend und schreckhaft und hochnäsig macht. Denn beständig regt es sich nach irgendeiner Leidenschaft und mästet diese, und stets ist es wie ein Geschwür an die Fäulnisse und Schwellungen der Seele angewachsen: „Du bist im Zorn? Strafe!“ – „Du hast Lust? Genieße!“ – „Du hast Furcht? Lass uns fliehen!“ – „Du hast einen Verdacht? Glaube es!“58 νον, ὥς φησιν ὁ Πλάτων, τῆς ἐσχάτης ἀδικίας μὴ ὄντα δοκεῖν εἶναι δίκαιον, ἀλλὰ καὶ κακοηθείας ἄκρας ἔργον ἐυκολίαν μιμούμενον καὶ ἁπλότητα δυσφώρατον εἶναι [lac. 160]. Vgl. Plat. Pol. 361a; Lachenaud (1981), 127; Boake (1975), 273–279; Hershbell (1993), 157–158; Grimaldi (2004), 137–138. 56 Plut. adul. 50e–f: […] ὡς γὰρ ὁ Πλάτων φησίν, ἐσχάτης ἀδικίας εἶναι δοκεῖν δίκαιον μὴ ὄντα, καὶ κολακείαν ἡγητέον χαλεπὴν τὴν λανθάνουσαν οὐ τὴν ὁμολογοῦσαν, οὐδὲ τὴν παίζουσαν ἀλλὰ τὴν σπουδάζουσαν· αὕτη γὰρ ἀναπίμπλησι καὶ τὴν ἂληθινὴν φιλίαν ἀπιστίας, συνεμπίπτουσαν αὐτῇ πολλάκις, ἂν μὴ προσέχωμεν […]. – „[…] Denn wie Platon sagt: ‚Es ist Zeichen schlimmsten Unrechts, gerecht zu scheinen ohne es zu sein‘, und so muss man jene Schmeichelei für unerträglich halten, die sich verbirgt, nicht jene, die offen erkannt wird, und nicht die scherzhaft, sondern die ernst gemeinte. Denn diese erfüllt auch die wahrhaftige Freundschaft mit Misstrauen, da sie häufig mit dieser zusammenfällt, wenn wir nicht achtgeben […].“ Vgl. Boake (1975), 250–253; Hershbell (1993), 150. 57 Diese Gegenüberstellung von kolax und kakoêthês findet sich auch in der Gegenüberstellung der (gleichermaßen von Plutarch abgelehnten) Berichte des Timaios und des Ephoros über den Tod des Philistos (Plut. Dion 35.3–36.2), von denen ersterer als auf Missgunst basierende blasphêmia, letzterer als ungerechtfertigtes Enkomion bezeichnet wird. 58 Plut. adul. 61d–f: Εἷς δέ τις ἔοικε τρόπος εἶναι φυλακῆς τὸ γιγνώσκειν καὶ μνημονεύειν ἀεὶ ὅτι τῆς ψυχῆς τὸ μὲν ἀληθινὸν καὶ φιλόκαλον καὶ λογικὸν ἐχούσης, τὸ δ’ ἄλογον καὶ φιλοψευδὲς καὶ παθητικόν, ὁ μὲν φίλος ἀεὶ τῷ κρείττονι πάρεστι σύμβολος καὶ συνήγορος, ὥσπερ ἰατρὸς τὸ ὑγιαῖνον αὔξων καὶ διαφυλάττων, ὁ δὲ κόλαξ τῷ παθητικῷ καὶ ἀλόγῳ παρακάθηται, καὶ τοῦτο κνᾷ καὶ γαργαλίζει καὶ ἀναπείθει, καὶ ἀφίστησι τοῦ λογισμοῦ, μηχανώμενος αὐτῷ πονηράς τινας ἡδυπαθείας. […] οὕτως ὁ τοῦ κόλακος λόγος οὐδὲν τῷ φρονοῦντι καὶ λογιζομένῳ προστίθησιν, ἀλλ’ ἡδονήν τινα τιθασεύων ἔρωτος ἢ θυμὸν ἐντείνων ἀνόητον ἢ διερεθίζων φθόνον
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Hier stellt Plutarch nicht nur ausdrücklich einen Zusammenhang von kolakeia und kakoêtheia her, sondern er bindet diese zugleich in seine epistemologischen Vorstellungen ein: Schmeichelei und Verleumdung stehen außerhalb der Aktivitäten der Denkseele – hier als ‚dem Schönen affin‘ (φιλόκαλον), ‚wahrheitsbezogen‘ (ἀληθινόν) und ‚rational‘ (λογικόν) bezeichnet. Auf Seiten dieses Seelenteils steht der wahre Freund, der seine Äußerung nach dem moralisch Besseren ausrichtet. Umso stärker wirken kolakeia und diabolê auf den weltzugewandten Seelenteil – beschrieben als ‚passiv‘ (παθητικόν), ‚dem Unwahren affin‘ (φιλοψευδές) und ‚irrational‘ (ἄλογον). Hier bewirken sie allerlei emotionale Affekte wie Lust, Zorn, Neid, Hoffart usw.; und schließlich sorgen sie dafür, dass die Bösartigkeit (κακοήθεια) besonders schwerwiegende Formen annimmt. Der Zusammenhang mit den in Kapitel 2 erläuterten epistemologischen Konzepten ist augenscheinlich. Vergleichbares findet sich auch in der komplementären Herodotschrift, wenngleich nicht in dieser prägnanten und konzentrierten Formulierung. Plutarch stellt den konkreten Textbeispielen, die er als Belege für Herodots kakoêtheia anführt, zunächst einen definitorischen Abschnitt voran, in dem er insgesamt acht Kriterien zum Nachweis der kakoêtheia benennt.59 Um das zugrundeliegende Konzept der historiographischen alêtheia zu identifizieren, scheint es zielführend, diese kategorialen Typen der trügerischen Darstellung in den Blick zu nehmen. Die erste Urteilskategorie ist sprachlicher Natur und betrifft die affekterzielende Intensität des sprachlichen Ausdrucks: Nicht die Verwendung diskreditierender Wortwahl an sich wird kritisiert, sondern ihr Einsatz im Übermaß und aus den falschen Motiven.60 Verwandt ist die zweite Kategorie, die die Stoffauswahl und mithin den sachlichen Inhalt betrifft. Die Einbindung diskreditierender Informationen sei dann zu kritisieren, wenn sie extra rem erfolge und somit dazu diese, eine Wertung zu insinuieren, die nichts mit dem eigentlichen Sachverhalt zu tun habe.61 Umgekehrt sei
ἢ φρονήματος ὂγκον ἐμποιῶν ἐπαχθῆ καὶ κενὸν ἢ λύπῃ συνεπιθρηνῶν ἠ τὸ κακοηθὲς καὶ ἀνελεύθερον καὶ ἄπιστον ἀεί τισι διαβολαῖς καὶ προαισθήσεσι δριμὺ καὶ ψοφοδεὲς ποιῶν καὶ ὕποπτων οὐ διαφεύξεται τοὺς προσέχοντας. ἀεὶ γὰρ ὑφορμεῖ τινι πάθει καὶ τοῦτο πιαίνει, καὶ πάρεστι βουβῶνος δίκην ἑκάστοτε τοῖς ὑπούλοις καὶ φλεγμαίνουσι τῆς ψυχῆς ἐπιγιγνόμενος. ὀργίζῃ; κόλασον. ἐπιθυμεῖς; ὤνησαι. φοβῇ; φύγωμεν. ὑπονοεῖς; πίστευτον. 59 Plut. mal. 885b–856d; Hohmeyer (1967), 181–182; Boake (1975), 246–268; Lachenaud (1981), 110; Seavey (1991), 37; Bowen (1992), 4 (mit der kaum haltbaren Auffassung, Plutarch ignoriere die Kategorien im Weiteren); Hershbell (1993), 153; (1997), 240; Marincola (1994), 195–197; Teodorsson (1997), 440–441; Bellomusto (2011), 29. 60 Plut. mal. 855b: Πρῶτον μὲν οὖν ὁ τοῖς δυσχερεστάτοις ὀνόμασι καὶ ῥήμασιν, ἐπιεικεστέρων παρόντων, ἐν τῷ λέγειν τὰ πεπραγμένα χρώμενος […] οὐκ εὐμενής ἐστιν, ἀλλ’ οἷον ἀπολαύων τῷ †σοφῶς† διηγήσθαι τοῦ πράγματος. – „Erstens also ist, wer, wenn er Fakten in Worte fasst, die unerträglichsten Begriffe und Ausdrücke verwendet, obwohl angemessenere zur Verfügung stehen würden, nicht wohlmeinend, sondern er zieht Genuss aus seiner †‚weisen‘† Darstellung des Tatbestands.“ 61 Plut. mal. 855b: Δεύτερον, εἴ τῳ κακὸν πρόσεστιν ἄλλως τῇ δ’ ἱστορίᾳ μὴ προσῆκον, ὁ δὲ συγγραφεὺς ἐπιδράττεται τούτου καὶ παρεμβάλλει τοῖς πράγμασιν ἐπεξάγων καὶ κυκλούμενοις, ὅπως ἐμπεριλάβῃ ἀτυχημά τινος ἢ πρᾶξιν ἂτοπον καὶ οὐ χρηστήν, δῆλός ἐστιν ἡδόμενος τῷ κακολογεῖν. – „Wenn zweitens jemand etwas Schlechtes an sich hat, das nichts mit der historia zu tun hat, und der Verfasser es aber an sich reißt und zwischen die relevanten Fakten einfügt, dies ausbreitend und darum kreisend, so dass er irgendein
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es drittens Zeichen böser Gesinnung, wenn man Vorteilhaftes, das sachrelevant wäre, unterschlage.62 Diese drei Kategorien beziehen sich auf die Einseitigkeit einer Darstellung bzw. darauf, dass ein bestimmter Aspekt des Erzählten durch tendenziöse Sprache oder Stoffselektion, also auf dem Wege formaler Gestaltung, im Übermaß hervorgehoben wird. Dabei gilt in allen Fällen, dass die moralische Qualität dessen, was erzählt oder verschwiegen wird, nicht zur Debatte steht: Auch wenn ein Vorwurf zutreffend ist, so er dort böswillig angebracht, wo er nichts zur Sache tut.63 Ein Zusammenhang mit dem Problem der alêtheia besteht hier nur implizit:64 Die Überbetonung eines bestimmten Sachverhalts, sei er auch noch so zutreffend, verzerrt den Gesamteindruck, indem das Verhältnis unterschiedlicher Einflüsse und Aspekte, die mîxis, nicht gewahrt bleibt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Ausdehnung oder Verkürzung eines Sachverhalts in der Narration nicht unmittelbar auf ein übergeordnetes leitendes Erzählziel ausgerichtet ist.65 Die Frage nach der Ausgewogenheit der Darstellung verweist also implizit auf die poetologische Definition der mimêsis als Annäherung an die alêtheia und spielt für Plutarch offenbar auch bei der Bewertung von Historiographie eine Rolle. Bestätigt wird dies durch die weiteren Urteilskategorien: Das nächste Kriterium, das Plutarch nennt, führt die Möglichkeit ein, dass sich der Historiograph mit konkurrierenden, voneinander abweichenden, Quellenberichten zu ein und demselben Sachverhalt konfrontiert sieht. Hier sei es abzulehnen, wenn in einem solchen Fall die weniger glaubwürdige Version vorgezogen werde.66 Geht es hier
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Missgeschick oder eine abwegige und nicht nützliche Tat miteinschließt, dann empfindet dieser eindeutig Lust daran, schlecht über andere zu reden.“ Plut. mal. 855d: Καὶ μὴν τὸ γ’ ἀντίστροφον τούτῳ παντὶ δῆλον ὡς καλοῦ τινος καὶ ἀγαθοῦ παράλειψίς ἐστιν, ἀνυπεύθυνον δοκοῦν πρᾶγμα εἶναι, γινόμενον δὲ κακοήθως, ἅνπερ ἐμπίπτῃ τὸ παραλειφθὲν εἰς τόπον προσήκοντα τῇ ἱστορίᾳ. – „Und für jeden erkennbar ist, dass der Gegensatz dazu das Beiseitelassen von Schönem und Gutem ist. Nun scheint man diesem Tatbestand keinen formalen Vorwurf machen zu können, aber er kommt aus böser Gesinnung zustande, wenn es sich trifft, dass das Beiseitegelassene an der betreffenden Stelle mit der historia zu tun hat.“ Vgl. die Kritik des Dionysios an Thukydides’ Unterschlagung heroischer Taten der Athener in Dion. Hal. ep. Pomp. 3.15; s. dazu De Jonge im vorliegenden Band. Als Beispiel vorbildhafter auktorialer Haltung führt Plut. mal. 855c die Darstellung des Hyperbolos in Thuk. 8.73.3 an. Für Thukydides sei lediglich relevant, dass Hyperbolos einen schlechten Charakter besessen habe, nähere Exempla seien zur Illustration irrelevant, da Hyperbolos’ Charakter nicht eigentlicher Gegenstand der Narration sei. Folgerichtig verzichte Thukydides auf solche Beispiele. Vgl. dazu Plutarchs eigenen Bericht zu Hyperbolos Plut. Nic. 11.3–4. Vgl. aber zum Gegensatz zwischen kakoêtheia und alêtheia Plut. adul. 61d–f (s. o. S. 100 mit Anm. 58). Dass Plutarch selbst, jedenfalls in den bioi, in eben jener Weise der Ausdehnung oder Verkürzung des Materials eingreift, hat Pelling (1980), 127–131 gezeigt; vgl. auch (2007), 153–155; s. dazu aber u. Anm. 89. Vgl. außerdem die Kritik an Timaios’ böswilliger und Ephoros’ schmeichlerischer Missachtung der mîxis in Plut. Dion 35.3–36.2. Plut. mal. 855e: Τέταρτον τοίνυν τίθεμαι σημεῖον οὐκ εὐμενοῦς ἐν ἱστορίᾳ τρόπου τὸ δυοῖν ἢ πλειόνων περὶ ταὐτοῦ λόγων ὄντων τῷ χείρονι προστίθεσθαι. τοῖς γὰρ σοφισταῖς ἐφεῖται πρὸς ἐργασίαν ἢ δόξαν ἔστιν ὅτε τῶν λόγων κοσμεῖν τὸν ἥττονα παραλαμβάνοντας. οὐ γὰρ ἐμποιοῦσι πίστιν ἰσχυρὰν περὶ τοῦ πράγματος οὐδ’ ἀρνοῦνται πολλάκις εἰς τὸ παράδοξον ἐπιχειρεῖν ὑπὲρ τῶν ἀπίστων. ὁ δ’ ἱστορίαν γράφων ἃ μὲν οἶδεν ἀληθῆ λέγειν δίκαιός ἐστι, τῶν δ’ ἀδήλων τὰ βελτίονα δοκεῖν ἀληθῶς λέγεσθαι μᾶλλον ἢ τὰ χείρονα. πολλοὶ δ’ ὅλως τὰ χείρονα παραλείπουσιν […]. – „Als viertes Anzeichen für eine nicht wohlmeinende Art und Weise in der historia lege ich schließlich fest: das Bevorzugen der schlechteren, wenn es zwei oder mehr Aussagen über dieselbe Sache gibt. Es kommt vor, dass man es den Sophisten nachsieht, wenn sie ihre Reden im In-
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um die Beurteilung der Plausibilität des Sachverhaltes selbst, so verweist die fünfte Kategorie erstmals unmittelbar auf den Prozess der induktiven Abstraktion auf eine höhere Erkenntnisebene: Wenn zwar der Sachverhalt selbst klar, jedoch die zugrundeliegenden Ursachen (aitia) unklar seien, erweise sich der als böswillig, der trotz solcher Unklarheit den Handelnden schlechte Motive unterstelle.67 Wiederum ist das Problem der alêtheia einer Darstellung nicht ausdrücklich angesprochen – das Stichwort der aitia legt es aber auch hier nahe, die epistemologischen Vorstellungen von der ‚Wahrheit‘ als Erkenntnis über die Ursachen hinter den Dingen zugrundezulegen. Verzerrende oder mutmaßende Äußerungen zu den aitia versperren demnach den Zugang zur alêtheia.68 Ganz verwandt ist auch die sechste Kategorie, in der es nun nicht darum geht, dass gute oder schlechte Motive und Denkungsarten (dianoiai) in verzerrender Weise gegeneinander ausgespielt werden, sondern die Einflüsse unterschiedlicher ontologischer Ebenen in ein falsches Verhältnis gesetzt (oder ganz einseitig beschrieben) werden: Böswillig sei, wer falsche Ursachen für die Leistungen seiner Protagonisten angebe, indem er, was durch Tugend, Anstrengung oder Vernunft (also aretai) bewirkt wurde, auf Zufall (tyche), leichte Bewerkstelligung oder materielle Hilfsmittel (also auf äußere Einflüsse der Erfahrungswelt) zurückführe.69 Die Darstellung also, die den Einfluss der aretai oder allgemeiner der Ideen gegenüber den Äußerlichkeiten der pragmata mar-
teresse ihres Geschäftes oder ihres Ansehens dadurch schmücken, dass sie den schwächeren Standpunkt übernehmen. Denn sie bewirken keinen festen Glauben an den betreffenden Tatbestand, und sie leugnen auch nicht oft, dass sie sich zum Zwecke des Paradoxen für das Unglaubwürdige einsetzen. Wer aber historia schreibt, tut recht daran, einerseits das wahr zu nennen, was er weiß, andererseits bei unklaren Dingen eher das Bessere wahr zu nennen als das Schlechtere. Viele lassen das Schlechtere aber ganz beiseite […].“ Plutarch ignoriert bei der Benennung dieses Kriteriums im Zuge seiner Herodotkritik, dass Herodots explizite quellenkritische Grundsätze gerade nicht auf derartige kakoêtheia verweisen müssten; vgl. etwa Hdt. 2.123.1 zur Wiedergabe konkurrierender Versionen über einen Sachverhalt. 67 Plut. mal. 855 f.: Ἔτι δὲ τοίνυν ἐπὶ τῶν ὁμολογουμένων πεπρᾶχθαι, τὴν δ’ αἰτίαν ἀφ’ ἧς πέπρακται καὶ τὴν διάνοιαν ἐχόντων ἄδηλον, ὁ πρὸς τὸ χεῖρον εἰκάζων δυσμενής έστι καὶ κακοηθής. – „Weiter schließlich: Wenn Übereinstimmung darüber besteht, dass etwas getan wurde, jedoch der Grund, aus dem es getan wurde oder die Überlegung dahinter unklar bleiben, dann ist derjenige bösemeinend und von übler Gesinnung, der auf das Schlechtere verweist.“ 68 Vgl. aber Pelling (1980), 131–135, der den Grund dafür, dass Plutarch in unterschiedlichen bioi denselben Protagonisten in identischen Kontexten verschiedene Handlungsmotive zuschreibt, in den jeweiligen Leitmotiven des einzelnen bios sieht. 69 Plut. mal. 856b.c: „Δέχεται δὲ καὶ παρὰ τὸν τρόπον τοῦ ἔργου διήγησις ἱστορικὴ κακοήθειαν, ἂν χρήμασι φάσκῃ μὴ δι’ ἀρετῆς κατειργάσθαι τὴν πρᾶξιν, ὡς Φίλιππον ἔνιοι φάσκουσιν· ἂν σύν οὐδενὶ πόνῳ καὶ ῥᾳδίως, ὡς Ἀλέξανδρον· ἂν μὴ φρονίμως ἀλλ’ εὐτύχως, ὡς Τιμόθεον οἱ ἔχθροι, γράφοντες ἐν πίναξιν εἰς κύρτον τινὰ τὰς πόλεις αὐτὰς, ἐκείνου καθεύδοντος, ὑποδυομένας. δῆλον γὰρ ὃτι τῶν πράξεων ἐλαττοῦσι τὸ μέγεθος καὶ τὸ κάλλος οἱ τὸ γενναίως καὶ φιλοπόνως καὶ κατ’ ἀρετὴν καὶ δι’ αὑτῶν ἀφαιροῦντες.“ – „Die historische Darstellung nimmt aber auch dann eine üble Gesinnung an, die der Art und Weise einer Leistung nicht gerecht wird, wenn sie behauptet, eine Tat sei durch Geld und nicht durch Tugend bewirkt worden (wie es einige von Philipp behaupten); oder ohne jede Mühe und leicht (Alexander); oder nicht aus praktischer Vernunft sondern aus günstigem Glück (die Feinde über Timotheos, wenn sie in einem Bild schreiben, die Poleis hätten sich selbst in eine Art Reuse begeben, während jener schlief). Denn es ist klar, dass man die Größe und Schönheit der Taten kleinredet, wenn man ihnen den Anspruch nimmt, sie seien in edler Gesinnung und Bereitschaft zur Mühe und tugendgemäß und von ihnen selbst vollbracht worden.“
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ginalisiert,70 wird nach Plutarch der alêtheia nicht gerecht – die moderne Strukturgeschichte wäre Plutarch wohl ein Gräuel gewesen! Die beiden letzten Kategorien schließlich betreffen nun die eingangs angesprochene Verschleierung der Intentionen des Autors: Zum einen sei es immer noch besser, jemanden ganz offen zu verleumden, als dies im Verborgenen zu tun. Zum anderen sei es ebenfalls eine Form von Verschleierung, wenn man zwar offen kritisiere, diese Kritik aber durch vermeintliches anderweitiges Lob abzuschwächen suche.71 Das Thema der verzerrenden Darstellung der Dinge samt ihrer Ursachen ist auch hier implizit präsent. Denn die Verschleierung der eigenen Haltung ist gleichbedeutend mit einer Falschaussage über die der historiographischen Darstellung zugrundeliegenden Ursachen. Die normative Relevanz dieses Punktes kann kaum überschätzt werden, denn letztlich spricht Plutarch hier implizit die Forderung nach transparenter Offenlegung der Motive und Ziele aus, die Geschichtsschreibung verfolgt.72 Der Geschichtsschreiber, der glaubt, seine Motive verschleiern zu müssen, agiert, wie die Analogie zum Schmeichler nahelegt, aus eigennützigen Motiven, die im Wesentlichen dem Bereich der pathê zugehören. Genau hierin liegt auch die Unfreiheit eines von kakoêtheia getriebenen Autors – er muss sich auch in seiner Selbstdarstellung an die äußeren Umstände anpassen. Sämtliche Kategorien, die Plutarch im Zuge seiner Herodotkritik benennt, weisen also Bezüge zu seinen epistemologischen und poetologischen Vorstellungen auf und werden durch diese besser verständlich. Bemerkenswert ist, dass dies zugleich bedeutet, dass die kritischen Kategorien, die in Über den üblen Charakter Herodots benannt wer70 Ein markantes Beispiel bietet Plut. mal. 872d–873a; vgl. Plut. Publ. 17.1–2 sowie die ähnliche Auffassung bei Pol. 10.2.1–7. Marincola (1994), 196 übersieht die epistemologischen Grundlagen dieser Kategorie, wenn er annimmt, Plutarch wolle hier zum Ausdruck bringen, dass die tychê niemals als maßgeblicher Einfluss beschrieben werden dürfe; tatsächlich spricht Plutarch davon, dass sie dann nicht diesen Status zugeschrieben bekommen sollte, wenn in der Sache die aretê eine Tat bewirkt hat. 71 Plut. mal. 856c: Ἔστι τοίνυν τοῖς ἀπ’ εὐθείας οὓς βούλονται κακῶς λέγουσι δυσκολίαν ἐπικαλεῖν καὶ θρασύτητα καὶ μανίαν ἐὰν μὴ μετριάζουσιν· οἱ δὲ πλαγίως οἷον ἐξ ἀφανοῦς βέλεσι χρώμενοι ταῖς διαβολαῖς, εἶτα περιιόντες ὀπίσω καὶ ἀναδυόμενοι τῷ φάσκειν ἀπιστεῖν ἃ πάνυ πιστεύεσθαι θέλουσιν, ἀρνούμενοι κακοήθειαν ἀνελευθερίαν τῇ κακοηθείᾳ προσφλισκάνουσιν. Ἐγγὺς δὲ τούτων εἰσὶν οἱ τοῖς ψόγοις ἐπαίνους τινὰς παρατιθέντες, ὡς ἐπὶ Σωκράτους Ἀριστόξενος, ἀπαίδευτον καὶ ἀμαθῆ καὶ ἀκόλαστον εἰπών, ἐπήνεγκεν ἀδικία δ’ οὐ προσῆν. ὥσπερ γὰρ οἱ σύν τινι τέχνῃ καὶ δεινότητι κολακεύοντες ἔστιν ὅτε πολλοῖς καὶ μακροῖς ἐπαίνοις ψόγους παραμιγνύουσι ἐλαφροὺς, οἷον ἥδυσμα τῇ κολακείᾳ τὴν παρρήσιαν ἐμβάλλοντες, οὕτω τὸ κακόηθες εἰς πίστιν ὧν ψέγει προϋποτίθεται τὸν ἔπαινον. – „Man kann schließlich denen, die ganz direkt schlecht über Leute reden, bei denen sie das wollen, den Vorwurf der Garstigkeit und der Dreistigkeit und des Wahnsinns machen, wenn sie kein Maß halten. Die aber Verleumdungen indirekt, wie Geschosse aus dem Verborgenen, verwenden, dann aber von der anderen Seite kommen und auftauchen, indem sie nicht zu glauben behaupten, wovon sie ganz und gar wollen, dass man es glaube, die handeln sich dadurch, dass sie die üble Gesinnung leugnen, zusätzlich zur üblen Gesinnung noch [sc. den Vorwurf der] Unfreiheit ein. Diesen stehen jene nahe, die ihrem Schimpf gewisses Lob zur Seite stellen, so wie Aristoxenos gegen Sokrates, der ihn ungebildet und ungelehrt und zügellos nennt und hinzufügt: ‚Aber Unrecht war keines dabei.‘ Denn wie es bei denen, die mit einer gewissen Kunstfertigkeit und Fähigkeit schmeicheln, vorkommt, dass sie vielen und großartigen Lobreden geringfügigen Schimpf beimischen, so dass sie das ‚offene Wort‘ wie zur Versüßung der Schmeichelei hinzufügen, so schickt der übel Gesinnte zum Zwecke der Glaubwürdigkeit dem, was er schimpft, ein Lob voraus.“); vgl. 863b–d (zu Hdt. 7.150.3–152.3). Ganz missverstanden sind diese Kategorien bei Marincola (1994), 196, der meint, hier werde jegliche Kritik als böswillig denunziert. 72 Hershbell (1993), 156. Auch hierin steht Plutarch Thukydides nahe; vgl. Thuk. 1.22–23; Ragogna (2002), 31.
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den, strenggenommen für jede Literaturgattung und insbesondere auch für die Dichtung Gültigkeit haben müssten, insofern sie von Plutarchs allgemeiner Poetologie geprägt sind.73 In diesem Zusammenhang ist die Feststellung des Dionysios von Halikarnassos, des größten Bewunderers Herodots unter den antiken Kritikern, von einigem Interesse, dass Herodot, der erst der zweiten Generation der Historiographen angehört habe, gleichwohl der erste gewesen sei, der diese literarische Gattung mit den entscheidenden stilistischen Qualitäten verbunden habe (τῇ λέξει προσαπέδωκε […] ἀρετάς),74 wobei insbesondere die rhetorisch-stilistische Gestaltung bei Herodot der des Thukydides überlegen sei.75 Jedenfalls für Plutarch scheint es plausibel anzunehmen, dass dieser gerade deshalb Herodot zum Ziel seiner metahistorischen Kritik macht, weil dessen Werk auch für die antike Literaturkritik den Beginn der literarischen Geschichtsschreibung darstellte: Mit der poetischen Gestaltung des Materials verknüpft Herodot in Plutarchs Augen die bloße mimêsis der Fakten mit der gerade für die moralphilosophische Bildung von Laien und jungen Philosophen notwendigen ästhetischen Attraktivität (terpon), mithin mit eben jener Ausrichtung auf hêdonê, die Dionysios an Herodot so sehr bewundert. Damit trägt er aber zugleich den Trug bzw. das Potential dazu in sein Werk und macht so eine kritische Instruktion erforderlich, die es dem Leser ermöglicht, die verschiedenen auf die Narration wirkenden Einflüsse (pragmata samt weltlichen und noetischen Ursachen, Intentionen des Autors etc.) zu identifizieren und so das in der Darstellung enthaltene ‚Wahre‘ zu induzieren. Und so nimmt es nicht wunder, dass Plutarch seine Herodotkritik mit Hinweisen zum trügerischen terpon des herodoteischen Stils sowohl eröffnet als auch beschließt.76 4. Die Wahl der Exempla in den bioi Abschließend soll in exemplarischer Form auf die Frage eingegangen werden, inwieweit sich diese moralphilosophische Metahistorik Plutarchs auch in seinen bioi wiederfinden lässt. Bei aller wohlbekannten Abgrenzung der Biographie von der Historiographie bei Plutarch (etwa im locus communis, dem Proömium des Alexanderbios)77 zeugen so-
73 S. o. Abschnitt 2.2. 74 Dion. Hal. Thuc. 5 (s. zu diesem Text De Jonge im vorliegenden Band). Vgl. auch die Bewertung Herodots als eines Prosa-Homer in SEG 48, 1330 col. II, 43 f. sowie in Dion. Hal. ep. Pomp. 3; Thuc. 23; [Longin.] subl. 13.3; dazu Boake (1975), 22–33; Marincola (1994), 201–202; Isager (1998). 75 Dion. Hal. ep. Pomp. 3.16–21, v. a. 19–20. 76 Plut. mal. 854e, 874b; vgl. suav. viv. 1093b; Hohmeyer (1967), 185–186; Boake (1975), 48–51, 273–279; Hershbell (1993), 152–153; Ragogna (2002), 29–30. Vgl. zu Plutarchs Haltung gegenüber sprachlicher Stilistik Nikolaidis (1997), 333–334. 77 Plut. Alex. 1.2–3; vgl. Galb. 2.3; Fab. Max. 16.5. Allgemein zu den programmatischen Abschnitten der bioi: Plut. Galb 2.3; Fab. Max. 16.5; Pelling (1980), 135–136; Hershbell (1997), 225–232; Duff (1999), 13–51; Hirsch-Luipold (2002), 1–4, 42–47; Cooper (2004), 33–34, 37–38, 46–50; Kaesser (2004), 362–365; Bosman (2011), 93; Geiger (2014), 293–294; Schettino (2014), 417 (mit einer Fehleinschätzung zu Plutarchs angeblicher Forderung nach Faktentreue).
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wohl seine kritische Methode78 als auch die häufigen metapoetischen Reflexionen79 in den Biographien von der Verwandtschaft beider Gattungen. Wie aber ist diese Verwandtschaft zu qualifizieren? Meines Erachtens steht, was Plutarch als historiê bezeichnet, insofern der plutarchischen Biographie nahe, als die Intention beider Gattungen im Feld der Moralphilosophie zu suchen ist. Genaugenommen ist die Biographie bei Plutarch eine spezielle Form der historiê. Dies wird unter anderem im Proömium des Kimonbios deutlich: […] Da ich die Abbildung, die den Charakter und die Haltung aufscheinen lässt, für viel schöner halte als jene, die Leib und Aussehen nachahmt, wollen wir in unseren Parallelbiographien die Taten des Mannes aufgreifen, und das Wahre daran erörtern. Denn schon deren Erwähnung selbst ist hinreichender Dank: Aber auch er [sc. Kimon] selbst würde es wohl nicht für angemessen halten, wenn er als Lohn für das Bezeugen des Wahren eine erlogene und fiktive Darstellung über sich erhielte. Wie wir es nämlich für angemessen halten, dass jene, die malen, was schön ist und großen Liebreiz hat, weder es ganz beiseitelassen, wenn eine unangenehme Kleinigkeit dazugehört, noch dies bis ins Detail ausarbeiten (denn das eine macht das Aussehen schändlich, das andere unähnlich), so muss ich, da es ja schwierig, ja nachgerade nicht zu bewerkstelligen ist, das Leben eines Menschen als ohne Schimpf und rein zu präsentieren, zu dem Schönen Ergänzungen – gleichsam eine Angleichung an die Wahrheit – vornehmen. Denn auf aus gewisser Leidenschaft oder politischer Notwendigkeit mit den Taten einhergehende Verfehlungen und Makel darf ich, wenn ich sie eher für Defizite in der einen oder anderen Tugend halte als für eines Übels Niedertracht, nicht allzu bereitwillig und übermäßig in der historiê hinweisen, sondern ich muss sie wiedergeben, als schämte ich mich für die menschliche Natur, wenn es den schönen Charakter, rein und unumstritten im Hinblick auf die Tugend, nicht gibt.80
Die Biographien Plutarchs sind Abbilder des êthos der jeweils beschriebenen Personen; damit verweisen sie auf die aretai, die diese Charaktere prägen. Auf identische Weise wird, wie gesehen, in de genio Socratis die Funktion der historiê als Abbild beschrieben.81 78 Boake (1975), 179–268; Pelling (1990); Nikolaidis (1997); Badian (2003). 79 Dazu Pelling (1980), 135–136; Cooper (2004), 34–45. 80 Plut. Cim. 2.3–5: […] εἰκόνα δὲ πολὺ καλλίονα νομίζοντες εἶναι τὴς τὸ σῶμα καὶ τὸ πρόσωπον ἀπομιμουμένης τὴν τὸ ἦθος καὶ τὸν τρόπον ἐμφανίζουσαν, ἀναληψόμεθα τῇ γραφῇ τὼν παραλλήλων βίων τὰς πράξεις τοῦ ἀνδρὸς, τἀληθῆ διεξιόντες. ἀρκεῖ γὰρ ἡ τῆς μνήμης χάρις· ἀληθοὺς δὲ μαρτυρίας οὐδ’ ἂν αὐτὸς ἐκεῖνος ἠξίωσε μισθὸν λαβεῖν ψευδῆ καὶ πεπλασμένην ὑπὲρ αὐτοῦ διήγησιν. Ὥσπερ γὰρ τοὺς τὰ καλὰ καὶ πολλὴν ἔχοντα χάριν εἴδη ζῳγραφοῦντας, ἂν προσῇ τι μικρὸν αὐτοῖς δυσχερές, ἀξιοῦμεν μήτε παραλιπεῖν τοῦτο τελέως μἠτε ἐξακριβοῦν· τὸ μὲν γὰρ αἰσχράν, τὸ δ’ ἀνομοίαν παρέχεται τὴν ὄψιν· οὕτως ἐπεὶ χαλεπόν έστι, μᾶλλον δ’ ἴσως ἀμήχανον, ἀμεμφῆ καὶ καθαρὸν ἀνδρὸς ἐπιδεῖξαι βίον, ἐν τοῖς καλοῖς ἀναπληρωτέον ὥσπερ ὁμοιότητα τὴν ἀληθείαν. τὰς δ’ ἐκ πάθους τινὸς ἢ πολιτικῆς ἀνάγκης ἐπιτρεχούσας ταῖς πράξεσιν ἁμαρτίας καὶ κῆρας ἐλλείματα μᾶλλον ἀρετῆς τινος ἢ κακίας πονηρεύματα νομίζοντας οὐ δεῖ πανὺ προθύμως ἐναποσημαίνειν τῇ ἱστορίᾳ καὶ περιττῶς, ἀλλ’ ὥσπερ αἰδουμένους ὑπὲρ τῆς ἀνθρωπίνης φύσεως, εἰ καλὸν οὐδὲν εἰλικρινὲς οὐδ’ ἀναμφισβήτητον εἰς ἀρετὴν ἦθος γεγονὸς ἀποδίδωσιν; vgl. Plut. Aem. Paul. 1; Alex. 1.2–3; Per. 1.2–3; Boake (1975), 133, 136; Hershbell (1993), 155–156; (1997), 231–233, 240; Duff (1999), 14–22, 30–45; Hirsch-Luipold (2002), 48–50, 56–59, 103–111; Cooper (2004), 46–47; Kaesser (2004), 362–367, 371–374; vgl. Saïd (2005), 167; Van der Stockt (2005), 139, 142–143; Geiger (2014), 293–296. 81 Plut. gen. Socr. 575b–d (s. o. S. 96 f. mit Anm. 47); vgl. Plut. glor. Ath. 345e–f; suav. viv. 1092e–1093c; Thes. 1; Hirsch–Luipold (2002), 1–4, 56–59; Geiger (2014), 293–294.
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Der Unterschied zwischen historiê und bios liegt in der Natur der beschriebenen Gegenstände: Die Biographie zielt deshalb unmittelbarer auf die Erkenntnis der aretai, weil ihr Gegenstand der Charakter der Handelnden ist, der in der Historiographie, welche die Handlungen selbst beschreibt, erst induktiv erschlossen werden muss. Während also beide Gattungen moralphilosophische Erkenntnisse bezwecken, liegen diese in der Biographie aufgrund der thematischen Schwerpunktsetzung näher – wobei bemerkenswerterweise beiden Gattungen die Verwendung fiktionaler Elemente gleichermaßen attestiert wird.82 Aus dieser engen Fokussierung auf das êthos ergibt sich auch die von Plutarch immer wieder formulierte Regel zur biographischen heurêsis: Wenn nicht das Ereignis, in dem die beschriebene Person mitwirkt, Gegenstand der Darstellung ist, sondern die Person selbst, dann spielen Details der Ereignisgeschichte oder chronologische Zusammenhänge, wie sie die an den pragmata orientierte historiê bietet, keine Rolle. Die Biographie stützt sich daher stärker auf Anekdoten, Aussprüche usw.83 Wie stark Plutarch in den Biographien die heurêsis und mit ihr verbundene kompositionelle Entscheidungen auf diese Funktion der êthos-Beschreibung ausrichtet, zeigt sich vor allem dort, wo Plutarch sich in seinem Quellenmaterial mit konkurrierenden Versionen über ein und denselben Sachverhalt konfrontiert sieht. Zwar ist Plutarch insgesamt bemüht, sich auf eine möglichst breite Quellenbasis zu stützen und auch alternative Versionen aufzuführen. Jedoch verfährt er hierbei nicht auf einheitliche Weise und gibt namentlich nur in bestimmten Fällen zu erkennen, welche Version er selbst für die überzeugendste hält.84 Schon die kursorische Lektüre zeigt deutlich, dass Plutarch sein Urteil über die Zuverlässigkeit der verschiedenen Berichte vor allem dort suspendiert, wo die konkurrierenden Versionen in ähnlichem Maße auf das gewünschte Charakterbild verweisen (oder etwa nichts damit zu tun haben);85 umgekehrt finden sich auktoriale Urteile häufiger dort, wo die Charakterzeichnung (oder das Verhältnis von Charakter und äußeren Umständen) von der Entscheidung für oder wider eine Variante abhängt.86 Ein vielsagendes Beispiel ist die Auffassung im bios des Lykurg, wonach entgegen ver82 So v. a. Kaesser (2004), 366–372; vgl. Hershbell (1997), 233–236; Cooper (2004), 45–46, 50–51; Bosman (2011), 93; Van der Stockt (2014), 323. 83 Z. B. Plut. mul. virt. 242e–243e; Cat. mai. 7.2; Cic. 49.1–2; Fab. Max. 16.5; Nic. 1.4–6; Timol. 15.1–6. Vgl. zur gattungsspezifischen Funktionalität der biographischen heurêsis Pelling (1990), 45–43; Duff (1999), 14–30; Cooper (2004), 34–45. 84 Nikolaidis (1997), 330–331, der es allerdings versäumt, die Frage nach den jeweiligen Gründen für das Verfahren zu stellen. 85 Z. B. Plut. Alc. 39.3–5; Ant. 86.1–3; Artax. 10.1–11.6; 19.2–4; Cam. 23–25; Cat. mai. 7.2; C. Gracch. 13.2–4; Crass. 22.6; 31.6–7; Flamin. 18.2–5 (nur für den Charakter des Bruders L. Flamininus relevant); Lys. 17.1–2; Mar. 11.4–7, 13.1–2; Nic. 14.6, 19.3–5; Num. 4.7–8, 14.5–6; Per. 4.1–2, 32.1–3; Them. 4.4; Vgl. Plut. ap. Lac. 225f–226b; vgl. Boake (1975), 198–199. Anders deutet die Entscheidungen Schettino (2014), 427–428. Eine Ausnahme ist Plut. Sull. 30.5, wo die Suspendierung des Urteils darüber, ob die physis oder tyche für die negative Charakterentwicklung vieler Machthaber verantwortlich sei, in Übereinstimmung mit Plut. mal. 856b–c (s. o. 103 mit Anm. 69) mit mangelnder Bewertungsgrundlage begründet wird. 86 Z. B. Plut. Aem. Paul. 14.2–5; Alex. 77.1–3; Arat. 38.2–8; Arist. 1.9; Caes. 8.2–4; 53.1–2; Cat. mai. 5.1–2; Cic. 41.2–5; C. Gracch. 1.4–6; 19.2–3; Lys. 1.1–2; Per. 5.3–4; 10.4–6; 13.9–12; Tib. Gracch. 8.4–7; vgl. Boake (1975), der 179–180 implizit ebenfalls moralische Kriterien als entscheidungsrelevant betrachtet. Nicht deutlich erkennbar sind die moralischen Implikationen für die Hauptfigur in Plut. Artax. 4.1–2; 4.5–6;
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breiteter Auffassung die verwerfliche spartiatische Einrichtung der krypteia nicht auf diesen zurückgeführt werden könne: das nämlich passe nicht zu dessen anderweitig bezeugtem Charakter (sc. dem bestimmenden aition seiner Handlungen).87 Man kann also sagen: Plutarch greift dort stärker kritisch oder kompositionell88 in sein Material ein, wo es um das êthos (das aition der pragmata), als, wo es um die bloßen pragmata geht.89 Aus dem Verweischarakter der Taten leitet Plutarch aber, wie der oben zitierte Passus aus der Kimonbiographie zeigt, auch den Anspruch ab, dass die Darstellung der Taten großer Männer wahrheitsgemäß sein müsse und daher auch negative Aspekte nicht ausklammern dürfe. Weder dürfe man das Gesamtbild einseitig negativ noch einseitig positiv verzerren – wir finden hier eben jene Konzeption von mîxis als Grundlage wahrheitsgetreuer Narration, die Plutarch den drei ersten Kategorien seiner Herodotkritik zugrundelegt und die auch seine sonstige Poetologie bestimmt.90 Dabei diene die mîxis nicht zuletzt auch dazu, den Leser darin zu üben, angesichts der Vermischtheit der Dinge die nützlichen und vorbildhaften Aspekte herauszufiltern und sich ausschließlich diese zum Vorbild zu nehmen.91
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13.3–4; 18.4–5, wo aber jeweils Plutarchs Bewertung der Persika des Ktesias als eigennütziger Selbstdarstellung des Ktesias eine Rolle spielt; vgl. Nikolaidis (1997), 334, 337. Plut. Lyk. 28.6. Beispiele für explizite kompositionelle Entscheidungen sind Plut. Cat. min. 25.4–5 (Missachtung der Chronologie); Per. 17.3; 24.1–7 und Timol. 15.1–6 (jew. Aufnahme scheinbar nebensächlicher Details, die aber die gewünschte Verweisfunktion erfüllen). Diese Lesersteuerung in Bezug auf Anekdoten kann auch auf indirekte Weise erfolgen – etwa durch scheinbar beiläufige Kritik (vgl. Plut. Ant. 58.4–59.1) oder durch gewollt irritierende Einbindung und anschließende Ablehnung besonders absurder Exempla; vgl. Pelling (1990), 22–23, 29–30. Auffällig ist auch die Schlussnote zur Aufzählung von Anekdoten über Aspasias Schönheit in Plut. Per. 24.1–7. Hier weist Plutarch süffisant darauf hin, dass diese – offenbar in der Periklesliteratur verbreitete – Litanei eben gerade nichts zur Charakterzeichnung des Perikles beitrage (anders gedeutet bei Boake [1975], 109–210). Im Gegensatz dazu können Anekdoten oder Überlieferungsvarianten auch deshalb eingeführt werden, weil sie – unabhängig von der Frage nach ihrer Authentizität – auf für das Narrativ Wichtiges verweisen, so z. B. in Plut. Caes. 10.6–7; Mar. 36.6. Besonders markant sind außerdem Rationalisierungen scheinbar unverständlicher Phänomene oder Mythen durch philosophische Theoreme, so etwa in Plut. Ag. et Cleom. 1.1–2; Cam. 20.3–6; Cor. 37.3–38.4; Lys. 12.1–7; Num. 15.3–6; Rom. 28.4–8 (mit ausdrücklichem Hinweis auf den Zeichencharakter der Erzählung); vgl. Plut. mul. virt. 247f–248 f. Dieser rationalisierende Ansatz wird in Plut. Thes. 1.1–5 ausdrücklich erläutert und mit chronologisch besonders weit zurückliegenden Figuren verbunden; vgl. dazu Nikolaidis (1997), 330–332; Cooper (2007). Pelling (1980) hat sich mit verschiedenen literarischen Techniken auseinandergesetzt, mit denen Plutarch sein Quellenmaterial gestaltend bearbeitet, und als (zumeist) bestimmendes Moment für die Wahl der Mittel und die Zielrichtung der Eingriffe die jeweiligen moralphilosophischen Leitmotive der bioi identifiziert (ebd. 135–139); vgl. auch Van der Stockt (2014), 323, 328–330. So auch in Plut. Alex. 1.2–3; Demetr. 1.7 (unter Berufung auf Platon); Per. 1.2–2.3; Timol. 1.1–2 (gegen Demokrit). Vgl. Plut. aud. poet. 25b–d; de mal. 855b–d (s. o. S. 94); Boake (1975), 194; Hershbell (1997), 237–238. Plut. Timol. praef. 2–3: Δημόκριτος μὲν γὰρ εὔχεσθαί φησι δεῖν ὅπως εὐόγχων εἰδώλον τυγχάνωμεν καὶ τὰ σύμφυλα καὶ τὰ χρηστὰ μᾶλλον ἡμῖν ἐκ τοῦ περιέχοντος ἢ τὰ φαῦλα καὶ τὰ σκαιὰ συμφέρηται, λόγον οὔτ’ ἀληθῆ καὶ πρὸς ἀπεράντους ἐκφέροντα δεισιδαιμονίας εἰς φιλοσοφίαν καταβάλλων. ἡμεῖς δὲ τῇ περὶ τὴν ἱστορίαν διατριβῇ καὶ τῆς γραφῆς τῇ συνηθείᾳ παρασκευάζομεν ἑαυτοὺς, τὰς τῶν ἀρίστων καὶ δοκιμωτάτων μνήμας ὑποδεχομένους ἀεὶ ταῖς ψυχαῖς εἴ τι φαῦλον ἢ κακοηθὲς ἢ ἀγεννὲς αἱ τῶν συνόντων ἐξ ἀνάγκης ὁμιλίαι προσβάλλουσιν, ἐκκρούειν καὶ διωθεῖσθαι, πρὸς τὰ κάλλιστατῶν παραδειγμάτων ἵλεω καὶ πρᾳεῖαν ἀποστρέφοντες τὴν διάνοιαν. Vgl. dazu Plut. Per. 1.2–3; aud. poet. 14e–f, 15d–16a (s. o. S. 93 f. mit Anm. 30); Van der Stockt (2005), 139.
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Zum Problem der Wahrheitsnähe gesellt sich aber die Schwierigkeit, das Wohlwollen des Lesers zu erhalten, da das ‚Wahrhaftige‘ meist zugleich unangenehm für das Publikum sei92 – implizit lässt sich daraus mit Blick auf de audiendis poetis ableiten, dass auch Geschichtsschreibung und Biographie auf die literarischen Gestaltungsmittel angewiesen sind, die der Dichtung zu charis und terpon verhelfen.93 Dass bios und historiê vor allem dem Ziel moralphilosophischer Erkenntnis dienen, zeigt sich zu guter Letzt nicht nur in der Funktionalität einzelner Anekdoten, sondern auch in der thematischen und kompositionellen Ausrichtung der bioi als ganzer: Hier stehen gerade die übergeordneten Motive, jene abstrakten Ideen und Tugendkonzepte, auf die die Lebensbeschreibungen insgesamt verweisen, nicht selten in unmittelbarem Zusammenhang mit der Epistemologie Plutarchs und ihren ethischen Implikationen. Dies kann hier nur in knapper Form an drei Beispielen erläutert werden.94 Im gemeinsamen Proömium des Biographienpaars Pelopidas-Marcellus betont Plutarch unter Berufung auf Cato den Älteren und eine Reihe historischer Exempla, dass es sinnlos sei, wenn Feldherren sich in der Schlacht in Gefahr begäben oder gar ihr Leben verlören. Der fähige Feldherr begebe sich gar nicht erst in vermeidbare Gefahr. Als Ausgangsfrage des Biographienpaars gibt Plutarch nun den dieser Logik widersprechenden (παραλόγως) Umstand an, dass Marcellus und Pelopidas beide als fähige und bedeutende Feldherren gälten, die übermächtige Feinde besiegt und dennoch in nutz- und sinnlosen Scharmützeln den Tod gefunden hätten.95 Den Ausgangspunkt bildet also ein paradoxes Phänomen (sinnloser Tod), dessen tiefere Wahrheit in den Biographien herausgearbeitet werden soll (Welche Charakterzüge haben ihn bewirkt?). Die Verwunderung angesichts unerklärbarer Phänomene bezeichnet Plutarch in Über charakterliche Tugend als den Ausgangspunkt der Tätigkeit der Denkseele,96 eine Tätigkeit die also einer Art Ursachenforschung gleichkommt.97 Eine andere Richtung nimmt der bios des Sertorius, der sich zu großen Teilen mit dem Wirken des römischen Feldherren in einem ganz und gar barbarischen Umfeld befasst. Von dem Moment an, an dem Sertorius unter den Lusitanern eine führende Position erhält, setzt er alles daran, sein Barbaricum so weitgehend wie möglich zu romanisieren, was sowohl durch Erziehung der Lusitaner,98 vor allem aber durch Einsetzung der römischen Überläufer in Funktionsstellungen erfolgt. Der bildhafte Höhepunkt 92 V. a. Plut. Phok. 2.2–5. 93 Plut. aud. poet. 14b–15a (s. o. S. 92 f. mit Anm. 28), 25b–d (s. o. 94 mit Anm. 32); Hirsch-Luipold (2002), 73–77, 80, 283–284. 94 In umfassender Weise hat Duff (1999), v. a. 72–98 (allgemeine Themen moralischer Bewertung) die Bioi auf solche Leitmotive hin untersucht. Als Fallbeispiele sind dort bearbeitet Pyrrhos/Marius (101–130), Phokion/Cato minor (131–160), Lysander/Sulla (161–204), Coriolanus/Alkibiades (205–240). 95 Plut. Pelop. 2.5; dazu Beck (2003), 472–474 sowie passim zur Synkrisis des Marcellus und des Fabius Maximus. 96 Plut. virt. mor. 441c–d. 97 Im Sinne eines phänomenologischen Erinnerungsmodells dient das genannte Biographienpaar also der harmonisierenden Welterklärung im Angesicht des Paradoxen oder im Angesicht der Kontingenz; vgl. Grethlein (2010a), 5–11 und (2010b). 98 Plut. Sert. 14.1–5, 16.5.
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dieser Darstellung ist die Einrichtung eines römischen Exilsenats.99 Dieser bios versinnbildlicht insofern die Möglichkeiten des Menschen, sein Leben unabhängig von den Einflüssen der tychê selbst zu gestalten,100 mithin das Wirken des logos in der Realität und im Handeln der Menschen: Wie der logos das pathos prägen und zum richtigen Verhalten anführen kann, so wirkt auch Sertorius als Anführer auf die Lusitaner, die er einerseits zum Zwecke der Disziplinierung bildet, andererseits als Soldaten sowie als ‚Bürger‘ Repräsentanten römischer Disziplin (namentlich römischen Überläufern) unterstellt. Ganz im Gegensatz dazu steht wiederum Alkibiades.101 Dieser verfügt über die besten Anlagen zu großen Leistungen, und, was er vollbringt, ist in der Tat als ‚groß‘ zu bezeichnen: jedoch handelt er weder erfolgreich noch moralisch vorbildlich. Vielmehr ist er hin- und hergeworfen in den Wirren seiner Zeit – zurecht wurde festgestellt, dass es im bios des Alkibiades keine Stetigkeit gebe.102 Der Grund dafür liegt nun aber darin, dass dieser Protagonist seinen Leidenschaften, den pathê, hilflos ausgeliefert ist. Bildhaft drückt Plutarch dies aus, wenn er Alkibiades gleichsam zu einem ethischen Chamäleon werden lässt: stets habe er in kürzester Zeit die Eigenschaften derjenigen Kultur angenommen, in deren Umfeld er sich gerade bewegte, und er habe dabei jeweils in den markantesten Kulturmerkmalen (Thessalien: Reitkunst; Athen: Redekunst; Sparta: Austerität; Sykthien: Alkoholkonsum usw.) noch die Einheimischen übertroffen.103 Alkibiades ist maßgeblich von seinem Ehrgeiz getrieben und ordnet diesem alles unter. Genau deshalb passt er sich an seine jeweilige Umwelt an und setzt sich deren Prägungen aus, und aus demselben Grund kommt er auch für einige Zeit im Umfeld des Sokrates zurecht, profitiert jedoch von dessen Lehre nicht, da diese ihm nur Mittel zum Zweck ist und er, kaum hat er den Sokrateskreis verlassen, den logos im Interesse seiner Beliebtheit im jeweiligen Umfeld geradezu auszuschalten bereit ist.104 5. Fazit Plutarch erklärt in der Schrift Ob die Athener ihren Ruhm eher dem Krieg oder der Weisheit verdanken (de gloria Atheniensium), wie in einem Spiegel würden in Texten über pragmata die dahinterliegenden Ansichten der Handelnden erkennbar.105 Jede narrative Darstellung der Realität verweist demnach jenseits bloßer Dokumentation auf hinter den Fakten liegende Zusammenhänge und kann so eben jenem Zweck des philosophischen Strebens nach Erkenntnis der Ideensphäre (ousia) dienen, auf die sich die in Plutarchs 99 Plut. Sert. 22.3–5. 100 Plut. Sert. 1.1–5; Boake (1975), 204–205. 101 Dazu und zum Zusammenspiel des Alkibiades- mit dem Coriolanusbios: Alexiou (1999); Duff (1999), 205–240. 102 Pelling (1986), 94 mit Anm. 6; Alexiou (1999), 64–65, 69; vgl. zur Alkibiadesfigur die Abhängigkeit Alexanders von Emotionen (thymos); Bosman (2011). 103 Plut. Alk. 23.3–6; Alexiou (1999), 69–71; Duff (1999), 215, 219–220, 235–236. 104 Alexiou (1999), 64–65, 67–71; anders Duff (1999), 215–216, 220. 105 Plut. glor. Ath. 345f; vgl. Plut. Aem. Paul. 1; Timol. 1.1–2; Hershbell (1997), 231–232; Duff (1999), 30–34; Hirsch-Luipold (2002), 96–98, 101, 160–161; Geiger (2014), 295–296.
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moralphilosophischen Schriften verstreuten poetologischen Überlegungen stets stützen. Angesichts des Vergleichs mit dem Spiegelbild ist es wichtig, sich klarzumachen, dass antike Spiegel die Dinge nicht nur (wie auch heutzutage gewohnt) seitenverkehrt, sondern überdies durchaus verzerrt wiedergaben. Plutarch ist sich der Unzuverlässigkeit menschlicher Wahrnehmung, und damit auch der Unzuverlässigkeit jeder auf dieser Wahrnehmung basierenden Äußerung, bewusst. Dennoch postuliert Plutarch die Ausrichtung historiographischer und biographischer Narration auf ‚Wahrheit‘ (alêtheia). Diese besteht aber nicht ausschließlich in exakter Abbildung der Fakten, sondern in der exakten Darstellung der Realia inklusive der für die jeweilige Fragestellung relevanten Ursachen und Einflüsse – wer diese zu verschleiern oder zu verzerren versuche, zieht wie Herodot Plutarchs Kritik auf sich. Um die geforderte Wahrheitsnähe zu erreichen, sind je nach Qualität des Materials, Quellenlage und Aussageabsicht verschiedene Wege zu beschreiten; dazu gehören sowohl die Offenlegung der eigenen Darstellungsabsichten als auch die richtige Auswahl der präsentierten Sachverhalte sowie die kritische Begutachtung der verwendeten Quellen. Ebenso kann aber auch die formale Gestaltung zur Zugänglichkeit der wahrheitsgemäßen Darstellung beitragen – wie in einem Gemälde und wie in der Dichtung tragen enargeia, poikilia und mîxis zur Überzeugungskraft des wahrhaften logos bei. Und da der Mensch letztlich ein Wesen ist, das seine Körperlichkeit und mit ihr die pathê nicht hinter sich lassen kann, ist die narratio auf diese Elemente sogar angewiesen. Christopher Pelling hat sich gegen Momiglianos Klassifizierung der Biographie Plutarchs als auf Verweiskraft zielende Literatur mit dem Argument gewendet, dass bei Plutarch die Biographie der Historiographie durchaus nahestehe. Damit hat er, wie wir gesehen haben, recht. Jedoch erschöpft sich in Plutarchs Ansicht auch die Historiographie nicht in der Rekonstruktion einer plausiblen oder faktennahen Ereignisgeschichte, sondern ihr kommt ebenso wie der Biographie gerade ein Verweischarakter zu,106 der als übergeordnetes Leitmotiv die Narration bestimmt und gerade auch fiktionale Elemente als Mittel der Darstellung legitimiert. In Plutarchs Poetologie zeichnet dieser Verweischarakter schlechterdings jede sinnvolle Literatur aus. Bibliographie Alexiou, E. (1999): Parallelität und die moralischen Ziele Plutarchs. Coriolanus und Alkibiades, in: Hermes 127, 61–74. Badian, E. (2003): Plutarch’s Unconfessed Skill. The Biographer and the Critical Historian., in: Hantos, T. (Hg.): Laurea internationalis (Festschrift für Jochen Bleicken zum 75. Geburtstag), Stuttgart, 26–44.
106 Es sei darauf hingewiesen, dass eben ein solcher Verweischarakter mittlerweile auch Teilen der Historiographie des 4. Jhs. v. Chr. attestiert wird. Gerade die moralisierende Tendenz bei Theopompos, einem der von Plutarch besonders intensiv benutzten Vorgänger, wird etwa von Vattuone (2014), 15–19; 32–34 mit Dion. Hal. ep. Pomp. 6 mit dem Anliegen der Sichtbarmachung der ἀφανεῖς αἴτια τῶν πραξέων in Verbindung gebracht.
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Jonglieren mit Wahrheit
Historie und Fiktion im staatsphilosophischen Auftrag Die Kyrupädie des Xenophon Thomas Schirren
1. Xenophons erstaunliche Innovationsleistung Unter den Sokratikern sticht Xenophon sicherlich sowohl als Mensch wie als Autor heraus, denn auch wenn man die beträchtliche literarische Schaffenskraft eines Antisthenes bedenkt, dessen Werke Diogenes Laertios in 10 Tomi von je 6–10 Büchern aufzählt,1 so bleibt dieser sehr viel enger im Rahmen sokratisch-sophistischer Themen, die von Reden mythischer Heroen bis zur Eheberatung reichen. Demgegenüber ist das Œuvre des Hippeus Xenophon2 zumal aus der Perspektive einer Literaturgeschichte geradezu aufregend – auch wenn die Literaturgeschichtsschreibung Xenophon durchaus despektierlich betrachtet hat.3 Sokratische Dialoge finden sich in seinem Symposium und den Memorabilien (ἀποµνηµονεύµατα), die aber als Sammlung auch wieder etwas Besonderes sind, da sie durch die Fiktion selbst miterlebter Gespräche des Sokrates ein neues Genre der sokratischen Gedächtniskultur schaffen.4 In diese letzte Phase5 literarischen 1 2 3
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Diog. Laert. 6.15–18. Zur Biographie Breitenbach (1967), 1571–1578; bes. 1573. Der große und einen Meilenstein setzende RE-Artikel von Breitenbach (1967) sucht diesem Mangel erfolgreich zu begegnen, Badian (2004), 33, es finden sich in der Literaturgeschichte von Schmid/Stählin nur verstreute Hinweise auf Xenophon, jedoch kein eigener Artikel. In der Neuauflage stehen dafür gleich zwei Abschnitte über Xenophon, die nicht miteinander in Beziehung gesetzt werden, so dass sie Werk und Biographie zweimal bieten, den Philosophen und den Historiker: Zimmermann/Rengakos (2004), 284–289, 623–631. Patzer (2010), 231–233; Müller/Goldingen (1995), 2 versteht diese Versicherung als „literarisches Mittel, dessen sich Xenophon bedient, um seiner Darstellung den Anschein der Authentizität zu verleihen, nicht Ausdruck historischer Wahrheit. Der Wahrheitsanspruch im Proöm liegt auf der gleichen Ebene wie die zahlreichen Beglaubigungsfiktionen in den Memorabilien, durch die Xenophon Authentizität reklamiert“; er verweist dafür auf Xen. mem. 2.5.1, 2.9.1, 2.10.1, 3.3.1, wo der Erzähler stets durch ein „ich weiß“, „ich habe mit eigenen Ohren gehört“ o. ä. fiktive Szenen einleitet; im Proöm ist diese Versicherung besonders leicht faktisch zu widerlegen, da der Autor zur Zeit dieses angeblich stattgefundenen Ereignisses noch ein Knabe gewesen sein muss. Zur Datierung s. Breitenbach (1967), 1742, der 362/1 angibt, was sich allerdings auf einen terminus post in Xen. Kyr. 8.8.4 (sog. Satrapenaufstand) stützt und somit die Echtheit dieses letzten Kapitels voraussetzt.
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Schaffens, die man sich gerne auf dem Landgut Skillus in der Westpeloponnes vorstellt,6 fällt nun auch die Κύρου παιδεία (Kyrou paideia), ein monumentales Werk in acht Büchern, das sich der gattungsmäßigen Einordnung zu entziehen scheint.7 Aber ähnlich wie in den Memorabilien ist ein programmatischer Anspruch erkennbar. Lautete dieser in ersteren, dass sich der Erzähler wundern müsse, wie denn die Ankläger die Athener überzeugen konnten, Sokrates verdiene die Todesstrafe, so gibt sich der Erzähler der Kyrupädie als reflektierender Zeitzeuge zu erkennen, der sich „einmal“ (ποτέ) darüber Gedanken gemacht habe, warum die Menschen meist nicht in der Staatsform (Demokratie, Monarchie, Aristokratie) leben möchten, in der sie aktuell lebten und diese daher auflösen wollten.8 In der Kyrupädie lässt sich der Erzähler folgendermaßen vernehmen: Man könne die Hirten auch als Herrscher betrachten, so dass es merkwürdig sei, dass diese heterogenen Herrschaftsformen stabiler seien als die homogenen, denn man habe noch nicht gehört, dass sich die Rinder oder Schafe gegen ihren Hirten empörten.9
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Dafür spräche, dass Xenophon sicherlich Artaxerxes II. ablehnte und er ihn so für den Untergang des Perserreiches verantwortlich machen wollte. Vgl. dazu in Zimmermann/Rengakos (2014): Erler (2014), 284: Lebensende in Korinth, aber Schriftstellerei in Skillous; Kyrupädie nach 362/1; Scardino (2014), 623–624; gefolgt von Föllinger (2014), 588: Schriftstellerei beginnt in Skillous; Xenophon muss Skillous schon 371 (nach der Niederlage der Spartaner bei Leuktra) verlassen und begibt sich nach Korinth; 368 Verbannung der Athener aufgehoben; Rückkehr nach Athen unklar (S. ebd. 624 Anm. 29 mit Literatur); das Gros des Werks entsteht nach 371. Xen. an. 5.3.7. Man schätzt es als hybrides Gebilde ein: „Fürstenspiegel“, „historischer Roman“, „Erziehungsroman“, Zimmermann/Rengakos (2014), 289; 628, „biographie romancée“, „roman philosophique“, Bizos (1971), v, um nur einige zu nennen. Ähnlich Xen. Ag. 1.4; auch dort wird die Stabilität der Spartanischen Verfassung auf das Werk und die Person des Agesilaos zurückgeführt. Der Anfangssatz ἔννοιά ποθ᾿ ἡµῖν ἐγένετο ὅσαι δηµοκρατίαι κτλ. (Xen. Kyr. 1.1.1) erinnert nicht zufällig an die Politeia der Spartaner, Xen. Lak. Pol. 1.1: Ἀλλ᾿ ἐγὼ ἐννοήσας ποτὲ ὡς ἡ Σπάρτη τῶν ὀλιγανθρωποτάτων πόλεων οὖσα δυνατωτάτη τε καὶ ὀνοµαστοτάτη ἐν τῇ Ἑλλάδι ἐφάνη, ἐθαύµασα ὅτῳ ποτὲ τρόπῳ τοῦτ’ ἐγένετο – „Da ich einstmalen bemerkte, dass Sparta, ungeachtet der Tatsache, dass es geringste Bevölkerung aufweise, als die mächtigste und berühmteste Stadt in Griechenland erscheine, wunderte ich mich, wie das denn geschehen könne“. Eine Bemerkung löst also Verwunderung aus, diese setzt einen Erkenntnisprozess in Gang. Im Falle der Memorabilien werden die Anklagepunkte einer nach dem anderen durch angeblich eigene Wahrnehmungen des Erzählers widerlegt, in der Politeia der Spartaner ist es eine empirische Beobachtung der spartanischen Einrichtungen und ihrer Vollzüge, die die Verwunderung über den Istzustand einem Einsehen der Gründe weichen lässt. Im Falle der Spartaner sei es aber ein Gesetzgeber, nämlich Lykurg, gewesen, der das Glück der Spartaner durch seine Gesetze ermöglicht habe; diesen bewundere der Erzähler und wolle ihn für ungemein weise halten, da er ohne Vorbild auf ganz eigenem, entgegengesetztem Wege wie die anderen vorging und so ein unvergleichlich glückliches Staatswesen schuf. Der apologetische Teil der Memorabilien endet mit der Feststellung, dass angesichts des sich vor aller Augen abspielenden frommen Leben des Sokrates nicht nur die Anklage in sich zusammenfalle, sondern der Beklagte vielmehr Anspruch auf eine Ehrung seitens der Polis habe. Hier ist die Absicht der „Schutzschrift“ deutlich erkennbar, dazu Breitenbach (1967), 1790. Xen. Kyr. 1.1.2. Dieser Vergleich findet sich schon bei Homer, Il. 2.243, 2.254, 2.772, wenn von Agamemnon als „Hirten der Völker“ gesprochen wird; weitere Stellen bei Aalders (1975), 25 Anm. 83; s. Müller-Goldingen (1995), 42 Anm. 84 mit Falkenstein/Von Soden (1953), 87 Nr. 17, 3–6; doch vgl. zur politischen Bildersprache allgemein und insbesondere dem Hirtenbild Brock (2004), 249–251; der darauf verweist, dass das Bild bei Homer nur für Generäle gebraucht wird und erst im 5. Jh. wieder Verwendung findet. Xenophon selbst lässt Sokrates in Xen. mem. 3.2.1 und 1.2.32 die politische Bedeutung dieses Bildes diskutieren und in Xen. Kyr. 8.2.14 nimmt Kyros selbst diesen Vergleich wieder auf: Der gute König und der Hirte müssen die ihnen Anbefohlenen glücklich (εὐδαίµονας) machen und sie gebrauchen (χρῆσθαι). Dagegen kritisiert Platon Xenophons Konzept in leg. 694e–695a, dass Kyros es nicht vermocht habe, die
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Xenophon hinterfragt so einen epischen Vergleich, der vielfach rezipiert worden ist, und führt ihn kritisch weiter, indem er zu bedenken gibt, dass selbst die homogenen Formen menschlicher Herrschaft nicht lange währen. Wie er sich dies klargemacht habe, da sei ihm Kyros von Persien eingefallen, der Großkönig über unzählige Völker: Das lasse in ihm die Gewissheit keimen, Herrschaft sei möglich, wenn man es nur mit Verstand und gut gegründetem Wissen (ἐπισταµένως) angehe. Dieser Schwenk auf eine sophistische Debatte, in der sich schon der Sokratiker Platon mit verschiedenen Dialogen zu Wort gemeldet hatte, am ausführlichsten im Protagoras, wo die Frage nach der Lehrbarkeit der politischen Tugend gestellt wird, scheint auf den ersten Blick etwas unvermittelt. Denn warum nun gerade Kyros beweise, dass auf ἐπιστήµη gegründete Herrschaft dauerhaft sei, wird eigentlich nicht gesagt;10 allerdings wird so nur eine verbreitete Doxa widergegeben. Was der Erzähler aber außer Acht lässt, ist die Frage, ob und wie ἐπισταµένως auch eine lehrbare Fähigkeit impliziere. Vor allem aber ist hier schon vorausgesetzt, dass Kyros aus Gründen seines besonderen Herrschaftswissens das Riesenreich gründen und bewahren konnte. Xenophon also der Intellektualist. Nach einer sich anschließenden congeries der weithin von Kyros unterworfenen Völker verschiedenster Sprachen und Herkunft kommen wir zum Beglaubigungsapparat, der wiederum auf ein θαυµάζειν zurückgeht:11 Wir haben diesen Mann, bewunderungswürdig wie er ist, einer näheren Prüfung unterzogen und betrachtet, welche Abstammung und welche Natur er hat und welche Erziehung er genoss, dass er sich so in seiner Herrschaft von den anderen unterschied. Was wir nun über ihn erfahren haben und bemerkt zu haben scheinen, das wollen wir zu erzählen versuchen.
Damit hätten wir eine parallele Struktur wie in den Memorabilien und dem Staat der Spartaner: Im Ausgang einer Bemerkung wird eine verwundernde Frage aufgeworfen, die nach den Gründen des Bemerkten fragt; darauf folgt die Ankündigung, das aufgewiesene Faktum zu erklären. Diese Motivationskette zeigt sich auch sprachlich signifikant in den ersten Paragraphen der Kyrupädie: ἔννοια ἐγένετο […] ἔτι δε ἐννοῦµεν […] ὅτε µὲν δὴ ταῦτα ἐνεθυµούµεθα οὕτως ἐγιγνώσκοµεν […] ἐπειδὴ δὲ ἐνενοήσαµεν […] ἐκ τούτου δὴ ἠναγκαζόµεθα µετανοεῖν […]: Hier spricht wiederum ein Erzähler, der sich als reflektierender charakterisiert. Man kann und soll also den Eindruck gewinnen, dass hier ein intellektueller Prozess beschrieben wird. Der Text soll freilich eine Erzählung (διηγεῖσθαι), nicht eine Sachdarstellung sein (ἀποδείκνυσθαι, δηλοῦν Xen. equ. 1.1; φράζειν Xen. kyn. 2.1), wie etwa die Schrift über die Staatseinkünfte (πόροι).12 Man hat Perser wie ein guter Hirte zu erziehen. Das Wiederaufkommen dieses Bildes macht eine Übernahme aus dem Persischen durch Xenophon unwahrscheinlich. 10 Man kann es allenfalls aus einer Nebenbemerkung (Xen. Kyr. 1.1) schließen, dass, wer sich auch nur eine gewisse Zeit an der Macht halte, für σοφός und εὐδαίµων gelte. 11 Xen. Kyr. 1.1.6: ἡμεῖς μὲν δὴ ὡς ἄξιον ὄντα θαυμάζεσθαι τοῦτον τὸν ἄνδρα ἐσκεψάμεθα τίς ποτ’ ὢν γενεὰν καὶ ποίαν τινὰ φύσιν ἔχων καὶ ποίᾳ τινὶ παιδευθεὶς παιδείᾳ τοσοῦτον διήνεγκεν εἰς τὸ ἄρχειν ἀνθρώπων. ὅσα οὖν καὶ ἐπυθόμεθα καὶ ᾐσθῆσθαι δοκοῦμεν περὶ αὐτοῦ, ταῦτα πειρασόμεθα διηγήσασθαι. 12 Zimmermann (2009), 98–99 gewinnt gerade aus diesen ersten Bemerkungen Merkmale, die den historischen Roman kennzeichnen; dass sich das erst ex post zeige, betont er selbst. So aufschlussreich diese Hinweise für die weitere Literaturgeschichte sind, so klar muss gesagt werden, dass Xenophon in einem
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aber darauf verwiesen, dass diese verfassungstheoretische Frage in den Kontext der sogenannten Politeia-Literatur gehöre.13 Nun ist Xenophon dafür bekannt, dass er sich auch mit sehr wenigen Umständen ans Werk macht und auf lange Proömien verzichtet.14 Wenn er in der Kyrupädie weiter auszuholen scheint, so wohl deshalb, weil er sich darüber klar war, dass er dem Leser Absicht und Textsorte verdeutlichen muss. Anders als etwa der Agesilaos, der sich schon zu Beginn als Enkomium (ἔπαινος) zu erkennen gibt,15 aber auch als die sokratischen Logoi, die sogleich die Figur des Sokrates als Gegenstand benennen, bleibt der Leser des umfangreichen Werkes noch im Dunkeln, was er für ein Werk rezipiert – er erfährt nur, dass der Erzähler einer staatsphilosophischen Frage nachgeht und zwar indem das anthropologische Problem der instabilen Verfassungen durch ein exemplum gelöst werden soll. Das unvermittelte ἐπισταµένως legt überdies nahe, dass es dem exemplum Kyros nicht mit Hilfe der Götter gelang, ein stabiles Regiment zu etablieren, sondern aufgrund eines Wissens, das es zu erlernen gelte.16 Nun hatte sich Xenophon diesem Thema keineswegs als einziger oder erster zugewandt. Denn staatsphilosophischen Themen haben sich auch andere Sokratiker gewidmet; zwei scheinen besonders wichtig, nämlich Antisthenes und natürlich Platon.17 So unklar die Lage hinsichtlich Antisthenes’ Schriften, die Kyros betreffen, auch ist, so sicher scheint doch zu sein, dass Antisthenes mit diesem Thema dem Xenophon voranging.18 Herodot folgt einer indogermanischen Version vom wiedergefundenen Kö-
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anderen kommunikativen Umfeld schrieb, als es nämlich nicht einmal den Roman gab. Was den Erzähler von denen der Liebesromane oder gar späterer historischer Romane unterscheidet, ist ein klar formuliertes philosophisches Interesse, das durch die Erzählung befriedigt werden soll. So Breitenbach (1967), 1708; zur Textsorte ‚Politeia-Literatur‘ Treu (1967), 1935–1947; der die Kyrupädie natürlich nicht in diese Verfassungsschriften aufnimmt; vgl. auch Levine Gera (1993), 11–13. Das lange mythische Proöm des Kynegetikos ist umgekehrt gerade ein Grund, diese Schrift dem Autor abzusprechen, dazu Breitenbach (1967), 1913–1914. Dass andererseits die Kyrupädie auch enkomiastische Züge trägt, wird gerade in Xen. Kyr. 1.1.1 deutlich, wenn Kyros der Bewunderung (θαυµάζεσθαι) für würdig erachtet wird und wenn der enkomiastische Dreiklang von φύσις, γέννα, παιδεία vernehmbar wird, vgl. Zimmermann (1989), 103–105. Zu dieser theoretischen Möglichkeit s. jedoch Xen. mem. 1.1.9, wo Sokrates deutlich macht, dass der Mensch nur solches von den Göttern erbitten soll, das er nicht auch selbst erreichen kann; zu diesem Thema Chernyakhovskaya (2014), 230–255, bes. 238. Antisthenes soll, so überliefert uns Diogenes Laertios, Herakles und Kyros als exempla des ponos behandelt haben, er gab also einen mythischen Griechen und einen mythisch verklärten Barbaren: Diog. Laert. 6.2 = Frg. 19 DC (Antisthenis Fragmenta, collegit Fernanda Decleva Caizzi, Mailand 1966 [Testi e documenti per lo studio dell’antichità; 13]): καὶ ὅτι ὁ πόνος ἀγαθὸν συνέστησε διὰ τοῦ µεγάλου Ἡρακλέους καὶ τοῦ Κύρου, τὸ µὲν ἀπὸ τῶν Ἑλλήνων, τὸ δὲ ἀπὸ τῶν βαρβάρων ἑλκύσας. Wie die anderen beiden Sokratiker hielt auch Antisthenes eine signifikante Distanz zu demokratischen Staatsformen, denn er bescheinigte dem (weisen) Königtum, zwar gut zu handeln, doch in üblem Ruf zu stehen. Frg. 20a DC Βασιλικόν, ὦ Κῦρε, πράττειν µὲν εὖ, κακῶς δ᾿ ἀκούειν (Arrian Diss. 4.6.20). Ebenfalls in den Bereich der Staatsphilosophie gehören Bemerkungen, wie dass der Weise sich nicht nach den Gesetzen richte, sondern nach dem, was die arete fordere. Frg. 101 DC καὶ τὸν σοφὸν οὐ κατὰ τοὺς κειµένους νόµους πολιτεύσεσθαι ἀλλὰ κατὰ τὸν τῆς ἀρετῆς = Diog. Laert. 6.11. Und den Kyros lässt Antisthenes auf die Frage, was der wichtigste Lehrgegenstand sei, antworten, man müsse sich das Schlechte abgewöhnen (ἀποµαθεῖν τὰ κακά Frg. 21a DC). Der Weise wird so zum Maßstab der Gesetzgebung, weil er sich an der arete orientiert. Dazu die Bemerkungen von Giannantoni (1985), 3, 269–281. In diesem Zusammenhang möge genügen, dass Xenophon Kyros literarisch vor allem durch Herodot und Ktesias kannte, s. Weißbach (1924), bes. 1132–1140. Die Versuche von Hirsch (1985a), aus einer Bemerkung in Kyr. 1,2,1 φῦναι δὲ ὁ Κῦρος λέγεται καὶ ᾄδεται ἔτι καὶ νῦν κτλ. eine Tradition zu erschließen, die Xenophon kannte, haben sich nicht durchgesetzt,
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nigssohn;19 aber schon die gewaltsame Unterwerfung Persiens korrigiert Xenophon und macht den Enkel zum Liebling des Großvaters.20 Stadter hat darauf hingewiesen, dass diese Veränderung an der histoire den eigenen fiktionalen Anspruch verdeutlicht, da Xenophon selbst in der Anabasis noch der Tradition gefolgt ist.21 Diese Vergegenwärtigung der rekonstruierbaren literargeschichtlichen Lage ist für die Umbildung wichtig, die der Erzähler am Stoff vornimmt.22 Gerade das Verhältnis zur Verwandtschaft nimmt im ersten Buch größeren Raum ein und zeigt signifikante neue Aspekte. 2. Zur Frage von Fiktionalität und Wahrheit Ehe wir einen Blick in solche Familienszenen am persischen Hof werfen, die uns der Erzähler schildert, erscheint es erforderlich, die Frage der Fiktionalität des Textes zu vertiefen. Wenn der Erzähler Kyros als bewunderungswürdiges historisches exemplum verwendet, so erscheint aus heutiger Sicht – und das hat auch Aristoteles so gesehen – die Faktualität dieses exemplum eine notwendige Bedingung zu sein, um das Beweisziel zu erreichen. Kyros hat ein Weltreich erfolgreich beherrscht, also ist an ihm zu untersuchen, mit welchen Maßnahmen ihm dies gelang. Wenn die Erzählung auf die klassische Trias von Abstammung, Anlage und Erziehung Bezug nehmen soll, so heißt dies, dass diese Aspekte der Persönlichkeit nach Ansicht des Erzählers auch ursächlich relevant für eine stabile Verfassung des von diesem Regenten beherrschten Reiches sind. Natürlich muss dann in der Erziehung wiederum das Moment des Wissens zum Tragen kommen. Und indem man diese Erziehung als Vorbild nähme, könnte man, so wäre zu schließen, Herrscher mit ähnlichem Erfolg ausbilden. Die Naturanlage (φύσις) muss dann die Voraussetzung einer entsprechenden höheren Bildung sein und andere Familienmitglieder sollten erkennen lassen, dass sie ähnlich erfolgreiche Staatsmänner oder Führer waren. Wer aber nun erwartet, dass der Erzähler einen Beglaubigungspakt formuliert, indem er sich verpflichtet, nur bestens bezeugte Nachrichten aufzunehmen, der sieht sich vor eine ziemlich vage Formulierung gestellt: ὅσα οὖν καὶ ἐπυθόµεθα καὶ ᾐσθῆσθαι δοκοῦµεν περὶ αὐτοῦ, ταῦτα πειρασόµεθα διηγήσασθαι – „Wir wollen also dazulegen versuchen, was wir erfuhren und über ihn herausgefunden zu haben glauben“ (Xen. Kyr. 1.1.6). Das klingt im Vergleich etwa mit autoptischen Versicherungen, derer sich Historiographen
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s. Zimmermann (1989), 98 Anm. 5. Im Unterschied zu Ktesias macht Xenophon ihn zum Königssohn, während Kyros sich in der Erzählung des Ktesias emporarbeiten muss, da sein Vater Fackelträger des Astyages war. Ktesias im Referat des Nikolaos von Damaskus in: FGrHist 90 F66, F8d ed. Lenfant. Binder (1964), 17–28. Ktesias FGrHist 90 F66, 20–45. Xen. an. 3.4.8. 11–12. Siehe hierzu auch: Stadter (1991), 463–464. Zur Unterscheidung von récit und narration Genette (21998), 15–20; histoire (Plot) ist das Signifikat der Erzählung als ihr Gegenstand, récit (Erzählung) ist die Aussage als Signifikant, narration ist der Akt des Erzählens selbst, in fiktionalen Narrativen die Stimme des meist heterodihegetisch-extradihegetischen Erzählers.
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gerne brüsten oder auch nur einer versprochenen Quellenkritik, sehr unbestimmt;23 dasjenige, was der Erzähler „glaubt gehört zu haben“, lässt großen Spielraum, was die faktuale Absicherung des Erfahrenen betrifft. Gravierender wohl noch ist der Vergleich mit Herodots Versicherung, die Überlieferung zwar aufzeichnen, sich aber, was deren Wahrheitsgehalt angeht, nicht festlegen zu wollen.24 Vor dem Hintergrund der geforderten Beweiskraft des exemplum mag man sich fragen, warum der Erzähler für sein großes Ziel so geringe Mühe verwendet. – Oder sollte man annehmen, dass der Erzähler hier bereits eine spezifische „Unzuverlässigkeit“ erkennen lasse? – Aber was wäre dann seine Absicht? Eine könnte es sein, nur einen scheinbaren Beweis zu erbringen und in Wirklichkeit den Glauben an einen großen König und Führer zu destruieren. Diese Absicht würde sich dann mit dem berühmten letzten Kapitel der Kyrupädie so verbinden, dass, kurz gesagt, die Hoffnung, es gäbe stabile Herrschaft über ein Großreich, durch das Perserreich widerlegt würde, das aufgrund von Verweichlichung und moralischer Depravation seiner Eliten dem Untergang geweiht sei. Und eben diese Hoffnung würde durch Legenden genährt, die von der Vortrefflichkeit des Kyros erzählen;25 so unbestimmt aber deren Wahrheitsgehalt bleibt, so offensichtlich und nachprüfbar ist die mangelnde Moral unter den Führern der Perser. Xenophon würde dann lediglich einen Wunsch aufgreifen, der sich an die wunderbare Gestalt des Kyros heftete – aber nur, um ihn umso deutlicher zu widerlegen. Eine andere Deutung des Befundes gäbe der Fiktionalität mehr Raum, ohne freilich den Charakter des exemplum zu destruieren. Denn es gehört zu den Eigentümlichkeiten des exemplum, nicht nur dann beweisend zu wirken, wenn es ein „so war es einst“ aufbieten kann, sondern als Fabel oder weiter ausgeführt als Parabel kann es auch deutlich Fiktives erzählen – und dennoch beweisen.26 Aristoteles sagt lakonisch, die erfundenen exempla seien „leichter“ zu produzieren, die gefundenen (also historische) seien für die Beratung „nützlicher, denn meistens sind die zukünftigen Dinge denen der Vergangenheit ähnlich.“27 Die beweisende Kraft rührt von einer spezifischen, in der Philosophie beheimateten Fähigkeit, Ähnlichkeiten zusammenzusehen (τὰ ὅµοια ὁρᾶν). Dornseiff untersuchte in einer wichtigen Studie, die in den Umkreis der Bibliothek Warburg gehört, die literarische Funktion des exemplum, indem er ebenfalls von Aristoteles’ rhetorischem exemplum ausgeht und dies in der Literatur von der Archaik bis zu Erasmus verfolgt. Er weist den Ursprung der Fabel 23 Zum Beispiel Hdt. 2.20–23; Thuk. 1.22.2–3. Stadter (1991 = 2010), 369 hält fest: „There is no overt claim to factual accuracy, no statement on the difficulties of ascertaining the truth, especially concerning a distant period and country, no allusions to the weakness of memory or the reliability of his informants. The allusion to investigation conflicts with the absence of historiographical pretensions. If the reader of the Cyropaedia is reassured by the author’s claim, he will expect something less imaginative than is in fact the case.“ 24 Hdt. 7.152. 25 Vgl. Xen. Kyr. 1.2.1: φῦναι δὲ ὁ Κῦρος λέγεται καὶ ᾄδεται ἔτι καὶ νῦν ὑπὸ τῶν βαρβάρων εἶδος µὲν κάλλιστος, ψυχὴν δὲ φιλανθρωπότατος καὶ φιλοµαθέστατος καὶ φιλοτιµότατος – „Von Kyros aber erzählen und singen die Perser auch heute noch, er sei überaus schön und äußerst menschenfreundich, lernbegierig und ehrgeizig gewesen“. 26 Dazu Schirren (2014). 27 Arist. rhet. 1394a7–8.
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aus dem Gebet nach, in dem es um Überredung des Gottes durch Analogien geht, auf die im Sinne des „bîspel“ (der „Beierzählung“) hingewiesen werde, im Sinn des εἴ ποτε […] ἐλθὲ καὶ νῦν.28 Übertragen auf unsere Frage der Gattung der Kyrupädie bedeutete dies natürlich eine Monströsität, wenn man die ganze Erzählung als ein bîspel ansehen wollte zur Haupterzählung „Wie kann man eine dauerhafte Herrschaft einrichten und bewahren?“ Dennoch sollte man sich darüber im Klaren sein, dass die leichtfertige Annahme, Xenophon habe mit diesem Werk eben den historischen Roman erfunden oder eine vie romancée verfasst, sich über grundlegende kommunikationstheoretische Vorgaben hinwegsetzt. Denn Gattungsfragen sind zunächst und allererst Fragen der Kommunikation. Ein empirischer damaliger Leser kannte weder den Roman noch eine romanhafte Ausschmückung einer Lebensbeschreibung, sondern ihm waren allenfalls „literarische Porträts“ geläufig.29 Da aber der Erzähler die Geschichte des Kyros als einen Beleg anführen möchte, erfüllt diese Geschichte die Funktion des exemplum im weiteren Sinne, wie sie Dornseiff ausgeführt hat: nämlich als einer beweisenden Erzählung. Mit einer Bemerkung Ciceros gesprochen wird mit einer solchen Form der Erzählung auch das utile mit dem dulce verknüpft.30 Die Frage der Wahrheit stellt sich hierbei zunächst nicht, und zwar deshalb, weil es nicht um die historische Wahrheit einer Person der Vergangenheit als solche geht, sondern weil es um die Plausibilität eines Konzeptes geht, das nach Maßgabe der Ähnlichkeit entworfen ist. Diese Wahrheit ist verwandt mit jener, der Aristoteles in seiner Fiktionalitätstheorie der Poetik den Vorzug vor der faktischen Geschichtsschreibung gibt (Kap. 9), die sich am Einzelnen abarbeitet. Insofern sie nämlich in höherem Maße in der Lage ist, das Allgemeine darzustellen, trifft sie die höhere Wahrheit des Allgemeinen, auch wenn sie die niedere faktischer Einzelheiten außer Acht lässt. Natürlich liegt in dieser höheren Wahrheit auch das Bekenntnis des Autors Xenophon, was das seiner Meinung nach moralisch und politisch Richtige ist. Aus konstruktivistischer Sicht ließe sich sagen: Er produziere mit dieser Erzählung seine Weltsicht, von deren Richtigkeit, d. h. ‚Wahrheit‘ er überzeugt ist.31 So hat Cicero etwa das Werk charakterisiert und stand damit offenbar nicht alleine:32 Wie jener Kyros von Xenophon nicht mit Vertrauen auf historische Gewähr, sondern nach dem Idealbild einer gerechten Herrschaft geschrieben wird, dessen höchste Bedeutung von jenem
28 Dazu Dornseiff (1927). 29 Dazu Bruns (1896), Homeyer (1962), Momigliano (1971), Krischer (1982). Xenophon selbst hat solche Porträts in seine Anabasis 1.9 und 2.6 eingelegt. Das Bild, das er dort vom jüngeren Kyros zeichnet, kommt dem des idealisierten Vorfahren erstaunlich nahe – so nahe, dass man hier wohl einen möglichen Anlass für sein opus magnum erkennen kann. 30 Cic. or. 120: Commemoratio autem antiquitatis exemplorumque prolatio summa cum delectatione et auctoritatem orationi adfert et fidem. 31 Dazu Goodman (1984) und meine Interpretationsansätze im Bereich der fiktionalen Literatur Schirren (2005), bes. 32–34. Zur Wahrheit als Sichtbarmachung der Seinssphäre am Beispiel der Phänomene siehe auch den Beitrag von Blank. 32 Cic. Q. fr. 1.1.23: ut est Cyrus ille a Xenophonte non ad historiae fidem scriptus sed ad effigiem iusti imperi, cuius summa gravitas ab illo philosopho cum singulari comitate coniungitur. Quos quidem libros non sine causa noster ille Africanus de manibus ponere non solebat. nullum est enim praetermissum in iis officium diligentis et moderati imperi.
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Er macht deutlich, dass es nicht um die Faktizität des Erzählten gehen kann, sondern um das richtige Herrscherbild, das darin idealisiert ist und dem es nachzueifern gilt.33 Es geht also um die Richtigkeit der Werte, von denen erzählt wird, nicht um die Richtigkeit des Erzählten als solches. Um diesen Unterschied zu begreifen, muss man sich vor Augen halten, dass Kyros als Thema en vogue war. Denn die Erzählung mag auch deshalb so umfassend ausgefallen sein, weil der ‚Philosoph‘ Xenophon sich in einem Konkurrenzverhältnis einerseits zu Antisthenes, andererseits aber zu Platon befand. In der Antike scheint gerade das Verhältnis dieser beiden Sokratiker Gegenstand philologischer Diskussionen gewesen zu sein,34 denn Aulus Gellius (14.3) berichtet davon, dass man sich frage, warum beide sich in ihren Schriften nicht nennten; Xenophon hätte gar, nachdem die ersten beiden Bücher der Politeia erschienen seien, seine Kyrupädie verfasst, auf die Platon wiederum antworte (leg. 694c), wo Platon Kyros als „völlig unerzogen“ bezeichnete, der auch die Erziehung seiner Söhne den Frauen überlassen habe – mit desaströsen Folgen für die Herrschaft der nächsten Generation.35 Wie auch immer diese Anspielungen zu deuten sind, vor dem Hintergrund dieser literarischen Produktion könnte jedenfalls erklärbar werden, dass sich Xenophon veranlasst sah, eine Innovationsleistung zu wagen, um thematisch ähnliche Produkte in den Schatten zu stellen. Im Folgenden möchte ich dazu einige Episoden analysieren, in denen sich der Erzähler einerseits als Schüler der herodoteischen Episodengeschichtsschreibung, andererseits aber auch als Schüler des Sokrates erweist. 3. Intertextuelle Referenzen in der Narration 3.1 Der kleine Kyros beim großen Bankett des Astyages Der Großvater Astyages tischt dem Enkel im Rahmen eines Banketts alle Köstlichkeiten, insbesondere feine Saucen und Beilagen zum Mahle auf.36 Als ihm der Großvater die bessere Küche der Meder lobt, reagiert Kyros aber mit einer sokratischen, geradezu kynisch anmutenden Antwort, dass die Perser ein schneller Weg zur Sättigung führe, während die Meder doch nur auf Umwegen zum selben Ziel gelangten. Unüberhörbar vernimmt man hier die Mahnung des xenophontischen Sokrates vor Völlerei, die auch Kyros selbst in
33 Dazu die Interpretation von Tatum (1989), ähnlich übrigens auch Dion. Hal. ep. Pomp. 4: der die Kyrupä die als εἰκόνα βασιλέως ἀγαθοῦ καὶ εὐδαίµονος bezeichnet. 34 Siehe oben Anm. 17. 35 Diogenes Laertius greift offenbar auf den Diskurs im 1. Jh. v. Chr. zurück, wenn er aus den Bemerkungen Platons in den Nomoi schließt, dieser bezeichne die Kyrupädie als Fiktion (πλάσµα), Diog. Laert. 3.34. 36 Xen. Kyr. 1.3.4: παροψίδας καὶ παντοδαπὰ ἐµβάµµατα καὶ βρώµατα.
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der Kyrupädie erhebt.37 Besonders witzig ist, dass hier die Perser als Griechen gegenüber der „persischen“ τρυφή der Meder erscheinen.38 Auch der äußere Habit des Astyages entspricht nicht den griechischen Vorstellungen von Männlichkeit. Doch erklärt der Erzähler, dass kostbare Gewänder, Ringe und Schminke bei Männern eine medische Mode seien, während sie bei Persern so nicht vorkomme. Als nun der Großvater Kyros ermuntert, auch von den Speisen zu kosten, um zu erkennen, wie gut diese Spezialitäten seien, entgegnet Kyros misstrauisch, dass ihm selbst nicht entgangen sei, wie sich der Großvater nach jeder Berührung mit diesen Spezereien die Hände abwische, während er das Brot zu sich nehme, ohne nachher die Hände zu reinigen. „Wenn du also diese Erkenntnisse gewinnst, dann lass’ dir doch das Fleisch schmecken, damit du als junger [starker] Mann wieder heimkehrst!“, entgegnet der Gastgeber. Dem Enkel werden nun große Fleischplatten aufgetragen, bei deren Anblick er sich deren freie Verwendung ausbittet. Und so verschenkt er reichlich an die Diener mit individuellem Dank für das, was jeder für ihn getan habe. Nur dem Mundschenk des Königs will er nichts geben, denn er fühlt sich durch dessen Dienst, den Zugang zum König zu regulieren, zurückgesetzt. Als ihm der Großvater erklärt, welche hohe Aufgabe dem Mundschenk zukommt, möchte der Knabe dieses Amt selbst versehen: „So machte er eine ernsthafte und anständige Miene, brachte die Trinkschale heran und reichte sie dem Großvater, so dass er seine Mutter und seinen Großvater zum Lachen brachte.“ Darüber aber freute sich auch der Knabe und fällt mit Küssen dem Großvater um den Hals und ruft: „Sakas [so heißt der Mundschenk, Anm. d. Autors], du hast verloren! Ich werde dich aus deinem Amt schmeißen, und auch sonst werde ich den Wein besser kredenzen als du und nicht selbst Wein trinken!“39 An dieser Szene ist folgendes hervorzuheben: Ein Grundzug der Herrschaft des späteren Großkönigs ist seine Mildtätigkeit, die sich insbesondere durch reichliche Geschenke zeigt, mit denen er seine Freunde belohnt und sich ihrer Loyalität versichert. Das entspricht genau dem archaischen Tauschprinzip, das Marcel Mauss in seinem Werk über die Gabe untersucht hat.40 Dieses Prinzip wird hier en miniature vorgeführt, wobei es zu komischen Effekten kommt. Für die spätere Übernahme der Herrschaft über die Meder ist es aber gerade wichtig, dass der Knabe hier durchaus machtpolitische Interessen verfolgt, wenn auch wiederum en miniature, und mögliche Konkurrenten aus dem Weg räumen will. Der Erzähler bringt aber noch eine weitere vernied37 Xen. mem. 1.3.5–8: Völlerei mit dem mythischen exemplum der Kirke und den zu Schweinen verwandelten Gefährten des Odysseus, der selbst sich durch Hermes beherrschen kann; 3.14.5–6: richtiges Verhältnis von Fleisch und Brot. Kyros: 1.5.12, 4.5.4, 7.5.80, nach Levine Gera (1993), 156; Chernyakhovskaya (2014), 51–93. 38 Das hebt zu Recht Levina Gera (1993), 156 hervor. Nun entstand das Klischee der ‚persischen tryphe‘ historisch durch Übertragung des ursprünglich lydischen Luxusklischees im 6. Jh. zunächst auf die Meder und danach von diesen auf die Perser. Ob die Kyrupädie also eine Ahnung von dieser kulturhistorischen Entwicklung konserviert haben könnte? – Auf diese kaum zu beantwortende Frage brachte mich Th. Blank. 39 Xen. Kyr. 1.3.9: οὕτω δὲ στήσαντα τὸ πρόσωπον σπουδαίως καὶ εὐσχημόνως πως προσενεγκεῖν καὶ ἐνδοῦναι τὴν φιάλην τῷ πάππῳ ὥστε τῇ μητρὶ καὶ τῷ Ἀστυάγει πολὺν γέλωτα παρασχεῖν […] Ὦ Σάκα, ἀπόλωλας· ἐκβαλῶ σε ἐκ τῆς τιμῆς· τά τε γὰρ ἄλλα, φάναι, σοῦ κάλλιον οἰνοχοήσω καὶ οὐκ ἐκπίομαι αὐτὸς τὸν οἶνον. 40 Mauss (1990), und zuletzt Hénaff (2009).
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lichende Wendung: Astyages möchte nun wissen, warum er dem Mundschenk denn nicht auch als Vorkoster des Weines nachgeeifert habe. Der Erzähler kommentiert, die Mundschenke müssten jeden Ausschank auch selbst kosten, indem sie einige Tropfen aus der Phiale abschöpften und tränken. Der Junge lehnt diesen Dienst aber ab, weil er das Gift fürchtet; habe er doch beim letzten Gelage, dem Geburtstagsfest des Großvaters, bemerken müssen, dass sich die Symposiasten merkwürdig benähmen, laut sängen und sich nicht aufrecht halten könnten. Schließlich sprächen alle in unbändiger ἰσηγορία durcheinander: „Da habe ich zum ersten Male erfahren, dass das die Isegorie ist, die ihr damals gepflogen habt.“41 Der Großvater erkundigt sich nun, ob nicht auch der Vater gelegentlich Wein trinke und entsprechendes Verhalten zeige; – Nein, denn jener höre mit dem Trinken auf, sobald sein Durst gestillt sei. Auch hier wird die Tugend der Perser aus der Kinderperspektive deutlich, in der die Meder als vermeintlich vergiftete Symposiasten Anlass zu Furcht und Sorge sind. Kyros wird auch im Zuge der vielen Symposien, die im weiteren Verlauf geschildert werden, niemals trunken. Damit entspricht er der alten schon ionischen Regel, man dürfe nur so viel trinken, dass man noch ohne Begleitung nach Hause gehen könne.42 Und so zeichnet es die Besonnenheit des Sokrates aus, am Ende des platonischen Symposium nicht trunken zu sein, wie es ihn im xenophontischen auszeichnet, ohne erotische Affektion durch das Spiel von Ariadne und Dionysos zu bleiben. Auch Antisthenes sieht in der ἐγκράτεια eine wichtige Ausprägung und Voraussetzung der arete.43 Für das biographische Programm ist diese Episode aus der Kinderzeit des Kyros aufschlussreich. Plutarch bemerkt an einem locus classicus, dass für die biographische Darstellung nicht die großen Taten relevant seien, sondern Ereignisse des täglichen Lebens: „Ein Ausspruch, ein Scherz lässt oftmals den Charakter besser hervortreten als Schlachten mit tausenden Toten, die größten Aufgebote von gegeneinander aufgestellten Heeren und Städtebelagerungen.“44 Der Erzähler lässt aber die παιδιά von einem echten παῖς vortragen. Das könnte ein Mittel sein, dem Thema trotz dem formulierten programmatischen Anspruch einer staatsphilosophischen Erörterung auch ein delectare zu verschaffen. Auf diese Weise kommen Ethographie und τέρψις (delectare), die für die späteren Romane so wichtig sind, zum Zuge. An dieser Stelle ist es natürlich nicht zufällig, dass Xenophon den Begriff der Isegorie zitiert, der weit über die persisch-medische Szene hinausweist: die trunkenen Symposiasten erscheinen so als die Demokraten in Athen, denen die freie, allen zugestandene Rede Grundlage einer Verfassung ist, die – jedenfalls nach Meinung der sokratischen Kritiker – nicht ‚frei‘, sondern zügellos ist. Man könnte das fast schon als ein Fiktionalitätssignal dergestalt deuten, dass der Erzähler hiermit deutlich machen möchte, der Leser möge nicht nur an persisch-medische Zustände denken, sondern auch an griechische. Man könnte auch an das exemplum 41 Xen. Kyr. 1.3.10: τότε γὰρ δὴ ἔγωγε καὶ πρῶτον κατέμαθον ὅτι τοῦτ’ ἄρ’ ἦν ἡ ἰσηγορία ὃ ὑμεῖς τότ’ ἐποιεῖτε. 42 Xenophanes B1,17–18 Diels/Kranz; weitere Belege für Alkoholabusus Eur. Alc. 747–804, Heliodoros 1.1.4; Curt. 8.1.41–52; Plin. nat. 14.137 z. B. (vgl. 14.142) nach Schulz (2003), 889–892. 43 S. auch Xen. Kyr. 8.8.10 zur Dekadenz der Perser nach Kyros, die nach Hause getragen werden müssen, weil sie nicht mehr gehen können. 44 Plut. Alex. 1.2; s. dazu den Beitrag von Blank.
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denken, denn Kyros vergleicht die weinseligen Zecher mit den lärmenden Demokraten in der Boule, also in der Kurzform: Isegorie ist wie das lärmende Reden von Betrunkenen. Wenn das aber im Gewande einer paidiá daherkommt, so beweist Xenophon doch einige asteia, denn er vermeidet eine moralisierende Geste, und belässt es bei einem einleuchtenden aperçu. Solche Urbanität ist auch da spürbar, wo der scheinbar naiv dahinerzählten Episode doch einiges intertextuelles Potential abgewonnen werden kann. Deborah Levine Gera hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Xenophon in dieser Episode mehrere Fäden mit wörtlichen Zitaten aufnimmt, die in der Kyros-Tradition verwoben waren:45 Ktesias (FGrHist 90 F66.5) erzählt, wie sich Kyros bei Astyages als Mundschenk beliebt macht, den ihm der Eunuch Artembares empfiehlt; Kyros strebt unaufhaltsam nach oben, schließlich will er als Satrap der Perser gewaltsam von den Medern abfallen. Als Astyages diesen Anschlag ahnt, schickt er eine berittene Truppe hinterher, doch gelingt es dem Kyros diese durch ein Gelage, zu dem er sie einlädt, einzuschläfern, um sein Ziel zu verfolgen. Und genau auf diese Torheit der Meder in der Darstellung des Ktesias scheint hier angespielt zu sein. Bei Herodot lässt Astyages seinen Vertrauten Harpagos zu sich rufen, um diesen aufgrund eines ominösen Traumes mit der Ermordung seines Enkels zu beauftragen.46 Dieser bringt aber den Säugling aus Furcht vor dessen Mutter, die einmal das Erbe des Königs antreten würde, zu armen Leuten. Dort wächst Kyros heran und als Knabe muss er sich wegen einer Verfehlung vor dem König verantworten. Sein offenes Wort verrät die königliche Anlage. Eben diese Eigenschaft zeichnet auch den xenophontischen Kyros vor Astyages aus. Astyages rächt sich in Herodots récit an seinem Vertrauten Harpagos, indem er ihn zu einer cena Thyestea einlädt und besiegelt so sein eigenes Unglück. Xenophon balanciert hier auf einem schmalen Grat, wenn Astyages sich von der ‚Befleckung‘ durch die Beilagen (µυσαττόµενον) reinigt (ἀποκαθαίρειν) und er dem Knaben große Mengen Fleisch auftragen lässt, damit er gestärkt als Mann heimkehren könne. Solches Raffinement traut man Xenophons Erzählkunst gemeinhin gar nicht zu! Doch hatte er offenbar großes Interesse daran, dieses Kyrosbild zu korrigieren, über das sich sein Zeitgenosse Isokrates mokierte, als er diesen mit dem Aufstieg des Euagoras verglich.47 3.2. Die Ambivalenz moralphilosophischer Einlagen Wenn man einmal auf diese unvermuteten Qualitäten des Erzählers aufmerksam geworden ist (Leo Strauß hat sie freilich schon früher und wohl als erster bemerkt),48 dann entdeckt man noch andere, die die Narration strukturieren und sich eindeutigen Wertungen zu entziehen scheinen. 45 Levine Gera (1993), 154–60. 46 Hdt. 1.107–119. 47 Isokr. or. 9.37–38. Dazu vgl. Blank (2014), 285 mit Anm. 45 sowie 471–481 (v. a. 480–481) zur nicht minder markanten Stelle Isokr. or. 5.56–67 (bzw. 5,667). 48 Strauss (1948); (1970); (1972); Bruell (1984); dazu kritisch Dorion (2010).
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3.2.1 Mutter sorgt sich um den schulischen Erfolg Ebenfalls aus der eigentlichen Erziehung des jungen Helden stammt eine Episode, in der Mandane und Kyros ein Gespräch über die Gerechtigkeit führen.49 Ausgangspunkt ist der Wunsch des Großvaters, der Junge möge seine Ferien am persischen Hofe verlängern. Als dieser sogleich zustimmt, um hinzuzulernen und seine Unterlegenheit in spezifisch persischen Fertigkeiten wie dem Reiten zu beheben, fragt ihn die Mutter, wie er denn nun in Medien den Stoff persischer Schulen lernen wolle. Nun ist der vorzügliche Lernstoff die Gerechtigkeit, von deren Vermittlung der Erzähler bereits in 1.2.3 berichtet hat, als er das Erziehungssystem der Perser beschrieb. In Persien werden bereits die Kinder nach den allgemeinen Gesetzen erzogen, nicht erst die Erwachsenen, wenn sie straffällig werden. Die Kinder würden getrennt nach Altersgruppen in öffentlichen Gebäuden erzogen, die in der Nähe der Paläste und vom Markttreiben entfernt stünden.50 Der aufgeweckte Knabe versichert seiner Mutter, er habe diese Lektionen schon intus, denn der Lehrer habe ihn bereits in den Kurs für Fortgeschrittene aufgenommen, wo er einen Rechtsfall als Richter zu entscheiden gehabt habe. Und da er diesen falsch entschieden habe, sei er dafür mit Prügel bestraft worden: Ein großer Junge hat einem kleinen Jungen dessen großen Mantel weggenommen und ihm dafür den eigenen, für sich zu kleinen Mantel gegeben. Kyros urteilt, dass jeder nun das ihm Passende besitze. Aber das sei falsch gewesen, denn er sei nicht Richter über das Passende (ἁρµόττοντα), sondern über den rechtmäßigen Besitzer, also ob es derjenige ist, der es sich mit Gewalt genommen habe oder der es hergestellt oder der es durch Kauf erworben habe. Denn gerecht ist, was den Gesetzen entspricht (τὸ νόµιµον δίκαιον); was aber den Gesetzen widerspricht, ist gewaltsam (τὸ ἄνοµον βίαιον). Nach dieser Lektion benötige er keine weiteren Unterweisungen, sollte aber noch etwas fehlen, würde er sich vertrauensvoll an den Großvater Astyages wenden. Doch da widerspricht ihm die Mutter sofort, denn Meder und Perser hätten einen grundverschiedenen Rechtsbegriff. Das illustriert die Mutter so: Kyros’ Vater Kambyses sei der Erste, der tue, was der Staat verlange (τὰ τεταγµένα τῇ πόλει) und der auch nur das empfange, was der Staat verordne. Dabei handele er nicht nach Belieben (µέτρον οὐχ ἡ ψυχή), sondern richte sich nach dem Nomos. „Dass du nur nicht totgeprügelt wirst, wenn du nach Hause kommst und du von diesem statt des Königlichen das Tyrannische gelernt hast, worin ja auch liegt zu glauben, man müsse mehr als alle anderen haben“ (τὸ πλέον οἴεσθαι χρῆναι πάντων ἔχειν), ist die Mutter besorgt. Doch beruhigt der Sohn seine besorgte Mutter: „Dein Vater kann weit besser den Leuten vermitteln, weniger als [vermitteln] mehr zu haben, denn siehst du nicht, dass er auch alle Meder gelehrt hat, weniger als er zu haben …?“51
49 Xen. Kyr. 1.3.16–18. 50 Trotz Parallelen zum spartanischen Erziehungssystem ist die strikte Einhaltung der Gesetze ein deutlicher Unterschied. Dieser Gedanke der Erziehung gemahnt an Platons Politeia, zu weiteren Unterschieden s. Hirsch (1985b), 71; 97–100 zu Platons Replik in leg. 3.394. 51 Xen. Kyr. 1.3.18: Ἀλλ’ ὅ γε σὸς πατὴρ δεινότερός ἐστιν διδάσκειν μεῖον ἢ πλέον ἔχειν· ἢ οὐχ ὁρᾷς ὅτι καὶ Μήδους ἅπαντας δεδίδαχεν αὑτοῦ μεῖον ἔχειν;
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Mit der Alternative νόµιµον – δίκαιον ist ein Begriffspaar aufgestellt, das ins Inventar der Politeia-Literatur gehört. In den Memorabilien findet sich eine Diskussion zwischen Hippias und Sokrates über das Wesen des Gerechten, in der Sokrates scheinbar naiv deren Identität affirmiert und Hippias nach anfänglichem Widerstand sich überzeugen lässt. Sokrates hält es für ausreichend, das Gerechte als das Sich-Fernhalten vom Unrechttun zu bestimmen. Denn das Gerechte sei das den Gesetzen Gemäße. Dafür verweist er auf die soziale Funktion der Gesetze, die das Zusammenleben in der Stadt und zwischen Städten regeln. Damit wendet Sokrates sich auch gegen Argumente, die auf eine wechselnde Gesetzgebung verweisen, sowie auf Städte, die rechtlich den Frieden beenden und anderen Staaten den Krieg erklären, auch wenn das sogar ungerecht ist.52 Die soziale Funktion erhelle nämlich etwa aus der Gesetzgebung des Lykurg, der den unbedingten Gehorsam zur Grundlage eines überaus erfolgreichen Gemeinwesens gemacht habe.53 Außer dieser Wirkung des positiven Rechtes gibt es aber auch noch die von den Göttern gegebenen ungeschriebenen Gesetze, deren Übertretung stets zum Schaden der Übeltäter ausgehe. Der Erzähler lässt Sokrates hier über mögliche Einwände hinweggehen, mit denen man etwa auf Situationen verwiese, in denen das von den Gesetzen Gebotene gerade als ungerecht erscheinen könnte, wie dies in der Platonischen Politeia diskutiert wird oder in der sophokleischen Antigone zu einem tragischen Konflikt gesteigert erscheint.54 Diese deontologische Position erinnert an Kants kategorischen Imperativ. Sie ist nicht sehr verschieden von der Argumentation, die der platonische Sokrates im Gefängnis dem Kriton vorträgt, wo die Gesetze personifiziert werden und ihn daran erinnern, dass, auch wenn die Gesetze ungerecht angewendet werden sollten, der Einzelne kein höheres Recht für sich reklamieren könne, sich über diese hinwegzusetzen.55 Damit ist der Rechtsbegriff allerdings rein funktional bestimmt. Recht ist also das, was den Staaten nützt. An diesem Punkt kann man sich der Nomos-Physis-Kontroverse erinnern, die Kallikles beredt referiert.56 Vor diesem Hintergrund fallen nun aber einige Besonderheiten in der Szene der Kyrupädie auf.57 Es scheint, dass die Perser die besseren Griechen sein sollen, da sie gegenüber den Medern bereits eine konstitutionelle Monarchie gegründet haben, in der der Potentat als ‚erster Diener‘ fungiert58 und sich darin vom nach Laune entscheidenden medischen Tyrannen abhebt. Dem Erzähler gelingt es auf diese Weise, ‚Persien‘ in ein gutes und ein schlechtes, nämlich Medien, zu zerlegen. Das ‚gute Persien‘ entspricht zwar in manchem dem Spartanischen, aber keineswegs in allem, so z. B. in der Erziehung zur Gerechtigkeit, die in Sparta gerade nicht schon im Kindesalter Programm ist.59 Denn die persischen Gesetze 52 Xen. mem. 4.4.14: οἱ θέµενοι ἀποδοκιµάσαντες µετατίθενται. 53 Xen. mem. 4.4.15. 54 Soph. Antigone bes. 450–457. Plat. rep. 1.331e: Rückgabe eines Depositum an einen kaum Zurechnungsfähigen. 55 Siehe die Prosopopoie in Plat. Krit. 50a–b. 56 Plat. Gorg. 482c–486d. 57 Chernyakhovskaya (2014), 196–229. 58 Xen. Kyr. 1.3.18: ὁ σὸς πρῶτος πατὴρ τὰ τεταγµένα ποιεῖ. 59 Zu den signifikanten Unterschieden, die es ausschließen, hier einen recht plumpen Lakonismos des Xenophon zu vermuten Tuplin (1994), Christesen (2006).
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„kümmern sich“ (ἐπιµέλονται) um die Menschen, gar nicht erst mit dem Schlechten, d. h. Unrecht, in Berührung zu kommen. Obwohl hier eine gewisse Verzeichnung zum Griechischen hin durch den Erzähler kaum zu leugnen ist, darf man andererseits nicht übersehen, dass sowohl in griechischen wie auch persischen Quellen die Verbindung von Reiten, Kämpfen und Gerechtigkeit als typisch Persisch erscheint.60 Dass dies aber schon im Kindesalter anfängt und zwar durch solche Lerneinheiten wie einen Prozess unter dem Vorsitz eines 10-jährigen, ist sicherlich Fiktion. Wenn die Gesetze das Recht garantieren sollen und τὸ ἴσον τὸ δίκαιον bedeutet, so entspricht das dem allgemeinen vorphilosophischen Verständnis.61 Doch umso mehr mag man sich über die Lektion in Sachen Recht und Unrecht wundern, die Kyros nicht bestanden hat. Später wird er sich mit seinen Offizieren über die distributive Gerechtigkeit unterhalten, die besser sei als die arithmetische, die ja auf der Identität von Gleich und Gerecht fußt.62 Und so ist es bezeichnend, dass Kyros, der über eine hervorragende Physis verfügt, in diesem Fall nach der distributiven Gerechtigkeit entschieden hatte, indem er das Passende zum Maßstab nahm.63 Mandane gibt ihm ein konkretes exemplum durch den Vater Kambyses, der sich den Gesetzen unterordnet; sie vermeidet es aber, den eigenen Vater Astyages als Tyrannen zu bezeichnen.64 Die schlagfertige Antwort des Kyros, dass er in Sachen Pleo- und Meionexie von diesem lernen könne, da er doch alle Meder lehre, mit weniger zufrieden zu sein, ist sicherlich auch dem Topos geschuldet, dass Herrschen nur durch Beherrschtwerden gelernt werden könne, d. h. Kyros muss sich zunächst unterordnen und mit weniger zufrieden sein.65 Und dennoch ist auch hier eine Spitze erkennbar, dass die Untertanen eines Tyrannen lernen müssen, grundsätzlich „weniger als dieser zu haben“. 3.2.2. Junge Aristokraten beraten über Formen von Gerechtigkeit Kyros kehrt nach diesem verlängerten Aufenthalt bei seinem medischen Großvater wieder nach Persien zurück und absolviert seine Laufbahn bei den Epheben, um schließlich in die Gruppe der erwachsenen Männer aufgenommen zu werden; als Astyages in Medien stirbt, übernimmt dessen Sohn Kyaxares die Macht und sieht sich sogleich vor 60 Darauf verweist Levine Gera (1993), 73 mit Anm. 158; Hdt. 1.136,2; Xen. an. 1.9.5 und weiteren persischen Quellen. 61 Levine Gera (1993), 75 mit Anm. 166. 62 Xen. Kyr. 2.2.18–21. 63 An Stellen wie diesen setzt Strauss (1972), 109–114 an, um zu zeigen, dass Xenophon hier den Erzähler nicht ‚einfach‘ erzählen lässt. Zu einer Kritik dieser Auffassung Dorion (2010). 64 Das hebt zu Recht Levine Gera (1993), 76 heraus: „Astyages, on the other hand, is a tyrant, who rules by whim, is unfettered by laws, and is interested mainly in self-aggrandizement – or so we are led to understand, for Xenophon does not have Mandane condemn her father outright; instead she speaks in more general terms, contrasting tyranny with kingship“. 65 Zum Verhältnis von ἄρχειν und ἄρχεσθαι als Kennzeichen der spartanischen Verfassung: Plut. Apophth. Lac. 212b–c; 215d; Xen. Ag. 2.16; Kyros erkennt rückblickend in seiner väterlichen wie institutionellen Erziehung das Prinzip ἄρχειν und ἄρχεσθαι als grundlegend (Xen. Kyr. 8.7.9–15), Zimmermann (1989), 100–101 sieht dies auch zu Beginn im Proömium in Xen. Kyr. 1.1 ausgedrückt, genau das findet sich jedoch dort nicht, der Sache nach trifft es aber durchaus zu.
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einen Konflikt mit den Assyrern gestellt, die andere Bündnisgenossen, darunter auch Kroisos von Lydien, zusammengezogen haben, um die persisch-medische Allianz zu unterwerfen. Kyaxares schickt nach Medien zum Schwager Kambyses, aber auch direkt zum Neffen Kyros und bittet um militärische Unterstützung. Kyros ist bereit und wird über eine Einheit aus Homotimen und einfachen Soldaten gesetzt. Diese Homotimen66 schwört er in seiner ersten Rede auf seine Doktrin ein. Zunächst kritisiert er die Politik der Vorfahren, die aus der hohen militärischen Schlagkraft („sie waren nicht schlechter als ihr“) keinen Nutzen gezogen hätten:67 Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, was diese so hervorragend ausgebildeten Männer, sei es für das Gemeinwesen der Perser, sei es für sich selbst hinzuerworben hätten. Indessen glaube ich, dass keine arete von Menschen ausgeübt wird, ohne dass die Guten mehr als die Schlechten haben (µηδὲν πλέον ἔχειν).
Wer immer sich auf etwas verstehe, müsse zu seinem Nutzen einen Effekt daraus ziehen können, was sollten sonst die ganzen Mühen? Hier klingt der Gedanke der lebenstauglichen τέχνη an.68 Die Feinde aber seien verglichen mit den ‚professionellen‘ Persern Laien, da sie den πόνος nicht ertrügen. Die Fähigkeit, aber, Mühen zu ertragen, sei das wichtigste Erziehungsziel und mache echte Professionalität aus. Denn nur durch Mühen ließen sich große Gewinne erzielen, daher wüssten alle Perser, dass die Mühen die Führer eines angenehmen Lebens seien.69 Mit dieser Argumentation lässt der Erzähler Kyros die politische Absicht mit einer sokratischen Argumentationsfigur begründen. Der Kalkül von Mühe und Lust wird so zu einem Motiv, in einer gerechten Sache einzugreifen. Kyros gibt den ewig Übenden und Trainierenden so ein Ziel, für das sie ihre Mühen einsetzen können (Asketismus mit Belohnung). Aus der Feldherrenrede wird so eine moralphilosophische Etüde. Wenn Kyros hier auch unverhohlen der Pleonexie das Wort redet, so bemüht er sich aber, diese als Folge natürlicher Suprematie darzustellen. Wir werden aber auf diesen hier vielleicht überraschenden Begriff noch einmal zurückkommen.70 In einem nächsten Schritt nun lässt Kyros die Homotimen darüber debattieren, ob sie bereit wären, die einfachen Soldaten auch nach Verdienst zu entlohnen und darin sich selbst gleichzustellen. Hintergrund ist die zahlenmäßige Unterlegenheit des per66 Die ὁµότιµοι sind die persischen Aristokraten, die deutlich von den einfachen ‚demotischen‘ Soldaten unterschieden werden. 67 Xen. Kyr. 1.5.8–9: ὅ τι μέντοι προσεκτήσαντο τοιοῦτοι ὄντες ἢ τῷ τῶν Περσῶν κοινῷ ἀγαθὸν ἢ αὑτοῖς, τοῦτ’ οὐκέτι δύναμαι ἰδεῖν. καίτοι ἐγὼ οἶμαι οὐδεμίαν ἀρετὴν ἀσκεῖσθαι ὑπ’ ἀνθρώπων ὡς μηδὲν πλέον ἔχωσιν οἱ ἐσθλοὶ γενόμενοι τῶν πονηρῶν. 68 Wilms (1995), 132–137 erkennt in dieser Rede Grundzüge einer τέχνη πολεµική, scheint aber zu übersehen (S. 132), dass Kyros die traditionelle Ausbildung gerade darin als defizitär ansieht, als kein agathon aus den ponoi gezogen werde. Es fällt zwar auf, dass Kyros mit ἀσκεῖν, παρασκευάζειν, µελετᾶν, ἐκπονεῖν das ‚asketische‘ Modell der sophistischen techne beschreibt. Es bleibt aber offen, inwiefern sich die episteme auch auf Gegenstände wie Hunger und Schlaf als typisch militärische ponoi beziehen kann. Denn wenn die Homotimen über besonders ausgebildete ‚Seelen‘ verfügen, dann wäre zu bestimmen, welche episte me dieser dann eignet. 69 Xen. Kyr. 1.5.11–12. 70 Siehe unten 134 ff.
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sischen und medischen Kontingentes gegenüber der Allianz der Assyrer. Kyros macht den Vorschlag, durch höhere Motivation diese Unterlegenheit auszugleichen:71 „Ich sehe, dass ihr mit Männern gekommen seid, die in tadelloser körperlicher Verfassung sind, sie sollen aber auch die gleichen Waffen wie ihr erhalten; eure Aufgabe aber wird es sein, ihre Seelen zu schärfen (τὰς ψυχὰς θήγειν). Denn es ist Aufgabe eines Mannes mit Führungsfunktion, nicht nur sich selbst als gut zu erweisen, sondern sich auch um seine Untergebenen zu deren Besten zu kümmern.“
Der Erzähler lässt Kyros also die strategische Entscheidung auch als moralisch konnotiert darstellen, indem er an der Verpflichtung zur arete erinnert, die die Aristokraten zu erfüllen hätten, darin zeigten sie echte ἐπιµέλεια.72 Die Führungsaufgabe hat aber auch noch eine soziologische Implikation, da die Änderung der Bewaffnung und der Kampftechnik auch eine Aufwertung der einfachen Soldaten nach sich zöge. Einer aus den Homotimen lobt den Vorschlag des Kyros, denn sein Wort habe die größte Wirkung.73 Kyros hält daher eine Rede vor allen persischen Soldaten: alle sollten dieselben Waffen erhalten und könnten so unter gleichen Bedingungen Ruhm erwerben; denn alle strebten nach arete im Kampf, daher müsse man auch die Möglichkeit geben, diese zu erreichen. Diese Worte verfehlen ihr Wirkung nicht:74 Als die Perser das gehört hatten, glaubten sie, dass, wenn sie ermuntert würden, mit gleichen Anstrengungen auch dasselbe zu bekommen, sie zurecht ihr ganzes Leben als Habenichtse verbrächten, sollten sie sich dazu nicht verstehen.
Der Erzähler zeigt durch seine Wortwahl an, wie der Einzelne durch sein Streben nach der arete sich aus einer „Mittellosigkeit“ befreien kann. Damit erhält diese taktische Maßnahme wiederum den Einschlag einer lebensphilosophischen Lehre im Sinne einer τέχνη τοῦ βίου. Diese aber soll auch materielle Vorteile sicherstellen. Vor dem Hintergrund der weiteren Narration freilich erscheint es signifikant, dass die Formulierung auch weitergehende Privilegien rechtfertigen könnte. Kyros nutzt nun die Zeit bis zur Ankunft des feindlichen Heeres für militärisches Training und die Aufstellung eines umfangreichen Prämienkataloges zur Belohnung großer Leistungen, gibt sich also ganz als Tugendtrainer des militärischen ponos.75 Außerdem festigt Kyros den sozialen Zusammenhalt durch Syssitien in großen Zelten; auch er selbst pflegt solche Zusammenkünfte, zusammengesetzt aus verschiedenen, wechselnden Gruppierungen, aber stets als Belohnung hervorragender Leistungen der Eingeladenen. In diesen Zusammenkünf71 Xen. Kyr. 2.1.11: νῦν οὖν, ἔφη, σώματα μὲν ἔχοντες ἀνδρῶν ἥκετε οὐ μεμπτά· ὅπλα δὲ ἔσται αὐτοῖς ὅμοια τοῖς ἡμετέροις· τάς γε μέντοι ψυχὰς θήγειν αὐτῶν ὑμέτερον ἔργον. ἄρχοντος γάρ ἐστιν οὐχ ἑαυτὸν μόνον ἀγαθὸν παρέχειν, ἀλλὰ δεῖ καὶ τῶν ἀρχομένων ἐπιμελεῖσθαι ὅπως ὡς βέλτιστοι ἔσονται. 72 Xen. Kyr. 2.1.11. 73 Xen. Kyr. 2.1.13: ἐνδύovται ταῖς ψυχαῖς τῶν ἀκουόντων. 74 Xen. Kyr. 2.1.19: ἀκούσαντες δὲ οἱ Πέρσαι ἐνόμισαν, εἰ παρακαλούμενοι ὥστε τὰ ὅμοια πονοῦντες τῶν αὐτῶν τυγχάνειν μὴ ἐθελήσουσι ταῦτα ποιεῖν, δικαίως ἂν διὰ παντὸς τοῦ αἰῶνος ἀμηχανοῦντες βιοτεύειν. οὕτω δὴ ἀπογράφονται πάντες ἀνέλαβόν τε τὰ ὅπλα πάντες. 75 Xen. Kyr. 2.1.20–24.
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ten bemüht er sich um gefällige Unterhaltungen, die gleichwohl einen moralischen Anspruch erheben, zum richtigen Handeln (ἀγαθόν) zu ermuntern. Und so stellt er hier ein Diskussionsthema: Werden die neuen Kämpfer aufgrund ihrer schlechteren Erziehung sich genauso bewähren wie sie selbst?76 Daraufhin erzählen verschiedene Granden ihre persönlichen Erlebnisse mit den einfachen Soldaten. Der erste, Hystaspes (der spätere Satrap über den Westen), berichtet von der Gier eines Soldaten, dem freilich aufgrund seiner Tollpatschigkeit das ersehnte größte Stück beim Essen gerade durch die Lappen oder besser: Zähne ging; ein anderer erzählt von Dummheiten auf dem Exerzierplatz, die in Szenen wie auf der Police-Academy gipfeln. Das Lachen dieser Symposiasten im Kommiss ruft nun die Kritik eines Griesgrames, Aglaitadas, hervor, der die Wahrheit des Erzählten bezweifelt. Kyros verteidigt dagegen solche Späße als urbane Lebensform, denn anders als Aufschneider und Prahler hätten diejenigen, die solche Geschichten erzählen, es ja nicht auf einen persönlichen Vorteil abgesehen. Hierauf entwickelt sich ein fiktionalitätstheoretischer Disput: Der Taxiarch, der seine drollige Geschichte vom Exerzierplatz zum Besten gegeben hatte, hält dem Griesgram vor, dass dieser ihn sicherlich gescholten hätte, wenn er getan hätte, was viele Dichter tun, indem sie zu Tränen rührende Geschichten erzählten. Der Stryphnos erklärt sich:77 „Ja, beim Zeus, und zu Recht [kritisiere ich dich], denn mir scheint oftmals, dass derjenige, der seinen Freunden einen Anlass zum Lachen bietet, weniger Wertvolles leistet als wer sie zum Weinen bringt; […] denn die Väter bringen ihre Söhne mit Tränen zur Besonnenheit und die Lehrer vermitteln mit Tränen ihren Schülern wertvolles Wissen. […] Kannst du mir dagegen sagen, ob die Lacher den Körpern genutzt oder die Seelen besser für den Haushalt oder die Politik gemacht hätten?“
Dem hält Hystaspes entgegen, dass er, Hystaspes selbst, dieses vermeintlich höhere Mittel der Tränen für die Feinde bereit hielte und es den Persern überlassen müsse, sich mit dem billigeren Mittel des Lachens zu begnügen. Überhaupt gönne der Griesgram seinen Freunden nicht diese milde Gabe, von der er doch noch genug in petto haben sollte, so sparsam wie er damit umgehe. Als der Kritisierte empfindlich antwortet, Hystaspes wolle sich wohl über ihn lustig machen, entgegnet ihm der Taxiarch: Das sei so unmöglich wie Feuer aus ihm zu schlagen. Alle quittieren diesen Schluss mit Lachen – und selbst der Griesgram muss lächeln. Dieser Episode lässt sich nun auch eine poetologische Aussage entnehmen. Man könnte, wie Thukydides es Herodot vorhielt,78 gegen diese eingestreuten Episoden einwenden, dass der Erzähler es mit diesen allzu sehr auf τέρψις der Leser abgesehen habe: gibt er damit nicht den Wahrheitsanspruch seines exemplum preis? Dagegen lässt der 76 Xen. Kyr. 2.2.1. 77 Xen. Kyr. 2.2.14: Ναὶ μὰ Δί’, καὶ δικαίως γε, ἐπεὶ καὶ αὐτοῦ τοῦ κλαίοντας καθίζοντος τοὺς φίλους πολλαχοῦ ἔμοιγε δοκεῖ ἐλάττονος ἄξια διαπράττεσθαι ὁ γέλωτα αὐτοῖς μηχανώμενος. […] κλαύμασι μέν γε καὶ πατέρες υἱοῖς σωφροσύνην μηχανῶνται καὶ διδάσκαλοι παισὶν ἀγαθὰ μαθήματα […] τοὺς δὲ γέλωτα μηχανωμένους ἔχοις ἂν εἰπεῖν ἢ σώματα ὠφελοῦντας ἢ ψυχὰς οἰκονομικωτέρας τι ποιοῦντας ἢ πολιτικωτέρας; 78 Thuk. 1.22.4 καὶ ἐς µὲν ἀκρόασιν ἴσως τὸ µὴ µυθῶδες αὐτῶν ἀτερπέστερον φανεῖται.
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Erzähler vorbringen, dass der fiktionale Anteil nicht der persönlichen Bereicherung diene, wie Lügner und Prätendenten dies normalerweise tun, wenn sie die Unwahrheit sagten (τοῦ λαβεῖν τι ἕνεκα καὶ κερδᾶναι ποιοῦσιν). Wer solche Geschichten einflicht, bediene sich vielmehr nur einer urbanen Kommunikationsform, die das Lachen als Vermittlungshilfe nutze. Affektmittel gehören nun auch zum Inventar von Dichtern und Rednern, daher gelte a fortiori, dass die Verstärkung durch positive Affekte ohne Hinterabsichten akzeptiert werden müsse, auch wenn sie vielleicht eine geringe faktische Grundlage haben. Negative Verstärkung durch Affekte wie Furcht und Schauder der tragischen Mimesis79 leisteten weit weniger – ohne der Wahrheit näher zu stehen. Dies wäre eine Deutung, die sich auf die allgemeine Bemerkung zum affektischen Geschäft der Dichter und Redner berufen könnte, um daraus eine poetologische Aussage als Leseanleitung zu extrahieren: Fiktion ist erlaubt und steht der Wirkung des Exempels nicht nur nicht entgegen, sondern sie unterstützt diese geradezu. Wenn diese Gespräche also einen bewusst kalkulierten affektischen Effekt erzielen sollen, so dient diese produktionstheoretische Maßnahme dazu, die Frage nach der distributiven Gerechtigkeit erneut und auf einem höheren Niveau zu stellen. Denn nachdem die Homotimen mit den Soldaten in ihrer Bewaffnung gleichgestellt sind, können die einfachen Soldaten auch vergleichbare Leistungen erbringen: sollte ihnen dann nicht auch eine entsprechende Belohnung zuteil werden? Das möchte Kyros zur Debatte stellen, denn die Kriegsbeute sei ein gemeinsamer Besitz, über den auch nicht autokratisch zu entscheiden ist.80 Denn man ist der Meinung, niemand werde sich einer Belohnung nach dem Leistungsprinzip widersetzen; ja, sogar die Schlechtesten müssten zugeben, dass es für sie besser sei, wenn die Besten mehr bekämen.81 Der Erzähler erklärt, Kyros habe erwartet, durch eine solche Leistungsprämie würden auch die Homotimen sich anspornen lassen. Doch wird diese ernsthafte Debatte sogleich wieder durch einen weiteren Scherz unterbrochen: Einer erzählt von einem einfachen Soldaten, der immer nur nach seinem persönlichen Gewinn strebe und stets mehr als die anderen haben wolle. Doch fällt ein anderer ihm mit der rhetorischen Frage in die Rede, ob der besagte Soldat denn auch bei den Mühen so eifrig auf seinen größeren Teil schaue. Solche Männer, die der arete nicht genügen, müssten disqualifiziert werden, entscheidet Kyros; damit wird auch hier mit einer witzigen Episode ein ernsthaftes Lehrstück eingeführt. Denn, so erklärt der philosophische Führer Kyros, während sich die Masse lenken lasse und folge, wohin auch immer man sie führe, versuchten die Guten zum Guten zu führen, die Schlechten aber zur Schlechtigkeit; die Tugend aber führe immer nach oben, doch könne sie nicht auf sichere Gefolgschaft rechnen, da die meisten den leichteren, da abschüssigen Weg der Schlechtigkeit bevorzugten.82 Hier lässt der Erzähler deutlich Prodikos mit seinem Herakles am Scheideweg anklingen, der ja auch in den Memorabilien einge79 Diese Deutung könnte sich auf das κλαίοντας ἐκείνους καθίζειν in 2.15 beziehen, das ja eine durchaus offene Formulierung ist. 80 Hier widerspricht Kyros explizit dem Topos des gierigen Tyrannen und zeigt sich als besonnener Herrscher, der alles nach der arete entscheidet. 81 Begründet wird diese Behauptung (leider) nicht. 82 Xen. mem. 2.1.21–34
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hend zitiert wird. Für die Frage nach der Pleonexie bleibt diese moralische Implikation allerdings wegweisend: das Gute müsse sich lohnen und einen Wert außer sich haben; freilich trete es dann in Konkurrenz mit dem Schlechten, das nach unmittelbarem Genuss strebe und oftmals sogar mehr als dieses zu bieten scheine. Erst aus einer größeren Distanz betrachtet, erweist sich der Gewinn der Guten als größer. Für die Führung der Truppe ergibt sich daraus die Notwendigkeit, die Untüchtigen auszusondern, damit die Verbleibenden besser erkennen können, wohin der Weg der Tugend führt. Der Erzähler variiert und vertieft mit diesen Redebeiträgen, von denen er abschließend resümiert, sie vermischten Ernst mit Amüsantem, im Grunde zwei unterschiedliche Diskurse: den Moraldiskurs von Lust und Unlust als moventia bzw. Ziele des Handelns und den politischen Begriff der Pleonexie, der seit Thukydides zur dynamischen Beschreibung staatlichen Handelns verwendet wird. Diese Verbindung ist freilich schon von Platon vorbereitet worden.83 Vielleicht hat Strauss auch an Stellen wie diese gedacht, als er bei Xenophon jedes philosophische Argument als in politischer Philosophie begründet sah.84 Vor dem Hintergrund aber der Luxus-Diskussion mit dem Großvater Astyages zeigt sich auch ein Reflex der Lehre eines anderen Sokratikers, nämlich des Antisthenes. So berichtet Diogenes Laertios von Antisthenes’ Dogma der Lehrbarkeit der Tugend und, dass sie allein auch genüge, um glücklich zu sein (εὐδαίµων), freilich bedürfe es dafür der Stärke eines Sokrates.85 Das heißt, es geht darum, das einmal Erkannte auch mit aller Energie zu verfolgen. Und so muss sich die arete im Handeln bewähren und kann auch eigentlich nur im Handeln erworben werden. Der Weise ist autark und richtet sich daher nach den Gesetzen nur insoweit, als sie in Übereinstimmung mit dem stehen, was die arete gebeut. Es sei daher besser, mit wenigen Guten gegen alle Schlechten zu kämpfen als mit vielen Schlechten gegen wenige Gute. Ergänzend dazu kann man die Rede des Antisthenes im xenophontischen Symposium heranziehen. Dort preist Antisthenes den inneren Reichtum der Seele und hebt diesen vom äußerlichen des Körpers und der materiellen Habe ab. Der Fehler von letzterem komme in der grenzenlosen Pleonexie der Tyrannen zum Ausdruck, die, egal wie viel sie schon besitzen, stets nach noch größerem Besitz streben und somit ewig unzufrieden bleiben.86 Wenn Kyros hier also darauf Wert zu legen scheint, dass er mit lauter ‚guten‘ Kämpfern gegen die zahlenmäßig überlegenen Assyrer zieht, so illustriert er in gewissem Sinne die Position des Antisthenes, von der wir bei Diogenes Laertios hören (ohne genau zu wissen, was gemeint ist). Es wird aber auch der fundamentale Unterschied deutlich, der Xenophon hier von seinem Kollegen Antisthenes trennt: hatte dieser die arete als telos des tugendgemäßen Lebens definiert, weil diese arete auch Eudaimonie verbürge, so lässt Kyros den Tüchtigen nicht ohne materielle Gaben, die seinen Eifer befeuern sol83 Thuk. 4.86.6; Plat. Gorg. 508a; rep. 344a; 359c. Dazu Gutglueck (1988). 84 Das ist die argumentative Grundlage von Werken wie Strauss (1970) und Strauss (1972); dazu auch Dorion (2010). 85 Diog. Laert. 6.11–13. 86 Xen. symp. 4.34–44.
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len. Und die Pleonexie wird im berühmten Erziehungsdiskurs am Ende des 1. Buches als Strategem erörtert. Der Miesepeter (στρυφνός), der die Methode der schmerzhaft-tränenreichen Erziehung vorzieht und die positive Verstärkung ablehnt, könnte auch als Karikatur eines falschen ponos-Begriffes aufgefasst werden: dann wäre Antisthenes gemeint; oder es geht gegen Platon, der bekanntlich in der Politeia vor den emotionalen Wirkungen der Dichtung warnt. In der Komödie wird der komödienfeindliche Platon als σκυθρωπός verspottet.87 Überhaupt hat man den Eindruck, dass diese Gespräche in der Form von Symposien gehalten werden. Möglicherweise möchte der Autor darin an das archaische Symposion der Hetairien als Ort der politischen Willensbildung anknüpfen.88 Wer hier aber auf die angeblich fehlende faktische Unterfütterung der unterhaltsamen Darbietung soldatesker Symposionsbeiträge verweisen wollte, sähe sich in der denkbar schlechten Gesellschaft von verstockten ‚Spielverderbern‘, die den höheren Ernst der παιδιά nicht wahrhaben wollen. 3.2.3. Gespräche mit dem Vater Das erste Buch der Kyrupädie schließt mit einem sehr ausführlichen Gespräch, das Vater und Sohn auf dem Weg nach Medien führen; der Vater begleitet Kyros bis zur Grenze und so erhält dieses Gespräch auch die Bedeutung eines Resümees, das die persische Erziehung beschließt, indem die wesentlichen Punkte zusammengefasst werden. Man könnte auch an die Form der ὑποθῆκαι (Hypothekai) denken, die den jungen Helden mit dem wichtigsten moralischen Rüstzeug versorgen sollen.89 Auch hier aber geht es noch einmal um die Frage der Gerechtigkeit; nun aber um das rechte Handeln als Soldat. Ausgangspunkt ist die strategische Devise, dass man selbst mit einer hervorragend ausgebildeten Truppe immer aus einer Position der Überlegenheit heraus agieren und kämpfen müsse.90 Wie aber kann man diese Überlegenheit erreichen?, fragt der Sohn – Überlegenheit wird hier als Pleonexie definiert, eigentlich das Mehr-Haben, πλέον ἔχειν. Dieser Begriff war zuvor in anderen Kontexten diskutiert worden, zuletzt als Merkmal tyrannischer Herrschaft. Als Kambyses dem Sohn das Strategem erläutert: Man müsse listig, verschlagen und schlau sein, ein Betrüger, Dieb, Räuber und vor allem mit allen Mitteln dem Feinde überlegen sein, zeigt sich der Sohn zunächst entsetzt. Doch der Vater erklärt, dass er genau dadurch zum gerechtesten Manne würde. „Doch warum habt ihr uns als Knaben und später als Epheben genau das Gegenteil gelehrt?“, möchte der
87 Diog. Laert. 3.28: ὦ Πλάτων, ὡς οὐδὲν ἦσθα πλὴν σκυθρωπάζειν µόνον, ὥσπερ κοχλίας σεµνῶς ἐπηρκὼς τὰς ὀφρῦς. Vergleiche auch die Beiträge von Blank und Tamiolaki in diesem Band. 88 Man könnte hierfür auf Kritias Fr. B6 Diels/Kranz aus den Verfassungen in metrischer Form verweisen. 89 Hypothekai gehören in den größeren Umkreis der Weisheitsliteratur, wie die erga des Hesiod, dem auch die Unterweisungen des Chiron für Achilleus zugeschrieben wurden; West (1978), 3–25; s. auch Scully (2003), Friedländer (1913), 558–616. 90 Xen. Kyr. 1.6.26.
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Sohn wissen.91 Hier verweist der Vater auf das Freund-Feind-Schema;92 denn sie hätten ja das Kriegshandwerk gelernt, um diese Kenntnisse einmal gegen den Feind einsetzen zu können. Doch wie bei der Jagd, die Xenophon bekanntlich als paramilitärische Übung schätzte,93 der Jäger seinen Vorteil ausnutzt, ja überhaupt nur aus einer Position des Vorteils das Wild angreift, müsse auch der Feldherr alles daran setzen, die Feinde mit allen Mitteln aus einer Überlegenheit heraus anzugreifen. Doch nötigt der Protest des Sohnes den Vater zu einer historischen Erklärung; ehedem habe es einmal einen Lehrer gegeben, dessen Lehrplan vorsah, bereits den Knaben zu vermitteln, zu betrügen und nicht zu betrügen, zu lügen und nicht zu lügen, usw.; doch sei diese Maßnahme gescheitert, da die Gewitzten unter den Schülern diese Fertigkeiten unerlaubterweise auch gegen ihre Kameraden anwandten, denn zwar dürfe man nach dessen Lehre auch den Freund betrügen, aber nur zu dessen Vorteil. Hier klingen wieder deutlich Gedanken aus der platonischen Politeia, den Dissoi logoi und anderen Texten dieser Zeit an, in denen die Identifizierung von Gerecht und Legitim aufgeweicht wird.94 Nach diesen negativen Erfahrungen sei man dazu übergegangen, den Knaben nur die halbe Wahrheit beizubringen und bis ins Mannesalter zu warten, ehe sie die ganze Gerechtigkeit lernten. Das mache man bei Fragen der Sexualmoral ja nicht anders, illustriert der Vater. Man hat hier an eine intertextuelle Referenz zu Antisthenes gedacht; wenn man berücksichtigt, dass Antisthenes den Weisen ausdrücklich über das positive Gesetz stellt,95 so läge diese Verbindung in der Tat nahe. Der Erzähler erweitert so die besprochene Unterhaltung zwischen der Mutter und dem Sohn durch diese Gerechtigkeitslehre, die kaum zufällig der Vater vermitteln soll. Natürlich wirft das dann auch ein Licht auf die noch ungeklärten Fragen des damaligen Knaben, ob er nicht auch noch die Kunst des Großvaters erlernen könne, dem Volk das Weniger-Haben zu vermitteln. Auf der anderen Seite ist aber auch zu sehen, dass zuvor in dem langen Gespräch zwischen Vater und Sohn viele Tugenden von Führungspersönlichkeiten genannt wurden, so z. B. die Fähigkeit, mehr Mühen zu erdulden als die Untergebenen, und sich auf einen freiwilligen Gehorsam zu verlassen. Letzteres erreiche man durch höhere Kompetenz (φρόνιµος, Beispiel Arzt und Patient), durch Sorge um die Untergebenen, die sich durch emotionale Anteilnahme und Wohltaten zeigt. Es ist auffällig, dass Kambyses dafür immer wieder den Komparativ nutzt, um die nötige Überlegenheit des ἄρχων zu beschreiben. Er müsse ausdauernder, müsse klüger, kompetenter sein usw. Und so verwendet er auch einmal πλεονεκτεῖν. – Er muss überhaupt in allem im Vorteil sein. Man kann das durchaus als Korrektur an der falschen Pleonexie 91 Xen. Kyr. 1.6.28. 92 Dieses archaische Prinzip wird als ultima verba von Kyros affirmiert: Xen. Kyr. 8.7.28. Es wird von Platon in rep. 1.332a–b als eines der vorphilosophischen Gerechtigkeitsprinzipien angesehen. Tatsächlich gehört es zur sogenannten Goldenen Regel, darüber Dihle (1962). 93 Der Kynegetikos ist dem Xenophon zwar untergeschoben worden, aber es fehlt nicht an Belegen, dass Xenophon die Jagd schätzte s. Breitenbach (1967), 1918–1919; in Xen. Kyr. 8.1.34–35. 94 Das ruft Müller-Goldingen (1995), 127 mit Xen. mem. 4.2.13; Dissoi Logoi 3.1; Plat. rep. 331c ff., in Erinnerung; mit dem „früheren Lehrer“ könnte Antisthenes gemeint sein. 95 Siehe oben S. 133.
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der Tyrannen verstehen: Der wahre Herrscher ist auch ein πλεονεκτῶν, aber so, dass er seine Führungsaufgabe optimal erfüllen kann. Es ist aber doch bemerkenswert, dass der Erzähler dem Leser eine Aufgabe stellt, ohne dies explizit zu machen. Dieser hohe Anspruch aber scheint nicht recht zu dem naiven legal positivism zu passen,96 den Sokrates in den Memorabilien gegenüber Hippias vertritt oder den die Mutter dem Sohn durch das Beispiel des Vaters zu vermitteln sucht. Für die schon mehrfach aufgeworfenen poetologischen Fragen ergibt sich aber aus dieser Korrektur des Vaters an den naiveren Gerechtigkeitsnormen in der persischen Knabenerziehung, dass es einen höheren Wert gibt, an dem sich das Handeln der Aktanten wie die Produktion des Autors zu bemessen haben. So wie der ἀγαθός die Norm auf eine höhere Gültigkeit bezieht und nicht am Gesetz kleben darf, so sieht sich der Erzähler zur Vermittlung einer höheren Wahrheit angehalten, die dem Rezipienten in einer angenehmen Form dargeboten wird. 4. Von der Theorie in die politische Praxis: die erste politische Entscheidung 4.1. Die Armenier-Episode (3.1) Die Armenier-Episode zeigt zunächst, wie Kyros die Maximen des Vaters politisch umsetzt; dabei ist unübersehbar, dass sich der Prozess mit dem abtrünnigen Armenier als ein sokratisch-dialektisches Gespräch vollzieht, in der die Frage der Gerechtigkeit (τὰ δίκαια) aus dem juristisch-staatsrechtlichen Bereich in den der praktischen Vernunft überführt wird. Dem entspricht, dass „der Armenier“, wie der König stets heißt, beim Anrücken des Kyros „erschrickt“ (ἐξεπλάγη) und darüber nachdenkt (ἐννοήσας), dass er sich im Unrecht befindet, weder die vereinbarten Abgaben zu leisten noch das Heer zur Unterstützung gegen die Assyrer zu entsenden. In diesem Erschrecken beweist sich die Richtigkeit des strategischen Kalküls, das Prinzip des Vorteils aus der Jagd in die Kriegsführung zu übernehmen und diesen Vorteil auch durch Listen zu sichern. Denn Kyros hatte seinem Taxiarchen Chrysantas befohlen, die Rolle eines Jägers an den ausgelegten Netzen zu übernehmen, während er selbst die der Verfolger übernehmen wolle.97 Dem gingen tatsächliche Treibjagden voraus, die Kyros im Gebirge mit seinem Gefolge veranstaltete, nachdem er ein günstiges Omen gesehen hatte, wie ein Adler einen Hasen riss und „mit dem Fang nach Belieben verfuhr.“98 Kyros frohlockt und dankt dem Zeus Basileus, „denn das müsse eine schöne Jagd werden“. Später wird der Sohn des umstellten Armeniers Kyros dafür loben, dass er den Feind leicht „wie einen Blinden oder Tauben getäuscht habe“. Denn der illoyale Vasall ist ratlos (ἀπορῶν), welche Alternative er wählen soll, sich aushungern zu lassen oder in eine hoffnungslose Schlacht zu ziehen, nachdem seine eigenen Leute fahnenflüchtig geworden sind. Kyros lädt ihn zum Prozess (ἐπὶ δίκην καταβαίνειν), Vorsitz wird derjenige führen, dem die Götter es in die 96 Dazu Hauser (1974) mit Arist. rhet. 1366b9; eth. Nic. 5.2 1129a33; Merle (2001). 97 Xen. Kyr. 2.4.25. 98 Xen. Kyr. 2.4.19.
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Hände legten, mit dem Armenier „nach Belieben zu verfahren“ – das Omen erfüllt sich also. Entscheidend ist aber nicht der erste Erfolg dieser List,99 sondern was Kyros nun politisch-militärisch aus diesem Erfolg macht. Das wird in der dialektischen Erörterung des Falles gezeigt.100 Wichtig ist, wie Kyros den Überführten zunächst in einem Tribunal vor die Befehlshaber der Meder und Perser, aber auch die Angehörigen der eigenen Familie mit Frauen und Kindern stellt und ihn in einem kurzen dialektischen Gespräch sein eigenes Todesurteil sprechen lässt. Levine Gera versucht dies als Einfluss der Rhetorik darzustellen;101 das scheint abwegig, vielmehr soll eine sokratisch eingeleitete Läuterung vollzogen werden, die sich mit dem unerwarteten Nahen des Kyros, das den Delinquenten erschrecken ließ, bereits angekündigt hatte.102 Aber am Ende steht nicht allein die moralische Besserung, sondern eben ein Vorteil, weil aus dem Unterworfenen ein wirklich treuer Vasall wird. Kyros tritt weniger als Richter denn als Erzieher auf. Die Frage der Gerechtigkeit wird so auch in einen utilitaristischen Kontext gestellt. Das macht sie aber keineswegs ‚unphilosophisch‘. Als Tigranes, der Sohn des Armeniers, den Kyros als Jagdgenossen seiner Jugend am persischen Hof kennen gelernt hatte, von einer Reise zurückgekehrt,103 die Szene betritt und angesichts des sich selbst zum Tode verurteilenden Vaters zugleich mit den anderen Familienangehörigen in einer tragisch anmutenden Geste sein Gewand laut klagend zerreißt,104 um dann aber die Rolle des neuen Gesprächspartners zu übernehmen, nachdem der durch sich selbst verurteilte Vater wiederum in eine (argumentative) Aporie gelangt ist, gibt er Kyros einen merkwürdigen Rat: Sollte er alles gutheißen, was der Vater getan habe, möge er ihn sich zum Vorbild nehmen; falls er aber meine, dieser habe Fehler begangen, solle er ihn nicht nachahmen. Kyros antwortet erwartungsgemäß, er würde den Übeltäter zu Recht nicht zum Vorbild nehmen.105 Also müsse er, Kyros, den Vater strafen, wie der Sohn selbst argumentiere. Gelte das auch, antwortet Tigranes, wenn er den Vater zu seinem eigenen 99 Kyros lässt eine Abteilung verkleidet als Räuber die Bergspitzen einnehmen, damit die Armenier keinen Verdacht schöpfen, denen er auch seinen Boten entsendet, der noch einmal um die vereinbarten Leistungen bittet und ein persisches Kontingent ankündigt (Xen. Kyr. 2.4.30–32). 100 Vgl. auch Tatum (1989), 135: „To encounter him, Cyrus for a time adopts the role of a philosopher. He speaks a philosopher’s language, but in a ruler’s setting.“ Dass jedoch das Ergebnis dieses Gespräches „distinctly unphilosophical and entirely satisfactory, so far as Cyrus is concerned“ sei, scheint mir nicht der Fall zu sein. 101 Levine Gera (1993), 82–92, 97: „The discussion includes ‚Socratic‘ topics […] and methods of argument found in the Memorabilia, […] but none of these features is exclusively Socratic and they may simply be seen as general rhetorical techniques“. 102 Das ließe sich an folgenden sprachlichen Phänomenen zeigen: Die Befragung beginnt mit λέγε δή µοι, eine Einleitung, die sich auch in den Memorabilien findet, z. B. Xen. mem. 2.3.11; häufiger ist der Imperativ Aorist (1.2.41; 1.3.9; 1.4.2 etc.), der auch in Xen. Kyr. 3.1.14 gebraucht wird. Zwar können diese Imperative auch in der rhetorischen Befragung gebraucht werden, aber hier mündet die Unterhaltung in eine dialektische Unterscheidung, Xen. Kyr. 3.1.11–12. 103 Dass Xenophon diese Figur hier einführt und dem Sohn das Dilemma erspart, zwischen dem Jugendfreund und dem Vater in einer Schlacht zu entscheiden, ist ein freundlicher Zug, der ein weiteres Mal beweist, wie er um eine idealisierte Erzählung bemüht ist, vgl. Levine Gera (1993), 80. 104 Xen. Kyr. 3.1.13. 105 Xen. Kyr 3.1.15: τὰ δίκαια ποιῶν ἥκιστ᾿ ἂν τὸν ἁµαρτάνοντα µιµοίµην.
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Schaden strafe? – Kaum, denn dann würde er ja sich selbst strafen, Strafe aber verdiene nur der Ungerechte. Gerecht könne also nicht sein, was dem Gerechten schadet. Indem Tigranes dieses Argument entwickelt, bestätigt sich die Erwartung des Kyros, der weiß, dass Tigranes von einem Sophisten erzogen ist.106 Die folgende Erörterung prüft nun, wie der ungerechte Armenier dem Kyros noch nutzen könne – und in diesem Nutzen soll Kyros auch sein Recht finden.107 Es zeigt sich, dass der begnadigte Armenier der bestmögliche Bündnisgenosse sein müsse, da er Kyros sein Leben und das seiner Angehörigen verdanke. Und genau darauf wollte Kyros auch hinaus, denn er hatte seinerseits dem Onkel Kyaxares angekündigt, den Abtrünnigen zu einem besseren Freund zu machen, als er zuvor war.108 Man muss den Eindruck gewinnen, dass die Episode als exemplum der abstrakten Lehre angesehen werden soll, die der Vater dem Sohn erteilt hatte, und die Überlegenheit zeigt sich nicht nur militärisch, sondern auch dialektisch-argumentativ, indem Kyros von Tigranes zu dem Ergebnis ‚gezwungen‘ wird, das er selbst wünschte. So sind auch die Präliminarien zu verstehen, die dem sokratischen Gespräch vorausgehen. An erster Stelle wird Wahrhaftigkeit verlangt, denn sollte einer in dieser Diskussion als Lügner überführt werden, so zöge er den Hass der Menschen auf sich, und die Verwandten wüssten ja genau, was der Armenier getan hatte.109 Unter dieser Vorgabe spricht der Delinquent zwangsläufig zunächst sein eigenes Todesurteil, denn wer sich nicht an Abmachungen halte, müsse gestraft werden. Hier gibt es argumentativ keinen Ausweg. Dieses Wahrheitsgebot ist aber auch die Voraussetzung einer vorbehaltlosen sachlichen Prüfung, an deren Ende die Rehabilitierung des Abtrünnigen aus Gründen des eigenen Vorteils steht. Denn die verhängte Strafe muss sich für Kyros lohnen. Der Übeltäter muss zur Vernunft kommen und er wird dies dann, wenn er Kyros’ totale Überlegenheit erkennt. Mit den Mitteln der sokratischen Dialektik wird also eine politische Frage entschieden, deren Lösung zugleich die Charaktereigenschaft der φιλοφροσύνη beweist, denn am Ende kann Kyros sogar noch eine Versöhnung erreichen. Nachdem nämlich der Ausweg aus der Aporie gefunden ist, fragt Kyros nach dem Sophisten, der Tigranes diese dialektischen Kompetenzen vermittelt hat. Dieser sei vom Vater getötet worden, und zwar weil der Sophist Tigranes’ Charakter verdürbe. Der Sophist habe Tigranes noch erklärt, dass er dem Vater verzeihen müsse, denn er handle aus Unkenntnis. Der Vater sekundiert, er sei eifersüchtig gewesen, weil der Sohn den Sophisten mehr bewundere als ihn selbst. Kyros schließt, dass Tigranes dem Vater verzeihen müsse, weil dieser menschlich gefehlt habe (Xen. Kyr. 3.1.40):110 Nach solchen Gesprächen und gegenseitig erwiesener Freundlichkeit, wie sie aus einer Aussöhnung entstehen kann, stiegen sie auf ihre Wagen und zogen mit ihren Frauen wohlgemut davon. 106 107 108 109
Xen. Kyr. 3.1.14. Xen. Kyr. 3.1.16–30. Xen. Kyr. 3.1.31. Hiermit wird an eine altpersische Haltung erinnert, die Herodot überliefert und sich auch in altpersischen Quellen zeigt, s. Levine Gera (1993), mit Hdt. 1.138; Hirsch (1985b), 18–19. 110 Xen. Kyr. 3.1.40: τότε µὲν δὴ τοιαῦτα διαλεχθέντες καὶ φιλοφρονηθέντες ὥσπερ εἰκὸς ἐκ συναλλαγῆς, ἀναβάντες ἐπὶ τὰς ἁρµαµάξας σὺν ταῖς γυναιξὶν ἀπήλαυνον εὐφραινόµενοι; vgl. auch Xen. Kyr. 8.2.3. Zu einer weiteren Interpretation s. Gaiser (1977, ND 2004).
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Mit diesem happy end, so schön es ist, schließt die Episode aber noch nicht. Kyros hatte den jungen Tigranes außerdem mit der Frage auf die Probe stellen wollen, wieviel er gäbe, um seine gerade vermählte Frau behalten zu dürfen, da der Armenier nun alles in die Hände des Kyros legen muss: „Ich gäbe dir meine Seele dafür, damit sie keine Sklavin werden müsste“, erhält er zur Antwort. Später im Wagen fragt Tigranes seine Braut, ob ihr die sprichwörtliche Schönheit des Kyros aufgefallen sei:111 „Bei Gott! Keineswegs, denn ich betrachtete ihn nicht.“ – „Wen dann?“, fragte Tigranes. „Den, der sagte, dass er, bei Gott!, seine eigene Seele gäbe, damit ich nicht dienen müsste.“ Da nun ruhten sie nach solchen Erlebnissen und Gesprächen, wie man sich vorstellen kann, beieinander.
Im Perspektivwechsel auf das wiedervereinigte Paar, dem Trennung und Entehrung bevorstand, wird jene affektische Dimension der Erzählung offenbar, die Xenophon auch zu einem Archegeten der Romanliteratur gemacht hat. So ideal Kyros das Problem löst, so idealisiert ist das Liebespaar im Wagen, vor dem am Schluss der Vorhang fällt, wenn „sie beieinander ruhen“ sollen. Die strukturelle Nähe von Staatsphilosophie und Liebesroman, so unterschieden sie auch inhaltlich sein mögen, ist evident.112 Die Freiheit der Fiktion schafft einen Raum für ideale Situationen, in denen ein besseres Leben möglich ist und zwar auf mehreren Ebenen. Darin soll sich die Umgänglichkeit des Kyros zeigen, der nicht nur ein geschickter Herrscher ist, sondern auch ein guter Psychologe. Auch die Geschichte des Sophisten in Armenien ist Fiktion und soll mehreres leisten: Zum einen wird der sokratische Einfluss offengelegt, denn hinter dem angeblich die Jugend verderbenden Sophisten steht natürlich Sokrates, dem im Prozess genau dieser Vorwurf gemacht worden ist. Die Aussöhnung ist dann zugleich ein Angebot an Athen, das der Sokratiker macht, da die Stadt aus Unkenntnis gehandelt habe, nicht aus Bosheit. Das hat man immer schon gesehen.113 Für die Frage der Fiktionalität der Kyrupädie jedoch ist diese Episode aufschlussreich. Wenn die überführte Lüge die Menschen zornig macht, so wäre die von vorneherein als Fiktion erzählte Geschichte einerseits akzeptabel, andererseits könnte man auch fragen, ob sie vielleicht eine andere Wahrheit zu verkünden habe. Denn augenscheinlich geht es nicht nur um eine solche von Fakten (einer ‚historischen‘ Biographie), sondern um eine philosophische, die sich an der Richtigkeit der Einsichten bemisst. Das ent111 Xen. Kyr. 3.1.41: Ἀλλὰ μὰ Δί’, ἔφη, οὐκ ἐκεῖνον ἐθεώμην. Ἀλλὰ τίνα μήν; ἔφη ὁ Τιγράνης. Τὸν εἰπόντα νὴ Δία ὡς τῆς αὑτοῦ ψυχῆς ἂν πρίαιτο ὥστε μή με δουλεύειν. τότε μὲν δὴ ὥσπερ εἰκὸς ἐκ τοιούτων ἀνεπαύοντο σὺν ἀλλήλοις. 112 Zu Xenophon als Archegeten des Romans s. Zimmermann (1989), 105; Reichel (2010), der mit anderen Argumenten auch auf die Parallelität einer Idealisierung verweist; vgl. auch die Typologie von Holzberg (2001), 62–82. Immer noch zutreffend die Charakterisierung von Weinreich, auf die Zimmermann (2009), 98 Anm. 8 hinweist: nach jenem ist der Liebesroman die „Frucht einer Liaison, die das gealterte Epos mit der kapriziös reizvollen hellenistischen Historiographie“ eingegangen sei. Xenophon steht hier genau dazwischen, indem er sich einerseits der historischen Figur nur als eines Anlasses bedient und andererseits die Leser mit affektisch aufgeladenen Episoden unterhalten möchte. 113 Schon Hirzel (1895), 168; Gaiser (1977, ND 2004), 89–91 mit weiteren Stellen.
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spricht dann den Unterhaltungen, die in den Memorabilien überliefert sind, obwohl sie dort sogar die explizite Funktion haben sollen, Sokrates von den Vorwürfen freizusprechen. Hier in der Kyrupädie ist es die staatsphilosophische Frage nach der richtigen Regierungsform, die als Ziel rechtfertigen mag, dass die Wahrheit nicht eine empirisch zu bestätigende ist, sondern nur durch philosophische Einsicht zu haben ist. 4.2. Parallele in der Anabasis 1.6 Wer diese Episode liest, muss unwillkürlich an einen ähnlichen Fall in der Anabasis denken.114 Dort ist es Orontas, ein hervorragender persischer Stratege, der Kyros einen Vorschlag unterbreitet, um die Bedingungen des Zuges zu verbessern. Er bittet um 1000 Reiter, damit er marodierende und brandschatzende Truppen des Großkönigs vernichten kann, die die Ressourcen gefährden. Kyros vertraut ihm und gibt ihm die Reiter, obwohl dieser sich in der Vergangenheit mehrfach als illoyal erwiesen hatte. Und so ist auch dieser Vorschlag in Wirklichkeit eine List, um Kyros zu schwächen und zum Großkönig überzulaufen. Dies kommt durch einen Brief zum Vorschein, der dem Kyros zugetragen wird. Dieser beruft ein Tribunal ein und verhört den General:115 „Ich habe euch zusammengerufen, Freunde, damit ich mit euch beratschlage, was vor Göttern und Menschen gerecht ist, und so dann mit Orontas hier verfahre.“ Mit einigen Fragen zum bisherigen Verhalten ruft er in Erinnerung, dass Orontas sich zweimal gegen ihn erhoben hatte, ohne Unrecht erfahren zu haben; in beiden Fällen bereute er scheinbar seine Illoyalität und trat wieder in die Dienste des Kyros, der ihn aufnahm:116 „Gibst du zu, dass du ungerecht gewesen bist?“ – „ Ja, unbedingt.“ […] „Und könntest du nun meinem Bruder feindlich entgegen treten, mir aber als treuer Freund?“ Der antwortete: „Auch wenn ich das täte, Kyros, du könntest das kaum je glauben.“ Auch hier spricht der Delinquent sein eigenes Urteil –, in der Anabasis aber wird es auch vollzogen. Nachdem Klearchos für die Beseitigung des Orontas plädiert, wird dieser abgeführt und „nie mehr gesehen“.117 In der Anabasis erscheint die Entscheidung vor dem Hintergrund der mehrfachen Illoyalität des hoch angesehenen Orontas als gerechtfertigt, es scheint gerecht vor Göttern und Menschen; dass Kyros das Urteil nicht selbst spricht, sondern der Landsknecht Klearchos, lässt Kyros zudem in einem besseren Licht erscheinen. Es ist kein Hass bemerkbar, sondern auch die Befragung vollzieht sich wie vor Gericht, indem Kyros Fakten vorlegt und Orontas wahrheitsgemäß, aber stets auch gegen sich spricht. Orontas kann nicht einmal Verfehlungen des Kyros gegen ihn zur Entschuldigung vorbringen. Das soll in einem merkbaren Kontrast zu den Gerichtsformen in Athen stehen, 114 Vgl. auch Levine Gera (1993), 83–84; aber mit anderen Absichten. 115 Xen. an. 1.6.6: Παρεκάλεσα ὑμᾶς, ἄνδρες φίλοι, ὅπως σὺν ὑμῖν βουλευόμενος ὅ τι δίκαιόν ἐστι καὶ πρὸς θεῶν καὶ πρὸς ἀνθρώπων, τοῦτο πράξω περὶ Ὀρόντα τουτουί. 116 Xen. an. 1.6.8: Ὁμολογεῖς οὖν περὶ ἐμὲ ἄδικος γεγενῆσθαι; Ἦ γὰρ ἀνάγκη, ἔφη Ὀρόντας. […] Ἔτι οὖν ἂν γένοιο τῷ ἐμῷ ἀδελφῷ πολέμιος, ἐμοὶ δὲ φίλος καὶ πιστός; ὁ δὲ ἀπεκρίνατο ὅτι οὐδ’ εἰ γενοίμην, ὦ Κῦρε, σοί γ’ ἄν ποτε ἔτι δόξαιμι. 117 Xen. an. 1.6.11.
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wo der Angeklagte alle Mittel einsetzen kann, um seinen Kopf zu retten.118 Doch sticht die Entscheidung des jungen Kyros über den Armenier deutlich ab, und wirkt daher idealisiert. Und das auch deswegen, weil man sich denken könnte, dass Kyros II. ja auch mehrfach Gnade hat walten lassen, Orontas aber illoyal blieb. Ist der Kyros in der Kyrupädie also zu schön, um wahr zu sein?119 Wie realitätsnahe sind das Erziehungsprogramm und damit auch die prätendierte Wahrheit der Lebensbeschreibung? 5. Schluss Wenn ich das frage, schaut mir natürlich ein anderer Leser und Autor über die Schulter, nämlich Leo Strauss, mit dem mich auch die Einsicht verbindet, dass Xenophon vielleicht viel raffinierter ist, als die gängige Literaturgeschichtsschreibung wahrhaben will. Denn ebenso wie im Staat der Athener findet sich auch am Ende der Kyrupädie ein Kapitel, das der Erziehung des Kyros den Boden zu entziehen scheint, da dort der baldige moralische Niedergang des Großreiches nach dem Tod des Gründers konstatiert wird. Wenn man diesen ‚Roman‘ von Kyros’ Erziehung auch in der Doppelbedeutung eines genitivus subjectivus und objectivus120 gelesen haben sollte, so schiene der subjectivus jedenfalls widerlegt: ohne den weisen Herrscher bleiben die guten Einrichtungen nicht bestehen. Aber das könnte uns auch noch einmal auf die Fiktionalitätsfrage zurückführen. Philip Stadter hat in seinem Aufsatz „Fictional Narrative in the Cyropaedia“ dafür geworben, die Kyrupädie als eine bewusst fiktionale Erzählung zu lesen, in der das paradeigma des weisen Herrschers idealtypisch dem Leser vorgestellt wird: „The reader comes to realize that Xenophon is writing not in the indicative but the subjunctive mood, not about things or people as they have been, but as they might be.“121 In den Episoden werden einzelne Situationen erzählt, die ein aspektreiches und lebendiges Bild liefern, das der Leser im Hauptwerk des sokratischen Kollegen, Platons Politeia, vermissen müsse. Die paradigmatische Pragmatik122 dieser Erzählung liegt in der Bedeutung begründet, die mythische exempla der Dichtung und erfundene Fabeln für sich beanspruchen konnten. Das letzte Kapitel bringt uns nach diesen Idealitäten wiederum auf den Boden der Tatsachen. Xenophon erzählt nicht, wie es war, sondern wie es sein sollte – und dieser Optativ kontrastiert dann auf schärfste Weise mit der 118 Dass man von Zeugen einen Eid verlangen konnte, ist etwas anderes und wird von Levine Gera (1993), 81 mit Hinweis auf u. a. Harrison (1971), 139–140 falsch dargestellt. 119 Tigranes bleibt im Werk immer präsent und er zeichnet sich durch besondere Treue und Loyalität aus, die in 8.4.24 mit einem kostbaren Kleid für die Gattin belohnt wird. 120 Während Breitenbach (1967) noch die eigentliche paideia auf das erste Buch beschränken will, dehnt sie etwa Zimmermann (1989), 100 bis Xen. Kyr. 8.5 aus, mit Hinweis auf Tatum (1989), 75–96; der eine klare Ringkomposition erkennt, indem Kambyses erst hier im letzten Buch wieder auftaucht. Dann wäre alles, was dazwischen erzählt wird, nichts anderes als das Lernen durch persönliche Erfahrung, aber auf der Grundlage der Anweisungen des Vaters. 121 Stadter (1991), 464 = (2010), 370. Ähnlich Tatum (1989), 237–238. 122 Vgl. auch Stadter (2010), „Cyrus as a Paradigm“ 398–399; zum Gebrauch des exemplum Stadter (2010), 371–373 („Didactic Narrative“).
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Realität des Faktischen – bleibt aber wohl auch in einer Spannung zum Potentialis des 9. Kapitels der Aristotelischen Poetik (οἷα ἂν γένοιτο). In dieser Perspektive aber ist seine literarische Leistung gar nicht hoch genug zu veranschlagen: ebenso wie im antiken Liebesroman, der sich auf ihn zurückführt, wird eine paradigmatische Idealität geschaffen, die dem Rezipienten Erfahrungsmuster an die Hand gibt, die durch eine überaus gekonnte und raffinierte Darstellungsform, die Belehrung als pointenreiches Gespräch unterhaltsam zu vermitteln versteht. Vor diesem Hintergrund nun erscheint das grundstürzende letzte Kapitel vielleicht sogar notwendig. Es ist die zweite Klammer, die den Fiktionalitätskontrakt in 1.6 wiederum schließt. Bibliographie Aalders, G. J. D. (1975): Political Thought in Hellenistic Times, Amsterdam. Badian, E. (2004): Xenophon The Athenian, in: Tuplin, C. J. (ed.): Xenophon and his world, Stuttgart, 33–53. Binder, G. (1964): Die Aussetzung des Königskindes, Meisenhain am Glan. Bizos, M. (1971): Xénophon. Cyropédie I–II, Paris. Blank, T. (2014): Logos und Praxis. Sparta als politisches Exemplum in den Schriften des Isokrates, Berlin. Breitenbach, H. R. (1967): Xenophon von Athen, in: RE IX, A2, 1559–2052. Brock, R. (2004): Xenophon’s Political Imagery, in: Tuplin, C. J. (ed.): Xenophon and his world, Stuttgart, 247–257. Bruell, C. (1984): Strauss on Xenophon’s Socrates, in: The Political Science Reviewer 14, 263–318. Bruns, I. (1896): Das literarische Porträt der Griechen im 5. und 4. Jahrhundert vor Chr., Berlin. Chernyakhovskaya, O. (2014): Sokrates bei Xenophon, München. Christesen, P. (2006): Xenophon’s Cyropaedia and Military Reform in Sparta, in: JHS 126, 47–65. Dihle, A. (1962): Die goldene Regel. Eine Einführung in die Geschichte der antiken und frühchristlichen Vulgärethik, Göttingen. Dorion, L.-A. (2010): L’exégèse strausienne de Xénophon. Le cas paradigmatique de Mémorables IV 4, in: Vivienne, J. G. (ed.): Xenophon. Oxford Readings in Classical Studies, Oxford, 283– 326. Dornseiff, F. (1927): Literarische Verwendungen des Beispiels, in: Vorträge der Bibliothek Warburg 4, 206–228. Falkenstein, A. / Von Soden, W. (1953): Sumerische und Akkadische Hymnen und Gebete, Zürich. Friedländer, P. (1913): Ὑποθῆκαι, in: Hermes 48, 558–616. Gaiser, K. (1977): Griechisches und christliches Verzeihen. Xenophon, Kyrupädie 3. 1. 38–40 und Lukas 23, 34a, in: WS 8, 78–100. Genette, G. (1998): Die Erzählung, Stuttgart. Giannantoni, G. (1985): Socraticorum Reliquiae II–III, Neapel. Goodman, N. (1984): Weisen der Welterzeugung, Stuttgart. Gutglueck, J. (1988): From ΠΛΕΟΝΕΞΙΑ to ΠΟΛΥΠΡΑΓΜΟΣΥΝΗ. A Conflation of Possession and Action in Plato’s Republic, in: AJP 109, 20–39. Hauser, R. (1974): Gerechtigkeit, in: Ritter, J. / Gründer, K. (Hrsgg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie 3, 329–334. Harrison, A. R. W. (1971): The Law of Athens. Vol. 2, Oxford. Hénaff, M. (2009): Der Preis der Wahrheit. Gabe, Geld und Philosophie, Frankfurt a. M. Hirsch, S. W. (1985a): 1001 Iranian Nights. History and Fiction in Xenophon’s Cyropaedia, in: James-
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La narration chez Isocrate et dans la Rhétorique à Alexandre Fonctions, techniques, et normes Pierre Chiron
Si l’on s’interroge sur les origines des théories et des pratiques de l’historiographie post-classique, et si l’on veut échapper aux antithèses simplistes dénoncées par H.-J. Gehrke à la fin du colloque (vérité vs erreur, réalité vs fiction, etc.), il convient d’affiner les enquêtes sur chacune des disciplines impliquées dans ces théories et pratiques en dehors de la filiation en quelque sorte directe représentée par l’héritage des premiers historiens. Que la rhétorique ait apporté son concours à cette complexe intertextualité, c’est une évidence, à telle enseigne que dès l’Antiquité on a rattaché certains historiens à des écoles rhétoriques – Théopompe à l’école d’Isocrate pour le lektikos topos, par exemple.1 Mais on ne saurait en rester à de tels constats et déclarer uniment que la rhétorique a influencé l’historiographie hellénistique ou d’époque romaine : c’est un peu court, il faut encore expliquer pourquoi l’influence est parvenue à s’exercer. Les doctrines rhétoriques ne sont pas inertes, et c’est en tant qu’apports agissants, ou, si l’on préfère une analogie biologique, de gènes, qu’elles ont pénétré les autres traditions, en y apportant tensions, problèmes et solutions nouveaux. Sur la piste de l’historiographie post-classique, et si l’on veut définir clairement les gènes rhétoriques qui se sont mêlés à son patrimoine, on rencontre immanquablement une forme discursive commune à la rhétorique et à l’histoire : la narration. A priori, rapportée à une historiographie « vérace » selon des normes – disons – thucydidéennes (recherche des causes, confrontation des sources avec pour but l’objectivité et comme référence l’autopsie), la narration rhétorique, c’est-à-dire l’ensemble des règles édictées par les rhéteurs anciens concernant cette partie du discours, est évidemment problématique, problématique selon les deux nuances du terme : le discours public codifié par les rhéteurs est sans doute celui où la préoccupation de vérité est la moins prégnante, au bénéfice de la persuasion effective (concrétisée par un vote), quels que soient les moyens utilisés pour l’obtenir et quelle que soit la qualité de la cause ; 1
Dion. Hal. imit. 3.10, selon : Aujac (1992).
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problématique au sens où la représentation du réel crée une difficulté à celui qui veut en tirer parti pour une opération de persuasion, que celle-ci soit loyale ou non. En d’autres termes, le rhéteur doit pouvoir à la fois neutraliser la portée des faits et en maîtriser l’effet. Dans ce cadre, nous voudrions nous concentrer ici sur la période classique – disons les v e et iv e s. av. J.-C. – et réexaminer un problème délicat : le mécanisme qui a fait passer des débuts de codification de la narration en contexte judiciaire, à un mode de narration à visée largement éthique, politique et même géopolitique qui est celui d’Isocrate, et dont l’impact sur l’historiographie sera considérable. Les deux termes que nous voudrions articuler sont d’une part la narration des faits mise au service d’une cause judiciaire, d’autre part la narration conçue pour éduquer les Grecs, les galvaniser pour la défense et illustration de leur civilisation, ce qui rejoint l’une des fonctions de l’historiographie dénombrées par Aelius Théon dans ses Progymnasmata : « conserver le souvenir des belles paroles », recueillir des « vies admirables ».2 On pourrait discuter la légitimité même de ce projet et dire que le panhellénisme d’Isocrate n’a rien à voir avec le genre judiciaire, et qu’il s’agit de traditions parfaitement étanches. Nous ne le croyons pas, et pour plusieurs raisons : (1) La rhétorique a très vraisemblablement des origines judiciaires. En tout cas, tant Aristote qu’Isocrate se plaignent que les traités en circulation enseignent tous à plaider ; (2) Isocrate lui-même a commencé comme logographe – même s’il a renié ensuite cette partie de sa carrière –, et il a laissé quelques plaidoiries d’excellente facture ; (3) l’objet de l’éducation dispensée par Isocrate dans son école à partir des années 390 et qu’il appelle philosophie, est une formation patiente à l’assimilation des formes (des ideai) du logos. En d’autres termes, même s’il a refusé le terme rhétorique, même s’il a donné à son enseignement une ambition plus haute, Isocrate est resté dans ce cadre qui inclut toutes les formes de persuasion. Nous commencerons par évoquer les origines de la narration rhétorique en Grèce, beaucoup moins évidentes et claires qu’on ne pourrait le penser ; nous examinerons ensuite la théorie de la narration telle qu’elle est présentée dans la Rhétorique à Alexandre.3 Ce traité systématique du iv e s. av. J.-C. est le texte qui permet le mieux, à notre avis, de jeter un pont entre la rhétorique la plus pratique du temps et la pensée isocratique. Pour ce qui concerne Isocrate lui-même, dont le corpus d’œuvres conservées est important, nous prendrons comme échantillon le Busiris, où l’on trouve certaines des indications les plus claires sur les liens entre la narration et l’idéologie.
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Aelius Théon, Progymnasmata, 104, selon : Patillon/Bolognesi (1997). Cette intéressante division des fonctions de l’histoire, comme l’a relevé Kennedy (1998), 476–480, est un unicum, et elle n’a été conservée qu’en arménien, mais sa présence dans un contexte scolaire atteste une diffusion assez large, et elle trouve des échos chez certains historiens eux-mêmes. Ps.-Aristot. rhet. Alex., selon : Chiron (2002).
La narration chez Isocrate et dans la Rhétorique à Alexandre
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I En ce qui concerne les débuts de la rhétorique, le témoignage des Prolégomènes byzantins4 est contradictoire et sujet à caution. Thomas Cole5 en a montré la fragilité sur un point précis, l’évocation des inventeurs ou de l’inventeur de la rhétorique et le contenu de la première tekhnē. Sur les parties du discours, notamment, certains prolégomènes font état de l’existence d’une narration judiciaire continue dès les débuts de la théorie,6 mais rien n’est moins sûr et il vaut mieux se fier à des témoignages plus proches des événements. La méthode utilisée par S. Usher7 – confronter des textes dans tous les genres, comme les Tétralogies d’Antiphon (qui datent de la fin des années 430), des pièces d’Aristophane ou des Tragiques, etc. afin de détecter les premières manifestations de formes codifiées à caractère rhétorique – fait apparaître l’existence d’un corpus de préceptes récurrents dès les années 420 av. J.-C., ce qui est plus tardif que la date classiquement avérée pour le premier traité (la Sicile des années 460 av. J.-C.), mais plus ancien que les Prolégomènes et plus objectivement attesté. Or si l’on s’attache à ces données réunies par S. Usher, tout laisse à penser que la narration, et tout particulièrement la narration judiciaire a été contrôlée, sinon entravée, pour des raisons juridiques qui elles-mêmes tenaient sans doute à des abus. Selon toute vraisemblance, les procès réels ont dû donner lieu à des narrations hors sujet, ou excessivement intimes et pathétiques, défauts que les lois ainsi que les premiers rhéteurs se sont attachés à réguler. Selon Usher, les premiers manuels divisaient le discours non pas en quatre mais en trois moments principaux : un exorde, une partie centrale consacrée à la discussion des preuves, un épilogue. Mais citons:8 son développement (sc. de la narration) comme partie distincte du discours semble avoir été le fait des premiers orateurs attiques, spécialement Lysias9 et Andocide, mais elle n’est pas complètement absente des Tétralogies. En 3.1.6, nous trouvons ce qui peut être appelé « narration parcimonieuse », dans laquelle un strict minimum de faits sont racontés, centrés exclusivement sur la description du meurtre. Ailleurs, les faits émergent au travers, ou doivent être déduits, de l’argumentation.
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Prolegomenon sylloge (Rabe [1931]). L’un de ces textes a été réédité et traduit récemment par Patillon (2008), 1–45. Il appartient à la tradition assignant une origine politique à la rhétorique (7) et ne prête pas à Corax l’invention de la tétrade (exorde, narration, confirmation, épilogue), ce que font la plupart des autres prolégomènes. Cole (1991), 65–84. Par exemple Prolégomène 7 (Maxime Planude), Rabe (1931). Usher (1999). Usher (1999), 23–24. Lysias mêle encore parfois narration et « preuves », à la manière d’Antiphon (cf. Lys. 7, 16 et 31). Quant au nombre de discours conservés où la narration occupe une place particulièrement importante, il est relativement limité : dans seulement cinq d’entre eux (Lys. 1, 3, 13, 16, 31) la narration occupe le tiers ou plus de l’ensemble.
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Cette « parcimonie » doit être reliée, probablement, à des règlements ou des usages, variables selon les juridictions, visant à éviter que les plaignants ne se répandent en récits sans lien avec leur affaire et/ou destinés à émouvoir ou influencer les jurés. Entre autres sources, le discours 16 de Lysias (Pour Mantithéos) fournit un témoignage assez clair :10 Sur l’accusation elle-même, je ne vois pas la nécessité d’en dire davantage : mais je crois, citoyens du Conseil, que si, dans les autres procès, la défense doit se limiter à l’objet de l’accusation, dans les examens il convient de rendre compte de sa vie entière. Je vous demande donc de m’écouter avec bienveillance : je présenterai ma défense aussi brièvement que possible.
Autre indice, le discours 24, qui est aussi un discours d’examen, où l’Invalide, dont sont contestés les droits à toucher une pension, dit – non sans ironie, bien sûr – le plaisir que représente pour lui cette occasion de parler librement de lui-même (1). Une autre procédure ne lui donnerait pas cette satisfaction d’amour-propre. Aristote fait allusion à son tour à ce type d’abus et de régulation au début de la Rhétorique :11 Tout le monde admet que les lois doivent prescrire de ne pas parler en dehors du fait, et certains vont jusqu’à appliquer ce principe et à interdire qu’on y contrevienne – comme c’est le cas à l’Aréopage –,12 usage tout à fait justifié. Car il ne faut pas dévoyer le juré en l’amenant à éprouver de la colère, de l’envie ou de la pitié. Cela revient à tordre la règle dont on va se servir. En outre, il est évident que chaque partie n’a rien d’autre à faire sinon démontrer que le fait est ou n’est pas avéré, s’est produit ou ne s’est pas produit. Mais que le fait soit grave ou anodin, juste ou injuste – dans tous les cas que le législateur n’aura pas distingués –, c’est bien le juré lui-même qui doit l’apprécier, sans l’apprendre des parties adverses.
La division de l’établissement du fait et de sa qualification, la restriction du rôle des plaideurs à l’établissement de ce fait, ne plaident pas pour une narration continue dont l’apport, justement, serait de mettre les faits en perspective et d’empiéter, par conséquent, sur la qualification. Comme en écho à ces débats, dans la partie de son traité consacrée aux parties du discours, Aristote commence par dire « Un discours a deux parties. Il est nécessaire en effet de dire de quoi il est question, et de fournir la démonstration requise »,13
10 Lys. 16.9 : Περὶ μὲν τοίνυν αὐτῆς τῆς αἰτίας οὐκ οἶδ᾿ ὅ τι δεῖ πλείω λέγειν· δοκεῖ δέ μοι, ὦ βουλή, ἐν μὲν τοῖς ἄλλοις ἀγῶσι περὶ αὐτῶν μόνων τῶν κατηγορημένων προσήκειν ἀπολογεῖσθαι, ἐν δὲ ταῖς δοκιμασίαις δίκαιον εἶναι παντὸς τοῦ βίου λόγον διδόναι. Δέομαι οὖν ὑμῶν μετ᾿ εὐνοίας ἀκροάσασθαί μου. Ποιήσομαι δὲ τὴν ἀπολογίαν ὡς ἂν δύνωμαι διὰ βραχυτάτων. (Gernet-Bizos [1967]). 11 Aristot. Rhet. 1354a21–31 : ἅπαντες γὰρ οἱ μὲν οἴονται δεῖν οὕτω τοὺς νόμους ἀγορεύειν, οἱ δὲ καὶ χρῶνται καὶ κωλύουσιν ἔξω τοῦ πράγματος λέγειν, καθάπερ καὶ ἐν Ἀρείῳ πάγῳ, ὀρθῶς τοῦτο νομίζοντες· οὐ γὰρ δεῖ τὸν δικαστὴν διαστρέφειν εἰς ὀργὴν προάγοντας ἢ φθόνον ἢ ἔλεον· ὅμοιον γὰρ κἂν εἴ τις, ᾧ μέλλει χρῆσθαι κανόνι, τοῦτον ποιήσειε στρεβλόν. ἔτι δὲ φανερὸν ὅτι τοῦ μὲν ἀμφισβητοῦντος οὐδέν ἐστιν ἔξω τοῦ δεῖξαι τὸ πρᾶγμα ὅτι ἔστιν ἢ οὐκ ἔστιν, ἢ γέγονεν ἢ οὐ γέγονεν· εἰ δὲ μέγα ἢ μικρὸν ἢ δίκαιον ἢ ἄδικον, ὅσα μὴ ὁ νομοθέτης διώρικεν, αὐτὸν δή που τὸν δικαστὴν δεῖ γιγνώσκειν καὶ οὐ μανθάνειν παρὰ τῶν ἀμφισβητούντων. (Texte Kassel [1976] ; trad. Chiron [2007]). 12 Tribunal où étaient jugées, rappelons-le, certaines affaires de meurtre. 13 Aristot. Rhet. 1414a30–31 : ἔστι δὲ τοῦ λόγου δύο μέρη· ἀναγκαῖον γὰρ τό τε πρᾶγμα εἰπεῖν περὶ οὗ, καὶ τοῦτ᾿ ἀποδεῖξαι.
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avant de dénoncer la manie des divisions formelles et non fonctionnelles et de finir à contrecœur par reconnaître la nécessité de la narration judiciaire.14 Qu’est-ce qui, malgré ces obstacles, a permis malgré tout le développement d’une narration relativement autonome ? On a vu que certaines procédures rendaient quasiment obligatoire l’exposé continu des événements d’une vie, c’est le cas de l’examen, dont l’existence a été suffisamment consistante pour que l’auteur de la Rhétorique à Alexandre en fasse, sous le nom d’ἐξεταστικὸν εἶδος, l’une des sept espèces oratoires dont il traite, en sus des couples d’opérations antithétiques traditionnels (persuader vs dissuader, défendre vs accuser, louer vs blâmer).15 Il y a au moins une autre circonstance favorable à la thématisation d’une narration suivie. Détail révélateur, dans cette même Rhétorique à Alexandre (datable des environs de 340), la première forme de narration décrite est le rapport d’ambassade,16 ce qui laisse penser que cette circonstance très précise laissait place à une narration probablement régulée mais qui ne pouvait pas être supprimée puisque les missions diplomatiques étaient du ressort de citoyens ordinaires et non de professionnels comme aujourd’hui. Avec le discours d’examen, ce rapport d’ambassade a peut-être été, en quelque sorte, le « cheval de Troie » démontrant la nécessité simultanée de la narration continue et de sa régulation, après quoi l’usage de la narration judiciaire a pu être libéralisé, détaché de l’examen des preuves, tandis que les narrateurs prenaient la mesure de leur responsabilité. Quoi qu’il en soit, le rappel obsédant des requisit de brièveté, de clarté, d’exhaustivité, de fidélité au réel, au début des narrations judiciaires classiques17 est lui aussi un indice du fait que la narration indépendante représentait une conquête à la fois récente et contrôlée. Il n’est jusqu’aux marqueurs discursifs isolant cette partie des autres qui ne puissent s’interpréter dans ce sens. L’usage très particulier de la particule γάρ,18 venant justifier logiquement la narration comme une expansion indispensable, et non anecdotique, de la présentation de l’affaire, certaines notations métadiscursives à l’intention des narrataires, comme celles marquant le début du récit,19 les assurances de précision factuelle et d’exhaustivité, ou – au contraire – les excuses intervenant au moment où le narrateur entre dans certains détails trop concrets,20 mesquins, ou scabreux,21 tout cela vient en même temps excuser la narration et en marquer, voire en revendiquer l’existence. 14 15 16 17
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Aristot. rhet. 1414a36–37. Ps.-Aristot. rhet. Alex. 1421b10 ; 1427b12–30 ; 1445a30–1445b22. Ps.-Aristot. rhet. Alex. 1438a6–17. Quelques exemples pris chez Lys. 1.5 (en substance) : « je dirai toute la vérité des faits depuis le début, sans rien omettre » ; Lys. 3.3 : « je vous raconterai tous les faits sans rien dissimuler » ; Lys. 7.3 : « je vais essayer de vous instruire ‹ des faits › depuis le début » ; Lys. 12.3 : « je vais essayer de vous instruire ‹ des faits › depuis le début, le plus brièvement possible » ; Lys. 13.3 : « vous devez, Athéniens, entendre ‹ raconter › toute l’histoire depuis le début », etc. Voir Edwards (2004), 333 ; deux exceptions, les discours 12 (procès politique) et 32 (discours transmis par la tradition indirecte). La fin peut être marquée, comme dans Lys. 1.27 : Οὕτως, ὦ ἄνδρες […], mais c’est plus rare. Cf. Lys. 1.9. Cf. Lys. 3.10.
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Pierre Chiron
Le développement de l’activité du logographe – sous l’impulsion notamment d’Antiphon, qui fut le premier sans doute à publier des plaidoiries –22 a sans doute aussi joué un rôle dans cette émergence contrôlée de la narration. Le défi principal à relever pour cette activité, dans une société où il était mal vu de se substituer au plaignant et de tendre ainsi vers la professionnalisation d’une activité d’intérêt collectif comme la justice,23 était de reproduire l’idiolecte ou le sociolecte du client afin de dissimuler la substitution d’auteur. La narration était le meilleur terrain pour cet exercice et, avec l’apparition probable d’un public de lecteurs,24 la meilleure occasion de démontrer son talent et d’attirer de nouveaux clients. Parmi les facteurs favorisants, il faut compter aussi avec l’influence d’autres pratiques discursives, l’historiographie, par exemple, ou l’art dramatique, sans compter évidemment les affinités électives et le talent personnel qui, dans le cas de Lysias, étaient grands.25 Nous en avons assez dit pour conclure provisoirement que le contexte juridique et théorique dans lequel la narration rhétorique a été codifiée a tendu à en canaliser étroitement la pratique. Comme souvent, les contraintes sont fécondes. Pour les contourner ou les dépasser, les logographes ont déployé des trésors d’inventivité. L’un des meilleurs exemples est sans doute la très longue narration du Sur le meurtre d’Ératosthène de Lysias, dont tous les éléments concourent à un portrait moral du meurtrier qui rend la thèse de la préméditation invraisemblable. En d’autres termes, narration et argumentation sont dans ce cas complètement indissociables.26 C’est chez Lysias aussi que, de manière empirique mais déjà très efficace, apparaissent les prémisses de l’enargeia, ou – selon la traduction de Cicéron – l’evidentia, évidence,27 c’est-à-dire la création d’images mentales à l’aide de notations très concrètes à caractère visuel ou auditif.28 Cette technique permet de rester du côté du fait traité objectivement et ne joue pas en apparence sur le pathos. Mais si le fait est par lui-même étonnant ou choquant ou dramatique, son évocation sous la forme la plus nue véhicule automatiquement émotion et drame. Aristote, dans la Rhétorique,29 développera des analyses précises sur cette faculté du langage de « mettre sous les yeux » (πρὸ ὀμμάτων 22 23 24 25
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Sur ce que recouvre ce terme de « publication » dans l’Antiquité grecque, voir Dorandi (2000). Sur cette mauvaise image, voir notamment Ps.-Aristot. rhet. Alex. 1444a18–19. Usher (2004). Lysias est l’un des meilleurs praticiens de l’enargeia (évidence), faite de détails visuels, de suspense, de vélocité et de contrastes, comme ceux induits par l’irruption du présent narratif (Lys. 1, 6, 8, 13, 15, 23, 23 [ter], 24, 25, cf. Edwards (2004), 334–335) avec un remarquable effet de ‹ zoom ›. Dans Lys. 1, les acteurs sont de véritables personnages, ainsi les trois femmes (l’épouse maligne, la servante gourmée de la maîtresse trompée et la servante d’Euphilètos) que Lysias réussit à la fois à différencier et à caractériser, cf. Edwards (2004), 335. Voir sur ce point notre article « Narration et argumentation : le cas de Lysias I », Chiron (2015), 35–46. Voir sur cette notion l’excellent collectif Lévy et Pernot (1997) et les articles de Maier et Baumann dans ce volume. Tout le monde se souvient par exemple, dans la narration du discours 12 Contre Ératosthène (19), du geste d’un des Trente tyrans, Mèlobios, arrachant brutalement à l’épouse de Polémarque, la belle-sœur de Lysias, ses boucles d’oreille en or. Aristot. rhet. 1411b24–1413b2.
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ποιεῖν), et sur le syllogisme pratique que peut déclencher une image comme celle de la vieille Euryclée, chez Homère, se mettant la tête dans les mains.30 Le relais d’Aristote sera pris bien plus tard par le stylisticien Démétrios (Ps.-Démétrios de Phalère, début 1er s. avant J.-C. ?) à partir d’extraits des Persica de Ctésias de Cnide.31 II Enchaînons sur la théorie de la narration telle qu’elle est présentée dans la Rhétorique à Alexandre, traité systématique sans doute proche chronologiquement de la Rhétorique d’Aristote, mais beaucoup plus pratique. À la différence de George Kennedy32 qui a minimisé les liens entre la Rhétorique à Alexandre et Isocrate, nous avons défendu au contraire la thèse d’un lien très étroit entre les deux. Une divergence majeure est le caractère technique de la Rhétorique à Alexandre, aspect qu’Isocrate considérait comme mineur au profit du talent naturel et de l’exercice patient à l’imitation du maître. Mais cette divergence est doublement réduite, par le fait – d’abord – qu’Isocrate a commencé sa carrière comme logographe, même s’il a ensuite, comme nous le disions, répudié cette partie de son œuvre, et – symétriquement, en quelque sorte – par le fait que la Rhétorique à Alexandre consacre un dernier chapitre33 à un objet intellectuel qui évoque fortement la philosophie isocratique. Nous y reviendrons. Quels sont les traits majeurs de la théorie de la narration dans la Rhétorique à Alexandre ? Au premier abord, la Rhétorique à Alexandre ne fait qu’illustrer ces limites et ces contraintes dont nous avons parlé et qui ont été imposées à la narration depuis ses débuts. Sur le plan terminologique, on constate la nette prédominance des mots de la famille d’ἀπαγγέλλειν (ἀπαγγελία), 9 occurrences, au détriment du terme consacré chez les autres techniciens, διήγησις (2 emplois). On voit clairement que tout est fait pour effacer la médiation d’un narrateur au profit du « rapport ». On trouve également le verbe ἀναμιμνῄσκειν, rappeler, lorsqu’il s’agit de remettre en mémoire des faits connus. Ou διεξιέναι, passer au crible, examiner de bout en bout. Autre détail intéressant, ce que l’on rapporte ou rappelle, ce sont des faits, des actions (πράξεις), et non des circonstances, des éléments de compréhension psychologique etc. La présentation de cette mission est construite suivant les trois moments du temps : passé, présent et avenir :34 Après cela (sc. L’exorde), il est nécessaire que nous rapportions ou rappelions les faits passés, ou bien que nous énumérions les faits présents, ou bien que nous prédisions les faits futurs. 30 On lira sur ce point le développement d’Aristote sur la narration judiciaire (Aristot. rhet. 1417a36–37) où est commenté Homère, Od. 19.361. 31 Dem. Phal. eloc. 212–216, selon : Chiron (1993) =Ktes. T14a, selon : Lenfant (2004). 32 Kennedy (1963). 33 Ps.-Aristot. rhet. Alex. 1445b24–1446a35. 34 Ps.-Aristot. rhet. Alex. 1438a3–6 : Μετὰ δὲ τοῦτο (sc. τὸ προοίμιον) ἀναγκαῖον ἡμᾶς ἐστιν ἢ τὰς προγεγενημένας πράξεις ἀπαγγέλλειν ἢ ἀναμιμνῄσκειν, ἢ τὰς νῦν οὔσας μερίζοντας δηλοῦν, ἢ τὰς μελλούσας γενήσεσθαι προλέγειν.
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Pour les faits passés, il s’agit de les rapporter ou de les rappeler, selon que le public en a ou pas déjà connaissance. C’est la formulation la plus neutre. Petit assouplissement pour les faits présents : le rhéteur précise que, dans ce cas, on se doit d’apporter quelque chose, et il est nécessaire de les μερίζοντας δηλοῦν, de les faire voir en les sériant – c’est-àdire, peut-on penser – à la fois en les divisant et les énumérant selon un certain ordre. Il y a là une esquisse d’analyse, sinon d’explication, et donc une rupture du contrat de neutralité, mais cette rupture ne pose pas vraiment problème en termes de véracité, car les auditeurs sont potentiellement témoins de ces faits encore présents. En ce qui concerne les faits futurs, on se contentera de les pré-dire, au sens strict : de les προλέγειν. La circonspection, la réserve qui marquent cette présentation sont sans doute à rapprocher de l’existence d’un moyen de persuasion, la δόξα τοῦ λέγοντος, qui est présenté comme ajouté,35 et défini comme le fait « de faire connaître sa propre pensée sur l’affaire ». En d’autres termes, la subjectivité du locuteur et donc du narrateur constitue un apport non pas normal ou légitime, mais exceptionnel. Réciproquement, la parole « normale » de l’orateur est représentée comme une voix anonyme, collective, objective, prémonition ou anticipation de la loi et en aucune manière une expression particulière ou subjective. Dans la suite du chapitre, l’auteur de la Rhétorique à Alexandre donne des préceptes généraux sur les narrations démégoriques, qui vont se révéler universels : les narrations doivent être brèves, claires et crédibles.36 Claires pour que les auditeurs καταμάθωσι, c’est-à-dire à la fois comprennent et apprennent les faits (et là ce ne sont plus des πράξεις mais des πράγματα), brèves pour qu’ils les retiennent, crédibles, pour éviter tout rejet avant le moment de la démonstration. Mais cela, pourrait-on dire, c’est l’affichage. On peut observer deux types de transgression par rapport à ce schéma quelque peu « puritain ». Ce sont d’abord des marques d’utilitarisme qui montrent que l’auteur raisonne en terme d’effets de vérité et non de vérité. Nous citerons ce passage :37 Quand nous rapportons sur une ambassade, il faut exposer d’un bout à l’autre fidèlement l’intégralité des propos tenus, afin, d’abord, que le discours ait de la grandeur, car ce sera un simple rapport et aucune autre forme du discours ne viendra s’y mêler ; et ensuite afin que, si nous avons échoué, les auditeurs attribuent l’échec de l’affaire non pas à notre incurie mais à quelque autre raison et qu’en cas de succès, ils ne le supposent pas dû au hasard mais à notre diligence. Ils le croiront – puisqu’ils n’ont pas assisté aux événements eux-mêmes – si, dans le discours, ils peuvent constater notre diligence grâce au fait que nous n’omettons rien et rapportons tout avec exactitude. 35 Ps.-Aristot. rhet. Alex. 1431b9–10. 36 Ps.-Aristot. rhet. Alex. 1438a19–20. 37 Ps.-Aristot. rhet. Alex. 1438a6–17 : Ὅταν μὲν οὖν πρεσβείαν ἀπαγγέλλωμεν, πάντα δεῖ τὰ ῥηθέντα καθαρῶς διεξελθεῖν, ἵνα πρῶτον μὲν μέγεθος ὁ λόγος ἔχῃ (ἀπαγγελία γὰρ μόνον ἔσται ἡ τοιαύτη καὶ οὐδὲν ἄλλο λόγου σχῆμα παρεμπεσεῖται), ἔπειθ᾿ ὅπως, ἂν μὲν ἀποτετυχηκότες ὦμεν, μὴ διὰ τὴν ἡμετέραν ῥᾳθυμίαν οἱ ἀκούοντες οἴωνται διαμαρτάνειν τῆς πράξεως, ἀλλὰ δι᾿ ἄλλην τινὰ αἰτίαν· ἂν δὲ ἐπιτύχωμεν, μὴ διὰ τύχην ὑπολάβωσι τοῦτο γεγενῆσθαι, ἀλλὰ διὰ τὴν ἡμετέραν προθυμίαν. Ταῦτα δὲ πιστεύσουσιν, ἐπειδὴ τοῖς πράγμασιν οὐ παρεγένοντο πραττομένοις, ἐὰν ἐπὶ τοῦ λόγου τὴν προθυμίαν ἡμῶν θεωρῶσι μηδὲν παραλειπόντων, ἀλλ᾿ ἀκριβῶς ἕκαστα ἀπαγγελλόντων.
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Le rapport est apparemment considéré comme un substitut de présence et un remède à la méfiance que suscite le fait de ne pas avoir assisté soi-même aux événements. Mais l’exhaustivité, la fidélité du rapport sont aussi présentés comme des facteurs de grandeur. Cela peut paraître bizarre, mais prend tout son sens si l’on regarde l’opposition – décrite par Florence Dupont –38 entre l’énonciation singulière et l’énonciation impersonnelle du citoyen identifié à la collectivité toute entière. Un narrateur manifestant par la fidélité de sa narration son souci d’exactitude et de dévouement se charge de toute la grandeur de la collectivité qui a fait de lui son vecteur. Autres apports plus personnels : la fidélité du rapport est une marque éthique, de dévouement et surtout un bon moyen de défense en cas d’échec de la mission. Dans d’autres passages, on trouve des moyens plus grossiers de déguiser la faiblesse de sa cause : le rhéteur conseille ainsi d’omettre tous les faits trop invraisemblables, ou de reconnaître qu’on est conscient de leur invraisemblance et promettre une démonstration, ou de les insérer dans la trame de la narration sous la forme d’une prétérition. On peut donc dire que l’auteur de la Rhétorique à Alexandre affiche un souci de loyauté et d’objectivité, mais tout en laissant voir son souci d’aider l’orateur à gagner sa cause par des moyens subreptices. Il existe un second type de transgression du puritanisme affiché de l’auteur de la Rhétorique à Alexandre, qui tient tout simplement au fait que sa doctrine – héritée très probablement du judiciaire –, il l’adapte au « démégorique », l’équivalent du délibératif chez Aristote. Or s’agissant du discours politique, qui porte sur le futur et non sur le passé, l’empreinte de l’orateur est inévitable. Le fait ne saurait être brut puisqu’il n’est pas encore advenu, et l’objectif du discours est d’obtenir une décision d’action, laquelle ne peut se passer d’une prédication, d’une qualification de ladite action. On dira par exemple : « Il faut faire la guerre aux Spartiates, car cette guerre sera juste, ou utile, ou glorieuse », etc. Curieusement, c’est dans le paragraphe sur la disposition (τάξις) de la narration que l’on trouve explicitée cette nécessité :39 Quand les faits dont nous parlons sont peu nombreux et bien connus des auditeurs, nous les rattacherons à l’exorde, afin d’éviter que, si elle est mise à part, il n’y ait là une partie trop courte. Quand les faits sont trop nombreux et mal connus, nous les prendrons un par un, successivement, et ferons ressortir qu’ils sont justes, utiles et beaux, afin non seulement d’obtenir, dans l’exposé des faits, un discours simple et sans disparate, mais aussi pour nous gagner l’adhésion des auditeurs. Si les faits sont moyennement nombreux et ignorés, il faut placer le rapport, l’ex38 Dupont (1983), 265–274. 39 Ps.-Aristot. rhet. Alex. 1438b14–28 : Ὅταν μὲν γὰρ ὦσιν ὀλίγα τὰ πράγματα περὶ ὧν λέγομεν καὶ γνώριμα τοῖς ἀκούουσι, τῷ προοιμίῳ συνάψομεν, ἵνα μὴ βραχὺ τοῦτο τὸ μέρος καθ᾿ ἑαυτὸ τεθὲν γένηται. Ὅταν δὲ λίαν ὦσιν αἱ πράξεις πολλαὶ καὶ μὴ γνώριμοι, παρ᾿ ἕκαστον συναπτὰς ποιήσομεν καὶ δικαίας καὶ συμφερούσας καὶ καλὰς ἀποφανοῦμεν, ἵνα μὴ μόνον πραγματολογοῦντες ἁπλοῦν τὸν λόγον καὶ μὴ ποικίλον ποιῶμεν, ἀλλὰ καὶ τῶν ἀκουόντων τὰς διανοίας ἀναλαμβάνωμεν. Ἂν δ᾿ ὦσιν αἱ πράξεις μέτριαι καὶ ἀγνοούμεναι, τὴν ἀπαγγελίαν ἢ τὴν δήλωσιν ἢ τὴν πρόρρησιν ἐπὶ τῷ φροιμίῳ δεῖ σωματοειδῆ τάττειν. Τοῦτο δὲ ποιήσομεν, ἐὰν ἀπὸ τῆς ἀρχῆς τῶν πραγμάτων ἐπὶ τὸ τέλος διέλθωμεν, μηδὲν ἄλλο συμπαραλαμβάνοντες, ἀλλὰ τὰς πράξεις αὐτὰς ψιλὰς φράζοντες. Καὶ τὰς μὲν διηγήσεις […] ἐπὶ τοῖς προοιμίοις ὡς δεῖ τάττειν, οὕτως εἰσόμεθα.
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Pierre Chiron posé ou la prédiction à la suite de l’exorde, en un corps séparé, ce que l’on obtiendra en passant en revue les événements, du début à la fin, sans rien faire intervenir d’autre et en nous bornant à l’énoncé des faits bruts. Pour ce qui est des narrations […], voilà qui nous apprendra à les disposer.
Ce passage est admirablement ambigu, qui peine à synthétiser doctrine judiciaire et doctrine politique, et qui mêle de manière un peu improbable, il faut bien le dire, souci d’objectivité et – mettant à profit l’ignorance des auditeurs – entreprise de séduction. La Rhétorique à Alexandre contient aussi, disions-nous, un chapitre plus « philosophique », que l’on peut mettre en relation, quant à lui, avec l’autre partie de l’œuvre d’Isocrate, celle où l’orateur, par le biais de discours d’apparat ou de Lettres ouvertes, tente d’influer sur la géopolitique de son temps, en plaidant pour la coalition des Grecs réconciliés contre l’ennemi commun perse. Cette philosophie est beaucoup plus subtile qu’on ne l’a dit, dans la mesure où elle ne se contente pas de dire que les Grecs ont en commun la même éducation, qui leur fait aimer la beauté et l’ordre par opposition à la servilité brutale des Barbares. Isocrate est un sophiste, certes, au sens où il ne croit pas que les hommes aient accès à une vérité intangible et éternelle, mais c’est un sophiste particulier. Sa philosophie consiste à injecter par la pratique des formes (ἰδέαι, σχήματα)40 du discours imitées du maître, qui sont aussi des structures mentales. Le logos doit être assimilé, pour devenir un logos agissant, capable de galvaniser les élites et le peuple. Pour montrer en quoi la Rhétorique à Alexandre comporte aussi cette dimension, nous citerons un court passage du fameux chapitre 38 :41 Notre soin doit s’étendre non seulement à nos discours mais aussi à notre propre vie, que nous devons régler d’après les principes énoncés, car une bonne préparation dans la vie personnelle concourt à la fois à l’efficacité persuasive et à l’obtention d’une bonne réputation.
Suit une revue des différentes parties du discours et de l’apport qu’elles représentent, une fois assimilées, en termes moraux et oratoires. Voici ce qui concerne la narration :42 Une fois acquise la bienveillance du public, quand tu en seras aux actions, eh bien toutes celles qui sont susceptibles d’écarter les malheurs et de procurer le bonheur seront bien accueillies par lui, comme conformes à ses intérêts tandis que les actions susceptibles d’avoir pour lui l’effet
40 Parmi les textes les plus significatifs, citons Isokr 13.14–18 et Isokr. 15.183 et passim. 41 Ps.-Aristot. rhet. Alex. 1445b29–34 : χρὴ δὲ καὶ τὴν ἐπιμέλειαν ποιεῖσθαι μὴ μόνον περὶ τοὺς λόγους, ἀλλὰ καὶ περὶ τὸν βίον τὸν αὑτοῦ, διακοσμοῦντα ταῖς ἰδέαις ταῖς εἰρημέναις· συμβάλλεται γὰρ ἡ περὶ τὸν βίον παρασκευὴ καὶ πρὸς τὸ πείθειν καὶ πρὸς τὸ δόξης ἐπιεικοῦς τυγχάνειν. 42 Ps.-Aristot. rhet. Alex. 1446a4–15 : Εὐμενεῖς δὲ γενόμενοι, ὅταν ἐπὶ τῶν πράξεων γένῃ, ὅσαι τῶν κακῶν ἀποτροπὴν ἔχουσι, τῶν δ᾿ ἀγαθῶν παρουσίαν, ταύτας μὲν ὡς συμφερούσας αὑτοῖς ἀποδέξονται, ὅσαι δὲ τἀναντία παρασκευάζουσιν αὐτοῖς, ταύτας ἀποδοκιμάσουσιν. Ἀντὶ δὲ τοῦ ταχεῖαν καὶ σαφῆ καὶ μὴ ἄπιστον τὴν διήγησιν λέγεσθαι τὰς πράξεις δεῖ τοιαύτας ποιεῖσθαι. Ταχέως μὲν οὖν ἐπιτελέσεις, ἂν μὴ πάντα πράττειν ἅμα βούλῃ, ἀλλὰ πρότερον τὸ πρῶτον, ἔπειτα τὸ ἑξῆς· καθαρῶς δέ, ἂν μὴ ταχὺ τῆς πράξεως παυόμενος ἄλλα πράγματα μεταχειρίζῃ, πρὶν ταύτην ἐπιτελέσαι· μὴ ἀπίστως δέ, ἂν μὴ παρὰ τὸ ἦθος τὸ σαυτοῦ πράττῃς, πρὸς δὲ τούτοις, ἂν μὴ προσποιῇ τοὺς αὐτοὺς ἐχθροὺς καὶ φίλους εἶναί σοι.
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contraire, il les rejettera. En outre, à l’image de la narration qui doit être rapide, claire et crédible, il faut donner à tes actions des qualités de même nature : tu les achèveras rapidement si tu ne cherches pas à tout faire en même temps, et si tu fais en premier ce qui vient d’abord et ainsi de suite. Elles auront de la netteté, si tu n’interromps pas tout de suite ton action pour en entreprendre d’autres avant d’avoir achevé la première. Elles auront de la crédibilité, si tu n’agis pas en contradiction avec ton propre caractère et, en outre, si tu évites de faire passer les mêmes gens pour tes ennemis et pour tes amis.
Qu’il s’agisse de parler, de penser, de vivre : tout se ramène à une seule activité, qui est, en dernière analyse, l’activité discursive. On ne saurait mieux assimiler le logos à l’être et l’éducation au logos à l’éducation tout court, c’est-à-dire pour Isocrate à la « philosophie », au sens premier d’amour pour la sagesse/le savoir (σοφία concentrant ces deux acceptions). C’est une version peut-être naïve, en tout cas frappante, de ce que Barbara Cassin, d’après Novalis, a appelé « logologie »,43 c’est-à-dire une philosophie qui se concentre sur la maîtrise, l’appropriation du logos, un logos qui n’est pas le simple logos de l’orateur, mais celui qui rallie le public autour de valeurs partagées. III Arrivons-en à Isocrate, et à une conception de l’éloquence – au sens le plus large du terme – qui recouvre largement ce que nous appelons littérature, mais aussi et surtout idéologie. Une philosophie rationaliste comme celle d’Aristote soumet la narration à l’établissement du fait. L’historiographie « scientifique », celle de Thucydide, a – disions-nous – pour paradigme l’autoscopie, et à défaut, le recoupement des sources.44 Chez Isocrate, il en va tout autrement. Le matériau n’est pas le fait, mais le fait représenté, celui qui est susceptible de rencontrer ou de heurter les représentations déjà présentes dans l’esprit des auditeurs. La Rhétorique à Alexandre exprime cela avec beaucoup de netteté. Décrivant l’εἰκός, le vraisemblable, qui est le premier des moyens de persuasion, le rhéteur écrit : « est vraisemblable ce dont les auditeurs ont des exemples en tête ».45 Le vraisemblable est par essence labile, instable, car il dépend d’une expérience qui pourrait être différente : alors qu’on pense généralement que les notables sont honnêtes, il suffit de quelques exemples contraires pour donner lieu à une généralisation inverse.46 Une fois admise cette possibilité de distorsion, Isocrate se distingue des sophistes éristiques en ce que ses intentions se veulent bonnes et justes. Pour lui, dans le Busiris (391 ?) par exemple, la vérité historique concernant le sanguinaire tyran égyptien 43 Voir Cassin (1995), passim. 44 Cf. aussi Maier dans ce volume. 45 Ps.-Aristot. rhet. Alex. 1428a25–26 : Εἰκὸς μὲν οὖν ἐστιν οὗ λεγομένου παραδείγματα ἐν ταῖς διανοίαις ἔχουσιν οἱ ἀκούοντες. 46 Exemple tiré de Ps.-Aristot. rhet. Alex. 1429a31–32.
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n’a aucune pertinence pour un orateur si cet orateur souhaite faire l’éloge du personnage comme l’un des archétypes du héros civilisateur. Ce qui importe dans ce cas est la narration d’une vie exemplaire, l’évocation d’un leader à la fois tout puissant et démocratique, souvenir lointain de Périclès, incarné dans le mythe par Thésée, dans l’histoire par Archidamos, Nicoclès ou même – en dernier recours – Philippe de Macédoine. Mais rappelons rapidement la teneur de ce texte.47 Le Busiris est une lettre présentée comme strictement privée (cf. 2), en réalité lettre ouverte, adressée à Polycrate, un sophiste contemporain, un peu plus âgé qu’Isocrate, qui a dû, ruiné pour une raison inconnue, se reconvertir assez tardivement en ‹ philosophe › au sens d’Isocrate, c’est-àdire en sophiste, ou professionnel de l’éducation des élites, et qui a rédigé de ces éloges ou blâmes paradoxaux (notamment de Socrate) si à la mode au début du iv e siècle. Isocrate lui fait la leçon, comme dans l’Éloge d’Hélène,48 en lui montrant comment il aurait dû s’y prendre pour véritablement défendre la mémoire de Busiris, un roi d’Égypte semi-mythique, adversaire d’Héraclès, réputé hostile aux étrangers, cannibale et auteur de sacrifices humains. Isocrate va au contraire faire son éloge et en même temps celui de son pays. Il présente l’exercice comme léger, humoristique (9), mais les critiques ont parfois considéré son texte comme plus ‹ académique › (Usher) que l’Éloge d’Hélène – qui se veut sérieux. Ce qui est sûr est qu’on y retrouve les principaux thèmes de la « philosophie » d’Isocrate.49 Busiris y est peint comme un roi éclairé, et comme celui qui a apporté à l’Égypte les institutions que les Grecs admiraient tant, notamment en matière religieuse. Il a été soutenu récemment50 que le Busiris entretient de complexes relations intertextuelles avec Platon : l’évocation de la société égyptienne serait une parodie de l’État décrit dans la République et la mercuriale adressée à Polycrate serait inspirée de la leçon infligée à Lysias dans le Phèdre. Nous ne pouvons pas examiner ce texte en détail. Nous en soulignerons juste quelques aspects saillants. Isocrate donne d’abord une leçon portant sur une espèce oratoire, le discours d’éloge, que la Rhétorique à Alexandre – à la différence d’Aristote –, considère comme authentiquement politique.51 On sait de plus par Quintilien52 que pour Isocrate, cette espèce oratoire avait sa place dans tous les genres. 47 Isokr. 11 : Introduction (1–3) : ma contribution à ton entrée en « philosophie », écrit Isocrate, sera la critique de tes œuvres : qui aime bien, châtie bien. Critique des œuvres de Polycrate : tu n’as pas suivi les règles du genre et tu as fait l’inverse de ce que tu te proposais de faire (4–8). Transition : mais je dois payer de ma personne (9). Éloge proprement dit (« speech-within-the-speech », selon la formule de Livingstone [2001]), de Busiris et de son pays : généalogie (10), avantages du delta du Nil (11–14), excellence des institutions de l’Égypte (15–20), mérites de l’élite égyptienne, prêtres, médecins et « philosophes » (21–29). Retour au « texte-cadre » : critique de la méthode de Polycrate en matière d’histoire (30–35). Critique de la mythologie comme immorale (36–43). Appel à Polycrate : accepte de te remettre en question, change de méthode, car tu es comptable aussi de la réputation de la « philosophie »(44–50). 48 Isokr. 13, 14–15. Selon certains critiques, ce texte vise aussi Polycrate, selon d’autres, sa cible est Gorgias. 49 Cf. infra. 50 Livingstone (2001) ; Blank (2013). Pour une réflexion renouvelée sur le projet intellectuel qui sous-tend le Busiris, voir Blank (2014), 79–155. 51 Ps.-Aristot. rhet. Alex. 1421b7–8. 52 Quint. Inst. 3.4.11.
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Le but de l’éloge est d’instiller la croyance, une croyance positive, capable elle-même d’inspirer des comportements généreux. C’est ainsi que la narration de la carrière de Busiris mêle l’illusionnisme et – ce qui est très fréquent chez Isocrate dont les discours étaient en même temps des leçons d’éloquence – l’explicitation des techniques illusionnistes utilisées. Busiris est représenté comme ayant organisé la société égyptienne en trois classes, duméziliennes avant la lettre (15), paysans (et artisans), prêtres, guerriers, les uns produisent, les autres protègent, les guerriers protégeant des hommes, les prêtres des dieux. Il a eu le souci de soumettre les institutions – et là, c’est plutôt un souvenir de Clisthène – selon des nombres. Le nombre est ici principe d’ordre, proportion, qui intègre la collectivité humaine au cosmos, selon une correspondance pythagoricienne. Sous la houlette de Busiris (22) les Egyptiens ont découvert l’exercice de la philosophie : ici dans deux fonctions, la législation, d’une part, et d’autre part la recherche sur la « nature des êtres ». Cette recherche est soit utilitaire soit à finalité morale, visant à l’éducation des jeunes. Mais la réforme essentielle est religieuse (24). Le plus remarquable est qu’Isocrate présente la religion comme une « fiction à but moralisateur », dont la fonction apparaît comme très voisine de la « philosophie » qu’il prône lui-même. De même qu’il est utile à la société de grossir les qualités de ceux qu’on loue, il est salvateur de peindre la providence ou la colère divines plus efficientes qu’elles ne le sont réellement. Ce qu’admire surtout Isocrate (25) est l’efficacité sociale et morale des croyances établies en Égypte par rapport aux arrangements que les Grecs, semble-t-il, concluaient avec leur conscience. Les serments y sont plus fiables qu’ailleurs, chacun croit « qu’il sera puni de ses fautes sur le champ et qu’il sera immédiatement découvert sans que le châtiment puisse non plus être reporté sur ses enfants ». Isocrate – si l’on ose dire – « pousse le bouchon » encore plus loin (27) : si Busiris a instauré le culte de certains animaux, c’est à la fois pour apprendre l’obéissance à la populace, mais aussi parce que ces cultes garantissent sa docilité en matière de croyances plus hautes (dans l’invisible), alors que si les gens se défient de la superstition, ils risquent de ne pas avoir la foi. Isocrate sait bien que ses propos sont historiquement sujets à caution, d’où, aux 30 sq., une procatalepse, à savoir une anticipation sur une objection possible de Polycrate. Est-ce que Busiris est bien la cause de ces réussites égyptiennes ? Isocrate répond que la version de Polycrate est invraisemblable : Busiris aurait formé le delta, or c’est l’acte d’un dieu, il aurait assassiné les étrangers, or c’est l’acte d’une bête féroce. Le raisonnement est circulaire : on nie les prémisses sans les vérifier parce que la conclusion est inadmissible. Moi, affirme Isocrate, je n’ai imputé à Busiris que des actes vraisemblables et que des bienfaits. On peut objecter bien sûr que cela ne constitue pas davantage une preuve, que le vraisemblable n’est pas le vrai et que Busiris n’est nullement disculpé d’avoir assassiné des étrangers. Cela dit, Isocrate confirme de facto ce qu’il disait au 24 : peu importe la vérité si ce que l’on dit est susceptible d’élever le niveau moral du public. Le corollaire (38) est qu’Isocrate reproche leur immoralité aux mythes des poètes, qui imputent aux fils de dieux, les héros, des actes pires que ceux des fils issus des pères les plus impies. C’est une manière d’opposer beauté poétique et beauté morale. Pour Isocrate qui était, on le sait, un grand stylisticien, seule compte la beauté stylistique qui est en même temps une beauté politique et morale.
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Il faut faire la part de l’humour dans cet exposé à caractère lointainement socratique, mais la part du sérieux est grande : nous avons avec le Busiris une epideixis de l’éloge comme implantation dans l’esprit de l’auditeur d’un modèle agissant. Si l’action de Busiris est représentée d’une manière à la fois vraisemblable et conforme au bien, l’auditeur sera persuadé, touché et tenté de suivre la même voie : telle est la leçon qu’Isocrate donne à son collègue éducateur. Quant à la vérité historique, elle n’a strictement aucune importance. La conclusion que nous voudrions tirer est que la narration judiciaire d’époque classique a certainement transmis aux historiens post-classiques des normes à la fois contraignantes, venant s’ajouter au cahier des charges de l’historiographie « scientifique » (clarté, brièveté, attachement aux faits, impersonnalité), et stimulantes (puissance émotionnelle des images mentales). Quant à la rhétorique à la fois sophistique et idéologique d’Isocrate, elle a conduit – avec l’aide de Xénophon – à faire entrer les mœurs, ou la morale, dans le politique, en privilégiant le modèle des chefs charismatiques sur celui de la loi et des institutions, anticipant sur l’évergétisme hellénistique53. Un concept proprement rhétorique, ancré dans la relation qui s’instaure entre l’orateur et son public, vient unifier ces deux « gènes » apparemment contradictoires, c’est le concept de vraisemblance, dynamisé, galvanisé par les horribles guerres fratricides du iv e siècle : il ne suffit pas de faire croire aux gens ce qu’on veut leur faire croire et d’éteindre leur méfiance, il faut encore donner aux hommes l’envie de vivre et d’agir ensemble. Ce lien entre la rhétorique et l’historiographie est certainement l’une des clefs d’un phénomène souvent souligné : le lien intime entre l’historiographie post-classique et l’actualité.54 L’histoire n’est plus seulement, désormais, un κτῆμα εἰς ἀεί, mais un outil de compréhension du présent, un guide pour l’action et une discipline d’éducation.55 Bibliographie Aujac, G. (éd.) (1992) : Denys d’Halicarnasse, Opuscules rhétoriques. Tome V (L’Imitation ; Première lettre à Ammée ; Lettre à Pompée Géminos ; Dinarque), Paris. Azoulay, V. (2006) : Isocrate, Xénophon, ou le politique transfiguré, in : REA 108, 133–153. Bizos, M. / Gernet, M. (1967) : Lysias. Discours II, Paris. Blank, T. (2014) : Logos und Praxis : Sparta als politisches Exemplum in den Schriften des Isokrates, Berlin/New York. Blank, T. (2013) : Isocrates on Paradoxical Discourse. An Analysis of Helen and Busiris, in : Rhetorica 31, 1–33. Carey, C. (ed.) (2007) : Lysiae orationes cum fragmentis, Oxford. Cassin, B. (1995) : L’Effet sophistique, Paris. Chiron, P. (éd.) (1993) : Démétrios. Du Style, Paris. Chiron, P. (éd.) (2002) : Ps.-Aristote. Rhétorique à Alexandre, Paris. 53 Voir sur cette question Azoulay (2006), 133–153. 54 Parmeggiani (2014), introduction. 55 Cf. Marincola (2014), 49–61.
La narration chez Isocrate et dans la Rhétorique à Alexandre
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Geschichte vor Gericht Wahrheit und Wahrscheinlichkeit als Kriterien in der Vergangenheitsdarstellung attischer Redner* Katharina Wojciech
In der Verteidigungsrede in einem Mordprozess aus dem Jahr 415 lässt der Logograph Antiphon seinen Auftraggeber den schwierigen Stand der Wahrheit vor Gericht folgendermaßen beschreiben:1 Denn einerseits sind schon viele, die nicht fähig waren (gut) zu sprechen, durch ihre wahren Aussagen unglaubwürdig geworden und durch diese zugrunde gegangen, da sie sie nicht klar darlegen konnten; andererseits sind viele, weil sie (gut) reden konnten, durch das Lügen glaubhaft geworden.
In einem Prozess war Wahrheit wichtig, da sie als Grundlage der Gerechtigkeit angesehen wurde.2 Um die Richter zu überzeugen, reichte es aber nicht bloß die Wahrheit zu sagen, denn in einfache Worte gekleidet war die Wahrheit nicht für alle erkennbar, ihr wohnte nicht per se eine Überzeugungskraft inne. Um die Wahrheit zu zeigen, musste sie vielmehr so dargelegt werden, dass sie für die Richter auch wahrscheinlich klang.3 Das praktische Wahrscheinlichkeitspostulat war genauso wichtig wie das moralische Wahrheitspostulat. Die Gefahr der plausiblen Lüge war dabei stets implizit. Aristoteles, der grundsätzlich in der Redekunst die Chance sieht, der Wahrheit und Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen,4 erörtert dennoch ausführlich die vielen Möglichkeiten von nur scheinbarer Plausibilität5 und stellt fest, dass vor Gericht niemand zugeben werde, im Unrecht zu sein.6 So war die * 1 2 3 4 5 6
Dieser Artikel konnte dank der großzügigen Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung fertiggestellt werden, für wertvolle Hinweise danke ich Cinzia Bearzot, Sitta von Reden und Thomas Blank. Antiph. 5.3: πολλοὶ μὲν γὰρ ἤδη τῶν οὐ δυναμένων λέγειν, ἄπιστοι γενόμενοι τοῖς ἀληθέσιν, αὐτοῖς τούτοις ἀπώλοντο, οὐ δυνάμενοι δηλῶσαι αὐτά: πολλοὶ δε τῶν λέγειν δυναμένων πιστοὶ γενόμενοι τῷ ψεύδεσθαι […]. Vgl. Zinsmaier (1998), 398–422. Dies galt umso mehr, wenn der Angeklagte nicht geständig war und seine Tat nicht in aller Öffentlichkeit verübt hatte, vgl. Aischin. 1.91: εὑρίσκεται δὲ ἡ ἀλήθεια ἐκ τῶν εἰκότων – „die Wahrheit aber wird aus dem Wahrscheinlichen ermittelt“; vgl. noch Aristot. Rhet. 1356a19–20. Aristot. Rhet. 1355a14–18; 1355a21–23; zum Wahrheitsanspruch des Aristoteles vgl. Franz (1991), 240–248. Vgl. etwa Aristot. Rhet. 1400b35–1402a29; 1408a20–24. Aristot. Rhet. 1358b30–33.
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Praxis der öffentlichen Rede zugleich Freund und Feind der Wahrheit. Wer besser sprechen konnte, konnte auch besser seinen Standpunkt vermitteln. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Wahrheit in den Gerichtsreden betrifft zwangsläufig auch die Darstellung und Interpretation der gemeinsamen Geschichte. Erstens befasste sich ein Gerichtsprozess stets mit den Ereignissen der Vergangenheit, die es zuverlässig zu rekonstruieren galt, um über Schuld und Unschuld entscheiden zu können.7 In den öffentlichen Prozessen unterschied sich diese Rekonstruktion der rezenten Vergangenheit von der Diskussion eines gewöhnlichen Tathergangs nur durch die politische Relevanz des Geschehenen. Durch die Bewertung der Zeitgeschichte wurden neue gemeinsame Erinnerungen ausgehandelt. Dabei konnten ganz unterschiedliche Einschätzungen aufeinanderprallen. Das Paradebeispiel dafür stellen die nachträglichen Beurteilungen der Schlacht bei Chaironeia im Jahr 338 dar, die je nach politischer Ausrichtung des Sprechers und des Themas der Rede als noble Niederlage,8 Sieg der rechten Gesinnung9 oder große Schande für die Polis10 konstruiert wurde. Zweitens wurden die Ereignisse der Vergangenheit, die mit dem Prozess prima facie nichts zu tun hatten, in einer Rede als pisteis eingesetzt, um die Argumentation zu stützen. Ihre Wirkkraft beruhte im Wesentlichen auf der Vorstellung von der didaktischen und legitimierenden Funktion der Geschichte.11 Dabei konnte sowohl rezente Vergangenheit als auch ältere Geschichte, ja selbst Mythos entsprechend eingesetzt werden.12 Gerade solche historischen paradeigmata waren für den Vorgang des Wahrscheinlich-Machens sehr wichtig,13 da sie nicht nur bereits bestehende Meinungen der Zuhörer bestätigen, sondern ihnen auch widersprechen konnten. Diese paradeigmata kata logon und para logon beschreibt die Rhetorica ad Alexandrum sehr anschaulich:14 Ein paradeigma kata logon sei demnach die (allgemein einleuchtende) Behauptung, dass eine Überzahl und viele Verbündete im Krieg von Vorteil seien. Ein Beispiel aus der Geschichte funktioniere hier bloß als Verstärker des ohnehin glaubwürdigen Sachverhalts. Für den Nachweis, dass sich eine schwächere Position im Krieg zum Vorteil wenden könne, sei es aber sinnvoller, viele Beispiele aus der Vergangenheit zu nennen. Als passende paradeigmata para logon könnten hier der Sieg der Athener über die Lakedaimonier bei Pylos im Jahr 42515 oder der gänzlich unerwartete militärische Erfolg der Thebaner über die Spartaner bei Leuktra gelten. Es wäre dabei zu erwarten, dass ein 7 8 9 10 11 12
Vgl. Aristot. Rhet. 1358b2–8. So Hyp. 7.19. So Demosth. 18. v. a. 199–209. So Lyk. 42–43; Aischin. 2.132–134. Vgl. Thuk. 1.22; Lys. 25.23; Andok. 3.2; Demosth. 3.4–9; Dein. 1.33. Solche Überzeugungsmittel finden sich überall in den erhaltenen Gerichtsreden, allerdings sticht hier insbesondere Lykurgs Anklage Gegen Leokrates hervor, die sehr exzessiv gerade den Mythos nutzt, dazu etwa Azoulay (2009), 149–180. 13 Vgl. Aristot. Rhet. 1393a28–1393b4. 14 Vgl. (auch für das Folgende) Rhet. Alex. 1429a21–1430a13; zur Beschreibung der paradeigmata in der Rhe torica ad Alexandrum s. noch Price (1975), 14–35. 15 Die Niederlage und Kapitulation der Spartaner hat Thukydides (4.36–40) zufolge auf die griechische Welt wie ein Schock gewirkt.
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Beispiel, das zur Unterstützung der Wahrheit eingesetzt wurde, auch selbst glaubwürdig sein musste; dass es nur dann funktionierte, wenn die Richter in ihrer Mehrheit das Überzeugungsmittel als plausibel und zu ihrer Lebenswirklichkeit zugehörig erkannten. Da jedoch Erinnerungsprozesse dynamisch sind,16 ist hier bereits die Definition einer ‚historischen Wahrheit‘ problematisch. Der moderne Historiker bemerkt in den Reden zudem Übertreibungen, mangelnde Präzision oder schlichtweg grobe Fehler, wie Vertauschung von Namen, falsche Chronologie, Herstellung von pseudokausalen Zusammenhängen, die an allzu strengen Wahrheitskriterien der Redner und ihrer Zuhörer zweifeln lassen. Im Folgenden soll deshalb das Verständnis von der ‚historischen Wahrheit‘ und der Umgang mit ihr bei der Vergangenheitsdarstellung in den Gerichtsreden exemplarisch untersucht werden. Drei Fragen stehen dabei im Vordergrund: Wie wurde die Zuverlässigkeit des historischen Arguments vermittelt? Welche Bedeutung wurde der Wahrheit in der Geschichte eingeräumt? Wie weit reichte der Interpretationsspielraum der Redner? I. Die Rhetorik der Wahrheit: Rekonstruktion und Deutung jüngster Vergangenheit Um die Richtigkeit der eigenen Darstellung der rezenten Vergangenheit in einem Prozess zu erweisen, gab es unterschiedliche Mittel. Die expliziten Berufungen auf die Wahrheit erscheinen am häufigsten, wenn pisteis atechnoi, wie Zeugenaussagen oder Dekrete, zur Verfügung standen.17 Diese Belege waren jedoch insofern nicht ganz unproblematisch, als die Redner selbst immer wieder darauf hinwiesen, dass Zeugen auch lügen und Dekrete in einem veränderten Kontext verfälschend wirken können.18 Auch wenn dies stets geschah, um die Glaubwürdigkeit des Prozessgegners zu untergraben, dürften solche Argumente fast zwangsläufig die Richter insgesamt verunsichert haben. Deshalb kam vor Gericht der Autopsie eine besondere Bedeutung zu.19 Als Zeitzeugen wurden die Richter in vielen Reden selbst zu Garanten der richtigen Darstellung erhoben und in ihrer Rolle als ehemalige Richter, Teilnehmer an militärischen Unternehmungen oder politischen Entscheidungsprozessen angesprochen.20 Um das Jahr 400 musste sich etwa der Redner Andokides verteidigen, weil er trotz der 15 Jahre zuvor über ihn verhängten Atimie an den eleusinischen Mysterien teilgenommen hatte. In 16 Vgl. zur starken Abhängigkeit der Vergangenheit von der jeweiligen Gegenwart Nora (1990), 12–16; Ricœur (1998), 21–24; Gehrke (2003), 62–81. 17 Vgl. Lys. 13.71, 72, 81; Aischin. 2.46, 54, 107, 134, 143; 3.68, 70, 75, 93, 101, 112, 124; Demosth. 19, 146, 161, 165, 170, 176. 18 Vgl. Andok. 1.7; Demosth. 18.225. Zur kritischen Einschätzung des Gebrauchs solcher Dokumente vgl. noch Bearzot (1981), 293–295, 303; De Brauw (2001/2002), 161–176. 19 Vgl. Zinsmaier (1998), 400. 20 Vgl. etwa Lys. 10.1, 12.61, 13.68, 21.10; Ps.-Demosth. 59.91–92; Aischin. 2.44, 84–85; Demosth. 19.19; Dein. 1.33; zur Gleichzeitigkeit der Aufgabe als Richter und Zeugen vgl. noch Aischin. 1.89.
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seiner Rede Über die Mysterien geht er daher recht ausführlich auf das Geschehen des Jahres 415 ein und fordert die Richter auf, sich an diese prominenten Ereignisse selbst zu erinnern. Da die Anwesenden in den damaligen Prozessen als Richter fungiert hätten, könnten sie nun seine zuverlässigsten Zeugen sein. Sie sollten also überlegen, ob seine Ausführungen wahr seien, und gegebenenfalls auch diejenigen unterrichten, die sich nicht (mehr) erinnern könnten.21 Falls er aber nicht die Wahrheit spreche, solle man ihm sofort widersprechen und ihn am weiteren Sprechen hindern.22 Es ist dabei evident, dass die jeweiligen Richterkörperschaften der Jahre 415 und 400 nicht identisch gewesen sein können. Das bedeutet jedoch nicht zwingend, dass den Richtern eine nicht vorhandene Erinnerung und damit eine fragwürdige Wahrheit suggeriert werden sollte. Bereits Thukydides lässt in seinem Epitaphios Perikles sagen, dass ein passiver Bürger nutzlos sei.23 Das kritische Urteil spiegelt die Erwartungshaltung der Athener wider, dass sich die demokratischen politai durch die kontinuierliche Teilnahme am öffentlichen Leben der Polis auszeichnen sollten. In derselben Weise lässt sich auch Andokides und seinen Zuhörern die Perspektive unterstellen, dass ein solcher idealer Athener Bürger stets gut informiert und in der Richterrolle gewissermaßen austauschbar war. Genau diese kontinuierliche Teilnahme an der Polis sollte die Richter in die Lage versetzen, Wahrheit von Lüge in einem politischen Prozess zu unterscheiden. Es ist dabei interessant, dass das griechische Wort ἀ-λήθεια etymologisch höchstwahrscheinlich mit λήθη (Vergessen) verbunden ist.24 Wahrheit zu erfahren, bedeutete also eine persönliche Anstrengung, einen aktiven Kampf gegen das Vergessen. Auf diese Weise waren Wahrheit und Erinnerung bereits sprachlich aufs Engste miteinander verknüpft. Die Beweisführung war schwieriger, wenn die Redner über Ereignisse sprachen, an die die Richter keine eigenen Erinnerungen haben konnten, etwa weil diese nicht in der athenischen Öffentlichkeit stattgefunden hatten. Eine Möglichkeit, die Richtigkeit des eigenen Berichts zu bezeugen, stellte in diesen Fällen die Berufung auf die Götter als universelle Zeugen und strafende Instanz dar. Dies geschieht im sogenannten Kranzprozess des Jahres 331/330. Hier wird Demosthenes durch Aischines die Schuld an der Niederlage gegen Philipp im Jahr 338 zugewiesen und als Begründung dafür unter anderem eine religiöse Verunreinigung (miasma) konstruiert.25 Aischines behauptet, dass Demosthenes im Vorfeld des Vierten Heiligen Krieges nach Annahme einer Bestechung dafür gesorgt habe, dass sich Athen an der Bestrafung der Amphisseer für die widerrechtliche Bebauung des den Göttern geweihten Landes nicht beteiligt hatte.26 Dadurch habe Demosthenes eine Schuld auf sich geladen und sei nun zum „Fluch Griechenlands“ (ὁ τῆς ῾Ελλάδος ἀλειτήριος, Aischin. 3.131 und 157) geworden. Dagegen 21 Andok. 1.37, 55, 69. 22 Andok. 1.55. Letzteres erscheint in den Reden ebenfalls recht häufig, vgl. noch Aischin. 2.70; Demosth. 18.139. 23 Thuk. 2.40. 24 Vgl. Frisk (1960), 71 (s. v. ἀληθής), der es als mögliches Bahuvrihikompositum von a-privativum und λήθη bezeichnet; Loraux (2006), 161. 25 Dazu insgesamt Martin (2009), 101–103. 26 Vgl. hierzu insgesamt Aischin. 3.106–129.
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wendet sich Demosthenes mit dem Vorwurf, dass Aischines in seinem Bericht über die Anlässe des Vierten Heiligen Krieges gerade durch die Darlegung der Beschlüsse gegen die Amphisseer die Wahrheit verdrehe und vom Wesentlichen ablenke. Denn in Wirklichkeit sei er selbst maßgeblich für den Konflikt mit den Lokrern und dadurch den Krieg in Mittelgriechenland verantwortlich.27 Da hier größtenteils Ereignisse rekapituliert wurden, die in der Versammlung der Amphiktyonen des Jahres 339 stattgefunden hatten, konnten die athenischen Richter nur aus zweiter Hand über die Vorgänge informiert sein. Es kam vielmehr auf die Glaubwürdigkeit der beiden Redner an. Deshalb ruft Demosthenes, um seine Wahrheit zu bezeugen, seinerseits diejenigen Götter an, die ihn angeblich verflucht haben sollen. Er bittet nämlich alle Götter, die Attika beschützen und den pythischen Apollon selbst, ihm Glück und Heil zu verleihen, wenn er die Wahrheit spreche, ihm aber den Genuss alles Guten zu versagen, wenn er falsche Beschuldigungen vorbringe.28 Die Bereitschaft zur Selbstverfluchung sollte die Richter von der Integrität des Sprechers überzeugen. Diese Vorgehensweise war nicht ganz innovativ. Schon bei Antiphon findet sich 415 eine ähnliche Strategie. Der Angeklagte des Mordes an Herodes bringt zu seiner Verteidigung das Argument vor, dass er durch einen Mord unrein geworden wäre. Die glückliche Heimreise auf dem Schiff und die Gültigkeit der in seiner Anwesenheit dargebrachten Opfer sei folglich der beste Beleg für seine Unschuld.29 Doch Demosthenes geht in seiner Verteidigung noch geschickter vor, da er in seinen Formulierungen im Wesentlichen an den Eid erinnert, den die Heliasten selbst vor einem Prozess sprechen mussten.30 Die Gemeinsamkeit mit seinem Publikum wird folglich anstatt durch eine gemeinsame Erinnerung durch die gemeinsame Verpflichtung zur Pietät gegenüber den Göttern hergestellt. Häufiger wird der Wahrheitsnachweis der eigenen Argumentation allerdings durch die Widerlegung (λύσις) der Argumente des Gegners im Sinne einer reductio ad absurdum geführt. Dafür konnten ganz unterschiedliche Strategien genutzt werden. Zwei kurze Beispiele sollen hier genügen. Im Jahr 334 musste Hypereides in der Rede Gegen Diondas das fünf Jahre zuvor geschlossene Bündnis mit Theben erneut bewerten.31 Der 27 Vgl. hierzu insgesamt Demosth. 18.140–159. 28 Demosth. 18.141: καλῶ δ᾽ ἐναντίον ὑμῶν, ἄνδρες Ἀθηναῖοι, τοὺς θεοὺς πάντας καὶ πάσας ὅσοι τὴν χώραν ἔχουσι τὴν Ἀττικήν, καὶ τὸν Ἀπόλλω τὸν Πύθιον, ὃς πατρῷoς ἐστι τῇ πόλει, καὶ ἐπεύχομαι πᾶσι τούτοις, εἰ μὲν ἀληθῆ πρὸς ὑμᾶς εἴποιμι καὶ εἶπον καὶ τότ᾽ εὐθὺς ἐν τῷ δήμῳ, […], εὐτυχίαν μοι δοῦναι καὶ σωτηρίαν, εἰ δὲ πρὸς ἔχθραν ἢ φιλονικίας ἰδίας ἕνεκ᾽ αἰτίαν ἐπάγω τούτῳ ψευδῆ, πάντων τῶν ἀγαθῶν ἀνόνητόν με ποιῆσαι. – „Ich rufe aber in eurer Gegenwart, Athener, alle Götter und Göttinnen an, die die attische Erde beschützen, und den pythischen Apollon, der Stammvater unserer Polis ist, und ich bete zu ihnen allen, wenn ich zu euch zwar wahrheitsgemäß gesprochen habe und auch damals vor dem Volk sofort wahrheitsgemäß sprach […], mir Glück und Heil zu geben, wenn ich aber aus Hass oder aufgrund privater Gewinnsucht eine lügenhafte Anschuldigung gegen diesen vorbringe, mir den Genuss alles Guten zu versagen“. 29 Vgl. Antiph. 5.82–84. 30 Demosth. 24.151: […] ἐπομνύναι Δία, Ποσειδῶ, Δήμητρα, καὶ ἐπαρᾶσθαι ἐξώλειαν ἑαυτῷ καὶ οἰκίᾳ τῇ ἑαυτοῦ, εἴ τι τούτων παραβαίνοι, εὐορκοῦντι δὲ πολλὰ κἀγαθὰ εἶναι. – „[…] Er soll schwören bei Zeus, Poseidon, Demeter, und er soll die Zerstörung seiner selbst und seines Haus heraufbeschwören, wenn er etwas von den Inhalten des Eides übertritt, und all sein Wohlstand soll von der Bewahrung des Eides abhängig sein.“ 31 Vgl. zur Datierung der Rede Horváth (2014), 10–23. Im Folgenden als 7. Rede zitiert.
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Redner versuchte dabei den Vorwurf zu dekonstruieren, dass diese Symmachie nicht ausgewogen gewesen sei, da Athen doppelt so viel Geld, Pferde und Soldaten beigesteuert habe.32 Um dies zu erreichen, erinnert er an die Situation der Kämpfe bei Marathon, vor Salamis und Artemision. Hier sei das Missverhältnis noch größer gewesen und Athen habe dennoch für die Freiheit Griechenlands gekämpft.33 Dadurch suggeriert er den Richtern, dass die Verdammung der rezenten Entscheidung auch die ältere Entscheidung in Frage stellen würde. Da sich dieser Gedanke aber mit der Vorbildfunktion der Vorfahren in den Perserkriegen nicht vertrug, konnte die Kritik an der rezenten Entscheidung durch die Herstellung des Zusammenhangs absurd erscheinen. Die Widerlegung entspricht hier nicht streng logischen Kriterien, sondern ist vielmehr kontextabhängig, sie funktioniert in einem athenischen Gericht, in dem die Richter mit den glorifizierten Siegen in den Perserkriegen aufgewachsen sind und die Erinnerung daran Stolz hervorrufen konnte. Anders geht Aischines 343 in der Rede Über die Gesandtschaft vor, als er sich gegen den Vorwurf zur Wehr setzt, er habe sich im Schutze der Nacht und hinter dem Rücken der anderen Gesandten mit Philipp getroffen, um dem makedonischen König zu helfen, einen Brief an die Volksversammlung zu formulieren.34 Der Redner greift hier auf das Stilmittel Sarkasmus zurück, als er die angebliche Notwendigkeit einer ‚rhetorischen Nachhilfe‘ für Philipp beschreibt. Zu diesem Zweck zählt Aischines zunächst mehrere berühmte zeitgenössische rhetores auf (Leosthenes, Python von Byzanz), die sich bei Philipp just zur selben Zeit aufgehalten haben sollen und kommentiert anschließend, dass die Aufgabe neben all diesen berühmten Talenten ‚sicher‘ noch zusätzlich seinen Einsatz ‚erfordert‘ habe.35 Nachdem er aber Teile des Briefes verlesen lässt, greift er eine banale Phrase: τοὺς ὅρκους ἀποδέδωκα […] τοῖς ὑμετέροις πρέσβεσι („Die Eide habe ich Euren Gesandten geleistet“, Aischin. 2.129) auf und wendet sich an die Richter mit der rhetorischen Frage, ob sie nicht glaubten, dass Philipp so etwas bei Tag und ohne fremde Hilfe hätte formulieren können.36 Die Botschaft ist deutlich: mit seiner Betonung der Unfähigkeit Philipps und der zweifelhaften Erhöhung der Rolle des Aischines habe Demosthenes stark übertrieben und sich dadurch selbst lächerlich und unglaubwürdig gemacht.37 Darüber hinaus konnte das Wahrheitsproblem ganz bewusst bei der Rekonstruktion der rezenten Vergangenheit instrumentalisiert werden, um gegen die Erwartungen oder vermeintliche Gewissheiten der Richter argumentieren zu können. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Redner explizit behaupteten, dass Zeugen lügen und Dokumente durch eine falsche Kontextualisierung den Blick auf die Wahrheit verstel-
32 Vgl. Hyp. 7.12; nach dem Bericht des Aischines (3.143) sollte Athen allerdings zwei Drittel der Kriegskosten zu Lande und die Gesamtkosten des (freilich nicht mehr realisierten) Seekrieges tragen. 33 Vgl. Hyp. 7.13. 34 Vgl. Demosth. 19.36–38.175; dazu insgesamt Aischin. 2.124–128. 35 Aischin. 2.124–125. 36 Vgl. dazu Carey (2000), 137 Anm. 161. 37 Zu den Abweichungen der beiden Darstellungen Harris (1995), 178 Anm. 6.
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len können, um an der Beweisführung ihrer Gegner Zweifel zu säen.38 Dass einfachen Wahrheiten zu misstrauen sei, versucht auch Aischines in der Rede Gegen Ktesiphon (331/330) zu erweisen, als er Demosthenes dessen Dreistigkeit beim Lügen vorwirft. Alle anderen Lügner – so Aischines – seien aus Angst vor Widerlegung unpräzise und vage, doch Demosthenes füge auch noch Eide, konkrete Daten und Namen von Völkern in seinen Bericht ein. Dadurch ahme er die Vorgehensweise der Menschen nach, die die Wahrheit sprächen (μιμούμενος τοὺς τἀληθῆ λέγοντας), und täusche so seine Zuhörer.39 Solche Strategien machen sich die Angst vor der plausiblen Lüge zunutze; die Richter sollen glauben, dass Genauigkeit zwar Glaubwürdigkeit suggeriert, genau dies aber ein Trick sein kann. Ähnlich ließ sich auch umgekehrt eine schwierige oder gar unplausible Wahrheit als besonders wahr darstellen. Ersteres geschieht, wenn Aischines in der Rede Über die Gesandtschaft (343) dem Vorwurf begegnet, sich nicht genügend für die Rückgewinnung von Amphipolis eingesetzt, es vielmehr für den Frieden mit Philipp preisgegeben zu haben.40 Der Redner rekapituliert die schwierige Situation der Entscheidung im Jahr 346 und erinnert die Richter daran, dass Athen den Krieg zwar wegen Amphipolis begonnen, doch während dessen die fünfundsiebzig Poleis als Verbündete verloren habe, die Timotheos für den Seebund gewonnen habe, dazu hundertfünfzig Schiffe und hundert Talente; ferner dass Philipp längst weitere athenische Besitzungen (Lemnos, Imbros, Skyros) für sich beansprucht habe und die athenischen Siedler aus der Chersones zur Flucht gezwungen gewesen seien.41 Um die unangenehme Erinnerung zu rechtfertigen, schützt Aischines aber geschickt das Wahrheitspostulat vor, das er als bittere, aber notwendige Medizin im Gegensatz zu den gefälligen Argumenten anderer Redner präsentiert. Sein Argument sei wahr, weil es unangenehm und schwierig zu vermitteln sei. Der Redner Lykurg behauptet schließlich sogar, dass sich eine tiefe Wahrheit hinter Paradoxa verstecken könne, und zwar als er die Gefallenen bei Chaironeia in der Rede Gegen Leokrates (331/330) als Sieger bezeichnet; dabei nimmt er vorweg, dass er gleich etwas Paradoxes verkünden werde, das aber dennoch wahr sei. Die Begründung lautet, die Gefallenen hätten eben die höchsten Preise errungen, die es im Krieg zu gewinnen gebe: Freiheit und Tugend.42 Wahrheit bedeutet hier also keine detailgetreue Rekonstruktion eines Ereignisses, sondern eine Bewertung gemäß geltenden Wertevorstellungen. Demnach kann erst die plausible Interpretation des Redners diese Wahrheit zu Tage fördern.
38 Vgl. Andok. 1.7; Demosth. 18.225; üblich war es darüber hinaus, die Richter vor dem rhetorischem Knowhow des Gegners zu warnen, vgl. etwa Aischin. 3.35, 202; dazu Bearzot (2006), 145–146. 39 Aischin. 3.99. 40 Demosth. 19. v. a. 253–254. 41 Aischin. 2.70–72. Bei den Städteangaben bezieht sich Aischines auf die Verluste des Bundesgenossenkrieges. Die Zuverlässigkeit der Zahlenangaben ist durch keine weitere Quelle bestätigt; Diodor (15.30.2) spricht von maximal 70 Mitgliedern im Seebund. 42 Lyk. 49; vgl. Demosth. 19.96.
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II. Tradierte Wahrheiten: Gemeinsame Geschichte – gemeinsames Wissen? Bei der Plausibilisierung der älteren Vergangenheit vor Gericht wurden die bereits dargelegten Möglichkeiten der behandelten Zeitschicht angepasst, doch sind hier ganz ähnliche Muster erkennbar. Bei Ereignissen, die mindestens eine Generation vor der Lebenszeit der (meisten) Richter lagen, musste der Appell an die persönliche ‚Erinnerung an etwas‘ dem Hinweis auf ein ‚Wissen über etwas‘ weichen. Die Herkunft des Wissens wurde dabei ganz unterschiedlich begründet, es allerdings stets als ‚gemeinsamer Besitz‘ präsentiert. Anstatt Dokumente und lebende Zeugen, wurden etwa Zitate aus Dichtung und Drama43 oder Texte von Inschriften44 als Gedächtnismedien eingesetzt.45 Als Erinnerungsgaranten fungierten darüber hinaus sehr häufig die ältesten der noch lebenden Athener.46 Im Einzelfall konnte dies sogar ein eigenes Familienmitglied sein. Aischines verweist in seinen Reden mehrmals auf seinen Vater – dieser sei als sehr alter Mann gestorben und habe seinem Sohn noch alles Wissenswerte über den zweiten oligarchischen Umsturz sowie die Wiedereinrichtung der Demokratie erzählen können.47 Als Athener, dessen Familie seit Generationen am öffentlichen Leben der Polis partizipierte, war Aischines wie seine Zuhörer auf natürliche Art und Weise mit der Geschichte der Polis verbunden. Die Berufung auf das kommunikative Gedächtnis der Bürgerschaft beantwortete nicht nur die Frage, woher der Sprecher seine Informationen bezog; sie stellte auch eine notwendige Verständigung mit den Zuhörern her und versah die Aussage mit höherer Autorität.48 Denn das historische Beispiel erschien auf diese Weise bereits als Teil der gemeinsamen Tradition, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Dies wird noch deutlicher, wenn ein Redner ein Beispiel verwenden wollte, das unter Umständen noch älter war, sich also außerhalb des kommunikativen Gedächtnisses befand. Sehr gut lässt sich die Plausibilisierung anhand der Rede Gegen Leptines (355) von Demosthenes veranschaulichen. Demosthenes referiert hier zunächst die auch aus Thukydides bekannte Geschichte, als Themistokles nach den Perserkriegen die Spartaner durch eine List hingehalten haben soll, damit die Mauer in Athen fertiggestellt werden konnte; mit einer Hinwendung an die Richter stellt der Redner fest: „Ihr alle 43 Vgl. Aischin. 1.128, 129, 144, 148–152; 2.158; 3.135; Demosth. 18.267; 19.244, 247, 255–256. 44 Vgl. etwa Aischin. 3.184–185, 190. 45 Die Zitate weichen dabei manchmal von anderen bekannten Versionen ab, vgl. Aischin. 1.148 [= Il. 18.333– 335]; 1.149 [= Il. 23.77–91]; 1.150 [= Il. 18.95–99]. Dazu ausführlich Olding 2007, 157–160, mit dem Vergleich des Wortlauts. 46 Vgl. hierzu einige Beispiele: Lyk. 93 (Erinnerung an den Prozess und die Bestrafung des Kallistratos); Demosth. 20.52–54 (Erinnerung an die Exilierten aus Korinth nach dem Korinthischen Krieg), 68 (Erinnerung an die Errungenschaften Konons), 77 (Erinnerung an die Errungenschaften des Chabrias); Dein. 1.72 (Erinnerung an die Größe Thebens zur Zeit des Pelopidas und Epameinondas), 75 (Erinnerung an die Errungenschaften Konons); s. noch Isok. 7.66; 15.93; Thuk. 1.80. Vereinzelt werden die Richter selbst als Verantwortliche weit zurückliegender Entscheidungen angesprochen, vgl. Aischin. 1.173; 2.164; Demosth. 18.96; 19.277. Zu dieser ‚Zeitlosigkeit‘ der athenischen Richter, die die Idee der Kontinuität der Demokratie ausdrückt, vgl. Wolpert 2003, 537–555. 47 Vgl. Aischin. 2.77–78; 3.191–192. 48 Vgl. Ober (zuletzt) (2007), 300–301.
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habt gleichermaßen gehört, wie er sie getäuscht haben soll“.49 Dabei handelt es sich um eine weitere Variante der häufigen Wendungen: „wer weiß denn nicht“ (τίς δ᾽ οὐκ οἶδεν) oder „alle wissen“ (ἇπαντες ἴσασιν), die Aristoteles als Versuche deutet, den Zuhörern eine gewisse Kenntnis der Vergangenheit zu suggerieren: aus Angst, man könnte sie für ungebildet halten, gestünden die Zuhörer nie ein, dass sie das Beispiel nicht kannten.50 Diese Erklärung impliziert allerdings zu sehr eine scharfe Konfrontation zwischen einem gebildeten Redner und seinem (vermeintlich) ungebildeten Publikum, dem man mittels solcher ‚rhetorischen Tricks‘ alles einreden kann. Die Wendungen begegnen auch bei sehr plakativen Beispielen. Als Lykurg den Athenern vor Augen führen möchte, wie schwer sich das Schicksal einer einmal zerstörten Stadt gestaltet, erinnert er an das Schicksal Troias und benutzt dabei einen ebensolchen Ausdruck (τὴν Τροίαν τίς οὐκ ἀκήκοεν).51 Es ist schwer vorstellbar, dass der Redner in Wirklichkeit befürchtet, den Athenern sei die Geschichte Troias unbekannt. Bereits Thukydides bezeichnet im Epitaphios des Perikles Athen als „die Schule von Hellas“ (Thuk. 2.41.1), die Athener waren im Allgemeinen auf ihre Bildung besonders stolz.52 Diese Wendungen an die Richter könnten folglich auch einem allgemeinen Bildungsanspruch zugeordnet werden, auf das die Redner eingehen, um nicht zu belehrend zu wirken.53 Die geschichtlichen Kenntnisse waren bei einem Publikum, das mehrere Hundert Personen umfasste, kaum identisch. Auf diese Weise konnten die Redner die etwas weniger Gebildeten informieren, ohne sie bloßzustellen, und die Gebildeten an etwas erinnern, ohne sie zu verärgern. Noch wichtiger ist jedoch, dass die gute Kenntnis der gemeinsamen Geschichte durch solche Formulierungen als etwas Nicht-optionales erscheint, als eine Bürgertugend, die jederzeit bei den Zuhörern eingefordert werden kann. Sie ist ein Teil der gemeinsamen historischen Identität, die man zumindest kennen sollte. Doch Redner und Richter nahmen für sich nicht nur die Erinnerung an oder das Wissen um die gemeinsame Geschichte in Anspruch. Kehren wir zu dem eben erwähnten Beispiel aus der Rede Gegen Leptines zurück. Denn Demosthenes erinnert an die List des Themistokles, weil er diesen mit einem anderen berühmten Athener, Konon, vergleichen möchte, der durch seine Siege über die Spartaner den Athenern zum Mauerbau nach dem Peloponnesischen Krieg verholfen hatte. Demosthenes zufolge seien die Leistungen des Letzteren höher zu werten, weil er es offen durch einen Sieg im Kampf und nicht heimlich durch Betrug erreicht habe.54 Um die Richter von seiner Meinung zu überzeugen, äußert sich Demosthenes in einem Einschub folgendermaßen: „Und bei Zeus, Athener, keiner soll das Folgende mit Groll vernehmen, sondern überlegt, 49 Demosth. 20.73: καὶ πάντες ἴσως ἀκηκόαθ᾽ ὃν τρόπον ἐξαπατῆσαι λέγεται. Vgl. Thuk. 1.89–92. Falls Demosthenes diese Geschichte aus dem Werk des Thukydides erfahren hat, erhebt er hier interessanterweise Geschichtsschreibung in den Rang eines normativen Erinnerungsgaranten, freilich ohne seine Referenz zu benennen. 50 Vgl. Aristot. Rhet. 1408a33–36; besonders häufig erscheint es bei Isokrates, siehe Isok. 3.28; 6.42; 7.64–65; 12.102–103. 168; 14.40; vgl. noch Demosth. 19.273; 21.143; 23.104; Dein. 1.93. 51 Lyk. 62. 52 Dazu v. a. Ober (zuletzt) (2007), 272–282. 53 Vgl. Ober (2007), 297–301; 307–311. 54 Demosth. 20.73–74.
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ob es wahr ist“ (καὶ πρὸς Διός, ἄνδρες Ἀθηναῖοι, μηδεὶς φθόνῳ τὸ μέλλον ἀκούσῃ, ἀλλ᾽ ἂν ἀληθὲς ᾖ σκοπείτω). Die problematische Aussage, die indirekt einen athenischen ‚Nationalhelden‘ kritisiert, wird also mit besonderem Hinweis auf die Wahrheit rechtfertigt. Wie schon bei Aischines und Lykurg beobachtet, erwartet Demosthenes, dass die Richter seiner Deutung der Vergangenheit zustimmen und darin die Wahrheit (an)erkennen. Der Rekurs auf die Wahrheit wird nicht genutzt, um Fakten zu rekonstruieren, vielmehr wird die Überzeugung offensichtlich, dass zur Wahrheit ein tieferes Verständnis der Vergangenheit führt, das ein Urteil über die handelnden Akteure einschließt; diese Wahrheit kann erst durch Nachdenken erkannt werden und verlangt eine kompetente Interpretation der Geschichte. Zum Plausibilisierungsprozess vor Gericht gehörte auch das Ethos des Redners.55 Hier manifestiert sich eine weitere Dimension der Wahrheit: es fällt leichter einem anständigen Menschen zu glauben.56 Durch die sogenannte diabole konnte in der Umkehrung die Glaubwürdigkeit des Gegners angegriffen werden. In einer rezenten Untersuchung setzte sich Ed Sanders mit der Erzeugung von negativen Emotionen vor einem athenischen Gericht auseinander: Für Sanders ließen sich deshalb so gut dieselben Emotionen bei mehreren Hundert Richtern gleichzeitig evozieren, weil diese ein gemeinsames Wertesystem teilten. Dabei sei allerdings auch der Kontext entscheidend gewesen, da dieselben Sachverhalte im Theater und vor Gericht ganz unterschiedliche Reaktionen hervorriefen.57 Während eines Prozesses dienten bestimmte verbale Signale der Mobilisierung von Erinnerungen an bestimmte Erfahrungen. Bei der Auseinandersetzung mit dem Prozessgegner könnten auf diese Weise Gefühle wie Zorn, Unmut oder Hass hervorgerufen werden. Als besondere ‚Auslöser‘ seien aber Hinweise auf die Hybris des Gegners und die Missachtung der Gesetze der Polis oder die Missachtung des gesamten demos zu nennen.58 In diesen Kontext gehört m. E. ebenso der Vorwurf eines ‚falschen‘ Umgangs mit der Vergangenheit. In gewisser Weise kann sie als Parallele zur Widerlegung des Gegners angesehen werden, ist jedoch komplexer, weil es gilt, nicht nur Lügen oder mangelnde Plausibilität des Gesagten, sondern generell Unverständnis oder Unkenntnis der Vergangenheit bei dem Gegner nachzuweisen. Im Gesandtschaftsprozess wird Aischines von Demosthenes gleich mit einem ganzen Bündel solcher Vorwürfe konfrontiert: Er soll erstens 346 bei den Beratungen über den Frieden mit Philipp die Leistungen der Vorfahren herabgesetzt haben und die Athener dazu aufgefordert haben, ihren Beispielen nicht zu folgen; ganz im Gegenteil habe Aischines sogar vorgeschlagen, anderen Poleis nur dann zu helfen, wenn zuvor Athen von diesen 55 Deutlich wird es von Aischines 3.168 ausgesprochen: ἂν μὲν τοίνυν πρὸς τὴν εὐφημίαν αὐτοῦ τῶν λόγων ἀποβλέπητε, ἐξαπατηθήσεσθε, ὥσπερ καὶ πρότερον, ἐὰν δ᾽ εἰς τὴν φύσιν καὶ τὴν ἀλήθειαν, οὐκ ἐξαπατηθήσεσθε – „Wenn ihr also auf den guten Klang seiner Worte achtet, werdet ihr, wie schon früher, enttäuscht werden, wenn aber auf seine Natur und die Wahrheit, werdet ihr nicht enttäuscht werden“. 56 Vgl. Zinsmaier (1998), 400; außerdem noch Demosth. 19.332, der hier über eine beabsichtigte Klage des Aischines gegen Chares sinniert und feststellt, dass selbst wenn Aischines nur die reine Wahrheit vorbringen könnte, es dennoch (angesichts der grundsätzlich fehlenden Integrität des Aischines) absolut lächerlich sei, dass ein Aischines einen Chares anklage. 57 Sanders (2012), 362–363. 58 Sanders (2012), 363–382.
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geholfen worden war.59 Im Prozess gegen Timarchos ein Jahr später habe er sich darüber hinaus hinter den Dichtern versteckt, um zu verbergen, dass er keine Beweise habe.60 Schließlich werde aus seinen Ausführungen in derselben Rede klar, dass er (auch sonst) unverständig im Hinblick auf die Geschichte sei. Denn Aischines habe von einer Statue des Solon auf Salamis berichtet und behauptet, dass man anhand der Statue ersehen könne, in welcher Pose man sich als Redner am besten an das Volk wenden solle.61 Da diese Statue allerdings kaum fünfzig Jahre jung sei, habe – so Demosthenes – weder der Künstler noch dessen Großvater etwas Zuverlässiges mehr darüber wissen können, wie Solon einst tatsächlich gesprochen hatte. Anstatt sich also auf das einzig Wesentliche, und das heißt den Geist (ψυχή) und das Denken (διάνοια) von Solon zu beziehen und diese nachzuahmen, habe Aischines etwas erzählt, was fragwürdig respektive gar nicht überprüfbar sei. Hätte sich Aischines mit Solon angemessen auseinandergesetzt, wäre ihm aber aufgefallen, dass sein eigenes Verhalten (vor allem die nachlässige Haltung zum Verlust von Amphipolis) gegensätzlich zum Verhalten des großen Gesetzgebers sei.62 Die richtige Anwendung der Geschichte wird hier von Demosthenes als Kriterium eingesetzt, um den Gegner als unfähigen und respektlosen Lügner zu entlarven, der keine wirkliche Ahnung von den Inhalten und der Vorbildfunktion der gemeinsamen Historie hat. Dadurch steht er gewissermaßen außerhalb der bürgerlichen Gemeinschaft, da er gegen ihre Werte verstößt. Demosthenes muss erwartet haben, dass ein solcher Angriff eine emotionale Wirkung auf seine Zuhörer haben wird. Er reflektiert sehr wahrscheinlich die grundsätzliche Meinung des Publikums, es gebe einen richtigen und einen falschen Zugang zur gemeinsamen Vergangenheit. Nicht überprüfbaren historischen Argumenten kann demnach durchaus mit Misstrauen begegnet werden. Wichtiger jedoch ist das richtige Verständnis für die Idee der Hinterlassenschaft der Vorfahren.63 Auch in der Auseinandersetzung mit dem Prozessgegner bestätigt sich also, dass die Richter den verständigen Umgang mit der gemeinsamen Vergangenheit, die Fähigkeit, Geschichte richtig zu beurteilen, als eine wesentliche Bürgertugend verstanden. Gleichzeitig wird jedoch evident, dass Details in der Darstellung der Vergangenheit vor allem dort erwartet wurden, wo sie noch tatsächlich (durch Autopsie oder Zeugenberichte) klar bezeugt werden konnten. Da dies aufgrund der zeitlichen Entfernung nicht immer zu bewerkstelligen war, sollte der Vergangenheitsbezug besser die tiefere Bedeutung des Vergangenen treffen. 59 Demosth. 19.15–16. Vgl. Aischin. 2.74–75, der selbst behauptet, lediglich gesagt zu haben, man solle den guten Beispielen folgen und aus den Fehlern (dazu gehörte die ἄκαιρος φιλονικία) lernen. 60 Demosth. 19.243. 61 Vgl. Aischin. 1.25–26. 62 Solche Vorwürfe finden sich bei Demosthenes öfter und betreffen meistens Solon, vgl. Demosth. 20.102– 3; 22.25; 24.103, 106, 113. Dazu noch De Brauw (2001/2002), 168–170. 63 Die Überzeugung, dass Geschichte nicht den Details, sondern der Idee nach zu begreifen und zu respektieren ist, ist auch sonst für Demosthenes typisch. Vgl. etwa Demosth. 18.199–210, hier äußert er den Gedanken, dass die Auseinandersetzung mit Philipp nicht nach dem Ausgang, sondern nach der Absicht bewertet werden solle, da man entsprechend der Gesinnung der Vorfahren gehandelt habe. Eine ähnliche Überzeugung impliziert auch Lykurgs Behauptung, dass die Gefallenen vor Chaironeia als Sieger gestorben seien (49).
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III. Pseudos und Geschichte: Was lehrt die Lüge über die ‚historische Wahrheit‘? Die Rhetorik stellte Mittel und Wege zur Verfügung, um eine Behauptung als wahr respektive wahrscheinlich oder falsch erscheinen zu lassen. Im Allgemeinen wird jedoch der Wahrheitsgehalt der rhetorischen Geschichtsdarstellung in der Forschung als nicht allzu hoch angesehen.64 Die Bewertung des Befundes ist allerdings bereits deshalb schwierig, weil die ‚historische Wahrheit‘ – wie deutlich geworden ist – nicht nur als Faktentreue verstanden werden kann, sondern die Vorstellung von einem tieferen Verständnis beinhaltet, dem man sich durch Interpretation und Bewertung von Ereignissen, Motiven etc. nähern kann; dies wiederum kann stets auch von aktuellen Erfordernissen abhängig sein.65 Genauso komplex ist deshalb auch das scheinbare Gegenteil der Wahrheit: die Lüge. Leopold Schmidt teilte den griechischen Begriff pseudos in „die berechnete Unwahrheit, den unbewußten Irrthum und die von der Wirklichkeit sich entfernende poetische Ausschmückung“ ein.66 Parallel dazu gibt es in den Reden mehrere Kategorien von Fehlern, die nicht in derselben Weise ein (Vor-)Wissen des Redners und seines Publikums um die Wahrheit einbeziehen und deshalb ganz unterschiedliche Informationen in Bezug auf Definition und Bedeutung einer ‚historischen Wahrheit’ in den Gerichtsreden liefern. Die eigentliche Lüge, also die absichtlich vom Redner konstruierte Täuschung der Zuhörer, richtete sich gegen das bessere Wissen des Publikums und war meistens der konkreten Situation eines Prozesses geschuldet, in dem nicht selten ein Leben oder eine Karriere auf dem Spiel standen. Das Paradebeispiel dafür ist der Gesandtschaftsprozess des Jahres 343, bei dem die Ermittlung faktischer Sachverhalte rund um den drei Jahre zuvor geschlossenen Frieden zwischen Athen und Philipp heute schlicht unmöglich ist. Bereits Ivo Bruns spricht in dem Zusammenhang von einem „undurchdringlichen Schleier der Lüge“.67 Edward M. Harris und, darauf aufbauend, Thomas Paulsen haben deshalb einen Kriterienkatalog entworfen, der es erlauben sollte, bestimmte Aussagen 64 Vgl. etwa Nouhaud (1982), der gleich zwei seiner Kapitel mit den Worten: „la déformation de l’histoire“ überschreibt (133, 244); Missiou (1992), 59–60: „Accuracy of historical information […] could not have been a quality expected in an oration.“; Ian Worthington (1994), 114–118, nimmt an, dass kleinere Fehler vom Publikum wohl erkannt, aber toleriert wurden, größere Fehler hingegen nicht schon in der gesprochenen Rede, sondern erst nachträglich im Zuge des ‚Publikationsprozesses‘ entstanden. Schließlich werden Reden mit großen Fehlerhäufungen sogar mit dem Verdacht der nachklassischen Fälschung belegt. So in neuerer Zeit etwa Harris (1995), 184 Anm. 22 und (2000), 479–505, in Bezug auf die Rede Über den Frieden mit Sparta, die unter dem Namen des Andokides überliefert wurde. Diese soll auf einer späteren Rede des Aischines basieren (siehe dazu weiter unten). Dagegen allerdings bereits zutreffend Grethlein (2010), 129 Anm. 9: „The number of historical errors seems a weak argument for an intertextual dependency as a copy can both increase and reduce the number of errors“. 65 Dazu ist allerdings anzumerken, dass die in den Reden dargestellte Vergangenheit keineswegs grundsätzlich unzutreffender als die zeitgenössische Historiographie ist. So ist die Deutung des ‚megarischen Psephisma‘ als ein wichtiger Auslöser des Peloponnesischen Krieges in den Reden (Andok. 3.8; Aischin. 2.175) vermutlich sogar näher an der Wirklichkeit, als uns Thukydides glauben machen will, da seine Bedeutung auch sonst in der Überlieferung durchscheint, vgl. Aristoph. Ach. 528–534; Pax 603–610; Plut. Perikl. 30–31. 66 Schmidt (1882), 411. Vgl. dazu auch Bearzot in diesem Band. 67 Bruns (1896/1898, ND 1961), 585.
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in den Reden der Kontrahenten Demosthenes und Aischines als mehr oder weniger wahrscheinlich zu erweisen, wobei sie vor allem den pisteis atechnoi und den „allgemein bekannte(n) Fakten der jüngsten Vergangenheit“ eine große Relevanz beimessen.68 Doch auch Paulsen gibt zu, dass eine geschickte Kontextualisierung von Dokumenten verfälschend wirken kann.69 Bei vielen Behauptungen war ihre Überprüfbarkeit aber bereits in der Antike für die Prozessrichter schwierig, wenn es sich um die Rekonstruktion von Ereignissen handelte, die während der Gesandtschaft geschehen sind, bei denen also die Zuhörer gar nicht zugegen waren. Doch es gab auch offensichtliche Lügen. Unverständlich bleibt etwa, dass die Redner im Hinblick auf Ereignisse lügen, an die sich die Zuhörer noch sicher erinnern konnten. So wirft Demosthenes Aischines vor, dass er am zweiten Tagungstag der Volksversammlung, in der über den Frieden mit Philipp beraten wurde, seine Meinung plötzlich geändert habe – eine Behauptung, die die Bestechung des Aischines durch den makedonischen König nachweisen sollte.70 Aischines wiederum beteuert, dass er gar nicht anders als am Vortag gesprochen haben könne, weil an jenem Tag bloß noch abgestimmt worden sei.71 Möglicherweise reflektiert der knappe Ausgang des Prozesses zugunsten des Aischines auch die Verunsicherung und den Unmut der Richter angesichts solcher offensichtlicher Widersprüche.72 Als bloße Irrtümer eines Redners sollten hingegen diejenigen Fehler angesehen werden, die durch Unwissen oder Nachlässigkeit bei der Vorbereitung und ganz unabhängig vom Wissenstand des Publikums zustande gekommen sind. Die Grenze zwischen gewöhnlichem Irrtum und künstlerischem Eingriff, wie Übertreibung, Auslassung oder geneigte Interpretation, kann allerdings nicht immer klar gezogen werden, vielmehr dürfte sie sehr häufig eher fließend gewesen sein. Heute kann eine mögliche (wenngleich nicht unfehlbare) Unterscheidung vorgenommen werden, indem die Relevanz der Änderung für die Argumentation einer Rede überprüft wird. Scheinbar unmotivierte Fehler begegnen in den Reden immer wieder, auch im soeben erwähnten Gesandtschaftsprozess. Sie zeigen gleichsam, wie schwierig es ist, Irrtum und Absicht auseinanderzuhalten. So zeichnet Aischines bei der Darstellung der athenischen Geschichte nach den Perserkriegen ein ganz und gar von der historiographischen Überlieferung abweichendes Bild. Er behauptet unter anderem, dass Miltiades, der Sohn Kimons, mit Sparta einen Frieden auf 50 Jahre initiiert habe, der dann nach 13 Jahren gebrochen worden sei.73 Dies könnte eine Anspielung auf das Jahr 451 gewesen sein, in dem Kimon, der Sohn des Miltiades, den fünfjährigen Frieden erwirkt hatte;74 vorzeitig 68 69 70 71 72
Paulsen (1999), 449. Vgl. Harris (1995), 8–16; Paulsen (1999), 446–449. Vgl. noch Bearzot (1981), 293–303 zum Gebrauch der Dokumente bei Lysias. Vgl. Demosth. 19.13–16. Vgl. Aischin. 2.63–66. Aischin. 2, hypothesis. Zu Recht machte Brun (2015), 162–173, darauf aufmerksam, dass Demosthenes hier nachträglich seine Gegnerschaft gegenüber dem Frieden konstruiert, in einer politischen Grundstimmung, in der der Frieden mehrheitlich negativ beurteilt wurde. Zum Ausgang des Prozesses vgl. ebd. 188–189. 73 Aischin. 2.172. 74 Vgl. Thuk. 1.112; Plut. Kimon 18; der einzige Friedensvertrag zwischen Sparta und Athen, der auf fünfzig Jahre geschlossen wurde, war der Nikiasfrieden, vgl. Thuk. 5.18.
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unterbrochen wurde (allerdings nach 15 Jahren) erst der dreißigjährige Frieden, der 446 geschlossen worden war.75 Diese Konfusionen sind nicht leicht zu erklären. Miltiades war natürlich durch das Gemälde in der ‚Stoa Poikile‘ in der athenischen Öffentlichkeit stark präsent,76 er wird auch in zahlreichen Reden als der Sieger von Marathon immer wieder im kollektiven Gedächtnis aktualisiert.77 Kimons Siege im Kampf gegen die Perser wurden hingegen ohne seine namentliche Erwähnung geehrt.78 Die Prominenz des Vaters könnte also für eine Vertauschung der Namen verantwortlich sein, ohne dass sich wirklich sicher feststellen lässt, ob der Fehler Aischines bewusst gewesen ist. Denn solche Verwechslungen begegnen auch in anderen Reden;79 es scheint also, dass jenseits seiner militärischen Erfolge nur sehr unpräzise Kenntnisse über Miltiades zirkulierten. Ebenso bringt die problematische Chronologie für die Argumentation keinen ersichtlichen Vorteil und kann vielleicht mit dem Verzicht auf umfassende Recherche erklärt werden.80 Weiter zurückliegende Ereignisse konnten ja unterschiedlich, also auch fehlerhaft überliefert worden sein.81 Vor einigen Jahren formulierte Cinzia Bearzot allerdings die interessante Hypothese, dass mit einer falschen Chronologie die Richter absichtlich verwirrt worden sein könnten, um dem Gesagten nicht zu genau folgen zu können.82 Denn in der folgenden Darstellung, in der Aischines den Wechsel zwischen Krieg und Frieden in der athenischen Geschichte nachvollzieht, datiert er auch frühere Ereignisse, z. B. den Bau der Piräusmauer, in die Zeit nach der besagten Friedenschließung.83 Aischines – so Bearzot – versuche hier die Leistungen der kriegsgeneigten ‚Demokraten‘ wie Perikles oder Themistokles als Leistungen des konzilianten Kimon und Errungenschaften der Friedenszeit mit Sparta zu präsentieren.84 Im Einzelnen lassen sich ihre Argumente allerdings nicht alle gleichermaßen gut nachvollziehen. So bleibt etwa unklar, wie und worin hier Kimon Perikles ersetzt haben soll. Denn zum einen wird dieser selbst mit seinem Vater verwechselt, zum anderen nennt Bearzot als Leistung des Perikles die Lösung der Probleme auf Euboia im Jahr 446 und muss damit voraussetzen, dass die Zuhörer einen auf fünfzig Jahre geschlossenen und dreizehn
75 76 77 78 79 80 81
Vgl. Thuk. 1.114–115; Plut. Perikl. 22–24. Vgl. Aischin. 3.186; Paus. 1.15.3. Vgl. aus derselben Zeit etwa Aischin. 3.181, 186; Demosth. 23.196, 198; Hyp. 6.37–38. Vgl. Aischin. 3.183–184; vgl. noch Lyk. 72–73. Dazu Thomas (1989), 122. 203–206. Vgl. Demosth. 23.205. Vgl. Grethlein (2010), 132. So könnte vielleicht die Darstellung der Geschichte Athens im 5. Jh. durch Aischines in den 172–176 auf dem fehlerhaften Bericht des Andokides in der Demegorie Über den Frieden mit Sparta (Andok. 3.3–11) basieren, da sich hier viele Gemeinsamkeiten finden. Dazu ausführlich Bearzot (1985), insb. 103–104, die diese Anlehnung jedoch m. E. zu sehr als Ausdruck antidemokratischer oder gar philomakedonischer Haltung deutet. Hier ist Vorsicht empfohlen: unser Bild von Aischines ist sehr stark durch die demosthenische Rhetorik verzerrt, der sich selbst zu einem mustergültigen Demokraten stilisierte. Zur Problematik solcher Bezeichnungen für die Zeit vor 322 jetzt Brun (2015), 176–182, der eine sehr differenzierte Einschätzung der zeitgenössischen athenischen Innenpolitik vorlegt. 82 Bearzot (1985), 101. 83 Vgl. Aischin. 2.173–174. 84 Vgl. Bearzot (1985), 101, die sich hier auf Mathieu (1914), 190–194 beruft; siehe noch Nouhaud (1982), 231.
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Jahre dauernden Frieden mit Sparta spontan mit dem Frieden von 446 assoziierten.85 Dies erscheint recht umständlich. Man könnte vielleicht eher argumentieren, dass die Vertauschung der Namen Absicht war und die Verbindung eines wichtigen Friedens schon mit Miltiades dem Zweck diente, möglichst viele Ereignisse der Pentakontaetie erwähnen zu können, ohne in ‚Zeitnot‘ zu geraten. Es bleibt aber letztlich offen, wie viel Absicht und wie viel Irrtum in der Darstellung des Aischines steckt. Doch wie wurden solche Konfusionen von den Zuhörern aufgenommen? Lionel Pearson führte die mangelnde Reaktion der Gegenredner auf solche historischen Fehler auf deren angeblich mangelnde Bedeutung für den Überzeugungsvorgang zurück.86 Im Hinblick auf den Richter wie die Prozessgegner müssen allerdings die Überprüfungsmöglichkeiten solcher historischen Fehler während eines Prozesses als sehr schwierig betrachtet werden. Wahrscheinlicher ist es deshalb, dass der Gegner kaum in der Lage war, darauf spontan zu reagieren, zumal wenn er mit einer vorgefertigten Rede antrat. Dies zeigt deutlich die demosthenische Kritik an Aischines in der Rede Über die falsche Gesandtschaft. Demosthenes kritisiert Aischines ja durchaus für dessen falschen Gebrauch der Historie, doch es werden nur diejenigen Fehler thematisiert, die dieser vor dem aktuellen Prozess begangen hatte. Hier bestand für Demosthenes die Möglichkeit, über das Gesagte nachzudenken und es entsprechend in seiner Argumentation zu verwenden.87 Interessanter im Hinblick auf die Vorstellungen von ‚historischer Wahrheit‘ sind die künstlerischen Freiheiten, also die zur Argumentation gehörenden Eingriffe der Redner bei der Darstellung der Geschichte. Als Demosthenes im Gesandtschaftsprozess den Athenern zu zeigen versuchte, wie verheerend sich Bestechung auswirken könne, griff er auf die Geschichte der Olynther zurück. Bevor einige von ihnen durch Philipp 349 korrumpiert worden seien, hätten diese sogar dem damaligen Hegemon Sparta widerstehen können und deshalb einen vorteilhaften Frieden erwirkt.88 Die hier beschriebenen Ereignisse der Jahre 381–379 widersprechen der Schilderung Xenophons, in der die ausgehungerten Olythier nach zweijähriger Belagerung schließlich die spartanische Hegemonie anerkennen mussten.89 Es ist fraglich, ob Demosthenes viel mit dieser Ver85 Sie verweist etwa darauf, dass mit dem megarischen Psephisma der erste casus belli eingetreten und die Angabe der Friedenszeit mit 13 Jahren deshalb im Großen und Ganzen korrekt sei, vgl. Bearzot (1985), 101; ähnlich verwies schon Nouhaud (1982), 230, hier auf den Korkyra-Konflikt. Aischines scheint allerdings den Frieden von 446 zusätzlich in 174 zu erwähnen, doch wird er (auch) hier nicht mit Euboia, sondern mit der (früheren) Eroberung Aiginas 458/7 in Verbindung gebracht, vgl. Carey (2000) 154, Anm. 234. 86 Pearson (1941), 209–229, bes. 214–215; ähnlich auch Nouhaud (1982), 111. 87 Bezeichnend scheint in dem Zusammenhang eine Anekdote über Lysias, die Plutarch (de garr. 5 = mor. 504C) überliefert. Der Redner soll als Logograph für einen Klienten eine Rede verfasst haben. Dieser studierte die Rede länger und genau und kam zurück zu Lysias mit der Bemerkung, dass ihm dessen Arbeit zwar bei der ersten Lektüre noch sehr gut erschienen sei, sich aber beim zweiten und dritten Lesen doch zunehmend als fade und wirkungslos erwiesen habe. Lysias soll daraufhin gelacht und gefragt haben, ob die Rede im Gericht nicht exakt einmal vorgetragen werde. Diese Anekdote legt die Vermutung nahe, dass den Rednern wohl bewusst war, wie schwierig es ist, den Inhalt einer längeren, mündlich vorgetragenen Rede beim einmaligen Hören vollständig zu erfassen. 88 Demosth. 19.263–265. 89 Xen. hell. 5.3.26.
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änderung riskierte, da sich die meisten Athener im Gerichtshof kaum auf Anhieb genau an die Vorgänge in Olynth vierzig Jahre zuvor erinnern konnten. Im Zentrum der Darstellung stand die These, dass Bestechlichkeit zu faulen Kompromissen führe, während man selbst gegen eine Übermacht mit der rechten Gesinnung viel erreichen könne. Der Schwerpunkt lag dabei zweifellos auf dem ersten Teil des Arguments. Für Demosthenes war es also wichtiger, dass sich die athenischen Richter an die Ereignisse der Jahre 349–8 erinnern konnten, deren Bedeutung in der Rede aktualisiert wurde. Die von Philipp und seinen Handlangern ausgehenden Gefahren für Athen konnten auf diese Weise sehr gut veranschaulicht werden. Der zweite Teil des Arguments ist aber lediglich als eine auf Olynth gemünzte, unpassend-passende Ergänzung zu verstehen. Einige der künstlerischen Abweichungen von der historiographischen Überlieferung stellen Anpassungen an weit verbreitete Überzeugungen oder gar ein ‚Athener Selbstbild‘ dar. Solche Adaptionen müssen den Rednern nicht immer ganz bewusst gewesen sein, da sie in derselben Wirklichkeit erzogen wurden und lebten wie ihr Publikum.90 In den Gerichtsreden spielten etwa Berufungen auf Solon eine zentrale Rolle, wie ein Beispiel aus der Rede Gegen Athenogenes (330/324) verdeutlichen kann.91 Hypereides führt hier ein angebliches solonisches Gesetz ein, aufgrund dessen ausschließlich diejenigen für die Vergehen der Sklaven zur Verantwortung gezogen werden sollten, die sie zum Zeitpunkt des Vergehens in Besitz hatten; um die Geltung des Gesetzes zu unterstreichen, beendet Hypereides seine Ausführungen auch noch mit der Feststellung, dass für Solon ein nomos mehr Geltung als ein psephisma gehabt habe, während der Prozessgegner einen bloßen Vertrag höher werte.92 Darf man schon bezüglich der solonischen Autorschaft des Gesetzes skeptisch sein, so ist die klare Unterscheidung zwischen nomos und psephisma definitiv erst nach der Wiederherstellung der Demokratie 403 eingeführt worden.93 Die Glaubwürdigkeit der Behauptung beruhte auf der Autorität Solons als des wesentlichen Ausgestalters der athenischen Demokratie und seiner Rolle als Gesetzgeber par excellence. Dass diese ahistorische Deutung den Athenern als Unwahrheit erschien, ist nicht wahrscheinlich, da sie mit der Vorstellung übereinstimmte, die die Athener von seiner Funktion in der Geschichte ihrer Polis hatten. Bestimmte mythische und historische Persönlichkeiten wurden seit Generationen mit einer Bedeutung im Hinblick auf die jeweilige Gegenwart ausgestattet, so dass ihr Name wie ein
90 Dazu zutreffend bereits Berger, Luckmann (2000), 140: „Welterfassen ist nicht das Ergebnis selbstherrlicher Sinnsetzungen seitens isolierter Individuen, sondern es beginnt damit, daß der Einzelne eine Welt ‚übernimmt‘, in der Andere schon leben.“ 91 Hyp. 3.21–22. Weitere Beispiele für eine Berufung auf Solon als Gesetzgeber begegnen in Andok. 1.81–84, 95; Lys. 10.15–19; 30.2, 26, 28; Aischin. 1.6, 183; 3.2, 108, 175, 257; Demosth. 18.6; 20.90, 93–94, 99, 102–104; 22, 25, 30–31; 24.103, 106, 113–115, 142, 147–148, 211–214; 36.27; 42.1; 43.62, 67, 78; 44.67–68; 46.14; 57.31–32; Ps.-Demosth. 26.4.23; Isok. 15.231–232. 92 Athenogenes war ein Metöke und Parfumhändler, der einen gewissen Epikrates betrogen haben soll; dieser wollte ihm einen Sklaven abkaufen, wurde dazu gebracht, auch dessen Familie zu kaufen und die Verantwortung für die Schulden der Familie zu übernehmen, die sich als immens herausgestellt haben. In dem Prozess versucht Epikrates die Unrechtmäßigkeit des Vertrages zu beweisen. 93 Dazu Hansen (1978), 315–330.
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Code für die betreffende gegenwärtige Sache selbst stand.94 Insbesondere aber nach der großen Gesetzesrevision am Ende des 5. Jahrhunderts erhöhte sich die legitimierende Rolle Solons als Gesetzgeber noch.95 Die Argumentation beruhte hier auf einer Idee, nicht auf historischen Details. Anders geht Aischines auf das Athener Selbstbild ein. Als er von Demosthenes im Jahr 343 mit dem Vorwurf konfrontiert wird, er habe den Athenern drei Jahre zuvor die Nachahmung der Vorfahren ausreden wollen, kontert der Redner mit der Erinnerung an die Sizilienexpedition. Es sei wagemutig und ein Fehler gewesen, dem Hilferuf der Leontiner zu folgen, während sich der eigene Feind bereits in Dekeleia festgesetzt habe.96 Aischines verbindet hier einerseits die athenische Einmischung auf Sizilien im Jahr 42797 mit der großen Auseinandersetzung der Jahre 415–413, die auf Betreiben von Segesta begonnen hatte.98 Noch wichtiger ist allerdings, dass er die Reihenfolge der Ereignisse verändert und die Tatsache verschweigt, dass sich die Spartaner erst in Attika dauerhaft festsetzen konnten, als die Sizilienexpedition längst entschieden und bereits im vollen Gange war.99 Der dadurch neu kreierte kausale Zusammenhang milderte die Schärfe der Kritik, die sich gegen die Entscheidung der Volksversammlung für eine Hilfeleistung richtete. Da sich die Athener im Allgemeinen als unermüdliche Retter Griechenlands betrachteten, ja dies sogar als ihre ‚Natur’ ansahen,100 vermied der Redner dadurch mögliche Irritationen im Publikum, indem er plausibel erläuterte, warum eine Absage in diesem Fall ausnahmsweise ohne Identitätsverlust möglich gewesen wäre. IV. Eine Wahrheit für jeden Anlass? Umgekehrt lässt sich zeigen, dass die Redner keineswegs einem immer gleichen common sense verpflichtet waren. So wird in verschiedenen Reden bei Rekursen auf die Schlacht bei Marathon betont, dass Athen den Kampf gegen die Perser zum Wohl aller Griechen alleine bestritten habe, und dabei wird die Hilfe der Plataier regelmäßig unterschlagen.101 Die Rolle Plataiais kann allerdings problemlos thematisiert werden, wenn dies der Argumentation nützt. In der Rede Gegen Neaira (343/340) geht Apollodor auf den militärischen Beitrag der kleinen Nachbarpolis ein und erinnert dabei an die ‚boio94 Ähnliches (wenngleich in den Gerichtsreden nicht so häufig) lässt sich etwa für die Rolle des Theseus als Begründer der Demokratie (Ps.-Demosth. 59.75) oder Harmodios und Aristogeiton als Tyrannentöter (Aischin. 1.140; Demosth. 20.70, 159, 21.170; Is. 5.47) beobachten, vgl. Thomas (1989), 233–234. 95 Vgl. Wolpert (2002), 38–39. 96 Aischin. 2.76. 97 Vgl. Thuk. 3.86.3; Diod. 12.53. 98 Vgl. Thuk. 6.46.3. 99 Vgl. Thuk. 6.91, 7.19. 100 So in Demosth. 18.203; zu derartigen Stereotypen zuletzt ausführlich Steinbock (2013), 52–57, 130–131, 155, 186–189, 211–212, 251, 265, 280–281, 321, 347. Eine Eigenschaft oder Haltung zur athenischen Natur zu erheben war dabei eine beliebte Vorgehensweise und begegnet auch in anderen Kontexten, wenn eine Regelmäßigkeit betont werden sollte (vgl. Lyk. 116). 101 Vgl. etwa Demosth. 13.22, 14.30, 18.208, 19.312, 23.198, 60.10; Lyk. 104, 108–109; Isok. 4.91, 12.195; Lys. 2.20– 26; dazu insgesamt Steinbock (2013), 127–142.
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tischen Helme‘ auf dem berühmten Gemälde der Schlacht in der ‚Stoa Poikile‘.102 Diese Vorgehensweise lässt sich gut damit erklären, dass in der Rede die Vergabepraxis des athenischen Bürgerrechts thematisiert wird und Apollodor beweisen möchte, dass dieses ausschließlich als Geschenk für große Wohltaten vergeben wird. Bernd Steinbock zufolge habe dabei das soziale Gedächtnis der Zuhörer regelrecht modifiziert werden müssen, da es durch die Geschichtsdarstellung in den Gefallenenreden, in denen die Plataier nicht erwähnt werden, stark beeinflusst gewesen sei.103 Eine solche Hierarchie zwischen den unterschiedlichen Gedächtnismedien lässt sich freilich schwer belegen. Durch Herodot wissen wir, dass die Plataier seit dem gemeinsamen Kampf bei Marathon in das Opfergebet an den Großen Panathenaien eingeschlossen waren;104 es muss in Rechnung gestellt werden, dass die Plataier noch durch ein Grabmonument in Marathon geehrt wurden;105 vor allem aber, dass über lange Zeiträume viele Plataier in Athen lebten und als Bürger auch unter den Richtern zu finden waren.106 Deshalb ist es vielleicht zutreffender, allenfalls von einer zweckmäßigen Aktualisierung der Erinnerung unter den Anwesenden zu sprechen. Die Argumentation des Apollodor bezeugt aber sicher, dass die Vergangenheit je nach Anlass und Schwerpunktsetzung (Betonung der Leistungen der Athener oder der Leistungen der Plataier) anders dargestellt wurden durfte und in dem jeweils eigenen Kontext von den Zuhörern als richtig empfunden werden konnte.107 Die rhetorische Argumentation erlaubte es ebenso, bestimmte gängige Vorstellungen oder vermeintliche ‚Wahrheiten‘, die auf historischer Erfahrung beruhten, zu dekonstruieren. So tritt im 4. Jahrhundert das Konzept des me mnesikakein als Rechtfertigungsstrategie in der Rhetorik hervor. Die Absage an problembehaftete Erinnerungen und das damit verbundene Rachegebot war vor allem als Versöhnungskonzept nach staseis bekannt und erhielt in Athen durch die Amnestie von 403 eine große Relevanz.108 Angesichts der instabilen außenpolitischen Verhältnisse des 4. Jahrhunderts und der häufigen Bündniswechsel musste man schließlich auch bei der Diskussion diplomatischer Beziehungen die negative Vergeltungsethik durchbrechen.109 Dies konnten sich die Redner für ihre Argumentation vor Gericht zunutze machen. Demosthenes rechtfertigt in der Kranzrede die eigene Politik, die unmittelbar vor dem Krieg mit Philipp, also in den Jahren 340–338, zu Bündnissen mit den Poleis auf Euboia sowie mit Byzanz 102 Ps.-Demosth. 59.94–106, speziell zum gemeinsamen Kampf bei Marathon 94; zur ‚Stoa Poikile‘ vgl. noch Paus. 1.15.3. 103 Steinbock (2013), 137–139. 104 Hdt. 6.111.2. 105 Vgl. Paus. 1.32.3. 106 Relevant ist hier vor allem die Zeit nach der Zerstörung der Stadt im Jahr 373; vgl. Paus. 9.1.5–8; Diod. 15.46.6. 107 Freilich ist seine Darstellung der Rolle der Plataier während der Perserkriege insgesamt übertrieben, da er ihre Hilfe auch auf die Schlachten bei den Thermopylen und vor Salamis ausdehnt (Ps.-Demosth. 59.95), s. aber Hdt. 7.202, 8.44. Dazu überzeugend Steinbock (2013), 140–141. 108 Xen. hell. 2.4.43; vgl. zur Amnestie in Griechenland mit besonderer Berücksichtigung Athens aus der recht umfangreichen Literatur Flaig (1991), 129–149; Wolpert (2002), bes. 48–71, 75–99; Loraux (2006), bes. 145–169; zur emotionalen Dimension des Phänomens außerdem Chaniotis (2013), 47–70. 109 Vgl. zum Reziprozitätsgedanken in der Diplomatie Hunt (2000), 185–214; Chaniotis (2009), 147–165.
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geführt hatte. Deshalb verteidigt er die Euboier und Byzantier vor den Vorwürfen des Aischines, sie hätten sich in der Vergangenheit Athen gegenüber feindlich verhalten und deshalb die athenische Unterstützung nicht verdient. Dabei verweist er darauf, dass Athen auch ihren früheren Feinden Theben und Sparta großzügig verziehen und mit beiden später ein Bündnis geschlossen habe.110 Hier begegnet wieder die Verbindung zwischen dem Vergessen (λήθη) und der Wahrheit (ἀ-λήθεια), die das Nicht-Vergessen symbolisiert. Das selbst auferlegte ‚Vergessen‘ ist in gewisser Weise auch eine bewusste Absage an die (einfache) Wahrheit, ein ausdrücklicher Verzicht, die belastende Erinnerung als Waffe zu gebrauchen.111 Stattdessen wird eine neue Erinnerung und damit auch andere Wahrheit zur Legitimationsgrundlage erhoben, die es erlaubt, die Prinzipien Gesetzmäßigkeit und Wandel in einen sinnvollen Einklang zu bringen. Eine Notwendigkeit des Wandels unterstreicht noch deutlicher Aischines, als er sich im Jahr 343 mit dem Vorwurf der Inkonsequenz im Umgang mit Philipp konfrontiert sieht.112 Denn er erinnert daran, wie die Athener zuerst (395–387) Krieg gegen die Lakedaimonier geführt und sie anschließend nach der Niederlage bei Leuktra (371) doch unterstützt hätten, wie sie die geflohenen Thebaner zuerst in ihre Heimat (zurück)geführt (379/8) und diese später bei Mantineia (362) bekämpft hätten, wie sie sich zuerst im Krieg mit den Eretriern und Themisiern befunden (366) und sie später (357) gerettet hätten. Als Redner sei man aber in der Pflicht, immer das aktuell Beste für die Polis zu raten.113 In seinem Rechtfertigungsansatz vertritt Aischines also recht unverhüllt die Notwendigkeit des politischen Pragmatismus in der Außenpolitik. Auch ihm zufolge sei das konsequente Festhalten an Feindbildern weder möglich noch sinnvoll. Aus der rezenten Geschichte könne vielmehr vor allem die Lehre gezogen werden, dass alte Feindschaften zu überwinden und ungewöhnliche Allianzen zu schließen seien, sobald es der Polis nütze. *** Die zahlreichen Berufungen auf die Wahrheit in den Reden betonen ihren hohen Stellenwert vor Gericht. Doch die Frage, was als ‚historische Wahrheit‘ anzusehen ist, war äußerst strittig. Entsprechend komplex zeigt sich auch der Weg der Wahrheitsfindung. Die Plausibilität des historischen Arguments konnte neben der Berufung auf die pisteis atechnoi oder die Integrität des Sprechers vor allem durch die Herstellung eines Konsenses mit den Richtern vermittelt werden. Dazu gehörten die Betonung einer gemeinsamen Erinnerung, einer gemeinsamen Verpflichtung, einer gemeinsamen Lebenserfahrung oder einer gemeinsamen Bildung. Auf diese Weise wurde das Bild eines idealen Bürgers mitgestaltet und die Vorstellung evoziert, dass die spezifische athenische Bür110 111 112 113
Demosth. 18.96–100; vgl. noch Demosth. 23.191. Vgl. Loraux (2006), 149. Aischin. 2.164. Aischin. 2.164–165. Solche Argumentationen zogen allerdings auch Kritik auf sich. Isokrates (5.43–44) verwendet ähnliche Argumente, um zu zeigen, dass die griechischen Poleis nur ihren Vorteil im Sinn hätten und sich um überkommene Feindschaften wenig kümmerten.
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gertugend, die (über Generationen hinweg) eine kontinuierliche politische Partizipation implizierte, die Richter in die Lage versetzte, in der Darstellung der gemeinsamen Vergangenheit ‚richtig‘ und ‚falsch‘ zu unterscheiden. Die Redner ‚erinnerten‘ dabei gewissermaßen an eine als bekannt vorausgesetzte Wahrheit und warben um Zustimmung. Eine wichtige Rolle spielte hier allerdings nicht nur tatsächliches oder vermeintliches Wissen, sondern auch gemeinsame Emotionen, wie Heiterkeit, Stolz oder Zorn; diese konnten die Plausibilität der eigenen Argumente unterstreichen und die Glaubwürdigkeit des Gegners untergraben. Die Wahrheit, auf die hier Wert gelegt wurde, entsprach jedoch keinen strengen wissenschaftlichen Kriterien, sondern mehr einer Wirklichkeitsvorstellung, die auf Wertegemeinschaft, Identität und Selbstbild beruhte. Die Übereinstimmung mit dieser gelebten Wirklichkeit stellte für die meisten Athener im dikasterion ihre ‚historische Wahrheit‘ dar. Dabei versuchten die Redner durchaus nicht nur die Erwartungen ihres Publikums zu erfüllen. Die im Gericht präsentierte Geschichte konnte auch gängigen Vorstellungen widersprechen, Fakten zurecht rücken, den Blick auf die Vergangenheit verändern oder weniger präsente Informationen wieder aktualisieren und dennoch glaubwürdig sein. Dies war unter anderem deshalb möglich, weil die ‚historische Wahrheit‘ nicht nur auf einer zuverlässigen Ereignisrekonstruktion beruhte, sondern auch auf einem tieferen Verständnis des Geschehenen, seiner richtigen Beurteilung. Diese ‚historische Wahrheit‘ war nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Sie musste häufig aus dem Verborgenen durch die intellektuelle Leistung des Redners, die Kunst des Hinterfragens und seine Fähigkeit zur Interpretation der Geschichte erst hinaufbefördert werden. Unplausibel klingende Argumente konnten sich deshalb als besonders wahr und eine plausible Darstellung als besonders verdächtig erweisen. Auf diese Weise wurde die Vorstellung von einfachen Wahrheiten immer wieder durch die Notwendigkeit der Überlegung ersetzt. Doch auch wenn es Aufgabe der Redner war, diese verborgene Wahrheit zutage zu fördern, musste die Überlegung auch auf Seiten der Richter nachvollzogen werden. Denn mit ihrer Stimme urteilten die Athener im Gericht nicht nur über Schuld oder Unschuld eines Angeklagten, sondern stimmten auch einer bestimmten Bewertung der Vergangenheit zu, die sie im gegebenen Moment als ihre ‚historische Wahrheit‘ anerkannten. Bibliographie Azoulay, V. (2009): Lycurgue d’Athènes et le passé de la cité. Entre neutralisation et instrumentalisation, in: CEA 46, 149–180. Berger, P. L. / Luckmann, T. (2000): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt a. M. Bearzot, C. (1981): A proposito del decreto ML 85 per Trasibulo uccisore di Frinico e i suoi complici, in: RIL115, 289–303. Bearzot, C. (1985): Da Andocide ad Eschine. Motivi ed ambiguità del pacifismo ateniese nel IV secolo a. C., in: Sordi, M. (ed.): La pace nel mondo antico, Milano, 86–107. Bearzot, C. (2006): Diritto e retorica nella democrazia ateniese, in: Dike 9, 129–155. Brun, P. (2015): Démosthène. Rhétorique, pouvoir et corruption, Paris.
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Plausible und paradoxe Wahrheit?
Assessing and Assembling True Historiography Polybios on Probability and Patterns Emma Nicholson
The topic of ‘truth’ in historiography is one which has received plenty of attention in Polybian scholarship: not only in regard to the historian’s methodological comments concerning the proper assessment of source material and the preservation of historical truth,1 but also in terms of his attitude towards ‘tragic history’ and the extent to which he thought sensationalism acceptable or inescapably misleading for historical reality.2 My brief in discussing Polybios and truth in this contribution therefore rests within a wide horizon of investigation. There is still, however, scope for profitable discussion, particularly since the recent resurgence in Polybian studies over the past few decades has brought about a plethora of new interpretative approaches and an overall change of attitudes towards this historian.3 The issue of truth was, of course, one of the highest importance to Polybios. The main function of history to his mind was the preservation of past affairs so that they could be of beneficial use to future generations (particularly, in this case, for politikai praxeis; Pol. 1.1.1–4).4 This innate didactic quality in history could only be achieved if the historian recorded past events in a truthful manner (Pol. 9.1–2) and included correctly judged causal explanations to aid in the comprehension of the links between these 1 2
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These have been thoroughly explored by Mioni (1949), 112–134; Ziegler (1952), cols. 1524–1527; Walbank HC 1.10–14; Walbank (1972), 43–46; Mohm (1977), 92–120; Sacks (1981), 79–95 and Champion (1997) (on speeches); Dreyer (2011), 69–74; and Farrington (2015). There is a vast amount of scholarship on tragic history. Meister (1975) 109–126 provides details of work up until the early 1970s, otherwise see Sacks (1981), 144–170; Fornara (1983), 124–134; Zucchelli (1985), 297– 309; Meister (1990), 95–101; Rebenich (1997), 265–337; Halliwell (2002), 289–292; Marincola (2003), 285–315 and (2009), 445–460; McGing (2010), 71–75; and Marincola (2013). Note, for instance, the recent ‘literary turn’ in Polybian studies inspired by Davidson (1991), and developed by McGing (2010) and (2013), Maier (2012), Miltsios (2013) and Grethlein (2013). Pol. 1.1.2: […] φάσκοντες ἀληθινωτάτην μὲν εἶναι παιδείαν καὶ γυμνασίαν πρὸς τὰς πολιτικὰς πράξεις τὴν ἐκ τῆς ἱστορίας μάθησιν, ἐναργεστάτην δὲ καὶ μόνην διδάσκαλον τοῦ δύνασθαι τὰς τῆς τύχης μεταβολὰς γενναίως ὑποφέρειν τὴν τῶν ἀλλοτρίων περιπετειῶν ὑπόμνησιν […] “ […] they claim that the truest education and training for a life of active politics is the study of History, and the surest and only method of learning how to bear bravely the changes of fortune, is to recall the reversals of others.” A similar statement is also made at 1.35, and further comments about truth appear at Pol. 1.14.6–9, 2.56.10–11, 3.20.1–6, 12.12.1–3, 12.25a–b, 13.5.4–6, 16.17.9–10, 20.12.8 and 34.4.2.
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events and how they came about.5 Without this latter feature the usefulness of history could not be fully achieved and the reader would not be able to learn from the past and use the knowledge acquired by these lessons in assessing how best to react to the problems of their own day. Polybios’ concern for truth and clarity has been widely acknowledged both in antiquity and in modern times, undoubtedly helped by his explicit remarks on the subject, and has consequently earned him the reputation of being a reliable and accurate historian.6 Yet, the lessons contained within the Histories are not imparted by encouraging free consideration of events by the reader, nor by a comparison of alternative accounts, as was proffered notably by Herodotos.7 The ‘truths’ of Polybios’ Histories are, like those in Thukydides, the historian’s own formulated ideas of the past, achieved through careful consideration of source material and his own understanding of historical events and change. They are deliberately and vigilantly expounded with frequent authorial interventions, often omitting or emphasising certain details or points of view, to pre-empt and prevent alternative interpretations or ‘truths’ being taken up by the reader.8 At first glance, the reader may not be fully aware of this fact, nor feel the need to refute the interpretations presented to them, since, as Frank Walbank once aptly noted, Polybios’ earnest statements about the truthfulness of his own account and proclaimed preference for stylistic simplicity (Pol. 16.17.9–11), creates an impression of great honesty.9 This could convince the reader that Polybios’ account is straightforward and unproblematic; yet, as Walbank observed, this is “the apparent candour one sometimes finds in a man who has persuaded himself of the truth about matters in which he has a strong personal commitment, and is not prepared even to envisage the possibility that there may be another point of view”. Such personal conviction, when combined with a penchant for frequent authorial intervention and polemical comments against other historical writers,10 produces a particularly one-sided perspective about what is true. This appearance of frankness should not lead us, however, to misjudge the literary and rhetorical complexity of Polybios’ work, nor persuade us to stereotype Polybios as a writer immune from political and historiographical bias, partial analysis, and sensationalism.11 Recent investigations have shown that these traits feature quite prominently throughout his Histories.12 Yet, despite this fact, we should not condemn Polybios too 5 6
On his concern for cause and effect see: Pol. 2.56.13, 3.6, 22.18. See also Pédech (1964), 54–331. Cic. off. 3.113.7; Cic. Att. 13.30.2; Cic. rep. 2.27.12; Liv. 30.45.5, 33.10.10; Plut. Brut. 4.8; Lehmann (1967), Champion (2004), 21–23; McGing (2010), 3–4. 7 See Lang (1984), 73–79; Flory (1987), 47–79; Lateiner (1989), 76–90; Baragwanath (2008), 122–159; and Baragwanath & de Bakker (2012), 31–37; cf. McGing (2012) and Miltsios (2013), 85 n.2. 8 Marincola (1997), 11; Farrington (2015); cf. Woodman (1988), 199. 9 Foucault (1972); Walbank (1972), 6–8; Dubuisson (1985); Dreyer (2011), 134–37 and Langslow (2012). 10 See his critique of Fabius Pictor and Philinus at Pol. 1.14.1–2, Phylarchos at 2.56–63, unnamed historians writing about Hannibal’s crossing of the Alps at 3.48.8–9, unnamed historians writing about Philip’s capture of Messene at 8.3–9, Theopompos at Pol. 8.9–11, and Timaios in Book 12, particularly Pol. 12.12.7– 12.15.12. 11 Walbank (1972), 2. 12 For his bias, see for example his sketch of the Achaian League and Aratos of Sikyon, discussed by Haegemans/Kosmetatou (2005); for his acceptance of partial analysis, see his comments on patriotism at Pol.
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harshly, as he was embedded and participating in a wider intellectual tradition that permitted and accepted the integration of all these features within historiography.13 His emphasis on truth and stylistic simplicity, and his open discussions about his methodology, however, are all conducted with the aim of helping him to carve out his own position within the discipline and period under consideration, and teach and persuade his audience that his history is more truthful than any other account. As Farrington has recently pointed out, these aims are similar to those of a dikastes and orator,14 and achieved by similar rhetorical devices, and may therefore hide the fact that Polybios is at places just insisting on a different interpretation of the facts.15 In the process of recording and retelling events all historians resort to some form of interpretative artificial framework; their construction of historical agenda and imposition of meaning, order, and perspective bends neutral events towards a certain direction. It is therefore necessary to understand Polybios on his own terms: his historiographical and political aims, his conception of the truth, and his approach to the task of creating ‘true’ historiography.16 One particular conceptual and methodological feature which has been observed by Paul Pédech, Frank Walbank and Craige Champion to influence Polybios in his understanding and presentation of historical events is patterning.17 Walbank noted it in the historian’s use of an overarching causal design based around Tyche (Pol. 1.4.1–5) and a sequence of empires inspired by Demetrios of Phaleron’s schemes (Pol. 29.21) to lend his Histories coherence and mould an otherwise unwieldy, vast and, at times, chaotic work into a unified body. His cycle of political constitutions – the anacyclosis in book 6 – reflects, of course, a similar use of patterning and adds another dimension to his explanation of historical change. Investigating the historian’s development of characterisation, Champion also highlighted the historian’s use of patterns in the construction of collective identity and stereotyping of peoples along set models of behaviour and motivation. This is particularly evident, for example, in his depiction of the Achaians as consistently law-abiding, honest, and pro-democratic, and their enemy, the Aitolians, as greedy, impulsive and rapacious.18 Another important structural feature, this time in terms of literary motifs, as Nikos Miltsios has recently observed, is the historian’s frequent repetition of themes in order to familiarise his audience with certain ideas,
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16.14.6–10 and his treatment of Philip II of Macedon at Pol. 5.10.1–8; 8.10, 18.14 (cf. Walbank (1994), 38–40 = (2002), 254–55); for his use of high drama and emotion see his account of the drowning of the Seleukid royal troops at Pol. 5.48.9, the last years of Philip V of Macedon at Pol. 23.10, and the fall of Carthage at Pol. 38.20. See also Walbank (1994), 28–29 = (2002), 245–246. See Walbank (1985b), 224–241; Rutherford (2007); Marincola (2013); Farrington (2015), 30, 39–40, 52, 62. Farrington (2015) convincingly discusses the equivalence between ancient historical and judicial practices, and Polybios’ concern ‘to teach and persuade’ his readers to his view of events. Phylarchos’ and Timaios’ accounts of the Kleomenean War and Sicily were, it seems, quite popular; see Pol. 2.56.1–2 and 12.23.8 respectively. See Walbank (1985a), 262–279; Schepens (1990); Vercruysse (1990). See Champion (2013), 144. Pédech (1964), 507–508; Walbank (1993) = (2002), 178–192 and (1994) = (2002), 245–257; Champion (1997), 116; (2004) and (2013), 144–145. For the stereotyping of the Achaians, see Champion (2004), 100–144; for the Aitolians, see Champion (1996), 316 n. 5, 323 n. 45.
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raising expectations “which when finally realized, lend the narrative, even in its present fragmentary form, a sense of fulfilment and completeness.”19 In this investigation, Miltsios analyses the theme of the dangers inherent in the recruitment of mercenaries which marks both the beginning and end of the narrative in Book 1. He notes how this encircling of the narrative by one theme, the profound weakness in the Carthaginian military system, reinforces his interpretation of why Carthage lost in both the First and Second Punic Wars.20 There is a clear prevalence of patterns within Polybios’ work, therefore, and he is unapologetic in his use of them. Of course, modern conceptions of ‘true’ historiography would strongly object to the determinism introduced by a design imposed on any course of events; however, this is not the case with Polybios. Considering the emphasis that he placed on the truthfulness of his Histories, these patterns must have presented, or helped to present, some form of the ‘truth’ in the historian’s eyes. It is the task of the rest of this article to explore two related issues: why patterns were important for Polybios’ conception of historical truth, and how they helped him to shape both the content and structure of his work. 1. Experience, Probability, and Patterns What is crucial to any understanding of ‘truth’ within the Histories is to realise that it derives from Polybios’ own judgement and comprehension of how past events developed and fit together, and how historical change came about through cause and effect. His conceptualisation of history was, of course, to some degree dependent on his status as a citizen of Megalopolis, an ex-statesmen and military veteran of the Achaian League, as well as a political prisoner at Rome in his later life, a close friend of the Scipiones, and ultimately an intermediary between Greece and Rome. Yet, it was also influenced by his attempts to position himself within the historiographical tradition, the didactic aims of his work, as well as by his own conception of the past. His famous polemic against Timaios in Book 12 has been the foundation of many lines of inquiry in regard to what Polybios thought of as ‘correct’ or ‘proper’ historiography and truth.21 His main points of contention against his Sicilian contemporary were his lack of practical experience, both in terms of politics and warfare, as well as the fact that he was a so-called ‘armchair’ historian, who primarily used written accounts, had no personal knowledge of the locations he discussed, nor collected information from oral traditions or eye-witnesses (Pol. 12.3–11.25d-h, 27a-28a).22 In Polybios’ opinion, the dignity of history required a historian who was a politician, soldier, explorer, archivist, 19 Miltsios (2013), 32. 20 Miltsios (2013), 17–21. Cf. Erskine (2013) for a similar thematic construction of Ptolemaic power in Polybios. 21 For Timaios and Polybios’ criticisms see Meister (1975), 3–54; Sacks (1981), 21–78; Champion (1997); Walbank (2002), 165–77; Vattuone (2005); and Baron (2013). 22 This preference for oral source material is also demonstrated by Thukydides (Thuk. 4.2.2–4, 12.25i.2–3). For the working conditions of ancient historians and their preference for autopsy, personal experience
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tactician, intellectual and eyewitness (Pol. 12.28.1). Only with this broad range of experience, knowledge and source material can one formulate correct judgement about events (Pol. 12.4c, 24, 25d.7) and produce enough vividness and clarity (enargeia) in an account so as to be of use to readers and inspire interest and confidence in your own version of events (Pol. 12.25 g–h).23 For Polybios, this experience and judgement was also needed in order to set out appropriate arguments, both in subject and length, alongside historical information. He asserted in his critique of Timaios that there are very few occasions on which setting forth all possible arguments (πάντας […] τοὺς ἐνόντας λόγους, Pol. 12.25i.5) is ever acceptable. Those that are laid out must be brief and tailored to the audience: some will be pleasing (προσίενται) to contemporaries, others to men of the past, and yet others to different peoples, for example, Aitolians or Peloponnesians or Athenians (Pol. 12.25i.4).24 While there were no fixed rules for choosing the best arguments or their number on any particular occasion, a historian’s deductions based on personal experience and practice (διὰ τῶν ἐκ τῆς αὐτοπαθείας καὶ τριβῆς θεωρημάτων, Pol. 12.25i.7) would enable them not to be led into conjecture (εἰς ὑπόνοιαν). This was his main criticism of Callisthenes and his account of Alexander’s campaigns: his report on troop spacing measurements on the march and in battle arrangements at Issos was implausible (Pol. 12.17–22). Similar condemnation was also aimed at Theopompos for his negative description of Philip II’s character and court (Pol. 8.9–14); for Polybios, it was unlikely that men such as Philip could have achieved such success in political and military affairs if they were as debaucherous, licentious, effeminate and cowardly as Theopompos described (8.10.5–6).25 Only with good experience and judgement could a historian produce true statements from their knowledge of what is probable (τὸ εἰκος) or what is convincing (τὸ πιθανόν) when evidence is lacking or contradictory.26 To be a suitable critic of an event, motive or character, and to be able to point out probability or likelihood, you have to have had reasonable experience or knowledge of similar circumstances. An experienced historian would therefore in principle be able to convey by the use of inductive and deductive reasoning what was opportune or not in all cases, give a true notion of the facts, outcomes and causes, and thus allow the
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and oral source material over written documentation, see Schepens (1975a); (1975b), 187–88; Woodman (1988), 15 and n. 83; Champion (1997), 114–116; and Farrington (2015), 40–42. For the need for broad political and military experience, see Petzold (1969), 67–68; Champion (1997), 116; and Marincola (1997), 11 n.44, 136, 232. For enargeia, see Schepens (1975b); and Grethlein (2013), 245–63. See also Maier and Baumann in this volume. Pol. 12.25i.4: ὀλίγοι μὲν γὰρ καιροὶ πάντας ἐπιδέχονται διαθέσθαι τοὺς ἐνόντας λόγους, οἱ δὲ πλεῖστοι βραχεῖς [καί] τινας τῶν ὑπόντων, καὶ τούτων τινὰς μὲν οἱ νῦν, ἄλλους δ᾽ οἱ προγεγονότες, καὶ τινὰς μὲν Αἰτωλοὶ προσίενται, τινὰς δὲ Πελοποννήσιοι, τινὰς δ᾽ Ἀθηναῖοι. For the difficulties of interpreting this statement, see Gomme (1956), 522–23; Walbank (1963), 211–13; (1967), 397; Sacks (1981), 82–85 who refutes Walbank; and Champion (1997), 113 and n. 5. For Polybios’ criticism of Callisthenes, see Errington (1975), 174–79; for his attack of Theopompos, see Flower (1997), 98–104 and especially 192. Walbank (2002), 179; Farrington (2015), 46–49, 52–56. For the importance of arguments from probability in rhetoric, see Plant (1999), 71, and for the belief in the soundness of arguments from probability, see Hdt. 2.113; Grimaldi (1980), 390; and Marincola (1997), 97.
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reader, by the study of the past, to treat similar situations in their own lives with a hope of success.27 The historian’s task, in Polybios’ view, was not to passively absorb the past through written sources, but to actively interact with and make judgements on a variety of historical material, both written and oral (cf. Pol. 12.25e, 28a.7–10), to discover their own ‘true’ version of events through careful analysis based on personal experience and informed notions of probability, and finally to convey this considered assessment (and, ultimately, wisdom) to their audience.28 For Polybios retrospection was a key method not only in comprehending what was probable and likely, but also what was significant about any given event and how certain outcomes came about through the interplay between causes and effects. The notion that history could only be written once events had come to an end had already been entertained by Herodotos in the fifth century (Hdt. 1.32.9, 7.51.3) and Polybios was even more favourable towards this notion, unabashedly using it throughout his work.29 This is evident when, in Book 5, he voices his reasons for doing so openly in a discussion conversely laying out the importance of beginnings:30 For the ancients, saying that the beginning is half of the whole, advised that the greatest care be taken in all matters for the purpose of a good beginning. Although they seem to be exaggerating, they appear to me to have spoken less than the truth. For one could confidently say that the beginning is not half of the whole, but rather stretches as far as the end. For how is it possible to begin something well without one getting a complete grip in one’s mind in advance about the completion of the enterprise, or knowing where, to what end and for what sake he is undertaking to do this? And how again is it possible to summarise events properly without referring to the beginning, and whence, how or why he has arrived at the current situation? On which account we should not think that beginnings stretch only until the middle, but until the end, and both those who speak and hear of a general history should pay the greatest attention to them. And this then I shall now try to do.
In Polybios’ opinion, therefore, it was essential for a historian to know the end of the course of events he wished to relate in order to bring coherence, explanations of causality and meaning to them. As Grethlein expanded in his recent discussion of this topic, “ […] retrospect lets us see larger lines that are still invisible to historical agents; it is 27 Pol. 12.25i.6–8. Cf. Champion’s analysis of Polybios’ understanding of character by inductive and deductive means at (1997), 123. 28 See Farrington (2015), 40–51 for a more detailed account of this process in Polybios. 29 Interestingly, Thukydides made all efforts to downplay hindsight and included very few authorial comments. Grethlein (2013), 185–223. 30 Pol. 5.32: οἱ μὲν γὰρ ἀρχαῖοι τὴν ἀρχὴν ἥμισυ τοῦ παντὸς εἶναι φάσκοντες μεγίστην παρῄνουν ποιεῖσθαι σπουδὴν ἐν ἑκάστοις ὑπὲρ τοῦ καλῶς ἄρξασθαι: δοκοῦντες δὴ λέγειν ὑπερβολικῶς ἐλλιπέστερόν μοι φαίνονται τῆς ἀληθείας εἰρηκέναι. θαρρῶν γὰρ ἄν τις εἴπειεν οὐχ ἥμισυ τὴν ἀρχὴν εἶναι τοῦ παντός, ἀλλὰ καὶ πρὸς τὸ τέλος διατείνειν. πῶς γὰρ ἄρξασθαί τινος καλῶς οἷόν τε μὴ προπεριλαβόντα τῷ νῷ τὴν συντέλειαν τῆς ἐπιβολῆς μηδὲ γινώσκοντα ποῦ καὶ πρὸς τί καὶ τίνος χάριν ἐπιβάλλεται τοῦτο ποιεῖν; πῶς δὲ πάλιν οἷόν τε συγκεφαλαιώσασθαι πράγματα δεόντως μὴ συναναφέροντα τὴν ἀρχὴν πόθεν ἢ πῶς ἢ διὰ τί πρὸς τὰς ἐνεστώσας ἀφῖκται πράξεις; διόπερ οὐχ ἕως τοῦ μέσου νομίζοντας διατείνειν τὰς ἀρχάς, ἀλλ᾽ ἕως τοῦ τέλους, πλείστην περὶ ταύτας ποιητέον σπουδὴν καὶ τοὺς λέγοντας καὶ τοὺς ἀκούοντας περὶ τῶν ὅλων. ὃ δὴ καὶ νῦν ἡμεῖς πειρασόμεθα ποιεῖν.
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crucial to historical explanation.”31 It is undoubtedly via this methodology of retrospection, therefore, that Polybios became aware of previously undetected lines of historical explanation for this period and thus became convinced his whole narrative needed to be structured as a universal history (Pol. 1.4.2, 2.37.4: ἡ τῶν καθόλου πραγμάτων σύνταξις).32 Without such hindsight, he probably would not have picked up on the increasing interconnectedness of the political players in the oecumene, nor how they all contributed to Rome’s eventual dominion over the Mediterranean, the explanation of which was one of the main aims of his endeavour. Crucially, his undertaking to write a universal history, something allegedly not attempted before for this time period (Pol. 1.4.1–2), meant that he had to formulate his own unique understanding of why things turned out the way they did. This wider understanding represented a fuller, more integrated, and thus truer account of the affairs of the known world than the narrower portraits and accounts provided by his oral sources and the ‘specialised’ monographs of some of his predecessors (Pol. 1.4.2–11).33 In producing a didactic and more truthful piece illustrating how events unfolded, as well as offering practical advice on how best to conduct oneself so as not to be unduly caught off guard by changes of fate, Polybios also needed to include relevant and clear examples of logical cause and effect, which could be used as models for emulation or avoidance.34 He consequently used what he saw as logically explainable patterns in his history as an educational tool, and thus applied a degree of reason to the huge changes of history which could otherwise have seemed entirely irrational, chaotic and unpreventable. The episodes in which Polybios could identify lines of explanation are brought out with special treatment from the rest of the mainly unpredictable course of events to create a semblance of order and offer hopes of achieving even a modicum of control over shifting changes of circumstance.35 It was Polybios’ strong belief that individuals could shape their own future should they have the correct knowledge of past events and be able to apply it to equivalent situations in their own lives. Moreover, it was everyone’s responsibility to do so.36 By preparing for all conceivable obstacles and outcomes, while still appreciating that there are many more unforeseeable events, agents and outcomes, we can be more adaptable in our actions and consequently more likely to achieve our objectives.37 These patterns thus derived from hindsight, reasoning and knowledge of what was probable, and constituted therefore a truer understanding of the past for our historian.
31 Grethlein (2013), 185, 226. Cf. Champion (1997), 117. 32 Walbank (1957), 9–11. 33 Polybios is very much aware of the varying degrees of truthfulness in historiographical accounts as seen in his comparison of Aristotle’s and Timaios’ accounts of Lokroi (Pol. 12.5–12a). For his criticism of writers of historical monographs, see Bollansée (2005). 34 Pol. 2.4.3–5.2.9.6, 2.35.4–8. 35 Maier (2012a) and (2012b) for Polybios’ dual concept of the past. 36 See Walbank (2002), 62. Cf. Brown Ferrario (2014). 37 Maier (2012a), 146–150.
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2. The Two Philips: Patterning in Content To illustrate how Polybios used patterns derived from hindsight, reason and probability to create ‘truthful’ content, this section will briefly explore an example of patterning that he took up with enthusiasm within his Histories: his paralleling of the two Macedonian kings, Philip II and Philip V, and the development of Philip V’s character and behaviour in direct relation with this connection. It is a topic which merits a much fuller case than this article can allow, as it is a crucial factor in Polybios’ overall understanding and presentation of the Macedonian king within his Histories. For present requirements, however, a brief summary will suffice in demonstrating how patterns contributed heavily to the interpretation of ‘truthful’ content throughout the course of Polybios’ work. The coincidence in name between the two very different Macedonian kings, as well as their respective positions at the beginning and end of the Macedonian empire, no doubt fostered this connection in the historian’s mind. Philip V himself had even encouraged it (Pol. 5.10.10), a fact which Polybios accepted and used to enforce the likelihood of his own interpretation of their character and respective roles in the fate of Macedonia. But Polybios’ understanding of their connection is a far more awkward association than the king would have conceived it, as the historian emphasises the differences each of their reigns had on the state of the kingdom: Philip II and his son Alexander consolidated the position of Macedonia into that of a world power, while Philip V and his son Perseus engineered its reversal of fortune and destruction (Pol. 22.18.10). This parallel not only produced a clear connection with and point of reference to comprehend past events in the Greek mind, but also gave his work unity and elegance, and developed Philip V’s character, aims and motivations with consistency and coherence by assimilation with his predecessor.38 The reader’s concept of reality and therefore of what was true about the later king’s behaviour and actions would thus be corroborated by this connection. Philip’s pursuit of expansion was an important characteristic reinforced by this parallel with Philip II.39 It was, of course, a trait evidently natural to the king even without the historian’s insistence, as Philip’s constant endeavours to increase Macedonian influence and territory in the Peloponnese, Illyria, Thrace, the Aegean, and Asia Minor clearly show this to be the case.40 Yet, Polybios enhances the believability and strength of this characteristic in Philip V throughout his narrative by deliberate reference to the earlier king. In Book 5, for instance, Philip II as well as Alexander and Antigonos III Doson, appear as Philip’s predecessors in Polybios’ criticism of the king’s attack on Thermos where they are claimed to be from the same house (Pol. 5.9.7: τοῖς ἐξ αὐτῆς τῆς οἰκίας ταύτης). A little later, Philip V is also said to have been inspired by the words of Demetrios of Pharos in 217 BC to conclude the Social War against Aitolia and turn his attention 38 For Polybios’ inclination towards patterns, see Walbank (1994) = (2002), 245–57. 39 On Philip’s ambitions of expansion, see Rich (1984), 129–30; Champion (1997), 118–21; Eckstein (2008), 81; and Dreyer (2013), 206. 40 Pol. 5.108–110, 8.13–14, 9.18, 13.3–5, 15.22–24, 16.1–11, 24.30–35, 18.51, 18.54, 22. See also Liv. 26.25, 31.14–18, 36.14, 36.25, 36.33–34, 38.1–7, 39.27–35, 39.53, 40.21–22.
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towards the west (Pol. 5.101.6–10). This is because, Polybios claims, he was not only a young king, both successful in his achievements and generally daring, but also one born to a royal house which always aimed, more than any other, at the prospect of universal dominion (Pol. 5.102.1: ἀεὶ τῆς τῶν ὅλων ἐλπίδος ἐφίεται).41 A consistent policy of expansion on Philip V’s part was therefore probable, expected and considered true. There are, of course, a number of historical inaccuracies or exaggerations in these statements. Firstly, the assertion that the house of Macedon was always in pursuit of universal hegemony is not entirely accurate.42 Philip’s immediate predecessors, Antigonos II Gonatas, Demetrios II and Antigonos III Doson, would certainly have attempted to implement an aggressive expansionist policy in as much they were able, but their reigns were much more defensive; thus, they cannot be claimed to be explicit pursuers of this grander aim.43 Secondly, Philip’s family origins are merely couched in the vague phrase ἐξ οἰκίας […] τοιαύτης, making no mention of, nor distinction between, the Argead or Antigonid royal houses. Yet, while the falsity of these statements may be plain to see for modern readers, this was not necessarily the case for Polybios’ contemporary audience. The casual and unsupported nature of Polybios’ statements at 5.9, 5.102 and 22.18 would suggest that for our historian, and probably also for his audience, there was little difference between the two royal houses and they were both generally believed to be in constant pursuit of domination and expansion. Alkaios of Messene’s near contemporary epigram on Philip V (Anth. Pal. 9.518), although ambiguous in its tone, would support the presence of this conception of the Macedonian king’s intentions in public discourse.44 The truthfulness of the association between both Philips, as well as the merging of royal houses and their constant goal to establish dominion universally, was something taken for granted and supported by public consensus. Therefore, the point is brought out through thematic repetition, parallels with predecessors, and public assumptions concerning the aims of the Macedonian kings, that Philip V was the parallel of Philip II in his aims and motivation, if the counterpart in his achievements, and was therefore, from a very young age, set on conquest.45 This would have been deemed probable by the very weight of connections and therefore true by the historian and his audience despite the factual inaccuracies such a view actually contained. This parallel and association with the royal Macedonian house helped to establish what Polybios considered to be Philip’s normal pattern of behaviour. It was, in his opinion, the most probable and truthful portrait of the Macedonian king, an estimation based 41 Pol. 5.102.1: ὡς ἄν, οἶμαι, καὶ νέον βασιλέα καὶ κατὰ τὰς πράξεις ἐπιτυχῆ καὶ καθόλου τολμηρὸν εἶναι δοκοῦντα, πρὸς δὲ τούτοις ἐξ οἰκίας ὁρμώμενον τοιαύτης, ἣ μάλιστά πως ἀεὶ τῆς τῶν ὅλων ἐλπίδος ἐφίεται. Cf. 21.22.8–9. Champion (1997), 122–126 persuasively argued that Polybios’ conviction that Philip was motivated to pursue universal dominion and future conflict with Rome in 217 BC was based on his pre-formulated ideas about youthful behaviour, the inevitable decline of kings and monarchies, and the characteristic lust of the Macedonian monarchy for universal dominion. 42 Walbank (1993), 1724–1726 = (2002), 129–30. 43 Walbank (1982), 219–21 = (2002), 112–13; Hammond/Walbank (1988), 279. 44 For Alkaios of Messene and this epigram, see Walbank (1942) and (1943); Momigliano (1942), 53–64 = (1984), 431–46; Edson (1948); Gutzwiller (2007), 117. 45 Walbank (1993), 1725–1730 = (2002), 131–136; cf. Eckstein (2008), 81–82.
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on hindsight, his own personal experience of Hellenistic kings,46 and the views contained in and supported by public opinion and his source material, both documentary and firsthand. This helps to explain his later conviction in Book 16 that Philip was ‘mad’ (τὸ μανιώδη) for not following through with his plan to sail onto and attack Alexandria after the Battle of Lade against Rhodes in 201 BC (Pol. 16.10, 15).47 This battle had come about as a consequence of Philip’s aggressive policy in the Aegean after the First Macedonian War (211–205 BC) and the ‘secret’ pact concluded with Antiochos III in 203, which agreed to divide up Ptolemaic possessions abroad between them following the accession of an infant Ptolemy V to the throne (Pol. 15.20).48 Coele Syria was to go to Antiochos, and the Egyptian possessions in Thrace and the Aegean to Philip.49 It seems unlikely that they would have agreed to appoint Alexandria, or Egypt itself, to one or the other considering the vast increase in strength this would offer the chosen party, if such a venture was even considered a viable possibility. However, this omission need not mean, of course, that neither would have attempted such a feat if the situation presented itself. Following the Macedonian king’s acquisition of numerous islands and cities in 202 and 201, and his earlier attack of their fleet in 204, the Rhodians decided to intervene and confront Philip at sea near Lade (Rhodes: Pol. 13.3–5, cf. Polyain. 5.17.2, Kios and Thasos: 15.22, 15.24.1–3). Polybios’ description of the battle itself is unfortunately missing, although two contextualising fragments survive: the first reveals that Philip won the battle, but only inflicted minor damage on the Rhodian fleet (Pol. 16.15); the second records the historian’s own understanding of the king’s behaviour after the event (Pol. 16.10). In the latter, Polybios states that following this victory it was clearly quite possible for Philip to complete his sailing onto Alexandria, since the Rhodians were now out of his way and Attalos had not yet joined the war. From the fact that the king did not do so, one may very well observe that Philip fell into madness.50 This madness, Polybios expands, was the natural fright and indecision that faces all men who are in pursuit of impossibilities owing to the magnitude of the hopes before their eyes at the hour of action (Pol. 16.10.2–4). As Boris Dreyer has recently stated, Polybios’ criticism
46 With his Achaian background, Polybios was not only personally familiar with Ptolemy VI, who was a benefactor of the Achaian League when the historian and his father were in power in 169/8 BC (Pol. 29.23–25, 31.10, 39.7), and Perseus, whose defeat at Pydna in 168 BC resulted in Polybios’ exile, but also indirectly familiar with Philip V via his predecessor Aratos of Sikyon who was one of the king’s advisers from 221 to 213 BC (Pol. 4.76, 82–87, 5.1, 5–6, 9–12, 7.11–14, 8.12. Cf. Plut. Arat. 46–52. 47 For this incident, see Dreyer (2013), 207–208. 48 Egypt had been weakening steadily since 207 BC, affected by Ptolemy IV’s apathy towards foreign policy, the fickleness of hired mercenaries, and the eruption of a massive indigenous rebellion. For Philip and Antiochos, the accession of a 5-year old Ptolemy V would have been too good an opportunity to miss. See Höbl (2001), 125–134; Eckstein (2008), 132–133; Dreyer (2013); Erskine (2014). For Philip’s sea policy, see Kleu (2015), and specifically pp. 90–151 for his Aegean campaign (205–201 BC). 49 For the existence of this secret pact and the terms it contained, see Dreyer (2007), 259–271 and Eckstein (2008) 132–137. 50 Pol. 16.10: ὅτι μετὰ τὸ συντελεσθῆναι τὴν περὶ τὴν Λάδην ναυμαχίαν καὶ τοὺς μὲν Ῥοδίους ἐκποδὼν γενέσθαι, τὸν δ᾽ Ἄτταλον μηδέπω συμμεμιχέναι, δῆλον ὡς ἐξῆν γε τελεῖν τῷ Φιλίππῳ τὸν εἰς τὴν Ἀλεξάνδρειαν πλοῦν. ἐξ οὗ δὴ καὶ μάλιστ᾽ ἄν τις καταμάθοι τὸ μανιώδη γενόμενον Φίλιππον τοῦτο πρᾶξαι.
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is strong because he is convinced that Philip’s primary goal was ‘world domination’ and at this particular moment to capture Egypt and her Aegean possessions.51 By not following through in sailing to Alexandria, therefore, Philip was failing, through indecision, to achieve his own ambition of conquest. However, while Polybios may have thought that Philip had a definite plan to attack Alexandria, this may not have been the case and the king could only have entertained it as a possibility. Even if Philip had held this aim, the fact that Polybios viewed the period after the battle of Lade as the opportune moment to take Egypt does not entail that Philip himself, in assessing his own situation, also thought the same. Despite Polybios’ comments, it would have been a risky move; such a venture right after a battle which, although won by the Macedonian king, was not a great victory, would have been dangerous.52 The Rhodians had retreated after only negligible losses (Pol. 16.15), and by heading south Philip would have left the Aegean with an enemy far from decisively defeated and whose numbers would soon be enlarged by Pergamene forces (Pol. 16.1–9). Instead of heading to Egypt therefore, it seems Philip decided to move against Pergamon, intending to drive King Attalos out of the war before he could properly enter it. Philip’s decision not to move south to Alexandria at that time does not necessarily have to be seen as an instance of indecision. Polybios’ statement claiming that Philip was mad for not continuing with his plan to attack Alexandria was made from hindsight, and was based on what he considered likely behaviour for the king. Philip’s deviation from a purported plan was deemed inconsistent with his overall motivations, aims, and normal pattern of behaviour. Dreyer is very likely to be correct in highlighting that this was what Polybios considered the truth of the matter at this particular moment; however, his claims that Polybios also viewed inconsistency and indecision in Philip as a continual problem, as well as a key factor in the destruction of the whole Macedonian kingdom, cannot be supported by any other statements in the Histories.53 No other passages survive to suggest that the historian saw this moment of indecisive ‘madness’ as a sign of a more long-term issue for the king. As far as the fragmentary nature of the text will allow, indecision and inconsistency do not appear to be patterns of behaviour brought out in Philip, but rather of a consistent pursuit of expansion, of strategic and diplomatic intelligence, of ruthlessness, speed, and military competence.54 For Polybios, influenced by his sources, historiographical aims
51 Dreyer (2013), 206–207. 52 De Sanctis (1923), IV.1.10–11; Walbank (1940), 120–121, 307; Pédech (1964), 111, 241. 53 See Dreyer (2013). In this article he also claims that the characteristic of indecision was even more pervasive and detrimental in Perseus than it was in Philip (pp. 208). The evidence for this trait in Perseus is similarly problematic, however, as it is only cursorily pointed out and the passages indicated do not necessarily reveal moments of indecision, but rather ruthlessness, stinginess, cowardice and despair. Moreover many incidents have to be filled out by Livy’s account, which may have presented Perseus in a very different light. 54 For Philip’s strategic and diplomatic intelligence see Pol. 7.11.10–12, 11.7.2–3, 13.3–5, 15.20, 15.22–24, 16.1, 22.1.5, 22.13; for his ruthlessness see Pol. 15.24.1–3; Livy 31.28.6, 32.13.6–9, 45.12–13; military speed and success, see Pol. 4.77, 7.11, 10, 41.6–8.
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and his own estimation of the king’s character and motivation, this was the truth of what happened. This behavioural patterning documenting the king’s insistent pursuit of aggressive expansion continues to the end of his life as the king once again turns to policies of expansion after a period of relative peace following his defeat by Rome at Kynoskephelai in 197 BC (Pol. 18.44–45, 47; Liv. 33.12–13, 30–35). Despite having had his influence and territory in Greece severely curtailed by the terms of the resulting peace settlement, by 184 the king has once again regained a number of possessions in Greece and expanded into Thrace, incurring censure from Rome’s eastern allies and inviting increasing concerns about his intentions in Rome itself. Finally, after a meeting with Roman ambassadors in 184, Philip is convinced that relations had worsened to such an extent that he would soon be engaged in war with the Italian power and resolves on making all preparations for it (Pol. 22.13–14). Soon after his account of these events, Polybios makes an explicit parallel between Philip II/Alexander and Philip V/Perseus, and their respective roles in starting and implementing their wars against Persia and Rome:55 For just as I said that Philip son of Amyntas (II) conceived of and meant to carry out the war against Persia, but that Alexander was the executor of the actions which he had decided upon; so now I also say that Philip son of Demetrios formerly conceived to wage war on the Romans in the last war and had all preparations ready for this endeavour, but that following his death Perseus became the executor of the design.
The fathers were thus said to be responsible for the planning and preparation of war, while their sons were the ones to initiate and follow through with their designs. Polybios had much earlier in Book 3 made a direct comparison between Philip II and Alexander, and Hasdrubal and Hannibal (Pol. 3.6.5), seeing the same relationship and splitting of roles in the Carthaginian pair in regard to the Second Punic War (Pol. 3.14.10). Interestingly, while this set up may have been the case for Philip II and Alexander, and Hasdrubal and Hannibal, it is less certain that it was so in the case of Philip V and Perseus. The initial relationship between Rome and Perseus after Philip’s death seems to have been congenial and the Third Macedonian War did not take place until seven years later.56 Polybios’ imposition of this causal patterning is thus historically dubious. Despite the differing circumstances, however, the Philip II/Alexander and Hasdrubal/Hannibal father-son paralleled pairings would have signalled a repeated pattern of causation for our historian, one of his pre-formulated lines of explanation which allowed him to
55 Pol. 22.18.10: καθάπερ γὰρ εἴπομεν Φίλιππον τὸν Ἀμύντου διανοηθῆναι καὶ προθέσθαι συντελεῖν τὸν πρὸς τοὺς Πέρσας πόλεμον, Ἀλέξανδρον δὲ τοῖς ὑπ᾽ ἐκείνου κεκριμένοις ἐπιγενέσθαι χειριστὴν τῶν πράξεων, οὕτω καὶ νῦν Φίλιππον μὲν τὸν Δημητρίου φαμὲν διανοηθῆναι πρότερον πολεμεῖν Ῥωμαίοις τὸν τελευταῖον πόλεμον καὶ τὰς παρασκευὰς ἑτοίμας πάσας πρὸς ταύτην ἔχειν τὴν ἐπιβολήν, ἐκείνου δ᾽ ἐκχωρήσαντος Περσέα γενέσθαι χειριστὴν τῶν πράξεων. 56 For the causes of the Third Macedonian War see Gruen (1974); Gruen (1984), 403–423; Walbank (1977); Walbank (1979), 208–209; Adams (1982); Will (1982), 255–270; Golan (1989).
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construct his work, and therefore become a convenient and even probable model with which to view Philip V, Perseus and the cause of the Third Macedonian War. It would have made his account both in terms of explaining the causes of war, as well as the downfall of Macedonia, more cohesive, probable and true. At this point in the narrative, another feature of similarity between the pair is also brought out which intensifies this parallel, as well as the differing dynastic outcomes their reigns had on the fate of the kingdom – the pretext of revenge. Philip II and Alexander both claimed their war against Persia was waged to avenge the sacrilege that the Persians had committed in Greece (Pol. 3.6); at 23.9.6 and 23.10.4, Polybios also makes this the explicit pretext of Philip V for waging war against Rome in his later years. However, as the counterpart to the founder of the Macedonian empire, Philip V’s revenge and pursuit of war against Rome ultimately brings about the defeat and downfall of the kingdom rather than any success. Given Polybios’ use of patterning thus far, his audience would not have been surprised by Philip’s return to expansion and conflict with Rome as this was probable and expected behaviour, and in line with their experience of the king documented from the very beginning of the text. Backed up by public opinion and cause and effect, this would have appeared a truthful depiction of the king. 3. Tyche and the Stage: Patterning in Presentation In turning to the creation of truth by presentational patterning we turn to a well-trodden topos – Tyche. As Walbank once noted, Tyche was used as an important explanatory patterning device by Polybios throughout his Histories.57 While the exact meaning and nature of Polybios’ Tyche continues to be disputed among modern scholars,58 there is little doubt that it provided another dimension to his overarching scheme of causality in its explanation of the humanly unexplainable. Yet, there is another dimension to this causal patterning which has significance for the presentation of content: Tyche is frequently depicted in a metaphorical sense as a driving force setting the affairs of the world onto a stage (ἐπὶ σκηνὴν). As will be seen below, this device was implemented in order to present material in such a way as to facilitate a shared understanding of events between historian and reader, and thus a shared conception of what was true.59 From the very beginning of his work, Polybios makes an explicit connection between Tyche and direction by asserting that it was Tyche who had steered all the affairs
57 See particularly Walbank (1994) = (2002), but also (1972), 67 and (2002), 8, n. 51. 58 For discussions of the various interpretations of the role and use of Tyche in Polybios’ text, see for example Fowler (1903); Walbank (1957), 16–26; Walbank (1972), 58–65 and Walbank (2007); Pédech (1964), 331–354; Roveri (1982); Eckstein (1995), 238–271; Brouwer (2011); Dreyer (2011), 83–86; Hau (2011); Deininger (2013). 59 See Hau (2011) for Polybios’ rhetorical use of Tyche.
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of the known world into one end, this being the superiority of Rome in the Mediterranean (Pol. 1.4.1).60 As the narrative progresses this connection comes specifically into play in examples of rationally unexplainable reversals of fortune, and in three instances Tyche is explicitly stated to have set these reversals ‘on the stage’ (Pol. 11.5.8–9, 23.10.16, 29.19.1–2). What is notable about these passages is that, beyond noting the reversals of circumstance, they refer to three unrelated episodes and thus cannot be linked to any one sphere of operation or person. Moreover, they are phrased in almost the exact same terms in each instance, representing a clear pattern of presentation. The first is in book 11, when an unknown Thrasykrates addresses an Aitolian congress in 207 BC, compelling the delegates to end their involvement in the First Macedonian War against Philip, and warning them against the serious repercussions awaiting the Greeks and themselves should Macedonia be defeated and Rome achieve victory:61 But now, because of the fate of the people of Oreos and the miserable Aiginetans, you have become transparent to everyone, and Tyche, as if of set purpose, has brought your [Aitolian] ignorance onto the stage. The beginning of the war and the things which are already happening are like this: but what end must we expect, if everything goes entirely as you had in mind? Is it not the beginning of great disasters for all the Greeks?
The second example of this phrase with only a slight difference in terminology (σκηνὴ/ stage, is used instead of ἐξώστρα/stage-machine, although there seems to be little difference in meaning) appears later, after the historian has described Philip’s execution of a number of Macedonian officers, the persecution of their children, and the resulting curses voiced by his people against him:62 And when his mind was nearly maddened by these things, the quarrel between his sons also burst into flame at the same time as those things just mentioned, and Tyche, as if of set purpose, brought their misfortunes onto the stage at one and the same time.63
60 Pol. 1.4.1: ἡ τύχη σχεδὸν ἅπαντα τὰ τῆς οἰκουμένης πράγματα πρὸς ἓν ἔκλινε μέρος καὶ πάντα νεύειν ἠνάγκασε πρὸς ἕνα καὶ τὸν αὐτὸν σκοπόν – Fortune has guided almost all the affairs of the world in one direction and has forced them to incline towards one and the same end. 61 Pol. 11.5.8–9: νυνὶ δὲ διὰ τῆς Ὠρειτῶν καὶ τῶν ταλαιπώρων Αἰγινητῶν ἅπασι γεγόνατε καταφανεῖς, τῆς τύχης ὥσπερ ἐπίτηδες ἐπὶ τὴν ἐξώστραν ἀναβιβαζούσης τὴν ὑμετέραν ἄγνοιαν. ἡ μὲν οὖν ἀρχὴ τοῦ πολέμου καὶ τὰ νῦν ἤδη συμβαίνοντα τοιαῦτ᾽ ἐστί: τὸ δὲ τέλος, ἂν ὅλως πάντα κατὰ νοῦν ὑμῖν χωρήσῃ, ποῖόν τι δεῖ προσδοκᾶν; ἆρ᾽ οὐ κακῶν ἀρχὴν μεγάλων ἅπασι τοῖς Ἕλλησιν. 62 Pol. 23.10.16: καὶ διὰ ταῦτα τῆς ψυχῆς οἱονεὶ λυττώσης αὐτοῦ, καὶ τὸ κατὰ τοὺς υἱοὺς νεῖκος ἅμα τοῖς προειρημένοις ἐξεκαύθη, τῆς τύχης ὥσπερ ἐπίτηδες ἀναβιβαζούσης ἐπὶ σκηνὴν ἐν ἑνὶ καιρῷ τὰς τούτων συμφοράς. The appearance of this phrase in the two other examples has also been used to support the argument that the presence of such a reference to the stage in the fragmentary account of Philip V’s downfall at Pol. 23.10.16 must be a genuine statement by Polybios and not an addition by the excerptor. See Walbank (1938), 59–62 = (1985), 214–217; Lanciotti (1983), 215–254; and Briscoe’s convincing rejection of the latter in Briscoe (2008), 379–80. 63 Just whose misfortunes Polybios is talking about here is difficult to pin down with any certainty given the fragmentary nature of the material just before this passage. However, the phrase ἐν ἑνὶ καιρῷ would suggest that he is referring to both that of the Macedonian people and the royal house.
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The third and final instance appears in another unrelated situation, when the Rhodians approach the Romans after the defeat of Perseus in the Third Macedonian War and encourage the conclusion of peace between the two powers:64 At the time when Perseus was beaten and had run away, it was decided by the senate to summon the envoys from Rhodes who had come for the purpose of bringing the war with Perseus to an end, but Tyche, as if of set purpose, brought the ignorance of the Rhodians onto the stage – if indeed we should say of the Rhodians, and not rather of the men who had then come to the surface at Rhodes.
There is a clear case of repetition in these three instances, revealing a pattern of presentation in Polybios’ recording and conceptualisation of sudden changes of fortune. These three repeated statements show that, as Grethlein recently noted, there is a definite notion of drama within Polybios’ Histories, intimately connected with reversals of fortune resulting from Tyche’s revelation of error (ἄγνοια) and misfortune (συμφορά) – features often associated with tragic plotlines.65 Until recently, Polybios would have been criticised for hypocrisy in his use of tragic imagery, as he himself had heavily condemned Phylarchos for his sensational style earlier in Book 2, labelling him a tragikos and his account entirely untrustworthy.66 John Marincola and Jonas Grethlein have, however, both demonstrated that, despite his judgement on Phylarchos, Polybios was not in fact opposed to the use of tragic features within historiography per se, but rather the distortion of truth that could result from an excessive inclusion of dramatic features and sensational language. He was, as discussed above, convinced of the need for vividness in a historical account in order to create a detailed enough picture for educational purposes, as well as to inspire interest and confidence in the audience (Pol. 12.25 g–h). For Polybios, therefore, writing history well was all about insuring the correct balance between presenting events truthfully and describing them in a vivid and interesting manner. In regard to Polybios’ notion of drama, it was not excessive and did not manifest continuously throughout his work, but was rather a background theme used as an aid in understanding the truth of historical change. For the ancients, tragedy, like history, was assigned a moral, didactic purpose;67 a function recognised for instance by Aristophanes 64 Pol. 29.19.1–2: ὅτι κατὰ τὸν καιρόν, ἐν ᾧ Περσεὺς ἡττηθεὶς ἀνεδίδρασκεν, ἔδοξε τῇ συγκλήτῳ τοὺς παρὰ τῶν Ῥοδίων πρεσβευτὰς παραγεγονότας ὑπὲρ τοῦ διαλύειν τὸν πρὸς Περσέα πόλεμον προσκαλέσασθαι, τῆς τύχης ὥσπερ ἐπίτηδες ἀναβιβαζούσης ἐπὶ σκηνὴν τὴν τῶν Ῥοδίων ἄγνοιαν, εἰ χρὴ Ῥοδίων λέγειν, ἀλλὰ μὴ τῶν ἐπιπολασάντων ἀνθρώπων τότε κατὰ τὴν Ῥόδον. 65 See Grethlein (2013), 228–29. These tropes in tragedy are specifically noted by Aristotle in his Poetics (Aristot. Poet. 1448a1–15, 1450a33–35, 1452a12–1452b8, 1453a12–1454a15). Interestingly, Polybios’ conception of the unity of a work is also similar to Aristotle’s remarks on tragedy at Aristot. Poet. 1450b26–30; however, despite this similarity it is impossible to tell whether Polybios was influenced or even read Aristotle’s work. Von Scala (1890), 126–153 and Hartog (2010) argue that our historian was influenced by Aristotle, while Hoffmann (2002) 210–211 sees an indirect connection between the two, and Ziegler (1952), 1470 argues against any influence. Aristotle may not necessarily have been the ultimate source on the definition and distinction between history and tragedy (cf. Halliwell (2002), 210–211). 66 See Walbank (1938) for disapproval of a tragic mode in Polybios’ telling of the last years of Philip V. 67 History’s educational function was already recognised by Herodotos (Hdt. 1.1.0) and Thukydides (Thuk. 1.22.4). Polybios (Pol. 1.1.2) and Diodoros (Diod. 1.2.2) developed this notion further, and similar views
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in the course of his play The Frogs, by the late-fifth or early-fourth-century dramatist, Timocles,68 and also by the Byzantine scholiast, Dionysius Thrax.69 The distinction between the two genres was at times difficult to determine, however, as a great degree of overlap existed in their employment of the same subject-matter, epic.70 It is therefore not surprising that the treatment applied to one could also be applied to the other, and that dramatic elements would be found, and frequently approved of, in a large number of ancient historical texts.71 Familiarity with the tragic-historical form would have developed from youth through cultural assimilation and education, crucial and large components of the last being a sound knowledge of myth, epic and tragedy.72 This fact is even acknowledged in a Polybian fragment in which Philip V talks to his sons about the importance of reading and knowing such works thoroughly for the knowledge and wisdom they impart in regard to how to conduct oneself appropriately in life (Pol. 23.11.1–3). The conceptualisation and structuring of historical narratives would likely therefore have been affected not only by history’s close association with tragedy, but also by this common familiarity with the dramatic genre. It is on this basis that Grethlein can reasonably suggest that “the notion of drama” helped Polybios understand the historical events he was writing about.73 Of course, this notion also extended to the ancient reader and therefore formed a basis for shared understanding and interpretation between historian and audience, and consequently a shared understanding about what was probable. Polybios’ use of dramatic elements within a historical context would have reminded his readers of tragedies on the stage and their typical plotlines of reversal. They would, as a result, be encouraged to anticipate the outcome of the narrated events along similar lines of interpretation as Polybios, making his account more convincing and more truthful to his audience. While tragic plays were acknowledged as fictitious, based off epic and myth, the premises of
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were held by Dionysios of Halikarnassos (Dion. Hal. ant. 1.6.1–5), Cicero (Cic. leg. 1–5), Quintilian (Quint. inst. 10.1.31) and Lucian (Lukian. hist. consc. 9). Timocles, F 6.1–7, 17–19 K-A. Cf. Athen. 6.223b–d. Scholia ad Dion. Thrac. p. 746.1.1 See Walbank (1985b), 229–236 for their kinship. See also Marincola (2013), 90 for the lessons that epic provided tragedians and historians in their construction of narrative. Dionysios of Halikarnassos noted the highly emotional quality of Thukydides’ narrative, referencing particularly the harrowing events at Platala, Mytilene and Melos (Dion. Hal. Thuc. 15). Plutarch similarly praised Thucydides for his constant efforts to bring about vividness, making the reader a spectator and inspiring emotions of amazement and consternation as if they were eyewitnesses (Plut. de. glor. Ath. 347a). Xenophon was also recognised and praised for the experiential quality of both the Hellenica and the Anabasis (Dion. Hali. imit. 426.7; Lukian. eik. 10; Plut. Art. 8.1), and Plutarch himself, although not strictly historiography, is known to frequently create passages of high emotion (see for example, in his account of the battle of Gaugamela at Alex. 31.6–33.11; and Aratos’ capture of Akrokorinthos at Arat. 18–23). For primary evidence which states the importance of myth, epic and poetry in general in education, see Aristoph. ran., Xen. symp. 3.5; Isokr. 15.159. The prevalence of poetry in education is also illustrated by the criticisms of the genre in Plato (Plat. rep. 606–8, Plat. Prot. 316d2–9, and Plat. leg. 653–655) and implicitly, as Croally points out, in Aristotle’s Poetics. For the use of tragedy as a method of teaching, see Heath (1987), 37–88 and Croally (2008). For literature in education in general, see also Morgan (1998) and Wissman (2010). Grethlein (2013), 229.
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their plots were still based on life itself and therefore held some form of truthfulness in their presentation.74 However, the inclusion of tragic elements within his narrative also added a further dimension to Polybios’ Histories beyond shared knowledge and conceptions of truth: these elements also produce suspense and enhance the readers’ interest.75 As mentioned above, although Polybios proclaimed the benefits of a simple writing style in preserving truth, he was still concerned about the appeal of his work and went to great lengths to make his narrative as attractive as possible via its universal structure and vividness.76 This not only allowed the reader to form a detailed understanding of events, but also encouraged them to become emotionally engaged in the narrative. It was by this engagement that they would be inspired to take note of the events described, and consequently make them more receptive to believing and learning from them. Polybios’ use of tragic references and Tyche’s setting of reversals in world affairs on the stage in the course of his account is therefore in aid of a shared and sharper understanding of the story and outcome, the production of vividness and emotional engagement, and as a result makes his account more appealing, convincing, and truthful. Polybios’ truth is one constructed from his own understanding of his sources, his assessment of their value and truthfulness, based on a wider collection of material, personal experience, teleology, and concepts of probability and judgement. His intention to write a wider, more complex universal history setting out explanations of cause and effect made his account fuller, more reasonable, and better situated within a larger field of operation, and therefore, in his eyes, far closer to the truth of historical change than many of the accounts of his predecessors and contemporaries. Patterns, which informed examples of what was probable, helped not only Polybios in identifying order in an increasingly chaotic multi-cultural world and multi-stranded universal history, but also encouraged his readers to a clearer understanding of what happened. This imposition of patterning, however, inevitably blurred the boundary between historical events and their literary presentation, resulting in a work that may easily be faulted with misrepresenting the past and entailing a considerable degree of flexibility of truth.77 In Polybios’ mind, the presence of these patterns within the Histories must not have compromised his work’s integrity, however, his choice to use them so frequently would otherwise be inexplicable.
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Aristot. poet. 1450b36–1451b32. See Miltsios (2009) for Polybios’ use and construction of suspense within his work. McGing (2010), 10–11 and McGing (2013); Miltsios (2009); Miltsios (2013); Grethlein (2013). Grethlein (2013), 225.
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Wahrheitlichkeit im Sinne der enargeia Geographie und Geschichte bei Agatharchides Felix K. Maier
Wenn man das Wesen der nachklassischen griechischen Historiographie begreifen möchte, muss man es mitunter wagen, sich ins „Trümmerfeld der griechischen Geschichtsschreibung“ (Strasburger) zu begeben, sprich: zu den fragmentarisch überlieferten Autoren. Dass man sich damit auf ein gefährliches Terrain begibt, liegt auf der Hand. Zu oft gerät man in Versuchung oder auch in die Notlage, aus einzelnen Bruchstücken allgemeine Prinzipien, Methoden oder Ansichten abzuleiten, denen man unweigerlich den Status einer monopolartigen Aussagekraft zuweist, wenn man sie auf das Gesamtwerk eines Autors projiziert. Darüber hinaus ist das Risiko hoch, Fragmente aufgrund ihrer entkontextualisierten Struktur falsch zu beurteilen; so werfen manche Textstücke manchmal mehr Fragen auf, als sie Antworten geben oder Einsichten vermitteln.1 Trotzdem soll im Folgenden das Werk eines jener nur fragmentarisch überlieferten Autoren, Agatharchides von Knidos, einer genauen Analyse unterzogen werden – jedoch nicht mit der der Absicht, mittels weniger Sätze dessen individuelle Geschichtstheorie komplett rekonstruieren zu können, sondern vielmehr aus der Intention heraus, innerhalb der vielschichtigen Diskussionen über Wahrheit, Rhetorik, Mimesis in der nachklassischen Historiographie das Werk eines weiteren Autors als Mosaikstein hinzufügen zu können, der uns die Gedankenwelt jener Geschichtsschreiber, ihre Ansichten, ihre Vorgehensweisen, ihre Beurteilungskategorien besser verstehen lässt, selbst wenn – oder gerade wenn – sie unterschiedliche Konzepte aufweisen. Agatharchides stammte aus dem karischen Knidos, einer Polis, die während des dritten Jahrhunderts die meiste Zeit im Einflussbereich der Ptolemäer stand. Bald jedoch 1
Berühmtestes Beispiel ist sicherlich das 1. Fragment von Duris, in dem der Autor den Stil von Theopomp und Ephoros kritisiert. Der Inhalt dieser Kritik ist immer noch Gegenstand einer breiten Forschungskontroverse, die – völlig unabhängig von der Frage, ob dadurch die „tragische“, Schwartz (1957), 27–31, oder die „mimetische“ Geschichtsschreibung begründet wurde, Meister (1990), 96–101, – auch sonst viele Interpretationsmöglichkeiten denkbar erscheinen lässt, siehe beispielsweise von Fritz (1958), Ferrero (1963), 68–100, 347–386, Torraca (1988), Walbank (1960), 129–145, Pédech (1989), 368–372, Fornara (1983), 124–128, Flower (1994), 187. Einen sehr guten Überblick mit ausführlichem Kommentar bietet Gattinoni (1997), 51–55.
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Felix K. Maier
zog er nach Alexandria, wo er Lehrer von mindestens zwei hohen Beamten am Hof war. Von seiner philosophischen Ausrichtung her war er wohl Peripatetiker, sein Beruf der eines grammatikos, also eines Philologen in der damaligen Wissenschaftshochburg Alexandria.2 Eine politische Karriere schlug Agatharchides – soweit wir wissen – nicht ein. Seine Werke schrieb er gegen Ende der ersten Hälfte des zweiten Jh.s v. Chr.3 Von den meisten wissen wir nur etwas aufgrund einer spärlichen Notiz des byzantinischen Patriarchen Photios.4 Erhalten haben sich im Wesentlichen Fragmente aus der Geschichte Asiens (10 Bücher), der Geschichte Europas (49 Bücher) sowie der Geschichte über das Rote Meer (5 Bücher).5 Von diesen Bruchstücken, deren Ausführungen einige überaus interessante Textstellen im Hinblick auf die Möglichkeiten einer ‚wahren‘ historiographischen Berichterstattung bereithalten, sind bisher von der Forschung zumeist die prominenten Abhandlungen über das Rote Meer oder über die Geographie ganz allgemein untersucht und in den Vordergrund der Analyse gestellt worden.6 Dieser Umstand liegt nicht nur in der überlieferten Länge jener Ausführungen begründet, sondern auch in der leider nur kümmerlichen Existenz von Textauszügen aus anderen Werken. Die Geschichte Asiens wird in ganz wenigen Auszügen bei Diodor verwendet, wenn es um die Beschreibung von Äthiopien, Arabien und die Ursachen der Nilschwemme geht. Bei Athenaios sind schließlich ebenfalls nur Bruchstücke aus der Geschichte Europas zu finden. Die größten Exzerpte sind bei Photios in seiner Bibliothek gesammelt (Cod. 250).7 Gleichwohl enthalten die genannten Fragmente, wenn Agatharchides beispielsweise über die Geschichtsschreibung seiner und der vorherigen Zeit räsoniert, ein paar wichtige Bemerkungen. Das hat auch schon Strasburger erkannt, der Agatharchides „durchaus tiefsinnige historiographische Theorien“ konzedierte, seine Beschreibungen aber als „barock überladen“ bezeichnete; auch habe Agatharchides ein „gelegentlich an Rührseligkeit streifendes Pathos“ an den Tag gelegt, das ihn in die Tradition des Duris
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FGrHist 86 T2. Ameling (2008), 17, anders Immisch (1919), 9. Zum weiteren Leben des Agatharchides siehe beispielsweise Schwartz (1893), Engels (2004), 179–180, Ameling (2008), 16–18. Phot. 213, 171a19. Zum problematischen Charakter der Notiz siehe Ameling (2008) sowie Susemihl (1891), 686. Leopoldi (1892), 32–50, Bommelaer (1989), XI–XII. Bei Jacoby ist Agatharchides’ Werk in 10 Bücher über die Geschichte Asiens und 49 Bücher über die Geschichte Europas eingeteilt. Die Ausführungen über das Rote Meer waren wohl Teil der Geschichte Asiens, siehe Ameling (2008), 21, Marcotte (2001), anders Engels (2004). Alonso-Núñez (1997), 56–60 sieht die Europiaká als Fortsetzung der Asiatiká. Ausführlich ist Schwartz (1893), die grundlegendste Einführung wohl immer noch Strasburger (1982), 1006–1010, siehe dazu auch Meier (1986), 180–181. Neuere Forschungsergebnisse zur Beschreibung des Roten Meeres bei Engels (2004), 179–192, davor bei Fraser (1972), 516–517, Immisch (1919); eine hervorragende Untersuchung zur Ethnographie bietet Ameling (2008). Ob man Agatharchides als „Kulturgeographen“ sehen sollte, wie es Müller GGM I, 111–195, Diller (1952), van Paassen (1957) und Fraser (1972) vorgeschlagen haben, oder als „Ethnographen“, wie es Müller (1972) und Verdin (1983) sahen, ist vielleicht die falsche Frage. Darauf hat Engels (2004) hingewiesen und sich in diesem Zusammenhang Clarke (1999) angeschlossen. Als Universalhistoriker bezeichnen Agatharchides Jacoby (zu FGrHist 86), Strasburger (1982), 1006–1010, Burstein (1989), Urias Martinez (1993) und Marcotte (2001). Ausführlich dazu Ameling (2008), 23–24, Engels (2004), 179.
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von Samos gestellt habe, was Strasburger sicherlich nicht positiv meinte.8 Unabhängig von dieser Einschätzung ist es das Ziel der vorliegenden Untersuchung, Agatharchides’ Vorstellungen von Wahrheit und wahrhaftiger Beschreibung vergangener Ereignisse in den Blick zu nehmen, die daraus resultierenden Ergebnisse zu diskutieren und zu neuen Erkenntnissen im Hinblick auf das in der nachklassischen Zeit vieldiskutierte Postulat der ‚richtigen‘ Form von Geschichtsschreibung zu gelangen.9 1. Die verhinderte Wahrheit in Geographie und Geschichte Meine erste These zu Agatharchides bezieht sich auf das besondere Verhältnis von Geographie und Geschichte. Während die Interaktion dieser beiden Bereiche im Hinblick auf die griechische Geschichtsschreibung nichts Neues darstellt und man – wie es schon bei Hekataios und Herodot deutlich wird –10 in manchen Werken eigentlich gar nicht zwischen diesen Gebieten trennen kann, ja sogar eine Genese des einen aus dem anderen annehmen muss,11 erhält diese enge gedankliche Verbindung bei Agatharchides eine ganz neue Dimension, die sich auf eine Meta-Ebene der Wahrheitserkenntnis hin erstreckt. Unter Geographie subsumiere ich im Folgenden nicht nur das, was wir heute unter Geographie verstehen, sondern auch die Ergebnisse wissenschaftlicher Erkundungen, welche die Erforschung ethnographischer, physischer und biologischer Aspekte wie z. B. der Naturphänomene einschließen.12 Dass die Vergangenheit in einen zeitlichen Raum zurückreicht, der abgeschlossen ist und nicht wiederhergestellt werden kann, ist keine moderne Sichtweise. Ebenso sieht es auch Agatharchides, der dies in einem Fragment, in dem er über die Herkunft der Ichthyophagen räsoniert, deutlich macht. Angesichts des Nebels, der wegen der langen Vergangenheit einen wahrhaftigen Blick auf den Ursprung jenes Volkes trübt, kommt Agatharchides zu einem bemerkenswerten Schluss:13 8
Darüber hinaus seien seine Ausführungen zwar in ihrer Anschaulichkeit ein „ktema ersten Ranges“, aber die dramatische Ethnographie insgesamt „sentimental und affektiert“, Strasburger 819, 1008 und 1010. Auch wird Agatharchides als „Sozialist“ bezeichnet, weil er das Schicksal von Sklaven im Bergbau schilderte. 9 Es kann hier nicht ausführlich bei jedem Fragment, das ich anführe, die scheinbare oder tatsächliche Abhängigkeit von Agatharchides diskutiert werden. Sämtliche Textstellen, die von mir zitiert werden, wurden auf eine mögliche genuine Herkunft von anderen Autoren geprüft. Ich folge der Zuweisung, die Ameling (2008), 23–24 überaus überzeugend für die relevanten Passagen vorgenommen hat. 10 Jacob (1991), 49–54, Sieberer (1995), in Bezug auf Hekataios West (1991). 11 Die Untrennbarkeit dieser beiden Bereiche hat Clarke (1999) auch für das Zeitalter des Hellenismus deutlich gemacht, siehe ebenso Engels (2004), 180–181. 12 Dieses erweiterte Begriffsspektrum stellt im Übrigen keine anachronistische Interpretation dar, da es sich ganz an der Konzeption orientiert, die auch Agatharchides, aber vor ihm noch viele andere griechische Geographen (siehe beispielsweise nur Herodot) in ihren Ausführungen anwenden, indem sie unseren heutigen Begriff der Geographie, der weitaus enger gefasst ist als in der Antike, um die genannten Aspekte erweitern, siehe z. B. die sehr geeignete Zusammenstellung zu Herodot bei Jacoby (1913), 283–326. 13 Phot. 250, 451a, sowie 46b, Diod. 3.20.3: εἰς λογικὴν καταχωρῆσαι πίστιν οὐ ῥᾴδιον. Οὔτε γὰρ πόθεν εἰς τὸν χῶρον, ἐν ᾧ οἰκοῦσιν, ἀφίκοντο, ἔστιν ἐπιγνῶναι […] τούτων δὲ ὑφεστώτων, φησί, λοιπὸν εἰπεῖν ὡς αὐθιγενεῖς εἰσι, […] ἀλλὰ γὰρ περὶ μὲν τῶν τοιούτων ἀνεφίκτου τῆς ἐπινοίας ἡμῖν οὔσης οὐδὲν κωλύει τοὺς τὰ
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Felix K. Maier Es ist schwierig, dafür [für die Herkunft] einen logischen Beweis (λογικὴν πίστιν) zu finden. […] Unter diesen Umständen muss man annehmen (τούτων δὲ ὑφεστώτων), dass sie Ureinwohner sind. […] Aber hinsichtlich dieser Frage können wir keine Erklärung finden. Was manche nicht davon abhält, obwohl sie kaum etwas wissen, die kühnsten Behauptungen aufzustellen. Aber plausible Theorien (πιθανότητος) können das Ohr überzeugen, jedoch nicht zur Wahrheit (ἀλήθειαν) vordringen.
Die wichtigste These des Agatharchides, aus der er seine weiteren Konsequenzen zieht, findet sich in der Mitte des zitierten Textabschnittes: Es sei unmöglich, diesen speziellen Moment der Vergangenheit14 richtig zu erklären, da man über keine genaue Vorstellung verfüge.15 Hinsichtlich eines alternativen Weges zu einem wahren Erklärungsansatz folgt für Agatharchides – geäußert im ersten Satz der Passage –, dass es schwierig sei, eine logische Argumentation als Begründung zu finden.16 Gleichzeitig erkennt er den Lösungsversuch einer an rationalen Gesichtspunkten orientierten Rekonstruktion (λογικὴν πίστιν) durchaus an, problematisiert jedoch wiederum diese Art der Darlegung, indem er darauf hinweist, dass selbst die überzeugendste Erklärung nicht die Wahrheit bedeuten muss. Innerhalb dieser vielen erkenntnistheoretischen Wendungen auf engstem Raum macht Agatharchides eine Sache ziemlich deutlich: An die Wahrheit kann man bei der Rekonstruktion vergangener Ereignisse und Kausalketten oftmals nicht herankommen, sondern nur an ein wahrheitliches – wie ich es nennen will – Ergebnis.17 Dieses epistemologische Defizit bei der Erklärung zeitlich zurückliegender Begebenheiten und Geschehnisse stellt für Agatharchides den gedanklichen Konnex zur Geographie dar, bei der sich für ihn eine strukturelle Entsprechung zeigt: Wie man bei der Geschichte in den allermeisten Fällen nicht Augenzeuge eines Geschehens sein kann, so vermag man bezüglich der Geographie häufig entweder ebenfalls nicht an denjenigen Orten zu sein, die man beschreibt – polybianisch gesprochen: man kann nicht immer auf eine autopsia zurückgreifen, muss sich deshalb auf Beschreibungen anderer
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πλεῖστα ἀποφηναμένους ἐλάχιστα γινώσκειν, ὡς ἂν τῆς ἐν τοῖς λόγοις πιθανότητος τὴν μὲν ἀκοὴν πειθούσης, τὴν δ’ ἀλήθειαν οὐδαμῶς εὑρισκούσης. Herkunft der Ichthyophagen. Man könnte ἀλλὰ γὰρ περὶ μὲν τῶν τοιούτων ἀνεφίκτου τῆς ἐπινοίας ἡμῖν οὔσης auch übersetzen mit „Aber da wir uns über diese Vorgänge keine richtige Vorstellung machen können“, was in die gleiche Richtung ginge. Gerhard Wirth übersetzt in seiner Ausgabe in der Bibliothek der Griechischen Literatur diese Formulierung ebenso treffend mit „bei solchen Dingen, mit denen unser Verstand nicht fertig wird“. In dem speziellen Fall resultiert dieses Dilemma aus der Tatsache, dass Agatharchides hier keine vernünftige Erklärung akzeptiert, da er sich nicht vorstellen kann, wie die Ichthyophagen sich bei den unmöglichen Naturgegebenheiten eine Lebensgrundlage aufbauen konnten. Mit dem neuen Begriff der Wahrheitlichkeit möchte ich dabei dem Umstand Rechnung tragen, dass die bereits genannten und noch folgenden Wahrheitskonzepte bei Agatharchides mit einem neuen Terminus charakterisiert werden müssen, ohne dabei auf die schon öfters in anderen Zusammenhängen verwendeten Bezeichnungen wie „Plausibilität“ oder „Wahrscheinlichkeit“ zurückzugreifen. Wahrheitlichkeit umfasst nämlich neben der plausiblen Darstellung von vergangenen Ereignissen (ein Aspekt, der weiter unten behandelt wird) zusätzlich die Tatsache, dass vergangene Ereignisse nicht mehr reversibel sind und deshalb selbst bei einer noch so guten Rekonstruktion des Historikers nicht mehr ‚zurückgebracht‘ werden können.
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stützen und diese mit verschiedenen Theorien abgleichen –18 oder man ist sogar an dem jeweiligen Ort, kann sich aber manche Naturphänomene nicht richtig erklären. Somit gilt gleicherweise bezüglich der Geographie, dass eine Wahrheitlichkeit oftmals das Maximum ist.19 Im Zusammenhang mit den komplexen Strömungsprozessen des Nils konstatiert Agatharchides beispielsweise zunächst das Problem, dass man fast gar nichts über die Nilschwelle wisse. Zum einen hätten die früheren Geschichtsschreiber den Ursprung und die Quellen des Nils selbst nicht gesehen;20 zum anderen wiesen alle deshalb notwendigen hypothetischen Erklärungsversuche verschiedene Defizite auf: Entweder wichen sie auf mythologische Ansätze aus (Hellanikos, Kadmos, Hekataios), sie gründeten ihre Argumentation auf zweifelhaften Voraussetzungen (Herodot) oder sie offenbarten eine gravierende geographische Unkenntnis des jeweiligen Terrains (Ephoros und Theopomp).21 Agatharchides listet im Folgenden noch ein paar Erklärungsversuche einheimischer Völker auf, kommt aber schließlich zu dem Ergebnis, dass der Name „Astapos“ (Fluss aus dem Dunkeln) der beste Name für den Nil sei, da man damit „der Unmöglichkeit, den Nil zu erforschen, und der eigenen Unwissenheit den richtigen Namen gebe“.22 Interessant ist hier vor allem der Ausdruck der ἀθεωρησία, mit der Agatharchides zum Ausdruck bringt, dass sich der Nil einer theoretisierenden Wahrheitssuche entzieht, er ist ‚untheoretisierbar‘. Doch nicht nur beim Nil und seinem Ursprung zeigt sich die Wahrheitlichkeit als maximale Erkenntnisstufe. An einer anderen Stelle, im Zusammenhang mit dem Entstehen von Naturphänomenen wie Erdbeben, Winden oder Blitzen aufgrund der topographischen oder geographischen Ausgangslage an bestimmten Orten, sagt Agatharchides:23 Ich gab hier einen Bericht, der auf Berichten von bekannten Informanten beruht. Unser Ansinnen ist es, eine überzeugendere Vermutung (πιθανώτερα ὑπόθεσιν) von ungewöhnlichen Problemen zu liefern; was jedoch einen wahrheitsgemäßen Bericht (ἱστορίαν δὲ ἀληθινήν) betrifft: diesen Anspruch würde ich mir nicht anmaßen.
18 Pol. 12.27.7. 19 Dieses Eingeständnis resultierte wohl auch aus der Tatsache, dass Agatharchides seine geographischen Informationen nicht von Zeitgenossen hatte, Peremans (1967), 432–455. 20 Diod. 1.37.6. 21 Diod. 1.37.3–5. Bezüglich dieser Schwierigkeiten betont Agatharchides vor allem die Problematik der fortgesetzten Axiome, die er vor allem bei den Erklärungsversuchen der ägyptischen Priester sieht: „Da alles nun auf Mutmaßungen und plausible Hypothesen hinausläuft (εἰς ὑπόνοιαν καὶ καταστοχασμὸν πιθανὸν), so behaupten die ägyptischen Priester, der Fluss habe seinen Ursprung in dem die Welt umströmenden Ozean, womit sie nichts Vernünftiges (ὑγιές) vorbringen und ein Problem dadurch zu lösen versuchen, dass sie ein zweites aufwerfen, und zum Beweis ihrer Thesen mit Argumenten aufwarten, die selbst eines Beweises bedürfen (λόγον φέροντες εἰς πίστιν αὐτὸν πολλῆς πίστεως προσδεόμενον)“ (1.37.7). 22 Diod. 1.37.10: […] μὲν οὖν τῷ Νείλῳ τῆς ἐν τοῖς τόποις ἀθεωρησίας καὶ τῆς ἰδίας ἀγνοίας οἰκείαν ἔταξαν προσηγορίαν. Agatharchides schließt sodann diesen Abschnitt mit der Bemerkung ab, dass man in der Frage nach dem Ursprung des Nils der Wahrheit am nächsten komme, wenn man sich von Ausschmückungen jeglicher Art fernhalte. 23 Phot. 250, 460a: τὰ δὲ πάθη τὰ γεννῶντα τὰς προφανεῖς συμφορὰς δεδηλώκαμεν, μαθόντες παρὰ τῶν εἰδότων. Εὑρίσκειν δὲ πιθανώτερα τούτων εἰς μὲν ὑπόθεσιν παράδοξον φιλοτιμούμεθα, ἱστορίαν δὲ ἀπαγγέλλοντες ἀληθινὴν οὐκ ἂν ὑπομείναμεν.
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Die gedankliche Symbiose von Geographie und Geschichte ergibt sich für Agatharchides somit aus folgendem Zusammenhang: Beide Bereiche – die Erforschung der Vergangenheit ebenso wie die Ermittlung naturbezogener Phänomene – stehen seiner Ansicht nach vor einem vergleichbaren erkenntnistheoretischen Problem. Geschichte24 und der geographische Raum, seine Natur, seine physischen Konstellationen haben bestimmte epistemologische ‚Leerstellen‘. Im ersten Fall ist es die Vergangenheit, die nicht mehr reproduzierbar ist, bei deren Rekonstruktion man hinsichtlich ihrer Kausalketten zwar auf logische Überlegungen zurückgreifen kann, die aber wiederum die ursprünglichen Zustände und die aus ihnen resultierenden Entwicklungsformen nicht mehr vollständig ‚zurückzuholen‘ vermögen. Die Vergangenheit reicht in einen zeitlichen Raum zurück, der abgeschlossen ist und nicht wiederhergestellt werden kann. Darüber hinaus ist es ferner unmöglich, an jedem Ereignis als direkter Zeuge dabei gewesen zu sein, um aus eigenem Augenschein heraus die jeweiligen Gründe richtig abzuleiten.25 Auch die Geographie ist für Agatharchides durch ein strukturell vergleichbares Phänomen gekennzeichnet. Entweder kann man die jeweiligen Ursachen nicht persönlich in Augenschein nehmen oder die Zusammenhänge dieser Ursachen sind zu komplex, als dass sie erkannt und beschrieben werden könnten.26 Somit konstatiert Agatharchides für beide Bereiche das epistemologische Maximum der Wahrheitlichkeit, die als erkenntnistheoretisches Niveau kaum überwunden werden könne. 2. Die Funktion der enargeia Dieses Eingeständnis der Wahrheitlichkeit als oftmals unübersteigbare Grenze des Erkenntnisbereichs stellt für Agatharchides aber weder einen Offenbarungseid auf die Wissensmöglichkeit dar, noch entbindet sie seiner Meinung nach den Suchenden von der Pflicht, der Wahrheit möglichst nahe zu kommen. Agatharchides bleibt nicht am Punkt eines nihilistischen Abgesanges stehen, sondern stellt konkrete Überlegungen an, wie eine möglichst wahrheitsgetreue Beschreibung zu erreichen sei. Auch bei diesen methodischen Ansätzen bilden Geschichte und Geographie für Agatharchides eine funktionale Synthese, da die enargeia in beiden Bereichen eine Schlüsselrolle einnehme. Der Begriff, der aufgrund seines weiten und überaus komplizierten Sinnspektrums nicht
24 Hier ist „Geschichte” natürlich als res gestae gemeint, nicht als historia. Zu der Unterscheidung im Hinblick auf den ambivalenten Begriff in der deutschen Sprache siehe Koselleck (1992), 657. 25 Es ist davon auszugehen, dass Agatharchides den persönlichen Augenschein in der gleichen Weise als funktionaler und exakter einschätzt als den Bericht von Augenzeugen, auf den man sich verlassen müsse, da dieser oftmals falsche kausale Beziehungen herstelle; zum Primat der autopsia gegenüber der Augenzeugenbefragung – kurz: Augen gegenüber Ohren – Pol. 12.27.1 mit Verweis auf Heraklit. Weitere Textstellen bei Marincola (1997), 65. 26 Das Erkenntnisdefizit bleibt auch weiterhin bestehen, obwohl geographische Phänomene – im Unterschied zu geschichtlichen Ereignissen – eigentlich reproduzierbar sind, was auch Agatharchides nicht in Abrede stellt.
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nur in der Geschichtsschreibung eine zentrale Rolle spielt,27 bedeutet bei Agatharchides zunächst nicht nur lebendige Darstellung, sondern vor allem persönlicher Augenschein. Im Zusammenhang mit der Topographie Äthiopiens lässt sich das ausgezeichnet nachvollziehen, da dort nur die Übersetzung mit ‚persönlicher Beobachtung‘ sinnvoll ist.28 Ebenso formuliert Agatharchides bei der Bestimmung der Ursachen für die Regengüsse im Nilgebiet das methodische Postulat: „Indes es gehört sich, dass, wenn er über etwas eine Behauptung aufstellt, entweder den klaren Augenschein zum Zeugen anführt oder aber seine Beweisführung auf anerkannte Grundsätze stellt.“29 Im Zusammenhang mit einer anderen Textstelle, in der Agatharchides Ephoros dafür kritisiert, nur ‚wild in der Gegend herum zu spekulieren‘ und deshalb keine glaubwürdigen Erklärungen präsentieren zu können, weil er sich nicht selbst einen Eindruck vor Ort verschafft habe, wird offenkundig, dass sich hier sehr deutliche gedankliche Kongruenzen zwischen Agatharchides und Polybios ergeben: Polybios hatte mit seiner Forderung nach autopsia als wichtiger Voraussetzung für eine wahrheitsgetreue Darstellung der Dinge ein Konzept entworfen, das ebenfalls funktional mit der enargeia verbunden war und das die Fähigkeit, eine anschauliche Erzählung zu entwerfen, explizit an die Bedingung eines persönlichen In-Augenschein-Nehmens knüpfte.30 Vor dem oben skizzierten Strukturproblem von Geschichte und Geographie fungiert die enargeia nun als erkenntnistheoretisches Scharnier, das aber gleichzeitig die Unterschiede im zeitlichen Dasein und die daraus folgenden Konsequenzen thematisiert; denn aufgrund der eben genannten Passus wird offenbar, dass Agatharchides die erneute Rekonstruktion von geographischen Phänomenen, wie z. B. der Regengüsse im Nilgebiet, als möglich erachtet, wenn man sich selbst ein ‚Bild‘ davon verschafft.31 In Bezug auf die Geschichte ist das natürlich nicht durchführbar. Agatharchides könnte, wie es Polybios getan hat, die autopatheia einfordern, aber unter dieser Bedingung dürfte 27 Aus der vielfältigen Literatur sei beispielhaft auf Grethlein (2013), 16–19, Otto (2009), Zangara (2004), Manieri (1998), Walker (1993), Zanker (1981) hingewiesen. Umfassend zur rhetorischen Theorie und Praxis der enargeia Webb (2012). 28 Diod. 1.39.6: τό τε λέγειν ὡς μέγιστα συμβαίνει τῶν ὀρῶν ὑπάρχειν τὰ περὶ τὴν Αἰθιοπίαν οὐ μόνον ἀναπόδεικτόν ἐστιν, ἀλλ’ οὐδὲ τὴν πίστιν ἔχει διὰ τῆς ἐναργείας συγχωρουμένην – „Zudem ist die Behauptung, die Berge in Äthiopien seien die höchsten, nicht nur unbeweisbar, sondern auch durch den Augenschein gar nicht zu bestätigen.“ 29 Diod. 1.40.6: δίκαιον δὲ τοὺς περί τινων διαβεβαιουμένους ἢ τὴν ἐνάργειαν παρέχεσθαι μαρτυροῦσαν ἢ τὰς ἀποδείξεις λαμβάνειν ἐξ ἀρχῆς συγκεχωρημένας. Interessant ist übrigens, dass Agatharchides den persönlichen Augenschein und die theoretisierende Rekonstruktion mittels logischer Schlüsse auf dieselbe Stufe des Erkenntnisvermögens stellt und nicht hierarchisiert. Damit wird aufgrund der oben genannten Zitate deutlich, dass auch der persönliche Augenschein bei der Geographie nicht unbedingt zu einer wahren, sondern oft lediglich zu einer wahrheitlichen Erkenntnis führt. 30 Diod. 1.39.7: πιθανολογεῖν μὲν πειρᾶται, τῆς δ’ ἀληθείας οὐδαμῶς ἐπιτυγχάνων θεωρεῖται, vgl. Pol. 12.25h.3, wo die reine Buchgelehrsamkeit des Timaios kritisiert wird: καὶ γὰρ ἐπ’ ἐκείνων ἡ μὲν ἐκτὸς ἐνίοτε γραμμὴ σῴζεται, τὸ δὲ τῆς ἐμφάσεως καὶ τῆς ἐνεργείας τῶν ἀληθινῶν ζῴων ἄπεστιν, ὅπερ ἴδιον ὑπάρχει τῆς ζωγραφικῆς τέχνης – „Denn wenn dabei vielleicht auch die äußeren Umrisse manchmal bewahrt sind, so fehlt doch das Leben und die Kraft beseelter Wesen, worin sich erst die Kunst des echten Malers zeigt.“ 31 Gleichzeitig ist damit aber noch nicht garantiert, dass die daraus gezogenen Schlüsse auch automatisch richtig sind, vgl. 1.37.7. Es braucht also beides: den persönlichen Augenschein sowie die logisch adäquaten Schlussfolgerungen, siehe auch oben 1.39.6.
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der Geschichtsschreiber dann nur über das berichten, was er persönlich erlebt hat. Sein Themenfeld wäre extrem eingeschränkt und die Errungenschaften der ‚gleichzeitigen‘ Berichterstattung im Sinne der polybianischen symploke wären damit wieder zurückgefahren.32 Trotzdem erhält die enargeia auch beim Geschichtsschreiber und seiner Darstellung eine defizit-ausgleichende Dimension: Indem sie den Bericht möglichst anschaulich macht, fungiert sie als Autoritätsunterstützung des Historikers. In seiner Vorrede aus dem 5. Buch der Beschreibung des Roten Meeres tadelt Agatharchides einen Redner, der über die Zerstörung Thebens durch Alexander nicht angemessen berichtet habe.33 Wie hätte man aber über die Ereignisse, bei denen man nicht dabei war, angemessen berichten können? Aus der Kritik des Agatharchides wird – positiv gewendet – das Postulat deutlich: Es gilt, das jeweils Relevante, in diesem Fall das Unglück (πάθος) der Stadt Theben, mit einer lebendigen Darstellung (διὰ τῆς ἐναργείας) vor Augen zu stellen (ὑπὸ τὴν ὄψιν ἄγειν).34 Vor dem Hintergrund der polybianischen Forderung nach Anschaulichkeit bei einer historiographischen Darstellung wird durch die sich im Vergleich offenbarenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede die gedankliche Struktur des Arguments von Agatharchides deutlich: Für Polybios fungiert die enargeia, die durch die eigene Präsenz bei einem geschichtlichen Ereignis gewonnen wird, ebenfalls als Leitlinie bei der Darstellung des jeweiligen Geschehens.35 Auf der anderen Seite knüpft Polybios aber die enargeia an das persönliche ‚Miterleben‘ einer historischen Situation, wohingegen Agatharchides für einen Geschichtsschreiber eine anschauliche Beschreibung auch dann bejaht, wenn er nicht direkter Augenzeuge des relevanten Ereignisses war. Bildhaftigkeit ist dabei die Kompensation der Irreversibilität des Vergangenen, die durch sie erhaltene Möglichkeit des Lesers, an der Geschichte persönlich teilzuhaben, sowohl ein Katalysator für das Lernen aus der Geschichte als auch für die Überprüfung der theoretischen Rekonstruktion vergangener Prozesse. Somit kristallisieren sich bei Agatharchides in der semantischen Zweideutigkeit des Begriffs – lebendige Anschau32 Siehe dazu Maier (2016). 33 Agatharchides (Phot. 250, 446b9–15) zitiert folgende Sätze: Ὅμοιον πεποίηκας, Ἀλέξανδρε, Θήβας κατασκάψας, ὡς ἂν εἰ ὁ Ζεὺς ἐκ τῆς κατ’ οὐρανὸν μερίδος ἐκβάλοι τὴν σελήνην· ὑπολείπομαι γὰρ τὸν ἥλιον ταῖς Ἀθήναις. Δύο γὰρ αὗται πόλεις τῆς Ἑλλάδος ἦσαν ὄψεις. Διὸ καὶ περὶ τῆς ἑτέρας ἀγωνιῶ νῦν· ὁ μὲν γὰρ εἷς αὐτῶν ὀφθαλμὸς ἡ Θηβαίων ἐκκέκοπται πόλις – „Als du Theben zerstörtest, Alexander, hast du ähnlich gehandelt, wie Zeus getan haben würde, wenn er aus seinem Teil des Himmels den Mond herausgeworfen hätte. Ich lasse den Athenern die Sonne übrig; denn diese zwei Städte waren die Augen Griechenlands. Deshalb bin ich auch jetzt wegen der anderen Stadt ängstlich, ist doch das eine dieser Augen, die Stadt der Thebaner, herausgerissen“. 34 Phot. 250, 446b15–19: Ἐμοὶ μὲν οὖν σκώπτειν ὁ σοφιστὴς δοκεῖ διὰ τούτων, οὐκ ὀλοφύρεσθαι τῶν πόλεων τὴν τύχην, καὶ σκοπεῖν πῶς ἂν τάχιστα συγκόψαιτο τὸν λόγον, οὐ πῶς τὸ πάθος ὑπὸ τὴν ὄψιν ἀγάγοι διὰ τῆς ἐναργείας – „Meiner Meinung nach scheint der Redner sich mit diesen Bemerkungen lustig zu machen, nicht das Schicksal der Städte zu beweinen, und darauf zu machen, seine Rede möglichst schnell zu beenden, anstatt wie er durch eine lebendige Darstellung das Unglück vor Augen führen könnte.“ 35 Pol. 20.12.8: Ὅτι οὐχ ὅμοιόν ἐστιν ἐξ ἀκοῆς περὶ πραγμάτων διαλαμβάνειν καὶ γενόμενον αὐτόπτην, ἀλλὰ καὶ μεγάλα διαφέρει, πολὺ δέ τι συμβάλλεσθαι πέφυκεν ἑκάστοις ἡ κατὰ τὴν ἐνάργειαν πίστις – „Es ist nicht das gleiche, vom Hörensagen über irgendetwas zu urteilen oder als Augenzeuge, sondern es macht einen großen Unterschied: Die Gewissheit, die man durch eigenen Augenschein gewinnt, ist in allen Dingen von unersetzlichem Wert.“ Siehe auch 12.25h.
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ung und persönliches In-Augenschein-Nehmen – zwei historiographische Ebenen heraus: durch eine besonders kunstvoll durchgeführte Präsentation verschwimmen die Grenzen zwischen Annahme und Realität. Das Konzept der enargeia bei Agatharchides lässt sich aber noch weiter präzisieren: Sie soll keine kunstvolle und geniale Täuschung des Lesers sein, keine apate.36 Eine sich an der enargeia ausrichtende Darstellung muss überprüfbar sein, sie muss sich an Maßstäben, die nachvollziehbar und transparent sind, orientieren. An einer anderen Stelle weist Agatharchides darauf hin, dass er selbst die Aufgabe übernehme, jenen zu widerlegen, der das Recht, mythische Geschichte zu erfinden, auf die Anschaulichkeit geschichtlicher Inhalte (εἰς πραγματικὴν ἐνάργειαν) übertrage. Nähme man nämlich von ihr die Überprüfung (τὸν ἔλεγχον) weg, wäre die Glaubwürdigkeit (πίστεως) untergraben. Die enargeia muss also einer Widerlegung (ἔλεγχος) standhalten. Sie darf nicht erfunden oder allzu übertrieben sein.37 Wie lässt sich aber eine Darstellung im Hinblick auf diese Aspekte überprüfen? Welche funktionalen Kriterien werden erkennbar? Bezüglich dieser Fragen kann man eine andere Textstelle heranziehen, wenn Agatharchides diverse Redner kritisiert, die seiner Meinung nach einfach nur das Unglück verschiedener Städte benennen, ohne aber die Gründe für die jeweiligen Katastrophen deutlich zu machen: „Wo es an Deutlichkeit (τοῦ σαφοῦς) fehlt, wird auch die Anschaulichkeit (τῆς ἐναργείας) beeinträchtigt.“38 Mit Deutlichkeit meint Agatharchides – wie Thukydides, wie Polybios – das Nennen von Gründen, die zu einem Ereignis führen. An einer anderen Stelle wird dies offenkundig, wenn Agatharchides darüber räsoniert, wie man, wenn man nicht selbst bei den beschriebenen Ereignissen dabei war, das Geschehen angemessen (πρεπόντως) darzustellen vermag: „Ihr Stil sollte nicht zu lebendig sein, es sei denn, man führt die richtigen Gründe dafür an, was man beschreibt.“39 Mit dieser Anforderung steht Agatharchides in einer Linie mit Thukydides, der im Methodenkapitel darauf hinweist, dass derjenige, der eine klare Erkenntnis (τὸ σαφές) der Vergangenheit erstrebe, die ‚richtige‘ Geschichtsschreibung in den Blick nehme, d. h. diejenigen Erklärungen, die die wahren Gründe nennen.40
36 Vgl. Luc. 7.210–213: cum bella legentur, spesque metusque simul perituraque vota movebunt, attonitique omnes veluti venientia fata – „Der Krieg wird meine Leser zu Hoffnung, Furcht und zwecklosen Gebeten bewegen, und alle werden das staunend lesen, als wäre es künftiges Geschehen, nicht Vergangenheit“ und Plut. Art. 8.1, wo die enargeia Xenophons von Plutarch deshalb gelobt wird, weil er das Schlachtgeschehen bei Kunaxa so lebendig beschrieb, als habe es nicht stattgefunden, sondern als würde es gerade stattfinden: Τὴν δὲ μάχην ἐκείνην πολλῶν μὲν ἀπηγγελκότων, Ξενοφῶντος (Xen. an. 1, 8) δὲ μονονουχὶ δεικνύοντος ὄψει καὶ τοῖς πράγμασιν ὡς οὐ γεγενημένοις, ἀλλὰ γινομένοις ἐφιστάντος ἀεὶ τὸν ἀκροατὴν ἐμπαθῆ καὶ συγκινδυνεύοντα διὰ τὴν ἐνάργειαν. 37 Phot. 250, 444b22: ἧς ἄν τις ἀφέλῃ τὸν ἔλεγχον, οὐθὲν εὐτελέστερον καταλείψει γένος τῆς πίστεως ἠρμένης. 38 Phot. 250, 446a28: ὁ δ’ ὑστερήσας τοῦ σαφοῦς ἀπολέλειπται καὶ τῆς ἐναργείας. 39 Phot. 250, 445b42: ὧν ὁ τρόπος οὐ λίαν γένοιτ’ ἂν ἐμφανὴς, εἰ μή τις ὑποτάξαιτ’ ἂν ἀκόλουθον αἰτίαν τοῖς ἐμφανιζομένοις. 40 Thuk. 1.22.4 sowie 1.23.4–6, dazu Marincola (2013), 83. Ebenso wie später Polybios, der präzisiert, dass die reine Faktenaufzählung nichts bringe, solange nicht die Gründe und die Ursachen für die jeweiligen Ereignisse aufgeführt würden, Pol. 12.25b.2.
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Was folgt nun aus diesem Befund? Innerhalb des schwierig zu deutenden Diskurses von Wahrheit und Anschaulichkeit in der nachklassischen Zeit vertritt Agatharchides die Meinung, dass die enargeia ein erkenntnistheoretisches Kompensationsinstrument ist. Wie sie bei der Geographie als Mittel der Rekonstruktion von komplexen Phänomenen dient, fungiert sie beim Geschichtsschreiber als epistemologischer Ausgleich für die Irreversibilität von Vergangenheit. Mit Polybios hat der Ansatz von Agatharchides gemeinsam, dass er die enargeia als wichtige Komponente der Rekonstruktion einschätzt:41 „Es ist nicht das Gleiche, vom Hörensagen über irgendetwas zu urteilen oder als Augenzeuge, sondern es macht einen großen Unterschied. Die Gewissheit, die man durch eigenen Augenschein gewinnt (ἡ κατὰ τὴν ἑνάργειαν πίστις), ist in allen Dingen von unersetzlichem Wert.“
Während Polybios sich aber nur auf die autopatheia bezieht,42 betont Agatharchides, dass man mit einer kausalen, überprüfbaren Verortung, welche Gründe benennt, ebenfalls eine enargeia herstellen kann, selbst wenn man nicht persönlich anwesend war. Der Leser wird durch eine richtige Beschreibung zum Augenzeugen der Geschichte, aber die dabei wirksame enargeia, das ist das Wichtige, muss überprüfbar sein, d. h. sie muss Gründe nennen. Damit wird der komplexe Begriff auf einmal sehr deutlich, das Profil der Fähigkeit zu geschichtlicher Wahrheitserkenntnis geschärft und die oftmals so komplexe Deutung des Verhältnisses von Wahrheit und Anschaulichkeit zeigt sehr klare Konturen. 3. Emotionen und Affekte Vor dem Hintergrund einer zweiten Diskussion in der Forschung soll nun in einem letzten Abschnitt das Profil der enargeia und ihr Verhältnis zur aletheia noch weiter konkretisiert werden. In der Auseinandersetzung mit einzelnen Sätzen bei Duris, Diodor und Cicero, am prominentesten aber wohl bei Polybios,43 hat die Forschung immer wieder das Problem beschäftigt, wie die sogenannte ‚tragische‘ Strömung in der hellenistischen Geschichtsschreibung einzuordnen sei. Was bedeutet tragisch?44 Zwar gibt es hierzu unterschiedliche Ansichten, aber als kleinster gemeinsamer Nenner lassen sich wohl folgende Aspekte herauskristallisieren, die sich auch bei Aristoteles in der Poetik finden. 41 Pol. 20.12.8: Ὅτι οὐχ ὅμοιόν ἐστιν ἐξ ἀκοῆς περὶ πραγμάτων διαλαμβάνειν καὶ γενόμενον αὐτόπτην, ἀλλὰ καὶ μεγάλα διαφέρει, πολὺ δέ τι συμβάλλεσθαι πέφυκεν ἑκάστοις ἡ κατὰ τὴν ἐνάργειαν πίστις. 42 Pol. 20.12.8, Marincola (2013), 83, Schepens (1975). 43 Duris F1, Diod. 20.43.7, Cic. fam. 5.12, Pol. 2.56. 44 Die Forschung zu diesem umstrittenen Begriff ist weit gestreut, siehe: Meister (1975), 109–126, danach Sacks (1981), 144–170, Fornara (1983), 124–134, Zucchelli (1985), Pauw (1986), Gray (1987), Meister (1990), 95–101, Rebenich (1997), Pédech (1989), 368–466, Leigh (1997), 30–40, Canfora (1999), Fromentin (2001), Moles (2001), Halliwell (2002), 289–292, Marincola (2003), Zangara (2007), 70–85, Marincola (2009), McGing (2010), 71–75, Marincola (2013). Die meisten der hier aufgelisteten Ansätze orientieren sich an dem berühmten Vergleich der Dichtung mit der Geschichtsschreibung von Aristot. poet. 1451a38–b5.
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Erstens: Eine ‚emotionale‘ Erzählung, in der entweder emotionale Szenen geschildert oder damit verbundene Affekte beim Leser provoziert werden sollen. Zweitens: ein sehr lebendiger Stil, der in großer Detailtreue Reden beinhaltet, wie sie oft auch in Tragödien vorkommen, vor allem in Form der Stichomythie. Drittens: Eine Erzählung, die von verschiedenen peripéteiai geprägt ist, also Umschwüngen des Schicksals.45 Nimmt man diese Einteilung als funktionale Deutungsfolie, so wird man aber beispielsweise bei Polybios mit dem Problem konfrontiert, dass er zwar Phylarch für eine solche ‚tragische‘ Darstellung rügt, seine eigene Präsentation der Ereignisse jedoch nach unseren Maßstäben in keiner Weise frei von den eben genannten Merkmalen erscheint.46 Versteht Polybios also seine eigenen Anschuldigungen nicht mehr oder verstehen wir seine Vorwürfe grundsätzlich falsch? Zieht man noch einmal jene Textpassage aus der Beschreibung des Roten Meeres heran, in der Agatharchides seine Auffassung von einer richtigen Schilderung geschichtlicher Ereignisse darlegt, so kann man damit den scheinbaren Widerspruch bei Polybios auflösen. Agatharchides nimmt sich zunächst erneut eine Stelle vor, in der seiner Meinung nach die Zerstörung von Theben nicht in angemessener Weise erzählt wird.47 Nach dem Zitat legt Agatharchides seine Kritik dar, die einen überaus interessanten Aspekt beinhaltet: Er tadelt, dass der Redner nicht das Schicksal der Stadt beklagt (ὀλοφύρεσθαι), sondern stattdessen über ihr Unglück „gewitzelt“ (σκώπτειν) habe.48 An dieser Aussage sind zwei Dinge besonders aufschlussreich: Zum einen legt die Formulierung des Agatharchides nahe, dass man bei einer Darstellung geschichtliche Ereignisse in ‚emotionaler‘ Weise beschreiben darf, ja unter Umständen sogar auch ‚expressiv‘ und Gefühle evozierend erzählen kann; denn Agatharchides’ Kritik zielt auf eine vages, blasses, die Dramatik des historischen Moments nicht deutlich hervorhebendes Narrativ, entzündet sich aber nicht an einer ‚tragischen‘ Schilderung, die stattdessen als normativer Kontrastpunkt fungiert. Mit dem Verb ὀλοφύρεσθαι entscheidet sich Agatharchides für einen ganz besonderen Ausdruck, der vor allem bei Homer vorkommt und dort immer eine überaus dramatische Szene vor Augen stellt und häufig mit einem auf Knien flehenden Subjekt, das in Tränen ausbricht, verbunden ist.49 Sogar eine solche Form der emotionalen Beschreibung ist für ihn unter Umständen legitim, sie muss allerdings – und in dieser Hinsicht ist Agatharchides völlig konsequent – dem Leser die Besonderheit des Moments anschaulich vor Augen stellen (ὑπὸ τὴν ὄψιν ἀγάγοι διὰ τῆς ἐναργείας). Was folgt aus diesen beiden Befunden im Hinblick auf die zuvor festgestellten Ergebnisse? Da, wie gezeigt werden konnte, die enargeia mit dem saphes in einem engen ge45 Diese Einteilung folgt dem sehr plausiblen Schema von Marincola (2013), 73–74, der hinsichtlich der Belegstellen für seine Kategorisierung auf Meister (1990), 85–91 und Rebenich (1997), 269–270 verweist. 46 Vgl. stellvertretend den Bericht über den Tod des Achaios im 8. Buch, dazu Miltsios (2009). 47 Das Zitat (von einem nicht identifizierbaren Redner, Phot. 250, 446b9–15) wurde bereits oben im Zusammenhang genannt. 48 Phot. 250, 446b15: Ἐμοὶ μὲν οὖν σκώπτειν ὁ σοφιστὴς δοκεῖ διὰ τούτων, οὐκ ὀλοφύρεσθαι τῶν πόλεων τὴν τύχην, siehe ebenfalls oben Anm. 34. 49 Siehe beispielsweise Il. 5.871, 23.75, 24.328, Od. 10.409, 22.447, 22.232.
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danklichen Zusammenhang steht, kritisiert Agatharchides eine emotionale Darstellung nicht, sofern die Schilderung der enargeia verpflichtet ist. Dieser Punkt ist angesichts der bisherigen Analysen nun offenkundig: enargeia bedeutet, sowohl eine klare Anschauung des beschriebenen Geschehens – im visuellen Sinne – zu präsentieren, als auch die historischen Ereignisse kausal in ihrer Genese zu verorten. Eine weitere Textstelle aus derselben Passage verdeutlicht diesen Befund: Hinsichtlich der Greueltaten der Makedonen in Griechenland zitiert Agatharchides eine Passage aus Stratokles von Diomeia und bemerkt anschließend, dass dieser mit klarer Ausdrucksweise (μετὰ σαφηνείας) und mit angemessenem Redeschmuck (τῆς πρεπούσης λόγῳ κοσμιότητος) die Ereignisse beschrieben habe.50 Wiederum spielt hier das saphes die entscheidende Rolle: Wenn Gründe genannt werden und wenn die Darstellung für den Leser verständlich bezüglich der kausalen Wirkmechanismen ist, darf auch eine ausgeschmückte Formulierung verwendet werden. Im Hinblick auf schwierig zu deutende Kategorien wie ‚wahr‘ oder ‚richtig‘ wird somit bezüglich Agatharchides deutlich, dass für ihn das wichtigste Kriterium eines historischen Berichtes, eine gewisse Dramatisierung bei der Erzählung – und damit ist eine lebendige Beschreibung gemeint, die ‚literarische‘ Mittel zur visuellen Verstärkung der Ereignisdarstellung benützt – legitim ist, sofern sie den gedanklichen Nachvollzug der kausalen Genese eines Geschehens nicht behindert. Wenn diese, vom Geschichtsschreiber geschmiedete kausale Kette, die zwei Ereignisse zusammenhält, nicht reißt, dann dürfen die Fixpunkte an ihren beiden Enden auch verschoben werden und zu gewissen leichten Verzerrungen führen, es darf durch rhetorische Dramatisierung Spannung auf die Kette kommen, sie darf knirschen, aber eben nicht auseinanderbrechen. Ihre Glieder werden dabei durch den Aspekt der Überprüfbarkeit zusammengehalten, die sich an der Plausibilität oder am persönlichen Augenschein orientiert. Die von mir ausgesuchten Stellen aus den erhaltenen Textteilen des Agatharchides liefern somit – bei aller Vorsicht, die man bei fragmentarisch überlieferten Werken walten lassen muss – erkenntnisreiche Aufschlüsse, mit denen sich bisherige Befunde und Annahmen bezüglich der nachklassischen Historiographie komplementär bestätigen lassen, die aber auch neue Aspekte ergeben. 1) Von besonderem Interesse ist sicherlich das Ergebnis, dass Agatharchides dezidiert die ‚Wahrheit‘ als beinahe unerreichbare erkenntnistheoretische Kategorie einstuft. Stattdessen weist er darauf hin, dass selbst bei logischen Schlüssen eine absolut richtige Rekonstruktion vergangener Ereignisse manchmal nicht möglich sei. Ich habe dieses Konzept mit dem Begriff der Wahrheitlichkeit bezeichnet. Wahrheitlich bedeutet bei Agatharchides eine gegenüber der absoluten Wahrheit abgestufte Kategorie, die oftmals die maximal erreichbare erkenntnistheoretische Stufe bei der Rekonstruktion vergangener Prozesse darstellt. Gegenüber denjenigen Aspekten, die Cinzia Bearzót in ihrem Beitrag untersucht hat,51 ist die Wahrheitsfrage hier also etwas anders nuanciert: Es geht nicht um den inhaltlichen Fehler, den der Geschichtsschreiber bewusst (kata prohairesin), sondern um den, 50 Phot. 250, 447a17–19: Εἰσάγει δὲ μετὰ σαφηνείας καὶ τῆς πρεπούσης λόγῳ κοσμιότητος εἰς τὸν ὅμοιον εἰπόντας τόπον Στρατοκλέα μὲν οὕτως. 51 Siehe den Beitrag von Bearzot in diesem Band.
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den er aus Unwissenheit (kat’ ágnoian) begangen hat, aber wiederum nicht, weil er falsche Dokumente vorliegen hatte, sondern weil er oft die Vergangenheit einfach nicht mehr richtig rekonstruieren kann, da diese unwiederbringlich ist. Geschichte ist für Agatharchides irreversibel und gerade deshalb beschäftigt er sich mit Möglichkeiten einer Kompensation bei der wissenschaftlichen Rekonstruktion von Vergangenheit. 2) Die enargeia spielt für ihn eine besondere Rolle. Diese zeichnet sich nicht allein durch eine visuelle, sondern auch durch eine kausale Anschaulichkeit aus. Sie muss überprüfbar sein, sie muss stimmen – entweder gemäß dem persönlichen Augenschein oder, wenn das nicht geht, als logische Herleitung mit Plausibilitätsschlüssen. Gegenüber Polybios betont Agatharchides bei der enargeia dabei graduell weniger eine visuelle Funktion – dass der Leser sich in die historische Situation hineinversetzt fühle –,52 sondern einen historiographischen Wert: Sie benennt die Gründe und macht Geschichte insofern anschaulich, als sie die kausale Genese eines Ereignisses so nachvollziehbar macht, als sei man dabei gewesen. Schildert ein Geschichtsschreiber seine Erzählung dia enargeias, kann der Leser beurteilen, wie es zu einem Ereignis kam, kann er erkennen, welche Gründe eine wichtige Rolle spielten. Diese Ansicht wird später von Plutarch noch einmal in sehr prägnanter Weise formuliert: „Der effektivste Historiker ist derjenige, der durch eine lebendige Darstellung von Emotionen (pathe) und Protagonisten seine Erzählung wie ein Gemälde erscheinen lässt.“53 3) Bezüglich der richtigen Darstellungsart spielt eine emotionale Färbung des Narrativs für Agatharchides keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Eine maßvolle Übertreibung oder rhetorisches Beiwerk schränken den Geltungsbereich nicht ein. Dieses nicht unbedingt erwartbare Ergebnis ermöglicht somit eine genauere Differenzierung bezüglich des schwierigen Polybios-Problems, das bereits oben angesprochen wurde. Nimmt man die bei Agatharchides hervorscheinenden Aspekte als Deutungsfolie, so gewinnt die – scheinbar widersprüchliche – Argumentation bei Polybios wieder an logischem Profil. Polybios begeht mitnichten denselben Fehler, den er beispielsweise an Phylarch oder Theopomp kritisiert. Seine Kritik zielt nämlich nicht auf eine zu emotionale oder übertriebene Darstellung, sondern vielmehr darauf ab, dass Phylarch nur schlechte Schicksalsschläge vor Augen führe, während Theopomp wenig plausible Erklärungen heranziehe.54 Eine Darstellung, die die Emotionen des Lesers anspricht, ist 52 Vergleiche das berühmte Zitat in Pol. 12.25h.5, wo Polybios die Möglichkeit anspricht, vergangene Dinge so zu beschreiben, dass der Leser denken könnte, man wäre unmittelbar dabei gewesen. 53 Plut. de glor. Ath. 346–347a, Grethlein (2014), 128, Marincola (2013), 83. Plutarch bezieht sich hierbei auf Thukydides, den er jedoch nicht als einen – modern gesprochen – ‚tragischen‘ Geschichtsschreiber einordnet, sondern als einen der kausalen Verortung verpflichteten, scharfsinnigen Historiker. Zwar bescheinigt Plutarch Thukydides, dass dieser mit seiner Beschreibung der Schlacht im Hafen von Syrakus (7.71) eine überaus packende Darstellung geliefert habe, die sich durch eine hohe Anschaulichkeit (ἐνάργειαν) auszeichne; gegen Fornara (1983), 130 argumentiert aber Walker (1993), 357 meiner Meinung nach zu Recht, dass Plutarch hier lediglich die lebendige Beschreibung lobt, nicht aber auf eine ‚tragische‘ Geschichtsschreibung, die vor allem schreckliche Sensationen erzählt und durch mannigfache Peripetien gekennzeichnet ist, anspielt. 54 Phylarch: Pol. 2.56.8–10, dazu Marincola (2013), 83, Schepens (1975), 198. Zu Theopompos Pol. 8.9.2 und Flower (1994), 192.
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für Polybios auch deshalb nicht problematisch, weil für ihn der Leser nur dann lernen kann, wenn Emotionen bei ihm erzeugt werden.55 Attestiert man also Polybios Inkonsequenz, so handelt es sich um einen falschen Schluss durch uns moderne Leser. Für uns geht eine ‚emotionale‘ Schilderung kaum mehr mit einer wahrheitsgemäßen Darstellung zusammen,56 für Polybios hingegen sehr wohl. Die von mir angeführten Textstellen aus Agatharchides helfen bei der richtigen Deutung, mit ihnen kommt ein weiterer Baustein hinzu, der unser Verständnis schärft und zeigt, dass wir bei unserer Rekonstruktion von ‚Wahrheit‘ in der hellenistischen Geschichtsschreibung ganz andere Kategorien anlegen müssen, als wir es von unserer zeitgenössischen Historiographie gewohnt sind.57 Zuletzt sei noch kurz auf die Frage eingegangen, weshalb die enargeia bei Agatharchides eine so große Rolle spielt. Zunächst einmal ist wohl zu konstatieren, dass Agatharchides die enargeia graduell abwertet, da er die Unmöglichkeit, bei jedem Ereignis dabei zu sein, im Vergleich zur Geographie thematisiert und darüber hinaus seine eigene Biographie ihm nicht dieselben Möglichkeiten bot wie beispielsweise Thukydides oder Xenophon. Trotzdem behält Agatharchides die enargeia als konstituierendes Merkmal guter Geschichtsschreibung bei, verlagert aber – wie gezeigt werden konnte – auf ihrem Begriffsspektrum das Gewicht vom wirklichen Selbst-Erleben hin zum scheinbaren Selbst-Erleben des Lesers. Diese Beibehaltung der enargeia lässt sich wohl damit erklären, dass es von Beginn der griechischen Geschichtsschreibung an für Historiker wie Herodot, Thukydides oder Xenophon immer ein besonderes Distinktiv ihrer eigenen Darstellung war, dass sie bei den historischen Ereignissen, die sie als Thema ihrer Werke gewählt hatten, als Zeitzeugen involviert waren und dass sie sich bei einigen Geschehnissen darauf berufen konnten, diese selbst miterlebt oder die jeweiligen Quellen aus erster Hand befragt zu haben.58 Agatharchides vollzieht eine neue Akzentuierung. Ihm geht es – im Unterschied zu Polybios – nicht darum, dass man an möglichst vielen Ereignissen persönlich teilgenommen hat oder an möglichst vielen Orten war. Da er die Unmöglichkeit dieser Bedingung in Rechnung stellt, geht er einen Schritt weiter und überlegt sich aus epistemologischer Sicht, wie die erkenntnistheoretischen Grenzen des Historikers möglichst effizient kompensiert werden können. Für ihn gelangt man deshalb zu diesem persönlichen Dabei-Sein, wenn man über eine intellektuelle Leistung die richtigen Gründe anschaulich darlegt. 55 Marincola (2013), 83. 56 Wohl aber die Möglichkeit, aus einer emotionalen Darstellung von Geschichte zu lernen, siehe Brauer/ Lücke (2013). 57 Als Beispiel sei Wehler (1979), 58 genannt, der als Hauptvertreter der sogenannten Sozialgeschichte die Meinung vertritt, dass man durch eine anschauliche Schilderung von „qualmenden Schloten, schwitzenden Arbeiterrücken, kühl kalkulierenden Unternehmern“ die Industrialisierung historiographisch nicht in den Griff bekomme; dafür brauche man die „Hilfe von theoretischen Instrumenten wie Kapitalstock, Nettoinvestitionen, Wertschöpfung“. Wehlers Aussage bezieht sich vor allem darauf, dass man in der Geschichtswissenschaft lebendige Schilderungen zu meiden habe. Allerdings gab es auch vor und nach Wehler ganz andere Ansichten, hervorragend zusammengefasst bei Süßmann 2000. 58 Die wichtigste Studie dazu ist sicherlich Marincola (1997), die bis heute ein Standardwerk für diese Frage darstellt. Beispiele: Hdt. 1.8.2, Thuk. 1.22.2–3, Xen. Hell. 4.3.2, Pol. 12.22.6, zuvor bereits dieses Prinzip in Homer Od. 8.487–491 (Demodokos).
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Die vorliegende Untersuchung einiger Fragmente des Agatharchides hat somit gezeigt, dass eine Analyse der Werke dieses Autors trotz der ‚trümmerhaften‘ Überlieferung wichtige Erkenntnisse im Hinblick auf das überaus komplexe Wahrheitskonzept nachklassischer Geschichtsschreiber beizusteuern vermag. Gerade im Abgleich mit anderen, in unserem Kanon prominenteren Historiographen, wie z. B. Thukydides oder dem zeitgleich schreibenden Polybios, deren Oeuvre schon besser erforscht ist, ergeben sich fruchtbare Querverbindungen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei bestimmten historiographischen Konzepten deutlich werden lassen und somit ein besseres Verständnis der äußerst vielschichtigen und komplexen Darstellungsmodi in der nachklassischen Geschichtsschreibung ermöglichen. Bibliographie Alonso-Núñez, J. M. (1997): Approaches to World History in the Hellenistic Period. Dicearchus and Agatharchides, in: Athenaeum 85, 57–67. Ameling, W. (2008): Ethnography and Universal History in Agatharchides, in: Brennan T. C. / Flower H. (edd.): East&West (Papers presented to Glen W. Bowersock), Cambridge (MA), 13–60. Bommelaer, B. (1989): Diodore de Sicile, Vol. III, Paris. Brauer, J. / Lücke, M. (2013): Emotionen, Geschichte und historisches Lernen, Göttingen. Burstein, S. M. (1989): On the Erythrean Sea, London. Canfora, L. (1999): Pathos e storiografia drammatica, in: Canfora, L.: La storiografia antica, Mailand, 44–60. Clarke, K. (1999): Between Geography and History. Hellenistic Constructions of the Roman World, Oxford. Diller, A. (1952): The Tradition of the Minor Greek Geographers, Oxford. Engels, J. (2004): Agatharchides’ von Knidos Schrift über das Rote Meer, in: Hefter, H. / Tomaschitz, K. (Hrsgg.): Ad Fontes (Festschrift für Gerhard Dobesch), Wien, 179–192. Ferrero, L. (1963): Tra poetica ed istorica. Duride di Samo, in: Miscellanea di studi allesandrini in memoria di A. Rostagni, Turin, 68–100. Fornara, C. W. (1983): The nature of history in Ancient Greece and Rome, Berkeley. Fraser, P. M. (1972): Ptolemaic Alexandria, Vol. 1–3, Oxford. Fromentin, V. (2001): L’histoire tragique a-t-elle existé?, in: Billautl, A. / Mauduit, C. (édd.): Lectures antiques de la tragédie grecque, Lyon, 77–92. Gray, V. J. (1987): Mimesis in Greek Historical Writing, in: AJPh 108, 467–486. Grethlein, J. (2013): Experience and Teleology in Ancient Historiography. ‚Futures Past‘ from Herodotus to Augustine, Cambridge. Halliwell, S. (2002): The Aesthetics of Mimesis, Princeton. Immisch, O. (1919): Agatharchidea, Heidelberg. Jacob, Ch. (1991): Géographie et éthnographie en Grèce ancienne, Paris. Jacoby, F. (1913): Herodotus, in: RE Suppl. 2, Berlin, 205–520. Koselleck, R. (1992): Geschichte, in: O. Brunner (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2, Stuttgart 593–717. Leopoldi, H. (1892): De Agatharchide Cnidio, Rostock. Maier, F. K. (2016): Chronotopos. Erzählung, Zeit und Raum im Hellenismus, in: Klio (im Druck). Manieri, A. (1998): L’immagine poetica nella teoria degli antichi. Phantasia ed enargeia, Pisa. Marcotte, D. (2001): Structure et Charactère de l’œuvre historique d’Agatharchide, in: Historia 50, 385–435.
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Wunderlektüren Paradoxa und die Aktivität des Lesers in Diodors Bibliotheke Mario Baumann
Eines der Leitmotive, die die erste Pentade von Diodors Bibliotheke durchziehen, ist das Herausstellen von paradoxen Phänomenen, die sich an den natürlichen Gegebenheiten wie an den menschlichen Lebensgewohnheiten in den verschiedenen Teilen der Oikumene, ferner aber auch an den mythischen Erzählungen von der Frühgeschichte der Menschheit beobachten lassen. Der hohe Stellenwert, der dem Paradoxen in den ersten Büchern der Bibliotheke eingeräumt wird, lässt sich besonders treffend durch die Inhaltsübersicht verdeutlichen, die der Erzähler zu Beginn des vierten Buches als Rekapitulation der voranstehenden Bücher gibt:1 Wir haben nun in den vorausgehenden drei Büchern die bei den anderen Völkern in mythologischer Zeit vollbrachten Taten und ihre Göttergeschichten aufgezeichnet und außerdem über die Beschaffenheit ihres jeweiligen Landes, die bei ihnen vorkommenden wilden Tiere und sonstigen Lebewesen und überhaupt von allem berichtet, was es bei ihnen an Bemerkenswertem und an Wundergeschichten gibt.
Das ‚Wunderbare‘ ist nur ein Aspekt unter einer ganzen Reihe von Konnotationen, die mit dem vielschichtigen Begriff des παράδοξον aufgerufen sind. Die Implikationen dieses Terminus sind in der Forschung eingehend herausgearbeitet worden:2 Ein παράδοξον ist demnach a) etwas Unerwartetes oder Überraschendes, b) etwas Eigentümliches oder Fremdes,3 c) etwas Erstaunliches oder Wunderliches/Wunderbares4 und d) etwas, dessen Glaubwürdigkeit fraglich ist oder jedenfalls sein kann; diese Eigenschaft kommt dadurch zum Ausdruck, dass bei der Thematisierung des Paradoxen 1
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Diod. 4.1.5: ἐν μὲν οὖν ταῖς πρὸ ταύτης βίβλοις τρισὶν ἀνεγράψαμεν τὰς παρὰ τοῖς ἄλλοις ἔθνεσι μυθολογουμένας πράξεις καὶ τὰ περὶ θεῶν παρ’ αὐτοῖς ἱστορούμενα, πρὸς δὲ τούτοις τὰς τοποθεσίας τῆς παρ’ ἑκάστοις χώρας καὶ τὰ φυόμενα παρ’ αὐτοῖς θηρία καὶ τἄλλα ζῷα καὶ καθόλου πάντα τὰ μνήμης ἄξια καὶ παραδοξολογούμενα διεξιόντες. Die hier gegebenen Übersetzungen lehnen sich an Wirth/Veh (1992/1993) an. Vgl. Giannini (1963), 249–251; Jacob (1983), 122; Schepens/Delcroix (1996), 381–382; Pajón Leyra (2011), 41–50. Diese Untersuchungen beziehen sich teils auf den antiken Diskurs um das Wunderbare in seiner ganzen Breite, vor allem aber auf die Paradoxographie im engeren Sinne. Vgl. die griechischen Begriffe ἴδιος und ξένος, die oft zusammen mit παράδοξος verwendet werden. Vgl. das griechische Wortfeld um θαῦμα/θαυμάσιος.
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sehr häufig von ἄπιστος, ἀπιστέω und damit zusammenhängenden Begriffen bzw. Konzepten die Rede ist.5 Dieser letzte Aspekt nun steht im Mittelpunkt dieser Untersuchung. Sie fragt, wie in der ersten Pentade der Bibliotheke mit paradoxen Phänomenen hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit umgegangen wird und richtet dabei das Augenmerk vor allem darauf, welche Herausforderungen dieser Umgang für den Leser mit sich bringt. Die Analyse wird in zwei Schritten vorangehen: Ich werde zunächst eine Passage aus dem ersten Buch der Bibliotheke näher betrachten, bevor ich dann zu einer Analyse einschlägiger Stellen aus dem dritten Buch übergehe, dem im Rahmen einer solchen Untersuchung eine besondere Bedeutung zukommt. 1. Ambivalente Beglaubigungen. Von ägyptischer Hühnerzucht und heiligen Tieren – ein exemplarisches Fallbeispiel Die hervorgehobene Rolle, die das dritte Buch in diesem Artikel spielt, erklärt sich daraus, dass dieses Buch erstens die höchste Dichte an Beschreibungen von Paradoxa innerhalb der ersten Pentade der Bibliotheke aufweist und dass es zweitens aus der Sequenz der es umgebenden Bücher durch die Intensität heraussticht, mit der der Erzähler hier die Glaubwürdigkeit der geschilderten Paradoxa explizit diskutiert. Einige numerische Angaben vermögen diesen Befund leicht zu illustrieren: Zählt man alle Stellen, an denen der Erzähler in der ersten Pentade das Wort παράδοξος oder davon abgeleitete Ausdrücke verwendet – konkret begegnen neben παράδοξος noch die Worte παραδοξολογεῖν und παραδοξολογία –, so kommt man auf 118 Fälle.6 Auf Buch 3 entfallen davon 39 Stellen, während die entsprechenden Zahlen für den Rest der Pentade 16 (Buch 1), 15 (Buch 2), 29 (Buch 4) und 19 (Buch 5) lauten. An 22 dieser insgesamt 118 Stellen äußert sich der Erzähler explizit zur Frage der Glaubwürdigkeit der beschriebenen Phänomene bzw. der wiedergegebenen Berichte: In Buch 3 lassen sich 16 derartige Fälle zählen,7 während sich in Buch 1 und 2 nur je 2, in Buch 4 und 5 nur je eine solche Stelle findet.8 Diese Zahlen lassen neben der Häufung derartiger Partien in Buch 3 zugleich noch eine weitere Diskrepanz erkennen, und eben dies ist der Punkt, an dem nun die konkrete Untersuchung ansetzen soll: Gemeint ist der auffällige Unterschied zwischen der (vergleichsweise hohen) Zahl der Stellen, an denen von παράδοξος, παραδοξολογεῖν 5
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Einem anderen, nämlich philosophisch-logischen Diskurs gehört die Verwendungsweise von παράδοξος an, die im Deutschen mit „logisch widersprüchlich“ wiedergegeben werden kann; sie spielt in den Kontexten, die für diese Untersuchung relevant sind, praktisch keine Rolle. Vgl. hierzu Pajón Leyra (2011), 44–48. Nicht mitgezählt ist dabei das Auftreten von παράδοξos etc. in den schlagwortartigen Inhaltsangaben, die jeweils den Büchern der Bibliotheke vorangestellt sind, da zumindest für die Inhaltsübersicht des ersten Buches aufgezeigt worden ist, dass sie eine nachantike Neuschöpfung ist (vgl. Chamoux/Bertrac/Vernière (2002), lxxxix, Anm. 44 und 24, Anm. 1). Die Stellen sind: Diod. 3.17.1, 3.30.2, 3.30.4, 3.33.7, 3.34.2, 3.34.8, 3.35.10 (2x), 3.36.1, 3.36.3 (2x), 3.36.5, 3.36.6, 3.37.7, 3.37.8, 3.51.1. Nämlich in Diod. 1.84.1, 1.87.5, 2.44.3, 2.59.4, 4.8.2, 5.31.3.
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oder παραδοξολογία die Rede ist, und der (vergleichsweise geringen) Häufigkeit expliziter Thematisierungen der Glaubwürdigkeit. Der vorläufige Schluss, der sich aus dieser numerischen Differenz ziehen lässt, lautet, dass offensichtlich in den meisten Fällen von Paradoxa die Rede ist, ohne dass dem Leser jeweils explizit etwas zur Vertrauenswürdigkeit dieser Informationen mitgeteilt wird. Vorläufig ist dieser Schluss deswegen, weil er ein Phänomen nicht in Rechnung stellt, dass bei einer genaueren Betrachtung der einschlägigen Stellen mehrfach zu konstatieren ist, dass nämlich explizite Kommentare des Erzählers zur Zuverlässigkeit des Berichteten sozusagen größere Partien aus der Bibliotheke abdecken oder, anders formuliert, eine Reichweite haben, die über eine konkrete Passage hinausgeht. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist die Einleitung zu derjenigen Partie des ersten Buches, die den Sitten und Gebräuchen der Ägypter gewidmet ist: Der auktoriale Erzähler betοnt, er werde sich auf die „merkwürdigsten“ (παραδοξότατα, Diod. 1.69.2) Sitten konzentrieren, stellt aber zugleich als zweites Auswahlkriterium heraus, dass die geschilderten Normen auch diejenigen seien, die dem Leser am meisten Nutzen brächten, und leitet dann nahtlos zu mehreren Argumenten über, die die Glaubwürdigkeit seiner folgenden Ausführungen bekräftigen: Die griechischen Gebildeten hätten die ägyptischen Gesetze schon früh bewundert und seien nach Ägypten gereist, um sie zu studieren;9 die ägyptische Kultur könne sich ihres Alters und ihrer Schriftlichkeit rühmen;10 von eben dieser habe er Gebrauch gemacht und werde – im Gegensatz zu Herodot und anderen, die das παραδοξολογεῖν der Wahrheit vorgezogen hätten –, nur darlegen, was in den Büchern der ägyptischer Priester aufgezeichnet sei, nachdem er es selbst sorgfältig untersucht habe.11 Ein Leser, der diese Ausführungen bei der Lektüre der folgenden Kapitel im Kopf behält, kann grundsätzlich alles Paradoxe, was ihm dort berichtet wird, als vom Autor-Erzähler hinsichtlich der Wahrhaftigkeit gleichsam sanktioniert ansehen – das gilt für die Merkwürdigkeiten der Sitten, die die ägyptischen Könige betreffen,12 wie für die Eigenarten ägyptischer Geflügelzucht13 und die seltsamen Züge der ägyptischen Bestattungsgebräuche.14 Andererseits ist aber in der Schilderung der diversen ägyptischen Bräuche doch eine gewisse Ambivalenz hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit des vom Erzähler Wiedergegebenen zu verzeichnen. Am deutlichsten zeigt sich dies in den Kapiteln, die die 9 Vgl. Diod. 1.69.2–4. 10 Vgl. Diod. 1.69.5–6. 11 Diod. 1.69.7: αὐτὰ δὲ τὰ παρὰ τοῖς ἱερεῦσι τοῖς κατ’ Αἴγυπτον ἐν ταῖς ἀναγραφαῖς γεγραμμένα φιλοτίμως ἐξητακότες ἐκθησόμεθα. – Pierre Bertrac und Yvonne Vernière weisen in ihrem Kommentar a. l. zurecht darauf hin, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, Diodors Behauptung einer eigenen Recherche in Ägypten in Zweifel zu ziehen (Chamoux /Bertrac/Vernière (2002), 212). Zur Funktion der Reisen Diodors für die Abfassung seiner Bibliotheke s. Wiater (2006), 266–269 und Rathmann (2016), 45–61 (zu den Reisen Diodors allgemein) u. 82–104 (zur Ägyptenreise). 12 Diod. 1.71.1: παραδόξου δ’ εἶναι δοκοῦντος τοῦ μὴ πᾶσαν ἔχειν ἐξουσίαν τὸν βασιλέα τῆς καθ’ ἡμέραν τροφῆς, πολλῷ θαυμασιώτερον ἦν τὸ μήτε δικάζειν μήτε χρηματίζειν τὸ τυχὸν αὐτοῖς ἐξεῖναι, μηδὲ τιμωρήσασθαι μηδένα […]. 13 Diese besteht in einer Technik der künstlichen Bebrütung, Diod. 1.74.5: οὐ γὰρ ἐπῳάζουσι διὰ τῶν ὀρνίθων, ἀλλ’ αὐτοὶ παραδόξως χειρουργοῦντες τῇ συνέσει καὶ φιλοτεχνίᾳ τῆς φυσικῆς ἐνεργείας οὐκ ἀπολείπονται. 14 Vgl. das „eigenartige Vergnügen“ (παράδοξος ψυχαγωγία, Diod. 1.91.7), das die Ägypter nach der Einschätzung des Erzählers beim Anblick ihrer einbalsamierten Toten empfinden.
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heiligen Tiere und ihre Verehrung durch die Ägypter behandeln.15 Einleitend gebraucht der Erzähler dort einmal mehr das Schlüsselwort παράδοξος16 und beschließt die erste Folge von Informationen, die er dem Leser zum Thema ‚heilige Tiere‘ mitteilt, mit einer weiteren klaren Markierung des Anspruchs auf Wahrhaftigkeit:17 Und das berichte ich nicht aufgrund von Hörensagen, sondern weil ich es während meines Aufenthaltes in Ägypten mit eigenen Augen gesehen habe.
Das bewegt sich alles ganz in der Linie dessen, was der Erzähler bereits in Kap. 1.69 betont hat. Direkt im Anschluss an die eben zitierte Aussage folgt jedoch eine Einschätzung, die Fragen aufwirft – sie fungiert zugleich als Überleitung zur nächsten Kette von Informationen zu den heiligen Tieren:18 Wenn das bisher Gesagte vielen als unglaubwürdig und mythenähnlich erscheint, dann wird ihnen das, was ich im Folgenden darlegen werde, noch viel merkwürdiger vorkommen.
Unmittelbar zuvor hat der Erzähler seiner Leserschaft ja gerade das Gesagte beglaubigt – warum also sollten seine Leser, wenn sie denn mit den „vielen“ gemeint sind, Zweifel an dem Erzählten haben? Ausgeführt wird das nicht näher, und wer hier anderes gemeint sein könnte als der Rezipientenkreis der Bibliotheke, ist auch nicht ersichtlich. So bleibt bei aller Eindeutigkeit, mit der der Erzähler auf der Verlässlichkeit des Dargelegten beharrt – wenige Zeilen später erneuert er indirekt noch einmal den Anspruch auf Augenzeugenschaft19 –, doch der Eindruck zurück, dass hier sehr wohl beim Leser leise Zweifel gesät werden, dass hier mit anderen Worten zumindest die Möglichkeit aufscheint, dass der Leser doch aufgefordert sein könnte, sich selbst eine kritische Meinung zur Glaubwürdigkeit des Erzählten zu bilden und nicht einfach alles als bestätigt und verbürgt hinzunehmen. Und in der Tat kann der Leser, sollte er das ambivalente Signal vom Beginn des Kap. 1.84 in der skizzierten Weise deuten, sich im Folgenden in seinem Zweifel bestätigt sehen. Es ist nämlich in den sich anschließenden Passagen ein Wechsel im Präsentationsmodus seitens des Erzählers zu beobachten: Während von Kap. 1.83 bis einschließlich 1.85 der Bericht in direkter Rede erfolgt, bedient sich der Erzähler in Kap. 1.86–90 fast durchgehend der indirekten Rede, indem er darlegt, welche Gründe von verschiedener Seite für die Verehrung der heiligen Tiere angeführt werden. Ein ganz wesentliches Stichwort fällt dabei in der Einleitung dieses ganzen Passus, das nämlich der ἀπορία:20 15 Vgl. Diod. 1.83–90. 16 Diod. 1.83.1: Περὶ δὲ τῶν ἀφιερωμένων ζῴων κατ’ Αἴγυπτον εἰκότως φαίνεται πολλοῖς παράδοξον τὸ γινόμενον καὶ ζητήσεως ἄξιον. 17 Diod. 1.83.9: Καὶ τοῦτ’ οὐκ ἐξ ἀκοῆς ἡμεῖς ἱστοροῦμεν, ἀλλ’ αὐτοὶ κατὰ τὴν γεγενημένην ἡμῖν ἐπιδημίαν κατ’ Αἴγυπτον ἑωρακότες. 18 Diod. 1.84.1: ἀπίστων δὲ φαινομένων πολλοῖς τῶν εἰρημένων καὶ μύθοις παραπλησίων πολλῷ παραδοξότερα φανήσεται τὰ μετὰ ταῦτα ῥηθησόμενα. 19 Diod. 1.84.4: […] διηγήσασθαι μὲν εὐχερές, ἀπαγγείλαντα δὲ πιστευθῆναι παρὰ τοῖς μὴ τεθεαμένοις δύσκολον. 20 Diod. 1.86.1: Πάντα δὲ θαυμάσια καὶ μείζω πίστεως ἐπιτελοῦντες οἱ κατ’ Αἴγυπτον εἰς τὰ τιμώμενα ζῷα πολλὴν ἀπορίαν παρέχονται τοῖς τὰς αἰτίας τούτων ζητοῦσιν.
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Indem die Ägypter in ihrer Verehrung der Tiere alle möglichen wunderlichen und die Glaubwürdigkeit übersteigenden Dinge tun, bereiten sie denen große Schwierigkeiten, die nach den Gründen dafür suchen.
Auch der Leser wird im Folgenden tatsächlich in eine gewisse ἀπορία gebracht: Denn während der Erzähler die erste Erklärung, die er in indirekter Rede zitiert, mit klaren Worten verwirft,21 enthält er sich bei allen anderen Begründungen, die er im weiteren wiedergibt, jeder expliziten Einschätzung der Glaubwürdigkeit dieser Begründungen als solcher. Ja mehr noch: Die einzige Stelle, an der in dieser ganzen Partie ausdrücklich von „glaubhaft“ oder „unglaubhaft“ die Rede ist, ist dazu angetan, gerade diejenige Erklärung zu unterminieren, die sich für den Leser zunächst als die plausibelste abzeichnet. Gemeint ist die dritte – und damit nach der den Passus einleitenden Binnendisposition22 vorläufig letzte – Erklärung, die besagt, dass die heiligen Tiere aufgrund ihres Nutzens (χρεία) für die Menschen verehrt würden. Diese Begründung erscheint wegen ihrer klimaktischen Stellung, ihrer ausführlichen Darlegung – sie nimmt das ganze Kap. 1.87 ein – sowie ihres einfachen, aber nicht unterkomplexen Erklärungsmodells als die einleuchtendste, aber gerade sie enthält ein Element, das als unglaubhaft bezeichnet wird: Das sogenannte Ichneumon werde verehrt, weil es die Krokodile vernichte, und zwar tue es das „auf eine merkwürdige und ganz und gar unglaubliche Art“.23 Weder erhält der Leser eine explizite Begründung dafür, warum das unglaubhaft sei, noch ist genau auszumachen, wer diese Einschätzung vornimmt: Handelt es sich um einen Kommentar des Erzählers oder ist diese Bewertung als Teil der indirekten Rede ein Zitat fremder Einschätzungen? Die verschiedenen Stimmen bzw. narrativen Ebenen verwischen sich hier, ein Befund, mit dem der Leser vom Erzähler ebenso alleingelassen wird wie mit der Frage, ob allfällige Zweifel an den Berichten über das Ichneumon sich auf den Fall dieses einen Tieres beschränken lassen oder ob sie dieses dritte Erklärungsmodell als Ganzes ins Wanken bringen. Zusätzlich verkompliziert wird die Situation noch dadurch, dass in den folgenden Kapiteln 1.88–90 noch weitere Begründungen vorgebracht werden, die sich teils auf nähere Ausführungen zu einzelnen Tieren beschränken, teils andere Erklärungsmodelle einführen, ohne dass diese Darlegungen explizit zu der am Anfang scheinbar so klar aufgestellten Dreierdisposition ins Verhältnis gesetzt würden. Der Leser wird hier also mit einem erheblichen Maß an Ambivalenz und Offenheit konfrontiert. Trotz des eingangs24 so stark markierten Wahrheitsanspruches und entsprechender Beglaubigungen seitens des Erzählers bleibt dem Leser nicht nur Raum für Zweifel, er kann sich an etlichen Stellen vielmehr geradezu dazu eingeladen sehen, die Glaubwürdigkeit des Dargelegten kritisch und aktiv zu hinterfragen. Für die soeben betrachtete Passage des ersten Buches der Bibliotheke bestehen die Impulse, die der Le21 Diod. 1.86.2: οἱ δὲ πολλοὶ τῶν Αἰγυπτίων τρεῖς αἰτίας ταύτας ἀποδιδόασιν, ὧν τὴν μὲν πρώτην μυθώδη παντελῶς καὶ τῆς ἀρχαϊκῆς ἁπλότητος οἰκείαν. 22 Vgl. Diod. 1.86.2. 23 Diod. 1.87.5: ἀπόλλυσθαι δὲ καὶ τοὺς κροκοδείλους […] παραδόξως καὶ παντελῶς ἀπιστουμένῃ μεθόδῳ. 24 Vgl. Diod. 1.69.
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ser in diese Richtung erhält, vor allem in subtilen Widersprüchen und in Leerstellen:25 Ersteres ist etwa dann der Fall, wenn wie in Diod. 1.83.9–84.1 der Wahrheitsanspruch des Erzählers und die unterstellte Ungläubigkeit des Publikums unvermittelt aufeinander folgen. Die Leerstellen wiederum bestehen darin, dass Begründungen – etwa für die konstatierte Unglaubhaftigkeit der Ichneumon-Geschichte26 – ausbleiben, dass kein explizites logisches oder dispositorisches Verhältnis zwischen verwandten Ausführungen hergestellt wird,27 und nicht zuletzt eben vor allem darin, dass nur in verhältnismäßig wenigen Fällen die Benennung von Paradoxem mit expliziten Einschätzungen zur Glaubwürdigkeit einhergehen; eben dieses Faktum bildete ja den Ausgangspunkt der bis hierhin entfalteten Überlegungen. All dies ist charakteristisch für die Art und Weise, wie der Erzähler der Bibliotheke in der gesamten ersten Pentade mit den Paradoxa, die er schildert, umgeht, oder präziser formuliert, für die Art und Weise, wie er diese Paradoxa dem Leser präsentiert. Ich führe, um diese Aussage zu untermauern, noch zwei einschlägige Beispiele – eines aus Buch vier, eines aus Buch fünf der Bibliotheke – an, bevor ich zum zweiten Teil dieses Artikels übergehe, in dem ich das dritte Buch näher betrachte. Das vierte Buch ist, was das Erzählen von Paradoxem in der Bibliotheke angeht, insofern interessant, als hier innerhalb der ersten Pentade die größte Diskrepanz besteht zwischen der Zahl der Stellen, an denen von παράδοξος oder Vergleichbarem die Rede ist, und der Anzahl von expliziten Thematisierungen der Glaubwürdigkeit dieser paradoxalen Gegenstände: 29 Erwähnungen der betreffenden Ausdrücke steht nur eine Stelle gegenüber, an der der Erzähler sich explizit zur Vertrauenswürdigkeit der dargelegten Paradoxa äußert. Er tut dies in Kap. 4.8, das einen längeren Abschnitt zu den griechischen Mythen um Herakles einleitet: Den ausdrücklich benannten Unglauben, den viele den Herakles-Mythen aufgrund der erstaunlichen Taten, die dort geschildert werden, entgegenbrächten,28 kontert er mit einem Verweis auf die herausragenden Leistungen des Herakles, die nicht mit dem Maß der schwachen heutigen Menschen gemessen werden könnten;29 ferner sei es abwegig (ἄτοπον), dem aufgrund seiner Verdienste für die Menschheit vergöttlichten Herakles nicht das gebührende Lob zukommen zu lassen.30 Da das Buch vier insgesamt den griechischen Mythen gewidmet ist31 und das unter dieser Überschrift Erzählte vielfach als παράδοξον bezeichnet wird, kann sich der Leser 25 26 27 28 29 30
Zum Konzept der Leerstelle s. Iser (1984), 280–355. Vgl. Diod. 1.87.5. Vgl. die Dreierdisposition in Diod. 1.86 f. versus die lose folgenden zusätzlichen Begründungen in 1.88–90. Diod. 4.8.2: διὰ δὲ […] τὸ παράδοξον τῶν ἱστορουμένων παρὰ πολλοῖς ἀπιστουμένων τῶν μύθων, […]. Vgl. Diod. 4.8.3. Vgl. Diod. 4.8.5. Hier, wie auch an vielen anderen Stellen der Bibliotheke, erscheint Herakles als exemplarischer culture heroe (so die zur gängigen Münze gewordene Begriffsprägung von Kenneth Sacks, vgl. Sacks (1990), 61–82). Derartige Wohltäter, die als Kulturstifter den Menschen vielfachen Fortschritt brachten, stehen im besonderen Fokus der ersten Pentade, vgl. hierzu eingehend Sulimani (2011), dort 229–306 zu den konkreten Leistungen dieser culture heroes. Zur Bedeutung des Fortschritts in Bibliotheke 1–5 s. ferner de Morais Mota (2010), insb. 65–85, und Trevisan (2010), 285–287; zu den Implikationen von Diod. 4.8 für den „didacticism“ der Bibliotheke vgl. Hau (2016), 79 und 95–96. 31 Vgl. die entsprechende Themenangabe in Diod. 4.1.5.
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dazu angestoßen sehen, über die Übertragbarkeit der dem Herakles-Abschnitt vorangestellten Ausführungen auf die übrigen mythischen παράδοξα des Buches nachzudenken. Explizite Hinweise oder sozusagen Brücken erhält er dazu nicht; insbesondere wird die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Mythen an keiner anderen Stelle des Buches ausdrücklich thematisiert,32 sodass man erneut von einer Leerstelle sprechen kann. Einzelne Aspekte der ‚Rechtfertigung‘ aus Kap. 4.8 lassen sich unmittelbar auf andere Mythen übertragen,33 das meiste aber ist spezifisch auf Herakles gemünzt: Hier ist der Leser aufgefordert, sich selbst zu überlegen, ob bzw. inwieweit diese Argumente übertragbar sind bzw. welche Generalisierungen vorgenommen werden müssen und dürfen, um solche spezifischen Argumente auf andere Kontexte hin übertragbar zu machen. Das zweite Beispiel, das ich zum Abschluss des ersten Teiles dieses Artikels nennen möchte, ist die einzige Stelle innerhalb des fünften Buches, an der der Erzähler den Bericht eines παράδοξον mit einer Thematisierung der Glaubhaftigkeit verbindet. Es handelt sich dabei um einen Abschnitt aus der ausgedehnteren Schilderung der Sitten der Gallier: Die Gallier folgten, so der Erzähler, einer „seltsamen und unglaublichen Sitte“,34 indem sie zu Zwecken der Weissagung in wichtigen Angelegenheiten Menschen opferten. Bemerkenswert ist, dass hier vom Erzähler zum Wort ἄπιστον keine nähere Erklärung gegeben wird: Es bleibt offen, ob hier lediglich impliziert sein soll, dass der geschilderte Sachverhalt einem Hörer/Leser zwar unglaubhaft scheint oder scheinen kann, aber doch Tatsache oder zumindest plausibel ist, oder ob das Wort ἄπιστον hier besagt, dass es sich bei den gallischen Menschenopfern um einen tatsächlich falschen oder jedenfalls um einen in den Augen des Erzählers unplausiblen Bericht handelt. Erneut ist also ein erhebliches Maß an Ambivalenz zu konstatieren, das den Leser mit dem Impuls zurücklässt, sich zu dieser Mehrdeutigkeit zu verhalten. 2. Paradoxa im Vergleich. Von Fischessern und Hyänen, oder: Lesestrategien für die Bibliotheke An dieses letztgenannte Beispiel lässt sich nahtlos eine Betrachtung des Umgangs des Erzählers mit παράδοξα im dritten Buch der Bibliotheke anknüpfen. Auf die Besonderheit, dass in diesem Buch in einer für die ersten Pentade einmalig hohen Frequenz die Glaubhaftigkeit der παράδοξα thematisiert wird, ist oben bereits hingewiesen worden. Bemerkenswert ist dabei vor allen Dingen, dass mit dieser erhöhten Frequenz zugleich auch eine Explizierung dessen verbunden ist, was oben als ‚Impuls an den Leser, sich zu Ambivalenzen zu verhalten‘ charakterisiert wurde. Mit anderen Worten: das, was bisher 32 Es ist allenfalls noch an Diod. 4.1.1 zu denken, wo die Frage der Glaubwürdigkeit vielleicht indirekt angesprochen wird: τὸ δὲ μέγιστον καὶ πάντων ἀτοπώτατον, ὅτι συμβαίνει τοὺς ἀναγεγραφότας τὰς ἀρχαιοτάτας πράξεις τε καὶ μυθολογίας ἀσυμφώνους εἶναι πρὸς ἀλλήλους. 33 So insb. die Absage des Erzählers an eine zu strikte Wahrheitssuche in den mythischen Erzählungen, Diod. 4.8.4: καθόλου μὲν γὰρ ἐν ταῖς μυθολογουμέναις ἱστορίαις οὐκ ἐκ παντὸς τρόπου πικρῶς τὴν ἀλήθειαν ἐξεταστέον. 34 Diod. 5.31.3: παράδοξον καὶ ἄπιστον ἔχουσι νόμιμον.
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zunächst nur abstrakt bestimmt worden ist, nämlich das durch Widersprüche, Ambivalenzen, Leerstellen für den Leser erzeugte Interaktionspotential, erfährt in Buch 3 durch den Erzähler selbst eine Konkretisierung. Bevor ich aber auf die entsprechenden Stellen näher eingehe, möchte ich noch einen Punkt vorwegschicken, der eine Überlegung weiter verdeutlicht, die oben angestellt wurde. Gemeint ist die Mehrdeutigkeit von Ausdrücken wie ἄπιστος oder ἀπιστούμενος: Auch im dritten Buch begegnen diesbezüglich Ambivalenzen, wie sie oben für Diod. 5.31.3 herausgestellt wurden. Das wohl deutlichste Beispiel dafür stammt aus der Schilderung der Lebensgewohnheiten der Ichthyophagen, eines der Völker am Roten Meer bzw. im südlichen Äthiopien, die mitsamt ihren Lebensräumen in den Kapiteln 3.15–48 beschrieben werden – eine Passage, die sich durch eine außerordentliche Fülle an παράδοξα auszeichnet. Die Ichthyophagen, so der Erzähler, versorgten sich auf eine „seltsame und ganz und gar unglaubliche“35 Art und Weise mit Wasser zum Trinken. Sie zögen nämlich nur alle paar Tage zu bestimmten Wasserstellen und füllten sich dort die Bäuche so sehr mit Wasser, dass sie dann an den übrigen Tagen nur feste Nahrung (nämlich Fische) zu sich nähmen. Einmal mehr bleibt durch die bloße Nennung des Wortes ἀπιστουμένην unbestimmt, wie denn nun genau der Erzähler die Zuverlässigkeit bzw. den Wahrheitsstatus dieser Information einschätzt und was exakt der Leser von dieser Schilderung halten soll. Dass es jedenfalls keineswegs ausgeschlossen ist, dass dem Leser auch unzuverlässige oder gar unwahre Berichte wiedergegeben werden, macht der Erzähler an einer anderen Stelle in Buch 3 explizit deutlich. Im Zuge der Schilderung der Fauna des südlichen und südwestlichen Äthiopiens nämlich kommt er auch auf die Hyäne zu sprechen, zu der manch Paradoxes, aber eben nicht nur Glaubhaftes berichtet wird:36 Das bei den Äthiopiern Krokottas genannte Tier ist seiner Natur nach eine Mischung aus Hund und Wolf, doch in seiner Wildheit noch furchterregender als beide, und mit seinen Zähnen übertrifft es alle Tiere. Knochen jeder Größe zermalmt es mühelos, und es ist erstaunlich, wie es mit seinem Magen alles verdaut, was es verschlingt. Manche Erzähler von lügenhaften Wundergeschichten behaupten auch, dieses Tier ahme die menschliche Sprache nach, aber damit überzeugen sie uns nicht.
Obwohl der Erzähler diese Geschichte nicht glaubt, gibt er sie wieder. Damit ist für jeden aufmerksamen Leser, der auf diese Stelle stößt und sie im Kopf behält, auch für andere Partien, an denen der Erzähler etwas als unglaublich bezeichnet, ernsthaft die Frage aufgeworfen, ob es sich dabei nicht um eine falsche Information handelt, und er ist jeweils aufgefordert, sich kritisch zu überlegen, ob er solchen Berichten Vertrauen schenken will oder nicht. 35 Diod. 3.17.1: τῆς δ’ ὑγρᾶς [scil. τροφῆς] παράδοξον ἔχουσι καὶ παντελῶς ἀπιστουμένην τὴν χρῆσιν. 36 Diod. 3.35.10: ὁ δὲ λεγόμενος παρ’ Αἰθίοψι κροκόττας μεμιγμένην μὲν ἔχει φύσιν κυνὸς καὶ λύκου, τὴν δ’ ἀγριότητα φοβερωτέραν ἀμφοτέρων, τοῖς δὲ ὀδοῦσι πάντων ὑπεράγει· πᾶν γὰρ ὀστῶν μέγεθος συντρίβει ῥᾳδίως· καὶ τὸ καταποθὲν διὰ τῆς κοιλίας πέττει παραδόξως. τοῦτο δὲ τὸ ζῷον τῶν ψευδῶς παραδοξολογούντων ἱστοροῦντες ἔνιοι μιμεῖσθαι τὴν τῶν ἀνθρώπων διάλεκτον ἡμᾶς μὲν οὐ πείθουσιν.
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Wie der Leser nun zu einer solchen Einschätzung gelangen kann, ja wie er überhaupt mit dem Interaktionsimpuls, den ihm die vielen Leerstellen vermitteln, umgehen kann, zeigt ihm der Erzähler exemplarisch an zwei Stellen in Buch 3, die dazu eine ganz bestimmte Technik einsetzen, den Vergleich mit anderen, als zuverlässig erkannten Informationen nämlich. Die erste Stelle, an der der Erzähler dieses Prinzip demonstriert, findet sich in Kap. 3.30: Dort wird ein Gebiet beschrieben, das sich an den Lebensraum der Heuschreckenesser (Akridophagen) anschließt, von denen im vorangehenden Kap. 3.29 die Rede war. Dieses hier nun ins Auge gefasste Gebiet ist menschenleer: Die ehemaligen Bewohner seien durch eine plötzlich aufgetretene Spinnen- und Skorpionplage vertrieben worden. Allfälligen Zweifeln an dieser Geschichte hält der Erzähler folgendes entgegen:37 Es gibt keinen Anlass, sich über diesen Bericht zu wundern oder ihm nicht zu glauben, haben wir doch durch vertrauenswürdige Geschichtsschreibung aus der ganzen bewohnten Welt vieles erfahren, was noch seltsamer ist als dies. So trieb zum Beispiel in Italien eine plötzlich aus dem Boden entstandene Unmenge an Feldmäusen die Leute aus ihrem Heimatland. In Medien vermehrten sich die Spatzen massiv, fraßen das ausgestreute Saatgut und zwangen die Menschen, sich in die Fremde zu begeben. Im Falle der sogenannten Autariaten wiederum zwangen Frösche, die in den Wolken entstanden waren und anstelle der gewohnten Regentropfen vom Himmel fielen, die Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und in das Gebiet zu fliehen, in dem sie heute noch leben. Und wer wüßte nicht zu erzählen, dass zu den Arbeiten, die Herakles vollbrachte, um die Unsterblichkeit zu erhalten, die gehörte, aus dem Stymphalischen See die Vögel zu vertreiben, die sich in ihm vermehrt hatten? In Libyen wiederum entvölkerten sich mehrere Städte, weil aus der Wüste plötzlich eine Menge Löwen zuwanderten. Das nur soll denen gesagt sein, die Zweifel an der Geschichtsschreibung hegen, weil sie Merkwürdiges berichtet.
Der Vergleich, wie ihn der Erzähler hier vornimmt, beruht auf zwei Eigenschaften der herangezogenen Parallelberichte: Erstens stammen sie aus vertrauenswürdigen, weil „wahren“ (ἀληθής) historiographischen Darstellungen, zweitens umfassen sie, wie ausdrücklich betont wird, Phänomene aus ganz verschiedenen Teilen der Oikumene. Diese beiden Merkmale sind, wie es scheint, in den Augen des Erzählers dafür ausschlaggebend, dass der Vergleich als valide anzusehen ist.38 37 Diod. 3.30.2–4: οὐ χρὴ δὲ θαυμάζειν οὐδὲ ἀπιστεῖν τοῖς λεγομένοις, πολλὰ τούτων παραδοξότερα κατὰ πᾶσαν τὴν οἰκουμένην γεγονότα διὰ τῆς ἀληθοῦς ἱστορίας παρειληφότας. περὶ γὰρ τὴν Ἰταλίαν μυῶν πλῆθος ἀρουραίων ἐγγεννηθὲν τοῖς πεδίοις ἐξέβαλέ τινας ἐκ τῆς πατρίου χώρας· κατὰ δὲ τὴν Μηδίαν ἐπιπολάσαντες ἀμύθητοι στρουθοὶ καὶ τὰ σπέρματα τῶν ἀνθρώπων ἀφανίζοντες ἠνάγκασαν εἰς ἑτερογενεῖς τόπους μεταστῆναι· τοὺς δὲ καλουμένους Αὐταριάτας βάτραχοι τὴν ἀρχέγονον σύστασιν ἐν τοῖς νέφεσι λαμβάνοντες καὶ πίπτοντες ἀντὶ τῆς συνήθους ψεκάδος ἐβιάσαντο τὰς πατρίδας καταλιπεῖν καὶ καταφυγεῖν εἰς τοῦτον τὸν τόπον ἐν ᾧ νῦν καθίδρυνται. καὶ μὴν τίς οὐχ ἱστόρησεν Ἡρακλεῖ τῶν ὑπὲρ τῆς ἀθανασίας ἄθλων συντελεσθέντων ἕνα καταριθμούμενον καθ’ ὃν ἐξήλασεν ἐκ τῆς Στυμφαλίδος λίμνης τὸ πλῆθος τῶν ἐπιπολασάντων ὀρνίθων ἐν αὐτῇ; ἀνάστατοι δὲ κατὰ τὴν Λιβύην πόλεις τινὲς ἐγένοντο πλήθους λεόντων ἐπελθόντος ἐκ τῆς ἐρήμου. ταῦτα μὲν οὖν ἡμῖν εἰρήσθω πρὸς τοὺς ἀπίστως διὰ τὸ παράδοξον πρὸς τὰς ἱστορίας διακειμένους. 38 Nicht überzeugend ist die von Rathmann (2014), 68 vorgebrachte Kritik, Diodor versuche sich hier „mit einem dubiosen Argument“ vor Kritik in Schutz zu nehmen. Denn die von Rathmann unterstellte Argumentation – „Jeder Historiograph habe Aussagen im Werk, die einer kritischen Prüfung nicht standhielten. Daher sei es auch ihm, Diodor, erlaubt, weniger Glaubhaftes zu berichten“ – ist nicht das, was
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Welche Werke nun konkret vom Erzähler als ἀληθὴς ἱστορία betrachtet werden, erfährt der Leser nicht, denn die Quellen, denen der Erzähler die Parallelbeispiele entnimmt, werden nicht benannt. Ich möchte vorschlagen, dies als eine selbstreferentielle Pointe der Bibliotheke und ihres Erzählers zu interpretieren. Der Leser kann sich natürlich selbst auf die Suche nach Parallelen zu der Spinnen- und Skorpion-Plage außerhalb der Bibliotheke machen, aber er muss dies nicht tun, denn die Bibliotheke nimmt ihm genau diese Arbeit ab: Die relevanten Parallelstellen werden dem Leser hier an Ort und Stelle präsentiert, so dass er das Material in hinreichender Fülle vor Augen hat. Die fehlende Konkretisierung der Quellen fungiert geradezu als Signal an den Leser, dass er hier im Text der Bibliotheke selbst alles geboten bekommt, was er für ein angemessenes Verständnis des Geschilderten und für valide Schlussfolgerungen hinsichtlich der παράδοξα und ihrer Glaubwürdigkeit benötigt. Erhärten lässt sich diese These durch einen Blick auf das Proöm der Bibliotheke: Dort, genauer in Diod. 1.3.8, wird nämlich der Nutzen, den der Leser durch die universalgeschichtliche Anlage der Bibliotheke wie durch ihre Technik der kompilierenden Inkorporation vieler anderer Geschichtswerke hat, eben damit bestimmt, dass er sich nicht selbst alle diese Geschichtswerke mühsam beschaffen und aufwendig versuchen muss, die divergierenden Darstellungen so zueinander ins Verhältnis zu setzen, dass sich daraus ein umfassendes und kohärentes Verständnis gewinnen lässt. Diese Arbeit hat vielmehr schon der Autor der Bibliotheke gleichsam als „Serviceleistung“39 für den Leser erbracht, so dass dieser alles, was er braucht, bequem aus der Bibliotheke schöpfen kann.40 Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die oben bereits herausgestellte breite geographische Streuung der vom Erzähler herangezogenen Parallelbeispiele: Auch hier lässt sich eine Brücke zum Proöm schlagen, denn dort wird die universalgeschichtliche Konzeption der Bibliotheke nicht nur mit Bezug auf die Zeit, sondern auch hinsichtlich des Raumes definiert – Ziel der Bibliotheke ist es demnach, alle überlieferten Ereignisse der gesamten Welt aufzuzeichnen.41 Eben diese konzeptuelle Vorgabe löst die erste Pentade in höchstem Maße ein, werden hier doch alle Teile der Oikumene bis hin zu ihren entlegensten Rändern in den Blick genommen.42 Das bedeutet, dass auch in dieser Hinsicht dem Leser der Bibliotheke eine Fülle an Material bereitgestellt wird, aus dem er – nicht zuletzt für eine vergleichende Betrachtung von παράδοξα – schöpfen kann.
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der Autor-Erzähler hier vorbringt: Er ist ja eben gerade der Ansicht, dass es sich bei den Parallelen um Beispiele von ἀληθὴς ἱστορία handelt, und die Qualität der Paradoxalität ist für ihn keineswegs gleichzusetzen mit „hält einer kritischen Prüfung nicht stand“ – er argumentiert hier ja gerade dafür, dass die Glaubwürdigkeit des παράδοξον, das er hier betrachtet (der von Menschen aufgrund einer Tierplage verlassene äthiopische Landstrich) sich durch einen kritischen Abgleich, wie er ihn hier vornimmt, erhärten lässt. So die treffende Formulierung in Wiater (2006), 261. Diod. 1.3.7: ἐξέσται γὰρ ἐκ ταύτης [scil. πραγματείας] ἕκαστον πρὸς τὴν ἰδίαν ὑπόστασιν ἑτοίμως λαμβάνειν τὸ χρήσιμον, ὥσπερ ἐκ μεγάλης ἀρυόμενον πηγῆς. Diod. 1.3.6: τὰς εἰς μνήμην παραδεδομένας τοῦ σύμπαντος κόσμου πράξεις. Auch hierfür sind die culture heroes von großer Bedeutung, reisen sie doch durch die Weite der Oikumene und entfalten ihre kulturstiftenden Tätigkeiten an den verschiedensten Orten (s. hierzu die ausführliche Analyse in Sulimani (2011), 165–227).
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Die Bedeutung, die dem breiten geographischen Fokus der Bibliotheke im Kontext der Auseinandersetzung des Lesers mit paradoxalen Schilderungen zukommt, wird noch deutlicher, wenn man die zweite Stelle betrachtet, an der dem Leser die Technik des kritischen Vergleiches explizit vorgeführt wird. Die Rede ist von den Ausführungen, die der Erzähler an die Beschreibung der Troglodyten anknüpft – eine Beschreibung, die einmal mehr viel Fremdes und Merkwürdiges enthält, nach der Einschätzung des Erzählers aber nichtsdestoweniger glaubwürdig ist:43 Damit ist über die Troglodyten genug gesagt. Sollte aber von meinen Lesern einer meine Beschreibung solcher Lebensformen wegen der fremden und erstaunlichen Dinge bezweifeln, so möge er sich im Geiste die Klimaverhältnisse etwa im Skythenlande und bei diesen Troglodyten vor Augen halten: Wenn er dann die Unterschiede zwischen beiden sieht, wird er sich nicht mehr wundern. Der Unterschied zwischen den klimatischen Verhältnissen bei uns und in den beschriebenen Gegenden nämlich ist so groß, dass Einzelheiten dieses Unterschiedes unglaubwürdig scheinen müssen. Dort nämlich, wo bei übermäßiger Kälte selbst die größten Flüsse zugefrieren und das Eis es ermöglicht, dass ganze Heere mit beladenen Wagen es als Marschweg benutzen, dort gefrieren selbst Wein und die anderen Flüssigkeiten, so dass man sie mit dem Messer in Stücke schneiden muss. […] Es tragen sich auch viele andere, noch erstaunlichere Dinge zu, denen, die sie nicht kennen, unglaublich, und wenn man sie erlebt hat, unerträglich. In den entlegenen Randgebieten zwischen Ägypten und dem Troglodytenland wiederum können bei überstarker Sonnenhitze um die Mittagszeit wegen starker Luftverdichtung selbst die Zunächststehenden einander nicht erkennen. Ohne Fußbekleidung ist keiner imstande, sich auch nur zu bewegen, weil sich am unbeschuhten Fuße sofort Blasen bilden würden. […] Und dennoch sind diese beiden Gegenden mit ihren Unterschieden nicht einmal durch allzu große Zwischenräume voneinander getrennt. Vom Maiotischen See nämlich, an dem einige der Skythen in Frost und nicht mehr erträglicher Kälte sitzen, sind schon viele Seefahrer bei 43 Diod. 3.33.7–3.34.7: καὶ περὶ μὲν τῶν Τρωγλοδυτῶν ἱκανῶς εἰρήκαμεν· εἰ δέ τις τῶν ἀναγινωσκόντων διὰ τὸν ξενισμὸν καὶ τὸ παράδοξον τῶν ἀναγεγραμμένων βίων ἀπιστήσει ταῖς ἱστορίαις, θεὶς πρὸ τῆς διανοίας παρ’ ἄλληλα τόν τε περὶ τὴν Σκυθίαν ἀέρα καὶ τὸν περὶ τὴν Τρωγλοδυτικήν, καὶ τὰς ἑκατέρων διαφορὰς ἰδών, οὐκ ἀπιστήσει τοῖς ἱστορημένοις. τοσαύτη γὰρ παραλλαγὴ τῶν παρ’ ἡμῖν ἀέρων πρὸς τοὺς ἱστορημένους ὥστε τὴν κατὰ μέρος διαφορὰν ἄπιστον εἶναι. ὅπου μὲν γὰρ διὰ τὴν ὑπερβολὴν τοῦ ψύχους πήγνυνται μὲν οἱ μέγιστοι ποταμοί, στέγοντος τοῦ κρυστάλλου διαβάσεις στρατοπέδων καὶ ἁμαξῶν καταγόμων ἐφόδους· πήγνυται δὲ ὁ οἶνος καὶ τὰ λοιπὰ τῶν χυμῶν ὥστε μαχαίραις ἀποτέμνεσθαι· […] πολλὰ δὲ καὶ ἄλλα τούτων παραδοξότερα συντελεῖται, τοῖς μὲν ἀγνοοῦσιν ἄπιστα, τοῖς δὲ πεῖραν εἰληφόσιν ἀνυπομόνητα. περὶ δὲ τὰς ἐσχατιὰς τῆς Αἰγύπτου καὶ Τρωγλοδυτικῆς διὰ τὴν ὑπερβολὴν τῆς ἀφ’ ἡλίου θερμασίας κατὰ τὸν τῆς μεσημβρίας καιρὸν οὐδὲ συνορᾶν ἀλλήλους οἱ παρεστῶτες δύνανται διὰ τὴν παχύτητα τῆς περὶ τὸν ἀέρα πυκνώσεως, χωρὶς δὲ ὑποδέσεως πάντες ἀδυνατοῦσι βαδίζειν, ὡς ἂν τοῖς ἀνυποδήτοις παραχρῆμα φλυκτίδων γινομένων. […] τὰς δὲ τηλικαύτας ἐπ’ ἀμφότερα διαφορὰς οὐ πολὺ διορίζει τόπου διάστημα. ἀπὸ γὰρ τῆς Μαιώτιδος λίμνης, ᾗ προσοικοῦσί τινες τῶν Σκυθῶν ἐν πάγει καὶ ψύχεσιν ὑπερβάλλουσι καθιδρυμένοι, πολλοὶ τῶν πλοϊζομένων οὐριοδρομούσαις ναυσὶ φορτίσιν εἰς μὲν Ῥόδον δεκαταῖοι καταπεπλεύκασιν, ἐξ ἧς εἰς Ἀλεξάνδρειαν τεταρταῖοι καταντῶσιν, ἐκ δὲ ταύτης κατὰ τὸν Νεῖλον πλέοντες πολλοὶ δεκαταῖοι κατηντήκασιν εἰς Αἰθιοπίαν, ὥστε ἀπὸ τῶν κατεψυγμένων μερῶν τῆς οἰκουμένης ἐπὶ τὰ θερμότατα μέρη μὴ πλέον εἴκοσι καὶ τεττάρων ἡμερῶν εἶναι τὸν πλοῦν τοῖς κατὰ τὸ συνεχὲς κομιζομένοις. διόπερ τῆς διαφορᾶς τῆς τῶν ἀέρων ἐν ὀλίγῳ διαστήματι μεγάλης οὔσης οὐδὲν παράδοξον καὶ τὴν δίαιταν καὶ τοὺς βίους, ἔτι δὲ τὰ σώματα πολὺ διαλλάττειν τῶν παρ’ ἡμῖν.
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Mario Baumann Rückenwind auf ihren Lastschiffen in 10 Tagen nach Rhodos gelangt. Von da kann man in 4 Tagen nach Alexandria kommen, und von hier aus wieder fuhren viele schon in 10 Tagen nilaufwärts bis nach Äthiopien. So ist es demnach möglich, in einem fort segelnd in nicht mehr als 24 Tagen von den kalten Teilen der Erde bis zu deren wärmsten zu fahren. Da nun also in geringer räumlicher Entfernung sehr unterschiedliche klimatische Bedingungen herrschen, ist es kein Wunder, wenn sich Ernährung, Lebensweise und selbst Körperbau der Bevölkerung dort ebenfalls vollkommen von den unseren unterscheiden.
Der Vergleich, den der Erzähler hier vornimmt, umfasst zwei argumentative Schritte: Er stellt zunächst die klimatischen Verhältnisse in Äthiopien und in Skythien nebeneinander und konstatiert drastische Unterschiede. Diese Unterschiede, so der Erzähler im zweiten Argumentationsschritt, beglaubigen entsprechend große Differenzen zwischen den Lebensweisen der Völker und damit zugleich auch erhebliche Abweichungen von den Lebensweisen seiner Leserschaft aus dem griechisch-römischen Mittelmeerraum.44 Diese Argumentation ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert: Zum einen deswegen, weil hier das ‚Oikumene-Prinzip‘, das ich eben bereits im Zusammenhang mit Kap. 3.30 erwähnt habe, auf die Spitze getrieben wird, nimmt der Erzähler doch gerade die entlegensten Gebiete in den Blick, nämlich die südlichen und nördlichen Ränder der bewohnten Welt. Hier wird gewissermaßen das maximale argumentative Potential entfaltet, das man – und damit ist natürlich auch der Leser gemeint, wenn er den Impuls aufgreift, selbst derartige Vergleiche anzustellen – aus dem auch in räumlicher Hinsicht universalgeschichtlichen Vorgehen der Bibliotheke gewinnen kann. Zweitens wird hier aber auch die Selbstreferentialität der Bibliotheke gegenüber dem, was bei der obigen Betrachtung von Kap. 3.30 zu konstatieren war, noch deutlich zugespitzt. In diese Richtung wirken gleich mehrere Eigenschaften des in Kap. 3.33–34 angestellten Vergleiches: Zum einen ist hier keinerlei Rede von irgendwelchen anderen historiographischen Werken, auf die der Erzähler sich bezieht. Natürlich schöpft er faktisch seine Informationen aus irgendwelchen Quellen, aber das wird im Diskurs, den er hier entfaltet, völlig beiseitegelassen. Damit ist der Leser hier noch unmittelbarer als in Kap. 3.30 mit dem Gestus konfrontiert, dass die Bibliotheke so, wie sie ihm vorliegt, aus sich heraus all die relevanten Informationen liefert, die der Leser braucht. Es kommt hinzu, dass dem Leser hier sogar ein impliziter Querverweis auf eine andere Passage der Bibliotheke an die Hand gegeben wird, denn Skythien wird innerhalb der ersten Pentade nicht nur hier, sondern auch an anderer Stelle behandelt, konkret in den Kapiteln 43 und 44 des zweiten Buches. Der Leser ist also gleichsam dazu eingeladen, querzulesen – einmal mehr ein Impuls, der die Bibliotheke als den (Binnen-)Raum stark macht, in dem sich die Aktivitäten des Lesers vollziehen. Schließlich, und das ist der möglicherweise bedeutsamste Punkt, macht der Vergleich zwischen Äthiopien und Skythien klar, dass es für eine sachgerechte Einschätzung der Glaubwürdigkeit der in der Bibliotheke geschilderten παράδοξα nicht auf eine 44 Der von Rathmann (2014), 64 erhobene Vorwurf, Diodor biete hier kein Argument, ist daher unzutreffend.
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Empirie des Lesers ankommt. Darin läge ja eine im Prinzip sehr wirksame Möglichkeit, die Vertrauenswürdigkeit paradoxaler Schilderungen zu verifizieren – nämlich darin, entweder die entsprechenden Phänomene selbst in Augenschein zu nehmen oder, sollte jemand in der Vergangenheit eine solche Autopsie vorgenommen haben, das daraus gewonnene Wissen bei einer Lektüre der Bibliotheke zur kritischen Beurteilung zu verwenden. Aber nicht nur ist es höchst unwahrscheinlich, dass die antiken Leser der Bibliotheke eine originäre Anschauung der entlegensten Gegenden der Oikumene hatten oder in der Lage gewesen wären, eine solche zu erlangen, es ist darüber hinaus auch in keiner Weise notwendig, vermittelt doch der Erzähler der Bibliotheke dem Leser genau die sachlichen Informationen, die er zu einem Nachvollzug des Vergleiches benötigt, und leistet darüber hinaus eine ausgesprochen anschauliche Schilderung der extremen klimatischen Verhältnisse im Norden und Süden – Kap. 3.34 ist geradezu ein Schaustück historiographischer ἐνάργεια. Anders ausgedrückt: Hier wird weniger an einen schon gegebenen Wissensstand oder an eine bestimmte vorhandene Anschauung des Lesers angeknüpft, sondern es wird vielmehr performativ durch den Text der Bibliotheke selbst ein Bild dieser fernen Gegenden und ein daraus ableitbares Argument hergestellt.45 Nimmt man alle diese Merkmale zusammen, lässt sich die so hervortretende Dynamik des Textes als eine Verschiebung der Ebene charakterisieren, auf der die Frage nach der Glaubwürdigkeit der παράδοξα beantwortet wird: Das Vorgehen des Erzählers löst diese Frage von der Ebene einer originären Sach-Plausibilität und verschiebt sie auf die Ebene des Buches und seiner Darstellung hin. Die Antwort auf die Frage, ob er paradoxalen Schilderungen vertrauen soll oder nicht, findet der Leser in der Bibliotheke. Es bedarf dazu lediglich einer bestimmten Lesestrategie, die der Erzähler an einer Stelle wie Diod. 3.33–34 exemplarisch vorführt: Diese Strategie besteht darin, unterschiedliche Partien der Bibliotheke miteinander in Verbindungen zu bringen und aus der vergleichenden Gegenüberstellung von aufeinander beziehbaren Passagen Schlussfolgerungen abzuleiten. Das ist die konkrete Zuspitzung, die man den Überlegungen zu Widersprüchen, Ambivalenzen und Leerstellen, wie sie im ersten Teil dieses Artikels vorgebracht wurden, geben kann. Wenn es also etwa aus der Aporie, in die die Ausführungen zu den möglichen Gründen für die Verehrung der heiligen Tiere in Ägypten den Leser bringen,46 einen Ausweg gibt, dann darf der Rezipient erwarten, ihn durch ein derartiges Querlesen in der Bibliotheke selbst zu finden. Es ist an ihm, mögliche Vergleichspunkte auszumachen – etwa im ersten Teil von Buch 1, der den ägyptischen Göttern und ihrer Verehrung gewidmet ist, oder auch unter den vielen Stellen der ersten Pentade, wo von der Tierwelt der Oikumene die Rede ist – und dann zu prüfen, zu welchen Folgerungen er dadurch gelangen kann.
45 In Rathmanns Analyse (vgl. Rathmann (2014), 64) erscheint das Vorgehen des Erzählers deswegen als defizient, weil sie diese performative Dimension ebenso wie die Selbstreferentialität des Textes, der sich hier in gewisser Weise selber beglaubigt, nicht berücksichtigt. 46 Vgl. Diod. 1.86.1.
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Die Faktion des Geschichtsschreibers im Widerstreit mit der Theorie Oder: Wird die antike Historiographie ihren eigenen Ansprüchen gerecht? Alexander Free
Τοῦ δὴ συγγραφέως ἔργον ἕν – ὡς ἐπράχθη εἰπεῖν – „Denn der Geschichtsschreiber hat nur eine einzige Aufgabe: zu berichten, wie es sich zugetragen hat“ (Lukian. hist. conscr. 39). Mit diesen Worten beschreibt der Satiriker Lukian von Samosata in seiner im 2. Jh. n. Chr. verfassten Schrift Quomodo historia conscribenda sit die Tätigkeit des Historiographen. Der Satz erinnert an die berühmte Vorrede Leopolds von Ranke in seinen Geschichten der romanischen und germanischen Völker. In ihr charakterisierte der Historiker das Ziel seines Werkes sowie darüber hinausgehend der Geschichtsschreibung schlechthin mit dem Diktum, „er [scil. Rankes Versuch einer Geschichtsschreibung] will bloß zeigen, wie es eigentlich gewesen“.1 Ranke fordert einen Historiker, der das reale Objekt der Geschichte als Daseinsform unabhängig von aktuellen Wertmaßstäben beobachtet, es somit in seiner eigenen Berechtigung unmittelbar zu Gott begreift. Er vertritt damit den Standpunkt einer wissenschaftlichen Art der Geschichtsdarstellung, die dem umfassenden Studium der Quellen, der unparteiischen Auffassung des Historikers sowie der objektiven Darstellung des Gegenstandes höchste Priorität beimisst.2 Die Nähe der Aussage Lukians zu jener Rankes rückt den antiken Autor auf den ersten Blick geradezu in die Vorstellungswelt der Moderne. Ob Ranke die Schrift des Satirikers für seine Überlegungen zur Geschichtsschreibung heranzog, ist jedoch nicht eindeutig nachzuweisen. Beeinflusst zeigte sich der Historiker zweifellos von Thukydides. Mit Lukian teilt Ranke dadurch zumindest die Anlehnung an das Ideal einer pragmatischen Geschichtsschreibung, deren Grundsätze sich am deutlichsten im sogenannten thukydideischen Methodenkapitel zeigen.3 Hier gibt Thukydides Einblick in sein 1 2 3
Stern/Osterhammel (2011), 94. Ursprünglich 1824. Siehe dazu ausführlich ebd. 92–95 mit Vierhaus (1977), 63–76, bes. 65–72. Siehe Thuk. 1.22 sowie mit Blick auf eine syntaktische Ähnlichkeit zu Rankes Diktum 2.48.3. Über das Verhältnis Rankes zu Thukydides informiert Ligota (2007), 63–64, der eine direkte Reminiszenz des
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methodisches Vorgehen und wird damit häufig als antikes Vorbild der seit dem 19. Jh. an Einfluss gewinnenden und sich in Rankes Ausspruch verdichtenden Vorstellung einer objektiven Geschichtswissenschaft betrachtet.4 In ihr wurde der methodischen Kompetenz, also der historischen Forschung, in zunehmendem Maße höhere Bedeutung beigemessen als der literarischen Befähigung des Historiographen. Diese Auffassung hatte nicht nur für den Fortgang der Geschichte als Wissenschaft bis in die Gegenwart hinein Bedeutung, sondern auch für die Beurteilung der Historiographie vergangener Jahrhunderte.5 Wurde ein Autor wie der im 3. Jh. n. Chr. schreibende Herodian in der Frühen Neuzeit noch für seine Darstellung der römischen Kaiser von Mark Aurel bis Gordian III. gelobt, so sprach man ihm im Zuge der Verwissenschaftlichung der Geschichte jegliche historiographische Eignung ab. Man forderte gar, ihn „aus der Reihe der benutzbaren Quellen“ zu streichen.6 Das Urteil über Herodian verdeutlicht das Problem einer Charakterisierung antiker Geschichtsschreibung nach den Maßstäben einer objektiven Geschichtswissenschaft, die in Thukydides ihren ersten Vertreter sieht und mit der offenbar auch Lukian in Verbindung gebracht werden kann.7 Nur wenige antike Historiographen schienen sich den Richtlinien des thukydideischen Methodenkapitels, wie sie durch die historistische Geschichtsforschung gedeutet wurden, ganz und gar verschrieben zu haben. Sie wurden in der Regel als Ausnahmen betrachtet, während die Mehrzahl der Autoren offenbar weitgehend an den Ansprüchen adäquater Geschichtsschreibung scheiterte. Dass in der Antike allerdings ein solches Missverhältnis zwischen Norm und Umsetzung in der Geschichtsschreibung herrschte, ist schwer zu verstehen.8 Anthony Woodman wandte sich aus diesem Grund gegen die in der modernen Geschichtswissenschaft weit verbreitete Auffassung, die antike Vorstellung von Geschichtsschreibung entspreche dem eigenen. Vielmehr sei die Gattung stark den Regeln der Rhetorik verpflichtet gewesen. Der antike Geschichtsschreiber bediene sich schon aufgrund seines Grundverständnisses von der Gattung fiktionaler Elemente und sei eher mit einem Redner vor Gericht zu vergleichen als mit einem einer objektiven Wahrheit verpflichteten Historiker. Die literarische Ausschmückung oder Erfindung von Gegebenheiten stehe daher nicht im Gegensatz
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Ranke-Zitates an den athenischen Geschichtsschreiber allerdings für wenig überzeugend hält. In dem zitierten Ausspruch Lukians erkennt Ligota hingegen ein ‚Rankean echo‘. Vgl. auch Stroud (1987), 379–382. Eine für seinen Traktat programmatische Paraphrase des thukydideischen Methodenkapitels führt Lukian in hist. conscr. 42 an. Siehe dazu Meister (1990), 62 sowie ausführlich Ders. (2013), 167–224. Rüsen (1982), 14–22 skizziert einige Grundlinien dieser Entwicklung. Siehe Zimmermann (1999), 17, der sich auf Büdinger (1868), VI bezieht. Kritik an der Gleichsetzung thukydideischer Geschichtsschreibung und moderner Geschichtswissenschaft üben berechtigterweise Loraux (1980) und Woodman (1988), 197–212. Berechtigte Skepsis hinsichtlich einer Einschätzung der antiken Geschichtsschreibung nach modernen Kriterien übt Heldmann (2011), 13–14; Gabba (1981), 50–62, bes. 50 erachtet Thukydides und Polybios als Ausnahmen innerhalb der antiken Gattung und führt Geschichtswerke an, die sich von einer pragmatischen Geschichtsschreibung weit entfernen.
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zum antiken Wahrheitspostulat. Im Gegenteil, der Wahrheitsbegriff antiker Geschichtsschreibung unterscheide sich deutlich von jenem der Moderne.9 So klärend die Ansichten Woodmans für das allgemeine Verständnis der antiken Historiographie auch waren, ist ihnen doch vielfach widersprochen worden. Woodmans Auffassungen erscheinen im Hinblick auf eine Gesamtbetrachtung der antiken Gattung allzu pauschal und werden mitunter sogar als falsch erachtet.10 Die Auseinandersetzung zwischen Interpreten einer historisch-kritischen Prägung, die die antike Historiographie in die Nähe moderner Vorstellungen von Geschichtswissenschaft rücken, und jenen, die in der Nachfolge Woodmans eine postmoderne Vorgehensweise präferieren, in der maßgeblich die literarische Konstruktion von Geschichtsschreibung von Bedeutung ist, setzt sich weiter fort.11 Jenseits aller Einzelkritik an beiden Forschungspositionen bleibt das Grundproblem, das bereits aus dem eingangs angeführten Lukian-Zitat hervorgeht. Der antike Geschichtsschreiber macht es sich zur Aufgabe, eine faktuale Erzählung zu bieten, ὡς ἐπράχθη εἰπεῖν. Sie bleibt nichtsdestotrotz eine Erzählung und versperrt damit den uneingeschränkten Blick auf eine ihr zugrunde liegende Realität.12 Im Folgenden soll diese Ambivalenz im Rahmen theoretischer Äußerungen zum antiken Gattungsverständnis einer näheren Betrachtung unterzogen und die These begründet werden, dass es durchaus eine Diskrepanz zwischen dem Anspruch und der Umsetzung von Geschichtsschreibung gegeben hat. Die Gattung setzt sich ‚Wahrheit‘ als oberstes Ziel und möchte Fakten präsentieren. Zugleich fällt sie in den Kompetenzbereich der Rhetorik und beinhaltet auch literarisch-fiktive Elemente. Geschichtsschreibung steht damit in einem Spannungsverhältnis zwischen Fakt und Fiktion. Sie ist Faktion.13 Die 9
Siehe Woodman (1988), bes. 70–101 zu Ciceros theoretischen Ausführungen zur Historiographie in Auseinandersetzung mit Brunt (1980), dem Woodman 101, Anm. 3 attestiert: „his […] views […] are in fact standard amongst modern students of ancient history.“ Die Auffassung von Brunt teilt Fleck (1993). Vgl. auch Leeman (1963) sowie Petzold (1972). Vor Woodman äußerte sich bereits Wiseman (1979) auf ähnliche Weise kritisch gegenüber der modernen Vorstellung von antiker Historiographie. Siehe auch Ders. (1993) sowie jüngst Heldmann (2011), 15: „Der Großzügigkeit, mit der man immer wieder implizit und explizit die Geschichtsschreibung von zweieinhalb Jahrtausenden auf einen Nenner bringen zu können glaubt, kann gar nicht entschieden genug widersprochen werden.“ 10 Begründete Kritik üben etwa Moles (1993), Rhodes (1994), Bosworth (2003), Damon (2007), Porod (2007), Lendon (2009). 11 Vgl. Pausch (2011), 4–5, der in diesem Sinne von zwei ‚Schulen‘ spricht. Neuere Beiträge, die sich beide in Extrempositionen verlieren, sind einerseits Batstone (2009) mit einem postmodernen Blick auf die antike Geschichtsschreibung, andererseits Lendon (2009) mit einer Generalkritik an den Schülern von Wiseman und Woodman. 12 In der modernen Geschichtstheorie macht insbesondere White (1973) und (1986) auf dieses Phänomen der Geschichtsschreibung aufmerksam und spricht etwa ebd. 145–160 von der Fiktion des Faktischen. So prägend seine Ausführungen für die moderne Theoriebildung auch sein mögen, haben sie doch erhebliche Kritik erfahren. Während die von ihm zugrunde gelegte Tropologie bisweilen als zu schematisch und nicht differenziert genug betrachtet wird, stellt vor allem seine Vernachlässigung historischer Referentialität einen erheblichen Mangel seiner Überlegungen dar. Vgl. Häfner (2007), 88: „Der blinde Fleck in Whites Theorie zeigt sich deutlich: Wie lassen sich historische Fakten begründet feststellen? Wenn eine Geschichtstheorie die Eruierung historischer Fakten nicht problematisiert, den Fakten aber kritische Bedeutung für die Beurteilung von Geschichtserzählungen zuerkennt, dann ist die Theorie entwertet.“ Einschlägige Kritik üben auch Oexle (1992); Ders. (2000); Evans (1998); Flaig (2000) und Otto (2005). 13 Mit dem englischen Begriff „faction“ charakterisiert Backhaus (2007) und (2012) die Praxis antiker Historiographie sehr treffend. Er folgt damit der Feststellung von Pelling (1990), 49, der zu Tacitus bemerkt:
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antike Theorie findet jedoch keine hinreichende Lösung, um der Historiographie als faktualer Erzählung vollkommen Herr zu werden. Zwischen dem Ideal einer wahrheitsgetreuen Darstellung und der praktischen Umsetzung der antiken Historiographen existiert deshalb ein Missverhältnis.14 Um diese Diskrepanz zu veranschaulichen, sollen zunächst die Argumente literarisch orientierter Interpreten zu den geschichtstheoretischen Äußerungen des M. Tullius Cicero und des Lukian von Samosata in den Blick genommen werden. Der Schwerpunkt der Analyse soll sich dabei um die Problematisierung historischer Referentialität drehen.15 Die Ausführungen Ciceros und Lukians erscheinen als Untersuchungsgegenstand sinnvoll, da sie neben jenen des Dionysios von Halikarnassos als die einflussreichsten theoretischen Darlegungen zur Historiographie aus der Antike gelten können.16 Beide setzen sich innerhalb ihres Gesamtwerkes mit Fragen zur adäquaten Abfassung von Geschichte auseinander. In seinen Schriften De oratore und De legibus äußert sich Cicero über die seiner Meinung nach ungenügende Geschichtsschreibung seiner Zeit und reflektiert darüber, wie Geschichte idealerweise zu schreiben sei. Seine Überlegungen werden durch einen Brief ergänzt, in dem er den Prätor L. Lucceius um ein Geschichtswerk über die Catilinarische Verschwörung bittet.17 In ähnlicher Weise wirft auch Lukian einen kritischen Blick auf die Geschichtsschreibung seiner Zeit und gibt in seinem Traktat Quomodo historia conscribenda sit Regeln zur rechten Abfassung eines Geschichtswerkes.18 Cicero und Lukian vertreten in ihren Betrachtungen ähnliche Positionen, kommen jedoch zu unterschiedlichen Schlüssen, wie Geschichte zu schreiben sei. Der vergleichende Blick auf ihre Reflexionen macht deutlich, dass es ein einheitliches Ideal antiker Geschichtsschreibung nicht gegeben hat, man vielmehr von Idealen sprechen muss, die in ihren Ausprägungen voneinander abwichen. Die unter-
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„But ‚must‘ all Tacitus’ detail have been true, in his eyes? Surely not: once we have to postulate a third category, not quite ‚true‘, not ‚false‘, but ‚true enough‘ […]“. Insofern weichen die folgenden Ausführungen von der Annahme von Heldmann (2011), 13–14 ab, es sei kaum vorstellbar, dass die antiken Geschichtsschreiber allesamt an ihren eigenen Ansprüchen gescheitert seien. An ihren eigenen Ansprüchen scheitern die Historiographen keineswegs, an dem Ideal einer übergeordneten antiken Theorie jedoch durchaus. Die nachstehenden Überlegungen orientieren sich somit an den Argumenten der Kritiker Whites. Siehe darüber hinaus die grundlegende Darstellung von Goertz (2001). So hatten diese drei Autoren den größten Einfluss auf die sich in der Frühen Neuzeit entwickelnde Gattung der Ars historica. Siehe dazu Grafton (2007), bes. 34–35, 67–68. Zu Dionysios von Halikarnassos vgl. zudem Pritchett (1975) und De Jonge (in diesem Band). Weitere Metazeugnisse zur antiken Historiographie jenseits der Aussagen in den Geschichtswerken selbst, etwa bei Thukydides oder Polybios, finden sich in Plin. epist. 5.8, bei Quintilian sowie in Plutarchs Schrift De Malignitate Herodoti; vgl. dazu Blank (in diesem Band) sowie Pausch (2004), 79–88, Ax (1990) sowie Marincola (2015). Zu den möglichen Theorieschriften zur Geschichtsschreibung περὶ ἱστορίας, über die nur wenig auszusagen ist, vgl. Meissner (2010), 180–183, 194–195 sowie Free (2015), 267–276. Cic. de orat. 2.54–55, 62–64, leg. 1.4–9, fam. 5.12. Siehe dazu Cape (1997); Feldherr (2003) sowie den Überblick bei Flach (2013), 92–98. Zu Ciceros Beschäftigung mit der Historiographie siehe neben den in Anm. 9 genannten Beiträgen an älteren Darstellungen noch Defournay (1953), Rambaud (1953) und Rawson (1972). Lukian. hist. conscr. 2. Vgl. zu der Schrift vor allem die Arbeiten von Avenarius (1956), Homeyer (1965), Porod (2013) und Free (2015). Ein Forschungsüberblick ebd. 4–6. Siehe auch neuerdings Tamiolaki (2015) und (in diesem Band).
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schiedlichen Auffassungen waren dabei sowohl zeitabhängig als auch Teil eines allgemeinen Diskurses.19 Abschließend vermag der Blick auf die Äußerungen des Sextus Empiricus in seinem Werk Adversus Mathematicos die Ambivalenz der antiken Geschichtsschreibung zwischen Fakt und Fiktion noch näher zu umfassen. Der pyrrhonische Skeptiker beschäftigt sich mit Geschichte im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der Disziplin der Grammatik.20 Er geht auf die Methodizität von Geschichte ein und präsentiert ein literaturtheoretisches System, das der Historiographie einen eindeutigen Platz in der Frage nach ihrer Faktualität zuweist. Seine Bemerkungen machen daher die Abstriche Ciceros und Lukians zwischen dem von ihnen postulierten Ideal und der ihrer Meinung nach mangelhaften Geschichtsschreibung ihrer Zeit verständlich. Der nähere Blick auf die Darlegungen Ciceros, Lukians und des Sextus Empiricus verdeutlicht, warum sowohl die Anhänger einer historisch-kritischen Betrachtung der antiken Geschichtsschreibung als auch die literarisch-postmodernen Interpreten ihre Positionen in den antiken Texten wiederfinden können. Die Faktion antiker Geschichtswerke hat eine Diskrepanz zu den Ansprüchen ihrer Theorie zur Folge. Dadurch ergeben sich ambivalente Urteile über ihr Wesen je nach Schwerpunktlegung der modernen Interpreten.21 Die folgenden Ausführungen verstehen sich als Vermittlung zwischen beiden Forschungspositionen und versuchen jene Zwiespältigkeit der Gattung näher zu beleuchten, die es den Vertretern beider Richtungen gestattet, die antiken Aussagen in ihrem Sinne auszulegen. 1. Cicero: Der Geschichtsschreiber als Rhetor Es sind die Überlegungen Ciceros, die durch die Interpretation Woodmans einen der Eckpfeiler literarisch-postmoderner Betrachtungen der antiken Historiographie bilden. Nach dem Gattungsverständnis des römischen Redners erscheint die Geschichtsschreibung in hohem Maße als ein munus oratoris. In seiner Schrift De oratore lässt Cicero den Gesprächsteilnehmer Antonius fragen: qualis oratoris, et quanti hominis in dicendo, putas
19 Porod (2007), 121 Anm. 9 bemerkt zurecht, dass Cicero und Lukian aufgrund ihrer Verortung in unterschiedlichen literarischen Traditionen nicht direkt miteinander zu vergleichen sind. Dennoch orientieren sich beide an den Vorstellungen pragmatischer Geschichtsschreibung und können gerade deshalb auch nebeneinander betrachtet werden. Siehe dazu die Argumente von Petzold (1972), 269–272 sowie 264 Anm. 32, der die Ansichten Ciceros in Verbindung zu den Anschauungen des Polybios betrachtet: „Der Vergleich lehrt, daß Cicero auf der Linie Thukydides-Aristoteles-Lukian liegt […].“ 20 S. Emp. adv. Math. 1.248–269. Siehe dazu maßgeblich Meissner (2010), 191–194 sowie Blank (1998). Ferner generell Hossenfelder (1995), 147–182 zur pyrrhonischen Skepsis. 21 Vgl. dazu bereits den Disput der spanischen Gelehrten Antonio de Guevera und Pedro de Rhua von 1528. Während de Guevara im Hinblick auf die Praxis antiker Historiographie die Glaubwürdigkeit der Texte stark bezweifelt, argumentiert de Rhua unter Berücksichtigung der Methodenschrift Lukians für den ausgeprägten Willen zur Darstellung der Wahrheit innerhalb der Gattung. Ihre Positionen erinnern an die moderne Debatte über die adäquate Einschätzung der antiken Geschichtsschreibung und haben ebenfalls das Verhältnis von Literarizität und Faktizität zum Thema. Siehe dazu Zimmermann (1999), 10–11.
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esse, historiam scribere? Ihm antwortet Catulus prägnant: summi.22 Der ciceronische Geschichtsschreiber soll sich demnach durch größtmögliche Beredsamkeit auszeichnen. Cicero nennt zwei Gesetze, die bei der Abfassung von Historiographie zu beachten seien: Man dürfe nicht wagen, etwas Unwahres zu sagen, und man dürfe sich nicht scheuen, Wahres auszusprechen. Gefordert wird die Vermeidung von Gunst (gratia) oder Feindschaft (simultas), somit Überparteilichkeit. Unter Auslassung der Stoffauffindung stellt sie für Cicero die Grundlage (fundamentum) eines Geschichtswerkes dar.23 Der Verfasser von Geschichte kann sich daher unter Einhaltung der zwei von dem Redner genannten Regeln hauptsächlich auf die sprachliche Ausarbeitung (exaedificatio) des Werkes konzentrieren. Der Geschichtsschreiber wird zum exornator rerum, sein Material muss er offenbar nur nach den Regeln der Rhetorik in der richtigen Weise anordnen und ausschmücken. Dadurch erhält er ein den Ansprüchen Ciceros gerecht werdendes Geschichtswerk. Dieses ist ganz und gar ein Produkt der rhetorischen Fähigkeiten seines Verfassers.24 Woodman, der den Ausführungen in De oratore einen allgemeingültigen Charakter für die antike Geschichtsschreibung zuweist, betont die große Ähnlichkeit zwischen dem von Cicero entworfenen Historiographen und einem Redner. Wahrheit sei lediglich gleichzusetzen mit Überparteilichkeit. Im Grunde komme es Cicero maßgeblich auf die nötige Plausibilität der historischen Darstellung an und nicht auf ihren wirklichen Realitätsgehalt.25 Woodman ersetzt einen absoluten Wahrheitsbegriff durch rhetorische Wahrscheinlichkeit. Seine Thesen findet er in Ciceros Brief an Lucceius bestätigt. Auch hier spricht der Redner von den leges historiae, die der von ihm auserkorene Geschichtsschreiber außer Acht lassen könne. Dadurch habe er die Möglichkeit, die Taten Ciceros bedeutender darzustellen als es die Wahrheit gestatte.26 Wahrheit wird nach Woodman auch in diesem Fall mit Überparteilichkeit gleichgesetzt. Lucceius kommt für Cicero als Geschichtsschreiber in Frage, da er nicht an den Ereignissen beteiligt war, somit prinzipiell überparteilich agieren kann. Darüber hinaus hat er das nötige sprachliche Geschick, um ein rhetorisch anspruchsvolles Geschichtswerk vorzulegen.27 Die 22 Cic. de orat. 2.51. Als munus oratoris bezeichnet Cicero die Geschichtsschreibung ebd. 2.62. In leg. 1.5 charakterisiert er sie als opus oratorium maxime. 23 Cic. de orat. 2.51, den Aspekt der Überparteilichkeit hebt besonders Woodman (1988), 73 und 82 hervor. 24 Cic. de orat. 2.63–64, siehe dazu Woodmann (1988), 83: „Thus the laws of historiography are subordinate to what is said in the rest of the paragraph […].” Dass ein Geschichtsschreiber nicht allein narrator sein soll, sondern exornator rerum, bemerkt Cicero in de orat. 2.54. Das Fehlen der Stoffauffindung in Ciceros Ausführungen sollte weniger darauf zurückgeführt werden, dass sich der Geschichtsschreiber einfach einer rhetorischen inventio bedienen könne, wie Woodman (1988), 87 annimmt. Eher denkt der römische Redner an einen Historiographen, der aktiv am Zeitgeschehen teilnimmt und daher vor allem mit Autopsiematerial arbeitet. Es geht Cicero also um Zeitgeschichte. Siehe dazu Damon (2007), 440. 25 Woodman (1988), 73–75, 83–85, 95–99. Ähnlich argumentierte bereits Kessler (1982), 44–47. 26 Cic. fam. 5.12.1–3, 6–8 mit Woodman (1988), 73–74. Vgl. dazu auch die sinnverwandte Bitte des Lucius Verus an M. Cornelius Fronto, der ein panegyrisches Geschichtswerk über seinen Partherfeldzug verlangt: Front. ad verum Imp. 2.3 (Haines). 27 Cic. fam. 5.12.4–6. Heldmann (2011), 54–56 assoziiert den ciceronischen Wahrheitsbegriff in dem Brief an Lucceius sowie in De oratore indes treffender mit ‚Wirklichkeit‘. Zur Überparteilichkeit in der antiken Geschichtsschreibung siehe noch die grundsätzlichen Ausführungen von Luce (1989).
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Auffindung des Stoffes berührt Cicero dagegen nur im Vorübergehen. Sollte Lucceius das Geschichtswerk verfassen wollen, werde der Redner ihm seine eigenen commentarii als Material zusenden.28 Dieses Angebot unterbreitet Cicero auch dem Universalgelehrten Poseidonios aus Apameia. Der Philosoph soll aus den Aufzeichnungen des Redners ebenfalls ein Geschichtswerk machen. Seine Aufgabe ebenso wie jene des Lucceius scheint dabei lediglich in der rhetorischen Umarbeitung des von dem Augenzeugen Cicero zusammengestellten Materials zu bestehen.29 Offenbar muss der Geschichtsschreiber die von Cicero dargelegten Fakten nicht mehr eigenständig prüfen, da dessen Augenzeugenschaft bereits für die Zuverlässigkeit des Materials bürgt. Nach Ansicht Woodmans kann der Historiograph auf sie als Kern harter Fakten zurückgreifen, die er im Folgenden nur noch literarisch auszuarbeiten habe.30 Das Faktum wird also offenbar ohne weitergehende Reflexion als gegeben hingenommen. Es unterliegt der erzählerischen Fiktion, die damit in der Dichotomie von Faktualität und Fiktionalität den dominierenden Part einnimmt. Der Geschichtsschreiber als kritisch denkender Forscher wird entmündigt. Geschichtsschreibung als literarisches Produkt nähert sich dem fiktionalen Roman an. Über eine Darstellung, die allenfalls plausibel anmutet, ist bei Verzicht einer Prüfung des Materials nicht mehr hinauszukommen. Die Einschätzung antiker Historiographie im soeben beschriebenen Sinne ignoriert allerdings die Frage, inwiefern die erzählerische Fiktion mit dem Faktischen korreliert. Dass das Quellenmaterial nicht so eindeutig ist, wie es der im Zuge von Ciceros Ausführungen gewonnene Eindruck suggeriert, verdeutlicht zuallererst Thukydides. Er spricht von den Schwierigkeiten in der Abwägung von Zeugenaussagen. Bei der Wiedergabe von Reden sei das Gedächtnis seiner Gewährsmänner nicht immer zuverlässig und dies gelte auch für die Rekonstruktion der Ereignisse. Die Berichte über das Geschehene wichen zudem je nach Gesinnung der Zeugen voneinander ab.31 Das Faktenmaterial ist für Thukydides demnach keineswegs unstrittig. Vielmehr bedarf es eines Denkprozesses, um es in seiner Komplexität zu durchdringen. Mit dieser Auffassung stellt Thukydides freilich keine Ausnahme in der antiken Geschichtsschreibung dar.32 Über Schwierigkeiten und Abwägungsprozesse im Rahmen der Stoffsammlung und Auswertung berichten ebenfalls Dionysios von Halikarnassos, Arrian oder Cassius Dio. Letzterer gibt an, 28 Cic. fam. 5.12.10. Zu diesen commentarii siehe zudem Ciceros Bemerkungen in Att. 1.19.10, 1.20.6 sowie 2.1.1. Eine nähere Betrachtung findet sich bei Lendle (1967). 29 Cic. Att. 2.1.1–2. Sowohl Poseidonios als auch Lucceius lehnen Ciceros Angebot indes ab, so dass der römische Redner am Ende selbst über seine Taten schreiben muss. Vgl. dazu Plut. Cras. 13. Neben seinem griechischen commentarius verfasste Cicero eine Schrift De consiliis suis sowie ein Epos in drei Büchern De temporibus suis. Einen Überblick bietet Mehl (2001), 67. 30 So Woodman (1988), 92 der von einem ‚hard core‘ spricht. 31 Thuk. 1.22.1–3. Thukydides setzt dabei voraus, dass er selbst überparteilich auftritt. Vgl. Luce (1989), 19 sowie Marincola (1997), 164. 32 So erachtet etwa Heldmann (2011), 38 Anm. 76 Bemerkungen antiker Geschichtsschreiber, die über die Schwierigkeiten im Umgang mit dem Material Auskunft geben, als Ausnahmen: „Dass auch antike Historiker erklären, über dieses oder jenes Ereignis seien keine sichere [sic] Aussagen, sondern nur Vermutungen möglich, ist die Ausnahme von der Regel.“ Zum intellektuell mühevollen Charakter der Abfassung eines Geschichtswerkes siehe dagegen Gehrke (1993), 6–7, 9, 13.
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sein Material zehn Jahre lang gesammelt und es in weiteren zwölf Jahren verarbeitet zu haben.33 Auch Dionysios von Halikarnassos spricht von einer zweiundzwanzigjährigen Arbeitszeit an seinen Antiquitates Romanae. Über die Auseinandersetzung mit seinen Quellen gibt dabei eine Korrektur an dem römischen Geschichtsschreiber Fabius Pictor Auskunft. Dionysios versucht ihm Nachlässigkeit in der Chronologie der Ereignisse nachzuweisen und schließt nach seiner Argumentation mit einem Hinweis auf die Mühseligkeit solcher Untersuchungen.34 Dionysios reflektiert also aktiv über das von ihm gesammelte Material. Keinesfalls kann er es problemlos seiner Darstellung zugrunde legen. Der immense Zeitaufwand, den er, wie auch Cassius Dio, auf seine Arbeit an dem geplanten Geschichtswerk verwendet, erklärt sich zu einem gewissen Teil aus den Nachforschungen, denen er im Rahmen einer historischen inventio nachgehen muss. Das Material findet demnach nicht ohne weiteres als Kern harter Fakten Verwendung. Vielmehr muss es erst als solcher konstituiert werden. Dieser Problematik scheint sich auch Cicero bewusst zu sein, obgleich er sie in seinen Anfragen an Poseidonios oder Lucceius ebenso wie in seinen Ausführungen in De oratore ausspart. In seiner Schrift De legibus konstruiert er einen Dialog mit Atticus, in dem sein Freund von Cicero verlangt, ein Geschichtswerk zu schreiben. Für Atticus sei kein Römer besser dafür geeignet.35 Cicero schlägt diesen Vorschlag allerdings mit dem Hinweis aus, dass sich ein solches Vorhaben nur unter erheblichem Zeitaufwand verwirklichen lasse, da er bloß dann die nötige Muße für entsprechende Vorarbeiten habe.36 Sieht man diese Aussage im Licht der Bemerkungen des Dionysios von Halikarnassos und des Cassius Dio, so scheint auch Cicero damit eine inventio zu meinen, in der neben der Sammlung des Materials zugleich eine Reflexion über ihre Zuverlässigkeit erfolgt.37 Denkt Cicero daran, selbstständig Geschichte zu schreiben, setzt er offenbar strengere Maßstäbe an als er sie von Lucceius oder Poseidonios für ein Geschichtswerk über ihn selbst als Hauptperson fordert.38 Die Ausführungen in De oratore zeigen indes, dass die Geschichtsschreibung auf theoretischer Ebene für Cicero eine Angelegenheit der Rhetorik ist. Reflektiert wird über die literarische Vorgehensweise des Historiographen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass auf eine Nachforschung im Sinne Herodots, also der ἱστορίη im wörtlichen Sinne, vollkommen verzichtet werden kann. Sie spielt nur in der Theorie eine untergeordnete Rolle. Cicero sieht den Schwerpunkt der Geschichts33 Cass. Dio 72 (73).23.5. Vgl. dazu die Probleme, die sich Dio während seiner Stoffsammlung stellen 53.19. Arrian benennt im Proömium seiner Anabasis das von ihm zugrunde gelegte Material und gesteht sich ein eigenes kritisches Urteil zu, sofern ihn seine Vorlagen nicht überzeugen. Arr. exped. Alex. 1, praef. 1. Auch Diodorus Siculus spricht über die Mühe und Zeit, die ihn die Zusammenstellung seines Stoffes gekostet habe: Diod. 1.4.1–2, 1.3.3–8. Zu den Mühen antiker Historiographen siehe generell Porod (2007), 124–125. 34 Dion. Hal. ant. 1.7.2–3. Ferner 4.30.2–3: οὕτως ὀλίγον ἐστὶν ἐν ταῖς ἱστορίαις αὐτοῦ τὸ περὶ τὴν ἐξέτασιν τῆς ἀληθείας ταλαίπωρον. 35 Cic. leg. 1.5. 36 Cic. leg. 1.9: Historia vero nec institui potest nisi praeparata otio, nec exiguo tempore absolvi. 37 Siehe dazu auch seine behutsame Äußerung gegenüber Atticus in Brut. 44: et ego cautius posthac historiam attingam te audiente, quem rerum Romanarum auctorem laudare possum religiosissumum. 38 Vgl. in dieser Hinsicht auch Ciceros Verlegenheit in fam. 5.12.1.
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schreibung dabei nicht zuletzt deshalb derart stark in der Rhetorik, da es ihm in seinen Schriften gerade um sie als ars und damit verbunden, um die Aufgaben und Fähigkeiten des Redners geht.39 Der vergleichende Blick auf die Abhandlung Lukians von Samosata verdeutlicht diese Schwerpunktlegung Ciceros. 2. Lukian: Der Geschichtsschreiber als kritischer Phidias Lukians Ausführungen zu einer adäquaten Geschichtsschreibung stehen im Zusammenhang mit dem Partherkrieg von 161–166 n. Chr. Im Zuge dieses Konflikts, in dem der römische Princeps Lucius Verus persönlich in den Osten zog, kam es zu einer Flut an Geschichtswerken, die über die zeitgenössischen Vorgänge informierten. Lukian kritisiert die neuartigen Autoren für ihre Art der Geschichtsschreibung, in der sie sich den Anschein gäben, wie Thukydides, Herodot oder Xenophon zu schreiben.40 Der Satiriker hält ihre Fähigkeiten für mangelhaft und setzt den Historiographen seinen Traktat Quomodo historia conscribenda sit entgegen. In ihm verspottet er zunächst eine Reihe an Partherkriegshistorikern, ehe er sich daran macht, Anweisungen zur rechten Abfassung von Geschichte zu geben. Neben der charakterlichen Veranlagung des Geschichtsschreibers geht er auf das geeignete methodische Vorgehen sowie die literarische Ausarbeitung eines Geschichtswerkes ein.41 Seine Angaben decken sich dabei zum Teil mit jenen Ciceros, Lukian argumentiert jedoch ausführlicher als der römische Redner und gelangt letztendlich zu einer anderen Auffassung von Historiographie.42 Insbesondere sein Vergleich zwischen einem Geschichtsschreiber und einem Bildhauer erinnert zunächst an den ciceronischen exornator rerum. Der Verfasser von Geschichte wird als Phidias der Geschichtsschreibung (τῆς ἱστορίας Φειδίας) bezeichnet:43 39 So Heldmann (2011), 29. Siehe dazu noch Press (1977), 293: „History does not pose any theoretical or speculative problems. […] When history was discussed by the Greeks and Romans, the literary genre was meant and the discussions were carried on by rhetoricians.“ Petzold (1972), 269 weist darauf hin, dass die Vorstellungen Ciceros durchaus an einer pragmatischen Geschichtsschreibung im Sinne des Thukydides oder Polybios orientiert sind. In seinem Fall bedeutet eine praxisnahe Historiographie jedoch nicht so sehr die Anlehnung an einen Feldherrn als an einen Redner, wie er ihn selbst verkörpert. Das Konzept des polybianischen πραγματικὸς τῶν ἀνδρῶν bedeutet für Cicero einen auf dem Forum, im Senat und vor Gericht tätigen politischen Redner. 40 Lukian. hist. conscr. 2. Zum historischen Kontext der Schrift siehe Strobel (1994), 1317–1324. 41 Zum Aufbau des Werkes siehe Homeyer (1965), 13–15 sowie ausführlich Porod (2013), 92–124; s. auch Tamiolaki (in diesem Band). 42 Die Ausführungen von Woodman (1988), z. B. 101–102. Anm. 7 legen hingegen eine Konformität der Ansichten Ciceros und jener Lukians nahe. In diese Richtung gehen auch die Interpretationen von Kessler (1982) und Cizek (1989). 43 Lukian. hist. conscr. 51: Μάλιστα δὲ κατόπτρῳ ἐοικυῖαν παρασχέσθω τὴν γνώμην ἀθόλῳ καὶ στιλπνῷ καὶ ἀκριβεῖ τὸ κέντρον καὶ ὁποίας ἂν δέξηται τὰς μορφὰς τῶν ἔργων τοιαῦτα καὶ δεικνύτω αὐτά, διάστροφον δὲ ἢ παράχρουν ἢ ἑτερόσχημον μηδέν. οὐ γὰρ ὥσπερ οἱ ῥήτορες γράφουσιν, ἀλλὰ τὰ μὲν λεχθησόμενα ἔστιν καὶ εἰρήσεται· πέπρακται γὰρ ἤδη· δεῖ δὲ τάξαι καὶ εἰπεῖν αὐτά. ὥστε οὐ τί εἴπωσι ζητητέον αὐτοῖς ἀλλ’ ὅπως εἴπωσιν. ὅλως δὲ, νομιστέον τὸν ἱστορίαν συγγράφοντα Φειδίᾳ χρῆναι ἢ Πραξιτέλει ἐοικέναι ἢ Ἀλκαμένει ἤ τῳ ἄλλῳ ἐκείνων – οὐδὲ γὰρ οὐδ’ ἐκεῖνοι χρυσὸν ἢ ἄργυρον ἢ ἐλέφανταἢ τὴν ἄλλην ὕλην ἐποίουν, ἀλλ’ ἡ μὲν ὑπῆρχε καὶ προϋπεβέβλητο Ἠλείων ἢ Ἀθηναίων ἢ Ἀργείων πεπορισμένων, οἱ δὲ ἔπλαττον μόνον […].
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Alexander Free Vor allem aber soll seine Aufnahmebereitschaft einem klaren, glänzenden und ein Bild scharf zurückwerfenden Spiegel gleichen: so wie er die Geschehnisse aufnimmt, genau so soll er sie zeigen, in keiner Weise entstellt, verblasst oder verzerrt. Denn anders als die Rhetoren verfahren die Geschichtsschreiber; was sie berichten ist Wirklichkeit, die ausgesagt wird; sie hat sich sogar bereits ereignet; die Geschehnisse brauchen nur noch geordnet und dargestellt zu werden; daher kommt es dem Historiographen auch nicht auf das was, sondern auf das wie an. Überhaupt muss man sich vorstellen, der Geschichtsschreiber gleiche einem Phidias, Praxiteles, Alkamenes oder einem anderen Bildhauer; sie haben auch nicht selbst das Gold, Silber, Elfenbein oder sonst ein Material produziert; nein, es war bereits vorhanden und wurde ihnen geliefert von den Eleern, Athenern oder Argivern; sie brauchten es nur zu bearbeiten; […] Ähnlich ist die Aufgabe des Geschichtsschreibers; er muss die Ereignisse gut anordnen und möglichst klar darstellen.
Lukian erläutert an dieser Stelle offenbar weder, woher der Geschichtsschreiber sein Material bezieht, noch, inwiefern er darüber reflektieren muss. Seine Aussagen legen sogar nahe, dass auf eine Reflexion ganz und gar verzichtet werden könne. Der Historiograph soll den Stoff so verwenden, wie er ihn bekommt. Wie im Falle Ciceros ist die literarische Ausarbeitung eines Geschichtswerkes von übergeordneter Bedeutung. Assoziationen mit den Anfragen des römischen Redners an Lucceius oder Poseidonios drängen sich auf. Der Historiograph muss sein Augenmerk vornehmlich auf die geeignete Anordnung und Ausarbeitung des Materials richten. Der zugrunde liegende Stoff erscheint als Kern harter Fakten, der durch entsprechende literarische Expertise in einen erzählerischen Rahmen verpackt wird. Geschichtsschreiber ist, wer die Regeln der Rhetorik beherrscht und sie auf das Material anwenden kann. Der feine Unterschied zum Redner besteht lediglich in dem als Grundlage gewählten Stoff, der sich als faktual ausweist. Der Historiograph Lukians scheint mehr Literat denn Forscher zu sein. Eine literarisch-postmoderne Interpretation antiker Geschichtsschreibung scheint sich damit in diesem Passus Lukians ebenso zu bestätigen wie in den Ausführungen Ciceros.44 Es würde jedoch zu kurz greifen, Lukians Vorstellung von Geschichtsschreibung allein auf sein Bildhauergleichnis und die soeben vorgenommenen Folgerungen zu reduzieren. Im Kontext der übrigen Anweisungen in Quomodo historia conscribenda sit zeigt sich der Vergleich der Vorgehensweise des Historiographen mit jener des bildenden Künstlers nämlich erst als zweiter Schritt in der Abfassung eines Geschichtswerkes. Bevor der Geschichtsschreiber sich daran machen kann, das Material im Rahmen der dispositio und der elocutio zu ordnen und auszuarbeiten, steht die historische Stoffauffindung. Diese beschreibt Lukian jedoch keineswegs im Sinne rhetorischer Stoffsammlungen. Steht dort das Erfinden wahrer oder wahrscheinlicher Tatsachen (excogitatio rerum verarum aut veri similium) im Vordergrund, so orientiert sich Lukian am thukydideiΤοιοῦτο δή τι καὶ τὸ τοῦ συγγραφέως ἔργον – εἰς καλὸν διαθέσθαι τὰ πεπραγμένα καὶ εἰς δύναμιν ἐναργέστατα ἐπιδεῖξαι αὐτά; übers. v. Homeyer. 44 Vgl. zu einer solchen Interpretation Avenarius (1956), 84–85, 96–97, Cizek (1989), 295 sowie Wiseman (1993), 136–137.
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schen Methodenkapitel. Eine excogitatio ist nicht notwendig.45 Das Material dürfe nämlich gerade nicht aufs Geratewohl zusammengetragen werden. Vielmehr sei eine wiederholte sorgfältige und unermüdliche Prüfung notwendig. Müsse man sich auf Zeugen verlassen, sei ihre Zuverlässigkeit abzuwägen.46 Wie Thukydides ist sich demnach auch Lukian der Schwierigkeiten bei der Sammlung des Stoffes bewusst. Die Fakten sind also nicht so eindeutig, wie es sein Bildhauergleichnis vorauszusetzen scheint.47 Ehe der Historiograph sich an die literarische Ausarbeitung machen kann, steht ein komplexer Prozess der gedanklichen Reflexion über das Material. Diesen gedanklichen Prozess greift Lukian in dem zitierten Passus verkürzt durch den Begriff der γνώμη des Geschichtsschreibers auf, die einem Spiegel gleichen muss. Gerade dieses Sinnbild ist jedoch höchst ambivalent. So kann der Spiegel einerseits die Vorstellung eines simplen Abbildes evozieren, das die kritische Beurteilung des Stoffes außer Acht lässt. Andererseits kann er auch zu einem Trugbild werden, das den wahren Blick auf die Tatsachen verschleiert.48 Lukians Beschreibung des Spiegels als frei von Schmutz (ἄθολος), poliert (στιλπνός) und präzise (ἀκριβής) verweist indes sowohl auf die Methode als auch auf den Charakter des Geschichtsschreibers. Die Wortwahl korrespondiert mit der thukydideischen Vorstellung einer deutlichen Zurschaustellung der Ereignisse, die erst durch eine reflektierte Stoffsammlung erreicht werden kann.49 Darüber hinaus deuten die Eigenschaften des Spiegels auf die Unparteilichkeit des Historiographen als Voraussetzung einer unabhängigen inventio. Lukians Spiegelgleichnis steht damit als Metapher für die genaue Abbildung einer unverfälschten Wahrheit. Für diese bedarf es zunächst der Erkenntnis, soll es nicht zu Fehldeutungen des Materials kommen.50 Vor der rhetorischen Ausarbeitung, die in Analogie zur bildenden Kunst betrachtet wird, steht demnach das kritische Verfahren der γνώμη, auf die der Stoff zunächst trifft. Die Prüfung des Stoffes muss für den Historiographen dabei ebenso vorausgesetzt werden wie für den Bildhauer, möchte man beiden Tätigkeiten gerecht werden.51 Der Geschichtsschreiber Lukians ist daher nicht allein exornator rerum. Vielmehr muss er zunächst darüber reflektieren, welche res er als zuverlässig und geeignet für seine Darstellung erachtet. Die literarische Ausarbeitung soll den Prozess der historischen inventio erst im Anschluss unterstützen. Jenes Material, das der Historiograph kritisch geprüft und als vertrauenswürdig beurteilt hat, soll durch sprachliche Plausibilität un45 Eine Definition rhetorischer inventio findet sich etwa bei Rhet. Her. 1.2.3: Inventio est excogitatio rerum verarum aut veri similium quae causam probabilem reddant. Zum Folgenden vgl. ausführlich Free (2015), 64–70. 46 So Lukian. hist. conscr. 47: φιλοπόνως καὶ ταλαιπώρως πολλάκις περὶ τῶν αὐτῶν ἀνακρίναντα. Siehe zu dieser Textstelle auch eingehend Porod (2007). 47 Auch ein Bildhauer muss im Übrigen sein Material kritisch prüfen: vgl. dazu Korres (1992), bes. 12, 18, 48. 48 Vgl. z. B. den Narziss-Mythos in Ov. met. 3.407–510 oder Plat. Tht. 193c. Auch Fox (2001), 84–85 sieht Probleme in der Wahl des Gleichnisses. Zum Bild des Spiegels bei Plutarch vgl. Blank (in diesem Band). 49 Siehe dazu das thukydideische Ziel des σαφὲς σκοπεῖν als sinnverwandtes Pendant zur Darstellung der Wahrheit in Thuk. 1.22.4. Dazu Moles (1993), 110 sowie Free (2015), 36–40. 50 So Free (2015), 68 sowie mit dem gleichen Gedanken, jedoch bezogen auf die generelle Verwendung der Spiegelmetapher im Gesamtwerk Lukians, von Möllendorff (2000), 184–185. 51 Setzt man dies nicht voraus, ist das Bildhauergleichnis Lukians unvollständig. Ähnlich urteilt Ligota (2007), 55.
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termauert werden. Dem Geschichtsschreiber im Sinne Lukians geht es damit um mehr als bloße Wahrscheinlichkeit.52 Und doch erachtet auch Lukian die Geschichtsschreibung als Teil der ῥητορικὴ τέχνη wie das Gleichnis von dem Geschichtsschreiber als Bildhauer und die umfangreichen Ratschläge zur rhetorischen Ausarbeitung eines Geschichtswerkes nahelegen. Lukians Vorstellung von Historiographie unterscheidet sich aus diesem Grund trotz gleichartiger Formulierungen und gedanklicher Ähnlichkeiten von jener Leopolds von Ranke. Wurde im Zuge des 19. und frühen 20. Jhs. gerade auf einer Entästhetisierung der Geschichtsschreibung bestanden, so ist das Gegenteil für das von Lukian intendierte Geschichtswerk der Fall.53 Gleichwohl stimmt der Satiriker auch nicht mit Cicero überein. Während die Aussagen des römischen Redners den Eindruck einer Dominanz literarisch-fiktionaler Elemente innerhalb der Geschichtsschreibung erwecken, entwertet Lukian den Aspekt ästhetischer Schönheit zugunsten der Aufdeckung von Wahrheit. Literarische Formvollendung ist für ihn von sekundärer Bedeutung und tritt hinter die Tatsächlichkeit und Zuverlässigkeit der Darstellung zurück.54 Lukian orientiert sich in dieser Auffassung an Thukydides, den er in Anlehnung an dessen Methodenkapitel zum Gesetzgeber der Historiographie erklärt und von Herodot abgrenzt. Wie Thukydides beansprucht auch Lukian für sich einen Wahrheitsbegriff, der gegenüber einem herodoteischen Wahrscheinlichkeitsschluss (ὡς ἐμοὶ ἐδόκει) als absolut zu verstehen ist.55 Man sucht allerdings vergeblich nach einer klaren Theoretisierung, wie ein solches Absolutheitsgebot eingelöst werden soll. Als ideale methodische Verfahrensweise gilt die Autopsie.56 Dass Sinneseindrücke allerdings nur eingeschränkt die volle Wahrheit erfassen können, wird zwar innerhalb der antiken Philosophie thematisiert. Die Historiographen begnügen sich aber lediglich mit der Feststellung einer schwierigen und mühsamen Stoffermittlung. Weitergehend reflektieren sie offenbar nicht über ihre Methode, sondern suchen die Lösung in einer Analyse des Charakters sowohl des Historiographen selbst als auch seiner Zeugen.57 Während die geeignete historische Methode von Lukian dementsprechend nur in einem kurzen Ab52 Siehe dazu Free (2015), 89 sowie insbesondere Fuhrmann (2003), 117, der darauf aufmerksam macht, dass auch ein Redner vor allem mit der Wahrheit arbeiten soll, sofern er sie auf seiner Seite hat. 53 Programmatisch für das 19. und 20. Jh. erscheint etwa die Aussage von Bernheim (1889), 88: „Es ist nur ein ererbtes Vorurteil, daß man die Geschichte eine Kunst oder zugleich Wissenschaft und Kunst nennt, ein Vorurteil, dem man nicht scharf genug entgegentreten kann, weil es den strengen wissenschaftlichen Betrieb der Geschichte schädigt.“ Differenzierter urteilte dagegen Trevelyan, der in der Einleitung seines Bandes „Clio, A Muse“ von 1913 die Gleichrangigkeit literarischer Qualität und historischer Forschung betonte. Er blieb jedoch eine Einzelstimme. Der Text ist gekürzt abgedruckt bei Stern (1966), 234–252. Siehe zu beiden Historikern Rüsen (1982), 20–21. 54 So eindeutig Lukian. hist. conscr. 9. Siehe ferner ebd. 13. Meissner (2010), 187 urteilt daher zurecht: „Geschichte wird bei ihm gerechtfertigt allein aus der Hoffnung auf den Nutzen wahren Wissens.“ Im Übrigen unterscheidet sich auch die lukianische Vorstellung des πραγματικὸς τῶν ἀνδρῶν von jener Ciceros. Lukians Historiograph tritt im Sinne der Gelehrten des 2. Jhs. n. Chr. vor allem als außenstehender Experte auf. Vgl. Lukian. hist. conscr. 37 mit Free (2015), 59–64. 55 Vgl. Free (2015), 42 mit Thuk. 1.22.2. 56 Lukian. hist. conscr. 47. 57 Vgl. ebd. sowie 41, ferner Thuk. 1.22.2. Auf die Unterschiede zur antiken Philosophie und das mitunter naive Vertrauen des antiken Historiographen in den Autopsiebericht geht Marincola (1997), 65–66 ein.
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schnitt abgehandelt wird, widmet er sich neben seinen Ratschlägen zur dispositio und elocutio eines Geschichtswerkes hauptsächlich dem Ethos des Historiographen, den er als frei (ἐλεύθερος) und freimütig (παρρησίας μεστός) charakterisiert.58 Die von Lukian geforderte Überparteilichkeit ist jedoch nicht gleichzusetzen mit Wahrheit. Vielmehr garantiert sie erst die Zuverlässigkeit der Nachforschung und die redliche Ausarbeitung des Materials in eine historische Erzählung. Wahrheit entsteht also durch eine Kombination aus kritischer inventio, rhetorischer Plausibilität und der Unparteilichkeit des Historiographen.59 Die nicht hinreichende theoretische Auseinandersetzung mit einer adäquaten historischen Methode führt jedoch zwangsläufig zu falsifizierbaren und diskutablen Ergebnissen. Wahrheit muss aus diesem Grund unsicher bleiben.60 Lukian bietet dieses ernüchternde Ergebnis allerdings den geeigneten Anlass, um in einer als Anleitung zur Geschichtsschreibung getarnten Satire über mustergültige und tatsächliche Historiographie zu reflektieren. Die Autoren seiner Zeit verstehen es nicht, die an die Gattung gestellten Erwartungen zu erfüllen. Gleichzeitig hegt der Satiriker keinerlei Hoffnung, dass die von ihm propagierten Empfehlungen adäquat umzusetzen seien. Ideal und Wirklichkeit stellen sich beide als unzureichend dar. Lukian vergleicht seinen Versuch einer Schrift über die Abfassung von Historiographie daher als ein Hin- und Herrollen leerer Fässer, also ein erfolgloses Unterfangen.61 Zieht man zur Ergänzung die Ausführungen des Sextus Empiricus heran und vergleicht diese mit der tatsächlichen Praxis antiker Geschichtsschreiber, wird Lukians Resignation verständlicher. 3. Sextus Empiricus und die Praxis antiker Geschichtsschreibung Sextus Empiricus thematisiert Geschichte im Rahmen seiner Beschäftigung mit der Grammatik. Sie ist Gegenstand seiner Argumentation zur Bestimmung des Charakters dieser Disziplin. Der Philosoph geht der Frage nach, ob die Grammatik zurecht als eine τέχνη bezeichnet werden könne.62 Die Grammatiker beanspruchen für ihr Fachgebiet die Eigenschaft der Methodizität. Geschichte ist einer der Bestandteile der Grammatik, wie etwa die Systematisierungen des Tauriskos oder des Dionysios Thrax nahelegen.
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Er bemerkt darüber hinaus 158: „[…] the ancients thought it far more difficult to be unbiased than to find out what really, or even probably, happened.“ Lukian. hist. conscr. 61. Siehe auch bes. ebd. 41 mit Isnardi (1982), 265–166 sowie Free (2015), 73–84. So ebd. 95–96. Siehe dazu die generellen Überlegungen von Goertz (2001), 103–118 sowie Häfner (2007), 91–92. Lukian. hist. conscr. 63. Siehe dazu ebd. 3, die Anekdote von dem Marsch Philipps II. auf Korinth: Während die gesamte Stadt sich zur Verteidigung rüstet, rollt Diogenes von Sinope seine Tonne hin und her. Auf die Frage, warum er dies tue, verweist der Philosoph darauf, dass er nicht als einziger untätig bleiben wolle. In eben diesem kynischen Sinne versteht Lukian seinen Traktat. Nicht allein die zeitgenössische Historiographie wird verspottet, sondern überhaupt der Versuch, eine Anleitung zur rechten Abfassung von Geschichte zu schreiben. Siehe dazu Rothschild (2004), 83; Porod (2009), 46; Free (2015), 172–178. Siehe dazu allgemein Blank (1998), XIII–L. S. Emp. adv. Math. 1.254: ἤτοι τέχνη ἐστὶν ἡ γραμματικὴ ἢ οὔκ ἐστι τέχνη.
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Sextus setzt sich mit den Lehrmeinungen der griechischen Grammatiker auseinander und versucht zu erweisen, dass ihre Thesen nicht hinreichend begründet seien.63 Geschichte erachtet Sextus als ἀμέθοδος ὕλη. Der Philosoph meint damit das einem Geschichtswerk zugrunde liegende Material, also den Stoff.64 Dieser sei gerade nicht durch eine Methode strukturiert. Eine Methode erfordert das Allgemeine, aus dem universale Gesetze zu deduzieren sind. Der Gegenstand der Geschichte handelt allerdings vom Einzelnen. Dieses Einzelne kann nur Bestandteil einer τέχνη sein, wenn es unter eine allgemeine Regel fällt. Geschichte entzieht sich allerdings der vollständigen Erfassung durch die Erfahrung und kann diese Regeln nicht vermitteln. Sie ist individuell.65 Sextus Empiricus erkennt daher die Unsicherheit der Geschichte, die ihn zu einem ähnlichen Relativismus verleitet, wie er bei Lukian zu beobachten war. Für die literarische Beschäftigung mit der Geschichte, also die Geschichtsschreibung, hat dies einen Entzug ihrer Technizität zur Folge. Geschichtsschreibung ist ἄτεχνον, da sie sich auf einer ἀμέθοδος ὕλη gründet.66 Wenn Historiographie allerdings in den Aufgabenbereich der Grammatik fällt, fehlt entweder auch ihr die Methodizität – oder der eine Bereich hat nichts mit dem anderen zu tun. Sextus scheidet daher die Geschichte von der Grammatik und weist sie der Rhetorik zu.67 Diese Zuordnung rechtfertigt er darüber hinaus durch die mangelhafte Auseinandersetzung der Grammatik mit Fragen der Fiktionalität. Gestützt auf die Systematisierung des Grammatikers Asklepiades von Myrlea unterscheidet Sextus drei Kategorien: Der faktualen ἱστορία stehen die fiktionalen Bereiche μῦθος und πλάσμα gegenüber. Ἱστορία wird dabei mit ἀλήθεια assoziiert, während μῦθος, deren Inhalt als ψεῦδος charakterisiert wird, den Gegenpart einnimmt. Πλάσμα wiederum steht zwischen ἱστορία und μῦθος und wird mit Wahrscheinlichkeit (ὡς ἀληθῆ) in Verbindung gebracht.68 Μῦθος und πλάσμα stellen damit gleichberechtigte Kategorien neben der ἱστορία dar, werden laut Sextus Empiricus im Rahmen der Grammatik allerdings nicht hinreichend theoretisiert. Folglich fallen die drei Bereiche nicht in diese Disziplin. Grammatiker können nicht lehren, wie Geschichte gut zu schreiben sei. Diese Aufgabe falle den Rhetoren zu.69 63 S. Emp. adv. Math. 1.247–251. 64 S. Emp. adv. Math. 1.249, 254. Vgl. dazu und zum Folgenden auch die Überlegungen von Meissner (2010), 191–193. 65 Vgl. S. Emp. adv. Math. 1.254–262, bes. das Fazit 262: οὐ τοίνυν […] καὶ ἀδιεξιτήτου κατὰ πλῆθος καὶ πρὸς τὴν ἑκάστου προαίρεσιν μεταπλαττομένης γένοιτ’ ἄν τις τεχνικὴ θεωρία. Sextus Empiricus berührt sich in dieser Feststellung mit dem berühmten Vergleich zwischen der Dichtung und der Geschichtsschreibung in der Poetik des Aristoteles. Auch dort wird der Geschichte die Aussagefähigkeit über das Allgemeine abgesprochen. Aristot. poet. 1451b: διὸ καὶ φιλοσοφώτερον καὶ σπουδαιότερον ποίησις ἱστορίας ἐστίν· ἡ μὲν γὰρ ποίησις μᾶλλον τὰ καθόλου, ἡ δ’ ἱστορία τὰ καθ’ ἕκαστον λέγει. 66 S. Emp. adv. Math. 1.254: οἱ πλείους ὡμολογήκασιν αὐτὸ ἄτεχνον εἶναι καὶ ἐκ τῆς ἀμεθόδου ὕλης τυγχάνειν. Siehe dazu Meissner (2010), 192. In diesem Sinne urteilt darüber hinaus Dionysios Thrax: Dion. Thrax. p. 168 Hilgard: ἡ μὲν γὰρ ῥητορικὴ τέχνη ἐστίν, ἡ δὲ συγγραφικὴ οὐ τέχνη ἐστίν. 67 S. Emp. adv. Math. 1.268. Auch für Sextus fällt die Geschichtsschreibung also in den Aufgabenbereich der Rhetorik. Interessant erscheint in dieser Hinsicht allerdings die Feststellung Ciceros in de orat. 2.62, der bisher eine systematische Behandlung der Historiographie in den rhetorischen Handbüchern vermisst. 68 S. Emp. adv. Math. 1.263–265. 69 S. Emp. adv. Math. 1.265, 268. Vgl. erneut die Anklänge an Aristot. poet. 1451b.
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Auf die Rhetorik hatte die Einteilung des Asklepiades von Myrlea prägenden Einfluss. Sein dreigliedriges System findet sich in der ciceronischen Schrift De inventione ebenso wieder wie bei dem Auctor ad Herrenium oder Quintilian.70 Trotz ihrer kanonischen Geltung vermochte es die Dreiteilung des Asklepiades allerdings nicht, die Ambivalenz der Geschichtsschreibung als faktuale Erzählung hinreichend zu verdeutlichen. Ἱστορία wird mit dem absoluten Begriff der ἀλήθεια verknüpft wie μῦθος mit ψεῦδος. Dadurch wird ein Anspruch geschaffen, den die Geschichtsschreibung, zumal durch die Vielfalt ihrer literarischen Ausprägungen, in der Praxis nicht einhalten kann.71 Ein Beispiel wäre der antike Roman, der formal an die Historiographie erinnert, jedoch der Kategorie des πλάσμα zugeordnet werden muss. Dass diese Differenzierung nicht jedem antiken Leser bewusst war, zeigt der Princeps Iulian, wenn er sich über Erzählungen im Gewand der Geschichtsschreibung (ἐν ἱστορίας εἴδει πλάσματα) beschwert.72 Ebenso konnten aber auch wirklich als Geschichtswerke konzipierte Schriften eher den Eindruck von πλάσματα erwecken als einer der Wahrheit verpflichteten Historiographie. Solche Werke verspottet Lukian mit seinen Verae Historiae. In dieser Schrift erfindet der Satiriker eine Abenteuergeschichte, die trotz ihrer völligen Fiktionalität den Eindruck der Wahrheit erwecken soll. Mit Blick auf die Praxis einiger Geschichtsschreiber fragt Lukian, ob diese Autoren wirklich der Meinung seien, man würde ihre Unwahrheiten nicht bemerken.73 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch die Ephemeris belli Troiani des Diktys von Kreta. Das Werk gibt sich als Augenzeugenbericht eines Teilnehmers am Troianischen Krieg aus. Der Prolog schildert die unglaubliche Überlieferungsgeschichte der auf Phönikisch verfassten Schrift. Sie wurde ihrem Autor mit ins Grab gelegt und verblieb dort über die Jahrhunderte bis sie in neronischer Zeit von Hirten infolge eines Erdbebens wiederentdeckt wurde. Der Text wurde daraufhin ins Griechische übersetzt. Später erfolgte auch eine Übertragung ins Lateinische.74 Die fiktive Ephemeris belli Troiani spielt mit den Regeln der Historiographie auf ähnliche Weise wie die Verae Historiae Lukians. Die Schrift gibt zu erkennen, wie sehr die Kategorien der literarischen Wahrscheinlichkeit, des angemessenen Charakters des Autors sowie der zuverlässigen Stoffauffindung miteinander korrelieren, um den Eindruck wahrer Tatsachen zu erwecken. Gerade ihre angebliche Überlieferungsgeschichte macht dabei auf die Bedeutung der Auffindung zuverlässigen Materials im Zuge der Wahrheitssuche aufmerksam. Es wird ein Bericht aus erster Hand konstruiert, der für die Authentizität des Erzählten bürgt.75 Der Stellenwert der historischen inventio wird dadurch unterstri70 Cic. inv. 1.27; Rhet. Her. 1.12–13. Siehe dazu ausführlich Barwick (1928); Keuck (1934). Zu Quintilian vgl. Meissner (2010), 194. Über Asklepiades von Myrlea informieren Adler (1914) und Polito (1999). 71 Zu der starken Diversität zwischen den Erzählungen innerhalb der Gattung siehe Meier (1994), 600. 72 Iul. epist. 89b, 346–347. Mit der Nähe des antiken Romans zur Geschichtsschreibung beschäftigt sich Holzberg (1995). Zur Ambivalenz zwischen ἱστορία und πλάσμα siehe auch Bowersock (1994), 1–27. 73 Lukian. ver. hist. 1.4. Zu der Schrift siehe die grundlegende Arbeit von von Möllendorff (2000). Gabba (1981) vermittelt einen Eindruck der von Lukian verspotteten Historiographie. 74 Vgl. sowohl den der Schrift vorangestellten Brief als auch den Prolog mit Merkle (1989), 84–113. Siehe auch Ders. (1994). Griechische Fragmente des Textes sind erhalten in P. Tebt. II 268 sowie P. Oxy. XXXI 2539. 75 Zum Beglaubigungsapparat siehe ausführlich Merkle (1989), 56–82.
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chen. Das Material unterliegt nicht der Willkür, sondern muss überzeugen. Zugleich verweist der Bericht durch seinen fiktiven Charakter allerdings auch auf die Problematik, die der Umgang mit Augenzeugenberichten ebenso wie die Stoffauffindung generell mit sich bringen. Naives Vertrauen in einen angeblichen Autopsiebericht garantiert nicht die Tatsächlichkeit der Geschehnisse. Der Stoff lässt sich nicht unter einer geeigneten Methode subsumieren, er ist im Grunde ἀμέθοδος. Geschichte bleibt unsicher. Die Schrift des Diktys ebenso wie die Verae Historiae Lukians verdeutlichen die unklare Unterscheidung zwischen ἱστορία und πλάσμα. Dieses Defizit zeigen allerdings auch die Werke von gemeinhin als vorbildlich angesehenen Historiographen wie Arrian oder Cassius Dio. Sie geben Rechenschaft über ihr Vorgehen und legen für sich einen Anspruch von Wahrheit fest.76 In der Theorie stimmen sie dadurch mit den Ausführungen Lukians überein. Beide verfolgen eine kritische Stoffauffindung, sehen sich selbst als überparteilich und legen ein literarisch ausgefeiltes Werk vor, das die Wahrheit der Ereignisse nicht einschränken soll. In der Praxis neigen jedoch auch sie zu Erfindungen und Ausschmückungen der Ereignisse.77 Ihre Ansprüche erscheinen dadurch deutlich geringer als es ihre Formulierungen vermuten lassen. Zwar erfüllen sie ihrer Meinung nach die von ihnen aufgestellten Anforderungen, doch können sich ihre Ergebnisse nicht mit dem von der Theorie ausgegebenen Ziel decken. Anstelle unumstößlich wahrer Darstellungen begnügen sich die Autoren mit einem hinreichenden Wahrheitsbegriff. Sie präsentieren weder Fakt noch Fiktion, sondern Faktion.78 Dies hat allerdings zur Folge, dass auch die Kategorien des Asklepiades nicht unumschränkt auf beider Werke anwendbar sind. Arrian oder Cassius Dio schreiben keine πλάσματα. Den Ansprüchen einer absolut verstandenen ἱστορία können sie jedoch auch nicht immer gerecht werden. Sie müssen damit zwischen ἱστορία und πλάσμα verortet werden, quasi als ἐν πλάσματος εἴδει ἱστορίαι. Die Dreiteilung des Asklepiades von Myrlea vermag die wirkliche Praxis antiker Geschichtsschreiber damit nicht hinreichend zu umfassen. Zwischen Theorie und praktischer Umsetzung besteht ein Missverhältnis.
76 Vgl. Arr. exped. Alex. 1, praef. 1, 1.12.1–5, 7.30.3 sowie Cass.Dio 1.2, 53.19, 73 (74).18.3–4. 77 Beide Historiographen können also die Grundsätze Lukians nicht einhalten. Vgl. Free (2015), 215–217, 225–228. Exemplarisch analysiert Bosworth (2003) einen Abschnitt Arrians. Für das literarische Vorgehen des Cassius Dio sei auf seine Behandlung von Nero und Domitian verwiesen. Siehe dazu Schulz (2014). 78 Dies muss jedoch nicht bedeuten, dass den Geschichtswerken das Grundprinzip einer bewusst subjektiven Darstellung zugrunde gelegen hat, wie Heldmann (2011), 14–15 für Tacitus postuliert. Der Begriff der Faktion legt eher nahe, dass die Begriffe der Subjektivität und Objektivität zu starke Konnotationen mit sich bringen. Eine ambivalente Mittelposition zwischen beiden Prinzipien erscheint wahrscheinlich. Insofern ist Heldmann Recht zu geben, wenn er die antike Historiographie streng von modernen Vorstellungen der Gattung trennt. Man muss jedoch nicht so weit gehen, ein völlig anderes Gattungsverständnis anzunehmen. Zu berücksichtigen ist freilich seine Feststellung, dass die römische Geschichtsschreibung als Ersatzhandlung zur Politik im Senat anderen Intentionen verpflichtet ist als die griechische. Ebenso ist auf jene panegyrischen Geschichtswerke zu verweisen, die durch die Anfrage Ciceros an Lucceius sowie des Lucius Verus an Fronto an Kontur gewinnen. Gegen solche Schriften, die vom eigentlichen Anspruch der Gattung abrücken, richtet sich indes Lukian. hist. conscr. 14.
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4. Fazit Die an den Beginn der Untersuchung gestellte Formulierung Lukians, der Geschichtsschreiber solle lediglich berichten, wie es sich zugetragen habe, erscheint simpel. Ihre Umsetzung stellt sich indes als diffiziler Vorgang dar, der sich in einem Spannungsverhältnis zwischen Fakt und Fiktion bewegt. Der Blick auf die geschichtstheoretischen Überlegungen Ciceros, Lukians und des Sextus Empiricus zeigt die deutliche Wahrnehmung der Geschichtsschreibung als Teil der Rhetorik. Cicero sieht den idealen Historiographen gar als Redner und betont den hohen Wert eines rhetorisch ausgefeilten Geschichtswerkes. Das literarische Moment dominiert seine theoretischen Reflexionen über die Gattung. Dennoch bedeutet dies keine vollkommene Absage an die Notwendigkeit einer angemessenen Stoffermittlung. Cicero hebt die Bedeutung rhetorischer Fähigkeiten für einen Historiographen nicht zuletzt deshalb hervor, da es ihm vor allem um eine Bestimmung der Kompetenzen des Redners geht. Pragmatische Geschichtsschreibung, in der Männer der Tat als die geeignetsten Verfasser von Geschichte angesehen werden, versteht er als Aufgabe jener Personen, die auf dem Forum, im Senat oder vor Gericht aktiv sind. Historiographie fällt für Cicero daher in den Aufgabenbereich politischer Redner. Dass der Aspekt der ἱστορίη, also der Nachforschung, dennoch den Unterschied zwischen Geschichtsschreibern und Rednern markiert, zeigt Lukian. Er vergleicht den idealen Verfasser von Geschichte mit dem Bildhauer Phidias und hebt damit ebenfalls die große Bedeutung der literarischen Ausarbeitung eines Geschichtswerkes hervor. Im Gegensatz zu Cicero thematisiert Lukian allerdings das Problem historischer Stoffauffindung. Seine Ausführungen machen deutlich, dass in einem Geschichtswerk, welches den antiken Ansprüchen genügen möchte, Stoffsammlung und Ausarbeitung miteinander korrespondieren. Lukian gibt sich jedoch keiner Illusion hin, dass seine Anleitung zur Abfassung von Geschichte Einfluss auf ihre reale praktische Umsetzung habe. Die antike Geschichtsschreibung weist einen Mangel an Methodizität auf, wie Sextus Empiricus hervorhebt. Sie ist aus diesem Grund keine τέχνη und kann ihren Ansprüchen nicht genügen. Sowohl Lukian als auch Sextus Empiricus relativieren daher die Möglichkeiten der Gattung. Beide Autoren demonstrieren, dass Geschichte auch in der Antike als unsicher wahrgenommen wurde. Sie zeigen jedoch ebenfalls eine ablehnende Haltung gegenüber literarischer Willkür. Für die Praxis antiker Historiographie zieht dies keinen absoluten, sondern einen hinreichenden Wahrheitsbegriff nach sich. Die Beispiele des Arrian und des Cassius Dio verdeutlichen, dass die antiken Geschichtsschreiber durchaus den Ansprüchen gerecht werden, die sie sich in den Proömien ihrer Werke selbst setzen. Sie scheitern jedoch an dem Anspruch einer übergeordneten Literaturtheorie, die Historiographie mit einem absolut verstandenen Wahrheitsbegriff assoziiert. Geschichtsschreibung ist zu einem gewissen Grad Meinungsliteratur. Dies bedeutet jedoch keine grundsätzliche Absage an das Ideal einer Aufdeckung der Wahrheit (ἀληθείας δήλωσις).79 Es ist aus diesem Grund 79 Lukian. hist. conscr. 9. Heldmann (2011), 19 und 79 hebt zurecht hervor, dass antike Geschichtswerke vielfach den Eindruck von Meinungs- oder Thesenliteratur erzeugen. Unter Berücksichtigung der zahl-
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die Faktion antiker Historiographie, die die Aufmerksamkeit der modernen Interpreten verdient. Muss man den Vertretern einer historisch-kritischen Prägung mitunter den Vorwurf einer allzu starken Relativierung der Literarizität der Gattung machen, so gilt dies im Umkehrschluss für die literarisch-postmodernen Forscher hinsichtlich der historischen Referentialität antiker Historiographie. Die Faktion der Geschichtsschreibung steht indes im Kontrast zu einer nicht hinreichenden Theoretisierung der Gattung zwischen Fakt und Fiktion. Dies erklärt Pauschalverurteilungen wie jene des Seneca, der die gesamte Gattung als Lügenliteratur disqualifiziert.80 Ebenso wird die Verwirrung moderner Interpreten verständlich, die wie die frühneuzeitlichen Gelehrten Antonio de Guevara und Pedro de Rhua die tiefe Kluft zwischen den theoretischen Äußerungen wie jenen Lukians und der wirklichen Praxis der Geschichtsschreibung bemerken. Eine Gattung, die Wahrheit zu ihrem erklärten Ziel ernennt, diese aber nicht darstellen kann, setzt sich zwangsläufig der Kritik aus und ruft Unverständnis hervor. Gerade in diesem Zusammenhang wird auch offenbar, weshalb der Integrität des Historiographen innerhalb der antiken geschichtstheoretischen Überlegungen so große Bedeutung beigemessen wird.81 Im Zuge einer nicht hinreichend ausgeprägten Theorie kommt es auf die individuellen Fähigkeiten des jeweiligen Autors für die Abfassung eines gelungenen Geschichtswerkes an. Bibliographie Adler, A. (1914): Die Commentare des Asklepiades von Myrlea, in: Hermes 49, 39–46. Avenarius, G. (1956): Lukians Schrift zur Geschichtsschreibung, Meisenheim am Glan. Ax, W. (1990): Die Geschichtsschreibung bei Quintilian, in: Ax, W. (Hrsgg.): Memoria Rerum Veterum, Stuttgart, 133–168. Backhaus, K. (2007): Spielräume der Wahrheit: Zur Konstruktivität in der hellenistisch-reichsrömischen Geschichtsschreibung, in: Backhaus, K. / Häfner, G. (Hrsgg.): Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, Neukirchen/ Vluyn, 1–29. Backhaus, K. (2012): Asphaleia. Lukanische Geschichtsschreibung im Rahmen des antiken Wahrheitsdiskurses, in: Ebel, E. / Vollenweider, S. (Hrsgg.): Wahrheit und Geschichte. Exegetische und hermeneutische Studien zu einer dialektischen Konstellation, Zürich, 79–108. Barwick, K. (1928): Die Gliederung der Narratio in der Rhetorischen Theorie und ihre Bedeutung für die Geschichte des Antiken Romans, in: Hermes 63, 261–287. Batstone, W. W. (2009): Postmodern historiographical theory and the Roman historians, in: Feldherr, A. (ed.): The Cambridge Companion to the Roman Historians, Cambridge, 24–40. Bernheim, E. (1889): Lehrbuch der historischen Methode, Leipzig. Blank, D. L. (1998): Sextus Empiricus Against the Grammarians (Adversos Mathematicos I), Oxford. reichen verlorengegangenen Schriften wird dieser Eindruck verständlich. Die überlieferten Geschichtswerke standen oft in Konkurrenz zu weiteren Schriften, so dass sich der antike Leser ein differenzierteres Urteil erlauben konnte als der moderne Interpret. Vgl. z. B. Arr. exped. Alex. 1, praef. 3. 80 Siehe Sen. nat. 7.16.1–2 sowie apocol. 1.1–2. 81 So gesehen bei Cic. de orat. 2.62–63. und. hist. conscr. 41. Vgl. darüber hinaus Plutarchs De malignitate Herodoti.
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Wahrheit in der Kritik
Herodot, der vielgescholtene pater historiae Kritik an Herodot von Thukydides bis Iulius Africanus Carlo Scardino
Herodot, der von Cicero die Bezeichnung pater historiae bekommen hat und als Archeget dieser Gattung gilt,1 war für viele nachfolgende Historiker sowohl in inhaltlicher als auch in methodischer Hinsicht nicht nur ein Vorbild, sondern diente auch als Zielscheibe von oft durchaus explizit geäußertem Spott und harscher Kritik. Grundsätzlich reicht das Spektrum der Kritik von sachlicher Korrektur bis zu hin zu persönlichen Angriffen: die Kritik ad rem ist auf den Inhalt gerichtet, der sachlich falsch oder unvollständig ist, diejenige ad personam zielt hingegen auf die intellektuelle oder moralische Autorität des Historikers.2 Sehr oft sind aber beide Arten der Kritik miteinander verbunden: so kann etwa ein sachlicher Fehler des Historikers auch mit einem methodologischen oder moralischen Fehlverhalten begründet werden, weshalb in diesem Falle die Person des Historikers Zielscheibe der Kritik wird. In Bezug auf Herodot bezieht sich die sachliche Kritik vor allem auf die ethnographischen Partien des Werks, während späteren Kritikern bezüglich der Perserkriege nur wenige alternative Versionen anderer Historiker, die sich ebenfalls damit befasst haben und von denen nur wenige Testimonien und Fragmente erhalten sind, zur Verfügung standen.3 Deswegen zielt diese Kritik, die kaum auf alternativen Quellen beruht, sondern Ungereimtheiten im Werk aufzuzeigen versucht und die Intention des Werks hinterfragt, vor allem ad personam. 1
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Natürlich war Herodot nicht der erste, der sich mit geschichtlichen Thematiken befasst hat; er schloss sich an die Bewegung der ionischen ἱστορίη mit ihrem bekanntesten Vertreter Hekataios an. Doch kann Herodots Werk, das den Rahmen der ethnographischen Beschreibung und die Lokalgeschichten seiner Vorgänger bei weitem übertrifft, mit Recht als erstes Geschichtswerk bezeichnet werden, vgl. dazu Rengakos (2011). Nicht nach der Art und Intention, sondern nach den Teilen des Herodotischen Werks, die getadelt werden, unterteilt hingegen Dognini (2007), 484 die Kritik an Herodot: „Le prime obiezioni, che gli antichi rivolsero contro di lui, riguardano in effetti principalmente la sezione etnografica, quella cioè in cui Erodoto stesso non poté applicare sempre il metodo autoptico, dovendosi affidare a racconti talvolta imprecisi e a fonti non verificabili“. Diese sind wohl teilweise ins Werk des Diodorus Siculus geflossen, ohne dass wir diese Historiker angesichts der komplexen Quellenfrage bei Diodor immer mit Sicherheit rekonstruieren können, vgl. dazu etwa Scardino (2014), 670–671. Grundsätzlich folgen wir der von Jacoby in FGrHist getätigten und von Lenfant (2004) übernommenen Zuschreibung der Testimonien und Fragmente an diese fragmentarisch überlieferten Historiker wie Ktesias oder Theopomp.
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Carlo Scardino
Herodot selbst ist nicht der erste, der Opfer solcher Kritik wird. Die explizite oder auch implizite Kritik an den Vorgängern gehört zu den typischen Merkmalen jeder Gattung: Diese dient unter anderem auch dazu, in einem agonalen Kontext die Autorität der Vorgänger zu mindern. Schon Xenophanes, der „Homertreter“ (Ὁμηραπάτης) genannt wird, kritisierte bekanntlich Homer wegen seiner anthropomorphen und respektlosen Auffassung der Götter.4 Auch Hekataios, der als Vertreter der ionischen ‚Historie‘ ein Vorgänger Herodots war, bezeichnet zu Beginn seiner Genealogien allgemein die Erzählungen (λόγοι) der Griechen als „zahlreich und lächerlich“ (πολλοί τε καὶ γελοῖοι) und setzt diesen seine eigene Version, die auf der von ihm etablierten Wahrheit beruht (ὥς μοι δοκεῖ ἀληθέα εἶναι), entgegen. Hekataios, der viele mythische Erzählungen rationalisiert, scheint trotz leichter Ironie vor allem darauf abzuzielen, seine Vorgänger in sachlicher Hinsicht zu verbessern und somit seine eigene Autorität zu begründen.5 Hekataios wird von Herodot als politischer Akteur während des Ionischen Aufstands gelobt und mehrmals in Buch 5 als Ratgeber bzw. Warner (Hdt. 5.36 und Hdt. 5.125) erwähnt. Vielleicht diente Hekataios’ Bericht, falls dieser einen solchen verfasst hat, Herodot für die Darstellung des Ionischen Aufstands als Quelle, weshalb er ihn wohl auch nicht angreift.6 Aber in Bezug auf seine genealogische Forschung mokiert sich Herodot im Ägypten-Logos (Hdt. 2.143) darüber, dass Hekataios sich über seine eigene Abstammung mit der Behauptung, in sechzehnter Generation von einem Gott abzustammen, gebrüstet habe, während jenem und Herodot die Priester im ägyptischen Theben eine viel längere, menschliche Genealogie aufgezeigt hätten. Somit hat Herodot dank angeblicher Autopsie und eigener Forschung (ἱστορίη) Hekataios’ Darstellung ad rem widerlegt. Zu einem gewissen Grad hat er mit dieser Kritik natürlich auch Hekataios’ Autorität als eines zuverlässigen Forschers zerstört, zumal dieser im Gegensatz zu Herodot nicht als besonders professioneller Forscher erscheint. Die Kritik ist aber nicht direkt, da Herodot Hekataios nicht auktorial korrigiert. Hingegen kann Herodot im Fall der Vertreibung der Pelasger aus Attika (Hdt. 6.137) mangels anderer Quellen Hekataios’ Aussage, dass die Vertreibung nicht rechtens war, weder bestätigen noch falsifizieren. In Herodots Werk, in dem seine auktoriale und autoritative Stimme nur selten zu vernehmen ist (etwa Hdt. 1.5 oder Hdt. 7.139), kommen nach dem Prinzip der vollständigen Berichterstattung (Hdt. 7.152.3: λέγειν τὰ λεγόμνεα) die verschiedenen Quellen zu Wort, deren Inhalt Herodot in der Regel nicht bewertet und nur selten wegen Unstimmigkeiten
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DK 21, A 1.4, 34.13 sowie B 10–11. FGrHist 1, F1, vgl. dazu und zum folgenden Marincola (1997), 225–236, der sich allgemein mit der Kritik in den antiken Geschichtswerken befasst, und speziell zu Herodot auch Priestley (2014), 209–219. Der Ionische Aufstand ist für Herodot Vergangenheit, für Hekataios hingegen Zeitgeschichte. Leider haben wir keine direkten Indizien dafür, dass Hekataios einen autobiographischen Bericht über den Ionischen Aufstand verfasst hat, weshalb über eine mögliche Abhängigkeit Herodots von Hekataios in dieser Hinsicht nur spekuliert werden kann. Vgl. dazu Scardino (2007), 61.
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zu widerlegen versucht.7 Während er Dichter wie Homer meist namentlich erwähnt, kritisiert er seine ionischen Forscherkollegen, ohne aber ihre Namen zu nennen.8 Als Kompendium und erstes großes Prosawerk, das zusätzlich zu den ethnographischen Beschreibungen auch die Perserkriege behandelt hat, ist sein Werk indessen einzigartig und ist wohl schon sehr bald populär geworden.9 Einen Gegenentwurf dazu scheint Thukydides mit seinem Bericht über den von ihm erlebten Peloponnesischen Krieg geben zu wollen. Dabei unterscheidet sich sein Werk auch durch eine überlegene Methode, die Thukydides besonders zu Beginn des Werks in der Archäologie und den Methodenkapiteln (Thuk. 1.1–23) paradigmatisch darlegt. Er greift dabei nicht einzelne Historiker an, sondern kritisiert allgemein die Leichtgläubigkeit der meisten Rezipienten, die Informationen ungeprüft übernähmen. Implizit kritisiert er damit natürlich auch die Prosaschriftsteller seiner Zeit, die er als Geschichtenschreiber (λογογράφοι) apostrophiert.10 Während Thukydides in der Darstellung der Pentekontaetie Hellanikos namentlich erwähnt, nennt er Herodot, den er gewiss kannte und mit dessen Werk er sich an mehreren Stellen auseinandersetzt, nirgends. Dennoch richtet sich der allgemein gegen die Griechen geäußerte Tadel wohl in Wirklichkeit gegen seinen Vorgänger, den er speziell in Bezug auf zwei Dinge ad rem korrigiert:11 „So haben auch die übrigen Griechen von vielen anderen Dingen, die bis auf den heutigen Tag fortbestehen und nicht durch die Zeit in Vergessenheit geraten sind, falsche Vorstellungen, so etwa, dass bei den Lakedaimoniern jeder der beiden Könige nicht mit einem Stimmstein, sondern mit deren zwei seine Stimme abgebe, ferner, dass diese eine Pitanatische Kompanie hätten, die doch gar nie existiert hat.“
Es ist bezeichnend, dass beide Aussagen in Herodots Geschichtswerk zu finden sind. So berichtet er (Hdt. 6.57.5), dass in Abwesenheit der Könige die ihnen am nächsten Verwandten unter den Ältesten ihre beiden Stimmen abgeben.12 Ebenso erwähnt Herodot 7
Vgl. dazu etwa Dewald (1987) und Scardino (2007), 83–84 mit weiteren Literaturangaben. Oft erzählt Herodot alle bekannten Versionen einer Geschichte (z. B. 7.166), wählt aber die wahrscheinlichste aus, äußert aufgrund eigener Überlegung eine dritte Hypothese (1.70.3), oder lehnt einfach eine Version aufgrund eigener Überlegungen und Indizien als unglaubwürdig ab (8.119). 8 In 2.2.5 bezeichnet er sie lediglich mit dem Ethnikon Ἕλληνες. 9 Das Frauenraub-Motiv als Erklärung für den Peloponnesischen Krieg nimmt in Aristophanes’ Acharnern (Aristoph. Ach. 523–529) wohl Herodots Erklärungsansatz 1.1–5 wieder auf. Vgl. dazu Marincola (1997), 20 und Priestley (2014), 195–196 mit weiteren Literaturangaben. 10 Thuk. 1.21.1. Ob Thukydides in diese Kategorie auch Herodot miteinschließt, ist umstritten, vgl. die Diskussion mit weiteren Literaturangaben bei Scardino (2007), 400–401, Anm. 29. 11 Hdt. 1.20.3: πολλὰ δὲ καὶ ἄλλα ἔτι καὶ νῦν ὄντα καὶ οὐ χρόνῳ ἀμνηστούμενα καὶ οἱ ἄλλοι Ἕλληνες οὐκ ὀρθῶς οἴονται, ὥσπερ τούς τε Λακεδαιμονίων βασιλέας μὴ μιᾷ ψήφῳ προστίθεσθαι ἑκάτερον, ἀλλὰ δυοῖν, καὶ τὸν Πιτανάτην λόχον αὐτοῖς εἶναι, ὃς οὐδ’ ἐγένετο πώποτε (Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Übersetzungen von mir). 12 Falls sich Thukydides, was in der modernen Forschung fast einhellig angenommen wird, auf diese Textstelle bezog, so hat er wahrscheinlich Herodot missverstanden, zumal Herodot nicht explizit sagt, dass die Könige über ein doppeltes Stimmrecht verfügten, sondern dass ihre beiden Stimmen in Abwesenheit je von einem Mitglied des Ältestenrats abgegeben werden mussten, vgl. How/Wells (1928), 87: „But H., though the expression is obscure, probably means not that each king had two votes, but that two votes were given for the two absent kings, and that the vote of the relative who acted as proxy for both was the
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(Hdt. 9.53) in der Geschichte von Amompharetos’ Insubordination zweimal die Pitanatische Kompanie, die jener befehligt habe. Thukydides’ implizite Kritik, die rezeptionsästhetisch und nicht produktionsästhetisch geäußert wird, bleibt die Ausnahme. Diese sachliche Kritik konnte Thukydides natürlich nur äußern, weil er über Dinge spricht, die er als Zeitgenosse kennt und verifizieren kann. Ganz anders verhält sich Ktesias (FGrHist 688) in seiner wohl nach 393/2 v. Chr. publizierten,13 nur fragmentarisch erhaltenen Persischen Geschichte (Περσικά; Ktes. Persika), in der er sich in den Büchern 7–23 mit der Zeit von Kyros bis in die ersten Regierungsjahre des Artaxerxes beschäftigt14 und somit auch die Zeit der von Herodot behandelten Perserkriege abdeckt. Im Gegensatz zu Herodot ist sein Bericht ausschließlich aus dem Blickwinkel der Perser verfasst und legt das Hauptgewicht auf die Zeitgeschichte, während bei Herodot der für diesen bereits vergangene Konflikt mit Hellas in den Mittelpunkt rückt. Leider sind von seinem Werk nur wenige wörtliche Fragmente erhalten, die von späteren Autoren überliefert werden. Viel öfter paraphrasieren sie Ktesias’ Version, so dass nicht immer deutlich hervorgeht, mit welchen Worten dieser seinen Vorgänger kritisiert hat. Interessant ist etwa Photius’ Zeugnis, gemäß dem Ktesias:15 „[…] gleichsam in jeder Hinsicht das Gegenteil dessen, was Herodot berichtet hat, erzählt, ja, ihn sogar als einen Lügner bezüglich vieler Dinge überführt und einen Märchenerzähler schimpft. Er ist nämlich jünger als dieser. Er sagt, dass er bei den meisten Ereignissen, die er berichtet, Augenzeuge gewesen sei oder von den Persern, wo die Autopsie unmöglich war, Ohrenzeuge geworden sei. Auf diese Weise habe er sein Geschichtswerk verfasst. Er berichtet nicht nur das Gegenteil von Herodot, sondern deckt sich in einigen Punkten auch nicht mit Xenophon, dem Sohn des Gryllos.“
In der Auseinandersetzung mit seinem Vorgänger, die bei der Konstruktion der eigenen Autorität gegenüber seinen Rezipienten eine herausragende Rolle spielt, wird Herodot als ‚Lügner‘ ad personam verunglimpft, andererseits behauptet Ktesias in Bezug auf seine eigene Erzählung, dank Autopsie – was auch Herodot von sich behauptet hat –16 und seinem Aufenthalt in Persien, wo er Einsicht in die Archive hatte (F5), einen besseren Bericht ad rem liefern zu können. Implizit suggeriert also Ktesias, dass Herodot unsorgfältig gearbeitet habe. Soweit wir sehen können, unterscheiden sich seine Berichte über Kyros
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third. He, however, overlooks the fact that the same person could not be the nearest relative of both kings, since the two houses were only related by a fictitious genealogy and never intermarried. Really there must have been two proxies, one for each king.“ Vgl. auch Nenci 1998, 226, der ebenfalls von einem Missverständnis des Thukydides ausgeht. Zur Datierung des Werks vgl. Lenfant (2004), 22–24. Also von etwa 559–398/7 v. Chr. Ktes. FGrHist 688 T8: […] σχεδὸν ἐν ἅπασιν ἀντικείμενα Ἡροδότωι ἱστορῶν, ἀλλὰ καὶ ψεύστην αὐτὸν ἀπελέγχων ἐν πολλοῖς, καὶ λογοποιὸν ἀποκαλῶν· καὶ γὰρ νεώτερος μέν ἐστιν αὐτοῦ. φησὶ δὲ αὑτὸν τῶν πλειόνων ἃ ἱστορεῖ αὐτόπτην γενόμενον ἢ παρ’ αὐτῶν Περσῶν, ἔνθα τὸ ὁρᾶν μὴ ἐνεχώρει, αὐτήκοον καταστάντα, οὕτω τὴν ἱστορίαν συγγράψαι. οὐχ Ἡροδότωι δὲ μόνωι τἀναντία ἱστορεῖ, ἀλλὰ καὶ πρὸς Ξενοφῶντα τὸν Γρύλλου ἐπ’ ἐνίων διαφωνεῖ. So formuliert Hdt. 2.29.3, dass er als αὐτόπτης bis nach Elephantine gereist sei.
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und Zopyros von Herodots Version,17 wobei uns aber Photios nicht sagt, ob Ktesias in diesen beiden Fällen Herodots Bericht explizit getadelt oder diesen stillschweigend, wie Thukydides, verbessert hat. Hingegen widerlegt er hinsichtlich der persischen Bestattungsriten Hellanikos und Herodot explizit in der Sache und bezeichnet ihre Versionen als erfunden.18 Dabei ist zu beachten, dass das Verb ψεύδεσθαι im Gegensatz zum Substantiv ψεύστης nicht immer eine moralische Verurteilung impliziert, weil nicht immer eine Absicht zur Täuschung besteht, sondern man sich auch in einer Sache unbeabsichtigt täuschen kann;19 ganz allgemein bezeichnet das Verb ψεύδεσθαι die Eigenschaft einer Geschichte, sich nicht mit der oft als Antonym verwendeten ἀλήθεια zu decken, was besonders in Bezug auf die ‚fiktionalen‘ dichterischen Gattungen typisch ist.20 Dazu passt offenbar auch Ktesias’ Vorwurf, dass Herodot zwar wirkungsvolle, aber unwahre bzw. fiktive Geschichten (μῦθοι, T13)21 erzählt. Doch hat Ktesias mit diesen Vorwürfen keinen großen Erfolg bei seinen Rezipienten gehabt, zumal ihm Photios besonders in Bezug auf seine Indische Geschichte (Ἰνδικά) nicht glaubt, sondern ihn im gleichen Atemzug mit Herodot nennt, dessen Art der Erzählung und Stil sozusagen das Muster für alle ionisch schreibenden Schriftsteller gewesen sei (T13). Durch die erhaltenen Fragmente, die natürlich nicht unbedingt für Ktesias’ Geschichtswerk repräsentativ sein müssen, scheint dieses Urteil bestätigt zu werden. Ktesias hat offenbar weder den Ionischen Aufstand unter Dareios I. noch den Peloponnesischen Krieg unter Dareios II erwähnt. Beim Xerxesfeldzug (F13, 27–29) folgt nach der Schlacht bei den Thermopylen zuerst Plataiai und erst dann Salamis, ohne dass Mykale erwähnt wird. Er liefert gegenüber Herodot also wohl keine zusätzlichen, etwa aus der persischen oder einer anderen, mündlichen Tradition stammenden, Informationen, sondern verfremdet und schmückt das von Herodot überlieferte Quellenmaterial aus.22 Obgleich er, falls wir seinen autobiographischen Angaben trauen und diese nicht ebenfalls als Teil eines literarischen Spiels betrachten wollen,23 17 Ktes. FGrHist 688 F9: οὐχ οἷα Ἡρόδοτος, F13: οὐχ ὡς Ἡρόδοτος. 18 Ktes. FGrHist 688 F16: ἔλεγχος Ἑλλανίκου καὶ Ἡροδότου ὡς ψεύδονται. 19 So unterscheidet schon Polybios 12.12.4–5 in seiner methodologischen Auseinandersetzung mit Timaios zwischen zwei Arten von ψεῦδος, wobei ἕνα μὲν τὸν κατ’ ἄγνοιαν, ἕτερον δὲ τὸν κατὰ προαίρεσιν, καὶ τούτων δεῖν τοῖς μὲν κατ’ ἄγνοιαν παραπαίουσι τῆς ἀληθείας διδόναι συγγνώμην, τοῖς δὲ κατὰ προαίρεσιν ἀκαταλλάκτως ἔχειν, – „der eine aus Unwissen, der andere vorsätzlich zustande kommt. Man muss denjenigen, die aus Unwissenheit die Wahrheit verfehlen, verzeihen, aber gegenüber denen, die es vorsätzlich tun, eine unversöhnliche Position einnehmen.“ 20 Vgl. etwa LfgrE (2010), 1306–1307: „Die Wörter mit dem Stamm ψευδ bezeichnen eine (objektiv) unrichtige Aussage oder den, der Unrichtiges sagt – auch unerfüllte Versprechen, Wahrsagungen und Eide. Der Gegensatz ist die korrekte Wiedergabe von Gehörtem, […] Aber gleichgültig, ob Lüge oder Irrtum, ist in den Wörtern vom Stamm ψευδ immer ein Tadel enthalten. […] der moralische Vorwurf bei ψεύστης am stärksten. […] Eine moralische Ablehnung von Unwahrheiten ist aber kaum zu erkennen, die Wörter Lüge und lügen in der Ilias meist unangemessen. Die Unterscheidung von Unwahrheit und Lüge scheint sich erst herauszubilden.“ Vgl. auch LSJ s. v. ψεύδω B3. Die in der Wurzel ψευδ- liegende Spannung zwischen Täuschung und Sich-Täuschen findet man auch in Gorgias’ Enkomion der Helena, DK 82 B 11.11. 21 Das erinnert an Thukydides’ Kritik an den Logographen in Thuk. 1.21.1, die zu sehr das μυθῶδες im Gegensatz zur Wahrheitssuche betreiben. 22 Vgl. dazu etwa Bleckmann (2006), 27 und Bichler (2006), 21–52. 23 Diese Möglichkeit erwägt und diskutiert Dorati (1995), 47, der auf die Parallele mit der von Herodot im 3. Buch erzählten Geschichte des Arztes Demokedes hinweist und vermutet, dass diese als Modell für Ktesias’ fiktive Autobiographie gedient haben könnte.
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durch seinen Aufenthalt in Persien gewiss Zugang zu persischen Quellen hatte (wie er F5 behauptet), beruht seine Darstellung vorwiegend auf schriftlichen Vorlagen und auf den am Hofe vielleicht durch den Kontakt zum Dienstpersonal gewonnenen Informationen und Gerüchten, die er mit viel Phantasie, Mirakulösem und romanhaften Erzählungen angereichert hat. Die Geschichte der persischen Könige ist eine Abfolge von Intrigen, Aufständen und Haremsgeschichten, während die politischen Ereignisse ausgeblendet werden. Vielleicht hat Ktesias neben seiner Phantasie auch eigene Erfahrungen am persischen Hof verarbeitet und als Analogon gebraucht, um in der Vergangenheit liegende Vorgänge wie die Perserkriege zu deuten.24 Die Kritik an Herodot, die sowohl ad rem als auch ad personam geäußert wird, ist also vor allem eine literarische Technik und ein Mittel, um die eigene Darstellung, die teilweise denselben Zeitraum wie Herodots Darstellung abdeckt und mit dieser in Konkurrenz steht, bei den Rezipienten als glaubwürdig und wahrhaft zu erweisen; dabei muss aber offenbleiben, ob die Rezipienten ein solches literarisches Spiel durchschauten oder nicht.25 Dass Ktesias’ scharfe Kritik angesichts der eigenen Unzulänglichkeit Herodots Ansehen abträglich war, ist eher unwahrscheinlich, wenn man die Ktesias-Rezeption und besonders Photios’ Aussage, der ältere Kritiker aus dem Hellenismus und der Kaiserzeit wiederaufnimmt, betrachtet.26 Trotz Ktesias’ Darstellung galt in der Folge Herodots Werk als kanonisch. Die Kritik an den Vorgängern blieb auch bei den nachfolgenden Historikern ein typisches Mittel, um die eigene Autorität und Glaubwürdigkeit zu etablieren, wie Josephus’ Testimonium zeigt, gemäß dem bekannt ist, dass „[…] Ephoros aufzeigt, dass Hellanikos in 24 Wie Sancisi-Weerdenburg (1987), 33–45 gezeigt hat, entsprechen viele Geschichten griechischen Mustern und Vorstellungen des dekadenten Orients. Dagegen glauben Llewellyn-Jones/Robson (2010), 86, dass Ktesias seine Erfahrungen, die er am Hof in Persien gemacht habe, in seinem Werk verarbeitet habe und so „recorded and transmitted the rich mixture of authentic Persian stories of kings and dynasties in this unique mélange of history, gossip, fantasy, and (tragic) poetry.“ 25 So mit Recht Bleckmann (2006), 27: „Es bleibt daher in der Summe bei der Feststellung, daß ein Vergleich der Persika des Ktesias mit dem Geschichtswerk Herodots zumindest ein starkes Indiz dafür bietet, daß der willkürliche und frei variierende Umgang mit historiographischem Quellenmaterial sich bereits im beginnenden vierten Jahrhundert im literarischen Betrieb durchgesetzt hatte.“ Ebenso Bichler (2011), 21–52, für den Ktesias bewusst Herodots Werk ,auf den Kopf ‘ stellt und durch den Rückgriff auf fiktionale Elemente ein für das Publikum durchsichtiges literarisches Spiel betreibt, und Stronk (2011), 385–401, für den Ktesias und nach ihm Xenophon „instead of historical facts, in at least parts of their œuvre, a more or less fictitious and idealised world“ bietet, und Rollinger (2010), 559–666, der an Hand der Darstellung von Gewalt und Strafgerichtsbarkeit bei Herodot und Ktesias zeigt, dass Herodot im Gegensatz zu Ktesias gewisse Basisinformationen, die mit den altorientalischen Quellen übereinstimmen, besaß, während „der angeblich direkt am persischen Hof weilende Ktesias, der vorgibt, über die besten Informationsquellen und Kontakte zu verfügen, seinen Gedanken in besonderem Maße freien Lauf ließ“ (622) und daher als Quelle kaum authentisches Material wiedergibt. Nuancierter Lenfant (2004), 31, für die einige Unterschiede nicht nur auf „imagination perverse“, sondern teilweise auf Autopsie (bei der Schlacht von Kunaxa), auf persönlicher Erfahrung am Perserhof und teilweise „à l’adoption de traditions distinctes, mais authentiquement perses“, und auf mündlichen Quellen (wie der Königsmutter Parysatis) beruhen. Für Llewellyn-Jones/Robson (2010), 55–87 gibt der vor allem auf persischem Quellenmaterial beruhende Bericht weitgehend die Sicht des persischen Hofs über die Geschichte Asiens wieder, was sich aber nicht beweisen lässt. 26 Dagegen Dognini (2007), 486, der meint, dass Ktesias’ Angriffe „contribuirono senz’altro a danneggiare la fama del ‚padre della storia‘.“ Aber dass Ktesias in der Folge nirgends gelobt wird, zeigt, dass er zu wenig Autorität besaß, um Herodots Ansehen ernsthaft zu mindern.
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den meisten Dingen lügt [bzw. sich täuscht], dass Ephoros es tut, zeigt Timaios, dass Timaios, dessen Nachfolger, dass Herodot, alle“.27 So hat etwa Theopomp eine Epitome des Herodotischen Geschichtswerks in zwei Büchern (F1–4) verfasst. In seinen Philippika tritt er mit Herodots und Ktesias’ Werken nicht in Bezug auf eine wahrheitsgemäße Darstellung in Konkurrenz, sondern versucht seine Vorgänger hinsichtlich der rhetorischen Qualität und der literarischen Attraktivität durch phantastische Geschichten, etwa über das Wunderland Meropis, zu übertreffen (F 381). Seine Kritik betrifft also nicht die Unzulänglichkeit der von seinen Vorgängern gewählten historischen Methode, sondern auf einer literarischen Ebene die Auswahl und die Gestaltung des Stoffes, wobei die seit Hekataios und besonders Thukydides unterstrichene Unterscheidung zwischen fiktionalen Gattungen und der Geschichtsschreibung keine Rolle spielt: für ihn gehören offenbar fiktionale Geschichten (μῦθοι) zum Repertoire der Historiographie. Interessant ist auch, dass Theopomp aus seiner Perspektive Herodots und Ktesias’ Werke in den gleichen Topf wirft. Das Zeugnis zu Theopomp ist auch ein Indiz dafür, dass seit dem 4. Jh. kaum neues Quellenmaterial zu den Perserkriegen hinzugekommen war, sondern dass die Historiker vor allem durch kreatives Schreiben und rhetorische Ausschmückung und Steigerung neue Darstellungen schufen.28 Dies gilt wohl auch für Ephoros und Diodor, soweit dieser von Ephoros und Timaios, die selbst aber keine Primärquellen sind, abhängig ist:29 Alle diese Historiker fußen hinsichtlich der Perserkriege aber kaum auf einer besseren Quellengrundlage als Herodot, sondern haben wohl wie Theopomp auf der Basis ihrer eigenen Schlussfolgerungen und Überlegungen sowie durch kreatives Schreiben eine teilweise von Herodot abweichende Version der Ereignisse geliefert, auch wenn sie wohl selbst über weite Strecken aus Herodot geschöpft haben.30 Mit der im Hellenismus stattfindenden Ausweitung des Blickfelds in den Fruchtbaren Halbmond und nach Indien wurde in vielen geo- bzw. ethnographischen Reisebe27 Ios. c. Ap. 1.16: […] Ἔφορος μὲν Ἑλλάνικον ἐν τοῖς πλείστοις ψευδόμενον ἐπιδείκνυσιν, Ἔφορον δὲ Τίμαιος καὶ Τίμαιον οἱ μετ’ ἐκεῖνον γεγονότες, Ἡρόδοτον δὲ πάντες. Wie hoch die Wertschätzung Herodots im Hellenismus war, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Murray (1972), 203 hat sicherlich recht, dass Herodot wegen seiner Nähe zu Homer gelobt worden ist, doch ist die Kritik bei den Historikern und Geographen unverkennbar. Ein mit Recht zwiespältigeres Bild liefert dagegen Dognini (2007), 484–490. Allgemein zur Herodot-Rezeption im Hellenismus vgl. jetzt Priestley (2014) und zum Vergleich mit Homer besonders 187–195. 28 Das gilt besonders auch für Xenophons Kyrupädie (siehe den Beitrag von Schirren in diesem Band), deren historischer Rahmen wohl aus Herodot und Ktesias entnommen ist, vielleicht Elemente aus altiranischer Überlieferung enthält, aber um viele fiktive, pseudo-historische und romanhafte Partien (die Geschichte der schönen Pantheia) und Personen (Kyaxares als Kontrastfigur) erweitert worden ist: Kyros erlangt die Herrschaft nicht durch einen Aufstand gegen seinen Großvater Astyages (Hdt. 1.123–130), sondern erbt sie von seinem Onkel Kyaxares (Hdt. 8.5.19), ebenso stirbt er nicht wie bei Herodot (Hdt. 1.214) im Kampf gegen die Massageten, sondern zu Hause. Für pseudo-historisch hält das Werk wie die meisten Breitenbach (1966), 1709–1712; dagegen meint Hirsch (1985), 67, dass Xenophon neben Herodot und Ktesias sein Material mündlichen persischen Quellen (‚oral history‘), Liedern und Bildern (1.2.13) entnommen habe. Aber Xenophons Bericht wurde von den späteren Historikern kaum herangezogen, um Herodots Werk zu widerlegen. 29 Zur Quellenproblematik bei Diodor vgl. Scardino (2014), 670–671 mit weiteren Literaturhinweisen. 30 Vgl dazu jetzt vor allem Priestley (2014), 157–162.
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richten Herodots Werk als Grundlage gewählt und dieser punktuell durch (angebliche) Autopsie verifiziert oder falsifiziert. Wegen des fragmentarischen Erhaltungszustands haben wir nur punktuelle Einblicke in die hellenistische Geographie und Geschichtsschreibung. Meistens betrifft die Kritik, soweit wir sie fassen können, bestimmte Details des Herodotischen Werks und ist also ad rem.31 Einer der ersten, die Herodot punktuell ad rem korrigieren, ist Aristoteles, der etwa eine Angabe zu den Aithiopiern, deren Samen gemäß Herodot schwarz und nicht weiß sei (Hdt. 3.101.2), an zwei Stellen widerlegt32 und auch die Erzählung einiger Fischer über die Fische als „einfältige und oft wiederholte Erzählung wie die von Herodot dem Märchenerzähler“33 (Hdt. 2.93) bezeichnet, wobei das Werturteil „Märchenerzähler“ natürlich wohl implizit eine Kritik ad personam – Herodots Erzählung folgt nicht ‚wissenschaftlichen‘ Standards, sondern gibt wunderbare Erzählungen wieder – enthält. Ähnlich wird wohl die Kritik auch in anderen geo- und ethnographischen Werken gelautet haben. Wie sich Hekataios von Abdera, Manethon, Berossos, Megasthenes oder Timaios in ihren Werken über Ägypten, Persien, Mesopotamien, Indien und dem Westen mit Herodot auseinandergesetzt haben, können wir indessen angesichts der gänzlich fragmentarischen Überlieferung dieser Werke nur anhand weniger Beispiele nachzeichnen. So können wir etwa nicht mehr bestimmen, ob sich Nearchos und Megasthenes in ihren Erzählungen zu Indien an Herodot angeschlossen und ob sie diesen kritisiert haben oder nicht.34 Punktuell haben diese Schriftsteller, wie einige Beispiele beweisen, Herodots Aussagen korrigiert. Hinsichtlich der Bestrafung des Meers durch Xerxes (7.35) kritisieren etwa Hekataios von Abdera (FGrHist 264, F3) und andere Historiker, die über die Mager schreiben, Herodot und behaupten wohl auf der Grundlage eines Wahrscheinlichkeitsschlusses und nicht anderer Quellen, dass35 „[…] Xerxes nicht Pfeile gegen die Sonne geschossen hätte und auch nicht Fußfesseln ins Meer geworfen hätte, da diese nach der Überlieferung der Mager Götter seien. Die Götterbilder habe er indessen mit gutem Grund zerstört.“
Herodots Bericht wird also ad rem durch einen auf dem Wissen über die Mager beruhenden Analogieschluss korrigiert. Im Hinblick auf Ägypten beruft sich Hekataios, der von Diodor (Diod. 1.69.7) zitiert wird, aber auf die besseren Quellen der ägyptischen 31 Dies kann natürlich auch durch den Selektionsprozess späterer Kompilatoren bedingt sein, die nur kurz die sachliche Kritik zitieren und allfällige Bemerkungen gegen Herodot ad personam nicht überliefern. 32 Aristot. gen. an. 736a10 und hist. an. 523a17. 33 Hdt.: 2.93: εὐήθη λόγον καὶ τεθρυλημένον ὅνπερ καὶ Ἡρόδοτος ὁ μυθολόγος. Mit μυθολόγος darf man ohne Weiteres Ktesias’ λογοποιός (Ktes. FGrHist 688 T8) vergleichen, vgl. Dognini (2007), 486. 34 Beide haben offenbar wie Herodot die Erzählung über die goldgrabenden Riesenameisen erwähnt (F23b, vgl Nearchos F8a), wobei aber unklar ist, ob sie diese bestätigten oder nicht. Während Murray (1972), 200–213 meint, dass beide Herodot schätzten, weil sie ebenfalls von den Riesenameisen sprächen, bezweifelt Dognini (2007), 488 f. mit Recht, dass sich aus der bloßen Erwähnung eines gleichen Sachverhaltes auch eine lobende Haltung ableiten lasse, zumal Herodot nicht notwendigerweise die Quelle für diese Erzählung gewesen sein muss, da Riesenameisen auch von einheimischen indischen Quellen erwähnt werden. 35 Hekat. FGrHist 264 F3: […] μὴ γὰρ ἂν εἰς τὸν ἥλιον βέλη Ξέρξην ἀκοντίσαι, μηδ’ εἰς τὴν θάλασσαν πέδας καθεῖναι, θεοὺς ὑπὸ τῶν μάγων παραδεδομένους. τὰ μέντοι ἀγάλματα εἰκότως καθαιρεῖν.
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Priester,36 um, ähnlich wie Ktesias und Aristoteles unter Rückgriff auf von Thukydides geäußerte gattungsspezifische Überlegungen, Herodot ad personam anzuklagen: Statt der Wahrheit verpflichtet zu sein, versuche Herodot durch sensationelle Geschichten das Publikum zu unterhalten.37 Dies gilt noch mehr für Manethon (FGrHist 609), der selbst ägyptischer Priester war, hieroglyphische Urkunden verwendete38 und somit Herodot in vielen Details hat korrigieren und ad rem widerlegen können. Offenbar hat er, wie Flavius Josephus, der sich auf ihn beruft, behauptet, „[…] Herodot überführt, aus Unkenntnis sich in vielen Punkten seiner ägyptischen Geschichte getäuscht zu haben bzw. viele unwahre Geschichten erfunden zu haben“.39 Ebenso verbessert Arrian, der erstaunlicherweise Herodot in seiner Indischen Geschichte nie erwähnt, in seinem Werk Periplus ponti Euxini (Arr. per. p. E. 15.1) Herodot, indem er die Angabe über den Verlauf des Stroms Halys verbessert, während Philon von Byblos bezüglich der Gründung Babylons Herodot (Hdt. 1.184) korrigiert, auch wenn dieser nirgends behauptet, dass Semiramis die Stadt gegründet habe. Auch in der Kaiserzeit änderte sich nicht viel: Das alte Vorurteil gegen Herodot als Geschichtenerzähler wird etwa von Lukian, der den Stil und die Komposition des Werks durchaus schätzt,40 in den Wahren Geschichten kurz angedeutet, wo Herodot zusammen mit anderen Lügenschriftstellern wie Ktesias, die nicht die wahren Ereignisse berichtet hätten, seine Strafe verbüßt.41 Ebenso nennt er ihn in den Macrobii 10 einen λογοποιός und führt ihn im Philopseudes 2 zusammen mit Ktesias und Dichtern wie Homer an, die ihre Zuhörer getäuscht hätten, wobei es dabei weniger um eine moralische Verurteilung geht, als dass auf den sich nicht mit dem realen Sachverhalt deckenden Charakter ihrer Werke42 hingewiesen wird.43 Lukian, der sonst eine thukydideisch geprägte Auffassung der Geschichte vertritt,44 hat Herodots Werk in gewissen Belangen geschätzt und etwa 36 Hekat. FGrHist 264 F25: τὰ παρὰ τοῖς ἱερεῦσι τοῖς κατ᾽ Αἴγυπτον ἐν ταῖς ἀναγραφαῖς γεγραμμένα. 37 Diodor selbst hat offenbar gemäß Fragment 10.24 folgende rezeptionsästhetische Bemerkung gemacht, dass er οὐχ οὕτως Ἡροδότου κατηγορῆσαι βουληθέντες ὡς ὑποδεῖξαι ὅτι τῶν λόγων οἱ θαυμάσιοι τοὺς ἀληθεῖς κατισχύειν εἰώθασιν „nicht so sehr Herodot anklagen als vielmehr aufzeigen wollte, dass sich die wunderbaren Geschichten gewöhnlich gegen die wahren durchsetzen.“ Dadurch, dass Diodor deutlich sagt, dass es ihm nicht um die Anklage (κατηγορῆσαι) gehe, zollt er Herodot seinen Respekt. Siehe auch den Beitrag von Baumann in diesem Band. 38 Laqueur (1930), 1099 und Helck (1956) zu den verschiedenen Vorlagen (Annalenquelle und Königsliste), die Manethon gebraucht hat. 39 Maneth. FGrHist 609 T7a: […] πολλὰ τὸν Ἡρόδοτον ἐλέγχει τῶν Αἰγυπτιακῶν ὑπ’ ἀγνοίας ἐψευσμένον. Flavius Josephus, aus dem das Zitat stammt (Ios. C. Ap. 1.12.8), weist Herodot und auch Thukydides Unwissen bezüglich Rom nach, während Herodot im gleichen Werk (Ios. C. Ap. 1.22.5) als Zeuge für die angebliche Erwähnung der Juden im 3. Buch dient. Somit hat Josephus kein Interesse, Herodot ad perso nam anzugreifen. 40 Vgl. sein positives Urteil über den Stil zu Beginn des Herodot oder Aetion 1. 41 Lukian. ver. hist. 2.31: οἱ μὴ τὰ ἀληθῆ συγγεγραφότες, ἐν οἷς καὶ Κτησίας ὁ Κνίδιος ἦν καὶ Ἡρόδοτος καὶ ἄλλοι πολλοί, vgl. dazu auch den Beitrag von Tamiolaki in diesem Band. 42 ψεῦσμα, ψεῦδος und ἐξαπατᾶν. 43 Lukian. Philops. 2: ἐκείνους μὲν γὰρ τοὺς παλαιοὺς πρὸ ἐμοῦ σὲ χρὴ εἰδέναι, τὸν Ἡρόδοτον καὶ Κτησίαν τὸν Κνίδιον καὶ πρὸ τούτων τοὺς ποιητὰς καὶ τὸν Ὅμηρον αὐτόν, ἀοιδίμους ἄνδρας, ἐγγράφῳ τῷ ψεύσματι κεχρημένους, ὡς μὴ μόνους ἐξαπατᾶν τοὺς τότε ἀκούοντας σφῶν, ἀλλὰ καὶ μέχρις ἡμῶν διϊκνεῖσθαι τὸ ψεῦδος ἐκ διαδοχῆς ἐν καλλίστοις ἔπεσι καὶ μέτροις φυλαττόμενον. 44 Etwa in seiner Schrift Über die Geschichtsschreibung, Lukian. hist. conscr. 42.
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das Proömium als gelungenes Exempel angeführt (Lukian. hist. conscr. 54). Dasselbe gilt auch im 3. Jh. n. Chr. für Iulius Africanus, der nicht nur in seinen Chronographien Herodot als Historiker benutzt hat, sondern der auch in seiner paradoxographischen Enzyklopädie, den Kestoi, Herodot zitiert und ad rem korrigiert hat: Im Fragment über den Zimt (F75) fasst er zunächst Herodots Bericht zusammen, den er als ψεῦδος, als „Fälschung“ oder besser „Lügengeschichte“,45 bezeichnet. Dann gibt er, ähnlich wie Ktesias, seine eigene Version, die auf eigener Erfahrung (πεῖρα) beruht, also wie bei den Ethno- und Geographen, und dank derer er sich gegen Herodots Autorität zu stellen vermag. Vornehmlich nicht durch historiographische Überlegungen bedingt und ad personam ist dagegen die in Plutarchs Schrift De malignitate Herodoti geäußerte Kritik, wobei aber unklar bleibt, ob Plutarch seine Kritik ernst meint oder ob es sich um eine vornehmlich rhetorisch gestaltete Übung handelt.46 Wenn man nämlich Plutarchs Umgang mit Herodots Werk in den biographischen Werken betrachtet, scheint er dieses insgesamt als Quelle zu schätzen, zumal er ihm oft in den Viten, etwa des Themistokles oder Aristeides, benutzt. Er kritisiert dabei Herodots Version nur selten, sondern folgt ihm in den meisten Fällen, zitiert ihn auch in den Moralia und übernimmt von ihm Redeweisen.47 Ausgehend von einer bewusst rhetorisch geprägten Auffassung von Geschichte, in der neben dem Kriterium der Wahrhaftigkeit (ἀλήθεια, 854–855) ebenfalls die Kategorien von Lob und Tadel (ἔπαινος und ψόγος, 856d) eine wichtige Rolle spielen, meint der Schreiber, dass sich ein Historiker prinzipiell an die wahren Sachverhalte halten
45 Als „piece of fiction“ von William Adler in der Übersetzung des Fragments bei Wallraff/Scardino/Mecella/Guignard (2012), 187 wiedergegeben. 46 Zur Authentizität des Werks vgl. Lachenaud (1981), 114–117. Die Intention des Werks ist umstritten. Man kann ohne weiteres Bowersock (1985), 667 folgen, für den „Plutarch’s verdict on Herodotus is not due to a tough, independent thinking. It is solidly based in presuppositions common to the education of this time, and also […] to a certain inability to comprehend Herodotus’ lighter tone.“ Dognini (2007), 501 fügt hinzu, dass Plutarchs negatives Urteil im Einklang mit der gesamten Kritik Herodots seit dem 4. Jh. stehe, die zwar seine literarische Technik schätze, aber seine historische Methode verurteile. Dagegen glaubt Hershbell (1993), 151, dass „Plutarch remained critical of the History in his Moralia and Vitae“ und dass kein Widerspruch zwischen den beiden Werkbereichen bestehe, sondern dass die im Werk geäußerte Vorstellung von Geschichte Plutarchs moralische Auffassung von Geschichte widerspiegele und daher ernstgemeint sei. Ebenso Priestley (2014), 213. Siehe dazu besonders auch den Beitrag von Blank in diesem Band. 47 Vgl. Dognini (2007), 494–501, der die einzelnen Stellen diskutiert, wobei bezeichnend ist, dass Plutarch in den Viten Herodot auch dort folgt, wo er ihn in dieser Schrift scharf verurteilt hat. Dognini meint S. 501 f.: „Quando, invece, Plutarco accoglie nelle Vitae la versione di Erodoto rifiutata nel De Herodoti ma lignitate, è necessario supporre […] un’evoluzione del pensiero storiografico di Plutarco che in tutte le sue opere mantiene il medesimo giudizio su Erodoto, elogiandone lo stile ma esecrandolo come storico, mentre modifica con l’avanzare dell’età e della riflessione storiografica la valutazione del singolo evento storico e delle sue interpretazioni.“ Ebenso Pelling (2007), der auf Seite 153 zwar darauf hinweist, dass Plutarch oft eine andere Version der Ereignisse als Herodot gibt, aber dort, wo er ihm als Quelle folgt, ihn im Gegensatz zum Traktat positiver beurteilt und seiner Version folgt, wobei in Plutarch je nach gewähltem Register „[…] a spectrum of different attitudes to Herodotus […]“ festzustellen sei, „[…] a very negative one in Malice, a more measured and more selectively critical one in the Life, a very positive one in the Epicurus essay“ (S. 162).
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müsse,48 aber bei unklarem Wissensstand jeweils die positivere Version wählen sollte.49 Dabei spielen, wie Plutarch zugibt, natürlich auch weltanschauliche Erwägungen eine Rolle. Er behauptet (Plut. mor. 854e-f), dass Herodot aus Boshaftigkeit (κακοήθεια) und Zuneigung zu den Barbaren (φιλοβάρβαρος, Plut. mor. 857a) die Griechen und insbesondere die Thebaner und Korinther schlecht behandelt habe und dabei nicht einmal die Wahrheit (ἀλήθεια) beachte. Plutarch erwähnt verschiedene Techniken Herodots, durch die dieser seine Missgunst offenbare; er nimmt dabei besonders Anstoß an der Auswahl und der Präsentation der Ereignisse: Herodot verschweige bzw. verdrehe aus Missgunst bedeutende Leistungen der Griechen oder betone Negatives übermäßig, damit diese in einem schlechten Licht erschienen (Plut. mor. 855b-856d). Herodots Werk, dessen Stil er schon am Anfang lobt, vergleicht er am Ende mit einer schönen Rose, bei der man sich jedoch vor den Spanischen Fliegen hüten müsse, mit denen er Herodots üble Nachrede und Beschimpfungen50 vergleicht, „[…] damit wir nicht unbemerkt abwegige und trügerische Meinungen über die besten und größten Städte und Männer Griechenlands übernehmen“ (Plut. mor. 874b–c).51 Plutarch bringt aber in dieser Schrift nur selten neues Quellenmaterial bei, um Herodot zu widerlegen. Vielmehr attackiert er ihn besonders bezüglich der (z. T. mythologischen) Erzählungen der ersten Bücher und der Vorstellung der Götter, die er als widersprüchlich und unwahrscheinlich erweisen will. Anders als bei Ktesias oder anderen Historikern ist seine Kritik also in der Regel nicht die Frucht einer vermeintlich überlegenen historischen Methode, sondern meist aprioristisch; bisweilen zitiert er Herodots Bericht nur ungenau.52 Nur selten erwähnt er andere Historiker: so kann er Charon von Lampsakos (FGrHist 262) bezüglich Paktyes (859b), und in Bezug auf die Naxier während des Ionischen Aufstands Hellanikos und Ephoros als Zeugen gegen Herodot anführen (869a). In 861c nennt er den sonst gänzlich unbekannten Lysanias von Mallos (FGrHist 426 F1), den wir zwar nicht datieren können, der aber im Gegensatz zu Herodot militärische Erfolge der Eretrier anführt;53 in Bezug auf den Xerxesfeldzug zitiert er Weihinschriften und den Elegiker Simonides, ohne aber diese Zeugnisse kritisch zu hinterfragen. Die Korrektur ad rem auf der Grundlage alternativer Berichte ist in der Regel also die Ausnahme. Vielmehr arbeitet Plutarch, der offenbar das Werk Herodots gut kannte,54 mit Analogie- und Wahrscheinlichkeitsschlüssen und versucht Herodots Erzählung als tendenziös aufzuzeigen. Die Unwahrscheinlichkeiten und Un48 49 50 51
Plut. mor. 855e: ἃ μὲν οἶδεν ἀληθῆ. Plut. mor. 855 f.: τῶν δ’ἀδήλων τὰ βελτίονα δοκεῖν ἀληθῶς λέγεσθαι μᾶλλον ἢ τὰ χείρονα. Plut. mor. 874b: τὴν βλασφημίαν αὐτοῦ καὶ κακολογίαν. Plut. mor.874b–c: […] ἵνα μὴ λάθωμεν ἀτόπους καὶ ψευδεῖς περὶ τῶν ἀρίστων καὶ μεγίστων τῆς Ἑλλάδος πόλεων καὶ ἀνδρῶν δόξας λαβόντες. 52 Etwa im Fall von Busiris 857a, den Herodot im Ägyptenlogos gar nicht nennt. Vgl. dazu Dognini (2007), 482, der mit Recht auf die „critica ingiustificata“ hinweist, die zur Intention dieser Schrift, in der „Plutarco cerca ogni pretesto per screditare Erodoto“, gut passt. 53 Während Jacoby FGrHist 426 ihn für einen Lokalhistoriker hält, meint Tuplin BNJ 426 mit Recht, dass jener, der aus Kilikien stammte, dafür kaum infrage kommt, sondern sich eher mit dem Ionischen Aufstand befasst habe. 54 So mit Recht Hershbell (1993), 146–150.
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stimmigkeiten gehen seiner Meinung auf Herodots verleumderische Absicht und seine Boshaftigkeit zurück, ja er wirft Herodot unter Hinweis auf den Lokalhistoriker Aristophanes den Boioter55 (864d = FGrHist 379 F5) sogar vor, er habe von den Thebanern vergeblich Geld verlangt – was natürlich dem Ethos eines der Wahrheit verpflichteten Historikers zuwiderläuft – und, wie er implizit suggeriert, diese deshalb verleumdet. Somit ist Plutarchs Anklage ad personam vor allem eine ethisch-moralische, da er Herodot ad rem durch historisch verifiziertes Material nur selten zu verbessern imstande ist. Im Gegensatz zu dieser Art der Kritik fand Herodot bei seinem Landsmann Dionysios von Halikarnassos viel Lob. Dieser hat zwar – im Gegensatz zu Plutarch – Herodot nicht nur aus stilistischen Erwägungen geschätzt (Dion. Hal. imit. Frg. 31.1.3), sondern, wie er im Brief an Pompeius Geminus (Dion. Hal. Pomp. 3.2–7) sagt, auch wegen der Wahl des Themas (ὑπόθεσις), das die erfolgreiche Abwehr der Barbaren durch eine gemeinsame Aktion der Griechen betrifft, während er etwa die Wahl von Thukydides’ Thema, der einen internen Krieg behandelt hat, tadelt. Wir sehen auch hier ideologische, ‚klassizistische‘ Motive, die kaum mit der Wahrheitssuche zusammenhängen, sondern mit rhetorischen und rezeptionsästhetischen Argumenten zusammenhängen. Die Kritik an anderen Historikern, vornehmlich Vorgängern, ist bekanntlich ein allgemeiner, in der antiken Literatur häufig vorkommender Topos, den man bereits bei Hekataios und Herodot selbst finden kann. Durch den Rückgriff auf diesen Topos versucht jeder Historiker, besonders wenn er mit seinem/n Vorgänger/n in Konkurrenz steht, seine eigene Glaubwürdigkeit und Autorität zu untermauern und so das Interesse des Publikums für sein Werk zu gewinnen. Fasst man die verschiedenen Beispiele zusammen, kann man folgende Typologien der Herodot-Kritik, deren Spektrum von sachlichem bis zu persönlichem Tadel reicht, bestimmen: 1. In der Regel wird in Detailfragen ad rem kritisiert, dass Herodot etwas nicht der Wahrheit gemäß (ἀληθές) berichtet, weil etwa die eigene Erfahrung eines Zeitgenossen dessen Erzählung widerlegt.56 Herodot wird besonders bezüglich der ethnographischen Partien seines Werks Unwissenheit vorgeworfen, weil er entweder keinen Zugang zu den Quellen hatte oder weil er diese falsch verstanden bzw. interpretiert hat, besonders was die Geographie und die Ethnographie, aber auch die Fauna (Aristoteles) angeht. Dies lässt sich vor allem in der geo- und ethnographischen Literatur seit dem Hellenismus feststellen.57
55 Dieser aus Boiotien stammende und wohl in der ersten Hälfte des 4. Jh. schreibende Historiker hat wahrscheinlich in seinen Thebanischen Annalen (Θηβαῖοι ὧροι) eine andere Version als Herodot gegeben und dessen negative Darstellung der Thebaner mit einer persönlichen Abneigung Herodots zu erklären versucht. Vgl. dazu Schachter (2015). Interessant ist dabei, dass Herodot 9.2 den Thebanern in einer Rede an Mardonios den Ratschlag in den Mund legt, die Griechen durch Geld zu bestechen, da sich diese bestechen ließen. Vielleicht hat Aristophanes diese Anklage Herodots an die Adresse der Thebaner durch den Vorwurf an Herodot, selbst Geld erpresst zu haben, zurückzuweisen versucht. 56 Im Fall des Thukydides, der sich auf die eigene Erfahrung beruft, wird Herodot nicht einmal namentlich erwähnt. 57 Etwa bei Hekataios von Abdera, Manethon oder Philon von Byblos, die Zugang zu nicht-griechischen Quellen hatten und deshalb manche Detailfragen klären konnten.
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2. Doch wird die Kritik in Sachfragen ad rem nur selten ohne ein damit verbundenes Werturteil geäußert. Sehr oft wird Herodots Version mit dem Hinweis auf seinen Status als eines Lügenautors, dem die historiographische Präzision absichtlich oder aus Unwissen fehlt, zurückgewiesen. Diese Art der Kritik hat an Herodot auszusetzen, dass er die dem Genus Geschichtsschreibung innewohnenden Methoden und Regeln missachte und sich vielmehr wie Dichter und fiktionale Prosa-Autoren verhalte.58 Herodot wird also in erster Linie vorgeworfen, seine historische Untersuchung zu sehr mit Elementen fiktionaler Prosa, die mehr der Unterhaltung als der Vermittlung von Nutzen dienen, vermischt zu haben, und nicht, dass er seine Rezipienten absichtlich täuschen wollte. Ironischerweise hält sich bisweilen derjenige Kritiker, der Herodot auf diese Weise getadelt hat, ebensowenig an die vom Genus Historiographie vorgegebenen Prinzipien, sondern verwendet dieselben fiktionalen Erzählmuster wie Herodot, was in einem solchen Fall die Kritik als literarisches Spiel entlarvt. Besonders der harsche Angriff auf Herodots Darstellung der Perserkriege durch Ktesias, dessen Kritik ad rem und ad personam ist, liefert ein gutes Beispiel: Ktesias gibt zwar an bzw. vor, eine exaktere Methode und bessere Quellen als Herodot zu besitzen, doch ist dieser Vorwurf an Herodot, kein guter Historiker zu sein, ohne ihm dabei unlautere Absichten unterzuschieben, wohl selbst nur eine Fiktion und ein Zeichen eines literarischen Spiels mit Herodots Text, zumal sich ja Ktesias ganz und gar nicht an seine eigenen methodologischen Vorgaben hält. Eine gegenteilige Ausnahme bildet Theopomp, der offenbar gerade in Bezug auf die fiktionalen Geschichten mit Herodot in Konkurrenz treten will, ohne auf die Regeln der Gattung Geschichte zu achten. 3. Bei Plutarch hingegen kommt noch eine weitere Stufe der Kritik hinzu. Er fügt dem thukydideisch geprägten Ethos der methodisch korrekten und nützlichen Geschichtsschreibung die moralische Erbauung der Rezipienten und den schon von Polybios (Pol. 16.14.6) mit gewissen Einschränkungen erlaubten Patriotismus hinzu. Aus diesem Blickwinkel wirft er Herodot pauschal ad personam Charakterfehler und moralische Mängel vor. Herodots Boshaftigkeit und Sympathie für die Barbaren, nicht eine mangelhafte historische Methode oder fehlende Quellen, sind für die verzerrte Darstellung der Griechen im Geschichtswerk verantwortlich; aber diese moralische Kritik ist, wie gezeigt, nur in seltenen Fällen das Ergebnis einer alternativen, auf anderen Quellen beruhenden Version oder das Ergebnis einer besser angewandten historischen Methode. 4. Während durchaus punktuell Fehler und einzelne falsche Angaben Herodots kritisiert wurden, ist seine Autorität bezüglich der Darstellung der Perserkriege nur selten angefochten worden. Vielmehr wurde er explizit von Dionysios von Halikarnassos, implizit aber schon von Aristoteles, der im neunten Kapitel der Poetik (Aristot. poet. 1451b2) Herodot und nicht Thukydides als Historiker anführt, als Modell für die Geschichtsschreibung anerkannt und blieb es auch in den folgenden Jahrhunderten.59 58 So sind die Begriffe λογοποιός bei Ktesias und Lukian sowie μυθολόγος bei Aristoteles am ehesten aufzufassen. 59 So richtig Priestley (2.14), 214, die betont: „That ancient historians continued to impugn Herodotus is, however, one of the most important indications of his cultural importance. Their criticisms indicate that,
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Geschichte, Rhetorik und Wahrheit Dionysios von Halikarnassos über Thukydides Casper C. de Jonge
1. Einführung1 „Es legen für den Mann wohl alle Philosophen und Rhetoriker Zeugnis ab – und wenn nicht alle, dann wenigstens die meisten –, dass er auf die Wahrheit, als deren Hohepriesterin wir die Geschichtsforschung ansehen wollen, die meiste Achtsamkeit verwendet hat […].“2
Die antike Rezeption des Thukydides war umfänglich, vielgestaltig und weitreichend.3 Historiker führten sein Werk fort, ahmten seinen Stil nach oder schlossen sich seinen Vorstellungen über Geschichtsschreibung an; Philologen verfassten gelehrte Kommentare, in denen sie seinen schwierigen Wortschatz und seine Syntax erläuterten; und Vertreter der Rhetorik zogen Inspiration aus den wörtlichen Reden in seinem Werk, die sie als Vorbilder stilvollen Schreibens analysierten. Verfolgten Leser unterschiedlicher Epochen und Fachrichtungen auch jeweils eigene Interessen und Ansätze, so einte sie doch alle die Bewunderung für einen bestimmten Aspekt des Werkes: Man betrachtete Thukydides als einen Verfechter der ‚Wahrheit‘. Diese Auffassung hatte ihren Ausgangspunkt in der Kritik, die der Historiograph gegenüber solchen Schriftstellern äußerte, die sich angeblich nicht um die „Suche nach der Wahrheit“ scherten (ἡ ζήτησις τῆς ἀληθείας, Th. 1.20.3). Thukydides’ methodologische Ausführungen bezüglich seiner 1
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Die englische Originalfassung dieses Beitrags („Dionysius of Halicarnassus on Thucydides“) wurde publiziert in: Balot, R. / Forsdyke, S. / Foster, E. (eds.): The Oxford Handbook of Thucydides. Oxford, 641– 658. Für den vorliegenden Band wurde der Beitrag leicht angepasst und übersetzt. Für die Übersetzung danke ich Thomas Blank, für nützliche Hinweise den Herausgebern und Verena Schulz. Dion. Hal. Thuc. 8.1: Μαρτυρεῖται δὲ τῷ ἀνδρὶ τάχα μὲν ὑπὸ πάντων φιλοσόφων τε καὶ ῥητόρων, εἰ δὲ μή, τῶν γε πλείστων, ὅτι καὶ τῆς ἀληθείας, ἧς ἱέρειαν εἶναι τὴν ἱστορίαν βουλόμεθα, πλείστην ἐποιήσατο πρόνοιαν […]. Textstellen aus den rhetorischen Werken des Dionysios folgen in diesem Beitrag der Edition von Aujac (1991–1992). Die deutschen Übersetzungen aus Dionysios’ rhetorischen und literaturkritischen Schriften (Über Thukydides, Brief an Pompeius Geminus, etc.) wurden von Thomas Blank besorgt. Zitate und Übersetzungen aus der Römischen Frühgeschichte folgen Wiater (2014), solche aus Thukydides’ Pelo ponnesischem Krieg der Übersetzung von Landmann (1993). Übersetzungen aus anderen antiken Werken werden an der jeweils entsprechenden Stelle erwähnt. Zur Thukydidesrezeption in Rom und in der Spätantike siehe Canfora (2006).
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sorgfältigen Untersuchung der Kriegsereignisse, des Fehlens von frei Erfundenem in seiner Darstellung und des Nutzens seines Werks als „beständigen Besitzes“ (Th. 1.22) hat die antike Thukydidesrezeption wesentlich geprägt und geleitet. In seiner Schrift Wie man Geschichte schreiben soll (de historia conscribenda)4 zeichnet Lukian (2. Jh. n. Chr.) Thukydides als das Idealbild, dem der Historiograph entsprechen solle: als furchtlos, unbestechlich, unabhängig und als „einen Freund der freien Rede und der Wahrheit“ (παρρησίας καὶ ἀληθείας φίλος, hist. consc. 41–42). Der Mahnung ihres großen Vorgängers folgend betonten spätere Historiker unablässig den ‚Wahrheitsgehalt‘ ihrer eigenen Darstellungen. Allerdings lassen sich unter ‚Wahrheit‘ unterschiedliche Dinge verstehen. Wie bei Lukian kann sich der Begriff auf eine unparteiische Haltung beziehen oder auf die enge Übereinstimmung zwischen historischen Fakten und ihrer Darstellung; ebenso kann mit ‚Wahrheit‘ die Ablehnung mythischer oder unüberprüfbarer ‚Geschichten‘ gemeint sein. Einem modernen Verständnis mag es schwerfallen einzusehen, wie sich diese Betonung der ‚Wahrheit‘ zum rhetorischen Charakter antiker Geschichtsschreibung verhält. Denn während antike Historiographen nicht müde werden zu betonen, dass die ‚Wahrheit‘ ihr oberstes Ziel, ihr bester Freund oder gar ihre ‚Göttin‘ sei,5 findet sich in ihrer Geschichtsschreibung dennoch jede Art von rhetorischer Gestaltung und Formung des historischen Materials, beispielsweise in der Handlungskomposition, in der Einbindung kunstvoller direkter Reden oder in der lebhaft-anschaulichen Schilderung (ἐνάργεια) der wiedergegebenen Ereignisse, die im modernen Verständnis der historischen Genauigkeit und Sachlichkeit eher abträglich erscheinen. Unter den antiken Autoren kann Dionysios von Halikarnassos (1. Jh. v. Chr.) als herausragender Repräsentant für diese komplexen Beziehungen zwischen Historiographie und Rhetorik gelten. Denn Dionysios war nicht nur sowohl Historiograph als auch Rhetoriktheoretiker, sondern zugleich Literaturkritiker, der über Thukydides schrieb. Dionysios’ Interpretation seines Vorgängers stellt ein faszinierendes Kapitel der Thukydidesrezeption dar, in dem die Konzeption der ‚Wahrheit‘ eine bedeutende Rolle spielt. In seinem Brief an Pompeius Geminus stellt Dionysios fest: „[…] die Haltung des Thukydides […] ist irgendwie unverblümt und bitter und grollt der Heimat aufgrund seines Exils.“6 Wie verhält sich nun dieses Urteil zur Aussage desselben Autors (Dion. Hal. Thuc. 8.1) hinsichtlich der „Achtsamkeit“ des Thukydides gegenüber der „Wahrheit, als deren Hohepriesterin wir die Geschichtsforschung ansehen wollen“? Ausgehend von allgemeinen Erläuterungen zur Thukydidesrezeption bei Dionysios vor dem Hintergrund der Kultur der Rhetorik in Rom sollen in diesem Beitrag die beiden oben zitierten Passagen (Thuc. 8.1 und ep. Pomp. 3.15) in ihrem Kontext analysiert werden. Dabei wird gezeigt, dass Dionysios’ Ansichten über Thukydides’ (angeblich) antiathenische Haltung einerseits und über seine ‚Wahrhaftigkeit‘ andererseits mitei4 5 6
Zum Wahrheitsbegriff in dieser Schrift s. Free (2015) sowie Free und Tamiolaki im vorliegenden Band. Dazu Avenarius (1956), 40–46. Dion. Hal. ep. Pomp. 3.15: ἡ δὲ Θουκυδίδου διάθεσις αὐθέκαστός τις καὶ πικρὰ καὶ τῇ πατρίδι τῆς φυγῆς μνησικακοῦσα.
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nander in Einklang gebracht werden können, wenn man das allgemeine Konzept des Literaturkritikers davon, was unter ‚Wahrheit‘ zu verstehen sei, sowie das Zielpublikum seiner Schriften und seine rhetorisch-pragmatische Auffassung von Geschichtsschreibung berücksichtigt. Eine Detailanalyse des Abschnittes über Thukydides’ Wahrheitstreue (Thuc. 8.1, s. o.) wird zeigen, dass Dionysios’ Lob für seinen Vorgänger nicht so eindeutig ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Der letzte Teil des Beitrags befasst sich mit der Selbstinszenierung des Dionysios in seiner Schrift Über Thukydides: Dionysios stellt sich als kritischen Historiographen der thukydideischen Geschichtsschreibung dar, der ganz im thukydideischen Sinne den Anspruch erhebt, nichts als die ‚Wahrheit‘ zu schreiben – die ‚Wahrheit‘, wohlgemerkt, über Thukydides.7 2. Dionysios über Thukydides Dionysios von Halikarnassos gelangte im Jahre 30 v. Chr. nach Rom, wo er bis mindestens 8 v. Chr. tätig war.8 Seine erhaltenen Werke bezeugen in vielerlei Hinsicht, dass er wie die meisten seiner Zeitgenossen die Verknüpfung von Rhetorik und Historiographie als eine harmonische und produktive Verbindung begriff.9 Während er seine Römische Frühgeschichte in 20 Büchern verfasste, von der die ersten zehn und ein Teil des elften Buches erhalten sind, betätigte er sich auch als Lehrer der Rhetorik. In dieser Funktion spornte er seine Schüler und Kollegen beständig an, die Redner, Dichter und Geschichtsschreiber der ‚klassischen‘ Vergangenheit zu lesen, zu studieren und nachzuahmen.10 So vertraut Dionysios mit der klassischen griechischen Literatur war, so gut vernetzt war er mit der intellektuellen Elite seines römischen Umfelds. So ist seine umfangreiche Abhandlung Über Thukydides an den römischen Juristen und Historiographen Q. Aelius Tubero adressiert, den Vater zweier Konsuln, der sich für dieses Thema offenbar besonders interessierte (s. S. 293 f.). Über diese Widmung hinaus, so gibt Dionysios an, sei die Schrift aber verfasst „mit einem Blick auf den Nutzen für eben diejenigen, die den Mann nachahmen wollen.“11 In dieser pragmatischen Sichtweise folgt Über Thukydides dem Modell von Dionysios’ Schriften Über die Nachahmung (de imitatione) sowie Über die Alten Redner (de oratoribus veteribus), die einzelne Abhandlungen zu Lysias, Isokrates, Isaios und Demosthenes enthält. Alle diese Schriften sollen Schüler der Rhetorik und Prosaschriftsteller dazu anleiten, die Höhepunkte einer schon zu Dionysios’ Zeit als ‚klassisch‘ verstandenen griechischen Literatur kreativ nachzuahmen und ihnen nachzueifern.
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Vgl. zu diesem Teil der Argumentation v. a. Weaire (2005), 255–256. Zu Dionysios von Halikarnassos siehe allgemein De Jonge (2008) und Wiater (2011). Fox (1993); Fox/Livingstone (2010). E. g. Dion. Hal. Orat. Vett. 4.2; Imit. passim. Vgl. De Jonge (2008), 9–20 und Wiater (2011), 77–92. Dion. Hal. Thuc. 25.2: [sc. δήλωσις] […] σκοπὸν ἔχουσα τὴν ὠφέλειαν αὐτῶν τῶν βουλησομένων μιμεῖσθαι τὸν ἄνδρα.
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Neben Über Thukydides verfasste Dionysios mehrere literaturkritische Schriften, die Beobachtungen zu Thukydides enthalten.12 Der Brief an Pompeius Geminus zieht einen breit angelegten Vergleich zwischen Herodot und Thukydides in Bezug auf Gegenstand und Stil, in dem der erstgenannte einen klaren Sieg davonträgt.13 Die ablehnende Kritik an Thukydides im Brief an Pompeius Geminus wird in der Abhandlung Über Thukydides etwas abgeschwächt, in der Dionysios eine etwas ausgewogenere Haltung gegenüber der Themenwahl des thukydideischen Werks einnimmt. In der lehrbuchartigen Schrift Über die Zusammenstellung der Worte (de compositione verborum) analysiert Dionysios einige Passagen aus Thukydides als Beispiele der sogenannten strengen Anordnung (σύνθεσις αὐστηρά). Der Zweite Brief an Ammaios wiederum stellt eine Ergänzung zu Über Thukydides dar, in der die grammatikalischen Eigenarten des thukydideischen Stils untersucht und veranschaulicht, dabei jedoch als unnatürlich und an Solözismen grenzend abgelehnt werden.14 Insgesamt führt Dionysios in Über Thukydides 69 Textstellen aus Thukydides an; in den übrigen Werken zitiert er 75 weitere Passagen. Als Rhetoriker hat er ein besonderes Interesse an den Reden, doch bietet er auch Detailanalysen zu einer ganzen Reihe an Stellen, die die Ereignisdarstellung betreffen. Während Dionysios seinen halikarnasseischen Landsmann Herodot aufrichtig bewundert, steht er dem Athener Thukydides deutlich reservierter gegenüber. Seine Vorbehalte gegen Thukydides betreffen sowohl die Inhalte der Darstellung15 als auch seinen „dunklen“ Stil,16 den er als ungeeignet für die kreative Nachahmung (μίμησις) bewertet. Die Inhalte der thukydideischen Darstellung kritisiert er aus verschiedenen Gründen, die bei modernen Interpreten für Verwunderung gesorgt haben.17 Dionysios zufolge hat Thukydides ein unwürdiges Thema für seine Geschichtsschreibung gewählt, hat seiner Darstellung den falschen Beginn und das falsche Ende gesetzt, hat unbedeutenden Ereignissen zu viel Raum gegeben und dabei wichtigere ganz übergangen, und er hat manchen wörtlichen Reden in seiner Darstellung einen unpassenden Ort zugewiesen. So folge beispielsweise die denkwürdige Leichenrede des Perikles18 auf die vergleichsweise unbedeutende erste Invasion der Peloponnesier in Attika, während es wesentlich passender gewesen wäre, die Rede nach einer bedeutenden Schlacht mit zahlreichen Gefallenen zu platzieren: „[…] in jedem beliebigen Buch wäre es passender gewesen, wenn eine Leichenrede gehalten würde, als in eben diesem.“19 Berühmt ist Dionysios’ Kritik am Aufbau des ersten Buches des Peloponnesischen Krieges. Er behauptet, das Werk hätte sehr gewonnen, wenn die sogenannte
12 Zu Dionysios’ Theorie der Historiographie siehe Halbfas (1910) und Sacks (1983). Zu den Diskussionen um Dionysios’ Kritik an Thukydides siehe Pavano (1936), Grube (1950) und Wiater (2011), 130–165. 13 Dion. Hal. ep. Pomp. 3; s. u. Abschnitt 4. 14 Dazu De Jonge (2011). 15 Dion. Hal. Thuc. 9–20. 16 Dion. Hal. Thuc. 21–49. 17 Siehe z. B. Bruns (1905), 210: „Aber man traut seinen Augen nicht, wenn man liest, wie er [sc. Dionysios] Thucydides behandelt.“ Vgl. Blass (1865), 187. 18 Thuk. 2.35–46. 19 Dion. Hal. Thuc. 18.1: […] ἐν ᾗ βούλεταί τις μᾶλλον βύβλῳ ἢ ἐν ταύτῃ τὸν ἐπιτάφιον ἥρμοττεν εἰρῆσθαι.
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‚Archäologie‘20 ganz weggelassen worden wären, und schreibt den Passus sogar selbst um, um einen unmittelbaren Übergang zwischen Thuk. 1.1 und 1.21–23 herzustellen.21 Im Rahmen seiner Diskussion des thukydideischen Stils hebt Dionysios die Beschreibung der Schlacht im Hafen von Syrakus als „der Nachahmung und Nachbildung würdig“ (ἄξια ζήλου τε καὶ μιμήσεως) lobend hervor, zeichne sie sich doch durch Grandeur (μεγαληγορία), Eleganz (καλλιλογία) und Eindringlichkeit (δεινότης) aus.22 Die Beschreibung der stasis in Kerkyra sei dagegen geprägt von einem „unklaren und gequälten Stil, der weniger Bezauberndes an sich hat als Überfrachtung, die den Geist vernebelt.“23 3. Die Kritik des Dionysios im Kontext: Geschichtsschreibung und Rhetorik in Rom Manche Kritikpunkte, die Dionysios gegen Inhalt und Stil des thukydideischen Werks vorbringt, wirken aus der Warte eines modernen Verständnisses von den Aufgaben der Geschichtsschreibung fragwürdig, ja sogar lächerlich, und haben in der Tat auch den Spott mancher moderner Kommentatoren provoziert. Dionysios’ Bevorzugung des Herodot gegenüber Thukydides hinsichtlich der Themenwahl, die damit begründet wird, dass ersterer sich mit ruhmreichen Taten der Vergangenheit befasse, letzterer dagegen einen Krieg beschreibe, „bei dem es am nützlichsten wäre, er wäre nie geschehen, und, wenn schon nicht dies, dann: wenn er, von den Nachkommen dem Schweigen und Vergessen anheimgegeben, unbekannt geblieben wäre,“24 veranlasste etwa Thomas Hobbes zu der Feststellung: „[…] there was never written so much absurdity in so few lines.“25 Auf Grundlage neuzeitlicher Konzepte von Geschichtsschreibung fällt es durchaus leicht, Dionysios zu kritisieren. Jedoch sollte seine Thukydidesrezeption in ihrem historischen Kontext, mithin vor dem Hintergrund der historiographischen und rhetorischen Diskurse in seinem römischen Umfeld betrachtet werden. Thukydides war im Laufe des ersten vorchristlichen Jahrhunderts in gebildeten Kreisen Roms recht populär geworden, besonders nachdem Sulla im Jahre 83 v. Chr. die Bibliothek des Apellikon von Teos aus Athen nach Rom überführt hatte, die auch Exemplare des thukydideischen Geschichtswerks enthielt. Thukydides’ Werk inspirierte römische Literaten wie Lukrez, Cornelius Nepos und vor allem Sallust, den ‚römischen Thukydides‘, auf unterschiedlichste Weise.26 Daneben galt Thukydides auch bei römi20 21 22 23
Thuk. 1.2–20. Dion. Hal. Thuc. 20. Dion. Hal. Thuc. 26–27.; vgl. Thuk. 7.69–72. Dion. Hal. Thuc. 28–32, Zitat = 33,1: […]: [sc. Οὗτος ὁ χαρακτὴρ] τῆς ἀσαφοὺς καὶ πεπληγμένης λέξεως, ἐν ᾗ πλείων ἔνεστι τῆς θέλξεως ἡ σκοτίζουσα τὴν διάνοιαν ὄχλησις […]; vgl. Thuk. 3.81–83. 24 Dion. Hal. ep. Pomp. 3.4: […] ὃς μάλιστα μὲν ὤφειλε μὴ γενέσθαι, εἰ δὲ μὴ, σιωπῇ καὶ λήθῃ παραδοθεὶς ὑπὸ τῶν ἐπιγιγνομένων ἠγνοῆσθαι. 25 Vgl. Burns (2014) zu Hobbes’ Auseinandersetzung mit Thukydides. 26 Leeman (1955); Canfora (2006); Weaire (2005), 256 f.
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schen Rednern als Stilvorbild für die Gestaltung ihrer Reden. Cicero nahm an diesen ‚Thukydideern‘ Anstoß, deren gekünstelten Stil er für unverständlich und insofern für unbrauchbar für juristische wie für beratende Reden hielt:27 „Thukydides aber schreibt Geschichte, schildert Kriege und Schlachten, gewiß eindrucksvoll und ehrlich, aber doch so, daß sich nichts von ihm für den öffentlichen Gebrauch auf dem Forum übertragen läßt. Selbst jene berühmten Reden enthalten so viele dunkle, unverständliche Sätze (obscuras abditasque sententias), daß sie kaum zu verstehen sind – und das ist ja bei einer öffentlichen Rede gerade der größte Fehler!“
Ciceros Urteil über Thukydides findet einen Widerhall in den Beobachtungen des Dionysios in Über Thukydides und im Zweiten Brief an Ammaios, in denen er den dunklen Stil und die „unnatürliche“ Syntax des Geschichtsschreibers kommentiert. Dabei ist die Kritik sowohl Ciceros als auch des Dionysios als eine Reaktion auf die besondere Popularität des griechischen Historikers unter römischen Schriftstellern zu verstehen.28 Zu diesen glühenden Verehrern des Thukydides in Rom gehörte auch der berühmte Historiograph Q. Aelius Tubero, der Adressat von Über Thukydides. Offenbar hatte Tubero sich an der Behandlung des Thukydides in Dionysios’ Über die Nachahmung (de imitatione)29 gestoßen und Dionysios um eine zweite Abhandlung über den Klassiker gebeten, dessen altertümlicher Stil anscheinend Tuberos eigene lateinische Geschichte Roms inspiriert hatte.30 Dionysios kam der Bitte nach. Ob sein Freund – und vielleicht auch Gönner – mit dem Ergebnis zufrieden sein konnte, muss jedoch fraglich bleiben. Denn durch das Lob bestimmter Erzählelemente und die Abschwächung mancher negativen Kommentare der frühen Schrift zeichnet die von Tubero angeregte Abhandlung zwar zunächst ein vermeintlich freundlicheres Bild von Thukydides,31 die allgemeine Botschaft jedoch besteht insgesamt in einer eindringlichen Warnung davor, Thukydides literarisch nachzueifern. Um Dionysios’ Kritik an Thema und Stil des thukydideischen Werkes nachvollziehen zu können, ist es nötig, sein Verständnis von Geschichtsschreibung und dessen Zusammenhang mit seinem Programm einer klassizistischen Rhetorik zu berücksichtigen. Dionysios’ historiographisches und literaturkritisches Werk basiert auf dem zentralen Grundkonzept der mimêsis (μίμησις), also der eklektischen und kreativen Nachahmung bewundernswerter Vorbilder der Vergangenheit.32 In den rhetorischen Schriften fordert er seine Schüler zu solcher Nachahmung des Besten der klassischen Literatur auf; in der Römischen Frühgeschichte präsentiert er die frühesten Bewohner Roms – für ihn handelt 27 Cic. orat. 30. 28 De Jonge (2011), 456–457. 29 Der Text von Über die Nachahmung ist verloren, ist aber teilweise in den dritten Abschnitt des Briefs an Pompeius Geminus eingegangen; s. u. Abschnitt 4. 30 Dion. Hal. Thuc. 1.4. Zu Tubero siehe Bowersock (1965), 132. Tubero schrieb eine Geschichte Roms in archaisierendem, thukydideischem Stil: siehe Fromentin (1998), xv und die Nachweise bei Weaire (2005), 255 Anm. 27, der in seiner Lesart von Über Thukydides zu Recht auf die Rolle des Tubero und die Befindlichkeiten von Dionysios’ römischem Publikum verweist. 31 Weaire (2005). 32 Delcourt (2005), 43–47.
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es sich um Griechen33 – als herausragende Vorbilder edler Lebensführung, die nachzuahmen sich für die Leser lohne.34 Dieser Zugang zur Geschichte impliziert, dass Dionysios die Vergangenheit als Historiograph so darstellt, oder vielmehr formt und gestaltet, dass sie ganz dem Zweck dienen kann, zu guter Lebensführung in der Gegenwart anzuregen.35 Zudem bedeutet es, dass ein historiographisches Werk so angelegt sein sollte, dass es Prozesse der Nachahmung erleichtert, was unmittelbare Auswirkungen auf die Wahl der Gegenstände, die Charakterzeichnung und den Aufbau der Erzählung hat. Dionysios’ Kritik an Thukydides’ Themenwahl lässt sich vor dem Hintergrund dieses rhetorisch-didaktischen Konzepts besser verstehen. Auch die stilistische Kritik des Dionysios an Thukydides liegt in seinem Programm einer klassizistischen Rhetorik begründet. Als Anhänger eines attizistischen Stilprinzips betont Dionysios durchgängig, wie wichtig stilistische Klarheit (σαφήνεια) sei. Für Schüler und Redner, die einen derartigen klaren und verständlichen Stil anstrebten, sei Thukydides jedoch ein gefährliches Vorbild. Dionysios verweist auf dessen exotische Wortwahl, die an Unverständlichkeit grenzende unnatürliche Syntax und die Unklarheit seiner Figuren und Ausdrucksweisen. Im Zweiten Brief an Ammaios wiederholt und veranschaulicht Dionysios diese Kritik, wobei er selbst auf einen philologischen Kommentar zu Thukydides zurückgreift, ein nach Aussage des griechischen Kritikers unverzichtbares Hilfsmittel:36 „Denn die Wenigen sind leicht gezählt, die bei Thukydides alles verstehen können, und auch sie nicht ohne einiges an sprachlicher Kommentierung.“
Es mag überraschen, dass Thukydides als attischer Schriftsteller von einem attizistischen Kritiker derart schlecht bewertet wird. In der Auffassung des Dionysios jedoch hat sich Thukydides offenbar trotz seines attischen Bürgerstatus zu einem antiathenischen Outsider entwickelt, der in dem Moment seine athenischen Wurzeln verlor, als er aus seiner Stadt verbannt wurde.37 Dionysios kommt in Über Thukydides zu dem Schluss, der Stil des Thukydides sei ungeeignet nicht nur für die politische Arena, sondern auch für historische Werke, und dies ungeachtet der Behauptung „mancher nicht unangesehener Gelehrter“ (τινες οὐκ ἄδοξοι σοφισταί), wonach die Grandeur, Feierlichkeit und die überwältigende Wirkung des thukydideischen Stils aufs engste zu jeder Geschichtsschreibung gehörten.38 Zwar wurde verschiedentlich die Vermutung geäußert, Dionysios beziehe sich hier auf eine Ansicht seines Zeitgenossen Kaikilios von Kaleakte,39 33 Dion. Hal. ant. 1.5.1. 34 Dion. Hal. ant. 1.6.4. Zur Zielgruppe von Dionysios’ Römischer Frühgeschichte (Griechen, Römer oder beide) siehe Luraghi (2003). Weaire (2005), 246 argumentiert überzeugend, Dionysios adressiere „a Greek literate readership, both Greek and Roman, with particular strategies adopted at different points in the work to appeal to particular segments within that readership“. 35 Fox (1993); Wiater (2011), 165–223. 36 Dion. Hal. Thuc. 51.1: ; εὐαρίθμητοι γάρ τινές εἰσιν οἷοι πάντα τὰ Θουκυδίδου συμβαλεῖν, καὶ οὐδ’ οὗτοι χωρὶς ἐξηγήσεως γραμματικῆς ἔνια. S. dazu De Jonge (2011). 37 Vgl. Wiater (2011), 142–144. 38 Dion. Hal. Thuc. 50.2–3. 39 Leeman (1955), 198; Aujac (1991), 161.
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jedoch scheint es sich eher um einen Verweis auf die Rezeption des thukydideischen Werks durch römische Literaten zu handeln.40 Die Einschätzung, dass Thukydides sich als Vorbild zwar für die Historiographie, nicht aber für das Verfassen von Reden eigne, erinnert zudem an die Bewertung durch Cicero:41 „‚Aber er wird doch von jedermann gelobt!‘ – Gewiß; aber als ein Autor, der Geschichte mit Einsicht, Ernst und Würde darzustellen weiß – nicht als jemand, der vor Gericht Rechtsfälle behandelt, sondern der in den Geschichtswerken Kriege darstellt.“
Dionysios’ Kritik an Stil und narrativer Gestaltung des thukydideischen Werks spiegelt also sein Programm rhetorischer Bildung und seine durch die Rhetorik geprägten Einstellung zur Historiographie wider. Die Erkenntnis über diesen Zusammenhang soll im Folgenden dazu beitragen, Dionysios’ Aussagen über Thukydides’ angeblich tendenziöse Haltung im Brief an Pompeius Geminus (Abschnitt 4) sowie jene über dessen besondere Verpflichtung auf ‚Wahrheit‘ in Über Thukydides (Abschnitt 5) besser zu verstehen. 4. Thukydides’ antiathenische Haltung: Der Brief an Pompeius Geminus Im dritten Abschnitt des Briefs an Pompeius Geminus bietet Dionysios einen systematischen Vergleich zwischen Herodot und Thukydides, den er aus seiner früheren Schrift Über die Nachahmung übernommen hat.42 Bezüglich des sprachlichen Stils43 beschreibt er einerseits Thukydides als überlegen in Sachen Prägnanz, Wiedergabe von Emotionen sowie Kraft und Intensität des Ausdrucks; Herodot wird andererseits in den Kategorien Charakterzeichnung, Überzeugungskraft, Gefälligkeit und Angemessenheit des Ausdrucks höher eingeschätzt; gleichauf liegen die beiden Geschichtsschreiber, was die Reinheit der Sprache (ionischer versus attischer Dialekt), Lebendigkeit, Grandeur und Eindrücklichkeit betrifft. Dionysios resümiert: „Die Schönheit bei Herodot ist eine heitere, während jene bei Thukydides Ehrfurcht gebietet.“44 Der Fokus des folgenden Abschnitts soll indes auf Dionysios’ Diskussion der Themenwahl45 liegen, bezüglich derer Herodot den Thukydides auf ganzer Linie schlage. Das erste Erfordernis guter Geschichtsschreibung besteht laut Dionysios darin, ein Thema zu wählen, das „gut und erfreulich“ (καλὴ καὶ κεχαρισμένη) sei.46 Dies sei nur Herodot gelungen, der als Thema „staunenswerte Taten“ (θαυμαστὰ ἔργα) gewählt habe, während Thukydides gescheitert sei, insofern der Peloponnesische Krieg „weder gut noch von glücklichem Ausgang“ (οὔτε καλὸν οὔτε εὐτυχῆ) gewesen sei, weswegen 40 Weaire (2005), 261–262. 41 Cic. orat. 31; vgl. De Jonge (2008), 214–215. 42 Dion. ep. Pomp. 3.1 mit Fornaro (1997), 163–165. Wichtige Erörterungen zu Dionysios’ Vergleich zwischen Herodot und Thukydides finden sich bei Heath (1989), 71–89 und Wiater (2011), 132–154. 43 Dion. ep. Pomp. 3.16–21. 44 Dion. Hal. ep. Pomp. 3.21: τὸ μὲν Ἡροδότου κάλλος ἱλαρόν ἐστι, φοβερὸν τὸ δὲ Θουκυδίδου. 45 Dion. Hal. ep. Pomp. 3.2–15. 46 Dion. Hal. ep. Pomp. 3.2.
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es gar am besten gewesen wäre, man hätte seiner gänzlich vergessen.47 Als zweites Erfordernis müsse der Historiograph die richtige Entscheidung darüber treffen, an welcher Stelle er sein Werk beginnen und wo er es enden lassen wolle. Wiederum sei Herodot dem Thukydides überlegen: Seine Darstellung beginne mit den frühesten Ursprüngen des Konflikts zwischen Griechen und Barbaren und ende mit der persischen Niederlage. Das thukydideische Geschichtswerk nehme seinen Anfang bei jenem Moment „an dem es schlecht um die griechische Sache zu stehen begann“ (ἀφ’ ἧς ἤρξατο κακῶς πράττειν τὸ Ἑλληνικόν); „Thukydides, als Grieche und Athener,“ hätte demnach seine Heimatpolis nicht in einem derart schlechten Licht präsentieren dürfen.48 Stattdessen hätte er seine Erzählung unmittelbar nach den Perserkriegen, zur Blütezeit Athens, einsetzen lassen müssen. Statt die Seeschlacht von Kynossema im 22. Kriegsjahr als Endpunkt zu wählen, hätte Thukydides seine Darstellung bis zum Ende des Krieges und zur Befreiung Athens im Jahre 403 v. Chr., fortführen sollen. Auch bezüglich des dritten Erfordernisses guter Geschichtsschreibung, der richtigen Auswahl der berichteten Ereignisse, zeige Herodot Vorzüge gegenüber Thukydides: Dionysios stellt fest, dass Herodots Darstellung auf angenehme Weise abwechslungsreich sei, während Thukydides demgegenüber eintönig sei, weshalb die Aufmerksamkeit des Lesers rasch ermüde. Das vierte Erfordernis betrifft die Verteilung und Anordnung des Materials. Thukydides wähle eine rein chronologische Struktur, was die Darstellung verunklare. Herodot dagegen wähle eine aufgrund der Ereignisse selbst naheliegende Anordnung und füge so eine Vielzahl an Themen zu einem harmonischen Organismus (ἓν σύμφωνον σῶμα) zusammen.49 Die fünfte und letzte Bewertungskategorie berührt schließlich die „Einstellung“ (διάθεσις) des Geschichtsschreibers gegenüber den von ihm dargestellten Ereignissen:50 „Bei Herodot ist die Einstellung allem jeweils angemessen – sie nimmt Anteil an der Freude im Guten und am Leid im Schlechten. Die Haltung des Thukydides dagegen ist irgendwie unverblümt und bitter und grollt der Heimat aufgrund des Exils. Denn einerseits geht er auf jeden einzelnen Fehltritt allzu detailliert ein, andererseits aber erwähnt er das Sinnvolle entweder überhaupt nicht oder so, als sei er dazu gezwungen.“
Einhundert Jahre später verkehrt Plutarch dieses Urteil ins Gegenteil und bezichtigt gerade Herodot der Bösartigkeit (κακοήθεια), die unter anderem darin bestehe, Unrühmliches, das für den Hergang irrelevant sei, zu berichten, oder Gutes auszulassen, das eigentlich einen Platz im historiographischen Narrativ verdiene.51 Dionysios zufolge macht sich dieses Vergehens jedoch vor allem Thukydides schuldig, was er sogar als 47 48 49 50
Dion. Hal. ep. Pomp. 3.4; vgl. Hdt. prooem. Dion. Hal. ep. Pomp. 3.9. Dion. Hal. ep. Pomp. 3.14. Dion. Hal. ep. Pomp. 3.15: Ἡ μὲν Ἡροδότου διάθεσις ἐν ἅπασιν ἐπιεικὴς καὶ τοῖς μὲν ἀγαθοῖς συνηδομένη, τοῖς δὲ κακοῖς συναλγοῦσα· ἡ δὲ Θουκυδίδου διάθεσις αὐθέκαστός τις καὶ πικρὰ καὶ τῇ πατρίδι τῆς φυγῆς μνησικακοῦσα. Τὰ μὲν γὰρ ἁμαρτήματα ἐπεξέρχεται καὶ μάλα ἀκριβῶς, τῶν δὲ κατὰ νοῦν κεχωρηκότων ἢ καθάπαξ οὐ μέμνηται, ἢ ὥσπερ ἠναγκασμένος. 51 Plut. mal. 855c–d; s. zu Plutarchs Herodotschrift Scardino und Blank in diesem Band; zur vorliegenden Stelle Blank in diesem Band.
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μνησικακία (nachtragendes Erinnern an Verfehlungen) bezeichnet. Seine negative Haltung gegenüber Athen werde durch seine auktorialen Entscheidungen in der Themenwahl, in der Setzung von Anfang und Ende seiner Darstellung sowie in der Auswahl der geschilderten Ereignisse illustriert: In allen diesen Aspekten präsentiere sein Werk die griechische Welt und Athen im Besonderen in ausgesprochen schlechtem Licht. Die Vergangenheit, von der Thukydides seinen Lesern berichte, sei daher nicht wert, erinnert, geschweige denn studiert oder von späteren Generationen nachgeahmt zu werden. Demgegenüber sei Herodots Werk gleichermaßen nützlich wie unterhaltsam: nützlich, insofern es bewundernswerte Exempla menschlichen Verhaltens darbiete; unterhaltsam, insofern der Leser in den Genuss einer abwechslungsreichen, ununterbrochenen Erzählung über tapfere Landsleute komme, die über einen glücklichen Ausgang verfüge, namentlich den Sieg der Griechen über die Perser. Einen Widerhall findet Dionysios’ Lob des Herodot in der Einleitung der Römischen Frühgeschichte, in der betont wird, dass sich Geschichtsschreibung mit bewundernswerten Gegenständen befassen solle, die sich für den Leser als moralisch nützlich erweisen:52 „Ich bin nämlich zu der Überzeugung gekommen, dass diejenigen, die sich vornehmen, der Nachwelt ein solches Andenken an ihre Persönlichkeit zu hinterlassen, das von der Zeit nicht zugleich mit ihren Körpern ausgelöscht werden wird – und zwar vor allem diejenigen, die Geschichtswerke verfassen, die wir ja als das Fundament der Wahrheit, d. h. des Urgrundes des Denkens und der Weisheit, ansehen – erstens Themen auswählen müssen, die sowohl schön und edel als auch für den Leser von großem Nutzen sind, und zweitens sich mit großer Sorgfalt und Disziplin Quellen verschaffen müssen, die für die schriftliche Niederlegung ihres Themas geeignet sind. Jene nämlich, die historische Werke über unrühmliche oder schlechte oder keinerlei Aufwandes werte Ereignisse auf den Markt geworfen haben – sei es in dem Bestreben, bekannt zu werden und sich bloß irgendeinen Namen zu machen, sei es in der Absicht, ihre überragende Sprachbeherrschung zur Schau zu stellen –, werden von späteren Generationen weder wegen ihrer Einsicht bewundert noch wegen ihrer Fähigkeiten gelobt, weil sie denen, die ihre Schriften zur Hand nehmen, den Eindruck hinterlassen, dass sie nach einem Lebenswandel strebten, welcher der Art ihrer Werke entspricht; denn zu Recht nimmt man allgemein an, dass eines jeden Menschen Worte Abbild seines Charakters seien.“
Der Kontrast zwischen Thukydides und Dionysios ist gewaltig: Ersterer behauptet, sein Werk sei zwar, insofern keine Geschichten erzählt würden, vielleicht „weniger erfreu52 Dion. Hal. ant. 1.1.2–3: ἐπείσθην γὰρ ὅτι δεῖ τοὺς προαιρουμένους μνημεῖα τῆς ἑαυτῶν ψυχῆς τοῖς ἐπιγιγνομένοις καταλιπεῖν, ἃ μὴ συναφανισθήσεται τοῖς σώμασιν αὐτῶν ὑπὸ τοῦ χρόνου, καὶ πάντων μάλιστα τοὺς ἀναγράφοντας ἱστορίας, ἐν αἷς καθιδρῦσθαι τὴν ἀλήθειαν ὑπολαμβάνομεν ἀρχὴν φρονήσεώς τε καὶ σοφίας οὖσαν, πρῶτον μὲν ὑποθέσεις προαιρεῖσθαι καλὰς καὶ μεγαλοπρεπεῖς καὶ πολλὴν ὠφέλειαν τοῖς ἀναγνωσομένοις φερούσας, ἔπειτα παρασκευάζεσθαι τὰς ἐπιτηδείους εἰς τὴν ἀναγραφὴν τῆς ὑποθέσεως ἀφορμὰς μετὰ πολλῆς ἐπιμελείας τε καὶ φιλοπονίας. οἱ μὲν γὰρ ὑπὲρ ἀδόξων πραγμάτων ἢ πονηρῶν ἢ μηδεμιᾶς σπουδῆς ἀξίων ἱστορικὰς καταβαλόμενοι πραγματείας, εἴτε τοῦ προελθεῖν εἰς γνῶσιν ὀρεγόμενοι καὶ τυχεῖν ὁποιουδήποτε ὀνόματος, εἴτε περιουσίαν ἀποδείξασθαι τῆς περὶ λόγους δυνάμεως βουλόμενοι, οὔτε τῆς γνώσεως ζηλοῦνται παρὰ τοῖς ἐπιγιγνομένοις οὔτε τῆς δυνάμεως ἐπαινοῦνται, δόξαν ἐγκαταλιπόντες τοῖς ἀναλαμβάνουσιν αὐτῶν τὰς ἱστορίας, ὅτι τοιούτους ἐζήλωσαν αὐτοὶ βίους, οἵας ἐξέδωκαν τὰς γραφάς· ἐπιεικῶς γὰρ ἅπαντες νομίζουσιν εἰκόνας εἶναι τῆς ἑκάστου ψυχῆς τοὺς λόγους.
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lich“ (ἀτερπέστερον), solle jedoch für den Leser intellektuell „nützlich“ dafür sein, andere Ereignisse verstehen zu können.53 Letzterer dagegen ist weniger an intellektueller als an moralischer Nützlichkeit interessiert: Seine Geschichtsschreibung zielt darauf ab, die Leser zu besseren Bürgern zu machen. Wie Nicolas Wiater gezeigt hat,54 gehen also Nützlichkeit und Unterhaltung für Dionysios Hand in Hand, da Geschichtsschreibung nur dann einen praktischen Nutzen bringen könne, wenn sich der Leser mit den Protagonisten identifiziere. Folglich ist Dionysios zwar der Meinung, Geschichte müsse ‚wahrheitsgetreu‘ sein – da die Wahrheit den „Urgrund des Denkens und der Weisheit“ (ἀρχὴν φρονήσεώς τε καὶ σοφίας) darstelle –, doch nicht jede Wahrheit sei geeignet, in der Geschichtsschreibung behandelt zu werden.55 Es handelt sich hierbei um das zentrale Problem, das Dionysios mit der Geschichtsschreibung des Thukydides hat: In Dionysios’ klassizistischer Sicht stellt Athen das ruhmreiche Vorbild für jegliche politische Rhetorik, Kunst und Literatur dar.56 Ein Werk wie der Peloponnesische Krieg, in dem auch die Fehler Athens beleuchtet werden, ist unvereinbar mit dieser Idealvorstellung.57 5. Die Hohepriesterin der Wahrheit: Über Thukydides Dies führt nun zurück zum Urteil von Über Thukydides. Angesichts der Vorbehalte gegenüber Thukydides, die Dionysios im Brief an Pompeius Geminus äußert, erscheint es erklärungsbedürftig, wenn er in dieser Schrift dessen Wahrheitstreue lobend hervorhebt:58 „Es legen für den Mann wohl alle Philosophen und Rhetoren Zeugnis ab – und wenn nicht alle, dann wenigstens die meisten –, dass er auf die Wahrheit, als deren Hohepriesterin wir die Geschichtsforschung ansehen wollen, die meiste Achtsamkeit verwendet hat, indem er nämlich den Fakten weder etwas hinzufügt, was nicht recht wäre, noch etwas abzieht; auch nutzt er die im Schreiben gegebene Freiheit nicht aus, sondern bewahrt seine untadeligen und reinen Prinzipien vor jeder Missgunst oder Schmeichelei, vor allem in seiner Meinung über die ‚Großen Männer‘. Denn, wenn er im ersten Buch den Themistokles erwähnt, geht er ohne Missgunst auf dessen hervorragende Qualitäten ein; und wenn er im zweiten Buch die Politik des Perikles
53 54 55 56 57 58
Thuk. 1.22.4. Wiater (2011), 135. Vgl. Goudriaan (1989), 279. Delcourt (2005), 157–173. Wiater (2011), 15. Dion. Hal. Thuc. 8.1–2: Μαρτυρεῖται δὲ τῷ ἀνδρὶ τάχα μὲν ὑπὸ πάντων φιλοσόφων τε καὶ ῥητόρων, εἰ δὲ μὴ, τῶν γε πλείστων, ὅτι καὶ τῆς ἀληθείας, ἧς ἱέρειαν εἶναι τὴν ἱστορίαν βουλόμεθα, πλείστην ἐποιήσατο πρόνοιαν, οὔτε προστιθεὶς τοῖς πράγμασιν οὐδὲν ὃ μὴ δίκαιον οὔτε ἀφαιρῶν, οὐδὲ ἐνεξουσιάζων τῇ γραφῇ, ἀνέγκλητον δὲ καὶ καθαρὰν τὴν προαίρεσιν ἀπὸ παντὸς φθόνου καὶ πάσης κολακείας φυλάττων, μάλιστα δ’ ἐν ταῖς περὶ τῶν ἀγαθῶν ἀνδρῶν γνώμαις. Καὶ γὰρ Θεμιστοκλέους ἐν τῇ πρώτῃ βύβλῳ μνησθεὶς τὰς ὑπαρχούσας αὐτῷ ἀρετὰς ἀφθόνως ἐπελήλυθε, καὶ τῶν Περικλέους πολιτευμάτων ἁψάμενος ἐν τῇ δευτέρᾳ βύβλῳ τῆς διαβεβοημένης περὶ αὐτοῦ δόξης ἄξιον εἴρηκεν ἐγκώμιον· περί τε Δημοσθένους τοῦ στρατηγοῦ καὶ Νικίου τοῦ Νικηράτου καὶ Ἀλκιβιάδου τοῦ Κλεινίου καὶ ἄλλων στρατηγῶν τε καὶ ῥητόρων ἀναγκασθεὶς λέγειν, ὅσα προσήκοντα ἦν ἑκάστῳ, δεδήλωκε.
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Casper C. de Jonge berührt, spricht er ihm ein Lob aus, dass dessen weithin bekanntem Ansehen würdig ist; wo er wiederum über den Heerführer Demosthenes, über Nikias, den Sohn des Nikeratos, und über Alkibiades, den Sohn des Kleinias sowie andere Heerführer und Redner zu reden gezwungen ist, da stellt er jeweils dar, was jedem von diesen zukommt.“
Wiederholt haben die Interpreten auf die Spannung, ja den Widerspruch, hingewiesen, der zwischen diesem Lob des Thukydides als eines ‚Wächters der Wahrheit‘ und den Abschnitten über Thukydides’ angebliche antiathenische Haltung im Brief an Pompeius Geminus besteht.59 Wie ist diese Spannung zu erklären? Zwei Lösungsansätze wurden in der Vergangenheit vorgeschlagen: Die eine basiert auf der relativen Chronologie der Schriften, die andere auf der Möglichkeit, dass beide Schriften unterschiedliche Zielgruppen adressieren. Bisweilen wurden die Unterschiede zwischen dem Brief an Pompeius Geminus und Über Thukydides als Folge einer diachronen Entwicklung in Dionysios’ literaturkritischen Positionen erklärt: Der Vergleich zwischen Herodot und Thukydides sei ursprünglich in Über die Nachahmung, einem Frühwerk des Dionysios, formuliert worden. Der Brief an Pompeius Geminus, der Teile dieser Schrift verarbeitet, wurde demgegenüber in eine mittlere, Über Thukydides in eine späte Schaffensphase datiert.60 Könnte Dionysios mithin einfach seine Auffassung über das thukydideische Werk im Laufe der Zeit geändert haben? Das jedenfalls deutet Pritchett an, wenn er den Brief an Pompeius Geminus als „earlier and less mature“ bezeichnet.61 Allerdings kann diese Interpretation kaum überzeugen, werden doch viele der dortigen Kritikpunkte noch in Über Thukydides wiederholt, darunter auch Bemerkungen über die chronologische Gliederung, die Setzung von Beginn und Endpunkt der Darstellung und die Platzierung der direkten Reden. Noch wichtiger ist, dass sich bei sorgfältiger Lektüre von Über Thukydides zeigt, dass Dionysios dort die negative Darstellung der Athener bei Thukydides nicht minder rügt als im Brief an Pompeius Geminus.62 Er weist darauf hin, dass die Athener im Melierdialog ein Verhalten an den Tag legten, das eher dem barbarischer Könige als jenem von Griechen gleiche.63 Auch die oberflächliche Behandlung der athenischen Gesandtschaft nach Sparta im Jahre 430 v. Chr. wird kritisiert, die Thukydides als unbedeutendes Ereignis darstelle, indem er sowohl die Reden als auch die Namen der Gesandten verschweige. Dagegen widme Thukydides der spartanischen Gesandtschaft nach Athen im Jahre 425 v. Chr. große Aufmerksamkeit und zitiere die spartanischen Gesandten in aller Ausführlichkeit64 – was Dionysios missbilligend kommentiert:65 59 60 61 62 63 64 65
Pritchett (1975), 58; Goudriaan (1989), 289 f.; Weaire (2005), 253–255. Bonner (1939). Pritchett (1975), 58. Goudriaan (1989), 289–290; Weaire (2005), 254. Dion. Hal. Thuc. 39.1. Athenische Gesandtschaft in Sparta: Thuk. 2.59; spartanische Gesandtschaft in Athen: Thuk. 4.15–22. Dion. Hal. Thuc. 15.2: […] οὐκ ἔχω συμβαλεῖν, κατὰ τί τὴν Λακωνικὴν προέκρινε τῆς Ἀττικῆς μᾶλλον, τὴν ὑστέραν τοῖς χρόνοις ἀντὶ τῆς προτέρας καὶ τὴν ἀλλοτρίαν ἀντὶ τῆς ἰδίας καὶ τὴν ἐπ’ ἐλάττοσι κακοῖς γενομένην ἀντὶ τῆς ἐπὶ μείζοσι.
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„[…] ich habe keine Erklärung dafür, nach welchem Maßstab er die Lakonische [sc. Gesandtschaft] für wichtiger beurteilt als die Attische, die spätere für wichtiger als die frühere, eine fremde für wichtiger als die eigene und jene anlässlich geringerer Übel für wichtiger als die anlässlich der größeren.“
Dieser Passus, in dem Thukydides de facto für einen Mangel an Patriotismus kritisiert wird, illustriert die gedankliche Übereinstimmung zwischen dem Brief an Pompeius Geminus und Über Thukydides. Dieselbe Kontinuität lässt sich auch auf der Ebene des Ausdrucks zeigen: Im Brief an Pompeius Geminus beklagt Dionysios, dass sich Thukydides auf die athenischen Fehlschläge konzentriere, die Erfolge Athens aber ignoriere und diese nur sehr zurückhaltend erwähne – beinahe so, als werde er dazu „gezwungen“ (ἠναγκασμένος).66 In der späteren Abhandlung hebt er zwar die angemessene Charakterzeichnung vornehmer Männer lobend hervor. Jedoch belegt Dionysios diesen Gedanken durch eine Liste athenischer Feldherren, die Thukydides in ein günstiges Licht rücke: Themistokles, Perikles, Demosthenes, Nikias und Alkibiades erhielten alle die Behandlung, die sie jeweils verdienten (προσήκοντα), ebenso wie andere Feldherren über die er „zu sprechen gezwungen“ gewesen sei (ἀναγκασθεὶς λέγειν).67 Die Formulierung „gezwungen sein“ (ἀναγκάζεσθαι) verbindet beide Stellen miteinander, und das Echo des Briefs an Pompeius Geminus in der späteren Schrift legt die Annahme nahe, dass Thukydides seine Haltung gegenüber Thukydides keineswegs geändert hat. Genaugenommen wird die „Wahrheit“ der thukydideischen Geschichtsschreibung hier lediglich dadurch belegt, dass Thukydides sich seiner antiathenischen Tendenz genau dann nicht hingegeben habe, wenn er „genötigt“ gewesen sei, wichtige athenische Anführer zu erwähnen. Zwar ist demnach der Ton der beiden Passagen verschieden, beiden liegt jedoch dieselbe (wenngleich in Über Thukydides nur implizite) Auffassung zugrunde, dass Thukydides eine antiathenische Schriftstellerei betreibe. Einen vielversprechenderen Ansatz zur Deutung dieses Unterschieds im Ton beider Urteile vertritt Weaire, der Dionysios’ Profession und seine daraus abzuleitende ideale Leserschaft in den Blick nimmt.68 Über Demetrios, dem Über Nachahmung gewidmet ist, ist ebenso wenig bekannt wie über Pompeius Geminus, an den sich der Brief richtet; anzunehmen ist, dass es sich um griechische Intellektuelle handelt, die in einem ähnlichen Feld tätig waren wie Dionysios selbst.69 Bei der Abfassung von Über Thukydides musste Dionysios jedoch die bedeutende Stellung seines römischen Adressaten Q. Aelius Tubero berücksichtigen, den das Werk des Thukydides anscheinend sehr überzeugte und den Dionysios’ frühere Kommentare in Über die Nachahmung nicht zufriedenstellten. Bei der Widmung der neuen Schrift an seinen einflussreichen römischen Bekann66 67 68 69
Dion. Hal. ep. Pomp. 3.15. Dion. Hal. Thuc. 8.2. Weaire (2005). Weder beweisen noch widerlegen lassen sich die Spekulationen, Pompeius Geminus sei ein Freigelassener des Pompeius Magnus gewesen (Rhys Roberts [1901], 38) oder es handle sich um den Verfasser der Schrift Vom Erhabenen (Richards [1938]), auch wenn manche seiner Ansichten tatsächlich jenen des (Pseudo-)Longinus nahestehen (De Jonge [2012], 292–295).
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ten musste Dionysios dem Umstand Rechnung tragen, dass viele seiner Zeitgenossen in Rom Thukydides bewunderten. In einer besonders skrupulösen captatio benevolentiae70 verteidigt er sich prokataleptisch gegenüber Lesern, die ihn dafür schelten würden, dass er behaupte, „dass der fähigste aller Geschichtsschreiber sowohl bisweilen bei der Wahl seines Stoffes falsch liegt als auch Schwächen in der Ausdruckskraft zeigt“.71 Es erscheint plausibel anzunehmen, dass auch die positiven Aussagen über Thukydides’ ἀλήθεια72 Teil derselben Strategie sind, mit der Dionysios um die Gunst des Tubero und anderer ‚Thukydideer‘ wirbt: Bevor er seine Einwände gegen die Themenwahl und den Stil des Geschichtsschreibers geltend machen kann, muss er zunächst der allgemein vorherrschenden Meinung Tribut zollen, wonach Thukydides ein angesehener und seinen Vorgängern überlegener Historiker gewesen sei. 6. Dionysios über die Historiographiegeschichte: Vom ‚Mythos‘ zur ‚Wahrheit‘ Was bedeutet nun aber ‚Wahrhaftigkeit‘ für Dionysios, wenn damit offenbar nicht Unparteilichkeit gemeint ist? Um das Lob dieser Eigenschaft des Thukydides zu verstehen, ist ein Blick auf den Aufbau von Über Thukydides erforderlich:73 1–4 5 6–7 8 9–20
Dionysios’ Recht, Thukydides zu kritisieren Thukydides’ Vorgänger: Frühe Geschichtsschreibung und Herodot Thukydides’ Originalität: Fokus auf einen Krieg und Ablehnung des Mythos Thukydides’ Verpflichtung auf die ‚Wahrheit‘ Thematik (9 chronologische Anordnung; 10–12 Beginn und Ende; 13–20 Ausgestaltung) 21–49 Stil (22–24 allgemein; 25–33 detaillierte Kritik einzelner Stellen; 34–48 Reden; 49 Fazit) 50–51 Argumente zugunsten des Thukydides und ihre Widerlegung 52–55 Demosthenes’ Nachahmung des Thukydides
Abschnitt 8 schließt die Einleitung ab, in der Thukydides in der Geschichte der Historiographie verortet wird.74 Dionysios zählt zunächst die frühen Geschichtsschreiber auf, darunter Hekataios, Charon, Xanthos und Hellanikos:75
70 Weaire (2005), 252: „unusually lengthy and defensive“. 71 Dion. Hal. Thuc. 2,2: […] τὸν ἁπάντων κράτιστον τῶν ἱστοριογράφων καὶ κατὰ τὴν προαίρησίν ποτε τῶν λόγων ἁμαρτάνοντα καὶ κατὰ τὴν δύναμιν ἐξασθενοῦντα. 72 Dion. Hal. Thuc. 8. 73 Vgl. Dazu Grube (1950), 95–100; Pritchett (1975), XXXV. 74 Toye (1995). 75 Dion. Hal. Thuc. 5.3: […] ἕνα καὶ τὸν αὐτὸν φυλάττοντες σκοπόν, ὅσαι διεσῴζοντο παρὰ τοῖς ἐπιχωρίοις μνῆμαι κατὰ ἔθνη τε καὶ κατὰ πόλεις, εἴ τ’ ἐν ἱεροῖς εἴ τ’ ἐν βεβήλοις ἀποκείμεναι γραφαί, ταύτας εἰς τὴν κοινὴν ἁπάντων γνῶσιν ἐξενεγκεῖν, οἷας παρέλαβον, μήτε προστιθέντες αὐταῖς τι μήτε ἀφαιροῦντες. ἐν αἷς καὶ μῦθοί τινες ἐνῆσαν ἀπὸ τοῦ πολλοῦ πεπιστευμένοι χρόνου καῖ θεατρικαί τινες περιπετείαι πολὺ τὸ ἠλίθιον ἔχειν τοῖς νῦν δοκοῦσαι.
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„[…] sie hielten sich an ein und dieselbe Zielsetzung: sämtliche Erinnerungen, die von den Landesbewohnern nach Stämmen oder Poleis, sei es in heiligen oder in weltlichen Schrifttexten, bewahrt werden, in die allgemeine Kenntnis aller zu überführen, und zwar so, wie sie sie jeweils übernahmen, ohne etwas hinzuzufügen oder etwas wegzulassen. Darunter waren auch Sagen (μῦθοι), denen man seit langer Zeit glaubte, sowie Schauspielstoffe (θεατρικαί) voller Wendungen, die heutigen [Lesern] viel Albernes zu enthalten scheinen würden.“
Im Anschluss sei Herodot gefolgt, der die Zielsetzung der Historiographie ‚erweitert‘ habe: Er habe nicht die Geschichte einer Polis aufgezeichnet, sondern zahlreiche Ereignisse in Europa und Asia, die er in eine Erzählung zusammengefügt habe.76 Schließlich kommt Dionysios auf Thukydides zu sprechen, der sich in zweierlei Hinsicht von diesen Vorgängern unterscheide:77 „Erstens unterschied er sich also dahingehend von den Schriftstellern vor ihm, dass er ein Thema wählte, das weder ganz monothematisch noch in viele unverbundene Kapitel unterteilt ist; zweitens dahingehend, dass er sich mit nichts Sagenhaftem befasste und seine Schrift nicht in Täuschung und Faszination der einfachen Leute abgleiten ließ, wie es die vor ihm alle taten, wenn sie etwa Geschichten von weiblichen Wesen erzählten, die aus dem Unterholz und den Schluchten Lamias hervorkämen […] und andere für unsere Lebenswelt unglaubwürdige Geschichten, die viel Unsinniges zu enthalten scheinen.“
Diese Charakterisierung des thukydideischen Werks und seiner Ablehnung des Mythos nimmt deutlichen Bezug auf das berühmte Methodenkapitel des Geschichtsschreibers.78 Tatsächlich zitiert Dionysios kurz darauf aus diesem Passus,79 unmittelbar bevor er die allgemeine Bewunderung für Thukydides’ Streben nach ‚Wahrhaftigkeit‘ erwähnt („fast alle Rhetoren und Philosophen“ erkannten dies an).80 Im nächsten Abschnitt geht Dionysos dann jedoch zum Angriff über und kritisiert die chronologische Anordnung des Peloponnesischen Krieges, ihren Anfangspunkt sowie die Verteilung der direkten Reden.81 Der Kontext, in dem das ‚Lob‘ des Thukydides erfolgt, macht klar, dass die wesentliche Bedeutung von ‚Wahrheit‘ in diesem Zusammenhang nicht mit ‚Unparteilichkeit‘ oder ‚Vorurteilslosigkeit‘ umschrieben werden kann, sondern dass darunter die Ablehnung sagenhafter Geschichten (μῦθοι, τὸ μυθῶδες) zu verstehen ist: Der Peloponnesische Krieg respektiert das Wahrheitsgebot, insofern Thukydides
76 Dion. Hal. Thuc. 5.5. 77 Dion. Hal. Thuc. 6.4–5: πρῶτον μὲν δὴ κατὰ τοῦτο διήλλαξε τῶν πρὸ αὐτοῦ συγγραφέων, λέγω δὲ κατὰ τὸ λαβεῖν ὑπόθεσιν μήτε μονόκωλον παντάπασι μήτ’ εἰς πολλὰ μεμερισμένην καὶ ἀσυνάρτητα κεφάλαια· ἔπειτα κατὰ τὸ μηδὲν αὐτῇ μυθῶδες προσάψαι, μήδ’ εἰς ἀπάτην καὶ γοητείαν τῶν πολλῶν ἐκτρέψαι τὴν γραφήν, ὡς οἱ πρὸ αὐτοῦ πάντες ἐποίησαν, Λαμίας τινὰς ἱστοροῦντες ἐν ὕλαις καὶ νάπαις ἐκ γῆς ἀνιεμένας, […] καὶ ἄλλας τινὰς ἀπίστους τῷ καθ’ ἡμᾶς βίῳ καὶ πολὺ τὸ ἀνόητον ἔχειν δοκούσας ἱστορίας. 78 Thuk. 1.22.4 (τὸ μὴ μυθῶδες). 79 Dion. Hal. Thuc. 7.3. 80 Dion. Hal. Thuc. 8.1 (zitiert am Beginn dieses Beitrags). 81 Dion. Hal. Thuc. 9.
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unglaubwürdige Geschichten, die seine Vorgänger in ihre Werke eingebunden hatten, ausspart.82 7. Die Doppelbödigkeit des Thukydides-Lobes Wie gesehen lässt sich zwischen dem Brief an Pompeius Geminus und Über Thukydides keine echte Entwicklung aufzeigen: Dionysios ändert seine Meinung über Thukydides’ Parteilichkeit gegen Athen nicht wirklich, wenn er auch seinen Standpunkt in der späteren Schrift zurückhaltender formuliert. Bei näherer Betrachtung scheint sein Lob der ‚Wahrhaftigkeit‘ thukydideischer Geschichtsschreibung indes verschiedenen Einschränkungen zu unterliegen: Einerseits ist Dionysios’ Anerkennung für Thukydides Teil der an Tubero und die ‚Thukydideer‘ gerichteten captatio, andererseits bezieht sie sich eher auf dessen Ablehnung des mythos denn auf etwaige Unparteilichkeit. Der Verweis auf das Streben nach ‚Wahrheit‘ selbst erweist sich jedoch bei eingehender Lektüre als durchaus doppelbödig: 83 „Es legen für den Mann wohl alle Philosophen und Rhetoriker Zeugnis ab – und wenn nicht alle, dann wenigstens die meisten –, dass er auf die Wahrheit, als deren Hohepriesterin wir die Geschichtsforschung ansehen wollen, die meiste Achtsamkeit verwendet hat […].“
Diese Formulierung wirft Fragen auf. Erstens jene nach der Identität der hier erwähnten „Philosophen und Rhetoriker“, die diese Qualität des Thukydides bezeugen.84 Zweitens ist fraglich, weshalb Dionysios sich hier scheinbar selbst korrigiert, indem er ergänzt, dass wohl nicht „alle“, aber „wenigstens die meisten“ diese Auffassung verträten. Und schließlich: Wer verbirgt sich hinter dem „wir“, das die Geschichtsforschung als „Hohepriesterin der Wahrheit“ ansehen will? Zur Identität der „Philosophen und Rhetoriker“ haben bisherige Studien unterschiedliche Vorschläge unterbreitet: Aujac ist der Auffassung, Dionysios denke dabei vor allem an Demosthenes, den er am Ende der Schrift als frühen Nachahmer des Thukydides darstellt.85 Canfora verweist auf die Schule des Peripatos um Aristoteles und Theophrast.86 Jedoch sollte angesichts des Umstands, dass Thukydides auch im Rom des ersten vorchristlichen Jahrhunderts populär geworden war, die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass Dionysios hier eher an römische als an griechische Schriftstel82 Thukydides nennt seltener als Herodot seine Quellen und gibt seltener alternative Interpretationen des Geschehens. Es ist daher für den Leser nicht leicht zu beurteilen, ob seine Unterscheidungen zwischen plausiblen und unglaubwürdigen Versionen nachvollziehbar sind. Für die moderne Diskussion über Thukydides’ historiographische Methode und angebliche Objektivität, siehe z. B. Rood (2006). 83 Dion. Hal. Thuc. 8.1: Μαρτυρεῖται δὲ τῷ ἀνδρὶ τάχα μὲν ὑπὸ πάντων φιλοσόφων τε καὶ ῥητόρων, εἰ δὲ μή, τῶν γε πλείστων, ὅτι καὶ τῆς ἀληθείας, ἧς ἱέρειαν εἶναι τὴν ἱστορίαν βουλόμεθα, πλείστην ἐποιήσατο πρόνοιαν […]. 84 Vgl. Die Bemerkung bei Diod. 1.37.4, Xenophon und Thukydides würden „hinsichtlich der Wahrheit ihrer Geschichtschreibung gepriesen“ (τῶν κατὰ τὴν ἐπαινούμενοι ἀλήθειαν ἱστοριῶν). 85 Aujac (1991), 148. 86 Canfora (2006), 746–747.
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ler denken könnte. Als Parallele ließe sich auch Ciceros Feststellung anführen, wonach Thukydides „von jedermann gelobt“ (laudatus est ab omnibus) werde.87 Dass Dionysios in ähnlicher Weise auf die Nachahmer des Thukydides in Rom, darunter Q. Aelius Tubero, anspielen könnte, ist also durchaus möglich. Wenn solche „Philosophen und Rhetoren“ Thukydides’ Wahrheitsstreben bezeugen, so gelte dies für „wenn nicht alle, dann wenigstens die meisten“ (πάντων […], εἰ δὲ μή, τῶν γε πλείστων). Diese Einschränkung muss in gewisser Weise als Abschwächung des Thukydides-Lobs verstanden werden, da die explizite Selbstkorrektur die Frage aufwirft, wer denn jene Philosophen und Rhetoren sein könnten, die das Lob des thukydideischen Wahrheitsstrebens gerade nicht anerkennen wollen. Die Vermutung ist verlockend, dass Dionysios sich hier selbst von diesem Lob ausnehmen will: Durch die neutrale Formulierung im Passiv (μαρτυρεῖται; wörtlich: ‚es wird bezeugt‘) im ersten Teil des zitierten Satzes, in der auch die Einschränkung von ‚alle‘ zu ‚die meisten‘ erfolgt, lässt Dionysios die Möglichkeit offen, dass er vielleicht selbst nicht zu jenen gehören könnte, die Thukydides’ Streben nach Wahrheit loben. Im zweiten Teil der Aussage, in der es um die allgemeine Anerkennung der Geschichtsschreibung als „Hohepriesterin der Wahrheit“ geht, wechselt Dionysios auffälligerweise in die 1. Person Plural (βουλόμεθα, wir wollen): Der Aussage über Thukydides schließt er sich also nicht explizit an, jener über die Verpflichtung der Geschichtsschreibung auf die ‚Wahrheit‘ dagegen sehr wohl. Tatsächlich passt dies zur oben erwähnten Aussage aus dem Proömium der Römischen Frühgeschichte über die Geschichtsforschung, „die wir ja als das Fundament der Wahrheit, d. h. des Urgrundes des Denkens und der Weisheit, ansehen“ (ἐν αἷς καθιδρῦσθαι τὴν ἀλήθειαν ὑπολαμβάνομεν ἀρχὴν φρονήσεώς τε καὶ σοφίας οὖσαν).88 Wer außer Dionysios verbirgt sich schließlich hinter dem „wir“ in dieser Aussage? In der religiösen Verbrämung der Aussage, die die ‚Wahrheit‘ zur Gottheit und die Geschichte zu ihrer „Hohepriesterin“ erhebt, klingen gleich mehrere Stimmen der antiken Theorie der Geschichtsschreibung an.89 Cicero etwa bezeichnet die Geschichte als „Licht der Wahrheit“ (lux veritatis);90 noch deutlicher entspricht Dionysios’ Formulierung einer Stelle bei Diodor, der die Geschichtsschreibung als „Prophetin der Wahrheit“ (προφῆτις τῆς ἀληθείας) charakterisiert.91 Bemerkenswerterweise führt Diodor dieses Bild in einem Abschnitt ein, in dem die Unterschiede zwischen mythos und historia herausgearbeitet werden sollen – insofern stehen sowohl das sprachliche Bild als auch sein Kontext dem sehr nahe, was Dionysios in Über Thukydides sagt. Das Motiv von der ‚Wahrheit‘ als der Göttin der Geschichtsschreibung gipfelt schließlich in Lukians Schrift Wie man Geschichte schreiben soll.92 Auch bei ihm heißt die 87 88 89 90 91 92
Cic. or. 31 (s. S. 288). Dion. Hal. ant. 1.1.2 (s. S. 290). Avenarius (1956), 40–46. Cic. de or. 2.36. Diod. 1.2.2. Zu dieser Schrift und Lukians Auffassung von historiographischer ‚Wahrheit‘ s. Free (2015) sowie Free und Tamiolaki in diesem Band.
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Göttin der Geschichte ‚Wahrheit‘ (ἀλήθεια), allerdings scheint sich ihre Rolle verändert zu haben. Im Unterschied zu Dionysios versteht Lukian unter ‚Wahrheit‘ nicht mehr nur die Ablehnung von Mythen und Sagen. Bei ihm besteht die ‚Wahrheit‘ gerade in jener Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit, die Dionysios bei Thukydides nicht erkennen konnte: 93 „Auch wenn er [sc. der Geschichtsschreiber] den oder jenen hasst, wird er doch stets das Interesse der Allgemeinheit für wichtiger halten und die Wahrheit über seine persönliche Feindschaft stellen, ebenso wie er die Fehler eines Freundes nicht verschweigen wird. Denn die Geschichtsschreibung hat e i n einziges Anliegen und der Geschichtsschreiber darf nur der Wahrheit huldigen.“
8. Dionysios und die ‚Wahrheit‘ über Thukydides Man kann Über Thukydides als einen Evaluationsbericht verstehen, in dem sich positive und negative Kritik mischen. Nachdrücklich stellt sich Dionysios selbst als unparteiischen Kritiker dar, indem er andeutet, dass sein ausgewogenes Urteil sowohl die Stärken als auch die Schwächen in der Geschichtsschreibung seines Vorgängers berücksichtige. In dieser Hinsicht zeigt sich eine weitere Ebene, auf der in der Abhandlung die Forderung nach ‚Wahrheit‘ verhandelt wird: Indem sich Dionysios als Kritiker präsentiert, der anders als seine Zeitgenossen, der ‚Wahrheit‘ – jener über Thukydides – huldige, nimmt er die Rolle des unvoreingenommenen Historikers ein (d. h. er ist unparteiisch im Sinne Lukians), womit er unterstellt, dass er Thukydides in diesem Punkt als Priester im Kult der Alêtheia übertreffe.94 Zu Beginn der Abhandlung verteidigt sich Dionysios gegen potentielle Vorbehalte von Seiten solcher Leser, die Thukydides bewundern. Er versichert seinem Adressaten Tubero:95 [Sc. Ich mache diese Vorbemerkungen] „nicht deinetwegen, beim Zeus, oder wegen deines Umfeldes, die ihr die Tatsachen nach bestem Wissen und Gewissen beurteilt und keinen Wert höher schätzt als die Wahrheit, sondern wegen der anderen, die das viele Herumkritisieren verinnerlicht haben.“
Dionysios reklamiert also ein Recht für sich, Thukydides der Kritik zu unterziehen, obwohl ihn manche Leser dafür tadeln würden, wenn er etwas am „größten aller Historiker“ auszusetzen habe. Er betont jedoch, dass man seine Kritik nicht als „Bösartigkeit“ 93 Luc. hist. consc. 39: ἀλλὰ κἂν ἰδίᾳ μισῇ τινας πολὺ ἀναγκαιότερον ἡγήσεται τὸ κοινὸν καὶ τὴν ἀλήθειαν περὶ πλείονος ποιήσεται τῆς ἔχθρας, κἂν φιλῇ ὅμως οὐκ ἀφέξεται ἁμαρτάνοντος. Ἓν γάρ, ὡς ἔφην, τοῦτο ἴδιον ἱστορίας, καὶ μόνῃ θυτέον τῇ ἀληθείᾳ […]. 94 Weaire (2005), 255 f. 95 Dion. Hal. Thuc. 2.1: […] οὐ σοῦ μὰ Δία καὶ τῶν σοὶ παραπλησίων ἕνεκα, τῶν ἀπὸ παντὸς τοῦ βελτίστου κρινόντων τὰ πράγματα καὶ μηδὲν ἡγούμενων χρῆμα τιμιώτερον τῆς ἀληθείας, ἀλλὰ τῶν ἄλλων, ὅσοις πολὺ τὸ φιλαίτιον ἔνεστιν […].
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(κακοήθεια) auffassen solle, und er fordert Tubero dazu auf, selbst eine kritische Haltung einzunehmen: 96 „Ob ich für meinen Teil wahre und angemessene Worte vorausgeschickt habe, das beurteilst du und jeder der anderen Philologen jeweils für sich selbst“. Dionysios geriert sich also als lauterer Kritiker, der der ‚Wahrheit‘ über Thukydides verpflichtet sei und der den guten Aspekten im Werk des Geschichtsschreibers Lob, den schlechten dagegen Ablehnung entgegenbringen werde. In eben dieser Hinsicht unterscheide er sich von den zeitgenössischen Nachahmern des Thukydides: als maßlose Verehrer seien sie von ihrer blinden Bewunderung geradezu verzaubert und nicht mehr in der Lage, die Mängel in seiner Darstellung zu erkennen, ganz so, als hätten sie sich in ein hübsches Gesicht verliebt:97 „Sie erleiden ähnliches wie jene, die überwältigt sind von der Liebe zu dem einen oder anderen Antlitz, die nicht weit vom Wahn entfernt ist. Denn auch jene glauben, dass bei den [sc. optischen Reizen], in deren Knechtschaft sie sich befinden, alle Vorzüge vorhanden sind, die bei gutaussehenden Gestalten vorkommen; und wer immer sich anschickt zu bemängeln, wenn es einen Schönheitsfehler an ihnen gibt, den bezichtigen sie der Verleumdung und des Rufmords. Diese aber [sc. die Bewunderer des Thukydides] bezeugen dem Schriftsteller, überwältigt von einem einzigen Vorzug, seine gesamte Denkungsart – auch das, was gar nicht vorhanden ist. Was einer bei dem Objekt seiner Liebe und Bewunderung [sc. sehen] will, das glaubt er auch. Wer sich aber eine unbestechliche Denkungsart bewahrt und die Analyse eines Textes an den rechten Maßstäben ausrichtet […], lobt nicht alles gleichermaßen und verabscheut auch nicht alles in Gänze, sondern für das auf rechte Weise Durchgeführte legt er das gebührende Zeugnis ab, wenn aber ein Teil davon fehlerhaft ist, lobt er es auch nicht.“
Während Dionysios Thukydides für seine verbitterte Haltung kritisiert, die seine Vorurteile gegenüber Athen offenbarten, reklamiert er für sich selbst eine unparteiische Haltung: Als Vertreter einer Geschichte der Historiographie inszeniert er sich als vorurteilslos und gerecht. Diese Selbstdarstellung mag aus heutiger Warte überraschen, und es wäre in der Tat nicht schwierig zu zeigen, dass Dionysios in seiner Kritik an Thukydides nach heutigen Maßstäben in der Tat keineswegs gerecht ist, zum Beispiel, wenn er ihm das abrupte Ende des Peloponnesischen Krieges vorwirft. Wichtiger ist jedoch in unserem Zusammenhang die Feststellung, dass Dionysios selbst den Ton und die Begrifflichkeit des thukydideischen Wahrheitsdiskurses für seinen eigenen Anspruch übernimmt, wo96 Dion. Hal. Thuc. 2.4: εἰ δὲ ἀληθεῖς καὶ προσήκοντας ἐμαυτῷ προῄρημαι λόγους, σύ τε κρινεῖς καὶ τῶν ἄλλων φιλολόγων ἕκαστος. 97 Dion. Hal. Thuc. 34.4–7: […] ὅμοιόν τι πάσχοντες τοῖς κεκρατημένοις ὑφ’ οἵας δή τινος ὄψεως ἔρωτι μὴ πολὺ ἀπέχοντι μανίας. ἐκεῖνοί τε γὰρ πάσας τὰς ἀρετάς, ὁπόσαι γίνονται περὶ μορφὰς εὐπρεπεῖς, ταῖς καταδεδουλωμέναις αὑτοὺς προσεῖναι νομίζουσι, καὶ τοὺς ἐξονειδίζειν ἐπιχειροῦντας, εἴ τι περὶ αὐτὰς ὑπάρχει σίνος, ὡς βασκάνους καὶ συκοφάντας προβέβληνται· οὗτοί τε ὑπὸ τῆς μιᾶς ταύτης ἀρετῆς κεκαρωμένοι τὴν διάνοιαν ἅπαντα καὶ τὰ μὴ προσόντα τῷ συγγραφεῖ μαρτυροῦσιν· ἃ γὰρ ἕκαστος εἶναι βούλεται περὶ τὸ φιλούμενόν τε καὶ θαυμαζόμενον ὑφ‘ ἑαυτοῦ, ταῦτα οἴεται. ὅσοι δ’ ἀδέκαστον τὴν διάνοιαν φυλάσσουσι καὶ τὴν ἐξέτασιν τῶν λόγων ἐπὶ τοὺς ὀρθοὺς κανόνας ἀναφέρουσιν […], οὔτε ἅπαντα ἐπαίνουσιν ἐπ’ ἴσης οὔτε πρὸς ἅπαντα δυσχεραίνουσιν, ἀλλὰ τοῖς μὲν κατορθῶμασι τὴν προσήκουσαν μαρτυρίαν ἀπονέμουσιν, εἰ δέ τι διημάρτηται μέρος ἐν αὐτοῖς, οὐκ ἐμπαίνουσιν. Zu den ähnlichen Forderungen nach Ausgewogenheit des Urteils bei Plutarch vgl. Blank in diesem Band.
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durch er suggeriert, dass er unparteiischer und der ‚Wahrheit‘ stärker verpflichtet sei als sein klassischer Vorgänger. Dionysios wird so gewissermaßen zu einem ‚besseren Thukydides‘.98 Diese Strategie der Selbstdarstellung kulminiert auf wunderbare Weise in den letzten Worten von Über Thukydides, in denen Dionysios einmal mehr auf das Methodenkapitel bei Thukydides und die dortige Kontrastierung von ‚Unterhaltung‘ und ‚Wahrheit‘ anspielt:99 „Angenehmeres als dies hätte ich dir zwar durchaus zu schreiben gewusst, mein lieber Quintus Aelius Tubero, nicht jedoch noch Wahreres.“ Das Schlusswort von Über Thukydides lautet „noch Wahreres“ (ἀληθέστερα). Es stellt nicht nur einen passenden Höhepunkt in der Behandlung eines Themas dar, das die ganze Abhandlung prägt, sondern es bildet auch den Schlussstein für jenen Wettstreit mit Thukydides, in den Dionysios in den ersten Abschnitten der Schrift eingetreten ist: Der Schlusssatz bringt mithin ein komplexes Spiel der Intertextualität zum Abschluss. Dadurch, dass er auf Thukydides’ bekannte Charakterisierung seiner Geschichtsschreibung als „weniger erfreulich“, dafür jedoch „nützlich“ für zukünftige Generationen,100 anspielt, beansprucht Dionysios für seine Schrift, dass auch sie eher nützlich als angenehm für ihren römischen Adressaten sein werde. Aufmerksame Leser werden jedoch auch erkennen, dass in der Schlussformulierung eine noch vielsagendere Note enthalten ist: Im Komparativ ἀλθηέστερον beansprucht Dionysios, den Wettstreit mit Thukydides für sich entschieden zu haben – seine Geschichte der Geschichtsschreibung erweist sich im Vergleich als „noch wahrer“. Bibliographie Aujac, G. (1991): Denys d’Halicarnasse. Opuscules Rhétoriques, Vol. 4, Paris. Aujac, G. (1992): Denys d’Halicarnasse. Opuscules Rhétoriques, Vol. 5, Paris. Avenarius, G. (1956): Lukians Schrift zur Geschichtsschreibung, Meisenheim. Blass, F. (1865): Die griechische Beredsamkeit in dem Zeitraum von Alexander bis auf Augustus, Berlin. Bonner, S. F (1939): The Literary Treatises of Dionysius of Halicarnassus. A Study in the Development of Critical Method, Cambridge. Bowersock, G. W. (1965): Augustus and the Greek World, Oxford. Bruns, I. (1905): Vorträge und Aufsätze, München. Burns, T. W. (2014): „Hobbes and Dionysius of Halicarnassus on Thucydides, Rhetoric and Political Life“, in: Polis 31, 387–424. Canfora, L. (2006): „Thucydides in Rome and Late Antiquity“, in: Rengakos, A. / Tsakmakis, A. (Hrsgg.): Brill’s Companion to Thucydides, Leiden, 721–753. Cary, E. (1937–1950): The Roman Antiquities of Dionysius of Halicarnassus, London. Delcourt, A. (2005): Lecture des Antiquités Romaines de Denys d’Halicarnasse, Un historien entre deux mondes, Brüssel.
98 Weaire (2005), 255. 99 Dion. Hal. 55.5: Τούτων ἡδίω μὲν εἶχόν σοι περὶ Θουκυδίδου γράφειν, ὦ βέλτιστε Κοΐντε Αἴλιε Τουβέρων, οὐ μὴν ἀληθέστερα. Vgl. dazu Weaire (2005), 255–256. 100 Thuk. 1.22.4.
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Wahrheit und Kontext
exempla und species Zur Rhetorik und Funktion von Beispielen in Suetons Flavierviten Verena Schulz
1. Suetons Darstellungsart: Rubriken und Beispiele Sueton, der seine Werke zeitgleich mit Tacitus unter den Kaisern Trajan und Hadrian zu Beginn des 2. Jh. n. Chr. schrieb, ist der Begründer der Gattung der römischen Kaiserbiographie. Seine zwölf Viten von Julius Caesar bis Domitian dienten späteren Autoren wie Marius Maximus (3. Jh. n. Chr.) und noch Alkuin am Hof Karls des Großen als Vorbild. Im Mittelalter und in der Renaissance wurde Sueton als der Biograph schlechthin verehrt. Im Vergleich zu dieser hohen Wertschätzung wird er in der modernen Altertumsforschung sehr heterogen beurteilt. Einerseits wird ihm aus Sicht der Alten Geschichte und der Philologie abgesprochen, ein echter Historiker und Literat zu sein.1 Andererseits ist dieses vor allem am Anfang des 20. Jahrhunderts gebildete negative Sueton-Bild seit den 1950er Jahren durch die Arbeit von Wolf Steidle (1951) um eine deutlich positivere Würdigung des Autors ergänzt worden. Als entscheidend für die disparaten Beurteilungen Suetons kann die Bewertung seiner Darstellungsart angesehen werden.2 Das Besondere an ihr ist, dass der Biograph sein Material in einer Mischung aus narrativen, grundsätzlich chronologisch geordneten Partien und thematisch gegliederten Rubriken präsentiert, in species, wie er selbst sagt (Suet. Aug. 9). Es gibt kein festes Schema, das für alle Viten gälte. Tendenziell sind aber insbesondere der Anfang einer Vita bis zur Beschreibung der Herrschaftsübernahme und der Schlussteil einer Vita, der die Ereignisse um den Tod des Kaisers behandelt, chronologisch geordnet. An den anderen Stellen wird das Material in Rubriken dargestellt, die unterschiedliche Aspekte des Herrschers zeigen, v. a. einzelne Repräsentationselemente (wie den Kaiser als Feldherrn oder den Kaiser als Stifter von Bauwerken) und positiv oder negativ gewertete Verhaltensmuster, Tugenden (virtutes) und Fehler (vitia) seines Charakters.3 1 2 3
Ausschlaggebend für diese Position sind die Arbeiten von Macé (1900); Leo (1901); Funaioli (1931). Zur Forschungsgeschichte vgl. Galand-Hallyn (1991) und in Ergänzung Poignault (2009). Eventuell hat Sueton selbst sich zu seiner Darstellungsart zu Beginn des Werkes geäußert, der aber verloren ist. Zu den Suetonischen virtutes und vitia vgl. v. a. Wallace-Hadrill (1983), 142–174.
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Verena Schulz
Die Qualität dieser Darstellungsart wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Auf der einen Seite wird sie als ungeeignet bzw. schlecht bezeichnet oder es wird sogar bestritten, dass es sich dabei überhaupt um eine literarische Technik handle.4 Auf der anderen Seite wird die These vertreten, dass Sueton einen deutlichen Gestaltungswillen nach festen künstlerischen Prinzipien zeige.5 Im Zusammenhang mit der Darstellungsart stehen zwei weitere kontrovers diskutierte Themenkomplexe. Von der Darstellungsart hängt nämlich erstens die Frage ab, wie objektiv oder subjektiv Suetons Werk eingeschätzt werden sollte. Bietet er sein Material mit der Neutralität eines Sammlers und Gelehrten?6 Oder vollzieht er – mindestens implizit – eigene (auch ideologische und politische) Wertungen bzw. leitet er den Leser zu bestimmten Bewertungen an?7 Zweitens wirft die Darstellungsart die Frage nach den Einflussfaktoren von Suetons Werk auf. Während lange Zeit hellenistische Biographieformen als maßgeblich angesehen wurden, stehen jetzt immer mehr die römischen Einflüsse im Zentrum der Arbeiten zu Sueton.8 Die folgende Untersuchung versteht sich als Beitrag zu diesen zentralen Fragen der Suetonforschung um Darstellungsart, literarische Einflüsse und Wertungen des Werkes. Dabei wird ein markantes Merkmal von Suetons Darstellungsart, nämlich die Verwendung von Beispielen in den Rubriken, sowie einer von Suetons Einflussfaktoren im Zentrum stehen, nämlich die Rhetorik.9 Somit positioniere ich mich klar auf der Seite derer, die eine literarische Technik und rhetorische Einflussfaktoren erkennen. Die Frage, ob Sueton Wertungen vollzieht oder nicht bzw. den Leser zu festen Bewertungen anleitet oder nicht, wird sich aber als zu einfach gestellt erweisen, wenn man das Verhältnis von exemplum und species genauer betrachtet. Um zu beweisen, dass ein Kaiser sich durch eine bestimmte Tugend oder einen bestimmten Fehler auszeichne, führt Sueton in der entsprechenden Rubrik jeweils eine Reihe von Belegbeispielen, exempla, an.10 Das lateinische Nomen exemplum ist mit dem Verb eximere, „herausnehmen“, verwandt und bezeichnet ursprünglich Warenproben oder Kostproben.11 Davon ausgehend bezieht es sich auch auf Handlungen einer Person, die ihren Charakter offenbaren. Sie werden gleichsam als Kostproben der Persönlichkeit verstanden.12 Im Folgenden verwende ich den Begriff exemplum in diesem rhetorisch-argumentativen Sinn als ‚Kostprobe‘ oder Beleg für eine These.13 Das ist vor 4 5 6 7
So z. B. d’Anna (1954); Döpp (1972); Flach (1972). Eine Mittelposition vertritt Mouchova (1968). So z. B. Gugel (1977); Baldwin (1983); Pausch (2004). So z. B. Ektor (1980); Wallace-Hadrill (1983); Sonnabend (2002). So z. B. Lossau (1975); Cizek (1977); Bradley (1991); Lewis (1991); Barton (1994); Konstan (2009). Vgl. mit weiterer Literatur auch Konstan (2009), 455–457; Tatum (2014), 166. 8 So z. B. bei Baldwin (1983); Wallace-Hadrill (1983); Lewis (1991), der u. a. Ähnlichkeiten zwischen Suetons Text und den Reden Ciceros herausarbeitet. 9 Die Bedeutung der Rhetorik für Suetons Viten wird betont von Steidle (1951), 129–133; Townend (1967), 85; Wallace-Hadrill (1983), 144; Lounsbury (1987), 63–118; Barton (1994), 48–50. 10 Zu Belegreihen bei Sueton als etwas typisch Römischem vgl. Steidle (1951), 123–124. 11 Vgl. den Überblick über die Bedeutungsfelder von lat. exemplum bei Kornhardt (1936), 1–9. Siehe auch Möller (2015), 81. 12 Vgl. Kornhardt (1936), 10, 13–14. 13 Siehe dazu ausführlicher unten.
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allem deswegen zu betonen, weil gerade in historischen Arbeiten ein anderer, nämlich ein historisch-normativer Begriff von exemplum der häufiger verwendete ist.14 Die beiden Begriffe können selbstverständlich überlappen, wenn ein historisches exemplum rhetorisch verwendet wird. Aber methodisch sollten sie zunächst auseinander gehalten werden. So weist Sueton in der Vita des ersten flavischen Kaisers Vespasian dessen Eigenschaft der Milde (lenitas) durch Belegbeispiele nach (Suet. Vesp. 13).15 Dazu wird die Eigenschaft Milde in einem einleitenden Satz, wie er für Suetons Rubriken typisch ist, in drei verschiedene Erscheinungsformen eingeteilt. Die Milde Vespasians zeigt sich gegenüber drei verschiedenen sozialen Gruppen, nämlich erstens gegenüber den Freunden, die sich freimütig über ihn äußern, zweitens gegenüber den Prozessrednern, die in ihren Reden Anspielungen auf ihn machen, und drittens gegenüber den Philosophen und ihren Schmähreden auf ihn: Amicorum libertatem, causidicorum figuras ac philosophorum contumaciam lenissime tulit. Im Anschluss an diesen Einleitungssatz wird für jede der drei Erscheinungsformen von Milde genau ein Einzelfall als Beispiel ausgewählt und genannt:16 Den Licinius Mucianus, der für seine unzüchtige Homosexualität bekannt war, aber der Vespasian im Vertrauen auf das, was er für ihn geleistet hatte,17 wenig Ehrerbietung zeigte, tadelte Vespasian stets nur heimlich und nur insofern, als er sich bei einem gemeinsamen Freund beklagte und am Ende den Satz hinzufügte: „Ich immerhin bin ein Mann.“ Den Salvius Liberalis, der bei der Verteidigung eines reichen Angeklagten gewagt hatte zu sagen: „Was geht es den Kaiser an, wenn Hipparchus 100 Millionen Sesterzen hat?“, lobte Vespasian sogar persönlich. Den Kyniker Demetrius, der ihm nach seiner Verurteilung auf einer Reise begegnete und der es nicht für anständig hielt, sich zu erheben oder zu grüßen, der ihn sogar – ich weiß nicht warum – anbellte, nannte Vespasian nur einen Hund.
Diese Gliederung der Beispiele ist klar markiert. Jedes Beispiel beginnt mit der entsprechenden Person im Akkusativ (Licinium Mucianum; Salvium Liberalem; Demetrium Cynicum) und besteht im Kern aus einer anekdotenartigen Sprechhandlung mit Pointe. Dass die drei parallelen Belegbeispiele untereinander syntaktisch nicht verbunden sind, verstärkt diese Gliederung. Sie beziehen sich nämlich nicht aufeinander, sondern gehen 14 Zum historischen Beispiel mit Autoritätsanspruch bzw. zum normativen Beispiel vgl. Klein (1996), 61; Willer/Ruchatz/Pethes (2007), 40–55. In diesem Sinne verwendet auch zuletzt Gunderson (2014) den Begriff, wenn er exempla in der Augustus- und Tiberius-Vita Suetons untersucht. Dieselbe Begriffsverwendung findet sich bei Langlands (2014); ähnlich Pausch (2004), 270–271. Vgl. auch Shuttleworth Kraus (2005), 186–188. 15 Zu dieser Stelle vgl. Gascou (1984), 318–321. 16 Suet. Vesp. 13: Licinium Mucianum notae impudicitiae, sed meritorum fiducia minus sui reverentem, num quam nisi clam et hactenus retaxare sustinuit, ut apud communem aliquem amicum querens adderet clausu lam: Ego tamen vir sum. Salvium Liberalem in defensione divitis rei ausum dicere: Quid ad Caesarem, si Hipp archus sestertium milies habet? et ipse laudavit. Demetrium Cynicum in itinere obvium sibi post damnationem, ac neque assurgere neque salutare se dignantem, oblatrantem etiam nescio quid, satis habuit canem appellare. 17 Zu den Diensten des Gaius Licinius Mucianus gegenüber Vespasian während dessen Aufstieg zum Prinzipat vgl. Suet. Vesp. 6.4 und 7.1.
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jeweils zurück auf den ersten Satz der Rubrik, der die dreigliedrige These enthält. Die Dreiteilung der Milde, die einfache, klare Gliederung und die Nennung jeweils eines Beispiels gleichen in gewisser Weise aus, dass weder hier noch irgendwo sonst eine vollständige Nennung aller Beispiele erfolgen kann. Die Gliederung, rhetorisch dispositio, fungiert zu einem gewissen Grad als Ausgleichsmechanismus für den Selektionsprozess. Durch ihre suggestive Kraft kann der Eindruck von Vollständigkeit entstehen, wo Vollständigkeit de facto unmöglich ist.18 Im Folgenden sollen solche exempla, die typisch für Suetons Darstellungsart sind, in Hinblick auf die angedeuteten Techniken der Gliederung, sprachlichen Formulierung und Argumentation genauer analysiert werden. Dies geschieht am Beispiel der drei Flavierviten, die mit Vespasian, Titus und Domitian drei von Sueton sehr unterschiedlich wertgeschätzte Kaiser behandeln.19 Im Zentrum steht bei deren Untersuchung das Verhältnis der Beispiele zu der Rubrik, in der sie präsentiert werden. Dies geschieht vor dem Hintergrund der antiken Rhetorik, einem der entscheidenden Einflussfaktoren für Sueton. Denn über die Analyse der Rhetorizität des Textes soll, wie bereits erwähnt, ein besseres Verständnis der funktionalen Strukturen des Werkes erlangt werden. Daher wenden wir uns zuerst der rhetorischen Theorie zu.
18 Auf die Unvollständigkeit der exempla kann explizit verwiesen sein. Siehe z. B. Suet. Dom. 1.3 (ne exequar singula), wo deutlich herausgestellt wird, dass es sich nur um eine Auswahl von Beispielen dafür handelt, dass Domitian schon vor Regierungsantritt zeigte, wie er später als Kaiser sein würde. Vgl. auch Suet. Tib. 61.2: singillatim crudeliter facta eius exequi longum est; genera, velut exemplaria saevitiae, enumerare sat erit. 19 Schon durch einen kurzen Vorspann zum Flaviergeschlecht insgesamt werden die drei Biographien am Beginn der Vespasian-Vita als zusammengehörig markiert, Suet. Vesp. 1.1. Die Literatur, die sich speziell mit den Flavierviten befasst, ist überschaubar und verfolgt meist historische Fragestellungen. Murphy (1991) bietet eine Stellensammlung von Anekdoten in den Flavierviten. Graf (1937) analysiert die gesamte Vespasian-Vita. Das Interesse der Forschung gilt danach v. a. Vespasians Religiösität und Tätigkeiten als Wunderheiler (Spahlinger [2004]; Wardle [2012], sowie Vespasians Humor, Luke [2009–2010]; Milns [2010]). Die Titus-Vita wird mit Blick auf die durchaus ambivalente Titus-Gestalt analysiert von Luck (1964) und Tatum (2014). Konstan (2009) befasst sich ausgehend von Suet. Tit. 9.1 mit der Bedeutung von Astrologie und Vorzeichen und liest die Titus-Vita als „subtle piece of work“ (461). Hulls (2014) fokussiert Domitian als Tyrannen bei Sueton, der sich durch Angst, den Wunsch nach Einsamkeit und die Weigerung zur Selbstreflexion auszeichnet. Die Stelle zu Domitians sexuellem Verkehr mit Nerva, Suet. Dom. 1.1, wird schlüssig analysiert von Charles (2006). Domitians Charakterentwicklung wird diskutiert von Lambrecht (1995) und – überzeugender – von Müller (1998–1999). Zur Datierung der Flavierviten vgl. Abramenko (1994), 94, demzufolge die Titus- und Domitiansvita nach Suetons Entlassung durch Hadrian wohl im Jahr 122 entstanden seien, wie man an den nur hier vorhandenen zeitkritischen Äußerungen festmachen könne. Ähnlich urteilt Townend (1967), 90, der allerdings schon die Tiberius-Vita nach 122 ansetzt. Vgl. aber auch Wardle (1998) mit guten Argumenten gegen verdeckte Zeitkritik bei Sueton. Zu Datierungsfragen insgesamt siehe Fein (1994), 162–166.
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2. Das exemplum in der rhetorischen Theorie Römer argumentierten mit einer Fülle unterschiedlicher Arten von Beispielen. Man denke an die Bedeutung von Präzedenzfällen im römischen Gerichtswesen oder an normative Beispiele wie die exempla maiorum oder Cato, das exemplum virtutis.20 Auch im rhetorischen Schulbetrieb hatten exempla einen hohen Wert.21 Er schlug sich in exempla-Sammlungen nieder, von denen für uns die des Valerius Maximus aus der Zeit des Tiberius die wichtigste ist. Daneben gab es in der Rhetoriktheorie systematische Überlegungen zum exemplum, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen.22 Das exemplum als rhetorisches Mittel hat mehrere Funktionen, die sich gegenseitig ergänzen und überlagern können. Das spiegelt sich in den unterschiedlichen Einordnungen des exemplum im rhetorischen System durch die fünf Autoren wider, die sich über das Beispiel ausführlicher äußern. Der Autor der pseudoaristotelischen Alexander-Rhetorik, Aristoteles, der Auctor ad Herennium, Cicero und Quintilian setzen nämlich nicht nur teils andere Schwerpunkte, wenn sie über das exemplum bzw. das παράδειγμα schreiben. Sie klassifizieren es auch teilweise unterschiedlich, sei es als Beweismittel (im Rahmen der inventio), als Schmuckmittel (bei der Besprechung der elocutio) oder auch als Mittel zur Erweckung von Emotionen. Die logisch-argumentative Funktion des exemplum ist schon vom Autor der pseudoaristotelischen Rhetorik an Alexander23 und vor allem von Aristoteles herausgearbeitet worden. Sie kann als die persuasive Hauptfunktion des Beispiels angesehen werden. Aristoteles klassifiziert das Beispiel in der Rhetorik als induktive Beweisart und damit als Gegenstück zum Enthymem, das eine deduktive Argumentationsform und die zweite Hauptklasse der Beweisarten darstellt (Arist. rhet. 1356a35–1358a35 und 1393a20– 1394a18).24 Bei der Besprechung der argumentativen Funktion des Beispiels wird neben seiner Bestätigungsfunktion auch seine Falsifikationskraft erkannt (Ps-Aristot. rhet. Alex. 1429b28–30). Eine Fülle von Beispielen kann niemals logisch korrekt eine These vollständig belegen. Aber ein einziges Gegenbeispiel kann zur Widerlegung einer These ausreichen. Neben seinem argumentativen Gehalt im engeren Sinn wird dem exemplum auch eine ästhetische Komponente zugesprochen. So kategorisiert der Auctor ad Herenni20 Zu Beispielen im rechtshermeneutischen Kontext vgl. Möller (2015), 84–91. Zu den normativen Beispielen der Römer vgl. Willer/Ruchatz/Pethes (2007), 46–47. 21 Vgl. mit Alewell (1913), 90 zur Verwendung von Beispielen in der Schule Sen. contr. 7.5.12–13, wo kritisiert wird, dass Schulredner auswendig gelernte exempla in ihre controversiae zu zwingen versuchen. Zum engen Zusammenhang von exempla aus dem rhetorischen Unterricht und exempla in der lateinischen Literatur vgl. Alewell (1913), 87, 100–118. 22 Zur rhetorischen Theorie des exemplum insgesamt vgl. Klein (1992), 1430–1432; Klein (1996), 61; Willer/ Ruchatz/Pethes (2007), 10–20; van der Poel (2009), 333–336; Möller (2015), 81–84. Zur Entwicklung der Terminologie in der antiken Rhetorik, auf die hier nicht eingegangen wird, vgl. Alewell (1913), 18–35. 23 Ps.-Aristot. rhet. Alex. 1429a21–1430a13; vgl. 1428a16–23, vgl. zusammenfassend Price (1977), 34–35. Die Rhetorik an Alexander wird bisweilen Anaximenes von Lampsakos zugeschrieben. Zur Frage der Autorschaft vgl. Chiron (2002), XL–CVII, dessen Ausgabe ich folge. 24 Zu Aristoteles’ Theorie des Beispiels in der Rhetorik und in der Ersten Analytik vgl. Willer/Ruchatz/ Pethes (2007), 10–14.
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um das Beispiel als Gedankenfigur in seinem vierten Buch, das ausschließlich den Stil behandelt, und definiert es wie folgt:25 Ein Beispiel ist die Darlegung irgendeiner vergangenen Tat oder irgendeines vergangenen Ausspruchs einer bestimmten Person (alicuius facti aut dicti […] propositio), deren Name genannt wird. Man verwendet es aus denselben Gründen wie den Vergleich. Es macht einen Sachverhalt schmuckvoller, wenn es nur um der Schönheit willen verwendet wird; verständlicher, wenn es das, was recht dunkel ist, klarer macht; plausibler, wenn es den Sachverhalt wahrscheinlicher macht; es stellt ihn vor Augen, wenn es alles deutlich ausdrückt, so dass man sozusagen die Dinge mit der Hand greifen kann.
Am deutlichsten kommen der argumentative und der ästhetische Gehalt des exemplum bei Quintilian zusammen. Er bespricht das Beispiel nämlich nicht nur im fünften Buch der Institutio oratoria als Beweismittel, das auf einer Ebene mit den signa und argumenta liegt,26 sondern auch im achten Buch als Wortfigur unter dem Stichwort ‚Vergleich‘ (Quint. inst. 5.11.1-44 und 8.3.72-81).27 Dass darüber hinaus das exemplum nicht nur auf den Verstand des Zuhörers wirkt, sondern auch eine psychologische bzw. emotionale Wirkungskomponente aufweist, kommt z. B. in Ciceros De oratore zum Ausdruck, wo das Beispiel (im Rahmen des ornatus) neben dem Vergleich zu den zwei Dingen gezählt wird, die den Hörer am meisten bewegen: tum duo illa, quae maxime movent, similitudo et exemplum (Cic. de orat. 3.205).28 Der Inhalt des Beispiels wird aus Handlungen (facta) und Äußerungen (dicta) einer Person gebildet, wie wir auch der gerade zitierten Passage des Auctor ad Herennium (Rhet. Her. 4.49.62) entnehmen können. Als besonders stark gelten durchweg die historischen Beispiele, d. h. Beispiele, die auf als historisch anerkannten Fakten beruhen.29 Der Autor der Alexander-Rhetorik kennt sogar nur sie (Ps.-Aristot. rhet. Alex. 1429a21) und auch der Auctor ad Herennium erwähnt ausschließlich echt historische Beispiele. Solche historischen Beispiele (τὸ λέγειν πράγματα προγενομένα – „frühere Ereignisse erzählen“) unterscheidet Aristoteles von den fiktiven Beispielen (τὸ αὐτὸν ποιεῖν – „selbst etwas erdichten“), die aus einer Parabel bzw. einem Vergleich (παραβολή) oder Fabeln 25 Rhet. Her. 4.49.62: Exemplum est alicuius facti aut dicti praeteriti cum certi auctoris nomine propositio. Id sumitur isdem de causis quibus similitudo. Rem ornatiorem facit cum nullius rei nisi dignitatis causa sumitur; apertiorem, cum id quod sit obscurius magis dilucidum reddit; probabiliorem, cum magis veri similem facit; ante oculos ponit, cum exprimit omnia perspicue ut res prope dicam manu temptari possit. Zu den Schwierigkeiten, die diese Definition des Auctor bereitet, vgl. Price (1977), 100–101. Zur Einordnung als Schmuckmittel, nicht als Argumentationsmittel vgl. auch Rhet. Her. 4.3.5: exempla ponuntur nec confirmandi neque testificandi causa, sed demonstrandi. Hingegen werden Fehler im Zusammenhang mit Beispielen als Argumentationsfehler gewertet in Rhet. Her. 2.20.31 und Rhet. Her. 2.29.46. Vgl. Klein (1996), 62. 26 So in Quint. inst. 5.9.1: Omnis igitur probatio artificialis constat aut signis aut argumentis aut exemplis. 27 Zu Quintilians doppelter Einordnung des Beispiels in inventio und elocutio vgl. Willer/Ruchatz/Pethes (2007), 14–17. 28 Vgl. Price (1977), 129 zu Ciceros Betrachtung des exemplum als eines nicht-rationalen Überzeugungsmittels. 29 Vgl. Quint. inst. 5.11.17 über die geringere Beweiskraft der Beispiele, die den Erzählungen der Dichter entstammen. Insbesondere bei Beratungsreden empfiehlt Aristoteles historische und nicht erfundene Beispiele (Aristot. rhet. 1394a5–8).
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(λόγοι) bestehen können (Aristot. rhet. 1393a28–31). Diese Zweiteilung erscheint bei Quintilian stärker ausdifferenziert als Dreiteilung. Quintilian kennt nämlich in Ergänzung zu Aristoteles auch Beispiele, die man als quasi-historisch30 bezeichnen kann und die er an die Seite der historischen und fiktiven Beispiele stellt:31 […] das, was wir im eigentlichen Sinn als Beispiel bezeichnen, nämlich die Erwähnung einer Sache, die sich (wirklich) ereignet hat, oder einer (nicht wirklichen) Sache, als ob sie sich ereignet hätte, die zur Überzeugung von dem, worauf du abzielst, nützlich ist.
Wie man etwas so erzählt, wie es passiert ist oder wie es hätte passiert sein können, erläutert die Rhetoriktheorie im Zusammenhang mit der narratio.32 Denn die narratio ist in den Worten des Auctor ad Herennium die Darlegung von Dingen, die passiert sind, oder als ob sie passiert sind: Narratio est rerum gestarum aut proinde ut gestarum expositio (Rhet. Her. 1.3.4).33 In der römischen Rhetorik drückt sich damit ein deutliches Fiktionalitätsbewusstsein für ein Erzählen aus, das wir am besten auch als Quasi-Historizität fassen können. Es zielt nicht in erster Linie auf Information, sondern auf Überzeugung.34 Das entscheidende Kriterium der narratio ist daher auch nicht ‚Wahrheit‘, sondern Glaubwürdigkeit. Die vier Strategien, die Quintilian zur Erzeugung von Glaubwürdigkeit anführt, zielen auf realistisches Erzählen ab (Quint. inst. 4.2.52). Sie bestehen darin, erstens nichts zu erzählen, was unnatürlich ist, zweitens Begründungen und Absichten für die geschilderten Taten anzugeben, zudem den Charakter des Handelnden seinen Taten anzupassen und schließlich auch Ort und Zeit dem Erzählten anzupassen. Quasi-Historizität entsteht durch realistische Schilderung. Die Nähe des exemplum zur narratio-Theorie, die in Quintilians gerade zitierter Definition (Quint. inst. 5.11.6) deutlich zum Vorschein kommt, unterstreicht, wie wichtig Wahrscheinlichkeit, Realismus und Überzeugungskraft für das Beispiel sind. Zur Bildung eines Beispiels steht dem Redner die rhetorische Topik zur Verfügung. Die Topik zur Charakterdarstellung ist v. a. im status coniecturalis relevant, d. h. wenn ein Redner dafür argumentieren muss, dass jemand eine Tat begangen hat oder nicht, und im genus demonstrativum, also bei Lob- und Tadelreden.35 Für diese empfiehlt Quintilian übrigens u. a. eine Gliederung nach Tugenden (in species virtutum dividere laudem, Quint. inst. 3.7.15), also ein Schema, wie Sueton es verwendet. Die Topik bietet dasselbe Inventar jeweils für positive oder negative exempla, weshalb die Rhetorik gar keine expliziten Hinweise auf Quellen für negative topoi gibt, sondern nur rät, das Gegenteil des entsprechenden positiven topos zu sagen (Rhet. Her. 3.5.10). Zudem empfiehlt die 30 Den Begriff verwendet z. B. auch Klein (1996), 64, der aber die Neuerung gegenüber Aristoteles nicht herausstellt. 31 Quint. inst. 5.11.6 (vgl. dazu Quint. inst. 5.11.17–21): […] quod proprie vocamus exemplum, id est rei gestae aut ut gestae utilis ad persuadendum id, quod intenderis, commemoratio. 32 Vgl. Quint. inst. 4.2.19.88–100 zu ficta narratio und falsae expositiones. Vgl. Price (1977), 208. 33 Vgl. Cic. inv. 1.29. 34 Vgl. Quint. inst. 4.2.21, wonach der Richter nicht nur die Fakten erfahren, sondern auch mit der vorgetragenen Version der Fakten übereinstimmen soll. 35 Solche topoi a persona finden sich z. B. in Cic. inv. 1.34–36.
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antike Rhetorik klar, den semantischen Spielraum bei der Wortwahl auszunutzen und die Eigenschaft einer Person in einem parteiisch günstigen Wort auszudrücken.36 Bei der Präsentation der gefundenen exempla ist die Gliederung des Textes wichtig. Schon Aristoteles (Aristot. rhet. 1394a9–16) stellt detaillierte Überlegungen dazu an, wie die Position eines exemplum im Text dessen Wirkungsmöglichkeiten beeinflusst. Für die folgende Analyse haben diese Überlegungen zum exemplum in der Rhetoriktheorie einen hohen heuristischen Wert, weil sie auf Besonderheiten und Wirkungsstrukturen des Textes aufmerksam machen. Darüber hinaus dürfen wir auch von einer hohen rhetorischen und literarischen Bildung des Autors selbst ausgehen. Sueton, der enge Freund des Quintilian-Schülers Plinius,37 war nicht nur lange als Anwalt in Rom tätig. Er hatte außerdem die wichtigen Hof-Ämter a studiis und a bibliothecis inne sowie das Amt ab epistulis, das ihn für die gesamte Korrespondenz des Kaisers Hadrian verantwortlich machte, eines Kaisers also, der auf Bildung und Literatur hohen Wert legte.38 3. Rhetorische Kompositionsprinzipien am Beispiel von Suet. Dom. 10–11 Suetons Domitian-Vita hat eine klare Gliederung bzw. sie präsentiert auf der Textoberfläche klare Gliederungsmarker. Nach einem kurzen Abschnitt zu Domitians frühen Jahren, d. h. der Zeit vor 81 n. Chr. (Suet. Dom. 1–3.1), findet sich eine erste divisio (Suet. Dom. 3.2). Demnach habe sich die anfänglich gleichmäßige Mischung aus Fehlern (vitia) und Vorzügen (virtutes) stärker in Richtung Fehler entwickelt. Zuerst bietet Sueton eine Darstellung der positiven Eigenschaften und Taten des Kaisers Domitian (Suet. Dom. 4–9). Darauf folgt eine zweite divisio (Suet. Dom. 10.1), die Domitians vitia (Suet. Dom. 10–13) ankündigt. Sie werden geordnet nach den Rubriken saevitia (Suet. Dom. 10–11), cupiditas (Suet. Dom. 12.1–2) und arrogantia (Suet. Dom. 12.3–13) besprochen. Im Anschluss beschreibt eine narrative Partie die Ereignisse vor dem Tod (Suet. Dom. 14–16) und den Tod selbst (Suet. Dom. 17). Wieder in Rubriken werden dann persönliche Eigenschaften (Suet. Dom. 18–22) erläutert. Am Ende stehen die Reaktionen auf Domitians Ermordung (Suet. Dom. 23). Sueton markiert seine Gliederung also zwei Mal (Suet. Dom. 3.2 und 10.1), was er nur in der Domitian-Vita tut.39 Betrachten wir zunächst die zweite Gelenkstelle (Suet. Dom. 10.1) und die daran anschließende erste Rubrik, die unter den negativen Eigenschaften ausgeführt wird, Domitians Grausamkeit (saevitia, Suet. Dom. 10–11). Sie wird über verschiedene exempla nachgewiesen, die rhetorisch effektvoll über Mittel der Variation und Steigerung gestal-
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Z. B. Rhet. Her. 3.3.36; Cic. part. 81; Quint. inst. 3.7.25, 4.2.76–77. Zu Sueton als möglichem Hörer Quintilians vgl. Wallace-Hadrill (1983), 3. Zu Suetons Ämtern vgl. z. B. Lounsbury (1987), 10–11; Fein (1994), 158–162. Eine einfache Gliederungsmarkierung für einen Teil über gute Taten und einen Teil über schlechte Taten gibt es in Suet. Cal. 22.1; Nero 19.3.
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tet sind. Diese Steigerung wird deutlich in fünf Abschnitten im Text vollzogen, die sich jeweils in ihrer Schwerpunktsetzung unterscheiden.40 Zunächst wird von den virtutes des Kaisers, clementia und abstinentia, zu den vitia der saevitia und cupiditas übergleitet (Suet. Dom. 10.1). Diese beiden Laster sind bereits zu Beginn der Vespasian-Vita (Suet. Vesp. 1.1) als Domitians Hauptfehler angekündigt worden. Die Grausamkeit wird als zeitlich vorgängig bezeichnet (Suet. Dom. 10.1) und zuerst besprochen (Suet. Dom. 10–11). Der Reihenfolge der Rubriken liegt hier also eine chronologische Struktur zugrunde. Wie bei der oben vorgestellten Exemplifizierung von Vespasians Milde (Suet. Vesp. 13) werden zum Beweis für die Eigenschaft des Kaisers zunächst drei Einzelfälle herangezogen: ein Schüler des Pantomimen Paris, ein Autor namens Hermogenes von Tarsos samt seiner Schreiber sowie ein unbenannter Familienvater. Für alle drei grausamen Morde Domitians wird jeweils eine nichtig wirkende Begründung genannt.41 Das ist für die Logik des Textes wichtig, weil erst das Verhältnis von bagatellisiert erscheinender Motivation und Handlung diese als grausam erscheinen lässt. Das grausame Verhalten von Suetons Domitian zeigt sich aber nicht nur in diesen drei Einzelfällen (Suet. Dom. 10.1), sondern auch gegenüber einer ganzen Gruppe Senatoren (Suet. Dom. 10.2–4). In der Ausweitung des Personenkreises auf eine große Anzahl römischer Aristokraten in diesem Abschnitt ist eine deutliche Steigerung zu erkennen. Sueton nennt zuerst die Senatoren als Gruppe effektvoll zu Beginn des Abschnittes (complures senatores), schließt daran aber zehn Einzelfälle an. Die Nennung von Namen, die in den Flavierviten bzw. den sechs letzten Viten überhaupt sehr selten ist, und auch der Vorwürfe, die Domitian ihnen gemacht habe, erzeugt Anschaulichkeit und Detailliertheit, was der Herstellung von Glaubwürdigkeit dient. Wie im ersten Abschnitt (Suet. Dom. 10.1) werden auch hier die Gründe für Domitians Verhalten offengelegt. Zusätzlich kommen nun aber noch Wertungen hinzu, in denen die Distanz zu Domitian deutlich artikuliert wird. So werden die Gründe explizit als Scheingründe (quasi molitores rerum novarum, Suet. Dom. 10.2) entlarvt oder pauschal als äußerst nichtig (levissima […] de causa, Suet. Dom. 10.2) bezeichnet. Domitians Einschätzung von der Verdächtigkeit gewisser Scherze des Aelius Lamia wird als falsch zurückgewiesen (Suet. Dom. 10.2). Dabei sind die senatorischen Opfer von Domitians Grausamkeit nicht in 40 Solche Techniken der Steigerung sind schon festgestellt worden von Steidle (1951), 81 (über die Caligula-Vita) und 89 (über die Nero-Vita). Vgl. auch Galtier (2009), 90 zur Rubrik arrogantia bei Domitian (12.3–13). 41 Im Einzelnen lauten die Begründungen wie folgt: Der Schüler des Pantomimen Paris wird ermordet, weil er in Kunstleistung und Äußerem seinem Lehrer ähnlich schien. Dass dieser Paris wegen Ehebruchs mit Domitians Frau Domitia ermordet worden sein soll (Cass. Dio 67.3.1), erwähnt Sueton nicht. Die gegebene Begründung wirkt daher noch absurder. Zusätzlich wird Mitleid für den Toten erregt, indem er als jung und sehr krank beschrieben wird. Hermogenes von Tarsos wird wegen Anspielungen in seinem Geschichtswerk (propter quasdam in historia figuras) – man vergleiche zum Kontrast die oben erwähnte Stelle (Suet. Vesp. 13) über Vespasians Milde gegenüber den Anspielungen von Anwälten (causidicorum figuras) – ermordet. Die Abschreiber des Werkes werden, offenbar nur, weil sie es abgeschrieben haben, gekreuzigt. Der erwähnte Familienvater stirbt einen spontanen grausamen Tod, weil er dem Kaiser Parteilichkeit bei Wettkämpfen vorwirft, was ihm als Respektlosigkeit (impie) ausgelegt wird.
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der Reihenfolge ihrer Ermordung genannt. Denn die Todesdaten der Erwähnten sind in der Reihenfolge im Text die Jahre 89 n. Chr., 93, 95, 93, 93, 91, 86–96, 93, 93 und 89.42 Die Anordnung der Einzelbeispiele bietet vielmehr ein Potpourri, das Domitian in verschiedenen Facetten als Tyrannen inszeniert. Er wird gezeigt als jemand, der Angst vor Umsturz und vor Rivalen hat, der willkürlich handelt und humorlos ist und gegen die Verehrung und den Respekt einschreitet, den man Personen entgegenbringt, die (seiner Meinung nach) nicht mit dem imperialen System konform gehen. Im dritten Abschnitt (Suet. Dom. 10.5) wird eine Steigerung von Domitians Grausamkeit explizit gemacht und zeitlich festgelegt. Irgendwann nach dem Bürgerkrieg (aliquanto post civilis belli victoriam) – gemeint ist der Aufstand des Saturninus 88/89 n. Chr. – sei Domitian grausamer (saevior) geworden. Sueton selbst macht keine expliziten Zeitangaben. Aber wenn wir diese Zeitangabe betrachten, fällt auf, dass die im Abschnitt vorher erwähnten Morde eigentlich nun alle in dieser Rubrik erwähnt werden müssten.43 Dadurch dass sie von diesem Abschnitt getrennt sind, wird aber ein größerer Effekt erzielt. Denn so kann noch einmal eine Steigerung erzeugt werden. Anders als in den beiden Abschnitten davor werden jetzt nämlich die Methoden angegeben, mit denen Domitian gegen seine Gegner vorgeht. Dabei zeichnet er sich durch zwei grausame Foltermaßnahmen aus. Er verbrennt denen, die er verhört, die Schamteile, und er lässt manchen die Hände abschlagen. In diesem Abschnitt liegt der Schwerpunkt somit auf der plastischen Schilderung der körperlichen Grausamkeit. Im vierten Abschnitt (Suet. Dom. 11.1) finden wir eine Steigerung von Grausamkeit vollzogen, insofern zu der körperlichen jetzt noch eine psychische Komponente im Text hinzukommt. Domitians Grausamkeit sei nicht nur groß – soweit würden die bisherigen Beispiele schon ausreichen –, sondern auch heimtückisch und unerwartet gewesen (erat autem non solum magnae, sed etiam callidae inopinataeque saevitiae). Wie die beiden folgenden Beispiele zeigen, ist damit insbesondere gemeint, dass man sich seines guten Verhältnisses zu Domitian nie sicher sein konnte. Domitians Verhalten konnte vielmehr, so Sueton, spontan umschlagen und plötzlich grausam werden. Die Beispiele eines Kassenbeamten und des Arrecinus Clemens illustrieren das. Der Erste wird am Tag vor seiner Kreuzigung (pridie) noch des kaiserlichen Umgangs und Mahls für würdig erachtet. Der Zweite erfährt von Domitian selbst, dass man am folgenden Tag (cras) seinen Delatoren anhören werde. Der Leser lernt, dass die Zeichen von Wertschätzung und Wohlwollen, die Domitian sendet, also im wahrsten Sinne des Wortes von einem Tag auf den anderen (pridie; cras) in Grausamkeit umschlagen können. Noch einen Schritt weiter geht der letzte Abschnitt der Rubrik saevitia (Suet. Dom. 11.2–3). Denn die abschließend präsentierte Form von Grausamkeit ist eine Perversion der Tugend clementia. Gerade dann wenn Domitian nach außen milde und sanft erscheint, sei das ein deutliches Zeichen für ein schreckliches Ende gewesen (ut non aliud 42 Zu den Todesdaten dieser zehn Opfer vgl. Gascou (1984), 411–412. 43 Vgl. ebd. Eine Ausnahme ist gegebenenfalls die Ermordung von Sallustius Lucullus, die nur zwischen 86 und 96 datiert werden kann. Selbst wenn sie vor dem Saturninus-Aufstand stattfand, sind aber noch neun von zehn Beispielen nach dem Aufstand anzusiedeln.
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iam certius atrocis exitus signum esset quam principii lenitas). Der Text erreicht hier einen Höhepunkt, indem ausgerechnet die clementia als Vorbotin der saevitia beschrieben wird. Das Gegenteil von dem, was nach außen in Erscheinung tritt, ist wirklich der Fall. 4. Ein Ereignis, zwei exempla Wenn wir nun einen Schritt über die Disposition einzelner exempla an einer zusammenhängenden Textstelle hinausgehen und eine gesamte Vita oder mehrere Viten in den Blick nehmen, so fällt auf, dass bei Sueton nicht immer genau ein historisches Ereignis genau einem berichteten exemplum entsprechen muss. Vielmehr kann eine Handlung oder ein Ereignis mehrfach an unterschiedlichen Stellen als exemplum sogar für unterschiedliche Sachverhalte verwendet werden.44 In der Domitian-Vita werden so zunächst die Schauspiele, die der Kaiser veranstaltet (Suet. Dom. 4), die Bauten, die er errichtet (Suet. Dom. 5), und die Erhöhung des Soldatenlohnes (Suet. Dom. 7.3) unter positiven Leistungen gelistet. Im zweiten Teil der Vita werden sie aber unter einem negativen Aspekt zusammengefasst (Suet. Dom 12.1). Dort wird behauptet, dass sich Domitian durch diese Ausgaben hoch verschuldet habe (exhaustus operum ac munerum inpensis stipendioque, quod adiecerat) und daher gezwungen sieht, auf Raubzug zu gehen. Der Zusammenhang zur Rhetorik ist hier einerseits evident. Wie oben beschrieben ist die Topik für exempla in beide Richtungen nutzbar, zur Gewinnung positiver oder negativer Beispiele. Auffällig ist aber andererseits, dass Sueton ein und dasselbe Ereignis sowohl für ein positives als auch für ein negatives Beispiel nutzt. Die Ausrichtung der Spiele ist damit, wenn man die gesamte Vita betrachtet, nicht gut oder schlecht. Sie ist beides zugleich. Je nach Perspektive lässt sich das Positive (Suet. Dom. 4, 5, 7.3) oder das Negative (Suet. Dom. 12.1) hervorheben. Sueton wertet dasselbe Ereignis mehrfach und durchaus unterschiedlich. Tatsächlich wird bei dieser Darstellungsart das Einzelereignis in seiner Ganzheit zerrissen. Das hat die oft kritisierte Folge, dass es nicht in seinem chronologischen Ablauf betrachtet45 und zudem mehrfach erwähnt wird. Es hat aber auch den Vorteil, dass so gleichsam verschiedene Stimmen zu ein und demselben Ereignis zu Wort kommen. Sueton bildet damit die Polyphonität der Meinungen zu einem Ereignis ab. Er denkt von den Wertungen zu diesem Ereignis aus, nicht vom Ereignis selbst. Dies wird auch an einem narrativ gestalteten Beispiel klar, dem Tod des Titus. In den Flavierviten gibt es in nur geringem Abstand zwei verschiedene Versionen von Titus’ Ende.46 In der Erzählung der Titus-Vita stirbt Titus am Fieber, Domitian spielt im Handlungsverlauf keine Rolle (Suet. Tit. 10–11). Zu Beginn der Domitian-Vita wird 44 Vgl. Mouchova (1968), 65–78 über Parallelstellen bei Sueton allgemein. Siehe auch Gascou (1984), 360–390. 45 Vgl. die Kritik von Flach (1972), 275–276, dem es um den Quellenwert von Sueton und das „Gebot der historischen Wahrheitstreue“ (278) geht. 46 Vgl. Gascou (1984), 384–386 und Galtier (2009), 86–87, der den Tod des Titus mit dem Tod Domitians vergleicht.
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hingegen berichtet, dass Domitian Titus im Sterben liegen ließ (Suet. Dom. 2.3). Hier stehen also die Nicht-Erwähnung Domitians in der Titus-Vita und die unterlassene Hilfeleistung Domitians in der Domitian-Vita einander gegenüber. Diese beiden Darstellungen sind nicht direkt widersprüchlich, aber auch nicht deckungsgleich.47 Am ehesten versteht man sie von ihrer jeweiligen rhetorischen Wirkungsabsicht her. Titus ist Suetons favorisierter Kaiser. Wenn man bedenkt, dass der Tod in der Antike als Abbild des Lebens galt und gerade in der Darstellung des Todes noch einmal kondensiert das Ergebnis des Lebens gezeigt werden kann,48 so ist verständlich, dass Suetons Lieblingsprinceps Titus ein würdiges Ende im Text erhalten soll. Eine Einmischung Domitians in den Schlusspunkt der Vita würde hier seinen Glanz mindern. Domitian hingegen ist aus Suetons Sicht einer der schlechtesten Kaiser. Dieser Eindruck wird am Anfang der Domitian-Vita unter anderem durch das behauptete schlechte Verhältnis zu seinem Bruder erzeugt (Suet. Dom. 2.3). Domitians mangelnde Hilfe für Titus, der im Sterben liegt, zeigt in der Domitian-Vita exemplarisch dessen Hass. Ob ein Ereignis oder der Teil eines Ereignisses überhaupt erwähnt bzw. zum exemplum wird, ist also offenbar nicht abhängig von dem eigentlichen Faktum, das ihm zugrunde liegt, sondern vielmehr von der kontextuellen Darstellungsabsicht. 5. exempla zwischen Bestätigung und Widerlegung Die bisher besprochenen Beispiele passen jeweils, auch wenn sie faktual ungenau sind (oder gerade deswegen), in den Kontext und in die Rubrik, für die sie jeweils als Beleg dienen. Es gibt allerdings auch Beispiele, die bei genauerem Hinsehen der Rubrik, der sie zugeordnet sind, zuwiderlaufen. In solchen Fällen steht das exemplum im Spannungsfeld zwischen Bestätigen und Widerlegen der in einer Rubrik behaupteten These. Betrachten wir dazu die Rubrik ‚Bauten‘ (opera) in der Domitian-Vita (Suet. Dom. 5).49 Wir befinden uns im Abschnitt ‚gute Taten‘ (insgesamt Suet. Dom. 4–9) nach den von Domitian veranstalteten Spielen (spectacula, Suet. Dom. 4) und vor seinen Feldzügen (expeditiones, Suet. Dom. 6). Nach der Logik, die der Text selbst vorgibt, müssten hier also Beispiele folgen, die belegen, dass Domitian positive Leistungen in der Baupolitik erbracht hat. Tatsächlich sieht man aber, wie etwas potentiell Positives als nicht wirklich positiv präsentiert wird. Bedenkt man die Bedeutung des historischen Domitian für das städtebauliche Rom, so fällt sofort auf, wie kurz dieser Abschnitt bei Sueton gehalten ist.50 Der Palast auf dem Palatin, der in der Panegyrik von Martial und Statius so prominent ist,51 wird überhaupt nicht erwähnt. Erst in der Erzählung der Ereignisse vor 47 Vgl. auch Suet. Tib. 73 mit Suet. Cal. 12.2: Während in der Tiberius-Vita mehrere Varianten von Tiberius’ Tod referiert werden, berichtet die Caligula-Vita nur noch von der Variante, in der Caligula den Tod des Tiberius zu verantworten hat. 48 Vgl. Gascou (1984), 385. 49 Vgl. Charles (2002), 33–37 zu Sueton über Neros und Domitians Bauten. 50 Vgl. den positiven Bericht zur Baupolitik Vespasians (Suet. Vesp. 8.5–9.1) und auch Suet. Tit. 8.4. 51 Zu Domitians Palast in der Panegyrik siehe z. B. Mart. 8.36; 8.39; Stat. silv. 4.2.
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Domitians Tod wird er als Schauplatz der Ereignisse relevant (Suet. Dom. 15.2). Auch Domitians Statuen und Triumphbögen sind nicht unter den Bauten aufgeführt. Sie folgen vielmehr später (Suet. Dom. 13.2) in der Rubrik der arrogantia. Selbst wenn die Auslassung dieser Bauwerke in der Rubrik ‚Bauten‘ beim Lesen nicht sofort auffallen sollte (und der Palast zugegeben kein öffentliches Gebäude im engeren Sinne ist), wird die Leerstelle durch die spätere Erwähnung nachträglich markiert. Die Lücke wird so in ihrer Konstruktion sichtbar. Es fehlen aber nicht nur exempla wie Triumphbögen und der Palast. Zudem werden die vorhandenen exempla durch gezielte Zusatzinformationen negativ bewertet. Die Behauptung, dass Domitian beim Wiederaufbau von Gebäuden, die dem Feuer zum Opfer gefallen waren, die memoria an die ursprünglichen Bauherren getilgt habe, indem er nur seinen eigenen Namen den Bauten habe aufprägen lassen (sed omnia sub titulo tantum suo ac sine ulla pristini auctoris memoria),52 lässt Domitian als Vernichter von Erinnerung, der sich Fremdes anmaßt, erscheinen. Die beiden Techniken der negativen Zusatzinformation und der Auslassung von potentiell positiven exempla führen so dazu, dass die Rubrik ‚Bauten‘ inhaltlich nicht wirklich unter Domitians positive Leistungen gerechnet werden kann, auch wenn der Text durch seine Gliederung zu dieser Lesart anleitet.53 Der aufmerksame Leser kann zu einer Wertung gelangen, die negativer ist, als die Rubrik und ihre Positionierung erwarten lassen würden. Ähnlich funktionieren zwei andere Themen, die bei Sueton oberflächlich unter den positiven Taten Domitians gelistet werden, nämlich die Rubrik über Domitians militärische Leistungen (Suet. Dom. 6) und Domitians Beschluss über die Weinstöcke (Suet. Dom. 7). Bei den militärischen Taten fallen wie bei den städtebaulichen einige Elemente durch ihre Abwesenheit auf. Insbesondere das Fehlen der großen Domitianischen Triumphe von 83 und 86 ist markant.54 Zudem stehen die Ausführungen über Domitian als Feldherrn im Schatten der vorher getätigten Behauptung (Suet. Dom. 2.1), Domitian habe sich – zumindest früher in seiner Karriere – in seinem militärischen Ehrgeiz vom Wetteifer mit Titus leiten lassen und nicht von der Notwendigkeit der militärischen Operationen. Auch hier färben Zusatzinformationen und Auslassungen eine als positiv bezeichnete Rubrik negativ. Dass eine Zusatzinformation auch später nachgereicht und dann eine gute Leistung schwächen kann, zeigt das Beispiel des Ediktes über die Weinstöcke, das zwei Mal erwähnt wird. Zunächst unter den positiven Maßnahmen Domitians aufgeführt (Suet. Dom. 7.2), irritiert bereits die nicht weiter ausgeführte Aussage, dass der Beschluss, den Weinanbau deutlich zu beschränken, nicht umgesetzt wurde (nec exequi rem perseveravit). Auf die Begründung hierfür wartet man bis zu einer Stelle, die bereits Domitians vitia und seine zunehmende Furcht bespricht.55 In Suet. Dom. 14.2 erfahren wir, dass 52 Epigraphisch nachweisen lässt sich diese Behauptung nicht. Vgl. Jones (1996), 51, der auf die überlieferte Formel Domitianus […] restituit verweist. Tatsächlich maßt sich Domitian in dieser Formulierung nicht die Bauherrschaft des ursprünglichen Gebäudes an. Aber die Fokussierung auf die Restauration durch den Kaiser lässt den Originalbauherrn deutlich in den Hintergrund rücken. 53 Zur Schwächung von Domitians Leistung bei Sueton vgl. Bradley (1991), 372–378. 54 Vgl. Jones (1996), 53 zu dieser Stelle. 55 Vgl. Gascou (1984), 373.
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Domitian sein Edikt habe zurückziehen lassen aus Angst vor einem Gedicht, in dem auf ihn als Wein fressenden Bock angespielt worden sein soll, der Bacchus geopfert werde.56 Komplementär zu oberflächlich positiven Beispielen und Rubriken gibt es exempla, die eine Handlung als negativ qualifizieren sollen, aber bei genauerem Hinsehen nicht dazu dienen. So sind die Beispiele, die Sueton für Domitians zügellose Wollust anführt (Suet. Dom. 22), für einen Tyrannen geradezu harmlos.57 Noch unpassender scheint es, dass Domitian negativ ausgelegt wird, dass seine Gastmähler nicht lange dauerten und es danach keine Umzüge gab (Suet. Dom. 21). An anderen Kaisern wird maßloses Verhalten bei Gastmählern kritisiert.58 Dass Domitian maßvoll ist, wird ihm aber nicht als Lob angerechnet,59 sondern in Zusammenhang mit seinem Wunsch nach Einsamkeit gebracht.60 Weitere Beispiele dieser Art finden wir am Anfang der bereits erwähnten Rubrik arrogantia (Suet. Dom. 12.3–13). Auffällig ist zunächst, dass diese Rubrik mit einem Beispiel aus der Jugend (ab iuventa) beginnt, denn der Gliederung des Textes nach erwartet der Leser ab der oben erwähnten divisio in Suet. Dom. 10.1 eigentlich nur noch Charakterfehler nach 81 n. Chr. Die Behauptung, dass Domitian dreist und maßlos in Wort und Tat gewesen sei (confidens etiam et cum verbis tum rebus immodicus), soll offenbar durch frühes Fehlverhalten plausibilisiert werden. Die Rubrik der arrogantia wird so angefüllt und der Charakterfehler erscheint als ein früher und kontinuierlicher. Ob allerdings das Beispiel, das Sueton hier als erstes anführt, dieses arrogante Verhalten nachweist, ist fraglich: Caenis, die Geliebte Vespasians, kehrt aus Istrien zurück, erhält aber von Domitian zur Begrüßung keinen Kuss, sondern nur die Hand hingestreckt. Schließlich kann man es kaum als besonders dreist und maßlos bezeichnen, wenn die Konkubine des Vaters keinen Kuss bekommt. Erst durch die Zusatzinformation, dass Domitian vorher gewöhnlich so gehandelt habe (ut assuerat), wird dieses Verhalten, indem es als Abweichung vom Üblichen dargestellt wird, zu einem negativen kodiert.61 Auch das Beispiel, das Sueton für Domitians arrogantia nach Erlangen des Prinzipats angibt, hätte durchaus anders interpretiert werden können. Sueton referiert hier eine Aussage Domitians, die seine Göttlichkeit impliziert (Suet. Dom. 13.1). Wie Sue56 Zu den Einzelheiten des wohl eher moralisch als ökonomisch motivierten Edikts vgl. Jones (1996), 64– 65. 57 Vgl. die Übersicht bei Krenkel (1980), 66–70 über die sexuellen Vergehen von Kaisern bei Sueton. Zu den wohl unwahren Vorwürfen bezüglich des Inzests mit seiner Nichte Julia und der erzwungenen Abtreibung vgl. Jones (1996), 151. 58 Sueton tadelt bei Tiberius als erstes unter dessen vitia seinen übermäßigen Weingenuss (Suet. Tib. 42.1; vgl. Suet. Tib. 72.3). Zur Völlerei neigen Claudius (Suet. Claud. 33.1), Galba (Suet. Galba 22) und vor allem Vitellius (Suet. Vit. 13). Marcus Antonius dehnt an Kleopatras Seite seine Gastmähler bis zum ersten Morgenlicht aus (Suet. Iul. 52.1). Vgl. Charles (2002), 39. Zu Domitians comissationes vgl. auch Jones (2002), 238–239. 59 Nicht ausschweifende Gastmähler werden hingegen an Titus sogar an erster Stelle seiner virtutes als Kaiser gelobt (Suet. Tit. 7.2). 60 Potentielle Kritik wird bei Augustus entschärft. Er kommt zwar zu seinen Gastmählern später und geht früher, zeigt sich dafür aber währenddessen als äußerst gesellig (Suet. Aug. 74). Zum Zusammenhang von Domitians Wunsch nach Einsamkeit und seiner Darstellung als Tyrann vgl. Hulls (2014), 184. 61 Zudem nahm Caenis nach Suet. Vesp. 3 fast den Rang einer rechtmäßigen Ehefrau Vespasians ein.
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tons Domitian tätigt auch Suetons Vespasian eine Aussage über seine eigene Göttlichkeit. Immer wenn er krank wurde, soll er gesagt haben: „Ich glaube, ich werde ein Gott“ (Suet. Vesp. 23.4). In der Vespasian-Vita ist diese Aussage aber in der Rubrik ‚Humor‘ (dicacitas/ioci) platziert. So stellt Sueton ihre Lesart sicher.62 Wir interpretieren sie nämlich als bewusst ironische Aussage eines Kaisers, der für seinen Witz bekannt war.63 Domitians Spruch, er habe seine Frau auf sein Götterpolster zurückgerufen, könnten wir in einer solchen Rubrik ebenso interpretieren. In Suet. Dom. 20–21, wo bemerkenswerte Aussprüche von Domitian gesammelt werden, hätte sie durchaus auch gepasst. Sie findet sich aber eben unter arrogantia direkt vor der Behauptung, man habe ihn und seine Frau im Amphitheater als dominus und domina angeredet (Suet. Dom. 13.1) und er selbst habe sich dominus et deus nennen lassen (Suet. Dom. 13.2). Wenn hier ein vergleichbarer Sprechakt einmal als dicacitas und einmal als arrogantia semantisiert wird, folgt Sueton der rhetorischen Regel, parteiisch günstige Worte für den auszudrückenden Sachverhalt zu wählen.64 Sie erscheinen bei ihm als Rubriken. Der Vergleich zwischen den Einordnungen und damit vollzogenen Bewertungen der beiden Aussagen von Vespasian und Domitian über ihre Göttlichkeit zeigt, dass die Lesart eines exemplum maßgeblich vom Kontext der Rubrik abhängt, in dem es präsentiert wird. Das wiederum bedeutet aber, dass wir es mit einem rhetorisch-deduktiven Beweisverfahren zu tun haben. Man liest die exempla in z. B. der Rubrik ‚Humor‘ oder ‚arrogantia‘ als exempla von Humor oder arrogantia, eben weil sie unter ‚Humor‘ oder ‚arrogantia‘ stehen. Das Beispiel demonstriert dann nur, was mit Nennung der Rubrik (‚Vespasian hatte Humor‘/‚Domitian war anmaßend‘) schon feststeht. Wenn man den Text aber kritisch liest, misslingt die Induktion. Ein exemplum steht zwar unter ‚arrogantia‘, erweist sich aber nicht als exemplum dafür. Daher muss die Aussage ‚Domitian war anmaßend‘ – zumindest wenn man von diesem Beispiel ausgeht – angezweifelt werden. Anders gesagt: Wir können affirmativ das exemplum als deduktives Belegbeispiel65 für die These, die sich in der Rubrik ausdrückt, lesen. Wenn wir es als induktives Ausgangsbeispiel verstehen, von dem aus wir erst auf die Aussage der Rubrik schließen, so kann genau diese Induktion misslingen, indem wir nicht die Aussage aus dem Beispiel ableiten, die die Struktur des Textes erwarten lassen würde. Das exemplum ist damit in seiner Beweisart und Beweiskraft viel unklarer als erwartet. Es entpuppt sich als Kipp-Phänomen, dessen Bewertung durch den Leser durchaus offen ist.66 Oberflächlich hat es bei Sueton stets eine Bestätigungsfunktion. Aber eine Schicht tiefer kann es eine Falsifika-
62 Eine negative Lesart wäre auch hier denkbar. Zur Möglichkeit, dass die Aussage Vespasian in böswilliger Absicht von seinen Gegnern zugeschrieben wurde vgl. Milns (2010), 121. 63 Zu Vespasians Humor vgl. Luke (2009–2010), der zeigt, wie Sueton die Beschreibung von Vespasians Humor dazu nutzt, ihn mit Nero zu kontrastieren (Suet. Vesp. 8), und darüber hinaus u. a. anhand des Humors als Princeps zu inszenieren, der unerwartet zur Macht kam. 64 Siehe dazu oben. Diese Offenheit gilt auch für historische exempla, vgl. Shuttleworth Kraus (2005), 197 („the flexible, negotiable rhetorical device that is the exemplum“); Langlands (2014), 112, 127. 65 Hier folge ich in der Terminologie Willer/Ruchatz/Pethes (2007), siehe v. a. 27 (zu Belegbeispiel und deduktiver Demonstration); 32 (zur grundsätzlichen Paradoxie des Ausgangsbeispiels). 66 Vgl. Möller (2015), 82–83 allgemein zur Deutungsoffenheit und open closure der exempla.
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tionspotenz entfalten, die es nicht sofort zu erkennen gibt. Ob man sie bemerkt oder nicht, hängt von der grundsätzlichen Lesart ab. 6. Kontrolle der Lesart Die Lesart eines exemplum ist also nicht unbedingt klar fixiert und seine Bewertung durch den Leser prinzipiell offen. Hierfür hat Sueton offenbar ein Bewusstsein. Bei bestimmten exempla, die in einer präferierten Lesart rezipiert werden sollen, finden wir nämlich explizite Hinweise des Erzählers darauf, wie diese exempla semantisiert sein sollen. In der Vespasian-Vita wird ein solches Verfahren an zwei entscheidenden Stellen angewandt, nämlich im Zusammenhang mit der Ermordung des Helvidius Priscus (Suet. Vesp. 15)67 und im Zusammenhang mit dem Vorwurf, Vespasian sei geldgierig und geizig gewesen (Suet. Vesp. 16–19). Die Hinrichtung des Helvidius Priscus, des Schwiegersohns von Thrasea Paetus, unter Vespasian steht dem positiven Bild, das Sueton von Vespasian insgesamt vermittelt, im Weg. Sie scheint auch zunächst schwierig in den Abschnitt zu integrieren zu sein, in dem sie erwähnt wird, nämlich in den Zusammenhang mit Vespasians lenitas und der Behauptung, dass kaum jemand ohne Schuld bestraft worden sei (Suet. Vesp. 15). Eigentlich deutet alles darauf hin, dass Vespasians Hinrichtung des Helvidius Priscus ein Gegenbeispiel für Vespasians lenitas ist und Suetons hohe Wertschätzung dieses Kaisers unterläuft. Der Text unternimmt daher einige Strategien, das potentielle Gegenbeispiel68 doch für die Hauptaussage der Stelle zu nutzen. Es wird gerade nicht verschwiegen, sondern genannt und für die eigene Sache umkodiert, als vereinbar mit Vespasians Milde dargestellt. Denn zunächst wird betont, dass sich Helvidius Priscus einige Dinge gegen Vespasian herausnehmen durfte, bevor dieser gegen ihn vorging. Helvidius Priscus spricht laut Sueton den Kaiser nur mit seinem Namen und ohne Titel an, er übergeht ihn in seinen Edikten als Prätor, erwähnt ihn nicht ehrenvoll (sine honore ac mentione ulla). All das aber erträgt Suetons Vespasian noch. Der Wendepunkt – sprachlich deutlich durch non ante […] quam markiert – tritt erst ein, als Helvidius Priscus in außergewöhnlich dreisten Wortwechseln (altercationibus insolentissimis) Vespasian in seine Schranken verweist. Nachdem offenbar der Entschluss gefasst war, Helvidius Priscus zu verbannen und umzubringen, habe Vespasian noch Leute ausgesandt, die die Hinrichtung verhindern sollten. Suetons Vespasian wird also als reumütig charakterisiert; er ist selbst mit seiner Entscheidung nicht mehr einverstanden. Er hätte Helvidius Priscus noch gerettet (et servasset), aber die Nachricht von seinem Tod kommt zu früh. Denn Vespasian, der fälschlicherweise in dem Glauben ist, Helvidius Priscus sei bereits tot, kann nichts mehr gegen die Ermordung unternehmen. So erscheint der Tod des Helvidius Priscus im Text als teilweise selbstverschuldet und als 67 Zu dieser Passage und Helvidius Priscus bei anderen Autoren vgl. Gascou (1984), 328–332, der hier Vespasians eigene Memoiren für Suetons Quelle hält. 68 Vgl. das positive Helvidius Priscus-Bild bei Tacitus (Tac. hist. 4.5–6), auf das Sueton womöglich reagiert. Die Bedeutung des exemplum des Helvidius Priscus wird noch diskursiv ausgehandelt.
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Kette unglücklicher Umstände. Noch weitere Schuld wird von Vespasian genommen, indem eine allgemeine Aussage über Vespasians Einstellung zu Hinrichtungen hinzugefügt wird. Er habe sich nie über Hinrichtungen gefreut, lesen wir. Selbst wenn sie zu Recht erfolgt seien, habe er dabei geweint und geseufzt. Eine noch stärkere Umbewertung nimmt Sueton in Hinblick auf Vespasians Geldgier vor (Suet. Vesp. 16–19).69 Die pecuniae cupiditas war offenbar der einzig mögliche Vorwurf gegen den ersten flavischen Kaiser.70 Der Abschnitt, den Sueton dem Thema widmet, läuft aber darauf hinaus, dass es sich gar nicht um ein echtes vitium handle.71 Dabei lässt sich eine eindeutige Entwicklung und Umkodierung des Motivs Geldgier in diesem Abschnitt feststellen. Zu Beginn steht die Feststellung, die Geldgier sei das einzige, was man Vespasian zu recht vorwerfe: Sola est, in qua merito culpetur, pecuniae cupiditas (Suet. Vesp. 16.1). Zum Beweis werden mehrere Verhaltensweisen angeführt sowie die Bemerkung einiger Leute, es handle sich dabei um eine natürliche Veranlagung Vespasians (Suet. Vesp. 16.1–3). Dieser Aussage wird aber sogleich eine Gegenbehauptung gegenübergestellt (sunt contra qui opinentur): Vespasian sei aufgrund der hohen und dringenden Ausgaben der Staatskasse und der Flaute in der kaiserlichen Privatkasse zu diesen Handlungen gezwungen worden (Suet. Vesp. 16.3).72 Die Beispiele, die für seine pecuniae cupiditas angeführt werden, sind also, so der Text, in Wirklichkeit als Beispiele für eine notwendige Finanzpolitik zu lesen. Die beiden Positionen werden abgewogen mit dem Ergebnis, dass die zweite die wahrscheinlichere ist: quod veri similius videtur (Suet. Vesp. 16.3). Der Gedanke setzt jetzt neu an. Während bislang gezeigt wurde, dass Vespasians Sparmaßnahmen nicht Ergebnis seiner Geldgier, sondern der politischen Lage sind, werden nun sogar Beispiele für seine Großzügigkeit aufgeboten. Zahlreiche exempla für den liberalissimus gegenüber allen sozialen Gruppen werden genannt (Suet. Vesp. 17–19.1). Dennoch habe sich auch durch ein solches freigiebiges Verhalten der alte, üble Ruf der Gier gehalten: et tamen ne sic quidem pristina cupiditatis infamia caruit (Suet. Vesp. 19.1). Aus dem einzig mit Recht verdienten Vorwurf der Geldgier (Suet. Vesp. 16.1) ist also im Textverlauf eine alte, üble Nachrede geworden. Um die Behauptung, es handle sich nur um infamia, zu belegen, werden abschließend wiederum Beispiele für sie genannt (Suet. Vesp. 19.2). Nur eine Stelle in den Flavierviten (und den Kaiserviten insgesamt) ist noch expliziter, was die Bewertung scheinbarer Fehler anbelangt. Sie findet sich bezeichnenderweise in der Vita des von Sueton am höchsten geschätzten Princeps Titus. Zu Beginn seiner kurzen Lebensbeschreibung wird Titus als amor ac deliciae generis humani (Suet. Tit. 1.1)
69 Bereits in Suet. Vesp. 4.3 wird Vespasian allerdings als jemand geschildert, der nicht habgierig ist. 70 Vgl. mit Jones (2000), 91–93 z. B. Tac. hist. 2.5; Plin. paneg. 41.3. 71 Siehe ähnlich Graf (1937), 95–101. Anders ist die Interpretation von Murphy (1991), 3783, der hier keine Umwertung der Habgier Vespasians erkennt. Die positive Wertung von Vespasians Umgang mit den Staatsfinanzen sei lediglich in den Kontext ‚Habgier‘ eingebettet: „But even Suetonius, while criticizing some of Vespasian’s methods, does have to concede that Vespasian used the funds responsibly for the common good.“ Auch Krüpe (2007), 72 Anm. 85 liest hier „bei aller kritischen Wertschätzung eine beißende Verurteilung“. 72 Quintilian (Quint. inst. 4.2.77) empfiehlt, dem Vorwurf der Habgier (avaritia) mit einer Auslegung als Sparsamkeit (parsimonia) entgegenzutreten.
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eingeführt.73 Diese frühe klare Bewertung gibt die Lesart des Restes der Vita vor. Nach Geburt und Erziehung (Suet. Tit. 1–2) werden – sehr früh im Vergleich zu anderen Viten – die körperlichen und geistigen Vorzüge des Titus geschildert (Suet. Tit. 3). Es folgt eine chronologische Partie über die Karriere bis zum Prinzipat (Suet. Tit. 4–6), dann kommen vitia (Suet. Tit. 7.1) und virtutes bzw. positive Handlungen (Suet. Tit. 7.2–9) vor der Schilderung des Todes und der Reaktion auf den Tod (Suet. Tit. 10–11). In den Paragraphen 6 und 7.1 finden sich kritische Aussagen und exempla für Titus’ incivilitas, saevitia, luxuria, seine libido und Liebe zu Berenike und seine rapacitas. Auch dass man ihn als alius Nero bezeichnete, bleibt nicht unerwähnt und bildet den zusammenfassenden Höhepunkt der Reihung (Suet. Tit. 7.1). Die Fehler des Titus werden also nicht unterdrückt oder verschwiegen. Unvermittelt wird dann behauptet, dass dieser schlechte Ruf sich zum Guten gewandt habe, ja sogar in größtes Lob verwandelt wurde, man keinen Fehler gefunden habe, sondern im Gegenteil nur die besten Tugenden: at illi ea fama pro bono cessit conversaque est in maximas laudes, neque vitio ullo reperto et contra virtutibus summis (Suet. Tit. 7.1). Der Text gibt uns an dieser Stelle, die von Titus dem Privatmann zu Titus dem Kaiser überleitet, klar – aber ohne Begründung – vor, wie wir die Charakterfehler des Titus lesen sollen, nämlich als Fehler der Privatperson Titus, die dieser mit dem Antritt des Kaiseramtes ablegte.74 Gegenläufig zu seinem Bruder Domitian, der auch nach Regierungsantritt schlecht war (Suet. Dom. 1.3), wird bei Titus die Übernahme des Amtes zum Wendepunkt in seinem Verhalten. Um dies zu bekräftigen, werden im Folgenden effektvoll den früheren Charakterfehlern die entsprechenden Tugenden gegenübergestellt. Statt luxuria (Suet. Tit. 7.1) lesen wir jetzt von maßvollen Gastmählern (Suet. Tit. 7.2). Berenike, der er die Hochzeit versprochen haben soll (Suet. Tit. 7.1), wird aus Rom verwiesen (Suet. Tit. 7.2).75 Statt rapacitas (Suet. Tit. 7.1) finden wir Beispiele für munificentia und benivolentia (Suet. Tit. 7.3–8.1). An die Stelle der incivilitas (Suet. Tit. 6.1) treten comitas und popularitas (Suet. Tit. 8.2). 7. Zusammenfassung: Manipulative Darstellungstechniken In Suetons Text und seinen exempla zeigen sich somit einige Wirkungsstrategien, die sich rhetorischen Verfahren und Funktionen zuordnen lassen können. Auf der Ebene der inventio, der inhaltlichen oder ‚faktischen‘ Ebene sehen wir, wie das exemplum als induktiv-deduktive Mischform als Mittel zur Plausibilisierung eingesetzt wird. Da die 73 Besonders in dieser Vita ist die Nähe zur Panegyrik spürbar, vgl. Luck (1964), 64; Konstan (2009), 448. 74 Zur fehlenden Erklärung dieser Veränderung in Titus’ Verhalten vgl. Luck (1964), 64–65, der (für diesen Teil der Biographie) zu recht eine „merkwürdige Ambivalenz des Titusbildes“ (75) feststellt, und Konstan (2009), 457. Zur Ambiguität des Titus-Bildes (und Ähnlichkeit des Suetonischen Titus zum Suetonischen Augustus) vgl. auch Tatum (2014), 171, 174–177. Die Zweiteilung in ausschweifende Jugend und maßvolles Kaiseramt des Titus unternimmt auch Tacitus: laetam voluptatibus adulescentiam egit, suo quam patris imperio moderatior (Tac. hist. 2.2.1). 75 Zu Titus und Berenike vgl. Wesch-Klein (2005), 168, die bemerkt, dass bei Sueton Titus’ Trennung von Berenike anders als bei Cassius Dio direkt nach Titus’ Amtsantritt im Text erwähnt wird. So kann Sueton jedem Laster die entsprechende Tugend direkt gegenüberstellen.
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Rubriken und das Wissen, das die exempla über den Charakter der Kaiser vermitteln sollen, feststehen und die exempla dieses Wissen illustrativ abbilden, haben sie einerseits eine rhetorisch-deduktive Komponente. Andererseits ergibt sich die Rubrik aber erst induktiv aus den exemplarischen Einzelfällen, die das entscheidende Beweismaterial zusammenstellen.76 Sueton verwendet für seine exempla der Rhetoriktheorie entsprechend dicta und facta zum Nachweis eines bestimmten Charakters. Die Nähe zur narratio-Theorie der Rhetorik ist in den inhaltlichen Freiheiten, die sich Sueton erlaubt, spürbar. Dabei ist die Faktizität der Ereignisse nicht das Entscheidende. Erzählt wird in der Rhetorik wie bei Sueton vor allem quasi-historisch, d. h. wie sich etwas zugetragen haben kann, bzw. etwas, als ob es sich so ereignet habe. Neben der Auslassung von Informationen (die auch als exempla hätten verwendet werden können) wird das ‚Faktische‘ oft durch Hinzufügungen, die die Information anders bewerten, umkodiert. Auch in der Reihenfolge und Gliederung des Berichteten kann eine besondere Kodierung liegen, insbesondere wenn die Chronologie bewusst manipuliert wird. Die grundsätzlich klare Gliederung erzeugt Deutlichkeit und vermittelt den Eindruck von Vollständigkeit und Glaubwürdigkeit. Sie unterstützt die Steigerungseffekte, die inhaltlich und sprachlich erzeugt werden und steuert somit ihren Teil zur Wirkung bei. Zwei Dinge müssen mit Bezug auf die Inhalte der exempla noch einmal betont werden, weil sie ihren Ausgang zwar von der Rhetoriktheorie nehmen, sich aber von der Verwendung von exempla in einer Rede unterscheiden. So ist die rhetorische Topik insofern neutral, als die einzelnen loci dem Redner zur Gewinnung entweder lobender oder kritischer Punkte dienen können. Die rhetorische Lehre ist zwar auf die laudatio ausgerichtet. Aber es findet sich stets der Verweis, dass durch Umkehrung der Vorzeichen auch Argumente zum Tadel aus denselben Fundstellen gewonnen werden können. Das Besondere bei Sueton ist nun, dass er sich nicht immer für eine der beiden Seiten entscheidet.77 Ein Themenkomplex oder ein Ereignis kann ihm als Grund für sowohl Lob als auch Tadel dienen und für beides aufgeführt werden. Dabei ist zu unterscheiden, ob ein- und dasselbe Ereignis sowohl zu Lob als auch zu Tadel führt (wie im Fall von Suet. Dom. 4, 5, 7.3 im Unterschied zu Suet. Dom. 12.1) oder ob ein rhetorischer locus – mit Referenz auf unterschiedliche Ereignisse – sowohl zur Gewinnung von Lob als auch zur Gewinnung von Tadel genutzt wird. Wenn Letzteres der Fall ist, erfüllen die je gewonnenen, unterschiedlichen Argumente eine Kontrastfunktion. So wird der locus ‚Kommunikation mit dem Volk‘ in Suet. Dom. 4 positiv ausgestaltet. Das Volk erhält hier von Suetons Domitian die Möglichkeit, selbst Gladiatorenpaare auszuwählen und zu fordern. In starkem Kontrast dazu steht der berühmte Schweigebefehl Domitians in Suet. Dom. 13 unter dem Stichwort arrogantia. Hier wird Domitian gezeigt, wie er auf extreme Weise die Kommunikation mit dem Volk unterbindet. Auch der locus ‚Umgang mit Erbschaften‘ wird einmal positiv in Suet. Dom. 9 76 Willer/Ruchatz/Pethes (2007), 32 fassen dies als „eigentümliche Paradoxie“ des induktiven Ausgangsbeispiels treffend zusammen: „Das Wissen über das Allgemeine wird über ein Besonderes konstituiert, das streng genommen noch nichts von jenem Allgemeinen ahnen dürfte.“ Zur Verknüpfung von Induktion und Deduktion schon in Aristoteles’ Beispielbegriff vgl. Klein (1992), 1433. 77 Vgl. Wallace-Hadrill (1983), 149 über Sueton im Vergleich zum Panegyriker und Autor einer Invektive allgemein.
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als Beispiel für Domitians virtus, einmal negativ in Suet. Dom. 12.1–2 als Beispiel für Domitians vitium der cupiditas verwendet. Diese Anführung beider argumentativer Seiten ist aber kein Ausdruck von Suetons Objektivität in einem naiven Sinne. Denn die Zusammenstellung so gut vergleichbarer Informationen fordert zu einer Wertung auf.78 Dabei kann – und dies ist der zweite Punkt, der besondere Beachtung verdient – das exemplum zwischen Lob und Tadel auch je nach präferierter Lesart oszillieren und so eine disparate Funktion erfüllen. Epistemologisch gewendet lässt sich sagen, dass das Beispiel alleine kein sicheres Wissen produziert.79 Als Element aus einem als kontinuierlich gedachten Ereignis- und Erzählzusammenhang genommen, ist es zunächst ein dekontextualisiertes Fragment, das durch die Zuordnung in eine Rubrik rekontextualisiert wird. Die Rubrik bildet den Kontext des Beispiels. Dies führt aber zu der Offenheit, dass ein exemplum als Beispiel in einer Rubrik für eine bestimmte Tugend oder ein bestimmtes Laster bei genauer Lektüre manchmal gar nicht in diese Rubrik passt. Die Falsifikationspotenz des Beispiels scheint in solchen Fällen nur durch den Kontext eingedämmt. Je nachdem, ob man die Beispiele der Rubrik bestätigend als Belegbeispiele lesen will, oder ob man die Beispiele eben nicht als Belege für die Rubrik, in der sie stehen, akzeptiert, nimmt das Beispiel eine andere Rolle im Argumentationsprozess ein. Bibliographie Abramenko, A. (1994): Zeitkritik bei Sueton. Zur Datierung der Vitae Caesarum, in: Hermes 122, 80–94. Alewell, K. (1913): Über das rhetorische PARADEIGMA. Theorie, Beispielsammlungen, Verwendung in der römischen Literatur der Kaiserzeit, Leipzig. Baldwin, B. (1983): Suetonius, Amsterdam. Barton, T. (1994): The inventio of Nero. Suetonius, in: Elsner, J. / Masters, J. (edd.): Reflections of Nero: Culture, History, and Representation, Chapel Hill (NC), 48–63. Bradley, K. R. (1991): The Imperial Ideal in Suetonius’ Caesars, in: ANRW II 33.5, 3701–3732. Charles, M. B. (2002): Calvus Nero. Domitian and the Mechanics of Predecessor Denigration, in: AClass 45, 19–49. Charles, M. B. (2006): Domitianus 1.1. Nerva and Domitian, in: AClass 49, 79–87. Chiron, P. (2002): Pseudo-Aristote. Rhétorique à Alexandre. Texte établi et traduit, Paris. Cizek, E. (1977): Structures et idéologie dans Les vies de douze Césars de Suétone, Paris. d’ Anna, G. (1954): L’idea letterarie di Suetonio, Florenz. Döpp, S. (1972): Zum Aufbau der Tiberius-Vita Suetons, in: Hermes 100, 444–460. Ektor, J. (1980): L’impassibilité et l’objectivité de Suétone, in: LEC 48, 317–326. Fein, S. (1994): Die Beziehungen der Kaiser Trajan und Hadrian zu den litterati, Stuttgart/Leipzig. Flach, D. (1972): Zum Quellenwert der Kaiserbiographien Suetons, in: Gymnasium 79, 273–289. Funaioli, G. (1931): C. Suetonius Tranquillus, in: RE II, 4.1, 593–641.
78 Vgl. Lewis 1991, 3653: „His ‚objectivity‘, if such it is, consists in readiness to include evidence, when available, for both ‚prosecution‘ and ‚defence‘, as it were, but the quasi-judicial setting remains, and with it the incitation – indeed, the necessity – to evaluate“. 79 Cizek (1977), 160–165 liest Suetons Verweigerung absoluter Sicherheiten und Bevorzugung von wahrscheinlichen Aussagen im Zusammenhang mit der Philosophie der Neuen Akademie.
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Tacitus und die Macht der Nerobilder Christoph Kugelmeier
Unser Bild von den römischen Kaisern des 1. Jh. n. Chr. dürfen wir nur mit größter Vorsicht entwerfen. Die populäre Wahrnehmung dieser Epoche sieht einen Caligula oder einen Nero als wahre Bestien in Menschengestalt; dies gilt um so mehr, wenn dieser Blick auch noch weiter getrübt ist durch neuzeitliche Zerrbilder des Films und der historischen Romanliteratur. Aber auch die Macht, welche die von den despotischen principes jener Epoche entworfenen Bilder ausüben, die Tacitus oder Sueton der Nachwelt hinterlassen haben, sollte trotz jahrhundertelanger kritischer Untersuchung und teilweiser Revision nach wie vor nicht unterschätzt werden. Bei der Durchsicht so manchen Schulbuchs findet man die genannten antiken Autoren immer noch in schöner Regelmäßigkeit als die Kronzeugen für angeblich feststehende historische Tatsachen genannt;1 der Zweifel, der doch in historischer und philologischer Forschungsliteratur seit geraumer Zeit immer wieder und auf so vielfältige Weise geäußert wird, vermag sich, diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls, noch immer nicht letztgültig Gehör zu verschaffen. Dabei hat sich längst herausgestellt, wie sehr Vorsicht am Platze wäre; denn es geht nicht allein um eine faire Beurteilung längst verstorbener Personen, sondern um viel mehr: ob nicht das Bild, das wir erhalten, einer geschickt angelegten Darstellungsstrategie entspringt, die wiederum im Dienste einer politisch-ideologischen oder einfach nur einer persönlichen Voreingenommenheit des Autors steht. Genauer gesagt sollte man heute nicht mehr die Frage in den Mittelpunkt stellen, ob man den Hauptquellen, Tacitus, Sueton und Cassius Dio, alles glauben darf, sondern vielmehr, warum man eigentlich immer noch das Gefühl hat, Geschichtsschreibern, die ihre Arbeit augenscheinlich so brillant erledigen, ihre Geschichte(n) abnehmen zu müssen, warum es also so schwer fällt, sich aus dem Bann einer gut geschriebenen Darstellung, die sich als Darstellung der Wirklichkeit ausgibt, zu befreien. Dies gilt vornehmlich für Tacitus, der ja weithin als der bedeutendste römische Historiker eingeschätzt wird. Bei Sueton ist die Reserve aufgrund der schieren Fülle des anekdotisch und offenkundig tendenziös 1
Neuere wissenschaftliche Darstellungen lassen zumindest größere Vorsicht erkennen; so heißt es etwa bei Christ (2009), 232: es gebe für Neros angebliche Schuld am Brand Roms „keinerlei Beweise, die Gerüchte dokumentieren lediglich, daß man Nero beides zutraute“ (das Legen des Brandes und das Gerücht, er habe vor der Kulisse der brennenden Stadt ein Gedicht auf den Fall Trojas vorgetragen). Huttner (2013), 286 betont den „mäßigenden Einfluss seiner Berater“, s. dazu freilich unten Anm. 12.
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aufbereiteten Materials von vornherein größer, und im Falle von Cassius Dios ganz negativer Schilderung der Regierungszeit Neros mahnt allein der zeitliche Abstand zu den berichteten Ereignissen zur Vorsicht.2 Neben diesen drei Hauptquellen wird ein wichtiger Gewährsmann zu oft vernachlässigt, bei dem es sich doch immerhin, anders als bei den übrigen, um einen Zeitzeugen handelt. Die Rede ist von dem jüdischen Politiker, Kommandeur und Historiker Flavius Josephus, der im Rahmen einer Gesandtschaft an den Kaiserhof mit der dem Jüdischen aufgeschlossenen Kaiserin Poppaea zusammentraf3 und nach dem Jüdischen Krieg ab 70 n. Chr. als Schützling der neuen flavischen Dynastie in Rom lebte und arbeitete. Josephus äußert sich an verstreuten Stellen seines Werks über Nero, zumeist kurz und mit negativer Tendenz, wie sie dem Zeitgeist der flavischen Epoche entsprach; immerhin aber setzt er sich in einem historiographischen Exkurs anläßlich der Erörterung von Neros Herrschaft kritisch mit eben den Geschichtsschreibern auseinander, die wohl die Vorlage für die uns erhaltenen ‚großen‘ Schilderungen bilden:4 „Denn Neros Geschichte haben viele geschrieben, von denen die einen aus Dankbarkeit für seine Gunsterweise die Wahrheit absichtlich verschleierten, die anderen aber aus Haß und Feindseligkeit ihn derart mit Lügen verfolgten, daß sie dafür Verurteilung verdienen“.
Schon oft wurde Tacitus’ Kompositionsprinzip in den Annalen treffend als ‚dramatisch‘ beschrieben. Dieser Effekt zeigt sich sehr schön gleich am Anfang der Nero-Bücher, zu Beginn des 13. Buchs, der durch einen politischen Mord „markant und bedeutungsschwanger als Beginn einer neu einsetzenden, dramatischen (tragischen) Entwicklung gekennzeichnet“5 wird:6 „Die erste Mordtat unter dem neuen Principat wurde an Iunius Silanus, dem Prokonsul von Asien, verübt, ohne Wissen Neros durch Agrippinas Hinterlist“. Sehr klar erkennt man schon in diesem ersten Satz die beiden ‚Leitmotive‘ des erbitterten Konflikts zwischen der ehrgeizigen Mutter (per dolum Agrippinae) und dem Sohn, den sie mit ihren Intrigen an die Herrschaft gebracht hat, ohne sein Zutun (ignaro Nerone). Im weiteren Verlauf der Darstellung werden Ehrgeiz und Gefährlichkeit der Kaiserinmutter immer wieder beschworen, während die immer aktivere Rolle Neros in Liebesdingen wie auch in politischer Hinsicht ihn aus seiner ‚Unwissenheit‘ allmählich herauswachsen lässt. Weitere dramatis personae lässt der Historiker im 13. und 14. Buch auftreten, namentlich Frauen, deren spannungsreiches Verhältnis untereinander, zum noch sehr jungen Kaiser und zu seiner Mutter Neros Beziehung zu Agrippina weiter
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Den neuesten Forschungsstand geben zu Sueton Pausch (2004) und Power/Gibson (2014). Ios. vita 16. Ios. Ant. Iud. 20.154: πολλοὶ γὰρ τὴν περὶ Νέρωνα συντετάχασιν ἱστορίαν, ὧν οἱ μὲν διὰ χάριν εὖ πεπονθότες ὑπ᾿ αὐτοῦ τῆς ἀληθείας ἠμέλησαν, οἱ δὲ διὰ μῖσος καὶ τὴν πρὸς αὐτὸν ἀπέχθειαν οὕτως ἀναιδῶς ἐνεπαρῴνησαν τοῖς ψεύσμασιν, ὡς ἀξίους αὐτοὺς εἶναι καταγνώσεως. Koestermann (1963–1968), a. l.; so auch Mendell (1935/1986), 460. Tac. ann. 13.1.1: prima novo principatu mors Iunii Silani proconsulis Asiae ignaro Nerone per dolum Agrippi nae paratur.
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kompliziert: Octavia, seine von ihm nicht geliebte Gattin,7 die Freigelassene Claudia Acte, Neros erste Liebe, die er auf Veranlassung Agrippinas aufgeben muss,8 die ihm jedoch auch nach seinem Sturz die Treue halten wird,9 und schließlich Poppaea, um deretwillen er mit seiner Mutter bricht. Doch zunächst ist es Agrippina, auf die sich der Fokus des Autors konzentriert. Der Konflikt zwischen Mutter und Sohn ballt sich in Tacitus’ Schilderung zu einer unerträglichen Spannung zusammen, die sich schließlich in einer mörderischen Explosion entlädt. Diese entscheidende Stelle im 14. Buch der Annalen soll nun etwas näher betrachtet werden – anstelle der öfters untersuchten dramatischen ‚Großstruktur‘ des Werks also einige Details, die als instruktive exempla für Tacitus’ dramatische Kompositionsweise dienen mögen. Mit dem Anfang des 14. Buches strebt die Darstellung ihrem Höhepunkt entgegen:10 „Nero schob das schon lange geplante Verbrechen nicht weiter auf […] täglich leidenschaftlicher wurde seine Liebe zu Poppaea, die auf eine Eheschließung für sich und seine Scheidung von Octavia zu Lebzeiten Agrippinas nicht hoffen konnte“.
Ein Mordanschlag auf Agrippina, der mittels einer präparierten Yacht im Golf von Neapel ausgeführt werden sollte, schlägt fehl.11 Doch Agrippina ist klar, dass sie jetzt kaum noch etwas tun kann, als das Ende abzuwarten. Und wirklich schickt Nero nach einer Beratung mit Seneca und dem Prätorianerpräfekten Burrus, die diesen letztlich erfolgreichen Mordplan absegnen,12 einen Trupp aus, der ihn endgültig ausführen soll. Dabei kommt es zu folgender Szene:13 „Der Zenturio zog schon sein Schwert, um ein Ende zu machen, da streckte sie ihm ihren Unterleib entgegen und rief aus: ‚Triff mich in den Bauch!‘“.
Des öfteren wurde bereits bemerkt, dass dieser Aufschrei Agrippinas eine Anklage gegen Nero bedeutet, den Sohn, den sie in ihrem Schoß (venter) getragen hat und der nun ihren Tod ins Werk setzt.14 Dio liefert später diese zusätzliche, verdeutlichende Begrün7 8 9 10
Die Heirat mit ihr hatte Agrippina aus dynastisch-politischen Gründen eingefädelt. Tac. ann. 13.13. Suet. Nero 50. Tac. ann. 14.1: diu meditatum scelus non ultra Nero distulit […] flagrantior in dies amore Poppaeae, quae sibi matrimonium et discidium Octaviae incolumi Agrippina haud sperans etc. 11 Tac. ann. 14.3–6; Taylor (2010), 208. 12 Tac. ann. 14.7. Senecas Rolle beim Tod Agrippinas wird bisweilen in düsterem Licht gesehen, vgl. Cass. Dio 61.12.1: καὶ αὐτὸν καὶ ὁ Σενέκας, ὡς πολλοῖς καὶ ἀξιοπίστοις ἀνδράσιν εἴρηται, παρώξυνεν, εἴτ᾽ οὖν τὸ ἔγκλημα τὸ καθ᾽ ἑαυτοῦ ἐπηλυγάσασθαι βουληθείς, εἴτε καὶ τὸν Νέρωνα ἐς μιαιφονίαν ἀνόσιον προαγαγεῖν ἐθελήσας, ἵν’ ὡς τάχιστα καὶ πρὸς θεῶν καὶ πρὸς ἀνθρώπων ἀπόληται. („Wie viele glaubwürdige Männer berichten, stachelte ihn auch Seneca an, sei es, daß er die Anschuldigung gegen sich [Heuchelei, Ehebruch, Geldgier, erhoben von seinem Gegner P. Suillius, vgl. Cass. Dio 61.10 und Tac. ann. 13.42; vgl. auch ann. 14.52] bemänteln, sei es, daß er Nero sogar zu frevelhafter Mordlust verführen wollte, um ihn von Göttern und von Menschen so schnell wie möglich zugrunderichten zu lassen“). 13 Tac. ann. 14.8.5: iam in mortem centurioni ferrum destringenti protendens uterum ‚ventrem feri‘ exclamavit. 14 Mit einer ähnlich pathetischen Geste schildert Tacitus die Folterung einer ligurischen Frau durch römische Bürgerkriegssoldaten, Tac. hist. 2.13.2: cum […] interrogarent, ubi filium occuleret, uterum ostendens latere respondit („als sie sie fragten, wo sie ihren Sohn versteckt halte, gab sie, auf ihren Leib zeigend, die Antwort: da sei sein Versteck“); s. dazu Rademacher (1975), 102: „Agrippina streckt ihren Leib dem
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dung sogar explizit: „Triff diesen [den Schoß], denn er hat Nero geboren“ (Cass. Dio 61.13.5: παῖε […] ταύτην […], ὅτε Νέρωνα ἔτεκεν). Eine andere Frage ist, ob wir hier tatsächlich Agrippinas authentische ‚letzte Worte‘ lesen15 oder ob die Stelle nicht aus dem angegebenen Grund, der Anklage gegen den mörderischen Sohn, von den Historikern hochdramatisch, aber eben fiktiv gestaltet wird. Man fühlt sich stark an entsprechende Szenen aus Tragödien Senecas erinnert. Im Oedipus ruft Iocasta verzweifelt aus:16 „Soll ich mir die Waffe in die Brust heften, oder soll ich sie mir in die Kehle stoßen, um sie darin zu bergen? […] Suche dir, meine Hand, diesen aufnahmefähigen Schoß, der meinen Gatten und meine Kinder getragen hat!“
Die Ähnlichkeit der Situation wie der Formulierung hat dazu geführt, dass man in dieser Schilderung Senecas zuweilen sogar eine Reaktion auf die bei Tacitus geschilderten Ereignisse erblicken wollte, mit dem willkommenen Nebeneffekt, damit zugleich einen Anhaltspunkt für die Datierung der Tragödien zu erhalten, in diesem Falle für den Oedipus einen terminus post quem nach dem Mord an Agrippina. Man hat ja immer wieder den Versuch unternommen, Senecas Tragödien als politischen oder doch jedenfalls moralischen Protest gegen Nero zu deuten17 und die teils monströsen Herrschergestalten, Centurionen entgegen: wenn sie dort das Schwert trifft, wird sinnbildlich auch ihre Leibesfrucht, Nero, getötet“. 15 Dies wird bisweilen unter Hinweis auf die Versiertheit der betreffenden hochgestellten Persönlichkeiten in rhetorischen τόποι angenommen (etwa von Tarrant [1995], 227–228 mit Anm. 54, kritisch dazu mit Recht Taylor [2010], 211; s. unten Anm. 23). Allgemein s. Guthke (1992). 16 Sen. Oed.1036–1039: Utrumne pectori infigam meo/telum an patenti conditum iugulo inprimam?/eligere ne scis vulnus: hunc, dextra, hunc pete/uterum capacem, qui virum et gnatos tulit. Ferri (2009) zu [Sen.] Oct. 371–372 vergleicht Iocastas Aufschrei Sen. Phoen. 447: hunc petite ventrem, qui dedit fratres viro („zielt auf diesen Bauch, der die Brüder dem Mann gegeben hat“); allerdings ist die Echtheit dieses Verses umstritten (s. Zwierlein [1986], a. l.); Taylor (2010), 210 zieht außerdem einige Stellen heran, an denen ebenfalls der ‚schuldige‘ Körperteil von der tödlichen Waffe getroffen werden soll: Phaedras letzte Worte Sen. Phaedr. 1197: mucrone pectus impium iusto patet („vom Dolch, der Gerechtigkeit übt, klafft meine frevelhafte Brust“), Tro. 1001 (Hecuba zu Pyrrhus): reclude ferro pectus („öffne die Brust mit dem Schwert“) und Herc. O. 1678–1679 (der tödlich versehrte Hercules zu Alcmena): nefas est ubera atque uterum tibi/ laniare, qui me genuit („es ist ein Frevel, dir die Brüste und den Schoß zu zerfleischen, der mich geboren hat“). Er resümiert: „The last words of Agrippina therefore represent a richly allusive as well as dramatic climax in the Octavia, one that invites the audience to remember mothers and matricides from tragedy, and which, through association with the Oedipus myth in particular, even hints at the rumors of incest between herself and Nero“. 17 Calder (1976); Calder (1983); Bishop (1978), 293–294 und 299 („The play […] calls for revolution“); ds. (1985); Lefèvre (1990); Schubert (1998), 205–206 und 209; Grewe (2001); eine psychologisierende Deutung zu den möglichen Bezügen zwischen Nero und Oedipus bei Champlin (2003), 101–103. Senecas Einfluss auf die römische Politik wird für die Zeit, in der seine Autorität noch ausreichte, im allgemeinen positiv bewertet. Der junge Kaiser war offenbar in dieser Zeit noch in einem Maße zu lenken, das dem römischen Staat guttat. Eine Darstellung seiner Person als Monster und bedenkenloser Despot im Stile eines Atreus kann also zumindest für diese Phase wohl kaum zutreffen. Dann müsste der Philosoph sein eigenes Wirken auf das Schärfste mitverurteilt haben. In ähnlicher Weise lässt sich von all den Anspielungen auf Nero, die man in Senecas Prosawerk (außer De clementia) hat sehen wollen, nur Sen. benef. 7.20.3 als Seitenhieb auf Nero verstehen: si pro magno petet munere artifices scaenae et scorta et quae feritatem eius emolliant, libens offeram. cui triremes et aeratas non mitterem, lusorias et cubiculatas et alia ludibria regum in mari lascivientium mittam („wenn er statt eines großen Geschenks Bühnenkünstler verlangt, leichte
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die er in seinen Dramen ihr Unwesen treiben lässt, schlankerhand als Chiffren für den Kaiser aufzufassen. Freilich ist man bei der immer wieder versuchten Gleichsetzung eines Atreus oder Oedipus mit Nero bis heute nicht über Spekulationen und die allgemeine Feststellung hinausgelangt, in allen diesen Fällen, den legendären wie dem realen, handle es sich schließlich um Tyrannen und Psychopathen.18 Aber es ist ohnehin ganz deutlich, dass sich die Gemeinsamkeiten beider Stellen im Oberflächlichen erschöpfen. Denn auch beim schlechtesten Willen steht die Annahme einer Ähnlichkeit zwischen Nero und Oedipus, dem schuldlos schuldig Gewordenen, auf denkbar schwachem Fundament, selbst wenn man Oedipus’ Tragik nur oberflächlich als eine Reihe monströser, die Naturgesetze umstoßender ‚Verbrechen‘ betrachtet und damit zumindest eine der gängigen Beschuldigungen gegen den Kaiser, er habe nämlich Inzest mit seiner Mutter begangen, ernst nimmt.19 Dies alles ist keine moderne Überheblichkeit gegen antike Naivität. Denn schon in unseren historischen Quellen wird die Verbindung zwischen Nero und Oedipus, wenn überhaupt, nur bei Wege mitgeteilt. Tacitus weiß überhaupt nichts davon; Sueton referiert an einer Stelle,20 Nero sei unter anderem auch in einer Oedipus-Rolle aufgetreten, und hebt andernorts als bemerkenswert hervor, dass dies auch die letzte Rolle des Kaisers gewesen sei:21 „Man hatte auch bemerkt, daß das letzte Stück, in dem er öffentlich aufgetreten war, ‚Oedipus im Exil‘ geheißen und daß sein letzter Vers gelautet habe: ‚Es fordern Gattin, Mutter, Vater meinen Tod.‘“
Bemerkenswerterweise wird der Vers von Sueton in offensichtlich tendenziöser Umbiegung zitiert; bei Dio heißt es, weitaus besser im Einklang mit dem Mythos: „Es fordert meinen jammervollen Tod mein Vater und Teilhaber an der Ehe“ (οἰκτρῶς θανεῖν μ᾿ ἄνωγε σύγγαμος πατήρ; Cass. Dio 63.28.5 = TrGF II F 8 [Adesp.]). Auch Sueton spielt bloß auf das anscheinend hartnäckige Inzestgerücht an, auf Oedipus-Nero als jemanden, der mit seinem Vater Claudius als σύγγαμος die Partnerin, also Agrippina, geteilt habe. Von einem Mord am Vater oder gar an der Mutter ist auch hier nicht die Rede – Oedipus ist ja auch in der Legende kein Muttermörder. Die Bezüge der Oedipus-Legende zu Nero beziehungsweise zur politischen Polemik gegen ihn hängen also ausschließlich
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Mädchen und was sonst seine Wildheit abmildern könnte, dann werde ich sie gerne anbieten; gepanzerte Kriegsschiffe würde ich ihm wohl nicht schicken, Lustyachten, Hausboote und anderes, was zur Zerstreuung von Herrschern dient, die sich auf dem Meer vergnügen, will ich ihm zukommen lassen“). Damit ist aber noch nicht gesagt, dass die gesamte Erörterung des blutrünstigen Tyrannen notwendig ein Bild Neros entwerfen soll, denn kurz darauf heißt es ja (Sen. benef. 7.20.5): huic homini malo, quem invenire in quolibet foro possum („diesem bösen Menschen, den ich auf jedem beliebigen Marktplatz finden kann“). Jedenfalls nach Aussage unserer historischen Quellen, die man dann erst einmal für bare Münze nehmen müsste. Für den Mord an seinem Adoptivvater Claudius kann Nero ja, wenn überhaupt, nur höchst indirekt verantwortlich gemacht werden; in der Realität war es bekanntlich Iocasta-Agrippina, die Laius-Claudius erschlug. Suet. Nero 21.3. Suet. Nero 46.3: observatum etiam fuerat novissimam fabulam cantasse eum publice Oedipodem exulem atque in hoc desisse versu: θανεῖν μ᾿ ἄνωγε σύγγαμος, μήτηρ, πατήρ. Ähnlich Cass. Dio 63.9.4 und 63.28.5.
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an diesem recht dünnen Faden;22 dass Tacitus sie völlig übergeht, verbietet es, Senecas Oedipus als unmittelbare Inspirationsquelle für sein Werk zu betrachten. Übrig bleibt eine gewisse formale Ähnlichkeit, in der effektvollen Wendung, den weiblichen Schoß als Sitz einer unheilstiftenden Kraft zu sehen und darum mit einem tödlichen Streich gleichsam zu ‚bestrafen‘. Man muss gar nicht weit suchen, um Senecas Inspiration hierfür zu entdecken: Sein eigener Vater verzeichnet in einer seiner Controversiae einen fast gleichlautenden Ausspruch. Dort gibt ein Tyrann bei der Folterung einer Frau den Befehl caede ventrem, ne tyrannicidas pariat „Triff sie in den Bauch, damit er keine Tyrannenmörder hervorbringt“ (Sen. contr. 2.5.7).23 Aber man erkennt sogleich, dass die Ähnlichkeit mit der Oedipus-Tragödie sich in diesem Effekt auch schon erschöpft: Der Zusammenhang ist schließlich ein völlig anderer. Eine viel weiter gehende Ähnlichkeit mit der Stelle bei Tacitus ist zwar immer schon notiert worden, der Zusammenhang und die Konsequenzen sollten aber noch einmal in der Deutlichkeit herausgestellt werden, die sie verdienen.24 Den Mord an Agrippina schildert ausführlich ein Chorlied aus dem unter Senecas Namen überlieferten Drama Octavia):25 „Im Sterben bat die unglückliche Frau ihren Mörder, er solle sein grimmiges Schwert in ihren Schoß senken: ‚Der ist es, der ist es, der mit dem Schwert durchbohrt werden muß, hat er doch ein solches Monster geboren!‘“
22 Sonst sind es die ‚klassischen‘ Muttermörder der griechischen Sage, Orestes und Alkmaion, mit denen der Kaiser in polemischen Spottversen verglichen wird, überliefert von Suet. Nero 39.2: multa Graece Latine que proscripta aut vulgata sunt, sicut illa: Νέρων Ὀρέστης Ἀλκμέων μητροκτόνος./νεόψηφον· Νέρων ἰδίαν μητέρα ἀπέκτεινε („viele [solche Verse] wurden auf Griechisch und Latein in der Öffentlichkeit hingeschrieben oder verbreitet, wie die folgenden: ‚Nero, Orestes, Alkmeon – Muttermörder. Als Summe [der als Zahlen gelesenen griechischen Buchstaben von Νέρων wie von μητροκτόνος] ergibt sich von neuem das gleiche [s. dazu Bücheler, F., (1906), 307–308]: Nero hat seine eigene Mutter getötet.‘“); bei Tacitus findet sich wiederum nichts dergleichen. Einen Orestes matricida hatte Nero übrigens ebenfalls auf der Bühne gespielt, nach Suet. Nero 21.3. 23 Der Hinweis auf diesen ‚Gemeinplatz‘ zuerst bei Hind (1972), 207; auch bei Pratt (1983), 191, Zustimmung bei Zwierlein (1987), 45, Anm. 85; dagegen Lefèvre (1990), 114, Anm. 27, Tarrant (1995), 227–228 mit Anm. 54 betrachtet diesen rhetorischen locus communis als hinreichende und wahrscheinlichste Quelle sowohl für Iocastas als auch für Agrippinas Ausruf (den er für ihre authentischen letzten Worte hält); kritisch dazu Taylor (2010), 211 (s. oben Anm. 15). 24 Zuletzt (2003) gelangt Frances Billot (die nicht auf die hier zu besprechende Parallele eingeht) zu dem gewiss richtigen Schluss: „Tacitus’ Annals 14 is, in part, a rewriting of the Octavia“ (141). Taylor (2010), 217: „Indeed, we might say that the Annals records what the Octavia enacts“ und 221–222: „Both Tacitus and the author of the Octavia engage in the same project – writing (a) Seneca – and utilize similar methods and conceits to convey information to their audience.“ 25 [Sen.] Oct. 368–372: Caedis moriens illa ministrum/rogat infelix,/utero dirum condat ut ensem:/‚hic est, hic est fodiendus‘ ait/‚ferro, monstrum qui tale tulit‘. Zu der möglicherweise beabsichtigten Paronomasie fer rum – ferire – ferus sowohl in der Octavia als auch bei Tacitus s. Taylor (2010), 209, Anm. 16. Vgl. auch den kurz vorher vom Chor referierten Ausruf der dem Anschlag auf dem Meer entronnenen Kaiserinmutter, 334–335: hac sum, fateor, digna carina,/quae te genui („ich gebe zu, ich bin dieses Schiffes würdig, die ich dich geboren habe“), und die letzten Worte der Agrippina-Erscheinung, 642–643: quos nunc pudor luctus que perpetuus manet/ex te, nefande, meque, quae talem tuli („[die Ahnen], die nun ewige Scham und Trauer erwartet wegen dir, Schurke, und wegen mir, die ich einen solchen Menschen geboren habe“).
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Hier erscheint das Motiv geradezu im umgekehrten Sinn gegenüber der Stelle in den Controversiae: Nero wird schließlich selbst als der Tyrann beschimpft. Damit scheidet der Text des Seneca Rhetor als ‚unmittelbare‘ Inspiration für Agrippinas Ausruf aus. Aber auch der Oedipus wird als mögliche Vorlage für Tacitus fragwürdig, denn die Übereinstimmung zwischen Form und Inhalt ist zwischen der Octavia und Tacitus weitaus größer,26 ja man kann sagen: vollständig. Und man muss sogar noch weiter gehen: In seiner bedeutungsschwangeren Kürze ist der Ausspruch, so wie Tacitus ihn gibt, überhaupt erst verständlich, wenn man ihn vor dem Hintergrund eines bereits bekannten Textes liest.27 Denn den von Dio ‚übersetzten‘ erklärenden Zusatz lässt Tacitus weg; ihm genügte wohl die knappe Anspielung an eine offenbar bekannte ausführlichere Formulierung. Von allen Texten, die uns erhalten sind, kommt hierfür nur die Octavia in Frage, was deren zeitliche Priorität vor Tacitus bedeuten würde.28 Der Gedanke könnte freilich unbehaglich stimmen, dass ein ‚seriöser‘ Historiker wie Tacitus gewissermaßen die Grenzen des literarischen Genus überschreitet und fiktionale Elemente in seine als Darstellung geschichtlicher Tatsachen konzipierte Prosaerzählung einstreut.29 Denkbar wäre es ja, dass der unbekannte Dichter einen Vorgänger in einer der für uns verlorenen nichtpoetischen antineronischen Quellen hatte.30 Allerdings – sie sind eben für uns verloren, und darum lässt sich die Frage nach Rückgriffen dieser Art nicht anders denn mit Spekulationen beantworten.31 Wir haben gesehen, dass 26 Vgl. später und in noch engerem Anschluß Cassius Dio. 27 Junge (1999), 194: „Als Ausgangspunkt, nach dem der Octaviadichter die Worte gestaltet hätte, die er Agrippina sprechen läßt, kann das knappe, die Begründung auslassende ventrem feri kaum angesehen werden. Eher wirkt es wie eine Verkürzung des auf brevitas bedachten Autors.“ Eine Parallele ist die dam natio memoriae für Agrippina in [Sen.] Oct. 609–612, die Tacitus gar nicht erwähnt, vgl. dagegen wiederum etwas ausführlicher Cass. Dio 61.16.2 ( Junge [1999], 196) – allerdings deutlich knapper als die Prae texta, sodass die von Santoro (1955), 15 vertretene Ansicht, die Octavia könne sich auch auf Dio stützen, was eine weit spätere Datierung als die übliche zur Folge hätte, nicht plausibel erscheint. 28 In seinem Kommentar äußert sich Ferri allerdings dennoch (zu) vorsichtig, wenn er feststellt, eine Datierung nach Tacitus sei nicht ganz auszuschließen (2009, 29–30.). Seine eigene Argumentation lässt jedoch kaum einen anderen Schluss zu. 29 Dazu freilich Miller und Woodman (2010), 7: „We should not allow modern preconceptions to blind us to the possibility that Tacitus was indebted to a poetic text […]. Historiography is, after all, ‚very close to the poets‘“; dieses Zitat aus Quintilian, inst. 10.1.31: historia […] est enim proxima poetis et quodam modo carmen solutum est („denn die Geschichtsschreibung ist am nächsten an den Dichtern und ist gewissermaßen eine Dichtung in Prosa“), bildet den Ausgangspunkt der in ihrem Buch gesammelten Untersuchungen, die einige solcher in dieser Richtung als weniger gewöhnlich betrachteten Abhängigkeiten und Bezüge nachweisen. 30 Erörtert von Ferri (22009), 9–17; 11: „I believe that not only the endemic interest of ancient historians in prodigies, but even the narrative rhythm [Hervorhebung von mir, C. K.] of a sequence of ‚chapters‘ in a book on the Neronian principate, can be recognized in Octavia“. 31 Dies ist gegen Junge (1999), 195 festzuhalten: „Mit mindestens ebensogroßer Wahrscheinlichkeit kann aber auch ein rhetorisch geschulter Geschichtsschreiber Agrippina die Worte in den Mund gelegt haben, so daß sie gleichsam Allgemeingut wurden und vom Tragödiendichter wie auch von späteren Historikern übernommen wurden“. Wer aber sollte das sein? Auch wenn man die einleitende Bemerkung Tac. ann. 14.9.1: haec consensu produntur („[…] dies wird übereinstimmend überliefert […]“), mit Gewißheit auf Cluvius und andere Geschichtsschreiber dieser Epoche beziehen kann, würde dies bedeuten, dass in diesem Fall eben diese verlorenen Prosa-Historiographen die dramatische Gestaltung vorgenommen hätten. Daraus müsste man zwei unterschiedliche Schlüsse ziehen: Entweder 1.) wären sie alle unabhängig voneinander (aber eben consensu) auf diese Idee verfallen, oder 2.) die Octavia ist doch vor ihnen zu
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eine direkte Bezugnahme auf den einzigen Prosatext, der das Motiv des ‚getroffenen Mutterleibs‘ bietet, die Stelle aus Seneca Rhetors Controversiae, ausscheidet, weil Tacitus dann eine vollständige Umkehrung und Umdeutung hätte vornehmen müssen. Als Ausgangspunkt der Betrachtungen kommen nur die erhaltenen Texte in Frage. Von ihnen bietet die Octavia einen besonders engen Anschluss, und dies nicht allein in diesem Fall (s. u. S. 335 f.). Die Auffassung, dass Tacitus, Sueton und Cassius Dio unabhängig voneinander auf historische und biographische Quellen der Nerozeit zurückgreifen, findet sich bei Schmidt, anlässlich der Verstoßung Octavias durch Nero, angesichts in der Tat verblüffender wörtlicher Parallelen zugunsten einer wohl engeren Abhängigkeit Dios von Sueton modifiziert: „Dennoch läßt sich das mit Sueton vergleichbare faktische Grundgerüst (Scheidung, dimisit = ἀπεπέμψατο; Verbannung und Tod wegen Ehebruch, etiam relegavit, denique occidit = καὶ τὸ μὲν πρῶτον φυγαδευθῆναι αὐτήν, ἔπειτα καὶ σφαγῆναι ἐποίησεν, Cass. Dio 62,13,1) der Vermutung Raum, daß eine direkte oder indirekte Beziehung bestehen könnte, so daß beider Informationen nicht ohne weiteres als unabhängig voneinander gegen Tacitus ausgespielt werden können“.32
Auf welche Quellen Tacitus wie zurückgegriffen hat, ist bis in die neuere Forschung hinein sehr umstritten.33 Dass er seine Quellen namentlich nennt, ist übrigens ungewöhnlich; in den Annalen so außer an dieser Stelle nur noch 14.2.12, 15.16.1, 15.53.1 und 15.61.3. Auch über die Datierung der Octavia und, eng damit verbunden, über die Aussageabsicht ihres unbekannten Dichters wird bis heute viel diskutiert. Das Stück gewinnt allein dadurch schon Interesse, dass wir mit ihm die einzige vollständig erhaltene fabula praetex(ta)ta, also ein Drama mit historischem Inhalt, vor uns haben.34 Seneca tritt selbst als dramatis persona auf, als letztlich unterliegender Mahner gegen den despotischen Nero. Schon aus diesem Grunde lässt sich seine Autorschaft schwerlich vertreten. Agrippinas Verwünschungen ([Sen.] Oct.618–631), in denen sie, dies bleibt trotz Manuwalds Skepsis festzuhalten,35 mit den bei Sueton geschilderten Umständen von Neros Tod recht genau übereinstimmt, lassen sich kaum anders denn als vaticinia ex eventu deuten. Dass Sueton36 die Details stärker ausschmückt und eine in sich konsistente, dramatisch gestaltete Geschichte erzählt, könnte – in Analogie zu dem bei Tacitus erkennbaren Verfahren – damit zu erklären sein, dass auch er dankbar auf die Octavia als Quelle zurückgreift, die ihm eine solche Reihe sinistrer Einzelheiten zur Ausgestaltung an die Hand gibt. Aber auch für die Praetexta gilt mit den Worten Schmidts:37
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datieren. Denn, wie erörtert, Senecas Oedipus scheidet als unmittelbare Vorlage ebenso aus wie Seneca Rhetor. Schmidt (1985), 1428. Hier nur die folgende Auswahl: Questa (1967), Flach (1973), ds. (1973), Syme (1982), Vielberg (1990). Die Frage der Einordnung in dieses Genus, des dramaturgischen Aufbaus und die nach dem politischen Standort des Verfassers wird außer in den neueren Kommentaren Ferris und Boyles ausführlich erörtert von Schmidt (1985) und Manuwald (2001), 259–339. Manuwald (2001), 280–281 mit Anm. 47. Suet. Nero 47–49. Schmidt (1985), 1449–1550.
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„Es handelt sich nicht um beliebige anachronistische Anspielungen, sondern um funktionale Prophezeiungen ex post, die ausschließlich das Schicksal der im Drama agierenden Hauptpersonen betreffen.“
Von Auffassungen, die das Stück recht bald nach den beschriebenen Ereignissen ansetzen möchten, ist man mittlerweile, zu Recht, abgerückt; hier spielt gewiss die inhaltliche Ausrichtung des Dramas, die unüberhörbare Kritik am selbstherrlich, ja tyrannisch agierenden Nero und die Sympathie für seine Opfer, eine Rolle. Andererseits wurde mit Recht hervorgehoben, dass sowohl diese ideelle Ausrichtung wie auch die Darstellung der Ereignisse überhaupt doch zu sehr im Allgemeinen und Topischen bleiben, als dass man eine existenzielle Betroffenheit ausmachen könnte, die man von einem unmittelbaren Zeitzeugen eigentlich erwarten müsste. So wählt denn ein wichtiger neuer Kommentar, der von Rolando Ferri (2009), einen Ansatz in der Zeit Domitians, Jan-Wilhelm Beck in einer detaillierten neueren Studie (2004) sogar einen noch späteren, wenn er die Epoche der Adoptivkaiser und das damals ‚verstärkt einsetzende Interesse an der vorausgegangenen Prinzipatszeit‘ mit ihren dynastischen Problemen als passendes geistiges Umfeld ansieht. In der Tat stimmt dieses gewissermaßen zeithistorische Interesse zum Charakter des Stücks ebenso wie die letztlich pessimistische Welt- und Geschichtssicht, die wir auch als Grundzug von Tacitus’ Annalen erkennen. Vor allem unter diesem Aspekt der möglichen zeitlichen und inhaltlichen Nähe zu Historikern wie Tacitus und Sueton wurde der Octavia in den letzten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet.38 Ferri (1998) arbeitet weitere Indizien für diese Nähe heraus, indem er Parallelen zwischen der genannten Stelle aus den Annalen (Octavias Klagen kurz vor ihrem Tod) und der Schlussszene der Praetexta aufzeigt, die nirgendwo sonst anzutreffen sind. Außerdem nimmt sich der Anonymus offensichtlich bewusst Partien sophokleischer und senecanischer Dramen zu Vorbildern.39 Diese Gestaltung findet sich auch bei Tacitus bis in Einzelheiten wieder, die seine Darstellung ungereimt erscheinen lassen: So ist nicht klar, wer diejenigen sein sollen, die Octavias Verbannung nach Pandataria mit ansehen; Tacitus nennt visentium oculos, lässt jedoch den Schauplatz völlig offen.40 Klar wird Taci38 Ferri (2009) stellt die Praetexta in den Zusammenhang der möglicherweise von Fabius Rusticus nach dem Tod der beteiligten Personen initiierten positiven Würdigung Senecas (bzw. Seneca-‚Hagiographie‘), s. vor allem S. 9–16; s. auch Harrison (2005) in seiner Rezension zu Ferri: „The bias of the historical sources against Nero is noted; it should also have been added that all of the sources are after the Octavia and so if there is any borrowing it is by the historians (for which a credible case has been made for Tacitus).“ Boyle (2008), 16 dagegen spricht sich für „the early Vespasianic years“ aus, mit dem problematischen Argument, dass zu dieser Zeit das Theaterwesen neue Belebung erfahren habe. S. auch Manuwald (2001), 336–337; Goldberg (2003), 13–36; Schmidt (1985), 1449–1550; Beck (2004), 5–7 (mit ausführlichen Literaturangaben). Zuletzt spricht sich, mit vor allem psychologisierenden Argumenten, Flower (2006), 202–203 für eine Datierung in die Zeit unmittelbar nach Neros Tod aus, in die kurze Herrschaftsperiode Galbas. Zur Seneca-‚Hagiographie‘ vgl. Iuv. 8.211–212. 39 Resümierend Beck (2004), 62: „Die ‚Octavia‘ gibt sich als das Stück eines belesenen Autors, der mit Senecas echten Tragödien und den großen griechischen Stoffen etwa von Elektra und Antigone bestens vertraut ist (vgl. V. 1–3., 899–901).“ 40 Tac. ann. 14,63. Ausführlich dazu Junge (1999), 168–169.: „Plötzlich [mit der ‚Abbruchsformel‘ sed iam spes est nulla salutis („[…] doch keine Hoffnung gibt es mehr auf Rettung […]“), 906] sieht Octavia das
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tus’ knappe Bemerkung über die mitleidigen Zuschauer allein durch einen Vergleich mit der Schlussszene der Octavia (877–982). In dieser in der Tradition des κόμμος gestalteten Partie hat alles seine dramentechnische Ordnung:41 Hier wird deutlich, dass der Chor aus Octavia gegenüber loyal gebliebenen römischen Bürgern besteht,42 wiewohl darauf nicht viel ankommt, weil sich alles auf den emotionalen Austausch zwischen dem Chor und der Heldin fokussiert, auf die misericordia, die der Chor in seiner ebenfalls klassischen Rolle als Stellvertreter des Gesamtvolkes für die Heldin empfindet. Hier, nicht in der Realität einer Straßenszene, wie sie der Historiker beschreibt, sondern in den von ihm auktorial bestimmten Äußerungen haben auch die Reminiszenzen an historische Persönlichkeiten wie Agrippina Maior und Julia ihren Platz.43 Geradezu anstößig in den Ohren auch der kaiserzeitlichen römischen Leser musste eine Formulierung wie Tac. ann. 14.64 klingen, wo sich Octavia als iam viduam et tantum sororem des Kaisers bezeichnet.44 Eine Geschwisterehe war rechtlich und sozial in Rom nicht denkbar und hätte unliebsame Assoziationen mit der gängigen Praxis despotischer orientalischer Herrscherdynastien hervorgerufen. Als fatale Vermessenheit wäre es betrachtet worden, zugleich mit der Nachahmung der Eheverhältnisse des Olymp45 auch eine eigene Göttergleichheit zur Schau stellen zu wollen – eine Assoziation, die Tacitus mit seiner kurz gehaltenen Bemerkung auch zweifellos beabsichtigt. In der Praetexta erscheint dieser Gedanke gleich an mehreren Stellen deutlich hervorgehoben.46 Auch hier lässt sich also derselbe Effekt beobachten wie bei Agrippinas letzten Worten: Dem Historiker genügt, um seine Aussageabsicht zu erzielen, eine denkbar kurz gehaltene Anspielung auf einen zugrundeliegenden Text, der über den allgemeinen aus der dramatischen Literatur bekannten Topos hinaus auch den Zusammenhang der spezifischen Problematik bietet. Dies ist eben in der Octavia der Fall47.
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Schiff vor sich“ – vom Palatin aus? Auch Schmidt (1985), 1443–1444. stellt heraus, dass die „imaginäre Theaterlandschaft an geographischer Präzision verliert.“ Ähnlichkeiten mit der entsprechenden Szene zwischen Antigone und dem Chor bei Sophokles, Ant. 801–810 fallen deutlich ins Auge: [Sen.] Oct. 894–895: (cives) nunc ad poenam letumque trahi/flentem mi seram cernere possunt („nun können [die Bürger] sie sehen, wie sie zu Strafe und Tod geschleppt wird, weinend in ihrem Elend“), vgl. Sophokles, Ant. 806–808: ὁρᾶτ’ ἔμ’, ὦ γᾶς πατρίας πολῖται,/τὰν νεάταν ὁδὸν/στείχουσαν („seht mich, ihr Bürger meiner Vaterstadt, die ich den letzten Weg beschreite“); Ferri (1998), 345. Ferri (1998), 347 und (2009), 388. [Sen.] Oct. 932–946. Ausführlich Ferri (1998), 349–350. Vgl. Seneca, Herc. F 1–2: soror Tonantis (hoc enim solum mihi/nomen relictum est) („Schwester des Donnerers [Iuppiter] – denn dieser Name ist mir einzig verblieben“), ein Anklang an Vergil, Aen. 1.46–47: divum […] regina Iovisque/et soror et coniunx („Königin der Götter und Iuppiters Schwester und Gattin“ [beide Male von Iuno gesagt]). [Sen.] Oct. 46–47 (Amme): maeret infelix soror/eademque coniunx („unglücklich trauert, die zugleich Schwester und Gattin ist“); 219–220 (Amme): tu quoque, terris altera Iuno,/soror Augusti coniunxque („auch du, eine zweite Iuno auf Erden, Schwester und Gattin des Kaisers“); 657 (Octavia): soror Augusti, non uxor ero („Schwester des Kaisers, nicht Gemahlin werde ich sein“); 828 (Nero): suspecta coniunx et soror semper mihi („die mir immer verdächtige Gattin und Schwester“). Grundlegend wichtig hierzu Ferris resümierende Bemerkungen (1998), 355: „The problem is that the hypothetical historian, the Common Source [das ‚missing link‘ zwischen den historischen Ereignissen und Tacitus, unter Umgehung der Octavia], is supposed by this hypothesis to have seen events (and accord-
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In der Octavia wird Neros Drängen auf eine Trennung von seiner Frau dadurch motiviert, dass Poppaea bereits ein Kind von ihm erwartet.48 Bei Tacitus findet sich dieses Drängen und der Hinweis auf Poppaeas fecunditas ebenfalls, und sogar noch früher, nämlich Tac. ann. 14.1.1, als sie selbst ihrem kaiserlichen Liebhaber das Motiv zum Mord an Agrippina gleichsam in die Hand drückt. Dass Tacitus jedoch dieses Motiv als unmittelbaren Auslöser des Mordentschlusses darstellt, dann aber doch noch drei volle Jahre vergehen,49 bis Nero Octavia verstößt, seine Geliebte heiratet und diese erst daraufhin tatsächlich eine Tochter zur Welt bringt,50 wirkt bei näherem Zusehen nicht sonderlich stringent.51 Sueton gibt zwei völlig andere und in dieser Form und Abfolge plausiblere Motive an:52 „Seine Mutter wurde ihm lästig, denn sie war eine allzu scharfe Beobachterin und Kritikerin seiner Taten und Äußerungen […] Ihre Drohungen und heftigen Ausbrüche versetzten ihn jedoch in Schrecken, und so beschloss er ihren Tod“.
Bei Tacitus dagegen entspricht die Abfolge der Ereignisse derjenigen in der Octavia: Der Geist Agrippinas verflucht Oct. 593–597 Neros Hochzeit mit Poppaea und spricht in diesem Zusammenhang ausdrücklich von „Rache“,53 womit deutlich darauf hingewiesen wird, dass Agrippina der Heirat im Wege steht; Poppaea selbst wiederholt diesen Gedanken 721–723, erschreckt eben dadurch, dass ihr Agrippina im Traum erschienen ist. Das Motiv der Fruchtbarkeit der Kaisergattin, politisch ja sehr wichtig für den Fortbestand der Dynastie, ist in der Octavia von Anfang an stark präsent.54 Auch die Hin-
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ingly distorted them) in terms of Senecan-Ovidian drama […] that is to say: superimposing on them an array of Senecan-Ovidian reminiscences and a recognizably dramatic ‚script‘, the exit of the Antigone in Sophocles. Similar ‚distortions‘ are, however, fully justified in the play“ (gemeint sind: die oben genannte unklare Rolle des Chores, die historische Ungenauigkeit des sororuxorMotivs und die Imitation von Sophokles’ Antigone); in diesem Sinne auch Taylor (2010), 219. S. auch Ferris Schlusssatz (1998), 356: „Tacitus decided to rewrite this scene with the eyes of a poet, combining the little he was apprised of with the rhetorical colors of the playwright.“ Dagegen Junge (1999), 192–193, die Iuv. 8.217–818 anführt; allerdings weist die Bemerkung: sed nec/Electrae iugulo se polluit („aber er [Orestes] besudelte sich nicht mit der Tötung Elektras“) dann doch nur sehr allgemeine Bezüge zur Octavia-Stelle wie auch zu Tacitus auf. [Sen.] Oct. 591–592: cum portet utero pignus et partem mei,/quin destinamus proximum thalamis diem? („wo sie doch ein Pfand und einen Teil von mir in ihrem Leibe trägt, was bestimmen wir nicht den nächsten Termin für die Hochzeit?“ [Abschluss der Auseinandersetzung Neros mit Seneca]). Tac. ann. 14.60.1. Erst Tac. ann. 15.23 ist von der Geburt die Rede. Dawson (1968), 254; ausführlich erörtert von Holztrattner (1995), 50–55 und Ginsburg (2006), 47–48 (sie nennt insgesamt fünf Gründe, warum Tacitus’ Schilderung nicht stichhaltig sein kann); eine plausible Erklärung gibt Barrett (1996), 182: „Her [Poppaeas] introduction at this stage seems to be little more than a literary device, utilized because Tacitus could see no plausible explanation for Nero’s conduct and also incidentally serving to show that Nero, like Claudius, had fallen under the malign influence of a woman.“ Suet. Nero 34.1–2: Matrem facta dictaque sua exquirentem acerbius et corrigentem […] gravabatur […] minis eius ac violentia territus perdere statuit. [Sen.] Oct. 596–597. Vgl. Octavias Klagen im Dialog mit der Amme, [Sen.] Oct. 179–188; auch Neros Bemerkung gegenüber Seneca 532 zielt auf die Sicherung seiner Nachkommenschaft, die er durch seine rechtmäßige Gattin nicht gewährleistet sieht, wohingegen Poppaea die entsprechende Fähigkeit bereits nachgewiesen hat.
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auszögerung der Eheschließung, die Poppaea bei Tacitus moniert, findet sich als Neros Hauptbeschwer in der Octavia.55 Während also Sueton sowohl die Agrippina- als auch die Octavia-Katastrophe zwar ebenfalls persönlich, aber doch zugleich politisch motiviert und jeweils als Ergebnisse einer längeren Entwicklung darstellt,56 gewinnt man sowohl in der Praetexta als auch bei Tacitus den Eindruck, dass beide Male eher ein persönliches Drama um Eifersucht, erotische Anziehung und Abneigung gestaltet wird. Dabei zeigt das Drama trotz der dramatischen Raffung einen schlüssigeren Verlauf der Ereignisse. Tacitus hingegen verlegt die Motivierung des Mordentschlusses vor und nimmt dabei die Unlogik in Kauf, dass sich Poppaea über das Hinauszögern der Eheschließung beschwert, dann aber doch noch drei volle Jahre verstreichen, und das, obwohl das vorgebliche ‚Haupthindernis‘ für diese Eheschließung, Agrippina, inzwischen ‚beseitigt‘ ist. In diesem Punkt zieht er gewissermaßen Nutzen aus dem Darstellungsprinzip der annalistischen Abfolge, an das er sich keineswegs immer gebunden fühlt.57 Gerade darum kann er die Inkonsistenz in Kauf nehmen, weil es ihm der zeitliche Abstand des Berichteten erlaubt, sie gewissermaßen zu ‚verstecken‘; und er will sie auch bewusst in Kauf nehmen, weil ihm auch in diesem Fall die Geschichte, so wie sie die Octavia Praetexta erzählt, eine willkommene Gelegenheit bietet, die unselige Konstellation zwischen Nero und den drei Frauen, die für die Entwicklung der Katastrophe seiner Herrschaft eine so entscheidende Rolle spielen, als ein persönliches Drama zu gestalten. Tacitus verfährt also hier offenbar bewusst anders als an manchen Stellen, an denen er um der aristotelischen Einheitlichkeit willen zeitlich entfernte Ereignisse verbindet;58 er verwischt geradezu die Spuren der voraufgegangenen Dramatisierung der Ereignisse um Agrippinas Tod. Dabei scheut er sich bisweilen nicht, sogar unmittelbar aus den Quellen der dramatischen Dichtung und der romanhaften Literatur zu schöpfen.59 Dieser Umstand lässt die historische Glaubwürdigkeit zumindest von Tacitus’ Personendarstellungen in einem eher zweifelhaften Licht erscheinen.60 Man bewundert hier keineswegs die Objektivität 55 [Sen.] Oct. 590–591; vgl. zum öffentlichen Interesse an der Fruchtbarkeit der Kaisergattin Tac. ann. 15.23.2. 56 Nero fühlt sich von seiner Mutter gegängelt und kritisiert, und das Zusammenleben mit Octavia wird er bald leid, kann sich aber lange zu keiner entscheidenden Handlung aufraffen. 57 S. dazu Syme (1958), 269, Schmal (2011), 87 und zuletzt ausführlich Segura Ramos (2001), (2002) und (2003). 58 Segura Ramos (2001), 237–238 und (2003), 180 (zum Tod Octavias). 59 Zu letzterem s. demnächst Kugelmeier (erscheint in Kürze). 60 Schwartz (21943), 125 nennt Tacitus sogar „nicht den letzten großen antiken Historiker, wohl aber den letzten großen antiken Dichter“ (gefolgt von Mellor [1993], 122: „the greatest tragedian of ancient Rome“). Wichtiges zur Nähe von Tacitus’ Werk zur Poesie auch bei Fraenkel (1932/1986), 31–32 und 38 und Norden (1898), 91–95 und 328; nicht zu vergessen auch Syme (1958), 363: „Roman history gave scope for poetry and for high politics […] did not the tragedy of the Caesars embody a sequence of dramatic themes, with ambition, power, and crime recalling the House of Atreus? The aptitude disclosed in the Annales might have found expression and renown with a Sejanus or an Agrippina“. Wiseman (1994), 16–18 führt eine Reihe von Belegstellen aus griechischen wie römischen Autoren an, in denen das schon in der Antike als eng angesehene Verhältnis zwischen Tragödie und Geschichtsschreibung, ja politischer Meinungsbildung überhaupt offenkundig wird; er resümiert, 18: „much of the traditional material on early Rome […] had been processed for the stage long before it ever appeared in the pages of any his-
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eines Historikers, sondern vielmehr den Erfolg einer so schlichten und doch, wie die Rezeptionsgeschichte zeigt, so wirkungsvollen Manipulation. Es keimt der Verdacht auf, Tacitus und andere antike Geschichtsschreiber hätten ohnehin ein ganz anderes Ziel vor Augen gehabt als eben diese ‚historische Glaubwürdigkeit‘– dies gilt jedenfalls, wenn wir sie nach den Kriterien moderner Historiographie unter dem methodischen Postulat Leopold von Rankes beurteilen.61 Ist die von Tacitus selbst in seiner Vorrede zu den Annalen erklärte Maxime, sine ira et studio Geschichte schreiben zu wollen,62 nach allem Gesagten nicht als Makulatur entlarvt? Zu seiner Schilderung vom Brand Roms, die einer ganzen Bibliothek über römische Geschichte als Faktengrundlage gedient hat, bemerkt Walser treffend: „Das historische Ereignis wird also von Tacitus zur Veranschaulichung eines moralischen [Hervorhebung von mir, C. K.] Sachverhaltes ausgewertet […] Es handelt sich um einen Grundzug der Geschichtsschreibung des Tacitus, den er mit Sallust und gewissen hellenistischen Historikern [nl. der sog. „mimetischen“ oder „tragischen Geschichtsschreibung“] gemeinsam hat.“63
Leopold von Rankes Anspruch, „zu zeigen, wie es eigentlich gewesen,64 hat Tacitus jedenfalls ganz offenkundig nicht erfüllt. Trotz seiner Beteuerung, sine ira et studio zu schreiben, tritt uns seine Subjektivität geradezu massiv entgegen;65 eine Objektivität des Erkennens, wie sie, jedenfalls die ‚positivistisch‘ angelegte, moderne Geschichtswissenschaft anstrebt, ist gerade nicht sein Ziel, mag sich auch immer wieder ein Bestreben offenbaren, verschiedene Meinungen gegeneinander abzuwägen und andere Ansichten über die gleichen Tatsachen und Ereignisse zu Wort kommen zu lassen. Gerade in Auswahl und Anordnung dieser Elemente aber zeigt sich allenthalben überdeutlich ein
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torian“ und 19: „History as drama was a natural way of thinking, for both Greeks and Romans“. Was Schmidt (1985, 1450-1451) zur Octavia bemerkt, könnte man ebensogut über Tacitus wie über den Großteil der antiken Historiographie überhaupt sagen „Innerhalb des so entstehenden mythistorischen Raumes [Hervorhebung C. K.], in dem Mythos und Geschichte auf derselben Realitätsstufe stehen, können Verhaltensmuster von mythischen wie historischen Exemplareihen oder Vorbildern abgeleitet werden“ und „Die Mythisierung des historischen Gegenstandes ist also mit seiner Poetisierung identisch“. Ranke (1824), VII. Tac. ann. 1.1. Walser (1951), 11–12. Flaig (1992), 14–37 nimmt hierbei die grundsätzlich wichtige Unterscheidung zwischen „maximischem“ und „berichtendem Diskurs“ vor; die Dominanz des maximischen Diskurses in der antiken Historiographie dürfte angesichts der vorgestellten Beispiele deutlich geworden sein. Dazu Mommsen (1988) in der Einleitung zu dem von ihm herausgegebenen Sammelband ‚Leopold von Ranke und die moderne Geschichtswissenschaft‘, (8–9.): „Schon zu Rankes Lebzeiten war unübersehbar, daß die berühmte Formulierung […] nicht nur ein Bekenntnis zu kritischer, an den Quellen orientierter Forschung darstellte, sondern sich zugleich gegen die Geschichtsschreibung der Aufklärung richtete, die es eben gerade als eine ihrer Aufgaben angesehen hatte, die Vergangenheit im Lichte der Fortschrittsideale des Zeitalters neu zu deuten und diesem damit im öffentlichen Bewußtsein endgültig zum Durchbruch zu verhelfen.“ Gerade darauf richtet sich Rankes Ausspruch auch in seinem Zusammenhang ([1824], VII): „Man hat der Historie das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, beigemessen: so hoher Ämter unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht: er will bloß zeigen, wie es eigentlich gewesen“, drückt also eigentlich ironische Bescheidenheit gegenüber einem letztlich unerfüllbaren Anspruch aus. Zu diesem scheinbar unerschöpflichen Forschungsthema und zur historischen Kritik an Tacitus seit Voltaire s. Schmal (2011), 187–190.
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gestalterischer Wille, der einem überaus subjektiven erkenntnisleitenden Prinzip entspringt: nämlich der Parteinahme für seine senatorischen Standesgenossen als Gruppe, die potentiell die Werte der altrömisch-republikanischen Staatsordnung trägt, und damit verbunden eine im Grunde kompromisslose Feindseligkeit gegenüber den Principes, den Zerstörern dieser alten Ordnung. Persönliche Erfahrungen motivieren dieses erkenntnisleitende Interesse, so jedenfalls stellt er dies selbst in seinem Agricola dar.66 Persönlich ist deswegen, aber auch aufgrund einer langen antiken historiographischen Tradition, seine methodische Herangehensweise: Stets stehen die handelnden Personen im Vordergrund, ihr Handeln als Personen motiviert fast ausschließlich den Gang der Geschichte, wie in einem Drama treffen die Akteure des Weltgeschehens richtige und (öfter) falsche Entscheidungen (ἁμαρτίαι); sie stehen vor uns als von Anfang an zum Niedergang bestimmte Charaktere,67 wobei den Edlen (Germanicus, Thrasea) großangelegte Kaiserpersönlichkeiten als μοχθηροί, als personifizierte Symbole des allgemeinen Verfalls gegenüberstehen (Tiberius, Nero). Es bleibt die Frage nach den Gründen eines solchen offensichtlich verbreiteten Verfahrens, will man Tacitus, Sueton und den anderen antiken Autoren nicht geradezu eine bewusste Verdrehung der Tatsachen bzw. eine effekthaschende Fabulierlust unterstellen, die Unterstellungen, ja regelrechte Lügen in Kauf nähme, um die Gier des Publikums nach Sensationen über historische Persönlichkeiten zu befriedigen. Mellor entgegnet auf kritische Analysen fiktionaler Elemente in Tacitus’ Werk mit dem immerhin bedenkenswerten Argument: „Indeed, the modern novel seems to owe less to the romances called ancient ‚novels‘ than to Tacitus, whose treatment of social intrigue would not be out of place in the nineteenth century […] Tacitus more closely [als die Werke der modernen Geschichtswissenschaft] resembles in narrative strategy such ‚realistic‘ authors as Tolstoy, Stendhal, and George Eliot where the astute narrator also serves as a moral commentator.“68
Im Grunde wäre dies die Antwort der nachklassischen Geschichtsschreibung auf Aristoteles’ Urteil über die Historiographie:69 66 Neben der Verbitterung über das eigene Leid zur Zeit Domitians vor allem, als Ausgangspunkt, die Empörung über das Geschick des verehrten Schwiegervaters und, so lässt sich mit einiger Sicherheit annehmen, politischen Ziehvaters Agricola; vgl. Tac. Agr. 1–3. 67 Auf diese auch aus Sueton bekannte Zweiteilung der Lebensbeschreibung nach virtutes und vitia (s. dazu allgemein jetzt Hurley [2014], 21–37) weist Tacitus selbst mehrfach hin, vgl. ann. 13.1.3: abditis adhuc vitiis („mit seinen bisher verborgenen Charakterfehlern“), 13.47.1: hactenus Nero flagitiis et sceleribus velamenta quaesivit („bis jetzt versuchte Nero seine Schandtaten und Verbrechen noch zu verschleiern“) und 14.52.1: mors Burri infregit Senecae potentiam, quia nec bonis artibus idem virium erat altero velut duce amoto et Nero ad deteriores inclinabat („Burrus’ Tod ließ Senecas Einfluß zerbrechen, weil die guten Betätigungen nicht mehr die gleiche Wirkung hatten, seit der andere gleichsam führende Mann aus dem Wege war, und Nero sich den Schlechteren zuneigte“). 68 Mellor (1993), 135. 69 Aristot., poet. 1451b4–10: ἀλλὰ τούτῳ διαφέρει, τῷ τὸν μὲν τὰ γενόμενα λέγειν, τὸν δὲ οἷα ἂν γένοιτο. Διὸ καὶ φιλοσοφώτερον καὶ σπουδαιότερον ποίησις ἱστορίας ἐστίν: ἡ μὲν γὰρ ποίησις μᾶλλον τὰ καθόλου, ἡ δ᾽ ἱστορία τὰ καθ᾽ ἕκαστον λέγει. ἔστιν δὲ καθόλου μέν, τῷ ποίῳ τὰ ποῖα ἄττα συμβαίνει λέγειν ἢ πράττειν κατὰ τὸ εἰκὸς ἢ τὸ ἀναγκαῖον, οὗ στοχάζεται ἡ ποίησις ὀνόματα ἐπιτιθεμένη. Tacitus schildert die potentielle po-
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„[Dichter und Geschichtsschreiber unterscheiden sich dadurch,] daß [der Geschichtsschreiber] das wirklich Geschehene mitteilt, [der Dichter,] was geschehen könnte. Daher ist Dichtung etwas Philosophischeres und Ernsthafteres als Geschichtsschreibung; denn die Dichtung teilt mehr das Allgemeine, die Geschichtsschreibung hingegen das Besondere mit. Das Allgemeine besteht darin, daß ein Mensch von bestimmter Beschaffenheit nach der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit bestimmte Dinge sagt oder tut – eben hierauf zielt die Dichtung, obwohl sie den Personen Eigennamen gibt.“
Das hieße also, dass Nero bei Tacitus und auch bei Sueton zwar als mit Namen benannte Einzelperson agiert, aber zugleich in den ihm zugeschriebenen Eigenschaften und Handlungen etwas ‚Allgemeines‘ verkörpert: den typischen bzw. topischen Tyrannen, der in der Entwicklung seiner Persönlichkeit eine dramatische Wende zum Schlechteren durchmacht. Mit diesem Aufzeigen des ‚Allgemeinen‘ übernähme die Geschichtsschreibung die von Aristoteles der Dichtung zugeschriebene Funktion, eine ‚tiefere Wahrheit‘ über das Wesen der Tyrannis an sich zur Sprache zu bringen; sie überschritte damit (und die bewussten Fiktionalitätssignale weisen darauf hin) sowohl die Grenze zur Poesie70 als auch die zur Philosophie. Dabei trifft sie auf Leser, die aufgrund ihrer Milieuzugehörigkeit (das heißt ihrer Verwurzelung in den Werten einer prinzipatskritischen Senataristokratie) dem Werk eine Erwartungshaltung entgegenbringen, die der Autor (als Gleicher unter Gleich- oder doch Ähnlichdenkenden) sich mit allen Mitteln der sprachlichen Kunst zu erfüllen bemüht. In jedem Fall sind die Konsequenzen für die Ermittlung historischer Tatsachen gravierend. Dies gilt nicht allein für das Altertum; auch heute suchen Autoren, die einer durchaus gebildeten und urteilsfähigen Schicht entstammen, mit ihren „Enthüllungen“ angeblich unterdrückter „Wahrheiten“ über historisch und politisch im Fokus des Interesses stehende Ereignisse und Persönlichkeiten die Erwartungshaltung einer gleichgestimmten Leserschaft zu befriedigen. Im Falle Neros trifft dies auf die (wenn auch verdeckt) prinzipatskritische Haltung vieler Angehöriger der römischen Senatsaristokratie und des Ritterstandes nach dem Tod Domitians zu,71 aktuell z. B. auf Darstellungen wie die des Journalisten Gerhard Wisnewski und anderer, die es als „Tatsache“ behaupten, dass der Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 von der US-Regierung selbst inszeniert worden sei und die Funktion erfüllt habe, die Weltöffentlichkeit von den angeblichen Kriegs- und Weltherrschaftsplänen der damaligen amerikanischen Führung abzulenken.72 Solche tendenziösen und dramatisierten Deutungen der damalitische Kraft der (dramatischen) Dichtung dial. 3; dazu Mellor (1993), 114: „Tacitus […] clearly admires Maternus’s decision to abandon oratory for poetry – a politically charged poetry that cost him his life under Vespasian“. Gegen die Vermischung des historiographischen und des poetischen Genus wendet sich Lukian, hist. conscr. 8. 70 Vgl. das oben Anm. 27 angeführte Zitat aus Quintilian. Dieses „extraordinary intellectual instrument of description and analysis“ wird ihm von Mellor (1993), 128 f. auch als seine größte Leistung zugeschrieben. 71 S. dazu oben S. 11 und 17. Ähnliches gilt für die Darstellung Caligulas; dazu grundsätzlich Winterling, A. (2011): Caligula. Eine Biographie, 4. Aufl., München, 11 und 175–180. 72 Gerhard Wisnewski: „Mythos 9/11. Der Wahrheit auf der Spur“ (2004, München). Von einem ehemaligen Angehörigen der politischen Führungselite, dem früheren Bundesforschungsminister Andreas von
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ligen Ereignisse, die sich den Anschein objektiven Tatsachenberichts gaben, fanden in der antiamerikanischen Stimmung im Gefolge des Irakkriegs durchaus Gehör. Wie gezeigt, scheint es eine lohnende Aufgabe, sich mit den Fiktionalisierungsstrategien der antiken wie der modernen Historiker in möglichst großer kritischer Aufmerksamkeit auseinanderzusetzen. Das schulden wir der historischen Wahrheit und auch den antiken Autoren selber, wenn wir sie denn wirklich ernst nehmen wollen. Bibliographie Barrett, A. A. (1996): Agrippina. Sex, Power, and Politics in the Early Empire, London. Beck, J. (2004): „Octavia“ Anonymi. Zeitnahe praetexta oder zeitlose tragoedia? Mit einem Anhang zur Struktur des Dramas, Göttingen. Billot, F. (2003): Tacitus Responds: Annals 14 and the Octavia, in: Wilson, M. (ed.): The Tragedy of Nero’s Wife. Studies on the Octavia Praetexta, Auckland, 126–141. Bishop, J. D. (1985): Seneca’s Daggered Stylus, Meisenheim am Glan. Bishop, J. D. (1978): Seneca’s Oedipus. Opposition Literature, in: CJ 73, 289–301. Boyle, A. J. (2008): Octavia. Attributed to Seneca. Edited with Introduction, Translation, and Commentary, Oxford. von Bülow, A. (2011): Die CIA und der 11. September. Internationaler Terror und die Rolle der Geheimdienste, München. von Bülow, A. (2009): Die Lügen um 9/11, DVD, Berlin. Calder, W. M. (1976): Seneca – Tragedian of Imperial Rome, in: CJ 72, 1–11. Calder, W. M. (1983): Secreti loquimur. An Interpretation of Seneca’s Thyestes, in: Boyle, A. (ed.): Seneca Tragicus: Ramus Essays on Senecan Drama, Berwick, 184–198 Champlin, E. (2003): Nero, Cambridge (MA)/London. Dawson, A. (1968): Whatever happened to Lady Agrippina?, in: CJ 64, 253–267. Ferri, R. (1998): Octavia’s Heroines: Tacitus Annales 14.63–64 and the Praetexta Octavia, in: HSPh 98, 339–356. Ferri, R. (2009): Octavia. A Play Attributed to Seneca, Cambridge. Flaig, E. (1992): Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich, Frankfurt a. M. Flaig, E. (2003): Wie Kaiser Nero die Akzeptanz bei der Plebs urbana verlor. Eine Fallstudie zum politischen Gerücht im Prinzipat, in: Historia 52, 351–372. Flower, H. I. (2006): The Art of Forgetting. Disgrace and Oblivion in Roman Political Culture, Chapel Hill (NC). Fraenkel, E. (1986): Tacitus, in: Pöschl, V. (Hrsg.): Tacitus, Darmstadt, 26–48. Ginsburg, J. (2006): Representing Agrippina. Constructions of Female Power in the Early Roman Empire, Oxford. Goldberg, S. M. (2003): Authorizing Octavia, in: Wilson, M. (ed.): The Tragedy of Nero’s Wife. Studies on the Octavia Praetexta, Auckland, 13–36. Grewe, S. (2001): Die politische Bedeutung der Senecatragödien und Senecas politisches Denken zur Zeit der Abfassung der Medea, Würzburg.
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Kommentar
Versuch eines Kommentars Hans-Joachim Gehrke Ein Bild gab gleichsam das Motto: Eustache Le Sueur, Clio, Euterpe et Thalie (um 1652– 1655, Louvre). Es ging entschieden um eine Synopse, um einen verbindenden Blick auf die nachklassische Geschichtsschreibung der Antike. Das Verbindende stellte sich vor die steilen Antithesen, die die Geistes- und Literaturgeschichten durchziehen und mit denen wir fast alle groß geworden sind: Wahrheit vs. Dichtung, Fakten vs. Fiktionen, Geschichte vs. Kunst und ähnliches mehr. Schon diese Einführung fügte sich sehr gut ein in aktuelle Tendenzen in der geistes-und kulturwissenschaftlichen Forschung.1 Ganz im Sinne dieser integrierenden Perspektive wurden bei der Saarbrücker Tagung, die den Beiträgen dieses Sammelbandes den Anstoß gab, auch strikte Alternativen aufgebrochen, zunächst die große Unterscheidung zwischen der antiken Geschichtsschreibung und der modernen wissenschaftsbasierten Geschichtsdarstellung. Die traditionelle Polarität sah hier ja eine strikte Diskrepanz zwischen den Leistungen der Moderne und der diesen gegenüber defizitären Historiographie der Alten. Man denke an die strengen Verdikte von Kennern wie Eduard Schwartz und Felix Jacoby. Und wenn von solchen Wertungen allenfalls Thukydides ausgenommen wurde, so schuf das ein anderes Problem: In unangemessener Identifizierung wurde dieser geradezu zum ersten und einzigen kritischen Historiker im modernen Sinne, zum Vorläufer, ja „Kollegen“. In der neuen Optik werden wir aber auch die Differenz nicht übertreiben. So mögen nun nicht alle antiken Historiker entweder als Unvollkommene oder Kollegen erscheinen, aber doch als Autoren, die sich auf ihre Weise mit Problemen auseinandersetzten, die den unseren nicht unähnlich sind. Dies kann nicht nur zu einem angemesseneren Verständnis der antiken Geschichtsschreiber und ihrer Werke führen, sondern auch uns selbst und unseren Umgang mit der Geschichte bereichern – im Sinne einer reflektierend-kontrollierenden Selbstvergewisserung. Darin sah und sehe ich einen besonderen Gewinn der Saarbrücker Tagung. Bereichernd ist dieser Zugang schon deshalb, weil er auf ein altes, ja grundsätzliches und doch selten theoretisch diskutiertes Problem der Geschichte und ihrer Ermittlung wie Vermittlung verweist. Dass „Klio dichtet“ hat nicht erst Hayden White bemerkt, aber er hat das Problem auf besondere Weise sichtbar gemacht. Die Tagung setzte genau an diesem Problem an, aber sie näherte sich ihm eben nicht im Sinne der erwähnten strikten Antithesen. 1
Stellvertretend für anderes sei das Freiburger Graduiertenkolleg „Faktuales und fiktionales Erzählen“ erwähnt.
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Vielmehr sahen ihre Initiatoren, Thomas Blank und Felix K. Maier, einen Anreiz darin, das Dichten der Klio als einen komplexen Vorgang im Spannungsfeld von Geschehen und Erzählen, von Ereignis und Bericht, von Fakt und Kunst zu verstehen. Darauf waren die Beiträge auf ihre Weise sehr schlüssig ausgerichtet, und so gelangen immer wieder ansprechende und anregende Analysen. Es zeigte sich sehr schnell, dass der Blick auf die Antike zugleich dazu verhalf, die Tiefendimensionen der genannten Problematik auszuloten, lange vor Hayden White und dem von ihm interpretierten literarischen Corpus. Der Hintergrund blieb immer, wie durch das Konzept und den Titel der Tagung vorgegeben, der Wahrheitsdiskurs. Von Anfang an wurde klar gemacht, dass wir es in der Antike zwar mit einer ziemlich klaren Antithese von Wahrheit (alētheia) und Trug (pseudos) zu tun haben, dass es aber dazwischen noch eigene Bereiche von Verbindungen und Kombinationen gab, die nicht zuletzt durch die gängige Praxis der Rhetorik und des rhetorischen Denkens und Schreibens geprägt war: Kategorien wie das Plausible, das Wahrscheinliche, das Passende oder das Paradoxe. Von diesem Grundverständnis aus wandten sich die Vorträge weniger theoretischen Konzepten zu als vielmehr der Praxis, besser: den Praktiken der verschiedenen Historiker in dem genannten Spannungsfeld. In diesem Rahmen wird der eine Pol durch die Faktizität des Geschehens bezeichnet, und das Verständnis der Fakten spielte naturgemäß eine große Rolle. Dabei wurde hervorgehoben, dass „Tatsachen“ in der Antike besonders als Handlungen, Taten, Leistungen verstanden wurden, als pragmata und erga. Das machte den Blick frei auf einen besonders wichtigen Bereich der antiken Rhetorik, im Praktischen wie in der Reflexion, nämlich auf die forensische Beredsamkeit. Es ist sehr charakteristisch, dass das genos dikanikon von Anfang an mit der Geschichte in engem Zusammenhang steht, so dass es hier viele genuine Gemeinsamkeiten gibt. Sie allein schon sollten davor warnen, eine Mauer zwischen Historiographie und Rhetorik zu errichten – so sehr sich auch die Klassiker, Herodot und besonders Thukydides, um solche Abgrenzung bemühten. Eine solche Verbindung ist auch für das moderne Verständnis von Geschichte nicht unwichtig.2 Generell gilt nach wir vor: Geschichte ist und bleibt, „was der Fall war“ (Reinhart Koselleck). Dass es nicht zuletzt vor Gericht um Wahrheitsermittlung ging und geht, also darum, „wie es eigentlich gewesen“, schafft die prinzipielle Vergleichbarkeit, einst und heute. Im Zusammenhang damit steht ein weiteres wichtiges Charakteristikum der antiken Rhetorik, und es mag sogar geeignet sein, uns aus dem Dilemma zwischen der Verpflichtung auf die Wahrheit und der schieren Unmöglichkeit ihrer adäquaten Ermittlung oder gar Wiedergabe herauszuhelfen: Es geht immer um einen Agon, nicht zuletzt vor Gericht, wo er sogar über Leben und Tod entscheiden kann. Ein solcher Wettstreit kann zu schlimmen Tricksereien führen, aber auch zu sinnvollen und ernsthaften Differenzierungen zwischen wahr und falsch, plausibel und unwahrscheinlich, richtig und unrichtig. Nicht zuletzt die antiken Rhetoriker selber – einer ihrer ältesten, Gorgias von 2
Man denke an Carlo Ginzburgs geistreiche Überlegungen zur Spurensuche von Detektiven.
Versuch eines Kommentars
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Leontinoi, kann als Kronzeuge angeführt werden – wussten um Glanz und Elend ihres Tuns. Aber die Ausrichtung auf Konkurrenz und Wettstreit, wie sie nicht zuletzt in der traditionellen Polemik begegnet, konnte auch, im Sinne eines sokratischen elenchos, auf ein dialogisches und dialektisches Arbeiten am Gegenstand führen. Durch Widerlegen konnte man eine allmähliche Verbesserung erzielen, sofern man bestimmte rational-logische Verfahren respektierte und den ‚trügerischen’ Umgang mit den Sachverhalten durchschaute. Dieses Procedere führte nicht zwingend zu einer besseren Wahrheit und einem generellen Fortschritt in der Wahrheitssuche. Aber es stellte doch das kritische Nachdenken und Überprüfen ins Zentrum, das wenigstens die Falsifizierung erlaubte. Es ermöglichte darüber hinaus, auch den Leser – und gerade auf diesen setzte die Geschichtsschreibung beizeiten – als nachdenkendes Subjekt mit ins Spiel zu bringen. Dass das für antike Historiker durchweg galt, wurde immer wieder deutlich. Mit dem Blick auf das Rhetorische und Literarische wurden auch solche Elemente in den Blick genommen, die herkömmlicherweise weniger in den Geschichts- als in den Literaturwissenschaften Aufmerksamkeit finden. Hierin lag ein weiterer Kernbereich der Tagung. Phänomene wie das Mimetische, das Tragische, das Anschauliche (enarges) standen dabei im Zentrum. Mit ihnen verbanden sich Hinweise auf die theatralische Performanz in der Darbietung des historischen Geschehens, das „Vor-Augen-Stellen“ einerseits; andererseits auf eine besondere Emotionalität und Sinnlichkeit, die Vermittlung von Freude, Schmerz, Anteilnahme generell, das psychagogein und all das, was Aristoteles der Tragödie zuweist. Auch solche Elemente wurden nun nicht gegen das Postulat der Wahrheit und Wahrheitssuche in Stellung gebracht, sondern daraufhin befragt, ob sie nicht – mindestens im Sinne der antiken Vorstellungen und Praktiken – auch dazu beitragen könnten. Dass darüber schon in der Antike lebhaft gestritten wurde, kann im Sinne der erwähnten dialektischen Wahrheitssuche durchaus auch einen Anreiz für neue Diskussionen über Geschichte und ihre Vermittlung darstellen. Angesichts der thematischen Breite fand auch die Diversität der Gattungen breiten Raum. Dass verschiedene Textsorten nach eigenen Regeln ‚funktionierten’, stellt für ein auf Wahrheit orientiertes Verfahren durchaus ein Problem dar. In der Tagung wurde sichtbar, dass demgegenüber auch ein und derselbe Autor über dasselbe Ereignis und dieselbe Gestalt unterschiedlich erzählen konnte. Auch hierin lagen Lizenzen des rhetorischen Schreibens in der Antike, und auch hierin muss man in diesem Horizont keinen Verstoß gegen das Wahrheitsgebot sehen. Gerade in diesem Rahmen konnte auch die Biographie in das Spektrum der historiographischen Medien mit einbezogen werden. Der große Vorzug eines solchen Zugangs liegt also, zusammenfassend gesagt, in seiner entschieden synoptischen Perspektive. Sie ermöglicht auch, die beobachteten antiken Phänomene und Praktiken für unseren eigenen Umgang mit der Geschichte fruchtbar zu machen. Wir müssen uns weder mit antiken „Kollegen“ identifizieren noch auf diese als Rhetoriker und Literaten verächtlich herabschauen. Wir können uns in mancher Hinsicht in Nähe und Differenz mit ihnen verbunden fühlen, mehr oder weniger. Aus meiner Sicht gilt das in besonderem Maße für die elenktischen, Irrtümer
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Hans-Joachim Gehrke
ausschaltenden oder minimierenden Diskurse und Debatten, die Jahrhunderte, ja Jahrtausende anhalten können. Wir lernen dabei, das Wahrscheinliche zu schätzen und ihm seine eigene Dignität zu lassen. Ebenso wichtig ist die Erkenntnis, dass Geschichte erst dort Geschichte wird, wo sie im Gewand verschiedener Medien, nicht zuletzt von Kunst, als Zusammenhang sichtbar gemacht, eben: vor Augen gestellt wird. Dass Geschichte, so verstanden, erzählt sein will, haben auch moderne Geschichtsschreiber wie Golo Mann, Alfred Heuß und Christian Meier immer wieder betont. Das fand und findet aber wenig Beachtung in der Zunft der Historiker. Hier herrscht immer noch ein ‚objektivistisches’ Bild von der Arbeit des Historikers an den Quellen. Bedenkenswert daran ist, dass es mit klarem Realitätssinn verbunden und auf einen markanten Wahrheitsanspruch gegründet ist. Aber eine angemessene Deutung der antiken Historiographie, wie sie auf der Tagung und nun in dem vorliegenden Band erkennbar wird, mag uns verdeutlichen, dass wir diesen Sinn und diesen Anspruch nicht aufgeben müssen und dennoch der Form und der Darbietung eine konstitutive Rolle in der Rekonstruktion von Geschichte zugestehen können. Wir müssen nicht beim Entweder-Oder stehenbleiben, sondern dürfen uns durchaus auf ein Sowohl-Als auch einlassen – mindestens versuchsweise.
Index locorum Bei den Zitationsweisen kann es zu leichten Abweichungen zwischen den einzelnen Aufsätzen kommen. Agatharch. FGrHist 86 T2: 210 Aischin. or. 1.6: 178; 1.25: 173; 1.89: 165; 1.91: 163; 1.128 f.: 170; 1.140: 179; 1.144: 170; 1.148–152: 170; 1.173: 170; 1.183: 178; 2 hypoth.: 175; 2.44: 165; 2.46: 165; 2.54: 165; 2.63–66: 175; 2.70–72: 166, 169; 2.74–78: 170, 173, 179; 2.84 f.: 165; 2.107: 165; 2.124–129: 168; 2.132–134: 164 f.; 2.143: 165; 2.158: 170; 2.164 f.: 170, 181; 2.172 f.: 175 f.; 2.175: 174; 3.2: 178; 3.35: 169; 3.68: 165; 3.70: 165; 3.75: 165; 3.93: 165; 3.99: 169; 3.101: 165; 3.108: 178; 3.112: 165; 3.124: 165; 3.131: 166; 3.135: 170; 3.157: 166; 3.168: 172: 3.175: 178; 3.181: 176; 3.183–186: 170, 176; 3.190–192: 170; 3.202: 169; 3.257: 178 Andok. or. 1.7: 165, 169; 1.37: 166; 1.55: 166; 1.69: 166; 1.81–84: 178; 1.95: 178; 3.2– 11: 164, 174, 176 Androt. FGrHist 324 F60b: 36 Anth. Pal. 9.518: 195 Antiph. or. 3.1: 149; 5.3: 163; 5.82–84: 167 Antisth. (Decleva Caizzi) F 19: 120; F20a: 120; F21a: 120; F101: 120 Aristoph. Ach. 523–529: 267; 528–534: 174 Pax 603–610: 174 Ran. 202 Aristoph. FGrHist 379 F5: 39, 276 Aristot. eth. Eud. 1237b27: 98 eth. Nic. 1129a33: 138 gen. an. 736a10: 272 hist. an. 523a17: 272
met. 1024b27–1025a2: 21 mir. 15 (=831b14–18): 36 poet. 1448a1–15: 201; 1448a–128: 94; 1450a8–38: 94, 201; 1450b36–1451b33: 55, 69, 94, 96, 203, 218, 254, 340; 1452a12–b8: 201; 1453a12–1454a15: 201; 1484b4–23: 94 rhet. 1354a1–11: 21; 1354a21–31: 150; 1355a14– 23: 163; 1356a19 f.: 163; 1356a35–1358a35: 309; 1358b2–8: 164; 1358b30–33: 163; 1366b9: 138; 1389b20: 98; 1393a20–1394a18: 309; 1393a28–b4; 164, 311; 1394a5–8: 122, 310; 1394a9–16: 312; 1400b35–1402a29: 163; 1403b: 21; 1408a20–24: 163; 1408a33–36: 171; 1411b24–1413b2: 152; 1414a30–37: 150 f.; 1417a36 f.: 153 soph. el. 183b: 21 top. 104b21: 21 Ps.-Aristot. s. Rhet. Alex. Arr. epict. diss. 4.6.20: 120 exped. Alex. 1 praef. 1: 248; 1 praef. 3: 258; 1.12.1–5: 256; 7.30.3: 256 per. p. E. 15.1: 273 Athen. 6.223b–d: 202 Ber. FGrHist 680 F4b: 37 Cass. Dio 1.2: 256; 53.19: 69, 248, 256; 61.10: 329; 61.12.1: 329; 61.13.5: 330; 61.16.2: 333; 62.13.1: 334; 63.9.4: 331; 63.28.5: 331; 67.3.1: 313; 72(73).23.5: 248; 73(74).18.3 f.: 256 Char. FGrHist 262: 275 Cic. Att. 1.19.10: 247; 1.20.6: 247; 2.1.1 f.: 247; 13.30.2: 188 Brut. 44: 248 de orat. 2.36: 297; 2.51: 244, 246; 2.54 f.: 244, 246; 2.62–64: 244, 246, 254, 258; 3.205: 310
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Index locorum
fam. 5.12: 218, 244, 246–248 inv. 1.27: 255; 1.29: 311; 1.34–36: 311 leg. 1.4–9: 244, 246, 248; 1.5: 202 off. 3.113.7: 188 orat. 30 f.: 286, 288, 297; 120: 123 part. 81: 312 Q. fr. 1.1.23: 123 rep. 2.27.12: 188 Curt. 8.1.41–52: 126 Dein. or. 1.33: 164 f.; 1.72: 170; 1.75: 170; 1.93: 171 Dem. Phal. eloc. 212–216: 153 Dem. or. 3.4–9: 164; 13.22: 179; 14.30: 179; 18: 164; 18.6: 178; 18.96–100: 170; 181; 18.139–159: 166 f.; 18.199–210: 173, 179; 18.225: 165, 169; 18.267: 170; 19: 169; 19.13–16: 173, 175; 19.19: 170; 19.36–38: 168, 175; 19.96: 169; 19.146: 165; 19.161: 165; 19.165: 165; 19. 170: 165; 19.176: 165; 19.224: 170; 19.243: 173; 19.247: 170; 19.255 f.: 170; 19.263–265: 177; 19.273: 171; 19.277: 170; 19.312: 179; 19.332: 172; 20.52–54: 170; 20.68: 170; 20.70: 170; 20.73 f.: 170; 20.77: 170; 20.90: 178; 20.93 f.: 178; 20.102–104: 173, 178; 20.159: 179; 21.143: 171; 21.170: 179; 22: 178; 22.25: 173; 23.104: 171; 29.191: 181; 23.196: 176; 23.198: 176, 179; 23.205: 176; 24.103: 173, 178; 24.106: 173, 178; 24.113–115: 173, 178; 24.142: 178; 24.147 f.: 178; 24.151: 167; 24.211–214: 178; 25: 178; 36.27: 178; 42.1: 178; 43.62: 178; 43.67: 178; 43.78: 178; 44.67 f.: 178; 46.14: 178; 57.31 f.: 178; 60.10: 179 Ps.–Demosth. or. 26.4: 178; 26.23: 178; 59.75: 179; 59.91 f.: 165; 59.94–106: 180 Diod. 1.2.2: 201, 297; 1.3.3–8: 236, 248; 1.4.1 f.: 248; 1.37.3–7: 213, 215, 296; 1.37.10: 213; 1.39.6 f.: 215; 1.40.6: 215; 1.69: 229, 231; 1.71.1: 229; 1.74.5: 229; 1.83–90: 230; 1.83.9–1.84.4: 228, 230, 232; 1.86 f.: 232; 1.86.1 f.: 230 f.; 239; 1.87.5; 228, 231 f. 1.88–90: 231 f.; 2.33.7: 237; 2.43 f.: 238; 2.44.3: 228; 2.59.4: 228; 3.15– 3.18: 234; 3.17.1: 228, 234; 3.20.3: 211; 3.29 f.: 235, 238; 3.30.2–4: 228, 235; 3.33 f.: 228, 238 f.; 3.35.10: 228, 234; 3.36: 228; 3.37.7 f.: 228; 3.51.1: 228; 4.1.1: 233; 4.1.5: 227, 232; 4.8: 228, 232 f.; 5.31.3: 228, 232 f.; 10.24: 273; 12.53: 179; 15.30.2: 169; 15.46.6: 180; 20.43.7: 218
Diog. Laert. 3.28: 136; 3.34: 124; 6.2: 120; 6.11: 120; 6.11–13: 135; 6.15–18: 117 Dion. Hal. ant. 1.1.2 f.: 19, 290, 297; 1.4.1–1.5.1: 19, 287; 1.6.1–5: 202, 287; 1.7.2 f.: 248; 4.30.2 f.: 248 ep. Pomp. 3: 98, 105, 284; 3.1.7: 276, 288; 3.2–15: 288; 3.4: 285, 289; 3.9 289; 3.14– 21: 102, 105, 282, 288 f., 293; 4: 124; 6: 110 imit. 3.1 Aujac (=fr. 31.3 [424 f.] Usener-Radermacher): 276; 3.4 Aujac (=fr. 31.3. [426] Usener-Radermacher): 202; 3.10 Aujac (=fr. 31.3 [429] Usener- Radermacher): 147; orat. 4.2: 283 Thuc. 1.4: 286; 2.1 f.: 294, 298; 2.4: 299; 5: 105; 5.3: 294; 5.5: 295; 6: 56; 6.4: 295; 7.3: 295; 8: 294; 8.1 f.: 281–283, 291, 293, 295 f.; 9: 295; 9.20: 284; 15: 202; 15.2. 292; 18.1: 284; 20: 285; 21–49: 284; 23: 105; 25.2: 283; 26 f.: 285; 28– 32: 285; 34.4–7: 299; 39.1: 292: 50.2 f.: 287; 51.1: 287; 55.5: 300 Dion. Thrax p. 168: 254 Schol. ad Dion. Thrac. p. 746.1.1: 202 Diss. Log. 3.1: 137; 3.10: 93 Duris FGrHist 76 F1: 95, 209, 218 Ephor. FGrHist/BNJ 70 T30a: 33 f.; F31b: 34; F118: 34; F122a: 34 f.; Eur. Alc. 747–804: 126 Front. ad Verum imp. 2.3: 246 Gell. 11.11: 42; 14.3: 124 Gorg. VS 82 (DK) B11.1 f. (=Hel. 1 f.): 93; B11.10– 13 (=Hel.10–13): 93, 269 Hekat. FGrHist/BNJ 1 T10: 35; F1: 266; F1a: 16, 18, 35; F18a: 32 Hekat. FGrHist 264 F3: 272; F25: 273 Heliodoros 1.1.4: 126 Hellanik. FGrHist 4 T18: 33; F107: 33 FGrHist 323a F16b: 33 Hdt. 1. praef. (=1.1.0): 16, 201; 1.1–5: 266 f.; 1.5.3: 18; 1.8.2: 222; 1.20.3: 267; 1.32.9: 192; 1.70.3: 267; 1.107–119: 127; 1.117.2: 34; 1.123– 130: 271; 1.136.2: 130; 1.138: 140; 1.184: 273; 1.214: 271; 2.2.5: 267; 2.20–23: 122; 2.22.1: 34;
Index locorum 2.29.3: 268; 2.45.1: 51; 2.93: 272; 2.113: 191; 2.123.1: 103; 2.143: 266; 3.72.4: 34; 3.101.2: 272; 5.36: 266; 5.125: 266; 6.57.5: 267; 6.82: 32 f.; 6111.2: 180; 6.137: 266; 7.35: 272; 7.51.3: 192; 7.102.1: 34; 7.139: 266; 7.150.3–7.152.3: 104; 7.152: 122; 7.152.3: 266; 7.166: 267; 7.202: 180; 8.5.19: 271; 8.44: 180; 8.119: 267; 9.2: 276; 9.53: 268 Hom. Il. 2.243: 118; 2.254: 118; 5.871: 219; 18.59–99: 170; 18.333–335: 170; 23.75: 219; 23.77–91: 170; 24.328: 219; Od. 8.487–491: 222; 10.409: 219; 19.361: 153; 22.232: 219; 22.447: 219 Hyp. or. 3.21 f.: 178; 6.37 f.: 176; 7.12 f.: 168; 7.19: 164 Inschrift SEG 48 1330 col. II, 43 f.: 105 Ios. ant. Iud. 20.154: 328 c. Ap. 1.12.8: 273; 1.16: 33, 271; 1.22.5: 273 vita 16: 328 Is. or. 5.47: 179 Isok. ep. 3.28: 171 or. 4.91: 179; 5.43 f.: 181; 5.56–67: 127; 6.42: 171; 7.64–66: 170 f.; 9.37 f.: 127; 11.1–50: 158 f.; 11.38–43: 21; 12.102 f.: 171; 12.168: 171; 12.195: 179; 13.13–18: 21, 156, 158; 14.40: 171; 15.93: 170; 15.159: 202; 15.183: 156; 15.231 f.: 178 Iul. ep. 89b, 346 f.: 255 Iul. Afric. chron. F75: 274 Iuv. 8.211 f.: 335; 8.217–219: 337 Ktes. FGrHist 688 T8: 34, 268, 272; T13: 269; T14a: 153; F1–5: 268, 270 f.; F1b: 37; F9: 269; F11a–h: 36 f.; F13: 269; F16: 34, 36, 269; F36: 36; F48a–b: 36; F381: 271 Liv. 2.21.4: 69; 6.1: 69; 26.25: 194; 30.45.5: 188; 31.14–18: 194; 31.28.6: 197; 32.13.6–9: 197; 33.10.10: 188; 33.12 f.: 198; 33.30–35: 198; 36.14: 194; 36.25: 194; 36.33 f.: 194; 38.1–7: 194; 39.27–35: 194; 39.53: 194: 40.21 f.: 194; 45.12 f.: 197 [Longin.] subl. 13.3: 105
353
Luc. 7.210–213: 217 Luk. Alex. 47: 66 Charid. 13: 65 Demon. 4.1: 66 eik. 10: 202 Herod. 1: 273 hist. conscr. 1: 54; 2: 244, 249; 3: 253; 6–32: 51; 6.7: 53; 7–10: 35, 54–59, 202, 252, 257, 341; 13: 60, 252; 14: 256; 20 f.: 53; 24: 53; 33–63: 51; 37: 252; 39 f.: 56, 60, 241, 298; 41 f.: 61, 65, 252 f., 273, 282; 47: 63, 251 f.; 51: 62, 64, 249; 54: 274; 61: 253; 63: 253 Iupp. conf. 5.4: 65 merc. cond. 4.15: 65 Phal. 1.12: 66 Philops. 2: 17, 273 pisc. 16: 66 rhet. praec. 8: 66 ver. hist. 1: 52; 1.3.10: 17; 1.4: 255; 2.31; 51, 273 vit. auct. 8: 65 Lyk. or. 1 42 f.: 164; 49: 169; 62: 171; 93: 170; 104: 179; 108 f.: 179; 116: 116 Lysan. FGrHist/BNJ 426; F1: 275 Lys. or. 1: 149, 152; 1.5: 151; 1.9: 151; 1.27: 151; 2.20–26: 179; 3: 149; 3.3: 151; 3.10: 151; 7.3: 151; 10.1: 165; 10.15–19: 178; 12: 151; ; 12.3: 151; 12.19: 152; 12.61: 165; 13: 149, 152; 13.3: 151; 13.68: 165; 13.71 f.: 165; 13.81: 165: 15: 152; 16: 149; 16.9: 150; 17: 152; 21.10: 165; 23: 152; 24: 152; 25: 152; 25.23: 164; 30.2: 178; 30.26: 178; 30.28: 178; 31: 149; 32: 151 Maneth. FGrHist 609 T7a: 37, 273; T11b–d: 37 Mart. 8.36: 316; 8.39: 316 Max. Plan. proleg. syll. 7: 149 Megasth. FGrHist/BNJ 715 T4: 37; F23b: 272 Nearch. FGrHist 133 F8a: 272 Nikol. FGrHist 90 F8d: 121; F66: 121; F66.5: 127; F66.20–45: 121 Ov. met. 3.407–510: 251
354
Index locorum
Papyri P.Oxy XXXI 2539: 255 P.Tebt II 268: 255 Paus. 1.15.3: 176, 180; 1.32.3: 180; 9.1.5–8: 180 Philin. FGrHist. 174 F2: 43 Philoch. FGrHist 328 F1: 35 Phot. Bibl. 213.171a19: 210; 250: 210; 250.46b: 211; 250.444b22: 217; 250.445b42: 217; 250.446a28: 217; 250.446b9–19: 216, 219; 250.447a17–19: 220; 250.451a: 211 Phylarch. FGrHist 81 T3: 38, 41 Plat. Gorg. 482c–486d: 129; 508a: 135; 523a: 95 Krit. 50a–b: 129; fr. B6: 136 leg./Nom. 653–655: 202; 694c: 124; 694e–695a: 118 rep./Pol. 331c: 137; 331e: 129; 332a–b: 137; 344a: 135; 359c: 135; 410d–402a: 94; 606–608: 202 Tht. 193c: 251 Tim. 47a–c: 95; 191c: 91 Plin. (mai.) nat. 14.137: 126; 14.142: 126 Plin. (min.) ep. 5.8: 244 paneg. 41.3: 321 Plut. adul. 50e–f: 100; 61d–f: 100, 102 adv. Col. 1118b: 90 f.; 1122 f.–1124b: 91, 95 Aem. Paul. 1: 106, 110;; 14.2–5: 107 Ag. et. Cleom. 1.1 f.: 108 Alc. 23.3–6: 110; 39.3–5: 107 Alex. 1.2 f.: 80, 105 f.; 108; 126; 6.5–8: 78 f.; 7.1: 80; 31.6–33.11: 202; 60.1–6: 96; 77.1–3: 107 Ant. 58.4–59.1: 108; 86.1–3: 107 Apophth. Lac. 212b–c: 130; 215d: 130; 225 f.–226b: 107; 229a: 93 Arat. 18–23: 202; 38.2–8: 107; 46–52: 196 Arist. 1.9: 107 Art. 4.1 f.: 107; 4.5 f.: 107; 8.1: 83, 95, 202, 217; 10.1–11.6: 107; 13.3 f.: 108; 18.4 f.: 108; 19.2–4: 107 aud. poet. 14b–15a: 93, 95, 108 f.; 15c–17 f.: 90, 93, 95 f., 108; 18a: 94, 97; 19e–20b: 95; 25b–d: 94, 108 f.; 27e–f: 94; 30c–d: 95;
41a–b: 93; 41 f.–42a: 93, 95; 42c: 93 C. Gracch. 1.4–6: 107; 13.2–4: 107; 19.2 f.: 107 Caes. 8.2–4: 107; 10.6 f.: 108; 53,1 f.: 107 Cam. 20.3–6: 108; 23–25: 107 cap. util. 89 f.–90a: 93 Cat. mai. 5.1 f.: 107; 7.2: 107 Cat. min. 25.4 f.: 108 Cic. 41.1–5: 96, 107; 49.1 f.: 107 Cim. 2.3–5: 106; 18: 175 cons. ad Apoll. 120e–121e: 95 Cor. 37.3–38.4: 108 Crass. 13: 247; 22.6: 107; 31.6 f.: 107 Dem. 2.3: 91 Demtr. 1.1–7: 91, 108 Dion. 35.3–36.2: 102 E ap. Delph. 378a: 92 Fab. Max. 16.5: 105, 107 fac. orb. Lun. 942d–f: 95 Flamin. 1.1: 97; 18.2–5: 107 fort. Alex. 341 f.–342a: 91 fort. Rom. 319d–320b: 91; 326a: 69, 91 frag. 217 (Sandbach): 90 Galb. 2.3: 105 garr. 504c: 177 gen. Socr. 575b–d: 95, 97, 106; 578 f.–579d: 95; 580b–f: 90; 589 f.: 96 glor. Ath. 345c–347d: 96; 345e–f: 91, 95–97, 106, 110; 346e–347c: 70, 73, 202, 95, 221; 348a–b: 94, 96 Is. et Os. 351c–e: 95, 97; 354e–f: 95; 358e–359b: 95; 365d–e: 95 Lyk. 28.6: 108 Lys. 1.1 f.: 107; 12.1–7: 108; 17.1 f.: 107 mal. 854–856: 99–104; 274 f.; 854e–f: 99, 105; 855b–856d: 101–104, 107 f., 289; 857a: 275; 859b: 275; 863b–d: 104; 864d: 39, 276; 869a: 275; 872d–873a: 104; 874b–c: 105, 275 Mar. 11.4–7: 107; 13.1 f.: 107; 36.6: 108 mult. virt. 242e–243e: 93, 107; 247 f.–248 f.: 108 Nic. 1.4–6: 107; 11.3 f.: 102; 11.7: 91; 14.6: 107; 19.3–5: 107 Num. 4.7 f.: 107; 14.5 f.: 107; 15.3–6: 108 num. vind. 550d: 97; 563b: 95 Pelop. 2.5: 109 Per. 1.2–4: 97, 106, 108; 1.2–2.3: 108; 4.1 f.: 107; 5.3 f.: 107; 10.4–6: 107; 13.9– 12: 107; 17.3: 108; 22–24: 176; 24.1–7: 108; 30 f.: 174; 32.1–3: 107
Index locorum Phok. 2.2–5: 109 Publ. 17.1 f.: 104 quaest. conv. 624a–b: 95; 627c–e: 94, 96; 700b: 90; 715e–f: 91 Rom. 28.4–8: 108 Sert. 1.1–5: 110; 14.1–5; 109; 16.5: 109; 22.3–5: 110 stoic. rep. 1040b: 94 suav. viv. 1092e–1093d: 91 f., 94, 105 f. superst. 164e–f: 91 Them. 4.4: 107 Thes. 1: 106; 1.1–5: 108 Tib. Gracch. 8.4–7: 107 Timol. praef. 2 f.: 108; 1.1 f.: 108, 110; 15.1–6: 107 f. tranq. an. 473d–e: 95 virt. mor. 441c–d: 109; 442a–c: 91; 447e–448b: 90; 451b–452c: 92 [Anon.] Cat. Lampr. Nr. 124: 88; Nr. 225: 88 Polyain. 5.17.2: 196; 15.22: 196; 15.24.1–3: 196 Pol. 1.1.1–11: 64, 187, 189, 193, 200 f.; 1.14.1 f.: 43, 188; 1.14.6–9: 181; 1.15: 43; 1.35: 187; 2.4.3–5: 193; 2.9.6: 193; 2.35.4–8: 193; 2.37.4: 193; 2.56: 18, 41, 218; 2.56.1 f.: 189; 2.56.7–13: 38, 80 f., 187 f., 221; 3.4.8: 55, 59; 3.6: 188, 198 f.; 3.14.10: 198; 3.20.1–6: 187; 3.31.12 f.: 55; 3.32.6: 35; 3.33.17: 43; 3.47 f.: 18, 38, 188; 4.2.2–4: 190; 4.76 f.: 196 f.; 4.82–87: 196; 5.1: 196; 5.5–6: 196; 5.9–12: 194, 196; 5.10: 189, 194; 5.32: 192; 5.48.9: 18; 5.101.6–10: 195; 5.102.2: 195; 5.108–110: 194; 6.11.7 f.: 44; 6.53.2 f.: 18; 7.7: 18; 7.11– 14: 196 f.; 8.3–9: 188; 8.8 f.: 39; 8.9–14: 188, 191; 8.9.2: 221; 8.9.5: 40; 8.10: 39 f., 188, 191; 8.11.2: 40; 8.12–14: 194, 196; 9.1 f.: 187; 9.18: 194; 10: 197; 10.2: 104; 10.21.8: 56; 11.5.8 f.: 200; 11.7.2 f.: 197; 12.3–28: 41 f.; 12.3–11: 190; 12.4–6: 42 f.; 12.4c: 42, 191; 12.5–12a: 42, 193; 12.7.1; 42; 12.7.6: 42 f., 53; 12.10.6: 43; 12.11.8: 43; 12.12.1–6: 43, 53, 187, 269; 12.12.7–12.15.12: 188; 12.15 44; 12.17–22: 43, 191; 12.22.6: 222; 12.23: 44; 12.23.8: 189; 12.24: 191; 12.24.5: 18; 12.25: 82; 12.25a–b: 37, 187, 217; 12.25d–h: 44, 190–192, 201, 215 f., 221; 12.25i2–8: 190–192; 12.25k.1: 44; 12.27a–28a: 190; 12.27.1: 214; 12.28a.7–10: 192; 12.28.1: 191; 13.3–5: 194, 196 f. 13.5.4–6: 187; 15.20: 196 f.; 15.22–24: 194, 197; 16.1–11: 194, 196 f.; 16.10:
355
196; 16.12: 18; 16.14.6–10: 43, 188; 16.15: 196 f.; 16.17.9–11: 187 f.; 18.14: 188; 18.44 f.: 198; 18.47: 198; 18.51: 194; 18.54: 194; 20.12.8: 187, 216, 218; 22: 194; 22.1.5: 197; 22.13 f.: 197 f.; 22.18: 188, 194, 198; 22.22.8 f.: 195; 23.9.6: 199; 23.10: 199 f.; 23.11.1–3: 202; 24.30–35: 194; 29.12.11 f.: 43; 29.19.1 f.: 200 f.; 29.21: 189; 29.23–25: 196; 34.4.2: 187; 36.1.7: 35; 38.4.7 f.: 44; 38.20–22: 18, 189; 39.7: 196; 41.6–8: 197 Quint. inst. 3.4.11: 158; 3.7.15: 311; 3.7.25: 312; 4.2.19: 311; 4.2.21: 311; 4.2.52: 311; 4.2.76 f.: 312, 321; 4.2.88–100: 311; 5.9.1: 310; 5.11: 310 f.; 8.3.72–81: 310; 10.1.31: 202, 333 Rhet. Alex. 1421b7 f.: 158; 1421b10: 151; 1427b12–30: 151; 1428a16–23: 309; 1428a25 f.: 157; 1429a21–1430a13: 164, 309 f.; 1429a31 f.: 157; 1429b28– 30: 309; 1431b9 f.: 154; 1438a3–17: 151, 153; 1438a19 f.: 154; 1438b14–28: 155; 1444a18 f.: 152; 1445a30– b22: 151; 1444b24–1446a35: 153; 1444b29– 34: 156; 1446a4–15: 156 Rhet. Her. 1.2.3: 251; 1.3.4: 311; 1.12.f.: 255; 2.20.31: 310; 2.29.46: 310; 3.3.36: 312; 3.5.10: 311; 4.3.5: 310; 4.49.62: 310 Sext. Emp. adv. math. 1.247–269: 96, 245, 253 f. Sen. (mai.) contr. 2.5.7: 332; 7.5.12 f.: 309 Sen. (min.) apocol. 1.1 f.: 258 benef. 7.20.3: 330; 7.20.5: 331 Herc. F. 1 f.: 336 Herc. O. 1678 f.: 330 nat. 7.16.1 f.:258 Oed. 1036–1039: 330 Phaedr. 1197: 330 Phoen. 447: 330 Tro. 1001: 330 [Sen.] Oct. 1–3: 335; 179–188: 337; 219 f.: 336; 334 f.: 332; 368–372: 330, 332; 532: 337; 590–597: 337 f.; 609–612: 333; 618–631: 334; 642 f.: 332; 657: 336; 721–723: 337; 828: 336; 877–982: 335 f. Soph. Antig. 450–457: 129; 801–810: 336 Stat. silv. 4.2: 316
356
Index locorum
Stes. FGrHist 107 F25: 33 Strab. 2.1.9: 37; 8.3.9: 35; 9.3.11 f.: 35; 11.6.3: 37 Suet. Aug. 9: 305; 74: 318 Cal. 12.2: 316; 22.1: 312 Claud. 33.1: 318 Dom. 1–23: 308, 312–319, 322–324 Galba 22: 318 Iul. 52.1: 318 Nero 19.3: 312; 21.3: 331 f.; 34.1 f.: 337; 39.2: 332; 47–50: 329, 334 Tib. 9.1: 308; 42.1: 318; 46.3: 331; 61.2: 308; 72.3: 318; 73: 316 Tit. 1–6: 321 f.; 7.1–9: 318, 322; 7.3–8.4: 316, 322; 10 f.: 315, 322 Vesp. 1.1: 308, 313; 3: 318; 4.3: 321; 6.4: 307; 7.1: 307; 8: 319; 8.5–9.1 f.: 316; 13: 307, 313; 15–19: 320 f.; 23.4: 319 Vit. 13: 318 Tac. Agr. 1.3: 340 ann. 1.1: 339; 13.1.3: 340; 13.13: 329; 13.42: 329; 13.47.1: 340; 14: 332; 14.1: 329, 337; 14.2.12: 334; 14.3–7: 329; 14.8.5: 329; 14.9.1: 333; 14.52:329, 340; 14.60.1: 337; 14.63 f.: 335 f.; 15.16.1: 334; 15.23: 337 f.; 15.53.1: 334; 15.61.3: 334 dial. 3: 341 hist. 2.2.1: 322; 2.5: 321; 2.13.2: 329; 4.5 f.: 320 Theop. BNJ 115 T19: 39 f.; F27: 39 f.; F225a: 39 f.; F259: 37 Thuk. 1.1–23: 267, 285; 1.20.1–1.22.4: 16, 18, 36; 1.20.3: 51, 281; 1.21–23: 285; 1.21.1: 37, 55, 83, 267; 1.22: 164, 241, 282; 1.22 f.: 104; 1.22.1–3: 81 f., 122, 222, 247, 252; 1.22.4: 55, 59, 61, 81, 133, 201, 217, 251, 291, 295, 300; 1.23.4–6: 217; 1.80: 170; 1.89–92: 171; 1.97: 18; 1.112: 175; 1.114 f.: 176; 1.137.4: 38; 2.25–46: 166, 284; 2.41.1: 171; 2.59: 292; 3.53.2: 34; 3.81–83: 285;
3.86.3: 179; 4.11.1–4: 74; 4.12.1: 74; 4.15–22: 292; 4.27.4: 32, 34; 4.36–40: 164; 4.86.6: 135; 5.18: 175; 6.46.3: 179; 6.91: 179; 7.19: 179; 7.69– 72: 285; 7.70.2: 76; 7.70.6: 76; 7.71.7: 75; 8.73.3: 102 Tim. FGrHist 566 T19: 37, 41 Timokl. PCG VII / K.–A. F6.1–7: 202; F6.17–19: 202 TrGF [Adesp.] F8: 331 Verg. Aen. 1.46 f.: 336 Xenoph. DK 21 A 1.4: 266; A 34.13: 266; B 10 f.: 266 Xen. Ag. 1.4: 118; 2.16: 130; 5.7: 39 Lak. Pol. 1.1: 118 an. 1.6.6: 142; 1.6.8: 142; 1.6.11: 142; 1.8: 217; 1.9: 123; 1.9.5: 130; 2.6: 123 3.4.8–12: 121; 5.3.7: 118 equ. 1.1: 119 hell. 2.4.43: 180; 3.1.25: 34; 3.3.2: 34; 4.3.2: 222; 5.3.26: 177; 7.6.15: 34 kyn. 2.1: 119 kyr. 1.1: 118 f., 120, 130; 1.1.6: 119; 1.2.1: 122; 1.2.3: 128; 1.2.13: 271; 1.3.4: 124; 1.3.8–10: 125 f., 131; 1.3.16–18: 128 f.; 1.5.11 f.: 125, 131; 1.6.1: 121; 1.6.26: 136; 1.6.28: 137; 2.1.11: 132; 2.1.13: 132; 2.1.19–24: 132 f.; 2.2.1: 133; 2.2.14: 133; 2.2.18–21: 130; 2.4.19: 138; 2.4.25: 138; 2.4.30–32: 139; 2.15: 134; 3.1.11–31: 139 f.; 3.1.40 f.: 140 f.; 4.5.4: 125; 7.5.80: 125; 8.1.34 f.: 137; 8.2.3: 140; 8.2.14: 118; 8.4.24: 143; 8.5: 143; 8.7.9–15: 130; 8.7.28: 137; 8.8.4: 117; 8.8.10: 126 mem. 1.1.9: 120; 1.2.32: 118; 1.2.41: 139; 1.3.5–9: 125, 139; 1.4.2: 139; 2.1.21–34: 134; 2.3.11: 139; 2.5.1: 117; 2.9.1: 117; 2.10.1: 117; 3.2.1: 118; 3.3.1: 117; 3.14.5 f.: 125; 4.2.13: 137; 4.4.14 f.: 129 symp. 3.5: 202; 4.34 f.: 135
Index nominum et rerum Zusammengehörende Begriffe verschiedener Sprachen sind unter dem deutschen Oberbegriff subsummiert. Ausschließlich englisch oder französisch verwendete Begriffe sind nicht eingedeutscht. Namen von Orten oder Personen sind nach der Schreibweise im Deutschen aufgeführt. Römische Namen sind nach dem nomen gentile eingeordnet; Angehörige des Kaiserhauses sowie Literaten, die im Deutschen üblicherweise nicht nach dem nomen gentile bezeichnet werden (Arrian, Caligula, Cicero usw.) sind unter diesen im Deutschen geläufigen Namen eingereiht. Abbild 17; 21; 91; 94; 96; 98; 106; 111; 251; 290; 316 abstinentia 313 Abstraktion, abstrakt 17; 90; 93; 97 f.; 103; 109; 140; 233 f. Achaier, Achäischer Bund 188–190; 196 (Claudia) Acte 329 actio (rhet.) s. Praxis (rhet.) action s. Handlung, Handeln ἄγνοια (agnoia) s. Kenntnis Adoptivkaiser 335 L. Aelius Lamia Plautius Aelianus 313 Aelius Theon 148 Q. Aelius Tubero 283; 286; 293 f.; 296; 298 f.; 300 Affekt, affektiv 18 f.; 22; 94 Anm. 31; 101; 126; 134; 141; 211 Anm. 8; 218–222 πάθος (pathos) 19; 70 Anm. 5; 91–93; 95; 97; 104; 110 f.; 152; 210 f.; 213 Anm. 23; 216; 219–221 παθητικόν (pathêtikon) 91; 100 f. affordance 72 Sex. Afranius Burrus 329; 340 Anm. 67 Ägäis, ägäisches Meer 194; 196 f. Agamemnon (myth.) 56 f.; 118 Agatharchides (von Knidos) 24; 209–223 Agathokles (von Syrakus) 44 Agesilaos II. (von Sparta) 39; 118; 120 ἀγών (agôn), Agon, agonal s. Konkurrenz Agrippina d. Ä. (Vipsania A.) 336 Agrippina d. J. (Iulia A.) 328–334; 337 f. Ägypten, Ägypter 158 f.; 196 f.; 229–231; 237; 239; 272 heilige Tiere in Ä. 239
Ähnlichkeit, ähnlich 52; 55; 58; 61; 79; 81 Anm. 57; 94; 97 Anm. 48; 106 f.; 122–124; 142; 191 f.; 197 Anm. 53; 199; 202; 216 Anm. 33; 230; 250; 299; 313 Anm. 41; 330–332; 336 f.; 341 Aigina, Aigineten 177 Anm. 85; 200 Aischines (von Athen) 166–181 Aischylos (von Athen) 75 Aithiopia, Aithioper 210; 215; 234; 238; 272 αἴτιον (aition), Aitiologie s. Ursache, ursächlich Aitolia; Aitoler 189; 191; 194; 200 ἀκοή (akoê) s. Hörensagen ἀκρίβεια (akribeia) 35; 43 Anm. 106; 52; 81 f. ἀλήθεια (alêtheia) s. Wahrheit, wahr Alexander d. Gr. (Alexandros III. von Makedonien) 78–80; 103 Anm. 69; 105; 159; 191; 194; 198; 216; 309 Alexander-Rhetorik s. Rhetorica ad Alexan drum Alkaios (von Messene) 195 Alkibiades (von Athen) 109–111; 292 f. Alkohol 91; 110; 126 Anm. 42 Alkuin 305 Allegorie, Allegorese, allegorisch 12 f.; 52; 90 Anm. 12 ἄλογον (alogon) 90 Anm. 15; 91; 100 Anm. 58; 101 Alpen 38 Amazone(n) 33 Anachronismus, anachronistisch 12; 62 f.; 211 Anm. 12; 335 ἀνακύκλωσις, anakyklôsis 189 Andokides (von Athen) 149; 165 f.; 174 Anm. 64; 176 Anm. 81
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Index nominum et rerum
Androtion (von Athen, Redner) 36 Anekdote, anekdotisch 25; 107–109; 177 Anm. 87; 253 Anm. 61; 307 f.; 327 Angenehmes, angenehm s. Vergnügen Anklage, Ankläger, anklagen (jur.) 118; 164 Anm. 12; 172 Anm. 56; 273 Anm. 37; 276; 329 f. Invektive 99; 323 Anm. 77 Anschaulichkeit (vgl. auch‚lebendige Darstellung‘) 14–16; 23 f.; 99; 211 Anm. 8; 215–222; 239; 275; 282; 313; 349 Anschauung 14; 90 f.; 220; 239; 245 Anm. 19 Antigoniden 195 Antigonos (von Karystos) 36 Antigonos II. Gonatas 195 Antigonos III. Doson 41; 194 f. Antiphon (von Athen/Rhamnous) 149; 163; 167 Antisthenes (von Athen) 21 Anm. 38; 117; 120; 124; 126; 135–137 ἀπάτη (apatê) s. Unwahrheit, unwahr ἀπειρία (apeiria) s. Erfahrung, erfahren Apellikon (von Teos) 285 ἄπιστος (apistos) s. Glaubwürdigkeit, glaubwürdig ἀπόδειξις (apodeixis) s. Induktion, induktiv Apollodoros (von Athen, Redner) 179 f. ἀποφθέγματα (apophthegmata) s. Ausspruch Aratos (von Sikyon) 41; 188 Anm. 12; 196 Anm. 46; 202 Anm. 71 Archidamos III. (von Sparta) 158 ἀρετή (aretê) s. Tugend, tugendhaft Arethusa (Quelle) 42 Argonauten 32 Argos, Argiver 33, 62; 250 Argument 135; 139 f.; 165; 167–169; 173; 178; 191; 229; 233; 235 Anm. 38; 276; 294; 323; 335 Anm. 38; 340 Argumentation 60; 64 f.; 131; 139 f.; 149; 152; 164; 173–182; 212 f.; 221; 238; 248; 253; 306; 308–311; 324; 333 Anm. 28 Aristokrat(en); Aristokratie, aristokratisch 118; 130–136; 313 Aristophanes (von Athen) 201; 267 Aristophanes (von Böotien) 39; 276 Aristoteles (von Stageira) 17; 21; 55; 63 Anm. 43; 90; 121–123; 163; 171; 218; 245 Anm. 19; 254; 272 f.; 276 f.; 296; 309–312; 323 Anm. 76; 341 Poetica 17; 55; 123; 218; 254 Anm. 65; 277
Pseudo-Aristoteles s. Rhetorica ad Alexandrum M. Arrecinus Clemens 314 Arrian (von Nikomedia = L. Flavius Arrianus) 120 Anm. 17; 247; 248 Anm. 33; 256 f.; 273 Indika 37; 269; 273 Periplus ponti Euxini 273 arrogantia 312 f.; 317–319; 323 Artaxerxes II. (Perser) 60 f.; 118; 268 Artemidoros (von Ephesos) 32 Asia Minor 194; 210; 270 Anm. 25; 295; 328 Asklepiades (von Myrlea) 254–256 Ästhetik, ästhetisch 15–18; 20; 58; 60 Anm. 33; 88; 95; 105; 252; 309 f. Astyages (Meder) 121; 124–128; 130; 135; 271 Anm. 28 Athen, Athener 24 Anm. 40; 62; 73–76; 102 Anm. 62; 110; 118; 126; 141–143; 151 Anm. 17; 164; 166–172; 174–182; 191; 216 Anm. 33; 242 Anm. 3; 250; 284 f.; 287–193; 296; 299 Athenaios (von Naukratis) 210 ἀθεωρησία (atheôrhêsia) s. Theorie, theoretisch Athlet, athletisch 58–60 ἀτοπία (atopia), ἄτοπον (atopon) 40; 101 Anm. 61; 232; 275 Anm. 51 Attika, attisch 75; 167 Anm. 28; 287 f.; 293 Attizismus, attizistisch 287 f. Auctor ad Herennium s. Rhetorica ad Heren nium Augenzeugenschaft 70; 76; 96 f.; 157; 191; 202 Anm. 71; 230; 247 αὐτοψία (autopsia) 147; 165; 173; 190 Anm. 22; 157; 212; 214 f.; 216 Anm. 35; 239; 246 Anm. 24; 252; 256; 266; 268; 270 Anm. 25; 272 Augustus (Imp. Caesar Augustus) 318; 322 Anm. 74 Ausarbeitung 56; 246; 249–253; 257 Ausgewogenheit (vgl. auch Vermischtheit) 102; 299 Anm. 97 Ausspruch 107; 126; 242; 319; 332 f.; 339 Anm. 64 ἀποφθέγματα (apophthegmata) 70 ὓπομνήματα (hypomnêmata) 44 αὐτοπάθεια (autopatheia) s. Erfahrung, erfahren αὐτοψία (autopsia) s. Augenzeugenschaft Autorität 170; 178; 216; 266; 268; 270; 274; 276 f.; 307 Anm. 14; 330 Anm. 17 Autor, auktorial 36 f.; 49 f.; 53; 56; 76; 78; 81;
Index nominum et rerum 83; 87; 98–102; 104 f.; 117; 122 f.; 136; 138; 151; 154 f.; 158; 178; 188; 209; 229; 236; 241 f.; 244 Anm. 16; 246; 249; 253; 255–258; 266; 268; 277; 282; 288; 290; 305; 309 f.; 312 f.; 323 Anm. 77; 327; 333–336; 338; 340–342; 347 Babylon 37; 273 Beispiel (rhet.) 165 exemplum 24 f.; 102 Anm. 63; 105–110; 120–126; 130; 133; 140; 143; 157 f.; 290; 305–324; 329; 339 Anm. 60 παράδειγμα (paradeigma) 24; 66 Anm. 53; 94 Anm. 33; 108 Anm. 91; 143; 157 f.; 164; 309 Vorbild, vorbildhaft 24; 51; 87; 102 Anm. 63; 108; 110; 118 Anm. 8; 121; 139; 168; 173; 242; 256; 265; 281; 286–288; 291; 305; 335; 339 Anm. 60 Beleg s. Empirie Berenike 322 Berossos (von Babylon) 37 Anm. 55; 272 Beweisverfahren ἔλεγχος (elenchos) 34; 99; 217; 349 Falsifikation 34; 36; 253; 266; 272; 309; 319 f.; 324; 349 λύσις (lysis, rhet.) 167 reductio ad absurdum 167 Widerlegung 167; 169; 172; 217; 294; 309; 316 Bild, Bildlichkeit (vgl. auch ‚lebendige Darstellung‘, ‚Visualität‘) 11–13; 15; 56; 58; 60; 62; 93 Anm. 28; 96 f.; 103 Anm. 69; 109 f.; 118 f. Anm. 9; 123 Anm. 29; 143; 215 f.; 239; 250 f.; 327; 347 Malerei; Gemälde 13; 70; 72; 97; 111; 176; 180; 221 pictorialism, pictorialist 71; 73 f.; 78 Bildhauer 62; 64; 249–252; 257 Biographie, biographisch 14 Anm. 4; 24 f.; 78; 80; 88 f.; 105–109; 111; 118 Anm. 7; 126; 141; 222; 274; 305 f.; 308 Anm. 19; 334; 349 βίος (bios) 91 Anm. 19; 103 Anm. 61; 105–107; 109 f. vita 305; 307 f.; 312 f.; 315 f.; 319–322 Brasidas (von Sparta) 73–77; 80; 83 Busiris (myth.) 158 f.; 275 Anm. 52 Caligula (=C. Caesar Augustus Germanicus) 316 Anm. 47; 327; 341 Anm. 71 Canfora, Luciano 296 Cassin, Barbara 157 L. Cassius Dio Cocceianus 247 f.; 256 f.; 322 Anm. 75; 327 f.; 333 f. Chaireas (Historiograph) 38
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Champion, Craige 189; 195 Anm. 41 Cicero (= M. Tullius Cicero) 50 Anm. 5; 69; 96 Anm. 45; 123; 152; 202 Anm. 67; 218; 244–250; 252; 254 Anm. 67; 255; 256 Anm. 78; 257; 265; 286; 288; 297; 306 Anm. 8; 309 f. de legibus 244; 248 de oratore 50 Anm. 5; 244–246; 248; 310 Claudius (= Ti. Claudius Caesar Augustus Germanicus) 318 Anm. 58; 331; 337 Anm. 51 M. Claudius Marcellus 109 clementia 313–315; 330 Anm. 17 P. Clodius Thrasea Paetus 320 Cole, Thomas 149 Cornelii Scipiones 190 Cornelius Nepos 285 P. Cornelius Scipio Aemilianus Africanus 18 L. Cornelius Sulla Felix 285 cupiditas 312 f.; 321; 324 Dadaismus 95 Darstellungs(art) 12–25; 52 f.; 56; 61; 64; 96; 99; 101–108; 110 f.; 117 Anm. 4; 119; 126 f.; 144; 163–165; 173–177; 180; 182; 212; 215–219; 221–223; 235 f.; 239; 242; 244–248; 251 f.; 256; 266 f.; 270 f.; 276 Anm. 55; 277; 282; 284; 292; 299 f.; 305 f.; 308; 311 f.; 315 f.; 318 Anm. 60; 322; 327–330; 333; 338; 341 f.; 347 Darstellungsabsicht s. Intention Datum 13; 169; 314 Deduktion, deduktiv 191 f.; 309; 319; 322 f. δεῖξις (deixis, rhet.) 70; 150 Anm. 11 Deklamation, deklamatorisch 99 Delphi 33 Anm. 16 Demetrios (Adressat von Dion. Hal. imit.) 293 Demetrios (von Korinth) 307 Demetrios II. Aitolikos (von Makedonien) 198 Demetrios II. Nikator Philadelphos (Seleukide) 195 Demetrios (von Phaleron) 189 Pseudo-Demetrios 153 Demetrios von Pharos 194 demonstrativum (genus) (rhet.) s. ἐπιδεικτικός λόγος (epideiktikos logos) Demosthenes (von Athen, Redner) 73; 91 Anm. 19; 166–173; 175; 177–180; 283; 292–294; 296 διαβολή (diabolê) s. Verleumdung, verleumderisch Dialektik, dialektisch 21; 138–140; 349 Dialog, dialogisch 12; 37; 78 f.; 117; 248; 292; 337 Anm. 54; 349
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Index nominum et rerum
διάνοια (dianoia) 97; 103; 108; 155; 157; 173; 237; 285; 299 διάθεσις (diathesis) s. Haltung Dichtung, dichterisch 12 f.; 14; 16 f.; 23 f.; 35 Anm. 38; 41; 49; 54–60; 64–66; 69–71; 81; 88 f.; 93–98; 102; 104–106; 108 f.; 111; 123; 133 f.; 136; 143 f.; 159; 170; 174; 201 f.; 218; 254 Anm. 65; 269 f.; 277; 333 Anm. 29; 333; 337–341; 347 Didaktik, didaktisch 19; 24; 65; 93; 98; 143 Anm. 122; 187; 190; 193; 201; 232 Anm. 30; 287 δίκαιον (dikaion), δικαιοσύνη (dikaiosynê) s. Gerechtigkeit, gerecht δικανικός λόγος (dikanikos logos), dikanische Rede (rhet.) 163–184; 348 δικαστής (dikastês) 150 Anm. 11; 189 Diktys (von Kreta) 255 f. Diodoros (von Agyrion = Diodorus Siculus) 24; 33; 50; 94 Anm. 30; 169 Anm. 41; 201 Anm. 67; 210; 218; 227–240; 271–273; 297 Dionysios (von Halikarnassos) 19; 25; 50; 56; 87; 94 Anm. 30; 102 Anm. 62; 105; 202 Anm. 67; 244; 247 f.; 277; 281–301 antiquitates Romanae 19; 248; 283; 286 f.; 290; 297 de compositione verborum 284 de imitatione 283; 286 de oratoribus veteribus 283 de Thucydide 50; 87; 281–301 epistula II ad Ammaium 284; 286 f. epistula ad Pompeium Geminum 50; 87; 276; 281 f.; 284; 288; 291–293; 296 Dionysios Thrax 253 f. dispositio 250; 253; 308 Domitian (= Imp. Caesar Domitianus Augustus) 256 Anm. 77; 305; 308; 312–319; 323 f.; 335; 340 Anm. 66; 341 Dornseiff, Franz 122 f. δόξα (doxa) 17; 35; 102 Anm. 66; 119; 154; 175 Anm. 51; 290 Anm. 52 Drama, dramatisch 12–14; 16; 170; 189 Anm. 12; 201 f.; 211 Anm. 8; 219; 328–330; 332–341 Komödie, komisch 52; 56; 65; 125; 136; Schauspiel 295; 315 Theater 319 Theatralität, theatralisch 349 Tragödie, Tragik, tragisch 12; 18–20; 37 f.; 41; 50; 52; 63; 81; 129; 134; 139; 149; 187; 201–203; 209 Anm. 1; 218 f.; 221; 270; 328; 330 f.; 332 f.; 328; 335 Anm. 39; 338 f.; 349
Dramatisierung, dramatisierend 14; 17; 19; 220; 338 Dreyer, Boris 196 f. Droysen, Johann Gustav 14 Dualismus (philosoph.) 89–91 Dumézil, Georges 159 Dupont, Florence 155 Duris (von Samos) 209–211; 218 ἐγκώμιον (enkômion) s. Lobrede Ekbatana 36 Eklektizismus, eklektisch 89 Anm. 11; 286 ἔλεγχος (elenchos) s. Beweisverfahren ἐλευθερία (eleutheria) s. Freiheit Elite, elitär 122; 156; 158; 283; 341 Anm. 72 Emotion, emotional (vgl. auch ‚Affekt, affektiv‘) 19; 24; 70; 81; 93; 101; 136 f.; 172 f.; 180; 182; 189 Anm. 12; 202 Anm. 71; 203; 218–222; 288; 309 f.; 336; 349 Empirie, empirisch 17; 118 Anm. 8; 123; 142; 152; 239 Beleg 50 Anm. 6; 90 Anm. 15; 94; 101; 123; 126 Anm. 42; 137 Anm. 93; 165; 167; 219 Anm. 45; 306 f.; 319; 324; 338 Anm. 60 enactive narration s. lebendige Darstellung ἐνάργεια (enargeia) s. Überzeugungsmittel Enthymem (rhet.) 309 ἔπαινος (epainos) s. Lobrede Ephoros (von Kyme) 100 Anm. 57; 102 Anm. 65; 209; 213; 215; 270 f.; 275 ἐπιδεικτικός λόγος (epidiktikos logos), epideiktische Rede (rhet.) demonstrativum (genus) (rhet.) 311 ἐπίδειξις (epideixis), ἐπιδεικνύειν (epideik nyein) 33 Anm. 23; 106 Anm. 80; 160; 249 f. Anm. 43; 271 Anm. 27 Epikureismus, epikureisch 70; 93; 274 Anm. 47 Episode, episodisch 19; 70; 73; 78; 80; 124; 126–128; 133 f.; 138; 140–143; 193; 200 Epistemologie, epistemologisch 17; 20–22; 70; 87; 89; 92; 101; 103 f.; 109; 212; 214 f.; 218; 220; 222; 324 ἐπιτάφιος λόγος (epitaphios logos) s. Leichenrede Eratosthenes (von Kyrene) 32; 37; 152 Ereignis (histor.) 12; 14–16; 23 f.; 60–64; 75; 79; 81; 83; 98; 107; 111; 126; 164; 166–166; 169 f.; 174–179; 182; 187–194; 199; 201–203; 211 f.; 214; 216 f.; 219; 221 f.; 246–248; 251; 256; 268; 270 f.; 274 Anm. 47; 275; 282; 284;
Index nominum et rerum 289–292; 295; 305; 310; 312; 315–317; 323 f.; 328; 330; 335; 337–339; 341 f.; 348 f. Erfahrung, erfahren 70 f.; 75 Anm. 32; 77; 82 f.; 90–92; 99 f.; 103; 137; 143 f.; 157; 172; 180; 190–192; 196; 199; 203; 254; 270; 274; 276; 340 ἀπειρία (apeiria) 42 αὐτοπάθεια (autopatheia) 191; 215; 218 Erinnerung, erinnern 96; 100; 109 Anm. 97; 118 Anm. 8; 129; 132; 140 Anm. 109; 142; 153; 158; 164–172; 175; 178–182; 241; 245 Anm. 21; 249; 255; 290; 295; 317 Erinnerungskultur s. Gedächtniskultur Erkenntnis (vgl. auch ‚Wissen‘) 17; 25; 32; 36 f.; 61; 90–93; 95 Anm. 38; 98; 103; 107; 109 f.; 118 Anm. 8; 125; 154; 211; 213–215; 217 f.; 222 f.; 251; 288; 340; 350 Erkenntnistheorie, erkenntnistheoretisch s. Epistemologie, epistemologisch Erklärung, erklären 19; 49; 93 Anm. 29; 109 Anm. 97; 137; 171; 193; 196; 212 f.; 215; 217; 222; 231; 233; 247 Anm. 32; 291–293; 322 Anm. 74; 333 f.; 337 Anm. 51 error, erreur s. Irrtum, irrig Erzählung, erzählen (vgl. auch Narration, narratio) 14; 19; 21–25; 52; 61; 64 Anm. 46; 89; 94–98; 108 Anm. 89; 120–124; 139 Anm. 103; 141; 143; 215; 219–221; 227; 233 Anm. 33; 243 f.; 247; 250; 253; 255; 266; 268–270; 272; 275 f.; 277; 286 f.; 289 f.; 295; 310 f.; 315 f.; 323 f.; 348–350 Erziehung, erziehen 61; 93; 109; 119; 121; 124; 128–131; 133; 136; 138; 143; 322 παιδεία (paideia) 66 Anm. 53; 119 Anm. 11; 120 Anm. 15; 143; 187 Anm. 4 ἦθος (êthos) s. Charakter, charakterlich ἔτυμος (etymos), ἔτήτυμος (etêtymos) s. Wahrheit, wahr Euagoras I. (von Salamis, Kypros) 127 Euboia, Euboier 176; 177 Anm. 85; 180 f. εὔνοια (eunoia) 41; 150 Anm. 10 εὕρησις (heurêsis) s. Stoffauffindung Europa (geograph.) 40; 210; 295 Eurykles (myth.) 153 Euterpe (myth.) 11–13; 347 exemplum (rhet.) s. Beispiel (rhet.) Q. Fabius Pictor 43; 188 Anm. 10 Fakt, Faktum 13; 15; 23 f.; 63 f.; 72; 96 f.; 101 Anm. 60; 105; 110 f.; 119; 141 f.; 172; 175; 182; 188–191; 194; 196 f.; 201 f.; 232; 243; 247 f.;
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250 f.; 268 Anm. 12; 270 Anm. 25; 282; 291; 210 f.; 316; 347 f. Faktennähe, Faktentreue 16 f.; 39; 89; 111; 155 Faktion (historiograph.) 24 f.; 243–245; 256–258 Faktizität 17; 23; 88; 96 Anm. 44; 124; 245 Anm. 21; 323; 348 Falschheit, falsch s. Unwahrheit, unwahr Falsifikation s. Beweisverfahren Farrington, Scott 189; 191 Anm. 22 Ferri, Rolando 330 Anm. 16; 333–337 fidélité s. Faktennähe, Faktentreue / s. Glaubwürdigkeit, glaubwürdig Figur, figura (stil., rhet.) 131; 287, 307; 309 f.; 313 Anm. 41 Fiktion, fiktiv 24; 49 f.; 55 f.; 95 f.; 117–145; 243; 245; 247; 256–258; 277; 347 πλάσμα(τα) (plasma/ta) 124 Anm. 35; 93; 254–256 Fiktionalität, fiktional 15–17; 23 f.; 70; 82 f.; 88; 93; 117–145; 242; 247; 252; 254 f.; 269; 271; 277; 311; 333; 340 f. Fischesser s. Ichthyophagen Flavier, flavisch 308 Anm. 19; 313; 315; 321 Flavius Iospehus 273; 328 Fokalisation s. Narratologie, narratologisch Fontane, Theodor 72 f. Forensik, forensisch (vgl. auch ‚δικανικός λόγος [dikanikos logos]‘) 348 Forschung, Forschen (histor.) 14 f.; 23; 33 f.; 42–44; 51; 63 Anm. 44; 82; 109; 147; 159; 176; 211; 213 f.; 242; 247 f.; 250; 252 Anm. 53; 253; 257 f.; 266 f.; 281 f.; 291; 296 f.; 339 Anm. 64 ἱστορίη (historiê) 92; 95 f.; 106 f.; 109; 248; 257; 265 f. Fragment, fragmentarisch 18; 22–24; 36; 190; 196 f.; 200 Anm. 62; 202; 209–211; 220; 223; 229; 255 Anm. 74; 265; 268 f.; 272–274; 324 frankness s. Freiheit d. Rede (παρρησία [parr hêsia]) Freiheit 54; 65; 141; 168 f.; 177; 291; 323 ἐλευθερία (eleutheria) 253 d. Rede (παρρησία [parrhêsia]) 65 f.; 188; 253; 282 gleiches Rederecht (ἰσηγορία [isêgoria]) 126 f. Unfreiheit (ἀνελευθερία [aneleutheria]) 93; 100 f. Anm. 58; 104 Frühgeschichte 19; 227; 281 Anm. 2; 283; 286 f.; 290; 297
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Index nominum et rerum
future past 82 Gabba, Emilio 53 Anm. 16; 80; 242 Anm. 8 Gallier, gallisch 69; 233 Gattung (literar.) s. Genus, generisch Gedächtniskultur 117 Gefallenenrede s. Leichenrede, ἐπιτάφιος λόγος (epitaphios logos) Gegenwart, gegenwärtig 51; 57; 59; 61 f.; 167 Anm. 28; 178 f.; 190; 194; 242; 287; 339 Anm. 64 Geistesgeschichte 21 Geisteswissenschaft, geisteswissenschaftlich 347 Gemälde s. Bild, Bildlichkeit Genus, generisch (literar.) 18; 20; 35; 39; 49 f.; 52; 56 Anm. 26; 65 f.; 88 Anm. 3; 105 117; 148 f.; 202; 249; 277; 333 f.; 341 γένος (genos), genus 217; 348 Genuss, genießen s. Vergnügen Geographie, geopgraphisch 209–233; 236 f.; 271 Anm. 27; 272; 274; 276 Georgios Synkellos 37 Gerechtigkeit, gerecht 13 Anm. 3; 123 f.; 128–140; 142; 152; 163; 299; 330 Anm. 16 δικαιοσύνη (dikaiosynê) 66 Anm. 53 δίκαιον (dikaion) 65 Anm. 51; 66 Anm. 53; 99 f. Anm. 55; 102 Anm. 66; 128–130; 142 Anm. 115; 150 Anm. 11; 215 Anm. 29; 291 Anm. 58 Gericht (jur.) 24; 139; 142; 163–184; 242; 249 Anm. 39; 257; 288; 309 Gerichtsrede (Gattung der) s. δικανικός λόγος (dikanikos logos) Germanicus (= Nero Claudius Drusus Germanicus) 340 Gesandtschaftsprozess 174 Geschichte (histor.) 12; 14; 16; 18; 23–25; 34; 37–43; 76 f.; 82; 107; 148 Anm. 2; 158; 160; 163 f.; 170–173; 176–178; 181 f.; 188–190; 192 f.; 201–203; 209–218; 221; 242; 249 Anm. 32; 270 Anm. 24; 282; 287 f.; 305; 338–340; 348–250 res gestae 214 Anm. 24 historia 87; 101–103; 123 Anm. 32; 214 Anm. 24; 245 f.; 248 Anm. 37; 265 Geschichte (narrat.) s. Narration, narratio Geschichtlichkeit, geschichtlich 15; 171; 214 Anm. 26; 216–219; 236; 238; 265 Anm. 1; 333 Geschichtsschreiber (vgl. auch ‚Historiker‘) 14; 16–18; 22; 24 f.; 49; 51–53; 55–57; 60; 62–65; 104 f.; 121 f.; 209; 213; 216; 218; 220 f.;
223; 241–258; 281–283; 286–289; 294; 298 f.; 327 f.; 333 Anm. 31; 339; 341; 347; 350 Geschichtsschreibung passim Geschichtstheorie, geschichtstheoretisch 23; 51 Anm. 10; 209; 243 Anm. 12; 244; 257 f. Geschichtswissenschaft, geschichtswissenschaftlich 16; 25; 222 Anm. 57; 242 f.; 339 f. Geschwisterehe s. Inzest Gesichtspunkt 15; 53; 212 Glaubhaftigkeit, glaubhaft 53; 231–235 Glaubwürdigkeit, glaubwürdig 91; 96; 102–104; 155; 163–165; 167–169; 172; 178; 182; 215; 217; 227–233; 236–239; 245 Anm. 21; 267 Anm. 7; 270; 276; 295 f.; 311; 313; 323; 329 Anm. 12; 338 f. ἄπιστον (apiston) 101 Anm. 58; 156 Anm. 42; 228; 233 f.; 237 Anm. 43 Gleichartigkeit, gleichartig 252; 336 ὁμοίωσις (homoiôsis, Angleichung) 95; 106 ὁμοιότης (homoiotês), ὅμοιος (homoios) 94; 97 Anm. 97, 106 Anm. 80; 150 Anm. 11; 216 Anm. 33; 218 Anm. 41; 220 Anm. 50; 299 Anm. 97 Gorgias (von Leontinoi) 158 Anm. 48; 269 Anm. 20; 348 Grammatik, grammatisch 245; 253 f.; 284 Grethlein, Jonas 23; 174; 192; 201 f.; 221 Anm. 53 Griechen 37–39; 120 Anm. 17; 125; 129; 148; 156; 158 f.; 179; 200; 249 Anm. 39; 266 f.; 275 f.; 287; 289 f.; 292; 339 Anm. 60 Grund s. Ursache, ursächlich Guevara, Antonio de 258 Hadrian (Imp. Caesar Traianus Hadrianus Augustus) 308 Anm. 19; 312 Haltung 39 f.; 97; 100; 102 Anm. 63; 104–106; 140 Anm. 109; 153; 166; 173; 176 Anm. 81; 179 Anm. 100; 187; 257; 274 Anm. 47; 282; 284; 288–293; 299; 341 διάθεσις, diathesis 39 Anm. 77; 282 Anm. 6; 289 Handlung, Handeln 70–74; 76–81; 83; 90–94; 96; 99; 103 Anm. 68; 107 f.; 110; 133; 135 f.; 138; 155–157; 160; 193 f.; 196; 198; 282; 306 f.; 310; 313; 315; 318; 321 f.; 338 Anm. 56; 341; 348 Hannibal Barkas (Karthager) 188 Anm. 10; 198 Hannibalhistoriker 18 Harpagos (Meder) 37; 127 Harris, Edward M. 174 f. Hasdrubal Barkas (Karthager) 198
Index nominum et rerum ἡδονή (hêdonê) s. Vergnügen Hellanikos (von Lesbos) 33 f.; 36; 213; 267; 269 f.; 275; 294 Hellenismus, hellenistisch 17 f.; 20–22; 24; 50; 56; 62; 70 f.; 81; 141 Anm. 112; 147 f.; 160; 196; 211 Anm. 11; 218; 222; 270–272; 276; 306; 339 C. Helvidius Priscus 53; 320 Hekataios (von Abdera) 272 Hekataios (von Milet) 18 Anm. 25; 32 f.; 35; 211; 213; 265 Anm. 1; 266; 271; 276; 294 Herakles (myth.) 55; 58–60; 120 Anm. 17; 134; 158; 232 f.; 235; 330 Hermeneutik, hermeneutisch 22 f.; 309 Anm. 20 Herodian (Historiograph) 242 Herodot (von Halikarnassos) 17 f.; 24 f.; 33 f.; 36 f.; 39; 51; 53 Anm. 16; 61 Anm. 35; 87–89; 98–105; 108; 111; 120; 122; 124; 127; 133; 140 Anm. 109; 180; 188; 192; 201 Anm. 67; 211; 213; 222; 229; 248 f.; 252; 265–279; 284 f.; 288–290; 292; 294–296; 348 Hesiod (von Askra) 33; 36; 136 Anm. 89 Heuß, Alfred 350 Hieron I. (von Syrakus) 18 hindsight 82; 192 Anm. 29; 193–197 historia s. Geschichte (histor.) Historie 117–145; 177; 266; 339 Anm. 64 Historiker (vgl. auch Geschichtsschreiber) 13–15; 22; 31–44; 50–55; 62–66; 69 f.; 74; 80–83; 96 Anm. 45; 117 Anm. 3; 147 f.; 160; 165; 187–202; 212 Anm. 17; 216; 221 f.; 241 f.; 249; 252 Anm. 53; 265; 267; 270 f.; 274–277; 281 f.; 286; 294; 298; 305; 327 f.; 330; 333; 335 f.; 338 f.; 342; 347; 349 f. Historiograph s. Geschichtsschreiber Historiographie, historiographisch (vgl. auch Geschichtsschreibung) passim Historiographiegeschichte 294–296 Historismus, historistisch 19; 242 Historizität s. Geschichtlichkeit, geschichtlich Hobbes, Thomas 285 Homer 33; 36; 52; 56 f.; 75; 118 Anm. 9; 153; 219; 266 f.; 271 Anm. 27; 273 honesty 188 f. Hörensagen 216 Anm. 35; 218; 230 ἀκοή (akoê) 76 Anm. 38; 211 f. Anm. 13; 216 Anm. 34; 218 Anm. 41; 230 Anm. 17 Hornblower, Simon 61 Anm. 36; 75 Humor, humorig 54; 158; 308 Anm. 19; 314; 319 Hyäne 233 f.
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Hypereides (von Athen) 167; 178 Hystaspes (Perser) 133 Ichthyophagen 211 f.; 234 Ideal, ideal 51; 62; 64 f.; 69; 81; 123 f.; 139 Anm. 103; 141; 143 f.; 166; 181; 241; 244 f.; 252 f.; 257; 270 Anm. 25; 282; 291; 293 Idee, ideell 21; 33; 36; 63 Anm. 45; 79 f.; 90; 92 f.; 97 f.; 103; 109 f.; 170 Anm. 46; 173; 179; 188 f.; 195 Anm. 41; 333 Anm. 31; 335 Identität, identitär 24; 129 f.; 171; 179; 182; 189; 296 Ideologie, ideologisch 24; 41; 148; 157; 160; 276; 306; 327 ignorance s. Kenntnis (Unkenntnis) Illyrien, illyrisch 194 imagination 71–73; 79; 270 Anm. 25 Imitation s. Nachahmung indirekte Rede 74; 230 f. Induktion, induktiv 92; 103; 107; 191 f.; 309; 319; 322 f. ἀπόδειξις (apodeixis) 92; 215 Anm. 28–29; 273 Anm. 37; 290 Anm. 52 Intention, intentional 12; 23; 31; 36; 43; 88; 104–106; 111; 151; 157; 195; 198; 203; 209; 256 Anm. 78; 265; 274 f.; 316 Invektive s. Anklage inventio (rhet.) s. Stoddauffindung Inzest 318 Anm. 57; 331 Iokaste (myth.) 330–332 Ionischer Aufstand (500–494 v. Chr.) 269; 275 Ironie, ironisch (rhet.) 19; 62; 150; 266; 319; 339 Anm. 64 Irrationalität, irrational 33; 90 f.; 100 f.; 193 Irreversibilität, irreversibel 216; 218; 221 Irrtum, irrig s. Unwahrheit, unwahr Isaios (von Athen) 283 ἰσηγορία (isêgoria) s. Freiheit, (gleiches Rederecht [ἰσηγορία (isêgoria)]) Isokrates (von Athen) 21 Anm. 36; 88; 127; 147–161; 181 Anm. 113; 283 ἱστορίη (historiê) s. Forschung, Forschen (hist.) iudiciale (genus) s. δικανικός λόγος (dikanikos logos) Iulia Augusti 318 Anm. 57; 336 Iulianus (Imp. Caesar Flavius Claudius Iulianus Augustus) 255 Sex. Iulius Africanus 265; 274 C. Iulius Caesar 305; 338 Anm. 60 M. Iunius Silanus 328
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Index nominum et rerum
Jacoby, Felix 210 f.; 265 Anm. 3; 275 Anm. 53; 347 Jacobsen, Jens Peter 73 jigsaw model 71 Kadmos (myth.) 36; 213 κακοήθεια (kakoêtheia) 87; 98–104; 108 Anm. 91; 275; 289; 299 Kallisthenes (von Olynth) 43; 191 Anm. 25 Kaikilios (von Kale Akte) 287 Kambyses (Perser) 128; 130 f.; 136–138; 143 Anm. 120 Karl der Große 305 Karthago, Karthager 18 Anm. 27; 43; 190; 198 Kelten, keltisch s. Gallier, gallisch Kennedy, George 153 Kenntnis 88 Anm. 3; 137; 171; 176; 295 Unkenntnis 42–44; 53; 57; 140 f.; 156; 172; 200 f.; 213; 273 ἄγνοια (agnoia) 37 Anm. 55; 41–44; 53 Anm. 18; 200 Anm. 60; 201; 213 Anm. 22; 269 Anm. 19; 273 Anm. 39 Kimon (von Athen) 106; 108; 175 f. Kleisthenes (von Athen) 159 Kleomenes I. (von Sparta) 33 Kleomenes III. (von Sparta) 41 Klima, klimatisch 237–239 Klio (myth.) 11–13; 347 f. κολακεία (kolakeia) s. Schmeichelei, Schmeichler Kommunikation, kommunikativ 12 f.; 21; 32 Anm. 7; 120 Anm. 12; 123; 134; 170; 323 kommunikatives Gedächtnis 170 Komödie, komisch s. Drama, dramatisch Kompilation, kompilatorisch 236; 272 Anm. 31 Komplexität, komplex 14 Anm. 4; 23 f.; 32; 41; 43 f.; 94 f.; 172; 174; 181; 188; 203; 213 f.; 218; 221; 223; 231; 247; 251; 323; 348 Komposition, kompositionell 13; 83; 88; 94 f.; 108 f.; 143 Anm. 120; 273; 282; 312; 328 f. Konkurrenz 25; 50; 124; 135; 258 Anm. 79; 270 f.; 276 f.; 349 ἀγών (agôn), ἀγώνισμα (agônisma) 59; 61; 97 Anm. 47 Agon, agonal 266; 348 Wetteifer, Wettkampf, Wettstreit 60; 65; 300; 313; 317; 348 f. Konon (von Athen) 70 f. Kontext, kontextuell 22; 25; 51; 63; 65; 100; 103 Anm. 68; 120; 136; 139; 165; 172; 180; 233; 237; 249 f.; 266; 282; 285; 295; 297; 316; 319; 321 Anm. 71
Kontextualisierung, kontextualisieren 90 Anm. 11; 168; 175; 209; 324 Koselleck, Reinhart 14; 214; 348 κόσμος (kosmos, rhet.) 94 Krannon (Schlacht von, 322 v. Chr.) 36 Kranzprozess 166 Krieg Bundesgenossenkrieg (220–217 v. Chr.) 194 Zweiter Punischer Krieg (218–201 v. Chr.) 190; 198 Erster Makedonischer Krieg (215–205 v. Chr.) 196; 200 Dritter Makedonischer Krieg (171–168 v. Chr.) 198 f.; 201 Jüdisch-Römischer Krieg (66–70 n. Chr.) 328 Kritik, kritisch 18–25; 34; 38–44; 70; 81; 87–89; 98 f.; 102–105; 108; 111; 126; 133; 158; 168; 177; 179; 181 Anm. 13; 188 Anm. 10; 190 Anm. 21; 191; 193 Anm. 33; 194; 196; 201; 202 Anm. 72; 209 Anm. 1; 216; 219; 221; 235 Anm. 38; 242 f.; 258; 265–277; 281; 284–288; 292; 294; 298 f.; 318 Anm. 60; 331 Anm. 71; 335; 337; 339 Anm. 65 ad personam 265; 268; 270; 272 f.; 276 f. ad rem 265–268; 270; 272–277 Literaturkritik 18–20; 22; 24 f.; 99 Anm. 52; 105; 282 f. Quellenkritik 16; 88 f.; 122 Kritiker 19 f.; 22 f.; 25; 81; 105; 126; 244 Anm. 15; 265; 270; 277; 282 f.; 287; 298 f.; 337 Kroisos (Lyder) 131 κρυπτεία (krypteia) 108 Ktesias (von Knidos) 17; 34; 36 f.; 53 Anm. 16; 61 Anm. 35; 108 Anm. 86; 120 f.; 127; 153; 268–273; 275; 277 Kultur, kulturell 37; 51; 58; 110; 202 f.; 229; 232 Anm. 30; 236 Anm. 42; 277 Anm. 59; 282; Kulturgeschichte, kulturgeschichtlich 125 Anm. 38 Kulturwissenschaft, kulturwissenschaftlich 347 Kunst, künstlerisch 12–16; 58; 60; 62; 66; 94–97; 137; 175; 177 f.; 182; 215 Anm. 30; 251 f.; 291; 306; 341; 347 f.; 350 Kunstfertigkeit, kunstvoll s. Technik (lit., rhet.) Künstler 14; 64; 173; 250 Kyrnos (myth.) 42 Kyros II. (= d. Gr., Perser) 117–145; 268
Index nominum et rerum Lade (Schlacht von, 201 v. Chr.) 196 f. Lamprias 88 λαμπρότης (lamprotês) 94 laudatio s. Lobrede lebendige Darstellung (vgl. auch ‚Überzeugungsmittel‘) 23; 73–83; 191; 201–203; 215–217; 219; 220–222; 288 enactive narration 71–83 Leichenrede 284 ἐπιτάφιος λόγος (epitáphios logos) 166; 171; 284 Anm. 19 lenitas 307; 315; 320 Le Sueur, Eustache 11 f.; 347 Leerstelle (lit.) 214; 232–235; 239; 317 Lehrbuch 16; 284 Lehre 110; 132; 135; 140; 181; 323 Lehrer 93 f.; 128; 133; 137; 210; 283; 313 Anm. 41 Lesart (interpret.) 286 Anm. 30; 317; 319 f.; 322; 324 Leser, Leserin 13 Anm. 3; 16; 18; 20: 22–24; 33; 36–38; 57; 59; 65; 69–83; 88; 95; 99; 105; 108 f.; 120; 122 Anm. 23; 123; 126; 133; 138; 141 Anm. 112; 143; 152; 188; 191–195; 199; 202 f.; 216–222; 227–239; 255; 257 f. Anm. 79; 281; 287–300; 306; 314; 317–320; 336; 341; 349 Lesersteuerung 16; 108 Anm. 89 Lesestrategie 233; 239 C. Licinius Mucianus 307 Literatur, literarisch 13–17; 19 f.; 22; 24; 51 f.; 88; 92–94; 109; 111; 121 Anm. 31; 122–124; 188 f.; 203; 220; 242–258; 269–271; 276 f.; 283; 291; 306; 309 Anm. 21; 312; 336; 337 Anm. 51; 338; 348 Literarizität 245 Anm. 21; 258 literary turn 187 Anm. 3 Literaturgattung s. Genus, generisch (literar.) Literaturgeschichte, literaturgeschichtlich 117; 119 Anm. 12; 143; 347 Literaturkritik, literaturkritisch s. Kritik, kritisch Literaturtheorie. literaturtheoretisch 22; 87; 245; 257 Literaturwissenschaft, literaturwissenschaftlich 71; 349 T. Livius 69; 76; 197 Anm. 53 Lobrede 35; 39 f.; 54–59; 104 Anm. 71 ἐγκώμιον (enkomion), enkomiastisch 39 Anm. 77; 52–59; 66; 88; 100 Anm. 57; 120; 291 Anm. 58
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ἔπαινος (epainos) 54; 56; 120; 274 laudatio 323 Lokroi Epizephyrioi 42 f.; 193 Anm. 33 locus (rhet.) s. Topik λόγος (logos) 37 Anm. 62; 42 Anm. 98; 60; 65 f. Anm. 51; 70 Anm. 3; 81 Anm. 54; 90–94; 96 Anm. 43; 97 Anm. 47; 100 Anm. 58; 102 Anm. 66; 108 Anm. 91; 110 f.; 148; 150 Anm. 10, 13; 154 Anm. 37; 155 Anm. 39; 156 f.; 172 Anm. 55; 191; 211 f. Anm. 13; 213 Anm. 21; 216 Anm. 34; 220; 266; 272 Anm. 33; 273 Anm. 37; 275 Anm. 52; 290 Anm. 52; 294 Anm. 71; 299 Anm. 96, 97 L. Lucceius 244; 246–248; 250; 256 Anm. 78 Lucius Verus (Caesar L. Aurelius Verus Augustus) 246; 249; 256 Anm. 78 T. Lucretius Carus 285 Lüge, lügnerisch s. Unwahrheit, unwahr Lukian (von Samosata) 17 f.: 23 f.; 35; 37; 39; 49–68; 75; 87; 241–245; 249–258; 273 f.; 277 Anm. 58; 282; 297 f.; 341 Anm. 69 de historia conscribenda 49–68; 87; 241; 244; 249 f.; 282 verae historiae 17; 51 f.; 255 f. Lusitania, Lusitaner 109 f. Lybie (myth.) 42 Lykurgos (von Athen) 164 Anm. 12; 169; 171–173 Lykurgos (von Sparta) 107 f.; 118 Anm. 8; 129 Lyrik, lyrisch 25 λύσις (lysis, rhet.) s. Beweisverfahren Makedonien; Makedonier 79; 168; 175 f.; 194–201; 220 Maler 11; 96; 215 Anm. 30 Malerei s. Bild, Bildlichkeit Manethos (von Sebennytos) 272 f.; 276 Anm. 57 Mann, Golo 83; 350 Männlichkeit, männlich 58; 90 Anm. 12; 125; Marincola, John 19 Martial (= M. Valerius Martialis) 316 f. Maximus Planudes 149 Anm. 6 Medium, medial 15; 170; 180; 349 f. Megalopolis 190 Megasthenes (Historiograph) 37 Anm. 56; 272 Mehrdeutigkeit, mehrdeutig 64; 233; 234 Meier, Christian 26 f.; 210; 255 Meinungsliteratur 257 Melobios (von Athen) 152 Anm. 28 mensonge s. Unwahrheit, unwahr (Lüge)
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Index nominum et rerum
Messenien, messenisch 39; 188 Anm. 10; 195 Metahistorik, metahistorisch 19–21; 87; 105 Metapher (rhet.) 64 Anm. 46; 97; 199; 251 Metapoetik, metapoetisch 106 Methode, methodisch 41; 83; 87 f.; 93; 98 f.; 106; 136; 139; 149; 158; 187; 189; 192 f.; 202 Anm. 72; 209; 214 f.; 245; 249; 253 f.; 256–258; 265; 269 Anm. 19; 271; 274 Anm. 46; 275; 277; 281; 295 f.; 307; 314; 321 Anm. 71; 332 Anm. 24; 339 f. Methodenkapitel s. Thukydides Miltiades (von Athen) 175–177 Miltsios, Nikos 189 f. μίμησις (mimêsis), mimetisch s. Nachahmung μῖξις (mîxis) s. Vermischtheit, vermischt Mittelmeer 32 Anm. 14; 193; 200; 238 μνησικακία (mnêsikakia) 180; 282 Anm. 6; 289 f. Moderne, modern 13; 20; 22; 26 f.; 51 f.; 63; 69; 72; 88 f.; 104; 165; 180; 190; 195; 199; 211; 221 f.; 241–263; 267 Anm. 12; 282; 284 f.; 196 Anm. 82; 305; 331; 333 Anm. 29; 339 f.; 342; 347 f.; 350 Momigliano, Arnaldo 69; 88; 111 Mommsen, Theodor 14 Moral, moralisch 19; 21 Anm. 37 f.; 32; 35 f.; 40; 56; 60 Anm. 33; 80; 91; 97; 101 f.; 109 f.; 111; 117–147; 152; 158–160; 163; 201; 265; 269; 273 f.; 276 f.; 290 f.; 318 Anm. 56; 330; 339 f. Moralphilosophie, moralphilosophisch s. Philosophie Muttermord, Muttermörder 331 f. Mythos, mythisch 21 Anm. 38; 35 f.; 51 f.; 54–56; 58; 60; 63 Anm. 43; 90; 93–96, 108 Anm. 89; 117; 120 Anm. 14; 125 Anm. 37; 143; 158 f.; 164; 178 f.; 202; 213; 217; 219; 227 f.; 230; 232 f.; 251; 266; 275; 282; 294–298; 330 f.; 338 Anm. 60; 341 Anm. 72 μῦθος (mythos) 52; 54–56; 94; 96 Anm. 43; 230; 254–256; 269; 271; 294 Anm. 75; 295 μυθώδης (mythôdês) 36; 39; 52; 55 f.; 61; 133 Anm. 78; 231 Anm. 21; 269 Anm. 20; 295 Nachahmung 106; 139; 179; 283–288; 292–294; 296 f.; 336 μίμησις (mimêsis) 12; 66 Anm. 53; 77; 80; 94–95; 102; 105; 134; 209; 284–286 mimetisch 18; 20; 76 Anm. 37; 94; 209 Anm. 1; 339; 349 Imitation, imitatio 56; 87 Anm. 1; 94; 99; 153; 160; 336 Anm. 47
Narration, narratio 13; 23 f.; 69–80; 82 f.; 88 f.; 92; 94–96; 98 f.; 102; 105; 108; 111; 121 Anm. 22; 124; 127; 132; 147–161; 214; 311; 323 Geschichte (narrat.) 32; 34 f.; 37–44; 63; 73; 80; 121; 147–149; 151 Anm. 17; 158; 160; 174 Anm. 64; 203 f.; 223 f. Narratologie, narratologisch 70; 92 Anm. 26; 94 Anm. 31 Fokalisation 41; 70; 74; 77 narrative turn 15 Narrativität, narrativ 14–16; 22; 24; 37 Anm. 59; 39 Anm. 72; 63; 69–88; 108; 110; 121 Anm. 22; 143; 190; 193 f.; 199 f.; 202 f.; 219; 221; 231; 288 f.; 305; 312; 315; 333 Anm. 30; 340 plot (narrat.) 82 f.; 94 Anm. 31; 96 Anm. 41 f.; 121 Anm. 22; 201–203 Nero (Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus) 25; 255 f.; 312 Anm. 39; 313 Anm. 40; 316 Anm. 49; 319 Anm. 63; 322; 327–344 Nikokles I. (von Salamis, Kypros) 158 Nil 32 Anm. 14; 34; 158 Anm. 47; 210; 213; 215; 238 Norm, normativ 24; 104; 138; 147; 160; 171 Anm. 49; 219; 229; 242; 307; 309 Novalis 157 Nutzen, Nützlichkeit 18; 25; 35–37; 41; 55; 59; 61 f.; 66; 77; 81 Anm. 57; 93; 96; 100–102; 104; 108 f.; 122 f.; 131–134; 155; 159; 188; 229; 231; 236 f.; 252 Anm. 54; 277; 282 f.; 285; 290 f.; 300; 315; 338 f. σύμφερον (sympheron) 41; 108 Anm. 91; 155 Anm. 39; 156 Anm. 42; 200 f.; 213 Anm. 23; 233 Anm. 32; 289 Vorteil, vorteilhaft 101 f.; 132 f.; 137–140; 164; 176 f.; 181 Anm. 113; 315 χρήσιμον (chrêsimon) 35; 55 Anm. 24; 59; 93 Anm. 28; 236 Anm. 40 ὠφελεία (ôpheleia) 18; 38 Anm. 68; 59 Anm. 32; 61; 81 Anm. 57; 133 Anm. 78; 283 Anm. 11; 290 Anm. 52 Objektivität, objektiv 14; 63; 241 f.; 256 Anm. 78; 269 Anm. 20; 296 Anm. 82; 306; 324; 338 f.; 341 f.; 350 (Claudia) Octavia 328–330; 332–339 Odysseus (myth.) 93; 125 Anm. 37 Oedipus (myth.) 330–334 οἰκουμένη (oikoumenê) 200 Anm. 60; 235 Anm. 37; 237 Anm. 43 ὁμοιότης (homoiotês), ὅμοιος (homoios) s. Gleichartigkeit, gleichartig
Index nominum et rerum ὁμοίωσις (homoiôsis, Angleichung) s. Gleichartigkeit, gleichartig Ontologie, ontologisch 20; 89 f.; 103 ὄψις (opsis) s. Visualität Originalität, original 34; 50; 63; 90 Anm. 15; 281 Anm. 1; 294 Orontas (Armenier) 142 f. οὐσία (ousia) 90–93; 110 Ozean 32 Anm. 14; 52; 213 Anm. 21 παιδεία (paideia) s. Erziehung, erziehen Palatin 316; 335 Anm. 40 Pandataria 335 Panegyrik, panegyrisch 78; 316; 322 Anm. 73; 323 Anm. 77 Parabel 122; 310 f. παραβολή (parabolê, rhet.) 310 f. παράδοξον/παράδοξα (paradoxon/paradoxa) 24; 102 Anm. 66; 109; 169; 213 Anm. 23; 227–240; 319 Anm. 65; 323 Anm. 76; 348 παράδειγμα (paradeigma) s. Beispiel (rhet.) παράλογον (paralogon) 94 Anm. 32; 109 παρρησία, parrhêsia s. Freiheit (d. Rede) Parther, parthisch 54; 57 Anm. 28; 246 Anm. 26; 249 Parteilichkeit, parteilich 296; 312 f.; 319 πάθος (pathos) s. Affekt, affektiv παθητικόν (pathêtikon) s. Affekt, affektiv pattern 24; 187; 189 f.; 193–195; 197–201; 203 Paulsen, Thomas 174 f. Pédech, Paul 189 πείθω (peithô) s. Überzeugungsmittel Pelling, Christopher 69; 88 f.; 102 Anm. 65; 103 Anm. 68; 107 Anm. 83; 108 Anm. 89; 111; 243 Anm. 13; 274 Anm. 47 Pelopidas (von Theben) 109; 170 Anm. 46 Peloponnes, Peloponnesier 67 f.; 75; 77; 117 f.; 171; 174 Anm. 65; 191; 194; 267; 269; 281 Anm. 2; 284; 288; 291; 295; 299 perception 71 f.; 74 f.; 77; 79; 84 f. Performativität, performativ 24 Anm. 40; 239 Performanz 349 Pergamon 197 Perikles (von Athen) 108 Anm. 89; 158; 166; 171; 176; 284; 291; 293 Peripatos, peripatetisch 210; 296 Peripetie 221 Anm. 53 peripeteia) 187 Anm. 4; 219; 294 Anm. 75 Perserkrieg(e) 168; 170; 175; 180 Anm. 107; 265; 267 f.; 270 f.; 277; 289 Perseus (von Makedonien) 194; 196–199; 201
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Persien, Perser 119; 121 f.; 124–133; 136; 138–140; 142; 176; 179; 198 f.; 268–272; 289 f. Personifizierung, personifiziert 66; 129; 340 Phänomen 14; 16; 20 f.; 23–25.; 58; 98; 108 Anm. 89; 123 Anm. 31; 139 Anm. 102; 160; 180 Anm. 108; 211; 213–215; 218; 227–229; 235; 239; 243 Anm. 11; 319; 349 φαινόμενα (phainomena) 91 f.; 230 Anm. 18 Phänomenologie, phänomenologisch 71; 109 Anm. 97 Pheidias (von Athen) 62; 249 f.; 257 Philinos (von Akragas) 43; 188 Anm. 10 Philippos II. (von Makedonien) 40; 188 Anm. 12; 191; 194 f.; 198 f. Philippos V. (von Makedonien) 39 f.; 188 Anm. 12; 194–196; 198–202 Philochoros (von Athen) 35 Anm. 38 φιλοκαλόν (philokalon) 97 Anm. 47; 100 f. Philosophie, philosophisch 14 Anm. 4; 17; 20 Anm. 33; 21; 23 f.; 27 f.; 31 f.; 50–52; 55; 60 Anm. 33; 66; 88–93; 95 Anm. 37 f.; 95 Anm. 40; 98; 108–110; 118 Anm. 7; 119 Anm. 12; 122; 134 f.; 141 f.; 148; 153; 156–159; 210; 228 Anm. 5; 252; 324 Anm. 79; 341 Moralphilosophie, moralphilosophisch 24; 89 f.; 92 f.; 98; 105–109; 111; 127; 131 Staatsphilosophie, staatsphilosophisch 117–145 Photios (von Byzanz) 210; 268–270 Phylarchos (von Athen) 18; 41; 44; 188 Anm. 10; 189 Anm. 15; 201; 219 pictorialism, pictorialist s. Bild, Bildlichkeit πίστις (pistis, rhet.) s. Überzeugungsmittel πιθανότης (pithanotês), πίθανον, (pithanon) s. Überzeugungsmittel πλάσμα/τα (plasma/ta) s. Fiktion, fiktiv Plataiai, Plataier 34; 179 f. Platon (von Athen, Philosoph) 17; 21 Anm. 36 f.; 24; 37; 60 Anm. 33; 64 Anm. 46; 67 f.; 79 Anm. 49; 90; 93; 95 f.; 99 f.; 108 Anm. 90; 118–120; 124; 126; 128 f.; 135–137; 143 f.; 158; 202 Anm. 72 Nomoi 124 Anm. 35 Politeia 99; 118 Anm. 8; 124; 128 f.; 136 f.; 143 Protagoras 119 Plausibilität, plausibel 12; 19; 21 Anm. 38; 24; 69; 88 f.; 94–96; 98; 102 f.; 105; 111; 123; 163; 165; 169 f.; 172; 179; 181 f.; 185; 191; 212–219; 221; 231; 233; 239; 246 f.; 251; 153; 294; 296 Anm. 82; 310; 318; 322; 333 Anm. 27; 337; 348
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Index nominum et rerum
πλεοπνεξία (pleonexia) 131; 135–142 C. Plinius Secundus d. J. 312 plot (narrat.) s. Narratologie, narratologisch Plutarchos (von Chaironeia) 24; 39; 64; 69 f.; 73–80; 83; 87–113; 126; 177 Anm. 87; 202 Anm. 71; 217 Anm. 36; 221; 251 Anm. 48; 258 Anm. 81; 274–277; 289 f. Alexander 78–80; 105 f. Alkibiades 109–111 de adulatione 100 de audiendis poetis 93–97; 109 de E apud Delphos 91 f. de genio Socratis 96 f.; 106 de gloria Atheniensium 95 f.; 110 de Herodoti malignitate 50 Anm. 5; 61 Anm. 35; 87 f.; 98–105; 244 Anm. 16; 258 Anm. 81; 274–276 de virtute morali 90 f. Kimon 106; 108 Lykurg 107 f. Marcellus 109 Pelopidas 109 quaestiones convivales 91 f. Sertorius 109 f. Poesie, poetisch s. Dichtung, dichterisch Poetologie, poetologisch 64 Anm. 46; 89; 93–95; 97; 102; 104 f.; 108; 111; 133 f.; 138 Pointe, pointiert 144; 236; 277 Anm. 59; 307 Polemarchos (von Athen, Bruder des Lysias) 152 Anm. 28 Polemik, polemisch 18 f.; 25; 331; 349 Politeia-Literatur 120; 129; 136–142; 145 Polybios (von Megalopolis) 18 f.; 22–24; 31; 37–44; 50; 53 Anm. 18; 55 f.; 59; 64 Anm. 46; 76; 80–82; 93 f. Anm. 30; 187–207; 215–223; 243 Anm. 8; 244 Anm. 16; 245 Anm. 19; 249 Anm. 39; 269 Anm. 19; 277 Polykrates (von Athen) 158 f. Polyphonie, polyphon 315 pompa funebris 18 Cn. Pompeius Geminus 69; 293 T. Pomponius Atticus 248 Poppaea Sabina 328 f.; 337 f. M. Porcius Cato Censorius (= Cato d. Ä.) 109; 309 Porod. Robert 66 Porphyrios (von Tyros) 33 Poseidonios (von Apameia) 247 f.; 250 Positivismus, positivistisch 13; 69;138; 339
Postmoderne, postmodern 15–17; 26 f.; 243; 245; 250 praetexta (fabula) 333–336; 338 πρᾶγμα, πράγματα (pragma/ta) 35 Anm. 33; 40 Anm. 79; 57; 65 Anm. 51; 90–92; 94; 96–99; 101–103; 105; 107 f.; 110; 150 Anm. 11; 150 Anm. 13; 154–156; 192 Anm. 30; 200 Anm. 60; 216 Anm. 35; 218 Anm. 41; 290 Anm. 52; 298 Anm. 95; 310; 348 Praxis (rhet.) 59; 62; 95; 215 Anm. 27 προαίρεσις (prohairesis) 41–43; 53 Anm. 18; 220; 254 Anm. 65; 269 Anm. 19; 290 Anm. 58 probability s. Wahrscheinlichkeit, wahrscheinlich πρόθεσις (prothesis) 37; 40; 43 Anm. 108; 198 Anm. 55 Prozess, prozesshaft (hist.) 14 f.; 24; 216; 220 ψεῦδος (pseudos) s. Unwahrheit, unwahr ψόγος (psogos) s. Tadel(rede) (rhet.) ψυχή (psychê) 100 Anm. 58; 89; 108 Anm. 91; 122 Anm. 25; 128; 132 f.; 141 Anm. 111; 173; 100 Anm. 62; 290 Anm. 52 Ptolemaios V. Epiphanes Eucharistos 196 Publikum 13; 15; 22; 55; 95; 109; 167; 171; 173–175; 178 f.; 182; 232; 270 Anm. 25; 273; 276; 283; 286 Anm. 30; 340 Pylos 70; 73; 75 f.; 164 Quellen 111; 130; 140 Anm. 109; 222; 236; 238; 241 f.; 248; 265 f.; 269; 270–272; 276 f.; 290; 196 Anm. 82; 311; 327 f.; 331; 333 f.; 338 f.; 350 Quellendiskussion s. Kritik, kritisch (Quellenkritik) Querverweis 238 Quintilian (M. Fabius Quintilianus) 201 f. Anm. 67; 244 Anm. 16; 255; 309–312; 321 Anm. 72; 333 Anm. 29; 341 Anm. 70 Ranke, Leopold von 14; 241 f.; 252; 339 ratio, rational 34; 89; 100 f.; 200; 212; 266; 310 Anm. 28; 349 Rationalisierung 95 Anm. 39; 108 Anm. 89; 266 Raum, räumlich 74; 76–79; 121; 212–214; 236; 238 Realia 89; 93; 95 Anm. 39; 111 Realität, real s. Wirklichkeit, wirklich Recherche s. Forschung, Forschen (histor.) Rede, rednerisch 17; 20 f.; 24; 91 f.; 102; 117; 127; 131 f.; 134 f.; 216; 219; 228–233; 235; 237–239; 241; 247; 276 Anm. 55; 281 f.; 284; 286; 288; 292; 294 f.; 306 f.; 323; 328; 331; 337 Anm. 50
Index nominum et rerum Redefreiheit s. Freiheit (d. Rede) Redekunst s. Rhetorik, rhetorisch Redner (allg.) 13 Anm. 3; 24; 64; 91; 134; 164–182; 216 f.; 219; 242; 245–250; 252; 257; 283; 286 f.; 291; 311; 323 Redner (Attische) 24; 75; 149; 163–184 reductio ad absurdum s. Beweisverfahren Rekonstruktion, rekonstruiert 18; 20; 22–24; 89;111; 121; 164 f.; 168 f.; 172; 175; 182; 209; 212; 214–222; 247; 265 Anm. 3; 271 Anm. 27; 350 retrospection 82 f.; 192 f. Rezeption (liter., hist.) 12; 55 Anm. 23; 90; 92 f.; 95; 97; 268; 270 f.; 273 Anm. 37; 276; 281 f.; 285; 288; 339 Rezipient(en) 15; 20; 22; 97 f.; 138; 230; 239; 267–270; 277 Rhetorica ad Alexandrum 147–161; 164; 309 f. Rhetorica ad Herennium 309–311 Rhetorik, rhetorisch 12 f.; 16; 20–22; 31; 36 f.; 49; 52; 59 f.; 62–69; 76; 93 Anm. 29; 95 Anm. 37; 99; 105; 110; 122; 134; 139; 147–161; 163; 165; 168 f.; 171; 174; 176 Anm. 81; 180; 182; 188 f.; 191 Anm. 26; 199 Anm. 59; 209; 215 Anm. 27; 220 f.; 242 f.; 246–255; 257 f.; 271; 274; 276; 281–288; 291; 296; 305–312; 315 f.; 319; 322–324; 330 Anm. 15; 332 Anm. 23; 333 Anm. 31; 336 Anm. 47; 348 f. Rhetorisierung 19 Rhetorizität 308 Rhodos, Rhodier 196 f.; 201; 237 f. Rhua, Pedro de 258 Rom 15; 18 f.; 25; 27 f.; 53 f.; 69; 109 f.; 147; 190; 193; 195 Anm. 41; 198–200; 238; 242; 245–250; 252; 256 Anm. 78; 273 Anm. 39; 281–283; 285–288; 290; 293 f.; 296 f.; 305 f.; 309; 311–313; 316; 322; 327–330; 336; 338–341 Roman, Romanliteratur; romanhaft 14; 88; 118–120; 123; 126; 141; 143 f.; 247; 255; 258 f.; 270 f.; 327; 338 Römer 43; 54; 57 Anm. 28; 198; 201; 248 f.; 309 Rosen, Philip 15 Rotes Meer 210 Rubrik(en), rubrizierend 305–308; 312–314; 316–319; 322–324 Sachlichkeit, sachlich (lit., rhet.) 13 f.; 16; 19; 94; 101; 239; 265 f.; 268; 272 Anm. 31; 276 saevitia 308; 312–315; 322 Sage, sagenhaft (vgl. auch Mythos, mythisch) 295; 298, 332 Anm. 22
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Sallust (C. Sallustius Crispus) 285; 314 Anm. 43; 339 C. Salvius Liberalis 307 σαφήνεια (saphêneia) s. Überzeugungsmittel Satire, satirisch 50; 52; 253 Satiriker 241; 249; 252 f.; 255 Schauspiel s. Drama, dramatisch Scherz, scherzhaft (vgl. auch Witz, witzig) 100 Anm. 56; 126; 134; 313 Schiller, Friedrich 13 f. Schmeichelei, Schmeichler 53–61; 64; 100–102; 104; 291 f. κολακεία (kolakeia) 54 Anm. 22; 56; 60 f.; 100 f.; 104 Anm. 71; 291 Anm. 58 Schmidt, Leopold 174 Schmidt, Peter Lebrecht 334 f.; 338 f. Anm. 60 Schönheit 54; 56; 59 f.; 64–66; 103 Anm. 69; 108 Anm. 89; 141; 156; 159; 252; 288; 299; 310 Schriftlichkeit, schriftlich 15 f.; 21 Anm. 37; 229; 270; 290 Schule, Schulbildung (intellekt.) 128; 133; 137; 171; 286 f.; 309; 313; 327 Schweigen 60 f.; 73; 179; 268 f.; 275; 285; 292; 298; 323 Schwartz, Eduard 209 Anm. 1; 347 Scipionen s. Cornelii Scipiones Seavey, William 98 f. Seele, seelisch 89–91; 100 f.; 109; 131–133; 135; 141; 215 Anm. 30 Seelenteil 90–92; 101 Seelenrichter 95 Anm. 39 Sehepunkt 13 Selbstdarstellung 104; 107 Anm. 86; 299 f. Selbstreferentialität, selbstreferentiell (lit.) 236; 238 f. Seneca d. Ä. (L./M. Annaeus Seneca, Seneca Rhetor) 333 f. controversiae 332–334 Seneca d. J. (L. Annaeus Seneca) 258; 329 f.; 332; 334–337; 340 Anm. 67 Oedipus 330; 332–334 Pseudo-Seneca, Octavia 330 Anm. 16; 332–339 Senatsaristokratie 341 sensationalism 187 f. Sepeia, Schlacht von (494 v. Chr.) 33 Q. Sertorius 109 f. Sextus Empiricus 245; 253 f.; 257 f. adversus mathematicos 245
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Index nominum et rerum
Silenos (von Kale Akte) 38 Simonides (von Keos) 69 f.; 275 simplicity 188 f. sine ira et studio 13; 19 Anm. 28; 98 f.; 339 Sinn, sinnlich 17; 90 f.; 97 Anm. 48; 214 f.; 220; 252; 349 f. Sinn, sinnvoll 19; 25; 63; 111; 164; 178 Anm. 90; 181; 210; 214 f.; 227 Anm. 2; 244–245; 251; 289; 317; 333; 348 Sinnbild, sinnbildlich 13; 110; 251; 329 f. Anm. 14 Sinnlosigkeit, sinnlos 109 Sizilien, sizilisch 42; 149; 179; 189 f. Skythien, skythisch 238 Sokrates (von Athen), Sokratik 104 Anm. 71; 110; 117–120; 124; 126; 129; 131; 135; 138; 141 f.; 158; 349 Solon (von Athen) 173; 178 f. Sophist, sophistisch 32; 93 Anm. 29; 95 Anm. 37; 102 Anm. 66; 117; 119; 131; 140 f.; 156–158; 160 Sophistik (Zweite) 18; 51; 65 Sosylos (von Sparta) 38 Sozialgeschichte, sozialgeschichtlich 14; 222 Anm. 57 Sozialwissenschaft, sozialwissenschaftlich 15 space, spatial s. Raum, räumlich Sparta 33; 110; 129; 174–177; 181; 292 Spartiaten, spartiatisch 34; 36; 73 f.; 108; 117 Anm. 5; 118 f.; 155; 164; 170 f.; 179 Spartoi (myth.) 35 f. species 305 f.; 311 Spiegel 12; 62; 64; 110 f.; 166; 250 f.; 288; 309 Statius (P. Papinius Statius) 316 Staunen, staunenswert (vgl. auch wunderbar, wunderlich) 217 Anm. 36; 288 f. θαυμάζειν (thaumazein) 119 f.; 235; 288; 295 Anm. 97 Steidle, Wolf 305 Steigerung 24; 129; 271; 312–314; 323 Stesimbrotos (von Thasos) 33 Stil, Stilistik, stilistisch (lit., rhet.) 14; 17; 40; 54; 60; 70; 78; 80; 99; 105; 160 f.; 168; 201; 203 f.; 209 Anm. 1; 217; 219; 269; 273–276; 281; 284–288; 294; 309 f.; 330 Anm. 17 Stoa, Stoiker, stoisch 90; 94 Anm. 34; 176; 179 f. Stoffauffindung 246; 250; 255–257 εὕρησις (heurêsis) 16; 107 inventio 62–64; 246 Anm. 24; 248; 251; 253; 255; 309 f.; 322
Strabon (von Amaseia) 35–37 Stratokles (von Diomeia) 220 Strauss, Leo 130 Anm. 63; 135; 143; Strukturgeschichte 103 f. Subjektivität, subjektiv 25; 32; 36 Anm. 42; 41; 44 f.; 154; 256 Anm. 78; 306; 339 f. Sueton (C. Suetonius Tranquillus) 25; 305–328; 331; 334 f.; 337 f.; 340 f. Augustus 307 Anm. 14; 322 Anm. 74 Caligula 313 Anm. 40; 316 Anm. 47 Domitian 308; 312–319 Nero 313 Anm. 40 Vespasian 307 f.; 313; 318–322 Tiberius 307 Anm. 14; 308 Anm. 19; 316 Anm. 47 Titus 308; 315 f.; 321 f. Suggestion, suggestiv 69; 72; 77; 82 f.; 195; 197; 200 Anm. 3; 202; 308 συκοφαντία (sykophantia) s. Verleumdung, verleumderisch συμπλόκη (symplokê) 216 Symposion, Symposiast(en) 117; 126; 133; 135 f. σύμφερον (sympheron) s. Nutzen, Nützlichkeit Syrakus 93 Anm. 30; 221 Anm. 53; 285 Tacitus (P. Cornelius Tacitus) 19 Anm. 28; 25; 76; 243 f.; 256 Anm. 78; 305; 320 Anm. 68; 322 Anm. 74; 327–344 Tadel(rede) (rhet.) 25; 100; 267; 269 Anm. 20; 274; 276; 311; 323 f. ψόγος (psogos) 56 Anm. 27;104 Anm. 71; 235–237; 270; 274 ταραχή (tarachê) 93 Technik (lit., rhet.) 13; 15 f.; 19–22; 24; 108 Anm. 89 Kunstfertigkeit, kunstvoll 11; 50 Anm. 6; 95; 104 Anm. 71; 217; 282 τέχνη (technê) 66 Anm. 53; 97; 104 Anm. 71; 131 f.; 215 Anm. 30; 252–255; 257 témoin s. Zeuge, Zeugnis τερπνόν (terpnon), τέρψις (terpsis) s. Vergnügen Thalia (myth.) 11–13 θαυμάζειν (thaumazein) s. Staunen, staunenswert Theater, Theatralität, theatralisch s. Drama, dramatisch Theben, Thebaner 36; 39; 61; 164; 167; 170; 181; 216; 219; 266; 275 f. Themistokles (von Athen) 38; 170 f.; 176; 274; 291; 293
Index nominum et rerum Theopompos (von Chios) 18; 22; 37; 39–41; 43; 45 f.; 111 Anm. 106; 147; 188 Anm. 10; 191; 209 Anm. 1; 213; 221; 165 Anm. 3; 271; 277; 296 Theophrastos (von Eresos) 50 Anm. 5; 296 Theorie, theoretisch 14 f.; 17 f.; 20 f.; 34; 44; 50 f.; 55; 63; 65; 68–71; 81; 84 f.; 87; 91 f.; 108 Anm. 89; 138; 147–149; 152 f.; 182 f.; 210; 212–217; 241–245; 248 f.; 252–254; 256–258; 284 Anm. 12; 297; 308–312; 323 f.; 347 f. ἀθεωρησία (atheôrhêsia) 213 Theseus (myth.) 158; 179 Thessalien; Thessalier 36; 110 Thrakien; Thraker 194; 196; 198 Thukydides (von Athen, Historiograph) 17 f.; 25; 51; 55; 59–62; 87; 98 Anm. 50; 102 Anm. 62 f.; 104 f.; 133; 135; 164 Anm. 15; 166; 170 f.; 174 Am. 65; 188; 190 Anm. 22; 192 Anm. 29; 201 Anm. 67; 202 Anm. 71; 217; 221–223; 241 f.; 244 Anm. 16; 245 Anm. 19; 247; 249; 250–252; 265–279; 281–301; 347 f. Methodenkapitel 59; 61; 217; 241 f.; 251 f.; 267; 295; 300 Thukydideer 25; 285 f.; 294; 296 Tigranes (Armenier) 139–143 Timaios (von Tauromenion) 18; 100; 102; 188–191; 193 Anm. 33; 215 Anm. 30; 269 Anm. 19; 271 f. Timokles (von Athen) 202 Timotheos (von Athen, Politiker) 103 Anm. 69; 169 Titus (= Imp. T. Caesar Vespasianus Augustus) 308; 315–318; 321 f. Topik, topisch (rhet.) 25; 139; 187; 192; 194; 311; 315; 323; 335; 341 locus 105; 126; 323; 332 Anm. 23 τόπος (topos) 42 Anm. 98; 53; 102 Anm. 62; 130; 134 Anm. 80; 147; 199; 213 Anm. 22; 220 Anm. 50; 235 Anm. 37; 237 Anm. 43; 276; 311; 330 Anm. 15; 336 Topographie, topographisch 213; 215 Tradition, tradiert (lit.) 22 f.; 25; 33–35; 50; 52 f.; 55; 65; 71 Anm. 11; 87; 89 Anm. 11; 120 f.; 127; 147–149; 151 Anm. 18; 170–178; 189 f.; 209 f.; 220; 223 f.; 236; 245 Anm. 19; 255; 258; 165 Anm. 3; 268–272; 317; 332 f.; 336; 338 Anm. 60; 340 Tragödie, Tragik, tragisch s. Drama, dramatisch Traian (= Imp. Caesar Nerva Traianus Augustus) 305
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Troglodyten 237 Trug, trügerisch s. Unwahrheit, unwahr truth, true s. Wahrheit, wahr truthfulness, truthful s. Wahrhaftigkeit, wahrhaftig Tugend, tugendhaft 89 f.; 94; 97; 103; 106; 109; 119; 126; 132; 134 f.; 137; 169; 171; 173; 181 f.; 305 f.; 311; 314; 322; 324 ἀρετή (aretê) 90; 94 Anm. 32; 97 Anm. 47; 103 Anm. 69; 93; 97 f.; 103–107; 120 Anm. 17; 126; 131 f.; 134 f.; 291 Anm. 58; 299 virtus 90; 305; 309; 311–313; 318 Anm. 59; 322; 324; 340 τύχη (tychê) 18; 91; 97 f.; 101 Anm. 61; 103 f.; 107 Anm. 85; 110; 154 Anm. 37; 187 Anm. 4; 189; 199–201; 203; 216 Anm. 34; 219 Anm. 48 Tyche (Göttin) 189; 199 Tyrann, tyrannisch 128–130; 134–138; 179 Anm. 94; 308 Anm. 19; 314; 318; 331–333; 335; 341 Tyrannentopik 25 Tzetzes (von Konstantinopel) 33 Überlieferung, überliefert (lit.) s. Tradition, tradiert (lit.) Überparteilichkeit, überparteilich 69; 241; 246 f.; 253; 256; 282; 298–300 Überprüfbarkeit, überprüfbar 173; 175; 216–218; 220 f.; 282 Übertreibung, übertrieben 18; 54–58; 95 Anm. 39; 102; 165; 168; 175; 180 Anm. 107; 217; 221; 347 ὑπερβολή (hyperbolê) 54; 65; 237 Anm. 43 Überzeugung 55 f.; 60; 63; 66; 89 f.; 95; 107; 111; 118; 123; 129; 163–165; 167; 171–173; 177 f.; 180 Anm. 107; 211–213; 234 f.; 243 Anm. 3; 248 Anm. 33; 255 f.; 287 f.; 290; 292 f.; 308 Anm. 19; 310 f. Überzeugungsmittel 164 Anm. 12; 165; 310 Anm. 28 ἀκρίβεια (akribeia) 35; 43 Anm. 106; 52; 81 f.; 91; 249 Anm. 43 ἐνάργεια (enargeia) (s. auch ‚lebendige Darstellung‘) 24; 70; 75; 78; 80–82; 95 Anm. 36; 111; 152; 191; 209–223; 239; 349 πείθω (peithô) 211 Anm. 13; 234 Anm. 36 πίστις (pistis) 91; 100 Anm. 58; 102 Anm. 66; 104 Anm. 71; 142 Anm. 116; 154 Anm. 37; 163–165; 175; 181;211–213; 215–218; 230 Anm. 20
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Index nominum et rerum
πιθανότης (pithanotês), πίθανον, (pithanon) 38 Anm. 68; 94; 191; 212 f.; 215 Anm. 30 σαφήνεια (saphêneia) 50; 52; 253 Unfreiheit s. Freiheit Unkenntnis s. Kenntnis Unparteilichkeit, unparteiisch s. Überparteilichkeit, überparteilich Unwahrheit, unwahr 17; 19–21; 23; 51 Anm. 12; 87; 90; 95 f.; 100 f.; 134; 174; 178; 234; 239; 246; 255; 269 f.; 273; 318 Anm. 57 ἀπάτη (apatê) 38; 56 Anm. 27; 93; 217; 295 Anm. 77 Falschheit, falsch 13; 19–23; 31–33; 35–44; 59; 93; 99; 101; 103; 128; 136–138; 143 Anm. 118; 165; 167–169; 172–174; 176 f.; 182; 209 f.; 214 Anm. 25; 219; 221 f.; 233 f.; 243 f.; 265; 267; 276 f.; 284; 294; 313; 340; 348 Irrtum, irrig 32–34; 36; 41–44; 51–53; 147; 174–177; 201; 269 Anm. 20; 349 f. Lüge, lügenhaft 23; 31–37; 41; 44; 49–56; 137; 141; 163–184; 269 Anm. 20; 328; 340 ψεῦδος (pseudos) 17; 21 Anm. 38; 31–47; 51–56; 90 Anm. 15; 96 Anm. 43; 106 Anm. 80; 163 Anm. 1; 168 Anm. 28; 234 Anm. 36; 254 f.; 269; 271; 273 Anm. 42 f.; 277 Anm. 51 Trug, trügerisch 17 Anm. 21; 32; 39 Anm. 72; 42 f.; 91; 93; 95; 99; 105; 152 Anm. 25; 217; 251; 275; 348 f. Ursache, ursächlich 57; 91–93; 97 f.; 100; 103–105; 109; 111; 121; 210; 214 f.; 217 Anm. 40 Aitiologie, aitiologisch 95 Anm. 39 αἴτιον (aition) 12 f.; 20–22; 50–53; 56; 65; 92; 103 Anm. 68; 107 Anm. 84; 110; 118–120; 123 f.; 140; 214; 217–222; 310; 313; 323; 329 f.; 334; 337 Anm. 51; 340 Grund 12 f.; 20–22; 50–53; 56; 65; 92; 103 Anm. 68; 107 Anm. 84; 110; 118–120; 123 f.; 140; 214; 217–222; 310; 313; 323; 329 f.; 334; 337 Anm. 51; 340 Urteil, Urteilsfähigkeit 13; 24 Anm. 40; 58; 90; 93 Anm. 29; 96–98; 101–103; 107 f.; 142; 242; 245; 248; 257 Anm. 79; 269; 273 Anm. 39; 274 Anm. 46; 282; 286; 289; 291; 293; 298 f.; 340 f. usefulness, useful s. Nutzen, Nützlichkeit Usher, Stephen 149; 158 utilité, utile s. Nutzen, Nützlichkeit veracity s. Wahrhaftigkeit, wahrhaftig Verfasser s. Autor, auktorial Vergangenheit 14; 18 f.; 24; 44 Anm. 115; s57;
62; 67 f.; 70; 81–83; 122 f.; 142; 153–155; 163– 165; 168; 170–175; 180–182; 187 f.; 190–194; 203; 211 f.; 214; 217 f.; 221; 239; 266 Anm. 6; 270; 283; 285–287; 290; 292; 339 Anm. 64 Vergeltungsethik 180 Vergessen 166; 181; 285 Vergleich (lit., rhet.) 51; 54; 58; 60; 64; 110 f.; 118 Anm. 9; 119; 136 Anm. 87; 121 f.; 216; 218 Anm. 44; 221 f.; 233–239; 245 Anm. 19; 249 f.; 254 Anm. 65; 257; 270 f.; 284; 288; 292; 300; 305; 310; 319; 322 f.; 335 Vergnügen 17; 59; 100; 229 Anm. 14 Angenehmes, angenehm 55–57; 59 f.; 131; 138; 289; 300 Genuss, genießen 17; 93; 101; 135; 167; 290 ἡδονή (hêdonê) 87; 90; 100 Anm. 58; 105 τερπνόν (terpnon) 55; 59 f. τέρψις (terpsis) 17; 93 Anm. 28; 126; 133 verité, vrai s. Wahrheit, wahr Verleumdung, verleumderisch 100; 101; 104; 276; 299 διαβολή (diabolê) 100 f.; 104; 172 συκοφαντία (sykophantía) 299 Anm. 97 Vermischtheit, vermischt 94 f.; 97; 108; 135; 277 μῖξις (mîxis) 80 Anm. 53; 94–97; 102; 108; 111; 234 Anm. 36; 270 Verschleierung, verschleiert 99; 100; 104; 111; 251; 328; 340 Anm. 67 Verschwörungstheorien 341 f. Verzerrung, verzerrt 22; 56; 62; 99; 102; 103 f.; 108; 111; 176 Anm. 81; 220; 250; 277 Vespasian (Imp. Caesar Vespasianus Augustus) 307 f.; 313; 316 Anm. 50; 318–321; 335 Anm. 38; 340 f. Anm. 69 virtus s. Tugend, tugendhaft Visualität, visuell 15 f.; 81; 84 f.; 152; 220 f. ὄψις (opsis) 59; 106 Anm. 80; 216; 219 vita s. Biographie, biographisch vitium 305; 312 f.; 317–319; 321 f.; 324; 340 Anm. 67 vividness s. lebendige Darstellung Vorbild, vorbildhaft s. Beispiel (rhet.) Vorteil, vorteilhaft s. Nutzen, Nützlichkeit Wahrheit, wahr 13 f.; 15–25; 31–37; 42–43; 49–71; 77; 80–83; 87–113; 117; 121–123; 133 f.; 137 f.; 140–143; 147; 151 Anm. 17; 154; 156 f.; 159 f.; 163–184; 187–207; 209–225; 229; 232–235; 242–246; 250–253; 255–259; 266; 269–271; 273–276; 281–283; 288; 290–300; 311; 314 f.; 327 f.; 341 f.; 347–350
Index nominum et rerum ἀλήθεια (alêtheia), ἀληθής (alêthês) 17; 19; 31–37; 41–43; 51–66; 81; 87 f.; 91–95; 98 f.; 101–106; 111; 163 Anm. 3; 166 Anm. 24; 172 Anm. 55; 192 Anm. 30; 212; 215 Anm. 30; 218; 233 Anm. 33; 235 f.; 248 Anm. 34; 254 f.; 257; 269; 274 f.; 281 f.; 290 f.; 294; 296–299; 328 Anm. 4; 348 ἔτυμος/ἔτήτυμος (etymos/etêtymos) 31 f. Wahrhaftigkeit, wahrhaftig 15–17; 19; 21–25; 72; 79; 88 f.; 92; 94–97; 100; 109; 111; 140; 154; 187–190; 193–195; 199; 201–203; 211; 229 f.; 270; 274; 282; 294–296 Wahrheitlichkeit, wahrheitlich 209; 212–215; 220 Wahrheitstreue, wahrheitsgetreu 19; 25; 88; 96; 108; 214 f.; 244; 283; 291; 315 Anm. 4 Wahrnehmung 91; 93; 111; 118 Anm. 8; 257; 327 Wahrscheinlichkeit, wahrscheinlich 40 f.; 89; 98; 163–188; 190–192; 194; 203; 212; 246; 252; 254 f.; 267; 270; 272; 275 f.; 311; 333 Am. 31; 341; 348 Walbank, Frank 188 f.; 199 Walker, Andrew 80; 121 Wallenstein 13 f. Wandererzählung, Wandermotiv 25 Weaire, Gavin A. 287 Anm. 34; 293 Wehler, Hans-Ulrich 14 f.; 222 Anm. 57 Wein 91; 125–127; 237; 317 f. Werte, Wertvorstellung(en) 24; 124; 169; 172 f.; 340 f. Wetteifer, Wettkampf, Wettstreit s. Konkurrenz White, Hayden 16; 49 Anm. 3; 63; 83; 243 Anm. 12; 244 Anm. 15; 347 f. Wiater, Nicolas 236 Anm. 39; 291 Widerlegung (rhet., log.) s. Beweisverfahren Widersprüchlichkeit, widersprüchlich 89; 95; 221; 228 Anm. 5; 275; 316 Willensfreiheit 93 Wirklichkeit, wirklich 13–17; 19; 21; 23; 62; 64; 122; 142; 165; 167; 171; 174; 178; 182; 216; 246; 250; 253; 267; 321; 327 Realität, real 15; 23; 32; 34; 36; 44; 63; 72; 80–82; 90 f.; 93; 95; 98; 110; 143 f.; 147; 158; 187; 190; 194; 217; 241; 243; 246; 257; 273; 331; 336; 338 Anm. 60; 350 Wiseman, Peter 31; 52; 58; 243 Anm. 9; 338 Anm. 60 Wissen 17 Anm. 21; 21; 89; 119–121; 133; 170–175; 182; 214; 239; 272; 198; 322–324; 328
373
Wissenschaft, wissenschaftlich 13–16; 25; 210 f.; 221 f.; 241–243; 252 Anm. 53 f.; 272; 274 f.; 327 Anm. 1; 339 f.; 347; 349 witness s. Zeuge, Zeugnis Witz, gewitzt 96; 137 Witz, witzig (vgl. auch Scherz, scherzhaft) 125; 134; 219; 319 Woodman, Anthony J. (Tony) World Trade Center 341 wunderbar, wunderlich (vgl. auch Staunen, staunenswert) 122; 227; 231; 272 f.; 300 Xanthos (von Sardes) 294 Xenophanes (von Kolophon) 126 Anm. 41; 266 Xenophon (von Athen) 18; 24; 34; 39; 60; 83; 88; 117–145; 177; 202 Anm. 71; 217 Anm. 36; 222; 249; 268; 270 Anm. 25; 271 Anm. 28; 196 Anm. 84 Anabasis 121; 123 Anm. 29; 142 f.; 202 Anm. 71 Hellenika 24; 88; 202 Anm. 71; 271 Anm. 28 Kyrou paideia 117–145 χρήσιμον (chrêsimon) s. Nutzen, Nützlichkeit ὕλη (hylê) 90; 249 Anm. 43; 254 ὑπερβολή (hyperbolê) s. Übertreibung, übertrieben ὑπόμνημα (hypomnêma) s. Ausspruch ὑποθήκη (hypothêke) 136–142 ὤφελεία (ôpheleia) s. Nutzen, Nützlichkeit Zanker, Graham 70 Anm. 6; 71 Zeitgeschichte, zeitgeschichtlich 82; 164; 190; 195; 246 Anm. 24; 266 Anm. 6; 268; 335 Zeuge, Zeugnis 32 Anm. 7; 63; 70; 76; 81 Anm. 58; 96 f.; 118; 143 Anm. 118; 154; 165–168; 170; 173; 190 f.; 102 Anm. 71; 212; 214–216; 218; 222; 230; 247; 251 f.; 255 f.; 268; 271; 273 Anm. 39; 275; 281; 291; 296; 299; 327; 335; 348 f. Zitat, Zitation 22; 52 Anm. 15; 99 f.; 127; 170; 215 Anm. 29; 219; 221 Anm. 52; 231; 241 Anm. 3; 243; 273 Anm. 39; 281 Anm. 2; 285 Anm. 23; 333 Anm. 29; 341 Anm. 70 Zufall, zufällig 18; 52; 63; 97; 103; 118 Anm. 8; 126; 137; 194 Zukunft, zukünftig 23; 57; 59; 61 f.; 81 f.; 122; 153–155; 187; 193; 195 Anm. 41; 300; 339 Anm. 64 Zweite Sophistik s. Sophistik (Zweite) 11. September 2001 341 f.
Myrthe L. Bartels
Plato’s Pragmatic Project A Reading of Plato’s Laws
Hermes - Einzelschrift 111 the author Myrthe Bartels is currently Postdoctoral Researcher at the University of Erfurt, Germany. She specializes in ancient Greek philosophy, especially ancient ethics and political thought. She received her PhD in Classical Studies from Leiden University, the Netherlands. Subsequently, she was Visiting Scholar at the University of Edinburgh and Postdoctoral Fellow at the Institute for Advanced Studies in the Humanities, also in Edinburgh, United Kingdom.
When we think about Plato’s philosophy, his Laws is usually not the first work that comes to mind. Plato’s final magnum opus is a perplexing text in many ways, even apart from the fact that its very existence forces us to reflect on the question of how it relates to Plato’s other major political work, Republic. The debate about Plato’s Laws usually disregards its composition and the way in which the legislation takes shape in the dialogue. This book offers a fresh reading of Plato’s Laws that treats its form as an integral part of its philosophy, and asks what the way in which Plato’s legislative project is given shape in the text suggests about the status of that project. It argues that the legislative project is strikingly pragmatic for a work of Platonic philosophy and should therefore be understood in its own terms. Rather than laying down a definitive law code for a new colony (Magnesia) that is based on, or at least in some way presupposes, a metaphysical norm, Plato’s last work creates its own moral framework, in which lawgiving provides a convenient practical test for a notion of virtue understood as social conditioning. contents Introduction: Laws in Dialectic | Platonic Preliminaries | Setting the Scene: άρετή in Laws I–II| Lawgiving Logôi: Formal Features of the Legislation | Outline and Amendment: an Inevitable Lack of Accuracy | Outside the Law Code: the Nocturnal Council and the Athenian Stranger | Conclusion: Plato’s Pragmatic Project | Bibliography | Index
2017 251 pages 978-3-515-11800-2 softcover 978-3-515-11805-7 e-book
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Karl-Wilhelm Welwei
Die griechische Polis Verfassung und Gesellschaft in archaischer und klassischer Zeit Herausgegeben von Karl-Joachim Hölkeskamp und Mischa Meier
Der autor Karl-Wilhelm Welwei (1930– 2013) studierte Geschichte und klassische Philologie an der Universität zu Köln. Von 1972 bis 1996 war er Professor für Alte Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 1993 Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts. Welwei galt auch international als einer der besten Kenner der Geschichte des antiken Griechenlands.
Mit Die griechische Polis hat Karl-Wilhelm Welwei ein Standardwerk der Altertumswissenschaften geschaffen: Die elementaren Ergebnisse und innovativen Deutungsangebote, wie sie in der „griechischen Polis“ vorliegen, bilden die Voraussetzung für einen großen Teil späterer Studien. 1983 erstmals erschienen, liefert der Band eine bis heute grundlegende und umfassende Darstellung der Polis als komplexer Form politisch-gesellschaftlicher Organisation. Welweis Verdienst liegt vor allem darin, innerhalb einer diffizilen, schwer zu überblickenden Forschungslandschaft eine Synthese geschaffen und zugleich wichtige Impulse für weiteres Nachdenken gegeben zu haben. Entstanden ist ein Band, der bis heute im Regal keines Studierenden und keines Dozenten fehlen sollte. Nun erscheint der Klassiker in einer neuen Auflage, eingeleitet von Karl-Joachim Hölkeskamp und Mischa Meier Aus dem Inhalt Geleitwort der Herausgeber | Vorwort | Einleitung: Begriff und Wesen der Polis | Die historischen Grundlagen | Entstehung, Aufbau und Entwicklung der archaischen Polis | Klassische Polisstaaten | Möglichkeiten und Grenzen der Polis | Nachträge | Abkürzungs- und Literaturverzeichnis | Register
3. Auflage 2017 XIV, 377 Seiten 978-3-515-11561-2 kart. 978-3-515-11562-9 e-book
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Simon Strauß
Von Mommsen zu Gelzer? Die Konzeption römisch-republikanischer Gesellschaft in „Staatsrecht“ und „Nobilität“
historia – Einzelschrift 248 Der autor Simon Strauß, Studium der Altertumswissenschaften und Geschichte in Basel, Poitiers und Cambridge (UK). Anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter am althistorischen Lehrstuhl der Humboldt Universität zu Berlin. Anstellung am Sonderforschungsbereich „Transformationen der Antike“. Ab September 2016 Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftsgeschichte und die Römische Gesellschafts geschichte.
2017 262 Seiten 978-3-515-11851-4 geb. 978-3-515-11856-9 e-book
Theodor Mommsen ist eine der Zentralfiguren althistorischer Wissenschaftsgeschichte. Für lange Zeit stand jede Beschäftigung mit Rom in seinem Schatten. 1912 veröffentlichte der junge Schweizer Matthias Gelzer jedoch eine Habilitationsschrift, in der er sich im Namen einer fortschrittlichen „Gesellschaftshistorie“ radikal vom „Staatsrechtler“ Mommsen absetzte. Gelzers aufmüpfige Polemik bot späteren Forschern wiederum einen willkommenen Anlass, um sich vom gefürchteten Übervater loszusagen. Mit dem Verweis auf Gelzer konnte man sich auf die progressive Seite stellen und Mommsen zu den Akten legen. Simon Strauß stellt dieses Vorgehen nun entschieden in Frage und argumentiert, dass in Mommsens Werk – gerade auch in seinem 1871–1888 erschienenen „Römischen Staatsrecht“ – schon viele gesellschaftsgeschichtliche Aspekte behandelt werden. Gelzers Leistungen lassen sich in diesem Licht betrachtet durchaus relativieren. Strauß weckt Zweifel an der Selbstdeutung der althistorischen Forschungsgeschichte und bewertet die Stellung Theodor Mommsens neu. Aus dem Inhalt Einleitung | Methodologische Vorbemerkung | Zur Problem geschichte von „Gesellschaft“ | Charakteristika römisch-republikanischer Gesellschaft | Auf Schatzsuche in steinigem Terrain – wieviel Gesellschaft verbirgt sich in Mommsens „Staatsrecht“? | Am Wendepunkt? Kontinuitäten und Brüche in Gelzers „Nobilität“ | Fazit und Ausblick | Anhang: Transkribierter Auszug aus den „Memorabilien“ von Matthias Gelzer | Literaturverzeichnis | Register
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Schon seit den Anfängen der griechischen Geschichtsschreibung im 6. Jahrhundert v. Chr. vertraten Historiker wie Hekataios, Herodot und Thukydides den Anspruch, in ihren Werken der historischen „Wahrheit“ mehr als ihre Vorgänger Genüge zu tun. Vor allem seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. kristallisierten sich im Zuge dieser jeweils gegenseitigen methodischen Abgrenzung verschiedene, nicht selten widersprüchlich anmutende Ansichten darüber heraus, worin die „Wahrhaftigkeit“ historischer Darstellung liege. Von modernen Konzeptionen der Historiographie unterscheiden sich diese Wahrheitsvorstellungen in signifikanter Weise. Die Beiträge dieses Bandes befassen sich mit dem selbstbewusst vertretenen Anspruch antiker Literaten, historische „Wahrheit“ mit Techniken der dichterischen, dramatischen oder rhetorischen Narration adäquat darstellen zu können. Dabei richtet sich der Blick sowohl auf das Selbstverständnis verschiedener Historiographen seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. als auch auf die Bedeutung historischer Narration in benachbarten Textgattungen.
ISBN 978-3-515-11838-5
9 783515 118385
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag