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German Pages 388 [389] Year 2023
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 312
Umfang und Grenzen des strafrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes Analyse des materiell-rechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes am Beispiel der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von „Whistleblowern“
Von
Christoph Kehrer
Duncker & Humblot · Berlin
CHRISTOPH KEHRER
Umfang und Grenzen des strafrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 312
Umfang und Grenzen des strafrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes Analyse des materiell-rechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes am Beispiel der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von „Whistleblowern“
Von
Christoph Kehrer
Duncker & Humblot · Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Matthias Krüger, München Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI Books GmbH, Leck Printed in Germany
ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-18862-8 (Print) ISBN 978-3-428-58862-6 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2022 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Literatur, Rechtsprechung sowie laufende Gesetzgebungsvorhaben konnten bis Ende November 2022 berücksichtigt werden. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Matthias Krüger, der diese Promotion ermöglicht und fortwährend begleitet hat. In dieser Zeit hat er mir nicht nur die notwendigen Freiheiten bei der Untersuchung des strafrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes gewährt, sondern auch während sowie nach meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seiner Professur meine anderen wissenschaftlichen Vorhaben gefördert. Besonders möchte ich mich für die konstruktiven, wissenschaftlich geprägten ebenso wie für die persönlichen Gespräche bedanken. Herrn Prof. Dr. Ralf Kölbel gilt ebenfalls besonderer Dank für die zügige sowie gründliche Erstellung des Zweitgutachtens. Zudem möchte ich Herrn Prof. Dr. Frank Saliger für das interessante und bereichernde Prüfungsgespräch danken. Herrn Prof. Dr. Dres. h.c. Friedrich-Christian Schroeder und Herrn Prof. Dr. Andreas Hoyer danke ich für die Aufnahme meines Werks in die Schriftenreihe „Strafrechtliche Abhandlungen – Neue Folge“. Daneben möchte ich natürlich meiner Familie für Ihre fortwährende Unterstützung danken. Insbesondere der kritische Blick beim Korrekturlesen sowie die klugen Worte meiner Mutter Ursula und meines Onkels Reinhold sind stets eine große Hilfe. Mein allergrößter Dank gebührt aber meiner Frau Veronika. Ihr möchte ich von Herzen danken, dass Sie mir immer zur Seite steht und für mich da ist. Sie hat durch Ihren durchdachten Rat, genauso wie das Entwirren meiner Schachtelsätze neben den Herausforderungen Ihrer eigenen juristischen Ausbildung wesentlich zum Gelingen dieses Projekts beigetragen. Ohne meine Familie, die mich stets begleitet und fördert, würde es diese Arbeit nicht geben. Daher möchte ich Ihnen dieses Buch in großer Dankbarkeit widmen. München, im April 2023
Christoph Kehrer
Inhaltsübersicht Teil 1 Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
27
Kapitel 1 Einleitung – Bedeutung des strafrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes
27
Kapitel 2 Gesetzgebungsgeschichte der Geschäftsgeheimnis-RL und des GeschGehG
31
A. Weg zu einem harmonisierten europäischen Geschäftsgeheimnisschutz durch die Geschäftsgeheimnis-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 B. Umsetzung der Geschäftsgeheimnis-RL in das nationale Recht durch das GeschGehG 33 I. Geschäftsgeheimnisschutz nach dem UWG vor Inkrafttreten des GeschGehG . . . 33 II. Umsetzung der Geschäftsgeheimnis-RL durch das GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . 34
Kapitel 3 Auswirkungen der Geschäftsgeheimnis-RL auf das GeschGehG
39
A. Richtlinienkonforme und richtlinienorientierte Auslegung von Strafgesetzen – Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 B. Herleitung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 II. Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . 42 III. Sonderfall: Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im Überschussbereich einer Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 C. Richtlinienkonforme Auslegung von Strafgesetzen – Umfang und Grenzen . . . . . . . . 53 I. Positionen in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 II. Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 D. Übertragung der erörterten Grundsätze auf das GeschGehG und die Geschäftsgeheimnis-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I. Mangelnde Gesetzgebungskompetenz des Unionsgesetzgebers als Argument gegen die richtlinienkonforme Auslegung im Geschäftsgeheimnisstrafrecht . . . . . 61
8
Inhaltsübersicht II. Umgehung der mangelnden Gesetzgebungskompetenz durch die zivilrechtsakzessorische und damit auch unionsrechtsakzessorische Ausgestaltung des Geschäftsgeheimnisstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 III. Differenzierung zwischen voll- und mindestharmonisierenden Bestimmungen der Geschäftsgeheimnis-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
Kapitel 4 Begriff des Geschäftsgeheimnisses
67
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 B. Unternehmensgeheimnis im Sinne des § 17 UWG als historischer Vorläufer des Geschäftsgeheimnisses im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 I. Offenkundigkeit bei § 17 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 II. Betriebsbezogenheit bei § 17 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 III. Subjektiver Geheimhaltungswille bei § 17 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 IV. Wirtschaftliches Geheimhaltungsinteresse bei § 17 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 C. Begriff des Geschäftsgeheimnisses im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG . . . . . . . . . . . 98 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 II. Auslegung der Legaldefinition aus § 2 Nr. 1 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
Kapitel 5 Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
149
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 B. Betriebsspionage nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 I. Betriebsspione als taugliche Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 II. Spionagehandlung, § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 III. Subjektive Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 C. Eigeneröffnete Geheimnishehlerei nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG . . . . . . . . . . . . 169 I. Tatobjekt und tauglicher Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 II. Hehlereihandlung – § 4 Abs. 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 D. Geheimnisverrat nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 I. Täterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 II. Geheimnisverrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 E. Fremderöffnete Geheimnishehlerei nach § 23 Abs. 2 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . 181
Inhaltsübersicht
9
F. Vorlagenfreibeuterei nach § 23 Abs. 3 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I. Vorlagen und Vorschriften technischer Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Tauglicher Täter – Handeln im geschäftlichen Verkehr als besonderes persönliches Merkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 III. Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 G. Qualifikationstatbestände des § 23 Abs. 4 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 I. Gewerbsmäßiges Handeln, § 23 Abs. 4 Nr. 1 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 II. Wissen um die Absicht der Nutzung im Ausland bei der Offenlegung, § 23 Abs. 4 Nr. 2 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 III. Nutzung im Ausland, § 23 Abs. 4 Nr. 3 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 H. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I. Unterschiede zwischen § 23 GeschGehG und §§ 17 – 19 UWG . . . . . . . . . . . . . . . 193 II. Schutzlücken im Geschäftsgeheimnisstrafrecht nach § 23 GeschGehG . . . . . . . . . 196 III. Kohärenz mit dem zivilrechtlichen Schutzkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
Kapitel 6 Materiell-rechtliche Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes im GeschGehG 203 A. Erlaubte Formen des Handelns nach § 3 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 I. Reverse Engineering als strafrechtlich relevante Handlungsform . . . . . . . . . . . . . 203 II. Erlaubte Handlungen nach § 3 Abs. 2 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 III. Weitere Erlaubnissätze des § 3 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 B. Tatbestandsausnahmen nach § 5 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 II. Benannte Fälle des § 5 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 III. Unbenannte Fälle der Tatbestandsausnahme nach § 5 GeschGehG . . . . . . . . . . . . 244 IV. Subjektives Element – Handeln zum Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 C. Besonderer Rechtfertigungsgrund nach § 23 Abs. 6 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
10
Inhaltsübersicht Teil 2 Whistleblowing als besondere Grenze des strafrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes durch das GeschGehG
258
Kapitel 7 Begriff des Whistleblowings zur Umschreibung eines gesellschaftlichen und rechtlichen Phänomens
258
A. Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 B. Gesellschaftliche Relevanz und Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
Kapitel 8 Strafbarkeitsrisiken beim Whistleblowing wegen der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen
263
A. Darstellung der tatsächlichen Umstände anhand von Herolds Verlaufsmodell . . . . . . . 263 B. Darstellung der strafrechtlichen Risiken anhand von Herolds Verlaufsmodell . . . . . . . 266
Kapitel 9 Whistleblowing als besondere Grenze des Geschäftsgeheimnisschutzes
268
A. Schutz des Whistleblowers vor strafrechtlicher Verantwortung im Bereich des Geschäftsgeheimnisstrafrechts – de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 I. Interne Meldesysteme als konkludente Einwilligung oder konkludentes Einverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 II. Besondere Berücksichtigung des § 5 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 B. Schutz des Whistleblowers vor strafrechtlicher Verantwortung im Bereich des Geschäftsgeheimnisstrafrechts – de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 I. Whistleblowing-RL – Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 II. Whistleblowing-RL – Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 III. Whistleblowing-RL – Auswirkungen und Unionsrechtskonformität des nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 IV. Fazit und Umsetzungsausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
Inhaltsübersicht
11
Teil 3 Strafrechtlicher Geschäftsgeheimnisschutz abseits des GeschGehG
324
Kapitel 10 Geschäftsgeheimnisbegriffe außerhalb des GeschGehG
324
Kapitel 11 Untreue nach § 266 StGB als verkapptes Geschäftsgeheimnisschutzdelikt
330
Kapitel 12 Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes nach dem GeschGehG als Grenzen in der gesamten Strafrechtsordnung 333 A. Erlaubte Formen des Handelns nach § 3 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 B. Tatbestandsausnahmen nach § 5 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 I. § 5 GeschGehG und § 34 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 II. Geheimnisschutzdelikte abseits des § 23 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 III. Begleitdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 C. Auswirkungen der Whistleblowing-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
Teil 4 Fazit
352
Anhang Gesetzestexte zu §§ 17 – 19 UWG und Art. 39 TRIPS-Übereinkommen
356
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
Inhaltsverzeichnis Teil 1 Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
27
Kapitel 1 Einleitung – Bedeutung des strafrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes
27
Kapitel 2 Gesetzgebungsgeschichte der Geschäftsgeheimnis-RL und des GeschGehG
31
A. Weg zu einem harmonisierten europäischen Geschäftsgeheimnisschutz durch die Geschäftsgeheimnis-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 B. Umsetzung der Geschäftsgeheimnis-RL in das nationale Recht durch das GeschGehG 33 I. Geschäftsgeheimnisschutz nach dem UWG vor Inkrafttreten des GeschGehG . . . 33 II. Umsetzung der Geschäftsgeheimnis-RL durch das GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Referentenentwurf vom 18. 04. 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Regierungsentwurf vom 18. 07. 2018, BT-Drs. 19/4724 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Änderungen nach der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Bundestages vom 13. 03. 2019, BT-Drs. 19/8300 . . . . . 37
Kapitel 3 Auswirkungen der Geschäftsgeheimnis-RL auf das GeschGehG
39
A. Richtlinienkonforme und richtlinienorientierte Auslegung von Strafgesetzen – Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 B. Herleitung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 II. Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . 42 III. Sonderfall: Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im Überschussbereich einer Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Unmittelbar aus dem Unionsrecht herrührende Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im Überschussbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
14
Inhaltsverzeichnis 2. Mittelbar aus dem Unionsrecht herrührende Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im Überschussbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Aus dem nationalen Recht herrührende Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im Überschussbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
C. Richtlinienkonforme Auslegung von Strafgesetzen – Umfang und Grenzen . . . . . . . . 53 I. Positionen in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Maßgebliche Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Maßgebliche Rechtsprechung der nationalen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 II. Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 D. Übertragung der erörterten Grundsätze auf das GeschGehG und die Geschäftsgeheimnis-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I. Mangelnde Gesetzgebungskompetenz des Unionsgesetzgebers als Argument gegen die richtlinienkonforme Auslegung im Geschäftsgeheimnisstrafrecht . . . . . 61 II. Umgehung der mangelnden Gesetzgebungskompetenz durch die zivilrechtsakzessorische und damit auch unionsrechtsakzessorische Ausgestaltung des Geschäftsgeheimnisstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 III. Differenzierung zwischen voll- und mindestharmonisierenden Bestimmungen der Geschäftsgeheimnis-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
Kapitel 4 Begriff des Geschäftsgeheimnisses
67
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 B. Unternehmensgeheimnis im Sinne des § 17 UWG als historischer Vorläufer des Geschäftsgeheimnisses im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 I. Offenkundigkeit bei § 17 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Kontrolle des Geheimnisinhabers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Erforderlicher Aufwand zur Aufdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3. Reverse Engineering im Bereich des Unternehmensgeheimnisses . . . . . . . . . . . 75 II. Betriebsbezogenheit bei § 17 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 III. Subjektiver Geheimhaltungswille bei § 17 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 IV. Wirtschaftliches Geheimhaltungsinteresse bei § 17 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1. Wirtschaftliches Geheimhaltungsinteresse an illegalen Geheimnissen . . . . . . . 83 a) Auslegung anhand des Wortlauts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Systematische Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 aa) Binnensystematik des UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 bb) Systematische Erwägungen im strafrechtlichen Kontext . . . . . . . . . . . . . 84 (1) Verrat von Staatsgeheimnissen, §§ 97a, 93 StGB . . . . . . . . . . . . . . . 84 (2) Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 StGB . . . . . . . . . . . . . . . 85
Inhaltsverzeichnis
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(3) Der sogenannte Diebes-Dieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 (4) Anzeigerecht des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (5) Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 StGB . . . . . . . . . . . . . 88 cc) Systematische Erwägungen abseits des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (1) Gedanken zum gewerblichen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (2) Gedanken zum Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 c) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 d) Verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Zwischenresümee zum Stand der Forschung im Bereich illegaler Geheimnisse 97 C. Begriff des Geschäftsgeheimnisses im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG . . . . . . . . . . . 98 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 II. Auslegung der Legaldefinition aus § 2 Nr. 1 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Auslegung des § 2 Nr. 1 lit. a HS. 1 GeschGehG – Vorliegen einer nicht offenkundigen Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 aa) Informationsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 bb) Informationsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Fehlende Offenkundigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 aa) Bestimmung des Personenkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 bb) Allgemein bekannt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 cc) ohne Weiteres zugänglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Auslegung des § 2 Nr. 1 lit. a HS. 2 GeschGehG – Wirtschaftlicher Wert einer nicht offenkundigen Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Wirtschaftlicher Wert einer nicht offenkundigen Information . . . . . . . . . . . . 115 b) Wirtschaftlicher Wert illegaler Geheimnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3. Auslegung des § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG – angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 a) Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen im Spannungsfeld mit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . 135 4. Auslegung des § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG – Berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 a) Unionsrechtskonformität des § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 c) Berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung im Spannungsfeld mit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . 145 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
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Inhaltsverzeichnis Kapitel 5 Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 B. Betriebsspionage nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 I. Betriebsspione als taugliche Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 II. Spionagehandlung, § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Erlangen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Erfasste Formen der Erlangung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Kopieren, Zugang erlangen und Aneignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 b) Unmittelbare Einwirkung auf das Geheimnismedium . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3. Unbefugt im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 4. Besondere Erscheinungsformen der Betriebsspionage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Reverse Engineering als strafrechtlich relevante Verhaltensweise . . . . . . . . . 162 b) Mittelbare Täterschaft und Social Engineering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 III. Subjektive Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 C. Eigeneröffnete Geheimnishehlerei nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG . . . . . . . . . . . . 169 I. Tatobjekt und tauglicher Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 II. Hehlereihandlung – § 4 Abs. 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Nutzung von Geschäftsgeheimnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 2. Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 D. Geheimnisverrat nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 I. Täterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 II. Geheimnisverrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Verstoß gegen § 4 Abs. 2 Nr. 3 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Zeitliche Begrenzung des möglichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3. Strafbarkeit von Social Engineering nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG . . . . . 180 E. Fremderöffnete Geheimnishehlerei nach § 23 Abs. 2 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . 181 F. Vorlagenfreibeuterei nach § 23 Abs. 3 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I. Vorlagen und Vorschriften technischer Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Tauglicher Täter – Handeln im geschäftlichen Verkehr als besonderes persönliches Merkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 III. Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 G. Qualifikationstatbestände des § 23 Abs. 4 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 I. Gewerbsmäßiges Handeln, § 23 Abs. 4 Nr. 1 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 II. Wissen um die Absicht der Nutzung im Ausland bei der Offenlegung, § 23 Abs. 4 Nr. 2 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 III. Nutzung im Ausland, § 23 Abs. 4 Nr. 3 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Inhaltsverzeichnis
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H. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I. Unterschiede zwischen § 23 GeschGehG und §§ 17 – 19 UWG . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Unterschiede zwischen § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG und § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2. Unterschiede zwischen § 23 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 GeschGehG und § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 3. Unterschiede zwischen § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG und § 17 Abs. 1 UWG 195 4. Unterschiede zwischen § 23 Abs. 3 GeschGehG und § 18 UWG . . . . . . . . . . . 195 II. Schutzlücken im Geschäftsgeheimnisstrafrecht nach § 23 GeschGehG . . . . . . . . . 196 1. Betriebsspionage durch Abhörmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Strafbarkeit des Social Engineering zur Erlangung von Geschäftsgeheimnissen 197 3. Sanktionsmöglichkeiten bei nachvertraglichen Wettbewerbsbeschränkungen 201 III. Kohärenz mit dem zivilrechtlichen Schutzkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
Kapitel 6 Materiell-rechtliche Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes im GeschGehG 203 A. Erlaubte Formen des Handelns nach § 3 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 I. Reverse Engineering als strafrechtlich relevante Handlungsform . . . . . . . . . . . . . 203 1. Reverse Engineering im Spannungsverhältnis zwischen § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG und § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 2. Erlaubte Formen des Reverse Engineering nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG
204
3. Beschränkung auf innovations- und wettbewerbsförderndes Reverse Engineering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 4. Nutzung oder Offenlegung bei vorangegangenem Reverse Engineering . . . . . . 209 5. Fazit – Wandel der strafrechtlichen Bewertung des Reverse Engineering . . . . . 210 II. Erlaubte Handlungen nach § 3 Abs. 2 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 III. Weitere Erlaubnissätze des § 3 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Erlaubte Handlungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2. Erlaubte Handlungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 B. Tatbestandsausnahmen nach § 5 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 II. Benannte Fälle des § 5 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. § 5 Nr. 1 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 a) Ermittlung der einschlägigen Grundrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 b) Anforderungen an die tatbestandsausschließende Wirkung des § 5 Nr. 1 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. § 5 Nr. 2 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 a) Von § 5 Nr. 2 GeschGehG erfasste Formen von Fehlverhalten . . . . . . . . . . . 221 aa) Rechtswidrige Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
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Inhaltsverzeichnis bb) Berufliches Fehlverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 cc) Sonstiges Fehlverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (1) Kritische Würdigung des Tatbestandsmerkmals . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (2) Beschluss des OLG Oldenburg vom 21. 05. 2019 – 1 Ss 72/19 . . . . . 228 dd) Bloß vermutete Missstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 b) Geeignetheit das öffentliche Interesse zu schützen – Interessenabwägung 233 aa) Bestimmung des allgemeinen öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . 234 bb) Geeignetheit und Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 c) Illegale Geheimnisse – Das Spannungsverhältnis von § 5 Nr. 2 GeschGehG und § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3. § 5 Nr. 3 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 III. Unbenannte Fälle der Tatbestandsausnahme nach § 5 GeschGehG . . . . . . . . . . . . 244 1. Berechtigtes Interesse im Sinne des § 5 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 IV. Subjektives Element – Handeln zum Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Handeln zum Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Irrtümer und § 5 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 a) Anspruchsausschluss nach § 9 GeschGehG (analog) als Lösungsansatz . . . . 251 b) Irrtumsregeln des StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
C. Besonderer Rechtfertigungsgrund nach § 23 Abs. 6 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
Teil 2 Whistleblowing als besondere Grenze des strafrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes durch das GeschGehG
258
Kapitel 7 Begriff des Whistleblowings zur Umschreibung eines gesellschaftlichen und rechtlichen Phänomens
258
A. Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 B. Gesellschaftliche Relevanz und Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
Kapitel 8 Strafbarkeitsrisiken beim Whistleblowing wegen der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen
263
Inhaltsverzeichnis
19
A. Darstellung der tatsächlichen Umstände anhand von Herolds Verlaufsmodell . . . . . . . 263 B. Darstellung der strafrechtlichen Risiken anhand von Herolds Verlaufsmodell . . . . . . . 266
Kapitel 9 Whistleblowing als besondere Grenze des Geschäftsgeheimnisschutzes
268
A. Schutz des Whistleblowers vor strafrechtlicher Verantwortung im Bereich des Geschäftsgeheimnisstrafrechts – de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 I. Interne Meldesysteme als konkludente Einwilligung oder konkludentes Einverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 II. Besondere Berücksichtigung des § 5 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 1. Schutz des Whistleblowers selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 2. Schutz weiterer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 B. Schutz des Whistleblowers vor strafrechtlicher Verantwortung im Bereich des Geschäftsgeheimnisstrafrechts – de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 I. Whistleblowing-RL – Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 II. Whistleblowing-RL – Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 III. Whistleblowing-RL – Auswirkungen und Unionsrechtskonformität des nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 1. Einfluss von Art. 21 Abs. 7 Whistleblowing-RL auf Art. 3 Abs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL und § 3 Abs. 2 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 a) Rechtsfolge: Rechtmäßige Offenlegung im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL und damit auch im Sinne des § 3 Abs. 2 GeschGehG 281 b) Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 aa) Hinreichender Grund zur Annahme, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße der Wahrheit entsprachen, Art. 6 Abs. 1 lit. a HS. 1 Whistleblowing-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (1) Verstoß, Art. 5 Nr. 1 Whistleblowing-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (2) Hinreichender Grund zur Annahme, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße der Wahrheit entsprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 (3) Gutgläubigkeit des Hinweisgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (a) Maßstabsbildung anhand der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (b) Maßstabsbildung anhand der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 287 (c) Maßstabsbildung anhand des nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . 288 (4) Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 bb) Hinreichender Grund zur Annahme der Eröffnung des Anwendungsbereichs, Art. 6 Abs. 1 lit. a HS. 2 Whistleblowing-RL . . . . . . . . . . . . . . . 293 (1) Sachlicher Anwendungsbereich, Art. 2 Whistleblowing-RL . . . . . . . 293 (2) Persönlicher Anwendungsbereich, Art. 4 Whistleblowing-RL . . . . . 294
20
Inhaltsverzeichnis cc) Ordnungsgemäße Meldung oder Offenlegung, Art. 6 Abs. 1 lit. b Whistleblowing-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 (1) Meldungen nach Art. 7 oder 10 Whistleblowing-RL . . . . . . . . . . . . . 296 (2) Offenlegung nach Art. 15 Whistleblowing-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 dd) Hinreichender Grund zur Annahme der Notwendigkeit der Meldung oder Offenlegung, Art. 21 Abs. 2, 7 UAbs. 1 S. 2 Whistleblowing-RL 301 2. Einfluss der Whistleblowing-RL auf Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL und § 5 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 IV. Fazit und Umsetzungsausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 1. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 2. Umsetzungsausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 a) Mindestumsetzung oder Gesamtkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 b) Eigener Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes (Auszug) . . . . . . . . . . . 311 c) Regierungsentwurf vom 19. 09. 2022 BT-Drs. 20/3442 . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
Teil 3 Strafrechtlicher Geschäftsgeheimnisschutz abseits des GeschGehG
324
Kapitel 10 Geschäftsgeheimnisbegriffe außerhalb des GeschGehG
324
Kapitel 11 Untreue nach § 266 StGB als verkapptes Geschäftsgeheimnisschutzdelikt
330
Kapitel 12 Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes nach dem GeschGehG als Grenzen in der gesamten Strafrechtsordnung 333 A. Erlaubte Formen des Handelns nach § 3 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 B. Tatbestandsausnahmen nach § 5 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 I. § 5 GeschGehG und § 34 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 1. Rechtfertigung von Whistleblowern nach § 34 StGB – bisheriger Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 a) Rechtfertigung bei korrekter Sachverhaltskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 b) Irrtumsfolgen beim bloß gutgläubigen Whistleblowing . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 2. Unterschiede zwischen § 34 StGB und § 5 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 3. Verhältnis von § 34 StGB zu § 5 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
Inhaltsverzeichnis
21
4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 II. Geheimnisschutzdelikte abseits des § 23 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 III. Begleitdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 C. Auswirkungen der Whistleblowing-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
Teil 4 Fazit
352
Anhang Gesetzestexte zu §§ 17 – 19 UWG und Art. 39 TRIPS-Übereinkommen
356
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
Abkürzungsverzeichnis AcP AEUV a. F. AfP AG AktG AnwBl. AO ArbG ArbRAktuell ArbSchG Art. AT Aufl. BAG BayObLG BayVGH BB BBG BeamtStG BeckOK Beschl. BetrVG BGBl. BGH BGHSt BGHZ BKR BMJV BörsG bspw. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzw. CB
Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der europäischen Union alte Fassung Zeitschrift für das gesamte Medienrecht Die Aktiengesellschaft – Zeitschrift für deutsches, europäisches und internationales Aktien-, Unternehmens- und Kapitalmarktrecht Aktiengesetz Anwaltsblatt (Zeitschrift) Abgabenordnung Arbeitsgericht Arbeitsrecht Aktuell Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit Artikel allgemeiner Teil Auflage Bundesarbeitsgericht Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesbeamtengesetz Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern Beck’scher Online-Kommentar Beschluss Betriebsverfassungsgesetz Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Börsengesetz beispielsweise Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise Compliance-Berater
Abkürzungsverzeichnis CCZ CR dagg. DB ders. DesignG d. h. diff. EMRK Entsch. EPGÜ EPÜ EStG EuR EUV EuZA EuZW EWGV f. ff. FinDAG Fn. FS GA GebrMG GenG GeschGehG GeschGehG-RefE
GeschGehG-RegE
Geschäftsgeheimnis-RL
GeschmMG GewO GG ggf. GmbHG
23
Corporate Compliance Zeitschrift Computer und Recht dagegen Der Betrieb derselbe Gesetz über den rechtlichen Schutz von Design das heißt differenzierend Europäische Menschenrechtskonvention Entscheidung Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht Europäisches Patentübereinkommen Einkommensteuergesetz Europarecht (Zeitschrift) Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft folgende fortfolgend(e) Gesetz über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Fußnote Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gebrauchsmustergesetz Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung vom 18. 04. 2018 Gesetzesentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung vom 18. 07. 2018 ¨ ISCHEN PARLAMENTS RICHTLINIE (EU) 2016/943 DES EUROPA UND DES RATES vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung Gesetz über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen Gewerbeordnung Grundgesetz gegebenenfalls Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung
24 GRCh grds. GRUR GRUR Int. GRUR-Prax GWB GwG GWR HGB HinSchG-RegE
HRRS Hrsg. i. E. IIC IPQ i. S. d. i. S. v. JA JRE JURA JuS JW JZ KAGB KG KriPoZ krit. KWG LAG MDR MedR MMR m. w. N. n. F. NJW NStZ NVwZ NZA NZA-RR NZBau NZG NZWiSt öAT OLG
Abkürzungsverzeichnis Charta der Grundrechte der Europäischen Union grundsätzlich Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GRUR International Journal of European and International IP Law Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht Handelsgesetzbuch Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden vom 19. 09. 2022 Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht Herausgeber im Ergebnis International Review of Intellectual Property and Competition Law Intellectual Property Quarterly im Sinne des im Sinne von Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch für Recht und Ethik Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift JuristenZeitung Kapitalanlagegesetzbuch Kammergericht Berlin Kriminalpolitische Zeitschrift kritisch Gesetz über das Kreditwesen Landesarbeitsgericht Monatsschrift für Deutsches Recht Medizinrecht (Zeitschrift) MultiMedia und Recht/Zeitschrift für IT-Recht und Recht der Digitalisierung mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht Oberlandesgericht
Abkürzungsverzeichnis PatG PublG
25
Patentgesetz Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen RArbG Reichsarbeitsgericht RdA Recht der Arbeit RG Reichsgericht RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen RL Richtlinie Rn. Randnummer r+s recht und schaden (Zeitschrift) Rspr. Rechtsprechung RStV Staatsvertrag über Rundfunk und Telemedien S. Seite(n) SGB IV Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung SGB V Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung s. o. siehe oben sog. sogenannt(e) StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung StV Strafverteidiger (Zeitschrift) StraFo Strafverteidiger Forum (Zeitschrift) s. u. siehe unten SÜG Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes und den Schutz von Verschlusssachen TRIPS-Abkommen Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums u. a. unter anderem UmwG Umwandlungsgesetz UrhG Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte Urt. Urteil UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. von/vom VAG Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen VersR Versicherungsrecht (Zeitschrift) vert. vertiefend VG Verwaltungsgericht vgl. vergleiche VSA Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Geheimschutz (Verschlusssachenanweisung) VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz Whistleblowing-RL RICHTLINIE (EU) 2019/1937 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden WiJ Journal der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V. wistra Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht WM Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht WpHG Gesetz über den Wertpapierhandel WRP Wettbewerb in Recht und Praxis
26 z. B. ZBB ZGR ZIP ZIS zit. ZJS ZRP ZStW ZUM ZWH
Abkürzungsverzeichnis zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik zitiert als Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen
Teil 1
Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht Kapitel 1
Einleitung – Bedeutung des strafrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes Das Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) am 26. 04. 20191 mit seinem nunmehr umfassend ausgestalteten Regelungskonzept, sowohl in materiell-rechtlicher als auch prozessrechtlicher Art und Weise, bietet den Anlass, auch den strafrechtlichen Schutz von Geschäftsgeheimnissen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Nachdem nämlich das frühere Geschäftsgeheimnisstrafrecht, schwerpunktmäßig verortet in den §§ 17 – 19 UWG, über das Eingangstor des § 823 Abs. 2 BGB auf Grund der primär strafrechtlichen Ausgestaltung auch im Zivilrecht von großer Bedeutung war, ist zu befürchten, dass dem nun zivilrechtsakzessorischen Strafrecht2 in Zukunft ein gewisses Schattendasein droht. Umso mehr gilt es festzustellen, ob das Strafrecht durch die Umsetzung der Richtlinie 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 08. 06. 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, kurz Geschäftsgeheimnis-RL, Neuerungen erfahren hat. Dabei wird zu ermitteln sein, ob sich aus der zivilrechtsakzessorischen Ausgestaltung systematische Spannungen ergeben, bestehende Probleme gelöst beziehungsweise neue Baustellen eröffnet wurden. Mithin ist also zu klären, ob es sich beim neuen Geschäftsgeheimnisstrafrecht um ein gelungenes materiell-rechtliches Regelungskonzept handelt. Dazu sind Umfang und Grenzen des Geschäftsgeheim1 Beim 26.04. handelt es sich um den Welttag des Geistigen Eigentums. Auch wenn dieser Tag womöglich recht gezielt gewählt wurde, wird diesem Umstand jedoch keine eigenständige Bedeutung zugemessen werden können, mithin spricht etwa Reinfeld von einem guten Omen, vgl. GeschGehG, Vorwort. 2 Zur zivilrechtsakzessorischen Ausgestaltung vgl. etwa Hohmann, in: MüKo-StGB, § 23 GeschGehG Rn. 3; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 3; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 10, 19 f.
28
Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
nisschutzes durch das Strafrecht in seiner Gesamtheit – über den Tellerrand des GeschGehG hinaus – auf den Prüfstand zu stellen. Nachdem der Gesetzgebungsvorgang als „Sternstunde des Parlaments“3 bezeichnet wurde, liegt die Messlatte hierfür jedenfalls sehr hoch. Abseits des Zivilrechts ist die enorme praktische Bedeutung des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen durch das Strafrecht nicht von der Hand zu weisen. Denn gerade beim Verlust besonders werthaltiger Geschäftsgeheimnisse besteht die Gefahr, dass etwaige Schadensersatzansprüche mangels ausreichender Solvenz des Schuldners weder im Vorfeld noch im Nachhinein abschreckende Wirkung entfalten können.4 Um dies zu unterstreichen, genügt es, einige der diesbezüglichen Schätzungen zu Rate zu ziehen. So geht etwa der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) davon aus, dass durch Wirtschaftsspionage jährlich Schäden in Höhe von 100 Milliarden Euro entstehen.5 Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) schätzt die Schadenssumme unter Einschluss von Datendiebstahl, Industriespionage und sonstiger Sabotage vergleichbar ein.6 Andere Quellen gehen immerhin von Schadenssummen im Bereich von 50 Milliarden Euro aus.7 Mithin richten sich diese Angriffe unternehmensübergreifend gegen ganze Bereiche der Wirtschaft, wie etwa die stark technisch geprägte Automobilindustrie, Maschinenbau- und Kommunikationsunternehmen, die Informationstechnik-, Biotechnologie- und Finanzbranche, aber auch – obgleich vielleicht weniger naheliegend – Kosmetikproduktehersteller.8 Sie sind zudem nicht nur für das individuell betroffene Unternehmen von enormer Bedeutung, sondern können ein Risiko für die gesamte volkswirtschaftliche Entwicklung darstellen.9 3
So etwa die Berichterstatterin Nina Scheer in der Sitzung des Bundestages vom 21. 03. 2019, vgl. Plenarprotokoll 19/89, 10655. 4 Statt vieler Nastelski, GRUR 1957, 1, 2; Harte-Bavendamm, in: FS Köhler, S. 235, 236; Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 34; krit. hingegen Aplin, IPQ 2014, 257, 274. 5 http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspionage-ingenieursverband-100-milliar den-euro-schaden-12782369.html (zuletzt abgerufen am 27. 10. 2020). 6 https://bdi.eu/artikel/news/wirtschaftsspionage-kriminalitaet-und-sabotage-die-unters chaetzte-gefahr/ (zuletzt abgerufen am 27. 10. 2020). 7 Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 24 f. m. w. N.; Bott, in: FS Wessing, S. 311, 312 m. w. N. 8 Dazu etwa Wilke, NZWiSt 2019, 168; Bundesamt für Verfassungsschutz Wirtschaftsspionage – Risiko für Unternehmen, Wissenschaft und Forschung, 2014, 6; Drescher, Industrieund Wirtschaftsspionage, S. 79 ff.; zutreffend formuliert auch Brammsen „Wird schließlich das sich neben den klassischen ,Einsatzfeldern‘ Anlagen- und Betonbau, Auto-, Chemie-, Metall-, Pharma- und Rüstungsindustrie, Materialtechnik usw. immer mehr auf die Beschichtungs-, Bio-, Solar-, Windtechnologie, der Energiesektor, die Finanzbranche, die Computer- und Telekommunikationsindustrie, die Medizin-, Steuerungs- und Umwelttechnik, selbst die Fahrradproduktion einbeziehende ,Spionagespektrum‘ einberechnet, bleibt nur die Schlussfolgerung: Geheimnisverrat und Wirtschaftsspionage haben weltweit längst beängstigend stabile und expansive Hochkonjunktur“, vgl. Lauterkeitsstrafrecht, Vor § 17 – 19 Rn. 8. 9 So bereits etwa Schafheutle, Wirtschaftsspionage, S. 2 und Tuffner, Wirtschaftsgeheimnisse, S. 2 f., 106.
Kap. 1: Einleitung
29
All dies vorangestellt, wird im Rahmen dieser Untersuchung festzustellen sein, ob das GeschGehG in strafrechtlicher Hinsicht hinreichende materiell-rechtliche Mittel zur Verfügung stellt, um den – auch unter Zuhilfenahme der Literatur – herausgearbeiteten Risikoquellen für den Geheimnisschutz zu begegnen.10 Dabei sind vor allem auch die aus dem zunehmenden Einsatz von Informationstechnologie erwachsenden Angriffsmöglichkeiten zu bedenken.11 Es spielen nicht nur der Einsatz von Schadsoftware, sondern auch die Nutzung privater Hardware im betrieblichen Umfeld, etwa im Home Office, eine Rolle.12 Zusätzlich stellen aus dem Transfer von Technologie erwachsende Risiken eine immer größere Herausforderung dar, welche jedoch im Hinblick auf die bezweckte Innovationsförderung praktisch unumgänglich erscheinen.13 Andererseits sind dem notwendigen strafrechtlichen Schutz von Geschäftsgeheimnissen Grenzen zu setzen, allein schon aus Gründen eines Angebots und Nachfrage vermittelnden Warenverkehrs und des daraus resultierenden Wettbewerbsumfelds. Neben wirtschaftlichen Erwägungen sind auch andere, für das gesellschaftliche Zusammenwirken unerlässliche Ausnahmen zu berücksichtigen. Besonders in dieser Hinsicht wurden bereits vielfach Bedenken wegen des neuen Gesetzes geäußert, deren Erörterung an geeigneter Stelle erfolgen wird.14 Dabei gilt es vor allem auf die Arbeit von (investigativen) Journalisten als sogenannte „vierte Gewalt“ im Staat oder das Wirken von Whistleblowern, etwa im Bereich der Wirtschaftskriminalität, hinzuweisen. Gerade diese Form der Kriminalität – welche oft mit erheblichen Schäden für Rechtsgüter der Allgemeinheit einhergeht – kann häufig erst durch Hinweise Privater effektiv verfolgt werden.15 Um die aufgeworfenen Fragestellungen zu beantworten, ist zunächst einmal ein kursorischer Überblick über die Gesetzgebungshistorie des GeschGehG angezeigt, um sich dann dem Regelungskonzept in seinen materiell-rechtlichen Facetten zu nähern. Dafür ist die Auseinandersetzung mit dem nationalen Zivilrecht, aber auch dem europäischen Recht unerlässlich. Der sich anschließenden Untersuchung des tatbestandlichen Schutzumfangs folgt im nächsten Schritt eine Analyse der bestehenden rechtlichen Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes. Abgerundet werden
10 Siehe dazu etwa Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 27 f.; McGuire, GRUR 2016, 1000 ff.; Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 91 ff.; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, Vor § 17 – 19 UWG Rn. 8; Drescher, Industrie- und Wirtschaftsspionage, S. 92 ff. 11 Etwa Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, Vor § 17 – 19 UWG Rn. 8 m. w. N.; Müller, Cloud Computing, S. 26. f., 83 ff. 12 Etwa Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, Vor § 17 – 19 UWG Rn. 8 m. w. N. 13 Siehe dazu Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 94; dabei ist vom sogenannten KnowledgeProtection-Sharing-Dilemma die Rede, vgl. Nienaber, Geschäftsgeheimnisse, Rn. 203. 14 So etwa bei Alexander, AfP 2019, 1, 3. 15 So auch Buchert/Buchert, ZWH 2018, 309, 310; Redder, Whistleblowing, S. 183; ähnlich bei Hopt, der von einer wichtigen Informationsquelle spricht, vgl. ZGR 2020, 373, 381; kritisch Hefendehl, in: FS Amelung, S. 617, 622 f., 636, 641 f. jeweils m. w. N.
30
Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
die erarbeiteten Ergebnisse durch einen Blick über die Grenzen des GeschGehG hinaus in das Kern- und Nebenstrafrecht. Doch bereits einleitend und vor der rechtlichen Analyse sollen erste Zweifel an der handwerklichen Arbeit des Gesetzgebers geäußert werden. So ist etwa der prognostizierte Anstieg der Verfahrenszahlen im Bereich des Zivilrechts von 20 auf 10016 mit einiger Vorsicht zu genießen.17 Auf dem Gebiet des Strafrechts werden vom Gesetzgeber demgegenüber gar keinen Angaben gemacht, obwohl sich der PKS seit geraumer Zeit relativ konstante Zahlen entnehmen lassen.18 Die Verurteilungszahlen sind sogar noch niedriger.19 Daneben sei zudem daraufhin gewiesen, dass auch aus betriebswirtschaftlicher Perspektive Zweifel am Vorgehen des Gesetzgebers aufkommen. Schon die Prognosen des Regierungsentwurfs zum GeschGehG zum potentiellen Erfüllungsaufwand standen auf eher wackligen Beinen. Nachdem die Folgekosten für die Wirtschaft im Referentenentwurf noch offengelassen wurden20, enthielt der Regie-
16
BT-Drs. 19/4724, S. 3, 45. Ursprünglich wurde an dieser Stelle im an den Bundesrat übermittelten Regierungsentwurf noch auf die geringe Anzahl veröffentlichter Entscheidungen auf diesem Gebiet, welche durch eine juris-Recherche belegt werden sollte, verwiesen, vgl. BR-Drs. 382/18, S. 17 f. Dieser Umstand war berechtigterweise der Kritik ausgesetzt, weil sich auf Grundlage keine seriösen Schätzungen vornehmen lassen können, zumal gerade auf dem Gebiet des Geheimnisschutzes nur selten ein Interesse der Beteiligten an der Veröffentlichung bestehen wird, vgl. zur Kritik Ziegelmayer, CR 2018, 693, 694. Nichtsdestotrotz finden sich diese Zahlen nach wie vor im Regierungsentwurf, auch wenn der Verweis auf die juris-Recherche entfernt wurde. 18 So wurden im Jahr 2019 190 Straftaten nach § 17 Abs. 1 UWG erfasst, während es 2018 noch 191 Fälle waren. (https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Po lizeilicheKriminalstatistik/PKS2019/PKSTabellen/BundFalltabellen/bundfalltabellen.html? nn=131006; von Interesse sind im vorliegenden Kontext die Sach-Schlüsselnummern 715300 und 715400, zuletzt abgerufen am 27. 10. 2020); vertiefend zur Entwicklung der Fallzahlen in der PKS Hohmann, in: MüKo-StGB, § 23 GeschGehG Rn. 4; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, Vor § 17 – 19 UWG Rn. 7; in diesem Kontext merkte Tuffner bereits frühzeitig an, dass „[die] Häufigkeit strafrechtlicher Verurteilungen […] im umgekehrten Verhältnis zur (behaupteten Relevanz) dieser Kriminalität zu stehen [scheint].“, vgl. Wirtschaftsgeheimnisse, S. 114. 19 So wurde im Jahr 2018 in 70 Fällen eine Freiheits- oder Geldstrafe wegen Verstößen gegen das UWG verhängt, vgl. Strafverfolgungsstatistik 2018, S. 54; vgl. auch Müller, Cloud Computing, S. 273. Dies steht augenscheinlich im Widerspruch zur als umfassend skizzierten Bedrohungslage für deutsche Unternehmen. So soll im Schnitt alle drei Minuten ein deutsches Unternehmen und beispielsweise bereits jedes zweite Unternehmen in NRW Ziel von Wirtschaftsspionage gewesen sein, vgl. Bott, in: FS Wessing, S. 311, 312 m. w. N. Dies wird durch die Corporate-Trust Studie aus dem Jahr 2014 unterstrichen, wonach 54,3 % der deutschen Unternehmen zumindest mit dem Verdacht umzugehen hatten, dass sie Opfer von Industriespionage gewesen sein könnten, vgl. S. 6. Die nachfolgende Erhebung aus dem Jahr 2017 wies aus, dass zumindest 18,9 % der Untersuchten von Fällen im eigenen Unternehmen berichteten, vgl. S. 8. 20 GeschGehG-RefE, S. 2. 17
Kap. 2: Gesetzgebungsgeschichte der Geschäftsgeheimnis-RL u. des GeschGehG
31
rungsentwurf mit 6.440.000 Euro dann einen sehr konkreten Betrag21, wobei dessen Berechnungsgrundlage zu Recht Gegenstand der Kritik war.22 Eine einheitliche Gesetzesbegründung für das GeschGehG als eine Art „Bedienungsanleitung“ ist ebenfalls nicht existent, weshalb man auf das Zusammenfügen der Begründung des Regierungsentwurfs sowie der Beschlussbegründung zum Ende des Gesetzgebungsvorgangs angewiesen ist.23 Zur sprachlichen Vereinfachung wird nachfolgend dennoch der Begriff der „Gesetzesbegründung“ auftauchen. Dieser ist jedoch untechnisch im vorangestellten Sinne zu verstehen. Kapitel 2
Gesetzgebungsgeschichte der Geschäftsgeheimnis-RL und des GeschGehG Nach diesen einleitenden Worten gilt es, sich einen Überblick über den historischen Hintergrund des GeschGehG zu verschaffen, um darauf als Argumentationsgrundlage für die nachfolgenden Erörterungen zurückgreifen zu können. Zunächst ist der europarechtliche Hintergrund des Gesetzes in Gestalt der Geschäftsgeheimnis-RL zu berücksichtigen und im zweiten Schritt auch das nationale Geheimnisschutzrecht bis hin zum aktuellen GeschGehG darzustellen.
A. Weg zu einem harmonisierten europäischen Geschäftsgeheimnisschutz durch die Geschäftsgeheimnis-RL Den Grund für den Erlass der Geschäftsgeheimnis-RL bildete der Umstand, dass sich trotz des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums (TRIPS-Abkommen) und der darin enthaltenen internationalen Mindeststandards zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen innerhalb der Europäischen Union kein einheitliches Verständnis dieser Materie entwickelt hatte.24 Vielmehr 21
BT-Drs. 19/4724, S. 2. Brammsen, BB 2018, 2446; zur Berechnung BT-Drs. 19/4724, S. 44 f. 23 Reinfeld betont daher, dass BT-Drs. 19/4724 und BT-Drs. 19/8300 „gemeinsam gelesen werden müssen“, und spricht dabei von der „eigentlichen Gesetzesbegründung“, vgl. GeschGehG, § 1 Rn. 56. 24 Bericht der Europäischen Kommission zur „Conference, ,Trade Secrets: Supporting Innovation, Protecting Know-how‘“ vom 29. 06. 2012 (http://ec.europa.eu/DocsRoom/docu ments/14902, zuletzt abgerufen am 21. 04. 2020); vertiefend etwa Witt/Freudenberg, WRP 2014, 375; Knaak/Kur/Hilty, IIC 45 (2014), 953, 954; Falce, IIC 46 (2015), 940, 945 ff.; Baranowski/Glaßl, BB 2016, 2563; Kalbfus, GRUR 2016, 1009; Wiese, EU-Richtlinie, S. 7 f. m. w. N.; Dumont, BB 2018, 2441; Ohly, GRUR 2019, 441; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/ Feddersen, UWG, 40. Aufl., Vorbemerkungen GeschGehG Rn. 10 ff. 22
32
Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
bestanden in der Vergangenheit in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche rechtliche Schutzmechanismen, welche in ihrer Bandbreite von wettbewerbsrechtlichen, kartellrechtlichen, strafrechtlichen bis zu zivilrechtlichen Regelungen reichten.25 Einen Überblick hierzu geben zwei von der Europäischen Kommission im November 2011 und April 2013 in Auftrag gegebene Studien.26 Diese divergierenden Standards brachten teils erhebliche Risiken für die betroffenen Unternehmen beim supranationalen Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse mit sich. Daraus folgen nicht zu vernachlässigende Nachteile für die Innovationskraft sowie die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Europäischen Union und zusätzlich negative Effekte für den freien Warenverkehr.27 Diese Risiken und Konsequenzen wurden als mit dem teils enormen Wert von Geschäftsgeheimnissen unvereinbar eingestuft. Ebenso wenig entsprach die frühere Rechtslage – nach überwiegendem Verständnis – den von der Europäischen Kommission entwickelten Leitlinien für eine europäische Wettbewerbspolitik.28 Dieses unbefriedigende Ergebnis führte schließlich nach längerem Ringen auf Seiten des europäischen Gesetzgebers zur Verabschiedung der Geschäftsgeheimnis-RL, welche nach Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 Geschäftsgeheimnis-RL bis zum 09. 06. 2018 in nationales Recht umzusetzen war.29 25 So bestand beispielsweise in den Niederlanden ein eher deliktsrechtliches Schutzregime, während in Österreich der Schutz ähnlich wie in Deutschland bisher und nun auch nach der Umsetzung der Richtlinie im öUWG geregelt ist. In Schweden bestand bereits vor Schaffung der Geschäftsgeheimnis-RL ein eigenes Stammgesetz; vgl. etwa. Gaugenrieder, BB 2014, 1987; Baranowski/Glaßl, BB 2016, 2563; Wiese, EU-Richtlinie, S. 1 ff.; Ohly, GRUR 2019, 441; Apel/Walling, DB 2019, 891, 892. 26 Hogan Lovells International LLP, Report on Trade Secrets for the European Commission 2011, https://publications.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/068c999d-06d2-4c8ea681-a4ee2eb0e116 (zuletzt abgerufen am 21. 04. 2020); Baker & McKenzie, Study on Trade Secrets and Confidential Business Information in the Internal Market, MARKT/2011/128/D ec. europa.eu/docsroom/documents/14838/attachments/… (zuletzt abgerufen am 21. 04. 2020); der inhaltliche Schwerpunkt der ersten Studie lag bei einer Betrachtung der rechtlichen Rahmenvoraussetzungen und der dazugehörigen rechtlichen Praxis, während die zweite Studie auf die Bedeutung von Geschäftsgeheimnissen für Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum in der Europäischen Union abzielte, vgl. vertiefend Falce, IIC 46 (2015), 940, 948 f.; Dumont, BB 2018, 2441; krit. dazu Aplin, IPQ 2014, 257, 259 f. 27 COM (2013) 813, final, S. 6; Harte-Bavendamm, in: FS Köhler, S. 235, 238; Witt/ Freudenberg, WRP 2014, 375; Kalbfus, GRUR 2016, 1009; Baranowski/Glaßl, BB 2016, 2563; Alexander, WRP 2017, 1034, 1035. 28 Siehe dazu KOM (2010) 2020 endgültig, S. 14 ff.; so auch Wiese, EU-Richtlinie, S. 7. 29 Den Beginn dieses Gesetzgebungsprozesses markierte der am 28. 11. 2013 präsentierte erste Richtlinienvorschlag, vgl. COM (2013) 813 final und Impact Assessment SWD (2013) 471. Daran schloss sich am 26. 05. 2014 die erste konsolidierte Fassung des EU-Rats an, vgl. Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on the protection of undisclosed know-how and business information (trade secrets) against their unlawful acquisition, use and disclosure – General Approach, COM (2013) 813, final; vertiefend dazu etwa McGuire, GRUR 2015, 424 ff. Auf diese folgte dann die Veröffentlichung des Berichts des Europäischen Parlaments zum Richtlinien-Entwurf am 22. 06. 2015, vgl. Report of the European Parliament Committee on Legal Affairs on Trade Secrets, abrufbar unter: http://ec.europa.
Kap. 2: Gesetzgebungsgeschichte der Geschäftsgeheimnis-RL u. des GeschGehG
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B. Umsetzung der Geschäftsgeheimnis-RL in das nationale Recht durch das GeschGehG I. Geschäftsgeheimnisschutz nach dem UWG vor Inkrafttreten des GeschGehG Bevor nun die Gesetzgebungsgeschichte des GeschGehG dargestellt werden soll, darf an dieser Stelle auch ein kursorischer Überblick über die überkommene Rechtslage nicht fehlen, weil dieser ebenfalls einen gewissen Erkenntnisgewinn beizusteuern vermag. Die historischen Wurzeln des strafrechtlichen Schutzes von Geschäftsgeheimnissen in Deutschland reichen allerdings so weit zurück, dass nur dessen geschichtliche Entwicklung seit Erlass des UWG von 1896 skizziert werden kann.30 So konnten bereits damals §§ 9, 10 UWG a. F. die ersten Strafvorschriften entnommen werden31, die dann sukzessive erweitert und angepasst wurden.32 Zunächst wurden diese Strafnormen am 07. 06. 1909 in die §§ 17, 18 UWG a. F. überführt.33 Im Zuge dessen ist insbesondere der Vorlagenfreibeuterei in der Stickerei- und Spitzenindustrie Rechnung getragen worden, die nunmehr durch einen eigenen Straftatbestand
eu/DocsRoom/documents/14622/attachments/1/translations (zuletzt abgerufen am 21. 04. 2020). Auf dessen Grundlage wurden schließlich die sogenannten Trilog-Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission geführt, vgl. Rat der Europäischen Union, Pressemitteilung vom 22. 12. 2015, 935/15, abrufbar unter: https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/201 5/12/22/trade-secrets-protection/ (zuletzt abgerufen am 21. 04. 2020). Das Trilog-Verfahren – in formeller, aber auch informeller Form – stellt ein Verständigungsprozedere zwischen dem Europäischen Parlament, dem Europäischen Rat und der Europäischen Kommission dar; siehe vertiefend zum Gesetzgebungsvorgang etwa Baranowski/Glaßl, BB 2016, 2563 und Wiese, EURichtlinie, S. 9. 30 RGBl. 1896, S. 145; Die historische Tragweite des Geschäftsgeheimnisschutzes hat Ameluxen im Jahr 1983 sehr treffend beschrieben, als er angemerkt hat, dass „[die] Wirtschaftsspionage […] auf ein biblisches Alter zurück [blickt]. Sie begann, als Moses seine Kundschafter aus den zwölf Stämmen Israels in das Land Kanaan aussandte, um festzustellen, wo und wie dort Milch und Honig produziert wurden. Das Herstellungspatent der altchinesischen Webstühle, die Geheimnisse der fernöstlichen Seidenraupe und der holländischen Tulpenzwiebel, die sächsische Porzellanmanufaktur und das brasilianische Kautschukmonopol – all diese in der Wirtschaftsgeschichte sorgfältig bewahrten Verschwiegenheiten sind irgendwann durch Ausspähung erkundet, verraten und bekanntgemacht worden. Das führte zum Niedergang ganzer Volkswirtschaften, zum Bedeutungsverlust einst mächtiger Staaten“, zitiert nach Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, Vor § 17 – 19 UWG Rn. 1 f.; vertiefend Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 91 ff.; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, Vor § 17 – 19 UWG Rn. 1 f. 31 Ausführlich etwa Slawik, Schutz von Unternehmensgeheimnissen, S. 318 – 360 m. w. N.; Kochmann, Reverse Engineering, S. 90 ff. 32 Vertiefend dazu etwa Möhrenschlager, wistra 1986, 137 ff. 33 Vertiefend dazu etwa Slawik, Schutz von Unternehmensgeheimnissen, S. 691 – 701 m. w. N.
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
bekämpft wurde.34 Die nächste Änderung, die für das Geschäftsgeheimnisstrafrecht von Bedeutung war, erfolgte durch das 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15. 05. 1986 in Gestalt der Betriebsspionage und der hinzutretenden Versuchsstrafbarkeit.35 In den Jahren 2004 und 2008 kam es schließlich zur Reform des UWG und zum 1. Gesetz zur Änderung des UWG, das ähnlich wie das GeschGehG der Umsetzung europäischer Richtlinien diente, wobei lediglich die Reform aus dem Jahr 2004 die Strafbestimmungen mit einschloss.36 Durch diese Anpassungen hatten die §§ 17 – 19 UWG ihre zuletzt gültige Fassung bis zur Aufhebung im Zuge des Inkrafttretens des GeschGehG gewonnen.37
II. Umsetzung der Geschäftsgeheimnis-RL durch das GeschGehG Nach der Verabschiedung der Geschäftsgeheimnis-RL durch den europäischen Gesetzgeber bestand Klärungsbedarf, ob das bisher geltende nationale Recht den in der Richtlinie getroffenen Regelungen gerecht wird oder aber der Gesetzgeber tätig werden muss.38 Das Schrifttum befürwortete überwiegend das Erfordernis gesetzlicher Anpassungen durch die Ausgliederung des Geschäftsgeheimnisschutzes aus dem UWG in ein eigenes Stammgesetz, welches keinen untergeordneten Bestandteil eines anderen Regelungswerks darstellt, das zusätzlich andere Aspekte des Lauterkeitsrechts umfasst.39 Diesen Stimmen ist der Gesetzgeber – wie sich zeigt – letztlich auch gefolgt. 1. Referentenentwurf vom 18. 04. 2018 Am 18. 04. 2018 wurde der Referentenentwurf des BMJV veröffentlicht (GeschGehG-RefE).40 Damit wurden bereits die Weichen für die Auslagerung des Ge34
201 f.
RGBl. I 1909, S. 499, 504; Zentek, WRP 2007, 507, 511; Brammsen, wistra 2006, 201,
35 BGBl. I 1986, S. 721, 726; zum Gesetzgebungsprozess krit. Rupp, WRP 1985, 676, 679 ff.; vertiefend Slawik, Schutz von Unternehmensgeheimnissen, S. 724 f. 36 BGBl. I 2004, S. 1414, 1419; vgl. etwa Slawik, Schutz von Unternehmensgeheimnissen, S. 725 f. m. w. N.; dazu auch Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 18 UWG Rn. 1; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 3. 37 Dazu etwa Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 1 m. w. N. 38 Vertiefend zum Umsetzungsbedarf etwa McGuire, GRUR 2016, 1000, 1000, 1008; Kalbfus, GRUR 2016, 1009 ff.; Ann, GRUR-Prax 2016, 465 ff.; Lejeune, CR 2016, 330 ff. 39 Statt vieler Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1016; Ann, GRUR-Prax 2016, 465, 466 f.; Alexander, WRP 2017, 1034, 1037; indifferent Lejeune, CR 2016, 330, 341. 40 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung vom 18. 04. 2018 (GeschGehG-RefE), abrufbar unter: https://www.bmjv.de/Shared
Kap. 2: Gesetzgebungsgeschichte der Geschäftsgeheimnis-RL u. des GeschGehG
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schäftsgeheimnisschutzes in ein eigenes Stammgesetz mit 22 Vorschriften gestellt, wobei zum Teil noch weitreichende Abweichungen zum verabschiedeten GeschGehG nicht kodifiziert wurden. Diese sind aber bei der Auslegung des letztlich verabschiedeten Gesetzes noch von Relevanz.41 So wurde auf eine mit dem geltenden § 1 GeschGehG verwandte, den Anwendungsbereich des Gesetzes konkretisierende Vorschrift weitgehend verzichtet.42 Auch definierte § 1 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG-RefE das Geschäftsgeheimnis noch abweichend von der finalen Gesetzesfassung. Mithin sollten Informationen geschützt werden, „die weder insgesamt noch in ihren Einzelheiten den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, bekannt oder ohne weiteres zugänglich [sind]“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. a GeschGehG-RefE) „und daher von wirtschaftlichem Wert [sind] und Gegenstand von angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber [sind].“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GeschGehG-RefE). Ebenso wurde die Definition des Inhabers eines Geschäftsgeheimnisses noch einmal überarbeitet. So lautete § 1 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG-RefE: „Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses [ist] jede natürliche oder juristische Person, die ein Geschäftsgeheimnis rechtmäßig erlangt hat und das Geschäftsgeheimnis nutzen und offenlegen darf“, während für § 2 Nr. 2 GeschGehG die Kontrolle über das Geschäftsgeheimnis entscheidend ist: „Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses [ist] jede natürliche oder juristische Person, die die rechtmäßige Kontrolle über ein Geschäftsgeheimnis hat“. Bei der möglichen Tathandlung war nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG-RefE im Gegensatz zu § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG noch erforderlich, dass das Geschäftsgeheimnis „… sich im rechtmäßigen Besitz des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses [befindet] …“, während in der Gesetzesfassung die Kontrolle maßgeblich ist („… die der rechtmäßigen Kontrolle des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses unterliegen …“). Zudem wurde der Wortlaut von § 3 Abs. 3 GeschGehG-RefE hin zu § 4 Abs. 3 GeschGehG noch einmal an die Richtlinie angenähert.43 Docs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_GeschGehG.pdf;jsessionid=B4AC32 EEAC242906C9F665805C1A816A.2_cid334?__blob=publicationFile&v=1 (zuletzt abgerufen am 22. 04. 2020); Dabei darf mit einer gesunden Portion an Ironie daraufhin hingewiesen werden, dass dieser Entwurf selbst bereits vorab inoffiziell enthüllt wurde und schon am 29. 03. 2018 Gegenstand der Berichterstattung in der Presse war, etwa https://www.sueddeutsche.de/wirt schaft/bundesregierung-datenschutz-unternehmen-1.3924700 (zuletzt abgerufen am 22. 04. 2020); https://www.lto.de/recht/presseschau/p/presseschau-2018-03-29-gesetz-geschaeftsgeheimnissemy-taxy-app-autonomes-fahren/ (zuletzt abgerufen am 22. 04. 2020); hierzu etwa Druschel/ Jauch, BB 2018, 1218; Dumont, BB 2018, 2441, 2442; Alexander, WRP 2019, 673, 674. 41 Auf Grund des begrenzten Umfangs dieser Untersuchung werden nur solche Vorschriften dargestellt, die auch im Weiteren von Interesse sind, zur vertieften Lektüre zum Gesamtkonzept des Entwurfs statt vieler Würtenberger/Freischem, GRUR 2018, 708 ff.; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, Einl. A Rn. 78 ff. 42 Lediglich § 1 Abs. 2 GeschGehG-RefE enthielt folgende Einschränkung: „Öffentlichrechtliche Vorschriften zur Geheimhaltung, Erlangung, Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen gehen vor.“. 43 Dazu etwa Dumont, BB 2018, 2441, 2443.
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Im Referentenentwurf findet sich mit dem Rechtfertigungsgrund in § 4 GeschGehG-RefE auch der erste Vorläufer zur Tatbestandsausnahme nach § 5 GeschGehG. Dabei ergeben sich jedoch sowohl durch die Ausgestaltung als Rechtfertigungsgrund als auch in sprachlicher Hinsicht noch einige erhebliche Unterschiede.44 2. Regierungsentwurf vom 18. 07. 2018, BT-Drs. 19/4724 Diesem Referentenentwurf folgte dann am 18. 07. 2018 der Gesetzentwurf der Bundesregierung (GeschGehG-RegE).45 Der Regierungsentwurf war inhaltlich an den Referentenentwurf angelehnt, enthielt aber bereits – wohl auf Grund der zwischenzeitlich schon aufgekommenen Kritik – diverse Anpassungen.46 So lehnte sich der neue Entwurf stärker an den Wortlaut der Richtlinie an.47 Es wurde § 1 GeschGehG-RegE eingefügt, der größtenteils deckungsgleich mit § 1 Abs. 1, 2 GeschGehG ist. Lediglich § 1 Abs. 3 Nr. 4 GeschGehG wurde noch recht kurzfristig ergänzt. Die Legaldefinition des Geschäftsgeheimnisses wurde folglich in § 2 Nr. 1 GeschGehG-RegE verortet und zugleich sprachlich an den Wortlaut der Richtlinie angenähert. Im Vergleich zur Definition des § 2 Nr. 1 GeschGehG bestand der
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§ 4 GeschGehG-RefE lautete wie folgt: „§ 4 Rechtfertigungsgründe Die Erlangung, die Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses ist gerechtfertigt, wenn dies zum Schutz eines berechtigten Interesses erforderlich ist, insbesondere 1. zur rechtmäßigen Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 202 vom 7. 6. 2016, S. 389), einschließlich der Achtung der Freiheit und der Pluralität der Medien; 2. zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines anderen Fehlverhaltens, wenn die das Geschäftsgeheimnis erlangende, nutzende oder offenlegende Person in der Absicht handelt, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen; 3. im Rahmen der Offenlegung durch Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitnehmervertretung, wenn dies erforderlich ist, damit die Arbeitnehmervertretung ihre Aufgaben erfüllen kann.“ 45 Wenn im nachfolgenden Gang der Untersuchung auf den Regierungsentwurf Bezug genommen wird, dann wird, sofern sich aus dem Kontext oder zitierweise nichts anderes ergibt, ist damit BT-Drs. 19/4724 gemeint. Anzumerken ist an dieser Stelle außerdem, dass zu diesem Zeitpunkt bereits die Umsetzungsfrist verstrichen war; krit. zum Gesetzgebungsverfahren Buck, jM 2020, 59. 46 Vertiefend etwa Würtenberger/Freischem, GRUR 2018, 708 ff.; Alexander, WRP 2019, 673, 674. 47 Dumont (BB 2018, 2441, 2442) und Apel/Walling (DB 2019, 891, 893) interpretieren die Begründung des Regierungsentwurfs, vgl. BT-Drs. 19/4724, S. 22, dahingehend, dass es sich nach Vorstellung des Gesetzgebers um eine „1:1-Umsetzung“ der Richtlinie handeln soll. Dies kann der dort vorzufindenden Formulierung gerade nicht entnommen werden, vielmehr handelt es sich nur um eine Erläuterung im Rahmen der Kosten der Umsetzung der Richtlinie. Es wird deutlich klargestellt, dass der Gesetzesentwurf Abweichungen von der Richtlinie enthält. Genauso wie bei der Darstellung des Referentenentwurfs werden erneut auch nur solche Normen dargestellt, die für den weiteren Verlauf der Untersuchung relevant sind.
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einzige Unterschied in dem noch hinzugefügten § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG.48 Der Begriff des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses stimmte bereits mit der Gesetzesfassung überein, ebenso die Handlungsverbote aus § 4 GeschGehG. Eine weitere relevante Abweichung stellte die Einordnung des § 5 GeschGehG-RegE als Rechtfertigungsgrund dar. Mit Weiterleitung des Regierungsentwurfs am 10. 08. 2018 wurde das Gesetzgebungsverfahren dann fortgesetzt.49 Die darauffolgende Stellungnahme vom 10. 09. 2018 der beteiligten Ausschüsse des Bundesrates enthielt mehrere Empfehlungen zur Anpassung des bisherigen Entwurfs.50 So wurden Klarstellungen hinsichtlich des Umfangs der öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die durch die Regelung des § 1 Abs. 2 GeschGehG-RegE erfasst werden sollen, sowie zum Verhältnis zu Immaterialgüterrechten – wie dem Patent- oder Urheberrecht – durch Änderung des § 1 Abs. 3 GeschGehG-RegE angeregt.51 Daneben erfolgte der Hinweis, dass die in § 23 GeschGehG-RegE verwendeten Begriffe eigener oder fremder Wettbewerb fehlgehen, weil die Nähe zum Besitz in Bezug auf Wettbewerb terminologisch ausscheidet.52 Stattdessen wurde empfohlen, sprachlich in Zukunft auf einen Wettbewerbsvorteil abzustellen.53 Diese Empfehlungen wurden im Weiteren unverändert in die Stellungnahme des Bundesrates vom 21. 09. 2018 übernommen.54 Nach der Beteiligung des Bundesrates leitete die Bundesregierung den Gesetzesentwurf samt der Stellungnahme am 04. 10. 2018 dem Deutschen Bundestag zu.55 3. Änderungen nach der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Bundestages vom 13. 03. 2019, BT-Drs. 19/8300 Nach der ersten Lesung am 11. 10. 2018 und anschließender Überweisung in die Ausschüsse erfolgte am 12. 12. 2018 eine Anhörung vor dem Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, die von einer Vielzahl von Stellungnahmen begleitet 48
§ 2 Nr. 1 GeschGehG-RegE lautete wie folgt: „Geschäftsgeheimnis [im Sinne dieses Gesetzes ist] eine Information, die a) weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist und b) Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist.“. 49 Vgl. BR-Drs. 382/18. 50 Vgl. BR-Drs. 382/1/18. 51 BR-Drs. 382/1/18, S. 1 f. 52 BR-Drs. 382/1/18, S. 4 = BT-Drs. 19/4724, S. 47. 53 BR-Drs. 382/1/18, S. 4 = BT-Drs. 19/4724, S. 47; Brammsen, BB 2018, 2446, 2450; zum Begriff des Wettbewerbs im Strafrecht nur Krüger, Entmaterialisierungstendenz, S. 36 – 39. 54 Vgl. BR-Drs. 382/18 (Beschluss). 55 Vgl. BT-Drs. 19/4724.
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wurde.56 Dies verdeutlichte – ebenso wie die Anträge der Fraktionen von Bündnis 90/ Die Grünen57 sowie der Linkspartei58 im Anschluss an die zweite Lesung am 15. 02. 2019 – den fortbestehenden Diskussionsbedarf. Am 13. 03. 2019 empfahl der Ausschuss, den Regierungsentwurf vor Beschlussfassung – auch in für diese Untersuchung relevanten Punkten – zu ändern.59 Zunächst wurde empfohlen – um dem Erwägungsgrund [18] der Geschäftsgeheimnis-RL gerecht zu werden und um Bezug zu den Grundsätzen aus Art. 1 Abs. 3 Geschäftsgeheimnis-RL zu nehmen60 – die Aufzählung in § 1 Abs. 3 GeschGehG-RegE um Nr. 4 wie folgt zu ergänzen: „Die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis und die Rechte der Arbeitnehmervertretungen.“. Eine der folgenschwersten Änderungen ergibt sich aus der vorgeschlagenen Anpassung der Legaldefinition des Geschäftsgeheimnisses durch das Hinzufügen des Merkmals „bei der ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht“ in § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG. Die Beschlussempfehlung verweist dabei auf das nach Erwägungsgrund [14] geforderte „legitime Interesse“ und eine nicht näher konkretisierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.61 Die mit dieser Änderung einhergehenden Probleme werden vollumfänglich erst in der Gesamtschau mit der Richtlinie und dem zur Tatbestandsausnahme umgewandelten § 5 GeschGehG deutlich.62 Die Umgestaltung dieser Vorschrift sollte die abschreckende Wirkung der Verwirklichung eines Straftatbestands für die Arbeit von Journalisten entschärfen.63 Demgemäß sollte in der Überschrift von § 5 GeschGehG nicht mehr lediglich von Rechtfertigungsgründen sondern von Ausnahmen die Rede sein. Durch die Abänderung des bisherigen Wortlauts „wenn die das Geschäftsgeheimnis erlangende, nutzende oder offenlegende Person in der Absicht handelt, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen“ von § 5 Nr. 2 GeschGehG-RegE hin zur Gesetzesfassung sollte zudem klargestellt werden, dass auch Motivbündel erfasst werden.64 An letzter Stelle dieser Aufzählung wird auf die vom Ausschuss vorgeschlagene Einfügung von § 23 Abs. 6 GeschGehG verwiesen, um nach dem Vorbild des § 353b Abs. 3a StGB die Tatbestandsausnahme aus § 5 Nr. 1 GeschGehG zu flankieren.65 56
Dazu nur Alexander, WRP 673, 674 und Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/ Ohly/Kalbfus, GeschGehG, Einl. A Rn. 82 ff. m. w. N. 57 Vgl. BT-Drs. 19/7453. 58 Vgl. BT-Drs. 19/7704. 59 Vgl. BT-Drs. 19/8300. 60 BT-Drs. 19/8300, S. 13. 61 BT-Drs. 19/8300, S. 13 f. 62 Das Verhältnis von § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG und § 5 GeschGehG bedarf im späteren Verlauf dieser Untersuchung einer eingehenden Betrachtung, vgl. dazu Kapitel 4 C.II.4.b) sowie Kapitel 6 B.II.2.c). 63 BT-Drs. 19/8300, S. 14. 64 BT-Drs. 19/8300, S. 14. 65 BT-Drs. 19/8300, S. 15.
Kap. 3: Auswirkungen der Geschäftsgeheimnis-RL auf das GeschGehG
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Die Intention war es klarzustellen, dass bestimmte, mit der normalen Arbeit eines Journalisten einhergehende Tätigkeiten keine Beihilfestrafbarkeit begründen sollen.66 Letztlich nahm der Deutsche Bundestag die empfohlenen Änderungen an und verabschiedete mit breiter Mehrheit am 21. 03. 2019 das GeschGehG, um damit nunmehr die Geschäftsgeheimnis-RL umzusetzen. Deren Umsetzungsfrist war bereits zum 09. 06. 2018 verstrichen.67 Die Billigung durch den Bundesrat folgte am 12. 04. 2019.68 Das neue Gesetz trat dann am 26. 04. 2019, also dem Tag nach seiner Verkündung, in Kraft.69 Kapitel 3
Auswirkungen der Geschäftsgeheimnis-RL auf das GeschGehG A. Richtlinienkonforme und richtlinienorientierte Auslegung von Strafgesetzen – Einleitung Wie bereits im Rahmen der vorangestellten historischen Rückschau festgestellt, bezweckt das GeschGehG die Umsetzung der Bestimmungen der Geschäftsgeheimnis-RL. Damit folgt der Geschäftsgeheimnisschutz nunmehr dem Trend hin zur Europäisierung des Schutzes geistigen Eigentums und des gewerblichen Rechtsschutzes, welche bereits durch eine Vielzahl von Richtlinien harmonisiert wurden, ohne Geschäftsgeheimnisse dabei jedoch als geistiges Eigentum einzustufen.70 Gegenstand der Richtlinie ist, wie sich im weiteren Verlauf der Untersuchung zeigen wird, aber auch schon in der Literatur herausgearbeitet wurde, die Harmonisierung des zivilrechtlichen Geheimnisschutzes in der Europäischen Union. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber sich dazu entschieden, das Umsetzungsrecht in Gestalt des GeschGehG mit § 23 GeschGehG durch zivilrechtsakzessorische Straftatbestände zu flankieren. Dieser Umstand ist dadurch zu erklären, dass Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL den Mitgliedstaaten expressis verbis die Mög66
BT-Drs. 19/8300, S. 15. Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 Geschäftsgeheimnis-RL; dieser Umstand ist wohl auf die langwierige Regierungsbildung nach der Bundestagswahl im September 2017 zurückzuführen, so jedenfalls Hauck, WRP 2018, 1032, 1033 mit Fn. 5; Fuhlrott/Hiéramente, DB 2019, 967; Thiel, WRP 2019, 700. 68 Vgl. BR-Drs. 129/19 (Beschluss). 69 BGBl. I, S. 466; Ob man dabei im Blick hatte, dass es sich beim 26.04. zu gleich um den Welttag des Geistigen Eigentums handelt, wird (wohl) ein Geheimnis bleiben. 70 Zustimmend Alexander, WRP 2017, 1034, 1036; ders., AfP 2019, 1, 2 mit Verweis auf Erwägungsgrund [2]. 67
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
lichkeit einräumt, ein weitergehendes Schutzkonzept für Geschäftsgeheimnisse zu erlassen, sofern dabei gewisse Regelungsinhalte unangetastet bleiben. Mithin sind aber auch in diesem Bereich Auswirkungen der Geschäftsgeheimnis-RL zu erwarten. Deren genauer Umfang bedarf folglich einer näheren Betrachtung, um darauf aufbauend das nationale Recht korrekt auslegen und anwenden zu können. Bei der Auseinandersetzung mit der Literatur zum neuen Geschäftsgeheimnisstrafrecht muss aber festgestellt werden, dass eine entsprechende Differenzierung zwischen zivilrechtlichen und strafrechtlichen Komponenten des GeschGehG bisher nur äußerst stiefmütterlich71 vorgenommen wurde. Zum Teil wurden, ohne darauf einzugehen, dass es sich bei der Geschäftsgeheimnis-RL um eine das Zivilrecht harmonisierende Richtlinie handelt, die Strafvorschriften des § 23 GeschGehG oder der §§ 17 – 19 UWG richtlinienkonform ausgelegt.72 Es finden sich nur teilweise Hinweise darauf, dass lediglich eine Harmonisierung des Zivilrechts beabsichtigt ist. Nichtsdestotrotz werden sodann Richtlinienbestimmungen herangezogen, ohne vorher hinreichend zu klären, ob oder in welcher Form dies zulässig ist.73 Kritische Stimmen sind hingegen kaum zu vernehmen. Lediglich Brammsen74 sowie daran anknüpfend Schreiber75 lehnen die richtlinienkonforme Auslegung des strafrechtlichen Teils des GeschGehG ab. Auf diese Stellungnahmen wird im weiteren Verlauf der Untersuchung noch einzugehen sein.
B. Herleitung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung Dies vorangestellt, gilt es umso mehr unter kritischer Würdigung des bisherigen Stands der Forschung festzustellen, wie mit der Geschäftsgeheimnis-RL im strafrechtlichen Kontext umzugehen ist. Insoweit ist vorwegzunehmen, dass eine abstrakte Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung sowohl dem Unionsrecht als auch dem nationalen Recht entnommen werden kann. Zu klären bleibt, ob diese abstrakte Verpflichtung auch für das neue Geschäftsgeheimnisstrafrecht eingreift.
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Bereits in der Vergangenheit wurde vom Geschäftsgeheimnisschutz als „Stiefkind“ des Immaterialgüterrechts bzw. Geistigen Eigentums gesprochen, vgl. Ann, GRUR 2007, 39. 72 So etwa Buchert/Buchert, ZWH 2018, 309, 311; unklar Edwards, Whistleblowing, S. 141 f.; McGuire, GRUR 2016, 1000, 1008 wies im Hinblick auf §§ 17 ff. UWG auf den Vorrang der Richtlinie hin, dem die nun überkommenen Straftatbestände entgegenstehen könnten. 73 Differenzierend Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, Vor §§ 17 – 19 Rn. 10a, § 17 Rn. 1b, 5; (tendenziell) befürwortend Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 119; uneinheitlich Schenkel, Whistleblowing, S. 104 f., 186; mit knapper Begründung Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 12 74 Brammsen, wistra 2018, 449, 451. 75 Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 335.
Kap. 3: Auswirkungen der Geschäftsgeheimnis-RL auf das GeschGehG
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I. Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im Unionsrecht Auf Ebene des Unionsrechts bezieht sich die Pflicht auf das Umsetzungsgesetz und stellt die konsequente Weiterführung der Umsetzungsverpflichtung des nationalen Gesetzgebers dar. Dabei liefert das Primärrecht der Europäischen Union gleich mehrere gesetzliche Regelungen, welche dazu verwendet werden können, die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung eines Gesetzes zu begründen. So kann sowohl auf das Unionstreueprinzip aus Art. 4 Abs. 3 EUV zurückgegriffen, als auch auf Art. 288 Abs. 3 AEUV abgestellt werden, welcher im Gegensatz zu Art. 4 Abs. 3 EUV, schon nach seinem Wortlaut innerstaatliche Stellen aufgreift und daher von manchen Stimmen in der Literatur als der vorzugswürdigere Anknüpfungspunkt gewertet wird. Wiederum andere Stimmen wollen auf eine Kombination beider Vorschriften abstellen oder ziehen Art. 4 Abs. 3 EUV nur ergänzend neben Art. 288 Abs. 3 AEUV heran.76 Das Strafrecht stellt keine „unionsrechtliche Tabuzone“ dar, es gelten vielmehr die allgemeinen Grundsätze der Kompetenzverteilung zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten und der Union.77 Ansonsten könnten in den einzelnen Mitgliedstaaten „unter dem Deckmantel des Strafrechts die Grundprinzipien und Ziele des Unionsrechts“ umgangen werden.78 Da im Ergebnis Einigkeit besteht, dass aus diesen Vorschriften jeweils oder jedenfalls aus der Kombination dieser Normen die besagte Pflicht erwächst, bedarf es keiner abschließenden Erörterung der aufgezeigten Ansätze. Vielmehr wird also im weiteren Verlauf zu klären sein, wie weit die Gesetzgebungskompetenz des Unionsgesetzgebers im Bereich des Geschäftsgeheimnisstrafrechts reicht.
76
EuGH, Urt. v. 10. 04. 1984, Rs. C-14/83, ECLI:EU:C:1984:153 Rn. 26 – von Colson und Kamann; EuGH, Urt. v. 19. 01. 2010, Rs. C-555/07, ECLI:EU:C:2010:21 Rn. 48 – Kücükdeveci; EuGH, Urt. v. 12. 12. 2013, Rs. C-425/12, ECLI:EU:C:2013:829 Rn. 34 – Portgás; im Schrifttum etwa Böse, Strafen und Sanktionen, S. 426; Schröder, Europäische Richtlinien, S. 336 – 339; Brandner, Überschießende Umsetzung, S. 95 f.; Satzger, in: Sieber/Satzger/ v. Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 52; Mittwoch, Vollharmonisierung, S. 18; dies., JuS 2017, 296; Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 3 ff.; Wietfeld, JZ 2020, 485, 491; Auf eine ausführlichere Darstellung des Meinungsstandes über die Begründung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im Unionsrecht wird mangels weiterer Erkenntnisse für den Gang dieser Untersuchung verzichtet, weil im Ergebnis Einigkeit besteht. 77 Statt vieler Satzger, Europäisierung, S. 549 f.; ders., in: Sieber/Satzger/v. HeintschelHeinegg, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 5, 7. 78 Statt vieler Satzger, Europäisierung, S. 152 ff.; ders., in: Sieber/Satzger/v. HeintschelHeinegg, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 7.
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
II. Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im nationalen Recht Neben dem Unionsrecht bietet auch das deutsche Recht anhand der anerkannten Auslegungskriterien Argumente für die richtlinienkonforme Auslegung eines Gesetzes. Ein Umsetzungsgesetz wie das gegenständliche GeschGehG verdeutlicht dies unschwer. Sofern sich der Wortlaut des Gesetzes, an dem der Richtlinie orientiert, wird dies in der Literatur bereits als Argument für eine richtlinienkonforme Auslegung herangezogen.79 Das gilt auch für systematische und teleologische Erwägungen, weil es ja gerade der Zweck des Gesetzes ist, die Richtlinie ins nationale Recht umzusetzen.80 Daher ließe es sich kaum begründen, ein Gesetz nicht im Lichte der Richtlinie auszulegen. Letzten Endes spiegelt sich im Umsetzungsgesetz regelmäßig auch der explizite Wille des Gesetzgebers wider, die Richtlinie ins nationale Recht zu überführen.81 Gleichwohl wird eine echte Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung dadurch nicht begründet. Eine zwingende Pflicht lässt sich erst aus dem Grundgesetz herleiten. Dabei ist zum einen auf die Integrationsverpflichtung aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG zu verweisen, zum anderen lässt sich die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auch über Art. 20 Abs. 3 GG begründen, weil die Bindung an „Gesetz und Recht“ sich auch auf das Unionsrecht samt des Richtlinienrechts bezieht.82
III. Sonderfall: Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im Überschussbereich einer Richtlinie Neben dem konkret von der Richtlinie erfassten Regelungsbereich bleibt es dem nationalen Gesetzgeber unbenommen, deren Inhalt auch auf andere Rechtsbereiche auszudehnen, diese also überschießend umzusetzen.83 Abseits des Regelungsbe79
EuGH, Urteil v. 10. 10. 2013, Rs. C-306/12, ECLI:EU:C:2013:650 Rn. 31 f. – Spedition Welter; im Schrifttum etwa Satzger, Europäisierung, S. 521 f. m. w. N., 525 und ders., in: Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 52; Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 31, 41. 80 Schröder, Europäische Richtlinien, S. 338; Satzger, Europäisierung, S. 525 m. w. N. und ders., in: Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 52; Roth/ Jopen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 41 m. w. N.; krit. aktuell Wietfeld, JZ 2020, 485, 485 f., 491. 81 Satzger, Europäisierung, S. 525 m. w. N.; ders., in: Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 52; Brandner, Überschießende Umsetzung, S. 94; Roth/ Jopen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 44 f. m. w. N. 82 Nur Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 44 m. w. N. in Fn. 239 – 242. 83 EuGH, Urt. v. 04. 06. 2009, Rs. C-285/08, ECLI:EU:C:2009:351 Rn. 31 – Moteurs Leroy Samer/Dancia France und Ace Europe; der Begriff der überschießenden Umsetzung wurde
Kap. 3: Auswirkungen der Geschäftsgeheimnis-RL auf das GeschGehG
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reichs einer Richtlinie ist die Gesetzgebungskompetenz der Mitgliedstaaten jeweils unabhängig vom Grad der Harmonisierung in den Grenzen der sonstigen (Unions-) Rechtsordnung zu bemessen.84 Hintergrund des Ganzen ist, dass die europäische Rechtsangleichung im Hinblick auf den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung und des Subsidiaritätsprinzips aus Art. 5 EUVoftmals nur punktuell erfolgt.85 Aus Art. 288 Abs. 3 AEUV folgt zudem, dass es der Legislative in den einzelnen Mitgliedstaaten freigestellt ist, wie Richtlinienvorschriften ins nationale Gesetz umgesetzt werden, solange dabei innerhalb des von der jeweiligen Richtlinie sowie dem sonstigen Unionsrecht zugelassenen Spielraums verfahren wird.86 Wie zu Beginn dieses Kapitels erwähnt, scheint der Gesetzgeber in Gestalt des § 23 GeschGehG von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht zu haben. Dies vorangestellt gilt es zu klären, ob in solchen Fällen ebenfalls die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung besteht oder die Richtlinie lediglich zur Orientierung neben den anerkannten Auslegungsmethoden herangezogen werden kann.87 Der Unterschied zwischen diesen Alternativen besteht darin, dass der Rechtsanwender den Wertungen der Richtlinie im ersten Fall Geltung verschaffen muss, während es im zweiten Fall gerade nicht zwingend ist, sondern vielmehr die allgemeinen Auslegungsgrundsätze des deutschen Rechts gelten. Diese sehen kein bestimmtes, mithin zwingendes Ergebnis vor, sondern lassen unter Umständen mehrere „richtige“ Ergebnisse zu.88 Dann ist eine bloß „richtlinienorientierte oder quasi-richtlinienkonforme Auslegung“ – ohne entsprechende – Pflicht denkbar.89 Geklärt ist, wie mit Fällen umzugehen ist, die sowohl im Anwendungsbereich der Richtlinie als auch der Umsetzungsvorschriften zu verorten sind.90 Problematischer hingegen sind jene Konstellationen, welche sich zwar unter die Umsetzungsvorschriften subsumieren lassen, aber nicht in den Regelungsbereich der Richtlinie fallen. Mithin könnte also eine Art Hybridnorm mit gespaltener Auslegung entstedabei erstmals von Habersack/Mayer etabliert, vgl. JZ 1999, 913 ff.; erneut dies., in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 1; vertiefend Brandner, Überschießende Umsetzung, S. 11 ff.; Jäger, überschießende Umsetzung, S. 54 f., 73 ff.; Mittwoch, Vollharmonisierung, S. 24; dies., JuS 2017, 296. 84 EuGH, Urt. v. 14. 03. 1991, Rs. C-361/89, ECLI:EU:C:1991:118 Rn. 22 – Di Pinto; Jäger, überschießende Umsetzung, S. 30; Mittwoch, Vollharmonisierung, S. 24; Habersack/ Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 15 ff. m. w. N. 85 Statt vieler etwa Brandner, Überschießende Umsetzung, S. 2 f. und Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 2 m. w. N. 86 Statt vieler Jäger, überschießende Umsetzung, S. 62 und Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 16 m. w. N. 87 Mittwoch, JuS 2017, 296 f. 88 So bereits Hommelhoff, in: FS BGH, S. 889, 915 f.; Jäger, überschießende Umsetzung, S. 155; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 37. 89 Hommelhoff, in: FS BGH, S. 889, 915 f.; Weiss, EuZW 2012, 733, 734; Mittwoch, JuS 2017, 296, 297; krit. zur Begriffsbestimmung Jäger, überschießende Umsetzung, S. 106 f. 90 Statt vieler Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545, 546 und Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 4.
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hen.91 Ebenso bleibt es denkbar, dass eine einheitliche, richtlinienkonforme Auslegung aus anderen Gründen verpflichtend ist.92 Bei der Beantwortung dieser Frage wird erneut sowohl die unionsrechtliche als auch die mitgliedstaatliche Ebene zu berücksichtigen sein.93 Zum klareren Verständnis der nachfolgenden Ausführungen gilt es kurz zu definieren, was überhaupt unter der überschießenden Umsetzung einer Richtlinie zu verstehen ist. Es lassen sich zwecks eines besseren Überblicks verschiedene Varianten unterscheiden.94 So kann die Ausweitung den persönlichen, sachlichen und räumlichen Anwendungsbereich betreffen.95 91
Statt vieler Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 2, 4; Mittwoch, JuS 2017, 296, 297. 92 Statt vieler Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 4. 93 Neben den materiell-rechtlichen Problemstellungen, drängt sich im Überschussbereich auch die Frage nach den Kontrollmöglichkeiten des EuGH auf. Auf Grund des begrenzten Umfangs dieser Untersuchung kann an dieser Stelle nur ein überblicksartiger Exkurs vorgenommen werden. Der EuGH nimmt in nun mehr gefestigter Rechtsprechung nur dann seine Zuständigkeit an, wenn seine Entscheidung für nationale Gereichte verbindliche Wirkung hat und nicht bloß beratende Funktion innewohnt. Das ist dann der Fall, wenn das Unionsrecht entweder unmittelbar oder mittelbar vom nationalen Recht für anwendbar erklärt wird. Ob das Unionsrecht mit dem vom EuGH geforderten Maß an Verbindlichkeit für anwendbar erklärt wird, richtet sich dabei ausschließlich nach dem nationalen Recht und der Auslegung durch die nationalen Gerichte. Die Entscheidungskompetenz des EuGH in solchen Fällen wird in der Literatur allerdings mit verschiedenen Einwänden kritisiert oder sogar abgelehnt. So werde das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung außer Acht gelassen, es komme zu einer De-facto-Überprüfung des nationalen Rechts und zusätzlich könnte der nationale Gesetzgeber andere Ziele als der Richtliniengesetzgeber verfolgen. Dagegen wird eingewandt, dass diesen Fällen gerade der Wille des Gesetzgebers zu Grunde liege sich an der Richtlinie zu orientieren. Zusätzlich findet ja eine entsprechende, vorgeschaltete Prüfung durch die nationalen Gerichte statt. EuGH, Urt. v. 28. 03. 1995, Rs. C-346/93, ECLI:EU:C:1995:85 Rn. 23 f. – Kleinwort Benson; EuGH, Urt. v. 17. 07. 1997, Rs. C-28/95, ECLI:EU:C:1997:369 Rn. 33 – Leur-Bloem; EuGH, Urt. v. 07. 01. 2003, Rs. C-306/99, ECLI:EU:C:2003:3 Rn. 88, 89. – BIAO; EuGH, Urt. v. 21.12, 2011, Rs. C482/10, ECLI:EU:C:2011:868 Rn. 19 – Cicala; EuGH, Urt. v. 18. 10. 2012, Rs. C-583/10, ECLI:EU:C:2012:638 Rn. 45 – 47 – Nolan; EuGH, Urt. v. 07. 11. 2013, Rs. C-313/12 – Romeo; im Schrifttum statt vieler Brandner, überschießende Umsetzung, S. 112 ff.; Jäger, überschießende Umsetzung, S. 57 ff., 111, instruktiv 173 ff. jeweils m. w. N.; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 29 f., 54 m. w. N., 57 ff.; Mittwoch, JuS 2017, 296, 297 f. 94 Vertiefend nur Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 5 ff. 95 Für den Gang dieser Untersuchung sind Ausweitungen des persönlichen und des räumlichen Anwendungsbereichs nicht von Bedeutung, vertiefend Jäger, überschießende Umsetzung, S. 51 f. und Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 6, 9 jeweils m. w. N. Daher beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf die sachliche Ausweitung des Anwendungsbereichs einer Richtlinie. Davon geht man nach überwiegender Auffassung aus, wenn durch ein Umsetzungsgesetz zu gleich Sachverhalte bzw. Regelungsbereiche erfasst werden, die in sachlicher Hinsicht nicht in den Anwendungsbereich einer Richtlinie fallen, nur Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 7 f.
Kap. 3: Auswirkungen der Geschäftsgeheimnis-RL auf das GeschGehG
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Die überschießende Umsetzung einer Richtlinie ist zudem von ähnlichen Konstellationen zu unterscheiden. Hierzu zählen die inhaltliche Überfüllung, fakultative Umsetzungsmöglichkeiten sowie der Erlass bloß textgleicher Normen.96 Unter inhaltlicher Überfüllung werden Fälle verstanden, bei denen das umgesetzte Recht über den Regelungsgehalt der Richtlinie innerhalb des Anwendungsbereichs hinausgeht.97 Im Hinblick auf die Strafvorschriften des GeschGehG ist dies gerade nicht der Fall. Denn der Richtliniengesetzgeber hat sich explizit auf den zivilrechtlichen Schutz von Geschäftsgeheimnissen beschränkt. Die strafrechtliche Flankierung wurde dem Umsetzungsgesetz zusätzlich aufgepfropft. Innerhalb des zivilrechtlichen Regelungswerks wiederum entfaltet das Geschäftsgeheimnisstrafrecht keine eigenständige Wirkung. Im Bereich fakultativer Umsetzungsvorschriften98 ist mehr Vorsicht geboten. Wie erwähnt eröffnet Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, ein weitergehendes Schutzkonzept für Geschäftsgeheimnisse zu erlassen, sofern dabei gewisse Regelungsinhalte unangetastet bleiben. Im Ergebnis beschränkt sich der Regelungsumfang der Richtlinie aber dennoch auf das Zivilrecht und enthält keine fakultativen Regelungen für das Strafrecht.99 Diese Beschränkung wurde bereits während des Gesetzgebungsprozesses klar herausgearbeitet.100 Die Vorschrift dient nämlich lediglich der Konkretisierung des Harmonisierungsumfangs. Dadurch ist jedoch keine fakultative Rechtsangleichung im Bereich des Strafrechts inkludiert. Vielmehr wird durch Systematik und Telos der Richtlinie deutlich, dass nur das Zivilrecht harmonisiert werden sollte. Das „Ob“ strafrechtlicher Regelungen sowie das „Wie“ werden nicht erwähnt. Der Gesetzgeber hat sich durch die zivilrechtsakzessorische Ausgestaltung des strafrechtlichen Geheimnisschutzes vielmehr dazu entschieden, Bestimmungen des Umsetzungsgesetzes außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie für anwendbar zu erklären. Es handelt sich nämlich um ein autonom erlassenes Regelungskonstrukt, welches durch die gewählte Verweisungstechnik objektiv auch Richtlinienrecht widerspiegelt.101 Die zuvor genannten Argumente sowie die Systematik des GeschGehG sprechen zudem dagegen von bloß wortlautgleichen Nor-
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Nur Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 10 ff. Statt vieler Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 11 f. m. w. N.; abweichend etwa Brandner, überschießende Umsetzung, S. 11 ff. 98 Darunter werden für den Gang dieser Untersuchung solche Fälle verstanden, in denen in einer Richtlinie optionale Rechtsangleichungsmöglichkeiten vorgesehen sind, vgl. Jäger, überschießende Umsetzung, S. 63 und Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 13 m. w. N. 99 Alexander betont in diesem Zusammenhang, dass strafrechtliche Regelungen nicht vorgesehen, aber auch nicht ausgeschlossen sind, vgl. WRP 2017, 1034, 1036. 100 COM (2013) 813 final, S. 6 f.; Brammsen, wistra 2018, 449, 450. 101 Abstrakt so bei Jäger, überschießende Umsetzung, S. 83. 97
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men auszugehen.102 Mithin handelt es sich um Fälle der überschießenden Umsetzung einer Richtlinie. 1. Unmittelbar aus dem Unionsrecht herrührende Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im Überschussbereich Auf Ebene des Unionsrechts kann im Überschussbereich auch unter Zuhilfenahme der dazugehörigen Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Dzodzi103, Leur-Bloem104 und Giloy105 trotz teilweiser anders lautender Auffassungen in der Literatur keine zwingende Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung begründet werden106 Zutreffend ist lediglich, dass ein Interesse der Union an einer einheitlichen Auslegung bestehen kann.107 Der EuGH hatte in den genannten Fällen zu klären, ob er für die Auslegung des in Frage stehenden Rechts überhaupt zuständig ist.108 Der Rechtsprechung in diesen Rechtssachen lässt sich allerdings eine gewichtige Einschränkung entnehmen.109 Es 102
Darunter werden solche Regelungen verstanden, die sich ihrem Wortlaut nach gleich sind, aber von denen nur eine der Umsetzung von Richtlinienbestimmungen dient, während die andere Norm nur auf Ebene des nationalen Rechts relevant wird, vgl. statt vieler Jäger, überschießende Umsetzung, S. 80 f. und Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 14. 103 „Es besteht im Gegenteil für die Gemeinschaftsrechtsordnung ein offensichtliches Interesse daran, daß jede Bestimmung des Gemeinschaftsrechts unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden soll, eine einheitliche Auslegung erhält, damit künftige unterschiedliche Auslegungen verhindert werden.“, EuGH, Urt. v. 18. 10. 1990, C-297/ 88 verb. C-197/89, ECLI:EU:C:1990:360 Rn. 37 – Dzodzi. 104 „Richten sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte nach den im Gemeinschaftsrecht getroffenen Regelungen, um insbesondere zu verhindern, daß es zu Benachteiligungen der eigenen Staatsangehörigkeit oder – wie im vorliegenden Fall – zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, so besteht ein klares Interesse der Gemeinschaft daran, dass die aus dem Gemeinschaftsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern.“, EuGH, Urt. v. 17. 07. 1997, Rs. C-28/95, ECLI:EU:C:1997:369 Rn. 32 – Leur-Bloem. 105 EuGH, Urt. v. 17. 07. 1997, C-130/95, ECLI:EU:C:1997:372 Rn. 23, 28 – Giloy. 106 Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545, 548; Brandner, Überschießende Umsetzung, S. 101, 139; Jäger, überschießende Umsetzung, S. 109; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 25; Kuhn, EuR 2015, 216, 217; a. A. etwa Ernst, in: MüKoBGB, Einleitung Recht der Schuldverhältnisse Rn. 63; Roth, in: FS BGH, S. 847, 883 f. 107 So etwa in EuGH, Urt. v. 16. 03. 2006, Rs. C-3/04, ECLI:EU:C:2006:176 Rn. 16 – Poseidon Chartering; EuGH, Urt. v. 28. 10. 2010, Rs. C-203/09, ECLI:EU:C:2010:647 Rn. 25 – Volvo Car Germany GmbH/Autohof Weidensdorf GmbH; EuGH, Urt. v. 07. 11. 2013, Rs. C-313/ 12, ECLI:EU:C2013:718 Rn. 22 – Guiseppa Romeo. 108 Dazu statt vieler Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 29 m. w. N. 109 „In einem solchen Fall ist es jedoch im Rahmen der in Art. 177 vorgesehenen Verteilung der Rechtsprechungsaufgaben zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof allein
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muss im Überschussbereich das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung aus Art. 5 Abs. 1 EUV beachtet werden.110 Mithin muss nämlich der – schon vorgetragene – Gedanke, wonach die richtlinienkonforme Auslegung die Weiterführung der Umsetzungspflicht darstellt, konsequent zu Ende gedacht werden, sodass diese Pflicht auch mit Verlassen des Anwendungsbereichs erlischt.111 Es kommt damit nämlich auch nicht zur Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen.112 Diesem Ergebnis haben sich auch die überwiegenden Teile des Schrifttums angeschlossen.113 2. Mittelbar aus dem Unionsrecht herrührende Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im Überschussbereich Teilweise wird in der Literatur auch eine nur mittelbar aus dem Unionsrecht herrührende Verpflichtung vorgetragen. Diese wird damit begründet, dass durch eine gespaltene Auslegung die Gefahr geschaffen wird, auch im Anwendungsbereich der Richtlinie falsche Auslegungsergebnisse zu provozieren.114 Dagegen kann erneut die bereits dargestellte Rechtsprechung des EuGH in Stellung gebracht werden. Darüber hinaus leiten Teile des Schrifttums in diesem Zusammenhang aus der Rechtssache Imperial Chemical Industries ein weiteres Gegenargument her, obgleich sich der EuGH hier zwar nicht zur richtlinienkonformen Auslegung äußerte, sondern zur gespaltenen Auslegung eines britischen Sache des nationalen Gerichts, die genaue Tragweite dieser Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht zu beurteilen; die Zuständigkeit des Gerichtshofs beschränkt sich auf die Prüfung der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen […]. Für die Berücksichtigung der Grenzen, die der nationale Gesetzgeber der Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf rein innerstaatliche Sachverhalte setzen wollte, gilt nämlich das nationale Recht, so daß dafür ausschließlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind.“, EuGH, Urt. v. 17. 07. 1997, Rs. C-28/95, ECLI:EU:C:1997:369 Rn. 33 – Leur-Bloem. 110 Hommelhoff, in: FS BGH, S. 889, 915 f.; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 26; Mittwoch, JuS 2017, 296, 299. 111 So auch Brandner, Überschießende Umsetzung, S. 101; i. E. auch Jäger, überschießende Umsetzung, S. 118 ff.; ähnlich Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 29; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 26; Kuhn, EuR 2015, 216, 217. 112 Brandner, Überschießende Umsetzung, S. 101. 113 Jäger, überschießende Umsetzung, S. 109 f., 112 ff.; Habersack/Mayer etwa führen aus, dass „soweit eine einheitliche Auslegung gewollt ist, ein Interesse der Union daran besteht, dass die Norm auch tatsächlich einheitlich, also richtlinienkonform ausgelegt wird […] und dass deshalb, soweit eine einheitliche Auslegung zu erfolgen hat, der Gerichtshof auch in den Fällen außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts eine Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmungen im Vorabentscheidungsverfahren vornehmen kann, die Frage, ob eine einheitliche Auslegung erfolgen soll, aber eine Frage allein des nationalen Rechts ist […].“, Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 30; dies steht auch im Einklang mit den einschränkenden Zulässigkeitskriterien auf prozessualer Ebene, vgl. aktuell nur Mittwoch, JuS 2017, 296, 299. 114 So etwa Roth, in: FS BGH, S. 847, 884; vertiefend zu diesem Ansatz auch Jäger, überschießende Umsetzung, S. 121 ff.
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Steuergesetzes im Lichte der Niederlassungsfreiheit (nunmehr Art. 49 AEUV).115 Dem Urteil kann aber entnommen werden, dass bei Normen im Anwendungsbereich des Unionsrechts abweichende Auslegungsergebnisse als außerhalb des Anwendungsbereichs möglich sind.116 Das gefundene Ergebnis lässt sich auch auf die richtlinienkonforme Auslegung übertragen, weil weder in der Rechtssache LeurBloem117 auf eine Besonderheit richtlinienkonformer Auslegung hingewiesen, noch ein wesentlicher Unterschied zur Rechtssache Giloy118 erkennbar ist, wobei letztere jedoch eine im Anwendungsbereich stets heranzuziehende Verordnung im Sinne des Art. 288 Art. 2 AEUV betraf.119 Neben diesen Argumenten wird im Schrifttum ergänzend ausgeführt, dass die in der Literatur geäußerten Bedenken wegen möglicher Rechtsunsicherheiten ihren kausalen Ursprung streng genommen nicht in der uneinheitlichen Auslegung haben. Dies rührt vielmehr aus der den Anwendungsbereich der Richtlinie unklar darstellenden Umsetzung durch den Gesetzgeber her.120 Im Ergebnis ist es daher – wie auch von Habersack/Mayer ausgeführt – zutreffend, aus dem Unionsrecht keine generelle, unmittelbare oder mittelbare Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung herzuleiten.121
115
EuGH, Urt. v. 16. 07. 1998, Rs. C-264/96, ECLI:EU:C:1998:370 – Imperial Chemical Industries; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545, 548 f.; Jäger, überschießende Umsetzung, S. 115 f.; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 31; Brandner ist hingegen der Auffassung, dass die Rechtssache Imperial Chemical Industries hier nicht zur Argumentation herangezogen werden kann, vgl. Überschießende Umsetzung, S. 101. 116 „Betrifft der Rechtsstreit vor dem nationalen Gericht also einen Sachverhalt, der nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, so ist dieses Gericht nach dem Gemeinschaftsrecht weder verpflichtet, seine Rechtsvorschriften gemeinschaftsrechtskonform auszulegen, noch, sie unangewendet zu lassen. Falls ein und dieselbe Vorschrift in einer in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallenden Situation unangewendet bleiben müsste, in einer nicht in diesen Anwendungsbereich fallenden Situation jedoch weiterhin angewandt werden könnte, wäre das zuständige Organ des betreffenden Staates verpflichtet, diese Rechtsunsicherheit zu beseitigen, soweit sie die sich aus Gemeinschaftsvorschriften ergebenden Rechte beeinträchtigen könnte.“, EuGH, Urt. v. 16. 07. 1998, Rs. C-264/96, ECLI:EU:C:1998: 370 Rn. 34 – Imperial Chemical Industries. 117 EuGH, Urt. v. 17. 07. 1997, Rs. C-28/95, ECLI:EU:C:1997:369 – Leur-Bloem. 118 EuGH, Urt. v. 17. 07. 1997, C-130/95, ECLI:EU:C:1997:372 – Giloy. 119 Bärenz, DB 2003, 375 mit Verweis auf die Rechtssache Dzodzi; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 31. 120 Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 32 f. 121 So auch Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 34 m. w. N.
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3. Aus dem nationalen Recht herrührende Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im Überschussbereich Nach der Untersuchung des Unionsrechts stellt sich nunmehr die Frage, ob im nationalen Recht eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im Überschussbereich in Gestalt der strafrechtlichen Bestimmungen des GeschGehG besteht. Einige Stimmen in der Literatur befürworten eine Pflicht im deutschen Recht, obgleich unter gewissen Vorbehalten.122 Dabei wird zum einen der durch eine solche Gesetzgebungstechnik zum Vorschein tretende Wille des Gesetzgebers, sich an der Richtlinie zu orientieren, vorgetragen.123 Zum anderen wird mit der damit bezweckten Kohärenz der nationalen Rechtsordnung argumentiert.124 Überdies wird das Gebot systemgerechter Rechtsanwendung für eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung ins Feld geführt.125 Die gespaltene Rechtsanwendung überfordere sowohl die dem Recht unterworfenen Personen, als auch die rechtsanwendenden Gerichte.126 Zwingende Argumente sind dies indes nicht. Es kann nämlich nicht auf einen generellen Willen des Gesetzgebers geschlossen werden, die Richtlinie ebenso im überschießenden Bereich für verbindlich zu erklären.127 Daneben ist es gut denkbar, dass der Gesetzgeber den Erlass von Umsetzungsvorschriften lediglich zum Anlass nehmen wollte, in anderen Bereichen ebenfalls normativ tätig zu werden. So könnten auch nur verwandte Rechtsbereiche am Vorbild des Umsetzungsrechts angepasst werden, weil sich dessen Systematik als vorzugswürdig erweist oder ein inhaltlicher, aber nicht rechtlich ausgestalteter Zusammenhang besteht. Genauso wenig vermag es zu überzeugen, wenn mit der Komplexität oder der fehlenden Praxisnähe gegen
122 Vertiefend zum Meinungsstand in der Literatur etwa Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 35 m. w. N. 123 Brandner, überschießende Umsetzung, S. 105; Kuhn, EuR 2015, 216, 225; Mittwoch, JuS 2017, 296, 299. 124 Mittwoch, Vollharmonisierung, S. 157 ff., 159 ff.; dies., JuS 2017, 296, 299; Habersack/ Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 35 m. w. N.; a. A. Hecker, Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 10, 12, der die nachfolgende Rechtsprechung des EuGH so versteht, dass das gesamte nationale Recht, also auch im Bereich der überschießenden Umsetzung richtlinienkonform auszulegen sei: EuGH, Urt. v. 04. 07. 2006, Rs. C-212/04, ECLI: EU:C:2006:443 – Adeneler; EuGH, Urt. v. 19. 01. 2010, Rs. C-555/07, ECLI:EU:C:2010:21 – Kücükdeveci. 125 Statt vieler Bärenz, DB 2003, 375, 376; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 12; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 35; Mittwoch, JuS 2017, 296, 299 126 Vertiefend Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 35 m. w. N.; i. d. S. etwa Kuhn, EuR 2015, 216, 226. 127 BGHZ 195, 135 Rn. 26 f. – Granulat; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545, 551; vertiefend Jäger, überschießende Umsetzung, S. 81 f., 131 ff.; Weiss, EuZW 2012, 733, 734; Lorenz, NJW 2013, 207, 208; Mittwoch, JuS 2017, 296, 299.
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eine gespaltene Auslegung argumentiert wird.128 Vielmehr stellt der Umstand, dass gleichlautende Rechtsbegriffe wiederholt unterschiedlich ausgelegt werden, ein dem nationalen Recht keineswegs fremdes Problem dar, welches jedoch überwiegend hingenommen wird und nicht durch eine Pflicht zur einheitlichen Auslegung des in Frage stehenden Rechts zu lösen ist.129 Nichtsdestotrotz wird von Möhring etwa gefordert, die dabei zu Tage geförderten Ergebnisse auch auf außerstrafrechtliche Normen zu übertragen und so zu einer rechtseinheitlichen Lösung zu gelangen.130 Allerdings wird im Einzelfall nur schwer zu erkennen sein, ob die zivilrechtliche, das heißt außerstrafrechtliche Verhaltenspflicht im Lichte strafrechtlicher oder zivilrechtlicher Wertungen auszulegen ist. Daher sprechen – wie sich im nächsten Schritt zeigen wird – die besseren Gründe dafür, die Grenzen des Art. 103 Abs. 2 GG jeweils im Hinblick auf den in Rede stehenden Rechtsbereich zu ziehen. Im Bereich des Nebenstrafrechts besteht oftmals eine Melange von Verbots- und Gebotsnormen, welche teilweise als Anknüpfungspunkt für eine Strafnorm dienen.131 Dabei ist überwiegend anerkannt, dass eine gespaltene Normauslegung im Hinblick auf die Auslegungseinengung durch Art. 103 Abs. 2 GG nur auf Ebene der Strafnorm zum Tragen kommt.132 Dies geht insbesondere auf das Teerfarben-Urteil des BGH zurück.133 Zusätzlich weist Herschel auf die Eigenständigkeit der zivilrechtlichen Handlungsgebote und -verbote trotz Inbezugnahme durch das Strafrecht
128 BGHZ 195, 135 Rn. 26 f. – Granulat; ähnlich Derleder, ZBB 2002, 202, 207; zustimmend Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 35; Mittwoch, JuS 2017, 296, 299. 129 Tiedemann, Nebenstrafrecht, S. 187, 198 f., 204 f.; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545, 549; Jäger, überschießende Umsetzung, S. 138 ff.; Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 29; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 35 m. w. N.; Bülte, JuS 2015, 769, 771; Mittwoch, JuS 2017, 296, 299. 130 Möhring, GRUR 1968, 541, 543 f. 131 Statt vieler Satzger, Europäisierung, S. 560 f. m. w. N. 132 BVerfGE 48, 48, 60 f.; Satzger, Europäisierung, S. 560 f., 62 m. w. N. 133 Der BGH führte in diesem kartellrechtlichen Verfahren u. a. folgendes aus: „Im kartellrechtlichen Schrifttum besteht zwar lebhafter Streit über den Vertragsbegriff des § 1 GWB […]. Darauf braucht jedoch hier nicht eingegangen zu werden. […] Einer erweiternden Auslegung des Vertragsbegriffs in der Richtung, daß unter Verzicht auf das Merkmal der Einigung auch andere Formen bewußt gleichförmigen Verhaltens erfaßt und damit nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB unter Buße gestellt werden, stehen Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 1 GWB, die Gesetzessystematik des GWB und nicht zuletzt das auf Art. 103 Abs. 2 GG (,nulla poena sine lege‘) fußende strafrechtliche Analogie-Verbot entgegen, das auch für Ordnungswidrigkeiten gilt […]. In diesem Tatbestandsmerkmal unterscheidet sich § 1 Abs. 1 GWB von Art. 85 Abs. 1 EWGV, der außer Vereinbarungen zwischen Unternehmen u. a. auch ,aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen‘ verbietet […]. Der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit darf auch bei einem noch so dringenden rechtspolitischen Bedürfnis nicht im Wege der Gesetzes- oder Rechtsanalogie erweitert werden.“, vgl. Beschl. v. 17. 12. 1970 – KRB 1/70, GRUR 1971, 276, 279 – Teerfarben = BGHSt 24, 54; Satzger, Europäisierung, S. 560 f.
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hin.134 Als Begründung wird zum einen darauf verwiesen, dass Fehler der strafrechtlichen Sanktionsnorm wie etwa mangelnde Bestimmtheit nicht auf die Ebene des Zivilrechts durchschlagen. Zum anderen darauf, dass die zivilrechtliche Primärnorm oftmals einer höheren Anpassungsfähigkeit bedarf.135 Mithin ist die gespaltene Auslegung im Bereich des rein nationalen Nebenstrafrechts überwiegend anerkannt. Überträgt man dies nun auf unionsrechtlich determinierte Normen zeichnet sich nachfolgendes Bild ab: Anders als im Anwendungsbereich der Richtlinie, bei der nach der Solange-II-Rechtsprechung des BVerfG keine Überprüfung des Unionsrechtsakts sowie des Umsetzungsrechtsakts am Maßstab des nationalen Verfassungsrechts stattfindet, sondern an dem des Unionsrechts, gilt dies nicht für den Überschussbereich.136 Folglich sind im Überschussbereich etwaige abweichende Grenzziehungen zu berücksichtigen.137 Konkret für den Bereich richtlinienkonformer Auslegung ist Satzger dahingehend zu folgen, dass die zivilrechtliche Primärnorm jedenfalls im Lichte der Richtlinie auszulegen ist, sodass strafrechtliche Besonderheiten nicht auf die Primärnorm durchschlagen dürfen.138 Anderenfalls würden anerkannte Grundsätze des Unionsrechts verletzt. Entscheidend ist dabei im Ergebnis zugleich, dass es sich streng genommen nicht um einen Bruch zwischen der Primärnorm und der strafrechtlichen Sekundärnorm handeln muss, sondern nur um eine für bestimmte Fälle geltende Einschränkung im Übrigen gleichlautender Auslegungsergebnisse.139 Letztlich müssen damit auch die Gegner einer gespaltenen Normauslegung anerkennen, dass es jedenfalls eine gleichlaufende Querschnittsmenge gibt. Damit kann auf der Ebene des nationalen Rechts eine Art mittelbare Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im Überschussbereich begründet werden. Die zivilrechtlichen Primärnormen ist, sofern keine abweichenden Anhaltspunkte ersichtlich sind, an der Richtlinie zu messen und wird anhand der im Zivilrecht anerkannten Grundsätze abschließend ausgelegt. Im nächsten Schritt wird dann das gefundene Ergebnis – jedoch nur im Hinblick auf das Strafrecht – den Grenzen des Art. 103 Abs. 2 GG unterworfen und – sofern notwendig – ausufernde Aspekte ausgeklammert. Zu klären bleibt noch, ob die Primärnorm in einen außerhalb der Richtlinie zu verortenden Bereich eingeführt wird, in welchem keine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung besteht oder aber der Gesetzgeber sich lediglich den zivilrechtlichen Regelungsbereich zu eigen gemacht hat und bestimmte Teilaspekt daraus 134
Herschel, NJW 1968, 533, 534. Herschel, NJW 1968, 533, 534. 136 BVerfG, NJW 2001, 1267, 1268; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545, 550; Jäger, überschießende Umsetzung, S. 168 f.; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 43; a. A. Brandner, überschießende Umsetzung, S. 104. 137 Satzger, Europäisierung, S. 560 f. 138 Satzger, Europäisierung, S. 561. 139 Satzger, Europäisierung, S. 562 f. m. w. N. 135
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einem strafrechtlichen Überbau unterstellen will. Dies kann nur im konkreten Einzelfall beantwortet werden. Literatur und Rechtsprechung sind sich vom Grundsatz her einig, dass das maßgebliche Kriterium der tatsächliche oder hypothetische Wille des Gesetzgebers ist.140 Dabei kommt es nach der Rechtsprechung des BGH darauf an, ob der Gesetzgeber im Bewusstsein der überschießenden Umsetzung einer Richtlinie tätig wurde.141 Einschränkend wird teilweise der Standpunkt vertreten, dem Willen solle nur eine untergeordnete Rolle beigemessen werden, weil die Rechtsprechung des BGH oftmals richtlinienkonforme Auslegung, nicht jedoch die richtlinienorientierte Auslegung zum Gegenstand hat.142 In der Sache kann dieser Einwand allerdings kaum überzeugen. Eine weniger breitgefächerte Judikatur allein stellt nämlich noch kein belastbares Gegenargument dar. Vielmehr ist eine Einzelfallprüfung erforderlich, um konkret festzustellen, ob ein gesetzgeberischer Wille zur Einheitlichkeit erkennbar ist.143 Wenn ja, kann hierauf abgestellt werden. Umgekehrt kann das Gegenteil zu Tage gefördert werden, sodass unterschiedliche Ergebnisse im und außerhalb des Anwendungsbereichs einer Richtlinie beabsichtigt sein können.144 Unabhängig vom Meinungsstand kann neben dem Willen des Gesetzgebers mithilfe von systematischen Erwägungen argumentiert werden.145 Konkret heißt dies, dass die Verwendung von Begriffen im Zivilrecht, welche im Strafrecht akzessorisch aufgegriffen werden, von besonderem Gewicht sein kann.146 Dies gilt jedoch nur insoweit, als keine bewusste systematische Differenzierung durch den Gesetzgeber deutlich wird.147 Ob eine begriffliche Akzessorietät in diesem Sinne gegeben ist, ist wiederum durch Auslegung zu ermitteln.148 Daneben können im und außerhalb des Überschussbereichs einer Richtlinie ab-
140 BGHZ 150, 248 – Heininger; BGHZ 179, 27 – Quelle; BGHZ 192, 148 – Putz/Weber; BGHZ 195, 135 Rn. 26 f. – Granulat; Brandner, überschießende Umsetzung, S. 108 ff.; Jäger, überschießende Umsetzung, S. 144 ff. m. w. N.; Lorenz, NJW 2013, 207, 208; Löhnig/Preisner, ZRP 2013, 155 unter Bezug auf die Kritik am hypothetischen Willen des Gesetzgebers Weiss, ZRP 2013, 66; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 38 m. w. N.; Mittwoch, JuS 2017, 296, 299. 141 BGHZ 195, 135 Rn. 26 f. – Granulat; Lorenz, NJW 2013, 207, 208; Mittwoch, JuS 2017, 296, 300. 142 Weiss, ZRP 2013, 66, 66 ff.; Mittwoch, JuS 2017, 296, 300 143 Kuhn, EuR 2015, 216, 235; Mittwoch, JuS 2017, 296, 300. 144 Vertiefend dazu Jäger, überschießende Umsetzung, S. 146 und Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 38 ff. m. w. N. 145 Statt vieler Jäger, überschießende Umsetzung, S. 142 f. und Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 41, 44 jeweils m. w. N. 146 Satzger, Europäisierung, S. 599 ff. mit verschiedenen Beispielen und Jäger, überschießende Umsetzung, S. 142 ff. m. w. N., 147. 147 Satzger, Europäisierung, S. 599, 604 f.; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 41 m. w. N. 148 Satzger, Europäisierung, S. 599, 604 f.
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weichende teleologische Erwägungen zum Tragen kommen.149 Zusammenfassend wird dabei von Jäger aber zutreffend eine Vermutung zu Gunsten einer einheitlichen, richtlinienorientierten Auslegung aufgestellt, welche neben den aufgeführten Argumenten berücksichtigt wie nah sich die überschießende Regelung insgesamt an der Richtlinie selbst orientiert.150
C. Richtlinienkonforme Auslegung von Strafgesetzen – Umfang und Grenzen I. Positionen in der Rechtsprechung In der Rechtsprechung des BGH und des EuGH finden sich etliche Beispiele für die richtlinienkonforme Auslegung von Strafgesetzen.151 Aus diesen Fällen lassen sich Leitlinien ableiten, welche im nachfolgenden beispielhaft dargestellt werden sollen. 1. Maßgebliche Rechtsprechung des EuGH Einleitend soll die Rechtssache Markus D. erwähnt werden. Hintergrund war, dass Verkäufer von synthetischen Cannabinoiden, welche zum damaligen Zeitpunkt nicht unter das BtMG fielen, nach §§ 5 Abs. 1, 95 Abs. 1 AMG verurteilt wurden.152 Im Rahmen einer Vorabentscheidung gelangte der EuGH bei der Auslegung der Definition, welche weitgehend mit der nationalen Umsetzungsvorschrift übereinstimmte, zum Ergebnis, dass die verkauften Substanzen sich nicht unter die Definition der
149 Dies lässt sich anhand des folgenden Beispiels aus dem Bereich des Verbraucherschutzes verdeutlicht werden. Soweit es sich im Bereich der §§ 305 ff. BGB um Geschäfte zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer handelt, sind verbraucherschützende Bestimmungen weit auszulegen, während im geschäftlichen Verkehr zwischen zwei Unternehmern davon abweichend zu verfahren ist. In einem solchen Fall sprechen die besseren Gründe für eine gespaltene Auslegung. Nur durch ein solches Vorgehen kann dem Zweck des einzelnen Gesetzes in der konkreten Anwendung im Einzelfall genüge getan werden, vgl. dazu Jäger, überschießende Umsetzung, S. 147 ff. und Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 45 ff. m. w. N. 150 Jäger, überschießende Umsetzung, S. 155 ff. 151 Zur Begrenzung des Untersuchungsgegenstands muss auf eine Darstellung der allgemeinen Grundsätze der unionsrechtskonformen Auslegung im Strafrecht verzichtet werden; instruktiv etwa Satzger, Europäisierung, S. 518 ff. und ders., in: Sieber/Satzger/v. HeintschelHeinegg, Europäisches Strafrecht, § 1 Rn. 7 ff.; § 9 Rn. 40 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 1 ff.; Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 9 ff.; Leible/ Domröse, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 8 Rn. 1 ff. 152 EuGH, Urt. v. 10. 07. 2014, Rs. C-358/13 verb. Rs. C-181/14, ECLI:EU:C:2014:2060 Rn. 11 ff. – Markus D und G.
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Richtlinien subsumieren ließen.153 Folglich musste auch die Strafbarkeit des Verkäufers verneint werden. Betrachtet man nun dieses Ergebnis, so wird die Bedeutung richtlinienkonformer Auslegung auch in der strafrechtlichen Rechtsprechung deutlich. Um dieses für sich genommen klare Ergebnis aber mit mehr Erkenntnissen zu unterfüttern, ist eine kursorische Darstellung der historischen Entwicklung bis zu diesem Zeitpunkt hilfreich. Dabei ist als erstes die Entscheidung des EuGH im Fall einer Vorlagefrage durch ein italienisches Gericht, den Pretore di Salò zu erwähnen. Gegenstand dieser Vorlage war eine Gewässerschutzrichtlinie, welche aber nicht im Einklang mit dem einschlägigen italienischen Recht stand.154 Es galt nach Ansicht des EuGH zu klären, ob sich allein aus der Richtlinie „die strafrechtliche Verantwortlichkeit derjenigen, die gegen die Vorschriften der Richtlinie verstoßen“, ergeben, festgelegt oder verschärft werden kann.155 Mit einem Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung in der Rechtssache Marshall156 verneinte der EuGH dies.157 In der anschließenden Rechtssache Kolpinghuis Nijmegen stellte der EuGH anlässlich des Verkaufs von mit Kohlensäure angereichertem Wasser als „Mineralwasser“ weitere Grundsätze zur richtlinienkonformen Auslegung des Strafrechts auf.158 Die zuständige Staatsanwaltschaft sah darin einen Verstoß gegen eine niederländische Verordnung, welche es unter Strafe stellte, „für den menschlichen Genuss bestimmte Waren, die aufgrund ihrer Zusammensetzung fehlerhaft sind, zum Verkauf und zur Lieferung vorrätig zu halten“.159 Dabei wurde der Begriff der Fehlerhaftigkeit durch den niederländischen Gesetzgeber nicht definiert. Die Staatsanwaltschaft wollte zur Ausfüllung des unbestimmten Begriffs Art. 4 der Richtlinie 80/777/EWG (ABl. L 229, S. 1) zur Angleichung der Rechtsvorschriften über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwassern vom 15. 07. 1980 heranziehen. Dieser stellte klar, welche Anforderungen an Mineralwasser zu stellen sind.160 Die Richtlinie selbst war allerdings trotz Ablaufs der Umsetzungsfrist im Juli 1984 nicht ins niederländische Recht umgesetzt worden.161 153 EuGH, Urt. v. 10. 07. 2014, Rs. C-358/13 verb. Rs. C-181/14, ECLI:EU:C:2014:2060 Rn. 47 ff. – Markus D und G. 154 EuGH, Urt. v. 11. 06. 1987, Rs. C 14/86, ECLI:EU:C:1987:275 – Pretore di Salò. 155 EuGH, Urt. v. 11. 06. 1987, Rs. C 14/86, ECLI:EU:C:1987:275 Rn. 19 f. – Pretore di Salò. 156 EuGH, Urt. v. 26. 02. 1986, Rs. C 152/84, ECLI:EU:C:1986:84 – Marshall. 157 EuGH, Urt. v. 11. 06. 1987, Rs. C 14/86, ECLI:EU:C:1987:275 Rn. 19 f. – Pretore di Salò. 158 Schröder, Europäische Richtlinien, S. 16 ff., 380 ff.; Satzger, Europäisierung, S. 538 ff. 159 EuGH, Urt. v. 08. 10. 1987, Rs. C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431 Rn. 2 – Kolpinghuis Nijmegen; Art. 2 Keuringsverordening (Inspektionsverordnung). 160 EuGH, Urt. v. 08. 10. 1987, Rs. C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431 Rn. 3 – Kolpinghuis Nijmegen. 161 EuGH, Urt. v. 08. 10. 1987, Rs. C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431 Rn. 3 – Kolpinghuis Nijmegen.
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Der EuGH musste sich damit befassen, ob sich eine Strafverfolgungsbehörde trotz fehlender Umsetzung ins nationale Recht zu Lasten einer Person auf Bestimmungen einer Richtlinie berufen konnte und ob ein nationales Gericht verpflichtet ist, eine an sich einschlägige Bestimmung einer nicht umgesetzten Richtlinie auch dann unmittelbar anzuwenden, wenn diese Person keinen Anspruch darauf stützen will.162 Mit Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung stellte der EuGH zunächst einmal klar, dass eine Berufung auf nicht umgesetzte Bestimmungen bei hinreichender Klarheit und Unbedingtheit gegenüber dem Staat nach Ablauf der Umsetzungsfrist möglich ist.163 Dies gelte jedoch nur für Ansprüche gegen den Mitgliedstaat, sodass sich die Staatsanwaltschaft nicht zu Lasten einer Person auf diese berufen konnte.164 Für diese Arbeit von größerem Interesse ist der Umstand, dass nationale Gerichte dazu verpflichtet sind, nationale Vorschriften, insbesondere solche aus Umsetzungsgesetzen, im Hinblick auf den Wortlaut und Telos der Richtlinie auszulegen.165 Dabei ziehen die allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Unionsrechts jedoch Grenzen, wie etwa die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Rückwirkungsverbots.166 Damit kann ein unbestimmtes Tatbestandsmerkmal nicht durch den Umweg über eine nicht umgesetzte Richtlinienvorschrift ausreichend bestimmt werden.167 In der darauffolgenden Rechtssache Arcaro prüfte der EuGH nicht einmal die Voraussetzungen einer unmittelbaren Anwendbarkeit, sondern verwies auf die bisherige Rechtsprechung.168 Zur Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung führte der EuGH dabei weiterhin aus, dass diese Pflicht, „bei der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen seines nationalen Rechts auf den Inhalt der Richtlinie abzustellen, […] jedoch ihre Grenzen [findet], wenn eine solche Auslegung dazu führt, daß einem einzelnen eine in einer nicht umgesetzten Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung entgegengehalten wird, und erst recht dann, wenn sie dazu führt, daß auf der Grundlage der Richtlinie und in Ermangelung eines zu ihrer Umsetzung 162 EuGH, Urt. v. 08. 10. 1987, Rs. C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431 Rn. 4 – Kolpinghuis Nijmegen. 163 EuGH, Urt. v. 08. 10. 1987, Rs. C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431 Rn. 3 – Kolpinghuis Nijmegen mit Verweis auf EuGH, Urteil v. 19. 01. 1982, Rs. C-8/81, ECLI:EU:C:1982:7 – Becker; vertiefend zur unmittelbaren Anwendbarkeit bzw. Wirkung von Richtlinien und Richtlinienbestimmungen vgl. statt vieler Schröder, Europäische Richtlinien, S. 9 ff. und aktuell Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 12 ff. m. w. N. 164 EuGH, Urt. v. 08. 10. 1987, Rs. C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431 Rn. 8 ff. – Kolpinghuis Nijmegen. 165 EuGH, Urt. v. 08. 10. 1987, Rs. C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431 Rn. 12 – Kolpinghuis Nijmegen; Satzger, Europäisierung, S. 539. 166 „Diese Verpflichtung des innerstaatlichen Gerichts, bei der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen seines nationalen Rechts auf den Inhalt der Richtlinie abzustellen, findet jedoch ihre Grenzen in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die Teil des Gemeinschaftsrechts sind, und insbesondere in dem Grundsatz der Rechtssicherheit und im Rückwirkungsverbot.“, EuGH, Urt. v. 08. 10. 1987, Rs. C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431 Rn. 13 – Kolpinghuis Nijmegen. 167 Schröder, Europäische Richtlinien, S. 19, 382; Satzger, Europäisierung, S. 541. 168 EuGH, Urt. v. 26. 09. 1996, Rs. C-168/95, ECLI:EU:C:1996:363 Rn. 35 ff., 42 – Arcaro.
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Der vierten EuGH-Entscheidung liegt wiederum ein Strafverfahren in Italien zugrunde. Die Richtlinie 90/270/EWG vom 29. 05. 1990 (ABl. L 156, S. 14) über Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten wurde in Italien von das Umsetzungsrecht betreffenden Strafvorschriften flankiert.170 Die zuständigen Richter riefen den EuGH an, weil im Umsetzungsdekret zwar eine Konkretisierung der Richtlinie stattgefunden hatte, aber dennoch nicht klar war, welche Arbeitnehmer unter Art. 2 lit. c der Richtlinie 90/270/EWG fallen sollten.171 Der EuGH verwies erneut auf die bereits ergangene Rechtsprechung zu den Grenzen der unions- beziehungsweise richtlinienkonformen Auslegung und führte dann aus: „Insbesondere in Bezug auf einen Fall wie den des Ausgangsverfahrens, in dem es um den Umfang der strafrechtlichen Verantwortlichkeit geht, die sich aus speziell zur Durchführung einer Richtlinie erlassenen Rechtsvorschriften ergibt, ist festzustellen, daß der Grundsatz, wonach ein Strafgesetz nicht zum Nachteil des Betroffenen extensiv angewandt werden darf, der aus dem Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen und, allgemeiner, dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgt, es verbietet, die Strafverfolgung wegen eines Verhaltens einzuleiten, dessen Strafbarkeit sich nicht eindeutig aus dem Gesetz ergibt. Dieser Grundsatz, der zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört, die den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegen, ist auch in verschiedenen internationalen Verträgen verankert, u. a. in Art. 7 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten […]. Daher ist es Aufgabe des vorlegenden Gerichts, bei der Auslegung des zur Durchführung der Richtlinie erlassenen nationalen Rechts unter Berücksichtigung des Wortlauts und des Zweckes der Richtlinie für die Einhaltung dieses Grundsatzes zu sorgen.“.172
Daran lässt sich erkennen, dass der Bestimmtheitsgrundsatz von Strafnormen vom EuGH als allgemeiner Grundsatz des Europarechts anerkannt ist.173 Dies gilt ebenfalls für Richtlinienvorschriften, welche zur Auslegung des nationalen Rechts herangezogen werden sollen.174 Im Hinblick auf das Strafrecht kann sich daher eine vom sonstigen Recht abweichende Auslegung einer auf einer Richtlinie beruhenden Vorschrift ergeben, die jedoch nicht zwingend abzulehnen, sondern vielmehr im 169
EuGH, Urt. v. 26. 09. 1996, Rs. C-168/95, ECLI:EU:C:1996:363 Rn. 42 – Arcaro. EuGH, Urt. v. 12. 12. 1996, Rs. C-74/95 verb. C-129/95, ECLI:EU:C:1996:491 – Telecom Italia. 171 EuGH, Urt. v. 12. 12. 1996, Rs. C-74/95 verb. C-129/95, ECLI:EU:C:1996:491 Rn. 4 ff. – Telecom Italia. 172 EuGH, Urt. v. 12. 12. 1996, Rs. C-74/95 verb. C-129/95, ECLI:EU:C:1996:491 Rn. 25 – Telecom Italia. 173 Erneut EuGH, Urt. v. 07. 01. 2004, Rs. C-60/02, ECLI:EU:C:2004:10 Rn. 61 – X; vertiefend nur Schröder, Europäische Richtlinien, S. 33, 386 und Satzger, Europäisierung, S. 544. 174 Schröder, Europäische Richtlinien, S. 387 f. 170
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Hinblick auf den strafrechtlichen ultima-ratio-Grundsatz sogar an verschiedenen Stellen geboten ist.175 2. Maßgebliche Rechtsprechung der nationalen Gerichte Erste Ansätze richtlinienkonformer Auslegung in der Rechtsprechung des BGH zum Strafrecht finden sich in einer Entscheidung aus dem Jahr 1991 zur damals geltenden Fassung des § 326 StGB.176 Im Zentrum dieser stand die Auslegung des Zwangsabfallbegriffs im Sinne der Strafvorschrift.177 Dieser Begriff wurde – wie auch sonst oftmals im Strafrecht – eigenständig ausgelegt, wobei eine Orientierung am Verwaltungsrecht vorherrschend war.178 Bei der Begriffsbestimmung wurde dabei auf den Entsorgungswillen des Handelnden abgestellt.179 Der BGH schwenkte schließlich mit Verweis auf das Unionsrecht, wonach die Rechtsprechung des EuGH sowohl für die Verwaltung als auch für die nationalen Gerichte bei der Rechtsanwendung verbindlich sei180, auf die Linie des EuGH ein. Dabei beschränkte sich der BGH zunächst nur auf nationale Auslegungsmethoden, um diese dann durch die auf Unionsebene entwickelten Grundsätze zu bestätigen.181 Diese primär objektiv geprägte Begriffsbestimmung stand im Einklang mit den in diesem Zeitpunkt erlassenen Abfallrichtlinien182 sowie der diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH.183 Danach sollte es nicht auf den subjektiven Willen des Handelnden bezüglich der Wiederverwertung zur Bestimmung des Abfallbegriffs ankommen können.184 In diesem Zusammenhang gilt es noch anzumerken, dass im Umweltstrafrecht aus den §§ 324 ff. StGB nunmehr explizit klargestellt wird, dass es sich auch bei den
175 Schröder, Europäische Richtlinien, S. 390 ff. m. w. N.; Satzger, Europäisierung, S. 560 ff., 563. 176 BGHSt 37, 333 ff. – gewillkürter Abfall; dazu statt vieler Schröder, Europäische Richtlinien, S. 322 ff.; Satzger, Europäisierung, S. 545 ff.; Heise, Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, S. 167 – 172 jeweils m. w. N. 177 BGHSt 37, 333, 334 ff. 178 BGHSt 37, 21, 24; 37, 333 ff.; im Schrifttum statt vieler Schröder, Europäische Richtlinien, S. 322 und Satzger, Europäisierung, S. 545 jeweils m. w. N. 179 BGHSt 37, 333, 335 f. 180 BGHSt 37, 168, 175; 37, 333, 336; zur Diskussion im nur Schröder, Europäische Richtlinien, S. 326 ff. 181 BGHSt 37, 333, 336 mit Verweis auf BGHSt 37, 168. 182 Richtlinie 75/442/EWG vom 15. 7. 1975, ABl. L 194, S. 47 und Richtlinie 78/319/EWG vom 20. 3. 1978, ABl. L 84, S. 43. 183 EuGH, Urt. v. 28. 03. 1990, Rs. C-206/88 verb. 207/88, ECLI:EU:C:1990:145 – Vessoso und Zanetti; EuGH, Urt. v. 28. 03. 1990, Rs. C-359/88, ECLI:EU:C:1990:148. 184 EuGH, Urt. v. 28. 03. 1990, Rs. C-206/88 verb. 207/88, ECLI:EU:C:1990:145 Rn. 8 ff., 11– Vessoso und Zanetti; EuGH, Urt. v. 28. 03. 1990, Rs. C-359/88, ECLI:EU:C:1990:148 Rn. 12 f.
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bereits bestehenden Straftatbeständen um Vorschriften zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben handelt und somit auch im Lichte dieser auszulegen sind.185 Weitere Beispiele zu unionsrechtlichen Einflüssen auf die Auslegung deutscher Straftatbestände tangieren hingegen nur am Rande die richtlinienkonforme Auslegung. So stand das europäische Verbraucherleitbild von einem verständigen und informierten Verbraucher186 im Spannungsverhältnis zum vorherrschenden Meinungsbild bei § 263 Abs. 1 StGB, nach welchem auch äußerst leichtgläubige Personen den Schutz des Strafrechts verdienen.187 Die Bestrafung nach § 263 Abs. 1 StGB würde unter Zugrundelegung dieses Verbraucherleitbildes einer Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 34 AEUV entsprechen. Damit musste mangels Rechtfertigung durch Verbraucherschutzaspekte der Straftatbestand unionsrechtskonform ausgelegt werden.188 Einschränkend betont der BGH aber, dass eine Richtlinienvorgabe sich nicht pauschal auf das Strafrecht auswirken kann, sondern stets eine konkrete Prüfung im Einzelfall erforderlich ist.189 Ein weiteres Beispiel für den Einfluss des Europarechts auf nationale Straftatbestände lässt sich dem europäischen Sozialrecht und § 266a Abs. 1 StGB entnehmen. Eine Strafbarkeit muss dabei ausscheiden, wenn eine Pflicht zur Beitragszahlung auf Grund anderweitiger europäischer Bestimmungen in Deutschland nicht besteht.190
II. Zwischenresümee Die vorangegangenen Verweise auf die Rechtsprechung verdeutlichen, dass im Regelungskomplex einer Richtlinie aus systematischen, teleologischen und historischen Erwägungen unter den möglichen Auslegungsergebnissen stets dasjenige zu
185 Das Umweltstrafrecht dient dabei in weiten Teilen der Umsetzung der Richtlinie 2008/ 99/EG, vgl. BGBl. I 2011, S. 2557 und Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 120; nach dieser Auftaktentscheidung sind einige weitere Urteile des BGH ergangen, die die richtlinienkonforme Auslegung von Strafgesetzen zum Gegenstand hatten und die zuvor dargelegten Ergebnisse bestätigen. So sind etwa Entscheidungen im Bereich des Wertpapierhandelsgesetzes der Geldwäsche sowie der Hehlerei zu erwähnen, vgl. BGHSt 48, 373 – Scalping; BGHSt 50, 347, 355 – Geldwäsche; BGH, NStZ 2010, 339, 340 – Verbotene Insidergeschäfte. 186 EuGH, Urt. v. 13. 01. 2000, Rs. C-220/98, ECLI:EU:C:2000:8 Rn. 27 – Estée Lauder/ Lancaster. 187 BGHSt 34, 199, 201 f.; zustimmend Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 119. 188 Hecker, Strafbare Produktwerbung, S. 284 ff., 289 ff., 296 ff.; ders., Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 33 ff. 189 BGH, NJW 2014, 2595, 2596 f. – Abo-Falle; vertiefend nur Heger, HRRS 2014, 467, 469 f. 190 BGHSt 51, 124 – Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen; vertiefend statt vieler Hauck, NStZ 2007, 218, 221 f.
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wählen, welches dem Unionsrecht am ehesten entspricht.191 Im Zuge dessen soll etwa bei gleichlautendem Wortlaut von Umsetzungsgesetz und Richtlinienvorschrift auch das gleiche Auslegungsergebnis zwingend erforderlich sein.192 Hierzu ist in einem ersten Schritt anhand der im Unionsrecht anerkannten Grundsätze der Inhalt der Richtlinie auszulegen.193 Dabei sind der Wortlaut – und zwar aller Sprachfassungen gleichermaßen –, die Systematik, ihr Telos sowie ihre Entstehungsgeschichte heranzuziehen.194 Es gilt jedoch darauf hinzuweisen, dass der EuGH unter dem Begriff der Auslegung der französischen Methodenlehre folgend, ein weiteres Begriffsverständnis als ihr deutsches Pendant zu Grunde legt.195 Diese umfasst für den EuGH nämlich auch die Methode zulässiger Rechtsfortbildung.196
191 Siehe neben den näher dargestellten Urteilen auch EuGH, Urt. v. 10. 04. 1984, Rs. C-14/ 83, ECLI:EU:C:1984:153 Rn. 27 – von Colson und Kamann; EuGH, Urt. v. 13. 11. 1990, Rs. C106/89, ECLI:EU:C:1990:395 Rn. 8 – Marleasing; EuGH, Urt. v. 27. 06. 2000, Rs. C-240/98 bis C-244/98, ECLI:EU:C:2000:346 Rn. 30 – Océano Grupo; EuGH, Urt. v. 15. 05. 2003, Rs. C-160/01, ECLI:EU:C:2003:280 Rn. 36 – Mau; EuGH, Urt. v. 29. 04. 2004, Rs. C-371/02, ECLI:EU:C:2004:275 Rn. 13 – Björnekulla Fruktindustrier AB; EuGH, Urt. v. 05. 10. 2004, C397/01 bis C-403/01, ECLI:EU:C:2004:584 Rn. 113, 117, 119 – Pfeiffer u. a.; EuGH, Urt. v. 24. 01. 2012, Rs. C-282/10, ECLI:EU:C:2012:33 Rn. 24 – Dominguez; EuGH, Urt. v. 15. 01. 2014, Rs. C-176/12, ECLI:EU:C:2014:2 Rn. 31 – Association de médiation sociale; zustimmend im Schrifttum statt vieler Böse, Strafen und Sanktionen, S. 426; Satzger, Europäisierung, S. 551 f. und ders., in: Satzger/v. Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 52, 55; Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 26 ff., 43 ff.; Wietfeld, JZ 2020, 485, 486 f.; dieses Vorgehen wird oftmals mit der verfassungskonformen Auslegung im deutschen Recht verglichen, vgl. Satzger, Europäisierung, S. 522 f. m. w. N.; ders., in: Sieber/ Satzger/v. Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 50; a. A. Brandner, Überschießende Umsetzung, S. 97 f. 192 Erneut EuGH, Urteil v. 10. 10. 2013, Rs. C-306/12, ECLI:EU:C:2013:650 Rn. 31 f. – Spedition Welter; statt vieler Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 31, 41. 193 So etwa EuGH, Urt. v. 04. 07. 2006, Rs. C-212/04, ECLI:EU:C:2006:443 Rn. 111– Adeneler; EuGH, Urt. v. 15. 04. 2008, Rs C-268/06, ECLI:EU:C:2008:223 Rn. 101 – Impact; EuGH, Urt. v. 03. 06. 2010, Rs. C-569/08, ECLI:EU:C:2010:311 Rn. 35 – Internetportal Marketing GmbH; EuGH, Urt. v. 24. 01. 2012, Rs. C-282/10, ECLI:EU:C:2012:33 Rn. 27 – Dominguez; EuGH, Urt. v. 24. 05. 2012, Rs. C-97/11, ECLI:EU:C:2012:306 Rn. 31 – Amia; EuGH, Urt. v. 05. 09. 2012, Rs. C-42/11, ECLI:EU:C:2012:517 Rn. 56 – Lopes Da Silva Jorge; EuGH, Urteil v. 10. 10. 2013, Rs. C-306/12, ECLI:EU:C:2013:650 Rn. 30 – Spedition Welter; EuGH, Urt. v. 03. 04. 2014, Rs. C-515/12, ECLI:EU:C:2014:211 Rn. 19 – 4finance; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 22 f.; Alexander, WRP 2019, 673, 674. 194 EuGH, Urt. v. 03. 06. 2010, Rs. C-569/08, ECLI:EU:C:2010:311 Rn. 35 – Internetportal Marketing GmbH; EuGH, Urt. v. 03. 04. 2014, Rs. C-515/12, ECLI:EU:C:2014:211 Rn. 19 – 4finance; Alexander, WRP 2019, 673, 674. 195 Satzger, Europäisierung, S. 530 m. w. N.; Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 5; Roth/ Jopen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 17. 196 Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 17 und Wietfeld, JZ 2020, 485, 488 ff.
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Ebenso wie im deutschen Recht wird in der Rechtsprechung des EuGH gleichzeitig immer wieder betont, dass der Wortlaut die Grenze der Auslegung bildet.197 Daher gilt es im Strafrecht im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG zu beachten, dass anders als in anderen Rechtsgebieten eine richtlinienkonforme, über die Wortlautgrenze hinausgehende Rechtsfortbildung zu Lasten des Beschuldigten generell unzulässig ist.198 Die besondere Bedeutung des Bestimmtheitsgrundsatzes ist, obgleich in weniger weitreichender Form, als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts Art. 6 Abs. 3 EUV zu entnehmen und findet in verschiedenen anderen Bestimmungen – Art. 7 Abs. 1 EMRK und Art. 49 Abs. 1 GRCh – normativen Niederschlag.199 Daraus folgt für die unionsrechts- und folglich ebenso für die richtlinienkonforme Auslegung eines Strafgesetzes, dass sowohl die Wortlautgrenze gewahrt bleiben, als auch die unionsrechtliche Vorschrift hinreichend bestimmt sein muss.200 Dabei darf durch eine richtlinienkonforme Auslegung nur in den Grenzen der nationalen Umsetzungsgesetze die Strafbarkeit einer gegen die Richtlinie verstoßenden Person begründet oder verschärft werden.201 In einem zweiten Schritt ist nach der Rechtsprechung des EuGH die nationale Umsetzungsvorschrift im Lichte des nach dem europäischen Recht gewonnen Auslegungsergebnisses der Richtlinienvorschrift auszulegen.202 Aus der Rechtsprechung des EuGH, ebenso aus der einschlägigen Literatur, folgt zugleich, dass neben Bestimmungen aus einem Umsetzungsgesetz auch das gesamte 197
EuGH, Urt. v. 03. 05. 2005, Rs. C-387/02, C-391/02 und C-403/02, ECLI:EU:C:2005: 270 Rn. 74 – Berlusconi; EuGH, Urt. v. 16. 06. 2005, Rs. C-105/03, ECLI:EU:C:2005:538 Rn. 47 – Pupino; Schröder, Europäische Richtlinien, S. 355 ff.; Satzger, Europäisierung, S. 528 ff., 555 ff. und ders., in: Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 52 f.; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 26, 34; krit. dazu Roth/Jopen, welche zu dem Schluss gelangen, dass das Betonen der Wortlautgrenze eine Methode des EuGH darstelle, um eine im Bereich der Kompetenzverteilung zulässige Rechtsfortbildung zu verschleiern, weil an anderen Stellen Abweichungen zu erkennen seien, aber dann nicht als solche hervorgehoben würden, vgl. Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 17 ff. m. w. N. 198 EuGH, Urt. v. 05. 10. 2004, C-397/01 bis C-403/01, ECLI:EU:C:2004:584 Rn. 116 – Pfeiffer u. a.; BVerfGE 69, 315, 372; 111, 307, 329; 128, 326, 371; 131, 268, 295 f.; zu den Schranken verfassungskonformer Auslegung BVerfGE 54, 277, 299 f.; 71, 81, 105; 90, 263, 275; 118, 212, 234; Böse, Strafen und Sanktionen, S. 431 f.; Satzger, Europäisierung, S. 551 f. und ders., in: Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 55; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 26, 33 ff. 199 Vertiefend etwa Heise, Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, S. 160 f.; Schröder, Europäische Richtlinien, S. 209 ff.; Satzger, Europäisierung, S. 538 ff.; ders., JuS 2004, 943, 947 m. w. N.; ders., in: Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 58; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 36. 200 Im Schrifttum statt vieler Schröder, Europäische Richtlinien, S. 387; Schaut, Europäische Strafrechtsprinzipien, S. 270 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 50 ff. 201 EuGH, Urt. v. 03. 05. 2005, Rs. C-387/02, C-391/02 und C-403/02, ECLI:EU:C:2005: 270 Rn. 74 – Berlusconi; Satzger, Europäisierung, S. 555 ff. und ders., in: Sieber/Satzger/ v. Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 56. 202 EuGH, Urt. v. 10. 07. 2014, Rs. C-358/13 verb. Rs. C-181/14, ECLI:EU:C:2014:2060 Rn. 48 – Markus D und G; vertiefend aktuell nur Wietfeld, JZ 2020, 485, 488.
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nationale Recht im Lichte der Richtlinienbestimmungen auszulegen ist.203 Dieser Aspekt unterscheidet sich jedoch von der richtlinienkonformen Auslegung eines Gesetzes dahingehend, dass gerade kein zwingendes Ergebnis herbeigeführt werden kann, sofern nicht zu gleich Richtlinienrecht betroffen ist. Im Strafrecht kommt der Unterscheidung von richtlinienkonformer und richtlinienorientierter Auslegung oftmals eine geringere Bedeutung zu, als in anderen Rechtsgebieten, da in diesem Zusammenhang auf die zuvor herausgearbeiteten Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung hinzuweisen ist. Nichtsdestotrotz bleibt dem Rechtsanwender bei einer bloß richtlinienorientierten Auslegung mehr Freiraum, weil in diesem Zusammenhang gerade nicht die zwingende Pflicht besteht, dem am weitesten mit der Richtlinie übereinstimmenden Auslegungsergebnis den Vorzug zu gewähren. Die gefundenen Auslegungsergebnisse werden sich daher oftmals kaum unterscheiden.
D. Übertragung der erörterten Grundsätze auf das GeschGehG und die Geschäftsgeheimnis-RL Die zu Anfang dieses Kapitels aufgeworfenen Fragestellungen zur Auslegung des Geschäftsgeheimnisstrafrechts im Lichte der Geschäftsgeheimnis-RL, welche sich aus der konkreten Ausgestaltung des strafrechtlichen Geheimnisschutzes im GeschGehG vor dessen europarechtlichen Hintergrund ergeben, sollen nun anhand der erarbeiteten Grundsätze gelöst werden. Mithin ist also zu klären, ob die Geschäftsgeheimnis-RL auch im strafrechtlichen Teil dieses Gesetzes ein die Auslegung zwingend leitendes Entscheidungskriterium bildet.
I. Mangelnde Gesetzgebungskompetenz des Unionsgesetzgebers als Argument gegen die richtlinienkonforme Auslegung im Geschäftsgeheimnisstrafrecht Wie bereits zuvor angedeutet, gibt es nur wenige Stimmen in der Literatur, die sich gezielt mit den Auswirkungen des Europarechts auf das neue Geschäftsgeheimnisstrafrecht auseinandersetzen. Zum Teil werden, ohne darauf einzugehen, dass es sich bei der Geschäftsgeheimnis-RL um eine das Zivilrecht harmonisierende Richtlinie handelt, die Strafvorschriften des § 23 GeschGehG oder der §§ 17 – 19 UWG richtlinienkonform ausgelegt.204 Es finden sich nur teilweise Hinweise 203
Erneut Satzger, Europäisierung, S. 559 f. und Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 16. 204 So etwa Buchert/Buchert, ZWH 2018, 309, 311; unklar Edwards, Whistleblowing, S. 141 f.; McGuire, GRUR 2016, 1000, 1008 wies im Hinblick auf §§ 17 ff. UWG auf den Vorrang der Richtlinie hin, dem die nun überkommenen Straftatbestände entgegenstehen könnten.
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
darauf, dass lediglich eine Harmonisierung des Zivilrechts beabsichtigt ist. Nichtsdestotrotz werden sodann Richtlinienbestimmungen herangezogen, ohne vorher hinreichend zu klären, ob oder in welcher Form dies zulässig ist.205 Kritische Stimmen sind hingegen kaum zu vernehmen. Lediglich Brammsen206 und daran anknüpfend Schreiber207 lehnen die richtlinienkonforme Auslegung des strafrechtlichen Teils des GeschGehG ab. Deren ablehnende Haltung zur richtlinienkonformen Auslegung stützt sich primär auf die hier – nach deren Auffassung – fehlende Gesetzgebungskompetenz des Unionsgesetzgebers. So führt Brammsen aus, dass die Kompetenzvorschriften aus Art. 83, 325 AEUV zum ohnehin umstrittenen Erlass von Strafvorschriften für den Bereich des Geschäftsgeheimnisschutzes nicht einschlägig sind.208 Die nach seiner Auffassung einschlägigen Bereiche des Immaterialgüterrechts, des Lauterkeitsrechts oder des Verbraucherschutzrechts fielen weder in den Katalog des Art. 83 Abs. 1 AEUV, noch unter die Betrugsbekämpfung nach Art. 325 AEUV.209 Darüber hinaus sei auch die Annexkompetenz aus Art. 83 Abs. 2 AEUV gleich aus mehreren Gründen nicht einschlägig. Ein schwerwiegendes Vollzugsdefizit sei nämlich nicht dargelegt worden und überdies auch gar nicht erkennbar.210 Richtig ist zwar, dass die richtlinienkonforme Auslegung von Normen stets innerhalb des Rahmens des bestehenden Kompetenzgeflechts zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Union stattfinden muss, dennoch kann dieser Einwand nicht überzeugen. Vielmehr geht diese Kritik für sich allein betrachtet am in Frage stehenden Regelungskonzept vorbei. Brammsen stellt insoweit selbst die bewusste Beschränkung des Richtliniengesetzgebers auf eine Harmonisierung im Bereich des Zivilrechts fest.211 Nichtsdestotrotz lässt sich sein Argument zusätzlich in der Sache abschwächen. Es ist nicht vollkommen fernliegend, von der entsprechenden Kompetenz des
205
Differenzierend Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, Vor §§ 17 – 19 Rn. 10a, § 17 Rn. 1b, 5; (tendenziell) befürwortend Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 119; uneinheitlich Schenkel, Whistleblowing, S. 104 f., 186; mit knapper Begründung Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 12 206 Brammsen, wistra 2018, 449, 451. 207 Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 335. 208 Brammsen, wistra 2018, 449, 450. 209 Brammsen, wistra 2018, 449, 450 mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 08. 09. 2015, Rs. C-105/ 14, ECLI:EU:C:2015:555 Rn. 46 ff., 49, 58 – Taricco u. a.; zu Kompetenzfragen hier nur Aksungur, Europäische Strafrechtsetzungskompetenz, S. 298 ff. 210 Brammsen, wistra 2018, 449, 450; zur Annexkompetenz statt vieler Aksungur, Europäische Strafrechtsetzungskompetenz, S. 347 ff. und Hecker, Europäisches Strafrecht, § 4 Rn. 57 ff., 75 ff. 211 Vgl. Art. 6 Abs. 1 Geschäftsgeheimnis-RL und Erwägungsgrund [10]; COM (2013) 813 final, S. 6 ff.; Brammsen, wistra 2018, 449, 450.
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Unionsgesetzgebers auszugehen, auch wenn dies nicht unumstritten ist.212 Dazu ist zunächst knapp allgemein auf die Rechtssetzungskompetenzen der Union im Bereich des Strafrechts einzugehen. Da die Europäische Union ihre Gesetzgebungskompetenz für den Erlass der Geschäftsgeheimnis-RL auf Art. 114 AEUV stützt213, kommt es auf eine etwaige dieser Vorschrift innewohnende Strafrechtssetzungskompetenz an. Eine eigenständige, originäre Rechtssetzungskompetenz für den Bereich des Strafrechts stellt diese Vorschrift jedenfalls nicht dar.214 Vielmehr handelt es sich um eine funktionale Harmonisierungskompetenz, welche sich auf alle Vorschriften erstreckt, die den freien Wettbewerb im Binnenmarkt negativ beeinflussen können und somit einer Harmonisierung zur Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen dienen.215 Darunter fällt nach überwiegender Auffassung der mit dem Regelungsbereich der Richtlinie verwandte Schutz des Geistigen Eigentums.216 Daher ist es bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 83 Abs. 2 AEUV durchaus denkbar, auch strafrechtliche Regelungen im Bereich des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen auf Ebene des Sekundärrechts der Europäischen Union zu erlassen. Diese können auf Art. 83 Abs. 2 AEUV i. V. m. Art. 114 AEUV gestützt werden. Wie von Brammsen – zutreffend – vorgetragen, mangelt es allerdings am Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 83 Abs. 2 AEUV217, sodass eine entsprechende Gesetzgebungskompetenz für dieses Rechtsgebiet zwar hypothetisch denkbar ist, aber aktuell (wohl) an formalen, als auch an inhaltlichen Hürden scheitert.
212
Auf Grund der zu untersuchenden Fragestellung beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf den Erlass von Richtlinien im Sinne des Art. 288 Abs. 3 AEUV zur Harmonisierung des Strafrechts. Zur unmittelbaren Strafrechtssetzung durch Verordnungen i. S. d. Art. 288 Abs. 2 AEUV vgl. statt vieler Krüger, HRRS 2012, 311 ff. m. w. N.; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 4 Rn. 81 mit § 14 Rn. 44; Satzger, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 325 AEUV Rn. 26 ff. 213 COM (2013) 813 final, S. 6 f.; Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 351 f.; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., Vorbemerkungen GeschGehG Rn. 15. 214 Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 57 ff.; Korte, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 24; instruktiv nur Aksungur, Europäische Strafrechtsetzungskompetenz, S. 402 – 407. 215 Hecker, Europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 47; Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 26 ff.; Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 23, 44 ff. 216 Hecker, Europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 47 mit Fn. 85. 217 Brammsen, wistra 2018, 449, 450; neben den von Brammsen aufgeführten Argumenten lässt sich auch mit dem Wortlaut des Art. 83 Abs. 2 AEUV argumentieren, welcher eine Strafrechtsangleichung gleichzeitig mit der erstmaligen Rechtsangleichung im außerstrafrechtlichen Bereich ausschließt, vgl. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 45. Dies lässt sich vor dem Hintergrund bisher im Bereich des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen erfolgten Rechtsangleichungen verneinen.
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
II. Umgehung der mangelnden Gesetzgebungskompetenz durch die zivilrechtsakzessorische und damit auch unionsrechtsakzessorische Ausgestaltung des Geschäftsgeheimnisstrafrechts An dieser Stelle entfaltet Brammsens Kritik an der fehlenden Strafrechtssetzungskompetenz ihre volle Bedeutung. Diese darf nämlich nicht ohne weiteres durch die Hintertür umgangen werden. Im Bereich des Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL werde etwa – so Brammsen – auf dem Umweg über das Zivilrecht eine verdeckte Strafaufhebungskompetenz begründet, wenn man denn von einer umfassenden Harmonisierung in diesem Bereich also auch im Strafrecht ausgeht.218 Der Richtlinie könne daher lediglich eine „begrenzte Orientierungsfunktion zuerkannt werden“.219 Dieser restriktiven Herangehensweise wird zum Teil mit dem effet utile-Grundsatz entgegengetreten, wonach die Sanktionierung einer auf Ebene des Unionsrechts zivilrechtlich zulässigen Handlung im nationalen Strafrecht abzulehnen ist.220 Ergänzend wird mit der ultima ratio-Funktion des Strafrechts argumentiert.221 Dies verdient im Hinblick auf den effet utile-Grundsatz zunächst nur verhaltenen Beifall, weil es dem zuvor vorgetragenen Gegenargument ebenfalls in die Hände spielt. Der Unionsgesetzgeber erlässt auf diese Weise tatsächlich indirekt eine Strafaufhebungsbestimmung. Zugleich ist jedoch zu berücksichtigen, dass es den Mitgliedstaaten stets ohnehin nur in den Grenzen des Unionsrechts erlaubt ist, eigenständige, strafrechtliche Regelungen zu erlassen. Wie aufgezeigt handelt es sich um ein generelles Charakteristikum des Unionsrechts, dass durch nationale Bestimmungen die Ziele einer Richtlinie nicht untergraben werden dürfen. Mithin lässt sich also entgegenhalten, dass es sich strenggenommen nicht um eine echte Strafaufhebungskompetenz durch die Hintertür handelt, sondern vielmehr auf diese Weise nur die für die Mitgliedstaaten geltenden Beschränkungen ihrer ansonsten unbeschränkt fortgeltenden Kompetenzen verdeutlicht werden. Folglich verfängt der Verweis auf den effet utile-Grundsatz bei näherer Betrachtung durchaus. Der Hinweis auf die ultima ratio-Funktion des Strafrechts weist aber auch für sich allein – losgelöst vom unionsrechtlichen Hintergrund – ein erhebliches Gewicht in der Waagschale auf. Das Strafrecht ist nämlich jedenfalls in Bezug auf zivilrechtliche Er-
218 Brammsen, wistra 2018, 449, 450; ähnlich bereits Groß/Platzer, NZA 2017, 1097, 1103; a. A. Maume/Haffke, ZIP 2016, 199, 207; Edwards, Whistleblowing, S. 142 f. 219 Brammsen, wistra 2018, 449, 451. 220 Statt vieler McGuire, GRUR 2016, 1000, 1008 und Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 119. 221 Zutreffend Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 119; allgemein zur ultima ratio Funktion des Strafrechts im Hinblick auf das Eingreifen zivilrechtlicher Vorschriften Thiel, Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen, S. 69 f.; auch im englischsprachigen Schrifttum finden sich Stimmen, welche sich dafür aussprechen die Geschäftsgeheimnis-RL trotz ihrer Beschränkung auf das Zivilrecht auch in anderen Bereichen – wie dem Strafrecht – zu berücksichtigen, vgl. Falce, IIC 46 (2015), 940, 960 f.
Kap. 3: Auswirkungen der Geschäftsgeheimnis-RL auf das GeschGehG
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laubnissätze akzessorisch auszulegen, weil ansonsten systemwidrige Ergebnisse zu Tage gefördert werden. Mithin ist daher eine jedenfalls mittelbar an der Richtlinie orientierte Auslegung erforderlich. Der Kritik von Brammsen steht darüber hinaus im Wege, dass es keinen allgemeinen Grundsatz gibt, nach welchem strafrechtliche Bestimmungen nicht zivilrechtsakzessorisch ausgestaltet werden dürfen. Im Gegenteil steht es dem deutschen Gesetzgeber – wie eingangs festgestellt – frei bei der Umsetzung einer Richtlinie über das Ziel hinauszuschießen. Der Umfang der Bindungswirkung des Rechts der Richtlinie ist jedoch für die einzelnen Bestimmungen jeweils einzeln zu ermitteln. Dabei gelten die zuvor dargelegten Grundsätze. Im Hinblick auf den Vorläufer des § 23 GeschGehG wird diese Differenzierung noch einmal deutlicher. In der Literatur findet sich eine Vielzahl von Stimmen, die – teilweise ohne Begründung – bereits für eine richtlinienkonforme Auslegung des § 17 UWG plädierten.222 Dieser Vorgehensweise ist mit Vorsicht zu begegnen, weil die nunmehr gegebene Zivilrechtsakzessorietät zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestand.
III. Differenzierung zwischen voll- und mindestharmonisierenden Bestimmungen der Geschäftsgeheimnis-RL Bei der Umsetzung der Geschäftsgeheimnis-RL ins nationale Recht wird im Schrifttum zudem zwischen mindest- und vollharmonisierenden Vorschriften unterschieden. In Bezug auf die vollharmonisierten Bestimmungen spricht sich Reinbacher dafür aus, dass die von der teilweise vollharmonisierenden Richtlinie angestrebten Ziele nicht durch ein zulässigerweise normiertes Geheimnisstrafrecht wieder unterlaufen werden dürfen. Dies lasse sich mit Hilfe der richtlinienkonformen Auslegung von möglichen Strafbestimmungen erreichen.223 Art. 1 UAbs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL stellt in diesem Kontext klar, dass es sich bei den Vorschriften aus Art. 3, 5, 6, 7 Abs. 1, 8, 9 Abs. 1 UAbs. 2, Abs. 3, 4, 10 Abs. 2, 11, 13 und 15 Abs. 3 der Geschäftsgeheimnis-RL um vollharmonisierende Regelungen handelt, während alle übrigen Bestimmungen im Umkehrschluss nur auf eine Mindestharmonisierung abzielen.224 Diese Normen haben wiederum in den 222 So etwa Edwards, Whistleblowing, S. 142 f.; Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 119; Steinmann erkennt an, dass nur das Zivilrecht harmonisiert werden soll, argumentiert aber mit der Einheit der Rechtsordnung auch für eine richtlinienkonforme Auslegung der Strafbestimmungen der §§ 17 – 19 UWG, vgl. WRP 2019, 703, 707 f.; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 161; unter Vorbehalten Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, § 17 UWG Rn. 5; krit. Koós, MMR 2016, 224, 225; ablehnend Brammsen, wistra 2018, 449, 451. 223 Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 119. 224 Zustimmend McGuire, in: Büscher, UWG, § 1 GeschGehG Rn. 2; Alexander, WRP 2019, 673; zum Konzept der Vollharmonisierung vgl. etwa Mittwoch, Vollharmonisierung, S. 29 ff. m. w. N.; 34 ff., 39 ff.; zum Konzept der Mindestharmonisierung vgl. etwa Mittwoch, Vollharmonisierung, S. 25 ff. m. w. N.
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§§ 3, 5, 6, 7, 9, 11, 13, 18 GeschGehG Niederschlag gefunden, was bei der Auslegung dieser Vorschriften im Hinterkopf zu behalten ist. Teilweise wird ergänzend gefordert – vor allem von McGuire – Art. 2 Nr. 1 Geschäftsgeheimnis-RL auf Grund der Dichte an vollharmonisierenden Vorschriften und dem bezweckten einheitlichen Schutz von Geschäftsgeheimnissen ebenfalls keinen Abweichungsspielraum zuzugestehen, obwohl die Vorschrift nicht in der Liste des Art. 1 UAbs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL aufgezählt wird.225 Dies lasse sich zusätzlich durch Art. 1 Abs. 3 lit. a Geschäftsgeheimnis-RL sowie Erwägungsgrund [14] untermauern. Dem ist jedoch der Wortlaut des Gesetzes entgegenzuhalten, sodass dieser ausweitenden Auslegung des Art. 1 UAbs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL nicht zu folgen ist. Dieses zusätzliche Argument stellt letztlich aber lediglich einen ausführlicheren Verweis auf den bereits behandelten effet utile-Grundsatz dar, sodass an dieser Stelle erneut daraufhin hingewiesen werden kann, dass jedenfalls eine mittelbar an der Richtlinie orientierte Auslegung des Strafrechts erforderlich ist, soweit die erwähnten vollharmonisierten Bestimmungen des GeschGehG zur Anwendung kommen.
IV. Fazit Die Strafbestimmungen des § 23 GeschGehG sind, jedenfalls im Hinblick auf die zivilrechtlichen Primärnormen, der richtlinienkonformen Auslegung zugänglich. Die in der Literatur vorgetragene Kritik an derselben kann nicht uneingeschränkt überzeugen. Allerdings sind der richtlinienkonformen Auslegung im Strafrecht durch Art. 103 Abs. 2 GG strenge Grenzen gesetzt. Daher ergeben sich auch für den Fall, einer Ablehnung der richtlinienkonformen Auslegung und folglich nur richtlinienorientierten Auslegung, keine erheblichen Unterschiede, weil sich diese Vorgehensweisen im Strafrecht letztlich nur bei einem Nebeneinander mehrerer zulässiger Auslegungsergebnisse unterscheiden. Dennoch gilt es, im weiteren Verlauf dieser Untersuchung an geeigneter Stelle zu ermitteln, welche Auswirkungen die Geschäftsgeheimnis-RL bei der nachfolgendenden Auslegung der Bestimmungen des GeschGehG hat.
225 McGuire, GRUR 2016, 1000, 1006; dies., in: Büscher, UWG, § 1 GeschGehG Rn. 6, § 2 GeschGehG Rn. 3 f.; dies., in: FS Harte-Bavendamm, S. 367, 371 f.; Harte-Bavendamm, in: FS Büscher, S. 311, 313; Steinmann, WRP 2019, 703, 708.
Kap. 4: Begriff des Geschäftsgeheimnisses
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Kapitel 4
Begriff des Geschäftsgeheimnisses A. Einleitung Eine der zentralen Vorschriften im GeschGehG und damit auch im neuen Geschäftsgeheimnisstrafrecht nach § 23 GeschGehG stellt § 2 Nr. 1 GeschGehG mit der Legaldefinition des Geschäftsgeheimnisbegriffes dar. Sie bildet nicht nur die Grundlage, sondern den Dreh- und Angelpunkt jeglichen Geschäftsgeheimnisschutzes durch dieses Gesetz. Im Hinblick auf die zivilrechtlichen Anspruchsnormen der §§ 6 ff. GeschGehG sowie die prozessualen Bestimmungen der §§ 15 ff. GeschGehG ist nämlich das Vorliegen eines Geschäftsgeheimnisses maßgeblich. Dies gilt auch für den akzessorischen Schutz durch die Strafnorm § 23 GeschGehG. Demnach ist es unerlässlich, diesen Rechtsbegriff einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen. Zugleich ist es vor dem Hintergrund der aufgeworfenen Fragestellungen vonnöten, auch den Begriff der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse im Sinne des § 17 UWG zu erläutern. Mithin gilt es – wie eingangs erwähnt – herauszufinden, ob das Geschäftsgeheimnisstrafrecht in seiner nunmehr geltenden Form einen effektiven und interessengerechten Schutz von Geschäftsgeheimnissen zu gewährleisten vermag. Zu diesem Zweck sind zunächst die bisherigen rechtlichen Schutzvoraussetzungen aufzuzeigen, weil dies für das Verständnis der daran anschließenden Untersuchung des § 2 Nr. 1 GeschGehG vonnöten ist und zudem auf diese Weise nunmehr bestehende Unterschiede aufgezeigt werden können. Nur so lässt sich auch beantworten, ob der strafrechtliche Geschäftsgeheimnisschutz durch Erlass des GeschGehG eine positive Entwicklung erfahren hat. Insoweit kann bereits vorangestellt werden, dass die bisherige Unterscheidung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnis als Tatobjekte des § 17 UWG aufgegeben wurde. Es wird nunmehr einheitlich auf den Begriff des Geschäftsgeheimnisses abgestellt.226 Eine exakte Abgrenzung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen war zudem kaum möglich, ebenso wenig erforderlich, weil sich dadurch keine Folgen für die Anwendung des gesetzlichen Tatbestands ergeben haben.227 Gleichwohl wurde 226
Diese Änderung wird zum Teil kritisiert. So wird vorgetragen, dass die sprachliche Differenzierung im Hinblick auf die angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen i. S. d. § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG vorzugswürdig gewesen wäre, vgl. Hauck, GRUR-Prax 2019, 223; Insgesamt wird die Anpassung aber überwiegend positiv bewertet, vgl. etwa Apel/Walling, DB 2019, 891, 894; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583. 227 Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 108 f.; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 5; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 4a; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 40 f.; die Differenzierung kann auf den historischen Gesetzgeber von 1896 zurückgeführt werden und diente der Klarstellung, dass auch
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dahingehend unterschieden, dass Geschäftsgeheimnisse den allgemeinen Geschäftsverkehr des Unternehmens und Betriebsgeheimnisse den technischen Bereich betreffen.228 Auf Grund der fehlenden rechtlichen Auswirkungen einer Differenzierung wird im weiteren Verlauf der Untersuchung von Unternehmensgeheimnissen als Oberbegriff die Rede sein.229 Dies wird für den Gang dieser Untersuchung nicht zuletzt zur sprachlichen Unterscheidung der alten von der neuen Rechtslage herangezogen.
B. Unternehmensgeheimnis im Sinne des § 17 UWG als historischer Vorläufer des Geschäftsgeheimnisses im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG Das UWG enthielt – anders als das GeschGehG – keine Legaldefinition des Unternehmensgeheimnisses, womit es sich folglich um einen offenen Rechtsbegriff handelte, um der Dynamik betrieblicher Vorgänge gerecht werden zu können.230 Die kaufmännische Unternehmen dem Schutzbereich des Unternehmensgeheimnisses unterfallen sollen, vgl. Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 109. 228 Statt vieler BVerfGE 115, 205, 230 f.; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 5; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 4a; im betriebswirtschaftlichen Kontext finden im Detail abweichende Definitionen Anwendung, vgl. zu den Unterschieden Nienaber, Geschäftsgeheimnisse, Rn. 120 ff., 208 f. So werden Geschäftsgeheimnisse in der Betriebswirtschaftslehre als „Informationen und Wissen kaufmännischer Natur [definiert], über die ein Unternehmen Verfügungsgewalt besitzt, die Werthaltigkeit und Identifizierbarkeit aufweisen, die einem eingeschränkten Personenkreis bekannt sind und durch deren ungewollte Weitergabe dem Unternehmen ein potentieller Schaden entsteht.“, vgl. Nienaber, Geschäftsgeheimnisse, Rn. 58, vertiefend Rn. 82 ff.; Betriebsgeheimnisse – beziehungsweise deren technische Natur – wiederum werden als „Informationen, die die Erstellung der Leistung betreffen, die Input-Output-Korrelation beeinflussen, sich auf das Innere des Unternehmens beziehen oder deren Anwendbarkeit örtlich gebunden ist“, definiert, vgl. Nienaber, Geschäftsgeheimnisse, Rn. 58, vertiefend 98 ff. Zudem sind auch Überschneidungen dieser Geheimnistypen denkbar, die als Hybrid-Geheimnisse bezeichnet werden, vgl. Nienaber, Geschäftsgeheimnisse, Rn. 115 ff. 229 Diese Vorgehensweise orientiert sich an Wieses Arbeit, die den Begriff des Unternehmensgeheimnis nicht nur im Hinblick auf die §§ 17 – 19 UWG für vorzugswürdig erachtet, sondern dies auch für die Begrifflichkeiten der Geschäftsgeheimnis-RL vorschlägt, vgl. EURichtlinie, S. 22 f. Begründet wird dies mit dem besser zum Ausdruck kommenden Unternehmensbezug des Geheimnisses, der englischen Sprachfassung trade secrets, sowie der Abgrenzung zu den business secrets im Sinne der der Richtlinie 2014/104/EU, Abl. L 349/1. Die Verdeutlichung des Betriebsbezugs durch den gemeinsamen Oberbegriff kann auch bei einer bloß auf §§ 17 – 19 UWG a. F. bezogenen Betrachtung überzeugen, vgl. etwa unter Vorbehalten Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 73; Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 256; Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 109 ff.; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 5; Rahimi Azar, JuS 2017, 930, 931; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 42 f., 48 f. 230 Dies geht auf die Entscheidung des Gesetzgebers von 1896 zurück, weil zum einen der Begriff des Geheimnisses „ohnehin geläufig“ sei und weil zum anderen auf Grund von De-
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Rechtsprechung hat dabei vier Tatbestandsmerkmale herausgearbeitet. Es handelte sich bei einem Unternehmensgeheimnis um eine Tatsache231, die (1) nicht offenkundig ist, (2) eine hinreichende Betriebsbezogenheit aufweist und (3) auf Grund eines bestehenden Geheimhaltungswillens sowie (4) eines berechtigten Geheimhaltungsinteresseses geheim gehalten werden sollte.232 Bereits an dieser Stelle kann eine weitere Verknüpfung zum Geschäftsgeheimnisbegriff geschaffen werden, weil abweichend von der gängigen Terminologie auch im Zusammenhang mit den §§ 17 – 19 UWG der Begriff Information statt Tatsache verwendet wurde. Strenggenommen war „das Wissen um die Tatsache“ Gegenstand des Unternehmensgeheimnisses.233
I. Offenkundigkeit bei § 17 UWG Zentrales Tatbestandsmerkmal eines jeden Geheimnisbegriffs ist die Offenkundigkeit. Dieses bildet das begriffliche Gegenteil zum Geheimsein. Etymologisch ist es also verfehlt, weiterhin den Begriff des Geheimnisses zu verwenden, sobald eine Tatsache der Allgemeinheit bekannt geworden ist.234 Von der allgemeinen Bekanntheit einer Tatsache kann jedenfalls dann ausgegangen werden, wenn diese gezielt bekanntgemacht wurde. Dies ist teilweise zur Anmeldung gewerblicher Schutzrechte wie zum Beispiel nach § 31 Abs. 2 PatG, Art. 93 EPÜ, § 8 Abs. 1, 5 GebrMG oder §§ 11 Abs. 1, 22 DesignG erforderlich.235 Daraus ergibt sich gleichwohl kein Wertungswiderspruch, weil nach der Veröffentlichung Schutzrechte bestehen, die anders als beim Unternehmensgeheimnis gerade nicht durch die Offenkundigkeit der betroffenen Tatsachen beeinträchtigt werden. Vielmehr dienen angemeldete Schutzrechte – in der Regel – durch Hemfinitionsschwierigkeiten eine Lösung durch die Rechtsprechung vorzugswürdig erschien, vgl. dazu Verhandlungen des Reichstages, 9. Legislaturperiode, IV. Session 1895/97, Anlagenband 1, S. 98, 109 zitiert nach Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 106 f.; Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 103; Föbus etwa sprach sich bereits zur Zeit der Geltung der §§ 17 – 19 UWG für die Schaffung einer Legaldefinition aus, vgl. Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 256 ff. 231 Zum Begriff der Tatsache statt vieler Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 11 m. w. N. 232 Zur Definition des Unternehmensgeheimnisses in der Rechtsprechung aktuell etwa BGH, Urt. v. 22. 03. 2018 – I ZR 118/16, GRUR 2018, 1161 Rn. 28 – Hohlfasermembranspinnanlage II. 233 So bereits Ann, GRUR 2007, 39, 41; ähnlich Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 11; Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 108; Harte-Bavendamm, in: HarteBavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 15, 17; Staffler hat in diesem Kontext darauf verwiesen, dass sich der Begriff Information auch vor der wachsenden Bedeutung von Daten in der Wirtschaft als vorzugswürdig erweist, vgl. NZWiSt 2018, 269, 272; in Bezug auf § 203 StGB Rogall, NStZ 1983, 1, 5. 234 Statt vieler Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 8 ff.; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 7; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 79. 235 Statt vieler Wiese, EU-Richtlinie, S. 23 f. und Mayer, GRUR 2011, 884, 886.
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mung des Imitationswettbewerbs der Förderung des Innovationswettbewerbs, während dies beim Geschäftsgeheimnisschutz nicht der Fall ist.236 Mithin stand der Schutz von Unternehmensgeheimnissen bereits im alten Recht als eigenständiger und in einem Exklusivitätsverhältnis stehender Schutzmechanismus neben den exemplarisch aufgezählten Schutzregimen.237 Aus der einleitend aufgezeigten, augenscheinlich eindeutigen Differenzierung zwischen Offenkundigkeit und Geheimsein erwuchsen jedoch Probleme, sofern sich der Bekanntheitsgrad einer Tatsache im weiten Spektrum zwischen diesen Begriffen wiederfand.238 In diesem Zusammenhang ist auf den umfassenden Stand der Forschung in der Rechtsprechung und Literatur hinzuweisen, der im Weiteren kurz dargestellt werden soll. Anzumerken ist dabei vorab, dass der Begriff der Offenkundigkeit in diesem Sinne trotz gleichlautenden Wortlauts von der Verwendung in § 244 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 StPO abzugrenzen war.239 Vorangestellt sei zudem, dass Umstände, die die Offenkundigkeit beziehungsweise Nichtoffenkundigkeit begründen, in verschiedene Kategorien eingeteilt werden können. Losgelöst von der Zuordnung zu einer der nachfolgenden Fallgruppen war auch die Zusammenstellung einzelner Informationen, die im Einzelnen offenkundig waren, jedoch in ihrer Zusammenstellung eine eigenständige geheime Tatsache bildeten, erneut und für sich genommen an den nachfolgenden Kriterien zu messen. Die Unternehmensgeheimniseigenschaft ging nicht bereits auf Grund der Offenkundigkeit ihrer Bestandteile verloren („Mosaiktheorie“).240 1. Kontrolle des Geheimnisinhabers Bei lebensnaher Betrachtung ist stets davon auszugehen, dass innerhalb eines Unternehmens eine Vielzahl von Personen mit einem Geheimnis in Berührung kommt.241 Lebensfern hingegen erscheint es, von der Kenntnis einer Information 236 Vertiefend statt vieler Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, Einl. A Rn. 9 und Kalbfus, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, Einl. A Rn. 174 ff. m. w. N. 237 Statt vieler Wawrzinek, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 97; Beyerbach, Unternehmensinformation, S. 103 ff.; Harte-Bavendamm, in: FS Köhler, S. 235, 238 f. 238 Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 130. 239 Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 44; Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 76 ff.; Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 134; a. A. Pfeiffer, in: FS Nirk, S. 861, 866; zum Begriff der Offenkundigkeit bei § 244 Abs. 3 2 StPO nur Schmitt, in: MeyerGoßner/Schmitt, StPO, § 244 Rn. 50 f. 240 Enders, GRUR 2012, 25, 27; Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 135; Ohly, in: Ohly/ Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 9; aktuell nur Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 98 f.; krit. Tuffner, Wirtschaftsgeheimnisse, S. 56. 241 Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 36 f.; Beyerbach, Unternehmensinformation, S. 94; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 84 f.; dieser Umstand kann mit dem Begriff eines relativen Geheimnisses umschrieben werden, vgl. statt vieler Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 131.
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durch nur eine einzige Person auszugehen.242 Vielmehr ist es im modernen Wirtschaftsleben mit seiner Vielzahl an Akteuren sogar unerlässlich, Personen innerhalb und außerhalb eines Unternehmens mit Unternehmensgeheimnissen vertraut zu machen – sei es beispielsweise im Kontakt mit Kunden oder Zulieferern.243 Als Faustformel zur Bestimmung der Offenkundigkeit wurde daher oftmals ein „eng begrenzter“ Personenkreis ins Spiel gebracht.244 Dies allein konnte jedoch auf Grund seiner unzureichenden Trennschärfe nicht zur Abgrenzung genügen und stellte letztlich eine Tatfrage dar.245 Eine exakte Formel, anhand derer sich bestimmen lässt, ab welcher Personenzahl von einer offenkundigen Tatsache ausgegangen werden durfte, konnte nicht ermittelt werden. Damit war auch nicht von Relevanz, ob die Anzahl der in Kenntnis gesetzten Personen größer war, als zur Wahrung des Geheimnisses von Nöten (sogenanntes need-to-know-Prinzip).246 Einem solchen Vorgehen konnten nämlich die gleichen Bedenken entgegengehalten werden, weil es sich letztlich nur um eine Konkretisierung des zuvor dargelegten Prinzips handelt. Da somit die Personenzahl der Mitwisser allein kein taugliches Kriterium zur Bestimmung der Offenkundigkeit bilden konnte247, musste ein anderer Anknüp242
RGSt 29, 426, 430 – Handelsbücher; RGSt 38, 108, 110 – Musterkollektion; RGSt 40, 406, 407 – Nadelfraismaschine; Beyerbach, Unternehmensinformation, S. 94; selbst das sagenumwobene Coca-Cola-Rezept soll zumindest zwei Personen zeitgleich bekannt sein – Dies würde man im Umkehrschluss zum relativen als absolutes Geheimnis bezeichnen, vgl. Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 131. 243 Steinmann/Schubmehl, CCZ 2017, 194, 194 f. 244 RGSt 38, 108, 110 – Musterkollektion; RGSt 40, 406, 407 – Nadelfraismaschine; BGH, Urt. v. 15. 03. 1955 – I ZR 111/53, GRUR 1955, 424, 425 – Möbelpaste; BGH, Urt. v. 07. 11. 2002 – I ZR 64/00, GRUR 2003, 356, 358 – Präzisionsmessgeräte; BGH, Urt. v. 23. 02. 2012 – I ZR 136/10, GRUR 2012, 1048 Rn. 31 – MOVICOL-Zulassungsantrag; BGH, Urt. v. 22. 03. 2018 – I ZR 118/16, GRUR 2018, 1161 Rn. 38 – Hohlfasermembranspinnanlage II; Otto, wistra 1988, 125, 126; Többens, NStZ 2000, 505, 506; ders., WRP 2005, 552, 556; Kiethe/Groeschke, WRP 2005, 1358, 1363; Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 185, 186; Grunewald, WRP 2007, 1307, 1308; Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 135; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 8; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 7a. 245 RGSt 38, 108, 110 – Musterkollektion; RGSt 42, 394, 396 – Musterbuch; BayObLG GRUR 1991, 694, 696 – Geldspielautomat und aktuell erneut zu Spielautomaten BGH, Beschl. v. 30. 08. 2016 – 4 StR 194/16, BeckRS 2016, 17444 Rn. 36; Többens, NStZ 2000, 505, 506; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 17 Rn. 4; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 8; Rahimi Azar, JuS 2017, 930, 932. 246 BGH, Urt. v. 23. 02. 2012 – I ZR 136/10, GRUR 2012, 1048 Rn. 31 – MOVICOL-Zulassungsantrag; statt vieler Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 22 und Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 10. 247 RGSt 40, 406, 407 – Nadelfraismaschine; RGSt 42, 394, 396 – Musterbuch; BayObLG GRUR 1991, 694, 696 – Geldspielautomat und aktuell erneut zu Spielautomaten BGH, Beschl. v. 30. 08. 2016 – 4 StR 194/16, BeckRS 2016, 17444 Rn. 36; Többens, NStZ 2000, 505, 506; ders., WRP 2005, 552, 556; Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 38; Wawrzinek, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 97; Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 53; Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 135; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 22; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 8; Köhler, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 7a.
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fungspunkt gewählt werden. Dadurch war es sogar denkbar, dass die Anzahl per se gänzlich unbeachtlich war, wenn sichergestellt war, dass aus dem Kreis der Mitwisser keine Informationen nach außen drangen. Mithin bot es sich also an, auf die Kontrolle des Geheimnisinhabers über diesen Kreis abzustellen.248 Eine solche Herangehensweise bot den Vorteil, dass die Arbeit innerhalb eines Unternehmens aber auch mit außenstehenden Dritten möglich war und gleichzeitig ein ausreichender Geheimnisschutz bestehen konnte. So ließ sich ein hinreichendes Maß an Rechtssicherheit gewährleisten, weil in der Regel feststellbar war, ob zwischen dem Kreis der Mitwisser und dem Geheimnisinhaber Einflussmöglichkeiten bestanden. Die rechtliche Grundlage konnte zum einen durch Auslegung eines Arbeitsvertrags ermittelt – §§ 133, 157 BGB oder auch § 242 BGB – oder aber durch gezielten Abschluss einer vertraglichen Verschwiegenheitsvereinbarung oder im Wege einer Weisung des Arbeitgebers sichergestellt werden.249 Denkbar war auch eine rein faktische Kontrollmöglichkeit, sofern diese eine ausreichende Intensität aufwies.250 Dabei durfte jedoch das bloße Bestehen von Geheimhaltungsmaßnahmen faktischer oder rechtlicher Art nicht mit dem Umstand der ausreichenden Kontrolle durch den Geheimnisinhaber gleichgesetzt werden. Eine rechtliche Vereinbarung führt lediglich dazu, dass ein Geheimnis nicht verraten werden darf, nicht aber dazu, dass es nicht verraten werden kann. Sofern trotz dieser Sicherungsmaßnahmen mit der Veröffentlichung zu rechnen war, bestand keine ausreichende Kontrolle. Bei der Frage, ob noch eine hinreichende Kontrolle über den Kreis der Mitwisser bestand, war daher von Relevanz, inwieweit eine Kette von Personen mit dem Unternehmensgeheimnis betraut war, so etwa bei Outsourcing-Maßnahmen. Umso länger diese Geheimniskette wurde, umso wahrscheinlicher erschien der Kontrollverlust des Geheimnisinhabers. Es war indes möglich, die Kontrolle über das Geheimnis aufrechtzuerhalten.251 Beim Verwenden (externer) Cloud-Services konnten sich 248 Többens, NStZ 2000, 505, 506; ders., WRP 2005, 552, 556; Mayer, GRUR 2011, 884, 886; Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 53; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 22; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 8; Rahimi Azar, JuS 2017, 930, 932; krit. wegen hoher Abstraktion Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 38. 249 BGH, Urt. v. 07. 11. 2002 – I ZR 64/00, GRUR 2003, 356, 358 – Präzisionsmessgeräte; BGH, Urt. v. 23. 02. 2012 – I ZR 136/10, GRUR 2012, 1048 Rn. 31 – MOVICOL-Zulassungsantrag; statt vieler Beater, Unlauterer Wettbewerb, Rn. 1880; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 8; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 7a; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 4 Rn. 61; zu den Grenzen zulässiger Verschwiegenheitsverpflichtungen bei § 17 UWG etwa Witz, in: FS Bornkamm, S. 513, 516, 523 f. 250 Satt vieler Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 10; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 7a; ähnlich Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 55 f. 251 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9. 2. 2007 – III-5 Ss 163/06, BeckRS 2007, 144681; Grunewald, WRP 2007, 1307, 1308 f.; vertiefend zum Outsourcing nur Ullrich, Geheimnishehlerei, S. 83 ff. m. w. N.
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ähnliche Konstellationen auftun.252 Dies ließ sich dadurch erklären, dass beim Auslagern von Informationen in solche Systeme stets weitere menschliche und technische Unwägbarkeiten hinzukommen. Mithin mussten weitere, die Offenkundigkeit potentiell herbeiführende Szenarien – wie etwa illoyale Mitarbeiter des externen Dienstleiters oder veraltete beziehungsweise lückenhafte Firewalls – mit einkalkuliert werden. Die Offenkundigkeit als solche war im Ergebnis trotz rechtlicher Prägung rein faktisch zu beurteilen, sodass letztlich das Risiko der Veröffentlichung maßgeblich war.253 Auch die Bekanntgabe im Einzelfall konnte für sich betrachtet noch nicht zwingend einen so weitgehenden Kontrollverlust des Geheimnisinhabers begründen, dass es gerechtfertigt gewesen wäre, die Geheimniseigenschaft nunmehr zu verneinen.254 Dies hätte zu dem widersinnigen Ergebnis geführt, dass zivilrechtlich lediglich nachträgliche Schadensersatzansprüche möglich erschienen wären. Ein Unterlassungsanspruch hingegen wäre ausgeschlossen gewesen, weil es kein zu schützendes Geheimnis mehr gegeben hätte.255 Mithin wäre eine solch restriktive Auslegung des Begriffs Geheimsein als verfehlt abzulehnen. 2. Erforderlicher Aufwand zur Aufdeckung Als weiteres Kriterium zur Beurteilung der Offenkundigkeit wurde auf den Aufwand zur Aufdeckung des Geheimnisses abgestellt. Darauf aufbauend bestand weitgehende Einigkeit, dass es gerechtfertigt war, von einer offenkundigen Tatsache zu sprechen, wenn ein Interessent diese ohne großen Aufwand aus allgemein zugänglichen Quellen in Erfahrung bringen konnte.256 In diesem Fall hing es letztlich nur noch vom zufallsabhängigen Element der Kenntnisnahme ab.257 252
Nur Müller, Cloud Computing, S. 260. Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 51, 54; Beyerbach, Unternehmensinformation, S. 95; Wiese erachtet es aber für praktikabler Verschwiegenheitsvereinbarungen als Gegenstand eines berechtigten Geheimhaltungsinteresses zu beurteilen, vgl. EU-Richtlinie, S. 25, 38 f. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Sie das Merkmal des subjektiven Geheihaltungswillen als unklar und redundant ablehnt. 254 Statt vieler Schafheutle, Wirtschaftsspionage, S. 81; Otto, wistra 1988, 125, 126; Többens, WRP 2005, 552, 556; Grunewald, WRP 2007, 1307, 1308; Mayer, GRUR 2011, 884, 886; Wiese, EU-Richtlinie, S. 26. 255 Nur Wiese, EU-Richtlinie, S. 26. 256 BGH, Urt. v. 27. 04. 2006 – I ZR 126/03, GRUR 2006, 1044, 1046 – Kundendatenprogramm; BayObLG GRUR 1991, 694, 695 – Geldspielautomat und aktuell zu Spielautomaten BGH, Beschl. v. 30. 08. 2016 – 4 StR 194/16, BeckRS 2016, 17444 Rn. 36; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 10; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 16; Richters/Wodtke hingegen stufen den Personenkreis und den Aufdeckungsaufwand (wohl) nicht als Aspekte zur Bestimmung der Offenkundigkeit ein, sondern messen beiden eine voneinander unabhängige Bedeutung als Tatbestandsmerkmale bei, vgl. NZA-RR 2003, 281, 281 f. 257 Statt vieler Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 94 und ähnlich Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 39. 253
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Welche Anforderungen jedoch an den erforderlichen Aufwand zur Aufdeckung zu stellen waren, konnte nicht losgelöst vom Einzelfall entschieden werden. Vielmehr ergaben sich für verschiedene Branchen und auch je nach Art des geschützten Geheimnisses unterschiedliche Maßstäbe.258 So war auf Grund des Wettbewerbsbezugs des Unternehmensgeheimnisses primär auf die Konkurrenz abzustellen, um den Kreis derer zu bestimmen, welcher für die Bestimmung des erforderlichen Aufwands heranzuziehen war.259 Es kam also auf den konkreten Personenkreis an, in denen das Geheimnis kursierte.260 Demnach war bereits dann von Offenkundigkeit auszugehen, wenn für Mitbewerber und interessierte sonstige Personen das Geheimnis ohne – für sie – großen Aufwand aufgedeckt werden konnte.261 So führte etwa die Veröffentlichung von Informationen in einer Fachzeitschrift zur allgemeinen Bekanntheit.262 Etwas anderes wiederum kann beim Feilbieten von (rechtswidrig erlangten) Geheimnissen auf einer Plattform im Darknet gelten, weil der Adressatenkreis solcher Angebote oft ein anderer, als die lauter handelnde Konkurrenz ist.263 Insgesamt durften aber keine allzu strengen Anforderungen an das Vorliegen eines Unternehmensgeheimnisses gestellt werden, weil ansonsten die Gefahr bestand, den Zweck des lauterkeitsrechtlichen Geheimnisschutzes zu unterlaufen und so etwaigen Wettbewerbsvorteilen nur unzureichenden gesetzlichen Schutz zukommen zu lassen.264 Beispielhaft kann auf Brandau/Gal hingewiesen werden, wonach selbst bei auf einer Messe ausgestellten Textilien, die sich anders als eine ausgestellte Ma258
Statt vieler nur Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 25 ff. BGH, Urt. v. 12. 02. 1980 – KZR 7/79, GRUR 1980, 750, 751 f. – Pankreaplex II; BAGE 41, 21, 30 Thrombosol; BGH, Urt. v. 13. 12. 2007 – I ZR 71/05, GRUR 2008, 727, 728 f. – Schweißmodulgenerator; satt vieler Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 134 und Grunewald, WRP 2007, 1307, 1308; in der historischen Entwicklung der Rechtsprechung ließ sich zu Anfang keine klare Linie erahnen, vgl. Reimann, GRUR 1998, 298, 299. So wurde zunächst auf jeden Interessierten abgestellt, wobei bereits in diesem Zusammenhang Bezug auf die fachkundigere Konkurrenz genommen wurde. Dies wurde zunächst beibehalten, indem zwar konkreter Bezug auf einen Fachmann bzw. fachkundigen oder sachkundigen Zeugen genommen wurde, aber gleichzeitig keine Abkehr von dem bisherigen Abstellen auf jeden Interessierten vorgenommen wurde. Diese Linie lässt sich so bis zur Entscheidung Stapelpresse in BGH, Urt. v. 22. 01. 1963 – Ia ZR 60/63, GRUR 1963, 311, 312 nachverfolgen; ähnlich, aber im Ergebnis offengelassen bei BGH, Urt. v. 13. 10. 1965 – Ib ZR 93/63, GRUR 1966, 152, 153 f. – Nitrolingual. 260 Ohly schloss jedoch nicht auf Grund der Auslegung des Unternehmensgeheimnisbegriffs auf dieses Ergebnis, sondern erst aus der Gesamtschau mit Art. 39 Abs. TRIPS-Übereinkommen, vgl. GRUR 2014, 1, 4. 261 Offengelassen bei BGH, Urt. v. 13. 10. 1965 – Ib ZR 93/63, GRUR 1966, 152, 153 f. – Nitrolingual; vertiefend im Schrifttum statt vieler Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 134 und Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 91 ff. 262 BGH, Urt. v. 16. 10. 1962 – KZR 11/61, GRUR 1963, 207, 210 – Kieselsäure; BGH, Urt. v. 23. 02. 2012 – I ZR 136/10, GRUR 2012, 1048 Rn. 21 – MOVICOL-Zulassungsantrag; zustimmend Wawrzinek, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 102 f. 263 Nur Müller, Cloud Computing, S. 260 f. 264 Dazu nur Reimann, GRUR 1998, 298, 300. 259
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schine bereits durch ihr Erscheinungsbild definieren lassen, etwa wegen der angewendeten Webetechnik oder der Garnstärke noch Raum für fehlende Offenkundigkeit bestehen konnte.265 Die Ausstellung auf einer Fachmesse war nämlich nicht mit der Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift vergleichbar, weil zwar interessiertes Publikum Zugang erhielt, aber das Unternehmensgeheimnis sich immer noch im Zugriffsbereich des Geheimnisinhabers befand und vertragliche Regelungen für die Auswahl der Besucher sowie der zulässigen Verhaltensweisen bestanden.266 Der Zugriff wurde also trotz der Möglichkeit zur faktischen Kenntnisnahme noch hinreichend rechtlich abgesichert. 3. Reverse Engineering im Bereich des Unternehmensgeheimnisses In diesem Zusammenhang bietet es sich an, erstmalig auf das Phänomen Reverse Engineering und dessen Behandlung in der nunmehr überkommenen Rechtslage einzugehen. Strenggenommen sind die nachfolgenden Erwägungen als Beispiel der zuvor dargestellten Beurteilungsgruppe zuzuordnen. Aufgrund des umfassenden Stands der Forschung und der im späteren Verlauf aufgezeigten Änderungen wird dieser Aspekt aber eigenständig behandelt. Reverse Engineering beschreibt den technischen Vorgang des Rückbaus einer Sache, um ihre Bauweise zu verstehen, diese nachzuahmen oder darauf aufbauend neue Entwicklungen vorzunehmen.267 Ganz allgemein kann dabei also von einer Analyse zur Entschlüsselung des Untersuchungsobjekts gesprochen werden.268 Die daran anschließende Verwertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse, sei es zur Nachahmung oder Weiterentwicklung von Produkten, fällt nicht mehr unter diesen Begriff, sondern kann als Forward Engineering bezeichnet werden.269 In tatsächlicher Hinsicht konnten sowohl Hardware, als auch Software den zu untersuchenden Gegenstand bilden, wobei diese regelmäßig zunächst einmal rechtsgeschäftlich erworben wurden.270 An dieser Stelle ist eine breite Palette an naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Vorgehensweisen denkbar.271 Im Hinblick auf die zugrundeliegenden Motivationslagen ließen sich dabei verschiedene Aspekte ermitteln, welche von einer Gefährdungsanalyse auf Grund von potentiellen Produktfehlern272 und wissenschaftlichen Interessen273 über die Entwicklung eigener Konkurrenzprodukte274 bis hin zu Sabotagemaßnahmen275 reichten. 265
Brandau/Gal, GRUR 2009, 118, 119 f. Brandau/Gal, GRUR 2009, 118, 120 f.; Letztgenannter Aspekt fungiert zu gleich als Beispiel für die Abgrenzung anhand der Kontrollmöglichkeiten durch den Geheimnisinhaber. 267 Nur Wiese, EU-Richtlinie, S. 30. 268 Statt vieler Kochmann, Reverse Engineering, S. 43 m. w. N. 269 Statt vieler Kochmann, Reverse Engineering, S. 44 m. w. N. 270 Statt vieler Kochmann, Reverse Engineering, S. 54. 271 Statt vieler Kochmann, Reverse Engineering, S. 54 ff. 272 Statt vieler Kochmann, Reverse Engineering, S. 45. 266
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Mit dem Fortschritt der Technik boten sich dabei immer neue Wege auf Grundlage der Dekonstruktion eines in den Verkehr gebrachten Produkts einem Unternehmensgeheimnis auf die Spur zu kommen. Folglich stellte sich berechtigterweise die Frage, ob die bloße Möglichkeit bereits zur Offenkundigkeit führen konnte. So war gerade bei konkurrierenden Unternehmen derselben Branche je nach Art des Geheimnisses kein allzu großer Aufwand zur Entschlüsselung nötig. Daher hatte sich auch die Rechtsprechung bereits zu unterschiedlichen Zeitpunkten mehrfach mit dem zuvor dargelegten Phänomen beschäftigen müssen. Dabei sind zum einen die Entscheidung Stiefeleisenpresse des Reichsgerichts aus dem Jahr 1935 und zum anderen die Entscheidung Rollenwechsler des OLG Düsseldorf aus dem Jahr 1999 hervorzuheben, deren wesentlicher Inhalt sich mit dem nachfolgend dargestellten Stand der Forschung deckt.276 Mit der bloßen Möglichkeit eines solchen Vorgehens alleine sollte jedoch noch nicht der Verlust des Geheimnischarakters begründet werden können.277 Vielmehr war erneut maßgeblich, wie sich der Aufwand zur Aufdeckung des Geheimnisses durch das Reverse Engineering im konkreten Einzelfall gestaltete, wobei auf die betreffenden Fachkreise abzustellen war.278 Dabei konnte zusätzlich dahingehend differenziert werden, ob der Aufwand der Aufdeckung durch das Reverse Engineering größer oder kleiner war als der Aufwand einer eigenen Entdeckung. Maßgeblich war hierbei nicht der Aufwand der ursprünglichen Entwicklung, sondern die Anstrengungen zur Aufdeckung.279 Zu berücksichtigen war auch der durch die Offenlegung des Geheimnisses erwachsende Vorteil.280 Daher war es denkbar, dass durch die Veröffentlichung eines Produkts am Markt durch die bloße Möglichkeit des Reverse Engineerings der Aufwand für die Aufdeckung durch Konkurrenten so 273
Statt vieler Kochmann, Reverse Engineering, S. 52 f. Statt vieler Kochmann, Reverse Engineering, S. 48 f. 275 Statt vieler Kochmann, Reverse Engineering, S. 51. 276 RGZ 149, 329 ff. – Stiefeleisenpresse; OLG Düsseldorf, Urt. v. 30. 07. 1998 – 2 U 162/97 – Rollenwechsler; vgl. vertiefend Kochmann, Reverse Engineering, S. 7 f., 8 ff. 277 RGZ 149, 329, 331, 334 – Stiefeleisenpresse; in diesem Sinne auch BayObLG GRUR 1991, 694, 695 – Geldspielautomat; im Schrifttum statt vieler Köhler, in: Köhler/Bornkamm/ Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 8a; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/ Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 12; Triebe, WRP 2018, 795, 801; krit. Kochmann, Reverse Engineering, S. 105 – 112. 278 BGH, Urt. v. 12. 02. 1980 – KZR 7/79, GRUR 1980, 750, 751 f. – Pankreaplex II; BAGE 41, 21, 30 Thrombosol; BGH, Urt. v. 13. 12. 2007 – I ZR 71/05, GRUR 2008, 727, 728 f. – Schweißmodulgenerator; Kochmann, Reverse Engineering, S. 106 f. m. w. N.; Mayer, GRUR 2011, 884, 886; Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, § 17 UWG Rn. 11; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/ Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 8a; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 10; Witz, in: FS Bornkamm, S. 513, 517 mit Hinweis auf das Abstellen auf einen Fachmann. 279 OLG Hamburg, Urt. v. 19. 10. 2000 – 3 U 191/98, GRUR-RR 2001, 137, 139; Wiese, EURichtlinie, S. 31; krit. zu einem wirtschaftlichen Maßstab Kochmann, Reverse Engineering, S. 109. 280 Wiese, EU-Richtlinie, S. 31; so wohl auch Mayer, GRUR 2011, 886; krit. zu einem wirtschaftlichen Maßstab Kochmann, Reverse Engineering, S. 109. 274
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gering war, dass von allgemeiner Bekanntheit ausgegangen werden konnte. Dem konnte jedoch entgegengewirkt werden, indem etwa Sicherungsmechanismen geschaffen wurden, die die Dekonstruktion zum Erkenntnisgewinn erschwerten oder nach dem Stand der Technik ausschließen konnten. Es war aber nie ausgeschlossen, dass sich technischer Fortschritt beim Reverse Engineering zu Lasten des Geheimnisinhabers auswirken konnte.281
II. Betriebsbezogenheit bei § 17 UWG Das Erfordernis dieses Merkmals ergab sich aus einer genaueren Betrachtung des Schutzguts des § 17 UWG. Es sollte nämlich nicht das Geheimnis als solches geschützt werden, sondern vielmehr die Beziehung des einzelnen Betriebs zum Geheimnis.282 Es konnte also ein an sich allgemein bekanntes Verfahren durchaus Bestandteil eines Geschäftsgeheimnisses sein, wenn zum Beispiel unbekannt war, dass das Unternehmen auf dieses Verfahren zurückgreift.283 Es bedurfte gerade eines Bezugs zum konkreten Betrieb.284 Dieser ging auch nicht dadurch verloren, dass ein Produkt, in welchem ein Unternehmensgeheimnis verkörpert war, in den Vertrieb kam.285 Genauso wenig konnte das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals verneint 281 Statt vieler Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 8a; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 10; Mayer, GRUR 2011, 884, 886; Kiethe/ Hohmann, NStZ 2006, 185, 187; Kiethe/Groeschke, WRP 2005, 1358, 1364; Witz, in: FS Bornkamm, S. 513, 518 f.; aktuell Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 102; Triebe, WRP 2018, 795, 801. 282 RGZ 149, 329, 332 f. – Stiefeleisenpresse; so soll es etwa am Betriebsbezug mangeln, wenn es sich um die Störanfälligkeit eines von einem Unternehmen vertriebenen Produktdreht, weil dies nur die Eigenschaften eines Produkts, nicht jedoch die Beziehung des Betriebs zum Produkt betrifft, vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 30. 10. 1981 – 2 U 43/81, GRUR 1982, 315, 316 – Gerätewartung; OLG Stuttgart, Urt. v. 02. 04. 1990 – 3 Ss 57/90, wistra 1990, 277, 278 f. – Kündigungsabsicht eines Arbeitnehmers; im Schrifttum etwa Többens, NStZ 2000, 505, 506; Ann, GRUR 2007, 39, 42; Mayer, GRUR 2011, 884, 885 283 RGZ 65, 333, 335 – Pomrilverfahren; RGZ 149, 329, 332 f. – Stiefeleisenpresse; BGH, Urt. v. 15. 03. 1955 – I ZR 111/53, GRUR 1955, 424, 425 – Möbelpaste; BGH, Urt. v. 01. 07. 1960 – I ZR 72/59, GRUR 1961, 40, 43 – Wurftaubenpresse; BGH, Urt. v. 16. 10. 1962 – KZR 11/61, GRUR 1963, 207, 210 – Kieselsäure; OLG Hamm WRP 1993, 36, 38 – Tierohrmarken; Kraßer, GRUR 1970, 587, 590; Pfeiffer, in: FS Nirk, S. 861, 868; Többens, NStZ 2000, 505, 506; Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 186; Mayer, GRUR 2011, 884, 885; Enders, GRUR 2012, 25, 27; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 6; Kalbfus hingegen argumentierte, dass die konkrete Verwertungsmöglichkeit eines Verfahrens die schützenswerte Tatsache darstellt und es sich daher eher um einen Aspekt der fehlenden Offenkundigkeit einer Tatsache dreht, vgl. Know-how-Schutz, Rn. 138; ähnlich wie Kalbfus auch Schafheutle, Wirtschaftsspionage, S. 82. 284 OLG Stuttgart, Urt. v. 30. 10. 1981 – 2 U 43/81, GRUR 1982, 315, 316 – Gerätewartung. 285 BayObLG GRUR 1991, 694, 695 – Geldspielautomat; Schafheutle, Wirtschaftsspionage, S. 82; Wawrzinek, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 95; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 6; kritisch Dorner, Know-how-Schutz, S. 129 ff., der jedenfalls ab diesem Zeitpunkt nur noch Raum für das Merkmal des Unternehmensbezugs sieht, wenn man dieses
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werden, wenn Daten und Informationen in eine externe Cloud hochgeladen oder erst mit Hilfe von Cloud-Services generiert wurden.286 Beim Versuch, das Merkmal der Betriebsbezogenheit zu definieren, wurden im Schrifttum verschiedene Ansätze verfolgt. Teilweise wurde eine positive Begriffsbestimmung an den Tag gelegt und auf die Zuordnung des Geheimnisses zu einem konkreten Unternehmen abgestellt.287 Genauso wurde auch eine negative Abgrenzung vorgenommen, wonach der Betriebsbezug dann fehlte, wenn es sich um ein Geheimnis privater, wissenschaftlicher, staatlicher oder nicht gewerblicher Art handelte, soweit die Betriebsinhaber nicht erwerbswirtschaftlich tätig waren.288 Daneben wurde auf die Verkehrsfähigkeit als eigenständig nutzbares, vermögenswertes Gut abgestellt.289 Solche Geheimnisse, die nur die Privatsphäre des Unternehmensinhabers oder von Arbeitnehmern betrafen, unterfielen damit nicht dem Unternehmensgeheimnis, obwohl sie im Unternehmen tätige Personen betrafen.290 Ebenso war es denkbar, dass es Informationen gab, die personengebundener und daher nicht isoliert kommunizierbarer oder übertragbarer Art sind.291 Diese Geheimnisse unterschieden sich dadurch von sonstigen Geheimnissen, dass sie eher einer konkreten Person zugeordnet waren, als einem Unternehmen. Daher konnten sie auch nicht in vergleichbarer Art verraten werden. Auf Grund dieser Besonderheiten war solches tacit knowledge auf Grund des mangelnden Betriebsbezugs aus dem Schutzbereich des Unternehmensgeheimnisses auszuklammern.292 Ferner enthält das UWG keine Legaldefinition für ein Unternehmen, sondern umschreibt in § 2 Abs. 1 Nr. 8 UWG lediglich den „Unternehmer“ als
Merkmal nicht in faktisch-räumlicher und sachenrechtlicher Hinsicht versteht, sondern in Form einer rechtlichen Fiktion. 286 Müller, Cloud Computing, S. 259. 287 Statt vieler Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 6; Rahimi Azar, JuS 2017, 930, 931. 288 So etwa Schafheutle, Wirtschaftsspionage, S. 82; Rupp, WRP 1985, 676; Enders, GRUR 2012, 25, 27; Beyerbach, Unternehmensinformation, S. 93; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 18; zustimmend Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 11. 289 Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 13. 290 OLG Stuttgart, Urt. v. 02. 04. 1990 – 3 Ss 57/90, wistra 1990, 277, 278 f. – Kündigungsabsicht eines Arbeitnehmers; Enders, GRUR 2012, 25, 27; Beyerbach, Unternehmensinformation, S. 93; Breitenbach, Steuer-CDs, S. 63; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 6; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 11; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/ Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 5; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 73 f. 291 Diese Art von Information hat regelmäßig im Laufe der Tätigkeit entwickelte Fähigkeiten oder gewonnenes Fachwissen zum Gegenstand und wird als tacit knowledge bezeichnet, vgl. nur Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 120 f. 292 Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 121; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 76 f.; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 14.
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„jede natürliche oder juristische Person, die geschäftliche Handlungen im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit vornimmt, und jede Person, die im Namen oder Auftrag einer solchen Person handelt“.293
Über den Umweg über diese Vorschrift wurde dann in der Literatur der Bogen zum Unternehmensbegriff gespannt, indem man die Einheit, in welcher die in § 2 Abs. 1 Nr. 8 UWG aufgezählten Tätigkeiten abgeleistet werden, als Unternehmen definiert.294 Vereinfacht gesagt kam es also auf eine auf Dauer angelegte Tätigkeit an, durch die durch Austausch von Waren und Dienstleistungen am Wirtschaftsleben teilgenommen wurde.295 Unter den Begriff wurden aber auch freiberuflich tätige Personen und erwerbswirtschaftliche Unternehmen der öffentlichen Hand subsumiert.296 Insgesamt wurde im Schrifttum zurecht kritisiert, dass dieses Merkmal nur schwer zu erfassen war.297 Mithin war stets eine Untersuchung des konkreten Einzelfalls angezeigt, mit der Folge, dass es in der Regel dahinstehen konnte, welchem Differenzierungsansatz man letztlich folgte.
III. Subjektiver Geheimhaltungswille bei § 17 UWG Im nächsten Schritt wurde zur Abgrenzung von einer bloß unbekannten Tatsache und einem Unternehmensgeheimnis der Geheimhaltungswillen des Geheimnisinhabers herangezogen.298 Sofern es sich beim Unternehmensinhaber um keine natürliche Person handelte, war auf das für die Geschäftsführung zuständige Organ abzustellen.299 293 Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 113; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/ Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 UWG Rn. 20; ähnlich Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 60. 294 Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 UWG Rn. 20; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 60 f.; teilweise wurde auch eine Begriffsbestimmung über den „Umweg“ des Kernstrafrechts vorgenommen, vgl. dazu nur Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 32 f.; zur Begriffsbestimmung in der Betriebswirtschaft nur Nienaber, Geschäftsgeheimnisse, Rn. 101. 295 Müller, Cloud Computing, S. 258 m. w. N. 296 Rupp, WRP 1985, 676; Wawrzinek, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 92; Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 113 f.; Mayer, GRUR 2011, 884, 885 297 So etwa Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 30; Kalbfus hat daher systematische Mindestanforderungen für den Betriebsbezug herausgearbeitet, vgl. Know-howSchutz, Rn. 115 ff., 122 f. 298 BGH, Urt. v. 10. 07. 1963 – Ib ZR 21/62, GRUR 1964, 31 – Petromax II; BGH, Urt. v. 26. 11. 1968 – X ZR 15/67, GRUR 1969, 341, 343 – Räumzange; BGHSt 41, 140, 142 – Angebotsunterlagen; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 152; Wiese, EU-Richtlinie, S. 36; Rahimi Azar, JuS 2017, 930, 932; Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 185, 187; krit. statt vieler Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 149. 299 Temming, in: FS Achenbach, S. 545, 553 ff.; Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 144; Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 109 f.; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Sa-
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
Dieses Merkmal stand in engem Zusammenhang zum berechtigten Geheimhaltungsinteresse und war bereits wiederholt Gegenstand der rechtswissenschaftlichen Diskussion. So wurde bei der Schaffung der ersten Strafvorschriften im UWG von 1896 der subjektive Geheimhaltungswille von einigen Stimmen in der Literatur und der Rechtsprechung für maßgeblich erachtet, während das objektiv zu bestimmende Geheimhaltungsinteresse unberücksichtigt bleiben sollte.300 Auf Grund der Gefahr der ausufernden Geheimhaltung durch willkürliche Entscheidungen von Geheimnisinhabern wurde das wirtschaftliche Geheimhaltungsinteresse als wertendes Korrektiv gefordert.301 Bis zur Neuregelung in Gestalt des GeschGehG war letztlich sogar eine Ansicht im Vordringen befindlich, die aus den genannten Gründen allein auf das Geheimhaltungsinteresse abstellen und den Geheimhaltungswillen für obsolet erklären wollte.302 Unabhängig von der vorangestellten Entwicklung des Meinungsstands musste dieser Wille nach der Rechtsprechung entweder ausdrücklich oder konkludent nach außen erkennbar sein, wobei an die Erkennbarkeit keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden durften.303 Sicherheitsvorkehrungen etwa entfalteten eine
liger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 13; Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, § 17 UWG Rn. 13; Janssen/ Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 31; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 152. 300 RG, Entsch. v. 17. 03. 1936 – II 223/35, GRUR 1936, 573, 575 – Albertus Stehfix; RG, Entsch. v. 11. 12. 1936 – II 177/36, GRUR 1937, 559, 561 – Rauchfaßkohlen; RG, Entsch. v. 02. 07. 1937 – II 23/37, GRUR 1938, 906, 907 f. – Faltenrohrmaschine; RG, Entsch. v. 17. 08. 1938 – II 36/38, GRUR 1939, 308, 311 – Filterstein; Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 143; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 151 f. 301 Statt vieler Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 151 m. w. N. 302 So bereits Rogall, NStZ 1983, 1, 6; Maume, WRP 2008, 1275, 1279 f.; Kalbfus zum Beispiel gelangt zu dem Schluss, dass man auf das Element des Geheimhaltungswillens im Rahmen des Geheimnisbegriffs verzichten sollte und auf Ebene der Rechtswidrigkeit in Gestalt einer tatsächlichen oder mutmaßlichen Einwilligung die Folgen des fehlenden Willens zur Geheimhaltung aufgreifen sollte, vgl. Know-how-Schutz, Rn. 156; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 11; Rahimi Azar, JuS 2017, 930, 932; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 151 f.; Brammsen spricht sich ebenfalls für eine objektive Begriffsbestimmung aus, vgl. Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 26 ff. m. w. N.; differenzierend Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 93 ff.; in der aktuelleren öffentlich-rechtlichen Rechtsprechung wurde auch nicht mehr auf das Merkmal des Geheimhaltungswillens abgestellt, vgl. BVerfGE 115, 205, 230 f.; 128, 1, 56; 137, 185, 255 f.; BVerwG, Urt. v. 28. 05. 2009 – 7 C 18/08, NVwZ 2009, 1113, 1114 – Ausfuhrerstattungen; BVerwG, Beschl. v. 19. 01. 2009 – 20 F 23/07, NVwZ 2009, 1114, 1116 – Kaffeearomastoffe. 303 BGH, Urt. v. 10. 07. 1963 – Ib ZR 21/62, GRUR 1964, 31 – Petromax II; BGH, Urt. v. 26. 11. 1968 – X ZR 15/67, GRUR 1969, 341, 343 – Räumzange; BGHSt 41, 140, 142 – Angebotsunterlagen; statt vieler Többens, NStZ 2000, 505, 506; ders., WRP 2005, 552, 556; Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, § 17 UWG Rn. 13; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 31 f.; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 18; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 10.
Kap. 4: Begriff des Geschäftsgeheimnisses
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Indizwirkung zu Gunsten des Geheimhaltungswillens.304 Es sollte jedoch auch genügen, wenn sich der Geheimhaltungswille „aus der Natur der geheimzuhaltenden Tatsache“305 ergab. Es bestand somit faktisch eine Vermutung für einen bestehenden Geheimhaltungswillen bei Betriebsinterna.306 Selbst bei fehlender Kenntnis des Geheimnisinhabers von einem neuen Unternehmensgeheimnis, etwa bei Neuentdeckungen durch Arbeitnehmer, wurde ein hypothetischer Geheimhaltungswille unterstellt.307 Dies galt sogar auch für den Fall, dass der Arbeitnehmer seine Entdeckung dem Betriebsinhaber bewusst vorenthalten wollte.308 Trotz dieser geringen Anforderungen durfte man aber dennoch nicht ohne Weiteres auf den Geheimhaltungswillen schließen.309 Vielmehr mussten die Grenzen des Bestimmtheitsgrundsatzes aus Art. 103 Abs. 2 GG stets gewahrt bleiben, wobei auch im Strafrecht Beweisvermutungen zulässig sein können.310 Umstritten war lediglich, ob der Geheimhaltungswille innerhalb der Organe juristischer Personen pflichtwidrig aufgegeben werden konnte, also letztlich der Unternehmensgeheimnischarakter durch 304 BayObLG, Urt. v. 28. 08. 1990 – RReg. 4 St 250/89, GRUR 1991, 694, 695 – Geldspielautomat; Ann, GRUR 2007, 39, 42; Kalbfus, Know-how-Schutz, S. 94 f., Rn. 145; Enders, GRUR 2012, 25, 28. 305 RGZ 149, 329, 333 – Stiefeleisenpresse; BGH, Urt. v. 10. 07. 1963 – Ib ZR 21/62, GRUR 1964, 31 – Petromax II; BGH, Urt. v. 18. 02. 1977 – I ZR 112/75, GRUR 1977, 539, 540 – Prozessrechner; BGHSt 41, 140, 142 – Angebotsunterlagen; BGH, Urt. v. 27. 04. 2006 – I ZR 126/03, GRUR 2006, 1044, 1046 – Kundendatenprogramm; BayObLG, Urt. v. 28. 08. 1990 – RReg. 4 St 250/89, GRUR 1991, 694, 695 – Geldspielautomat; Többens, NStZ 2000, 505, 506; Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 187; Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, § 17 UWG Rn. 13; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 18; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 10; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 26; krit. Grunewald, WRP 2007, 1307, 1309. 306 BGH, Urt. v. 10. 07. 1963 – Ib ZR 21/62, GRUR 1964, 31 – Petromax II; BGH, Urt. v. 18. 02. 1977 – I ZR 112/75, GRUR 1977, 539, 540 – Prozessrechner; Otto, wistra 1988, 125, 126 f.; Többens, NStZ 2000, 505, 506; Mayer, GRUR 2011, 884, 886 f.; Enders, GRUR 2012, 25, 28; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 17 Rn. 5; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 11; Wiese, EU-Richtlinie, S. 36; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 10; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 26. 307 BGH, Urt. v. 16. 11. 1954 – I ZR 180/53, GRUR 1955, 402, 403 – Anreißgerät; BGH, Urt. v. 18. 02. 1977 – I ZR 112/75, GRUR 1977, 539, 540 – Prozessrechner; BayObLG, Urt. v. 28. 08. 1990 – RReg. 4 St 250/89, GRUR 1991, 694, 695 – Geldspielautomat; Többens, WRP 2005, 552, 556; Mayer, GRUR 2011, 884, 886 f.; Wiese, EU-Richtlinie, S. 37; Köhler, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 10; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 26. 308 RGSt 32, 216, 218 – Ricinusöl; BGH, Urt. v. 16. 11. 1954 – I ZR 180/53, GRUR 1955, 402, 403 – Anreißgerät; BGH, Urt. v. 18. 02. 1977 – I ZR 112/75, GRUR 1977, 539, 540 – Prozessrechner; Kraßer, GRUR 1970, 587, 590; Többens, WRP 2005, 552, 556; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 18; Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, § 17 UWG Rn. 13; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 10. 309 Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 33; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 19. 310 Grunewald, WRP 2007, 1307, 1309 f. und statt vieler Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 261 Rn. 23.
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
eine pflichtwidrige Willensbildung entfallen konnte, wobei es letztlich vorzugswürdig war diese Möglichkeit zuzulassen, weil die tatsächliche Willensbildung maßgeblich war.311
IV. Wirtschaftliches Geheimhaltungsinteresse bei § 17 UWG Als vierte, zugleich letzte Voraussetzung musste auch ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse des Geheimnisinhabers bestehen, wobei dieses ein objektives Kriterium neben dem subjektiven Geheimhaltungswillen bildete. Es sollte dazu dienen, eine gewisse Willkürkontrolle im Tatbestand zu implementieren, sodass die Unternehmensgeheimniseigenschaft einer Tatsache nicht allein von einem subjektiven Willen und den zuvor genannten Aspekten abhängig war.312 Aus der Systematik des Gesetzes ergab sich, dass es sich um ein wirtschaftliches Interesse, welches die Wettbewerbsfähigkeit betraf, handeln musste.313 Ein solches Interesse war losgelöst vom wirtschaftlichen Wert des Unternehmensgeheimnisses zu betrachten und bereits bei Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit, also entweder durch Beeinträchtigung der eigenen Stellung oder Förderung der Konkurrenz, zu bejahen.314 Ein tatsächlich nachweisbarer konkreter Schadenseintritt war gerade nicht erforderlich.315 Auch konnte ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse dann noch angenommen werden, wenn die Informationen vernichtet werden sollte. Mithin führte dies nicht zwangsläufig dazu, dass der Geheimnisinhaber kein Interesse mehr daran hatte, Dritten die Kenntnis vom Inhalt des vernichteten Geheimnisses vorzuenthalten.316
311
Nur Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 13. BGH, Urt. v. 15. 03. 1955 – I ZR 111/53, GRUR 1955, 424, 425 – Möbelpaste; Többens, NStZ 2000, 505, 506; Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 185, 187; Mayer, GRUR 2011, 884, 887; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 17 Rn. 6; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 12; Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, § 17 UWG Rn. 14, 15; Rahimi Azar, JuS 2017, 930, 932; Schenkel, Whistleblowing, S. 90; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 110 f.; Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 110. 313 Statt vieler Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 9 und Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 22. 314 BGHSt 41, 140, 142 – Angebotsunterlagen; BGH, Urt. v. 27. 04. 2006 – I ZR 126/03, GRUR 2006, 1044, 1046 – Kundendatenprogramm; Többens, WRP 2005, 552, 556; ders., NStZ 2000, 505, 506; Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 185, 188; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/ Saliger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 9, 14; Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, § 17 UWG Rn. 14; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 12; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 20; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 9; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 150; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 108 ff.; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 22 315 BGHSt 41, 140, 143 – Angebotsunterlagen; Rahimi Azar, JuS 2017, 930, 932. 316 Satt vieler Schenkel, Whistleblowing, S. 91 m. w. N. 312
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1. Wirtschaftliches Geheimhaltungsinteresse an illegalen Geheimnissen Heftig umstritten war, ob durch das Merkmal des berechtigten Interesses bestimmte Arten von Geheimnissen bereits von vornherein dem strafrechtlichen Schutz des § 17 UWG entzogen und der Geheimnisschutz so bereits auf Ebene des Tatbestands eingeschränkt werden sollte. Dabei drehte es sich vor allem um sogenannte illegale Geheimnisse, also solche Geheimnisse, die rechtswidrige oder strafbare Praktiken zum Inhalt haben.317 Die dazu vertretenen Auffassungen ließen sich grob in zwei Lager einteilen. Zum einen gab es Stimmen, die den strafrechtlichen Schutz bereits auf Tatbestandsebene versagen wollten. Zum anderen wurde gefordert, diesem Umstand erst auf Ebene der Rechtswidrigkeit Rechnung zu tragen. Die innerhalb der jeweiligen Auffassungen vertretenen Argumentationsmuster führten wiederum zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Stimmen in der Rechtswissenschaft, die sich gegen den Schutz von illegalen Geheimnissen bereits auf der Ebene des Tatbestands aussprechen, lassen sich unter dem Oberbegriff der Tatbestandslösung zusammenfassen. Sie können wohl im Kern auf die Milchpanschereientscheidung des Reichsarbeitsgerichts aus dem Jahr 1930 zurückgeführt werden.318 Das Gericht führte damals missverständlich sowie ohne nähere Begründung aus, dass die gegenständlichen Milchfälschungen gar kein Geschäftsgeheimnis sein könnten und deren Mitteilung an die zuständigen Behörden jedenfalls nicht unbefugt im Sinne des § 17 UWG erfolgte. Die Gegenauffassung in der Literatur knüpft ebenfalls an diese Entscheidung an, wonach der Schutz illegaler Geheimnisse einen Widerspruch innerhalb der Rechtsordnung begründen würde. Insoweit wird versucht, dies anhand verschiedener Argumente zu widerlegen. Daneben finden sich auch eigenständige, von alledem losgelöste Argumentationssätze. Im nächsten Schritt sollen die vorgetragenen Argumente dargestellt werden, die im Rahmen der Erörterung des neuen Geschäftsgeheimnisbegriffs noch einmal aufzugreifen sein werden, um daran anknüpfend eine eigene Stellungnahme zu unterbreiten. Dabei ist voranzustellen, dass sich die Rechtfertigungslösung im Hinblick auf die überkommene Rechtslage als vorzugswürdig erwies. a) Auslegung anhand des Wortlauts Zu Beginn sind Stimmen in der Literatur zu erwähnen, welche betonen, dass im allgemeinen Sprachgebrauch Geheimnisse oftmals Vorgänge von zweifelhafter 317 Nicht das Geheimnis als solches ist illegal, vielmehr betrifft die Information rechtswidrige oder strafbare Praktiken. Mithin handelt es sich um einen irreführenden Begriff, vgl. etwa Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 344 f.; Breitenbach, Steuer-CDs, S. 67; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 103. 318 RArbG, Urt. v. 27. 08. 1930, RAG 156/30, JW 1931, 490, 491 – Milchpanschereien; so jedenfalls Schenkel, Whistleblowing, S. 92; Heine, in: FS Roxin II, S. 1087, 1093 hält diese Herleitung hingegen für verfehlt.
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
Natur zum Gegenstand haben und dies bereits ein Indiz für den Schutz illegaler Unternehmensgeheimnisse liefern könnte.319 Dies soll nach der gegenteiligen Auffassung aber nicht allein in Anbetracht des Wortlauts von § 17 Abs. 1 UWG, insbesondere den Worten Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, überzeugen können. Vielmehr gab es gerade keine Anhaltspunkte, die Raum für rechtliche, das Geheimnis betreffende Wertungsmöglichkeiten, andeuten.320 b) Systematische Argumente Erst unter Zuhilfenahme systematischer Erwägungen nahm die Diskussion um den Schutz illegaler Unternehmensgeheimnisse richtig Fahrt auf. Dabei werden jedoch regelmäßig zugleich auch damit verknüpfte teleologische Argumente mit in die Waagschale geworfen, sodass eine trennscharfe Abgrenzung systematischer und teleologischer Erwägungen stellenweise kaum möglich ist. aa) Binnensystematik des UWG So wurde innerhalb des UWG zur Begründung des tatbestandsmäßigen Schutzes illegaler Geheimnisse mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG argumentiert, weil anerkannt sei, dass auch jemand, der illegale Praktiken an den Tag legt Unterlassung Dritter bei rechtswidrigem Vorgehen verlangen kann.321 bb) Systematische Erwägungen im strafrechtlichen Kontext (1) Verrat von Staatsgeheimnissen, §§ 97a, 93 StGB Einen zentralen Anknüpfungspunkt der Diskussion stellten zunächst die Strafvorschriften der §§ 97a, 93 StGB dar, die den Begriff des illegalen Staatsgeheimnisses definieren sowie dessen Mitteilung sanktionieren. Regelmäßig wurde argumentiert, dass speziell in § 93 Abs. 2 StGB der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck komme, illegale Geheimnisse bereits auf Ebene des Tatbestands geheimnisschützender Straftatbestände auszuklammern.322 Abweichend wurde teilweise auch vorgetragen, dass die §§ 93 ff. StGB zwar den Schutz anderer Rechtsgüter als § 17 UWG bezwecken, in der Regelung aber dennoch der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck kommen soll, grundsätzlich jede Art von Geheimnis zu schützen und explizite Ausnahmen zu normieren, also unter be319 Edwards, Whistleblowing, S. 86; Breitenbach, Steuer-CDs, S. 73; Schenkel, Whistleblowing, S. 96. 320 Schnabel, CR 2016, 342, 345. 321 Breitenbach, Steuer-CDs, S. 76, 78. 322 Schafheutle, Wirtschaftsspionage, S. 88; Rützel, GRUR 1995, 557, 558.
Kap. 4: Begriff des Geschäftsgeheimnisses
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stimmten Umständen illegalen Vorgängen Verschwiegenheit zukommen zulassen.323 Daran anknüpfend räumten selbst Befürworter der Tatbestandslösung ein, dass § 93 Abs. 2 StGB nur einen geringen Ausschnitt aller denkbaren illegalen Geheimnisse erfasst und alle übrigen Geheimnisse geschützt bleiben.324 Die hier zum Ausdruck kommenden Wertungen seien richtigerweise nur bedingt auf die sonstige Rechtsordnung übertragbar, weil es sich bei den §§ 97a, 93 StGB um einen „rechtspolitischen Kompromiss“ handele.325 Diese Vorschriften sind das Ergebnis eines Abwägungsvorgangs. Sie könnten daher keine grundsätzlichen Widersprüche begründen.326 Diese Argumente galten entsprechend auch für den von Engländer/Zimmermann zusätzlich ins Spiel gebrachten § 139 Abs. 2 StGB.327 (2) Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 StGB Im Bereich des § 203 StGB hingegen wurde von den Vertretern der Tatbestandslösung auf umgekehrte Weise argumentiert. So ist bei § 203 StGB der Schutz illegaler Geheimnisse überwiegend anerkannt.328 Dieser Umstand sei jedoch auf den abweichenden Schutzzweck der Vorschriften zurückzuführen. Diese Norm schützt nämlich Individualinteressen an der Geheimhaltung und zusätzlich auch das Allgemeininteresse an der Verschwiegenheit der erfassten Berufsgruppen.329 Diese ist jedoch losgelöst von der Illegalität der geschilderten Umstände zur Wahrung existenzieller Anliegen erforderlich.330 Denn die genannten Berufsgruppen kommen – wenn auch nicht immer gezielt, so doch beiläufig – regelmäßig mit rechtswidrigen
323 RArbG, Urt. v. 27. 08. 1930, RAG 156/30, JW 1931, 490, 491 – Milchpanschereien; Rützel, GRUR 1995, 557, 558; Edwards, Whistleblowing, S. 86 f.; Schenkel, Whistleblowing, S. 99. 324 Rützel, GRUR 1995, 557, 558; Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 109; Edwards, Whistleblowing, S. 86 f.; Breitenbach, Steuer-CDs, S. 74 f. m. w. N.; Schenkel, Whistleblowing, S. 99. 325 Rützel, GRUR 1995, 557, 558; Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 332; Redder, Whistleblowing, S. 127; vertiefend nur Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, § 93 Rn. 25. 326 Rützel, GRUR 1995, 557, 558; Breitenbach, Steuer-CDs, S. 76; Redder, Whistleblowing, S. 127. 327 Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 332. 328 So etwa Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 109; a. A. Schenkel, Whistleblowing, S. 97 und Breitenbach, Steuer-CDs, S. 74 welche an dieser Stelle darauf hinweisen, dass auch im Hinblick auf § 203 StGB durchaus umstritten ist, ob dort illegale Geheimnisse auf Ebene des Tatbestands geschützt werden. 329 OLG Köln, Beschl. v. 30. 11. 1982 – 3 Zs 126/82, NStZ 1983, 412, 413; Schafheutle, Wirtschaftsspionage, S. 87; Tuffner, Wirtschaftsgeheimnisse, S. 60; Rützel, GRUR 1995, 557, 558; Wawrzinek, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 126 f.; Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 333; Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1110; Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 203 Rn. 7; a. A. statt vieler Jäschke, ZStW 131 (2019), 36, 44 ff. m. w. N. 330 Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1110.
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Praktiken in Berührung.331 Auch das Bestehen der §§ 53, 54 StPO liefere, entgegen manchen Stimmen in der Literatur, welche mit dem ausreichenden Schutz auf Grund dieser Vorschriften argumentieren, an dieser Stelle kein überzeugendes Argument332, weil sich der von diesen Vorschriften erfasste Personenkreis nicht komplett mit dem des § 203 StGB deckt.333 In Hinblick darauf wurde von Vertretern der Rechtfertigungslösung vorgetragen, dass auf Grund des ähnlich klingenden Wortlauts ein mit § 17 UWG gleichlaufender Geheimnisschutz erfolgen müsse.334 Es könne nicht richtig sein, wenn ein (Compliance-)Anwalt nicht zusätzlich auch strafrechtlich an der Offenbarung seiner Kenntnisse gehindert sei.335 Dies sei aber nur dann gewährleistet, wenn auch illegale Geheimnisse tatbestandsmäßig erfasst sind. (3) Der sogenannte Diebes-Dieb Genauso wurde in diesem Zusammenhang ein Vergleich mit dem Diebes-Dieb bemüht, um so zum Ausdruck zu bringen, dass auch rechtswidrig erlangte Positionen des strafrechtlichen Schutzes bedürfen. Dagegen wurde wiederum eingewandt, dieser Verweis vermöge nicht zu überzeugen, weil § 242 StGB neben dem Eigentum auch den Gewahrsam schütze und die erneute Eigentumsverletzung des wahren Eigentümers sich nicht auf § 17 Abs. 1 UWG übertragen lasse.336 Davon abweichend wurde in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass beim Diebes-Diebstahl gar nicht erneut das Schutzgut Eigentum beeinträchtigt, sondern lediglich der Gewahrsam des ersten Diebes gebrochen werde. Dieser sei zwar auf illegale Weise erlangt worden, verdiene aber zur Vermeidung strafrechtsfreier Räume des strafrechtlichen Schutzes.337 Auch Erb erachtet diesen Vergleich als unbefriedigend. Zwar wird der Besitz338 des Diebes grundsätzlich geschützt, dies gelte aber nicht, soweit der berechtigte Eigentümer die
331 Wawrzinek, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 126 f.; Breitenbach, Steuer-CDs, S. 75; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 105. 332 Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1108; daran anknüpfend Brockhaus, ZIS 2020, 102, 105. 333 Breitenbach, Steuer-CDs, S. 75; auch Jäschke argumentiert mit der unterschiedlichen Schutzrichtung der Vorschriften, vgl. ZStW 131 (2019), 36, 56 f. 334 Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 109; Breitenbach, Steuer-CDs, S. 74 f. m. w. N.; i. d. S. auch Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 117. 335 Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013, 1020; Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 333. 336 Statt vieler Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 331; Schenkel, Whistleblowing, S. 97; Heine, in: FS Roxin II, S. 1087, 1093; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 106. 337 Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1106; Rahimi Azar, JuS 2017, 930, 933 338 Gemeint ist wohl der Gewahrsam, wobei sich hierdurch vorliegend keine Unterschiede ergeben.
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Sache wieder an sich bringt.339 In diesen Konstellationen bleibe nur Raum für Straftatbestände, die die Art der Rückführung sanktionieren.340 In diesem Zusammenhang fanden sich in der Literatur der Verweis auf den wirtschaftlichen Vermögensbegriff der Rechtsprechung.341 Dieser lasse sich indes auf Grund der in Rede stehenden Schutzgüter nicht auf das Unternehmensgeheimnis übertragen.342 Demnach können daraus ebenso wenig Rückschlüsse auf die Schutzbedürftigkeit illegaler Geheimnisse gezogen werden. Überdies wurde argumentiert, dass bei konsequenter Anwendung der Tatbestandslösung bereits kein Unternehmensgeheimnis vorliegt, sodass ein Vergleich mit § 242 StGB auch aus diesem Grund hinke.343 So würde Rechtsbrechern bei der Anerkennung des tatbestandsmäßigen Schutzes rechtswidriger Geheimnisse die Möglichkeit eingeräumt, durch den Gesetzesverstoß überhaupt erst ein zu schützendes Geheimnis zu schaffen.344 (4) Anzeigerecht des Arbeitnehmers In der Literatur wurde auch mit dem Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer argumentiert und vorgetragen, dass der Gesetzgeber Privaten im Bereich der Strafverfolgung nur in engen Grenzen Befugnisse eingeräumt hat. § 127 StPO stellt eine der zentralen Normen in diesem Bereich dar und ist traditionell auf der Ebene der Rechtswidrigkeit verortet. In der Regel fällt der Geheimnisverrat durch Mitarbeiter eines Unternehmens aber nicht in dessen Anwendungsbereich.345 Mithin soll eine etwaige Kontrollmöglichkeit des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber nicht zu einer Modifikation des strafrechtlichen Schutzes auf Tatbestandsebene führen. Erb lehnt ein Anknüpfen am Arbeitsverhältnis daher gänzlich ab, weil letztlich nicht die Frage nach der Schutzwürdigkeit illegaler Geheimnisse betroffen, sondern gesondert davon zu betrachten sein soll.346 Ähnlich argumentierte auch Föbus, wenn er darauf hinwies, dass die strafrechtliche Verantwortung nach § 17 UWG nicht allein von der Arbeitnehmereigenschaft abhängt, sondern vielmehr auch gezielt Außenstehende in den Kreis tauglicher Täter miteinbezogen wurden.347 Die vorstehenden Argumente wurden ergänzt durch den Einwand, dass der Arbeitnehmer nicht zum Sittenrichter des Arbeitgebers berufen sei und folglich nicht 339
S. 98. 340
Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1106; diesem zustimmend Schenkel, Whistleblowing,
Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1106. In diesem Sinne wohl Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 110. 342 Rützel, GRUR 1995, 557, 559. 343 Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 107; Breitenbach, Steuer-CDs, S. 77; ähnlich auch Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 348. 344 Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 107. 345 Statt vieler Breitenbach, Steuer-CDs, S. 71. 346 Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1108. 347 Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 104. 341
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als solcher fungieren solle.348 Andernfalls wäre der Arbeitgeber willkürlichen Launen, die sich unter die besonderen subjektiven Merkmale des § 17 UWG subsumieren ließen, auf Grund der fehlenden Tatbestandsmäßigkeit schutzlos ausgeliefert. Einem solchen Ergebnis könne nur durch die demnach konsequente Lösung auf Rechtfertigungsebene zuvorgekommen werden.349 Dem hielt Rützel den Einwand entgegen, dass diese Auffassung sich auf ein veraltetes, „paternalistische[s] Grundverständnis“ stütze. Auf Grund der oftmals fehlenden Kompensationsfähigkeit etwaiger Folgen der Offenlegung werde durch den Arbeitnehmer eine generelle Abschreckung bezweckt.350 Die Aufgabe des Strafrechts sei es auch eine verhaltenssteuernde Wirkung zu entfalten. Dabei müsse der einzelne Arbeitnehmer, so wie jeder andere Bürger, stets über die Strafbarkeit seines Handelns nachdenken. Dies schließe auf Grund der eigenen Beteiligung eben zwingend Verhaltensweisen des Arbeitsgebers mit ein.351 In eine ähnliche Richtung argumentierend ergänzten Engländer/Zimmermann, dass es nicht überzeugen könne, der Arbeitnehmereigenschaft Auswirkungen auf die Möglichkeit und den Umfang des Anzeigerechts aus § 158 Abs. 1 StPO zukommen zu lassen.352 Brockhaus argumentierte an dieser Stelle mit einem etwas anders gelagerten Verweis ins Arbeitsrecht. Seiner Ansicht zu Folge kann der tatbestandsmäßige Schutz illegaler Geheimnisse mit einem Verweis auf die Loyalitätspflichten des Arbeitsnehmers aus § 241 Abs. 2 BGB und die ultima ratio-Funktion des Strafrechts verneint werden. Wenn es dem Arbeitnehmer bereits zivilrechtlich erlaubt ist, illegale Vorgänge anzuzeigen, so scheide auch die Strafbarkeit wegen desselben Verhaltens aus.353 (5) Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 StGB Neben diesem Vergleich mit anderen Straftatbeständen wurde an dieser Stelle auch der Versuch unternommen, illegale Geheimnisse durch eine kohärentere Verwendung des Begriffs des berechtigten Interesses bereits auf Ebene des Tatbestands auszuklammern.354 So wurde argumentiert, dass auch bei § 193 StGB rechtswidrige und sittenwidrigen Interessen außer Acht bleiben würden.355 348
Otto, wistra 1988, 125, 126; Többens, NStZ 2000, 505, 506; v. Pelchrzim, CCZ 2009, 25, 27; Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 109; Rahimi Azar, JuS 2017, 930, 933. 349 Koch, ZIS 2008, 500, 503; Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 109 f.; Rahimi Azar, JuS 2017, 930, 933; Schenkel, Whistleblowing, S. 96. 350 Rützel, GRUR 1995, 557, 560. 351 Rützel, GRUR 1995, 557, 561. 352 Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 331; der Rechtsprechung des BVerfG lässt sich diesbzgl. entnehmen, dass eine gutgläubig vorgetragene Strafanzeige nicht zur zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Haftung des Anzeigenerstatters führen darf, vgl. BVErfGE 74, 257, 260. 353 Brockhaus, ZIS 2020, 102, 106. 354 Brockhaus, ZIS 2020, 102, 104.
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Doch auch gegen dieses Argument ließen sich letztlich wieder die gleichen Einwände erheben. So erscheint ein einheitliches Begriffsverständnis weder zwingend noch liegen den Vorschriften hinreichend vergleichbare Wertungen zu Grunde. cc) Systematische Erwägungen abseits des Strafrechts (1) Gedanken zum gewerblichen Rechtsschutz Teilweise wurde § 2 Abs. 1 PatG als Argument gegen den Schutz illegaler Geheimnisse herangezogen.356 Da es sich beim Patentrecht um ein stärkeres Schutzregime als beim Schutz des Unternehmensgeheimnisses handelt, müsse die Einschränkung im Wege eines erst-Recht-Schluss auf den Schutz des Unternehmensgeheimnisses übertragen werden.357 Diese Wertungen des Patentrechts, wonach nur besonders gewichtige Rechtsverstöße einer Anerkennung im Weg stehen358, ließen sich aber nach an verschiedenen Stellen vorgetragener Ansicht nicht auf den Unternehmensgeheimnisschutz übertragen. Sie beziehen sich lediglich auf die Voraussetzung der Erteilung eines Patents. Außerdem liegen grundlegend verschiedene Schutzregime zugrunde.359 Mithin bleibt auch die Verwertung in Form der konkreten Umsetzung eines solchen Patents weiterhin verboten.360 Den Wertungen dieser Vorschrift liegt – ähnlich wie bei §§ 203, 93, 97a StGB – das Ergebnis einer gemeinwohlorientierten Interessenabwägung zugrunde. Damit soll die Übertragung etwaiger Ergebnisse, welche für den Schutz illegaler Geheimnisse sprechen könnten, keine überzeugende systematische Erwägung darstellen, weil § 2 Abs. 1 PatG abweichende Wertungen zu Grunde liegen.361 (2) Gedanken zum Verwaltungsrecht Dem bisherigen Argumentationsschema folgend ergab sich nach Rützels Auffassung aus der Analyse der Systematik der Vorschriften des Verwaltungsrechts, dass der überwiegende Teil auch illegale Geheimnisse erfasse, wie etwa die § 30 Abs. 4 355 Brockhaus, ZIS 2020, 102, 104; allgemein Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, § 193 Rn. 9. 356 § 2 Abs. 1 PatG lautet wie folgt: „Für Erfindungen, deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde, werden keine Patente erteilt; ein solcher Verstoß kann nicht allein aus der Tatsache hergeleitet werden, dass die Verwertung durch Gesetz oder Verwaltungsvorschrift verboten ist.“ 357 Wawrzinek, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 126; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 118 m. w. N.; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 105. 358 Mellulis, in: Benkard, § 2 PatG Rn. 36 m. w. N. und Mes, PatG, § 2 Rn. 7 f. 359 Breitenbach, Steuer-CDs, S. 76 f.; Schenkel, Whistleblowing, S. 98 f. 360 Rützel, GRUR 1995, 557, 560; daran anknüpfend Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 102. 361 Breitenbach, Steuer-CDs, S. 77.
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Nr. 1, 4, 5, Abs. 5 AO, § 139b GewO, § 30 VwVfG und § 46 Abs. 9 GWB a. F.362 Dieser Umstand soll sich jedoch ähnlich wie bei § 203 StGB, der als Vorbild für die Vorschriften fungiert haben soll, auf die damit verbundenen Allgemeinwohlerwägungen stützen.363 Aus der Gesamtbetrachtung der verwaltungsrechtlichen Geheimnisschutznormen wurde geschlussfolgert, dass diese zum Wohle der Funktionsfähigkeit der Verwaltung illegale Geheimnisse erfassen.364 Da § 203 StGB als Vorbild für die aufgezählten Vorschriften gedient hat, lassen sich an dieser Stelle die gleichen Argumente vortragen. Im Hinblick auf die Tatbestandslösung soll auch Brockhaus’ Verweis auf das Informationsfreiheitsrecht und dessen § 6 IFG erwähnt werden.365 Ebenso sollten vor dem Hintergrund des Dieselskandals die §§ 3, 9 UIG nicht aus den Augen verloren werden. In der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung ist nämlich anerkannt, dass illegale Geheimnisse nicht oder nur äußerst eingeschränkt zum Ausschluss des Informationsanspruchs herangezogen werden können.366 c) Teleologische Auslegung Einen weiteren Diskussionsschwerpunkt bildeten teleologische Argumente, welche vor allem am teils unterschiedlich bewerteten Schutzgut der §§ 17 – 19 UWG anknüpften. Der Lösungsansatz von Beater sah eine Differenzierung nach den unterschiedlichen rechtswidrigen Praktiken vor. Ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse war danach zu verneinen, wenn ein Rechtsverstoß zugleich einen Verstoß gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften darstellte.367 So konnten etwa Kartellabsprachen mangels Tatbestandsmäßigkeit ohne strafrechtliche Sanktionierung preisgegeben werden. Beater zog zur Begründung die Vorschriften § 1 UWG sowie § 3a UWG heran und maß Rechtsverstöße auf Grund des Schutzzwecks des UWG zunächst an
362 Rützel, GRUR 1995, 557, 559 m. w. N.; So soll der Begriff der Betriebs- und Geschäftsverhältnisse in § 139b GewO mit dem Begriff des Unternehmensgeheimnisses deckungsgleich sein, vgl. Taeger, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, S. 78. 363 Rützel, GRUR 1995, 557, 559; a. A. Taeger, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, S. 78 f. 364 Rützel, GRUR 1995, 557, 560. 365 Brockhaus, ZIS 2020, 102, 107 m. w. N. 366 Aktuell VG Schleswig, Urt. v. 25. 04. 2019 – 6 A 222/16, BeckRS 2019, 15456, Rn. 71 ff. mit Verweis auf VG Frankfurt a. M., Urt. v. 12. 03. 2008 – 7 E 5426, BeckRS 2008, 37834 und BVerwG, Beschl. v. 19. 01. 2009 – 20 F 23/07, Rn. 13; VG Stuttgart, Urt. v. 29. 10. 2020 – 14 K 2981/19, BeckRS 2020, 35538 Rn. 44. 367 Beater, Unlauterer Wettbewerb, Rn. 1883 f.; teilweise zustimmend Schnabel, CR 2016, 342, 346; mithin kann Beaters Vorgehen auch im Bereich systematischer Lösungsansätze verortet werden.
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diesen Vorschriften.368 Andere Rechtsverstöße hingegen sind an dieser Stelle dann folgerichtig unbeachtlich. Seine Differenzierung nach Art der Norm, gegen welche verstoßen wurde, konnte sich nicht durchsetzen. Wettbewerbsvorteile für ein Unternehmen können sich nicht nur aus Verstößen gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften ergeben, sondern zum Beispiel auch durch das Nichtabführen von Steuern oder die Manipulation von Abgasmessungen.369 Mithin können illegale Geheimnisse unabhängig vom zugrunde liegenden Rechtsverstoß für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens von Bedeutung sein, welche zugleich auch als geschütztes Individualrechtsgut eingestuft wird.370 Gerade das Bekanntwerden illegaler Aktivitäten zieht in der Regel weitreichende, die Wettbewerbsposition massiv beeinträchtigende Konsequenzen nach sich und kann regelmäßig weit über die Wiederherstellung wettbewerblicher Ausgeglichenheit hinausreichende negative wirtschaftliche Konsequenzen für das betroffene Unternehmen mit sich bringen.371 Zum einen ist dabei behördliches Einschreiten zu bedenken, zum anderen aus dem Bereich der Konkurrenz herrührende Folgen.372 So ist etwa ein Abfluss von Aufträgen sowie ein Verlust von Kunden wahrscheinlich. Gleichzeitig können aber auch Wettbewerber selbst Erkenntnisse aus der Offenlegung gewinnen und so beispielsweise sogar Strategien entwickeln, um eigene Verstöße besser zu verheimlichen.373 Theoretisch könnte quasi ein Markt
368 § 1 UWG lautet wie folgt: „Dieses Gesetz dient dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen. Es schützt zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb.“ § 3a UWG lautet wiederum wie folgt: „Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.“. 369 Rützel, GRUR 1995, 557, 560; Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105 109; Engländer/ Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 332; Breitenbach, Steuer-CDs, S. 70; Wiese, EU-Richtlinie, S. 35; Schenkel, Whistleblowing, S. 100 370 Többens, NStZ 2000, 505, 506; Koch ZIS 2008 500, 503; Ignor/Jahn, JuS 2010, 390, 391; Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 109; Mayer, GRUR 2011, 884, 887; Ohly, in: Ohly/ Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 12; Breitenbach, Steuer-CDs, S. 75; Rahimi Azar, JuS 2017, 930, 933; Schenkel, Whistleblowing, S. 95; Erb stellt diesen Schaden als zwingend hinzunehmen dar, indem er zwei plakative Fälle eines Waffenhändlers oder eines Kunsthändlers, der bereitwillig auch als Hehler auftritt, nennt. Diese Argumentation wird konsequent zu Ende geführt, in dem klargestellt wird, dass eine Differenzierung zwischen verschiedenen kriminellen Verhaltensweisen abzulehnen ist, weil ansonsten die Gefahr besteht, dass einzelne Verhaltensweisen in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen eine vermeintliche Legitimation erfahren würden, vgl. FS Roxin II, 1103, 1111 f.; unklar Richters/Wodtke, NZA-RR 2003, 281, 282; a. A. wohl Beyerbach, Unternehmensinformation, S. 101. 371 Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 109; Breitenbach, Steuer-CDs, S. 82 f.; Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 117; Schenkel, Whistleblowing, S. 101. 372 Bürkle, DB 2004, 2158, 2159; Schenkel, Whistleblowing, S. 101. 373 Breitenbach, Steuer-CDs, S. 82 f.; Schenkel, Whistleblowing, S. 101.
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für illegale Geheimnisse mit daraus folgenden weiteren Beeinträchtigungen des Wettbewerbs entstehen.374 Von anderen Stimmen in der Literatur, speziell Engländer/Zimmermann, wurde argumentiert, dass die Ausgestaltung als relatives Antragsdelikt durch § 17 Abs. 5 UWG mit dem Schutz von Allgemeininteressen nicht zu vereinbaren sei.375 Demzufolge sollte es sich bei § 17 Abs. 1 UWG nur um ein dem Individualschutz dienendes Delikt handeln, wobei der Schutz von Vermögensinteressen des Unternehmens das eigentlich geschützte Individualrechtsgut darstelle.376 Dafür wurde zusätzlich die Möglichkeit des Verkaufs im Zivilrecht nach §§ 453, 433 BGB angeführt.377 Außerdem wurde von Engländer/Zimmermann auf den verfassungsrechtlichen Schutz des Unternehmensgeheimnisses durch Art. 14 GG abgestellt. Daraus schlossen sie, dass es sich bei § 17 Abs. 1 UWG um ein Vermögensdelikt wie § 263 StGB handelte und beim Verkauf oder der Preisgabe von illegalen Geheimnissen damit auch keine unterschiedlichen Ergebnisse zu Tage treten konnten. Vor dem Hintergrund des juristisch-ökonomischen Vermögensbegriffs, welcher sich gerade in der Literatur einer großen Beliebtheit erfreut, durften illegale Geheimnisse folglich bereits auf Ebene des objektiven Tatbestands keinen Schutz erfahren.378 Ähnlich argumentierte Erb, wonach der Schutz illegaler Geheimnisse letztlich auf die Anerkennung der Ganovenuntreue hinauslaufen würde. Diese dürfe ebenfalls keinen Schutz erfahren.379 Der Gegenauffassung folgend erschien es allerdings wenig überzeugend, § 17 UWG als reines Vermögensdelikt einzuordnen, um illegalen Geheimnissen unter Bevorzugung des juristisch-ökonomischen Vermögensbegriffs den Schutz zu verwehren. Es hat sich vielmehr durchgesetzt, neben dem geschützten Individualinteresse auch den Schutz des lauteren Wettbewerbs als Allgemeininteresse anzuerkennen.380 Dies konnte auch nicht durch die Ausgestaltung als relatives Antrags-
374
Breitenbach, Steuer-CDs, S. 83 m. w. N. Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 332; ähnlich im Hinblick auf § 203 StGB Jäschke, ZStW 131 (2019), 36, 47; krit. zur Ausgestaltung als relatives Antragsdelikt Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 240 f.; a. A. Breitenbach, Steuer-CDs, S. 58. 376 Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 332; ähnlich im Hinblick auf § 203 StGB Jäschke, ZStW 131 (2019), 36, 47; a. A. Breitenbach, Steuer-CDs, S. 58, welche daraus lediglich abliest, dass das Individualrechtsgut das primäre Schutzgut des § 17 UWG darstellt, nicht jedoch eine Beschränkung auf dieses bezweckt ist. Mithin werde durch die Ausgestaltung als relatives Antragsdelikt deutlich, dass auch Allgemeininteressen geschützt werden, weil ansonsten ein absolutes Antragsdelikt vorzugswürdig gewesen sei. 377 Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 333; umstritten ist allerdings die Ausgestaltung der Rechtsübertragung, wobei oftmals auf §§ 398, 413 BGB abgestellt wird, vgl. nur Kiefer, WRP 2018, 910, 915 m. w. N. 378 Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 333 m. w. N.; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 106. 379 Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1110; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 105. 380 So etwa Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 117. 375
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delikt widerlegt werden.381 Zudem hat sich in der Rechtsprechung ein primär wirtschaftlicher Vermögensbegriff durchgesetzt, sodass dieser Ansatz zusätzlich noch diese Hürde nehmen muss, bevor er sich in der Praxis hätte durchsetzen können.382 Daneben wurde vorgetragen, dass durch die §§ 17 – 19 UWG nicht ein konkreter Umstand geschützt wurde, sondern vielmehr das Wissen des Unternehmens um einen konkreten Umstand. Durch diese Art der Differenzierung wurde verdeutlicht, dass rechtswidrige Vorgänge als solche keinen Schutz durch die Rechtsordnung erfahren sollen. Das Wissen um diese Vorgänge war hingegen gesondert zu betrachten und hat regelmäßig nicht gegen rechtliche Verbote verstoßen, sodass die Verweigerung des Schutzes auf einer unzureichenden Differenzierung beruht.383 Zum Teil wurde auch mit dem bewusst fragmentarischen Charakter des Strafrechts sowie dessen ultima ratio-Funktion argumentiert.384 Erst durch die Schaffung eines Straftatbestands wird die Verletzung eines Rechtsguts in strafrechtlich relevanter Weise ermöglicht. Für den Bereich illegaler Unternehmensgeheimnisse wird in der Literatur ein solches Bedürfnis gar nicht erst angenommen, weil sie entweder nicht wirtschaftlich zu verwerten seien oder aber bestimmte besonders schwerwiegende Verhaltensweisen, wie etwa eine Erpressung oder Ähnliches, bereits durch andere Strafvorschriften erfasst werden.385 Zudem wurde argumentiert, dass bei der Offenlegung von illegalen Geheimnissen nur die von der Rechtsordnung gewollten Folgen herbeigeführt werden.386 Auch die damit einhergehenden Folgen, wie etwa der Reputationsverlust, wären von der Rechtsordnung gebilligt, weil dagegen gerade kein Schutzregime geschaffen wurde.387 Etwas anderes soll nach teilweiser vertretener Auffassung dann gelten, wenn die Offenlegung nicht gegenüber den Strafverfolgungsbehörden, sondern gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit oder der Konkurrenz erfolgt. In diesen Fällen sei die Strafverfolgung nur ein Nebeneffekt und die Schäden für die betroffenen Unternehmen würden in ein unverhältnismäßiges Maß ansteigen.388 Dann 381
Breitenbach, Steuer-CDs, S. 58; Schenkel, Whistleblowing, S. 102 f. BGHSt 1, 262, 264; 3, 99, 102; 16, 220, 221; 16, 321, 325; 26, 346, 347; 34, 199, 203; Schenkel betont in diesem Zusammenhang, dass auch jüngere Entscheidungen zum strafrechtlichen Schutz von Betäubungsmitteln keine Neubewertung erforderlich machen, vgl. Whistleblowing, S. 103 mit Verweis auf BGH, Beschl. v. 01. 06. 2016 – 2 StR 335/15, NStZ 2016, 596, 598 und BGH, Beschl. v. 10. 11. 2016 – 4 ARs 17/16, NStZ-RR 2017, 44, 45. 383 So (wohl) Heine, in: FS Roxin II, S. 1087, 1093 f.; Ignor/Jahn, JuS 2010, 390, 391; Kalbfus, Know-how-Schutz, Rn. 127. 384 Rützel, GRUR 1995, 557, 561 mit Verweis auf BVerfGE 39, 1, 47; so auch Engländer/ Zimmermann, NZWiSt 2012 328, 333 m. w. N. 385 Rützel, GRUR 1995, 561; aktuell ähnlich Brockhaus, ZIS 2020, 102, 107 f. 386 Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1106; ähnlich bereits Tuffner, Wirtschaftsgeheimnisse, S. 59. 387 Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1106; Schnabel bringt als mögliche Grenze das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ins Spiel, vgl. CR 2016, 342, 347. 388 Taeger, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, S. 77; Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1107. 382
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könne von einem unbefugten Handeln im Sinne des § 17 UWG die Rede sein.389 Engländer/Zimmermann wendeten hiergegen ein, dass bei der womöglich willkürlichen Auswahl einer Behörde oder eines Pressemediums durch arbeitsrechtliche Sanktionsmöglichkeiten, die nach Rechtsprechung des BAG und des EGMR bestehen, ein ausreichender Schutz des Unternehmens vor der Veröffentlichung in der Presse gewährleistet werde, weil in diesem Fall umfassende zivilrechtliche Ersatzansprüche bestehen können. Daher sollten auch kriminalpolitische Erwägungen nicht gegen das von ihnen bevorzugte Modell sprechen.390 Mithin wurde von den Vertretern der Rechtfertigungslösung – obgleich in unterschiedlicher Ausgestaltung – gefordert, die strafrechtlichen Folgen der Offenlegung illegaler Geheimnisse auf dieser Ebene im Einzelfall kritisch zu beleuchten. Das Meinungsspektrum reicht dabei von der Anwendung des § 158 StPO als Rechtfertigungsgrund391 neben einer (analogen) Anwendung des § 193 StGB392 bis hin zur Interessenabwägung im Rahmen des § 34 StGB. Für letztgenannte Vorschrift wurde dabei regelmäßig positiv hervorgehoben, dass sie zu interessengerechteren Ergebnissen führe, weil auf diese Weise eine ausreichende Differenzierung hinsichtlich der Art der Veröffentlichung gewährleistet werde.393 In diesem Zusammenhang wurden auch von Befürwortern der Rechtfertigungslösung über § 34 StGB unterschiedliche Ansätze ins Rennen geschickt. So sprach sich etwa Koch dafür aus, zwischen präventivem und bloß repressivem Handeln zu differenzieren, wobei nur ersteres einer Rechtfertigung zugänglich sein soll.394 Kritische Stimmen wiederum verwiesen an dieser Stelle auf den Preis der höheren Flexibilität im Einzelfall in Gestalt der erhöhten Rechtsunsicherheit für den einzelnen Geheimnisverletzer.395 An dieser Stelle wurden ferner rein tatsächliche Erwägungen miteinbezogen. Zu bedenken ist, dass ein Unternehmensgeheimnis aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzt sein konnte, wobei aber nur teilweise rechtswidrige Praktiken gegenständlich waren. So war etwa eine Manipulationssoftware – wie sie beispielsweise im sogenannten Dieselskandal zum Einsatz gekommen ist – als solche nicht zwingend ein illegales Geheimnis, sondern konnte durchaus rechtlichen Schutz verdienen.396 Erst der konkrete Einsatz begründete die Rechtswidrigkeit.397 Wird aber die Abgasmanipulation offengelegt, wird – zumindest teilweise – auch die 389
Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1107. Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 333 m. w. N. 391 Satzger, in: FS Achenbach, S. 447 ff.; ablehnend Schenkel, Whistleblowing, S. 175 f. m. w. N. 392 Tuffner, Wirtschaftsgeheimnisse, S. 61; Schenkel, Whistleblowing, S. 178 ff. m. w. N. 393 Statt vieler Wiese, EU-Richtlinie, S. 35; Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 117. 394 Koch, ZIS 2008, 500, 503. 395 Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 330 f. 396 So etwa Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 82. 397 Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 82. 390
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Software, jedenfalls aber deren Einsatz preisgegeben. In solchen Fällen wurde im Schrifttum geschlussfolgert, dass man bei der Entscheidung für die Tatbestandslösung entweder die Unternehmensgeheimniseigenschaft zur Gänze bejahen oder aber verneinen müsste.398 Damit wären auf Grund der mangelnden Differenzierung regelmäßig auch schützenswerte Geheimnisse jeglichen Schutzes beraubt worden.399 Interessengerecht könne nach alledem nur im Wege einer Interessenabwägung im Einzelfall vorgegangen werden.400 Doch auch dieser Einwand konnte aus sich selbst heraus widerlegt werden, weil dies auch bei Ausklammerung illegaler Geheimnisse berücksichtigt werden kann. Es wurde nämlich nicht ersichtlich, weshalb im Hinblick auf die Offenlegung des schutzfähigen Geheimnisses nicht differenziert und so die Bedeutung des Rechtsverstoßes ebenfalls berücksichtigt werden konnte. Ein letzter Einwand gegen die sogenannte Tatbestandslösung konnte ebenfalls anhand praktischer Erwägungen erfolgen. Ein Verdächtiger hätte sich unschwer darauf berufen können, dass er von rechtswidrigen Vorgängen ausgegangen sei und mithin gar keinen Vorsatz zur Preisgabe eines vom Tatbestand erfassten Unternehmensgeheimnis gehabt hätte. Dies hätte wiederum zu erheblichen Beweisschwierigkeiten geführt.401 Auch hätte es sich in der beschriebenen Konstellation nur um einen Irrtum nach § 16 Abs. 1 StGB gehandelt, weil die handelnde Person über ein Tatbestandsmerkmal geirrt hätte. Für die strengen Anforderungen des § 17 StGB wäre mithin kein Raum mehr gewesen. d) Verfassungskonforme Auslegung Zieht man nun auch die Wertungen des Grundgesetzes heran, so gilt es einleitend einige knappe Feststellungen zum verfassungsrechtlichen Schutz von Unternehmensgeheimnissen voranzustellen. Der grundrechtliche Schutz kann unabhängig von der dogmatischen Einordnung gemeinhin als Konsens eingestuft werden. Ob es dabei primär auf den Schutz durch Art. 12 GG oder Art. 14 GG ankommt, stellt wiederum eine umstrittene Frage dar, die an dieser Stelle auf Grund des umfassenden Stands der Forschung nicht erneut diskutiert werden soll.402 Mithin soll es genügen, an dieser Stelle festzuhalten, dass eine genaue Einordnung schwer möglich ist und die Rechtsprechung sich bisher auch nicht abschließend mit dieser Frage beschäftigt hat403, weil der Schutz von Geschäftsgeheimnissen vielerlei Aspekte umfasst. 398 Dazu etwa v. Pelchrzim, CCZ 2009, 25, 27; Breitenbach, Steuer-CDs, S. 84 f.; Wiese, EU-Richtlinie, S. 35. 399 v. Pelchrzim, CCZ 2009, 25, 27; Breitenbach, Steuer-CDs, S. 84 f. 400 Breitenbach, Steuer-CDs, S. 85. 401 Statt vieler Tsambikakis, Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 15. 402 Redder, Whistleblowing, S. 123 ff. 403 So steht in der entsprechenden Rechtsprechung des BVerfG der Schutz durch Art. 12 Abs. 1 GG im Vordergrund, während der Schutz durch Art. 14 GG weitgehend offengelassen
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Gleichzeitig wird sich zeigen, dass die genaue Einordnung zur Beantwortung der übergeordneten Fragestellung keinen Beitrag zu leisten vermag. So waren die Befürworter der Tatbestandslösung zugleich oftmals der Auffassung, dass Unternehmensgeheimnisse im Schutzbereich des Art. 14 GG zu verorten gewesen seien. Daher sei es vor dem Hintergrund der Normgeprägtheit der Eigentumsfreiheit nur konsequent, illegalen Geheimnissen von vornherein den Schutz zu verwehren.404 Auch die Gegenauffassung ließ sich anhand verfassungsrechtlicher Wertungen untermauern. So sollte der Schutz des Unternehmensgeheimnisses nämlich auf der Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG fußen, deren Schutz jedoch nicht dadurch verloren geht, dass einzelne Bestandteile der Berufsausübung nicht rechtmäßig erfolgen.405 Würde man die einfachgesetzliche Illegalität ausreichen lassen, um den Schutz durch die Berufsfreiheit zu verwehren, würde das einfache Recht zur Einengung verfassungsrechtlich geschützter Rechtspositionen führen. Dies wiederum ist auf Grund des bestehenden Rangunterschieds zwischen Grundgesetz und einfachem Recht strikt abzulehnen.406 Vielmehr bestimmt sich die Reichweite des sachlichen Schutzbereichs nach den Regelungen, die einen Wettbewerb erst ermöglichen und diesen auch gleichzeitig wieder begrenzen. Durch Art. 12 GG soll die Teilhabe am Wettbewerb innerhalb seiner Funktionsbestimmung gewährleistet werden. Außerdem ist die Wettbewerbsposition als solche konsequenterweise ebenfalls nicht von der Rechtmäßigkeit des Unternehmensgeheimnisses abhängig.407 Fragen der Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit seien demzufolge auch auf Ebene der Rechtswidrigkeit und einer etwaigen Rechtfertigung zu lösen.408 Zudem begründet Art. 12 Abs. 1 GG auch gegenseitige Rücksichtsnahmepflichten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, welche an dieser Stelle ebenfalls von Relevanz sein können.409 Doch auch bei Abstellen auf den Schutz durch Art. 14 GG ließ sich dieses Ergebnis begründen, weil keine Norm ersichtlich war, welche illegale Geheimnisse zwingend dem Schutzbereich entzog.410 Mithin wurde ausgeführt, dass die Geheimheit der Information, nicht aber der Vorgang der illegalen Aktivität geschützt wird, vgl. etwa BVerfGE 115, 205, 229 ff., 248; 137, 185, 244, 261. Das BVerwG wiederum stellt parallel auf beide Grundrechte ab, vgl. etwa BVerwGE 125, 40, 43. 404 Taeger, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, S. 76 ff.; Wawrzinek, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 127; Breitenbach, Steuer-CDs, S. 73. 405 Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 15; Wiese, EURichtlinie, S. 35; Schenkel, Whistleblowing, S. 95. 406 BVerfGE 7, 377 397; 115, 276, 300 f.; Redder, Whistleblowing, S. 119, 126. 407 Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 15. 408 Mayer, GRUR 2011, 884, 887; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 37; a. A. Schnabel, CR 2016, 342, 345 f. 409 Redder, Whistleblowing, S. 119. 410 Breitenbach, Steuer-CDs, S. 73.
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wurde.411 Außerdem sollen die beiden Wirtschaftsgrundrechte den Grundrechtsträger vor wirtschaftlichen Schäden schützen, sodass eine abweichende Auslegung – welche den Schutz illegaler Geheimnisse pauschal außer Acht lassen würde – ohne das Hinzutreten weiterer normativer Umstände unwahrscheinlich erscheint.412 2. Zwischenresümee zum Stand der Forschung im Bereich illegaler Geheimnisse Unterzieht man den bisherigen, summarisch dargestellten Stand der Forschung, einer kritischen Würdigung, so wird deutlich, dass auf Ebene der reinen Wortlautauslegung keine Entscheidung für einen der Lösungsansätze möglich ist. Das teilweise vorgetragene Argument für die Rechtfertigungslösung, wonach Geheimnisse regelmäßig auch Fragwürdiges zum Inhalt haben, ist nur von äußerst geringem Gewicht, weil es sich dabei höchstens um eine vage Vermutung handelt, welcher sich jedoch nur schwer durch Gegenbeispiele entkräften lässt.413 Im Rahmen der systematischen Erwägungen bedarf es einer differenzierteren Stellungnahme. So lässt sich sicherlich guten Gewissens der Standpunkt einnehmen, dass der Vergleich zwischen den verschiedenen geheimnisschützenden Rechtsnormen strafrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Art auf Grund der divergierenden Schutzgüter wenig sachgerecht ist. Dieser Umstand wurde schon in der Literatur regelmäßig zutreffend hervorgehoben. Es kann an dieser Stelle daher festgehalten werden, dass der Schutz illegaler Geheimnisse punktuell anerkannt ist und somit keinen generellen Widerspruch zur Rechtsordnung begründet. Dies ist jeweils dem Umstand geschuldet, dass mit dem Schutz dieser Geheimnisse stets auch der Schutz eines überwiegenden Gemeinwohlinteresses verbunden ist. Im Bereich des Staatsschutzrechts wird zudem letztlich keine vollständige Haftungsfreistellung bewirkt, sondern nur ein abweichender Unrechtsvorwurf begründet.414 Genauso ist den Vertretern der Tatbestandslösung zuzustimmen, wenn diese einwenden, dass die Strafbarkeit des Diebes-Dieb kein verwertbares Argument darstellt. Es kann dabei dahinstehen, ob nun der Eigentümer selbst erneut in seiner Eigentumsposition verletzt wird oder aber auf den Bruch des Gewahrsams beim Dieb abzustellen ist. Auch die Versuche mit der Stellung des Arbeitnehmers zu einer Lösung zu gelangen können nicht überzeugen. Es wird nämlich nicht ersichtlich, inwieweit ein Zusammenhang mit der Schutzfähigkeit eines illegalen Geheimnisses besteht. Ein 411
So (wohl) auch Heine, FS Roxin II, 1087, 1093 f.; Ignor/Jahn, JuS 2010, 390, 391; Kalbfus, Know-how-Schutz, S. 80, Rn. 127. 412 Ähnlich Redder, Whistleblowing, S. 126. 413 An dieser Stelle können nämlich nur fiktive oder aber historische Beispiele ins Rennen geschickt werden, weil andernfalls regelmäßig bereits Offenkundigkeit eingetreten wäre. 414 Vertiefend Paeffgen, Illegale Staatsgeheimnisse, S. 26 f.
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Arbeitnehmer ist zwar regelmäßig an möglichen Rechtsverstößen „näher dran“, damit erschöpfen sich die Besonderheiten dieser Konstellationen aber auch schon. In Bezug auf Brockhaus kann insoweit zugestimmt werden, dass in diesen Fällen in aller Regel ein einheitliches Ergebnis wünschenswert ist. Allerdings lässt sich die Haftungsfreistellung und damit das gleiche Resultat auch mit Hilfe von Rechtfertigungsgründen erreichen. Überdies wurde in der Literatur erfolgreich aufgezeigt, weshalb Beaters differenzierender Ansatz nicht zu überzeugen vermag. Dies gilt ebenso für den Ansatz von Engländer/Zimmermann. Tatsächlich belastbar und somit ausschlaggebend für die Einordnung sind jene Argumente, die für eine Interessenabwägung im Einzelfall sprechen.415 So wird auf diese Weise ein gestuftes Vorgehen nach dem Vorbild der Rechtsprechung des EGMR – auf die im weiteren Verlauf noch einzugehen sein wird416 – ermöglicht und zum anderen bei den regelmäßig auftretenden Fällen sogenannter Mischgeheimnisse, also solchen Geheimnissen, bei denen illegale Geheimnisse und legale Geheimnisse im Verbund aufgedeckt werden können, ausreichend Flexibilität für eine interessengerechte Lösung begründet. Der Einwand der mangelnden Rechtssicherheit für einen möglichen Täter, lässt sich dadurch bei Seite schieben, dass die handelnden Personen bei Einhalten der Stufenfolge (wohl) kaum jemals in einem Bestrafungsrisiko ausgesetzt sein dürften. Da sich dieses Ergebnis – jedoch wie aufgezeigt – sowohl nach der Tatbestands- als auch der Rechtfertigungslösung gewährleisten lässt, ist eine Entscheidung nur in solchen Fällen von Nöten, in denen lediglich ein illegales Geheimnis ohne damit im Zusammenhang stehende schutzwürdige Geheimnisse offenbart wird. In einem solchen Fall sprechen die (recht) schwachen Anforderungen an einen Irrtum nach § 16 Abs. 1 StGB sowie der Umstand, dass bei bloßen Bagatellen eine Offenlegung unverhältnismäßig sein kann, gegen die Tatbestandslösung.
C. Begriff des Geschäftsgeheimnisses im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG I. Einleitung Anders als im Rahmen des strafrechtlichen Unternehmensgeheimnisschutzes nach dem UWG wurde im Rahmen der Neuregelung mit § 2 Nr. 1 GeschGehG eine
415 Ein Blick über den Tellerrand zum Beispiel in die Schweiz zeigt, dass auch dort eine Interessenabwägung als das probate Mittel zur Wahrung von arbeitsrechtlichen Loyalitätspflichten bei der Preisgabe illegaler Vorgänge erachtet wird, vgl. dazu nur Forst, EuZA 2013, 37, 53 m. w. N. 416 Siehe dazu Kapitel 9 A. II. 1.
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(Legal-)Definition des Geschäftsgeheimnisses eingeführt. Abweichend von der Definition aus Art. 2 Nr. 1 Geschäftsgeheimnis-RL417 ist danach ein „Geschäftsgeheimnis eine Information, die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Information umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist und“ (§ 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG) „die Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist und“ (§ 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG) „bei der ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht“ (§ 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG).
Trotz des durch die Gesetzgebungstechnik zunächst anderweitigen Eindrucks weist die Legaldefinition aus § 2 Nr. 1 GeschGehG – genauso wie bereits die Definition des Unternehmensgeheimnisses – vier Merkmale auf.418 Die Vorschrift aus § 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG umfasst nämlich die Tatbestandsmerkmale aus Art. 2 Nr. 1 lit. a und b Geschäftsgeheimnis-RL. Dies führt jedoch nicht dazu, dass der wirtschaftliche Wert eines Geheimnisses auf Grund seiner Geheimheit seine eigenständige Bedeutung für den Geschäftsgeheimnisbegriff verliert.419 Bei Auslegung des § 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG ergibt sich daher, dass dieser Buchstabe mehrere Anforderungen umfasst. So darf es sich (1) um keine Information handeln, „die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Information umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und“, § 2 Nr. 1 lit. a HS. 1 GeschGehG, mithin muss also eine nicht offenkundige Information vorliegen. Daraus muss ein wirtschaftlicher Wert dieser Information resultieren („daher“) (2), § 2 Nr. 1 lit. a HS. 2 GeschGehG. Die Definitionsmerkmale aus § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG, also grob vereinfacht das Vorliegen von „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen“ (3), und § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG, also „ein be417
In Art. 2 Nr. 1 Geschäftsgeheimnis-RL wird der Begriff wie folgt definiert: „,Geschäftsgeheimnis‘ [sind] Informationen, die alle nachstehenden Kriterien erfüllen: a) Sie sind in dem Sinne geheim, dass sie weder in ihrer Gesamtheit noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne weiteres zugänglich sind; b) sie sind von kommerziellem Wert, weil sie geheim sind; c) sie sind Gegenstand von den Umständen entsprechenden angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch die Person, die die rechtmäßige Kontrolle über die Informationen besitzt“. 418 A. A. Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 118, der ohne Unterschied von den folgenden fünf Tatbestandsmerkmalen ausgeht: „das Vorliegen einer Information“, „deren „Geheimheit“ oder auch „Nichtoffenkundigkeit“ i. S. d. § 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG, „deren auf der ,Geheimheit‘ beruhender wirtschaftlicher Wert“, „das Vorliegen angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen seitens des (unter § 2 Nr. 2 GeschGehG gesondert definierten) Geheimnisinhabers“ sowie „das berechtigte Geheimhaltungsinteresse in Bezug auf die Information.“; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 21; so auch Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 2 Rn. 20. 419 So auch Ohly, GRUR 2019, 441, 442.
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rechtigtes Interesse an der Geheimhaltung“, (4) hingegen unterstreichen ihre Eigenständigkeit klarer.
II. Auslegung der Legaldefinition aus § 2 Nr. 1 GeschGehG 1. Auslegung des § 2 Nr. 1 lit. a HS. 1 GeschGehG – Vorliegen einer nicht offenkundigen Information a) Information aa) Informationsarten Erster Bestandteil der neuen Legaldefinition ist das Merkmal Information.420 Begrifflich lässt dieses Merkmal ein weite Auslegung zu.421 Die Bandbreite an Auslegungsmöglichkeiten lässt es zu, jegliche Art von Information zu erfassen422, also auch bloße (Roh-)Daten oder auch syntaktische Informationen, die ihrerseits Bestandteile einer Information darstellen können.423 Genauso könnten allein semantische Informationen, also solche, die auch eine Bedeutungsebene besitzen, erfasst sein.424 Deutlich ist aber, dass das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmal von einer etwaigen Verkörperung unabhängig ist.425 Damit kann das Wort Information allein aber nicht zur Ergebnisfindung beitragen. Es kann aber zwischen der Information im Ganzen und einzelnen Bestandteilen der Information differenziert werden. Das Merkmal aus § 2 Nr. 1 lit. a HS. 1 GeschGehG enthält nämlich seinerseits mehrere Alternativen, welche alle eigenständige, zumindest abstrakt dem Schutz des GeschGehG unterstehende Arten von Informationen darstellen (können). Als erste Gruppe wird in § 2 Nr. 1 lit. a 420 Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass Harte-Bavendamm die Verwendung des Singulars kritisiert, vgl. Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 14. Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden, vielmehr wird durch die Norm hinreichend konkret aufgezeigt, dass sowohl einzelne Informationen als auch mehrere Informationen, die im Zusammenhang zueinanderstehen, erfasst werden. 421 So bereits Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 11; teilweise wird sogar von einem „der schillerndsten (Rechts-)Begriffe überhaupt“ gesprochen, vgl. Hauck, NJW 2016, 2218, 2221. 422 Die hier verwendete Formulierung ist nicht gleichbedeutend mit dem in der Legaldefinition vorzufindenden Wortlaut „… Art von Information“ zu verstehen. Vielmehr dient diese für den Gang dieser Untersuchung nur dazu herauszuarbeiten, ob nur semantische Informationen geschützt werden, oder auch bloße Rohdaten. 423 So auch Hauck, NJW 2016, 2218, 2221; Alexander, WRP 2017, 1034, 1037; Staffler, NZWiSt 2018, 269, 273; vertiefend zu den verwendeten Begrifflichkeiten Zech, GRUR 2015, 1151, 1153, 1155 f. 424 Hauck, NJW 2016, 2218, 2221 im Hinblick auf die Geschäftsgeheimnis-RL; Krüger/ Wiencke/Koch, GRUR 2020, 578, 580; ähnlich bereits Zech, GRUR 2015, 1151, 1153, 1155 f. 425 Zustimmend Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 2 Rn. 3 – 5; a. A. McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 1
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HS. 1 Alt. 1 GeschGehG die Information im Ganzen genannt. Die zweite Gruppe, also § 2 Nr. 1 lit. a HS. 1 Alt. 2 GeschGehG, stellt auf die genaue Anordnung und Zusammensetzung der Bestandteile der Information ab. Dabei fällt auf, dass der Gesetzgeber auf eine weder-noch-Formulierung zurückgegriffen hat, was sprachlich impliziert, dass es sich um ein Entweder-oder-Verhältnis der Tatbestandsalternativen handelt, welche gleichwohl teilweise kumulativ vorliegen müssen.426 Gleichzeitig ist denklogisch jedoch ein alternatives Vorliegen erfasst.427 Die Information kann nämlich nur dann im Ganzen bekannt sein, wenn auch die genaue Anordnung und Zusammensetzung bekannt ist, weil diese Aspekte Bestandteil einer (übergeordneten) Information sein müssen. Mithin handelt es sich wohl um einen Verweis auf die sogenannte „Mosaiktheorie“.428 Geht man von diesem bewusst weitgefassten Spektrum aus, bei dem klargestellt wird, dass es verschiedene Formen von Informationen gibt, welche jedoch ohne Unterschied vom GeschGehG geschützt sein können, ist dies zugleich ein Indiz dafür, dass der Gesetzgeber einen weiten Informationsbegriff schaffen wollte. Diese Annahme lässt sich auch durch die Verwendung des und in der zweiten Alternative sowie die semantische Dehnbarkeit der Worte Anordnung und Zusammensetzung befeuern. Der Begriff Anordnung umfasst im allgemeinen Sprachgebrauch eine Vielzahl möglicher Bedeutungen. So ist etwa der Aufbau einer Sache, die Einteilung verschiedener Bestandteile in räumlicher, technischer, aber auch chemischer oder physikalischer Hinsicht und die Zuordnung nach thematischen Gesichtspunkten umfasst. Dies gilt ebenfalls für das Wort Zusammensetzung. Eine genaue Differenzierung zwischen diesen Worten ist sprachlich oftmals nicht möglich, aber angesichts der Verwendung des und ebenso wenig zwingend von Nöten. Rein praktische Erwägungen bestätigen dieses Ergebnis. Der Schutz von Daten gewinnt in der Wirtschaft auch abseits vom Schutz des Individuums eine immer größere Bedeutung. Dies zeigt sich nicht nur durch immer größere Mengen erfasster und gesammelter Daten, sondern auch in der rechtswissenschaftlichen Diskussion sowie den gesetzgeberischen Aktivitäten.429 Dabei stellt auch der Schutz von Geschäftsgeheimnissen ein Instrumentarium dar, um bestimmten zu Tage tretenden, wirtschaftlichen Interessen stärkere rechtliche Konturen zu verleihen. Bedingt durch die vorzugswürdig erscheinende weite Auslegung des Wortes Information ist es zudem konsequent, auch bloße Rohdaten zu erfassen, weil diese Bestandteile einer übergeordneten semantischen Information darstellen.430 Folglich ist es so potentiell möglich, dem aus 426
Ähnlich McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 23. Ähnlich McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 23. 428 Ähnlich auch Ohly, GRUR 2019, 441, 443; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 81, 98 f.; Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 2 Rn. 27. 429 Auf Grund des begrenzten Untersuchungsumfangs ist auf eine eingehende Darstellung dieser Entwicklung zu verzichten, vgl. vertiefend nur Zech, GRUR 2015, 1151, 1151 ff. 430 So auch Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 25 ff.; Hacker, GRUR 2020, 1025, 1032; so auch soweit Rohdaten Bestandteil einer übergeordneten Information sind Krüger/Wiencke/Koch, GRUR 2020, 578, 580. 427
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dem zunehmenden Einsatz sogenannter Blockchain-Technologie erwachsenden Schutzbedürfnis einzelner dadurch erfasster Informationen und nicht nur dem vollständigen, zugrunde liegenden Quellcode gerecht zu werden.431 Dies funktioniert allerdings nur dann, wenn auch noch so kleine Bestandteile eines größeren Ganzen potentiellem Schutz zugänglich sind. Andernfalls wäre der (strafrechtliche) Geschäftsgeheimnisschutz bereits jetzt dem Risiko ausgesetzt, seiner Zeit hinterherzuhinken.432 Bezieht man im Einklang mit den zuvor entwickelten Grundsätzen die Geschäftsgeheimnis-RL mit ein, so wird deutlich, dass zwischen dem Wortlaut der deutschen Richtlinienfassung in Art. 2 Nr. 1 lit. a Geschäftsgeheimnis-RL und § 2 Nr. 1 lit. a HS. 1 GeschGehG ein nur geringfügiger Unterschied besteht. Aus der Verwendung der Begriffe insgesamt und in ihrer Gesamtheit ergeben sich jedoch keine Abweichungen im Hinblick auf die bereits vorgefundenen Ergebnisse, sodass mit Blick auf höherrangiges Recht keine Bedenken aufkommen. Berücksichtigt man zusätzlich den Erwägungsgrund [14] der Geschäftsgeheimnis-RL so könnte es sich bei diesen Rohdaten um die dort angesprochenen technologischen Informationen handeln. Andernfalls könnte man nämlich durchaus die Frage stellen, warum es dieses Aufzählungspunkts ansonsten bedurft hat. Mithin erscheint – wie von Alexander zutreffend ausgeführt – auch an dieser Stelle eine weite Auslegung angezeigt.433 Außerdem ist zu berücksichtigen, dass sich die Legaldefinition an Art. 39 Abs. 2 TRIPS-Übereinkommen orientiert, auch wenn die Definitionsmerkmale aus § 2 Nr. 1 lit. a HS. 1 GeschGehG und Art. 39 Abs. 2 lit. a TRIPS-Übereinkommen nicht vollends deckungsgleich sind. In diesem Kontext wird nach überwiegender Meinung ein weites Begriffsverständnis für den Kreis schützenswerter Informationen zu Grunde gelegt434, was als Bestätigung der zuvor getroffenen Feststellungen gewertet werden kann. Letzterer Norm lässt sich zudem eindeutig entnehmen, dass die Tatbestandsmerkmale alternativ zu verstehen sind, während sich dies für das GeschGehG nicht ohne weiteres feststellen lässt. Da die Legaldefinitionen aus § 2 Nr. 1 GeschGehG und auch aus Art. 2 Nr. 1 Geschäftsgeheimnis-RL den in Art. 39 Abs. 2 TRIPS-Übereinkommen aufgestellten Anforderungen entsprechen sollen, kann dieser Umstand als weiteres Indiz für das zuvor gefundenen Auslegungsergebnisses gewertet werden.435
431
Zustimmend Hess, GRUR-Prax 2020, 251, 251 f. I. E. zustimmend Kornmeier/Baranowski, BB 2019, 1219, 1223; speziell zum Schutz eines Datenpools als Geschäftsgeheimnis Krüger/Wiencke/Koch, GRUR 2020, 578, 580 ff.; speziell zum Schutz von Rohdaten als Geschäftsgeheimnis nur Zech, GRUR 2015, 1151, 1156. 433 Zustimmend Alexander, WRP 2017, 1034, 1037. 434 Reger, TRIPS-Übereinkommen, S. 256 f.; Peter/Wiebe, in: Busche/Stoll/Wiebe, TRIPs, Art. 39, Rn. 7, 18. 435 So auch McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 23. 432
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Bezieht man nun die Gesetzesbegründung mit ein, so ergibt sich, dass der Gesetzgeber, trotz sprachlicher Beschränkung auf den bereits im Hinblick auf § 17 UWG bekannten Begriff des Geschäftsgeheimnisses, Know-How im Sinne der Geschäftsgeheimnis-RL sowie Betriebsgeheimnisse im Sinne des § 17 UWG von der Legaldefinition erfasst sehen wollte.436 Sowohl technisches als auch kaufmännisches Wissen soll nun mehr einheitlich unter die Definition subsumiert werden. Die von der Rechtsprechung zu § 17 UWG entwickelten Grundsätze sollen nämlich im Wesentlichen Bestand haben.437 Die Entscheidung, den etablierten Begriff der Tatsache durch das Wort Information zu ersetzen, kann man zum einen auf Art. 2 Nr. 1 lit. a Geschäftsgeheimnis-RL zurückführen. Zum anderen hat im Schrifttum zur überkommenen Rechtslage der Begriff Information bereits Verwendung gefunden. Es bestand und besteht dabei in der Sache kein wesentlicher Unterschied zwischen den genannten Bezeichnungen. Letztere ist jedoch insoweit vorzugswürdig, da so der Gegenstand des Geschäftsgeheimnisses deutlicher wird. Dabei wird zugleich darauf hingewiesen, dass die Definition Art. 39 Abs. 2 TRIPS-Übereinkommen entspricht.438 Vor diesem Hintergrund ist daher am allein erforderlich alternativen Vorliegen der Voraussetzungen bei § 2 Nr. 1 lit. a HS. 1 Var. 2 GeschGehG festzuhalten.439 bb) Informationsinhalte Neben der Frage, ob bestimmte Arten von Informationen begrifflich ausgeschlossen sind, ist zu klären, ob bestimmte Informationsinhalte bereits begrifflich ausscheiden müssen. Analog zur enormen Flexibilität hinsichtlich der Art der Information, ist es auch denkbar, jeglichen Inhalt zu erfassen.440 Daher könnten rein private Geheimnisse, die Beschäftigte eines Unternehmens betreffen, nunmehr unter den Geschäftsgeheimnisbegriff fallen, sofern diese denn zusätzlich den übrigen Anforderungen genügen.441 Dadurch ließen sich auch Ergebnisse universitärer Forschung unter den Wortlaut der Norm subsumieren.442 Mithin könnte der bisher erforderliche Betriebsbezug nun obsolet sein.443 436
BT-Drs. 19/4724, S. 24; Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1010; Alexander, AfP 2019, 1, 4; so auch McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 20 f., 24. 437 BT-Drs. 19/4724, S. 24. 438 BT-Drs. 19/4724, S. 24; vertiefend Reger, TRIPS-Übereinkommen, S. 256 ff. 439 Zustimmend McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 23. 440 McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 43; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 28; im Hinblick auf die Geschäftsgeheimnis-RL Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 57. 441 Ohly, GRUR 2019, 441, 442. 442 So jedenfalls BT-Drs. 19/4724, S. 24; McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 44; krit. Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 2 Rn. 44. 443 So auch Gaugenrieder, BB 2014, 1987, 1988; Hauck, NJW 2016, 2218, 2221; Brammsen, wistra 2018, 449, 451; Karthaus, NZA 2018, 1180, 1182; McGuire, in: Büscher,
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Dagegen wird in der Literatur aber zutreffend eingewandt, dass bereits der Begriff Geschäftsgeheimnis den Betriebsbezug nahelegt.444 Das Wort findet sich zudem an mehreren Stellen des Gesetzes wieder, so etwa in § 1 Abs. 1 GeschGehG. Wenn sich dort aus den jeweiligen Wortzusammenhängen ein geschäftlicher Bezug der Informationen ergibt, so indiziert dies entsprechenden Inhalt im übrigen Gesetz. Lässt sich eine Information nicht genau klassifizieren, liegt sie also in der Schnittmenge zwischen Privatbereich und früherem Unternehmensbezug, erscheint es durchaus möglich, dass ein Nebeneinander von Geschäftsgeheimnisschutz und Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegt.445 So könnten beispielsweise Informationen, die den Gesundheitszustand einer Führungskraft betreffen oder private Ereignisse im Leben von Personen, die sich durch ihr Bild in der Öffentlichkeit vermarkten, erfasst sein.446 Ist nur die persönliche Sphäre Gegenstand der Information, kann trotz Vorliegen der anderen Tatbestandsmerkmale nur auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte abgestellt werden.447 Teilweise können Informationen je nach Betrachter privater oder geschäftlicher Natur sein, wie zum Beispiel die von „intelligenten“ Messsystemen erfassten Verbrauchsdaten privater Stromabnehmer.448 Dennoch ergibt sich aus der Bezeichnung als Geschäftsgeheimnis noch kein zwingender Ausschluss von bloß im weiteren Sinne mit dem Geschäftsbetrieb im Zusammenhang stehenden Informationen und damit ein potentiell weiteres Begriffsverständnis als beim Schutz von Unternehmensgeheimnissen. Mithin lässt der Wortlaut ein weites Spektrum an Informationsinhalten als dem Schutzbereich zu-
UWG, § 2 GeschGehG Rn. 44; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 28; Ohly, GRUR 2019, 441, 442. 444 Alexander, WRP 2017, 1034, 1038; ders., in: Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 83; Hauck, WRP 2018, 1032, 1035 mit Fn. 33; Rody, Geschäftsund Betriebsgeheimnis, S. 57; Schenkel hingegen versucht den Fortbestand der Merkmale Betriebsbezug sowie Geheimhaltungsinteresse durch das Tatbestandsmerkmal des kommerziellen Werts in Art. 2 Nr. 1 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL zu begründen, vgl. Whistleblowing, S. 110; ähnlich Strobel, Reverse Engineering, S. 77 und Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 2 Rn. 18, 34; Rody sieht ebenfalls Schnittmengen plädiert aber zurecht für eine Trennung der Merkmale, vgl. Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 69; Hoeren wiederrum gelangt erst in der Gesamtschau mit den Erwägungsgründen der Richtlinie zu diesem Ergebnis, vgl. Hoeren/Münker, GeschGehG, § 2 Rn. 9. 445 Alexander, AfP 2019, 1, 5. 446 Aplin, IPQ 2014, 257, 263; Hauck, NJW 2016, 2218, 2221; Alexander, AfP 2019, 1, 5; ders., in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 84; Ohly, GRUR 2019, 441, 442; a. A. Wiese, EU-Richtlinie, S. 50, die nur handelsbezogene Informationen als erfasst ansieht; auch Harte-Bavendamm stuft den Bezug zur geschäftlichen Sphäre als zu wenig ausgeprägt ein, vgl. Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 16; ähnlich Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 2 Rn. 43. 447 Wohl auch BT-Drs. 19/4724, S. 24; Alexander, AfP 2019, 1, 5 m. w. N. zum Schutz des (allgemeinen) Persönlichkeitsrechts. 448 Alexander, WRP 2017, 1034, 1038.
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gehörig erscheinen, wobei nur der Schutz rein der Privatsphäre zugeordneter Geheimnisse ausgeschlossen ist.449 Bezieht man nun die Richtlinie in all ihren Sprachfassungen mit ein, so ist zu erwähnen, dass in der Literatur im Hinblick auf die englische Fassung der Richtlinie argumentiert wird, dass der Begriff trade secret, definiert werde und nicht etwa ein allgemeiner Geheimnisbegriff.450 Daraus ergeben sich bei der Auslegung aber keine neuen Erkenntnisse. Der deutsche Richtlinientext lässt zunächst in gleicherweise den Schluss zu, dass aber – nicht reine – Privatgeheimnisse dem Schutz der Norm unterfallen könnten.451 Sowohl Sinn und Zweck, als auch die Gesetzgebungsgeschichte der Richtlinie streiten ebenfalls für dieses Ergebnis.452 So wurde bereits im Impact Assessment eine Differenzierung zwischen business information und personal information vorgenommen, wobei Unternehmensgeheimnisse klar ersterer Gruppe zugeordnet wurden.453 Ob solche Informationen dem Schutz des Art. 2 Nr. 1 Geschäftsgeheimnis-RL unterstehen, wird aber regelmäßig bereits auf Grund des Fehlens im Übrigen vorausgesetzter Merkmale verneint werden können. Außerdem ist bei der Auslegung der Richtlinie auch auf deren Erwägungsgründe zu achten. Die Aufzählung in Erwägungsgrund [14], wonach „Know-how, Geschäftsinformationen und technologische Informationen“ erfasst sein sollen, bekräftigt die zuvor präferierte Auslegungsvariante.454 Auch aus der Gesamtschau der Erwägungsgründe [2], [34], [35] ergibt sich, dass ein Nebeneinander von Geschäftsgeheimnissen und bloß personenbezogenen Daten, etwa als Bestandteil einer Kundenliste, denkbar ist.455 Die Erwägungsgründe [34], [35] verweisen nämlich auf Art. 8 Abs. 5 der Richtlinie 95/46/EG456, der mittlerweile durch den weitergefassten
449 I. d. S. auch BT-Drs. 19/4724, S. 24; a. A. Gaugenrieder, BB 2014, 1987, 1988; Hauck, NJW 2016, 2218, 2221; Brammsen, wistra 2018, 449, 451; ders., Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 7c. 450 Redecker/Pres/Gittinger, WRP 2015, 681, 683; Wiese, EU-Richtlinie, S. 50. 451 Hauck, NJW 2016, 2218, 2221; Wiese, EU-Richtlinie, S. 48 f.; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 57; a. A. Alexander, WRP 2017, 1034, 1038. 452 so auch Redecker/Pres/Gittinger, WRP 2015, 681, 683; Wiese, EU-Richtlinie, S. 49. 453 Wiese, EU-Richtlinie, S. 49. 454 So auch Ohly, GRUR 2019, 441, 442. 455 Wiese, EU-Richtlinie, S. 49. 456 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281, S. 31); dieser lautete wie folgt: „Die Verarbeitung von Daten, die Straftaten, strafrechtliche Verurteilungen oder Sicherungsmaßregeln betreffen, darf nur unter behördlicher Aufsicht oder aufgrund von einzelstaatlichem Recht, das angemessene Garantien vorsieht, erfolgen, wobei ein Mitgliedstaat jedoch Ausnahmen aufgrund innerstaatlicher Rechtsvorschriften, die geeignete besondere Garantien vorsehen, festlegen kann. Ein vollständiges Register der strafrechtlichen Verurteilungen darf allerdings nur unter behördlicher Aufsicht geführt werden.“.
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Art. 4 Nr. 1 Datenschutz-Grundverordnung457 ersetzt wurde. Dieses Nebeneinander bedeutet allerdings nur, dass personenbezogene Daten ebenfalls Bestandteil eines Geschäftsgeheimnisses sein können. Ein Rückschluss auf den Schutz privater Geheimnisse lässt sich dadurch jedoch nicht begründen.458 Dieser wird erst aus der Gesamtschau der bisher vorgetragenen Argumente geschlussfolgert.459 Eine Korrektur im Wege richtlinienkonformer oder richtlinienorientierter Auslegung ist mithin nicht erforderlich. Zusätzlich soll vor diesem Hintergrund darauf verwiesen werden, dass auch im Hinblick auf Art. 39 Abs. 2 lit. a TRIPS-Übereinkommen umstritten ist, inwieweit ein zwingender Ausschluss privater Informationen zu erfolgen hat. Teilweise wird dieser bereits in Art. 39 Abs. 2 lit. a TRIPS-Übereinkommen verortet.460 Ebenso wird dabei mittels einer Gesamtschau mit Art. 39 Abs. 1 TRIPS-Übereinkommen argumentiert.461 Mithin besteht aber im Ergebnis eine gleichlaufende Schutzgehaltsbestimmung des Informationsbegriffs. Teilweise wird auch angeführt, dass die Verknüpfung der Information mit dem Unternehmensbetrieb sich nicht zwingend aus dem Wortlaut der Norm ergibt, aber das Zusammenspiel mit der Legaldefinition des Geheimnisinhabers aus § 2 Nr. 2 GeschGehG dies denklogisch impliziere.462 Aus dessen Wortlaut, wonach „Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses jede natürliche oder juristische Person [ist], die die rechtmäßige Kontrolle über ein Geschäftsgeheimnis hat“, ergibt sich das Erfordernis einer hinreichenden Beziehung zwischen einer Person und einem Geschäftsgeheimnis, nicht jedoch welcher Art diese Information sein muss und welchen Inhalt sie haben kann.463 Das Maß an möglicher Kontrolle kann jedoch eine hinreichende Einschränkung mit sich bringen. Es handelt sich zunächst einmal um eine 457
Verordnung (EU) 2016/679 vom 27. 04. 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (ABl. L 119 S. 1) (Datenschutz-Grundverordnung); dieser lautet wie folgt: „,personenbezogene Daten‘ [sind] alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden ,betroffene Person‘) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann“. 458 Wiese, EU-Richtlinie, S. 50; Alexander, WRP 2017, 1034, 1038. 459 Aplin, IPQ 2014, 257, 263; Kalbfus/Harte-Bavendamm, GRUR 2014, 453, 454; Wiese, EU-Richtlinie, S. 50; Ohly, GRUR 2019, 441, 442. 460 Enders, GRUR 2012, 25, 27. 461 Reger, TRIPS-Übereinkommen, S. 256 f., 263; Peter/Wiebe, in: Busche/Stoll/Wiebe, TRIPs, Art. 39, Rn. 7; Wiese, EU-Richtlinie, S. 50. 462 Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1011; Schmitt, RdA 2017, 365, 369; Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 213; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 2 Rn. 80; Harte-Bavendamm, in: HarteBavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 11; a. A. Gaugenrieder, BB 2014, 1987, 1988. 463 Krit. Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 211.
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Rechtsfrage464, wobei partiell auch tatsächliche Zugriffsmöglichkeiten für notwendig erachtet werden.465 Einen weiteren Ansatz präsentiert Staffler, welcher – ohne Widerspruch gegen das Vorangestellte zu erheben – ein (wohl) § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG entsprechendes Geheimhaltungsinteresse auch dazu heranziehen will, um den berechtigten Geheimnisinhaber zu ermitteln.466 Dieses Vorgehen lässt sich allerdings nicht ohne weiteres mit dem Wortlaut des § 2 Nr. 2 GeschGehG vereinbaren und bietet soweit ersichtlich keine weiteren Vorteile. Wieder andere Stimmen in der Literatur – so etwa Ohly – leiten den Ausschluss privater Geheimnisse aus dem Anwendungsbereich des § 2 Nr. 1 GeschGehG aus § 1 Abs. 3 Nr. 1 GeschGehG mit Verweis auf § 203 StGB ab. Dabei wird argumentiert, dass dieser nur dann Sinn ergebe, wenn es eine Schnittmenge zwischen der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen im Sinne des GeschGehG und der Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 StGB gebe.467 Dieses Vorgehen verdient jedoch keinen Beifall. Zwar gibt es tatsächlich eine Schnittmenge zwischen den von § 203 StGB erfassten Geheimnissen und dem Geschäftsgeheimnis im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG. Im Rahmen der Strafvorschrift aus dem Kernstrafrecht handelt es sich bei den Geschäftsgeheimnissen aber nur um eine Untergruppe des sehr viel weiter gefassten Kreises der geschützten fremden Geheimnisse, welcher sowohl zum persönlichen Lebensbereich gehörende Geheimnisse als auch Geschäftsgeheimnisse umfasst.468 Auch die Überschrift von § 203 StGB führt zu keiner abweichenden Betrachtung, weil diese so verstanden werden kann, dass es um den Schutz privater, natürlicher und juristischer Personen geht und Staatsgeheimnisse ausgenommen sein sollen.469 Nach alledem ist Brammsen zu folgen, wenn dieser § 1 Abs. 3 Nr. 1 GeschGehG als eine bloß deklaratorische Vorschrift einstuft.470 Bezieht man die Gesetzesbegründung mit ein, so ergibt sich, dass aus dem Kreis der von § 2 Nr. 1 lit. a HS. 1 GeschGehG erfassten Informationen jedenfalls be464
OLG Düsseldorf, Urt. v. 11. 03. 2021 – 15 U 6/20, GRUR-RS 2021, 17483 Rn. 53 – CADKonstruktionszeichnung; McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 71 f.; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 131 f.; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/ Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 72 ff.; zur Unterscheidung von Geheimnisträger und Geheimnisinhaber vertiefend McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 71 ff. m. w. N. und Thiel, WRP 2019, 700, 701; zum Merkmal der Kontrolle bei Arbeitsergebnissen vgl. Scheja, CR 2018, 485, 489 f. 465 I. d. S. auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 11. 03. 2021 – 15 U 6/20, GRUR-RS 2021, 17483 Rn. 53 – CAD-Konstruktionszeichnung; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 97 ff.; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 72 stellt diese in den Vordergrund; unklar OLG Stuttgart, Urt. v. 19. 11. 2020 – 2 U 575/19, GRUR-RS 2020, 35613 Rn. 159 – Schaumstoffsysteme. 466 Staffler, NZWiSt 2018, 269, 273. 467 Ohly, GRUR 2019, 441, 442. 468 Vertiefend nur Fischer, StGB, § 203 Rn. 7 m. w. N. 469 Statt vieler Fischer, StGB, § 203 Rn. 7. 470 Zustimmend Brammsen, BB 2018, 2446, 2448.
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langlose Informationen ausgeschlossen sein sollen.471 Diese Einschränkung ergibt sich allerdings wohl erst aus dem erforderlichen wirtschaftlichen Wert, also dem Merkmal (2) aus § 2 Nr. 1 lit. a HS. 2 GeschGehG. Explizit ausgenommen werden zudem „rein private und nicht im geschäftlichen Verkehr verwertbar[e]“ Informationen.472 Alle in Erwägungsgrund [14] genannten Arten von Informationen sollen einen Unternehmensbezug aufweisen, sodass in der Literatur geschlussfolgert wird, dass dies ein Tatbestandsmerkmal des Geheimnisbegriffs der Richtlinie darstellt.473 Allerdings bleibt außer Acht, dass auch Forschungsergebnisse von Universitäten unabhängig von ihrem wirtschaftlichen Einsatz geschützt sein sollen.474 In der Gesetzgebungsgeschichte wurde der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG-RefE – wie im betreffenden Kapitel erwähnt – angepasst, nach welchem das Geschäftsgeheimnis „eine Information, die“ (lit. a) „weder insgesamt noch in ihren Einzelheiten den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Information umgehen, bekannt oder ohne weiteres zugänglich ist“
während im GeschGehG folgende Formulierung aufgenommen wurde: „eine Information“ (lit. a) „die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Information umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist“.
Diese Änderung findet sich bereits in § 2 Nr. 1 lit. a HS. 1 GeschGehG-RegE und diente der sprachlichen Annäherung an den Wortlaut der Richtlinie. Im Hinblick auf die Arten von geschützten Informationen ergibt sich im Ergebnis kein Unterschied. Weitere Bestätigung liefert auch der Vergleich der jeweiligen Entwurfs- beziehungsweise Gesetzesbegründung475, weil auf Grund der fehlenden Anpassung der entsprechenden Begründung der Schluss nahe liegt, dass bloß sprachliche und keine inhaltlichen Änderungen bezweckt waren. Im Hinblick auf das Merkmal der Betriebsbezogenheit bei Unternehmensgeheimnissen wurde bereits festgestellt, dass es im Wortlaut der Legaldefinition keine zwingende Entsprechung mehr findet. Dieser Umstand wird als Argument dafür herangezogen, dass es in Zukunft keinen Bestand mehr haben soll und somit ein weiterer Geschäftsgeheimnisbegriff gilt.476 Dieses Argument hat allerdings kein besonderes Gewicht, weil bereits im überkommenen Recht kein zwingendes, ab-
471
BT-Drs. 19/4724, S. 24. BT-Drs. 19/4724, S. 24. 473 Rauer/Eckert, DB 2016, 1239, 1240; Wiese, EU-Richtlinie, S. 50. 474 BT-Drs. 19/4724, S. 24. 475 Vgl. BT-Drs. 19/4724, S. 24 und RefE, S. 21. 476 Gaugenrieder, BB 2014, 1987, 1988; Hauck, NJW 2016, 2218, 2221; Brammsen, BB 2018, 2446, 2448. 472
Kap. 4: Begriff des Geschäftsgeheimnisses
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weichendes Wortlautargument für den Betriebsbezug gestritten hat und die dazu entwickelten Grundsätze im Wesentlichen Bestand haben sollen.477 cc) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass dieses Tatbestandsmerkmal einer sehr weiten Auslegung zugänglich ist und zunächst einmal bis auf rein private, jegliche Art von Information und jeglicher Inhalt darunter subsumiert werden kann. Das Anknüpfen an § 2 Nr. 2 GeschGehG erweist sich in diesem Zusammenhang im Gegensatz zum reinen Wortlautargument als vorzugswürdig. So lässt sich mit Hilfe einer Rechtsfrage klären, ob eine Information hinreichend qualifiziert ist. Zudem ist ein „herrenloses“ Geschäftsgeheimnis anders als eine „herrenlose“ Sache im Sinne des § 958 Abs. 1 BGB nicht denkbar, sodass die hinreichende Kontrolle durch irgendeine Person zugleich ein konstitutives Element darstellt. Zusätzlich ergibt sich durch ein solches Vorgehen der Ausschluss von tacit knowledge aus dem Bereich erfasster Geschäftsgeheimnisse.478 Dies ist im Hinblick auf Art. 1 Abs. 3 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL zu begrüßen. b) Fehlende Offenkundigkeit Weiterhin setzt § 2 Nr. 1 lit. a HS. 1 GeschGehG voraus, dass die Information „… den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Information umgehen, [nicht] allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist …“. Sie darf also nicht offenkundig sein. Bei der Frage, ob nun ein insoweit hinreichender Grad an Geheimhaltung besteht, liefert die Legaldefinition verschiedene Anknüpfungspunkte zur Begründung von Offenkundigkeit. aa) Bestimmung des Personenkreises Zunächst einmal schreibt der Wortlaut expressis verbis vor, zur Ermittlung der fehlenden Offenkundigkeit den maßgeblichen Personenkreis als Maßstab zu bestimmen. Erster Anknüpfungspunkt ist die Allgemeinheit, denn diese erfasst die erwähnten Personenkreise zwangsläufig. Denkbar ist es dabei – um zumindest eine gewisse Restriktion vorzunehmen – die Konkurrenz als Maßstab heranzuziehen. Diese wird nämlich üblicherweise mit vergleichbaren Informationen zu tun haben. Ob es an dieser Stelle auf eine konkrete Qualifikation oder auf die branchenüblichen Kenntnisse ankommt, kann dem Wortlaut mangels belastbarer Anhaltspunkte nicht entnommen werden. Dies gilt entsprechend auch für den Wortlaut der Geschäftsgeheimnis-RL.479 477
BT-Drs. 19/4724, S. 24. Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 215; zu den Begrifflichkeiten statt vieler Oehlrich, GRUR 2010, 33. 479 Wiese, EU-Richtlinie, S. 41. 478
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In systematischer Hinsicht verweist Ohly auf die Vergleichbarkeit mit dem Durchschnittsfachmann im Patentrecht, obwohl es diesbezüglich auf die Neuheit ankommt. Begründet wird dies damit, dass diese Fachleute über die üblichen Kenntnisse in dem jeweiligen Kreis verfügen und bei gegebenem Anlass ihre Kenntnisse aus allgemein zugänglichen Quellen erweitern beziehungsweise auf dem Laufenden halten.480 Bei einem Fachmann im Sinne des § 4 S. 1 PatG481 handelt es sich aber um eine „Kunstfigur“482, welche daher nur eine abstrakte Orientierung liefern kann. Folglich wird der Maßstab auf diese Weise über Gebühr abstrahiert. Aus diesem Umstand ergeben sich zugleich weitere Argumente gegen dessen Heranziehung. Für den Fachmann im Patentrecht sind die Kenntnisse am Prioritätstag, also am für die Anmeldung des Patents maßgeblichen Stichtag, ausschlaggebend, weil im Patentrecht zu beurteilen ist, ob eine Erfindung über auf Grund des Stands der Technik naheliegende Ergebnisse hinausgeht, mithin also etwas Neues mit sich bringt.483 Im Bereich des Geheimnisschutzes nach dem GeschGehG kommt es jedoch gerade nicht auf einen konkreten Tag an.484 Vielmehr ist beim Geschäftsgeheimnisschutz eine immerwährende Überprüfung angezeigt, ob der Schutz auf Grund tatsächlich eingetretener Umstände nicht mehr fortbesteht. Zudem kann weder der Richtlinie noch dem GeschGehG entnommen werden, dass die maßgeblichen Personenkreise auf Grund anderer Vorschriften bestimmt werden sollen. Daher erscheint es überzeugender, eine am Sinn und Zweck des Gesetzes ausgerichtete, eigenständige Bestimmung des Personenkreises vorzunehmen, wobei es sich anbietet, für den Kreis der Mitbewerber als maßgeblichen Personenkreis zu plädieren.485 Dies lässt sich vor allem durch die lauterkeitsrechtliche Prägung des Geschäftsgeheimnisschutzes unterstreichen. Dabei gilt es zwar zu Bedenken, dass beim Wechsel eines Arbeitnehmers zur Konkurrenz ohne ausreichenden (nachvertraglichen) Schutz gegenüber der „Mit480 Ohly, GRUR 2019, 441, 443 mit Verweis auf BGH, Urt. v. 22. 03. 2018 – I ZR 118/16, GRUR 2018, 1161 Rn. 39 – Hohlfasermembranspinnanlage II. 481 § 4 PatG lautet wie folgt: „Eine Erfindung gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Gehören zum Stand der Technik auch Unterlagen im Sinne des § 3 Abs. 2, so werden diese bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht gezogen.“ 482 Mes, PatG, § 4 Rn. 20; Asendorf/Schmidt, in: Benkard, § 4 PatG Rn. 67; Wiese, EURichtlinie, S. 28. 483 Mes, PatG, § 4 Rn. 20; Asendorf/Schmidt, in: Benkard, § 4 PatG Rn. 67; Wiese, EURichtlinie, S. 28; zur fehlenden Vergleichbarkeit bereits Reimann, GRUR 1998, 298, 302. 484 I. d. S. auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 11. 03. 2021 – 15 U 6/20, GRUR-RS 2021, 17483 Rn. 26 – CAD-Konstruktionszeichnung. 485 So auch Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 80; im Hinblick auf Art. 39 Abs. 2 TRIPs Peter/Wiebe, in: Busche/Stoll/Wiebe, TRIPs, Art. 39, Rn. 19; i. d. S. wohl auch OLG Hamm, Urt. v. 15. 09. 2020 – I-4 U 177/19, GRUR-RS 2020, 34822 Rn. 162 – Stopfaggregat und OLG Düsseldorf, Urt. v. 11. 03. 2021 – 15 U 6/20, GRUR-RS 2021, 17483 Rn. 31 – CAD-Konstruktionszeichnung.
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nahme“ von Geschäftsgeheimnissen die Information ab diesem Zeitpunkt auf Grund der Kenntnis des Konkurrenten die Geschäftsgeheimniseigenschaft verlieren könnte.486 Dies erscheint jedoch nur dann angemessen, wenn dieser Umstand wirklich derart schwerwiegenden Folgen zu rechtfertigen mag, also beispielsweise bei einem Markt mit nur wenigen Wettbewerbern.487 Gleichzeitig wird in der Literatur darauf verwiesen, dass eine informationsspezifische Bestimmung auch im Hinblick auf die Durchschnittspersonen der jeweiligen Fachkreise erfolgen kann.488 Die beiden aufgezeigten Ansätze werden sich allerdings in aller Regel entsprechen, sodass eine eindeutige Festlegung an dieser Stelle ausbleiben kann. Vielmehr lässt sich an dieser Stelle nun der bisherige Stand der Forschung fruchtbar machen. Im Ergebnis handelt es sich bei der Formulierung „Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Information umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist“, um eine Zusammenfassung der von der Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze zur Bestimmung der fehlenden Offenkundigkeit. Daher gelten die diesbezüglichen Ausführungen in weiten Teilen auch für die Offenkundigkeit von Geschäftsgeheimnissen.489 Letztlich liefert die aufgezeigte strukturelle Ähnlichkeit zwischen Art. 39 Abs. 2 TRIPS-Übereinkommen, Art. 2 Nr. 1 Geschäftsgeheimnis-RL und § 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG sogar noch ein weiteres Argument für die fortdauernde Übertragbarkeit. Zumindest die Wertungen des völkerrechtlichen TRIPS-Übereinkommens waren nämlich bereits im Rahmen des alten Rechts zu berücksichtigen. bb) Allgemein bekannt Die allgemeine Bekanntheit wird in diesem Fall nicht dahingehend zu verstehen sein, dass wirklich jede Person im maßgeblichen Personenkreis die Information kennt. Ein konkreteres, darüber hinausgehendes Ergebnis lässt sich aus dem bloßen Wortlaut der Norm aber nicht ableiten. Mithin handelt es sich um eine Tatfrage.490 Da zur Beurteilung der öffentlichen Bekanntheit gerade auf die Personenkreise abzustellen ist, ist es denkbar, – gleichwohl praktisch nicht relevant – dass das Geheimnis einer Vielzahl von Personen, möglicherweise sogar einer breiten Masse, aber nicht 486
Gaugenrieder, BB 2014, 1987, 1989. In Hinblick auf die überkommene Rechtslage so auch Kochmann, Reverse Engineering, S. 100. 488 Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 33; Strobel, Reverse Engineering, S. 97 f. 489 Zustimmend OLG Stuttgart, Urt. v. 19. 11. 2020 – 2 U 575/19, GRUR-RS 2020, 35613 Rn. 164 – Schaumstoffsysteme; Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1010; Harte-Bavendamm, in: FS Büscher, S. 311, 314 f.; Ohly, GRUR 2019, 441, 442 f.; Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 125 ff.; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., Vorb. §§ 17 – 19 Rn. 15; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 23; Alexander, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 20; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 22. 490 McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 33. 487
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
den für die Beurteilung relevanten Personenkreisen bekannt ist. In einem solchen Fall wäre noch von fehlender Offenkundigkeit auszugehen.491 Konkreter gehen etwa McGuire und Brammsen dann von allgemeiner Bekanntheit aus, wenn eine Information etwa durch Anmeldung oder Registrierung, das Ausstellen auf einer Messe oder in den Medien bekannt gemacht wurde.492 Die aufgezählten Beispiele können jedoch nicht uneingeschränkt überzeugen. Gerade im Hinblick auf das Ausstellen auf einer Fachmesse – wie von Brandau/Gal493 herausgearbeitet – oder bei der Veröffentlichung in den Medien ist der konkrete Einzelfall maßgeblich. Es bleibt offen, wann ein entsprechender Bekanntheitsgrad unterhalb dieser Schwelle erreicht wird. Bei der Verwendung von Blockchain-Technologie kommt es beispielsweise darauf an, ob es sich um eine öffentliche oder private Blockchain handelt.494 Unschädlich ist es nach der Rechtsprechung daher zudem auch, wenn zwar einzelne Bestandteile eines Informationskonvoluts allgemein bekannt sind, die Zusammenstellung als solche aber nicht.495 Zur allgemeinen Bekanntheit ist zudem anzuführen, dass die §§ 6 – 8 GeschGehG dafür sprechen, jedenfalls die Kenntnisnahme einzelner Personen noch nicht ausreichen zu lassen, um von einer offenkundigen Information auszugehen. Andernfalls hätten die Anspruchsgrundlagen aus § 6 S. 1 GeschGehG und §§ 7, 8 GeschGehG faktisch keinen Anwendungsbereich, weil diese jeweils an der fortbestehenden Existenz eines Geschäftsgeheimnisses anknüpfen.496 Zum gleichen, zutreffenden Ergebnis gelangt die Literatur auch im Hinblick auf die Geschäftsgeheimnis-RL.497 Bezieht man historische Erwägungen im Hinblick auf die Bewertung der Offenkundigkeit mit ein, fällt das Einfügen des Wortes allgemein in § 2 Nr. 1 lit. a HS. 1 GeschGehG auf. So definierte § 1 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG-RefE das Geschäftsgeheimnis noch wie folgt „eine Information, die“ (lit. a) „weder insgesamt noch in ihren Einzelheiten den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Information umgehen, bekannt oder ohne 491 Gaugenrieder, BB 2014, 1987, 1987 f.; Redecker/Pres/Gittinger, WRP 2015, 681, 683; Wiese, EU-Richtlinie, S. 42. 492 McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 33; Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 2 Rn. 31 f. 493 Erneut Brandau/Gal, GRUR 2009, 118, 119 ff. 494 Hess, GRUR-Prax 2020, 251, 252. 495 KG, Beschl. v. 10. 11. 2020 – 6 W 1029/20, BeckRS 2020, 31170 Rn. 17; LAG Hamm, Urt. v. 23. 06. 2021 – 10 SaGa 9/21, BeckRS 2021, 41734 Rn. 14; OLG Schleswig, Urt. v. 28. 04. 2022 – 6 U 39/21, GRUR-RS 2022, 9007 Rn. 42 – Teil-Kostenrechnung. 496 McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 38; i. E. zustimmend Heinzke, CCZ 2016, 179, 181; grds. zustimmend Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 134, 141 f. welcher aber einwendet, dass in diesen Fällen das Vorliegen angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen i. S. d. § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG u. U. verneint werden muss; ähnlich argumentieren auch Krüger/Wiencke/Koch im Hinblick auf § 4 Abs. 3 S. 1 GeschGehG, vgl. GRUR 2020, 578, 581; i. E. so auch KG, Beschl. v. 10. 11. 2020 – 6 W 1029/20, BeckRS 2020, 31170 Rn. 19. 497 Nur Wiese, EU-Richtlinie, S. 41.
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weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist und“ (lit. b) „Gegenstand von angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist.“,
während in das GeschGehG folgende Definition Einzug erhalten hat, wonach „eine Information“ (lit. a) „die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Information umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist und“ (lit. b) „die Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist und“ (lit. c) „bei der ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht“;
ein Geschäftsgeheimnis darstellt. Dabei fallen sowohl die sprachliche Annäherung an die deutsche Fassung der Richtlinie als auch das Erfordernis eines berechtigten Interesses auf. Aus dem Vergleich der Gesetzgebungsunterlagen ergibt sich aber, dass der Gesetzgeber durch das Ergänzen des Wortes allgemein keine inhaltlichen Änderungen verbinden wollte. Vielmehr lässt sich den Unterlagen gleichlautend entnehmen, dass die Information, im konkreten Personenkreis nicht generell bekannt sein darf.498 Zwar von geringer praktischer Bedeutung – aber gleichwohl denkbar wie die Rechtsprechung des Reichgerichts zeigt499 – ist der Umstand, dass die Offenkundigkeit einer Tatsache durch Vergessen im maßgeblichen Personenkreis auch wieder entfallen kann. cc) ohne Weiteres zugänglich Wann eine Information ohne Weiteres zugänglich ist, kann ebenfalls nicht eindeutig am Wortlaut festgemacht werden. Sowohl ein strenger als auch ein lascher Maßstab erscheinen möglich. Es ist aber zu berücksichtigen, dass der Aufwand stets im Hinblick auf den maßgeblichen Personenkreis zu ermitteln ist. Daher werden diese Kreise und ihre individuelle Leistungsfähigkeit ausschlaggebend sein.500 Auch aus dem Wortlaut der Geschäftsgeheimnis-RL lassen sich keine weiteren Erkenntnisse gewinnen. Der Vergleich mit der englischen Fassung, welche sprachlich auf readily accessible abstellt, führt zu nichts. Ergiebiger ist die systematische Auslegung. So folgt aus dem Vorhandensein des § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG, dass ein Geschäftsgeheimnis durch „Beobachten, Untersuchen, Rückbauen oder Testen eines Produkts oder Gegenstands“ bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. a oder b GeschGehG erlangt werden darf. Dies setzt aber notwendigerweise voraus, dass ein Geschäftsgeheimnis
498
Vgl. BT-Drs. 19/4724, S. 24 und RefE, S. 21. Siehe dazu RGSt 31, 90, 91 – Knopfmuster; Schafheutle, Wirtschaftsspionage, S. 81; Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 80 f.; Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 132. 500 So auch LAG Köln, Urt. v. 02. 12. 2019 – 2 SaGa 20/19, Rn. 24; i. d. S. (wohl) auch ArbG Hamburg, Urt. v. 01. 07. 2021 – 4 Ca 17/21, GRUR-RS 2021, 46268 Rn. 57 – vorgefertigte Cocktails. 499
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bei Möglichkeit des Reverse Engineerings noch vorliegen kann.501 Das bloße Inverkehrbringen eines Produkts kann daher allein nicht ausreichend sein, um auf Grund potenzieller Rekonstruierbarkeit die Geheimnisqualität abzuerkennen.502 Dies lässt sich anhand des gleichen Argumentationsmuster durch Art. 3 Abs. 1 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL untermauern. Der Richtlinie lässt sich nämlich ebenfalls entnehmen, dass trotz der Möglichkeit des Reverse Engineerings ein Geschäftsgeheimnis vorliegen können muss. Denkbar ist aber, dass ein Geheimnis durch Reverse Engineering aufgedeckt wird und dann weiterverbreitet wird, so dass es in der Folge zur Offenkundigkeit kommt.503 Diese Auslegungsergebnisse decken sich mit den zuvor gefundenen Ergebnissen, so dass darin unabhängig von dem Erfordernis richtlinienkonformer oder bloß richtlinienorientierter Auslegung eine Bestätigung des Auslegungsergebnisses zu sehen ist. In der Literatur wird zudem § 3 PatG herangezogen und argumentiert, dass über das Merkmal ohne Weiteres zugänglich ein Bezug zur Schöpfungshöhe aus dem Bereich des Patentrechts hergestellt werden könne.504 Die Norm definiert eine Erfindung dann als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Dieser Vergleich ist aber wenig ergiebig, weil der Maßstab der Neuheit in diesem Sinne wesentlich enger auszulegen ist und andere teleologische Erwägungen zu Grunde liegen.505 Die Norm aus dem Patentrecht misst nämlich eine Entdeckung am bisherigen Stand der Technik, nicht aber am Entdeckungsaufwand. Die Gesetzesbegründung kann nur in geringem Umfang neue Erkenntnisse beisteuern. So lässt diese zwar den Schluss zu, dass die Begriffe ohne Weiteres und leicht zugänglich Synonyme bilden506, doch bildet dies lediglich ein Argument dafür keinen allzu strengen Maßstab zu fordern.507 Einen alternativen Ansatz zur Bestimmung des Merkmals ohne Weiteres zugänglich präsentiert McGuire, indem sie die Kontrollfrage vorschlägt, ob die sich 501
I. d. S. auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 11. 03. 2021 – 15 U 6/20, GRUR-RS 2021, 17483 Rn. 35 – CAD-Konstruktionszeichnung; Alexander, WRP 2017, 1034, 1038; McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 36, 40; Strobel, Reverse Engineering, S. 103; Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 2 Rn. 30. 502 So auch Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 136; vertiefend Strobel, Reverse Engineering, S. 86 ff. 503 McGuire, GRUR 2016, 1000, 1007; Alexander, WRP 2017, 1034, 1038; Wiese, EURichtlinie, S. 43 f., 128; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 82. 504 Scheja, CR 2018, 485, 490. 505 McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 41; Reimann, GRUR 1998, 298, 302; siehe auch RG, Entsch. v. 17. 03. 1936 – II 223/35, GRUR 1936, 573, 575 f. – Albertus Stehfix und erneut BGH, Urt. v. 22. 03. 2018 – I ZR 118/16, GRUR 2018, 1161 Rn. 39 – Hohlfasermembranspinnanlage II. 506 Vgl. BT-Drs. 19/4724, S. 24. 507 I. d. S. (wohl) auch OLG Schleswig, Urt. v. 28. 04. 2022 – 6 U 39/21, GRUR-RS 2022, 9007 Rn. 42 – Teil-Kostenrechnung, wonach die Geheimnisqualität zu verneinen sei, wenn wenige Stunden Arbeit zur Beschaffung ausreichen.
Kap. 4: Begriff des Geschäftsgeheimnisses
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Zugang verschaffende Person wissen konnte, dass sie „in einen fremden Geheimnisschutzbereich eingreift.“508 Auf diese Weise würde ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit begründet werden, ohne gleichzeitig einen echten Mehrwert präsentieren zu können. Daher erscheint es wenig überzeugend vom aufgezeigten Maßstab abzuweichen. Genauso wenig kann hier auf den in der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsatz zurückgegriffen werden, wonach ein Geschäftsgeheimnis mit Ablauf von fünf Jahren in der Regel nicht mehr aktuell, daher auch nicht mehr vertraulich sei und etwas Abweichendes erst gesondert nachgewiesen werden müsse509, verwiesen werden.510 Diesem Ansatz liegen nämliche die Wertungen zur Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen, die bei einer Behörde aktenkundig sind, in Folge von geltenden gemachten öffentlich-rechtlichen Informationsansprüchen zu Grunde. Damit kommt es in diesen Konstellationen letztlich nicht primär auf den aktuellen Zustand des Geschäftsgeheimnisses an, welcher im Einzelfall überholt sein kann, an. Außerdem bemisst sich die Offenkundigkeit – wie bereits festgehalten – nach tatsächlichen Maßstäben. 2. Auslegung des § 2 Nr. 1 lit. a HS. 2 GeschGehG – Wirtschaftlicher Wert einer nicht offenkundigen Information a) Wirtschaftlicher Wert einer nicht offenkundigen Information Auch beim Merkmal des wirtschaftlichen Wertes öffnet der Wortlaut der Norm erheblichen Auslegungsspielraum. In der Literatur haben sich daher schon innerhalb kurzer Zeit zwei Lager herauskristallisiert. Sprachlich ist zum einen eine enge Interpretation möglich, sodass nur Informationen erfasst sein könnten, welche vergleichbar mit einer Sache oder mit Immaterialgüterrechten – wie etwa Marken, Patente oder Urheberrechte – einen konkreten Handelswert aufweisen.511 Dies soll allerdings nicht so eng verstanden werden, dass der Wert einer Information bereits
508
McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 39. EuGH, Urt. v. 19. 06. 2018, Rs. C-15/16, ECLI:EU:C:2018:464 Rn. 54 – Baumeister; EuGH, Urt. v. 14. 07. 2017, Rs. C-162/15, ECLI:EU:C:2017:205 Rn. 64 – Evonik Degussa; BVerwG, Urt. v. 30. 01. 2020 – 10 C 18.19, BeckRS 2020, 9710, Rn. 16, 23 ff. mit Verweis auf BVerwGE 154, 231 Rn. 35 f. m. w. N. und BVerfGE 147, 50 Rn. 350, 353. 510 Wiebe, NVwZ 2019, 1705, 1709; Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 2 Rn. 28. 511 Goldhammer, NVwZ 2017, 1809, 1812; Alexander, WRP 2017, 1034, 1038 f.; Karthaus, NZA 2018, 1180, 1182; Hoeren/Münker, WRP 2018, 150, 151; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 150; McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 45; dies., in: FS Harte-Bavendamm, S. 367, 379; bei Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 2 Rn. 15 ist von einer positiven Wertbestimmung die Rede; unklar Heinzke, CCZ 2016, 179, 182. 509
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konkret feststeht, sondern auch solche Informationen erfasst sind, die erst durch Weiterverarbeitung ihren tatsächlichen Wert entfalten können.512 Genauso kann das in der Literatur ebenso vertretene weite Verständnis, wonach jede Information zu erfassen ist, welche in irgendeiner Weise für das Unternehmen im wirtschaftlichen Zusammenhang von Bedeutung ist, mit dem Normwortlaut vereinbart werden.513 Damit erschiene es, wie bereits zuvor angesprochen, denkbar, dass eine Information die auch private Aspekte betrifft dem Geschäftsgeheimnisbegriff unterfallen kann. So kann zum Beispiel der Gesundheitszustand eines Managers für die Bewertung der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens von Interesse sein.514 Vergleichsweise eindeutiger ist der Wortlaut des zweiten Bestandteils dieses Tatbestandsmerkmals des neuen Geschäftsgeheimnisbegriffs. Aus der Verwendung des Wortes daher folgt nämlich, dass der wirtschaftliche Wert der Information gerade aus dem Umstand folgen muss, dass diese ein Geheimnis darstellt, wobei es sich dabei um ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal handelt.515 Es ist also ein Kausalzusammenhang zwischen der Geheimhaltung und dem wirtschaftlichen Wert erforderlich. Die Verfechter der weiten Auslegung führen in diesem Kontext an, dass die Kausalbezeichnung daher zugleich daraufhin deuten soll, dass es maßgeblich auf den aus der Geheimheit erwachsenden Wert ankommt.516 Mithin also ein konkreter Handelswert der Information nicht mehr zwingend erforderlich sei, vielmehr ein weites Begriffsverständnis an den Tag zu legen ist. Andere Vertreter einer grundsätzlich weiten Auslegung – etwa Alexander und Harte-Bavendamm – erkennen die besondere Bedeutung der Kausalbezeichnung ebenfalls an, sind jedoch der Auffassung, dass die Geheimheit nicht als alleiniger wertbegründender Faktor zu berücksichtigen ist, sondern nur einen erforderlichen Teilaspekt darstellt.517
512
Alexander, WRP 2017, 1034, 1038 f.; Krüger/Wiencke/Koch, GRUR 2020, 578, 581. Alexander, AfP 2019, 1, 4; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 37; bei Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 2 Rn. 15 ist dann von einer negativen Wertbestimmung die Rede; ähnlich Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 2 Rn. 40. 514 Ohly, GRUR 2019, 441, 442. 515 Ohly, GRUR 2019, 441, 442; Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 144; im Hinblick auf die Geschäftsgeheimnis-RL Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 107. 516 Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 151; zustimmend mit Bezug auf Art. 2 Nr. 1 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 2 Rn. 15; a. A. Reger, TRIPSÜbereinkommen, S. 262 f. 517 Alexander, WRP 2017, 1034, 1039; ders., in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 47; Harte-Bavendamm misst dem Kausalitätsaspekt sogar nur eine untergeordnete Bedeutung bei, vgl. Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 37; im Hinblick auf Art. 39 Abs. 2 TRIPs Peter/Wiebe, in: Busche/Stoll/Wiebe, TRIPs, Art. 39, Rn. 22. 513
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Eine abschließende Klärung, ob eine enge oder weite Auslegung vorzugswürdig ist, kann aber anhand des Wortlauts, trotz dieser Argumente, nicht erfolgen. Mithin stehen diese einer engen Begriffsbestimmung nämlich nicht zwingend entgegen. Anders wiederum scheint sich die Lage bei Art. 2 Nr. 1 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL zu gestalten, welcher nun auch fruchtbar gemacht werden soll. In dieser Norm ist nämlich abweichend vom wirtschaftlichen Wert in § 2 Nr. 1 lit. a HS. 2 GeschGehG explizit ein kommerzieller Wert als Tatbestandsmerkmal vorgesehen. Diese Formulierung legt bestärkt durch Erwägungsgrund [14] den Schluss nahe, dass die Information einen realen oder zumindest potenziellen Handelswert aufweisen muss.518 Damit wäre ein engeres Begriffsverständnis zu Grunde zu legen, welches bloße negative Folgen des Bekanntwerdens gerade nicht mehr erfasst. Dieser Ansatz kann jedoch durch Erwägungsgrund [14] selbst widerlegt werden, weil dieser die Klarstellung enthält, dass ein Handelswert in diesem Sinne zum Beispiel bereits gegeben ist, „wenn ihr [also der Information] unbefugter Erwerb oder ihre unbefugte Nutzung oder Offenlegung die Interessen der Person, die rechtmäßig die Kontrolle über sie ausübt, aller Voraussicht nach dadurch schädigt, dass das wirtschaftliche oder technische Potenzial, die geschäftlichen oder finanziellen Interessen, die strategische Position oder die Wettbewerbsfähigkeit dieser Person untergraben werden.“519
Dies wurde bereits in der Vergangenheit im Hinblick auf die Vorbildnorm aus Art. 39 Abs. 2 lit. b TRIPS-Übereinkommen überwiegend so gehandhabt.520 Zu einem vergleichbaren Ergebnis gelangen auch Böhm/Nestler, welche vorschlagen betriebswirtschaftliche Grundsätze zur Bewertung heranzuziehen.521 Für eine abweichende Beurteilung sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Neben diesem Argument stellt Wiese zusätzlich auf Erwägungsgrund [1] ab. Dort heißt es in der deutschen Sprachfassung, dass das Wissen „… für das betreffende Unternehmen von Wert [sein muss]“. Das legt den Schluss nahe nur auf einen relativen, aber nicht auf einen absoluten kommerziellen Wert abzustellen. Dieser soll – so jedenfalls Wiese – dem aus dem Geheimnis erwachsenden Wettbewerbsvorsprung entsprechen.522 Negative Informationen, wie das bestimmte Verfahren etwa nicht den gewünschten Erfolg entwickeln, würden ansonsten nicht erfasst, weil diese gerade 518 So auch Goldhammer, NVwZ 2017, 1809, 1812; Alexander, WRP 2017, 1034, 1039; ders., in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 42 f.; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 151; Hauck, WRP 2018, 1032, 1034; bei Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 2 Rn. 15 ist daher von einer positiven Wertbestimmung die Rede. 519 Wiese, EU-Richtlinie, S. 44; das so gefundene Ergebnis lässt sich nach Reinbachers Auffassung erneut durch die verwendete Kausalbezeichnung unterstreichen, vgl. KriPoZ 2019, 148, 151; Wiebe, NVwZ 2019, 1705, 1707; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 2 Rn. 15. 520 Reger, TRIPS-übereinkommen, S. 262 f.; McGuire/Joachim/Künzel/Weber, GRURInt. 2010, 829, 830; Wiese, EU-Richtlinie, S. 46 f.; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 151. 521 Böhm/Nestler, GRUR-Prax 2018, 181, 182. 522 Wiese, EU-Richtlinie, S. 45 f.
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keinen tatsächlich handelbaren Wert aufweisen. Diese Erkenntnisse seien aber für die Wettbewerbsposition von erheblicher Bedeutung.523 Stellt hingegen der Umstand, dass ein Unternehmen ein an sich bekanntes Verfahren nutzt, eben dies aber geheim ist, die geheime Information dar, so sei diese Art von Geheimnis auch nicht schutzwürdig, weil darin kein Wettbewerbsvorteil begründet sein soll.524 In diese Richtung geht auch der von Rody zwar abweichend betitelte, inhaltlich aber ähnliche Ansatz, einen (hypothetischen) Tauschwert zu ermitteln, welcher dem wirtschaftlichen Wert entsprechen soll.525 Daran ist allerdings zu kritisieren, dass nicht klar wird warum, in dieser Situation kein Wettbewerbsvorteil denkbar sein soll. Mithin verdienen diese Ansätze also keinen Beifall. Auf Grund des bisher unklaren Auslegungsergebnisses sind weitere systematische Erwägungen anzustellen. Dazu bildet der Anspruch auf Schadensersatz aus § 10 Abs. 1 S. 1 GeschGehG einen neuen Anknüpfungspunkt. Korrespondierend hierzu enthalten die § 10 Abs. 2, 3 GeschGehG Normen zur Bemessung der Anspruchshöhe und zur Kompensation immaterieller Schäden.526 Mithin lässt diese Regelung den Willen des Gesetzgebers erkennen, möglichst umfangreiche Kompensationsmöglichkeiten zu schaffen, welche über den reinen Vermögensschutz hinausgehen können. Anhand dieses Systems könnte im Hinblick auf § 2 Nr. 1 lit. a HS. 2 GeschGehG impliziert sein, dass nur solche Aspekte, die sich unter § 10 Abs. 2 GeschGehG fassen lassen zugleich auf den wirtschaftlichen Wert zurückzuführen sind, während alle darüberhinausgehenden Aspekte unter § 10 Abs. 3 GeschGehG fallen. Daraus würde folgen, dass ein wirtschaftlicher Wert dann gegeben ist, wenn zugleich ein Vermögensschaden im Sinne des § 10 Abs. 2 GeschGehG als Konsequenz einer Geheimnisverletzung entstehen würde. Folglich ließen sich bei einer solchen Sichtweise zugleich die von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze zu den Vermögensdelikten auf § 2 Nr. 1 lit. a HS. 2 GeschGehG übertragen.527 Folge wäre ein eindeutiges, an der zivilrechtlichen Prägung orientiertes Ergebnis. Allerdings fußt dieser Ansatz – zugegebenermaßen – nicht auf zwingenden Argumenten. Hilfsweise kann er auch als bloßes Indiz für ein zumindest etwas engeres Begriffsverständnis herangezogen werden. 523
Wiese, EU-Richtlinie, S. 45; ähnlich auch Ohly, auch GRUR 2019, 441, 443. Wiese, EU-Richtlinie, S. 45 f.; im Hinblick auf den Begriff des Unternehmensgeheimnisses ist erneut die anders lautende Linie der Rechtsprechung hervorzuheben, vgl. BGH, Urt. v. 15. 03. 1955 – I ZR 111/53, GRUR 1955, 424, 425 – Möbelpaste; BGH, Urt. v. 01. 07. 1960 – I ZR 72/59, GRUR 1961, 40, 43 – Wurftaubenpresse; BGH, Urt. v. 16. 10. 1962 – KZR 11/61, GRUR 1963, 207, 210 – Kieselsäure; OLG Hamm WRP 1993, 36, 38 – Tierohrmarken. 525 Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 122 ff. m. w. N. 526 Statt vieler Ohly, GRUR 2019, 441, 449. 527 Auch Alexander ordnet § 23 GeschGehG den Vermögensdelikten zu, vgl. Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 15; instruktiv zur Einstufung der §§ 17 – 19 UWG a. F. als Vermögensdelikte nur Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 226 ff. 524
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Bezieht man nun die Gesetzesbegründung mit ein, so soll der wirtschaftliche Wert einer Information immer dann bestehen, wenn die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung ohne Zustimmung des berechtigten Inhabers dessen wirtschaftliches oder technisches Potenzial, geschäftliche oder finanzielle Interessen, strategische Position oder Wettbewerbsfähigkeit negativ beeinflusst.528 Dadurch ergibt sich der bereits zuvor angesprochene Ausschluss belangloser Informationen.529 Folglich legt auch die Gesetzesbegründung ein weites Begriffsverständnis nahe. Im Hinblick auf die historische Auslegung dieser Norm erscheint es überzeugend die Erläuterungen des Gesetzgebers als Faustformel zur Bestimmung des Vorliegens des Tatbestandsmerkmals zu verwenden. Aus der Formel lässt sich zugleich ablesen, dass es – wie beim Unternehmensgeheimnis im Sinne des § 17 UWG auch – nicht auf einen tatsächlich positiv zu bemessenden Wert ankommen kann.530 Bezieht man auch Erkenntnisse aus dem Bereich der Betriebswirtschaftslehre mit ein, lässt sich das gefundene Ergebnis im Wesentlichen unterstreichen. Demnach ist für die Werthaltigkeit eines Geschäftsgeheimnisses maßgeblich, ob die betreffende Information für die Aktivitäten der Leistungserbringung und/oder unterstützenden sowie steuernden Funktionen in einem Unternehmen von Relevanz ist.531 Zu diesem Ergebnis gelangt – zutreffend – auch Wiese beim Vergleich der Merkmale des kommerziellen Wertes und des berechtigten Geheimhaltungsinteresses. Das Geheimhaltungsinteresse setzte gerade keine Werthaltigkeit der Information voraus, sondern stellte lediglich auf die Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit im Falle des Bekanntwerdens ab.532 Ebenfalls ist dabei nur ein potenzieller, nicht aber tatsächlich messbarer Nachteil erforderlich. b) Wirtschaftlicher Wert illegaler Geheimnisse Um dem Ziel dieser Untersuchung gerecht zu werden, ist bereits an dieser Stelle eine besonders für den zweiten Teil interessante, potentielle Grenze des Geschäftsgeheimnisschutzes aufzuzeigen. Es stellt sich für den wirtschaftlichen Wert als eigenständiges Tatbestandsmerkmal – wie bereits im alten Recht – die Frage, inwieweit negative Informationen einen wirtschaftlichen Wert besitzen. Dabei wird sich im Verlauf der nachfolgenden Erörterungen zeigen, dass abweichend von der alten Rechtslage nur ein einziges Ergebnis wirklich Applaus verdient. Doch zuvor
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BT-Drs. 19/4724, S. 24 mit Verweis auf Erwägungsgrund [14]. BT-Drs. 19/4724, S. 24. 530 So auch Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1775; ähnlich KG, Beschl. v. 10. 11. 2020 – 6 W 1029/20, BeckRS 2020, 31170 Rn. 22; LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 18. 08. 2021 – 4 SaGa 1/21, BeckRS 2021, 26156 Rn. 28; OLG Schleswig, Urt. v. 28. 04. 2022 – 6 U 39/21, GRUR-RS 2022, 9007 Rn. 47 – Teil-Kostenrechnung. 531 Nienaber, Geschäftsgeheimnisse, Rn. 90, vertiefend 132 ff. 532 Erneut Wiese, EU-Richtlinie, S. 46 f.; Schenkel, Whistleblowing, S. 281; Nienaber, Geschäftsgeheimnisse, Rn. 92. 529
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bedarf es einer umfassenden Darstellung sämtlicher in die Abwägung einzubeziehender Gesichtspunkte. So lassen bereits Wortlaut und Systematik den Schluss zu, dass zumindest auch der Schutz des Vermögens des Geheimnisinhabers bezweckt werden soll. Für einige Stimmen in der Literatur ist daher das Merkmal des wirtschaftlichen Wertes Anknüpfungspunkt zur Beantwortung der Frage, ob auch illegale Geheimnisse in Zukunft dem Schutz des Geschäftsgeheimnisbegriffs unterfallen.533 Dies lasse sich damit begründen, dass solche Informationen keinen Handelswert besitzen, welcher zum Beispiel durch Übertragung oder Lizensierung realisiert werden könnte. Ein solches Begriffsverständnis lässt sich aber nur mit der zuvor ins Spiel gebrachten engen Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals vereinbaren, welche insbesondere bestärkt durch Erwägungsgrund [14] zum Ausschluss illegaler Geheimnisse vom Tatbestand herangezogen wird.534 Vorgetragen wird zudem, dass in Erwägungsgrund [14] die Rede von einem legitimen Interesse an der Geheimhaltung bestehen muss, woran es aber gerade bei illegalen Geheimnissen fehlen soll.535 Bei einem weiten Begriffsverständnis ist dieser Auffassung hingegen eine Absage zu erteilen, weil dem wirtschaftlichen Wert dann keine Bedeutung mehr bei der Frage nach dem Schutz illegaler Geheimnisse zukommen kann.536 Vielmehr zieht auch das Bekanntwerden illegaler Geheimnisse potentiell negative Konsequenzen für ein Unternehmen nach sich, sodass diesen zumindest ein wirtschaftlicher Wert beigemessen werden müsste.537 Darüber hinaus lässt sich argumentieren, dass etwa die im
533 Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1011; Alexander, WRP 2017, 1034, 1039; ders., AfP 2019, 1, 4 f.; Hauck, WRP 2018, 1032, 1033 ff.; Buchert/Buchert, ZWH 2018, 309, 313; Schenkel, Whistleblowing, S. 105; McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 46 f.; Steinmann, WRP 2019, 703, 709; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 126 ff.; Drescher, Industrieund Wirtschaftsspionage, S. 292; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 39; diese Möglichkeit erkennt auch Reinfeld an, vgl. GeschGehG, § 3 Rn. 23; Krell, ZStW 133 (2021), 714, 732 ff.; allgemeiner in Bezug auf negative Informationen Goldhammer, NVwZ 1809, 1812; dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Literatur teilweise noch § 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG-RegE im Blick hatte und der Regierungsentwurf keine mit § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG vergleichbare Regelung enthielt. 534 So etwa Goldhammer, NVwZ 2017, 1809, 1812; Schmitt, RdA 2017, 365, 369; Hauck, WRP 2018, 1032, 1034; Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 335; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 151. 535 Hauck, WRP 2018, 1032, 1034; Schubert, in: EuArbRK, Art. 2 RL 2016/943/EU Rn. 23; dieses Argument ist auf Grund der Änderungen kurz vor Erlass des Gesetzes nun mehr erst i. R. d. § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG zu verorten und bedarf, daher an geeigneter Stelle der erneuten Erwähnung. 536 In diese Richtung (wohl) Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 27; Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 147. 537 Ähnlich bereits Passarge, CB 2018, 144, 145; Baranowski/Glaßl, CB 2018, 271, 272; Alexander, AfP 2019, 1, 4 f.; Ohly, GRUR 2019, 441, 443; Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 147; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 126 f.; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 2 Rn. 75; Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 33; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 109; Momsen/Be-
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Dieselskandal eingesetzte Software als solche durchaus hätte verkauft werden oder Gegenstand eines Lizenzgeschäfts hätte sein können.538 Darauffolgende Bußgelder hingegen wären an dieser Stelle nach Auffassung von Kalbfus und Ullrich nicht zu berücksichtigen, weil diese gerade nicht Gegenstand eines solchen Geschäfts sein können.539 Ähnlich wird auch im Hinblick auf die Richtlinie argumentiert. Der Wert einer Information soll losgelöst vom rechtswidrigen Kontext zu betrachten sein. So verliere etwa eine Kundenliste, die in ein illegales Kartell eingebracht wird, nicht automatisch ihren bisher bestehenden Wert und gewinne diesen auch nicht eo ipso nach Auflösung des Kartells wieder. Der Wert der Information müsse vielmehr nach ihrem unverändert bestehenden Charakter beurteilt werden.540 Auch Kundenlisten, deren Daten durch einen Verstoß gegen Datenschutzgesetze erlangt worden sind, sind mit dem gleichen Aussagegehalt im Wettbewerb und damit auch mit dem gleichen wirtschaftlichen Wert wie solche Listen, deren Daten rechtmäßig erlangt wurden, zu bewerten.541 Lediglich die Art der Erlangung unterscheidet sich.542 Vor dem Hintergrund der Geschäftsgeheimnis-RL wird an dieser Stelle auch mit dem Vorhandensein des Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL argumentiert und der Schluss gezogen, dass auch illegale Geheimnisse der Legaldefinition unterfallen sollten. Dieser setzt nämlich zunächst einmal die Verwirklichung der Tatbestandsvoraussetzungen einer rechtswidrigen Handlung im Sinne des Art. 4 Geschäftsgeheimnis-RL voraus. Daraus lasse sich schlussfolgern, dass zunächst einmal jegliche Art von Geschäftsgeheimnis geschützt sei.543 Insoweit wird jedoch zutreffend eingeräumt, dass dies nur auf den ersten Blick überzeugen kann.544 Vielmehr setzt Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL das Geschäftsgeheimnis gerade nicht mit der illegalen Tätigkeit gleich. In der Gesamtschau nedict, KriPoZ 2020, 234, 238; ähnlich Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 2 Rn. 53 f. 538 Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1011; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., Vorb. §§ 17 – 19 Rn. 16; Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 67; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 151; Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 2 Rn. 139. 539 Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1011; Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 67. 540 Wiese, EU-Richtlinie, S. 48 mit Verweis auf EuGH, Beschl. v. 02. 03. 2016, Rs. C 162/ 15, ECLI:EU:C:2016:142, Rn. 89 – Evonik; so auch Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 82, welcher davon spricht, dass keine „Infektion“ von im Zusammenhang mit einer Rechtsverletzung stehenden Informationen erfolgen sollte. 541 Wiese, EU-Richtlinie, S. 48; ähnlich Krell, ZStW 133 (2021), 714, 737. 542 Wiese, EU-Richtlinie, S. 48. 543 Schnabel, CR 2016, 342, 348; Wiese, EU-Richtlinie, S. 47; Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 119; ähnlich Buchert/Buchert, ZWH 2018, 309, 313; Schenkel, Whistleblowing, S. 105; Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 115; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 128; Drescher, Industrie- und Wirtschaftsspionage, S. 292 f.; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/ Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 39; widersprüchlich Alexander, WRP 2017, 1034, 1038. 544 Wiese, EU-Richtlinie, S. 47.
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mit Erwägungsgrund [20]545 muss nämlich die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses der Aufdeckung einer illegalen Tätigkeit von unmittelbarer Relevanz dienen. Dabei ist es ebenso gut denkbar, dass die Information über eine illegale Tätigkeit gerade nicht geschützt ist, aber nur im Zusammenhang mit einem geschützten Geschäftsgeheimnis aufgedeckt werden kann. Das Geschäftsgeheimnis ist dann der Aufdeckung lediglich dienlich.546 Ein davon abweichendes Verständnis legt vor allem Reinbacher an den Tag und interpretiert Erwägungsgrund [20] dahingehend, dass dieser lediglich klarstellt, dass das Fehlverhalten ein nicht unbedeutendes Gewicht haben muss.547 Daraus folgt jedoch nicht ohne weiteres, dass dies ein Indiz gegen den Ausschluss illegaler Geheimnisse auf Tatbestandsebene bildet. Vielmehr können die vorgetragenen Argumente nebeneinander Bestand haben.548 Abweichend zieht Steinmann den Erwägungsgrund [20] bereits bei der Auslegung von Art. 2 Nr. 1 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL heran und leitet daraus ein Argument gegen den tatbestandsmäßigen Schutz illegaler Geheimnisse ab.549 Dies erscheint jedoch wenig überzeugend, weil die sprachliche Ausgestaltung des Erwägungsgrunds [20] nicht am Begriff des Geschäftsgeheimnisses anknüpft, sondern impliziert, dass etwaige Maßnahmen in Bezug auf die Offenlegung diesen Umstand berücksichtigen sollten. Dies legt allerdings nahe, den Erwägungsgrund erst im Hinblick auf Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL heranzuziehen. Mithin lässt sich also sagen, dass die zuvor bereits vorgetragenen Argumente in diesem Zusammenhang zumindest teilweise nicht an Aktualität eingebüßt haben. Dies gilt sogar wie aufgezeigt bei einem engen Begriffsverständnis. Im Ergebnis spricht auch die Existenz des neu hinzugetretenen Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL weder eindeutig für noch klar gegen das Erfassen illegaler Geheimnisse. Dadurch wird deutlich, wie schwierig es ist, eine einheitliche Linie anhand einer 545 Erwägungsgrund [20] der Geschäftsgeheimnis-RL lautet wie folgt: „Die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe sollten nicht dazu dienen, Whistleblowing-Aktivitäten einzuschränken. Daher sollte sich der Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht auf Fälle erstrecken, in denen die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses insoweit dem öffentlichen Interesse dient, als ein regelwidriges Verhalten, ein Fehlverhalten oder eine illegale Tätigkeit von unmittelbarer Relevanz aufgedeckt wird. Das sollte nicht so verstanden werden, dass die zuständigen Gerichte daran gehindert seien, Ausnahmen von der Anwendung der Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe in den Fällen zuzulassen, in denen der Antragsgegner allen Grund hatte, in gutem Glauben davon auszugehen, dass sein Verhalten den in dieser Richtlinie festgelegten angemessenen Kriterien entspricht.“ 546 Wiese, EU-Richtlinie, S. 47. 547 Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 118; ders., KriPoZ 2019, 148, 158; so (wohl) auch Reinhardt-Kasperek/Kaindl, BB 2018, 1332, 1334. 548 Trotz dieser Argumente gelangt Wiese zu dem Schluss, dass es interessengerechter sei, auch illegale Aktivitäten unter die Legaldefinition des Art. 2 Nr. 1 Geschäftsgeheimnis-RL zu subsumieren und diesen Umstand erst im Rahmen des Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL zu berücksichtigen, vgl. EU-Richtlinie, S. 48. 549 Steinmann, WRP 2019, 703, 709.
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engen Auslegung zu entwickeln. Bei nahezu jedem illegalen Geheimnis sind auch legale Nutzungsmöglichkeiten denkbar, bei denen auch ein zumindest hypothetischer Handelswert bestehen würde. Daneben gilt es zu berücksichtigen, dass bei der Offenlegung illegaler Informationen in der Regel gleichzeitig legale Informationen erfasst sein werden.550 Daraus wird (wohl) folgen, dass es selbst beim Ausschluss illegaler Informationen zu tatbestandsmäßigem Verhalten kommen kann. An dieser Stelle ist zum ersten Mal auf die Vorschrift aus § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG und somit das Merkmal des berechtigten Interesses einzugehen. Allein die Existenz dieser Norm legt den Schluss nahe, den Streit, um den Schutz illegaler Geheimnisse in Zukunft auf Ebene dieses Merkmals zu verlagern.551 Durch das Einfügen des Merkmals des berechtigten Interesses im Sinne des § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG ergibt sich ein abweichender Anknüpfungspunkt für die zu klärende Streitfrage nach dem Schutz illegaler Geheimnisse. Nach bislang herrschender Auffassung kam es auf das Vorliegen eines berechtigten wirtschaftlichen Interesses an, welches nach überwiegender, aber umstrittener Auffassung auch bei illegalen Geheimnissen bestand. Dieses Merkmal wurde in der Literatur teilweise bis zum Einfügen des § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG als in § 2 Nr. 1 lit. a HS. 2 GeschGehG unverändert fortbestehend eingeordnet. Dies kann im Hinblick auf die finale Gesetzesfassung aber nicht mehr überzeugen. Vielmehr muss in Zukunft zwischen dem wirtschaftlichen Wert und dem berechtigten Interesse als eigenständigem Tatbestandsmerkmal differenziert werden. Damit spricht neben den systematischen Überlegungen auch die Gesetzgebungsgeschichte dafür, die Frage nach dem Ausschluss illegaler Geheimnisse erst auf Ebene des § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG abschließend zu klären. Nichtsdestotrotz verlieren die vorangestellten Überlegungen zu § 2 Nr. 1 lit. a HS. 2 GeschGehG nicht ihre eigenständige Bedeutung oder Aktualität, sodass man um eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen nicht umhinkommt. 3. Auslegung des § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG – angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen a) Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen Das dritte Merkmal der angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen dient der Umsetzung des Art. 2 Nr. 1 lit. c Geschäftsgeheimnis-RL und schafft nach seinem Wortlaut ein nunmehr objektiv zu bestimmendes Kriterium, anhand dessen bereits nach außen hin erkennbar wird, ob es sich bei einer Information um ein Geschäftsgeheimnis handelt.552 Es handelt sich bei den Geheimhaltungsmaßnahmen 550
So auch Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 151; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 53. So auch Ohly, GRUR 2019, 441, 443. 552 BT-Drs. 19/4724, S. 24; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1775; McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 51; Thiel, WRP 2019, 700, 701; Richter, ArbRAktuell 2019, 375, 376; v. Steinau-Steinrück/Bertz, NJW-Spezial 2019, 498; die Objektivierung des Geschäftsgeheimnisbegriffs wird allgemein begrüßt, vgl. etwa bereits bzgl. § 1 I Nr. 1 lit. b GeschGehG551
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allerdings um eine Obliegenheit, der Geheimnisschutz und letztlich auch eine Strafbarkeit ist nur bei Vorliegen entsprechender Maßnahmen denkbar.553 Das Wort Maßnahme legt nahe, dass zumindest eine tatsächliche Manifestation vorhanden sein muss.554 Darunter lassen sich sowohl rechtliche als auch rein tatsächliche Maßnahmen, etwa organisatorischer Art oder technische beziehungsweise physische Absicherungen, subsumieren.555 Im Ergebnis muss ein ausreichender Schutzstandard bestehen, wobei unerheblich ist, aus welcher Art von Maßnahme dieser folgt.556 Es werden regelmäßig das need-to-know-Prinzip557, das clean-deskPrinzip558, die Schaffung von Nutzungs- und Zugangsbeschränkungen559, etwa durch wechselnde, ausreichend komplexe Passwörter oder Einschränkungen für die Ver-
RefE v. Busekist/Racky, ZRP 2018, 135, 137; krit. Bzgl. Dieses Tatbestandsmerkmals Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 2 Rn. 59 ff. 553 Eufinger, ZRP 2016, 229, 230 f.; Ohly, GRUR 2019, 441, 443; Fuhlrott/Hiéramente, DB 2019, 967, 969; auf Ebene des Zivilrechts ist der Geheimnisinhaber zu dem mit dem Nachweis angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen beweisbelastet, vgl. BT-Drs. 19/4724, S. 24. Dieser Umstand spielt jedoch für den Gang dieser Untersuchung auf Grund des im Strafprozess bestehenden Amtsermittlungsgrundsatz, vgl. § 244 Abs. 2 StPO, keine Rolle. 554 Redecker/Pres/Gittinger, WRP 2015, 681, 683; Trebeck/Schulte-Wissermann, NZA 2018, 1175, 1177. 555 Vgl. etwa die Auflistung in der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf, Urt. v. 11. 03. 2021 – 15 U 6/20, GRUR-RS 2021, 17483 Rn. 40 ff. – CAD-Konstruktionszeichnung; Knaak/Kur/ Hilty, IIC 45 (2014), 953, 957; Hauck, NJW 2016, 2218, 2220; Kalbfus, GRUR-Prax 2017, 391, 393; Alexander, WRP 2017, 1034, 1039; Wiese, EU-Richtlinie, S. 50 f.; McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 51; dies., WRP 2019, 679, 680; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 584; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1776; Voigt/Herrmann/Grabenschröer, BB 2019, 142, 145 ff.; Fuhlrott/Hiéramente, DB 2019, 967, 969 ff.; im Hinblick auf Art. 39 Abs. 2 TRIPs Peter/Wiebe, in: Busche/Stoll/Wiebe, TRIPs, Art. 39, Rn. 23: a. A. Böhm/Nestler, GRUR-Prax 2018, 181, 182 welche technische Sicherungsmaßnahmen für stets erforderlich erachten. 556 Wiese, EU-Richtlinie, S. 53. 557 I. d. S. wohl OLG Stuttgart, Urt. v. 19. 11. 2020 – 2 U 575/19, GRUR-RS 2020, 35613 Rn. 169 – Schaumstoffsysteme; LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 18. 08. 2021 – 4 SaGa 1/21, BeckRS 2021, 26156 Rn. 34; Wiese, EU-Richtlinie, S. 53 f.; Maaßen, GRUR 2019, 352, 357; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1776; Ohly, GRUR 2019, 441, 444; Voigt/Herrmann/ Grabenschröer, BB 2019, 142, 145 ff.; Fuhlrott/Hiéramente, DB 2019, 967, 970; Ernst, MDR 2019, 897, 898; McGuire, WRP 2019, 679, 680; Apel/Drescher/Lindner, BB 2022, 1795, 1800. 558 Maaßen, GRUR 2019, 352, 357; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 35. 559 OLG Düsseldorf, Urt. v. 11. 03. 2021 – 15 U 6/20, GRUR-RS 2021, 17483 Rn. 45 – CADKonstruktionszeichnung; Scheja, CR 2018, 485, 491; Wiese, EU-Richtlinie, S. 53 f.; Maaßen, GRUR 2019, 352, 357; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1776; Voigt/Herrmann/Grabenschröer, BB 2019, 142, 145; Fuhlrott/Hiéramente, DB 2019, 967, 970; Ernst, MDR 2019, 897, 898; McGuire, WRP 2019, 679, 680; im Bereich der IT-Sicherheit führt Ziegelmayer, dass in vielen Unternehmen bereits umfassende Maßnahmen ergriffen wurden, diese jedoch selten auf die konkreten Geheimnisse zugeschnitten sind und so nicht ihr volles Potential ausschöpfen können, vgl. CR 2018, 693, 695.
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wendung externer Speichermedien560, die Nutzung verschlüsselter Kommunikation561, die Aufstellung konkreter Verhaltensregeln im täglichen Umgang mit den Geheimnissen562, beispielsweise durch entsprechende Klauseln in Arbeitsverträgen563, durch Weisungen nach § 106 GewO oder aber kollektivrechtliche Maßnahmen wie eine Betriebsvereinbarung564 vorgeschlagen. Zusätzlich werden – soweit arbeitsrechtlich zulässig – Kontrollen von Arbeitnehmern bereits bei deren Einstellung565, laufende Schulungsmaßnahmen566, der Abschluss von Geheimhaltungsvereinbarungen567, Überwachungsmaßnahmen568, welche zum Beispiel auch 560
Scheja, CR 2018, 485, 491; Fuhlrott/Hiéramente, DB 2019, 967, 970; Schreiber-Ehle, CR 2019, 485, 490; Fuhlrott/Fischer, NZA 2022, 809, 811; speziell im Hinblick auf den Schutz im unternehmensinternen Netzwerkverkehr Dickmann, r + s 2020, 131, 133 ff., 138. 561 Vertiefend siehe nur OLG Schleswig, Urt. v. 28. 04. 2022 – 6 U 39/21, GRUR-RS 2022, 9007 Rn. 86 ff. m. w. N. – Teil-Kostenrechnung. 562 LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 18. 08. 2021 – 4 SaGa 1/21, BeckRS 2021, 26156 Rn. 33; Maaßen, GRUR 2019, 352, 357 f. 563 OLG Düsseldorf, Urt. v. 11. 03. 2021 – 15 U 6/20, GRUR-RS 2021, 17483 Rn. 42 f. – CAD-Konstruktionszeichnung; LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 18. 08. 2021 – 4 SaGa 1/21, BeckRS 2021, 26156 Rn. 36; teilweise wird in der Literatur eingewandt, dass nur mit einer Vertragsstrafe bewehrte Klauseln den Anforderungen an angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen i. S. d. § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG genügen können, vgl. Apel/Walling, DB 2019, 891, 895 und einschränkend Becker/Kussnik, RAW 2018, 119, 125. Begründet wird dies damit, dass die Handlungsverbote aus § 4 Abs. 2 Nr. 2, 3 GeschGehG bereits die Verletzungen einer vertraglichen Verpflichtung und den Bestand eines Geschäftsgeheimnisses voraussetzen. Der alleinige Verstoß gegen eine solche Klausel würde mithin automatisch dazu führen, dass ein Verstoß gegen § 4 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 GeschGehG vorliegt. Zudem wird vorgetragen, dass die aus den allgemeinen Loyalitätspflichten, vgl. § 241 Abs. 2 BGB, eines Arbeitnehmers erwachsende Verschwiegenheitspflicht nicht mehr ausreichen kann, um von angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen zu sprechen, weil es in einem solchen Fall bereits an einer hinreichenden objektiven Manifestierung der Geheimhaltungsmaßnahmen fehlen soll, vgl. v. Steinau-Steinrück/Bertz, NJW-Spezial 2019, 498, 499 und ähnlich McGuire, WRP 2019, 679, 682, 684. 564 Fuhlrott/Hiéramente, DB 2019, 967, 970 ff. mit vertiefenden Ausführungen zu den dabei zu berücksichtigenden Bestimmungen des Arbeitsrechts; Apel/Walling, DB 2019, 891, 896 f., Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 584 ff.; Holthausen, NZA 2019, 1377, 1379 ff.; Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 2 Rn. 95. 565 Maaßen, GRUR 2019, 352, 359; vgl. zur arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung etwa BAG, NJW 1999, 3653, 3654; BAGE 147, 358, Rn. 29, 37 f. – Getilgte Vorstrafen. 566 Hauck, NJW 2016, 2218, 2220; Lejeune, CR 2016, 330, 333; Hiéramente/Golzio, CCZ 2018, 262, 26; Ziegelmayer, CR 2018, 693, 695; Maaßen, GRUR 2019, 352, 359; Thiel, WRP 2019, 700, 702; Fuhlrott/Hiéramente, DB 2019, 967, 972; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 584; Voigt/Herrmann/Grabenschröer, BB 2019, 142, 145; Fuhlrott/Fischer, NZA 2022, 809, 812; vgl. zu den Gefahren durch Social Engineering Fritzsche, CB 2017, 403, 405 f. und Fischer/Schmidt, CB 2020, 200, 203 f. 567 Nach der jüngeren Rechtsprechung des OLG Schleswig müssen diese Geheimhaltungsvereinbarungen allerdings nicht einmal rechtlich wirksam vereinbart worden sein, um im Rahmen angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen Berücksichtigung finden zu können, vgl. Urt. v. 28. 04. 2022 – 6 U 39/21, GRUR-RS 2022, 9007 Rn. 73 ff. – Teil-Kostenrechnung; die detaillierte Darstellung der Anforderungen an eine wirksame und zugleich dem Einzelfall angemessene Geheimhaltungsvereinbarung hat auf Grund des begrenzten Umfangs dieser
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den Abfluss von Daten erkennen lassen569, eine individuelle Kennzeichnung570, besondere Vorsichtsmaßnahmen und Einschränkungen bei der Nutzung privater Geräte571, die Schaffung von abgetrennten Netzwerken572 und ein System zum Besuchermanagement573 genannt. Beim Ausscheiden von Mitarbeitern werden zudem sogenannte Exit-Interviews empfohlen, um sich ein Bild über etwaige Geheimnismedien im Besitz des scheidenden Angestellten zu verschaffen.574 Weiterhin gilt es
Untersuchung zu unterbleiben. Dabei gilt es z. B. zu berücksichtigen, dass sogenannte catchall-Klauseln, welche sämtliche im Rahmen des Vertragsverhältnisses gewonnenen Erkenntnisse und Informationen für vertraulich erklären, regelmäßig unwirksam sind, in diesem Sinne zuletzt LAG Düsseldorf, Urteil vom 03. 06. 2020 – 12 SaGa 4/20, GRUR-RS 2020, 23408 Rn. 81 – PU-Schaum; krit. dazu Apel/Stolz, GRUR-Prax 2021, 1, 2 f. und Fuhlrott/Fischer, NZA 2022, 809, 812; bei Vereinbarungen in AGB oder Arbeitsverträgen muss zumindest stets das konkret geschützte Geschäftsgeheimnis identifizierbar sein, Fuhlrott/Fischer, NZA 2022, 809, 812 f. und LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 18. 08. 2021 – 4 SaGa 1/21, BeckRS 2021, 26156 Rn. 36; zudem wird vorgetragen, dass im Hinblick auf die Zulässigkeit des Reverse Engineerings nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG, auch Beschränkungen i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GeschGehG in diese Vereinbarungen aufgenommen werden sollten, vgl. Börger/Rein, CB 2017, 118, 122; allgemein vertiefend statt vieler Kalbfus/Harte-Bavendamm, GRUR 2014, 453, 454; Redeker/Pres/Gittinger, WRP 2015, 681, 685 f.; Lejeune, CR 2016, 330, 333; Bissels/ Schroeders/Ziegelmayer, DB 2016, 2295, 2296; Steinmann/Schubmehl, CCZ 2017, 194, 195 ff.; Wiese, EU-Richtlinie, S. 52 f.; Maaßen, GRUR 2019, 352, 359 f.; Ohly, GRUR 2019, 441, 444; Holthausen, NZA 2019, 1377, 1380, 1382; Voigt/Herrmann/Grabenschröer, BB 2019, 142, 145 f.; McGuire, WRP 2019, 679, 681 ff.; Thiel, WRP 2019, 700, 702; Hohmann, in: MüKoStGB, 3. Aufl. § 23 GeschGehG Rn. 37; Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 2 Rn. 87 ff.; Fuhlrott/Fischer, NZA 2022, 809, 814 ff.; dabei wird etwa von McGuire auf erforderliche Anpassungen in der zivilrechtlichen Vertragspraxis hingewiesen und der Begriff „Geheimnisschutzvereinbarung“ als den in Zukunft passenden Terminus herangezogen, vgl. WRP 2019, 679, 686; zu vertraglichen Schutzmechanismen in den USA vgl. etwa Hille, WRP 2019, 1408, 1412 f. m. w. N. 568 Herrmann, CB 2016, 368, 370; Börger/Rein, CB 2017, 118, 122; Maaßen, GRUR 2019, 352, 359 f.; dabei ist aber § 87 I Nr. 6 BetrVG zu berücksichtigen; vertiefend zu möglichen Überwachungsmaßnahmen und deren datenschutzrechtlicher Zulässigkeit, vgl. Barth/Corzelius, WRP 2020, 29, 31 ff. 569 Hiéramente/Golzio, CCZ 2018, 262, 267; Hess schlägt vor, dass eine Blockchain verwendet werden könnte, um den Zugriff auf Geschäftsgeheimnisse zu dokumentieren, vgl. GRUR-Prax 2020, 251, 252. 570 Maaßen, GRUR 2019, 352, 358; Ernst, MDR 2019, 897, 898; abweichend siehe unten BT-Drs. 19/4724, S. 24. 571 Scherp/Rauhe, CB 2019, 50; Maaßen, GRUR 2019, 352, 358; Ernst, MDR 2019, 897, 898; Fischer/Schmidt, CB 2020, 200, 204; Fuhlrott/Fischer, NZA 2022, 809, 811. 572 Scheja, CR 2018, 485, 491; Schreiber-Ehle, CR 2019, 485, 490. 573 Maaßen, GRUR 2019, 352, 358; Ernst, MDR 2019, 897, 898. 574 Das LAG Düsseldorf deutet an, dass Klauseln betreffend die Rückgabe von Unterlagen und ähnlichem zum Ende des Dienstverhältnisses Bestandteil angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen darstellen können, Urt. v. 03. 06. 2020 – 12 SaGa 4/20, GRUR-RS 2020, 23408 Rn. 80, 82; Burghardt-Richter/Bode, BB 2019, 2697, 2701; Partsch/Rump, NJW 2020, 118, 120; Fuhlrott/Fischer, NZA 2022, 809, 812; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/ Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 63.
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zu berücksichtigen, dass die Angemessenheit einer dynamischen Entwicklung unterliegt und die Geheimhaltungsmaßnahmen daher stets zu aktualisieren sind.575 Trotz seiner objektiven Ausgestaltung bringt das Merkmal aus der Perspektive eines möglichen Täters nur auf den ersten Blick mehr Klarheit. Die maßgebliche Quelle der Unsicherheit bei der Auslegung des § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG bildet die Formulierung den Umständen nach angemessen.576 Dieser lässt sich entnehmen, dass es auf eine Entscheidung im Einzelfall ankommt.577 Darüber hinaus ist der vorherrschenden Meinung zu folgen, wonach keine allzu strengen Anforderungen angezeigt erscheinen, da ansonsten explizit höhere Anforderungen, bis hin zu bestmöglichen oder optimalen Geheimhaltungsmaßnahmen gefordert worden wären.578 Beim Vergleich mit der deutschen Fassung des Art. 2 Nr. 1 lit. c Geschäftsgeheimnis-RL fällt auf, dass im GeschGehG statt von „… den Umständen entsprechenden angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen …“ von „… den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen …“ die Rede ist. Eine divergie575
Börger/Rein, CB 2017, 118, 123; Alexander, WRP 2017, 1034, 1039; Hoeren/Münker, WRP 2018, 150, 152; Maaßen, GRUR 2019, 352, 356, 360; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1776; Voigt/Herrmann/Grabenschröer, BB 2019, 142, 146; Scherp/Rauhe, CB 2019, 50, 51; Schreiber-Ehle, CR 2019, 485, 490; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 134; Burghardt-Richter/Bode, BB 2019, 2697, 2702. 576 So kritisierte Wiese bereits im Hinblick auf die Richtlinie, dass eine nähere Konkretisierung für die Umsetzung der Geheimhaltungsmaßnahmen verpasst wurde und bis zu einem Vorlageverfahren das Risiko von unterschiedlichen Umsetzungsstandards bestärkt wurde. Dies werde noch durch den Umstand verstärkt, dass Art. 1 Abs. 1 UAbs. 1 Geschäftsgeheimnis-RL nur eine Mindestharmonisierung beim Geschäftsgeheimnisbegriff vorschreibt, vgl. EURichtlinie, S. 56; zustimmend auch Hauck, GRUR-Prax 2019, 223, 224; Partsch/Rump, NJW 2020, 118, 118 f.; a. A. auf Grund der objektiven Ausgestaltung v. Busekist/Racky, ZRP 2018, 135, 137. Reinfeld zieht in Erwägung auch dieses Merkmal als Anknüpfungspunkt für die Diskussion um den Schutz illegaler Geheimnisse, vgl. GeschGehG, § 3 Rn. 23. Dies kann jedoch nicht überzeugen, weil praktische Erfahrungen zeigen – wie Reinfeld selbst einräumt –, dass Unternehmen im Hinblick auf solche empfindlichen Informationen sogar besonders intensive Maßnahmen zur Verhinderung des Bekanntwerdens ergreifen. 577 LAG Düsseldorf, Urt. v. 03. 06. 2020 – 12 SaGa 4/20, GRUR-RS 2020, 23408 Rn. 81 – PU-Schaum; OLG Hamm, Urt. v. 15. 09. 2020 – I-4 U 177/19, GRUR-RS 2020, 34822 Rn. 162 – Stopfaggregat; LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 18. 08. 2021 – 4 SaGa 1/21, BeckRS 2021, 26156 Rn. 31; OLG Schleswig, Urt. v. 28. 04. 2022 – 6 U 39/21, GRUR-RS 2022, 9007 Rn. 56 – Teil-Kostenrechnung; Kalbfus/Harte-Bavendamm, GRUR 2014, 453, 454; Baranowski/Glaßl, BB 2016, 2565; Trebeck/Schulte-Wissermann, NZA 2018, 1175, 1177; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1775; Maaßen, GRUR 2019, 352; Ernst, MDR 2019, 897, 898. 578 KG, Beschl. v. 10. 11. 2020 – 6 W 1029/20, BeckRS 2020, 31170 Rn. 22; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11. 03. 2021 – 15 U 6/20, GRUR-RS 2021, 17483 Rn. 51 – CAD-Konstruktionszeichnung; LAG Hamm, Urt. v. 23. 06. 2021 – 10 SaGa 9/21, BeckRS 2021, 41734 Rn. 24; ähnlich auch OLG Stuttgart, Urt. v. 19. 11. 2020 – 2 U 575/19, GRUR-RS 2020, 35613 Rn. 167 – Schaumstoffsysteme; OLG Schleswig, Urt. v. 28. 04. 2022 – 6 U 39/21, GRUR-RS 2022, 9007 Rn. 57 – Teil-Kostenrechnung; Kalbfus, GRUR-Prax 2017, 391, 392; Hoeren/Münker, WRP 2018, 150, 152; Höfer, GmbHR 2018, 1195, 1196; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1775; Maaßen, GRUR 2019, 352, 353; Thiel, WRP 2019, 700, 701; Apel/Walling, DB 2019, 891, 895; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 584; (wohl) strenger hingegen OLG Hamm, Urt. v. 15. 09. 2020 – I-4 U 177/19, GRUR-RS 2020, 34822 Rn. 165 ff. – Stopfaggregat.
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rende Beurteilung folgt hieraus aber nicht. Beide Formulierungen wollen übereinstimmend verdeutlichen, dass die Angemessenheit jeweils für den konkreten Einzelfall zu ermitteln ist.579 Genauso wie das GeschGehG enthält die Richtlinienvorschrift keine weiteren den Wortlaut betreffenden Aspekte, die das Merkmal der Angemessenheit darüber hinaus umschreiben. Auch in systematischer Hinsicht liefert das GeschGehG kaum weiterführende Erkenntnisse zur Auslegung der Norm. Eine einmalige Umgehung der Geheimhaltungsmaßnahmen kann nicht zwingend dazu führen, dass diese als unzureichend einzustufen sind.580 Vielmehr würde dies in bedenklicher Art auf eine ex post-Betrachtung hinauslaufen, wobei die Angemessenheit nachträglich als nicht vorhanden einzustufen wäre. Auch das zivilrechtliche Haftungsregime bei Geheimnisverletzungen würde so ad absurdum geführt. Als taugliche Grenze wird in der Literatur die Begehung einer Straftat genannt, mit der entweder nicht mehr gerechnet werden muss oder die nicht zwingend hätte verhindert werden müssen.581 Umstritten ist, ob Art. 39 Abs. 2 lit. c TRIPS-Übereinkommen und das dazugehörige Schrifttum nennenswert mehr zu Tage fördern können. So gibt es Stimmen, die dies verneinen.582 Die Gegenauffassung leitet aus dem Wert der Information, dem Grad des Wettbewerbsvorteils durch die geheime Information und die konkrete Gefährdungslage als belastbar erachtete Kriterien ab.583 Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden, weil sich auch im Hinblick auf diese zusätzlich herangezogenen Vorschriften vergleichbare Auslegungsschwierigkeiten ergeben. Etabliert hat sich im Schrifttum der Verweis auf bereits bestehende anderweitige Regelungen oder anerkannte Verfahren zur Geheimhaltung.584 Stellvertretend für 579
So auch Heinzke, CCZ 2016, 179, 182. OLG Hamm, Urt. v. 15. 09. 2020 – I-4 U 177/19, GRUR-RS 2020, 34822 Rn. 164 – Stopfaggregat; OLG Stuttgart, Urt. v. 19. 11. 2020 – 2 U 575/19, GRUR-RS 2020, 35613 Rn. 172 – Schaumstoffsysteme; Gaugenrieder, BB 2014, 1987, 1988; Wiese, EU-Richtlinie, S. 52; Harte-Bavendamm, in: FS Büscher, S. 311, 318; ders., in: Harte-Bavendamm/Ohly/ Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 44, 48 jeweils m. w. N.; noch offengelassen von der österreichischen Rechtsprechung vor Umsetzung der Geschäftsgeheimnis-RL, bei der deren Wertungen aber bereits berücksichtigt wurden, vgl. Österreichischer Oberster Gerichtshof, Beschl. v. 25. 10. 2016 – 4 Ob 165/16 t, GRUR Int. 2017, 70, 71 – Ticketsysteme. 581 Wiese, EU-Richtlinie, S. 52; a. A. Weigert, NZA 2020, 209, 214. 582 Maaßen, GRUR 2019, 352, 353; Partsch/Rump, NJW 2020, 118, 119; Weigert, NZA 2020, 209, 211; a. A. im Hinblick auf das Art. 39 Abs. 2 lit. c TRIPS-Übereinkommen Reger, TRIPS-Übereinkommen, S. 263 f. 583 Reger, TRIPS-Übereinkommen, S. 263 f.; Peter/Wiebe, in: Busche/Stoll/Wiebe, TRIPs, Art. 39, Rn. 24; Wiese, EU-Richtlinie, S. 51. 584 Heinzke, CCZ 2016, 179, 182; bei Schreiber-Ehle findet sich ein Überblick über verschiedene Verfahren im Bereich der IT-Sicherheit, vgl. CR 2019, 485, 487; Dann/Margraf wiederum bringen in diesem Zusammenhang die ISO 19600 für Compliance-Systeme ins Spiel, vgl. NJW 2019, 1774, 1775; andere Stimmen ziehen die DIN ISO/IEC 27001 heran, vgl. Ziegelmayer, CR 2018, 693, 695 und Voigt/Herrmann/Grabenschröer, BB 2019, 142, 145; in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur wird von Nienaber zum einen auf die ISO 31000: 2009 für allgemeines Risikomanagement verwiesen und zum anderen ein eigener Ansatz für 580
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viele ähnliche oder gleichgeartete Konzepte soll auf Maaßen eingegangen werden. Dieser verweist auf das SÜG585 sowie die VSA586 und entwickelt mit Hilfe dieser Regelungen die nachfolgend dargestellte Handlungsempfehlung, welche zugleich ein relevantes Indiz für die Rechtsanwendung darstellen kann. Zunächst einmal sollen die Gefährdungslage einzelner Informationen und die potentiellen Gefahrenquellen identifiziert werden.587 Daran anschließend hat eine wirtschaftliche Bewertung zu erfolgen, die den Nutzen der Information, die Kosten für die Beschaffung von Alternativen, den Aufwand der eigenständigen Entwicklung durch die Konkurrenz und die negativen Konsequenzen im Falle der Geheimnisbeeinträchtigung miteinbezieht.588 Im dritten Schritt werden die Geheimnisse nach ihrer Bedeutung gewichtet in verschiedenen Kategorien eingeteilt.589 Dazu werden verschiedene Systeme vorgeschlagen. In § 2 Abs. 2 VSA wird zwischen vier Ge-
das Management im Bereich des Geheimnisschutzes im Mittelstand präsentiert, vgl. Nienaber, Geschäftsgeheimnisse, Rn. 185 ff., 459 ff.; Redecker/Pres/Gittinger greifen auf die Regelungen in § 9 BDSG und § 109 TKG und die dazu entwickelten Grundsätze zurück, vgl. WRP 2015, 681, 684 f.; wieder andere Stimmen verweisen im Hinblick auf technische und organisatorische Sicherungsmaßnahmen auf die zu Art. 32 DSGVO entwickelten Grundsätze, vgl. ausführlich Thiel, WRP 2019, 700, 702 f. 585 § 1 Abs. 1 SÜG beschreibt den Zweck dieses Gesetz wie folgt „Dieses Gesetz regelt die Voraussetzungen und das Verfahren zur Überprüfung einer Person, die von der zuständigen Stelle mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll (Sicherheitsüberprüfung) oder bereits betraut worden ist (Wiederholungsüberprüfung), sowie den Schutz von Verschlusssachen.“ 586 Bei der VSA handelt es sich um eine Verwaltungsvorschrift, welche die Maßnahmen zur Sicherstellung des materiellen Geheimnisschutzes in Bundesbehörden und bestimmten anderen Bundeseinrichtungen regelt. Auf Landesebene gibt es jeweils eigene mit der VSAvergleichbare Verwaltungsvorschriften, vgl. vertiefend Maaßen, GRUR 2019, 352, 356. 587 Maaßen, GRUR 2019, 352, 356 f.; ähnlich Kalbfus, GRUR-Prax 2017, 391, 392 f.; Scherp/Rauhe, CB 2019, 50; Voigt/Herrmann/Grabenschröer, BB 2019, 142, 144; Dann/ Markgraf, NJW 2019, 1774, 1776; Apel/Walling, DB 2019, 891, 895; Burghardt-Richter/Bode, BB 2019, 2697, 2700 f.; Nienaber, Geschäftsgeheimnisse, Rn. 179 ff., 197 ff.; als häufige Bedrohungsszenarien werden in der Literatur und in der Praxis in Bezug auf elektronische Daten die Mitnahme von Datenträgern durch die angestellten eines Unternehmens, das Versenden von Daten per E-Mail, auch an externe Adressen und das Internet of Things (z. B. durch das Hacken von weniger gesicherten Geräten als den Computern und Smartphones, welche bei der Arbeit zum Einsatz kommen, wie etwa Druckern, Smart TVs, Kühlschränken (!) oder Konferenzsystemen), vgl. Schreiber-Ehle, CR 2019, 485, 486 mit weiteren Beispielen, wie Sicherheitslücken in Computernetzwerken entstehen können und Dickmann, r + s 2020, 131, 131 ff. mit der Darstellung eines Fallbeispiels. Daneben gilt es auch die konkrete Branche zu berücksichtigen, weil es auch je nach Art der Branche unterschiedlich ausgeprägte Bedrohungsszenarien gibt, vgl. Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 163. 588 Maaßen, GRUR 2019, 352, 356. 589 Maaßen, GRUR 2019, 352, 356; ähnlich Herrmann, CB 2016, 368, 370; Kalbfus, GRUR-Prax 2017, 391, 393; Wiese, EU-Richtlinie, S. 54; Hiéramente/Golzio, CCZ 2018, 262, 266; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1776.
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heimhaltungsgraden unterschieden.590 Aus Gründen der Praktikabilität wird aber überwiegend ein dreistufiges System bevorzugt.591 Mittels der im Identifizierungsund Bewertungsvorgang gewonnen Erkenntnisse sollen dann in einem weiteren Schritt an die konkrete Information angepasste Sicherungsmaßnahmen implementiert werden592, wobei von anderen Autoren ergänzend empfohlen wird, an dieser Stelle einen Vergleich vom bisherigen Ist-Zustand der Sicherungsmaßnahmen und dem geplanten Soll-Zustand vorzunehmen.593 Im Rahmen der Auslegung des Merkmals der den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen wird von einigen Vertretern in der Literatur zusätzlich auch die Rechtslage im europäischen und auch außereuropäischen Ausland berücksichtigt.594 In Italien etwa ist durch die Umsetzung des Art. 39 Abs. 2 lit. c TRIPS-Übereinkommen und damit auch von Art. 2 Nr. 1 lit. c Geschäftsgeheimnis-RL in Art. 98 I lit. c Codice della proprietà Industriale bereits das Merkmal angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen inhaltlich entsprechend enthalten. Dieses wurde dabei in der Rechtsprechung streng ausgelegt. Das Tribunale di Bologna595 gelangte zu dem Schluss, dass es keine angemessenen Geheimhaltungsmaßnahme darstellt, wenn zwar ein Passwortschutz von auf einem Computer gesicherten Informationen besteht, diese aber auf einem privaten Gerät eines Arbeitnehmers ge590 § 2 Abs. 2 VSA lautet wie folgt: „Verschlusssachen werden entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer Dienststelle oder auf deren Veranlassung nach § 4 Absatz 2 Sicherheitsüberprüfungsgesetz in folgende Geheimhaltungsgrade eingestuft: 1. STRENG GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden kann, 2. GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen kann, 3. VS-VERTRAULICH, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder schädlich sein kann, 4. VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein kann.“. 591 So auch OLG Schleswig, Urt. v. 28. 04. 2022 – 6 U 39/21, GRUR-RS 2022, 9007 Rn. 57 – Teil-Kostenrechnung; Maaßen, GRUR 2019, 352, 356; so ebenfalls bei Kalbfus, GRUR-Prax 2017, 391, 393; Scheja, CR 2018, 485, 490; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1776; Thiel, WRP 2019, 700, 702; Voigt/Herrmann/Grabenschröer, BB 2019, 142, 144; Schreiber-Ehle, CR 2019, 485, 489; Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 205; Burghardt-Richter/Bode, BB 2019, 2697, 2700; Scholtyssek/Judis/Krause, CCZ 2020, 23, 27; Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 2 Rn. 80; a. A. Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 40, welcher ein bloß zweistufiges System vorschlägt. 592 Maaßen, GRUR 2019, 352, 356; McGuire, WRP 2019, 679, 682; Nienaber, Geschäftsgeheimnisse, Rn. 164. 593 Börger/Rein, CB 2017, 118, 119 ff.; Schreiber-Ehle, CR 2019, 485, 488. 594 Maaßen, GRUR 2019, 352, 354; Hille, WRP 2019, 1408, 1409; Partsch/Rump, NJW 2020, 118, 119 ff.; krit. dazu auf Grund des starken Einzelfallbezugs Kalbfus, GRUR-Prax 2017, 391, 392; ablehnend Scheja, CR 2018, 485, 490. 595 Dabei handelt es sich um ein dem deutschen Verständnis eines Landgerichts entsprechendes Gericht, Maaßen, GRUR 2019, 352, 354.
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sichert werden.596 Die vor der Umsetzung aber nach Erlass der Richtlinie ergangene Rechtsprechung in Österreich folgte eher der im deutschen Recht vor Schaffung des GeschGehG vorherrschenden Linie.597 Nach der Neuregelung, welche in Österreich durch Anpassung des bestehenden öUWG erfolgte, weist Hauck hingegen daraufhin, dass die Gesetzesbegründung zu § 26b Abs. 1 Nr. 3 öUWG mehr Klarheit als ihr deutsches Pendant schaffe.598 Ein Blick in die USA zeigt, trotz der in Einzelstaaten divergierenden Definitionen von – ihrerseits am Uniform Trade Secret Act orientierten – trade secrets, dass von den Gerichten keine besonders strengen Anforderungen an angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen gestellt werden.599 Bei einer statistischen Auswertung der Rechtsprechung sowie der Auseinandersetzung mit rechtsvergleichend tätigen Stimmen in der Literatur wurde herausgearbeitet, dass als maßgebliche Kriterien immer wieder der Abschluss von Geheimhaltungsmaßnahmen, die Durchsetzung des need-to-know-Prinzips sowie eine Abwägung zwischen den Kosten der Geheimhaltung und dem wirtschaftlichen Nachteil beim Verlust des trade secrets herangezogen werden.600 Die Gesetzesbegründung bestätigt im Hinblick auf § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG, dass es sich vorliegend um ein objektiv zu bestimmendes Tatbestandsmerkmal handelt.601 Betreffend der Ermittlung der notwendigen Art von Geheimhaltungsmaßnahmen wird dabei auf die „Art des Geschäftsgeheimnisses im Einzelnen“ und die „konkreten Umstände der Nutzung“ verwiesen. Als Anknüpfungspunkte werden insbesondere
596 Tribunale di Bologna, Urt. v. 27. 07. 2015, Nr. 2340/2015 (Zivilsache Az. 1658/2012), 13 zitiert nach Maaßen, GRUR 2019, 352, 354; unter dem Regime der §§ 17 – 19 UWG wurde ein solches Vorgehen hingegen als vom damaligen Unternehmensgeheimnis erfasst eingestuft, vgl. erneut BGH, Urt. v. 27. 04. 2006 – I ZR 126/03, GRUR 2006, 1044, 1046 – Kundendatenprogramm. 597 Österreichischer Oberster Gerichtshof, Beschl. v. 25. 10. 2016 – 4 Ob 165/16 t, GRUR Int. 2017, 70, 71 – Ticketsysteme; Maaßen, GRUR 2019, 352, 354 f. 598 Hauck, GRUR-Prax 2019, 223, 224; ob dies allerdings tatsächlich der Fall ist, kann angesichts des ähnlichen Wortlauts der Normen angezweifelt werden. 599 Vgl. auch Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 9 mit Fn. 67 m. w. N.: § 1 Abs. 4 Uniform Trade Secrets Act (UTSA) definiert: „Informationen, einschließlich Formeln Muster, Zusammenstellungen, Programme, Vorrichtungen, Methoden, Techniken und Verfahrensabläufe, die eigenständig, tatsächlich realisierten oder realisierbaren wirtschaftlichen Wert dadurch vermitteln, daß sie solchen Personen, die wirtschaftlichen Wert aus ihrer Kenntnis oder ihrem Gebrauch schöpfen können, weder allgemein bekannt ist noch von ihnen einfach durch zulässige Mittel ermittelt werden kann und zu deren Geheimhaltung den Umständen entsprechend angemessene Maßnahmen getroffen werden“; vertiefend Maaßen, GRUR 2019, 352, 355 m. w. N.; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 138 ff., 141 ff. m. w. N.; Hille, WRP 2019, 1408, 1409 f., 1411 mit zusätzlich Ausführungen zur Übertragbarkeit der dabei gewonnen Erkenntnisse und einer vertieften Darstellung des Normgeflechts in den USA. 600 Redecker/Pres/Gittinger, WRP 2015, 681, 684 m. w. N.; Maaßen, GRUR 2019, 352, 355; Hille, WRP 2019, 1408, 1411 ff.; Partsch/Rump, NJW 2020, 118, 120 f. 601 BT-Drs. 19/4724, S. 24.
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„der Wert des Geschäftsgeheimnisses […], dessen Entwicklungskosten, die Natur der Information, die Bedeutung für das Unternehmen, die Größe des Unternehmens, die üblichen Geheimhaltungsmaßnahmen in dem Unternehmen, die Art der Kennzeichnung der Information und vereinbarte vertragliche Regelungen mit Arbeitnehmern und Geschäftspartnern“
aufgezählt.602 Im Einzelnen werden „physische Zugangsbeschränkungen und Vorkehrungen wie auch vertragliche Sicherungsmechanismen“ genannt. Ausreichend soll es nach dem Willen des Gesetzgebers sein, „grundsätzliche Maßnahmen für bestimmte Kategorien von Informationen“ zu ergreifen oder allgemeine interne Handlungsbestimmungen zu schaffen.603 Die Bezeichnung und der Schutz jeder einzelnen Information ist hingegen nicht erforderlich. Argumentativ kann auch am vom Gesetzgeber prognostizierten Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft angeknüpft werden. Wie bereits angesprochen geht der Gesetzgeber von einem Erfüllungsaufwand von 6.440.000 E für die Wirtschaft aus.604 Für große und mittlere Betriebe wird prognostiziert, dass es zu keinen Mehrkosten kommen wird, weil in diesen Unternehmen bereits entsprechende Geheimhaltungsmaßnahmen ergriffen wurden.605 In Bezug auf Kleinstunternehmen wird angenommen, dass bereits zwei Stunden pro Unternehmen bei durchschnittlichen Lohnkosten von 32,20 E pro Stunde genügen, um ein hinreichendes Schutzniveau zu etablieren.606 Diese Annahmen können sich nur bei Zugrundelegung eines wenig strengen Maßstabs als korrekt erweisen607 und sollten eher als zu optimistisch abgetan werden. Kalbfus und daran anknüpfend Harte-Bavendamm vertreten vor dem Hintergrund der quasi nicht vorhandenen Anforderungen an das frühere Tatbestandsmerkmal des subjektiv geprägten Geheimhaltungswillens die Auffassung, dass auch in Zukunft
602 BT-Drs. 19/4724, S. 24 f.; abweichend vom übrigen Schrifttum spricht sich Lauck dagegen aus, den wirtschaftlichen Wert eines Geschäftsgeheimnisses bei der Beurteilung angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen zu berücksichtigen, vgl. GRUR 2019, 1132, 1132 f. Dabei ist der Aspekt „die üblichen Geheimhaltungsmaßnahmen in dem Unternehmen“ Gegenstand der Kritik in der Literatur, weil dies auch den missverständlichen Schluss zulässt, dass unzureichende Geheimhaltungsmaßnahmen angelehnt an die diligentia quam in suis den Geheimnisschutz nicht negativ beeinflussen würden. Daher soll dies so verstanden werden, dass die Geheimhaltungsmaßnahmen innerhalb eines Unternehmens miteinander verglichen werden sollen, um auf diese Weise gegebenenfalls Widersprüche innerhalb eines Schutzkonzepts aufzuzeigen, vgl. Fuhlrott, in: BeckOK GeschGehG, § 2 Rn. 30. 603 BT-Drs. 19/4724, S. 24; dem zustimmend Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1775; Maaßen, GRUR 2019, 352, 354. 604 BT-Drs. 19/4724, S. 2. 605 BT-Drs. 19/47/24, S. 21, 44. 606 BT-Drs. 19/47/24, S. 44 f. 607 I. d. S. wohl OLG Schleswig, Urt. v. 28. 04. 2022 – 6 U 39/21, GRUR-RS 2022, 9007 Rn. 56 – Teil-Kostenrechnung.
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keine allzu strengen Anforderungen an das Merkmal der angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen gestellt werden sollten.608 Angesichts der erheblichen Unterschiede zwischen den früheren und den aktuellen Tatbestandsmerkmalen ist eine Orientierung an der alten Rechtslage insoweit aber abzulehnen. Die Divergenz ergibt sich nicht nur aus dem Wandel der subjektiven Prägung hin zu einem objektiv zu bestimmendem Merkmal, sondern auch aus dem durch die Neuregelung begründeten evidenten Bruch mit der bisherigen Rechtslage.609 Von der denkbaren Alternative, einen stärker an Art. 39 Abs. 2 TRIPS-Übereinkommen orientierten Unternehmensgeheimnisbegriff zu entwickeln, hatten nämlich weder der Gesetzgeber noch die Rechtsprechung Gebrauch gemacht.610 In der Folge kommt es daher maßgeblich auf teleologische Argumente an. Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen dient primär dem Schutz individueller wirtschaftlicher Interessen. Der subsidiäre, aber dennoch damit in Einklang zu bringende, wettbewerbsbezogene Schutz, liefert den zweiten Anknüpfungspunkt für diese Erwägungen. Es ist zugleich Ziel des Gesetzes, ineffizienten Geheimhaltungsmaßnahmen durch den umfassend ausgestalteten Katalog zivilrechtlicher Maßnahmen vorzubeugen.611 Dieser Umstand lässt sich ebenso durch die Richtlinie und deren Zwecksetzung untermauern, welche diesen Aspekt an verschiedenen Stellen, wie etwa in Erwägungsgrund [9]612, zum Ausdruck bringt. Vor dem Hin608 Kalbfus, GRUR-Prax 2017, 391, 392; ähnlich auch Weigert, NZA 2020, 209, 212; zustimmend Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 49. 609 I. d. S. wohl auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 11. 03. 2021 – 15 U 6/20, GRUR-RS 2021, 17483 Rn. 39 – CAD-Konstruktionszeichnung. 610 Dieser Umstand war vor der Schaffung der Legaldefinition in § 2 Nr. 1 GeschGehG regelmäßig Gegenstand der Kritik in der Literatur, vgl. nur Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1010. An dieser Stelle ist auch kurz zu erwähnen, dass auch vorgetragen wird, das Element des objektiven, wirtschaftlichen Geheimhaltungsinteresses soll sich in diesem Element widerspiegeln, vgl. Lejeune, CR 2016, 330, 333. Dies erscheint jedenfalls nunmehr im Hinblick auf § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG wenig überzeugend. 611 Kalbfus, GRUR-Prax 2017, 391, 392; McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 53; Thiel, WRP 2019, 700, 701. 612 Erwägungsgrund [9] der Geschäftsgeheimnis-RL lautet wie folgt: „Darüber hinaus besteht in Mitgliedstaaten mit einem vergleichsweise geringen Schutzniveau ein höheres Geschäftsrisiko, da es leichter ist, Geschäftsgeheimnisse zu stehlen oder auf andere unrechtmäßige Weise zu erwerben. Das führt zu einer ineffizienten Kapitalallokation für wachstumsfördernde Innovationen im Binnenmarkt aufgrund der höheren Ausgaben für Schutzmaßnahmen zur Kompensation des unzureichenden rechtlichen Schutzes in einigen Mitgliedstaaten. Auch leistet es Aktivitäten unfairer Wettbewerber Vorschub, die nach dem rechtswidrigen Erwerb von Geschäftsgeheimnissen die aus diesem Erwerb gewonnenen Produkte im gesamten Binnenmarkt verbreiten könnten. Die Unterschiede zwischen den gesetzlichen Regelungen erleichtern auch die Einfuhr von Produkten aus Drittländern in die Union über Einfuhrstellen mit geringerem Schutzniveau in Fällen, in denen Konzeption, Herstellung oder Vermarktung der Produkte auf gestohlenen oder anderen unrechtmäßig erworbenen Geschäftsgeheimnissen beruhen. Insgesamt sind derartige Unterschiede dem ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts abträglich.“
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tergrund dieser Aspekte läuft die Ermittlung angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen auf eine wirtschaftliche Interessenabwägung hinaus.613 Bei einem höheren Wert einer Information sind damit auch gesteigerte Anforderungen an die Angemessenheit von Geheimhaltungsmaßnahmen zu stellen.614 Daneben ist stets die individuelle Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu berücksichtigen.615 Zusätzliches Kriterium ist das konkrete Ausmaß der Gefährdung. Die Grenze zu nicht mehr zumutbaren Geheimhaltungsmaßnahmen wird überschritten, sobald der erforderliche Aufwand den daraus resultierenden Nutzen übersteigt.616 Es ist also das KostenNutzen-Verhältnis von Geheimhaltungsaufwand zum wirtschaftlichen Nachteil im Falle des Eintritts der Offenkundigkeit maßgeblich.617 Zusätzlich ist die zeitliche Komponente für die Angemessenheit zu berücksichtigen, wobei eine ex ante-Betrachtung vorzunehmen ist.618 Mit dem technischen Fortschritt kann nämlich das Risiko der Entdeckung oder aber der Wert eines Geheimnisses steigen, sodass ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr von der Angemessenheit der zuvor noch ausreichenden Geheimhaltungsmaßnahmen ausgegangen werden kann.619 Daher ist – wie bereits dargelegt – eine regelmäßige Überprüfung von Nöten. Die gegen eine Kosten-Nutzen-Analyse erhobenen Einwände, wonach durch steigende Anforderungen bei steigendem Wert der Zweck des Gesetzes, durch einen womöglich ausbleibenden Schutz solcher Geheimnisse, konterkariert würde,620 lassen sich hingegen entkräften. Vielmehr lässt sich diesem Ansatz entgegenhalten, dass das Schutzniveau jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht erheblich steigen wird. Zugleich steht durch das umfassende Regelungswerk auch ein rechtliches Handwerkszeug zur Verfügung. Ein abweichendes Verständnis würde zu einer Über-
613 So auch OLG Hamm, Urt. v. 15. 09. 2020 – I-4 U 177/19, GRUR-RS 2020, 34822 Rn. 163 – Stopfaggregat; Wiese, EU-Richtlinie, S. 53; Harte-Bavendamm, in: FS Büscher, S. 311, 319; Ohly, GRUR 2019, 441, 443; Thiel, WRP 2019, 700, 701. 614 Heinzke, CCZ 2016, 179, 182; Baranowski/Glaßl, BB 2016, 2563, 2565; Wiese, EURichtlinie, S. 51; McGuire, in: Büscher/McGuire, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 46; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 38 f.; Maaßen, GRUR 2019, 352, 354. 615 Trebeck/Schulte-Wissermann, NZA 2018, 1175, 1177; Maaßen, GRUR 2019, 352, 354; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1776; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 163. 616 Harte-Bavendamm, in: FS Büscher, S. 311, 317; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/ Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 67. 617 Wiese, EU-Richtlinie, S. 51; ähnlich auch Büscher/McGuire, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 45, 48 f.; Rody, Geschäfts- und Betriebsgeheimnis, S. 163 f.; Kalbfus, GRUR-Prax 2017, 391, 392; Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 2 Rn. 109; zu effizienzorientierten Erwägungen beim Schutz von Know-how instruktiv Dorner, Know-how-Schutz, S. 424 ff. 618 Wiese, EU-Richtlinie, S. 51; McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 60; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 69. 619 Wiese, EU-Richtlinie, S. 52; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 70; Scholtyssek/Judis/Krause, CCZ 2020, 23, 27. 620 So aber Weigert, NZA 2020, 209, 211, 212, 213.
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steigerung des Geheimnisschutzes führen und so Anreize für lasche Schutzmaßnahmen mit der Folge eines sinkenden Schutzniveaus schaffen. Abweichend verstehen McGuire und die sich ihr anschließenden Stimmen Geheimhaltungsmaßnahmen im Sinne des § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG als Warninstrument für außenstehende Personen, welche einen symbolischen Zaun überwinden müssen, um an das Geheimnis zu gelangen und sich infolgedessen nicht auf ein Versehen berufen können sollen.621 Sie wollen die Kontrollfrage stellen, ob ein potenzieller Rechtsverletzer beim Zugriff auf ein Geschäftsgeheimnis auf Grund der Geheimhaltungsmaßnahmen ausreichend gewarnt wurde. Dieses Bild mag zwar recht griffig erscheinen, liefert jedoch für den Einzelfall keine weiteren Erkenntnisse bei der Auslegung. Der Bedeutung eines konkreten Geheimnisses kann so kaum genügend Rechnung getragen werden. Bereits eine entsprechende Beschriftung wird regelmäßig ausreichend sein, um ein gewisses Unrechtsbewusstsein zu begründen, ohne dabei Geschäftsgeheimnissen von hoher Bedeutung gerecht zu werden. Letztlich ist daher stets eine konkrete Einzelfallbetrachtung notwendig. b) Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen im Spannungsfeld mit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG Bei einem derart dehnbaren Tatbestandsmerkmal wird erwartungsgemäß zu klären sein, ob dem im Strafrecht besonders bedeutsamen Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG genüge getan wird.622 Vorangestellt werden darf, dass die der Flexibilität des Wortlauts innewohnenden Herausforderungen für die Rechtsanwendung in der Praxis nicht von der Hand zu weisen sind, diese aber in Kauf zu nehmen sind, um der „heterogenen Unternehmenswirklichkeit“ gerecht zu werden.623 Das Wort Strafbarkeit in Art. 103 Abs. 2 GG umfasst staatliche Maßnahmen, „die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellen und wegen dieses Verhaltens ein Übel verhängen, das dem Schuldausgleich dient“.624 621
McGuire, WRP 2019, 679, 682 mit Verweis auf Spurr, Economic Foundations of Law (2010), 93 und U.S. Supreme Court 21. 05. 2017, 244 U.S. 100 – E. I. Du Pont de Nemours Powder Company v. Masland; ähnlich (wohl) Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 29 f.; ähnlich auch Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 51; ähnlich argumentiert auch Weigert, welcher dies anhand einer legitimen Erwartungshaltung des Geheimnisinhabers und der Schutzbedürftigkeit des Rechtsverletzers zu begründen sucht, vgl. NZA 2020, 209, 210, 213. 622 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 31; ders./Schreiner, StraFo 2019, 441, 442; Ohly zweifelt die Bestimmtheit von § 23 GeschGehG (recht) pauschal an, vgl. GRUR 2019, 441, 450. 623 Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1775. 624 BVerfGE 105, 135, 153; 109, 133, 167; 117, 71, 110; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl., Art. 103 Rn. 62; so nun auch Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl., Art. 103 Rn. 64.
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Jedenfalls ist der Straftatbestand als materiell-rechtliche Voraussetzungen der Strafbarkeit umfasst.625 Erfasst werden ebenfalls Rechtfertigungsgründe, Schuldausschließungsgründe und alle dem schuldausgleichdienenden, strafrechtlichen Sanktionen.626 Die Gesetzlichkeit der Strafbarkeit beinhaltet das Gebot, dass jedermann – wobei dabei auch die Fachkenntnisse des Adressatenkreises vor allem im Nebenstrafrecht eine Rolle spielen können – erkennen können muss, welche Verhaltensweisen mit Strafe bedroht sind und welche Strafe droht, damit man sich danach richten kann.627 Verhaltenspflichten dürfen nicht bloß abstrakt bestimmt werden, sondern müssen ausreichend konkret ausgestaltet werden.628 Nach überwiegender Auffassung ist aber die Verwendung von unbestimmten und wertausfüllungsbedürftigen Generalklauseln und Rechtsbegriffen grundsätzlich zulässig.629 Bei der Bemessung des notwendigen Grades an Bestimmtheit einer Strafnorm muss berücksichtigt werden, dass die Schärfe der Strafdrohung mit dem Maß an Präzision korrespondiert und dies ebenfalls für strafbarkeitsbegründende Merkmale im Verhältnis zu dem Täter günstigen „tatbestandsregulierenden Korrektive[n]“ gilt.630 Die daraus resultierenden Anforderungen richten sich nicht nur an den Gesetzgeber, sondern auch an den Rechtsanwender. Außerdem begründet Art. 103 Abs. 2 GG ein untechnisch zu verstehendes Analogieverbot, welches dann eingreift, wenn Straftatbestände willkürlich ausgelegt werden oder Tatbestandsmerkmale bei der Auslegung vollständig in anderen aufgehen.631 625 BVerfGE 25, 269, 286; BGHSt 39, 1, 27, 29 – Mauerschützenfall; BGHSt 48, 354, 357; differenzierend 39, 54, 71; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl., Art. 103 Rn. 64; so nun auch Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl., Art. 103 Rn. 66. 626 BVerfGE 45, 363, 371; 86, 288, 311; 105, 135, 153 ff.; BVerfG, Beschl. v. 01. 09. 2008 – 2 BvR 2238/07, NJW 2008, 3627, 3628; BVerfG, Beschl. v. 08. 12. 2014 – 2 BvR 450/11, NVwZ 2015, 361 Rn. 19; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl., Art. 103 Rn. 64 m. w. N.; so nun auch Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl., Art. 103 Rn. 66 m. w. N.; krit. Brockhaus, JRE 26 (2018), 429, 443 mit Fn. 75. 627 BVerfGE 48, 48, 56 f.; 75, 329, 341 f.; 78, 374, 381 f.; 87, 363, 391 f.; 92, 1, 12; 126, 170, 195; aktuell BVerfG, Beschl. V. 11. 03. 2020 – 2 BvL 5/17, Rn. 74, 97 f.; im Schrifttum etwa Krüger, NStZ 2011, 369, 371; Vogel, ZStW 128 (2016), 139, 141 ff., 166 ff.; Pieroth, in: Jarass/ Pieroth, GG, 15. Aufl., Art. 103 Rn. 68, 72; so nun auch Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl., Art. 103 Rn. 70, 74. 628 BVerfG, Beschl. v. 19. 06. 2007 – 1 BvR 1290/05, NVwZ 2007, 1172, 1175; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl., Art. 103 Rn. 72; so nun auch Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl., Art. 103 Rn. 74. 629 BVerfGE 92, 1, 12; 96, 68, 97 f.; 143, 38, Rn. 41; aktuell BVerfG, Beschl. V. 11. 03. 2020 – 2 BvL 5/17, Rn. 77; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl., Art. 103 Rn. 72; so nun auch Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl., Art. 103 Rn. 74. 630 BVerfGE 105, 135, 155 f.; 126, 170, 196; 143, 38, Rn. 39; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl., Art. 103 Rn. 73; so nun auch Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl., Art. 103 Rn. 75. 631 BVerfGE 82, 236, 269; 87, 209, 225; 87, 399, 411; 92, 1, 16 ff.; 126, 170, 197 f.; BVerfG, Beschl. v. 04. 10. 1994 – 2 BvR 322/94, NJW 1995, 186 187; BVerfG, Beschl. v. 09. 12. 2004 – 2 BvR 930/04, NJW 2005, 2140, 2141; BVerfG, Beschl. v. 01. 11. 2012 – 2 BvR 1235/11, NJW 2013, 365, 366; BGHSt 58, 50, Rn. 6 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl., Art. 103
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Aus den vorangestellten Erwägungen wird schnell deutlich, dass für die zukünftige Rechtsprechung bereits ein Bündel an mit dem Wortlaut im Einklang stehenden Anknüpfungspunkten herausgearbeitet wurde, anhand derer eine den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG hinreichend genügende Konkretisierung der Klausel der den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen erfolgen kann.632 In einem solchen Fall ist von einer ausreichenden Bestimmtheit auszugehen.633 Ob der Transfer der theoretischen Erwägungen in die Praxis gelingen wird, wird sich in Zukunft zeigen. Dies gilt unabhängig davon, dass es sich bei § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG um ein strafbarkeitsbegründendes Tatbestandsmerkmal handelt. Der in der Literatur vertretenen Gegenauffassung634, wonach es sich um eine für den Täter günstige Regelung handelt, kann nur dann gefolgt werden, wenn man ein untechnisches Verständnis an den Tag legt. Sie schränkt zwar in gewisser Weise den Tatbestand ein und bringt für den Täter einen objektiven Anknüpfungspunkt mit sich. Dennoch wirkt sie sich aber letzten Endes strafbegründend aus. Ohne das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmal ist eine Strafbarkeit nicht denkbar. Eine Begünstigung ist lediglich im Hinblick auf die überkommene Rechtslage zu diskutieren, welche an dieser Stelle nicht gegenständlich ist. 4. Auslegung des § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG – Berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung Das Tatbestandsmerkmal des berechtigten Interesses aus § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG erweist sich bei der Auslegung als besonders problematisch. Einen maßgeblichen Kritikpunkt an der Umsetzung der Geschäftsgeheimnis-RL und zugleich einen auslegungsrelevanten Faktor bildet nämlich der Umstand, dass das Merkmal des berechtigten Interesses an der Geheimhaltung aus § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG keine direkte Entsprechung in der korrespondierenden Definition in Art. 2 Nr. 1 Geschäftsgeheimnis-RL findet.635 Es ist daher zunächst zu untersuchen, inwieweit dieses Merkmal überhaupt mit dem Unionsrecht vereinbar ist, bevor dessen genauer Inhalt in einem nächsten Schritt dargelegt werden kann.
Rn. 70 f.; so nun auch Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl., Art. 103 Rn. 72 f.; vertiefend Krell, ZStW 126 (2014), 902, 908 ff. 632 In der Rechtsprechung wurde dieser Aspekt wiederholt als sogenanntes Präzisierungsgebot charakterisiert, vgl. BVerfGE 126, 170, 198; BVerfG, Beschl. v. 28. 07. 2015 – 2 BvR 2558/14, 2 BvR 2571/14, 2 BvR 2573/14, NJW 2015, 2949 Rn. 64; ablehnend statt vieler Schmitz, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 1 StGB Rn. 58 m. w. N. 633 BVerfGE 92, 1, 12; 96, 68, 97 f.; 143, 38, Rn. 41; BGHSt 52, 98 Rn. 17 ff. – Terroristische Vereinigung; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl., Art. 103 Rn. 72; so nun auch Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl., Art. 103 Rn. 74. 634 In diesem Sinne wohl Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1779; Hohmann/Schreiner, StraFo 2019, 441, 448. 635 Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 152; Ohly, GRUR 2019, 441, 444.
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a) Unionsrechtskonformität des § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG Beim letzten Tatbestandsmerkmal der Legaldefinition bietet es sich demnach an, abweichend vom bisherigen Vorgehen zunächst die Geschäftsgeheimnis-RL heranzuziehen, bevor mit der Auslegung des § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG anhand der üblichen Methoden begonnen wird. Aus dem Umstand, dass der Richtliniengesetzgeber das Ziel verfolgt hat, einen möglichst homogenen Geschäftsgeheimnisbegriff zu schaffen636, gilt es zu klären, ob ein solches Merkmal mit dem Unionsrecht überhaupt zu vereinbaren ist.637 Dabei wird zu Recht die Folgefrage aufgeworfen, ob § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG nicht mehr als Bestandteil des Geschäftsgeheimnisbegriffs im Sinne der Richtlinie einzuordnen ist.638 Für den Fall der Europarechtswidrigkeit wird bereits vorgeschlagen, § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG keinen eigenständigen Anwendungsbereich mehr zu gewähren, sondern bei Vorliegen der Merkmale aus § 2 Nr. 1 lit. a und b GeschGehG von einer unwiderleglichen Vermutung zu Gunsten eines berechtigten Interesses im Sinne des § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG auszugehen.639 In der Konsequenz ist dann zu untersuchen, ob eine teleologische Reduktion oder das Einführen einer unwiderlegbaren Vermutung mit dem Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG zu vereinbaren ist oder aber eine Verschleifung droht. Ein eigenständiger strafrechtlicher Geschäftsgeheimnisbegriff, welcher illegale Geheimnisse aus dem Schutzbereich über § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG im Falle der Unionsrechtswidrigkeit dieser Vorschrift ausklammern würde, ist aus mehreren Gründen abzulehnen.640 Zwar beschränkt sich die Regelungswirkung der Richtlinie auf das Zivilrecht, wodurch eine strafrechtsautonome Auslegung durchaus denkbar ist.641 Dagegen sprechen jedoch die zivilrechtsakzessorische Ausgestaltung des strafrechtlichen Geheimnisschutzes durch das GeschGehG und dessen Systematik. Es wäre wenig überzeugend, zunächst im Rahmen der Begriffsbestimmungen eine Legaldefinition zu schaffen, um diese im nächsten Schritt nur auf Teilbereiche des Gesetzes anzuwenden.
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Vgl. Erwägungsgrund [14]. So auch Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 152; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 2 Rn. 70; ablehnend Ohly, GRUR 2019, 441, 444; Momsen/Benedict, KriPoZ 2020, 234, 238 f. 638 Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 152; Ohly, GRUR 2019, 441, 444; Wiebe, NVwZ 2019, 1705, 1707, Brockhaus, ZIS 2020, 102, 110; Rönnau, in: FS Merkel, 909, 915 f. 639 Ohly, GRUR 2019, 441, 444 f.; ähnlich McGuire, WRP 2019, 679, 680; ähnlich HarteBavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 69; Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 916. 640 So auch Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1016; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 154; HarteBavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 23 Rn. 8. 641 Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 153 f.; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/ Kalbfus, GeschGehG, § 23 Rn. 8. 637
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Um jedoch zum Ausgangspunkt zurückzukehren, muss eine Auseinandersetzung mit den zur Verfügung stehenden Argumenten erfolgen. Auf der einen Seite wird – augenscheinlich im Hinblick auf die Gesetzesbegründung – mit Erwägungsgrund [14] argumentiert. Daraus ergibt sich, dass die Definition des Geschäftsgeheimnisses so beschaffen sein soll, dass nur solche Informationen geschützt werden, „bei denen sowohl ein legitimes Interesse an ihrer Geheimhaltung besteht als auch die legitime Erwartung, dass diese Vertraulichkeit gewahrt wird“. Mithin soll es sich bei § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG nur um die Umsetzung dieses Aspekts der Richtlinie handeln.642 Daher soll ein solches Definitionsmerkmal auch im Einklang mit dem Sinn und Zweck der Richtlinie stehen, weil diese dem Schutz von Innovationen und damit verbundenen Investitionen dient. Dies soll jedoch nur rechtmäßige Innovationen umfassen.643 Dem Wissen um rechtswidrige Praktiken hingegen wird die Eignung abgesprochen daraus einen Wettbewerbsvorteil begründen zu können. Ein entsprechender Vorteil könne höchstens aus dem Rechtsverstoß selbst erwachsen.644 Andererseits wird der Einwand erhoben, dass die Erwägungsgründe einer Richtlinie nach der Rechtsprechung des EuGH lediglich der Auslegung dienen sollen, selbst aber weder rechtsverbindlich sind noch als Rechtfertigung einer vom Wortlaut abweichenden Auslegung oder inhaltlich abweichenden Umsetzung dienen können.645 In diesem Sinne lässt sich auch die Anmerkung der Bundesregierung zu den im letzten Moment durchgeführten Änderungen646 verstehen. Insoweit wird ausgeführt, dass dieses Tatbestandsmerkmal den Handlungsspielraum des deutschen Gesetzgebers überschreite. Grund hierfür sei, dass „die Richtlinie einen europaweit einheitlichen Begriff des Geschäftsgeheimnisses schaffen [wolle], den einzelne Mitgliedstaaten nicht durch zusätzliche Tatbestandsmerkmale einschränken dürften.“647 In diesem Zusammenhang weisen auch Alexander und daran anknüpfend Wiebe daraufhin, dass der Verweis auf die bisherige Rechtslage648, welcher das Merkmal aus § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG entstammen soll, vor dem europarechtlichen Hintergrund des GeschGehG kaum zu überzeugen vermag.649 642
BT-Drs. 19/8300, S. 13 f.; aus diesem Grund plädierte Hauck dafür, dass sich dieser Umstand in irgendeiner Form in der Legaldefinition widerspiegeln sollte, vgl. Hauck, WRP 2018, 1032, 1034; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 52; Schubert, in: EuArbRK, Art. 2 RL 2016/943/EU Rn. 28; Strobel, Reverse Engineering, S. 84. 643 Hauck, GRUR-Prax 2019, 223, 224; i. d. S. auch Steinmann, WRP 2019, 703, 709; Schubert, in: EuArbRK, Art. 2 RL 2016/943/EU Rn. 23; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 53. 644 Hauck, WRP 2018, 1032, 1034. 645 EuGH, Urt. v. 19. 07. 2014, Rs. C-345/13, ECLI:EU:C:2014:2013 Rn. 31 – Karen Miller Fashions/Dunnes; Falce, IIC 46 (2015), 940, 959; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 152; Ohly, GRUR 2019, 441, 444; Wiebe, NVwZ 2019, 1705, 1707; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 110; Sebulke, Zivilprozessualer Geheimnisschutz, S. 58. 646 Siehe dazu erneut Kapitel 2 B.II.3. 647 BT-Drs. 19/8300, S. 12; zustimmend auch Sebulke, Zivilprozessualer Geheimnisschutz, S. 59 f.; ähnlich Strobel, Reverse Engineering, S. 82 f. 648 BT-Drs. 19/8300, S. 13 f. 649 Alexander, WRP 2019, 673, 674; Wiebe, NVwZ 2019, 1705, 1707 f.
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Vermittelnd und zugleich differenzierter gestaltet sich die Position Köhlers, Haucks, Brockhaus und Alexanders nun augenscheinlich geänderte Auffassung. Diese gehen davon aus, dass das Merkmal des berechtigten Interesses an der Geheimhaltung Bestandteil des in Art. 2 Nr. 1 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL wiederzufindenden kommerziellen beziehungsweise bei § 2 Nr. 1 lit. a HS. 2 GeschGehG aufgegriffenen wirtschaftlichen Wertes sei.650 Diesem Merkmal kommt im nationalen Recht dann primär klarstellende Funktion zu und wird im Unionsrecht stillschweigend vorausgesetzt.651 Zustimmung verdient zwar das Anknüpfen am Innovationsschutz.652 Allerdings kann auch rechtswidrigen Praktiken ein hohes Maß an Innovation und Erfindergeist innewohnen, wie der Dieselskandal exemplarisch gezeigt hat. Die eingesetzte Software kann für sich betrachtet als schützenswert einzustufen zu sein. Niemand würde einer Software zur Motorsteuerung generell absprechen, Gegenstand berechtigten Geheimnisschutzes sein zu können. Lediglich die konkrete Form der Verwendung bedarf nicht des Schutzes durch den Gesetzgeber. Mithin besteht an dieser Form der Innovation nur insoweit kein schützenswertes Interesse, wie sie in rechtswidriger Weise eingesetzt wird. Man muss sich allerdings fragen, ob es überzeugend ist, ein solches letztlich einheitlich zu verstehendes Definitionsmerkmal bei der Umsetzung ins nationale Recht in § 2 Nr. 1 lit. a HS. 2 und lit. c GeschGehG aufzuspalten.653 Andererseits hat der Gesetzgeber bei der Umsetzung der Art. 2 Nr. 1 lit. a und b Geschäftsgeheimnis-RL in § 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG unter Beweis gestellt, dass bei der Umsetzung ins nationale Recht nicht immer der strukturell naheliegende und damit auch überzeugendste Ansatz gewählt wurde. Damit stellt dieser Einwand auch kein sonderlich gewichtiges Gegenargument dar. Wendet man sich nun noch dem Einwand zu, wonach die Erwägungsgründe der Richtlinie nicht überstrapaziert werden dürfen, ist festzustellen, dass sich daraus nicht der Schluss ziehen lässt, dass die Tatbestandsmerkmale der Legaldefinition in Art. 2 Nr. 1 Geschäftsgeheimnis-RL einer entsprechenden Auslegung – sei es durch Anknüpfen am wirtschaftlichen Wert – nicht zugänglich sind.654 Berücksichtigt man dabei nun auch das bereits angesprochene Innovationsargument, so ist es überzeugender § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG bei korrekter Anwendung mit Teilen der Literatur als unionsrechtskonform einzustufen und potentiell zur Begrenzung des tatbe650
Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., Vorb. §§ 17 – 19 Rn. 16; Hauck, GRUR-Prax 2019, 223, 224; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 77; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 110 f. 651 Hauck, GRUR-Prax 2019, 223, 224. 652 In den Erwägungsgründen zur Richtlinie wird an diversen Stellen die Bedeutung des Innovationsschutzes deutlich hervorgehoben. So kann beispielhaft auf die Erwägungsgründe [1], [2], [3], [4], [8], [9], [16], [17], [21] verwiesen werden. 653 So etwa Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 152; Ohly, GRUR 2019, 441, 444; ebenfalls krit. Sebulke, Zivilprozessualer Geheimnisschutz, S. 57. 654 I. E. zustimmend Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 53.
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standsmäßigen Schutzumfangs auf legale Geheimnisse heranzuziehen.655 Die Richtigkeit dieses Ergebnisses wird aber erst der EuGH in Zukunft abschließend klären können.656 Die nationalen Gerichte haben bisher jedenfalls keinen Aufschluss darüber geben, wie dieses Tatbestandsmerkmal sonst sinnvoll mit Leben gefüllt werden könnte.657 b) Berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung Nachdem nun aufgezeigt wurde, dass § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG potenziell mit dem Unionsrecht zu vereinbaren ist, gilt es zu ermitteln, ob durch dieses Tatbestandsmerkmal inhaltlich überhaupt der – teilweise im Schrifttum – prognostizierte Ausschluss illegaler Geheimnisse erfolgt. Nur dann kann § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG dabei das wertende Korrektiv im nationalen Recht darstellen. Der Wortlaut der Norm allein liefert aber kaum Greifbares, um zu ermitteln, was unter diesem – quasi in letzter Minute eingefügten – Tatbestandsmerkmal zu verstehen ist. Denkbar ist, darin die Kodifizierung der bisher im Schrifttum vertretenen Auffassung zu erblicken, nach welcher illegalen Geheimnissen bereits der tatbestandsmäßige Schutz zu verwehren war.658 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass teilweise auch argumentiert wird, Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL diene primär dem Schutz von bloß gutgläubigen Whistleblowern.659 Andererseits finden sich in Rechtsprechung und Literatur auch Stimmen, welche dieses Merkmal heranziehen wollen, um belanglose Informationen aus dem Tatbestand auszunehmen.660 Daneben ist es möglich, dass der Gesetzgeber lediglich das 655 I. E. zustimmend Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 335; Schubert, in: EuArbRK, Art. 2 RL 2016/943/EU Rn. 28; auch die VG Schleswig und Berlin gelangen – allerdings ohne explizit auf § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG einzugehen – zu dem Schluss, dass die Legaldefinitionen in Art. 2 Nr. 1 Geschäftsgeheimnis-RL und § 2 Nr. 1 GeschGehG inhaltsgleich sind, vgl. VG Schleswig, Urt. v. 25. 04. 2019 – 6 A 222/16, BeckRS 2019, 15456, Rn. 70 und VG Berlin, Beschl. v. 23. 09. 2019 – 27 L 98/19, BeckRS 2019, 24436, Rn. 130. 656 Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 153; Alexander, WRP 2019, 673, 674; Rönnau, in: FS Merkel, 909, 916. 657 So lässt sich BGH, Beschl. v. 08. 10. 2019 – EnVR 12/18, Rn. 24 lediglich entnehmen, dass es am Geheimhaltungsinteresse nur in Ausnahmefälle fehlen soll. 658 Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 152 f.; Burghardt-Richter/Bode, BB 2019, 2697, 2968 f.; Brost/Wolsing, ZUM 2019, 898, 899 f.; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 110; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 52; in diesem Sinne bereits Hauck, WRP 2018, 1032, 1034 f., 1036, obwohl § 1 Nr. 1 GeschGehG-RefE und § 2 Nr. 1 GeschGehG-RegE noch keine mit § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG vergleichbare Regelung enthielt; eine solche Anpassung forderte Müllmann, ZRP 2019, 25, 26 im Hinblick auf den GeschGehG-RegE; ähnlich wie Müllmann äußerte sich auch Brockhaus in Bezug auf § 17 UWG, wonach illegale Geheimnisse normativ dem tatbestandsmäßigen Schutz entzogen werden sollten, vgl. JRE 26 (2018), 429, 452. 659 Schubert, in: EuArbRK, Art. 2 RL 2016/943/EU Rn. 25. 660 OLG Schleswig, Urt. v. 28. 04. 2022 – 6 U 39/21, GRUR-RS 2022, 9007 Rn. 91 – TeilKostenrechnung; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 2 Rn. 71; Müller, in: BeckOK GmbHG, § 85 Rn. 38 f.; Hoeren, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 2 Rn. 25.
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bekannte Tatbestandsmerkmal des wirtschaftlichen Interesses nicht aufgeben wollte.661 Die jüngste Rechtsprechung des BVerwG legt diesen Schluss jedenfalls nahe, wenn ausgeführt wird, dass ein „solches Interesse besteht, wenn die Offenlegung der Informationen geeignet ist, exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen.“662
Eine Begründung für dieses Auslegungsergebnis wiederum liefert das Gericht nicht. Ob dafür angesichts des vergleichbaren, „neu“ geschaffenen Merkmals des wirtschaftlichen Wertes überhaupt noch Raum bleibt, kann mithin nicht allein am Wortlaut festgemacht werden. In systematischer Hinsicht ist sodann auf das Verhältnis der Tatbestandsmerkmale aus § 2 Nr. 1 lit. a HS. 2 GeschGehG und § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG einzugehen. Auf Grund des vorzugswürdigen weiten Verständnisses des wirtschaftlichen Werts bleibt zumindest die Möglichkeit bestehen, § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG als wertendes Korrektiv zur Begrenzung der enormen tatbestandlichen Weite zu verstehen, also auch um den Ausschluss sogenannter illegaler Geheimnisse zu begründen. Regelmäßig werden nämlich gerade auch im Hinblick auf solche Geheimnisse die Voraussetzungen der § 2 Nr. 1 lit. a und b GeschGehG vorliegen663, sodass eine solche Vorgehensweise zumindest auf den ersten Blick als probates Mittel erscheint. Zugleich ist die Wechselbeziehung zwischen § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG und § 5 Nr. 2 GeschGehG zu berücksichtigen. Bei letztgenannter Norm handelt es sich um eine Tatbestandsausnahme, welche auch im Strafrecht zur Anwendung kommt.664 Ein Verstoß gegen ein Handlungsverbot, den § 5 GeschGehG zunächst einmal voraussetzt, ist jedoch nur dann denkbar, wenn überhaupt ein tatbestandlich erfasstes Geschäftsgeheimnis vorliegt. Daher wird in der Literatur die Schlussfolgerung gezogen, dass § 5 Nr. 2 GeschGehG aus systematischen Gründen dafür spricht, unter die Legaldefinition des § 2 Nr. 1 GeschGehG auch illegale Geheimnisse zu subsumieren.665 Die Ausnahmeregelung soll nämlich nur dann einen Sinn ergeben, wenn solche Geheimnisse im 661
So etwa Scherp/Rauhe, CB 2019, 277. BVerwG, Beschl. v. 05. 03. 2020 – 20 F 3/19, NVwZ 2020, 715 Rn. 11; BVerwG, Beschl. v. 12. 02. 2021 – 20 F 1.20, BeckRS 2021, 7813 Rn. 19, 53. 663 Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., GeschGehG § 2 Rn. 79. 664 BT-Drs. 19/4724, S. 28; krit. Erlebach/Veljovic, wistra 2020, 190, 191 f. 665 Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 153; Ohly, GRUR 2019, 441, 444; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1776; Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 165, § 3 Rn. 28; Buck, jM 2020, 59, 60; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 41; ders./Schreiner, StraFo 2019, 441, 443; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 2 Rn. 73.2; Rennicke, wistra 2020, 135, 136; Erlebach/Veljovic, wistra 2020, 190, 191; Nöbel/Veljovic, CB 2020, 34, 37; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 67; Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 917 f.; so (wohl) auch Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 67. 662
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ersten Schritt ein schützenswertes Geschäftsgeheimnis darstellen können. Demnach würde ein unauflösbarer Wertungswiderspruch begründet werden, wenn illegale Geheimnisse bereits durch § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG vom Tatbestand ausgeschlossen werden, aber zugleich denklogisch Voraussetzung für die Anwendung des § 5 Nr. 2 GeschGehG sind.666 An dieser Stelle wird in der Literatur dennoch eingeräumt, dass jedenfalls in solchen Fällen, in denen eine Pflicht zur Offenlegung bestimmter Informationen eingreift, das Vorliegen eines berechtigten Geheimhaltungsinteresses durchaus in Frage zu stellen ist.667 Dabei werden etwa § 138 StGB, § 153 AO, § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 10 EStG und § 43 Abs. 1 GwG ins Spiel gebracht.668 Diesen Einwänden kann jedoch – wie bereits zuvor aufgezeigt – nicht gefolgt werden. Vielmehr lassen sich die Erwägungen zum Verhältnis von Art. 2 Nr. 1 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL und Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL auf das Verhältnis von § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG und § 5 Nr. 2 GeschGehG übertragen. Daher ist es durchaus denkbar, dass illegale Geheimnisse bereits auf Tatbestandsebene ausgeschlossen werden und § 5 Nr. 2 GeschGehG lediglich die Handlungsverbote im Hinblick auf mit diesen in Zusammenhang stehenden Geheimnissen669, bei bloß vermeintlich illegalen Geheimnissen670 oder aber bei sonstigem Fehlverhalten671, welches nicht die ausreichende Schwere für einen Ausschluss der Information aus dem Kreis der schützenswerten Informationen erreicht, betrifft. Auf Grund ähnlicher Schlussfolgerungen ist auch auf Reinbachers Ansatz einzugehen. Dieser sieht in der Gesetzessystematik ein Zeichen dafür, dass der Schutz von Whistleblowern vor strafrechtlichen Sanktionen durch die Vorschriften des §§ 2 Nr. 1 lit. c, 5 Nr. 2 GeschGehG umfassend ausgestaltet sein soll und diese daher auch keinen Wertungswiderspruch begründen können.672 Mithin verfängt an dieser Stelle der Hinweis von Reinfeld, dass sowohl § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG als auch § 5 GeschGehG das Merkmal des berechtigten Interesses beinhalten. Es wäre wenig überzeugend, in einem ersten Schritt ein solches Interesse an der Geheimhaltung zu bejahen, um im nächsten Schritt ein gegenläufiges Interesse an der Offenlegung anzuerkennen.673 Dem tritt zwar Brammsen mit dem nicht unerheblichen Einwand 666
Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1776; Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 165, § 3 Rn. 28. Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 2 Rn. 74; ähnlich auch BGH, Beschl. v. 08. 10. 2019 – EnVR 12/18, Rn. 24. 668 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 2 Rn. 74.1; dazu etwa OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 10. 04. 2018 – 2 Ss-OWi 1059/17, NZWiSt 2019, 219, 221 f. – Meldepflicht des Geldwäschebeauftragten mit Anm. von Peukert, NZWiSt 2019, 219, 223 ff. 669 So (wohl) auch Steinmann, WRP 2019, 703, 709; Reinfeld, GeschGehG, § 3 Rn. 29 f.; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 79; Schmolke, ZGR 2019, 876, 897 in Fn. 133; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 110; Schmitt, NZABeilage 2020, 50, 53; Krell, ZStW 133 (2021), 714, 731. 670 Krell, ZStW 133 (2021), 714, 731. 671 Hauck, GRUR-Prax 2019, 223, 225; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 79; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 53. 672 Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 154. 673 Reinfeld, GeschGehG, § 3 Rn. 25. 667
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entgegen, dass es möglich ist diesen Rechtsbegriff jeweils normspezifisch anhand der jeweiligen Schutzrichtung auszulegen. Mithin wäre bei § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG auf die Interessen des Geheimnisinhabers, bei § 5 Nr. 2 GeschGehG auf die Interessen der geheimnisbeeinträchtigenden Person abzustellen.674 Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass die Reichweite des Geschäftsgeheimnisbegriffs in sachlicher Hinsicht durch § 5 Nr. 2 GeschGehG eingeschränkt werden soll.675 Vielmehr dient diese Vorschrift nur dazu unter bestimmten Umständen eine zivil- und strafrechtliche Haftungsfreiheit zu gewährleisten. Der Gesetzesbegründung zu § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG lässt sich entnehmen, dass dieses Definitionsmerkmal der Umsetzung des Erwägungsgrund [14] dienen und gewährleistet werden soll, dass ein „legitimes Interesse an ihrer [also der Information] Geheimhaltung“ erforderlich ist.676 Zusätzlich wird auf eine nicht näher konkretisierte Rechtsprechung des BVerfG verwiesen.677 Auch im Regierungsentwurf wurde bereits auf dieses Merkmal eingegangen, allerdings beschränkten sich die diesbezüglichen Ausführungen auf die Feststellung, dass Erwägungsgrund [14] „im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung zum Begriff des Geschäftsgeheimnisses [stehe], wonach solche Informationen geschützt sind, an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat“.678
Daraus lässt sich aber der Schluss ziehen, diesem Merkmal eine eigenständige Bedeutung neben § 2 Nr. 1 lit. a HS. 2 GeschGehG beizumessen ist, weil sich die Ergänzung ansonsten nicht vernünftig erklären lässt. Damit kann dies als Indiz dafür gewertet werden, § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG als wertendes Korrektiv zum weit gefassten § 2 Nr. 1 lit. a HS. 2 GeschGehG zu verstehen. Dann handelt es sich um den gesetzgeberischen Versuch, die bereits zuvor vorgesehene Wertung normativ stärker zu verankern. Demnach erscheint auch der aufgezeigte Lösungsansatz, wonach eine unwiderlegliche Vermutung für ein berechtigtes Interesse in diesem Sinne durch das Bestehen der Merkmale aus § 2 Nr. 1 lit. a und b GeschGehG begründet wird, noch weniger überzeugend. Zugleich können auch die teilweise geäußerten Vermutungen, wonach § 2 Nr. lit. a HS. 2 GeschGehG dem bisherigen Merkmal des berechtigten, wirtschaftlichen Geheimhaltungsinteresse entsprechen soll, nicht überzeugen.679 674
Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 5 Rn. 27. Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 79. 676 BT-Drs. 19/8300, S. 13 f. 677 BT-Drs. 19/8300, S. 14; krit. hierzu Ohly, GRUR 2019, 441, 444 und Sebulke, Zivilprozessualer Geheimnisschutz, S. 54; es lässt sich bloß vermuten, dass auf BVerfGE 115, 205, 230 Bezug genommen werden sollte, vgl. Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 335; a. A. Preis/ Seiwerth, RdA 2019, 351, 356, welche auf BVerfG, Beschl. v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888 ff. verweisen. 678 BT-Drs. 19/4724, S. 24. 679 Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 160. 675
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Genauso wenig überzeugend erscheint der Ansatz an dieser Stelle von einem subjektiven Tatbestandsmerkmal, welche sich (wohl) auf das überkommene Merkmal des subjektiven Geheimhaltungswillen zurückführen lassen, zusprechen.680 Dadurch würde die bestrebte Objektivierung durch ein nahezu inhaltleeres Merkmal konterkariert werden. Eine ernsthafte Einschränkung würde dies nicht mit sich bringen. Mithin spricht das Tatbestandsmerkmal aus § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG für den Ausschluss illegaler Geheimnisse. Dabei ist unbeachtlich, dass sich dieses – anders als die Gesetzesbegründung zu suggeriert – nicht mit der alten Rechtslage im Einklang befindet. Zwar besitzen viele der Gegenargumente nach wie vor an Gewicht. Vor dem Hintergrund des ansonsten kaum mit Inhalt zu füllenden Merkmals erscheint die aufgezeigte Neubewertung aber vorzugswürdig. c) Berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung im Spannungsfeld mit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG Wie bereits im Hinblick auf § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG stellt sich auch bezüglich § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG die Frage, ob dieses Tatbestandsmerkmal den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügt. Neben den bereits dargestellten Aspekten ist dem sogenannten Verschleifungsverbot besondere Beachtung zu schenken. Dieses Verbot greift – wie bereits erwähnt – dann ein, wenn Tatbestandsmerkmale bei der Auslegung vollständig ineinander aufgehen.681 Anzumerken ist zwar, dass derartige Auslegungsergebnisse ohnehin – abseits der verfassungsrechtlichen Grenzen – mit Hilfe der klassischen Methodenlehre vermieden werden sollten.682 Das bedeutet allerdings nicht, dass ein und derselbe tatsächliche Umstand nicht zur Verwirklichung mehrerer Tatbestandsmerkmale führen darf.683 Es darf aber kein Automatismus begründet werden, wonach die Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals (fast) immer die Verwirklichung weiterer Merkmale begründet.684 Einschränkend wird dabei vorgetragen, dass die Verschleifung nur dann zum Problem wird, wenn sich diese zu Lasten des Täters auswirkt.685 680
So aber Scholtyssek/Judis/Krause, CCZ 2020, 23, 24. BVerfGE 82, 236, 269; 87, 209, 225; 87, 399, 411; 92, 1, 16 ff.; 126, 170, 197 f.; BVerfG, Beschl. v. 04. 10. 1994 – 2 BvR 322/94, NJW 1995, 186 187; BVerfG, Beschl. v. 09. 12. 2004 – 2 BvR 930/04, NJW 2005, 2140, 2141; BVerfG, Beschl. v. 01. 11. 2012 – 2 BvR 1235/11, NJW 2013, 365, 366; BGHSt 58, 50, Rn. 6 ff.; Saliger, NJW 2010, 3195, 3195 f.; Krüger, NStZ 2011, 369, 372, 375; vertiefend Krell, ZStW 126 (2014), 902, 905 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl., Art. 103 Rn. 70 f.; so nun auch Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl., Art. 103 Rn. 73. 682 Statt vieler zurückhaltend Saliger, NJW 2010, 3195, 3195 f. und deutlich Krüger, NStZ 2011, 369, 372. 683 Krell, ZStW 126 (2014), 902, 910 m. w. N. 684 Krell, ZStW 126 (2014), 902, 910 m. w. N. 685 Krell, ZStW 126 (2014), 902, 905 f. 681
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Daher ist es also geboten, den Tatbestandsmerkmalen aus § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG, § 2 Nr. 1 lit. a HS. 2 GeschGehG und § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG eine abgrenzbare sowie eigenständige Bedeutung zukommen zu lassen.686 Auf diese Weise besteht zugleich für eine unwiderlegliche Vermutung für das Bestehen eines berechtigten Interesses im vorgenannten Sinne bei Verwirklichung der § 2 Nr. 1 lit. a und b GeschGehG endgültig kein Raum. Mithin lässt sich anhand des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot ein entscheidendes Argument, für den Ausschluss illegaler Geheimnisse auf Ebene des Tatbestands finden. Davon abweichende Auslegungsergebnisse hingegen sind wie aufgezeigt wohl kaum tragfähig. Überdies kann dieses Argument auch im Zivilrecht, zumindest auslegungsleitend, Wirkung entfalten.
D. Fazit Die vorangegangene Untersuchung zeigt, dass der Begriff des Geschäftsgeheimnisses im Sinne der Legaldefinition aus § 2 Nr. 1 GeschGehG ein weites Spektrum an Informationen erfasst und zunächst einmal – bis auf rein private –, jegliche Art von Information sowie jeglicher Inhalt darunter subsumiert werden kann. Das Vorliegen einer Information ist zudem von einer etwaigen Verkörperung unabhängig. Als Beispiele für mögliche Geschäftsgeheimnisse werden vom Gesetzgeber Herstellungsverfahren, Kunden- und Lieferantenlisten, Kosteninformationen, Geschäftsstrategien, Unternehmensdaten, Marktanalysen, Prototypen, Formeln sowie Rezepte genannt.687 Darüber hinaus bezeichnet er „Vorlagen und Vorschriften technischer Art“ als „eine bestimmte Kategorie von Geschäftsgeheimnissen“.688 Die beiden einzigen Ausnahmen im Hinblick auf den Informationsinhalt werden durch die Betriebsbezogenheit und den Ausschluss illegaler Geheimnisse nach § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG begründet. Als teleologisch konsequent erweist sich auch eine weite Auslegung des wirtschaftlichen Wertes. Die nunmehr erforderlichen angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen hingegen lassen ein hohes Maß an Flexibilität zu, sodass es mit Spannung abzuwarten bleibt, inwieweit sich die Rechtsprechung an den aufgezeigten Aspekten orientieren oder eigene, noch unbekannte Maßstäbe entwickeln wird.689 Aus der Perspektive des Strafrechts ist es 686 A. A. Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 23 Rn. 8, der § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG allerdings nur dann als mit den Vorgaben der Geschäftsgeheimnis-RL vereinbar ansieht, wenn man von einer Indizwirkung der Merkmale aus § 2 Nr. 1 lit. a, b GeschGehG ausgeht. Die daraus folgende Konsequenz der Verschleifung der Tatbestandsmerkmale verkennt oder übergeht er allerdings. 687 BT-Drs. 19/4724, S. 24. 688 BT-Drs. 19/4724, S. 41. 689 Das LAG Düsseldorf hat in dem – augenscheinlich – ersten Urteil zu dieser Fragestellung vom 03. 06. 2020 bewusst klargestellt, dass „die Frage, welche Anforderungen an die angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen i. S. v. § 2 Nr. 1 Buchstabe b GeschGehG zu stellen
Kap. 4: Begriff des Geschäftsgeheimnisses
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insgesamt erfreulich, dass es sich beim Geschäftsgeheimnis um ein – weitgehend – objektiv ausgestaltetes Tatbestandsmerkmal handelt. Auf diese Weise können zukünftige Beweisschwierigkeiten reduziert werden. Lediglich durch die enge Verknüpfung des wirtschaftlichen Wertes im Sinne des § 2 Nr. 1 lit. a HS. 2 GeschGehG wird eine gewisse „Subjektivierung“ begründet, weil es auf die individuelle Stellung im Wettbewerb und deren potentielle Beeinträchtigung ankommt. Dieser Umstand wird sich vor dem Hintergrund von Erfahrungswerten im Umgang mit den §§ 17 – 19 UWG aus der Vergangenheit und gegebenenfalls unter Zuhilfenahme von entsprechend geschulten Gutachtern auch nicht als echtes Problem erweisen. Im Verhältnis zur überkommenen Rechtslage ist die Objektivierung des Geschäftsgeheimnisschutzes durch den Wandel vom subjektiv zu bestimmenden Geheimhaltungswillen hin zu den objektiv zu bestimmenden angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen von wesentlicher Bedeutung.690 Zwar wurden bereits vor der Neuregelung Geheimhaltungsmaßnahmen ergriffen, diese entfalteten ihre Wirkung jedoch nicht auf Ebene des materiellen Rechts, sondern waren beweisrechtlicher Natur, indem sie Indizwirkung hinsichtlich eines bestehenden Geheimhaltungswillens entfalteten.691 Doch auch insoweit hatten sie keine allzu große Bedeutung. Vielmehr wurde bereits aus der Natur der Information auf das Bestehen eines solchen Willens geschlossen beziehungsweise bestand jedenfalls eine umfassende Vermutung.692 Im geltenden Recht können unzureichende Geheimhaltungsmaßnahmen den Verlust der Geheimniseigenschaft ohne Aufdeckung begründen. Kommt es infolgedessen zur Offenkundigkeit, können nachträgliche Verbesserungen im Geheimnisschutzmanagement diese nicht wieder entfallen lassen.693 Mithin treten an dieser Stelle verschuldensabhängige und damit in gewisser Weise viktimodogmatische Ergebnisse zu Tage. Solchen Tendenzen wurde im Hinblick auf den Unternehmensgeheimnisschutz durch die §§ 17 – 19 UWG sowohl in der Rechtsprechung als
sind, in diesem einstweiligen Verfügungsverfahren nicht abschließend geklärt werden können“, vgl. – 12 SaGa 4/20, GRUR-RS 2020, 23408 Rn. 81. Eine Vorlage an die europäischen Gerichte schied im vorliegen Fall aus, weil eine einstweilige Verfügung zur Diskussion stand, die Voraussetzungen der maßgeblichen Art. 105, 107 der Verfahrensordnung des europäischen Gerichtshofs, aber nach Auffassung des Gerichts nicht erfüllt waren, vgl. Rn. 83. 690 So auch Heinzke, CCZ 2016, 179, 181; Wiese, EU-Richtlinie, S. 55; Steinmann/ Schubmehl, CCZ 2017, 194, 197; Strobel, Reverse Engineering, S. 80. 691 So etwa Heinzke, CCZ 2016, 179, 182; Steinmann/Schubmehl, CCZ 2017, 194, 197; Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 110, 111; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, Vor § 17 – 19 UWG Rn. 15; krit. Maume, WRP 2008, 1275, 1276 f.; teilweise wurden diese auch im Rahmen der Offenkundigkeit herangezogen, um anhand dieser beispielsweise die hinreichende Kontrolle durch den Geheimnisinhaber festzustellen Dieser Umstand wurde als fehlgeleitet kritisiert und verliert im Rahmen der Neuregelung seine Bedeutung, vgl. Wiese, EU-Richtlinie, S. 55 f. 692 Lejeune, CR 2016, 330, 332. 693 Zutreffend etwa Wiese, EU-Richtlinie, S. 56.
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auch in der Literatur eine klare Absage erteilt.694 Eine „Rettungsmöglichkeit“ besteht nur insoweit es nicht zum Verlust der Geheimheit gekommen ist, weil dann alle Tatbestandsmerkmale erneut verwirklicht werden können. Inwieweit sich durch dieses Merkmal tatsächliche Änderungen für Unternehmen ergeben, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantwortet werden, weil bisher nicht ersichtlich ist, in welchem Umfang bereits Geheimhaltungsmaßnahmen ergriffen wurden. Allerdings können zumindest Prognosen angestellt werden. Die bereits in der Einleitung angesprochenen Angaben zum wirtschaftlichen Erfüllungsaufwand stellen ein Indiz dafür dar, dass der Gesetzgeber in tatsächlicher Hinsicht von keinen großen Veränderungen in der Unternehmenswirklichkeit ausgeht. Diese Vermutung wird teilweise auch vom Schrifttum geteilt.695 Durch diese Objektivierung werden allerdings Folgeprobleme auf Ebene des subjektiven Tatbestands aufgeworfen. Der Vorsatz muss sich eben auch auf das Vorliegen angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen beziehen. Neben klaren Fällen sind dabei auch andere Konstellationen denkbar. So kann es vorkommen, dass ein Täter irrigerweise davon ausgeht, es seien keine Geheimhaltungsmaßnahmen ergriffen worden, weil diese nur rudimentärer Art waren, sie hingegen aber tatsächlich ausreichend waren.696 Dies dürfte jedoch nur bei einem sehr weiten Verständnis auf Seiten der Rechtsprechung möglich sein. Sollte sich in Zukunft ein strengerer Maßstab herausbilden, ist es denkbar, dass ein potentieller Straftäter irrigerweise vom Vorliegen eines Geschäftsgeheimnisses ausgeht, obwohl diese konstitutive Voraussetzung nicht gegeben ist.697 Sollte sich die Rechtsprechung hingegen an dem von McGuire entwickelten Ansatz orientieren, welche schlicht an die Erkennbarkeit von Geheimhaltungsmaßnahmen anknüpft, dürfte sich diese Problematik nicht stellen. Daher bleibt es spannend die zukünftige Entwicklung zu beobachten. Einen weiteren wesentlich divergierenden Aspekt stellt der nunmehr bereits auf Ebene des Tatbestands wegfallende Schutz illegaler Geheimnisse dar. Damit gestaltete sich der Schutzbereich des Unternehmensgeheimnisschutzes weiter als der Schutz von Geschäftsgeheimnissen.
694 Ähnlich BGH, Urt. v. 27. 04. 2006 – I ZR 126/03, GRUR 2006, 1044, 1046 – Kundendatenprogramm; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2 Aufl., § 17 UWG Rn. 30; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 12; Richters/Wodtke, NZA-RR 2003, 281, 282; differenzierend Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 40, 52. 695 Im Hinblick auf die Automobilindustrie etwa Steinmann/Schubmehl, CCZ 2017, 194, 197. 696 Siehe dazu auch Reinfeld, GeschGehG, § 7 Rn. 23. 697 Folgt man dieser Stelle Reinfeld so ist diese Konstellation kaum vorstellbar, weil dieser davon ausgeht, dass das Bewusstsein von Schutzmaßnahmen Seitens des Täters ausreichend sein wird, vgl. GeschGehG, § 7 Rn. 24.
Kap. 5: Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
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Kapitel 5
Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG A. Einleitung Nach der vorangegangenen Darstellung des Geschäftsgeheimnisbegriffs und den Unterschieden zum Unternehmensgeheimnisbegriff gilt es nun, § 23 GeschGehG in seinen unterschiedlichen Begehungsformen zu untersuchen. Mithin umfasst die Norm verschiedene eigenständige Straftatbestände, die alle dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen als Tatobjekt dienen und durch weitere Bestimmungen wie etwa solche zur Versuchsstrafbarkeit in § 23 Abs. 5 GeschGehG abgerundet werden.698 Dabei sind dessen inhaltliche Weite zu bestimmen, wesentliche Unterschiede zur bisher bestehenden Rechtslage herauszuarbeiten, offene Fragestellungen sowie Probleme zu Tage zu fördern und zu lösen.
B. Betriebsspionage nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG Den Anfang der Untersuchung des materiellen Geschäftsgeheimnisstrafrechts soll die sogenannte Betriebsspionage machen. Diese wurde bisher durch § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG699 sanktioniert und ist fortan von § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG erfasst.
I. Betriebsspione als taugliche Täter Beginnend mit dem objektiven Tatbestand der Betriebsspionage im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG, kann schnell festgestellt werden, dass es sich dabei um ein sogenanntes Jedermann-Delikt handelt, welches keine Einschränkungen hinsichtlich des tauglichen Täterkreises vorsieht. In der Praxis ist jedoch – ähnlich 698
Auf Grund des begrenzten Umfangs dieser Untersuchung wird auf eine eingehende Untersuchung der § 23 Abs. 5, 7, 8 GeschGehG verzichtet und auf den bisherigen Stand der Forschung verwiesen, weil diese §§ 17 Abs. 3, 6, 18 Abs. 2, 4 UWG nachempfunden und inhaltliche Abweichungen, welche den Gegenstand dieser Untersuchung betreffen, nicht ersichtlich sind, vgl. BT-Drs. 19/4724, S. 41; zum Stand der Forschung aktuell nur Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht und Gramlich/Lütke, wistra 2022, 97, 103 ff. 699 § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG lautete wie folgt: „Ebenso wird bestraft, wer zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen, 1) sich ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis durch a) Anwendung technischer Mittel, b) Herstellung einer verkörperten Wiedergabe des Geheimnisses oder c) Wegnahme einer Sache, in der das Geheimnis verkörpert ist, unbefugt verschafft oder sichert“.
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wie bisher – regelmäßig davon auszugehen, dass eine Beziehung zwischen Unternehmen und Täter, etwa in Form eines Beschäftigungsverhältnisses, besteht, weil auf diese Weise oftmals erleichterte Zugriffsmöglichkeiten bestehen.700
II. Spionagehandlung, § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG Einen größeren Untersuchungsumfang erfordern die Tathandlungen. An dieser Stelle hat sich der Gesetzgeber in § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG eines Verweises auf das zivilrechtliche Handlungsverbot aus § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG bedient. Diese Vorgehensweise unterstreicht die strenge Zivilrechtsakzessorietät des Geschäftsgeheimnisstrafrechts701 und wird in der Literatur auch als unechtes Blankettstrafgesetz bezeichnet.702 Demnach ist es mit Strafe bedroht, ein Geschäftsgeheimnis durch „unbefugten Zugang zu, unbefugte Aneignung oder unbefugtes Kopieren von Dokumenten, Gegenständen, Materialien, Stoffen oder elektronischen Dateien, die der rechtmäßigen Kontrolle des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses unterliegen und die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder aus denen sich das Geschäftsgeheimnis ableiten lässt“,
zu erlangen. 1. Erlangen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG Mithin ist also zunächst einmal das Tatbestandsmerkmal des Erlangens im Sinne des GeschGehG näher zu durchleuchten. Allerdings bieten weder der nationale noch der Unionsgesetzgeber dafür eine Legaldefinition an. Ausweislich der Gesetzesbegründung des GeschGehG bezeichnet der Begriff „jegliche Kenntnisnahme eines Geschäftsgeheimnisses [nach welcher] faktisch darüber [über das Geschäftsgeheimnis] verfügt werden kann.“703 Neben der aktiven Kenntnisnahme soll darunter ferner das Ansichbringen von Gegenständen, in denen das Geschäftsgeheimnis verkörpert ist, also sogenannten
700 So bereits Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 185, 189; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 18; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 23 Rn. 11. 701 Zustimmend Alexander, WRP 2019, 673, 679; ders., in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 10, 19. 702 Hohmann/Schreiner, StraFo 2019, 441, 441 sprechen auch von einem unechten Blankettgesetz; zur Bestimmtheit von Blankettstrafgesetzen aktuell BVerfG, Beschl. v. 11. 03. 2020 – 2 BvL 5/17, Rn. 80 ff.; im Schrifttum statt vieler Bülte, JuS 2015, 769, 770 ff.; Hoven, NStZ 2016, 377, 379 ff.; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 103 Rn. 65 m. w. N. 703 BT-Drs. 19/4724, S. 25.
Kap. 5: Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
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Geheimnismedien704, zu verstehen sein.705 Auch Zufallsfunde lassen sich wegen der verschuldensunabhängigen Ausgestaltung der zivilrechtlichen Primärnorm darunter subsumieren.706 Daneben ist in der Folge auch das Aufdrängen von Geheimnissen erfasst.707 Abweichend von der Gesetzesbegründung, in welcher das bisherige Verschaffen oder Sichern mit dem Erlangen im Sinne des § 4 Abs. 1 GeschGehG gleichstellt wird, ist klarzustellen, dass das Wort Erlangen sprachlich nicht nur aktives Vorgehen, sondern ebenso passives in Empfang nehmen umfasst.708 Hiéramente fordert insoweit mit Verweis auf die aktive Formulierung des Sich-Verschaffens oder Sicherns in der historischen Vorläufernorm § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG das Bestehen einer Garantenpflicht.709 Mithin lässt sich sein Argument als Verweis auf § 13 StGB deuten. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass der Wortlaut des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG und dessen verschuldensunabhängige Ausgestaltung gerade keinen Rückgriff auf § 13 StGB nahelegen. Zugleich weist Hiéramentes Einwand für sich betrachtet wenig Gewicht in der Waagschale auf, weil historische Rekurse auf rein nationale Vorschriften bei der Auslegung der zivilrechtlichen Bestimmung in § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG als Norm zur Umsetzung einer europäischen Richtlinie kaum etwas beizusteuern vermögen. Der Wortlaut sowie die Gesetzesbegründung lassen zudem Spielraum bei der Frage, ob die erlangende Person das Geschäftsgeheimnis subjektiv verstehen muss. Mithin ist also zu beantworten, ob die Kenntniserlangung einschließlich Verständnis erforderlich ist oder aber das bloße Ansichbringen bereits ausreicht und damit zur Vollendung der Tat führt.710 Der Wortlaut des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG lässt jedenfalls Raum für verschiedene Auslegungsergebnisse. So heißt es dort, dass ein Geschäftsgeheimnis nicht durch „unbefugten Zugang zu, unbefugte Aneignung oder unbefugtes Kopieren von Dokumenten, Gegenständen, Materialien, Stoffen oder elektronischen Dateien, die der rechtmäßigen 704 Im Hinblick auf die auch in der Geschäftsgeheimnis-RL vorzufindende Aufzählung von Verkörperungen bzw. Sicherungen des Geschäftsgeheimnisses, auf die später noch ein zugehen sein wird, wird von Wiese der Begriff Geheimnismedien verwendet, wobei klargestellt wird, dass diese gerade nicht gleichbedeutend sind mit dem Geschäftsgeheimnis, vgl. EU-Richtlinie, S. 93. Dieses Vorgehen verdient Beifall und wird daher auch in dieser Untersuchung verwendet. Daneben wird in der Literatur auch zwischen Geheimnismedien, die zur Fixierung des Geheimnisses dienen und solchen die auf dem Geschäftsgeheimnis beruhen, differenziert, vgl. Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 4 Rn. 9, 10 und Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 4 Rn. 21. 705 BT-Drs. 19/4724, S. 25. 706 Brammsen, wistra 2018, 449, 454 f.; Ohly, GRUR 2019, 441, 446; Hohmann, in: MüKoStGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 44; ders./Schreiner, StraFo 2019, 441, 444. 707 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 44; ders./Schreiner, StraFo 2019, 441, 444; krit. Hiéramente/Wagner, GRUR 2020, 709, 712 f. 708 Brammsen, wistra 2018, 449, 455; ders., Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 86a; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 44. 709 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 17. 710 Ablehnend Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 43.
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Kontrolle des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses unterliegen und die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder aus denen sich das Geschäftsgeheimnis ableiten lässt“
erlangt werden darf. Das Wort enthalten streitet dabei für einen frühen Vollendungszeitpunkt. Ein Gegenstand kann nämlich ohne Verständnis der darin verkörperten Informationen weitergegeben werden, während dies bei einer nicht mit einer gewissen physischen Manifestierung verbundenen Erlangung von Informationen nicht uneingeschränkt gelten kann. Es ist bleibt aber zu bedenken, dass eine Person ein Geheimnismedium an sich bringen könnte, dieses aber mit umfassenden Sicherungs- beziehungsweise Verschlüsselungsmaßnahmen versehen wurde, sodass auf das Geschäftsgeheimnis dennoch nicht zugegriffen werden kann. In diesen Fällen ist die interessierende Information zwar im Geheimnismedium enthalten, lässt sich aber nicht daraus ableiten. Daher bleibt aus teleologischen Erwägungen (wohl) nur Raum für eine Versuchsstrafbarkeit.711 Dieses Ergebnis lässt sich zusätzlich dadurch untermauern, dass die darauf aufbauende Folgeverletzungshandlung in § 4 Abs. 2 GeschGehG in Gestalt des Nutzens bei mangelnder Zugriffsmöglichkeit auch nur versucht sein kann. Mithin sollten die Verletzungshandlungen aus § 4 GeschGehG einheitlich ausgelegt werden, um andernfalls auftretende systematische Spannungen zu vermeiden. In Bezug auf nicht verkörperte Geschäftsgeheimnisse besteht gleichwohl ein erhebliches Risiko, dass das Geheimnis unzureichend verstanden wurde und bei einer weiteren Verfügung eine starke Verfälschung drohen würde. Mithin ist fraglich, ob überhaupt über das Geheimnis verfügt werden kann. Es erscheint daher vorzugswürdig – vor allem aus teleologischen Gründen – nicht zwingend von einem Erlangen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG auszugehen. In einem solchen Fall ist es viel mehr erforderlich, genau zu prüfen, ob „faktisch darüber [also über das Geschäftsgeheimnis] verfügt werden kann“.712 Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls in Rechnung zu stellen. Berücksichtigt man allerdings bereits an dieser Stelle die konkret erfassten Formen des Erlangens, so wird diese Frage wohl nur im Bereich der zivilrechtlichen Generalklausel aus § 4 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG von Relevanz sein. Es könnten § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG nämlich nur verkörperte Geschäftsgeheimnisse unterfallen, was im nächsten Schritt noch zu untersuchen sein wird. Um auch die europarechtlichen Vorgaben miteinzubeziehen, ist einleitend festzuhalten, dass für die Betriebsspionage insbesondere die Gruppe des Erwerbs nach Art. 4 Abs. 2 lit. a Geschäftsgeheimnis-RL zu betrachten ist, weil § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG der Umsetzung dieser Richtlinienvorschrift ins nationale Recht dient.713 Die Systematik dieser Vorschrift hat sich dabei insgesamt in den ver711 So auch Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 4 Rn. 13.2 § 23 Rn. 18; ähnlich im Hinblick auf die überkommene Rechtslage Müller, Cloud Computing, S. 263. 712 BT-Drs. 19/4724, S. 25. 713 Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, Vor § 17 – 19 UWG Rn. 20 hingegen misst Art. 4 Geschäftsgeheimnis-RL Fiktionscharakter zu und stuft diesen daher auf Ebene des Strafrechts für verfehlt ein.
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schiedenen Handlungsverboten des § 4 GeschGehG niedergeschlagen und auf diese Weise schließlich auch Einzug ins Strafrecht gefunden. Der an dieser Stelle in Rede stehende Erwerb im Sinne der Richtlinie stellt im Verhältnis zum Erlangen im Sinne des GeschGehG eine zumindest sprachliche Abweichung dar. Mangels weiterer Anhaltspunkte ist diese Divergenz allerdings nicht über zu bewerten und im Einklang mit dem Schrifttum von gleichlaufenden Auslegungsergebnissen auszugehen.714 Nicht unerwähnt bleiben soll Wiese, die auch im Hinblick auf die Richtlinie vorträgt, dass der bloße Wortlaut die konkrete Kenntnisnahme des Geschäftsgeheimnisses nicht als den maßgeblichen Zeitpunkt erscheinen lässt. Vielmehr ergibt sich, dass der Zugang, die Aneignung oder das Kopieren von Geheimnismedien entscheidend ist. Da diese Geheimnismedien jedoch gerade nicht mit dem Geschäftsgeheimnis identisch sind, folgt daraus, dass bereits die Möglichkeit der Kenntnisnahme ausreichend sein soll. Es ist nämlich denkbar, dass eine Person ein solches Geheimnismedium erlangt, ohne auf das darin enthaltenen Geheimnisse unmittelbar zugreifen zu können.715 Dieses Ergebnis einschließlich der Folgen für die Frage nach dem Zeitpunkt der Vollendung wurde bereits zuvor im Hinblick auf das nationale Recht aufgezeigt und aus teleologischen Erwägungen – jedenfalls in einer solch pauschalen Herangehensweise – für unzutreffend erklärt. Da die Richtlinie ebenfalls auslegungsfähig ist, ist eine Korrektur nicht erforderlich, vielmehr ist lediglich Wieses Auffassung mit Verweis auf die vorangegangenen Argumente zu widersprechen. 2. Erfasste Formen der Erlangung a) Kopieren, Zugang erlangen und Aneignung Einschränkend kann jedoch nicht jede Form des Erlangens unter § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG subsumiert werden. Die Vorschrift setzt nämlich voraus, dass das Geschäftsgeheimnis durch „unbefugten Zugang zu, unbefugte Aneignung oder unbefugtes Kopieren von Dokumenten, Gegenständen, Materialien, Stoffen oder elektronischen Dateien, die der rechtmäßigen Kontrolle des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses unterliegen und die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder aus denen sich das Geschäftsgeheimnis ableiten lässt“
erlangt wird. Vorangestellt ist festzuhalten, dass das Geheimnismedium der rechtmäßigen Kontrolle des Geheimnisinhabers im Sinne des § 2 Nr. 2 GeschGehG unterliegen muss. Dabei ist also die rechtmäßige Kontrolle über das Geschäftsgeheimnis sowie das Geheimnismedium kumulativ erforderlich. Mithin wird an dieser Stelle ebenso die Verwandtschaft zur Betriebsspionage im alten Recht besonders deutlich, weil auch § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG eine Beschränkung auf bestimmte Formen der Verschaffung oder Sicherung von Unternehmens714 715
Alexander, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 4 GeschGehG Rn. 11. Wiese, EU-Richtlinie, S. 93.
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geheimnissen enthielt.716 Die große Bandbreite an Verhaltensweisen legt zugleich eine weite Auslegung der tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen nahe, weil der Gesetzgeber so zum Ausdruck gebracht hat, dass eine Vielzahl von Konstellationen erfasst sein soll. So wird in der Literatur vertreten, bei den aufgezählten Objekten, also „… Dokumenten, Gegenständen, Materialien, Stoffen oder elektronischen Dateien …“, handele es sich nicht um eine abschließende Auflistung. Vielmehr solle zum Ausdruck kommen, dass letztlich alle Objekte, „… die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder aus denen sich das Geschäftsgeheimnis ableiten lässt …“ erfasst sein sollen.717 Stellenweise gehen einige Stimmen in der Literatur sogar so weit, die Aufzählung als nur beispielhaft einzustufen und eine über die Wortlautgrenze hinausreichende Auslegung zuzulassen.718 Auch die Verwendung untechnischer Begriffe wird im Zuge dessen als weiteres Argument herangezogen.719 Dies kann höchstens im Zivilrecht, nicht jedoch auf Ebene des Strafrechts überzeugen, weil an dieser Stelle spätestens Art. 103 Abs. 2 GG eine zwingende Grenze bildet.720 Aus Gründen der Rechtssicherheit ist es daher vorzugswürdig, auf eine gespaltene Auslegung des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG zu verzichten, zumal auf Ebene des Zivilrechts auf die Generalklausel in § 4 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG zurückgegriffen werden kann.721 Als mögliche Tathandlungen werden das Erreichen von Zugang, die Aneignung oder das Kopieren aufgezählt, welche alle an physische Verkörperungen des Geschäftsgeheimnisses anknüpfen. Es handelt sich bei den Begriffen letztlich um besondere Formen des Erlangens. Am klarsten erscheint das Merkmal Kopieren. Davon ist dann die Rede, wenn eine erneute Verkörperung eines Geschäftsgeheimnisses, also als Duplikat ein weiteres
716 Zum Vergleich mit der nun mehr bestehenden Regelung ist an dieser Stelle erneut auf den Wortlaut des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG hinzuweisen: „Ebenso wird bestraft, wer zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen, 1. sich ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis durch a) Anwendung technischer Mittel, b) Herstellung einer verkörperten Wiedergabe des Geheimnisses oder c) Wegnahme einer Sache, in der das Geheimnis verkörpert ist, unbefugt verschafft oder sichert“; zum unterschiedlichen Umfang der von § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG und § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG erfassten begehungsweisen Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1013 und Brammsen, wistra 2018, 449, 455. 717 Heinzke, CCZ 2016, 179, 180; Reinfeld, GeschGehG, § 2 Rn. 46, 47; also sogenannte Geheimnismedien. 718 McGuire, in: Büscher, UWG, § 4 GeschGehG Rn. 21; ähnlich Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 4 Rn. 12. 719 Reinfeld, GeschGehG, § 2 Rn. 45. 720 So nun auch Gramlich/Lütke, wistra 2022, 97, 98 und verklausuliert Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 4 Rn. 20. 721 McGuire erkennt diese Möglichkeit ebenfalls an, vgl. Büscher, UWG, § 4 GeschGehG Rn. 21; ähnlich Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 4 Rn. 12.
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Geheimnismedium, geschaffen wird.722 Der Wortlaut knüpft explizit an ein Kopieren eines bestehenden Geschäftsgeheimnismediums an. Daran anschließend werden die komplexeren Tathandlungen dargestellt, also der Zugang und die Aneignung. Über den genauen Inhalt dieser Begehungsformen herrscht in der Literatur Uneinigkeit. So wird etwa das Eintreten in den Machtbereich des Geheimnisinhabers und die Kenntnisnahme vom Geschäftsgehemins, sofern dadurch tatsächliche Verfügungsgewalt eintritt, als Zugang definiert.723 Andere wiederum sprechen erst dann vom Zugang, wenn durch Überwindung von Zugangshindernissen auf ein Geschäftsgeheimnis oder ein Geschäftsgeheimnismedium zugegriffen werden kann.724 Teilweise ist auch vom Eindringen in eine fremde Geheimnissphäre die Rede.725 Die Rechtsprechung hat zu dieser Frage bisher noch nicht Stellung bezogen, sondern lediglich festgestellt, dass die Verwirklichung dieser Begehungsvariante aktives Tun des Geheimnisverletzers voraussetzt.726 Von Aneignung soll dann gesprochen werden, wenn tatsächliche Herrschaftsgewalt über ein Geheimnismedium besteht.727 Dieser Zustand muss dabei nicht von Dauer sein.728 Umstritten ist im Einzelnen, ob dabei eine Orientierung an anderen Vorschriften erfolgen sollte. Teilweise wird etwa am Aneignungsbegriff aus § 242 StGB angeknüpft.729 Brammsen verweist wiederum auf § 202a StGB.730 Insbesondere im 722 Hohmann, in: MüKoStGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 50; Alexander, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 4 GeschGehG Rn. 18; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 4 Rn. 7.1, 18, 19; nach der Rechtsprechung des LAG Hamm wird dieses Tatbestandsmerkmal auch durch das Weiterleiten einer E-Mail verwirklicht, vgl. Urt. v. 23. 06. 2021 – 10 SaGa 9/21, BeckRS 2021, 41734 Rn. 32; dies steht nicht im Widerspruch zu den obigen Ausführungen, da diese E-Mail auch wieder auf einem Speichermedium bzw. Server abgespeichert wird, vgl. Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 4 Rn. 35. 723 Hohmann, in: MüKoStGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 46. 724 Heinzke, CCZ 2016, 179, 180; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 4 GeschGehG Rn. 16; Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 4 Rn. 12; a. A. Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 4 Rn. 33; wie Brammsen im Hinblick auf die überkommene Rechtslage Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 234. 725 McGuire, in: Büscher, UWG, § 4 GeschGehG Rn. 18. 726 Bei OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 27. 11. 2020 – 6 W 113/20, GRUR-RS 2020, 38662 Rn. 32 – Vliesstoffe heißt es lediglich: „Dieser [also der Zugang zu einem Geschäftsgeheimnismedium] liegt nämlich nicht schon dann vor, wenn eine E-Mail empfangen wird, da der Empfänger hierzu keinerlei Beitrag leistet. Vielmehr ist zu verlangen, dass in dem ,Zugang‘ ein aktives Element enthalten sein muss. D. h., der Empfänger muss auch eine Form von Aktivität entfaltet haben“. 727 Hohmann, in: MüKoStGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 49; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 4 Rn. 16; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 4 GeschGehG Rn. 17. 728 Hohmann, in: MüKoStGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 49. 729 Im Hinblick auf § 17 Abs. 2 Nr. 1 lit. c UWG bereits BayObLG, Beschl. v. 12. 12. 1991 – RReg. 4 St 158/91, BayObLGSt 1991, 147, 151 f.; ähnlich BGH, Urt. v. 23. 02. 2012 – I ZR 136/ 10, GRUR 2012, 1048 Rn. 14 – MOVICOL-Zulassungsantrag; Kochmann, Reverse Engineering, S. 102 f.; dagegen wurde wiederum vorgebracht, dass dein und derselbe Begriff im Strafrecht teils unterschiedlich ausgelegt werden müssen, um beispielsweise teleologischen
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Hinblick auf den weggefallenen Auffangtatbestand aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 lit. c UWG wird weiter vorgeschlagen, sich an der Diskussion zu § 246 StGB zu orientieren.731 Nach anderer Ansicht ist eine autonome Begriffsbildung vorzunehmen und eine Orientierung an anderen Normen wie etwa § 958 BGB abzulehnen.732 Die Orientierung an § 246 StGB unter Anerkennung sich wiederholender Aneignungsakte erscheint zumindest vor dem Hintergrund folgender Überlegung eine probate Lösungsmöglichkeit darzustellen. Würde man ein strengeres Begriffsverständnis an den Tag legen, würde keine Möglichkeit bestehen, das Einbehalten von Geheimnismedien nach Beendigung eines Dienstverhältnisses und damit nach Erlöschen etwaiger Befugnisse strafrechtlich zu sanktionieren.733 Es wäre nämlich nur auf diese Weise möglich, eine Aneignung ohne neue Gewahrsamsbegründung zu erfassen. Dies kann aber insgesamt nur im Hinblick auf Geheimnisgegenstände einen überzeugenden Ansatz darstellen, weil nur in diesem Bereich eine ausreichende Vergleichbarkeit besteht. All diese Ansätze weisen jedoch Schwächen auf. So kann nicht hinreichend klar beantwortet werden, ob ein „Bruch der Geheimhaltungsmaßnahmen“, also das Überwinden einer Zugangshürde für die Verwirklichung des Zugangsmerkmals, aber auch im Hinblick auf alle weiteren möglichen Begehungsformen, erforderlich ist. Dies ist indes von sehr großem Interesse. Der Wortlaut und auch die Gesetzgebungsunterlagen liefern – wie aufgezeigt – keine Klarstellung. Zieht man das Schrifttum heran, wird diese Frage äußerst stiefmütterlich behandelt. Es wird vorgetragen, dass eine solche einschränkende Forderung angesichts des Wortlauts der Norm nicht zwingend erscheint und im Hinblick auf § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG nicht überzeugt.734 Im Ergebnis erscheinen diese Stimmen nicht vorzugswürdig. Denn der Wortlaut lässt ebenso gut ein gegenteiliges Ergebnis zu. Es erscheint vor dem Hintergrund der bisherigen Ergebnisse nämlich durchaus als legitim, das Überwinden der Geheimhaltungsmaßnahmen zu fordern. Einerseits würde dies zwar bei der an sich erfassten passiven Entgegennahme Schwierigkeiten mit sich bringen, andererseits ist es Ziel des GeschGehG, ein hohes und zugleich kohärentes Schutzniveau zu gewährleisErwägungen gerecht zu werden. Daher hatte sich Föbus etwa gegen das später von Kochmann vorgeschlagene Vorgehen ausgesprochen, vgl. Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 158 ff. 730 Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 4 Rn. 34. 731 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 4 Rn. 17; dazu bereits BayObLG, Beschl. v. 12. 12. 1991 – RReg. 4 St 158/91, BayObLGSt 1991, 147, 151 f. bzw. auch zu § 242 StGB unter dem Gesichtspunkt der Gewahrsamsbegründung Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 158 ff. m. w. N.; Kalbfus, WRP 2013, 584, 588. 732 Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 4 GeschGehG Rn. 17; Ullrich, Geheimnishehlerei, S. 131 f. 733 Zustimmend Hiéramente/Wagner, GRUR 2020, 709, 711. 734 Heinzke, CCZ 2016, 179, 180; i. E. so auch Führmeyer/Klein, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 4 Rn. 24; Bott/Kohlhof, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 23 Rn. 47.
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ten.735 Würde man fordern, dass ein rechtlicher Schutz erst nach Schaffung ausreichend hoher tatsächlicher Schutzstandards bestehen kann, und zugleich ausreichen lassen, dass eine Geheimnisverletzung völlig losgelöst von diesen zu betrachten ist, würde dies zu Spannungen führen. Man könnte natürlich einwenden, auf diese Weise werde das rechtliche Schutzniveau noch einmal gesteigert, weil so sichergestellt wird, dass Ansprüche möglichst oft verwirklicht werden könnten. Das tatsächliche Schutzniveau wiederum könnte sinken, wenn man kein Überwinden der Zugangshürden verlangen würde. Konsequent erscheint es daher, eine Verzahnung von rechtlichem und tatsächlichem Schutz von Geschäftsgeheimnissen zu verlangen. Dies gelingt dann, wenn man das Merkmal aus § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG auch in eine wechselseitige Beziehung zum Verletzungstatbestand aus § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG stellt. Mithin ist es zur Verwirklichung des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG durch Aneignung von oder Zugang zu Geheimnismedien erforderlich, die zu deren Schutz ergriffenen Maßnahmen zu überwinden. Dem steht auch nicht entgegen, dass es ausreichend sein kann, wenn lediglich rechtliche Zugangshürden, wie etwa vertragliche Befassungsverbote, geschaffen wurden. Denn auch solche können durch rein tatsächliches Handeln überwunden werden. Etwas anderes ergibt sich schließlich nicht durch einen systematischen Vergleich mit anderen Vorschriften des gewerblichen Rechtsschutzes, die die Umgehung von Schutzmaßnahmen expressis verbis für notwendig erklären, wie etwa § 95a UrhG. Nur weil § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG keine gleichlautende Formulierung enthält, ist es aus teleologischen Gründen nicht angezeigt, von einem abweichenden Auslegungsergebnis auszugehen. Dies lässt sich wie folgt verdeutlichen: Beim Ausspähen von Daten nach § 202a StGB sticht sogleich die Parallele zur Betriebsspionage nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG ins Auge. Zur Verwirklichung des Straftatbestands aus § 202a Abs. 1 StGB muss der Täter sich oder einem anderen unbefugt Zugang zu Daten im Sinne des § 202a Abs. 2 StGB, welche nicht für ihn bestimmt sind und gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, unter Überwindung der Zugangssicherung verschaffen. Gleichlautend kommt sogar eine der benannten Formen des Erlangens in Gestalt des Zugangsverschaffens zum Tragen. Zudem wird auf das Vorhandensein einer Zugangssicherung abgestellt, was eine Parallele zum Kriterium angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen darstellt. Zur Umsetzung solcher Zugangssicherungen werden in Literatur und Rechtsprechung ebenfalls vergleichbare tatsächliche, technische Maßnahmen aufgeführt.736 Folglich erscheint es angemessen beide Strafvorschriften zur Vermeidung systematischer sowie teleologischer Spannungen zumindest im Hinblick auf die Tatbestandsmerkmale verschaffen und aneignen einheitlich auszulegen. Auch erweckt eine restriktive 735
BT-Drs. 19/4724, S. 1. BGH, Beschl. v. 06. 07. 2010 – 4 StR 555/09, NStZ 2011, 154, 154 f.; BGH, Beschl. v. 21. 07. 2015 – 1 StR 16/15, NJW 2015, 3463 Rn. 8, 9, 12; Rübenstahl/Debus, NZWiSt 2012, 129, 131; Wilke, NZWiSt 2019, 168, 170; vertiefend Graf, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 202a Rn. 39 ff.; a. A. Kalbfus, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, Einl. A Rn. 221. 736
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Handhabung gerade im Bereich des Strafrechts Sympathien, ohne echte Schutzlücken zu riskieren. Mithin legen praktische Erwägungen nahe, dass es bei der Betriebsspionage in der Regel zum Überwinden von Schutzmaßnahmen kommen wird.737 Zudem besteht wegen der Generalklausel in § 4 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG ein umfassenderer zivilrechtlicher Schutz, welcher als Auffangnetz fungieren kann. b) Unmittelbare Einwirkung auf das Geheimnismedium Außerdem ist zu klären, ob zur Verwirklichung des Tatbestands stets das unmittelbare Einwirken auf ein Geheimnismedium von Nöten ist. Im Hinblick auf das Kopieren und das Aneignen eines Geheimnismediums lässt sich diese Frage relativ schnell bejahen. Mithin ist also zu beantworten, ob beispielsweise das Abhören von Konferenzräumen oder die Befragung von Mitarbeitern eines Unternehmens, bei der eine Information, nicht aber ein Geheimnismedium weitergegeben wird, über die Begehungsform des unbefugten Zugangs erfasst sind.738 Zieht man das Schrifttum heran, wird deutlich, dass diese Frage kaum näher diskutiert wird. Nur wenige Autoren gehen gezielt auf diesen Umstand ein und sprechen sich überwiegend dafür aus, solche Verhaltensweisen als nicht vom Tatbestand erfasst zu behandeln.739 Dies bedarf jedoch näherer Aufklärung. Der Wortlaut des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG eröffnet einen mehrdeutigen Interpretationsspielraum. So zielt das Erlangen auf ein Geschäftsgeheimnis, also den Inhalt eines erfassten Geheimnismediums ab. Dies spricht für ein weites Begriffsverständnis. Folglich ist der Zugang zu einem Geheimnismedium ein dehnbares Tatbestandsmerkmal, welches sprachlich auch ein weniger räumliches Verständnis zulässt und vielmehr am Inhalt des Geheimnismediums, nicht an dessen physischer Manifestierung anknüpfen kann.740 Dann ist es denkbar, Abhörmaßnahmen zu erfassen und somit einen besonders 737
Diese praktische Vermutung wird beispielsweise durch Dreschers Untersuchung etwaiger Gefahrenquellen von erhärtet, vgl. Industrie- und Wirtschaftsspionage, S. 92 ff. 738 Dass solche Fälle in der Realität ohne technisch aufwendige und komplizierte Verfahren vorkommen können, zeigt das Beispiel des versuchten Lauschangriffs auf den damaligen Porsche Manager Wiedekin in einem Hotelzimmer mithilfe eines Babyfons, vgl. etwa https: //www.sueddeutsche.de/wirtschaft/porsche-und-die-babyfon-affaere-schlaflos-in-wolfsburg-1.1 98716-0 (zuletzt abgerufen 26. 03. 2020). Ebenso ist auf die Abhörmaßnahmen im Rahmen von strategischen Besprechung bei Volkswagen hinzuweisen, vgl. etwa https://www.sueddeutsche. de/wirtschaft/volkswagen-vw-tapes-audio-mitschnitte-prevent-1.4979121 und https://www.faz. net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/volkswagen-skandal-abhoeraktionen-brandstiftung-eine-lei che-16903834.html (zuletzt abgerufen jeweils 02. 11. 2020). 739 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 4 Rn. 7, 7.1; ders./Wagner, GRUR 2020, 709, 709, 712; Führmeyer/Klein, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 4 Rn. 23; a. A. (wohl) Brammsen, der davon spricht, dass nun wohl nahezu jede Form des Erwerbs erfasst sei, vgl. Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 92a. 740 In diesem Sinne lässt sich auch die verwaltungsrechtliche Rechtsprechung im Hinblick auf das – zumindest – sprachlich verwandte Merkmal in § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UIG verstehen, VG Schleswig, Urt. v. 25. 04. 2019 – 6 A 222/16, BeckRS 2019, 15456, Rn. 63 mit Verweis auf BVerwG, Beschl. v. 25. 07. 2013 – 7 B 45.12 –, juris Rn. 10 f. und Rn. 15 m. w. N.
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weitreichenden Geheimnisschutz zu etablieren. Gleichzeitig ist aber durch die Beschränkung auf einzelne Formen die Tendenz zur engeren Auslegung des tatbestandsmäßigen Verhaltens zu erkennen. Vor dem Hintergrund einer sprachlichen Analyse des Wortes Zugang erscheint ein tatsächliches Verständnis nichtsdestotrotz wahrscheinlicher. Daher erscheint es auf den ersten Blick weniger überzeugend, eine konkrete Einwirkung auf ein Geheimnismedium auch beim Zugangsmerkmal zu fordern. Dies ist bei alleiniger Betrachtung des Wortlauts sogar vorzugswürdig. In diesem Sinne lässt sich auch die Rechtsprechung des BVerwG interpretieren. Das Gericht legt zwar § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG weit aus, wenn es in einem Beschluss vom 05. 03. 2020 ausführt, dass „der Schutz […des] Geschäftsgeheimnisses […] – wie § 4 I Nr. 1 GeschGehG zeigt – nicht nur das Verbot des unbefugten Zugriffs auf Dateien [umfasst], die das Geschäftsgeheimnis enthalten, sondern auch bereits die Verhinderung des Zugangs zu Dateien, aus denen sich das Geschäftsgeheimnis ableiten lässt. Dementsprechend sind auch die äußeren Merkmale von Dateien (wie Dateiname, Dateiendung, Dateityp und Dateigröße oder ähnliche Metadaten) geheimzuhalten, die Rückschlüsse auf das Geschäftsgeheimnis zulassen.“741
Gleichzeitig lässt sich aber auch hier die starke Fokussierung auf das Geheimnismedium erkennen. Das Merkmal ist systematisch aber auch vor dem Hintergrund der anderen Begehungsformen auszulegen. Diese knüpfen – wie bereits erwähnt – viel stärker an einem physisch vorhandenen Geheimnismedium an. Mithin liegt der Schluss nahe, mündliche Geheimnismitteilungen nicht zu erfassen. Dies gilt nicht zuletzt für Mitteilungen, die im Ergebnis an ein Geheimnismedium anknüpfen, wie etwa das Verlesen von Dokumenten. Da der Gesetzgeber die bisherige und die neue Strafbestimmung zur Betriebsspionage als gleichlaufend einstuft742, ist im Weiteren ein Verweis auf das bisherige Verständnis angebracht, wonach von § 17 Abs. 2 Nr. 1 lit. a UWG auch die Betriebsspionage in Gestalt von Abhörmaßnahmen – zumindest nach überwiegendem Verständnis – erfasst war.743 Allerdings stellt auch dieser Verweis auf die überkommene Rechtslage kein allzu gewichtiges Argument dar. Zum einen wurde bereits aufgezeigt, dass die Annahme des Gesetzgebers nicht vollends überzeugt. Zum
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BVerwG, Beschl. v. 05. 03. 2020 – 20 F 3/19, NVwZ 2020, 715 Rn. 16. BT-Drs. 19/4724, S. 40. 743 BT-Drs. 10/5058, S. 40; Pfeiffer, in: FS Nirk, S. 861, 881; Kiethe/Groeschke, WRP 2005, 1358, 1365; Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 118; Kochmann, Reverse Engineering, S. 139; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 56; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 88; die dabei oft zitierte Entscheidung des OLG Hamm – Tierohrmarken hingegen hatte Filmaufnahmen zum Gegenstand und eignet sich daher nicht als Nachweis, vgl. WRP 1993, 36, 38. 742
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anderen wurde dabei teilweise eine Beschränkung auf tatsächliche Fixierungsvorgänge angenommen.744 Teleologisch ließe sich zwar der bezweckte Schutz von Geschäftsgeheimnissen anführen, doch im nunmehr primär zivilrechtlich ausgestalteten Geheimnisschutz erscheint eine derart extensive Auslegung vor dem Hintergrund der Generalklausel des § 4 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG bedenklich. Außerdem müsste man sich die Frage stellen, wann die Grenzen des Art. 103 Abs. 2 GG überschritten werden. Der – nachvollziehbare – Wunsch nach umfassendem strafrechtlichem Rechtsgüterschutz darf nicht zur Überdehnung des gesetzlichen Tatbestandes führen.745 Zur Schließung etwaiger Strafbarkeitslücken kann außerdem letzten Endes auch auf § 201 StGB zurückgegriffen werden. Zwar dient diese Vorschrift nicht unmittelbar dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen, sondern der Vertraulichkeit nicht öffentlich gesprochener Worte beziehungsweise vertraulicher Kommunikationsvorgänge.746 Nichtsdestotrotz werden auch diese zumindest reflexhaft gegen Abhörmaßnahmen geschützt. Auch kann die Begehungsweise des Kopierens als das Erschaffen einer weiteren Verkörperung des Geheimnismediums an dieser Stelle nicht zu einer Lückenschließung herangezogen werden. Es sind nämlich zugleich reine Gedächtniswiedergaben aus dem Kreis möglicher Formen des Kopierens ausgeschlossen.747 Mithin kann ebenso wenig daran angeknüpft werden, wenn die Erkenntnisse des Abhörvorgangs anschließend in physischer Form fixiert werden sollen. Ergebnis ist dann nämlich nicht die erneute Verkörperung des Geheimnismediums, sondern bloß das Festhalten eines mündlich wiedergegebenen Geschäftsgeheimnisses. Daher ist Hiéramente zuzustimmen, wenn er sich gegen den strafrechtlichen Schutz von Abhörmaßnahmen durch § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG ausspricht.748 Alles andere würde die vorangestellten Ergebnisse konterkarieren und mit den vorgetragenen Argumenten im Widerspruch stehen. Dabei zu Tage tretende (vermeintliche) Wertungswidersprüche – nämlich eine Schutzlücke im Geschäftsgeheimnisschutz, welche auf die an sich weit vorgelagerte am Geheimnismedium anknüpfende und damit grundsätzlich umfassende Ausgestaltung des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG – sind daher vor dem Hintergrund der ultima-ratio-Funktion des Strafrechts und der Generalklausel in § 4 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG hinzunehmen. 744
Statt vieler Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 157; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 89. 745 Vertiefend nur Vogel, ZStW 128 (2016), 139, 159 f. 746 Graf, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 201 StGB Rn. 2 ff. m. w. N. 747 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 51; Alexander, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 4 GeschGehG Rn. 20; Hiéramente/Wagner, GRUR 2020, 709, 712. 748 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 4 Rn. 7.1; so nun auch Führmeyer/Klein, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 4 Rn. 32; a. A. Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 46.
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3. Unbefugt im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG Neben den zuvor dargelegten Anforderungen an das Erlangen muss der Täter auch unbefugt handeln. Üblicherweise stellt dieses Merkmal lediglich einen Verweis auf die Rechtswidrigkeitsebene dar, weil das Eingreifen von Erlaubnissätzen traditionell erst auf dieser Ebene relevant wird.749 Darauf deutet die Gesetzesbegründung auch im Kontext von § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG hin, wenn davon die Rede ist, dass das Vorliegen einer Erlaubnis an dieser Stelle zu berücksichtigen ist.750 Dies kann jedoch vorliegend nicht überzeugen. Vielmehr muss der Einordnung als bloßer Verweis auf die Rechtswidrigkeitsebene die Gesetzessystematik entgegengehalten werden. Die Tatbestandsausnahme aus § 5 GeschGehG stellt nämlich klar, dass ein Verhalten bereits nicht unter die Verbote des § 4 GeschGehG fällt, wenn deren Voraussetzungen vorliegen. Damit ist bereits auf Ebene des Tatbestands zu klären, welche Verhaltensweisen unbefugt im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG erfolgen.751 Dies hat zugleich Auswirkungen für etwaige Irrtümer bei der Betriebsspionage. Dem steht die Gesetzesbegründung trotz vorstehender Ausführungen nicht entgegen. Ein abweichendes Vorgehen wäre nur schwer mit dem Hinweis des Gesetzgebers zu vereinbaren, wonach nur bestimmte Verhaltensweisen unter die Verbote des § 4 GeschGehG fallen sollen.752 Folge ist allerdings keine allgemeine Interessenabwägung, sondern ein Anknüpfungspunkt für das Eingreifen etwaiger Erlaubnissätze, welche auf Ebene des Tatbestands von Relevanz sind.753 Ein abweichendes Vorgehen würde mit der aufgezeigten Systematik des GeschGehG im Widerspruch stehen. Abweichend von § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG beinhaltet Art. 4 Abs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL754 mit der fehlenden Zustimmung des Geheimnisinhabers eine 749 In diesem Sinne wohl McGuire, in: Büscher, UWG, § 4 GeschGehG Rn. 22 f.; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 153; Ullrich, Geheimnishehlerei, S. 137 f.; im Hinblick auf § 17 Abs. 2 UWG statt vieler Kochmann, Reverse Engineering, S. 122 ff.; Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 137; a. A. bereits Ohly, GRUR 2014, 1, 6 f. 750 BT-Drs. 19/4724, S. 27. 751 So auch Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 48; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 111. 752 BT-Drs. 19/4724, S. 26. 753 So auch McGuire, in: Büscher, UWG, § 4 GeschGehG Rn. 22; zustimmend Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 48. 754 Art. 4 Abs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL lautet wie folgt: „Der Erwerb eines Geschäftsgeheimnisses o h n e Z u s t i m m u n g des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses gilt als rechtswidrig, wenn er erfolgt durch a) unbefugten Zugang zu, unbefugte Aneignung oder unbefugtes Kopieren von Dokumenten, Gegenständen, Materialien, Stoffen oder elektronischen Dateien, die der rechtmäßigen Kontrolle durch den Inhaber des Geschäftsgeheimnisses unterliegen und die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder aus denen sich das Geschäftsgeheimnis ableiten lässt; b) jedes sonstige Verhalten, das unter den jeweiligen Umständen als mit einer seriösen Geschäftspraxis nicht vereinbar gilt.“ (gesperrte Hervorhebung nicht im Original).
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zusätzliche Voraussetzung für einen rechtswidrigen Erwerbsvorgang. Auch dabei ergibt sich etwa nach Wieses zustimmungswürdiger Auffassung aus systematischen Gründen, dass diese nicht erst rechtfertigende Wirkung entfalten kann.755 Damit verhält sich dieses Merkmal ähnlich wie das Tatbestandsmerkmal unbefugt in § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG. Dies stellt ein Indiz dafür dar, dass eine mögliche Berücksichtigung eines etwaigen Einverständnisses auf Tatbestandsebene im Einklang mit dem Unionsrecht steht. Dies bestätigt das zuvor aufgezeigte Normverständnis. 4. Besondere Erscheinungsformen der Betriebsspionage Neben den bisher abstrakt gehaltenen Ausführungen zur Betriebsspionage gilt es nun die vorangegangenen Ausführungen anhand einiger ausgewählter praktischer Beispiele zu unterfüttern. a) Reverse Engineering als strafrechtlich relevante Verhaltensweise Nun soll ein weiteres Mal auf das Phänomen des Reverse Engineering eingegangen werden. Nachdem anerkannt wurde, dass trotz des Reverse Engineering noch Raum für das Bestehen eines Geschäftsgeheimnisses bleibt, ist zu klären, ob dieses Phänomen sich unter die von § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG erfassten Formen des Erlangens subsumieren lässt. Knapp festgehalten werden kann jedenfalls, dass der Erkenntnisgewinn durch Reverse Engineering regelmäßig als Erlangen eines Geschäftsgeheimnisses im obengenannten Sinn zu qualifizieren ist. Fraglich bleibt, ob es sich um ein Erlangen unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG handelt. Daher ist zunächst zu ermitteln, inwieweit ein in den Verkehr gebrachtes Produkt zugleich ein Geheimnismedium im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG darstellt. Bei reiner Betrachtung des Wortlauts kommen keine Bedenken auf. Mithin wird man eine Maschine oder einen Computerchip als Gegenstand, ein Medikament oder ganz allgemein eine chemische Mixtur als Stoffe einstufen können. Für den Bereich des Software Reverse Engineering kann ein schneller Hinweis auf die explizit genannten elektronischen Dateien erfolgen. Dieses Ergebnis lässt sich auch vor dem Hintergrund teleologischer Erwägungen bestätigen. Es würde widersinnig erscheinen und den Kreis schützenswerter Objekte stark einschränken, wenn etwa nur bestimmte Ausgangsmedien zur Erzeugung von Produkten erfasst wären, nicht aber in den Verkehr gebrachte Produkte selbst. Außerdem legt ein Verweis auf § 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. a GeschGehG diesen Schluss nahe.
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Wiese, EU-Richtlinie, S. 94.
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Im nächsten Schritt ist nun zu klären, ob es sich bei den beim Reverse Engineering zum Einsatz kommenden Methoden um von § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG erfasste Verhaltensweisen handelt. Dabei bietet es sich an einleitend einen Blick auf die historische Rechtslage zu werfen und die Beurteilung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG darzustellen. Daran anknüpfend ist die nunmehr geltende Rechtslage zu betrachten. In der Literatur wurde beim Hardware Reverse Engineering auf § 17 Abs. 2 Nr. 1 lit. a UWG, also die „Anwendung technischer Mittel“, abgestellt, wenn es etwa um das Auseinanderbauen und Analysieren der einzelnen Bestandteile eines Produkts ging.756 Dies galt ebenso für den Einsatz von Computern beim Software Reverse Engineering.757 Im Hinblick auf die in verkörperter Form festgehaltenen Ergebnisse des Analysevorgangs wurde auf die „Herstellung einer verkörperten Wiedergabe des Geheimnisses“ nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 lit. b UWG abgestellt.758 Die „Wegnahme einer Sache, in der das Geheimnis verkörpert ist“ nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 lit. c UWG spielte – wenn überhaupt – im Vorfeld des Reverse Engineering eine Rolle, weil die untersuchten Produkte in der Regel zuvor rechtsgeschäftlich erworben wurden.759 Mithin wurde zudem angenommen, dass sich die handelnden Personen die gewonnenen Erkenntnisse auch im Sinne des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG verschafft und gesichert haben.760 Anders als die überkommene Vorschrift des § 17 Abs. 2 Nr. 1 lit. a UWG kennt § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG nicht mehr explizit die „Anwendung technischer Mittel“. Allerdings ist es denkbar, dass diese nun unter den „unbefugten Zugang zu [oder die] Aneignung“ von Geheimnismedien fallen. So sind diese Formen des Erlangens neutral gehalten und erfassen dadurch eine enorme Bandbreite an Verhaltensweisen sowie Methoden. Gleichzeitig entspricht das neu geschaffene Kopieren dem bisherigen Herstellen einer verkörperten Wiedergabe, wie die Analyse der dazu ergangenen Rechtsprechung und Literatur zeigt.761 Folglich kann es sich im konkreten Einzelfall beim Reverse Engineering durchaus um tatbestandsmäßiges Verhalten handeln. An dieser Stelle ist allerdings noch auf den § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG im späteren Verlauf dieser Untersuchung zu verweisen.
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Statt vieler Kochmann, Reverse Engineering, S. 118. Statt vieler Kochmann, Reverse Engineering, S. 118; aktuell dazu Triebe, WRP 2018, 795, 801 f. 758 Statt vieler Kochmann, Reverse Engineering, S. 119; aktuell dazu Triebe, WRP 2018, 795, 802. 759 Statt vieler Kochmann, Reverse Engineering, S. 119 f. 760 Statt vieler Kochmann, Reverse Engineering, S. 120. 761 Vgl. etwa Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 90 m. w. N.; Kochmann, Reverse Engineering, S. 119. 757
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
b) Mittelbare Täterschaft und Social Engineering Neben dem dargestellten Bereich des technisch geprägten Reverse Engineerings soll der Bereich des Social Engineering beleuchtet werden. Dieser – zumindest in der Rechtswissenschaft wenig umgrenzte – Begriff entstammt ursprünglich dem Bereich der Sozial- und Politikwissenschaften findet aber in diversen Disziplinen Verwendung. Er umschreibt eine Vielzahl möglicher Herangehensweisen mit dem Ziel andere Personen zu einer bestimmten Verhaltensweise zu veranlassen.762 Dabei genügt das Blättern in einer Tageszeitung, um Beispiele für diesen ebenfalls praktisch relevanten Themenkreis ausfindig zu machen. So erwies sich etwa das Geschenk eines Geschäftspartners eines deutschen Pharmaunternehmens – ein in Gold eingefasster USB-Stick – als goldenes „Trojanisches Pferd“, welches bei der Nutzung an Firmencomputern zu einem Abfluss von Interna an die Konkurrenz geführt hätte.763 Eine weitere Ausprägung der CEO-Fraud ist traditionell eher im Bereich der Betrugsstrafbarkeit zu verorten, ist aber auch im Kontext der Betriebsspionage von Relevanz und verläuft in der Regel nach folgendem Muster. Die Täter geben sich gegenüber Mitarbeitern eines Unternehmens als Vorgesetzte oder direkt als Mitglieder der Geschäftsführung aus und versuchen diese dann unter Zuhilfenahme von täuschend echt wirkenden E-Mails, unter Bezugnahme auf betriebliche Interna oder durch das Erzeugen von Druck zur Überweisung hoher Geldsumme zu veranlassen.764 Genauso kommt es auch zur telefonischen Kontaktaufnahme, welche als Vishing bezeichnet wird.765 Hoch aktuell ist dabei auch der Einsatz sogenannter Deep Fakes.766 Dabei kann auch die Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG bezweckt sein.767 Vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie und der zunehmenden Bedeutung von Home-Office gewinnen diese Phänomene noch einmal an zusätzlicher praktischer Relevanz.768 Dieses Phänomen – in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen – ist in der rechtswissenschaftlichen Literatur bisher nahezu unerwähnt geblieben und hat fast
762
Klarmann/Waag, NZA Beilage 2019, 107, 108; Zahrte, BKR 2019, 126, 127; Drescher, Industrie- und Wirtschaftsspionage, S. 96 f. 763 http://handelsblatt.com/unternehmen/mittelstand/wirtschaftskriminalitaet-betriebsspio ne-nehmen-mittelstaendler-ins-visier/3262918.html und https://www.faz.net/aktuell/wissen/com puter-mathematik/cyberkriminalitaet-die-psycho-tricks-der-hacker-16327611.html (jeweils zuletzt abgerufen am 02. 11. 2020); siehe dazu auch Bott, in: FS Wessing, S. 311, 315. 764 Instruktiv Fritzsche, CB 2017, 403 ff.; Aufderheide/Fischer, CCZ 2017, 138, 138 f.; Raif/ Swidersky, ArbRAktuell 2018, 173; Klarmann/Waag, NZA Beilage 2019, 107, 109; Zahrte, BKR 2019, 126, 127; Fischer/Schmidt, CB 2020, 200. 765 Fischer/Schmidt, CB 2020, 200, 200 f. 766 Lantwin, MMR 2020, 78, 79, 80; zur Begriffserklärung und zu strafrechtlichen Haftungsrisiken allgemein ders., MMR 2020, 78 ff. 767 So auch Lantwin, MMR 2020, 78, 80; diese Vermutung findet sich auch bei Klarmann/ Waag, NZA Beilage 2019, 107, 110; Fischer/Schmidt, CB 2020, 200, 201, 202. 768 Instruktiv Fischer/Schmidt, CB 2020, 200 ff.
Kap. 5: Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
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ausschließlich im Kontext von Phishing im Online-Banking Beachtung gefunden.769 Lediglich Föbus hat sich bereits im Hinblick auf die überkommene Rechtslage mit dieser Thematik befasst.770 Beim Blick in die arbeitsrechtliche Rechtsprechung zeigt sich, dass der sogenannte CEO-Fraud die Gerichte in jüngerer Vergangenheit mehrfach beschäftigt hat. Dabei lag der Schwerpunkt allerdings jeweils bei der Haftung des Arbeitnehmers in Folge von veranlassten Zahlungen.771 Daneben hatten sich die Instanzgerichte auch mit Fragen der Haftung im Bereich von Zahlungsdienstleistungen zu beschäftigen.772 Diese Fragen sind trotz ihrer erheblichen praktischen Relevanz vor dem Hintergrund dieser Untersuchung nicht von Bedeutung. In der (strafrechtlichen) Rechtsprechung wird man hingegen nur rudimentär fündig. So hatte das OLG Hamburg im Jahr 2008 folgenden stark zusammengefassten Sachverhalt zu beurteilen.773 Die beklagte Partei, eine Wettbewerberin der Klägerin, hatte unter Vortäuschung falscher Identitäten wiederholt versucht Preise und weitere Informationen von bestimmten Waren der Klägerin per E-Mail abzufragen. Dabei wurde vorgespiegelt, dass die Anfragen mit Erwerbsabsicht seitens verschiedener Universitäten und nicht der Konkurrenz erfolgten. Zudem wurde versucht unter Verweis auf haushaltstechnische Bestimmungen Zeitdruck aufzubauen. Das Unterlassungsbegehren und damit auch die Frage nach der Strafbarkeit des Verhaltens nach § 17 UWG – in Gestalt der unbefugten Verwertung eines in sonstiger Weise unbefugt erlangten Geheimnisses – wurde damals aber mangels eines ausreichend substantiierten Vortragens des Vorliegens eines Unternehmensgeheimnisses abgelehnt. Das Gericht ließ jedoch anklingen, dass eine Strafbarkeit nicht per se ausgeschlossen sei.774 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Social Engineering zur Erlangung von Geschäftsgeheimnissen sich wiederholende Grundmuster aufweist. Dabei sind etwa das Erzeugen einer Drucksituation, zum Beispiel durch eine fingierte Anweisung eines Vorgesetzten775 oder aber das Erschleichen von Vertrauen durch das Vortäuschen einer falschen Identität zu erwähnen. Daneben kommen aber auch Verhaltensweisen wie das Platzieren eines mit Schadsoftware belasteten USBSticks auf einem Firmenparkplatz vor. Die vorangestellten Beispiele lassen sich abstrakt in Fallgruppen einordnen. Für den Gang dieser Untersuchung soll dabei zunächst einmal danach differenziert werden, ob es zur Einwirkung auf ein Geheimnismedium im vorangestellten Sinne 769
Dazu etwa Ceffinato, NZWiSt 2016, 464, 465 ff.; Fischer/Schmidt, CB 2020, 200. Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 161 ff. 771 LAG Sachsen, Urt. v. 13. 06. 2017 – 3 Sa 556/16, BeckRS 2017, 127707; vertiefend dazu Raif/Swidersky, ArbRAktuell 2018, 173, 173 ff. 772 LG Karlsruhe, Urt. v. 05. 07. 2018 – 15 O 50/17 KfH, BKR 2019, 151 und LG Düsseldorf, Urt. v. 26. 10. 2018 – 6 O 72/17, BKR 2019, 154; vertiefend dazu Zahrte, BKR 2019, 126 ff. 773 OLG Hamburg, Urteil vom 03. 04. 2008 – 3 U 282/06, BeckRS 2008, 13501. 774 OLG Hamburg, Urt. v. 03. 04. 2008 – 3 U 282/06, BeckRS 2008, 13501 Rn. 51; krit. Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 163. 775 Dazu etwa Bernreuther/Krischen, CCZ 2020, 12, 15. 770
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
kommt oder nicht. Sollte dies der Fall sein, kann weiter differenziert werden. Zum einen sind Fälle denkbar, bei denen das Social Engineering dazu genutzt wird, um traditionelle Instrumente der Betriebsspionage, wie etwa Schadsoftware, an (technischen) Sicherungsinstrumenten – zum Beispiel Firewalls – vorbei zum Einsatz zu bringen. Zum anderen kann es auch direkt zur Weitergabe von Geheimnismedien kommen. Neben dem Anknüpfen an einem Geheimnismedium ist es aber auch denkbar, dass es zur rein mündlichen Wiedergabe von Geschäftsgeheimnissen, wie etwa Angebotsdetails – beispielsweise während eines Telefonats – kommt. Die erstgenannte Obergruppe bei der etwa vermeintlich verlorene oder verschenkte USB-Sticks zum Einsatz kommen ist hier von weniger großem Interesse, weil in diesen Konstellationen regelmäßig keine Besonderheiten bei der Prüfung des Tatbestands zu Tage treten. Dies gilt auch für das Versenden von Schadsoftware unter dem Deckmantel einer vermeintlichen persönlichen Beziehung. Für die direkte Weitergabe von Geheimnismedien in Folge von Manipulationen bedarf es hingegen schon einer genaueren Prüfung im Einzelfall. So fällt ins Auge, dass die Verwirklichung einer der erfassten Formen des Erlangens eines Geheimnismediums zumindest in mittelbarer Täterschaft im Sinne des § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB verwirklicht werden kann.776 Kommt es zur mündlichen Offenlegung, wird zwar ein Geschäftsgeheimnis erlangt, doch liegen mangels physischer Verkörperung, auf die zugegriffen wird, die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG nicht vor.777 Es wurde bereits herausgearbeitet, dass das Erlangen durch Abhörvorrichtungen nicht mehr tatbestandsmäßig sein kann. Dies gilt erst recht für die täuschungsbedingte Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses als besonderer Fall der Betriebsspionage. Eine Strafbarkeit über die Konstruktion der mittelbaren Täterschaft scheidet ebenfalls aus. Somit bleibt lediglich Raum für die Prüfung anderer Straftatbestände.
III. Subjektive Tatbestandsmerkmale Die Betriebsspionage verlangt zudem Vorsatz im Sinne des § 15 StGB, weil die Vorschriften des allgemeinen Teils des StGB wegen Art. 1 Abs. 1 EGStGB auch im Nebenstrafrecht zur Anwendung kommen. Mithin sind sämtliche Formen des Vorsatzes, also dolus directus 1. und 2. Grades sowie dolus eventualis erfasst.778 776 I. E. zustimmend, allerdings ohne Begründung Drescher, Industrie- und Wirtschaftsspionage, S. 311; zur mittelbaren Täterschaft bei der Betriebsspionage nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG RGSt 38, 108, 111 – Musterkollektion; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 114 mit Fn. 642; zur mittelbaren Täterschaft allgemein etwa Fischer, StGB, § 25 Rn. 5 ff. m. w. N. 777 I. E. zustimmend Drescher, Industrie- und Wirtschaftsspionage, S. 311. 778 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 52; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 20 f.; zum Vorsatz nur Fischer, StGB, § 15 Rn. 2 ff.
Kap. 5: Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
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Daneben bedarf es auf Ebene des subjektiven Tatbestands eines Handelns (1) zur Förderung des eigenen oder fremden Wettbewerbs, (2) aus Eigennutz, (3) zugunsten eines Dritten oder (4) in Schädigungsabsicht. Dabei decken sich die verschiedenen Ausprägungen der überschießenden Innentendenz bei den unterschiedlichen Begehungsformen des § 23 GeschGehG mit denen der §§ 17, 18 UWG, bis auf das Handeln zur Förderung des eigenen oder fremden Wettbewerbs, welches das Handeln aus Zwecken des Wettbewerbs ersetzt. Mangels abweichender Anhaltspunkte kann bei der Auslegung der fortbestehenden Merkmale auf den bisherigen Stand der Forschung verwiesen werden. Bevor der Inhalt des ersten dieser Tatbestandsmerkmale dargelegt oder ein Definitionsversuch unternommen wird, springt bei der Lektüre der Straftatbestände aus § 23 GeschGehG die Formulierung „… zur Förderung des eigenen oder fremden Wettbewerbs …“ ins Auge. Bereits die Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des GeschGehG enthielt einen Änderungsvorschlag, welcher vorsah, von „Erlangung eines eigenen oder fremden Wettbewerbsvorteils“ zu sprechen.779 Begründet wurde dies damit, „… dass es sich [beim Wettbewerb] um einen marktbezogenen Prozess handelt. Wettbewerb wird in der Regel jedoch nicht als etwas begriffen, das eine Person oder eine Institution besitzen kann.“780 Es ist daher hinsichtlich der unterbliebenen Änderung von einem redaktionellen Versehen des Gesetzgebers auszugehen. Ansonsten würde Brammsen mit seiner Kritik am Regierungsentwurf, welcher an dieser Stelle im GeschGehG fortlebt, recht behalten, weil „… der objektiv absolut untaugliche Versuch zum Grundfall einer Straftat erhoben [worden wäre].“781 In der Folge wird an dieser Stelle an den bisherigen Stand der Forschung anzuknüpfen und in bisheriger Tradition von einem Handeln „zur Erlangung eines eigenen oder fremden Wettbewerbsvorteils“ auszugehen sein, wenn die Handlung von der Absicht getragen ist, den eigenen oder fremden Absatz von Waren oder das Erbringen oder Beziehen von Dienstleistungen zu fördern.782 Im Zuge dessen wurde in der Vergangenheit und gegenwärtig weiterhin vertreten, dass für dieses Tatbe-
779
BT-Drs. 19/4724, S. 47, 49. BT-Drs. 19/4724, S. 47; zum Begriff des Wettbewerbs im Strafrecht nur Krüger, Entmaterialisierungstendenz, S. 36 – 39. 781 Brammsen, BB 2018, 2446, 2450. 782 Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 185, 188; Zentek, WRP 2007, 507, 516; Ohly, in: Ohly/ Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 2; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 41; teilweise wird bei der Auslegung eine Orientierung am Begriff der geschäftlichen Handlung i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG vorgeschlagen, vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 Rn. 24; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 55; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 43; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 49; ders./Drescher, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 23 Rn. 30; Pfeiffer (FS Nirk, 861, 876) und Többens (NStZ 2000, 505, 507) hingegen gingen davon aus, dass dieses Merkmal sowohl eine objektive Eignung als auch eine subjektive Zwecksetzung voraussetzt; krit. dazu Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 141 ff. 780
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
standsmerkmal dolus eventualis ausreichend sein soll.783 Dafür spricht der Wortlaut der Vorschrift, wonach nur hinsichtlich der Schädigungsabsicht das Vorliegen von dolus directus 1. Grades gefordert wird. Von einem Handeln aus Eigennutz (2) ist auszugehen, wenn die Handlung von dem Streben nach einem materiellen oder immateriellen Vorteil bestimmt ist.784 Ein immaterieller Vorteil muss einem materiellen Vorteil zumindest vergleichbar sein.785 Die Freiheit wissenschaftlicher Theorien gebietet es, ein ausschließlich wissenschaftliches Interesse beim Reverse Engineering – soweit dieses noch tatbestandsmäßig ist – nicht unter dieses Tatbestandsmerkmal zu subsumieren.786 Von einem Handeln zugunsten eines Dritten (3) kann ausgegangen werden, wenn die Handlung darauf abzielt irgendeinen Dritten besser zu stellen.787 In diesem Zusammenhang erweist sich die Abgrenzung zu rein altruistischen Taten als problematisch.788 Zudem ist zu berücksichtigen, dass es zu Überschneidungen mit dem Fördern des fremden Wettbewerbs (1) kommen kann.789 Von einem Handeln in Schädigungsabsicht kann ausgegangen werden, wenn die Handlung dem Inhaber des Unternehmens einen materiellen oder immateriellen Schaden zufügen soll.790 Letztgenannter Aspekt kann durch die Existenz des § 10 783
Bott, wistra 2015, 342, 344. BGH, Urt. v. 18. 02. 1977 – I ZR 112/75, GRUR 1977, 539, 540 – Prozessrechner; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29. 01. 2016 – 2 (6) Ss 318/15, NStZ-RR 2016, 258, 259; Többens, NStZ 2000, 505, 508; Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 185, 189; Zentek, WRP 2007, 507, 516; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 25; Hohmann, in: MüKoStGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 56; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 44; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 52. 785 Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 185, 189; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 25; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 42; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 56; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 52; ders./Drescher, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 23 Rn. 33; a. A. Gramlich/Lütke, wistra 2022, 97, 100, wonach jedweder Vorteil ausreichend sei. 786 Harte-Bavendamm, GRUR 1990, 657, 663; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 25; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 42; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 56; Bott/Kohlhof, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 23 Rn. 56; krit. Schafheutle, der sich – stellvertretend genannt auch für andere Autoren – dafür ausgesprochen hat, die Strafbarkeit bei Geheimnisverletzungen weniger stark von subjektiven Merkmalen abhängig zu machen, vgl. Wirtschaftsspionage, S. 211 f. m. w. N. 787 Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 25; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 43; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 26; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 57; Alexander, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 45. 788 Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 44a; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 12; Brammsen/Drescher, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 23 Rn. 34. 789 Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 26; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 57; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/ Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 46. 790 RGSt 29, 426, 429 – Handelsbücher; Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 110; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 25; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 44; 784
Kap. 5: Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
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Abs. 3 GeschGehG unterstrichen werden.791 Insoweit ist dolus directus 1. Grades erforderlich.792 Ausreichend ist es aber, wenn die Schädigungsabsicht einen Teil eines Motivbündels darstellt, bei dem auch höherwertig zu bewertende Aspekte miteinfließen können.793
C. Eigeneröffnete Geheimnishehlerei nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG Der zweite untersuchte Straftatbestand aus § 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG orientiert sich an einem Teilaspekt des früheren § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG.794 Durch die Neuregelung wird die „eigengesteuerte“, „einseitige“ oder „eigeneröffnete Geheimnishehlerei“ nunmehr gesondert in einen eigenständigen Straftatbestand überführt.795
I. Tatobjekt und tauglicher Täter Bei der Analyse dieses neuen Delikts tritt direkt eine gewisse Schwierigkeit auf. Die Regelungsstruktur dieses Straftatbestands macht es nahezu unmöglich, den tauglichen Täter der Straftat losgelöst vom tauglichen Tatobjekt zu ermitteln. Der Täterkreis ist nämlich auf solche Personen beschränkt, die ein Geschäftsgeheimnis im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG durch eine Vortat nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG erlangt haben, was zugleich den Kreis tauglicher Tatobjekte einschränkt. Dadurch ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Straftatbestand aus § 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG um ein Sonderdelikt im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB handelt.796 Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 27; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 58; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 47. 791 Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 47. 792 Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 110; Reinfeld, GeschGehG, § 7 Rn. 31. 793 Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 110; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 58. 794 BT-Drs. 19/4724, S. 40; Tochtermann, in: Büscher, UWG, § 23 GeschGehG Rn. 25; § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG lautete wie folgt: „Ebenso wird bestraft, wer zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen, […] ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, das er durch eine der in Absatz 1 bezeichneten Mitteilungen oder durch eine eigene oder fremde Handlung nach Nummer 1 erlangt oder sich sonst unbefugt verschafft oder gesichert hat, unbefugt verwertet oder jemandem mitteilt.“. 795 Brammsen, wistra 2018, 449, 455; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 59. 796 Ablehnend Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 139.
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
Die Auseinandersetzung mit der Literatur zeigt, dass die neu gewählte Gesetzgebungstechnik zu einigen Verständnisschwierigkeiten geführt hat. So gehen Hohmann und Brammsen – jedoch ohne Begründung – davon aus, der Täter müsse zuvor eine Betriebsspionage im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG verwirklichen.797 Im Ergebnis ähnlich, aber im Bewusstsein des Wortlauts der Norm, fordern andere Stimmen in der Literatur eine teleologische Reduktion hinsichtlich der tauglichen Vortäter und Vortaten. Dies wird dadurch begründet, dass dieser Straftatbestand auf Grund seiner geringen Anforderungen an die taugliche Vortat bedenklich weit gefasst sei.798 Zusätzlich wird argumentiert, dass so ein Gleichlauf von § 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG und § 23 Abs. 2 GeschGehG herbeizuführen sei. Dies ist jedoch auf Grund des eindeutigen Wortlauts abzulehnen.799 Einer zu ausufernden Handhabung des Straftatbestands kann genauso auch auf Ebene des subjektiven Tatbestands entgegengetreten werden, weil der Täter im Bewusstsein seines Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG handeln muss. Anzuerkennen ist aber, dass eine täterschaftliche Handlung – im Bereich des Strafrechts im Sinne des § 25 StGB – erforderlich ist, während die bloße Teilnahme an der Vortat nicht ausreichend erscheint.800 Der Verweis auf § 23 Abs. 2 GeschGehG streitet bei zutreffender Auslegung der Vorschrift – wie sich noch zeigen wird – ebenfalls für diese Auffassung, da auch in diesem Kontext keine strafbare Vortat erforderlich ist.801
II. Hehlereihandlung – § 4 Abs. 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG Wie bereits erwähnt hat sich der Gesetzgeber auch beim Straftatbestand aus § 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG der zuvor angesprochenen Verweisungstechnik ins Zivilrecht bedient. Nach alledem kommt es für die Verwirklichung dieses Straftatbestands darauf an, ob der Täter ein Geschäftsgeheimnis nutzt oder offenlegt, welches er durch eine eigene Handlung nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG erlangt hat.
797 Brammsen, wistra 2018, 449, 455; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 62; widersprüchlich ders./Schreiner, StraFo 2019, 441, 444. 798 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 28 ff.; ders./Wagner, GRUR 2020, 709, 712. 799 So auch Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 26; Alexander, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 27; Drescher, Industrie- und Wirtschaftsspionage, S. 318; ders., in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 23 Rn. 79; Apel/Drescher/Lindner, BB 2022, 1795, 1799. 800 So auch Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 4 GeschGehG Rn. 43a; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 23 Rn. 14. 801 Siehe auch Kapitel 5 E.
Kap. 5: Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
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1. Nutzung von Geschäftsgeheimnissen Ähnlich wie beim Erlangen enthält das Gesetz auch keine Legaldefinition der Begriffe Nutzen oder Offenlegen. Der Gesetzeswortlaut legt ein weites Begriffsverständnis nahe. Insbesondere eine Beschränkung auf bestimmte Formen oder Zwecke lässt sich nicht erkennen.802 Mithin ist an dieser Stelle die Gesetzesbegründung zur Auslegung heranzuziehen. Unter der Nutzung im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG ist demnach „jede Verwendung des Geschäftsgeheimnisses, solange es sich nicht um Offenlegung handelt“ zu verstehen.803 Zieht man nun § 4 Abs. 3 S. 2 GeschGehG heran, wird deutlich, dass der Gesetzgeber jedenfalls die Herstellung, das Anbieten, das Inverkehrbringen, die Einfuhr, die Ausfuhr sowie das Lagern für bestimmte Zwecke als Nutzung eingestuft hat.804 Ähnlich kann der Verweis Hohmanns auf das Nutzen im Sinne des BDSG verstanden werden.805 Nicht erfasst hingegen ist das bloße Innehaben, weil dies lediglich die Folge des Erlangens darstellt und für sich genommen kein neues Unrecht begründet.806 Dieses Ergebnis wird bestätigt, wenn man die Geschäftsgeheimnis-RL in die Auslegung miteinbezieht. Für die Strafnorm des § 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG sind die Gruppen der Nutzung und der Offenlegung nach Art. 4 Abs. 3 lit. a Geschäftsgeheimnis-RL zu berücksichtigen, wobei die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG der Umsetzung dieser Richtlinienvorschrift ins nationale Recht dient. Der Umstand, dass die Richtlinienvorschrift weiter als die Vorschrift zur Umsetzung § 4 Abs. 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG formuliert ist, die nur einen Teilaspekt umsetzt, während der restliche Regelungsgehalt im Übrigen § 4 GeschGehG Niederschlag gefunden hat, ist unbedenklich und hat auf die weitere Rechtsanwendung keine Auswirkungen. Im Hinblick auf den Begriff der Nutzung eines Geschäftsgeheimnisses wird auch in diesem Kontext überwiegend vertreten, dass jede Art der Verwendung erfasst sein soll und etwaige Einschränkungen erst in einem nächsten Schritt Berücksichtigung finden sollen.807 802
So auch Brammsen, wistra 2018, 449, 455; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 64 f.; ders./Schreiner, StraFo 2019, 441, 445; Alexander, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 4 GeschGehG Rn. 38; Ohly, in: Harte-Bavendamm/ Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 4 Rn. 29; Deck, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 4 Rn. 81. 803 BT-Drs. 19/4724, S. 27; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11. 03. 2021 – 15 U 6/20, GRUR-RS 2021, 17483 Rn. 65 – CAD-Konstruktionszeichnung; Alexander geht hingegen davon aus, dass beide Handlungsvarianten gleichzeitig gegeben sein können, vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 4 GeschGehG Rn. 41; i. d. S. Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/ Kalbfus, GeschGehG, § 4 Rn. 27. 804 BT-Drs. 19/4724, S. 28; zur Auslegung dieser Begriffe vgl. Alexander, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 4 GeschGehG Rn. 76 – 80. 805 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 64. 806 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 4 Rn. 53 mit Verweis auf OLG Saarbrücken, Urt. v. 24. 07. 2002 – 1 U 901/01, GRUR-RR 2002, 359 – Kundenlisten; Deck, in: Hoeren/ Münker, GeschGehG, § 4 Rn. 85. 807 Wiese, EU-Richtlinie, S. 105 f.
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Gleichzeitig lässt sich der Gesetzesbegründung aber entnehmen, dass ein inhaltlicher Gleichlauf des zuvor in § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG verwendeten Begriffs Verwerten beabsichtigt ist.808 Im Hinblick auf die Verwertung wurde teilweise für notwendig erachtet, dass dabei wirtschaftliche Aspekte eine Rolle spielen mussten.809 Diese Einschränkung lässt sich dem Wortlaut des § 4 Abs. 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG allerdings nicht entnehmen. Ebenso spricht gegen diese Auffassung, dass der Gesetzgeber ein hohes Schutzniveau für Geschäftsgeheimnisse angestrebt hat und dadurch eine unnötige Einschränkung erfolgen würde. Gleichzeitig kommt es bei einer weiten Auslegung nicht zur Überdehnung von Strafbarkeitsrisiken, weil anders als im Zivilrecht die zusätzlichen, bereits aufgezeigten subjektiven Anforderungen zu berücksichtigen sind. Dadurch wird spätestens auf dieser Ebene faktisch nahezu ein Gleichlauf mit der bisherigen Rechtsanwendungspraxis herbeigeführt, ohne die zivilrechtliche, verschuldensunabhängige Haftung auszuhöhlen. Mithin sollte der Begriff der Nutzung im Sinne des GeschGehG also entgegen des überkommenen Begriffs der Verwertung weit ausgelegt werden. Wichtig ist vor dem Hintergrund des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG auch, dass es beim Nutzen im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG gerade nicht auf das Geheimnismedium, sondern auf das darin gesicherte Geschäftsgeheimnis ankommt. Daher muss die Verkörperung nicht mehr vorhanden sein.810 2. Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen Unter Offenlegen in diesem Sinne wird nach der Gesetzesbegründung „die Eröffnung des Geschäftsgeheimnisses gegenüber Dritten, nicht notwendigerweise der Öffentlichkeit“ verstanden.811 Nicht erforderlich ist demnach die Begründung von Offenkundigkeit, auch wenn der Verlust der Geheimniseigenschaft durchaus denkbar erscheint.812 Vielmehr ist lediglich erforderlich, dass der Dritte das Geschäftsgeheimnis auch zur Kenntnis nimmt, nicht aber, dass daran anknüpfende Schritte erfolgen oder erfolgen sollen.813 Der Wortlaut der Norm lässt es ebenso zu, die bloße Duldung der Kenntnisnahme zu erfassen, wohingegen ein Unterlassen jedenfalls 808 BT-Drs. 19/4724, S. 40; zum Begriff des Verwertens bei § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG etwa Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 124 m. w. N. 809 Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 29; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 3; Brammsen, wistra 2018, 449, 455; a. A. Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 17 Rn. 35; Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 175. 810 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 25; Drescher, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 23 Rn. 81. 811 BT-Drs. 19/4724, S. 27; zum Offenlegen durch Unterlassen siehe Hohmann, in: MüKoStGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 143 f. 812 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 66; Alexander, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 4 GeschGehG Rn. 39. 813 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 67; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 4 Rn. 48.
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ohne Rückgriff auf § 13 StGB aufgrund der aktiven Formulierung nur schwerlich erfasst sein kann.814 Teilweise wird vertreten, dass der Dritte den Inhalt des Geheimnisses nicht einmal verstehen braucht.815 Dem kann jedoch nur insoweit zugestimmt werden, als eine Offenlegung zumindest ein gewisses Maß an Gefahr für das Geschäftsgeheimnis darstellen muss, also zumindest ein Mindestmaß an Verständnis – ähnlich wie beim Erlangen – erforderlich ist. Im Verhältnis zur Nutzung legt die Gesetzesbegründung ein Exklusivitätsverhältnis nahe.816 Zu vergleichbaren Ergebnissen gelangt das Schrifttum bei der Auslegung der Richtlinie. Es kann für den Begriff des Offenlegens ebenfalls nicht auf eine Legaldefinition zurückgegriffen werden. Zutreffend führt Wiese aus, dass nach dem Telos der Vorschrift eine weite Auslegung geboten ist. Andernfalls könnte eine Verbreitung des Geschäftsgeheimnisses nicht hinreichend unterbunden werden, was letztlich zur Folge haben kann, dass ein Geschäftsgeheimnis nach dem Offenlegen nur noch eine Information darstellt, die keinen Schutz mehr genießt. Demnach muss jegliche Form der Mitteilung, die es dem Empfänger ermöglicht, von dem Geschäftsgeheimnis Gebrauch zu machen, erfasst sein. Ähnlich wie beim Erwerb reicht bereits die Möglichkeit zum Gebrauch aus, um von einem Offenlegen zu sprechen.817 Wie bei der Nutzung lässt sich der Gesetzesbegründung die Intention eines inhaltlichen Gleichlaufs mit dem Mitteilen in § 17 UWG entnehmen.818 Dies erweist sich anders als zuvor als zutreffend. Anderer Ansicht ist aber Brammsen, der ausführt, Offenlegen impliziere im Gegensatz zur Mitteilung eine „geheimheitsaufhebende Publikmachung“.819 Eine solche Einengung des tatbestandsmäßigen Handelns steht jedoch im Widerspruch zu den Bestrebungen des Gesetzgebers und ist mangels weiterer belastbarer Argumente abzulehnen.820 Mithin kann an dieser Stelle auf dem bisherigen Stand der Forschung aufgebaut werden.
814 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 4 Rn. 49; zustimmend jedenfalls im Hinblick auf das Zivilrecht Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 4 Rn. 28. 815 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 67; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 4 Rn. 48. 816 BT-Drs. 19/4724, S. 27; Alexander geht hingegen davon aus, dass beide Handlungsvarianten gleichzeitig gegeben sein können, vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 4 GeschGehG Rn. 41. 817 Wiese, EU-Richtlinie, S. 105. 818 BT-Drs. 19/4724, S. 40; so auch OLG Stuttgart, Urt. v. 19. 11. 2020 – 2 U 575/19, GRUR-RS 2020, 35613 Rn. 121, 161 – Schaumstoffsysteme, wobei dort teilweise von „Offenbaren“ die Rede ist. 819 Brammsen, wistra 2018, 449, 455; ders., Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 42a, zum Mitteilen 129. 820 BT-Drs. 19/4724, S. 40; zustimmend Wunner, WRP 2019, 710, 712.
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D. Geheimnisverrat nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG Der Geheimnisverrat nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG stellt eine der zentralen – strafrechtlichen – Verletzungsformen durch unternehmensinterne Personen dar und wurde nach der überkommenen Rechtslage durch § 17 Abs. 1 UWG unter Strafe gestellt.
I. Täterkreis Ähnlich wie beim Straftatbestand aus § 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG handelt es sich beim Geheimnisverrat nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG um ein Sonderdelikt, weil nur eine bei einem Unternehmen beschäftigte Person während der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses tauglicher Täter sein kann.821 Zu klären bleibt, wie dieses besondere persönliche Merkmal zu verstehen ist. Der Gesetzgeber trägt dazu vor, dass der Begriff des Dienstverhältnisses aus § 17 Abs. 1 UWG mit dem Begriff des Beschäftigungsverhältnisses deckungsgleich ist.822 Unter dem Begriff des Beschäftigten verstand man nach der überkommenen Rechtslage jede Person, die unabhängig von Art, Umfang, Dauer und Bezahlung – damit auch unentgeltlich – der Tätigkeit ihre Arbeitskraft gerade dem Unternehmen schuldete, dem das Unternehmensgeheimnis zustand.823 Die aus dem Beschäftigungsverhältnis erwachsenden Treuepflichten wurden teilweise zugleich als ausreichend für die Begründung einer Garantenstellung im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB eingestuft.824 Insoweit wurde vertreten, dass zur Gewährleistung eines effektiven strafrechtlichen Geheimnisschutzes insgesamt eine weite Auslegung des Beschäftigtenbegriffs angezeigt sei.825 821 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 72, 137; Reinfeld, GeschGehG, § 7 Rn. 71; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 18, 30; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 32; im Hinblick auf die überkommene Rechtslage Otto, wistra 1988, 125, 127; Többens, WRP 2005, 552, 556; Janssen/ Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 42; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 13; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 5; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 30. 822 BT-Drs. 19/4724, S. 40. 823 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 73; Reinfeld, GeschGehG, § 7 Rn. 72; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 14; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 13; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 33 f.; Rahimi Azar, JuS 2017, 930, 931; Beckemper/Müller ZJS 2010, 105, 108; Többens, WRP 2005, 552, 556. 824 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 37. 825 BGH, Urt. v. 26. 02. 2009 – I ZR 28/06, GRUR 2009, 603 Rn. 10 f. – Versicherungsuntervertreter; Többens, NStZ 2000, 505, 507; v. Pelchrzim, CCZ 2009, 25, 27; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 14; Tsambikakis, in: Esser/ Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 5.
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Umstritten war allerdings, ob eine eher rechtliche oder wirtschaftlich geprägte Beurteilung vorzugswürdig sein sollte. So gingen etwa Tsambikakis oder Pfeiffer davon aus, dass alleine eine wirtschaftliche Betrachtungsweise angebracht ist.826 Eine solche Betrachtung ließ es zu, den bloß faktischen Geschäftsführer als tauglichen Täter einzustufen.827 Dagegen gingen Janssen/Maluga davon aus, ein rein faktisches Verhältnis zum Unternehmen reiche gerade nicht aus, womit zum Beispiel der bloße faktische Geschäftsführer nicht mehr erfasst sein sollte.828 Diese Ansicht konnte für sich beanspruchen, dass der Wortlaut von einem Dienstverhältnis sprach und dies gerade ein wirksames Rechtsverhältnis implizierte. Es konnte nicht überzeugen, mit vermeintlichen Strafbarkeitslücken zu argumentieren, weil die Möglichkeit einer Beihilfe- oder Anstiftungsstrafbarkeit für Personen, die gerade nicht erfasst sein sollen, fortbestand.829 Daher erweist sich dieser Ansatz auch in der Zukunft als vorzugswürdig. Diese Erläuterungen zur bisherigen Rechtslage vorangestellt begegnet die Auffassung des Gesetzgebers einigen Bedenken in der Literatur. Anders als das Wort Dienstverhältnis weist das Wort Beschäftigungsverhältnis nach Auffassung Brammsens sowie daran anknüpfend ebenfalls Hohmanns einen starken Bezug zum Sozialrecht auf. Die Verwendung des diesem Rechtsgebiet entstammenden Begriffs Beschäftigungsverhältnis – §§ 2, 7 SGB IV – wird dabei kritisch rezipiert. Diese bringe Schwierigkeiten mit sich, weil dieser Begriff im sozial- und arbeitsrechtlichen Sinne unterschiedlich ausgelegt werde und so Unklarheit bei der Bestimmung des Täterkreises schaffe.830 Dem tritt etwa Tochtermann im Einklang mit der Gesetzesbegründung zutreffend entgegen, indem sie darauf hinweist, dass bereits der Begriff des Dienstverhältnisses bei § 17 Abs. 1 UWG abweichend vom sonstigen Gebrauch dieses Begriffs weit ausgelegt wurde. Somit besteht zutreffender Weise auch kein Grund, von der bisherigen Auslegungspraxis abzuweichen.831 Kritikwürdig bleibt allerdings, dass der Gesetzgeber ohne Not von der bisherigen Terminologie abgewichen ist und durch die Verwendung eines einem anderen Rechtsgebiet entstammenden Begriffs zumindest einen Anknüpfungspunkt für einen Diskurs geliefert hat. Folglich waren und sind taugliche Täter Angestellte, Arbeitnehmer sowie Lehrlinge aber beispielsweise auch Vorstände einer AG, deren Aufsichtsräte, Geschäftsführer einer GmbH, nicht aber die Gesellschafter einer Personen- oder Ka826 Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 5; Pfeiffer, in: FS Nirk, S. 861, 869. 827 Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 5, 7. 828 Janssen/Maluga stützen diese Auffassung auf BGHSt 46, 62, 64 ff., vgl. MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 45. 829 Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 45. 830 Brammsen, wistra 2018, 449, 455; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 74. 831 BT-Drs. 19/4724, S. 40; Tochtermann, in: Büscher, UWG, § 23 GeschGehG Rn. 28; zustimmend Schenkel, Whistleblowing, S. 282; Werner, WRP 2019, 1428, 1429.
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pitalgesellschaft, wenn nicht zugleich auch ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt.832 Genauso konnten nichtselbstständige Handelsvertreter, sofern diese gemäß § 84 Abs. 2 HGB als Angestellte gelten, die notwendige Tätereigenschaft mit sich bringen.833 Ebenso wenig erfasst waren freiberuflich tätige Berater, für die jedoch unter Umständen § 203 StGB eingreift.834 Genauso wie bei den anderen Straftatbeständen aus § 23 GeschGehG stellt beim Geheimnisverrat ein Geschäftsgeheimnis im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG das taugliche Tatobjekt dar. Hinzu kommt allerdings, dass das Geheimnis dem Täter „… im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses anvertraut worden oder zugänglich geworden ist“. Auch diese Einschränkung ist aus dem überkommenen § 17 Abs. 1 UWG bekannt. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte kann an dieser Stelle auf den bestehenden Stand der Forschung verwiesen werden.835 Es bestand Einigkeit, dass es eines über die bloß zufällige, vom Dienstverhältnis beziehungsweise vom Beschäftigungsverhältnis unabhängige Kenntniserlangung hinausgehenden Zusammenhangs bedurfte, um vom Vorliegen dieses Merkmals auszugehen.836 Mithin musste und muss dieses zumindest mitursächlich für die Kenntniserlangung gewesen sein.837 Vom Anvertrauen eines Geheimnisses ging die 832 BGH, Urt. v. 26. 02. 2009 – I ZR 28/06, GRUR 2009, 603 Rn. 10 f. – Versicherungsuntervertreter; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 44; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 17 Rn. 8; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 28; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 73, 75; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 32, 34; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 35; zu den Verschwiegenheitspflichten von Organmitglieder einer Aktiengesellschaft Stöhr, BB 2019, 1286, 1287 f.; Föbus kritisierte die Ausklammerung von Gesellschaftern bereits im Hinblick auf die überkommene Rechtslage, vgl. Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 221; Temming hingegen sprach sich dafür aus den Täterkreis durch speziellere Vorschriften – wie etwa § 85 Abs. 1 GmbHG – zu begrenzen, weil in der Schaffung dieser Tatbestände der Wille des Gesetzgebers zu erkennen sei, bestimmten Tätergruppen eigene Straftatbestände zuzuweisen, vgl., FS Achenbach, S. 545, 546 f. 833 BGH, Urt. v. 26. 02. 2009 – I ZR 28/06, GRUR 2009, 603 Rn. 10 f. – Versicherungsuntervertreter; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 29. 834 Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 44; Hohmann, in: MüKoStGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 73, 75; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 34; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 36. 835 Zustimmend Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 35 mit Verweis auf BT-Drs. 19/4724, S. 40, wobei dies dort strenggenommen nicht zwingend so verstanden werden kann. 836 Többens, NStZ 2000, 505, 507; ders., WRP 2005, 552, 556; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 14; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 15; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 36. 837 Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 125 f.; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/ Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 15; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 78; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 37.
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überwiegende Auffassung aus, wenn es einem möglichen Täter bei vorheriger oder gleichzeitiger Vereinbarung einer Geheimhaltungspflicht zugänglich gemacht wurde.838 Vom Zugänglichwerden sprach man bei Kenntniserlangung auf Grund des Dienstverhältnisses.839 Eine Differenzierung zwischen den Merkmalen des Anvertrautseins und dem Zugänglichwerden, wonach im ersteren Falle ein gesteigertes Unrecht zu sehen sei, ist hingegen wegen § 46 Abs. 3 StGB abzulehnen.840 In diesem Zusammenhang wurde überwiegend ein weites Verständnis zu Grunde gelegt. So spielte es insbesondere keine Rolle, ob die Kenntniserlangung rechtmäßig oder rechtswidrig erfolgte, sofern nur ein ausreichender Kausalzusammenhang besteht.841 Somit war und ist es denkbar, dass Erfindungen durch das Dienstverhältnis respektive das Beschäftigungsverhältnis zugänglich werden, § 4 Abs. 2 ArbEG.842
II. Geheimnisverrat 1. Verstoß gegen § 4 Abs. 2 Nr. 3 GeschGehG Die Tathandlung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG ist § 4 Abs. 2 Nr. 3 GeschGehG zu entnehmen. Dieses primär zivilrechtliche Handlungsverbot verbietet es, ein Geschäftsgeheimnis entgegen einer (vertraglichen) Verpflichtung offenzulegen. Für den strafrechtlich relevanten Teilaspekt dieser Vorschrift, welcher sich durch die Ausgestaltung als Sonderdelikt ergibt, sind allerdings nur aus einem Beschäftigungsverhältnis erwachsende Verschwiegenheitsverpflichtungen von Interesse.843 838 RGSt 13, 60, 62; Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 185, 188; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 16; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 § 17 Rn. 14; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 79. 839 BGH, Urt. v. 16. 11. 1954 – I ZR 180/53, GRUR 1955, 402, 402 f. – Anreißgerät; BGH, Urt. v. 18. 02. 1977 – I ZR 112/75, GRUR 1977, 539, 540 – Prozessrechner; Köhler, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 17; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 80; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 37; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 39. 840 Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 16, a. A. Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 47. 841 RGSt 33, 354, 356 – Lederlackbereitung; Többens, NStZ 2000, 505, 507; Kiethe/ Hohmann, NStZ 2006, 185, 188; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 33; Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, § 17 UWG Rn. 20; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 80. 842 BGH, Urt. v. 16. 11. 1954 – I ZR 180/53, GRUR 1955, 402, 402 f. – Anreißgerät; BGH, Urt. v. 18. 02. 1977 – I ZR 112/75, GRUR 1977, 539, 540 – Prozessrechner; Többens, NStZ 2000, 505, 507; Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 107; Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 126 f.; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 17 UWG Rn. 17; Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, § 17 UWG Rn. 21; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 33; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 14; Reinfeld, GeschGehG, § 7 Rn. 76. 843 Dabei begründet ein Beschäftigungsverhältnis auf Grund der damit einhergehenden Loyalitätspflichten grds. eine Verschwiegenheitspflicht i. d. S., vgl. Hohmann, in: MüKo-StGB,
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Daraus ergibt sich zugleich, dass (zumindest faktisch) überwiegend solche Fälle vom Straftatbestand erfasst sind, bei denen der Täter zur Erlangung nach § 4 Abs. 1 GeschGehG befugt war.844 § 16 Abs. 2 GeschGehG begründet zwar ebenfalls eine Verschwiegenheitspflicht im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 3 GeschGehG, ist jedoch auf Grund des eingeschränkten Täterkreises an dieser Stelle nicht von Bedeutung.845 Dennoch besteht weiterer Klärungsbedarf, wie die Gesetzesbegründung in diesem Zusammenhang zu verstehen ist, weil diese den Schluss nahelegt, dass der Gesetzgeber eine Strafbarkeit in diesem Zusammenhang für möglich erachtet.846 Jedenfalls denkbar ist eine Strafbarkeit wegen eines Verstoßes gegen § 353d StGB, allerdings nur hinsichtlich des Offenlegen eines Geheimnisses sowie eines Verstoßes gegen § 203 StGB.847 Im Hinblick auf § 353d Nr. 2 StGB wird allerdings von Kalbfus die Frage aufgeworfen, ob es sich bei der Schweigepflicht aus § 16 Abs. 2 GeschGehG um eine Verpflichtung im Sinne der Strafnorm handelt. Mithin wird eingewandt, dass diese den genannten Personen kraft Gesetzes und nicht direkt vom Gericht auferlegt wird.848 Dagegen wiederum lässt sich vortragen, dass das Gericht zunächst nach § 16 Abs. 1 GeschGehG entscheiden muss, ob es eine streitgegenständliche Information als geheimhaltungsbedürftig einstuft, und die Schweigepflicht infolgedessen – zumindest mittelbar – auferlegt. Um die Richtlinie nicht außer Acht zu lassen ist zu erwähnen, dass § 4 Abs. 2 Nr. 3 GeschGehG der Umsetzung des Art. 4 Abs. 3 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL ins nationale Recht dient. In der Zusammenschau mit Art. 5 lit. c Geschäftsgeheimnis-RL ergibt sich, dass das Geschäftsgeheimnis das Unternehmen gerade nicht „verlassen“ muss. Aus dem Tatbestandsausschluss folgt zunächst das Erfordernis einer tatbestandsmäßigen Handlung. Bei der Offenlegung durch einen Arbeitnehmer gegenüber einem Vertreter der Arbeitnehmer bleibt das Geschäftsgeheimnis nämlich 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 85; siehe auch Reinfeld, GeschGehG, § 2 Rn. 85 ff.; Holthausen, NZA 2019, 1377, 1379; vgl. zu möglichen Pflichten Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 4 Rn. 61, 67. 844 BT-Drs. 19/4724, S. 28. 845 So auch Schlinghoff, WRP 2018, 666, 670 in Bezug auf § 22 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehGRefE. 846 Die Gesetzesbegründung legt im Hinblick auf ein denkbares nebeneinander von Ordnungsmitteln, vgl. § 17 GeschGehG, welche bei Zuwiderhandlung gegen Geheimhaltungsmaßnahmen i. S. d. § 16 Abs. 2 GeschGehG verhängt werden können und einer Kriminalstrafe nach § 23 GeschGehG nahe, dass dabei auch an das Verbot aus § 16 Abs. 2 GeschGehG angeknüpft wird. „Festsetzung und Vollstreckung schließen strafrechtliche Sanktionen nach § 23 nicht aus.“, vgl. BT-Drs. 19/4724, S. 36. Dieser Hinweis macht nur dann Sinn, wenn ein Zusammenhang zwischen diesen Sanktionen besteht, i. d. S. auch Hiéramente/Golzio, CCZ 2018, 262, 263. f.; missverständlich Druschel/Jauch, BB 2018, 1218, 1221. 847 So auch Schlinghoff, WRP 2018, 666, 671; bereits zur alten Rechtslage Druschel/Jauch, BB 2018, 1218, 1219; vertiefend im Hinblick auf ähnlich gelagerte Fälle im Bereich des Patentrechts etwa BGHZ 183, 153 Rn. 28 f. 848 Kalbfus, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 17 Rn. 32.
Kap. 5: Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
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regelmäßig gerade im Unternehmen.849 Dies lässt sich vor dem Hintergrund des § 5 GeschGehG auch auf das nationale Recht übertragen und stellt daher strenggenommen kein neues, aus der Richtlinie herzuleitendes Argument dar. 2. Zeitliche Begrenzung des möglichen Handelns Die Tathandlung des Offenlegens unterliegt im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG – anders als bei § 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG – einer zeitlichen Einschränkung, weil nur solche Handlungen erfasst sind, die „während der Geltungsdauer des Beschäftigungsverhältnisses“ erfolgen. Diese Beschränkung ist bereits aus der Vorgängernorm § 17 Abs. 1 UWG bekannt. Mangels abweichender Anhaltspunkte, insbesondere dem gleichlaufenden Begriffsverständnis von Dienstund Beschäftigungsverhältnis und dem Hinweis des Gesetzgebers, kann an dieser Stelle auf den bisherigen Stand der Forschung verwiesen werden.850 Mithin ist für die Beurteilung die rechtliche, nicht die tatsächliche Dauer des Beschäftigungsverhältnisses maßgeblich.851 Somit ist das Offenlegen nach dem Ausscheiden eines Arbeitnehmers nicht mehr vom Tatbestand erfasst. Darauf haben etwaige nachvertragliche Wettbewerbsverbote keinen Einfluss, entscheidend ist das bestehende Beschäftigungsverhältnis.852 Nichtsdestotrotz gilt es zu erwähnen, dass in der Praxis die Weitergabe zur Vorbereitung eines neuen Beschäftigungsverhältnisses während der bestehenden Tätigkeit bei einem Wettbewerber einen der Hauptanwendungsbereiche des strafbaren Geheimnisverrats bildet.853 849 Wiese, EU-Richtlinie, S. 105; ergänzend ist Wunner zu erwähnen, die sich dafür ausspricht an dieser Stelle, in Fällen des Handelns eines Arbeitnehmers Art. 4 Abs. 3 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL im Lichte des Art. 1 Abs. 3 Geschäftsgeheimnis-RL und Art. 45 Abs. 1 AEUV auszulegen, vgl. WRP 2019, 710, 715 f. Dies kann über den Umweg über das Zivilrecht Auswirkungen im Strafrecht mit sich bringen. 850 BT-Drs. 19/4724, S. 40. 851 RGSt 75, 75, 82; BGH, Urt. v. 16. 11. 1954 – I ZR 180/53, GRUR 1955, 402, 404 f. – Anreißgerät; Schafheutle, Wirtschaftsspionage, S. 92; Többens, NStZ 2000, 505, 507; Kiethe/ Hohmann, NStZ 2006, 185, 188; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 17 Rn. 12; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 16; Hohmann, in: MüKoStGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 84; Reinfeld, GeschGehG, § 7 Rn. 81; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 36; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 46; ders., in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 23 Rn. 110; a. A. Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 40. 852 I. d. S. bereits RG, Entsch. v. 04. 10. 1938 – I 250/37, GRUR 1939, 706, 708 – Fügemaschine; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 19; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 55; Wunner, WRP 2019, 710, 715; für den Bereich der zivilrechtlichen Haftung gilt das jedoch nicht uneingeschränkt. Vielmehr ist es durchaus denkbar, dass ein ausgeschiedener Mitarbeiter gegen vertragliche Verpflichtungen, welche an das Ausscheiden anschließen oder dieses überdauern, verstößt und dadurch auch einen Verstoß gegen § 4 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 GeschGehG begeht, vgl. dazu vertiefend statt vieler Wunner, WRP 2019, 710, 712 ff. und Werner, WRP 2019, 1428, 1429 ff. 853 Fingerhut, BB 2014, 389, 391; Werner, WRP 2019, 1428, 1429.
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3. Strafbarkeit von Social Engineering nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG In diesem Zusammenhang soll erneut untersucht werden, ob es eine Möglichkeit gibt, einen bloß mündlichen Geheimnisabfluss veranlasst durch Social Engineering als Geschäftsgeheimnisstraftat zu sanktionieren, indem am handelnden Mitarbeiter angeknüpft wird. Regelmäßig wird es sich dabei um einen Beschäftigten eines Unternehmens handeln, welcher während der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses entgegen § 4 Abs. 2 Nr. 3 GeschGehG ein Geschäftsgeheimnis offenlegt. Folglich kann der objektive Tatbestand des § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG verwirklicht werden. Ist die Täuschung erfolgreich, mangelt es an der Verwirklichung des subjektiven Tatbestands des handelnden Mitarbeiters. Schon dadurch scheidet eine Strafbarkeit wegen der Anstiftung – § 26 StGB – zum Geheimnisverrat aus. Da es regelmäßig am Vorsatz zum Geheimnisverrat fehlen wird, stellt sich die Frage, ob in diesen Fällen mit Hilfe der mittelbaren Täterschaft nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB die Strafbarkeit nach einem echten Geschäftsgeheimnisschutzdelikt begründet werden kann. Der Irrtum des Beschäftigten über die Offenbarungsbefugnis genügt nämlich, um dadurch die vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft des Täuschenden zu begründen.854 Problematisch ist allerdings, dass der Täter selbst in aller Regel nicht Beschäftigter des Unternehmens sein wird, sodass es bei ihm an diesem besonderen persönlichen Merkmal fehlen wird. Es handelt sich hierbei also um den umgekehrten Fall eines qualifikationslosen dolosen Werkzeugs.855 Diese Konstellation aber hat die Straflosigkeit des Täters zur Folge.856 Auch ist für den vorliegenden Fall keine eigenständige Strafnorm wie etwa § 160 StGB oder § 271 Abs. 1 StGB ersichtlich.857 Diese Vorschriften sind speziell auf Grund der Eigenhändigkeit der Haupttat erforderlich.858 Wie aufgezeigt wurde, bietet damit auch § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG kein Werkzeug zur strafrechtlichen Sanktionierung der Geheimniserlangung durch Social Engineering.
854 Siehe etwa BGHSt 35, 347, 353 f.; 40, 218, 236; 40, 257, 266 f. – Behandlungsabbruch; Fischer, StGB, § 25 Rn. 6. 855 Vgl. dazu etwa Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, § 25 Rn. 20 m. w. N.; Bloy, ZStW 117 (2005), 3, 23. 856 Im Hinblick auf die überkommene Rechtslage so bereits Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 161. 857 Vgl. dazu etwa Freund, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 271 Rn. 7; Bock, ZIS 2011, 330; Bloy, ZStW 117 (2005), 3, 24. 858 Vgl. dazu nur Küper, JZ 2012, 992, 994 m. w. N., 996 f.
Kap. 5: Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
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E. Fremderöffnete Geheimnishehlerei nach § 23 Abs. 2 GeschGehG Der Straftatbestand aus § 23 Abs. 2 GeschGehG orientiert sich ebenso wie § 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG an einem Teilaspekt des früheren § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG.859 Mithin kommt es darauf an, dass der Täter „zur Förderung des eigenen oder fremden Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht, dem Inhaber eines Unternehmens Schaden zuzufügen, ein Geschäftsgeheimnis nutzt oder offenlegt, das er durch eine fremde Handlung nach Absatz 1 Nummer 2 oder Nummer 3 erlangt hat“.
Durch die Neuregelung wird fortan in Ergänzung der „eigengesteuerten“, „einseitigen Geheimnishehlerei“ aus § 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG auch das „fremderöffnete Pendant“ in einen eigenständigen Straftatbestand überführt.860 Vor dem Hintergrund des § 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG, welcher noch an einem verkörperten Geschäftsgeheimnis anknüpft, gilt es zu erwähnen, dass die Verkörperung im Hinblick auf § 23 Abs. 2 GeschGehG unabhängig von der möglichen Vortat nicht mehr von Nöten ist.861 Tauglicher Täter der fremderöffneten Geheimnishehlerei kann jede Person sein, die ein Geschäftsgeheimnis im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG durch eine fremde Vortat nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 GeschGehG erlangt hat. Mithin besteht zwischen den Tatbeständen aus § 23 Abs. 1 Nr. 2 und 3 GeschGehG und § 23 Abs. 2 GeschGehG ein Exklusivitätsverhältnis hinsichtlich des Täterkreises. Da § 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG eine eigene, täterschaftliche Handlung voraussetzt862, bleibt bei bloßer Teilnahme an der Vortat konsequenterweise auch nur noch Raum für § 23 Abs. 2 GeschGehG. Taugliches Tatobjekt der fremderöffneten Geheimnishehlerei ist erneut ein Geschäftsgeheimnis im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG. Auch an dieser Stelle ist zu klären, wie der Kreis der Tatobjekte auf Grund der notwendigen Vortat zu bestimmen ist. Er könnte sich auf solche Delikte beschränken, die der Täter durch einen fremden Verstoß gegen § 23 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 GeschGehG erlangt hat. Wegen der gewählten Art der Verweisung wäre dann anders als bei der eigengesteuerten Ge859 BT-Drs. 19/4724, S. 40; Tochtermann, in: Büscher, UWG, § 23 GeschGehG Rn. 34; § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG lautete wie folgt: „Ebenso wird bestraft, wer zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen, […] ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, das er durch eine der in Absatz 1 bezeichneten Mitteilungen oder durch eine eigene oder fremde Handlung nach Nummer 1 erlangt oder sich sonst unbefugt verschafft oder gesichert hat, unbefugt verwertet oder jemandem mitteilt.“. 860 Zu den Begrifflichkeiten Brammsen, wistra 2018, 449, 455; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 88. 861 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 42. 862 So auch Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 4 GeschGehG Rn. 43a.
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heimnishehlerei, bei der ein bloß zivilrechtswidriges und damit verschuldensunabhängiges Verhalten ausreichend ist, die Verwirklichung eines Straftatbestands als Vortat von Nöten.863 Auf diesem Wege ist eine Einschränkung des Kreises möglicher Vortaten denkbar. Die Gesetzesbegründung steht mit diesem Ansatz im Einklang.864 Zusätzlich fordert Hiéramente für die Verwirklichung dieses Straftatbestands mehr als eine bloße Kausalbeziehung, weil § 23 Abs. 2 GeschGehG nicht auf das Handlungsverbot aus § 4 Abs. 3 GeschGehG verweist.865 Allerdings wird nicht deutlich, woraus sich diese zusätzliche Anforderung ergibt und kann daher nur bedingt gewürdigt werden. Im Bestreben nach einem einheitlichen Vorgehen erscheint es im Hinblick auf den Wortlaut der Vorschrift – wenn auch nicht ohne jegliches Unbehagen – ebenfalls denkbar und im Ergebnis vorzugswürdig, dass es sich bei der gewählten Formulierung nur um einen etwas holprigen Verweis auf die § 4 Abs. 2 Nr. 1 lit. a und Nr. 3 GeschGehG handelt. Es ist nämlich möglich, die Norm nicht als Verweis auf eine entsprechende Vortat, sondern allein auf die Tathandlungen zu verstehen. Folgt man diesem Ansatz würden etwaige Unterschiede hinsichtlich schuldlos oder vorsatzlos begangener Vortaten von vornherein nicht aufkommen. Es wird gerade nicht zwingend deutlich, weshalb der etwaigen Form der Geheimnishehlerei differenziert werden sollte. Mithin wäre es aber wünschenswert gewesen, aus Gründen der Rechtssicherheit ein einheitliches Vortatregime sprachlich deutlicher heraus zu arbeiten. Die Auswirkungen dieser unterschiedlichen Auffassungen treten insbesondere bei längeren Ketten von Vortätern und dadurch womöglich fehlenden oder unterbrochenen Vorsatzketten zu Tage.866 Weshalb solche gestreckten Übertragungsvorgänge trotz vollumfassender Kenntnis des Täters zu dessen Vorteil gereichen sollten, einzig weil das vorangegangene „Kettenglied“ gutgläubig gehandelt hat, während sich der Erlangende im Bewusstsein der wahren Umstände befand, lässt sich nur schwerlich erklären und kann daher nicht überzeugen. Mithin streitet diese teleologische Erwägung zusätzlich für eine einheitliche Auslegung mit dem Ergebnis, dass es allein auf den Verstoß gegen die § 4 Abs. 2 Nr. 1 lit. a und Nr. 3 GeschGehG ankommen sollte.
863 So etwa Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 55; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 40, 40.1; Drescher, Industrieund Wirtschaftsspionage, S. 315; ders., in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 23 Rn. 143. 864 BT-Drs. 19/4724, S. 41. 865 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 41. 866 I. E. zustimmend Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 55 und Gramlich/Lütke, wistra 2022, 97, 102.
Kap. 5: Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
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F. Vorlagenfreibeuterei nach § 23 Abs. 3 GeschGehG Der Straftatbestand aus § 23 Abs. 3 GeschGehG sanktioniert fortan die von § 18 UWG erfasste Vorlagenfreibeuterei.867 Nach dieser Vorschrift wird mit „Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe […] bestraft, wer zur Förderung des eigenen oder fremden Wettbewerbs oder aus Eigennutz entgegen § 4 Absatz 2 Nummer 2 oder Nummer 3 ein Geschäftsgeheimnis, das eine ihm im geschäftlichen Verkehr anvertraute geheime Vorlage oder Vorschrift technischer Art ist, nutzt oder offenlegt.“
Durch die Neuregelung wurde der Straftatbestand ebenfalls in den einheitlichen Geschäftsgeheimnisstraftatbestand überführt. Daher kann auch an dieser Stelle auf die bisher gewonnenen Erkenntnisse zu den Merkmalen des subjektiven Tatbestands verwiesen werden. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass § 23 Abs. 3 GeschGehG im Hinblick auf die überschießende Innentendenz bloß die Förderung des eigenen oder fremden Wettbewerbs sowie den Eigennutz benennt.868
I. Vorlagen und Vorschriften technischer Art Bereits dem Wortlaut des § 23 Abs. 3 GeschGehG lässt sich entnehmen, dass es sich bei den tauglichen Tatobjekten um besondere Formen von Geschäftsgeheimnissen im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG handelt. Folglich handelt es sich bei der Vorlagenfreibeuterei nunmehr endgültig um ein echtes Geschäftsgeheimnisschutzdelikt. Mithin müssen die „geheime[n] Vorlagen oder Vorschriften technischer Art“ zu gleich auch den zuvor dargestellten Anforderungen entsprechen.869 Das Merkmal geheim soll einen Verweis auf die fehlende Offenkundigkeit der Tatobjekte darstellen, erweist sich jedoch durch die sonstige Ausgestaltung des Tatbestandes als überflüssig.870
867 BT-Drs. 19/4724, S. 41; § 18 Abs. 1 UWG lautete wie folgt: „Wer die ihm im geschäftlichen Verkehr anvertrauten Vorlagen oder Vorschriften technischer Art, insbesondere Zeichnungen, Modelle, Schablonen, Schnitte, Rezepte, zu Zwecken des Wettbewerbs oder aus Eigennutz unbefugt verwertet oder jemandem mitteilt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“. 868 Krit. Gramlich/Lütke, wistra 2022, 97, 102. 869 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 110; Alexander, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 61; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 49. 870 Der Gesetzgeber begründet diesen Schritt damit, dass man die bisherige Auslegung in Rechtsprechung und Literatur nun mehr fest in den Wortlaut der Norm einbetten wollte, vgl. BT-Drs. 19/4724, S. 41; BGHZ 82, 369, 370 – Straßendecke II; zustimmend Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 67.
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
Bei der Auslegung dieser Begriffe sprechen der fortbestehende Wortlaut in Verbindung mit der Gesetzesbegründung dafür, auf den bisherigen Stand der Forschung auf diesem Gebiet zu verweisen.871 Unter Vorlagen im Sinne des § 18 Abs. 1 UWG wie auch des § 23 Abs. 3 GeschGehG versteht man Unterlagen oder andere Gegenständen, die die Grundlage für die Herstellung von neuen Produkten oder das Anbieten neuartiger Dienstleistungen bilden.872 Der Tatbestand erfasst alle Darstellungen und Beschreibungen des anvertrauten Gedankens, wenn diese in körperlicher oder elektronischer Form fixiert wurden.873 Der Wortlaut schließt bloß mündlich übermittelte Darstellungen hingegen aus.874 Insgesamt wird von der überwiegend vertretenen Auffassung eine weite Auslegung des Begriffs der Vorlagen im Sinne der Norm befürwortet.875 Klarzustellen ist hierbei, dass sich das einschränkende Merkmal technischer Art lediglich auf die Vorschriften im Sinne des § 23 Abs. 3 GeschGehG beziehungsweise § 18 Abs. 1 UWG, nicht aber auf die Vorlagen bezieht.876 Unter Vorschriften technischer Art im Sinne des § 23 Abs. 3 GeschGehG beziehungsweise des § 18 Abs. 1 UWG versteht man mündliche oder schriftliche Anweisungen oder Lehren, die sich auf einen technischen Vorgang beziehen.877 Aus dem Wortlaut lässt sich gerade kein zwingendes Bedürfnis körperlicher oder elektronischer Sicherung ableiten.878 Dabei kann es auch zu Überschneidungen mit dem
871 BT-Drs. 19/4724, S. 41; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 61; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 49. 872 RGSt 45, 385, 385 f. – Rohdruck; KG, Urt. v. 09. 06. 1987 – 5 U 6153/85, GRUR 1988, 702, 703 – Corporate Identity; Többens, NStZ 2000, 505, 510; Schumacher, WRP 2006, 1072, 1074; Brammsen/Apel, WRP 2016, 18, 21; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 18 Rn. 4; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 18 UWG Rn. 6; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 104; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 62; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 18 UWG Rn. 14. 873 RGSt 48, 12, 16 – Aluminiumwaren; Wüterich/Breuker, GRUR 2004, 389, 390; Janssen/ Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 18 UWG Rn. 13; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 18 Rn. 4, UWG, § 18 Rn. 4; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 18 UWG Rn. 6; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 104; Alexander, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 62. 874 Statt vieler Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 104. 875 Rupp, WRP 1985, 676 679; Wüterich/Breuker, GRUR 2004, 389, 390; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 18 UWG Rn. 6. 876 Zentek, WRP 2007, 507, 512; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 18 Rn. 4. 877 BGHZ 17, 41, 52 – Schwermetall-Kokillenguß; Többens, NStZ 2000, 505, 510; Zentek, WRP 2007, 507, 512; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 18 UWG Rn. 18; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 18 UWG Rn. 7; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 106; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 64 f.; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 51. 878 So auch Reinfeld, GeschGehG, § 7 Rn. 103.
Kap. 5: Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
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Begriff der Vorlage kommen.879 Zu berücksichtigen ist, dass der Begriff der Technik im Sinne des § 23 Abs. 3 GeschGehG weiter gefasst ist, als der gleichlautende Begriff im Patentrecht. Daher können wissenschaftliche ebenso wie künstlerische Vorgänge erfasst sein.880 Ausgeschlossen werden lediglich rein betriebswirtschaftliche Vorgänge.881 Da der Gesetzgeber dem Rechtsanwender nunmehr keinen Katalog an Beispielen882 an die Hand gibt, sollen an dieser Stelle exemplarisch einige Tatobjekte, wie etwa Konstruktionspläne883, Patentanmeldeunterlagen884 und Computerprogramme885 herausgegriffen werden.
II. Tauglicher Täter – Handeln im geschäftlichen Verkehr als besonderes persönliches Merkmal Bei der Vorlagenfreibeuterei nach § 23 Abs. 3 GeschGehG handelt es sich nach umstrittener, jedoch zutreffender Ansicht um ein echtes Sonderdelikt im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB, weil nur solche Personen taugliche Täter sein können, denen ein taugliches Tatobjekt im geschäftlichen Verkehr anvertraut wurde.886 Nicht zuletzt an dieser Stelle kann bei der Auslegung einiger Tatbestandsmerkmale auf den bishe879 Zur Differenzierung vgl. Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 108. 880 Zentek, WRP 2007, 507, 512; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 18 UWG Rn. 18; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 18 Rn. 4; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 18 UWG Rn. 7; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 106; einschränkend Alexander, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 66. 881 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 107; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 18 UWG Rn. 16. 882 Mit weiteren Beispielen und Nachweisen Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 18 UWG Rn. 13 ff.; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 18 Rn. 10 ff.; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 105; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 18 UWG Rn. 15. 883 BGH, Urt. v. 07. 01. 1958 – I ZR 73/57, GRUR 1958, 297, 299 – Petromax. 884 BGHZ 82, 369, 370 – Straßendecke II. 885 Statt vieler Harte-Bavendamm, GRUR 1990, 657, 663. 886 Brammsen, wistra 2006, 201, 204; ders./Apel, WRP 2016, 18, 23; ders., Lauterkeitsstrafrecht, § 18 UWG Rn. 10; ders., in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 23 Rn. 167; so auch Mitsch, GRUR 2004, 824, 825 f.; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 99, 138; unklar ders./Schreiner, StraFo 2019, 441, 446, welche hier dann doch auf § 28 Abs. 2 StGB abstellen wollen; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 18; a. A. Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 46; Janssen/ Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 18 UWG Rn. 9; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 18 Rn. 3; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 18 Rn. 6; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 18 UWG Rn. 4; Reinfeld, GeschGehG, § 7 Rn. 96; es wird aber berechtigterweise anerkannt, dass sich aus den übrigen Tatbestandsmerkmalen eine Einschränkung des denkbaren Täterkreises ergibt.
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
rigen Stand der Forschung verwiesen werden.887 Demnach kann vom Anvertrauen im geschäftlichen Verkehr ausgegangen werden, wenn eine Person in Wahrnehmung oder Förderung eigener oder fremder Geschäftsinteressen am Erwerbsleben teilnimmt, also eine erwerbswirtschaftliche Betätigung vorliegt.888 Damit sind anders als bei § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG auch Freiberufler und Beschäftigte der öffentlichen Hand mögliche Täter.889 Zudem können Journalisten in den Täterkreis fallen.890 Es ist unerheblich, ob der geschäftliche Verkehr zwischen Unternehmern oder einem privaten Endkunden erfolgt.891 Sowohl im geltenden Recht als auch bei der überkommenen Rechtslage besteht weitgehend Einigkeit, dass sich aus diesem Merkmal ein Ausschluss der Beschäftigten eines Unternehmens aus dem Kreis der tauglichen Täter ergibt, zumal es in dieser Konstellationen regelmäßig an der notwendigen Selbstständigkeit des Arbeitnehmers gegenüber dem Unternehmer mangelt.892 Zudem wird vorgetragen, in diesem Fall erfolge ein Anvertrauen im betriebsinternen Verkehr und würde zugleich die zeitliche Begrenzung des tatbestandsmäßigen Verhaltens durch § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG konterkarieren.893
887 Zustimmend Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 12; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 44. 888 RGSt 44, 152, 153 f. – geschäftlicher Verkehr; RGSt, 48, 76, 77 f.; RGSt 48, 291 293 – Korkengeld; RGSt 56, 249, 250 – Anstellungsgesuch; OLG Hamm, Urt. v. 27. 03. 1990 – 4 U 232/89, NJW-RR 1990, 1380 – Kostümmodelle; KG, Urt. v. 09. 06. 1987 – 5 U 6153/85, GRUR 1988, 702, 703 – Corporate Identity; Brammsen, wistra 2006, 201, 204; Tsambikakis, in: Esser/ Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 18 UWG Rn. 5; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 100, 117. 889 BGHZ 82, 369, 372 – Straßendecke II; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 18 UWG Rn. 10; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 18 Rn. 7; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 18 UWG Rn. 5; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 101; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 18 UWG Rn. 12 m. w. N. 890 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 101 mit Verweis auf OLG München, Urteil v. 15. 03. 1990 – 29 U 4346/89, GRUR 1990, 674, 676 – Forsthaus Falkenau. 891 OLG Karlsruhe, Urt. v. 23. 04. 1986 – 6 U 104/86, WRP 1986, 623, 625 – Architektenpläne; Brammsen, wistra 2006, 201, 204; Zentek, WRP 2007, 507, 515; Ohly, in: Ohly/ Sosnitza, UWG, § 18 Rn. 7; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 18 UWG Rn. 11; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 18, Rn. 6; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 18 UWG Rn. 5; a. A. RGSt 48, 76, 77; seit LG Frankfurt a. M., Urt. v. 08. 11. 2012 – 2 – 3 O 269/12, BeckRS 2013, 8408 ist auch in der Rspr. ein Wandel erkennbar; vertiefend zum Streitstand und zur h. L. Rengier, in: Fezer/Büscher/ Obergfell, UWG, § 18 Rn. 8. 892 RG, Entsch. v. 17. 08. 1938 – II 36/38, GRUR 1939, 308, 310 – Filterstein; RG, Entsch. v. 01. 11. 1938 – I 94/38, GRUR 1939, 733, 735 – Fettsäure; RGSt 44, 152, 153 f. – geschäftlicher Verkehr; RGSt 48, 12, 13 – Aluminiumwaren; Többens, WRP 2005, 552, 559; Brammsen, wistra 2006, 201, 205; erneut ders., Lauterkeitsstrafrecht, § 18 UWG Rn. 12; Zentek, WRP 2007, 507, 514; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 18 Rn. 3, 7; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/ Tsambikakis, § 18 UWG Rn. 4; Tochtermann, in: Büscher, UWG, § 23 GeschGehG Rn. 39; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 102; Reinfeld, GeschGehG, § 7 Rn. 98; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 47. 893 Reinfeld, GeschGehG, § 7 Rn. 108.
Kap. 5: Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
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Durch das Erfordernis des Anvertrauens gegenüber dem Täter ergibt sich sogleich eine Einschränkung der möglichen Tatobjekte des § 23 Abs. 3 GeschGehG. Das Anvertrauen setzt voraus, dass die Vorlagen oder Vorschriften technischer Art dem Täter vom Unternehmen oder einem Beauftragten (vor-)vertraglich mit der auferlegten Pflicht, diese nur im Interesse des Anvertrauenden zu verwenden, überlassen wurden.894 Es kommt an dieser Stelle jedoch nicht auf ein wirksames Vertragsverhältnis an, sondern auf einen ausreichenden Nachweis der Vertraulichkeit an.895 Ein Anvertrauen scheidet dann aus, wenn das taugliche Tatobjekt dem Täter bereits vorher bekannt war, weil in diesem Fall das entsprechende Wissen „nicht zur Herrschaft und zur Wahrung überantwortet werden [kann].“896 Anvertrauender kann nicht nur der Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses im Sinne des § 2 Nr. 2 GeschGehG sein, sondern erfasst Unternehmen, Betriebsinhaber sowie Dritte, denen das Tatobjekt anvertraut wurde und die vom Inhaber zu weiteren Verhandlungen ermächtigt wurden897, wie auch unrechtmäßige Herrschaftsinhaber898, welche entweder gutgläubig oder aber durch strafbares Vorverhalten die Verfügungsgewalt über das Tatobjekt erlangt hatten. Dies steht nicht im Widerspruch zum nunmehr fehlenden Schutz illegaler Geheimnisse. Auf diese Weise werden Geschäftsgeheimnisse, welche im Rahmen eines Prozesses erlangt werden und in ihrer Nutzbarkeit sowie Offenlegbarkeit durch § 16 Abs. 2 GeschGehG und § 18 GeschGehG eingeschränkt sind, aus dem Kreis der tauglichen Tatobjekte ausgenommen, weil man in diesem Zusammenhang nicht von einem Anvertrauen im geschäftlichen Verkehr sprechen kann.899
894
BGH, Urt. v. 10. 07. 1963 – Ib ZR 21/62, GRUR 1964, 31, 32 – Petromax II; Wüterich/ Breuker, GRUR 2004, 389, 391; Schumacher, WRP 2006, 1072, 1074; Zentek, WRP 2007, 507, 513; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 18 UWG Rn. 19; Tsambikakis, in: Esser/ Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 18 UWG Rn. 8; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 114 m. w. N.; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 70. 895 Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 18 UWG Rn. 8; Reinfeld, GeschGehG, § 7 Rn. 106; a. A. (wohl) Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 71; Gramlich/Lütke argumentieren an dieser Stelle – allerdings ohne nähere Begründung –, dass an das Tatbestandsmerkmal anvertrauen höhere Anforderungen als an das Tatbestandsmerkmal angemessen zu stellen seien, vgl. wistra 2022, 97, 99. 896 BGHZ 82, 369 – Straßendecke II; statt vieler Ohly, GRUR 2014, 1, 6; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 116; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 72; ähnlich Brammsen/Apel, WRP 2016, 18, 22. 897 BGH, Urt. v. 10. 07. 1963 – Ib ZR 21/62, GRUR 1964, 31, 33 – Petromax II; Janssen/ Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 18 UWG Rn. 20; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/ Saliger/Tsambikakis, § 18 UWG Rn. 9. 898 Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 18 Rn. 18; Brammsen/Apel, WRP 2016, 18, 21 f.; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 115; a. A. Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 18 UWG Rn. 11 899 Schlinghoff, WRP 2018, 666, 670.
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
III. Tathandlung Das zivilrechtliche Handlungsverbot aus § 4 Abs. 2 Nr. 2 GeschGehG zielt auf die Nutzung eines Geschäftsgeheimnisses jenseits eines wirksam eingeräumten Nutzungsrechts ab. Daher beschränkt sich der Anwendungsbereich dieses Verbots auf Fälle, bei denen die Erlangung des Geschäftsgeheimnisses befugt erfolgte.900 Zugleich bleibt der Zugang im Wege eines Beschäftigungsverhältnisses901, im Rahmen des Ausschnitts der strafrechtlich sanktionierten Verhaltensweisen auf Grund des notwendigen Handelns im geschäftlichen Verkehr weitgehend außer Acht. Etwaige Einschränkungen aus § 1 Abs. 3 Nr. 3, 4 GeschGehG beziehungsweise Art. 1 Abs. 3 lit. b, c Geschäftsgeheimnis-RL können an dieser Stelle daher auch nicht weiter von Relevanz sein. Diese wäre nur dann der Fall, wenn etwa der Verstoß gegen ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot unter die Strafvorschrift fallen würde. Auf Ebene des Zivilrechts ist dies zwar durchaus denkbar902, im Bereich des Strafrechts ist jedoch bereits die Erlangung zu berücksichtigen, womit eine strafrechtliche Sanktionierung nachvertraglicher Wettbewerbsverstöße im Arbeitsrecht zumindest durch die Vorschrift aus § 23 Abs. 3 GeschGehG ausgeschlossen zu sein scheint. Diese Erwägungen gelten auch im Hinblick auf Art. 4 Abs. 3 lit. c Geschäftsgeheimnis-RL, da ansonsten bereits Art. 4 Abs.3 lit. a Geschäftsgeheimnis-RL einschlägig wäre.903 Einschränkend gilt an dieser Stelle, dass es sich um eine wirksame Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten handeln muss, sodass eine Prüfung der zivilrechtlichen Rechtslage von Nöten sein kann.904 Innerhalb des Art. 4 Abs. 3 lit. c Geschäftsgeheimnis-RL wird zudem zwischen einer Vertraulichkeitsvereinbarung, also einer zwischen den Parteien begründete Vereinbarung, und sonstigen Verpflichtungen aus gesetzlichen Regelungen differenziert.905 Dies kann jedoch für den Straftatbestand aus § 23 Abs. 3 GeschGehG i. V. m. § 4 Abs. 2. Nr. 2 GeschGehG auf Grund des einschränkenden Anvertrauenskriteriums nicht von Bedeutung sein. 900
BT-Drs. 19/4724, S. 27; zustimmend Reinfeld, GeschGehG, § 2 Rn. 78; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 4 GeschGehG Rn. 44. 901 BT-Drs. 19/4724, S. 27; McGuire, in: Büscher, UWG, § 4 GeschGehG Rn. 32 ff. 902 Ohly, GRUR 2019, 441, 446; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 4 Rn. 62. 903 Wiese, EU-Richtlinie, S. 107; bei einer täuschungsbedingten Preisgabe hält Wiese das kumulative Vorliegen von Art. 4 Abs. 3 lit. a, c Geschäftsgeheimnis-RL für möglich, weil dann bereits der Erwerb rechtswidrig erfolgt ist, vgl. EU-Richtlinie, S. 108. 904 Siehe dazu etwa Ohly, GRUR 2019, 441, 446; McGuire, in: Büscher, UWG, § 4 GeschGehG Rn. 35; Reinfeld, GeschGehG, § 2 Rn. 85; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 4 GeschGehG Rn. 51 ff.; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 4 Rn. 59. 905 Im Hinblick auf eine Verpflichtung aus § 90 HGB oder § 85 GmbHG wird von Wiese vorgetragen, dass die Differenzierung zwischen vertraglicher und gesetzlicher Verpflichtung in Zukunft von größerem Interesse sein kann. Dabei geht diese von einer sonstigen Verpflichtung, also einer gesetzlichen Verpflichtung aus, welche dann nicht erfasst sein soll, vgl. EU-Richtlinie, S. 107.
Kap. 5: Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
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G. Qualifikationstatbestände des § 23 Abs. 4 GeschGehG Abrundend erfolgt die Untersuchung des § 23 Abs. 4 GeschGehG, wobei sich der Gesetzgeber abweichend von der Vorgängernorm des § 17 Abs. 4 UWG in § 23 Abs. 4 GeschGehG nun nicht mehr der Regelbeispielstechnik bedient, sondern echte Qualifikationstatbestände erlassen hat. Zu einer Anpassung des Strafrahmens ist es aber nicht gekommen. Lediglich der unbestimmte Fall des besonders schweren Falls im Sinne des § 17 Abs. 4 S. 1 UWG erweist sich nunmehr als rechtshistorisches Relikt.
I. Gewerbsmäßiges Handeln, § 23 Abs. 4 Nr. 1 GeschGehG Eine gewerbsmäßige Begehung ist dann gegeben, wenn der Täter in der Absicht handelt, sich aus der wiederholten Begehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einer gewissen Dauer zu verschaffen.906 Dabei muss gerade kein kriminelles Gewerbe begründet werden.907 Sofern diese Absicht, also dolus directus 1. Grades vorliegt, ist schon die erste Tat, unabhängig davon, ob in der Zukunft noch weitere Taten folgen, als gewerbsmäßiges Handeln in diesem Sinne einzustufen.908 Auch steht eine Begehung in Tateinheit der Annahme gewerbsmäßigen Handelns nicht entgegen.909 Maßgeblich sind eigennütziges Handeln und tätereigene Einnahmen.910
II. Wissen um die Absicht der Nutzung im Ausland bei der Offenlegung, § 23 Abs. 4 Nr. 2 GeschGehG Auch die Qualifikationsvariante aus § 23 Abs. 4 Nr. 2 GeschGehG und das Regelbeispiel aus § 17 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 UWG weißen starke Parallelen auf. Die erhöhte Strafdrohung in Fällen des § 17 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 UWG war nach überwiegender 906 BGHSt 49, 177, 181; BGH, Urt. v. 11. 10. 1994 – 1 StR 522/94, NStZ 1995, 85; BGH, Urt. v. 19. 05. 1998 – 1 StR 154/98, NJW 1998, 2913, 2914; BGH, Urt. v. 11. 09. 2003 – 4 StR 193/03, NStZ 2004, 265, 266; BGH, Beschl. v. 19. 12. 2007 – 5 StR 543/07, NStZ 2008, 282; auf Grund des definitorischen Gleichlaufs von § 23 Abs. 4 Nr. 1 GeschGehG und § 17 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 UWG etwa kann an dieser Stelle erneut auf den bisherigen Stand der Forschung verwiesen werden, vgl. zustimmend Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 131. 907 Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 32; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 146; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 83. 908 BGH, Urt. v. 11. 10. 1994 – 1 StR 522/94, NStZ 1995, 85; BGH, Beschl. v. 19. 12. 2007 – 5 StR 543/07, NStZ 2008, 282; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 146 m. w. N. 909 BGHSt 49, 177, 181. 910 BGH, Beschl. v. 19. 12. 2007 – 5 StR 543/07, NStZ 2008, 282; BGH, Beschl. v. 23. 07. 2015 – 3 StR 518/14, NStZ-RR 2015, 341, 342.
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
Ansicht dadurch zu rechtfertigen, dass durch den Auslandsbezug die Rechtsverfolgung erheblich erschwert wurde.911 Diese Begründung bleibt auch im Hinblick auf § 23 Abs. 4 Nr. 2 GeschGehG tragfähig. Die Strafschärfung zielte, anders als noch bei der Reform im Jahre 1986 beabsichtigt, nicht auf volkswirtschaftliche, sondern betriebswirtschaftliche Erwägungen ab.912 Schon das Regelbeispiel aus § 17 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 UWG und aktuell auch die Qualifikationsvariante aus § 23 Abs. 4 GeschGehG werfen für den Rechtsanwender aber einige Schwierigkeiten bei der Auslegung auf. So impliziert der Wortlaut dolus directus 2. Grades bezüglich der subjektiven Komponente dieses Qualifikationstatbestandes. Allerdings wird bei einem Vergleich mit den Vorschriften des StGB deutlich, dass der Gesetzgeber diesen Terminus nicht einheitlich verwendet hat. Bott schlussfolgerte daraus, die Verwendung des Begriffs des Wissens bezeichne nicht zwingend dolus directus 2. Grades, also sicheres Wissen. Vielmehr war nach seiner Auffassung im Vergleich zur überschießenden Innentendenz bei § 17 Abs. 1 UWG und der Auslegung der Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck Eventualvorsatz ausreichend, weil dieser bereits einen ausreichenden Bezug zur erschwerten Rechtsverfolgung im Ausland herstelle.913 Dabei genüge der Verrat ins Ausland grundsätzlich, um ein Indiz für die mögliche Verwertung und damit letztlich für das Vorliegen von dolus eventualis zu begründen.914 Letztgenannte Ansicht scheint sich (wohl) auch im Hinblick auf § 23 Abs. 4 Nr. 2 GeschGehG als vorherrschend zu etablieren.915 Eine Neubewertung der vorgetragenen Argumente ist nicht geboten. Gegen eine solche weite Auslegung des Wissensbegriff lassen sich aber nach wie vor die massiv erhöhte Strafandrohung sowie die von Bott selbst vorgetragenen Folgen für die Strafverfolgungspraxis vorbringen.916 Umstritten war auch, was unter dem Begriff des Auslands im Sinne des § 17 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 UWG zu verstehen war. Ausganspunkt war zunächst eine Negativdefinition, wonach all das Ausland ist, was nicht Inland ist.917 Der eigentliche 911
Bott, wistra 2015, 342, 343; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 118; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 33. 912 Bott, wistra 2015, 342, 343; BT-Drs. 10/5058, S. 40. 913 Bott, wistra 2015, 342, 344 mit Fn. 32. 914 Bott, wistra 2015, 342, 344. 915 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 132; Reinfeld, GeschGehG, § 7 Rn. 35; Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 23 Rn. 210. 916 Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass in diesen Fällen das Antragserfordernis nach § 17 Abs. 5 UWG wegen Nr. 260a Abs. 2 RiStBV an Bedeutung verliert und die Vorschriften der §§ 374 Abs. 1 Nr. 7, 376 StPO Beachtung finden müssen. Genauso darf § 70 StGB nicht außer Acht gelassen werden, vgl. Bott, wistra 2015, 342. Solange die RiStBV nicht aktualisiert wird, ist dieser Aspekt allerdings von geringerer Bedeutung. 917 Bott, wistra 2015, 342; Fischer, StGB, vor §§ 3 – 7 Rn. 20; zum Begriff des Inlands vgl. Fischer, StGB, vor §§ 3 – 7 Rn. 12 ff.; hinsichtlich der Definition des Auslandsbegriffs besteht weitgehend Einigkeit in der Literatur, wobei einige Stimmen für eine stärker an andere Vor-
Kap. 5: Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
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Streit betreffend das auf den ersten Blick eindeutige Merkmal des Auslands bestand beim sogenannten EU-Ausland. Es wurden verschiedene Ansätze zur Handhabung dieses Problems vertreten. Der Diskussion lag zu Grunde, dass mit dem Binnenmarkt eine besondere Wettbewerbsgrundlage geschaffen wurde, die sich mit den der Strafschärfung innewohnenden Wertung nicht ohne Weiteres in Einklang bringen ließ und weiterhin nicht bringen lässt.918 Auf Grund dieses Umstands wurde teilweise angenommen, im Falle des EU-Auslands sei eine besondere Prüfung des Einzelfalls erforderlich um festzustellen, ob es denn durch den Auslandsbezug zu einer tatsächlichen Unrechtserhöhung gekommen ist.919 Einer solchen Herangehensweise wurde jedoch die mangelnde Praktikabilität sowie der Umstand, dass dieses Merkmal tatbestandsähnlich und daher eine einheitliche Auslegung angezeigt sei, entgegengehalten.920 Manche Stimmen in der Literatur gingen sogar so weit, dass EU-Ausland generell nicht als Ausland in diesem Sinne zu qualifizieren.921 Für die Gegenauffassung sprach zunächst einmal der Wortlaut der Vorschrift, dem sich eine solche Differenzierung gerade nicht entnehmen ließ. Genauso konnte mit der Gesetzgebungshistorie argumentiert werden, weil dieses Merkmal 2004 unberührt gelassen wurde, obwohl zu diesem Zeitpunkt die bessere Verfolgbarkeit dem Gesetzgeber bereits bekannt war.922 Zusätzlich wurde eine einheitliche Auslegung des Auslandsbegriff im Vergleich zu anderen Vorschriften, wie etwa § 235 Abs. 2 StGB, als Argument für den uneingeschränkten Einbezug des EU-Auslands herangezogen.923 Auch wurde mit den der Strafschärfung zu Grunde liegenden Wertungen argumentiert. So ist zwar die Rechtsverfolgung im EU-Ausland durch diverse gesetzgeberische Schritte erleichtert924, aber nach wie vor nicht gleichgestellt worden. Dies kann durch rein tatsächliche, zusätzliche Hürden wie etwa das Einschalten ausländischer Juristen untermauert werden.925
schriften angelehnte Formulierung plädieren, statt vieler vgl. Bott, wistra 2015, 342, 343 m. w. N. 918 Pfeiffer, in: FS Nirk, S. 861, 890; Bott, wistra 2015, 342, 343. 919 Bott, wistra 2015, 342, 343; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 118; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 17 Rn. 38. 920 Bott, wistra 2015, 342, 343 m. w. N. in Fn. 12, 13. 921 So etwa Pfeiffer, in: FS Nirk, S. 861, 890; Többens, NStZ 2000, 505, 509; ders., WRP 2005, 552, 558, der zur Begründung die zur Zeit seiner Veröffentlichung geltenden Vorschriften der Art. 18, 23, 39, 43, 49 EG-Vertrag Amsterdamer Fassung heranzieht; a. A. Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 148 m. w. N. 922 Bott, wistra 2015, 342, 343; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 118; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 32; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 17 Rn. 38. 923 Nur Bott, wistra 2015, 342, 343. 924 Nur Bott, wistra 2015, 342, 343. 925 Bott, wistra 2015, 342, 343; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 148 m. w. N.
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
Letzteren Argumenten ist bisher auch die Rechtsprechung gefolgt.926 Ob dieses Ergebnis als Relikt aus dem überkommenen Unternehmensgeheimnisschutz nach den §§ 17 – 19 UWG überdauern wird, kann im Hinblick auf die Neuregelung doch erheblich angezweifelt werden. Vielmehr lässt sich vortragen, dass die Möglichkeiten der Rechtsverfolgung durch den Erlass und die zu erwartende ordnungsgemäße Umsetzung in den übrigen Mitgliedstaaten stark vereinheitlicht, teilweise sogar vollharmonisiert wurden. Mithin wird es zwar auch in Zukunft notwendig sein einen mit dem jeweiligen Recht des Mitgliedstaates vertrauten Rechtsanwalt zu mandatieren, allerdings wird es möglich sein wegen der stärkeren Vergleichbarkeit zumindest in materieller Hinsicht eine Voreinschätzung durch einen deutschen Rechtsanwalt zu erhalten. Sollte die Umsetzung der Geschäftsgeheimnis-RL in den Mitgliedstaaten der europäischen Union zufriedenstellend verlaufen, sprechen zwar immer noch gewichtige Argumente gegen die Differenzierung, diese verlieren jedoch insgesamt an Durchschlagkraft. Folglich scheint es mit dem Zweck der Richtlinie im Einklang zu stehen, wenn man in absehbarer Zukunft nicht mehr von gesteigerten Risiken bei der Nutzung im EU-Ausland ausgeht.927
III. Nutzung im Ausland, § 23 Abs. 4 Nr. 3 GeschGehG Erforderlich ist zur Verwirklichung des Qualifikationstatbestands ein objektiver Anknüpfungspunkt, also zumindest der Beginn der Nutzung im Ausland928, während bloß subjektive Aspekte ohne objektiven Anknüpfungspunkt lediglich unter § 23 Abs. 4 Nr. 2 GeschGehG fallen können.929 Die Erwägungen zum Auslandsbegriff im Sinne dieses Qualifikationstatbestands sind gleichlautend mit denen zu § 23 Abs. 4 Nr. 2 GeschGehG.
926 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09. 02. 2007 – 5 Ss 163, 59/06, BeckRS 2008, 05432; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 148. 927 Ähnlich Falce, IIC 46 (2015), 940, 951; a. A. Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 132; Reinfeld, GeschGehG, § 7 Rn. 35; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 84b; Harte-Bavendamm verweist zur Begründung auf die fehlende Harmonisierung des strafrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes, vgl. Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 23 Rn. 66; Bott/Kohlhof, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 23 Rn. 100; Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 23 Rn. 211; Gramlich/Lütke, wistra 2022, 97, 103. 928 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 133; Reinfeld, GeschGehG, § 7 Rn. 36; bzgl. § 17 Abs. 4 S. 2 Nr. 3 UWG vgl. etwa Bott, wistra 2015, 342, 344; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 149; ders., in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 23 Rn. 217. 929 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 133; Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 23 Rn. 217.
Kap. 5: Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
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H. Fazit Um nun die Analyse der grundsätzlichen tatbestandlichen Reichweite der Geschäftsgeheimnisschutzdelikte abzuschließen, sind die Abweichungen zur bisherigen Rechtslage und daran anknüpfend Schwächen im neuen Schutzregime aufzuzeigen, die sich aus diesen Änderungen ergeben. Dies gilt auch für fortbestehende Probleme. Außerdem ist zu klären, ob diese Lücken durch anderweitige Schutzmechanismen geschlossen werden können, sei es durch eine zivilrechtliche Haftung, sei es durch Regelungen außerhalb des GeschGehG.
I. Unterschiede zwischen § 23 GeschGehG und §§ 17 – 19 UWG Abweichend von der bisherigen Regelung in den §§ 17 – 19 UWG orientiert sich die Struktur des Geschäftsgeheimnisstraftatbestands an der Verletzungskaskade in § 4 GeschGehG. Dies führt zunächst zu einer veränderten Anordnung der einzelnen Delikte. Dadurch wurden auch einige der bisher zur Anwendung kommenden Begrifflichkeiten über den Haufen geworfen, so etwa durch Anpassung der sanktionierten Tathandlungen. Dieser Schritt ist vor dem Hintergrund des nun mehr zivilrechtlich geprägten Geschäftsgeheimnisschutzes nur logisch. Nichtsdestotrotz war das Vorgehen des Gesetzgebers teilweise berechtigter Kritik ausgesetzt.930 Dabei ist auch die bisherigen Geheimnishehlerei in zwei Straftatbestände aufgeteilt worden. Im Einzelnen lassen sich folgende Unterschiede ausmachen. 1. Unterschiede zwischen § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG und § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG Die Untersuchung der geltenden Rechtslage zeigt Änderungen auf, die über die Anpassungen am Geschäftsgeheimnisbegriff hinausgehen. Dabei sollen zu Beginn erneut Brammsen und an diesen anknüpfend Hohmann/Schreiner aufgegriffen werden. Diese merken zutreffend an, dass bereits der Wortlaut des § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG durch Verwendung des Wortes Erlangen weiter gefasst ist als bei § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG, in dem auf ein Verschaffen oder Sichern abgestellt wurde. Dies wird damit begründet, dass das Erlangen sprachlich auch Zufallsfunde miteinschließt, während zuvor ein zielgerichtetes Vorgehen erforderlich gewesen ist.931 Diese Argumentation steht aber – wie aufgezeigt – im Widerspruch zur Gesetzesbegründung.932 Überdies kann und muss aber auf die zuvor gefundenen Ausle930
Erneut Brammsen, wistra 2018, 449, 454 f.; zustimmend Hohmann/Schreiner, StraFo 2019, 441, 444. 931 Brammsen, wistra 2018, 449, 454 f.; zustimmend Hohmann/Schreiner, StraFo 2019, 441, 444. 932 BT-Drs. 19/4724, S. 40.
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
gungsergebnisse verwiesen werden, welche auf ein von der Gesetzesbegründung abweichendes Verständnis hindeuten. Darüber hinaus kritisiert Brammsen, dass fortan auf eine Konkretisierung der möglichen Begehungsweisen ähnlich wie in § 17 Abs. 2 Nr. 1 lit. a – c UWG verzichtet wird, was zu einer Ausweitung des Tatbestands führe und zugleich eine Abkehr von der bisherigen Linie des Gesetzgebers bedeute.933 Auch dieser Kritik kann nicht uneingeschränkt zugestimmt werden. Zwar umfasst § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG eine große Bandbreite an verschiedenen Formen des Erlangens, doch das Verschaffen eines Geheimnisses mittels einer Abhörvorrichtung ist – wie aufgezeigt – nicht erfasst. Nach bisheriger Rechtslage hingegen konnten diese Fälle durch § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG sanktioniert werden. Damit lassen sich bloß mündlich weitergegebene Informationen nicht erfassen.934 Dies war aber im Hinblick auf die frühere Rechtslage durchaus denkbar. Eine bedeutende Änderung hat auch das Tatbestandsmerkmal unbefugt erfahren. Das Merkmal ist nämlich im Hinblick auf die frühere Rechtslage neu zu verorten. Es erfährt dadurch eine stärkere eigenständige Bedeutung als bisher. Dies führt allerdings nicht zur Aufgabe des allgemein anerkannten und im Gesetz verankerten dreigliedrigen Deliktsaufbaus. Daher dürfen allgemeine Rechtfertigungsgründe wie etwa § 34 StGB nicht pauschal auf diese Ebene gehievt werden. 2. Unterschiede zwischen § 23 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 GeschGehG und § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG Es wurde aufgezeigt, dass fortan keine vorangegangene Straftat mehr erforderlich ist.935 Dadurch ergeben sich Abweichungen beim Fehlen der überschießenden Innentendenz während der Erlangung durch eine Betriebsspionage. Demnach kann Brammsens These teilweise zugestimmt werden, wonach der Kreis möglicher Vortaten erweitert worden ist.936 Des Weiteren ist die vermeintliche Änderung tauglicher Tathandlungen zu nennen. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll der Begriff der Nutzung dem Begriff der Verwertung aus § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG entsprechen.937 Dem wird in der Literatur zurecht entschieden entgegengetreten. So ist etwa Brammsen der Auffassung, dass das Wort Nutzen weiter gefasst ist als die bisherige Tathandlung des Verwertens.938 933 Brammsen, wistra 2018, 449, 455; vgl. dazu BT-Drs. 10/5058, S. 40; Föbus hingegen argumentierte in die entgegengesetzte Richtung gegen die Einengung des Tatbestands von § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG, vgl. Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 273. 934 Zustimmend Tochtermann, in: Büscher, UWG, § 23 GeschGehG Rn. 24. 935 Zur überkommenen Rechtslage BGH, Urt. v. 18. 02. 1977 – I ZR 112/75, GRUR 1977, 539, 540 – Prozessrechner; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 113 m. w. N. 936 Brammsen, wistra 2018, 449, 455. 937 BT-Drs. 19/4724, S. 40; dem zustimmend Wunner, WRP 2019, 710, 712. 938 Brammsen, wistra 2018, 449, 455.
Kap. 5: Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
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Anders als nach der alten Rechtslage ist nunmehr jede Form der Verwendung erfasst, so dass eine Beschränkung auf wirtschaftliche Zwecke entfällt.939 Dieser Aspekt war allerdings bereits im Hinblick auf § 17 Abs. 2 UWG umstritten.940 Mithin sollte dieser Streit nach geltendem Recht abweichend entschieden werden. Eine erfreuliche Einschränkung wiederum bringt der Verzicht auf das vielfach – zurecht – kritisierte Anknüpfen an das sich-sonst-unbefugte-Verschaffen mit sich. Dadurch hat der Gesetzgeber dem seit Jahrzehnten schwelenden Vorwurf der verfassungswidrigen Unbestimmtheit das Wasser abgegraben.941 3. Unterschiede zwischen § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG und § 17 Abs. 1 UWG Widmet man sich nun mehr wie bereits zuvor auch einer Gegenüberstellung von geltendem und überkommenen Recht, so wird deutlich, dass der Straftatbestand des Geheimnisverrats abseits der bereits aufgezeigten Unterschiede keine eigenständigen Neuerungen aufweist. 4. Unterschiede zwischen § 23 Abs. 3 GeschGehG und § 18 UWG Es handelt sich beim vorliegenden Straftatbestand nunmehr um ein Geheimnisschutzdelikt. Daraus ergeben sich aber im Verhältnis zum § 18 Abs. 1 UWG einige Unstimmigkeiten. So lässt sich vor diesem Hintergrund nicht vernünftig erklären, weshalb die Verletzung dieser speziellen, oftmals besonders werthaltigen Art von Geschäftsgeheimnissen, im Hinblick auf den Strafrahmen eine Privilegierung des Täters mit sich bringt.942 Wie bereits erwähnt, kommen dieselben Handlungsmodalitäten zum Einsatz.943 Zugleich erfolgt ein mit § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG vergleichbarer Vertrauensbruch. Dennoch stehen bei einem Verstoß gegen die § 23 Abs. 1, 2 GeschGehG bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe im Raum, während es bei § 23 Abs. 3 GeschGehG – wohl wegen § 18 Abs. 1 UWG – nach wie vor maximal zwei Jahre sind. 939
Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 65. Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 3; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/ Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 29; a. A. Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/HenningBodewig, UWG, § 17 Rn. 35. 941 A. A. Brammsen, wistra 2018, 449, 455 f., welcher diese Problematik im Erlangen nach dem nun mehr geltenden Recht als fortbestehend ansieht; vertiefend zur Problematik etwa Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 115 ff. m. w. N. 942 Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 18 UWG Rn. 3b; ders., wistra 2018, 449, 456. 943 Angesichts der Neuregelung der Vorlagenfreibeuterei in § 23 Abs. 3 GeschGehG ist Brammsens Kritik zu erwähnen. In Bezug auf die dabei zum Einsatz kommenden Begrifflichkeiten gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend. 940
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
Diese Kritik wird sogleich im nächsten Schritt anhand des neuen Qualifikationstatbestands aus § 23 Abs. 4 GeschGehG noch einmal unterstrichen werden. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb neben der verfehlten Abweichung des Strafrahmens zu Gunsten des Täters die Vorlagenfreibeuterei nach § 23 Abs. 3 GeschGehG bei den Qualifikationen gleich ganz außen vor bleibt, obwohl diese mit den Straftatbeständen aus §§ 23 Abs. 1, 2 GeschGehG weitgehend übereinstimmt und ein zusätzliches Unrechtselement enthält.944 Wäre die Terminologie nicht an den Stand des GeschGehG angepasst und die möglichen Grunddelikte, nämlich § 23 Abs. 1 Nr. 2, 3, Abs. 2 GeschGehG genau benannt worden, würde sich diese Kritik erübrigen, weil diese dann ebenfalls erfasst wäre. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass bei § 17 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 UWG erst der Handlung des Mitteilens angeknüpft werden konnte. Es bleibt daher abzuwarten, ob sich dieses Ergebnis in Zukunft als weiter fortdauernd erweist oder aber der Gesetzgeber einen Gleichlauf der Geheimnisverletzungen im Sinne des § 23 GeschGehG herbeiführt.
II. Schutzlücken im Geschäftsgeheimnisstrafrecht nach § 23 GeschGehG Im Ergebnis zeigen sich Schutzlücken im vorliegenden strafrechtlichen Regelungskonzept, wenn es um die Erlangung von bloß mündlich übermittelten Geschäftsgeheimnissen geht. Für zwei Konstellationen, bei denen sich diese Schutzlücke auswirken kann, wird im Folgenden untersucht, ob über andere Straftatbestände ein adäquater Schutz begründet werden kann. Es soll nur knapp auf potentielle Probleme beim Erfassen von Vortaten nach dem UWG im Rahmen der Geschäftsgeheimnishehlerei hingewiesen werden. Dabei können etwaige Lücken bei der eigengesteuerten Geheimnishehlerei durch die vorangegangene täterschaftliche Erlangung – selbst bei Weitergabe eines gestohlenen Geheimnismediums – nicht durch § 259 StGB geschlossen werden. 1. Betriebsspionage durch Abhörmaßnahmen Hinsichtlich der Betriebsspionage durch Abhörmaßnahmen ist zu fragen, ob § 201 Abs. 1, 2 StGB diese Lücke zufriedenstellend schließen kann. Auf die Tatbestandsmäßigkeit eines solchen Vorgehens wird an dieser Stelle indes nicht weiter eingegangen, weil es im Wesentlichen unstrittig ist, Abhörmaßnahmen dadurch sanktionieren zu können.945 In jedem Fall kann auch eine zumindest entfernte Ähnlichkeit der fehlenden Offenkundigkeit eines Geschäftsgeheimnisses und dem
944 945
Zustimmend Brammsen, wistra 2018, 449, 456. Zur Prüfung dieses Tatbestands etwa Fischer, StGB, § 201 m. w. N.
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nicht öffentlich gesprochenen Wortes, vor allem vor dem Hintergrund der erforderlichen Vertraulichkeit festgestellt werden.946 Abstrakt können jedoch berechtigte Einwände gegen die Lückenschließung erhoben werden. Die Schutzrichtung dieser Norm aus dem Kernstrafrecht, welche dem Schutz der Privatsphäre als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dient947, lässt erste Zweifel an der Tauglichkeit eines solchen Vorgehens aufkommen. Es wird zwar mit einigen durchaus gewichtigen Argumenten diskutiert, ob der Schutz von Geschäftsgeheimnissen sich nicht auch mit Hilfe des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eines Unternehmens begründen lässt. Durch § 201 StGB wird aber vor allem die Privatsphäre von Kommunikation geschützt, was einen anderen Bestandteil dieses Rahmenrechts darstellt. Weitaus gewichtigere und technischer geprägte Gegenargumente liefert jedoch die Systematik des GeschGehG. Dieser liegt nämlich ein in großen Teilen austariertes System der Geheimnisverletzungen zu Grunde. Im Rahmen des § 201 StGB kommt dies nicht ausreichend zur Geltung. Zudem divergieren die Strafrahmen der genannten Delikte, sobald man die Qualifikationstatbestände in § 23 Abs. 4 GeschGehG hinzuzieht. Mithin können zwar Fälle der Betriebsspionage durch Abhörmaßnahmen nach § 201 StGB sanktioniert werden, doch erscheint ein solches Vorgehen aus den aufgezeigten Gründen nicht abschließend befriedigend. 2. Strafbarkeit des Social Engineering zur Erlangung von Geschäftsgeheimnissen Von großem Interesse ist zudem, ob einem täuschungsbedingten mündlichen Geheimnisabfluss abseits des GeschGehG mit den Mitteln des Strafrechts ausreichend entgegengetreten werden kann.948 Wegen der Täuschungskomponente ist zunächst an § 263 StGB zu denken. Mithin gilt es summarisch zu prüfen, ob sich diese Vorgehensweisen als Täuschung über Tatsachen, mit daran anknüpfendem täuschungsbedingtem Irrtum und einer daraus folgenden Vermögensverfügung erweist, welche in einem Vermögensschaden mündet.949 Weiterhin muss mit Vorsatz und stoffgleicher, rechtswidriger Bereicherungsabsicht gehandelt werden.950
946
Zur Vertraulichkeit und dem nicht öffentlich gesprochenen Wort Fischer, StGB, § 201 Rn. 3, 4 jeweils m. w. N. 947 BVerfGE 34, 243, 245; BGHSt 31, 296, 299 – „Raumgesprächs“-Aufzeichnung; statt vieler Fischer, StGB, § 201 Rn. 2. 948 Auf Grund der bereits in der überkommenen Rechtslage bestehenden Schutzlücken sprach sich Föbus dafür aus täuschungsbedingtes Verschaffen oder Sichern eines Unternehmensgeheimnisses explizit in einem noch zu schaffenden Tatbestand unter Strafe zu stellen, vgl. Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 282 f. 949 Nur Fischer, StGB, § 263 Rn. 5. 950 Nur Fischer, StGB, § 263 Rn. 179 ff., 186 ff. jeweils m. w. N.
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Unproblematisch wird man davon ausgehen können, dass das Verhalten der Geheimniserlangenden regelmäßig als Täuschung über Tatsachen eingestuft werden kann. So wird etwa beispielsweise regelmäßig eine falsche Identität als taugliche Tatsache vorgespiegelt.951 Auch wird bei erfolgreicher Täuschung eine von der Wahrheit abweichende subjektive Fehlvorstellung des Getäuschten auftreten, also ein Irrtum erregt werden.952 Ferner handelt es sich in der Regel um Konstellationen, bei denen die Berechtigung des Informationsverlangens zu prüfen ist, sodass sich zumindest hieraus ein Irrtum ergibt.953 An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass eine natürliche Person irren muss, obwohl es letztlich um Geschäftsgeheimnisse eines Unternehmens geht.954 Sollte es dadurch zu Weitergabe eines Geschäftsgeheimnisses kommen, stellt sich die Frage, ob es sich dabei auch um eine kausale Vermögensverfügung in diesem Sinne handelt, also ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorliegt, das unmittelbar zu einem Vermögensabfluss führt.955 Auf die zivilrechtliche Wirksamkeit des Vorgehens kommt es nicht an, sondern auf die tatsächlichen Umstände.956 Daneben können Fragen des Dreiecksbetrugs sowie des fehlenden Verfügungsbewusstseins virulent werden.957 Die Offenbarung von vermögenswerten Informationen – wie etwa Geschäftsgeheimnissen – ist in diesem Zusammenhang durchaus anerkannt.958 Diese gehören nach in der Literatur vorherrschend vertretenen, zutreffenden Auffassung zum geschützten Vermögen.959 An dieser Stelle ist besonders gut zu erkennen, weshalb einige Stimmen in der Literatur den strafrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutz – zumindest auch – zu den Vermögensdelikten zählen. Damit kann der Verlust der Geschäftsgeheimniseigenschaft letztlich auch einen Vermögensabfluss begründen, der in einen Vermögensschaden münden kann. Der bloße Abfluss eines Geschäftsgeheimnisses bedeutet wegen dem potentiellen nebeneinander mehrerer Geheimnisinhaber aber noch keine zwingende Beeinträchtigung. Vielmehr kann 951
Nur Fischer, StGB, § 263 Rn. 6, 14, 18. Nur Fischer, StGB, § 263 Rn. 53 f., 57, 953 BGH, Beschl. v. 12. 09. 1996 – 1 StR 509/96, NStZ 1997, 281; BGH, Beschl. v. 21. 06. 2006 – 2 StR 57/06, NStZ 2006, 687; Fischer, StGB, § 263 Rn. 58, 63, 65. 954 Fischer, StGB, § 263 Rn. 66 f. 955 BGHSt 14, 170, 171 – Erschleichen von Untersuchungshaft; BGH, Urt. v. 10. 08. 2016 – 2 StR 579/15, NStZ 2017, 351, 352; Fischer, StGB, § 263 Rn. 70, 87. 956 BGHSt 31, 178 – Maklerlohn. 957 Zum Verfügungsbewusstsein BGHSt 14, 170, 172 – Erschleichen von Untersuchungshaft; 41, 198, 201 ff. – Diebstahl im Selbstbedienungsladen; zum Dreiecksbetrug BGHSt 18, 221, 223 f.; 58, 119 Rn. 34; Fischer, StGB, § 263 Rn. 74, 79 ff. jeweils m. w. N. 958 Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 333; Fischer, StGB, § 263 Rn. 71, 95. 959 In Hinblick auf die überkommene Rechtslage bereits Kiethe/Groeschke, WRP 2005, 1358, 1366; Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 185, 191; Lutterbach, Whistleblowing, S. 88 f.; Tiedemann, in: LK-StGB, § 263 Rn. 143 f.; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 263 Rn. 235; Fischer, StGB, § 263 Rn. 95; Drescher, Industrie- und Wirtschaftsspionage, S. 342. 952
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man argumentieren, dass nun ein inhaltsgleiches oder inhaltsähnliches Geheimnis beim neuen Inhaber entsteht. Daher wird die Vorschrift aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG teilweise auch als überflüssig eingestuft. Um hier das Phishing ins Spiel zu bringen, welches letztlich durchaus vergleichbare Züge aufweist, gilt es zu rekapitulieren, wann in diesem Zusammenhang von einem betrugsrelevanten Vermögensabfluss ausgegangen wird. In der Rechtsprechung und im Schrifttum zeigt sich ein durchaus kontroverses Meinungsspektrum. Der BGH hat in unterschiedlichen Entscheidungen zu erkennen gegeben, dass bereits dann von einem Vermögensabfluss auszugehen ist, wenn der Täter im Besitz einer ec-Karte beziehungsweise einer Bankkarte mit dazugehörigem PIN ist.960 Im Schrifttum hingegen begegnet diese Position durchaus Gegenwind, der letztlich darauf aufbaut, dass noch weitere Handlungen des Täters erforderlich sind oder aber – nicht unberechtigte – Zweifel an der Bezifferung des bereits dadurch begründeten Gefährdungsschadens bestehen.961 Überträgt man die aufgezeigten Aspekte auf die Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen, so wird deutlich, dass der Täter unter Umständen in den Besitz eines Geschäftsgeheimnisses gekommen ist und dabei auch keine weiteren Zugriffsschritte erforderlich sind. Allerdings ist es durchaus möglich parallel mehrere Geheimnisinhaber anzuerkennen. Eine Bezifferung des Vermögensabflusses und in der Folge eines möglichen Schadens ist zu diesem Zeitpunkt erheblichen Unwägbarkeiten ausgesetzt. Mithin sprechen gute Gründe dafür, einen hinreichend konkreten Abfluss abzulehnen.962 Insoweit käme es abweichend von den Anforderungen an § 2 Nr. 1 lit. HS. 2 GeschGehG darauf an einen Schaden konkret zu beziffern.963 Tritt hingegen Offenkundigkeit ein, kann man jedenfalls von einem Vermögensabfluss in Bezug auf das Geschäftsgeheimnis sprechen. Die Geschäftsgeheimniseigenschaft und damit letztlich der rechtliche Schutz einer Information als Geschäftsgeheimnis im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG steht und fällt nämlich bereits mit dem Fehlen eines Tatbestandsmerkmals. Neben des Eintritts der Offenkundigkeit als geheimnisvernichtendes Moment ist zudem zu berücksichtigen, dass es durch die Preisgabe des Geheimnisses faktisch zu einem Aufgegeben der Sicherungsmaßnahmen kommen kann, was ebenfalls mit dem Verlust des Geschäftsgeheimnisses einhergeht.964
960 BGH, Urt. v. 17. 08. 2004 – 5 StR 197/04, NStZ-RR 2004, 333, 334; BGH, Beschl. v. 17. 06. 2014 – 5 StR 216/14, BeckRS 2014, 13795; vertiefend Ceffinato, NZWiSt 2016, 464, 465 f. 961 Etwa Ceffinato, NZWiSt 2016, 464, 466; Piel, NStZ 2016, 149, 152. 962 Zustimmend Drescher, Industrie- und Wirtschaftsspionage, S. 345. 963 Zur Schadensfeststellung und Bezifferbarkeit BVErfGE 126, 170, 206 f., 211 f.; BGHSt 61, 48, 74 – Nürburgring; BGH, Beschl. v. 08. 06. 2011 – 3 StR 115/11, NStZ 2013, 37, 38; BGH, Beschl. v. 16. 08. 2016 – 4 StR 163/16, NJW 2016, 3253 Rn. 34 – Kassenarzt; Fischer, StGB, § 263 Rn. 114 m. w. N., 156 ff. 964 Diesen Ansatz verfolgt bspw. Graf im Hinblick auf die Strafbarkeit des Täters beim Phishing nach § 202a StGB, vgl. NStZ 2007, 129, 131.
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Zuletzt darf dieser Abfluss nicht wieder kompensiert werden, es muss ein Vermögensschaden eintreten.965 Dabei können im Einzelfall schwierige Fragen der Schadensermittlung auftreten.966 Sind alle diese Voraussetzungen erfüllt, kommt es auf die Verwirklichung des subjektiven Tatbestands an. Beim Täuschenden wird man vom Vorliegen des Vorsatzes hinsichtlich der Merkmale des objektiven Tatbestands ausgehen dürfen, sofern denn der Eintritt der Offenkundigkeit angestrebt war. In diesem Fall stellt sich in der Konsequenz die Frage, ob das Handeln auch davon geleitet war, das eigene oder ein fremdes Vermögen dadurch zu mehren, dass in Zukunft über das Geschäftsgeheimnis verfügt werden kann.967 In diesem Fall gibt es nämlich strenggenommen kein Geschäftsgeheimnis mehr. Bejaht man bei Erlangung des noch vorhandenen Geheimnisses einen Schaden wird man die Stoffgleichheit bejahen müssen.968 Ist hingegen die Herbeiführung der Offenkundigkeit das angestrebte Handlungsziel, ist die Bereicherungsabsicht des Handelnden zu verneinen. Nach dieser summarischen Prüfung wird deutlich, dass die täuschungsbedingte Erlangung eines Geschäftsgeheimnisses wegen des erforderlichen unmittelbaren Vermögensabflusses nicht zwingend als Betrug nach § 263 StGB bestraft werden kann.969 Doch auch neben dieser Schwäche bestehen an dieser Stelle bereits bekannte Einwände gegen die Lückenschließung durch diese Norm des Kernstrafrechts. Zumindest im Hinblick auf den bezweckten Rechtsgüterschutz bestehen aber je nach Beurteilung des Schutzguts des § 23 GeschGehG weniger Diskrepanzen bei der Heranziehung von § 263 StGB.970 Je nach Fallkonstellation und suggerierter Drucksituation kann hier ebenso an eine Erpressung nach § 253 StGB gedacht werden, wobei im Hinblick auf die zumindest in der Lehre als notwendig erachtete Vermögensverfügung erneut die aufgezeigten Probleme aufgeworfen werden.971 Es fehlt allerdings erneut an der Kohärenz mit dem GeschGehG. Daher kann festgehalten werden, dass im Kernstrafrecht durchaus Mittel zur Verfügung stehen, um ein solches Verhalten ausschnittsweise strafrechtlich zu 965
Sie etwa BGHSt 16, 220, 221; 53, 199, 201; 57, 95 Rn. 75 f. – Abrechnungsbetrug; 58, 103 Rn. 35 ff. – Sportwettbetrug; 60, 1 Rn. 31 – Immobilienverkauf; BGH, Urt. v. 02. 02. 2016 – 1 StR 437/15, NStZ 2016, 286, 287; BGH, Urt. v. 16. 06. 2016 – 1 StR 20/16, NJW 2016, 3543 Rn. 33; BGH, Beschl. v. 04. 07. 2019 – 4 StR 36/19, NStZ 2020, 157 Rn. 13; Fischer, StGB, § 263 Rn. 88 ff. m. w. N., 110 ff. m. w. N. 966 Auf Grund des begrenzten Umfangs dieser Untersuchung und der bloß kursorischen Darstellung einer potentiellen Strafbarkeit der dargestellten Verhaltensweisen nach § 263 StGB soll an dieser Stelle auf den Stand der Forschung verwiesen werden, vgl. nur Fischer, StGB, § 263 Rn. 114 m. w. N., 156 ff. 967 Zur Bestimmung der rechtswidrigen Bereicherungsabsicht nur Fischer, StGB, § 263 Rn. 186 ff. m. w. N. 968 Zur Stoffgleichheit nur Fischer, StGB, § 263 Rn. 187 ff. m. w. N. 969 Im Ergebnis zustimmend Drescher, Industrie- und Wirtschaftsspionage, S. 343. 970 Zum Schutzgut des § 263 StGB nur Fischer, StGB, § 263 Rn. 3, 4 jeweils m. w. N. 971 Vgl. nur Fischer, StGB, § 253 Rn. 5 ff. m. w. N., 14 f.
Kap. 5: Geschäftsgeheimnisstraftatbestand, § 23 GeschGehG
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sanktionieren. Dennoch besteht das Bedürfnis nach einem kohärenten System. Dies legt auch die überkommene Rechtsprechung des OLG Hamburgs, welche zumindest eine Strafbarkeit nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG für den Fall der Verwertung vorsah, im Ergebnis nahe. Diese Sanktionsmöglichkeit besteht nach dem GeschGehG nicht mehr. 3. Sanktionsmöglichkeiten bei nachvertraglichen Wettbewerbsbeschränkungen Die unzureichende strafrechtliche Sanktionierbarkeit nachvertraglicher Wettbewerbsverstöße stellt ein im Hinblick auf die überkommene Rechtslage hinlänglich diskutiertes Problem dar. Diese ist wegen der zeitlichen Begrenzung in § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG nur im Wege der eigeneröffneten Geheimnishehlerei nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG denkbar, wenn das Geschäftsgeheimnis während der Betriebszugehörigkeit durch eine Betriebsspionagehandlung nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG erlangt wurde.972 Dabei wird allerdings oft von einer befugten Erlangung des Geheimnisses ausgegangen werden können. Die bereits bestehende Diskussion hat durch die Neuregelung keine neue Wendung erfahren, sodass auf den bisherigen Stand der Forschung zu verweisen ist.973 Mithin lassen sich die zu Grunde liegenden Wertungen mit der in § 1 Abs. 3 Nr. 4 GeschGehG besonders betonten Arbeitnehmerfreizügigkeit zusätzlich unterstreichen. Dieser Umstand stellte nämlich bereits nach der alten Rechtslage das wesentliche Argument gegen den strafrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutz vor nachvertraglicher Geheimnisverwertung dar.
III. Kohärenz mit dem zivilrechtlichen Schutzkonzept Da aufgezeigt wurde, dass keine eklatanten Schutzlücken in strafrechtlicher Hinsicht vorliegen, auch wenn ein höheres Maß an Kohärenz durchaus wünschenswert erscheint, kann abschließend zumindest ein hinreichender zivilrechtlicher Schutzstandard aufgezeigt werden.
972
Vertiefend nur Ullrich, Geheimnishehlerei, S. 185 – 222. RGZ 65, 333, 338 – Pomrilverfahren; BGH, Urt. v. 21. 12. 1962 – I ZR 47/61, GRUR 1963, 367, 369 – Industrieböden; statt vieler bereits Kohlrausch, ZStW 50 (1930), 30, 44 ff., 71; Ernst, Schutz nach Vertragsende, S. 59 ff.; Schafheutle, Wirtschaftsspionage, S. 213 ff.; Tuffner, Wirtschaftsgeheimnisse, S. 86 ff.; Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 128, 223 ff., 232, 261 ff. jeweils m. w. N.; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, Einl. A Rn. 47 ff.; Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 4 Rn. 36 ff.; in Bezug auf die Geschäftsgeheimnis-RL bzw. deren Gesetzgebungsprozess wirft Aplin die Frage auf, ob es sich bei bestimmtem Erfahrungswissen überhaupt um ein Geschäftsgeheimnis handeln kann, vgl. IPQ 2014, 257, 270. 973
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
Das Zivilrecht bietet und fordert anders als das Strafrecht mehr Flexibilität und lässt daher weitaus weniger bestimmte Normen zu. So umfassen die Handlungsverbote des § 4 GeschGehG Generalklauseln im Hinblick auf die Erlangung eines Geschäftsgeheimnisses in § 4 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG und eine daran anknüpfende Nutzung oder Offenlegung in § 4 Abs. 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG. Die Notwendigkeit dieser Vorschriften lässt sich mit den mannigfaltigen Arten von Geheimnisverletzungen erklären, welche nicht abschließend aufgezählt werden können.974 Durch diese Normen wird der Weg in den Anspruchskatalog der §§ 6 ff. GeschGehG eröffnet, um auf diese Weise auch täuschungsbedingte Geheimnisverletzungen zivilrechtlich verfolgen sowie unterbinden zu können975 Genauso lassen sich dadurch auch bloß akustische Geheimnisverletzungen erfassen.976 Angesichts der nachvertraglichen zivilrechtlichen Haftung eines ausscheidenden Mitarbeiters wird an dieser Stelle allein auf die hinzunehmende Diskrepanz zwischen zivilrechtlichem und strafrechtlichem Geschäftsgeheimnisschutzes hingewiesen. Im Unterschied zum Strafrecht stellt das Zivilrecht mit § 4 Abs. 2 Nr. 2 sowie 3 GeschGehG und den daran anknüpfenden Anspruchsgrundlagen einen umfangreichen Werkzeugkasten bereit, ohne der zeitlichen Begrenzung durch § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG unterworfen zu sein. Bereits nach früherer Rechtsprechung war dies anerkannt und wird durch das GeschGehG fortgeführt. Es ist zu erwarten, dass die dabei aufgezeigten Grenzen – vor allem vor dem Hintergrund der Arbeitnehmerfreizügigkeit und § 1 Abs. 3 Nr. 4 GeschGehG – ihre Geltung beibehalten werden.977 Die insoweit anzustellenden Überlegungen lassen sich in weiten Teilen – aber mit mehr Gestaltungsspielraum – auf nachvertragliche Geheimhaltungspflichten im Bereich von Geschäftsbeziehungen – etwa zwischen einem Unternehmen und dessen Kunden beziehungsweisen dessen Lieferanten – übertragen.978 Mithin wird deutlich, dass der zivilrechtliche und strafrechtliche Geschäftsgeheimnisschutz auf Grund der gewählten Regelungstechnik gezwungenermaßen einen Gleichlauf aufweisen. Der zivilrechtliche Geschäftsgeheimnisschutz indes erweist sich als flexibleres und dadurch auch schlüssigeres Regelungsgebilde. Dies lässt sich nicht zuletzt durch die primär zivilprozessualen Regelungen in den §§ 16 ff. GeschGehG untermauern. Dagegen bestehen auf den ersten Blick keine 974 BT-Drs. 19/4724, S. 27; vertiefend nur Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 4 GeschGehG Rn. 26 ff. 975 Ohly, GRUR 2019, 441, 446. 976 Zustimmend in Bezug auf Abhörmaßnahmen Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 4 Rn. 35. 977 BGH, Urt. v. 21. 12. 1962 – I ZR 47/61, GRUR 1963, 367, 369 – Industrieböden; BAGE 3, 139; 41, 21; 57, 159; aktuell zu nachvertraglichen Geheimhaltungsvereinbarungen LAG Köln, Urt. v. 02. 12. 2019 – 2 SaGa 20/19, Rn. 16 ff.; Richters/Wodtke, NZA-RR 2003, 281, 283 ff.; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 585; Ohly, GRUR 2019, 441, 446; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 4 GeschGehG Rn. 52 ff.; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 4 Rn. 62 m. w. N.; Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 4 Rn. 36 ff. 978 Dazu nur Steinmann/Schubmehl, CCZ 2017, 194, 196 f.
Kap. 6: Materiell-rechtliche Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes
203
Bedenken. Allerdings ergeben sich durch das Anknüpfen an die zivilrechtlichen Handlungsverbote in § 4 GeschGehG Probleme, die darauf zurückzuführen sind, dass wegen Art. 103 Abs. 2 GG richtigerweise nicht auch auf die Generalklauseln zurückgegriffen wurde. Die Wortlautgrenze bewirkt in der Folge einen Ausschluss bestimmter, zuvor für strafwürdig erachteter Konstellationen, ohne dass eine hinreichende Entkriminalisierungsabsicht des Gesetzgebers deutlich wird. Vielmehr ist an verschiedenen Stellen zu vernehmen, dass der Gesetzgeber vom unveränderten Gleichlauf der Strafbestimmungen ausgegangen ist. Die bezweckte Zivilrechtsakzessorietät wurde dadurch aber ebenfalls nicht erreicht. Die ultima-ratio-Funktion des Strafrechts bildet vor diesem Hintergrund nur einen schwachen Trost. Kapitel 6
Materiell-rechtliche Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes im GeschGehG Nachdem die potentielle Reichweite des strafrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes durch § 23 GeschGehG aufgezeigt wurde, ist es nun an der Zeit, dessen materiell-rechtlichen Grenzen aufzuzeigen. Dabei ist zuvörderst einmal auf die Erlaubnissätze aus § 3 GeschGehG einzugehen, um sich im Anschluss mit dem vielfach diskutierten § 5 GeschGehG auseinanderzusetzen und diese Ausführungen letztlich mit § 23 Abs. 6 GeschGehG sowie § 9 GeschGehG abzurunden.
A. Erlaubte Formen des Handelns nach § 3 GeschGehG I. Reverse Engineering als strafrechtlich relevante Handlungsform Dem Anfang der nachfolgenden Untersuchung soll erneut das Reverse Engineering als strafrechtlich relevante Handlungsform gewidmet sein. Wie erwähnt handelt es sich um den technischen Vorgang des Rückbaus einer Sache, um ihre Bauweise zu verstehen, diese nachzuahmen oder darauf aufbauend neue Entwicklungen vorzunehmen. Mithin kann zusammenfassend von einer Analyse zur Entschlüsselung des Untersuchungsobjekts gesprochen werden. Wie ebenfalls bereits aufgezeigt wurde, ist es denkbar, dass solche Vorgänge unter das Handlungsverbot des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG subsumiert werden können. Folglich kann also eine strafbare Betriebsspionage nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG vorliegen. In einem nächsten Schritt ist aber zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber das Reverse Engineering durch Umsetzung des Art. 3 Abs. 1 lit. c Geschäftsgeheimnis-RL unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG legalisiert hat.
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
1. Reverse Engineering im Spannungsverhältnis zwischen § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG und § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG Das Gesetz liefert zwei Anhaltspunkte, um das Verhältnis dieser Vorschriften zueinander zu bestimmen. Durch die Verwendung des Wortes insbesondere in § 3 Abs. 1 GeschGehG wird deutlich, dass es sich im nachfolgenden um eine nicht abschließende Aufzählung handelt. Wirkliche Klarheit bringt allerdings die Gesamtschau mit § 4 Abs. 1 GeschGehG.979 Die Generalklausel in § 4 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG stellt nämlich klar, dass nicht jedes Erlangen gegen das Verbot des § 4 Abs. 1 GeschGehG verstößt. Vor diesem Hintergrund stellt § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG lediglich eine Konkretisierung verbotener Verhaltensweisen dar und liefert zugleich einen Anknüpfungspunkt zur Auslegung der Generalklausel. Folglich handelt es sich § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG nur um ein vom Gesetzgeber festgelegtes Beispiel für eine Verhaltensweise, welche nicht unter das Verbot des § 4 Abs. 1 GeschGehG subsumiert werden kann. Damit handelt eine Person jedenfalls bei Eingreifen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG nicht unbefugt im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG, weil dies der naheliegende – ein Einfallstor für Wertungen liefernde – Anknüpfungspunkt im Wortlaut der Norm ist. 2. Erlaubte Formen des Reverse Engineering nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG Der Gesetzgeber umschreibt das Reverse Engineering in § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG als „ein Beobachten, Untersuchen, Rückbauen oder Testen eines Produkts oder Gegenstands“. Dabei finden sich in der Gesetzesbegründung keine näheren Hinweise darauf, wie diese Begriffe wiederum zu verstehen sind. Sofern man § 2 Nr. 4 GeschGehG zur Auslegung heranzieht, sind sowohl Waren als auch Dienstleistungen umfasst. Sie werden abgerundet durch den Begriff Gegenstand, der es auch zulässt, einzelne Komponenten zu berücksichtigen. Mithin sind körperliche und unkörperliche Objekte erfasst.980 Zusätzlich wird im Schrifttum eine weite Auslegung der möglichen Tathandlungen gefordert, sodass letztlich jede auf Informationsgewinnung gerichtete Tätigkeit unabhängig von ihrer Einwirkung auf eine etwaige Sachsubstanz erfasst sein soll.981 Es wird weiter auf die zu § 69d Abs. 3 UrhG entwickelten Grundsätze verwiesen. Dies verdient insoweit Beifall, als diese Vorschrift ebenfalls auf die Begriffe Beobachten, Testen und Untersuchen zurückgreift. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte bietet es sich daher an – wie von Spieker vorgeschlagen – sich an 979
Siehe dazu auch BT-Drs. 19/4724, S. 26. So auch Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 3 GeschGehG Rn. 29; Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 3 Rn. 21. 981 Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 3 GeschGehG Rn. 30; Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 3 Rn. 22; Strobel, Reverse Engineering, S. 46 ff. 980
Kap. 6: Materiell-rechtliche Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes
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dieser Norm zu orientieren, sofern es sich nicht um spezifisch auf Computerprogramme zugeschnittene Aspekte handelt.982 Unter Beobachten könnte man also die rein passive Wahrnehmung des Bezugsobjekts verstehen.983 Das Testen im Sinne des § 69d Abs. 3 UrhG knüpft an der Verwendung von Testdaten zur Ergründung der Funktionsweise eines Programms an.984 Das Untersuchen stellt die umfassendste Handlungsvariante dar und liegt vor, wenn Methoden des Beobachtens und Testens angewendet sowie darüber hinaus weitere Analyseprogramme hinzugezogen werden.985 Konsequent ist es daher auch, dass das Rückbauen bei dieser Norm keine Verwendung gefunden hat. Ein zwingender Gleichlauf der Vorschriften ist vor dem Hintergrund der Umsetzung der Geschäftsgeheimnis-RL nicht notwendig. Insgesamt gilt es zudem zu berücksichtigen, dass der Erlaubnissatz aus § 3 Abs. 1 Nr. 2 b GeschGehG rechtmäßigen Besitz des Handelnden voraussetzt.986 Anderer Auffassung ist Wiese im Hinblick auf die Richtlinie. Es sei abweichend von der deutschen Sprachfassung nicht die Rechtmäßigkeit des Besitzes, sondern vielmehr dessen Erwerb maßgeblich. Dies ergebe sich aus Erwägungsgrund [16], wonach es auf den Erwerb des Produkts ankommen müsse.987 Weiterhin dürfe keine rechtsgültige Pflicht zur Beschränkung des Erwerbs bestehen.988 Letztgenannter Einwand kann jedoch angesichts der Wortlautgrenze und der deutschen Fassung nicht überzeugen. Bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG ist zudem zwischen Produkten oder Gegenständen zu differenzieren, die öffentlich verfügbar gemacht wurden (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. a GeschGehG) sowie solchen, die sich im rechtmäßigen Besitz des Handelnden befinden und zugleich keine Pflicht zur Beschränkung der Erlangung besteht (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. b Gesch-
982 Spieker, in: BeckOK GeschGehG, § 3 Rn. 12; ähnlich nun auch Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 3 Rn. 50. 983 Spieker, in: BeckOK GeschGehG, § 3 Rn. 12; Grützmacher, in: Wandtke/Bullinger, § 69d UrhG Rn. 76; ähnlich Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 3 Rn. 53. 984 Spieker, in: BeckOK GeschGehG, § 3 Rn. 12; Grützmacher, in: Wandtke/Bullinger, § 69d UrhG Rn. 76. 985 EuGH, Urt. v. 02. 05. 2012, Rs. C-406/10, ECLI:EU:C:2012:259 Rn. 59 – SAS Institute; BGH, Urt. v. 06. 10. 2016 – I ZR 25/15, GRUR 2017, 266 Rn. 57 – World of Warcraft I; Spieker, in: BeckOK GeschGehG, § 3 Rn. 12; Grützmacher, in: Wandtke/Bullinger, § 69d UrhG Rn. 76; Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 3 Rn. 53. 986 Siehe zum rechtmäßigen Besitz McGuire, in: Büscher, UWG, § 3 GeschGehG Rn. 20, 27. 987 Wiese, EU-Richtlinie, S. 123. 988 Der Gesetzgeber hat sich im Rahmen des GeschGehG dazu entschieden auf neue Vorschriften zum Verbot vertraglicher Regelungen zur Beschränkung des Reverse Engineerings wie etwa § 69g Abs. 2 UhrG zu verzichten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine etwaige vertragliche Vereinbarung im Einzelfall nicht etwa an § 307 BGB scheitern kann, krit. zur Möglichkeit eines vertraglichen Verbots Wiese, EU-Richtlinie, S. 130 f. und Strobel, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 3 Rn. 57 ff.
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GehG).989 Diese Alternativen stehen in einem Exklusivitätsverhältnis990, weil die Verwirklichung der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. a GeschGehG dazu führt, dass kein Raum mehr für die strengeren Anforderungen der zweiten Alternative besteht. Zumindest wird es nach dem „Öffentlich-Verfügbar-Machen“ kaum noch praktische Möglichkeiten geben, die strengeren Standards mithilfe vertraglicher Regelungen zu etablieren.991 Dabei geht die herrschende Literatur im Einklang mit der Gesetzesbegründung zutreffend davon aus, ein Produkt sei dann öffentlich verfügbar gemacht, wenn es am Markt erhältlich ist.992 Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn ein Produkt öffentlich angeboten und verkauft wird.993 Teilweise wird an dieser Stelle auch auf den Maßstab des § 19a UrhG verwiesen.994 Demnach sei dann vom „Öffentlichen-VerfügbarMachen“ die Rede, sobald Dritten der Zugang zum Bezugsobjekt dergestalt eröffnet wird, dass sie Zugriff darauf nehmen können.995 Schwieriger zu beantworten ist diese Frage jedoch in Grenzfällen, etwa in Konstellationen in denen keine allgemeine Verfügbarkeit am Markt besteht, aber gleichzeitig nicht mehr bloß ein individuelles Angebot vorliegt, das § 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. b GeschGehG zuzuordnen ist. In solchen Fällen sprechen teleologische Erwägungen dafür eine konkrete Betrachtung der Marktverhältnisse vorzunehmen und zu untersuchen, ob eine (Nischen-)Sparte am Markt maßgeblich ist oder ein Massenprodukt in Rede steht.996 Diese Ergebnisse stehen auch im Einklang mit Art. 3 Abs. 1 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL. In diesem Zusammenhang wird vertreten, dass ein Produkt dann als öffentlich verfügbar gemacht gelten soll, wenn es einem nicht näher umgrenzten Personenkreis angeboten wird.997 Darüber hinaus sei es erforderlich, dass das Produkt oder der Gegenstand vom Inhaber des Geschäftsgeheimnisses oder zumindest
989
McGuire, in: Büscher, UWG, § 3 GeschGehG Rn. 26 f. In diesem Sinne BT-Drs. 19/4724, S. 26; i. E. zustimmend Ohly, in: Harte-Bavendamm/ Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 3 Rn. 25. 991 Dumont, BB 2018, 2441, 2444; Apel/Walling, DB 2019, 891, 896; ähnlich Strobel, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 3 Rn. 60. 992 BT-Drs. 19/4724, S. 26; McGuire, in: Büscher, UWG, § 3 GeschGehG Rn. 25; Leister, GRUR-Prax 2019, 175, 176; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 3 GeschGehG Rn. 32; Strobel, Reverse Engineering, S. 49; krit. Brammsen, in: Brammsen/ Apel, GeschGehG, § 3 Rn. 59 ff. 993 Leister, GRUR-Prax 2019, 175, 176; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 3 GeschGehG Rn. 32. 994 Spieker, in: BeckOK GeschGehG, § 3 Rn. 13 f.; Strobel, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 3 Rn. 52. 995 BGHZ 185, 291 Rn. 19 f.; Spieker, in: BeckOK GeschGehG, § 3 Rn. 13 f.; Bullinger, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, § 19a Rn. 10. 996 Leister, GRUR-Prax 2019, 175, 176; Strobel, Reverse Engineering, S. 49. 997 Wiese, EU-Richtlinie, S. 122; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, Vor § 17 – 19 UWG Rn. 18 hingegen misst Art. 3 Geschäftsgeheimnis-RL Fiktionscharakter zu und hält diesen daher auf Ebene des Strafrechts für verfehlt. 990
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mit dessen Zustimmung in den Verkehr gebracht wurde.998 Dies wird von Wiese zustimmungsfähig dadurch begründet, dass nur bei einem willentlichen Inverkehrbringen vom Geheimnisinhaber ausreichende Sicherungsmaßnahmen zum Erhalt des Geheimnisses getroffen werden können. Daher wird gefordert, die Anforderungen beispielsweise auch mit denen der Art. 29 EPGÜ, § 9 PatG, Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2009/24/EG vom 23. 04. 2009 über den Schutz von Computerprogrammen (ABl. L 111/16) beziehungsweise deren Umsetzung in § 69d Abs. 3 UrhG gleichlaufend auszugestalten.999 Der Geheimnisinhaber gibt dabei nämlich die Herrschaftsmacht auf, sodass auf Grund des mangelnden faktischen Zugriffs die Entschlüsselung nicht mehr einem Eindringen in die Geheimnissphäre gleichgestellt werden könne.1000 In dieser Konstellation ergeben sich aus dem Gesetz keine weiteren Einschränkungen, sodass man im Einklang mit den zuvor gefundenen Wertungen des GeschGehG zum Schluss gelangen muss, dass in Zukunft eine breite Akzeptanz des Reverse Engineering bestehen wird und die Strafbarkeit wegen dieses Vorgehens – wie bereits vor der Neuschaffung überwiegend gefordert – kaum mehr denkbar sein wird. Lediglich die zweite Alternative bietet in Zukunft noch Raum für eine erwähnenswertere strafrechtliche Relevanz. Diesbezüglich wird in der Literatur für ausreichend erachtet, eine entsprechende Beschränkung aus dem Zweck einer vertraglichen Vereinbarung herzuleiten, so zum Beispiel als vertragliche Nebenpflicht im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB.1001 Explizite Vereinbarungen hingegen werden als obsolet eingestuft. Gerade im Hinblick auf strafrechtliche Vorsatzerfordernisse erscheint dies nicht uneingeschränkt überzeugend. Ein Täter könnte sich stets darauf berufen, dass er nicht davon ausgegangen sei, einem vertraglichen Verbot des Reverse Engineering unterworfen zu sein. Dies könnte die Praxis vor große Herausforderungen stellen. Daher wäre es zur Schaffung von Rechtssicherheit vorzugswürdig einen ausdrücklichen Ausschluss zu fordern.1002 Vor dem zivilrechtlichen Hintergrund des Gesetzes wird man sich aber mit einem Rest an Unsicherheit begnügen müssen. Andernfalls könnte man (hilfsweise) ein strafrechtsautonomes Ergebnis herbeiführen, weil so zivilrechtliche, nicht aber strafrechtliche Sanktionen
998 Wiese, EU-Richtlinie, S. 122; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 3 GeschGehG Rn. 33; Witz, in: FS Harte-Bavendamm, S. 441, 445. 999 Wiese, EU-Richtlinie, S. 122; erneut Spieker, in: BeckOK GeschGehG, § 3 Rn. 12. 1000 Wiese, EU-Richtlinie, S. 122; zur Erforderlichkeit des Eingriffs in eine fremde Geheimnissphäre Kochmann, Reverse Engineering, S. 138 ff. 1001 Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 3 GeschGehG Rn. 37. 1002 Zu den vertraglichen Ausschlussmöglichkeiten siehe Ziegelmayer, CR 2018, 693, 697; McGuire, in: Büscher, UWG, § 3 GeschGehG Rn. 26, 32; dies., WRP 2019, 679, 684; Thiel, WRP 2019, 700, 701 f.; Ohly, GRUR 2019, 441, 447; Apel/Walling, DB 2019, 891, 896; Leister, GRUR-Prax 2019, 175, 176; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 3 GeschGehG Rn. 38; Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 3 Rn. 82.
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weiterhin denkbar sind. Dies würde aber zu Lasten der Kohärenz gehen und ist daher wohl als größeres Übel abzulehnen. 3. Beschränkung auf innovations- und wettbewerbsförderndes Reverse Engineering Bereits bezüglich der Geschäftsgeheimnis-RL und nun auch bezogen auf das GeschGehG wird die Frage zu beantworten sein, ob tatsächlich jede Form des Reverse Engineering erlaubt ist oder aus systematischen sowie teleologischen Gründen zumindest die Nutzung der daraus gewonnenen Erkenntnisse eingeschränkt zu bleiben hat. Nach Wieses Auffassung etwa fallen bloße Imitationen nicht unter den Begriff des erlaubten Reverse Engineerings, weil ihnen keine wettbewerbs- oder innovationsfördernde Bedeutung beigemessen werden kann.1003 Dies soll sich nicht erst aus einer Abwägung von Innovations- und Imitationswettbewerb ergeben, sondern durch einen Ausschluss aus dem Bereich der nach Art. 3 Abs. 1 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL erlaubten Handlungen.1004 Dies lässt sich laut Wiese im Wege eines Vergleichs mit § 6 Abs. 2 Nr. 3 HalbleiterschutzG begründen, zumal dieser Reverse Engineering unter Umständen gestattet, während die Imitation nach § 6 Abs. 1 HalbleiterschutzG untersagt bleibt.1005 Darüber hinaus werden Art. 6 der Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 04. 2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen sowie die Richtlinie 87/54/EWG des Rates vom 16. 12. 1986 über den Rechtsschutz der Topographien von Halbleitererzeugnissen ins Spiel gebracht, woraus sich entnehmen lässt, dass auf Ebene des Unionsrechts ebenfalls gezielt zwischen dem Reverse Engineering zu bestimmten – etwa innovationsfördernden – Zwecken und der Herstellung von Nachahmerprodukten differenziert wird.1006 Die mangelnden Anhaltspunkte im Gesetzeswortlaut und die angestrebte Vollharmonisierung (Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL) sprechen aber dafür, eine teleologische Auslegung dahingehend nur innovationsförderndes Reverse Engineering zu erfassen, abzulehnen.1007 Eine abweichende Ausgestaltung ist dadurch im nationalen Recht ausgeschlossen, wurde aber ohnehin nicht vorgenommen. 1003
Wiese, EU-Richtlinie, S. 128 f. mit Verweis auf Fezer, GRUR 2010, 953, 955. Wiese, EU-Richtlinie, S. 129; a. A. Kalbfus/Harte-Bavendamm, GRUR 2014, 453, 455; zum Verhältnis von Innovation und Imitation Fezer, GRUR 2010, 953, 955 f. 1005 Wiese, EU-Richtlinie, S. 129; Diese Vorschriften sind jedoch in der Literatur scharfer Kritik ausgesetzt und werden im Hinblick auf die Gesamtrechtsordnung oft als wenig geglückt eingestuft, vgl. etwa Harte-Bavendamm, GRUR 1990, 657, 658 und Kochmann, Reverse Engineering, S. 134. 1006 Harte-Bavendamm, in: FS Köhler, S. 235, 247; vgl. auch Knaak/Kur/Hilty, IIC 45 (2014), 953, 961. 1007 Im Ergebnis zustimmend Wiese, EU-Richtlinie, S. 129; a. A. Knaak/Kur/Hilty, IIC 45 (2014), 953, 961. 1004
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Da Art. 3 Abs. 1 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL objektiv ausgestaltet ist und dies auch für § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG gilt, stellt dies ein weiteres Argument dar, um eine teleologische Reduktion abzulehnen.1008 Der Verweis auf die Vorschriften aus dem HalbleiterschutzG kann ebenfalls nicht überzeugen, weil diese bereits für sich betrachtet scharfer Kritik ausgesetzt sind und nicht zuletzt deshalb ungeeignet sind, daraus Schlüsse für andere Fälle zu ziehen. Zudem geht das überwiegende Schrifttum im Einklang mit Erwägungsgrund [39] der Geschäftsgeheimnis-RL im Verhältnis zu Vorschriften wie § 69d UrhG davon aus, dass es sich dabei um lex specialis im Verhältnis § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG handelt.1009 Folglich bedarf es also einer Differenzierung im Schnittmengenbereich verschiedener Gesetze, wobei dann das GeschGehG nicht von Relevanz sein kann, sondern lediglich andere Schutzmechanismen eingreifen können. Für das GeschGehG als solches erscheinen entsprechende Einschränkungen aber nicht überzeugend. 4. Nutzung oder Offenlegung bei vorangegangenem Reverse Engineering Zur Klärung, ob jegliche Form des Reverse Engineerings erlaubt sein sollte oder nur innovationsfördernde Formen, stellt sich daran anknüpfend die Frage, ob nicht zumindest die Nutzung oder Offenlegung von durch Reverse Engineering erlangten Geschäftsgeheimnissen sanktioniert werden muss. Im Bereich des Strafrechts lässt sich diese Frage schnell beantworten. Nur wenn bloß innovationsförderndes Reverse Engineering ein erlaubtes Handeln darstellt bleibt Raum für eine Strafbarkeit. Andernfalls fehlt es an der Erlangung unter Verstoß gegen das Handlungsverbot aus § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG. Dafür spricht zudem die Natur des Geheimnisschutzes. Anders als das Patent- oder Urheberrecht gewährt der Geheimnisschutz nämlich nur einen Zugangsschutz, begründet indes keine Ausschließlichkeitsrechte, sodass es vor diesem Hintergrund unvertretbar erscheint, die Nutzung oder Offenlegung eines durch Reverse Engineering erlangten Geheimnisses zu beschränken.1010 Auf Ebene des Zivilrechts ist es nichtsdestotrotz denkbar, dass hinsichtlich des durch den Rückbau eines im Rahmen einer Entwicklungskooperation weitergegebenen Prototyps, dessen Rückbau nicht ausgeschlossen wurde, erlaubterweise erlangte Geheimnisse zumindest in Hinblick auf deren Nutzung oder Offenlegung unter eine Geheimhaltungsvereinbarung fallen können.1011 Weiter erscheint es
1008
S. 130. 1009
Im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL vgl. Wiese, EU-Richtlinie,
Lejeune, CR 2016, 330, 333; Ernst, MDR 2019, 897, 899; zur Auslegung Triebe, WRP 2018, 795, 797 ff. 1010 Zustimmend in Bezug auf die Richtlinie Kalbfus/Harte-Bavendamm, GRUR 2014, 453, 455; so auch Strobel, Reverse Engineering, S. 44. 1011 Leister, GRUR-Prax 2019, 175, 177.
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möglich in diesem Fall die Werkzeuge des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes aus dem UWG heranzuziehen.1012 5. Fazit – Wandel der strafrechtlichen Bewertung des Reverse Engineering Wie aufgezeigt wird für die Strafbarkeit des Reverse Engineering als Betriebsspionage im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG kaum mehr Raum verbleiben, während dies für die überkommene Rechtslage noch nicht in dieser Deutlichkeit galt.1013 Im Hinblick auf andere Delikte, wie etwa § 202a StGB1014, wird noch zu klären sein, ob und gegebenenfalls inwieweit die Vorschriften des GeschGehG die Strafbarkeit des Reverse Engineering abseits des GeschGehG modifizieren können.
II. Erlaubte Handlungen nach § 3 Abs. 2 GeschGehG Neben der Ausnahmeregelung zu Gunsten des Reverse Engineering in § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG wird durch § 3 Abs. 2 GeschGehG auch anderen spezielleren Vorschriften im nationalen Recht der Vorrang eingeräumt.1015 Diese Vorschrift erlaubt nicht nur die Erlangung von Geschäftsgeheimnissen – wie etwa § 3 Abs. 1 GeschGehG – sondern deckt alle Formen der im GeschGehG vorgesehenen Handlungsweisen, also Erlangung, Nutzung und Offenlegung ab. Von den erfassten Erlaubnisformen ist sowohl nationales Recht als auch unmittelbar anwendbares Unionsrecht umfasst.1016 Vor dem europarechtlichen, vollharmonisierenden Hintergrund des Art. 3 Abs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL wird in der Literatur berechtigterweise eine restriktive Handhabung des § 3 Abs. 2 GeschGehG gefordert, welche eine genaue Untersuchung der einzelnen Vorschriften erforderlich macht.1017 Dabei wird differenziert zwischen unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Unionsrechts, Normen, die umzusetzendes Unionsrecht ordnungsgemäß umsetzen, und nicht unionsrechtlich determinierten Vorschriften des nationalen Rechts. Betreffend der beiden erstgenannten Gruppen wird im Schrifttum kurz festgestellt, dass solche Normen ohne Weiteres erfasst sind.1018 Bei letztgenannter Gruppe hin1012 Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 3 Rn. 33 ff. und vertiefend im Hinblick auf die überkommene Rechtslage Fischer, GRUR 2015, 1160, 1162 ff. m. w. N. 1013 Vgl. dazu statt vieler etwa Kochmann, Reverse Engineering, S. 117 ff., 142 f. 1014 Zur Strafbarkeit des Software Reverse Engineering nach § 202a StGB etwa Kochmann, Reverse Engineering, S. 145 ff. 1015 BT-Drs. 19/4724, S. 26. 1016 BT-Drs. 19/4724, S. 26. 1017 McGuire, in: Büscher, UWG, § 3 GeschGehG Rn. 39 f.; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 3 Rn. 32 ff.; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 3 GeschGehG Rn. 64. 1018 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 3 Rn. 33 f.
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gegen sei trotz des anders anmutenden Wortlauts der Vorschrift zu hinterfragen, ob die in Rede stehende Regelung mit der Geschäftsgeheimnis-RL in Einklang gebracht werden kann.1019 Gerade diesbezüglich wird der Prüfungsaufwand allerdings in aller Regel gering ausfallen, weil es dem nationalen Gesetzgeber bereits ohnehin untersagt ist, den angestrebten Harmonisierungsgrad durch gegenläufige nationale Regelungen zu unterlaufen. Als Beispiele werden gesetzlich vorgesehene Auskunftsansprüchen, beispielsweise aus §§ 809, 810 BGB und § 140c PatG oder die Mitteilung an einen Rechtsbeistand genannt.1020 Zusätzlich werden etwaige das Whistleblowing betreffende Vorschriften wie § 48 GwG, § 23 WpHG, § 4d Abs. 6 FinDAG und § 17 ArbSchG aufgeführt.1021 Von praktischer Bedeutung können auch Zeugenpflichten sein.1022 Im Bereich des investigativen Journalismus wird von Alexander zum Beispiel § 9a RStV ins Spiel gebracht.1023 Zweifel hingegen bleiben bei den Vorschriften der Insolvenzordnung.1024 Daneben bietet diese Norm nunmehr einen Anknüpfungspunkt für die Einwilligung in ein an sich tatbestandsmäßiges Verhalten.1025 Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass es sich um eine rechtsgeschäftlich wirksame Einwilligung handeln muss. Ansonsten lässt sie sich nicht unter § 3 Abs. 2 GeschGehG subsumieren.1026 Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Möglichkeit auf Ebene des Strafrechts wirksam in die Erlangung eines Geschäftsgeheimnisses einzuwilligen, dadurch in Zukunft eingeschränkt wird.
1019
Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 3 Rn. 35; Ohly, GRUR 2019, 441, 448; Alexander, AfP 2019, 1, 9. 1020 McGuire, in: Büscher, UWG, § 3 GeschGehG Rn. 38. 1021 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 3 Rn. 36. 1022 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 3 Rn. 38; Harte-Bavendamm, in: HarteBavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 23 Rn. 35 f. 1023 Alexander, AfP 2019, 1, 9. 1024 Schuster/Tobuschat, GRUR-Prax 2019, 248, 249. 1025 Ähnlich nun auch Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 3 Rn. 109; zu verschiedenen Einwilligungsmöglichkeiten und ihrer zivilrechtlichen Ausgestaltung siehe McGuire, in: Büscher, UWG, § 3 GeschGehG Rn. 41 f.; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 164: daneben gilt es festzuhalten, dass ein etwaiges Einverständnis zur Kenntnisnahme bereits auf Ebene des Vorhandenseins eines tauglichen Tatobjekts zu berücksichtigen ist, vgl. dazu etwa Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 56 im Hinblick auf die überkommene Rechtslage. 1026 Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 3 Rn. 109.
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III. Weitere Erlaubnissätze des § 3 GeschGehG 1. Erlaubte Handlungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG Neben den aufgezeigten Bereichen enthält diese Norm weitere Erlaubnissätze. Für den Gang dieser Untersuchung sind diese jedoch nur von untergeordneter Relevanz. Dazu zählt § 3 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG, weil sich von dieser Norm für erlaubt erklärte Verhaltensweisen bereits nicht unter das Verbot des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG subsumieren lassen. In den von der Verbotsnorm genannten Fällen wird nämlich nicht von einer eigenständigen Entdeckung oder Schöpfung ausgegangen werden können.1027 2. Erlaubte Handlungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG Da für den strafrechtlichen Geheimnisschutz nur das Erlangen eines Geschäftsgeheimnisses nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG von Relevanz ist, kommt diesem Erlaubnissatz für den Gang dieser Untersuchung kaum Bedeutung zu. Die in § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG aufgezählten Formen des Erlangens lassen sich nämlich nicht als ein „Ausüben von Informations- und Anhörungsrechten der Arbeitnehmer oder Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertretung“ qualifizieren.1028
B. Tatbestandsausnahmen nach § 5 GeschGehG I. Einleitung Neben den bereits dargestellten Erlaubnissätzen aus § 3 GeschGehG gilt es nun die Tatbestandsausnahmen nach § 5 GeschGehG, welche während des Gesetzgebungsvorgangs zunächst als Rechtfertigungsgründe geplant wurden1029, zu durchleuchten. Diese Vorschrift war bereits vielfach Gegenstand der Diskussion im 1027 Vertiefend etwa Spieker, in: BeckOK GeschGehG, § 3 Rn. 3 – 7; Alexander, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 3 GeschGehG Rn. 15 – 21; Münker, in: Hoeren/ Münker, GeschGehG, § 3 Rn. 18 – 23; Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 3 Rn. 33 – 42. 1028 Vertiefend etwa Fuhlrott, in: BeckOK GeschGehG, § 3 Rn. 18 – 27; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 158; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 3 GeschGehG Rn. 41 – 49; krit. bereits Karthaus, NZA 2018, 1180, 1181; Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 3 Rn. 37. 1029 Siehe erneut Kapitel 2 B. II.; in Rechtsprechung und Schrifttum wird § 5 GeschGehG teilweise auch nach den finalen Anpassungen, trotz des eindeutigen Wortlauts – ohne nachvollziehbare Begründung –, als Rechtfertigungsgrund eingestuft, vgl. etwa OLG Schleswig, Urt. v. 28. 04. 2022 – 6 U 39/21, GRUR-RS 2022, 9007 Rn. 102 – Teil-Kostenrechnung; Werner, WRP 2019, 1428, 1429; (wohl auch) Brost/Wolsing, ZUM 2019, 898, 900; Ullrich, WiJ 2019, 52, 55; Schweizer, Internes Whistleblowing, S. 56 f.
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Schrifttum und hat trotz der kurzen Zeit seit Inkrafttreten des GeschGehG schon die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung beschäftigt.1030 Nichtsdestotrotz ist es noch nicht gelungen, die auftretenden Fragestellungen zufriedenstellend zu erörtern. Regelmäßig werden nur Teilaspekte angesprochen, ohne ein Gesamtkonzept zur Handhabung der Norm aufzuzeigen. Daher soll dies im nachfolgenden unter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung und dem Schrifttum in Angriff genommen werden. Einleitend gilt es, die Funktion des § 5 GeschGehG im Gefüge der §§ 3, 4 GeschGehG darzustellen. Dabei lassen Apel/Walling die Frage nach dem Verhältnis der Vorschriften als aus ihrer Sicht unbedeutend offen. Sofern eine dogmatische Entscheidung von Nöten wäre, plädieren sie aber dafür § 5 GeschGehG als Unterfall des § 3 GeschGehG einzuordnen, auch wenn die Stellung im Gesetz eigentlich dagegenspricht.1031 Gerade letztgenannter Einwand ist durchaus ernst zu nehmen. Daher bietet es sich an, sich mit Alexander auseinanderzusetzen, der den zentralen Unterschied zwischen den nach § 3 GeschGehG erlaubten Handlungen und den Tatbestandsausnahmen des § 5 GeschGehG darin begründet sieht, dass es sich bei ersteren um pauschale Erlaubnissätze handele, während letztere eine Interessenabwägung erfordern sollen.1032 Ähnlich charakterisiert Reinfeld das Verhältnis der Vorschriften zueinander und merkt an, dass § 5 GeschGehG eben zuvorderst einen hypothetischen Verstoß gegen § 4 GeschGehG voraussetzt.1033 Dieses Verständnis scheint der Tatbestandsausnahme, wie im nachfolgenden noch aufgezeigt wird, am ehesten gerecht zu werden. Mithin wird – ohne mit der eigentlichen Auslegung der Norm zu beginnen – schon jetzt deutlich, dass die Frage nach einer irgendwie gearteten Interessenabwägung einen zentralen Aspekt der nachfolgenden Untersuchung darstellen muss. Doch auch die innertatbestandliche Struktur wirft Fragen auf. Die Formulierung insbesondere zeigt den nicht abschließenden Charakter der Aufzählung in § 5 Nr. 1 – 3 GeschGehG.1034 Genau dieser Umstand erweist sich aber nach der Überzeugung einiger Autoren als problematisch, weil das Gesetz wenig Anhaltspunkte enthält, welche anderen Konstellationen noch unter die Norm subsumiert werden können.1035 Folglich ist die gewählte Gesetzgebungstechnik Kritik ausgesetzt. Gramlich/Lütke etwa werfen die Frage auf, ob die offene Ausgestaltung den unionsrechtlichen Vorgaben der Geschäftsgeheimnis-RL gerecht wird, weil die Tat1030
OLG Oldenburg, Beschl. v. 21. 05. 2019 – 1 Ss 72/19. Apel/Walling, DB 2019, 891, 897. 1032 Alexander, WRP 2019, 673, 677; ders., in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 3 GeschGehG Rn. 8; im Hinblick auf die Geschäftsgeheimnis-RL ders., WRP 2017, 1034, 1043. 1033 Reinfeld, GeschGehG, § 3 Rn. 6. 1034 McGuire, in: Büscher, UWG, § 5 GeschGehG Rn. 11; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 10. 1035 McGuire, in: Büscher, UWG, § 5 GeschGehG Rn. 6. 1031
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bestandsausnahme dort – ihrer Auffassung nach – deutlich umgrenzter ausgestaltet sei und es gleichzeitig um eine vollharmonisierte Bestimmung geht.1036 Da der Wortlaut der Vorschrift abseits der benannten Fallgruppen („Die Erlangung, die Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses fällt nicht unter die Verbote des § 4, wenn dies zum Schutz eines berechtigten Interesses erfolgt, insbesondere […]“) – wie soeben aufgezeigt – wenig Anhaltspunkte zur Auslegung bietet, ist ein methodisch ungewöhnliches Vorgehen angezeigt. Es soll nämlich versucht werden, aufbauend auf der Untersuchung der benannten Fälle allgemeine Grundsätze zu entwickeln. Zwar können die aus den spezielleren Regelungen gezogenen Rückschlüsse nicht ohne weiteres verallgemeinert werden.1037 Letztlich handelt es sich bei den § 5 Nr. 1 – 3 GeschGehG aber nur um besondere Ausprägungsformen der Tatbestandsausnahme. Daher bietet es sich an, diese auf gemeinsame Grundstrukturen hin zu untersuchen. Das erforderliche Handeln zum Schutz etwa suggeriert das Vorliegen eines subjektiven Elements. Da sich dieser Aspekt auf die gesamte Vorschrift bezieht, wird dieses aber erst im Zusammenhang mit der Generalklausel näher beleuchtet. Neben der inhaltlichen Analyse dieser Vorschriften gilt es zugleich zu ermitteln, welcher Natur die aufgezählten Fallgruppen sind. Dabei könnten sich diese sowohl als bloße Beispiele erweisen, als auch als Konstellationen, die bereits das Ergebnis eines Abwägungsvorgangs zum Ausdruck bringen.1038 Gerade letzterem Ansatz folgt Brockhaus, der zugleich zum Ausdruck bringt, dass das Merkmal des berechtigten Interesses insoweit nur in den unbenannten Fällen des § 5 GeschGehG nennenswerte, eigene Bedeutung entfalten kann.1039 Ob sich dies als überzeugend erweist, wird nachfolgend aufgezeigt.
II. Benannte Fälle des § 5 GeschGehG 1. § 5 Nr. 1 GeschGehG Zunächst soll § 5 Nr. 1 GeschGehG untersucht werden. Vorab kann festgehalten werden, dass es im Rahmen dieser Vorschrift auf die „Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit, einschließlich der Achtung der Freiheit und Pluralität der Medien“
ankommt. Dies weist mit besonderer Klarheit auf den stark ausgeprägten Grundrechtsbezug des § 5 GeschGehG hin. § 5 Nr. 1 GeschGehG korrespondiert mit der 1036
Gramlich/Lütke, wistra 2019, 480, 482. Dennoch ist auch bei Brammsen von einer möglichen „Leitbildfunktion“ die Rede, vgl. Brammsen/Apel, GeschGehG, § 5 Rn. 41. 1038 I. d. S. etwa Buchert/Buchert, ZWH 2018, 309, 314; Reinfeld, GeschGehG, § 3 Rn. 9. 1039 Brockhaus, ZIS 2020, 102, 117; abstrakt ders., JRE 26 (2018), 429, 453. 1037
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rein programmatischen, allenfalls auslegungsleitenden Vorschrift des § 1 Abs. 3 Nr. 2 GeschGehG, wonach „die Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 202 vom 7. 6. 2016, S. 389), einschließlich der Achtung der Freiheit und der Pluralität der Medien“
unberührt bleibt. Er dient insbesondere dem Schutz von investigativem Journalismus sowie dessen Quellen.1040 Gleichzeitig wird sich im weiteren Verlauf zeigen, dass es eine enge Verzahnung der Tatbestandsausnahmen nach § 5 Nr. 1 und 2 GeschGehG gibt. a) Ermittlung der einschlägigen Grundrechtsordnung Nach diesen einleitenden Worten gilt es, die im Hinblick auf den Wortlaut des § 5 Nr. 1 GeschGehG zunächst etwas willkürlich anmutende Fragestellung nach der für die Rechtsanwendung einschlägigen Grundrechtsordnung zu beantworten. Es erscheinen nämlich sowohl die grundgesetzlich vorgesehenen Grundrechte als Maßstab denkbar, als auch jene der europäischen Grundrechte-Charta. Gerade letzteres wird nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Gesetzgebungsvorgangs und unter Zuhilfenahme der Gesetzgebungsunterlagen deutlich. Der Gesetzgeber hatte während des Gesetzgebungsprozesses sowohl bezüglich des Rechtfertigungsgrunds in § 4 Nr. 1 GeschGehG-RefE, welcher noch eine Handlung „… zur rechtmäßigen Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Abl. C 202 vom 7. 6. 2016, S. 389) …“
forderte, als auch betreffend § 5 Nr. 1 GeschGehG-RegE auf die Grundrechte-Charta der Europäischen Union hingewiesen.1041 Im Rahmen der sprachlichen Anpassung kurz vor Verabschiedung des Gesetzes wurde dieser Hinweis zwar wieder entfernt, inhaltliche Änderung sollten sich dadurch aber nach dem Willen des Gesetzgebers nicht ergeben.1042 Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh erklärt die Bestimmungen der Grundrechte-Charta für anwendbar, sofern die Mitgliedstaaten im Zuge der Durchführung des Unionsrechts handeln. Demnach muss es sich bei der Anwendung des § 5 Nr. 1 GeschGehG im Bereich des Strafrechts um den Vollzug von Unionsrecht in diesem Sinne handeln. Davon ist die Rede, wenn und soweit das Handeln des Mitgliedstaats unionsrechtlich
1040 BT-Drs. 19/4724, S. 28; zur Funktion des § 1 Abs. 3 Nr. 2 GeschGehG vgl. Alexander, AfP 2019, 1, 3 f. 1041 Siehe § 5 Nr. 2 GeschGehG-RegE und BT-Drs. 19/4724, S. 28. 1042 BT-Drs. 19/8300, S. 14.
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determiniert ist, also auf dem Unionsrecht beruht.1043 Dabei hat sich ein weites Begriffsverständnis etabliert1044, was mit dem Gleichlauf von „RechtsgrundsätzeGrundrechten“ und „Charta-Grundrechten“ begründet wird.1045 So hat der EuGH in der Rechtssache Åkerberg Fransson festgestellt, dass selbst die Sanktionierung von Steuerhinterziehung im Bereich der Mehrwertsteuer den Anforderungen des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh genügt.1046 Eine Begrenzung soll aber durch im Primärrechte verankerte Souveränitätsvorbehalte gewahrt werden.1047 Der Begriff des Unionsrechts umfasst zwar nicht die Grundrechte der Charta, aber das gesamte sonstige Primär- und Sekundärrecht sowie auf diesen basierende tertiärrechtliche Bestimmungen, also Normen des nationalen Rechts.1048 Von der Durchführung von EU-Recht ist dann die Rede, wenn tatsächlich auch Unionsrecht zur Anwendung kommt, der Sachverhalt gegenwärtig von dieser Rechtsanwendung betroffen ist und darüber hinaus ein hinreichend enger Bezug zum Unionsrecht gegeben ist.1049 Im Bereich der judikativen Durchführung stehen die Rechtsprechung von EuGH und BVerfG nicht im Einklang. Der EuGH sowie Teile des Schrifttums gehen selbst dann von einer hinreichenden unionsrechtlichen Determinierung aus, wenn den Mitgliedstaaten Spielräume in Gestalt von Ermessen
1043
EuGH, Urt. v. 07. 03. 2017, Rs. C-638/16, ECLI:EU:C:2017:173 Rn. 44 ff. – X und Y/ Belgien; statt vieler Schwerdtfeger, in: Meyer/Hölscheidt, GRCh, Art. 51 Rn. 40 ff. sowie Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 23 ff.; ders./Kment, EU-Grundrechte, § 4 Rn. 9 jeweils m. w. N. 1044 EuGH, Urt. v. 26. 02. 2013, Rs. C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 – Åkerberg Fransson; vertiefend Weiß, EuZW 2013, 287, 288 f.; Jarass/Kment, EU-Grundrechte, § 4 Rn. 9; zu diesen Begrifflichkeiten vgl. dies., EU-Grundrechte, § 2 Rn. 2 ff., 13 ff. 1045 Streinz/Michl, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 51 GRCh Rn. 7; Jarass/Kment, EUGrundrechte, § 4 Rn. 9; Schwerdtfeger, in: Meyer/Hölscheidt, GRCh, Art. 51 Rn. 42. 1046 EuGH, Urt. v. 26. 02. 2013, Rs. C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 Rn. 21 ff. – Åkerberg Fransson; EuGH, Urt. v. 08. 09. 2015, Rs. C-105/14, ECLI:EU:C:2015:555 Rn. 49 ff. – Taricco; Jarass/Kment, EU-Grundrechte, § 4 Rn. 9; Streinz/Michl, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 51 GRCh Rn. 11 ff.; So soll es bereits ausreichend sein, dass ein Vorgang in den Anwendungsbereich des Sekundärrechts oder des Art. 325 AEUV fällt. 1047 EuGH, Urt. v. 06. 03. 2014, Rs. C-203/13, ECLI:EU:C:2014:126 Rn. 26 – Siragusa; EuGH, Urt. v. 10. 07. 2014, C-198/13, ECLI:EU:C:2014:2055 Rn. 34, 36 – Julian Hernández; Ludwigs, NVwZ 2016, 1, 3 f. 1048 EuGH, Urt. v. 18. 12. 1997, Rs. C-309/96, ECLI:EU:C:1997:631 Rn. 20 ff. – Annibaldi; EuGH, Urt. v. 26. 02. 2013, Rs. C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 Rn. 22 – Åkerberg Fransson; EuGH, Urt. v. 16. 02. 2017, Rs. C-578/16, ECLI:EU:C:2017:127 Rn. 53 – C.K.; Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 20 f.; ders./Kment, EU-Grundrechte, § 4 Rn. 10; Streinz/Michl, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 51 GRCh Rn. 10 ff. 1049 EuGH, Urt. v. 08. 11. 2011, Rs. C-40/11, ECLI:EU:C:2012:691 Rn. 79 – Iida; EuGH, Urt. v. 08. 05. 2013, Rs. C-87/12, ECLI:EU:C:2013:291 Rn. 41 – Ymeraga; EuGH, Urt. v. 06. 03. 2014, Rs. C-203/13, ECLI:EU:C:2014:126 Rn. 24 ff. – Siragusa; EuGH, Urt. v. 10. 07. 2014, C-198/13, ECLI:EU:C:201:2055 Rn. 34, 36 f. – Julian Hernández; EuGH, Urt. v. 05. 04. 2016, Rs. C-404/15 und 659/15, ECLI:EU:C:2016:198 Rn. 84 – Aranyosi und Ca˘ lda˘ raru; EuGH, Urt. v. 01. 06. 2016, Rs. C-241/15, ECLI:EU:C:2016:385 Rn. 34 – Bob-Dogi.
Kap. 6: Materiell-rechtliche Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes
217
oder Beurteilungsspielräumen auf Tatbestandsebene bleiben.1050 Die Determinierung kommt in diesen Konstellationen durch die Begrenzung der verbleibenden Umsetzungsspielräume zu Stande, wobei die Unionsgrundrechte im gesamten Regelungsbereich berücksichtigen sind.1051 Die bisherige Forderung des BVerfG nach einer vollständigen Determinierung, die bei verbleibenden Spielräumen nicht gegeben sei1052, beruht letztlich auf einer unzureichenden Berücksichtigung der Grenzziehungsfunktion des Unionsrechts1053 und wird zusätzlich als wenig praktikabel eingestuft1054, sodass es vorzugswürdig erscheint der Rechtsprechungslinie des EuGH zu folgen. Ein Einschwenken auf diese Linie deutet sich nun auch in der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG an, mithin erfolgte im Beschluss Recht auf Vergessen II eine Grundrechtsprüfung am Maßstab der Unionsgrundrechte.1055 Argumentiert man konsequent mit der Zivilrechtsakzessorietät der Straftatbestände des GeschGehG so gelangt man zum Vollzug des Unionsrechts. Die zivilrechtlichen Bestimmungen des GeschGehG dienen nämlich der Umsetzung der Geschäftsgeheimnis-RL ins nationale Recht. Damit handelt es sich um Tertiärrecht, welches einen konkreten Sachverhalt regelt und auf diese Weise den hinreichenden Bezug zum Unionsrecht herstellt.1056 Im Hinblick auf die strafrechtlichen Bestimmungen bedarf es einer noch genaueren Betrachtung. Wie erwähnt wendet Brammsen – nicht ganz unberechtigt – ein, dass die Rechtsetzungskompetenz im Bereich des Strafrechts beschränkt ist und von dieser im Rahmen der Geschäftsgeheimnis-RL kein Gebrauch gemacht wurde. Wie bereits zuvor festgestellt, wäre eine diesbezügliche Gesetzgebungskompetenz aber durchaus denkbar gewesen. Im Ergebnis bleibt es also dabei, dass es sich auch bei der Anwendung des Strafrechts auf Grund seiner zivilrechtsakzessorischen Ausgestaltung, trotz fehlender unmittelbarer unionsrechtlicher Determinierung des § 23 GeschGehG, um den Vollzug von Uni-
1050 EuGH, Urt. v. 21. 12. 2011, Rs. C-411/10 und C-493/11, ECLI:EU:C:2011:865 Rn. 64 ff. – N.S. u. a.; Weiß, EuZW 2013, 287, 288 f.; Michl, Überprüfung des Unionsrechts, S. 157 ff., 162 ff. jeweils m. w. N.; Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 23; ders./Kment, EU-Grundrechte, § 4 Rn. 15. 1051 EuGH, C-2/92, Slg. 1994, I-955 Rn. 16; Michl, Überprüfung des Unionsrechts, S. 157 ff. m. w. N.; Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 23; ders./Kment, EU-Grundrechte, § 4 Rn. 15. 1052 BVerfGE 118, 79, 95 ff.; 121, 1, 15; 125, 260, 306 f.; 129, 78, 90 f.; 133, 277 Rn. 88; 140, 317 Rn. 39; BVerfG NJW 2020, 314 Rn. 38, 78 ff. – Recht auf Vergessen II deutet einen Wandel der Rechtsprechung an; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, GRCh, Art. 51 Rn. 8 ff.; Jarass/ Kment, EU-Grundrechte, § 4 Rn. 15; Schwerdtfeger, in: Meyer/Hölscheidt, GRCh, Art. 51 Rn. 43. 1053 Michl, Überprüfung des Unionsrechts, S. 160; Jarass/Kment, EU-Grundrechte, § 4 Rn. 15. 1054 Thym, NVwZ 2013, 889, 892; Schwerdtfeger, in: Meyer/Hölscheidt, GRCh, Art. 51 Rn. 43. 1055 BVerfG NJW 2020, 314 Rn. 38, 50 ff. – Recht auf Vergessen II. 1056 Bei Brost/Wolsing, ZUM 2019, 898, 901 ist hingegen von Primärrecht die Rede; zustimmend Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 5 Rn. 18.
218
Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
onsrecht handelt.1057 Nur ein zivilrechtswidriges Verhalten kann überhaupt zu einer Sanktionierung durch das Strafrecht führen. Mithin werden sich die nachfolgenden Ausführungen auf Art. 11 GRCh fokussieren, während dem Grundrecht aus Art. 5 GG nur eine untergeordnete Rolle zukommt.1058 Nicht unerwähnt bleiben sollen schließlich Brost/Wolsing, welche mit Verweis auf die Rechtssache Meloni davon ausgehen, dass die nationalen Grundrechte neben den Charta-Grundrechten zur Anwendung kommen sollen.1059 Dies führt jedoch – wegen Art. 53 GRCh – kaum zu abweichenden Ergebnissen.1060 b) Anforderungen an die tatbestandsausschließende Wirkung des § 5 Nr. 1 GeschGehG Sodann kann zur übergeordneten Fragestellung nach der Natur der benannten Konstellationen zurückgekommen werden. Der Wortlaut des § 5 Nr. 1 GeschGehG ließe es zu, bereits die Berufung auf Art. 11 GRCh für einen Tatbestandsausschluss ausreichen zu lassen. Das kann aber nicht überzeugen, weil sich auf diese Weise stark einseitig gewichtete Ergebnisse ergeben würden.1061 Auch der Gesetzesbegründung lässt sich daher entnehmen, dass auf die gesamte Grundrechte-Charta, einschließlich ihrer Schrankenbestimmungen aus Art. 52 GRCh, verwiesen wird.1062 Bei der Abwägung der in Ausgleich zu bringenden Grundrechte sind damit vor allem die Regelungen des Art. 52 Abs. 1 GRCh und des Art. 52 Abs. 3 S. 1 GRCh zu berücksichtigen.1063 Demnach muss jede Grundrechtseinschränkung gesetzlich vorgesehen sein, den Wesensgehalt der betroffenen Rechtspositionen wahren und steht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit.1064 Vor diesem Hintergrund greift die Tatbe-
1057 Dazu erneut EuGH, Urt. v. 26. 02. 2013, Rs. C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 Rn. 28 – Åkerberg Fransson. 1058 Zustimmend, aber ohne Begründung Gramlich/Lütke, wistra 2019, 480; so nun auch Beyerbach, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 5 Rn. 9, 12 – 19; dagegen stellt Brockhaus (wohl) aufgrund mangelnder Prüfung der Anwendbarkeit des Unionsrechts primär auf das Grundrecht aus Art. 5 GG ab, vgl. ZIS 2020, 102, 112. 1059 Brost/Wolsing, ZUM 2019, 898, 901; EuGH, Urt. v. 26. 02. 2013, Rs. C-399/11, ECLI: EU:C:2013:107 Rn. 60 – Meloni. 1060 Vertiefend zu Art. 53 GRCh nur Weiß, EuZW 2013, 287, 289 f. m. w. N.; zur divergierenden Grundrechtsgewährleistung auf Ebene des Unionsrechts sowie in den einzelnen Mitgliedstaaten aktuell BVerfG NJW 2020, 314 Rn. 45 f., 71 – Recht auf Vergessen II. 1061 So auch Ernst, MDR 2019, 897, 900; Brost/Wolsing, ZUM 2019, 898, 901; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 22. 1062 BT-Drs. 19/4724, S. 28. 1063 Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 21; Brost/Wolsing, ZUM 2019, 898, 901. 1064 Dazu in Bezug auf Art. 11 GRCh etwa Jarass/Kment, EU-Grundrechte, § 16 Rn. 18 ff. m. w. N.
Kap. 6: Materiell-rechtliche Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes
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standsausnahme immer dann ein, wenn ein „überwiegendes öffentliches Informationsinteresse an der Kenntnis eines bestimmten Geschäftsgeheimnisses“ besteht.1065 Schließlich können die gewonnenen Erkenntnisse vor dem Hintergrund des Art. 5 lit. a Geschäftsgeheimnis-RL überzeugen. Es wurde eine Ausnahmeregelung für investigativen Journalismus geschaffen. Mithin sind Maßnahmen im Sinne der Richtlinie ausgeschlossen, wenn der Erwerb, die Nutzung oder die Offenlegung „… zur Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit gemäß der Charta, einschließlich der Achtung der Freiheit und Pluralität der Medien …“
erfolgt. Die Richtlinie soll sicherstellen, dass die Medien Informationen auch weiterhin durch legitime Informationsrechte erwerben und veröffentlichen können. Dies umfasst spiegelbildlich das Recht der Öffentlichkeit, diese Informationen zu empfangen.1066 Auf Grund der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Rechtspositionen kommt es stets auf eine Abwägung im konkreten Einzelfall unter Beachtung der hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze an.1067 In diesem Zusammenhang bestehe auch ein umfassender Quellenschutz, der Journalisten davor schützen soll, ihre Quelle offenlegen zu müssen.1068 Die Veröffentlichung durch die Quelle selbst unterfällt allerdings in der Regel Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL. Folglich kann nicht überzeugend argumentiert werden, dass es sich bei den benannten Fällen in § 5 Nr. 1 – 3 GeschGehG um Konstellationen handelt, bei denen der Gesetzgeber ein Abwägungsergebnis vorweggenommen hat, weil andernfalls der Grundrechtsausübung im konkreten Einzelfall nicht Genüge getan wird.1069 Daher ist stets genau zu prüfen, wann ein „überwiegendes öffentliches Informationsinteresse an der Kenntnis eines bestimmten Geschäftsgeheimnisses“ besteht.1070 Diese Formel
1065
Ausführlich Brost/Wolsing, ZUM 2019, 898, 902 ff. Nur Wiese, EU-Richtlinie, S. 142 m. w. N. 1067 Etwa EGMR, Urt. v. 20. 05. 1999 – 21980/93, NJW 2000, 1015, 1018; EGMR, Urt. v. 15. 02. 2005 – 68416/01, NJW 2006, 1255, 1258 – Steel und Morris/Vereinigtes Königreich; EGMR, Urt. v. 07. 06. 2007 – 1914/02, NJW 2008, 3412, 3415 – Dupuis u. a./Frankreich; EGMR, Urt. v. 04. 06. 2009 – 21277/05, NJW 2010, 751 – Standard Verlags-GmbH/Österreich II. 1068 EGMR, Urt. v. 27. 11. 2007 – 64752/01, NJW 2008, 2563, 2564 f. – Voskuil/Niederlande; EGMR, Urt. v. 27. 11. 2007 – 20477/05, NJW 2008, 2565, 2567 – Tillak/Belgien; EGMR, Urt. v. 14. 09. 2010 – 38224/03, NJW-RR 2011, 1266, 1268 – Sanoma Uitgevers B. V./Niederlande. 1069 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 13; Beyerbach, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 5 Rn. 2, 41; unklar Alexander, AfP 2019, 1, 6 f. 1070 Ausführlich dazu Beater, ZUM 2005, 602, 603 ff.; Brost/Wolsing, ZUM 2019, 898, 902, 902 ff.; instruktiv zum Abwägungsvorgang beim externen Whistleblowing vor dem Hintergrund der EMRK der Rechtsprechung des EGMR Edwards, Whistleblowing, S. 36 ff. und erneut Redder, Whistleblowing, S. 175 ff., der auch die Rechtsprechung der nationalen Gerichte berücksichtigt, vgl. S. 177 ff. 1066
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
steht auf Grund ihrer enormen inhaltlichen Weite zwar in der Kritik1071, im Ergebnis bringt diese aber das Erfordernis einer Abwägung widerstreitender Interessen im konkreten Einzelfall zum Ausdruck. Überwiegt das Informationsinteresse, greift die Tatbestandsausnahme aus § 5 Nr. 1 GeschGehG ein. Beispielsweise wohnt Straftaten und Skandalen oftmals ein großes Informationsinteresse inne, obgleich nicht auf den Unterhaltungswert abgestellt werden darf.1072 Ähnlich wird im Bereich wirtschaftlich besonders relevanter Informationen argumentiert.1073 Bei dieser Abwägung darf allerdings nicht völlig unberücksichtigt bleiben, ob die veröffentlichten Informationen im Vorfeld selbst durch einen Rechtsverstoß beschafft wurden.1074 Mithin wird deutlich, dass in der Regel insbesondere das Recht der freien Meinungsäußerung, Art. 11 GRCh, mit der Berufsfreiheit der betroffene Unternehmen beziehungsweise Unternehmer, Art. 15, 16 GRCh sowie deren Interessen als Eigentümer, Art. 17 GRCh, abgewogen werden müssen.1075 Das Unternehmenspersönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, 12, 19 Abs. 3 GG beziehungsweise aus Art. 8 EMRK wird auch miteinzubeziehen sein1076, weil teilweise argumentiert wird, dass Geschäftsgeheimnisse einen Teilbereich dieses Aspekts darstellen.1077 Dies liefert zugleich auch einen aussichtsreichen Anknüpfungspunkt für die Behandlung der anderen Varianten.
2. § 5 Nr. 2 GeschGehG Die zweite Fallgruppe dient dem Schutz von Personen, die ein an sich geschütztes Geschäftsgeheimnis „zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens“ erlangen, nutzen oder offenlegen, „wenn 1071 Brockhaus steht der Verwendung des Begriffs des öffentlichen Interesses kritisch gegenüber und lehnt diese – jedenfalls – im Bereich des Strafrechts wegen mangelnder Bestimmtheit ab, vgl. JRE 26 (2018), 429, 447 ff. m. w. N., speziell 451 1072 Beater, ZUM 2005, 602, 607 m. w. N.; Lutterbach, Whistleblowing, S. 117; Hegemann, AfP 2019, 12, 14 ff. m. w. N.; krit. Schenkel, Whistleblowing, S. 169 ff. 1073 Beater, ZUM 2005, 602, 610 m. w. N. 1074 Fritze/Holzbach, in: FS Tilmann, S. 937, 938 ff., 946 mit Verweis auf BVerfGE 66, 116, 137; instruktiv Hegemann, AfP 2019, 12 ff.; a. A. Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 5 Rn. 25, welcher diesen Umstand mit Verweis auf BGH, Urteil vom 10. 4. 2018 – VI ZR 396/16, NJW 2018, 2877 Rn. 21 – Biohühner für unerheblich erachtet. 1075 Statt vieler Redder, Whistleblowing, S. 114 ff. 1076 BGHZ 98, 94, 97 – BMW; BGH, Urt. v. 08. 02. 1994 – VI ZR 286/93, GRUR 1994, 394, 395 – Bilanzanalyse; BGH, Urt. v. 11.03. 2008 – VI ZR 7/07, NJW 2008, 2110, 2111 ff. – GenMilch; BGH, Urt. v. 16. 12. 2014 – VI ZR 39/14, GRUR 2015, 289 Rn. 12 – Hochleistungsmagneten; OLG Ko¨ ln, Urt. v. 24. 01. 1992 – 6 U 202/91, GRUR 1992, 640 – Schtonk; OLG Stuttgart, Urt. v. 08. 07. 2015 – 4 U 182/14, BeckRS 2015, 12149; LG Köln, Urt. v. 02. 02. 2011 – 28 O 703/07 BeckRS 2011, 7410; LG Ko¨ ln, Urt. v. 21. 09. 2011 – 28 O 596/11, BeckRS 2011, 26941; LG Ko¨ ln, Urt. v. 30. 11. 2011 – 28 O 654/11, BeckRS 2011, 27225; Brost/Wolsing, ZUM 2019, 898, 902; Redder, Whistleblowing, S. 121 f.; Sprau, in: Grüneberg, § 823 BGB Rn. 91 ff. m. w. N.; krit. Koreng, GRUR 2010, 1065, 1068 ff. 1077 Brost/Wolsing, ZUM 2019, 898, 902.
Kap. 6: Materiell-rechtliche Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes
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die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung geeignet ist, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen“. Zunächst ist zu ermitteln, welche Formen des Handelns von der Norm erfasst sind. Hauck wendet ein, die Verwendung des Wortes Aufdeckung impliziere, dass nur solche Konstellationen Gegenstand des § 5 Nr. 2 GeschGehG seien, bei denen die Information aus einem Unternehmen nach außen dringe.1078 Bei internen Vorgängen hingegen kommt es nach seiner Auffassung den handelnden Personen primär auf die Beseitigung des Missstandes an, nicht jedoch auf die Verbreitung der Information. Oftmals soll es sogar an einem Interesse an der Aufdeckung nach außen hin fehlen, weil ansonsten negative Konsequenzen für das betreffende Unternehmen drohen, welche letztlich im wirtschaftlich bedingten Verlust des Arbeitsplatzes münden können. Ähnlich differenzieren Schmitt und Baranowski/Glaßl vor dem Hintergrund des Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL dahingehend, dass Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL externes Whistleblowing behandele, während Art. 5 lit. c Geschäftsgeheimnis-RL interne Vorgänge zum Gegenstand habe.1079 Diese Argumentationsmuster verdienen indes keinen Beifall. Hauck bleibt eine Erklärung schuldig, weshalb die mit schweren Konsequenzen für das betroffene Unternehmen und damit auch den größeren Interessenkonflikt begründende Vorgehensweise gegenüber dem internen Abhilfeversuch als milderem Mittel privilegiert sein soll. In diesem Fall würde letztlich die betreffende Person zum externen Handeln gezwungen werden. Zugleich stellt das finale Ziel der Offenlegung nach außen ebenfalls die Beseitigung eines Missstandes dar. Dieses Ziel wird jedoch regelmäßig durch interne Stellen schneller und zweckmäßiger zu erreichen sein. Zudem kann sprachlich auch dann von einem Aufdecken die Rede sein, wenn eine Information einer Person mitgeteilt wird, die von dieser bisher keine Kenntnisse hatte, obwohl sie im gleichen Unternehmen beschäftigt ist. Es kommt vielmehr auf die Verbreitung der Information unabhängig vom Adressatenkreis an. Mithin sprechen also die besseren Argumente dafür, zunächst jede Form des Aufdeckens unter § 5 Nr. 2 GeschGehG zu subsumieren.1080 a) Von § 5 Nr. 2 GeschGehG erfasste Formen von Fehlverhalten Neben den Modalitäten des Aufdeckens, die – wie aufgezeigt – auch bei internen Vorgängen einschlägig sein können, ist von besonderem Interesse, welche Kategorien von Fehlverhalten von der tatbestandsausschließenden Wirkung des § 5 Nr. 2 GeschGehG umfasst sind.
1078
Hauck, WRP 2018, 1032, 1036; so auch allerdings ohne Begründung Schweizer, Internes Whistleblowing, S. 57; krit. bereits Trebeck/Schulte-Wissermann, NZA 2018, 1175, 1179. 1079 Schmitt, RdA 2017, 365, 371 f.; so auch Baranowski/Glaßl, CB 2018, 271. 1080 Zustimmend Reinfeld, GeschGehG, § 3 Rn. 52.
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
aa) Rechtswidrige Handlungen Die rechtswidrigen Handlungen als erfasstes Fehlverhalten bedürfen auf begrifflicher Ebene keiner vertieften Darstellung. Teilweise wird in der Literatur zwar vorgebracht, dass an dieser Stelle auf die Legaldefinition aus § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB zurückzugreifen sei.1081 Wenn dies die Absicht des Gesetzgebers gewesen wäre, hätte ein entsprechender Verweis erfolgen müssen oder zumindest von einer rechtswidrigen Tat statt von einer rechtswidrigen Handlung gesprochen werden müssen.1082 In diesem Fall wäre Art. 1 Abs. 1 EGStGB einschlägig gewesen, so gibt es aber keine hinreichenden Anhaltspunkte für diesen Ansatz. Mithin empfiehlt es sich, im Einklang mit Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL eine solche Beschränkung nicht vorzunehmen und jeglichen Rechtsverstoß zu erfassen.1083 Unterstreichen lässt sich dieses Ergebnis durch einen Umkehrschluss zu § 1 Abs. 1 OWiG.1084 Genauso wenig lässt sich die von Ohly und Brammsen diskutierte Ausklammerung von Verstößen gegen zweiseitige Verträge aus dem Bereich rechtswidriger Handlungen anhand des Wortlauts oder mit Hilfe teleologischer Erwägungen begründen.1085 Die dazu herangezogene – womöglich – fehlende unmittelbare Relevanz für das öffentliche Interesse, sollte vielmehr erst in einem nächsten Schritt Berücksichtigung finden, um eine trennscharfe Abgrenzung der einzelnen Tatbestandsmerkmale zu gewährleisten. Nichtsdestotrotz gilt es klarzustellen, dass die Verwendung des Begriffs Handlung in der Norm sprachlich unglücklich gewählt sowie in hohem Maße kritikwürdig ist. Es wird nicht deutlich, warum der Gesetzgeber abweichend von der Formulierung der anderen erfassten Verhaltensweisen, den Begriff Handlung verwendet und auf diese Weise die Unsicherheit begründet hat, ob zugleich rechtswidriges Dulden oder Unterlassen erfasst wird.1086
1081 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 125; Rennicke, wistra 2020, 135, 136. 1082 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 19.1; a. A. Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 125. 1083 Zustimmend Alexander, AfP 2019, 1, 7; ders., in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 35. 1084 § 1 Abs. 1 OWiG lautet wie folgt: „Eine Ordnungswidrigkeit ist eine r e c h t s w i d r i g e u n d v o r w e r f b a r e H a n d l u n g , die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zuläßt.“ (gesperrte Hervorhebung nicht im Original), vgl. Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 19.1. 1085 So aber Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 5 Rn. 37 und Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 5 Rn. 70. 1086 Zutreffend Bürkle, CCZ 2018, 193; zustimmend Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/ Kalbfus, GeschGehG, § 5 Rn. 36; ein ähnliches Problem zeigt sich auch im Hinblick auf § 23 Abs. 6 VAG, vgl. Bürkle, VersR 2020, 1, 7.
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bb) Berufliches Fehlverhalten Die zweite Fallgruppe enthält ein weitaus weniger eindeutiges Tatbestandsmerkmal. Vor dem Wortlaut allein lässt sich nämlich kaum klären, was unter beruflichem Fehlverhalten im Sinne dieser Norm zu verstehen ist.1087 Erst die Gesetzesbegründung stellt klar, dass Verstöße gegen berufsständische Normen gemeint sind.1088 Darunter fallen etwa die Rechtsanwalts- oder Patentanwaltsordnung.1089 Daneben finden sich Literaturstimmen, die sich dafür aussprechen auch bestimmte privat autonome Regelungen – wie etwa Verhaltenskodizes oder Wettbewerbsregelungen von Verbänden (§§ 24 ff. GWB, § 2 Abs. 1 Nr. 5 UWG) – zu erfassen.1090 Wenig deutlich wird, warum es insoweit einer eigenständigen Fallgruppe bedarf. So handelt es sich zugleich um rechtswidriges Verhalten im Sinne der ersten Fallgruppe. Mithin kann man durchaus von einer redundanten Regelung sprechen.1091 Dieses Ergebnis lässt sich vor dem Hintergrund der zugrundeliegenden Richtlinienbestimmungen unterstreichen, weil andere als die deutsche Sprachfassung des Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL, keinen vergleichbaren beruflichen Bezug aufweisen.1092 cc) Sonstiges Fehlverhalten (1) Kritische Würdigung des Tatbestandsmerkmals Die dritte Fallgruppe – das sonstige Fehlverhalten – erweist sich als besonders problematisch. Der Wortlaut der Vorschrift liefert keine überzeugenden Anhaltspunkte zur Auslegung dieses Merkmals. Weitergehende Erkenntnisse lassen sich ebenso wenig durch andere Auslegungsmethoden gewinnen. Da bereits die ersten beiden Fallgruppen keine klare Abgrenzung voneinander gewährleisten, erweist sich eine inhaltliche Gegenüberstellung mit der hier behandelten Variante nicht als zielführend. Ebenso wenig birgt ein Blick in die Gesetzesbegründung einen nennenswerten Mehrwert. Demnach sollen „Aktivitäten erfasst sein, die ein unethisches Verhalten darstellen, aber nicht notwendigerweise gegen Rechtsvorschriften verstoßen.“1093 Dies soll beispielsweise bei
1087 1088
mutet.
Hiéramente/Golzio, CCZ 2018, 262, 264. BT-Drs. 19/4724, S. 29; a. A. Bürkle, CCZ 2018, 193, der darin nur ein Beispiel ver-
1089 McGuire, in: Büscher, UWG, § 5 GeschGehG Rn. 24; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 125; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 36. 1090 Alexander, AfP 2019, 1, 7; ders., in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 37. 1091 Ähnlich Gramlich/Lütke, wistra 2019, 480, 482. 1092 Zustimmend Gramlich/Lütke, wistra 2019, 480, 482. 1093 BT-Drs. 19/4724, S. 29.
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„Auslandsaktivitäten eines Unternehmens [der Fall] sein, die in den betreffenden Ländern nicht rechtswidrig sind, aber dennoch von der Allgemeinheit als Fehlverhalten gesehen werden, wie zum Beispiel Kinderarbeit oder gesundheits- oder umweltschädliche Produktionsbedingungen.“1094
Als weiteres Beispiel wird „die systematische und unredliche Umgehung von Steuertatbeständen“ genannt, welche „in der öffentlichen Diskussion häufig als unethisches Verhalten angesehen“ wird.1095 In der Konsequenz sieht sich dieses Merkmal zu Recht massiver Kritik in der Literatur ausgesetzt. Dann/Markgraf etwa sind der Auffassung, dass das Merkmal des sonstigen Fehlverhaltens, welches der zwingend erforderlichen Umsetzung des Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL dient, „denkbar unpräzise“ ist.1096 Vielmehr werde der Terminus weder dem Bedürfnis der handelnden Personen nach Rechtssicherheit, noch den Geschäftsinteressen von Unternehmen gerecht.1097 Diese sind gerade nur zur Einhaltung von Gesetzen verpflichtet.1098 Gramlich/Lütke merken zutreffend an, dass sich vor dem Hintergrund des Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL keine überzeugenden Gründe für den Erlass einer derart moralisierenden Vorschrift finden lassen.1099 Ein derart weit gefasster Wortlaut und die in höchstem Maße subjektive Prägung ethischer Urteile stellen keinen geeigneten Maßstab für eine juristische Bewertung dar und bieten großes Potenzial für eine ausufernde Anwendung der Norm.1100 Denn auch an sich berechtigte Anliegen alleine sollten nicht ausreichen, um über ebenfalls schützenwerte unternehmerische Aspekte hinwegzusehen.1101 Es wird befürchtet, dass die Rechtsprechung in der Folge eine letztlich ins unüberschaubare ausartende Kasuistik entwickeln wird.1102 1094
BT-Drs. 19/4724, S. 29. BT-Drs. 19/4724, S. 29; das es dabei zu durchaus kontroversen Diskussionen kommt und ein einheitliches Streben nach Transparenz bzw. Verständnis dieser Begrifflichkeiten – auch bei öffentlichkeitswirksamen, politischen Entscheidungen – oft nur schwer zu ermitteln ist, unterstreicht die nachfolgende Kritik. Dabei kann beispielhaft auf die Diskussion um die mit Auflagen verknüpften Staatshilfen an die Lufthansa im Jahr 2020 verwiesen werden, vgl. etwa https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/steuerflucht-staatshilfe-lufthansa-1.4918253 (zuletzt abgerufen am 29. 05. 2020); krit. dazu bereits Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1104 f. 1096 Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1777; ähnlich Brammsen, BB 2018, 2446, 2449 f. 1097 So auch Erlebach/Veljovic, wistra 2020, 190, 193. 1098 Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1777. 1099 Gramlich/Lütke, wistra 2019, 480, 482 f. 1100 Hiéramente/Golzio, CCZ 2018, 262, 264; Passarge, CB 2018, 144, 147; Bürkle, CCZ 2018, 193 wendet zu Recht ein, dass sich in der Richtlinie und den Erwägungsgründen kein Hinweis auf unethisches Verhalten als Maßstab finden lässt; Scherp/Rauhe, CB 2019, 20, 23; Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 69 sieht im Hinblick auf § 5 Nr. 2 GeschGehG-RegE eine vom Gesetzgeber „mit dieser – über den Wortlaut der Geheimnisschutzrichtlinie hinausgehende – Umsetzung“ produzierten Rechtsunsicherheit. 1101 So etwa Altenbach/Hild mit Verweis auf Klima- oder Tierschutz, vgl. CB 2020, 248, 249. 1102 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 126. 1095
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Auch stellt es für die betroffenen Personen eine (wohl) kaum zu überwindende Hürde dar, mit ausreichender Sicherheit zu sagen, welche Verhaltensweisen als sonstiges Fehlverhalten einzustufen sind. Wie soll das moralische Empfinden der Allgemeinheit ermittelt werden? Soll an dieser Stelle auf die Medien in ihren unterschiedlichen Ausprägungen zurückgegriffen werden?1103 Soll der potentielle Geheimnisverletzer zur Absicherung seines eigenen Verhaltens zunächst eine repräsentative Meinungsumfrage durchführen?1104 Letztlich werten sogar Buchert/ Buchert diesen Aspekt des § 5 Nr. 2 GeschGehG als problematisch, weil er ein enormes Bewertungsrisiko für potentiell aufdeckungswillige Personen mit sich bringt, obwohl sie die gesetzgeberische Entscheidung auch unethischem Verhalten in weiten Teilen den Schutz zu versagen, als positiv qualifizieren.1105 Im Ergebnis wird sogar eine komplette Aushöhlung des Geschäftsgeheimnisschutzes befürchtet.1106 Insoweit formulieren Gramlich/Lütke plakativ, dass letztlich jede Art von Fehlverhalten als unethisch eingestuft werden kann.1107 Die Gerichte hätten schließlich doch die befürchtete Gesinnungsprüfung durchzuführen und etwaige Täter könnten auf Grund der unklaren Formulierung daran gehindert, sein tätig zu werden.1108 Die Aufgabe der Gerichte ist es aber, Rechtsnormen auszulegen und nicht ungeschriebene Moralmaßstäbe zu untersuchen.1109 Gleichzeitig müssten Unternehmen permanent prüfen, ob ihre eigenen ethischen Standards den Ansichten der Allgemeinheit entsprechen.1110 Der Handelnde selbst hingegen kann ethische
1103 Bürkle, CCZ 2018, 193; Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 69; zynisch wirft auch Passarge die Fragen auf, ob man die Lehren zweier überwundener diktatorischer Systeme vergessen habe und ob es sich beim Begriff unethisch um die moderne Umschreibung des „gesunden Volksempfindens“ handelt, vgl. CB 2018, 144, 147. 1104 Bürkle wirft die (zurecht) zynisch formulierte Frage auf „… welche Quote der Allgemeinheit ein Fehlverhalten sehen muss (reicht einfache Mehrheit von 50,1 %?).“, vgl. CCZ 2018, 193; so auch Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 923; Hiéramente lässt anklingen, dass dann womöglich durch ein Sachverständigengutachten das allgemeine Moralempfinden ermittelt werden müsste, vgl. BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 26.3; ähnlich auch Scholtyssek/Judis/ Krause, CCZ 2020, 23, 25. 1105 Buchert/Buchert, ZWH 2018, 309, 314 f. 1106 Kumpan/Pauschinger, EuZW 2019, 357, 363. 1107 Gramlich/Lütke, wistra 2019, 480, 483. 1108 Passarge, CB 2018, 144, 147; Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 69. 1109 Kritisch bereits Berndt/Hoppler, BB 2005, 2623, 2624; ähnlich Forst, EuZA 2013, 37, 66; krit. Rotsch/Wagner, in: Rotsch, Criminal Compliance, § 34 C Rn. 5; Passarge, CB 2018, 144, 147; Scherp/Rauhe, CB 2019, 20, 23; Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 923. 1110 Bürkle, CCZ 2018, 193; Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 69; Untersuchungen in der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass der Einhaltung bestimmter ethischer Standards, die über die Einhaltung von Gesetzen hinausgehen, innerhalb von Unternehmen ein immer höheres Gewicht beigemessen wird. Offen bleibt dabei aber deren genauer Inhalt, mithin wird oftmals ein eigenes, subjektives beziehungsweise individuelles Verständnis betont, vgl. etwa Weinen, CB 2020, 110, 110, 113.
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Standards bei seinem Handeln – so zumindest der Wortlaut der Vorschrift – ausblenden.1111 Genauso wenig kann Alexanders Ansatz weiterhelfen. Er überzeugt letztlich nicht vollends, zumal er wieder auf eine konkrete Einzelfallbetrachtung hinsteuert. So sei das in Rede stehende Fehlverhalten vor dem Hintergrund der beiden vorangestellten Fallgruppen zu messen.1112 Demnach liege ein sonstiges Fehlverhalten vor, „wenn ein Unternehmen grundlegende Sozial- und Verhaltenskonventionen missachtet, ganz bewusst rücksichtslos oder in rechtlichen Grenzbereichen agiert.“1113
Doch auch hier lässt sich anhand aktueller Beispiele aufzeigen, dass kein echter Erkenntnisgewinn erzielt wird. Die massive Steuerhinterziehung im Bereich des Cum-ex-Skandals hat gezeigt, dass in solchen Situationen oftmals gleichzeitig schon ein echter Rechtsverstoß gegeben ist.1114 Für andere Ausreizungsfälle greifen die aufgezeigten Kritikpunkte erneut ein. Wann eine vergleichbare Schwere erreicht ist, lässt sich mangels Normierung kaum vorab beantworten und bestärkt die aufgeworfene Kritik nochmals. Dem scheint augenscheinlich nur McGuire entgegenzutreten, die die Regelung als unproblematisch ansieht und die Gesetzesbegründung dahingehend versteht, dass es auf die Rechtswidrigkeit der Verhaltensweise bei hypothetischer Verwirklichung im Inland ankommt.1115 Daher bieten die transnationalen Wertschöpfungsketten in der globalisierten Wirtschaft einen geeigneten Anknüpfungspunkt, um diesen Ansatz anhand von Beispielen mit mehr Leben zu füllen.1116 So findet die Produktion von Gütern heutzutage oft im globalen Süden oder zumindest im europäischen Südosten statt, während die auftraggebenden Unternehmen im Norden oder Westen – wie etwa in der Bundesrepublik – angesiedelt sind.1117 Dabei bestehen in diesen Staaten in der Regel andere arbeitsrechtliche Standards. Genauso bietet das Verbot von Kinderarbeit in der europäischen Union in Art. 32 GRCh einen Anknüpfungspunkt.1118 1111
Gramlich/Lütke, wistra 2019, 480, 483. Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 39a. 1113 Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 39a; Hervorhebung im Original; diesem zustimmend Altenbach/Hild, CB 2020, 248, 249. 1114 BGH, Beschl. v. 01. 07. 2021 – 1 StR 519/20, BeckRS 2021, 18208 (Leitsatz); LG Köln, Beschl. v. 16. 07. 2015 – 106 Qs 1/15, BeckRS 2015, 17559; LG Bonn, Urt. v. 18. 03. 2020 – 62 Kls 1/19; vertiefend zu Cum-Ex-Geschäften nur Knauer/Schomburg, NStZ 2019, 305 ff. 1115 McGuire, in: Büscher, UWG, § 5 GeschGehG Rn. 24; zustimmend Ohly, in: HarteBavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 5 Rn. 41; zustimmend Brammsen, in: Brammsen/ Apel, GeschGehG, § 5 Rn. 77. 1116 Daher bietet sich auch ein erneuter Verweis auf BT-Drs. 19/4724, S. 29 an; zur strafrechtlichen Zurechnung von Verantwortung entlang von unternehmerischen Wertschöpfungsketten, Momsen/Willumat, KriPoZ 2019, 323, 326 ff. 1117 Dazu etwa Momsen/Willumat, KriPoZ 2019, 323, 323 f. 1118 Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 5 Rn. 41 mit Verweis auf BT-Drs. 19/4724, S. 29. 1112
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Auch können abweichende Regelungen im Bereich der Korruption eingreifen. Genügt die Produktion den Anforderungen des lokalen Rechts und steht lediglich im Widerspruch zum nationalen und/oder europäischen Recht, bedeutet dies für das Unternehmen in der Regel zunächst einmal eine teils erhebliche Kostenreduktion. Kommt es in Folge dessen zu Unfällen – wie Fälle aus der jüngeren Vergangenheit zeigen1119 – so stellt sich die Frage nach der (straf-)rechtlichen Verantwortung der handelnden Personen im Inland.1120 Dabei ist vor allem das Strafanwendungsrecht entscheidend. Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei manchen Formen von Korruption im Ausland ab.1121 Im Hinblick auf § 130 OWiG stellen sich vergleichbare Fragen.1122 Sollte der in Rede stehende Sachverhalt im Ausland durch das deutsche Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrecht erfasst werden können, erweist sich ein Rückgriff auf das sonstige Fehlverhalten jedenfalls als obsolet. Bleiben Unglücksfälle hingegen aus, steht in der Regel nur ein potentieller Imageverlust im Raum. Werden nun genau diese – teilweise von glücklichen Zufällen abhängenden1123 – Fallkonstellationen publik gemacht, kann in Zukunft § 5 Nr. 2 GeschGehG wegen des sonstigen Fehlverhaltens eingreifen. Eingeschränkt wird der Anwendungsbereich allerdings durch weitere, bereits bestehende Regelungen wie etwa die nichtfinanziellen Erklärungspflichten aus § 289c Abs. 2, 3 HGB und die daran anknüpfenden Straftatbestände aus §§ 331 ff. HGB.1124 In Zukunft wird hier auch das Lieferkettensorgfaltsgesetz eine Rolle spielen und zu weiteren Einschränkungen führen.1125 Nach den vorgetragenen Argumenten lässt sich festhalten, dass das Tatbestandsmerkmal des sonstigen Fehlverhaltens äußerst restriktiv zu handhaben ist. Wie dabei im Einzelnen vorzugehen ist, lässt sich kaum beantworten. Lediglich der von McGuire entwickelte Ansatz bietet – trotz bestehender Schwächen – eine gewisse Orientierung. Folglich spricht viel dafür diese Fallgruppe in Zukunft wieder aus der Welt zu schaffen und sich so der Tendenz hin zur „Verrechtlichung“ von moralgeprägten Normen im Kernstrafrecht – wie § 228 StGB – anzuschließen, welcher mit einem höheren Maß an Rechtssicherheit einhergeht und sich von laxen Formeln, wie dem „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“, trennt.1126 Die Anwendung von Strafnormen ist von § 5 Nr. 2 GeschGehG beeinflusst und soll gerade nicht von „undifferenzierten moralischen Wertungen“ des einzelnen Rechtsanwenders 1119 Momsen/Willumat weisen dabei beispielhaft auf den Einsturz der Rana-Plaza-Fabrik in Bangladesch am 24. 04. 2013 mit 1135 Todesopfern oder den Brand in der Fabrik des Unternehmen Ali Enterprises, welches als Zulieferer des deutschen Textilunternehmens KiK in Pakistan tätig war, hin, vgl. KriPoZ 2019, 323, 324. 1120 Dazu etwa Momsen/Willumat, KriPoZ 2019, 323, 328. 1121 Dazu etwa Momsen/Willumat, KriPoZ 2019, 323, 330 f. 1122 Dazu etwa Momsen/Willumat, KriPoZ 2019, 323, 331 f. 1123 Dazu etwa Momsen/Willumat, KriPoZ 2019, 323, 336. 1124 Dazu etwa Momsen/Willumat, KriPoZ 2019, 323, 333 f. 1125 Siehe dazu etwa Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145 ff. und Kamann/Irmscher, NZWiSt 2021, 249 ff. 1126 Krit. zur „Verstrafrechtlichung“ Kühl, in: FS Achenbach, S. 251, 254 ff.
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abhängig sein, sondern sollte auch den bezweckten Rechtsgüterschutz mit Bedacht berücksichtigen.1127 (2) Beschluss des OLG Oldenburg vom 21. 05. 2019 – 1 Ss 72/19 Nach der Darstellung der berechtigten sowie notwendigen Kritik an der Fallgruppe des sonstigen Fehlverhaltens gilt es zu beobachten, wie sich die aufgezeigten Probleme in der Praxis auswirken werden. Dabei kann jedenfalls im Hinblick auf den Beschluss des OLG Oldenburg vom 21. Mai 2019, also datiert kurz nach dem Inkrafttreten des GeschGehG, vorangestellt angemerkt werden, dass das Gericht es verpasst hat, in überzeugender Weise Stellung zur Tatbestandsausnahme zu beziehen und auf diese Weise den Grundstein für eine interessengerechte Rechtsanwendung in diesem Bereich zu legen. Der Entscheidung lag eine zunächst ungewöhnliche Einkleidung zu Grunde. Ein Aktivist hatte durch das Verteilen von Flyern auf einem Firmenparkplatz zum Geheimnisverrat durch dessen Mitarbeiter aufgerufen. Darin wurde auf den (womöglich illegalen) Export von Substanzen, die zur Vollstreckung von Todesurteilen verwendet werden können, Bezug genommen. Das AG Cloppenburg wertete dieses Verhalten als Aufruf zum Geheimnisverrat nach § 111 Abs. 1 StGB i. V. m. § 17 Abs. 1 UWG1128 Das Revisionsgericht wiederum erklärte die Bestimmungen des GeschGehG gemäß § 2 Abs. 2 StGB für anwendbar und gelangte schließlich zum Freispruch des Angeklagten durch die Anwendung der Tatbestandsausnahme in § 5 Nr. 2 GeschGehG im Rahmen der möglichen Straftat nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG, zu welcher aufgerufen worden sei.1129 Hierbei argumentierte das Gericht, dass „[d]er behauptete Export von Giftstoffen in die USA, die dort auch zur Vollstreckung der Todesstrafe Verwendung finden, […] dabei jedenfalls ein ethisch zu missbilligendes Verhalten dar[stellt], welches nach dem Willen des Gesetzgebers dem Begriff des beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens unterfallen soll“ (vgl. Gesetzesbegründung zu § 5 GeschGehG, BR-Drs. 382/18, S. 25).1130
Dieser Beschluss ist – wie schon einleitend angemerkt – in vielfacher Hinsicht als äußerst problematisch einzustufen. Zwar ist es im Grunde zutreffend, die Vorschriften des GeschGehG heranzuziehen, allerding wurde es verpasst, sich zufriedenstellend mit § 5 Nr. 2 GeschGehG auseinanderzusetzen. Ob das angeprangerte Verhalten tatsächlich vorliegt, wird nicht zum Gegenstand des Beschlusses gemacht. Außerdem hat es das Gericht unterlassen, eine rechtliche Prüfung womöglich ille1127
Vgl. auch Vogel, ZStW 128 (2016), 139, 171 f. mit Verweis auf BVerfGE 126, 170, 198. AG Cloppenburg, Urt. v. 13. 12. 2018, 18 Cs 429/18; OLG Oldenburg, Beschl. v. 21. 05. 2019 – 1 Ss 72/19; Hiéramente, jurisPR-StrafR 24/2019 Anm. 3 1129 OLG Oldenburg, Beschl. v. 21. 05. 2019 – 1 Ss 72/19 – Rn. 7, 8. 1130 OLG Oldenburg, Beschl. v. 21. 05. 2019 – 1 Ss 72/19 – Rn. 7 (Hervorhebung nicht im Original). 1128
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galer Praktiken, welche den Gegenstand der Äußerungen bildeten, vorzunehmen.1131 Denn es hätte zumindest die Möglichkeit bestanden, auf das Vorliegen einer rechtswidrigen Handlung Bezug zu nehmen. Stattdessen wurde auf das jedenfalls vorliegende sonstige Fehlverhalten abgestellt. Gleichzeitig wird die höchst umstrittene Thematik im Zusammenhang mit der Todesstrafe zuallererst ohne Benennung eines einzigen Arguments als jedenfalls ethisch zu missbilligend eingestuft. Dabei wäre es durchaus angezeigt gewesen zu dieser Frage Stellung zu beziehen, selbst wenn das Ergebnis des OLG insoweit selbstverständlich korrekt ist.1132 Ein Eingehen auf die Frage nach der Bestimmung allgemeiner ethischer Wertungen wird in konsequenter Manier unter den Tisch fallen gelassen und die Prüfung der Geeignetheit das öffentliche Interesse zu schützen unterbleibt von vornherein. Dieser Umstand kann womöglich darauf zurückgeführt werden, dass der Entwurfsbegründung, die das OLG zitiert, noch eine andere, letztlich nicht verabschiedete Fassung des § 5 GeschGehG zu Grunde lag. Daher kann leider nicht beantwortet werden, ob das OLG Oldenburg in dogmatischer Hinsicht womöglich einen begrüßenswerten Beschluss gefällt hat, weil nicht hinreichend ersichtlich wird, wie dieser zu Stande gekommen ist.1133 Es bleibt abzuwarten, ob andere Gerichte sich diesem Beschluss anschließen und so der angedeuteten ausufernden Anwendung der Vorschrift weiteren Vorschub leisten oder aber andere, klarer herausgearbeitete Lösungsansätze präsentieren werden. Mithin besteht ungebrochener Klärungsbedarf. dd) Bloß vermutete Missstände Nach dem Aufzeigen der aufgeführten Fallgruppen stellt sich die Frage, ob diesen ein tatsächlich bestehender Missstand zu Grunde liegen muss oder aber gutgläubiges Verhalten auch unter die Norm subsumiert werden kann. Im einschlägigen Schrifttum wird dies durchaus kontrovers diskutiert. Jedenfalls Reinfeld ist davon überzeugt, dass § 5 Nr. 2 GeschGehG auch vermutete Missstände erfassen muss. Er stützt sich auf nachfolgenden Satz aus der Gesetzesbegründung:
1131
So auch Altenbach/Hild, CB 2020, 248, 249. So auch Altenbach/Hild, CB 2020, 248, 249 und Veljovic, NZWiSt 2021, 30, 31; aktuell zur Todesstrafe nur Schmitt-Leonardy, JuS 2018, 848 ff. 1133 In eine vergleichbare Richtung geht auch die von Hiéramente zutreffend vorgetragene Kritik an dieser Stelle, welcher an dieser Stelle auch die Befürchtung einer ausufernden Handhabung der Tatbestandsausnahme äußert, vgl. jurisPR-StrafR 24/2019 Anm. 3; Altenbach/ Hild gelangen sogar zudem Schluss, dass es wegen der fortdauernden der arbeitsrechtlichen Grundsätze nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 GeschGehG zur Verurteilung des Angeklagten hätte kommen können, vgl. CB 2020, 248, 249. 1132
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„So wird deutlicher, dass das Geschäftsgeheimnis nur zur Abwehr von tatsächlichen oder gutgläubig angenommenen Verletzungen oder Gefährdungen öffentlicher Interessen offengelegt werden darf.“1134
Ob das Schweigen des OLG Oldenburg ebenfalls in diese Richtung deutet, lässt sich vor der aufgezeigten Kritik nur mutmaßen. Dem kann aber nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Zunächst liefert bereits der Wortlaut der Norm selbst ein gewichtiges Gegenargument. Da von Aufdeckung die Rede ist, liegt der Schluss nahe, nur tatsächliche Missstände zu erfassen. Nur solche können denklogisch aufgedeckt werden.1135 Von einem bloß vermuteten Missstand bliebe hingegen nach der Aufdeckung nichts übrig. Wenig überzeugend ist es, bereits den bloßen Anschein eines Missstandes auch als Missstand einzuordnen. An dieses Argument lässt sich mit der Gesetzgebungsgeschichte im Einklang mit Brammsen anknüpfen, wenn dieser ausführt, dass bereits § 5 GeschGehG-RegE im Gegensatz zu § 4 GeschGehG-RefE auf einen erfolgten Schutz berechtigter Interessen abstellt.1136 Dieser Umstand folgt aus der Anpassung des Wortlauts von „… wenn dies zum Schutz eines berechtigten Interesses erforderlich ist …“ hin zu „… wenn dies zum Schutz eines berechtigten Interesses erfolgt …“. Dies ist nämlich nur bei einem tatsächlich bestehenden Missstand denkbar. Durch diese Änderung sollte zum einen die Gefahr einer Gesinnungsprüfung beseitigt werden, zum anderen sollte dies eher der englischen Sprachfassung der Richtlinie entsprechen, welche den Begriff purpose verwendet, was sich besser mit Zweck, als mit Absicht übersetzen lässt.1137 Durch die Objektivierung des Maßstabs hin zur Eignung soll außerdem eher Erwägungsgrund [20] entsprochen werden.1138 Zudem lässt sich der objektiven Formulierung des § 5 Nr. 2 GeschGehG die mit der Änderung kurz vor Verabschiedung des Gesetzes verfolgte Absicht des Gesetzgebers bloß gutgläubiges Handeln zu erfassen nicht entnehmen.1139 Vielmehr spricht auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht dafür, über objektive Formulierungen des Gesetzgebers hinweg zugehen.1140 Über diesen Umstand kann durch den nachfolgenden Satz aus der Gesetzesbegründung nicht hinweggetäuscht werden: 1134 BT-Drs. 19/8300, S. 14; Reinfeld, GeschGehG, § 3 Rn. 44; zustimmend, aber krit. Erlebach/Veljovic, wistra 2020, 190, 194. 1135 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 34; Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/ Kalbfus, GeschGehG, § 5 Rn. 47; so auch Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 5 Rn. 82; diesen Einwand erkennt auch Reinfeld an, vgl. GeschGehG, § 3 Rn. 44 in Fn. 31; i. E. zustimmend Ullrich, Geheimnishehlerei, S. 153, 156. 1136 Brammsen, BB 2018, 2446, 2449. 1137 BT-Drs. 19/8300, S. 14. 1138 BT-Drs. 19/8300, S. 14. 1139 Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 154, 156; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 34; ähnlich Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 54. 1140 So etwa BVerfGE 1, 299, 312; 11, 126, 130 f.; 105, 135, 157; 136, 168 Rn. 66; 144, 20 Rn. 555; 149, 126 Rn. 75.
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„Mit dieser Objektivierung wird Erwägungsgrund 20 der Richtlinie Rechnung getragen, nachdem einerseits Whistleblowing-Aktivitäten nicht eingeschränkt werden sollen und andererseits die rechtswidrige Handlung oder das Fehlverhalten entweder tatsächlich vorliegen muss oder der Hinweisgeber gutgläubig vom Vorliegen dieser Voraussetzungen ausgehen musste und zugleich ein regelwidriges Verhalten, ein Fehlverhalten oder eine illegale Tätigkeit von unmittelbarer Relevanz aufgedeckt wird“.1141
Schaut man sich Erwägungsgrund [20] genauer an, stellt man fest, dass das vorangestellte Zitat nicht vollständig dessen Inhalt wiederspiegelt. Vielmehr kann dieser Auslegungsstütze ein ganz anderer Inhalt beigemessen werden. Wenn es heißt, „[dass] sollte nicht so verstanden werden, dass die zuständigen Gerichte daran gehindert seien, Ausnahmen von der Anwendung der Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe in den Fällen zuzulassen, in denen der Antragsgegner allen Grund hatte, in gutem Glauben davon auszugehen, dass sein Verhalten den in dieser Richtlinie festgelegten angemessenen Kriterien entspricht“,
legt dies den Schluss auf eine Ermessensentscheidung des Gerichts äußerst nahe. Bei bloß gutgläubigem Verhalten soll ein Absehen von Maßnahmen möglich, aber gerade nicht zwingend vorgeschrieben sein. Vielmehr lässt sich dies sogar so verstehen, dass ein tatsächlich bestehender Missstand zwingende Voraussetzung für das Eingreifen von Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL und damit auch von § 5 GeschGehG ist. Bei hypothetischen Missständen hingegen soll das Absehen nur im Einzelfall im Ermessen des Gerichts möglich sein, aber nicht dem Regelfall entsprechen. Unberührt bleibt die Möglichkeit auf andere rechtliche Instrumente zurückzugreifen.1142 An dieser Stelle ist erneut die enorme Bedeutung von Geschäftsgeheimnissen im Blick zu behalten. Bei einem zu umfassenden Schutz gutgläubiger Akteure besteht nämlich die Gefahr, dass ein rechtmäßiger Geheimnisinhaber auf Grund der Fehleinschätzung eines Dritten erhebliche wirtschaftliche Einbußen ertragen muss, ohne Regress nehmen zu können. Ist das Geschäftsgeheimnis auf Grund solcher Umstände nämlich erst einmal offenkundig, lässt sich dieser Zustand nicht mehr revidieren.1143 Damit in engem Zusammenhang steht die Frage, ob das Bestehen eines (hypothetischen) Missstandes objektiv oder subjektiv zu bestimmen ist. Bei einer objektiven Lesart bliebe kein Raum mehr für vermutete Missstände. Vor dem Hintergrund des angesprochenen Erwägungsgrundes wird in der Literatur eine objektive Lesart gefordert.1144 Zusätzlich kann gegen die subjektive Bestimmung des sonstigen Fehlverhaltens auf einen anderen Aspekt der Gesetzesbegründung verwiesen wer-
1141
BT-Drs. 19/8300, S. 14. Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 35; Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/ Kalbfus, GeschGehG, § 5 Rn. 47; ähnlich Alexander, AfP 2019, 1, 8. 1143 So auch Gramlich/Lütke, wistra 2019, 480, 484 mit Verweis auf Erwägungsgrund [26] der Geschäftsgeheimnis-RL. 1144 Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 156; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 41. 1142
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den, wonach auf die Allgemeinheit und nicht das subjektive Vorstellungsbild des Einzelnen abzustellen ist.1145 Es sind aber ebenso Stimmen zu erwähnen, die dazu tendieren, bloß gutgläubiges Erlangen, Nutzen oder Offenlegen eines Geschäftsgeheimnisses nicht unter § 5 GeschGehG zu subsumieren, sondern in diesen Fällen § 9 GeschGehG mit der besonderen Flexibilität im Einzelfall heranziehen.1146 Ob dies auch im strafrechtlichen Kontext überzeugen kann, kann jedenfalls stark angezweifelt werden. Jedenfalls eine direkte Anwendung des § 9 GeschGehG im Strafrecht scheitert bereits an dessen Wortlaut. Dieser bezieht sich nur auf §§ 6 – 8 Abs. 1 GeschGehG. Überdies handelt es sich bei diesen Regelungen um verschuldensunabhängige, zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen, sodass auch eine vergleichbare Interessenlage als Grundlage einer Analogie abzulehnen ist. Zugleich gilt es auch die Geschäftsgeheimnis-RL zu berücksichtigen. Dabei divergieren der Wortlaut der deutschen Fassung des Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL und des § 5 Nr. 2 GeschGehG. Nach erstgenannter Vorschrift muss ein Geschäftsgeheimnis erworben, genutzt oder offengelegt worden sein „… zur Aufdeckung eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens oder einer illegalen Tätigkeit, sofern der Antragsgegner in der Absicht gehandelt hat, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen …“.
Näher an dieser Vorschrift orientierte sich § 4 Nr. 2 GeschGehG-RefE, der noch auf die „… Absicht […], das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen …“ abgestellt hat, während es in § 5 Nr. 2 GeschGehG – wie bereits dargestellt – auf die Eignung ankommt. Die vom Wortlaut erfasste breite Palette möglicher aufzudeckender Verhaltensweisen wurde anhand des noch weiter gefassten GeschGehG bereits aufgezeigt. Im Hinblick auf andere Auslegungsmethoden ist Wiese zu erwähnen, die bei Berücksichtigung der Gesetzgebungsgeschichte der Richtlinie in der Zusammenschau mit anderen Sprachfassungen zu dem Schluss gelangt, dass Rechtsverletzungen gegenüber Einzelnen oder der Allgemeinheit unabhängig von der konkreten Ausgestaltung in den einzelnen Mitgliedstaaten erfasst sein sollen.1147 Der Wortlaut des deutschen Art. 5 Abs. 2 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL-E-Rat sei noch enger gefasst gewesen und habe nur ordnungswidriges, strafbares oder sonst illegales Verhalten erfasst. Der Wortlaut der anderen Sprachfassungen wurde jedoch abweichend zur deutschen Fassung in der letztlich verabschiedeten Fassung nicht mehr verändert.1148
1145
BT-Drs. 19/4724, S. 29, konkreter in BT-Drs. 19/8300, S. 14. McGuire, in: Büscher, UWG, § 5 GeschGehG Rn. 41; ähnlich Alexander, AfP 2019, 1, 8; ders., in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 46; Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 9 Rn. 9. 1147 Wiese, EU-Richtlinie, S. 135; Reinhardt-Kasperek/Kaindl, BB 2018, 1332, 1334 fordern, dass das geschützte Interesse von gesellschaftlicher Relevanz ist. 1148 Wiese, EU-Richtlinie, S. 135. 1146
Kap. 6: Materiell-rechtliche Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes
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Angesichts der übergeordneten Fragestellung lässt sich laut einer in der Literatur vertretenen Auffassung der Formulierung des Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL entnehmen, dass es maßgeblich auf die Absicht des Handelnden ankommt, wohingegen ein tatsächlicher Erfolg hinsichtlich des Schutzes öffentlicher Interessen nicht erforderlich sei.1149 Dies bestätige Erwägungsgrund [20] der Richtlinie. Die Meinungsfreiheit aus Art. 11 Abs. 1 GRCh beziehungsweise Art. 10 EMRK schütze auch die gutgläubige, wenngleich unwahre Tatsachenbehauptung. Es bestehe daher auf Grund der erforderlichen ex ante-Betrachtung ein Irrtumsprivileg für den berechtigterweise gutgläubigen Handelnden.1150 Vor diesem Hintergrund ziehen Ernst, Schubert und Schmitt in Erwägung, abweichend vom Wortlaut § 5 Nr. 2 GeschGehG richtlinienkonform auszulegen, um das Absichtselement in den Vordergrund zu rücken.1151 Auf diese Weise soll es zudem möglich sein, ebenso bloß gutgläubig handelnde Personen am Maßstab des § 5 Nr. 2 GeschGehG zu messen.1152 Alternativ soll § 5 Nr. 2 GeschGehG zumindest analog herangezogen werden können.1153 Dem kann nicht gefolgt werden. Aus dem bloß auslegungslenkenden Erwägungsgrund [20] ergibt sich kein zwingendes Irrtumsprivileg. Das Absichtserfordernis der Richtlinie lässt sich im nationalen Recht auch über ein subjektives Tatbestandsmerkmal bei tatsächlichen Missständen unterbringen und ist im Rahmen bereits angedeuteter alternativer Lösungswege, etwa der Irrtumsdogmatik, ebenfalls zu verwerten. Mithin bleibt es beim aufgezeigten objektiv-tatsächlichen Missstandsbegriff. Dies lässt sich erneut dadurch untermauern, dass andere, bereits bestehende Vorschriften zum Schutz von Whistleblowern, wie etwa § 23 Abs. 6 VAG, klar aufzeigen, wenn diese auch bloß hypothetische Verfehlungen erfassen. b) Geeignetheit das öffentliche Interesse zu schützen – Interessenabwägung Damit ist zugleich die Brücke zur nächsten Fragestellung geschlagen. Es gilt nämlich – nicht nur im Hinblick auf die in der Literatur aufgeflammte Kritik – zu ermitteln, wann die „Aufdeckung […] geeignet ist, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen“. Dabei, so wird vorgetragen, soll sich hieraus lediglich eine Konkretisierung des Fehlverhaltens ergeben. Dieses müsse tatsächlich vorliegen und von solchem Umfang sein, dass die fehlende Aufdeckung das allgemeine öffentliche Interesse be1149
Wiese, EU-Richtlinie, S. 137; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 54; Escherich, EuZA 2022, 307, 324. 1150 Wiese, EU-Richtlinie, S. 137; unter Verweis auf EGMR, Urt. v. 15. 02. 2005 – 68416/01 Steel und Morris/Vereinigtes Königreich, NJW 2006, 1255, 1258; so auch Schnabel, CR 2016, 342, 348. 1151 Ernst, MDR 2019, 897, 901; Schubert, in: EuArbRK, Art. 5 RL 2016/943/EU Rn. 21 f.; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 54. 1152 Ernst, MDR 2019, 897, 901; ähnlich Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 53 f. 1153 Schubert, in: EuArbRK, Art. 5 RL 2016/943/EU Rn. 22; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 54.
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einträchtige.1154 Diesbezüglich werden unter anderem die Betroffenheit von Kollektivrechtsgütern, öffentlichen Einrichtungen oder Individualrechtsgütern bei ausreichender Intensität oder Vielzahl genannt.1155 Dieser Ansatz im Schrifttum bringt allerdings besonders angesichts des sonstigen Fehlverhaltens gewisse Schwierigkeiten mit sich. So ist gerade bei diesem doch sehr schwammigen Tatbestandsmerkmal äußerst restriktiv vorzugehen, um nicht bestehende berechtigte Interessen des Geheimnisinhabers zu unterminieren. Für einen potentiellen Geheimnisverletzer bedeutet dies weitere Unwägbarkeiten, weil neben der schwierigen Frage, ob ein Fehlverhalten im Sinne des § 5 Nr. 2 GeschGehG vorliegt, nun in einem zweiten Schritt zu klären ist, ob dieses auch von hinreichendem Gewicht ist.1156 aa) Bestimmung des allgemeinen öffentlichen Interesses Mithin ist vorab zu beantworten, wie der Begriff des allgemeinen öffentlichen Interesses auszulegen ist. Auch dieser Aspekt wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Allerdings kann der Wortlaut der Norm hier nicht weiterhelfen. Systematisch wird erneut die Frage nach der objektiven oder subjektiven Bestimmung des Missstandsbegriffs in entsprechender Form fruchtbar gemacht. Bezieht man die Gesetzgebungshistorie erneut mit ein, bietet diese einen Anknüpfungspunkt von nicht geringem Umfang. So war nach § 5 Nr. 2 GeschGehG-RegE noch ein Erlangen, Nutzen oder Offenlegen „zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens, wenn die das Geschäftsgeheimnis erlangende, nutzende oder offenlegende Person in der Absicht handelt, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen“
erforderlich, um zur Rechtfertigung zu gelangen. Nach § 5 Nr. 2 GeschGehG ist ein Ausschluss vom Tatbestand bei einer Handlung „zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens, wenn die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung geeignet ist, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen“
anzunehmen. Die laut Gesetzesbegründung mit der Änderung verfolgte Absicht, auch bloß gutgläubiges Handeln zu erfassen, lässt sich aber wie aufgezeigt der
1154 Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1777; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 32; so auch teilweise BT-Drs. 19/8300, S. 14. 1155 Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1777; Hohmann/Schreiner, StraFo 2019, 441, 447; die Durchsetzung individueller Interessen soll dagegen nach der Rechtsprechung des OLG Schleswig nicht von § 5 Nr. 2 GeschGehG erfasst sein, vgl. Urt. v. 28. 04. 2022 – 6 U 39/21, GRUR-RS 2022, 9007 Rn. 103 – Teil-Kostenrechnung. 1156 So auch Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 68 f.; Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 336.
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objektiven Formulierung des § 5 Nr. 2 GeschGehG nicht entnehmen.1157 Aufgrund dieser Anpassung stellt Reinbacher die Frage, ob die Tatbestandsausnahmen nach § 5 GeschGehG nicht gänzlich objektiv auszulegen sei, was auch für die Bestimmung des berechtigten Interesses relevant wird.1158 Das Abrücken vom Absichtselement stellt für ihn nämlich ein überzeugendes Argument dafür dar, dass der Gesetzgeber eine durchweg objektiv geprägte Auslegung beabsichtigt hat, was nicht zuletzt durch die unmittelbare Relevanz unterstrichen werde.1159 Daran anknüpfend soll die Gesetzessystematik mit Verweis auf die Regelungstechnik mit der Verwendung des Wortes insbesondere einen zusätzlichen Anknüpfungspunkt liefern. Es handelt sich bei § 5 GeschGehG um eine Generalklausel. Damit muss es sich nach Reinbachers Auffassung bei den konkret beschriebenen Ausnahmen in § 5 Nr. 1 – 3 GeschGehG um Fälle eines berechtigten Interesses handeln, wobei dann kein Raum mehr für eine subjektive Bemessung bleibe.1160 Bisher wurden noch keine verallgemeinerungsfähigen Standpunkte zu § 5 GeschGehG herausgearbeitet, welche zwingend auch für die unbenannten Fälle gelten. Dem Standpunkt Reinbachers kann aber insoweit zugestimmt werden, als dass trotz der Verwendung der Worte zum Schutz und zur Aufdeckung, welche eine subjektive Lesart zulassen1161 und der Begründung des Regierungsentwurfs, einem rein subjektiven Vorgehen eine Absage zu erteilen ist. Etwas anderes würde nämlich einen Widerspruch zur objektiven Bestimmung des Fehlverhaltens begründen. Mithin erscheint eine objektive Begriffsbestimmung auch an dieser Stelle vorzugswürdig. Inhaltlich lassen sich daraus aber nur schwer weitere abstrakte Ausführungen anschließen. Daher wird sich in einem nächsten Schritt zeigen, dass es vielmehr auf den konkreten Einzelfall ankommen muss. bb) Geeignetheit und Interessenabwägung Neben der Frage, wie denn nun das öffentliche Interesse zu bestimmen ist, muss im nächsten Schritt untersucht werden, wann die Aufdeckung geeignet ist, um das öffentliche Interesse zu schützen. Nach dem oben Gesagten hat diese Formulierung erst kurz vor Ende des Gesetzgebungsprozesses Eingang ins GeschGehG gefunden und bleibt vor dem Hintergrund der Gesetzesbegründung zumindest auf den ersten Blick vage. Nicht unerwähnt bleiben soll Hohmann, soweit dieser einen bereits bekannten Streit auf diese Ebene erstrecken will. So sei auch die Geeignetheit aus der subjektiven Perspektive des Erlangenden, Nutzenden oder Offenlegenden zu bestimmen und folglich zu klären, ob die Tathandlung „die Eignung, zu unmittelbaren 1157 1158 1159 1160 1161
Rn. 29.
Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 154; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 34. Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 156. Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 156. Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 156. Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 156; so auch Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 5
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gesellschaftlichen Veränderungen beizutragen oder einen Rechtsverstoß zu beenden und die Geltungskraft der Rechtsordnung durchzusetzen [aufweist].“1162 Dieser Ansatz kann trotz des vielfach geforderten, aber nicht an dieser Vorschrift festzumachenden Schutz des bloß gutgläubigen Handelnden nicht überzeugen. Er lässt sich nämlich nicht mit der bezweckten Objektivierung des Tatbestands und den zuvor dargelegten Erwägungen in Einklang bringen. Folglich gilt es zu klären, ob an dieser Stelle eine Interessenabwägung das geeignete Werkzeug darstellt. Die Verwendung des Wortes geeignet legt im Hinblick auf die gesamte übrige Rechtsordnung den Schluss nahe, dass keine Interessenabwägung von Nöten ist.1163 Vielmehr müsste maßgeblich sein, ob das Fehlverhalten durch die Aufdeckung beendet werden kann.1164 An anderen Stellen – speziell im öffentlichen Recht – wird bei der Prüfung der Geeignetheit einer Maßnahme nämlich auch keine Interessenabwägung vorgenommen. Hätte der Gesetzgeber aber eine Abwägung veranlassen wollen, so wird in der Literatur zutreffend vorgetragen, wäre zumindest terminologisch auf die Erforderlichkeit des Handelns abzustellen gewesen.1165 Dies ist wohl nicht erfolgt, weil dieses Merkmal im Laufe des Gesetzgebungsverfahren auch aus Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL gestrichen wurde.1166 Daher wird auch gefordert, dieses Merkmal im Einklang mit der ansonsten geläufigen Terminologie auszulegen. Damit soll der Wortlaut der Norm keinen Raum für eine Interessenabwägung liefern, womit diese auch auf Ebene des Strafrechts abzulehnen sei.1167 Dies lässt sich mit dem Bestreben die § 5 Nr. 1 – 3 GeschGehG als vorweggenommene Abwägungen einzuordnen, welche keinen Raum mehr für eine Interessenabwägung lassen, in Einklang bringen.1168 Gleichzeitig kann das Merkmal auf diese Weise seiner Funktion zum Ausschluss von bloßen Bagatellverstößen gerecht werden, weil nur jenseits dieser Schwelle eine Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses denkbar ist.1169 Bei einem solchen Verständnis sei es von Nöten, dass ein Rechtsverstoß beendet oder eine gesellschaftliche Veränderung herbeigeführt 1162
Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 128. Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 69 f.; Ohly, GRUR 2019, 441, 448; Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 925; ähnlich Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 336. 1164 Rennicke, wistra 2020, 135, 136. 1165 Ohly, GRUR 2019, 441, 448; ähnlich Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 158. 1166 In Art. 4 Abs. 2 lit. b hieß es nämlich noch „… Aufdeckung eines ordnungswidrigen Verhaltens, einer strafbaren Handlung oder einer illegalen Tätigkeit des Antragstellers, sofern der angebliche Erwerb bzw. die angebliche Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses für die Aufdeckung erforderlich war und der Beklagte im öffentlichen Interesse handelte …“ bzw. „… provided that the alleged acquisition, use or disclosure of the trade secret was necessary …“, vgl. COM(2013) 813 final; vgl. dazu auch Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 2.1; Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 120. 1167 Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 70 mit Fn. 62; Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 337; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 117. 1168 Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 337. 1169 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 32; ähnlich Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1777. 1163
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wird.1170 Zudem wird vorgetragen, dass eine Interessenabwägung vor allem vor dem Hintergrund der enormen Dehnbarkeit des sonstigen Fehlverhaltens zusätzliche Rechtsunsicherheit für die potentielle Akteure mit sich bringen würde.1171 Teilweise wird sogar angezweifelt, ob sich ein derartiges Vorgehen überhaupt mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbaren ließe, weil Interessenabwägungen ganz allgemein mit einem erheblichen Unsicherheitspotential einhergehen.1172 Mithin drängt sich eine Interessenabwägung nicht direkt auf. Dennoch sollte eine Interessenabwägung im Einklang mit Teilen des Schrifttums entweder an der Eignung oder am allgemeinen öffentlichen Interesse festgemacht werden. Genauso lässt sich nämlich einwenden, dass der Wortlaut keine zwingenden Vorgaben enthält.1173 Folglich kann argumentiert werden, dass dem öffentlichen Interesse – als Summe verschiedener Interessen – am umfassendsten Geltung verschafft wird, wenn ein Ausgleich kollidierender Rechtsgüter gewährleistet wird. Zugegebenermaßen erweist sich ein solches Vorgehen vor einer wünschenswerten terminologischen Kohärenz der Gesamtrechtsordnung – wie auch an anderen Stellen angemerkt – nicht als die eleganteste Herangehensweise. Im Hinblick auf § 5 Nr. 1 GeschGehG wurde bereits aufgezeigt, dass eine Interessenabwägung im Rahmen nahezu jeder Grundrechtsausübung erforderlich ist. Ein solches Aufeinandertreffen widerstreitender Interessen geht auch mit diesem benannten Fall des § 5 GeschGehG einher. Warum eine Abwägung dann nicht auch für die übrigen benannten Fälle gleichermaßen die probate Lösung darstellt, lässt sich nicht erklären.1174 Hierbei ist zugleich erneut festzuhalten, dass sich durch ein Fehlverhalten auf Seiten des Geheimnisinhabers kein Verzicht auf eine Interessenabwägung begründen lässt.1175 Vielmehr wird im Schrifttum argumentiert, dass der Norm letztlich die Abwägung zweier (oder mehrerer) verfassungsrechtlich geschützter Rechtspositionen zu Grunde liegt.1176 Im Wege der sogenannten mittelbaren Drittwirkung müssen bei der Anwendung von § 5 Nr. 2 GeschGehG daher die
1170
Hohmann/Schreiner, StraFo 2019, 441, 447 mit Verweis auf BT-Drs. 19/4724, S. 29; Rennicke, wistra 2020, 135, 136. 1171 Erlebach/Veljovic, wistra 2020, 190, 194. 1172 Brockhaus, JRE 26 (2018), 429, 443 ff.; ders., ZIS 2020, 102, 114. 1173 Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 157; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 53; Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 927; so auch im Hinblick auf § 4 GeschGehG-RefE v. Busekist/Racky, ZRP 135, 137. 1174 Zustimmend Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 45. 1175 So auch Redder, Whistleblowing, S. 117 mit Verweis auf BVErfGE 124, 300, 331. 1176 Ohly, GRUR 2019, 441, 448 f.; Drescher, Industrie- und Wirtschaftsspionage, S. 328 f.; Beyerbach, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 5 Rn. 2; Reinhardt-Kasperek, in: Hoeren/ Münker, GeschGehG, § 5 Rn. 82; zur Kritik an verfassungsrechtlichen Abwägungsentscheidungen nur Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 127 ff. und Brockhaus, JRE 26 (2018), 429, 439 ff.
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Grundrechte der betroffenen Personen – namentlich des Geheimnisinhabers und des potentiellen Geheimnisverletzers – in Ausgleich gebracht werden.1177 Explizit benannt werden können dabei die bereits im Zusammenhang mit § 5 Nr. 1 GeschGehG dargestellten Grundrechtspositionen des Unternehmers. Da in Fällen des § 5 Nr. 2 GeschGehG regelmäßig eine (enge) Beziehung zwischen den Akteuren bestehen, treten weitere Aspekte hinzu. So kann es in diesem Zusammenhang auf die aus Art. 12 GG herrührenden gegenseitigen Loyalitätspflichten ankommen.1178 Außerdem gilt es auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG der unmittelbar durch den Inhalt der preisgegebenen Information betroffenen Personen im Unternehmen zu berücksichtigen.1179 Zusätzlich ist auf das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG betroffener Arbeitnehmer hinzuweisen. Diesen ist es nicht aufzubürden auf Grund der Zugehörigkeit zum Unternehmen unfreiwillig an rechtswidrigen Praktiken mitzuwirken.1180 Zudem kann in diesem Zusammenhang, sofern der potentielle Geheimnisverletzer auch zur Verteidigung der eigenen Ehre tätig wird, – je nach vertretener Auffassung – auch schutzbereichsverstärkend das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG mit in die Waagschale geworfen werden.1181 Daneben kann die Gewissensfreiheit – im nationalen Recht durch Art. 4 Abs. 1 GG, auf Ebene der GRCh durch Art. 10 Abs. 1 EMRK gewährleistet – eine geschützte Grundrechtsposition darstellen, sofern dabei eine Gewissensentscheidung in diesem Sinne getroffen wird, und somit in die Interessenabwägung miteingestellt werden.1182 Zudem können je nach Vorgehen und Adressat auch Art. 17 GG sowie Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG von Relevanz sein.1183 Gerade bei Strafanzeigen gilt es in diesem Zusammenhang hervorzuheben, dass eine (gutgläubig) erfolgte Anzeige nach Rechtsprechung des BVerfG nicht zur zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Haftung des Anzeigenerstatters führen soll.1184 Wird hingegen eine Gewerkschaft angerufen, so ist auch Art. 9 Abs. 3 GG zu berücksichtigen.1185 Daneben ist an dieser 1177
Zur Wirkung der Grundrechte im bürgerlichen Recht vgl. nur BVerfGE 7, 198, 205 ff. und Redder, Whistleblowing, S. 58 f. 1178 Redder, Whistleblowing, S. 114 ff. m. w. N. 1179 Redder, Whistleblowing, S. 70 f., 120 f. 1180 Rudkowski, CCZ 2013, 204, 205; Klaas, CCZ 2019, 163, 165; Redder, Whistleblowing, S. 222 f. 1181 Nur Redder, Whistleblowing, S. 57 f. 1182 Nur Redder, Whistleblowing, S. 49, 61, 64. 1183 Nur Redder, Whistleblowing, S. 51 ff., speziell zur Erstattung von Strafanzeigen 54 ff. jeweils m. w. N. 1184 BVerfGE 74, 257, 260; Redder kritisiert an der Entscheidung des BVerfG, dass dieses auf Art. 2 Abs. 1 GG und nicht auf die vorher genannten Grundrechte abgestellt hat, vgl. Whistleblowing, S. 55; zur vertieften Analyse der bisher dazu ergangenen Rechtsprechung, vgl. nur ders., Whistleblowing, S. 160 ff. m. w. N.; § 5 Nr. 2 GeschGehG kann allerdings bei bloß hypothetischen Missständen nicht zur Haftungsfreistellung führen, vgl. bereits Kapitel 6 B.II.2.a)dd). 1185 Nur Redder, Whistleblowing, S. 56 f.
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Stelle erneut auf die besondere Bedeutung der Meinungsfreiheit, welche nicht nur dem Schutz von Journalisten – in vorliegenden Zusammenhang besonders einfachrechtlich ausgestaltet durch § 5 Nr. 1 GeschGehG – dient, sondern in vergleichbarem Umfang auch dem Schutz von potentiellen Geheimnisverletzern, die dem Schutz von § 5 Nr. 2 GeschGehG unterfallen können.1186 In diesem Zusammenhang ist – anders als bei der Arbeit von Journalisten – von großem Interesse, ob auch anonyme Meinungsäußerungen Schutz verdienen. Die Gewährleistung größtmöglicher Anonymität stellt aber einen wesentlichen Faktor für hinweisgeberisches Verhalten dar.1187 Gleichzeitig vertritt das BVerfG aber, dass „[d]ie Wirkung einer Äußerung auf Dritte […] aber wesentlich davon [abhängt], ob ihr Urheber erkennbar ist oder nicht. Anonymen Äußerungen fehlt häufig dasjenige Maß an Authentizität und Glaubhaftigkeit, welches ihnen erst den gewünschten Einfluß verleiht oder Reaktionen hervorruft.“1188
Der Rechtsprechung des BAG lassen sich sogar sehr deutlich Einwände gegen den Schutz anonym handelnder Personen entnehmen, wenn es heißt „[dies] kann aber nicht für eine anonym erstattete Anzeige, bei der der Anzeiger ungenannt bleibt und gerade nicht seine persönliche Meinung kundtun will, gelten. Eine solche anonyme Anzeige fällt nicht in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Ihr fehlt es gerade an dem konstituierenden Element der Subjektivität […]. Ohne die deutlich erkennbare persönliche Zuordnung kann eine anonyme Äußerung nicht an der geistigen Auseinandersetzung teilnehmen.“1189
Der BGH wiederum ist gegenteiliger Auffassung und vertritt, dass „[die] Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde […] die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern.“1190
Da der Gemeinsame Senat der Bundesgerichte (Art. 95 Abs. 3 GG) in der Folge aber bisher noch nicht angerufen wurde, steht eine endgültige Klärung durch die Rechtsprechung noch aus. Mithin sprechen aber die vom BGH vorgetragenen Argumente, welche in der Literatur positiv Resonanz erfahren haben, dafür auch zum
1186
Siehe bereits Kapitel 5 B.II.2.a)cc)(1) und erneut vertiefend Redder, Whistleblowing, S. 42 ff., 60 f., 63. 1187 Statt vieler nur Redder, Whistleblowing, S. 45; diese empirisch gesicherte Feststellung hat daher auch an verschiedenen Stellen normativen Niederschlag in der Whistleblowing-RL gefunden; Hefendehl hingegen kritisiert, dass durch anonymes Whistleblowing der Schutz vor falschen Verdächtigungen durch § 164 StGB untergraben wird, vgl. FS Amelung, S. 617, 633 f. 1188 BVerfGE 97, 391, 398 f. 1189 BAGE 107, 36, 44; Zustimmung zur Rechtsprechung des BAG findet sich etwa bei Lutterbach, Whistleblowing, S. 120. 1190 BGHZ 181, 328, 341 f. – Lehrerbewertungen im Internet.
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Schutz des anonym Handelnden die Meinungsfreiheit mit in die Interessenabwägung einzubeziehen.1191 Überdies wohnt der Einstufung von § 5 Nr. 2 GeschGehG als vorweggenommenes Abwägungsergebnis vor allem im Bereich bloßer Bagatellverstöße letztlich ein innerer Widerspruch inne. Eine Interessenabwägung würde durch die Hintertür auf eine andere Ebene gehievt. Es wäre nämlich zu ermitteln, wann die Bagatellgrenze überschritten wird. Dazu müsste wiederum, um ein interessengerechtes Normverständnis an den Tag zu legen, ebenfalls die Argumente des Einzelfalls Berücksichtigung finden, im Ergebnis also ebenfalls eine Abwägung stattfinden. Mithin würde die Verhältnismäßigkeitsprüfung im konkreten Einzelfall bloß verlagert. Da eine offene Interessenabwägung bei bloßen Bagatellfällen regelmäßig zum gleichen Ergebnis gelangen wird, können auch bei einem solchen Normverständnis die erforderlichen Einschränkungen erreicht werden. Ein solch verschachteltes Verhalten kann so vermieden werden. Daher verdienen die Stimmen in der Literatur, welche sich für eine Interessenabwägung – obschon mit unterschiedlichen Begründungsansätzen – aussprechen, Beifall. Neben der Auslegung der nationalen Rechtsvorschrift ist an dieser Stelle vor allem vor dem Hintergrund der angestrebten Vollharmonisierung eine Ergebniskontrolle im Lichte des Unionsrechts von Nöten. Ob die Umsetzung den Anforderungen der Richtlinie genügt, wird in Zukunft – wie im Hinblick auf § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG – durch den EuGH zu klären sein.1192 Hier wird nämlich die bereits angesprochene Frage, ob eine vom Wortlaut des § 5 Nr. 2 GeschGehG abweichende am Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL orientierte Auslegung geboten ist, virulent. § 5 Nr. 2 GeschGehG enthält abweichend von der Richtlinie das Erfordernis einer objektiven Eignung im Verhältnis zur dort weiter gefassten subjektiven Zwecksetzung.1193 Trotz anderweitiger Vermutungen handelt es sich bei Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL nicht um einen Rechtfertigungsgrund, sondern ebenfalls um eine Tatbestandsausnahme.1194 Die originär rechtmäßigen Handlungsformen sind bereits abschließend in Art. 3 Geschäftsgeheimnis-RL aufgezählt. Die Ablehnung von Maßnahmen nach Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL setzt zunächst einmal eine tatbestandsmäßige sowie rechtswidrige Handlung voraus.1195 Das bloße Vorliegen der Tatbestände des Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL soll nach Wieses – zutreffender – Auffassung anders als beim Eingreifen des Art. 3 Geschäftsgeheimnis-RL keinen generellen Ausschluss begründen können. Vorausgesetzt sei vielmehr eine Interes-
1191
Statt vieler Ziegelmayer, GRUR 2012, 761, 765 und Redder, Whistleblowing, S. 46 ff. jeweils m. w. N. 1192 Zustimmend Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 155; auch die Bundesregierung zweifelt die Unionsrechtskonformität der Vorschrift an, BT-Drs. 19/8300, S. 12 f. 1193 Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 155. 1194 Zutreffend Wiese, EU-Richtlinie, S. 132; a. A. McGuire, GRUR 2016, 1000, 1006. 1195 Wiese, EU-Richtlinie, S. 132.
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senabwägung, weil sie dem Schutz grundrechtlich geschützter, widerstreitender Interessen dienen.1196 Das Ganze wird auch nicht dadurch entkräftet, dass die Geschäftsgeheimnis-RL lediglich in den Art. 7 Abs. 1 lit. a, 9 Abs. 3, 11 Abs. 2, 13 Abs. 1, 3 lit. b, 15 Abs. 3 und 16 explizit auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung hinweist.1197 Ein pauschaler Ausschluss ohne eine Abwägung im Einzelfall würde die Interessen des Geheimnisinhaber stets nachrangig behandeln. Absolute Nachrangigkeit des Geheimnisschutzes kann aber nicht bezweckt sein. Durch die Richtlinie soll gerade die Bereitschaft gerichtlichen Rechtsschutz zu suchen gestärkt werden, was jedoch mit einem solchen Normverständnis unvereinbar wäre.1198 Ebenso wenig führt der erwähnte sprachliche Wandel im Laufe des Gesetzgebungsprozesses der Richtlinie zwingend zu einem abweichenden Ergebnis.1199 Das Merkmal der Erforderlichkeit findet dort nicht die gleiche, einheitliche Verwendung wie in der deutschen Terminologie. Zudem handelt es sich bei der Wahrung der Verhältnismäßigkeit um einen durch Art. 5 Abs.4 EUV tief im Unionsrecht verwurzelten Grundsatz.1200 Mithin kann das aufgezeigte Normverständnis trotz abweichenden Wortlauts durchaus der Richtlinie genügen. Auch im Hinblick auf das Absichtserfordernis wurde bereits aufgezeigt, wie damit verfahren werden kann. Eine Interessenabwägung im konkreten Einzelfall ist damit – wie auch im Hinblick auf § 5 Nr. 1 GeschGehG festgestellt – stets erforderlich. c) Illegale Geheimnisse – Das Spannungsverhältnis von § 5 Nr. 2 GeschGehG und § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG Wie bereits erwähnt sehen einige Stimmen in der Literatur keine große praktische Bedeutung der Tatbestandsausnahme nach § 5 Nr. 2 GeschGehG, weil diese illegale Geheimnisse – zutreffend – bereits auf Ebene des Geschäftsgeheimnisses ausschließen. Divergenzen bestehen noch beim Umfang und der dazugehörigen Begründung. Nach einer Ansicht kommt die Vorschrift aus § 5 Nr. 2 GeschGehG regelmäßig nur dann zur Anwendung, wenn neben der illegalen Aktivität zugleich geschützte Geheimnisse kundgetan werden.1201 Hauck hingegen geht nicht auf die gleichzeitige Mitveröffentlichung geschützter Geheimnisse ein, sondern sieht den
1196 Wiese, EU-Richtlinie, S. 132 f.; zustimmend Schenkel, Whistleblowing, S. 188; im Hinblick auf den vorangegangenen Art. 4 Abs. 2 des Richtlinienentwurfs bereits HarteBavendamm, in: FS Köhler, S. 235, 249 und Kalbfus/ders., GRUR 2014, 453, 455. 1197 So aber Brockhaus, ZIS 2020, 102, 117. 1198 Wiese, EU-Richtlinie, S. 133. 1199 A. A. Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 120. 1200 Wiese, EU-Richtlinie, S. 133; ähnlich Fuhlrott/Hiéramente, DB 2019, 967, 969. 1201 So etwa McGuire, in: Büscher, UWG, § 5 GeschGehG Rn. 30; Alexander, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 25.
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einzigen Anwendungsbereich bei sonstigem Fehlverhalten.1202 Wieder anders geht Steinmann vor, wenn diese auf Grund der mangelnden Tatbestandsmäßigkeit illegaler Geheimnisse davon ausgeht, dass Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL primär bei gutgläubigem Whistleblowing zur Anwendung komme.1203 All diesen Literaturstimmen kann in Teilen etwas abgewonnen werden. Wie aufgezeigt wurde unterfallen illegale Geheimnisse wegen § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG nicht dem Geschäftsgeheimnisbegriff. Dies gilt aber wegen der mangelnden Bestimmtheit nicht in gleicher Weise für sonstiges Fehlverhalten. Somit besteht schon gar kein echtes Spannungsverhältnis. Vielmehr kommt § 5 Nr. 2 GeschGehG bei der Veröffentlichung illegaler Geheimnisse immer dann zur Anwendung, wenn geschützte Geheimnisse mitbetroffen sind, bei der Preisgabe von sonstigem Fehlverhalten hingegen uneingeschränkt. Sind ausschließlich illegale Geheimnisse Gegenstand der Veröffentlichung, so liegt bereits keine tatbestandsmäßige Verhaltensweise vor. 3. § 5 Nr. 3 GeschGehG Der Tatbestandsausschluss nach § 5 Nr. 3 GeschGehG privilegiert ausweislich der Gesetzesbegründung „die Erlangung, die Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses im Rahmen der Offenlegung gegenüber der Arbeitnehmervertretung, soweit die Offenlegung aus Sicht des Arbeitnehmers erforderlich ist, damit die Arbeitnehmervertretung ihre Aufgabe erfüllen kann“.1204
Die Vorschrift dient damit sowohl dem Schutz von Arbeitnehmern, als auch dem Schutz der Arbeitnehmervertretung.1205 Es soll folglich der Geheimnisschutz hinter der Mitbestimmung der Arbeitnehmer zurücktreten, soweit dies erforderlich ist.1206 Bevor mit der eigentlichen Auslegung des Tatbestands begonnen werden kann, ist unter Heranziehung der Literatur zu klären, wie die Begriffe Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertretung im Sinne dieser Vorschrift zu verstehen sind. Es findet sich bei Hohmann die Forderung nach einer weiten Auslegung des Begriffs der Arbeitnehmervertretung, unter den jedenfalls der Betriebsrat und die Mitarbeitervertretung bei kirchlichen Arbeitgebern fallen soll.1207 Dieses Ergebnis wirft jedoch die Frage nach dem Verhältnis zu den Vorschriften aus § 3 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 GeschGehG 1202
Hauck, GRUR-Prax 2019, 223, 225. Steinmann, WRP 2019, 703, 709. 1204 BT-Drs. 19/4724, S. 29; Brammsen wiederrum stuft § 5 Nr. 3 GeschGehG nicht als Tatbestandsausnahme ein, vgl. Brammsen/Apel, GeschGehG, § 5 Rn. 134. 1205 BT-Drs. 19/4724, S. 29; Brockhaus geht auf Grund bereits bestehender ausgeklügelter arbeitsrechtlicher Vorschriften nicht davon aus, dass § 5 Nr. 3 GeschGehG große eigenständige Relevanz entwickeln könnte, vgl. ZIS 2020, 102, 112. 1206 McGuire, in: Büscher, UWG, § 5 GeschGehG Rn. 42. 1207 Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 129. 1203
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auf. Hayen wiederum knüpft an dieser Stelle auf unionsrechtlichen Begrifflichkeiten an.1208 In der Literatur wird schließlich kritisiert, dass nicht ausreichend deutlich wird, worin der eigenständige Anwendungsbereich des § 5 Nr. 3 GeschGehG besteht.1209 Die Entgegennahme des Geschäftsgeheimnisses auf Seiten der Arbeitnehmervertretung ist bereits von § 3 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG erfasst.1210 Demnach bliebe letztlich nur noch Raum für die Offenlegung durch die Arbeitnehmervertretung, was sich jedoch kaum mit dem Wortlaut des § 5 Nr. 3 GeschGehG vereinbaren lässt.1211 Kritisch betrachtet wird zudem das Merkmal erforderlich. Das allgemeine, bereits erwähnte Begriffsverständnis hilft an dieser Stelle nur bedingt weiter.1212 Vielmehr bestehen mangels weiterer Hinweise im Gesetz Zweifel darüber, welche Informationen als für die Erfüllung der Aufgaben erforderlich einzustufen sind und wie dabei die Risikoverteilung von statten gehen soll.1213 In der Literatur wird bei der Bestimmung teilweise ohne nähere Begründung1214, teilweise unter Verweis auf den Wortlaut der Norm sowie auf die bisherige arbeitsrechtliche Rechtsprechung für eine enge und objektivierte Auslegung plädiert.1215 Dagegen spricht indes die subjektiv geprägte Gesetzesbegründung. Mithin wohnt dieser Vorschrift ein erhebliches Maß an Unsicherheit für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer inne.1216 Bei der Auslegung des Art. 5 lit. c Geschäftsgeheimnis-RL beschränkt sich die Literatur oft nur auf Ausführungen zum Verhältnis der benannten Fälle untereinander. So wird vorgetragen, dass sich der Regelungsgehalt von Art. 5 lit. b und Art. 5 lit. c Geschäftsgeheimnis-RL nicht überschneide.1217 Zwar betreffen beide Vorschriften zumindest auch unternehmensinterne Vorgänge. Art. 5 lit. c Geschäftsgeheimnis-RL erfasse allerdings insoweit ausschließlich die Offenlegung gegenüber dem Betriebsrat. Weiterhin ergibt sich ein Unterschied dadurch, dass statt dem Schutz des allgemeinen öffentlichen Interesses nach einer Interessenabwägung die
1208
Hayen, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 5 Rn. 111 ff. McGuire, in: Büscher, UWG, § 5 GeschGehG Rn. 43. 1210 McGuire, in: Büscher, UWG, § 5 GeschGehG Rn. 43. 1211 McGuire, in: Büscher, UWG, § 5 GeschGehG Rn. 43; Fuhlrott, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 51; Alexander plädiert daher für eine Anwendung auf alle möglichen Verletzungsformen, vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 52; zu Art. 5 lit. c Geschäftsgeheimnis-RL Bissels/Schroeders/Ziegelmayer, DB 2016, 2295, 2298. 1212 So aber Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 129. 1213 Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 587; Fuhlrott, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 53. 1214 Ernst, MDR 2019, 897, 901. 1215 Fuhlrott, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 51, 53 mit Verweis auf BAGE 153, 111; weniger streng Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 55. 1216 Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 587; Reinfeld, GeschGehG, § 3 Rn. 50. 1217 Wiese, EU-Richtlinie, S. 144 f. 1209
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Offenlegung zur Erfüllung der Aufgaben der Vertreter erforderlich sein muss.1218 Es soll bei dieser Tatbestandsvariante damit anders als bei den übrigen Varianten auf Grund der konkreten Umschreibung der Umstände nicht auf eine Interessenabwägung ankommen.1219 Die Bestimmung der Aufgaben im Sinne des § 5 Nr. 3 GeschGehG richte sich – so wird vorgetragen – im nationalen Recht etwa nach § 80 Abs. 1 BetrVG.1220 Dem kann insoweit zugestimmt werden, als bei konkreter normativer Ausgestaltung der Aufgaben oft kaum mehr Raum für eine umfassende Abwägung im Einzelfall verbleiben wird. Eine Interessenabwägung bleibt damit aber gleichfalls neben abschließend geregelten Konstellationen denkbar und wird durch die Verwendung des Wortes erforderlich sogar deutlicher als in § 5 Nr. 2 GeschGehG impliziert.1221 Vor dem Hintergrund der bereits aufgezeigten Erwägungen können aber keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden.
III. Unbenannte Fälle der Tatbestandsausnahme nach § 5 GeschGehG Der Gesetzgeber hat sich entschieden, § 5 GeschGehG als Generalklausel auszugestalten, was durch die Verwendung des Wortes insbesondere verdeutlicht wird. Vor diesem Hintergrund gilt es also, anhand der bisherigen Ergebnisse zu ermitteln, welche Anforderungen an einen Tatbestandsauschluss abseits der benannten Fälle zu stellen sind. Daran anknüpfend ist aufzuzeigen, ob für diese Vorschrift überhaupt ein relevanter Anwendungsbereich verbleibt. Den Ausgangspunkt dieser Regelung bildet Art. 5 lit. d Geschäftsgeheimnis-RL. Diese Vorschrift sieht vor, dass die Tatbestandsausnahme dann eingreifen soll, wenn eine an sich verwirklichte Verletzungshandlung „zum Schutz eines durch das Unionsrecht oder das nationale Recht anerkannten legitimen Interesses“ erfolgt. Die Umsetzung ins nationale Recht, über die ergebnisoffene Verwendung des Begriffs insbesondere ist durchaus Kritik ausgesetzt. Es wird vorgetragen, dass auf diese Weise der bezweckte einheitliche Schutzstandard von Geschäftsgeheimnissen ausgehöhlt werde.1222 Zudem wird vertreten, dass die Richtlinie im Unterschied zu § 5 GeschGehG klarere Konturen aufweise.1223
1218
2298. 1219
Wiese, EU-Richtlinie, S. 145; a. A. Bissels/Schroeders/Ziegelmayer, DB 2016, 2295,
Wiese, EU-Richtlinie, S. 150. Wiese, EU-Richtlinie, S. 150. 1221 So nun auch Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 5 Rn. 112 ff.; a. A. Hayen, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 5 Rn. 158. 1222 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 10.1, 10.2. 1223 Gramlich/Lütke, wistra 2019, 480, 482. 1220
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Dieser Kritikpunkt greift allerdings nicht durch, weil bei der Auslegung der Vorschrift zum einen die Richtlinie im Blick behalten werden muss und zum anderen eine wortlautgetreue Umsetzung letztlich den gleichen Risiken ausgesetzt gewesen wäre. Bei der Auslegung der Vorschrift des GeschGehG lassen sich aus dem Wortlaut als Tatbestandsvoraussetzung die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung zum Schutz eines berechtigten Interesses entnehmen. Kernfrage wird also sein, wann ein berechtigtes Interesse vorliegt. Das Handeln zum Schutz suggeriert das Vorliegen eines subjektiven Elements. Dies gilt, wie erwähnt, ganz allgemein für die Vorschrift des § 5 GeschGehG. 1. Berechtigtes Interesse im Sinne des § 5 GeschGehG Dem Wortlaut des Gesetzes können keine Beschränkungen möglicher Interessen entnommen werden. Eine solche lässt sich auch nicht an der Gesetzesbegründung festmachen. Dort ist die Rede davon, dass „jedes von der Rechtsordnung gebilligte Interesse“ sowie beispielsweise eigene „Interessen wirtschaftlicher oder ideeller Art“, aber auch Gruppeninteressen erfasst sind.1224 Im Einklang mit der Gesetzesbegründung und dem überwiegenden Teil der Literatur ist daher von einem weiten Begriffsverständnis auszugehen.1225 In Abgrenzung zu § 5 Nr. 2 GeschGehG können somit auch private Eigeninteressen erfasst werden, die sich nur schwer unter die genannte Vorschrift subsumieren lassen. Somit scheint bereits an dieser Stelle Raum für einen eigenständigen Anwendungsbereich zu verbleiben. Dennoch können die benannten Fälle der Tatbestandsausnahme – trotz ihrer spezielleren Natur wie eingangs festgehalten – zumindest eine gewisse Orientierung beisteuern, wenn es darum geht die zu berücksichtigenden Interessen zu gewichten.1226 Dagegen wird insbesondere mit Blick auf Art. 5 lit. d Geschäftsgeheimnis-RL – wohl wegen der Formulierung „zum Schutz eines durch das Unionsrecht oder das nationale Recht anerkannten legitimen Interesses“ – vertreten, dass Interessen von gesellschaftlicher Relevanz betroffen sein müssen.1227 So wird etwa ausgeführt, unter den anerkannten Interessen im Sinne dieser Vorschrift seien die EU-Grundrechte, Grundsätze der Charta, die Grundfreiheiten sowie die im Primär- und Sekundärrecht verankerten Ziele zu verstehen.1228 Im Ergebnis folgt daraus allerdings auf Grund der
1224
BT-Drs. 19/4724, S. 28. Reinfeld, GeschGehG, § 3 Rn. 8; McGuire, in: Büscher, UWG, § 5 GeschGehG Rn. 15; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 4; krit. im Hinblick auf § 4 GeschGehG-RefE v. Busekist/Racky, ZRP 135, 138. 1226 So auch Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 61. 1227 Reinhardt-Kasperek/Kaindl, BB 2018, 1332, 1334. 1228 Wiese, EU-Richtlinie, S. 145. 1225
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umfassenden Ausgestaltung dieser Rechtspositionen keine wirkliche Einschränkung der bisher zum nationalen Recht festgehaltenen Grundsätze. 2. Interessenabwägung Ähnlich, wie bei den § 5 Nr. 1 – 3 GeschGehG stellt sich an dieser Stelle die Frage nach dem „Ob“ und dem gegebenenfalls erforderlichen „Wie“ einer Interessenabwägung. Dabei wird ganz überwiegend gefordert, das zu schützende, berechtigte Interesse dem Interesse an Geheimhaltung des Geschäftsgeheimnisses gegenüber zu stellen.1229 Dies gilt es, kritisch zu hinterfragen. Der Wortlaut der Norm gibt dies nicht so eindeutig her, wie es die Vielzahl an befürwortenden Stimmen1230 in der Literatur vermuten lässt. Vielmehr könnte jegliche Form des Handelns von der Tatbestandsausnahme erfasst und von den Verboten des § 4 GeschGehG auszunehmen sein. Bezieht man an dieser Stelle die Erkenntnisse zu § 5 Nr. 1 – 3 GeschGehG mit ein, wird deutlich, dass der zuletzt genannte Ansatz nicht zu überzeugen vermag. Es handelt sich dabei um besondere Ausprägungsformen des § 5 GeschGehG, welche allesamt eine Interessenabwägung widerstreitender Rechtsgüter und Interessen zum Gegenstand haben. Daher muss dies auch für die Generalklausel gelten. Ansonsten würde ein nicht zu rechtfertigender Wertungswiderspruch begründet werden. Selbst wenn man die § 5 Nr. 1 – 3 GeschGehG als vorweggenommene Abwägungsergebnisse einstuft, würde dies ein weiteres Argument für eine an dieser Stelle erforderliche Interessenabwägung liefern. Diese betreffen nämlich nur ausgewählte Fallgruppen. In anderen Konstellationen wäre ein hinreichender Grundrechtsschutz aber dennoch zu gewährleisten. Ein solches Vorgehen steht im Einklang mit der Gesetzesbegründung, in der es heißt „über den Begriff des berechtigten Interesses im Einzelfall zur Sicherstellung der Verhältnismäßigkeit“ könne eine Interessenabwägung stattfinden.1231 Dies entspricht nach vorzugswürdigen Stimmen in der Literatur auch Erwägungsgrund [21]1232 und den darin aufgezeigten allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts.1233 1229 Reinhardt-Kasperek/Kaindl, BB 2018, 1332, 1336; differenzierend zwischen § 5 Nr. 1 GeschGehG und § 5 Nr. 2 GeschGehG Brockhaus, ZIS 2020, 102, 117; a. A. v. Busekist/ Racky, ZRP 135, 137. 1230 So auch Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 586; Richter, ArbRAktuell 2019, 375, 377; im Hinblick auf § 4 GeschGehG-RefE v. Busekist/Racky, ZRP 135, 137; ReinhardtKasperek/Kaindl, BB 2018, 1332, 1335 f. 1231 BT-Drs. 19/4724, S. 28. 1232 Erwägungsgrund [21] lautet wie folgt: „Im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sollten die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen darauf zugeschnitten sein, das Ziel eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts für Forschung und Innovation zu erreichen, indem sie insbesondere vor dem rechtswidrigen Erwerb und der rechtswidrigen Nutzung und Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses abschrecken. Eine solche Zuschneidung dieser Maßnahmen, Verfahren und
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Anderer Auffassung ist Reinbacher. Zum einen verlange Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL keine Abwägung und schon gar keine abgestufte Prüfung der Erforderlichkeit des konkreten Handelns.1234 Zum anderen bringe die in Erwägungsgrund [20] geforderte unmittelbare Relevanz eine ausreichende Einschränkung der Reichweite des Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL mit sich.1235 Wie bereits im Hinblick auf § 5 Nr. 2 GeschGehG aufgezeigt, vermag dieser Einwand nicht zu verfangen. Dazu ist erneut Wieses Ansicht aufzugreifen, welche die „unmittelbare Relevanz“ in Erwägungsgrund [20] dahingehend auslegt, dass nur solche Geschäftsgeheimnisse offengelegt werden sollen, deren Preisgabe zwangsläufig mit der Offenlegung der in § 5 Nr. 2 GeschGehG bzw. Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL aufgezählten Verhaltensweisen einhergeht. Mithin wird nicht nur im nationalen Recht, sondern auch im Hinblick auf Art. 5 lit. d Geschäftsgeheimnis-RL eine Interessenabwägung für notwendig zu erachten sowie ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel zu wählen sein. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut der Norm, sondern aus der bereits dargelegten Argumentation, dass der Ausgleich und Schutz widerstreitender, grundrechtlicher geschützten Interessen entscheidend ist.1236 Kommt man zur konkreten Rechtsanwendung sollen neben dem Verweis auf die Orientierungsfunktion der benannten Fälle in § 5 Nr. 1 – 3 GeschGehG nur einige exemplarische Beispiele aus dem Schrifttum aufgegriffen werden. So ist an dieser Stelle die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte – wie etwa das Erstatten von Strafanzeigen – und zur Wahrung staatsbürgerlicher Pflichten – wie etwa die Zeugenpflicht – zu er-
Rechtsbehelfe sollte die Grundrechte und Grundfreiheiten oder das Gemeinwohl, etwa die öffentliche Sicherheit, den Verbraucherschutz, die öffentliche Gesundheit und den Umweltschutz, nicht gefährden oder untergraben und die Mobilität der Arbeitnehmer nicht beeinträchtigen. Deshalb bezwecken die in dieser Richtlinie festgelegten Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe zu gewährleisten, dass die zuständigen Gerichte Faktoren wie dem Wert eines Geschäftsgeheimnisses, der Schwere des Verhaltens, das zum rechtswidrigen Erwerb oder zur rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung geführt hat, sowie den Auswirkungen dieses Verhaltens Rechnung tragen. Auch sollte sichergestellt sein, dass die zuständigen Gerichte über das Ermessen verfügen, die Interessen der an einem Rechtsstreit beteiligten Parteien und die Interessen Dritter, gegebenenfalls auch der Verbraucher, gegeneinander abzuwägen.“ 1233 BT-Drs. 19/4724, S. 28; Dann/Markgraf stimmen dem Gesetzgeber an dieser Stelle zu und kritisieren zugleich, dass eine Interessenabwägung im Einzelfall systematisch besser auf Ebene der Rechtswidrigkeit zu verorten gewesen wäre, vgl. NJW 2019, 1774, 1777; McGuire hält die Ausgestaltung als Rechtfertigungsgrund für vorzugswürdig, vgl. Büscher, UWG, § 5 GeschGehG Rn. 12; a. A. im Hinblick auf § 4 GeschGehG-RefE v. Busekist/Racky, ZRP 135, 137. 1234 Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 157 f. 1235 Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 158; ders., KriPoZ 2018, 115, 118. 1236 Zustimmend im Hinblick auf Art. 5 lit. Geschäftsgeheimnis-RL Wiese, EU-Richtlinie, S. 146.
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wähnen.1237 Auf § 34 StGB und sein Verhältnis zu § 5 GeschGehG wird hingegen an späterer Stelle gesondert eingegangen.1238 Als weitaus ergiebiger erweist sich aber der Vergleich mit § 193 StGB.1239 Diese Vorschrift setzt ebenfalls das Vorliegen eines berechtigten Interesses voraus. Die in diesem Zusammenhang begangene Verletzungshandlung, bei der es sich wegen der Stellung der Norm im StGB um eine Ehrverletzung handeln muss1240, muss zur Wahrnehmung dieser Interessen geeignet sowie erforderlich sein. Zudem ist es von Nöten, dass sie sich im Rahmen einer Interessenabwägung als angemessenes Mittel erweist.1241 Der Kreis erfasster Interessen ist dabei ähnlich wie bei der Generalklausel in § 5 GeschGehG weit zu ziehen und erfasst beispielsweise private Interessen finanzieller und ideeller Natur.1242 An dieser Stelle kann erneut das Informationsinteresse der Öffentlichkeit erwähnt werden.1243 Gleichzeitig scheidet nach vorherrschendem Verständnis hier genauso der Schutz rechtswidriger Interessen aus.1244 Wahrgenommen werden können dabei denklogischer Weise eigene, aber auch Drittinteressen.1245 Liegt eine Verletzung eines solchen Interesses vor, so muss sich die Handlung als geeignet, erforderlich und angemessen erweisen, um in den Genuss der Rechtfertigung nach § 193 StGB zu gelangen.1246 Zwar können diese Aspekte immer nur im konkreten Einzelfall untersucht werden. Nichtsdestotrotz bieten die bereits bestehende Rechtsprechung und das Schrifttum Anknüpfungspunkte, die bei der Anwendung von § 5 GeschGehG berücksichtigt werden können. So kommt es neben Inhalt und Form der Verletzungshandlung1247 vor allem auf den gewählten Adressatenkreis an. Das Erstatten einer Strafanzeige ist bei einem entsprechenden
1237 BVerfGE 74, 257, 260 f.; 76, 363, 383; BVerfG, Beschl. v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/ 00, NJW 2001, 3474, 3475 f.; dazu nur Gerdemann, RdA 2019, 16, 17. 1238 Siehe dazu Kapitel 12 B.I. 1239 Ähnlich auch Wiese, EU-Richtlinie, S. 151. 1240 Zum nach h. M. begrenzten Anwendungsbereich von § 193 StGB nur Hilgendorf, in: LK-StGB, § 193 Rn. 11 m. w. N. und Zaczik, in: NK-StGB, § 193 Rn. 12. 1241 Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., StGB, § 193 Rn. 24. 1242 Zu finanziellen Interessen etwa RGSt 29, 147, 148 und OLG Hamm, Beschl. v. 30. 06. 1986 – 4 Ss 271/86, NJW 1987, 1034, 1035 m. w. N.; Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., StGB, § 193 Rn. 25 und Zaczik, in: NK-StGB, § 193 Rn. 18. 1243 BGH, Urt. v. 11. 01. 1966 – VI ZR 221/63, NJW 1966, 647, 648; Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., StGB, § 193 Rn. 25. 1244 Hilgendorf, in: LK-StGB, § 193 Rn. 18 m. w. N.; Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., StGB, § 193 Rn. 25; Zaczik, in: NK-StGB, § 193 Rn. 18. 1245 BVerfGE 12, 113, 126; vertiefend nur Hilgendorf, in: LK-StGB, § 193 Rn. 19 f. m. w. N. und Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., StGB, § 193 Rn. 26 – 29. 1246 Dazu etwa BVerfGE 12, 113, 125 f.; RGSt 59, 172, 173; BGHSt 12, 287, 293 f.; OLG Köln, Urt. v. 20. 02. 1979 – 1 Ss 69/79, NJW 1979, 1723. 1247 Hilgendorf, in: LK-StGB, § 193 Rn. 25 f. m. w. N.; Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., StGB, § 193 Rn. 33 f.; Zaczik, in: NK-StGB, § 193 Rn. 22.
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Verdacht oftmals gerechtfertigt.1248 Dies gilt auch für eine freiwillige Aussage bei der Polizei.1249 Beim Weg an die Öffentlichkeit sind wegen der weitreichenden Konsequenzen dagegen gewichtige Interessen und eine besonders sorgfältige Prüfung erforderlich.1250 Beliebige Dritte erweisen sich hingegen in aller Regel als untauglich.1251
IV. Subjektives Element – Handeln zum Schutz 1. Handeln zum Schutz Abschließend stellt sich die Frage, inwieweit es für das Eingreifen der Tatbestandsausnahme nach § 5 GeschGehG eines subjektiven Elements bedarf. In der Literatur gibt es Stimmen, die die geänderte Fassung der Norm so verstehen, dass bereits das Eingreifen der objektiven Voraussetzungen gänzlich unabhängig von der zugrundeliegenden Motivation einen Tatbestandsauschluss zur Folge habe.1252 So spricht sich Alexander auf Grund der beabsichtigten Vermeidung von Gesinnungsprüfungen für eine rein objektive Zweckbestimmung des Handelns aus.1253 Rennicke ist gegenüber einem zusätzlichen subjektiven Tatbestandsmerkmal mit Verweis auf die Wortlautgrenze im Strafrecht und Art. 103 Abs. 2 GG ebenfalls ablehnend eingestellt.1254 Diese Einwände können jedoch weder vor den Hintergründen der jeweiligen Entwurfs- und Beschlussbegründungen noch angesichts des Wortlauts der Norm überzeugen.1255 Dieser liefert mit der Formulierung zum Schutz einen Anknüpfungspunkt für die Prüfung subjektiver Aspekte beim Handelnden, der sich im Hinblick auf das Wort zum in ähnlicher Form an vielen Stellen auch im StGB wieder 1248 Erneut etwa BVerfGE 74, 257, 260 f.; Soppa, Strafbarkeit des Whistleblowers, S. 191 ff. m. w. N. 1249 OLG Stuttgart, Beschl. v. 20. 07. 1966 – 3 Vs 3/66, NJW 1967, 792, 794. 1250 RGSt 15, 15, 17; BGHSt 18, 182, 186; Hilgendorf, in: LK-StGB, § 193 Rn. 29 f.; Zaczik, in: NK-StGB, § 193 Rn. 24, 36; Soppa, Strafbarkeit des Whistleblowers, S. 192; krit. zur Anwendung von § 193 StGB zum Schutz von Presseschaffenden Kriele, NJW 1991, 1897, 1903. 1251 RGSt 59, 172, 173. 1252 Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 336; i. d. S. wohl Brammsen/Apel, BB 2019, Heft 18, Umschlagteil I; Erlebach/Veljovic gelangen zu dem Schluss, dass ein subjektives Tatbestandsmerkmal bei Einstufung von § 5 GeschGehG als Tatbestandsausnahme abzulehnen sei, vgl. wistra 2020, 190, 191. Diese lehnen diese Bewertung der Vorschrift allerdings auch – vor dem Wortlaut der Norm und den Gesetzgebungsunterlagen wenig überzeugend – ab und plädieren für einen Rechtfertigungsgrund, vgl. Erlebach/Veljovic, wistra 2020, 190, 191 f. 1253 Alexander, WRP 2019, 673, 677. 1254 Rennicke, wistra 2020, 135, 136. 1255 Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 157; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 29.
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
findet.1256 Dies gilt sowohl für die Generalklausel, als auch für die benannten Fallkonstellationen in § 5 Nr. 1 – 3 GeschGehG. Dieses Ergebnis lässt sich durch historische Argumente untermauern. Dadurch wird allerdings die Folgefrage nach den genauen Anforderungen an das subjektive Tatbestandsmerkmal des § 5 GeschGehG aufgeworfen. So war die besondere Bedeutung subjektiver Elemente bereits im Laufe der Gesetzgebungsgeschichte – insbesondere bezüglich § 5 Nr. 2 GeschGehG-RegE bei dem noch von Absicht die Rede war – zu erkennen. Dies hätte eine handlungsleitende Motivationslage nahegelegt.1257 Ähnlich wie bei vergleichbaren Konstellationen im Bereich des StGB wurde es als unschädlich eingestuft, wenn diese mit anderen subjektiven Aspekten wie etwa Rachegedanken einhergeht.1258 Zusätzlich kann im Rahmen der historischen Auslegung der Tatbestandsausnahme aus § 5 GeschGehG festgehalten werden, dass diese Tatbestandsausnahme zunächst als Rechtfertigungsgrund ausgestaltet worden war. Insbesondere in diesem Bereich ist es – wie erwähnt – allgemein anerkannt, dass Mischmotive dem subjektiven Rechtfertigungselement genügen.1259 Obgleich diese Formulierung letztlich keinen Einzug ins GeschGehG gefunden hat, stellt sich die Frage, ob im Hinblick auf § 5 GeschGehG dennoch eine handlungsdominierende Motivationslage erforderlich ist. Dies wird man in der letztlich verabschiedeten Gesetzesfassung (wohl) verneinen müssen. Aus der Beschlussbegründung zur Änderung lässt sich nämlich entnehmen, dass eben auch Mischmotivationen zur Ausnahme gereichen sollten.1260 Auf Grund dieses Umstandes bezweifeln einige Stimmen in der Literatur in diesem Punkt die Erforderlichkeit der Änderung.1261 Ziel der letztlichen Anpassung war es zudem nicht grundlegende Änderungen im Ergebnis herbeizuführen, sondern den abschreckenden Effekt einer zunächst einmal tatbestandlichen Straftat auszuräumen.1262 Diesen Literaturstimmen kann dennoch nicht zugestimmt werden, weil sich in der finalverabschiedeten Begründung zum einen kein Hinweis mehr auf eine hand1256
So finden sich ähnliche Formulierungen etwa in § 267 StGB und § 89a Abs. 2a StGB. BT-Drs. 19/4724, S. 29 lässt sich diesbzgl. folgendes entnehmen: „Die Absicht, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen, muss dabei das dominierende, nicht jedoch das ausschließliche Motiv sein.“; im Hinblick auf die zuvor aufgezeigte Nähe von § 5 GeschGehG und § 193 StGB liegt es nahe an dieser Stelle auch auf die diesbzgl. Rechtsprechung und Literatur zu verweisen, so etwa RGSt 50, 321; BGHSt 18, 182, 186; BGH, Urt. v. 15. 09. 1987 – 5 StR 54/87, NStZ 1987, 554; Hilgendorf, in: LK-StGB, § 193 Rn. 30; Regge/Pegel, in: MüKoStGB, 4. Aufl., StGB, § 193 Rn. 71 f.; differenzierend Zaczik, in: NK-StGB, § 193 Rn. 46; krit. Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, § 193 Rn. 23. 1258 RGSt 36, 422, 423; 61, 400, 401; Hilgendorf, in: LK-StGB, § 193 Rn. 30; Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., StGB, § 193 Rn. 71 f.; weitergehend Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, § 193 Rn. 23; Späth, Rechtfertigungsgründe im Wirtschaftsstrafrecht, S. 399. 1259 BT-Drs. 19/4724, S. 29. 1260 BT-Drs. 19/8300, S. 14; BT-Drs. 19/4724, S. 29 zu § 5 GeschGehG-RegE. 1261 Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 155; ders., KriPoZ 2018, 115, 118 f. 1262 BT-Drs. 19/8300, S. 14; zustimmend Brockhaus, ZIS 2020, 102, 115. 1257
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lungsleitende Motivationslage findet. Vielmehr soll lediglich der Zweck des Handelns geprüft werden, eine strenge „Gesinnungsprüfung“ hingegen verhindert werden.1263 Zum anderen sollte die abschreckende Wirkung einer potentiellen Bestrafung nach § 23 GeschGehG beseitigt werden. Diesem Ziel kann nicht nur durch die Ausgestaltung von § 5 GeschGehG als Tatbestandsausnahme nachgekommen werden, sondern auch durch eine weitere Auslegung dieser Norm. Mithin bedarf es ungebrochen subjektiver Elemente. An deren Verwirklichung sind vor dem Hintergrund dieser Änderungen aber weniger weitreichende Anforderungen zu stellen, sodass eine bloße Ursächlichkeit ausreichend sein sollte.1264 Abschließend lässt sich festhalten, auch aus der Formulierung zum Schutz kann der Schluss gezogen werden, dass so wie bei Art. 5 lit. b und d Geschäftsgeheimnis-RL die innere Absicht des Handelnden zu berücksichtigen ist.1265 Folglich ist ein subjektives Tatbestandsmerkmal vorhanden. 2. Irrtümer und § 5 GeschGehG Durch Auslegung des § 5 Nr. 2 GeschGehG wurde aufgezeigt, dass es sich als vorzugswürdig erweist, bloß vermutete Missstände nicht unter diese Vorschrift zu subsumieren. Daher gilt es zu ermitteln, wie in solchen Fällen sonst vorzugehen ist. Es kann auch in dieser Situation ein Bedürfnis bestehen, von einer Strafbarkeit abzusehen. Dies soll aber nicht nur in dieser Konstellation erörtert werden, sondern ganz allgemein für den Umgang mit Irrtümern im Hinblick auf die Tatbestandsausnahme aus § 5 GeschGehG. a) Anspruchsausschluss nach § 9 GeschGehG (analog) als Lösungsansatz Wie bereits erwähnt, wird in der Literatur vorgeschlagen, § 9 GeschGehG im Falle bloß gutgläubigen Handelns heranzuziehen. Bei der Vorschrift handelt es sich – ihrem Wortlaut nach – um eine lediglich die Ansprüche aus den §§ 6 – 8 Abs. 1 GeschGehG betreffende Ausschlussvorschrift. Um dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besondere Geltung zu verschaffen, sollen diese unter Berücksichtigung der in § 9 Nr. 1 – 7 GeschGehG als Beispiele genannten Aspekte ausgeschlossen werden können.1266 Im Bereich des Zivilrechts bietet das GeschGehG mit § 9 GeschGehG – insbesondere Nr. 3 und 7 – und dem Verschuldenserfordernis in § 10 Abs. 1 GeschGehG damit ausreichende Möglichkeiten, um diesem Bestreben Rechnung zu tragen.1267 1263
BT-Drs. 19/8300, S. 14. I. E. nun auch Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 5 Rn. 66. 1265 Wiese, EU-Richtlinie, S. 146; Schubert, in: EuArbRK, Art. 5 RL 2016/943/EU Rn. 13. 1266 Siehe dazu auch BT-Drs. 19/4724, S. 31; Alexander, WRP 2019, 673, 677. 1267 Zustimmend Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 46; Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 9 Rn. 9. 1264
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Da die Vorschrift aber expressis verbis nur an den genannten Anspruchsgrundlagen anknüpft, bleibt im Strafrecht nur Raum für eine Analogie, um Auswirkungen auf den strafrechtlichen Geheimnisschutz zu entfalten. Auf Grund der klaren Beschränkung des Anwendungsbereichs auf verschuldensunabhängige Anspruchsnormen verbietet es sich aber, zum Ausschluss der Strafbarkeit § 9 GeschGehG auf § 23 GeschGehG direkt oder analog anzuwenden.1268 § 9 GeschGehG dient nämlich gerade dazu, das fehlende Verschuldenserfordernis durch eine gesonderte Verhältnismäßigkeitsprüfung zu kompensieren. Da die Bestrafung nach § 23 GeschGehG aber schuldhaftes Handeln voraussetzt, bleibt bereits aus diesem Grund kein Raum mehr für § 9 GeschGehG. Damit kann diese Vorschrift auch nicht zur Behandlung von Irrtumskonstellationen im Bereich des § 5 GeschGehG auf Ebene des materiellen Strafrechts herangezogen werden. b) Irrtumsregeln des StGB Im Ergebnis bleibt an dieser Stelle nur Raum für einen Rückgriff auf die Irrtumsregeln des StGB. Somit wird im nachfolgenden zu ermitteln sein, welcher Natur ein Irrtum im Bereich des § 5 GeschGehG ist. Dabei bietet der bisherige Stand der Forschung nur wenige Anhaltspunkte, die direkt am GeschGehG anknüpfen. So trägt Reinbacher vor, dass die Frage nach der subjektiven oder objektiven Bestimmung der Tatbestandsmerkmale sich auch auf die Frage auswirke, wie ein Irrtum des Täters zu bewerten ist. Begründet durch einen systematischen Vergleich mit § 106 UrhG umfasse der Tatbestandsvorsatz auch das Nichteingreifen einer Tatbestandsausnahme und somit sei § 16 StGB maßgeblich.1269 Ob sich dieser Vergleich als zielführend erweist, wird zu klären sein. Erste Zweifel daran kommen auf, wenn man sich vor Augen führt, wie kontrovers Irrtümer im Bereich des Urheberstrafrechts zum Teil diskutiert werden.1270 Auf Grund der umfassenden Verweisungstechnik innerhalb von § 106 UrhG bieten sich mannigfaltige Anknüpfungspunkte. Von Interesse für diese Untersuchung werden allerdings vor allem Irrtümer betreffend das Tatbestandsmerkmal „in anderen als den gesetzlich vorgesehenen Fällen“, was als in seinem Umfang umstrittener Verweis auf die gesetzlich vorgesehenen Schranken verstanden wird.1271 Setzt man sich nun mit dem Schrifttum auf diesem Gebiet auseinander, wird deutlich, dass die verschiedenen, denkbaren Irrtumskonstellationen im Einzelfall sehr unterschiedlich bewertet
1268
Vertiefend Spieker, in: BeckOK GeschGehG, § 9 Rn. 1, 3 ff. und Alexander, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 9 GeschGehG Rn. 10 f. 1269 Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 157. 1270 Instruktiv zu den Strafvorschriften des Urheberrechts aktuell nur Wissmann, Irrtum im Urheberstrafrecht, S. 25 ff. m. w. N., speziell zu § 106 UrhG S. 33 ff. und 192 ff. 1271 Aktuell nur Wissmann, Irrtum im Urheberstrafrecht, S. 322 f.
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werden.1272 Auf Grund der weitverzweigten Kasuistik erweist sich der Mehrwert von Reinbachers Ansatz als äußerst begrenzt. Ob die Annahme eines Tatbestandsirrtums im Ergebnis überzeugen kann, sollte daher vielmehr nicht anhand eines Vergleichs mit anderen kontrovers diskutierten Vorschriften entschieden werden, sondern muss an dieser Stelle konsequent anhand der bestehenden Irrtumsdogmatik des Strafrechts überprüft werden. Dabei ist zwischen der Unkenntnis von Tatbestandsmerkmalen im Bereich des § 16 StGB und der Unkenntnis von strafrechtlichen Verboten im Bereich des § 17 StGB zu differenzieren.1273 Der Begriff des Tatbestandsmerkmals umfasst an dieser Stelle sowohl Vorgänge der inneren und äußeren Welt, als auch in gewissen Grenzen deren normative Umgrenzung, mithin also deskriptive und normative Tatbestandsmerkmale.1274 Die sprachliche Differenzierung bietet zwar keinen eigenständigen Erkenntniswert und ist daher zu Recht der Kritik ausgesetzt1275, soll aber zur Unterscheidung im Weiteren beibehalten werden. Ausreichend ist, dass der Täter den Wesensgehalt eines Tatbestandsmerkmals erfasst.1276 Ein Subsumtionsirrtum, also ein Irrtum über die Reichweite eines an sich erkannten Tatbestandsmerkmals, kann in den Bereich des § 17 StGB fallen.1277 An den aufgezeigten Kriterien sind nun auch Irrtümer im Bereich des § 5 GeschGehG zu messen. Wäre es bei der Einstufung als Rechtfertigungsgrund wie im Regierungsentwurf geblieben, würde an dieser Stelle ohne Weiteres der sogenannte Erlaubnistatbestandsirrtum virulent.1278 Fragt man sich nun, wie die Tatbestandsausnahme aus § 5 GeschGehG im Normgefüge des GeschGehG einzuordnen ist, bietet das Merkmal unbefugt – wie bereits dargestellt – keinen überzeugenden Anknüpfungspunkt, weil zum Eingreifen dieser Norm überhaupt erst einmal einer der Verbotstatbestände aus § 4 GeschGehG seinem Grunde nach verwirklicht werden muss.1279 Zieht man Normen aus dem Kernstrafrecht – wie etwa §§ 218, 218a Abs. 1 StGB – zur Orientierung heran, so kann man auch im Bereich des Geschäftsgeheimnisstrafrecht des § 23 GeschGehG das Nichtvorliegen einer Tatbe1272
Aktuell nur Wissmann, Irrtum im Urheberstrafrecht, S. 324 ff. Nur Fischer, StGB, § 16 Rn. 2. 1274 BGHSt 5, 90; OLG Hamburg, Urt. v. 23. 11. 1979 – 1 Ss 164/79, NJW 1980, 1007, 1008; BayObLG, Beschl. v. 08. 05. 2003 – 2 ObOWi 43/03, NJW 2003, 2253; Fischer, StGB, § 16 Rn. 3 m. w. N., 15 m. w. N.; Wissmann, Irrtum im Urheberstrafrecht, S. 76 ff.; Joecks/Kulhanek, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., StGB, § 16 Rn. 70 m. w. N. 1275 Fischer, StGB, § 16 Rn. 4 m. w. N.; Wissmann, Irrtum im Urheberstrafrecht, S. 81. 1276 Etwa Fischer, StGB, § 16 Rn. 13 m. w. N. 1277 BGHSt 7, 17, 23; 9, 347; vgl. etwa Fischer, StGB, § 16 Rn. 13 m. w. N. 1278 Trotz der Einstufung als Tatbestandsausnahme ist bei Harte-Bavendamm, in: HarteBavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 23 Rn. 40 dennoch vom ETI die Rede. Dies wird allerdings im weiteren Verlauf der Kommentierung wieder (etwas) relativiert; zum ETI nur Fischer, StGB, § 16 Rn. 20 ff. m. w. N.; auch Veljovic geht augenscheinlich ohne Begründung von einem ETI aus, vgl. NZWiSt 2021, 30, 32. 1279 Siehe dazu erneut Kapitel 5 B.II.3. 1273
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standsausnahme negativ in den Tatbestand hineinlesen. In der Folge ist es nur konsequent, in aller Regel § 16 StGB zur Anwendung zu bringen.1280 Irrtümer im Bereich des § 5 GeschGehG werden also regelmäßig auf Vorsatzebene zu diskutieren sein. Für die dann erforderliche hypothetische Interessenabwägung ist wiederum zu unterstellen, dass der Missstand tatsächlich vorgelegen hat.1281 Lediglich eine korrekte Tatsachenbewertung, an die eine unzutreffende rechtliche Schlussfolgerung anknüpft, bietet Raum für den strengeren Maßstab des § 17 StGB.1282 Hätte der Gesetzgeber ein anderes, von den allgemeinen Grundsätzen abweichendes Ergebnis angestrebt, hätte er § 5 GeschGehG durch eine mit dem § 97b StGB1283 vergleichbare Vorschrift zur Regelung von Irrtümern in diesem Bereich flankieren müssen. Dabei sei allerdings darauf verwiesen, dass ein solches Vorgehen mit erheblichen Problemen verbunden sein kann. c) Fazit Im Bereich des Strafrechts kommt es durch diese Lösung zu keiner Ermessensentscheidung des Gerichts. Allerdings sind durch die Geschäftsgeheimnis-RL auch keine strafrechtlichen Sanktionen vorgesehen, sodass sich im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht kein ernsthaftes Problem ergibt. In Bezug auf die 1280 Durch die Ausgestaltung als Tatbestandsausschluss werden etwa die §§ 218, 218a Abs. 1 StGB als Argumentationsgrundlage für einen systematischen Vergleich virulent, vgl. zur umstrittenen Rechtsnatur des § 218a Abs. 1 StGB nur Ströhlein, Prozedurale Lebensschutzkonzepte, S. 45 ff. Im Bereich des sogenannten Fristenmodells stellt ein Irrtum des behandelnden Arztes über das tatsächliche Nichtvorliegen der Tatbestandsausschlussgründe einen Tatbestandsirrtum im Sinne des § 16 Abs. 1 StGB dar. Der umgekehrte Irrtum führt zur Versuchsstrafbarkeit, vgl. Gropp/Wörner, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., StGB, § 218a Rn. 28; Merkel, in: NK-StGB, StGB, § 218a Rn. 66 – 68; i. E. zustimmend Kröger, in LK-StGB, StGB, § 218a Rn. 67. Erlebach/Veljovic hingegen befürworten (konsequent) § 17 StGB bzw. einen Erlaubnistatbestandsirrtum, vgl. wistra 2020, 190, 194; differenzierend Harte-Bavendamm, in: HarteBavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 23 Rn. 40. 1281 Abstrakt im Hinblick auf die Grundrechtsabwägung so auch Redder, Whistleblowing, S. 78 f. 1282 Zustimmend Drescher, Industrie- und Wirtschaftsspionage, S. 329; Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 23 Rn. 40. 1283 § 97b StGB lautet wie folgt: „(1) Handelt der Täter in den Fällen der §§ 94 bis 97 in der irrigen Annahme, das Staatsgeheimnis sei ein Geheimnis der in § 97a bezeichneten Art, so wird er, wenn 1. dieser Irrtum ihm vorzuwerfen ist, 2. er nicht in der Absicht handelt, dem vermeintlichen Verstoß entgegenzuwirken, oder 3. die Tat nach den Umständen kein angemessenes Mittel zu diesem Zweck ist, nach den bezeichneten Vorschriften bestraft. Die Tat ist in der Regel kein angemessenes Mittel, wenn der Täter nicht zuvor ein Mitglied des Bundestages um Abhilfe angerufen hat. (2) War dem Täter als Amtsträger oder als Soldat der Bundeswehr das Staatsgeheimnis dienstlich anvertraut oder zugänglich, so wird er auch dann bestraft, wenn nicht zuvor der Amtsträger einen Dienstvorgesetzten, der Soldat einen Disziplinarvorgesetzten um Abhilfe angerufen hat. Dies gilt für die für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten und für Personen, die im Sinne des § 353b Abs. 2 verpflichtet worden sind, sinngemäß.“
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Grundsätze des Strafrechts ist dieses Ergebnis äußerst wünschenswert und sogar von Nöten. Es kann dadurch in der Sache beim bloß gutgläubig Handelnden auch strafrechtlich davon abgesehen werden, eine staatliche Maßnahme nach dem GeschGehG zu ergreifen, wie es in Erwägungsgrund [20] der Richtlinie allgemein vorgesehen ist. Im Bereich des Zivilrechts hingegen bleibt an dieser Stelle der Rückgriff auf § 9 GeschGehG denkbar. Der dadurch scheinbar zu Tage tretende Bruch lässt sich rechtfertigen, weil das zivilrechtliche Anspruchsgefüge des GeschGehG weitgehend verschuldensunabhängig ausgestaltet ist, während dies für das Strafrecht nicht gilt. Im Bereich der verschuldensabhängigen, zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen des GeschGehG ist ein Rückgriff auf § 9 GeschGehG ebenfalls nicht vorgesehen. Außerdem wird auf diese Weise den Leitlinien der Rechtssache Heinisch entsprochen, auf die sogleich im zweiten Teil dieser Untersuchung eingegangen wird.1284 Damit soll es aber mit den positiven Feststellungen sein Bewenden haben. Schließlich erwachsen aus dieser Lösung nicht von der Hand zu weisende Schwierigkeiten. So sind an einen Tatbestandsirrtum inhaltlich nur geringe Anforderungen zu stellen, während § 17 StGB weitaus restriktiver gehandhabt wird. Gleichzeitig ist zu fragen, ob es dadurch nicht zu einer zu starken Privilegierung des gutgläubig handelnden Geheimnisverletzers im Verhältnis zu tatsächlich von § 5 GeschGehG freigezeichneten Personen kommt. Im Ergebnis wird ein gewisser Gleichlauf durch das subjektive Element der Tatbestandsausnahme gewährleistet. Nichtsdestotrotz wird abzuwarten sein, ob dadurch zum Teil schwer widerlegbaren Schutzbehauptungen Tür und Tor geöffnet wurden.
C. Besonderer Rechtfertigungsgrund nach § 23 Abs. 6 GeschGehG Abschließend ist auf § 23 Abs. 6 GeschGehG einzugehen. Die nachfolgenden Ausführungen bleiben dabei kursorischer Art, weil die zuvor untersuchten Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes nahelegen, dass die praktische Relevanz dieser Vorschrift überschaubar bleiben wird.1285 Hintergrund dieses besonderen Rechtfertigungsgrundes ist der Schutz journalistischer Tätigkeit. Dieser soll am Vorbild des § 353b Abs. 3a StGB1286 möglichst 1284
Zur Rechtssache Heinisch siehe Kapitel 9 A.II.1. So auch Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 23 Rn. 71 und Drescher, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 23 Rn. 233. 1286 § 353b Abs. 3a StGB lautet wie folgt „Beihilfehandlungen einer in § 53 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 der Strafprozessordnung genannten Person sind nicht rechtswidrig, wenn sie sich auf die Entgegennahme, Auswertung oder Veröffentlichung des Geheimnisses oder des Gegenstandes oder der Nachricht, zu deren Geheimhaltung eine besondere Verpflichtung besteht, beschränken.“ 1285
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Teil 1: Das neue, europarechtlich geprägte Geschäftsgeheimnisstrafrecht
umfassend und zugleich im Kern- sowie Nebenstrafrecht möglichst kohärent ausgestaltet werden.1287 Daher kann an dieser Stelle auf den diesbezüglichen Stand der Forschung verwiesen werden.1288 Die Vorschrift wird abgerundet durch § 5 Nr. 1 GeschGehG und ist von der dort vorzunehmenden Abwägung unabhängig zu betrachten.1289 Kritisch zu bewerten bleibt allerdings, dass der Adressatenkreis des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO zwar Journalisten zum Schutz ihrer Quellen miteinbezieht, der bloße Betreiber einer Veröffentlichkeitsplattform sich hingegen oftmals nicht auf diese Regelung berufen kann.1290 Diese Vorschrift zählt nämlich nur „Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben“
auf. Dies umfasst nach überwiegendem Verständnis Veröffentlichungen, die ausschließlich im Internet publiziert werden, sofern solche hinreichend mit sonstigen Druckwerken vergleichbar sind. Die bloße Gestaltung oder Bereitstellung einer Website ist aber zur Erlangung der presserechtlichen Privilegierung nach § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO und damit auch nach § 23 Abs. 6 GeschGehG nicht ausreichend, mithin fehlt es in diesen Fällen nämlich an einer redaktionellen Aufbereitung der veröffentlichten Inhalte.1291 Wird der Betreiber einer Veröffentlichungsplattform zugleich entsprechend tätig, kann dieser auch in den Genuss dieser Vorschriften kommen.
D. Fazit Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die materiell-rechtlichen Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes im GeschGehG vor allem auf Ebene des Tatbestandes relevant werden. Die Untersuchung des § 3 GeschGehG hat gezeigt, dass für das Strafrecht zwei Hauptanwendungsbereich dieser Norm zu erkennen sind. So ist aufgezeigt worden, dass es im Bereich des Reverse Engineering fortan sehr viel weniger Raum für eine Bestrafung als Betriebsspionage im Sinne des § 23 Abs. 1 1287
BT-Drs. 19/8300, S. 15; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 89 f. 1288 Statt vieler nur Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 160 – 162 m. w. N. und Pauschke, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 353b StGB Rn. 58 – 65. 1289 Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 91. 1290 Ernst, MDR 2019, 897, 903 mit Verweis auf LG Duisburg, Beschl. v. 06. 11. 2012 – 32 Qs 49/12; LG Duisburg, Beschl. v. 15. 04. 2013 – 32 Qs 8/13. 1291 Vgl. dazu etwa LG Augsburg, Beschl. v. 19.03.02013 – x Qs 151/13, NStZ 2013, 480, 481; LG Hof, Beschl. v. 28. 05. 2014 – 4 Qs 80/14, BeckRS 2014, 60048; Pauschke, in: MüKoStGB, 4. Aufl., § 353b StGB Rn. 63; a. A. (wohl) Drescher, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 23 Rn. 235.
Kap. 6: Materiell-rechtliche Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes
257
Nr. 1 GeschGehG gibt. Die Erlaubnisnorm § 3 Abs. 2 GeschGehG weist ein sehr viel breiteres Anwendungsspektrum auf. Der Erlaubnissatz aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG hingegen wird weder im strafrechtlichen, noch im zivilrechtlichen Kontext nennenswerte Bedeutung entfalten können, sondern ist vielmehr symbolischer Art. Für den Bereich des Arbeitsrechts wird § 3 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG jedoch interessant zu beobachten sein. Die Tatbestandsausnahmen nach § 5 GeschGehG dienen im Unterschied zu § 3 GeschGehG dazu widerstreitende Rechtspositionen im Wege einer Interessenabwägung in Ausgleich zu bringen. Aus diesem Grund bieten diese zwar mehr Flexibilität im konkreten Einzelfall, gehen aber auch mit einem höheren Maß an Unsicherheit für die betroffenen Personen einher. Die benannten Fälle in § 5 Nr. 1 – 3 GeschGehG fungieren dabei als eine Art „Betriebsanleitung“ für potentielle Geheimnisverletzer und können gleichzeitig zur Orientierung bei der Anwendung der Generalklausel in unbenannten Fallkonstellationen herangezogen werden. Wegen der mangelnden begrifflichen Klarheit ist das sonstige Fehlverhalten im Sinne des § 5 Nr. 2 GeschGehG besonders kritisch zu bewerten. Der Gesetzgeber sollte insoweit erneut tätig werden und dieses in höchstem Maße fragwürdige Tatbestandsmerkmal, soweit europarechtlich zulässig, stark einschränken, besser ganz streichen. Einer kritischen Erwähnung im Kontext von § 5 Nr. 1 GeschGehG bedarf auch § 23 Abs. 6 GeschGehG. Diese Vorschriften weisen weitreichende Überschneidungen auf. Da allerdings § 5 Nr. 1 GeschGehG bereits auf Ebene des Tatbestands eingreift und eine weite Bandbreite von Handlungen erfasst, wird es sich beim besonderen presserechtlichen Rechtfertigungsgrund wohl primär um einen symbolischen Akt ohne nennenswerte praktische Relevanz handeln. Als kritikwürdig erweist sich auch die Ausgestaltung als Tatbestandsausnahme. Dies liegt vor allem an den damit einhergehenden Irrtumsfolgen, die etwaige Geheimnisverletzer oftmals in den Genuss von § 16 StGB bringen und so zur Straflosigkeit führen. Dadurch erfährt der strafrechtliche Geschäftsgeheimnisschutz eine gewisse Entwertung. Nichtsdestotrotz bleibt eine zivilrechtliche Haftung denkbar, weil diese auch bei (grob) fahrlässigem Handeln möglich bleibt. Dabei ist allerdings – wie einleitend erwähnt – zu berücksichtigen, dass etwaige Schadensersatzansprüche gerade beim Verlust besonders werthaltiger Geschäftsgeheimnisse mangels ausreichender Solvenz des Schuldners weitgehend bedeutungslos sein können.1292 Ob sich dieses Risiko realisieren wird und der Geheimnisschutz dadurch zu stark ausgehöhlt wird, wird sich erst in Zukunft zeigen.
1292 Statt vieler erneut Nastelski, GRUR 1957, 1, 2; Harte-Bavendamm, in: FS Köhler, S. 235, 236; Föbus, Insuffizienz des Geheimnisschutzes, S. 34; krit. hingegen Aplin, IPQ 2014, 257, 274.
Teil 2
Whistleblowing als besondere Grenze des strafrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes durch das GeschGehG Nach der abstrakten Untersuchung des Umfangs und der Grenzen des strafrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes sollen die dabei gewonnen Erkenntnisse nun mit mehr Leben gefüllt werden. Aus diesem Grund bildet die Erörterung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Whistleblowern – wie bereits angedeutet – einen zweiten Arbeitsschwerpunkt. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, werden zunächst begriffliche, gesellschaftliche und tatsächliche Aspekte kursorisch dargestellt und im Anschluss methodisch aufbauend auf den ersten Teil der Untersuchung werden diese tatsächlichen Umstände einer materiell-rechtlichen Würdigung unterzogen. Kapitel 7
Begriff des Whistleblowings zur Umschreibung eines gesellschaftlichen und rechtlichen Phänomens Bevor es zu einer vertieften Auseinandersetzung mit den vorangegangenen Fragestellungen kommen soll, ist es von Nöten, sich zunächst mit dem Phänomen Whistleblowing in begrifflicher, gesellschaftlicher und tatsächlicher Hinsicht auseinanderzusetzen. Die anschließenden etymologischen und tatsächlichen Ausführungen sind im Hinblick auf den – mittlerweile – umfassenden Stand der Forschung auf diesem Gebiet auf ein notwendiges Maß zu beschränken. Durch die Untersuchung des strafrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes ist eine zusätzliche Fokussierung auf den Wirtschaftsverkehr erforderlich, sodass Whistleblowing durch Beamte und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes außer Betracht bleiben muss.1
1
Zum Whistleblowing im öffentlichen Dienst etwa Redder, Whistleblower, S. 32 ff.
Kap. 7: Begriff des Whistleblowings
259
A. Begrifflichkeiten Trotz bisher fehlender einheitlicher, gesetzlicher Definition im nationalen Recht versteht man unter Whistleblowing überwiegend „die Weitergabe und Offenlegung von organisationsbezogenen Verstößen durch einen Hinweisgeber an einen Adressaten, wobei dem Hinweisgeber die Missstände im Rahmen seiner Funktion als Teil eines Organisationssystems bekannt geworden sind“.2
Diese deckt sich in weiten Teil mit der Definition in Art. 5 Nr. 7 Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 10. 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Whistleblowing-RL). Dort wird ein Hinweisgeber als „eine natürliche Person, die im Zusammenhang mit ihren Arbeitstätigkeiten erlangte Informationen über Verstöße meldet oder offenlegt“ definiert. Mithin werden die Begriffe in der Regel inhaltsgleich zu verstehen sein, sodass davon auszugehen ist, dass in Zukunft auch im nationalen Recht auf eine entsprechende Legaldefinition zurückgegriffen werden kann. Der Begriff Whistleblowing selbst geht etymologisch auf den englischen Ausdruck „to blow a whistle on someone“ zurück und wurde verwendet, um auf die Verwendung von Trillerpfeifen bei britischen Polizisten anzuspielen.3 Um den begrifflichen Schwierigkeiten, die aus der oft nur unzureichenden direkten Übersetzungsmöglichkeiten ins Deutsche erwachsen, zu begegnen, werden im weiteren Verlauf dieser Untersuchung die Worte Whistleblowing und Whistleblower verwendet. Zur Vermeidung sprachlicher Missverständnisse wird auf das ebenfalls legitime Synonym Hinweisgeber verzichtet.4 Vielmehr ist von einem Hinweisgeber dann die Rede, wenn auf die Legaldefinition in Art. 5 Nr. 7 Whistleblowing-RL oder entsprechende Reglungen zur Umsetzung ins nationale Recht abgestellt wird. Darauf aufbauend kommen weitere Differenzierungen zum Tragen.5 So wird anhand des Adressatenkreises zwischen internem und externem Whistleblowing 2
Schemmel/Ruhmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, Kapitel 1 Rn. 9; Rotsch/ Wagner, in: Rotsch, Criminal Compliance, § 34 C Rn. 2; Schiemann, in: FS Wessing, S. 569; vertiefend Herold, Whistleblower, S. 34 ff., 46; Schenkel, Whistleblowing, S. 11 f.; Schmolke, ZGR 2019, 876, 880 ff.; Redder, Whistleblower, S. 27 f.; vertiefend zum US-amerikanischen Rechtsraum Gerdemann, Transatlantic Whistleblowing, Rn. 3; einschränkend wird teilweise vorgetragen, dass es sich um ein Vorgehen abseits des üblichen Dienstwegs handeln müsse, vgl. Berndt/Hoppler, BB 2005, 2623, 2624; abseits davon finden sich auch weitere, ähnliche Definitionen. Beispielhaft soll an dieser Stelle auf die Definition durch die Rechtsprechung des EGMR verwiesen werden, vgl. dazu vertiefend nur Redder, Whistleblower, S. 143 f. m. w. N. 3 Vertiefend Herold, Whistleblower, S. 29 ff.; Gerdemann, Transatlantic Whistleblowing, Rn. 3; Schenkel, Whistleblowing, S. 12; krit. Redder, Whistleblower, S. 26 f. 4 Vertiefend Herold, Whistleblower, S. 30 – 32 m. w. N.; Nöbel/Veljovic, CB 2020, 34, 34 f. 5 Dabei finden sich im Schrifttum neben den nachfolgenden Darstellungen weitere terminologische Unterscheidungen, auf die an dieser Stelle auf Grund des begrenzten Umfangs dieser Untersuchung nicht eingegangen werden kann, vgl. vertiefend etwa Rotsch/Wagner, in:
260
Teil 2: Whistleblowing als Grenze des strafrechtl. Geschäftsgeheimnisschutzes
unterschieden. Von internem Whistleblowing ist die Rede, wenn Informationen an eine zuständige Stelle innerhalb der gleichen Organisation, welcher auch der Whistleblower angehört, weitergegeben werden.6 Dabei kommen sowohl Organisationseinheiten innerhalb desselben Unternehmens – wie etwa die ComplianceAbteilung oder die Geschäftsleitung – als auch ausgelagerte, aber zu diesem Zwecke eingesetzte Stellen – wie etwa Ombudspersonen – in Betracht.7 Unter der zweiten Alternative hingegen versteht man die Preisgabe von Informationen an außerhalb des Unternehmens stehende, von diesem unabhängige Institutionen, wie die Strafverfolgungs- und Aufsichtsbehörden, die Presse oder Enthüllungsplattformen im Internet.8
B. Gesellschaftliche Relevanz und Rezeption Bei der Beurteilung des Whistleblowings stehen Loyalitätspflichten und das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden im Konflikt, wobei sich die Wertungslage im Rotsch, Criminal Compliance, § 34 C Rn. 10 – 12 jeweils m. w. N.; Herold, Whistleblower, S. 47 ff., Gerdemann, Transatlantic Whistleblowing, Rn. 5; zur Unterscheidung von Whistleblowing im privaten und öffentlichen Sektor Redder, Whistleblower, S. 29 – 32. 6 Schemmel/Ruhmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, Kapitel 1 Rn. 14, 89 f.; v. Busekist/Fahrig, BB 2013, 119, 120; Rotsch/Wagner, in: Rotsch, Criminal Compliance, § 34 C Rn. 10; Schiemann, in: FS Wessing, S. 569; Gerdemann, Transatlantic Whistleblowing, Rn. 5; Schenkel, Whistleblowing, S. 26; teilweise wird vorgetragen, dass es sich beim internen Whistleblowing nicht um Whistleblowing im herkömmlichen Sinne handele. Da es allerdings bei allen Formen des Whistleblowings zur Verwirklichung der aufgezeigten Definitionsmerkmale kommen kann und gleichzeitig auch ähnlich gelagerte Interessenkonflikte bestehen können, vermag diese Einschränkung nicht zu überzeugen und wird überwiegend abgelehnt, vgl. dazu nur Schweizer, Internes Whistleblowing, S. 48 ff.; Redder wiederum stuft internes Whistleblowing ebenfalls als Whistleblowing im hier definierten Sinne ein, betont aber ebenfalls das Fehlen eines Loyalitätskonflikts zum Unternehmen und stellt vielmehr auf den Konflikt mit den anderen Mitarbeitern ab, vgl. Whistleblowing, S. 65. 7 Etwa bei Schemmel/Ruhmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, Kapitel 1 Rn. 14, 89 f.; Rotsch/Wagner, in: Rotsch, Criminal Compliance, § 34 C Rn. 10; Schiemann, in: FS Wessing, S. 569, 570; Maume/Haffke, ZIP 2016, 199, 200; Herold, Whistleblower, S. 48; Schreiber, NZWiSt 2019, 332; Gerdemann, RdA 2019, 16, 17; Schenkel, Whistleblowing, S. 26; zur Unterscheidung von privatem und öffentlichem Sektor Redder, Whistleblowing, S. 30 – 32; auf Grund der notwendigen, thematischen Einschränkungen des Gangs dieser Untersuchung kann an dieser Stelle nicht auf die Verschwiegenheitsrechte und -pflichten von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, welche als Ombudspersonen tätig werden, eingegangen werden, vertiefend dazu Baranowski/Pant, CCZ 2018, 250 ff. 8 Schemmel/Ruhmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, Kapitel 1 Rn. 14, 91; v. Busekist/Fahrig, BB 2013, 119, 120; Rotsch/Wagner, in: Rotsch, Criminal Compliance, § 34 C Rn. 10; Schiemann, FS Wessing, S. 569, 570; Maume/Haffke, ZIP 2016, 199, 200; Herold, Whistleblower, S. 47; Edwards, Whistleblowing, S. 10; Schreiber, NZWiSt 2019, 332; Gerdemann, Transatlantic Whistleblowing, Rn. 5; ders., RdA 2019, 16, 17; Schenkel, Whistleblowing, S. 27 f.; bei Redder findet sich eine schematische Übersicht der dabei denkbaren Sachverhaltskonstellationen, vgl. Whistleblowing, S. 112.
Kap. 7: Begriff des Whistleblowings
261
Einzelfall durchaus kontrovers präsentiert.9 Gerade vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus und der STASI-Aktivitäten in der DDR wurde das Whistleblowing in Deutschland oftmals mit großer Skepsis konfrontiert und als Denunziantentum eingestuft.10 Weniger vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher Missstände, sondern vielmehr im Bereich von Rechtsverstößen im privaten Miteinander, ist auch das überwiegend negativ bewertete und von den zuständigen Stellen eher zurückhaltend aufgenommene Anzeigen von (vermeintlichen) Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz während der Sars-Cov-19-Pandemie als Beispiel der jüngeren Vergangenheit zu erwähnen.11 Insgesamt ist aber ein Wandel festzustellen.12 Das Phänomen selbst genießt oftmals ein höheres gesellschaftliches Ansehen, als es die mögliche und negativ konnotierte Übersetzung des Begriffs mit „jemanden verpfeifen“ zunächst einmal nahelegt.13 Entsprechende Tendenzen waren bereits im Vorfeld der NS-Diktatur erkennbar. Zur Verdeutlichung ist an dieser Stelle beispielhaft auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts hinzuweisen. Im sogenannten Weltbühne-Verfahren, welches Veröffentlichungen in der Presse über die zu diesem Zeitpunkt verbotene Wiederbewaffnung der Reichswehr zum Gegenstand hatte, erfolgte eine Verurteilung des Angeklagten, die Beweggründe der Offenlegung wurden jedoch bereits zu
9 Nach der moral foundations theory spielen die Grundwerte harm, fairness, loyalty, authority und purity die entscheidende Rolle bei der Bewertung von Verhaltensweisen, vgl. dazu nur Schmolke, ZGR 2019, 876, 883 ff. m. w. N. 10 Schemmel/Ruhmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, Kapitel 1 Rn. 64, 68; v. Pelchrzim, CCZ 2009, 25; Forst, EuZA 2013, 37, 43; Rotsch/Wagner, in: Rotsch, Criminal Compliance, § 34 C Rn. 82; Schenkel, Whistleblowing, S. 29; Klaas, CCZ 2019, 163; Schmolke, ZGR 2019, 876, 885; Redder, Whistleblowing, S. 28 f.; Momsen/Benedict, KriPoZ 2020, 234, 237; im historischen Zusammenhang verweisen Wiedmann/Seyfert und Brobeil auf Hoffmann von Fallerslebens Zitat „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“, Politische Gedichte, Sprüche Nr. 17, 1843, zitiert nach CCZ 2019, 12 und Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 27. 11 In der deutschen Tagespresse etwa https://www.deutschlandfunk.de/denunziantentum-incorona-zeiten-seltsame-mentalitaet.720.de.html?dram:article_id=474468; https://www.fr.de/pa norama/blockwart-boom-13641319.html; https://www.spiegel.de/consent-a-?targetUrl=https% 3A%2F%2Fwww.spiegel.de%2Fwissenschaft%2Fmensch%2Fcorona-krise-ist-deutschlandwirklich-durchsetzt-von-meldewuetigen-hobbypolizisten-a-73d0e5bb-9ed5-4bf7-b83f-22 a9e9313ef5&ref=https%3A%2F%2Fwww.google.com; aus britischer Sicht https://uk.reuters. com/article/uk-health-coronavirus-germany-denunciati/germans-snitch-on-neighbours-floutingvirus-rules-in-echo-of-the-stasi-past-idUKKBN21K2RE (jeweils zuletzt aufgerufen am 15. 06. 2020). 12 Koch, ZIS 2008, 500, 500 f.; Deiseroth/Derleder, ZRP 2008, 248; Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 352; Schemmel/Ruhmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, Kapitel 1 Rn. 69; Forst, EuZA 2013, 37, 43; Schenkel, Whistleblowing, S. 29; Klaas, CCZ 2019, 163; a. A. Schweizer, Internes Whistleblowing, S. 52. 13 Schemmel/Ruhmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, Kapitel 1 Rn. 13; Ullrich, NZWiSt 2019, 65.
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Teil 2: Whistleblowing als Grenze des strafrechtl. Geschäftsgeheimnisschutzes
dieser Zeit diskutiert.14 In neuerer Zeit wird Whistleblowing im Hinblick auf immer wieder aufgedeckte erhebliche Missstände nunmehr überwiegend positiv wahrgenommen.15 Es zeichnet sich nun eher das Bild eines besorgten Mitarbeiters oder altruistisch handelnden Kämpfers für das Allgemeinwohl ab.16 Daher soll es an dieser Stelle nicht an einigen prominenten Beispielen fehlen: So kann auf die Aufdeckung der systematischen Überwachung durch US-Geheimdienste durch Edward Snowden im Jahr 2013 und die Weitergabe von Informationen durch Chelsea Mannings an die Plattform Wikileaks verwiesen werden. Die sogenannten LuxLeaks aus dem Jahr 2014, welche die Offenlegung von geheimen Dokumenten über Steuervermeidungsstrategien großer Konzerne zum Gegenstand hatten, können in einem Atemzug mit den Geschehnissen rund um die sogenannten Panama Papers aus dem Jahr 2016 erwähnt werden. Genauso wenig soll der im Hinblick auf die US-Präsidentschaftswahlen aus dem Jahr 2016 im Jahr 2018 aufgekommene Manipulationsskandal rund um Facebook und das Unternehmen Cambridge Analytica unerwähnt bleiben.17 Vor dem hier im Vordergrund stehenden Schutz von Geschäftsgeheimnissen sind auch die durch Whistleblowing aufgedeckten Bilanzfälschungen bei Enron oder den großangelegten Betrug rund um das Unternehmen Worldcomm zu erwähnen.18 Speziell in Deutschland können beispielhaft die Aufdeckung des Flick-Skandal um Parteispenden an die CDU sowie von Schwarzgeldkonten der Partei in den 1990er Jahren erwähnt werden.19 Daneben sind die prominente, im weiteren Verlauf vertiefter dargestellte Rechtssache Heinisch oder die Aufdeckung eines Gammelfleischskandals durch Miroslav Strecker zu
14
RG, Urt. v. 23. 11. 1931 – 7 J 35/29 – XII L 5/31 M.; in diesem Urteil merkte das Reichsgericht an: „Wäre es dem Angeklagten nur darum zu tun gewesen, die deutsche Regierung auf das Vorhandensein ,illegaler Zustände‘ zum Zwecke ihrer Abstellung aufmerksam zu machen so wäre darin nach der feststehenden Rechtsprechung des Reichsgerichts gar kein Landesverrat zu finden.“, zitiert nach Paeffgen, Illegale Staatsgeheimnisse, S. 9 mit Fn. 17. Dieser Satz mutet allerdings scheinheilig an, wenn man sich vor Augen führt, dass die Strafbarkeit dann auf den konkludent erhobenen Vorwurf der Duldung illegaler Machenschaften gestützt worden wäre, vgl. Paeffgen, Illegale Staatsgeheimnisse, S. 9 mit Fn. 17; vertiefend auch Müller/Jungfer, NJW 2001, 3461 ff.; vgl. auch Brockhaus, JRE 26 (2018), 429, 445 mit Fn. 81; eine abweichende Bewertung des Reichsgerichtsurteils findet sich bei Ullrich, NZWiSt 2019, 65; ein noch weiter in die Vergangenheit zurückreichender Blick auf historische Whistleblower muss allerdings zur Begrenzung des Untersuchungsumfangs unterbleiben, vgl. vertiefend nur Herold, Whistleblower, S. 32 f. m. w. N. 15 Deiseroth/Derleder, ZRP 2008, 248; Forst, EuZA 2013, 37, 43; Klaas, CCZ 2019, 163. 16 Herold, Whistleblower, S. 28 m. w. N. 17 Instruktiv zu diesen Beispielen Soppa, Strafbarkeit des Whistleblowers, S. 21 ff.; Schenkel, Whistleblowing, S. 1 ff. m. w. N.; Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 12 f. 18 Vertiefend Hefendehl, in: FS Amelung, S. 617, 620 f. und Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 329. 19 Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 13 m. w. N.; zur Rechtssache Heinisch Soppa, Strafbarkeit des Whistleblowers, S. 20 f.
Kap. 8: Strafbarkeitsrisiken beim Whistleblowing
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benennen.20 Zudem wird nicht nur am Strafrecht besonders interessierten Lesern die Korruptionsaffäre bei Siemens in Erinnerung geblieben sein.21 Wie aus dem Vorangestellten deutlich wird, erfüllt Whistleblowing eine Vielzahl gesellschaftlicher Funktionen. Für den Gang dieser Untersuchung soll vor allem die Kontrollfunktion Privater im Hinblick auf Wirtschaftskriminalität im Vordergrund stehen. Die aufzudeckenden Missstände können in diesem Kontext eine enorme Bandbreite aufweisen, welche von Verstößen gegen berufsständische Vorschriften bis hin zu verschiedenartigen Straftaten wie etwa Steuer-, Umwelt- oder Korruptionsdelikten reichen.22 Die Verhütung und nachträgliche Aufklärung solcher Vorgänge als Folge des Whistleblowings erweist sich trotz bestehender Loyalitätskonflikte objektiv betrachtet als begrüßenswert. Die subjektive Motivationslage beim Handeln kann an diesem Umstand zunächst nichts ändern. Die Schutzbedürftigkeit einer primär maliziös handelnden Person – mithin einem Denunzianten – wird im Schrifttum aber dennoch diskutiert. Eine klare wertungsmäßige Abgrenzung zu einem schützenswerten Whistleblower anhand der zu Grunde liegenden Handlungsmotive ist aber mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden und erschwert es eine einheitliche Begriffsbestimmung zu erreichen.23 Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass Whistleblowing stets aus mehreren Perspektiven – nämlich aus Sicht des Whistleblowers, der betroffenen Institutionen und Personen sowie der Allgemeinheit – zu betrachten ist.24 Die genannten Gruppen verfolgen dabei oft widerstreitende Interessen und werden das Handeln der jeweils anderen Seite daher oftmals eher negativ bewerten. Kapitel 8
Strafbarkeitsrisiken beim Whistleblowing wegen der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen A. Darstellung der tatsächlichen Umstände anhand von Herolds Verlaufsmodell Nach diesen abstrakt gehaltenen, einleitenden Worten sollen die dem Whistleblowing zugrunde liegenden tatsächlichen Vorgänge in der gebotenen Kürze auf20
Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 13 m. w. N. BGHSt 52, 323 ff.; Hefendehl, in: FS Amelung, S. 617, 621 und Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 329. 22 Vertiefend dazu statt vieler Rotsch/Wagner, in: Rotsch, Criminal Compliance, § 34 C Rn. 17, 18 und Herold, Whistleblower, S. 51 f. 23 Herold, Whistleblower, S. 43 ff.; a. A. Redder, Whistleblowing, S. 29. 24 Gerdemann, Transatlantic Whistleblowing, Rn. 6; Gramlich/Lütke, wistra 2020, 354, 360. 21
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Teil 2: Whistleblowing als Grenze des strafrechtl. Geschäftsgeheimnisschutzes
gezeigt werden. Zur Vermeidung einer wahllos anmutenden Auswahl von (tatsächlichen oder hypothetischen) Fällen wird dazu auf das von Herold herausgearbeitete Verlaufsmodell des Whistleblowings abgestellt.25 Zu Beginn erfolgt denklogischerweise die Kenntnisnahme eines (potentiellen) Missstands durch den späteren Whistleblower.26 Teilweise liegen dem die bloß passive Wahrnehmung von Geschehnissen, teilweise auch erhebliche eigenständige Ermittlungstätigkeiten der handelnden Personen zugrunde.27 Dabei ist letzten Endes unerheblich, ob es sich um ein singuläres Ereignis oder ein komplexes Muster zusammengesetzt aus verschiedenartigen Aspekten handelt, die den späteren Gegenstand der Meldung bilden.28 Dies hat lediglich Einfluss auf die Meldungsneigung, wobei die in Rede stehenden Rechtsgüter, die persönliche Betroffenheit und das Verhältnis zu den Verantwortlichen die maßgeblichen Faktoren darstellen.29 Daran anknüpfend kommt es oftmals zu weiteren Nachforschungen oder Gesprächen mit den Verantwortlichen, deren Ziel es ist, den wahrgenommenen Missstand zu beseitigen.30 Dabei spielt unter anderem die eigene Stellung im Unternehmen eine herausgehobene Rolle.31 Vereinzelt werden eigenständige Abhilfeversuche vorgenommen.32 In der Regel zeigen all diese Reaktionen – zumindest aus der Sicht des späteren Whistleblowers – keine ausreichende Wirkung.33 Gleichzeitig spielt zu diesem Zeitpunkt Angst ein entscheidendes Hemmnis für das hinweisgeberische Handeln, welche über den gesamten Verlauf bestehen bleibt.34 In der Folge treten dann die ersten sozialdynamischen Gegenreaktionen auf, die von sozialer Entfremdung bis zu deutlichen Repressionen reichen können.35 Erste Mitteilungen treten dann in verschiedenen Formen auf. Wenn geeignete Stellen innerhalb einer betroffenen Organisation vorhanden sind, werden diese, andernfalls die nächsthöheren Hierarchieebenen kontaktiert. Teilweise wird auch schon in diesem Stadium ein externer Rechtsbeistand herangezogen.36 Daran anknüpfende Folgemitteilungen aufgrund eines ausbleibenden, subjektiv zufriedenstellenden Korrektureffekts orientieren sich in der Regel an der Hierarchieleiter im
25
Herold spricht dabei passenderweise von einer Eskalationsspirale, vgl. Whistleblower, S. 192 mit schematischen, zusammenfassenden Abbildungen auf S. 193 und S. 312. 26 Herold, Whistleblower, S. 159. 27 Herold, Whistleblower, S. 162. 28 Herold, Whistleblower, S. 160 – 163. 29 Herold, Whistleblower, S. 224 – 233. 30 Herold, Whistleblower, S. 163 – 165. 31 Herold, Whistleblower, S. 164, 247. 32 Herold, Whistleblower, S. 165. 33 Herold, Whistleblower, S. 165 f. 34 Herold, Whistleblower, S. 235, 243 f., 264 – 268. 35 Herold, Whistleblower, S. 167 f. 36 Herold, Whistleblower, S. 168.
Kap. 8: Strafbarkeitsrisiken beim Whistleblowing
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betroffenen Unternehmen.37 Geprägt ist das gestufte Vorgehen zu diesem Zeitpunkt üblicherweise vom Fairness-, Effizienz- und im späteren Verlauf erodierenden – Loyalitätsempfinden der handelnden Personen.38 Gleichzeitig entwickelt sich durch das wiederholte Nachbohren ein neuer, persönlicher Repressionsmissstand für den Whistleblower. Beispielhaft ist die Diskreditierung der eigenen Person durch eine Vielzahl von unbegründeten Dienstaufsichtsbeschwerden zu erwähnen.39 Das wiederum fördert weitere subjektive Motive wie Empörung bis hin zu Wut und Verzweiflung zu Tage.40 Da es in der Folge neben dem ursprünglich wahrgenommenen Missstand nun auch um die Verteidigung der eigenen beruflichen und privaten Stellung im Unternehmen geht, bietet ein internes Vorgehen keinen Anreiz mehr. Dabei gerät mit steigender Intensität des Repressionsmissstands gleichzeitig auch der Initialmissstand subjektiv immer weiter ins Hintertreffen. Mithin treten nun Eigeninteressen, wie etwa die Schadensbegrenzung und die Wiederherstellung der eigenen Reputation, aber auch das Ausüben von Druck auf die „Gegenseite“ sowie Vergeltungsgedanken, in den Vordergrund.41 In der Folge kommt es regelmäßig dazu, dass Whistleblower, oftmals zunächst anonym, außenstehende, unabhängige Instanzen hinzuziehen, um dem bisher – aus ihrer Perspektive unbefriedigenden – Aufklärungsverlauf eine neue Wendung zu geben.42 Zuvor standen dem Gang an die Öffentlichkeit in der Regel zu hohe subjektive Hürden entgegen43, die durch zunehmenden persönlich wahrgenommenen Druck – teilweise in Gestalt von spontanen „Kurzschlussreaktionen“ – durch Überschreiten der eigenen Frustrationsgrenze überwunden werden.44 In der Folge ist dennoch nach wie vor eine gestufte Auswahl der hinzugezogenen Stellen, wie etwa Aufsichtsbehörden bis hin zu Polizei und Staatsanwaltschaft festzustellen.45 Kommt es dann auch in diesem Stadium zu (subjektiv) unzureichenden Korrektureffekten, stellt der Gang an die mediale Öffentlichkeit letztlich den letzten Ausweg auch zur persönlichen Rehabilitation dar.46
37 Herold, Whistleblower, S. 169; dabei gilt es anzumerken, dass beispielsweise eine OECD-Studie daraufhin deuten, dass es selbst wenn das Management in einem Unternehmen Kenntnis von einem Missstand erlangt, oft keine ausreichenden Folgemaßnahmen ergriffen werden, vgl. dazu etwa Berndt/Hoppler, BB 2005, 2623, 2628 Verweis auf OECD, Switzerland – Phase 2: Report on Implementation of the OECD Anti-Bribery Convention, 2005, S. 20. 38 Herold, Whistleblower, S. 201 – 203, 299 – 303. 39 Herold, Whistleblower, S. 167, 170 – 173. 40 Herold, Whistleblower, S. 240 – 242. 41 Herold, Whistleblower, S. 251, 255 – 259, 271, 305. 42 Herold, Whistleblower, S. 173, 190 f. 43 Herold, Whistleblower, S. 173, 203 – 205. 44 Herold, Whistleblower, S. 198 – 200, 206, 208. 45 Herold, Whistleblower, S. 174 f. 46 Herold, Whistleblower, S. 176 – 180, 259 – 263.
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Teil 2: Whistleblowing als Grenze des strafrechtl. Geschäftsgeheimnisschutzes
B. Darstellung der strafrechtlichen Risiken anhand von Herolds Verlaufsmodell Nach den vorangestellten Ausführungen wird schnell deutlich, dass beim Whistleblowing die Verwirklichung von Straftatbeständen aus § 23 GeschGehG im Raum steht. Dies gilt nicht nur für etwaige Whistleblower selbst, sondern ebenso für die unterstützend oder ergänzend tätig werdenden Personen, wie etwa Journalisten. Für diese bestehen Risiken vor allem bei der Nutzung und Offenlegung von Geheimnissen oder wegen Beihilfehandlungen im Sinne des § 27 StGB. Vor dem Hintergrund der bereits erfolgten umfassenden Darstellung der Straftatbestände und ihrer Voraussetzungen sollen die nachfolgenden Ausführungen zur Vermeidung von Wiederholungen einen bloß kursorischen Überblick bieten und keine abschließende Begutachtung möglicher Strafbarkeitsrisiken erfolgen.47 Wie herausgearbeitet wurde, steht am Anfang des Whistleblowings stets die Kenntnisnahme eines Initialmissstands, welche den Ausgangspunkt für das weitere Geschehen darstellt. Kommt es dabei zu bloß passiven Beobachtungen scheint die Strafbarkeit wegen Betriebsspionage nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG höchstens durch Unterlassen denkbar, insgesamt aber eher fernliegend zu sein. Etwas anderes kann jedoch bereits an dieser Stelle gelten, sofern eigene Nachforschungen angestellt werden. Im Zuge dessen wird es vorkommen, dass der spätere Whistleblower Dokumente, wie etwa Kundenlisten, die Buchführungsbelege, Vertragsunterlagen Kundendaten oder Produktionspläne sichtet und – soweit erforderlich – Kopien herstellt.48 Sollten technische Aspekte eines Produkts im Raum stehen, ist Reverse Engineering in Erwägung zu ziehen.49 In solchen Fällen steht die Verwirklichung des Tatbestands des § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG im Raum, sofern zugleich schützenswerte Geschäftsgeheimnisse zum Ziel der Untersuchungen werden, wobei wiederum eine konkrete Einzelfallprüfung angezeigt ist. Die aufgeführten Dokumente werden allerdings regelmäßig Geheimnismedien im Sinne des § 4 Abs. 1 GeschGehG darstellen, mithin also taugliche Tatobjekte.50 Geht es hingegen nur um illegale Geheimnisse so ist wegen § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG – wie bereits dargelegt – kein Raum für die Verwirklichung einer der Begehungsformen des § 23 GeschGehG. In der Folge können Whistleblower nun aus strafrechtsdogmatischer Perspektive augenscheinlich risikolos illegale Geheimnisse veröffentlichen.
47
Eine Darstellung der verwirklichten Straftatbestände nach den nun mehr überkommen §§ 17 – 19 UWG findet sich etwa bei v. Pelchrzim, CCZ 2009, 25, 27 ff.; Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 329 ff.; Herold, Whistleblower, S. 79; Soppa, Strafbarkeit des Whistleblowers, S. 106 ff.; Schenkel, Whistleblowing, S. 77 ff. 48 Im Hinblick auf die überkommene Rechtslage ist auf die Beispiele bei Schenkel hinzuweisen, vgl. Whistleblowing, S. 197 f. m. w. N. 49 Alexander weist auf vergleichbare Szenarien im Bereich der medialen Berichterstattung hin, AfP 2019, 1, 8. 50 I. E. zustimmend Schenkel, Whistleblowing, S. 83.
Kap. 8: Strafbarkeitsrisiken beim Whistleblowing
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Zudem bestehen zu diesem Zeitpunkt oftmals erhebliche Zweifel an der Verwirklichung eines der zusätzlichen subjektiven Tatbestandsmerkmale, da in der Regel die altruistische Beseitigung beziehungsweise Aufdeckung eines Missstands im Vordergrund stehen wird.51 Kommt es in der Folge zur Mitteilung des Missstands, also zum internen oder externen Whistleblowing, ist entlang der „Kaskade der Verletzungshandlungen“52 an weitere Strafbarkeitsrisiken für Whistleblower zu denken. Beim Hinzutreten weiterer Personen ist insbesondere § 23 Abs. 2 GeschGehG zu berücksichtigen. Anders als bei der Entdeckung und Erforschung des Missstands ist es – je nach Voranschreiten des Geschehensverlaufs, also von der Entdeckung hin zum internen oder finalem externen Whistleblowing – zunehmend wahrscheinlich, dass auch die notwendige überschießende Innentendenz durch hinzutretende oder in den Vordergrund rückenden subjektive Motive – wie etwa eigennützige, finanzielle Erwägungen oder eine mit Rachegedanken verbundene Schädigungsabsicht gegenüber dem Arbeitgeber – als gegeben anzusehen ist.53 Folglich erscheint auch potentiell strafbares Verhalten realistischer. Im Einzelnen sind die nachfolgenden Aspekte hervorzuheben. Zunächst kann es sich beim Whistleblowing um eine eigeneröffnete Geheimnishehlerei handeln. Mithin werden beim Weitergeben der Informationen regelmäßig Geschäftsgeheimnisse offengelegt.54 Dabei ist aber stets zu prüfen, ob es bei einem unternehmenszugehörigen Ansprechpartner überhaupt zur Verwirklichung des Tatbestands kommen kann. Ist dieser bereits in Kenntnis der mitgeteilten Umstände erscheint eine erneute Geheimnisverletzung aus teleologischen Gründen fragwürdig. Für die Bestrafung von Folgehandlungen nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG kommt es nicht auf eine vorangegangene Straftat, sondern bloß eine zivilrechtswidrige Tat an, welche keinerlei Verschuldenselemente erfordert. Dennoch ist genau zu prüfen, ob eine eigene Verletzungshandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG vorangegangen ist. Fehlt es – wie eingangs festgestellt – an der vollständigen Verwirklichung des subjektiven Tatbestands, zeigt sich hier eine erste Auswirkung der gewählten Regelungstechnik. Außerdem ist es nicht von Relevanz, wann ein Whistleblower tätig wird, weil der strafrechtliche Schutz vor Hehlereihandlungen nicht an vertragliche Beziehung geknüpft ist. Definitionsgemäß ist dieser Umstand beim Whistleblowing allerdings von untergeordneter Bedeutung. Nachvertraglich besteht nämlich kein vergleichbar intensiver Loyalitätskonflikt fort. Im Mittelpunkt 51 Statt vieler etwa v. Pelchrzim, CCZ 2009, 25, 28; Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 330; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 62; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 44a. 52 Diese griffige Umschreibung der Verletzungshandlungen im Sinne des § 4 GeschGehG geht auf Ohly zurück, vgl. GRUR 2019, 441, 445. 53 Zur strafrechtlichen Beurteilung der verschiedenen Motivationslagen beim Whistleblowing Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 329 f.; Soppa, Strafbarkeit des Whistleblowers, S. 130 ff.; Schenkel, Whistleblowing, S. 118 ff. 54 So auch zum überkommenen Merkmal der Mitteilung bei § 17 UWG Lutterbach, Whistleblowing, S. 74 f.; Schenkel, Whistleblowing, S. 113 f., 202.
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Teil 2: Whistleblowing als Grenze des strafrechtl. Geschäftsgeheimnisschutzes
strafrechtlicher Risiken steht indes der Geheimnisverrat nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG. Mithin handelt es sich bei Whistleblowern im hier relevanten Kontext um bei einem Unternehmen beschäftigte Personen, denen die betreffenden Geschäftsgeheimnisse im Rahmen der Beschäftigung anvertraut oder zugänglich geworden sind.55 Anders als bei der eigeneröffneten Geheimnishehlerei kommt es dann auf einen Verstoß gegen § 4 Abs. 2 Nr. 3 GeschGehG während der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses an. Unerheblich ist andererseits, ob die Informationsbeschaffung bereits rechtswidrig erfolgte.56 Folglich steht auch die Frage nach der Bestrafung wegen eines Geheimnisverrats im Mittelpunkt der nachfolgenden Ausführungen. Kapitel 9
Whistleblowing als besondere Grenze des Geschäftsgeheimnisschutzes Im nächsten Schritt werden die bislang abstrakten Ausführungen zu den Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes anhand des Whistleblowings verdeutlicht. Dabei wird an die vorangegangene Untersuchung der Strafbarkeitsrisiken für Whistleblower angeknüpft.57 Zum einen sind de lege lata § 3 Abs. 2 GeschGehG und eine große Bandbreite der von § 5 GeschGehG erfassten Konstellationen zu untersuchen. Zum anderen kann auf diese Weise ein Blick über den Tellerrand des GeschGehG hinausgewagt werden. Der Unionsgesetzgeber hat sich dieser Thematik nämlich in Gestalt einer weiteren Richtlinie angenommen. Deren Inhalt und Auswirkungen sind an dieser Stelle ebenfalls – de lege ferenda – zu untersuchen. Schließlich wird eine Prognose für die Zukunft gewagt.
A. Schutz des Whistleblowers vor strafrechtlicher Verantwortung im Bereich des Geschäftsgeheimnisstrafrechts – de lege lata I. Interne Meldesysteme als konkludente Einwilligung oder konkludentes Einverständnis Die vorangegangenen Ausführungen tatsächlicher Art berücksichtigend erweist es sich als wahrscheinlich, dass Whistleblower sich zur Beseitigung von erkannten 55
So auch Lutterbach, Whistleblowing, S. 73; Schenkel, Whistleblowing, S. 109, 113. So auch Schenkel, Whistleblowing, S. 109. 57 Siehe erneut Kapitel 8 B. 56
Kap. 9: Whistleblowing als besondere Grenze des Geschäftsgeheimnisschutzes
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Missständen zunächst an eine Stelle innerhalb eines Unternehmens wenden.58 Dabei sind für die Entscheidung zum internen Whistleblowing vor allem bestehende Loyalitätsgefühle und die Aussicht, beziehungsweise die Hoffnung auf das Ausbleiben von Vergeltungsmaßnahmen bei gleichzeitiger Effizienz des Vorgehens ausschlaggebend.59 Die freiwillige Errichtung geeigneter interner Anlaufstellen ist für Unternehmen vorteilhaft.60 So können wirksam Rechtsverletzungen unterbunden, eine positive Öffentlichkeitswahrnehmung und zugleich die Reduzierung von Bußgeldern – insbesondere im Hinblick auf §§ 30, 130 OWiG – erreicht werden.61 Teilweise bestehen auch schon gesetzliche Verpflichtungen zur Schaffung geeigneter (interner) Systeme.62 Spezialgesetzliche Regelungen auf nationaler Ebene, welche die Mitteilung von Missständen zum Gegenstand haben, finden sich etwa in § 37 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BeamtStG, im § 67 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BBG, § 17 Abs. 2 ArbSchG, § 4d Abs. 6 FinDAG.63 Daneben sind auch §§ 81a, 137 Abs. 1d, 197a SGB V, § 25a Abs. 1 S. 6 Nr. 3 KWG, § 80 Abs. 1 WpHG, § 23 Abs. 6 VAG, § 28 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 9 KAGB, §§ 3b, 5 Abs. 8 Bo¨ rsG und §§ 6 Abs. 5, 53 Abs. 1, 3 GwG.64 Auf landesrechtlicher Ebene kann ein Beispiel aus Niedersachsen aufgegriffen werden, welches Krankenhäusern, in Konsequenz der Mordserie des Krankenpflegers Niels H., vorschreibt Meldestellen für die Mitteilung von Missständen einzurichten.65 Neben den im nationalen Recht bereits bestehenden Pflichten zur Errichtung interner Meldekanäle wird eine solche Pflicht in Zukunft auch durch Art. 8 der noch zu untersuchenden Whistleblowing-RL auf viele weitere Gebiete und Unternehmen erstreckt. Eine detaillierte Darstellung dieser Vorschrift muss allerdings vor dem materiell-rechtlichen Hintergrund dieser Untersuchung unterbleiben, sodass nur noch auf einige Eckpunkte hingewiesen werden soll. Durch die Richtlinienbestimmung wird klargestellt, wann diese Pflicht besteht und welche Umsetzungsmög58
Siehe erneut Kapitel 8 A. Siehe dazu ergänzend Redder, Whistleblowing, S. 66 m. w. N. 60 Dem entsprechend hat bereits eine Vielzahl von Unternehmen entsprechende Anlaufstellen geschaffen, unter den DAX 30 Konzernen sogar alle, vgl. zu dieser Thematik nur Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 86 m. w. N. 61 Aktuell etwa Soppa, Strafbarkeit des Whistleblowers, S. 209 ff.; Schenkel, Whistleblowing, S. 131 m. w. N.; Redder, Whistleblowing, S. 66 m. w. N., 157; Erlebach, CB 2020, 284, 287; Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 86. 62 Vertiefend etwa Redder, Whistleblowing, S. 66 ff. 63 Vgl. dazu auch Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 116; Egger, CCZ 2018, 126, 127; Baranowski/Glaßl, CB 2018, 271, 273; Helm, BB 2018, 1538, 1540. 64 Vgl. dazu statt vieler Egger, CCZ 2018, 126, 127; Baranowski/Glaßl, CB 2018, 271, 273 f.; erneut Helm, BB 2018, 1538, 1540 ff.; vertiefend zu § 23 Abs. 6 VAG Bürkle, VersR 2020, 1, 2 ff. 65 § 15 Niedersächsisches Krankenhausgesetz enthält aber keine genaueren Vorgaben wie ein solches Meldesystem aufgebaut sein muss, sondern lässt den betroffenen Krankenhäusern Spielraum bei der Umsetzung, Eufinger, MedR 2019, 547, 551 f. Nichtsdestotrotz kommt auch in diesem Gesetz der Vorrang innerbetrieblicher Klärung zur Geltung. 59
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Teil 2: Whistleblowing als Grenze des strafrechtl. Geschäftsgeheimnisschutzes
lichkeiten hierfür bestehen.66 Durch Art. 9 Whistleblowing-RL wird zudem ein lose konkretisierter Verfahrensablauf vorgeschrieben. Dabei sind insbesondere der Schutz der Anonymität beziehungsweise der Vertraulichkeit, die Transparenz während des angestoßenen Verfahrens und die Rückmeldung innerhalb einer bestimmten Frist besonders hervorzuheben.67 Zudem werden im Hinblick auf Art. 7 Abs. 2 Whistleblowing-RL finanzielle Anreize in unterschiedlichen Ausgestaltungsformen – etwa als Berücksichtigung bei der Berechnung etwaiger Bonuszahlungen oder bei möglichen Beförderungen – diskutiert.68 Dabei gilt es allerdings auch etwaige Wechselwirkungen mit § 87 BetrVG zu berücksichtigen.69 Insgesamt spricht sich das Schrifttum überwiegend gegen allzu strenge Vorgaben aus, um den Unternehmen mehr Handlungsspielräume zu gewähren.70 Diese Auffassung lässt sich zusätzlich durch Erwägungsgrund [56] der Whistleblowing-RL untermauern.71
66 Vgl. dazu etwa Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 965 f.; Aszmos/Herse, DB 2019, 1849, 1851 f.; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1666 f.; Erlebach, CB 2020, 284, 285 f., 287 f.; Hopt, ZGR 2020, 373, 398; Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126, 127 ff.; Fest, in: EuArbRK, Art. 8, 9 RL 2019/1937/EU; Forst, EuZA 2020, 283, 289 f., 293 f.; Degenhart/Dziuba, BB 2021, 570, 571 ff.; Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 89 ff.; im Hinblick auf den Richtlinienvorschlag der Kommission etwa Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1003 f.; Baranowski/Glaßl, CB 2018, 271, 275 f.; Gerdemann, RdA 2019, 16, 19 ff.; Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 16 f.; zur bisherigen Diskussion im Aktienrecht vgl. etwa Stöhr, BB 2019, 1286, 1288 ff.; Schmolke, ZGR 2019, 876, 899 f.; ders., NZG 2020, 5, 7, 9. 67 Schmolke, NZG 2020, 5, 7; Erlebach, CB 2020, 284, 285 f.; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1205 f.; Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126, 127 ff.; Fest, in: EuArbRK, Art. 9 RL 2019/1937/EU Rn. 3 f. m. w. N.; zu faktischen Problemen bei der Wahrung von Anonymität etwa Herold, Whistleblower, S. 288 – 290. 68 Schmolke, ZGR 2019, 876, 912 ff.; mit einer umfassenden „Kosten-Nutzen-Abwägung“, ders., NZG 2020, 5, 11; Forst, EuZA 2020, 283, 296; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203, 1207; Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 112 ff.; Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 128 ff.; daneben wird auch auf die USA und die dort bestehenden finanziellen Anreize im Bereich des Whistleblowings verwiesen, vgl. instruktiv zu den dabei bestehenden Systemen und zur weiteren Ausgestaltung von Prämien Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 30 ff., 35 f. und Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 118 ff.; zu verfassungsrechtlichen Problemen Redder, Whistleblowing, S. 248 ff. und Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 131 ff. 69 Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 34 f.; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1205. 70 Schmolke, NZG 2020, 5, 11; Erlebach, CB 2020, 284, 286; bereits vor Erlass der Richtlinie wurden bei vielen Unternehmen Meldekanäle eingerichtet, welche nun vor den Anforderungen durch die Richtlinie beziehungsweise deren Umsetzungsgesetzgebung zu bewerten sein werden, zu Beispielen etwa Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 20; zu datenschutzrechtlichen Fragen etwa Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 35. 71 Dieser lautet wie folgt: „Welche Personen oder Abteilungen innerhalb einer juristischen Person des privaten Sektors am besten geeignet sind, Meldungen entgegenzunehmen und Folgemaßnahmen zu ergreifen, hängt von der Struktur des Unternehmens ab; ihre Funktion sollte jedenfalls dergestalt sein, dass ihre Unabhängigkeit gewährleistet wird und Interessenkonflikte ausgeschlossen werden. In kleineren Unternehmen könnte diese Aufgabe durch einen Mitarbeiter in Doppelfunktion erfüllt werden, der direkt der Unternehmensleitung berichten kann, etwa ein Leiter der Compliance- oder Personalabteilung, ein Integritätsbeauf-
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Ziel der Errichtung solcher Systeme ist es, dass (vermeintlich) illegale Machenschaften zur Sprache kommen und die davon berührten Geschäftsgeheimnisse in der internen Sphäre verbleiben. Wendet sich ein Whistleblower an eine solche Stelle besteht aber das potentielle Risiko einer Bestrafung nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 GeschGehG, weil grundsätzlich eine tatbestandsmäßige Handlung vorliegen wird. Dies ist dann anders, wenn die vertragliche Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses in diesen Fällen bereits einen Verstoß gegen § 4 Abs. 2 Nr. 3 GeschGehG ausschließt.72 Die Adressaten der Mitteilung jedenfalls werden in Folge eines hinreichenden internen Geheimnismanagements oft keine Kenntnis von den betroffenen Geschäftsgeheinissen haben, sodass auch eine unternehmensinterne Verwirklichung möglich erscheint.73 Rechtlich kommt in der Schaffung interner Anlaufstellen der Wille des Geheimnisinhabers zum Ausdruck, dass Missstände, einschließlich bisher unbekannter Sachverhalte, im Rahmen des geschaffenen Systems an ausgewählte Mitarbeiter weitergegeben werden sollen, mithin dürfen. Für diese Fälle besteht also eine „situative Gestattung“.74 Umstritten waren in der Vergangenheit allerdings die konkreten Folgen für den Geschäftsgeheimnisschutz.75 So lehnten etwa von Pelchrzim und Aldoney Ramírez mit unterschiedlichen Ansätzen das Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Handlung ab.76 Beide gingen von einem Einverständnis des Geheimnisinhabers aus. Gegenauffassung plädierte für ein restriktiveres Vorgehen, um ein zu starkes Absinken des Schutzniveaus zu verhindern.77 Auf Grund der Begrenzung auf den vorher festgelegten rechtlichen und organisatorischen Rahmen bestand kein ge-
tragter, ein Rechts- oder Datenschutzbeauftragter, ein Finanz vorstand, ein Auditverantwortlicher oder ein Vorstandsmitglied.“ 72 Zum Umfang der Verschwiegenheitspflichten siehe erneut Kapitel 5 D.II.1. 73 Siehe erneut Kapitel 5 D.II.1.; so lange der Empfänger eines Geschäftsgeheimnisses dieses vor der Weitergabe noch nicht sicher kannte, bleibt die Verwirklichung des Tatbestands nämlich denkbar, vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 19. 11. 2020 – 2 U 575/19, GRUR-RS 2020, 35613 Rn. 121 – Schaumstoffsysteme. 74 Lutterbach, Whistleblowing, S. 67 f., 91 f.; Herold, Whistleblower, S. 78; Baranowski/ Glaßl, CB 2018, 271, 272; Schenkel, Whistleblowing, S. 137. 75 Baranowski/Glaßl, CB 2018, 271, 272; ähnlich Schweizer, Internes Whistleblowing, S. 69; zur (arbeitsrechtlichen) Verpflichtung von Arbeitnehmern interne Meldestellen anzusteuern nur Schweizer, Internes Whistleblowing, S. 71 ff. und Redder, Whistleblowing, S. 80 ff. 76 v. Pelchrzim, CCZ 2009, 25, 29; Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 359 f. 77 Lutterbach, Whistleblowing, S. 67 f.; Schenkel etwa setzte das tatbestandsausschließende Einverständnis mit der generellen Aufgabe des Geheimhaltungswillens bei § 17 UWG gleich und sprach sich daher dafür aus, in der Schaffung eines internen Meldesystems eine rechtfertigende Einwilligung zu sehen, vgl. Whistleblowing, S. 89 f., 126 f., 137 f.; ähnlich auch Soppa, Strafbarkeit des Whistleblowers, S. 135.
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Teil 2: Whistleblowing als Grenze des strafrechtl. Geschäftsgeheimnisschutzes
nereller Preisgabewille, welcher die Offenkundigkeit von Geheimnissen zur Folge haben konnte.78 Im nunmehr geltenden Recht ist diese Differenzierung wegen der Objektivierung des Geheimnisbegriffs durch § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG79 überholt und bedarf folglich keiner vertieften Darstellung. Zudem ist wegen des Verhältnisses der §§ 3, 4 GeschGehG, ist die Einwilligung im Rahmen von § 3 Abs. 2 GeschGehG ebenfalls bereits auf Ebene des Tatbestands von Bedeutung. Daher kann diese Norm de lege lata eine maßgebliche Vorschrift im strafrechtlichen Umgang mit Whistleblowern darstellen, weil gerade zu Beginn des Eskalationsprozesses oft zunächst eine innerbetriebliche Aufklärung angestrebt wird.80 Auf § 5 Nr. 3 GeschGehG hingegen kann bei Meldungen innerhalb von internen Meldesystemen nicht zurückgegriffen werden, weil die Arbeitnehmervertretung Repräsentant der Arbeitnehmer sei und somit keine geeignete Anlaufstelle bilden kann.81
II. Besondere Berücksichtigung des § 5 GeschGehG 1. Schutz des Whistleblowers selbst Abseits des § 3 Abs. 2 GeschGehG, wenn also weder ein Meldesystem geschaffen beziehungsweise korrekt genutzt wurde und auch nicht in sonstiger Weise in die Mitteilung eingewilligt wurde, ist für die Grenzen der Strafbarkeit eines Whistleblowers § 5 GeschGehG von zentraler Bedeutung. Je nach Fallkonstellation können sogar alle benannten Fallgruppen dieser Norm einschlägig sein. Bei Beteiligung der Presse, aber auch allgemeiner gefasst, bei der Verbreitung der betreffenden Informationen ist etwa an § 5 Nr. 1 GeschGehG zu denken. Nichtsdestotrotz steht § 5 Nr. 2 GeschGehG im Mittelpunkt der nachfolgenden Ausführungen.82 78 Nöbel/Veljovic, CB 2020, 34, 35; auf Grund des begrenzten Untersuchungsumfangs soll an dieser Stelle auf eine detaillierte Darstellung verschiedener Hinweisgebersysteme verzichtet werden und auf den bestehenden Stand der Forschung verwiesen werden, vgl. statt vieler etwa Schenkel, Whistleblowing, S. 131 ff. m. w. N. und Redder, Whistleblowing, S. 72 ff. 79 Siehe erneut Kapitel 4 B.III., C.II.3. und D. 80 Im Hinblick auf die überkommene Rechtslage äußerten Herbert/Oberrath noch die Vermutung, dass innerbetriebliche Stellen wohl kaum genutzt würden und stuften diese daher nicht als probates Mittel zur Steuerung von Whistleblowing ein, vgl. NZA 2005, 193, 199. Diese Vermutung hat sich jedoch nicht erhärten lassen und ist daher nur der Vollständigkeit halber zu erwähnen. 81 Schweizer, Internes Whistleblowing, S. 57; Schubert, in: EuArbRK, Art. 5 RL 2016/ 943/EU Rn. 29. 82 Bei Alexander etwa ist vor einer „besonderen Regelung zum ,Whistleblowing‘“ die Rede, vgl. WRP 2017, 1034, 1043; im Hinblick auf die überkommene Rechtslage und die Rechtfertigung durch § 34 StGB vgl. Lutterbach, Whistleblowing, S. 93, 106 und Schenkel, Whistleblowing, S. 151.
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Die Vorschrift umschreibt (verklausuliert) die anfangs aufgezeigte Definition des Begriffs Whistleblowing83, was – mehr oder weniger – auch für den aufgezeigten Idealverlauf gilt. Regelmäßig geht es beim Whistleblowing nämlich darum, eine rechtswidrige oder zumindest berufsrechtswidrige Verhaltensweise aufzuzeigen, um so auf die Beseitigung des dadurch begründeten Missstands hinzuwirken. Dies kann sowohl im allgemeinen öffentlichen Interesse als Fall des § 5 Nr. 2 GeschGehG, als auch ganz allgemein zum Schutz berechtigter Interessen erfolgen und ist dann folglich unter den unbenannten Fall des § 5 GeschGehG zu subsumieren. Wohl bewusst wurde dabei darauf verzichtet, sich auf eine konkretere Form des Hinweisgeberverhaltens festzulegen, auch wenn im Schrifttum stellenweise behauptet wird, § 5 Nr. 2 GeschGehG zeichne externes Whistleblowing von jeglicher Haftung frei, während § 5 Nr. 3 GeschGehG für das interne Pendant eingreife.84 Nachdem zuvor allgemein festgestellt wurde, dass bei der Anwendung der Norm eine Interessenabwägung im Einzelfall erfolgen muss, gilt es sich nun erneut vertiefter mit dieser Thematik im Lichte des Whistleblowings auseinanderzusetzen. Dabei wird von zentraler Bedeutung sein, Leitlinien für die Handhabung von § 5 Nr. 2 GeschGehG aufzustellen. Vor Verabschiedung des GeschGehG wurde ein gestuftes Vorgehen – ähnlich wie anhand von Herolds Verlaufsmodell beispielhaft dargestellt – als Mittel zur Gewährleistung interessengerechter Abwägungsergebnisse gewertet. Bevor mit der Untersuchung des § 5 Nr. 2 GeschGehG fortgefahren werden soll, ist an dieser Stelle daher eine kursorische Darstellung der bisher vorherrschenden Auffassung zum gestuften Vorgehen beim Whistleblowing angezeigt. Dies soll am Beispiel der arbeitsrechtlichen Rechtssache Heinisch erfolgen, im Übrigen wird auf den bisherigen Stand der Forschung verwiesen.85 Das bisher geltende System wurde an den arbeitsvertraglichen Treuepflichten festgemacht, welche sich auf § 241 Abs. 2 BGB stützen lassen.86 Dieser Rechtssache des EGMR lag folgender Sachverhalt zu Grunde. Die Altenpflegerin Frau Heinisch war seit dem Jahr 2000 bei einer im Eigentum des Landes Berlin stehenden Pflegeeinrichtung in der Rechtsform einer GmbH beschäftigt. Im Jahr 2002 wurden bei ihrem Arbeitgeber Mängel festgestellt. Ab dem Jahr 2003 83
Ähnlich Momsen/Benedict, KriPoZ 2020, 234, 239. Erneut Schmitt, RdA 2017, 365, 371 f.; Baranowski/Glaßl, CB 2018, 271. 85 Eine darüberhinausgehende Darstellung weiterer Urteile muss auf Grund des begrenzten Untersuchungsumfangs auf einzelne Nachweise an geeigneter Stelle beschränken. Eine vertiefte Analyse der Rechtsprechung des EGMR und der nationalen Gerichte zum Thema Whistleblowing im Hinblick auf die dabei in Rede stehenden verfassungsrechtlichen Fragestellungen findet sich etwa bei Redder, Whistleblowing, S. 150 ff., 208 ff. 86 Vgl. etwa. EGMR, Urt. v. 17. 09. 2015 – 14464/11, NZA 2017, 237 Rn. 42 – 44 – Langner/Deutschland; BAGE 107, 36 ff.; BAG NJW 2017, 1833 Rn. 11, 13 ff.; vertiefend statt vieler Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 194 ff.; Forst, NJW 2011, 3477, 3478 ff.; Naber/ Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 586; Redder, Whistleblowing, S. 152 ff.; instruktiv zum Abwägungsvorgang Rotsch/Wagner, in: Rotsch, Criminal Compliance, § 34 C Rn. 30 – 44. 84
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Teil 2: Whistleblowing als Grenze des strafrechtl. Geschäftsgeheimnisschutzes
berichteten sie sowie ihre Kollegen der Geschäftsleitung regelmäßig von Personalmangel und daraus erwachsenden Problemen. Im November dieses Jahrs wurden bei einer Prüfung erneut Mängel festgestellt. Nach weiteren Berichten an ihre Vorgesetzten konsultierte Frau Heinisch schließlich einen Rechtsanwalt, der die Geschäftsleitung zunächst im November 2004 nochmals auf die Mängel hinwies. Im Dezember schließlich erstattete Frau Heinisch wegen Betrugs Strafanzeige bei der zuständigen Staatsanwaltschaft gegen ihren Arbeitgeber. Das Verfahren wurde jedoch bereits im Januar 2005 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Im selben Monat wurde Frau Heinisch wegen häufiger Krankheit gekündigt. Dagegen setzte sie sich gerichtlich zur Wehr und verteilte zusätzlich Flugblätter, in denen behauptet wurde, dass die Kündigung eine „politische Disziplinierung, um den berechtigten Widerstand … mundtot zu machen“ darstelle. Zudem wurde die Strafanzeige erwähnt. Als die Arbeitgeberin auf diese Weise von ihrer Anzeige erfuhr wurde eine weitere, fristlose Kündigung ausgesprochen.87 Vor dem LAG wurde die Kündigung schließlich als wirksam eingestuft, das BAG wies die Nichtzulassungsbeschwerde zurück und das BVerfG nahm die anschließende Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.88 Der danach angerufene EGMR gab Frau Heinisch schließlich im Hinblick auf die behauptete Verletzung von Art. 10 EMRK Recht. Dabei stellte das Gericht im Einzelnen fest, dass die Tätigkeit als externer Whistleblower in den Schutzbereich des Art. 10 EMRK fällt, auch wenn es zu einer Strafanzeige kommt.89 So kann das Mitteilen von Informationen über rechtswidriges Verhalten oder Straftaten am Arbeitsplatz gerechtfertigt sein.90 Dies gilt insbesondere, wenn bei fehlender Aufklärung selbst eine Bestrafung droht.91 Es sind aber Loyalitätspflichten gegenüber dem Arbeitgeber zu berücksichtigen, sodass die Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers mit den Interessen des Arbeitgebers, wie etwa dessen gutem Ruf oder wirtschaftliche Einbußen, abgewogen werden muss.92 Daher ist es notwendig, zunächst einen Vorgesetzten oder eine innerbetriebliche Stelle zu informieren und den Gang an die Öffentlichkeit erst vorzunehmen, wenn eine anderweitige Aufklärung unmöglich
87 88
land.
EGMR, Urt. v. 21. 07. 2011 – 28274/08, NJW 2011, 3501 – Heinisch/Deutschland. EGMR, Urt. v. 21. 07. 2011 – 28274/08, NJW 2011, 3501 m. w. N. – Heinisch/Deutsch-
89 EGMR, Urt. v. 21. 07. 2011 – 28274/08, NJW 2011, 3501 Rn. 43, 45 – Heinisch/ Deutschland. 90 EGMR, Urt. v. 21. 07. 2011 – 28274/08, NJW 2011, 3501 Rn. 63 – Heinisch/Deutschland mit Verweis auf EGMR, Slg 2008 Nr. 72 – Guja/Moldau und EGMR, Urt. v. 19. 02. 2009 – 4036/04 Nr. 46 – Marachenko/Ukraine; aktuell EGMR, Urt. v. 16. 02. 2021 – 23922/19, NJW 2021, 2343 Rn. 47, 65 Gawlik/Liechtenstein. 91 EGMR, Urt. v. 21. 07. 2011 – 28274/08, NJW 2011, 3501 Rn. 84 – Heinisch/Deutschland. 92 EGMR, Urt. v. 21. 07. 2011 – 28274/08, NJW 2011, 3501 Rn. 64, 88, 89 – Heinisch/ Deutschland.
Kap. 9: Whistleblowing als besondere Grenze des Geschäftsgeheimnisschutzes
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erscheint.93 Zudem ist zu berücksichtigen, ob ein öffentliches Interesse an den Informationen besteht und ob diese fundiert sind, was mit Prüfungspflichten einhergeht. Gleichzeitig sind die Beweggründe des Handelnden zu hinterfragen.94 Mithin muss der Whistleblower in gutem Glauben an die Richtigkeit der Angaben, zum Schutz öffentlicher Interessen und dem Fehlen weniger einschneidender Handlungsalternativen handeln.95 Für die Übertragung auf das nationale Recht gilt es zum einen zu berücksichtigen, dass es sich bei der EMRK zwar nur um ein einfaches Gesetz handelt, zum anderen sind die Urteile des EGMR aber wegen dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit von besonderem Gewicht.96 Die aufgezeigten Grundsätze wurden im Bereich des Strafrechts überwiegend auf § 34 StGB übertragen und erfuhren auf diese Weise Anerkennung. Die Tatbestandsausnahme aus § 5 GeschGehG und speziell der benannte Fall des § 5 Nr. 2 GeschGehG weist aber – wie einleitend angedeutet – keine Vorgaben hinsichtlich eines zu beachtenden Verfahrens auf.97 Auch die Gesetzesbegründung kann hier nicht weiterhelfen. Auf Grund dieses Umstands gehen Stimmen in der Literatur davon aus, dass das von der Rechtsprechung entwickelte Stufenmodell in Zukunft grundsätzlich nicht mehr zur Anwendung kommen wird.98 Lediglich durch die Regelung des § 1 Abs. 3 Nr. 4 GeschGehG besteht im Bereich des Arbeitsrechts Klarheit darüber, ob das dargestellte Modell bei der Anwendung des § 5 Nr. 2 GeschGehG weiterhin Berücksichtigung finden soll. Aus dieser Norm soll nach einer in der Literatur zutreffend vertretenen Ansicht folgen, dass diese Grundsätze durch das GeschGehG nicht beeinträchtigt werden, mithin also weiterhin Geltung für sich beanspruchen können.99 Vor dem Hintergrund der bereits aufgezeigten Regelungs93 EGMR, Urt. v. 21. 07. 2011 – 28274/08, NJW 2011, 3501 Rn. 65 – Heinisch/Deutschland; vertiefend zur Ausschöpfung interner Abhilfemöglichkeiten nur Redder, Whistleblowing, S. 223 ff. 94 EGMR, Urt. v. 21. 07. 2011 – 28274/08, NJW 2011, 3501 Rn. 66, 67, 69, 77 – Heinisch/ Deutschland; aktuell EGMR, Urt. v. 16. 02. 2021 – 23922/19, NJW 2021, 2343 Rn. 67, 68, 71, 74 ff. Gawlik/Liechtenstein 95 EGMR, Urt. v. 21. 07. 2011 – 28274/08, NJW 2011, 3501 Rn. 69, 83 – Heinisch/ Deutschland. 96 Zur Bindungswirkung der Rechtsprechung des EGMR für die nationalen Gerichte BVerfGE 111, 307 ff.; 128, 326 ff.; Forst, NJW 2011, 3477, 3479 f.; Redder, Whistleblowing, S. 141 f., 146; ähnlich Brockhaus, JRE 26 (2018), 429, 435; Vitt, BB 2022, 1844, 1844; vertiefend zu bestehenden Unterschieden in der Rechtsprechung von EGMR und BAG, vgl. nur Redder, Whistleblowing, S. 154 ff., 211 ff. 97 So auch Hiéramente/Golzio, CCZ 2018, 262, 264 f.; Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 69; dies., Geheimnishehlerei, S. 158, 162; Schenkel, Whistleblowing, S. 285; Ohly, in: HarteBavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 5 Rn. 48; andeutungsweise Groß/Platzer, NZA 2018, 913, 916. 98 Hiéramente/Golzio, CCZ 2018, 262, 265; Ullrich, WiJ 2019, 52, 60 f.; Schenkel, Whistleblowing, S. 285; Reinhardt-Kasperek, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 5 Rn. 76. 99 Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1777; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 586; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 41 ff., 45; Fuhlrott/ders., DB 2019, 967, 969;
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technik des Geschäftsgeheimnisstrafrechts – speziell § 23 Abs. 1 Nr. 3 Gesch GehG – aber auch im Hinblick auf praktische Erfahrungswerte wird es bei der Anwendung des § 5 Nr. 2 GeschGehG regelmäßig auf eine mögliche Rechtsverletzung eines Arbeitnehmers ankommen. Mithin spricht also bereits an dieser Stelle viel für die faktische Fortgeltung des bisher geltenden Rechts. Doch auch neben dieser konkreten Fallgruppe wird ganz allgemein argumentiert, dass beim Aufdecken außerhalb des Unternehmens stets zuerst die betreffenden Behörden informiert werden müssen, bevor als ultima ratio der Gang zur Presse erwogen wird.100 Mithin plädiert das überwiegende Schrifttum für eine Aufrechterhaltung der im Arbeitsrecht entwickelten Grundsätze zumindest als Leitlinie.101 Das soll sich nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung daraus ergeben, dass ansonsten eine Unterminierung des staatlichen Gewaltmonopols und des Rechtsstaatsprinzips droht.102 Dem wird einschränkend entgegengehalten, dass durch die freie Presse nur eine öffentliche Kontrolle der Staatsgewalt vorgenommen werden kann, diese jedoch nicht an die Stelle staatlicher Maßnahmen tritt beziehungsweise diesen sogar übergeordnet wäre.103 Zudem wird berechtigterweise der Einwand erhoben, dass die Strafverfolgungsbehörden für sonstiges Fehlverhalten kaum eine geeignete Stelle zur Offenbarung darstellen können.104 Daraus aber die freie Wählbarkeit der für die Offenlegung gewählten Stelle zu folgern vermag nicht zu überzeugen. Es ist interessengerechter für die konkrete Information die geeignete Stelle zu ermitteln. Dieses Vorgehen weist den Vorteil auf, dass gerade bei strafrechtlich relevanten Sachverhalten, bei denen eine besonders weitreichende Beeinträchtigung des Geheimnisinhabers zu erwarten ist, schützenswerten Interessen entsprechend Genüge getan werden kann.105 In einem von Hiéramente/Wagner vorgebrachten Anwendungsbeispiel, bei dem sich ein Whistleblower auf Grund eines (vermuteten) Prozessbetrugs zur Verdeckung unlauterer oder Buck, jM 2020, 59, 62; Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 357; Scholtyssek/Judis/Krause, CCZ 2020, 23, 26; Altenbach/Hild, CB 2020, 248, 249; ähnlich Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 54; a. A. Brockhaus ist hingegen der Auffassung, dass § 1 Abs. 3 Nr. 4 GeschGehG lediglich den Anwendungsbereich des GeschGehG begrenzen soll, vgl. ZIS 2020, 102, 118. Dieser Einwand erweist sich bei näherem Hinweisen allerdings als wenig überzeugend, weil es dann kaum einen Anwendungsbereich für das GeschGehG geben würde. Doch auch bei unterstellter Richtigkeit dieses Arguments, würde man auf gleichgelagerte Ergebnisse hinauslaufen. 100 Klaas, CCZ 2019, 163, 166; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 44. 101 Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 70; Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 5 Rn. 85. 102 Klaas, CCZ 2019, 163, 166; Rudkowski, CCZ 2013, 204, 207; ähnlich Forst, EuZA 2013, 37, 74. 103 Klaas, CCZ 2019, 163, 166. 104 Trebeck/Schulte-Wissermann, NZA 2018, 1175, 1179. 105 Zustimmend aus verfassungsrechtlicher Perspektive Redder, Whistleblowing, S. 156 ff.
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rechtswidriger Praktiken an die Gegenpartei im Verfahren wendet, ist dies aber im Hinblick auf etwaige Strafbarkeitsrisiken anders zu bewerten.106 Dieses Ergebnis erweist sich allerdings als vorzugswürdig, weil die Verhütung von Straftaten – hier auch des (versuchten) Prozessbetrugs – ureigene Aufgabe der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden und nicht von privaten Akteuren ist. Nichtsdestotrotz kann es sich gerade für den Laien im Einzelfall als schwierig erweisen, die korrekte Stelle für sein Anliegen zu ermitteln107, sodass das Bereitstellen ausreichender Informationen einen wesentlichen Aspekt für wirksames, effektives und rechtssicheres Whistleblowing darstellt. Auch betreffend der Geschäftsgeheimnis-RL wird ähnlich argumentiert. So wird zum wiederholten Male Erwägungsgrund [20] der Richtlinie angeführt. Eine solche Differenzierung zwischen internem und externem Vorgehen kann nicht am Wortlaut festgemacht werden. Vielmehr wurde gerade keine explizite Regelung zur Angemessenheit der Veröffentlichung geschaffen.108 Daher gelangen manche Stimmen in der Literatur zu dem Schluss, dass der Wortlaut des Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL bei der Umsetzung in nationales Recht keinen Raum für eine Einschränkung möglicher Stellen zur Aufdeckung lässt.109 Das Wort Aufdeckung lasse – wie aufgezeigt – eine breite Palette an möglichen Adressaten zur Aufdeckung zu.110 Demnach wäre die vom EGMR entwickelte Stufenfolge beim Whistleblowing nunmehr ein historisches Relikt. Dennoch folgt auch aus der Richtlinie der Vorrang des internen Vorgehens. Aus der zu Art. 10 EMRK ergangenen und wegen Art. 52 Abs. 3 GRCh auch für Art. 11 Abs. 1 GRCh übertragbaren Rechtsprechung, sollte diese im konkreten Kontext fortgelten.111 Dies wurde für § 5 Nr. 1 GeschGehG aufgezeigt. Auf diese Weise können die erforderliche Interessenabwägung und die Whistleblowing-RL, welche ebenfalls ein gestuftes Vorgehen vorsieht, berücksichtigt werden.112 Insgesamt lässt
106
Sie dazu mit dem gegenteiligen Ergebnis Hiéramente/Wagner, GRUR 2020, 709, 713 f. So auch Redder, Whistleblowing, S. 218 f. 108 Bissels/Schroeder/Ziegelmayer, DB 2016, 2295, 2298; Baranowski/Glaßl, BB 2016, 2563, 2567; Eufinger, ZRP 2016, 229, 231; Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1015; Schmitt, RdA 2017, 367, 371; Schenkel, Whistleblowing, S. 186 f.; Schubert, in: EuArbRK, Art. 5 RL 2016/ 943/EU Rn. 15. 109 Eufinger, ZRP 2016, 229, 231; Groß/Platzer, NZA 2017, 1097, 1103 f.; Hoeren/Münker, WRP 2018, 150, 154; a. A. Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 46. 110 So auch Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1015; Reinhardt-Kasperek/Kaindl, BB 2018, 1332, 1334; Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 120; Schenkel, Whistleblowing, S. 186 f. 111 Wiese, EU-Richtlinie, S. 135; Schmitt, RdA 2017, 365, 371; Reinhardt-Kasperek/ Kaindl, BB 2018, 1332, 1334 f.; Schubert, in: EuArbRK, Art. 5 RL 2016/943/EU Rn. 16 f.; a. A. Eufinger, ZRP 2016, 229, 231; Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 120. 112 Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1777; Ohly, GRUR 2019, 441, 448 f.; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 964 f.; vgl. Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 337; Hiéramente/Golzio, CCZ 2018, 262, 264 f.; Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 17 f. 107
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sich so die herbeizuführende praktische Konkordanz zwischen den widerstreitenden Grundrechtspositionen bestmöglich verwirklichen.113 Damit kann dieses Ergebnis vor dem europarechtlichen Hintergrund überzeugen, weil der dahinterstehende Rechtsgedanke auch dort verankert ist, wie sich unter anderem in der bisher ergangenen Rechtsprechung deutlich zeigt.114 Ob eine strikte Orientierung an den Vorgaben der Whistleblowing-RL erforderlich oder angezeigt ist, kann hingegen erst an späterer Stelle beantwortet werden. Nicht unter den Tisch fallen sollte allerdings, dass damit bei § 5 Nr. 2 GeschGehG eine restriktivere Vorgehensweise an den Tag gelegt wird als bei § 5 Nr. 1 GeschGehG. Dagegen bestehen gleichwohl keine durchgreifenden Bedenken, weil beiden Vorschriften oftmals unterschiedlichen Konstellationen zu Grunde liegen können.115 Es bestehen bei Journalisten in der Regel keine Loyalitätspflichten gegenüber den Objekten der Berichterstattung. Außerdem ist es gerade ihre Aufgabe die Öffentlichkeit zu informieren, während dies bei unternehmensinternen Personen in der Regel nicht der Fall ist. 2. Schutz weiterer Personen Schließlich ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut und den Gesetzgebungsunterlagen im Einklang mit den bisherigen Untersuchungsergebnissen, dass die Tatbestandsausnahme nicht nur den Whistleblower selbst, sondern auch dessen Unterstützer schützt. Konsequenterweise kann dies sogar dann gelten, wenn für einen Haupttäter § 5 GeschGehG nicht eingreift.116
B. Schutz des Whistleblowers vor strafrechtlicher Verantwortung im Bereich des Geschäftsgeheimnisstrafrechts – de lege ferenda Nachdem zu Beginn dieser Untersuchung eingehend auf die Geschäftsgeheimnis-RL, ihre Gesetzgebungsgeschichte und ihre Auswirkungen auf das Geschäftsgeheimnisstrafrecht eingegangen wurde, ist sodann die im selben Jahr wie das GeschGehG verabschiedete Richtlinie 2019/1937 des Europäischen Parla113
In diesem Sinne auch Klaas, CCZ 2019, 163, 166. Zustimmend erneut Schmitt, RdA 2017, 365, 368; Trebeck/Schulte-Wissermann, NZA 2018, 1175, 1178; Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1003; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 46; a. A. Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 120; Eufinger, ZRP 2016, 223, 231; zur vertieften verfassungsrechtlichen Analyse der Rechtsprechung erneut Redder, Whistleblowing, S. 150 ff. 115 Das soll aber nicht heißen, dass keine Überschneidung auftreten werden, vgl. etwa Buchert/Buchert, ZWH 2018, 309, 314 mit Fn. 47; zur Überschneidung auch Ohly, in: HarteBavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 5 Rn. 31. 116 Zustimmend BT-Drs. 19/8300, S. 14. 114
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ments und des Rates vom 23. 10. 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, kurz die Whistleblowing-RL, zu berücksichtigen. Dabei soll nach einem kurzen Überblick über die Gesetzgebungsgeschichte, der Inhalt der Richtlinie zusammenfassend dargestellt und in einem dritten sowie letzten Schritt deren Auswirkungen auf das Geschäftsgeheimnisstrafrecht untersucht werden.
I. Whistleblowing-RL – Geschichte Ähnlich wie der Geschäftsgeheimnis-RL ist auch der Whistleblowing-RL ein langwieriger Prozess vorangegangen, bevor diese am 26. 11. 2019 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde.117 Den Ausgangspunkt des umkämpften Gesetzgebungsvorhabens markieren die Entschließungen des Europäischen Parlaments vom 14. 02. 2017 und 24. 10. 2017, durch welche die Kommission zum Tätigwerden auf diesem Gebiet veranlasst werden sollte.118 Zu diesem Zeitpunkt war bereits eine Studie in Auftrag gegeben worden, um sich entsprechende Informationen für ein etwaiges Gesetzgebungsverfahren zu beschaffen.119 Schwerpunktmäßig wurden die enormen Schäden herausgearbeitet, welche durch einen unzureichenden Hinweisgeberschutz begünstigt werden.120 Daraufhin wurde am 23. 04. 2018 ein erster Richtlinienvorschlag samt einer Mitteilung vorgelegt.121 Da dieser das Parlament nicht überzeugen konnte, folgte ein Bericht des Rechtsausschuss vom 26. 11. 2018 mit einem Entwurf für eine Entschließung mit zahlreichen Änderungsvorschlägen, welche sich unter anderem gegen die bisher vorgesehene Stufenfolge von interner Meldung, dann externer Meldung und zuletzt der Offenlegung aussprach.122 Diese Abstufung wurde im
117
Vgl. L 305/17; ausführlich dazu etwa Schmolke, NZG 2020, 5 ff. Entschließungen des Europäischen Parlaments vom 14. 02. 2017, 2016/2055 (INI), und vom 24. 10. 2017, 2016/2224 (INI); dazu nur Schmolke, AG 2018, 769, 771 f.; ders., NZG 2020, 5; Fest, in: EuArbRK, Art. 1 RL 2019/1937/EU Rn. 43 f. 119 Vertiefend nur Schmolke, AG 2018, 769, 771 f.; ders., NZG 2020, 5. 120 Vertiefend nur Dilling, CCZ 2019, 214, 214. 121 Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, COM(2018) 218 final, 23. 04. 2018 (abrufbar unter https://ec. europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2018/DE/COM-2018-218-F1-DE-MAIN-PART-1.PDF zuletzt abgerufen am 16. 06. 2020). 122 Europäisches Parlament, Entwurf einer legislativen Entschließung, 26. 11. 2018 (abrufbar unter https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-8-2018-0398_DE.html#title1 zuletzt abgerufen am 16. 06. 2020); dazu etwa Schmolke, AG 2018, 769, 777 f.; ders., NZG 2020, 5, 6. 118
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Teil 2: Whistleblowing als Grenze des strafrechtl. Geschäftsgeheimnisschutzes
„Gegenvorschlag“ vom 10. 12. 2018 noch beibehalten123, ist aber im Trilogverfahren schlussendlich aufgegeben worden.124 In der Folge stimmte am 16. 04. 2019 dann auch das Parlament dem Vorschlag zu, doch vor der Zustimmung durch den Rat am 07. 10. 2019 war noch der Umweg über das Berichtigungsverfahren notwendig.125 Die finale Ausfertigung erfolgte schließlich am 23. 10. 2019, eineinhalb Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Richtlinienvorschlags.126 Die Umsetzung ins nationale Recht als letzter Schritt der Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ist gemäß Art. 26 Abs. 1 und 2 Whistleblowing-RL grundsätzlich bis zum 17. 12. 2021 und in einigen Teilen bis zum 17. 12. 2023 vorgesehen.127
II. Whistleblowing-RL – Inhalt Die finale Fassung der Whistleblowing-RL ist in sieben Kapitel mit zusammen 29 Artikeln untergliedert. Kapitel I legt in den Art. 1 bis einschließlich 6 den Anwendungsbereich, die Begriffsbestimmungen und die Schutzvoraussetzungen dar. Daran anschließend werden in den Kapiteln II und III interne Meldungen und deren Folgemaßnahmen sowie externe Meldungen und deren Folgemaßnahmen dargestellt. In Kapitel IV wird die Offenlegung im Sinne der Whistleblowing-RL behandelt. Kapitel V führt weitere Vorschriften für interne und externe Meldungen ein. Von besonderem Interesse für den weiteren Verlauf dieser Untersuchung ist dann Kapitel VI, in welchem Schutzmaßnahmen aufgezeigt werden. Abschließend finden sich die Schlussbestimmungen in Kapitel VII. Vor dem Hintergrund der materiell-strafrechtlichen Prägung dieser Untersuchung müssen sich die nachfolgenden Ausführungen auf die Teile der Richtlinie beschränken, welche Auswirkungen auf das materielle Geschäftsgeheimnisstrafrecht 123 Council of the EU – Presidency, Proposal for a Directive on the protection of persons reporting on breaches of Union law vom 10. 12. 2018 (Interinstitutional File: 2018/ 0106(COD), dort insb. Erwägungsgrund [23] und Art. 2bis i. V. m. Art. 5bis. 124 Europäisches Parlament, Pressemitteilung v. 12. 03. 2019, abrufbar unter https://www.eu roparl.europa.eu/news/de/press-room/20190311IPR31055/whistleblower-erstmals-eu-weiterschutz-fur-hinweisgeber (zuletzt abgerufen am 16. 06. 2020); Schmolke, NZG 2020, 5, 6. 125 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. 04. 2019 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (COM(2018)0218 – C8 – 0159/2018 – 2018/0106(COD)); Schmolke, NZG 2020, 5, 6. 126 Siehe auch Schmolke, NZG 2020, 5. 127 Auf die Folgen einer nicht fristgerechten Umsetzung der Whistleblowing-RL kann angesichts des begrenzten Umfangs dieser Untersuchung und der bloß temporären Bedeutung angesichts des nunmehr laufenden Gesetzgebungsverfahrens kann an dieser Stelle nicht mehr eingegangen werden; vgl. dazu vertiefend etwa Gerdemann, NJW 2021, 3489, 3491 ff. und Zimmer/Humphrey, BB 2022, 372, 376.
Kap. 9: Whistleblowing als besondere Grenze des Geschäftsgeheimnisschutzes
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haben können.128 Von zentraler Bedeutung sind dabei die Art. 21 Abs. 2, 3, 4, 7 Whistleblowing-RL, die den Schutz vor (strafrechtlichen) Repressalien betreffen, und die tatbestandsmäßigen Schutzvoraussetzungen in den Art. 1, 2, 3, 4 5, 6 Abs. 1 i. V. m. 7 oder 10 oder 15 Whistleblowing-RL.
III. Whistleblowing-RL – Auswirkungen und Unionsrechtskonformität des nationalen Rechts 1. Einfluss von Art. 21 Abs. 7 Whistleblowing-RL auf Art. 3 Abs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL und § 3 Abs. 2 GeschGehG a) Rechtsfolge: Rechtmäßige Offenlegung im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL und damit auch im Sinne des § 3 Abs. 2 GeschGehG Wie bereits angedeutet wird im materiellen Geschäftsgeheimnisstrafrecht die Bestimmung aus Art. 21 Abs. 7 Whistleblowing-RL in Zukunft eine zentrale Funktion innewohnen. Nach dessen Unterabsatz 1 „können die in Artikel 4 genannten Personen aufgrund von Meldungen oder von Offenlegungen im Einklang mit dieser Richtlinie“
in „Gerichtsverfahren, einschließlich privatrechtlicher, öffentlich-rechtlicher oder arbeitsrechtlicher Gerichtsverfahren wegen […] Verletzung der Geheimhaltungspflicht, […] Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen […] in keiner Weise haftbar gemacht werden“
sofern ein hinreichender Grund zu der Annahme bestand, „dass die Meldung oder Offenlegung notwendig war, um einen Verstoß gemäß dieser Richtlinie aufzudecken.“
Unterabsatz 2 sieht weiterhin vor, dass eine „Meldung oder Offenlegung als rechtmäßig im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie (EU) 2016/943“ 128 So müssen die inhaltlichen Anforderungen an potentiell erforderliche Meldekanäle und das anschließende Prozedere weitgehend außer Acht bleiben, vgl. vertiefend etwa Garden/ Hiéramente, BB 2019, 963, 965 f.; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1666 f.; Aszmos/Herse, DB 2019, 1849, 1851 f.; Erlebach, CB 2020, 284, 285 f., 287 f.; Hopt, ZGR 2020, 373, 398; Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126, 127 ff.; Forst, EuZA 2020, 283, 289 f., 293 f.; Schmolke, ZGR 2019, 876, 899 f.; ders., NZG 2020, 5, 7, 9, 11; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1205 f.; Fest, in: EuArbRK, Art. 8, 9 RL 2019/1937/EU; Zimmer/Humphrey, BB 2022, 372, 373 ff.; Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 78 ff.; Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 196 f., 202 ff.; zu datenschutzrechtlichen Fragen etwa Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 35; zum Verbot von Repressalien nach Art. 19 Whistleblowing-RL etwa Schmolke, NZG 2020, 5, 7; Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 188 ff.; Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 152 ff.
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Teil 2: Whistleblowing als Grenze des strafrechtl. Geschäftsgeheimnisschutzes
gilt, wenn „eine Person Informationen über in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Verstöße meldet oder offenlegt, die Geschäftsgeheimnisse beinhalten, und wenn diese Person die Bedingungen dieser Richtlinie erfüllt […].“
Zusammenfassend kann folglich festgestellt werden, dass es sich bei diesen Bestimmungen der Whistleblowing-RL um Erlaubnissätze im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL handelt. Mithin wird dies zugleich für die Umsetzungsvorschrift in § 3 Abs. 2 GeschGehG gelten. Gleichzeitig impliziert die Formulierung keine Einschränkung auf Fälle der Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen nach der Geschäftsgeheimnis-RL. Denn bei Auslegung im Kontext der Richtlinie ist ein Verweis auf das Offenlegen im Sinne des Art. 5 Nr. 6 Whistleblowing-RL naheliegender. Daher sind die Strafbarkeitsrisiken am Maßstab dieser Richtlinie beziehungsweise eines Umsetzungsgesetzes zu messen. b) Tatbestandsvoraussetzungen Nachdem die Rechtsfolge, also das Eingreifen des Erlaubnissatzes vorangestellt wurde, gilt es nunmehr die dazugehörigen Tatbestandsvoraussetzungen herauszuarbeiten. Die Formulierungen in Unterabsatz 1 „im Einklang mit dieser Richtlinie“ und „die Bedingungen dieser Richtlinie“ in Unterabsatz 2 sind dabei als Hinweis auf Art. 6 Whistleblowing-RL und speziell auf dessen Absatz 1 zu verstehen. Demnach muss ein Hinweisgeber, um Schutz zu genießen „hinreichenden Grund zu der Annahme [gehabt haben], dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen und dass diese Informationen in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fielen, und […] intern gemäß Artikel 7 oder extern gemäß Artikel 10 Meldung erstattet haben oder eine Offenlegung gemäß Artikel 15 vorgenommen haben.“
Daraus lassen sich die nachfolgenden Tatbestandsmerkmale entnehmen. aa) Hinreichender Grund zur Annahme, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße der Wahrheit entsprachen, Art. 6 Abs. 1 lit. a HS. 1 Whistleblowing-RL (1) Verstoß, Art. 5 Nr. 1 Whistleblowing-RL Über Art. 5 Nr. 1 Whistleblowing-RL, wird neben den bereits untersuchten Begriffen in § 5 Nr. 2 GeschGehG129, ein zusätzlicher Verstoßbegriff ins Geschäftsgeheimnisstrafrecht eingeführt. Die zugehörige Definition differenziert zwischen „Handlungen oder Unterlassungen, die [Art. 5 Nr. 1 lit. i Whistleblowing-RL] rechtswidrig sind und mit Rechtsakten der Union und den Bereichen in Zusammenhang stehen, die in den sachlichen Anwendungsbereich gemäß Artikel 2 fallen, oder [Art. 5 Nr. 1 lit. ii Whistleb129
Siehe dazu Kapitel 6 B.II.2.a).
Kap. 9: Whistleblowing als besondere Grenze des Geschäftsgeheimnisschutzes
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lowing-RL] dem Ziel oder dem Zweck der Vorschriften der Rechtsakte der Union und der Bereiche, die in den sachlichen Anwendungsbereich gemäß Artikel fallen, zuwiderlaufen“.
Aus dieser Formulierung ergeben sich Unklarheiten. So lässt die Norm in ihrer ersten Variante den Schluss zu, auch abseits der konkret in Art. 2 Whistleblowing-RL genannten Rechtsbereiche Verstöße zu erfassen, weil ein bloßer Zusammenhang mit diesen Regelungsmaterien ausreichend zu sein scheint. Dieser Umstand ist jedoch vor dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung mindestens kritikwürdig.130 Ob daraus allerdings auch Probleme in der praktischen Gesetzesanwendung erwachsen werden, wird sich erst im Lichte eines etwaigen Umsetzungsgesetzes beantworten lassen. Ohne Rückgriff auf den Erwägungsgrund [42] ist es zudem kaum möglich zu bestimmen, welche nicht rechtswidrigen Handlungen oder Unterlassungen den Gegenstand der zweiten Variante von Verstößen bilden. Aber auch dann bleibt noch ein erhebliches Maß an Unsicherheit. Erfasst sein sollen demnach „missbräuchliche Praktiken im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs […], die in formaler Hinsicht nicht rechtswidrig erscheinen, die jedoch mit dem Ziel oder Zweck der einschlägigen Rechtsvorschriften unvereinbar sind.“
Unklar bleibt die Rechtslage jedenfalls abseits der Rechtsprechung und möglicher Missbrauchsklauseln wie etwa § 42 AO. Oft liegen in diesem Bereich auch nur bloß programmatische Vorschriften vor, die sich letztlich nicht an Privatrechtssubjekte richten.131 Zusätzlich handelt es sich bei rechtsmissbräuchlichem Handeln (oftmals) zugleich um rechtswidriges Handeln132, sodass weitere Fragen vorprogrammiert erscheinen. Zieht man nun Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL und in der Konsequenz § 5 Nr. 2 GeschGehG heran, so werden aber gewisse Parallelen deutlich. Rechtswidrige Handlungen, ebenso berufliches Fehlverhalten lassen sich bei näherer Betrachtung unter Art. 5 Nr. 1 lit. i Whistleblowing-RL subsumieren, sofern dabei der sachliche Anwendungsbereich des Art. 2 Whistleblowing-RL eröffnet ist. Mithin sollte im Sinne einer kohärenten Rechtsanwendung ein einheitliches Begriffsverständnis mit Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL entwickelt werden. Dieser Aspekt wird noch einmal an Bedeutung gewinnen, sofern der Gesetzgeber von der Möglichkeit der Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs nach Art. 2 Abs. 2 Whistleblowing-RL Gebrauch machen sollte. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Verstoß im Sinne des Art. 5 Nr. 1 lit. i Whistleblowing-RL vorliegt, ist dann in weiten Teilen auf die bisherigen Rechtsausführungen zurückzugreifen. Das vage gehaltene, kritikwürdige sonstige Fehlverhalten ist bei – zu befürwortender, aber nicht zwingend gleichlaufender Begriffsbildung – als Fall des Art. 5 130 Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1002 hingegen sehen auch bei einer weiteren Ausweitung des Anwendungsbereichs kein zwingendes Kompetenzproblem. 131 Zustimmend Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 963 f. 132 Forst, EuZA 2020, 283, 298.
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Nr. 1 lit. ii Whistleblowing-RL zu behandeln. So ließe sich ein Maßstab entwickeln, der ein wenig weg von den primär moralisch-ethischen Wertungen hin zur Auslegung von Rechtsnormen deutet. Dies gilt vor allem dann, wenn Gesetze zu Beginn ihre Zielsetzung klar hervorheben, ohne dabei konkrete Verhaltensmaßstäbe aufzuzeigen. Fraglich bliebe zwar auch dann, ob sich dieses Auslegungsergebnis mit der Gesetzesbegründung zu § 5 Nr. 2 GeschGehG und dem in der Konsequenz vor allem von McGuire zutreffend vertretenen Ansicht vereinbaren lässt.133 Im Hinblick auf das Mehr an Rechtssicherheit scheint dieser Schwachpunkt allerdings einen angemessenen Preis darzustellen, zumal die Gesetzesbegründung kaum einen eindeutigen Mehrwert bringt. (2) Hinreichender Grund zur Annahme, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße der Wahrheit entsprachen Bei wortlautgetreuer Auslegung ist es nicht erforderlich, dass ein solcher Verstoß tatsächlich vorliegt. Vielmehr erscheint es vollkommen bedeutungslos, ob ein Missstand besteht. Maßgeblich ist mithin, ob auf Seiten des Hinweisgebers hinreichender Grund zur Annahme bestand, dass die von ihm gemeldeten Informationen über Verstöße im Sinne des Art. 5 Nr. 2 Whistleblowing-RL der Wahrheit entsprachen. Solche umfassen auch begründete Verdachtsmomente in Bezug auf einen tatsächlichen oder potentiellen bereits begangenen oder zukünftigen Verstoß und daran anknüpfende Verschleierungsmaßnahmen.134 Aus teleologischen Gründen bedarf es einer Modifikation. Die Norm sollte so ausgelegt werden, dass auch bloß gutgläubige Hinweisgeber Schutz genießen. Darauf deutet schon die Legaldefinition in Art. 5 Nr. 2 Whistleblowing-RL hin. Das Vorliegen eines Missstands würde ansonsten zur bloßen Nebensächlichkeit degradiert werden. Dies ist jedoch nicht Sinne der bezweckten Verbesserung der Rechtsdurchsetzung (Art. 1 Whistleblowing-RL), weil subjektive (Fehl-)Einschätzungen allein keinen ausreichenden Beitrag dazu liefern können. Der daraus erwachsende potentielle Schutz von maliziösen oder auch bloß fahrlässigen Hinweisgebern wird dadurch relativiert, dass der Hinweisgeber das Sanktionsrisiko für das Fehlen hinreichender Verdachtsmomente oder für gezielt rufschädigenden Aussagen trägt. Dies steht im Einklang mit dem StGB, welches im Falle des Wahrheitsbeweises keinen Raum für die Bestrafung nach den §§ 186, 187 StGB lässt. Zusätzlich könnte sich die handelnde Person in diesem Kontext stets auf § 193 StGB berufen.135 Außerdem hat der Unionsgesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Motivationslage eines Hinweisgebers unerheblich ist.136 133
Verneinend bzgl. § 5 Nr. 2 GeschGehG Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 103. 134 Vertiefend zu zukünftigen Verstößen nur Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 66 ff. 135 Vgl. etwa Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, § 193 Rn. 11. 136 Vgl. Erwägungsgrund [32]; zustimmend Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1668 f.; Aszmos/Herse, DB 2019, 1849, 1850; Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber,
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Das lässt sich dadurch erklären, dass es für die bezweckte Verbesserung der Rechtsdurchsetzung durch private Hinweisgeber letztlich nicht auf die Beweggründe des Handelns ankommt.137 Auch der Hinweis einer von egoistischen Motiven, wie etwa Rachsucht oder Schädigungsabsicht, geleiteten Person kann bei der effektiven Verfolgung von Rechtsverstößen hilfreich sein und muss sich nicht als besonders fehleranfällig erweisen.138 Dem ließe sich zwar womöglich Erwägungsgrund [43] entgegenhalten, in dem es heißt: „Demgegenüber sollte Personen, die Informationen melden, die bereits öffentlich in vollem Umfang verfügbar sind oder bei denen es sich um unbegründete Spekulationen oder Gerüchte handelt, kein Schutz gewährt werden.“
Entkräftet wird dieser Einwand dadurch, dass auch bei hier vertretenem Normverständnis kein Schutz für unbegründete Behauptungen gewährleistet wird. Abweichend ist lediglich der letztmögliche Begründungszeitpunkt für etwaige Behauptungen. Erweisen sich diese als wahr, so sind diese auch begründet. Bleibt unklar, ob ein Verstoß tatsächlich vorliegt, oder zeigt sich eine Fehleinschätzung, kommt es auf den Zeitpunkt der Meldung an. Eine nachträgliche Begründung ist in diesen Fällen dann denklogisch ausgeschlossen. Neben der Vereinbarkeit mit dem aufgezeigten Begründungswortlaut lässt sich für das hier vorgetragene Normverständnis überdies ins Feld führen, dass die Erwägungsgründe einer Richtlinie – wie bereits zuvor festgestellt – keine zwingende Bindungswirkung entfalten können. Als zusätzliches Korrektiv fungieren zudem Art. 21 Abs. 2 und Abs. 7 UAbs. 1 S. 2 Whistleblowing-RL, weil es demnach zusätzlich erforderlich ist, dass Hinweisgeber „hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die Meldung oder Offenlegung der Information notwendig war, um einen Verstoß gemäß dieser Richtlinie aufzudecken.“139
Die rechtstatsächlichen Ergebnisabweichungen werden zudem kaum ins Gewicht fallen, weil Herolds Untersuchungsergebnisse den Schluss nahelegen, dass dem Whistleblowing stets die Kenntnisnahme eines mutmaßlichen Initialmissstands zugrunde liegt, mithin also etwaige Verdachtsmomente vorliegen.
S. 169 f.; Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 149; krit. Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 964, 966 f.; im Hinblick auf die beim Whistleblowing betroffenen grundrechtlich geschützten Rechtspositionen gelangt Redder unabhängig von der Whistleblowing-RL zum Schluss, dass die Motivationslage des Whistleblowers (weitgehend) außer Acht bleiben sollte, vgl. Whistleblowing, S. 76, 195 ff.; dies stellt zugleich eine gewisse Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung dar, vgl. dazu nur ders., Whistleblowing, S. 192 ff. 137 So auch Meyer, HRRS 2018, 322, 326 f.; Schmolke, AG 2018, 769, 779; ders., ZGR 2019, 876, 910 138 Meyer, HRRS 2018, 322, 326 f.; Buchert/Buchert, ZWH 2018, 309, 315. 139 Siehe dazu Kapitel 9 B.III.1.b)dd).
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(3) Gutgläubigkeit des Hinweisgebers Für bloß potentielle Verstöße gilt es zu ermitteln, welche Anforderungen an die Gutgläubigkeit eines Hinweisgebers zu stellen sind. Forsts Anmerkung, dass die Gutgläubigkeit jedenfalls individuell festgestellt werden muss und bei Beteiligung bösgläubiger Personen nicht ohne weiteres eine „Haftungsgemeinschaft“ geschaffen werden darf, ist zutreffend.140 Im Hinblick auf mögliche Fallkonstellationen sind sowohl Fehleinschätzungen in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht denkbar. Im Schrifttum scheint allerdings Einigkeit darüber zu herrschen, dass die vorangestellte Differenzierung in Zukunft unerheblich sein wird.141 Ob diese Ansicht Beifall verdient, soll im Weiteren aufgeklärt werden. (a) Maßstabsbildung anhand der Richtlinie Die Richtlinie beziehungsweise die dazugehörigen Erwägungsgründe sind bei der Bildung eines Maßstabs nur begrenzt nützlich. So lässt sich diesen entnehmen, dass „angesichts der Umstände und der verfügbaren Informationen hinreichende[r] Grund zu der Annahme“ bestanden haben muss, dass der gemeldete Sachverhalt der Wahrheit entspricht.142 Das Vorliegen von zwingenden Beweisen ist nicht erforderlich. Notwendig ist es aber, dass die geäußerten Informationen beziehungsweise Vermutungen vom Hinweisgeber begründet werden können.143 Dies soll jedenfalls dann nicht der Fall sein, wenn wissentlich oder willentlich falsche oder irreführende Informationen in Rede stehen.144 Unklar bleiben aber die Anforderungen an eine hinreichende Begründung. So könnten sowohl subjektive Erwägungen ausreichend sein als auch tatsächliche und objektiv erfassbare Aspekte erforderlich sein. Einen insoweit einschlägigen Sorgfaltsmaßstab, legt die Richtlinie nicht fest.145 Wenig Klarheit bringt auch Schmolkes Ansatz mit sich, der auf das Vorliegen einer objektiven Grundlage hinweist.146 Die Auswertung von verfügbaren Informationen kann nämlich stets auch zu einer Fehleinschätzung führen, ohne dass es dafür tatsächliche Anknüpfungspunkte geben 140
Forst, EuZA 2020, 283, 297 f. Aszmos/Herse, DB 2019, 1849, 1850; Gerdemann, RdA 2019, 16, 23 mit Darstellung der bisherigen Rechtsprechung auf diesem Gebiet; Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 104; differenzierend Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 173 ff. 142 Siehe dazu Erwägungsgrund [32]; zum abweichenden Maßstab des Richtlinienvorschlags der Kommission Ullrich, WiJ 2019, 52, 54 f. und der dazugehörige Erwägungsgrund [60]. 143 Siehe dazu Erwägungsgrund [43]. 144 Siehe dazu Erwägungsgrund [32]. 145 Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 964; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1668. 146 Schmolke, AG 2018, 769, 774; ähnlich Brobeil, die jedenfalls aus den Erwägungsgründen eine gewisse Objektivierung herausliest, vgl. Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 154 f., 167. 141
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muss. Art. 23 Abs. 2 Whistleblowing-RL wiederum kann nur als äußerste Grenze fungieren. Bei wissentlich falschen Informationen ist gutgläubiges Handeln per se ausgeschlossen. Jedoch verdienen Hinweisgeber nach dem Sinn und Zweck der Richtlinie auch dann Schutz vor rechtlichen Konsequenzen, wenn sie zwar über die Umstände der Erlangung von Informationen wissentlich falsche Angaben machen, um sich vor negativen Konsequenzen zu schützen, die Informationen selbst aber für plausibel halten.147 (b) Maßstabsbildung anhand der Rechtsprechung Mangels eines eindeutigen Ergebnisses bietet es sich an die Rechtsprechung des EGMR mit einzubeziehen. Fest, Schmitt und Schmidt vertreten den Standpunkt, dass dieses Tatbestandsmerkmal letztlich auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zurückzuführen ist.148 Daher ist auf die bereits dargestellte Rechtssache Heinisch und neuerdings auch auf die Rechtssache Gawlik/Liechtenstein hinzuweisen.149 Darüber hinaus lässt sich der Rechtsprechung des EGMR allgemein entnehmen, dass die Anforderungen an die konkret zu berücksichtigende Sorgfalt mit der Schwere der konkret erhobenen Vorwürfe korreliert.150 Stets sind auch die Interessen des Betroffenen zu berücksichtigen.151 Mithin ist es erforderlich, dass die gemeldeten oder offengelegten (vermeintlichen) Verstöße angesichts der Umstände und der verfügbaren Informationen plausibel erscheinen, wobei es nicht auf die Vermeidbarkeit von Irrtümern ankommen soll.152 Unerlässlich bleibt aber eine gewissenhafte Prüfung.153 In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der EGMR die 147 Fest, in: EuArbRK, Art. 6 RL 2019/1937/EU Rn. 11; Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 155 f.; in diesem Punkt bleiben Momsen/Benedict unklar, weil diese lediglich bestehende Haftungsrisiken betonen, aber nicht klarstellen, ob sie sich dabei auf die Beschaffung oder Verbreitung der Informationen beziehen: „However, there is one major caveat: protections do not apply under the Directive when the acquisition of the information reported constitutes a ,self-standing criminal offence.‘ This is a problematic aspect of the Directive, which has the capacity to undermine protections in many cases.“, vgl. KriPoZ 2020, 234, 237. 148 Fest, in: EuArbRK, Art. 6 RL 2019/1937/EU Rn. 6; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55; Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 106. 149 Zur Rechtssache Heinisch siehe erneut Kapitel 9 A.II.1. und EGMR, Urt. v. 16. 02. 2021 – 23922/19, NJW 2021, 2343 – Gawlik/Liechtenstein; zum Einfluss der Rechtssache Gawlik/Liechtenstein vgl. nur Vitt, BB 2022, 1844, 1847. 150 EGMR, Urt. v. 17. 12. 2004 – 49017/99, NJW 2006, 1645 Rn. 78 – Pedersen u. Baadsgard v. Dänemark; Redder, Whistleblowing, S. 185. 151 Redder, Whistleblowing, S. 189 ff. m. w. N. zur Rechtsprechung des EGMR, insbesondere mit Verweis auf EGMR, Urt. v. 21. 07. 2011 – 28274/08, NJW 2011, 3501 Rn. 89 – Heinisch/Deutschland. 152 Fest, in: EuArbRK, Art. 6 RL 2019/1937/EU Rn. 6; vgl. hierzu auch Gerdemann, NJW 2021, 2324, 2327. 153 Aktuell etwa EGMR, Urt. v. 16. 02. 2021 – 23922/19, NJW 2021, 2343 Rn. 68, 74 ff. – Gawlik/Liechtenstein; EGMR, Urt. v. 17. 09. 2015 – 14464/11, NZA 2017, 273 Rn. 48 – Langer/Deutschland; EGMR, Urt. v. 27. 02. 2018 – 1085/10, NJW 2019, 1273 Rn. 47 – Guja/ Moldau Nr. 2; Fest, in: EuArbRK, Art. 1 RL 2019/1937/EU Rn. 14; Vitt, BB 2022, 1780, 1783 f.
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Nachforschungspflichten konkretisiert und fordert nun das Ausschöpfen verfügbarer Informationsquellen unter Berücksichtigung des erforderlichen zeitlichen Aufwands der Nachforschungen.154 Teilweise wird die Rechtsprechung im Schrifttum zugunsten des Informanten auch derart extensiv interpretiert, dass die Grenze der Leichtfertigkeit erst dann überschritten sei, wenn die Anzeige eines Sachverhalts jeglicher Tatsachengrundlage entbehre.155 Dies vorangestellt verbleibt immer noch ein erhebliches Unsicherheitspotential. Eine gewisse Orientierung können die bereits bekannten Grundsätze aber dennoch bieten. Bezieht man die Schwere der Verstöße und die Interessen des Betroffenen mit ein, so besteht allerdings die Gefahr einer verdeckten Interessenabwägung, die der Richtlinie fremd ist.156 Folgt man hingegen Stimmen, die Leichtfertigkeit erst bei Fehlen jeglicher Tatsachengrundlage bejahen, steht dies im Einklang mit den zuvor aufgestellten Mindestanforderungen. Mithin sollte eine objektive Grundlage vorhanden sein. Forsts und auch Schmidts Vorschläge jedenfalls grobe Fahrlässigkeit zu fordern157, mögen im Ergebnis Beifall verdienen, liefern aber keine weiteren Erkenntnisse. (c) Maßstabsbildung anhand des nationalen Rechts Auf Grund der aufgezeigten Schwierigkeiten erweist es sich als nützlich weitere, bereits bekannte Maßstäbe in die Überlegungen miteinzubeziehen. Im Schrifttum werden dabei verschiedene Ansätze präsentiert. Dilling etwa thematisiert die aus § 93 Abs. 1 S. 2 AktG abgeleitete, ebenso vage bleibende business judgement rule, verwirft diesen Ansatz aber unter Verweis auf die abweichende Ausgangssituation der handelnden Personen.158 Allerdings bleibt auch hierbei die Frage nach dem konkreten Beurteilungsmaßstab letztlich unbeantwortet, sodass keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden können.159 Redder stellt auf das Grundgesetz und die darauf fußende verfassungsrechtliche – aber oftmals auch arbeitsrechtliche – Rechtsprechung ab und differenziert im Hinblick auf bloß hypothetische Missstände zwischen internem und externem Whistleblowing. Abhängig von der Schwere der sei ein unterschiedlicher Maßstab anzulegen. Auf Grund der weniger intensiven Be154 EGMR, Urt. v. 16. 02. 2021 – 23922/19, NJW 2021, 2343 Rn. 68, 77 f. – Gawlik/Liechtenstein; Brobeil überträgt diesen Maßstab auf die Whistleblowing-RL, vgl. ArbeitnehmerHinweisgeber, S. 164 f.; Vitt kritisiert im Hinblick auf diese Rechtssache, dass die Rechtsprechung mittlerweile zu hohe Anforderungen an die Nachforschungspflicht stelle und so die Situation von Whistleblowern zusätzlich erschwere, BB 2022, 1780, 1784. 155 Simon/Schilling, BB 2011, 2421, 2427; Redder, Whistleblowing, S. 187; ähnlich Vitt, der einen geringen Sorgfaltsmaßstab fordert, vgl. BB 2022, 1844, 1845, 1847. 156 Auch Schröder betont, dass die „Herstellung praktischer Konkordanz zwischen subjektiven Rechten nicht im Mittelpunkt“ der Richtlinie steht, vgl. ZRP 2020, 212, 213. 157 Forst, EuZA 2020, 283, 297; Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 106 f. 158 Dilling, CCZ 2019, 214, 216. 159 Vertiefend nur Bürkle, VersR 2020, 1, 5.
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lastung des Betroffenen beim internen Vorgehen, sei beispielsweise auch weniger sorgfältiges Handeln zulässig.160 Zudem soll auch nach Art der Informationsquelle und der Quelle des Missstands differenziert werden.161 Beim externen Whistleblowing hingegen erlangt oftmals die Öffentlichkeit in wesentlichem Umfang Kenntnis von Betriebsinterna, sodass ein strengerer Maßstab angezeigt sei.162 Insgesamt lässt sich der Rechtsprechung des BVerfG aber kein allzu strenger Sorgfaltsmaßstab entnehmen.163 Dies wird damit begründet, dass „die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden [dürfen], daß dadurch die Funktion der Meinungsfreiheit in Gefahr gerät oder leidet“.164 Dennoch dürfen die zu erwartenden negativen Auswirkungen für den Betroffenen nicht außer Acht gelassen werden.165 Da es aber gerade nicht zur direkten Abwägung von Interessen des Whistleblowers, des betroffenen Unternehmens und der Öffentlichkeit kommen soll, müssen diese Aspekte anderweitig Berücksichtigung finden. Einen anderen Ansatz wählt Schmitt, die bei Irrtümern über das Vorliegen eines Verstoßes, auf bestehende Vorschriften – § 16 Abs. 1 StGB analog und § 276 Abs. 2 BGB – zurückgreifen will.166 Bei Irrtümern über die Eröffnung des Anwendungsbereichs hingegen stellt Sie auf § 17 StGB ab.167 Da eine vertiefende Begründung unterbleibt kann allerdings nur gemutmaßt werden, ob ihrem Ansatz Erwägungen zum Erlaubnistatbestandsirrtum und einer verbleibenden Fahrlässigkeitsstrafbarkeit zugrunde liegen. Gramlich/Lütke weisen an dieser Stelle auf die sprachliche Nähe der Richtlinie zum Begriff des hinreichenden Tatverdachts im Sinne der §§ 170, 203 StPO hin. Zugleich räumen sie aber ein, dass diesem ein außerermittelter Sachverhalt zu Grunde liegt.168Mithin können dadurch keine neuen Erkenntnisse für die Auslegung der Richtlinie gewonnen werden. Brobeil wiederrum knüpft an dieser Stelle an den strafprozessualen Anfangsverdacht an, da dieser den Ausgangspunkt für Folgemaßnahmen in Gestalt von Ermittlungen bildet.169 Dieser Ansatz vermag durchaus gewisse Sympathien zu wecken, da so auf die von der Rechtsprechung und dem Schrifttum entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden kann. Vitt wiederum bringt die Kostentragungsregelung aus § 469 StPO ins Spiel und betont, dass in 160
Redder, Whistleblowing, S. 79. Redder, Whistleblowing, S. 80, 245. 162 Redder, Whistleblowing, S. 245. 163 Redder, Whistleblowing, S. 186. 164 BVerfGE 54, 208, 219 f.; 61, 1, 8; 85, 1, 15; zustimmend Redder, Whistleblowing, S. 186. 165 Redder, Whistleblowing, S. 191 f. 166 Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55; auch Brobeil differenziert zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit, vgl. Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 168 f. 167 Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55. 168 Gramlich/Lütke, wistra 2020, 354, 355. 169 Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 60 f. 161
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diesem Zusammenhang anerkannt sei, dass die Kostentragungspflicht nicht eintrete, sofern bei Anzeigeerhebung auf gewisse Zweifel oder Ungewissheiten hingewiesen wird.170 Dieser Ansatz allein ermöglicht aber keine eigenständige Maßstabsbildung, kann jedoch im konkreten Einzelfall von Bedeutung sein. Auf Grund des strafrechtlichen Charakters dieser Untersuchung, sollen daher im Weiteren auch Leitlinien aus diesem Bereich aufgezeigt werden. Ausgangspunkt sind dabei die Ehrverletzungsdelikte.171 Zum einen kennen §§ 185 – 187 StGB eine ausdifferenzierte Abstufung bei der Kundgabe von negativen Äußerungen. Zum anderen besteht auch in tatsächlicher Hinsicht eine (enge) Beziehung zwischen Ehrverletzungen und der Preisgabe von Verstößen im obengenannten Sinne. Sofern es sich bei der betroffenen (juristischen) Person, um ein beleidigungsfähiges Rechtssubjekt handelt, kommt es für die strafrechtliche Verantwortlichkeit auf die subjektiven Umstände des Einzelfalls an.172 Dieser Wertungsmaßstab kommt auch in Art. 23 Abs. 2 Whistleblowing-RL und den Erwägungsgründen [101], [102] zum Ausdruck. Dort werden zur Abschreckung vor böswilligen Meldungen und zur Wahrung der Glaubwürdigkeit von Hinweisgebersystemen „… Sanktionen gegen Personen, die wissentlich Informationen über Verstöße melden oder offenlegen, welche nachweislich falsch sind“ gefordert. Gerade letztgenanntem Erwägungsgrund kann daher durch einen Verweis auf § 187 StGB oder unter Umständen auch § 186 StGB entsprochen werden. Mithin können diese Delikte als äußerste Grenze fungieren und zugleich weitere Erkenntnisse liefern. Der objektive Tatbestand der Beleidigung erfordert die Kundgabe von Missachtung gegenüber der betroffenen oder einer dritten Person. Es ist eine mündliche, schriftliche, bildliche, symbolische, durch Gesten, schlüssige Handlungen oder Tätlichkeiten erfolgende Äußerung erforderlich.173 In aller Regel kommt es auf ein Werturteil des Handelnden an, welches von einer Tatsachenbehauptung zu unterscheiden ist.174 Allerdings wird die Meldung von Verstößen regelmäßig eine Tatsachenbehauptung darstellen. Mithin kann § 185 StGB an dieser Stelle allenfalls eine untergeordnete Bedeutung beigemessen werden.175 Bei Verwirklichung des 170
Vitt, BB 2022, 1844, 1845. Solche Überlegungen wurden bereits von Momsen/Grützner/Oonk im Hinblick auf die Rechtssache Heinisch angestellt, vgl. ZIS 2011, 754, 758 ff. Damals wurde allerdings auf eine vertiefte Analyse verzichtet, sodass ihre Ausführungen nur der Vollständigkeit halber Erwähnung finden sollen. 172 Zur Beleidigungsfähigkeit juristischer Personen BGHSt 6, 186, 191; OLG Köln NJW 1979, 1723; vertiefend Kett-Straub, ZStW 120 (2008), 759, 770 ff. m. w. N.; Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., Vorbemerkung zu § 185 Rn. 51 – 54; Fischer, StGB, Vor §§ 185 – 200 Rn. 12. 173 Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 185 Rn. 8; Fischer, StGB, § 185 Rn. 5, 7. 174 Zur Abgrenzung von Werturteil und Tatsachenbehauptung etwa BVerfGE 54, 208, 219; 61, 1, 8 f.; 85, 1, 15; Geppert, JURA 2002, 820, 821 f.; Kett-Straub, ZStW 120 (2008), 759, 765 f.; Fischer, StGB, § 186 Rn. 3. 175 So auch Soppa, Strafbarkeit des Whistleblowers, S. 184. 171
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objektiven Tatbestands durch einen böswilligen Hinweisgeber ist es wahrscheinlich, dass dieser auch den objektiv beleidigenden Charakter der Äußerungen billigend in Kauf genommen hat.176 Die Kritik an angeblichen Missständen steht der Annahme des subjektiven Tatbestands des § 185 StGB gerade nicht entgegen.177 Sofern Tatsachenbehauptungen auch unter § 185 StGB fallen, kommt es dann – je nach vertretener Auffassung – auf deren Wahrheitsgehalt an178, sodass die folgenden Ausführungen in diesem Zusammenhang ebenfalls virulent werden. §§ 186, 187 StGB erfordern nämlich das Behaupten oder Verbreiten einer ehrenrührigen Tatsache. Es muss sich dabei um eine Tatsachenbehauptung handeln, die objektiv dazu geeignet ist, das Opfer in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder den Kredit, als Vertrauen in die vermögensrechtliche Verbindlichkeit einer Person, zu gefährden.179 Beide Delikte setzen als Tathandlung voraus, dass diese Tatsache gegenüber einem Dritten behauptet, also nach Überzeugung des Entäußernden als richtig hingestellt wird, oder verbreitet wird, demzufolge nicht als eigene Überzeugung weitergegeben wird.180 Bei § 187 StGB kommt es stets auf den Beweis der Unwahrheit an.181 Zudem muss der Täter wider besseren Wissens, also in sicherer Kenntnis – dolus directus 2. Grades – der Unwahrheit handeln.182 Im Hinblick auf § 186 StGB darf diese Tatsache wiederum nicht erweislich wahr sein, wobei sich der Vorsatz des Handelnden nach herrschender Auffassung gerade nicht auf diesen Aspekt – als sogenannte objektive Bedingung der Strafbarkeit – erstrecken muss.183 Dabei stehen vor allem der Wortlaut und Erwägungen zum Opferschutz im Vordergrund.184 Dies führt dazu, dass selbst ein redlich handelnder, umfassend recherchierender Hinweisgeber bei einer Fehleinschätzung einem Strafbarkeitsrisiko
176 Zum subjektiven Tatbestand BGH, Urt. v. 19. 09. 1991 – 1 StR 509/9, NStZ 1992, 33, 34; BayObLGSt 1998, 15, 19. 177 BayObLGSt 1998, 15, 18. 178 Vgl. dazu statt vieler Geppert, JURA 2002, 820, 823 f. m. w. N. 179 OLG Karlsruhe, Urt. v. 25. 11. 2004 – 3 Ss 81/04, NJW 2005, 612, 614; Kett-Straub, ZStW 120 (2008), 759, 780; Fischer, StGB, § 186 Rn. 4 f., § 187 Rn. 3a; Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 187 Rn. 3, 16. 180 Statt vieler Geppert, JURA 2002, 820, 822 und Fischer, StGB, § 186 Rn. 8 – 10 jeweils m. w. N. 181 Nur Fischer, StGB, § 187 Rn. 2. 182 Nur. Fischer, StGB, § 187 Rn. 4. 183 RGSt 19, 386, 387; BGHSt 11, 273, 274; BayObLGSt 1964, 129, 130; im Schrifttum statt vieler Fischer, StGB, § 186 Rn. 10 – 13; Zaczyk, in: NK-StGB, § 186 Rn. 15 jeweils m. w. N.; Schenkel, Whistleblowing, S. 79; dabei genügt es bereits für die fehlende Tatbestandsverwirklichung, dass der Tatsachenkern bewiesen wird, vgl. BGHSt 18, 182. 184 Geppert, JURA 2002, 820, 822 m. w. N. Kett-Straub, ZStW 120 (2008), 759, 769; Soppa, Strafbarkeit des Whistleblowers, S. 187; die Gegenauffassung hingegen vermutet dahinter eher ein veraltetes Verständnis des zivilrechtlichen Ehrschutzes, vgl. Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 180 f. m. w. N.
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ausgesetzt ist.185 Die Gutgläubigkeit des Handelnden wird erst im Rahmen von § 193 StGB und damit auf Ebene der Rechtswidrigkeit relevant.186 Zur Maßstabsbildung kann die Vorschrift – dieses Verständnis zu Grunde gelegt – nichts beitragen. Die von Hirsch entwickelte Gegenauffassung, welcher sich nicht unerhebliche Teile des Schrifttums angeschlossen haben, stellt auf zumindest sorgfaltswidriges Handeln ab.187 Begründet wird dies mit einer Aushöhlung des in-dubio-pro-reoGrundsatzes und einer unzureichenden Wahrung des Schuldprinzips bei offener Beweislage. Sollte der Wahrheitsbeweis aus unerheblichen Gründen misslingen188, soll nur dann Raum für Strafbarkeit bestehen, wenn der Täter bezüglich der Verifizierung der geäußerten Tatsachenbehauptung sorgfaltswidrig, also fahrlässig gehandelt hat. Bei fehlenden Recherchen beispielsweise wird so ein hinreichender Interessenausgleich gewährleistet.189 Gelingt hingegen der Wahrheitsbeweis, so handelt es sich um einen Strafausschließungsgrund in Gestalt einer negativen Bedingung der Strafbarkeit.190 Übertragen auf die Haftungsfreistellung von Hinweisgebern weist der Ansatz von Hirsch ebenfalls ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit auf. Allerdings besteht bei gleichlaufender Maßstabsbildung mit § 186 StGB der Vorteil, dass auf die Fahrlässigkeitsmaßstäbe des Strafrechts zurückgegriffen werden kann. Zielführend ist es dann stets die übliche Fahrlässigkeitsprüfung bestehend aus objektiver und subjektiver Sorgfaltspflichtverletzung vorzunehmen.191 Damit würde ein begrüßenswerter Schritt in Richtung zu einer kohärenten Rechtsordnung getan. Eine abschließende Beurteilung kann allerdings immer nur im konkreten Einzelfall erfolgen. Gleichzeitig ist der Erlass der Whistleblowing-RL ein weiterer Anstoß dafür, § 186 StGB in Zukunft im Sinne der von Hirsch begründeten Auffassung anzuwenden oder zumindest de lege ferenda anzupassen. § 187 StGB bildet wiederum eine Sanktionsvorschrift im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Whistleblowing-RL und kann 185 So etwa Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 186 Rn. 25 und Soppa, Strafbarkeit des Whistleblowers, S. 187. 186 Vertiefend statt vieler Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 200 ff. und Geppert, JURA 2002, 820, 822 jeweils m. w. N.; speziell im Hinblick auf die Strafbarkeit von Whistleblowern Momsen/Grützner/Oonk, ZIS 2011, 754, 758 f. 187 Statt vieler Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 156 ff. m. w. N., 169 ff., 198; zustimmend und auch im Hinblick auf § 97b Abs. 1 Nr. 1 StGB, vgl. Paeffgen, Illegale Staatsgeheimnisse, S. 160 ff.; Eppner/Hahn, JA 2006, 860, 862; tendenziell zustimmend Kett-Straub, ZStW 120 (2008), 759, 768; Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 186 Rn. 28; Zaczyk, in: NK-StGB, § 186 Rn. 19. 188 An dieser Stelle ist zur Begrenzung des Untersuchungsumfangs auf die von Hirsch gebildeten Beispielsfälle zu verweisen, vgl. Ehre und Beleidigung, S. 155 f. mit Fn. 34. 189 Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 186 Rn. 28; Zaczyk, in: NK-StGB, § 186 Rn. 19; im Hinblick auf die zugrundeliegenden verfassungsrechtlichen Wertungen so auch Redder, Whistleblowing, S. 245. 190 Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 171. 191 Im mutmaßlichen Widerspruch zu Ihrem eigenen Ansatz gelangt auch Schmitt unter Verweis auf Erwägungsgrund [32] zum gleichen Ergebnis, vgl. NZA-Beilage 2020, 50, 55.
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darüber hinaus keine weiteren Erkenntnisse beisteuern. Der Wahrheitsbeweis und die Gutgläubigkeit eines Hinweisgebers schließen, schon jeweils für sich betrachtet, die Strafbarkeit aus. (4) Maßgeblicher Zeitpunkt Der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt für das Bestehen der Gutgläubigkeit ist gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. a Whistleblowing-RL der Zeitpunkt der Meldung.192 bb) Hinreichender Grund zur Annahme der Eröffnung des Anwendungsbereichs, Art. 6 Abs. 1 lit. a HS. 2 Whistleblowing-RL Nach dem Wortlaut der deutschen Richtlinienfassung ist auch für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Richtlinie diesbezügliche Gutgläubigkeit ausreichend.193 Der zweite Halbsatz ist grammatikalisch gleichgeordnet. Auch lässt Erwägungsgrund [32] nur diesen Schluss zu, weil dort ebenfalls von einem „hinreichenden Grund zu der Annahme“ die Rede ist und gleichzeitig auf den zuvor entwickelten Maßstab verwiesen wird. Diese Erstreckung auf bloß durch das nationale Recht geregelte Sachverhalte ist vor dem Hintergrund der begrenzten Gesetzgebungskompetenz der Union allerdings problematisch.194 (1) Sachlicher Anwendungsbereich, Art. 2 Whistleblowing-RL Der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie wird primär durch Art. 2 Whistleblowing-RL definiert. In dessen Absatz 1 werden von ihr erfasste Rechtsbereiche festgelegt. Die in lit. a genannten Sachgebieten werden durch die im Anhang aufgeführten Rechtsakte konkretisiert. Einschränkend legt die Verwendung des Wortes und allerdings nahe, dass für die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs die kumulative Betroffenheit eines im Anhang der Richtlinie genannten Rechtsakts sowie eines der genannten Sachgebiete erforderlich ist. Dieser Regelungsansatz erweist sich jedoch in weiten Teilen als redundant. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein Verstoß gegen die aufgeführten Rechtsakte nur behauptet wird. In allen anderen Konstellationen indiziert der Verstoß die Betroffenheit des jeweiligen Sachbereichs.195 Die in den nachfolgenden lit. b und c genannten Sach-
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So auch Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 157. Zustimmend Schmolke, NZG 2020, 5, 6; Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 153. 194 Auch Momsen/Benedict weisen darauf hin, dass die Gesetzgebungskompetenz einen limitierenden Faktor für die Reichweite des sachlichen Anwendungsbereichs darstellt, vgl. KriPoZ 2020, 234, 236. Sie gehen allerdings nicht darauf ein, dass durch die letztlich verabschiedete Richtlinie auch Sachverhalte erfasst werden können, deren Inhalt nicht von der bestehenden Kompetenzordnung erfasst sind; ebenfalls krit. Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 153. 195 Fest, in: EuArbRK, Art. 2 RL 2019/1937/EU Rn. 8. 193
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gebiete enthalten dagegen keinen Verweis auf konkrete Rechtsakte der Union.196 In diesem Zusammenhang wird auch – vor allem vor dem Hintergrund noch anzustellender Überlegungen zur etwaigen Umsetzungsgesetzgebung – Art. 2 Abs. 2 Whistleblowing-RL näher zu beleuchten sein. Eine echte Begrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie erfolgt durch Art. 3 Whistleblowing-RL. In dessen Absatz 1 Satz 1 wird bestimmten sektorspezifischen Regelungen der Vorrang eingeräumt, in Absatz 2 werden Aspekte, welche die nationale Sicherheit der Mitgliedstaaten betreffen, aus dem Anwendungsbereich ausgenommen. Über den nachfolgenden Absatz 3 gilt dies auch für den Schutz von Verschlusssachen, den Schutz der anwaltlichen und der ärztlichen Verschwiegenheitspflichten, das richterliche Beratungsgeheimnis und das Strafprozessrecht. Schließlich betrifft Absatz 4 bestimmte Bereiche des Arbeitsrechts. (2) Persönlicher Anwendungsbereich, Art. 4 Whistleblowing-RL Der persönliche Anwendungsbereich wird durch Art. 4 Whistleblowing-RL definiert und umfasst nach dessen Absatz 1 mindestens Arbeitnehmer im Sinne des Art. 45 Abs. 1 AEUV und Beamte, Selbstständige im Sinne des Art. 49 AEUV, „Anteilseigner und Personen, die dem Verwaltungs-, Leistungs- oder Aufsichtsorgan eines Unternehmens angehören, einschließlich der nicht geschäftsführenden Mitglieder, sowie Freiwillige und bezahlte oder unbezahlte Praktikanten [und] Personen, die unter der Aufsicht und Leitung von Auftragnehmern, Unterauftragnehmern und Lieferanten arbeiten.“.197
Art. 4 Abs. 2, 3 Whistleblowing-RL erweitern den persönlichen Schutz auf den Zeitraum nach Beendigung und vor Beginn eines Arbeitsverhältnisses. Kritisiert wird dabei allerdings, dass sich in diesen Bestimmungen eine Einschränkung auf Arbeitsverhältnisse findet, die in Art. 4 Abs. 1 Whistleblowing-RL gerade nicht zum Ausdruck komme.198 Mithin wird eine kongruente Auslegung gefordert, die auch im Rahmen der Umsetzungsgesetzgebung Niederschlag finden soll.199 Neben dem unmittelbaren Hinweisgeber werden durch Art. 4 Abs. 4 Whistleblowing-RL auch bloße Mittler im Sinne des Art. 5 Nr. 8 Whistleblowing-RL, Dritte – wie Kollegen 196
Vertiefend dazu nur Fest, in: EuArbRK, Art. 2 RL 2019/1937/EU Rn. 43 ff. Garden/Hiéramente sprechen mit Hinweis auf die englische Fassung der Richtlinie („work-related context“) plakativ von einer „Arbeits-Verbindung“, vgl. BB 2019, 963, 964; in der Literatur wird die umfassende Ausgestaltung des persönlichen Anwendungsbereichs betont, vgl. dazu etwa Schmolke, AG 2018, 769, 777; ders., NZG 2020, 5, 6; Aszmos/Herse, DB 2019, 1849, 1849 f.; vertiefend Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 44 ff., 70 ff. und Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 58 ff.; teilweise wird zusätzlich auch eine weite Auslegung der Vorschrift gefordert, vgl. Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1666; Forst, EuZA 2020, 283, 288; wegen des mindestharmonisierenden Charakters der Vorschrift ist gleichzeitig auch eine weitere Ausweitung denkbar; zum bereits weitgefassten Richtlinienvorschlag der Kommission Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 16. 198 Forst, EuZA 2020, 283, 288. 199 Forst, EuZA 2020, 283, 288; Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 69 f. 197
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oder Verwandte – durch die Richtlinie rechtlich geschützt.200 Zudem wird die Ausdehnung auf organisationsexterne Personen diskutiert.201 Augenscheinlich gehen nur Aszmos/Herse und Schmidt von einer echten Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs aus. Diesen zu Folge sind jedenfalls Mehrheitsgesellschafter, welche zugleich Geschäftsführer sind, durch einen Umkehrschluss aus Art. 4 Abs. 1 lit. c Whistleblowing-RL ausgeschlossen.202 Dem tritt Fest mit der Annahme einer umfassenden Regelung zutreffend entgegen.203 Bei starker Weisungsabhängigkeit sind die verschiedenen Arten von Geschäftsführern nach der Rechtsprechung des EuGH nämlich bereits von Art. 4 Abs. 1 lit. a Whistleblowing-RL erfasst.204 Die Richtlinie lässt allerdings offen, ob auch eine an etwaigen Verstößen selbst beteiligte Person Hinweisgeber im Sinne des Art. 5 Nr. 7 Whistleblowing-RL sein kann. Weder der Wortlaut noch die Systematik und die Gesetzgebungsgeschichte lassen erkennen, ob Beteiligte selbst vom Richtliniengesetzgeber als schutzwürdig eingestuft werden. Da solche Personen aber als Insider in besonderem Maße dazu befähigt sind, über Missstände aus erster Hand zu berichten, sprechen gewichtige Gründe für deren Einbeziehung in das Schutzkonzept.205 Der Schutz von tatbeteiligten Zeugen ist im nationalen Recht bereits in Normen wie § 46b StGB verankert, woran sich erkennen lässt, dass diese Personen als schutzbedürftig eingestuft werden und ihr Handeln honoriert wird. Allerdings verbleiben zwischen einem Whistleblower und einem Kronzeugen wesentliche Unterschiede, welche in den für Kronzeugen bestehenden Vorschriften zum Ausdruck kommen. Letztgenannte streben in der Regel eine Strafmilderung für vorangegangene, eigene Straftaten an206, während die potentielle Strafbarkeit bei einem „typischen“ Whistleblower erst durch die Preisgabe der Informationen über Missstände begründet wird. Von daher soll der rechtliche Schutz von Whistleblowern dazu führen, dass ihr Handeln a priori nicht als Fehlverhalten eingestuft werden kann.207 Eine nachträgliche Milderung ist davon deutlich abzugrenzen. 200 Dilling merkt an, dass der erfasste Personenkreis trotz dieser Vorschrift zu eng gefasst sei, weil ein beruflicher Kontext erforderlich bleibe, vgl. CCZ 2019, 214, 216; vertiefend Fest, in: EuArbRK, Art. 4 RL 2019/1937/EU Rn. 23 ff. und Siemens, CCZ 2022, 7, 8 ff. 201 Siehe dazu nur Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 67 f. 202 Aszmos/Herse, DB 2019, 1849, 1850; Schmidt, Regelungsoptionen zum WhistleblowerSchutz, S. 59. 203 Fest, in: EuArbRK, Art. 4 RL 2019/1937/EU Rn. 11; so wohl auch Degenhart/Dziuba, BB 2021, 570, 574. 204 EuGH, Urt. v. 11. 11. 2010, Rs. C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674 Rn. 39 – 43, 47 – Danosa; EuGH, Urt. v. 09. 07. 2015, Rs. C-229/14, ECLI:EU:C:2015:455 Rn. 38 ff. – Balkaya; Aszmos/Herse, DB 2019, 1849, 1850. 205 So auch Momsen/Benedict, KriPoZ 2020, 234, 235; unklar Berndt/Hoppler, BB 2005, 2623, 2624. 206 Dazu nur Momsen/Benedict, KriPoZ 2020, 234, 239. 207 So auch Momsen/Benedict, KriPoZ 2020, 234, 235.
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Diese Erwägungen vorangestellt, fehlt es aber noch an einer klaren Antwort. Teleologisch charakterisierend für das Whistleblowing ist der bestehende Loyalitätskonflikt zwischen dem Whistleblower und dessen Dienstherr. Von diesem Kriterium ausgehend sollte auch festgemacht werden, ob ein „(Mit-)Täter“ als Hinweisgeber zu behandeln ist. Spielt dieser Konflikt bei einer selbstbelastenden Aussage eine untergeordnete Rolle, besteht folglich kein vergleichbares Schutzbedürfnis.208 Andernfalls sollte jedenfalls im Hinblick auf die Sanktionierung der Offenlegung der persönliche Schutzbereich eröffnet werden. Für die gemeldeten Verstöße selbst ist auf das nationale Recht zu verweisen. cc) Ordnungsgemäße Meldung oder Offenlegung, Art. 6 Abs. 1 lit. b Whistleblowing-RL Neben den dargestellten Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 lit. a Whistleblowing-RL ist gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. b Whistleblowing-RL auch eine ordnungsgemäße interne oder externe Meldung oder Offenlegung im Sinne der Richtlinie erforderlich. Für anonymes Handeln ist zusätzlich Art. 6 Abs. 3 Whistleblowing-RL zu beachten.209 (1) Meldungen nach Art. 7 oder 10 Whistleblowing-RL Interne und externe Meldungen (Art. 5 Nr. 4, 5 Whistleblowing-RL), also das mündliche oder schriftliche Mitteilen von Informationen über Verstöße (Art. 5 Nr. 2 Whistleblowing-RL) im Sinne des Art. 5 Nr. 3 Whistleblowing-RL, stehen als gleichberechtigte Alternativen auf einer Stufe.210 In der Richtlinie kommt zwar an verschiedenen Stellen zum Ausdruck, dass ein Vorrang interner Meldungen einige Vorzüge aufweisen kann. In der finalen Fassung 208
I. E. ähnlich Momsen/Benedict, KriPoZ 2020, 234, 235. Dabei ist teilweise umstritten, wann und unter welchen Voraussetzungen anonyme Hinweisgeber Schutz genießen. Dies richtet sich vor allem danach, wie der Gesetzgeber u. a. bei der Umsetzung von Art. 6 Abs. 2 Whistleblowing-RL vorgehen wird. Im Ergebnis ist für den Anspruch auf Schutz aber auch wieder Art. 6 Abs. 1 Whistleblowing-RL maßgeblich, sodass auf Grund des begrenzten Untersuchungsumfangs auf eine vertiefte Darstellung verzichtet werden muss, vgl. vertiefend Fest, in: EuArbRK, Art. 6 RL 2019/1937/EU Rn. 32 ff.; krit. Gramlich/Lütke, wistra 2020, 354, 359. 210 So auch Schmolke, NZG 2020, 5, 6; Momsen/Benedict, KriPoZ 2020, 234, 236; Forst, EuZA 2020, 283, 295 f.; Erlebach, CB 2020, 284, 288; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 48; Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 114 ff.; unklar Aszmos/Herse, DB 2019, 1849, 1851; ohne Begründung a. A. Altenbach/Hild, CB 2020, 248, 250; ein strenges Stufenverhältnis – etwa in Bezug auf den Regelungsansatz des Richtlinienvorschlags der Kommission – wurde von Meyer vor dem Hintergrund der bezweckten Verbesserung der Rechtsdurchsetzung und dem Schutz von Hinweisgebern stark kritisiert, vgl. HRRS 2018, 322, 328 f., 331; dementsprechend fällt die Bewertung im (strafrechtlichen) Schrifttum oftmals auch (eher) positiv aus, vgl. etwa Erlebach/Veljovic, wistra 2020, 190, 193; vergleichbare legislative Entscheidungen wurden auch im Bereich der Finanzaufsicht getroffen, vgl. nur Helm, BB 2018, 1538, 1543 f. 209
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findet sich ein entsprechender Vorrang aber nicht. Dennoch werden im Schrifttum abweichende Ansichten vorgetragen, die für den Vorrang interner Meldung plädieren. Der gewünschte Vorrang lässt sich aber nicht ohne Weiteres im Wege einer Interessenabwägung begründen211, weil diese der Richtlinie – wie bereits mehrfach betont – fremd ist. Eine abweichende Auslegung würde im Widerspruch zum Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 sowie Art. 10 Whistleblowing-RL stehen und ist daher abzulehnen. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Verwendung des Wortes grundsätzlich in Art. 7 Abs. 1 Whistleblowing-RL.Vielmehr lässt sich Erwägungsgrund [62] entnehmen, dass Hinweisgeber, „die ihre Meldung extern an die zuständigen Behörden oder gegebenenfalls an die zuständigen Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union übermitteln [in allen Fällen geschützt werden sollen]“.
Mithin legt der Erwägungsgrund sogar nahe, die direkte Meldung an externe Stellen der EU nach Art. 6 Abs. 4 Whistleblowing-RL zu ermöglichen. Ansonsten ließe sich die deutliche Abkehr vom Richtlinienvorschlag mit regelmäßigem Vorrang innerbetrieblicher Abhilfeversuche vor einer externen Mitteilung nicht erklären.212 Mit Art. 15 Abs. 1 lit. a Whistleblowing-RL kann nicht argumentiert werden. Diese Vorschrift erweist sich als wenig geglückt und sollte bei der Umsetzung ins nationale Recht umgestaltet werden.213 Art. 15 Abs. 1 lit. b ii) Whistleblowing-RL bietet allerdings einen weiteren Anknüpfungspunkt. Diese Vorschrift stellt klar, dass bei drohenden Repressionen in Folge externer Meldungen eine direkte Offenlegung 211 So aber Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 965, Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1668; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 56. 212 Art. 13 Abs. 2 COM(2018) 218 final lautete wie folgt: „Ein Hinweisgeber, der extern Meldung erstattet, hat Anspruch auf Schutz im Rahmen dieser Richtlinie, wenn eine der nachfolgenden Bedingungen erfüllt ist: a) Er hat ursprünglich intern Meldung erstattet, aber zu seiner Meldung wurden binnen des in Artikel 5 genannten angemessenen Zeitrahmens keine geeigneten Maßnahmen ergriffen; b) ihm standen keine internen Meldekanäle zur Verfügung, oder von ihm konnte nach vernünftigem Ermessen nicht erwartet werden, dass ihm diese Kanäle bekannt waren; c) er war gemäß Artikel 4 Absatz 2 nicht verpflichtet, auf interne Meldekanäle zurückzugreifen; d) ein Rückgriff auf interne Meldekanäle konnte von ihm wegen des Inhalts seiner Meldung nach vernünftigem Ermessen nicht erwartet werden; e) er hatte hinreichenden Grund zu der Annahme, dass im Falle eines Rückgriffs auf interne Meldekanäle die Wirksamkeit etwaiger Ermittlungen der zuständigen Behörden beeinträchtigt werden könnte; f) er war nach dem Unionsrecht berechtigt, seine Meldung auf direktem Wege durch externe Kanäle an eine zuständige Behörde zu übermitteln.“, vertiefend dazu Helm, BB 2018, 1538, 1545 f.; Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1003 ff.; Gerdemann, RdA 2019, 16, 23 f.; Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 17 f.; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 964; Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 92 f. 213 Sie dazu Kapitel 9 B.IV.2.b).
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unter gewissen Umständen zulässig sein kann. Für das interne Vorgehen von Hinweisgebern wiederum hat der Gesetzgeber keine vergleichbare Norm erlassen. Würde man ein gestuftes Vorgehen aber stillschweigend voraussetzen oder in das Wort grundsätzlich in Art. 7 Abs. 1 Whistleblowing-RL hineinlesen, ließe sich das Klarstellungsbedürfnis kaum begründen. Vielmehr lässt sich konsequent nur mit dem Fehlen des Vorrangs interner Meldung argumentieren.214 Dieses Wahlrecht erlischt auch nicht nach erstmaliger Ausübung.215 Art. 7 Abs. 2 Whistleblowing-RL richtet sich wiederum ausschließlich an den nationalen Gesetzgeber.216 Die Vorschrift legt lediglich fest, dass „[d]ie Mitgliedstaaten […] sich dafür ein[setzen], dass die Meldung über interne Meldekanäle gegenüber der Meldung über externe Meldekanäle in den Fällen bevorzugt wird, in denen intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und der Hinweisgeber keine Repressalien befürchtet.“
Von Restriktionen oder der Absenkung des Schutzniveaus ist nicht die Rede. Würde nun der Vorrang interner Meldungen normiert, würde dies aber zwangsläufig geschehen. Dem stehen aber das Ziel der Richtlinie sowie deren Harmonisierungsintensität entgegen.217 Daher ist Art. 7 Abs. 2 Whistleblowing-RL im Einklang mit weiten Teilen des Schrifttums als Grundlage für ein ausgewogenes Anreizsystem einzustufen.218 214 So nun auch Brobeil; Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 89 f., 111 und Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 115 ff., auch zur Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, S. 118 ff. 215 Vertiefend dazu nur Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 104 ff. 216 So auch Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 115; diesen Umstand erkennt auch Fest an, vgl. EuArbRK, Art. 7 RL 2019/1937/EU Rn. 12. 217 Art. 1 Whistleblowing-RL, der das Ziel der Richtlinie festlegt, lautet bspw. wie folgt: „Ziel dieser Richtlinie ist eine bessere Durchsetzung des Unionsrechts und der Unionspolitik in bestimmten Bereichen durch die Festlegung gemeinsamer Mindeststandards, die ein h o h e s S c h u t z n i v e a u für Personen sicherstellen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden.“ (gesperrte Hervorhebung nicht im Original); Forst sieht in dieser Vorschrift ebenfalls eine Auslegungsregel, welche in Zweifelsfällen für eine hinweisgeberfreundliche Auslegung sprechen soll, vgl. EuZA 2020, 283, 285. Daher lehnt auch dieser eine Einschränkungsmöglichkeit durch den nationalen Gesetzgeber konsequent ab, vgl. Forst, EuZA 2020, 283, 296; ähnlich Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 90; Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 90, 111 f. und Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 118, 129. 218 Schmolke, ZGR 2019, 876, 912 ff.; mit einer umfassenden „Kosten-Nutzen-Abwägung“, ders., NZG 2020, 5, 11; Forst, EuZA 2020, 283, 296; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203, 1207; so nun auch Fest, EuArbRK, Art. 7 RL 2019/1937/EU Rn. 11, 16; Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 112 ff.; Schmidt, Regelungsoptionen zum WhistleblowerSchutz, S. 128 ff.; daneben wird auch auf die USA und die dort bestehenden finanziellen Anreize im Bereich des Whistleblowings verwiesen, vgl. instruktiv zu den dabei bestehenden Systemen und zur weiteren Ausgestaltung von Prämien Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 30 ff., 35 f. und Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 118 ff.; zu verfassungsrechtlichen Problemen Redder, Whistleblowing, S. 248 ff. und Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 131 ff.
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Problematisch ist zudem, dass die Richtlinie auf eine interne Meldung gemäß Art. 7 Whistleblowing-RL verweist. In Art. 7 Abs. 1 Whistleblowing-RL heißt es, dass „Informationen über Verstöße grundsätzlich unter Nutzung der internen Meldekanäle und Verfahren nach Maßgabe dieses Kapitels gemeldet werden“ können. Dies wiederum lässt den Schluss zu, dass es für die Nutzung der internen Meldekanäle auch auf deren korrekte Ausgestaltung und die Einhaltung des Verfahrens von Seiten des Unternehmens ankommt. Diese Faktoren liegen nicht im Einflussbereich des Hinweisgebers. Oft wird dieser auch keine Möglichkeit zur Einschätzung der Einhaltung dieser gesetzlichen Bestimmungen haben. Daher ist die Richtlinie so auszulegen, dass es für den Schutz des Hinweisgebers nur insoweit auf die Einhaltung der Regelungen des Kapitel II ankommt, als dieser Einfluss darauf hat. Bei der Umsetzung sollte dieser Umstand normativ klar herausgearbeitet werden. (2) Offenlegung nach Art. 15 Whistleblowing-RL Die Offenlegung im Sinne des Art. 5 Nr. 6 Whistleblowing-RL, also das öffentliche Zugänglichmachen von Informationen über Verstöße, als intensivere Beeinträchtigung im Vergleich zur Meldung steht erst auf der nächsten Stufe. Als mögliche Beispiele werden in Erwägungsgrund [45] Online-Plattformen, soziale Medien, gewählte Amtsträger, zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften, Berufsverbände und ein wenig verklausuliert (wohl) auch die Presse aufgezählt. Der Schutz durch die Richtlinie erfordert nach Art. 15 Abs. 1 lit. a Whistleblowing-RL, dass vor der Offenlegung „zunächst intern und extern oder auf direktem Weg extern gemäß den Kapiteln II und III Meldung erstattet [wurden], aber zu [der] Meldung […] innerhalb des Zeitrahmens gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe f oder Artikel 11 Absatz 2 Buchstabe d keine geeigneten Maßnahmen ergriffen [wurden]“.
Entscheidend ist also ein stark formalisiertes Vorgehen, falls die zuständigen Stellen untätig bleiben oder zu einer Fehleinschätzung gelangen. Verfehlt erscheint daher der Ansatz von Gramlich/Lütke, die im Rahmen der Offenlegung auf Grund von Erwägungsgrund [33] eine Interessenabwägung vornehmen wollen.219 Zum einen räumen diese selbst ein, dass ihre Auffassung sich nicht auf den Wortlaut der Norm stützen lässt.220 Zum anderen wurde bereits zuvor festgestellt, dass der 219
Gramlich/Lütke, wistra 2020, 354, 357 f.; diese stützen ihre Ansicht auf folgenden Satz aus Erwägungsgrund [33]: „Zudem ist es erforderlich, im Einklang mit den von der Rechtsprechung des EGMR aufgestellten Kriterien die Offenlegung von Informationen unter Berücksichtigung demokratischer Grundsätze wie Transparenz und Verantwortlichkeit und Grundrechten wie die Freiheit der Meinungsäußerung und die Freiheit und die Pluralität der Medien zu schützen und gleichzeitig das Interesse der Arbeitgeber an der Verwaltung ihrer Unternehmen und dem Schutz ihrer Interessen einerseits mit dem Interesse der Öffentlichkeit am Schutz vor Schaden andererseits abzuwägen.“. 220 Gramlich/Lütke, wistra 2020, 354, 357 f.
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Whistleblowing-RL Interessenabwägungen fremd sind. Der Ausgleich widerstreitender Interessen wurde vielmehr bereits vom Gesetzgeber durch das formalisierte Verfahren gewährleistet, welches mit einem sehr viel größeren Maß an Rechtssicherheit einhergeht. Überdies ist erneut darauf hinzuweisen, dass die Erwägungsgründe einer Richtlinie lediglich unterstützend bei der Auslegung herangezogen werden können. Maßgeblich ist daher der Gesetzeswortlaut. Die etwas umständliche Formulierung lässt wegen des Wortes oder zwischen Art. 9 Abs. 1 lit. f und Art. 11 Abs. 2 lit. Whistleblowing-RL den Schluss zu, dass auch eine bloß interne Meldung nach erfolglosem Fristablauf zur Offenlegung legitimiert. Es findet sich keine Einschränkung, wonach bei vorangegangenem, erfolglosem internem Vorgehen zusätzlich das Abwarten einer Frist für eine spätere externe Meldung erforderlich ist. Dementsprechend erscheinen solche Meldungen – unter den genannten Umständen – als obsolet. Das umgekehrte Ergebnis erscheint aber beabsichtigt gewesen zu sein. Der Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 lit. a Whistleblowing-RL lässt nämlich erkennen, dass der Unionsgesetzgeber vorangegangenen externen Meldungen ein besonderes Gewicht beigemessen hat. Mithin wird durch diese Vorschrift sogar der Vorrang externer Meldungen begründet, während eine vorangegangene interne Meldung kaum eigenständige Bedeutung beigemessen wird.221 Andernfalls würde der Wortlaut der Norm zur Klarstellung sinngemäß lauten: „zunächst intern oder auf direktem Weg extern“. Ein abweichendes Ergebnis ließe sich nur dann plausibel erklären, wenn zwischen internem und externem Vorgehen letztlich doch ein gestuftes Verhältnis bestehen würde. Dem steht jedoch – wie bereits klargestellt – der Wortlaut der Art. 7 Abs. 1, 10 Whistleblowing-RL entgegen. Daneben ist es nach Art. 15 Abs. 1 lit. b Whistleblowing-RL auch ausreichend, dass „[hinreichender] Grund zu der Annahme [bestand], dass der Verstoß eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann, so z. B. in einer Notsituation oder bei Gefahr eines irreversiblen Schadens […] oder im Fall einer externen Meldung Repressalien zu befürchten sind oder aufgrund der besonderen Umstände des Falls geringe Aussichten bestehen, dass wirksam gegen den Verstoß vorgegangen wird, beispielsweise weil Beweismittel unterdrückt oder vernichtet werden könnten oder wenn zwischen einer Behörde und dem Urheber des Verstoßes Absprachen bestehen könnten oder die Behörde an dem Verstoß beteiligt sein könnte.“222
Damit wird nun wieder weniger formal am bekannten Merkmal des hinreichenden Grundes, also der Gutgläubigkeit, angeknüpft. Teilweise wird in diesem Zusammenhang nun auf § 5 Nr. 2 GeschGehG verwiesen, der gerade keine zwingende 221 So auch Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 137; vom gestuften Vorgehen des Hinweisgebers könnten aber beispielsweise die zuvor angesprochenen Anreize abhängig gemacht werden. 222 Missverständlich dazu Aszmos/Herse, die wohl von einem kumulativen Erfordernis ausgehen, vgl. DB 2019, 1849, 1851.
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Verhältnismäßigkeitsprüfung vorsehe, und, darauf aufbauend, eine extensive Auslegung der Whistleblowing-RL vorgeschlagen.223 Dieser Ansatz vermag aber nicht zu überzeugen. Zum einen kann auf die bereits erfolgten Feststellungen zu dieser Norm verwiesen werden.224 Auch im Rahmen dieser Vorschrift sind widerstreitende Interessen in Ausgleich zu bringen. Zum anderen ist mit Schmolke einzuwenden, dass ein solcher Rückschluss nicht aus der Richtlinie hergeleitet werden kann. Wenn überhaupt erscheint dies in umgekehrter Richtung denkbar.225 Daher sollte ein strenger Maßstab gefordert werden.226 Bei einem abweichenden Verständnis des § 5 Nr. 2 GeschGehG wäre zudem eine restriktivere Interpretation im Lichte der Whistleblowing-RL angezeigt, welche jedoch ohnehin erforderlich ist. Für ein restriktives Vorgehen spricht zudem der eingangs geforderte Schutz von Hinweisgebern227, die trotz unzureichender Verdachtsmomente einen tatsächlichen Missstand gemeldet oder offengelegt haben. Nur so lässt sich nämlich eine interessengerechte Risikoverteilung begründen. Doch selbst wenn man Sonnenbergs Ansatz folgt, werden Fälle des Art. 15 Abs. 1 lit. b ii Var. 3, 4 Whistleblowing-RL in der Praxis glücklicherweise wohl nicht allzu oft auftreten.228 Andernfalls bestände Anlass zu größeren Sorgen. dd) Hinreichender Grund zur Annahme der Notwendigkeit der Meldung oder Offenlegung, Art. 21 Abs. 2, 7 UAbs. 1 S. 2 Whistleblowing-RL Wann von der Notwendigkeit der Meldung oder Offenlegung zur Aufdeckung eines Verstoßes im Sinne der Richtlinie auszugehen ist, ergibt sich nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz. Fest kritisiert daher die unklare Formulierung und legt die Vorschrift dahingehend aus, dass es sich um Informationen über Verstöße handeln müsse, von denen der Hinweisgeber annehmen durfte, dass diese zur Aufklärung und Abstellung von Verstößen oder zur Verhinderung andernfalls sehr wahrscheinlich erfolgender Verstöße nützlich seien.229 Mangels hinreichender Begründung dieses Ansatzes sollte nah am Wortlaut der Norm argumentiert werden. Denkbar ist ein enges Verständnis, wonach eine Haftungsfreizeichnung nur dann möglich wäre, wenn der Verstoß nicht hätte auf andere Weise aufgedeckt werden können. Faktisch verbliebe dann allerdings kaum Anwendungsspielraum. Schließlich lässt sich nicht oder nur schwer ausschließen, dass der Verstoß nicht anderweitig entdeckt worden wäre. Mithin ist ein weiteres Be223
Sonnenberg, BB 2019, Heft 46, Seite I. Siehe dazu erneut Kapitel 6 B.II.2.b)bb). 225 Schmolke, NZG 2020, 5, 11. 226 So auch Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 144 ff. und Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 139. 227 Siehe dazu erneut Kapitel 9 B.III.1.b)aa)(2). 228 So auch Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1668. 229 Fest, in: EuArbRK, Art. 21 RL 2019/1937/EU Rn. 11. 224
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griffsverständnis vorzugswürdig, wobei der Terminus notwendig ein Kausalitätserfordernis impliziert. Ähnlich wie zuvor liefern allerdings weder die Richtlinie noch deren Erwägungsgründe weitere Anhaltspunkte zur Bildung eines konkreten Maßstabs.230 Zur weiteren Einengung gilt es daher – wie zuvor – eine für die Auslegung geeignete Vergleichsmaterie aus dem Bereich des Strafrechts heranzuziehen. Hierfür bietet es sich trotz aller ungelösten dogmatischen Detailfragen an die Beihilfe nach § 27 StGB fruchtbar zu machen. Als Fundament hierfür dienen teleologische Erwägungen. Im Einklang mit dem Sinn und Zweck der Richtlinie – so wie es bereits Erwägungsgrund [1] nahelegt – lässt sich argumentieren, dass es beim Whistleblowing um die Mitwirkung an der Aufdeckung oder der Unterbindung von Verstößen geht. Ein Whistleblower erbringt regelmäßig jedenfalls im Hinblick auf die anschließende Aufarbeitung und Unterbindung durch die zuständigen Stellen eine Hilfestellung in Gestalt von Informationen. Mithin wird also – untechnisch verstanden – Beihilfe geleistet. In der hierzu einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass es für die Bestrafung des Täters keiner Kausalität im Sinne der conditiosine-qua-non-Formel bedarf.231 Nichtsdestotrotz muss zur Vollendung der Beihilfe die Haupttat zumindest gefördert oder erleichtert worden sein.232 Es kommt also auch bei der Beihilfe nur auf eine gewisse Ursächlichkeit an. Übertragen auf die Whistleblowing-RL bedeutet dies, dass es sich bei der Beurteilung der Notwendigkeit trotz bestehender Unsicherheiten anbietet zur Orientierung auf die zum Hilfeleisten entwickelten Grundsätze zurückzugreifen. Es wurde nämlich aufgezeigt, dass ein engeres Verständnis zu einer zu starken Einschränkung führen würde. Ein strenges Kausalitätserfordernis ist daher abzulehnen. Ziel ist es vielmehr innerhalb der vom Gesetz aufgezeigten Grenzen an der bereits laufenden Aufklärung von Verstößen mitzuwirken, um diese effizienter zu gestalten und so womöglich schneller zum Abschluss bringen zu können.233
230 Brobeil will durch dieses Merkmal lediglich den Umfang einer Meldung oder Offenlegung einschränken und sieht daher keinen Grund einen eigenständigen Maßstab zu entwickeln, vgl. Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 182. 231 In der jüngeren höchstrichterlichen Rechtsprechung etwa BGH, Beschl. v. 09. 07. 2015 – 2 StR 58/15, NStZ-RR 2015, 343, 344; BGH, Beschl. v. 04. 02. 2016 – 1 StR 344/15, NStZ-RR 2016, 136, 137; BGH, Beschl. v. 17. 05. 2018 – 1 StR 108/18, NStZ 2019, 461. 232 BGHSt 42, 135, 136; 46, 107, 109, 115; 61, 252 Rn. 17 f.; BGH, Urt. v. 31. 05. 1994 – 5 StR 557/93, NStZ 1995, 27, 28; BGH, Urt. v. 18. 03. 2004 – 4 StR 533/03, NStZ 2004, 499, 500; BGH, Urt. v. 16. 01. 2008 – 2 StR 535/07, NStZ 2008, 284. 233 In diese Richtung lässt sich auch Erwägungsgrund [70] der Whistleblowing-RL deuten. Dieser sieht Entlastungen für Behörden unter anderem dann vor, sofern es zu wiederholten Meldungen, die keine zweckdienlichen neuen Informationen mit sich bringen kommt.
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2. Einfluss der Whistleblowing-RL auf Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL und § 5 GeschGehG Die Whistleblowing-RL findet primär über § 3 Abs. 2 GeschGehG Einzug ins deutsche Geschäftsgeheimnisstrafrecht nach § 23 GeschGehG.234 Im Hinblick auf § 5 GeschGehG sind keine zwingenden Auswirkungen vorgesehen. Wegen der Regelungstechnik der Geschäftsgeheimnis-RL und deren Umsetzungsgesetz dem GeschGehG wird jedenfalls im Bereich der Schnittmenge mit der Whistleblowing-RL aber dennoch keine Anwendungsmöglichkeit mehr für diese Norm bestehen. Für den Schutz bloß gutgläubiger Whistleblower ergibt sich ebenfalls der Vorrang der Whistleblowing-RL, weil deren Regelungen bereits auf Ebene des objektiven Tatbestands virulent werden. Nichtsdestotrotz besteht Anlass die bisherigen Feststellungen auch in diesem Kontext zu berücksichtigen. Die Whistleblowing-RL selbst erfasst nämlich zunächst einmal nur einschlägige Verstöße gegen das EU-Recht. Abseits des zukünftigen Anwendungsbereichs kann die Richtlinie als Vorbild für andere Vorschriften dienen, um so einheitliche Standards für die Aufdeckung von Fehlverhalten zu schaffen. Das darin in Art. 6 vorgesehene Verfahren lässt sich zum Beispiel auf die Tatbestandsausnahme aus § 5 GeschGehG übertragen und kann so bestehende Unsicherheiten beseitigen. Für den Bereich der arbeitsrechtlichen Vorschriften Art. 5 lit. c Geschäftsgeheimnis-RL und § 5 Nr. 3 GeschGehG greifen ohnehin traditionell bereits verschiedene andere Ausnahmen ein, sodass vorrangige andere Spezialregelungen ebenfalls vorab im Wege des Art. 3 Abs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL zu berücksichtigen sind. Dies kommt deutlich in Art. 3 Abs. 4 Whistleblowing-RL und Erwägungsgrund [29]235 zum Ausdruck, sodass die Whistleblowing-RL hier weniger in Konkurrenz tritt. Ob es sich im Übrigen um bloß dogmatische Erwägungen ohne praktische Relevanz handeln wird, also ein eigenständiger Anwendungsbereich für § 5 GeschGehG – speziell dessen Nr. 2 – verbleiben wird, ist noch zu untersuchen und kann erst vor dem Hintergrund der künftigen Umsetzungsgesetzgebung abschließend beantwortet werden. Die Europäische Union hat sich aber bereits während des Gesetzgebungsprozesses für eine über den Anwendungsbereich der Richtlinie hinausgehende Umsetzung in den Mitgliedstaaten ausgesprochen.236 Sollte die Haftungsfreistellung von Hinweisgebern nach Art. 21 Abs. 7 Whistle234 Zustimmend Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 5 Rn. 49; a. A. (wohl) Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 5 Rn. 15. 235 Dieser Erwägungsgrund lautet wie folgt: „Diese Richtlinie sollte sich nicht auf nationale Bestimmungen über die Inanspruchnahme des Rechts der Arbeitnehmervertreter auf Information, Konsultation und Teilnahme an Kollektivverhandlungen und die Verteidigung der Arbeitnehmerrechte durch Arbeitnehmervertreter auswirken. Die Ausübung dieser Rechte sollte das durch diese Richtlinie gewährte Maß an Schutz unberührt lassen.“ 236 Pressemitteilung der EU-Kommission zum Schutz von Hinweisgebern v. 23. 4. 2018 (abrufbar unter https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_18_3441, zuletzt abgerufen am 24. 06. 2020); Überblick bei Richter, ArbRAktuell 2018, 433 ff.; Hiéramente/ Golzio, CCZ 2018, 262, 265.
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blowing-RL über den Umweg über § 3 Abs. 2 GeschGehG allerdings in allen an sich unter § 5 Nr. 2 GeschGehG fallenden Konstellationen gewährleistet werden, wäre diese Vorschrift in Zukunft ein „fragmentarischer Fremdkörper“.237 Jedenfalls im Hinblick auf die erfassten Formen des Fehlverhaltens wurde aufgezeigt, dass sich diese in weiten Teilen decken. Bei kohärenter Rechtsanwendung und entsprechender Umsetzungsgesetzgebung sind keine Formen von Verstößen ersichtlich, welche ausschließlich von § 5 Nr. 2 GeschGehG erfasst sein werden.238 In ähnlicher Form – allerdings erst im Wege einer Gesamtbetrachtung – gilt dies für die Begriffe der Meldung und der Offenlegung von Informationen im Sinne der Whistleblowing-RL und der von Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL erfassten, strafrechtlich relevanten Handlungsweisen. Beide Richtlinien verwenden nämlich den Begriff Offenlegung. Erst bei der Auslegung zeigen sich dann inhaltliche Unterschiede. So definiert Art. 5 Nr. 6 Whistleblowing-RL Offenlegen als „das öffentliche Zugänglichmachen von Informationen über Verstöße“, während man unter Offenlegen im Sinne des § 4 GeschGehG „die Eröffnung des Geschäftsgeheimnisses gegenüber Dritten, nicht notwendigerweise der Öffentlichkeit“ versteht.239 Die Definition im Sinne des GeschGehG beziehungsweise der Geschäftsgeheimnis-RL umfasst aber jeweils auch das Melden im Sinne des Art. 5 Nr. 3 Whistleblowing-RL, also „die mündliche oder schriftliche Mitteilung von Informationen über Verstöße“. Sofern es um die Nutzung von Geschäftsgeheimnissen geht, ergeben sich allerdings Abweichungen. Darunter fällt „jede Verwendung, des Geschäftsgeheimnisses, solange es sich nicht um Offenlegung handelt“.240 Dies gilt zwar nur für die Offenlegung im Sinne des GeschGehG, diese ist allerdings – wie aufgezeigt – weiter gefasst als der Begriff der Richtlinie. Mithin verbleibt nur dann ein eigenständiger Anwendungsbereich für § 5 Nr. 2 GeschGehG, sofern ein Geschäftsgeheimnis genutzt wird, ohne dass es sich dabei um ein Melden oder Offenlegen im Sinne der Whistleblowing-RL handelt.241 Denkbar ist dies etwa bei Vorbereitungshandlungen zur späteren Offenlegung. Art. 21 Abs. 7 Whistleblowing-RL greift in dieser Konstellation jedenfalls nicht ein. Zudem stellt Art. 21 Abs. 4 Whistleblowing-RL klar, dass 237 Ullrich spricht bereits jetzt von einem „fragmentarischen Fremdkörper“, vgl. WiJ 2019, 52, 62; Schröder schlägt je nach konkreter Form der Umsetzung der Whistleblowing-RL die Streichung von § 5 Nr. 2 GeschGehG vor, vgl. ZRP 2020, 212, 215; der Gesetzgeber wird diesen Weg bei der Umsetzung der Richtlinie allerdings (wohl) nicht einschlagen, vgl. BT-Drs. 20/3442, S. 71. 238 Anderer Auffassung ist Erlebach, die – ohne eigene Begründung – davon ausgeht, dass sich berufliches oder sonstiges Fehlverhalten im Sinne des § 5 Nr. 2 GeschGehG nicht unter den Verstoßbegriff in Art. 5 Nr. 1 Whistleblowing-RL subsumieren lassen, vgl. CB 2020, 284, 285; ähnlich im Hinblick auf sonstiges Fehlverhalten nun auch der Gesetzgeber in der Begründung zum HinSchG-RegE, vgl. BT-Drs. 20/3442, S. 64. 239 Erneut BT-Drs. 19/4724, S. 27. 240 Erneut BT-Drs. 19/4724, S. 27. 241 Ähnlich (wohl) nun auch BT-Drs. 20/3442, S. 71.
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„[j]ede weitere mögliche Haftung des Hinweisgebers aufgrund von Handlungen oder Unterlassungen, die nicht mit der Meldung oder Offenlegung in Zusammenhang stehen oder für die Aufdeckung eines Verstoßes nach dieser Richtlinie nicht erforderlich sind, […] weiterhin dem geltenden Unionsrecht oder nationalem Recht [unterliegen].“
Speziell für die strafbare Erlangung von Geschäftsgeheimnissen im Wege der Betriebsspionage nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG – vorausgesetzt die besonderen subjektiven Tatbestandsmerkmale werden in der Person des Whistleblower verwirklicht – ergeben sich wegen Art. 21 Abs. 3 Whistleblowing-RL und Erwägungsgrund [92]242 andere Fragestellungen. Stellt nämlich die Erlangung der Informationen eine Straftat dar, soll diese Vorschrift nicht eingreifen, sondern das nationale Strafrecht maßgeblich sein.243 Die bloß zivilrechtliche Haftung soll hingegen entfallen.244 Dies gilt wegen der Öffnungsklausel in Art. 3 Abs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL auch für etwaige Verstöße gegen Art. 4 Abs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL und folglich § 4 Abs. 1 GeschGehG. Daher kann der objektive Tatbestand der Betriebsspionage nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG nicht verwirklicht werden.245 Das „Aufwerten zur Straftat“ bei Hinzutreten subjektiver Tatbestandsmerkmale ändert daran nichts. Das zivilrechtliche Handlungsverbot ist verschuldensunabhängig ausgestaltet, sodass hinzutretende Wertungen zunächst einmal einen subjektiven Fremdkörper im überwiegend objektiven Verbotsregime darstellen. Bei anderer Betrachtung würden die subjektiven Tatbestandsmerkmale, die der Geschäftsgeheimnis-RL in diesem Kontext fremd sind, ins Zivilrecht ausstrahlen. Durch das Strafrecht soll nicht das Zivilrecht modifiziert werden, sondern zivilrechtswidriges Verhalten beim Hinzutreten zusätzlicher, unrechtserhöhender Merkmale auch mit den Mitteln des Strafrechts sanktioniert werden. Zudem sieht die Geschäftsgeheimnis-RL keine strafrechtlichen Sanktionen vor. Würde man nun durch Verweis auf Art. 21 Abs. 3 S. 2 Whistleblowing-RL die Strafbarkeit der Betriebsspionage begründen, würde die innerhalb 242 Erwägungsgrund [92] lautet u. a. wie folgt: „[…] Wenn die Hinweisgeber eine Straftat – etwa Hausfriedensbruch oder Hacking – begangen haben, um die betreffenden Informationen oder Dokumente zu erlangen oder sich Zugang zu ihnen zu verschaffen, so sollten sie unbeschadet des gemäß Artikel 21 Absatz 7 dieser Richtlinie gewährten Schutzes weiterhin nach Maßgabe der anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften strafrechtlich verantwortlich gemacht werden. Ebenso sollte jedwede sonstige Haftung der Hinweisgeber für Handlungen oder Unterlassungen, die nicht mit der Meldung im Zusammenhang stehen oder nicht für die Aufdeckung eines Verstoßes im Sinne dieser Richtlinie notwendig sind, weiterhin den anwendbaren Vorschriften des Unionsrechts oder des nationalen Rechts unterliegen.“ 243 Art. 21 Abs. 3 S. 2 Whistleblowing-RL lautet: „Im Fall, dass die Beschaffung oder der Zugriff eine eigenständige Straftat darstellen, unterliegt die strafrechtliche Haftung weiterhin dem nationalen Recht.“ 244 Art. 21 Abs. 3 S. 1 Whistleblowing-RL lautet: „Hinweisgeber können nicht für die Beschaffung oder den Zugriff auf Informationen, die gemeldet oder offengelegt wurden, haftbar gemacht werden, sofern die Beschaffung oder der Zugriff nicht als solche bzw. solcher eine eigenständige Straftat dargestellt haben.“ 245 A. A. Escherich, EuZA 2022, 307, 315 f., die allerdings auch nicht auf die zivilrechtsakzessorische Ausgestaltung der Strafnorm eingeht.
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der Union angestrebte Harmonisierung des Rechts ausgehöhlt. Daher ist eine strafbare Betriebsspionage in diesem Kontext trotz Art. 21 Abs. 3 S. 2 Whistleblowing-RL, auf Grund von Art. 21 Abs. 3 S. 1 Whistleblowing-RL ausgeschlossen. Das mag aus rechtspolitischen Gründen wenig erfreulich sein, dogmatische Erwägungen lassen aber keine anderen Schlüsse zu. Andere, nicht zivilrechtsakzessorisch ausgestaltete Straftatbestände hingegen bleiben unberührt246, wobei in Erwägungsgrund [92] klargestellt wird, dass es „[in] diesen Fällen […] Sache der nationalen Gerichte sein [sollte], anhand aller einschlägigen Sachinformationen und unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls, unter anderem der Frage, ob die Handlung oder Unterlassung im Verhältnis zur Meldung oder Offenlegung notwendig und angemessen war, über die Haftung der Hinweisgeber zu befinden.“
Trotz missverständlicher Formulierung wird dabei auf die Konsequenzen des hinweisgeberischen Handelns abzustellen sein. Für die Haftungsfreistellung bietet das nationale Recht in Gestalt des § 34 StGB bereits ein ausreichendes Instrument. Im Hinblick auf die bei Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL und § 5 GeschGehG erforderliche Interessenabwägung lässt sich eine klare Vorhersage nicht treffen. Allerdings besteht wegen der Möglichkeit direkt externe Kanäle anzusteuern Grund zur Annahme, dass eine Interessenabwägung im obengenannten Sinn zu einem restriktiveren Whistleblowerschutz führen kann. Mithin scheint Art. 21 Abs. 7 Whistleblowing-RL auch diesbezüglich umfassenderen Schutz zu gewährleisten.
IV. Fazit und Umsetzungsausblick 1. Fazit Nach der Umsetzung ins nationale Recht verbleiben im unmittelbaren Zusammenhang mit der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen keine nennenswerten Strafbarkeitsrisiken für Whistleblower. In der Folge werden die Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL und § 5 Nr. 2 GeschGehG vor allem rechtshistorische Bedeutung erlangen, in praktischer Hinsicht hingegen ist ein bloßes Schattendasein zu erwarten. 2. Umsetzungsausblick Aufgrund des in weiten Teilen nur mindestharmonisierenden Charakters der Richtlinie, wie bereits Art. 1 Whistleblowing-RL entnommen werden kann, verbleiben dem Gesetzgeber weite Umsetzungsspielräume. Dies wird durch Art. 25 246 Zu in diesem Zusammenhang relevanten Straftatbeständen vgl. nur Escherich, EuZA 2022, 307, 311 ff. und Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 241 ff.
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Abs. 1 Whistleblowing-RL zusätzlich unterstrichen.247 Für die einzelnen Kapitel der Richtlinie gilt dies ebenfalls. Hervorzuheben ist insbesondere Art. 2 Abs. 2 Whistleblowing-RL in Bezug auf den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie. Im Hinblick auf die Schutzvoraussetzungen nach Art. 6 Whistleblowing-RL ist dessen Absatz 2 zu erwähnen.248 Hinsichtlich interner Meldungen wird der Umgang der Mitgliedstaaten mit dem letzten Überbleibsel des Vorrangs interner Meldungen nach Art. 7 Abs. 2 Whistleblowing-RL interessant sein.249 Unklar ist auch die künftige Ausgestaltung der Haftungsfreizeichnung, soweit der Inhalt nicht durch Art. 21 Whistleblowing-RL vorgegeben ist.250 In der Folge wird zu beantworten sein, ob eine bloße „Mindestumsetzung“ der Richtlinie oder ein „Gesamtkonzept“, das über den sachlichen Anwendungsbereich dieser hinausgeht, vorzugswürdig erscheint. Zugleich ist zu klären, ob ein eigenständiges Hinweisgeberschutzgesetz hierfür sinnvoll ist. Bei diesen Weichenstellungen sind die Forderungen seitens ausgewählter Interessenvertreter zu berücksichtigen. Im Anschluss soll anhand der aufgezeigten Eckpunkte ein Umsetzungsvorschlag als Impuls für den Gesetzgeber präsentiert werden. Dabei werden allerdings nur solche Vorschriften dargestellt, die für das materielle Strafrecht von Bedeutung sein werden. a) Mindestumsetzung oder Gesamtkonzept Vor dem Hintergrund der weiten Umsetzungsspielräumen des Gesetzgebers gilt es zu klären, ob es mit der Mindestharmonisierung des bestehenden Rechts sein Bewenden haben sollte oder zusätzliche, über die Vorgaben hinausgehende Festlegungen opportun erscheinen. Dabei wird Art. 2 Abs. 2 Whistleblowing-RL beispielhaft im Fokus der nachfolgenden Ausführungen stehen.251 Im Schrifttum finden 247
Zustimmend Schmolke, NZG 2020, 5, 8. Vertiefend etwa Schmolke, AG 2018, 769, 778 f.; ders., ZGR 2019, 876, 909 f.; ders., NZG 2020, 5, 8, 11; weiterführend Dilling, CCZ 2019, 214, 217 f., 223 im Hinblick auf den Schutz der Identität eines Hinweisgebers; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1669. 249 Dazu etwa Schmolke, NZG 2020, 5, 8. 250 Dazu etwa Schmolke, NZG 2020, 5, 8. 251 Eine beispielhafte Fokussierung erfolgt an dieser Stelle zur Begrenzung des Untersuchungsumfangs. Abseits der Diskussion um Art. 2 Abs. 2 Whistleblowing-RL kann beispielhaft auf Gerdemann hingewiesen werden, der im gemeinsamen Positionspapier von Whistleblowing Netzwerk und von Transparency International Deutschland im Bereich der Verstöße im Sinne des Art. 5 Nr. 1 Whistleblowing-RL eine Ausweitung auf bloß sonstiges Fehlverhalten fordert. Dem wird zutreffend widersprochen, vgl. etwa Schmolke, AG 2018, 769, 776; ders., ZGR 2019, 876, 903 f.; ders., NZG 2020, 5, 10; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 963 f.; Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 54 ff.; Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 101 f. Vielmehr ist auf die bestehenden Kritikpunkte zu § 5 Nr. 2 GeschGehG und auf den weiten Verstoßbegriff der Richtlinie zu verweisen. Mithin wurde aufgezeigt, dass ein umgekehrtes Vorgehen vorzugswürdig ist. Zudem würde diese inflationäre Ausweitung der gesellschaftlichen Akzeptanz des Whistleblowings schaden. 248
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Teil 2: Whistleblowing als Grenze des strafrechtl. Geschäftsgeheimnisschutzes
sich hierzu verschiedene Stellungnahmen. Teilweise wird eine pauschale Ausweitung abgelehnt und eine konkrete Abwägung von Vor- und Nachteilen im Hinblick auf das zu regelnde Rechtsgebiet gefordert.252 Auf der anderen Seite hat sich die Justizministerkonferenz für die Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs nach Art. 2 Abs. 2 Whistleblowing-RL ausgesprochen.253 Dieser Standpunkt findet breiten Widerhall im Schrifttum, welches größtenteils für eine entsprechende Ausweitung plädiert.254 Im Detail werden allerdings unterschiedliche Ansätze präsentiert. Hopt etwa spricht sich zwar für die Erstreckung auf weitere Rechtsgebiete – also eine Anwendung des sachlichen Anwendungsbereichs – aus, trägt aber gleichzeitig einschränkend vor, dass man auf diese Weise das bisher bekannte Dreistufenmodell – zumindest teilweise – beibehalten könnte.255 Im Hinblick auf die Kohärenz der Gesamtrechtsordnung können letztere Bestrebungen einige Sympathien wecken. Dem entsprechend wird in der Literatur zurecht darauf hingewiesen, dass eine Bündelung vor dem Hintergrund der ohnehin breiten Streuung erfasster Bereiche zur Schaffung von mehr Rechtssicherheit wünschenswert wäre.256 Stellenweise wird sogar vorgetragen, dass ein etwaiges In Bezug auf den erfassten Personenkreis etwa hat Forst bereits frühzeitig eine Differenzierung anhand bestehender Bande zwischen den betroffenen Akteuren gefordert, vgl. EuZA 2013, 37, 60, 63 ff. Dieser spricht sich primär für den Schutz von Arbeitnehmern aus und will Personen, die auf Augenhöhe agieren, außer Acht lassen. Beim Blick in die Schweiz hingegen scheinen sich im dortigen Diskurs restriktivere Ansätze durchzusetzen, Pikó, CB 2019, 235, 236 f.; vertiefend zum Whistleblower-Schutz in der Schweiz nur dies., CB 2019, 235 ff. 252 Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 964; Schmolke, ZGR 2019, 876, 887, 892, 902 ff.; ders., NZG 2020, 5, 9; dabei könnte die ökonomische Analyse des Rechts, welche sich mittlerweile auch abseits des Zivilrechts im Strafrecht etabliert hat, an dieser Stelle relevant werden und als probates Abwägungsinstrument an zusätzlicher Bedeutung gewinnen. Mithin soll vor allem die gesteigerte Aufklärungswahrscheinlichkeit in Folge von Whistleblowing eine maßgebliche Rolle bei der Prävention zukünftiger strafbarer oder ordnungswidriger Verhaltensweisen darstellen. Zur sinnvollen Ausgestaltung des Hinweisgeberschutzes ist dann darauf zu achten, dass die zur Umsetzung erforderlichen gesellschaftlichen Kosten geringer ausfallen als die durch strafbare Verhaltensweisen verursachten Schäden; vgl. zusammenfassend zur ökonomischen Analyse des Rechts etwa Wittig, Der rationale Verbrecher, S. 176 ff.; krit. Beckemper, in: FS Achenbach, S. 29, 30 ff.; Follert, ZStW 130 (2018), 420, 420 ff., 425 ff., speziell zur Entdeckungswahrscheinlichkeit S. 435, einschränkend im Hinblick auf das Strafrecht, 437. 253 Dies wird darauf gestützt, dass Hinweisgeber erheblich zur Aufklärung von teils spektakulären Fällen beigetragen haben, vgl. Pressemitteilung der Justizministerkonferenz vom 07. 11. 2019 (https://www.berlin.de/sen/justva/presse/pressemitteilungen/2019/pressemitteilung. 863039.php (zuletzt aufgerufen am 24. 02. 2020)); ähnlich auch Meyer, HRRS 2018, 322, 332. 254 Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1666; Erlebach, CB 2020, 284, 285; Schröder, ZRP 2020, 212, 214; Ullrich, Geheimnishehlerei, S. 165; Brobeil, ArbeitnehmerHinweisgeber, S. 42. 255 Hopt, ZGR 2020, 373, 383 f. 256 Zustimmend Richter, ArbRAktuell 2018, 433, 435; Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 19; Aszmos/Herse, DB 2019, 1849, 1849; Erlebach, CB 2020, 284, 285; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55; Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 86 ff.; beispielhaft kann hier auf das Finanzaufsichtsrecht verwiesen werden, welches bereits verschie-
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Umsetzungsgesetz bei mangelnder Ausweitung des sachlichen Schutzbereiches in Gefahr laufe gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu verstoßen.257 Auch berühren etwaige Verstöße im Sinne der Richtlinie regelmäßig mehrere Rechtsgebiete, wobei nur teilweise eine unionsrechtliche Determinierung im Sinne der Richtlinie gegeben sein wird. Für den Laien ist die relevante Fragestellung, ob der Anwendungs-, respektive Schutzbereich eröffnet ist, oft nur schwer zu beantworten sein. Dies gilt insbesondere, wenn im Rahmen der Umsetzung von unionsrechtlichen Vorschriften zugleich rein nationale Regelungen miterlassen werden.258 Bei der Umsetzung der Richtlinie sollte daher auf einen interessengerechten Ausgleich zwischen den erhobenen Einwenden geachtet werden.259 In einem ersten Schritt könnte zunächst umfassend von den Ausweitungsmöglichkeiten nach Art. 2 Abs. 2 Whistleblowing-RL Gebrauch gemacht werden, um sodann in einem zweiten Schritt, dem Vorbild des Art. 3 Whistleblowing-RL entsprechend, Beschränkungen im Wege von Ausnahmen zu schaffen. Im Ergebnis würde es sich zwar wieder nur um eine bloß teilweise Ausweitung nach Art. 2 Abs. 2 Whistleblowing-RL handeln. Der Vorteil eines solchen Vorgehens liegt indes auf der Hand. Ein potentieller Hinweisgeber könnte a priori von der Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs ausgehen und müsste nur noch etwaige Bereichsausnahmen beachten. Eine abweichende Vorgehensweise hätte dagegen zur Folge, dass bereits die Eröffnung des Anwendungsbereichs mitunter komplizierte Fragen aufwirft, welche durch die ohnehin zu beachtenden Bereichsausnahmen vertieft werden. Beim Erlass nationaler Rechtsvorschriften wäre der Gesetzgeber nicht in gleicher Weise auf diese Unterscheidung angewiesen und könnte damit einer potentiellen Kakophonie von Eröffnungs- und Ausschlussvorschriften vorbeugen. Ein solches Vorgehen lässt sich bedenkenlos mit den bestehenden Umsetzungsspielräumen vereinbaren, auch wenn Art. 3 Whistleblowing-RL zunächst vollharmonisierend anmutet. Schwierigkeiten, welche sich aus dem wegen der dynamischen Verweisung auf die Anhänge der Richtlinie in Art. 2 Abs. 1 Whistleblowing-RL permanent im Wandel befindlichen Umfang des sachlichen Anwendungsbereichs ergeben260, würden bereits umgangen.
dene gesetzliche Regelungen für den Umgang mit Whistleblowing vorsieht, vgl. dazu nur die Übersicht bei Helm, BB 2018, 1538 ff. 257 Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55; Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 206 ff., insb. 210; vertiefend Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 81 ff. 258 Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 964; Schröder, ZRP 2020, 212, 213; Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 42 f.; Schmidt verweist an dieser Stelle auf das aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitete Gebot der Rechtsklarheit, vgl. Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 85; ähnliche Schwierigkeiten treten auch im Hinblick auf die im Bereich der Versicherungsaufsicht bestehende Regelung in § 23 Abs. 6 VAG zu Tage, vgl. Bürkle, VersR 2020, 1, 10. 259 Vgl. dazu zusammenfassend Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 88 f. 260 Erwägungsgrund [19]; Forst, EuZA 2020, 283, 286.
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Anders als von Hopt vorgeschlagen sollte dann konsequenterweise davon abgesehen werden ein zweispuriges System der Haftungsfreistellung zu schaffen. Vielmehr sollten bei umfassender Ausgestaltung innerhalb und außerhalb des verpflichtenden sachlichen Anwendungsbereichs die gleichen rechtlichen Anforderungen für den Schutz von Hinweisgebern geschaffen werden.261 In der Folge empfiehlt Forst sogar bereits bestehende Regelungen ebenfalls in die Umsetzungsgesetzgebung zu inkorporieren.262 Dabei sollte man jedoch – gerade auch vor dem Hintergrund von Art. 3 Abs. 1 Whistleblowing-RL263 – mit der gebotenen Vorsicht vorgehen, um keine unnötigen systematischen Verwerfungen in bereits bestehende, austarierte Systeme zu bringen. Im konkreten Gesetz könnte dazu etwa mit einer klarstellenden Konkurrenzregelung gearbeitet werden. Andernfalls würde die gewonnene Rechtssicherheit wieder nivelliert. Zudem kann auch aktuell nicht von einem strengen Dreistufenmodell die Rede sein. Vielmehr bestehen verschiedene Ausnahmen, sodass eher von einem Grundsatz oder einer Orientierungshilfe gesprochen werden sollte. Auf Grund des begrenzten Umfangs dieser Untersuchung kann nur fragmentarisch aufgezeigt werden, ob das nationale Recht (wenigstens teilweise) bereits ausreichende rechtliche Instrumentarien bereithält, welche die Umsetzung obsolet erscheinen lassen könnten. Denkbar wäre es, Vorschriften – wie etwa § 34 StGB – in entsprechender Auslegung heranzuziehen.264 Gewichtige Gründe, wie die detaillierten Vorgaben in den Art. 21 Abs. 2 – 8 Whistleblowing-RL, welche die Generalklausel in Art. 21 Abs. 1 S. 1 Whistleblowing-RL gemäß Art. 21 Abs. 1 S. 2 Whistleblowing-RL zwingend konkretisieren, sprechen allerdings für ein Umsetzungsgesetz. Würde man auf bestehende Regelungen vertrauen, bestünde das Risiko unzureichender Berücksichtigung durch die Gerichte. Zudem wird in der Literatur jedenfalls im Hinblick auf Art. 21 Abs. 7 Whistleblowing-RL zwingender Umsetzungsbedarf gesehen.265 Daneben gibt es ohnehin eine Vielzahl von Gründen, die für die Umsetzung als Hinweisgeberschutzgesetz und gegen ein bloß andere Gesetze modifizierendes Artikelgesetz sprechen. Dabei kann auch auf entsprechende Argumente, die im 261 Ähnlich argumentiert Fest, wenn er sich zumindest für eine Orientierung an den Regelungen der Richtlinie ausspricht, vgl. EuArbRK, Art. 2 RL 2019/1937/EU Rn. 51. 262 Forst, EuZA 2020, 283, 291 f. 263 Art. 3 Abs. 1 Whistleblowing-RL lautet wie folgt: „Falls die in Teil II des Anhangs aufgeführten sektorspezifischen Rechtsakte der Union spezifische Regeln über die Meldung von Verstößen enthalten, gelten diese Regeln. Die Bestimmungen dieser Richtlinie gelten insoweit, als die betreffende Frage durch diese sektorspezifischen Rechtsakte der Union nicht verbindlich geregelt ist.“ 264 So hat bereits Reinbacher vor Umsetzung der Geschäftsgeheimnis-RL untersucht ob und inwieweit diese Vorschrift etwa die Umsetzung des Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL hätte obsolet machen können, vgl. KriPoZ 2018, 115, 120. 265 Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1670; Schröder, ZRP 2020, 212, 213.
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Zusammenhang mit dem Erlass des GeschGehG vorgetragen wurden, verwiesen werden.266 Für etwaige Hinweisgeber etwa bietet ein einheitliches Hinweisgeberschutzgesetz diverse Vorteile. So wird diesen eine Art „Blaupause“ für rechtmäßiges Verhalten an die Hand gegeben, während die Anpassung einer Vielzahl von Gesetzen nicht das gleiche Maß an Klarheit mit sich bringen würde.267 Es bestünde zudem die Gefahr, dass der Gesetzgeber (unbewusst) Bereiche aussparen könnte, in denen die Umsetzung zwingend oder zumindest vorzugswürdig wäre. Folge wären ungewollte systematische Spannungen, die durch ein abstrakter gehaltenes Hinweisgeberschutzgesetz vermieden werden könnten. Zuletzt darf auch die dem Erlass eines eigenständigen Hinweisgeberschutzgesetzes innewohnende Symbolkraft nicht aus den Augen verloren werden. Auf diese Weise könnte der Hinweisgeberschutz und gleichzeitig auch dessen gesellschaftliches Renommee gestärkt werden.268 b) Eigener Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes (Auszug) Dies vorangestellt, wird nun ein Entwurf zur Umsetzung der untersuchten Aspekte der Richtlinie präsentiert werden, der die zuvor herausgearbeiteten Ergebnisse berücksichtigt. Teilweise resultiert der vorgeschlagene Gesetzestext aus einer vollständigen 1:1, respektive weitgehenden Übernahme des Textes. Zur Vermeidung unnötiger Redundanzen ist der Gesetzesvorschlag aber abweichend strukturiert und gegliedert. Das neu zu schaffende, eigenständige Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie, sollte zudem namentlich und programmatisch hinreichend klar seine Ausgestaltung als Gesamtkonzept zum Ausdruck bringen. Geeignet wäre beispielsweise die Bezeichnung als Hinweisgeberschutzgesetz. Abschnitt 1 Allgemeines § 1 Ziel des Gesetzes Ziel dieses Gesetzes ist es durch die Schaffung eines hohen Schutzniveaus für Personen, die Verstöße nach diesem Gesetz melden, für die bessere Durchsetzung des Unionsrechts, der Unionspolitik und des nationalen Rechts in den darin bestimmten Bereichen zu sorgen. § 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieses Gesetzes ist 1. Verstoß Handlungen oder Unterlassungen, die a) rechtswidrig sind und in den sachlichen Anwendungsbereich gemäß § 3 fallen, oder 266
Zustimmend Schröder, ZRP 2020, 212, 213. So auch Richter, ArbRAktuell 2018, 433, 435; Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 316 ff.; i. E. zustimmend Erlebach, CB 2020, 284, 288. 268 Zugegebenermaßen handelt es sich allerdings weniger um ein rechtstheoretisches, sondern vielmehr um ein (rechts-)politisches Argument. 267
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b) dem Ziel oder dem Zweck der Vorschriften, die in den sachlichen Anwendungsbereich gemäß § 3 fallen, zuwiderlaufen; 2. Informationen über Verstöße eine Information, einschließlich begründeter Verdachtsmomente, in Bezug auf tatsächliche oder potenzielle Verstöße, die in der Organisation, in der der Hinweisgeber tätig ist oder war, oder in einer anderen Organisation, mit der der Hinweisgeber aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit im Kontakt steht oder stand, bereits begangen wurden oder sehr wahrscheinlich erfolgen werden, sowie in Bezug auf Versuche der Verschleierung solcher Verstöße; 3. Meldung oder melden die mündliche oder schriftliche Mitteilung von Informationen über Verstöße; 4. interne Meldung die mündliche oder schriftliche Mitteilung von Informationen über Verstöße innerhalb einer juristischen Person des privaten oder öffentlichen Sektors; 5. externe Meldung die mündliche oder schriftliche Mitteilung von Informationen über Verstöße an die zuständigen Behörden;269 6. Offenlegung oder offenlegen das öffentliche Zugänglichmachen von Informationen über Verstöße; 7. Hinweisgeber eine natürliche Person, die im Zusammenhang mit ihren Arbeitstätigkeiten erlangte Informationen über Verstöße meldet oder offenlegt; 8. Mittler eine natürliche Person, die einen Hinweisgeber bei dem Meldeverfahren in einem beruflichen Kontext unterstützt und deren Unterstützung vertraulich sein sollte; 9. beruflicher Kontext eine laufende oder frühere Arbeitstätigkeit im öffentlichen oder im privaten Sektor, durch die Personen unabhängig von der Art der Tätigkeiten Informationen über Verstöße erlangen und bei denen sich diese Personen Repressalien ausgesetzt sehen könnten, wenn sie diese Informationen melden würden; 10. betroffene Person eine natürliche oder eine juristische Person, die in der Meldung oder in der Offenlegung als eine Person bezeichnet wird, die den Verstoß begangen hat, oder mit der die bezeichnete Person verbunden ist; 11. Repressalie Eine direkte oder indirekte Handlung oder Unterlassung in einem beruflichen Kontext, die durch eine interne oder externe Meldung oder eine Offenlegung ausgelöst wurde und 269 Die zuständige Behörde kann nach Art. 6 Abs. 4 Whistleblowing-RL auch ein Organ, eine Einrichtung oder eine sonstige Stelle der Union sein.
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durch die dem Hinweisgeber ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht oder entstehen kann;270 12. Folgemaßnahmen eine vom Empfänger einer Meldung oder einer zuständigen Behörde ergriffene Maßnahmen zur Prüfung der Stichhaltigkeit der in der Meldung erhobenen Behauptungen und gegebenenfalls zum Vorgehen gegen den gemeldeten Verstoß, unter anderem durch interne Nachforschungen, Ermittlungen, Strafverfolgungsmaßnahmen, Maßnahmen zur (Wieder-) Einziehung von Mitteln oder Abschluss des Verfahrens; 13. Rückmeldung die Unterrichtung des Hinweisgebers über die geplanten oder bereits ergriffenen Folgemaßnahmen und die Gründe für diese Folgemaßnahmen; 14. zuständige Behörde die Behörde, die benannt wurde, um Meldungen nach Abschnitt III entgegenzunehmen und dem Hinweisgeber Rückmeldung zu geben und/oder als die Behörde benannt wurde, welche
270 Art. 19 Whistleblowing-RL enthält eine nicht abschließende Aufzählung erfasster Repressalien. Von der direkten Umsetzung dieser Vorschrift sollte aber dennoch aus mehreren Gründen abgesehen werden. Zum einen erscheint es wenig überzeugend einleitende Begriffsbestimmungen vorzunehmen und diese an systematisch nicht nachvollziehbarer Stelle zu ergänzen. Vielmehr sollte direkte eine abschließende Regelung erlassen werden. Zum anderen ist diese Vorschrift außerdem (wohl) bloß deklaratorischer Art. Um die Aufzählung dennoch zu berücksichtigen, könnte sie in die Gesetzesbegründung zu § 2 Nr. 11 Hinweisgeberschutzgesetz überführt werden. Demzufolge sind insbesondere folgende Repressalien erfasst: „a) Suspendierung, Kündigung oder vergleichbare Maßnahmen; b) Herabstufung oder Versagung einer Beförderung; c) Aufgabenverlagerung, Änderung des Arbeitsortes, Gehaltsminderung, Änderung der Arbeitszeit; d) Versagung der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen; e) negative Leistungsbeurteilung oder Ausstellung eines schlechten Arbeitszeugnisses; f) Disziplinarmaßnahme, Rüge oder sonstige Sanktion einschließlich finanzieller Sanktionen; g) Nötigung, Einschüchterung, Mobbing oder Ausgrenzung; h) Diskriminierung, benachteiligende oder ungleiche Behandlung; i) Nichtumwandlung eines befristeten Arbeitsvertrags in einen unbefristeten Arbeitsvertrag in Fällen, in denen der Arbeitnehmer zu Recht erwarten durfte, einen unbefristeten Arbeitsvertrag angeboten zu bekommen; j) Nichtverlängerung oder vorzeitige Beendigung eines befristeten Arbeitsvertrags; k) Schädigung (einschließlich Rufschädigung), insbesondere in den sozialen Medien, oder Herbeiführung finanzieller Verluste (einschließlich Auftrags- oder Einnahmeverluste); l) Erfassung des Hinweisgebers auf einer ,schwarzen Liste‘ auf Basis einer informellen oder formellen sektor- oder branchenspezifischen Vereinbarung mit der Folge, dass der Hinweisgeber sektor- oder branchenweit keine Beschäftigung mehr findet; m) vorzeitige Kündigung oder Aufhebung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen; n) Entzug einer Lizenz oder einer Genehmigung; o) psychiatrische oder ärztliche Überweisungen.“
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die in diesem Gesetz vorgesehenen Aufgaben – insbesondere in Bezug auf etwaige Folgemaßnahmen – erfüllt. § 3 Sachlicher Anwendungsbereich (1) Die nachfolgenden Vorschriften gelten für Verstöße im Sinne von § 2 Nr. 1. (2) Dieses Gesetz gilt nicht für Handlungen oder Unterlassungen a) falls die in Teil II des Anhangs der RICHTLINIE (EU) 2019/1937 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 23. Oktober 2019 aufgeführten sektorspezifischen Rechtsakte der Union spezifische Regeln über die Meldung von Verstößen enthalten. Diese Regelungen sowie etwaige zur Umsetzung geschaffene Rechtsnormen genießen Vorrang. Die Bestimmungen dieses Gesetzes gelten insoweit, als die betreffende Frage durch diese sektorspezifischen Rechtsakte nicht verbindlich geregelt ist. b) die, die nationale Sicherheit oder wesentlichen Sicherheitsinteressen beeinträchtigen. Dieses Gesetz gilt zudem nicht für Meldungen von Verstößen gegen die Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte betreffen, es sei denn, diese fallen unter das einschlägige Unionsrecht. c) in Bezug auf alle folgenden Bereiche: i.
den Schutz von Verschlusssachen,
ii. den Schutz der anwaltlichen und ärztlichen Verschwiegenheitspflichten durch § 203 des Strafgesetzbuches, iii. das richterliche Beratungsgeheimnis sowie iv. das Strafprozessrecht. d) zur Wahrnehmung des Rechts von Arbeitnehmern, ihre Vertreter oder Gewerkschaften zu konsultieren, und über den Schutz vor ungerechtfertigten nachteiligen Maßnahmen aufgrund einer solchen Konsultation sowie über die Autonomie der Sozialpartner und deren Recht, Tarifverträge einzugehen. Dies gilt unbeschadet des durch dieses Gesetz garantierten Schutzniveaus.271
271 Sollte sich die in der Literatur erhobenen Einwände gegen eine umfassende Ausgestaltung des sachlichen Anwendungsbereichs durchsetzen, sollten etwaige Ausnahmen in einem dann zu normierenden § 3 Abs. 2 lit. e Hinweisgeberschutzgesetz aufgezählt werden. Die große Vielzahl von Stellungnahmen beim Erlass des GeschGehG, das nur in viel geringerem Umfang Regelungen zum Whistleblowing umfasst, hat die den anstehenden Regelungen innewohnende Sprengkraft jedenfalls bereits deutlich vorgezeichnet. In diesem Zusammenhang sollte den verschiedenen betroffenen Interessengruppen daher die Gelegenheit gegeben werden sich zu Wort zu melden, um so den größtmöglichen Konsens zu erzielen.
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§ 4 Persönlicher Anwendungsbereich (1) Dieses Gesetz gilt für Hinweisgeber, die im privaten oder im öffentlichen Sektor tätig sind und im beruflichen Kontext Informationen über Verstöße erlangt haben (Arbeitsverbindung)272. Dies umfasst folgende Personen: a) Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 45 Absatz 1 AEUV und Beamte; b) Selbstständige im Sinne von Artikel 49 AEUV; c) Anteilseigner und Personen, die dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan eines Unternehmens angehören, einschließlich der nicht geschäftsführenden Mitglieder, sowie Freiwillige und bezahlte oder unbezahlte Praktikanten; d) Personen, die unter der Aufsicht und Leitung von Auftragnehmern, Unterauftragnehmern und Lieferanten arbeiten. (2) Dieses Gesetz gilt auch für Hinweisgeber, die Informationen über Verstöße melden oder offenlegen, von denen sie im Rahmen einer inzwischen beendeten Arbeitsverbindung nach Absatz 1 Kenntnis erlangt haben. (3) Dieses Gesetz gilt auch für Hinweisgeber, deren Arbeitsverbindung im Sinne von Absatz 1 noch nicht begonnen hat und die während des Einstellungsverfahrens oder anderer vorvertraglicher Verhandlungen Informationen über Verstöße erlangt haben. (4) Die Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern gemäß Abschnitt 3 gelten, soweit einschlägig, auch für a) Mittler, b) Dritte, die mit den Hinweisgebern in Verbindung stehen und in einem beruflichen Kontext Repressalien erleiden könnten273, und c) juristische Personen, die im Eigentum des Hinweisgebers stehen oder für die der Hinweisgeber arbeitet oder mit denen er in einem beruflichen Kontext anderweitig in Verbindung steht. § 5 Voraussetzungen für den Schutz von Hinweisgebern (1) Hinweisgeber haben Anspruch auf Schutz nach diesem Gesetz, sofern a) die gemeldeten Informationen über Verstöße der Wahrheit entsprachen und dass diese Informationen in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fielen oder sie hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen und dass diese Informationen in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fielen, und b) sie intern gemäß § 6 oder extern gemäß § 7 Meldung erstattet haben oder eine Offenlegung gemäß § 8 vorgenommen haben, und
272 Die gewählte Formulierung geht auf Garden/Hiéramente zurück, die mit Hinweis auf die englische Fassung der Richtlinie („work-related context“) plakativ von einer „ArbeitsVerbindung“ sprechen, vgl. BB 2019, 963, 964. 273 In Art. 4 Abs. 4 lit. b Whistleblowing-RL ist dabei bspw. von Kollegen oder Verwandten des Hinweisgebers die Rede.
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Teil 2: Whistleblowing als Grenze des strafrechtl. Geschäftsgeheimnisschutzes c) sie hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die Meldung oder Offenlegung der Information notwendig war, um einen Verstoß im Sinne dieses Gesetzes aufzudecken.
(2) Personen, die Informationen über Verstöße anonym gemeldet oder offengelegt haben, anschließend jedoch identifiziert wurden und Repressalien erleiden, haben dennoch Anspruch auf Schutz nach Abschnitt 3, sofern sie die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllen. Abschnitt 2 Meldung und Offenlegung § 6 Meldung über interne Meldekanäle (1) Unbeschadet der § 7 und § 8 können Informationen über Verstöße unter Nutzung der internen Meldekanäle und des Verfahrens nach Maßgabe des Abschnitts 4 gemeldet werden. Sofern interne Meldekanäle genutzt werden, die nicht den Anforderungen dieses Gesetzes genügen, gilt Satz 1 entsprechend. (2) Es werden Maßnahmen angeregt, damit die Meldung über interne Meldekanäle gegenüber der Meldung über externe Meldekanäle in den Fällen bevorzugt wird, in denen intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und der Hinweisgeber keine Repressalien befürchtet.274 § 7 Meldung über externe Meldekanäle Unbeschadet des § 8 melden Hinweisgeber Informationen über Verstöße unter Nutzung der Kanäle und Verfahren nach Maßgabe des Abschnitts 4, nachdem sie zuerst über interne Meldekanäle Meldung erstattet haben, oder indem sie direkt über externe Meldekanäle Meldung erstatten. § 8 Offenlegung (1) Ein Hinweisgeber kann Informationen offenlegen, wenn: a) er zunächst nach § 7 Meldung erstattet hat und zu dieser Meldung innerhalb des im Abschnitt 4 dieses Gesetzes festgelegten Zeitrahmens keine geeigneten Maßnahmen ergriffen wurden,275 oder b) hinreichender Grund zu der Annahme besteht, dass der Verstoß eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann oder bei 274 Die Vorschrift sollte nicht in dieser Form umgesetzt werden. Vielmehr sollte an dieser Stelle die Chance genutzt werden sinnvolle Anreize für Hinweisgeber zu schaffen, zunächst intern vorzugehen, bevor sie sich an externe Stellen wenden. Auf Grund der materiell-strafrechtlich Ausrichtung dieser Untersuchung muss eine vertieftere Auseinandersetzung mit dieser Thematik aber unterbleiben; vertiefend dazu etwa erneut Schmolke, ZGR 2019, 876, 912 ff.; ders., NZG 2020, 5, 11; Forst, EuZA 2020, 283, 296; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203, 1207; Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 30, 35 f. 275 Alternativ könnte die Vorschrift auch wie folgt formuliert werden: „… er zunächst intern sowie extern oder auf direktem Weg extern gemäß den § 7 und § 8 Meldung erstattet hat und zu diesen Meldungen innerhalb des im Abschnitt 4 dieses Gesetzes festgelegten Zeitrahmens keine geeigneten Maßnahmen ergriffen wurden …“. Dann ist allerdings in der Gesetzesbegründung explizit klarzustellen, dass interne Meldungen allein nicht maßgeblich für den Fristablauf sein können.
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Gefahr eines irreversiblen Schadens oder wenn im Fall einer externen Meldung Repressalien zu befürchten sind oder wenn aufgrund der besonderen Umstände des Falls geringe Aussichten bestehen, dass wirksam gegen den Verstoß vorgegangen wird.276 (2) Vorschriften, die innerhalb eines Schutzsystems für die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit unmittelbar die Offenlegung gegenüber der Presse gestatten, bleiben unberührt. Abschnitt 3 Schutzmaßnahmen § 9 Maßnahmen zum Schutz vor Repressalien (1) Personen, die nach den Bestimmungen dieses Gesetzes Informationen über Verstöße melden oder offenlegen, haften für daraus folgende Verletzung einer Offenlegungsbeschränkung in keiner Weise.277 (2) Die in § 4 genannten Personen haften unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 insbesondere auch nicht für die Verletzung von Urheberrechten, Verstößen gegen Vorschriften zum Schutz von Daten, die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen oder nach den Vorschriften des 14. Abschnittes des Strafgesetzbuchs.278 (3) Hinweisgeber haften nicht für die Beschaffung der oder den Zugriff auf Informationen, die gemeldet oder offengelegt wurden. Dies gilt nicht, wenn die Beschaffung oder der Zugriff durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 des Strafgesetzbuchs) erfolgt ist. (4) Die weitere Haftung des Hinweisgebers für jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das nicht mit der Meldung oder Offenlegung in Zusammenhang steht oder für die Auf276 In der Gesetzesbegründung zu § 8 Hinweisgeberschutzgesetz sollten die in Art. 15 Abs. 1 lit. b ii) Whistleblowing-RL aufgeführten Beispiele Niederschlag finden. Eine solche Situation liegt „insbesondere dann vor, wenn Beweismittel unterdrückt oder vernichtet werden könnten oder wenn zwischen einer Behörde und dem Urheber des Verstoßes Absprachen bestehen könnten oder die Behörde an dem Verstoß beteiligt sein könnte.“ 277 In § 9 Hinweisgeberschutzgesetz wird auf das Ausbleiben jeglicher Haftung des Hinweisgebers und nicht auf die Rechtfertigung des Handelns abgestellt, weil für die Ausgestaltung als Tatbestandsausnahme die gewichtigeren Argumente ins Feld geführt werden können. Zum einen lässt sich die gewählte Umsetzung auf den Wortlaut von Art. 21 Whistleblowing-RL stützen. Lediglich in Art. 21 Abs. 7 UAbs. 2Whistleblowing-RL findet sich ein Hinweis auf die Rechtmäßigkeit des Handelns. Da dabei allerdings auf Art. 3 Abs. 2 Geschäftsgeheimnis-RL verwiesen wird, wird dieser Einwand direkt wieder entkräftet. Mithin wirkt sich auch diese Vorschrift auf Ebene des Tatbestands aus. Zum anderen spricht die Kohärenz mit der Geschäftsgeheimnis-RL für die Lösung auf Tatbestandsebene. Selbst bei Entscheidung für einen Rechtfertigungsgrund wären die praktischen Unterschiede kaum relevant, weil § 5 Hinweisgeberschutzgesetz durch die erfasste Gutgläubigkeit eine spezielle Irrtumsregelung enthält. 278 In der Gesetzesbegründung zu § 9 Hinweisgeberschutzgesetz sollte folgende Klarstellung aus Art. 21 Abs. 7 UAbs. 2 Whistleblowing-RL aufgegriffen werden: Wenn eine Person Informationen über in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fallende Verstöße meldet oder offenlegt, die Geschäftsgeheimnisse beinhalten, und wenn diese Person die Bedingungen dieser Richtlinie erfüllt, gilt diese Meldung oder Offenlegung als rechtmäßig im Sinne von § 3 Abs. 2 GeschGehG.
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Teil 2: Whistleblowing als Grenze des strafrechtl. Geschäftsgeheimnisschutzes deckung eines Verstoßes (§ 2 Nr. 1) nicht erforderlich ist, bleibt von diesem Gesetz unberührt.
(5) Vorschriften, die den in § 4 genannten Personen weitergehenden Schutz vor Repressalien gewährleisten, bleiben unberührt.279 § 10 Verfahrensvorschriften Diese Vorschrift soll der Umsetzung der Art. 21 Abs. 5, 6, 22, 24 Whistleblowing-RL dienen. Abschnitt 4 Interne und externe Meldekanäle In diesem Abschnitt sollten die Art. 7 Abs. 3, 8, 9, 11 – 14 sowie 16 – 18 Whistleblowing-RL möglichst einheitlich umgesetzt werden, um unnötige Redundanzen zu vermeiden.280 Abschnitt 5 Schlussbestimmungen In diesem Abschnitt sollten dann abschließend die Art. 25 – 28 Whistleblowing-RL einheitlich umgesetzt werden.
c) Regierungsentwurf vom 19. 09. 2022 BT-Drs. 20/3442 Wie schon bei der Geschäftsgeheimnis-RL ist es dem Gesetzgeber ebenfalls nicht gelungen, die Whistleblowing-RL innerhalb der Umsetzungsfrist bis zum 17. 12. 2021 umzusetzen. Nachdem unter der großen Koalition im Jahr 2021 lediglich ein Referentenentwurf ausgearbeitet wurde281, legte die Ampel-Koalition im Jahr 2022 zunächst einen Referentenentwurf sowie daran anschließend einen ersten Regierungsentwurf vor.282 Angesichts dynamischer Entwicklungen während des Gesetzgebungsverfahrens müssen sich die nachfolgenden kursorischen Ausführungen allerdings auf den Entwurf der Bundesregierung vom 19. 09. 2022 beschränken.283 Dieser setzt sich aus verschiedenen Artikeln zusammen, da darin neben dem Erlass des HinSchG-RegE zusätzlich Änderungen bereits bestehender Gesetze 279 Diese Bestimmung soll allerdings nicht als Abweichung von Art. 23 Abs. 2 Whistleblowing-RL missverstanden werden. Es soll vielmehr lediglich klargestellt werden, dass es sich nicht um eine abschließende Regelung handelt. 280 Vertiefend zu dieser Thematik erneut vertiefend etwa Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 965 f.; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1666 f.; Aszmos/Herse, DB 2019, 1849, 1851 f.; Erlebach, CB 2020, 284, 285 f., 287 f.; Hopt, ZGR 2020, 373, 398; Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126, 127 ff.; Forst, EuZA 2020, 283, 289 f., 293 f.; Schmolke, ZGR 2019, 876, 899 f.; ders., NZG 2020, 5, 7, 9, 11; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1205 f.; Fest, in: EuArbRK, Art. 8, 9 RL 2019/1937/EU; zu datenschutzrechtlichen Fragen etwa Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 35. 281 Vgl. dazu nur Brobeil, Arbeitnehmer-Hinweisgeber, S. 308 ff. m. w. N. 282 Abrufbar unter https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Hinweisge berschutz.html (zuletzt abgerufen am 21. 11. 2022). 283 Vgl. BT-Drs. 20/3442.
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vorgesehen sind284, und enthält verschiedene zentrale Regelungselemente. Der 1. Abschnitt des Gesetzes (§§ 1 – 6 HinSchG-RegE) enthält allgemeine Vorschriften, die beispielsweise den persönlichen sowie den sachlichen Anwendungsbereich und verschiedene Begriffsbestimmungen umfassen. Im 2. Abschnitt (§§ 7 – 31 HinSchGRegE), der sich in verschiedene Unterabschnitte untergliedert, sind Vorschriften zu gleichwertig nebeneinanderstehenden internen und externen Meldekanälen vorgesehen. Im daran anschließenden Abschnitt, der nur aus § 32 HinSchG-RegE besteht, werden die Voraussetzungen festgelegt, unter denen ein Hinweisgeber sich an die Öffentlichkeit wenden darf. Daran anknüpfend werden sowohl für Hinweisgeber und bestimmte Dritte, als auch für Betroffene Schutzmaßnahmen etabliert (§§ 33 – 39 HinSchG-RegE). Abgerundet wird das Gesetz in den letzten beiden Abschnitten noch durch Bußgeldvorschriften (§ 40 HinSchG-RegE) sowie zwei Schlussvorschriften (§§ 41, 42 HinSchG-RegE). Bei der näheren Auseinandersetzung mit den einzelnen Regelungen – die sich auf die für diese Untersuchung relevanten §§ 1 – 7 und §§ 32 – 35 HinSchG-RegE beschränken muss – wird deutlich, dass die zuvor in diesem Kapitel aufgezeigten Ergebnisse darin nur teilweise Berücksichtigung finden. Im Folgenden soll – auch zur Vermeidung von Redundanzen – in der gebotenen Kürze auf wesentliche Aspekte eingegangen werden.285 Dabei fällt direkt beim ersten Lesen des Gesetzesentwurfs auf, dass § 1 HinSchGRegE Bestimmungen zur Zielsetzung sowie zum persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes samt einer Legaldefinition des Begriffs „hinweisgebende Person“ enthält.286 Dieses Vorgehen steht zwar im freien Ermessen des Gesetzgebers, der Inhalt der Normen sollte aber aus Gründen der besseren Leserlichkeit in getrennte Vorschriften überführt werden. Der Anwendungsbereich wiederum soll nach dem Willen des Gesetzgebers möglichst umfassend ausgestaltet sein, um den Vorgaben 284
Vgl. BT-Drs. 20/3442, S. 34, 100 ff. Im Schrifttum werden die aufgezählten Entwürfe – auch abseits der hier interessierenden Regelungsbereiche – teils erheblich kritisiert, vgl. dazu etwa Dilling, CCZ 2022, 145 ff.; Miege/Ahrens, CCZ 2022, 171 ff.; Quast/Ohrloff, CCZ 2022, 303 ff.; Thüsing, DB 2022, 1066 ff.; ders./Musiol, BB 2022, 2420 ff.; vertiefend zur Einrichtung von internen Meldestellen Scholz, AG 2022, 553, 554 ff.; vertiefend zur Ausgestaltung des Meldeprozedere, Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 203 ff., 214 ff., 249 ff.; vertiefend im Hinblick auf die im Weiteren nicht näher untersuchten Schutzvorschriften in den §§ 36 ff. HinSchG-RegE Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 171 ff., 190. 286 § 1 HinSchG-RegE lautet wie folgt: „§ 1 Zielsetzung und persönlicher Anwendungsbereich (1) Dieses Gesetz regelt den Schutz von natürlichen Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an die nach diesem Gesetz vorgesehenen Meldestellen melden oder offenlegen (hinweisgebende Personen). (2) Darüber hinaus werden Personen geschützt, die Gegenstand einer Meldung oder Offenlegung sind, sowie sonstige Personen, die von einer Meldung oder Offenlegung betroffen sind.“ 287 § 34 HinSchG-RegE lautet wie folgt: „§ 34 Weitere geschützte Personen 285
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der Richtlinie gerecht zu werden, und wird durch § 34 HinSchG-RegE287 auf weitere Personen erstreckt.288 Letztere Vorschrift betrifft im Ergebnis ebenfalls den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes und könnte daher auch in einer einheitlichen, systematisch klar strukturierten Norm untergebracht werden. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass in Art. 4 Whistleblowing-RL ein vergleichbarer Ansatz vorzufinden ist.289 Auch die Regelung des § 2 HinSchG-RegE, welche den sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes bestimmt, sollte vor Verabschiedung durch den Bundestag angepasst werden. Zwar hat der Gesetzgeber sich dazu entschieden, ein eigenständiges Stammgesetz zu erlassen und nicht bloß bestehende Regelungswerke fragmentarisch und dezentral zu ergänzen.290 Zudem geht § 2 HinSchG-RegE über die bloßen Mindestvorgaben der Richtlinie hinaus und erfasst zusätzliche Regelungsbereiche.291 Die teils langen Aufzählungen in dieser Normen wecken allerdings Befürchtungen, dass für Laien nicht nur unerhebliche Unsicherheiten begründet werden292, und gehen zu Lasten der Rechtsklarheit.293 Dieses Problem wird durch §§ 4, 5 HinSchG-RegE noch verschärft. In § 4 HinSchG-RegE werden verschiedene Regelungen zum Hinweisgeberschutz aufgeführt, die vorrangig zu beachten sind und (1) Die §§ 35 bis 37 gelten entsprechend für natürliche Personen, die die hinweisgebende Person bei einer internen oder externen Meldung oder einer Offenlegung im beruflichen Zusammenhang vertraulich unterstützen, sofern die gemeldeten oder offengelegten Informationen 1. zutreffend sind oder die unterstützende Person zum Zeitpunkt der Unterstützung hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die von der hinweisgebenden Person gemeldeten oder offengelegten Informationen der Wahrheit entsprachen, und 2. Verstöße betreffen, die in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fallen, oder die unterstützende Person zum Zeitpunkt der Unterstützung hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass dies der Fall sei. (2) Sofern die Voraussetzungen des § 33 erfüllt sind, gelten die §§ 35 bis 37 entsprechend für 1. Dritte, die mit der hinweisgebenden Person in Verbindung stehen und in einem beruflichen Zusammenhang Repressalien erlitten haben, es sei denn, diese beruhen nicht auf der Meldung oder Offenlegung durch die hinweisgebende Person, und 2. juristische Personen, rechtsfähige Personengesellschaften und sonstige rechtsfähige Personenvereinigungen, die mit der hinweisgebenden Person infolge einer Beteiligung rechtlich verbunden sind oder für die die hinweisgebende Person tätig ist oder mit denen sie in einem beruflichen Kontext anderweitig in Verbindung steht.“ 288 BT-Drs. 20/3442, S. 56 f., 93. 289 Auf diese Norm verweist der Gesetzgeber sogar selbst, vgl. BT-Drs. 20/3442, S. 56 f., 93; Schmidt schlägt in diesem Zusammenhang vor eine nicht abschließende Auflistung von Personen, die dem persönlichen Anwendungsbereich eines Umsetzungsgesetzes unterfallen, ins Gesetz aufzunehmen, vgl. Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 66. 290 Vgl. BT-Drs. 20/3442, S. 2, 33 f. 291 Zusätzlich spricht sich der Gesetzgeber für eine weite Auslegung der Norm aus, vgl. BT-Drs. 20/3442, S. 34, 57 ff.; Busch, wistra 2022, R8, R9; a. A. Thüsing/Musiol, BB 2022, 2420, 2422. 292 Diesen Umstand erkennt der Gesetzgeber (wohl) auch, vgl. BT-Drs. 20/3442, S. 58. 293 Ähnlich auch Dilling, CCZ 2022, 145, 146.
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zumindest teilweise durch das HinSchG-RegE ergänzt werden294, während § 5 HinSchG-RegE diverse Ausnahmen zur Beschränkung des Anwendungsbereichs enthält295. Der Gesetzgeber sollte an dieser Stelle nachbessern, um so eine einheitliche(re) Regelung zu schaffen, die sich stärker an den zuvor in diesem Kapitel aufgezeigten Überlegungen zu einer Art „Regel-Ausnahme-Verhältnis“ orientiert, und so für mehr Klarheit für Hinweisgeber zu sorgen. Gelungener erscheinen hingegen die Begriffsbestimmungen in § 3 HinSchGRegE.296 Dies gilt insbesondere für die Umsetzung des Verstoßbegriff in § 3 Abs. 2 HinSchG-RegE. Zwar verbleiben bei der Umsetzung von Art. 5 Nr. 1 Whistleblowing-RL keine echten Handlungsspielräume297, sodass die zuvor vorgebrachte Kritik an diesem kaum umgrenzten Merkmal hier erneut anzubringen ist. Hervorhebenswert sind indes die Bemühungen des Gesetzgebers durch Verweise auf einzelne Urteile des EuGH in der Gesetzesbegründung dem Begriff der Missbräuchlichkeit im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 2 HinSchG-RegE Konturen zu verleihen.298 Weitere Präzisierungen erscheinen jedoch nach wie vor wünschenswert und sollten bereits während des Gesetzgebungsverfahrens erfolgen.299 Die Regelungen des § 7 HinSchG-RegE erweist sich hingegen als geglückt. Sie muss gegen die Kritik aus dem Schrifttum, wonach das dort begründete Wahlrecht zwischen internen und externen Meldungen durch die gewählte Formulierung entwertet würde und der Gesetzgeber versuche, eine in der Richtlinie nicht angelegte Stufenfolge zu etablieren300, verteidigt werden. Bei genauer Lektüre von Absatz 1 der Vorschrift wird nämlich deutlich301, dass lediglich eine Klarstellung vorgenommen wird, wonach ein zunächst internes Vorgehen einer späteren externen Meldung nicht im Weg steht.302 Dennoch sollte der Gesetzgeber – im Einklang mit
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Vertiefend BT-Drs. 20/3442, S. 67 f. Vertiefend BT-Drs. 20/3442, S. 69 ff. 296 Vertiefend BT-Drs. 20/3442, S. 64 ff.; krit. Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 100 ff. 297 So auch Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 92. 298 Vgl. BT-Drs. 20/3442, S. 64 f. 299 Auch im Schrifttum wird an dieser Stelle die drohende Rechtsunsicherheit kritisiert, vgl. etwa Miege/Ahrens, CCZ 2022, 171, 174; Quast/Ohrloff, CCZ 2022, 303, 304; Thüsing, DB 2022, 1066, 1068; ders./Musiol, BB 2022, 2420, 2421 f. 300 So etwa bei Erlebach/Veljovic, KriPoZ 2021, 165, 166; Dilling, CCZ 2022, 145, 147; Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 130 f. 301 § 7 Abs. 1 HinSchG-RegE lautet wie folgt: „Personen, die beabsichtigen, Informationen über einen Verstoß zu melden, können wählen, ob sie sich an eine interne Meldestelle (§ 12) oder eine externe Meldestelle (§§ 19 bis 24) wenden. Wenn einem intern gemeldeten Verstoß nicht abgeholfen wurde, bleibt es der hinweisgebenden Person unbenommen, sich an eine externe Meldestelle zu wenden.“ 302 Vgl. auch BT-Drs. 20/3442, S. 35, 73; i. E. so (wohl) auch Quast/Ohrloff, CCZ 2022, 303, 305 f. 295
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den vorangegangenen Ausführungen in diesem Kapitel sowie dem Schrifttum303 – Anreize schaffen, um die interne Meldung im Verhältnis zur externen Meldung attraktiver zu gestalten. Erfreulich ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Gesetzgeber in § 32 HinSchG-RegE304 strenge Anforderungen für die Offenlegung normiert hat.305 Stark kritikwürdig ist wiederrum der im Hinblick auf den Schutz vor Repressalien gewählte Aufbauansatz. So wäre es besser gewesen, die § 6 Abs. 1 und 2 HinSchGRegE systematisch im Bereich der Schutzmaßnahmen im 4. Abschnitt des Gesetzes bei den §§ 33 – 35 HinSchG-RegE zu verorten, da sie ebenfalls Erlaubnissätze enthalten. Inhaltlich ist es dem Gesetzgeber bei der Schaffung dieses Abschnitts allerdings – weitgehend – gelungenen ein sinnvolles System zu schaffen. Diese Einschätzung wird auch im Schrifttum geteilt. So wird an dieser Stelle nicht ganz zu unrecht lobend hervorgehoben, dass es mittels der Begründung zu § 32 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG-RegE bzw. § 33 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG-RegE möglich sei, einen geeigneten Maßstab zur Bestimmung der Gutgläubigkeit des Whistleblowers zu etablieren, da der Gesetzgeber auf eine ex-ante-Betrachtung abstellt, bei der sich die Einschätzung des Hinweisgebers auf tatsächliche Anhaltspunkte stützen lässt.306 Positiv sind ferner die Bemühungen des Gesetzgebers zu werten, vor einer etwaigen Meldung Aufklärungsbemühungen des Hinweisgebers zu fordern.307 Wünschens-
303 So etwa bei Thüsing/Musiol, BB 2022, 2420, 2420 f. und Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 131 ff. 304 § 32 HinSchG-RegE lautet wie folgt: „§ 32 Offenlegen von Informationen (1) Personen, die Informationen über Verstöße offenlegen, fallen unter die Schutzmaßnahmen dieses Gesetzes, wenn sie 1. zunächst gemäß Abschnitt 2 Unterabschnitt 4 eine externe Meldung erstattet haben und a) hierauf innerhalb der Fristen für eine Rückmeldung nach § 28 Absatz 4 keine geeigneten Folgemaßnahmen nach § 29 ergriffen wurden oder b) sie keine Rückmeldung über das Ergreifen solcher Folgemaßnahmen erhalten haben oder 2. hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass a) der Verstoß wegen eines Notfalls, der Gefahr irreversibler Schäden oder vergleichbarer Umstände eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann, b) im Fall einer externen Meldung Repressalien zu befürchten sind oder c) Beweismittel unterdrückt oder vernichtet werden könnten, Absprachen zwischen der zuständigen externen Meldestelle und dem Urheber des Verstoßes bestehen könnten oder aufgrund sonstiger besonderer Umstände die Aussichten gering sind, dass die externe Meldestelle wirksame Folgemaßnahmen nach § 29 einleiten wird. (2) Das Offenlegen unrichtiger Informationen über Verstöße ist verboten.“ 305 So auch Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 146; vertiefend BT-Drs. 20/3442, S. 90 f. 306 Vgl. BT-Drs. 20/3442, S. 91 f.; Vitt, BB 2022, 1844, 1847; i. E. zustimmend Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 112. 307 BT-Drs. 20/3442, S. 92.
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wert wäre dabei allerdings ein strengerer Maßstab gewesen308, der sich an den zuvor an Hand des nationalen Strafrechts entwickelten Grundsätzen orientiert. Alternativ fordern beispielsweise Thüsing/Musiol höhere Anforderungen an Verdachtsmomente, wenn eine externe Meldung erfolgt, da dies mit weiterreichenden Konsequenzen für den Betroffenen einhergeht.309 Dagegen lässt sich allerdings einwenden, dass auf diese Weise durch die Hintertür eine Art Stufenfolge zwischen interner und externer Meldung etabliert würde, welche der Richtlinie gerade fremd ist. Weiter ist auszuführen, dass sich, anders als teilweise im Schrifttum vorgetragen, § 35 Abs. 2 HinSchG-RegE310 und Art. 21 Abs. 7 Whistleblowing-RL trotz der schlankeren Formulierung im Umsetzungsgesetz inhaltlich decken. Allein die fehlende, beispielhafte Aufzählung denkbarer Folgen einer Meldung oder Offenlegung führt gerade nicht zu einer Einschränkung des Schutzbereichs, sondern stellt lediglich eine Geschmacksfrage dar. Zudem führt der Gesetzgeber selbst aus, dass die Vorschrift der Umsetzung von Art. 21 Abs. 2 und 7 Whistleblowing-RL dient und insoweit mit § 6 Abs. 1, 2 HinSchG-RegE zusammenspielt, um einen umfassenden Schutz von Hinweisgebern zu gewährleisten.311 Mit § 35 Abs. 1 HinSchG-RegE wiederrum wird in schlüssiger Weise Art. 21 Abs. 3 Whistleblowing-RL umgesetzt.312 Weitere Ausführungen zum Regierungsentwurf müssen – wie eingangs ausgeführt – unterbleiben. Vielmehr ist abzuwarten, wann und in welcher Form der Gesetzgeber die Whistleblowing-RL nun ins nationale Recht umsetzt.
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So auch Thüsing/Musiol, BB 2022, 2420, 2421. So auch Thüsing/Musiol, BB 2022, 2420, 2421. 310 § 35 Abs. 2 HinSchG-RegE lautet wie folgt: „Eine hinweisgebende Person verletzt keine Offenlegungsbeschränkungen und kann nicht für die bei einer Meldung oder Offenlegung erfolgte Weitergabe von Informationen rechtlich verantwortlich gemacht werden, sofern sie hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die Weitergabe der Informationen erforderlich war, um einen Verstoß aufzudecken.“; a. A. Dilling, CCZ 2022, 145, 150. 311 BT-Drs. 20/3442, S. 71 f., 94. 312 I. E. so auch Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 180. 309
Teil 3
Strafrechtlicher Geschäftsgeheimnisschutz abseits des GeschGehG Zur Abrundung der vorangegangenen Untersuchung soll nunmehr festgestellt werden, ob sich die gewonnenen Erkenntnisse über den Umfang und die Grenzen des strafrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes auch abseits des GeschGehG im Kernund Nebenstrafrecht verwerten lassen. Zudem sind auch in diesem Kontext die zukünftigen Auswirkungen der Whistleblowing-RL darzustellen. Kapitel 10
Geschäftsgeheimnisbegriffe außerhalb des GeschGehG Um die aufgeworfenen Fragen zu beantworten, gilt es zu ermitteln, ob der Begriff des Geschäftsgeheimnisses abseits des GeschGehG durch den Erlass des GeschGehG mitsamt Legaldefinition einen Wandel erfahren hat. Dabei sind im Kernstrafrecht §§ 203, 204 und 355 StGB zu erwähnen, im Nebenstrafrecht vor allem § 120 BetrVG, § 404 AktG, § 151 GenG, § 19 PublG, § 85 GmbHG, § 315 UmwG und § 333 HGB.1 In der Literatur wird diesbezüglich in Frage gestellt, ob das GeschGehG eine hinreichende Klarstellung des normativen Regelungsumfangs für den Begriff des Geschäftsgeheimnisses mit sich bringt. Es sei vielmehr unklar, ob abseits des GeschGehG ein abweichendes Begriffsverständnis beizubehalten ist. Dieser Umstand wird kritisiert.2 Im Ergebnis wird eine einheitliche Begriffsbestimmung aber aufgrund von verschiedenen Argumenten überwiegend befürwortet.3 Diese Ansicht bedarf der genaueren Untersuchung. Die vorgetragene Kritik weist nämlich erhebliche Schwachpunkte auf. Eine Vielzahl von Normen des GeschGehG – wie etwa § 1 Abs. 2 GeschGehG – scheint der Annahme eines einheitlichen Regelungskonzeptes entgegenzustehen. Schließlich stellt auch das Strafrecht einen 1 Eine umfassende Darstellung findet sich etwa bei Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, Vor § 17 – 19 UWG Rn. 27 und Brockhaus, ZIS 2020, 102, 119. 2 So etwa Karthaus, NZA 2018, 1180, 1182 f.; Höfer, GmbHR 2018, 1195, 1197 f.; Naber/ Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 587. 3 Steinmann etwa fordert auch abseits des GeschGehG Art. 2 Nr. 1 Geschäftsgeheimnis-RL verpflichtend heranzuziehen, vgl. WRP 2019, 703, 709; a. A. Höfer, GmbHR 2018, 1195, 1197 f.; Römling, NVwZ 2022, 463, 465 f.
Kap. 10: Geschäftsgeheimnisbegriffe außerhalb des GeschGehG
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Bestandteil des öffentlichen Rechts dar.4 In der Gesetzesbegründung wird allerdings klargestellt, dass das GeschGehG die Rechtsverhältnisse zwischen privaten Akteuren betrifft, nicht aber zwischen Privaten und öffentlichen Stellen. In die letztere Kategorie fallen etwa „Informationsansprüche gegen staatliche Stellen, öffentlichrechtliche Vorschriften zur Geheimhaltung von Geschäftsgeheimnissen oder Verschwiegenheitspflichten für Angehörige des öffentlichen Dienstes.“5 Ebenfalls genannt werden „abweichende Definitionen für das Geschäftsgeheimnis in öffentlichrechtlichen Vorschriften“.6 Ebenfalls verdient der Hinweis auf die Erwägungsgründe [11]7, [18]8 Beachtung. Mithin sollte § 1 Abs. 2 GeschGehG dahingehend interpretiert werden, dass lediglich solche Vorschriften unberührt bleiben, die ähnlich wie 4
So auch Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 72. BT-Drs. 19/4724, S. 24. 6 BT-Drs. 19/4724, S. 24. 7 Erwägungsgrund [11] der Geschäftsgeheimnis-RL lautet wie folgt: „Diese Richtlinie sollte die Anwendung unionsweiter oder nationaler Rechtsvorschriften, nach denen Informationen, darunter Geschäftsgeheimnisse, gegenüber der Öffentlichkeit oder staatlichen Stellen offengelegt werden müssen, unberührt lassen. Ebenso sollte sie die Anwendung der Rechtsvorschriften unberührt lassen, nach denen es staatlichen Stellen gestattet ist, zur Erledigung ihrer Aufgaben Informationen zu erheben, oder der Rechtsvorschriften, nach denen diese staatlichen Stellen einschlägige Informationen an die Öffentlichkeit weitergeben dürfen oder müssen. Dazu gehören insbesondere Rechtsvorschriften über die Offenlegung geschäftsbezogener Informationen durch Organe und Einrichtungen der Union oder nationale Behörden, über die diese gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates (1), der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) sowie der Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (3) oder gemäß anderen Bestimmungen über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten oder über Transparenzverpflichtungen der nationalen Behörden verfügen.“. 8 Erwägungsgrund [18] der Geschäftsgeheimnis-RL lautet wie folgt: „Ferner sollten Erwerb, Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen immer dann, wenn sie rechtlich vorgeschrieben oder zulässig sind, als rechtmäßig im Sinne dieser Richtlinie gelten. Das betrifft insbesondere den Erwerb und die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen im Rahmen der Inanspruchnahme des Rechts der Arbeitnehmervertreter auf Information, Anhörung und Mitwirkung gemäß dem Unionsrecht und dem Recht oder den Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten sowie im Rahmen der kollektiven Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber einschließlich der Mitbestimmung und den Erwerb oder die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen im Rahmen von Pflichtprüfungen, die gemäß dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht durchgeführt werden. Allerdings sollte diese Einstufung des Erwerbs eines Geschäftsgeheimnisses als rechtmäßig die Geheimhaltungspflicht in Bezug auf das Geschäftsgeheimnis oder jegliche Beschränkung der Nutzung des Geschäftsgeheimnisses, die Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten dem Empfänger der Information auferlegen, unberührt lassen. Insbesondere sollte diese Richtlinie die Behörden nicht von ihrer Pflicht zur Geheimhaltung von Informationen, die ihnen von Inhabern von Geschäftsgeheimnissen übermittelt werden, entbinden, und zwar unabhängig davon, ob diese Pflichten in Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten festgelegt sind. Diese Geheimhaltungspflicht umfasst unter anderem die Pflichten im Zusammenhang mit Informationen, die öffentlichen Auftraggebern im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge übermittelt werden, wie sie beispielsweise in der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (1), der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (2) und der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (3) festgelegt sind.“. 5
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Teil 3: Strafrechtlicher Geschäftsgeheimnisschutz abseits des GeschGehG
Informationsansprüchen gezielt den Umgang mit Informationen betreffen.9 Es werden also nur Konstellationen erfasst, bei denen Staat und Bürger miteinander agieren. Dies gilt zunächst auch für das Strafrecht. Betrachtet man jedoch Straftatbestände, so wird in der Regel an die Verletzung einer primären Verhaltensnorm angeknüpft. Der Verstoß gegen eine solche Vorschrift bemisst sich traditionell nach einem abweichenden Verständnis und ist oftmals im Verhältnis zweier privater Akteure zu verorten. Dabei wird auf Grund des fragmentarischen Charakters des Strafrechts nur ein bestimmter Teil dieser Verstöße sanktioniert. Mithin liefert § 1 Abs. 2 GeschGehG kein zwingendes Argument gegen die Übertragung des Geschäftsgeheimnisbegriffs aus § 2 Nr. 1 GeschGehG.10 Bemerkenswert ist aber die jüngere Rechtsprechung des BVerwG im Zusammenhang mit dem Informationsfreiheitsrecht und diesbezüglichen Entscheidungen nach § 99 Abs. 1 S. 2 VwGO, wonach in Zukunft trotz § 1 Abs. 2 GeschGehG auf die Legaldefinition aus § 2 Nr. 1 GeschGehG zurückgegriffen wird.11 In einer späteren Entscheidung relativierte das Gericht diesen Ansatz jedoch wieder und zieht § 2 Nr. 1 GeschGehG nunmehr als Auslegungshilfe heran.12 Der BayVGH hat die Übertragung der Legaldefinition des Geschäftsgeheimnisbegriffs auf Art. 30 BayVwVfG noch offengelassen.13 Lediglich die unterinstanzlichen Gerichte tendieren im Hinblick auf § 9 UIG oder landesrechtlich ausgestaltete Informationsansprüche dazu, am bisherigen Begriffsverständnis festzuhalten.14 Im Zuge von Informationsbegehren im Rahmen des Dieselskandals hat in ähnlicher Weise auch das VG Berlin auf die bisherige Auslegung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen abgestellt.15 Dem wiederum ist Wiebe kritisch entgegengetreten, indem er einwendet, dass die Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 2 GeschGehG expressis verbis nur den Vorrang „abweichende Definitionen für das Geschäftsgeheimnis in öffentlichrechtlichen Vorschriften“ erkläre, sodass in allen anderen Fällen Raum zur Vereinheitlichung des Geheimnisbegriffs bestehe.16 Mithin kann die Rechtsprechung des BVerwG, an Wiebes Einwand anknüpfend, trotz ihrer verwaltungsrechtlichen und 9 Zustimmend Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 1 Rn. 7 – 8.1; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 1 GeschGehG Rn. 28 – 30. 10 I. d. S. ist (wohl) auch Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 1 GeschGehG Rn. 31. 11 BVerwG, Beschl. v. 05. 03. 2020 – 20 F 3/19, NVwZ 2020, 715 Rn. 11, 12, 16; BVerwG, Urt. v. 30. 01. 2020 – 10 C 18.19, BeckRS 2020, 9710 Rn. 24. 12 BVerwG, Beschl. v. 12. 02. 2021 – 20 F 1.20, BeckRS 2021, 7813 Rn. 19. 13 BayVGH, Beschl. v. 07. 01. 2020 – 8 ZB 18.1652 Rn. 22. 14 VG Schleswig, Urt. v. 25. 04. 2019 – 6 A 222/16, BeckRS 2019, 15456 Rn. 64; VG Stuttgart, Urt. v. 29. 10. 2020 – 14 K 2981/19, BeckRS 2020, 35538 Rn. 44. 15 VG Berlin, Beschl. v. 23. 09. 2019 – 27 L 98/19, BeckRS 2019, 24436 Rn. 127; ähnlich verhält es sich auch mit den seit Inkrafttreten ergangenen kartellrechtlichen Rechtsprechung des BGH, auch wenn bereits Verweise auf das GeschGehG erfolgen, vgl. BGH Beschl. v. 08. 10. 2019 – EnVR 12/18, BeckRS 2019, 36854 Rn. 20, 22 – Veröffentlichung von Daten II. 16 Wiebe, NVwZ 2019, 1705, 1706 mit Verweis auf BT-Drs. 19/4724, S. 24.
Kap. 10: Geschäftsgeheimnisbegriffe außerhalb des GeschGehG
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nicht strafrechtlichen Natur als Indiz für eine zukünftig kongruente Auslegung des Geschäftsgeheimnisbegriffes in der gesamten Rechtsordnung eingestuft werden. Neben § 1 Nr. 2 GeschGehG wird in der Literatur auch mit einem Umkehrschluss aus § 1 Abs. 3 Nr. 1 GeschGehG argumentiert, wonach dieser Vorschrift zu entnehmen sei, dass alle anderen Strafnormen am GeschGehG zu messen seien, weil es einer expliziten Klarstellung ansonsten nicht bedurft hätte und andere Straftatbestände bewusst nicht aufgezählt worden seien.17 Doch auch dieses Argument erweist sich bei näherer Betrachtung als Nebelkerze. Wie bereits erörtert weist § 203 StGB eine abweichende Schutzrichtung auf, die es erforderlich macht den Schutz illegaler Geheimnisse zu gewährleisten. Daher kann Brammsen zugestimmt werden, wenn dieser § 1 Abs. 3 Nr. 1 GeschGehG als deklaratorisch einstuft.18 Daraus aber den gegenteiligen Umkehrschluss zu ziehen und bei der Auslegung aller anderen geschäftsgeheimnisschützenden Straftatbeständen auf die Legaldefinition aus § 2 Nr. 1 GeschGehG zurückzugreifen, kann auch nicht ohne Weiteres überzeugen.19 In der Literatur wird zudem der deckungsgleiche Begriff im Sinne des Art. 2 Nr. 1 Geschäftsgeheimnis-RL herangezogen. Die angestrebte Harmonisierung dürfe nicht durch entgegenstehende (strafrechtliche) Vorschriften außerhalb des Umsetzungsgesetzes vereitelt werden.20 Doch auch dieser Einwand vermag nicht vollends zu überzeugen. Entgegen der von McGuire begründeten Auffassung, handelt es sich bei Art. 2 Nr. 1 Geschäftsgeheimnis-RL um eine mindestharmonisierende Richtlinienbestimmung.21 Daher besteht unter Wahrung der Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 UAbs. 1 Geschäftsgeheimnis-RL die Möglichkeit einen weitergehenden Schutz von Geschäftsgeheimnissen auch durch abweichende, weiterreichende Definitionen zu gewährleisten, sofern die aufgezeigten, zwingenden Grenzen Berücksichtigung finden. Ob dann allerdings echte Unterschiede im Schutzumfang verbleiben können, ist zu bezweifeln. Das letztlich entscheidende Gegenargument liefert § 2 GeschGehG. Dort finden sich nämlich die prägnanten Worte „[i]m Sinne dieses Gesetzes…“, die deutlich zum Ausdruck bringen, dass eine einheitliche Auslegung über das GeschGehG hinaus vom Gesetzgeber nicht zwingend beabsichtigt war.22 Etwas anderes kann sich aber in
17
Brockhaus, ZIS 2020, 102, 119. Brammsen, BB 2018, 2446, 2448. 19 So aber Brockhaus, ZIS 2020, 102, 119. 20 I. d. S. (wohl) auch Steinmann, WRP 2019, 703, 709; Wiebe, NVwZ 2019, 1705, 1706; zustimmend etwa Brockhaus, ZIS 2020, 102, 119; Müller, in: BeckOK GmbHG, § 85 Rn. 26c. 21 Siehe dazu erneut Kapitel 3 D.III. 22 KG, Beschl. v. 10. 11. 2020 – 6 W 1029/20, BeckRS 2020, 31170 Rn. 21; OLG Brandenburg, Beschl. v. 23. 06. 2021 – 11 W 4/21, BeckRS 2021, 23978 Rn. 11; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21. 09. 2021 – 15 W 6/21, GRUR 2022, 75 Rn. 13 – Gutachtenherausgabe; keine Anwendbarkeit auf den Bereich des Strafrechts etwa McGuire, in: Büscher, UWG, § 2 GeschGehG Rn. 2; Reinfeld, GeschGehG, § 1 Rn. 34, 59, 73. 18
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Teil 3: Strafrechtlicher Geschäftsgeheimnisschutz abseits des GeschGehG
Zukunft durch entsprechende Verweise auf diese Norm ergeben.23 Es wurde – soweit rechtlich möglich – der Rechtsprechung überlassen zu entscheiden, inwieweit eine Vereinheitlichung durch das GeschGehG erfolgen soll. Dabei gibt der Umstand, dass der Gesetzgeber es unterlassen hat andere Straftatbestände an die neue Terminologie anzupassen, einen Anlass dazu das Nebeneinander unterschiedlicher Geschäftsgeheimnisbegriffe – zumindest für eine gewisse Zeit – nicht für gänzlich verfehlt zu erachten. Einschränkend bleibt anzumerken, dass es ohne weiteres möglich ist die neuen Maßstäbe zur Anwendung zu bringen. Die dabei vernachlässigten Betriebsgeheimnisse können ohne Not ebenfalls unter die neue Legaldefinition subsumiert werden. Daher lässt sich die Frage in welchem Umfang § 2 Nr. 1 GeschGehG dennoch einen einheitlichen Standard begründen sollte, trotz der Fülle an Gegenargumenten und unabhängig von zukünftigen Rechtsänderungen eindeutig beantworten. Ein unnötiges Nebeneinander von Geschäftsgeheimnisbegriffen ist vor dem Hintergrund konsistenter Rechtsanwendung tunlichst zu vermeiden. Daher ist Literaturstimmen, die sich bei gleichlaufenden Normzweck auch außerhalb des GeschGehG für einen definitorischen Gleichlauf aussprechen, beizupflichten.24 Mithin sollte im Einzelfall anhand teleologischer, schutzgutsbezogener Erwägungen entschieden werden, ob eine hinreichende Vergleichbarkeit mit dem Schutz durch das GeschGehG besteht und somit auch ein Rückgriff angezeigt ist. In Bezug auf § 85 GmbHG zeichnet sich im Schrifttum bereits ab, dass der Geheimnisbegriff des § 2 Nr. 1 GeschGehG auf diese Vorschrift übertragen wird.25 Dabei wird neben den bereits vorgetragenen Argumenten zusätzlich auf die unterschiedlichen strafrechtlichen Ergebnisse, die beim Zusammenwirken eines GmbH-Geschäftsführers mit einem anderen Angestellten des gleichen Unternehmens ansonsten zu Tage gefördert würden, abgestellt. Die Gegenauffassung, wonach es widersprüchlich sei den Geheimnischarakter von Geheimhaltungsmaßnahmen abhängig zu machen, für deren Umsetzung der Geschäftsführer verantwortlich wäre, lässt sich hingegen relativ einfach entkräften.26 Vielmehr ist auf die teleologischen Hintergründe abzu23 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21. 09. 2021 – 15 W 6/21, GRUR 2022, 75 Rn. 13 – Gutachtenherausgabe: zustimmend Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 2 GeschGehG Rn. 7. 24 In diesem Sinne auch Goldhammer, der im Hinblick auf den Bereich der Informationsfreiheit von „originär öffentlich-rechtlichen Chancen“ durch die Neuregelung spricht, vgl. NVwZ 2017, 1809, 1814; Höfer, GmbHR 2018, 1195, 1197 f.; Wiebe, NVwZ 2019, 1705, 1706; für den Bereich des Vergaberechts, etwa Rosenkötter/Seeger, NZBau 2019, 619, 621; ähnlich Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 1 Rn. 9; ähnlich auch McGuire, in: FS HarteBavendamm, S. 367, 383; a. A. Römling, NVwZ 2022, 463, 465 f. 25 Zustimmend Beurskens, in: Noak/Servatius/Haas, GmbHG, § 85 Rn. 7; Müller, in: BeckOK GmbHG, § 85 Rn. 26c; Altmeppen, GmbHG, § 85 Rn. 5 ff.; a. A. Höfer hingegen ist einem solchen Vorgehen gegenüber ablehnend eingestellt, vgl. GmbHR 2018, 1195, 1197 f.; Drescher, Industrie- und Wirtschaftsspionage, S. 337; Hohmann, in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 85 GmbHG Rn. 12. 26 Drescher, Industrie- und Wirtschaftsspionage, S. 337.
Kap. 10: Geschäftsgeheimnisbegriffe außerhalb des GeschGehG
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stellen.27 Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass das Unterlassen angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen bereits für sich betrachtet eine Strafbarkeit nach § 266 Abs. 1 StGB nach sich ziehen kann.28 Folglich erscheint es weiterhin konsequent die parallel ausgestalteten Vorschriften, wie etwa § 404 AktG, § 151 GenG, § 19 PublG, § 315 UmwG oder auch § 333 HGB, – wie bisher – kongruent auszulegen.29 Eine gewisse Sonderstellung nehmen auf Grund der §§ 1 Abs. 3 Nr. 4, 3 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG die Vorschriften § 120 BetrVG i. V. m. § 79 BetrVG ein. Dennoch wird in der Literatur teilweise argumentiert, dass § 79 BetrVG auf Grund der fehlenden Legaldefinition mit einem (gedanklichen) Verweis auf § 2 Nr. 1 GeschGehG einheitlich auszulegen sei.30 Dies kann auch bei Berücksichtigung des hinzukommenden Erfordernisses angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen, welches bestimmte bisher erfasste Geheimnisse nunmehr ausklammert, nicht zwingend entkräftet werden. Durch § 3 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG sollen nämlich nur die Rechte der Arbeitnehmervertretung gewahrt oder erweitert werden, sodass es denkbar erscheint bei mangelnden Geheimhaltungsmaßnahmen auch den Schutz durch § 79 BetrVG entfallen zu lassen.31 Allerdings lässt sich dem GeschGehG nicht entnehmen, dass der Pflichtenkreis der Arbeitnehmervertretung beschnitten werden soll. Vielmehr deutet § 1 Abs. 3 Nr. 4 GeschGehG auf Willen des Gesetzgebers hin, das bisherige Regelungskonzept auf Grund der dahinterstehenden Wertungen unangetastet zu lassen.32 Unabhängig von der konkreten Auslegungsentscheidung werden nach dem Einfügen von § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG und den ansonsten zwingend zu ergreifenden Sicherungsmaßnahmen werden praktische Unterschiede allerdings kaum feststellbar sein.33 Daher erscheint es vertretbar mit einem zwingenden rechtlichen Gleichlauf für vollendete Kohärenz zu sorgen, auch wenn dazu keine dogmatische Notwendigkeit besteht. Eine Ausnahme ist nur bei § 203 StGB zwingend erforderlich. Die Vorschrift würde zwar auch bei fehlendem Schutz illegaler Geheimnisse nicht ihrer Funktion beraubt, weil der Schutz des Vertrauensverhältnisses als solchem davon unberührt bliebe. Um diesem Gedanken ein normatives Fundament zu verleihen, erschiene es 27
Müller, in: BeckOK GmbHG, § 85 Rn. 26c. Siehe dazu Kapitel 11. 29 Zustimmend im Hinblick auf § 404 AktG Hefendehl, in: BeckOGK, § 404 AktG Rn. 28 f.; Gerke/Stirner, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, § 85 GmbHG Rn. 11. 30 Fuhlrott, in: BeckOK GeschGehG, § 3 Rn. 25; Oltmanns/Fuhlrott, NZA 2019, 1384, 1386 f. 31 Fuhlrott, in: BeckOK GeschGehG, § 3 Rn. 26; Oltmanns/ders., NZA 2019, 1384, 1387. 32 Fuhlrott, in: BeckOK GeschGehG, § 3 Rn. 26 f., § 1 Rn. 46 ff.; Oltmanns/ders., NZA 2019, 1384, 1387; Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 3 Rn. 38; a. A. Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 353. 33 An dieser Stelle ist Karthaus zu erwähnen, welcher im Hinblick auf § 2 Nr. 1 GeschGehG-RegE noch hervorgehoben hat, dass es der neuen Legaldefinition an einem wertenden Korrektiv zur Beschränkung des Geschäftsgeheimnisschutzes auf Fälle in denen ein objektiv berechtigtes Geheimhaltungsinteresse des Geheimnisinhabers besteht fehlt und dieser daher weiter sei als § 79 BetrVG, vgl. NZA 2018, 1180, 1182 f. 28
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Teil 3: Strafrechtlicher Geschäftsgeheimnisschutz abseits des GeschGehG
denkbar auf das wertende Korrektiv des § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG – in umgekehrter Weise – zurückzugreifen. Es steht allerdings im Widerspruch zum Schutz der Interessen von Patienten oder Mandanten deren Geheimnisse der Unwägbarkeit der hinreichenden Sicherung durch die erfassten Berufsgeheimnisträger auszusetzen, sodass eine kohärente Auslegung an dieser Stelle abzulehnen ist. Überdies können in diesem Kontext Stimmen im Schrifttum nicht unerwähnt bleiben, die bereits frühzeitig auf die mangelnde Vergleichbarkeit der Strafnormen aus dem Gesellschaftsstrafrecht mit § 203 StGB hingewiesen haben.34 Kapitel 11
Untreue nach § 266 StGB als verkapptes Geschäftsgeheimnisschutzdelikt Anknüpfend an den wegen § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG35 fortan erforderlichen Geheimhaltungsmaßnahmen und des dadurch womöglich reduzierten Schutzniveaus, könnte nun aber die Untreue nach § 266 StGB eine Renaissance als (verkapptes) Geschäftsgeheimnisschutzdelikt erleben. Es stellt sich nämlich durchaus die Frage, ob das Unterlassen angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen neben dem möglichen Verlust der Geschäftsgeheimniseigenschaft und zivilrechtlichen Haftungsrisiken auch zur Strafbarkeit nach § 266 StGB führen kann.36 Mithin könnte sich die Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB mit ihren verschiedenen Tatbestandsvarianten37, erneut als „Allzweckwaffe“ des Wirtschaftsstrafrechts erweisen.38 Zur Verwirklichung des § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB ist es erforderlich, eine entsprechende Befugnis über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, zu missbrauchen, dabei eine Vermögensbetreuungspflicht zu verletzen und dadurch einen Vermögensnachteil herbeizuführen.39 Besagter Missbrauch setzt die wirksame Ausübung einer im Außenverhältnis bestehenden Vertretungsmacht 34
Aldoney Ramírez, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, S. 175 f. Siehe dazu erneut Kapitel 4 C.II.3. 36 Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1775; Fuhlrott, in: BeckOK GeschGehG, § 2 Rn. 21a; Arens, GWR 2019, 375, 376 f.; Bott/Kohlhof, in: Hoeren/Münker, GeschGehG, § 23 Rn. 8; bzgl. der überkommenen Rechtslage Bott, in: FS Wessing, S. 311, 318 ff. 37 Dabei wird der sogenannte Missbrauchstatbestand, § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB, überwiegend als lex specialis im Verhältnis zum Treubruchtatbestand, § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB, eingestuft, wobei ein gemeinsamer Unrechtskern besteht; BGHSt 24, 386 – Scheckkarten-Fall; BGHSt 33, 244, 250 – Kreditkarten-Fall; BGHSt 47, 187, 192 – Sponsoring; BGHSt 50, 331, 342 – Mannesmann; Fischer, StGB, § 266 Rn. 6a, 7 mit Verweis auf abweichende Ansichten und Schünemann, in: LK-StGB, § 266 Rn. 18 ff. jeweils m. w. N. 38 Diese treffende Charakterisierung des Untreuetatbestands findet sich bei Bott/Hiéramente, CCZ 2017, 125, 127. 39 Statt vieler Fischer, StGB, § 266 Rn. 9, 21, 24, 109 ff. und Schünemann, in: LK-StGB, § 266 Rn. 29 ff. jeweils m. w. N. 35
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voraus, während die im Innenverhältnis bestehenden Befugnisse überschritten wird.40 Mithin ist rechtsgeschäftliches Handeln erforderlich.41 Der Missbrauchstatbestand kann zwar durchaus auch durch Unterlassen verwirklicht werden, es ist aber eine rechtsgeschäftliche Wirkung des Unterlassens von Nöten.42 Tritt letztlich nur die gesetzliche Folge eines Unterlassens ein, ohne rechtsgeschäftliche Natur aufzuweisen, so bleibt nur Raum für den Treubruchtatbestand, wobei Detailfragen durchaus kontrovers diskutiert werden43 Folglich scheidet diese Tatbestandsvariante im Hinblick auf die hier im Vordergrund stehenden tatsächlich unterlassenen oder zumindest unzureichend umgesetzten Sicherungsmaßnahmen aus. Der Treubruchtatbestand aus § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB setzt wiederum voraus, dass der Täter eine ihm obliegende Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen verletzt und diesen dadurch Nachteil zufügt. Mithin sind also das Bestehen einer Vermögensbetreuungspflicht, eine Pflichtverletzung und ein kausaler Vermögensnachteil notwendig. Zur Wahrung des Bestimmtheitsgrundsatzes nach Art. 103 Abs. 2 GG – trotz der enormen inhaltlichen Weite des auf der tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeit fußenden Treubruchvariante – wurde durch die Rechtsprechung und vorherrschende Literatur herausgearbeitet, dass die Vermögensbetreuungspflicht besonders herausgehobener Natur sein muss.44 Es muss sich um eine Hauptpflicht, also um eine die Tätigkeit jedenfalls mitbestimmende, mit einem gewissen Ermessensspielraum versehene und nicht bloß untergeordnete Verpflichtung, handeln.45 Dabei sind vor dem Hintergrund dieser Untersuchung die für das Geschäftsgeheimnismanagement verantwortlichen Köpfe in einem Unternehmen von exponiertem Interesse. In der Regel wird es sich um die Verantwortlichen in der Compliance-Abteilung oder die geschäftsführenden Organe einer Gesellschaft handeln. Auch bei diesen Personengruppen ist zwar stets eine genaue Prüfung des 40 BGHSt 5, 61, 63; 50, 299, 313 – Kölner Müllskandal; BGHSt 50, 331, 342 – Mannesmann; Schünemann, in: LK-StGB, § 266 Rn. 47; Fischer, StGB, § 266 Rn. 28, 30; Dierlamm/ Becker, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 266 Rn. 138. 41 BGHSt 50, 299, 313 – Kölner Müllskandal; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17. 07. 1992 – 5 Ss 138/92 – 42/92I, wistra 1992, 354, 355; Fischer, StGB, § 266 Rn. 25, 30; Dierlamm/ Becker, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 266 Rn. 141. 42 Fischer, StGB, § 266 Rn. 32; Dierlamm/Becker, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 266 Rn. 143; abweichend Schünemann, in: LK-StGB, § 266 Rn. 54. 43 Eine eingehende Darstellung des Streitstands hat an dieser Stelle auf Grund des begrenzten Untersuchungsumfangs zu unterbleiben. Mithin bleibt in jedem Fall der Rückgriff auf den Treubruchtatbestand, § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB, vgl. vertiefend Dierlamm/Becker, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 266 Rn. 143 m. w. N. und Schünemann, in: LK-StGB, § 266 Rn. 54. 44 BVErfGE 126, 170 ff.; BGHSt 1, 186, 188; 4, 170, 172; 5, 61, 64; 6, 314, 318; 13, 315, 317; 13, 330, 332; 28, 20, 23; 33, 244, 250 f.; 35, 224, 226; 41, 224, 227 ff.; Fischer, StGB, § 266 Rn. 33 – 36a; Dierlamm/Becker, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 266 Rn. 11 f.; krit. Schünemann, in: LK-StGB, § 266 Rn. 28 ff. 45 BVErfGE 126, 170 ff.; BGHSt 1, 186, 188; 4, 170, 172; 13, 315, 317; 33, 244, 250 f.; 35, 224, 226; 41, 224, 227 ff.; statt vieler Dierlamm/Becker, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 266 Rn. 11, 41 ff. jeweils m. w. N.
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Teil 3: Strafrechtlicher Geschäftsgeheimnisschutz abseits des GeschGehG
Einzelfalls geboten, nichtsdestotrotz erscheint eine hinreichende gewichtige Vermögensbetreuungspflicht oftmals naheliegend.46 Zur Verletzung dieser Pflicht bedarf es, dass den auferlegten Verpflichtungen nicht oder in nicht ausreichendem Maße nachgegangen wurde.47 Allerdings reicht nicht jeder Verstoß aus. Vielmehr muss vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung ein evidenter respektive gravierender Verstoß vorliegen.48 Dieser kann sowohl rechtsgeschäftlicher als auch tatsächlicher Art sein.49 In der Folge kann eine Pflichtverletzung in Gestalt eines bloß tatsächlichen Unterlassens tatbestandsmäßig sein, wie etwa beim Nichtabwenden drohender Gefahren oder dem Unterlassen vorgeschriebener Risikovorsorgemaßnahmen.50 Damit kann letztlich auch die unzureichende Sicherstellung angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen im Sinne des § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG eine hinreichend gravierende Pflichtverletzung darstellen, wenn dadurch wichtige Geschäftsgeheimnisse ihren Schutz einbüßen.51 Damit bedarf es noch der Feststellung eines kausalen Vermögensnachteils, welcher nach vorherrschendem Verständnis dem Vermögensschaden bei § 263 StGB entspricht.52 Dabei gehören die betroffenen Geschäftsgeheimnisse – wie bereits dargestellt – zum geschützten Vermögen.53 Damit kann der Verlust der 46 Im Hinblick auf einen GmbH-Geschäftsführer ist dabei auf § 43 GeschGehG hinzuweisen, sodass das Bestehen einer Vermögensbetreuungspflicht dieser Personen in der Regel zu bejahen ist, vgl. BGHSt 55, 266 Rn. 27 ff.; Fischer, StGB, § 266 Rn. 48; Höfer, GmbHR 2018, 1195, 1196; Arens, GWR 2019, 375, 377; dies gilt auch – vor allem vor dem Hintergrund des § 93 AktG – für die Mitglieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft, vgl. BGHSt 47, 187, 192 ff. – Sponsoring; BGHSt 55, 266 Rn. 27 ff.; aktuell Esser, NZWiSt 2018, 201, 206; im Hinblick auf die Stellung des Compliance-Beauftragten gilt es BGHSt 54, 44 Rn. 23 ff. – Innenrevisionsleiter zu beachten. 47 Statt vieler Dierlamm/Becker, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 266 Rn. 176 und Fischer, StGB, § 266 Rn. 58 ff. jeweils m. w. N. 48 BVErfGE 126, 170, 210 f.; BGHSt 47, 187, 197 – Sponsoring; BGHSt 55, 288 Rn. 35 ff. – Fall Siemens; BGHSt 60, 94 Rn. 29 f. m. w. N. – Fraktionsgelder. 49 Dierlamm/Becker, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 266 Rn. 178. 50 Fischer, StGB, § 266 Rn. 55; umstritten ist an dieser Stelle allerdings, ob es eines Rückgriffs auf § 13 Abs. 1 StGB bedarf oder nicht, offengelassen von BGHSt 36, 227; daran anknüpfend stellt sich die Frage nach einer direkten oder analogen Anwendung von § 13 Abs. 2 StGB, vertiefend nur Schünemann, in: LK-StGB, § 266 Rn. 54, 108, 201 jeweils m. w. N. 51 Zustimmend Scherp/Rauhe, CB 2019, 50, 51; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1775; Arens, GWR 2019, 375, 377; Fuhlrott, in: BeckOK GeschGehG, § 2 Rn. 21a; im Hinblick auf die zivilrechtliche Verpflichtung zur Sicherung durch einen GmbH-Geschäftsführer bzw. AGVorstand so auch Höfer, GmbHR 2018, 1195, 1196 und Apel/Drescher/Lindner, BB 2022, 1795, 1799. 52 BVerfG NJW 2009 Rn. 21 ff.; BGHSt 40, 287, 294, 296; 43, 293, 297; 58, 205 Rn. 16 und aktuell BGH, Urt. v. 27. 07. 2017 – 3 StR 490/16, NStZ 2018, 105, 107 f.; Fischer, StGB, § 266 Rn. 109, 115 – 115c; Dierlamm/Becker, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 266 Rn. 222; vgl. auch BGHSt 44, 377, 384 – Fall Diestel. 53 Siehe dazu erneut Kapitel 5 H.II.2. und Kiethe/Groeschke, WRP 2005, 1358, 1366; Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 185, 191; Lutterbach, Whistleblowing, S. 88 f.; Tiedemann, in:
Kap. 12: Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes nach dem GeschGehG
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Geschäftsgeheimniseigenschaft auch einen Vermögensschaden begründen. Es kommt an dieser Stelle aber abweichend von den Anforderungen an § 2 Nr. 1 lit. a HS. 2 GeschGehG darauf an, einen Schaden konkret zu beziffern.54 Verfehlt erscheint es dagegen einen Vermögensschaden erst dann anzunehmen, wenn es in Folge unzureichender Sicherungsmaßnahmen zum Zugriff Dritter auf die Informationen kommt.55 Nicht zuletzt auf Grund des erforderlichen Unmittelbarkeitszusammenhangs zwischen der schädigenden Handlung und dem Vermögensnachteil ergibt sich nichts Abweichendes.56 Die Geschäftsgeheimniseigenschaft und damit letztlich auch der rechtliche Schutz einer Information als Geschäftsgeheimnis im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG steht und fällt nämlich bereits mit dem Fehlen eines Tatbestandsmerkmals. Im Ergebnis kann es daher bei unzureichenden Sicherungsmaßnahmen nicht auf eine womöglich dazukommende Offenkundigkeit auf Grund der Kenntnisnahme Dritter ankommen. Wie soeben kursorisch aufgezeigt wurde, kann sich die Untreue im Sinne des § 266 StGB durchaus erneut als „Allzweckwaffe“ erweisen und zeigt – die Verwirklichung des subjektiven Tatbestands vorausgesetzt – nun auch Qualitäten als eine Art Geschäftsgeheimnisschutzdelikt. Anders als bei den zuvor untersuchten Straftatbeständen aus § 23 GeschGehG kommt es dabei jedoch nicht auf den Abfluss geschützter Geschäftsgeheimnisse im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG an. Vielmehr kann an dieser Stelle der Verlust der Geschäftsgeheimniseigenschaft wegen unzureichender Compliance-Maßnahmen strafrechtlich sanktioniert werden. Kapitel 12
Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes nach dem GeschGehG als Grenzen in der gesamten Strafrechtsordnung Nachdem keine zwingende Pflicht besteht § 2 Nr. 1 GeschGehG außerhalb des GeschGehG heranzuziehen, gilt es zu untersuchen, ob die aufgezeigten Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes aus dem GeschGehG dennoch auf das übrige Strafrecht erstreckt werden können. Zu berücksichtigen ist auch, dass die besseren Argumente für eine freiwillige Erstreckung der neu geschaffenen Legaldefinition sprechen. Für LK-StGB, § 263 Rn. 143 f.; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 263, Rn. 235; Fischer, StGB, § 263 Rn. 95; Drescher, Industrie- und Wirtschaftsspionage, S. 342. 54 Zur Schadensfeststellung und Bezifferbarkeit BVErfGE 126, 170, 206 f., 211 f.; BGHSt 61, 48, 74 – Nürburgring; BGH, Beschl. v. 08. 06. 2011 – 3 StR 115/11, NStZ 2013, 37, 38; BGH, Beschl. v. 16. 08. 2016 – 4 StR 163/16, NJW 2016, 3253 Rn. 34 – Kassenarzt; Fischer, StGB, § 263 Rn. 114 m. w. N., 156 ff.; § 266 Rn. 115 – 115b, 150 ff. 55 So aber Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1775; zum Unmittelbarkeitszusammenhang nur Fischer, StGB, § 266 Rn. 166. 56 So aber Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1775.
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Teil 3: Strafrechtlicher Geschäftsgeheimnisschutz abseits des GeschGehG
diesen Fall erübrigt sich eine erneute Begutachtung der Strafbarkeitsrisiken für Whistleblower wegen Verstößen gegen Normen abseits des § 23 GeschGehG.
A. Erlaubte Formen des Handelns nach § 3 GeschGehG Für die Erlaubnissätze aus § 3 GeschGehG lässt sich bereits bei knapper Argumentation begründen, weshalb diese auch außerhalb des Geschäftsgeheimnisstrafrechts des § 23 GeschGehG zur Anwendung kommen. So lässt sich der Vorschrift keine Beschränkung aufs GeschGehG entnehmen. Vielmehr wird lediglich an der Erlangung, Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen angeknüpft, ohne dabei auf § 4 GeschGehG zu verweisen. Sollte ein Geschäftsgeheimnis im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG vorliegen, spricht bereits der weit gefasste Wortlaut des § 3 GeschGehG dafür, die darin aufgezeigten Grenzen zu berücksichtigen. Der Telos der einzelnen Vorschriften sowie praktische Erwägungen sprechen ebenso für dieses Ergebnis. Entgegenstehende Argumente ließen sich allenfalls aus dem Zusammenspiel mit dem im Anwendungsbereich eingeschränkten § 2 Nr. 1 GeschGehG („Im Sinne dieses Gesetzes“) herleiten. Wie zuvor aufgezeigt57 sprechen regelmäßig die besseren Gründe dafür diesen Passus bei der Auslegung anderer (strafrechtlicher) Vorschriften, die dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen dienen, außer Acht zu lassen. Zudem eröffnet § 3 Abs. 2 GeschGehG ein Einfallstor für andere Grenzziehungsvorschriften im Hinblick auf den (strafrechtlichen) Geschäftsgeheimnisschutz. Dieser Vorschrift bedarf es außerhalb des GeschGehG nicht, wenn die in Rede stehenden Normen bereits direkt anwendbar sind. Für alle anderen Vorschriften sollten auch hier im Sinne einer kohärenten Rechtsordnung argumentiert werden. Zusätzlich ist auf die Geschäftsgeheimnis-RL zu verweisen. Nach Art. 1 Abs. 1 UAbs. 1 Geschäftsgeheimnis-RL handelt es sich bei den Bestimmungen des Art. 3 Geschäftsgeheimnis-RL um vollharmonisierende Regelungen. Mithin muss der Gesetzgeber diesen durch die Umsetzungsvorschrift § 3 GeschGehG umfassende Geltung verschaffen, die durch Vorschriften außerhalb des Umsetzungsgesetzes nicht wieder ausgehöhlt werden darf.
B. Tatbestandsausnahmen nach § 5 GeschGehG Komplexer gestaltet sich die Beantwortung der Frage, ob und falls ja in welchem Umfang § 5 GeschGehG außerhalb des GeschGehG zur Anwendung kommen sollte. Im Schrifttum scheint die Beschränkung auf das GeschGehG nach der Anpassung des Wortlauts von § 5 GeschGehG-RegE hin zu § 5 GeschGehG durch die konkrete 57
Siehe dazu erneut Kapitel 10.
Kap. 12: Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes nach dem GeschGehG
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Inbezugnahme der Handlungsverbote aus § 4 GeschGehG vorherrschend zu sein.58 Ursprünglich wurde nämlich noch nicht explizit auf die Handlungsverbote des § 4 GeschGehG abgestellt, sondern folgende Formulierung gewählt, wonach „[die] Erlangung, die Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses […] gerechtfertigt [ist]“, während es nun heißt „Die Erlangung, Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses fällt nicht unter die Verbote des § 4 […].“ Dies vorangestellt, gilt es zu untersuchen, ob die im Schrifttum vorherrschende Auffassung zu überzeugen vermag. Dabei ist zunächst knapp § 34 StGB als allgemeine „Auffangregelung“ speziell im Hinblick auf das Whistleblowing darzustellen, um daran anknüpfend etwaige Unterschiede zwischen dem rechtfertigenden Notstand und der Tatbestandsausnahme aufzuzeigen und das Verhältnis dieser Vorschrift zu untersuchen. Im Anschluss daran sind die gewonnenen Erkenntnisse bei der Auseinandersetzung mit anderen zumindest mittelbar auch geschäftsgeheimnisschützenden Straftatbeständen zu verwerten.
I. § 5 GeschGehG und § 34 StGB Im überkommenen Geschäftsgeheimnisstrafrecht nach den §§ 17 – 19 UWG waren Geheimnisverletzungen zum Schutz konkurrierender Interessen nach überwiegendem Verständnis am Maßstab des § 34 StGB zu messen.59 Eine vergleichbare Grenze des Geheimnisschutzes wird nun durch § 5 GeschGehG gezogen. 1. Rechtfertigung von Whistleblowern nach § 34 StGB – bisheriger Stand der Forschung a) Rechtfertigung bei korrekter Sachverhaltskenntnis Wie angekündigt soll an dieser Stelle ein kurzer Überblick über den bisherigen Stand der Forschung gewährt werden. Voraussetzung für die Rechtfertigung nach § 34 StGB ist in objektiver Hinsicht das Vorliegen einer Notstandslage und die Vornahme einer Notstandshandlung, wobei eine Interessenabwägung und Angemessenheitsprüfung vorzunehmen ist. In subjektiver Hinsicht ist nach überwiegendem Verständnis zumindest Kenntnis der objektiven Rechtfertigungslage erforderlich.60 Unerheblich ist, wenn der Täter aus einem Motivbündel heraus handelt und etwaige eigene Vorteile im Sinn hat.61 58 Fuhlrott/Hiéramente, DB 2019, 967, 969; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 585; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 1 Rn. 10.1, 24; § 5 Rn. 8; Alexander, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 11; Erlebach/Veljovic, wistra 2020, 190, 192; Brammsen, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, § 5 Rn. 23. 59 Vgl. nur Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 59, 100 jeweils m. w. N. 60 Nur Fischer, StGB, § 34 Rn. 27 m. w. N.
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Teil 3: Strafrechtlicher Geschäftsgeheimnisschutz abseits des GeschGehG
Das Vorliegen einer Notstandslage setzt eine gegenwärtige Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut voraus. Von einer Gefahr ist dann die Rede, wenn auf Grund tatsächlicher Umstände die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines schädigenden Ereignisses für ein notstandsfähiges Rechtsgut besteht.62 Von der Gegenwärtigkeit der Gefahr ist auszugehen, wenn bei natürlichem Verlauf der Dinge alsbald oder jederzeit mit dem Eintritt des schädigenden Ereignisses zu rechnen ist.63 Dies gilt auch für Dauergefahren.64 Im konkreten Kontext wurde beim Whistleblowing wegen bereits abgeschlossener Vorgänge mit dem bloßen Zweck der Strafverfolgung teilweise bereits an dieser Stelle angezweifelt, ob eine Notstandslage besteht.65 Dem wurde aber die fortdauernde Beeinträchtigung der staatlichen Strafrechtspflege entgegengehalten.66 Es dürfe wertungsmäßig keinen Unterschied machen, ob ein abgeschlossener oder noch andauernder beziehungsweise zumindest erneut bevorstehender Vorgang aufgedeckt werde. Der Kreis notstandsfähiger Rechtsgüter sieht praktisch keine Einschränkungen vor. Mithin handelt es sich lediglich um eine beispielhafte Aufzählung.67 Umstritten und an dieser Stelle von herausragender Bedeutung ist allerdings, inwieweit Rechtsgüter des Staates, etwa das Interesse an Strafverfolgung und die Durchsetzung der Rechtsordnung, als notstandsfähige Rechtsgüter im Rahmen des § 34 StGB herangezogen werden können. Im Ergebnis werden diese Aspekte zutreffend als notstandsfähig eingeordnet.68 Nichtsdestotrotz muss die im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Fallkonstellationen vor allem angesichts des Whistleblowings geführte Diskussion kursorisch dargestellt werden. Zum Teil wurde die Notstandsfähigkeit gänzlich verneint mit dem Argument, dass verhindert werden müsse, durch § 34 StGB Privaten ein „Unrechtsverhinderungsrecht“ einzuräumen, wenn doch auf ein fein ausgestaltetes System behördlichen Handelns zurückgegriffen werden 61 Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1114 f.; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 83; Schenkel, Whistleblowing, S. 171; bei ausschließlich egoistischen Motiven Ignor/Jahn, JuS 2010, 390, 392. 62 BGHSt 48, 255, 258; vgl. etwa Fischer, StGB, § 34 Rn. 4. 63 BGHSt 5, 371, 373; 39, 133, 137; 48, 255, 258; BGH, Urt. v. 15. 05. 1979 – 1 StR 74/79, NJW 1979, 2053, 2054; BGH, Urt. v. 30. 06. 1988 – 1 StR 165/88, NJW 1989, 176; vgl. etwa Fischer, StGB, § 34 Rn. 7 f. m. w. N. 64 BGHSt 48, 255, 258; vgl. etwa Fischer, StGB, § 34 Rn. 8 m. w. N. 65 Brockhaus, JRE 26 (2018), 429, 435 f.; krit. Lutterbach, Whistleblowing, S. 96 f. 66 Späth, Rechtfertigungsgründe im Wirtschaftsstrafrecht, S. 385 f.; Schenkel, Whistleblowing, S. 147. 67 Statt vieler etwa Fischer, StGB, § 34 Rn. 5 m. w. N.; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 48, 49 jeweils m. w. N.; Lutterbach, Whistleblowing, S. 94; Schenkel, Whistleblowing, S. 141. 68 BGH, Urt. v. 13. 01. 1988 – 3 StR 450/87, NStZ 1988, 558, 558 f.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 25. 10. 2005 – III-5 Ss 63/05 – 33/05 I, NStZ 2006, 243, 244; vgl. etwa Fischer, StGB, § 34 Rn. 5 m. w. N.; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 49, 53; Erb, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 34 Rn. 72; krit. etwa Bock, ZStW 131 (2019), 555, 566 ff.
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kann.69 Ähnlich argumentiert etwa Sieber, indem er ausführt, dass zwar auch Rechtsgüter der Allgemeinheit und des Staates notstandsfähige Rechtsgüter darstellen, aber neben der Verhütung durch die Behörden kaum Raum für die Anwendung des § 34 StGB bestehen könne.70 Daneben gab es eine differenzierende Ansicht, die danach unterschieden hat, ob ein repressives oder ein präventives Anzeigeverhalten an den Tag gelegt wird. Dabei sollte es nach einer Ansicht an einem grundsätzlichen Bedürfnis fehlen, das staatliche Strafverfolgungsinteresse bei bereits abgeschlossenen Vorgängen anzuerkennen.71 Nur bei Wiederholungsgefahr, also einer erneuten Gefährdung eines anderen Rechtsguts könne auch dieses herangezogen werden.72 Es bestehe ansonsten das Risiko, letztlich jeden, abseits des nach § 127 StPO zulässigen Rahmens, zum „Ermittlungsgehilfen“ zu machen.73 Wieder andere Stimmen, die als vorherrschend eingestuft werden können, gingen davon aus, dass das Allgemeininteresse an staatlicher Strafverfolgung ein notstandsfähiges Rechtsgut darstellt.74 Nur durch die breite Anerkennung eines notstandsfähigen Rechtsguts des staatlichen Strafverfolgungsinteresse könne im Bereich der Wirtschaftskriminalität eine hinreichende Aufklärung gewährleistet werden.75 Allein bei lange zurückliegenden, bereits verjährten Delikten kann etwas anderes gelten.76 Im Hinblick auf die Notstandshandlung lässt sich festhalten, dass die Gefahr nicht anders abwendbar sein darf.77 Mithin muss diese geeignet und erforderlich sein.78 Dabei ist auch (anderweitige) rechtzeitige staatliche Abhilfe zu berücksichtigen.79 Das Whistleblowing stellt in diesem Kontext einen (notwendigen) Zwischenschritt für anschließende Handlungen dar, beseitigt die Gefahr aber nicht direkt.80 Dies führt
69
Breitenbach, Steuer-CDs, S. 210 m. w. N. Sieber, NJW 2008, 881, 884; ähnlich Bock, ZStW 131 (2019), 555, 567 ff.; vgl. auch BGHSt 61, 202 Rn. 12 f. 71 Koch, ZIS 2008, 500, 503; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, § 17 Rn. 47; Lutterbach, Whistleblowing, S. 112 f.; Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 60; ähnlich Späth, Rechtfertigungsgründe im Wirtschaftsstrafrecht, S. 386 f. 72 Lutterbach, Whistleblowing, S. 96; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 31. 73 Beckemper/Müller, ZJS 2010, 105, 111; Breitenbach, Steuer-CDs, S. 211; Schenkel, Whistleblowing, S. 142. 74 Späth, Rechtfertigungsgründe im Wirtschaftsstrafrecht, S. 385 f.; Schenkel, Whistleblowing, S. 141; Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 34 Rn. 11; einschränkend Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 31. 75 Schenkel, Whistleblowing, S. 147. 76 Schenkel, Whistleblowing, S. 147. 77 BGHSt 5, 371, 373; 18, 311; vgl. etwa Fischer, StGB, § 34 Rn. 9 ff. m. w. N. 78 BGHSt 2, 242, 245; 3, 7, 9; 18, 311; vgl. etwa Fischer, StGB, § 34 Rn. 9 ff. m. w. N. 79 BGHSt 39, 133, 137; vgl. etwa Fischer, StGB, § 34 Rn. 9a m. w. N. 80 Lutterbach, Whistleblowing, S. 97; Schenkel, Whistleblowing, S. 149. 70
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allerdings nicht zur fehlenden Eignung. Bei Mitteilungen gegenüber Pressevertretern oder der Öffentlichkeit wurden im Schrifttum indes Zweifel geäußert.81 Außerdem ist eine Interessenabwägung der kollidierenden Rechtsgüter erforderlich.82 An dieser Stelle kann zunächst auf die bereits dargestellten allgemeinen Abwägungsgrundsätze verwiesen werden. Vor dem Hintergrund des § 34 StGB ist grundsätzlich ein wesentliches Überwiegen des beeinträchtigten Rechtsguts vorauszusetzen. Der bisherige Diskussionsstand im Bereich des Whistleblowings verdeutlicht die Komplexität der Materie und hat im Einzelnen zu einer kaum mehr zu überblickenden Vielzahl von Ausdifferenzierungen geführt hat, die hier – auf Grund ihrer primär rechtshistorischen Natur – nur noch exemplarisch erwähnt werden sollen. So führten Ignor/Jahn in diesem Zusammenhang aus, dass rein utilitaristische Argumente, wie etwa die zahlenmäßige Abwägung entstehender und abwendbarer Schäden bei der Interessenabwägung im Rahmen des § 34 S. 1 StGB außen vor bleiben müssen, jedenfalls aber durch die Angemessenheitsklausel des § 34 S. 2 StGB ausgeschlossen seien.83 Erb trug vor, dass es sich beim Whistleblowing um einen Fall des Defensivnotstands nach dem Rechtsgedanken des § 228 BGB handele.84 Insoweit verschiebe sich der Maßstab der Interessenabwägung in erheblichem Maße zu Lasten des beeinträchtigten Interesses am Schutz des Unternehmensgeheimnisses.85 Die beeinträchtigten Interessen des Betroffenen sind, zumindest nach der Auffassung von Erb und Späth, letztlich gar nicht oder jedenfalls, wenn man ihnen die Eigenschaft als Tatobjekt zugesteht, nur von vernachlässigbarer Schutzbedürftigkeit.86 Insbesondere könne die Höhe etwaiger finanzieller Einbußen konsequenterweise nicht vorgebracht werden.87 Daneben ließen seine Ausführungen eine Einschränkung der Rechtfertigung auf Fälle der Mitteilung gegenüber zuständigen Behörden erkennen.88 Die Gegenauffassung betonte – jedenfalls bei im Ausland zulässigen Praktiken, welche nur im Inland verboten sind – das Vorliegen eines Aggressivnotstands.89 Demnach sei der Abwägungsmaßstab zu verschieben,
81
S. 97.
Nur Schenkel, Whistleblowing, S. 154 f. m. w. N.; a. A. Lutterbach, Whistleblowing,
82 Instruktiv statt vieler Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 65 ff. und Erb, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 34 Rn. 130 ff. jeweils m. w. N. 83 Ignor/ders., JuS 2010, 390, 392; so auch Breitenbach, Steuer-CDs, S. 215. 84 Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1112 f.; zustimmend Späth, Rechtfertigungsgründe im Wirtschaftsstrafrecht, S. 389; Brockhaus, JRE 26 (2018), 429, 453; Soppa, Strafbarkeit des Whistleblowers, S. 149 f.; Schenkel, Whistleblowing, S. 159. 85 Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1113. 86 Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1113 f.; so auch Späth, Rechtfertigungsgründe im Wirtschaftsstrafrecht, S. 389. 87 Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1113; Breitenbach, Steuer-CDs, S. 215. 88 Erb, in: FS Roxin II, S. 1103, 1114. 89 Pawlik, JZ 2010, 693, 698; Breitenbach, Steuer-CDs, S. 219 m. w. N.
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weil es streng genommen an einer pflichtwidrigen Handlung fehle.90 Generell wurde ausgeführt, dass der Verteidigung von Rechtsgütern der Allgemeinheit oft nur ein geringes Gewicht beigemessen werden könne. Es wurde vorgetragen, die Wahrung des staatliche Gewaltmonopols stelle einen wesentlichen Faktor für den gesellschaftlichen Frieden dar, sodass die Interessenabwägung in der Regel zulasten des privaten Schutzes von Allgemeinrechtsgütern ausfalle.91 Dem wiederum war Schenkels Ansicht entgegenzuhalten, wonach auch diese Interessen von erheblicher Bedeutung und damit abwägungsentscheidend sein können.92 Trotz aller Differenzierungen stellt man nach überwiegendem Verständnis auf das bereits aufgezeigte, gestufte Vorgehen beim Whistleblowing ab, um auf diese Weise ausdifferenzierte Ergebnisse zu Tage zu fördern.93 Abschließend soll die an die Interessenabwägung anschließende Angemessenheitsprüfung nach § 34 S. 2 StGB nicht unerwähnt bleiben. Im Einzelnen ist dabei vieles umstritten.94 Teilweise wird der Prüfung keine eigenständige Bedeutung beigemessen.95 Nach anderer Ansicht wird diese als zweite Wertungskontrolle nach der Interessenabwägung eingestuft.96 Für den Bereich des Whistleblowings indes wurde dieser Klausel keine wesentliche Bedeutung beigemessen.97 b) Irrtumsfolgen beim bloß gutgläubigen Whistleblowing Da Whistleblowern oftmals nur unzureichende Möglichkeiten zur Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung stehen, besteht ein erhebliches Risiko für Irrtümer in tatsächlicher Hinsicht. In der Konsequenz folgte daraus ein Erlaubnistatbestandsirrtum, welcher bloß Raum für die Bestrafung für die fahrlässigen Fehleinschätzungen der Situation ließ. Mangels ausdrücklicher Normierung – § 15 StGB – war die Folge die Straflosigkeit.98 Lag hingegen ein rechtlicher Irrtum vor, war die Lösung nach § 17 StGB auf Ebene der Schuld zu suchen.99 90
Breitenbach, Steuer-CDs, S. 219 m. w. N. Bock, ZStW 131 (2019), 555, 570 ff. m. w. N. 92 Schenkel, Whistleblowing, S. 142 ff., 167. 93 Vgl. etwa statt vieler Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 17 Rn. 30 m. w. N.; Schenkel, Whistleblowing, S. 150 ff.; siehe zum gestuften Vorgehen erneut Kapitel 9 A.II.1. 94 Instruktiv statt vieler Erb, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 34 Rn. 241 ff. m. w. N. 95 Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 154 ff.; Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 34 Rn. 46. 96 Vgl. etwa Fischer, StGB, § 34 Rn. 24 ff. m. w. N.; Erb, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 34 Rn. 243 f.; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 118 ff. 97 Lutterbach, Whistleblowing, S. 118; Schenkel, Whistleblowing, S. 171; Späth etwa diskutiert einen Ausschluss nach § 34 S. 2 StGB im Kontext mit dem Ankauf von Steuer-CDs und damit im Zusammenhang stehendem Whistleblowing. Im Ergebnis verneint dieser eine etwaige Einschränkung ebenfalls; vgl. Rechtfertigungsgründe im Wirtschaftsstrafrecht, S. 394 f. m. w. N. 98 Lutterbach, Whistleblowing, S. 131 f. m. w. N. zu dessen rechtlicher Einordnung; Schenkel, Whistleblowing, S. 148. 91
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2. Unterschiede zwischen § 34 StGB und § 5 GeschGehG Vergleicht man die herausgearbeiteten Tatbestandsvoraussetzungen von § 34 StGB und § 5 GeschGehG im Einzelnen, können folgende Feststellungen getroffen werden. Die enorme Bandbreite an notstandsfähigen Rechtsgütern findet ihr Spiegelbild in der aufgezeigten Fülle an schutzfähigen Interessen in § 5 GeschGehG. So wurde aufgezeigt, dass der Begriff des berechtigten Interesses ebenfalls sehr weit auszulegen ist und eine Beschränkung, ähnlich wie bei § 34 StGB, kaum auszumachen ist. Durch § 5 Nr. 2 GeschGehG werden jedenfalls Rechtsgüter der Allgemeinheit geschützt. Im Bereich des sonstigen Fehlverhaltens bleibt aber unklar, worin genau dieses Interesse besteht. Folglich ließe sich an dieser Stelle sogar eine Ausweitung der schützenswerten Interessen begründen. Allerdings sollte dort eine äußerst restriktive Handhabung an den Tag gelegt werden, sodass sich diese Abweichung relativieren lässt. Mithin ist an dieser Stelle zumindest nach vorzugswürdigem Verständnis keine unterschiedliche Reichweite der Straffreistellungsgründe auszumachen. Folgt man einer abweichenden Auffassung ergibt sich hingegen eine Ausweitung. Weder der Begriff der Gefahr noch die Gegenwärtigkeit werden in § 5 GeschGehG expressis verbis erwähnt. Wie sich aber leicht aufzeigen lässt, sind diese Merkmale in der erforderlichen Interessenabwägung zu berücksichtigen. Diese setzt gegenläufige Interessen voraus. Das ist allerdings nur dann denkbar, wenn auf beiden Seiten der Waagschale eine Beeinträchtigung derselben auszumachen ist. Konkreter lässt sich dies anhand des § 5 Nr. 2 GeschGehG verdeutlichen. So geht mit den rechtswidrigen Handlungen und dem beruflichen Fehlverhalten stets zugleich eine Beeinträchtigung rechtlich schützenswerter Interessen einher. Die Gegenwärtigkeit einer Beeinträchtigung ist im Rahmen der Interessenabwägung ebenfalls zu beachten, obgleich als weniger deutlich abgegrenzter Faktor. Folglich könnte sich behaupten lassen, an dieser Stelle habe eine Ausweitung der Straffreistellung stattgefunden. Allerdings ist zu berücksichtigenden, dass auch im Bereich des § 34 StGB kein allzu strenges Begriffsverständnis vorherrscht. Bezieht man diesen Maßstab in die Interessenabwägung bei § 5 GeschGehG mit ein, wird deutlich, dass auch an dieser Stelle keine echten Unterschiede bestehen. Im Bereich etwaiger Notstandshandlungen wiederum lässt sich ein scheinbarer Unterschied aufzeigen. So knüpft § 5 GeschGehG explizit an der Erlangung, Nutzung oder Offenlegung entgegen § 4 GeschGehG an, während § 34 StGB keine Einschränkungen vorsieht. Doch auch dies relativiert sich schnell. Denn auch die im Raum stehenden Straftatbestände beziehen sich auf die Verbote aus § 4 GeschGehG. Bei der Interessenabwägung als solcher lässt sich ein direkter und umfassender Vergleich schwer bewerkstelligen. Das wesentliche Überwiegen, wie es in § 34 S. 1 StGB vorgesehen ist, findet in § 5 GeschGehG keinen zwingenden Nieder99
Lutterbach, Whistleblowing, S. 132; Schenkel, Whistleblowing, S. 189 ff.
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schlag. Demnach ließe sich behaupten, dass die Anforderungen an die Straffreistellung gelockert wurden. Im Ergebnis ergeben sich aufgrund der bei der Abwägung zu berücksichtigenden verfassungsrechtlichen Wertungen aber keine Abweichungen. Die Angemessenheitsprüfung hat indes kein direktes Pedant in § 5 GeschGehG gefunden. Räumt man § 34 S. 2 StGB im Einklang mit einem großen Teil des Schrifttums abseits der Interessenabwägung keine eigenständige Bedeutung ein, relativiert sich auch dieser Einwand schnell. Der Ausschluss einzelner Fallgruppen, wie ihn die Gegenauffassung vorsieht, ist zwar nicht erforderlich, ließe sich aber genauso in die Interessenabwägung integrieren. Im Ergebnis ist es auch nicht zur Neubewertung der Irrtumsfolgen gekommen. Es liegt bei tatsächlichen Fehleinschätzungen nun zwar kein Erlaubnistatbestandsirrtum mehr vor, sondern ein Tatbestandsirrtum im Sinne des § 16 StGB vor. Die Rechtsfolgen bleiben aber faktisch unverändert. Im Hinblick auf § 17 StGB sind gar keine Abweichungen ersichtlich. 3. Verhältnis von § 34 StGB zu § 5 GeschGehG Einleitend ist zu dieser Fragestellung kurz auf die Positionen im Schrifttum einzugehen. So sehen einige Stimmen in der Literatur aufgrund der großen Reichweite des § 5 Nr. 2 GeschGehG keinen Raum mehr für das Eingreifen von § 34 StGB.100 Andere halten ein Nebeneinander dieser Vorschriften für unwahrscheinlich, aber denkbar.101 Mithin ist zu erkennen, dass § 34 StGB eine schwindende Bedeutung zugesprochen wird. Unbeantwortet bleibt bei diesen eher von rechtstatsächlichen Annahmen geprägten Stellungnahmen aber die Frage, ob nicht bereits die Anwendbarkeit des § 34 StGB auf der Strecke bleiben wird. Würde es sich bei § 5 GeschGehG nach wie vor um einen Rechtfertigungsgrund handeln, könnte man an dieser Stelle wohl knapp feststellen, dass es sich bei der Norm im Verhältnis zu § 34 StGB um das speziellere Gesetz handelt und daher als lex specialis den Vorrang genießt.102 Allerdings kommt es an dieser Stelle nach überwiegendem Verständnis nicht zu einem generellen Ausschluss des allgemeineren § 34 StGB, vielmehr kommt es auf das Vorliegen einer ansonsten abschließenden Regelung an.103 In die verabschiedete Gesetzesfassung hat aber eine Tatbestandsausnahme Einzug gefunden. Damit können diese Erwägungen jedenfalls nicht 100
Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 335; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 112. Schenkel, Whistleblowing, S. 284; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 23 GeschGehG Rn. 49; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 23 Rn. 56; HarteBavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 23 Rn. 31. 102 Zum umstrittenen Konkurrenzverhältnis von § 34 StGB zu anderen Rechtfertigungsgründen, vgl. instruktiv Thiel, Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen, S. 35 ff., 51 f.; Fischer, StGB, § 34 Rn. 33; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 13, 18. 103 Thiel, Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen, S. 195 ff.; Fischer, StGB, § 34 Rn. 2, 35; Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 34 Rn. 6; Erb, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 34 Rn. 23 – 27; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 21 – 24. 101
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Teil 3: Strafrechtlicher Geschäftsgeheimnisschutz abseits des GeschGehG
pauschal übertragen werden. Vielmehr ist für die Beurteilung etwaiger Rückgriffsmöglichkeiten auf § 34 StGB zuerst auf die den Regelungen zugrunde liegenden Funktionen abzustellen. § 5 GeschGehG ist vom Gedanken getragen, dass der Schutz von Geschäftsgeheimnissen, ebenso wie der Schutz anderer Rechtsgüter, nicht absolut ausgestaltet sein darf.104 Es sollen und müssen an dieser Stelle auch – vor allem – gemeinwohlorientierte Interessen Berücksichtigung finden können, was letztlich dem Ausgleich widerstreitender grundrechtlich geschützter Rechtspositionen dient.105 Ähnlich lässt sich Erwägungsgrund [21]106 der Geschäftsgeheimnis-RL interpretieren. Im Hinblick auf die Vorschrift des Kernstrafrechts – § 34 StGB – ist deren genaue Funktion dogmatisch umstrittener.107 Gleichwohl kristallisiert sich heraus, dass Rechtsgüter nicht ohne Weiteres schrankenlos Schutz genießen können.108 Im Gegenteil erfordert das menschliche und damit auch gesellschaftliche Zusammenleben ein gewisses Maß an Solidarität.109 Aus diesem Grund sind gewisse Eingriffe in eigene Rechtspositionen zu erdulden, sofern dadurch ein größeres Übel abgewendet wird und keine unbilligen Härten zu Tage gefördert werden.110 Dies vorangestellt wird deutlich, dass unverkennbare Parallelen zwischen den Vorschriften bestehen. Beide Regelungen dienen dem angemessenen Ausgleich widerstreitender Interessen im Kollisionsfall. Im Verhältnis zu anderen Notstandsoder notstandsähnlichen Regelungen, welche erst auf Ebene der Rechtswidrigkeit 104
BT-Drs. 19/4724, S. 28. Zustimmend Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 8. 106 Erwägungsgrund [21] der Geschäftsgeheimnis-RL lautet wie folgt: „Im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sollten die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen darauf zugeschnitten sein, das Ziel eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts für Forschung und Innovation zu erreichen, indem sie insbesondere vor dem rechtswidrigen Erwerb und der rechtswidrigen Nutzung und Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses abschrecken. Eine solche Zuschneidung dieser Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe sollte die Grundrechte und Grundfreiheiten oder das Gemeinwohl, etwa die öffentliche Sicherheit, den Verbraucherschutz, die öffentliche Gesundheit und den Umweltschutz, nicht gefährden oder untergraben und die Mobilität der Arbeitnehmer nicht beeinträchtigen. Deshalb bezwecken die in dieser Richtlinie festgelegten Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe zu gewährleisten, dass die zuständigen Gerichte Faktoren wie dem Wert eines Geschäftsgeheimnisses, der Schwere des Verhaltens, das zum rechtswidrigen Erwerb oder zur rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung geführt hat, sowie den Auswirkungen dieses Verhaltens Rechnung tragen. Auch sollte sichergestellt sein, dass die zuständigen Gerichte über das Ermessen verfügen, die Interessen der an einem Rechtsstreit beteiligten Parteien und die Interessen Dritter, gegebenenfalls auch der Verbraucher, gegeneinander abzuwägen.“ 107 Zum Meinungsstand nur Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 4 – 9 jeweils m. w. N. 108 Erb, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 34 Rn. 10. 109 Erb, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 34 Rn. 10; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 9a, 9b m. w. N.; andere Autoren stellen einen utilitaristischen Gedanken und die damit verbundene Frage nach dem gesamtgesellschaftlichen Nutzen einer Handlung in den Vordergrund, vgl. etwa Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 8, 9 m. w. N. 110 Erb, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 34 Rn. 10. 105
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von Relevanz werden, besteht damit kein sich aufdrängender, zwingender teleologischer Unterschied zu § 5 GeschGehG. Zwar mag es auf den ersten Blick kontraintuitiv erscheinen von einem Mindestmaß an Solidarität zwischen einem potenziellen Geheimnisverletzer und Geheimnisinhaber zu sprechen, doch letztlich stößt man auch an dieser Stelle auf die dem § 34 StGB zu Grunde liegenden gesellschaftlichen Wertungen. Mithin verhält es sich mit dieser Konstellation im Grunde nicht anders als bei anderen Straftaten, wie etwa einer Körperverletzung oder Sachbeschädigung zur Abwendung einer Gefahrensituation. Denn auch in diesen Fällen müssen widerstreitende Interessenpositionen im Hinblick auf das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben in Ausgleich gebracht werden. Daher erscheint es sogar angezeigt, § 5 GeschGehG als eine notstandsähnliche Konstellation einzuordnen. Dies gilt selbst dann, wenn keine Rechtsgüter des potenziellen Geheimnisverletzers betroffen sind. Der rechtfertigende Notstand greift ebenso ein, wenn es um den Schutz der Rechtsgüter Dritter oder solcher der Allgemeinheit geht. Somit spricht viel dafür, trotz des unterschiedlichen Prüfungsstandorts von den allgemeinen Konkurrenzerwägungen – hier also den lex specialis derogat lex generalis-Grundsatz – auszugehen. Noch nicht geklärt ist, ob § 5 GeschGehG sodann abschließende Wirkung entfaltet. Sofern man diese Frage bejaht, besteht kein Raum für § 34 StGB. Vielmehr tritt bei Normen wie § 218a Abs. 2 StGB nach überwiegendem Verständnis eine eingeschränkte Sperrwirkung ein.111 Bei dieser Vorschrift handelt es sich nach vorherrschender Auffassung im Schrifttum letztlich um ein vorweggenommenes Abwägungsergebnis im Rahmen einer Interessenkollision und nicht um bloße Regelbeispiele.112 Nach einer Gegenauffassung steht dieser Beurteilung der umfassende Lebensschutz entgegen, der eine Abwägung „Leben gegen Leben“ im Rahmen des § 34 StGB verbietet.113 Nichtsdestotrotz ist nach dieser Ansicht in bestimmten Ausnahmefällen trotz § 218a Abs. 2 StGB auch § 34 StGB anwendbar.114 Nach der herrschenden Auffassung kann § 34 StGB hingegen nur neben den von § 218a Abs. 2 StGB erfassten Fällen eingreifen.115 111
Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 12; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 123; Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 34 Rn. 6; Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, § 218 Rn. 37; Erb, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 34 Rn. 24; a. A. Merkel, in: NK-StGB, § 218a Rn. 79, 136 – 140; ähnlich (wohl) auch BayObLGSt 1990, 44, 57 ff.; interessant ist dabei, dass diese Vorschrift aus dem früheren übergesetzlichen Notstand entstanden ist, der zuvor schon die Grundlage für § 34 StGB bildete, vgl. dazu nur BGHSt 38, 144, 158 und Merkel, in: NK-StGB, § 218a Rn. 77 jeweils m. w. N. 112 Gropp/Wörner, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 218 Rn. 29 und § 218a Rn. 36, aber krit. in Rn. 37; Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, § 218 Rn. 37 und § 218a Rn. 21 f., 24; a. A. Merkel, in: NK-StGB, § 218a Rn. 78. 113 Dazu etwa Merkel, in: NK-StGB, § 218a Rn. 78. 114 Dazu etwa Merkel, in: NK-StGB, § 218a Rn. 139 f. 115 Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 123; Gropp/Wörner, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 218 Rn. 30; Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, § 218 Rn. 37; Erb, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 34 Rn. 24.
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Überträgt man diese Erwägungen auf § 5 GeschGehG wird folgendes deutlich: Bei den benannten Fällen des § 5 Nr. 1 – 3 GeschGehG kann es sich nicht um vorweggenommene Abwägungsergebnisse handeln. Dieser Aspekt streitet womöglich für die Gegenauffassung. Diese weisen auch keinen abschließenden Charakter auf, mithin zeigt das Wort insbesondere die generalklauselartige Struktur der Vorschrift sehr deutlich. Dieser Umstand führt nun aber durch die damit einhergehende Spannbreite dazu, dass es sich bei § 5 GeschGehG letztlich um eine für den Bereich von Geschäftsgeheimnisverletzungen im Sinne des § 4 GeschGehG abschließende Regelung handelt. Für besondere Notlagen, die einen Rückgriff auf § 34 StGB notwendig erscheinen lassen könnten, ist in der Folge nämlich keine Schutzlücke für die betroffenen Personen erkennbar. Nach alledem sprechen die besseren Gründe dafür § 5 GeschGehG als abschließende Regelung einzuordnen und gegenüber § 34 StGB eine Sperrwirkung beizumessen. Etwas anderes mag allerdings auf Grund des unterschiedlichen Prüfungsstandorts vertretbar bleiben, bedürfte dann aber zusätzlicher Gegenargumente. Dieser würde sich allerdings überhaupt nur dann auswirken können, wenn in rechtstatsächlicher Hinsicht unterschiedliche Ergebnisse zu Tage gefördert worden wären. 4. Fazit Wie aufgezeigt wurde, ergeben sich durch die Normierung des § 5 GeschGehG nach dem hier vertretenen Verständnis keine erwähnenswerten Unterschiede im Vergleich zur bisherigen Anwendung des § 34 StGB.116 Mithin kann der Literatur insoweit beigepflichtet werden, dass auf Grund der enormen Bandbreite (auch) faktisch kaum mehr ein Anwendungsbereich für den Rechtfertigungsgrund aus dem StGB für Verstöße gegen § 23 GeschGehG erkennbar ist. Vielmehr werden die schon bisher diskutierten Fragestellungen nun auf Ebene des Tatbestands zu beantworten sein. Ein Novum, ohne eigenständige inhaltliche Bedeutung, stellt die Normierung der benannten Fälle dar. Diese geben dem Rechtsanwender in bestimmten Konstellationen einen mehr oder weniger konkretisierten Fahrplan an die Hand.117 Durch die teilweise unklare Formulierung wird dieser Vorteil allerdings stellenweise wieder nivelliert.
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Mithin scheint sich die von Gerdemann – unabhängig vom Strafrecht und § 34 StGB – aufgestellte These, wonach Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL lediglich dazu dient, das bestehende Schutzniveau für Whistleblower in den Mitgliedstaaten zu erhalten, aber nicht zwingend zu erhöhen, jedenfalls in Deutschland als – mindestens teilweise – zutreffend zu erweisen, vgl. NZA-Beilage 2020, 43, 45. 117 Insoweit ist der Gesetzgeber dem von Brockhaus aufgestellten abwägungsskeptischen Postulat gerecht geworden, wonach eine Norm, welche eine Interessenabwägung konkretisierende Merkmale enthält, einer Norm ohne entsprechende Konkretisierungen vorzuziehen ist, vgl. JRE 26 (2018), 429, 446.
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II. Geheimnisschutzdelikte abseits des § 23 GeschGehG Wie einleitend erwähnt, ist im Schrifttum umstritten, ob und falls ja in welchem Umfang § 5 GeschGehG außerhalb des GeschGehG zur Anwendung kommen sollte. Dabei scheint die Beschränkung auf das GeschGehG nach der Anpassung des Wortlauts von § 5 GeschGehG-RegE hin zu § 5 GeschGehG durch die konkrete Inbezugnahme der Handlungsverbote aus § 4 GeschGehG vorherrschend zu sein.118 Dies vorangestellt, gilt es nunmehr diese Auffassung im Hinblick auf andere geschäftsgeheimnisschützende Straftatbestände zu untersuchen. Neben dem Wortlautargument119 wird im Schrifttum außerdem vorgetragen, dass ein Verstoß gegen das Verbot der Offenlegung eines Geheimnisses aus § 203 StGB wohl kaum durch den Verweis auf ein sonstiges Fehlverhalten relativiert werden könne.120 Zumindest das erstgenannte Argument verdient Beifall. In anderen Straftatbeständen121, welche den Verrat von Geschäftsgeheimnissen betreffen, sind die Tathandlungen eigenständig ausgestaltet und orientieren sich nicht primär am Zivilrecht. Zudem lieferte die Gesetzesbegründung bereits vor der inhaltlichen Anpassung ein weiteres Argument für eine restriktive Herangehensweise. Der Gesetzgeber betont nämlich explizit, dass § 5 GeschGehG auch auf § 23 GeschGehG anwendbar ist.122 Ein solcher Hinweis ergibt nur dann Sinn, wenn die Anwendbarkeit grundsätzlich auf den zivilrechtlichen Teil des GeschGehG beschränkt bleiben soll und nur ausnahmsweise für § 23 GeschGehG gilt. Das zweite maßgebliche Argument in der Literatur konnte bereits im Hinblick auf den Regierungsentwurf nicht verfangen und kann auch in der finalen Gesetzesfassung nicht überzeugen. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GeschGehG war zu jedem Zeitpunkt bloß deklaratorischer Art, weil § 203 StGB nicht nur das Geheimhaltungsinteresse der betroffenen Personen, sondern auch die Vertrauensbasis, welche für die Arbeit der aufgezählten Berufsgruppen unabdingbar ist, schützt.123 Die Vorschrift aus § 5 GeschGehG zielt dagegen ausschließlich auf die Abwägung von Geheimhaltungsin118 Fuhlrott/Hiéramente, DB 2019, 967, 969; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 585; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 1 Rn. 10.1, 24; § 5 Rn. 8; Alexander, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 11; Erlebach/Veljovic, wistra 2020, 190, 192; Veljovic, NZWiSt 2021, 30, 32. 119 Fuhlrott/Hiéramente, DB 2019, 967, 969; so auch Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 585; Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 1 Rn. 10.1, 24; § 5 Rn. 8; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 5 GeschGehG Rn. 11; Erlebach/Veljovic, wistra 2020, 190, 192. 120 Hiéramente/Golzio, CCZ 2018, 262, 265. 121 Dabei sind im Kernstrafrecht §§ 203, 204 und 355 StGB zu erwähnen, im Nebenstrafrecht vor allem § 120 BetrVG, § 404 AktG, § 151 GenG, § 19 PublG, § 85 GmbHG, § 315 UmwG und § 333 HGB; siehe dazu erneut auch Kapitel 10. 122 BT-Drs. 19/4724, S. 28. 123 BT-Drs. 19/4724, S. 23; Brammsen, BB 2018, 2446, 2448 stellt daher fest, dass es sich bei dieser Bestimmung um eine überflüssige und rein deklaratorische Vorschrift handelt.
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teressen mit Drittinteressen ab.124 Daher könnte durch die Übertragung der Vorschrift des § 5 GeschGehG auch nur ein Teil des Unrechts ausgeschlossen werden. Etwas anderes kann aber für andere Straftatbestände gelten. Unter Berücksichtigung des europarechtlichen Hintergrunds von § 5 GeschGehG wird im Schrifttum allerdings abweichend mit den gesetzgeberischen Aktivitäten rund um die Whistleblowing-RL argumentiert. Demzufolge sollte durch Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL noch kein umfassendes System des Whistleblowerschutzes etabliert werden, sondern nur Ausnahmen von den Maßnahmen im Sinne dieser Richtlinie geschaffen werden.125 Außerdem wird gefordert auch an dieser Stelle die teils divergierenden Schutzgüter zu berücksichtigen und § 5 GeschGehG daher nicht anzuwenden.126 Im Schrifttum wurde bereits nach der überkommenen Rechtslage bei der Rechtfertigung eines Geheimnisverrats durch § 34 StGB wegen unterschiedlich stark ausgeprägter Loyalitätspflichten je nach Art der Beschäftigung zwischen dem inzwischen gestrichenen § 17 Abs. 1 UWG und § 404 Abs. 1 AktG differenziert.127 Dies galt ebenso für § 85 GmbHG und in eingeschränkter Form auch für § 333 Abs. 1 HGB.128 Diesen Argumenten kann nicht gefolgt werden. Im Bereich geschäftsgeheimnisschützender Strafvorschriften ist umstritten, welche Rechtsgüter im Einzelnen geschützt werden. Es würde aber widersprüchlich anmuten, in Bezug auf die geschützten Geheimnisse zunächst einen schutzgutsbezogenen Gleichlauf zu fordern, um diesen dann durch ergänzende Erwägungen wieder auszuhebeln. Den vermeintlich stärker ausgeprägten Loyalitätspflichten von Führungspersonal lässt sich zudem entgegenhalten, dass die vergleichsweise geringere Strafandrohung der angesprochenen Delikte eher das Gegenteil andeutet. Doch auch bei abweichender Schutzgutsbestimmung weisen die Vorschriften einen gemeinsamen Kern auf. Daher kann jedenfalls im Einzelfall im Sinne einer kohärenten Rechtsanwendung argumentiert werden. Entscheidend ist aber Art. 1 Abs. 1 UAbs. 1 Geschäftsgeheimnis-RL. Es handelt sich bei Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL nämlich um eine vollharmonisierende Richtlinienbestimmung. Zwar enthält die Norm folgende einschränkende Formulierung, wonach die „… Mitgliedstaaten [sicher stellen], dass ein Antrag auf die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe abgelehnt wird …“.129 124 Im Ergebnis richtig, aber ohne überzeugende Argumentation, stellt Klaas fest, dass die geringen Anforderungen an die Tatbestandsausnahme aus § 5 GeschGehG nicht ausreichen um eine Strafbarkeit gestützt auf § 203 StGB auszuschließen, vgl. CCZ 2019, 163, 171. Richtigerweise kommt es an dieser Stelle nicht auf die – dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterworfenen und damit auch im Einzelfall womöglich angemessenen – Anforderungen des § 5 GeschGehG an, sondern darauf, dass die Vorschrift nur einen Teil des Unrechts entfallen lassen könnte, sollte sie überhaupt abseits des GeschGehG zum Einsatz kommen. 125 Hiéramente/Golzio, CCZ 2018, 262, 265; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 585. 126 Hiéramente, in: BeckOK GeschGehG, § 1 Rn. 25. 127 Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013, 1014; Schenkel, Whistleblowing, S. 241 f. 128 Schenkel, Whistleblowing, S. 245 f., 249 ff. jeweils m. w. N. 129 Hervorhebungen nicht im Original.
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Diese Grenze des Geschäftsgeheimnisschutzes darf aber nicht durch andere Straftatbestände untergraben werden. In der Folge bleibt lediglich zu klären, wie Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL hinreichend Geltung verschafft werden kann. Dabei bieten sich eine Analogie oder eine entsprechende Auslegung des § 34 StGB an. Rennicke etwa gelangt in Bezug auf den Verkauf gestohlener Steuer-CDs und den dabei potentiell verwirklichten Delikten abseits des § 23 GeschGehG – wie etwa § 202d StGB – zu dem Schluss, dass etwaige Strafbarkeitsrisiken nunmehr durch analoge Anwendung des § 5 GeschGehG ausgeschlossen seien. Dabei zeigt dieser knapp eine vergleichbare Interessenlage auf und weist auch auf ein drohendes Auseinanderklaffen von Strafrecht und Zivilrecht hin.130 Eine planwidrige Regelungslücke wird indes nicht überzeugend aufgezeigt. Es ließe sich zwar ergänzend vortragen, dass es sich bei § 5 GeschGehG sowie Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL um Tatbestandsausnahmen handelt und daher eine Lösung auf dieser Ebene angezeigt sei. Dies vermag die bestehende Rechtslage mangels entsprechender Regelungen nicht zu gewährleisten. Zur Lösung dieses Problems könnte in einem ersten Schritt zu prüfen sein, ob ein Geschäftsgeheimnis im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG vorliegt. Als nächstes wäre dann zu untersuchen, ob sich die Tathandlung des an sich verwirklichten Tatbestand zusätzlich unter eine der Begehungsvarianten des § 4 GeschGehG subsumieren lässt. Sind diese Voraussetzungen kumulativ gegeben, so könnte § 5 GeschGehG analog heranzuziehen sein. Nichtsdestotrotz sprechen die besseren Argumente gegen eine Analogie und für die Lösung über § 34 StGB. Wie bereits erwähnt steht die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke auf wackligen Beinen.131 Der Gesetzgeber hat den Anwendungsbereich des § 5 GeschGehG durch dessen Wortlaut und die gewählte Gesetzgebungstechnik gezielt eingeschränkt, obgleich Art. 1 Abs. 1 UAbs. 1 und 5 Geschäftsgeheimnis-RL ein anderes Vorgehen nahegelegt hätten.132 Solange aber die Möglichkeit besteht von Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfen im Sinne der Geschäftsgeheimnis-RL abzusehen, genügt aufgrund des auch bei vollharmonisierenden Vorschriften verbleibenden Restumsetzungsspielraums des nationalen Gesetzgebers die Lösung auf Ebene der Rechtswidrigkeit. Überdies gilt es anzumerken, dass McGuire Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL als Rechtfertigungsgrund, nicht als Tatbestandsausnahme eingeordnet hat. Lässt man die Wertungen des Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL in die Interessenabwägung bei § 34 StGB miteinfließen, kann schon auf diese Weise verhindert werden, dass die Harmonisierung des Rechts durch entgegenstehende Strafnormen ausgehöhlt wird. Folglich liegt eine planwidrige Regelungslücke nicht vor. 130 Rennicke, wistra 2020, 135, 137; zur Verwertbarkeit solcher Daten im Strafverfahren statt vieler Kölbel, NStZ 2008, 241 ff.; Sieber, NJW 2008, 881, 886; Pawlik, JZ 2010, 693 ff. 131 Zustimmend Erlebach/Veljovic, wistra 2020, 190, 192. 132 Zustimmend Erlebach/Veljovic, wistra 2020, 190, 192.
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III. Begleitdelikte Neben der Verwirklichung von § 23 GeschGehG und anderen geschäftsgeheimnisschützender Straftatbestände, werden beim Umgang mit Geschäftsgeheimnissen – auch durch Whistleblower – vielfach zugleich andere Delikte verwirklicht werden, welche nicht primär dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen dienen. Auch in diesem Kontext gilt es zu ermitteln, ob Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL hier Wirkung entfaltet. Dabei kann im Ergebnis erneut dahinstehen, ob § 34 StGB oder doch § 5 GeschGehG analog zur Lösung herangezogen wird. Entscheidet ist vielmehr, ob es im Einzelfall zur unzulässigen Erweiterung des Geschäftsgeheimnisschutzes kommen würde. Zunächst ist dabei an weitere Delikte aus dem fünfzehnten Abschnitt des StGB zu denken. Neben dem erwähnten § 203 StGB finden sich dort in den §§ 202a ff. StGB Delikte, die dem Schutz persönlicher, aber auch geschäftlicher Daten dienen. Wie bereits aufgezeigt sticht beim Ausspähen von Daten nach § 202a StGB sogleich die Parallele zur Betriebsspionage nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG ins Auge.133 Zur Verwirklichung des Straftatbestands aus § 202a Abs. 1 StGB muss der Täter sich oder einem anderen unbefugt Zugang zu Daten im Sinne des § 202a Abs. 2 StGB, welche nicht für ihn bestimmt sind und gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, unter Überwindung der Zugangssicherung verschaffen. Gleichlautend kommt sogar eine der benannten Formen des Erlangens in Gestalt des Zugangsverschaffens zum Tragen. Zudem wird auf das Vorhandensein einer Zugangssicherung abgestellt, was eine Parallele zum Kriterium angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen darstellt. Zur Umsetzung solcher Zugangssicherungen werden in Literatur und Rechtsprechung ebenfalls vergleichbare tatsächliche, technische Maßnahmen aufgeführt.134 Erforderlich ist (wohl) in beiden Fällen das Überwinden dieser Maßnahmen, bei § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG ist dies aber umstritten ist.135 Im Hinblick auf das Verständnis etwaig erlangter Daten kann auf die Ausführungen zum Verständnis von Geschäftsgeheimnissen verwiesen werden.136 Das Abfangen von Daten nach § 202b StGB ergänzt die Vorschrift aus § 202a StGB und schützt die Geheimhaltung bestimmter Formen der internen sowie externen Kommunikation.137 Eine Verschlüsselung der Kommunikation ist nicht erforderlich. Zwar soll auch eine tatsächliche Sicherung der verschafften Daten notwendig sein, gleichzeitig ist es aber möglich durch diese Vorschrift auch bloß mündlich vorge133
Siehe dazu erneut Kapitel 5 B.II.2. BGH, Beschl. v. 06. 07. 2010 – 4 StR 555/09, NStZ 2011, 154, 154 f.; BGH, Beschl. v. 21. 07. 2015 – 1 StR 16/15, NJW 2015, 3463 Rn. 8, 9, 12; Rübenstahl/Debus, NZWiSt 2012, 129, 131; Wilke, NZWiSt 2019, 168, 170; vertiefend Graf, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 202a Rn. 39 ff.; a. A. Kalbfus, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, Einl. A Rn. 221. 135 Siehe dazu bereits Kapitel 5 B.II.2.; im Hinblick auf § 202a StGB vgl. Rübenstahl/ Debus, NZWiSt 2012, 129, 131; Wilke, NZWiSt 2019, 168, 170. 136 Siehe dazu bereits Kapitel 5 B.II.; im Hinblick auf § 202a StGB vgl. Rübenstahl/Debus, NZWiSt 2012, 129, 131; Wilke, NZWiSt 2019, 168, 170. 137 Statt vieler Wilke, NZWiSt 2019, 168, 170 f. m. w. N. 134
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tragene Geschäftsgeheimnisse, sofern diese dem Datenbegriff des § 202a Abs. 2 StGB genügen, zu erfassen.138 In der Folge ist sodann die Weitergabe erlangter Daten als strafbare Datenhehlerei nach § 202d StGB zu berücksichtigen.139 Umstritten ist allerdings, das konkrete Schutzgut dieser Straftatbestände. Davon hängt aber das korrekte weitere Vorgehen ab. So wird zum Teil auf den Schutz des formellen Datengeheimnisses, zum Teil auch auf das Vermögen abgestellt.140 Je nach Bewertung des konkreten Schutzguts erscheint es zumindest denkbar die Wertungen der Geschäftsgeheimnis-RL ergänzend heranzuziehen. Einschränkend ist allerdings zu berücksichtigen, dass § 202a Abs. 2 StGB auch Daten unterfallen, die keine Geschäftsgeheimnisse darstellen. Somit bedarf es stets der Würdigung des konkreten Einzelfalls. In vergleichbaren Fällen, bei denen beispielsweise § 23 GeschGehG und § 202a StGB verwirklicht werden, ohne dass dadurch zusätzliches Unrecht vorliegt, sind die Wertungen des Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL folglich über § 34 StGB zur Lösung heranzuziehen. Die Datenhehlerei nach § 202d StGB sollte ebenfalls wie die Vortaten nach §§ 202a, 202b StGB behandelt werden. Daher ist es wenig überzeugend, wenn Rennicke bei der strafrechtlichen Beurteilung des Verkaufs gestohlener Steuer-CDs eine etwaige Strafbarkeit nach § 202d StGB durch analoge Anwendung des § 5 GeschGehG ausschließen will.141 Vielmehr sprechen – wie aufgezeigt – die besseren Gründe gegen eine Analogie. Zudem darf § 202d Abs. 3 StGB nicht außer Acht gelassen werden. Dabei handelt es sich um eine spezifisch auf § 202d StGB zugeschnittene Tatbestandsaufnahme142, die in vielen der hier relevanten Situationen zu vergleichbaren Ergebnissen wie beim Heranziehen von Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL führt. Folglich bestehen in rechtstatsächlicher Hinsicht keine relevanten Unterschiede. Neben den §§ 202a ff. StGB soll an dieser Stelle auch § 303a StGB nicht unerwähnt bleiben. Es liegt nahe, dass im Rahmen von einer Betriebsspionage erlangte Daten – damit auch Geschäftsgeheimnisse – zugleich für den ohnehin bereits Geschädigten unbrauchbar gemacht werden sollen, um dadurch stärker von einem nachfolgenden Wettbewerbsvorteil profitieren zu können.143 Allerdings bleibt die Anzahl denkbarer Konstellationen, bei denen auch Raum für die Anwendbarkeit von Art. 5 Geschäftsgeheimnis-RL bestehen könnte, überschaubar. Dies wäre nur dann denkbar, wenn die Verwirklichung des § 303a StGB einen notwendigen Zwischenschritt zur Erlangung der Daten darstellt. In einem solchen Fall ist allerdings
138
Statt vieler Wilke, NZWiSt 2019, 168, 170 f. m. w. N. Vertiefend zur Datenhehlerei statt vieler nur Wilke, NZWiSt 2019, 168, 171 m. w. N. und Stuckenberg, ZIS 2016, 526, 529 ff. 140 Vertiefend nur Graf, in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 202a Rn. 2 m. w. N. und Stuckenberg, ZIS 2016, 526, 530 f. 141 Erneut Rennicke, wistra 2020, 135, 137. 142 Vertiefend etwa Schenkel, Whistleblowing, S. 234 ff. 143 Wilke, NZWiSt 2019, 168, 172. 139
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Teil 3: Strafrechtlicher Geschäftsgeheimnisschutz abseits des GeschGehG
das Verhältnis von § 303a StGB zu § 202a StGB von größerem Interesse. Dies gilt entsprechend für die Computersabotage nach § 303b StGB. Keiner weiteren Erörterung bedarf auch § 42 BDSG, weil dieser auf den Schutz personenbezogener Daten abzielt, obgleich diese Bestandteil eines Geschäftsgeheimnisses sein können.144 Neben dem Schutz des Geheimbereichs gilt es auch vermögensrechtliche Aspekte zu berücksichtigen. Wie bereits aufgezeigt fungiert § 266 StGB in Zukunft auch als verkapptes Geheimnisschutzdelikt. Allerdings dient dieser Straftatbestand der Sanktionierung unzureichender Sicherungsvorkehrungen, mithin einem anderen Aspekt des Geschäftsgeheimnisschutzes. Im Hinblick auf den Verrat von Geschäftsgeheimnissen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG ist eine gleichzeitige Verwirklichung allerdings denkbar. Dies gilt auch für andere Delikte aus dem Kernstrafrecht, wie etwa § 246 Abs. 2 StGB und § 263 StGB.145 Da diese Delikte primär dem Schutz des Vermögens dienen, kann hier auf die Wertungen des § 34 StGB zurückgegriffen werden. Letztlich gilt dies auch für neben der Vorlagenfreibeuterei nach § 23 Abs. 3 GeschGehG gleichzeitig verwirklichte Strafnormen aus dem Bereich des Geistigen Eigentums beziehungsweise des gewerblichen Rechtsschutzes, wie etwa § 25 GebrMG, § 51 GeschmMG, § 142 PatG und § 106 UrhG.146 Es muss nämlich erneut auf die geschützten Rechtsgüter verwiesen werden. Dies gilt genauso für die Ehrschutzdelikte, wobei in diesem Zusammenhang stets an die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit zu denken ist.
C. Auswirkungen der Whistleblowing-RL Neben den Ausführungen zur Anwendbarkeit von Art. 21 Abs. 7 Whistleblowing-RL im Zusammenhang mit dem Geschäftsgeheimnisstrafrecht aus § 23 GeschGehG stellt sich auch im Übrigen die Frage nach den von der Whistleblowing-RL zu erwartenden Auswirkungen auf die Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortung von Whistleblowern. Diese werden letztlich nur eine überschaubare Anzahl von Delikten betreffen. Art. 21 Abs. 3 Whistleblowing-RL stellt nämlich klar, dass die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Beschaffung oder den Zugriff auf Informationen nach wie vor ausschließlich nach den Regeln des nationalen Recht zu bestimmen ist. Damit bleibt die Strafbarkeit wegen Delikten wie etwa dem Hausfriedensbruch nach § 123 StGB 144
Zu § 42 BDSG statt vieler nur Wilke, NZWiSt 2019, 168, 172. Im Hinblick auf die überkommene Rechtslage statt vieler Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 17 UWG Rn. 79 m. w. N.; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 17 UWG Rn. 37; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 17 UWG Rn. 128. 146 Im Hinblick auf die überkommene Rechtslage statt vieler Brammsen, Lauterkeitsstrafrecht, § 18 UWG Rn. 35 m. w. N.; Tsambikakis, in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, § 18 UWG Rn. 18; Janssen/Maluga, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 18 UWG Rn. 38. 145
Kap. 12: Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes nach dem GeschGehG
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oder aber dem Ausspähen von Daten nach § 202a StGB unberührt, die beide beispielhaft in Erwägungsgrund [92] aufgegriffen werden. Eine weitere bereits vorgestellte Einschränkung bringt Art. 21 Abs. 4 Whistleblowing-RL mit sich. Die Verwirklichung anderer Delikte, welche die Verletzung von Offenlegungsbeschränkungen im Sinne des Art. 21 Abs. 2 Whistleblowing-RL zum Gegenstand haben, muss hingegen grundsätzlich straflos bleiben, weil bei Eingreifen dieser Vorschrift keinerlei Haftung – gemeint sind (wohl) Nachteile – des Hinweisgebers zulässig ist.147 Mithin wird gemäß Art. 21 Abs. 2 Whistleblowing-RL i. V. m. Art. 21 Abs. 7 UAbs. 1 Whistleblowing-RL die an sich tatbestandsmäßige Verwirklichung von anderen geheimnisschützenden Delikten in Zukunft auch ohne Interessenabwägung straflos bleiben. Wie aufgezeigt bilden diese Vorschriften die Grundlage für einen neuen, noch zu erlassenden speziellen Haftungsfreistellungsgrund.148 Auf Grund des abweichenden Umfangs der Vorschriften Art. 3 Abs. 3 Whistleblowing-RL und § 203 StGB ist sogar ein Eingreifen bei der Verletzung dieses bisher nahezu unberührt gebliebenen Straftatbestands denkbar. Es lassen sich nämlich nicht alle von § 203 Abs. 1 StGB erfassten Personen und Branchen unter Art. 3 Abs. 3 lit. b Whistleblowing-RL subsumieren. Dies gilt zum Beispiel für Wirtschaftsprüfer.149 Ähnlich sind auch die Erwägungsgründe [27] und [28] zu verstehen, die auch in diesem Kontext die Freistellung von einer etwaigen strafrechtlichen Verantwortlichkeit nahelegen.150
147 So auch Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 967; Fest, in: EuArbRK, Art. 21 RL 2019/ 1937/EU Rn. 14, 16. 148 Ähnlich charakterisiert Gerdemann „richtlinienkonformes Whistleblowing als verfahrensübergreifende[n] Rechtfertigungsgrund“, vgl. NZA-Beilage 2020, 43, 49; zustimmend auch Schmidt, Regelungsoptionen zum Whistleblower-Schutz, S. 177, 179. 149 So auch Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 967. 150 Zustimmend Ullrich, WiJ 2019, 52, 53.
Teil 4
Fazit Nachdem nun das strafrechtliche System zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen umfassend untersucht wurde, sollen die Ergebnisse thesenartig zusammengefasst werden. Dabei darf einleitend festgehalten werden, dass das Regelungswerk einige – zum Teil erhebliche – Schwächen aufweist. Nicht angebracht ist es aber dem GeschGehG ähnlich wie Gramlich/Lütke vorzuhalten, dass dieses den Geschäftsgeheimnisschutz „wie eine Monstranz vor sich [herträgt]“, aber letztlich gerade nicht gewährleistet.1 Vielmehr ergibt sich ein differenziertes Gesamtbild. 1. Die Strafbestimmungen aus § 23 GeschGehG sind im Hinblick auf die zivilrechtlichen Primärnormen grundsätzlich richtlinienkonform auszulegen. Mithin kann auch von einem mittelbar europäisierten Geschäftsgeheimnisstrafrecht gesprochen werden. Dabei sind allerdings die engen Grenzen des Art. 103 Abs. 2 GG zu berücksichtigen, sodass zwischen richtlinienkonformer und bloß richtlinienorientierter Auslegung auf Ebene des Strafrechts keine erheblichen Divergenzen auftreten können. 2. Der Begriff des Geschäftsgeheimnisses ist nunmehr in § 2 Nr. 1 GeschGehG legaldefiniert und hat im Vergleich zum überkommenen Begriffsverständnis eine deutliche Objektivierung erfahren. Dies ist auf die Abkehr vom subjektiv zu bestimmenden Geheimhaltungswillen hin zu den objektiv zu bestimmenden angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen zurückzuführen. Die bisher schwach ausgeprägte beweisrechtliche Natur solcher Maßnahmen wurde zu einem Tatbestandsmerkmal (§ 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG) aufgewertet. Unabhängig von der tatsächlichen Kenntnisnahme Dritter entfällt der Geheimnisschutz bei unzureichender Sicherung. Die daraus erwachsenden Risiken werden strafrechtlich durch die Untreue nach § 266 StGB abgemildert, weil die fehlende Umsetzung angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen durch die verantwortlichen Personen als „verkapptes Geheimnisschutzdelikt“ sanktioniert werden kann. 3. Eine weitere wesentliche Änderung stellt die normative Verankerung der Tatbestandslösung in § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG dar. Hierdurch entfällt der Schutz illegaler Geheimnisse bereits auf Ebene des Tatbestands. In der Folge können Whistleblower risikolos illegale Geheimnisse veröffentlichen, sofern nicht zugleich schützenswerte Aspekte preisgegeben werden. 1
Gramlich/Lütke, wistra 2020, 480, 485 mit Verweis auf Kempf, AnwBl. 1997, 370, 372.
Teil 4: Fazit
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4. Die Struktur des Geschäftsgeheimnisstraftatbestands § 23 GeschGehG orientiert sich an der Verletzungskaskade in § 4 GeschGehG. Dies führt zu einer veränderten Anordnung der bisherigen Straftatbestände aus §§ 17 – 19 UWG und zur Abkehr von bisherigen Begrifflichkeiten. Das Tatbestandsmerkmal unbefugt in § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG hat nun eine eigenständige Funktion und verleiht den normativen Grenzen des Geschäftsgeheimnisschutzes grundsätzlich bereits auf Ebene des Tatbestands Wirkung. Im Hinblick auf die eigeneröffnete Geheimnishehlerei (§ 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG) ist fortan keine vorangegangene Straftat mehr erforderlich. Dadurch ergeben sich Abweichungen beim Fehlen der überschießenden Innentendenz während der Erlangung nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG. Je nach Auslegungsergebnis kann daraus eine schwer zu erklärende Diskrepanz zur fremderöffneten Geheimnishehlerei erwachsen (§ 23 Abs. 2 GeschGehG). Der Geheimnisverrat (§ 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG) hat keine eigenständigen Neuerungen erfahren. Bei der Vorlagenfreibeuterei (§ 23 Abs. 3 GeschGehG) handelt sich fortan um ein echtes Geheimnisschutzdelikt. Die fortbestehende Privilegierung des Täters lässt sich allerdings nicht mehr erklären. 5. Bei lediglich mündlich kommunizierten Geheimnissen werden potentielle Schutzlücken sichtbar, wie etwa beim Einsatz von Abhörgeräten. Derartige Fälle der Betriebsspionage können lediglich nach § 201 StGB sanktioniert werden, ein solches Vorgehen erscheint allerdings wegen der fehlenden Kohärenz mit § 23 GeschGehG als unbefriedigend. Auch beim sogenannten Social Engineering wird durch § 23 GeschGehG kein hinreichender strafrechtlicher Schutz von Geschäftsgeheimnissen gewährleistet. Das ergänzend herangezogene Kernstrafrecht schließt diese Lücke ebenfalls nicht vollends. Vielmehr werden in diesem Kontext die Unterschiede zu Vermögensdelikten, die durch eine Vermögensverschiebung charakterisiert sind, deutlich. 6. Nachvertragliche Wettbewerbsverstöße können wegen der zeitlichen Begrenzung in § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG nach wie vor nur als eigeneröffnete Geheimnishehlerei nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG sanktioniert werden. In der Regel wird es allerdings an einer tauglichen Vortat mangeln. 7. Der zivilrechtliche Geschäftsgeheimnisschutz erweist sich indes als flexibleres und dadurch auch schlüssigeres Regelungskonzept. Die daraus, trotz zivilrechtsakzessorischer Ausgestaltung erwachsenden Diskrepanzen mit strafrechtlichem Geschäftsgeheimnisschutzes sind als notwendig hinzunehmen. 8. § 3 GeschGehG weist im Strafrecht zwei Hauptanwendungsbereiche auf. Die Bestrafung des Reverse Engineering als Betriebsspionage im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG ist nur noch in wenigen Ausnahmefällen denkbar. Die Erlaubnisnorm § 3 Abs. 2 GeschGehG dient wiederum als allgemeiner „Türöffner“ für andere Erlaubnissätze.
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Teil 4: Fazit
9. Bei § 5 GeschGehG beinhaltet es eine Tatbestandsausnahme, die dazu dient widerstreitende Rechtspositionen im Wege einer Interessenabwägung in Ausgleich zu bringen. Die benannten Fälle (Nr. 1 – 3) fungieren dabei als eine Art „Betriebsanleitung“ für potentielle Geheimnisverletzer und sind gleichzeitig als Leitschnur für die Beurteilung der unbenannten Fälle heranzuziehen. Kritisch zu bewerten ist das sonstige Fehlverhalten. Der Gesetzgeber sollte insoweit erneut tätig werden und dieses in höchstem Maße fragwürdige Tatbestandsmerkmal, soweit europarechtlich zulässig, stark einschränken, besser ganz streichen. Trotz abweichender Stellungnahmen in der Literatur ergeben sich durch die Neuregelung nach dem hier vertretenen Verständnis keine erwähnenswerten Unterschiede im Vergleich zur bisherigen Anwendung des § 34 StGB. 10. Im Hinblick auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Whistleblowern hat der Erlass des GeschGehG – zumindest de lege lata – nicht viel verändert. Die zu diskutierenden Straftatbestände haben keine umfassenden Änderungen erfahren. Die lebhaft diskutierte Vorschrift des § 5 GeschGehG erweist sich bei näherer Betrachtung und entsprechender Handhabung als in weiten Teilen mit § 34 StGB kongruent. Dagegen bestehen keine Bedenken. Erfreulich ist der Umstand, dass dem juristischen Laien bei der Entscheidungsfindung – mehr oder weniger klare – Leitlinien an die Hand gegeben werden, die über den Wortlaut des § 34 StGB hinausreichen. 11. De lege ferenda stellt die Verletzung von Geschäftsgeheimnissen durch Whistleblower kein nennenswertes Strafbarkeitsrisiko mehr dar. Die bisherige Rechtspraxis, die regelmäßig auf eine Interessenabwägung hinausläuft, wird dann in ein (streng) formales System überführt. Das dadurch gewonnen Maß an Rechtssicherheit ist positiv zu bewerten und wird durch die ebenfalls noch zu schaffenden Informationsangebote weiter unterstrichen. In der Folge werden die Art. 5 lit. b Geschäftsgeheimnis-RL und § 5 Nr. 2 GeschGehG vor allem rechtshistorische Bedeutung erlangen, in praktischer Hinsicht hingegen ist ein bloßes Schattendasein zu erwarten. Daher sollte – entgegen einzelner Forderungen im Schrifttum – auch aus diesem Grund davon abgesehen werden bei der Umsetzung der Whistleblowing-RL erneut auf den Begriff des sonstigen Fehlverhaltens zu rekurrieren. 12. Der Begriff des Geschäftsgeheimnisschutzes sollte in der gesamten Strafrechtsordnung grundsätzlich einheitlich ausgelegt werden. Dabei ist es trotz fehlender Verpflichtung vorzugswürdig auf die Legaldefinition in § 2 Nr. 1 GeschGehG zurückzugreifen. In der Folge kann den auch im sonstigen Strafrecht zwingend zu berücksichtigen Wertungen der Art. 3, 5 Geschäftsgeheimnis-RL leichter entsprochen werden. 13. Die Whistleblowing-RL wird neben § 23 GeschGehG nur eine überschaubare Anzahl von Delikten beeinflussen. Die Verwirklichung anderer Delikte, die
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die Verletzung von Offenlegungsbeschränkungen im Sinne des Art. 21 Abs. 2 Whistleblowing-RL zum Gegenstand haben, muss grundsätzlich ebenfalls straflos bleiben. Ausnahmen von diesem Grundsatz werden in Art. 3 Abs. 3 Whistleblowing-RL deutlich aufgezeigt. Die strafrechtliche Beurteilung der Informationsbeschaffung hat nach Art. 21 Abs. 3 Whistleblowing-RL nämlich ausschließlich am Maßstab des nationalen Rechts zu erfolgen.
Anhang
Gesetzestexte zu §§ 17 – 19 UWG und Art. 39 TRIPS-Übereinkommen § 17 Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen (1) Wer als eine bei einem Unternehmen beschäftigte Person ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, das ihr im Rahmen des Dienstverhältnisses anvertraut worden oder zugänglich geworden ist, während der Geltungsdauer des Dienstverhältnisses unbefugt an jemand zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen, mitteilt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen, 1) sich ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis durch a) Anwendung technischer Mittel, b) Herstellung einer verkörperten Wiedergabe des Geheimnisses oder c) Wegnahme einer Sache, in der das Geheimnis verkörpert ist, unbefugt verschafft oder sichert oder 2) ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, das er durch eine der in Absatz 1 bezeichneten Mitteilungen oder durch eine eigene oder fremde Handlung nach Nummer 1 erlangt oder sich sonst unbefugt verschafft oder gesichert hat, unbefugt verwertet oder jemandem mitteilt. (3) Der Versuch ist strafbar. (4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. gewerbsmäßig handelt, 2. bei der Mitteilung weiß, dass das Geheimnis im Ausland verwertet werden soll, oder 3. eine Verwertung nach Absatz 2 Nummer 2 im Ausland selbst vornimmt. (5) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. (6) § 5 Nummer 7 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend.
Gesetzestexte zu §§ 17 – 19 UWG und Art. 39 TRIPS-Übereinkommen
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§ 18 Verwertung von Vorlagen (1) Wer die ihm im geschäftlichen Verkehr anvertrauten Vorlagen oder Vorschriften technischer Art, insbesondere Zeichnungen, Modelle, Schablonen, Schnitte, Rezepte, zu Zwecken des Wettbewerbs oder aus Eigennutz unbefugt verwertet oder jemandem mitteilt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. (4) § 5 Nummer 7 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend.
§ 19 Verleiten und Erbieten zum Verrat (1) Wer zu Zwecken des Wettbewerbs oder aus Eigennutz jemanden zu bestimmen versucht, eine Straftat nach § 17 oder § 18 zu begehen oder zu einer solchen Straftat anzustiften, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer zu Zwecken des Wettbewerbs oder aus Eigennutz sich bereit erklärt oder das Erbieten eines anderen annimmt oder mit einem anderen verabredet, eine Straftat nach § 17 oder § 18 zu begehen oder zu ihr anzustiften. (3) § 31 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend. (4) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. (5) § 5 Nummer 7 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend.
Artikel 39 TRIPS-Übereinkommen (1) Bei der Sicherung eines wirksamen Schutzes gegen unlauteren Wettbewerb, wie er in Artikel 10bis der Pariser Verbandsübereinkunft (1967) vorgesehen ist, schützen die Mitglieder nicht offenbarte Informationen nach Maßgabe des Absatzes 2 und Regierungen oder Regierungsstellen vorgelegte Daten nach Maßgabe des Absatzes 3. (2) Natürliche und juristische Personen haben die Möglichkeit, zu verhindern, daß Informationen, die rechtmäßig unter ihrer Kontrolle stehen, ohne ihre Zustimmung auf eine Weise, die den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe und Handel zuwiderläuft, Dritten offenbart, von diesen erworben oder benutzt werden, solange diese Informationen a) in dem Sinne geheim sind, daß sie entweder in ihrer Gesamtheit oder in der genauen Anordnung oder Zusammenstellung ihrer Bestandteile Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit den fraglichen Informationen zu tun haben, nicht allgemein bekannt oder leicht zugänglich sind b) wirtschaftlichen Wert haben, weil sie geheim sind, und c) Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen seitens der Person waren, unter deren Kontrolle sie rechtmäßig stehen.
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Anhang: Gesetzestexte zu §§ 17 – 19 UWG und Art. 39 TRIPS-Übereinkommen
(3) Mitglieder, in denen die Vorlage nicht offenbarter Test- oder sonstiger Daten, deren Erstellung beträchtlichen Aufwand verursacht, Voraussetzung für die Marktzulassung pharmazeutischer oder agrochemischer Erzeugnisse ist, in denen neue chemische Stoffe verwendet werden, schützen diese Daten vor unlauterem gewerblichen Gebrauch. Darüber hinaus schützen die Mitglieder solche Daten vor Offenbarung, es sei denn, daß diese zum Schutz der Öffentlichkeit notwendig ist oder Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, daß die Daten vor unlauterem gewerblichen Gebrauch geschützt werden.
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Stichwortverzeichnis Arbeitnehmer 38, 56, 78, 81, 87 f., 96 ff., 110, 125, 130, 132, 165, 175, 178 f., 186, 201, 212, 238, 242 f., 272, 274 f., 294, 308, 314 f., 329 Arbeitnehmervertretung 38, 212, 242 f., 272, 329 Aufklärungsbemühung siehe Nachforschungspflicht Beihilfe 39, 175, 255, 266, 303 Betriebsspionage 34, 149 ff., 170, 194, 196 f., 201, 203, 256, 266, 305 f., 349 f., 354 Betrug 164, 198 ff., 262, 274, 277 Bestimmtheit 51, 56, 60, 81, 135 ff., 145 f., 195, 332 – Verschleifung 138, 145 f. Blankett 150 Compliance
86, 260, 271, 332, 334
De lege ferenda 269, 279, 293, 355 De lege lata 268 f., 272, 355 Diebstahl 28, 86 f., 155 Effet utile 64, 66 Ehrverletzung(-delikte) und Ehrschutzdelikte 248, 290 f., 351 Einwilligung 211, 269 ff. Einverständnis 162, 269 ff. Fehlverhalten 36, 122, 220 ff., 242, 257, 277, 284, 296, 304, 341, 346, 355 Geheimhaltung 38, 69, 72, 79 ff., 85, 99 f., 107, 109, 113, 116, 119 f., 123 ff., 137 ff., 146 ff., 156 f., 177 f., 202, 209, 246, 282, 326, 329 ff., 346 f., 349, 353 Geheimhaltungsinteresse bzw. Interesse an Geheimhaltung 80, 82 f., 90, 99, 107, 119, 137 ff., 246, 346 f.
Geheimhaltungsmaßnahme 72, 99, 113, 123 ff., 146 ff., 156 f., 329 ff., 353 Geheimhaltungswille 69, 79 ff., 132, 145, 353 Geheimnishehlerei 169, 181 f., 193, 196, 201, 267 f., 354 – eigeneröffnete Geheimnishehlerei 169, 201, 267 f., 354 – fremderöffnete Geheimnishehlerei 181 f. Geheimnisinhaber 71 ff., 81, 82, 106 f., 120, 144, 153, 155, 161, 198, 207, 231, 234, 237 f., 272, 277, 344 Geheimnisverletzer 94, 155, 225, 234, 238 f., 255, 257, 344, 355 Geheimnisverrat 87, 174 ff., 195, 228, 268, 347, 354 Geschäftsgeheimnisbegriff 67, 69, 83, 99, 103, 108, 116, 120, 138, 144, 149, 193, 242, 325 ff. Gestuftes Vorgehen bzw. Verhältnis siehe Stufenmodell Harmonisierung bzw. harmonisierend 39 f., 43, 45, 47, 62 ff., 208, 211, 214, 240, 280, 306, 310, 328, 335, 348 – Mindestharmonisierung bzw. mindestharmonisierend 65, 307 f., 328 – Vollharmonisierung bzw. vollharmonisierend 65 f., 192, 208, 214, 240, 310, 335 Hinweisgeber 259, 280, 283 ff., 308 ff., 319 ff., 352 Hinweisgeberschutz 280, 308 ff., 312, 319 ff. Hinweisgeberschutzgesetz 308 ff., 319 ff. Interessenabwägung 94 f., 98, 134, 161, 213, 233 ff., 243 f., 246 ff., 254, 273, 278, 289, 297, 300, 307, 336, 339 ff., 348, 355
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Stichwortverzeichnis
Illegales Geheimnis bzw. illegale Geheimnisse 83 ff., 119 ff., 137 ff., 187, 241 ff., 266, 327, 329, 352 Irrtum bzw. Irrtümer 95, 98, 180, 197 f., 233, 252 ff., 289, 339 ff. Meldesystem 268 ff. Meldung 264, 272, 279 ff., 290, 293, 296 ff., 312 ff. Nachforschungspflicht – Rechtssache Gawlik Notstand 335 ff.
287 f., 322 287 f.
Öffentlichkeit 93, 172, 219, 248 f., 265 f., 269, 274, 278, 289 f., 304, 319, 338 Presse 94, 256 f., 260, 261, 272, 276, 299, 317, 338 Rechtfertigungsgrund 36, 94, 215, 240, 250, 253, 255 ff., 341, 344, 347 Reverse Engineering 75 ff., 114, 162 ff., 168, 203 ff., 256, 266, 353 Richtlinienkonforme Auslegung siehe unionsrechtskonforme Auslegung Social Engineering 164 ff., 180, 197, 353 Stufenmodell 98, 265 f., 275 ff., 297, 300, 308, 310, 321 ff. – Rechtssache Heinisch 255, 262, 273 ff., 287
Tatbestandsausnahme 37 ff., 142, 161, 212 ff., 235, 241, 244 ff., 257 f., 275, 334 f., 347, 354 Überschießende Richtlinienumsetzung 42 ff. Ultima ratio 57, 64, 88, 93, 160, 203, 276 Unbefugt 83, 94, 157, 161 f., 165, 194 f., 204, 253, 349, 354 Unionsrechtskonforme Auslegung 39 ff., 53 ff., 61 ff., 106, 114, 233, 352 Unionsrechtskonformität 138 ff., 281 Unternehmensgeheimnis 68 ff., 104 f., 119, 133, 148, 174, 192 Untreue 92, 330 ff., 352 Verhältnismäßigkeit 218, 240 f., 246, 251 f., 301 Verstoßbegriff 282 ff., 321 Vorlagenfreibeuterei 33, 183 ff., 196, 350, 353 Whistleblower 29, 141, 143, 258 ff., 268 ff., 278, 289, 295, 302 f., 305 ff., 334 f., 339, 346, 350, 352, 354 Whistleblowing 211, 231, 242, 258 ff., 273 ff., 277 ff., 295, 302, 335 ff. – Begriff 258 ff. – extern 259, 267, 273 f., 277, 280, 288 f. – intern 259 f., 267, 269, 277, 280, 288 f.