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German Pages 268 Year 2011
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 225
Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Amtsträgern für Arzneimittelrisiken Am Beispiel öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte
Von
Philipp Georgy
Duncker & Humblot · Berlin
PHILIPP G EORGY
Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Amtsträgern für Arzneimittelrisiken
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 225
Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Amtsträgern für Arzneimittelrisiken Am Beispiel öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte
Von
Philipp Georgy
Duncker & Humblot · Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Prof. Dr. Georg Freund, Marburg Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahre 2010 als Dissertation angenommen.
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© 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-13470-0 (Print) ISBN 978-3-428-53470-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-83470-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Philipps-Universität Marburg im Sommersemester 2010 als Dissertation angenommen. Mein aufrichtiger Dank gilt zuvörderst meinem Doktorvater Prof. Dr. Georg Freund. Er hat mich durch seine teilnahmsvolle, hilfsbereite und interessierte Haltung vor und während der Entstehung der Dissertation in außergewöhnlicher Weise unterstützt und gefördert und mir nicht zuletzt eine unvergessliche Zeit am Institut ermöglicht. Herrn Prof. Dr. Dieter Rössner danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Dankbar für die Möglichkeit, meine Thesen zur Diskussion zu stellen, bin ich zudem Prof. Dr. Winrich Langer. Mein herzlicher Dank gebührt auch meinen Kolleginnen und Kollegen Markus Bender, Thomas Kröger, Dr. Katharina Reus und Frauke Meta Timm, die mir in zahlreichen Gesprächen durch kritische Begleitung meiner Betrachtungsweise eine wertvolle Hilfe und stets eine geschätzte Gesellschaft waren. Miriam Pertl hat mich während dieser Zeit vorbehaltlos unterstützt. Sie hat mir viel Elan und Lebensfreude geschenkt und mir geholfen, den Blick für das Wesentliche zu bewahren. Den Anteil meiner Eltern Monika und Bernd Georgy schließlich weniger am Zustandekommen dieser Arbeit als an einer glücklichen persönlichen Entwicklung vermag ich nicht in Worte zu fassen. Wiesbaden, im November 2010
Philipp Georgy
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. Einführung in die Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern zur Abwendung von Arzneimittelrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Das „Zwei-Säulen-Modell“ der Legitimation von Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . 19 1. Der Vorrang materialer Rechtsgüterschutzinteressen als notwendige Bedingung legitimierbarer Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Besondere rechtliche Verantwortlichkeiten als konstituierendes Merkmal einer qualifizierten Inpflichtnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3. Besondere rechtliche Verantwortlichkeiten als allgemeines Merkmal „doppelt fundierter“ Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Zur Frage besonderer rechtlicher Verantwortlichkeiten von Amtsträgern . . . . . . . . . 30 1. Gefahrenquellenverantwortlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Gefahrenquellenverantwortlichkeiten für das Verhalten anderer Personen . . . 32 b) Sonstige Gefahrenquellenverantwortlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Beschützerverantwortlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) „Allumfassende Verantwortlichkeit“ des Amtsträgers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Fehlerhafte Zuwendung zur formellen Rechtspflichtlehre? . . . . . . . . . . . . . . . 38 c) Fehlende Schutzbedürftigkeit des Bürgers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 III. Beispielhafte Konkretisierung – zu besonderen rechtlichen Verantwortlichkeiten der Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 IV. Beispielhafte Konkretisierung – zu besonderen rechtlichen Verantwortlichkeiten der Amtsträger des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) . . 48
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C. Besondere Rechtspflichten der Mitglieder öffentlich-rechtlicher ACHTUNGREEthik-Kommissionen zur Vermeidung von Arzneimittelrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 I. Zum historischen Hintergrund medizinischer Ethik-Kommissionen . . . . . . . . . . . . . 52 II. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Das Recht als Maßstab der Prüfung durch die Ethik-Kommission – keine Befugnis zur Beanstandung klinischer Prüfungen aus ausschließlich ethischen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Zum Arzneimittelbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Zur Abgrenzung zwischen Arznei- und Lebensmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Rechtsfolgen einer abweichenden Bewertung der Arzneimittelqualität durch die Ethik-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3. Zur Abgrenzung des Heilversuchs von klinischen Prüfungen . . . . . . . . . . . . . . . 62 4. Die rechtliche Bewertung fremdnütziger Forschung an Einwilligungsunfähigen. 64 a) Die Rechtslage nach deutschem (Arzneimittel-)Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 aa) Der unumstrittene Bereich – Forschung mit individuellem Nutzen . . . . . 65 bb) Zulässigkeit von Arzneimittelprüfungen bei kranken Minderjährigen mit einem „gruppenspezifischen Nutzen“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 b) Abweichende Konsequenzen durch Umsetzung der Richtlinie 2001/20/EG? . 68 aa) Gebot richtlinienkonformer Auslegung des nationalen Rechts und Maßgeblichkeit des Instrumentalisierungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 bb) Legitimierbarkeit einer begrenzten Solidaritätspflicht? . . . . . . . . . . . . . . 70 cc) Zur Relativierung des Instrumentalisierungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . 72 dd) „Forschungsverbot“ zum Nachteil der Betroffenen? . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 5. Die Nutzen-Risiko-Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 a) Sachgerechte Begrenzung der Prüfpflichten infolge der Ausgestaltung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 b) Zur Legitimierbarkeit der Durchführung von Arzneimittelprüfungen mit Rücksicht auf Bedingungen kognitiver Unsicherheit im Rahmen der Risikobewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 c) (Einfach-)Gesetzliche Abwägungssperren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 d) Konkretisierung der Begriffe Nutzen und Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 e) Fallgruppenspezifische Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 f) Zum Problem der Probandenvergütungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
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6. Rechtlich relevante Mängel der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 a) Jederzeitige Widerruflichkeit der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 b) Die Aufklärung über Risiken und Tragweite der klinischen Prüfung . . . . . . . 88 c) Mängel des Projektplanes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 d) Die Verwendung suggestiver/irreführender Formulierungen . . . . . . . . . . . . . . 91 aa) Der Hinweis auf die Prüfung der „Wirksamkeit und Verträglichkeit des Arzneimittels“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 bb) Der Hinweis auf die „zustimmende Bewertung durch die Ethik-Kommission“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 7. Zum Verhältnis von Nutzen-Risiko-Abwägung und Einwilligung . . . . . . . . . . . . 98 a) Zum Stellenwert der Nutzen-Risiko-Abwägung als „objektive Einwilligungsschranke“ zum Schutz der Probandenautonomie . . . . . . . . . . . . 98 b) Relativierbarkeit des Selbstbestimmungsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 8. Die Prüfung der Gesetzeskonformität der Probandenversicherung . . . . . . . . . . . 104 a) Die gesetzliche Garantie einer Mindestversicherungssumme . . . . . . . . . . . . . 104 b) Weitere problematische Ausnahmen von der gesetzlichen Leistungspflicht . . 106 c) Irreführung durch den Hinweis auf eine „Versicherung gemäß dem Arzneimittelgesetz“ in der Probandeninformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 9. Die Verweigerung der zustimmenden Bewertung einer klinischen Prüfung zum Nachteil betroffener Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 10. Zur Abgabe der zustimmenden Bewertung trotz Fehlens des bzw. eines sachlich kompetenten Kommissionsmitglieds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 11. Die „Verlaufskontrolle“ klinischer Arzneimittelprüfungen – Aufhebung der zustimmenden Bewertung und notwendig beschränkter Pflichtenkreis jenseits der „Evidenzfälle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Rücknahme und Widerruf der zustimmenden Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Zum Pflichtenkreis bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen einer Rücknahme/eines Widerrufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 c) Normative Grenzen entsprechender Rechtspflichten im Rahmen der „Verlaufskontrolle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 III. Weitere Aufgabenbereiche der Ethik-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 IV. Zur Klarstellung – die Bedeutung verwaltungsrechtlicher Ermessensspielräume für die Legitimation spezifischer Ge- und Verbote gegenüber Amtsträgern . . . . . . . . . . 117
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V. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Eingreifens qualifizierter Gefahrenabwendungsverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 VI. Zur maßgeblichen Beurteilungsperspektive im Rahmen der Legitimation besonderer Rechtspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 D. Besondere Rechtspflichten der Amtsträger des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zur Vermeidung von Arzneimittelrisiken . . . . . . . 123 I. Zum historischen Hintergrund des BfArM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 II. Die Genehmigung klinischer Prüfungen von Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 III. Die Zulassung von Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Nicht angemessene Qualität des Arzneimittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Fehlende therapeutische Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3. Ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Zur Bewertung des Nutzens und der Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 aa) Zur Bewertung der Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 bb) Zur Bewertung des Nutzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Zu den normativen Kriterien der Nutzen-Risiko-Abwägung . . . . . . . . . . . . . . 136 c) Zum entscheidungsrelevanten Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 d) Zur Frage des begründeten Verdachts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 e) Das Verhältnis der Verdachtsschwellen in §§ 25 II Nr. 5, 5 II AMG . . . . . . . . 145 4. Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 IV. Die Nichtzulassung zum Nachteil des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 V. Rücknahme, Widerruf und Ruhen der Zulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Die negative Veränderung der Nutzen-Risiko-Bilanz im Rahmen der Vertretbarkeitsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Der Einfluss von Arzneimittelinnovationen auf die Vertretbarkeitsentscheidung. 152
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VI. Die Überwachung im Verkehr befindlicher Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Das System der behördlichen Risikoerfassung und -auswertung . . . . . . . . . . . . . 154 a) Das Stufenplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 aa) Gefahrenstufe I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 bb) Gefahrenstufe II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Ergänzende Pflichten zur Risikoinformationssammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2. Gefahrenabwendungspflichten in der Arzneimittelüberwachung . . . . . . . . . . . . 158 a) Die Pflicht zur Information der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Die Pflicht zum Rückruf bedenklicher Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 c) Die Pflicht zur öffentlichen Warnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 aa) Zu den spezifischen Voraussetzungen einer öffentlichen Warnung durch das BfArM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 bb) Zur Ermessensbindung des BfArM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 cc) Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Eingreifens einer qualifizierten Rechtspflicht zur Verbreitung öffentlicher Warnungen . . . . . . . . . . . . . . . 166 VII. Weitere Aufgabenbereiche des BfArM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 E. Die Konkretisierung von Verantwortungsbereichen innerhalb von Behördenhierarchien und Kollegialorganen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 I. Zum Kriterium der Primär-, Sekundärverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 II. Zur sog. organisationsbezogenen Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 III. Begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten des individuell Handelnden – zur Erforderlichkeit einer Konkretisierung individueller Verantwortungsbereiche nach dem Inhalt der jeweiligen Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 IV. Zur Bedeutung des sog. Vertrauensgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 V. Die Bestimmung fahrlässigen Fehlverhaltens in arbeitsteiligen/hierarchischen Organisationsstrukturen – zur Maßgeblichkeit individueller Verantwortlichkeit . . . . 182 1. Das tradierte System – generalisierende Bestimmung des Fahrlässigkeitsunrechts 182 2. Die sachgerechte Konkretisierung individueller Verhaltensanforderungen – zur Notwendigkeit einer individualisierenden Bestimmung des Fahrlässigkeitsunrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 a) Relativierung der Verhaltenspflichten durch Versubjektivierung? . . . . . . . . . 185
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Inhaltsverzeichnis b) Zum möglichen Hintergrund der Beibehaltung des tradierten Systems . . . . . 187
F. Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen und strafrechtliche Bewertung von Verhaltensnormverstößen durch Mitglieder öffentlich-rechtlicher EthikKommissionen und Amtsträger des BfArM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 I. Der Kausalitätsnachweis zwischen Anwendung und Schädigung . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Äquivalenztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 2. Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 3. „Probabilistischer Kausalitätsbegriff“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 4. Strafverfahrensrechtliche Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 a) Kriterium der „subjektiven Gewissheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 b) Kriterium der „hohen objektiven Wahrscheinlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 c) Kombinationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 5. Strafrechtliche Erfassung abstrakter Gefährdungen durch das Fehlverhalten von Amtsträgern nach § 95 I Nr. 1 AMG? – Zur Reichweite des Wortlauttatbestandes 198 II. Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Kausalitätsnachweis im Kontext von Kollegialentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 1. Zum Kausalitätsnachweis im Bereich vorsätzlichen Fehlverhaltens – die Frage der Ursächlichkeit als Annex der Feststellung einer in concreto legitimierbaren Gefahrenabwendungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 a) Zurechnung über die Grundsätze der Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 b) Grenzen dieser Konstruktion in bestimmten Fällen begehungsgleichen Unterlassens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 c) Angemessenheit der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung . . . . . . . . . . . . 204 d) Abstimmungsverhalten als Problem der Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . 206 e) Strafrechtliche Verantwortlichkeit bei dissentierender Mitwirkung . . . . . . . . 206 f) Überstimmung des juristischen Mitglieds der Ethik-Kommission . . . . . . . . . 208 2. Besonderheiten im Bereich fahrlässigen Fehlverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 a) Die Zurechnung spezifischer Fehlverhaltensfolgen bei fahrlässigem Abstimmungsverhalten – Zur Konstruktion einer fahrlässigen Mittäterschaft . 210 b) Zur Lehre vom Regressverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
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III. Zur Qualifizierung des Körperverletzungsunrechts nach § 340 StGB . . . . . . . . . . . . 213 1. Zur Amtsträgereigenschaft der Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Zur Rechtsfolgenbestimmung im Bereich der Verweisung des § 340 III StGB . . 215 IV. Zum Problem der „Untergrenze des Strafrechts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 G. Sanktionenrechtlich relevante Verhaltensnormverstöße – exemplarische Verdeutlichung und Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 H. Kontextspezifische Bewertung des Arzneimittel- und Sanktionenrechts – Rechtspolitischer Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 I. Wertungswidersprüche bei der sanktionenrechtlichen Erfassung des Fehlverhaltens von Amtsträgern im Umgang mit Arzneimittelrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 II. Überlegungen zu einer kernstrafrechtlichen Neuregelung der Produktverantwortlichkeit – die punktuelle Änderung des Arzneimittelstrafrechts als provisorische Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 III. Zu weiteren Wertungswidersprüchen in vorliegendem Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 IV. Zur geplanten Umwandlung des BfArM in eine Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukte-Agentur (DAMA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 1. Ziel und wesentlicher Inhalt des Entwurfes eines Gesetzes zur Errichtung einer Deutschen Arzneimittel- und Medizinprodukteagentur (DAMA-Errichtungsgesetz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2. Bewertung des Gesetzentwurfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
A. Einleitung I. Einführung in die Thematik Das deutsche Verhältnis zu staatlichen Organen im weiteren Sinne ist ein gespaltenes, historisch geprägt durch vielfältige Hoffnungen sowie – nicht selten Wirklichkeit gewordene – Befürchtungen und Ängste. Ein unterschwelliges Misstrauen gegenüber Behörden und ihren Sachwaltern ist gewissermaßen Teil des gesellschaftlichen Selbstverständnisses, ein Argwohn, welcher auch die Kontrolle der Amtsträger durch die Staatsgewalt bzw. Justiz umfasst. Dass jene Bedenken durchaus nicht jeglicher Tatsachengrundlage entbehren, hat die Geschichte der Bundesrepublik an einigen Stellen belegt. Im Kontext der (straf-)rechtlichen Aufarbeitung bestimmter Sachverhalte stand die Bewertung eines Fehlverhaltens insoweit möglicherweise verantwortlicher Amtsträger mitunter schlichtweg nicht auf der Agenda. Beispielhaft genannt sei die juristische Bewältigung der Ausschreitungen in Rostock-LichtenACHTUNGREhagen im Jahr 19921 sowie – einen spezifischen Bezug zum Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit aufweisend – die Anklage vor dem LG Aachen im sog. Contergan-Verfahren.2 Über die Gründe jener Zurückhaltung bei der rechtlichen Kontrolle etwaiger Rechtsverstöße verantwortlicher Amtsträger soll an dieser Stelle nicht spekuliert werden. Zweifelsfrei steht dagegen fest, dass das Bedürfnis der Bürger nach staatlichem Schutz vor bestimmten Gefahren gerade dort besonders augenfällig ist, wo die Möglichkeit zum Selbstschutz nur eingeschränkt vorhanden oder gar de facto nicht existent ist. Für jene Lebensbereiche kommt den staatlichen Gefahrenabwendungsbehörden eine besondere – die eigene Institutionalisierung legitimierende – Bedeutung zu. Mit der Anerkennung jenes staatlichen Schutzauftrages allein ist seine Erfüllung dagegen nicht gewährleistet. Eine rechtliche Kontrolle jener Behörden – und zwar auch durch das besonders einschneidende Instrument des Strafrechts – ist unverzichtbar. Voraussetzung einer angemessenen Kontrolle jener durch den Staat zu verbürgenden Garantie ist die Festlegung der Anforderungen an eine dem Recht gemäße Amtsaus1 Die Deklarierung der (tatsächlich unterbliebenen) Strafverfolgung der Polizeibeamten von Rostock-LichtenhaACHTUNGREgen als eine „Art Selbstzerfleischung“ von Polizei und Justiz, welche die Bekämpfung der „wirklichen Feinde des Rechts“ beeinträchtigt hätte, durch Mitsch, NStZ 1993, 384, spricht insoweit für sich. 2 Vgl. dazu LG Aachen, JZ 1971, 507 ff. Angeklagt waren lediglich verantwortliche Entscheidungsträger des Contergan-Herstellers Grünenthal. Über strafrechtliche Ermittlungen gegen – mit einem Gefahrenverdacht konfrontierte – Amtsträger zuständiger Gesundheitsbehörden ist nichts bekannt.
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A. Einleitung
übung; anders gewendet, nämlich mit Rücksicht auf die Anwendungsbedingungen staatlicher Sanktionen, geht es um die Konkretisierung der rechtlichen Maßstäbe einer Verhaltensmissbilligung. Jene Festlegung der genauen Voraussetzungen der rechtlichen Verhaltensmissbilligung des Fehlverhaltens von Amtsträgern ist bis dato durchaus zum GegenACHTUNGREstand punktueller Betrachtung gemacht worden. Hervorzuheben ist etwa die sanktionenrechtliche Untersuchung des Verhaltens von Amtsträgern im Umweltrecht3 sowie von Polizeibeamten.4 Hierbei wurden bedeutsame Aspekte der entsprechenden Problemkomplexe wie die Verwaltungsrechtsakzessorietät des Umweltstrafrechts sowie die Frage nach der Begründung einer Garantenrechtspflicht verantwortlicher Amtswalter einer näheren Analyse unterzogen. Insofern droht jedoch stets die Gefahr, dass die allgemeinen straftatsystematischen Grundlagen der Bewertung einer Annäherung weichen, welche von – vermeintlichen – Spezifika anstelle der für das jeweils zu analysierende Amtsträgerverhalten allgemeingültigen Bedingungen ausgeht und insoweit ein kasuistisches Gepräge bekommt. Soll nicht eine partikular gültige strafrechtliche Sonderdogmatik spezifischen Amtsträgerunrechts begründet werden, muss sich die entsprechende – ein bestimmtes Spektrum amtlichen Handelns in den Blick nehmende – Untersuchung an den Vorgaben der allgemeinen Straftatsystematik messen lassen. Die vorliegende Arbeit verfolgt daher das Ziel, auf der Basis eines angemessenen – personalen – Straftatverständnisses eine tragfähige Methode zur Konkretisierung besonderer – und insofern strafrechtlich relevanter – Rechtspflichten von Amtsträgern aufzuzeigen und zu exemplifizieren. Vor diesem Hintergrund bilden die Gefahrenabwendungspflichten zuständiger Amtsträger öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen sowie des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für Arzneimittelrisiken einen geeigneten Gegenstand der Veranschaulichung, geeignet nicht zuletzt insofern, als keine geschlossene Darstellung des entsprechenden Pflichtenkanons insoweit verantwortlicher Amtswalter existiert. Nun mag die Wahl des im Titel der vorliegenden Arbeit „Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Amtsträgern für Arzneimittelrisiken“ zum Ausdruck kommenden Untersuchungsgegenstandes mit Blick auf die Gesetzeslage in §§ 95, 96 AMG dennoch verwundern. Liegt doch den genannten Strafvorschriften offenkundig die Intention zugrunde, Verstöße gegen im AMG normierte Verhaltensnormen5 mög-
3 s. dazu nur Gröger, Haftung des Amtsträgers, 1985; Gürbüz, Strafbarkeit von Amtsträgern, 1997; Horn, NJW 1981, 1 ff.; Immel, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 1987; Knopp, DÖV 1994, 676 ff.; Papier, NJW 1988, 1113 ff.; Rogall, Strafbarkeit von Amtsträgern, 1991; Rudolphi, FS Dünnebier, S. 561 ff.; Schall, JuS 1993, 719 ff.; Zeitler, Strafrechtliche Haftung für Verwaltungsentscheidungen, 1982. 4 s. dazu etwa Laubenthal, JuS 1993, 907 ff.; Mitsch, NStZ 1993, 384 f.; Rudolphi, JR 1987, 336 ff.; ders., JR 1995, 167 f.; Sangenstedt, Garantenstellung, S. 606 ff.; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 329, 362 f.; Winkelbauer, JZ 1986, 1119 ff.; Pawlik, ZStW 111 (1999), 335 ff. 5 Zur grundlegenden Unterscheidung von Verhaltensnormen als rechtlichen Verhaltenserwartungen zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes und Sanktionsnormen als staatlichem Reaktionsmittel auf Verhaltensnormverstöße zur Wahrung der Geltungskraft der jeweils über-
II. Gang der Untersuchung
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lichst erschöpfend sanktionenrechtlich zu erfassen. Und doch sind jene Sanktionsnormen – wie näher darzulegen sein wird –, auf Amtsträger im Arzneimittelbereich nicht zugeschnitten. Ob bzw. inwieweit auf die Verletzung besonderer Rechtspflichten zur Abwendung von Arzneimittelrisiken sanktionenrechtlich zu reagieren ist, hängt somit nicht zuletzt von der Anwendbarkeit kernstrafrechtlicher Vorschriften ab. Die Konkretisierung des Verantwortlichkeitsgefüges im Prozess der Arzneimittelprüfung, -zuACHTUNGRElassung und -kontrolle muss hiernach die Grundlage der strafrechtlichen Bewertung der Entscheidungen der in diesen Prozess integrierten Hoheitsträger bilden – unter diesem Blickwinkel geht es demnach um solche Entschließungen, welche geeignet sind, Schädigungsmöglichkeiten in Richtung auf Leib und Leben von Menschen zu schaffen oder nicht angemessen auszuschließen.
II. Gang der Untersuchung Als grundlegendes Datum einer strafrechtlichen Sanktion klärungsbedürftig ist die Frage nach den Anforderungen einer rechtlichen Missbilligung bestimmter Verhaltensweisen. In diesem Zusammenhang sind die grundsätzlichen Voraussetzungen der Legitimation rechtlicher Ge- und Verbote darzulegen. Von besonderem Interesse ist insofern, ob bzw. unter welchen Bedingungen Amtsträger in besonderer Weise für die Abwendung bestimmter Gefahren in die Pflicht zu nehmen sind. Die klassische Diskussion um die „Garantenstellung bzw. -pflicht“ von Amtswaltern betrifft insoweit nur einen Teilaspekt der Voraussetzungen der erforderlichen Legitimation besonderer Gefahrenabwendungspflichten. Die hiernach zu beachtende Methode der rechtlichen Konkretisierung der primären Normenordnung – die Verhaltensnormbegründung – bildet sodann die Grundlage der Feststellung besonderer Rechtspflichten der Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen und der Amtsträger des BfArM. Die Legitimation von Verhaltensnormen kann in diesem Kontext nur unter Berücksichtigung der hierarchischen und arbeitsteiligen Strukturen der Zulassungsbehörde angemessen gelingen. Dies gilt unter Modifikationen auch für die Verhaltensnormkonturierung im Rahmen der Tätigkeit von Ethik-Kommissionen. Auf der Basis des herausgearbeiteten Verantwortlichkeitsgefüges, sind die – von jener primärrechtlichen Vorwertung abschichtbaren – spezifisch sanktionenrechtlichen Erfordernisse zu untersuchen. Besonderes Augenmerk ist den Voraussetzungen der Feststellung tatbestandsmäßiger Fehlverhaltensfolgen und einer straftatsystematisch konsistenten Behandlung sog. „Geringfügigkeitssachverhalte“ zu widmen. In Anknüpfung an den herausgearbeiteten Status quo der in diesem Zusammenhang geltenden Anwendungsbedingungen strafrechtlicher Sanktionen soll das einschlägige Arzneimittel- und Sanktionenrecht rechtspolitisch bewertet werden. Die entsprechende Untersuchung bildet den Ausgangspunkt zu Überlegungen hinsichtlich tretenen Verhaltensnorm s. unten B. I. sowie MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 66 ff.; ders., AT, § 1 Rn 5 ff.
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A. Einleitung
einer grundsätzlichen – oder zumindest kontextspezifischen – gesetzlichen Neukonzeption der Regelungen zur strafrechtlichen Produktverantwortlichkeit. Unter rechtspolitischem Blickwinkel von Bedeutung ist schließlich die geplante Umwandlung des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in eine primär über Zulassungsgebühren finanzierte Deutsche Arzneimittel- und MedizinprodukteAgentur (DAMA). Der entsprechende Gesetzentwurf ist auf ein spezifisches Schädigungspotential durch die in Aussicht genommene Struktur zu überprüfen.
B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern zur Abwendung von Arzneimittelrisiken Grundvoraussetzung für den Einsatz der staatlichen Sanktion Strafe ist ein Verhalten, welches zu den Sollensanforderungen des Rechts im Widerspruch steht. Einer strafrechtlichen Bewertung sind demgemäß per se nur solche Verhaltensweisen zugänglich, welche durch die Rechtsordnung missbilligt werden. Dies ist die Mindestbedingung einer jeden Straftat. Indes ist leicht ersichtlich, dass nicht jeder Verstoß gegen die vorstrafrechtliche (primäre) Normenordnung mit einer strafrechtlichen Sanktion belegt werden kann bzw. belegt werden darf. Die strafrechtliche Sanktionierung einer Verletzung jener Normenordnung kommt nur unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht. Es muss sich dabei um einen spezifischen Verstoß gegen ein rechtliches Ge- oder Verbot handeln, also einen Verhaltensnormverstoß, welcher durch eine Sanktionsnorm in Bezug genommen wird. Von strafrechtlicher Relevanz sind demzufolge nur solche Verhaltensnormverstöße, welche sich spezifisch gegen die den einzelnen Straftatbeständen zugrunde liegenden rechtlichen Ge- oder Verbote richten, ergo gerade straftatbestandlich missbilligt sind.1 Erläuterungsbedürftig sind demnach zunächst die grundsätzlichen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit die Verletzung einer insoweit spezifischen Verhaltensnorm angenommen werden kann.
I. Das „Zwei-Säulen-Modell“ der Legitimation von Verhaltensnormen Bei der Legitimation staatlicher Rechtsbeschränkungen in Gestalt von Ver- oder Geboten kommt dem Rechtsgüterschutzgedanken eine konstituierende Funktion zu.2 Vereinfachend wird in diesem Zusammenhang regelmäßig vom Rechtsgut einer Sanktionsnorm gesprochen.3 Bei genauerer Betrachtung ist jedoch, um ein Beispiel zu nennen, Rechtsgut des § 223 I StGB nicht die Körperintegrität, sondern die Gel1
Vgl. dazu MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 64 ff.; ders., AT, § 2 Rn 9. Zur neueren Diskussion um die Rechtsgutstheorie vgl. etwa Frisch, FS Stree/Wessels, S. 69, 71 ff.; ders., in: Eser/Kaiser/Weigend (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, S. 201, 203 ff.; Hefendehl, GA 2007, 1 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 145 ff.; Roxin, AT I, § 2 Rn 7 ff., 51 ff., jew. mwN. 3 In diesem Sinne etwa Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 3 Rn 12; Haft, AT, C VII 2; Wessels/ Beulke, AT, Rn 6 ff. 2
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B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern
tungskraft der Verhaltensnorm,4 welche das Körperverletzungsverbot zum Inhalt hat.5 Der Täter des § 223 I StGB verstößt also gegen die Verhaltensnorm des Körperverletzungsverbotes und erfüllt dadurch die Voraussetzungen der Sanktionsnorm des § 223 I StGB.6 Der Anwendung strafrechtlicher Sanktionsnormen ist mithin eine primäre Normenordnung vorgelagert. Dies folgt aus dem akzessorischen Charakter der Strafgesetze, welche sich an den Rechtsanwender richten, zur rechtlichen Verhaltensbeeinflussung aber nach begangener Tat nichts mehr beitragen, ja nichts beitragen können.7 Bestimmte Tatbestandsmerkmale strafrechtlicher Sanktionsnormen wie beispielsweise das Erfordernis einer eingetretenen Rechtsgutsverletzung – eines „Erfolges“ – oder der Kausalität des Verhaltens für eine eingetretene Rechtsgutsverletzung ergeben überhaupt nur einen Sinn im Kontext nachträglicher Bewertung (möglicher) spezifischer Folgen eines Fehlverhaltens. Für die rechtliche Verhaltensbeeinflussung im maßgeblichen Zeitpunkt, also aus der Betroffenenperspektive ex ante, sind sie hingegen funktionslos. Demnach kann es lediglich in einem zweiten Schritt – nach Feststellung des Vorliegens eines rechtlich missbilligten Verhaltens – darauf ankommen, ob gewisse Voraussetzungen der Bestrafung wegen eines vorangegangenen Fehlverhaltens erfüllt sind. Schließlich ist das verletzte Rechtsgut durch Anwendung der Sanktionsnorm nicht mehr zu schützen. Die Verletzung der Körperintegrität, der Freiheit oder des Eigen4
Zum synonym verwandten Begriff der Bestimmungsnorm s. etwa LK-Jescheck, 11. Aufl., Vor § 13 Rn 43; Roxin, AT I, § 10 Rn 93; Schönke/Schröder-Lenckner/Eisele, Vor § 13 Rn 49; LK-Walter, Vor § 13 Rn 17. 5 MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 136. Zur Differenzierung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen s. auch Burkhardt, Rücktritt, S. 157 f.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 59 f., 356 f., 502 ff.; Gropp, AT, § 3 Rn 28; Hauck, GA 2009, 280, 288 ff.; Jakobs, AT, 2/ 2 ff.; ders., Studien, S. 9 ff.; Kindhäuser, AT, § 2 Rn 2 ff.; Schöne, Hilde Kaufmann-GS, S. 649, 650 ff.; P. Stein, Straftat, S. 88 ff.; U. Stein, FS Küper, S. 607, 614 ff. Eingehend zum rechtshistorischen Ursprung dieser normentheoretischen Konzeption Renzikowski, FS Gössel, S. 3 ff. 6 Auch das bis heute anzutreffende Verständnis der Straftatbestände der Erfolgsdelikte als Verursachungsverbote ist insoweit nicht nur sprachlich, sondern auch rechtlich problematisch. Ein (Verursachungs-)Verbot, welches die Herbeiführung eines bestimmten bereits eingetretenen Erfolges zum Inhalt hat, bzw. ein (Erfolgsvermeidungs-)Gebot, die Realisierung eines bereits eingetretenen Erfolges zu verhindern, ergeben als an den Betroffenen adressierte, der Verhaltenssteuerung dienende, Rechtsnormen keinen Sinn. Vgl. hierzu Freund, GA 1991, 387, 389 f. 7 Vgl. hierzu etwa Schlehofer, Vorsatz und Tatabweichung, S. 27; LK-Walter, Vor § 13 Rn 4, 17. Instruktiv zum problematischen Verständnis der Strafgesetze als „strafrechtliche Ge- und Verbote“ Schmidhäuser, Form und Gehalt, S. 9, 36 ff. – Nach MünchKommStGB-Herzberg, § 22 Rn 20, weisen strafgesetzliche Bestimmungen eine generalpräventive Wirkung in Form der Strafandrohung (sog. „Androhungsprävention“) auf. Diese These ist für die Frage der Legitimation von Strafe nicht von weiterführender Bedeutung, denn für die Verhängung einer Sanktion nach begangener Tat kommt es entscheidend darauf an, den Gegenstand der ACHTUNGRE(Straf-) Androhung vor Begehung des Normverstoßes zu bestimmen – und diese Bestimmung setzt zwingend die Legitimation eines Ge- oder Verbotes voraus. s. dazu auch Freund, AT, § 1 Rn 6 m. Fn 9.
I. Das „Zwei-Säulen-Modell“ der Legitimation von Verhaltensnormen
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tums ist bereits irreversibel eingetreten. Hieran ändert die Sanktionierung nichts. Geschützt werden kann lediglich das spezifische rechtliche Ge- oder Verbot, welches von der betreffenden strafrechtlichen Sanktionsnorm in Bezug genommen wird.8 Das bedeutet für die Anwendung von Strafgesetzen, dass vor der Entscheidung über die Sanktion zunächst einmal das rechtlich gesollte Verhalten bestimmt werden muss.
1. Der Vorrang materialer Rechtsgüterschutzinteressen als notwendige Bedingung legitimierbarer Verhaltensnormen Die Begründung rechtlicher Verhaltensnormen basiert auf dem Ergebnis einer Güter- und Interessenabwägung. Die Einschränkung (jedenfalls) der Handlungsfreiheit des Täters durch ein rechtliches Ge- oder Verbot stellt sich nur dann als angemessene rechtliche Verhaltenserwartung dar, wenn überhaupt ein schützenswertes Interesse an jener Einschränkung besteht und dieses konfligierende Interesse darüber hinaus gegenüber der allgemeinen Handlungsfreiheit des Verhaltensnormadressaten Vorrang beanspruchen kann.9 Jenseits des auf diese Weise konturierten Bereichs sind bereits mit Rücksicht auf die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Vorgaben keine an den Einzelnen adressierten rechtlich relevanten Ge- bzw. Verbote denkbar. Die Anwendung eines Strafgesetzes setzt danach voraus, dass ein rechtliches Geoder Verbot – eine Verhaltensnorm – gegenüber dem Betroffenen legitimierbar ist.10 Insofern kann in einem zweckrational legitimierten Strafrechtssystem – sollen nicht unüberbrückbare Wertungswidersprüche entstehen – ein von der Rechtsordnung im Hinblick auf die Schaffung spezifischer Gefahren erlaubtes Verhalten nicht mit einer strafrechtlichen Sanktion verknüpft werden.11 Welche Rechtsgüter staatlichem Schutz zu unterstellen sind und in welchem Umfang jener Schutz zu gewähren ist, ergibt sich aus den Wertentscheidungen der Ver8 Eingehend hierzu MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 136 ff.; vgl. auch Jakobs, AT, 2/2 ff. 9 Vgl. dazu Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 52; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 138 ff. Zu jenem normbildenden Abwägungsvorgang als einer eigenständigen Leistung des (potentiellen) Verhaltensnormadressaten vgl. Freund, GA 1991, 387 ff., 396 ff. 10 Die Frage der Verhaltensnormlegitimation ist aus diesem Grund für die Rechtskonkretisierung lediglich holzschnittartig konzipierter und konzipierbarer Sanktionsnormen von wesentlicher Bedeutung. s. dazu Frisch, FS Stree/Wessels, S. 69, 82 ff.; ders., in: Eser/Kaiser/ Weigend (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, S. 201, 210 ff. – Im Wege einer entsprechenden Differenzierung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnorm ergibt sich schließlich zwanglos, dass etwas keineswegs deshalb rechtlich „erlaubt“ ist, weil es nicht bestraft wird. Vgl. dazu etwa Kindhäuser, AT, § 2 Rn 5; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 290 ff.; Schmidhäuser, Form und Gehalt, S. 39. 11 Vgl. etwa Freund, AT, § 2 Rn 8; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 27 ff., 51 f.; Frisch, Verwaltungsakzessorietät und Tatbestandsverständnis, S. 7 f.; Kremer-Bax, Fahrlässigkeitstat, S. 20 f.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 347 f.; U. Stein, FS Küper, S. 607, 616; LK-Walter, Vor § 13 Rn 4.
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B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern
fassung.12 Zahlreiche einfachgesetzliche Vorschriften – etwa bestimmte Regelungen des AMG – erweisen sich insoweit bei näherem Hinsehen als spezielle Ausprägungen des verfassungsrechtlich vorgezeichneten Wertekanons.13 Die erforderliche Abwägung der konfligierenden Güter und Interessen ist – soll das in Rede stehende Geoder Verbot funktional der Verhaltenssteuerung dienen – durch den Betroffenen zu erbringen.14 Selbstverständlich ist sie nicht seinem Gutdünken anheim gestellt, sondern seine Einschätzung unterliegt einem rechtlichen und insofern objektiven Beurteilungsmaßstab. Beispielsweise kann die Fehleinschätzung eines Normadressaten nur dann zu einem rechtlichen Missbilligungsurteil führen, wenn sie für diesen nach seinen individuellen Verhältnissen vermeidbar war. Gegenstand der rechtlichen (Verhaltens-)Beurteilung durch den Rechtsanwender sind dementsprechend jene Verhältnisse.15 Die Integration der Rechtfertigung bestimmter Verhaltensweisen in jenes Modell der Verhaltensnormkonturierung liegt nach dem Gesagten auf der Hand. Die Rechtfertigungsgründe beruhen nicht auf einer spezifisch strafrechtlichen Bewertung, sondern sind Ausdruck des Prinzips des überwiegenden Interesses.16 Demnach sind diejenigen Interessen, welche sich aus jenem Prinzip ergeben (und in den gesetzlich vertypten Rechtfertigungsgründen beispielhaft zum Ausdruck gelangen17), in Konstel12 Vgl. Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 53; Kindhäuser, AT, § 2 Rn 6. Für die Verhaltensnormlegitimation bedeutsam sind in diesem Kontext insbesondere die Grundrechte auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und Eigentum. Zunehmend anerkannt sind insoweit aus den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen erwachsende – eine Pönalisierung unter bestimmten Voraussetzungen sogar gebietende – staatliche Schutzpflichten. Vgl. dazu etwa BVerfGE 39, 1, 46 f.; Klein, NJW 1989, 1633 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 254 ff.; Preu, JZ 1991, 265 ff. – Der Gesetzgeber hat im Hinblick darauf, ob bzw. in welchem Umfang bestimmten Gütern ein mittelbarer Schutz durch das Mittel des Strafrechts zu gewähren ist, eine gewisse Einschätzungsprärogative. Bildlich gesprochen geht es dabei um eine Festlegung innerhalb eines „Wertungskorridors“ verschiedener verfassungsrechtlich legitimierbarer Entscheidungen. 13 Vgl. hierzu Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 53. Werden dagegen jene verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen bei der Ausgestaltung einfachgesetzlicher Vorschriften nicht hinreichend beachtet, droht das Verdikt der Verfassungswidrigkeit bzw. Nichtigkeit der Norm. Unter diesem Gesichtspunkt problematisch ist etwa die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des „Inzestverbotes“ gemäß § 173 II 2 StGB. Vgl. BVerfGE 120, 224 ff. Kritisch dazu etwa Grasnick, myops 2008, 13 ff.; Hörnle, NJW 2008, 2085 ff. 14 Vgl. dazu auch unten C. VI. im Kontext der rechtlichen Bewertung des Verhaltens der Mitglieder von Ethik-Kommissionen hinsichtlich der Prüfung von Antragsunterlagen des Sponsors einer Arzneimittelprüfung. 15 Zum relevanten Beurteilungsmaßstab bei der Legitimation von Verhaltensnormen s. auch Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 56. 16 Vgl. dazu etwa Freund, AT, § 3 Rn 4 ff.; Langer, Die Sonderstraftat, S. 96 ff.; MünchKommStGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff. Rn 53 ff.; Schmidhäuser, AT, 9/4. 17 Die Aufhebung eines Missbilligungsurteils kann sich stets auch jenseits der gesetzlich vertypten Ausnahmesachverhalte aus dem allgemeinen Prinzip der Rechtfertigung ergeben. Ein numerus clausus gesetzlich normierter Rechtfertigungstatbestände besteht nicht. Vgl. nur Freund, AT, § 3 Rn 3; Jescheck/Weigend, AT, § 31 III; Langer, Die Sonderstraftat, S. 96.
I. Das „Zwei-Säulen-Modell“ der Legitimation von Verhaltensnormen
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lationen möglicher Rechtfertigung des Täterverhaltens in die Abwägung der betroffenen Güter einzustellen. Dabei bietet es sich nicht nur zur Abschichtung der jeweils berührten rechtlich anerkannten Interessen an, die Frage der Legitimation bestimmter Ver- oder Gebote von diese betreffenden Ausnahmesachverhalten zu trennen, sondern diese Trennung bildet auch die Grundlage einer zweckmäßigen Verhaltensnorminternalisierung.18 Eine angemessene primäre Normenordnung darf eben nicht nur zweckrational legitimierbare grundsätzliche Ge- und Verbote vorsehen, sondern es muss dem Betroffenen zugleich die Möglichkeit eröffnet werden, die Gründe für die Aufhebung eines grundsätzlichen rechtlichen Missbilligungsurteils nachzuvollziehen, um sein Verhalten an jener Bewertung ausrichten zu können.
2. Besondere rechtliche Verantwortlichkeiten als konstituierendes Merkmal einer qualifizierten Inpflichtnahme Neben den berechtigten Nutzen der Normeinhaltung für den Rechtsgüterschutz tritt als zweites konstituierendes Datum einer (in diesem Sinne „doppelt fundierten“) Verhaltensnorm eine besondere rechtliche Verantwortlichkeit des Täters für die in Frage stehende Gefahrenvermeidung. Eine entsprechende Sonderverantwortlichkeit (sog. Garantenstellung)19 des Täters für das Vermeiden eines schadensträchtigen Verlaufs in Richtung auf ein bestimmtes Rechtsgut ist als materiales Differenzierungskriterium erforderlich, um eine Inpflichtnahme zu legitimieren, welche nicht lediglich bestimmten Rechtsgüterschutzinteressen dient, sondern darüber hinaus auf eine besondere rechtliche Beziehung des Täters zu Ursprung oder Zielrichtung der abzuwendenden Gefahr gestützt werden kann. Aus diesem Grunde hebt sich der Verstoß gegen eine derart legitimierte Verhaltensnorm in Fällen aktiver Gefahrenschaffung bzw. Nichtvermeidung schadensträchtiger Verläufe dadurch deutlich von Verhaltensweisen ab, deren (Nicht-)Vornahme nur durch den Gedanken der Aufopferung zu rechtfertigen ist,20 dass sich der Kreis der in Bezug genommenen (Verhaltens-)Normadressaten durch eine besondere rechtliche Verantwortlichkeit vom quivis ex populo scheiden lässt.21 Insofern wird man den Ausgangspunkt jenes Legitimationsmodells
18
Vgl. hierzu Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 52 Fn 6; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 154 ff. 19 Zur Vorzugswürdigkeit des Begriffes „Sonderverantwortlichkeit“ gegenüber den (lediglich in der Unterlassungsdogmatik geläufigen) Termini „Garantenstellung“ und „Garantenpflicht“ sowie zu Friktionen und voreiligen Assoziationen bei der Arbeit mit der „Garantenstellung“ als „Tatbestandsmerkmal“ begehungsgleichen Unterlassens s. MünchKommStGB-Freund, § 13 Rn 97 ff. 20 Vgl. insoweit zur Legitimierbarkeit des § 323c Arzt/Weber, BT, § 39 Rn 3 (Vorbild des „guten Samariters“); Kühl, FS Herzberg, S. 177, 181 f.; Kühnbach, Solidaritätspflichten Unbeteiligter, S. 94 ff.; SK-Rudolphi/Stein, § 323c Rn 2a; NK-Seelmann, § 323c Rn 3 ff. 21 In diesem Sinne auch Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 68.
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B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern
als unstreitig ansehen können. Holzschnittartig formuliert kann jedenfalls nur gelten: Nicht jeden geht alles (in gleicher Weise) etwas an!22 Allerdings wird dieser Gesichtspunkt üblicherweise nur im Kontext der begehungsgleichen Unterlassungsdelikte23 unter dem Stichwort der Garantenstellung problematisiert.24 Tatsächlich gilt es aufzuzeigen, dass insoweit nicht lediglich ein Merkmal zur Differenzierung begehungsgleicher und nichtbegehungsgleicher Unterlassungsdelikte i. S. d. §§ 138, 323c StGB benannt ist,25 sondern ein allgemeines – von der im Einzelfall einschlägigen Verhaltensform unabhängiges – Merkmal tatbestandsmäßigen Verhaltens.
3. Besondere rechtliche Verantwortlichkeiten als allgemeines Merkmal „doppelt fundierter“ Verhaltensnormen Kommt also doppelt fundierten – sprich auf den „zwei Säulen“ des Rechtsgüterschutzes und der Sonderverantwortlichkeit ruhenden – Verhaltensnormen (über den konsentierten Bereich des begehungsgleichen Unterlassens hinaus) auch für die Verantwortlichkeit wegen Begehungsdelikts konstituierende und somit eigenständige Bedeutung zu? Es mag an der Trivialität einer entsprechenden besonderen Rechtspflicht im Bereich des aktiven Tuns liegen, dass sie regelmäßig nicht selbständig thematisiert bzw. wahrgenommen wird. Derjenige, der gegen eine, bestimmte Schädigungsmöglichkeiten untersagende Verhaltensnorm verstößt, etwa indem er einen anderen an der Körperintegrität schädigt, ist selbstverständlich in besonderer Weise rechtlich verantwortlich für den schadensträchtigen Verlauf.26
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Zutreffend betont von Jakobs, ZStW 89 (1977), 1, 2, 30. Zur historisch überholten Terminologie der „echten“ (nichtbegehungsgleichen) und „unechten“ (begehungsgleichen) Unterlassungsdelikte vgl. Freund, AT, § 6 Rn 12 f. 24 Im Sinne einer Qualifizierung der Garantenstellung als Tatbestandsmerkmal des § 13 I StGB etwa Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 15 Rn 44; Frister, AT, 22/1 f.; Wessels/Beulke, AT, Rn 715; Zaczyk, FS Rudolphi, S. 361, 367. Zur geläufigen Einteilung der Funktionenlehre in Beschützer- und Überwachungsgarantenstellungen s. Kühl, AT, § 18 Rn 44 ff.; SK-Rudolphi, § 13 Rn 26 ff., 46 ff., jew. mwN. 25 Ihre Berechtigung kann nur aus hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutzinteressen hergeleitet werden. Aufgrund dieser „einfachen Fundierung“ spricht man sachgerechter Weise von nichtbegehungsgleichen Unterlassungsdelikten, vgl. hierzu Freund, AT, § 6 Rn 31 ff. Hingegen weist nach Kühnbach, Solidaritätspflichten Unbeteiligter, S. 108 f. auch die durch § 323c StGB in Bezug genommene Verhaltensnorm eine doppelte Fundierung auf. Neben den Rechtsgüterschutz soll danach als zweite Säule die „personale Zurechnung“ treten. 26 MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 154; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 68. Vgl. dazu auch Jakobs, in: Jakobs/Cancio Meli (Hrsg.), El Sistema functionalista del Derecho penal, S. 133, 135 f., 163 f. 23
I. Das „Zwei-Säulen-Modell“ der Legitimation von Verhaltensnormen
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Ein Fall fehlender Sonderverantwortlichkeit mag jedoch den eigenständigen Gehalt dieses Kriteriums beim Begehungsdelikt illustrieren:27 Die Nachbarn A und B sind durch einen reißenden Fluss von den Nachbarn C und D getrennt. B ist gewillt, D zu töten, sieht sich jedoch in seinem Vorhaben durch den Fluss dauerhaft gehindert. Hiervon weiß A. Dieser baut dennoch, um seine Geschäftsbeziehungen zu C zu vertiefen, eine Brücke über jenes Gewässer. Wie von A vorhergesehen, vollendet B nun sein Vorhaben.28 Hier ist eine Strafbarkeit des A nach §§ 212 I, 27 I StGB wegen Beihilfe zum Totschlag durch den Bau der Brücke in Erwägung zu ziehen. Allerdings ist A für den schadensträchtigen Verlauf nicht in besonderer Weise rechtlich verantwortlich. Trotz der kausalen und jedenfalls bedingt vorsätzlichen Herbeiführung des Todeserfolges hat A kein rechtlich zu missbilligendes Risiko i. S. d. §§ 212 I, 27 I StGB geschaffen. Zur Abwendung der durch den Brückenbau geschaffenen Gefahr ist er weder unter dem Gesichtspunkt einer besonderen Verantwortlichkeit für Rechtsgüter des D (als dem Zielort der Gefahr) noch im Rahmen einer Verpflichtung zur Abwendung spezifischer Gefahren des eigenen Organisationskreises gehalten.29 Die Legitimation einer qualifizierten Rechtspflicht aus letztgenanntem Gesichtspunkt scheitert insbesondere daran, dass sein Verhalten nicht deliktisch zu erklären ist, sondern der Verfolgung rechtlich geschützter Ziele dient.30 Ein Angriff auf die hinter §§ 212 I, 27 I StGB stehende Verhaltensnorm ist darin nicht zu erblicken. A verletzt dennoch durch sein Vorgehen in rechtlich zu missbilligender Weise Güter des C.31 Er verstößt durch den Bau der Brücke gegen eine „einfach“, nämlich lediglich durch den Aspekt 27 Zu weiteren (Zweifels-)Fällen vgl. MünchKommStGB-Freund, § 13 Rn 80 ff.; ders., FS Herzberg, S. 225, 232 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 250 ff.; Jakobs, AT, 7/52; Merkel, FS Herzberg, S. 193 ff. 28 Selbstverständlich kann man derartige Sachverhalte auch im Zuständigkeitsbereich von Amtsträgern ansiedeln. Unser Beispiel könnte etwa dahingehend geändert werden, dass ein mit dem Bau der Brücke in verantwortlicher Position befasster Amtsträger der Straßenbaubehörde von den Plänen des B Kenntnis erlangt und dennoch die Fertigstellung der Brücke bewirkt. 29 Eine Sonderverantwortlichkeit des Täters ergibt sich danach beim Begehungsdelikt entgegen Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 210 Fn 560 keineswegs „unproblematisch“ aus der bloßen Erfolgsverursachung. Welche Gefahrschaffungen der Täter kraft qualifizierter Rechtspflicht zu unterlassen hat, ist vielmehr durch Feststellung einer normativ hinreichenden Nähebeziehung des Täters zu Ursprung oder Zielort der zu vermeidenden Schädigungsmöglichkeit zu ermitteln. Dass erstgenannter Gesichtspunkt beim Begehungstäter in aller Regel, aber nun einmal nicht ausnahmslos, auffindbar ist und damit die Fundierung einer Sonderverantwortlichkeit trägt, ist Ausdruck der (leicht zu übersehenden) Berechtigung eines normativen Abschichtungskriteriums auch in den Fällen aktiver Gefahrenschaffung. 30 Zum rechtlich neutralen Verhalten und solchem, außerhalb des rechtlichen Handlungsspielraums liegenden, mit „eindeutig deliktischem Sinnbezug“ s. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 280 ff., 337 ff. 31 Dies verdeutlicht ein einfaches Gedankenexperiment: Stellt man sich vor, ein „fiktiver Polizist“ (als Personifikation der staatlichen Rechtsordnung) könne in der konkreten Situation Einfluss auf A nehmen, so wäre dieser – jedenfalls unter Rekurs auf die polizeiliche Generalklausel – befugt, die Fertigstellung der Brücke durch A bis zur Beseitigung der von B ausgehenden Gefahr zu verbieten und notfalls (bspw. weil die Gefährdung in concreto nicht anders abwendbar ist) auch zwangsweise durchzusetzen. Das Verhalten des A ist demnach keineswegs „sozialadäquat“ oder als Schaffung eines „erlaubten Risikos“ rechtlich tolerabel.
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B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern
des Rechtsgüterschutzes fundierte Verhaltensnorm. Seine Strafbarkeit bemisst sich daher nach § 323c StGB sowie ggf. nach § 138 StGB. Nicht zu befriedigen vermag der in diesem Zusammenhang bisweilen anzutreffende Versuch, das gewünschte Ergebnis durch eine Umdeutung des Verhaltens in ein „normatives Unterlassen“ zu erzielen.32 Hier läuft man Gefahr, die relevanten Wertungen zu versäumen, indem man die in jener Hinsicht problematischen (Begehungs-)Konstellationen durch den (im ungünstigsten Falle lapidaren) Verweis auf eine mangelnde Garantenstellung löst, ohne das sachliche Problem angemessen herauszuarbeiten. Sind allerdings diejenigen Wertungen nicht exakt definiert, welche einer rechtlichen Missbilligung des Verhaltens entgegenstehen, droht die Qualifizierung eines aktiven Tuns als „normatives Unterlassen“ den subjektiven Präferenzen des Betrachters anheim zu fallen. Der Lösung des Sachproblems kommt man auf diesem Wege also keinen Schritt näher. Jene innere Widersprüchlichkeit wäre hingegen eliminiert, sofern eine Lösung nach der jeweils anzunehmenden Verhaltensform aus dem Grund eine Richtigkeitsgewähr verbürgte, als rechtlichen Geboten eine gravierendere Freiheitsbeschränkung als rechtlichen Verboten entnommen werden könnte. Im Falle des rechtlichen Gebotes, so die Argumentation, werde ein „Mehr“, nämlich ein Energieeinsatz, verlangt, wohingegen die Befolgung eines rechtlichen Verbotes nur die „Abstandnahme“ von einer Handlung voraussetze.33 Auf derselben Linie liegt die Erklärung, die Befolgung von Geboten verlange vom Normadressaten ein ganz bestimmtes Verhalten, wohingegen die Befolgung eines Verbotes lediglich die Nichtvornahme einzelner Verhaltensweisen aus dem breiten Spektrum erlaubten Verhaltens erfordere.34 Der Täter im obigen Brückenbeispiel wäre sodann im Unterlassungsfall35 mangels sog. Garantenstellung straffrei, wohingegen im Begehungsfall allenfalls dogmatisch schwer zu verortende36 Wertungen zur Verneinung einer tatbestandlichen Verhaltensmissbilligung 32 In diesem Sinne etwa Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 132 ff.; 250 ff.; Küper, JuS 1971, 474, 476 f. Zur Kritik an diesem Vorgehen s. Jakobs, Strafrechtliche Zurechnung, S. 37 f. Zu weiteren in diesem Kontext bedeutsamen Ausnahmekonstellationen vgl. Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 68 ff. 33 So insbesondere Engisch, FS Gallas, S. 163, 173; ähnlich Sieber, JZ 1983, 431, 434 ff. 34 s. etwa Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 17; Arm. Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 86. 35 Beispielsweise durch Hinnahme des „(lebens-)gefährlichen“ Brückenbaus durch seine Frau. 36 Hier dürfte eine Lösung unter dem Aspekt der „Sozialadäquanz“, des „erlaubten Risikos“ oder des Ausschlusses der „objektiven Zurechnung“ postuliert werden. Allerdings ist die aktive Gefahrschaffung in jenem „Brücken-Beispiel“ weder sozialadäquat noch die Risikoschaffung erlaubt. Das Verhalten ist vielmehr rechtlich missbilligt gemäß § 323c StGB (vgl. dazu oben). Die Verneinung einer Strafbarkeit in unserem Beispielsfall unter zugrunde Legung des Instituts der Zurechnung setzt schließlich die Schaffung eines rechtlich missbilligten Risikos i. S. d. Beihilfe zu einem Totschlag gemäß §§ 212 I, 27 I StGB voraus, erfordert also denklogisch zunächst ein entsprechendes tatbestandliches Missbilligungsurteil, über welches in jenem Fall ja gerade zu befinden ist.
I. Das „Zwei-Säulen-Modell“ der Legitimation von Verhaltensnormen
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i. S. d. §§ 212 I, 27 I StGB führen könnten. Die mangelnde Symmetrie der Lösungen wäre hiernach einem grundlegenden qualitativen Unterschied zwischen Begehungsund Unterlassungsdelikt geschuldet. Zumindest missverständlich ist jedoch bereits die Redeweise von den Handlungspflichten bei Unterlassungen, deren Erfüllung die Ergreifung aller anderen Handlungsmöglichkeiten zu diesem Zeitpunkt „völlig ausschließe“.37 Das rechtliche Gebot dient der Abwendung bestimmter Möglichkeiten schadensträchtiger Verläufe, kann jedoch vom Verhaltensnormadressaten vielfach auf unterschiedliche Weise erfüllt werden.38 Es besteht also regelmäßig keine Verpflichtung zu einem bestimmten Tätigwerden, sondern lediglich zur gefahrenvermeidenden Tätigkeit als solcher. Eine inhaltliche Begrenzung rechtlich gebotener Gefahrenabwendungsmaßnahmen über das Maß hinaus, welches den Schutz des Rechtsguts vor rechtlich intolerablen Gefahren gewährleistet, führt im Ergebnis zu einer inadäquaten Konkretisierung von Verhaltensnormen. Für den Betroffenen wäre hiernach nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen ihm ein „Optimierungsgebot“ auferlegt wird, warum er also sein Verhalten an einem Mehr als dem zur hinreichend sicheren Abwendung von Schädigungsmöglichkeiten Erforderlichen auszurichten haben soll. Der Verweis auf eine ungleiche Beschränkung des Freiheitsraumes durch Ge- und Verbote geht insofern fehl, als die Belastung durch ein Gebot regelmäßig mit seiner Erfüllung endet, Verbote hingegen unabhängig von ihrer Beachtung fortbestehen.39 Zudem existieren nachgerade Verbote, welche höchst intensive Freiheitsbeschränkungen enthalten;40 man denke in diesem Zusammenhang etwa an das Verbot des Geschwisterinzest. Dieses hat für die Betroffenen eine gewichtige – zumal lebenslange – Freiheitsbeschränkung bezogen auf die sexuelle Selbstbestimmung zur Folge.41 In Anbetracht entsprechender Konstellationen erweist sich die Argumentation unter Bezugnahme auf eine geringere Freiheitsbeschränkung Verbotsunterworfener als wenig überzeugend. Durchaus denkbar und praktisch mitunter geläufig sind schließlich solche rechtlichen Verbote, welche dem Verhaltensnormadressaten in concreto überhaupt keinen Handlungsspielraum belassen; der Pkw-Fahrer, welcher einen Tunnel durchfährt, in dem ein Halteverbot gilt, kann jenes Verbot nur durch ein bestimmtes Verhalten erfüllen.42 37
So Arm. Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 86. Gegenüber dem Normadressaten wären Gebote, welche ihm ein ganz bestimmtes Verhalten abverlangten vielfach gar nicht legitimierbar, sofern er alternative Verhaltensweisen präferiert, durch welche den Belangen des Güterschutzes gleichermaßen Rechnung getragen werden kann. Vgl. dazu Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 77. 39 s. hierzu Jakobs, AT, 28/13. 40 Vgl. dazu mit entsprechenden Beispielen Gauger, Konkludente Täuschung, S. 201 f.; Jakobs, AT, 28/13; Samson, FS Welzel, S. 579, 586. 41 Die Verfassungsmäßigkeit des § 173 II 2 StGB wurde durch BVerfGE 120, 224 ff. mit – nicht zuletzt in Anbetracht der gravierenden Freiheitsbeschränkung – fragwürdiger Begründung bestätigt. Zur Kritik s. etwa Grasnick, myops 2008, 13 ff.; Hörnle, NJW 2008, 2085 ff. 42 s. hierzu Gauger, Konkludente Täuschung, S. 202; Vogel, Norm und Pflicht, S. 306. 38
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B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern
Vor diesem Hintergrund widerlegen zu guter Letzt die Grenzfälle die Behauptung eines unterschiedlichen Gehaltes von Ge- und Verboten und veranschaulichen zugleich die Notwendigkeit der Beendigung eines „garantendogmatischen Sonderregimes“.43 Vielfach hängt es – dies gilt gerade in einer hochtechnisierten Gesellschaft – vom Zufall ab, ob eine (verbotswidrige) Handlung oder eine (gebotswidrige) Unterlassung den Erfolg herbeiführt.44 Daneben sind zahllose Konstellationen zu verzeichnen, in welchen die Einordnung der Verhaltensform als solche bereits zweifelhaft ist.45 Nehmen wir zur Veranschaulichung an, ein Trapezkünstler überquere auf einem Drahtseil einen gepflasterten Marktplatz. Während des Drahtseilaktes erreicht ein Radfahrer den Platz und stört die Konzentration des Künstlers durch das „Geklapper“ des Fahrrades auf dem Kopfstein, welches er, ohne zu treten (ohne Energieeinsatz), lediglich (aber immerhin) lenkt. Der Radfahrer erkennt, dass nur sein Anhalten die Konzentration des Künstlers wiederherstellen kann, diesen also vor dem drohenden tödlichen Sturz bewahren wird. Er setzt seine Fahrt dennoch in der beschriebenen Weise fort. Im Hinblick auf eine Verantwortlichkeit des Radfahrers nach § 212 I StGB kann es in jenem Fall nicht ernsthaft auf die anzunehmende Verhaltensform ankommen. Diese ist hier letztlich ohnehin nicht zweifelsfrei zu ermitteln. Entscheidend ist die Frage nach einer besonderen Rechtspflicht des Betreffenden zur Abwendung der Schädigungsmöglichkeit. Für eine solche fehlt es in dieser Konstellation an einer tragfähigen Begründung. Der Radfahrer ist nicht in qualifizierter Weise für die Abwendung der von seinem Verhalten ausgehenden Schädigungsmöglichkeit verantwortlich. Weder handelt es sich bei der Geräuschverursachung durch die Benutzung des Fahrrades um die Schaffung einer spezifischen rechtlich missbilligten Schädigungsmöglichkeit seines sonderzuverantwortenden eigenen Organisationskreises noch ist dem Radfahrer in unserem Beispiel der Schutz der Körperintegrität des Trapezkünstlers in besonderer Weise normativ zugeordnet. Der Täter erfüllt hingegen die Voraussetzungen des § 323c StGB, ist also mit Blick auf berechtigte Güterschutzbelange verpflichtet, die Realisierung der Schädigungsmöglichkeit durch das Anhalten
43 Das Dogma der Disparität von Tun und Unterlassen verstellt insoweit regelmäßig den Blick auf zugrunde liegende identische Sachstrukturen. Pointiert hierzu Herzberg, JZ 1988, 573, 576 ff. 44 Vgl. Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 103; ders., FS Herzberg, S. 225, 226; Hüwels, Zurechnung, S. 122 f.; Jakobs, AT, 28/14; Philipps, Der Handlungsspielraum, S. 140 ff. 45 Vgl. zu Problemen bei der Abgrenzung von Tun und Unterlassen etwa Roxin, AT II, § 31 Rn 69 ff.; Wessels/Beulke, AT, Rn 699 ff.; Volk, FS Tröndle, S. 219 ff. Die geläufig verwandte Formel vom „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ erweist sich im Hinblick auf normative Wertungsgesichtspunkte als indifferent und eignet sich infolgedessen dazu, über (vermeintlich) von der Verhaltensform abhängige Strafbarkeiten nach dem Gutdünken des Rechtsanwenders zu befinden. Im Sinne der Maßgeblichkeit jener „Schwerpunktformel“ etwa BGHSt 6, 46, 59; Ebert, AT, S. 173; Hauf, AT, S. 64 f.; Schönke/Schröder-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn 158.
I. Das „Zwei-Säulen-Modell“ der Legitimation von Verhaltensnormen
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seines Fahrrades zu verhindern.46 Für dieses Ergebnis ist die Konversion der Verhaltensform irrelevant. Nach dem Gesagten ist festzuhalten, dass die Sonderverantwortlichkeit des Täters für das geschützte Rechtsgut als „zweite Säule“ der Legitimation von Verhaltensnormen neben den Rechtsgüterschutz tritt, und zwar sowohl beim begehungsgleichen Unterlassungs- als auch beim Begehungsdelikt.47 Mithin hat die Regelung des § 13 I StGB keine strafbarkeitsausdehnende, sondern lediglich deklaratorische Funktion.48 Verstöße gegen doppelt fundierte Verhaltensnormen per omissionem können im Grundsatz bereits mit den Tatbeständen des Besonderen Teils sachlich erfasst werden. Konsequenterweise ergingen daher vor Normierung des § 13 StGB49 sowohl Urteile des Bundesgerichtshofs50 als auch des Reichsgerichts51 in Fällen begehungsgleichen Unterlassens (ausschließlich) in Anwendung der Tatbestände des Besonderen Teils des StGB. Gegen diese Judikate kann schließlich nicht die Wortlautgrenze angeführt werden.52 Selbstverständlich „tötet“ auch die Mutter ihr Neugeborenes, welche es erfrieren lässt. Dieser Fall gestattet, etwa im Vergleich zu einer Kindstötung durch aktives Tun durch einen Fremden, weder unter ratio- noch unter Wortlautaspekten eine abweichende Beurteilung.53 Ließen sich die Anforderungen an die Gleichstellung begehungsgleichen Unterlassens mit aktivem Tun hingegen nicht aus den einzelnen Deliktstatbeständen destillieren, hätten wir es bei den eingangs zitierten älteren Entscheidungen mit eklatanten Verstößen gegen den nullum-crimen-Satz zu
46 Zur eigenständigen Bedeutung der Fehlverhaltensfolgen für die Strafzumessung im Rahmen des § 323c StGB vgl. MünchKommStGB-Freund, § 323c Rn 9 ff., 130. 47 In diesem Sinne etwa auch MünchKommStGB-Freund, § 13 Rn 71; ders., AT, § 2 Rn 19; Gauger, Konkludente Täuschung, S. 199 ff.; Herzberg, Unterlassung, S. 169 ff.; Jakobs, AT, 7/ 58; ders., Strafrechtliche Zurechnung, S. 36 ff.; Sangenstedt, Garantenstellung, S. 296. 48 Vgl. MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 159. 49 Eingefügt durch das 2. StRG v. 4.7.1969. In Kraft getreten am 1.1.1975. 50 Vgl. etwa BGHSt 4, 360 ff. (Nichtabsicherung eines liegengebliebenen Fahrzeuges); 7, 287 ff. (Untätigkeit nach Verursachung eines Verkehrsunfalls mit einem schwer Verletzten); 17, 321 ff. (Beihilfe zum Meineid durch Unterlassen); 19, 152 ff. (Nichthinderung einer Trunkenheitsfahrt nach Alkoholausschank an Kraftfahrer durch Gastwirt); 19, 167 ff. (Nichthinderung der Tötung des Vaters durch Familienangehörige durch dessen Sohn). 51 Vgl. etwa RG JW 1926, 1189 f. m. Anm. v. Beling (Verpflichtung der Mutter zur Rettung von Kleinkindern aus einem brennenden Haus); RG HRR 1933, Nr. 1624 (Nichthinderung der Körperverletzung eines Mannes durch seine Ehefrau); RGSt 7, 332 ff. (Nichthinderung des Selbstmordes einer suizidsüchtigen Geisteskranken durch zwei Wärterinnen einer Irrenanstalt); 62, 199 ff. (Kindstötung durch Unterlassen); 66, 71 ff. (Ingerenz-Garantenstellung bei vorsätzlichem Tötungsdelikt); 72, 118 f. (Nichthinderung der Verwahrlosung einer schwerkranken Frau durch ihren Ehemann). 52 So aber Grünwald, ZStW 70 (1958), 412, 413; H. Mayer, AT, S. 120. Offen gelassen von Seebode, FS Spendel, S. 317, 328 f. 53 Vgl. MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 159. Auch konzediert von Grünwald, ZStW 70 (1958), 412, 417 f.
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B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern
tun.54 Verurteilungen wegen begehungsgleichen Unterlassens vor Inkrafttreten des § 13 StGB wären damit der Sache nach als strafbarkeitsbegründende Analogie einzustufen. Diese Judikatur ist dagegen zwanglos mit einem Verständnis des begehungsgleichen Unterlassungsdelikts als Verstoß gegen eine, für Begehungs- und Unterlassungstaten gleichermaßen geltende, „doppelt fundierte“ Verhaltensnorm zu vereinbaren. Diese Erkenntnis spricht nicht gegen die Existenz des § 13 StGB, denn die Vorschrift garantiert die formale Erfassbarkeit von Fehlverhaltensweisen, welche im Einzelfall einmal nicht unter den Wortlaut der Sanktionsnorm des Besonderen Teils zu subsumieren sind und trägt hierdurch zur Rechtssicherheit bei.55 Zur inhaltlichen Begründung der Verwirklichung spezifischen Unrechts im Sinne einzelner Delikte leistet sie hingegen nichts.
II. Zur Frage besonderer rechtlicher Verantwortlichkeiten von Amtsträgern Eine strafrechtliche Missbilligung bestimmten Fehlverhaltens von Mitgliedern medizinischer Ethik-Kommissionen bzw. Amtsträgern des BfArM setzt nach dem Gesagten – neben einem berechtigten Nutzen der Inpflichtnahme für den Rechtsgüterschutz – in der Regel eine entsprechende Sonderverantwortlichkeit zur Abwendung bestimmter Gefahren voraus.56 Bereits die Frage nach der abstrakten Möglichkeit einer Begründung besonderer rechtlicher Verantwortlichkeiten (einer sog. „Garantenstellung“) von Amtsträgern ist bis heute nicht abschließend geklärt.57 Deren (grundsätzliche) Bejahung kann nach dem zur Legitimation besonderer rechtlicher Verantwortlichkeiten (potentieller) Normadressaten Gesagten gleichwohl nur not54 Zu – nach hier vertretener Auffassung unbegründeten – verfassungsrechtlichen Zweifeln im Hinblick auf das Analogieverbot vor Inkrafttreten des § 13 StGB vgl. H. Mayer, AT, S. 119 f. („offensichtlicher AnalogieACHTUNGREschluß“). Im Übrigen wäre § 13 StGB (als strafbarkeitskonstituierende Vorschrift) aufgrund seiner nahezu „nichtssagenden“ Fassung kaum geeignet, verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich des Bestimmtheitsgrundsatzes auszuräumen. Für Unvereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot insoweit Köhler, AT, S. 213 f; Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 126 ff., 189 ff.; Seebode, FS Spendel, S. 317, 329 ff. Vgl. dazu auch Grünwald, ZStW 70 (1958), 412, 418 ff.; Jakobs, AT, 29/4 f.; Schmidhäuser, AT, S. 389. 55 Vgl. dazu MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 159. 56 Insofern geht es – soviel der Klarstellung halber – nicht um die eigenständige sanktionenrechtliche Bedeutung bestimmten Fehlverhaltens von Amtsträgern im Hinblick auf die (zusätzliche) Verletzung besonderer hoheitlicher Bindungen, etwa unter dem Gesichtspunkt der Körperverletzung im Amt gemäß § 340 StGB (vgl. dazu unten F. III.), sondern um die allgemeinen Voraussetzungen der Bestrafung eines Amtsträgers wegen Verstoßes gegen eine doppelt – also nicht lediglich im Rechtsgüterschutzinteresse – fundierte Verhaltensnorm. 57 Zur historischen Entwicklung, praxisrelevanten Erscheinungsformen und weiteren Begründungsansätzen einer qualifizierten Rechtspflicht von Amtsträgern vgl. etwa Dießner, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 262 ff.; Dominok, Unterlassungshaftung, S. 68 ff.; Sangenstedt, Garantenstellung, S. 449 ff.; Schulz, Amtswalterunterlassen, S. 65 ff., 102 ff.; Wagner, Amtsverbrechen, S. 243 ff.
II. Zur Frage besonderer rechtlicher Verantwortlichkeiten von Amtsträgern
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wendige, nicht jedoch hinreichende Bedingung einer qualifizierten Inpflichtnahme sein.58 Können wir also generell – im Sinne der abstrakten Möglichkeit – besondere rechtliche Verantwortlichkeiten von Amtsträgern legitimieren, ist damit keinesfalls die Entscheidung daACHTUNGRErüber präjudiziert, ob aus dem Aufgabenkreis des Amtsträgers in concreto tatsächlich spezifische Vermeidepflichten erwachsen. Nach der sog. Funktionenlehre ist zwischen Gefahrenquellen- und Beschützergaranten zu differenzieren.59 Dass diese Einteilung konsequent durchzuhalten ist, kann mit Fug und Recht bezweifelt werden. Die Beantwortung der Frage, ob der Bademeister Beschützer der Badegäste vor den Gefahren des Wassers ist oder hingegen die Gefahrenquelle Wasser zu überwachen hat, verspricht für die Konkretisierung der insoweit relevanten Vermeidepflichten nur geringfügigen Erkenntnisgewinn.60 Allerdings ermöglicht jene Einteilung – unter gebotener Berücksichtigung zahlreicher kongruenter Haftungsbegründungen – zumindest, den Blick auf die beiden wesentlichen Legitimationsgründe einer besonderen Rechtspflicht zu lenken, nämlich einer besonderen rechtlichen Verantwortung für den Ursprung oder Zielort einer zu vermeidenden Schädigungsmöglichkeit.61 Hierdurch kann immerhin – wenngleich stets nur im Sinne einer vorläufigen Standortbestimmung – ein wesentlicher Aspekt zur Gewichtung der konfligierenden Güter- und Interessen benannt werden. Die auf diese Weise gefundene Zuordnung ist als solche dagegen nicht geeignet, die konkrete Fundierung spezifischer Vermeidepflichten zu substituieren.62
1. Gefahrenquellenverantwortlichkeiten Die Grundlage für eine besondere rechtliche Verantwortung zur Abwendung von Schädigungsmöglichkeiten, welche von einer bestimmten Gefahrenquelle ausgehen, ergibt sich aus einer besonderen Nähe zum Ursprung der zu vermeidenden Schädigungsmöglichkeit.63 Als Ausprägung jenes Näheverhältnisses kommt die Zuordnung einer Gefahrenquelle zum Organisationskreis einer Person, etwa in Form einer Verantwortung für bestimmte andere Personen oder gefährliche Sachen, sowie eine Ver58
Zum „Zwei-Säulen-Modell“ der Legitimation von Verhaltensnormen s. oben B. I. Vgl. zur sog. Funktionenlehre etwa Fischer, § 13 Rn 8 ff.; Gropp, AT, § 11 Rn 21 f.; Jescheck/Weigend, AT, § 59 IV 2; Arm. Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 283 ff.; Roxin, AT II, § 32 Rn 6 f.; Schönke/Schröder-Stree, § 13 Rn 9 ff.; Schmidhäuser, AT, 16/39 f. 60 Vgl. Jakobs, AT, 29/27. 61 Vgl. Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 103. 62 Ob der Bademeister die Gäste in oben genanntem Fall beispielsweise auch vor Beeinträchtigungen durch die Sonneneinstrahlung zu bewahren hat, ist vielmehr durch Konkretisierung der spezifischen Vermeidepflichten im Rahmen seines Organisationskreises zu ermitteln. Zutreffend betont von Jakobs, AT, 29/27. Im Ergebnis ebenso Hüwels, Zurechnung, S. 86 ff. 63 Vgl. Jakobs, AT, 28/14; Jasch, NStZ 2005, 8, 9; Pawlik, ZStW 111 (1999), 335, 349; Sangenstedt, Garantenstellung, S. 411. Zu Gefahrenquellen des eigenen Organisationskreises s. auch MünchKommStGB-Freund, § 13 Rn 111 f. 59
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B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern
antwortung zur Abwendung von Schädigungsmöglichkeiten, welche den eigenen Organisationskreis bereits verlassen haben, aber durch eigenes Vorverhalten (mit-)verursacht wurden, in Betracht.64 Hierher zählt auch die Sonderverantwortlichkeit für den eigenen Körper als elementarste Form der besonderen Verantwortlichkeit für eine Gefahrenquelle.65 Die Frage nach der Begründung einer solchermaßen qualifizierten Rechtspflicht stellt sich nach dem Gesagten allerdings überhaupt nur in den Fällen, in denen eine rechtliche Verhaltensnorm gegenüber dem Amtsträger als (potentiellem) Normadressaten begründet werden kann.
a) Gefahrenquellenverantwortlichkeiten für das Verhalten anderer Personen Eine Gefahrenquellen- (auch sog. Überwacher-)verantwortlichkeit von Amtsträgern für die Vermeidung gefährlichen Verhaltens anderer Personen setzt mithin voraus, dass das Verhalten jener Personen ihrem Organisationskreis zuzuordnen ist.66 Vielfach wird das konstituierende Moment einer entsprechenden besonderen Verantwortung des Amtsträgers für das Verhalten Dritter ausschließlich in einer rechtlichen Befugnis zur Ausübung von Herrschafts- und Befehlsgewalt bei der Beaufsichtigung von Menschen gesehen.67 Eine solche von der Rechtsordnung eingeräumte Befugnis zur Ausübung von Herrschafts- und Befehlsgewalt bestehe im Verhältnis zwischen Amtsträger und Bürger dann nicht, wenn sich beide im allgemeinen Staat-BürgerVerhältnis gegenüberstehen, der Bürger also nicht aufgrund eines Sonderstatus besonderer Aufsichtsgewalt des Staates unterliege.68 Danach habe etwa die Polizei nicht die Aufgabe, sämtliche Bürger als potentielle Gefahrenquelle zu überwachen.69 Das „Herrschaftskriterium“ ist als sachliches Kriterium zur Abgrenzung zwischen qualifizierten und sonstigen Verpflichtungen von Amtsträgern zur Abwendung der von anderen Personen ausgehenden Gefahren nur bedingt geeignet, die maßgeblichen Gesichtspunkte einer qualifizierten Inpflichtnahme herauszustreichen. Die Behaup64
Vgl. zu den in diesem Kontext geläufigen Haftungsgründen etwa Jescheck/Weigend, AT, § 59 IV 4; LK-Jescheck, 11. Aufl., § 13 Rn 42 ff., 48 ff.; SK-Rudolphi, § 13 Rn 26; Schönke/ Schröder-Stree, § 13 Rn 11 ff. 65 Zur Bedeutung der Sonderverantwortlichkeit (für den eigenen Körper) als einem allgemeinen Merkmal doppelt fundierter Verhaltensnormen s. bereits oben B. I. 3. Zum eigenen Körper als Gefahrenquelle vgl. etwa MünchKommStGB-Freund, § 13 Rn 109 f.; Herzberg, Unterlassung, S. 173; Jakobs, AT, 29/31. 66 So etwa Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 252 ff., 258 ff.; Jakobs, AT, 29/29 ff., 32, 35. 67 Vgl. etwa Rogall, Strafbarkeit von Amtsträgern, S. 210 f.; Roxin, AT II, § 32 Rn 125; Rudolphi, JR 1987, 336, 338; ders., JR 1995, 167; Sangenstedt, Garantenstellung, S. 400 ff.; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 363. 68 So etwa Pawlik, ZStW 111 (1999), 335, 337 f. – Zum Sonderstatusverhältnis (beispielhaft genannt seien das Strafgefangenen- und das Beamtenverhältnis) vgl. Maurer, AllgVerwR, § 6 Rn 17 ff., § 8 Rn 26 ff. 69 Laubenthal, JuS 1993, 907, 908; Pawlik, ZStW 111 (1999), 335, 337 f.
II. Zur Frage besonderer rechtlicher Verantwortlichkeiten von Amtsträgern
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tung mangels Ausübung diesbezüglicher Herrschaftsgewalt könne der Polizist nicht für die Überwachung (potentieller) Straftäter, die Mitglieder der Ethik-Kommission nicht für die Überwachung des Forschers oder aber die Aufsichtsbehörden im Lebensmittel- oder Arzneimittelbereich nicht für die Überwachung der Produzenten in besonderer Weise rechtlich verantwortlich sein, ist offenbar der intuitiven Fehleinschätzung geschuldet, die zuständigen Amtsträger kämen andernfalls „nicht mehr zur Ruhe“, wären vielmehr „umzingelt von unzählbaren Gefahrenabwendungsverpflichtungen“. Das Kriterium der „Herrschaftsgewalt“ über andere Personen soll den Amtsträger nun vor dieser „Sysiphos-Aufgabe“ schützen, also eine vermeintlich drohende ausufernde Strafbarkeit begrenzen. Der berechtigte Kern der Bezugnahme auf rechtliche Befugnisse von Amtsträgern zur Ausübung von Herrschafts- und Befehlsgewalt ist, dass grundsätzlich niemanden die Verpflichtung trifft, für das Verhalten vollverantwortlicher Personen als Überwacher einzustehen.70 Entscheidend für eine qualifizierte Gefahrenabwendungsverpflichtung des Amtsträgers gegenüber einer Person, von welcher bestimmte Gefahren ausgehen, ist allerdings, dass sich konkrete Vermeidepflichten aus seiner spezifischen Pflichtenstellung ergeben und sich normativ hinreichend verdichtet haben.71 Sind jene Voraussetzungen gegeben, wird auch regelmäßig eine ausreichende Herrschaftsgewalt des Amtsträgers zu konstatieren sein; der Polizist darf eine drohende Körperverletzung ebenso durch den Gebrauch hoheitlicher Befugnisse hindern wie der Lebensmittelkontrolleur den Verkauf verdorbener gesundheitsschädigender Ware. Darüber hinaus sind jedoch durchaus Fälle denkbar, in welchen eine qualifizierte Gefahrenabwendungsverpflichtung eines Amtsträgers für das Verhalten Dritter nicht mit der rechtlichen Befugnis zur Ausübung von Hoheitsgewalt korrespondiert. Fehlen entsprechende hoheitliche Eingriffsbefugnisse, stehen Gefahrenabwendungsmöglichkeiten, welche eine Herrschafts- oder Befehlsgewalt des Amtsträgers voraussetzen, rechtlich nicht zur Verfügung. Insofern ist eine Legitimation doppelt zu fundierender Gefahrenabwendungspflichten hingegen nicht per se ausgeschlossen. Die Reichweite besonderer Rechtspflichten ist unter diesen Umständen allerdings auf die Ergreifung solcher Maßnahmen begrenzt, welche dem Betroffenen insoweit rechtlich zur Verfügung stehen.72 70 s. etwa Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 252 f.; Sangenstedt, Garantenstellung, S. 400; LK-Weigend, § 13 Rn 55. 71 Das vorsätzliche Agieren des Dritten beseitigt jene Verantwortlichkeit nicht. Auf die Tatbestandsmäßigkeit der „Haupttat“ kommt es mithin für die Begründung der Sonderverantwortlichkeit des Amtsträgers nicht an. Vgl. dazu Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 311; Jakobs, AT, 29/106; Hüwels, Zurechnung, S. 216 f. Zur Gefahr der Negation vorfindbarer Verantwortlichkeiten durch das „Verantwortungsprinzip“ s. auch Freund, AT, § 10 Rn 86 ff., 100. Problematisch hingegen die Argumentation mit dem „Verantwortungsprinzip“ bei MünchKommStGB-Joecks, § 25 Rn 97 ff. 72 Bedenkenswert erscheint darüber hinaus eine Geltung der allgemeinen Notrechte – etwa in Form des Defensivnotstandes – für den betroffenen Amtsträger. Gegen ein entsprechendes Verständnis hoheitlicher Eingriffsbefugnisse wird zwar die durch die Normierung spezialgesetzlicher Ermächtigungen intendierte besondere öffentlich-rechtliche Bindung von Amtsträ-
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B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern
Man denke sich etwa den Fall, dass ein Amtsarzt im Rahmen einer polizeilich veranlassten Blutentnahme eine nicht unerhebliche, mit Ausfallerscheinungen einhergehende, Alkoholisierung feststellt und der (strafrechtlich dennoch vollverantwortliche) Fahrer daraufhin erneut Gebrauch von seinem Fahrzeug zu machen droht. Bei dieser Sachlage ist der Arzt nicht nur im Güterschutzinteresse, sondern auch kraft einer qualifizierten Rechtspflicht zur Abwendung von Schädigungsmöglichkeiten, welche von der kontrollierten Person im Hinblick auf rauschbedingte Defizite ausgehen, gehalten, den Fahrtantritt zu verhindern. Gleichwohl stehen ihm mangels Eingriffsbefugnis gegenüber dem Fahrer keine hoheitlichen Herrschaftsrechte zur Verfügung. Er muss vielmehr die Polizei informieren, um seine Verpflichtung zu erfüllen.73 Gleiches gilt für die Ethik-Kommission in Bezug auf bestimmte Konstellationen im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgabe einer „Verlaufskontrolle“ von Arzneimittelprüfungen. Diese Aufgabe korrespondiert mit der Pflicht des Sponsors aus § 13 II 1 GCP-V74 zu ihrer Unterrichtung über bestimmte Schadensfälle.75 Insofern wurde der Ethik-Kommission durch die 15. AMG-Novelle v. 17. 7. 2009 in Gestalt des § 42a IVa AMG zwar eine Eingriffsbefugnis gegenüber dem Sponsor eingeräumt, allerdings erstreckt sich diese nur auf Rücknahme und Widerruf der zustimmenden Bewertung. Da der entsprechende Eingriff „Kenntnis“ der die Aufhebung der zustimmenden Bewertung begründenden Tatsachen voraussetzt, geht es der Sache nach um „Evidenzfälle“. Unterhalb dieser Schwelle kann es jedoch SachverhaltsACHTUNGREungewissheiten geben, welgern vorgebracht. Jedoch ist dem Wortlaut der Erlaubnissätze insofern keine diesbezügliche Beschränkung zu entnehmen. In Betracht kommt daher auch eine „bloße“ dienstrechtliche Missbilligung der entsprechenden Überschreitung hoheitlicher Eingriffsbefugnisse. Maßgeblich ist daher insbesondere die Frage, ob der Wortlaut von Erlaubnissätzen in Bezug auf eine Rechtfertigung von Amtsträgern durch verACHTUNGREfassungsrechtliche Vorgaben eingeschränkt werden kann. Vgl. zum Ganzen etwa Amelung, NJW 1977, 833 ff.; MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn 166 ff., § 34 Rn 40 ff.; Jakobs, AT, 12/41 ff.; Seelmann, ZStW 89 (1977), 36, 50 ff., jew. mwN. Die Zuerkennung jener Notrechte an den Amtsträger, eröffnete diesem im Einzelfall ein Eingriffsrecht. Ob hiermit zugleich eine (doppelt fundierte) Gefahrenabwendungspflicht verbunden wäre, ist zweifelhaft. Hierzu müsste auch das allgemeine Eingriffsrecht in der Hand des Amtsträgers geeignet sein, eine spezifische Pflichtenstellung in Bezug auf das bedrohte Interesse zu begründen. 73 Eine entsprechende Sonderverantwortlichkeit für das Verhalten Dritter trotz fehlender „Herrschaftsrechte“ ist beispielsweise auch im Zusammenhang der Beurteilung eines Untergebrachten durch einen Sachverständigen auszumachen. Erkennt dieser etwa, dass von dem Untergebrachten bei einem bevorstehenden Ausgang rechtlich intolerable Gefahren ausgehen, so ist er kraft einer qualifizierten Rechtspflicht gehalten, auf die Eindämmung jener Gefahren hinzuwirken. Diese Verpflichtung entspricht insoweit seiner spezifischen Aufgabenstellung im Rahmen der Behandlung oder Begutachtung der untergebrachten Person. Sie gilt ebenfalls ungeachtet dessen, dass ihm gegenüber dem Untergebrachten keine hoheitlichen Eingriffsbefugnisse zustehen. 74 Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen v. 9.8.2004. 75 Vgl. dazu unten C. II. 11. a), b).
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che lediglich die Verhängung von Auflagen rechtfertigen. In entsprechenden Fällen steht der Ethik-Kommission jedoch keine Auflagenbefugnis gegenüber den Verantwortlichen zu.76 Diesbezüglich kann nach § 42a VAMG nur die zuständige Bundesoberbehörde Abhilfemaßnahmen anordnen. Indessen ist die Ethik-Kommission im Falle solcher Umstände, welche eine Aufhebungsentscheidung nicht zu rechtfertigen vermögen, gleichwohl gehalten, die Aufsichtsbehörde über die vorliegenden Erkenntnisse zu informieren.77 Dabei handelt es sich der Sache nach um eine qualifizierte Rechtspflicht zur Abwendung von Schädigungsmöglichkeiten, welche von den für die Durchführung der klinischen Prüfung Verantwortlichen ausgehen. Sicherlich kann man die Begründung dieser Sonderverantwortlichkeit zugleich auf den Gesichtspunkt einer qualifizierten Pflicht zur Abwendung von Schädigungsmöglichkeiten in Richtung auf die Körperintegrität der Probanden stützen.78 Dennoch sollte eines deutlich geworden sein; eine Bewertung nach einem „alles oder nichtsPrinzip“ unter Rekurs auf die „Herrschaft“ über Personen als (potentielle) Gefahrenquellen läuft Gefahr, die für die Begründung des spezifischen Pflichtenkreises maßgeblichen Gesichtspunkte zu verkennen und den Pflichtenkreis entweder – wie in vorstehenden Beispielsfällen – zu eng oder aber zu weit zu fassen.79 Eine sachgerechte Konturierung qualifizierter Rechtspflichten von Amtsträgern erfordert demnach stets die Legitimierbarkeit einer Gefahrenabwendungsverpflichtung in der konkreten Handlungssituation. Dem Vorwurf der Etablierung einer nicht zu leistenden „Rundumverteidigung“ ist damit der Boden entzogen. Setzt die Sonderverantwortlichkeit des Amtsträgers die Legitimierbarkeit einer bestimmten Verhal-
76 Eine vergleichbare Problematik bestand in vorliegendem Zusammenhang bereits vor Normierung des § 42a IVa AMG durch die 15. AMG-Novelle. Nach damaligem Recht existierte überhaupt keine rechtliche Eingriffsbefugnis der Kommission gegenüber den für die Durchführung der klinischen Prüfung Verantwortlichen. Mit der Pflicht des Sponsors zur Unterrichtung der zuständigen Ethik-Kommission über bestimmte Schadensfälle aus § 13 II 1 GCP-V korrespondierte gleichwohl im Falle schwerwiegender unerwünschter Ereignisse eine qualifizierte Rechtspflicht der Kommissionsmitglieder zur Information der Aufsichtsbehörde über die vorliegenden Erkenntnisse. 77 Näher zur insoweit beschränkten Rechtsmacht der Ethik-Kommission und der hieraus folgenden Begrenzung des Pflichtenkreises vgl. unten C. II. 11. b). 78 Vgl. dazu unten B. II. 2. 79 Denn die „Herrschaftsgewalt“ über andere Personen ist auch in den hier interessierenden Konstellationen keineswegs hinreichende Bedingung einer Sonderverantwortlichkeit des Handelnden. Ist ein Amtsträger beispielsweise infolge unverschuldeter Arbeitsüberlastung nicht in der Lage, Strafanzeigen rechtzeitig zu bearbeiten und informiert er zudem seine vorgesetzte Stelle über diese Tatsache, so ist diesem Beamten gegenüber unter dem Gesichtspunkt der Strafvereitelung durch Unterlassen bereits kein rechtliches Verhaltensgebot zur vollständigen Bearbeitung der Strafanzeigen legitimierbar. Vgl. dazu BGHSt 15, 18, 22; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 310; Schönke/Schröder-Stree, § 258a Rn 10. Jener Sachgedanke gilt selbstverständlich auch im vorACHTUNGREliegenden Kontext, nämlich für die Legitimation spezifischer Vermeidepflichten von Amtsträgern für die Abwendung von Schädigungsmöglichkeiten durch (vollverantwortliche) Personen.
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B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern
tenspflicht voraus, ist der in Rede stehende Pflichtenkreis notwendig beschränkt.80 Eine qualifizierte Inpflichtnahme bedarf danach einer spezifischen Pflichtenstellung sowie einer hinreichenden normativen Verdichtung der Rechtspflicht zu gefahrvermeidendem Verhalten. b) Sonstige Gefahrenquellenverantwortlichkeiten Eine Gefahrenquellenverantwortlichkeit von Amtsträgern kann sich daneben aus der Zuordnung sonstiger Gefahrenquellen zum Organisationskreis des Normadressaten ergeben. Erforderlich ist auch insofern eine spezifische Pflichtenstellung des Amtsträgers, welche sich normativ hinreichend zu einer Pflicht zur Gefahrenabwendung verdichtet hat.81 Ein entsprechender Bezug des Amtsträgers zu einer Gefahrenquelle ist beispielsweise denkbar im Rahmen der Amtspflichten der Straßenverkehrsbehörde zur Beseitigung von Straßenschäden, des Forstamtes bei der Betreuung bestimmter Waldflächen oder des Verbraucherschutzamtes im Umgang mit Lebensmittelrisiken.82 Nämliches gilt für die Gefahrenquelle „Arzneimittel“. Ist eine spezifische Pflichtenstellung des zuständigen Amtsträgers des BfArM bzw. der Mitglieder einer Ethik-Kommission zu verzeichnen und musste der Normadressat in der konkreten Situation von Rechts wegen bestimmte Gefahren vermeiden,83 so ist das Arzneimittel als Gefahrenquelle in concreto Bezugspunkt einer besonderen rechtlichen Verantwortlichkeit.
2. Beschützerverantwortlichkeiten Eine Sonderverantwortlichkeit von Amtsträgern kann sich daneben aus speziellen rechtlichen Zuordnungsverhältnissen84 bzw. aus der Übernahme bestimmter Gefah80 Zum beschränkten Pflichtenkreis „klassischer Gefahrenquellengaranten“ vgl. auch MünchKommStGB-Freund, § 13 Rn 102 ff. 81 Es gilt selbstverständlich auch in diesem Zusammenhang, dass nur in solchen Konstellationen qualifizierte Rechtspflichten in Betracht kommen, in welchen überhaupt ein rechtliches Ver- oder Gebot gegenüber dem (potentiellen) Verhaltensnormadressaten legitimiert werden kann. 82 In diesem Kontext zu nennen sind auch bestimmte Gefahrenabwendungsverpflichtungen von Amtsträgern in Umweltbehörden. Allerdings ergeben sich im Umweltstrafrecht bereits hinsichtlich der Legitimation spezifischer Vermeidepflichten von Amtsträgern gewisse Sonderprobleme. Vgl. zum Zuschnitt entsprechender Verantwortungsbereiche sowie zur Diskussion um die Sonderverantwortlichkeit von Amtsträgern im Umweltstrafrecht etwa Dominok, Unterlassungshaftung, S. 32 ff.; 68 ff.; Gürbüz, Strafbarkeit von Amtsträgern, S. 9 ff., 93 ff.; Kühl, AT, § 18 Rn 79 ff.; Rogall, Strafbarkeit von Amtsträgern, S. 135 ff., jew. mwN. 83 Zu den in diesem Kontext relevanten Verhaltensnormen vgl. für die Mitglieder von EthikKommissionen unten C. sowie für Amtsträger des BfArM unten D. 84 Die oftmals gebrauchten Termini „enger persönlicher“ oder „natürlicher Verbundenheit“ sind zum einen nicht geeignet, alle materiell bedeutsamen Konstellationen zu erfassen,
II. Zur Frage besonderer rechtlicher Verantwortlichkeiten von Amtsträgern
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renabwendungsaufgaben, also in Form sog. Beschützerverantwortlichkeiten ergeben. Als Legitimationsgrund entsprechender qualifizierter Rechtspflichten ist die besondere Nähe des Normadressaten zum Zielort der abzuwendenden Gefahr auszumachen. Der Schutz des bedrohten Rechtsguts muss einer bestimmten Person normativ zugeordnet sein.85 Insofern kommt es in vorliegendem Zusammenhang darauf an, in welchem Umfang aus bestimmten Amtspflichten zum Schutz gefährdeter Rechtsgüter auch eine Sonderverantwortlichkeit für das bedrohte Rechtsgut abgeleitet werden kann. Dieser inhaltlichen Konkretisierung ist allerdings eine Replik auf den mit Verve vorgetragenen „Generalangriff“ gegen die Konstituierung qualifizierter Rechtspflichten in Form bestimmter Beschützerverantwortlichkeiten von Amtsträgern voranzustellen. a) „Allumfassende Verantwortlichkeit“ des Amtsträgers? Als „Grundeinwand“ gegen die Anerkennung bestimmter Beschützerverantwortlichkeiten von Amtsträgern wird geltend gemacht, die Amtspflicht reiche nicht aus, eine entsprechende Verantwortlichkeit zu begründen. Die Gleichsetzung von öffentlich-rechtlicher Pflicht zum Schutz strafrechtlich geschützter Rechtsgüter und strafrechtlicher Garantenpflicht i. S. d. § 13 StGB bedeute eine Rückkehr zur „längst überwunden geglaubten“ formellen Rechtspflichtlehre.86 Bei dieser Sichtweise avanciere der Amtsträger zum „allumfassenden Garanten“.87 Dies führe zu einer „nicht mehr akzeptablen Verteilung der Verantwortlichkeiten zwischen Staat und Bürger“.88 Zunächst einmal steht und fällt die Überzeugungskraft eines „wo kämen wir denn da hin?“-Argumentes regelmäßig mit der Bewertung des befürchteten Zustandes. Das von Rudolphi89 als drohend skizzierte Szenario einer besonderen rechtlichen Verantwortung von „Amtsträgern der Kartellbehörden, der Bankaufsicht, der Versicherungsaufsicht, der Arzneimittel- und Lebensmittelaufsicht, des Umweltschutzes sowie schließlich aller staatlichen Stellen als Adressat der in Art. 1 III GG normierten Pflicht, die Grundrechte des Bürgers zu achten und zu schützen“, erscheint bereits auf den ersten Blick keinesfalls geeignet, eine grundlegende Ablehnung hinreichend konkretisierter Verantwortlichkeiten zu begründen.90 Es liegt vielmehr nahe, dass diese gleichzeitig birgt jene Redeweise die Gefahr von Fehlassoziationen; so aber Schönke/SchröderStree, § 13 Rn 17. 85 Vgl. MünchKommStGB-Freund, § 13 Rn 87 ff., 156 ff.; Kühl, AT, § 18 Rn 45. 86 Rudolphi, JR 1987, 336. 87 Die Zuschreibung einer „Rundumverteidigungs“-Funktion von Beschützerverantwortlichen findet sich bereits bei Arm. Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 283 und liegt der vorgetragenen Kritik offenbar implizit zugrunde. 88 So Rudolphi, JR 1995, 167, 168. 89 s. Rudolphi, JR 1995, 167, 168. 90 Dies gilt beispielsweise auch für die von Mitsch, NStZ 1993, 384, als „eine Art Selbstzerfleischung“ deklarierte, in rechtlicher Hinsicht jedoch bedauerlicherweise unterbliebene,
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B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern
Argumentation Grund und Grenzen derartiger Verantwortlichkeiten verkennt. Hier geht es nicht um die Forderung nach einer „Rundumverteidigung“,91 sondern um nicht mehr als die angemessene Pflichterfüllung.92 Das „Schreckgespenst“ des Amtsträgers, der ohne Unterlass gefahrabwendend tätig werden muss, um Strafe zu vermeiden,93 kann nur auf einer verfehlten Unterlassungsdogmatik beruhen, welche die Tatbestandsmäßigkeit einer Unterlassung bei jedweder Nichtabwendung des Erfolges trotz Möglichkeit in Garantenstellung bejaht.94 Selbstverständlich können beispielsweise die Mitglieder der Ethik-Kommission im Rahmen der Durchführung klinischer Studien nicht sonderverantwortlich für die Abwendung aller Schädigungsmöglichkeiten sein. Doch ist nicht etwa insoweit eine qualifizierte Inpflichtnahme zu legitimieren, als den Beteiligten aus den vorgelegten Prüfungsunterlagen gewisse, nicht hinnehmbare, Gefahren von Rechts wegen hätten auffallen müssen und sie dem Antrag dennoch zustimmten? „Ultra posse nemo obligatur!“, dieses Prinzip gilt selbstverständlich auch für das Handeln von Amtsträgern. Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass nicht unter gewissen Voraussetzungen spezifische Amtspflichten auch bzw. insbesondere im Interesse des Schutzes der Rechtsgüter der Bürger zu legitimieren sind. b) Fehlerhafte Zuwendung zur formellen Rechtspflichtlehre? Der Verweis auf die Gleichsetzung von Amtspflicht und Garantenpflicht als fehlerhafte Zuwendung zur formellen Rechtspflichtlehre ist ebenfalls nicht geeignet, die Möglichkeit einer besonderen Pflichtenstellung von Amtsträgern per se zu bestreiten.95 Ein entsprechendes Verständnis wird vielfach als zu schematisch abgelehnt.96 Strafverfolgung der Polizeibeamten von Rostock-Lichtenhagen wegen Beihilfe zu den dort begangenen Straftaten. 91 Eine solche kann im Übrigen auch bei „klassischen“ Beschützerverantwortlichkeiten von Rechts wegen nicht verlangt werden. Sie ist dem Verpflichteten zum einen de facto gar nicht möglich und im Übrigen keineswegs rechtlich gesollt. Dies gilt selbst für die „Urform“ der Beschützerverantwortlichkeit, nämlich das Eltern-Kind-Verhältnis. Vgl. dazu etwa Jakobs, AT, 29/59 f. 92 s. dazu Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 309 f.; ähnlich Hüwels, Zurechnung, S. 82 f. Zum beschränkten Pflichtenkreis in Konstellationen „klassischer“ Beschützerverantwortlichkeiten vgl. auch MünchKommStGB-Freund, § 13 Rn 95 ff., 159 f. 93 In diesem Sinne Rudolphi, FS Dünnebier, S. 561, 580 f. Ähnlich Herzberg, Unterlassung, S. 356 Fn 73; Schall, JuS 1993, 719, 723; Zaczyk, FS Rudolphi, S. 361, 369 („gleichsam ständig Streife zu fahren“). 94 Zur Kritik an dieser Formel s. auch MünchKommStGB-Freund, § 13 Rn 105, 160; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 309. 95 Zur Kritik der formellen Rechtspflichtlehre (in ihrer klassischen Ausprägung) s. etwa Herzberg, Unterlassung, S. 206 ff.; Roxin, AT II, § 32 Rn 10 ff.; Schaffstein, FS Gleispach, S. 70, 74 ff. 96 Bereits dem auf das Rechtspflichtkriterium rekurrierenden Reichsgericht wurde attestiert, in seinen Entscheidungen zwar zu „einigermaßen erträglichen Ergebnissen“ zu gelangen,
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Insbesondere könne es keine Erklärung für die Anerkennung bestimmter Sonderverantwortlichkeiten liefern – beispielsweise für besondere Rechtspflichten aus vorangegangenem gefährdendem Tun (Ingerenz) oder in Konstellationen der schuldrechtlich unwirksamen Übernahme bestimmter Verantwortlichkeiten.97 Dass eine formelle Rechtspflicht keine Voraussetzung der Strafbarkeit wegen begehungsgleichen Unterlassungsdelikts bilde, verdeutliche schließlich die § 323c StGB zugrunde liegende Rechtspflicht.98 Indes ist in diesem Zusammenhang Vorsicht geboten, soll nicht der Kern des (grundsätzlich) berechtigten Anliegens verfehlt werden. Das Strafrecht als sekundäre Normenordnung ist zwingend auf den Verstoß gegen eine diesem Rechtsgebiet vorgelagerte Verhaltensnorm angewiesen. Rechtliche Grundlage der Verhaltensnormlegitimation kann danach in unserem Rechtssystem nur das Zivilrecht und/oder das öffentliche Recht sein. Die Erkenntnis, dass nicht jeder Verstoß gegen die primäre Normenordnung einen tauglichen Anknüpfungspunkt für eine Strafandrohung bildet, ist dagegen keineswegs zwingend an die Ablehnung der formellen Rechtspflichtlehre gebunden. Vielmehr kommt die Strafbewehrung eines Fehlverhaltens in der Regel (vgl. jedoch §§ 138, 323c StGB) nur bei Verstoß gegen eine doppelt fundierte Verhaltensnorm in Betracht.99 Ein unter diesem Gesichtspunkt strafbares Verhalten setzt die Verletzung einer besonderen Rechtspflicht voraus.100 An die formelle Seite entsprechender Rechtspflichten dürfen insoweit keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Ein verengtes Vorverständnis verstellt dabei vielfach den Blick auf grundlegende – für die Verhaltensnormkonturierung relevante – rechtliche Strukturen. Beispielsweise kann auch der (zivilrechtlich) nichtige Vertrag besondere Rechtspflichten erzeugen. So gelangt man etwa im Fall des Babysitters, dessen Verpflichtung auf einem unwirksamen Vertrag beruht, dennoch zur Legitimation einer besonderen Gefahrenabwendungsverpflichtung. Insofern gilt es zu beachten, dass trotz dies allerdings nur auf „Umwegen und Hintertreppen, unter Verzicht auf theoretische Folgerichtigkeit“; so Schaffstein, FS Gleispach, S. 70, 74. Vgl. auch Grünwald, ZStW 70 (1958), 412, 414 ff. 97 In diesen Kontext gehört etwa der Fall des Babysitters, dessen Strafbarkeit wegen begehungsgleichen Unterlassungsdelikts nicht von der zivilrechtlichen Wirksamkeit des Vertrages abhängt; s. dazu unten im Text. Eine Sonderverantwortlichkeit in Fällen der Ingerenz kann schließlich auch auf der Basis einer zutreffend konkretisierten Rechtspflichtlehre sachgerecht begründet werden. Insofern ist die Zuerkennung bestimmter Freiheitsräume – etwa des Gebrauchs von Kraftfahrzeugen oder der Betrieb gefährlicher Anlagen – mit dem (konkludenten) Vorbehalt versehen, dass aus jenem zusätzlichen Freiheitsgebrauch resultierende Folgen im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren abzuwenden sind. Näher dazu Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 180 ff. 98 Vgl. etwa Träger, Unterlassungsdelikte, S. 72 ff. 99 Vgl. dazu oben B. I. 100 Auf der Basis dieser Konzeption ist die Strafandrohung des § 323c StGB durchaus mit einer formellen Rechtspflichtlehre vereinbar. Diese Sanktionsnorm nimmt lediglich Bezug auf den Verstoß gegen eine einfach – also nicht zusätzlich durch eine besondere Rechtspflicht – fundierte Verhaltensnorm.
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B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern
schuldrechtlicher Unwirksamkeit der Vereinbarung eine (konkludente) Erklärung hinsichtlich der Übernahme der entsprechenden Verantwortlichkeit abgegeben wird. Der in diesem Sinne vertraglich begründete Verantwortlichkeitserwerb steht nicht unter dem Vorbehalt eines zivilrechtlich wirksamen Rechtsgeschäftes.101 Rechtsquelle der besonderen Verpflichtung ist nicht der schuldrechtliche Vertrag, sondern die davon unabhängige privatautonome Übereinkunft bezüglich der Schutzübernahme als solcher.102 Es geht also auch in diesem Fall nicht um einen faktischen Erwerb der Verantwortlichkeit. Vielmehr zeigt diese Konstellation exemplarisch, dass qualifizierten (i. S. von doppelt fundierten) Rechtspflichten stets eine entsprechende Regelung der Primärordnung als notwendige – jedoch nicht als hinreichende – Bedingung zugrunde liegt. Insofern ist heute nahezu unstreitig, dass nicht jede Amtspflicht dem Schutze bestimmter tatbestandlich geschützter Rechtsgüter dient, sondern mitunter lediglich sonstigen öffentlichen Zwecken und in Anbetracht dessen nicht durch einen spezifischen Nutzen für den Schutz bestimmter Rechtsgüter fundiert werden kann.103 Nach dem vorstehend Gesagten geht es bei der Legitimation bestimmter Handlungspflichten stets darum, im konkreten Fall eine Einschränkung der Handlungsfreiheit des Unterlassenden zu legitimieren, welche charakterisiert ist durch einen, im Wege einer Güter- und Interessenabwägung zu bestimmenden, Vorrang des Rechtsgüterschutzaspektes gegenüber den Interessen des Unterlassenden am Untätigbleiben.104 Dieser Vorrang ergibt sich etwa für den Polizisten, der einer Schlägerei teilnahmslos beiwohnt. Hier sind keine legitimen Interessen erkennbar, welche ein Untätigbleiben zu rechtfertigen vermögen. Vielmehr dient die polizeirechtlich zu begründende Handlungspflicht jedenfalls auch dem Schutz des Bürgers vor Verletzungen seiner
101 Die Auslegung der Erklärung des Betreffenden nach Maßgabe des „objektiven Empfängerhorizonts“ beinhaltet die (konkludente) Zusage einer Übernahme der entsprechenden Schutzgewähr. Nach der Interessenlage der Parteien ergibt jene Erklärung nur auf der Basis dieser Interpretation einen guten Sinn. Ein – ggf. vorhandener – innerer Vorbehalt des Babysitters, die Übernahme des Schutzauftrages von einer zivilrechtlich wirksamen Übereinkunft abhängig zu machen, wäre in ebenjener Hinsicht jedenfalls als unbeachtliche Mentalreservation anzusehen. 102 Nach Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 302 f., kommt im entsprechenden Fall der Sache nach ein „Abstraktionsprinzip“ zur Anwendung. Der Inhalt der besonderen Rechtspflicht des Babysitters zur Abwendung von Gefahren in Richtung auf das Kind, ist – sowohl bei wirksamem wie auch bei unwirksamem schuldrechtlichen Vertrag – auf der Grundlage der diesbezüglichen privatautonomen Regelung zu bestimmen. Den „Vertragsgedanken“ für dieses Beispiel ablehnend und auf die „zurechenbare Organisation einer Schutzminderung“ durch den Babysitter abstellend dagegen Jakobs, Strafrechtliche Zurechnung, S. 23. 103 Vgl. hierzu Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 309 f.; Sangenstedt, Garantenstellung, S. 535. Durchaus zutreffend insofern Herzberg, Unterlassung, S. 208, wonach bestimmte zivil- und öffentlich-rechtliche Wertungen mitunter wechselhaft sind und vielfach auf strafrechtsfremden Gesichtspunkten beruhen. 104 Vgl. dazu oben B. I. 1.
II. Zur Frage besonderer rechtlicher Verantwortlichkeiten von Amtsträgern
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Rechtsgüter.105 Die entsprechende Verhaltensnorm ist an eine vorstrafrechtliche Wertung geknüpft, welche in concreto materiell den gleichen Schutzzwecken dient.106 Der primären Normenordnung eine Relevanz für die Strafbarkeit wegen begehungsgleichen Unterlassens abzusprechen, bedeutete vielfach verfassungsrechtlich legitimierte und allgemein anerkannte Verhaltensnormen zu ignorieren, um nunmehr ihren sachlichen Gehalt mühsam – und mit den damit verbundenen Schwierigkeiten107 – aus sog. faktischen Garantenverhältnissen destillieren zu müssen.108 Mithin ist vorstrafrechtlich begründeten Rechtspflichten, vorbehaltlich ihres materialen Gehaltes im Sinne einer besonderen Erfolgsabwendungsbezogenheit zum Schutze in concreto gefährdeter Rechtsgüter, eine gewichtige Indizwirkung für die Begründung von Sonderverantwortlichkeiten beizumessen.109 Begreift man derartige, den Güterschutz der Bürger intendierende, Amtspflichten dagegen lediglich als Verwaltungsinterna, droht schließlich ein preußisches Staatsverständnis; der Amtsträger handelt dann nicht zum Schutze von, bestimmten Dienstpflichten zugrunde liegenden, Rechtsgüterschutzinteressen der Bürger, sondern lediglich in Erfüllung selbstzweckhafter Dienstvorschriften. Ein derartiges Verständnis von Amtspflichten im Sinne einer bloß dienstrechtlich fundierten Verpflichtung zum Schutze der Rechtsgüter der Bürger würde ihrer Funktion nicht gerecht; welches Datum soll denn zu ihrer Legitimation taugen, wenn nicht die von vielen Amtspflichten als Schutzgegenstand in Bezug genommenen Rechte der Bürger? Ein abstrakt begriffenes Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bar jeder (zumindest mittelbaren) individuellen Schutzrichtung kommt als Bestimmungsgrund von Amtspflichten jedenfalls nicht in Betracht. Selbstverständlich ist jene öffentliche Sicherheit und Ordnung in Fällen der polizeilichen Gefahrenabwehr regelmäßig gestört, doch kann dies tatsächlich einen hinreichenden Legitimationsgrund dafür abgeben, einen Amtsträger in die Pflicht zu nehmen? Zugespitzt formuliert: Der Polizist wird gegenüber der älteren Frau, welche Opfer eines Handtaschenraubes zu werden droht, nicht einwenden können, ihn treffe keine besondere Rechtspflicht zum Schutze ihrer Rechtsgüter, sondern er sei lediglich dienstrechtlich gehalten, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.110 Solchermaßen fundierte Amtspflichten erscheinen wohl 105
s. etwa BGHSt 38, 388, 389 f.; BGH JR 1995, 165, 166; Fischer, § 13 Rn 17. Sachlich übereinstimmend Sangenstedt, Garantenstellung, S. 183. 107 In diesen Fällen ist eine besondere Erfolgsabwendungspflicht unabhängig von ACHTUNGRE(einfach-) gesetzlich normierten Vorgaben zu begründen und somit der Widerstreit der konfligierenden Interessen nach übergeordneten, abstrakten rechtlichen Maßstäben aufzulösen. Derartigen Schwierigkeiten begegnet man etwa im Straßenverkehr im Fall der „Ingerenz“ bei pflichtgemäßem Vorverhalten. Näher zu einer normativen Begründung besonderer Rechtspflichten in diesem Zusammenhang Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 180 ff. 108 Zutreffend betont von Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 28; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 221. Vgl. auch Bottke, Suizid, S. 274; Meyer, Garantenstellung, S. 125 ff.; Schultz, Amtswalterunterlassen, S. 35 ff. 109 Vgl. auch Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 34; Herzberg, Unterlassung, S. 216. 110 Ein solches Verständnis ist jedoch offenbar bei Herzberg, Unterlassung, S. 356; Immel, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 183 f.; Winkelbauer, JZ 1986, 1119, 1120; Zaczyk, FS 106
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B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern
nur demjenigen plausibel, welcher normative Zielrichtung und historischen Bestimmungsgrund der hier interessierenden Amtspflichten nicht hinterfragt. Als sinnvolle rechtliche Verhaltenserwartung können sie hingegen nur auf den Schutz der in conACHTUNGREcreto bedrohten Rechtsgüter gerichtet sein, in unserem Beispielsfall also auf den Schutz von Körperintegrität und Eigentum der bedrohten Frau.111 c) Fehlende Schutzbedürftigkeit des Bürgers? Rudolphi verweist zudem im Rahmen der Kontroverse um qualifizierte Rechtspflichten von Polizeibeamten darauf, dass eine öffentlich-rechtliche Pflicht nur dann zu einer Garantenstellung führen könne, wenn der betroffene Bürger generell oder partiell unfähig sei, die zuvorderst ihm selbst obliegende Aufgabe, seine Rechtsgüter zu schützen, zu erfüllen, und hierzu korrelierend eine staatliche Schutzpflicht etabliert worden sei. Die Möglichkeit effektiverer Gefahrenabwehr durch den Amtsträger lasse entgegen dem Bundesgerichtshof dessen allgemeine Hilfeleistungspflicht nicht zu einer Garantenstellung erstarken. Im Übrigen verfüge der Bürger im Rahmen seiner Notwehr- und Notstandsbefugnisse häufig sogar über bessere Möglichkeiten der Gefahrenabwehr.112 In ähnlicher Weise argumentiert Schünemann; zur Begründung einer rechtlichen Einstandspflicht des Amtsträgers zu verlangen sei ein „konkreter Dispositionsakt des Opfers“ zur Übertragung von Schutzbefugnissen.113 In der Tat ist dem Bundesgerichtshof hinsichtlich der Legitimation einer qualifizierten Inpflichtnahme von Amtsträgern unter Bezugnahme auf ihre besondere Kompetenz114 zu widersprechen. Das bloße Mehr an Effektivität etwaiger Hilfsmaßnahmen machte beispielsweise auch den Arzt zum Sonderverantwortlichen, welcher sich in seiner Freizeit mit einem verletzten Unfallopfer konfrontiert sieht. Darüber hinaus ließe sich eine Sonderverantwortlichkeit von Amtsträgern dann nicht mehr begründen, wenn der betroffene Bürger im Einzelfall über Kenntnisse und Fähigkeiten verfügte, welche dem behördlichen Instrumentarium zur Gefahrenabwehr überlegen wären; eine besondere rechtliche Verantwortung der Polizeibehörden zum Schutz eines beschlagenen Karatekämpfers vor einem Angriff auf seine Körperintegrität wäre unter Umständen ebenso zu verneinen wie eine besondere Rechtspflicht zum Rudolphi, S. 361, 368 f., anzutreffen. Die Amtspflicht zum Schutz des Bürgers ist danach bloße „Reflex- und Nebenwirkung“ einer Berufspflicht, welche einen anderen Inhalt aufweist. Allerdings wird auch von Zaczyk, FS Rudolphi, S. 361, 369, konzediert, dass die Verletzung einer Person durch amtspflichtwidriges Verhalten eine „besondere Weise“ der Verletzung darstellt. Seine Forderung nach einer strafrechtlichen Erfassung durch ein spezielles „echtes Unterlassungsdelikt“ für Amtsträger ist in Anbetracht dieser Erkenntnis besonderer rechtlicher Verantwortlichkeiten von Hoheitsträgern dagegen inkonsequent. 111 Vgl. dazu auch Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 293; Roxin, GA 2009, 73, 81. 112 Vgl. Rudolphi, JR 1995, 167, 168. 113 So Schünemann, Grund und Grenzen, S. 363. 114 Vgl. BGH JR 1995, 165, 166.
II. Zur Frage besonderer rechtlicher Verantwortlichkeiten von Amtsträgern
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baupolizeilichen Tätigwerden bei konkreter Einsturzgefahr des Eigenheims eines versierten Statikers. Indessen gebietet der Schutz des Bürgers weitreichende rechtliche Einstandspflichten von Amtsträgern. Private Zusatzmaßnahmen oder Notrechte dienen nur der Schließung der Lücke, welche im System staatlichen Schutzes verbleibt, und sind keine gleichwertige Alternative. Dies zeigt sich besonders deutlich in den Bereichen des Schutzes der Bürger vor Gesundheitsgefährdungen – beispielsweise in Form von Arzneimittelrisiken – oder der polizeilichen Gefahrenabwehr, in welchen der Bürger mangels hinreichender Gefahrenabwendungskompetenz regelmäßig auf staatlichen Schutz angewiesen ist.115 Der Staat hat darüber hinaus etwa im Bereich polizeilicher Gefahrenabwehr private Gewalt zu unterbinden und sein diesbezügliches Gewaltmonopol durchzusetzen; es bleibt ihm lediglich unbenommen, Privaten begrenzte Befugnisse zur Gefahrenabwendung zu übertragen, solange hierdurch seine Primärverantwortung für die Gefahrenabwehr nicht verkürzt wird.116 Mithin ist die staatliche Gefahrenabwehr nicht subsidiär zur privaten, sondern es verhält sich umgekehrt. Lediglich dort, wo ausnahmsweise die staatlichen Handlungsmöglichkeiten keine Gefahrenabwendung ermöglichen, ist dem Bürger der Rückgriff auf private Gewaltanwendung gestattet. In diesem Zusammenhang ist schließlich daran zu erinnern, dass das subjektiv-öffentliche Recht des Bürgers auf staatliche Schutzmaßnahmen eine historische Errungenschaft darstellt und sich in staatstheoretischer Sicht als wesentlicher Legitimationsgrund von Staatsgewalt erweist.117 Dieses Recht kann insbesondere aus dem Modell des Gesellschaftsvertrages abgeleitet werden,118 nach welchem das „Gewaltmonopol“ dem Staat zugewiesen und Selbsthilfe regelmäßig nur als „ultima ratio“ gestattet ist. Die Überwindung eines drohenden Faustrechts kann insofern nur gelingen, wenn der Staat tatsächlich Maßnahmen zum Schutz seiner Bürger ergreift und seine Institutionen diesem Auftrag verpflichtet. Dieser Auftrag des Staates zum Schutz der Rechtspositionen seiner Bürger ist seit jeher Legitimationsgrund der Existenz des Staates119 und Inhalt jeder modernen Staatstheorie.120 Dieser Staatszweck kommt be115
Zutreffend betont von Köhler, AT, S. 226 f.; Roxin, GA 2009, 73, 81; LK-Weigend, § 13
Rn 30. 116
Vgl. hierzu Arzt, FS Schaffstein, S. 77 ff.; Isensee, in: HdBdStR, Bd. I, § 13 Rn 78. Die Betonung staatlicher Schutzpflichten als Legitimationsgrund einer besonderen Inpflichtnahme von Amtsträgern findet sich etwa bei Köhler, AT, S. 226 f. sowie Roxin, GA 2009, 73, 81. 118 Jakobs, AT, 29/77d spricht insoweit von der Begründung der staatlichen Schutzfunktion durch „Eintritt in den bürgerlichen Zustand“. 119 Vgl. dazu Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 246; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, § 69 IV 2. Bereits in der Staatsphilosophie Hobbes (de cive, 1642, cap. 6, 3) ist der Staat eine Vereinigung, welcher sich die Menschen zur Erhaltung des Friedens und zum gemeinsamen Schutz unterworfen haben. Auch Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte, 1784, Fünfter Satz, resümierte, die „Noth, welche sich Menschen untereinander selbst zufügen“, zwinge sie, das Leben „in wilder Freiheit“ zugunsten einer „das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft“ 117
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B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern
reits vor seiner exponierten Etablierung in den europäischen Verfassungen des 19. Jahrhunderts121 in der amerikanischen Bill of Rights und der französischen Menschenrechtserklärung zum Ausdruck.122 Im Grundgesetz wurde zwar von der Schaffung eines „Rechtes auf Sicherheit“ abgesehen, jedoch lässt sich bereits aus den Gewährleistungen des Art. 1 I 2, II GG die Konstituierung eines dem Schutze seiner Bürger verpflichteten Staates ablesen.123 Zieht nun also der Staat aus der Gewährleistung jenes Individualschutzes seine Existenzberechtigung,124 ist nicht ersichtlich, warum der Bürger im „Ernstfall“ zunächst „auf sich allein gestellt“ sein soll und von staatlichen Hoheitsträgern nicht ein Mehr an Hilfe soll einfordern dürfen als jenes Maß an Solidarität, welches ihm jedermann im Rahmen der allgemeinen Hilfspflicht nach § 323c StGB schuldet.125 Kehrseite der hoheitlichen Eingriffs- bzw. Gefahrenabwendungsbefugnisse ist somit ein entsprechender, im Einzelfall näher zu bestimmender, staatlicher Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Bürgers, welcher sich – im Fall der Legitimierbarkeit einer entsprechenden Verhaltensnorm126 – in einer besonderen rechtlichen Verantwortlichkeit des in concreto zuständigen Amtsträgers für den Schutz der gefährdeten Güter konkretisiert. Es verwundert daher keineswegs, dass derjenige, der in einer solchermaßen beschaffenen Notlage von staatlichen Institutionen im Stich gelassen wird, zutiefst „empört“ sein wird; denn unerfüllt bleibt hier eine rechtlich fundierte Erwartung auf eine Hilfstätigkeit, die über die allgemeine Solidaritätspflicht hinausgeht, keine bloße Exspektanz.
aufzugeben. Unabhängig davon, ob man sich jenem philosophischen Ausgangspunkt hinsichtlich des Naturzustandes der Menschen anschließen möchte (der Satz „homo homini lupus“ geht zurück auf den römischen Komödiendichter Plautus [ca. 250 v. Chr. – ca. 184 v. Chr.]), ist ein staatlicher Schutzauftrag als (gewichtiger) Legitimationsgrund der Existenz des Staates in der Geschichte der Staatstheorie konsentiert. 120 Vgl. auch V. Götz, in: HdBdStR, Bd. I, § 85 Rn 21 (Sicherheitsaufgabe als „Selbstverständlichkeit der Staatlichkeit“). 121 Einprägsam formuliert bereits § 2 II 13 des PrAllgLR von 1794: „Die vorzüglichste Pflicht des Oberhauptes im Staate ist, sowohl die äußere als innere Ruhe und Sicherheit zu erhalten, und einen Jeden bei dem Seinigen gegen Gewalt und Störungen zu schützen.“ 122 Vgl. dazu Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, § 69 IV 2. 123 Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, § 69 IV 2 c. Ähnlich Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 44 f.; V. Götz, in: HdBdStR, Bd. I, § 85 Rn 24. 124 So etwa auch Roxin, AT II, § 32 Rn 95; LK-Weigend, § 13 Rn 30. 125 Zutreffend weist Jakobs, AT, 29/77d, darauf hin, dass eine Beschränkung der Hilfspflichten des Staates auf das Maß der §§ 323c, 138 StGB dem Verzicht des Bürgers auf den Gebrauch gewisser Abwehrrechte und seiner Unterwerfung unter die geltenden Gesetze die „Geschäftsgrundlage“ nehme. 126 Vgl. dazu oben B. I.
III. Verantwortlichkeiten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
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III. Beispielhafte Konkretisierung – zu besonderen rechtlichen Verantwortlichkeiten der Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen Eine Bestimmung besonderer rechtlicher Verantwortlichkeiten im Rahmen etwaigen Fehlverhaltens durch Mitglieder privatrechtlich verfasster Ethik-Kommission hat wegen des Zuschnitts dieser Arbeit zu unterbleiben. Im Übrigen ist die öffentlichrechtliche Verfasstheit von Ethik-Kommissionen im Kontext der Arzneimittelsicherheit der Regelfall, insbesondere ist die Zustimmung zur klinischen Prüfung von Arzneimitteln nach §§ 40, 41 AMG nach dem einschlägigen Landesrecht öffentlichrechtlichen Ethik-Kommissionen vorbehalten.127 § 3 IIc GCP-V128 definiert die Ethik-Kommission als unabhängiges Gremium mit der Aufgabe, die Rechte, die Sicherheit und das Wohlergehen von Prüfungsteilnehmern zu schützen und diesbezüglich das Vertrauen der Öffentlichkeit herzustellen. Die Ethik-Kommission handelt im Rahmen klinischer Prüfungen gemäß §§ 40 – 42a AMG im Interesse der beteiligten Probanden und Patienten, der Forscher und des Ansehens der medizinischen Forschung.129 Im Hinblick auf strafrechtlich relevante besondere rechtliche Verantwortlichkeiten der Kommissionsmitglieder zur Abwendung bestimmter Schädigungsmöglichkeiten ist wiederum darauf zu verweisen, dass eine qualifizierte Inpflichtnahme nur im Rahmen legitimierbarer GefahrenabACHTUNGREwendungsverpflichtungen in Betracht kommt.130 Vor dem Hintergrund des insoweit beschränkten Pflichtenkreises ist das Verhältnis der Mitglieder der Ethik-Kommission zu den Teilnehmern klinischer Prüfungen von besonderer Bedeutung. Dient die rechtliche Kontrolle medizinischer Forschung am Menschen durch Ethik-Kommissionen insbesondere dem Schutz der Patienten und Probanden vor gefährlicher oder übermäßig belastender Forschung, so muss sie sich diesbezüglich „beim Wort nehmen lassen“. Ihre Mitglieder können diese Aufgabe demnach nicht übernehmen, ohne zugleich rechtlich für die Abwendung solcher Gefahren für die Probanden einstehen zu wollen, deren Abwendung ihrer spezifischen Aufgabenstellung entspricht.131 Mithin sind die Kommissionsmitglieder in Konstellationen einer hinreichenden normativen Verdichtung bestimmter Gefahren127 Deutsch, NJW 2003, 949. Zur „Konkurrenz“ öffentlich-rechtlicher und privater EthikKommissionen vgl. Deutsch, in: Toellner (Hrsg.), Die Ethik-Kommission in der Medizin, S. 67, 71 f. 128 Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen v. 9.8.2004. 129 Vgl. dazu MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 55; Deutsch, VersR 1999, 1, 4 f. 130 s. dazu oben B. I. Näher zu den spezifischen Gefahrenabwendungspflichten der Kommissionsmitglieder unten C. 131 In diesem Sinne auch Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 628.
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B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern
abwendungsaufgaben sonderverantwortlich für den Schutz bedrohter Rechtsgüter der Patienten und Probanden. Deren Schutz ist ihnen unter jener Voraussetzung im Sinne einer Beschützerverantwortlichkeit normativ zugeordnet. Neben diese Begründung der Sonderverantwortlichkeit der Mitglieder der EthikKommisACHTUNGREsion durch ein spezielles rechtliches Zuordnungsverhältnis tritt vielfach eine Sonderverantwortlichkeit kraft Übernahme. Diese ist anzunehmen, wenn sich Personen zu Gefahrenabwendungen ausdrücklich oder stillschweigend bereit erklärt und infolgedessen Pflichten diesen Inhalts wirksam übernommen haben.132 Die Mitglieder der Ethik-Kommission übernehmen beispielsweise mit Abgabe der zustimmenden Bewertung einer Arzneimittelprüfung als „Kehrseite“ der Pflicht des Sponsors zu ihrer Unterrichtung über bestimmte Schadensfälle aus § 13 II 1 GCP-V die Aufgabe, Maßnahmen zur Abwendung jener spezifischen Gefahren für die Probanden zu treffen.133 An dieser Verpflichtung müssen sie sich im Ernstfall auch festhalten lassen. Demnach ergibt sich eine Sonderverantwortlichkeit der Mitglieder der Ethik-Kommission für den Bereich der „Verlaufskontrolle“ klinischer Prüfungen sowohl aus dem speziellen rechtlichen Zuordnungsverhältnis als auch aus dem Gedanken der Übernahme. Ebenfalls denkbar – und zwar unabhängig von dem Bestehen hoheitlicher Herrschaftsrechte134 – ist eine Gefahrenquellenverantwortlichkeit der Kommissionsmitglieder für das Verhalten des Sponsors bzw. Prüfers. Eine entsprechende qualifizierte Rechtspflicht besteht etwa für die Mitglieder der Ethik-Kommission bei der Bewertung der vom Sponsor vorgelegten Patientenaufklärung oder den Angaben zur Probandenversicherung.135 Als Bezugspunkt einer Gefahrenquellenverantwortlichkeit kommen schließlich Arzneimittelrisiken in Betracht. Spezifische Gefahrenabwendungspflichten im Hinblick auf die „Gefahrenquelle“ Arzneimittel bestehen insbesondere im Rahmen der Nutzen-Risiko-Abwägung136 bzw. der „Verlaufskontrolle“ klinischer Arzneimittelprüfungen.137 Dass jene Gefahrenquellenverantwortlichkeit in den genannten Konstellationen regelmäßig mit einer Beschützerverantwortlichkeit 132
Vgl. MünchKommStGB-Freund, § 13 Rn 161. Der entsprechende Pflichtenkreis im Rahmen der Kontrolle des Verlaufs der klinischen Prüfung war vor Erlass der 15. AMG-Novelle auf die Ergreifung solcher Gefahrenabwendungsmöglichkeiten beschränkt, welche der Ethik-Kommission mit Rücksicht auf bis dato nicht vorhandene Eingriffsbefugnisse gegenüber dem Sponsor rechtlich zur Verfügung standen – also insbesondere die Information der Bundesoberbehörde über bestimmte Verdachtsfälle. Der neu eingefügte § 42a IVa AMG enthält nun eine spezielle Eingriffsermächtigung der EthikKommission gegenüber dem Sponsor nach Beginn der klinischen Prüfung, welche jedoch nicht alle relevanten Sachverhalte notwendiger Gefahrenabwendung erfasst. Näher dazu unten C. II. 11. 134 Zur beschränkten Leistungsfähigkeit des „Herrschaftskriteriums“ für die Konkretisierung bestimmter Gefahrenquellenverantwortlichkeiten für das Verhalten anderer Personen vgl. oben B. II. 1. a). 135 s. dazu unten C. II. 6. bzw. C. II. 8. 136 s. dazu unten C. II. 5. 137 s. dazu unten C. II. 11. 133
III. Verantwortlichkeiten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
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für potentielle Studienteilnehmer einhergeht, steht dieser Bewertung nicht entgegen. Nach der gesetzlichen Aufgabenzuweisung handelt es sich in den entsprechenden Fällen um „zwei Seiten einer Medaille“, genauer, um die Begründung einer besonderen rechtlichen Verantwortlichkeit unter Rekurs auf mehrere, bereits je für sich genommen tragfähige, Legitimationsaspekte.138 Zur Vermeidung von Missverständnissen sei an dieser Stelle die bereits angedeutete notwendige Beschränkung des Pflichtenkreises näher spezifiziert. Eine besondere rechtliche Verantwortlichkeit der Kommissionsmitglieder kann lediglich dann begründet werden, wenn die im Einzelfall verletzte Amtspflicht gerade dem Schutz des verletzten Rechtsgutes dient. Erforderlich ist eine spezifische Gefahrenabwendungsverpflichtung, welche sich hinreichend konkretisiert hat. Demnach ist mitnichten jede Dienstpflichtverletzung geeignet, eine qualifizierte Verantwortlichkeit des Amtsträgers zu begründen.139 Dabei ist diese Fragestellung der Sache nach bereits ein Problem der Legitimation einer bestimmten Verhaltensnorm und ihre (geläufige) Erörterung im Rahmen des sog. „Schutzzweckzusammenhanges“140 setzt systematisch zu spät ein.141 Denn die Frage nach dem Schutzzweck der Norm ist die Frage danach, welchen Inhalt diejenigen Gefahren aufweisen müssen, deren Schaffung durch die den Tatbeständen vorgelagerten Verhaltensnormen verboten ist.142 Sollte darüber hinaus intendiert sein, im Gewand der Schutzzwecklehre weitere (die Tatbestandsmäßigkeit nicht begründende) Folgen zuzurechnen, ergäbe sich eine bedenkliche Nähe zum „Versari in re illicita“.143 Insofern sind jene Konstellationen konsequenterweise auch als ein Problem der Konturierung spezifischer Verhaltensnormen zu behandeln. Zur Veranschaulichung mag folgendes Beispiel dienen: Die rechtlich vorwerfbare Nichtbeanstandung von Aufklärungsunterlagen eines Sponsors, in welchen bestimmte Risikogruppen (etwa Asthmatiker) nicht auf spezifische Risiken ihrer Teilnahme an der klinischen Prüfung hingewiesen werden, ist eine rechtlich relevante Pflichtverletzung der Mitglieder der zuständigen Ethik-Kommission.144 Erleidet nun ein „nor138 Zweifelhaft ist dagegen eine Kumulierung verschiedener Garantenaspekte, welche bei separater Betrachtung nicht geeignet sind, eine Sonderverantwortlichkeit zu fundieren. Dies gilt insbesondere, wenn die zur Begründung herangezogenen Anknüpfungspunkte im Prozeß nicht eindeutig nachgewiesen werden können. Problematisch in dieser Hinsicht BGHSt 13, 162 ff. („Hammerteichfall“); krit. zu dieser Entscheidung etwa Schünemann, ZStW 96 (1984), 287, 296 f. Fn 32. 139 s. dazu Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 310 Fn 27; Sangenstedt, Garantenstellung, S. 532 ff. 140 Vgl. zur Kritik an der Lehre vom Schutzzweckzusammenhang Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 65 f., 80 ff., 97 f.; Jakobs, AT, 7/79; Schmidhäuser, AT, 9/40. 141 Vgl. Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 63 Fn 43; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 65 f. 142 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 85. 143 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 66. 144 Vgl. zum entsprechenden spezifischen Pflichtenkreis der Kommissionsmitglieder unten C. II. 6.
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B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern
maler“ Proband durch die Durchführung der klinischen Prüfung des Arzneimittels Verletzungen seiner Körperintegrität, so wären diese durch den infolge der pflichtgemäßen Beanstandung der Unterlagen des Sponsors verursachten erheblich verzögerten Beginn der klinischen Prüfung zu ebenjenem Zeitpunkt145 nicht hervorgerufen worden. Allerdings ist Legitimationsgrund der Pflicht zur umfassenden Aufklärung von, bestimmten Risikogruppen zuzuordnenden, Probanden über spezifische Risiken ihrer Teilnahme an der klinischen Prüfung der Schutz ihrer Körperintegrität durch Wahrung ihres Selbstbestimmungsrechts auf der Basis einer vollständigen Entscheidungsgrundlage. Keineswegs sollen andere Teilnehmer vor den (aus den Aufklärungsunterlagen) bekannten, im Grunde allgemeinen Gefahren der, wie ursprünglich vorgesehen, durchgeführten Prüfung geschützt werden. Der Nichteintritt entsprechender Gesundheitsbeeinträchtigungen bei „normalen“ Probanden durch die infolge pflichtgemäßer Beanstandung hervorgerufene Zeitverzögerung ist vor diesem Hintergrund normativ gesehen bloßer Schutzreflex der entsprechenden Verhaltenspflicht der Mitglieder der Ethik-Kommission.146 Eine Sanktionierung im Hinblick auf jene (hinreichend aufgeklärten) Probanden zu befürworten, bedeutete im Ergebnis ein in jener Hinsicht korrektes Verhalten zu missbilligen, denn die klinische Prüfung bei diesen Probanden entsprach den gesetzlichen Anforderungen.147
IV. Beispielhafte Konkretisierung – zu besonderen rechtlichen Verantwortlichkeiten der Amtsträger des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Besondere rechtliche Verantwortlichkeiten der Amtsträger des BfArM zur Abwendung bestimmter Schädigungsmöglichkeiten kommen nach dem Gesagten nur in jenen Fällen in Betracht, in welchen eine spezifische Gefahrenabwendungsver145 Eine Beeinträchtigung der Körperintegrität jener Probanden wäre schließlich gänzlich ausgeblieben, sofern diese ihre Einwilligung in die Teilnahme aufgrund des verzögerten Beginns widerrufen hätten. Zur jederzeitigen Widerruflichkeit der Einwilligung durch den Probanden vgl. unten C. II. 6. a). 146 Ebenso dient die Pflicht der Ethik-Kommission gemäß § 7 II Nr. 6, 7, III Nr. 6 GCP-V, die ausreichende Erfahrung des Prüfers zu kontrollieren, dem Schutz vor durch „Prüfroutine“ vermeidbaren Fehlern. Insofern darf eine Prüfung mit einem nicht hinreichend erfahrenen Prüfer zwar nicht durchgeführt werden, jedoch ist sie im Hinblick auf solche Beeinträchtigungen von Probanden rechtlich nicht zu beanstanden, welche auch bei einem erfahrenen Prüfer aufgetreten wären. 147 Als bloßer Schutzreflex stellt sich in diesem Zusammenhang beispielsweise auch die durch das Verbot des Fahrens ohne Fahrerlaubnis bewirkte Vermeidung von bei nicht zu beanstandender Fahrweise eingetretenen Unfällen heraus. Legitimationsgrund dieser Verhaltensnorm kann lediglich die drohende Gefahr einer inkorrekten Fahrweise durch Fahren ohne Fahrerlaubnis sein. Nur dieser Gesichtspunkt stellt ein taugliches Datum zur Legitimation des Verbotes dar. Vgl. hierzu Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 63 f.
IV. Verantwortlichkeiten der Amtsträger des Bundesinstitutes für Arzneimittel
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pflichtung legitimiert werden kann.148 Vor diesem Hintergrund können sich besondere rechtliche Verantwortlichkeiten der Amtsträger des BfArM zur Abwendung von Gefahren für Arzneimittelkonsumenten, also unter dem Gesichtspunkt einer Beschützerverantwortlichkeit, ergeben. Bereits im Rahmen der Entscheidung über die Genehmigung von klinischen Prüfungen ist der Schutz der Probanden den zuständigen Amtsträgern des BfArM normativ zugeordnet. Sie sind aufgrund ihrer Pflichtenstellung in besonderer Weise verantwortlich für solche Schädigungen der Studienteilnehmer, für deren Abwendung gerade sie „auf den Posten gestellt sind“.149 Nämliches gilt für die Verlaufskontrolle im Rahmen von Arzneimittelprüfungen. Mit der Eingriffsbefugnis aus § 42a AMG zu Rücknahme, Widerruf und Ruhen der Genehmigung korrespondiert eine besondere Rechtspflicht zum Schutze der Probanden vor solchen Gefahren, welche gerade nach Maßgabe des § 42a AMG zu vermeiden sind. Das BfArM kann die Zulassung eines Arzneimittels nur bei Vorliegen eines Versagungsgrundes nach § 25 II AMG verweigern. Aus diesem Katalog der Versagungsgründe (siehe etwa § 25 II Nr. 2, 3, 5, 7 AMG) ergibt sich ein gesetzlicher Auftrag des BfArM zur Vermeidung des Inverkehrgelangens bedenklicher Arzneimittel auch und gerade mit Rücksicht auf die berechtigten Schutzinteressen der Arzneimittelverbraucher.150 Diese gesetzliche Aufgabenzuweisung hat keineswegs einen lediglich ordnungsrechtlichen Gehalt,151 sondern es ist geradezu primäre Aufgabe des BfArM, Arzneimittelkonsumenten vor rechtlich nicht tolerablen Arzneimittelrisiken zu schützen. Es wäre wenig folgerichtig, insoweit ein auf kompetente Überwachung ausgerichtetes Schutzsystem zu etablieren, ohne eine korrespondierende besondere rechtliche Verantwortlichkeit für spezifische Pflichtverletzungen zuständiger Amtsträger anzuerkennen.152 Inhalt jener spezifischen Pflichtenstellung ist im Übrigen auch die Gewährleistung der erforderlichen Versorgung der Patienten mit wirksamen Arzneimitteln durch (rechtzeitige) Zulassung wirksamer Präparate.153 Danach können auch durch Nichtzulassung wirksamer Innovationen qualifizierte – im Sinne von doppelt fundierte – Gefahrenabwendungsverpflichtungen verletzt werden.
148 Vgl. dazu oben B. I., II. Zum Kreis der spezifischen Gefahrenabwendungspflichten der Amtsträger des BfArM s. unten D. 149 Vgl. zu spezifischen Gefahrenabwendungsverpflichtungen der zuständigen Amtsträger des BfArM im Bereich der Genehmigung von Arzneimittelprüfungen unten D. II. 150 Vgl. zu spezifischen Gefahrenabwendungsverpflichtungen der zuständigen Amtsträger des BfArM im Bereich der Arzneimittelzulassung unten D. III. 151 Selbst die – bei vordergründiger Betrachtung eher formalen – Versagungsgründe des § 25 II Nr. 1, 5a AMG im Falle unvollständiger Antragsunterlagen bzw. unzureichender Begründung der Wirksamkeit weiterer Wirkstoffe bei Kombinationsarzneimitteln weisen ein mittelbares Schutzprogramm hinsichtlich der Abwendung von Arzneimittelrisiken auf. 152 So zutreffend für die Begründung bestimmter qualifizierter Rechtspflichten von Amtsträgern im Umweltbereich Rogall, Strafbarkeit von Amtsträgern, S. 227. 153 Vgl. dazu unten D. IV.
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B. Die Legitimation besonderer Rechtspflichten von Amtsträgern
Jener leitende Sachgesichtspunkt der speziellen gesetzlichen Aufgabenzuweisung zum Schutze vor rechtlich nicht tolerablen Arzneimittelrisiken gilt analog für den Bereich der Arzneimittelüberwachung durch das BfArM nach §§ 62 ff AMG. Das gesetzliche Pharmakovigilanzsystem enthält ein gestuftes Instrumentarium zur Gefahrenabwendung.154 Besteht etwa eine spezifische Gefahrenabwendungsverpflichtung zum Rückruf bedenklicher Arzneimittel oder zur Warnung der Öffentlichkeit,155 sind die zuständigen Amtsträger kraft ihrer Pflichtenstellung auch in besonderer Weise für die Abwendung jener Gefahren für die Arzneimittelkonsumenten verantwortlich. Im Kontext entsprechender spezifischer Gefahrenabwendungsverpflichtungen kann sich eine qualifizierte Rechtspflicht von Amtsträgern des BfArM auch aus einer Verantwortlichkeit für das gefährliche Verhalten anderer Personen156 oder die Gefahrenquelle „Arzneimittel“ ergeben.157 Vielfach verhält sich jene Verpflichtung zur Abwendung der von einer Gefahrenquelle ausgehenden Schädigungsmöglichkeiten „spiegelbildlich“ zur qualifizierten Rechtspflicht zum Schutz bestimmter Arzneimittelkonsumenten. Die Eingrenzung der Gefahr beinhaltet insoweit zugleich den Schutz bestimmter Rechtsgüter vor derselben. Dies illustriert etwa die Sachlage zum Zeitpunkt der Verpflichtung zur Abgabe einer öffentlichen Warnung gemäß § 69 I 3, IVAMG.158 Die besondere rechtliche Verantwortung für den Schutz der Arzneimittelverbraucher sowie die Sonderverantwortlichkeit für die von den betroffenen Arzneimitteln ausgehenden Gefahren sind insofern „zwei Seiten“ derselben qualifizierten Vermeidepflicht.
154
s. dazu den Maßnahmenkatalog in Nr. 6 des aufgrund § 63 AMG als Verwaltungsvorschrift erlassenen Stufenplanes v. 9. 2. 2005 (BAnz. vom 15. 2. 2005, S. 2383). Abgedruckt bei Deutsch/Lippert, § 63. 155 Vgl. zu spezifischen Gefahrenabwendungsverpflichtungen der zuständigen Amtsträger des BfArM im Bereich der Arzneimittelüberwachung unten D. VI. 156 Vgl. dazu oben B. II. 1. a). Als entsprechende „Gefahrenquelle“ kommen insbesondere der Prüfer oder Sponsor einer Arzneimittelprüfung sowie der pharmazeutische Hersteller in Betracht. 157 Vgl. dazu oben B. II. 1. b). 158 Eingehend dazu unten D. VI. 2. c).
C. Besondere Rechtspflichten der Mitglieder öffentlich-rechtlicher ACHTUNGREEthik-Kommissionen zur Vermeidung von Arzneimittelrisiken Ethik-Kommissionen haben „Konjunktur“ in der Forschungslandschaft; wissenschaftliche Forschungsvorhaben sollen (zum Teil wohl lediglich aus kommerziellen Gründen) „geadelt“ werden, Fördermittel sind an eine entsprechende Zustimmung gebunden oder Studien sind nur nach einem positiven Votum durch eine Ethik-Kommission publizierbar.1 Ihrer Etablierung liegt jedoch ein berechtigtes Anliegen zugrunde. Der forschende Arzt gerät zwangsläufig in einen Konflikt zwischen Risikominimierung bei der Behandlung des Probanden und der Eingehung bestimmter Risiken im Dienste des medizinischen Fortschritts.2 Eine Kontrolle des insoweit vorzunehmenden Abwägungsvorganges erfolgt sinnvollerweise auch durch ein unabhängiges – „interdisziplinäres“ – Gremium. Hinsichtlich der personellen Zusammensetzung jenes Gremiums werden gemeinhin vier Formen institutioneller Ethik-Kommissionen unterschieden; die mit geltendem Recht nicht mehr in Einklang stehende Vorstands- bzw. Kollegenkontrolle (Peer Review), die Paritätische Kommission, die übergreifende Kontrolle (Community Review) sowie die gemischte Kommission (Fachleute- und Laienkommission).3 Die Funktionen der Ethik-Kommissionen sind der Schutz des Patienten bzw. Probanden, die Beratung des Forschers und die Erfüllung der Schutzpflicht der Institution.4 In funktionaler Hinsicht zutreffend ist daher auch der Begriff Forschungskommission.5 Sie ist demnach ein Instrument zur Qualitätssicherung im Interesse aller Beteiligten und Betroffenen sowie zur Erfüllung der rechtlichen Verkehrssicherungspflicht der, besondere Risiken aufweisenden6 Forschungsstätte.7 Diese Beratungsgre1 Vgl. Deutsch, VersR 1999, 1, 2; Freund, MedR 2001, 65; Jung, in: Furkel/Jung (Hrsg.), Bioethik und Menschenrechte, S. 145, 146. 2 Vgl. dazu Toellner, in: Toellner (Hrsg.), Die Ethik-Kommission in der Medizin, S. 3, 16; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 313. 3 Vgl. hierzu Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn 1019 ff., Wilkening, MedR 2001, 301, 302 f. 4 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn 999. 5 Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 75 Rn 18. 6 Besondere Gefahren in diesem Sinne sind solche durch Arzneimittel, Medizinprodukte oder medizinische Forschung, insbesondere in Kliniken. Vgl. hierzu Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn 1011 ff.; Deutsch, MedR 1995, 483, 484 f. 7 Vgl. Freund, KHuR 2005, 111; Deutsch, MedR 1995, 483, 485 ff. Haftungsrechtlich zieht eine Verletzung dieser Pflicht eine Schadensersatzpflicht des Krankenhausträgers nach sich. Siehe dazu etwa Deutsch, NJW 2000, 1745 ff.
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
mien bestehen zum Teil bei öffentlich-rechtlichen Einrichtungen wie medizinischen Fakultäten oder Ärztekammern sowie als privatwirtschaftliche Institutionen, etwa bei Krankenhäusern oder als „freie“ Ethik-KommisACHTUNGREsionen.8 Die öffentlich-rechtliche Verfasstheit ist zwar im Arzneimittelrecht normativ nicht geboten, aber durchgängige Praxis der Landesgesetzgeber.9 Die nachfolgende Untersuchung besonderer Rechtspflichten der Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen zur Vermeidung von Arzneimittelrisiken nimmt daher hinsichtlich der Rechtspflichten bei der Bewertung von Arzneimittelprüfungen und möglicher Pflichten zur Kontrolle des Studienverlaufs das in der Praxis relevante Gremium in den Blick.
I. Zum historischen Hintergrund medizinischer Ethik-Kommissionen 1966 führte Beecher in den USA in einem Aufsatz über die Ethik in der medizinischen Forschung den Nachweis, dass aus hundert fortlaufenden Studien in einer namhaften amerikanischen Fachzeitschrift zumindest zwölf anfechtbar waren.10 Seitdem ist die Forschungsförderung in den USA an die Vorlage an eine Kommission an der antragstellenden Institution gebunden (Institutional Review Board).11 In Europa begannen Ethik-Kommissionen in England und Schweden in den sechziger Jahren ihre Tätigkeit.12 An deutschen Universitäten sind Ethik-Kommissionen seit 1973 tätig.13 Für die Einführung von Ethik-Kommissionen in Deutschland waren die Initiativen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) richtungsweisend.14 Die revidierte „Deklaration von Helsinki“ des Weltärztebundes von 1975 über biomedizinische Forschung am Menschen führte als Neuerung die Begutachtung klinischer Forschung durch eine Kommission ein, welche hierzulande den Namen Ethik-Kommission bekam.15 Die Bundesärztekammer verabschiedete 1979 eine Empfehlung zur Errichtung von Ethik-Kommissionen.16 Schließlich wurde durch die 5. Novelle zur Änderung des Arzneimittelgesetzes17 in § 40 erstmals eine Begutachtungspflicht klinischer Prü8
Vgl. etwa Deutsch, NJW 2003, 949 f.; Tiedemann/Tiedemann, FS Schmitt, S. 139, 155. Laufs, MedR 2004, 583, 592. 10 Vgl. Beecher, Ethics und Clinical Research, NEnglJMed 1966, 1354 ff. Zur Entwicklung in den USA s. auch Osieka, Recht der Humanforschung, S. 33 ff. 11 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn 1001. 12 Vgl. dazu Czwalinna, MedR 1986, 305 mwN. 13 Vgl. zur Entstehung der Ethik-Kommissionen in Deutschland Deutsch, MedR 2008, 650 ff.; ders., MedR 1995, 483, 485. 14 Vgl. Czwalinna, MedR 1986, 305 mwN. 15 Deutsch, VersR 1999, 1, 2. 16 Näheres zum Inhalt der Empfehlung bei Deutsch, NJW 1981, 614. 17 Gesetz vom 9. 8. 1994 (BGBl. I S. 2071). 9
II. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln
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fungen durch eine Ethik-Kommission verankert. Darüber hinausgehend legt § 1 IV der Musterberufsordnung der deutschen Ärzte von 199718 eine Beratungspflicht vor Durchführung klinischer Versuche am Menschen in berufsethischen und -rechtlichen Fragen durch eine Ethik-Kommission fest. Allerdings hatte das Votum der Ethik-Kommission trotz der obligatorischen Pflicht zur Beratung nach den genannten Regularien keine bindende – für die Durchführung der Forschung konstitutive – Wirkung.19 Seit der 8. AMG-Novelle20 setzt der Beginn einer multizentrischen Studie nur noch das positive Votum der federführenden Ethik-Kommission voraus.21 Schließlich ist die zustimmende Bewertung22 der zuständigen Ethik-Kommission seit Umsetzung der Richtlinie 2001/20/EG v. 4.4.200123 durch die 12. AMG-Novelle24 gemäß §§ 40 I 2, 42 I AMG rechtliche Bedingung für die Durchführung der klinischen Prüfung eines Arzneimittels. Durch jene Novellierung des deutschen Arzneimittelrechts hat sich die Rolle der Ethik-Kommission gewandelt von einem ethischen Beratungsgremium zu einer ins Verwaltungsverfahren integrierten „Genehmigungsbehörde“.25
II. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln Im Hinblick auf eine mögliche tatbestandliche Missbilligung des Verhaltens der Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen verdienen Entscheidungen über die Durchführung klinischer Prüfungen von Arzneimitteln durch die zuständige Ethik-Kommission besondere Beachtung. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den Inhalt der 12. AMG-Novelle. Bei der klinischen Prüfung von Arzneimitteln ist nunmehr nach jener Gesetzesnovelle gemäß §§ 40 I 2, 42 I AMG das positive Votum der Ethik-Kommission konstitutive und unverzichtbare Bedingung für den Beginn der Arzneimittelprüfung. Ihrer Beurteilung unterliegen, kurz gefasst, medizinische,
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Abgedruckt in NJW 1997, 3076 ff. Vgl. dazu Classen, MedR 1995, 148; Deutsch, MedR 1995, 483, 485; Kollhosser, in: Toellner (Hrsg.), Die Ethik-Kommission in der Medizin, S. 79 f. 20 Gesetz vom 7. 9. 1998 (BGBl. I S. 2649). 21 Jedoch haben die beteiligten Ethik-Kommissionen die Qualifikation der Prüfer und die Geeignetheit der Prüfstellen in ihrem Zuständigkeitsbereich zu bewerten und der federführenden Ethik-Kommission die entsprechende Bewertung vorzulegen, vgl. § 8 V GCP-V. 22 Zur Frage der rechtlichen Zulässigkeit des Hinweises auf die „zustimmende Bewertung der klinischen Prüfung durch die zuständige Ethik-Kommission“ in der Probandeninformation s. Freund/Georgy, JZ 2009, 504 ff. sowie unten C. II. 6. d). 23 ABl. EG 2001 Nr. L 121, S. 34 ff. 24 Gesetz vom 30. 7. 2004 (BGBl. I S. 2031). 25 s. dazu etwa Gödicke, MedR 2004, 481; Laufs, MedR 2004, 583, 587 f.; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 84. 19
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rechtliche und (rechtlich greifbare) berufsethische Aspekte der Anträge zur Durchführung klinischer Studien.26 Der Begriff der klinischen Prüfung ist legaldefiniert in § 4 XXIII AMG. Zusammenfassend ist klinische Arzneimittelprüfung danach jede Untersuchung von Arzneimittelwirkungen am Menschen zur Feststellung der Unbedenklichkeit und Wirksamkeit eines Arzneimittels.27 Diese Definition eröffnet und begrenzt insoweit den Anwendungsbereich der Vorschriften über die klinische Prüfung gemäß §§ 40 ff AMG.28 Das Erfordernis der klinischen Erprobung ist der Erkenntnis geschuldet, dass weder durch theoretische Modellüberlegungen noch durch Tierversuche hinreichendes Erkenntnismaterial gewonnen werden kann, um das Arzneimittel an einem breiten Patientenkreis anwenden zu können.29 Bei der klinischen Prüfung von Arzneimitteln am Menschen werden vier Phasen unterschieden.30 Die für den Zulassungsantrag eines Arzneimittels maßgebliche Studie ist die Phase III-Prüfung. In dieser werden Tests an bis zu mehreren Tausend Patienten durchgeführt, um die Ergebnisse der Phasen I und II zu verifizieren und zu erweitern. Diese randomisierte, häufig doppelblinde, Studie dient insbesondere der eindeutigen Feststellung der therapeutischen Wirksamkeit und der Erstellung eines Unbedenklichkeitsprofils.31 Im Rahmen jener Prüfungen haben die §§ 40, 41 AMG eine gewisse Schutzfunktion. WerACHTUNGREden die dort normierten Voraussetzungen eingehalten, kommt eine rechtliche Missbilligung des Verhaltens der Mitglieder der zuständigen Ethik-Kommission unter dem Gesichtspunkt der §§ 222, 229 StGB in der Regel nicht in Betracht.32 Das positive Votum bezüglich der Durchführung der klinischen Prüfung schafft dann nur ein jener Forschung immanentes erlaubtes Risiko. Eine uneingeschränkte Schutzfunktion der Vorschriften über die klinische Prüfung im Hinblick auf die Strafbarkeit der Mitglieder von Ethik-Kommissionen ist dagegen abzulehnen. Der vom Gesetzgeber in §§ 40, 41 AMG abgesteckte Bereich normativer Verhaltenserwartungen endet jedenfalls dort, wo diesen Vorschriften keine Verhaltenserwartung zu entneh26
s. dazu Dettmeyer, Medizin & Recht, S. 433. Eingehend zu den Merkmalen der gesetzlichen Definition Kloesel/Cyran, § 40 AMG Anm. 1. 28 Vgl. Kloesel/Cyran, § 40 AMG Anm. 1. 29 Kloesel/Cyran, § 40 AMG Anm. 1. 30 Vgl. „Note for Guidance on General Considerations for Clinical Trials“, CPMP/ICH/291/ 95. Siehe ferner Kloesel/Cyran, § 40 AMG Anm. 11; Sander, Erl. § 40 AMG C Anm. 6b; Schwarz, Klinische Prüfungen, S. 48 ff. 31 Verunklarend – insbesondere mit Blick auf die Probandeninformation – ist insoweit die Bezeichnung der Bewertung von Nebenwirkungen als Erstellung eines „Verträglichkeitsprofils“, so etwa Sander, Erl. § 40 AMG C Anm. 6b. Näher zu den rechtlichen Voraussetzungen einer korrekten Probandeninformation unten C. II. 6. 32 Vgl. dazu Tiedemann/Tiedemann, FS Schmitt, S. 139, 150 f.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn 400. Allerdings vermag das Votum für eine uneingeschränkte Schutzfunktion der Vorschriften über die klinische Prüfung nicht zu überzeugen. 27
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men, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen also durch jene Normen nicht vorgezeichnet ist. Insoweit können durchaus bestimmte Verhaltensnormen nach den allgemeinen Regeln rechtlich legitimierbar sein,33 welche neben diejenigen treten, die in §§ 40, 41 AMG statuiert sind. Ebenfalls geläufig ist dieses Phänomen beispielsweise aus dem Straßenverkehr. Spezifische Verhaltenspflichten werden nicht ausschließlich den straßenverkehrsrechtlichen Gesetzen entnommen, sondern mitunter dort, wo diese keine Verhaltenserwartung normieren, nach den allgemeinen Vorschriften ermittelt.34
1. Das Recht als Maßstab der Prüfung durch die Ethik-Kommission – keine Befugnis zur Beanstandung klinischer Prüfungen aus ausschließlich ethischen Gründen Im Hinblick auf die Frage nach dem Prüfungsmaßstab, welcher dem Votum der Ethik-Kommission zugrunde zu legen ist, scheinen die Dinge recht einfach zu liegen; Entscheidungen eines Gremiums, welches den Namen Ethik-Kommission trägt, müssen – zumindest prima facie – in erster Linie ethischen Prinzipien verpflichtet sein. Nun existieren mitunter (Arzneimittel-)Forschungsvorhaben, bei welchen die ethische und rechtliche Bewertung der späteren Durchführung einer klinischen Prüfung – je nach ethischem Standpunkt – voneinander abweichen kann. Ist die Ethik-Kommission in solchen Fällen tatsächlich befugt, ihre Zustimmung zur Durchführung der Arzneimittelprüfung nicht aus rechtlichen, sondern ausschließlich aus ethischen Gründen zu verweigern? Beispielhaft genannt sei an dieser Stelle der Bereich der sog. prädiktiven Medizin, etwa in Form der Diagnose gewisser Erkrankungen, welche nach dem derzeitigen Stand der Medizin nicht erfolgreich therapierbar sind.35 Ob man derartige Forschung – trotz hieraus resultierender (mittelbarer) Gefahren für die Betroffenen36 – durchführen sollte, ist eine ethische und keine rechtliche Frage. Denn ein rechtliches Verbot entsprechender Forschung ist in AnbeACHTUNGREtracht der für das Anliegen der Wissenschaft streitenden Forschungsfreiheit nicht zu legitimieren, solange die rechtlichen Vorgaben durch das Forschungsvorhaben eingehalten werden.37 Subjektive Rechte der be33
Vgl. dazu grundlegend oben B. I. Beispielhaft zu nennen ist etwa das äußerlich (straßen-)verkehrsgerechte Verhalten als Straftat. Vgl. dazu BGH NJW 1999, 3132 ff.; Freund, JuS 2000, 754 ff. 35 Zu nennen sind in diesem Kontext etwa bestimmte Krebsarten oder Chorea Huntington. s. hierzu Damm, MedR 1999, 437 ff.; Freund, MedR 2001, 65, 70 Fn 50. 36 Nicht auszuschließen ist in jenen Fällen das Auftreten einer schwerwiegenden Depression oder gar eine „Flucht“ in den Suizid. 37 Vgl. Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 505 f.; Freund, MedR 2001, 65, 70; Spickhoff, in: Deutsch/Schreiber/ACHTUNGRESpickhoff/Taupitz (Hrsg.), Die klinische Prüfung, S. 9, 26 f. – Zum Aspekt der Beschränkung der Forschungsfreiheit durch die obligatorische Mitwirkung einer EthikKommission s. auch Alber-Malchow, Mitwirkung von Ethik-Kommissionen, S. 45 ff.; 65 ff.; 34
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troffenen Probanden sind zwar im Fall von Autonomiedefiziten durchaus geeignet, die verfassungsmäßig garantierte Forschungsfreiheit zu beschränken.38 Wird hingegen das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen gewahrt, scheidet ein Forschungsverbot unter diesem Blickwinkel aus. Eine ablehnende Bewertung durch einzelne Ethik-Kommissionen unter alleiniger zugrunde Legung ethischer Gesichtspunkte ist dagegen aufgrund der pluralistischen Verfasstheit unseres Staates nicht zur Beschränkung der Forschungsfreiheit geeignet, denn die richtige ethische Bewertung eines umstrittenen Problemkomplexes gibt es nicht.39 Im Falle abweichender Interpretation räumte man der zuständigen Ethik-Kommission bei entsprechender Sachlage die ausschließliche Deutungshoheit über eine ethische Frage ein. Sie erhielte die Möglichkeit grundrechtlich verbürgte Freiheiten des Forschers unter Berufung auf – möglicherweise kontroverse – ethische Positionen zu restringieren. Eine solche Beschränkung der Forschungsfreiheit mit Rücksicht auf rein ethische Erwägungen kann indes nur dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber vorbehalten bleiben, der die Entscheidung entsprechender Sachfragen auch nicht an eine Ethik-Kommission delegieren darf. Zu jenem Ergebnis führt auch die Interpretation des AMG in Gestalt der Neufassung durch die 12. AMG-Novelle. In § 40 I 3 AMG aF war die Möglichkeit vorgesehen, nach ablehnendem Votum der Ethik-Kommission mit der klinischen Prüfung zu beginnen, sofern die Bundesoberbehörde nicht innerhalb von 60 Tagen nach Eingang der Unterlagen gemäß § 40 I 1 Nr. 6 AMG aF widersprochen hatte. Diese Ausnahme vom Erfordernis eines positiven Votums der Ethik-Kommission lag darin begründet, dass die Versagung der Zustimmung auch auf ethische Bedenken gestützt werden konnte, welche ein rechtliches Verbot nicht hätten tragen können.40 Demnach blieb ein ethisch motiviertes ablehnendes Votum einer Ethik-Kommission für die Frage der Durchführbarkeit des Forschungsvorhabens rechtlich folgenlos. Allerdings zeigte sich in der genannten Regelung die gesetzgeberische Anerkennung einer Meinungsvielfalt in ethischen Fragen. Die Streichung jener Ausnahmeregelung verleiht dem Votum der Ethik-Kommission konstitutive – einer behördlichen Genehmigung entsprechende41 – Wirkung und macht zugleich deutlich, dass sich jene Entscheidun-
Spickhoff, in: Deutsch/Schreiber/Spickhoff/Taupitz (Hrsg.), Die klinische Prüfung, S. 9, 16 f.; Stamer, Ethik-Kommissionen, S. 37 ff., 49 ff. 38 In diesem Sinne auch Freund, MedR 2001, 65, 70; Grupp, in: Furkel/Jung (Hrsg.), Bioethik und Menschenrechte, S. 125, 140 f. Zur Bedeutung bestimmter Autonomiedefizite für die rechtliche Wirksamkeit der Einwilligung s. unten C. II. 6. 39 In diesem Sinne etwa Deutsch, VersR 1999, 1, 5; Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 505; Freund, MedR 2001, 65, 70 f. 40 So auch Scholz/Stoll, MedR 1990, 58, 59. Allerdings sind die dort ausschließlich unter ethischen Gesichtspunkten diskutierten Konstellationen ausnahmslos auch unter rechtlichen Gesichtspunkten zu beanstanden. 41 Insofern führt die aktuelle Rechtslage zu einer – bis dato umstrittenen – Qualifizierung des Votums der Ethik-Kommission als Verwaltungsakt i. S. d. § 35 VwVfG. Vgl. dazu VG Berlin, Urteil v. 27. 03. 2008, Az.: 14 A 81.06; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn 1055;
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gen der Ethik-Kommission nunmehr ausschließlich an rechtlichen Maßstäben zu orientieren haben.42 Diesbezüglich enthält § 42 I 7 AMG nF eine enumerative Aufzählung rechtlicher Versagungsgründe.43 Die Beschränkung der Forschungsfreiheit durch ein ablehnendes Votum ist daher – bereits mit Rücksicht auf den Vorbehalt des Gesetzes – nur bei Vorliegen eines rechtlichen Versagungsgrundes zulässig. Eine andere Bewertung lässt sich im Übrigen nicht aus dem Erfordernis der „ärztlichen Vertretbarkeit“ der Arzneimittelprüfung gemäß § 40 I 3 Nr. 2 AMG herleiten. Der Terminus ist missverständlich, denn nach heutigem Verfassungsverständnis kommt es für die Bewertung einer Belastung bestimmter Patienten nicht auf eine (paternalistische) ärztliche Sicht, sondern auf die autonome Entscheidung der Betroffenen an.44 Mit Rücksicht auf den Stellenwert des Selbstbestimmungsrechts des Patienten kann jener Passus nur im Sinne einer Orientierung an den Interessen der in conACHTUNGREcreto Betroffenen interpretiert werden.45 Es wäre widersprüchlich einer Form des ärztlichen Paternalismus, welchem für das Arzt-Patienten-Verhältnis keine Daseinsberechtigung mehr zuerkannt wird, über die Hintertür jenes Gesetzesbegriffes für das (konstitutive) Votum der Ethik-Kommission eine Renaissance zu bescheren. Hingegen bleibt es der zuständigen Ethik-Kommission unbenommen – es entspricht vielmehr ihrem recht verstandenen Selbstverständnis – derartige Bedenken in ihrem Votum zu formulieren, um die Entscheidungsbasis des Forschers um ethisch relevante Aspekte zu erweitern.46 Im Übrigen ist die Ethik-Kommission im Rahmen der Prüfung des Antrags von Rechts wegen verpflichtet, die Verwendung einer Probandeninformation zu gewährleisten, welche geeignet ist, eine rechtlich wirksame Einwilligung herbeizuführen.47 Dies bedeutet – unabhängig von der ethischen Bewertung der Exploration – etwa für Forschungsvorhaben im Kontext der sog. prädiktiven Medizin die Notwendigkeit einer zutreffenden Aufklärung der Probanden über die von einer möglichen Krankheitsdiagnose ausgehenden Risiken. Demnach können bestimmte ethische Gesichtspunkte hinsichtlich der Anforderungen an eine rechtlich einwandfreie Probandeninformation durchaus eine Rolle spielen, sofern sie sich auf eine zutreffende Beurteilungsbasis von Probanden auswirken.
Deutsch, MedR 2006, 411, 415; so bereits zur alten Rechtslage Arndt, PharmR 1996, 72, 75. Eingehend dazu Meuser/Platter, PharmR 2005, 395 ff. 42 Vgl. MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 58; Osieka, Recht der Humanforschung, S. 157. 43 Vgl. hierzu Sander, Erl. § 42 AMG C Anm. 14. 44 Vgl. nur BGHSt 11, 111, 114; 43, 306, 308; MünchKommStGB-Joecks, § 223 Rn 41 ff., 49. 45 Näher dazu unten C. II. 7. a). Vgl. auch Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 505 f. 46 Vgl. Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 506 Fn 9; Freund, MedR 2001, 65, 71. 47 Vgl. zu den rechtlichen Anforderungen an die Probandeninformation unten C. II. 6.
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2. Zum Arzneimittelbegriff Die erhöhten Anforderungen an klinische Studien im Rahmen der §§ 40 ff. AMG gelten nur für Arzneimittelprüfungen.48 § 2 AMG enthält eine Legaldefinition des Arzneimittelbegriffs. Insoweit gelten als Arzneimittel Stoffe49 oder Zubereitungen aus Stoffen50, welche bei bestimmungsgemäßer Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper eine der in Absatz 1 Nr. 1 – 5 aufgeführten Reaktionen auslösen sollen. Im Unterschied zum allgemeinen Sprachgebrauch unterfallen diesem Begriff nicht nur Mittel zur Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten an Mensch oder Tier, sondern auch solche, die Körperfunktionen beeinflussen sollen, etwa prophylaktische, diagnostische oder anästhetische Mittel, desgleichen beispielsweise auch Aufputsch- und Empfängnisverhütungsmittel.51 Für die Qualifizierung als Arzneimittel entscheidend ist gemäß § 2 I AMG die Zweckbestimmung des Präparates als Mittel zur Verhütung, Erkennung oder Heilung von Krankheiten bzw. zur Beeinflussung von Körperfunktionen.52 Die Feststellung der Zweckbestimmung hat sich nach der Vorstellung des Gesetzgebers an objektiven Kriterien auszurichten (sog. objektiv-funktionaler Arzneimittelbegriff), so dass der vom jeweiligen Hersteller angegebenen Zweckbestimmung allenfalls sekundäre Bedeutung zukommt.53 Das Vorliegen jener Zweckbestimmung ist nach der allgemeinen Verkehrsanschauung zu bestimmen, das heißt nach dem Eindruck, welchen die beteiligten Verkehrskreise von der Verwendung des Erzeugnisses gewinnen.54 Danach kann ein Stoff durchaus als Arzneimittel einzustufen sein, obwohl der Hersteller ihm eine entsprechende Funktion nicht zumessen will.55 Die subjektive Funktionszuweisung durch den Hersteller bildet indes dann das maßgebliche Entscheidungskri48
Ob die hierin liegende Ungleichbehandlung – bspw. im Vergleich zur Erforschung neuartiger riskanter Operationsmethoden – rechtspolitisch wünschenswert ist, steht auf einem anderen Blatt. Vgl. zur entsprechenden Kritik unten H. III. sowie MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 59; ders., MedR 2001, 65, 71. 49 Vgl. § 3 AMG. 50 Hierunter versteht man vom Menschen durch ein physikalisches Verfahren gewonnene Produkte, in welchen Stoffe noch ganz (z. B. Lösungen) oder aber teilweise (z. B. Auszüge) enthalten sind. Vgl. dazu Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 26 Fn 43; Sander, Erl. § 2 AMG C Anm. 6. 51 Vgl. Körner, Vorbem. AMG Rn 5; Ramsauer, Arzneimittelversorgung, S. 47. 52 Vgl. dazu auch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn 1189 ff.; Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 80; Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 24; Rehmann, § 2 Rn 2. 53 s. die amtl. Begründung zu § 2 AMG, BT-Drs. 7/3060, S. 44. Vgl. auch BVerwGE 71, 318, 321; Kloesel/Cyran, § 2 AMG Anm. 1; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 6; Rehmann, § 2 Rn 2. 54 s. etwa Hägele, Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 158 f.; Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 24 f. 55 Vgl. dazu MünchKommStGB-Freund, § 2 AMG Rn 4; Hägele, Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 159 f.; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 7; Sander, Erl. § 2 AMG C Anm. 1.
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terium, wenn eine Verkehrsanschauung bezüglich des fraglichen Präparates gänzlich fehlt.56 Für die Qualifizierung eines Stoffes als Arzneimittel gemäß § 2 AMG kommt es im Übrigen weder auf seine stoffliche Zusammensetzung noch auf seine Tauglichkeit zu den angegebenen Zwecken an.57 a) Zur Abgrenzung zwischen Arznei- und Lebensmitteln Besondere Probleme der rechtlichen Einordnung bestehen bei der Abgrenzung zwischen Arznei- und Lebensmitteln.58 Nach § 2 III Nr. 1 AMG sind Arzneimittel keine Lebensmittel. Es besteht demnach ein Alternativitätsverhältnis beider Produkte. Die Differenzierung bereitet insbesondere bei solchen Stoffen Schwierigkeiten, welchen nach der Verkehrsanschauung sowohl ein arzneimittel- wie auch ein lebensmitteltypischer Zweck zukommt. Solche Fälle der Doppelfunktionalität finden sich etwa bei Vitaminpräparaten, Diätprodukten, gesundheits- bzw. leistungsfördernden Nahrungsergänzungsmitteln oder sonstigen Mehrzweckstoffen.59 In jenen Marktsegmenten versuchen viele Hersteller mit Rücksicht auf die arzneimittelrechtlichen Zulassungsbestimmungen ihre Produkte als Lebensmittel zu vermarkten, so dass für die Markteinführung lediglich die insoweit weniger strengen rechtlichen Voraussetzungen zu erfüllen sind.60 Die geläufige Differenzierung sah für den Fall, dass „objektive“ Indizien keine eindeutige Zuordnung ermöglichten, eine Zweifelsregelung zugunsten der Anwendbarkeit des Lebensmittelrechts vor. Ließ sich eine überwiegende arzneiliche Zweckbestimmung nicht feststellen, sollte das Produkt als Lebensmittel anzusehen sein.61 Dieses Überwiegenskriterium ist jedoch insofern unspezifisch als ein zu einer pharmakologischen Wirkung hinzutretender „überwiegender“ anderer Zweck nicht dazu taugt, die Anwendbarkeit der für den pharmakologischen Wirkstoff geltenden beson56 MünchKommStGB-Freund, § 2 AMG Rn 5; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 7; Sander, Erl. § 2 AMG C Anm. 1. 57 MünchKommStGB-Freund, § 2 AMG Rn 4 f.; Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 24; Sander, Erl. § 2 AMG C Anm 1. 58 Vgl. zu dieser Abgrenzungsproblematik im Bereich der sog. Nahrungsergänzungsmittel BGH NJW 2001, 2812 ff. (3-fache Tagesdosis) mwN; Köhler, GRUR 2002, 844, 849 f. Eingehend zur Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln Dettling, PharmaR 2006, 58 ff., 142 ff.; Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 98 ff.; Schroeder, ZLR 2005, 411 ff. 59 Vgl. MünchKommStGB-Freund, § 2 AMG Rn 21; Köhler, GRUR 2002, 844, 849 f. – Dabei handelt es sich bspw. um Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, welche sowohl als Arzneimittel als auch zu technischen Zwecken zu verwenden sind. Siehe dazu Hägele, Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 159 f. 60 s. etwa Hägele, Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 165. Vgl. allerdings zum durch die am 19. 1. 2007 in Kraft getretene „Health-Claims“-Verordnung (VO (EG) 1924/2006) eingeführten abgestuften Zulassungsverfahren für gesundheitsbezogene Angaben bei Lebensmitteln Meisterernst/Haber, WRP 2007, 363, 382 ff. 61 So etwa BGHSt 46, 380, 383; VGH München NJW 1998, 845; Meisterernst, GRUR 2001, 111, 112; Sander, Erl. § 2 AMG C Anm. 34. Siehe auch Körner, Vorbem. AMG Rn 38.
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deren Schutzbestimmungen auszuschließen.62 Jedes andere Ergebnis wäre im Übrigen unter Schutzaspekten geradezu willkürlich. Für die Anwendbarkeit der speziellen Vorschriften zum Schutz der Teilnehmer von Arzneimittelstudien kann es in diesem Kontext keine Rolle spielen, ob etwa überwiegende Ernährungszwecke zu konstatieren sind, solange dem Produkt zugleich gerade jene spezifischen Gefahren anhaften, um deren angemessener Vermeidung willen der Gesetzgeber die §§ 40 ff. AMG normierte. Die bislang verbreitete Auffassung steht schließlich nicht mehr im Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben. Ihr wurde mit der entgegengesetzten Zweifelsregelung des Art. 2 II der Arzneimittelrichtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG der Boden entzogen.63 Der Bundesgerichtshof stellt insoweit seit der Grundsatzentscheidung „L-Carnitin“ zu Recht maßgeblich auf die pharmakologische Wirkung des betreffenden Präparates ab.64 Ein verständiger Durchschnittsverbraucher werde nur dann von einem Arzneimittel ausgehen, wenn das Produkt in der empfohlenen Dosierung tatsächlich pharmakologische Wirkungen habe.65 Nach der Rechtsprechung des EuGH darf indes an diesem Punkt nicht stehengeblieben werden. Ein Produkt, welches aufgrund seiner Form und seiner Aufmachung einem Arzneimittel hinreichend ähnelt und auf seiner Verpackung oder seinem Beipackzettel Hinweise auf Ergebnisse pharmazeutischer oder medizinischer Forschung enthält, kann gleichwohl als Arzneimittel (sog. Präsentationsarzneimittel) zu qualifizieren sein.66 Diese Auslegung dient dem Schutz der Verbraucher vor Produkten, welche „im Gewande eines Arzneimittels daherkommen“ ohne die für Arzneimittel geltenden Zulassungsbestimmungen zu erfüllen.67 Insbesondere wenn ein Hersteller sich entsprechende Wirkungen für die Qualität seines Produktes und in der Produktwerbung zunutze machen will, muss er sich beim Wort nehmen lassen. Eine auf (unter Umständen sogar nur vermeintlichen) pharmakologischen Wirkungen basierende und für die Vermarktung hilfreiche Innovation oder Verbesserung des Produktes gibt es eben nicht zum „Nulltarif“, sondern nur zum „Preis“ der arzneimittelrechtlichen Zulassung.68 62 Zur Kritik am „Überwiegenskriterium“ vgl. insoweit MünchKommStGB-Freund, § 2 AMG Rn 22. 63 In diesem Sinne auch MünchKommStGB-Freund, § 2 AMG Rn 21; Körner, Vorbem. AMG Rn 39. Aus der jüngeren Rechtsprechung vgl. etwa OVG Lüneburg PharmaR 2007, 71 ff. m. Anm. Büttner, ZLR 2006, 754 ff.; OVG Münster LMuR 2006, 2 ff.; OVG Saarlouis PharmaR 2006, 166. 64 s. BGH GRUR 2000, 528, 530; Meisterernst, GRUR 2001, 111, 115 f.; Köhler, GRUR 2002, 844, 852. 65 BGH NJW 2001, 2812, 2813; GRUR 2000, 528, 530. 66 Vgl. EuGH, Slg. I 1991, 1525 – Delattre. 67 So zutreffend Meisterernst, GRUR 2001, 111, 113. 68 Der Generalanwalt vor dem EuGH Tesauro äußert den in diesem Zusammenhang in der Tat nahe liegenden Verdacht, dass in Streitigkeiten um die Frage der Abgrenzung von Lebensund Arzneimitteln „die Rolle des Hauptdarstellers eher von Merkur, dem Gott des Handels, als von Hygieia, der Göttin der Gesundheit, gespielt wird“. Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro, in: EuGH, Slg. I 1991, 1547, 1556 – Monteil und Samanni.
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b) Rechtsfolgen einer abweichenden Bewertung der Arzneimittelqualität durch die Ethik-Kommission Ein interessantes, praktisch mitunter nicht unerhebliches, Problem stellt sich dann, wenn die Bewertung der Ethik-Kommission bezüglich der Arzneimittelqualität eines Stoffes von einer Stellungnahme des BfArM abweicht. Nach § 42 II 2 AMG sind der Bundesoberbehörde die Ergebnisse der analytischen und der pharmakologisch-toxikologischen Prüfung sowie die klinischen Angaben zum Arzneimittel vom Sponsor vorzulegen. Eine korrespondierende Prüfungskompetenz der Ethik-Kommission sieht das AMG hingegen nicht vor. Hieraus lässt sich eine primäre Verantwortungszuweisung an das BfArM für die Bewertung der Arzneimittelqualität eines Stoffes ableiten.69 In diesem Zusammenhang kann der Fall eintreten, dass die Ethik-Kommission entgegen einer Stellungnahme des BfArM die Arzneimittelqualität eines Prüfpräparates bejaht. Ist die Bewertung des BfArM insoweit evident fehlerhaft, so ist die EthikKommission dennoch von Rechts wegen gehalten, die zustimmende Bewertung70 zu versagen.71 Sie ist nach der gesetzlichen Aufgabenzuweisung verpflichtet, im Rahmen der Bewertung von Forschungsprojekten einen nach Art der Exploration angemessenen Probandenschutz zu gewährleisten. In einem entsprechenden Fall bedeutet dies unter anderem, dass ihr die Prüfung obliegt, ob eine Probandenversicherung nach Maßgabe der arzneimittelrechtlichen Anforderungen abgeschlossen wurde und, ob die zu verwendende Probandeninformation einen zutreffenden Inhalt aufweist.72 Nur ein negatives Votum garantiert insoweit, dass die betreffende Studie nicht entgegen diesen arzneimittelrechtlichen Bestimmungen durchgeführt wird. Dass die primär zuständige Behörde sich insoweit rechtlich fehlerhaft verhalten hat, entbindet 69
Jene Bewertungskompetenz kann daneben aus den Vorschriften über die Arzneimittelzulassung gemäß §§ 21 ff. AMG abgeleitet werden. Die zur Bewertung zu erprobender Stoffe erforderlichen fachlichen und personellen Kapazitäten sind nach der gesetzlichen Ausgestaltung der Institutionen bei der Bundesoberbehörde angesiedelt. Gar von einem „Beurteilungsmonopol“ der Bundesoberbehörde gehen insoweit Sander, Erl. § 2 AMG C Anm. 2, sowie Schwerdtfeger, Bindungswirkung, S. 90, aus. 70 Ein entsprechendes positives Votum ist nach derzeitiger Gesetzeslage nur konstituierend für die Durchführung einer Arzneimittelprüfung nach §§ 40 ff. AMG. § 15 MBO-Ärzte normiert für die ärztliche Durchführung biomedizinischer Forschung lediglich ein Beratungserfordernis durch eine Ethik-Kommission. Zur Kritik an der Ungleichbehandlung der Erprobung anderer Stoffe oder gefährlicher Operationsmethoden s. unten H. III. 71 Beginnt der Sponsor unter Berufung auf die Stellungnahme des BfArM dennoch mit der Studie, so droht ihm eine Strafverfolgung nach § 96 Nr. 11 AMG wegen Beginns einer Arzneimittelprüfung entgegen § 40 I 2 AMG. Die Frage der Arzneimitteleigenschaft des fraglichen Stoffes wäre insoweit durch das zuständige Gericht zu klären. Nahe liegt in einem entsprechenden Fall allerdings das Vorliegen eines Verbotsirrtums gemäß § 17 StGB. Zur Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums bei Rechtsauskünften und Gerichtsurteilen vgl. OLG Stuttgart NJW 2008, 243; NK-Neumann, § 17 Rn 67 ff.; Roxin, AT I, § 21 Rn 62 ff. – Speziell zu den Auswirkungen des Votums der Ethik-Kommission auf die Verantwortlichkeit des Forschers Jung, in: Furkel/Jung (Hrsg.), Bioethik und Menschenrechte, S. 145, 150 ff. 72 Eingehend dazu unten C. II. 8. sowie C. II. 6.
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die Ethik-Kommission demnach nicht von der entsprechenden Verpflichtung. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich Sachverhalte einer gravierenden Fehleinschätzung durch die Bundesoberbehörde vor Augen führt, mag derartiges Fehlverhalten auch de facto selten sein. Der durch die „doppelte“ institutionelle Qualitätssicherung bei klinischen Studien intendierte Schutz würde geradezu konterkariert, sofern man rechtlich fehlerhaften Behördenentscheidungen Bindungswirkung gegenüber der Ethik-Kommission zuerkennen würde. Diese wird daher ihrer rechtlichen Verkehrssicherungspflicht zum Schutz potentieller Teilnehmer einer Studie nur gerecht, sofern sie „im Ernstfall“ der eigenen rechtlichen Beurteilung Geltung verschafft, also die eigene Bewertung einer anderslautenden des BfArM entgegensetzt und einer entsprechenden klinischen Prüfung, welche die Anforderungen des AMG nicht erfüllt, ein positives Votum versagt. Ein differenziertes Bild ergibt sich dagegen für gewisse Grenzfälle; ist die EthikKommission – insbesondere mangels hinreichender eigener Überprüfungsmöglichkeiten – nicht in der Lage, sich eine abschließende Meinung über die Arzneimittelqualität eines Prüfpräparates zu bilden, ist sie mit Rücksicht auf die berechtigten Interessen der Probanden gehalten, ihre diesbezüglichen Bedenken gegenüber dem Sponsor und dem BfArM zu artikulieren. Durch bloße – unkommentierte – Überantwortung der Entscheidung an das BfArM wird sie ihrem gesetzlichen Auftrag dagegen nicht gerecht. Schließlich sind durchaus klinische Studien denkbar, bei deren Bewertung mit einer engen Auslegung des Arzneimittelbegriffes zu arbeiten ist. Sind arzneimittelspezifische Gefahren von vornherein angemessen auszuschließen, kommt eine einschränkende Auslegung des Arzneimittelbegriffes mit der Folge in Betracht, dass der Anwendungsbereich der Vorschriften zur Regelung von Arzneimittelprüfungen nicht eröffnet ist.73 Maßgeblich für die Verpflichtung der Ethik-Kommission, die Erfüllung der sich aus §§ 40 ff. AMG ergebenden Anforderungen zu gewährleisten, ist also, dass der Schutzzweck dieser Vorschriften berührt ist. Diese Interpretation ist letztlich Ausprägung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes. Dies bedeutet, dass die Ethik-Kommission – auch sofern sie eine die Arzneimittelqualität in conACHTUNGREcreto verneinende Stellungnahme des BfArM inhaltlich nicht teilt – mit Rücksicht auf eine teleologische Interpretation des AMG im Einzelfall befugt sein kann, die betreffende Studie nicht dem Regiment der strengen Vorschriften über Arzneimittelprüfungen zu unterstellen.
3. Zur Abgrenzung des Heilversuchs von klinischen Prüfungen Im Kontext der §§ 40 ff. AMG ist die Klassifizierung in „Heilversuche“ und „Wissensversuche“ bzw. „therapeutische“ und „nichttherapeutische“ Forschung geläu73 Der Sache nach arbeitet auch das BfArM bei Abgabe bestimmter Stellungnahmen mit einer entsprechenden teleologischen Reduktion des Arzneimittelbegriffes.
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fig.74 Der Heilversuch soll danach von der Arzneimittelprüfung abzugrenzen und gekennzeichnet sein durch den Einsatz einer auf den einzelnen Patienten bezogenen Diagnose- oder Therapiemethode bzw. eines Medikamentes, welcher den medizinischen Standard überschreitet.75 Die Qualifizierung als Heilversuch führt nach jenem Verständnis zur Unanwendbarkeit der Vorschriften über die klinische Prüfung von Arzneimitteln, so dass die Vorlagepflicht76 bei der Ethik-Kommission entfällt.77 Von einem Wissens- oder nichttherapeutischen Versuch spricht man hingegen, wenn Heilmittel oder -methoden ohne oder jedenfalls mit untergeordneter therapeutischer Zielsetzung für den Probanden erprobt werden.78 Diese Differenzierung liefert gewichtige Anhaltspunkte für die Legitimationsbedingungen des Versuches. Dennoch ist hier „Schubladendenken“ fehl am Platz, um der Gefahr von Fehlentscheidungen vorzubeugen. Es gibt durchaus Versuchsanordnungen, welche eine Schnittmenge bilden und einer einheitlichen Zuordnung nicht zugänglich sind,79 ohne das Legitimationsproblem in concreto zu vernachlässigen.80 Wenig hilfreich ist daher das Operieren mit einem „Überwiegenskriterium“,81 welches zwangsläufig die Frage nach der Legitimation des „weniger gewichtigen“ Aspektes der Versuchsanordnung in den Hintergrund treten lässt. Ordnet etwa ein Forscher seine Versuchsanordnung der Kategorie „Heilversuch“ zu, obwohl eine Placebogruppe Gesunder betroffen ist, so ist eine Legitimation der Belastungen dieser Betroffenen unter dem Gesichtspunkt des Heilversuches rechtlich nicht akzeptabel.82 Zur Vermeidung derartiger – unter Legitimationsaspekten eine bedenkliche Exklusi-
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Vgl. etwa Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn 934 ff., 957 ff.; Deutsch, VersR 1999, 1, 6; ders., in: Breddin (Hrsg.), Untersuchungen am Menschen, S. 10, 17; Magnus, Medizinische Forschung an Kindern, S. 3 ff.; Mand/ACHTUNGREStückrath, KuR 2006, 61, 62 f. 75 Vgl. Bork, NJW 1985, 654; Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 10 f. 76 Allerdings sieht § 15 MBO-Ärzte eine berufsständische Beratungspflicht forschender Ärzte vor. Im Übrigen besteht die Möglichkeit der Vorlage an die Ethik-Kommission bei allen sonstigen medizinischen Versuchen am Menschen. 77 Vgl. Deutsch/Lippert-Deutsch, § 40 Rn 6; Sander, Erl. § 40 AMG C Anm. 4a. 78 Vgl. Bork, NJW 1985, 654; Deutsch, VersR 1999, 1, 6; Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 12 f. 79 Zutreffend betont von Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 16 f.; Rosenau, in: Deutsch/ Taupitz (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle, S. 63, 71 f. 80 Zur Gefahr entsprechender Missverständnisse s. MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 16; ders., MedR 2001, 65, 67; Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 4 ff. 81 So aber Deutsch/Lippert-Deutsch, § 40 Rn 6; Deutsch, NJW 2001, 3361, 3362; Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 11, 16; Rehmann, § 40 Rn 3. 82 Denkbar – und vielfach praktisch sinnvoll – sind zudem solche Versuchsanordnungen, bei welchen sogar bezogen auf den einzelnen Teilnehmer sowohl die Bedingungen eines Heilungsunternehmens als auch einer klinischen Studie unter Legitimationsaspekten zu beachten sind. Im Rahmen entsprechender Therapiebegleitforschung werden die jeweiligen spezifischen Belastungen durch die Annahme eines Exklusivitätsverhältnisses ebenfalls nur partiell berücksichtigt. Siehe dazu MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 8.
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vität suggerierender – Fehlassoziationen empfiehlt es sich somit, vom Gebrauch genannter Termini abzusehen.83
4. Die rechtliche Bewertung fremdnütziger Forschung an Einwilligungsunfähigen Die Legitimierbarkeit von Verhaltensnormen betreffende Fragen wirft die Bewertung fremdnütziger Forschung an Einwilligungsunfähigen auf – dies gilt in besonderem Maße für Änderungen durch die 12. AMG-Novelle. Dass Arzneimittelprüfungen bei Einwilligungsunfähigen vielfach mit erheblichem individuellem Nutzen verbunden und daher nicht schlechterdings zu verbieten sind, unterliegt insoweit keinen ernsthaften Bedenken. Insbesondere können Ergebnisse von Arzneimittelstudien an Erwachsenen nicht einfach auf die Therapie bei Kindern übertragen werden. Diese sind nicht lediglich „kleine Erwachsene“, sondern Menschen mit einem „ganz anders funktionierenden Körper“.84 Ein vollständiger Verzicht auf entsprechende Forschung hätte daher zur Folge, dass vorteilhafte Behandlungen unterblieben oder verzögert zur Anwendung kämen und zugleich mangels Alternative an unterlegenen Behandlungen festzuhalten wäre.85 Tragender Legitimationsgesichtspunkt ist insoweit stets das Kriterium des überwiegenden Eigeninteresses des Betroffenen. Dieses Grundprinzip sieht sich jedoch in der rechtspolitischen und -wissenschaftlichen Diskussion einer zunehmenden Relativierung ausgesetzt. Im Interesse der (bestmöglichen) Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Patienten gilt für die klinische Prüfung bei Einwilligungsunfähigen der Grundsatz, dass das Forschungsvorhaben nur ultima ratio für die Gewinnung der angestrebten Erkenntnisse sein darf.86 Besteht also die Möglichkeit, den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn durch die Durchführung einer klinischen Prüfung mit uneingeschränkt einwilligungsfähigen Personen zu erzielen, muss von der Einbeziehung Einwilligungsunfähiger abgesehen werden. Dies hat zur Folge, dass entsprechende Forschung ausschließlich dann in Betracht kommt, wenn ein spezifischer Zusammenhang zwischen Untersuchungsgegenstand und der Ursache der Einwilligungsunfähigkeit besteht.87 De facto bestehende Schwierigkeiten eine ausreichende Anzahl
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In diesem Sinne auch Freund, MedR 2001, 65, 67. Vgl. dazu Fischer, FS Schreiber, S. 685; v. Freier, Humanforschung, S. 101 f. 85 Selbiges gilt auch für bestimmte Erkrankungen einwilligungsunfähiger Erwachsener; vgl. Fischer, FS SchreiACHTUNGREber, S. 685. 86 s. §§ 40 IV Nr. 2, 41 III Nr. 3 AMG, § 6 III 1 Marburger Richtlinien (abgedruckt bei Freund/Heubel, MedR 1997, 347, 348 ff.). Vgl. auch Elzer, MedR 1998, 122, 127 f.; Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 149; Taupitz/Fröhlich, VersR 1997, 911, 915. 87 Zutreffend betont von Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 149. 84
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Freiwilliger für die Durchführung der Prüfung zu rekrutieren, sind damit nach geltendem Recht unbeachtlich.88
a) Die Rechtslage nach deutschem (Arzneimittel-)Recht aa) Der unumstrittene Bereich – Forschung mit individuellem Nutzen Hinsichtlich der Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit fremdnütziger Forschung an nicht uneingeschränkt einwilligungsfähigen Volljährigen enthält das AMG eine unzweideutige Antwort. § 41 III Nr. 1 AMG normiert einen Ausschluss entsprechender fremdnütziger Forschung. Die Unabdingbarkeit der Übereinstimmung der Arzneimittelprüfung mit dem positiv festzustellenden mutmaßlichen Willen der Betroffenen erfährt daher im Hinblick auf volljährige Personen, welche nicht unbeschränkt einwilligungsfähig sind, eine positivrechtliche Ausprägung.89 Die Forschung an minderjährigen Einwilligungsunfähigen gestattet das AMG hingegen nach Maßgabe der §§ 40 I 2, IV Nr. 3 S. 2, 41 II. Voraussetzung für die Durchführung entsprechender Arzneimittelstudien ist gemäß § 40 I 2 AMG insbesondere die zustimmende Bewertung durch die zuständige Ethik-Kommission. Keinen Bedenken begegnet insoweit die Vorschrift des § 41 II 1 Nr. 1 AMG. Entsprechende Forschung zum Nutzen eines einschlägig kranken Minderjährigen ist bereits nach den allgemeinen Vorschriften durch die am Kindeswohl zu orientierende Einwilligung des Personensorgeberechtigten gemäß § 1627 S. 1 BGB gerechtfertigt.90 Vorsicht ist insoweit allerdings bei der Verwendung des Begriffes des (nur) „mittelbaren Nutzens“ geboten. Das Gegensatzpaar „unmittelbar/mittelbar“ suggeriert eine vollkommen unterschiedliche Wertigkeit der zu erwartenden Forschungsresultate. Indes bedeutet diese Differenzierung in der Sache nur eine formale Kategorisierung, ohne relevante Kriterien für die Legitimation bestimmter Belastungen liefern zu können.91 Insofern kann es sogar von Vorteil sein, als Proband der Placebogruppe anzugehören und so von bestimmten Wirkungen des Verums verschont zu bleiben, aber später gleichwohl, von dem erfolgreich getesteten Arzneimittel zu profitieren.92 In entsprechenden Fällen überwiegt durchaus einmal der „mittelbare“ den „unmittelbaren“ Nutzen. Ein hinreichend gewichtiger mittelbarer Nutzen für den Minderjährigen kann demzufolge die durch die Einbeziehung in die klinische Prüfung zu erwartenden Belastungen rechtfertigen.93 Indes wird durch eine Feststellung jenes Nutzens durch 88 s. etwa MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 42; Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 149. 89 Vgl. dazu MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 50. 90 Vgl. hierzu Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 200 f.; v. Freier, Humanforschung, S. 81 ff. 91 MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 17; Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 13 f. 92 Zutreffend betont von Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 76. 93 Zu eng in Bezug auf randomisierte Studien daher Taupitz, JZ 2003, 109, 115.
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ein Vorgehen nach der Devise „man kann nie wissen, ob die Erkenntnisse nicht auch Dir helfen werden“,94 der Begriff über das akzeptable Maß hinaus ausgedehnt. Jedenfalls wenn die Betroffenen mit großer Wahrscheinlichkeit in der Zukunft nicht mehr von ihrer Teilnahme an der Arzneimittelprüfung profitieren werden, steht ihre Belastung nicht mehr in angemessener Relation zu dem ihnen zukommenden zu erwartenden Nutzen.95 bb) Zulässigkeit von Arzneimittelprüfungen bei kranken Minderjährigen mit einem „gruppenspezifischen Nutzen“? Daneben scheinen nach § 41 II Nr. 2 a) AMG jedoch gleichfalls klinische Arzneimittelstudien mit (einwilligungsunfähigen) kranken Minderjährigen ohne einen individuellen Nutzen für die Betroffenen, also lediglich zum „Gruppennutzen“, rechtlich zulässig zu sein.96 Diese Terminologie ist sachlich verfehlt und somit abzulehnen; auch der gruppenspezifische Nutzen ist für den gesunden sowie bezogen auf sein individuelles Krankheitsbild nicht profitierenden Minderjährigen ein ausschließlich fremder Nutzen.97 Versuche, diese Tatsache durch den Verweis auf einen „gruppenspezifischen Nutzen“ oder gar ein „gruppenindividuelles Wohl“ zu verschleiern,98 sind illegitim, denn sie beinhalten die Unterstellung eines individuellen Benefit, welcher bei den betroffenen kranken Minderjährigen mangels eigenen gesundheitsbezogenen Nutzens de facto ausscheidet. In diesem Kontext neben der Sache liegt schließlich der Hinweis darauf, dass eigennützige Forschung ebenfalls keinen Nutzen für betroffene Patienten „garantieren“ könne.99 Für die Frage nach einem individuellen 94 In diese Richtung aber Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 148 („…wird man in den meisten Fällen nicht ausschließen können, daß dem teilnehmenden Patienten die gewonnenen Forschungsergebnisse zumindest mittelbar zugute kommen können,…“). 95 So zutreffend MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 19 f.; Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 76 f. 96 Auch Art. 17 II i) der Menschenrechtskonvention zur Biomedizin (sog. „Bioethik-Konvention“) v. 4. 4. 1997 erlaubt fremdnützige Forschung an Einwilligungsunfähigen in gewissen Grenzen. Für die Auslegung deutschen Rechts ist jene Vorschrift indes – unabhängig der insoweit zu beachtenden verfassungsrechtlichen Vorgaben – nicht aussagekräftig, da Deutschland die Konvention (unter anderem gerade infolge der Gestattung fremdnütziger Forschung an Einwilligungsunfähigen) nicht unterzeichnet hat. Vgl. zum Streit um die Unterzeichnung der Konvention in Deutschland Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 115 ff.; Köhler, ZRP 2000, 8 ff.; Picker, JZ 2000, 693 ff.; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 163 f., jew. mwN. 97 Vgl. MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 35, 48; v. Freier, MedR 2003, 610, 611; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 85. So auch Laufs, MedR 2004, 583, 592, allerdings ohne die Legitimation solcher Eingriffe zu hinterfragen. Mit Rücksicht auf die rechtliche Gleichartigkeit „gruppennütziger“ und „rein fremdnütziger“ Forschung befürwortet Magnus, Medizinische Forschung an Kindern, S. 63 f., sogar die Einführung einer ACHTUNGRE(einfach-) gesetzlichen Gestattung der fremdnützigen Forschung an gesunden Minderjährigen. 98 In dieser Hinsicht irreführend Taupitz/Fröhlich, VersR 1997, 911, 914 f. (Differenzierung zwischen Forschungen mit „gruppenspezifischem“ und „ausschließlich fremdem“ Nutzen) sowie Spickhoff, MedR 2006, 707, 710 („gewissermaßen gruppenindividuelles Wohl“). 99 So aber Taupitz, JZ 2003, 109, 117.
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Nutzen einer Exploration kann mit Rücksicht auf insoweit bestehende – jeder Forschung immanente – Bedingungen kognitiver Unsicherheit lediglich die Feststellung einer normativ hinreichenden Heilungschance ex ante von Bedeutung sein.100 In vorliegendem Zusammenhang ist ein forschungsbedingter Eingriff – etwa in Form der Blutabnahme bei einem Säugling zur Gewinnung von Normalwerten – eine tatbestandsmäßige Körperverletzung nach § 223 StGB.101 Sie ist von Rechts wegen nur zu gestatten, wenn ein entsprechender Erlaubnissatz existiert. Als rechtfertigender Grund kommt die Einwilligung des Personensorgeberechtigten in Betracht. Diese deckt gemäß § 1627 S. 1 BGB nur Entscheidungen zum Wohle des Kindes. Hier findet sich zwar der Auslegungsversuch, das Kindeswohl „nicht rein egoistisch-körperlich“ zu verstehen, sondern am „Erziehungsziel der sozialen Aufopferung“ zu orientieren.102 Legt man den Begriff des Kindeswohls jedoch nicht primär objektiv aus, verwischen die klaren rechtlichen Konturen des Erlaubnissatzes. Die Personensorgeberechtigten werden in die Lage versetzt, dem Einwilligungsunfähigen eigene Wertanschauungen aufzuoktroyieren. Der einer normativen Überprüfung zugängliche rechtliche Schutz Minderjähriger vor fremdbestimmten Eingriffen verliert sich im rechtlich Diffusen. Daher ist eine Kindeswohlorientierung und somit eine rechtfertigende Wirkung der Einwilligung Personensorgeberechtigter bei forschungsbedingten Eingriffen in die Körperintegrität eines bezogen auf sein individuelles Krankheitsbild nicht (hinreichend) profitierenden Minderjährigen, auch unter Anerkennung einer diesbezüglichen Einschätzungsprärogative,103 nicht zu konstatieren.104 Die Heranziehung des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB liegt zwar mit Blick auf den Anwendungsbereich der Vorschrift nahe. Eine Notstandsrechtfertigung scheidet indes aus zwei Gründen aus: Der „Fortschritt der Wissenschaft“ ist per se kein notstandsfähiges Rechtsgut.105 Zum anderen ist eine Gesundheits- oder Lebensgefährdung Dritter mit Rücksicht auf das Autonomieprinzip nicht geeignet, for-
100 Zu unvermeidbaren Unsicherheiten im Rahmen der Bewertung entsprechender Forschungsvorhaben s. auch unten C. II. 5. b). 101 Vgl. statt vieler Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 24 f. 102 So etwa Elzer, Klinische Prüfungen an Einwilligungsunfähigen, S. 111 f.; Eser, FAZ v. 19. 11. 1996, S. 16; Magnus, Medizinische Forschung an Kindern, S. 65 f.; Mand/Stückrath, KuR 2006, 61, 64 (mit dem – insbesondere im Hinblick auf Forschung bei Säuglingen – wenig überzeugenden Hinweis, einem Missbrauch der Vertretungsmacht werde bereits durch die Beachtlichkeit des natürlich geäußerten ablehnenden Willens des Minderjährigen vorgebeugt); Michael, Forschung an Minderjährigen, S. 152 ff. 103 s. dazu etwa Coester, FamRZ 1996, 1181, 1183. 104 In diesem Sinne auch Höfling/Demel, MedR 1999, 540, 545; Spranger, MedR 2001, 238, 242; Staak/UhlenACHTUNGREbruck, MedR 1984, 177, 183; v. Freier, Humanforschung, S. 83 ff. So auch in anderem Zusammenhang Putzke, FS Herzberg, S. 669, 687, 691. 105 Vgl. dazu Fischer, Medizinische Versuche am Menschen, S. 9; Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 25; Grahlmann, Heilbehandlung und Heilversuch, S. 34 f.
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schungsbedingte Eingriffe in die Körperintegrität unbeteiligter Dritter zu rechtfertigen.106 b) Abweichende Konsequenzen durch Umsetzung der Richtlinie 2001/20/EG? Die Umsetzung der Richtlinie 2001/20/EG v. 4.4.2001107 durch die 12. AMG-Novelle brachte in der Sache eine kleine Wortlautänderung mit – vermeintlich – großer Wirkung. Gemäß Art. 4 lit. a, i und Art. 5 lit. a, h, i ist Maßstab der Richtlinie das Kriterium des überwiegenden Eigeninteresses des Minderjährigen.108 Nach § 40 IV Nr. 3 S. 2 AMG nF heißt es aber nunmehr, die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters habe dem mutmaßlichen Willen des Minderjährigen (nur) zu entsprechen, „soweit ein solcher feststellbar ist“. Dem Gesetzgeber mag in puncto Nachlässigkeit vieles nachgesagt werden, aber das Hinzufügen inhaltsändernder Halbsätze bei der Umsetzung europäischer Richtlinien gehört bis dato wahrlich nicht zu seinem Repertoire. Ist das gesetzgeberische Vorgehen also geeignet, deutsches Arzneimittelrecht „forschungsfreundlicher“ als durch Richtlinie 2001/20/EG vorgegeben auszugestalten? Schließlich scheint der fremdnützigen Forschung an einwilligungsunfähigen Minderjährigen durch genannten Passus „der Boden bereitet“ zu sein, denn ein mutmaßlicher Wille im Sinne eines realpsychologischen Faktums ist etwa beim Säugling regelmäßig nicht feststellbar.109 aa) Gebot richtlinienkonformer Auslegung des nationalen Rechts und Maßgeblichkeit des Instrumentalisierungsverbotes Dem ist folgendes entgegenzuhalten: Auch für den neu gefassten § 40 IV Nr. 3 S. 2 AMG gilt das Gebot richtlinienkonformer Auslegung des nationalen Rechts. Dies bedeutet für vorliegende Konstellation die Unabdingbarkeit des Richtlinienerfordernisses des überwiegenden Eigeninteresses des Minderjährigen. Der (positiv festzustellende) mutmaßliche Wille des Minderjährigen ist nach Art. 4 a) Richtlinie 2001/20/
106
Vgl. etwa Eck, Die Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 146 f.; Krey, AT 1, Rn 563; Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 188; Stratenwerth/Kuhlen, AT I, § 9 Rn 112; LK-Zieschang, § 34 Rn 68. Für den Fall der Bluttransfusion zur Rettung eines Patienten aus nicht anders abwendbarer Lebensgefahr allerdings in Zweifel gezogen; so etwa Roxin, AT I, § 16 Rn 49; Jakobs, AT, 13/25. 107 ABl. EG 2001 Nr. L 121, S. 34 ff. 108 Dieser Ausgangspunkt entspricht dem hier zugrunde gelegten Verständnis der deutschen (Verfassungs-)ACHTUNGRERechtslage. Siehe dazu auch Köhler, NJW 2002, 853, 854 ff., sowie die „Marburger Richtlinien zur Forschung mit einwilligungsunfähigen und beschränkt einwilligungsfähigen Personen“ (abgedruckt bei Freund/Heubel, MedR 1997, 347, 348 ff.). 109 Zutreffend betont von Fischer, FS Schreiber, S. 685, 691.
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EG unmissverständliches und verbindliches Kriterium der Forschung an Minderjährigen.110 Zum anderen verwehren übergeordnete Rechtsgrundsätze dem Rechtsanwender eine wortlautgetreue Anwendung des § 40 IV Nr. 3 S. 2 AMG.111 Es entspricht dem verfassungsrechtlich garantierten Instrumentalisierungsverbot, dass derjenige nicht helfen muss, der nicht helfen kann.112 Der Einwand, das Menschenbild des GG gebiete es, einer Person nicht zu unterstellen, sie wolle egoistischerweise nicht zu fremdnütziger Forschung herangezogen werden,113 geht insoweit fehl. Selbiges gilt für die These, das Verbot fremdnütziger Forschung beinhalte gegenüber nicht uneingeschränkt einwilligungsfähigen Personen mit Blick auf ihre Gemeinschaftsgebundenheit eine Autonomie- und Würdeverletzung in Form einer „diskriminierenden“ Exklusion von entsprechender Forschung.114 Denn bei unvoreingenommener Sichtweise kann in den Kategorien von Egoismus und Altruismus nur dort gedacht werden, wo Individuen tatsächlich eigenverantwortlich entscheiden können. Im Übrigen handelt es sich bei der unterstellten hypothetischen Zustimmung der Betroffenen in die Einbeziehung in fremdnützige Forschungsmaßnahmen um eine bloße Fiktion.115 Dass eine Vermutung dieses Inhalts nicht existiert, lässt sich unschwer anhand der – ohne Zweifel beklagenswerten – aktuellen Blutspendepraxis belegen. Eine all110 Vgl. Brixius/Frehse, Arzneimittelrecht, S. 41 Fn 48; MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 39, 43. Zum Gebot richtlinienkonformer Auslegung nationaler Rechtssätze s. etwa EuGH NJW 1984, 2021 ff. (von Kolson und Karmann); BGH NJW 2002, 1881 ff. (Heininger); Auer, NJW 2007, 1106 ff.; Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 1994. 111 Vgl. MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 39; v. Freier, Humanforschung, S. 289. Auch Lippert, VersR 1997, 545, 546, betont die Bedeutung des Kriteriums eines überwiegenden eigenen Vorteils des Einwilligungsunfähigen als – von entsprechenden spezialgesetzlichen Regelungen unabhängige – Ausprägung eines allgemeinen Rechtsgedankens. 112 Vgl. Freund, KHuR 2005, 111, 113 Fn 16; Spranger, MedR 2001, 238, 243. Die Instrumentalisierung des Minderjährigen durch fremdnützige Forschung wird auch von der Gegenposition nicht ernsthaft in Abrede gestellt, s. etwa Magnus, Medizinische Forschung an Kindern, S. 69. – Zum verfassungsrechtlichen Instrumentalisierungsverbot vgl. Picker, JZ 2000, 693, 696; Schmidtchen, FS Lampe, S. 245, 257 ff. 113 So Rosenau, in: Deutsch/Taupitz (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle, S. 63, 85; ders., RPG 2002, 94, 101; Taupitz/Fröhlich, VersR 1997, 911, 914; Taupitz, JZ 2003, 109, 116. In diesem Sinne auch Wolfslast, KritV 1998, 74, 84. 114 So in der Tat Wolfslast, KritV 1998, 74, 84 f. Zur Kritik vgl. auch Höfling/Demel, MedR 1999, 540, 545; v. Freier, Humanforschung, S. 36 ff. 115 Aus diesem Grunde ist auch eine Heranziehung der Rawlsschen Gerechtigkeitstheorie nicht geeignet, fremdnützige Forschungseingriffe zu legitimieren. Die Annahme, in einem hypothetischen Naturzustand des Nichtwissens über den künftigen gesellschaftlichen Status würde der vernünftig Urteilende Bagatelleingriffen in seine Körperintegrität zur Deckung eines dringenden wissenschaftlichen Bedarfs auch von einem unparteilichen Standpunkt aus zustimmen, lässt sich zwar keinesfalls ausschließlich utilitaristisch begründen. Doch fehlt es für eine entsprechende Belastung Einzelner durch medizinische Eingriffe an einer hinreichenden gesellschaftlichen Akzeptanz. Die Umsetzung der dargestellten Überlegung würde vielfach als über Gebühr belastender nicht hinnehmbarer Eingriff empfunden. Vgl. hierzu Seelmann, FS Schreiber, S. 853, 865.
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gemeine Bereitschaft aus solidarischen Gründen „Blut zu spenden“ existiert de facto nicht.116 Aus dieser Tatsache ergibt sich vielleicht auch die Antwort auf die naheliegende Frage warum die postulierte „fürsorgliche sittliche Hebung“117 Einwilligungsunfähiger nicht auch unbeschränkt einwilligungsfähigen Personen zuteil wird. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Annahme mutmaßlicher Willensrepräsentation als Verschleierung der Tatsache, dass de facto eine Legitimation von Solidaritätspflichten gegenüber Einwilligungsunfähigen intendiert ist.118 bb) Legitimierbarkeit einer begrenzten Solidaritätspflicht? Als weiteres Vehikel zur Legitimation fremdnütziger Forschungsmaßnahmen bei Minderjährigen dient folgerichtig vielfach der Gedanke einer (begrenzten) Solidaritätspflicht. Entsprechende Pflichten sind in unserem Rechtskreis grundsätzlich nur in engen Grenzen anerkannt. Exemplarisch wird dies deutlich an der Unterlassenen Hilfeleistung nach § 323c StGB, welche insbesondere durch eine niedrige Opfergrenze gekennzeichnet ist.119 Schließlich wird, um ein anderes Beispiel zu nennen, im Kontext des § 34 StGB überwiegend die Erzwingbarkeit einer (lebensrettenden) Blutspende verneint.120 Ein Eingriff in höchstpersönliche Rechtsgüter durch eine Solidarpflicht ist hingegen im Fall der grundgesetzlich verankerten Wehrpflicht vorgesehen.121 Dieser verfassungsrechtlich legitimierte Eingriff verfolgt aber die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Staates und dient demnach einer staatlichen „Überlebenssicherungsfunktion“.122 Veranschlagt man also grundsätzlich das Selbstbestimmungsinteresse derart hoch, dass eine Solidaritätspflicht des Einzelnen nur in Ausnahmefällen und in engen Grenzen anerkannt wird,123 so ist nicht ersichtlich, welche Gründe eine exklusive Belas116
Zutreffend betont von Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 186 f. So pointiert Picker, JZ 2000, 693, 696. Vgl. hierzu auch Spranger, MedR 2001, 238, 243. 118 In diesem Sinne auch v. Freier, Humanforschung, S. 39, 65. 119 Vgl. dazu BGHSt 11, 135, 136 ff.; Arzt/Weber, BT, § 39 Rn 22 ff.; MünchKommStGBFreund, § 323c Rn 90 ff., 95; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 55 Rn 14 ff.; Seelmann, JuS 1995, 281, 285 f. Kritisch zur Legitimierbarkeit einer Strafbewehrung von Solidaritätspflichten Seelmann, in: Jung/Müller-Dietz/Neumann (Hrsg.), Recht und Moral, S. 295 ff. 120 Vgl. Gallas, FS Mezger, S. 311, 325 f.; Gropp, AT, § 6 Rn 143 f.; Lenckner, GA 1985, 295, 297; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 34 Rn 41e; Maurach/Zipf, AT 1, § 27 Rn 43; NK-Neumann, § 34 Rn 118. Gegen die hM Bernat, in: Deutsch/Taupitz (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle, S. 289, 300; Roxin, AT I, § 16 Rn 44; Joerden, GA 1991, 411, 425 f.; Kühl, AT, § 8 Rn 169 ff. 121 s. dazu etwa Kluth/Sander, DVBl. 1996, 1285, 1290 f. Vgl. zur Wehrpflicht als Grundpflicht auch Götz, VVDStRL 41 (1983), 7, 23 ff. 122 Vgl. Kluth/Sander, DVBl. 1996, 1285, 1290; v. Freier, MedR 2003, 610, 614. Zu pauschal daher die argumentative Parallele von Picker, JZ 2000, 693, 702, und Taupitz, JZ 2003, 109, 116 f. 123 Vgl. zu weiteren Solidarpflichten unserer Rechtsordnung und ihrer Begrenzung Kluth/ Sander, DVBl. 1996, 1285, 1289 ff. 117
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tung von Personen tragen sollen, welche ihre eigenen Interessen überhaupt nicht artikulieren können.124 Denn im Unterschied zu einwilligungsfähigen Personen, welche einer begrenzten Solidaritätspflicht unterworfen sind, bleibt Einwilligungsunfähigen die Möglichkeit, sich (selbst) gegen Beeinträchtigungen ihrer Rechtsgüter vor Gericht, durch entsprechende Interessenverbände oder politische Initiative zu wehren, vollständig verwehrt. De facto würden demnach durch fremdnützige Forschung an Einwilligungsunfähigen diejenigen belastet, von denen am wenigsten Widerstand zu erwarten ist.125 Ein angemessenes Konzept der „Sozialpflichtigkeit“ sieht anders aus.126 Es kann insoweit ausschließlich auf das Kriterium der „Tauglichkeit“ des Probanden, nicht hingegen auf seinen „Willen“ gestützt werden.127 Entsprechende Belastungen wären mithin allenfalls dann akzeptabel, wenn derartigen Solidarpflichten Geltung gegenüber jedermann zuerkannt würde.128 Dies ist jedoch mitnichten der Fall; selbst wenn eine bestimmte Exploration nur bei einer ganz bestimmten Gruppe einwilligungsfähiger Personen Erfolg verspräche, könnten diese – trotz ihrer gleichsam monopolartigen Stellung in Bezug auf das Forschungsvorhaben – nach freiem Gutdünken die Indienstnahme verweigern.129
124 Fischer, FS Schreiber, S. 685, 696, sowie Spickhoff, MedR 2006, 707, 710, stellen zwar zutreffend fest, dass bei einwilligungsunfähigen Minderjährigen – im Gegensatz zu Einwilligungsfähigen – ohne Bejahung einer entsprechenden Solidaritätspflicht bestimmte Studien nicht durchgeführt werden können, aber die Benennung dieser Tatsache ist als Argument zur Rechtfertigung jener Ungleichbehandlung ungeeignet, genauer, sie ist zirkulär. Die Prämisse, nur durch eine Ungleichbehandlung seien entsprechende Studien bei Minderjährigen rechtlich zu ermöglichen, soll der Begründung der rechtlichen Zulässigkeit dieser Ungleichbehandlung dienen. 125 Kritisch hinsichtlich dieser Ungleichbehandlung durch Inanspruchnahme nach „Verfügbarkeit“ auch Picker, JZ 2000, 693, 694; v. Freier, Humanforschung, S. 228 f. Insoweit fragt Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 83, zu Recht, warum eine entsprechende Solidaritätspflicht von den Vertretern der Gegenposition nicht auch im Bereich der medizinischen Forschung an Einwilligungsfähigen diskutiert wird. 126 Neben der Sache liegt daher auch der Vorstoß, die rechtliche Bewertung fremdnütziger Forschung an Einwilligungsunfähigen – unter Verweis auf staatliche Schutzpflichten für andere Betroffene (!) – dem Vormundschaftsgericht zu unterstellen. So in der Tat Sobota, FS Kriele, S. 367, 374 ff. Der Verstoß gegen das Instrumentalisierungsverbot liegt auf der Hand. Warum jene Konzeption nicht auch in Bezug auf die Einbeziehung unbeschränkt Einwilligungsfähiger in klinische Studien ein Entscheidungsmonopol des Vormundschaftsgerichts vorsieht, bleibt unbeantwortet. Der Hinweis auf staatliche Schutzpflichten für Dritte hat jedenfalls nur im Rahmen eines generalisierenden Konzeptes der Sozialpflichtigkeit ernstzunehmendes Gewicht. 127 Zutreffend betont von Picker, JZ 2000, 693, 702 f. Gegen ein „Sonderopfer“ einwilligungsunfähiger Personen auch Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 188 f.; v. Freier, MedR 2003, 610, 612. 128 Entsprechende Überlegungen („Lotterie“ zur Probandenauswahl) stellen Gersemann/ Illhardt, MedR 1986, 299, 300, an. Im Ergebnis wird jedoch derartigen Teilnahmezwängen mit Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht eine Absage erteilt. So auch Wunder, JZ 2001, 344 f. Die Einführung einer „Jedermanns-Pflicht“ wird dagegen – in sich konsequent – bejaht von Picker, JZ 2000, 693, 704 f.; ders., JZ 2001, 345 f. 129 Eindringlich zu dieser Ungleichbehandlung Picker, JZ 2000, 693, 701.
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
cc) Zur Relativierung des Instrumentalisierungsverbotes Darüber hinaus birgt eine entsprechende Aufweichung des Instrumentalisierungsverbotes die Gefahr einer fortwährenden Verschiebung der Grenzen des vermeintlich Zulässigen zugunsten des „allgemeinen Wohls“ im Rahmen des Abwägungsvorganges zwischen fremdem Nutzen und dem Grad der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des betroffenen Einwilligungsunfähigen.130 Es stünde zu befürchten, dass die Rechtfertigung einer „minimalen Belastung“131 durch die Erlangung gewisser (Behandlungs-)Vorteile für andere schrittweise ersetzt werden könnte durch ein Abwägungsverfahren, in welches gravierendere Beeinträchtigungen Einwilligungsunfähiger eingestellt werden.132 Hier fände eine Abstufung der Rechte der Betroffenen vom „Absolutum zurück zur relativen Größe“ statt.133 Lässt man nämlich diese Abwägung prinzipiell zu, so werden steigende Beeinträchtigungen stets mit einem entsprechend höheren Gewinn für Dritte legitimiert werden können. Bildlich gesprochen wird sowohl hinsichtlich des Nutzens als auch hinsichtlich der Belastung der Betroffenen ein Mehr „in die Waagschale geworfen“, so dass schlussendlich durchaus von einem „akzeptablen“ Abwägungsverhältnis gesprochen werden könnte. Jene Relativierung der Rechte Minderjähriger ist daher die Folge einer konsequent zu Ende gedachten Auffassung, welche forschungsbedingte Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität Einwilligungsunfähiger zugunsten fremden Wohls zulässt. Die Erwartung, dass es mit geringfügigen Beeinträchtigungen sein Bewenden haben wird, kann im Übrigen, in Anbetracht der moralischen „Forschungsmission“ schwerstes menschliches Leid zu lindern, als kontraempirisch bezeichnet werden.134 Dies zeigen bereits die vorhandenen nicht unerheblichen Friktionen bei der Konkre130 Ein Beispiel für jenes Argumentationsmuster findet sich etwa bei Magnus, Medizinische Forschung an Kindern, S. 63 f., 216 f. Unter Berufung auf die hohe Bedeutung entsprechender Forschung plädiert die Autorin für die – gleichsam unzulässige – rechtliche Gestattung fremdnütziger Forschung auch an gesunden Minderjährigen. In entsprechenden Fällen ist regelmäßig nicht einmal ein potentieller in hohem Maße unwahrscheinlicher individueller Nutzen der Exploration zu konstatieren. 131 So ausdrücklich Taupitz/Fröhlich, VersR 1997, 911, 915. Der Gesetzgeber der 12. AMGNovelle ist in § 41 II Nr. 2 d) AMG diesem Ansatz gefolgt und hat zugleich den Versuch unternommen, die Begriffe „minimales Risiko“ und „minimale Belastung“ legal zu definieren. Kritisch im Hinblick auf die praktische Realisierbarkeit dieser Risikogrenze bei der Erprobung neuer Arzneimittel Picker, JZ 2000, 693, 694 f.; v. Freier, Humanforschung, S. 122 ff.; Wölk, RPG 2004, 59, 68. Vgl. zu dem, was mitunter noch als „minimaler Eingriff“ anzusehen sein soll Höfling/Demel, MedR 1999, 540, 545 f.; Spranger, MedR 2001, 238, 243 f. 132 Ähnlich v. Freier, Humanforschung, S. 122 ff.; ders., MedR 2003, 610, 612. Gegen eine entsprechende „lineare“ Nutzen-Risiko-Abwägung auch Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 149 f. Dessen Verweis auf die Begrenzung hinnehmbarer Risiken durch die Sittenwidrigkeitsschranken des § 226a StGB (aF) bzw. § 138 BGB ist indes nicht geeignet, die grundsätzlichen Bedenken gegen die Gestattung fremdnütziger Forschung bei Einwilligungsunfähigen zu entkräften. 133 So Picker, JZ 2000, 693, 695. 134 s. dazu Picker, JZ 2000, 693, 695.
II. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln
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tisierung des Begriffs der „minimalen Belastung“.135 Das Instrumentalisierungsverbot verbietet seinem Sinn und Zweck nach gerade die Initiierung entsprechender Abwägungs- und Relativierungsprozesse – es verbietet damit aus gutem Grund die Öffnung der „Büchse der Pandora“. dd) „Forschungsverbot“ zum Nachteil der Betroffenen? Schließlich geht ein – gegen die hier vertretene strenge Position erhobener – Einwand dahin, der Ausschluss von Forschung an Einwilligungsunfähigen mit lediglich „gruppenspezifischem Nutzen“ bewirke, dass eine Verbesserung von Diagnostik und Therapie bestimmter Erkrankungen um so weniger zu erwarten sei, je lebensbedrohlicher sich diese darstellten. Denn mit sinkender Lebenserwartung der potentiellen Probanden sinke auch der „mögliche Eigennutzen“ entsprechender Forschung. Im Falle akuter Lebensgefahr tendiere dieser de facto gegen Null. Danach bliebe Forschung gerade in den Fällen untersagt, in denen diese besonders angezeigt sei.136 Hierzu ist folgendes zu sagen: Der Vorwurf einer in sich widersprüchlichen „absoluten Forschungssperre“ geht zunächst insoweit fehl, als fremdnützige Forschung an nicht uneingeschränkt Einwilligungsfähigen nicht per se untersagt ist, sondern im Rahmen eines Co-Consents des Betroffenen durchaus eine den rechtlichen Anforderungen genügende Einwilligung in das Forschungsvorhaben erteilt werden kann.137 Die eingangs dargestellte Betonung einer exklusiven Bedeutung fremdnütziger Forschung bei „Todgeweihten“ lässt hingegen aufhorchen; mit dieser Begründung ließe sich nämlich nicht nur die postulierte Eingehung „minimaler Risiken“ legitimieren, sondern man könnte von diesem Standpunkt aus mit Fug und Recht behaupten, mit zunehmender Todesnähe der Betroffenen sinke das rechtliche Schutzniveau im Hinblick auf fremdnützige Forschung, gehe also eine entsprechende Erweiterung der Interventionsbefugnisse einher.138 Diese Position steht jedoch in fundamentalem Widerspruch zum verfassungsrechtlich verbürgten absoluten Lebensschutz.139 In diesem Kontext ist schließlich festzuhalten, dass die Unterversorgung von Kindern mit Arzneimitteln bislang weniger aus rechtlichen Forschungshindernissen als
135 Vgl. zur Bandbreite entsprechender Interpretationsversuche Höfling/Demel, MedR 1999, 540, 545 f.; Spranger, MedR 2001, 238, 243 f. 136 In diesem Sinne etwa Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 148 f.; Taupitz/Fröhlich, VersR 1997, 911, 914. 137 Vgl. dazu MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 31, 43; Schönke/SchröderLenckner, Vor §§ 32 ff. Rn 40; v. Freier, MedR 2003, 610, 614 f. – Zu den Rechtsgrundlagen und der Interpretation derartiger Vetorechte vgl. Amelung, Vetorechte beschränkt Einwilligungsfähiger, S. 12 ff., 24 ff. 138 Die entsprechende Frage wird in der Tat formuliert von Spickhoff, MedR 2006, 707. 139 Zur Absolutheit des Lebensschutzes vgl. etwa BGHSt 7, 287, 288; 41, 317, 325; Maurach/Schroeder/MaiACHTUNGREwald, BT 1, § Rn 5 ff.
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
vielmehr aus der mangelnden Rentabilität entsprechender Studien resultiert.140 Tauglicher Adressat der vorgenannten Kritik sind damit letztlich Entscheidungsträger des Gesundheitssystems. Die dem geltenden Recht widersprechende Interpretation der einschlägigen arzneimittelrechtlichen Vorschriften geht somit in dieser Hinsicht am eigentlichen Sachproblem vorbei und vermag im Übrigen an jener grundsätzlichen Misere nichts zu ändern. Demzufolge gibt es im geltenden Recht keinen Rechtfertigungsgrund für fremdnützige Forschung an Einwilligungsunfähigen – und zwar auch nicht an minderjährigen.141 Stimmt eine Ethik-Kommission dennoch einer klinischen Prüfung zu, welche dieser rechtlichen Vorgabe nicht entspricht, kommt mithin eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger (nebentäterschaftlicher) Körperverletzung nach § 229 StGB bzw. wegen vorsätzlicher Beihilfe zur Körperverletzung durch den Forscher gemäß §§ 223 I, 27 I StGB142 in Betracht.143 In letztgenanntem Fall wird das für die Beihilfe relevante aktive Tun in Form der Abgabe des Votums regelmäßig durch eine nachfolgende Unterlassungsnebentäterschaft (§§ 223 I, 13 I StGB) der Kommissionsmitglieder verdrängt.144
5. Die Nutzen-Risiko-Abwägung Die Anforderungen an die Abwägung zwischen den Risiken der klinischen Prüfung für die betroffene Person und dem individuellen sowie allgemeinen Nutzen des Arzneimittels durch die Ethik-Kommission sind im Gesetz nur fragmentarisch 140
Vgl. dazu Magnus, Medizinische Forschung an Kindern, S. 13; Taupitz, JZ 2003, 109; Wölk, RPG 2004, 59, 68. 141 Im Ergebnis ebenso Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 180 ff. Das Fehlen eines entsprechenden rechtlichen Erlaubnissatzes kann im Übrigen nicht durch das Votum einer EthikKommission „substituiert“ oder „kompensiert“ werden. Deren Votum kann nur insoweit Legitimationswirkung entfalten, als sich eine solche aus den Wertungen der Rechtsordnung ergibt. Siehe dazu auch v. Freier, Humanforschung, S. 91. 142 Nach Rosenau, RPG 2002, 94, 97, soll allerdings für den Prüfarzt bei zustimmender Entscheidung der Ethik-Kommission ein Vorsatz- und selbst ein Fahrlässigkeitsvorwurf entfallen. Diese Aussage mag im Ergebnis oftmals zutreffen – dies gilt zumindest im Hinblick auf vorsätzliches Fehlverhalten. Jedoch führt die entsprechende apodiktische Bewertung im Einzelfall zu einer Missachtung der Anforderungen an eine exakte Bestimmung vorsätzlichen oder fahrlässigen Fehlverhaltens. Es käme insofern ja auch niemand auf die Idee, die Krankenschwester, welche auf ärztliche Anweisung und wider besseres Wissen eine kontraindizierte gesundheitsschädliche Medikation verabreicht, vom Vorwurf vorsätzlichen Körperverletzungsunrechts zu entlasten. 143 Zu den Anforderungen vorsätzlichen Fehlverhaltens vgl. im Einzelnen Freund, AT, § 7 Rn 35 ff. 144 Im Hinblick auf die Unterlassungsnebentäterschaft ist diese Konstellation vergleichbar mit der des Vollzugsbeamten, welcher dem Sicherungsverwahrten durch Missachtung von Sicherheitsbestimmungen die Begehung von Straftaten ermöglicht. Vgl. dazu Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 258 f.
II. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln
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geregelt. Nach §§ 42 I 7 Nr. 3, 40 II 3 Nr. 2 AMG darf die zustimmende Bewertung nur bei „ärztlicher Vertretbarkeit“ von Nutzen und Risiko versagt werden. Die entsprechende Abwägung ist demnach durch einen Arzt vorzunehmen, unterliegt jedoch einer rechtlichen Nachprüfung.145 Die Pflicht des Arztes zur Abwägung und die damit einhergehende Verantwortlichkeit des Leiters der klinischen Prüfung entbindet die Mitglieder der zuständigen Ethik-Kommission daher nicht von der Aufgabe, die zur Vertretbarkeit des Nutzen-Risiko-Verhältnisses angestellten Erwägungen – im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren – nachzuvollziehen und nach Maßgabe der weiteren Antragsunterlagen auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen. a) Sachgerechte Begrenzung der Prüfpflichten infolge der Ausgestaltung des Verfahrens Für die Feststellung einer Verhaltensmissbilligung im Hinblick auf die Prüfung der Ethik-Kommission ist zu berücksichtigen, dass Zeit- und Kapazitätsgründe eine verantwortungsersetzende Funktion der Ethik-Kommission ausschließen.146 Mehr als eine kursorische, auf die Bewertung erfahrungsgemäß problematischer Einzelheiten konzentrierte, Prüfung der vom Sponsor eingereichten Antragsunterlagen kann den Kommissionsmitgliedern nach der gesetzlichen Konzeption des Verfahrens vor diesem Gremium nicht abverlangt werden. Eine tatbestandliche Verhaltensmissbilligung kommt also nur dann in Betracht, wenn die Mitglieder der Ethik-Kommission diejenigen Anforderungen missachten, welche mit Blick auf den Schutz der Probanden gerade an sie zu stellen sind. Neben genannten Kapazitätsengpässen ist dabei die Ausgestaltung des Verfahrens als Unterlagenprüfverfahren gemäß § 42 I AMG bzw. § 7 I GCP-V zu berücksichtigen. Diese Tatsache führt dazu, dass eine Rechtspflicht der Ethik-Kommission zur Beanstandung unvertretbarer Risiken von vornherein zu beschränken ist auf die Bewertung solcher Umstände, welche im Projektplan ausgewiesen waren oder sich aus diesem ergaben. Darüber hinaus ist eine Pflicht zur Beanstandung allenfalls dann legitimierbar, wenn innerhalb des Gremiums (im Ausnahmefall) tatsächlich Kenntnisse über arzneiliche Wirkungen des Prüfpräparates oder sonstige Details des eingereichten Antrags bestehen, welche hinreichend gewichtige Zweifel an der Darstellung in den Antragsunterlagen zu wecken vermögen.
145 Vgl. Deutsch/Lippert-Deutsch, § 40 Rn 8; MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 14. 146 s. dazu Freund, KHuR 2005, 111, 112. Bereits im Jahr 1998 lag die durchschnittliche Zahl der Primäranträge (an die hauptzuständige Kommission) bei 123 und diejenige der Sekundäranträge (an eine andere als die hauptzuständige Kommission) bei 143, s. dazu Wilkening, MedR 2001, 301, 304. Allgemein zum Erfordernis einer in concreto legitimierbaren Verhaltensnorm als grundlegendem Datum eines rechtlichen Missbilligungsurteils vgl. oben B. I.
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
b) Zur Legitimierbarkeit der Durchführung von Arzneimittelprüfungen mit Rücksicht auf Bedingungen kognitiver Unsicherheit im Rahmen der Risikobewertung Jeder Versuch einer rechtlichen Konkretisierung der für die Nutzen-Risiko-Abwägung maßgeblichen Kriterien sieht sich vor das Problem gestellt, dass die vorzunehmende Bewertung unter den Bedingungen kognitiver Unsicherheit zu erfolgen hat.147 Die Vorhersehbarkeit von Nutzen und Risiko ist zu Beginn der Prüfung nur eingeschränkt gegeben und stützt sich vor allem auf Ergebnisse tierexperimenteller Untersuchungen.148 Eine Wirksamkeit bzw. tatsächliche Überlegenheit eines neuen Pharmakons kann daher in der Regel nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden. Aus diesem Grund wird das Erfordernis der Nutzen-Risiko-Abwägung vereinzelt mit dem Argument in Frage gestellt, das Risiko sei in tatsächlicher Hinsicht gar nicht überschaubar.149 Diese Aussage stimmt für sich genommen, sie spricht dennoch nicht gegen eine Komparabilität von Nutzen und Risiko. Insofern ist der Grad der Unsicherheit der Risikobewertung seinerseits wesentlicher Faktor der Feststellung des konkreten Risikos. Je „unüberschaubarer“ ein Risiko ist, desto erheblicher ist es.150 Hieraus folgt schließlich die Notwendigkeit, die Bewertung der Risiken im Verlauf der klinischen Studie regelmäßig zu aktualisieren, um vorhandene Unsicherheiten in der Risikoanalyse zu verringern und etwaigen neuen Erkenntnissen Rechnung tragen zu können.151 Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund kann im Bereich klinischer Prüfungen nicht schlicht nach dem Grundsatz „nihil nocere“ verfahren werden. Ein allgemeiner sowie ggf. individueller Nutzen kann vielfach nicht ohne eine Gefährdung oder Beeinträchtigung der Rechtsgüter des Probanden – etwa der Körperintegrität durch eine Injektion – erzielt werden.152 Der Schutz der Unverletzlichkeit der Person ist daher – wie in anderen Lebensbereichen auch – nur relativ zu gewährleisten.153 Die Inkaufnahme entsprechender Risiken durch den einzelnen Probanden kann insofern nicht durch
147 Vgl. Elzer, Klinische Prüfungen an Einwilligungsunfähigen, S. 106; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 193 ff.; ders., RPG 2004, 59, 64. Zur maßgeblichen Beurteilungsperspektive bei der Verhaltensnormlegitimation s. auch unten C. VI. 148 Für diesen Zustand findet sich daher die Bezeichnung des jedem medizinisch-therapeutischen Fortschritt immanenten sog. „kalkulierten Risikos“. Vgl. Sander, Erl. § 40 AMG C Anm. 21. 149 So etwa Schimikowski, Experiment am Menschen, S. 51. 150 Ähnlich Biermann, Die Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 253. Eingehend zur qualitativen und quantitativen Komponente der arzneimittelrechtlichen Risikobewertung unten D. III. 3. a). 151 s. etwa Biermann, Die Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 263. 152 Vgl. dazu etwa Deutsch, PharmaR 1982, 1, 3; Fischer, FS Schreiber, S. 685. 153 Vgl. Deutsch, PharmaR 1982, 1, 3.
II. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln
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einen Nutzen für die Allgemeinheit legitimiert werden.154 Mit Rücksicht auf das verfassungsrechtlich verbürgte Selbstbestimmungsrecht maßgeblich ist stets die rechtswirksame Einwilligung des Probanden in die Teilnahme an der Arzneimittelprüfung. Infolgedessen gelten strenge Regularien, um die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts nicht zu unterlaufen und die Rechtsgüter des Einzelnen nicht gewissermaßen auf dem „Altar“ eines allgemeinen Nutzens zu opfern. Die betreffende Aufklärung potentieller Studienteilnehmer hat dabei zur Voraussetzung, dass der Betroffene über Nutzen und Risiken der geplanten Studie angemessen aufgeklärt wird und auf dieser Basis eine subjektive Nutzen-Risiko-Bewertung vornehmen kann.155 Eine rechtswirksame Einwilligung kann mithin auf der Basis unzureichender Information über die Abwägung von Nutzen und Risiken nicht erteilt werden. Insoweit lassen sich einige Leitprinzipien benennen, welche dem Abwägungsvorgang zugrunde zu legen sind. c) (Einfach-)Gesetzliche Abwägungssperren Das Spektrum rechtlich zulässiger Forschung ist prinzipiell begrenzt durch bestimmte gesetzliche Abwägungssperren.156 Solche bestehen etwa in Gestalt des Verbotes von klinischen Prüfungen an Untergebrachten nach § 40 I 3 Nr. 4 AMG oder des Verbotes der (fremdnützigen) Forschung mit Minderjährigen, welche auch nach Erreichen der Volljährigkeit einwilligungsunfähig sein werden, § 41 II 2 AMG. Nach dem Arzneimittelrecht ausgeschlossen ist schließlich gemäß § 41 III AMG (fremdnützige) Forschung mit einwilligungsunfähigen Volljährigen.157 Eine gesetzliche Abwägungssperre findet sich daneben im Kriterium des überwiegenden Eigeninteresses bei der klinischen Prüfung an Minderjährigen nach § 40 IV Nr. 3 S. 2 AMG bzw. Art. 4 lit. a, i und Art. 5 lit. a, h, i Richtlinie 2001/20/EG.158 Letztgenanntes Gesetzesmerkmal führt sachlich zum Verbot der Forschung bei gesunden Minderjährigen – eröffnet demnach auch keine Möglichkeit zur Einbeziehung Betroffener in klinische Studien im Rahmen eines Co-Consent. Daneben resul154 Missverständlich insoweit Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 44. – Zur Ablehnung des Solidarpflichtgedankens bei der Forschung mit Einwilligungsunfähigen s. bereits oben C. II. 4. b). 155 Vgl. Wölk, RPG 2004, 59, 66. Siehe hierzu im Einzelnen unten C. II. 6. b). 156 s. dazu Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 277 ff.; ders., RPG 2004, 59, 65. 157 Eine Konkretisierung der näheren Anforderungen des erforderlichen individuellen Benefit enthält § 41 III Nr. 1 AMG. Dabei handelt es sich der Sache nach um die kontextspezifische Normierung der Voraussetzungen einer mutmaßlichen Einwilligung einwilligungsunfähiger Volljähriger. 158 Diese Regelungen enthalten letztlich eine einfachgesetzliche Ausprägung übergeordneter verfassungsrechtlicher Prinzipien. Hinter dem besonderen Schutz Untergebrachter steht dabei die besondere Gefährdung der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch die Unterbringungssituation. Vgl. dazu Deutsch, in: Breddin (Hrsg.), Untersuchungen am Menschen, S. 10, 18 f.; Sander, Erl. § 40 AMG C Anm. 24. Zu den bei der Auslegung des Arzneimittelgesetzes zu beachtenden verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der Forschung mit Minderjährigen s. oben C. II. 4. b).
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
tiert aus dem Erfordernis des überwiegenden Eigeninteresses – trotz des durch § 41 II Nr. 2 a) AMG erweckten Anscheins – ein Verbot der Forschung mit kranken Minderjährigen zum „gruppenspezifischen Nutzen“.159 d) Konkretisierung der Begriffe Nutzen und Risiko Der Gegenstand des individuellen Nutzens der betroffenen Person in § 40 I 3 Nr. 2 AMG als Abwägungsfaktor ist vor dem Hintergrund, dass § 40 AMG die klinische Prüfung am gesunden Probanden erfasst, auf den ersten Blick nicht eindeutig zu bestimmen.160 Da ein Vorteil für den Probanden durch die Arzneimittelprüfung nicht zu erwarten ist, kann die Frage nach einem individuellen Nutzen für den Betroffenen allenfalls hypothetisch für einen möglichen zukünftigen Krankheitsfall beantwortet werden.161 Die entsprechende Hypothesenbildung kann damit letztlich nur einen (potentiellen) fremden Nutzen der klinischen Studie abbilden. In jenen Fällen kommt also der Tatsache, dass der betroffene Proband nicht im eigenen, sondern im fremden Interesse an der Studie teilnimmt, zugleich eine im Vergleich zur Forschung im Betroffeneninteresse begrenzende Wirkung hinsichtlich der legitimierbaren Risiken zu.162 Grundlegend lassen sich auf abstrakter Ebene bestimmte Belange kennzeichnen, welche eine Konkretisierung der Begriffe Nutzen und Risiko ermöglichen. Besonderes Gewicht haben insofern – neben der Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde – das Gebot der Risikominimierung für den einzelnen Probanden und das korrespondierende Gebot der individuellen Nutzenmaximierung.163 Im Hinblick auf diese Maximen hat demnach eine ausschließlich individuelle Bestimmung der zu erwartenden Belastungen und Vorteile der klinischen Prüfung zu erfolgen. Je nach Konstitution oder Alter kann diese Abwägung für die Betroffenen durchaus unterschiedlich ausfallen.164 Dieser Vorrang des Probandeninteresses wird gemeinhin auch den
159 Eingehend dazu oben C. II. 4. Allenfalls kann in dieser Konstellation darüber nachgedacht werden, ob § 41 II Nr. 2 a) AMG nicht die Möglichkeit eröffnet, entsprechende Forschung mit (hinreichend einsichtsfähigen) kranken Minderjährigen im Rahmen eines Co-Consent durchzuführen. Das Arzneimittelrecht enthält insofern kein Forschungsverbot, zudem ist derartige Forschung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar. 160 Vor Umsetzung des Art. 3 II a der Richtlinie 2001/20/EG durch die 12. AMG-Novelle nannte das Gesetz in § 40 I Nr. 1 AMG aF – weniger verunklarend – lediglich die voraussichtliche Bedeutung des Präparates für die Heilkunde. Selbstverständlich war auch insoweit im Rahmen der Abwägung ein individueller Benefit des Probanden zu berücksichtigen. 161 Vgl. dazu auch Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 44 Fn 120. 162 s. dazu auch unten C. II. 5. e). 163 Eingehend Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 284 ff., 295 ff. Siehe dazu auch Deutsch, in: Breddin (Hrsg.), Untersuchungen am Menschen, S. 10, 15. 164 Vgl. MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 19 f.; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 44.
II. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln
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§§ 40 ff. AMG, §§ 20 ff. MPG entnommen.165 Das Optimierungsgebot zugunsten des Probandeninteresses ist beispielsweise einschlägig, sofern aus wissenschaftlichen Gründen eine Placebo-Kontrollgruppe gebildet wird, obwohl eine wirksame Standardbehandlung existiert. Hier trügen die Probanden das Risiko ihrer Nichtbehandlung, so dass das Vorenthalten der Standardbehandlung mit dem Ziel der Erlangung zuverlässigerer Daten als Vergleichsmaßstab für die Verumgruppe insoweit unzulässig ist.166 Ein solches Vorgehen kann lediglich in Betracht kommen, wenn der medizinische Fortschritt für die Betroffenen ausschließlich durch Bildung einer PlaceboKontrollgruppe erreicht werden kann und das Studiendesign als solches in der Patientenaufklärung erläutert wird. Neben der erforderlichen Berücksichtigung jener individuellen Belange ist regelmäßig eine Differenzierung nach Maßgabe des beteiligten Personenkreises angezeigt. Insoweit macht es etwa einen erheblichen Unterschied, ob eine Arzneimittelprüfung an Patienten durchgeführt wird, welche zudem im Rahmen der Studie auf eine vorhandene Standardmedikation verzichten, oder ob sich beteiligte Wissenschaftler als Probanden für ein Forschungsvorhaben zur Verfügung stellen. Während ein abstrakter wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn für die Erstgenannten nahezu irrelevant sein wird – im Vordergrund ihres Interesses steht die Heilung oder Linderung ihres akuten Leidens –, bildet jener für eine Gruppe von Forschern, vielleicht sogar gänzlich unabhängig von einem tatsächlichen Fortschritt in der Therapie, unter Umständen die Triebfeder zur Eingehung erheblicher Risiken. Auch an dieser Stelle zeigt sich, dass eine schematische Orientierung an den Kategorien sog. „Wissens-“ oder „Heilversuche“ zur Legitimation spezifischer Belastungen wenig beiträgt.167 Die Deklaration als „bloßer Wissensversuch“ ist mit Blick auf die grundrechtlich verbürgte Forschungsfreiheit und die autonome Entscheidung der betroffenen Forscher in unserem Beispiel – selbst für den Fall drohender nicht unerheblicher Gesundheitsrisiken – keinesfalls geeignet, die Durchführung der entsprechenden klinischen Prüfung rechtlich zu versagen.168 Welche Personen im Rahmen eines bestimmten Forschungsprojektes in welchem Ausmaß profitieren, kann mithin nur unter Berücksichtigung der im Einzelfall vorfindbaren Interessenkonstellation festgestellt werden. Diesem Gesichtspunkt wird durch eine „abstrakte“ Abwägung von Nutzen und Risiken einer klinischen Prüfung nicht hinreichend Rechnung getragen.
165 s. etwa Schreiber, in: Deutsch/Taupitz (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle, S. 303, 305. 166 Vgl. hierzu Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 297 Fn 695. Zu einem weiteren Beispiel vgl. Schreiber, in: Deutsch/Taupitz (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle, S. 303, 305. 167 s. dazu bereits oben C. II. 3. 168 Zum Stellenwert der Forschungsfreiheit für die Einschränkbarkeit von Forschungsvorhaben s. bereits oben C. II. 1. Zur Bedeutung der rechtswirksamen Einwilligung betroffener Probanden zur Legitimation der Eingehung bestimmter Risiken im Rahmen einer Arzneimittelprüfung s. oben C. II. 5. b) sowie unten C. II. 6.
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
Ein rechtlich relevantes Risiko ist auch in Konstellationen der fehlenden Wirksamkeit eines Präparates zu bejahen. Dies gilt selbst für den Fall, dass das betreffende Pharmakon keine auf seine stoffliche Zusammensetzung rückführbaren Risiken aufweist, denn es besteht stets das Risiko, dass an der Studie partizipierenden Patienten eine wirksame Standardmedikation vorenthalten wird.169 Im Stadium der Beratung einer klinischen Studie durch die Ethik-KomACHTUNGREmission ist allerdings zu berücksichtigen, dass eine valide Aussage über die (tatsächliche) Unwirksamkeit eines Präparates ex-ante nur in den seltensten Fällen getroffen werden kann. Dabei setzt die Ablehnung einer Studie nach geltendem Recht das tatsächliche – und nicht lediglich mögliche – Vorliegen eines Versagungsgrundes i. S. d. § 42 I 7 AMG voraus. Mit Rücksicht auf jenes Erfordernis des tatsächlichen Vorliegens eines Versagungsgrundes kommt eine Verweigerung der zustimmenden Bewertung in entsprechenden Zweifelsfällen nicht in Betracht. Die Ethik-Kommission ist jedoch – sofern sich entsprechende Verdachtsmomente aus den eingereichten Unterlagen ergeben – gehalten, auf Zwischenauswertungen oder Abbruchkriterien im Prüfplan zu dringen, um einen rechtzeitigen Abbruch der Studie für den Fall zu gewährleisten, dass die Annahme der Wirksamkeit sich als ungerechtfertigt erweist.170 Die vorstehend im Zusammenhang möglicherweise fehlender Wirksamkeit des Prüfpräparates skizzierte Problematik eines non-liquet ist hingegen kein insoweit spezifisches Problem. Auch in weiteren Konstellationen – etwa im Hinblick auf das Schädigungspotential des Prüfpräparates – sind Fälle eines nicht behebbaren Zweifels denkbar. Maßgeblich für die Entscheidung der Ethik-Kommission bei entsprechender Sachlage ist die gesetzliche Normierung enumerativ abschließend aufgeführter Versagungsgründe in § 42 I 7 AMG.171 Mit Rücksicht auf den Vorbehalt des Gesetzes rechtfertigt die bloße Möglichkeit des Vorliegens eines entsprechenden Tatbestandes daher keine Beschränkung der in Aussicht genommenen Arzneimittelprüfung. Das Arzneimittelrecht erlaubt die Versagung der zustimmenden Bewertung nur in den Fällen, in denen ein Versagungsgrund normativ hinreichend sicher festgestellt werden kann.172 Auch in entsprechenden Konstellationen des nicht behebbaren Zweifels bestehen für die zuständige Ethik-Kommission allerdings gewisse Verhaltenspflichten, um insoweit vorhandene Risiken dem Recht entsprechend zu beseitigen oder zu reduzieren. Zum einen ist zu kontrollieren, dass der Prüfplan dann einen Abbruch der klinischen Studie vorsieht, wenn die Überlegenheit einer bestimmten Be169
Vgl. zum entsprechenden Risiko im Kontext der Entscheidung über die Arzneimittelzulassung BT-Drs. 7/5091, S. 6 170 Zutreffend betont von Scholz/Stoll, MedR 1990, 58, 62. 171 Vgl. dazu bereits oben C. II. 1. 172 Diese gesetzliche Konzeption erklärt sich daraus, dass eine Einschränkung entsprechender Forschungsprojekte in Fällen des nicht behebbaren Zweifels mit Rücksicht auf die verfassungsrechtlich verbürgte Forschungsfreiheit schwerlich mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang zu bringen wäre. Siehe dazu auch Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 505. Vgl. zur insoweit betroffenen Forschungsfreiheit etwa Alber-Malchow, Mitwirkung von EthikKommissionen, S. 45 ff.; 65 ff.; Deutsch, VersR 1999, 1, 3 f.; Stamer, Ethik-Kommissionen, S. 37 f., 109.
II. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln
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handlung hinreichend sicher belegt ist.173 Daneben ist insbesondere darauf zu achten, dass in der Probandeninformation zutreffend über ungewisse Erfolgsaussichten bzw. Unsicherheiten im Rahmen der Risikoeinschätzung hingewiesen wird.174 Jene Verhaltenspflichten sind über das Erfordernis der wirksamen Einwilligung potentieller Probanden in die Studienteilnahme strafrechtlich abgesichert. Nicht abschließend geklärt ist, ob eine engmaschige medizinische Begleitung im Rahmen einer Studie als Nutzen in die Abwägung einzustellen ist.175 Diese Forderung ist bereits insofern nicht unproblematisch, als eine gegenüber der „Alltagsversorgung“ tatsächlich bessere medizinische Grundversorgung die Gefahr einer Verfälschung der Ergebnisse der Arzneimittelprüfung beinhaltet. Wird die klinische Prüfung nicht unter Alltagsbedingungen durchgeführt, ist die Repräsentativität der Ergebnisse nicht hinreichend gesichert.176 Daneben erscheint es fraglich, ob eine in diesem Sinne „irreguläre“177 Versorgung vor dem Recht überhaupt als gesundheitsbezogener Nutzen anerkannt werden kann.178 Denn der Patient hat ohnedies gemäß §§ 2 I, 12 I SGB V einen Rechtsanspruch auf ausreichende und zweckmäßige Leistungen, also jedenfalls auf eine angemessene Standardtherapie. Nimmt man hingegen das höhere Risiken aufweisende Erprobungshandeln – also die Therapie mit einem neuartigen Verum – in den Blick, ist eine den entsprechenden Risiken Rechnung tragende Versorgung als Komponente des Gebotes der Risikominimierung bereits Bestandteil der Bewertung jenes Erprobungsrisikos. Jene Maßnahmen zur Risikobegrenzung können nicht darüber hinaus als separater Nutzen ausgewiesen – also gewissermaßen „doppelverwertet“ werden. Dies gilt selbst dann, wenn tatsächlich positive Nebeneffekte eintreten, welche nicht unmittelbar mit der Begrenzung bestimmter Forschungsrisiken verbunden sind – beispielsweise bei einer regelmäßigen Kontrolle von Blutwerten unter studienspezifischen sowie darüber hinaus unter insoweit unspezifischen Gesichtspunkten. Der hiermit einhergehende Nebeneffekt ist normativ betrachtet lediglich ein „Reflex“ der Pflicht zur Risikominimierung. Eine entsprechende „irreguläre“ Versorgung ist mithin lediglich als Komponente der Pflicht zur Verringerung bzw. Begrenzung forschungsbedingter Risiken anzuerkennen. e) Fallgruppenspezifische Konkretisierung Schließlich lassen sich bestimmte für die Nutzen-Risiko-Abwägung relevante Wertungen fallgruppenspezifisch konkretisieren. Ein entsprechender Wertungsas173
Vgl. dazu unten C. II. 6. c). Vgl. dazu unten C. II. 6. b). 175 So etwa Peter, Forschung am Menschen, S. 116. 176 Vgl. Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 285 f. 177 Der Begriff „irregulär“ ist hier untechnisch zu verstehen und meint lediglich die Abweichung von der Standardtherapie. Als von Rechts wegen gebotene Versorgung entspricht diese selbstverständlich den entsprechenden „Regularien“. 178 Zur hier vertretenen Position vgl. auch v. Freier, Humanforschung, S. 65 ff. 174
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
pekt begegnet uns etwa beim Vergleich von fremdnütziger mit im Betroffeninteresse legitimierbarer Forschung. Ist ein gesundheitsbezogener Nutzen für den Probanden zu erwarten, sind grundsätzlich höhere Risiken vertretbar, als wenn eine derartige Nutzenerwartung nicht besteht.179 Da die zu erwartenden Belastungen und Vorteile bei dem betroffenen Probanden kongruieren, kann bildlich gesprochen jeweils ein „Mehr“ auf die Waagschale gelegt werden. Stellt sich die klinische Prüfung mangels Behandlungsalternative als „ultima ratio“ dar, ist je nach Schwere der Krankheit unter Umständen sogar die Eingehung erheblicher Risiken zulässig.180 In diesen Kontext gehört unter bestimmten Umständen auch die Bewertung klinischer Prüfungen sog. „me-too-Präparate“.181 Hierunter versteht man Arzneimittel, die zwar einen neuen Wirkstoff enthalten, welcher jedoch dem Wirkstoff bereits zugelassener Medikamente sehr ähnlich ist.182 Zu unterscheiden sind diese von Generika, welche sich durch die gleiche qualitative und quantitative Zusammensetzung aus Wirkstoffen und die gleiche Darreichungsform wie das Referenzarzneimittel auszeichnen.183 Vielfach wird argumentiert, dass mangels einer Bedürfnisprüfung für das neue Präparat im Kontext der Zulassungsentscheidung gemäß § 25 AMG auch für eine positive Nutzen-Risiko-Abwägung im Rahmen der Bewertung einer klinischen Prüfung keine strengeren Kriterien Anwendung finden könnten.184 Im Übrigen sei es nicht möglich, stets vor Beginn einer klinischen Prüfung eine Marktanalyse durchzuführen.185 Nach dieser Auffassung gelten für die Nutzen-Risiko-Abwägung bei Nachahmerpräparaten im Ergebnis weniger strenge Kriterien als bei sonstigen Arzneimitteln. Der Verweis auf die rechtlichen Kriterien der Zulassung greift dabei zu kurz und ist bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung der Ethik-Kommission unspezifisch. Bestätigt sich die begründete Erwartung einer medizinischen Innovation bzw. therapeutischen Verbesserung im Rahmen einer klinischen Studie nicht, besteht kein Grund, ein Altarzneimittel durch eine Zulassungsverweigerung 179 So auch Schreiber, in: Deutsch/Taupitz (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle, S. 303, 305 f.; ders., in: Helmchen/Winau (Hrsg.), Versuche mit Menschen, S. 15, 21; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 301 f.; ders., RPG 2004, 59, 65. 180 Vgl. dazu Deutsch/Lippert-Deutsch, § 40 Rn 8; Rosenau, in: Deutsch/Taupitz (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle, S. 63, 69 f.; Schreiber, in: Helmchen/Winau (Hrsg.), Versuche mit Menschen, S. 15, 25. 181 Auch bezeichnet als Nachahmerpräparate, Schrittinnovationen oder Analogarzneimittel. 182 Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen v. 14. 12. 2006, L 10 B 21/06. 183 Vgl. Art. 10 II b S. 1 RiLi 2001/83/EG. 184 So etwa Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 47; Scholz/Stoll, MedR 1990, 58, 60. 185 So Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 47. Dieser Standpunkt lässt allerdings die Frage unbeantwortet wie, wenn nicht jedenfalls auch durch eine Marktanalyse, der bis dato zu konstatierende, für die Nutzen-Risiko-Abwägung relevante therapeutische Fortschritt zu messen sein soll. Der Vergleich des neuen Pharmakons mit herkömmlichen Präparaten setzt denklogisch nun einmal voraus, dass die für das fragliche Indikationsgebiet zugelassenen Arzneimittel berücksichtigt werden.
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für ein (gleichwertiges) Analogpräparat vor wirtschaftlicher Konkurrenz zu schützen. Dieser rechtliche Ausgangspunkt ergibt sich tatsächlich aus § 25 AMG. Jener Aspekt ist dagegen irrelevant im Zeitpunkt der Entscheidung über die Bewertung einer klinischen Prüfung. Die Belastung der Versuchsteilnehmer mit ungewissen Risiken186 eines zu prüfenden Analogpräparates kann nicht legitimiert werden, sofern die Möglichkeit einer therapeutischen Innovation bzw. eines therapeutischen „Mehrwerts“ im Einzelfall von vornherein ausgeschlossen werden kann.187 Aufgrund dessen lässt sich eine (mehr als nur unerhebliche Risiken aufweisende) klinische Prüfung eines Pharmakons nur legitimieren, wenn tatsächlich die Erwartung eines therapeutischen Fortschritts besteht.188 Andernfalls verbleiben für die Probanden die Risiken der Anwendung des neuen Präparates, ohne dass ein (potentiell) höherer Nutzen im Vergleich zu bewährten Arzneimitteln korrespondiert.189 Mit anderen Worten: Hier geht es gar nicht um die Frage möglicher Marktsättigung, sondern um die Legitimierbarkeit der Eingehung bestimmter Risiken für die an einer Studie teilnehmenden Probanden.
f) Zum Problem der Probandenvergütungen Die Angemessenheit einer Aufwandsentschädigung für Teilnehmer an klinischen Arzneimittelprüfungen ist nicht ernsthaft umstritten. Es existiert kein Sachgrund, den mit der Teilnahme verbundenen Zeitaufwand sowie die hiermit verbundenen Belastungen kompensationslos zu stellen.190 Zweifelhaft ist dagegen, ob unter gewissen Voraussetzungen eine finanzielle Entschädigung bzw. ein entsprechender Anreiz für die Eingehung studienbedingter Risiken als Abwägungsfaktor in die Nutzen-Ri186 Können dagegen entsprechende Risiken einer Arzneimittelprüfung im Vorhinein angemessen ausgeschlossen werden, steht die Vertretbarkeitsentscheidung der Studie nicht im Wege. Allerdings ist für den Fall einer ex ante unzureichend belegten „non-inferiority“ des Prüfpräparates auf diese Tatsache in der Patienteninformation dezidiert hinzuweisen. Zur vollständigen Entscheidungsgrundlage potentieller Studienteilnehmer gehört auch die Information darüber, dass die Studie – nach aktuellem Kenntnisstand – allenfalls die Gleichwertigkeit mit vorhandenen Präparaten belegen wird. Vgl. zu den Anforderungen an die Patientenaufklärung im Einzelnen unten C. II. 6. 187 Dies konzediert auch Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 47. Zur Frage der Legitimierbarkeit einer Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts der Probanden bei Arzneimittelstudien durch das Erfordernis einer positiven Nutzen-Risiko-Abwägung vgl. unten C. II. 7. b). 188 Diese Wertung gilt demnach nicht für Arzneimittelprüfungen, welche aufgrund des Standes der medizinischen Forschung als gefahrlos anzusehen sind. Dies dürfte etwa bei Erkältungsmitteln mit bekannten Wirkstoffen nicht selten der Fall sein. Auf die entsprechend geringe Bedeutung für die Heilkunde muss in diesen Fällen selbstverständlich in der Probandenaufklärung angemessen hingewiesen werden. Vgl. dazu unten C. II. 6. b). 189 Im Sinne einer entsprechenden Differenzierung auch Biermann, Die Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 264. 190 Vgl. etwa Hägele, Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 311; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 286.
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siko-Abwägung eingestellt werden kann. Hier findet sich auch die Redeweise von einer „Monetisierung“ der Nutzen-Risiko-Abwägung.191 Gegen Probandenvergütungen jenseits einer angemessenen Aufwandsentschädigung spricht jedenfalls die aus den Grundrechten erwachsende Schutzpflicht des Staates. Bei Betroffenen, welche aus Notlagen heraus, eine Entscheidung zur Teilnahme an einer Arzneimittelprüfung treffen, welche sie unter „gewöhnlichen Umständen“ nicht fällen würden, ist die Autonomie jener Entschließung ernsthaft gefährdet.192 Hier sind die Betroffenen gewissermaßen „vor sich selbst zu schützen“, um einer – die Autonomie potentieller Studienteilnehmer gefährdende – „Professionalisierung der Probanden“193 bzw. einer unter jenem Gesichtspunkt bedenklichen Gewinnerzielung aus der Verwendung des eigenen Körpers vorzubeugen.194 Ein derartiges Verständnis dürfte auch Art. 6 I lit. j Richtlinie 2001/20/EG zugrunde liegen, wonach die Beträge für die Entschädigung der Prüfungsteilnehmer von der Ethik-Kommission bei ihrer Stellungnahme zu berücksichtigen sind.195 In deutsches Arzneimittelrecht implementiert wurde jene Vorschrift in § 7 III Nr. 14 GCP-V. Jene Pflicht zur Überprüfung der konkreten Vergütung macht nur dann einen guten Sinn, wenn bedenklich hohe Probandenvergütungen mit Rücksicht auf ihre Eignung zur Unterminierung einer freiverantwortlichen Entscheidung tatsächlich von Rechts wegen zu beanstanden sind.196 Daneben sprechen handfeste wissenschaftliche Gründe dafür, die Teilnahme an klinischen Prüfungen nicht zu einer faktischen Erwerbsquelle zu machen. Die für eine möglichst zweckmäßige Studie erforderliche Repräsentation der Gesamtbevölkerung ist dann nicht mehr gewährleistet, wenn sich für das Forschungsvorhaben lediglich solche Probanden gewinnen lassen, welche auf ein (echtes) finanzielles Ho191
s. etwa Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 286. Ob die Einschränkung der Patientenautonomie insoweit ein für das Strafrecht relevantes Maß erreicht, ist dagegen eine Frage des Einzelfalles. An der Wirksamkeit einer entsprechenden Einwilligung bestehen jedenfalls dann ernsthafte Zweifel, wenn die Vergütung de facto den Blick auf die vorhandenen Risiken verstellt. Bedenken in dieser Hinsicht jedoch bei Hägele, Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 312. Allgemein zu den Auswirkungen wirtschaftlicher Überlegungen auf die Wirksamkeit der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen Schönke/ Schröder-Eser, § 223 Rn 39. 193 So Gersemann/Illhardt, MedR 1986, 299, 301. 194 Kritisch im Hinblick auf Probandenvergütungen, welche über eine Entschädigung hinausgehen, auch Biermann, Die Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 287 f.; Lippert, VersR 2000, 1206; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 286 f. 195 In diesem Sinne auch Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 287 Fn 650. Vgl. auch Art. 21 des Menschenrechtsübereinkommens zur Biomedizin vom 4. 4. 1997 (sog. „Bioethikkonvention“); s. hierzu Lippert, VersR 2000, 1206. 196 Der Sache nach ebenso Lippert, FS Laufs, S. 973, 980. Die hier vertretene Position wird im Übrigen nicht durch die Tatsache in Frage gestellt, dass die rechtliche Zulässigkeit einer Kommerzialisierung des eigenen Körpers aufgrund gewandelter Vorstellungen heutzutage zunehmend Akzeptanz findet. Denn dies kann – unbeschadet weiterer in diesem Kontext zu beachtender verfassungsrechtlicher Vorgaben – jedenfalls nur insoweit gelten, als das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen hinreichend gewahrt wird. 192
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norar besonders angewiesen sind.197 Die Gefahr unerwünschter Selektion und hieraus resultierender mangelnder Generalisierbarkeit der Ergebnisse bestünde schließlich im Fall der Etablierung eines „Berufsprobandentums“.198 Entsprechende Forschungsergebnisse bieten zudem in der Regel keine Gewähr für eine hinreichend sichere Differenzierung zwischen möglichen aktuellen Arzneimittelwirkungen und den Spätfolgen vormaliger Studien. Klinische Arzneimittelstudien, welche eine unangemessen hohe Probandenvergütung vorsehen, sind daher – mit Rücksicht auf die Gefährdung der Probandenautonomie – nicht „ärztlich vertretbar“ i. S. d. § 40 I 3 Nr. 2 AMG.199 Für dieses Verdikt kommt es in entsprechend gelagerten Fällen (also insbesondere bei der Eingehung erheblicher Risiken) letztlich gar nicht auf die konkrete Höhe der Vergütung an, sofern die entsprechende abstrakte Gefahr eines Autonomiedefizits besteht.200 Verstellt die ausgelobte Vergütung – holzschnittartig formuliert – den Blick auf die tatsächlichen Risiken der Studie, wird dem Erfordernis der Gewährleistung der Abgabe einer von wesentlichen Willensmängeln freien Einwilligung potentieller Probanden nicht mehr hinreichend Rechnung getragen. Dass nicht wenige Probanden – etwa aus eigenen gesundheitlichen Interessen – auch im Falle der Gewährung einer gewöhnlichen Aufwandsentschädigung zur Teilnahme an einer entsprechenden Studie bereit gewesen wären, spielt für diese Bewertung letztlich keine Rolle.201 Auf einem anderen Blatt steht hingegen die Bestimmung der strafrechtlichen Konsequenzen für jene Beteiligten, welche für die Gewährung der rechtswidrigen Vergütung verantwortlich sind. Hier kommt eine Strafbarkeit wegen (zumindest fahrlässiger) Körperverletzung durch Herbeiführung bzw. nicht angemessene Vermeidung solcher Einwilligungen in Betracht, welche mit Rücksicht auf ein Autonomiedefizit in der hier interessierenden Hinsicht rechtlich unwirksam sind. Im Einzelfall erforderlich ist mithin der Nachweis eines wesentlichen, der Wirksamkeit der Einwilligung entgegenstehenden, Willensmangels. Dieser scheitert jedenfalls dann, wenn die unangemessen hohe Vergütung die Entscheidung zur Teilnahme durch den Betroffenen überhaupt nicht beeinflusst hat – etwa weil die Vergütung für dessen Motivation zur Teilnahme irrelevant war. 197 Vgl. hierzu Deutsch, Recht der klinischen Forschung, S. 137; Fischer, Medizinische Versuche am Menschen, S. 11; Gersemann/Illhardt, MedR 1986, 299, 300 f. 198 Vgl. dazu Hägele, Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 312; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 286 f. 199 Zur maßgeblichen Bedeutung des Autonomieschutzes für die Frage der „ärztlichen Vertretbarkeit“ der Studie näher unten C. II. 7. a). 200 Vgl. auch Hägele, Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 312. 201 Gleiches gilt für die Frage nach der genauen Zahl derjenigen, welche sich in rechtlich bedenklicher Weise zumindest auch von der ausgelobten Vergütung zu einer Teilnahme haben bewegen lassen. Rechtlich zu missbilligen ist bereits die Schaffung der entsprechenden Möglichkeit einer Unterminierung der Probandenautonomie. Jeder Proband, der auf einer in der hier interessierenden Hinsicht mangelhaften – nämlich getrübten – Vorstellungsbasis eine Entscheidung zur Teilnahme trifft, ist vor dem Recht einer zuviel!
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6. Rechtlich relevante Mängel der Aufklärung Die dem Probanden nach § 40 II 1 AMG vorzulegenden Aufklärungsunterlagen dienen der Erlangung eines „informed consent“202 zur Durchführung der klinischen Prüfung. Dem Patienten soll eine eigene Nutzen-Risiko-Abwägung ermöglicht werden, welche – mit Rücksicht auf das Selbstbestimmungsrecht – keineswegs mit der vorgefundenen Bewertung übereinstimmen muss.203 Diese Einwilligung ist maßgeblich zur Legitimation einer Inanspruchnahme im Rahmen eines Forschungsvorhabens204 und im Hinblick auf körperliche Beeinträchtigungen des Probanden erforderlich, um strafbares Körperverletzungsunrecht entfallen zu lassen.205 Es gilt das bei der Einwilligung in die Verletzung von Individualrechtsgütern grundsätzlich zu beachtende Prinzip „volenti non fit iniuria“.206 Im Ergebnis von untergeordneter Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Streit um die dogmatische Einordnung ärztlicher Heileingriffe.207 Es spricht einiges dafür, sich nach den Regeln der berufsständischen Kunst verhaltende Ärzte nicht als tatbestandsmäßige Körperverletzer anzusehen. Der Vorwurf deliktischen Verhaltens gegenüber einem auf Rechtstreue bedachten Arzt liegt neben der Sache. In diesen Fällen ist das nach dem sozialen Sinngehalt des Verhaltens für die Kategorisierung von Tatbestand und Rechtswidrigkeit charakteristische Regel-Ausnahme-Verhältnis 202 Vgl. hierzu auch Laufs/Uhlenbruck, Arztrecht, § 6 Rn 21 ff.; Voll, Die Einwilligung im Arztrecht, 1996; Wölk, RPG 2004, 59, 66 ff. 203 Vgl. etwa Rehmann, § 40 Rn 8; Wölk, RPG 2004, 59, 66. Näher zu den von der EthikKommission zu beachtenden Kriterien der Nutzen-Risiko-Abwägung oben C. II. 5. 204 Dies gilt insbesondere für die Legitimation fremdnütziger Forschung. Ausschließlich fremdnützige Forschung kommt aus diesem Grund bei einwilligungsunfähigen Probanden nicht in Betracht, vgl. auch Laufs, NJW 1999, 1758, 1764. Näher zu den Voraussetzungen klinischer Prüfungen bei Einwilligungsunfähigen oben C. II. 4. 205 Vgl. dazu MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 21; ders., MedR 2001, 65, 68; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 47 f. – In vorliegendem Zusammenhang kann jenem Erfordernis für die Strafverfolgungspraxis erhebliche Bedeutung zukommen. Erinnert sei etwa an Unklarheiten im Hinblick auf das Vorliegen einer rechtlich wirksamen Einwilligung in Blutentnahmen durch 405 Probanden während des Münchner Oktoberfests 2004. Die entsprechende Studie über „Alkoholvergiftung“ war zuvor von der Ethik-Kommission an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig positiv bewertet worden. Umstritten war dabei im Übrigen, ob die Blutentnahmen (in allen Fällen) medizinisch indiziert und insofern – zumindest – von einer mutmaßlichen Einwilligung gedeckt waren oder nur zu Studienzwecken erfolgten. Vgl. dazu etwa Süddeutsche Zeitung v. 1. 9. 2009, S. 31. 206 Vgl. Seelmann, FS Schreiber, S. 853. 207 Es findet sich zum einen die Position ärztliches Handeln, welches zu einer Verletzung der Körperintegrität führt, per se als tatbestandsmäßiges Körperverletzungsunrecht einzuordnen. Die Einwilligung in den Eingriff entfaltet danach lediglich rechtfertigende Wirkung. So etwa BGHSt 11, 111; 16, 309; Arzt/Weber, BT, § 6 Rn 99; Krey/Heinrich, BT 1, Rn 219; Rengier, BT II, § 13 Rn 17. Hiervon abweichend wird vertreten, der de lege artis vorgenommene Heileingriff sei bereits nicht tatbestandsmäßig i. S. d. Körperverletzungsdelikte. Vgl. dazu Gössel/Dölling, BT 1, § 12 Rn 73; LK-Lilie, 11. Aufl., Vor § 223 Rn 3, 5; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 8 Rn 23; Otto, BT, § 15 Rn 11.
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nicht festzustellen.208 Im Ergebnis ist jedoch letztlich entscheidend, und im Übrigen auch weitgehend anerkannt, dass nur die Einwilligung des Patienten geeignet ist, das Unrecht der Körperverletzung entfallen zu lassen.209 In vorliegendem Kontext gelten für das Verhalten der Verantwortlichen dieselben Wertungen. Eingriffe in Rechtsgüter der Probanden (wie etwa die Blutabnahme zur Erlangung von Kontrollwerten) sind rechtlich zu missbilligen, sofern sie nicht von der Einwilligung des Betroffenen gedeckt sind. Die Aufklärungsunterlagen für potentielle Probanden werden der Ethik-Kommission zur Überprüfung vorgelegt und sind von der zustimmenden Bewertung derselben erfasst (§§ 42 I, 40 I 2, I 3 b) AMG, 7 III Nr. 9 GCP-V). Herauszuarbeiten sind danach die Fälle, in welchen die vom Sponsor bei der Ethik-Kommission eingereichten Aufklärungsunterlagen als defizitär anzusehen sind, sowie die Voraussetzungen, unter welchen eine insoweit dennoch erfolgte zustimmende Bewertung durch die EthikKommission im Hinblick auf das Körperverletzungsverbot rechtlich zu missbilligen ist.210 Es wurde bereits an anderer Stelle deutlich gemacht, dass sowohl Kapazitätsgründe als auch die (grundsätzliche) Ausgestaltung des Verfahrens vor der EthikKommission als Unterlagenprüfverfahren nicht unerhebliche Einschränkungen des Prüfungsumfangs und der Prüfungsdichte bedingen.211 Das bedeutet insbesondere, dass die Ethik-Kommission regelmäßig nur für solche Mängel der Aufklärung zur Verantwortung gezogen werden kann, welche sich aus den vom Sponsor vorgelegten Unterlagen ergeben.212 Über diesen Bereich hinaus kann eine Verantwortlichkeit für die Nichtbeanstandung bestimmter Aussagen in der Patientenaufklärung allenfalls dann begründet werden, wenn die Mitglieder der Ethik-Kommission im Einzelfall über Kenntnisse verfügen, welche eine (nach den Angaben des Antragstellers nicht zu begründende) Ablehnung des Antrags rechtfertigen.213 a) Jederzeitige Widerruflichkeit der Einwilligung Eine Verhaltensmissbilligung der Nichtbeanstandung der Aufklärungsunterlagen durch Mitglieder der Ethik-Kommission kommt etwa dann in Betracht, wenn auf die 208 209
In diesem Sinne Freund, AT, § 3 Rn 6. Siehe dazu auch oben B. I. 1. Vgl. statt vieler MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 206 f.; Roxin, AT I, Rn
22 ff. 210 Für letztgenannte Frage ist insbesondere von Bedeutung, ob in concreto von einem für das Strafrecht wesentlichen Willensmangel ausgegangen werden kann. Dies hängt von der Erfüllung der Voraussetzungen straftatbestandsmäßigen Verhaltens ab; genauer, von den Bedingungen, unter welchen überhaupt eine strafrechtliche Reaktion legitimiert werden kann. Vgl. zum damit angesprochenen Problem der „Untergrenze des Strafrechts“ auch unten F. IV. 211 Näher dazu oben C. II. 1. 212 Vgl. Freund, MedR 2001, 65, 67; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 617. 213 Insofern käme beispielsweise die persönliche Kenntnis einer in bestimmter Hinsicht defizitären Prüfstelle in Betracht, welche hingegen in den vorgelegten Unterlagen als geeignet ausgewiesen wird.
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nach § 40 II 1 AMG gewährleistete jederzeitige Widerruflichkeit der Einwilligung in den Aufklärungsunterlagen nicht explizit hingewiesen wird. Dieser Hinweis hat insofern eine erhebliche Bedeutung als hierdurch sichergestellt wird, dass Versuchsteilnehmer die Teilnahme an einem Forschungsvorhaben im Einzelfall nicht gegen ihren Willen fortsetzen und damit einhergehende Beeinträchtigungen ihrer Körperintegrität zu erdulden haben. Der Proband wird in diesen Fällen möglicherweise davon ausgehen, an die einmal erfolgte Einwilligung rechtlich gebunden zu sein. Daher ist diesem gegenüber besonders zu betonen, dass mit Rücksicht auf das Selbstbestimmungsinteresse des Betroffenen keine Verpflichtung zur Fortsetzung der Teilnahme im Sinne eines „pacta sunt servanda“ besteht. b) Die Aufklärung über Risiken und Tragweite der klinischen Prüfung Vor dem Hintergrund der Legitimation des Forschungsvorhabens unter dem Aspekt der Einwilligung ergibt sich eine weitere Verhaltenspflicht der Kommissionsmitglieder hinsichtlich der Aufklärung über Risiken und Tragweite der klinischen Prüfung gemäß § 40 II 1 AMG. Werden potentielle Studienteilnehmer in der Probandeninformation nicht zutreffend und umfassend über die entsprechenden Vorteile und Risiken ihrer Teilnahme informiert, ist die Ethik-Kommission von Rechts wegen gehalten, diese zu beanstanden. Im Bereich der medizinischen Forschung gilt insoweit das Prinzip der Vollaufklärung über alle wesentlichen Aspekte des Projektes. Abstriche bei jener Aufklärung der Probanden aus medizinischen oder wissenschaftlichen Gründen sind in Anbetracht des Selbstbestimmungsrechtes der Betroffenen unzulässig.214 Der erforderliche Aufklärungsumfang bestimmt sich reziprok zur jeweiligen Indikation des Testpräparats; je geringer der Nutzen der Teilnahme für den Probanden ausfällt, umso detaillierter hat die Aufklärung zu erfolgen.215 Hiernach besteht jedoch keinesfalls ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen aufgeklärter Einwilligung und positiver Nutzen-Risiko-Abwägung im Sinne einer Indizwirkung des positiven Abwägungsvorganges. Beide Voraussetzungen sind je für sich genommen notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die rechtliche Zulässigkeit der klinischen Prü-
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Vgl. etwa Wölk, RPG 2004, 59, 67. In anderem Zusammenhang, nämlich im Hinblick auf das allgemeine Arzt-Patienten-Verhältnis, wird hingegen diskutiert, ob insoweit Abstriche von dem Erfordernis umfassender Aufklärung über zu erwartende Belastungen zuzulassen sind, als dies – etwa im Hinblick auf einen zu erwartenden Schock – im gesundheitlichen Interesse des Patienten liegt (sog. „therapeutisches Privileg“). Vgl. dazu etwa Hart, in: Hart/Hilken/Merkel/ Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 29, 52; MünchKommStGB-Joecks, § 223 Rn 89; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 8 Rn 25; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, § 1 Rn 89. 215 Vgl. etwa Fischer, Medizinische Versuche am Menschen, S. 12, 59; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 621. Aus diesem Grund stellt die Rechtsprechung besonders hohe Anforderungen an den Umfang der Aufklärung vor Schönheits- bzw. kosmetischen Operationen, s. etwa BGH NJW 1972, 335, 337; 1991, 2349.
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fung.216 Insoweit kann eine rechtlich wirksame Einwilligung auf der Basis einer im Hinblick auf die Bewertung von Nutzen und Risiken unzulänglichen Entscheidungsgrundlage nicht erteilt werden.217 Erforderlich ist danach stets die Ermöglichung einer subjektiven Nutzen-Risiko-Abwägung.218 Hierzu gehört die Aufklärung über allgemein zu erwartende Wirkungen sowie über mögliche besondere Auswirkungen bei dem betroffenen Probanden.219 Daneben ist auf bis dato vorhandene Unsicherheiten im Rahmen der Risikoeinschätzung bzw. auf den möglichen Eintritt schädlicher Wirkungen hinzuweisen, auch wenn diese nach dem bisherigen Stand der Forschung zwar unwahrscheinlich sind, aber nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können.220 Bei randomisierten Doppelblindversuchen besteht eine Pflicht zur umfassenden Aufklärung über den Umstand der Zufälligkeit der Methodenwahl.221 Dem Patienten muss also verdeutlicht werden, dass es nach derzeitigem Kenntnisstand ungewiss ist, welche Methode für diesen in concreto erfolgversprechender ist. Der Klarstellung halber ist anzumerken, dass eine Randomisierung bei Einwilligungsunfähigen nur in einem entsprechenden Fall überhaupt zulässig ist.222 Denn besteht insofern hinreichende Gewissheit über die Vorzugswürdigkeit einer bestimmten Therapie, ist ein Vorenthalten derselben zur schnelleren Verifizierung von Prüfungsergebnissen unter dem Gesichtspunkt des Körperverletzungsverbotes rechtlich zu missbilligen.223 Diese Pflicht zur umfassenden Aufklärung gilt auch mit Rücksicht darauf, dass sich unter Umständen viele Patienten infolge der Unsicherheit hinsichtlich der im Rahmen der klinischen Prüfung Anwendung findenden Therapieart gegen eine Teilnahme an der entsprechenden Studie entscheiden werden.224 Der Gesichtspunkt einer Erschwernis der Probandengewinnung durch den zutreffenden Hinweis auf die ex ante bestehende Ungewissheit bezüglich der Vorzugswürdigkeit der zu erprobenden Therapie ist rechtlich unbeachtlich.
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Rosenau, in: Deutsch/Taupitz (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle, S. 63, 69. 217 MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 24 f. 218 Vgl. dazu Hägele, Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 305 f.; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 345 ff., 451. 219 s. dazu Hägele, Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 306. 220 Vgl. dazu Staak/Weiser, Klinische Prüfung, S. 47 f. 221 s. etwa MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 23; Kloesel/Cyran, § 40 AMG Anm. 5. 222 s. dazu bereits oben C. II. 4. Vgl. ferner Deutsch/Lippert-Deutsch, § 40 Rn 4; Kloesel/ Cyran, § 40 AMG Anm. 21; Schreiber, in: Helmchen/Winau (Hrsg.), Versuche mit Menschen, S. 15, 27. Die von Fincke, Arzneimittelpüfung, S. 82 ff., 137 ff., vertretene Auffassung „Blindversuche“ zum Nachweis der Wirksamkeit neuer Arzneimittel seien für die Kontrollgruppe ein versuchtes tatbestandsmäßiges Tötungsverhalten „schießt hingegen weit über das Ziel hinaus“, sofern die Voraussetzungen zur Bildung einer Kontrollgruppe vorliegen. 223 Vgl. dazu auch Schreiber, in: Martini (Hrsg.), Medizin und Gesellschaft, S. 181, 189 f. 224 So auch Schreiber, in: Helmchen/Winau (Hrsg.), Versuche mit Menschen, S. 15, 27.
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
c) Mängel des Projektplanes Unter dem Gesichtspunkt einer rechtlich unwirksamen Einwilligung ist strafrechtlich relevantes Fehlverhalten durch Mitglieder der Ethik-Kommission auch für den Fall der Nichtbeanstandung eines mangelhaften Projektplanes denkbar. Sind die zu erwartenden Ergebnisse bereits bekannt oder ist die Studie methodisch nicht haltbar, so sind die Aufklärungsunterlagen nicht geeignet, eine rechtlich wirksame Einwilligung herbeizuführen.225 Ein die Wirksamkeit der Einwilligung berührendes Fehlen eines wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnes durch die Studie kann sich aus dem Projektplan ergeben, wenn bereits Publikationen zu gleichartigen Versuchsanordnungen vorliegen, welche in der wissenschaftlichen Planung der Studie nicht bzw. nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Anhaltspunkte für eine fehlende Einbeziehung der Erkenntnisse ähnlicher (oder gar gleichartiger) Publikationen in die Planung der Versuchsanordnung liefert insoweit die der Ethik-Kommission im Rahmen der Vorlage des Prüfplanes nach § 7 II Nr. 3 GCP-V vom Antragsteller vorzulegende Bibliographie zu einschlägigen Forschungsarbeiten. Die Mitglieder der Ethik-Kommission haben diesbezüglich die Pflicht, im Rahmen der Bewertung des Antrags eines Sponsors – bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte – zumindest die zu dem einschlägigen Themenkomplex angegebenen „Schlüsselpublikationen“ auf eine zu vermeidende Übereinstimmung der wissenschaftlichen Fragestellung zu überprüfen.226 Eine Pflicht zur Beanstandung des Projektplanes kann sich schließlich daraus ergeben, dass die der Ethik-Kommission nach § 7 III Nr. 8 GCP-V zu machenden Angaben zur Prüfstelle eine mangelnde Eignung zur Durchführung der Prüfung ergeben. Dies ist beispielsweise denkbar im Hinblick auf die Qualität der vorhandenen medizinischen Einrichtungen oder des an der Prüfung beteiligten Personals. Selbstverständlich kann der Ethik-Kommission insofern keine Pflicht zur Durchführung einer „Ortsbesichtigung“ angesonnen werden, sondern die Eignung der Prüfstelle kann nur im Rahmen der vorgelegten Unterlagen sowie (möglicherweise vorhandenen) eigenen Erfahrungswissens überprüft werden. Bei konkreten Zweifeln bezüglich bestimmter Gesichtspunkte der Eignung, sind vor Erteilung eines Votums entsprechende Erkundigungen beim Sponsor oder der Prüfstelle einzuholen. Eine Pflicht zur Beanstandung des Projektplanes kann im Übrigen dann bestehen, wenn dieser, nach dem konkreten Studiendesign erforderliche, Zwischenauswertun225
s. dazu MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 57; ders., MedR 2001, 65, 69. Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 617; Scheffold, Haftungsfragen, S. 132, befürworten darüber hinaus eine Verpflichtung der Mitglieder der Ethik-Kommission zur Information über medizinische Fortschritte mit Hilfe der Fachliteratur. Mit der gesetzlichen Aufgabenzuweisung ist dies insoweit vereinbar, als die Kommissionsmitglieder ihre Fachkenntnisse generell auf dem „aktuellen Stand“ zu halten haben. Eine umfassende Detailkenntnis der einzelnen Kommissionsmitglieder im Hinblick auf die Spezifika jedes einzelnen Antrages kann hingegen nach der gesetzlichen Konzeption des Gremiums mit Rücksicht auf Zeit- und Kapazitätsgründe nicht verlangt werden. 226
II. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln
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gen nicht vorsieht. Solche Zwischenauswertungen sind etwa dann angezeigt, wenn Zweifel an der Wirksamkeit des Präparates bestehen oder dieses ungewisse Risiken aufweist und diesbezügliche Erkenntnisse bereits vor Ende der Studie zu erwarten sind. In diesen Fällen kann eine Fortführung der Studie aufgrund der hinreichend erwiesenen Unwirksamkeit sinnlos oder aber, infolge des erkennbar gewordenen Schädigungspotentials, über Gebühr belastend sein. Hier hat eine Zwischenauswertung die Funktion, den Probanden keine Belastungen zuzumuten, welche bei sachgerechter Projektierung zu vermeiden gewesen wären. In der hier interessierenden Hinsicht mangelhaft ist daher etwa ein Projektplan, welcher eine Fortsetzung der Studie trotz hinreichender Verifizierung der Ergebnisse vorsieht.227 Auch insoweit ist die rechtliche Wirksamkeit der Einwilligung der Studienteilnehmer tangiert, sofern durch die Aufklärungsunterlagen der Eindruck erweckt wird, eine Auswertung der Studie sei nur nach vollständig abgeschlossener Durchführung möglich. Körperliche Beeinträchtigungen, welche über den vorstehend skizzierten Zeitraum hinausgehen und durch eine Zwischenauswertung zu vermeiden gewesen wären, sind mithin von einer entsprechenden Einwilligung nicht gedeckt.
d) Die Verwendung suggestiver/irreführender Formulierungen In der Patientenaufklärung ist der Gebrauch suggestiver Formulierungen zu beanstanden. Die Verwendung von Sätzen wie „Wir bedanken uns für Ihre Teilnahme“, „Sie können durch Ihre Teilnahme dazu beitragen, dass…“ oder „Sie können helfen…“ dient nicht der sachlichen Aufklärung des potentiellen Probanden, sondern appelliert an sein Einfühlungsvermögen. Dieser Appell ist hier fehl am Platz, da eine emotionale Beeinflussung des Aufzuklärenden sich nicht mit der Aufgabe der Patientenaufklärung verträgt. Diese hat die Funktion zu gewährleisten, dass der Betroffene in die Lage versetzt wird, eine autonome Entscheidung über seine Teilnahme zu treffen. Das schließt es zwar keinesfalls aus, sondern macht es nachgerade erforderlich, im Rahmen der Information über Inhalt und Ziel der Studie das forschungsrelevante Krankheitsbild in zutreffender Weise zu beschreiben. Jedoch darf Empathie nicht durch „sanften Druck“ auf potentielle Teilnehmer erzeugt werden. Die Motivbildung der Teilnahmeentscheidung muss auf einer sachgemäßen Information beruhen. Überflüssige Informationen oder solche, welche nicht der sachlichen Information potentieller Studienteilnehmer dienen, sind mithin von Rechts wegen durch die Ethik-Kommission zu beanstanden.228 In aller Regel werden entsprechende unzulässige Formulierungen sich nicht auf die rechtliche Wirksamkeit der Einwilligung auswirken. In derartigen Fällen ist die Fähigkeit der Betroffenen auf autonomer Basis zu entscheiden trotz der problematischen suggestiven Wirkung jener Wendungen im Normalfall nicht hinreichend betroffen. Dies bedeutet, dass die Nichtbeanstandung im Hinblick auf die Verwirk227 228
Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn 946; Stock, Probandenschutz, S. 56. Vgl. hierzu Freund/Georgy, JZ 2009, 504 f.
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
lichung von Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit regelmäßig keine strafrechtliche Relevanz besitzt. Ein für das Strafrecht wesentlicher Willensmangel ist jedenfalls nur dann festzustellen, wenn die entsprechende Formulierung tatsächlich (mit-)ursächlich für die Teilnahme eines Probanden wird. Allgemein formuliert muss durch die suggestive Ausdrucksweise (im Hinblick auf die Wirksamkeit der Einwilligung) die Schwelle zu einem tatbestandlich relevanten Verhalten überschritten sein.229 Für eine in diesem Sinne defizitäre Motivbildung reicht ein „Dank für die Teilnahme“ wohl nicht aus.230 aa) Der Hinweis auf die Prüfung der „Wirksamkeit und Verträglichkeit des Arzneimittels“ Von möglicher Relevanz im Hinblick auf das (strafrechtlich abgesicherte) Erfordernis der Abgabe einer von wesentlichen Willensmängeln freien Einwilligung ist dagegen ein Passus, welcher sich auf Seite 1 des vom Arbeitskreis medizinischer Ethik-Kommissionen auf der 9. Sommertagung vom 13./14. 6. 2008 beschlossenen und als Empfehlung herausgegebenen Mustertextes für die Probandeninformation findet.231 Darin heißt es: „Klinische Prüfungen sind notwendig, um Erkenntnisse über die Wirksamkeit und Verträglichkeit232 von Arzneimitteln zu gewinnen oder zu erweitern.“ Diese Formulierung deckt sich nicht mit der Legaldefinition der klinischen Prüfung bei Menschen in § 4 XXIII AMG, welche die Überzeugung von der „Wirksamkeit und Unbedenklichkeit“233 zum Ziel der Prüfung erhebt. Für den potentiellen Probanden deutet der Begriff der Verträglichkeit allenfalls auf drohende – ihrer Natur nach kurzfristige – Beeinträchtigungen der „allgemeinen Befindlichkeit“ hin.234 Dass dagegen im Rahmen der Teilnahme an einer Arzneimittelprüfung mitunter ernsthafte Gefahren für die Körperintegrität bestehen können, bleibt dem insoweit
229 Eingehend zum allgemeinen Straftaterfordernis eines hinreichend gewichtigen Fehlverhaltens, also dem Problem der sog. „Untergrenze des Strafrechts“ unten F. IV. 230 Jedoch ist auch insoweit vor pauschalen Beurteilungen zu warnen. Sollte im Einzelfall ein Proband durch einen – entsprechend formulierten und infolgedessen zur Verengung seiner Beurteilungsbasis unter Autonomiegesichtspunkten geeigneten – Appell an sein Einfühlungsvermögen zu einer Entscheidung für die Teilnahme motiviert worden sein, ist durchaus zweifelhaft, ob insofern von einer rechtswirksamen Einwilligung ausgegangen werden kann. Dass bei der überwiegenden Mehrzahl der Studienteilnehmer kein vergleichbarer Motivationsdruck entstand, ist dabei jedenfalls kein durchgreifender Einwand, um ein bei jenem Betroffenen aufgetretenes Autonomiedefizit zu relativieren. Maßgeblich ist wiederum, ob jenes Fehlverhalten ein hinreichendes Gewicht aufweist, um darauf mit der Sanktion Strafe zu reagieren. Vgl. dazu unten F. IV. 231 Vgl. www.ak-med-ethik-komm.de/beschluesse.html. Die folgenden Ausführungen gelten gleichermaßen für den an gleicher Stelle beschlossenen und insoweit wortgleichen Mustertext zur Patienteninformation. 232 Hervorhebung durch den Verf. 233 Hervorhebung durch den Verf. 234 s. auch Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 507 Fn 15.
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nicht spezifisch Sachkundigen verborgen.235 Soll diesem Gesichtspunkt angemessen Rechnung getragen werden, ist der – entsprechende Gefährdungen präziser kennzeichnende – gesetzliche Terminus „Unbedenklichkeit“ zu verwenden.236 Indes enthält die Redeweise von der „Verträglichkeit“ nicht lediglich eine gesetzeswidrige Bagatellisierung drohender Beeinträchtigungen, sondern sie ist auch im Hinblick auf ihre Eignung zur Herbeiführung einer rechtlich unwirksamen Einwilligung in die Verletzung der Körperintegrität bedenklich. Sofern sich ein potentieller Studienteilnehmer (zumindest auch) durch diese Formulierung zur Teilnahme an einer klinischen Studie hat motivieren lassen – etwa weil er „echte“ Beeinträchtigungen seiner Körperintegrität per se scheut – haben wir es in diesem Fall durchaus mit einem wesentlichen Willensmangel zu tun. Es geht schließlich in der Sache um eine unzutreffende Beschreibung von Risiken für die körperliche Unversehrtheit des Probanden!237 Daneben sollte beachtet werden, dass die Durchführung einer klinischen Prüfung ohne ordnungsgemäße Aufklärung der Studienteilnehmer gemäß § 96 Nr. 10 i. V. m. § 40 I 3 Nr. 3b AMG unter Strafe gestellt ist. Diese Strafbarkeit greift letztlich unabhängig davon ein, ob die Körperintegrität von Studienteilnehmern beeinträchtigt wird 235
Der Begriff der „Verträglichkeit“ enthält insofern keinen Hinweis auf die notwendige Abwägung von Nutzen und Risiken des betreffenden Präparates. Insbesondere bei Medikamenten mit erheblichen Nebenwirkungen – beispielsweise einem Krebsmedikament – können danach rechtlich beachtliche Fehlassoziationen hervorgerufen werden. 236 Der Begriff „Unbedenklichkeit“ weist jedenfalls auf die erforderliche kontextspezifische Abwägung zwischen Nutzen und Risiken hin. Für eine rechtlich einwandfreie Aufklärung empfiehlt sich darüber hinaus eine Bezugnahme auf die Legaldefinition der Bedenklichkeit in § 5 II AMG, also die unzweideutige Information potentieller Probanden darüber, dass kein absolutes „Unbedenklichkeitsattest“ angestrebt werden kann, sondern stets nur ein relatives in Form eines hinreichenden Überwiegens des Nutzens eines Medikaments gegenüber den entsprechenden Risiken. 237 Ob in solchen Fällen, in welchen die in Aussicht genommene Arzneimittelprüfung tatsächlich bloß bagatellhafte (also die „Verträglichkeit“ betreffende) Gefahren beinhaltete, spezifische Fehlverhaltensfolgen eingetreten sind, hängt vom entsprechenden Rechtsgutsverständnis ab. Hier besteht eine gewisse Parallele zu Konstellationen der sog. hypothetischen Einwilligung. Da die Ethik-Kommission eine entsprechende „Harmlosigkeit“ der Prüfung in aller Regel nicht im Voraus bescheinigen kann, muss sie darauf achten, dass in der Probandeninformation zum Ausdruck kommt, dass bestimmte Restrisiken nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden können. Verletzt sie diese Pflicht, indem sie die Charakterisierung der klinischen Studie in der Probandeninformation als Prüfung der „Verträglichkeit“ nicht beanstandet, bekommt die Arzneimittelprüfung ein Siegel, welches nicht hält, was es verspricht; nämlich das Prädikat, dass ausschließlich bagatellhafte Gefahren im Raum stehen. Jene Konstellation ist der Markierung „trichinenfrei“ durch einen Fleischbeschauer vergleichbar, welcher jenen Stempel ohne entsprechende Prüfung angebracht hat. Vgl. hierzu MünchKommStGB-Freund, § 348 Rn 25 ff.; ders., Urkundenstraftaten, Rn 301 ff., 317 ff. Es kommt insoweit nicht darauf an, dass sich nachträglich die Richtigkeit der gemachten Angaben herausstellt – bzw. allgemein, der Verletzte sein Einverständnis mit dem betreffenden Verhalten erklärt hätte. Zum verhaltensrelevanten Zeitpunkt durfte der entsprechende Erfolg in Anbetracht der gegebenen Sachlage jedenfalls nicht herbeigeführt werden. Vgl. zur korrespondierenden Problematik der sog. hypothetischen Einwilligung Freund, AT, § 3 Rn 44b f.
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
oder Betroffene durch den zu beanstandenden Passus zu einer Teilnahme motiviert werden.238 Der prozessuale Nachweis einer Verwirklichung des Tatbestandes bereitet demzufolge erheblich geringere Schwierigkeiten als im Bereich der Körperverletzungsdelikte.239 Die Mitglieder von Ethik-Kommissionen können sich im Hinblick auf eine Nichtbeanstandung der Verwendung entsprechender irreführender Formulierungen jedenfalls wegen Beihilfe (§ 27 I StGB) oder Anstiftung (§ 26 StGB) zu dieser Tat strafbar machen. bb) Der Hinweis auf die „zustimmende Bewertung durch die Ethik-Kommission“ Die Musterinformation des Arbeitskreises medizinischer Ethik-Kommission ist auch in anderer Hinsicht rechtlich problematisch. Auf S. 1 der Muster-Probandeninformation heißt es nämlich: „Die klinische Prüfung, die wir Ihnen hier vorstellen, wurde – wie es das Gesetz verlangt – von der zuständigen Ethikkommission zustimmend bewertet und von der zuständigen Behörde genehmigt. …“240 Der entsprechende Passus ist geeignet, bei potentiellen Studienteilnehmern falsche Vorstellungen hinsichtlich der „wahren Qualität“ der entsprechenden Kontrolle durch die Ethik-Kommission hervorzurufen. Dies betrifft deren tatsächliche Beurteilungsbasis und ihre rechtlichen Möglichkeiten zur Versagung eines positiven Votums. Zum einen prüft die Ethik-Kommission grundsätzlich nur die vom Sponsor eingereichten Antragsunterlagen. Sie ist also in der Regel auf die Vollständigkeit und Richtigkeit der eingereichten Unterlagen angewiesen. § 42 I 5 AMG sieht die Heranziehung externen Sachverstandes lediglich in Ausnahmefällen vor. Der exzeptionelle Charakter der Beiziehung von Sachverständigen oder der Anforderung von Gutachten ergibt sich nicht zuletzt aus der limitierten Personal- und Sachausstattung von Ethik-Kommissionen.241 Das Votum der Ethik-Kommission wird daneben dadurch erheblich relativiert, dass für die Versagung der „zustimmenden Bewertung“ ausschließlich auf die rechtlichen Versagungsgründe nach § 42 I 7 AMG rekurriert werden darf.242 Eine Versagungsentscheidung unter Berufung auf Gründe, welche ein rechtliches Verbot nicht zu tragen vermögen, ist der Ethik-Kommission verwehrt.243 Ihre Bewertung der kli238
Vgl. dazu Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 508 f. Vgl. zu entsprechenden Problemen bei den Verletzungsdelikten unten F. I. 240 Vgl. www.ak-med-ethik-komm.de/beschluesse.html. 241 Vgl. zu den beschränkten Möglichkeiten der tatsächlichen Sachverhaltsermittlung bereits oben C. II. 1. sowie Freund, MedR 2001, 65, 67; Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 505. 242 Näher dazu oben C. II. 1. 243 Dies gilt auch mit Blick auf das Kriterium der „ärztlichen Vertretbarkeit“ der Arzneimittelprüfung gemäß § 40 I 3 Nr. 2 AMG. Der entsprechende Passus legt – prima facie – eine Prüfung anhand der Maßstäbe „ärztlicher Ethik“ nahe. Indes ist jene paternalistische Norminterpretation mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten nicht zu vereinbaren. Nur die Ausübung jenes Selbstbestimmungsrechts erweist sich 239
II. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln
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nischen Studie unter ethischen Gesichtspunkten spielt – für die Abgabe der „zustimmenden Bewertung“ – keine Rolle, sofern die entsprechenden Gesichtspunkte keinen gesetzlichen Niederschlag gefunden haben.244 Es handelt sich somit bei der Entscheidung um eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle – ein positives „Ethik-Votum“ ist hiermit nicht verbunden.245 Aus der Perspektive potentieller Studienteilnehmer ist der betreffende Passus geeignet, Missverständnisse hervorzurufen bzw. Irrtümer zu erregen. Für diese Eignung zur Irreführung kann es insoweit nur auf die Adressaten der Probandeninformation ankommen. Zwar spricht auch das AMG von der „zustimmenden Bewertung“ durch die Ethik-Kommission, jedoch richtet sich dieses vorwiegend an die in jener Hinsicht sachkundigen Akteure des Arzneimittelmarktes.246 Auch die gesetzliche Differenzierung in „Genehmigung“ durch die Bundesoberbehörde und „zustimmende Bewertung“ durch die Ethik-Kommission ist lediglich vor dem formalen Hintergrund einer präzisen terminologischen Kennzeichnung des jeweiligen Bewertungsvorganges zu verstehen.247 Aus der Perspektive der – mit den arzneimittelrechtlichen Vorgaben nicht vertrauten – Betroffenen erscheint die „zustimmende Bewertung“ dagegen als profunde Kontrolle des in Aussicht genommenen Forschungsprojektes durch die Ethik-Kommission. Zudem ist für die Betroffenen nicht ersichtlich, dass dem positiven Votum eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle zugrunde liegt. Ihr Verständnishorizont legt vielmehr eine Interpretation der Arzneimittelprüfung im Sinne eines „ethisch unterstützenswerten“ Vorganges nahe.248 Infolge dieser nicht unerheblichen Gefahr der Fehlinterpretation der betreffenden Formulierung als profundes „Ethik-Votum“ ist jene Textstelle von der Ethik-Kommission als irreführend zu beanstanden und ihre Streichung in der Probandeninformation zu verlangen.249
als tragfähige Legitimationsgrundlage der Belastung des Einzelnen durch bestimmte Maßnahmen im Rahmen eines Forschungsprojektes. Vgl. dazu bereits oben C. II. 1. sowie Freund/ Georgy, JZ 2009, 504, 505 f. Das gesetzliche Merkmal ist infolgedessen als „objektive Schutzschranke“ zur Absicherung der Autonomie potentieller Studienteilnehmer vor solchen Gefahren zu interpretieren, welche nach menschlichem Ermessen vernünftigerweise nicht eingegangen zu werden pflegen. Näher zu diesem verfassungsrechtlich gebotenen Normverständnis unten C. II. 7. a) sowie Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 505 f. 244 Nicht zu beanstanden ist dagegen die Information des Forschers hinsichtlich ethisch fragwürdiger Aspekte der in Bezug genommenen Studie. Die entsprechende Unterrichtung zählt durchaus zum klassischen Aufgabenkanon der Ethik-Kommission. Vgl. dazu bereits oben C. II. 1. 245 Näher dazu Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 505 f. 246 Vgl. Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 506. 247 s. dazu Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 506 Fn 11. 248 Näher zu jenem – auch empirisch nachweisbaren – Irreführungspotential für den insoweit betroffenen Laien Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 506 f. 249 Aus diesem Grund stellte die Ethik-Kommission der Philipps-Universität Marburg am 13./14. 6. 2008 auf der 9. Sommertagung des Arbeitskreises – erfolglos – den Antrag, jene Passage aus der Muster-ProbandeninformaACHTUNGREtion zu streichen.
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Eine abweichende rechtliche Bewertung des betreffenden Passus der Muster-ProbandeninACHTUNGREformation kann im Übrigen nicht auf Nr. 4.8.5 der NOTE FOR GUIDANCE ON GOOD CLINICAL PRACTICE (CPMP/ICH/135/95)250 gestützt werden. In dieser ICH-Leitlinie heißt es: „The investigator, or a person designated by the investigator, should fully inform the subject or, if the subject is unable to provide informed consent, the subjects legally acceptable representative, of all pertinent aspects of the trial including the written information and251 the approval/favourable opinion by the IRB/ IEC.“ Diese Formulierung scheint prima facie eine Verpflichtung zur Information der Probanden über das Votum der Ethik-Kommission nahe zu legen. Indessen bezieht sie sich nach ihrem insoweit eindeutigen Wortlaut gar nicht auf den empfohlenen Inhalt der schriftlichen Information, sondern allein auf die mündliche Aufklärung durch den Prüfer. Auch in dieser Hinsicht steht sie jedoch nach dem Gesagten in Widerspruch zu Nr. 4.8.3 der ICH-Leitlinie, welcher eine unangemessene Beeinflussung potentieller Teilnehmer verbietet. Sie kann deshalb auch für den Inhalt der mündlichen Aufklärung nichts vorschreiben, was übergeordnete Leitlinien gerade verbieten. Wortlaut, Systematik und Teleologie der wohl durch ein Redaktionsversehen missglückten Textpassage geben deshalb letztlich kein überzeugendes Argument dafür her, dass in der schriftlichen Aufklärung überhaupt etwas über das Votum der Ethik-Kommission stehen sollte. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang schließlich die Fassung der ICHLeitlinie der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA. Dort lautet der hier interessierende Passus (korrekterweise): „The investigator, or a person designated by the investigator, should fully inform the subject or, if the subject is unable to provide informed consent, the subjects legally acceptable representative, of all pertinent aspects of the trial including the written information given252 approval/favorable opinion by the IRB/IEC.“253 Nur diese Fassung ergibt einen guten Sinn, indem sie Wert darauf legt, dass die von der Ethik-Kommission gebilligte schriftliche Information auch wesentliches Element der mündlichen Aufklärung sein soll.254 250 Vgl. www.emea.europa.eu/pdfs/human/ich/013595en.pdf. Jenes Regelwerk wurde 1996 durch den Ausschuss für Humanarzneimittel CPMP (seit 2004 CHMP) der EMEA als europäische Leitlinie verabschiedet. 251 Hervorhebung durch den Verf. 252 Hervorhebung durch den Verf. 253 Vgl. www.fda.gov/cder/guidance/959fnl.pdf. 254 Ganz in diesem Sinne formuliert auch die am 15. 5. 1997 vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) und dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) vorgelegte deutsche Übersetzung der Nr. 4.8.5 der ICH-Leitlinie: „Der Prüfer oder eine von ihm benannte Person sollte den Prüfungsteilnehmer oder seinen gesetzlichen Vertreter, sofern der Prüfungsteilnehmer nicht in der Lage ist, seine Einwilligung nach Aufklärung zu erteilen, über alle relevanten Gesichtspunkte der klinischen Prüfung in vollem Umfang informieren, einschließlich der durch das IRB/die unabhängige Ethikkommission genehmigten/zustimmend bewerteten schriftlichen Information“ (keine Hervorhebung im Original). Diese Übersetzung ist abrufbar unter www.vfa.de/download/SAVE/de/patienten/artikelpa/studienregister.html/ ich-e6-leitlinie.pdf.
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Für die verantwortlichen Akteure kann die Verwendung der irreführenden Passage schließlich strafrechtliche Konsequenzen haben. Die Wirksamkeit der Einwilligung betroffener Studienteilnehmer kann dadurch berührt sein, dass diese von einer – den Tatsachen nicht entsprechenden – umfassenden Nachprüfung der Richtigkeit der Angaben des Antragstellers durch die Ethik-Kommission ausgehen. Stehen hinreichend gewichtige studienbedingte Gefahren im Raum, bei deren Abschätzung der Betroffene sich auf eine umfassende Nachprüfung durch die Ethik-Kommission verlässt, ist die auf jener Risikobewertung beruhende Einwilligung unwirksam.255 Die für seine Entscheidung maßgebliche fundierte Risikobewertung durch die Ethik-Kommission findet de facto nicht statt. Daneben kommt die Feststellung eines wesentlichen Willensmangels unter dem Gesichtspunkt des Vertrauens auf ein spezifisches EthikVotum in Betracht. Geht der betroffene Proband davon aus, sich durch seine Teilnahme in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen, obwohl das vermeintliche „Gütesiegel“ dieses keineswegs gewährleistet, verfehlt er den insoweit verfolgten altruistischen Zweck. Auf der Basis jener durch die entsprechende Irreführung bedingten Verfehlung der individuellen Zwecksetzung kann nicht wirksam in die Verletzung des Rechtsgutes Körperintegrität eingewilligt werden.256 Ist unter vorstehendem Blickwinkel im Einzelfall die Abgabe einer rechtlich unwirksamen Einwilligung festzustellen, können sich die für eine Nichtbeanstandung der irreführenden Passage verantwortlichen Mitglieder der Ethik-Kommission jedenfalls wegen fahrlässiger Körperverletzung strafbar machen.257 Zudem verstößt die Verwendung der kritisierten Formulierung in der Probandeninformation gegen das Verbot der Durchführung einer klinischen Prüfung ohne ordnungsgemäße Aufklärung nach § 96 Nr. 10 i. V. m. § 40 I 3 Nr. 3b AMG.258 Die insoweit verantwortlichen Mitglieder der Ethik-Kommission machen sich im entsprechenden Fall als Anstifter bzw. Gehilfe zu dieser Vorsatztat strafbar.259
255
Vgl. Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 507 f. Näher dazu Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 508. 257 Auf der Grundlage der sog. Schuldtheorie kommt sogar eine Bestrafung wegen Teilnahme an der Vorsatztat der die klinische Prüfung Durchführenden in Betracht. Vgl. dazu Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 508. 258 s. dazu bereits oben C. II. 6. d) aa). 259 Vgl. Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 508 f. 256
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7. Zum Verhältnis von Nutzen-Risiko-Abwägung und Einwilligung a) Zum Stellenwert der Nutzen-Risiko-Abwägung als „objektive Einwilligungsschranke“ zum Schutz der Probandenautonomie Der Bestimmung des Verhältnisses von Nutzen-Risiko-Abwägung zu aufgeklärter Einwilligung dürfte im Regelfall keine besondere Bedeutung zukommen. Zumeist wird in Fällen eines negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses auch die Aufklärung mit Rücksicht auf in dieser Hinsicht irreführende Angaben von Rechts wegen zu beanstanden sein. Jene Problemstellung wird allerdings in dem – praktisch wohl eher seltenen – Fall virulent, dass die Nutzen-Risiko-Abwägung für eine Arzneimittelstudie negativ ausfällt, die Probanden aber sachgerecht, also insbesondere über die Grundlagen der Vertretbarkeitsentscheidung, aufgeklärt werden. Dies bedeutet auf die Spitze getrieben: Könnte etwa die Durchführung eines invasiven Eingriffs zur Gewinnung anästhesiologischer Erkenntnisse an gesunden Probanden legitimiert werden?260 Die Risikoabwägung wird etwa in Amerika lediglich als Element der Aufklärung begriffen und so im Ergebnis streng versubjektiviert.261 In diese Richtung deutet auch der Hinweis, die Berücksichtigung der Nutzen-Risiko-Abwägung als selbständigen Bewertungsfaktor stelle sich als „paternalistisches Relikt“ dar.262 In diesen Ansätzen kommt das Bestreben zum Ausdruck, dem Selbstbestimmungsrecht der Probanden umfassend Rechnung zu tragen. Beschränkungen ergeben sich danach lediglich aus Mängeln der Aufklärung, welche die Wirksamkeit des „informed consent“ beeinträchtigen. Im Ergebnis wird potentiellen Studienteilnehmern damit ein unbeschränktes „Recht auf Unvernunft“ zugestanden. Von diesem Standpunkt aus kann die Ethik-Kommission entsprechende Forschung rechtlich nicht verbieten, sondern allenfalls spezifisch ethische Bedenken gegenüber dem Forscher artikulieren, um auf dessen Entscheidungsfindung einzuwirken.263
260
Weniger provokant formuliert geht es insbesondere um klinische Prüfungen, bei welchen die nach dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erwartenden Nebenwirkungen in Relation zum vermuteten Nutzen schlechterdings untragbar erscheinen, gleichwohl die Teilnehmer über die betreffenden Umstände zutreffend aufgeklärt wurden. Zu einem entsprechenden Beispiel vgl. auch Schreiber, in: Deutsch/Taupitz (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle, S. 303, 311. 261 Im Ergebnis ebenso Biermann, Die Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 272 f. Vgl. dazu auch Schreiber, in: Deutsch/Taupitz (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle, S. 303, 311. 262 In diesem Sinne etwa Schimikowski, Experiment am Menschen, S. 51 f. 263 Ein solches Vorgehen der Ethik-Kommission wird beispielsweise auch für den Bereich sog. prädiktiver Medizin erwogen. Ist das Erforschte geeignet, die Betroffenen gravierend in ihrer Lebensführung zu beeinträchtigen, kann – trotz Einhaltung der rechtlichen Bedingungen für die Forschung – ein die spezifisch ethischen Bedenken zum Ausdruck bringender Hinweis
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Demgegenüber wird ein entsprechender grundsätzlicher Vorrang des Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der klinischen Arzneimittelprüfung vielfach verneint und eine selbständige Bedeutung der Vertretbarkeitsentscheidung betont.264 Diese Begrenzung des Selbstbestimmungsrechts der Probanden wird zum Teil auf die zivil- und strafrechtliche Sittenwidrigkeitsschranke für die Nutzen-Risiko-Abwägung gestützt.265 Hiernach wird das Erfordernis des § 40 I 3 Nr. 2 AMG als Konkretisierung des allgemeinen Sittlichkeitserfordernisses des § 228 StGB bzw. der Autonomieschranke des § 216 StGB266 für den Bereich der klinischen Prüfung angesehen.267 Argumentiert wird schließlich mit einer abstrakten Schutzrichtung der Vertretbarkeitsentscheidung; diese diene dem „Schutz der Funktionsfähigkeit der Institution medizinische Forschung“.268 Ferner ist der Verweis auf praktische Schwächen des Konzeptes der aufgeklärten Einwilligung anzutreffen.269 Entscheidend dürfte hingegen folgender Aspekt sein: Die Probanden werden zwar durch die Aufklärung in die Lage versetzt, eine eigenverantwortliche Entscheidung über ihre Teilnahme zu treffen, jedoch besteht hiernach im Regelfall weiterhin ein gewisses „Informationsgefälle“ im Hinblick auf die Spezifika des medizinischen Erprobungshandelns.270 Unzulängliche medizinische Kenntnisse der Probanden stehen
der Ethik-Kommission an den Forscher angemessen sein. Vgl. dazu Freund, MedR 2001, 65, 70 f., sowie oben C. II. 1. 264 Vgl etwa Däbritz, Humanerprobungen, S. 103, 108; Deutsch/Lippert-Deutsch, § 40 Rn 8; Eser, Schröder-GS, S. 191, 209 f.; Fischer, Medizinische Versuche am Menschen, S. 14 f.; Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 146 f.; Pfeiffer, FS Salger, S. 699, 708; Rosenau, in: Deutsch/Taupitz (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle, S. 63, 69; Schreiber, in: Deutsch/Taupitz (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle, S. 303, 310 f. 265 So Biermann, Die Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 255; Eser, ZStW 97 (1985), 1, 15; Fischer, Medizinische Versuche am Menschen, S. 14 f.; Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 147. 266 Zur Bedeutung dieser Vorschriften als Schranke klinischer Arzneimittelprüfungen vgl. Däbritz, Humanerprobungen, S. 160 f.; Eser, Schröder-GS, S. 191, 209; ders., ZStW 97 (1985), 1, 15; Grahlmann, Heilbehandlung und Heilversuch, S. 31; Held, Strafrechtliche Beurteilung, S. 59 ff.; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 199 f. – Eingehend zur Vereinbarkeit des § 226a StGB aF (§ 228 StGB nF) mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG Sternberg-Lieben, Schranken der Einwilligung, S. 136 ff. 267 Vgl. Biermann, Die Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 255, 258; Eser, ZStW 97 (1985), 1, 15; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 200 f. 268 So Biermann, Die Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 256. Diese Hypothese ist nicht unbedenklich. Sie ließe sich – im Widerspruch zu geltendem Recht – auch im Sinne einer Solidaritätspflicht des Einzelnen zur Teilnahme an medizinischer Forschung instrumentalisieren. Im Übrigen lässt sich aus dem Allgemeininteresse an der Funktionsfähigkeit bestimmter Institutionen kein angemessenes Schutzkonzept für die im Einzelfall Betroffenen ableiten. 269 Vgl. dazu Schreiber, in: Helmchen/Winau (Hrsg.), Versuche mit Menschen, S. 15, 22 ff.; Sobota, FS Kriele, S. 367, 372 f. 270 Ähnlich Rosenau, in: Deutsch/Taupitz (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle, S. 69; v. Freier, Humanforschung, S. 384 f.
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
vielfach einer vollständigen Erfassung der forschungsbedingten Risiken entgegen.271 Die erforderliche Gewissheit darüber, dass die Risiken der Studie von (allen) potentiellen Probanden intellektuell hinreichend – also in einem für die Abgabe einer rechtlich wirksamen Einwilligung angemessenen Umfang – erfasst sind, ist, jedenfalls in der Konstellation eines ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses, nicht zu erlangen. Eine negative Risikoabwägung ist insofern ein „fassbares Datum“, welches gewichtige Zweifel an einer autonomen Entscheidung einer hinreichenden Anzahl Betroffener begründet. Ein solchermaßen mögliches Autonomiedefizit muss als psychischer Befund bei bestimmten Sachverhalten nicht zwangsläufig bekannt oder erkennbar sein, sondern tritt möglicherweise erst in einer Erklärung zu tage, welche sich nicht mehr als Ausdruck der Entscheidung einer vernünftigen Person begreifen lässt, weil jene so nicht entscheiden würde.272 Hierin liegt denn auch die Grenze derartiger Nichtanerkennung von Erklärungen des Einzelnen. Nur in solchen Fallgestaltungen, in denen nach Vernunftgründen entschieden zu werden pflegt und die Person ein Interesse daran hat, dass die Konsequenzen einer unvernünftigen Entscheidung vermieden werden, kann der Einwilligung die Wirksamkeit versagt werden.273 Dies gilt jedenfalls für den Bereich klinischer Arzneimittelstudien. Hier besteht zwischen dem (jeglicher Vernunft widersprechenden) Interesse des Einzelnen an der Durchführung einer unvertretbaren Studie und den hiermit einhergehenden Gefahren grundsätzlich ein derartiges Missverhältnis, dass – auch unter Berücksichtigung mannigfaltiger individueller Vorlieben – nicht von einer autonomen Entscheidung des Betroffenen ausgegangen werden kann.274 Insofern kommt der Nutzen-Risiko-Abwägung im Rahmen klinischer Studien – als nach außen tretendem Moment der Entscheidung zur Teilnahme – eine „Indizfunktion“ im Hinblick auf eine autoACHTUNGREnom erklärte und daher rechtlich wirksame Einwilligung in die Preisgabe eigener Güter im Rahmen medizinischer Forschung zu.275 Die Bewertung von Nutzen und Risiken der
271 So auch Däbritz, Humanerprobungen, S. 103; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 200. 272 Vgl. Frisch, FS Hirsch, S. 485, 494 f. 273 Vgl. Frisch, FS Hirsch, S. 485, 496 ff. 274 In diesem Sinne Frisch, FS Hirsch, S. 485, 500. Die „gesellschaftliche Toleranz“ der Entscheidung des Betroffenen ist hingegen für die Beurteilung ihrer rechtlichen Wirksamkeit unspezifisch. Nach geltendem Verfassungsrecht kann es für die Frage der Wirksamkeit der Einwilligung nur auf Autonomiedefizite, nicht aber auf gesellschaftliche Wertanschauungen ankommen. Problematisch daher Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 201. 275 Solche zusätzlichen formalen Voraussetzungen zur Verwirklichung eines angemessenen Schutzes des Selbstbestimmungsrechts in sensiblen Lebensbereichen sind dem geltenden Recht auch in anderem Zusammenhang nicht fremd. Man denke etwa an das Verbot der Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB. Funktional betrachtet dient diese Vorschrift nach zutreffender Auffassung der Absicherung und Kontrolle der Autonomie des Sterbewunsches. Zur ratio des § 216 StGB vgl. etwa Freund, in: Janich (Hrsg.), Humane Orientierungswissenschaft, S. 149, 158 ff.; Herzberg, NJW 1996, 3043, 3046 f.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 488 ff., 514 ff.; Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 ff.
II. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln
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klinischen Prüfung fungiert insoweit als „objektive Einwilligungsschranke“276 in solchen Fällen, in welchen nach menschlichem Ermessen nicht von der Abgabe einer rechtswirksamen Einwilligung ausgegangen werden kann.277 Anhand dieses Datums kann die Rechtsordnung einen generalisierenden Schutz des Einzelnen vor einer nicht durch seine autonome Entscheidung gedeckten Güterbeeinträchtigung gewährleisten.278 Begnügt man sich dagegen durchweg mit der Exklusivität der aufgeklärten Einwilligung, muss davon ausgegangen werden, dass zumindest einige potentielle Probanden – trotz tadelloser Aufklärung – bereits aus der Tatsache der Durchführung des Forschungsvorhabens als solcher Rückschlüsse auf eine günstige Risikoabwägung ziehen werden. Das Projekt ist in ihren Augen schließlich bereits durch seine anvisierte Durchführung „wissenschaftlich geadelt“. Vor dem Hintergrund einer entsprechenden Interpretation des Kriteriums der „ärztlichen Vertretbarkeit“ von Nutzen und Risiken als objektive Einwilligungsschranke ergeben schließlich die spezialgesetzlichen Regelungen der §§ 42 I 3 Nr. 3, 40 I 3 Nr. 2 AMG, 20 I Nr. 1 MPG einen guten Sinn.279 Diese können, jedenfalls bei Ernstnahme des verfassungsrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrechts der Probanden, nicht als gesetzgeberisches Votum für den Vorrang eines paternalistischen ärztlichen Standpunktes interpretiert werden.280 Daneben ist folgendes zu bedenken: Sollte dennoch einmal – und derartige Fälle einer rechtlich wirksamen (objektiv verstanden „unvernünftigen“) Einwilligung in 276 Wölk, RPG 2004, 59, 71, spricht insoweit von einer „Stoppregel“, welche in entsprechenden Konstellationen systematisches, nicht aber individuelles Erprobungshandeln hindere. Diese Differenzierung ist vor dem Hintergrund der jeweils spezifischen Gefahren für die Patientenautonomie durchaus sachgerecht. Umfassend zu weiteren gesetzlichen Grenzen individueller Verfügungsbefugnis und ihrer Bedeutung für das Strafrecht Sternberg-Lieben, Schranken der Einwilligung, S. 103 ff.; 121 ff.; 163 ff.; 170 ff. 277 Vgl. dazu Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 505 f.; Spranger, MedR 2001, 238, 242; v. Freier, Humanforschung, S. 358. Der Schutz des Einzelnen vor einer nicht hinreichend freiverantwortlichen Preisgabe eigener Güter ist dem Staat durch die verfassungsrechtliche Gewährleistung staatlicher Schutzpflichten vorgegeben. Näher dazu Sternberg-Lieben, Schranken der Einwilligung, S. 33 ff.; 45 f. 278 Nach v. Freier, Humanforschung, S. 370 ff., sind objektive Schutzstandards in der Humanforschung durch die „institutionelle Garantie eines unversehrten Arzt-Patienten-Verhältnisses“ zu legitimieren. Diese Garantie trete unter anderem in der Möglichkeit des Patienten zur Delegation therapeutischer Entscheidungen an den behandelnden Arzt zutage und sei dem Begriff der Heilkunde immanent. Zwar ist es richtig, dass die Behandlungserwartung des Patienten die Legitimationsgrundlage des Forschungsvorhabens bilden muss, aber wie diese institutionell, das heißt abstrakt von dessen autonom erklärten Willen, zu begrenzen sein soll, wird nicht recht ersichtlich. Die institutionelle Garantie dient ausschließlich der bestmöglichen Konkretisierung und Umsetzung einer autonomen Entscheidung. Vor diesem Hintergrund nicht unproblematisch sind die durch v. Freier, ebd., S. 417, befürworteten Forschungsgrenzen durch ein „Fürsorgeprinzip“. Jedenfalls in Bezug auf ein Probandenkollektiv aus Wissenschaftlern kann ein Forschungsverbot in diesem Sinne nicht angemessen legitimiert werden. 279 In diese Richtung auch, jedoch unter Rekurs auf das Sittenwidrigkeitskriterium, Held, Strafrechtliche Beurteilung, S. 59, 67; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 200 f. 280 s. dazu oben C. II. 1. sowie Freund/Georgy, JZ 2009, 504, 505 f.
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eine Studie mit ungünstiger Nutzen-Risiko-Abwägung sind zweifelsohne eine Ausnahmeerscheinung – der Freiheitsraum eines in der hier interessierenden Hinsicht vollverantwortlich Handelnden verkürzt werden, so ist dieser staatlich auferlegte Schutz vor Teilnahme an der über das vertretbare Maß hinaus gefährdenden Studie der Notwendigkeit generalisierender Behandlung entsprechender Sachverhalte durch den Gesetzgeber geschuldet.281 Die Ethik-Kommission kann in entsprechenden Fällen nicht angemessen gewährleisten, dass die Autonomie aller betroffenen Probanden hinreichend gewahrt wird. Aus diesem Grund kann der Gesetzgeber vorab bestimmte Bedingungen festlegen, bei deren Vorliegen die Abgabe einer rechtlich wirksamen Einwilligungserklärung zu vermuten ist.282 Ein wesentliches Indiz für das Fehlen von Einwilligungsmängeln in diesem Kontext ist jedenfalls eine positive Nutzen-Risiko-Abwägung. Hier rechtfertigt also die vom Gesetzgeber nur in generalisierender Form wahrnehmbare staatliche Schutzpflicht die (antizipierte) Beschränkung des in Rede stehenden Freiheitsraumes.283 Dies gilt nicht zuletzt in Anbetracht der Tatsache, dass der in jenen Fällen von etwaigen (echten) Freiwilligen aufzugebende Freiheitsraum kein hinreichendes Gewicht aufweist, um das Risiko einer möglichen Teilnahme solcher Probanden zugunsten seiner Beachtlichkeit aufzuwiegen, welche tatsächlich eine rechtlich unwirksame (lediglich scheinbar mangelfreie) Einwilligung abgegeben haben. Freilich ist auch insoweit zu berücksichtigen, dass eine Beschränkung der Autonomie potentieller Probanden in vorstehend skizzierter Weise nicht losgelöst von den Interessen des tatsächlichen Teilnehmerkreises stattfinden kann. Eine Differenzierung nach den an der fraglichen Studie Beteiligten hat Rückwirkungen auf die Nutzen-Risiko-Bewertung. Diese ist kein abstrakter Parameter, sondern bemisst sich nach den konkret betroffenen Interessen. Pauschale Feststellungen in Bezug auf das Vorliegen einer objektiven Einwilligungsbeschränkung infolge unvertretbarer Risiken, nämlich solche, welche sich am Blickwinkel des Betrachters oder des „Durchschnittsprobanden“ orientieren, sind daher fehl am Platz. Nehmen beispielsweise Wissenschaftler an einem Forschungsprojekt teil, besteht unter Umständen eine weit281 Hierin liegt der entscheidende Unterschied zu einer, den Standard gesicherter medizinischer Erkenntnisse verlassenden, Behandlung eines einzelnen Patienten mit zugleich wissenschaftlicher Intention (auch als sog. „individueller Heilversuch“ bezeichnet). In entsprechenden Fällen lässt sich – eine rechtlich beachtliche Einwilligung vorausgesetzt – eine Beschränkung der Patientenautonomie auch bei objektiv fragwürdigen Eingriffen kaum legitimieren. Vgl. dazu auch Wölk, RPG 2004, 59, 70 f. 282 So auch Seelmann, FS Schreiber, S. 853, 859 f. 283 Eine ähnliche Bewertung liegt offenbar auch dem Cannabis-Beschluß des BVerfG zugrunde. Die Gefahr psychischer Abhängigkeit von Konsumenten wird – bei abstrakter Würdigung – als hinreichend gewichtig erachtet, um ein entsprechendes Verbot des Umgangs mit Cannabisprodukten (auch gegenüber in ihrer Willensbildung nicht wesentlich eingeschränkten Normadressaten) zu legitimieren, vgl. BVerfGE 90, 145, 184. Weitere, im Einzelnen umstrittene, Konstellationen zulässigen staatlichen Schutzes vor Selbstgefährdung finden sich nach der Rechtsprechung in BVerfGE 59, 275 ff. (Helmpflicht); BVerfGE 60, 123 ff. (Geschlechtsumwandlung); BVerfG NJW 1987, 180 (Gurtpflicht). Vgl. ferner zu diesem Problemkomplex Schwabe, JZ 1998, 66 ff. mwN.
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reichende Bereitschaft zur Eingehung gravierender Risiken – auch sofern die Ergebnisse den Betroffenen nur in Form eines wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns zu Gute kommen und die Risiken für unbeteiligte Bürger inakzeptabel erscheinen mögen.284 b) Relativierbarkeit des Selbstbestimmungsrechts? Im Übrigen sollte für die umgekehrte Konstellation – unabhängig von den konkreten arzneimittelrechtlichen Vorgaben – nach heutiger Verfassungsrechtslage eines feststehen: Eine positive Nutzen-Risiko-Abwägung kann niemals den ausdrücklich oder mutmaßlich entgegenstehenden Willen des Probanden relativieren.285 Ihr kommt lediglich – in den vorstehend erläuterten engen Grenzen – in Fällen einer ungünstigen Risikoabwägung die Funktion zu, eine möglicherweise mangelbehaftete Ausübung des Selbstbestimmungsrechts zu verhindern. Zumindest missverständlich und insoweit zu beanstanden ist daher die Formulierung die Vertretbarkeitsentscheidung stehe an erster Stelle, insbesondere vor Einwilligung nach Aufklärung.286 Das Selbstbestimmungsrecht setzt insofern dem allgemeinen Interesse an medizinischem Fortschritt eine absolute Grenze. Die wirksame Einwilligung ist das zentrale Legitimationskriterium für körperliche Eingriffe im Rahmen einer Arzneimittelprüfung.287 Und nur vor diesem Hintergrund macht die strafrechtliche Absicherung der tatsächlichen Abgabe einer wirksamen Einwilligung durch die Studienteilnehmer einen guten Sinn.
284 Vgl. zu diesem Beispiel bereits oben C. II. 5. d). In diesem Kontext ist das Selbstbestimmungsrecht der Probanden nicht lediglich im Hinblick auf seine Abwehrfunktion zur Autonomiesicherung der Betroffenen von Bedeutung, sondern es weist zugleich – neben der insoweit betroffenen Forschungsfreiheit – einen Gehalt als „Optionsrecht“ hinsichtlich der Partizipation an wissenschaftlicher Forschung auf. Vgl. hierzu Wölk, RPG 2004, 59, 68. 285 Vgl. jedoch zu gewissen Tendenzen in der Medizin das Selbstbestimmungsrecht durch ärztliche Verpflichtungen im Rahmen eines sog. „therapeutischen Privilegs“ zu begrenzen Deutsch, AcP 192 (1992), 161, 168 f.; Giesen, JZ 1987, 282 ff.; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 383 ff. Die Redeweise von einem entsprechenden „Privileg“ ist mit Blick auf drohende Gefahren für die Patientenautonomie bedenklich. Dieser „Fehletikettierung“ liegt aber im Kern ein berechtigtes Anliegen zugrunde. Lässt eine medizinisch kontraindizierte Aufklärung die Schädigung der Rechtsgüter des Betroffenen oder Dritter befürchten, kann eine diesbezügliche Einschränkung der Aufklärung unter dem Gesichtspunkt des Defensivnotstandes gerechtfertigt sein. Zutreffend insoweit Biermann, Die Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 144 f. 286 In diesem Sinne jedoch etwa Deutsch, in: Breddin (Hrsg.), Untersuchungen am Menschen, S. 10, 17; ders., NJW 2001, 3361, 3362; Schreiber, in: Martini (Hrsg.), Medizin und Gesellschaft, S. 181, 186. 287 Vgl. MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 21 f. Siehe hierzu auch Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 147 ff.
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8. Die Prüfung der Gesetzeskonformität der Probandenversicherung Das Arzneimittelgesetz enthält in § 40 I 3 Nr. 8, III die Kodifizierung einer Versicherungspflicht zugunsten potentieller Studienteilnehmer sowie nähere rechtliche Vorgaben zu deren Ausgestaltung. Funktion jener Probandenversicherung ist eine umfassende Absicherung des einzelnen Studienteilnehmers, insbesondere durch Sicherstellung eines Ausgleichs bei solchen Schäden, deren Ersatz andernfalls durch mangelnde Solvenz oder mangelndes Verschulden des Anspruchsgegners bedroht wäre.288 Die Prüfung der inhaltlichen Übereinstimmung der dem jeweiligen Antrag zugrunde liegenden Versicherung mit den rechtlichen Vorgaben des AMG obliegt gemäß § 42 I 7 Nr. 3 AMG der Ethik-Kommission. Die Abgabe einer zustimmenden Bewertung der klinischen Prüfung setzt insoweit die Gesetzeskonformität der jeweils vorgelegten Versicherung voraus. a) Die gesetzliche Garantie einer Mindestversicherungssumme Die Ausgestaltung der Probandenversicherung richtet sich in der Praxis regelmäßig nach den – nicht rechtsverbindlichen – Allgemeinen Versicherungsbedingungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (AVB).289 Die Probandenversicherung muss für jede Schädigung einer von der klinischen Prüfung betroffenen Person gemäß § 40 III 2 AMG eine Versicherungssumme von mindestens 500.000 E vorsehen. In der Praxis ist aus dieser gesetzlichen Mindest- eine Höchstgrenze geworden.290 Die Versicherung wird demnach für die gesamte Arzneimittelstudie mit einer Höchstsumme von 500.000 E abgeschlossen. Diese Höchstsummenbegrenzung führt dazu, dass die dem einzelnen Probanden im Haftungsfall tatsächlich zuzuteilende Summe je nach Anzahl und Intensität versicherungsrelevanter Schäden deutlich unter 500.000 E liegen kann.291 Durch diese Praxis wird der Ethik-Kommission – in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des § 40 III AMG nach der 12. AMGNovelle – die Aufgabe zugewiesen, den sachgerechten Umfang der Versicherungskapazität durch eine Risikoabschätzung festzustellen. In ähnlichen Zusammenhängen beschäftigt die Versicherungswirtschaft eine Vielzahl an Spezialisten zur Abschätzung zu versichernder Schadensrisiken.292 Zu derartigen Prüfungen ist die Ethik288
s. Freund/Reus, PharmaR 2009, 205. Vgl. dazu auch Deutsch, VersR 1988, 869, 872. Allgemeine Versicherungsbedingungen für eine versicherungspflichtige klinische Prüfung von Arzneimitteln (AVB-Prob/AMG-Objekt), Stand: Juni 2007. 290 Vgl. Deutsch/Lippert-Deutsch, § 40 Rn 30; Osieka, Recht der Humanforschung, S. 227 f.; Rittner/TauACHTUNGREpitz/Walter-Sack/Wessler, VersR 2008, 158, 159. 291 Vgl. etwa Freund/Reus, PharmaR 2009, 205, 207; MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 60; Glaeske/Greiser/Hart, Arzneimittelsicherheit und Länderüberwachung, S. 206 f. 292 Anschaulich zur Komplexität eines möglichen Verfahrens der Bewertung einzelner Risikokomponenten zur Ermittlung des Versicherungsrisikos – dort im Kontext bis dato nicht 289
II. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln
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Kommission nach ihrem gesetzlichen Zuschnitt aber offenkundig weder personell noch sachlich in der Lage.293 Im Übrigen kann sie nolens volens die – auf einer „Risikoabschätzung“ basierende – erforderliche „Garantie“, dass tatsächlich jedem Geschädigten mindestens 500.000 E aus der Versicherung zur Verfügung stehen werden, nicht geben.294 Eine entsprechende Garantie kann eben nur von einem Versicherer eingeräumt werden. Nach den herkömmlichen Versicherungsverträgen existieren also die für den einzelnen Schadensfall gesetzlich vorausgesetzten Garantiesummen – auch bei im Vorhinein vermeintlich gefahrlosen Arzneimittelstudien – nicht.295 Dementsprechend steht die geltende Praxis des Abschlusses von Probandenversicherungen mit Höchstsummenbegrenzungen mit den gesetzlichen Vorgaben des AMG nicht in Einklang.296 Hätte der Gesetzgeber lediglich die Gewährleistung einer „voraussichtlichen“ Entschädigungssumme für den Einzelnen intendiert, hätte er dies unmissverständlich normieren müssen. In zugespitzter Weise begegnet jenes Problem der prognostischen Bewertung einer angemessenen Versicherungssumme in den Fällen der Vereinbarung von Pauschalversicherungen mit einer bestimmten Deckungssumme für alle Klinischen Studien eines Geschäftsjahres.297 Reduziert sich die entsprechende Höchstsumme nach Auftritt eines gravierenden Schadensfalles zu Beginn des Jahres oder wird diese zu versicherungspflichtige Forschungsvorhaben am Menschen – Walter-Sack/Rittner, VersR 2003, 432, 433 ff. 293 Zu den begrenzten personellen und sachlichen Kapazitäten der Ethik-Kommission s. bereits oben C. II. 1. Die Gegenmeinung weist der Ethik-Kommission demgegenüber – unter Berufung auf Sachzwänge hinsichtlich der Versicherbarkeit von Arzneimittelprüfungen bzw. den Gesetzeswortlaut – die Aufgabe zu, den Versicherungsumfang „konkret abzuschätzen“. Vgl. hierzu Swik, PharmaR 2006, 76, 78; Voit, PharmaR 2005, 345, 348. Nicht gesehen wird insofern die aus der rechtlichen Ausgestaltung der Ethik-Kommission folgende Undurchführbarkeit einer entsprechenden Risikobewertung. 294 Dies zeigt anschaulich die Phase I-Studie von TGN 1412 am 13. 3. 2006 in London, bei der die sechs mit dem Verum behandelten Probanden etwa 1/500 der vorher im Tierversuch als gefahrlos ermittelten Menge erhielten. Bei diesen Probanden kam es zu schweren Reaktionen und die Wahrscheinlichkeit von Folgeerkrankungen wie Multipler Sklerose oder anderen Autoimmunkrankheiten wird als hoch beurteilt. Die Probandenversicherung für diese Arzneimittelprüfung betrug zwei Mill. Pfund. Sowohl die Ethik-Kommission der Ärztekammer Berlin als auch das Paul-Ehrlich-Institut hatten die Studie in Deutschland genehmigt, jedoch etwas später als die britischen Behörden. Vgl. zu jener Studie Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 19. 3. 2006, S. 69; Schweim, VersMed 2006, 144, 145 f. Als regulatorische Konsequenz aus diesem Vorfall verabschiedete der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) am 19. 7. 2007 die „Guideline on strategies to identify and mitigate risks for first-in-human clinical trials with investigational medicinal products“. 295 Vgl. MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 60. 296 So auch Deutsch/Lippert-Deutsch, § 40 Rn 30; Freund/Reus, PharmaR 2009, 205, 207 f.; Glaeske/Greiser/ACHTUNGREHart, Arzneimittelsicherheit und Länderüberwachung, S. 206 f.; Wenckstern, Haftung bei der Arzneimittelprüfung, S. 293 f. 297 Vgl. dazu etwa Osieka, Recht der Humanforschung, S. 227 f.; Voit, PharmaR 2005, 345, 348 f.
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jenem Zeitpunkt bereits aufgebraucht, besteht für alle nachfolgenden Studien kein angemessener Versicherungsschutz mehr. In entsprechenden Fällen findet wiederum eine anteilige Berechnung der Entschädigung statt, so dass im ungünstigsten Falle für den einzelnen Geschädigten gar keine oder aber eine Versicherungsleistung von wenigen Tausend Euro übrigbleiben. Die besondere Schwierigkeit liegt insofern darin, dass die Ethik-Kommission für die Bewertung der entsprechenden Pauschalversicherung auch das Risiko solcher Studien zu beurteilen hätte, welche sie noch nicht einmal kennt – ein offensichtlich unmögliches Unterfangen.298 Diese Praxis des Abschlusses von Pauschalversicherungen steht nach dem Gesagten – selbst sofern man annimmt, die Gesamtversicherungssumme sei nicht durch Multiplikation der Anzahl der Probanden mit 500.000 E zu ermitteln299 – mit der geltenden Gesetzeslage nicht in Einklang.300 Wird in diesen Fällen eine Höchstsumme pro geschädigter Person festgelegt, welche 500.000 E unterschreitet, tritt der Widerspruch zu § 40 I 3 Nr. 8, III AMG offen zu Tage.301 b) Weitere problematische Ausnahmen von der gesetzlichen Leistungspflicht Bedenken hinsichtlich ihrer Gesetzeskonformität bestehen schließlich hinsichtlich weiterer Bestandteile der üblicherweise in der Probandenversicherung verwendeten allgemeinen Versicherungsbedingungen. Zu nennen ist beispielsweise der Ausschluss immaterieller Schäden gemäß Ziff. 3.1.1 (1) AVB. Dieser Ausschluss verwundert zunächst einmal mit Blick darauf, dass seit Inkrafttreten des 2. SchadÄndG302 am 1. August 2002 gemäß § 253 II BGB für nahezu alle Schadensersatznormen bei Verletzung von Körper oder Gesundheit ein Anspruch auf Schmerzensgeld besteht. An dieser gesetzgeberischen Grundentscheidung kommt man auch im Rahmen der hier betroffenen Versicherungshaftung nicht vorbei.303 Zwar hat der Gesetzgeber im Zuge des 2. SchadÄndG den erforderlichen Umfang der Probandenversicherung von 500.000 E in § 40 III AMG nicht erhöht,304 jedoch spricht dies nicht gegen eine Einbeziehung von Ansprüchen auf Schmerzensgeld, da § 40 AMG keine Anspruchsgrundlage enthält, sondern lediglich eine Kodifizierung der Versicherungs298
Im Ergebnis ebenso Freund/Reus, PharmaR 2009, 205, 208; Voit, PharmaR 2005, 345,
348 f. 299
Diese Auslegung entspricht – zumindest prima facie – der Konzeption des § 40 III 2 AMG. Vgl. etwa Sander, Erl. § 40 AMG C Anm. 39; Voit, PharmaR 2005, 345, 348. 300 Vgl. Deutsch/Lippert-Deutsch, § 40 Rn 30; Freund/Reus, PharmaR 2009, 205, 208; Voit, PharmaR 2005, 345, 348 f. 301 Im Ergebnis ebenso Voit, PharmaR 2005, 345, 348 f. 302 Zweites Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, BGBl. I 2002, S. 2674 ff. 303 In diesem Sinne auch Freund/Reus, PharmaR 2009, 205, 206; Gödicke/Purnhagen, MedR 2007, 139, 141 f. 304 Nach Wille/Kleinke, PharmR 2004, 300, 306 f., spricht dieser gesetzessystematische Gesichtspunkt gegen eine Einbeziehung von Schmerzensgeld.
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pflicht.305 Im Übrigen bestätigt eine europarechtskonforme Auslegung des einschlägigen Arzneimittelrechts vor dem Hintergrund des Art. 3 II lit. f Richtlinie 2001/20/ EG die Annahme die Haftung erstrecke sich auch auf den Ersatz immaterieller Schäden.306 Den gesetzlichen Vorgaben zuwider läuft ferner die zeitliche Befristung der vom Versicherungsschutz umfassten Schäden. Diese sog. „Spätschäden“ sind gemäß Ziff. 1.5.2 AVB von der Versicherung ausgeschlossen, sofern sie nicht spätestens fünf Jahre nach Abschluss der klinischen Prüfung eingetreten und nicht später als zehn Jahre nach deren Beendigung gemeldet werden. Diese Begrenzung ermöglicht den Versicherern eine bessere Kalkulierbarkeit der versicherten Risiken.307 Allerdings ist für den entsprechenden Haftungsausschluss keine gesetzliche Legitimation ersichtlich – ein insoweit unbeschränkter Versicherungsschutz entspricht vielmehr der gesetzlichen Intention einer vollständigen Absicherung der Probanden, denn gerade in Bezug auf das Auftreten von „Spätschäden“ der klinischen Prüfung ist das Risiko gravierender Beeinträchtigungen nachhaltig erkennbar.308 An dieser Stelle nicht abschließend zu erörtern sind rechtliche Bedenken in Bezug auf weitere Bestandteile der AVB, welche mit dem Gesetzeszweck der Versicherungspflicht nur schwerlich in Einklang zu bringen sind. Diese betreffen Haftungsausschlüsse bei genetischen Schäden gemäß Ziff. 1.4.3 AVB,309 den durch Ziff. 1.3.1 und 1.3.2 AVB ausgeschlossenen Ersatz von Wegeunfällen310 sowie die nach Ziff. 3.1.1 (2) AVB zu verzeichnende Subsidiarität der Probandenversicherung gegenüber anderen Leistungsansprüchen.311
305
Vgl. Freund/Reus, PharmaR 2009, 205, 206; Voit, PharmaR 2005, 345, 347. Näher dazu Freund/Reus, PharmaR 2009, 205, 206 f.; Voit, PharmaR 2005, 345, 350 f. 307 Vgl. dazu Rittner/Kratz/Walter-Sack, VersR 2000, 688, 689. 308 Ebenso etwa Freund/Reus, PharmaR 2009, 205, 207; Walter-Sack, Anhang 2 zu Rittner/ Kratz/Walter-Sack, VersR 2000, 688, 693. Zur Kritik am Ausschluss sog. Spätschäden in den AVB s. auch Deutsch/Lippert-Deutsch, § 40 Rn. 31; Wenckstern, Haftung bei der Arzneimittelprüfung, S. 295 f. 309 Vgl. dazu Deutsch/Lippert-Deutsch, § 40 Rn 31; Freund/Reus, PharmaR 2009, 205, 206; MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 60; Osieka, Recht der Humanforschung, S. 229 f. 310 Näher dazu Freund/Reus, PharmaR 2009, 205, 207; Rittner/Kratz/Walter-Sack, VersR 2000, 688, 690. Krit. insoweit auch Taupitz, FS Lorenz, S. 829, 841 f. – Zur Gegenauffassung vgl. Löwer, Heinze-GS, S. 553 ff. 311 Nach Ziff. 3.1.1 (2) AVB sind bestimmte Ansprüche gegen Dritte – beispielsweise auf Leistung aus einer Sozial- oder Krankenversicherung – anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Entsprechende Ansprüche sollen hingegen nur eine schnelle Vorleistung garantieren, sie bezwecken jedoch nicht eine Haftungsprivilegierung der für die Risiken der klinischen Prüfung Verantwortlichen. Insofern kodifiziert § 40 I 3 Nr. 8 AMG das Erfordernis des Bestehens einer Probandenversicherung, welche auch – und nicht lediglich nur – dann leisten muss, wenn kein anderer für den Schaden haftet. Siehe dazu Freund/Reus, PharmaR 2009, 205, 207. Sachlich übereinstimmend Wenckstern, Haftung bei der Arzneimittelprüfung, S. 264 ff. 306
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
Nach dem Gesagten stehen die derzeit abgeschlossenen Probandenversicherungen im Widerspruch zu geltendem Arzneimittelrecht. Freilich mag man mit Rücksicht auf das allgemeine Prinzip der Wahrung des überwiegenden Interesses darüber streiten, ob nicht für einen gewissen Zeitraum eine Tolerierung des gesetzeswidrigen Zustandes durch die insoweit verantwortlichen Amtsträger zugestanden werden konnte. Schließlich drohte anderenfalls das vollständige Erliegen medizinisch dringend indizierter Arzneimittelforschung.312 Indes kann das Ende einer entsprechenden befristeten Rechtfertigung des geltendem Recht zuwiderlaufenden Zustandes auch unter jener Prämisse nicht ernsthaft bestritten werden. Die – nahezu einhellige – fortdauernde Beanstandung der üblicherweise zugrunde gelegten Versicherungsbedingungen hat die Problematik mittlerweile in das allgemeine Bewusstsein der Verantwortlichen gerückt und bedeutet hiernach das Ende jener „Karenzzeit“. Dementsprechend erfüllt die Arzneimittelprüfung in entsprechenden Fällen die nach § 40 I 3 Nr. 8, III AMG für die Probandenversicherung geltenden rechtlichen Anforderungen nicht, so dass die zuständige Ethik-Kommission gemäß § 42 I 7 Nr. 3 AMG die zustimmende Bewertung zu versagen hat.313 c) Irreführung durch den Hinweis auf eine „Versicherung gemäß dem Arzneimittelgesetz“ in der Probandeninformation Solchermaßen ausgestaltete Vereinbarungen werfen bei Eintritt entsprechender Schäden jedenfalls die Frage nach einer zivilrechtlichen Haftung der Verantwortlichen auf.314 Indes hat die Problematik zugleich eine strafrechtliche Facette. Vielfach beinhalten Probandeninformationen den Hinweis auf das Bestehen einer Versicherung der Studienteilnehmer „gemäß dem Arzneimittelgesetz“.315 Jene Arzneimittelrechtskonformität der Probandenversicherung kann die Ethik-Kommission allerdings nach dem Gesagten nur dann bescheinigen, wenn die vorstehend skizzierten rechtlichen Vorgaben im Einzelfall tatsächlich erfüllt sind. Dies trifft in der Praxis regelmäßig nicht zu. In entsprechenden Fällen ist jener Passus in der Probandeninformation daher von der Ethik-Kommission als inhaltlich unrichtig zu beanstanden. Die Verwendung jener unzutreffenden Formulierung hat dabei unter Umständen Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Einwilligung des Probanden. Zwar dürfte betroffe312
Vgl. dazu Freund/Reus, PharmaR 2009, 205, 208 f. Im Ergebnis ebenso Freund/Reus, PharmaR 2009, 205, 209. 314 Eingehend zu den haftungsrechtlichen Konsequenzen im Fall nicht gesetzeskonformer Ausgestaltung der ProACHTUNGREbandenversicherung Voit, PharmaR 2005, 345, 349 ff. 315 Auch der Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen hat die Empfehlung beschlossen, in der Patienten- bzw. Probandeninformation den Satz aufzunehmen: „Bei der klinischen Prüfung … sind alle Studienteilnehmer gemäß dem Arzneimittelgesetz versichert.“ Vgl. den Beschluss des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen auf seiner 25. Jahrestagung am 10. 11. 2007, welcher in der Sitzung vom 14. 6. 2008 im Wesentlichen bestätigt worden ist (Mustertext gemäß Beschluss vom 14. 6. 2008). 313
II. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln
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nen Studienteilnehmern die Regelung des AMG zur Probandenversicherung gemeinhin unbekannt sein, jedoch wird durch den Hinweis auf die Arzneimittelrechtskonformität der Probandenversicherung der Anschein eines gesetzlichen Versicherungsschutzes erweckt, welcher de facto nicht existiert.316 Bezieht sich eine entsprechende Fehlvorstellung auf den Schutz vor gewichtigen Gefahren – beispielsweise im Hinblick auf „Spätschäden“ der klinischen Prüfung – und wirkt sich diese zugunsten einer Teilnahme an der entsprechenden Studie aus, kann nicht mehr von einem unwesentlichen Willensmangel des Probanden ausgegangen werden.317 Die studienbedingte Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Betroffenen ist somit nicht von seiner Einwilligung gedeckt. Infolgedessen kommt bei Durchführung einer entsprechenden klinischen Prüfung eine Strafbarkeit der verantwortlichen Prüfärzte und Sponsoren nach §§ 223 I, 229 StGB in Betracht. Die Mitglieder der zuständigen Ethik-Kommission können sich in entsprechenden Konstellationen wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Nebentäterschaft sowie wegen Teilnahme an jenem vorsätzlichen Körperverletzungsunrecht – und zwar jeweils auch in der Form begehungsgleichen Unterlassens – strafbar machen.318 Selbst wenn ein wesentlicher Willensmangel eines Studienteilnehmers nicht nachgewiesen werden kann, ist immerhin noch eine Strafbarkeit nach § 96 Nr. 10 i. V. m. § 40 I 3 Nr. 8 AMG in Rechnung zu stellen. Die verantwortlichen Prüfärzte und Sponsoren führen insoweit – mit Rücksicht auf die regelmäßig vorhandene Kenntnis der Rechtswidrigkeit der aktuellen Versicherungspraxis – vorsätzlich eine klinische Prüfung unter Verstoß gegen die gesetzlichen Vorgaben zur Probandenversicherung durch.319 Die Mitglieder der zuständigen Ethik-Kommission, welche die Gesetzeskonformität der Probandenversicherung der betreffenden klinischen Prüfung nicht gewährleistet haben, sind danach als Teilnehmer jener Straftat zur Verantwortung zu ziehen.
9. Die Verweigerung der zustimmenden Bewertung einer klinischen Prüfung zum Nachteil betroffener Patienten Mit Rücksicht auf die Interessen heilungsbedürftiger Patienten besteht für die Mitglieder zuständiger Ethik-Kommission in umgekehrter Hinsicht auch die Verpflichtung zur zustimmenden Bewertung solcher Forschungsvorhaben, welche den in
316
Vgl. Freund/Reus, PharmaR 2009, 205, 209 f. So auch Freund/Reus, PharmaR 2009, 205, 210. 318 Vgl. dazu Freund/Reus, PharmaR 2009, 205, 210. Zu möglichen haftungsrechtlichen Konsequenzen für die Mitglieder der zuständigen Ethik-Kommission vgl. MünchKommStGBFreund, §§ 40 – 42a AMG Rn 60; Voit, PharmaR 2005, 345, 351 f. 319 s. dazu Freund/Reus, PharmaR 2009, 205, 210. 317
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
§§ 40, 41 AMG genannten Erfordernissen entsprechen.320 Ist demnach ein Projekt rechtlich nicht zu beanstanden und verweigert die Ethik-Kommission dennoch ihr positives Votum gemäß § 40 I 2 AMG, ist das genannte Vorgehen mit Blick auf Gesundheitsinteressen der betroffenen Patientengruppe an der Entwicklung neuer bzw. wirksamerer Arzneimittel rechtlich zu missbilligen. Lediglich sanktionenrechtliche Relevanz hat demgegenüber die Frage nach dem Nachweis der Kausalität einer verweigerten Zustimmung zur Durchführung einer klinischen Prüfung für die unterbliebene Heilung bzw. Linderung von Krankheiten potentieller Patienten mit dem in Rede stehenden Testpräparat. Jener mit Rücksicht auf die Grenzen der Ermittlung naturwissenschaftlicher Wirkweisen komplizierte Nachweis wird im Strafverfahren in aller Regel in rechtsgenügender Weise nicht zu führen sein.321 Insofern bestätigen aber die insoweit denkbaren Ausnahmen immerhin den auch im praktischen Regelfall unüberwindbarer Nachweisschwierigkeiten aufweisbaren Verstoß gegen eine strafbewehrte Verhaltensnorm.
10. Zur Abgabe der zustimmenden Bewertung trotz Fehlens des bzw. eines sachlich kompetenten Kommissionsmitglieds Die personelle Zusammensetzung einzelner Ethik-Kommissionen variiert je nach Satzung.322 Unabhängig von dem konkreten personellen Zuschnitt liegt es jedoch in der Natur der Sache, dass der jeweils zuständigen Ethik-Kommission nicht für alle wissenschaftlichen Fragestellungen des zur Prüfung vorgelegten Antrages auf Durchführung einer klinischen Studie entsprechende Experten angehören. Aus diesem Grund kann sich die Ethik-Kommission gemäß § 42 I 5 AMG durch Hinzuziehung von Sachverständigen oder die Anforderung von Gutachten fremden Sachverstands bedienen. Von dieser Möglichkeit hat die Ethik-Kommission nach der gesetzlichen Konzeption jedenfalls Gebrauch zu machen, sofern das diesbezügliche Ermessen auf Null reduziert ist, also alle weiteren in Betracht kommenden Varianten der Sachverhaltsermittlung als rechtsfehlerhaft anzusehen wären.323 In entsprechenden Fällen 320 Zur ausschließlichen Maßgeblichkeit rechtlicher Versagungsgründe im Rahmen des § 40 I 2 AMG nach der 12. AMG-Novelle vgl. oben C. II. 1. sowie MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 58. 321 Zu den Anforderungen an einen für die Bestrafung wegen vollendeten Verletzungsdeliktes rechtsgenügenden Nachweis der Ursächlichkeit der Anwendung eines Pharmakons für eine Schädigung s. unten F. I. 322 Zu entsprechenden Unterschieden vgl. etwa § 4 I der Ordnung der Kommission für Ethik in der ärztlichen Forschung des Fachbereichs Medizin der Philipps-Universität Marburg v. 13. 2. 2007 sowie § 2 I der Satzung der Ethikkommission an der Medizinischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn v. 7.3.2006. 323 Vgl. van der Sanden, Haftung medizinischer Ethik-Kommissionen, S. 74. Näher zur Frage der Verhaltensmissbilligung in Konstellationen verwaltungsrechtlicher Ermessensspielräume von Amtsträgern unten C. IV.
II. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln
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ist es durchaus denkbar, dass die Erforderlichkeit der Einholung externen Rates in rechtlich vorwerfbarer Weise verkannt wird. Ein vergleichbares Problem stellt sich dann, wenn eine KomACHTUNGREmissionssitzung im Einzelfall nicht in vollzähliger Besetzung stattfindet.324 In entsprechenden Fällen erteilt die Ethik-Kommission unter Umständen lediglich aufgrund jener unzureichenden Besetzung bzw. mangelnden Fachkompetenz ein positives Votum, obwohl die vom Sponsor vorgelegten Unterlagen den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprechen. Als Beispiele können insoweit der Hinweis auf eine, tatsächlich rechtswidrige, arzneimittelrechtskonforme Probandenversicherung in der Probandeninformation oder der mit Rücksicht auf unzureichend berechnete Fallzahlen mangelhafte Versuchsplan dienen, welche von den anwesenden Kommissionsmitgliedern, bedingt durch die Abwesenheit eines Juristen bzw. eines Biometrikers, unbeanstandet bleiben.325 In vorgenannten Fällen ist unter Umständen gar die Wirksamkeit der Einwilligung einzelner Studienteilnehmer betroffen.326 Selbstverständlich kann eine rechtliche Beanstandung der Abgabe des positiven Votums nicht auf die Tatsache unzulänglicher juristischer bzw. biometrischer Kenntnisse der Anwesenden gestützt werden.327 Allerdings sind die anwesenden Kommissionsmitglieder gehalten, sofern eine für die Beurteilung des Antrags maßgebliche Frage nicht ohne ein abwesendes Kommissionsmitglied zu beantworten ist oder ausschließlich ein externer Sachverständiger die für die Beantwortung einer bestimmten Frage erforderliche Fachkompetenz besitzt,328 den Rat des Betreffenden einzuholen.329 Die Entscheidung über den Antrag ist schließlich zu vertagen, wenn nur auf diese Weise die erforderlichen Kenntnisse zu gewinnen sind. Trifft die Ethik-Kommission hinge324 Für diese Situation enthalten die Satzungen der Ethik-Kommissionen regelmäßig die Festlegung eines für die Beschlussfassung der Kommission erforderlichen Quorums, um die Beschlussfähigkeit trotz des Fehlens Einzelner zu gewährleisten. 325 Als weitere Beispiele für originär dem kommissionsangehörigen Juristen zugewiesene Aufgaben sind die Beurteilung der Einsichtsfähigkeit bei Minderjährigen sowie die Eröffnung des Anwendungsbereichs des AMG zu nennen. Vgl. dazu Losse, in: Dengler/Schwilden (Hrsg.), Ethik-Kommissionen, S. 21, 28 f. 326 Näher dazu oben C. II. 8. sowie C. II. 6. c). 327 Es gilt der Grundsatz „ultra posse nemo obligatur“. Haben sich dagegen an der Entscheidung beteiligte Kommissionsmitglieder, etwa durch ihre Erfahrung in der Ethik-Kommission, entsprechende Fachkenntnisse der fremden Disziplin angeeignet, so besteht die rechtliche Verpflichtung, diese in die Entscheidungsfindung einfließen zu lassen. Vgl. zu einem angemessenen – also an die Fähigkeiten und Kenntnisse des konkret Handelnden oder Unterlassenden anknüpfenden – Konzept der Verhaltensnormkonturierung oben B. I. 328 Die Satzungen der Ethik-Kommissionen sehen in Anknüpfung an § 42 I 5 AMG vor, dass im Bedarfsfalle Sachverständige hinzugezogen werden können. Vgl. hierzu etwa § 6 I 2 der Satzung der Ethik-Kommission der Landesärztekammer Hessen v. 6. 12. 2006 sowie § 4 IV der Satzung der Ethikkommission an der Medizinischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn v. 7.3.2006. 329 Im Fall des bei einer Sitzung abwesenden Kommissionsmitglieds kann dies insbesondere durch eine Befassung desselben mit den zu beratenden Studien im Vorhinein oder durch Entsendung eines hinreichend kompetenten Stellvertreters geschehen.
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
gen eine auf unzureichender Fachkompetenz beruhende – den Anwesenden insoweit vorwerfbare – fehlerhafte Entscheidung, so ist die Mitwirkung an diesem Votum unter dem Aspekt des Übernahmeverschuldens rechtlich zu missbilligen.330
11. Die „Verlaufskontrolle“ klinischer Arzneimittelprüfungen – Aufhebung der zustimmenden Bewertung und notwendig beschränkter Pflichtenkreis jenseits der „Evidenzfälle“ a) Rücknahme und Widerruf der zustimmenden Bewertung § 42a AMG verpflichtet die zuständige Bundesoberbehörde im Rahmen klinischer Prüfungen zu Rücknahme, Widerruf oder Anordnung des Ruhens der Genehmigung beim nachträglichen Eintritt oder Bekanntwerden bestimmter Versagungsgründe – insbesondere bei Zweifeln hinsichtlich der Unbedenklichkeit des Prüfpräparates. Die Anordnung entsprechender Maßnahmen führt nach § 42a IV AMG zu einem Verbot der Fortsetzung der klinischen Prüfung. Zudem können ggf. Abhilfemaßnahmen gegenüber verantwortlichen Personen verfügt werden, § 42a V AMG. Über etwaige gleichartige Interventionsmöglichkeiten der zuständigen EthikKommission während des Verlaufs einer Arzneimittelprüfung schwieg sich das alte Recht aus.331 Eine entsprechende Befugnisnorm existierte in diesem Zusammenhang nur für die Bundesoberbehörde in Gestalt des § 42a I, II AMG. Die Interventionskompetenz lag daher – mit Rücksicht auf den Vorbehalt des Gesetzes332 – allein bei der Aufsichtsbehörde.333 Auf einem anderen Blatt stand die Frage, ob die durch § 13 II 1 GCP-V angeordnete Unterrichtung der Ethik-Kommission über Verdachtsfälle einer unerwarteten schwerwiegenden Nebenwirkung (sog. SUSAR334) in derartigen Fällen die Legitimierbarkeit einer besonderen Rechtspflicht der Kommissionsmitglieder zur Information der Bundesoberbehörde begründete.335 330
So zutreffend Losse, in: Dengler/Schwilden (Hrsg.), Ethik-Kommissionen, S. 21, 28 f.; ders., in: Wagner (Hrsg.), Arzneimittel und Verantwortung, S. 265, 273 f.; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 628 f. 331 s. dazu etwa Deutsch/Lippert-Deutsch, § 40 Rn 25. 332 Eingehend dazu Maurer, AllgVerwR, § 6 Rn 3 ff. mwN. 333 Vgl. VG Berlin, Urteil v. 27. 03. 2008, AZ: 14 A 81.06; Classen, MedR 1995, 148, 149; Deutsch/Lippert-Deutsch, § 40 Rn 25; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 618; Stamer, Ethik-Kommissionen, S. 155. 334 Die Bezeichnung „SUSAR“ (Suspected Unexpected Serious Adverse Reactions) ist nach Umsetzung der Richtlinie 2001/20/EG in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen. Vgl. zur europarechtlichen Definition Art. 2 lit. o Richtlinie 2001/20/EG. 335 Die bloße Zurkenntnisnahme von Meldungen über unerwartete schwerwiegende Nebenwirkungen gemäß § 13 II 1 GCP-V stand insoweit nicht im Einklang mit dem gesetzlichen Auftrag der Ethik-Kommission zum Schutz der Patienten und Probanden. Rechtlich geboten war danach die Ergreifung solcher Schutz- bzw. Gefahrenabwendungsmaßnahmen, welche die in § 42a AMG statuierte Zuweisung der Eingriffskompetenz nicht unterlief. Im Ergebnis ebenso
II. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln
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Die entsprechende Problematik hat sich durch Einfügung des neuen § 42a IVa AMG im Rahmen der 15. AMG-Novelle (nur) teilweise erledigt. Die neue Regelung enthält eine Befugnis zu Rücknahme bzw. Widerruf der zustimmenden Bewertung der klinischen Prüfung bei Vorliegen eines der enumerativ aufgeführten Tatbestände. Im entsprechenden Fall darf die klinische Prüfung gemäß § 42a IVa, IV AMG nicht fortesetzt werden. Im Zuge dieser Gesetzesänderung erfolgte somit die Normierung der bis dato fehlenden Eingriffsbefugnis der zuständigen Ethik-Kommission gegenüber dem Sponsor nach Beginn der klinischen Prüfung. Eine Verpflichtung zur Rücknahme der zustimmenden Bewertung besteht gemäß § 42a IVa 1 AMG im Fall der nachträglichen Kenntniserlangung bezüglich des Vorliegens eines Versagungsgrundes nach § 42 I 7 AMG. Zum Widerruf der zustimmenden Bewertung ist die EthikKommission nach § 42a IVa 1 Nr. 1 – 4 AMG bei Kenntniserlangung hinsichtlich des nachträglichen Wegfalls der Eignung der Prüfstelle oder des Prüfers, einer ordnungsgemäßen Probandenversicherung, der wissenschaftlichen Konsistenz der klinischen Prüfung oder der Voraussetzungen der Einbeziehung nicht unbeschränkt Einwilligungsfähiger verpflichtet. § 42a IVa AMG setzt insofern die „Kenntnis“ der Ethik-Kommission hinsichtlich des in Betracht kommenden Aufhebungsgrundes voraus. Mit Blick auf Zeit- und Kapazitätsgründe kann es dabei nur um Sachverhalte gehen, in welchen die Tatsachen, welche die Aufhebungsentscheidung begründen, für die zuständige Ethik-Kommission evident sind.336 Diese müssen aus den in diesem Kontext rechtlich gebotenen Mitteilungen des Sponsors (vgl. § 13 II 1 GCP-V) in einer für eine Aufhebungsentscheidung normativ hinreichend deutlichen Ausprägung hervorgehen.337 In derartigen Fällen kann dem Unterlassen der Rücknahme bzw. des Widerrufs der zustimmenden Bewertung strafrechtliche Relevanz zukommen. Ist das Einschreiten der Ethik-Kommission in Bezug auf einen solchen Gesichtspunkt von Rechts wegen geboten, welcher die rechtliche Wirksamkeit der Einwilligung der Probanden in Verletzungen ihrer Körperintegrität berührt, stellt die Fortsetzung der klinischen Prüfung Classen, MedR 1995, 148, 149; Deutsch/Lippert-Deutsch, § 42a Rn 6; Lippert, FS Laufs, S. 973, 981 f.; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 618. – Dagegen sollte der Ethik-KommisACHTUNGREsion nach van der Sanden, Haftung medizinischer Ethik-Kommissionen, S. 79 ff., sogar die Möglichkeit eröffnet sein, die zustimmende Bewertung unter Rekurs auf §§ 48, 49 VwVfG zurückzunehmen bzw. zu widerrufen. Nach zutreffendem Verständnis handelte es sich bei § 42a AMG jedoch um eine speziellere arzneimittelrechtliche Regelung entsprechender Eingriffsbefugnisse. 336 Zu normativen Grenzen des entsprechenden Pflichtenkreises der Kommissionsmitglieder mit Rücksicht auf den von Rechts wegen zu beschränkenden Umfang der Meldepflichten des Sponsors gegenüber der Ethik-KomACHTUNGREmission s. noch unten C. II. 11. c). 337 Der Gesetzeswortlaut stützt diese Interpretation. Erforderlich ist die „Kenntniserlangung“ bezüglich eines Aufhebungsgrundes, also keine Pflicht zur entsprechenden Nachforschung oder Erkundigung. Die Erlangung dieser Kenntnis kann daher – auch mit Rücksicht auf die lediglich stattfindende „Unterlagenprüfung“ – in der Regel nur auf einer Information der Kommissionsmitglieder durch die für die Durchführung der Arzneimittelprüfung Verantwortlichen beruhen.
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
strafbares Körperverletzungsunrecht dar. Insofern sind körperliche Beeinträchtigungen im Rahmen der Durchführung der Studie von der erteilten Einwilligung nicht mehr gedeckt, wenn nachträglich solche Tatsachen wegfallen, welche die Willensmangelfreiheit der Entscheidung zur Preisgabe der Körperintegrität betreffen – man denke etwa an eine Fortsetzung einer klinischen Prüfung unter Fortfall eines vertretbaren Nutzen-Risiko-Verhältnisses des Prüfpräparates oder eines den rechtlichen Anforderungen genügenden Versicherungsschutzes.338 Bleibt die Kommission in Anbetracht dessen untätig, obwohl ein Einschreiten nach Maßgabe des § 42a IVa AMG rechtlich geboten ist, kommt mithin eine rechtliche Missbilligung des Verhaltens unter dem Gesichtspunkt des Körperverletzungsverbotes in Betracht (§§ 223 I, 229, 13 I StGB bzw. §§ 223 I, 13 I, 27 I StGB).339 b) Zum Pflichtenkreis bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen einer Rücknahme/eines Widerrufs Die rechtliche Eingriffsbefugnis des § 42a IVa AMG enthält indes nur eine Regelung für einen Teilbereich der praktisch relevanten Fälle. Ist die Ethik-Kommission aufgrund bestimmter tatsächlicher Zweifel nicht befugt, die zustimmende Bewertung aufzuheben, steht ihr kein rechtliches Instrumentarium zur befristeten Anordnung des Ruhens der zustimmenden Bewertung oder zur Anordnung einer Modifikation der klinischen Prüfung nach Maßgabe der bis dato vorhandenen Informationen zur Verfügung. § 42a VAMG räumt ausschließlich der zuständigen Bundesoberbehörde eine Befugnis zur Anordnung von Abhilfemaßnahmen ein. SelACHTUNGREbiges gilt für die Befugnis zur befristeten Anordnung des Ruhens der Genehmigung, § 42a I, II AMG. Die Ergreifung entsprechender Maßnahmen ist der Ethik-Kommission daher mit Rücksicht auf den Vorbehalt des Gesetzes versagt. Auf der anderen Seite ergibt die Unterrichtung der Ethik-Kommission über Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen nur einen Sinn, wenn ihr auch im Falle entsprechender Sachverhaltsungewissheiten gewisse Reaktionsmöglichkeiten zugestanden werden.340 Die bloße Zurkenntnisnahme von Meldungen über Verdachtsfälle bestimmter Nebenwirkungen gemäß § 13 II 1 GCP-V steht insoweit nicht im Einklang mit dem gesetzlichen Auftrag der Kommission zum Schutz der Patienten und Probanden. Rechtlich geboten ist danach die Ergreifung solcher Schutzbzw. Gefahrenabwendungsmaßnahmen, welche der Ethik-KommisACHTUNGREsion unter diesen Umständen rechtlich zur Verfügung stehen, also die in § 42a AMG statuierte Zuweisung der Eingriffskompetenz nicht unterlaufen. Demnach ist die Ethik-Kommission mit Rücksicht auf die legitimen Interessen der Probanden jedenfalls verpflichtet, die 338
Zu den entsprechenden Anforderungen vgl. im Einzelnen oben C. II. 5. sowie C. II. 8. Die Kommissionsmitglieder sind im hier interessierenden Zusammenhang insbesondere sonderverantwortlich (garantenpflichtig) für die Abwendung spezifischer Gefahren aus ihrem Organisationskreis. Näher zur Begründung besonderer Rechtspflichten der Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen oben B. II., III. 340 So auch zur alten Rechtslage Classen, MedR 1995, 148, 149. 339
II. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln
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Aufsichtsbehörde über die ihr vorliegenden Erkenntnisse zu informieren und weitere Meldungen im Fortgang der Studie in Bezug auf solche Gesichtspunkte zu kontrollieren, welche eine Entscheidung nach § 42a IVa AMG zu tragen vermögen.341 Dieses Verfahren ist zwar aufwendig und weniger effizient als eine originäre Interventionskompetenz der Ethik-Kommission, aber unterhalb des Vorliegens der Voraussetzungen der Eingriffsbefugnis des § 42a IVa AMG durch die aktuelle Gesetzeslage vorgezeichnet.342 Auch in diesen Fällen kommt ein Verstoß der Mitglieder der zuständigen EthikKommission gegen das strafbewehrte Körperverletzungsverbot in Betracht (§§ 223 I, 229, 13 I StGB bzw. §§ 223 I, 13 I, 27 I StGB), sofern diese untätig bleiben, obwohl hinreichender Anlass zur Information der Bundesoberbehörde besteht. Der Sache nach geht es in entsprechenden Sachverhalten also um eine – strafrechtlich abgesicherte – „Informationspflicht“ der Mitglieder der zuständigen Ethik-Kommission. c) Normative Grenzen entsprechender Rechtspflichten im Rahmen der „Verlaufskontrolle“ Einschränkungen erfahren die vorstehend skizzierten Rechtspflichten der Mitglieder von Ethik-Kommissionen im Rahmen einer „Verlaufskontrolle“ von Arzneimittelprüfungen durch eine – rechtlich vorgezeichnete – Begrenzung von Meldepflichten des Sponsors. In der Praxis haben Ethik-Kommissionen zunehmend eine „Flut von Meldungen“ über unerwünschte schwerwiegende Nebenwirkungen eines Arzneimittels zu verzeichnen, welche darauf beruht, dass betroffene Unternehmen sowohl Verdachtsfälle von Nebenwirkungen im weltweiten Vertrieb eines Arzneimittels als auch solche, welche bei parallellaufenden Studien mit demselben Arzneimittel auftreten, an die Ethik-Kommission melden.343 Diese ist infolge begrenzter personeller und zeitlicher Kapazitäten nicht in der Lage, diese Meldungen sachgerecht zu bewerten.344 Der Anstieg der Meldungen hängt damit zusammen, dass nach Ansicht der Bundesoberbehörden von der Meldepflicht des § 13 GCP-V jeder Verdachtsfall, unab-
341
Für eine entsprechende „Informationspflicht“ der Ethik-Kommission bereits vor Normierung des § 42a IVa AMG Deutsch/Lippert-Deutsch, § 42a Rn 6; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 618. 342 In dieser Hinsicht zu Recht kritisch zur – die vergleichbare Problematik aufweisenden – Rechtslage vor Erlass der 15. AMG-Novelle Deutsch/Lippert-Deutsch, § 42a Rn 6. 343 Vgl. Sträter/Wachenhausen, PharmaR 2007, 95. 344 Offenbar haben einige Ethik-Kommissionen aus genanntem Grund gar die Annahme der „Meldekartons“ verweigert oder diese „unfrankiert“ an die Absender zurückgeschickt. So Dr. Wessler, Ethik-Kommission bei der LÄK Rheinland-Pfalz, in: BfArM im Dialog – Pharmakovigilanz in klinischen Prüfungen am 7. 11. 2006 in Bonn. Vgl. Sträter/Wachenhausen, PharmaR 2007, 95.
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
hängig vom Zulassungsstatus des Arzneimittels, erfasst wird.345 Allerdings bezieht sich die Definition des BeACHTUNGREgriffes der „Nebenwirkung“ nach Art. 2 lit. n Richtlinie 2001/20/EG sowie § 3 VII GCP-V ausdrücklich auf Prüfpräparate.346 Im Übrigen enthält Nr. 5.1.6.5. der Detailed Guidance ENTR/CT 3 für die Meldung von SUSARs die Festlegung, dass lediglich diejenigen Meldungen an die Ethik-Kommission zu übermitteln sind, welche sich auf die Probanden der betroffenen klinischen Prüfung („concerned trial“) im jeweiligen Mitgliedsland beziehen.347 Insofern schaffen EGGuidelines zwar kein neues Recht, aber die Detailed Guidance ENTR/CT 3 der Europäischen Kommission ist auf der Basis der Ermächtigung des Art. 18 Richtlinie 2001/20/EG eine verbindliche Interpretation der rechtlichen Vorgaben in Art. 16 und 17 Richtlinie 2001/20/EG.348 Eine abweichende nationale Auslegung der Meldepflichten des Sponsors erschiene nicht zuletzt im Hinblick darauf widersprüchlich und EG-rechtswidrig als der deutsche Gesetzgeber den Wortlaut des Art. 17 Richtlinie 2001/20/EG nahezu wortgleich in § 13 GCP-V übernommen hat.349 Mithin bestehen Meldepflichten des Sponsors gegenüber der Ethik-Kommission nur hinsichtlich betroffener Arzneimittelprüfungen im jeweiligen Mitgliedstaat. Sie entfallen dagegen im Hinblick auf parallellaufende Studien in anderen Mitgliedstaaten sowie bezüglich der Meldungen aus dem weltweiten Vertrieb bereits zugelassener Arzneimittel.350 Nur die entsprechende Auslegung des Umfangs der Meldepflichten in § 13 GCP-V wird im Übrigen der begrenzten personellen Ausstattung der Ethik-KommissioACHTUNGREnen gerecht und gewährleistet ihre Funktionsfähigkeit im Hinblick auf ihre originären Aufgaben. Schließlich sieht Art. 101 ff., 3 Nr. 3 der Richtlinie 2001/83/EG eine Verantwortlichkeit der zuständigen Behörden für die Bewertung von Meldungen aus dem weltweiten Vertrieb zugelassener Arzneimittel und aus parallellaufenden Studien in anderen Mitgliedstaaten vor. Diese Pflicht zur globalen Bewertung entsprechender Meldungen durch die Bundesoberbehörde wurde durch § 63b AMG in deutsches Arzneimittelrecht implementiert. Dies hat insofern einen guten Sinn, als das BfArM aus strukturellen Gründen die geeignete Institution zur Bewältigung dieser komplexen Aufgabe ist.351 Die personelle und sachliche Ausstattung der Behörde ist – anders als im Fall der Ethik-Kommissionen – an dieser Aufgabenzuweisung und dem Bedürfnis nach Bündelung relevanter Informationen und umfassender Bewertung auszurichten. Es entstehen demnach keine Sicherheitslücken, wenn man die Ethik-Kom345
So etwa PD Dr. Sudhop, Leiter der Abteilung Wissenschaftlicher Service des BfArM, in: BfArM im Dialog – Pharmakovigilanz in klinischen Prüfungen am 7. 11. 2006 in Bonn. Vgl. Sträter/Wachenhausen, PharmaR 2007, 95, 97. 346 s. dazu Sträter/Wachenhausen, PharmaR 2007, 95, 97. 347 Sträter/Wachenhausen, PharmaR 2007, 95, 98. 348 Sträter/Wachenhausen, PharmaR 2007, 95, 97. 349 Vgl. Sträter/Wachenhausen, PharmaR 2007, 95, 96 f. 350 s. dazu auch den Beschluss des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen v. 12.11.2005. 351 In diesem Sinne auch Sträter/Wachenhausen, PharmaR 2007, 95, 98.
III. Weitere Aufgabenbereiche der Ethik-Kommission
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misACHTUNGREsionen von einer Pflicht zur Auswertung der genannten Meldungen entbindet. Vielmehr verbleiben diesen die notwendigen Kapazitäten, um die Bewertung von klinischen Prüfungen und die Auswertung von Meldungen unerwünschter Arzneimittelwirkungen im Rahmen ihrer Zuständigkeit angemessen bearbeiten zu können. Allerdings sind sie im Interesse der Patientensicherheit gehalten, bei Eingang von Nebenwirkungsmeldungen, die nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, die Rücksendung an den Absender mit einem klarstellenden Hinweis zur Verantwortlichkeit der zuständigen Bundesoberbehörde zu versehen.
III. Weitere Aufgabenbereiche der Ethik-Kommission Mit der klinischen Prüfung eines Medizinproduktes darf nach § 20 VII, VIII MPG erst nach Einholung einer zustimmenden Stellungnahme einer Ethik-Kommission begonnen werden. Sonstige medizinische Versuche am Menschen sind nach der Deklaration von Helsinki ebenfalls einer Ethik-Kommission vorzulegen. Dies sieht mit Ausnahme ausschließlich epidemiologischer Forschungsvorhaben auch die Musterberufsordnung für Ärzte (MBO) von 2004 vor, § 15 I MBO.352 In diesem Kontext findet auch eine Prüfung unter spezifisch ethischem Blickwinkel statt, denn das Votum der Ethik-Kommission hat insoweit beratende und keine konstitutive Funktion im Hinblick auf die Durchführung des Forschungsprojektes.353 Eine Konkretisierung dieser Aufgabenbereiche unterbleibt mit Rücksicht auf den Gegenstand dieser Arbeit.354
IV. Zur Klarstellung – die Bedeutung verwaltungsrechtlicher Ermessensspielräume für die Legitimation spezifischer Geund Verbote gegenüber Amtsträgern Das Arzneimittelrecht räumt den zuständigen Amtsträgern mitunter einen Ermessensspielraum bei bestimmten Entscheidungen ein. Beispielsweise kann die EthikKommission im Rahmen der Bewertung der Antragsunterlagen des Sponsors gemäß § 42 I 5 AMG Sachverständige hinzuziehen oder Gutachten anfordern.355 352 Rechtlicher Maßstab ist insoweit die jeweilige Kammerordnung. Zu Unterschieden im Wortlaut s. Ratzel/ACHTUNGRELippert, MBO, § 15. 353 Zur Bedeutung des konstitutiven Charakters des Kommissionsvotums bei Arzneimittelprüfungen für die Frage nach dem Beurteilungsmaßstab der Ethik-Kommission s. oben C. II. 1. 354 Vgl. hierzu etwa Osieka, Recht der Humanforschung, S. 310 ff.; 321 ff. 355 Vgl. zu jener selbständigen Möglichkeit der Amtsermittlung bereits oben C. II. 10. In der Praxis kommt der Einholung entsprechenden externen Rates insbesondere für die Ermittlung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses Bedeutung zu. Zu den rechtlichen Bedingungen dieser Abwägung s. oben C. II. 5.
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
Auch bestimmte Behördenentscheidungen des BfArM – etwa über die Rücknahme oder den Widerruf einer Arzneimittelzulassung gemäß § 30 II AMG356 – sind Ermessensentscheidungen.357 In diesem Zusammenhang kommt der Verstoß gegen ein rechtliches Ge- oder Verbot nur dann in Betracht, wenn mit Blick auf das einschlägige Arzneimittelrecht eine Ermessensreduzierung zu verzeichnen ist.358 Ein (ggf. strafrechtlich relevanter) Ermessensfehler ist danach unter der Voraussetzung anzunehmen, dass sich aus den maßgeblichen verwaltungsrechtlichen Vorschriften in concreto eine Verdichtung des Handlungsspektrums des Amtsträgers zu einer Handlungs- oder Unterlassungspflicht ergibt.359 Existieren ex-ante hingegen mehrere (verwaltungs-)rechtlich zulässige Verhaltensweisen und greifen die Entscheidungsbefugten aus jenem Spektrum eine Variante heraus, lässt sich ein Gebot, sich in anderer Weise zu verhalten, nicht legitimieren.360 Dass sich das Handeln unter Umständen im Nachhinein als folgenreich oder über Gebühr gefahrenträchtig herausstellt, ändert an der Bewertung des Verhaltens nichts – dieses ist rechtlich nicht zu beanstanden.361 Sieht die verwaltungsrechtliche Wertung im Bereich von Arzneimittelrisiken hingegen eine gebundene Entscheidung vor (vgl. etwa §§ 30 I 1, 25 II 1 Nr. 5, 40 I 3 Nr. 3, II AMG), ist ein entsprechender Pflichtverstoß ohne weiteres rechtlich zu missbilligen. Insofern kann jene Wertung aufgrund des darin enthaltenen gesetzlichen Schutzauftrages zugunsten der Verbraucher auch in den Bereich des Strafrechts übertragen werden.362 Wir haben es insoweit mit dem Verstoß gegen eine strafrechtlich relevante 356
Vgl. dazu unten D. IV. Eingehend zu besonderen Rechtspflichten der Mitarbeiter des BfArM unten D. 358 Zum sachlichen Hintergrund der Einräumung von Ermessen an die Exekutive s. etwa Frisch, Verwaltungsakzessorietät und Tatbestandsverständnis, S. 47 ff. mwN. 359 Zur Ermessensverdichtung bei der Strafvereitelung durch begehungsgleiches Unterlassen seitens eines zur Strafverfolgung berufenen Amtsträgers vgl. BGHSt 4, 167, 170; 15, 18, 22; 43, 82, 88. Siehe dazu ferner Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 309 f. 360 Durften etwa die Mitglieder einer Ethik-Kommission von Rechts wegen davon ausgehen, dass der kommissionsinterne Sachverstand zur Beurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses der Arzneimittelprüfung ausreicht, kann ein rechtlicher Vorwurf nicht an die ex-post zu Tage getretene Erforderlichkeit der Einholung externen Rates geknüpft werden. Das Verhalten war vielmehr gedeckt von dem durch § 42 I 5 AMG eingeräumten Entschließungsermessen. 361 Vgl. zur maßgeblichen Beurteilungsperspektive bei der Verhaltensnormlegitimation oben B. I. sowie unten C. VI. 362 In diesem Sinne auch Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 25 f. Zur insbesondere bei verwaltungsrechtlichen Opportunitätsentscheidungen vieldiskutierten – und letztlich vor dem Hintergrund des allgemeinen Problems der Konkretisierung der Primärordnung zu verstehenden – Frage der Verwaltungsakzessorietät des Strafrechts s. etwa Breuer, NJW 1988, 2072, 2076 ff.; Frisch, Verwaltungsakzessorietät und Tatbestandsverständnis, 1993; Heine, NJW 1990, 2425 ff.; Kühl, FS Lackner, S. 815 ff.; Kuhlen, ZStW 105 (1993), 697, 706 ff.; Papier, NJW 1988, 1113 ff.; Samson, JZ 1988, 800 ff.; Schünemann, Meurer-GS, S. 37, 61 f.; Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 29 ff. – Speziell zum Umfang der strafbefreienden Wirkung arzneimittelrechtlicher Zulassungsentscheidungen s. Mayer, MedR 2008, 595 ff. 357
V. Gefahrenabwendungsverpflichtungen
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Verhaltensnorm zu tun.363 Beispielsweise zieht die zustimmende Bewertung einer klinischen Prüfung, deren Durchführung eine evident fehlerhafte Probandeninformation zugrunde liegt, welche insoweit nicht geeignet ist, eine wirksame Einwilligung der Probanden herbeizuführen,364 als Verstoß gegen zwingendes Verwaltungsrecht die Frage nach einer Strafbarkeit der Kommissionsmitglieder wegen zumindest fahrlässiger Körperverletzung nach sich.
V. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Eingreifens qualifizierter Gefahrenabwendungsverpflichtungen Nicht ernsthaft in Abrede zu stellen ist eine Gefahrenabwendungsverpflichtung der zuständigen Amtsträger sobald der Nachweis schädigender Wirkungen eines Arzneimittels geführt ist. Jedoch bestehen gewisse Unklarheiten im Hinblick darauf, ob Gefahrenabwendungspflichten nicht bereits dann statuiert werden können, wenn im konkreten Fall noch keine Gewissheit über schädliche Auswirkungen besteht. Um die Antwort vorwegzunehmen, strafbewehrte Handlungspflichten sind im Rechtsgüterschutzinteresse bereits dann zu legitimieren, wenn diese zeitlich dem Nachweis spezifischer Fehlverhaltensfolgen vorangehen. Es geht hierbei – dies sei der Klarstellung halber betont – nicht darum, den sog. Risikoerhöhungslehren das Wort zu reden. Zwar wird von Befürwortern des Risikoerhöhungsgedankens vereinzelt angenommen, unter Ablehnung ihres Konzeptes seien nur solche strafbewehrten Handlungspflichten anzuerkennen, welche das Rechtsgut praktisch sicher vor Schaden bewahren.365 Dieses Verständnis entspricht indes nicht der hier zugrunde gelegten Auffassung und führt in die Irre. Zur Abschichtung der sachlich relevanten Gesichtspunkte ist vielmehr zwischen den Bewertungsgegenständen der Verhaltensmissbilligung und den Anforderungen an die Bestrafung wegen vollendeten Deliktes zu differenzieren. Unternimmt etwa ein Vater keine Anstrengungen zur Rettung seines im aufgewühlten Meer um Hilfe rufenden Sohnes und ist ex ante nur von einer möglichen, keineswegs sicheren, Lebensrettung auszugehen, so kann selbstverständlich eine entsprechende Gefahrenabwendungspflicht legitimiert werden. Ein entsprechendes tatbestandlich-missbilligtes Verhalten in Form begehungsgleichen Unterlassens liegt vor. Davon zu trennen ist jedoch die Frage nach einer Strafbarkeit wegen vollendeten Delikts. Diese setzt den Eintritt ex post feststellbarer spezifischer Fehlverhaltensfolgen voraus.366 363
Zum Verhältnis zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen s. oben B. I. Vgl. dazu oben C. II. 6. 365 Vgl. etwa Otto, AT, § 9 Rn 100 f.; Stratenwerth, AT I, 4. Aufl., § 13 Rn 55. 366 Vgl. MünchKommStGB-Freund, § 13 Rn 239. Problematisch insofern auch Rotsch, wistra 1999, 368, 374, welcher eine strafbewehrte Handlungspflicht – im speziellen Kontext betrieblicher Entscheidungsprozesse – offenbar dann nicht anerkennen will, wenn das Ausbleiben des missbilligten Erfolges durch „Gegenmaßnahmen unsicher“ ist. Hier wird die Frage 364
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
Im Übrigen ist diese Differenzierung zwischen tatbestandlicher Verhaltensmissbilligung und Eintritt spezifischer Fehlverhaltensfolgen im Bereich der Begehungsdelikte völlig unbestritten. Stößt der Vater im oben erwähnten Beispielsfall den Sohn über die Reling eines Fährschiffes in die wilde See, würde niemand das Vorliegen rechtlich zu missbilligenden Verhaltens mit dem Argument bestreiten es sei ex ante nicht ausgeschlossen gewesen, dass jener sich aus eigener Kraft ans Ufer hätte retten können.367 Insofern kann also für die Frage der tatbestandlichen Verhaltensmissbilligung im Unterlassungsbereich in Kongruenz zu den maßgeblichen Anforderungen des Begehungsdeliktes keine Gewissheit eines Schadenseintritts verlangt werden.368 Nach den allgemeinen Regeln ist mithin ein Verhaltensnormverstoß i. S. eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts anzunehmen, wenn das Unterlassen des Betreffenden eine – bei gegebener Sonderverantwortlichkeit – rechtlich zu missbilligende Nichtabwendung einer Schädigungsmöglichkeit in Richtung auf Leib oder Leben eines anderen darstellt, also durch jenes Verhalten gegen eine durch den Rechtsgüterschutz und die Sonderverantwortlichkeit fundierte Verhaltensnorm verstoßen wird.369 Im Interesse des Schutzes von Leib und Leben der Probanden bzw. Arzneimittelkonsumenten kann danach eine Handlungspflicht bereits bei Vorliegen eines (über bloße Spekulation hinausgehenden) begründeten Verdachtes bestimmter Schädigungsmöglichkeiten durch das Produkt legitimiert werden. Infolgedessen trifft etwa die Mitglieder einer Ethik-KommisACHTUNGREsion im Fall der (von Rechts wegen nicht zu beanstandenden) Annahme eines unvertretbaren Nutzen-Risiko-Verhältnisses des Testpräparates selbstverständlich eine spezifische Vermeidepflicht, obwohl weder die Schädigungsmöglichkeit als solche noch etwa die spätere Durchführung der Arzneimittelprüfung in jenem Stadium des Verfahrens (also der Beratung des Antrags) als gewiss vorausgesetzt werden kann oder sich ex-post bestätigen muss. Entscheidend für die rechtliche Bewertung ist, dass im Verhaltenszeitpunkt eine tatsächliche – nicht etwa eine bloß vorgestellte – Schädigungsmöglichkeit vorgelegen hat. Daran vermögen solche Umstände, welche erst nachträglich erkennbar werden, nichts zu ändern. nach der Gefahrenabwendungspflicht als solcher mit den Voraussetzungen einer Bestrafung wegen vollendeten Deliktes vermengt. Allenfalls lässt sich sagen, dass eine Gefahrenabwendungspflicht dann nicht legitimiert werden kann, wenn für den Normadressaten ex ante keine von Rechts wegen zu ergreifende Möglichkeit der Gefahrenabwendung besteht. Ultra posse posse nemo obligatur! 367 Zu vergleichbaren Fällen s. MünchKommStGB-Freund, § 13 Rn 240. 368 Im Hinblick auf die hier interessierende Frage nach dem Eingreifen qualifizierter Gefahrenabwendungspflichten schweigt sich auch § 13 I StGB aus. Ein maßgeblicher Gefahrenabwendungszeitpunkt ist der Vorschrift nicht zu entnehmen. Vgl. Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 23. 369 Eingehend dazu oben B. I. Folgerichtig ließ der Bundesgerichtshof im Lederspray-Fall einen ernsthaften Gefahrenverdacht zur Auslösung einer Verpflichtung des Herstellers genügen, Verbraucher der Ledersprays vor Gesundheitsschäden zu bewahren, vgl. BGHSt 37, 106, 114. In diesem Sinne auch Deutscher/Körner, wistra 1996, 327 f.
VI. Legitimation besonderer Rechtspflichten
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Desgleichen kann im Zuständigkeitsbereich des BfArM etwa ein Widerruf der Zulassung oder eine Information der Öffentlichkeit durch die zuständigen Amtsträger der Bundesoberbehörde bereits im Zeitpunkt der begründeten Annahme rechtlich intolerabler Schädigungsmöglichkeiten angezeigt sein.370 Ließe man dagegen qualifizierte Verpflichtungen zur Abwendung bestimmter Risiken nur auf der Grundlage sicherer Kenntnis der konkreten Schädigungspotentiale eingreifen, würden weitere Geschädigte zur Verifizierung des Verdachtes instrumentalisiert, ohne diesen gegenüber die derart späte Gefahrenabwendungsverpflichtung legitimieren zu können.371
VI. Zur maßgeblichen Beurteilungsperspektive im Rahmen der Legitimation besonderer Rechtspflichten Für die Legitimation besonderer Rechtspflichten der Mitglieder der Ethik-Kommission ist – etwa mit Blick auf die Aufklärung über Risiko und Tragweite der Prüfung sowie die wissenschaftliche Vertretbarkeit des Prüfplans – in Bezug auf den für die rechtliche Bewertung relevanten Verhaltenszeitpunkt eines zu betonen: Hinsichtlich der maßgeblichen Beurteilungsperspektive kann es im Rahmen der Verhaltensnormkonturierung nur auf die Sachlage ankommen, wie sie sich dem Handelnden im Zeitpunkt des in Frage stehenden Verhaltens darstellt.372 Damit geht nicht – wie vereinzelt fälschlicherweise angenommen wird – eine Subjektivierung der rechtlichen Bewertung einher.373 Vielmehr gilt, dass das, was „eine Person nicht weiß und auch nicht wissen muss, man ihr ernsthaft nicht entgegenhalten (kann), um zu begründen, dass sie sich rechtlich falsch verhalten hat“.374 Die Feststellung eines Verhaltensnormverstoßes aus einer ex post-Perspektive ist demnach insofern abzulehnen, als ein derartiges Vorgehen nicht geeignet ist, dem Handelnden sein in rechtlicher Hinsicht zulässiges Handlungsspektrum zu veranschaulichen.375 Der Betreffende müsste vielmehr das Setzen aller Ursachen vermeiden, welche kausalgesetzlich eine bestimmte Schädigung bewirken können, und aus diesem Grund praktisch alle Tätigkeiten ver370 In diesem Sinne auch Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 26. Näher zu den einzelnen Gefahrenabwendungsverpflichtungen der Amtsträger des BfArM unten D. 371 Zutreffend betont von Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 23. 372 s. dazu Freund, AT, § 2 Rn 23 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 71 f.; Große Vorholt, Behördliche Stellungnahmen, S. 95 f.; Kuhlen, in: Jung/Müller-Dietz/Neumann (Hrsg.), Recht und Moral, S. 341, 347 f.; U. Stein, FS Küper, S. 607, 617 f. – Näher hierzu im Kontext des Arzneimittelrechts Birkenstock, Bestimmtheit, S. 61 ff. 373 So auch Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 242. 374 MünchKommStGB-Freund, Vor § 13 Rn 164. Dieser Erkenntnis wird im Bereich des Fahrlässigkeitsdelikts durch Begründung individualisierender Fahrlässigkeitslehren zunehmend Rechnung getragen; s. etwa Gropp, AT, § 12 Rn 82 ff.; Otto, AT, § 10 Rn 13 ff.; Stratenwerth, FS Jescheck, S. 285 ff.; Weigend, FS Gössel, S. 129, 138 ff. Vgl. hierzu auch unten E. V. 375 Vgl. MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 181 ff., Vor §§ 95 ff. AMG Rn 19 f.
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C. Rechtspflichten öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen
meiden.376 Verhaltensleitende Funktion kann Normen nach dem Gesagten nur zukommen, wenn diese dem Normadressaten bereits vor einem möglichen Normverstoß taugliche Kriterien an die Hand geben, an welchen er sein Verhalten in der konkreten Situation ausrichten kann. Dies bedeutet in concreto, dass im Rahmen der Antragsprüfung nur eine Missachtung derjenigen Risiken einer klinischen Prüfung von Humanarzneimitteln einen Verhaltensnormverstoß der Mitglieder der Ethik-Kommission begründen kann, welche bereits bekannt waren oder deren mögliches Auftreten von Rechts wegen in Rechnung zu stellen war.377 Im Rahmen jener (nachträglichen) normativen Bewertung darf nicht der Versuchung erlegen werden, aus der Perspektive des „im Nachhinein Klügeren“ eine am eingetretenen Verletzungserfolg orientierte Betrachtung vorzunehmen.378 Die Tatsache, dass bestimmte Schädigungen eingetreten sind bzw. diese ein erhebliches Ausmaß aufweisen, taugt letzten Endes noch nicht einmal als Indiz für einen möglichen Verhaltensnormverstoß der Kommissionsmitglieder, mögen sie auch sozialpsychologisch das Bedürfnis nach der „Suche eines Schuldigen“ bedingen.379 Vor dem Recht ist dies hingegen kein relevantes Datum. Entsprechende Schädigungen geben allenfalls Anlass dazu, das Verhalten im beurteilungsrelevanten Zeitpunkt auf eine mögliche Schaffung rechtlich unerlaubter Schädigungsmöglichkeiten hin zu untersuchen.
376
Vgl. Große Vorholt, Behördliche Stellungnahmen, S. 96. Dass selbst bei Befolgung einer entsprechenden Verhaltensrichtlinie stets eine Unterlassungsstrafbarkeit drohte, betont mit Recht Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 81 f. 377 Beispielshalber ist ein Projektplan von der Ethik-Kommission etwa dann als mangelhaft abzulehnen, wenn die klinische Prüfung im Zeitpunkt der Vorlage des Projektplanes ersichtlich nicht dazu beitragen kann, neue Erkenntnisse zu Tage zu fördern. Stellt sich dagegen ex-post heraus, dass das Prüfdesign ungeeignet war, den erstrebten medizinischen Fortschritt zu erzielen, ohne dass der Ethik-Kommission hierfür entsprechende Anhaltspunkte vorgelegen hätten, lässt sich den Kommissionsmitgliedern gegenüber keine Pflicht zur Beanstandung jenes Projektplanes legitimieren. 378 Vgl. Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 54; Große Vorholt, Behördliche Stellungnahmen, S. 96; Luhmann, Soziologie des Risikos, S. 51. Die Gefahr, dass sich der „Beurteiler“ nicht hinreichend in die Situation des „Handelnden“ versetzt, kann sich sowohl in einer Unterschätzung der Komplexität der Handlungssituation als auch in einer Überschätzung der Möglichkeiten rationaler Entscheidungsfindung realisieren. Zu dieser These einer „actor-observer-Differenz“ der Verantwortungszuschreibung s. Kuhlen, in: Jung/Müller-Dietz/Neumann (Hrsg.), Recht und Moral, S. 341, 355 ff. 379 Vgl. zu jenem Phänomen Braum, KritV 1994, 179, 186; Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 108 f.
D. Besondere Rechtspflichten der Amtsträger des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zur Vermeidung von Arzneimittelrisiken Die Zuständigkeit des BfArM im Arzneimittelwesen ergibt sich gemäß § 77 I AMG aus einer Negativabgrenzung zum Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Nach § 77 II AMG ist das PEI zuständig für Sera, Impfstoffe, Blutzubereitungen, Knochenmarkzubereitungen, Gewebezubereitungen, Gewebe, Allergene, Arzneimittel für neuartige Therapien, xenogene Arzneimittel und gentechnisch hergestellte Blutbestandteile. Das BVL ist zuständig für Tierarzneimittel, § 77 III AMG. Infolgedessen besteht eine Zuständigkeit des BfArM für die Zulassung von Arzneimitteln, die Registrierung von homöopathischen Arzneimitteln, die Risikobewertung von Arzneimitteln und Medizinprodukten und die Überwachung des legalen Verkehrs mit Betäubungsmitteln und Grundstoffen.1 Häufig werden etwaige schuldhafte Versäumnisse des BfArM bei der Zulassung oder Überwachung von Arzneimitteln lediglich unter dem Aspekt der Amtshaftung gemäß Art. 34 GG, § 839 I BGB gewürdigt.2 Aufgrund der Subsidiarität dieses Haftungsinstitutes nach § 839 I 2 BGB erübrigt sich indes regelmäßig eine eindeutige Stellungnahme zu möglichen Verhaltensvorwürfen. Indes ist derartiges Verhalten einer strafrechtlichen Untersuchung, trotz ggf. zu konstatierender Verantwortlichkeit Dritter wegen vorsätzlicher Deliktsbegehung, durchaus zugänglich.3 Für eine entsprechende Verhaltensmissbilligung maßgeblich ist nach den bisherigen Ausführungen die Verletzung einer in concreto legitimierbaren Verhaltensnorm durch den zuständigen Amtsträger.4 Unter der Prämisse der Verletzung einer besonderen Rechtspflicht können Amtsträger des BfArM also neben Prüfärzten oder Arzneimittelherstellern grundsätzlich strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Erforderlich ist danach – nach den allgemeinen Regeln – ein berechtigter Nutzen der Normeinhaltung durch den Verhaltensnormadressaten sowie die hinreichende Verdichtung der rechtlichen Gefahrenabwendungspflicht zu einer besonderen Rechtspflicht. Die im 1
Vgl. Deutsch/Lippert-Ratzel, § 77 Rn 2. Eine exklusive Behandlung dieses Gesichtspunktes findet sich etwa bei v. Czettritz/ Wartensleben/Ehlers/ACHTUNGREDierks, PharmaR 2001, 268, 276 f. 3 Zur Frage eines im Kontext „vorsätzlicher Deliktsverwirklichung durch einen Dritten“ diskutierten Regressverbotes hinsichtlich einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit des „Erstverursachers“ s. unten F. II. 2. b). 4 Eingehend zur Frage der Verhaltensnormlegitimation als Grundvoraussetzung einer strafrechtlichen Reaktion oben B. I. 2
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D. Rechtspflichten der Amtsträger des Bundesinstituts für Arzneimittel
Einzelfall erforderliche Feststellung einer entsprechenden Rechtspflicht kann sich in diesem Kontext aus dem Gesichtspunkt des Umgangs mit Arzneimitteln als qualifiziert riskanten Stoffen sowie aus einem besonderen Schutzauftrag zuständiger Amtsträger zugunsten potentieller Arzneimittelkonsumenten ergeben.5
I. Zum historischen Hintergrund des BfArM 1876 wurde der erste Etat für die Gründung einer zentralen Gesundheitsbehörde vom Reichstag bewilligt. Dieses Reichsgesundheitsamt musste sich einige Zeit darauf von Bismarck nachsagen lassen es sei „eine begutachtende, berathende, bittende Behörde geworden, die sehr viel schreibt und thut, ohne daß ihr jemand Folge leistet“.6 Die Errichtung des Bundesgesundheitsamtes nach dem Krieg ging auf ein Gesetz vom 27. 2. 1952 zurück.7 Es arbeitete als selbständige Bundesoberbehörde (vgl. § 77 I AMG aF) im Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit. Die Behördengröße des Bundesgesundheitsamtes wuchs mit der Zeit an zu einer Mitarbeiterzahl von ca. 3000, darunter 700 Wissenschaftler, im Jahr 1992.8 Diese Behörde war untergliedert in sechs wissenschaftliche Institute, das Aids-Zentrum sowie eine Zentralabteilung.9 Im Herbst 1993 brachte die Presse den Skandal um HIV-verseuchte Faktor VIII-Präparate und Blutkonserven ans Tageslicht, welcher durch bis ins Jahr 1983 zurückverfolgbares Fehlverhalten und Vertuschungsversuche durch leitende Mitarbeiter der Behörde gekennzeichnet war.10 Die Einschätzung, das Bundesgesundheitsamt habe wider besseres Wissen nicht für die Sicherheit der Blutprodukte gesorgt, führte zur Auflösung der Behörde.11 Die Aufgaben und Kompetenzen des Bundesgesundheitsamtes wurden mit dem Inkrafttreten des Gesundheitseinrichtungen-Neuordnungs-Gesetzes (GNG)12 am 25. 6. 1994 auf bereits bestehende oder neu errichtete Institutionen verteilt. Nunmehr ist das BfArM, neben dem PEI, dem Robert Koch-Institut und dem BVL zuständige Bundesoberbehörde im Arzneimittelwesen. Diese Behörden sind als „selbständige
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Näher zur Begründung und den Legitimationsbedingungen einer besonderen Gefahrenabwendungspflicht von Amtsträgern für Arzneimittelrisiken oben B. I., II. 6 s. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn 1402. 7 BGBl. 1952 I, S. 121. 8 Vgl. Hoppe, NJW 1994, 2404. Nach Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn 1402, resultierte aus dieser Größe eine Hemmung der eigenen Tätigkeit. 9 Vgl. Tätigkeitsbericht des Bundesgesundheitsamtes 1992, S. 12 ff. 10 Vgl. dazu FAZ v. 11. 5. 1994; FR v. 29. 4. 1994; Der Spiegel v. 25.4.1994. Zu Fragen der Amtshaftung in diesem Kontext s. OLG Koblenz, NJW-RR 1998, 167 ff. 11 So Hoppe, NJW 1994, 2404. 12 BGBl. I, S. 1416.
II. Die Genehmigung klinischer Prüfungen von Arzneimitteln
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Bundesinstitute“ unabhängig in ihrer Organisation, unterliegen jedoch der Fachaufsicht durch das Bundesministerium für Gesundheit.13
II. Die Genehmigung klinischer Prüfungen von Arzneimitteln Der Beginn der klinischen Prüfung setzt neben der zustimmenden Bewertung durch die Ethik-Kommission nach §§ 40 I 2, 42 I AMG14 auch die Genehmigung durch die zuständige Bundesoberbehörde gemäß §§ 40 I 2, 42 II AMG voraus. Diese „Doppelprüfung“ hat unterschiedliche Schwerpunkte, da die Ethik-Kommission vor allem den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn durch die klinische Prüfung bewertet, während die Bundesoberbehörde sich vorrangig mit der Qualität und Sicherheit des Arzneimittels zu befassen hat.15 Der Bundesoberbehörde sind dabei im Wesentlichen die gleichen Unterlagen vorzulegen wie der Ethik-KommisACHTUNGREsion.16 Sie kann eine explizite Genehmigung erteilen oder den Antrag durch Verstreichen lassen der 30-Tages-Frist des § 42 II 4 AMG zur Geltendmachung von Einwänden implizit genehmigen. Der Antragsteller hat ein subjektiv-öffentliches Recht auf die Genehmigung, sofern nicht einer der Versagungsgründe des § 42 II 3 AMG vorliegt.17 Strafrechtlich relevante Verhaltenspflichten der Amtsträger des BfArM bestehen etwa bei Vorliegen der Voraussetzungen zur Versagung der Genehmigung nach § 42 II 3 Nr. 2 AMG, also im Fall der Ungeeignetheit der klinischen Prüfung zur Erbringung des Nachweises der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit des Arzneimittels. Eine unter diesen Umständen von den Probanden erteilte Einwilligung in die Beeinträchtigung ihrer Körperintegrität ist unwirksam und entfaltet keine rechtfertigende Wirkung im Hinblick auf mit der klinischen Prüfung (regelmäßig) einhergehendes Körperverletzungsunrecht.18 Zwar werden die Aufklärungsunterlagen des Sponsors bei Einreichung des Antrags an die Amtsträger des BfArM gar nicht beigefügt.19 Darauf kommt es indes nicht an. Eine besondere Verantwortlichkeit kann sich insoweit nicht nur aus der Tatsache einer Nichtbeanstandung fehlerhafter Aufklärungsunterlagen er-
13
Vgl. Deutsch/Lippert-Ratzel, § 77 Rn 1. Vgl. zu besonderen Rechtspflichten der Mitglieder zuständiger Ethik-Kommissionen im Rahmen der Entscheidung über die zustimmende Bewertung einer klinischen Prüfung oben C. II. 15 Vgl. Deutsch/Lippert-Deutsch, § 42 Rn 1; Sander, Erl. § 42 AMG C Anm. 19. 16 Vgl. §§ 42 I 4, 42 II 2 AMG bzw. § 7 II-IV GCP-V. 17 Deutsch/Lippert-Deutsch, § 42 Rn 10. Siehe dazu bereits oben C. II. 1. 18 Näher zu den in diesem Kontext zu beachtenden Anforderungen an eine rechtlich wirksame Einwilligung oben C. II. 6. 19 Vgl. § 7 II, III Nr. 9 GCP-V. 14
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D. Rechtspflichten der Amtsträger des Bundesinstituts für Arzneimittel
geben.20 Eine entsprechende Inpflichtnahme kommt auch in Betracht, sofern zuständige Amtsträger eine Vermeidepflicht hinsichtlich der Durchführung einer klinischen Prüfung trifft, welche auf defizitären Einwilligungserklärungen beruht. Denn ergibt sich bei Prüfung der Unterlagen des Sponsors die Ungeeignetheit der klinischen Prüfung zur Erbringung des Nachweises von Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit, ist damit regelmäßig die Unwirksamkeit der von den Probanden erklärten Einwilligung verbunden. In ein „sinnloses“ Experiment wird vernünftigerweise kein Proband einwilligen. Die entsprechende Verpflichtung der Amtsträger des BfArM zur Prüfung der wissenschaftlichen Konsistenz der klinischen Studie dient dabei neben der Sicherung des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts dem Zweck, potentielle Probanden vor der (arglosen) Teilnahme an einer in concreto ungeeigneten Arzneimittelprüfung zu bewahren. Die Genehmigung eines entsprechenden Antrages durch Amtsträger des BfArM ist mithin unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Körperintegrität der Prüfungsteilnehmer rechtlich zu missbilligen. Dieser Gesichtspunkt beansprucht auch Gültigkeit für weitere Verhaltenspflichten von Amtsträgern des BfArM im Bereich der Genehmigung klinischer Prüfungen. Werden Vorschriften, die dem Schutz der Probanden dienen, im Genehmigungsverfahren verletzt, ist stets zu prüfen, ob das entsprechende Fehlverhalten zu Autonomiedefiziten bei Studienteilnehmern führt. Ggf. entfällt die rechtfertigende Wirkung der Einwilligung und man hat es mit strafrechtlich relevantem – jedenfalls fahrlässigem – Körperverletzungsunrecht zu tun. In diesem Kontext bedeutsam ist das Gebot, die Genehmigung zum Beginn der klinischen Prüfung zu versagen, sofern das voraussichtliche Nutzen-Risiko-Verhältnis unvertretbar ist, §§ 42 II 3 Nr. 3, 40 I 3 Nr. 2 AMG.21 Auf der Basis eines entsprechenden Missverhältnisses ist – in der Regel22 – keine rechtlich wirksame Einwilligung der Probanden zu erlangen. Diese Pflicht zur Versagung der Genehmigung besteht allerdings letztlich unabhängig davon, ob die Probandeninformation in der hier interessierenden Hinsicht tatsächlich eine zutreffende Aufklärung beinhaltet.23 Das Erfordernis der Vertretbarkeit der Studie fungiert inso-
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Eine diesbezügliche Verhaltensmissbilligung hinsichtlich der zustimmenden Bewertung durch Mitglieder der Ethik-Kommission steht im Übrigen stets unter dem Vorbehalt einer in concreto legitimierbaren Pflicht zur Gefahrenabwendung. Erforderlich ist danach insbesondere die normativ festzustellende „Erkennbarkeit“ der Mängel der Aufklärungsunterlagen, auch und gerade vor dem Hintergrund der mit Blick auf Zeit- und Kapazitätsgründe angemessen zu begrenzenden Verantwortlichkeit der einzelnen Kommissionsmitglieder. Vgl. dazu oben C. II. 1., 6. 21 Näher dazu oben C. II. 5. 22 Zu möglichen Ausnahmen, etwa bei klinischen Studien mit einem Probandenkollektiv bestehend aus im Dienst der Wissenschaft agierenden Forschern, s. oben C. II. 5. d) sowie C. II. 7. a). 23 Praktisch wird die Probandeninformation indes in entsprechenden Fällen im Hinblick auf die ungünstige Nutzen-Risiko-Bilanz des Prüfpräparates inhaltlich unrichtig und somit irreführend sein.
III. Die Zulassung von Arzneimitteln
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fern als „objektive Einwilligungsschranke“ zum Schutz des Einzelnen vor einer nicht durch seine autonome Entscheidung gedeckten Güterbeeinträchtigung.24 Eine Verletzung von Verhaltenspflichten im Rahmen der Bearbeitung des Antrags eines Sponsors ist auch durch Unterlassen denkbar. Wird eine Genehmigung nach § 40 II 4 AMG durch Schweigen der Bundesoberbehörde erteilt, obwohl ein (dem Gesundheitsschutz der Probanden dienender) Versagungsgrund vorlag, sind die Voraussetzungen von Körperverletzungsunrecht durch Unterlassen gegeben.25
III. Die Zulassung von Arzneimitteln Nähere Betrachtung verdient die Zulassung von Arzneimitteln durch das BfArM. Auch in diesem Zusammenhang ist konsentiert, dass absolute Sicherheit im Arzneimittelbereich nicht zu gewährleisten ist.26 Schließlich lässt sich naturwissenschaftlich nie vollständig ausschließen, dass ein zum Zeitpunkt seiner Zulassung nach dem aktuellen Erkenntnisstand als unbedenklich zu qualifizierendes Arzneimittel aufgrund später gewonnener Forschungs- oder Erfahrungswerte nunmehr als bedenklich einzustufen ist.27 Da die Bundesoberbehörde nicht selbst die empirische Validität der eingereichten Daten und Untersuchungsergebnisse nachzuprüfen hat, handelt es sich bei der Zulassungskontrolle um eine Unterlagenprüfung.28 Dieser begrenzte Kontrollauftrag der Bundesoberbehörde ist normiert in § 25 V 1 AMG.29 Allerdings kann das BfArM nach § 25 V 2 AMG Sachverständige beiziehen sowie, sofern Zweifel am Sachverständigenvotum aus der Herstellersphäre bestehen, gemäß § 25 V 5 AMG einen sog. Gegensachverständigen benennen.30 Über die Zulassung von Fertigarzneimitteln, welche Arzneimittel i. S. d. § 2 I oder § 2 II Nr. 1 AMG sind, entscheidet – sieht man von der Möglichkeit der Genehmigung durch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften oder den Rat der Europäischen Union gemäß Art. 3 Abs. 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlamentes ab – nach § 21 I AMG als zuständige Bundesoberbehörde das 24
Näher dazu oben C. II. 7. a). Zur möglichen Amtshaftung in entsprechenden Fällen vgl. Deutsch/Lippert-Deutsch, § 42 Rn 14. 26 s. dazu etwa Deutsch, VersR 1988, 869, 872; Fülgraff, PharmInd 1980, 581, 583; Laufs, NJW 2001, 3381. 27 Vgl. zur jederzeitigen Korrigierbarkeit der Zulassungsentscheidung unten D. IV. 28 Vgl. Ramsauer, Arzneimittelversorgung, S. 25. 29 Die Grundstruktur der Prüfung als Unterlagenprüfverfahren wird zudem deutlich vor dem Hintergrund des § 25 II Nr. 4 Hs. 2 AMG. Danach darf die Zulassung nur versagt werden, wenn der Antragsteller die Wirksamkeit unzureichend begründet hat. 30 Die Behörde wird von dieser Möglichkeit im Regelfall nur dann Gebrauch machen, wenn neue Arzneimittel mit noch unbekannten Wirkungen zu beurteilen sind. Vgl. Kloesel/Cyran, § 25 AMG Anm. 85. 25
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D. Rechtspflichten der Amtsträger des Bundesinstituts für Arzneimittel
BfArM. Eine Legaldefinition des Fertigarzneimittels findet sich in § 4 I AMG. Die derzeitige Zulassungsregelung folgt dabei dem verwaltungsrechtlichen Modell des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt.31 Die Zulassung ist nach § 25 I AMG zu erteilen, sofern nicht ein Versagungsgrund i. S. d. § 25 II AMG vorliegt. Es handelt sich hierbei um einen durch die zuständige Bundesoberbehörde zu erteilenden begünstigenden Verwaltungsakt i. S. d. § 48 VwVfG.32 Allerdings führt das Vorliegen eines Versagungsgrundes nach § 25 II AMG zwingend zur Versagung der beantragten Zulassung, ohne dass der Behörde ein Ermessensspielraum verbleibt.33 Die enumerative Aufzählung der Zulassungsversagungsgründe in § 25 II Nr. 1 – 7 AMG ist abschließend, so dass andere als die dort aufgezählten Ablehnungsgründe nicht geeignet sind, eine Versagung der Zulassung zu begründen.34 Materieller Maßstab der Prüfung des Zulassungsantrags gemäß § 25 II AMG sind die in § 1 AMG normierten Kriterien der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit.35 Gesetzliche Ausnahmen von der Zulassungspflicht enthält § 21 II, IIa AMG. Nicht betroffen von der Zulassungspflicht sind danach gemäß § 21 II Nr. 1 AMG beispielsweise Rezepturarzneimittel, denn diese sind nicht im Voraus hergestellt, stellen also kein Fertigarzneimittel i. S. d. § 4 I AMG dar.36 Von der Zulassungspflicht ausgenommen und nur einer RegisACHTUNGREtrierungspflicht unterworfen sind daneben homöopathische Arzneimittel (§§ 38 ff. AMG) und traditionelle pflanzliche Arzneimittel (§§ 39a ff. AMG). Im Zulassungsverfahren müssen normative Vorgaben ein angemessenes Verhältnis von Arzneimittelsicherheit und Schnelligkeit der Zulassung sicherstellen. Insofern kommt der Zulassungsbehörde eine Schlüsselstellung zu. Fehlerhafte Zulassungen können insoweit aus zwei Gründen erteilt werden; denkbar ist zum einen die (bewusste oder unbewusste) Einreichung unzutreffender Zulassungsunterlagen durch den pharmazeutischen Unternehmer. Daneben kann eine rechtswidrige Zulassungserteilung auch auf einer fehlerhaften Bewertung der eingereichten Antragsunterlagen durch das BfArM beruhen.37 Auch in erstgenanntem Fall kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Pflicht zur Gefahrenabwendung des Inhaltes legitimiert werden, die erstrebte Zulassung zu versagen. Ein Vertrauengrundsatz, welcher gebietet, dass Mitteilungen aus den Zulassungsunterlagen als wahr zu unterstellen sind, existiert nicht. Der gesetzlichen Ausgestaltung der Zulassung als Unterlagenprüfverfahren widerspricht es nicht, der Bundesoberbehörde in bestimmten Fällen eigene Prüf-
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s. etwa Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn 1222; Heitz, Arzneimittelsicherheit, S. 62. Vgl. etwa Kloesel/Cyran, § 25 AMG Anm. 1. 33 Sander, Erl. § 25 AMG C Anm. 2. 34 Kloesel/Cyran, § 25 AMG Anm. 8. 35 Vgl. Heitz, Arzneimittelsicherheit, S. 62. 36 Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn 1262. Zur Kritik an dieser Regelung im Hinblick auf ein unzureichendes Unbedenklichkeitsattest s. Deutsch/Lippert-Anker, § 21 Rn 15 f. 37 Vgl. Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 547 f. 32
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pflichten aufzuerlegen, sofern hinreichende Bedenken hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit der vorgelegten Unterlagen bestehen.38 Die Vorschriften des AMG schließen in vorliegendem Zusammenhang eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Zulassung nicht aus.39 Dies stellt im Übrigen § 25 X AMG klar. Danach gilt es in vorliegendem Zusammenhang die für Mitarbeiter des BfArM relevanten rechtlichen Ge- und Verbote herauszuarbeiten. In der Frage der Konkretisierung jener Verhaltensnormen gebietet sich ein Rekurs auf die verwaltungsrechtliche Festlegung der rechtlichen Anforderungen einer Versagung der Zulassung gemäß § 25 II AMG.40 Mit Rücksicht auf den Gegenstand der Untersuchung ist insofern in erster Linie der Konkretisierung derjenigen Rechtspflichten Beachtung zu schenken, deren Verletzung im Hinblick auf den Gesundheitsschutz der Arzneimittelkonsumenten auch Bedeutung für die Feststellung tatbestandsmäßigen Körperverletzungsunrechts haben kann.
1. Nicht angemessene Qualität des Arzneimittels Im Interesse des Gesundheitsschutzes der Verbraucher zu legitimierende Verhaltensnormen bestehen danach im Bereich des § 25 II Nr. 3 AMG. Die Vorschrift gebietet die Versagung der Zulassung für Arzneimittel, welche nicht die nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln angemessene Qualität aufweisen. Nach der Legaldefinition des Qualitätsbegriffs in § 4 XVAMG bezeichnet Qualität die Beschaffenheit des Arzneimittels, welche insbesondere bestimmt wird durch Identität, Gehalt und Reinheit des Pharmakons. Nähere Anforderungen an die Qualität von Arzneimitteln finden sich etwa in den Arzneimittelprüfrichtlinien41 sowie der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMWHV), welche die europarechtlichen Vorgaben der „Good Laboratory Practice“ (GLP) und „Good Manufactoring Practice“ (GMP) umsetzt. Die gemäß § 25 II Nr. 3 AMG zu beachtenden „anerkannten pharmazeutischen Regeln“ sind hingegen gesetzlich nicht definiert. Sie ergeben sich unter anderem 38
Selbstverständlich sind die Amtsträger des BfArM insoweit auf eine „Grundverläßlichkeit der Unterlagen“ angewiesen. Eine Freizeichnung von jeglicher Verantwortung ist hiermit jedoch nicht verbunden. Das hoch qualifizierte und technisch gut ausgerüstete Personal ist vielmehr gehalten, bei Anhaltspunkten für die Unrichtigkeit der Zulassungsunterlagen, diesbezügliche Zweifel durch eigene Nachforschungen oder die Beauftragung Sachverständiger zu beseitigen, vgl. § 25 V AMG. Siehe auch Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 186; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 563, 566 f. 39 Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn 1243; MünchKommStGB-Freund, §§ 21 – 37 AMG Rn 16. 40 Zur Bedeutung der vorstrafrechtlichen Normenordnung für die Legitimation von Verhaltensnormen s. oben B. I. 1. sowie B. II. 2. b). 41 Bekanntmachung der Neufassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Anwendung der Arzneimittelprüfrichtlinien vom 5. 5. 1995, BAnz. Nr. 96a (abgedruckt in Kloesel/ Cyran, AMG, A 2.13.).
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D. Rechtspflichten der Amtsträger des Bundesinstituts für Arzneimittel
aus dem Arzneibuch (§ 55 AMG) und der GMP-Richtlinie.42 Diesen Regeln entsprechen beispielsweise solche Arzneimittel nicht, die verdorben sind oder denen minderwertige oder verunreinigte Hilfsstoffe beigefügt wurden.43 Allerdings bedeutet auch eine erhebliche und infolgedessen unzulässige Qualitätsminderung nicht zwangsläufig eine Gesundheitsschädlichkeit des Arzneimittels.44 Danach hat § 25 II Nr. 3 AMG eine doppelte Schutzrichtung; Gesetzeszweck ist der Täuschungsschutz des Verbrauchers (vgl. auch § 8 I Nr. 1 AMG) sowie ggf. der Schutz vor Gesundheitsgefahren durch qualitativ minderwertige Arzneimittel. Hieraus ergibt sich für den strafrechtlich relevanten Pflichtenkreis der Amtsträger des BfArM, dass die Erteilung einer Zulassung trotz nicht angemessener Qualität des Arzneimittels im Hinblick auf den Gesundheitsschutz der Verbraucher unter dem Gesichtspunkt der Begehung von Körperverletzungsunrecht rechtlich zu missbilligen sein kann. Eine Vollendungstat kommt allerdings nur in Betracht, wenn die unzulässige Qualitätsminderung auch tatsächlich gesundheitsschädliche Auswirkungen hat.
2. Fehlende therapeutische Wirksamkeit Weitere strafrechtlich relevante Verhaltenspflichten der Amtsträger des BfArM im Rahmen der Zulassungsentscheidung können schließlich im Kontext des § 25 II Nr. 4 AMG bestehen. Therapeutische Wirksamkeit eines Arzneimittels liegt dann vor, wenn die Anwendung des Arzneimittels für den Heilungserfolg ursächlich ist.45 Dies ist nach verbreiteter Auffassung dann der Fall, wenn die Anwendung des Arzneimittels zu einer größeren Zahl an Heilungserfolgen führt als seine Nichtanwendung.46 Dabei ist der Wirksamkeitsbegriff indikationsbezogen zu verstehen, maßgeblich sind also Heilungserfolge im jeweiligen Anwendungsgebiet des Präparates.47 Der Antragsteller muss im Zulassungsverfahren gemäß § 22 Nr. 5, 6 AMG Angaben zu den Wirkungen und Anwendungsgebieten machen und im Sachverständigengutachten nach § 24 AMG belegen, dass die für das Arzneimittel beanspruchten Wirkungen eintreten. Es ist darzutun, dass die Wirkungen nach dem Stand der Wissenschaft therapeutischer Art und nicht therapeutisch nutzlos sind.48 Die Beweislast für die therapeutische Wirksamkeit liegt trotz des in dieser Hinsicht missverständlichen Wortlauts des § 25 II Nr. 4 AMG bei dem Antragsteller, für welchen der allgemeine verwaltungsrechtliche Grundsatz gilt, wonach derjenige, welcher den Erlass eines ihn 42
Richtlinie 91/356/EWG vom 13.6.1991. Vgl. auch Sander, Erl. § 8 AMG C Anm. 2. Vgl. Sander, Erl. § 8 AMG C Anm. 2. 44 Vgl. Sander, Erl. § 8 AMG C Anm. 3. 45 BVerwG, PharmaR 1994, 77, 80. Siehe auch Kloesel/Cyran, § 25 AMG Anm. 27. 46 Vgl. Brixius/Frehse, Arzneimittelrecht, S. 88; Deutsch/Lippert-Anker, § 25 Rn 18. 47 s. dazu Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 107; Rehmann, § 25 Rn 7; Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 71. 48 Vgl. Deutsch/Lippert-Anker, § 25 Rn 18. 43
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begünstigenden Verwaltungsaktes begehrt, auch dessen VoACHTUNGREraussetzungen darlegen und beweisen muss.49 Insofern kann eine Institution, welche nur Unterlagen prüft, nicht beweispflichtig sein für Tatsachen, die nur durch eigene Erhebungen verifizierbar sind.50 Es kann allerdings kein Beweis im Sinne eines jederzeit reproduzierbaren Ergebnisses verlangt werden (vgl. § 25 II 2 AMG),51 sondern eine nach dem gesicherten Stand der Wissenschaft trotz möglicherweise schmaler Datenbasis hinreichend sichere Wahrscheinlichkeitsaussage zur therapeutischen Wirksamkeit ist als ausreichend anzusehen (entscheidungstheoretischer Ansatz).52 Auch im Bereich rechtlich fehlerhafter Zulassungen therapeutisch unwirksamer Arzneimittel sind unter gewissen Umständen strafrechtlich relevante Amtspflichten zu konstatieren, denn die Arzneimittelsicherheit kann auch durch Zulassung und Anwendung von Arzneimitteln mit fehlender Wirksamkeit berührt werden.53 Hier formulierte der Bundestagsausschuss für Jugend, Familie und Gesundheit: „Durch die Anwendung eines für die vom Hersteller angegebene Indikation unwirksamen Arzneimittels kann nämlich dem Patienten ein anderes angemessen wirksames Arzneimittel vorenthalten und damit eine Heilung verschleppt und unmöglich werden“.54 Demnach wird durch Zulassung eines für die angegebene Indikation unwirksamen Präparates ein rechtlich missbilligtes Risiko in Richtung auf die Körperintegrität von Patienten geschaffen, bei welchen anderenfalls weitere therapeutische Maßnahmen zur Anwendung kämen. Die Frage, ob in concreto tatsächlich eine (wirksame) therapeutische Alternative zu jenem Arzneimittel verfügbar war und ob von dieser im zu bewertenden Sachverhalt Gebrauch gemacht worden wäre, ist dagegen sanktionenrechtlicher Art. Hiervon hängt die Entscheidung darüber ab, ob im betreffenden Fall eine Strafbarkeit der für die rechtswidrige Zulassung Verantwortlichen wegen vollendeter Körperverletzung in Betracht zu ziehen ist oder aber Straflosigkeit (mangels Sanktionsandrohung für Konstellationen fahrlässigen Versuchsunrechts) einACHTUNGREtritt. Sind dagegen im Einzelfall die Anforderungen an vorsätzliches Handeln oder Unterlassen erfüllt, ist auch eine entsprechende Versuchsstrafbarkeit in Rechnung zu stellen.
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Vgl. Kloesel/Cyran, § 25 AMG Anm. 37; Rehmann, § 25 Rn 7; Sander, Erl. § 25 AMG C Anm. 7. 50 In diesem Sinne auch Hart, in: Hart/Hilken/Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 29, 76 f.; Ramsauer, Arzneimittelversorgung, S. 43. 51 Insofern können tatsächliche Hindernisse bestehen, zum Beispiel bei seltenen Indikationen für ein Arzneimittel, oder berufsethische Gründe können die Beschaffung bestimmter Angaben verbieten, vgl. Sander, Erl. § 25 AMG C Anm. 8. 52 Vgl. Kloesel/Cyran, § 25 AMG Anm. 36; Sander, Erl. § 25 AMG C Anm. 8; Schwerdtfeger, Bindungswirkung, S. 38; ders., Pluralistische Arzneimittelbeurteilung, S. 17. 53 s. etwa Sander, Erl. § 25 AMG C Anm. 7. 54 BT-Drs. 7/5091 v. 28. 4. 1976, S. 6.
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3. Ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis Strafrechtlich relevantes Fehlverhalten durch Amtsträger des BfArM kommt schließlich bei Vorliegen des Versagungsgrundes eines ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses des Arzneimittels gemäß § 25 II Nr. 5 AMG in Betracht. Mit der Formulierung „ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis“ in § 25 II Nr. 5 AMG beabsichtigte der Gesetzgeber keine inhaltliche Änderung im Vergleich zur vormaligen Terminologie des begründeten Verdachtes unvertretbarer Nebenwirkungen.55 Die Vielschichtigkeit dieser Bewertung erfordert eine nähere Aufschlüsselung der relevanten Faktoren.
a) Zur Bewertung des Nutzens und der Risiken Der Abwägung aller Nutzen- und Risikofaktoren hat zunächst eine empirische Analyse der Nutzen-Risiko-Situation voranzugehen. Dieser erste Schritt enthält bereits normative Elemente. Die inhaltliche Ausfüllung der Begriffe „Nutzen“ und „Risiko“ kann nicht allein durch Anwendung medizinischer Erkenntnisse vollzogen werden, sondern ist normativen Maßstäben zu unterwerfen, da etwa die Termini „Krankheit“ und „Gesundheit“ ihrerseits wertungsbedürftig sind.56 Für eine konsistente Abwägungsentscheidung erscheint es insofern unabdingbar, zunächst die einzelnen Entscheidungsfaktoren herauszuarbeiten, also vor Eintritt in den Abwägungsvorgang zwischen Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels zu unterscheiden.57 Durch die separate Bewertung von Nutzen und Risiko eines Arzneimittels soll jedoch keineswegs der Anschein erweckt werden, die anschließende Vertretbarkeitsprüfung sei eine, durch schlichte Subtraktion zu lösende, arithmetische Aufgabe.58 Die normativ bestimmten Abwägungsparameter bilden wiederum die Grundlage der nachgeordneten Wertungsfrage ihres Abwägungsverhältnisses. aa) Zur Bewertung der Risiken Das Risiko eines Arzneimittels setzt sich zusammen aus der Schadenswahrscheinlichkeit und der Schadenshöhe.59 Maßgeblich zur Bemessung dieser Parameter sind Risikoanteile im Rahmen der „praktischen Vernunft“, also nicht das Wissen um sol55
Vgl. dazu Deutsch/Lippert-Anker, § 25 Rn 21. Der Gesetzgeber folgt mit dem Terminus des ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses den Vorgaben des Art. 1 Ziff. 28a Richtlinie 2001/83. 56 Ebenso Däbritz, Humanerprobungen, S. 71; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 191 f.; Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 101 f. 57 In diesem Sinne auch Hart, in: Hart/Hilken/Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 29, 65; Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 110. 58 Ähnlich Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 105. 59 Vgl. Besch, Produkthaftung, S. 56; Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 232; Lewandowski, PharmaR 1983, 193; Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 81.
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che Restrisiken, welches aus der prinzipiellen Begrenztheit menschlicher Erkenntnis hinsichtlich der Wirkweisen von Stoffen im Körper resultiert.60 Denklogisch sind nur solche Ungewissheiten überhaupt berücksichtigungsfähig und nur diese bilden taugliche Faktoren einer normativen Abwägungsentscheidung. Der Begriff der Schadenshöhe ist keine abstrakt festzulegende Größe, sondern erfordert die Bewertung einer Vielzahl von Faktoren.61 Von erheblichem Gewicht sind Art, Intensität und Dauer der schädlichen Wirkungen.62 Als solche kommen exemplarisch in Betracht allergische und toxische Reaktionen sowie als Langzeitwirkung Haarausfall, Sterilität, ein Krebsrisiko oder das Suchtpotential einer Arznei.63 Die Risikobilanz wird auch beeinflusst durch die Beherrschbarkeit des konkreten Arzneimittelrisikos.64 Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob eine Rückbildungswahrscheinlichkeit (Reversibilität) oder die Möglichkeit therapeutischer Behandlung der unerwünschten Wirkungen besteht.65 Letztgenannter Umstand wird auch beeinflusst durch die Erkennbarkeit der Nebenwirkungen durch klinische Symptome oder Laborkontrollen bzw. allgemein durch seine Erkennbarkeit für einen Arzt oder den Verbraucher.66 Die Bewertung der Schadenshöhe hat schließlich eine zeitliche Dimension. Neben die Komponente der „akuten“ Schadensintensität tritt die Frage nach bleibenden Schäden durch Anwendung des Pharmakons. Abzulehnen ist in diesem Zusammenhang eine an der durchschnittlichen Empfindlichkeit der betroffenen Rechtsgüter orientierte Bewertung der Schadenshöhe.67 Denn nivelliert man auf diese Weise die Unterschiede der in concreto vorfindbaren Schadensintensität, erlangen bestimmte „Ausreißer“-Konstellationen nur Bedeutung als mathematischer Rechnungsposten. Dieses Verfahren ist für die Abschätzung von Arzneimittelrisiken nicht sachgerecht.68 Hier muss die statistisch unbedeutende Größe im Interesse der wenigen möglicherweise in futuro Betroffenen Beachtung finden. Diesen gegenüber ist die „durchschnittliche Schadensintensität“ kein taugliches 60
Vgl. Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 189; Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 104 f. Zu weiteren, ebenfalls durch die Begrenztheit menschlichen Erfahrungswissens bedingten, Restunsicherheiten bei staatlichen Risikobewertungen vgl. auch BVerfGE 49, 89, 137 ff. 61 Vgl. Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 108 f. 62 Hart, in: Hart/Hilken/Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 29, 88. 63 Vgl. Kloesel/Cyran, § 25 AMG Anm. 56. 64 Vgl. Wartensleben, PharmaR 1983, Suppl. 5, 6. 65 Kloesel/Cyran, § 25 AMG Anm. 56; Wartensleben, PharmaR 1983, Suppl. 5, 6. 66 Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 179 f.; Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 232 f. 67 In diesem Sinne aber Hansen-Dix, PharmaR 1989, 8, 10. 68 Dies verdeutlicht exemplarisch die Einführung eines Bluthochdruck-Medikamentes, welches ein marginales Todesrisiko für Patienten mit bestimmter Disposition aufweist. Jener Fall illustriert schließlich die praktischen Schwierigkeiten der Bestimmung einer „durchschnittlichen Empfindlichkeit“. Wie soll diese konkretisiert werden, ohne das Todesrisiko schlichtweg zu unterschlagen?
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Legitimationsdatum für eine Belastung mit bestimmten Risiken. Die statistische Seltenheit eines gravierenden Schadensfalles ist demnach durchaus als solche zu berücksichtigen. Hierbei muss gelten, dass empirisch seltenen erheblichen Schäden im Rahmen der Nutzen-Risiko-Abwägung ein Stellenwert zuzuweisen ist, welcher mit der Häufigkeit ihres Auftretens korrespondiert.69 Bei der Bewertung der Risiken des Arzneimittels ist nach der Rechtsprechung des VG bzw. OVG Berlin schädliche Wirkung i. S. d. § 25 II Nr. 5 AMG nicht schon jede unerwünschte Nebenwirkung oder reine Befindlichkeitsstörung, sondern nur eine Nebenwirkung von gewissem Gewicht im Sinne einer Gefährdung der Gesundheit.70 Diese Rechtsprechung führt jedenfalls bei Arzneimitteln, welche nicht zur Anwendung bei vitalen Indikationen bestimmt sind, sondern etwa lediglich der Behandlung von Befindlichkeitsstörungen dienen, zu unangemessenen Ergebnissen.71 Im Übrigen ist es die Funktion der Vertretbarkeitsentscheidung Nutzen und Risiken in sowohl qualitativer als auch quantitativer Hinsicht gegeneinander abzuwägen.72 Nimmt man dagegen „unerhebliche Nebenwirkungen“ aus dem abwägungsrelevanten Bereich heraus, werden die Abwägungsergebnisse verfälscht. Einem Arzneimittel mit lediglich geringem Nutzen für den Patienten wird so unter Umständen ohne sachliche Berechtigung eine positive Nutzen-Risiko-Bilanz zugeschrieben, obwohl die Nebenwirkungen des Präparates in Ansehung jenes Nutzens bei angemessener Betrachtung ein negatives Abwägungsergebnis zur Folge hätten.73 Auf einem anderen Blatt steht allerdings, ob die fehlerhafte Zulassung eines Arzneimittels mit bagatellhaften schädlichen Wirkungen materiellstrafrechtlich von Bedeutung ist.74 Daneben weist die Risikoabschätzung eine quantitative Seite auf. Sie bemisst sich nach der Wahrscheinlichkeit des Eintritts schädlicher Wirkungen.75 Insofern ist anhand der zur Verfügung stehenden empirischen Daten zu prognostizieren, in welcher Anzahl der Anwendungsfälle mit schädlichen Wirkungen zu rechnen ist.76 In dieser Prognoseentscheidung tritt der vorläufige Charakter der Zulassungsentscheidung be69
Zu den Voraussetzungen der Vertretbarkeit entsprechender Risiken vgl. unten D. III. 3. b). 70 So OVG Berlin, PharmaR 1988, S. 66 ff.; PharmaR 1989, 160 ff.; VG Berlin, PharmaR 1992, 246 ff. 71 Vgl. auch Kloesel/Cyran, § 25 AMG Anm. 55; Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 59. 72 Zutreffend betont von Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 111. 73 Diese Folge wird daher von Hart, MedR 1989, 15, 18; Glaeske/Greiser/Hart, Arzneimittelsicherheit und Länderüberwachung, S. 155, zu Recht als verkappte Wirksamkeitspräjudizierung bezeichnet. 74 Näher zum strafrechtlich relevanten Untermaß unten F. IV. 75 s. Kloesel/Cyran, § 25 AMG Anm. 56; Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 109. 76 Diesbezüglich sind nach dem Willen des Gesetzgebers alle bis dato aufgetretenen Nebenwirkungsereignisse zu berücksichtigen. Die „Umstände des Einzelfalles“ sollen dagegen in die Abwägungsentscheidung einfließen; s. amtl. Begründung zu § 5 AMG, BT-Drs. 7/3060, S. 45.
III. Die Zulassung von Arzneimitteln
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sonders deutlich zutage, denn die durch die klinische Prüfung erlangte Datenbasis ist nicht hinreichend valide, um die Wahrscheinlichkeit schädlicher Wirkungen für die Zukunft abschließend beurteilen zu können.77 Hinsichtlich des Risikopotentials des im Zulassungsverfahren befindlichen Arzneimittels ist grundsätzlich eine Differenzierung mit Rücksicht auf das vorhandene Erfahrungswissen über medizinisch wirksame Bestandteile angezeigt. Danach haben Arzneimittel mit unbekannten Wirkstoffen abstrakt ein höheres Risikopotential als solche mit bekannten und am Arzneimittelmarkt über längere Zeit beobachteten Wirkstoffen.78 Aus diesem Grund gebietet § 25 VI 1 AMG vor der Entscheidung über die Zulassung verschreibungspflichtiger Arzneimittel (vgl. § 48 II Nr. 1) AMG die Anhörung einer Zulassungskommission.79 bb) Zur Bewertung des Nutzens Unter dem Nutzen eines Arzneimittels ist die Dimension des Vorteils zu verstehen, die mit seiner Anwendung für die menschliche oder tierische Gesundheit verbunden ist, also sein therapeutischer Wert.80 Dieser Wert setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen. Bedeutsam sind die Intensität und das Ausmaß der therapeutischen Wirkung.81 Diese kann sich zeigen in einer Lebensverlängerung, der Heilung des Patienten oder einer Verbesserung seines Gesundheitszustandes.82 Hierbei ist zu differenzieren, ob das Arzneimittel lediglich SympACHTUNGREtome lindert oder zu einer nachhaltigen oder zumindest vorübergehenden Heilung führt.83 Als Bezugsrahmen bedeutsam ist die Schwere der Indikation, ihre Behandlungsbedürftigkeit und die durch die Erkrankung hervorgerufenen physischen und psychischen Belastungen.84 Schließlich ist der Abschätzung des Nutzens ein quantitativer Aspekt zu eigen. Vielfach hat ein Arzneimittel eine von Patient zu Patient unterschiedliche Wirkung. Dies hängt damit zusammen, dass das Arzneimittel auf ein individuelles System trifft
77 Der Zulassungszeitpunkt wird daher von Hägele, Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 100 f., als „gesellschaftlicher Kompromiß“ zwischen Arzneimittelsicherheit und Patienteninteresse an Innovation gekennzeichnet. 78 Vgl. Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 190. 79 In diesen Fällen lösen „nicht allgemein bekannte Wirkungen“ die Verschreibungspflicht aus. Näher zur Unterstellung bestimmter Arzneimittel unter die Verschreibungspflicht etwa Brixius/Frehse, Arzneimittelrecht, S. 112 f. 80 Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 106; Sander, Erl. § 5 AMG C Anm. 4. 81 Hart, in: Hart/Hilken/Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 29, 88 f. 82 Vgl. Besch, Produkthaftung, S. 56; Jenke, Arzneimittel, S. 53. 83 Vgl. Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 79. 84 Vgl. Hart, in: Hart/Hilken/Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 29, 88; Kloesel/Cyran, § 5 AMG Anm. 32.
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und seine Wirkungen komplexen Bedingungen unterliegen.85 Eine einheitliche Wirksamkeitsmanifestation in Form eines jederzeit reproduzierbaren therapeutischen Nutzens ist insoweit die Ausnahme.86 Infolgedessen ist in Rechnung zu stellen, in welchem Prozentsatz der Anwendungsfälle der Eintritt erwünschter Wirkungen empirisch zu erwarten ist.87 Die Abschätzung des Nutzens beinhaltet danach regelmäßig keinen garantierten therapeutischen Erfolg, sondern nur eine statistisch zu erfassende Erfolgschance für den einzelnen Patienten bei Anwendung des Präparates.88 Im Rahmen der Nutzenabschätzung berücksichtigungsfähig sind im Übrigen die therapeutische Breite eines Präparates, die Einfachheit seiner Anwendung oder die Dauer der Haltbarkeit.89 Allerdings ist letztgenannten Gesichtspunkten lediglich ein untergeordneter Stellenwert beizumessen. Im Vordergrund stehen muss jeweils das Patienteninteresse an einem indikationsbezogenen therapeutischen Erfolg.
b) Zu den normativen Kriterien der Nutzen-Risiko-Abwägung Der Feststellung der Nutzen- und Risikofaktoren nachzufolgen hat der eigentliche Abwägungsvorgang der behördlichen Risikoentscheidung. In diesem Kontext darf die „offene Struktur des Vertretbarkeitsbegriffes“90 nicht dazu verleiten, gleichsam eine Entscheidungsfindung hinter „verschlossenen Türen“ nach „ungenannten Kriterien“ stillschweigend zu akzeptieren.91 Für den Rechtsanwender maßgebliche Entscheidungskriterien existieren vielfach, werden jedoch in der Praxis häufig nicht offengelegt.92 Dieses Vorgehen ist indes rechtsstaatlich nicht akzeptabel. Eine rechtliche Kontrolle muss sich nicht zuletzt auf behördliche Risikoentscheidungen erstrecken und erfordert daher transparente Bewertungsmaßstäbe. Zudem beugt die entsprechende Offenlegung der Gefahr sachwidriger oder willkürlicher Entscheidungen 85 Hart, in: Hart/Hilken/Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 29, 65 f.; Hielscher, PharmaR 1984, 1 f. 86 s. etwa Beckmann, in: Ott/Hefendehl/Grosdanoff (Hrsg.), Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 185, 186. 87 Vgl. Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 107. Zu dieser für die Bewertung des Nutzens eines Arzneimittels wesentlichen sog. „Responderrate“ vgl. Beckmann, in: Ott/ Hefendehl/Grosdanoff (Hrsg.), Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 185 ff. 88 Hart, in: Hart/Hilken/Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 29, 65 f.; Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 108. 89 Hansen-Dix, PharmaR 1989, 8, 11. 90 So Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 103. 91 In dieser Hinsicht ist die Öffentlichkeitsarbeit des BfArM durchaus zu beanstanden. Das Internetangebot enthält keine hinreichenden Informationen bezüglich konkreter Verfahrensund Bewertungsfragen, obwohl dem Anschein nach eine umfassende Selbstdarstellung intendiert ist. 92 Dieser Befund ergibt sich beispielsweise auch für den Bereich der Strafzumessung. De facto legen die Strafgerichte der Strafzumessungsentscheidung ihre eigenen Bewertungsmaßstäbe zugrunde, ohne die für eine intersubjektive Verständigung maßgeblichen Bewertungskriterien offenzulegen. Vgl. dazu Freund, GA 1999, 509, 535 ff.
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durch das BfArM vor. Hierdurch ist die zu treffende Sicherheitsentscheidung selbstverständlich nicht für den Einzelfall präjudiziert. Das Problem der Einzelfallbewertung bleibt bestehen, aber die relevanten Aspekte des Bewertungsproblems sind auf den Punkt gebracht. Die intersubjektiv vermittelbaren „Koordinaten“ stehen dann für die rechtliche Kontrolle der Behördentätigkeit sowie den wissenschaftlichen Diskurs zur Verfügung. Sie können, sofern dies der Sache nach möglich und sinnvoll ist, mit den normativen Wertungskriterien anderer Sicherheitsbehörden abgeglichen werden. Zudem verhindert diese Verfahrensweise ein Zurückbleiben hinter dem jeweils aktuellen Status quo relevanter Bewertungsvorgaben infolge personeller Diskontinuität innerhalb der Behörde. Der Darstellung nachfolgender normativer Bewertungskriterien liegt daher auch das Anliegen zugrunde, den derzeitigen Diskussionsstand kritisch zu resümieren und Vorschläge für den weiteren Diskurs zu unterbreiten. In Kauf genommen werden können nach der Gesetzeslage unerwünschte Begleiterscheinungen nur dann, wenn sie in Relation zur therapeutischen Wirksamkeit vertretbar erscheinen.93 Die Bedenklichkeit eines Arzneimittels ist insofern nicht erst dann gegeben, wenn Gewissheit über unvertretbare Wirkungen94 besteht, sondern der nach sorgfältiger Überprüfung wissenschaftlicher Erkenntnisse gewonnene begründete Verdacht des Vorhandenseins derartiger Wirkungen reicht aus zur Bejahung von Bedenklichkeit.95 An die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sind hierbei desto niedrigere Anforderungen zu stellen, je schwerer die drohenden Schäden wiegen. So genügt bei der Gefahr sehr schwerer Schäden bereits eine entfernte Möglichkeit des Schadenseintritts zur Annahme eines begründeten Verdachts.96 Die entfernte Möglichkeit schwerer Schäden ist allerdings keine absolute – abwägungsfeste – Größe. Im Einzelfall gravierende Schädigungsmöglichkeiten können dann vertretbar sein, wenn der Nutzen für einschlägig Erkrankte hinreichendes Gewicht für die Belastung der Betroffenen mit jenem Risiko hat. Beispielsweise muss ein marginales vitales Risiko bei einem Präparat gegen Haarausfall stets als unvertretbar angesehen werden. Selbiges gilt hingegen keinesfalls zwingend für das wirksame Rheuma-Präparat. Ist die Wirksamkeit hinreichend sicher und das Risiko für den Einzelnen – nach seiner subjektiven Präferenz – infolge seiner Seltenheit tolerabel, wird es zu einer relativen Größe. Selbstverständlich sind die entsprechenden Übergänge fließend. Dass aber eine entsprechende „Grauzone“ in der Natur der Sache liegt, spricht gerade für die Offenlegung der normativen Bewertungskriterien. Bei Arzneimitteln mit Bagatellindikationen sind die Anforderungen an die Unbedenklichkeit besonders hoch. Die Zulassung eines Grippemittels kann daher bereits
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Deutsch/Lippert-Anker, § 25 Rn 21. Zu den maßgeblichen Determinanten der Bewertung der Risiken eines Arzneimittels s. oben D. III. 3. a) aa). 95 Vgl. nur Sander, Erl. § 5 AMG C Anm. 2. 96 Vgl. Kloesel/Cyran, § 25 AMG Anm. 59. 94
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bei Nebenwirkungen geringen Gewichts zu versagen sein, welche die Zulassung eines Zytostatikums ohne weiteres rechtfertigen würden.97 Der Abwägungsvorgang für das zu bewertende Präparat darf nicht isoliert erfolgen, sondern muss stets den Vergleich mit konkurrierenden Therapiemethoden einschließen.98 Ist ein anderes Medikament bei gleichem Nutzen risikoärmer oder sind bei entsprechenden Risiken größere Behandlungsvorteile zu erwarten, sind die schädlichen Wirkungen des betreffenden Präparats unvertretbar.99 Bei der Risikoabschätzung sind daher alle Alternativ-, Ersatz- und Folgestrategien zu berücksichtigen.100 Beim Vergleich mit langjährig am Markt befindlichen Arzneimitteln ist unter Umständen auch zu berücksichtigen, dass die diesbezügliche Risikokenntnis umfassender ist, als diejenige hinsichtlich der Neuzulassung.101 Als Alternativstrategie einzubeziehen ist beispielsweise die Möglichkeit einer Operation,102 jedoch auch ein Vergleich zur sog. „Nullstrategie“, also dem voraussichtlichen Spontanverlauf der Krankheit ohne therapeutische Intervention.103 In diesem Zusammenhang wird vielfach eine Differenzierung in „relative“ und „absolute Bedenklichkeit“ vorgenommen. Erstere bezeichnet danach ein negatives Vertretbarkeitsurteil aufgrund eines Vergleichs mit alternativen Therapiemethoden während letztere eine negative Nutzen-Risiko-Bilanz bei isolierter Betrachtung kennzeichnen soll.104 Diese terminologische Unterscheidung konkretisiert einen wichtigen Aspekt der Nutzen-Risiko-Abwägung. Sie ist jedoch insofern verunklarend, als der Terminus der „relativen Bedenklichkeit“ entsprechende Sachverhalte einer Abwägung zugänglich zu machen scheint. Tatsächlich ist auch in jenen Fällen aufgrund der Existenz vorzugswürdiger alternativer Therapiekonzepte die Vertretbarkeitsentscheidung vorgezeichnet. Der angesprochenen Bewertung liegt das Anliegen zugrunde, dass gerade dort, wo bereits therapeutische Erfolge zu verzeichnen sind, nicht hinter dem Status quo jener Behandlungsmöglichkeiten zurückgeblieben werden soll. Der Sache nach sind also auch vergleichsweise (negativ) beurteilte neue Prä97
Vgl. Kloesel/Cyran, § 25 AMG Anm. 55 f. Siehe ferner Sander, Erl. § 5 AMG C Anm. 4; Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 111. 98 Dies bedeutet keine Bedürfnisprüfung, denn vorausgesetzt ist lediglich therapeutische Gleichwertigkeit und nicht Überlegenheit des neuen Arzneimittels. Vgl. dazu Hart, in: Hart/ Hilken/Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 29, 89. 99 Vgl. Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 110. 100 Vgl. Hielscher, PharmaR 1984, 1, 4; Lewandowski, PharmaR 1982, 132, 133 f.; Wartensleben, PharmaR 1983, Suppl. 5, 6. 101 Wartensleben, PharmaR 1983, Suppl. 5, 7. 102 Vgl. Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 111. 103 Vgl. Hart, in: Hart/Hilken/Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 29, 88 f.; Hielscher, PharmaR 1984, 1, 4; Kloesel/Cyran, § 25 AMG Anm. 56. 104 So etwa Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 112 ff.; Schwerdtfeger, Bindungswirkung, S. 31 f.; Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 84. Zu entsprechenden Beispielen s. Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 235 ff.; Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 112 ff.
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parate „absolut bedenklich“. Der Vergleich des innovativen Präparates mit Alternativstrategien sollte mithin stets als wichtiges Datum bei der Entscheidung über die Bedenklichkeit akzentuiert werden. Eine Kategorisierung in vorstehend bezeichneter Weise ist danach bestenfalls unschädlich. Wesentlich für die Nutzen-Risiko-Bilanz ist schließlich ein gelungener Wirksamkeitsnachweis. Dort, wo ein Nutzen nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden kann, ist eine Abwägung bereits dann unzulässig, wenn überhaupt ein Risiko besteht.105 In entsprechenden Fällen führt bereits ein geringes Risiko zur Unvertretbarkeit.106 Ein Zweifelssatz des Inhalts „im Zweifel Wirksamkeit ja, im Zweifel aber auch Risiko ja“107 erscheint dagegen bedenklich. Zwar suggeriert dieser Ansatz einen Vorrang von Sicherheitszwecken bei der Rechtsgüterabwägung, jedoch bleibt von diesem Standpunkt aus unberücksichtigt, dass den Patienten durchaus ein Nebenwirkungsrisiko aufgebürdet wird und sie zugleich das Risiko der Nichtbehandlung mit einem Alternativpräparat tragen.108 Die Betroffenen haben einen Anspruch auf ein „Heilmittel“ und dieser schließt es aus, Arzneimittel unbekannter Wirkung, welche gleichzeitig Nebenwirkungsrisiken aufweisen,109 zuzulassen.110 Allenfalls ist zu erwägen, ein Präparat mit nicht sicher nachweisbarem Nutzen trotz geringer Risiken zuzulassen, sofern im Zeitpunkt der Zulassung des Präparates keine wirksame Standardbehandlung existiert. In diesem Fall wäre der Anwender zudem ausdrücklich auf den nicht belegten Nutzen hinzuweisen.111 Indessen spricht gerade die „Adelung“ durch die Zulassung als wirksam112 dagegen, entsprechenden Medikamenten dieses Prädikat zu verleihen. In solchen Fällen bleibt ggf. die Möglichkeit einer Zulassung als Naturheilmittel nach §§ 38 ff. AMG. Die Einbeziehung wirtschaftlicher Überlegungen in die Nutzen-Risiko-Abwägung neben den genannten Abwägungsparametern wird vielfach bejaht.113 § 5 105
s. etwa Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 121 f. Zu Recht betont von Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 208 Fn 95. 107 So etwa Hielscher, PharmaR 1984, 1, 4; Lewandowski, PharmaR 1984, 172, 173. 108 Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 122. Zu praktischen Problemen und hieraus resultierenden Gefahren für die Arzneimittelsicherheit durch Verlagerung der Wirksamkeitsfrage auf die Nachmarktkontrolle vgl. Hart, in: Hart/Hilken/Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 29, 77 f. 109 Dies unterscheidet die hier zu beurteilenden Präparate von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen. Deren Freistellung von der Zulassungspflicht beruht zwar auf einem Verzicht des Wirksamkeitsnachweises. Dieser geht jedoch einher mit einer grundsätzlichen Vermutung für die Unbedenklichkeit des Arzneimittels. Vgl. etwa Deutsch/Lippert-Anker, § 39 Rn 11. 110 Vgl. dazu VG Berlin, PharmaR 1986, 91, 92; 1988, 61, 66; 105, 107. 111 Vgl. zu einem entsprechenden Beispiel Luther, in: Ott/Hefendehl/Grosdanoff (Hrsg.), Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 181, 182. 112 Vgl. § 25 1 II Nr. 4 AMG. Siehe dazu oben D. III. 2. 113 s. etwa Deutsch, VersR 1979, 685, 687; Göben, Arzneimittelhaftung, S. 80; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 195; Tiedemann, FS Hirsch, S. 765, 777. 106
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AMG wird insofern eine gesetzgeberische Entscheidung für ein „leistungsfähiges Gesundheitswesen“114 entnommen. Gestattet sein soll infolgedessen die Zulassung preiswerter, wenngleich „ein etwas höheres Gefährdungspotential“ aufweisender Medikamente.115 Nach der Gegenauffassung haben wirtschaftliche Gesichtspunkte für das Vertretbarkeitsurteil außer Betracht zu bleiben.116 Diese Position entspricht der geltenden Gesetzeslage. § 25 II Nr. 5 AMG spricht vom Nutzen-Risiko-Verhältnis, wobei jener „Nutzen“ einen indikationsbezogenen Vorteil bezeichnet.117 Gesundheitsökonomische Erwägungen sind demnach für die Zulassungsbehörde irrelevant. Zwar belegen bestimmte Maßnahmen zur Regulierung der Arzneimittelkosten im Sozialrecht durchaus ein gesundheitspolitisches Interesse an der Eindämmung von Arzneimittelkosten,118 jedoch handelt es sich in jenen Fällen um gesetzgeberische Wertentscheidungen außerhalb des Zulassungsrechts. In der Frage nach „Abstrichen“ bei der Arzneimittelversorgung zugunsten der Wirtschaftlichkeit des Gesundheitswesens ist eine Verlagerung der gesetzgeberischen Entscheidungsbefugnis auf die Zulassungsbehörde daher unzulässig und bedeutete in der Sache eine Ökonomisierung der Arzneimittelversorgung „durch die Hintertür“. Im Ergebnis bedeutet dies; die Zulassungsbehörde kann eine Zulassung im Falle eines „weniger“ an Wirksamkeit nicht auf ein „mehr“ an Wirtschaftlichkeit stützen.119 c) Zum entscheidungsrelevanten Maßstab Zur Risikobewertung durch das BfArM als dem in der hier interessierenden Hinsicht zuständigen Rechtsanwender bedarf es eines normativen Maßstabes.120 Die entscheidungserheblichen Kriterien der Nutzen-Risiko-Abwägung können nur aus einer bestimmten Perspektive bewertet werden, sind also nach einem näher festzulegenden „normativen Schlüssel“ zu gewichten. Nach § 5 II AMG sind Arzneimittel bedenklich, wenn ihre schädlichen Wirkungen über ein „nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft“ vertretbares Maß hinausgehen. Mit Rücksicht auf diese Bezugnahme könnte man sich auf den Stand114 An dieser Stelle sei die Frage erlaubt, ob ein solches Gesundheitswesen als „leistungsfähig“ bezeichnet werden kann, nach dessen Ausgestaltung „Arzneimittel zweiter Klasse“ zuzulassen sind und somit mittelbar den Krankenversicherten zugewiesen werden. 115 In diesem Sinne etwa Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 195. 116 Vgl. Flatten, MedR 1993, 463, 465; Hart, in: Hart/Hilken/Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 145, 160; Vogel, Produkthaftung, S. 133 f. 117 Vgl. oben D. III. 3. a) bb). 118 s. etwa § 70 I SGB V. Zur gesetzlichen Verpflichtung zur Gewährung von Herstellerrabatten durch pharmazeutische Unternehmer vgl. § 130a SGB V. 119 Im Übrigen hat die Gegenauffassung die zweifelhafte Konsequenz, dass die Zulassung eines neuen, hochwirksamen Pharmakons zu verweigern wäre, sofern das Altpräparat erheblich günstiger, wenngleich etwas schadensträchtiger ist. 120 Näher zum Verhältnis zwischen medizinischer Wissenschaft und normativer Entscheidungskompetenz der Bundesoberbehörde Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 101 ff.
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punkt stellen, die Vertretbarkeitsentscheidung sei denjenigen vorbehalten, welche vorher ihre Determinanten bestimmt haben, also den Medizinern. Tatsächlich wird postuliert, der Beurteilungsmaßstab der Vertretbarkeitsentscheidung ergebe sich aus den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft.121 Allerdings sind Mediziner nicht mit abstrakten Risikobewertungen vertraut, sondern ihrem Berufsbild entsprechend dazu ausgebildet, im konkreten Arzt-Patienten-Verhältnis den Wert therapeutischer Maßnahmen festzulegen.122 Maßgeblich ist hingegen ein anderer Umstand; die Frage, ob ein bestimmtes Arzneimittel eine vertretbare Nutzen-Risiko-Bilanz aufweist, ist kognitiv gar nicht zu beantworten. Die Entscheidung selbst ist ausschließlich normativ-wertender Natur.123 Dies verdeutlicht etwa folgendes Beispiel:124 Steht der Wirkung eines Präparates, schwere Kopfschmerzen zu beseitigen, ein Risiko von 1:1 Mio. gegenüber, an einer Agranolucytose (Blutbildveränderung) zu sterben, kann die erforderliche Nutzen-Risiko-Bewertung nicht nach wissenschaftlichen Erkenntnissen der Medizin125 getroffen werden. Inwiefern sollten diese auch eine Lösung des vorgenannten Beispielsfalles präjudizieren? Die medizinische Wissenschaft kann insoweit nur die Entscheidungsparameter in Form einer Abschätzung von Nutzen und Risiken liefern, ohne aber deren normative Gewichtung festlegen zu können.126 Als Maßstab der Risikobewertung wird daneben eine Orientierung am „normativen Konsens in der Gesellschaft“ vorgeschlagen.127 Ein gesamtgesellschaftlicher Konsens in der Frage der Akzeptabilität von Risiken ist jedoch nur theoretisch denkbar. Zu individuell sind die Vorstellungen, welches Risiko noch vertretbar ist. Anhänger einer „reinen katholischen Lehre“ würden möglicherweise einen Nutzen von Kontrazeptiva schlechterdings verneinen. VerACHTUNGREbleibende Abwägungsfaktoren wären nur die gesundheitlichen Risiken entsprechender Präparate.128 Infolgedessen ist eine am „normativen Konsens“ orientierte Entscheidung nur auf empirischer Basis zu treffen. Unabhängig von den hieraus resultierenden praktischen Problemen dieser
121 s. etwa Biermann, Die Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 261 f.; Dulce, ZRP 1975, 285, 286; Wartensleben, zitiert bei Nishigori, in: Badura/Kitagawa (Hrsg.), Arzneimittelprobleme, S. 103, 114 f.; ders., PharmaR 1983, Suppl. 5 f. In diese Richtung auch Magnus, Medizinische Forschung an Kindern, S. 35. 122 So zu Recht Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 101. 123 Zutreffend insoweit Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 62; Hart, in: Hart/Hilken/Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 29, 80 f.; Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 117. 124 Vgl. dazu Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 117. 125 „Die“ Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft gibt es im Übrigen nicht. Zur wissenschaftlichen Meinungspluralität im hier interessierenden Zusammenhang vgl. Lewandowski, PharmaR 1982, 132, 133. 126 Im Ergebnis ebenso Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 245 f.; vgl. zum Stellenwert der Medizin für die Gewinnung der Entscheidungsparameter Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 97. 127 Vgl. Fülgraff, PharmInd 1980, 581, 583; Lewandowski, PharmaR 1983, 193, 194. 128 Beispiel nach Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 119.
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Methode,129 wird sie den im Einzelnen betroffenen Patienteninteressen nicht gerecht. Die Bewertung, welche Risiken beispielsweise einem Migränekranken zur Linderung seines Leidens aufgebürdet werden dürfen, kann nicht der Empirie anheim gestellt werden. Der Betroffene wäre unter Umständen durchaus bereit, das marginale Todesrisiko eines wirksamen Pharmakons in Kauf zu nehmen, welches von der – nicht an Migräne leidenden – gesellschaftlichen Mehrheit als Risiko eines derartigen Präparates als unvertretbar angesehen würde.130 Als sachgemäßer Beurteilungsmaßstab für die Vertretbarkeit unerwünschter Wirkungen erweist sich demnach das Interesse der Schutzadressaten der arzneimittelsicherheitsrechtlichen Vorschriften. Das normative Leitprinzip der Nutzen-Risiko-Bewertung ist in der Tolerierung eines bestimmten Behandlungsrisikos durch die Betroffenen, auch in Ansehung eventuell vorhandener Behandlungsalternativen, zu sehen.131 Das Betroffeneninteresse ist insofern im Wege rationaler Betrachtung zu ermitteln. Eine von bestimmten Patienten möglicherweise erwünschte schnelle Linderung ihrer Krankheitssymptome „um jeden Preis“, wäre nach dieser Sicht denn auch nur eine, nicht aber die allein maßgebliche Determinante der Entscheidungsfindung. Die Bewertung hält rechtlichen Maßstäben insoweit nur stand, wenn sie im objektiv verstandenen Interesse des Patientenkreises liegt, also umfänglich auf therapeutisch relevante Aspekte Bezug nimmt. Dies bedeutet der Sache nach eine „Vernünftigkeitskontrolle“ aus der Sicht der Schutzadressaten. Insofern ist der mitunter vorgeschlagene Rekurs auf die Kriterien der mutmaßlichen Einwilligung132 durchaus geeignet, den maßgeblichen Bezugspunkt des Abwägungsvorganges aufzuzeigen. Stellt man die hier vertretene Position hingegen in Frage, indem man den Patienten eine in Bezug auf die individuelle Therapie unzureichende Fähigkeit zur Abschätzung der Behandlungsgefahren unterstellt oder auf divergierende Risikobewertungen verweist,133 wird die Patientenautonomie in nicht akzeptabler Weise verkürzt. Eine derartige Bevormundung kann verhindert werden durch die Unterstellung entsprechender Präparate unter die Verschreibungspflicht gemäß § 48 I AMG.134 Auf diese Weise wird die erforderliche Aufklärung der Patienten über Nutzen und Risiken des Präparates durch den verschreibenden Arzt gewährleistet.135 Dieses Verfahren ermöglicht eine eigenverantwortliche Entscheidung der Patienten und trägt dadurch dem Selbstbestimmungsrecht Betroffener Rechnung. Im eingangs genannten Beispielsfall des wirksamen Migränepräparates trüge danach der Patient die Entschei129
Vgl. dazu Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 261. In diese Richtung auch Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 119. 131 Ähnlich Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 103. 132 s. Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 103 f. In diesem Sinne auch Röckel, PharmInd 1980, 593, 594. 133 In diese Richtung Lewandowski, PharmaR 1983, 193, 194. 134 Näher dazu Brixius/Frehse, Arzneimittelrecht, S. 112 f. 135 Zu dieser Möglichkeit einer zusätzlichen Kontrolle s. auch Kloesel/Cyran, § 5 AMG Anm. 34; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 197. 130
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dung über die Tolerierbarkeit des Arzneimittelrisikos. Dieser kann insoweit selbst darüber befinden, welche Risiken er zur Linderung bestimmter Beschwerden einzugehen bereit ist, also welchen „Wert“ er der in Rede stehenden Nutzen-Risiko-Bilanz des Pharmakons beimisst. d) Zur Frage des begründeten Verdachts Eine negative Nutzen-Risiko-Bilanz ist gemäß §§ 25 II Nr. 5, 5 II AMG nur dann zu konstatieren, wenn ein „begründeter Verdacht“ unvertretbarer Nebenwirkungen bei bestimmungsgemäßem Gebrauch des Arzneimittels besteht. Dieses Tatbestandsmerkmal ist eine der gesetzgeberischen Konsequenzen aus dem Conterganverfahren.136 Der Normierung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Gefahrenabwehr nicht bis zur wissenschaftlichen Begründung eines Zusammenhanges von Arzneimitteleinnahme und unvertretbaren Nebenwirkungen warten kann.137 Der betreffende Passus macht deutlich, dass ein naturwissenschaftlicher Kausalitätsnachweis zur Bejahung eines Verkehrsverbotes nicht erforderlich ist;138 selbiges gilt für eine wissenschaftliche Erhärtung des von der Behörde gehegten Verdachts.139 Von einem begründeten Verdacht schädlicher Nebenwirkungen, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen, ist vielmehr bereits dann auszugehen, wenn ernstzunehmende Erkenntnisse irgendwelcher Art den Schluss nahelegen, dass das Arzneimittel unvertretbare Nebenwirkungen hat.140 Der eine Zulassungsversagung rechtfertigende Wahrscheinlichkeitsgrad ist insofern keine absolute, empirisch zu ermittelnde, Größe. Den Arzneimittelverbrauchern sollen insoweit nur solche Risiken aufgebürdet werden, welche ihnen gegenüber legitimierbar sind. Bei gravierenden Schäden kann daher bereits eine entfernte Möglichkeit des Schadenseintritts zur Annahme eines begründeten Verdachts ausreichen.141 Die Konkretisierung des Wahrscheinlichkeitsgrades erfolgt mithin nach Maßgabe des aus dem klassischen Gefahrenabwehrrecht geläufigen Grundsatzes der umgekehrten Proportionalität.142 Eine isolierte Bestimmung der erforderlichen 136 Vgl. Lewandowski, PharmaR 1983, 193, 194; Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 77. 137 Hart, in: Hart/Hilken/Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 29, 86. 138 Vgl. amtl. Begründung zu § 5 AMG, BT-Drs. 7/3060, S. 45; Hart, in: Hart/Hilken/ Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 29, 86. 139 VG Berlin v. 15. 1. 1979 (Clofibrat), abgedr. bei Sander, Entscheidungssammlung, § 30 AMG Nr. 1; Hielscher, PharmaR 1984, 1, 4. 140 s. dazu etwa VG Berlin v. 15. 1. 1979 (Clofibrat), abgedr. bei Sander, Entscheidungssammlung, § 30 AMG Nr. 1. 141 Vgl. VG Berlin v. 15. 1. 1979 (Clofibrat), abgedr. bei Sander, Entscheidungssammlung, § 30 AMG Nr. 1; Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 138 f. 142 Vgl. Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 149. Allgemein zum gefahrenabwehrrechtlichen Grundsatz der umgekehrten Proportionalität Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefah-
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Wahrscheinlichkeit unvertretbarer Wirkungen ist danach zum Scheitern verurteilt. Diesbezüglich fehlt der für die Legitimierbarkeit eines bestimmten Risikos relevante Bezugspunkt, bildlich gesprochen hängt die Risikoentscheidung „in der Luft“. Über das Vorliegen eines „begründeten Verdachts“ ist mithin stets in Ansehung der konkreten Nutzen-Risiko-Abwägung zu entscheiden. Die Anforderungen an die im Einzelfall erforderlichen Verdachtsmomente sind abhängig vom Ausmaß der zu erwartenden schädlichen und therapeutisch erwünschten Wirkungen. Besteht beispielsweise die Möglichkeit von Todesfällen, so sind je nach Indikation unter Umständen schon Verdachtsmomente geringen Gewichtes geeignet, eine Verpflichtung der Behörde zur Verweigerung der Zulassung zu begründen. Die behördliche Entscheidung über das Vorliegen hinreichender Verdachtsmomente erfordert insoweit eine Bewertung der vorhandenen Anhaltspunkte für mögliche Risiken und deren Ausmaß. Die Wissenschaft kann wiederum nur die Determinanten der normativ zu beantwortenden Frage nach der erforderlichen Verdachtswahrscheinlichkeit liefern. Als maßgebende Umstände der Verdachtswahrscheinlichkeit kommen in diesem Zusammenhang zwei Gesichtspunkte in Betracht; für einen Verdacht ausreichend sein können danach sowohl einfache Beobachtungen als auch wissenschaftstheoretische Annahmen.143 Diese Elemente stehen zueinander in einer „kompensatorischen Beziehung“.144 Infolgedessen kann bereits ein isoliertes Vorliegen zur Bejahung eines hinreichenden Verdachts führen. Nach dem Gesagten ist die Lösung auch für jene Fälle vorgezeichnet, in welchen die Möglichkeit der wissenschaftlichen Widerlegung des Verdachtes schädlicher Wirkungen noch nicht ausgeschlossen ist, aber zumindest noch Zeit erfordern wird: Die Unsicherheit über das Vorhandensein unvertretbarer Nebenwirkungen ist nicht von den Arzneimittelverbrauchern zu tragen.145 Eine (zeitweilige) Belastung der Betroffenen mit Unsicherheiten hinsichtlich der Risikobewertung ist hingegen denkbar, sofern das fragliche Arzneimittel einen hinreichenden therapeutischen Wert hat und die Belastung der Betroffenen insoweit zu rechtfertigen ist.146 In letztgenanntem Beispiel fällt die Nutzen-Risiko-Abwägung trotz der vorhandenen Unsicherheiten letztlich positiv aus. Ergibt jene Abwägung allerdings auf der Basis des aktuellen Risikowissens – also insbesondere unter Berücksichtigung des defizitären Kenntnisstandes – einen negativen Saldo, ist die (gegenwärtige) Belastung der Betroffenen mit jenen Risiken auch dann nicht tolerabel, wenn diese Erkenntnisse in der Zukunft möglicherweise widerlegt werden können.
renabwehr, S. 224; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, § 6 Rn 7; Hansen-Dix, Die Gefahr im Polizeirecht, S. 43 ff. 143 s. Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 139. 144 Vgl. Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 259 f. 145 Vgl. Hielscher, PharmaR 1984, 1, 4; im Ergebnis ebenso Lewandowski, PharmaR 1983, 193, 194 f. 146 Vgl. zur entsprechenden Befugnis der Bundesoberbehörde die Zulassung mit Auflagen zu verbinden § 28 III AMG.
III. Die Zulassung von Arzneimitteln
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e) Das Verhältnis der Verdachtsschwellen in §§ 25 II Nr. 5, 5 II AMG Nicht einheitlich beurteilt wird das Verhältnis der Verdachtsschwellen in § 25 II Nr. 5 AMG bzw. § 5 II AMG. Wie bereits ausgeführt ist § 25 II Nr. 5 AMG zu lesen als Verbot der Zulassung bei begründetem Verdacht unvertretbarer Nebenwirkungen.147 Indes spricht § 5 II AMG von einem nach dem „jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse begründeten Verdacht“. Mitunter wird vorgetragen, jene Bezugnahme auf den „jeweiligen Stand der Wissenschaft“ bedinge eine unterschiedliche Auslegung der Vorschriften. Für ein unterschiedliches Verständnis der jeweiligen Verdachtsanforderungen soll sprechen, dass Strafbarkeitsschwelle und Eingriffsvoraussetzung der Behörde bei gleichem Inhalt der erforderlichen Verdachtsschwelle identisch seien. In Konsequenz dessen könne das BfArM eine Zulassung nur dann versagen, wenn ein Inverkehrbringen des Arzneimittels eine strafbare Handlung darstellen würde.148 De facto habe daher jede rechtmäßige Sicherheitsmaßnahme des BfArM zur Folge, dass die Frage nach einer Strafbarkeit des pharmazeutischen Unternehmers, welcher der behördlichen Entscheidung nicht zuvorkam, aufzuwerfen sei.149 Diese Argumentation übersieht jedoch, dass eine Strafbarkeit nach §§ 95 I Nr. 1, 5 I AMG dem Vorsatzerfordernis unterliegt und eine Sanktionierung nach § 95 IV i. V. m. I Nr. 1 AMG zumindest fahrlässiges Fehlverhalten voraussetzt. Erforderlich ist demnach Kenntnis der Bedenklichkeit oder zumindest diesbezügliche vorwerfbare – fahrlässige – Unkenntnis des Inverkehrbringers. Daher muss eine Maßnahme der Behörde nach § 30 I i. V. m. § 25 II Nr. 5 AMG bei zugrunde gelegtem gleichem Verständnis des Verdachtsinhaltes keinesfalls zwangsläufig die Staatsanwaltschaft auf den Plan rufen.150 Hier rächt sich die unbedachte Gleichsetzung der spezifischen Anforderungen des behördlichen Eingriffs mit denjenigen der strafrechtlichen Sanktionsnorm. Daneben wird geltend gemacht, den unterschiedlichen Funktionen von präventivem und repressivem Recht werde nur durch eine unterschiedliche Interpretation des erforderlichen Verdachtsgrades hinreichend Rechnung getragen.151 Tatsächlich ist eine Differenzierung zwischen den Voraussetzungen von Maßnahmen der Gefahrenabwehr und denjenigen der sanktionenrechtlichen Reaktion von Verfassungs wegen geboten. Die entsprechende Differenzierung gebietet bereits das Übermaßverbot. Allerdings ist in unserem Zusammenhang die behauptete (unzulässige) Gleichbehandlung nicht festzustellen. Die erhöhten Anforderungen an die Sanktionierung wegen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel ergeben sich aus dem schon benannten
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Vgl. dazu oben D. III. 3. Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 116. So etwa Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 102. In diesem Sinne jedoch Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 116. Vgl. Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 116.
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D. Rechtspflichten der Amtsträger des Bundesinstituts für Arzneimittel
Vorsatz- bzw. Fahrlässigkeitserfordernis einer Strafbarkeit nach §§ 95 I Nr. 1, IV, 5 I AMG. Für einen unterschiedlichen Verdachtsgrad soll schließlich ein Vergleich der Strafrahmen der §§ 95 I Nr. 1, 96 Nr. 5 AMG sprechen. Die höhere Sanktionierung des Verstoßes gegen § 5 AMG belege, dass entsprechendes Fehlverhalten materiell gewichtiger sei als das Inverkehrbringen nicht zugelassener Arzneimittel.152 Diese Argumentation nimmt jedoch zu undifferenziert auf die sanktionierten Verhaltensweisen Bezug. Die Strafandrohung des § 95 I Nr. 1 AMG soll die Geltungskraft der Verhaltensnorm des § 5 I AMG sichern, also einer Vorschrift, die primär dem Schutz der menschlichen Gesundheit dient.153 Dagegen ist der Schutzgegenstand der Zulassungspflicht gemäß § 21 I AMG abstrakterer Natur. Diese (Ordnungs-)Vorschrift soll vor abstrakten Gesundheitsgefahren durch das Inverkehrbringen nicht zugelassener Arzneimittel schützen. Der Anwendungsbereich des § 96 Nr. 5 i. V. m. § 21 I AMG weist daher keineswegs zwangsläufig einen Bezug zu konkreten Gesundheitsgefahren auf. Auch das Inverkehrbringen unbedenklicher nicht zugelassener Arzneimittel unterfällt der Sanktionsdrohung. Mithin ist die Abweichung der jeweiligen Strafrahmen aufgrund qualitativ verschiedener Verhaltensnormverstöße durchaus sachgerecht. Für ein identisches Verständnis der erforderlichen Verdachtsinhalte spricht hingegen, dass die Gefahrenabwendungsverpflichtung der Behörde (nach § 30 I i. V. m. § 25 II Nr. 5 AMG) andernfalls bereits vor einer entsprechenden Verpflichtung des pharmazeutischen Unternehmers154 eingreifen würde, obwohl dieser (unter Umständen) über effektivere Mittel der Gefahrenabwehr und bessere Risikoinformationen verfügt.155 Zudem bestünde die Gefahr, dass Unternehmer bei Meldungen über schädliche Wirkungen zuwarteten, welche Entscheidung die Behörde im jeweiligen Fall trifft.156 Zum differierenden Wortlaut beider Vorschriften sei schließlich folgendes angemerkt: Der Verweis auf einen nach dem „jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse begründeten Verdacht“ in § 5 II AMG ist letztlich eine Selbstverständlichkeit, denn mangels der erkenntnistheoretischen Möglichkeit, absolute Gewissheit zu erlangen, kann stets nur der „jeweilige Stand“ der Erkenntnisse gemeint sein.157 Die Nennung von „Erkenntnissen“ in § 5 II AMG trägt der Anerkennung eines Wissenschaftspluralismus Rechnung.158 Trivial ist im Übrigen die Nennung des Standes der 152
Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 116 f. Kritisch zur in § 5 AMG verwirklichten „Gleichschaltung“ des menschlichen Gesundheits- mit dem Tier- und Eigentumsschutz MünchKommStGB-Freund, § 5 AMG Rn 28. 154 Dieser wäre erst zum nach § 5 II AMG relevanten Zeitpunkt zum Handeln verpflichtet. 155 Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 101 f. 156 Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 102. 157 s. dazu MünchKommStGB-Freund, § 5 AMG Rn 19. 158 Vgl. Letzel/Wartensleben, PharmaR 1989, 2, 5. Siehe dazu auch Schwerdtfeger, Pluralistische Arzneimittelbeurteilung, S. 16 f. 153
III. Die Zulassung von Arzneimitteln
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„wissenschaftlichen Erkenntnisse“,159 denn auf welcher Grundlage könnte sonst ein „begründeter Verdacht“ schädlicher Wirkungen eines Arzneimittels anzunehmen sein? In § 5 II AMG wird demnach keine Voraussetzung normiert, welche sich nicht gleichfalls durch Auslegung des § 25 II Nr. 5 AMG ergeben würde. Mithin sind die Anforderungen an einen Verdacht i. S. d. § 5 II AMG mit jenen im Rahmen des Zulassungsversagungsgrundes des § 25 II Nr. 5 AMG identisch.
4. Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften Die Vorschrift des § 25 II Nr. 7 AMG erfasst generalklauselartig Versagungsgründe im Rahmen von Zulassungsentscheidungen über Arzneimittel, deren Inverkehrbringen gegen gesetzliche Vorschriften, auch solche des EG-Rechts, verstößt. Diesbezügliche Beispiele sind die Verbote der §§ 6, 7, 8 AMG, die FCKW-Halon-VerbotsVerordnung oder die Verordnung über ein Verbot der Verwendung von Ethylenoxid bei Arzneimitteln.160 Hingegen wurde dem Verbot des § 5 AMG, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen, – offenbar mit Rücksicht auf seine beträchtliche phänotypische Bedeutung – bereits durch Normierung des § 25 II Nr. 5 AMG gesondert Rechnung getragen.161 Einer gesetzlichen Regelung des Zulassungsverbotes nicht verkehrsfähiger – unbedenklicher – Arzneimittel bedurfte es insofern durchaus, nämlich insoweit als Zulassung und Inverkehrbringen von Arzneimitteln keine identischen Vorgänge sind.162 Die behördlichen Amtspflichten im Bereich des § 25 II Nr. 7 AMG sind – gegenüber § 25 II Nr. 5 AMG – selbständig relevant, wenn die Zulassung eines Arzneimittels nicht nach § 25 II Nr. 5 AMG versagt werden kann, jedoch das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels gesetzwidrig wäre. Insofern bezweckt dieser Zulassungsversagungsgrund auch die schnelle Umsetzbarkeit horizontaler Verbote des EG-Rechts im Interesse des präventiven Gesundheitsschutzes vor einzelnen Stoffen.163 Sanktionenrechtlich ist dagegen im Bereich fehlerhafter Zulassungen nach § 25 II Nr. 7 AMG zu differenzieren. Schützt das durch ein Inverkehrbringen des fraglichen Präparates verletzte gesetzliche Verbot lediglich vor abstrakten Gesundheitsgefahren, ohne dass nach erteilter Zulassung tatsächlich unvertretbare schädliche Wirkungen nachzuweisen sind, ist eine strafrechtliche Verhaltensmissbilligung der für die 159 Insofern betont Wartensleben, PharmaR 1983, Suppl. 5, zu Recht die Irrelevanz von Spekulationen und Mutmaßungen. 160 s. dazu Sander, Erl. § 25 AMG C Anm. 11. 161 Vgl. Sander, Erl. § 25 AMG C Anm. 11. 162 Vgl. Sander, Erl. § 25 AMG C Anm. 11. Zur im Hinblick auf den Begriff des „Inverkehrbringens“ umstrittenen Frage der Adressierung des Verbotes gemäß § 5 AMG an staatliche Stellen s. unten F. I. 5. 163 Vgl. Kloesel/Cyran, § 25 AMG Anm. 63a.
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D. Rechtspflichten der Amtsträger des Bundesinstituts für Arzneimittel
Zulassungsentscheidung Verantwortlichen wegen fahrlässigen Verletzungsdeliktes nicht möglich. Mithin wird den Rechtspflichten im Kontext des § 25 II Nr. 7 AMG in der Regel keine selbständige sanktionenrechtliche Bedeutung gegenüber den im Rahmen des § 25 II Nr. 5 AMG zu beachtenden Amtspflichten zukommen.
IV. Die Nichtzulassung zum Nachteil des Patienten Spiegelbildlich zur fehlerhaften Zulassung sind auch Sachverhalte denkbar, in welchen die Zulassungsbehörde trotz Nichtvorliegens eines Versagungsgrundes die rechtlich gebotene Zulassung verweigert. Eine solche Konstellation ist dann gegeben, wenn der Antragsteller die rechtlichen Voraussetzungen der Zulassung erfüllt hat, die Bundesoberbehörde jedoch rechtsfehlerhaft vom Vorliegen eines Versagungsgrundes nach § 25 II AMG ausgeht. Entsprechende Beispiele einer rechtswidrigen Verweigerung der Zulassung sind etwa eine Verkennung des „jeweils gesicherten Standes der wissenschaftlichen Erkenntnis“ i. S. d. § 25 II Nr. 2 AMG164 oder eine unzutreffende (z. B. überproportionale) Gewichtung der schädlichen Wirkungen im Rahmen der Nutzen-Risiko-Abwägung nach § 25 II Nr. 5 AMG.165 In den genannten Fällen hat der Hersteller einen Rechtsanspruch auf Zulassung des Arzneimittels.166 Darin erschöpft sich jedoch bei angemessener Sichtweise nicht der rechtliche Gehalt der § 21 ff. AMG. Dient das AMG nach § 1 der ordnungsgemäßen Versorgung des Menschen mit Arzneimitteln, so ist der grundsätzlichen Zulassungspflicht für unbedenkliche Arzneimittel auch ein „Versorgungsauftrag“ für kranke Menschen zu entnehmen. Die Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen durch Amtsträger des BfArM dient daher auch der (rechtzeitigen) Versorgung von Patienten mit neuen, wirksamen Arzneimitteln.167 Insofern greift eine Nutzen-Risiko-Bilanzierung nach Maßgabe eines pauschal verstandenen Grundsatzes „in dubio pro securitate“ zu kurz, um den Widerstreit der Interessen in rechtskonformer Weise aufzulösen.168
164 Die Bundesoberbehörde darf etwa einen wissenschaftlichen Streit zwischen verschiedenen Lehrmeinungen nicht dadurch entscheiden, dass sie sich lediglich einen bestimmten Ansatz als den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Eigen macht. Vgl. dazu Sander, Erl. § 25 AMG C Anm. 4. 165 Zu diesen und weiteren Beispielen vgl. Knothe, Staatshaftung, S. 61 ff. 166 Vgl. dazu Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn 1223, 1232 f. 167 Vgl. zur ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung als Teilaspekt der Arzneimittelsicherheit Hohm, Arzneimittelsicherheit und Nachmarktkontrolle, S. 64 ff. 168 In diesem Sinne auch Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 183.
IV. Die Nichtzulassung zum Nachteil des Patienten
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Wird bestimmten Patienten durch eine Verweigerung der rechtlich gebotenen Zulassung die erforderliche169 Medikation vorenthalten und führt dies zu Schädigungen der Betroffenen an Leib und Leben, drohen nicht nur Amtshaftungsansprüche Geschädigter, sondern die zuständigen Amtsträger verletzen eine Amtspflicht, welche nicht zuletzt im Interesse der Betroffenen am Schutz ihrer körperlichen Unversehrtheit zu legitimieren ist.170 Eine Verletzung jener Verhaltenspflicht kann demnach eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der zuständigen Amtsträger wegen (zumindest) fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung nach den allgemeinen Regeln begründen.171 Der Klarstellung halber sei folgendes angemerkt: Durch die Benennung der Gefahren einer verspäteten oder unterbliebenen Zulassung soll nicht der These von der strengen Zulassungskontrolle als „Innovationsbremse“ das Wort geredet werden.172 Nur darf die Notwendigkeit eines formalisierten und sorgfältigen Verfahrens der Zulassungskontrolle nicht den Blick darauf verstellen, dass auch die Verhinderung bzw. Verzögerung des Inverkehrgelangens bestimmter Arzneimittel eine rechtlich zu missbilligende Gesundheitsschädigung darstellen kann. Im Übrigen sollte in diesem Kontext nicht unerwähnt bleiben, dass nach praktisch unbestrittener Ansicht eine personelle Unterbesetzung des BfArM besteht.173 In vielen Fällen führt dieser organisatorische Umstand zu überlangen und gesetzeswidrigen Bearbeitungszeiten der Zulassungsanträge, welche jedoch dem zuständigen Amtsträger – bei gewissenhafter Erfüllung seiner Amtspflichten – nicht angelastet werden können. Das Recht kann von diesem mehr als eine pflichtgemäße Erfüllung seiner Amtspflichten im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren nicht verlangen. Auf einem anderen Blatt steht, ob strukturell bedingte rechtswidrige Verweigerungen oder Verzögerungen einer Arzneimittelzulassung nicht auf einem Verschulden im Rahmen der Organisation der Bundesoberbehörde – etwa aufgrund unzureichender
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Als in dieser Hinsicht „erforderlich“ ist nicht lediglich die in concreto alternativlose Medikation anzusehen, sondern auch die wirksamere „neue“ gegenüber der „herkömmlichen“ Arznei; s. dazu bereits oben D. III. 3. b). 170 Vgl. allgemein zu den medizinischen Risiken der „Nicht-Behandlung“ bestimmter Indikationen Heilmann, Medikament und Risiko, S. 169 ff. 171 Man sollte sich davor hüten, diesen Problemkomplex als einen solchen akademischer Natur abzutun. Nach Heilmann, Medikament und Risiko, S. 198, ist davon auszugehen, dass durch Zuwarten der US-amerikanischen Kontrollbehörde FDA bis zur Zulassung der zur Therapie akuter Herzerkrankungen eingesetzten Betablocker im Jahr 1981 etwa 100.000 Menschen ums Leben kamen, welche unter Einsatz des seinerzeit bereits in anderen Industrienationen zur Anwendung gelangten Pharmakons eine längere Lebenserwartung gehabt hätten. Siehe dazu auch Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 183. 172 Vgl. zu dieser Annahme jedoch Knothe, Staatshaftung, S. 68 Fn 1 mwN. 173 Vgl. Knothe, Staatshaftung, S. 70; Sander, Erl. § 27 AMG C Anm. 1; Tamm, VuR 2007, 432, 439.
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D. Rechtspflichten der Amtsträger des Bundesinstituts für Arzneimittel
personeller Ausstattung – beruhen und eine diesbezügliche Verantwortlichkeit des Behördenleiters bzw. -trägers begründet werden kann.174
V. Rücknahme, Widerruf und Ruhen der Zulassung Die Entscheidung, ein Arzneimittel zuzulassen, ist lediglich eine vorläufige Gestattung, welche im Rahmen der Nachmarktkontrolle jederzeit korrigiert werden kann.175 Spezifikum der arzneimittelrechtlichen Zulassungsentscheidung ist, dass diese keinen nennenswerten materiellen Vertrauensschutz auslöst und keinen Rechtsanspruch auf ein Verbleiben am Markt verleiht.176 § 30 AMG enthält bezüglich der Rücknahme und des Widerrufs einer bestandskräftigen Arzneimittelzulassung Sonderregelungen zu den Vorschriften über die Rücknahme von Verwaltungsakten in §§ 48, 49 VwVfG.177 Dabei beinhalten Abs. 1 und 1a eine gebundene Entscheidung, während Abs. 2 die Entscheidung über Rücknahme oder Widerruf des Zulassungsbescheides in das Ermessen der Behörde stellt.178 Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der zuständigen Mitarbeiter des BfArM kommt dann in Betracht, wenn eine bestehende Zulassung trotz qualifizierter Gefahrenabwendungspflichten nicht zurückgenommen oder widerrufen wurde und dadurch Gesundheitsschädigungen bei Verbrauchern aufgetreten sind.179 Hier ist zwischen den Pflichten nach § 30 I, Ia AMG und § 30 II AMG zu differenzieren: Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdeliktes ist bei Verletzung der zwingenden Vorschriften der § 30 I und Ia AMG, welche dem Gesundheitsschutz der Verbraucher dienen, bei Vorliegen der weiteren Sankti174 Vgl. zur Problematik des Organisationsverschuldens aus staatshaftungsrechtlicher Sicht etwa BGH NJW 1964, 41, 44; Detterbeck/Windhorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, Rn 179; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 77; Tremml/Karger, Amtshaftungsprozess, Rn 171, 173, jew. mwN. Im strafrechtlichen Kontext kommt dem Institut des Organisationsverschuldens insbesondere für die Frage nach einer Verantwortlichkeit des Krankenhausträgers für Gesundheitsschädigungen aufgrund der Organisation einer Klinik praktische Bedeutung zu. Vgl. hierzu BGH NJW 1986, 776 f.; OLG Düsseldorf, NJW 1986, 790 ff.; Deutsch, NJW 2000, 1745 ff.; Zwiehoff, MedR 2004, 364 ff. 175 s. etwa Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 184. 176 Vgl. Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 77; Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 22; Ramsauer, Arzneimittelversorgung, S. 74. 177 Vgl. Deutsch/Lippert-Anker, § 30 Rn 1. 178 MünchKommStGB-Freund, §§ 21 – 37 AMG Rn 7. Die von Rehmann, § 30 Rn 2, vertretene Position, § 30 I 4 AMG, welcher eine Anordnung des Ruhens der Zulassung durch die Behörde ermöglicht, sei zu entnehmen, dass der Behörde ein begrenzter Ermessensspielraum einzuräumen sei, ist im Hinblick auf die Gesetzessystematik und das Gebot effektiven Gesundheitsschutzes bedenklich. Vgl. dazu Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 25 Fn 96. 179 Vgl. MünchKommStGB-Freund, §§ 21 – 37 AMG Rn 17.
V. Rücknahme, Widerruf und Ruhen der Zulassung
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onsvoraussetzungen regelmäßig gegeben. Dagegen kommt in den Fällen des § 30 II AMG eine Verwirklichung strafbaren Körperverletzungs- oder Tötungsunrechts nur dann in Betracht, wenn das Ermessen der zuständigen Amtsträger hinsichtlich der Rücknahme oder des Widerrufs infolge bestehender Gesundheitsgefährdungen (etwa im Fall des § 30 II Nr. 2 i. V. m. § 28 II Nr. 1a AMG bei Verstoß gegen die Auflage zur Kennzeichnung mit korrekten Warnhinweisen) auf „Null“ reduziert ist.180
1. Die negative Veränderung der Nutzen-Risiko-Bilanz im Rahmen der Vertretbarkeitsentscheidung Eine qualifizierte Pflicht zur Gefahrenabwendung besteht regelmäßig im Fall der – rechtlich beachtlichen – negativen Veränderung der Nutzen-Risiko-Bilanz im Rahmen der Vertretbarkeitsentscheidung. Die Nutzen-Risiko-Bilanz ist keine starre Größe, sondern eine dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand unterworfene Variable.181 Bei diesem Phänomen handelt es sich nicht um eine arzneimittelspezifische Besonderheit, sondern der Umstand des relativen Aussagegehaltes bestimmter Risikobewertungen von Produkten ist in der modernen Industriegesellschaft hinreichend belegt.182 Arzneimittelspezifisches Charakteristikum ist hingegen die, insbesondere durch konstitutionelle Unterschiede der Patienten erschwerte, Problematik des vollständigen Nachweises pharmakologischer Wirkungen. Insbesondere können seltene oder nur in komplexen Zusammenhängen auftretende schädliche Wirkungen erst nach einer großen Zahl von Arzneimittelanwendungen, also nach der Marktzulassung, beurteilt werden.183 Dieses Faktum bedingt den vorläufigen Charakter der Ergebnisse von klinischen Prüfungen und das Erfordernis einer fortwährenden Kontrolle der Arzneimittelsicherheit über den Zeitpunkt der Zulassung hinaus. Demnach hat eine Kontrolle der am Markt befindlichen Arzneimittel stattzufinden.184 Zur Vertiefung des über das Pharmakon in seiner zugelassenen Indikation vorhandenen Wissens werden in diesem Stadium mitunter Phase IV-Studien zum Abschluss der klinischen Prüfung durchgeführt.185 Ein gemeldeter Bedenklichkeitsverdacht erfordert schließlich angesichts der ambivalenten Natur von Arzneimitteln in der Regel die Einräumung eines hinreichenden
180 Zur Bedeutung verwaltungsrechtlicher Ermessensspielräume für die Legitimation spezifischer Ge- und Verbote gegenüber Amtsträgern s. bereits oben C. IV. 181 Ähnlich Hart, in: Hart/Hilken/Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 29, 90. 182 Vgl. zu Beispielen aus der Rechtsprechung etwa BGHSt 37, 106 ff. („Lederspray“) sowie BGHSt 41, 206 ff. („Holzschutzmittel“). 183 Vgl. Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 76 mwN. 184 Eingehend dazu Merkel, in: Hart/Hilken/Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 105 ff. 185 Vgl. hierzu Kloesel/Cyran, § 40 AMG Anm. 11; Sander, Erl. § 40 AMG C Anm. 6b.
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D. Rechtspflichten der Amtsträger des Bundesinstituts für Arzneimittel
Zeitraums zur Überprüfung der Schlüssigkeit des Verdachtes.186 Auf diese Weise wird verhindert, dass ein potentes Arzneimittel vom Markt genommen und den betreffenden Patienten vorenthalten wird, obgleich sich der Gefahrendverdacht alsbald als unbegründet herausstellt. Auch insoweit ist hingegen der für den Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung erforderliche Verdachtsgrad abhängig von der Schwere möglicher Schädigungen.187 Die Bewertung des pharmazeutischen Unternehmers ist für den zuständigen Amtsträger als Entscheidungshilfe dabei nur in engen Grenzen zweckdienlich. Dieser identifiziert sich regelmäßig mit „seinem“ Präparat und ist aufgrund dessen eher geneigt, die Validität von Schadensmeldungen oder das tatsächliche Risiko nicht der Faktenlage entsprechend einzuschätzen.188 Hinsichtlich gemeldeter Verdachtsfälle ist zum einen ein hinreichend gesicherter Ursachenzusammenhang mit der Einnahme des Arzneimittels festzustellen. Zum anderen ist jedoch stets – im Unterschied zu den relativ gesicherten Erkenntnissen im Rahmen klinischer Prüfungen – mit Dunkelziffern bei der Meldefrequenz zu rechnen.189 Die Bestimmung der prognostischen Schädigungswahrscheinlichkeit kann daher nicht ausschließlich auf Grundlage der Umsatzzahlen in Relation zur Anzahl der Schadensmeldungen ermittelt werden.190
2. Der Einfluss von Arzneimittelinnovationen auf die Vertretbarkeitsentscheidung Praktisch relevant sind in diesem Zusammenhang Konstellationen, in welchen sich die Vertretbarkeitsentscheidung aufgrund medizinischen Fortschritts verändert.191 Aus einer entsprechenden negativen Veränderung der Nutzen-Risiko-Bewertung durch eine indikationsbezogene Neuentwicklung kann sich die Verpflichtung der Behörde zum Widerruf der Zulassung nach § 30 I 1 Hs. 2 AMG ergeben.192 Diese Neubewertung löst jedoch nicht per se eine Pflicht zum sofortigen Tätigwerden aus. Zu berücksichtigen ist unter Umständen ein durch eine bestimmte Medika186
s. dazu auch StA Mannheim NJW 1976, 585, 588. Vgl. zu diesem Aspekt der „umgekehrten Proportionalität“ bereits oben D. III. 3. b). Zu Überlegungen bei Arzneimitteln von hohem therapeutischem Wert auch nach der Zulassung durch Anordnung von Auflagen i. S. d. § 28 III AMG weitere Untersuchungen zur Klärung des Verdachtes eines unvertretbaren Risikos zu veranlassen bevor weitergehende Maßnahmen getroffen werden vgl. Lewandowski, PharmaR 1983, 193, 194. 188 So auch Hielscher, PharmaR 1984, 1, 4; Lewandowski, PharmaR 1983, 193, 195. 189 Vgl. Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 109. 190 In diesem Zusammenhang begegnet auch die Bestimmung der Zahl der Anwendungsfälle durch Ermittlung der Umsatzzahlen erheblichen Bedenken. So aber Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 82 Fn 41. 191 Zu einem entsprechenden Beispiel vgl. Luther, in: Ott/Hefendehl/Grosdanoff (Hrsg.), Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 181, 182 f. 192 s. Hart, in: Hart/Hilken/Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 29, 89 f.; Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 111. 187
VI. Die Überwachung im Verkehr befindlicher Arzneimittel
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tion eingetretener Gewöhnungseffekt bei den betroffenen Patienten, welcher einer sofortigen Marktbereinigung zumindest vorübergehend entgegenstehen kann.193 Eine arzneimittelsicherheitsrechtliche Pflicht zum Handeln setzt zudem eine gewisse Bewährungsdauer der Innovation voraus.194 Durch einen vorschnellen Widerruf der Zulassung für das Altpräparat würde gleichsam das „Kinde mit dem Bade ausgeschüttet“. Nur wenn die Verbesserung einer Therapie durch ein neues Arzneimittel hinreichend gesichert ist, ist es vertretbar, die Zulassung des „alten“ Arzneimittels zu widerrufen. Andernfalls würde den Betroffenen ein wirksames Präparat zugunsten der mit „Restrisiken“ behafteten Innovation vorenthalten. Infolgedessen kann es schließlich bei veränderter Risikobewertung angezeigt sein, statt des Widerrufs einer Zulassung nur deren Ruhen nach § 30 I 4 AMG anzuordnen,195 sofern die Aussicht auf Widerlegung der aktualisierten Vertretbarkeitsentscheidung durch den Inhaber der Zulassung besteht.196 Mit Rücksicht auf nach dem Gesagten aufzuweisende spezifische Vermeidepflichten zuständiger Amtsträger im Interesse des Gesundheitsschutzes der Verbraucher, haben wir es in Fällen entsprechenden Fehlverhaltens mit einem Verstoß gegen besondere Rechtspflichten zu tun. Infolgedessen kommt in Sachverhalten einer, auf derartigem Fehlverhalten beruhenden, Schädigung der Verbraucher an Leib und Leben – sofern die Anforderungen an vorsätzliches Fehlverhalten nicht erfüllt sind – eine Strafbarkeit der verantwortlichen Amtsträger wegen begehungsgleichen Unterlassens nach §§ 340 I, III, 229, 13 I StGB oder §§ 222, 13 I StGB in Betracht.197
VI. Die Überwachung im Verkehr befindlicher Arzneimittel Das System der Arzneimittelüberwachung ist gekennzeichnet durch prozeduralisierte Pflichten zur Meldung, Erfassung, Bewertung und Ergreifung von Maßnahmen zur Gefahrenabwendung nach der Marktzulassung (sog. Nachmarktkontrolle198).
193 194
In diesem Sinne auch die amtl. Begründung zu § 39b AMG, BT-Drs. 10/5112, S. 31. Hart, in: Hart/Hilken/Merkel/Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 29,
90. 195 Diese Anordnungsbefugnis kam beispielsweise 1996 beim Verdacht der Infizierung von Arzneimitteln mit BSE zum Tragen. Zur entsprechenden Bekanntmachung des BfArM v. 28. 3. 1996 s. PharmaR 1996, 228 ff. Vgl. dazu auch Deutsch/Lippert-Anker, § 30 Rn 8. 196 Vgl. Sander, Erl. § 30 AMG C Anm. 2. 197 Vgl. auch MünchKommStGB-Freund, §§ 21 – 37 AMG Rn 17. Zur Körperverletzung im Amt gemäß § 340 StGB sowie der sanktionenrechtlichen Nichterfassung der „Tötung im Amt“ s. unten F. III. 198 Der Begriff der Nachmarktkontrolle ist bei exakter Betrachtung nicht zutreffend, allerdings durch Entlehnung des englischsprachigen Begriffs „post marketing surveillance“ in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen. Es handelt sich dabei recht besehen um eine
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D. Rechtspflichten der Amtsträger des Bundesinstituts für Arzneimittel
Jene Ordnung wird auch als Pharmakovigilanzsystem199 bezeichnet. Im Sinne einer vorläufigen Orientierung kommen als entsprechende Maßnahmen der Pharmakovigilanz zur Verhütung einer Gesundheitsgefährdung von Menschen beispielsweise Auflagen, Einschränkung, Ruhen oder Widerruf der Zulassung in Betracht.200 Der in Art. 29 Richtlinie 75/319/EWG kodifizierten europarechtlichen Vorgabe, ein entsprechendes System zu etablieren, ist der deutsche Gesetzgeber durch Normierung der §§ 62 – 63b AMG nachgekommen.201 Insoweit obliegt die Aufgabe der zentralen Risikoerfassung dem BfArM, welches das bei Zulassungserteilung unvollständige Wissen hinsichtlich Unbedenklichkeit und Wirksamkeit eines Arzneimittels zu vervollständigen hat.202 Diese Informationserfassungspflicht des BfArM korrespondiert mit diversen Informationspflichten der weiteren am Arzneimittelverkehr Beteiligten, welche die Bundesoberbehörde überhaupt erst in die Lage versetzen, Arzneimittelrisiken fortwährend neu zu bewerten.203 Die Zuweisung der Verantwortung für den Rechtsstatus einer bestehenden Arzneimittelzulassung im Rahmen der Arzneimittelüberwachung an die Bundesoberbehörde ist damit Konsequenz der Ausgestaltung jenes Kontrollsystems.
1. Das System der behördlichen Risikoerfassung und -auswertung Die Notwendigkeit einer bundesweiten Risikoerfassung ergibt sich daraus, dass im Rahmen des Zulassungsverfahrens für neue Arzneimittel die Zahl der Probanden innerhalb klinischer Prüfungen (selbst bei mehreren tausend Personen in einer Phase III-Studie) nicht ausreicht, um seltene unerwünschte Wirkungen mit hinreichender Sicherheit festzustellen. Entsprechende Gefahren bestehen insbesondere dann, wenn Nebenwirkungen nur in Kombination mit einer bestimmten körperlichen Konstitution oder in Form von Wechselwirkungen auftreten und dadurch erst bei Applikation bei einem größeren Patientenstamm zutage treten.204 Daneben können unerwünschte Wirkungen auch erst nach einer in der klinischen Prüfung nicht berücksichtigten Karenzzeit oder aber bei sog. „Altarzneimitteln“ auftreten, welche das Zulassungsverfahren aufgrund der fiktiven Zulassung nach § 105 I AMG nicht durchlaufen Marktkontrolle bzw. eine Kontrolle nach der Zulassung. Vgl. etwa Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 237 Fn 1. 199 Lat. „vigilia“ = Wache, Wachehalten. 200 Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn 1252 ff. 201 Zur Entwicklung der Arzneimittelüberwachung von einem System der Selbstregulierung hin zur bestehenden – staatlich dominierten – Ordnung vgl. Hohm, Arzneimittelsicherheit und Nachmarktkontrolle, S. 198 ff. 202 Vgl. Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 66 f. 203 Vgl. Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 168 f. 204 Vgl. Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 237; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 65; Scheu, In dubio, S. 681.
VI. Die Überwachung im Verkehr befindlicher Arzneimittel
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haben.205 Die Zulassungsentscheidung wird infolgedessen zutreffend als „Momentaufnahme“ zum Zeitpunkt eines bestimmten Kenntnisstandes bezeichnet, welche einer fortwährenden Überprüfung unter Nutzen-Risiko-Aspekten unterliegt.206 Im Rahmen der Pharmakovigilanz kommt dabei der Risikoerfassung vorrangige Bedeutung zu.207 Ein Erkenntnisgewinn bezüglich der Wirksamkeit eines Präparates ist dagegen unter Alltagsbedingungen – in hinreichend fundierter Form – kaum zu realisieren und daher nicht Gegenstand der Informationssammlungspflichten der Bundesoberbehörde.208 Nach der Systematik des Arzneimittelrechts setzt sich die Erfassung von Arzneimittelrisiken aus zwei Komponenten zusammen; dem in §§ 62, 63 AMG normierten behördlichen Stufenplanverfahren und den hiervon unabhängigen Anzeigepflichten des pharmazeutischen Herstellers nach §§ 29 I, 31 II, 63b II, III, V AMG.209 a) Das Stufenplanverfahren Die für die Arzneimittelüberwachung (Pharmakovigilanz) unverzichtbare behördliche Risikoerfassung ist im 10. Abschnitt des AMG (§§ 62 – 63b) geregelt. Zur Durchführung der Aufgaben der Pharmakovigilanz nach § 62 AMG hat die Bundesregierung gemäß § 63 AMG eine allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelrisiken (Stufenplan) erlassen.210 Der Stufenplan gilt als das zentrale Element der rechtlich regulierten Nachmarktkontrolle.211 Durch diesen wird die Grundnorm des § 5 AMG in verfahrens- und organisationsrechtlicher Hinsicht für die Marktphase konkretisiert.212 Im Rahmen des Stu205
Näher zum Ganzen Kewitz, DAZ 1982, 746 ff.; Kloesel/Cyran, § 62 AMG Anm. 1. Vgl. Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 237 f.; Scheu, In dubio, S. 681, 690. 207 s. Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 66; Merkel, in: Hart/Hilken/Merkel/ Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 105, 106. Dieser Ausgangspunkt darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Arzneimittelinnovationen ggf. die Bewertung bewährter Produkte derselben Indikation tangieren und zu einem Widerruf der Zulassung führen können. Vgl. dazu bereits oben D. V. 2. 208 Bestehende Anzeichen für die Wirksamkeit des Präparates in einer nicht von der Zulassung erfassten Indikation werden indes regelmäßig Anlass dazu geben, eine Arzneimittelprüfung mit entsprechender Zielrichtung durchzuführen. 209 Das arzneimittelrechtliche System der Risikoerfassung beinhaltet daher sowohl Elemente behördlich-regulierter als auch gesellschaftlich-selbstregulierter Arzneimittelüberwachung. Vgl. Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 154; Hohm, Arzneimittelsicherheit und Nachmarktkontrolle, S. 206. 210 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelrisiken (Stufenplan) nach § 63 AMG v. 9. 2. 2005 (BAnz. vom 15. 2. 2005, S. 2383). Abgedruckt bei Deutsch/Lippert, § 63. Zur Rechtsnatur des Stufenplanes s. Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 155 f. 211 Vgl. Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 154; Merkel, in: Hart/Hilken/Merkel/ Woggan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 105, 115. 212 Vgl. Hohm, Arzneimittelsicherheit und Nachmarktkontrolle, S. 228 f. 206
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D. Rechtspflichten der Amtsträger des Bundesinstituts für Arzneimittel
fenplanverfahrens wird zwischen zwei Gefahrenstufen differenziert; Gefahrenstufe I betrifft Sachverhalte von Einzelmeldungen über Nebenwirkungen während Gefahrenstufe II einen plausiblen Verdacht gesundheitlicher Risiken voraussetzt.213 aa) Gefahrenstufe I In Gefahrenstufe I tritt die zuständige Bundesoberbehörde mit dem betroffenen pharmazeutischen Unternehmer und den in Nr. 2 des Stufenplanes genannten Stellen in einen Informationsaustausch. Dieses Vorgehen ist nach Nr. 5.1 des Stufenplanes geboten im Falle von „Meldungen oder sonstigen Informationen über Arzneimittelrisiken“, welche auf die „Möglichkeit einer Gesundheitsgefährdung“ von Mensch oder Tier hinweisen. Eine entsprechende Handlungsverpflichtung entsteht danach bereits im Falle der „Offenheit der prognostischen Aussage“ – also einer noch nicht erhärteten Auffälligkeit eines Arzneimittelrisikos, welche eine vorläufige Hypothese zur Ursächlichkeit einer Arzneimittelanwendung für ein schädigendes Ereignis zulässt.214 Als Informationsquellen kommen in Betracht medizinisch-wissenschaftliACHTUNGREche Fallberichte, Spontanmeldungen von Ärzten oder Apothekern,215 neue toxikologische BeACHTUNGREfunde, Mitteilungen internationaler Erfassungsstellen sowie Arzneimittelstudien.216 GegenACHTUNGREstand dieses Informationsaustauschs ist insbesondere die Häufigkeit der vermuteten Arzneimittelrisiken, deren denkbare Ursachen und der Grad der Gefährdung.217 Unterhalb eines Vorgehens nach Gefahrenstufe I anzusiedeln sind sog. Routinesitzungen nach Nr. 8.1 des Stufenplanes. Diese werden vom BfArM mit den dort genannten Stellen mindestens zweimal jährlich durchgeführt, um einen Sachstandsbericht abzugeben und BeobACHTUNGREachtungen und Tendenzen zu diskutieren, welche in die Durchführung des Verfahrens nach Gefahrenstufe I einmünden können. bb) Gefahrenstufe II Ein Vorgehen nach Maßgabe der Gefahrenstufe II ist gemäß Nr. 5.1 des Stufenplanes dann angezeigt, wenn der Verdacht einer Gesundheitsgefährdung besteht und der pharmazeutische Unternehmer selbst keine risikomindernden Maßnahmen ergriffen 213 Vgl. Deutsch/Lippert-Deutsch, § 63 Rn 1. Eingehend zu verfahrens- und organisationsrechtlichen Aspekten des Stufenplanverfahrens Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 157 ff.; Hohm, Arzneimittelsicherheit und Nachmarktkontrolle, S. 228 ff. 214 s. dazu Hohm, Arzneimittelsicherheit und Nachmarktkontrolle, S. 242. 215 Hier kann es nicht ausschließlich auf ein bestimmtes Quantum an Meldungen ankommen. Insbesondere bei Einzelmeldungen kann sowohl ihrer Plausibilität im Hinblick auf die Feststellung der „Möglichkeit einer Gesundheitsgefährdung“ als auch dem Ausmaß möglicher Schädigungen eigenständige Bedeutung zukommen. Unklar insoweit Hohm, Arzneimittelsicherheit und Nachmarktkontrolle, S. 241. 216 Vgl. Hohm, Arzneimittelsicherheit und Nachmarktkontrolle, S. 241. 217 Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 159.
VI. Die Überwachung im Verkehr befindlicher Arzneimittel
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hat. Aus diesem Grund ist nach dem Stufenplan in diesem Fall eine Sondersitzung zwecks Anhörung des pharmazeutischen Unternehmers vorgesehen.218 Ein entsprechender Verdacht kann sich nach Nr. 5.1 aus dem Informationsaustausch in Gefahrenstufe I oder aus Meldungen und sonstigen Informationen über Arzneimittelrisiken ergeben. Danach ist ein Vorgehen nach Gefahrenstufe II nicht an eine vorangehende Beschreitung der Gefahrenstufe I gebunden.219 Die vormals umstrittene Frage des Verhältnisses des für ein Vorgehen nach Gefahrenstufe II erforderlichen Verdachtsgrades zum „begründeten Verdacht“ in §§ 5 II, 25 II 1 Nr. 5 AMG ist durch die Neufassung des Stufenplanes entschieden worden.220 Der Regelungszusammenhang erforderte bereits bis dato – trotz des im Stufenplan vorgesehenen Erfordernisses eines „begründeten Verdachts“ – eine differenzierte Bewertung. In Gefahrenstufe II geht es mit Blick auf den Verbraucherschutz primär um eine schnelle Koordinierung von Gefahrenabwendungsmaßnahmen. Diese können auch unterhalb der rechtlichen Konsequenzen der §§ 5 II, 25 II 1 Nr. 5 AMG liegen, etwa lediglich in der Veranlassung weiterer Informationsbeschaffung bestehen.221 Sie sind zudem regelmäßig vorläufiger Natur. Die genannten arzneimittelrechtlichen Vorschriften erfordern dagegen eine umfassende Nutzen-Risiko-Abwägung, beziehen sich also auf ein wesentlich breiteres Bewertungsspektrum. Der gemäß Nr. 5.1 des Stufenplanes für den Eintritt in Gefahrenstufe II erforderliche Verdacht einer Gesundheitsschädigung ist somit in Anbetracht der skizzierten unterschiedlichen Entscheidungssituationen in der Regel „unterhalb“ des „begründeten Verdachts“ anzusiedeln. b) Ergänzende Pflichten zur Risikoinformationssammlung Des Weiteren existieren einige vom Stufenplan unabhängige arzneimittelrechtliche Anzeigepflichten des pharmazeutischen Herstellers gegenüber der Bundesoberbehörde. Der Antrag auf Verlängerung einer Arzneimittelzulassung ist gemäß § 31 II AMG mit einem Bericht zu versehen, ob bzw. inwiefern sich Merkmale des Arzneimittels seit seiner Zulassung verändert haben.222 Nach § 29 I AMG hat der pharmazeutische Unternehmer im Falle der nachträglichen Änderung zulassungsrelevanter 218 In der Praxis wird der Gedankenaustausch in Gefahrenstufe II mittlerweile hingegen in der Regel im schriftlichen Verfahren vollzogen. Vgl. Deutsch/Lippert-Deutsch, § 63 Rn 2. 219 Zutreffend betont Hohm, Arzneimittelsicherheit und Nachmarktkontrolle, S. 245, dass ein Zuwarten der Behörde, etwa zur Durchführung eines Informationsaustausches nach Gefahrenstufe I, bei hinreichendem Verdacht auf ein Arzneimittelrisiko nicht zu rechtfertigen ist. Eine derartige Verfahrenspraxis würde sich als unter Sachgesichtspunkten nicht legitimierbare „Förmelei“ darstellen. 220 Nach Nr. 6.2 des Stufenplanes vom 10. Mai 1990 erforderte das behördliche Vorgehen auf der Gefahrenstufe II einen „begründeten Verdacht“ eines gesundheitlichen Risikos. Siehe zur Kontroverse zum alten Recht Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 159 ff.; Kloesel/ Cyran, § 63 AMG Anm. 6; Merkel, in: Hart/Hilken/Merkel/Wog-gan (Hrsg.), Recht des Arzneimittelmarktes, S. 105, 118 ff. 221 Vgl. Hohm, Arzneimittelsicherheit und Nachmarktkontrolle, S. 248. 222 s. hierzu Sander, Erl. § 31 AMG C Anm. 7.
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D. Rechtspflichten der Amtsträger des Bundesinstituts für Arzneimittel
Tatsachen i. S. d. §§ 22 bis 24 AMG der Bundesoberbehörde entsprechende Mitteilung zu machen.223 Schließlich sind Verdachtsfälle einer schwerwiegenden Nebenwirkung i. S. d. § 4 XIII 2 AMG dem BfArM nach Maßgabe des § 63b II, III, IV AMG vom Inhaber der Zulassung anzuzeigen.224
2. Gefahrenabwendungspflichten in der Arzneimittelüberwachung Die behördliche Überwachung der im Verkehr befindlichen Arzneimittel hätte eine nicht akzeptable offene Flanke, stünde neben dem System der Risikoinformationssammlung nicht ein gestuftes Instrumentarium zur Gefahrenabwendung zur Verfügung. Einen entsprechenden Katalog rechtlicher Handlungsoptionen zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit nach erteilter Zulassung enthält Nr. 6 des Stufenplanes. a) Die Pflicht zur Information der Öffentlichkeit Rechtlich relevante Handlungspflichten zuständiger Amtsträger des BfArM sind insofern bereits im Stadium der Vorschrift des § 62 AMG zu konstatieren.225 Die Regelung in § 62 S. 3 AMG226 enthält die Klarstellung, dass die zuständige Bundesoberbehörde die Öffentlichkeit über Arzneimittelrisiken und beabsichtigte Maßnahmen im Stufenplanverfahren informieren kann.227 § 62 AMG ist der Charakter einer verwaltungsrechtlichen Befugnisnorm zutreffenderweise abzusprechen, da die Vorschrift dem BfArM nicht das Recht zum Erlass von Verwaltungsakten einräumt.228 Im Hinblick auf spezifische Informationspflichten bedeutet diese Erkenntnis jedoch keine Einschränkung der Unterrichtungsbefug223 Vgl. dazu im Einzelnen Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 169 ff.; Sander, Erl. § 29 AMG C Anm. 1 ff. 224 Näher dazu Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen, S. 170 ff. Jene Pflicht des pharmazeutischen Unternehmers zur Unterrichtung der Bundesoberbehörde konkretisiert mittelbar auch seinen Pflichtenkreis. Auf ein durch die Zulassungsentscheidung erteiltes (vorläufiges) Unbedenklichkeitsattest und die hierin begründete Gestattung zum Inverkehrbringen seines Produktes darf dieser jedenfalls nur solange vertrauen, wie er seinen Mitteilungspflichten ordnungsgemäß nachkommt. Vgl. dazu Mayer, MedR 2008, 595, 598. 225 Zu Forderungen nach einem „neuen Recht der öffentlichen Arzneimittelinformation“ mit dem Ziel der Etablierung einer „vorsorgenden Risikoinformation“ vgl. Glaeske/Greiser/ Hart, Arzneimittelsicherheit und Länderüberwachung, S. 161 ff. 226 Den interessanten Gesetzgebungshintergrund bildet das Verbot einer Öffentlichkeitsinformation über Arzneimittelrisiken durch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft durch Urteil des OVG Münster, PharmaR 1996, 140 f. Zustimmend Burgardt, PharmaR 1996, 136 ff.; ablehnend dagegen Deutsch/Lippert-Deutsch, § 62 Rn 3; Deutsch, VersR 1997, 389 ff. 227 Vgl. etwa Kloesel/Cyran, § 69 AMG Anm. 15. 228 In diesem Sinne Sander, Erl. § 62 AMG C Anm. 1.
VI. Die Überwachung im Verkehr befindlicher Arzneimittel
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nis. Die Information der Öffentlichkeit ist vielmehr als Realakt anzusehen,229 dessen Vornahme der Bundesoberbehörde nach dem Wortlaut ausdrücklich gestattet ist.230 Sie ist dem BfArM insoweit nicht lediglich als Aufgabe – also im Sinne einer als solche nicht kompetenzbegründenden Aufgabenzuweisungsnorm – übertragen, sondern jene Unterrichtung erfolgt auf der Basis einer gesetzlichen (Eingriffs-)Grundlage.231 Infolge der Bezugnahme auf § 62 S. 1 AMG und aus einem Vergleich mit § 69 IV, I 3 AMG ergibt sich, dass die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung im Rahmen der Information der Öffentlichkeit unterhalb der Schwelle des für eine öffentliche Warnung nach § 69 IVAMG erforderlichen begründeten Verdachtes unvertretbarer schädlicher Wirkungen anzusiedeln sind. Nach dem Gesetzeswortlaut des § 62 AMG rechtfertigt vielmehr ein bei der Anwendung von Arzneimitteln auftretendes Risiko die Öffentlichkeitsinformation. Derartige Informationen erfolgen vor Abschluss der betreffenden Stufenplanverfahren und sind daher, um Missverständnissen bzw. Vorverurteilungen vorzubeugen, ergebnisoffen zu gestalten.232 Das BfArM muss also in diesen Fällen auf die nicht sichere Informationslage bezüglich des Vorliegens einer Gesundheitsgefährdung hinweisen, um den Patienten und den betroffenen Fachkreisen in Anbetracht des Aufklärungsdefizits eine eigene Risikoentscheidung zu ermöglichen.233 In jener Maßgabe kommt der Charakter der behördlichen Information zum Ausdruck. Zwar ist eine Verhaltenssteuerung intendiert, jedoch dient die Information ausschließlich der Ermöglichung einer selbständigen Bewertung des Adressaten. Der Gegensatz zur behördlichen Warnung liegt demnach darin, dass diese für den Adressaten regelmäßig faktisch verbindlich wirkt.234 Der sachliche Gehalt jener terminologischen Differenzierung sollte gleichwohl nicht überbewertet werden. Als Leitprinzip bleibt allenfalls festzuhalten, dass die Dringlichkeit der in der behördlichen Mitteilung zum Ausdruck kommenden Verhaltensempfehlung an der Wahrscheinlichkeit und möglichen Schwere der in Bezug genommenen Schädigungsmöglichkeiten auszurichten ist. In diesem Sinne muss die aus der behördlichen Information resultierende faktische Reduzierung der Handlungsalternativen des Adressaten zu legitimieren sein.
229
s. dazu etwa Maurer, Allg. VerwR, § 15 Rn 8 ff.; Peine, Allg. VerwR, Rn 879 ff., jew.
mwN. 230
Vgl. Deutsch/Lippert-Deutsch, § 62 Rn 3; Kloesel/Cyran, § 62 AMG Anm. 16. Zum „klassischen“ und – im vorliegenden Kontext relevanten – „modernen“ Eingriffsverständnis in der Grundrechtsdogmatik vgl. etwa Schlecht, Behördliche Warnungen, S. 48 ff.; Schmidt, Staatliches Informationshandeln, S. 19 ff., jew. mwN. 232 Vgl. Kloesel/Cyran, § 69 AMG Anm. 15. Ob hingegen öffentliche Warnungen nach § 69 IV AMG infolge der Verweisung auf § 69 I 3 AMG grundsätzlich erst nach Abschluss eines Stufenplanverfahrens zulässig sind, erscheint zweifelhaft. Vgl. dazu unten D. VI. 2. c) cc). 233 Vgl. auch Tremml/Luber, NJW 2005, 1745, 1746. 234 Vgl. zu jener Differenzierung im Einzelnen etwa Leidinger, DÖV 1993, 925, 926 f.; Schmidt, Staatliches Informationshandeln, S. 25 ff., jew. mwN. 231
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D. Rechtspflichten der Amtsträger des Bundesinstituts für Arzneimittel
Die Information der Verbraucher über Arzneimittelrisiken durch das BfArM ist in das pflichtgemäße Ermessen der Behörde gestellt.235 Für die Ermessensausübung ist insofern nach den allgemeinen Regeln eine „Schrumpfung“ des Ermessens anzunehmen, wenn Gesundheitsrisiken für Patienten nicht auf anderem Wege gleichwertig begegnet werden kann.236 In solchen Fällen ist der bloße Fortgang der Evaluation von Arzneimittelrisiken oder gar das Abwarten des Abschlusses eines betreffenden Stufenplanverfahrens nicht ernsthaft diskutabel. b) Die Pflicht zum Rückruf bedenklicher Arzneimittel Das Verbot, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen, ergibt sich bereits aus § 5 I AMG und ist überdies durch § 95 I Nr. 1 AMG strafrechtlich abgesichert. Allerdings kann bei bedenklichen Arzneimitteln, welche bereits in den Verkehr gelangt sind, aus Gründen der Gefahrenabwehr das Bedürfnis bestehen, den Rückruf des nicht verkehrsfähigen Arzneimittels anzuordnen.237 Angesichts der Tatsache, dass bereits 1998 mehr als 100.000 Berichte über unerwünschte Arzneimittelwirkungen an das BfArM übermittelt wurden,238 kann in jenen Fällen bereits aus tatsächlichen Gründen keine „automatische“ Pflicht zum Rückruf oder zur Anordnung des Ruhens der Zulassung angenommen werden. Das Ergreifen von Maßnahmen der Pharmakovigilanz auf der Grundlage bloßer Anzeichen für Gesundheitsgefährdungen wäre sogar mit Rücksicht auf den Gesundheitsschutz kontraindiziert, da unter Umständen einer Vielzahl von Patienten ihre therapeutisch wirksame Medikation vorenthalten würde. Insoweit wurde den Bundesoberbehörden durch das 5. AMG-ÄndG die Exekutivbefugnis zur Anordnung des Rückrufs nach § 69 I 3 i. V. m. § 69 I 2 Nr. 4 AMG eingeräumt, sofern die Gefahrenabwehr zentrales Handeln erfordert.239 Diese Befugnis des BfArM ist an die Voraussetzungen geknüpft, dass ein begründeter Verdacht unvertretbarer schädlicher Wirkungen besteht240 und eine Maßnahme nach § 28 AMG (Auflage), § 30 AMG (Rücknahme, Widerruf oder Ruhen der Zulassung),241 § 31 IV 2 AMG (Erlöschen der Zulassung aufgrund einer Versagung der Verlängerung) bzw. § 32 VAMG (Rücknahme oder Widerruf einer Chargenfreigabe) angeordnet wurde.
235
Kloesel/Cyran, § 69 AMG Anm. 16. Es muss etwa der gezielte Rückruf eines Arzneimittels in gleicher Weise zur Verhinderung von Gesundheitsschädigungen geeignet sein, wie die Verbindung eines solchen mit einer öffentlichen Warnung durch das BfArM. Zum Verhältnis zwischen verwaltungsrechtlichem Ermessen und strafbewehrter Verhaltensnorm s. auch oben C. IV. 237 Sander, Erl. § 69 AMG C Anm. 8. 238 Vgl. Laufs, NJW 2001, 3381. 239 Vgl. Sander, Erl. § 69 AMG C Anm. 4a. 240 Vgl. dazu oben D. III. 3. 241 Vgl. dazu oben D. V. 236
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Die Anordnung des Rückrufes durch die zuständige Bundesoberbehörde hat nicht zur Voraussetzung, dass dem Rückruf ein Stufenplanverfahren vorangegangen ist.242 Die Verletzung besonderer Rechtspflichten im Kontext der Rückrufbefugnis der Bundesoberbehörde kommt etwa dann in Betracht, wenn diese Maßnahmen nach § 28 oder § 30 AMG ergriffen hat und sodann untätig bleibt, obwohl bedenkliche Arzneimittel im Verkehr sind. Die für die spezifische Rückrufpflicht erforderliche Sonderverantwortlichkeit ergibt sich daraus, dass nach der gesetzlichen Konzeption zur umfassenden Abwendung der von einem bedenklichen Arzneimittel ausgehenden Gefahren nicht nur die Zulassung zu modifizieren, sondern ggf. auch der Rückruf der in den Verkehr gelangten gefährlichen Produkte anzuordnen ist. c) Die Pflicht zur öffentlichen Warnung Im Kontext staatlichen Informationshandelns finden sich kontroverse Positionen im Hinblick auf die Reichweite des Vorbehalts des Gesetzes.243 Die Bewertung dieses Problemkomplexes kann im hier interessierenden Zusammenhang jedoch letztlich dahinstehen, da das BfArM als Verwaltungsbehörde seit Erlass der 5. AMG-Novelle gemäß § 69 IV AMG zur Unterrichtung und Warnung der Öffentlichkeit gesetzlich ermächtigt ist.244
242
Kloesel/Cyran, § 69 AMG Anm. 35. Vielfach wird der Vorwurf erhoben, staatliche Informationstätigkeit ohne spezialgesetzliche Ermächtigung verstoße im Bereich der Eingriffsverwaltung gegen den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes. So auch die Begründung der Verfassungsbeschwerden durch die Beschwerdeführerinnen in BVerfGE 105, 252, 260 ff. Zur entsprechenden Kritik vgl. etwa auch Hellmann, NVwZ 2005, 163, 165 f.; Huber, JZ 2003, 290, 295; Leidinger, DÖV 1993, 925, 930 f.; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 38 ff.; Schoch, DVBl 1991, 667, 672. Nach der Gegenauffassung soll sich eine diesbezügliche Kompetenz staatlicher Stellen im Präventions- und Gefahrenabwehrbereich aus der Pflicht zur Realisierung grundrechtlicher Schutzpflichten ergeben. Vgl. BVerwGE 82, 76, 82 f.; VGH München NVwZ 1995, 793, 795. Siehe auch Gramm, Der Staat 30 (1991), 51, 63; Robbers, AfP 1990, 84, 85. Ob eine entsprechende verfassungsrechtliche Ermächtigung in Form einer Generalklausel realisiert werden könnte, welche etwa im Vergleich zu den Vorschriften über das Regierungshandeln einen Gewinn an gesetzlicher Bestimmtheit verspräche, ist zweifelhaft. Verneinend etwa BVerwG NJW 1989, 2272, 2274; BVerfG, NJW 1989, 3269, 3270 („gesetzliche Grundlage müsste sich in einfachgesetzlicher Ausformung des Verhältnismäßigkeitsprinzips erschöpfen“). Diese Argumentation kritisiert Leidinger, DÖV 1993, 925, 935, mit dem Verweis auf vorhandene „spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlagen“. Jedoch wird hierdurch der Grundeinwand bezüglich des Informationshandelns der Bundesregierung wohl nicht entkräftet, denn insofern geht es eben nicht um die Regelung einer „speziellen“ Materie. Auf einem anderen Blatt steht hingegen, ob solch eine grundgesetzlich verankerte Befugnis (hinsichtlich des Regierungshandelns) nicht dennoch aus rechtsstaatlichen Gründen zu begrüßen wäre. Vgl. insoweit zum Vorschlag eines „Informationsgesetzes“ Schmidt, Staatliches Informationshandeln, S. 165 ff. 244 § 69 IV AMG wurde eingefügt durch das 5. AMG-ÄndG vom 9. August 1994 (BGBl. I S. 2071). Zur arzneimittelrechtlichen Gesetzeslage vor Schaffung jener Ermächtigungsgrundlage für öffentliche Warnungen s. Philipp, Staatliche Verbraucherinformationen, S. 214 f. 243
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D. Rechtspflichten der Amtsträger des Bundesinstituts für Arzneimittel
aa) Zu den spezifischen Voraussetzungen einer öffentlichen Warnung durch das BfArM Anerkannt sind verschiedene allgemeine rechtliche Vorgaben staatlichen Informationshandelns. Zu nennen sind das Vorliegen einer staatlichen Aufgabe, die Einhaltung der Zuständigkeitsordnung und die Beachtung der Anforderungen an die Richtigkeit und Sachlichkeit der Information.245 Bezüglich der inhaltlichen Vollständigkeit der Information ist den zuständigen Hoheitsträgern dabei, sofern eine abschließende Klärung des Sachverhaltes noch nicht möglich ist, nach bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung die Verbreitung der vorhandenen Informationen nicht grundsätzlich verwehrt. Sie sind in derartigen Fällen allerdings gehalten, den Sachverhalt sorgfältig und unter Nutzung der verfügbaren Informationsquellen aufzuklären sowie die Marktteilnehmer auf verbleibende Unsicherheiten hinzuweisen.246 Jene allgemeinen Anforderungen erfahren eine spezifisch arzneimittelrechtliche Ausprägung. Die Regelung des § 69 IVAMG ermächtigt zu behördlichen Warnungen durch das BfArM, stellt jedoch keine eigenen Voraussetzungen auf. Insoweit wird auf den Fall des § 69 I 3 AMG, also die Befugnis zum Rückruf eines Arzneimittels, verwiesen. Für eine öffentliche Warnung tatbestandlich vorausgesetzt ist danach gemäß § 69 IV i. V. m. § 69 I 3, 2 Nr. 4 AMG der begründete Verdacht unvertretbarer schädlicher Wirkungen des Arzneimittels. Die Warnungsbefugnis deckt sich insoweit mit den Voraussetzungen der Ablehnung der Zulassung nach § 25 II Nr. 5 AMG und korrespondiert mit § 5 AMG.247 Zudem erfordert § 69 I 3 AMG die Gebotenheit des Rückrufs des Arzneimittels zur Abwendung von Gefahren für die Gesundheit von Mensch oder Tier. Dieses Erfordernis dürfte mit Blick auf das Vorliegen des begründeten Verdachts schädlicher Wirkungen regelmäßig gegeben sein. Der Rückruf bzw. die öffentliche Warnung nach § 69 I 3 AMG muss im Zusammenhang mit Maßnahmen nach §§ 28, 30, 31 IV 2, 32 V AMG (insbesondere Rücknahme, Widerruf oder Ruhen der Zulassung) stehen. Diese Voraussetzung liegt darin begründet, dass es unter Schutzaspekten wenig konsistent erschiene, einen Rückruf für solche Arzneimittel anzuordnen, welche weiterhin unbeschränkt verkehrsfähig sind.248 Als Maßnahme der Eingriffsverwaltung muss die öffentliche Warnung verhältnismäßig sein.249 In diesem Kontext rankt sich seit geraumer Zeit ein – mit Blick auf die praktischen Ergebnisse wenig relevanter – Streit um die Einordnung wettbewerbsrelevanter Warnungen in das dogmatische Gefüge der Berufsfreiheit. Mitunter wird ein
245
Vgl. BVerfGE 105, 252, 268 ff. Siehe auch Kloesel/Cyran, § 69 AMG Anm. 46. Vgl. BVerfGE 105, 252, 272. 247 Kloesel/Cyran, § 69 AMG Anm. 31. Zu den Voraussetzungen einer Versagung der Zulassung nach § 25 II Nr. 5 AMG vgl. oben D. III. 3. 248 Vgl. Burgardt, PharmaR 1996, 136, 137. 249 Vgl. Sander, Erl. § 69 AMG C Anm. 13. 246
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Eingriff in Art. 12 I GG durch öffentliche Warnungen angenommen.250 Nach bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung umfasst das Grundrecht der Berufsfreiheit dagegen keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb und auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten,251 vermittele insbesondere kein Recht des Unternehmens nur so dargestellt zu werden, wie es gesehen werden möchte oder sich selbst sieht.252 Aufgrund dessen verneint das BVerfG unter gewissen Voraussetzungen einen Eingriff in Art. 12 I GG.253 Unabhängig von jener grundrechtsdogmatischen Frage der Eingriffsqualität sind danach die Voraussetzungen zu klären, unter welchen wettbewerbsrelevante staatliche Informationstätigkeit zu rechtfertigen ist. Innerhalb des durch jene Eingriffsrechte gesteckten Rahmens geht es sodann darum, zu konkretisieren, welche – ggf. qualifizierten – Verhaltenspflichten der zuständigen Amtsträger des BfArM legitimierbar sind. Behördliche Maßnahmen dürfen nicht zu einem Schaden des Unternehmers führen, welcher erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht.254 Dies kann der Fall sein, wenn der Unternehmer selbst die erforderlichen Maßnahmen veranlasst oder der Inhalt der Öffentlichkeitsinformation den Eindruck vermittelt, es werde generell vor einem Arzneimittel gewarnt, obwohl nur bestimmte Chargen, Darreichungsformen oder Anwendungsarten betroffen sind.255 Entsprechendes gilt, wenn die öffentliche Warnung nicht auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage hinsichtlich des Schädigungspotentials des den Gegenstand der Information ausmachenden Arzneimittels, also etwa bloßen Vermutungen, beruht.256 Daneben ist die in Form und Inhalt der behördlichen Warnung zum Ausdruck kommende Dringlichkeit der Verhaltensempfehlung daran zu orientieren, welche Schwere der Gefährdung beizumessen ist.257 Hierbei ist auch eine „faktische Verkürzung des Entscheidungsspiel250
So etwa Hellmann, NVwZ 2005, 163, 165 f.; Schmidt, Staatliches Informationshandeln, S. 116 ff. Die Beschwerdeführerinnen in BVerfGE 105, 252, 259 ff. beriefen sich insoweit auf ein „Recht auf unternehmerische Selbstdarstellung“. So auch Philipp, Staatliche Verbraucherinformationen, S. 168 ff. 251 Vgl. BVerfGE 24, 236, 241; 34, 252, 256; 105, 252, 265. 252 Näher dazu BVerfGE 105, 252, 266. Eine Parallele zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht begründet ebenfalls kein entsprechendes Recht, da auch dieses keinen derartigen Inhalt aufweist; vgl. dazu BVerfGE 97, 125, 149; 97, 391, 403; 99, 185, 194; 101, 361, 380. 253 BVerfGE 105, 252, 265 ff. Die Entscheidung wird verstanden in diesem Sinne von Hellmann, NVwZ 2005, 163, 164; Murswiek, NVwZ 2003, 1, 2 ff. Nach anderer Auffassung sieht das BVerfG bereits den Schutzbereich als nicht berührt an; so insbesondere Huber, JZ 2003, 290, 292 f. 254 Vgl. etwa OLG Stuttgart, NJW 1990, 2690, 2693 (Teigwaren); Ossenbühl, Umweltpflege, S. 83; Rehmann, § 69 Rn 2. 255 Sander, Erl. § 69 AMG C Anm. 13. Näher zu den praktischen Konsequenzen des Erfordernisses eines möglichst schonenden Eingriffs Ossenbühl, Umweltpflege, S. 70 ff. 256 Die Anforderungen an eine hinreichende Tatsachengrundlage ergeben sich aus der Verweisung auf § 69 I 2 Nr. 4 AMG (begründeter Verdacht schädlicher Wirkungen). Vgl. dazu bereits oben D. III. 3. 257 Insofern für eine Differenzierung zwischen Warnung, Empfehlung und bloßem Hinweis etwa Leidinger, DÖV 1993, 925, 926 f.; Tremml/Luber, NJW 2005, 1745, 1746. Diese Eintei-
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D. Rechtspflichten der Amtsträger des Bundesinstituts für Arzneimittel
raums“ des Adressaten der Warnung durch das Behördenhandeln in Rechnung zu stellen. Aus diesem Grund sind beispielsweise die Risiken einer Spontan-Absetzung bei der Ausgestaltung der öffentlichen Warnung zu berücksichtigen.258 Bei der Konkretisierung der Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit ist in diesem Zusammenhang Sorge dafür zu tragen, dass Interessen der pharmazeutischen Industrie an der Vermeidung „negativer Publicity“259 im Verhältnis zu befürchteten Gesundheitsschädigungen ein angemessenes, nämlich lediglich ein wirtschaftliches, Gewicht beigemessen wird.260 Die verfassungsrechtliche Grundentscheidung verbietet insofern eine Abwägung von Gesundheits- mit wirtschaftlichen Interessen. Eine geringe Anzahl betroffener Patienten, eine nicht gravierende Schwere möglicher Gesundheitsbeeinträchtigungen oder das Drohen eines nicht unerheblichen wirtschaftlichen Schadens sind daher als Abwägungsgesichtspunkte nicht per se geeignet, die Unverhältnismäßigkeit einer Warnung der Öffentlichkeit zu begründen. Die Berücksichtigung jener Grundentscheidung beim Zuschnitt entsprechender Verhaltensnormen schlägt im Übrigen nicht nur arzneimittelsicherheitsrechtlich, sondern auch wettbewerbsrechtlich positiv zu Buche. Denn ein funktionsfähiger Wettbewerb im Arzneimittelmarkt setzt eine ungehinderte Risikoinformation voraus. Der Markt als Einrichtung garantiert jedoch vielfach keine vollständigen bzw. nicht selektierten Informationen sowie keine umfassende Informationsverbreitung an die Marktteilnehmer. Staatliche Informationen unterstützen daher das Funktionieren von Marktmechanismen und gleichen eine „überlegene Informationsmacht“ einzelner Marktteilnehmer aus.261 Eine „Kritik der Marktgesellschaft“ auf gesetzlicher Grundlage begegnet infolgedessen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.262 Entspricht der Einfluss auf wettbewerbliche Faktoren den rechtlichen Vorgaben für staatliches Informationshandeln, kann sich der betroffene Unternehmer nach der Grundsatzentscheidung des BVerfG auch insoweit nicht auf grundrechtlich geschützte Positionen berufen.263 lung kann jedoch nur als grobes Raster zur Beurteilung der Rechtsmäßigkeitsanforderungen behördlicher Informationstätigkeit dienen. Ein holzschnittartiges Vorgehen birgt das Risiko besondere Risiken oder Belastungen im Einzelfall zu vernachlässigen. Siehe dazu bereits oben D. VI. 2. a). 258 Vgl. hierzu Wartensleben, PharmaR 1983, Suppl. 5, 7. 259 Jenes Interesse wird rechtlich überwiegend eingekleidet in das Recht der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 I GG; vgl. etwa BVerfGE 105, 252, 265. Ob daneben ein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als eigenständige Rechtsposition von der Gewährleistung der Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 I GG erfasst wird, ist hingegen umstritten. Siehe dazu etwa BVerfGE 51, 193, 221 f.; 68, 193, 222 f.; 105, 252, 278. 260 In diese Richtung auch Deutsch/Lippert-Deutsch, § 62 Rn 3; Deutsch, VersR 1997, 389, 391 f. 261 Zutreffend betont von BVerfGE 105, 252, 267 („Glycol-Wein“). 262 s. hierzu Glaeske/Greiser/Hart, Arzneimittelsicherheit und Länderüberwachung, S. 164 f. 263 Vgl. BVerfGE 105, 252 ff. Zu jenen bundesverfassungsgerichtlichen rechtlichen Vorgaben s. oben im Text.
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bb) Zur Ermessensbindung des BfArM Die öffentliche Warnung ist schließlich in das pflichtgemäße Ermessen der Bundesoberbehörde gestellt.264 Hier ist im Einzelfall zu entscheiden, ob die vorherige Unterrichtung der Stufenplanbeteiligten und der Fachkreise möglich und der damit einhergehende Zeitverlust vertretbar ist.265 Im Übrigen obliegt auch die Auswahl des Informationsmediums dem behördlichen Ermessen.266 Allerdings ist dieses insofern gebunden, als mit steigendem Risikopotential – insbesondere der Anzahl betroffener Arzneimittelkonsumenten und der möglichen Schwere etwaiger schädlicher Wirkungen – auch eine Anpassung der „medialen Verbreitungsintensität“ einhergehen muss. Eine – unter Umständen strafrechtlich relevante – Verletzung von Verhaltenspflichten durch zuständige Amtsträger des BfArM kommt in diesem Kontext dann in Betracht, wenn trotz für die Verbreitung einer öffentlichen Warnung normativ hinreichend gewichtiger Informationen über das Auftreten schwerwiegender Nebenwirkungen nach § 63 b II 1 Nr. 1 AMG keine oder lediglich unzureichende Maßnahmen267 zur Vermeidung entsprechender Schädigungsmöglichkeiten getroffen werden. Beispielsweise ist eine (vorwerfbare) Verzögerung der Verbreitung einer öffentlichen Warnung jedenfalls dann rechtlich zu missbilligen, wenn nur durch unverzügliches Handeln ernstzunehmende Gefahren für die Körperintegrität potentieller Konsumenten vermieden werden können.268 In entsprechenden Fällen hat sich das Ermessen bezüglich des Ergreifens von Maßnahmen der Gefahrenvermeidung im beurteilungsrelevanten Zeitpunkt zu einer Handlungspflicht verdichtet. Auf einem anderen Blatt steht die – für eine Strafbarkeit wegen Verletzungsdelikts maßgebliche – Frage nach dem Eintritt spezifischer Fehlverhaltensfolgen. Ein rechtsgenügender Nachweis der Ursächlichkeit einer unterbliebenen öffentlichen Warnung für bestimmte Schädigungen der Arzneimittelkonsumenten an Leib und Leben wird in der Regel Schwierigkeiten bereiten.269
264
Vgl. Kloesel/Cyran, § 69 AMG Anm. 46. Vgl. Kloesel/Cyran, § 69 AMG Anm. 46. 266 Deutsch/Lippert-Lippert, § 69 Rn 16. 267 Als unzureichend anzusehen wäre etwa die Einholung weiterer Stellungnahmen von Sachverständigen gemäß Nr. 6.1.1. des Stufenplanes trotz Vorliegens der Voraussetzungen für einen Rückruf und eine öffentliche Warnung gemäß Nr. 6.1.6 des Stufenplanes i. V. m. § 69 AMG. Hinter den normativen Anforderungen bliebe des Weiteren auch der Amtsträger des BfArM zurück, welcher die Öffentlichkeit zunächst über gewisse Risiken informiert, jedoch nach hinreichender Verdichtung der Beweislage nicht zur Mitteilungsform der öffentlichen Warnung greift, um der mit Rücksicht auf das Interesse der Adressaten an körperlicher Integrität gesteigerten Dringlichkeit des „Appells“ Ausdruck zu verleihen. 268 Die grundsätzlich angezeigte Information des pharmazeutischen Unternehmers über getroffene Maßnahmen vor Information der Öffentlichkeit kann insoweit nach Nr. 10.1 S. 5 des Stufenplanes bei Gefahr im Verzug auch nachträglich erfolgen. 269 Vgl. allgemein zum Kausalitätsnachweis zwischen Anwendung eines Pharmakons und Schädigungen der Körperintegrität unten F. I. 265
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D. Rechtspflichten der Amtsträger des Bundesinstituts für Arzneimittel
cc) Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Eingreifens einer qualifizierten Rechtspflicht zur Verbreitung öffentlicher Warnungen Bereits im Kontext besonderer Rechtspflichten der Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen wurde dargelegt, dass strafrechtlich sanktionierte Verhaltenspflichten im Rechtsgüterschutzinteresse bereits im Zeitpunkt des Vorliegens rechtlich intolerabler Schädigungsmöglichkeiten zu legitimieren sind – das heißt insbesondere unabhängig von solchen Erkenntnissen, welche erst ex-post verfügbar sind.270 Für das Eingreifen einer qualifizierten Rechtspflicht zum Verbreiten einer öffentlichen Warnung gemäß § 69 IV AMG durch das BfArM kann es bereits vor diesem Hintergrund nicht auf den Abschluss eines betreffenden Stufenplanverfahrens ankommen. Die Gegenauffassung, wonach eine öffentliche Warnung den Abschluss eines Stufenplanverfahrens erfordert,271 findet weder im Gesetzeswortlaut noch im Stufenplan selbst eine Stütze.272 Insofern setzt bereits die Anordnung des Rückrufes durch die Bundesoberbehörde nicht voraus, dass ein Stufenplanverfahren vorangegangen ist.273 Für die Verbreitung öffentlicher Warnungen kann nichts anderes gelten. Im Übrigen verbieten allgemeine Grundsätze eine entsprechende Beschränkung der Veröffentlichungsbefugnis. Die durch das Stufenplanverfahren bezweckte Formalisierung soll gewährleisten, dass die Standpunkte aller Beteiligten hinreichend Gehör finden und ihre Rechte gewahrt werden.274 Dieser Gesichtspunkt ist mitnichten von derartigem Gewicht, dass das öffentliche Interesse am Gesundheitsschutz (bis zum formalen Abschluss des Verfahrens) dahinter zurückzustehen hat. Liegen die oben genannten Voraussetzungen vor, haben die zuständigen Mitarbeiter des BfArM vielmehr zum Schutz der Rechtsgüter Leib und Leben das Recht und ggf. auch die Pflicht, eine öffentliche Warnung zu verbreiten. Die grundsätzliche Möglichkeit der Verbreitung öffentlicher Warnungen vor Abschluss eines Stufenplanverfahrens hat schließlich keine Aussagekraft hinsichtlich der haftungsrechtlichen Risikoverteilung. Kommt es im Einzelfall zu einer (voreiligen), von Rechts wegen zu vermeidenden, öffentlichen Warnung, bleibt dem betroffenen pharmazeutischen Unternehmer die Geltendmachung diesbezüglicher Ansprüche aus Amtshaftung unbenommen.275
270
Vgl. dazu bereits oben C. V. So Sander, Erl. § 62 AMG C Anm. 3, Erl. § 69 AMG C Anm. 13. 272 Bezeichnenderweise enthält Nr. 10.1 des Stufenplanes v. 9. 2. 2005 eine Veröffentlichungsbefugnis auch hinsichtlich beabsichtigter Maßnahmen. Anders noch Nr. 10 des Stufenplanes vom 10. 5. 1990 (Veröffentlichungsbefugnis für getroffene Maßnahmen). 273 Vgl. Kloesel/Cyran, § 69 AMG Anm. 35. 274 Vgl. OVG Münster, PharmaR 1996, 140, 141. 275 Vgl. dazu etwa Tremml/Luber, NJW 2005, 1745 ff., dort im Kontext des GPSG. 271
VII. Weitere Aufgabenbereiche des BfArM
167
VII. Weitere Aufgabenbereiche des BfArM Das BfArM ist daneben – dies sei der Vollständigkeit halber angedeutet – nach Maßgabe des § 32 I MPG zuständig für die Bewertung von Medizinprodukten und die Veranlassung der zur Risikoabwehr erforderlichen Maßnahmen. Des Weiteren besteht eine Verantwortlichkeit der Bundesopiumstelle des BfArM für die Erteilung von Erlaubnissen zur Teilnahme am Verkehr mit Betäubungsmitteln und Grundstoffen und die Überwachung desselben auf der Grundlage des BtMG bzw. des GÜG.
E. Die Konkretisierung von Verantwortungsbereichen innerhalb von Behördenhierarchien und Kollegialorganen Gegenstand der vorstehenden Ausführungen waren die strafrechtlich relevanten Handlungs- und Unterlassungspflichten der zuständigen Amtsträger des BfArM bzw. der Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen. Die jeweilige Zuständigkeit des Amtsträgers einer staatlichen Behörde richtet sich im Grundsatz nach dem Organisations- und Geschäftsverteilungsplan,1 welcher durch die entsprechende Zuweisung die Umsetzung der gesetzlichen Aufgaben der Behörde gewährleistet. Infolgedessen konkretisiert dieser die einzelnen Amtsbefugnisse und -pflichten.2 Idealtypischerweise ist insofern, bereits aus Gründen der Effektivität und mit Blick auf das Erfordernis einer Wissensaufspaltung, die Abwendung bestimmter Gefahren nicht einem einzigen Amtsträger zugewiesen, sondern es überschneiden sich entsprechende Gefahrenabwendungspflichten mehrerer Beteiligter. Infolgedessen weisen Behörden eine arbeitsteilige und hierarchische Organisationsstruktur auf. Damit einher geht zugleich ein besonderes Gefahrenpotential, welches in der Gefahr „gruppendynamischer Verdrängungsprozesse“,3 genauer, in der gegenseitigen Überantwortung von Verantwortlichkeiten für riskante Geschehensabläufe liegt. Jene spezifischen Gefahren können sich insbesondere realisieren in der mangelhaften Koordination erforderlicher Maßnahmen zur Abwendung von Gefahren sowie in Kompetenzabgrenzungs- und Delegationsmängeln.4 Letztgenannte Gefahren weist auch die Arbeit von Ethik-Kommissionen auf. Deren Funktionieren setzt gleichermaßen eine Arbeitsteilung bei der Prüfung von Antragsunterlagen sowie eine Wissensaufspaltung an einzelne Mitglieder voraus. Sollen im Kontext dergestalt ineinandergreifender Verhaltenspflichten individuelle Verhaltensnormverstöße festACHTUNGREgestellt und in ihrer Qualität zutreffend gekennzeichnet werden, sind die einzelnen Verantwortungsbereiche in entsprechenden Organisationsstrukturen zu konkretisieren.
1 Daneben besteht auch die Möglichkeit, im Einzelfall Weisungen zu erteilen. Zu deren Wirkungen und Verbindlichkeit vgl. Gröger, Haftung des Amtsträgers, S. 100 ff. 2 s. Rogall, Strafbarkeit von Amtsträgern, S. 230. Vgl. für das BfArM das unter www.bfarm.de abrufbare „Organigramm“. 3 Vgl. dazu Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, Rn 1.062 ff. 4 Vgl. Dannecker, in: Amelung (Hrsg.), Straftaten in bürokratischen Organisationen, S. 209, 211.
I. Zum Kriterium der Primär-, Sekundärverantwortlichkeit
169
I. Zum Kriterium der Primär-, Sekundärverantwortlichkeit Bis zur Lederspray-Entscheidung des Bundesgerichtshofs5 wurde bei der strafrechtsdogmatischen Konkretisierung der Verantwortungsbereiche in hierarchischen bzw. arbeitsteiligen Organisationsstrukturen überwiegend von Primär- und Sekundärverantwortlichkeiten ausgegangen. Danach soll derjenige Mitarbeiter, welcher in der Organisation die letzte Ursache für den Erfolg gesetzt hat, wegen eines primären Verstoßes haften und die Verletzung von Auswahl-, Aufsichts- und Kontrollpflichten ist als Sekundärverstoß zu ahnden.6 Bei der Konkretisierung von Verantwortungsbereichen wird also von der schadensnächsten Ursache ausgegangen und erst, sofern hierzu entsprechender Anlass besteht, die organisatorisch höhere Ebene in den Blick genommen (sog. „bottom-up“-Betrachtungsweise).7 Diese Konstruktion lässt indes die Tatsache unberücksichtigt, dass eine Organisation einen vielschichtigen Organismus darstellt, welcher durch das Ineinandergreifen diverser Arbeitsleistungen Ergebnisse produziert, die mitunter einem „Letztverursacher“ gar nicht (in rechtlich eindeutiger Weise) zugerechnet werden können.8 Überdies verleitet ein entsprechendes Verständnis zu voreiligen Rückschlüssen hinsichtlich des Zuschnitts von Verantwortungsbereichen; in diesem Zusammenhang ist keineswegs ausgemacht, dass tatsächlich ein Primärverstoß zugleich mit einem Sekundärverstoß korreliert bzw. in umgekehrter Sicht eine Güterverletzung durch die fehlerhafte Ausübung von Organisations- und Kontrollpflichten auch mit einem Pflichtverstoß auf der unteren Organisationsebene einhergeht. Vielmehr sind durchaus Fälle denkbar, in denen ausschließlich der Führungsebene einer bürokratischen Organisation9 oder aber demjenigen, welcher mit ausführenden Tätigkeiten betraut ist,10 ein rechtlich relevantes Fehlverhalten zur Last gelegt werden kann. Nimmt man indes die Kriterien der Primär- bzw. Sekundärverantwortlichkeit zum Ausgangspunkt der Bestimmung von Verantwortungsbereichen in bürokratischen Organisationen, läuft man Gefahr, der Suggestivkraft dieser Terminologie zu erliegen und auf diese Weise – zur Wahrung des eigenen Ausgangspunktes – bestimmte Verhaltensanforderungen zu überspannen oder aber individuelle Verantwortlichkeiten unangemessen zu reduzieren.
5
Vgl. BGHSt 37, 106 ff. Vgl. dazu Schmidt-Salzer, NJW 1988, 1937, 1942; ders., NJW 1990. 2966, 2967 f.; ders., NJW 1994, 1305, 1309 f.; Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rn 223; Schünemann, wistra 1982, 41, 44 f. 7 Vgl. zu diesem Ausgangspunkt auch Hassemer, Produktverantwortung, S. 62. 8 Vgl. Schmidt-Salzer, NJW 1990, 2966, 2968. 9 Beispielsweise durch unterlassene Überantwortung bestimmter gefahrenträchtiger Aufgaben an hinreichend qualifiziertes Personal. 10 Man denke etwa an den Endmonteur, welchem trotz hinreichender organisatorischer Sicherheitsvorkehrungen ein für den Endverbraucher schadensträchtiger Fehler unterläuft. 6
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E. Die Konkretisierung von Verantwortungsbereichen
Daneben ermöglicht eine entsprechende Zuschreibung von Verantwortlichkeiten keine zutreffende Kennzeichnung der Qualität des in Bezug genommenen Verhaltensnormverstoßes.11 Denn durch Zuweisung einer „Primärverantwortlichkeit“ an den „Tatnächsten“ als ausführendem Organ wird häufig das Gewicht des in Rede stehenden Verhaltensnormverstoßes in keiner Weise wiedergegeben. Im Allgemeinen liegt die Generalverantwortung für die Geschehensabläufe bei der „Geschäftsführung“ bzw. Behördenleitung, welcher insoweit vielfach eine Organisations-, Aufsichts- und Kontrollverantwortung zukommt.12 Wird im Rahmen jener Verantwortlichkeit auf Leitungsebene ein gravierender Verhaltensnormverstoß begangen und kann dem mit der Ausführung einer entsprechenden Direktive Betrauten nur leichte Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden, so fragt sich, wer denn insoweit tatsächlich als „Primärverantwortlicher“ anzusehen ist. Dass der Letztausführende eine bestimmte Schädigung naturalistisch betrachtet „unmittelbar“ herbeigeführt hat, ist für die normative Gewichtung der begangenen Verhaltensnormverstöße jedenfalls nicht von Relevanz.
II. Zur sog. organisationsbezogenen Betrachtungsweise Ein anderer Ansatz findet sich deutlich ausgeprägt in der Lederspray-Entscheidung des Bundesgerichtshofes,13 die sog. unternehmensbezogene oder organisationsbezogene Betrachtungsweise. Danach wird über das Vorliegen einer Strafbarkeit des einzelnen Mitarbeiters in einem zweistufigen Verfahren entschieden; zunächst ist ein pflichtwidriges Handeln oder Unterlassen der Organisation als solcher festzustellen. Als Denkmodell zur Feststellung eines Pflichtverstoßes der Organisation soll hier die hypothetische Zuschreibung an eine natürliche Person dienen.14 Sodann ist das gefundene Ergebnis einzelnen Mitarbeitern nach Maßgabe ihrer Stellung in der Organisation zuzuordnen.15 Insofern ergibt sich also die strafrechtliche Verantwortlichkeit des
11
Zur Bedeutung einer zutreffenden Kennzeichnung von Verhaltensnormverstößen für eine angemessene strafrechtliche Reaktion s. auch unten F. IV. 12 Vgl. Dannecker, in: Amelung (Hrsg.), Straftaten in bürokratischen Organisationen, S. 209, 217; Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, Rn 1.146 ff.; ders., NJW 1988, 1937, 1939 ff. Die Behördenleitung hat im Übrigen sicherzustellen, dass Zuständigkeiten und Kompetenzen in der Organisation so verteilt werden, dass eine persönliche Rückführbarkeit güterschädigender Verhaltensweisen gewährleistet ist. S. dazu etwa Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rn 223. 13 BGHSt 37, 106 ff. Vgl. jedoch bereits BGH NStE Nr. 5 zu § 223 (Mandelbienenstich) m. Anm. Peters, ZLR 1988, 518 ff.; BGH NJW 1995, 2933 ff. (Glykolwein) m. Anm. Samson, StV 1996, 93 f.; Schmidt-Salzer, NJW 1996, 1 ff. 14 So etwa Kuhlen, JZ 1994, 1142, 1144; Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rn 223. Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, Rn 1.086, spricht von der Betrachtung eines Betriebes als „Einpersonen-Unternehmen“. 15 Vgl. Kuhlen, BGH-FG IV, S. 647, 663; ders., JZ 1994, 1142, 1144.
II. Zur sog. organisationsbezogenen Betrachtungsweise
171
Einzelnen aus seiner Stellung in der Organisation.16 Bei dieser Vorgehensweise treten automatisch diejenigen ins Blickfeld, welche nachhaltig Herstellungs- und Entscheidungsprozesse prägen, also die Geschäftsführung bzw. vergleichbare Leitungsorgane. Deren Mitglieder sollen nunmehr – unabhängig von der persönlichen Verantwortung des operativ Zuständigen – strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie einen von Rechts wegen zu vermeidenden Organisationsfehler begangen haben.17 Infolgedessen bezeichnet man jenes Vorgehen auch als „top-downBetrachtung“.18 Das vorstehend skizzierte gestufte Verfahren nach Maßgabe der organisationsbezogenen Betrachtungsweise begegnet allerdings durchgreifenden Bedenken. Zunächst ist nicht ersichtlich, worin das „pflichtwidrige Verhalten einer Organisation“ bestehen soll. Pflichtwidriges Verhalten kann stets nur dann angenommen werden, wenn sich eine normative Verhaltenserwartung gegenüber einer bestimmten Person begründen lässt, sich in der zu bewertenden Situation anders als geschehen zu verhalten.19 Damit setzt das Pflichtwidrigkeitsurteil einen personalen Bezug voraus und ist ohne individuelle Konkretisierung für das Strafrecht unspezifisch. Es mag – was im Einzelfall zu prüfen ist – in bürokratischen Organisationen Fälle gemeinschaftlicher (unter Umständen auch mittäterschaftlicher) Pflichtwidrigkeit geben. Diese erfordern indes ein (im Einzelfall zu konkretisierendes) pflichtwidriges Verhalten jedes einzelnen Mitarbeiters, nicht aber ein „pflichtwidriges Verhalten“ der Organisation.20 Insofern zäumt der organisationsbezogene Ansatz das Pferd gewissermaßen „von hinten auf“; nicht die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens der Organisation kann individuelle Pflichtverletzungen begründen,21 sondern diverse individuelle Pflichtverletzungen können (ggf.) in einer gemeinschaftlichen kumulieren. Die Feststellung der „objektiven Pflichtwidrigkeit“ einer Organisation als Organismus ist somit für das Strafrecht unspezifisch.22 Tauglicher Bezugspunkt einer strafrechtlichen Bewertung ist nur die individuelle Fehlleistung. 16
BGHSt 37, 106, 113 f. Vgl. Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 429 f.; Schmidt-Salzer, NJW 1994, 1305, 1310. 18 So etwa Kuhlen, JZ 1994, 1142, 1144; Schmidt-Salzer, BB 1992, 1866, 1869. 19 Etwas anderes mag für den Anwendungsbereich einer Verbandsstrafe gelten. Vgl. zu entsprechenden Reformbestrebungen Dannecker, GA 2001, 101 ff.; Wegner, ZRP 1999, 186 ff. Die Verletzungstatbestände des Kernstrafrechts sind hingegen ausschließlich auf die Feststellung individueller Verantwortlichkeiten zugeschnitten. 20 Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 161 f., sieht in der Übertragung einer „TäACHTUNGREterstellung des Verbandes“ auf die Betriebsangehörigen gar ein „TäACHTUNGREterkloning“. 21 Sachlich zutreffend weist Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 158, in diesem Zusammenhang auf die Gefahr der Fingierung von Täterschaft auf der Grundlage des Organisationsplanes hin. 22 Eine unbedarfte Ableitung von Zuständigkeiten zur Abwendung von Gefahren aus dem (wesensverschiedenen) Gesellschaftsrecht befürchtet daher mit Recht Hassemer, Produktverantwortung, S. 65 f. 17
172
E. Die Konkretisierung von Verantwortungsbereichen
Diese Bedenken lassen sich auch nicht durch ein auf dem Gedankenkonstrukt einer „hypothetischen Zuschreibung an eine natürliche Person“ basierendes Verfahren entkräften. Zum einen kann jene Person denknotwendig nur ein „Homunkulus“ sein, dessen Schöpfung nicht geeignet ist, einen strafrechtlichen Vorwurf gegenüber den konkret Beteiligten wegen eines individuellen Fehlverhaltens zu begründen. Die genannte Fiktion beruht ja gerade daACHTUNGRErauf, dass die einzelnen Beteiligten nicht über das umfängliche Gefahrenwissen und die entsprechenden Fähigkeiten zur Gefahrenabwendung verfügen, welche man jenem fiktiven „Einzelunternehmer“ bzw. „Einzelamtsträger“ zuschreibt. Wäre dies anders, bestünde kein Bedürfnis nach einer übergeordneten Maßstabsfigur. Zum anderen ist auch nach der sog. organisationsbezogenen Betrachtungsweise im zweiten Schritt der Bewertung – dies erfordert ohnedies das Schuldprinzip – die Bestimmung eines individuellen Fehlverhaltens erforderlich.23 Allerdings verliert jenes Postulat dadurch an Glaubwürdigkeit, dass es bei konsequenter Umsetzung die Feststellung einer „Pflichtwidrigkeit der Organisation“ überflüssig machen würde. Zu identifizieren bliebe schlussendlich in jedem Einzelfall doch stets ein individuell vorwerfbares Fehlverhalten. Dies legt den Verdacht nahe, dass hier aus Gründen der prozessualen Beweiserleichterung mitunter Abstriche bei der Feststellung und Kennzeichnung individueller Verhaltensnormverstöße hingenommen werden sollen.24 Nicht zu überzeugen vermag schließlich der Hinweis Kuhlens auf eine vermeintlich begrüßenswerte Ambivalenz dieses Ansatzes für den Einzelnen. Danach soll das Verhalten eines Mitarbeiters, welcher intensiv darauf hingewirkt hat, einen erforderlichen Rückruf zu unterbinden, dann nur als „bloßes Unterlassen“ zu werten sein, wenn das Verhalten „mit Blick auf das Unternehmen“ als Unterlassungstat zu qualifizieren ist.25 Worauf ein entsprechendes Urteil rechtlich zu stützen sein soll, wird insoweit nicht ersichtlich.26 Hat der Betreffende umfassende Aktivitäten zur Herbeiführung einer Entscheidung gegen den rechtlich gebotenen Rückruf entfaltet, so ist dies ein aktives Tun. Waren diese Bemühungen im Ergebnis wider Erwarten insofern erfolglos, als der von Rechts wegen zu fordernde Rückruf bereits ohne formelle Entscheidung unterblieb, so liegt jedenfalls strafbares Versuchsunrecht vor.27 Hier ist kein Grund ersichtlich, den aktiv auf die Verletzung von Verhaltensnormen Hinwir23
Vgl. etwa Kuhlen, JZ 1994, 1142, 1145; ders., BGH-FG IV, S. 647, 667; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 434 f.; Schmidt-Salzer, NJW 1996, 1, 5. 24 Solchermaßen bedenkliche (Hilfs-)Konstruktionen finden sich auch in anderen Fällen der „prozessualen Nichtüberführbarkeit“ des im Rahmen arbeitsteiligen Tätigwerdens unmittelbar Verantwortlichen. Zu nennen ist etwa der Versuch, diesem Dilemma durch Überspannung von Überwachungs- und Kontrollpflichten zu begegnen. Vgl. dazu BGH NStZ 2002, 421 ff. m. Anm. Freund. 25 So Kuhlen, BGH-FG IV, S. 647, 665 Fn 116. 26 Instruktiv zur mangelnden Eignung einer kollektiven Betrachtungsweise für das Individualstrafrecht Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 159 ff. 27 Daneben kommt ggf. eine Strafbarkeit wegen (vollendeten) begehungsgleichen Unterlassungsdelikts hinsichtlich des unterbliebenen Rückrufs in Betracht.
III. Begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten des individuell Handelnden
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kenden durch Nivellierung seines spezifischen Verhaltensunrechts in Form der Fiktion eines Unterlassens der Organisation zu privilegieren.28 Zuzugeben ist dem organisationsbezogenen Ansatz immerhin Folgendes: Treten bestimmte unerwünschte Ereignisse auf, welche hinter dem erwartbaren „Output“ der Organisation zurückbleiben, existieren also gewisse Indizien für das Bestehen individueller Pflichtverstöße, sind entsprechende Ermittlungen anzustellen.29 Auf diesen Kern sollte man die Redeweise von der „Pflichtwidrigkeit der Organisation“ reduzieren. Im Übrigen stellt jener Gesichtspunkt kein Spezifikum arbeitsteiliger bzw. hierarchischer Organisationsstrukturen dar. Lässt sich insofern allerdings – was in einer komplexen Organisationsstruktur nicht per se ausgeschlossen werden kann30 – keine individuelle Verantwortlichkeit für den inadäquaten „Output“ des Systems ermitteln, kann lediglich eine verwaltungsrechtliche Lösung der systemimmanenten Defizite angestrebt werden. Gefahrenabwehrbehörden sind danach so zu strukturieren, dass ein defizitärer „Output“ der Behörde auf die individuelle Fehlleistung eines Amtsträgers zurückgeführt werden kann.31
III. Begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten des individuell Handelnden – zur Erforderlichkeit einer Konkretisierung individueller Verantwortungsbereiche nach dem Inhalt der jeweiligen Pflichten Nach dem Gesagten kann eine angemessen Methode zur Feststellung von Verantwortlichkeiten in arbeitsteiligen bzw. hierarchischen Organisationen in einem ersten Schritt lediglich die Frage nach einem inadäquaten „Output“ der Behörde bzw. des Kollegialorgans – also nach Indizien für individuelle Fehlleistungen – vorsehen. Sodann ist der entsprechende Sachverhalt auf das Vorliegen individueller Verhaltensnormverstöße zu untersuchen.32 Man mag insofern eine Reduzierung individueller 28
Zur – mit Blick auf zugrunde liegende identische Sachstrukturen – problematischen Umdeutung gewisser Sachverhalte aktiven Tuns in ein „normatives Unterlassen“ s. im Übrigen bereits oben B. I. 3. 29 In diesem Sinne auch Hüwels, Zurechnung, S. 208 f. 30 Nicht tangiert ist insofern selbstverständlich die Möglichkeit eines Organisationsverschuldens. Vgl. dazu bereits oben D. IV. 31 Dies bedeutet insbesondere eine angemessene Ausstattung der Behörde in personeller und sachlicher Hinsicht sowie die organisatorische Rückführbarkeit von Fehlern in der Aufsicht und Kontrolle einzelner Arbeitsleistungen. 32 Dieses bei der Ermittlung strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens gängige und insofern nahe liegende Verfahren ist deshalb im hiesigen Kontext unbequem und für den Rechtsanwender in der Praxis offenbar wenig attraktiv, weil es einer – wohl lediglich verbal abgelehnten – generalisierenden Bestimmung von Verhaltensnormen unzugänglich ist (s. dazu auch unten E. V.). Praktische Schwierigkeiten bei der Konkretisierung individueller Verhaltensanforderungen sind jedoch kein sachlicher Grund, Abstriche von dem Grunderfordernis einer Bestra-
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E. Die Konkretisierung von Verantwortungsbereichen
Verantwortlichkeiten befürchten, da die „Pflichtwidrigkeit“ nicht von der gesamten „Organisationskette“ ausgehend bestimmt wird, sondern gewissermaßen ein „Rädchen“ dieser Kette den Bewertungsgegenstand bildet. In jenes Bild passt die bisweilen anzutreffende Annahme einer „organisierten Nichtverantwortlichkeit“ in komplexen hierarchischen Arbeitsstrukturen.33 Jedoch ist es keineswegs ausgemacht, dass mit organisatorischer Arbeitsteilung eine Verantwortungsteilung einhergeht, sondern Arbeitsteilung bedeutet zumindest in gewissen Grenzen Verantwortungsvervielfachung.34 Zutreffend ist allerdings, dass die Verletzung einer auf die Kontrolle von Teilaspekten begrenzten Pflicht, welche partieller Bestandteil eines umfassenden, arbeitsteilig organisierten Verfahrens der Gefahrenabwendung ist, in der Regel ein geringeres Gewicht aufweist als der „vollumfängliche“ Pflichtverstoß durch eine Person.35 Etwas anderes kann allerdings dann gelten, wenn bestimmten Amtsträgern eine Verletzung ihrer Kontroll- oder Aufsichtspflicht hinsichtlich des gesamten gefährlichen Verlaufes vorgeworfen werden kann.36 Zur Veranschaulichung mag nachstehendes fiktives Beispiel dienen: Mehrere Wissenschaftler eines Fachgebietes einer Zulassungsabteilung des BfArM leisten ihren Beitrag zur Überprüfung der Nutzen-Risiko-Bewertung eines Arzneimittels und bewirken durch nachlässigen Umgang mit den vorgelegten Daten eine positive Zulassungsentscheidung. Die individuellen Fehlleistungen können sich danach durchaus als Verhaltensnormverstöße geringen Gewichtes erweisen, etwa, weil die einzelne Fehlbewertung für sich genommen nicht geeignet war, hinreichende Zweifel fung – dem Nachweis eines individuell vorwerfbaren Fehlverhaltens – hinzunehmen. Zu einer unter jenem Blickwinkel problematischen Entscheidung s. BGH NStZ 2002, 421 ff. m. krit. Anm. Freund. 33 In diesem Sinne etwa Rotsch, wistra 1999, 368, 373; Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 34; ders., wistra 1982, 41, 42; Seelmann, NJW 1990, 1257, 1260. Die Annahme einer entsprechenden grundsätzlichen Beschränkung strafrechtlicher Verantwortlichkeiten beruht wohl zum Teil auf einem zu engen Verständnis von Organisations- und Aufsichtspflichten sowie einer mangelnden Abschichtung des konkreten Gewichtes einzelner Verhaltensnormverstöße in arbeitsteiligen Organisationen. 34 Vgl. dazu Schmidt-Salzer, JA 1988, 465, 474; ders., NJW 1990, 2966, 2969. Die Möglichkeit einer Verantwortungsvervielfachung durch Arbeitsteilung endet allerdings dort, wo sich dem Betroffenen gegenüber eine Verpflichtung zu einer bestimmten gefahrenvermeidenden Tätigkeit nicht mehr legitimieren lässt. Hiervon ist beispielsweise dann auszugehen, wenn der Einzelne die Risikodimension seines Verhaltens aufgrund der Komplexität des Gesamtvorganges nicht mehr erkennen kann. 35 Das Gewicht des in Rede stehenden Verhaltensnormverstoßes ist jedenfalls bedeutsam für die Frage der Strafzumessung. Im Einzelfall muss sich stets nicht nur die Bestrafung als solche, sondern auch der Strafausspruch als angemessene – also als zweckrational legitimierbare – Reaktion auf den begangenen Normbruch erweisen. Näher dazu Freund, in: Wolter/ Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß, S. 43, 50 f., 55 ff. 36 Zum Organisationsverschulden s. bereits oben D. IV. Die Ermöglichung der straf- und haftungsrechtlichen Rückführbarkeit von Verantwortlichkeiten durch Etablierung angemessener Aufsichts- und Kontrollpflichten ist indessen Gegenstand des einschlägigen Verwaltungsrechts. Das Strafrecht ist an jene verwaltungsrechtlichen Vorwertungen gebunden, kann also diese Steuerungsfunktion nicht übernehmen.
III. Begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten des individuell Handelnden
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an der Unbedenklichkeit des Arzneimittels zu wecken.37 Auf einem anderen Blatt steht dagegen, ob nicht der Leiter des betreffenden Fachgebietes im Rahmen der Überprüfung jener (Kollegial-)Entscheidung – nach Maßgabe des sog. „VierAugen-Prinzips“38 – für die Verletzung einer Pflicht zur Überwachung einer (in ihren TeilACHTUNGREstücken) sorgfältigen Analyse der vorgelegten Unterlagen durch seine Wissenschaftler verantwortlich gemacht werden kann.39 Für die Konkretisierung von Verantwortungsbereichen innerhalb einer hierarchisch und arbeitsteilig strukturierten Behörde ist insbesondere von Bedeutung, dass dem individuell Handelnden nach dem Inhalt der von ihm übernommenen spezifischen Pflichten stets nur begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Aufgrund dessen ist der Einzelne grundsätzlich nur insoweit verantwortlich, als diesem infolge der ihm übertragenen Aufgaben ein bestimmtes Verhalten abverlangt werden kann.40 Danach kann die „Stellung“ des Einzelnen in der Organisation für sich genommen keine Strafbarkeit begründen.41 Vielmehr muss dem Betreffenden die Nichtabwendung einer Schädigungsmöglichkeit zur Last fallen, welche dem Inhalt nach seinem spezifischen Pflichtenkreis innerhalb der Behörde zuzuordnen ist. Beispielsweise ist der einer bestimmten Abteilung des BfArM angehörende Wissenschaftler grundsätzlich nur für die Abwendung solcher Gefahren in besonderer Weise verantwortlich, deren Abwendung gerade dem spezifischen Inhalt seiner Aufgabenstellung entspricht; etwa der Wissenschaftler in einer der Zulassungsabteilungen für die Abwendung einer positiven Zulassungsentscheidung für ein bedenkliches Arzneimittel, dessen Zulassungsantrag im Hinblick auf die relevanten Versagungsgesichtspunkte seiner Prüfung obliegt. Dessen ungeachtet ist die Legitimation bestimmter – einfach fundierter – Gefahrenabwendungspflichten über jenen, durch den originären Aufgabenbereich vorgezeichneten, Rahmen hinaus nicht per se ausgeschlossen.42 Erhält etwa ein Wissenschaftler die ernstzunehmende Information, dass in einer anderen Zulassungsabteilung die Zulassung eines bedenklichen Arzneimittels 37 Zur Frage der Kausalität des Verhaltens für bestimmte Schädigungen in entsprechenden Konstellationen s. auch unten F. II. 38 In den einzelnen Abteilungen des BfArM werden Zulassungsentscheidungen in einem ersten Schritt durch ein Gremium gefällt. Dabei umfasst eine Zulassungsabteilung jeweils mehrere Fachgebiete. Die Aspekte eines Zulassungsantrages werden durch die Mitarbeiter eines Fachgebietes bewertet und zu einer Zulassungsentscheidung zusammengefasst. Sodann wird jene Entscheidung durch den Fachgebietsleiter überprüft. Das entsprechende Vorgehen bezeichnet man infolgedessen als Verfahren nach dem sog. „Vier-Augen-Prinzip“. s. dazu auch unten F. II. 39 In diesem Kontext kommt es darauf an, ob der Fachgebietsleiter von Rechts wegen darauf vertrauen durfte, dass seine Mitarbeiter ihre Pflichten sachgemäß erfüllen. Vgl. dazu unten E. IV. 40 Vgl. Dannecker, in: Amelung (Hrsg.), Straftaten in bürokratischen Organisationen, S. 209, 221 f.; Freund, NStZ 2002, 424, 425. Zu Beispielen für individuelle innerbetriebliche Verantwortungsbereiche s. auch Schmidt-Salzer, NJW 1988, 1937, 1938. 41 Vgl. etwa Kuhlen, BGH-FG IV, S. 647, 667. 42 Vgl. dazu auch unten E. IV.
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E. Die Konkretisierung von Verantwortungsbereichen
intendiert ist, so kann ihm gegenüber jedenfalls eine Verpflichtung legitimiert werden, den Leiter jener Zulassungsabteilung sowie ggf. den Behördenleiter über diesen Sachverhalt aufzuklären, um die fehlerhafte Zulassungsentscheidung zu verhindern. Eine besondere Rechtspflicht des Betreffenden zur Gefahrenabwendung wird man in solchen Fällen jedoch nicht annehmen können. Die Abwendung jener Schädigungsmöglichkeit liegt außerhalb seines spezifischen Pflichtenkreises. Der sonderzuverantwortende Bereich entsprechender Rechtspflichten ist insofern limitiert durch die eigene Zuständigkeit. Solche – einfach oder ggf. doppelt fundierten – Gefahrenabwendungspflichten sind selbstverständlich begrenzt durch das Erfordernis einer in concreto legitimierbaren Verhaltensnorm.43 Der betreffende Wissenschaftler hat also keineswegs die Pflicht, über sein Tätigkeitsfeld hinaus die Ergebnisse anderer Zulassungsabteilungen zu kontrollieren oder nach Anzeichen für Pflichtverstöße in fremden Zuständigkeitsbereichen zu suchen.
IV. Zur Bedeutung des sog. Vertrauensgrundsatzes Die durch horizontale und vertikale Arbeitsteilung bedingte Verzahnung der Pflichten der Amtsträger des BfArM zur Gefahrenabwendung führt zu einem weiteren, für den Zuschnitt individueller Verantwortungsbereiche bedeutsamen, Problemkomplex.44 Der Pflichtenkreis des zuständigen Amtsträgers kann nicht sachgerecht konkretisiert werden, ohne zu der Frage Stellung zu nehmen, inwieweit der Einzelne auf die pflichtgemäße Aufgabenerfüllung weiterer Beteiligter im Rahmen einer arbeitsteiligen Verfahrensweise vertrauen bzw. inwieweit der Behördenleiter oder der Leiter einer bestimmten Abteilung des BfArM von einem pflichtgemäßen Verhalten seiner Mitarbeiter ausgehen darf. Regelmäßig wird der sog. Vertrauensgrundsatz für den Zuschnitt entsprechender Verantwortungsbereiche im Rahmen arbeitsteiligen Zusammenwirkens herangezogen. Dieser bezeichnet die Erlaubnis, trotz des empirischen Faktums der Fehlerträchtigkeit menschlichen Verhaltens, in einem gewissen Umfang auf rechtmäßiges Verhalten anderer vertrauen zu dürfen.45 Ein dergestalt konzipierter Vertrauensgrundsatz kann allerdings nicht den materialen Grund dafür abgeben, ein bestimmtes gefahren-
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Vgl. dazu oben B. I. Die angesprochene Materie ist gleichfalls von Bedeutung für die Konkretisierung von Verantwortungsbereichen der Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen. Mit Ausnahme der Spezifika einer hierarchischen Struktur gelten insoweit vergleichbare Wertungen, denn auch die Arbeit dieses Kollegialorgans erfordert in gewissen Grenzen ein arbeitsteiliges Verfahren. Vgl. dazu auch oben C. II. 10. 45 Vgl. dazu etwa BGHSt 7, 118, 122 ff.; 12, 81, 83 f.; 13, 169, 172 ff.; 43, 306, 310 f.; MünchKommStGB-Duttge, § 15 Rn 139 ff.; Fischer, § 222 Rn 14 ff.; Jakobs, AT, 7/51; Kaminski, Der objektive Maßstab, S. 52 ff.; Kuhlen, Produkthaftung, S. 123 ff.; NK-Puppe, Vor § 13 Rn 162 ff.; Renzikowski, StV 2009, 443 ff.; Wessels/Beulke, AT, Rn 671 f. 44
IV. Zur Bedeutung des sog. Vertrauensgrundsatzes
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trächtiges Verhalten rechtlich zu billigen.46 Die in diesem Zusammenhang relevanten Gesichtspunkte sind vielmehr für die Konkretisierung rechtlich tolerierbarer ACHTUNGRE(Rest-) Risiken unabhängig von einem Rekurs auf einen sog. Vertrauensgrundsatz zu beachten.47 Jener Topos kann lediglich als (holzschnittartiges) Mittel der Veranschaulichung von Verantwortungsbereichen fungieren.48 Für die Fundierung eines rechtlichen Missbilligungsurteils ist er als konkretisierungsbedürftige formale Hülse ungeeignet. Er bezeichnet im konkreten Fall erst das Ergebnis der Feststellung desjenigen Restrisikos, welches im Rahmen der Konturierung tatbestandsmäßigen Verhaltens kein normativ hinreichendes Gewicht aufweist, um eine Beschränkung der Handlungsfreiheit des Täters in concreto zu rechtfertigen.49 Die Benennung und Gewichtung der für die Abschichtung des rechtlich erlaubten vom rechtlich missbilligten Verhalten im Einzelfall maßgeblichen Determinanten – sprich die Beantwortung der Frage, ob von Rechts wegen auf ein bestimmtes Verhalten vertraut werden durfte – ist mit jenem Rekurs indes noch nicht geleistet. Wenden wir uns also dem hinter dem Topos des Vertrauensgrundsatzes stehenden – konkretisierungsbedürftigen – berechtigten Grundgedanken zu. Bereits bei faktischer Betrachtung wird deutlich, dass ohne Vertrauen auf sorgfältiges Verhalten anderer keine sinnvolle Teilnahme am sozialen Leben möglich ist.50 Insbesondere der Umgang mit komplexen Schädigungsmöglichkeiten – etwa bei der Warenproduktion oder dem Betrieb gefährlicher Anlagen – wäre de facto ausgeschlossen, zumal die Einschaltung von Hilfspersonen im angesprochenen Kontext eine adäquate Gefahrensteuerung vielfach erst ermöglicht.51 Im Übrigen wäre der einzelne Beteiligte im Rahmen arbeitsteiliger Verfahrensweisen infolge einer permanent erforderlichen Überwachung des Verhaltens anderer zur Erledigung der eigenen Angelegenheiten regelmäßig nicht mehr in der Lage.52 Infolgedessen ermöglicht die Anerkennung 46
In diesem Sinne jedoch z. B. Dannecker, in: Amelung (Hrsg.), Straftaten in bürokratischen Organisationen, S. 209, 220 f.; Mayer, MedR 2008, 595, 597; Wessels/Beulke, AT, Rn 671. 47 Der Sache nach übereinstimmend MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 381; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 190 f., 210. Zu beträchtlichen Missverständnissen bei der Arbeit mit einem psychologisierend konzipierten „Vertrauensgrundsatz“ s. auch NKPuppe, Vor § 13 Rn 166. 48 Nach Puppe, Jura 1998, 21, 23 f., hat der Vertrauensgrundsatz ausschließlich die Funktion, nicht positivierte Sorgfaltspflichten zu konzipieren und erweist sich vor diesem Hintergrund als entbehrlich. 49 Zutreffend daher die Kennzeichnung des Vertrauensgrundsatzes als „Resultat einer Interessenabwägung“ von Krümpelmann, FS Lackner, S. 289, 298 f. Instruktiv dazu Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 190 f. Die Bedeutung der allgemeinen Handlungsfreiheit für die Konkretisierung berechtigten Vertrauens betonend auch SK-Hoyer, Anh. zu § 16 Rn 40. 50 Vgl. etwa Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 185 ff. Beispielhaft verweist Puppe, Jura 1998, 21, 22, insofern auf den vorfahrtsberechtigten Autofahrer oder den im Team operierenden Chirurgen. 51 In diesem Sinne auch Freund, Erfolgsdelikt, S. 188; Sangenstedt, Garantenstellung, S. 384; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 307. 52 Vgl. Freund, NStZ 2002, 424; Jakobs, AT, 7/53; NK-Puppe, Vor § 13 Rn 162.
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E. Die Konkretisierung von Verantwortungsbereichen
einer gewissen rechtlichen „Erwartenssicherheit“ des Einzelnen diesem überhaupt erst einen angemessenen Gebrauch seiner allgemeinen Handlungsfreiheit, in unserem Kontext also insbesondere die Bewältigung seiner spezifischen Aufgaben.53 Der vor diesem Hintergrund für den Zuschnitt von Verhaltensnormen relevante Bereich rechtlicher Erwartenssicherheit lässt sich in unserem Zusammenhang präzisieren durch Berücksichtigung der Konzeption eines bestimmten Schutzniveaus innerhalb einer arbeitsteilig strukturierten Organisation. Jener Standard wird jedenfalls dadurch beachtet, dass bestimmte Aufgaben von einem auf einen anderen – im Hinblick auf die Erledigung der speziellen Aufgabe – „Gleichgeordneten“ übertragen werden. Keinen Gegensatz bilden insoweit auch gewisse Kontroll- und Überwachungspflichten hierarchisch übergeordneter Instanzen, denn auch diese richten sich im Rahmen der Abwendung komplexer Schädigungsmöglichkeiten regelmäßig nach dem innerorganisatorischen Schutzkonzept.54 So darf beispielsweise der mit der Bewertung bestimmter Aspekte des Schädigungspotentials eines Pharmakons betraute Wissenschaftler eines Fachgebietes einer Zulassungsabteilung des BfArM von einer ordnungsgemäß durchgeführten, andere Gesichtspunkte betreffenden, Analyse des Arzneimittels durch einen Abteilungskollegen ausgehen. Ebenso besteht für den Leiter einer Zulassungsabteilung keine Verpflichtung zur Überwachung einer bestimmten Analyse, welche einem hinreichend qualifizierten Wissenschaftler übertragen wurde.55 Nach dem Gesagten scheidet die Anerkennung einer bestimmten rechtlichen Erwartenssicherheit jedoch dann aus, wenn das rechtlich vorgezeichnete Schutzniveau durch die konkrete Aufgabendelegation oder -überwachung bzw. arbeitsteilige Verfahrensweise unterschritten wird. Mit einer in diesem Sinne rechtlich nicht schützenswerten Erwartung haben wir es zunächst in dem Fall zu tun, dass bereits konkrete Anzeichen für fremdes Fehlverhalten vorliegen.56 Hier ist eine Einschränkung der allge53
Es handelt sich hierbei um eine rechtliche Konkretisierung individueller Freiheitsräume, nicht um ein empirisches Datum. Denn statistisch betrachtet muss der Einzelne – trotz Regelverhaltens anderer im Normalfall – durchaus mit mannigfaltigen Fehlleistungen seiner Mitmenschen rechnen. Nur kann jene empirische Erfahrung vor dem Recht zumindest im Grundsatz keine Beachtung finden, soll die allgemeine Handlungsfreiheit nicht unangemessen beschränkt werden. Eine mittelbare einfachgesetzliche Ausprägung jenes Axioms findet sich beispielsweise in § 3 IIa StVO. Die dort normierte Pflicht zu einer Anpassung des eigenen Fahrverhaltens an die Bedürfnisse der enumerativ aufgezählten (in der Bewältigung der Anforderungen des Straßenverkehrs ggf. eingeschränkten) Personen zeigt im Umkehrschluss, dass bei anderen Verkehrsteilnehmern grundsätzlich von der Fähigkeit zur pflichtgemäßen Teilnahme am Straßenverkehr ausgegangen werden darf. 54 Vgl. dazu auch Freund, NStZ 2002, 424, 425. 55 Zu Beispielen für den Zuschnitt entsprechender Verantwortungsbereiche innerhalb öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen vgl. Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 619. 56 Vgl. dazu etwa Freund, NStZ 2002, 424, 425; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 188 f.; SK-Hoyer, Anh. zu § 16 Rn 40; Puppe, Jura 1998, 21, 23; Renzikowski, StV 2009, 443, 445 f.; Schönke/Schröder-Cramer/ACHTUNGRESternberg-Lieben, § 15 Rn 150; Stratenwerth/Kuhlen, AT I, § 15 Rn 67 f.; Wessels/Beulke, Rn 671.
IV. Zur Bedeutung des sog. Vertrauensgrundsatzes
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meinen Handlungsfreiheit des Betroffenen über die „gewöhnlich“ zur Wahrung des Schutzniveaus erforderlichen Maßnahmen hinaus legitimierbar. Denn in concreto darf der Handelnde mit Blick auf berechtigte Güterschutzinteressen von Rechts wegen gerade nicht auf die Einhaltung der Schutzkoordinaten durch andere Beteiligte vertrauen.57 Die grundsätzlich berechtigte Erwartung in die Beachtung der Schutzstandards im Rahmen von Delegation und Arbeitsteilung ist hier für den Betroffenen hinreichend manifest erschüttert. Sind beispielsweise mehrere Wissenschaftler eines Fachgebietes des BfArM für die Bewertung eines Arzneimittels verantwortlich und wird eine Teiluntersuchung eines bestimmten Schädigungspotentials durch einen der Wissenschaftler offenkundig methodisch fragwürdig oder in ersichtlich unzureichender Zeit vorgenommen, so liegen insoweit hinreichende Anhaltspunkte für eine fremde Verletzung spezifischer Gefahrenabwendungspflichten vor. Das „Gleichordnungsverhältnis“ der Beteiligten gewährleistet zwar grundsätzlich die Einhaltung des vorgegebenen Schutzstandards, jedoch bestehen an dieser Garantie im konkreten Fall hinreichende Zweifel. Die beteiligten Wissenschaftler der betreffenden Abteilung sind daher – bei Kenntnis jenes Umstands – verpflichtet, Zweifel an einer ordnungsgemäßen Bewertung durch den Kollegen zu artikulieren sowie ggf. den Abteilungsleiter über den Sachverhalt zu informieren. Eine qualifizierte Rechtspflicht der Beteiligten zur entsprechenden Gefahrenabwendung kommt dagegen in obigem Beispiel nicht ohne weiteres in Betracht. Sie ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der eigene Beitrag zu der von einem bestimmten Fachgebiet vorzunehmenden Arzneimittelbewertung in Anbetracht der fremden Fehlleistung vorgenommen wird – sich gewissermaßen als notwendige Bedingung zur Schaffung der konkreten Schädigungsmöglichkeit darstellt. Tauglicher Legitimationsgesichtspunkt einer besonderen Inpflichtnahme ist dabei zum einen die konkludente Übernahme spezifischer Gefahrenabwendungspflichten in Form einer vertraglich übernommenen Nebenpflicht.58 Daneben ist die Gefahrenquelle „Arzneimittel“ dem Organisationskreis des beteiligten Wissenschaftlers – in begrenztem Umfang – normativ zugeordnet. Jene Verantwortlichkeit wird durch die Zuweisung spezifischer Aufgaben im Rahmen der Arbeitsteilung innerhalb der konkreten Abteilung nicht grundsätzlich aufgehoben.59 Die entsprechende Aufgliederung in einzelne Arbeits57
In diesem Sinne auch Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 188 f. Diese Pflicht hat der betreffende Wissenschaftler gerade nicht erfüllt, indem er seine für sich genommen nicht zu beanstandende Analyse vorlegte. Er hat sich nicht „selbst korrekt verhalten“, sondern die eigene Bewertung wurde lediglich „äußerlich verkehrsgerecht“ abgegeben. In Anbetracht der konkreten Sachlage darf er mit Rücksicht auf die übernommene (Neben-)Pflicht eben nicht durch seine Partizipation an der Erstellung der bedenklichen Beurteilung mitwirken. 59 Dieses Ergebnis entspricht der Bewertung im Fall des Kellners, welcher beim Servieren die – beispielsweise vom Küchenpersonal verschuldete – Giftigkeit der Speise entdeckt. Entgegen Jakobs, Arm. Kaufmann-GedS, S. 271, 286, ist dieser sonderverantwortlich für die Abwendung der von jener Speise für einen Gast ausgehenden Gefahren. Hier verhält es sich nicht anders, als wenn der Kellner einer betagten Jubilarin eine Konfetti-Torte serviert, obwohl er erkannt hat, dass diese infolgedessen einen Herzinfarkt erleiden wird. Tauglicher Legiti58
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E. Die Konkretisierung von Verantwortungsbereichen
prozesse dient der Effektivierung des gesamten Bearbeitungs- und Bewertungsvorganges. Setzt man die vorhandene Organisation dabei in Bezug zu einem fiktiven „Einzel-Wissenschaftler“ wird deutlich, dass die arbeitsteilige Struktur nicht um den Preis angemessener Möglichkeiten zur Abwehr von Arzneimittelrisiken etabliert wird. Würden alle Untersuchungen von einer einzelnen Person durchgeführt, könnte diese sich ersichtlich nicht auf den Standpunkt stellen, die Ergebnisse einer ihrer Teiluntersuchungen gingen sie nun nichts mehr an. Dieses gedankliche Modell veranschaulicht ein grundlegendes Erfordernis arbeitsteiliger Verfahrensweisen und enthält insofern eine auf die Konkretisierung der Verantwortungsbereiche einzelner Wissenschaftler innerhalb einer „Arbeitseinheit“ übertragbare Wertung. Die Abwendung bestimmter Schädigungsmöglichkeiten durch fremde Fehlleistungen, welche für den gleichgeordneten Kollegen einer „Arbeitseinheit“ evident sind – sich diesem praktisch „aufdrängen“–, ist auch diesem in beschränktem Umfang normativ zugeordnet. Die besondere Verantwortlichkeit für die Erbringung eines ordnungsgemäßen eigenen Teilbeitrages korrespondiert daher unter Umständen mit einer qualifizierten Rechtspflicht zur Abwendung von Gefahren durch fehlerhafte Arbeitsleistungen von (Abeilungs-)Kollegen, welche geeignet sind, das Gesamtresultat des Arbeitsprozesses in bedenklicher Weise zu beeinträchtigen. Einschränkungen erfährt jene besondere Inpflichtnahme allerdings unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Hat der Betreffende seine „Teilleistung“ bereits vorgelegt, ist eine besondere Inpflichtnahme in Bezug auf die Abwendung von Gefahren, welche hinsichtlich des gesamten Bewertungsvorganges von der Arbeit eines (Abteilungs-)Kollegen ausgehen, in der Regel nicht mehr legitimierbar. Hier genügt es zur effektiven Gefahrenabwendung gerade nicht, die eigene Bewertung zurückzuhalten und so den Gesamtprozess zu stoppen, sondern der Betreffende muss aktiv auf die Kontrolle der fremden Fehlleistung hinwirken sowie ggf. für ihre Korrektur eintreten.60
mationsgesichtspunkt der besonderen Inpflichtnahme ist die Abwendung spezifischer Gefahren des Serviervorganges sowie die auf eine konkludente Vereinbarung – i. S. einer vertraglichen Nebenpflicht – zu stützende Übernahme spezifischer Gefahrenabwendungspflichten. Seine Organisationszuständigkeit erstreckt sich insofern nicht lediglich auf die äußere Erfüllung seiner „sozialen Rolle“. Nur ein Verhaltensnormverstoß i. S. d. § 323c liegt dagegen vor, wenn der Kellner – bei entsprechender Sachlage – den Serviervorgang eines Kollegen beobachtet. Hier fehlt es unter Legitimationsgesichtspunkten an der Zumutbarkeit einer besonderen Inpflichtnahme des „Beobachters“, welcher in concreto aktive Gefahrenabwendungsbemühungen entfalten – nämlich den Serviervorgang des Kollegen verhindern – muss. 60 Jener Gesichtspunkt begegnet in anderem Zusammenhang etwa bei der Frage nach einer Strafbarkeit wegen Mordes in Konstellationen der Tötung durch begehungsgleiches Unterlassen mit Verdeckungsabsicht. Gegen eine Strafbarkeit wegen Verdeckungsmordes durch begehungsgleiches Unterlassen spricht die stark verminderte „Fähigkeit“ des Unterlassenden zur Normbefolgung. Dieser müsste zur Befolgung des entsprechenden Normbefehls an der Aufdeckung der eigenen Vortat aktiv mitwirken. Dem Begehungstäter des Verdeckungsmordes wird dagegen lediglich auferlegt, die begangene Tat nicht zuzudecken. Näher zur Bedeutung der eingeschränkten Tatvermeidemacht des Unterlassungstäters in dieser Konstellation Freund,
IV. Zur Bedeutung des sog. Vertrauensgrundsatzes
181
In besonderem Maße, wenngleich in durch näher zu bestimmende zulässige Aufgabendelegation beschränktem Umfang, sind auch hierarchisch übergeordnete Amtsträger des BfArM für die Einhaltung des rechtlich vorgegebenen Schutzniveaus verantwortlich. Eine Entlastung bei Delegation bestimmter Aufgaben durch Einhaltung jenes Schutzstandards kann es dabei von vornherein nur im Fall rechtlicher Zulässigkeit der Aufgabenübertragung geben.61 DaACHTUNGRErüber hinaus ist auch in Konstellationen grundsätzlich zulässiger Delegation für die Übertragung von Aufgaben die Überprüfung einer hinreichenden Qualifikation des beauftragten Personals sowie der rechtlichen Möglichkeit der Aufgabenerfüllung in concreto erforderlich.62 Zur Gewährleistung des vorgezeichneten Schutzniveaus kann dem Delegierenden daneben die Aufgabe der Kompensation des Fehlverhaltens anderer durch die Überprüfung erbrachter Arbeitsleistungen zukommen.63 Dabei handelt es sich letztlich um eine Modifizierung des ursprünglichen Pflichteninhaltes bei der Auswahl des Beauftragten. Die besondere Inpflichtnahme ist dabei im Grunde die Kehrseite des in der Gestattung der Einschaltung von Hilfspersonen liegenden besonderen Freiheitsraumes.64 Die Erlaubnis zur Übertragung gewisser Tätigkeiten durch den Delegierenden steht insoweit in der Regel unter dem Vorbehalt einer Kontrolle der Leistungen des Ausführenden im Rahmen des Zumutbaren. Eine entsprechende Verpflichtung ist jedenfalls dann legitimierbar, wenn der Beauftragte gar nicht imstande ist, das Schädigungspotential der an ihn delegierten Tätigkeit in angemessener Weise zu überblicken.65 Dieser Gesichtspunkt einer – die besondere Inpflichtnahme legitimierenden – „Kompensationsfunktion“ des Delegierenden gilt beispielsweise analog für die unkritische Entgegennahme nicht hinreichend spezifizierter Erklärungen des mit bestimmten Gefahrenabwendungspflichten Beauftragten.66 Unbeschadet weiterer, an dieser Stelle nicht erschöpfend zu illustrierender, spezifischer Sachgründe für die Einschränkung rechtlicher Erwartenssicherheit, bleibt mithin als Leitprinzip folgendes festzuhalten: Die Grenze rechtlichen Vertrauen-DürNStZ 2004, 123, 125 f. Zur Gegenauffassung vgl. MünchKommStGB-Schneider, § 211 Rn 194 ff. 61 Vgl. BGHSt 40, 84, 87; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 424. 62 s. dazu etwa Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 210; Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, Rn 1.216 f. 63 Zur geläufigen Konzeption von „Doppel-„ bzw. „Mehrfachsicherungen“ beim Umgang mit komplexen Schädigungsmöglichkeiten s. etwa Dannecker, in: Amelung (Hrsg.), Straftaten in bürokratischen Organisationen, S. 209, 224 f.; Freund, NStZ 2002, 424, 425; NK-Puppe, Vor § 13 Rn 163. 64 s. zur Verantwortung für den eigenen Organisationskreis als Korrelat des eigenen Freiheitsentfaltungspotentials Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 176 ff., 188 f. 65 Dieser Sachgedanke ist beispielsweise bei der Verabreichung von Arzneimitteln durch Krankenschwestern bedeutsam. Regelmäßig wird nur der verordnende Arzt imstande sein, die Indikation des Patienten, das therapeutisch indizierte Präparat oder die zutreffende Dosierung desselben exakt zu bezeichnen. Vgl. zu jenem Gesichtspunkt BGHSt 3, 91, 95; 6, 282, 286; NKPuppe, Vor § 13 Rn 163. 66 Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 210.
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E. Die Konkretisierung von Verantwortungsbereichen
fens auf regelkonformes Verhalten anderer ergibt sich nicht aus einem normativ irrelevanten realpsychologischen Moment, sondern aus der im Einzelfall vorfindbaren Konzeption rechtlich vorgezeichneter Schutzkoordinaten. Der Zuschnitt individueller Verantwortungsbereiche – jenseits sich aus jener Struktur ergebender „standardisierter“ Verhaltensanforderungen – ist abhängig davon, ob sich gegenüber dem Betroffenen in concreto normativ hinreichende Gründe für eine (seine Handlungsfreiheit beschränkende) Verpflichtung zur Ausrichtung seines Verhaltens an ein verändertes Koordinationsschema ins Feld führen lassen.
V. Die Bestimmung fahrlässigen Fehlverhaltens in arbeitsteiligen/hierarchischen Organisationsstrukturen – zur Maßgeblichkeit individueller Verantwortlichkeit Im Kontext des Zuschnitts von Verantwortungsbereichen im Rahmen arbeitsteiliger bzw. hierarchischer Verfahrensweisen kommt schließlich der Frage nach dem Maßstab des Fahrlässigkeitsurteils weichenstellende Bedeutung zu.67 Ist für die Beurteilung entsprechenden Verhaltens auf den „objektiven Durchschnittsmitarbeiter“ abzustellen oder ist die Feststellung fahrlässigen Fehlverhaltens nach Maßgabe der individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des konkret Handelnden zu treffen? Bei der Behandlung dieses allgemeinen Problems blieb der Ansatz einer generalisierenden Bestimmung fahrlässigen Fehlverhaltens lange Zeit unangefochten, sieht sich jedoch inzwischen zunehmender Kritik in Form individualisierender Fahrlässigkeitslehren ausgesetzt.
1. Das tradierte System – generalisierende Bestimmung des Fahrlässigkeitsunrechts Das herkömmliche zweistufige Fahrlässigkeitskonzept sieht in der Wertungsstufe des Unrechts die Prüfung der „Verletzung einer objektiven Sorgfaltspflicht bei objektiver Voraussehbarkeit des tatbestandlichen Erfolges“ vor. Erst im Rahmen der Schuld können bei fehlender individueller Sorgfaltspflichtverletzung oder fehlender individueller Vorhersehbarkeit Besonderheiten der konkret handelnden oder unterlassenden Person berücksichtigt werden.68 Zur Bestimmung der objektiven Sorgfaltspflichten soll danach zu fragen sein, „wie ein gewissenhafter und besonnener Mensch,
67 Insofern besteht eine besondere praktische Relevanz entsprechender Sachverhalte gegenüber Konstellationen spezifischen Vorsatzunrechts, welche regelmäßig auf tatsächlichen oder prozessualen Umständen beruht. 68 Vgl. statt vieler Jescheck/Weigend, AT, § 54 I; Kühl, AT, § 17 Rn 89 ff.; Schmidhäuser, FS Schaffstein, S. 129, 158; Wessels/Beulke, AT, Rn 667 ff.
V. Die Bestimmung fahrlässigen Fehlverhaltens
183
der dem Verkehrskreis des Täters angehört, sich in der konkreten Situation verhalten hätte“.69 Die Schwäche dieses Konzeptes liegt zum einen in der mangelnden Praktikabilität der Konkretisierung der jeweiligen Maßstabsperson. Dieser Vorgang bereitet keine Schwierigkeiten, solange die in bestimmten Verkehrskreisen geltenden Rechtsoder Verkehrsnormen auszumachen sind, also etwa die Regeln der ärztlichen Kunst, der Baukunst, die Beachtung der Gebrauchsinformation durch Arzneimittelbenutzer oder die Kenntnisnahme von Warnungen der Wasserwacht durch Segler.70 In diesen „Standardkonstellationen“ ist der Betroffene, sofern er darüber hinaus keine individuellen Besonderheiten aufweist, der Sache nach die eigene Maßstabsfigur.71 Jedoch sind neben solchermaßen „gewöhnlichen“ Sachverhalten auch Konstellationen auffindbar, in welchen eine entsprechende Verkehrsanschauung nicht festzustellen ist oder gar ein entsprechender Verkehrskreis überhaupt nicht existiert. Probleme bereitet insofern insbesondere die Beurteilung des Verhaltens von Personen, welche über bestimmtes Sonderwissen oder bestimmte Sonderfähigkeiten verfügen.72 Dies veranschaulicht das Beispiel des medizinisch kenntnisreichen Krankenpflegers, welcher fernab der Zivilisation im brasilianischen Urwald unter extremen Bedingungen eine Notoperation durchführen muss.73 Hier ist nicht ersichtlich, wie im Rahmen der Bestimmung einer Maßstabsfigur sachgerecht von den Merkmalen der individuellen Person abstrahiert werden soll. Soll man diese ebenfalls mit medizinischem Sonderwissen ausstatten?74 Und wenn ja, darf man zugleich ihre Nervosität und die ungewohnten, schwierigen äußeren Bedingungen in jener Situation ausblenden? Berücksichtigt man insoweit nur bestimmte Merkmale im Bereich des Unrechts, so ist dieses Vorgehen willkürlich. Stattet man die Maßstabsfigur dagegen mit allen Charakteristika und Besonderheiten des konkret Handelnden aus („Maßstabsfigur des im Urwald notoperierenden, nervösen, aber medizinisch versierten Krankenpflegers“), wird der Fahrlässigkeitsmaßstab der Sache nach einstufig bestimmt und der eigene Ausgangs69
Vgl. etwa Roxin, AT I, § 24 Rn 34; Wessels/Beulke, AT, Rn 669. Vgl. Roxin, AT I, § 24 Rn 35. 71 Zutreffend betont von Kremer-Bax, Fahrlässigkeitstat, S. 96; s. dazu auch Freund, FS Küper, S. 63, 70. 72 Man denke in diesem Zusammenhang etwa an die Maßstabsfigur des „erfahrenen Rallyefahrers“, welcher dann, wenn ihm ein Passant ins Auto läuft, durch Gebrauch seiner Fähigkeiten eine Kollision vermeiden kann, obwohl der Durchschnittsfahrer in der konkreten Situation keine Möglichkeit hätte, dem Passanten auszuweichen. Zu diesem und weiteren Beispielen vgl. Roxin, AT I, § 24 Rn 61. Im vorliegenden Zusammenhang wäre dabei etwa an solche Mitarbeiter einer Zulassungsabteilung des BfArM bzw. solche Mitglieder von EthikKommissionen zu denken, die über spezifisches Risikowissen verfügen, welches den innerhalb ihrer Profession zu konstatierenden gewöhnlichen Kenntnisstand übersteigt. 73 Vgl. zu diesem Beispiel Freund, AT, § 5 Rn 25; ders., FS Küper, S. 63, 70 f.; Kremer-Bax, Fahrlässigkeitstat, S. 96 f. 74 Für eine Ausstattung der Maßstabsfigur mit den entsprechenden Sonderfähigkeiten der individuellen Person etwa Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 64 ff.; Herzberg, Jura 1984, 402, 409 f.; Kaminski, Der objektive Maßstab, S. 86 f.; Kuhlen, Produkthaftung, S. 85. 70
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E. Die Konkretisierung von Verantwortungsbereichen
punkt aufgegeben.75 Beruft man sich so entschieden auf die Ermittlung der „objektiven Sorgfaltspflichtverletzung“ ohne Ansehen des Betroffenen, kann man nicht im nächsten Schritt gerade dessen charakteristische individuelle Eigenschaften zur Grundlage der Bestimmung fahrlässigen Fehlverhaltens machen. Wird dagegen – im Einklang mit den eigenen Systemvorgaben – die Berücksichtigungsfähigkeit von Sonderwissen (oder Sonderfähigkeiten) des Täters bei der Bestimmung fahrlässigen Fehlverhaltens mit der Begründung verneint dieser dürfe nicht stärker belastet werden als andere,76 unterliegt man mit Rücksicht auf das Vorliegen tatsächlicher Mehrbelastungen einer Fehleinschätzung. Bezugspunkt der konkreten Verhaltenserwartung ist – soll überhaupt eine Verhaltensnorm gegenüber dem Betroffenen legitimiert werden können – stets nur aktuell verfügbares Sonderwissen bzw. entsprechende Sonderfähigkeiten. Von dem Normadressaten wird daher nicht mehr verlangt als von jedem anderen auch, nämlich der Rückgriff auf die in concreto zur Verfügung stehenden individuellen Vermeidemöglichkeiten.77
2. Die sachgerechte Konkretisierung individueller Verhaltensanforderungen – zur Notwendigkeit einer individualisierenden Bestimmung des Fahrlässigkeitsunrechts Diese Friktionen lassen sich durch strikte individualisierende Auslegung des strafgesetzlich vorausgesetzten Ge- bzw. Verbotes vermeiden. Dies gilt zunächst für die Überwindung des gestuften Vorgehens des tradierten Fahrlässigkeitskonzeptes. Der (letztlich) auch für die generalisierenden Fahrlässigkeitslehren einzig maßgebliche Gesichtspunkt der individuellen Verantwortlichkeit wird hiernach bereits im Rahmen der Prüfung tatbestandsmäßiger Verhaltensmissbilligung untersucht, denn für ein entsprechendes Missbilligungsurteil ist es irrelevant, wie sich eine bestimmte „Kunstfigur“ verhalten hätte.78 Der gerichtlichen Beurteilung unterliegt insoweit nur der angeklagte Lebenssachverhalt, nicht aber ein hypothetischer, die (überhaupt nicht angeklagte) „Kunstfigur“ betreffender. 75 Mit Recht verweigert Kindhäuser, GA 2007, 447, 450, 461, diesem Ansatz daher den „Anspruch auf konsisACHTUNGREtente Theoriebildung“. Weiterführende Kritik an einer „Individualisierung nach oben“ bei Kremer-Bax, Fahrlässigkeitstat, S. 117 ff. 76 Dieses „Gleichbehandlungsargument“ findet sich etwa bei Jescheck/Weigend, AT, § 54 I 3; LK-Schroeder, 11. Aufl., § 16 Rn 147; Wolter, GA 1977, 257, 270. Kaminski, Der objektive Maßstab, S. 88, sieht als Konsequenz einer individuellen Bestimmung des Fahrlässigkeitsunrechts gar jedermann zur Erbringung von Höchstleistungen verpflichtet. Dieser Bewertungsfehler kann nur demjenigen unterlaufen, der unbeachtet lässt, dass nur der Verstoß gegen eine in concreto legitimierbare Verhaltensnorm zur Grundlage straftatbestandlicher Verhaltensmissbilligung gemacht werden kann. 77 Sachlich übereinstimmend etwa Freund, FS Küper, S. 63, 72 f.; Kindhäuser, GA 2007, 447, 461. 78 Vgl. Freund, AT, § 5 Rn 22 f. In diesem Sinne auch Kindhäuser, GA 2007, 447, 450, 459.
V. Die Bestimmung fahrlässigen Fehlverhaltens
185
Nur auf der Basis konsequenter Bewertung individueller Verantwortlichkeiten wird schließlich der Normadressat sachgerecht konkretisiert. Während beim Vorsatzdelikt die individuellen Vermeidepflichten des Täters Bezugspunkt der Verhaltenssteuerung sind, sollen sich diese beim Fahrlässigkeitsdelikt nach dem Standpunkt der hM aus täterfremden, nämlich solchen der Maßstabsfigur ergeben.79 Jene Erwägungen sind indes nicht geeignet, der konkret betroffenen Person einen Vorwurf zu machen, sondern sie betreffen letzten Endes einen „Homunkulus“.80 Für die Rechtsanwendung kann es daher nur auf die individuellen Handlungsmöglichkeiten des Täters ankommen. Nur sofern diese zur Grundlage der Beurteilung gemacht werden, ist der Vorwurf an die konkrete Person, sich rechtlich missbilligt verhalten zu haben, in der Sache berechtigt.
a) Relativierung der Verhaltenspflichten durch Versubjektivierung? An dieser Stelle erscheint es geboten, dem geläufigsten Einwand gegen ein individualisierendes Fahrlässigkeitskonzept betreffend den Charakter von Rechtssätzen als abstrakt-generelle Regelungen eine kurze Bemerkung entgegenzusetzen. Die entsprechende Kritik lautet: Rechtsnormen, welche sich an den individuellen Fähigkeiten des Täters orientierten, führten zu einer Versubjektivierung der rechtlichen Bewertung.81 Bei einer individualisierenden Bestimmung des Fahrlässigkeitsunrechts sind hingegen die Bewertungsmaßstäbe keinesfalls der subjektiven Willkür des Betroffenen anheimzustellen. Der Maßstab der rechtlichen Verhaltensbewertung ist selbstverständlich ein objektiver, Bezugspunkt dieser objektiven Bewertung sind indes die individuellen Verhältnisse des Betroffenen.82 Anders gewendet lässt sich sagen: Das Recht legt objektiv fest, welche Handlungsoption aus dem individuellen Handlungsspektrum von Rechts wegen ausgewählt werden darf – oder gerade nicht auszuwählen ist.83 Die so ermittelten Verhaltensnormen sind im Übrigen durchaus verallgemeinerungsfähig; sie gelten nämlich allgemein „für solche Personen in solchen Fällen“.84 Verlangt man von dem betroffenen Individuum dagegen ein Verhalten, welches „objektiv normgemäß“ ist, jedoch außerhalb seines persönlichen Handlungsspektrums 79
Zutreffend betont von Otto, AT, § 10 Rn 14. Vgl. Freund, AT, § 5 Rn 23. In diesem Sinne auch Frisch, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß, S. 135, 193 f.; Jakobs, AT, 9/10. 81 So etwa Hirsch, ZStW 94 (1982), 239, 270 f.; Kaminski, Der objektive Maßstab, S. 98 ff.; Lampe, ZStW 71 (1959), 579, 607 („Atomisierung der objektiven Wertungsmaßstäbe des Rechts“); NK-Puppe, Vor § 13 Rn 148, § 15 Rn 4; Roxin, AT I, § 24 Rn 60; Schünemann, FS Schaffstein, S. 159, 163; Wolter, GA 1977, 257, 265 ff. 82 Vgl. Freund, AT, § 5 Rn 34; ders., FS Küper, S. 63, 73; Kindhäuser, GA 2007, 447, 459 f.; Kremer-Bax, Fahrlässigkeitstat, S. 122 f., 130 f. 83 So Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 249. 84 Vgl. Freund, AT, § 5 Rn 38; Kremer-Bax, Fahrlässigkeitstat, S. 123. 80
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E. Die Konkretisierung von Verantwortungsbereichen
liegt, verliert diese „Norm“ jegliche verhaltensleitende Funktion, denn sie verlangt von dem Betroffenen in concreto Unmögliches. Ein solches Verständnis von „Objektivität“ beugt keineswegs der Relativierung von Verhaltenspflichten vor, sondern führt lediglich zu hinsichtlich ihrer Legitimation bedenklichen, da nicht durch die individuelle Steuerungsmöglichkeit begrenzten, und insoweit dysfunktionalen Verhaltensnormen. Dieselbe Stoßrichtung gegen ein individualisierendes Fahrlässigkeitskonzept weist schließlich der Einwand auf, die präzisen strafrechtlichen Tatbestände würden nach jenem Verständnis in „generalklauselartige Besinnungsnormen“ verwandelt, so dass der Einzelne nicht zu „einem bestimmten außenweltgerichteten Verhalten“, sondern zum „Nachdenken“ angehalten werde.85 Indes liegt es eigentlich auf der Hand, dass der Einzelne nicht ohne „Nachdenken“ wird erkennen können, welche Verhaltensweise in einer bestimmten Situation denn eigentlich rechtlich gesollt ist. Und wer, wenn nicht der in der fraglichen Situation Handelnde oder Unterlassende, soll die insoweit geforderte Bewertungsleistung erbringen?86 Die Möglichkeiten schadensträchtiger Sachverhalte sind so mannigfaltig, dass der Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht dazu aufgerufen sein kann, die in jedem Einzelfall zu beachtenden Sorgfaltsanforderungen im Voraus gesetzlich zu fixieren. Und selbst wenn dieser hierzu imstande sein sollte, müsste doch das betreffende Individuum wiederum selbständig urteilen, welcher gesetzlich typisierte Risikosachverhalt (mit der Folge entsprechender spezifischer Sorgfaltsanforderungen) denn nun gerade einschlägig ist.87 Man denke in diesem Zusammenhang noch einmal an das eingangs zitierte Beispiel des im Urwald notoperierenden Krankenpflegers.88 Die Entscheidung über die grundsätzliche Durchführung der Operation und über die Wahl der erforderlichen chirurgischen Maßnahmen im Falle der Durchführung kann dem Betreffenden kein anderer abnehmen. Diese Bewertungsleistung muss von dem Handelnden selbst erbracht werden und kann nur unter Berücksichtigung seiner „Betroffenenperspektive“ angemessen auf die rechtliche Richtigkeit des Verhaltens überprüft werden.
85
So etwa Schünemann, FS Schaffstein, S. 159, 165. Freund, AT, § 5 Rn 35, verweist darauf, dass nicht jedermann ein zur Abgabe von Verhaltensbefehlen autorisierter Begleiter zugeordnet werden kann, geschweige denn zugeordnet werden sollte. Diese Bewertung ergibt sich aus einer verfassungsrechtlichen Grundentscheidung. Nach Müller-Franken, FS Bethge, S. 223, 249 f., beACHTUNGREdarf die permanente Kollision grundrechtlich geschützter Güter und Freiheiten der Bürger untereinander zu ihrer Auflösung einer Zuordnung der individuellen Rechtssphären durch den Gesetzgeber. Die Auflösung dieses Konfliktes setzt jedoch nach der grundgesetzlichen Konzeption zugleich voraus, „dass die Bürger im Umgang miteinander auch von sich aus Normen bilden, die einen verträglichen Gebrauch ihrer Freiheit ermöglichen.“ 87 In diesem Sinne auch Freund, GA 1991, 387, 398 f. 88 s. dazu oben E. V. 1. 86
V. Die Bestimmung fahrlässigen Fehlverhaltens
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b) Zum möglichen Hintergrund der Beibehaltung des tradierten Systems Dem generalisierenden Fahrlässigkeitskonzept haftet schließlich ein weiterer Makel an, welcher in der Diskussion regelmäßig nicht zur Sprache kommt oder jedenfalls nach Möglichkeit retuschiert wird; der Nachweis eines sog. „subjektiven Sorgfaltspflichtverstoßes“ im Prozess ist kompliziert und je nach Lage des Falles mühsam, denn er kann nur unter Berücksichtigung der konkreten Tatsituation und der individuellen Charakteristika des Angeklagten gelingen. Dagegen kann das Unrecht der Fahrlässigkeitstat mit Hilfe des Rekurses auf die Maßstabsfigur im Rahmen des zweistufigen Vorgehens regelmäßig ohne weiteres bejaht werden. Dies gilt zumindest, solange die Frage wie sich denn nun eigentlich ein Teilnehmer eines bestimmten Verkehrskreises in der konkreten Situation tatsächlich hätte verhalten müssen, nicht allzu dezidiert gestellt wird.89 Regelmäßig handelt es sich bei der Maßstabsperson um das „Werk ihres Schöpfers“, also ein „fiktives Subjekt“, welches gerade die Eigenschaften aufweist, welche dieser ihr angedeihen lässt.90 Das heißt der Rechtsanwender kann bei der Beurteilung „maßstabsgerechten Verhaltens“ den Bewertungsmaßstab anlegen, mit welchem er die Kunstfigur ausgestattet hat. Es liegt auf der Hand, dass dieses Verfahren ungleich weniger Schwierigkeiten bereitet, als die Feststellung individuell vorwerfbaren fahrlässigen Fehlverhaltens des Angeklagten.91 Gelingt es (dem im tradierten System behafteten Rechtsanwender) nach Bejahung eines „objektiven Sorgfaltspflichtverstoßes“ im Rahmen der Prüfung des sog. „subjektiven Sorgfaltspflichtverstoßes“ aufgrund individueller Besonderheiten bestimmte Verhaltensweisen aus dem sanktionenrechtlich relevanten Bereich herauszufiltern, ist noch einmal „alles gut gegangen“.92 Verleitet hingegen die Suggestivkraft des bereits festgestellten „objektiven Sorgfaltspflichtverstoßes“ zu einer „schablonenhaften“ Prüfung der individuellen Vorwerfbarkeit, wird der konkrete Angeklagte unter Umständen für ein normativ nicht zu beanstandendes Verhalten sanktioniert.93 89
Dass die Benennung der Maßstabsfigur zur Beantwortung der Frage nach den spezifischen Verhaltensanforderungen, welche sich aus dem Maßstab jenes Verkehrskreises für die konkrete Situation ergeben, keinen substanziellen Gewinn verspricht, steht wiederum auf einem anderen Blatt. Vgl. dazu Kremer-Bax, Fahrlässigkeitstat, S. 174. 90 Vgl. hierzu Freund, AT, § 5 Rn 36. 91 Nach Kremer-Bax, Fahrlässigkeitstat, S. 176, resultiert aus dem Vorgehen der traditionellen Fahrlässigkeitslehre eine „illegitime Entlastung des Rechtsanwenders“. Anstatt die erforderliche normative Bewertungsleistung zu erbringen, werde deren Ausbleiben durch das Vorschieben eines „Homunkulus“ kaschiert. 92 Allerdings bleibt es beim zweifelhaften Vorwurf tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Verhaltens gegenüber einer (möglicherweise auf Rechtstreue bedachten) Person, welche individuell überhaupt nicht in der Lage war, sich anders als geschehen zu verhalten. Vgl. dazu Stratenwerth/Kuhlen, AT I, § 15 Rn 13. 93 Für das Recht gilt schließlich nolens volens, dass es kein Verhalten fordern kann, welches außerhalb der individuellen Steuerungsmöglichkeiten liegt. Vgl. hierzu bereits oben E. V. 2.
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E. Die Konkretisierung von Verantwortungsbereichen
Dies gilt insbesondere für Konstellationen eines prozessualen non-liquet hinsichtlich der Feststellung individuellen Fehlverhaltens, denn auf der Basis einer im betreffenden Einzelfall unzureichend fundierten – und somit nicht hinreichend erwiesenen – Zuschreibung individuell vorwerfbaren fahrlässigen Verhaltens, kann eine den rechtlichen Anforderungen genügende Sanktion nicht verhängt werden. Die Berechtigung des hier erhobenen Einwandes zeigt sich im Übrigen an den Angriffen auf ein individualisierendes Fahrlässigkeitskonzept unter Berufung auf einen drohenden Wegfall „praktikabler Handlungsanweisungen“ infolge einer „Versubjektivierung“ der rechtlichen Bewertung. Dieser Vorwurf liegt nicht nur neben der Sache,94 sondern er macht auch eines deutlich: Die vordergründige Abschichtung einer generalisierenden von einer individualisierenden Bewertung nach dem zweistufigen Fahrlässigkeitskonzept mit dem Ziel einer Wahrung bestimmter Verhaltensstandards hält nicht, was sie verspricht. Denn auch bei Ernstnahme jener Systemvorgaben ist der Einzelne, sofern er die Wertmaßstäbe der für seinen Fall zu bildenden Maßstabsfigur von Rechts wegen nicht kennen konnte, gehalten, durch Anstrengung der eigenen Verstandeskraft eine praktikable Verhaltensrichtlinie zu bestimmen.95 Mit Rücksicht auf insoweit relevante Defizite des Normadressaten setzt der Nachweis eines sog. „subjektiven Sorgfaltspflichtverstoßes“ per definitionem die Abstraktion von der „objektiven Maßstabsfigur“ voraus. Wozu taugt jene also in Konstellationen wie der hier interessierenden, wenn nicht als fragwürdige „Schablone“ zur Feststellung individueller Vorwerfbarkeit?96 Der entsprechenden Gefahr einer „Indizwirkung“ kann damit ebenfalls nur durch konsequente Individualisierung begegnet werden.
94 Vgl. zur Fehlinterpretation des individualisierenden Fahrlässigkeitskonzeptes als einem „Einfallstor subjektiv willkürlicher Konkretisierungen von Verhaltensnormen“ oben E. V. 2. a). 95 Decken sich hingegen – wie im „Normalfall“ – die generellen und individuellen Bewertungsmaßstäbe, so wird das zweistufige Vorgehen de facto zu einem einstufigen. Man hat es dann mit ein und demselben Bewertungsgegenstand zu tun. Vgl. dazu Freund, AT, § 5 Rn 23. Gefordert ist allerdings auch in jenen Fällen eine eigenständige Bewertungsleistung, denn nur durch Anstrengung der eigenen Verstandeskraft wird der Einzelne wohl je erfahren können, wie sich denn nun ein „besonnener Verkehrskreisteilnehmer“ in seiner konkreten Situation zu verhalten hat. 96 Bezeichnenderweise wird die Gefahr eines unzulässigen Rückschlusses von der „objektiven Sorgfaltspflichtverletzung“ auf die Feststellung individuellen Fehlverhaltens des Angeklagten bisweilen gar von Vertretern eines generalisierenden Fahrlässigkeitskonzeptes herausgestrichen; s. etwa Baumann/Weber/Misch, AT, § 22 Rn 58 mwN.
F. Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen und strafrechtliche Bewertung von Verhaltensnormverstößen durch Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen und Amtsträger des BfArM Die notwendige Differenzierung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen ist bereits aus den Ausführungen zur Sonderverantwortlichkeit geläufig.1 Eine straftatsystematische Umsetzung dieser Unterscheidung findet sich im AMG. Hier dient etwa die Verhaltensnorm des § 5 I AMG dem Rechtsgüterschutz während die Sanktionsnorm des § 95 I Nr. 1 AMG die Geltungskraft der in Bezug genommenen Verhaltensnorm schützt.2 Hierin zeigt sich die größere Modernität des AMG gegenüber dem Kernstrafrecht, in welchem die geltenden Verhaltensnormen in die Sanktionsnormen noch „hineinzulesen“ sind (so etwa das Körperverletzungsverbot in die Sanktionsnorm des § 223 I StGB). Die bisherige Darstellung diente der Konkretisierung insoweit relevanter Verhaltensnormen in Bezug auf Amtsträger des BfArM bzw. Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-KomACHTUNGREmissionen. Ein entsprechender Verstoß gegen eine – einfach oder ggf. doppelt fundierte – Verhaltensnorm ist Grundvoraussetzung der rechtlichen Missbilligung eines Verhaltens.3 Für eine strafrechtliche Sanktionierung ist darüber hinaus die Strafbewehrung des entsprechenden Verhaltensnormverstoßes erforderlich.4 Hiervon zu unterscheiden ist wiederum die tatsächliche Strafbarkeit des Normverstoßes. Diese hängt mitunter von weiteren Sanktionserfordernissen ab, zum Beispiel von der Feststellung des Eintritts spezifischer Fehlverhaltensfolgen.5 Mit Rücksicht auf 1
s. dazu oben B. I. Vgl. MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 95 ff. AMG Rn 4. 3 Vgl. dazu oben B. I. 4 Um einen – unter dem Gesichtspunkt der §§ 222, 229 StGB – strafbewehrten Verhaltensnormverstoß handelt es sich beispielsweise bei der fahrlässigen Schaffung von Schädigungsmöglichkeiten in Richtung auf Leib oder Leben Dritter. Dies gilt auch dann, wenn jenes Verhaltensunrecht – zufällig – folgenlos bleibt. 5 So ist etwa der fahrlässige Verstoß gegen eine durch §§ 222, 229 StGB in Bezug genommene Verhaltensnorm nur dann effektiv strafbar, wenn im Einzelfall tatsächlich eine Verletzung der Rechtsgüter Leib oder Leben nachweisbar ist. Im Fall der fahrlässigen Gefährdung menschlichen Lebens greift dagegen in der Regel keine Strafvorschrift ein (vgl. allerdings § 315c StGB). Im Hinblick auf diese „Zufallskomponente“ bei zahlreichen Erfolgsdelikten findet sich daher auch der Vorwurf des „Glück-Pech-Strafrechts“. Zu jener Problematik s. etwa MünchKommStGB-Duttge, § 15 Rn 93; Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 128 ff., jew. mwN. 2
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F. Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen
die besondere Bedeutung der klassischen (Verletzungs-)ErfolgsACHTUNGREdelikte für die Bewertung des Verhaltens von Amtsträgern in unserem Zusammenhang, sollen daher zunächst die Voraussetzungen und Grenzen des Nachweises der Ursächlichkeit eines Verhaltensnormverstoßes für den Eintritt von Verletzungen an Leib oder Leben erörtert werden (dazu sogleich unter F. I.). Sanktionenrechtlich bedeutsam sind schließlich Fragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit bei Kollegialentscheidungen (vgl. hierzu unter F. II.), der Qualifikation des Körperverletzungsunrechts gemäß § 340 StGB (vgl. hierzu unter F. III.) sowie die Problematik des strafrechtlich relevanten „Untermaßes“ (vgl. hierzu unter F. IV.).
I. Der Kausalitätsnachweis zwischen Anwendung und Schädigung Aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Erlangung wissenschaftlich hinreichend fundierter Erkenntnisse im Zeitpunkt der Verhaltensbewertung birgt der für eine Bestrafung wegen vollendeten Verletzungsdeliktes erforderliche Nachweis der Ursächlichkeit der Anwendung eines Arzneimittels für den Eintritt einer Gesundheitsschädigung regelmäßig Schwierigkeiten.6 In vorliegendem Zusammenhang wird das Verfahren des Kausalitätsnachweises schließlich dadurch verkompliziert, dass neben der Feststellung der Ursächlichkeit der Anwendung eines Stoffes für bestimmte Schädigungen ggf. der Nachweis erbracht werden muss, dass das rechtlich gebotene Verhalten zuständiger Amtsträger den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges verhindert hätte.7 Gelingt jener Nachweis nicht, liegt zwar der Verstoß gegen eine tatbestandsspezifische Verhaltensnorm vor, dieser führt allerdings nur zur Annahme von VerACHTUNGREsuchsunrecht – mit der Folge der Straflosigkeit der verantwortlichen Amtsträger im Bereich fahrlässigen Fehlverhaltens. Mit Rücksicht auf die Voraussetzungen der in den sog. „leading cases“8 der strafrechtlichen Produktverantwortlichkeit relevanten und als Verletzungsdelikte konzipierten Körperverletzungs- und Tötungsdelikte ist zunächst die Ursächlichkeit zwischen Gesundheitsschäden der Verbraucher und der Einnahme bestimmter Produkte 6 Dies veranschaulicht das Contergan-Verfahren. Der wissenschaftliche Beleg der Ursächlichkeit des Wirkstoffes Thalidomid für die Fehlbildungen wurde im Prozeß kontrovers beurteilt. Vgl. dazu LG Aachen JZ 1971, 507, 510 ff.; Hoyer, GA 1996, 160. 163 f. 7 Im Hinblick auf Unterlassungskonstellationen ist dabei umstritten, ob ein Unterlassen einen Erfolg überhaupt „kausal“ herbeiführen kann. In diesem Sinne etwa Engisch, FS v. Weber, S. 247, 264 f.; Hilgendorf, NStZ 1994, 561, 564 f.; NK-Puppe, Vor § 13 Rn 117 ff.; dies., ZStW 92 (1980), 863, 895 ff. Dagegen lediglich eine „Quasi-Kausalität“ des Unterlassens anerkennend die überwiegende Auffassung; vgl. etwa Gropp, AT, § 11 Rn 71; Jescheck/Weigend, AT, § 59 III 3; Arm. Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 64 ff.; Art. Kaufmann, FS Eb. Schmidt, S. 200, 214. 8 Vgl. BGH NJW 1995, 2930 ff. (Holzschutzmittel); BGHSt 37, 106 ff. (Lederspray); LG Aachen JZ 1971, 507 ff. (Contergan).
I. Der Kausalitätsnachweis zwischen Anwendung und Schädigung
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nachzuweisen. Der Bundesgerichtshof hat es insofern im „Lederspray“-Urteil9 bereits als ausreichend angesehen, im Wege eines – jedenfalls verbal zugrunde gelegten – Alternativausschlussverfahrens andere als die Inhaltsstoffe der Sprays als Schadensursache auszuschließen, ohne jedoch die in concreto schädliche Substanz des Ledersprays individualisieren zu können.10 Ob die Rechtsprechung durch dieses Vorgehen nicht letztlich auf eine rechtsgenügende Feststellung der Kausalität verzichtet und sich der Sache nach den Grundsätzen eines probabilistischen Kausalitätsbegriffes unterworfen hat, ist an späterer Stelle zu erörtern.11 Zunächst soll das Augenmerk auf das gängige Instrumentarium des Kausalitätsnachweises gerichtet werden.
1. Äquivalenztheorie Nach der Äquivalenz- oder Bedingungstheorie ist jede Bedingung dann Ursache eines Erfolges, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele.12 Allerdings hilft diese Formel dann nicht weiter, wenn gerade kein Wissen darüber vorhanden ist, ob zwischen einer bestimmten Ursache und Folge ein ursächlicher Zusammenhang besteht.13 Dies zeigt anschaulich das Contergan-Verfahren, in welchem gerade die Kausalität zwischen der Einnahme von Thalidomid und den eingetretenen Körperschäden umstritten war.14 Die conditio-Formel taugt daher lediglich zur Veranschaulichung bereits bekannter Wirkmechanismen, nicht aber zur Feststellung derselben.15 Somit ist im Bereich der strafrechtlichen Produkt- bzw. Arzneimittelverantwortlichkeit mit der Anwendung der Äquivalenztheorie kein Erkenntnisgewinn verbunden. Denkt man die Einnahme bestimmter Stoffe hinweg, kann man lediglich Mutmaßungen über hypothetische Geschehensabläufe anstellen, eine Aussage über konkrete Wirkmechanismen lässt sich aber gerade nicht treffen.
2. Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung Auch die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung hilft hier in der entscheidenden Hinsicht nicht weiter. Sie fragt danach, ob das Verhalten des Täters mit dem Erfolg
9
Auch nach dem Hersteller als „Erdal“-Urteil bezeichnet. BGHSt 37, 106, 111 ff. 11 s. unten F. I. 3. 12 Vgl. statt vieler BGHSt 1, 131, 133; Fischer, Vor § 13 Rn 21 ff. Kritisch zur Weite dieses VerursachungsbeACHTUNGREgriffes schon Träger, Kausalbegriff, S. 73 ff. 13 s. etwa Hilgendorf, NStZ 1994, 561, 564. 14 LG Aachen JZ 1971, 507, 510 ff. 15 Vgl. MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 306; Hoyer, GA 1996, 160. 162 f. 10
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F. Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen
durch gewisse aufweisbare oder allgemein als vorhanden vorausgesetzte Gesetzmäßigkeiten verbunden ist.16 Auch insofern ist also ein empirischer Nachweis der Kausalität erforderlich. Die Kompetenz zur Führung jenes Nachweises kommt dann den empirischen Wissenschaften zu.17 Fehlt dagegen jenes Erfahrungswissen über naturwissenschaftliche Zusammenhänge und ist es nach dem jeweiligen Status quo der Wissenschaft nicht zu gewinnen, lässt sich in der hier interessierenden Hinsicht ebenfalls kein Ursachenzusammenhang feststellen. Die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung gelangt mithin – wie nachfolgend zu veranschaulichen sein wird im Ergebnis zutreffend – in Fällen fehlenden oder unsicheren Erfahrungswissens hinsichtlich der Wirkweise arzneilicher Stoffe ebenfalls zur Verneinung eines Kausalzusammenhanges.
3. „Probabilistischer Kausalitätsbegriff“ Die Bestandsaufnahme dieser Instrumentarien zur Kausalitätsfeststellung verdeutlicht die Grenzen eines deterministischen Kausalitätsverständnisses. Aus diesem Grund wird vielfach die Anwendung eines probabilistischen Kausalitätsbegriffs gefordert. So propagiert etwa Hoyer, ein Ereignis sei dann als Ursache eines zweiten nachfolgenden Ereignisses aufzufassen, wenn das erste Ereignis eine Risikosteigerung hinsichtlich des Eintritts des zweiten Ereignisses bedeute und infolgedessen mit einem dritten Ereignis möglicherweise verbundene Risikosteigerungen als unbeachtlich anzusehen seien.18 Diese Vorgehensweise ersetzt Kausalgesetze durch Wahrscheinlichkeitsgesetze.19 Damit wendet man in der Sache die Grundsätze, welche die Risikoerhöhungslehre für den Bereich der Zurechnung entwickelt hat,20 auf die reine Kausalitätsfrage an. Von jenem Standpunkt aus ist dieses Vorgehen folgerichtig; denn lässt man im Bereich der Zurechnung eine ex post feststellbare Gefahrerhöhung des pflichtwidrigen zum erlaubten Alternativverhalten zur Erfolgszurechnung ausreichen, muss diese Wahrscheinlichkeitsbeurteilung auch für die Frage der Kausalität gelten.21 Sachlich geht es demnach um eine kausalitätsersetzende Zurechnungslehre. Der Sache nach legt auch der Bundesgerichtshof seiner Bewertung in der Lederspray-Entscheidung ein probabilistisches Kausalitätsverständnis zugrunde – wenngleich in verschleierter Form. In diesem Fall gelang weder eine Identifizierung der schädigenden Substanz noch die Identifizierung in ihrer Kombination schädigender 16 Vgl. etwa Jescheck/Weigend, AT, § 28 II 4; Samson, Hypothetische Kausalverläufe, S. 31 f. 17 Vgl. Hilgendorf, NStZ 1994, 561, 564. 18 Hoyer, GA 1996, 160, 168 f. 19 So auch Puppe, ZStW 95 (1983), 287, 296. 20 Vgl. dazu etwa SK-Rudolphi, Vor § 13 Rn 16; Stratenwerth/Kuhlen, AT I, § 13 Rn 54 ff.; Otto, Jura 2001, 275, 277. 21 Vgl. Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 9.
I. Der Kausalitätsnachweis zwischen Anwendung und Schädigung
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Substanzen. Der Bundesgerichtshof hielt es dennoch für festgestellt, dass andere in Betracht kommende Schadensursachen ausgeschlossen werden konnten, aus diesem Grund also nur die inhaltliche Beschaffenheit des Produktes als Ursache der Gesundheitsschäden in Betracht kam.22 Insofern erscheint es allerdings zweifelhaft, dass die Ursächlichkeit eines Produktes für die Herbeiführung von Gesundheitsschäden im Wege eines Alternativausschlusses normativ angemessen festzustellen ist, ohne die letztlich schädigenden Wirkstoffe oder Wirkstoffkombinationen bestimmen zu können. Denn ist die in concreto schadensursächliche Substanz unbekannt, kann – auch mit Hilfe von Sachverständigen – wohl kaum der Nachweis geführt werden, dass weitere (ebenfalls) unbekannte Schädigungsmöglichkeiten tatsächlich mit hinreichender Sicherheit auszuschließen sind. Nach Sachlage war im konkreten Fall vielmehr davon auszugehen, dass sich die Kausalitätsfeststellung lediglich im Bereich von (möglicherweise durchaus beträchtlichen) Wahrscheinlichkeiten bewegte.23 Der Ursachenzusammenhang zwischen der Verwendung des Ledersprays und der „Vielzahl gleichartiger Schadensfälle“ war dagegen nicht zweifelsfrei dargetan.24 Eine Bestrafung wegen vollendeten Verletzungsdeliktes erfordert den Nachweis spezifischer Fehlverhaltensfolgen und kann nicht bereits auf eine unerlaubte Gefährdung gestützt werden. Diesbezüglich verbietet die Unschuldsvermutung eine Sanktionierung wegen möglicher oder auch besonders wahrscheinlicher Deliktsbegehung.25 Neben der Sache liegt im Übrigen der gegen diese Argumentation vorgetragene Einwand, ein Risiko könne nicht in einen erlaubten und einen unerlaubten Teil aufgespalten und sodann die Gefahrverwirklichung gesondert ermittelt werden (sog. „Untrennbarkeitsthese“). Es verwirkliche sich vielmehr ein „insgesamt verbotenes Risiko“, so dass die Unschuldsvermutung nicht zur Anwendung komme.26 Selbstverständlich beinhaltet beispielsweise die Geschwindigkeitsüberschreitung durch einen Pkw-Fahrer eine unerlaubte Risikoschaffung. Kommt es in jenem Beispiel zum Unfalltod eines Fußgängers, welcher möglicherweise auch durch pflichtgemäße Fahrweise nicht hätte verhindert werden können, kann allerdings nicht mit hinreichender 22
BGHSt 37, 106, 112. Zur Kritik an diesem „Eliminationsverfahren“ des Bundesgerichtshofs vgl. auch Braum, KritV 1994, 179, 182; Hassemer, Produktverantwortung, S. 32 f.; Puppe, JR 1992, 30, 31; Samson, StV 1991, 182, 183. 24 Dieses (zweifelhafte) Vorgehen ist insbesondere vor dem Hintergrund drohender Strafbarkeitslücken durch die fehlende Versuchsstrafbarkeit im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte zu sehen. Auch mögen zu erwartende Sachverständigen- bzw. Gutachterkosten einer hinreichend substantiierten Feststellung der in concreto schädigenden Substanz und ein entsprechender Zeitaufwand eine Rolle gespielt haben. Diese Gesichtspunkte belegen indes umso deutlicher, dass man sich auf rechtlich ungesichertes Terrain begeben hat. Zur de lege ferenda möglichen Vermeidung derartiger Unstimmigkeiten durch Schaffung eines kernstrafrechtlichen Tatbestandes der Produktverantwortlichkeit vgl. unten H. II. sowie MünchKommStGBFreund, Vor §§ 95 ff. AMG Rn 80 ff.; Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 48 ff. 25 In diesem Sinne auch MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 95 ff. AMG Rn 69 f.; ders., AT, § 2 Rn 50. 26 So etwa Roxin, AT I, § 11 Rn 90; SK-Rudolphi, Vor § 1 Rn 68. 23
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F. Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen
Gewissheit festgestellt werden, dass sich im konkreten Erfolg die spezifischen Risiken des zu schnellen Fahrens realisiert haben. Insofern wird keineswegs behauptet, es habe sich um eine (insgesamt) erlaubte Risikoschaffung gehandelt. Vielmehr dient das entsprechende Verbot der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eben nicht der Vermeidung sämtlicher Schädigungsmöglichkeiten, welche im Zusammenhang mit einer pflichtwidrigen Fahrweise stehen, sondern nur der Vermeidung solcher schadensträchtigen Verläufe, welche durch die Normeinhaltung tatsächlich zu vermeiden gewesen wären. Sollen dem Normadressaten insofern bestimmte Folgen eines pflichtwidrigen Verhaltens angelastet werden, müssen sich diese als Realisierung der durch ebenjenes Verhalten geschaffenen spezifischen Schädigungsmöglichkeiten darstellen.27 Nach dem Gesagten ergibt sich ein problematischer Widerspruch der sog. Risikoerhöhungslehren zum geltenden Strafrecht. Die Verletzungsdelikte des StGB (vgl. §§ 212 I, 223 I StGB) stellen die Herbeiführung eines konkreten Erfolges unter Strafe, also nicht die bloße Gefährdung bestimmter Rechtsgüter.28 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut vieler als Verletzungsdelikt ausgestalteter Sanktionsnormen (vgl. etwa das „Verursachungserfordernis“ in §§ 222, 229 StGB).29 Eine Beweiserleichterung durch Umdeutung der Verletzungsdelikte in Gefährdungsdelikte ist insoweit unzulässig.30 Schließlich wäre es ehrlicher zu konzedieren, dass durch Anwendung des Risikoerhöhungsgedankens eigentlich die Sanktionierung massiver Verhaltensnormverstöße31 intendiert ist, welche von den Sanktionsnormen de lege lata nicht erfasst werden.32 Indes würde ein solches Postulat den Verstoß gegen den nullum crimenSatz offen zu Tage fördern. Will der Gesetzgeber bereits bestimmte Gefährdungen als solche strafrechtlich erfassen, ist er daher gehalten, entsprechende Gefährdungsdelikte zu schaffen; eine Rechtsfortbildung contra legem ist abzulehnen.
27 Näher dazu MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 289 ff.; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 128 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 537 ff. 28 Vgl. MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 283 f. 29 So auch Gropp, AT, § 12 Rn 54. 30 Vgl. LK-Schroeder, 11. Aufl., § 16 Rn 190. 31 In diesem Kontext beispielhaft zu nennen sind etwa Fälle gravierenden ärztlichen Fehlverhaltens im Rahmen (möglicherweise auch bei einem Alternativverhalten de lege artis) gescheiterter lebensrettender Operationen. Vgl. zu der Forderung nach einer am Risikoerhöhungsgedanken orientierten lex specialis für ärztliche Kunstfehler Schünemann, StrV 1985, 229, 233. Zur Zurechnung nach Risikoerhöhungsgrundsätzen in diesen Fällen vgl. Krümpelmann, GA 1984, 491 ff.; ders., FS Jescheck, S. 313 ff. Im Übrigen dürfte insbesondere eine Sanktionierung von nach geltendem Recht nicht zu ahndenden Verhaltensnormverstößen im Straßenverkehr und im Bereich der Produkthaftung beabsichtigt sein. 32 Vgl. hierzu Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 132 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 561 f.
I. Der Kausalitätsnachweis zwischen Anwendung und Schädigung
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4. Strafverfahrensrechtliche Lösungen Daneben existieren im Strafprozess angesiedelte Lösungsansätze zur Bewältigung bestimmter Nachweisprobleme im Kontext ungeklärter Ursachenzusammenhänge. Für die Feststellung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für die Realisierung spezifischer Arzneimittelrisiken muss im Prozess ein Ursachenzusammenhang zwischen Anwendung und Schädigung nachgewiesen werden. Bei den als Erfolgsdelikt ausgestalteten Körperverletzungs- und Tötungsdelikten ist mithin zum Nachweis der Ursächlichkeit eines tatbestandsmäßigen Verhaltens für den Eintritt einer spezifischen Fehlverhaltensfolge ein rechtsgenügender Beweis zu erbringen. § 261 StPO formuliert, das Gericht entscheide über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner „freien Überzeugung“. Ob und inwieweit diesem Grundsatz in der hier interessierenden Hinsicht bestimmte Vorgaben zu entnehmen sind, wird im Rahmen verschiedener Beweismaßtheorien divergierend beurteilt. Wie „frei“ ist danach die Beweiswürdigung bei der Lösung der hier anstehenden Probleme? a) Kriterium der „subjektiven Gewissheit“ Vertreter einer reinen bzw. kombinierten subjektiven Beweismaßtheorie sehen unter Rekurs auf § 261 StPO den Tatnachweis als erbracht an, wenn das Gericht persönlich von den Tatsachen, welche die Verurteilung tragen, überzeugt ist.33 Danach ist es bei empirischen Schwierigkeiten des Kausalitätsnachweises durchaus möglich, diesen durch die persönliche Gewissheit des Tatrichters zu ersetzen. Die abstrakte Einsicht, ein Irrtum sei immer möglich, hindere den Richter nicht daran, bei der Beurteilung des konkreten Falles Gewissheit zu erlangen.34 Demnach sei die Aussage nur der „konkrete“ Zweifel hindere die Verurteilung keine Relativierung, sondern eine „zutreffende Erläuterung des Gewissheitserfordernisses“.35 Dem ist zunächst bezüglich solcher Zweifel zuzustimmen, welche sich allgemein aus den Schwächen menschlicher Erkenntnisfähigkeit ergeben. Nur sind im Regelfall ja gerade Zweifel betroffen, welche aus dem konkreten Fall heraus entwickelt werden können.36 Unterstellt man die Beweiswürdigung auch in entsprechenden Sachverhalten dem Gewissheitserfordernis, ist der subjektiven Willkür der Weg bereitet.37 Eine
33
Vgl. BGHSt 10, 208, 209; Frister, FS Grünwald, S. 169, 173 ff.; Kindhäuser, Strafprozessrecht, § 23 Rn 52 f.; Kuhlen, Produkthaftung, S. 66 ff.; Ranft, Strafprozeßrecht, Rn 1622. 34 Vgl. etwa Deutscher/Körner, wistra 1996, 292, 296 f.; Grünwald, Das Beweisrecht der Strafprozeßordnung, S. 89. 35 Vgl. Frister, FS Grünwald, S. 169, 184. 36 Vgl. dazu Freund, FS Meyer-Goßner, S. 409, 412 f. 37 s. Freund, FS Meyer-Goßner, S. 409, 414.
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F. Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen
rein subjektive Beweismaßtheorie hat insoweit zur Konsequenz, dass auch objektiven Zweifeln an der richterlichen Überzeugung keine Bedeutung zukommt.38 Im Übrigen schweigt sich § 261 StPO über den Bezugspunkt der „freien Überzeugung“ aus, denn der erforderliche Inhalt der Überzeugung im Sinne einer Beweismaßregelung ist der Vorschrift nicht zu entnehmen.39 In dieser Hinsicht wäre der Befund irritierend, dass einerseits die „Rechtsfrage“ vor Gericht anerkanntermaßen nach differenzierten Regeln beantwortet wird, ohne dass es auf die persönliche Überzeugung des Richters vom Vorliegen der VoACHTUNGREraussetzungen einer Straftat ankommt,40 dass aber andererseits die Lösung der „Tatfrage“ von der persönlichen Überzeugung des Richters abhängen soll. Insofern kann aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten auch für die „Tatfrage“ nur gelten, dass diese normativen Vorgaben zu unterwerfen ist.41 Hier ist nicht der Ort, das entsprechende normative Modell zu konkretisieren. Mit der Feststellung seiner rechtsstaatlichen Notwendigkeit soll es somit sein Bewenden haben. Im Rahmen der Entscheidung über die „Tatfrage“ verbleibt daher für persönliche Gewissheiten – außerhalb des durch derartige normative Vorgaben gezogenen Rahmens – kein Raum. Der Kausalitätsnachweis kann mithin nicht durch eine entsprechende Überzeugung des Richters ersetzt werden. b) Kriterium der „hohen objektiven Wahrscheinlichkeit“ Nach anderer Auffassung ist für die richterliche Überzeugung – mit Rücksicht auf die Schwächen einer Subjektivierung – eine hohe objektive Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung der tatrichterlichen Feststellung mit der materiellen Wahrheit erforderlich.42 Für diesen Ansatz spricht prima facie, dass eine unumstößliche Gewähr für die Entsprechung von Festgestelltem und materieller Wahrheit nicht zu erreichen ist.43 Lässt sich ein derartiges (näher zu konkretisierendes) Wahrscheinlichkeitsurteil – wie häufig in Fällen strafrechtlicher Produkthaftung – nicht fällen, sondern bestehen darüber hinausgehende objektive Zweifel am Kausalnachweis, muss auch nach die-
38 Krit. insoweit unter Bezugnahme auf das Rechtsstaatsprinzip und den allgemeinen Gleichheitssatz Hoyer, GA 1996, 160, 166. 39 Vgl. Freund, Normative Probleme der „Tatsachenfeststellung“, S. 53 f. 40 Vgl. Freund, FS Meyer-Goßner, S. 409. 41 Peters, Strafprozeß, § 37 XI 2, leitet aus der Verfassung und der Menschenrechtskonvention eine einschränkende Auslegung des § 261 StPO in dem Sinne ab, dass das Wort „frei“ nur eine Entbindung von gesetzlichen Beweisregeln beinhalte, hingegen nicht eine Freistellung von rechtsstaatlichen Prinzipien. I. S. einer normativen Beweistheorie, nach der die Tatfrage eine reine Rechtsfrage ist, Freund, Normative Probleme der „Tatsachenfeststellung“, S. 56 ff. 42 Vgl. etwa Kegel, FG-Kronstein, S. 321, 342 f.; Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 190 f. Nach Kühne, Strafprozessrecht, Rn 947, soll es auf eine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ ankommen. 43 s. etwa BGHSt 10, 208, 209.
I. Der Kausalitätsnachweis zwischen Anwendung und Schädigung
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sem Modell in dubio pro reo freigesprochen werden.44 Aber in der hier interessierenden Hinsicht mag es durchaus Fälle geben, in denen eine (nach diesem Standpunkt ausreichend) hohe Wahrscheinlichkeit zu beziffern ist, so dass es bezüglich einer derartigen Beweiswürdigung „zum Schwur“ kommt. Insofern ist ein Gesichtspunkt von maßgeblicher Bedeutung; mag auch die objektive Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung noch so hoch sein, so ist sie doch kein taugliches Legitimationsdatum zur Verurteilung des im konkreten Fall möglicherweise Unschuldigen.45 Wahrscheinlichkeitsurteile sind nachgerade dadurch gekennzeichnet, dass sie lediglich generelle Aussagen ermöglichen. Es mag aber im konkreten Fall gewichtige (gewissermaßen „aus dem Rahmen fallende“) Gründe für Zweifel an der Schuld des Angeklagten geben, welche nicht unter Verweis auf den „Normalfall“ als irrelevant abgetan werden können. c) Kombinationstheorie Ein Mehr an rechtsstaatlicher Absicherung verheißen Kombinationsmodelle. Neben die subjektive Überzeugung des Gerichts muss danach die hohe objektive Wahrscheinlichkeit der Entsprechung der Feststellungen mit der materiellen Wahrheit treten.46 Eine solche Addition beider Ansätze mindert zwar vermeintlich die Fehleranfälligkeit beider Modelle in isolierter Form. Wird allerdings eine Verurteilung auf die Kumulation beider Kriterien gestützt, bestehen die gegen die entsprechenden Konzepte in isolierter Form vorgebrachten Einwände unverändert fort.47 Gewichtig ist im Übrigen der Hinweis auf die Unvereinbarkeit beider Modelle.48 Stellt der Richter eine „hohe objektive Wahrscheinlichkeit“ der Schuld des Angeklagten fest, bleibt daneben kein Raum für eine „subjektive Gewissheit“ der Schuld desselben.49 Andernfalls müsste dem Richter eine multiple Persönlichkeit nachgesagt werden!
44 So Kühne, Strafprozessrecht, Rn 950, mit der rechtspolitischen Überlegung, entsprechende materiell-rechtliACHTUNGREche Gefährdungstatbestände für den Bereich der strafrechtlichen Produkthaftung zu schaffen. 45 Vgl. Freund, FS Meyer-Goßner, S. 409, 415. 46 So etwa BGH NJW 1999, 1562, 1564; NStZ 1988, 236, 237; Rieß, GA 1978, 257, 265 f.; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 15 Rn 13; Volk, Grundkurs StPO, § 29 Rn 4. 47 Vgl. dazu Freund, FS Meyer-Goßner, S. 409, 416; ders., Normative Probleme der „Tatsachenfeststellung“, S. 103 f. 48 Näher dazu Frister, FS Grünwald, S. 169, 181 f.; Hoyer, ZStW 105 (1993), 523, 533 f. 49 Vgl. Freund, FS Meyer-Goßner, S. 409, 416.
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F. Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen
5. Strafrechtliche Erfassung abstrakter Gefährdungen durch das Fehlverhalten von Amtsträgern nach § 95 I Nr. 1 AMG? – Zur Reichweite des Wortlauttatbestandes Nach dem Gesagten bereitet die Feststellung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Amtsträgern wegen eines Verletzungsdeliktes erhebliche Schwierigkeiten. Sie scheitert in jenen Konstellationen, in welchen ein den rechtlichen Anforderungen entsprechender Nachweis eines Ursachenzusammenhanges zwischen Anwendung und Schädigung durch ein bestimmtes Arzneimittel nicht erbracht werden kann. Im Arzneimittelrecht trägt die „Vorfeldnorm“ des § 95 I Nr. 1, IVi. V. m. § 5 AMG diesen Schwierigkeiten jedenfalls in grundsätzlicher Weise Rechnung.50 Auf Grund dessen gilt § 5 AMG auch als Grundnorm strafrechtlicher Produktverantwortlichkeit im Arzneimittelbereich.51 Tatbestandlich missbilligt ist insoweit bereits das „Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel“, also solcher Präparate, bei welchen der „begründete Verdacht“ schädlicher Wirkungen besteht.52 Damit setzt die Vorschrift, im Gegensatz zu den als Verletzungsdelikt konzipierten Körperverletzungs- und Tötungsdelikten im StGB, keinen Verletzungserfolg voraus.53 Es handelt sich strukturell um ein Gefährdungsdelikt.54 Demnach entfallen bei Anwendung dieser Sanktionsnorm die vorstehend55 aufgezeigten Schwierigkeiten beim Nachweis der Kausalität zwischen Anwendung und Schädigung.56 Vor diesem Hintergrund ermöglicht die Vorschrift unter Umständen die strafrechtliche Erfassung solchen Fehlverhaltens von Amtsträgern, welches in der hier interessierenden Hinsicht (lediglich) mit Rücksicht auf die Schaffung einer unerlaubten Gefährdung rechtlich zu missbilligen ist. Die Vorschrift des § 5 AMG enthält insofern prima facie keine Beschränkung auf bestimmte Normadressaten.57 Infolgedessen sehen Kloesel/Cyran die staatlichen Überwachungsbehörden als „mittelbare Adres-
50 Infolge der Verweisung auf eine (vom Gesetzgeber) an anderer Stelle angeordnete Verhaltensreglementierung handelt es sich bei § 95 I Nr. 1 AMG um eine sog. „einfache Blankettnorm“. Zu verfassungsrechtlichen Bedenken gegen sog. „qualifizierte Blankettnormen“ im AMG vgl. MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 95 ff. AMG Rn 45 ff. – Zur Frage der Vereinbarkeit des § 5 I AMG mit dem Gesetzlichkeitsprinzip vgl. Birkenstock, Bestimmtheit, S. 31 ff., 61 ff. 51 Vgl. MünchKommStGB-Freund, § 5 AMG Rn 27; Kloesel/Cyran, § 5 AMG Anm. 1. 52 Zum Wegfall des „Eignungsbegriffes“ und weiteren Änderungen zu § 6 AMG aF s. die amtliche Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 7/3060, S. 45. 53 Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 29. 54 MünchKommStGB-Freund, § 95 AMG Rn 38. 55 s. oben F. I. 1.–4. 56 Vgl. Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 29. 57 Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 28.
I. Der Kausalitätsnachweis zwischen Anwendung und Schädigung
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saten“ des Verkehrsverbotes an.58 Nach diesem Verständnis können Verstöße zuständiger Amtsträger gegen Zulassungsvorschriften (vgl. § 25 II Nr. 5) eine Strafbarkeit nach § 95 I Nr. 1 i. V. m. § 5 AMG auslösen. Allerdings setzt eine entsprechende Strafbarkeit voraus, dass insoweit zuständige Amtsträger als „Inverkehrbringer“ i. S. d. § 5 AMG angesehen werden können. Nach der Legaldefinition des § 4 XVII AMG ist Inverkehrbringen das Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, das Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe an andere.59 Als einschlägig könnte sich in diesem Zusammenhang die Tatbestandsvariante der „Abgabe an andere“ erweisen, sofern die Zulassung eines bedenklichen Arzneimittels oder das Unterlassen eines Rückrufs durch zuständige Amtsträger unter dieses Tatbestandsmerkmal subsumiert werden kann. „Abgabe“ wird dabei definiert als jedes Überlassen eines Arzneimittels zur eigenen Verfügungsgewalt eines Dritten.60 Insofern setzt der Abgabebegriff keine körperliche Übergabe voraus, da es im Interesse des Verbraucherschutzes nur darauf ankommen soll, ob dem Abnehmenden ermöglicht wird, das Arzneimittel seinerseits zu verbrauchen oder weiterzugeben.61 Eine „Abgabe an andere“ kann jedoch dem Wortsinne nach wohl kaum in der „Zulassung“ eines Arzneimittels, also in der behördlichen Genehmigung der Verkehrsfähigkeit, gesehen werden. Der zuständige Amtsträger, welcher ein bedenkliches Arzneimittel in den Verkehr gelangen lässt, bringt das Arzneimittel nicht in den Verkehr.62 Grundsätzlich erscheint zwar eine Erfassung entsprechender Sachverhalte mittels der Strafbarkeitsfigur der mittelbaren Täterschaft denkbar.63 Allerdings findet ein solchermaßen weites Verständnis – auch unter Berücksichtigung der konstitutiven Funktion des § 25 I Alt. 2 StGB für bestimmte, nicht unmittelbar von einer Sanktionsnorm erfasste, Fälle – in vorliegendem Kontext gleichsam im Wortlaut seine Begrenzung; die besondere Verantwortung für das Inverkehrgelangen bedenklicher Arzneimittel kann nicht mit dem Inverkehrbringen (durch andere) gleichgesetzt werden.64 So
58 Kloesel/Cyran, § 5 AMG Anm. 1, 6. Im Ergebnis ebenso Deutsch/Lippert-Deutsch, § 5 Rn 2; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 592 ff. 59 Diese Definition ist angelehnt an diejenige des Lebensmittelrechts. Lediglich der Terminus des „Anbietens“ wurde durch den des „Feilbietens“ ersetzt. Vgl. dazu die amtl. Begründung zu § 5 AMG, BT-Drs. 7/3060, S. 45. 60 Vgl. etwa Deutsch/Lippert-Lippert, § 4 Rn 21; Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 40. Siehe bereits RGSt 62, 369, 389 mwN. 61 Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 40 f. 62 s. MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 95 ff. AMG Rn 75. So im Ergebnis auch Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 38. 63 Insofern wäre der Arzneimittelhersteller als Tatmittler und die zuständigen Amtsträger der Zulassungsbehörde als mittelbare Täter anzusehen. Vgl. hierzu für den Bereich des Umweltstrafrechts BGHSt 39, 381 ff. m. Anm. Rudolphi, NStZ 1994, 433 ff.; Knopp, DÖV 1994, 676, 679 ff. mwN. 64 Vgl. MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 95 ff. AMG Rn 75; Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 41 f. Für eine Strafbarkeit zuständiger Amtsträger als mittelbare
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F. Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen
wird das „Inverkehrbringen“ eines bedenklichen Arzneimittels durch den Zulassungsinhaber unter Verstoß gegen §§ 95 I Nr. 1, 5 I AMG auch im Falle einer unter ebenjenem Gesichtspunkt rechtswidrigen Zulassungsentscheidung der zuständigen Amtsträger des BfArM terminologisch nicht zu ihrem „Werk“. Die betreffenden Amtsträger, welche die „entscheidende Rechtsschranke für die Begehung der Tat durch den Tatmittler eröffnen“65 – anders gewendet, sonderverantwortlich für die Abwendung der in Bezug genommenen von Rechts wegen zu vermeidenden Gefahren sind –, verstoßen zwar gegen eine insoweit spezifische Verhaltensnorm. Dennoch verwehrt die Wortlautgrenze eine Anwendung der jener Verhaltensnorm korrespondierenden Sanktionsnorm (§§ 95 I Nr. 1, 5 I AMG). Selbiges gilt für den Amtsträger, welcher ein bedenkliches Arzneimittel im Verkehr belässt. Dieses Verhalten kann sprachlich nicht als Inverkehrbringen durch Unterlassen aufgefasst werden.66 Hieraus ergibt sich selbst bei weitester Auslegung mit Rücksicht auf den „nullum crimen-Satz“ keine Qualifikation der staatlichen Überwachungsbehörden als „Inverkehrbringer“.67 Die vorstehende Bewertung gilt beispielsweise bei der Verletzung spezifischer Rechtspflichten durch Amtsträger des BfArM im Kontext von Rücknahme und Widerruf einer Zulassungsentscheidung. Die hiernach zu verzeichnende Restriktion des Adressatenkreises des § 95 I Nr. 1 AMG auf Marktteilnehmer und private Arzneimittelbesitzer durch Verwendung des Terminus „Inverkehrbringen“ ist wohl vom Gesetzgeber mehr oder weniger beabsichtigt. Eine Erfassung des in vorliegendem Kontext relevanten Fehlverhaltens von Amtsträgern wäre jedenfalls möglich gewesen – sogar ohne Bruch mit den eigenen Systemvorgaben.68 De lege lata kommt die Einbeziehung von Amtsträgern in den Anwendungsbereich der Strafbarkeitsanordnung des § 95 I Nr. 1 i. V. m. § 5 AMG nach dem Gesagten jedoch nicht in Betracht. Der Sache nach findet insoweit eine Privilegierung von Amtsträgern gegenüber pharmazeutischen Unternehmern statt, welche der im Vergleich zum Kernstrafrecht strengeren Gefährdungshaftung nach § 95 I Nr. 1 AMG unterworfen sind.69 Zwar ist die skizzierte Ungleichbehandlung evident sachwidrig, sie kann aber durch den Rechtsanwender im Hinblick auf dessen Bindung an den Gesetzlichkeitsgrundsatz nicht vermieden werden. Die vorstehenden Ausführungen zum Begriff des „Inverkehrbringens“ gelten sinngemäß für die im Kontext der Arzneimittelsicherheit ebenfalls grundsätzlich be-
Täter der §§ 314 StGB, 95 I Nr. 1, IV, 5 I AMG, jedoch ohne Problembewusstsein in der hier interessierenden Hinsicht Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 592 ff. 65 Vgl. dazu Horn, NJW 1981, 1, 4; Rudolphi, FS Dünnebier, S. 561, 565 f.; ders., NStZ 1994, 433, 434. 66 s. dazu MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 95 ff. AMG Rn 76; Geerds, FS Tröndle, S. 241 ff.; Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 41 f. 67 MünchKommStGB-Freund, § 4 AMG Rn 37. 68 Zu entsprechenden Überlegungen s. unten H. II. 69 Zutreffend betont von Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 42.
II. Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Kausalitätsnachweis
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deutsame Vorschrift des § 314 I Nr. 2 StGB.70 Jene Sanktionsnorm führt in der Sache mithin zu einer gleichermaßen zweifelhaften Privilegierung von Amtsträgern gegenüber sonstigen Akteuren des Arzneimittelmarktes. Infolgedessen muss die Frage erlaubt sein, ob diesen Unstimmigkeiten nicht de lege ferenda durch einen kernstrafrechtlichen Tatbestand der Produktverantwortlichkeit abgeholfen werden sollte.71 Insofern haben nicht zuletzt die Lederspray-Entscheidung72 und der Holzschutzmittelprozeß73 vor dem Bundesgerichtshof gezeigt, dass die Frage der strafrechtlichen Produktverantwortlichkeit kein arzneimittelrechtliches Spezifikum darstellt.74
II. Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Kausalitätsnachweis im Kontext von Kollegialentscheidungen Die Ethik-Kommission entscheidet als Gremium – trotz eines zumeist angestrebten und erzielten Konsenses – durch einfachen Mehrheitsentscheid.75 Die Mitgliederzahl liegt dabei zwischen fünf und neunzehn Mitgliedern, wobei überwiegend sieben oder acht Kommissionsmitglieder zu verzeichnen sind.76 Dissentierende Mitglieder können ihrem Standpunkt durch Abgabe eines Sondervotums Ausdruck verleihen.77 In den einzelnen Fachabteilungen des BfArM werden Zulassungsentscheidungen der Sache nach ebenfalls durch ein Gremium gefällt. Dabei umfasst eine Fachabteilung jeweils mehrere Fachgebiete. Insofern werden die verschiedenen Aspekte eines Zulassungsantrages durch Mediziner, Pharmazeuten und Toxikologen eines Fachgebietes bewertet und zu einer Zulassungsentscheidung zusammengefasst. Sodann ist jene Entscheidung durch einen weiteren Vorgesetzten, den Fachgebietsleiter, zu überprüfen. Aus diesem Grund spricht man auch von einem Verfahren nach dem sog. „Vier-Augen-Prinzip“.78 70 s. dazu etwa Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 112 ff.; MünchKommStGB-Krack, § 314 Rn 5. 71 Zu Vorschlägen in diese Richtung vgl. MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 95 ff. AMG Rn 80 ff.; Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 48 ff. Näher dazu unten H. II. 72 s. dazu oben E. II. mwN. 73 BGHSt 41, 206 ff.; vgl. hierzu Bock, Produktkriminalität und Unterlassen, S. 64 ff.; Schulz, JA 1996, 185 ff. 74 Vgl. dazu Freund, in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, 1999, S. 67, 68 f. – Um nur einige weitere Beispiele zu nennen, sei in diesem Zusammenhang an die zahlreichen bekanntgewordenen Fälle des Handels mit für den Verzehr ungeeigneten Fleischwaren, den Nitrofen-Skandal oder die Debatte um den Import schadensträchtiger Elektrogeräte und Spielwaren aus Asien erinnert. 75 Vgl. Stamer, Ethik-Kommissionen, S. 149. 76 Vgl. Wilkening, MedR 2001, 301, 302. 77 Vgl. Stamer, Ethik-Kommissionen, S. 149. 78 Vgl. zur Organisation des BfArM auch das Organigramm unter www.bfarm.de.
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F. Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen
Fällt ein entsprechendes Gremium eine rechtswidrige Entscheidung,79 so besteht die strafrechtliche Problematik der Bewertung dieser Kollegialentscheidung darin, dass sich jedes Mitglied mit der Einlassung wird entlasten wollen, die notwendige Mehrheit wäre auch ohne seine Zustimmung erreicht worden. Jene Schwierigkeit begegnet lediglich in solchen Sachverhalten nicht, in denen die Beschlussfassung nur einstimmig erfolgen kann oder zwar die Beschlussfassung auf dem Mehrheitsprinzip beruht, aber nur eine einzige Stimme ausschlaggebend war.80 In diesen Fällen war jede Stimme bereits in dem Sinne kausal für den Erfolgseintritt, dass sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Trifft nun aber etwa die Ethik-Kommission eine Entscheidung mit „eindeutiger Mehrheit“, lässt sich auf der Basis der mit dem Verfahren des Hinwegdenkens einer Erfolgsbedingung arbeitenden conditio-Formel ein Kausalitätsnachweis nicht mehr ohne weiteres führen; die rechtswidrige Entscheidung wäre auch trotz Widerstandes eines überstimmten Mitgliedes gefällt worden. Die Berufung hierauf kann nach dem Bundesgerichtshof „nicht rechtens sein“,81 aber worauf lässt sich dieses Verdikt rechtlich stützen?
1. Zum Kausalitätsnachweis im Bereich vorsätzlichen Fehlverhaltens – die Frage der Ursächlichkeit als Annex der Feststellung einer in concreto legitimierbaren Gefahrenabwendungspflicht a) Zurechnung über die Grundsätze der Mittäterschaft Eine mögliche Lösung wird in Fällen vorsätzlichen Fehlverhaltens – etwa der zustimmenden Bewertung einer klinischen Prüfung nach §§ 40 ff AMG trotz (evident) irreführender Aufklärungsunterlagen82 – in der Annahme von Mittäterschaft der Beteiligten gesehen.83 Danach wird jedem Gremiumsmitglied das Abstimmungsverhalten der anderen Mitglieder zugerechnet.84 Dieses Vorgehen wird von Puppe als zirkulär verworfen; die Mittäterschaft setze ihrerseits einen kausalen Tatbeitrag voraus, so dass die Behauptung derselben nicht geeignet sei, den Kausalitätsnachweis zu führen.85 Allerdings wird durch dieses Vorgehen der Anwendungsbereich der Mittäterschaft wohl unangemessen restriktiv ge79 Zur tatbestandlichen Verhaltensmissbilligung bestimmter Entscheidungen der Mitglieder öffentlich-rechtliACHTUNGREcher Ethik-Kommission bzw. der Amtsträger des BfArM s. oben C., D. 80 s. hierzu Kühl, AT, § 18 Rn 39b. 81 So BGHSt 37, 106, 132. 82 Vgl. dazu oben C. II. 6. 83 BGHSt 37, 106, 129 ff. 84 BGHSt 37, 106, 129. 85 Vgl. Puppe, JR 1992, 30, 32.
II. Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Kausalitätsnachweis
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fasst. Die gesetzliche Konzeption spricht vielmehr dafür, in entsprechenden Fällen zwar einen Tatbeitrag des Beteiligten, nicht aber auch Kausalität desselben zu verlangen.86 b) Grenzen dieser Konstruktion in bestimmten Fällen begehungsgleichen Unterlassens Diese Konstruktion versagt jedoch in einigen Fällen begehungsgleichen Unterlassens. Eine Mittäterschaft durch begehungsgleiches Unterlassen ist nach überwiegender Auffassung möglich, wenn mehrere vereinbarungsgemäß eine bestimmte ErACHTUNGREfolgsACHTUNGREabwendungspflicht verletzen.87 Sind allerdings mangels jeglicher Übereinkunft über die Unterlassung keine Tatbeiträge vorhanden, welche wechselseitig zugerechnet werden können, kann eine Mittäterschaft nicht angenommen werden.88 Es stellt sich dann wiederum die Frage nach der (Quasi-)KauACHTUNGREsalität des Unterlassens des einzelnen Mitglieds.89 Diesem Problem kommt besondere Bedeutung zu, wenn zu Gunsten des Gremiumsmitglieds davon auszugehen ist, dass sich unter Umständen keine Mehrheit für einen rechtmäßigen Beschluss hätte herbeiführen lassen. Hier wäre beispielsweise an ein rechtlich zu beanstandendes (unkoordiniertes) Unterlassen von Gefahrenabwendungsmaßnahmen durch die Mitglieder der zuständigen Ethik-Kommission nach Information über Verdachtsfälle zu denken.90 Die sog. „Risikoerhöhungslehre“91 hält insofern eine unterlassene Risikoverminderung der dem Rechtsgut drohenden Gefahr zur Bejahung der Zurechnung für ausreichend.92 Dieser Ansatz begegnet jedoch auch in diesem Zusammenhang durchgreifenden Bedenken mit Blick auf den „nullum crimen-Satz“.93 Andere Autoren wollen entsprechenden Schwierigkeiten bei der Bewertung von Kollegialentscheidungen mit Hilfe einer Ausnahme von der conditio-sine-qua-nonFormel begegnen.94 Diesem Ansatz liegt die richtige Einsicht zugrunde, dass durch schematische Anwendung der conditio-Formel nicht alle Fallkonstellationen einer angemessenen Lösung zugeführt werden können. So versagt die Äquivalenztheorie
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So etwa Beulke/Bachmann, JuS 1992, 737, 743; Kuhlen, NStZ 1990, 566, 570. s. etwa BGHSt 37, 106, 129; RGSt 66, 71, 74; LK-Roxin, 11. Aufl., § 25 Rn 215. 88 Vgl. MontaÇs, FS Roxin, S. 307, 327. 89 Vgl. Hilgendorf, PharmaR 1994, 303, 306 f. 90 s. dazu oben C. II. 11. 91 Vgl. dazu bereits oben F. I. 3. Im Unterlassungsbereich auch als „Risikoverminderungslehre“ bezeichnet, vgl. Beulke/Bachmann, JuS 1992, 737, 743 Fn 90. 92 Den Gedanken der Risikoerhöhung für den Bereich des Unterlassens verwerfend dagegen Lackner/Kühl, Vor § 13 Rn 14; Schünemann, GA 1985, 341 354 ff. 93 Zur Kritik am Risikoerhöhungsprinzip s. oben F. I. 3. 94 So Beulke/Bachmann, JuS 1992, 737, 743; Kuhlen, NStZ 1990, 566, 570. 87
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F. Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen
in ihrer ursprünglichen Form bereits in Fällen der alternativen Kausalität.95 Allerdings geht die (vermeintliche) Anwendungs- und Ergebnissicherheit der conditioFormel durch diese in vielen Zweifelsfällen erforderlichen Modifikationen und Ergänzungen wieder verloren.96 c) Angemessenheit der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung In dieser Hinsicht weiterführend ist die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung.97 Der Vorteil dieses Ansatzes liegt darin, dass das Erfordernis eines naturgesetzlichen Zusammenhanges in den Vordergrund der Betrachtung rückt.98 Zur Feststellung des Eintritts tatbestandsmäßiger Fehlverhaltensfolgen ist eine gesetzmäßige Bedingung zwischen Verhaltensnormverstoß und Eintritt entsprechender Folgen zu ermitteln und kann oftmals – nämlich bei nicht vorhandenem Erfahrungswissen über das Wirksamwerden bestimmter Umstände – nicht einfach vorausgesetzt werden. Allerdings wird die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung im Unterlassungsbereich verbreitet abgelehnt, da der Erfolg von einer Bedingung gleichsam „real bewirkt“ werden müsse.99 Diese Argumentation greift indes zu kurz, denn auch beim Begehungsdelikt reicht die naturalistische Bewirkung eines Erfolges für die Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen nicht aus. Vielmehr muss sich auch dort gerade eine solche Schädigungsmöglichkeit realisiert haben, welche durch richtiges Verhalten hätte vermieden werden können und sollen.100 Für die Bewertung von Kollegialentscheidung ist danach maßgeblich, ob sich das Unterlassen etwaiger Abhilfemaßnahmen durch ein Gremiumsmitglied auch dann als gesetzmäßige Bedingung für den Eintritt eines Erfolges erweist, wenn möglicherweise kein Beschluss in seinem Sinne gefällt worden wäre. Aufgeworfen ist damit die Frage nach dem Stellenwert hypothetischer Ersatzursachen für die Feststellung spezifischer Fehlverhaltensfolgen. Die Grundzüge einer angemessenen ProACHTUNGREblemlösung lassen sich in vorliegendem Kontext anhand einer Hilfsüberlegung demonstrieren: Vergegenwärtigt man sich den Lehrbuchfall des Totschlägers, welcher sein Werk vollendet, obwohl ein weiterer Totschläger gleichsam parat steht, so scheidet die Berufung auf diese hypothetische Reserveursache aner-
95 Lehrbuchbeispiel der alternativen Kausalität ist die unabhängige Giftgabe durch zwei Täter, welche jeweils für sich genommen bereits tödlich gewirkt hätte. Vgl. dazu etwa Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 14 Rn 38 ff. 96 Vgl. MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 312. 97 s. dazu bereits oben F. I. 2. 98 Vgl. Kühl, AT, § 4 Rn 23; Hilgendorf, NStZ 1994, 561, 564. 99 In diesem Sinne etwa Jescheck/Weigend, AT, § 59 III 3. 100 Vgl. etwa MünchKommStGB-Freund, § 13 Rn 199 f.
II. Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Kausalitätsnachweis
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kanntermaßen aus, da sie gerade nicht im konkreten Erfolg wirksam wurde.101 Aus der Perspektive des Rechtsgutsträgers hat jedenfalls das Festhalten an der Verhaltensnorm insoweit einen guten Sinn, als die (ersatzweise) Beeinträchtigung ex ante keineswegs sicher ist.102 Im Erfolg realisiert sich jedoch darüber hinaus auch gerade dasjenige Risiko, welches der Täter durch rechtlich richtiges Verhalten hätte vermeiden können und sollen. Dabei kommt es letztlich auf die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der hypothetischen Reserveursache in entsprechenden Konstellationen gar nicht an. Auch wenn die (gleichzeitige) Tötung des Opfers durch eine Ersatzursache in vorstehendem Beispiel sicher ist, lässt sich dem Täter gegenüber eine Bestrafung wegen vollendeten Delikts legitimieren. Der maßgebliche Gesichtspunkt ist hier nicht in dem Kriterium einer (tatsächlichen) Gefahrerhöhung im verhaltensrelevanten Zeitpunkt, sondern mit Blick auf die Legitimation von Strafe wegen vollendeten (Erfolgs-)Delikts in der Ratio des Erfolgserfordernisses der Sanktionsnorm zu erblicken. Vor diesem Hintergrund kommen dem Strafeinsatz im Hinblick auf eine gesonderte Berücksichtigung spezifischer Fehlverhaltensfolgen zwei Funktionen zu. Durch Einsatz von Strafe soll der im Erfolg in besonderer Weise manifestierten Infragestellung der Normgeltung Rechnung getragen und zugleich die – über den Erfolgseintritt nachhaltig vermittelte – Sinnhaftigkeit der verletzten Norm einsichtig gemacht werden.103 In diesem Sinne wird in der Konstellation hypothetischer Erfolgsherbeiführung durch (rechtswidrige) Taten Dritter im Erfolg durchaus dasjenige Moment des rechtlich zu missbilligenden Verhaltens wirksam, um dessen Vermeidung willen an der entsprechenden Normgeltung festgehalten wird. Hypothetische Straftaten Dritter bedingen weder Zweifel an der Eignung des Erfolges zur Manifestation der Unwertigkeit des Verhaltens noch vermindern sie in irgendeiner Weise das in gesteigerter Form aufweisbare Bedürfnis nach Bestätigung der Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm.104 Vorstehende Überlegungen gelten auch in Bezug auf das Abstimmungsverhalten in Gremien. Die hypothetische Überlegung, dass das Gremium auch ohne positives Votum des betreffenden Mitglieds eine rechtswidrige Entscheidung gefällt hätte, ändert nichts daran, dass sein Abstimmungsverhalten im konkreten Fall zu dem rechtswidrigen Abstimmungsergebnis tatsächlich beigetragen hat.105 An das rechtlich zu 101
Vgl. statt vieler Wessels/Beulke, AT, Rn 161. In jenem Beispiel führt im Übrigen die Äquivalenztheorie in die Irre, da sie ohne Eliminierung ihres Grundelementes keine Feststellung der Kausalität des Verhaltens ermöglicht; s. etwa Roxin, AT I, § 11 Rn 13. 102 Diesen Umstand verkennt beispielsweise SK-Rudolphi, vor § 1 Rn 60 f., welcher den – ex-ante regelmäßig ungewissen – bevorstehenden Untergang des Gutes durch die Ersatzursache als Grund für die Suspendierung der entsprechenden Norm anführt. 103 Näher dazu Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 516 ff. 104 s. dazu im Einzelnen Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 562 ff., 564. 105 In entsprechenden Fällen sind allenfalls Zweifel daran anzumelden, dass die Infragestellung der Geltungskraft der Verhaltensnorm das gleiche Ausmaß besitzt, wie in „gewöhnlichen“ Sachverhalten. Für in diesem Sinne exzeptionelle Konstellationen der Herbeiführung eines Erfolges, welcher auch sonst zeitgleich eingetreten wäre, kommt insofern eine Straf-
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F. Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen
missbilligende Abstimmungsverhalten schließt sich als Außenwelterfolg – als Manifestation des individuellen Fehlverhaltens – die Realisierung der spezifischen Schädigungsmöglichkeit durch diese Kollegialentscheidung an, welche unter ebenjenem Gesichtspunkt ein besonderes Bedürfnis nach Bestätigung der Normgeltung auslöst. Es handelt sich mithin bei dem positiven Votum des Betreffenden um eine gesetzmäßige Bedingung des Erfolges. Die Kausalitätsfrage ist danach auch bei entsprechenden sog. „überbedingten Erfolgen“ zu bejahen. d) Abstimmungsverhalten als Problem der Verantwortlichkeit In diesem Zusammenhang findet sich vielfach eine verkürzte Darstellung der strafrechtlichen Probleme im Rahmen der Bewertung des Abstimmungsverhaltens bei Kollegialentscheidungen. Die Frage, ob ein bestimmtes gefahrenvermeidendes Tätigwerden von Rechts wegen verlangt werden konnte, stellt sich auch dann, wenn es eventuell nicht zu einer Vermeidung der Schädigung geführt hätte – beispielsweise sofern sich die prozessuale Nichterweislichkeit der Möglichkeit einer Beeinflussung der Mehrheit des Gremiums durch den Betreffenden ergibt.106 Eine Blickverengung auf die Frage des Eintritts spezifischer Fehlverhaltensfolgen greift hier zu kurz. Denn auch, sofern in entsprechenden Fällen eine Bestrafung wegen vollendeten Delikts ausscheidet, stellt sich die Frage nach der Verwirklichung des Unrechts eines Versuchs des in Betracht kommenden vorsätzlichen Erfolgsdeliktes.107 Insofern zeigt sich, dass es bei der strafrechtlichen Bewertung von Gremienentscheidungen in erster Linie nicht um ein Kausalitätsproblem, sondern um den Zuschnitt von Verantwortungsbereichen geht. Die Frage der Zurechnung spezifischer Fehlverhaltensfolgen hat dementsprechend keine grundsätzlich strafbarkeitskonstituierende Bedeutung. Jedenfalls bei vorsätzlicher Herbeiführung eines „überbedingten“ Erfolges im Rahmen einer Abstimmung kommt danach – zumindest – eine Strafbarkeit wegen (ggf. untauglichen) Versuchs in Betracht. e) Strafrechtliche Verantwortlichkeit bei dissentierender Mitwirkung In vorliegendem Zusammenhang klärungsbedürftig ist schließlich die strafrechtliche Bewertung einer dissentierenden Mitwirkung an einer Kollegialentscheidung. milderung in Betracht. In diesem Sinne etwa Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 568; Jakobs, AT, 7/92 ff. 106 Vgl. dazu MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 95 ff. AMG Rn 63 ff. 107 Dies gilt auch auf der Basis der Gegenmeinung. In entsprechenden Konstellationen – etwa bei Stimmenthaltung im Rahmen einer rechtswidrigen Beschlussfassung – ist danach zumindest eine Strafbarkeit wegen untauglichen Versuchs eines begehungsgleichen Unterlassungsdelikts in Erwägung zu ziehen. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs des begehungsgleichen Unterlassungsdelikts ist überwiegend anerkannt. Zur Gegenposition vgl. Malitz, Der untaugliche Versuch, S. 85 ff. mwN.
II. Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Kausalitätsnachweis
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Es liegt insoweit auf der Hand, dass das dissentierende Votum nicht als erkennbare Verursachung eines fremden Delikts, also als Verhalten mit „deliktischem Sinnbezug“, aufzufassen ist.108 Der Dissentierende votiert für ein Verfahren nach bestimmten Regeln, nicht aber für die Durchführung eines bestimmten Beschlusses.109 Ihm darf nicht unterstellt werden, sich dem Mehrheitsvotum anschließen zu wollen, nachdem er diesem ausdrücklich die Gefolgschaft verweigert hat. Auch eine Zurechnung des Mehrheitswillens nach § 25 II StGB kommt nicht in Betracht. Das dissentierende Mitglied verwirklicht nicht den Tatbestand einer Sanktionsnorm in arbeitsteiligem Zusammenwirken mit den mehrheitlich Abstimmenden.110 Sein Abstimmungsverhalten ist rechtlich nicht zu missbilligen, denn welche Verhaltenserwartung soll an das „rechtschaffene Gremiumsmitglied“ denn gestellt werden, wenn nicht die Abgabe einer Gegenstimme zur Verhinderung eines rechtswidrigen Mehrheitsbeschlusses? Daran ändert auch die Möglichkeit eines „Abstimmungsboykotts“ nichts, selbst dann, wenn ein solcher zu Beschlussunfähigkeit führen und so die Abstimmung „torpedieren“ könnte. Optiert das dissentierende Mitglied durch seine Stimmabgabe nur für ein bestimmtes Verfahren und nicht für die Ausführung des Beschlossenen, trifft ihn keine Rechtspflicht, den Entscheidungsprozess bereits als solchen zu verhindern. Etwas anderes mag allenfalls dann gelten, wenn überhaupt kein anderer Weg ersichtlich ist, den späteren Auswirkungen der Entscheidung entgegenzuwirken. Allerdings spricht einiges dafür, dem Gremiumsmitglied zumindest eine strafrechtlich sanktionierte Handlungsverpflichtung zur Initiierung solcher Abhilfemaßnahmen aufzuerlegen, welche die drohende rechtswidrige Beschlussfassung möglicherweise verhindern können, solange ein solches Tätigwerden nicht infolge einer „handlungsunwilligen“ Mehrheit von vornherein aussichtslos ist („ultra posse nemo obligatur“).111 Dem Betreffenden gegenüber kann hier durchaus die Verpflichtung legitimiert werden, sich unter Hinweis auf den drohenden rechtswidrigen Mehrheitsbeschluss und durch auf Überzeugung ausgerichtete Argumentation für einen Meinungswechsel einzusetzen. An diesem Punkt darf jedoch nicht stehen geblieben werden. Das dissentierende – auch das mit seiner Argumentation gescheiterte – Kommissionsmitglied wird mit Abschluss des Entscheidungsprozesses nicht gleichsam „aus der Verantwortung entlassen“.112 Der Überstimmte kann im Interesse der von der Ausführungshandlung Betroffenen gehalten sein, die Ausführung des rechtswidrigen Beschlusses durch zu108
Vgl. Jakobs, FS Miyazawa, S. 419, 429. Zutreffend betont von Jakobs, FS Miyazawa, S. 419, 429 f. 110 Vgl. Schönke/Schröder-Cramer/Heine, § 25 Rn 76b; Schumann, StV 1994, 106, 110. Eine Zurechnung des Mehrheitsvotums nach § 25 II StGB hinsichtlich dissentierender Mitglieder bejahend hingegen OLG Stuttgart, NStZ 1981, 27, 28. 111 Vgl. dazu MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 319. 112 Zur Reichweite einer Entlastung durch die Einhaltung von Verfahrensregeln s. auch Dencker, in: Amelung (Hrsg.), Straftaten in bürokratischen Organisationen, S. 63 ff. 109
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F. Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen
mutbare Vorkehrungen zu unterbinden.113 Hier ist die Möglichkeit eines „Alleinganges“ zur Vermeidung der drohenden Folgen des Abstimmungsergebnisses in Erwägung zu ziehen.114 Hat das Kommissionsmitglied die spezifischen Schädigungsmöglichkeiten erfasst und gibt es Möglichkeiten (etwa durch Information des Forschers, des Sponsors oder bei „hartnäckiger Verweigerungshaltung“ auch der Medien), der Realisierung dieser Risiken durch einen „Einzelappell“ vorzubeugen, so ist es rechtlich gehalten, eine derartige Handlungsoption wahrzunehmen. Andernfalls kommt eine Strafbarkeit des von einem „Alleingang“ absehenden Kommissionsmitglieds wegen versuchten oder – je nach den Umständen – sogar vollendeten begehungsgleichen Unterlassungsdelikts in Betracht. Hiergegen mag man zwar einwenden, ein geschäftsordnungsgemäßes Verhalten könne nicht tatbestandlich zu missbilligen sein.115 Aber wer entsprechendes vorträgt, muss sich die Frage gefallen lassen, was in einer Geschäftsordnung überhaupt rechtsverbindlich vereinbart werden kann. Sollte eine Geschäftsordnung tatsächlich in dem Sinne zu interpretieren sein, dass mit Einhaltung der Verfahrensregeln und bei rechtmäßigem eigenen Abstimmungsverhalten ein Ausschluss strafrechtlicher Verantwortlichkeit für die Folgen der in Rede stehenden Kollegialentscheidung verbunden sein soll, so dürfte auf der Hand liegen, dass der „Geschäftsordnungsgeber“ insoweit nicht befugt ist, die Reichweite der in Rede stehenden Strafbarkeitsdrohung zu konkretisieren. Die Festlegung der Voraussetzungen einer strafrechtlichen Sanktionierung der Untätigkeit des dissentierenden Mitglieds im Rahmen einer späteren Durchführung des von diesem abgelehnten Beschlusses liegt jedenfalls außerhalb der Regelungskompetenz der für den Erlass der Geschäftsordnung Verantwortlichen. f) Überstimmung des juristischen Mitglieds der Ethik-Kommission Eine rechtlich interessante Konstellation kann schließlich dann entstehen, wenn das juristische Mitglied der Ethik-Kommission bei der Beschlussfassung überstimmt wird. Juristen sind inzwischen in praktisch jeder Ethik-Kommission vertreten,116 da ihre Beteiligung als „unverzichtbar“ angesehen wird.117 Im Falle eines entsprechen113
Zu solchen, nach Ansicht der Autorin allerdings nur „einfach fundierten“, Handlungspflichten s. etwa MontaÇs, FS Roxin, S. 307, 327. Zu Verhaltenspflichten des dissentierenden Gremiumsmitglieds in privatwirtschaftlichen Unternehmen vgl. auch Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 19 f. 114 Vgl. MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 319. 115 In diesem Sinne Jakobs, FS Miyazawa, S. 419, 430. Der Dissentierende optiere nur für ein Verfahren nach bestimmten Regeln. Dies sei „per se keine Option für Rechtswidriges“. 116 Bei einer Erhebung im Jahr 1999 gab nur eine Ethik-Kommission an, keinen Juristen in ihren Reihen zu haben. Vgl. Wilkening, MedR 2001, 301, 302 f. 117 Mitunter wird das juristische Kommissionsmitglied – mit Rücksicht auf die für manchen Mediziner offenbar befremdlich anmutenden rechtlichen Beschränkungen bestimmter Forschungsvorhaben wohl nicht ganz unzutreffend – als „Stachel im Fleisch“ der Kommission
II. Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Kausalitätsnachweis
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den Dissenses – etwa hinsichtlich der Eignung der Probandeninformation zur Herbeiführung einer rechtlich wirksamen Einwilligung betroffener Probanden – ist fraglich, ob überhaupt von einer rechtswirksamen Entscheidung auszugehen ist. Die rechtliche Beachtlichkeit entsprechender Beschlüsse kommt jedenfalls nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass dem Mehrheitsprinzip im Rahmen der Beschlussfassung per se unabhängig vom Standpunkt des kommissionsangehörigen Juristen Rechnung zu tragen ist.118 Insoweit gibt es formal betrachtet selbstverständlich keine qualitativen Unterschiede zwischen den einzelnen Voten. Dennoch bedingen spezifische Einsichten zur funktionellen Zusammensetzung von Ethik-Kommissionen bei bestimmten Fragestellungen der Sache nach eine „Sperrminorität“ des juristischen Kommissionsmitglieds. Dabei greift man in entsprechenden Fällen zu kurz, zur Begründung einer konstitutiven Bedeutung des affirmativen Votums des juristischen Mitglieds zu unterstellen, dass Mitglieder eines bestimmten Berufsstandes in interdisziplinären Gremien – hier der medizinischen Profession – generell dazu neigen, eigene Standesinteressen in den Vordergrund zu rücken.119 Gleichsam unwiderlegbar könnte man sich dahingehend einlassen, gerade der medizinische Sachverstand gewährleiste eine besondere Sensibilität für die Interessen der an Arzneimittelprüfungen beteiligten Probanden. Für die Rechtswirksamkeit ausschließlich solcher in diesem Kontext relevanter Kommissions-Entscheidungen, welche vom juristischen Kommissionsmitglied konsentiert sind, spricht hingegen ein anderer Gesichtspunkt. Das Votum der Ethik-Kommission unterliegt einer Vielzahl rechtlicher Vorgaben und hat sich insbesondere gewandelt von einer ethisch fundierten Stellungnahme hin zu einer genehmigungsähnlichen rechtlichen Entscheidung.120 Die in diesem Zusammenhang relevanten komplexen Rechtsfragen – etwa zur Ausgestaltung der Probandenversicherung oder der Patienteninformation sowie zu Forschungsvorhaben mit Einwilligungsunfähigen – können angemessen nicht ohne juristischen Sachverstand beraten und entschieden werden.121 Ob beispielsweise die konkrete Ausgestaltung der Probandenversicherung den gesetzlichen Anforderungen genügt, ist eine ausschließlich juristische Frage.122 Die Ablehnung eines „Vetorechts“ des kommissionsangehörigen Juristen bei entsprechenden Fragestellungen konterkarierte geradezu die erforderliche funktionale Arbeitsteilung des Gremiums bei der Bewertung der Antragsunterlagen. In derartigen Fällen ist ein Mehrheitsvotum nicht geeignet, den ablehnenden Standpunkt des juristischen Mitglieds zu relativieren. Hier kann von einer rechtsverbindlichen Entscheidung der Ethik-Kommission nicht gesprochen werden. bezeichnet. Vgl. Jung, in: Jung/Müller-Dietz/Neumann (Hrsg.), Recht und Moral, S. 401, 402; dies., in: Furkel/Jung (Hrsg.), Bioethik und Menschenrechte, S. 145, 146. 118 Zum Mehrheitsprinzip bei der Beschlussfassung s. etwa § 5 II der Ordnung der Kommission für Ethik in der ärztlichen Forschung des Fachbereichs Medizin der Philipps-Universität Marburg v. 13.2.2007. 119 Vgl. dazu Thurnherr, Angewandte Ethik, S. 31. 120 Vgl. dazu oben C. II. 1. 121 s. dazu etwa Losse, in: Dengler/Schwilden (Hrsg.), Ethik-Kommissionen, S. 21, 28 f. 122 Vgl. hierzu oben C. II. 6.
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F. Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen
2. Besonderheiten im Bereich fahrlässigen Fehlverhaltens Die vorstehend dargestellten für das Abstimmungsverhalten bei Kollegialentscheidungen im Bereich vorsätzlichen Fehlverhaltens relevanten Zurechnungsgesichtspunkte sind nicht ohne weiteres auf entsprechende Konstellationen fahrlässiger Mitwirkung übertragbar. Insofern begegnet die für vorsätzliches Verhalten bei Gremienentscheidungen – im Kontext der Begehungsdelikte – teilweise befürwortete Zurechnungslösung über die Figur der Mittäterschaft hinsichtlich fahrlässigen Abstimmungs-Fehlverhaltens Bedenken. Klärungsbedürftig sind im Übrigen etwaige Konsequenzen einer vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung ausführender Organe für die Bewertung einer unter dem Aspekt der Fahrlässigkeit zu missbilligenden Beschlussfassung. a) Die Zurechnung spezifischer Fehlverhaltensfolgen bei fahrlässigem Abstimmungsverhalten – Zur Konstruktion einer fahrlässigen Mittäterschaft Fassen die Mitglieder eines Kollegialorgans fahrlässig einen – etwa unter dem Gesichtspunkt der Körperverletzungsdelikte – rechtlich zu missbilligenden Beschluss, so hat die Zurechnung spezifischer Fehlverhaltensfolgen mit Rücksicht auf die Straflosigkeit des Versuchs maßgebliche Bedeutung. Zwar wird zunehmend zur strafrechtlichen Erfassung entsprechender Verhaltensweisen die Konstruktion einer fahrlässigen Mittäterschaft anerkannt;123 etwa mit der Begründung, das Vorliegen eines gemeinsamen Tatentschlusses sei lediglich Voraussetzung der vorsätzlichen Mittäterschaft. Zudem sei die Qualifizierung eines (materiell betrachtet) bloßen Teilnehmerverhaltens als täterschaftlich nur unter der Voraussetzung der Mittäterschaft sachlich zu rechtfertigen.124 Jedoch wird man diese Auffassung für das geltende deutsche Strafrecht abzulehnen haben. Der Gegenauffassung ist zuzugeben, dass Mittäterschaft beim Fahrlässigkeitsdelikt konstruktiv ohne weiteres möglich ist.125 Allerdings sieht das Gesetz nur die Erfassung als fahrlässige Nebentäterschaft vor, da Fahrlässigkeitstaten im geltenden StGB den Regeln des Einheitstäterprinzips unterworfen sind.126 Insofern ist es keineswegs ausgeschlossen – sondern vielmehr sachgerecht –, die konkrete Form „fahrlässiger Beteiligung“ unter Strafzumessungsgesichtspunkten zu würdigen. In 123
Mit Unterschieden in den einzelnen Anforderungen Brammsen, Jura 1991, 533, 537 f.; Dencker, Kausalität und Gesamttat, S. 174 ff.; Küpper, GA 1998, 519, 526; Otto, AT, § 21 V 4 b; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 154 ff., 261 ff.; Roxin, AT II, § 25 Rn 242: Schaal, Gremienentscheidungen, S. 213 ff.; Weißer, Kollegialentscheidungen, S. 143 ff. 124 In diesem Sinne Brammsen, Jura 1991, 533, 537. 125 So auch MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 459; Lackner/Kühl, § 25 Rn 13. 126 Vgl. MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 457 ff.; Kindhäuser, AT, § 38 Rn 56; Lackner/Kühl, § 25 Rn 13; Schönke/Schröder-Cramer/Heine, Vor §§ 25 ff. Rn 115. Ablehnend auch Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 22 Rn 74; Gropp, GA 2009, 265, 272 f.; Jescheck/Weigend, AT, § 63 I 3a; Krey, AT 2, Rn 552.
II. Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Kausalitätsnachweis
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dieser Hinsicht ist es durchaus bedeutsam, ob das in Rede stehende fahrlässige Fehlverhalten etwa als Beihilfe- oder als täterschaftliches Verhalten zu qualifizieren ist. Eine sanktionenrechtliche Erfassung der in vorliegendem Kontext als problematisch diskutierten Fälle gelingt im Übrigen auch bei angemessener Konkretisierung des Fahrlässigkeitsunrechts – einer „fahrlässigen Mittäterschaft“ bedarf es dazu nicht.127 Das entsprechende Bedürfnis nach jener Konstruktion entsteht überhaupt erst dort, wo der Zuschnitt legitimierbarer Verhaltensnormen unangemessen restriktiv erfolgt. Die hier vertretene Auffassung hindert schließlich die Zurechnung spezifischer Fehlverhaltensfolgen mitnichten. Auch insofern sind auf der Basis der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung zutreffende Ergebnisse zu erzielen. Dass der rechtswidrige Beschluss auch ohne die Mitwirkung eines fahrlässig handelnden Gremiumsmitglieds getroffen worden wäre, ändert als bloß hypothetischer Verlauf nichts an seiner Verantwortlichkeit für die entsprechenden Folgen.128 b) Zur Lehre vom Regressverbot Unter dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit der Mitglieder eines Gremiums ist schließlich die strafrechtliche Bewertung der Ausführung des rechtswidrigen Beschlusses durch weitere Beteiligte von möglichem Interesse. Handelt das „Ausführungsorgan“ – etwa der Prüfarzt in Kenntnis einer nicht rechtswirksamen Einwilligung des Probanden – vorsätzlich, stellt sich die Frage nach einer Begrenzung des Verantwortungsbereiches der Entscheidungsträger, welche durch ihr Abstimmungsverhalten die fremde Vorsatztat fahrlässig ermöglichten. In dieser Konstellation einer fahrlässigen Ermöglichung der Vorsatztat eines Dritten wird nicht selten ein Regressverbot oder eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhanges angenommen. Danach soll jede freie vorsätzliche menschliche Handlung den Zurechnungszusammenhang zu einem nicht vorsätzlich handelnden Ersttäter unterbrechen.129 Als Begründung für den Ausschluss einer Zurechnung der Schädigung an den fahrlässig Ermöglichenden dient zum einen der Hinweis auf eine fehlende Beherrschbarkeit des schadensträchtigen Verlaufes.130 Daneben wird auf den Vertrauensgrundsatz rekur-
127 Dies gilt beispielsweise für den vom Schweizerischen Bundesgericht entschiedenen sog. „Rolling Stones-Fall“, vgl. BGE 113 IV 58. Dort beschlossen beide Täter, zur Sicherheit des Verkehrs auf einer Straße befindliches Gestein zu entfernen. Sie rollten jeweils einen Felsbrocken einen Abhang hinab. Dabei kam ein Angler zu Tode, ohne dass festgestellt werden konnte, von welchem Brocken die tödlichen Wirkungen ausgegangen waren. Die beiderseitige Umsetzung des gemeinschaftlichen Entschlusses zum Beseitigen der Felsbrocken stellt sich bereits als solche als unerlaubte Gefahrschaffung in Richtung auf fremdes Leben dar, welche in concreto spezifische Fehlverhaltensfolgen zeitigte. Im Ergebnis ebenso Gropp, GA 2009, 265, 274 f. 128 s. dazu bereits oben F. II. 1. c). Für eine strafrechtliche Regelung des fahrlässigen Zusammenwirkens bei Gremienentscheidungen de lege ferenda indes Gropp, GA 2009, 265, 278 f. 129 Vgl. etwa Köhler, AT, S. 145 f.; Otto, FS Maurach, S. 91, 98. 130 So Naucke, ZStW 76 (1964), 409, 428; Otto, FS Maurach, S. 91, 96 ff.
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F. Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen
riert, wonach jeder sich unter gewöhnlichen Umständen darauf verlassen könne, dass andere keine vorsätzlichen Straftaten begehen.131 Bei der Lösung dieser Konstellationen ist es maßgeblich, ob die Folgen des in Rede stehenden fahrlässigen Verhaltens tatsächlich nicht als spezifisches Resultat des Verhaltens des Betreffenden zu bewerten sind. Dabei ist zuvörderst zu beachten, dass die Zurechnung entsprechender Fehlverhaltensfolgen per definitionem die „Schaffung eines rechtlich missbilligten Risikos“ (durch den Erstverursacher) voraussetzt.132 In dieser Hinsicht droht ein argumentativer Irrweg: Begründet man den Ausschluss der Zurechnung mit einer nach Maßgabe des Vertrauensgrundsatzes „erlaubten Gefahrschaffung“ des fahrlässig handelnden Erstverursachers und die „Erlaubtheit der Gefahrschaffung“ mit dem Ausschluss der Zurechnung, so wird vorausgesetzt, was es nachzuweisen gilt. Hier ist zwischen der Legitimation des rechtlichen Ge- oder Verbotes gegenüber dem Erstverursacher und dessen Verantwortlichkeit für den Eintritt entsprechender Fehlverhaltensfolgen zu differenzieren. Entscheidend ist die Bewertung des Verhaltens des Erstverursachers als Schaffung einer rechtlich zu missbilligenden Schädigungsmöglichkeit, welche sich gerade in der fremden Vorsatztat manifestiert. Ist ihm gegenüber eine entsprechende Verhaltensnorm des Inhalts zu legitimieren, (auch) die Ermöglichung bestimmter – nämlich spezifisch mit seinem Verhalten verknüpfter – fremder Vorsatztaten zu vermeiden, so können ihm auch bei Verletzung eines solchen Ver- oder Gebots spezifische Fehlverhaltensfolgen unter Sanktionsgesichtspunkten angelastet werden.133 Für ein entsprechendes Missbilligungsurteil erforderlich ist danach die Benennung eines Sachgrundes für die Statuierung einer Vermeidepflicht in Richtung auf die Ermöglichung der fremden Vorsatztat gegenüber dem (fahrlässigen) Verursacher. Als solcher kommt die Schaffung solcher Risiken in Betracht, zu deren Vermeidung bereits das Verbot ihrer fahrlässigen Ermöglichung als erforderlich und angemessen anzusehen ist. Bei der Bestimmung der genauen Risikodimension sind zwei Gesichtspunkte herauszustellen: Zum einen sind bei vorhandener Sondergefährlichkeit bestimmter Stoffe, Gegenstände oder Verhaltensweisen, regelmäßig spezifische Vermeidepflichten zu beachten.134 Dies gilt beispielsweise für den Umgang mit Waffen, Arznei- oder Betäubungsmitteln. Der Verkehr mit jenen Stoffen ist nicht zuletzt mit Rücksicht darauf reglementiert, dass damit bestimmte Straftaten begangen werden können.135 Zum anderen kommt die Missbilligung von Verhaltensweisen mit eindeutig deliktischem Sinnbezug in Betracht, also solchen Handlungen, welche nur in ihrer Eigenschaft als Ermöglichung oder Erleichterung fremden deliktischen Handelns einen Sinn er131 s. etwa SK-Rudolphi, Vor § 1 Rn 73 f.; Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rn 171. Vgl. zur begrenzten Konkretisierungsfunktion des sog. Vertrauensgrundsatzes bereits oben E. IV. 132 Vgl. Kühl, AT, § 4 Rn 43; SK-Rudolphi, Vor § 1 Rn 57, jew. mwN. 133 Vgl. MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 375 f. Ähnlich Puppe, Jura 1998, 21, 27. 134 Vgl. MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 377. 135 Vgl. Puppe, Jura 1998, 21, 27.
III. Zur Qualifizierung des Körperverletzungsunrechts nach § 340 StGB
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geben.136 Solche Verhaltensweisen können etwa in Ablenkungsmanövern gegenüber einem Opfer oder in technischer Anleitung zur Deliktsbegehung gesehen werden, sofern diesen erkennbar nur ein deliktischer Sinnbezug zukommt.137 Für die vorliegende Arbeit kommt erstgenannter Fallgruppe besondere Bedeutung zu. Die fahrlässige Ermöglichung rechtlich verbotener Forschung am Menschen durch ein Votum der Ethik-Kommission bedeutet in der Sache die Ermöglichung einer qualifiziert riskanten Tätigkeit. Mit Rücksicht auf diese Sondergefährlichkeit ist die fahrlässige Herbeiführung entsprechender Gefahrenlagen auch dann rechtlich zu missbilligen, wenn sich die entsprechenden Risiken zugleich in einem fremden Vorsatzdelikt – etwa im Fall bedingt vorsätzlichen Handelns des Prüfarztes – manifestieren. In einem etwaigen (Körper-)Verletzungserfolg realisiert sich insoweit unabhängig von der Bewertung des Verhaltens der Verantwortlichen im Prüfzentrum das spezifische Gefahrenpotential, welches durch den Beschluss über die Eröffnung jener Forschungsrisiken geschaffen wurde.
III. Zur Qualifizierung des Körperverletzungsunrechts nach § 340 StGB Der Tatbestand der Körperverletzung im Amt gemäß § 340 StGB stellt eine Qualifikation der Körperverletzungstatbestände nach §§ 223 ff. StGB dar.138 Ihren Grund hat die erhöhte Strafdrohung in der gleichzeitigen Dienstpflichtverletzung des Amtsträgers.139 Der Vorschrift kann auch im Rahmen der Bewertung von Fehlverhaltensweisen der Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen sowie der Amtsträger des BfArM qualifizierende Wirkung zukommen.
1. Zur Amtsträgereigenschaft der Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen Eine Subsumtion des Fehlverhaltens der Mitglieder öffentlich-rechtlicher EthikKommisACHTUNGREsionen unter den Tatbestand des § 340 StGB setzt die Amtsträgereigenschaft derselben voraus. Insofern sind die Kommissionsmitglieder möglicherweise Amtsträger i. S. d. Legaldefinition des § 11 I Nr. 2 c) StGB, also „dazu bestellt, bei 136
Vgl. dazu Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 280 ff., 284; Puppe, Jura 1998, 21,
27. 137
Weitere Beispiele bei Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 289 ff. Vgl. SK-Horn/Wolters, § 340 Rn 2a; Lackner/Kühl, § 340 Rn 1. Demgegenüber nimmt Wagner, ZRP 1975, 273, 275 f., ein eigenständiges Amtsdelikt an. 139 Vgl. BGHSt 3, 349, 351; SK-Horn/Wolters, § 340 Rn 2b. 138
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F. Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen
einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform wahrzunehmen“.140 „Sonstige Stellen“ gemäß Var. 2 dieser Vorschrift sind Institutionen, welche in den staatlichen Verwaltungsapparat eingegliedert oder an diesen aufgrund öffentlichrechtlicher Vorschriften angebunden sind, also insbesondere Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts.141 Öffentlich-rechtliche Ethik-Kommissionen sind an medizinischen Fakultäten und Landesärztekammern gegründet. Dies sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, mithin „sonstige Stellen“ i. S. d. § 11 I Nr. 2 c) StGB.142 Für das Gesetzesmerkmal der „Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung“ kommt es nicht auf den Charakter des Anstellungsverhältnisses, sondern vielmehr auf die konkrete öffentlich-rechtliche Aufgabenstellung der betreffenden Stelle an.143 Danach ist nicht die Einordnung des Dienstverhältnisses der einzelnen Kommissionsmitglieder entscheidend, sondern die konkrete Aufgabenstellung betreffender Ethik-Kommissionen. Diese ergibt sich aus dem AMG, dem MPG und der jeweiligen Satzung der Ethik-Kommission und ist somit öffentlich-rechtlicher Natur.144 Eine Bestellung des Betroffenen zur Wahrnehmung von Aufgaben im Auftrag der öffentlichen Verwaltung bei einer „sonstigen Stelle“ (§ 11 Nr. 2c) Var. 2 StGB) setzt lediglich ein Auftragsverhältnis voraus, ohne dass es auf die Art der Anstellung, die Ausübung eines Haupt- oder Nebenamtes oder dessen Dauer ankommt.145 Die Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen werden gemäß der jeweiligen Satzung in der Regel für vier Jahre berufen.146 Diese Berufung erfolgt bei universitären Ethik-Kommissionen regelmäßig durch den Fachbereichsrat, bei 140
Nicht unumstritten – in vorliegendem Kontext im Hinblick auf die Verwirklichung qualifizierten Körperverletzungsunrechts durch Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen jedoch nicht entscheidungsrelevant – ist die Frage, ob sich aus § 11 Nr. 2 StGB eine für das gesamte Strafrecht gültige Begriffsbestimmung ergibt (so etwa NK-Lemke, § 11 Rn 16; Welp, FS Lackner, S. 761, 771) oder – und dies erscheint sachgerecht –, ob der Amtsträgerbegriff tatbestandsspezifisch zu bestimmen ist (so etwa Lenckner, ZStW 106 (1994), 502, 508 ff.; Schönke/Schröder-Eser, Vor §§ 11, 12 Rn 2). 141 Vgl. BGH NStZ 2008 560, 561; Lenckner, ZStW 106 (1994), 502, 515; Schönke/ Schröder-Eser, § 11 Rn 25; MünchKommStGB-Radtke, § 11 Rn 54. 142 Auf die – der vorliegenden Untersuchung zugrunde gelegte – öffentlich-rechtliche Verfasstheit der Ethik-Kommission kommt es im Übrigen aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 11 I Nr. 2 c) StGB nicht an. Vgl. zur Einbeziehung von Beschäftigten privatwirtschaftlich organisierter Institutionen in den Amtsträgerbegriff etwa BGH NStZ 2008, 560, 562; BGHSt 43, 96, 101 ff; Lenckner, ZStW 106 (1994), 502, 530 ff. 143 Vgl. MünchKommStGB-Radtke, § 11 Rn 31, 35; AK-Wassermann, § 11 Rn 15. 144 Vgl. etwa Sander, Erl. § 42 AMG C Anm. 9; van der Sanden, Haftung medizinischer Ethik-Kommissionen, S. 56 ff. 145 s. dazu LK-Hilgendorf, § 11 Rn 35; MünchKommStGB-Radtke, § 11 Rn 58; Schönke/ Schröder-Eser, § 11 Rn 27. 146 Vgl. etwa § 2 II 2 der Satzung der Ethikkommission an der Medizinischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn v. 7. 3. 2006 sowie § 3 IV 1 der Satzung der Ethikkommission an der Medizinischen Fakultät der Universität Rostock v. 23.11.2006.
III. Zur Qualifizierung des Körperverletzungsunrechts nach § 340 StGB
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den Landesärztekammern durch das Präsidium.147 Somit sind die Mitglieder genannter Ethik-Kommissionen Amtsträger i. S. d. § 11 I Nr. 2 c) StGB. Hingegen handelt es sich beim BfArM um eine Behörde i. S. d. § 11 I Nr. 2 c) Var. 1 StGB. Im Übrigen gelten die Ausführungen zur Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung durch Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen und zum erforderlichen Bestellungsakt entsprechend. Die Amtsträgereigenschaft der Mitarbeiter des BfArM ergibt sich daher – soweit nicht ein Beamtenverhältnis i. S. d. § 11 I Nr. 2 a) begründet wurde – ebenfalls aus § 11 I Nr. 2 c) StGB.
2. Zur Rechtsfolgenbestimmung im Bereich der Verweisung des § 340 III StGB § 340 III StGB wurde durch das 6. Strafrechtsreformgesetz unter anderem um eine Verweisung auf § 229 StGB ergänzt. Jene Neuerung bedeutet eine – jedenfalls aus deklaratorischen Gründen – sinnvolle Konkretisierung der relevanten Strafzumessungskriterien. Dies gilt im Übrigen unbeschadet der in § 46 II StGB genannten „persönlichen Verhältnisse“.148 Vor dem Hintergrund einer denkbaren Anwendung des § 229 (i. V. m. § 13 I) StGB in hier interessierenden Konstellationen ergibt sich aus der Verweisung in § 340 III StGB ein nicht unerhebliches Rechtsfolgenproblem. Der Strafrahmen des § 340 I StGB kann, will man die Differenzierung zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsunrecht nicht verwischen, auf diesen Fall keine Anwendung finden.149 Diesem qualitativen Unterschied wird zwar Rechnung getragen, wenn man lediglich auf den Strafrahmen des § 229 zurückgreift.150 Gleichwohl wird durch dieses Vorgehen der strafschärfende Umstand der Verwirklichung einer fahrlässigen Körperverletzung im Amt auf Strafrahmenebene gewissermaßen „unterschlagen“. Dieser gesetzgeberische „faux pas“ muss daher zumindest bei der Strafzumessung ausgeglichen werden. Demnach ist der Amtsträger, welcher sich einer fahrlässigen Körperverletzung im Amt schuldig macht, aus dem Strafrahmen des § 229 StGB unter Berücksichtung des spezifischen Amtsträgerunrechts strenger zu bestrafen als der „gewöhnliche Täter“ dieses Delikts.151
147 Vgl. etwa § 3 I der Satzung der Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät der Universität Regensburg v. 20. 1. 2000 sowie § 3 II der Satzung der Ethik-Kommission bei der Landesärztekammer Hessen v. 6.12.2006. 148 Entsprechende Bedenken jedoch bei SK-Horn/Wolters, § 340 Rn 15. Indes ist jene Kritik im Hinblick auf § 340 III StGB unspezifisch. Jene Argumentation könnte mit gleicher Berechtigung gegen die grundsätzliche Kodifizierung der Körperverletzung im Amt vorgetragen werden. 149 Vgl. LK-Hirsch, 11. Aufl., § 340 Rn 21. 150 So etwa KG NJW 2000, 1352; LK-Hirsch, 11. Aufl., § 340 Rn 21. 151 Ebenso SK-Horn/Wolters, § 340 Rn 15; Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 24; MünchKommStGB-Voßen, § 340 Rn 25.
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F. Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen
Am Rande sei schließlich angemerkt, dass § 340 I, III StGB keinen Verweis auf Tötungsdelikte enthält. Dieser Befund hat zwar empirisch betrachtet geringe Relevanz für strafrechtliche Amtsträgerverantwortlichkeiten im Kontext der Arzneimittelsicherheit. Er ist gleichwohl gesetzessystematisch irritierend und – unabhängig von einer etwaigen statistischen Anwendungsbreite – kriminalpolitisch verfehlt. Denn die fehlende Verweisung führt mit Blick auf die strafrechtliche Erfassung der Verwirklichung spezifischen Körperverletzungs- bzw. Tötungsunrechts durch Amtsträger zu einer unangemessenen und willkürlichen Differenzierung. Zurückzuführen ist die unzureichende Verweisung wohl entweder auf ein „Redaktionsversehen“ oder eine in gewissem Maße „naive“ Vorstellung des Gesetzgebers hinsichtlich der allgemeinen Gesetzestreue von Amtsträgern.
IV. Zum Problem der „Untergrenze des Strafrechts“ In der Diskussion um strafrechtliche Verantwortlichkeiten von Amtsträgern treten vielfach – zumindest unterschwellig – Bedenken hinsichtlich einer Überkriminalisierung bestimmten Fehlverhaltens der Handelnden zu Tage. Dies gilt in besonderem Maße für die Tätigkeit solcher Behörden, welche im Interesse des Gesundheitsschutzes die Einhaltung bestimmter Grenzwerte zu überwachen haben, also beispielsweise für Umwelt- oder Lebensmittelbehörden sowie in einem modifizierten Sinne für hoheitliche Institutionen, welche mit der Gewährleistung von Arzneimittelsicherheit betraut sind.152 Denn auch letztere haben „Nutzen“ und „Risiken“ gegeneinander abzuwägen, also „Grenzwerte“ eines rechtlich tolerablen Schädigungsrisikos zu ermitteln.153 Hingegen geht die Befürchtung bereits geringfügigstes Fehlverhalten – also etwa die Verursachung minimaler Überschreitungen rechtlich tolerabler „Grenzwerte“ – führten zu einer unangemessenen Sanktionierung des handelnden Amtsträgers fehl, sofern der materielle Straftatbegriff sachgerecht konturiert wird. Nach dem oben zur Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen Gesagten154 sind zunächst solche Verhaltensweisen, in welchen bereits das Grunderfordernis einer Straftat – also ein gegenüber dem Betroffenen legitimierbares rechtliches Ge- oder Verbot – nicht erfüllt ist, gar nicht tauglicher Bezugspunkt eines strafrechtlichen Vorwurfs. Bei152
Zu Bedenken hinsichtlich einer Kriminalisierung des Fehlverhaltens der Mitglieder von Ethik-KommissioACHTUNGREnen mit Rücksicht auf die erforderliche Entscheidungsfreudigkeit s. Hägele, Arzneimittelprüfung am Menschen, S. 694. 153 Vgl. zu jenem Abwägungsvorgang im Rahmen der Entscheidung der Ethik-Kommission über die zustimmende Bewertung einer Arzneimittelprüfung oben C. II. 5. Zu den durch die Amtsträger des BfArM im Hinblick auf die Genehmigung von Arzneimittelprüfungen und die Zulassung von Arzneimitteln vorzunehmenden vergleichbaren Abwägungsentscheidungen s. oben D. III. 3. 154 Zur Frage der Verhaltensnormlegitimation als Grundvoraussetzung der Anwendbarkeit von Sanktionsnormen s. oben B. I.
IV. Zum Problem der „Untergrenze des Strafrechts“
217
spielsweise kann das Verhalten eines Amtsträgers nicht zum Gegenstand eines rechtlichen Missbilligungsurteils gemacht werden, sofern es noch von einem diesbezüglichen Ermessensspielraum gedeckt ist.155 Im Übrigen sind gewisse Bagatellgrenzen einigen Tatbeständen des Besonderen Teils bereits implantiert. Man denke insoweit nur an das der Interpretation des Begriffs der körperlichen Misshandlung bei der Körperverletzung sowie des Beschädigens im Rahmen der Sachbeschädigung zugrunde gelegte Erheblichkeitserfordernis.156 Ein entsprechendes teleologisches Tatbestandsverständnis empfiehlt sich daneben auch im Bereich des Fahrlässigkeitsdelikts. Dasjenige (folgenreiche) Fehlverhalten, welches auch dem Sorgfältigsten einmal unterlaufen kann, ist nicht geeignet, den Vorwurf straftatbestandsmäßigen Verhaltens157 zu begründen.158 Der Verzicht auf ein derartiges (ungeschriebenes) Merkmal hinreichend gewichtigen Fehlverhaltens birgt nicht nur die Gefahr, „Unaufmerksamkeiten“ unangemessen hart zu ahnden, sondern insbesondere, den Aussagegehalt des Institutes Strafe zur Kennzeichnung von Normbrüchen zu verwässern und damit insgesamt – also auch bzw. gerade hinsichtlich der Reaktion auf gravierende Verhaltensnormverstöße – abzuwerten.159 Im hiesigen Kontext wird jenes Problem beispielsweise dann virulent, wenn von der Ethik-Kommission im Rahmen der Prüfung der Antragsunterlagen ein kleiner („versteckter“) Fehler im Prüfplan aufgrund leichter Unachtsamkeit übersehen wird, welcher geeignet ist, zumindest Zweifel an der Wirksamkeit der Einwilligung der Probanden zu wecken. In Betracht kommen zudem etwa solche Konstellationen, in welchen im Rahmen der Nutzen-Risiko-Bewertung eines Arzneimittels (durch die Ethik-Kommission oder das BfArM) eine Entscheidung getroffen wird, welche in jenem (Grenz-)Fall lediglich durch eine marginale Fehlgewichtung der maßgeblichen Determinanten von der rechtlich gebotenen Bewertung abweicht.160 Hier liegt 155
Vgl. dazu auch oben C. IV. Vgl. Freund, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß, S. 43, 60 Fn 42. Zu weiteren Konstellationen im Besonderen Teil des StGB, in welchen die Annahme straftatbestandsmäßigen Verhaltens mit Blick auf die Geringfügigkeit des Fehlverhaltens zumindest zweifelhaft erscheint s. MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 227 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 467 ff. 157 Nach Langer, FS Otto, S. 107, 117 ff., ist der Inhalt von Unrecht und Schuld ohne Bezug zur Sanktion „Strafe“ zu erfassen. Aus diesem Grund befürwortet er eine dritte, eigenständige Systemkategorie der „tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit“, welche ebenjenen funktionalen Bezug zur strafrechtlichen Sanktion herstellen soll und etwa auch der Erfassung von Geringfügigkeitssachverhalten dient. Vgl. ausführlich zu einem solchen „dritten Element des allgemeinen Verbrechensbegriffs“ Langer, Die Sonderstraftat, S. 141 ff. 158 In diesem Sinne auch MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn 188 ff., 191, 223; Frisch, FS Stree/WesACHTUNGREsels, S. 69, 97 f.; ders., in: Eser/Kaiser/Weigend (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, S. 201, 226 f.; Köhler, AT, S. 179 f.; Kühl, AT, § 17 Rn 44a. Für einen Strafbarkeitsausschluss de lege ferenda votieren Stratenwerth/Kuhlen, AT I, § 15 Rn 56 f. 159 In diesem Sinne auch Frisch, FS Stree/Wessels, S. 69, 98; ders., in: Eser/Kaiser/Weigend (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, S. 201, 223 f. 160 Auf der Linie der hier vertretenen Position liegt in diesem Zusammenhang die Argumentation von Tiedemann/Tiedemann, FS Schmitt, S. 139, 142. Eine (straf-)rechtliche Miss156
218
F. Feststellung tatbestandsmäßiger Verhaltensfolgen
der Normverstoß qualitativ ersichtlich nicht auf der Ebene, welche eine strafrechtliche Reaktion rechtfertigen würde.161 Die aktuelle Praxis, entsprechende Sachverhalte absoluter Geringfügigkeit auf prozessualem Wege aus dem Bereich effektiv zu bestrafenden Verhaltens auszusondern, ist aus zwei Gründen nicht unbedenklich. Zum einen verhindert die Überantwortung jenes Problems an das Einstellungsverhalten der Strafverfolgungsbehörden die erforderliche Revisibilität der an der „Untergrenze des Strafrechts“ auffindbaren Konstellationen.162 Zum anderen hat die prozessuale Verfahrenseinstellung qualitativ einen anderen Charakter als die Rubrizierung des Verhaltens als nicht straftatbestandsmäßig.163 Denn das (Einstellungs-)Verfahren besitzt als solches bereits Eingriffscharakter und stellt sich insoweit als eigenständige Reaktion auf möglicherweise (!) begangenes Unrecht dar.164 Dabei kann es sich insbesondere mit Rücksicht auf das Gewicht der in Frage stehenden Tat oder die Aussicht auf einen Erfolg der Ermittlungen durchaus als adäquate Rechtsfolge erweisen, auf die (möglicherweise) begangene Tat mit einer „verfahrensrechtlichen Reaktion“ unterhalb der Sanktion Strafe zu antworten.165 Jenes gestufte Instrumentarium an verfahrensrechtlichen Reaktionsmöglichkeiten muss dann aber Fällen relativer Geringfügigkeit vorbehalten bleiben, soll nicht Ungleiches gleich behandelt werden – nämlich nicht reaktionsbedürftiges, absolut geringfügiges Fehlverhalten wie solches, welches einen unterhalb der Schwelle zur Sanktion liegenden Reaktionsbedarf auslöst. Vor diesem Hintergrund besteht also durchaus ein qualitativer Unterschied zwischen der materiellstrafrechtlichen und der prozessualen Lösung.166 Anstatt jene ungleichartigen Konstellationen über „einen (prozessualen) Leisten zu schlagen“, ist mithin im Einzelfall zu prüfen, ob das Verhalten infolge hinreichenden Gewichts überhaupt eine Reaktion erfordert, billigung kommt danach in entsprechenden Fällen nur bei „zweifelsfrei unvertretbaren Versuchen“ in Betracht. 161 Zutreffend zwischen verwaltungsrechtlicher und strafrechtlicher Wertung differenzierend auch Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 106 f. 162 In diese Richtung auch Frisch, FS Stree/Wessels, S. 69, 105. 163 Dies gilt auch in Anbetracht der Tatsache, dass die prozessualen Einstellungsvorschriften bei materieller BeACHTUNGREtrachtungsweise weitere Konstellationen aus dem Bereich dessen herausnehmen, was grundsätzlich als Straftat anzusehen ist. Das geltende Rechtsfolgenprogramm sieht für jene materiellstrafrechtlich unzulänglich geregelten Fälle die Sanktion Strafe nun einmal nicht vor. Instruktiv dazu Frisch, FS Stree/Wessels, S. 69, 99 ff.; ders., in: Eser/ Kaiser/Weigend (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, S. 201, 229 f. 164 Vgl. dazu Freund, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß, S. 43, 51 ff., 65 ff. Unter Hinweis auf die geltenden prozessualen Lösungsmöglichkeiten wird demgegenüber eine eigenständige materiellstrafrechtliche Bedeutung der „Geringfügigkeitssachverhalte“ etwa in Frage gestellt von Schönke/ACHTUNGRESchröder-Lenckner/Eisele, Vor § 13 Rn 70a. 165 Zu entsprechenden Konstellationen vgl. Freund, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß, S. 43, 63 ff. 166 Insofern spricht viel dafür, auch im Anwendungsbereich prozessualer Verfahrenseinstellungen der Sache nach eine Extension der Gesamtheit nicht straftatbestandsmäßigen Verhaltens mit insoweit spezifischen Reaktionsmöglichkeiten zu sehen. Weiterführend dazu Frisch, FS Stree/Wessels, S. 69, 98 ff.
IV. Zum Problem der „Untergrenze des Strafrechts“
219
und – sofern dies zu bejahen ist –, ob jenes Reaktionsbedürfnis sich unterhalb der Schwelle bewegt, welche straftatbestandsmäßigem Verhalten vorbehalten ist, ob also der prozessuale „Eingriff“ als solcher sich nicht bereits als angemessene Reaktion erweist.
G. Sanktionenrechtlich relevante Verhaltensnormverstöße – exemplarische Verdeutlichung und Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse Im Kontext der Arzneimittelsicherheit ist nicht jeder Verhaltensnormverstoß ACHTUNGREzuständiger Amtsträger mit einer entsprechenden Strafdrohung versehen1 und überACHTUNGREdies phänotypisch relevant, also empirisch betrachtet von praktischem Interesse. Im Übrigen erreicht die Verletzung eines insoweit spezifischen rechtlichen Ge- oder Verbotes bisweilen nicht den für eine strafrechtliche Reaktion erforderlichen Schwellenwert.2 Vor diesem Hintergrund sollen an dieser Stelle diejenigen VerhaltensnormACHTUNGREverstöße des bis dato aufgezeigten Spektrums rechtlich zu beanstandenden (AmtsträACHTUNGREger-)Verhaltens beispielhaft skizziert werden, welche in der Lebenswirklichkeit als real existierende Phänomene strafrechtlich bedeutsam und im Hinblick auf die Auslösung eines strafrechtlichen Reaktionsbedarfs hinreichend gewichtig sind. 1. Zu nennen ist hiernach die zustimmende Bewertung bzw. Genehmigung von Arzneimittelprüfungen trotz rechtlich relevanter Mängel der Aufklärung der Probanden. Ist die betreffende Probandeninformation nicht geeignet, eine rechtlich ACHTUNGREwirksame Einwilligung der Studienteilnehmer in studienbedingte Beeinträchtigungen ihrer Körperintegrität herbeizuführen,3 ist jedenfalls eine Strafbarkeit der insoweit verantwortlichen Amtsträger nach §§ 340 I, III, 229 StGB in Erwägung zu ziehen. Der gute Glaube der verantwortlichen Amtsträger an die Abgabe einer wirksamen Einwilligung durch die Betroffenen schließt diese Fahrlässigkeitsverantwortlichkeit nicht aus. Erforderlich ist insoweit allerdings – in Ermangelung einer Versuchsstrafbarkeit – der Nachweis eines die Wirksamkeit der Einwilligung beeinträchtigenden wesentlichen Willensmangels der Beteiligten infolge der defizitären Aufklärung. Jenes Problem des rechtsgenügenden Nachweises der (Mit-)Ursächlichkeit der irreführenden Aufklärung für die Abgabe der Einwilligungserklärung stellt sich beispielsweise im Zusammenhang des rechtswidrigen Hinweises in der Probanden-
1 Man denke insbesondere an die „Inverkehrbringer“-Problematik im Rahmen der §§ 95 I Nr. 1, 5 I AMG, s. dazu oben F. I. 5. Nämliches gilt für die Begehung fahrlässiger Verhaltensnormverstöße in Richtung auf Leib und Leben Dritter, welche – im Fall des Ausbleibens spezifischer Fehlverhaltensfolgen – keine Strafbarkeit der Verantwortlichen nach §§ 222, 229 StGB auslöst. 2 Vgl. zum sog. „Untergrenzenproblem“ oben F. IV. 3 Vgl. zu entsprechenden Defiziten der Aufklärung potentieller Studienteilnehmer oben C. II. 6.
G. Sanktionenrechtlich relevante Verhaltensnormverstöße
221
information auf eine Versicherung der Probanden „gemäß dem AMG“;4 führt jenes „Gütesiegel“ der Gesetzeskonformität bei einem Probanden zu einer unzutreffenden Bewertung der in Rede stehenden Risiken, haben wir es allerdings durchaus mit einem hinreichend gewichtigen, auf dem betreffenden Passus beruhenden, Willensmangel zu tun. In entsprechenden Fällen des guten Glaubens der verantwortlichen Amtsträger an die Abgabe einer wirksamen Einwilligung durch die Betroffenen kommt weitergehend sogar eine Strafbarkeit wegen Beihilfe oder Anstiftung zu einer Vorsatztat des Sponsors oder Prüfarztes (§ 223 I StGB) in Betracht. Zu diesem Ergebnis gelangt man auf der Basis der bis dato vorherrschenden – insbesondere mit Rücksicht auf die Ungleichbehandlung von Rechts- und Tatfahrlässigkeit mit gewichtigen Gründen bestrittenen5 – sog. Schuldtheorie.6 Danach führt die Kenntnis der die Unwirksamkeit der Einwilligung begründenden Umstände in der irrigen Vorstellung, das betreffende Verhalten sei rechtlich erlaubt, zur Annahme eines Verbotsirrtums gemäß § 17 StGB. Dieser Irrtum ist in vorliegendem Kontext regelmäßig „vermeidbar“,7 so dass alACHTUNGRElenfalls eine Milderung der Vorsatzstrafe nach § 17 S. 2 StGB in Erwägung zu ziehen ist. 2. Daneben ist die Durchführung einer klinischen Prüfung unter Verstoß gegen das Erfordernis der Einwilligung nach ordnungsgemäßer Aufklärung eine Straftat nach § 96 Nr. 10 i. V. m. § 40 I 3 Nr. 3b AMG.8 Diese Vorschrift ist bereits einschlägig, sofern ein wesentlicher Aufklärungsmangel festgestellt werden kann – ob die Körperintegrität der Probanden durch studienbedingte Maßnahmen verletzt wird oder der Aufklärungsmangel überhaupt die Entscheidung zur Teilnahme beeinflusst hat, ist hingegen irrelevant. Demnach dient die Vorschrift dem Schutz vor abstrakten Gefahren bei der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch Studienteilnehmer. Amtsträger des BfArM bzw. Mitglieder der zuständigen Ethik-Kommission, welche für die 4
Vgl. dazu im Einzelnen oben C. II. 8. Kritisch zur Vorsatzbestrafung in Fällen der irrigen Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen eines Erlaubnissatzes etwa Freund, AT, § 4 Rn 80 ff., § 7 Rn 106 ff.; Herzberg, FS Otto, S. 265, 280 ff.; ders., JuS 2008, 385 ff.; Langer, Die Sonderstraftat, S. 84 f., 124 ff.; ders., GA 1976, 193 ff. 6 Vgl. etwa BGH NJW 1978, 1206; Wessels/Beulke, Rn. 461 f., 466, 482 f. mwN. 7 Die Annahme eines vermeidbaren Verbotsirrtums erscheint indes in den Fällen des unbeanstandeten Hinweises auf eine Probandenversicherung „gemäß dem AMG“ nicht unproblematisch. Erkennt man eine – durch das übergeordnete Prinzip der Wahrung des überwiegenden Interesses gerechtfertigte – Frist zur Herstellung eines arzneimittelrechtskonformen Zustandes an [s. dazu oben C. II. 8. b)], besteht die Crux darin, normativ hinreichende Indizien für die Feststellung eines entsprechenden Fristablauf zu konstatieren. Dies gilt insbesondere in Anbetracht der „Absegnung“ dieser rechtswidrigen Praxis verantwortlicher Entscheidungsträger durch den Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen. Demnach käme bis zu einer entsprechenden Klarstellung durch den Gesetzgeber bzw. der gerichtlichen Klärung dieser Rechtsfrage auch auf der Basis der Schuldtheorie ein Ausschluss der Vorsatzbestrafung nach § 17 S. 1 StGB in Betracht. Näher zur Bedeutung von Rechtsauskünften und Gerichtsurteilen für die Vermeidbarkeit von Verbotsirrtümern NK-Neumann, § 17 Rn 67 ff.; Roxin, AT I, § 21 Rn 62 ff., jew. mwN. 8 Vgl. dazu oben C. II. 6. d) aa). 5
222
G. Sanktionenrechtlich relevante Verhaltensnormverstöße
Verwendung der defizitären Probandeninformation verantwortlich sind, machen sich einer Beihilfe oder Anstiftung zur Haupttat nach § 96 Nr. 10 i. V. m. § 40 I 3 Nr. 3b AMG schuldig. 3. Wird eine klinische Prüfung trotz Fehlens einer gesetzeskonformen ProbandenversicheACHTUNGRErung zustimmend bewertet, können sich die verantwortlichen Mitglieder der Ethik-KommisACHTUNGREsion wegen Beihilfe zu einer Straftat nach § 96 Nr. 10 i. V. m. § 40 I 3 Nr. 8 AMG der Prüfärzte bzw. des Sponsors strafbar machen.9 Enthält die betrefACHTUNGREfende – unbeanstandet gebliebene – Probandeninformation den unzutreffenden Hinweis auf eine Versicherung „gemäß dem Arzneimittelgesetz“, kann dies einen wesentlichen Willensmangel bei Studienteilnehmern bedingen. Die entsprechende UnwirksamACHTUNGREkeit der Einwilligung eines Studienteilnehmers kann zu einer Strafbarkeit der verantwortlichen Prüfärzte und Sponsoren wegen zumindest fahrlässiger KörperACHTUNGREverletzung (§§ 223 I, 229 StGB) führen. Die Mitglieder der zuständigen Ethik-Kommission können sich als fahrlässige Nebentäter oder Teilnehmer jener Tat strafbar machen.10 4. Jedenfalls als fahrlässige – nach Maßgabe der sog. Schuldtheorie sogar stets als vorsätzliche – Körperverletzung strafbar ist die Durchführung fremdnütziger Forschung an Minderjährigen. Für die zustimmende Bewertung bzw. Genehmigung einer entsprechenden Studie durch die zuständigen Amtsträger gibt es im geltenden Recht keinen Erlaubnissatz.11 Gehen die verantwortlichen Amtsträger etwa davon aus, die Personensorgeberechtigten seien zur Abgabe einer Einwilligung gemäß § 1627 S. 1 BGB berechtigt, welche sich nicht am objektiv verstandenen Wohl des Kindes orientiert,12 unterliegen sie insoweit einem vermeidbaren Erlaubnisirrtum. De lege lata existiert kein Erlaubnissatz diesen Inhaltes. 5. Unter dem Gesichtspunkt der §§ 222, 229 StGB strafrechtlich von Bedeutung sind schließlich bestimmte fehlerhafte Zulassungsentscheidungen durch Amtsträger des BfArM. Insofern muss eine gerade unter dem Aspekt des Schutzes von Leib und Leben potentieller Arzneimittelkonsumenten legitimierbare Verhaltensnorm verletzt worden sein.13 Schwierigkeiten bereitet in diesem Zusammenhang mitunter der Nachweis spezifischer Fehlverhaltensfolgen des Verhaltensnormverstoßes, also die Feststellung der Ursächlichkeit einer Anwendung des zugelassenen Pharmakons für eine bestimmte Schädigung.14 X
9
Vgl. dazu oben C. II. 8. c). Vgl. dazu oben C. II. 8. c). 11 Vgl. hierzu oben C. II. 4. 12 s. zu den Anforderungen an die Einwilligung des Personensorgeberechtigten C. II. 4. a) bb). 13 Vgl. zu den entsprechenden Rechtspflichten im Einzelnen oben D. III. 14 Zu den Schwierigkeiten des Nachweises eines Ursachenzusammenhanges zwischen Anwendung und Schädigung durch ein Pharmakon s. bereits oben F. I. 10
G. Sanktionenrechtlich relevante Verhaltensnormverstöße
223
6. Die Verursachung (lediglich) abstrakter Gefährdungen durch das Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel ist sanktionenrechtlich zwar grundsätzlich nach §§ 95 I Nr. 1, 5 I AMG selbständig bedeutsam. Allerdings verbietet der nullum crimen-Satz die Anwendung jener Vorschrift auf das Verhalten von Amtsträgern, welche bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr gelangen lassen bzw. im Verkehr belassen.15 Der entsprechende Verhaltensnormverstoß ist nicht strafbewehrt – und zwar unabhängig davon, ob eine abstrakte Gefährdung der Konsumenten nach Maßgabe der Anforderungen des § 5 I AMG in rechtsgenügender Weise festgestellt werden kann. Ist der Nachweis der Schädigung eines Verbrauchers durch Anwendung eines rechtswidrig zugelassenen bzw. im Verkehr belassenen Arzneimittels in entsprechenden Fällen nicht zu erbringen, verstoßen die insoweit zuständigen Amtsträger zwar gegen eine strafbewehrte Verhaltensnorm i. S. d. §§ 222, 229 StGB, eine Sanktionierung der Verantwortlichen scheitert insofern jedoch an dem Erfordernis des Eintritts spezifischer Fehlverhaltensfolgen. 7. Mit Rücksicht auf den Charakter der Zulassungsentscheidung im Sinne einer vorläufigen, keinen materiellen Bestandsschutz auslösenden, Gestattung, können sich besondere Rechtspflichten der Amtsträger des BfArM zu gefahrvermeidendem Tätigwerden aus den Regelungen über Rücknahme und Widerruf der Zulassung ergeben. Hier ist zwischen der zwingenden Vorschrift des § 30 I, Ia AMG und der Ermessensvorschrift des § 30 II AMG zu differenzieren.16 In letztgenanntem Fall kann sich eine entsprechende Pflicht zum Tätigwerden nur in Konstellationen einer Ermessensreduzierung auf „Null“ – also insbesondere bei bestehenden Gesundheitsgefährdungen der Verbraucher – ergeben.17 Infolge der Abhängigkeit der Nutzen-Risiko-Abwägung vom jeweiligen wissenschaftlichen Status quo sind entsprechende Rechtspflichten hauptsächlich im Fall der negativen Veränderung der Nutzen-Risiko-Abwägung zu konstatieren.18 Sanktionenrechtlich bedeutsam sind entsprechende Pflichtverstöße der Amtsträger des BfArM allerdings nur im Fall des Eintritts (nachweisbarer) spezifischer Fehlverhaltensfolgen. Das hat zur Folge, dass ein Verstoß gegen besondere Rechtspflichten i. S. d. § 30 I, II AMG überhaupt nur dann eine Strafbarkeit auslösen kann, wenn das betreffende Arzneimittel bereits in den Verkehr gelangt ist. Gelingt in einem entsprechenden Fall der Nachweis der Ursächlichkeit des bedenklichen Arzneimittels für bestimmte Schädigungen nicht, ist der Verstoß eines Amtsträgers gegen eine qualifizierte Pflicht zu Rücknahme oder Widerruf der Zulassung als (praktisch wohl zumeist) fahrlässige Gefährdung von Leib und Leben der Verbraucher keine Straftat des geltenden Rechts.19 Die besondere Verantwortlichkeit der Amtsträger für das „Im Verkehr Belassen“ eines bedenklichen Arzneimittels 15
s. dazu oben F. 5. Näher dazu oben D. V. 17 Vgl. dazu oben D. V. 18 s. dazu oben D. V. 1. Zur Bedeutung von Arzneimittelinnovationen für die Bewertung eines „Altpräparates“ vgl. oben D. V. 2. 19 Zur Kritik an dieser und weiteren Widersprüchlichkeiten der arzneimittelrechtlichen Strafvorschriften bzw. des gesamten Nebenstrafrechts s. unten H. I., III. 16
224
G. Sanktionenrechtlich relevante Verhaltensnormverstöße
wird vom Wortlaut der insoweit relevanten Sanktionsnorm (§§ 95 I Nr. 1, 5 I AMG) nicht erfasst.20 8. Strafrechtliche Folgen können allerdings nicht lediglich an die Durchführung einer klinischen Prüfung oder die Zulassung von Arzneimitteln zu knüpfen sein. Auch die fehlerhafte Nichtzulassung eines Arzneimittels durch Amtsträger des BfArM zum Nachteil von Patienten kann einen unter dem Gesichtspunkt der §§ 222, 229, 13 I StGB strafbewehrten Verhaltensnormverstoß darstellen.21 Die zuständigen Amtsträger sind insofern nicht lediglich im Rechtsgüterschutzinteresse, sondern auch kraft Sonderverantwortlichkeit für die ordnungsgemäße Versorgung einschlägig kranker Patienten mit wirksamen Medikamenten, gehalten, eine angemessene Arzneimittelversorgung zu gewährleisten.22 Schwierigkeiten prozessualer Natur ergeben sich hier aus der Erforderlichkeit des Nachweises einer verbesserten Wirksamkeit des nicht zugelassenen Arzneimittels gegenüber der Standardtherapie sowie – insbesondere – der Ursächlichkeit der Vorenthaltung des entsprechenden Präparates durch die Entscheidung gegen eine Zulassung für eine Verschlechterung bzw. die unterbliebene Verbesserung23 der Gesundheit Betroffener. Insofern geht es um die Frage der tatsächlichen Strafbarkeit des Fehlverhaltens, welche einen eingetretenen und zurechenbaren Erfolg voraussetzt. 9. Eine Strafbarkeit zuständiger Amtsträger des BfArM wegen begehungsACHTUNGREgleichen Unterlassens kann sich daneben aus der Verletzung besonderer AmtspflichACHTUNGREten im Rahmen der Arzneimittelüberwachung ergeben. Der verspätete oder unterbliebene Rückruf bedenklicher Arzneimittel entgegen einer qualifizierten Gefahrenabwendungsverpflichtung ist – beim Nachweis spezifischer Fehlverhaltensfolgen – als (zumindest) fahrlässige Körperverletzung oder Tötung zu sanktionieren.24 NämliACHTUNGREches gilt in Konstellationen verspäteter oder unterbliebener öffentlicher Warnungen unter Verletzung der sich aus § 69 IVAMG ergebenden besonderen AmtspflichACHTUNGREten.25 Eine entsprechende Unterlassungsstrafbarkeit kommt lediglich beim Eintritt tatbeACHTUNGREstandsmäßiger Verhaltensfolgen i. S. d. entsprechenden Verletzungsdeliktes (§§ 222, 229, 13 I StGB) in Betracht. Ausschließlich abstrakt gefährliche Verhaltensweisen zuständiger Amtsträger im Rahmen der Pharmakovigilanz sind hingegen 20
Näher dazu oben F. I. 5. Vgl. hierzu oben D. IV. 22 Vgl. zur sachlichen Fundierung und inhaltlichen Konkretisierung sog. Beschützerverantwortlichkeiten von Amtsträgern in diesem Kontext oben B. II. 2. 23 Anerkanntermaßen kommt es für den Begriff der körperlichen Unversehrtheit auf den „relativen Körperzustand“ an, das heißt die aktuelle körperliche Verfassung ist mit derjenigen, welche ohne den in Rede stehenden Eingriff zu konstatieren wäre, zu vergleichen. Danach ist auch die unterlassene Minderung vorhandener Leiden – bei gegebener Sonderverantwortlichkeit – unter dem Gesichtspunkt der Körperverletzungsdelikte bedeutsam. Vgl. dazu MünchKommStGB-Joecks, § 223 Rn 7; LK-Lilie, 11. Aufl., § 223 Rn 7. 24 Näher zu den Voraussetzungen des insoweit einschlägigen § 69 I 3 AMG oben D. VI. 2. b). 25 Eingehend dazu oben D. VI. 2. c). 21
G. Sanktionenrechtlich relevante Verhaltensnormverstöße
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nicht strafbar. Das „Im-Verkehr-Belassen“ bedenklicher Arzneimittel wird von § 95 I Nr. 1 AMG nicht erfasst.26
26
Zu dem mit Rücksicht auf die Wortlautgrenze begrenzten Anwendungsbereich der §§ 95 I Nr. 1, 5 I AMG vgl. oben F. I. 5. Zu Reformüberlegungen hinsichtlich eines allgemeinen Produkthaftungstatbestandes bzw. zu einer – zumindest den in vorliegendem Kontext auftretenden Wertungswidersprüchen Rechnung tragenden – Neuregelung des § 95 I Nr. 1 AMG s. unten H. II.
H. Kontextspezifische Bewertung des Arzneimittel- und Sanktionenrechts – Rechtspolitischer Ausblick I. Wertungswidersprüche bei der sanktionenrechtlichen Erfassung des Fehlverhaltens von Amtsträgern im Umgang mit Arzneimittelrisiken Vorstehende Ausführungen haben gezeigt, dass die Eröffnung oder nicht angemessene Begrenzung bestimmter Arzneimittelrisiken in Richtung auf Leib und Leben von Menschen durch insoweit zuständige Amtsträger vielfach einer Sanktionsdrohung unterfällt. Dies bedeutet, dass der entsprechende Verstoß gegen eine Verhaltensnorm mit Strafe bewehrt ist. Effektiv strafbar sind hingegen nur solche Verhaltensnormverstöße, bei welchen die Feststellung spezifischer Fehlverhaltensfolgen – oder in (praktisch wohl eher seltenen) Vorsatzkonstellationen der Nachweis des Vorliegens der Voraussetzungen strafbaren Versuchsunrechts – gelingt. Einschlägig sind insoweit die Tötungs- und Körperverletzungsdelikte. Abstrakt gefährliche Verhaltensweisen zuständiger Amtsträger im Hinblick auf bedenkliche Arzneimittel werden dagegen vom geltenden (Arzneimittel-)Strafrecht – grundsätzlich1 – nicht erfasst. Dies gilt zunächst für fehlerhafte Zulassungsentscheidungen durch Angestellte des BfArM.2 Die besondere Verantwortlichkeit für das „InVerkehr-gelangen-Lassen“ bedenklicher Arzneimittel ist kein „Inverkehrbringen“ i. S. d. § 95 I Nr. 1 AMG.3 Der nullum crimen-Satz verbietet eine Interpretation des „Inverkehrbringens durch Unterlassen“ im Sinne eines „Im-Verkehr-Belassens“. Dieser Gesichtspunkt ist von wesentlicher Bedeutung für die strafrechtliche Fundierung qualifizierter Vermeidepflichten in Bezug auf Rücknahme und Widerruf einer
1 Eine Ausnahme hiervon bildet etwa die Strafbarkeit von Amtsträgern wegen Beihilfe oder Anstiftung zu einer Straftat nach § 96 Nr. 10 i. V. m. § 40 I 3 Nr. 3b AMG in Fällen der Durchführung einer klinischen Prüfung unter Verstoß gegen das Erfordernis der Einwilligung nach ordnungsgemäßer Aufklärung. Insofern wird bereits die Herbeiführung einer abstrakten Gefahr der Unterminierung einer freiverantwortlichen Entscheidung betroffener Probanden sanktioniert. Vgl. dazu oben C. II. 6. d) aa). 2 Vgl. hierzu oben D. III. 3 Näher dazu oben F. I. 5.
I. Wertungswidersprüche
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erteilten Zulassung sowie im Rahmen der Entscheidungen über einen Rückruf bzw. die Verbreitung einer öffentlichen Warnung.4 Die limitierte Reichweite des Wortlautes des § 95 I Nr. 1 AMG führt somit de facto zu einer ungerechtfertigten Privilegierung von Amtsträgern gegenüber „Inverkehrbringern“.5 Sie hat zudem eine – generelle – sachwidrige Ungleichbehandlung bestimmter Konstellationen vergleichbaren Verhaltensunrechts zur Folge. Denn dass es sich im Hinblick auf Konstellationen des „Im-Verkehr-Belassens“ bedenklicher Arzneimittel nicht um hinreichend relevante Unwertsachverhalte – und zwar solche, welche den Tatbestandsverwirklichungsformen des § 95 I Nr. 1 AMG gleichstehen – handelt, kann ernsthaft nicht bestritten werden. Die entsprechende Ungleichbehandlung erweist sich geradezu als Paradoxon, sofern man sich vergegenwärtigt, dass jedenfalls seit dem Contergan-Beschluss ein wesentliches Augenmerk auf Rechtspflichten im Zusammenhang mit eingehenden Verdachtsmeldungen über schädliche Arzneimittelwirkungen gerichtet wird.6 Nicht zuletzt aus diesem Grund wird für das Regelwerk des AMG zwar in Anspruch genommen, eine angemessene Antwort auf jene KataACHTUNGREstrophe zu enthalten.7 Indes wird man diesem Anspruch nur dann gerecht werden, wenn auch das – unter dem Gesichtspunkt der Abwendung spezifischer Arzneimittelrisiken besonders bedeutsame – „Im-Verkehr-Belassen“ bedenklicher Arzneimittel durch eine „passende“ Sanktionsnorm tatbestandlich missbilligt wird. Der ausschließliche Rekurs auf Verletzungsdelikte ist in diesem Zusammenhang aufgrund des erforderlichen Nachweises der Kausalität lediglich als unzureichende allenfalls provisorische Notlösung anzusehen.8 Die entsprechenden Gesetzeslücken versinnbildlichen daher letztlich auch, dass im Rahmen der rechtlichen Aufarbeitung des Contergan-Falles bis heute nicht sämtliche notwendigen Lehren gezogen wurden.
4
Zu entsprechenden qualifizierten Vermeidepflichten s. oben D. V. sowie D. VI. 2. Vgl. dazu bereits oben F. I. 5. 6 Hierin lag nachgerade der maßgebliche rechtliche Vorwurf gegenüber den Verantwortlichen im Contergan-Beschluss. S. dazu LG Aachen, JZ 1971, 507, 514 ff. Dass es sich hierbei nicht um ein spezifisches Problem des Arzneimittelrechts handelt, verdeutlicht unter anderem die Lederspray-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 37, 106, 113 ff.). 7 Die gesetzgeberische Intention durch Neuordnung des Arzneimittelrechts im AMG 1976, den Erfahrungen der Contergan-Katastrophe Rechnung zu tragen, ist allenthalben unbestritten. Vgl. dazu etwa Kloesel, NJW 1976, 1769 ff. 8 Zur Kritik an der gegenwärtigen (und möglicherweise auch in zukünftigen Fällen drohenden) Praxis der rechtlich unzulässigen Reduzierung der Anforderungen an eine Strafbarkeit wegen vollendeten Verletzungsdeliktes in Konstellationen des nicht nachweisbaren Ursachenzusammenhanges zwischen bedenklichem Produkt und Rechtsgutsverletzung vgl. oben F. I. 3. mwN. 5
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H. Kontextspezifische Bewertung
II. Überlegungen zu einer kernstrafrechtlichen Neuregelung der Produktverantwortlichkeit – die punktuelle Änderung des Arzneimittelstrafrechts als provisorische Lösung Um die genannten – sowie weitere, an dieser Stelle zu vernachlässigende9 – Unstimmigkeiten der arzneimittelrechtlichen Strafvorschriften zu beseitigen, werden vermehrt Vorschläge zur Schaffung einer kernstrafrechtlichen allgemeinen Produkthaftungsvorschrift zur Erfassung von Leibes- und Lebensgefahren durch „bedenkliche“ Produkte unterbreitet.10 Jene Konzeptionen können für sich in Anspruch nehmen, die unzureichende punktuelle strafrechtliche Erfassung von Verhaltensnormverstößen im Bereich des Umgangs mit Arzneimittelrisiken sowie desgleichen in Bezug auf zahlreiche weitere Produktgefahren auf eine tragfähige – nämlich verallgemeinerungsfähige – Grundlage zu stellen.11 Denn insoweit geht es keinesfalls um ein arzneimittelrechtliches Spezifikum. Vielmehr ist eine – dem technischen und gesellschaftlichen Fortschritt hinterhereilende – nebenstrafrechtliche Gesetzgebung auf typologischer und enumerativer Basis, soweit ersichtlich, Wesensmerkmal sämt9
Vgl. beispielsweise zur Kritik an sog. „qualifizierten Blankettnormen“ Dietmeier, Blankettstrafrecht, S. 129 ff.; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, S. 266 ff., sowie im spezifischen Kontext des Arzneimittelrechts MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 95 ff. AMG Rn 45 ff. – Zu weiteren Defiziten der SanktionsACHTUNGREvorschriften des AMG s. etwa MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 95 ff. AMG Rn 71 ff.; Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 40 ff. 10 Die Konzeption eines entsprechenden allgemeinen Produkthaftungstatbestandes findet sich etwa bei MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 95 ff. AMG Rn 81. Die vorgeschlagene neu einzufügende Strafvorschrift lautet: § 232 StGB – Lebens- und Gesundheitsgefährdung durch Produkte (1) Wer zu verantworten hat, dass ein Gegenstand in Verkehr gelangt oder bleibt oder zum Inverkehrbringen bereitgehalten wird, obwohl dieser geeignet oder dringend verdächtig ist, andere widerrechtlich an Leib oder Leben zu schädigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig handelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ein erster, vor Erlass des 6. Strafrechtsreformgesetzes in die Diskussion eingebrachter, weitgehend inhaltsgleicher Vorschlag Freunds zur Normierung eines neuen § 231 StGB (nun „Beteiligung an einer Schlägerei“) ist abgedruckt in ZLR 1994, 261, 297 ff. sowie ZStW 109 (1997), 455, 478 ff. Ihm folgend Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, S. 300 ff., sowie unter gewissen Modifizierungen Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 48 ff. Für eine Änderung der bestehenden §§ 319, 329 StGB aF (nun §§ 308 II-IV, 314 StGB) zur Schaffung eines allgemeinen Produkthaftungstatbestandes Geerds, FS Tröndle, S. 241 ff. 11 Die von Geerds, FS Tröndle, S. 241, 245 f., favorisierte Modifikation der §§ 319, 320 StGB aF mit der zentralen Tatmodalität des „Inverkehrbringens“, vermag in diesem Kontext allerdings nicht sämtliche relevante Konstellationen zu erfassen. Zu Problemen der begrenzten Reichweite des Wortlautes der §§ 95 I Nr. 1, 5 I AMG bei Anwendung des Tatbestandsmerkmals des „Inverkehrbringens“ s. oben F. I. 5. Zur Kritik an der von Geerds vorgeschlagenen Regelung s. auch Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, S. 298 f.
II. Überlegungen zu einer kernstrafrechtlichen Neuregelung
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licher betreffender Regelwerke.12 Im Übrigen handelt es sich – über den durch das geltende Nebenstrafrecht umgrenzten Bereich hinaus13 – um ein allgemeines Problem, welches demzufolge einer allgemeinen Regelung harrt. In der Sache verfehlt ist danach die Ungleichbehandlung verschiedener Produktgefahren. Sie führt zu befremdlichen und nicht zu rechtfertigenden Differenzierungen.14 Dies veranschaulicht insbesondere eine Gegenüberstellung solcher Fälle, in welchen wir es keinesfalls mit disparaten Gegenständen zu tun haben. So sind nach geltendem Recht im Grenzbereich zwischen einzelnen Produktsegmenten dort sanktionenrechtliche Zäsuren zu schlagen, wo diese mit Rücksicht auf tatsächlich verwirklichtes Verhaltensunrecht keine Berechtigung haben.15 Als arzneimittelspezifisches Beispiel mag hier der Vergleich zwischen einer Arznei-Salbe und einer solchen zur Körperpflege dienen. Wird hier in beiden Fällen ein „bedenklicher“ Grundstoff verwendet, welcher nicht arzneilich wirksam ist, droht in erstgenannter Konstellation eine Strafbarkeit nach §§ 95 I Nr. 1, 5 I AMG. Die Schaffung entsprechender Risiken durch Inverkehrbringen des reinen Pflegeproduktes untersteht hingegen lediglich dem Regime der Körperverletzungsdelikte, eine Vollendungsstrafbarkeit setzt also den schwierigen Nachweis des Eintritts tatbestandsmäßiger Fehlverhaltensfolgen voraus. Im Übrigen hat eine kontextunabhängige Norm strafrechtlicher Produktverantwortlichkeit nicht von der Hand zu weisende Vorteile für potentielle Normadressaten und Rechtsanwender. Unabhängig von dem jeweils betroffenen Produktsektor hätten es die für die Vermeidung bzw. angemessene Begrenzung von Produktgefahren Verantwortlichen mit einheitlichen Verhaltensanforderungen zu tun.16 Für die Gerichte erübrigte sich nicht nur die Arbeit mit dem schier unüberschaubaren Bestand an nebenstrafrechtlichen Vorschriften, sondern es bestünde zugleich die Möglichkeit, sämtliche rechtlich missbilligten Gefährdungen durch bedenkliche Produkte einheitlich, widerspruchsfrei sowie ohne fragwürdige „Kunstgriffe“ zu erfassen.17 Dass dies kein unmögliches – dem Bestimmtheitserfordernis zuwider laufendes – Unterfangen ist, zeigt nicht zuletzt der Vergleich mit der Regelung des § 229 StGB. Die Vorschrift ist aufgrund der Komplexität denkbarer Lebenssachverhalte notwen12 Vgl. etwa zur Kritik an der lebensmittelrechtlichen Rechtslage Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, S. 229 ff., 275 ff. 13 Man denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an Kosmetikprodukte, welche nicht dem AMG oder einem anderen Nebengesetz unterfallen und dennoch in gleicher Weise wie eine Arznei-Salbe Produktgefahren beinhalten können. 14 So wird sich kaum eine tragfähige Begründung dafür finden lassen, zwischen dem aus einer BSE-verdächtiACHTUNGREgen Kuh gewonnenen Arzneimittel und dem aus jener Kuh gewonnenen Fleisch sanktionenrechtlich zu differenzieren. Vgl. zu diesem Beispiel MünchKommStGBFreund, Vor §§ 95 ff. AMG Rn 82, 85; ders., ZLR 1994, 261, 287 Fn 76. 15 In diesem Sinne auch unter Verweis auf diffizile Abgrenzungsprobleme zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten bzw. Lebensmitteln Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 45. 16 Zutreffend betont von Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 45. 17 Vgl. insoweit MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 95 ff. AMG Rn 71 ff., 84; Geerds, FS Tröndle, S. 241, 256 f.; Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, S. 45.
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digerweise „generalklauselartig“ konzipiert. Dennoch gelingt es der Rechtspraxis (grundsätzlich18) in überzeugender – wenngleich methodisch nicht unangreifbarer19 – Form, spezifische Verhaltensnormverstöße im Sinne dieser „Generalklausel“ herauszuarbeiten. Insoweit würde ernsthaft niemand proklamieren, spezifische Ausprägungen des Verhaltensunrechts der fahrlässigen Körperverletzung sollten auf enumerative Weise in den Tatbestand implementiert werden. Und auch die neuerdings erhobene Forderung nach einem – einen vermeintlichen Gewinn an Bestimmtheit versprechenden – „typologischen Fahrlässigkeitsverständnis“ unter Berücksichtigung bestimACHTUNGREmter Veranlassungsmomente20 muss sich letztlich der Einsicht in die Notwendigkeit beugen, die entsprechende Vertypung in generalklauselartige Varianten zu gießen. Ein Fortschritt unter dem Blickwinkel des Bestimmtheitserfordernisses ist danach nicht zu verzeichnen. Vor diesem Hintergrund kann es bei der Bestimmung des Fahrlässigkeitsunrechts nur darum gehen, unter Zugrundelegung eines angemessenen Straftatverständnisses ein sachgemäßes Verfahren zur Feststellung fahrlässigen Fehlverhaltens zu entwickeln und die insoweit relevanten normativen Kriterien offenzulegen.21 Warum wurde, so könnte man danach mit Recht fragen, im Kontext der Normierung spezieller Vorschriften der strafrechtlichen Produktverantwortung nicht ein gleichartiger Weg – gewissermaßen in Parallele zu den Fahrlässigkeitstatbeständen – beschritten? Hier bleibt, soweit ersichtlich, nur die ernüchternde Feststellung, dass die punktuelle und lückenhafte strafrechtliche Erfassung entsprechender Produktrisiken in Nebengesetzen historisch gewachsen und bis dato keiner grundlegenden Revision unterzogen worden ist.22 Aus diesem Grunde darf man sich im Hinblick auf eine notwendige Reform der betreffenden Regelungsbereiche gewiss keinen Illusionen hingeben. Eine Revolutionierung in Gestalt der Schaffung eines einheitlichen strafrechtlichen Produkthaftungstatbestandes anstelle der Vielzahl punktueller Regelungen ist kurzfristig eher nicht zu erwarten. Sie wäre gleichsam ein Eingeständnis eigener Verfehlungen in der Gesetzgebungstechnik. Zumindest den im hier interessierenden Zusammenhang bedeutsamen Bedenken kann jedoch auch unterhalb der Schwelle einer – im Lichte des oben Gesagten unein18 Zu Defiziten etwa bei der Feststellung spezifischer Verhaltensnormverstöße im Rahmen arbeitsteiliger Organisationsstrukturen s. jedoch oben E. I., II. 19 Zu einem angemessenen Verfahren der Legitimation von Verhaltensnormen s. oben B. I. 20 Nach Duttge, FS Kohlmann, S. 13, 26 ff., sind die Fahrlässigkeitsdelikte des geltenden Strafrechts zur Wahrung des Bestimmtheitsgebotes verfassungskonform auszulegen. Ein entsprechenden Bedenken Rechnung tragender Fahrlässigkeitsbegriff soll hiernach durch Benennung verschiedener – auf einer „mittleren Abstraktionsebene“ anzusiedelnder – Veranlassungsmomente für die Entstehung einer je spezifischen Vermeidepflicht zu erlangen sein. Vgl. dazu MünchKommStGB-Duttge, § 15 Rn 120 ff. 21 Vgl. dazu mit einem entsprechenden Vorschlag zur Definition fahrlässigen Fehlverhaltens Freund, FS KüACHTUNGREper, S. 63, 67 ff., 74 ff. Zu den allgemeinen Kriterien tatbestandsmäßigen Verhaltens s. bereits oben B. I. 22 s. dazu MünchKommStGB-Freund, Vor §§ 95 ff. AMG Rn 83.
II. Überlegungen zu einer kernstrafrechtlichen Neuregelung
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geschränkt begrüßenswerten – Generalrevision der Vorschriften zur strafrechtlichen Produkthaftung begegnet werden. Denkbar erscheint jedenfalls eine punktuelle Änderung der arzneimittelrechtlichen Strafvorschriften. Die insoweit relevanten – nach geltendem Recht jedoch straflosen – Unwertsachverhalte betreffen die Zulassung bedenklicher Arzneimittel sowie die nicht angemessene Vermeidung von Schädigungsrisiken durch bereits in den Verkehr gebrachte bedenkliche Arzneimittel.23 Entsprechende Verhaltensnormverstöße wären ohne weiteres durch eine Neuregelung des § 95 I Nr. 1 AMG zu erfassen. Die Vorschrift wäre danach in folgender Weise zu ändern: § 95 Strafvorschriften (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. entgegen einer besonderen Rechtspflicht24 bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr bringt, gelangen lässt, im Verkehr belässt oder bei anderen anwendet.25
Die Tatmodalitäten des „Inverkehrbringens“ und der „Anwendung bei anderen“ bleiben hiernach erhalten. Allerdings kann die vorgeschlagene Gesetzesfassung insbesondere in Sachverhalten des „Im-Verkehr-Belassens“ bedenklicher Arzneimittel zu einer Schließung erheblicher sachwidriger Strafbarkeitslücken beitragen. Insofern erfasst die Sanktionsnorm des § 95 I Nr. 1 AMG bis dato lediglich Sachverhalte des Inverkehrbringens durch Unterlassen. Unter Wortlautaspekten scheitert dagegen eine Sanktionierung in solchen Fällen, in welchen sich erst nach dem Inverkehrbringen die Bedenklichkeit des betreffenden Pharmakons herausstellt. Die neu einzufügende Tatvariante des „In-Verkehr-gelangen-Lassens“ hat insbesondere die Funktion, Fehlverhaltensweisen der Aufsichtsbehörden bei der Zulassung bedenklicher Arzneimittel zu erfassen, welche mit Rücksicht auf den nullum crimen-Satz nicht unter den Begriff 23 Näher zu den entsprechenden Lücken der Sanktionsvorschriften des AMG oben F. I. 5. sowie H. I. 24 Der Bezugnahme auf die Verletzung einer „besonderen Rechtspflicht“ kommt nach dem zur Legitimation von Verhaltensnormen Gesagten (s. oben B. I.) lediglich deklaratorische Funktion zu. Die Anwendung des Institutes Strafe setzt im hier interessierenden Zusammenhang nicht irgendeine, sondern die Verletzung einer qualifizierten Rechtspflicht zur Vermeidung von Arzneimittelrisiken voraus. 25 Korrespondierend zu dieser Neuregelung wäre § 5 I AMG in folgender Weise zu ändern: § 5 Verbot bedenklicher Arzneimittel (1) Es ist verboten, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen, gelangen zu lassen, im Verkehr zu belassen oder bei einem anderen Menschen anzuwenden. Die Erweiterung der Verhaltensnorm des § 5 I AMG um das Verbot des „Im-VerkehrBelassens“ ist zwar im Hinblick auf insoweit bestehende besondere Rechtspflichten von Amtsträgern nicht erforderlich. Entsprechende Pflichten ergeben sich bereits aus den speziellen Vorschriften über Rücknahme und Widerruf der Zulassung (vgl. §§ 30, 69 AMG; näher zu den hieraus resultierenden besonderen Rechtspflichten oben D. V. sowie D. VI. 2.). Allerdings enthält die bis dato geltende Fassung des § 5 I AMG kein entsprechendes Verbot in Bezug auf die Verwirklichung nämlichen Verhaltensunrechts durch pharmazeutische Unternehmer oder Arzneimittelgroßhändler. Erfasst ist lediglich das Inverkehrbringen – ggf. durch Unterlassen –, nicht jedoch das „Im-Verkehr-Belassen“ bedenklicher Arzneimittel.
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H. Kontextspezifische Bewertung
des „Inverkehrbringens“ zu subsumieren sind. Die skizzierte Neuregelung ermöglicht danach eine angemessene und widerspruchsfreie strafrechtliche Erfassung der Schaffung oder Nichtabwendung rechtlich missbilligter Schädigungsmöglichkeiten durch bedenkliche Arzneimittel – und zwar nicht lediglich unter dem Gesichtspunkt des Fehlverhaltens von Amtsträgern, sondern in einer sachgerecht alle relevanten Verhaltensweisen einbeziehenden Anordnung.
III. Zu weiteren Wertungswidersprüchen in vorliegendem Kontext Neben den aufgezeigten Unstimmigkeiten des einschlägigen Sanktionenrechts enthält das gelACHTUNGREtende Arzneimittelrecht in der hier interessierenden Hinsicht einige weitere nicht unproblemaACHTUNGREtische Regelungen. Zu nennen sind danach zum einen die Vorschriften zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Probandenversicherung durch die Ethik-Kommission gemäß §§ 40 I 3 Nr. 8, III, 42 I 7 Nr. 3 AMG.26 Der Ethik-Kommission wird zwar nach § 40 III AMG die Aufgabe zugewiesen, den Umfang der Versicherung auf der Grundlage einer Risikoabschätzung zu überprüfen. Zugleich „muss“ diese jedoch für jeden Fall des Todes oder der dauernden Erwerbsunfähigkeit eines Probanden eine Versicherungssumme von mindestens 500.000 E vorsehen. Eine entsprechende Mindestversicherungssumme kann jedoch in keinem Fall mittels einer Risikoprognose ermittelt werden. Die Ethik-Kommission kann diese Summe nolens volens nur dann garantieren, wenn ein entsprechender Versicherungsvertrag besteht, diese Summe also tatsächlich für jeden Schadensfall zur Verfügung steht.27 Das gesetzliche Erfordernis einer Risikobewertung ist danach zur Lösung des Problems ungeeignet. Eine angemessene Regelung muss danach entweder das Erfordernis der Mindestversicherungssumme für jeden Schadensfall in eindeutiger Weise festschreiben oder sie darf den – gegenwärtig ersichtlich angestrebten – Garantietatbestand überhaupt nicht enthalten. In letztgenanntem Fall verbliebe es konsequenterweise lediglich bei der Normierung des Erfordernisses einer Risikoprognose ex ante. Ob dies angesichts der der zuständigen Ethik-Kommission zur Verfügung stehenden schmalen Tatsachenbasis und den in zeitlicher und personeller Hinsicht erheblich limitierten Kapazitäten zur Risikobewertung wünschenswert ist, mag der Gesetzgeber entscheiden. Nach dem Gesagten erscheint es naheliegend, die Risikobewertung einer klinischen Studie faktisch den Versicherungsunternehmen zu überantworten. Diese beschäftigen nicht nur hinreichend qualifiziertes Personal im Hinblick auf die Aufgabe der Risikobewertung, sondern sie können insbesondere die in concreto prognostizierten Risiken durch Erhebung eines entsprechenden Versicherungsbeitrages in differenzierter Weise erfassen. Vermöge dieses Instrumentes der Risikosteuerung ist es 26 27
Ausführlich dazu oben C. II. 8. Vgl. oben C. II. 8. a).
III. Zu weiteren Wertungswidersprüchen in vorliegendem Kontext
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de facto ohne weiteres möglich, die gesetzlich vorgesehene Mindestversicherungssumme auch dann vertraglich zu garantieren, wenn die Arzneimittelprüfung nach aktuellem Erkenntnisstand nur bagatellhafte Gefahren beinhaltet. Denn die entsprechend geringe Gefahrtragung des Versicherers bedingt eine signifikant niedrigere Gegenleistung des Versicherungsnehmers. Ein aus der Risikobewertung resultierender etwaiger Mehraufwand der Versicherer wäre – wie in entsprechenden Versicherungsfällen auch – durch Anpassung der Versicherungsbeiträge auszugleichen. An die Vorschriften zur Probandenversicherung knüpft sich eine weitere gesetzgeberische Ungereimtheit. Sie betriff die Divergenz bei der rechtlichen Behandlung von Arzneimittelprüfungen und der Erprobung sonstiger gefährlicher Stoffe oder chirurgischer Eingriffe.28 Unterliegen Arzneimittelprüfungen den Vorschriften der §§ 40 ff. AMG, so existieren im Gegensatz hierzu keine Spezialvorschriften zur Untersuchung neuer Operationsmethoden, obwohl die betreffenden Risiken unter Umständen diejenigen einer Arzneimittelprüfung bei Weitem übertreffen.29 Diese Tatsache hat keine Auswirkungen auf das – bereits nach den allgemeinen Vorschriften zu beachtende – Erfordernis der aufgeklärten Einwilligung durch die Probanden. Hieraus resultiert jedoch ein unterschiedliches Schutzniveau im Hinblick auf forschungsbedingte Risiken, da lediglich Schädigungsrisiken für Probanden von Arzneimittelprüfungen zwingend zu versichern sind. Diese unterschiedliche Ausgestaltung der Rahmenbedingungen von Forschung kann infolgedessen – insbesondere bei Eigenprojekten von Forschern – zu einer rechtspolitisch willkürlich anmutenden Differenzierung in finanzierbare und mit Blick auf das Eingreifen der Versicherungspflicht nicht finanzierbare Explorationen führen.30 Danach erscheint es durchaus bedenkenswert, alle – prinzipiell versicherungsbedürftigen – Bereiche der Humanforschung einem einheitlichen Forschungsgesetz zu unterstellen.31 Dies wäre der Ort, eine tragfähige Regelung über ein Eingreifen der Versicherungspflicht in der Humanforschung zu treffen und die rechtlichen Anforderungen an die AusgeACHTUNGREstaltung der Probandenversicherung – in unzweideutiger Weise – zu normieren. Dass insofern finanzielle Engpässe bei der Finanzierung (bis dato nicht) versicherungspflichtiger Studien drohen, ist kein überzeugendes Gegenargument gegen die entsprechende Vereinheitlichung des Probandenschutzes. Insofern obliegt dem Gesetzgeber die wissenschaftspolitische Grundentscheidung, Forschungsprojekte durch Gewährung hinreichender Betriebsmittel zu ermöglichen oder den Entschluss über die Durchführung entsprechender Forschung in private
28 Ein den Vorschriften über die klinische Prüfung von Arzneimitten vergleichbares Regelwerk gilt gemäß §§ 19 ff. MPG für die klinische Prüfung von Medizinprodukten. 29 Vgl. dazu MünchKommStGB-Freund, §§ 40 – 42a AMG Rn 59; ders., MedR 2001, 65, 71. 30 Vgl. zu diesem Aspekt Freund, MedR 2001, 65, 71. 31 Zu entsprechenden Forderungen s. Walter-Sack/Rittner, VersR 2003, 432 ff.; Wölk, RPG 2004, 59, 60, 71. Vgl. auch Schreiber, in: Helmchen/Winau (Hrsg.), Versuche mit Menschen, S. 15, 18.
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Hände zu geben, also in nicht unerheblicher Weise von finanziellen Eigeninteressen des Sponsors abhängig zu machen.32
IV. Zur geplanten Umwandlung des BfArM in eine Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukte-Agentur (DAMA) Die im Rahmen dieser Arbeit dargestellten besonderen Rechtspflichten zuständiger Amtsträger des BfArM sind vor dem Hintergrund der Organisation dieser Behörde als Bundesoberbehörde im Arzneimittelwesen zu verstehen. Diese Organisationsstruktur steht allerdings zur Debatte. Geplant ist eine Umwandlung des BfArM in eine Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukte-Agentur (DAMA) in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Der entsprechende Gesetzentwurf der Bundesregierung wirft Fragen hinsichtlich seines Zustandekommens und der Finanzierung der neu zu errichtenden DAMA auf. In der Sache geht es dabei letztlich um Gefahren für die Arzneimittelsicherheit durch etwaige, einer angemessenen Pflichterfüllung durch zuständige Amtsträger zuwiderlaufende, Interessenkollisionen im Aufgabenbereich der geplanten Institution.
1. Ziel und wesentlicher Inhalt des Entwurfes eines Gesetzes zur Errichtung einer Deutschen Arzneimittelund Medizinprodukteagentur (DAMA-Errichtungsgesetz) Ziel des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur Errichtung einer DAMA ist die Harmonisierung der in Deutschland geltenden Rahmenbedingungen für die Zulassung von Arzneimitteln mit denen anderer EU-Staaten, die Sicherstellung eines „effektiven und auf hohem Wissenschaftsniveau stehenden Zulassungsmanagements“ sowie eine Stärkung der Pharmakovigilanz im Interesse der Arzneimittelsicherheit.33 Hierzu bedarf es nach der Begründung zum DAMA-Errichtungsgesetz einer Organisationsform, welche sich durch ein „flexibles an internationalen Standards ausgerichtetes Leistungsmanagement auszeichnet“ und somit „schnelle und qualifizierte Entscheidungen“ gestattet.34 Gemäß § 12 I DAMA-Errichtungsgesetz finanziert die Agentur die mit der Wahrnehmung ihrer Aufgaben verbundenen Ausgaben vollständig aus Gebühren und Ent32
Vgl. zur Gefahr der Steuerung von Wissenschaft durch private Finanzierung von Forschungsvorhaben etwa Deutsch, VersR 1999, 1; Freund, MedR 2001, 65, 71. 33 Vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum DAMA-Errichtungsgesetz v. 23. 2. 2007, BT-Drs. 16/4374, S. 1. 34 Vgl. Entwurf zum DAMA-Errichtungsgesetz, BT-Drs. 16/4374, S. 1.
IV. Zur geplanten Umwandlung des BfArM
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gelten. Angestrebt ist insofern eine vollständige Eigenfinanzierung der DAMA nach Maßgabe der §§ 12 II, III, 14 DAMA-Errichtungsgesetz vom Jahr 2012 an. Lediglich für Aufwendungen im Rahmen von Aufgaben, welche im Interesse der allgemeinen Gesundheitsvorsorge liegen, ist ein begrenzter Bundeszuschuss vorgesehen.35 Die jener Finanzierung zugrunde liegenden Gebühren bemessen sich gemäß § 14 II 3 DAMA-Errichtungsgesetz zum einen nach dem Verwaltungsaufwand, also beispielsweise nach den durchschnittlichen Personal- und Sachkosten der Amtshandlung. Im Übrigen sind bei der Gebührenbemessung gemäß § 14 II 4 DAMA-Errichtungsgesetz Nutzen und wirtschaftlicher Wert der Amtshandlung für den Leistungsempfänger zu berücksichtigen.36 Eine positive Zulassungsentscheidung wirkt sich hiernach auf die Höhe der zu entrichtenden Gebühr aus. Als Parameter der Gebührenbemessung dient insofern nach § 14 II 5 DAMA-Errichtungsgesetz der Umsatz, welchen der Antragsteller mit dem Produkt im ersten Jahr nach dem Inverkehrbringen erzielt.
2. Bewertung des Gesetzentwurfes Erste Bedenken gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung knüpfen sich bereits an den Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess im Rahmen der Vorarbeiten zum Gesetzgebungsvorhaben. Der entsprechende Entwurf stützt sich im Wesentlichen auf Empfehlungen der „Task Force zur Sicherung der Standortbedingungen und Innovationsmöglichkeiten der pharmazeutischen Industrie in Deutschland“. Jene sog. „Task Force Pharma“ bestand aus elf Mitgliedern, darunter drei Vertretern des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA). Daneben waren Vertreter der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE), einer Unternehmensberatung37 sowie Mitarbeitern des Bundesgesundheits- und des Bundesbildungs- und Forschungsministeriums an den Beratungen beteiligt.38 Natürlich hatte dieses Beratungsgremium insbesondere die Funktion, den beteiligten Akteuren und Betroffenen eine Plattform zur Artikulation der jeweiligen Interessen zu bieten. Insofern existieren keine durchgreifenden Einwände gegen die Teilnahme von Branchenvertretern der pharmazeutischen Industrie an jenen Beratungen. Umso unverständlicher erscheint demgegenüber der Umstand, dass weder Vertreter der Ärzte-
35
s. dazu § 12 II, III DAMA-Errichtungsgesetz. Vgl. ferner Entwurf zum DAMA-Errichtungsgesetz, BT-Drs. 16/4374, S. 1 f. 36 Zu den Einzelheiten jener Gebührenfestsetzung vgl. Ehlers, PharmaR 2007, 133, 134 f. 37 Bemerkenswerterweise hatte dieselbe Unternehmensberatung bereits im Jahr 2001 eine vom VFA in Auftrag gegebene Studie zur „Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Standort für Arzneimittelforschung und -entwickACHTUNGRElung“ angefertigt, in welchem das BfArM als zu langsam und starr charakterisiert und die Forderung nach einer Ersetzung der Zulassungsbehörde durch einen „leistungsfähigen Industriepartner“ (!) erhoben wurde (s. dort auf S. 86). Vgl. dazu auch Klawitter/Neubacher, Der Spiegel 14/2007, 50 f.; Tamm, VuR 2007, 432, 434. 38 s. dazu Klawitter/Neubacher, Der Spiegel, 14/2007, 50, 51; Nahnhauer, Die BKK 2005, 262, 263; Tamm, ZRP 2007, 123.
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noch der Patientenschaft in das Beratergremium berufen wurden.39 Denn wenn schon beteiligten Interessengruppen eine maßgebliche Rolle im Gesetzgebungsverfahren zugestanden wird, dann doch wohl nur unter der Voraussetzung einer paritätischen Besetzung, also einer gleichberechtigten Beteiligung aller (maßgeblich) Betroffenen! Indes betrifft vorgenannter Sachverhalt zunächst einmal lediglich die verfahrensmäßige Ausgestaltung des Entscheidungsprozesses. Das DAMA-Errichtungsgesetz ist jedoch vor allem in inhaltlicher Hinsicht in hohem Maße problematisch. Die Finanzierung der DAMA über Gebühren und Entgelte schafft eine bedenkliche „Anreizwirkung“:40 Danach ist es für die Agentur aus wirtschaftlicher Sicht von wesentlicher Bedeutung, sich in Konkurrenz zu Zulassungsbehörden aus anderen EU-Staaten als besonders „attraktiver Dienstleister“ zu präsentieren. Ihre finanzielle Ausstattung hängt dabei nicht lediglich von der Zahl der zu bescheidenden Zulassungsanträge ab, sondern sie bemisst sich gemäß § 14 II 4, 5 DAMA-ErrichtungsgeACHTUNGREsetz auch nach der Zahl positiv beschiedener Zulassungsanträge und den insoweit von der pharmazeutischen Industrie zu erzielenden Umsätzen.41 Hieraus resultieren besondere Gefahren für die Arzneimittelsicherheit. Zum einen muss die pharmazeutische Industrie – nach marktwirtschaftlichen Wettbewerbsgrundsätzen – dort agieren, wo die jeweils vorteilhaftesten Bedingungen vorzufinden sind. Unterwirft man die Zulassungsbehörde im Hinblick auf ihre Finanzierung einem entsprechenden Wettbewerb um eine möglichst hohe Zahl an Zulassungsverfahren mit Zulassungsbehörden anderer EU-Staaten, so steht zu befürchten, dass Anträgen vorschnell und ohne hinreichende Prüfung stattgegeben wird, um sich in jenem Wettbewerb aussichtsreich zu positionieren.42 Jene unangemessene Anreizwirkung begegnet allerdings nicht lediglich im übergeordneten Wettbewerbsmaßstab, sondern gleichermaßen in Bezug auf das einzelne Zulassungsverfahren. Die neu zu errichtende Agentur hat nach der gesetzlichen Konzeption des DAMA-ErACHTUNGRErichtungsgesetzes ein vitales Interesse daran, ihren Etat durch eine Vielzahl an – nach Möglichkeit umsatz- und damit gebührenträchtigen – Arzneimittelzulassungen zu sichern. Insofern verbessert sich die finanzielle Ausstattung der DAMA nicht nur durch Durchführung möglichst vieler Zulassungsverfahren, son39
Vgl. Tamm, VuR 2007, 432, 434. Für eine gebührenfinanzierte privatwirtschaftliche Organisationsform des BfArM als „Staats-GmbH“ aus Gründen der Effizienz indes Letzel/Wartensleben, RPG 1995, 7 ff. Unberücksichtigt bleiben allerdings problematische Konsequenzen der propagierten „Unternehmensphilosophie“ einer „Bedienung des Kunden“. 41 Vgl. dazu oben H. IV. 1. Nach Ehlers, PharmaR 2007, 133, 135 ff., handelt es sich bei der Abschöpfung des „wirtschaftlichen Wertes“ der Amtshandlung beim pharmazeutischen Unternehmer gemäß § 14 II 4 DAMA-Errichtungsgesetz um einen unzulässigen – weder in eine Sonderabgabe noch in eine Steuer umzudeutenden – Gebührentatbestand mit der Folge der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift. 42 Krit. insoweit auch Nahnhauer, Die BKK 2005, 262, 268; Schweim, VersMed 2006, 144, 146; Tamm, ZRP 2007, 123, 124. 40
IV. Zur geplanten Umwandlung des BfArM
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dern sie korrespondiert zugleich mit der Anzahl erteilter Zulassungen.43 Um es deutlich zu sagen: Die Deckung des Finanzbedarfs der Agentur hängt nach dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zuletzt von der Zulassung (umsatzkräftiger) Arzneimittel ab. Der potentiellen Interessenkollision zwischen Herstellern und Abnehmern von Arzneimitteln wird hiernach auch in jener Hinsicht nicht angemessen Rechnung getragen. Nach der geplanten gesetzlichen Konzeption kann es im Einzelfall nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass innerhalb der DAMA bestehenden Bedenken hinsichtlich einer Arzneimittelzulassung aus wirtschaftlichen Erwägungen zu geringes Gewicht beigemessen wird.44 Was hiernach bleibt, ist die vielfach vorgetragene – scheinbar stichhaltige – Argumentation, die Reform des BfArM in vorstehend skizzierter Weise sei erforderlich zur Eröffnung „lebensrettenden Zugangs zu neuen innovativen Arzneien“.45 Ein beschleunigtes Zulassungsverfahren in Fällen eines prognostizierten erheblichen therapeutischen Wertes ist dem geltenden Arzneimittelrecht allerdings keineswegs fremd. § 28 III AMG ermöglicht entsprechende Zulassungsentscheidungen unter dem Vorbehalt weiterer Prüfungen in der Marktphase.46 Es existiert also durchaus ein rechtliches Instrumentarium, um einen schnellen Marktzugang für wichtige Innovationen zu eröffnen. Im Übrigen finden sich keine ernstzunehmenden Belege für eine innovationshemmende Wirkung der aktuellen Struktur des BfArM. Die Zahl therapeutisch relevanter Innovationen ist nach wissenschaftlicher Einschätzung derart gering, dass eine Umstrukturierung des BfArM mitnichten erforderlich ist, um eine Markt-
43
Insbesondere die Personal- und Sachausstattung der Agentur ist an die entsprechenden Einnahmen gebunden. Vgl. dazu Schweim, VersMed 2006, 144. 44 Diese arzneimittelsicherheitsrechtlich fragwürdige Konzeption bildet – dies sei vollständigkeitshalber erwähnt – auch die Grundlage für die Festsetzung der Vergütung der Mitglieder des Vorstandes der DAMA. § 7 IV 2 DAMA-Errichtungsgesetz sieht einen leistungsbezogenen Vergütungsanteil vor, dessen Gewährung an eine Erfüllung der Zielvereinbarungen aus § 4 DAMA-Errichtungsgesetz gebunden ist. Wesentlicher Maßstab jener leistungsbezogenen Vergütung sind danach absolute Zahlen; die durchschnittliche Verfahrensdauer, abgeschlossene Zulassungsverfahren sowie erteilte Genehmigungen, also statistische Parameter der Tätigkeit der Angestellten der DAMA. Sicherheitsrelevante Faktoren der Prüfung einzelner Zulassungsanträge – wie etwa die zeitintensive, jedoch in concreto erforderliche Bewertung komplexer Risiken – bleiben für die Festsetzung jenes Vergütungsanteils notwendigerweise unberücksichtigt. Diese „Leistungen“ sind ihrer Natur nach empirisch nicht zu erfassen. Die entsprechende „Handlungsempfehlung“ zu jener gesetzlichen Vergütungsregelung findet sich übrigens ebenfalls in der vom VFA in Auftrag gegebenen Studie der Boston Consulting Group (BCG) „Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Standort für Arzneimittelforschung und -entwicklung“, November 2001, S. 80. Unter anderem mit Rücksicht auf diese Regelung handelt es sich nach Klawitter/Neubacher, Der Spiegel, 14/2007, 50, bei dem Gesetzentwurf um „Wunsch und Werk der Industrie, die für entscheidende Passagen der Einfachheit halber die Vorlagen geliefert hat.“ 45 s. etwa die Studie der BCG „Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Standort für Arzneimittelforschung und -entwicklung“, November 2001, S. 73, 81 ff. 46 Zutreffend betont von Klawitter/Neubacher, Der Spiegel, 14/2007, 50, 51; Tamm, VuR 2007, 432, 437.
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H. Kontextspezifische Bewertung
einführung entsprechender neuer Wirkstoffe zu ermöglichen.47 Der positive Effekt einer „Schrankenöffnung“ – die Auflösung eines „Innovationsstaus“ – ist damit letztlich ein behaupteter. Im Dienste einer schnelleren Versorgung von Patienten mit innovativen Arzneien besteht weder in rechtlicher noch in faktischer Hinsicht ein Bedürfnis nach „Effektivierung“ des vorhandenen Zulassungssystems in der vorstehend beschriebenen Weise. Das DAMA-Errichtungsgesetz weist nach alledem in die falsche Richtung. Die de facto in Aussicht genommene staatliche Selbstbeschränkung im Rahmen der behördlichen Kontrolle wird in keiner Weise durch Installation ausreichender Garantien zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit kompensiert. Demgegenüber kann der per se berechtigten Intention, die Bearbeitungszeiten von Zulassungsanträgen generell zu verkürzen, bereits durch eine angemessene Personalausstattung des BfArM in seiner jetzigen Struktur Rechnung getragen werden.48 Nur am Rande sei schließlich folgendes angemerkt: Für die Errichtung der DAMA standen wegen ihres „effektiven“ – sprich beschleunigten – Zulassungsverfahrens die Zulassungsbehörden in Großbritannien (MHRA) und den USA (FDA) Pate.49 Sowohl die MHRA nach dem 2001 erfolgten weltweiten Rückruf von „Lipobay“50 als auch die FDA nach dem Skandal um „Vioxx“ im Jahr 200451 sehen sich allerdings wegen ihrer „beschleunigten“ Zulassungsverfahren nunmehr erheblicher Kritik hinsichtlich der Schaffung bzw. nicht angemessenen Vermeidung strukturbedingter Arzneimittelrisiken ausgesetzt.52 Das Medikament „Lipobay“ wurde beispielsweise 1997 in Großbritannien in einem beschleunigten Verfahren mit Wirkung für ganz Europa zugelassen. Das – vermeintlich schwerfällige und ineffiziente – BfArM hatte al47 Laut Medizinprofessor Schönfelder handelt es sich bei lediglich sieben von 460 neuen, in der Zeit von 1990 bis 2006 in Deutschland zugelassenen, Arzneimitteln um „echte Innovationen“. Vgl. hierzu das Zitat bei Klawitter/Neubacher, Der Spiegel, 14/2007, 50, 51. Zur tatsächlichen Innovationskraft des hiesigen Arzneimittelsektors s. auch Schweim, VersMed 2006, 144, 145. 48 Im Übrigen arbeitet die Bundesoberbehörde keineswegs so langsam und ineffizient, wie manche Statistik glauben machen soll. Sie hatte, bedingt durch den Umzug von Berlin nach Bonn im Jahr 2002 und die erst zum 31. 12. 2005 abgeschlossene Nachzulassung der zahlreichen „Altarzneimittel“, erhebliche Aufgaben zu bewältigen. Hierdurch wurde – nicht zuletzt infolge der kritischen Personalsituation – die Erfüllung weiterer Verpflichtungen sichtlich beeinträchtigt. Vgl. dazu Klawitter/Neubacher, Der Spiegel, 14/2007, 50, 51; Nahnhauer, Die BKK 2005, 262, 269. 49 Vgl. dazu die Begründung in der Anlage der Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums v. 13. 4. 2005, S. 4. Eine Betonung der Ausprägung von „Erfolgsfaktoren“ in den Zulassungsbehörden in Großbritannien und den USA findet sich daneben auch in der Studie der BCG „Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Standort für Arzneimittelforschung und -entwicklung“, November 2001, S. 75 ff., 78. 50 s. dazu etwa www.verbraucher.org sowie aus haftungsrechtlicher Sicht v. Czettritz/ Wartensleben/Ehlers/ACHTUNGREDierks, PharmaR 2001, 268 ff. 51 s. dazu etwa Untersuchungsbericht des House of Commons Health Committee: „The influence of the Pharmaceutical Industry“, Fourth Report of Session 2004 – 2005, Volume I, Kapitel 8, S. 96 f. sowie aus haftungsrechtlicher Sicht Linhart, PHI 2008, 2 ff. 52 Vgl. dazu Klawitter/Neubacher, Der Spiegel, 14/2007, 50, 51; Tamm, ZRP 2007, 123, 124 ff.
IV. Zur geplanten Umwandlung des BfArM
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lerdings schon zu diesem Zeitpunkt Bedenken gegen die Zulassung bekundet, denn in Deutschland wurden 91 Verdachtsfälle von Muskelschwund, von welchen sieben tödlich endeten, mit dem verwendeten Wirkstoff in Verbindung gebracht.53 Dass diese Geschehnisse keine Einzelfälle, sondern systembedingte Folge einer entsprechenden Behördenstruktur sind, zeigen weitere beunruhigende Arzneimittelskandale in Fällen verfrühter Zulassungen.54 Die Kritik an dem Gesetzentwurf zur Errichtung einer DAMA ist somit fundamentaler Natur und nicht durch punktuelle Änderungen auszuräumen. Der dem DAMAErrichtungsgeACHTUNGREsetz zugrunde liegende „Dienstleistungsgedanke“ ist in grundlegender Weise zu überdenken.55 Qualitätsmerkmal eines „Dienstleisters“ ist zuvörderst die Erbringung schneller und effizienter Leistungen. In dieser Beziehung ist er jedoch nolens volens verpflichtet, das Interesse desjenigen zu wahren, welcher seine Dienste in Anspruch nimmt. Dass dies kein sachgemäßes Modell für die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben im Rahmen der Gesundheitsfürsorge ist, liegt eigentlich auf der Hand. In einem Untersuchungsbericht des House of Commons Health Committee vom 5. 4. 2005 zum Einfluss der pharmazeutischen Industrie in Großbritannien findet sich dazu folgendes Zitat: „…when the agency was hived off from the Department of Health… the culture became confirmed that the industry is the client and the client must be looked after: quick service, good service, easy contact, etcetera – so it is a closed community in a sense.”56
Es drängt sich hiernach geradezu die Frage auf, ob nicht das vielzitierte angloamerikanische Vorbild in Wirklichkeit als Menetekel für die hiesigen Pläne zur Umstrukturierung des BfArM dienen sollte.
53
s. hierzu Tamm, VuR 2007, 432, 436. Zu entsprechenden Fällen s. Nahnhauer, Die BKK 2005, 262, 265 ff.; Tamm, ZRP 2007, 123, 125. 55 In diesem Sinne auch Müller-Oerlinghausen, BÄK intern, April 2005, 2; Nahnhauer, Die BKK 2005, 262, 269. 56 Vgl. Untersuchungsbericht des House of Commons Health Committee: „The influence of the Pharmaceutical Industry“, Fourth Report of Session 2004 – 2005, Volume I, Kapitel 8, S. 78 f., Punkt 282. 54
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Sachwortverzeichnis Abgrenzung von Arznei- und Lebensmitteln 59 ff. Abwägungssperren 77 f. Allgemeine Versicherungsbedingungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (AVB) 104 ff., 106 ff. Amtsträgereigenschaft der Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen 213 ff. ärztliche Vertretbarkeit 57, 75, 98 ff. Arzneimittelüberwachung 153 ff. – behördliche Risikoerfassung und Auswertung 154 ff. – Gefahrenstufe I 156 – Gefahrenstufe II 156 f. – Information der Öffentlichkeit 158 ff. – maßgeblicher Zeitpunkt zur Verbreitung öffentlicher Warnungen 166 – öffentliche Warnung 161 ff. – Rückruf bedenklicher Arzneimittel 160 f. – Stufenplanverfahren 155 ff. Aufklärung 46, 47 f., 57, 77, 86 ff., 98 ff., 126, 142 f., 221 f. Bedenklichkeit von Arzneimitteln 54, 92 ff., 125 f., 132 ff. Begrenztheit der Prüfpflichten 75, 115 ff. begründeter Verdacht 143 ff., 160 Bestimmungsnorm, s. Verhaltensnorm Bewertungsnorm, s. Sanktionsnorm „Bioethik-Konvention“ 66 Fn 96, 84 Fn 195 Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 48 ff., 123 ff., 234 ff. Co-Consent 73, 77 Contergan 143, 191, 227 DAMA-Errichtungsgesetz 234 ff. deliktischer Sinnbezug 206 f., 212 f. Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukte-Agentur (DAMA) 234 ff.
dissentierende Mitwirkung an Kollegialentscheidung 206 ff. Einwilligung 86 ff., 98 ff. – objektive Einwilligungsschranke 98 ff., 126 f. – Widerruflichkeit der Einwilligung 87 f. Erdal-Urteil, s. Lederspray-Urteil Ermessensreduzierung 117 ff., 223 Ermessensspielraum 117 ff., 216 f. Ethik-Kommission 45 ff., 51 ff. fahrlässiges Fehlverhalten 182 ff. – generalisierende Bestimmung 182 ff. – individualisierende Bestimmung 184 ff. – Sonderwissen/-fähigkeiten 183 f. FDA 96, 238 Forschungsfreiheit 55 ff., 79 fremdnützige Forschung an Minderjährigen 64 ff. – Richtlinie 2001/20/EG 68 ff. Gebot der individuellen Nutzenmaximierung 78 Gebot der Risikominimierung 51, 78, 81 Genehmigung klinischer Prüfungen 49, 95, 125 ff., 220 f., 222 Geringfügigkeitssachverhalte, s. „Untergrenze“ Gesellschaftsvertrag 43 f. grundrechtliche Schutzpflichten 22 Fn 12 Heilversuch 62 ff., 79 Holzschutzmittelprozeß 201 House of Commons Health Committee 239 „Im-Verkehr-Belassen“ bedenklicher Arzneimittel 224, 226 f., 231 Instrumentalisierungsverbot 68 ff., 72 f. Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel 147 f., 198 ff., 222 f., 226 f., 229, 231 f.
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Sachwortverzeichnis
„In-Verkehr-gelangen-Lassen“ bedenklicher Arzneimittel 226 f., 231 f. irreführende Formulierungen 91 ff. Kausalitätsnachweis im Kontext von Kollegialentscheidungen 201 ff. – Abstimmungsboykott 207 – Abstimmungsverhalten als Problem der Verantwortlichkeit 206 – dissentierende Mitwirkung 201, 206 ff. – fahrlässige Mittäterschaft 210 f. – hypothetische Ersatzursachen 204 ff. – Lehre vom Regressverbot 211 ff. – Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung 204 ff. – Mittäterschaft 202 ff. Kausalitätsnachweis zwischen Anwendung und Schädigung 190 ff. – Äquivalenztheorie 191 – Kombinationstheorie 197 – Kriterium der hohen objektiven Wahrscheinlichkeit 196 f. – Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung 191 f. – „probabilistischer Kausalitätsbegriff“ 192 ff. – strafrechtliche Erfassung abstrakter Gefährdungen 198 ff. – strafverfahrensrechtliche Lösungen 195 ff. – subjektive Beweismaßtheorie 195 f. Klinische Prüfung 53 ff., 125 ff. Körperverletzung im Amt 213 ff. – Amtsträgereigenschaft der Mitglieder öffentlich-rechtlicher Ethik-Kommissionen 213 ff. – Rechtsfolgenbestimmung 215 f. Kollegialentscheidungen 201 ff.
Nachahmerpräparate 82 f. Nachmarktkontrolle, s. Arzneimittelüberwachung Neuregelung der Produktverantwortlichkeit 228 ff. Nichtzulassung 148 ff. non-liquet bzgl. Vorliegens eines Versagungsgrundes 80 f. Nutzen-Risiko-Abwägung 132 ff. Öffentliche Warnung 161 ff. organisationsbezogene Betrachtungsweise 170 ff. Pharmakovigilanz, s. Arzneimittelüberwachung Probandenvergütung 83 ff. Probandenversicherung 104 ff. – Ausschluss immaterieller Schäden 106 f. – Hinweis auf eine „Versicherung gemäß dem Arzneimittelgesetz“ 108 f. – Höchstsummenbegrenzung 104 ff. – Mindestversicherungssumme 104 ff., 232 f. – Pauschalversicherungen 105 f. – Risikoprognose 232 – „Spätschäden“ 107, 109 – Subsidiarität der Probandenversicherung 107 – Wegeunfälle 107 Produktverantwortlichkeit 198, 228 ff. – allgemeiner Produkthaftungstatbestand 228 ff. – Neuregelung 228 ff. – punktuelle Änderung 230 ff. Projektplan 90 f. Qualität des Arzneimittels 129 f.
Lederspray-Urteil 169, 170 ff., 191, 192 f., 201 Lipobay 238 maßgebliche Beurteilungsperspektive bei der Verhaltensnormlegitimation 22, 121 f. „me-too-Präparate“, s. Nachahmerpräparate MHRA 238 „minimales Risiko“ 72 f.
Risikoerhöhungslehren, s. Kausalitätsnachweis zwischen Anwendung und Schädigung Rücknahme der Zulassung 150 ff., 160, 162, 200, 223, 226 f. – Einfluss von Arzneimittelinnovationen 152 f. – negative Veränderung der Vertretbarkeitsentscheidung 151 f.
Sachwortverzeichnis Rücknahme der zustimmenden Bewertung 112 ff. Rückruf bedenklicher Arzneimittel 160 f., 162, 166, 172, 199, 224, 226 f., 238 Ruhen der Zulassung, s. Rücknahme der Zulassung sanktionenrechtlich relevante Verhaltensnormverstöße 220 ff. Sanktionsnorm 19 ff., 189, 198 ff., 205, 223, 227, 231 Solidaritätspflicht 23 f., 44, 70 f. Stufenplanverfahren 155 ff., 158 ff., 166 suggestive Formulierungen 91 ff. „Task Force Pharma“ 235 Therapeutische/nichttherapeutische Forschung 62 ff. therapeutische Wirksamkeit 54, 76, 80, 128, 130 f., 132 ff. „Trapezkünstler-Fall“ 28 f. Überstimmung des juristischen Mitglieds der Ethik-Kommission, s. Vetorecht Überwachung im Verkehr befindlicher Arzneimittel, s. Arzneimittelüberwachung Umwandlung des BfArM, s. DAMA „Untergrenze des Strafrechts“ 216 ff. „Untrennbarkeitsthese“ 193 f. Verantwortungsbereiche in Behördenhierarchien und Kollegialorganen 168 ff., 206, 211 f. – „bottom-up-Betrachtungsweise“ 169 f. – organisationsbezogene Betrachtungsweise 170 ff. – Primär-/Sekundärverantwortlichkeit 169 f. – „top-down-Betrachtungsweise“ 170 ff. – Vertrauensgrundsatz 176 ff., 211 f. Verhaltensnorm 19 ff., 47, 54 f., 110, 118 f., 120, 121 f., 123, 129, 146, 164, 168, 170,
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172, 173 ff., 178, 184, 185 f., 189 ff., 200, 204 f., 211 f., 216 ff., 220 ff., 226, 229 f. „Verlaufskontrolle“ 34 f., 46, 49, 112 ff. „Verträglichkeit“ 54 Fn. 31, 92 ff. Verwaltungsakzessorietät des Strafrechts 118 Fn 362 Vetorecht des juristischen Mitglieds der Ethik-Kommission 208 f. Vier-Augen-Prinzip 175, 201 Vioxx 238 Widerruf der Zulassung, s. Rücknahme der Zulassung Widerruf der zustimmenden Bewertung 34 f., 112 ff. Wissensversuch 62 ff., 79 Zeitpunkt des Eingreifens qualifizierter Gefahrenabwendungsverpflichtungen 20, 119 ff., 166 Zulassung von Arzneimitteln 49, 127 ff., 175 f., 198 ff., 222, 224, 226 f., 231 – „absolute Bedenklichkeit“ 138 f. – angemessene Qualität des Arzneimittels 125, 129 f. – begründeter Verdacht unvertretbarer Nebenwirkungen 143 ff. – Einbeziehung wirtschaftlicher Überlegungen 139 f. – entscheidungsrelevanter Maßstab 140 ff. – Nichtzulassung zum Nachteil des Patienten 49, 148 ff., 224 – normative Kriterien der Nutzen-RisikoAbwägung 136 ff. – Nutzen-Risiko-Verhältnis 132 ff. – „relative Bedenklichkeit“ 138 f. – therapeutische Wirksamkeit 54, 130 f. – „unerhebliche Nebenwirkungen“ 134 – Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften 147 f. Zustimmende Bewertung klinischer Prüfungen 53, 61 f., 87, 94 ff., 108, 114, 220 f., 222