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German Pages 31 [32] Year 1993
Harro Otto Die Strafbarkeit von Unternehmen und Verbänden
Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin Heft 133
w DE
_G 1993
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Die Strafbarkeit von Unternehmen und Verbänden
Von Harro Otto
Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 26. Mai 1993
w DE
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1993
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Dr. iur. Dr. iur. h. c. Harro Otto, o. Professor an der Universität Bayreuth
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Otto, Harro: Die Strafbarkeit von Unternehmen und Verbänden : Vortrag, gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 26. Mai 1993 / von Harro Otto. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1993 (Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin ; H. 133) ISBN 3-11-014182-5 NE: Juristische Gesellschaft (Berlin): Schriftenreihe der Juristischen
© Copyright 1993 by Walter de Gruyter Sc Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teüe ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Saladruck, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Dieter Mikolai, Berlin
Die Strafbarkeit von Unternehmen und Verbänden Die Problematik der Strafbarkeit von Unternehmen und Verbänden läßt sich in drei Fragen umreißen: 1. Warum ist die Bestrafung von Unternehmen und Verbänden überhaupt ein Problem? 2. Besteht eigentlich ein Bedürfnis nach strafrechtlichen Sanktionen im weiteren Sinne gegen Unternehmen und Verbände? und 3. Wenn ein solches Bedürfnis besteht, wie ist ihm abzuhelfen?
I. Die Problematik der strafrechtlichen Sanktionierung von Unternehmen und Verbänden Das deutsche Strafrecht geht bei der Zurechnung sozialgefährlicher und sozialschädlicher Verhaltensweisen und der auf diese zurückzuführenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen von einem relativ einfach und überschaubar strukturierten Zurechnungsmodell aus. Als Täter des strafrechtlich relevanten Geschehens wird die Person angesehen, der ein bestimmtes Ereignis als ihr Werk zugerechnet wird. Andere an dem strafrechtlichen Geschehen Beteiligte, denen nur die Bedeutung von Randfiguren zukommt, können wegen ihres Tatbeitrags u. U. als Teilnehmer - Anstifter oder Gehilfen - strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Einzelheiten dieser Zurechnung können bei einer natürlichen Person als Norm- und Sanktionsadressat durchaus problematisch sein. Die Möglichkeit der Zurechnung selbst jedoch wird als selbstverständlich vorausgesetzt. - Ganz anders stellt sich die Problematik, wenn Unternehmen oder Verbände, d. h. juristische Personen oder andere rechtsfähige Personenvereinigungen Norm- und Sanktionsadressat sind, ζ. B. als Arbeitgeber, Hersteller, Veranstalter oder Unternehmer, und wenn im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit Straftaten begangen werden. Juristische Personen und andere rechtsfähige Vereinigungen sind zwar rechtsfähig und nehmen gleichwertig mit den natürlichen Personen am Rechtsleben teil. Ihre Fähigkeit, sich deliktisch zu verhalten, wird jedoch bestritten. Kurz und knapp faßt Jescheck die h.M. in der Feststellung zusammen: „Das geltende deutsche Recht kennt keine Strafbarkeit von juristischen Personen und Personenvereinigungen1". Zur Begründung führt er aus: „Juristische Personen und Personenvereinigungen sind nur durch ihre Organe handlungsfähig und können deswegen selbst nicht bestraft werden. Ihnen gegenüber hat ferner die in der Strafe hegende sozialethische Mißbilligung keinen Sinn, weil ein Schuldvorwurf nur 1
Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, A.T., 4. Aufl. 1988, §23 V 1.
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gegenüber verantwortlichen Einzelpersonen erhoben werden kann, nicht aber gegenüber unbeteiligten Mitgliedern oder einer Vermögensmasse" 2 . Als Ausweg aus dem Dilemma eröffnen sich zwei Möglichkeiten: Zum einen könnte die Bestrafung der natürlichen Personen, die für die juristische Person oder die Personenvereinigung, d.h. für das Unternehmen oder den Verband handeln, eine Lösung bieten. Zum anderen könnte eine Lösung in der Zurechnung des rechtswidrigen Verhaltens der handelnden natürlichen Personen als Handlungen des Unternehmens oder Verbandes liegen.
II. Die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Sanktionierung von Unternehmen und Verbänden
1. Die Haftung natürlicher Personen im Rahmen ihrer Tätigkeit für ein Unternehmen oder einen Verband Die Haftung für den Verstoß gegen Normen des Strafrechts oder Ordnungswidrigkeitenrechts, die sich unmittelbar gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung als Adressaten richten, hat der deutsche Gesetzgeber in § 14 StGB und § 9 OWiG geregelt. Organe und gesetzliche Vertreter haften danach bei ihrer Tätigkeit für die juristische Person oder Personenvereinigung uneingeschränkt für die Verletzung jener Pflichten, die das Unternehmen oder den Verband treffen, während sog. gewillkürte Vertreter nur dann als Täter strafbar sind, wenn sie entweder beauftragt sind, den Betrieb ganz oder zum Teil zu leiten, oder aufgrund ausdrücklichen Auftrags in eigener Verantwortung Aufgaben wahrnehmen, die dem Inhaber des Betriebes obliegen. Die Einzelheiten dieser Regelung sind vielfältiger Kritik unterzogen worden, insbesondere ist wiederholt mit Nachdruck darauf hingewiesen worden, daß die Regelung der Haftung gewillkürter Vertreter lückenhaft und darüber hinaus sachwidrig eingegrenzt ist3. Auch der Gesetzgeber mußte bereits im Jahre 1982 feststellen, daß das Erfordernis der ausdrücklichen Beauftragung, in eigener Verantwortung Pflichten zu erfüllen, die den Inhaber des Betriebes treffen, der Strafvorschrift in diesem Bereich jegliche Bedeutung nimmt: „In der Praxis hat sich gezeigt, daß ein solcher besonderer Auftrag häufig nicht erteilt wird oder sich nicht nachweisen läßt. In der Regel werden im Rahmen der unerläßlichen Delegation von Aufgaben in einem Betrieb den einzelnen Personen Wie F n . l . Vgl. dazu Bruns, JZ 1954, 12ff.; ders., JZ 1958, 461 ff.; R.Schmitt, JZ 1967, 699; ders., JZ 1968, 123 ff.; Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, 1979, S. 140 ff.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität, Bd. 1, 1976, S. 202 f.; ders., NJW 1986, 1843. 2 3
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bestimmte Aufgaben zugewiesen, für deren Erfüllung sie verantwortlich einzustehen haben, ohne daß dabei im einzelnen die Pflichten genannt werden, die sich von selbst aus dem Verantwortungsbereich ergeben. Das Wesen des Auftrages besteht also erfahrungsgemäß bei einer betrieblichen Delegation in der Zuweisung der Aufgaben und des damit verbundenen Verantwortungsbereichs, nicht jedoch in der Übertragung von strafrechtlich abgesicherten Pflichten. Uber sie wird der Beauftragte lediglich dann unterrichtet, wenn und soweit darüber Unklarheiten bestehen können. Häufig wird der Beauftragte auf Grund seiner Ausbildung und Erfahrung ohnehin darüber unterrichtet sein, welche Gebote und Verbote er in seinem Aufgabenbereich zu beachten hat, oder sogar größere Einzelkenntnisse hierüber haben als der Inhaber des Betriebes oder derjenige, der ihm sonst (ζ. B. Personalchef) den Aufgabenkreis zuweist. Es besteht danach in sehr vielen Fällen gar kein Anlaß, den Beauftragten über den Pflichtenkreis, der mit dem Auftrag verbunden ist, aufzuklären" 4 .
Diese und die anderen „eklatanten und teilweise notorischen Mängel" 5 der gesetzlichen Regelung können hier dahinstehen, denn sie stellen nicht die grundsätzliche Möglichkeit in Frage, an Stelle des Unternehmens oder Verbandes eine strafrechtliche Haftung der Organe oder Vertreter dieser Institutionen zu statuieren. Genausowenig berührt die Vertreter- und Organhaftung die persönliche Haftung der Personen, die bei ihrer Tätigkeit in einem Unternehmen oder Verband andere in ihren strafrechtlich geschützten Rechtsgütern schädigen. Soweit eine Rechtsgutsverletzung auf das pflichtwidrige Verhalten einer bestimmten Person zurückgeführt werden kann, begründet die Tatsache der Tätigkeit in einem Unternehmen oder Verband keine rechtlichen Sonderregeln gegenüber der Haftung der in anderen Bereichen tätigen natürlichen Personen. — Jedoch bedingt die Tätigkeit in einem Unternehmen oder Verband oft die Unmöglichkeit, einen bestimmten Erfolg oder ein bestimmtes schädigendes Ereignis auf eine konkrete Person als Täter zurückzuführen.
a) Grenzen der Zurechnung von Rechtsgutsverletzungen bei der Tätigkeit in einem Unternehmen oder Verband In einem Unternehmen oder Verband befindet sich der Einzelne in einem Geflecht ausführender, delegierender, anordnender, kontrollierender und beratender Tätigkeit. Nachdem in vielen Unternehmen in den siebziger Jahren von hierarchisch starren Organisationsstrukturen Abschied genommen wurde, setzten sich mehr kooperative Führungsmodelle durch. Sie sind gekennzeichnet durch eine Dezentralisation von Aufgaben und durch Partizipation einer größeren Anzahl von MitarbeiBR-Drucks. 219/82, S. 15. Tiedemann, NJW 1986, 1843; vgl. dazu auch Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 140 ff. 4 5
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tern an der Entscheidungsgewalt im Unternehmen. Die Herrschaftsaufgabe der Führungskräfte wird dabei ergänzt und teilweise ersetzt durch Vermittlungsaufgaben 6 . Schon in dieser Dezentralisation und Kooperation der Unternehmensführung lag die Gefahr der „Verflüchtigung von Verantwortung" begründet. Inzwischen geht die Entwicklung jedoch darüber hinaus. Nicht mehr in der Delegation von Aufgaben an Einzelne, sondern in der Autorisierung von Arbeitsgruppen im Unternehmen wird die zukünftige Organisationsform von Unternehmen gesehen. Nach neueren Organisationsmodellen kommt es darauf an, Unternehmen nicht mehr in Ebenen zu organisieren, sondern Aufgaben und Kompetenzen in Arbeitsbereichen zu bündeln, mit der Folge, daß Bereiche gemeinsamer Aktivität über die ehemaligen Systemgrenzen hinweg gebildet werden. Der Verband entsteht durch systeminterne Auflösungsprozesse von der festen Abteilungskoppelung zum lockeren Verband von Subsystemen. „Assoziative Organisation" 7 oder „Adhocracy" 8 sind die Bezeichnung der entsprechenden Systemmerkmale in der Managementlehre9. In derart organisierten Unternehmen wird es im Regelfall nicht nur schwer nachweisbar sein, auf welche konkrete Person eine bestimmte Rechtsgutsverletzung zurückzuführen ist, im Zweifel wird die Rechtsgutsverletzung überhaupt nicht auf eine einzelne konkrete Person zurückzuführen sein. Das von dem amerikanischen Soziologen D. Wright Mills gezeichnete Bild der „organisierten Unverantwortlichkeit in der arbeitsteiligen Wirtschaft" tritt geradezu plastisch vor Augen.
b) Die einheitliche Bewertung der auf mehrere Personen zurückzuführenden Rechtsgutsverletzung Die Situation der „organisierten Unverantwortlichkeit" sollte gleichwohl nicht dramatisiert werden, denn im Falle vorsätzlicher Schädigung Dritter bietet die Mittäterschaft durchaus Möglichkeiten strafrechtlicher Sanktionierung. Daß in diesem Bereich die Beweisschwierigkeiten erheblich größer sind als in anderen Bereichen, ist bisher nicht nachgewiesen worden. - Ganz anders stellt sich die Problematik aber in den Fällen der vermeidbaren, nicht vorsätzlichen Schädigung Dritter durch das Verhalten mehrerer Personen. ' Dazu mit eingehenden Nachweisen Schiinemann, Unternehmenskriminalität, S. 34 ff. 7 Bosetzky, Grundzüge einer Soziologie der Industrieverwaltung, 1970, S. 123 ff. 8 Mintzberg, Structure in Systems: A Synthesis of the Research on Organization Design, 1980, S.336ff. 9 Remer, Organisationslehre, 1989, S.215ff. m . w . N .
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In der Literatur wird die Möglichkeit einer fahrlässigen Mittäterschaft weithin abgelehnt10. Diese Ablehnung bleibt jedoch nichtssagend, denn letztlich wird nur der Beweis geführt, daß die Kriterien, nach denen der Täter des Vorsatzdelikts bestimmt wird, nicht geeignet sind, den Täter und damit den Mittäter des Fahrlässigkeitsdelikts zu definieren. Die Argumentation beruht nämlich auf der Feststellung, daß das fahrlässige Deliktsverhalten im Rahmen eines Erfolgsdelikts nicht durch die arbeitsteilige Steuerung des Geschehens auf den Deliktserfolg hin charakterisiert ist, das im Vorsatzbereich die Mittäterschaft konstituiert. Dieses ist jedoch eine Selbstverständlichkeit, denn sie bringt nur zum Ausdruck, daß das Vorsatzelement der finalen Steuerung des Geschehens auf den Erfolg hin dem Fahrlässigkeitsdelikt fehlt und daß daher Täterschaft beim Fahrlässigkeitsdelikt nicht mit Vorsatzkriterien begründet werden kann. Auch im Vorsatzbereich ist es nicht die bewußte, arbeitsteilige Steuerung des Geschehens bis zum Erfolg, die die Mittäterschaft begründet, sondern die bewußte, arbeitsteilige Begründung oder Erhöhung jener Gefahr, die sich im Erfolg realisiert. Dem Tatplan im Vorsatzbereich entspricht im Fahrlässigkeitsbereich beim Begehungsdelikt das Bewußtsein der Beteiligten arbeitsteilig einen Sachverhalt zu verwirklichen, durch den Gefahren für Rechtsgüter anderer begründet oder erhöht werden. Die Gefahr selbst braucht nicht erkannt zu werden, jedoch muß die Gefährdung und die Realisierung der Gefahr in der Rechtsgutsverletzung den Beteiligten vorhersehbar sein. - Im Unterlassungsbereich entspricht der gemeinschaftlichen Gefahrbegründung oder -erhöhung die Ubereinkunft der Beteiligten, die Gefahr nicht abzuwenden oder zu vermindern, zu deren Abwendung oder Minderung sie rechtlich verpflichtet sind11. Entsprechend dem Tatentschluß beim Vorsatzdelikt ist beim Fahrlässigkeitsdelikt auch hier nur das Bewußtsein des gemeinschaftlichen Unterlassens eines bestimmten Verhaltens erforderlich, während die Verpflichtung zum Handeln und die Realisierung der nicht abgewendeten oder nicht verminderten Gefahr im Erfolg nur vorhersehbar gewesen sein müssen.
10 Vgl. Baumann/Weber, Strafrecht, A.T., 9. Aufl. 1985, S.527f.; Günther, JuS 1988, 386 Fn. 3; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 72 ff.; Jescheck, A.T., §61 VI; Roxin, LK, 11. Aufl. 1992 ff., §25 Rdn.217; Samson, SK I, Stand: Dez. 1992, §25 Rdn.54, 41. Konstruktiv für möglich halten die fahrlässige Mittäterschaft hingegen: Bindokat, JZ 1979, 434; Brammsen, Jura 1991, 537f.; Cramer, in: Schönke/Schröder, StGB, 24. Aufl. 1991, §25 Rdn. 101; Otto, Spendel-Festschrift, 1992, 281 ff.; ders., Grundkurs Strafrecht, 4. Aufl. 1992, §21 V 4 a; Schmidhäuser, Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1975, 14/30; ders., Strafrecht, A.T., Studienbuch, 2. Aufl. 1984, 10/68 f.; Walther, Eigenverantwortlichkeit und strafrechtliche Zurechnung, 1991, S. 117 ff. 11 Eingehend dazu Otto, Spendel-Festschrift, S. 282 ff.
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c) Die Stellungnahme des
Bundesgerichtshofs
Auch der Bundesgerichtshof hat in der sog. Lederspray-Entscheidung12 eine strafrechtliche Haftung für die fahrlässig unterlassene Abwendung bzw. Minderung von Gefahren, die nur durch gemeinschaftliches Handeln mehrerer beseitigt oder vermindert werden konnten, anerkannt. Die Begründung des Ergebnisses ist allerdings widersprüchlich und dunkel, denn zu einem ausdrücklichen Bekenntnis zur Konstruktion der Mittäterschaft im Fahrlässigkeitsbereich konnte sich der Bundesgerichtshof nicht durchringen, obwohl seine Ausführungen zur Haftung wegen fahrlässiger Körperverletzung im Anschluß an die Darlegungen zur mittäterschaftlichen Haftung wegen vorsätzlicher Körperverletzung folgen und entsprechend zur Begründung der vorsätzlichen Mittäterschaft aufgebaut sind. Die Begründung „klebt" jedoch am Kausalitätsnachweis, wobei an den Sonderfall kumulativer Kausalität angeknüpft wird und das dort gefundene Ergebnis wenig überzeugend auf die konkrete Unterlassungssituation übertragen wird. - Verallgemeinerungsfähig wird das Ergebnis daher erst, wenn man die Schwäche dieser Konstruktion überwunden hat. Gegenstand der Entscheidung war die Frage, wieweit die gesamtvertretungsberechtigten Geschäftsführer einer GmbH für das Unterlassen des Rückrufs eines gefährlichen Produkts verantwortlich waren, wobei unterstellt wurde, daß u. U. ein einstimmiger Rückrufbeschluß nicht zustande gekommen wäre. - Der Bundesgerichtshof geht zur Klärung der Problematik zunächst von einem Fall positiven Tuns aus, „wo mehrere Beteiligte unabhängig voneinander den tatbestandsmäßigen Erfolg erst durch die Gesamtheit ihrer Handlungsbeiträge herbeiführen", und legt dar, daß in diesem Fall „jeder einzelne Beitrag im haftungsbegründenden Sinne ursächlich ist" 13 . Mit dem Nachweis der Kausalität sieht er offenbar die Begründung der Täterschaft als hinreichend an, denn dem Einwand, daß der in diesem Sinn kausal Handelnde nur dann für den Erfolg einzustehen hat, wenn die Handlungen der anderen als unwesentliche Abweichung des von ihm begründeten Kausalverlaufs angesehen werden, hält er entgegen, daß dadurch nicht der Kausalverlauf, sondern allein der Vorsatz betroffen wäre14. - Jedoch nicht in der Kausalität, sondern in der Zurechnung der kausalen Beiträge anderer liegt die Problematik der Fälle kumulativer Kausalität. Wenn A, der mit Β in einer Scheune voller Heu ist, dem Β auf dessen Bitten Streichhölzer gibt, damit Β sich eine Zigarette anzünden kann, und dabei durch einen Funken das Heu in Brand gerät, der
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BGHSt. 37, 106, 130 ff. BGHSt. 37, 131. BGHSt. 37, 131.
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Brand wiederum den gleichfalls in der Scheune befindlichen C so erschreckt, daß er zum Ausgang rast, wobei er mit der gerade in die Scheune tretenden D zusammenstößt, so daß diese umfällt und aufgrund des Aufschlagens mit dem Kopf bewußtlos liegen bleibt und anschließend ein Opfer der Flammen wird, weil niemand sich um sie kümmert, so haben A, B, C und die D selbst notwendige Bedingungen zum Tode der D gesetzt. Damit ist aber noch nicht entschieden, wem die Tötung der D als eigene Tat zuzurechnen ist. Die Feststellung der Kausalität mag durchaus eine Bedingung der Zurechnung eines Gesamtgeschehens sein. Ob weitere und welche weiteren kausalen Bedingungen der verschiedenen Personen dem einzelnen Beteiligten jeweils zugerechnet werden, so daß er als Täter für das Gesamtgeschehen haftet, ist damit nicht einmal angedeutet, von einer Klärung ganz abgesehen15. Sind die Ausführungen insoweit daher ergänzungsbedürftig, so geraten sie bei der anschließenden Übertragung auf die Unterlassungssituation, in der mehrere Beteiligte nur durch gemeinsames Handeln einen bestimmten Erfolg abwenden können, auf einen Holzweg. Der Bundesgerichtshof legt nämlich dar: „Was aber hiernach für die Handlungsverantwortlichkeit gilt, muß ebenso auch im Bereich der strafrechtlichen Haftung für Unterlassen gelten. Kann die zur Schadensabwendung gebotene Maßnahme . . . nur durch das Zusammenwirken mehrerer Beteiligter zustande kommen, so setzt jeder, der es trotz seiner Mitwirkungskompetenz unterläßt, seinen Beitrag dazu zu leisten, eine Ursache dafür, daß die gebotene Maßnahme unterbleibt" 16 . Zutreffend hat Puppe dazu bemerkt, daß dieser Vergleich logisch falsch ist, denn wenn das Zusammenwirken mehrerer notwendig ist, um einen Erfolg zu verhindern, so ist die Weigerung jedes einzelnen von ihnen hinreichend, ihn herbeizuführen. Es bedarf gerade nicht des Zusammenwirkens mehrerer beim Unterlassen, damit der Erfolg eintreten kann. Daher ist der Fall nicht mit dem vergleichbar, daß mehrere positiv Handelnde zusammenwirken müssen, um den Erfolg zustande zu bringen 17 . Das braucht jedoch nicht weiter verfolgt zu werden, denn den Kern des Problems, der keineswegs in der Kausalität, sondern in der - normativen Zurechnung liegt, trifft der Bundesgerichtshof nur wenig später, wenn er
15 Deshalb kann es auch dahinstehen, ob die Kausalitätsfeststellung des B G H angreifbar oder ergänzungsbedürftig ist; dazu vgl. Kuhlen, NStZ 1990, 570; Meier, NJW 1992, 3198; Samson, StV 1991, 185. 16 BGHSt. 37, 131. 17 Puppe, J R 1992, 32.
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das Ergebnis, daß jeder der Angeklagten für das Unterbleiben des Rückrufe und die dadurch verursachten Schadensfolgen strafrechtlich einzustehen hat, auf die Erwägung gründet: „Nur dieses Ergebnis wird der gemeinsamen und gleichstufigen Verantwortung der Geschäftsführer gerecht" 1 8 . - Hier wird deutlich, daß der Bundesgerichtshof in der gemeinsamen Verantwortung für die Abwendung bestimmter Erfolge die Grundlage findet, das jeweilige Einzelunterlassen zu einer einheitlichen Unterlassung zusammenzufassen, die allen zugerechnet wird. Diese Zurechnung kann aber nur über die Mittäterschaft erfolgen". Erst unter der Voraussetzung, daß die Beteiligten als Mittäter angesehen werden, ist ihre Haftung für den Erfolg entsprechend der Haftung als Mittäter im Vorsatzbereich schlüssig dargelegt. Auch dann ist allerdings bemerkenswert, daß ein gemeinsamer Entschluß, ein bestimmtes Verhalten nicht zu erbringen, nicht vorausgesetzt wird, sondern bereits das Bewußtsein, gemeinsam ein bestimmtes Verhalten erbringen zu können, als Einheit begründendes Element vom Bundesgerichtshof für ausreichend erachtet wird. - In der Sache ist diese Klammer allerdings durchaus geeignet, die einzelnen Verhaltensweisen zu einem einheitlichen Geschehen zu verbinden, das jedem Beteiligten dann als Mittäter zugerechnet wird 20 . Ohne dieses mittäterschaftliche Band würde die objektive Zurechnung des Erfolgs in diesem Bereich auf eine vage Kausalbeziehung reduziert und damit geradezu Zufallscharakter erhalten. Das läßt sich an einer Entscheidung des schweizerischen Bundesgerichts21 instruktiv verdeutlichen: A und Β hatten auf einer Straße oberhalb eines Flußufers Felsbrocken entdeckt und sich entschlossen, diese - zur Sicherheit des Verkehrs - beiseite zu räumen und über die Uferböschung hinabzustürzen. Jeder rollte einen Felsbrocken an den Abhang, wo er hinabstürzte. Durch einen der Brocken wurde der am Flußufer angelnde C getötet. Wer den tödlichen Brocken gerollt hatte, war nicht festzustellen. Das schweizerische Bundesgericht verurteilte A und Β wegen fahrlässiger Tötung des C. Roxin meint, in diesem Falle bedürfe es nicht der Konstruktion der fahrlässigen Mittäterschaft, um die Haftung des A und des Β für den Tod des C zu begründen. „Denn wenn einer die durch das Handeln des anderen geschaffene Gefahr „mitsetzt", har er auch das Hinabrollen des Steines durch den anderen mitverursacht, so daß ihm auch ein dadurch herbeigeführter Todeserfolg zugerechnet werden kann" 22 . - Das überzeugt nicht, denn würde ζ. B. feststehen, daß A den tödlichen
BGHSt. 37, 132. " Vgl. dazu auch Brammsen, Jura 1991, 537. 20 Eingehender dazu Otto, Spendel-Festschrift, S. 283 ff. - Vgl. auch Lackner, StGB, 20. Aufl. 1993, §25 Rdn. 13. 21 BGE 113 IV 58 mit Anm. Otto, Jura 1990, 47 ff. 22 LK, §25 Rdn. 221. 18
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Steinbrocken an den Abgrund gerollt hätte, so würde allein die Tatsache, daß auch Β durch seine Zustimmung zur Beseitigung der Steine eine Ursache für den Erfolg mitgesetzt hat, kaum ein hinreichender Grund sein, ihn als Nebentäter wegen fahrlässiger Tötung des C zu bestrafen. Die bloß kausale Verknüpfung zwischen Β und dem tödlichen Ereignis genügt den Erfordernissen objektiver Zurechnung noch nicht. Erst die Zuschreibung gemeinsamer Verantwortung für die arbeitsteilig begründete Gefahrenlage schafft hier die Grundlage für eine gemeinsame Haftung für den Erfolg, und zwar gleichgültig, ob feststeht oder nicht feststellbar ist, wer den tödlichen Stein gerollt hat.
d) Konsequenzen aus der mittäterschaftlichen im Fahrlässigkeitsbereich
Haftung
Wird die mittäterschaftliche Haftung im Fahrlässigkeitsbereich akzeptiert, so hat das weitreichende Konsequenzen. Wann immer mehrere gemeinschaftlich für die Vermeidung eines bestimmten Erfolges verantwortlich sind, haften sie für diesen Erfolg, wenn sie selbst nicht alles ihnen persönlich Mögliche und Zumutbare getan haben, um ihn abzuwenden23. Besonders im Bereich der Umweltkriminalität kann das die rechtliche Situation erheblich beeinflussen, weil dem rechtswidrig Handelnden oder Unterlassenden damit die Möglichkeit genommen wird, die eigene Verantwortung im Hinblick auf das rechtswidrige Verhalten anderer abzuweisen. Ist ζ. B. A mit der Messung des Verschmutzungsgrades von Abwässern und der Weiterleitung dieser Daten an Β betraut, damit Β die Ableitung dieser Abwässer in einen Fluß stoppen kann, falls bestimmte Höchstwerte überschritten sind, und kommt weder A der Pflicht nach zu messen, noch Β der Pflicht, sich über die übermittelten Daten zu informieren, so führt die isolierte Betrachtung des Verhaltens von A und Β zu einem eigenartigen Ergebnis. A kann sich entlasten mit dem Hinweis, daß auch die Übermittlung der pflichtgemäß gemessenen Daten die Einleitung des Schmutzwassers nicht verhindert hätte, während Β sich gleichfalls der Verantwortung entledigen kann, indem er geltend macht, auch ordnungsgemäße Kenntnisnahme der übermittelten Daten hätten den Sachverhalt nicht beeinflußt, weil diesen Daten die Gefahr der Wasserverunreinigung nicht zu entnehmen war. Werden A und Β nunmehr als gemeinschaftlich Verantwortliche für die ordnungsgemäße Wasserableitung erfaßt, so haften sie als Mittäter für die Wasserverunreinigung.
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Dazu auch BGHSt. 37, 131 f.
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e) Grenzen der mittäterschaftlichen
Haftung
Gleichwohl sollte die Leistungsfähigkeit der Konstruktion bei Rechtsgüterbeeinträchtigungen in und aus einem Unternehmen heraus nicht überschätzt werden. Die Konstruktion ermöglicht eine sachgerechte Haftung in Fällen gemeinschaftlicher Verantwortung für die Vermeidung ganz bestimmter Erfolge. Sie kann aber nicht derart ausgeweitet werden, daß das gesamte Unternehmen als Einheit bewertet wird mit der Konsequenz, daß alle in dem Unternehmen verantwortlich oder leitend Tätigen als gemeinsam Verantwortliche dafür angesehen werden, daß beim Betrieb des Unternehmens nicht durch sorgfaltspflichtwidriges Verhalten für Dritte Gefahren erwachsen. Das Band der Mittäterschaft würde damit gesprengt. - Unabhängig davon hat die Rückführung rechtswidriger Rechtsgüterbeeinträchtigungen auf Einzelpersonen einen weiteren Mangel. Im konkreten Fall kann die Schuld der einzelnen Beteiligten sehr gering sein. Die aufgrund dessen geringe Strafe wird dementsprechend untauglich sein, speziai- oder generalpräventiv auf eine Verbesserung der Unternehmensorganisation hinzuwirken. Darüber hinaus kann die gefahrträchtige Entscheidung, die nunmehr zu einer Rechtsgüterverletzung geführt hat, vor vielen Jahren getroffen worden sein24, richtige Vorgaben des Managements können auf unteren Ebenen unterlaufen werden, ohne daß dort eine Rechtsgutsverletzung vorhersehbar wäre. Erst wenn es gelingt, auch diese Organisationsmängel in der Sanktion zu berücksichtigen, kann eine Verbesserung der Gesamtorganisation erwartet werden. Andernfalls dürfte es kaum gelingen, dem Bürger die Rechtsprechung in diesem Bereich verständlich zu machen. Wenn z. B. im Falle der Brandkatastrophe bei der Firma Sandoz im Jahre 1986, die zu einer Verschmutzung des Rheins auf 280 km führte, nach jahrelangen Strafverfahren letzdich zwei Angehörige der Werksfeuerwehr zu 200,— bzw. 500,— Franken Geldstrafe verurteilt wurden, weil sie im Anschluß an die Löscharbeiten den „Tatort" sauberspritzten und auf diese Weise den Schmutz im Rhein vermehrten, so steht das in keinem Verhältnis zur Bedeutung des Falles. - Das begründet das Bedürfnis nach einer Haftung von Unternehmen und Verbänden.
III. Die Zurechnung rechtswidriger Verhaltensweisen der für ein Unternehmen oder für einen Verband Tätigen zum Unternehmen oder Verband Für die strafrechtliche Haftung des Unternehmens oder Verbandes ist es irrelevant, ob man das zugerechnete Unrecht als ein Eigenverschulden " Vgl. dazu Stratenwerth, R.Schmitt-Festschrift, 1992, S.300Í.; Volk, JZ 1993, 433.
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der durch Organe handelnden Verbandsperson - so die Organtheorie oder als eine Verantwortlichkeit der Verbandsperson für das Verschulden Dritter - so die Gegner der Organtheorie - deutet25. Allein maßgeblich ist, ob und wieweit zugerechnet werden kann.
1. Die Zurechnung von Handlungen und Unterlassungen Die juristische Person nimmt am Rechtsleben durch die Handlungen ihrer Organe und Vertreter teil. Auch wenn sie als solche nicht handlungsfähig ist, so handeln diese Personen für sie. Dabei kann es nicht darum gehen, diese Handlungen auf Rechtsakte zu beschränken, vielmehr sind der juristischen Person die rechtlich relevanten Verhaltensweisen ihrer Vertreter und Organe schlechthin zuzurechnen, soweit diese für die juristische Person tätig werden. Eine Begrenzung hätte hier zur Folge, daß der juristischen Person die Möglichkeit genommen wird, gleichwertig mit den natürlichen Personen am Rechtsleben teilzunehmen. Rechtlich relevante Handlungen oder Unterlassungen der für ein Unternehmen oder einen rechtsfähigen Verband verantwortlich tätigen Personen können dem Unternehmen oder Verband daher zugerechnet werden26.
2. Die Zurechnung zur Schuld a) Die Zurechnung von Schuld auf der Grundlage des normativen Schuldhegriffs Weit problematischer ist die Zurechnung fremder Schuld. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in der Zurechnung fremder Schuld zu einer juristischen Person keine besondere Schwierigkeit gesehen und geht im Hinblick auf die juristische Person davon aus: „Wird sie für schuldhaftes Handeln im strafrechtlichen Sinne in Anspruch genommen, so kann nur die Schuld der für sie verantwortlich handelnden Personen maßgebend sein"27. Diese Zurechnung ist jedoch mit erheblichen Problemen belastet, wenn Schuld als höchstpersönlicher Sachverhalt aufgefaßt wird. Genausowenig wie Mittätern die Schuld der jeweils anderen Mittäter zugerechnet werden kann - davon geht §29 StGB aus - kann die Schuld der Organe der juristischen Person dann die Schuld der juristischen Person begründen. Dazu K.Schmidt, wistra 1990, 133 mit Nachweisen in Fn.31, 32. Dazu BVerfGE 20, 323, 335 f. - Im übrigen vgl. Brender, Die Neuregelung der Verbandstäterschaft im Ordnungswidrigkeitenrecht, 1989, S. 54 ff.; Hirsch, Die Frage der Straffähigkeit von Personenverbänden, 1993, S.9ff.; E.Müller, Die Stellung der juristischen Person im Ordnungswidrigkeitenrecht, 1985, S. 17 ff. 27 BVerfGE 20, 336. 25 26
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Das herkömmliche Verständnis der Schuld, von dem auch der Bundesgerichtshof in BGHSt. 2, 194, 200 ausgeht und an das das Bundesverfassungsgericht in den Entscheidungen BVerfGE 22, 49, 80 und BVerfGE 27, 18, 33 anknüpft, geht von der Höchstpersönlichkeit der Schuld aus. Dieser Sachverhalt wird z.T. verdeckt durch die fälschliche Identifizierung der Schuld mit Vorwerfbarkeit28, denn Schuld besteht keineswegs darin, daß man dem Schuldigen einen Vorwurf machen kann - dann bestände Schuld in der Tat nur in den Köpfen der anderen29 - , sondern umgekehrt, weil jemand schuldig an einem Unrecht im Dasein eines anderen ist, kann ihm ein Vorwurf gemacht werden30. Dieser Vorwurf kann aber nur deshalb gegen ihn erhoben werden, weil davon ausgegangen wird, daß der Täter sich rechtswidrig verhalten hat, obwohl er unter den konkreten Umständen fähig war, sich durch die Rechtsnorm zu rechtmäßigem Verhalten bestimmen zu lassen. „Dem Täter wird" - wie der Bundesgerichtshof es ausdrückt - „vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können. Der innere Grund des Schuldvorwurfs liegt darin, daß der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, sein Verhalten nach den Normen des rechtlichen Sollens einzurichten und das rechtlich Verbotene zu vermeiden"31. Der Mißbrauch der Freiheit wiederum legitimiert mit der staatlichen Strafe ein Übel gegenüber dem Täter, mit dem „ein ehrenrühriges, autoritatives Unwerturteil über eine Verhaltensweise des Täters, der Vorwurf einer Auflehnung gegen die Rechtsordnung und die Feststellung der Berechtigung dieses Vorwurfs verbunden sind"32. Der Vorwurf, der dem Täter gemacht wird, beruht auf seinem sozial-ethischen Versagen. Weil der Täter sich rechtstreu hätte verhalten können, wird in seinem Verhalten ein sozialethisches Versagen gesehen und deshalb ein Vorwurf gegen ihn begründet. Dieser Vorwurf setzt daher logisch die Möglichkeit individuellen Andershandelns voraus und damit eine empirische Fähigkeit, die der juristischen Person oder dem Verband nicht zu eigen ist.
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Die Identifizierung von „Schuld und Vorwerfbarkeit", in BGHSt. 2, 194, 200 - vgl. auch Dreher/Tröndle, StGB, 46. Aufl. 1993, Vor § 13 Rdn.28; Lackner, StGB, Vor §13 Rdn.23 - hat das hier obwaltende Mißverständnis wesentlich verstärkt. 29 Dazu bereits Rosenfeld, ZStW 32 (1911), 469. 30 Vgl. Otto, Grundkurs Strafrecht, A.T., § 12 IV m . N . 31 BGHSt. 2, 200. 32 BVerfGE 27, 18, 33. - Dazu auch Jescheck, A.T., §23 V1.
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Damit liegt im Bekenntnis zu einem so verstandenen Schuldstrafrecht auch eine Stellungnahme im Streit zwischen Determinismus und Indeterminismus, jedoch nicht in dem Sinne einer naturwissenschaftlichen Beweisführung für die eine und gegen die andere Position, sondern im Sinne der Legitimation der Voraussetzungen eines bestimmten Weltbildes. Diese Legitimation der Anerkennung persönlicher Freiheit ist aber in einer freiheitlich verfaßten Rechtsordnung, die auf die Achtung menschlicher Würde gegründet ist, gegeben 33 . Denn die Anerkennung menschlicher Würde beruht auf dem Verständnis der Person, als ein Wesen, das seiner Anlage nach von sich selbst weiß, rational dem eigenen Willen gemäß Kausalverläufe determinieren und mit anderen Gemeinschaft haben kann 34 . Derartige Fähigkeiten kann die juristische Person oder der rechtsfähige Verband als solcher nicht haben. Deshalb kann ein persönlicher Vorwurf nur gegen natürliche Personen, nicht aber gegen Unternehmen oder Verbände erhoben werden 35 . b) Die Zurechnung von Schuld auf der Grundlage des sozialen Schuldbegriffs Der soeben umrissene normative Schuldbegriff gilt jedoch heute keineswegs mehr unangefochten. Er ist in der Entwicklung zum sozialen Schuldbegriff hin umgestaltet und inhaltlich verändert worden. Unabhängig von Einzelheiten und unterschiedlichen Nuancierungen ist es zunächst das Anliegen der Vertreter des sozialen Schuldbegriffs, den Schuldvorwurf von einem individuellen sittlichen Vorwurf zu befreien und diesen durch einen lediglich sozialen Vorwurf zu ersetzen. Der Tadel ist „nur ein sozialer Tadel wegen des Zurückbleibens hinter Verhaltensan33 Vgl. dazu im einzelnen Dreher, Die Willensfreiheit, 1987, S. 5 ff.; ders., Spendel-Festschrift, 1992, S. 14 f.; Griffel, GA 1989, 193; Jescheck, LK, 10. Aufl. 1978ff., Vor § 1 3 Rdn.66f.; Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, 2. Aufl. 1976, S. 127 ff., 279; ders., Jura 1986, 226 ff.; Lenckner, in: Göppinger/Witter (Hrsg.), Handbuch der forensischen Psychiatrie, Bd. 1, 1972, S. 35; Otto, G A 1981, 481 ff.; Rudolphi, SK I, Vor § 1 9 Rdn. 1; Schönke/Schröder/Lenckner, Vor §§13 ff., Rdn. 110; Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, 1984, S. 160ff.; Stratenwerth, Strafrecht, A.T. I, 3.Aufl. 1981, Rdn.507ff. 34 Eingehender dazu Otto, Grundkurs Strafrecht, A. T., § 1 II 6. 35 Vgl. Brender, Neuregelung, S. 58 ff.; Engisch, Verhandlungen des 40. Dt. Juristentages, Bd. II, 1954, E 24; Härtung, Verhandlungen des 40. Dt. Juristentages, Bd. II, 1954, E 43 ff.; Heinitz, Verhandlungen des 40. Dt. Juristentages, Bd. I, 1953, S.85; Jescheck, ZStW 65 (1953), 212f.; ders., A.T., §23 V 1; Lange, JZ 1952, 262ff.; R.Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, 1958, S. 196; Schünemann, Die Strafbarkeit der juristischen Person aus europäischer Sicht, unter III 3, 4 a, in: Schünemann/Tiedemann (Hrsg.), Bausteine eines europäischen Wirtschaftsstrafrechts, 1993.
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forderungen, die der freiheitlich verfaßte und daher menschliche Freiheit anerkennende Staat an seine Bürger mit normaler Motivierbarkeit durch soziale Normen als Grundbedingung friedlichen Zusammenlebens stellen muß" 36 . Gefragt wird, „ob ,ein anderer an Stelle des Täters' unter Anspannung der Willenskraft, die dem Täter möglicherweise gefehlt hat, die rechtswidrige Tat unter den konkreten Umständen hätte vermeiden können" 37 . Begrenzt man den Unterschied zwischen dem sozialen und dem auf die individuelle ethische Verfehlung abstellenden Schuldbegriff lediglich auf den inhaltlichen Unterschied im Vorwurf, so ist dieser Unterschied für die rechtliche Betrachtung jedoch irrelevant. Zwar liegt der individuelle ethische Vorwurf darin, die Freiheit mißbraucht zu haben. Das ist sachlich ein sozialethischer Vorwurf, da dem Täter ein Zurückbleiben hinter den sozialethischen Forderungen vorgeworfen wird. Aber auch der Vorwurf, hinter den sozialen Anforderungen zurückgeblieben zu sein, setzt die Möglichkeit des Täters, ihnen zu genügen, voraus. Beide Schuldbegriffe beruhen damit auf der logischen Prämisse der Entscheidungsfreiheit der Person hinsichtlich der Anforderungen im sozialen Bereich. Nur wenn grundsätzlich die Fähigkeit zum Andershandeln bejaht wird, kann der Täter dafür verantwortlich gemacht werden, daß er sich rechtswidrig statt rechtmäßig verhalten hat. Ob der Bezugsgegenstand in Normen der Sozialethik oder „nur" in sozialen Normen gesehen wird, ist demgegenüber irrelevant. Auch wenn normativer und sozialer Schuldbegriff daher nicht von der erwiesenen höchstpersönlichen Entscheidung ausgehen, die den Schuldvorwurf begründet, setzen sie diese gleichwohl voraus. Das aber verstellt ihren Anhängern den Weg der Zurechnung der Schuld zu einer juristischen Person oder einer rechtsfähigen Vereinigung. Der persönliche - sozialethische oder auch nur soziale - Vorwurf ist an die natürliche Person gebunden.
c) Zurechnung von Schuld auf der Grundlage eines allein generaloder spezialpräventiv verstandenen Schuldhegriffs Eine andere Perspektive eröffnet sich jedoch, wenn der soziale Schuldbegriff von seiner Grundlage gelöst und dahin interpretiert wird, daß das Schuldurteil allein auf das Sosein des Zurückbleibens des Täters hinter bestimmten sozialen Anforderungen gegründet wird 38 . Mit dem Verzicht 36 Lackner, StGB, Vor § 13 Rdn.23. - Vgl. im übrigen Bockelmann, ZStW 75 (1963), 372; Lackner, Kleinknecht-Festschrift, 1985, S.251 f.; Schreiber, Der Nervenarzt 1977, 242. 37 Jescheck, L K , Vor § 13 Rdn. 67 m. e. N . 38 Vgl. dazu E.Müller, Stellung, S.21ff. m . w . N .
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darauf, die Freiheitsfrage überhaupt zu stellen, wird ein Schuldbegriff gewonnen, der frei ist von einem sozialethischen Vorwurf, weil er nur noch das Zurückbleiben des Täters hinter den Leistungen eines Durchschnittsmenschen feststellt. Den so verstandenen sozialen Schuldbegriff hat Schünemann'9 eine dogmatische Mißgeburt genannt, die die Probleme nicht löst, sondern nur verschleiert. Das ist insoweit berechtigt, als der Rekurs auf den sozialen Vorwurf an Stelle des sozialethischen Vorwurfs nicht über die grundsätzliche Problematik des persönlichen Andershandelnkönnens hinwegführt. Daher ist Schünemann zuzustimmen, wenn er darlegt: „Hieran kann auch nicht dadurch das geringste geändert werden, daß man die Schuld nur noch als eine Kategorie des rechtlichen und nicht auch des sittlichen Vorwurfs bezeichnet, denn wenn man unter dem rechtlichen Vorwurf nur noch die juristische Zurechnung versteht, dann ist der strafrechtliche Schuldbegriff offensichtlich zirkulär geworden, weil von Schuld gesprochen wird, wenn Schuld zugerechnet wird" 40 . Geradezu beispielhaft verdeutlicht wird dieser Zirkel in der Arbeit von HansJürgen Schroth: „Unternehmen als Normadressaten und Sanktionsobjekte", 1993. Er geht aus vom normativen Schuldbegriff, dessen grundsätzliche Festlegung er zutreffend darin sieht, daß dieser „auf die pflichtwidrige Willensbildung abstellt, die dem Täter zum Vorwurf gemacht wird41. Daraus folgert er42 sodann aber, daß die damit eingeleitete Trennung von tatsächlicher psychischer Haltung und den daran zu stellenden Anforderungen ein Schuldurteil nach rechtlichen Gesichtspunkten ermögliche43. Entscheidend sei das schuldhafte Abweichen des Täters von den an ihn gerichteten Verhaltensanforderungen. Da aber Unternehmen handlungsfähig seien und von den für sie geltenden Verhaltenspflichten abweichen könnten, entstehe unter Zugrundelegung dieses Schuldbegriffs Raum für einen an Unternehmen gerichteten Schuldvorwurf, sofern einem Unternehmen sinnvoller-
Schünemann, Strafbarkeit, unter III 4 a. Schünemann, Strafbarkeit, unter III 4 a. - Vernichtend auch die Kritik Stratenwerths - R. Schmitt-Festschrift, S. 200, Fn. 23 - an dem Versuch, die Höchstpersönlichkeit des Schuldvorwurfs durch soziale oder rechtliche Kategorien zu ersetzen: „Bemerkenswert sind jedoch die Tendenzen, an die Stelle einer „als persönliche sittliche Fehlleistung verstandenen menschlichen Schuld im klassischen Sinne einen an sozialen und rechtlichen Kategorien ausgerichteten Schuldhegriff im weiteren Sinne zu setzen" — was immer das heißen mag". — Zutreffend betont demgegenüber Volk, JZ 1993, 435, daß es bei der Begründung einer Strafe gegen Unternehmen oder Verbände mit einem modifizierten Schuldbegriff nicht getan ist. 39
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41 H.J. Schroth, Unternehmen als Normadressaten und Sanktionsobjekte, 1993, S. 198. 42 H.-J. Schroth, Unternehmen, S.198f. 43 Hervorhebungen im Originaltext.
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weise eine fehlerhafte Willensbildung angelastet werden könnte. Unter der Geltung eines normativen Schuldbegriffs sei somit der Ausschluß von Unternehmen allgemein oder von verbandsmäßig organisierten Unternehmen aus dem Kreise der tauglichen Adressaten eines Schuldvorwurfs nicht zwingend, weil der Gesetzgeber im Rahmen general- und spezialpräventiver Überlegungen die Reichweite der Tatverantwortung und damit auch den Kreis der Schuldadressaten bestimmen könnte. Das gelte für Kriminaldelikte ebenso wie für Bußgelddelikte. - Zwar sieht H.-J. Schroth, daß der Gedanke der Verantwortung untrennbar mit der Vorstellung menschlichen Fehlverhaltens verknüpft ist 44 . Das bedeute aber nicht, daß es sich stets um einzelmenschliches, organisationsfreies Verhalten handeln müsse, dessentwegen ein Schuldvorwurf erhoben werde. Der Gesetzgeber mache deutlich, wie sich aus der Normadressatenfunktion von Unternehmen und den angedrohten schuldabhängigen Unternehmenssanktionen ergebe, daß nicht nur menschlich-privates Einzelverhalten, sondern auch Verhaltensweisen von Unternehmen zu verantworten seien. Unternehmen sollen zu rechtstreuem Verhalten angehalten und widrigenfalls „bestraft" werden. Diese Form der motivierenden Verhaltenskontrolle impliziere ein motivierbares, menschengesteuertes Verhalten von Unternehmen. In jedem Unternehmensverhalten drücke sich menschliche Willensbildung aus, gestützt auf die Vereinigungsfreiheit der Unternehmensmitglieder, die von ihnen gebilligten Unternehmensstatuten, die gesetzlich vorgeschriebene innere Struktur von Unternehmen je nach Rechtsform sowie auf die Außenvertretung der Unternehmen durch Menschen, u.U. durch den Rechtsträger selbst. Bei Unternehmen in Verbandsform gewährleiste die Zuordnung von Organen, daß der Unternehmenswille in die Tat umgesetzt werden könne. Das Organverhalten repräsentiere die Summe der in dem Unternehmen organisatorisch zusammengefaßten menschlichen Verhaltensweisen. Komme es daher bei der Umsetzung zu einem vorwerfbaren Konflikt mit strafrechtlichen Verhaltensregeln, so liege aus der Sicht der Rechtsgemeinschaft eine fehlerhafte kollektive Willensbildung auf der Unternehmensebene, d. h. eine Unternehmensschuld, vor. Ein an Unternehmen gerichteter Schuldvorwurf träfe die in diesen Einheiten organisatorisch zusammengefaßten, von ihnen ausgehenden additiven oder kollektiven Verhaltensweisen der Mitglieder und Organe, ergäbe also vom Schuldprinzip her gesehen durchaus einen Sinn. Unternehmen seien daher nach Maßgabe des heutigen Entwicklungsstandes des Unternehmensstrafrechts und des Schuldprinzips als schuldfähig anzusehen45. Diese Auffassung ermöglicht nicht nur, Geldbußen gegen Unternehmen anzudrohen und zu realisieren, sondern auch Geldstrafen und andere - geeignete - strafrechtliche Sanktionen46. — Die Legitimation für derart weitreichende Folgen aber ist allein in der gesetzgeberischen Zuschreibung von Schuld begründet. Vor der Unternehmensschuld wird ausgegangen, weil Schuld zugeschrieben wird. Aus diesem Zirkel führt die konsequente Fortentwicklung des sozialen Schuldbegriffs allerdings hinaus, wenn Schuld nicht mehr als Vorausset-
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Unternehmen, S.201f. Unternehmen, S. 209. Unternehmen, S. 218 ff.
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zung irgendeines Vorwurfs bestimmt wird, sondern allein funktional unter Strafzweckaspekten. Am konsequentesten hat Jakobs diesen Weg beschritten. Für ihn ist Schuld nur noch ein „Derivat der Generalprävention"47, so daß Schuld allein durch positive Generalprävention im Sinne der Erhaltung allgemeiner Normanerkennung begründet und nach den Erfordernissen der Prävention bemessen wird48. Der damit inhaltlich umgestaltete Schuldbegriff hat keinen Bezug mehr zur Verantwortung des Täters für seine Tat, zu seiner Fähigkeit, sich rechtstreu zu verhalten, sondern bestimmt lediglich Eignung und Erforderlichkeit der Sanktion unter präventiven Aspekten. Der Schuldgedanke hat damit seine eigenständige Bedeutung verloren, denn diese liegt gerade darin, in der Achtung der Person des Täters der Generalprävention Grenzen zu setzen49. Die bloße Zuschreibung von Schuld „nach dem Maß des Präventionsinteresses begründet nicht mehr die Zulässigkeit einer (zweckmäßigen) Bestrafung, sondern die Zweckmäßigkeit der Bestrafung begründet die Schuld"50. Das Schuldprinzip ist auf das Prinzip zweckmäßiger, d.h. geeigneter und erforderlicher Strafe reduziert. Da aber auch gegen juristische Personen und rechtsfähige Vereinigungen Strafe durchaus als geeignet und erforderlich erscheinen kann, besteht zwischen der Schuld natürlicher und juristischer Personen kein Unterschied51. Mit der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Schuld als Voraussetzung der Strafe hat diese Schuld jedoch nichts mehr gemein. Im Gegenteil, sie hebt den vom Bundesverfassungsgericht herausgestellten Gegensatz zwischen Strafe und bloßer Prävention auf, den das Bundesverfassungsgericht als konstitutiv für die Strafe voraussetzt. „Die Strafe, auch die bloße Ordnungsstrafe, ist im Gegensatz zur reinen Präventivmaßnahme dadurch gekennzeichnet, daß sie - wenn nicht ausschließlich, so doch auch - auf Repression und Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten abzielt. Mit der Strafe, auch mit der Ordnungsstrafe, wird dem Täter ein Rechtsverstoß vorgehalten und zum Vorwurf gemacht. Ein solcher strafrechtlicher Vorwurf aber setzt Vorwerfbarkeit, also strafrechtliche Schuld voraus"52.
Jakobs, Schuld und Prävention, 1976, S. 32. Vgl. Jakobs, Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1991, 17/18 ff. 49 Vgl. auch Schönke/Schröder/Lenckner, Vorbem. §§13 ff., Rdn. 117. 50 Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung als materielle Grundprinzipien des Strafrechts, 1988, S. 17. 51 Konsequent Jakobs, A. T., 6/45. 52 BVerfGE 20, 331. - Dazu auch Hirsch, Straffähigkeit, S. 13. 47 48
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Der Grundsatz, daß Strafe Schuld in diesem Sinne voraussetzt, wurzelt - nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts - „in der vom Grundgesetz vorausgesetzten und in Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 G G verfassungskräftig geschützten Würde und der Eigenverantwortlichkeit des Menschen, die vom Gesetzgeber auch bei der Ausgestaltung des Strafrechts zu achten und zu respektieren sind"53. Mit dem so verstandenen Schuldprinzip ist ein Verbandsstrafrecht nicht in Einklang zu bringen. Aber auch Geldbußen gegen Unternehmen und Verbände sind als selbständige Sanktionen unter Unterstellung eines „VerbandsVerschuldens" oder unter Zurechnung einer Organordnungswidrigkeit ausgeschlossen, wenn die Ordnungswidrigkeiten dem Strafrecht im weiteren Sinne zugerechnet werden, weil sich Kriminalunrecht und Ordnungsunrecht ihrer materiellen Bedeutung nach nicht nach qualitativen, sondern nach quantitativen Merkmalen unterscheiden 54 . - Die Geldbuße gegen ein Unternehmen oder einen Verband nach § 30 O W i G 5 5 ist von diesem Standpunkt aus schwersten Bedenken ausgesetzt: „Die Geldbuße gegen den Verband als selbständige Sanktion unter Zurech-
BVerfGE 25, 269, 285. H.M. vgl. BVerfGE 51, 60, 74; Baumann, JZ 1972, 1; Bockelmann, ZStW 82 (1970), 104 f.; Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 9. Aufl. 1990, Vor § 1 Rdn.5; Jescheck, A.T., § 7 V3b; Lackner, ZStW 82 (1970), 103f.; Siohl, Die Schuldfeststellung bei Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen im Rahmen des Art. 15 VO 17 zum EWG-Vertrag, 1986, S.25ff., 48 ff. m . w . N . 55 §30 OWiG: Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen. (1) Hat jemand als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, als Vorstand eines nicht rechtsfähigen Vereins oder als Mitglied eines solchen Vorstandes oder als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen, durch die 1. Pflichten, welche die juristische Person oder die Personenvereinigung treffen, verletzt worden sind, oder 2. die juristische Person oder die Personenvereinigung bereichert worden ist oder werden sollte, so kann gegen diese eine Geldbuße festgesetzt werden. (2) Die Geldbuße beträgt 1. im Falle einer vorsätzlichen Straftat bis zu einer Million Deutsche Mark, 2. im Falle einer fahrlässigen Straftat bis zu fünfhunderttausend Deutsche Mark. Im Falle einer Ordnungswidrigkeit bestimmt sich das Höchstmaß der Geldbuße nach dem für die Ordnungswidrigkeit angedrohten Höchstmaß der Geldbuße. (3) § 17 Abs. 4 und § 18 gelten entsprechend. (4) Wird wegen der Straftat oder Ordnungswidrigkeit ein Straf- oder Bußgeldverfahren nicht eingeleitet oder wird es eingestellt oder wird von Strafe abgesehen, so kann die Geldbuße selbständig festgesetzt werden. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Straftat oder Ordnungswidrigkeit aus rechtlichen Gründen nicht verfolgt werden 53
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nung der Organstraftat bzw. -ordnungswidrigkeit und Unterstellung eines „Organisationsverschuldens" ist jedoch ebensowenig berechtigt wie die Strafe, weil auch die Geldbuße persönliche Schuld voraussetzt und ein Unwerturteil zum Ausdruck bringt, jedenfalls dann, wenn es sich nicht um bloßes Verwaltungsunrecht handelt. So ist auch die Geldbuße allein gegenüber natürlichen Personen vertretbar, sie kann der Individualstrafe nicht einfach angehängt werden, wenn man sich nicht dem Vorwurf des „Etikettenschwindels" aussetzen will . . . Schon die Frage, nach welchen Kriterien die Geldbuße gegen den Verband der Höhe nach festgesetzt werden soll, wird schwerlich eine befriedigende Antwort finden. Besonders bedenklich ist die selbständig festgesetzte Geldbuße gegen den Verband nach § 30 IV OWiG, weil damit der Zusammenhang mit der Tat und der Verurteilung eines einzelnen preisgegeben wird" 56 . Der Verzicht auf eine sittlich-ethische Mißbilligung oder einen sozialethischen Vorwurf ist nicht geeignet, die Schuldbeziehung zu lösen. Der Bezug auf den bloß sozialen Vorwurf kann dies kaschieren, aber nicht ändern.
IV. Die Lösung vom Schuldprinzip Sollen die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen auch bei den Sanktionen gegen Unternehmen und Verbände gewahrt bleiben, so ist ein weiterer Schritt nötig: Die Lösung vom höchstpersönlichen Schuldvorwurf.
1. Der Lösungsvorschlag
Schünemanns
Den konsequenten Schritt der Lösung vom Schuldprinzip insgesamt bei der Sanktionierung von Unternehmen und Verbänden hat Schünemann getan57. Er sieht in der Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte einen Wandel des Strafrechts vom Vergeltungsstrafrecht zum Präventionsstrafrecht. Innerhalb dieses Präventionsstrafrechts „bemißt sich" seiner Auffassung nach - „die rechtliche Zulässigkeit einer strafrechtlichen Sanktion aber entsprechend der Zweckbestimmung des Strafrechts überhaupt, nämlich die ultima ratio zum Rechtsgüterschutz zu sein,
kann; §33 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt. (5) Die Festsetzung einer Geldbuße gegen die juristische Person oder Personenvereinigung schließt es aus, gegen sie wegen derselben Tat den Verfall nach den §§ 73 oder 73 a des Strafgesetzbuches oder nach § 29 a anzuordnen. 56 Jescheck, A.T., §23 V 3 . Vgl. dazu auch Stratenwerth, R.SchmittFestschrift, S. 296 f. m. w . N . in Fn. 10. 57 Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 232 ff.
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primär nach ihrer Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zum Rechtsgüterschutz, also nach ihrer präventiven Nützlichkeit, die bei der Verbandsgeldbuße im Grundsatz allgemein bejaht wird" 58 . Er betont zwar, daß er - im Gegensatz zu Jakobs - die Schuld keineswegs auf die Generalprävention reduzieren will, sie vielmehr zusätzlich zu der präventiven Nützlichkeit als Legitimationsprinzip der Strafe erhalten wissen will, jedoch keineswegs als exklusives Legitimationsprinzip. Als alternatives gleichrangiges Legitimationsprinzip etabliert er sodann die Idee des Rechtsgüternotstandes. Der Rechtsgüternotstand rechtfertige eine schuldunabhängige Inanspruchnahme eines Unternehmens oder Verbandes dann, „wenn der erforderliche Rechtsgüterschutz auf andere Weise nicht sichergestellt werden kann, wenn die Erhaltung der gefährdeten Rechtsgüter schwerer wiegt als die dem Verband zugefügte Einbuße und wenn eine derartige Verfolgung des höherrangigen auf Kosten des geringerwertigen Interesses nicht gegen sonstige rechtsethische Prinzipien verstößt" 59 . Das aber sei der Fall, wenn bei einer im Rahmen eines Unternehmens begangenen Rechtsgutsverletzung die Täterschaft einer bestimmten natürlichen Person nicht nachgewiesen werden könne und ein Organisationsmangel des Unternehmens die Tat zumindest erleichtert, bzw. ihre Nachweisbarkeit zumindest erschwert hat. Inzwischen hebt Schünemann die Legitimationswirkung des Veranlassungsprinzips hervor, weil sich in der Geldbuße für die Anteilseigner eines Unternehmens nur ein finanzielles Haftungsrisiko realisiere, „wie es bei jeder Veranlassung einer Unternehmenstätigkeit auftritt" 60 . Weiterhin will er den Rechtsgüternotstand nicht mehr auf den Fall beschränken, daß die Ermittlung eines individuellen Täters des Unternehmensdelikts nicht gelingt, weil die im Unternehmen durch eine Fülle von Lernprozessen etablierte Bereitschaft der Mitarbeiter zu bestimmten normverletzenden Handlungen („kriminelle Verbandsattitüde") durch die Ermittlung und Bestrafung eines individuellen Täters nicht aus der Welt geschafft werde61. Demgemäß sieht er eine schuldunabhängige Sanktion gegen ein Unternehmen oder einen Verband dann als gerechtfertigt an, „wenn eine natürliche Person in einem Wirtschaftsunternehmen eine mit Strafe oder Bußgeld bedrohte Handlung begeht, die zum Vorteil des Unternehmens gereichen sollte, und wenn die zur Verhinderung solcher Taten erforderlichen Leitungs- oder Aufsichtsmaßnahmen fehlten oder unvollständig
58 59 60 61
Schünemann, Schünemann, Schünemann, Schünemann,
Strafbarkeit, unter III 5. Unternehmenskriminalität, S . 2 3 6 f . Strafbarkeit, unter III 5 a. Strafbarkeit, unter III 5 b.
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waren"62. Die Legitimation durch den Beweisnotstand ist demnach wesentlich ergänzt worden durch die Legitimation des Veranlassungsprinzips. Das Konzept besticht durchaus durch seine Schlüssigkeit. Gleichwohl kann nicht verkannt werden, daß hier in einem Teilbereich das Schuldprinzip durch Präventionsgesichtspunkte ersetzt wird und damit die gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Position begründet sind, wie gegen die Konzeption von Jakobs, solange die Sanktionen gegen Unternehmen oder Verbände als Strafen, wenn auch im weiteren Sinne, interpretiert werden. - Unabhängig davon sind aber auch weitere Einwände geltend zu machen: Da das Modell unmittelbar an die mit Strafe oder Bußgeld bedrohte Handlung einer natürlichen Person anknüpft, ist es untauglich, den Rechtsgüterverletzungen zu begegnen, die durch die in der Organisation des Unternehmens oder des Verbandes angelegten Mängel begründet sind, die sich gerade nicht auf eine bestimmte einzelne Person als Täter oder eine Personenmehrheit als Mittäter zurückführen lassen. Als Mittel gegen die „organisierte Unverantwortlichkeit" ist es daher nicht effektiv einsetzbar, denn nicht die „kriminelle Verbandsattitüde" ist hier relevant, sondern die für andere gefährliche „Schlampigkeit" der Organisation oder der Organisatoren, u. U. die „Schlampigkeit" von Organisatoren, die bereits seit Jahren aus dem Unternehmen ausgeschieden sind. Schließlich ist die Begrenzung auf Handlungen oder Unterlassungen, die dem Unternehmen oder Verband zum Vorteil gereichen sollen, nicht berechtigt. Das Gefahrenpotential, nicht der Vorteilsgedanke muß aus der Sicht des gefährdeten Dritten der relevante Anknüpfungspunkt sein63. 2. Die Verbandssanktion als wirtschaftsaufsicbtsrecbtlicbe Maßnahme Bei der zugleich repressiven und präventiven Bekämpfung des im Bestand eines Unternehmens oder eines Verbandes angelegten Gefahrenpotentials geht es in der Sache nicht um die Ahndung personalen Unrechts und höchstpersönlicher, vorwerfbarer Entscheidungen einzelner Personen und um die Begründung eines persönlichen Vorwurfs, unabhängig davon, ob dieser als sozialethischer oder nur sozialer Vorwurf verstanden wird. Es geht um den Einsatz der Geldbuße als „wirtschaftsaufsichtsrechtliches Sanktionsinstrumentarium"64. Der personale Aspekt Schünemann, Strafbarkeit, unter III 5 c. Kritisch gegenüber der Anknüpfung an den Unternehmensnutzen auch Stratenwerth, R.Schmitt-Festschrift, S.298f.; Volk, J Z 1993, 432f. M K. Schmidt, wistra 1990, 133. 62
63
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ist durch den instrumentalen Aspekt zu ersetzen. Das aber kann nur gelingen, wenn die strafrechtlichen Begrenzungen gesprengt werden und akzeptiert wird, daß jedenfalls bei der Bekämpfung von Gefahren, die sich aus der Tätigkeit von Unternehmen und Verbänden ergeben, „ein großer und wichtiger Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts nicht mit rein strafrechtlichen Kategorien erfaßbar ist"65. Karsten Schmidt hat das für das Kartellrecht näher begründet und nachgewiesen, daß das Ordnungswidrigkeitenrecht des GWB in der Praxis weniger als quasi-strafrechtliches denn als wirtschaftsaufsichtsrechtliches Sanktionsinstrumentarium funktioniert, d. h. als Teil der kartellbehördlichen Wirtschaftsaufsicht66. Dieser Gedanke ist im Wirtschaftsrecht zu verallgemeinern dahin, daß die Geldbuße dort nicht als strafrechtliche Maßnahme zu interpretieren ist, wo sie als ex tunc verhängte, durch künftiges Wohlverhalten nicht abwendbare Sanktion eingesetzt wird. - Die Vorstellung, daß verwaltungsrechtlicher Zwang allein auf die künftige Befolgung von Normen gerichtet ist67, gilt zwar in der deutschen Rechtsdogmatik als überkommen und gesichert, gleichwohl muß mit ihr gebrochen werden. Wo wirtschaftsaufsichtsrechtliche oder zivilprozessuale Maßnahmen nur in die Zukunft wirken und Rechtsungehorsam daher risikolos ex nunc korrigiert werden könnte, ist - wie Karsten Schmidt zutreffend darlegt eine funktionierende präventive Wirtschaftsaufsicht nicht realisierbar, wenn nicht vergangenheitsbezogene Sanktionen hinzukommen 68 . Hier findet die Geldbuße gegen Unternehmen und Verbände ihre sachgerechte Funktion und die angemessene Deutung. Sie stellt keine Strafe dar, sondern ist zugleich repressiv orientiertes Präventionsmittel gegen das Unternehmen oder den Verband und damit in der Sache vergleichbar der Disziplinarstrafe und den Ordnungsmitteln nach § 890 ZPO. Dem internationalen Trend zum Verbandsstrafrecht hin69 entspricht diese Entscheidung nicht. Gleichwohl sollte sie gewagt werden. Es erscheint zwar durchaus folgerichtig, in einer Entwicklung, die bereits zur Anerkennung sozialer Rechtsgüter geführt hat, auch den Täter zu „entpersonalisieren" und zu funktionalisieren70, und neben das individualbezogene Strafrecht ein kollektives Strafrecht zu stellen. An entsprechenden 65
K. Schmidt, wistra 1990, 138. K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht - Kartellverwaltungsrecht - Bürgerliches Recht, 1977, S. 304 ff. 67 Auf dieser Prämisse beruhte auch das Plädoyer Stratenwerths für eine strafrechtliche und gegen eine verwaltungsrechtliche Lösung der Problematik; vgl. R. Schmitt-Festschrift, S. 307. 68 K. Schmidt, wistra 1990, 133. 69 Vgl. Hirsch, Straffähigkeit, S.5, 22; Stratenwerth, R.Schmitt-Festschrift, S. 295; Volk, JZ 1993, 429. 70 Dazu Volk, JZ 1993, 430. 66
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Sanktionsmöglichkeiten würde es nicht fehlen71. Zutreffend weist Volk jedoch darauf hin, daß sich in diesem Fall die Tendenz zur Konvergenz bald bemerkbar machen würde 72 . Zurechnungsregeln und der verhältnismäßige Einsatz der Strafe als Zwangsmittel würden das künftige Strafrechtssystem bestimmen. Demgegenüber ist die Aufgabe des Einheitsdogmas des Ordnungswidrigkeitenrechts bei der Geldbuße gegen Unternehmen und Verbände auch nicht annähernd mit vergleichbaren Folgen belastet. Dieser Schritt ist nämlich gegen Unternehmen keineswegs so revolutionär, wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheint. Letztlich werden nämlich nur die Konsequenzen aus der Interpretation der Geldbuße im EG-Recht für das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht gezogen.
a) Die Geldbuße im EG-Recht Den Europäischen Gemeinschaften kommt keine Kriminalstrafgewalt zu, da die Mitgliedsstaaten bei Abschluß der Verträge insoweit keinen Souveränitätsverzicht geleistet haben73. Die Gemeinschaft besitzt jedoch eine Bußgeldkompetenz. Diese ist in Art. 87 EWG-Vertrag für das Wettbewerbsrecht geregelt und in weiteren Bereichen, besonders auf dem Kohle- und Stahl- sowie dem Verkehrssektor, normiert und wird für den Agrar- und Fischereimarkt aus den Art. 40 Abs. 3, 172 EWGV abgeleitet74. Ausdrücklich hebt die Verordnung Nr. 17 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 6.2.1962 75 in Art. 15 Abs. 4 ebenso wie die Verordnung Nr. 11 vom 27.6. I96076 in Art. 19 und die Verordnung Nr. 101777 in Art. 22 Abs. 4 hervor, daß die Geldbußen nach diesen Verordnungen Entscheidungen „nicht strafrechtlicher Art" sind. Wenn gleichwohl die h. M. in Deutschland die Geldbußen nach dem EG-Recht den Geldbußen nach dem deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht entsprechend interpretiert und sie dem Strafrecht im weiteren Sinne zurechnet78, so geschieht das keineswegs, um den Strafcharakter der 71 Dazu vgl. Hirsch, Straffähigkeit, S.27; Stratenwerth, R.Schmitt-Festschrift, S. 302; Volk, JZ 1993, 431 f. 72 Dazu Volk, JZ 1993, 435. 73 Vgl. dazu Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Bd. 2, 1976, S. 216; ders., NJW 1993, 27 m . w . N . 74 Im einzelnen dazu Tiedemann, NJW 1993, 27. 75 ABl. EG Nr. C 13 v. 21.2.1962, S.204. 76 ABl. EG Nr. C 52 v. 16.8.1960, S. 1121. 77 ABl. EG Nr. L 175 v. 23.7.1968, S. 1. 78 Besonders deutlich in der Auseinandersetzung mit Oehler; vgl. Tiedemann, Jescheck-Festschrift, Bd. 2, 1985, S. 1417. - Zum gesamten Gedankengang bereits S. 1413 ff. m. e. N.
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Geldbußen hervorzuheben oder zu bewahren. Hinter dieser Zuordnung stehen ausschließlich Rechtsschutzgesichtspunkte. Da die Geldbußen neben ihren präventiven Zwecken durchaus auch repressive Zwecke realisieren und wesentlich in die Rechtspositionen des Betroffenen eingreifen, mußte es darum gehen, sicherzustellen, „daß die besonderen rechtsstaatlichen Garantien des materiellen Strafrechts und des Strafverfahrensrechts auch im europäischen (Kartell)ordnungswidrigkeitenrecht gelten" 79 . Der Nachweis, daß die Interpretation der Geldbuße als strafrechtliche Sanktion im weiten Sinne allein auf diesen Rechtsschutzaspekt abzielt, soll hier nicht im einzelnen geführt werden, denn der Sachverhalt wird offensichtlich, wenn man die Gedankengänge Tiedemanns verfolgt, der sich nicht nur als einer der ersten, sondern auch später immer wieder unter neuen Aspekten mit dieser Problematik auseinandergesetzt hat80.
b) Die Interpretation
der Geldbuße als Maßnahme
wirtschaftsaufsichtsrechtliche
Nachdem nunmehr im EG-Recht weitgehend anerkannt ist, daß die klassischen strafrechtlichen und strafprozessualen Garantien auch für Maßnahmen gelten, die strafähnlich wirken, weil sie - unabhängig von der gesetzgeberischen Bezeichnung — auch repressive Zwecke verfolgen 81 , kann das Band zum Strafrecht im weiteren Sinne gelöst und die Chance ergriffen werden, eine eigenständige Unternehmensverantwortung zu begründen, die an Strukturen der Haftung für fehlerhafte Organisation und mangelnde Aufsicht anknüpft82. Damit werden letztlich nur Konsequenzen gezogen, die in den Überlegungen Tiedemanns bereits angelegt sind. Er geht nämlich davon aus, daß im Ordnungswidrigkeitenrecht die als persönliche sittliche Fehlleistung verstandene Schuld durch die an sozialen und rechtlichen Kategorien ausgerichtete Verantwortlichkeit ersetzt ist und damit die Voraussetzung für einen Schuldvorwurf unmittelbar gegen Unternehmen und Verbände gegeben ist. Als derart eigenen sozialen Vorwurf, der die „Verantwort-
79 Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S.7. 80 Vgl. Fn. 62. 81 Vgl. Tiedemann, NJW 1993, 27f.; im einzelnen dazu S.27ff.; Dannecker, Sanktionen und Grundsätze des Allgemeinen Teils im Wettbewerbsrecht der Europäischen Gemeinschaften, unter IV, V, in: Schünemann/Tiedemann (Hrsg.), Bausteine eines europäischen Wirtschaftsstrafrechts, 1993. 82 Dazu bereits Otto, ZStW 102 (1990), 105.
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lichkeit" des Verbandes begründet und der gegen den Verband selbst erhoben werden kann, sei der Organisationsfehler oder das Organisationsverschulden anzusehen, das den materiellen Grund dafür darstelle, daß die Organpersonen bei dem Geschäftsbetrieb des Verbandes Straftaten und Ordnungswidrigkeiten begehen und daß der Verband hierfür verantwortlich gemacht werden kann. Weil und soweit es der Verband durch seine Organe und Vertreter unterlassen hat, Vorsorgemaßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um einen ordentlichen, nicht deliktischen Geschäftsbetrieb zu gewährleisten, werden die Individualtaten (Anknüpfungstaten) als Verbandsdelikte angesehen83. Dieser Gedankengang ist über die Zurechnung von Individualstraftaten oder -ordnungswidrigkeiten hinaus weiter zu entwickeln und grundsätzlich zu verallgemeinern. Anknüpfungspunkt ist und bleibt auch dann das Organ- und Organisationsverschulden. Der Bezug erfolgt aber nicht mehr ausschließlich auf die einzelne konkret handelnde oder unterlassende Person, sondern auf das Unternehmen bzw. den Verband. Es wird gefragt, ob eine Rechtsgutsverletzung auf das Verschulden eines Organs oder ein betriebliches Organisationsverschulden zurückgeführt werden kann, weil in dem betroffenen Unternehmen oder Verband die Umsetzung allgemeiner staatlicher Sorgfaltsvorgaben und die Konkretisierung und Weiterentwicklung der im Umgang mit den betriebseigenen Risiken erforderlichen Sorgfalt nicht den Erwartungen entspricht, die an ein fehlerfreies „risk management" allgemein gestellt werden und die Realisierung der Rechtsgütergefährdung verhindert, zumindest aber vermindert hätten84. M. a. W.: Ein dem Unternehmen oder Verband zuzurechnendes Organisationsverschulden liegt stets dann vor, wenn sich bei dem Geschäftsbetrieb des Unternehmens oder Verbandes Rechtsgütergefährdungen Dritter realisiert haben, die bei ordnungsgemäßer Umsetzung staatlicher Sorgfaltsanforderungen oder der den Betrieb nach Art, Umfang und Größe treffenden Sorgfaltspflichten verhindert oder zumindest vermindert worden wären. O b die Rechtsgütergefährdungen auf das Handeln oder Unterlassen einzelner konkreter Personen zurückgeführt werden können oder ob in der Organisation des Unternehmens oder Verbandes gerade die Person fehlt, die den Mangel hätte beseitigen können, ist irrelevant. Maßgeblich ist, ob pflichtgemäßes Organhandeln sowie pflichtgemäße Organisation, Aufsicht und Kontrolle, die Realisierung der Rechtsgutsgefährdungen verhindert oder vermindert hätten.
Tiedemann, NJW 1988, 1172. - Dazu auch Hirsch, Straffähigkeit, S.26. Vgl. dazu auch Ranzoni, Erfolg und individuelle Zurechnung im Umweltstrafrecht, 1992, S. 154. 83
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Die so verstandene Unternehmensverantwortung wird durchaus den Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht an Strafen und strafähnliche Sanktionen geknüpft hat, gerecht. Maßgeblich für die Verantwortung des Unternehmens und Verbandes ist „die Schuld der für sie verantwortlich handelnden Personen"85, nicht aber in dem Sinne, daß das Unternehmen oder der Verband für Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten dieser Personen haftet, sondern daß es bußgeldrechtlich zur Verantwortung gezogen wird für die rechtswidrigen Rechtsgüterbeeinträchtigungen, die aus dem Geschäftsbetrieb entstanden sind und die bei pflichtgemäßem Verhalten des Unternehmens- oder Verbandsmanagements nicht oder mit geringerer Wahrscheinlichkeit eingetreten wären86. Rechtsdogmatisch bedeutet das, daß im Unternehmens- und Verbandsbereich die Angleichung der Ordnungswidrigkeitendogmatik an das EGRecht vollzogen wird, denn Kommission und EuGH rechnen dem Unternehmen und Verband das Verhalten und Verschulden aller natürlichen Personen zu, die befugtermaßen für das Unternehmen oder den Verband tätig sind, wobei es nicht nur um das Verhalten von Arbeitnehmern des Unternehmens oder Verbandes geht, sondern auch um das externer Beauftragter und Bevollmächtigter87. Wesentlich aber ist, daß die Rechtsgutsbeeinträchtigungen durch Verletzung von Sorgfaltspflichten seitens der Unternehmens- oder Verbandsleiter ermöglicht oder erleichtert wurden. „Hiernach muß weder festgestellt werden, wer konkret gehandelt hat, noch, daß diese Person ein persönlicher Schuldvorwurf trifft, es reicht ein formales organisatorisches Verschulden aus"88. Die Verletzung von
BVerfGE 20, 336. Die streitige Problematik, o b die Haftung für einen Erfolg im Unterlassungsbereich bereits dann begründet ist, wenn pflichtgemäßes Verhalten das Risiko des Erfolgseintritts vermindert oder erst dann, wenn es den Erfolgseintritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte - eingehender dazu Otto, Grundkurs Strafrecht, A . T . , § 9 IV 1, 2 m.w. N. - , soll hier nicht weiter vertieft werden. Trotz gegenteiliger verbaler Beteuerungen hat die Praxis sie längst im Sinne der Gefahrenverminderung entschieden, denn daß im Lederspray-Urteil B G H S t . 37, 106, 130 ff. - das Begehren eines Geschäftsführers mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum gemeinsamen Rückruf geführt hätte, ist genauso unwahrscheinlich wie die Annahme, daß der erfolgte Rückruf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu geführt hätte, daß der einzelne Kunde aufgrund dieses Rückrufs die weitere Verwendung des Sprays unterlassen hätte. 85
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87 Vgl. dazu eingehend Dannecker/Fischer-Fritsch, EG-Kartellrecht, S. 279 ff, 287 ff; Hamann, Das Unternehmen als Täter im europäischen Wettbewerbsrecht, 1992, S. 172 ff. 88 Dannecker, Sanktionen, unten IV 2; dazu auch Buriánek, Das Verschuldenselement - ein den Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten gemeinsamer Rechtsgrundsatz im Sinne von Art. 215 Abs. 2 E W G V ? , 1991, S . 4 2 f f .
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Sorgfalts-, Organisations-, Aufsichts- und Kontrollpflichten, die das Unternehmen oder den Verband durch deren Organe und Vertreter treffen, bildet den Kern des hier maßgeblichen Vorwurfs89. Rechtstatsächlich bedeutet das, daß kooperative Unternehmensführung oder auch die Organisation des Unternehmens in Arbeitsbereichen die Unternehmensleitung zwar in zahlreichen Aufgaben entlasten kann, in einem jedoch nicht. Sie trifft die Verantwortung für die Befolgung jener Sorgfaltspflichten, die an den Betrieb des Unternehmens oder Verbandes im sozialen Leben gestellt werden. Das ordnungsgemäß geführte Unternehmen ist nicht durch organisierte Unverantwortlichkeit gekennzeichnet, sondern durch verantwortliche Organisation.
" Von ganz anderem Ausgangspunkt kommt Hirsch, Straffähigkeit, S. 12 ff., 16, zu einem ähnlichen Ergebnis, nämlich zur Anerkennung einer Verbandsschuld nicht als identisches, sondern als der individuellen Schuld entsprechendes Phänomen.